Die soziale Aufgabe des Privatrechts: Eine Grundfrage in Wissenschaft und Kodifikation am Ende des 19. Jahrhunderts 9783161579172, 316147516X

Im Anschluß an die Veröffentlichung des ersten Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich 1888 ents

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German Pages 605 [609] Year 2020

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur
Kapitel 1: Soziales Recht – Einleitung
I. Einführung – Privatrechtskodifikation und Kritik
1. Juristenrecht statt Volksrecht
2. Mehr römisch als deutsch
3. Antisozial
II. Untersuchungsobjekt und -ziel
1. Zielsetzung
2. Der Untersuchungsgegenstand
a) Die Quellen
b) Die Auswahl der materiellrechtlichen Sachfragen
c) Gang der Darstellung
Kapitel 2: Der Hintergrund
I. Die soziale Frage im Bewußtsein der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts
1. Soziale Frage und industrielle Revolution
2. Der vierte Stand
3. Reaktionen des Reiches auf die Arbeiterfrage
II. Kontinuitäten und Diskontinuitäten
1. Der erste Entwurf als Zäsur
2. Kontinuitäten
a) Römisches Recht versus Deutsches Recht vor 1888
b) Römisch versus deutsch als Chiffre in der Diskussion seit 1888
c) Römisch versus deutsch – historisch verstanden
d) Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten als Vorbild
e) Kontinuität und Diskontinuität. Der Erkenntnisgewinn der Zusammenhänge
Kapitel 3: Soziale Topoi – Versuch einer Typologie
I. Der Gemeinschaftsgedanke
1. Der Kern des Gemeinschaftsgedankens
2. Die soziale Aufgabe des Privatrechts – ein Vortrag Gierkes
3. Die Bedeutung subjektiver Rechte am Beispiel des Persönlichkeitsrechts
4. Eine Synthese von Gemeinschaft und Individuum
5. Weitere Vertreter des Gemeinschaftsgedankens
II. Der Schutz des Schwächeren
1. Beschränkung subjektiver Rechte – Gottlieb Planck
2. Berücksichtigung von Ungleichgewichtslagen – Anton Menger
3. Einschränkung der Vertragsfreiheit – Konrad Schneider
4. Blick auf das Zwangsvollstreckungsrecht – Paul Stolterfoth
5. Beispiele für Schutzvorschriften – Ernst Landsberg, Victor Mataja und Ludwig Enneccerus
6. Ein „ritterliches Gefühl“ – Heinrich Dernburg
7. Staatsintervention zum Schutz der Schwächeren – Verein für Socialpolitik
8. Schutz durch Mißbrauchsklauseln – Gustav Pfizer
9. Die Politik des Reichsjustizamtes
III. Die soziale Freiheit
1. Entfaltung der Freiheit in der Gemeinschaft, nicht Willkür – insbesondere Julius Baron
2. Befreiung zur Freiheit – insbesondere Rudolph Sohm
3. Rechtsfriede als Bestandteil der sozialen Freiheit – Leonhard Jacobi
4. Zwingendes Recht zum Zwecke der Befreiung – Philipp Lotmar
5. Soziale Freiheit auch bei Gierke?
6. Soziale Gerechtigkeit durch Gleichberechtigung
IV. Der sozialpolitische Ausgleich
1. Das Gesetzbuch als Beitrag zur Lösung der sozialen Frage – Ludwig Fuld
2. Schutz der bestehenden Gesellschaftsordnung-Planck, Gierke und andere
3. Mittelstandsförderung – Martin Scherer
4. Stabilität der Gesellschaft als soziale Aufgabe des Privatrechts – Zusammenfassung
V. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Anschauungen der Gegenwart
1. Die Aufgabe des Gesetzes nach dem Gutachten der Vorkommission
2. Kodifikation des bewährten Rechts und Verlagerung neuer Rechtssätze in die Spezialgesetzgebung – Gottlieb Planck
3. Tradition der historischen Rechtsschule?
4. Interpretationsbeispiele für die „Bedürfnisse der Gegenwart“
5. Bedürfnisse der Zeit sind kein eigenständiger „sozialer“ Topos
VI. Zusammenfassung: Die soziale Aufgabe des Privatrechts – ein Thema mit Variationen
Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen Teil
I. Einführung: Die systematische Entscheidung für einen Allgemeinen Teil und die Auswahl der hier behandelten Einzelfragen
II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen
1. Der erste Entwurf
a) Keine Bestimmungen über die Entstehung der Rechtsfähigkeit
b) Die ursprüngliche Absicht einer reichseinheitlichen Regelung
c) Die Begründung der ersten Kommission für den Regelungsverzicht
(1) Der Teilentwurf und seine Begründung durch Albert Gebhard
(2) Die Verhandlungen der 1. Kommission und die „Motive“
(3) Zusammenfassung
2. Die Kritik am ersten Entwurf
a) Der Begriff der juristischen Person – reale Gesamtpersönlichkeit oder persona ficta
b) Die Entstehung der Rechtsfähigkeit der juristischen Person
(1) Überlassung an die Landesgesetzgebung?
(2) Die Ausgestaltung der reichseinheitlichen Lösung
(a) Konzessionssystem
(b) System der Normativbestimmungen
(c) Freie Körperschaftsbildung
(aa) Konzessionssystem begrifflich unpassend
(bb) Freie Körperschaftsbildung mit fakultativer Registereintragung
(cc) Die Haltung des Juristentages
(dd) Die Begründung der Entscheidung für die freie Körperschaftsbildung durch Gierke
(ee) Die politische Erwiderung Plancks auf Gierke
c) Die sozialen Topoi in der Diskussion über das Vereinsrecht
3. Vom Entwurf zum BGB
a) Die Vorkommission im Reichsjustizamt
(1) Die Grundposition der Vorkommission
(2) Hilfsüberlegungen zu einer reichseinheitlichen Regelung
(3) Erfolg der Kritik?
b) Die zweite Kommission
(1) Antrag A – Freie Körperschaftsbildung
(2) Anträge B und C – System von Normativbestimmungen mit Einspruchsrecht
(3) Befürwortung einer reichseinheitlichen Regelung
(4) Was bleibt vom Erfolg der Kritik?
c) Die Kritik am zweiten Entwurf
(1) Zustimmung zur Grundentscheidung der zweiten Kommission
(2) Ablehnung des Einspruchsrechts der Behörden
d) Der Bundesrat
e) Der Reichstag
(1) Die Haltung der Denkschrift
(2) Erste Lesung im Reichstag
(3) Die Verhandlungen der Reichstagskommission über das Vereinsrecht
(a) Erste Lesung in der Kommission
(b) Zweite Lesung in der Kommission
(4) Zweite und dritte Lesung im Reichstag
4. Zusammenfassung
III. Die Verjährung
1. Der erste Entwurf
a) Der Grundtatbestand
b) Windscheids Lehre von der Verjährung
c) Teilentwurf und Entwurf
(1) Die soziale Aufgabe der Anspruchsverjährung
(2) Die Voraussetzungen der Verjährung
(3) Die Begründung für die Dauer der Fristen
(4) Zusammenfassung: Die soziale Aufgabe der Verjährungsvorschriften
(5) Ablehnung der unvordenklichen Verjährung
2. Die Kritik am ersten Entwurf
a) Gegen den Begriff Anspruchsverjährung
b) Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen
c) Ungerechte Bevorzugung von Kapitalforderungen im Vergleich zu Lohnansprüchen und Renten
d) Ersitzung von Grundstücken
e) Unvordenkliche Verjährung
f) Verkürzung der Verjährungsfrist
g) Unterbrechende Wirkung der Mahnung
h) Zusammenfassung
3. Vom Entwurf zum BGB
a) Vorkommission im Reichsjustizamt
b) Die zweite Kommission
c) Bundesrat
d) Reichstag
e) Schlußbetrachtung
IV. Soziales Recht im Allgemeinen Teil – Zusammenfassung
Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht
I. Der Arbeitsvertrag
1. Die industrielle Arbeiterfrage als Kernproblem der sozialen Frage
2. Der erste Entwurf
a) Die unspezifische Tendenz des Dienstvertragsrechts im E I und seiner Vorlage
b) Gesinderecht bleibt ausgeschlossen
3. Die Kritik am Entwurf
a) Verbesserung des Arbeitsschutzes
b) Personenrechtliche Aspekte des Arbeitsverhältnisses
c) Kündigungsmöglichkeiten
d) Höhere Dienste – kein einheitlicher Arbeitsvertrag
e) Ergebnis
4. Vom Entwurf zum BGB
5. Arbeiterfrage kein Thema der Diskussion
II. Kauf bricht Miete
1. Wohnungsnot und Bestandsschutz
2. Der erste Entwurf
3. Die Kritik am ersten Entwurf
a) Quaestio agitatissima
b) Verteidigungsversuch von Gustav Hartmann
c) Die ordentliche Kündigung als Ausweg
4. Vom Entwurf zum BGB
a) Die Vorkommission
b) Zweite Kommission
5. Soziale Bedeutungslosigkeit der Regel „Kauf bricht (nicht) Miete“
a) Befristete Mietverhältnisse und Fluktuation am Wohnungsmarkt
b) Formularmäßige Vereinbarung außerordentlicher Kündigungsgründe
c) Konjunkturbedingte Nachfrageschwankungen
d) Zeitgenössische Wahrnehmung der praktischen Bedeutungslosigkeit
e) Zusammenfassung
6. „Kauf bricht Miete“ als Irrweg der Diskussion – eine Zusammenfassung
III. Das Vermieterpfandrecht
1. Vermieterpfandrecht als reales Problem
2. Der erste Entwurf
a) Grundzüge der vor 1900 geltenden Rechtslage
(1) Gemeines Recht
(2) § 41 KO
(3) Partikularrechte
(4) Der „Miethkredit der kleinen Leute“
b) Verhandlungen und Beschlüsse der 1. Kommission
3. Die Kritik am ersten Entwurf
a) Soll das Vermieterpfandrecht überhaupt zugelassen werden?
(1) Gegen eine Zulassung des Vermieterpfandrechts
(2) Für die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts
b) Gegenstand des Vermieterpfandrechts
(1) Grundsätzlich sind nur Sachen des Mieters dem Pfandrecht unterworfen
(2) Vermieterpfandrecht auch an den Sachen der in Hausgemeinschaft lebenden Familienangehörigen
(3) Vermieterpfandrecht auch an Sachen fremder Personen?
(4) Ausdehnung des Gegenstands im Sinne von § 1 Abs. 3 KO
(5) Ausschluß unpfändbarer Sachen
(6) Gegen einen Ausschluß unpfändbarer Sachen
c) Sicherungszweck
d) Einschränkung des Widerspruchsrechts
e) Selbständiges Zurückbehaltungsrecht neben oder anstelle des Pfandrechts?
f) Die Forderungen der Kritik im Überblick
g) Soziale Topoi in der Kritik am Vermieterpfandrecht des ersten Entwurfs
4. Vom Entwurf zum BGB
a) Die Vorkommission
b) Die zweite Kommission
(1) Der Gegenstand des Vermieterpfandrechts
(2) Sicherungszweck
(3) Widerspruchsrecht
(4) Sonstige Anträge
(5) Zusammenfassung der Beschlüsse der zweiten Kommission und Kritik
c) Bundesrat
d) Reichstag
(1) Denkschrift
(2) Erste Lesung im Plenum des Reichstags
(3) XII. Kommission
(4) Zweite und dritte Beratung im Plenum
5. Die sozialen Topoi in der Diskussion über das Vermieterpfandrecht sowie die wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Hintergründe
a) Normative Veränderungen
b) Soziale Topoi
(1) Der Gemeinschaftsgedanke
(2) Der Schutz des Schwächeren
(3) Soziale Freiheit
(4) Sozialpolitischer Ausgleich
c) Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Hintergründe
(1) Kahlpfändung und Armenverwaltung
(2) Der Mietkredit und die Vorauszahlungspflicht des Mieters
(a) Das Sicherungsinteresse der Vermieter
(b) Kreditwesen auch bei Konsumgütern
(c) Zeitgenössische Skepsis gegenüber dem Kreditargument
(d) Die Plausibilität des Kreditarguments
(e) Die Baufinanzierung als Schlüsselfrage
(f) Ergebnis
Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht
I. Einführung und Auswahl der behandelten Rechtsinstitute
1. Die bürgerliche Familie
2. Ehegüterrecht und elterliche Gewalt als Untersuchungsobjekte
II. Die elterliche Gewalt
1. Die elterliche Gewalt im ersten Entwurf
a) Träger der elterlichen Gewalt
(1) Die allgemeine Regel des § 1501 II E I
(2) Vormundschaftlicher Charakter der elterlichen Gewalt
(3) Die Mutter als Träger elterlicher Gewalt
b) Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt während bestehender Ehe
c) Ende der elterlichen Gewalt
d) Zusammenfassung
2. Die Kritik
a) Zum vormundschaftlichen Charakter der elterlichen Gewalt
b) Träger der elterlichen Gewalt
c) Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt zu Lebzeiten des Vaters
d) Zu frühes Ende der elterlichen Gewalt
e) Zusammenfassung
3. Vom ersten Entwurf zum BGB
a) Die Zweite Kommission
(1) Der Träger der elterlichen Gewalt
(2) Der Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt zu Lebzeiten des Vaters
(3) Das Ende der elterlichen Gewalt
(4) Ein Mißerfolg der Kritik
b) Der Bundesrat
c) Der Reichstag (XII. Kommission und Plenum)
(1) Der Vater als Träger der elterlichen Gewalt
(2) Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt während bestehender Ehe
(3) Ende der elterlichen Gewalt
(4) Römisches Recht versus deutsches Recht im Reichstag – am Beispiel der elterlichen Gewalt
III. Das Ehegüterrecht
1. Einleitung
a) Die ökonomische Bedeutung des Ehegüterrechts
b) Rechtseinheit oder Regionalsystem im Vorfeld des ersten Entwurfs
2. Der gesetzliche Güterstand
a) Der Erste Entwurf
(1) Die Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft
(2) Die Grundzüge der Regelung der Verwaltungsgemeinschaft im E I – insbesondere die rechtliche Stellung der Frau
(3) Die Geschäftsfähigkeit der Ehefrau
b) Die Kritik
(1) Einheitliches Güterrecht oder Regionalsystem?
(2) Ausgestaltung des einheitlichen Güterrechts als Verwaltungsgemeinschaft
(a) Entwurf verfehlt die ökonomische Wirklichkeit
(b) Gütertrennung als Ersatz für die Verwaltungsgemeinschaft?
(c) Gütergemeinschaft als Ideal?
(d) Plancks Verteidigung der Entscheidung zur Verwaltungsgemeinschaft
(e) Gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung des Ehegüterrechts
(f) Zustimmung zur Verwaltungsgemeinschaft bei gleichzeitiger Kritik an Einzelbestimmungen
(3) Stellung der Frau
(a) Gegen das „System des Mannesegoismus“ – Forderung einer Erwerbsbeteiligung der Frau
(b) Die Verpflichtung zur gemeinschaftlichen Lastentragung und die Bedeutung des Arbeitsertrags der Frau
(c) Ablehnung einer Erwerbsbeteiligung der Frau
(d) Befürwortung der Errungenschaftsgemeinschaft
(e) Für die Ausdehnung der Nutznießungsbefugnis des Mannes – 21. Deutscher Juristentag 1891
(f) Die Gütergemeinschaft als Konsequenz des Gemeinschaftsgedankens
(g) Volle Geschäftsfähigkeit der Frau verlangt Gütertrennung und Abschaffung der praesumptio Muciana
(h) Die Einschätzung der Rechtsstellung der Frau
(4) Zusammenfassung
c) Vom Entwurf zum BGB
(1) Die Zweite Kommission
(a) Ablehnung des Regionalsystems
(b) Zulassung vertraglicher Güterstände
(c) Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand
(d) Die Abschaffung des Nießbrauchsrechts
(e) Der Anspruch auf Sicherheitsleistung
(f) Die Geschäftsfähigkeit der Frau – Arbeitsverträge
(g) Gemeinschaftliche Verwaltung und familienrechtliche Nutznießung
(h) Vermeidung von Prozessen zwischen Eheleuten
(i) Zeitgenössische Beurteilung des E II
(j) Zusammenfassung
(2) Der Bundesrat
(3) Die Behandlung im Reichstag (XII. Kommission und Plenum)
(a) Denkschrift
(b) Der Antrag auf Einführung der Gütertrennung
(c) Die Verhandlungen der Reichstagskommission über den gesetzlichen Güterstand
(d) Streichung des Zustimmungserfordernisses zum Arbeitsvertrag der Frau?
(e) Plenardebatte über den gesetzlichen Güterstand
(f) Erfolg und Mißerfolg der Kritik
3. Die Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes (§§ 1298, 1299 E I)
a) Der Erste Entwurf
b) Die Kritik
c) Vom Entwurf zum BGB
(1) Die Zweite Kommission und der Bundesrat
(2) Der Reichstag (XII. Kommission und Plenum)
IV. Soziales Recht im Familienrecht – Zusammenfassende Würdigung
1. Gemeinschaft und Freiheit
2. „Sozialkonservative“ Tendenz?
3. Die Fortschrittlichkeit des Ehegüterrechts
4. Die Wirkungen der Kritik am Ehegüterrecht
5. Die Wirkungen der Kritik am Recht der elterlichen Gewalt
Kapitel 7: Schluß
I. Soziale Frage und soziale Aufgabe des Privatrechts
II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung
1. Der Gemeinschaftsgedanke
a) Die Konzeption
b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge
2. Der Schutz des Schwächeren
a) Die Konzeption
b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge
3. Soziale Freiheit
a) Die Konzeption
b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge
c) Exkurs: Vertragsfreiheit
4. Sozialpolitischer Ausgleich
a) Die Konzeption
b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge
5. Bedürfnisse der Gegenwart
III. Das Modell vom Sozialmodell
1. Erste Schlaglichter
2. Erste nüchterne Einschätzung
3. Die communis opinio doctorum
4. Die Berücksichtigung der Gesamtrechtsordnung
IV. Schlußbemerkung
Quellen und Literatur
Gesetzesregister
Personenregister
Sachregister
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Die soziale Aufgabe des Privatrechts: Eine Grundfrage in Wissenschaft und Kodifikation am Ende des 19. Jahrhunderts
 9783161579172, 316147516X

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 60

ARTI BUS

Tilman Repgen

Die soziale Aufgabe des Privatrechts Eine Grundfrage in Wissenschaft und Kodifikation am Ende des 19. Jahrhunderts

Mohr Siebeck

Tilman Repgen, geboren 1964 in Saarbrücken, Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Trier und Köln; 1990 erstes Staatsexamen; 1993 Promotion zum Dr. iur. utr. in Köln mit einer Arbeit zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft; 1994 nach dem Assessorexamen wiss. Assistent am Institut für neuere Privatrechtsgeschichte der Universität zu Köln; 2000 ebendort Habilitation (venia legendi für die Fächer Bürgerliches Recht, Römische Rechtsgeschichte, Deutsche Rechtsgeschichte); seither Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Mainz und Tübingen.

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche

Bibliothek

-

CIP-Einheitsaufnahme

Repgen, Tilman: Die soziale Aufgabe des Privatrechts : eine Grundfrage in Wissenschaft und Kodifikation am Ende des 19. Jahrhunderts / Tilman Repgen. - Tübingen : Mohr Siebeck, 2001 (Jus privatum ; 60) 978-3-16-157917-2 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-147516-X

© 2001 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610

Uxori parentibusque

Vorwort In der deutschen Rechtswissenschaft scheint die Auffassung unverrückbar fest gegründet, das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 sei, wie Franz Wieacker formulierte, „ein spätgeborenes Kind des klassischen Liberalismus". Ebenso sicher glaubt man an den Vorwurf, dieses habe seine „soziale Aufgabe" verfehlt, es sei den sozialen Anforderungen seiner Zeit nicht gerecht geworden, ihm habe der „Tropfen sozialen Öles" gefehlt, den Bismarck für alle staatliche Gesetzgebung gefordert hatte. Da die Aufgabe des Rechts in der Ordnung des Gemeinwesens besteht, ist der gegen das Bürgerliche Gesetzbuch erhobene Vorwurf von zentraler Bedeutung. Er berührt die Grundlagen unseres Privatrechtssystems, ohne allerdings selbst ausreichend begründet worden zu sein. Die Kritik am Bürgerlichen Gesetzbuch folgt dabei für gewöhnlich den Spuren von Gierke, verkennt aber, daß für ihn die soziale Aufgabe des Privatrechts keineswegs vorrangig im Schutz des Schwächeren bestand. Betrachtet man die Zeit zwischen der Publikation des ersten Entwurfs Anfang 1888 und dem Ende des Gesetzgebungsverfahrens 1896 genauer als bisher, so erweist sich die soziale Aufgabe des Privatrechts gerade als das Thema von übergeordneter, grundsätzlicher Bedeutung, das von der zeitgenössischen Rechtswissenschaft wie kein anderes sonst diskutiert worden ist - freilich weniger in abstrakten Erörterungen als vielmehr im Zusammenhang mit materiell-rechtlichen Einzelfragen. Die systematische Untersuchung dieser Debatte und ihrer Auswirkungen auf das Bürgerliche Gesetzbuch ist das Anliegen dieser Arbeit. Die gängige Einschätzung des Gesetzbuchs erscheint danach allenfalls als Ergebnis eines sehr einseitigen Verständnisses des in der historischen Wirklichkeit schillernden Begriffs „sozial". Gerade die Vorstellungen Gierkes blieben ohne große Resonanz. Andere Aspekte der sozialen Aufgabe des Privatrechts fanden hingegen durchaus Berücksichtigung. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat dieses Buch im Sommersemester 2000 als Habilitationsschrift angenommen. Für seine Anregung und freundschaftliche Betreuung danke ich sehr herzlich meinem Lehrer, Herrn Professor Dr. Klaus Luig, der mir während meiner Assistentenzeit am Institut für neuere Privatrechtsgeschichte die Gelegenheit zur Anfertigung der Habilitationsschrift eingeräumt hat. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Norbert Horn, der das Zweitgutachten geschrieben hat. In den Dank möchte ich meine Frau und die übrige Familie sowie eine große Zahl von Freunden und Kollegen einschließen, namentlich die Mitglieder des „Freibur-

VIII

Vorwort

ger Kreises von Habilitanden und Habilitierten im Zivilrecht", die mit kritischen Hinweisen, Ratschlägen und Ermutigung zum Gelingen beigetragen haben. Köln, den 19. März 2001

Tilman Repgen

Inhaltsübersicht Vorwort Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur

Kapitel 1: Soziales Recht - Einleitung I. Einführung - Privatrechtskodifikation und Kritik II. Untersuchungsobjekt und -ziel Kapitel 2: D e r H i n t e r g r u n d I. Die soziale Frage im Bewußtsein der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts II. Kontinuitäten und Diskontinuitäten Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

VII XXI

1 1 5 25 25 32 50

I. Der Gemeinschaftsgedanke

51

II. Der Schutz des Schwächeren

68

III. Die soziale Freiheit IV. Der sozialpolitische Ausgleich

83 102

V. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Anschauungen der Gegenwart VI. Zusammenfassung: Die soziale Aufgabe des Privatrechts - ein Thema mit Variationen

120

Kapitel 4: Soziales R e c h t i m A l l g e m e i n e n Teil

123

I. Einführung: Die systematische Entscheidung für einen Allgemeinen Teil und die Auswahl der hier behandelten Einzelfragen II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen III. Die Verjährung IV. Soziales Recht im Allgemeinen Teil-Zusammenfassung

123 127 179 211

109

X

Inhaltsübersicht

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht I. Der Arbeitsvertrag II. Kauf bricht Miete

213 215 231

III. Das Vermieterpfandrecht

250

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

329

I. Einführung und Auswahl der behandelten Rechtsinstitute II. Die elterliche Gewalt

329 334

III. Das Ehegüterrecht

388

IV. Soziales Recht im Familienrecht - Zusammenfassende Würdigung . . . .

481

Kapitel 7: Schluß I. Soziale Frage und soziale Aufgabe des Privatrechts II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung

490 490 494

III. Das Modell vom Sozialmodell

507

IV. Schlußbemerkung

522

Quellen und Literatur

525

Gesetzesregister

563

Personenregister

566

Sachregister

573

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur

XXI

Kapitel 1: Soziales Recht - Einleitung

1

I. Einführung - Privatrechtskodifikation und Kritik

1

1. Juristenrecht statt Volksrecht 2. Mehr römisch als deutsch 3. Antisozial

2 2 3

II. Untersuchungsobjekt und -ziel

5

1. Zielsetzung 2. Der Untersuchungsgegenstand

5 8

a) Die Quellen b) Die Auswahl der materiellrechtlichen Sachfragen c) Gang der Darstellung

8 14 22

Kapitel 2: Der Hintergrund

25

I. Die soziale Frage im Bewußtsein der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts

25

1. Soziale Frage und industrielle Revolution 2. Der vierte Stand 3. Reaktionen des Reiches auf die Arbeiterfrage

25 26 27

II. Kontinuitäten und Diskontinuitäten 1. Der erste Entwurf als Zäsur 2. Kontinuitäten a) Römisches Recht versus Deutsches Recht vor 1888 b) Römisch versus deutsch als Chiffre in der Diskussion seit 1888 c) Römisch versus deutsch - historisch verstanden d) Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten als Vorbild e) Kontinuität und Diskontinuität. Der Erkenntnisgewinn der Zusammenhänge

32

. .

32 35 35 41 43 45 49

XII

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

50

I. D e r Gemeinschaftsgedanke

51

1. D e r K e r n des Gemeinschaftsgedankens

54

2. D i e soziale Aufgabe des Privatrechts - ein Vortrag Gierkes

55

3. D i e Bedeutung subjektiver R e c h t e am Beispiel des Persönlichkeitsrechts

58

4. Eine Synthese v o n Gemeinschaft und Individuum

61

5. Weitere Vertreter des Gemeinschaftsgedankens

65

II. D e r Schutz des Schwächeren

68

1. Beschränkung subjektiver R e c h t e - G o t t l i e b Planck

68

2. Berücksichtigung von Ungleichgewichtslagen - A n t o n M e n g e r . . . .

71

3. Einschränkung der Vertragsfreiheit - K o n r a d Schneider

73

4. B l i c k auf das Zwangsvollstreckungsrecht - Paul Stolterfoth

75

5. Beispiele für Schutzvorschriften - Ernst Landsberg, V i c t o r Mataja und Ludwig Enneccerus

76

6. E i n „ritterliches G e f ü h l " - H e i n r i c h D e r n b u r g

77

7. Staatsintervention z u m Schutz der Schwächeren - Verein für Socialpolitik

77

8. Schutz durch Mißbrauchsklauseln - Gustav Pfizer

79

9. D i e Politik des Reichsjustizamtes

82

I I I . D i e soziale Freiheit

83

1. Entfaltung der Freiheit in der Gemeinschaft, nicht Willkür insbesondere Julius B a r o n

84

2. Befreiung zur Freiheit - insbesondere R u d o l p h S o h m

88

3. Rechtsfriede als Bestandteil der sozialen Freiheit - L e o n h a r d J a c o b i 4. Zwingendes R e c h t z u m Z w e c k e der Befreiung - Philipp L o t m a r

.

. . .

95 97

5. Soziale Freiheit auch bei G i e r k e ?

99

6. Soziale Gerechtigkeit durch Gleichberechtigung

102

IV. D e r sozialpolitische Ausgleich

102

1. Das G e s e t z b u c h als Beitrag zur L ö s u n g der sozialen Frage - L u d w i g Fuld

103

2. Schutz der bestehenden Gesellschaftsordnung -Planck, G i e r k e und andere

106

3. Mittelstandsförderung - Martin Scherer

108

4. Stabilität der Gesellschaft als soziale Aufgabe des Privatrechts Zusammenfassung

109

V. D i e Berücksichtigung der Bedürfnisse und Anschauungen der Gegenwart 1. D i e Aufgabe des Gesetzes nach dem G u t a c h t e n der V o r k o m m i s s i o n

109 .

109

2. Kodifikation des bewährten R e c h t s und Verlagerung neuer Rechtssätze in die Spezialgesetzgebung - G o t t l i e b Planck

112

XIII

Inhaltsverzeichnis 3. Tradition der historischen Rechtsschule?

113

4. Interpretationsbeispiele für die „Bedürfnisse der Gegenwart" 5. Bedürfnisse der Zeit sind kein eigenständiger „sozialer" Topos

114 . . . .

119

VI. Zusammenfassung: Die soziale Aufgabe des Privatrechts - ein Thema mit Variationen

120

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen Teil

123

I. Einführung: Die systematische Entscheidung für einen Allgemeinen Teil und die Auswahl der hier behandelten Einzelfragen

123

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen

127

1. Der erste Entwurf

129

a) Keine Bestimmungen über die Entstehung der Rechtsfähigkeit

. .

b) Die ursprüngliche Absicht einer reichseinheitlichen Regelung . . . c) Die Begründung der ersten Kommission für den Regelungsverzicht

129 130 131

(1) Der Teilentwurf und seine Begründung durch Albert Gebhard

132

(2) Die Verhandlungen der 1. Kommission und die „Motive" . . .

136

(3) Zusammenfassung

137

2. Die Kritik am ersten Entwurf

138

a) Der Begriff der juristischen Person - reale Gesamtpersönlichkeit oder persona ficta b) Die Entstehung der Rechtsfähigkeit der juristischen Person

139 . . . .

142

(1) Überlassung an die Landesgesetzgebung?

142

(2) Die Ausgestaltung der reichseinheitlichen Lösung

144

(a) Konzessionssystem

144

(b) System der Normativbestimmungen (c) Freie Körperschaftsbildung

144 147

(aa) Konzessionssystem begrifflich unpassend

148

(bb) Freie Körperschaftsbildung mit fakultativer Registereintragung

148

(cc) Die Haltung des Juristentages

150

(dd) Die Begründung der Entscheidung für die freie Körperschaftsbildung durch Gierke

150

(ee) Die politische Erwiderung Plancks auf Gierke

. . . .

153

c) Die sozialen Topoi in der Diskussion über das Vereinsrecht

. . . .

153

3. Vom Entwurf zum B G B

154

a) Die Vorkommission im Reichsjustizamt (1) Die Grundposition der Vorkommission (2) Hilfsüberlegungen zu einer reichseinheitlichen Regelung

155 . . .

155 155

XIV

Inhaltsverzeichnis

(3) Erfolg der Kritik? b) Die zweite Kommission (1) Antrag A - Freie Körperschaftsbildung (2) Anträge B und C - System von Normativbestimmungen mit Einspruchsrecht (3) Befürwortung einer reichseinheitlichen Regelung (4) Was bleibt vom Erfolg der Kritik? c) Die Kritik am zweiten Entwurf (1) Zustimmung zur Grundentscheidung der zweiten Kommission (2) Ablehnung des Einspruchsrechts der Behörden d) Der Bundesrat e) Der Reichstag (1) Die Haltung der Denkschrift (2) Erste Lesung im Reichstag (3) Die Verhandlungen der Reichstagskommission über das Vereinsrecht

159 160 160 161 163 163 164 164 165 169 170 170 171 172

(a) Erste Lesung in der Kommission

172

(b) Zweite Lesung in der Kommission

174

(4) Zweite und dritte Lesung im Reichstag

175

4. Zusammenfassung III. Die Verjährung 1. Der erste Entwurf a) Der Grundtatbestand b) Windscheids Lehre von der Verjährung c) Teilentwurf und Entwurf (1) (2) (3) (4)

Die soziale Aufgabe der Anspruchsverjährung Die Voraussetzungen der Verjährung Die Begründung für die Dauer der Fristen Zusammenfassung: Die soziale Aufgabe der Verjährungs Vorschriften (5) Ablehnung der unvordenklichen Verjährung

2. Die Kritik am ersten Entwurf a) Gegen den Begriff Anspruchsverjährung b) Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen c) Ungerechte Bevorzugung von Kapitalforderungen im Vergleich zu Lohnansprüchen und Renten d) Ersitzung von Grundstücken e) Unvordenkliche Verjährung f) Verkürzung der Verjährungsfrist g) Unterbrechende Wirkung der Mahnung

177 179 180 180 180 183 183 184 185 187 188 189 189 191 192 195 195 196 198

Inhaltsverzeichnis

XV

h) Zusammenfassung

199

3. Vom Entwurf z u m BGB

200

a) b) c) d) e)

Vorkommission im Reichsjustizamt Die zweite Kommission Bundesrat Reichstag Schlußbetrachtung

200 202 205 206 209

IV. Soziales Recht im Allgemeinen Teil - Zusammenfassung

211

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

213

I. Der Arbeitsvertrag 1. Die industrielle Arbeiterfrage als Kernproblem der sozialen Frage 2. Der erste Entwurf

215 . .

a) Die unspezifische Tendenz des Dienstvertragsrechts im E I und seiner Vorlage b) Gesinderecht bleibt ausgeschlossen

217 219

3. Die Kritik am Entwurf a) b) c) d) e)

215 217

220

Verbesserung des Arbeitsschutzes Personenrechtliche Aspekte des Arbeitsverhältnisses Kündigungsmöglichkeiten Höhere Dienste - kein einheitlicher Arbeitsvertrag Ergebnis

220 222 224 224 225

4. Vom Entwurf z u m BGB 5. Arbeiterfrage kein Thema der Diskussion

225 226

II. Kauf bricht Miete

231

1. Wohnungsnot und Bestandsschutz 2. Der erste Entwurf 3. Die Kritik am ersten Entwurf

231 234 235

a) Quaestio agitatissima b) Verteidigungsversuch von Gustav H a r t m a n n c) Die ordentliche Kündigung als A u s w e g

235 238 239

4. Vom Entwurf z u m BGB

240

a) Die Vorkommission b) Zweite Kommission

240 240

5. Soziale Bedeutungslosigkeit der Regel „Kauf bricht (nicht) Miete" . .

241

a) Befristete Mietverhältnisse und Fluktuation am Wohnungsmarkt b) Formularmäßige Vereinbarung außerordentlicher Kündigungsgründe c) Konjunkturbedingte Nachfrageschwankungen d) Zeitgenössische Wahrnehmung der praktischen Bedeutungslosigkeit

243

.

244 246 248

XVI

Inhaltsverzeichnis

e) Zusammenfassung

249

6. „Kauf bricht Miete" als Irrweg der Diskussion - eine Zusammenfassung

249

III. Das Vermieterpfandrecht

250

1. Vermieterpfandrecht als reales Problem

250

2. Der erste Entwurf

253

a) Grundzüge der vor 1900 geltenden Rechtslage (1) (2) (3) (4)

254

Gemeines Recht §41 K O Partikularrechte Der „Miethkredit der kleinen Leute"

254 255 256 257

b) Verhandlungen und Beschlüsse der 1. Kommission

259

3. Die Kritik am ersten Entwurf a) Soll das Vermieterpfandrecht überhaupt zugelassen werden?

261 . . .

(1) Gegen eine Zulassung des Vermieterpfandrechts (2) Für die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts b) Gegenstand des Vermieterpfandrechts (1) Grundsätzlich sind nur Sachen des Mieters dem Pfandrecht unterworfen (2) Vermieterpfandrecht auch an den Sachen der in Hausgemeinschaft lebenden Familienangehörigen (3) Vermieterpfandrecht auch an Sachen fremder Personen? . . . (4) Ausdehnung des Gegenstands im Sinne von § 1 Abs. 3 K O . . (5) Ausschluß unpfändbarer Sachen (6) Gegen einen Ausschluß unpfändbarer Sachen c) Sicherungszweck d) Einschränkung des Widerspruchsrechts e) Selbständiges Zurückbehaltungsrecht neben oder anstelle des Pfandrechts? f) Die Forderungen der Kritik im Überblick g) Soziale Topoi in der Kritik am Vermieterpfandrecht des ersten Entwurfs 4. Vom Entwurf zum BGB a) Die Vorkommission b) Die zweite Kommission (1) (2) (3) (4) (5)

Der Gegenstand des Vermieterpfandrechts Sicherungszweck Widerspruchsrecht Sonstige Anträge Zusammenfassung der Beschlüsse der zweiten Kommission und Kritik

262 262 267 272 272 273 275 278 279 284 286 288 289 290 290 293 293 295 296 300 302 302 303

XVII

Inhaltsverzeichnis c) Bundesrat

305

d) Reichstag

306

(1) D e n k s c h r i f t

306

(2) Erste Lesung im Plenum des Reichstags

306

(3) X I I . K o m m i s s i o n

307

(4) Zweite und dritte Beratung im P l e n u m

309

5. D i e sozialen T o p o i in der Diskussion über das Vermieterpfandrecht sowie die w i r t s c h a f t s - u n d sozialgeschichtlichen Hintergründe

. . . .

311

a) N o r m a t i v e Veränderungen

311

b) Soziale T o p o i

312

(1) D e r Gemeinschaftsgedanke

313

(2) D e r Schutz des Schwächeren

313

(3) Soziale Freiheit

315

(4) Sozialpolitischer Ausgleich

316

c) Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Hintergründe

316

(1) Kahlpfändung und Armenverwaltung

316

(2) D e r Mietkredit und die Vorauszahlungspflicht des Mieters

. .

317

(a) Das Sicherungsinteresse der Vermieter

317

(b) Kreditwesen auch bei K o n s u m g ü t e r n

318

(c) Zeitgenössische Skepsis gegenüber dem Kreditargument

.

320

(d) D i e Plausibilität des Kreditarguments

321

(e) D i e Baufinanzierung als Schlüsselfrage

323

(f) Ergebnis

328

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

329

I. Einführung und Auswahl der behandelten Rechtsinstitute

329

1. D i e bürgerliche Familie

329

2. Ehegüterrecht und elterliche Gewalt als U n t e r s u c h u n g s o b j e k t e . . . .

332

I I . D i e elterliche Gewalt

334

1. D i e elterliche G e w a l t im ersten E n t w u r f

335

a) Träger der elterlichen G e w a l t

335

(1) D i e allgemeine Regel des § 1501 II E I (2) Vormundschaftlicher Charakter der elterlichen G e w a l t

335 . . . .

(3) D i e M u t t e r als Träger elterlicher Gewalt

336 336

b) Anteil der M u t t e r an der elterlichen G e w a l t während bestehender Ehe

340

c) E n d e der elterlichen Gewalt

346

d) Zusammenfassung

349

XVIII

Inhaltsverzeichnis

2. Die Kritik a) Zum vormundschaftlichen Charakter der elterlichen Gewalt . . . b) Träger der elterlichen Gewalt c) Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt zu Lebzeiten des Vaters d) Zu frühes Ende der elterlichen Gewalt e) Zusammenfassung

350 350 351 359 360 362

3. Vom ersten Entwurf zum BGB

363

a) Die Zweite Kommission

363

(1) Der Träger der elterlichen Gewalt (2) Der Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt zu Lebzeiten des Vaters (3) Das Ende der elterlichen Gewalt (4) Ein Mißerfolg der Kritik b) Der Bundesrat c) Der Reichstag (XII. Kommission und Plenum) (1) Der Vater als Träger der elterlichen Gewalt (2) Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt während bestehender Ehe (3) Ende der elterlichen Gewalt (4) Römisches Recht versus deutsches Recht im Reichstag am Beispiel der elterlichen Gewalt

363 365 367 369 370 370 371 374 381 385

III. Das Ehegüterrecht

388

1. Einleitung

388

a) Die ökonomische Bedeutung des Ehegüterrechts b) Rechtseinheit oder Regionalsystem im Vorfeld des ersten Entwurfs 2. Der gesetzliche Güterstand

388 388 397

a) Der Erste Entwurf

397

(1) Die Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft (2) Die Grundzüge der Regelung der Verwaltungsgemeinschaft im E I - insbesondere die rechtliche Stellung der Frau (3) Die Geschäftsfähigkeit der Ehefrau b) Die Kritik

397

(1) Einheitliches Güterrecht oder Regionalsystem? (2) Ausgestaltung des einheitlichen Güterrechts als Verwaltungsgemeinschaft (a) Entwurf verfehlt die ökonomische Wirklichkeit (b) Gütertrennung als Ersatz für die Verwaltungsgemeinschaft? (c) Gütergemeinschaft als Ideal?

401 405 409 409 416 417 420 421

Inhaltsverzeichnis (d) Plancks Verteidigung der Entscheidung zur Verwaltungsgemeinschaft (e) Gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung des Ehegüterrechts (f) Zustimmung zur Verwaltungsgemeinschaft bei gleichzeitiger Kritik an Einzelbestimmungen (3) Stellung der Frau (a) Gegen das „System des Mannesegoismus" - Forderung einer Erwerbsbeteiligung der Frau (b) Die Verpflichtung zur gemeinschaftlichen Lastentragung und die Bedeutung des Arbeitsertrags der Frau (c) Ablehnung einer Erwerbsbeteiligung der Frau (d) Befürwortung der Errungenschaftsgemeinschaft (e) Für die Ausdehnung der Nutznießungsbefugnis des Mannes - 21. Deutscher Juristentag 1891 (f) Die Gütergemeinschaft als Konsequenz des Gemeinschaftsgedankens (g) Volle Geschäftsfähigkeit der Frau verlangt Gütertrennung und Abschaffung der praesumptio Muciana (h) Die Einschätzung der Rechtsstellung der Frau (4) Zusammenfassung c) Vom Entwurf zum BGB (1) Die Zweite Kommission (a) Ablehnung des Regionalsystems (b) Zulassung vertraglicher Güterstände (c) Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand (d) Die Abschaffung des Nießbrauchsrechts (e) Der Anspruch auf Sicherheitsleistung (f) Die Geschäftsfähigkeit der Frau - Arbeitsverträge (g) Gemeinschaftliche Verwaltung und familienrechtliche Nutznießung (h) Vermeidung von Prozessen zwischen Eheleuten (i) Zeitgenössische Beurteilung des E II (j) Zusammenfassung

XIX

424 426 426 428 428 431 434 435 435 438 439 440 442 443 443 443 445 445 447 448 449 450 450 451 452

(2) Der Bundesrat (3) Die Behandlung im Reichstag (XII. Kommission und Plenum)

453

(a) Denkschrift (b) Der Antrag auf Einführung der Gütertrennung

456 456

456

XX

Inhaltsverzeichnis

(c) Die Verhandlungen der Reichstagskommission über den gesetzlichen Güterstand (d) Streichung des Zustimmungserfordernisses zum Arbeitsvertrag der Frau? (e) Plenardebatte über den gesetzlichen Güterstand (f) Erfolg und Mißerfolg der Kritik 3. Die Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes (§§ 1298,1299 EI) a) Der Erste Entwurf b) Die Kritik c) Vom Entwurf zum BGB

Gemeinschaft und Freiheit „Sozialkonservative" Tendenz? Die Fortschrittlichkeit des Ehegüterrechts Die Wirkungen der Kritik am Ehegüterrecht Die Wirkungen der Kritik am Recht der elterlichen Gewalt

Kapitel 7: Schluß I. Soziale Frage und soziale Aufgabe des Privatrechts II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung 1. Der Gemeinschaftsgedanke

467

478

(2) Der Reichstag (XII. Kommission und Plenum) 1. 2. 3. 4. 5.

461 464 466

468 472 478

(1) Die Zweite Kommission und der Bundesrat IV. Soziales Recht im Familienrecht - Zusammenfassende Würdigung

458

479 ...

481 481 482 484 487 488

490 490 494 495

a) Die Konzeption

495

b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge

496

2. Der Schutz des Schwächeren

498

a) Die Konzeption

500

b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge

500

3. Soziale Freiheit

502

a) Die Konzeption b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge

502 503

c) Exkurs: Vertragsfreiheit

504

4. Sozialpolitischer Ausgleich

505

a) Die Konzeption b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge 5. Bedürfnisse der Gegenwart

505 506 507

Inhaltsverzeichnis

III. Das Modell vom Sozialmodell 1. 2. 3. 4.

Erste Schlaglichter Erste nüchterne Einschätzung Die communis opinio doctorum Die Berücksichtigung der Gesamtrechtsordnung

XXI

509 509 515 517 519

IV. Schlußbemerkung

522

Quellen und Literatur

525

Gesetzesregister

563

Personenregister

566

Sachregister

573

Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur Bericht der Reichstagskommission

Denkschrift

Entwurf, erster (E I)

Entwurf, zweiter (E II)

Gierke, Entwurf Gierke, Soziale Aufgabe

Jakobs/Schubert,

Beratung

Menger, Besitzlose Volksklassen Motive

Planck, Zur Kritik Prot. I Prot. II

Bericht der Reichstags-Kommission über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs und Einführungsgesetzes nebst einer Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse. Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Enneccerus, Dr. von Buchka, Dr. Bachem, Schroeder, Berlin 1896 Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst Anlage I bis III, in: Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs: Vorlage an den Reichstag mit Denkschrift, Berlin 1896 [Nachdruck Goldbach 1997]. Der Text ist identisch mit der separat veröffentlichten „ Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst drei Anlagen. Dem Reichstage vorgelegt in der vierten Session der neunten Legislaturperiode, Berlin 1896. Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die von dem Bundesrathe berufene Kommission. Amtliche Ausgabe, Berlin und Leipzig 1888 Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission. Zweite Lesung, Berlin 1894, 1895. Soweit es auf Abweichungen im revidierten zweiten Entwurf von 1895 (sogenannte Bundesratsvorlage) ankommt, sind diese gekennzeichnet mit dem Zusatz „ rev.". Der Text ist dann der Edition von Jakobs und Schubert entnommen (s. dort). Otto Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Leipzig 1889 Otto Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts. Vortrag, gehalten am 5. April 1889 in der juristischen Gesellschaft zu Wien, Berlin 1889 Horst Heinrich Jakobs und Werner Schubert (Hrsg.), Die Beratung des bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Berlin - New York 1978ff. Anton Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen. Eine Kritik des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, 1. und 2. Aufl. Tübingen 1890 Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Bd. 1: Allgemeiner Theil, Bd. 2: Recht der Schuldverhältnisse, Bd 3: Sachenrecht, Bd.4: Familienrecht, Bd.5: Erbrecht, Amtliche Ausgabe, Berlin; Leipzig 1888 Gottlieb Planck, Zur Kritik des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, in: AcP 75 (1889), S.327-429 Protokolle der ersten Kommission, abgedruckt bei Jakobs/Schubert (s. dort) Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Im Auftrag des Reichsjustizamts bearbeitet von Achilles, Spahn und Gebhard, 7 Bände, Berlin 18971899

Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur Prot. RJA Reichstagsvorlage, RTVorlage Stenographische Berichte

Zusammenstellung

XXIII

Protokolle der Vorkommission des Reichsjustizamtes, abgedruckt bei Jakobs/Schubert (s. dort) Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Reichstagsdrucksache Nr. 87 von 1896 der Session 1895/97, zitiert nach dem Reprint Goldbach 1997 Erste, zweite und dritte Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichstag. Stenographische Berichte, Berlin 1896 Albert Achilles/Karl Heinrich Börner/Hermann Struckmann, Zusammenstellung der gutachtlichen Aeußerungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichs-Justizamt, 6 Bände, Berlin 1890/91

Bis auf die hier genannten Werke sind alle Angaben kapitelweise vollständig wiedergegeben. Querverweise auf Fußnoten beziehen sich immer auf das jeweilige Kapitel. Querverweise auf Textseiten bezeichnen immer nur den Anfang einer Bezugnahme.

Kapitel 1

Soziales Recht - Einleitung I. Einführung

- Privatrechtskodifikation

und Kritik

Seit mehr als zweieinhalbtausend Jahren bezeugt das Buch der Sprichwörter 22,7 eine Erfahrung von zeitloser Gültigkeit: „Der Reiche hat die Armen in seiner Gewalt, / der Schuldner ist seines Gläubigers Knecht."

Betrachtet man die rechtswissenschaftliche Literatur zum Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1888, wird die biblische Erkenntnis bestätigt. So bezeichnete 1889 der Stettiner Oberlandesgerichtsrat Theodor Ludwig Thomsen in einem Gutachten für den Juristentag die Beziehungen zwischen Mieter und Vermieter als ein „Verhältniß drückender Abhängigkeit" 1 . Dasselbe Buch der Bibel läßt aber ebensowenig Zweifel daran zu, daß diese menschliche Grunderfahrung keinen Idealzustand abbildet, wenn es dort heißt: „Jeder meint, sein Verhalten sei richtig, / doch der Herr prüft die Herzen. Gerechtigkeit üben und Recht / ist dem Herrn lieber als Schlachtopfer" 2 .

Zu allen Zeiten wurde es als eine Aufgabe des Rechts angesehen, den Armen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In ganz besonders deutlicher Form trat diese Frage im 19. Jahrhundert auf die Tagesordnung der europäischen Staaten, ausgelöst durch die „soziale Frage". Im Gefolge der industriellen Revolution und der mit ihr einhergehenden Verstädterung entstand, vorbereitet durch ältere Überlegungen, in den späten siebziger Jahren im Deutschen Reich eine politische Sensibilität für die soziale Frage. In dieselbe Zeit fiel die Vorbereitung der Kodifikation des Privatrechts, die nach jahrzehntelangen Diskussionen und Meinungskämpfen 1874 in Angriff genommen und am 18. August 1896 zum Abschluß gebracht worden ist. Schon das zeitliche Zusammentreffen von sozialer Frage und Kodifikation legt es nahe, auch inhaltliche Zusammenhänge zu vermuten. 1 Theodor Ludwig Thomsen, [Gutachten zu der Frage:] Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1889, S. 152-206, hier S.194. 2 Spr 21, 2-3.

2

Kapitel 1: Soziales Recht -

1. Juristenrecht

Einleitung

statt Volksrecht

Sofort nach der Publikation des ersten Entwurfs im Frühjahr 1888 setzte eine unerwartet heftige Kritik der Fachöffentlichkeit sowie auch der Verbände und sogar der Tagespresse ein. Mit Recht hat Rudolph Sohm kurz vor dem Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens in einem Aufsatz aus dem Jahre 1895 die drei wichtigsten Vorwürfe aus der Fülle der kritischen Stellungnahmen herausgezogen. Erstens, so schrieb er, werde der Vorwurf erhoben, der Entwurf enthalte „Juristenrecht" statt „Volksrecht"3. Dahinter steckte einerseits die von Sohm in ihrer Berechtigung bestrittene Trennung von „Volks-" und „Juristenrecht", die Georg Beseler eingeführt hatte4. Beseler, der seine Kritik am Entwurf nicht mehr ausarbeiten konnte, hatte gemeint, der Entwurf sei einseitig vom juristischen und insbesondere vom romanistischen Standpunkt aus bearbeitet, ohne die volkstümliche Rechtsanschauung zu beachten5. Der auch sonst in der Kritik vielfach wiederholte Vorwurf mangelnder Volkstümlichkeit bezog sich meistens auf die Art und Weise der Darstellung, auf die sprachliche Fassung und die Systematik6. Vieles davon wurde im weiteren Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten berücksichtigt. Die sprachliche Fassung des fertigen Gesetzes gilt als wesentlich besser als die des ersten Entwurfs.

2. Mehr römisch als deutsch Vor allem auf Gierkes Kritik am Entwurf ging der zweite Hauptvorwurf zurück, den Sohm damit umschrieb, der Entwurf sei „mehr römisch als deutsch"7. Ebenso wie dem zuerst genannten Vorwurf lag auch diesem ein schon viel älterer Streit in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zugrunde8. Soweit in der Diskussion über den ersten Entwurf ein Gegensatz zwischen römischem und deutschem beziehungsweise germanischem Recht behauptet wurde, war das freilich im Unterschied zur älteren Debatte über dieses Thema vor allem eine chiffrenartige Bezeichnung, die aus nationalpolitischen Gründen besonders erfolgversprechend gewesen sein mochte, im Grunde aber mit sozial (=deutsch) und unsozial (=römisch) gleichzusetzen war, wie Rainer Schröder 3 Rudolph Sohm, Ueber den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich in zweiter Lesung, in: Gruchot's Beiträge 39 (1895), S. 737-766, hier S.741. 4 Georg Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1843. 5 So nach dem Bericht von Otto Gierke, Georg Beseler, in: SZGerm 10 (1889), S. 1-24, hier S.22; dazu Bernd-Rüdiger Kern, Georg Beseler. Leben und Werk, Berlin 1982, S.530f. 6 Vgl. die Nachweise in der Zusammenstellung, Bd. 1, S. 13-15 und Bd. 6, S. 8. Die dort aufgeführten Schriften ließen sich noch um einige weitere ergänzen. Diese würden aber keine neuen Gedanken enthalten, so daß es hier nicht auf Vollständigkeit ankommt. 7 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 3), S. 742. 8 Dazu vgl. Klaus Luig, Römische und germanische Rechtsanschauung, in: Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit, ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, hrsg. von Joachim Rückert und Dietmar Willoweit, Tübingen 1995, S. 95-137.

I. Einführung

- Privatrechtskodifikation

und Kritik

3

dargelegt hat9. Die lediglich rhetorische Funktion dieser Gleichsetzung war nicht auf Gierke beschränkt und blieb schon den Zeitgenossen nicht verborgen, wie eine Bemerkung von Eugen Ehrlich zeigt: „Was Gierke in seiner Abhandlung gegen den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, der doch vorwiegend das recipirte römische, das sogenannte gemeine Recht enthält, angeblich stets vom Standpunkte des deutschen Rechts und des deutschen Rechtsbewußtseins vorbringt, ist wol zum großen Theile sehr begründet, aber beruht im Einzelnen keineswegs ausschließlich auf dem nationalen Gegensatze" 1 0 .

3.

Antisozial

Als dritten Vorwurf führte Sohm an, der Entwurf sei in den Augen seiner Kritiker nicht sozial, obgleich ein soziales Privatrecht das Gebot der Stunde sei11. Noch mehr als für den an zweiter Stelle genannten Kritikpunkt konnte für diesen Gierke die Urheberschaft reklamieren, wenngleich Überlegungen über soziales Recht durchaus älter waren. Erinnert sei einerseits an das „Königtum der sozialen Reform" bei Lorenz von Stein, das die Selbständigkeit des Staates gegenüber der Gesellschaft garantieren soll, indem es „sich mit all der Besonnenheit, Würde und Kraft, welche der höchsten Gewalt im Staate geziemt, im Namen der Volkswohlfahrt und der Freiheit an die Spitze der sozialen Reform" stellt12, aber auch an die Konzeption eines Hermann Roesler, der in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts für eine nach Beruf, Besitz und Arbeit gegliederte Gesellschaft eintrat, die an den Gemeinschaftsinteressen ausgerichtet sein sollte 13 . Gierkes Ideen waren davon gar nicht so weit entfernt, wenngleich doch 9 Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts. Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen, Ebelsbach 1981, S. 37-51. 10 Eugen Ehrlich, Sociale Gesetzgebungspolitik auf dem Gebiete des Deutschen Privatrechts, in: Unsere Zeit 1890,1. Band, S. 433—451, hier S.435. Zu Ehrlichs Biographie: Andreas Heldrich, Eugen Ehrlich. Begründer der Rechtssoziologie (1862-1922), in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S.470-483. 11 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 3), S. 747. 12 Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. Bd. 3: Das Königtum, Die Republik und die Souveränität der französischen Gesellschaft seit der Februarrevolution 1848, Nachdruck München 1921, S. 41. Dazu Joachim Rückert, „Frei" und „sozial": Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, in: ZfA 23 (1992), S. 225-294, hier S.255 mit den Nachweisen in Fn. 117. - Der Ansatz von Lorenz von Stein ist später insbesondere von Conrad Bornhak als Mittel zur Lösung der sozialen Frage aufgegriffen worden. Die Arbeiterfrage wollte er vor allem mit Hilfe öffentlich-rechtlicher Korporationen lösen, die den Staat unterstützen sollten, vgl. Conrad Bornhak, Das deutsche Arbeiterrecht, systematisch dargestellt, in: Annalen des Deutschen Reiches 1892, S. 501-690, hier S. 542f. 13 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Anton Rauscher, Die soziale Rechtsidee und die Uberwindung wirtschaftsliberalen Denkens. Hermann Roesler und sein Beitrag zum Verständ-

4

Kapitel 1: Soziales Recht -

Einleitung

ein fundamentaler Unterschied bestehen bleibt. Gierke wollte ein „soziales" Privatrecht, während beispielsweise Roesler soziales Recht als etwas dem Privatrecht Ubergeordnetes verstand. Oder ins Rechtliche gewendet: während Roesler an eine Begrenzung des Privatrechts von außen durch das Sozialrecht dachte, sprach Gierke von immanenten Schranken zum Beispiel des Eigentums 14 . Anders als bei den beiden anderen Punkten hatte Gierke mit dem Vorwurf, der Entwurf verfehle seine soziale Aufgabe, eine Fragestellung berührt, die für die Zukunft immer mehr Bedeutung gewann, so daß Justus Wilhelm Hedemann in seiner Rektoratsrede 1919 davon sprechen konnte, es werde das gesamte Recht von dem Wörtchen „sozial" überklungen 15 . Die lebhafte Debatte, die sich an Gierkes Kritik anschloß, zeigt, daß er einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Sein Ausspruch, das Privatrecht müsse ein „Tropfen sozialistischen Oeles durchsickern" 16 , ist zum geflügelten Wort geworden, obgleich der Gebrauch dieses Bildes in der Diskussion über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich auf Heinrich Brunner zurückgeht, der vom „sozialpolitischen" Ol gesprochen hatte, mit dem der Gesetzgeber gesalbt sein müsse17. Auch Brunner hatte ältere Vorbilder: zunächst ist Otto von Bismarck18 zu nennen und sodann Ludwig Uhland mit seinem Ausspruch in der Paulskirche am 22. Januar 1849, es solle kein Haupt in Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbt sei19. Geläufig sind in diesem Zusammenhang noch die Namen Heinrich Dernhurg und Anton Menger und viel mehr bleibt in den Einleitungen zu Gesetzesausgaben und Kommentaren meist nicht übrig. Doch was hatte es mit diesem Ol auf sich, das längst nicht mehr als Salböl verstanden wurde, sondern mehr einem Maschinenöl glich, das zur Schmierung der aneinander reibenden Teile des Gesetzbuchs nötig sei? Für die Forschung blieb es weitgehend bei einer Forderung. Hans-Georg Mertens nis von Wirtschaft und Gesellschaft, München 1969, S. 235-248, insbesondere S. 244 sowie L. H. Adolph Geck, Zur Sozialreform des Rechts. Die soziale Problematik in der Rechtsphilosophie der Neuzeit, Stuttgart 1957, S. 26-29. 14 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 18,20ff.; zum ganzen vgl. den Uberblick bei Roland Duhischar, Einführung in die Rechtstheorie, Darmstadt 1983, S. 33-37. 15 Justus Wilhelm Hedemann, Das Bürgerliche Recht und die neue Zeit. Rede, gehalten bei Gelegenheit der akademischen Preisverteilung in Jena am 21. Juni 1919, Jena 1919, S. 15. 16 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 13. 17 Heinrich Brunner, [Diskussionsbeitrag zum Thema ,Kauf bricht Miete'], in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin und Leipzig 1888, S. 301 f. - Auf Brunners Urheberschaft hat jüngst Christoph Becker, Eher Brunner als Gierke?, in: ZNR 1995, S.264-267, hingewiesen; vor ihm schon Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 3 (seit 1650), 2. Aufl. Opladen 1993, S. 224 [ebenso die erste Auflage 1989] und Rücken, „Frei" und „sozial" (wie Fn. 12), S. 273 Fn.195. 18 Otto von Bismarck, Reichstagsrede vom 12. Juni 1882, in: Bismarck. Die gesammelten Werke, Bd. 12: Reden 1878-1885, bearbeitet von Wilhelm Schüßler, Berlin 1929, S. 343-366, hier: S.360. Dazu weitere Einzelheiten unten S.. 19 Vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 470 Fn. 7.

II. Untersuchungsobjekt

und -ziel

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schrieb in einem Gedenkaufsatz z u m 50. Todestag v o n Gierke, seine Ä u ß e r u n gen hätten ihn z w a r weithin bekannt gemacht - immerhin gab es ernsthafte Bemühungen, ihn in die zweite Kommission zur Vorbereitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu wählen, was v o r allem am Widerstand Bayerns und W ü r t t e m bergs scheiterte 20 - auf die Gestaltung des Gesetzbuchs habe Gierkes Kritik aber „unmittelbar keinen großen Einfluß" gehabt 2 1 .

II. Untersuchungsobjekt

und -ziel

1. Zielsetzung A m Ende eines Vortrags v o r der Wiener Juristischen Gesellschaft am 5. A p r i l 1 8 8 9 rief Otto Gierke aus: „Unser Privatrecht wird sozialer

sein, oder es wird nicht sein" 22

- gemeint war: sozialer als die Privatrechtsordnung, die die Bundesratskommission im ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich ein Jahr z u v o r der Öffentlichkeit vorgelegt hatte. D o c h was meinte Gierke damit? Gottlieb Planck bemerkte dagegen: „Die Worte ,social', ,socialpolitisch', ,socialrechtlich' sind in neuerer Zeit Schlagworte geworden, welche in verschiedenem Sinne gebraucht werden. Dies gilt auch von ihrer Anwendung auf die Aufgabe des bürgerlichen Gesetzbuches" 23 . Ähnlich hat sich übrigens später Gierke selbst anläßlich des 13. Evangelischsozialen Kongresses 1 9 0 2 geäußert. Er meinte: „Was heißt denn sozial? Man versteht oft das allerverschiedenste darunter. Es nennt eigentlich jeder das sozial, was ihm in dem Augenblick als erwünscht erscheint" 24 . 20 Hans Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt am Main 1995, S. 163. 21 Hans-Georg Mertens, Otto von Gierke. Zum 50. Todestage des großen Germanisten, in: JuS 1971, S.508-511, hier: S.511. 22 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 45 (Hervorhebungen im Original). - Der Vortrag von Gierke ist in um die Anmerkungen gekürzter Form von Erik Wolf neu publiziert worden [Quellenbuch zur Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Frankfurt am Main 1950, S. 479-511]. Leider enthält diese Wiederveröffentlichung einige sinnentstellende Druckfehler. Der schlimmste betrifft gerade die oben zitierte Passage, die bei Wo// so lautet: „Unser Privatrecht wird sozialer sein, oder es wird es nicht sein."[Hervorhebung von T.R.] - Die Prophezeiung Gierkes wird damit auf das Niveau einer plumpen Banalität gedrückt. Mindestens vergleichend sollte man deshalb immer die Originalausgabe heranziehen, um einen schiefen Eindruck zu vermeiden, wie er z.B. bei Eberhard Eichenhofer, Die sozialpolitische Inpflichtnahme von Privatrecht, in: JuS 36 (1996), S. 857-865, S. 857 entsteht, der das Zitat in der verfälschten Form zum Ausgangspunkt seiner Thesen gemacht und die überflüssigen zwei Buchstaben (es) durch drei Punkte ersetzt hat. 23 Planck, Zur Kritik, S.405. 24 Otto Gierke, [Diskussionsbeitrag beim Evangelisch-sozialen Kongreß zum Thema: Die sittliche und soziale Bedeutung des modernen Bildungsstrebens], in: Die Verhandlungen des

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Kapitel 1: Soziales Recht -

Einleitung

Und Rudolf Stammler hatte 1896 geklagt, in den Schriften der Juristen und Nationalökonomen gäbe es kein zweites Wort, das so häufig Verwendung finde wie „sozial". Jede Schrift und jede Rede werde damit geschmückt, doch niemand habe klargestellt, was er darunter verstehe25. Genau darum geht es hier. Worin lag konkret die soziale Aufgabe des Privatrechts in der Sicht der damaligen Fachöffentlichkeit? Ausgehend vom ersten Entwurf wird die wissenschaftliche Diskussion, die das Gesetzgebungsverfahren von der Veröffentlichung des Entwurfs im Frühjahr 1888 bis zu seinem Abschluß am 18. August 1896 begleitete, vor allem auf zwei Fragen hin überprüft: Erstens: Was war die soziale Aufgabe des Privatrechts? Oder anders gefragt: Welche Inhalte wurden mit dem Schlagwort „sozial" verbunden? Es ist schon hier zu betonen, daß es dabei um das zeitgenössische Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts ging. Das deckt sich nur zum Teil mit der Frage, ob und wie das Privatrecht zur Lösung der sozialen Frage, von der einleitend die Rede war, beitragen soll. Freilich hätte die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts kaum stattgefunden, wenn die soziale Frage nicht auf der Tagesordnung gestanden hätte. Zweitens: Wie hat sich die sozial motivierte Kritik am ersten Entwurf auf die Kodifikation des Privatrechts ausgewirkt? Dabei wird sich dann wenigstens exemplarisch zeigen, welchen Charakter das „Sozialmodell"26 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hatte. Es geht also in erster Linie um einen Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs, deren äußerer Ablauf einschließlich der politischen Implikationen inzwischen durch mehrere grundlegende Forschungen erschlossen ist27. Im Unterschied dazu geht es hier um einen Aspekt der inneren Entstehungsgeschichte, genauer gesagt, um das zentrale, prinzipielle Thema der rechtswissenschaftlichen Diskussion, die die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Gesetzbuchs begleitet hat. Keine andere Frage von ganz grundsätzlicher Bedeutung zieht sich wie ein roter Faden in gleicher Weise durch die Debatte. Der von Sohm gleichgeordnet erwähnte Vorwurf mangelnder Volkstümlichkeit wurde zwar von vielen Zeitgenossen erhoben, aber man war sich im dreizehnten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten in Dortmund vom 21. bis 23. Mai 1902, Göttingen 1902, S. 29-33, hier S. 32. Uber seine eigene Auffassung von dem, was sozial bedeutet, ließ Gierke seine Zuhörer freilich nicht im unklaren: „Sozial aber ist nur, was zuerst auf das Ganze sieht,..." Gierkes Konzeption wird später ausführlich zu besprechen sein, vgl. unten S. 51 ff., insbesondere S. 64 Fn. 66. 25 Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosphische Untersuchung, Leipzig 1896, S. 118. 26 Der Begriff stammt von Franz Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, in: Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, hrsg. von Franz Wieacker, Frankfurt am Main 1974, S.9-35 (erstmals 1953). 2 7 Hervorgehoben seien: Werner Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des B G B über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des B G B , Berlin 1966; ders., Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 27-68; Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt (wie Fn. 20).

II. Untersuchungsobjekt

und

-ziel

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großen und ganzen doch darüber einig, daß ein Gesetzbuch, das dem Laien aus sich heraus verständlich ist und trotzdem den Verkehrsbedürfnissen genügt, ein unerreichbares Ideal bleiben mußte28. Der zweite von Sohm bezeichnete Streitpunkt ging bei näherer Prüfung in dem dritten auf, soweit er grundsätzliche Bedeutung hatte. Römisches Privatrecht wurde mit Individualismus gleichgesetzt. Das deutsche Recht sollte hingegen sozial sein. Die verschiedenen Positionen liefen daher auf die hier in Rede stehende Auseinandersetzung über die soziale Aufgabe des Privatrechts hinaus. Die Debatte über diese Grundsatzfrage unserer Privatrechtsordnung ist bisher nicht Gegenstand einer monographischen Untersuchung gewesen. Neben rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Erkenntnissen entfaltet sich bei der Analyse der zeitgenössischen Fachdiskussion zugleich ein wissenschaftsgeschichtliches Bild, zeugt die Debatte doch von einer außerordentlichen Sensibilität und Interessiertheit der Fachwelt an dem in Vorbereitung befindlichen Gesetzbuch. Schon der Umfang der rechtswissenschaftlichen Kritik aus den Jahren 1888 bis 1896 verbietet eine vollständige Berücksichtigung sämtlicher Stellungnahmen. Außen vor bleiben daher diejenigen Äußerungen zu den hier behandelten Einzelfragen der Entwürfe, die keinerlei Berührung zur Frage nach der sozialen Aufgabe des Privatrechts aufweisen, sondern vollständig in normativ-dogmatischen Überlegungen verfangen bleiben, wie zum Beispiel die äußerst erfolgreiche kritische Stellungnahme Ernst Zitelmanns zur Rechtsgeschäftslehre im ersten Entwurf 29 . Zitelmann hat damals im Unterschied zu seinem Cousin Otto Gierke nicht nach der sozialen Aufgabe des Privatrechts gefragt, sondern vor allem nach der Vereinbarkeit der im Entwurf vorgeschlagenen Regeln mit dem gemeinen Recht und den Forderungen der Zweckmäßigkeit, die auch einen adäquaten sprachlichen Ausdruck verlangte30. In unserer Untersuchung interessiert die Kritik am Entwurf also grundsätzlich nur insoweit, als sie in ihre Argumentation soziale Überlegungen einbezog. Zu betonen 28 Hier genügt es, auf die Zusammenfassung der einschlägigen Stellungnahmen in der Zusammenstellung, Bd. 1, S. 13 bis 15, Bd. 6, S. 8, hinzuweisen. - So grundsätzlich sich der Vorwurf mangelnder Volkstümlichkeit auch ausnahm, niemand hat einen ernsthaften Vorschlag unterbreiten können, wie man dieses Ideal erreichen sollte. Immerhin sind zahlreiche sprachliche Vereinfachungen als Folge dieser Kritik zu verbuchen. Vgl. dazu: Tilman Repgen, Die Kritik Zitelmanns an der Rechtsgeschäftslehre des ersten Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs, in: SZGerm 114 (1997), S. 73-127. 29 Ernst Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erster Teil, Berlin 1889; ders., Die Rechtsgeschäfte im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Zweiter Teil, Berlin 1890; ders., Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen Theil (§§ 98-102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 101-111; ders., [Referat über die Verhandlung der ersten Abtheilung zum Thema: Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen Theil (§§ 98-102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt? im Plenum des 20. Deutschen Juristentages], in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd.4, Berlin 1889, S.416-419. 30

Vgl. dazu Repgen,

Die Kritik Zitelmanns (wie Fn.28).

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Kapitel 1: Soziales Recht - Einleitung

ist an dieser Stelle, daß hier nicht die Rekonstruktion der gesamten Debatte über die Entwürfe beabsichtigt ist, sondern ausschließlich der soziale Aspekt verfolgt wird. Obgleich das Untersuchungsziel keiner weiteren Legitimation bedarf, ist doch an dieser Stelle auf ein weiteres Erkenntnisziel hinzuweisen, zu dessen Erschließung die Ergebnisse dieser Untersuchung beitragen können. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert und nach Abschluß der ersten 100 Jahre der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuches tritt die Entwicklung des Privatrechts im 20. Jahrhundert mehr und mehr ins Forschungsinteresse. Neben der Textgrundlage, die in der jüngst im Rahmen des Staudinger-Kommtnizrs publizierten Synopse des B G B mit allen Entwicklungsstufen dokumentiert ist31, ist Klarheit über den Ausgangspunkt, das heißt insbesondere über das Bürgerliche Gesetzbuch, eine notwendige Voraussetzung für die Analyse des 20. Jahrhunderts. Eine der Kernfragen einer Privatrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts ist sicherlich die Ausbalancierung individual-freiheitlicher und sozialer Tendenzen im Privatrecht. Da das Bürgerliche Gesetzbuch nach wie vor den Kernbereich des geltenden Privatrechts bildet, berührt unsere zunächst historisch gestellte Frage zugleich die Grundlagen des geltenden Privatrechts. Die adäquate Erfüllung der sozialen Aufgabe des Privatrechts ist seit dem ersten Entwurf von 1888 ein aktuelles Thema der Rechtswissenschaft geblieben. Daher versteht sich die vorliegende Arbeit auch als ein Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung.

2. Der a) Die

Untersuchungsgegenstand

Quellen

Die Zielsetzung bedingt zugleich auch den Untersuchungsgegenstand: Es sind dies zunächst einmal die Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich sowie ihre Materialien, die vor allem in den beiden großen Editionen von Werner Schubert (zum Teil in Zusammenarbeit mit Horst Heinrich Jakobs) veröffentlicht worden sind32. Gelegentlich sind außer den Vorentwürfen und ihren Begründungen sowie den Protokollen der ersten Kommission, die zusammen die eigentlichen amtlichen „Motive" ausmachten, auch die unter 31 Staudinger/ Tilman Repgen, Hans Scbulte-Nölke, Hans-Wolf gang Strätz, BGB-Synopse 1896-2000: Gesamtausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs von seiner Verkündung 1896 bis 2000 mit sämtlichen Änderungen im vollen Wortlaut in synoptischer Darstellung, Neubearbeitung 2000, Berlin 1999. 32 Horst Heinrich Jakobs/Werner Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Berlin - New York 1978ff.; Werner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches. Unveränderter photomechanischer Nachdruck der als Manuskript vervielfältigten Ausgabe aus den Jahren 1876 bis 1888, Berlin - New York 1980ff.

II. Untersuchungsobjekt

und -ziel

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dem Namen „Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Amtliche Ausgabe, Berlin und Leipzig 1888" publizierten, jedoch nichtamtlichen Zusammenfassungen herangezogen worden. Der Aussagewert dieser nichtamtlichen Motive wird mitunter sehr skeptisch beurteilt 33 . Obgleich die exegetische Literatur zum B G B gerade aus den nichtamtlichen Motiven den „Willen des Gesetzgebers" abzuleiten pflegt, muß man wissen, daß es sich dabei nicht um eine von der Kommission geprüfte und gebilligte Äußerung handelt, sondern um eine nicht autorisierte Zusammenfassung der Motive der Kommission durch Hilfsarbeiter der Redaktoren. Der Bundesrat hatte am 22. Juni 1874 beschlossen, daß der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich nebst Motiven vorzulegen sei34. Dieser Verpflichtung, so erklärte der Vorsitzende der ersten Kommission Eduard Pape in seinem Bericht an den Reichskanzler vom 27. Dezember 1887 anläßlich der Überreichung des ersten Entwurfs, kam die Kommission durch die von den Redaktoren ausgearbeiteten Begründungen zu den Vorentwürfen sowie durch die in den Protokollen der ersten Kommission mitgeteilten Beratungen nach. Diese Protokolle seien von der Kommission stets alsbald nach den Sitzungen gebilligt worden und insofern autorisiert. Wegen des großen Umfangs des Materials35 habe sich die Kommission jedoch entschlossen, eine Zusammenfassung durch die Hilfsarbeiter der Redaktoren unter deren Aufsicht anfertigen zu lassen36. Nach dem Bericht von Pape hat Karl Heinrich Börner die Motive zum Allgemeinen Teil, Karl Ege diejenigen zum Schuldrecht 37 , Viktor von Liebe zusammen mit Alexander Achilles diejenigen zum Sachenrecht, Hermann Struckmann die zum Familienrecht und schließlich Wilhelm Neubauer die zum Erbrecht verfaßt. Pape betonte jedoch gegenüber dem Reichskanzler, daß diese Motive nicht authentisch den Willen der Kommission wiedergeben würden. Er schrieb: „Es mußte davon abgesehen werden, diese Motive der Prüfung und Genehmigung der Kommission zu unterbreiten, als deren Werk sie daher nicht unmittelbar und nur im beschränkten Sinne zu betrachten sind. Denn ein solches Verfahren würde voraussichtlich zu 33 Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des B G B (wie Fn. 27), S. 35; Peter Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des B G B , Berlin 1974, S.61. 34 Protokoll der Bundesratssitzung vom 22. Juni 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 199 in Verbindung mit dem Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, in: Jakobs/Schubert (wie zuvor), S. 170-185, hier S. 183 sub VIII. 3 5 Allein die die Beratung des ersten Entwurfs betreffenden Protokolle der Sitzungen 1-733 der ersten Kommission umfassen 12.309 Seiten in Kanzleischrift, vgl. das metallographierte Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Signatur: 4° J. GERM. V, 1301. 36 Bericht von Pape an den Reichskanzler vom 27.12. 1887, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 309-317, hier S. 310. Vgl. auch das Vorwort zur amtlichen Ausgabe des ersten Entwurfs, Berlin und Leipzig 1888, S.VI. 3 7 Unter Anleitung von Karl Kurlbaum, der von Anfang an Mitglied der ersten Kommission war und insoweit nun die Stelle des am 4. Januar 1884 verstorbenen Redaktors von Kübel einnahm.

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Kapitel 1: Soziales Recht -

Einleitung

einer Art von einer neuen Lesung oder wiederholten Berathung des ganzen Entwurfs, wenn nicht darüber hinaus, geführt und ohne wesentlichen Nutzen zu stiften, eine außerordentlich beträchtliche Zeit in Anspruch genommen haben" 38 .

Obgleich das heutzutage als „Motive" bekannte Werk auf seinem Titelblatt die Bezeichnung „Amtliche Ausgabe" trägt, konnte es also niemals beanspruchen - und tat es auch nicht 39 -, eine autorisierte Fassung des gesetzgeberischen Willens der ersten Kommission zu sein. Was die Kommission wollte, ergibt sich daher in erster Linie aus den Protokollen und den Begründungen der Vorentwürfe, soweit sich die Kommission diese zu eigen gemacht hat. Sie werden deshalb in der vorliegenden Untersuchung vorzugsweise berücksichtigt. Dennoch erlauben die publizierten Motive immerhin einen indirekten Schluß auf den Willen der Kommission. Solange man in den Protokollen der Kommission nichts Gegenteiliges findet, spricht eine tatsächliche Vermutung für die historische Richtigkeit der wiedergegebenen Begründungen, richtig in dem Sinne, daß die Kommission sich mit diesen Begründungen identifiziert hat 40 . Deshalb ist der Aussagewert der Motive größer als es die Vorbehalte Papes auf den ersten Blick erscheinen lassen. Und so erscheint auch das Urteil Bährs etwas hart, der meinte, die Motive seien „eine nicht glückliche Beigabe" des Entwurfs. Sie würden zwar Wertvolles enthalten, aber auch zahlreiche Fehler. Es sei „gar nicht zu sagen, welche Summe unechter Wissenschaft dadurch in die Jurisprudenz hineingetragen" werde. Unter der Herrschaft dieser Motive sei der Verfall der Rechtswissenschaft unvermeidlich. Noch niemals aber sei aus dem Verfall der Rechtswissenschaft eine gute Rechtsprechung hervorgegangen 41 . Es gab aber auch andere Stimmen wie diejenige des Kölner Rechtsanwalts Schilling, der betonte, die Motive hätten keine besondere Autorität für die Auslegung von Gesetzen, sondern seien eine Privatarbeit, die wertvolle Verständnishilfen bieten könne. Unsinnig sei es, wenn Gerichte und Wissenschaftler sie gleichsam als autoritative Rechtserkenntnisquelle benutzten, zumal weder die Kommission noch der Bundesrat noch die Bundesregierungen die Verantwortung für die Motive übernommen hätten 42 . Der hiermit angesprochene Aussagewert ist für die juristische Argumentation von Bedeutung, soweit sie sich auf den Willen des Gesetzgebers beruft 43 . Bericht von Pape (wie Fn. 36). Die wesentlichen Ausführungen Papes finden sich in gedrängter Form im Vorwort zur amtlichen Ausgabe des ersten Entwurfs wieder: Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die von dem Bundesrathe berufene Kommission, Amtliche Ausgabe, Berlin und Leipzig 1888, S.VI. 40 Noch stärker ist die tatsächliche Vermutung dafür, daß die Motive den Willen der Redaktoren wiedergaben. Viele Passagen der Begründungen der Vorentwürfe finden sich in den Motiven in nur geringfügig paraphrasierter Form wieder. 41 Otto Bähr, Zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, München 1888, S.181f. 42 B. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Allgemeiner Theil), Köln 1888, S. 18. 43 So mahnte etwa Horst Bartholomeyczik, Die Kunst der Gesetzesauslegung. Eine wissen38

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II. Untersuchungsobjekt

und -ziel

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Etwas anderes gilt für die Bedeutung der Motive als historische Quelle für unsere Untersuchung. Hier erscheint der Rückgriff nicht nur möglich, sondern manchmal sogar geboten, da es um die Debatte über die Entwürfe in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts geht. Die kritische Literatur zum ersten Entwurf hat aber in ganz großem Umfang auf die Erläuterungen der Motive Bezug genommen und diese in aller Regel wie den Willen der Kommission behandelt. Das beste Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung Gierkes mit dem Entwurf44, die geradezu wie ein Dialog zwischen Gierke und den Motiven wirkt. Ohne Lektüre der Motive bleibt dieses Hauptwerk der Kritik am Entwurf stellenweise unverständlich45. Selbst wenn die Motive nicht die wahren Beweggründe der Kommission enthielten, so müßten sie für unsere Untersuchung doch berücksichtigt werden, weil sie von den Zeitgenossen so aufgenommen worden sind und so gewirkt haben, als ob sie von der Kommission gebilligt worden wären. Im übrigen ist aber anzumerken, daß die Motive auch als einigermaßen verläßliche Quelle für den wirklichen Willen der Kommission erscheinen. Man darf ihren Wortlaut zwar nicht als Äußerung der Kommission auffassen, aber inhaltliche Diskrepanzen zwischen den Protokollen und den Motiven sind im Verlauf unserer Untersuchung nicht aufgefallen. Die Motive stellen in aller Regel eine ziemlich treffsichere Auswahl aus dem amtlichen Material dar, das sie in großen Teilen wortwörtlich übernommen haben. Die skeptische Beurteilung des Wertes der Gesetzesmaterialien, die Rainer Schröder vorgenommen hat, weil dort sorgfältig politische und gesellschaftliche Probleme ausgeklammert worden seien46, steht unserem Vorhaben nicht entgegen, das auf die Debatte über die soziale Aufgabe des Privatrechts nach 1888 zielt, nicht aber auf eine Rekonstruktion der Zusammenhänge dieser Debatte mit den übrigen geistesgeschichtlichen Entwicklungen vor 1888, wie sie Schröder für die Entscheidung der ersten Kommission zugunsten der Testierfreiheit schaftliche Hilfe zur praktischen Rechtsanwendung, 3. Aufl. Frankfurt am Main 1965, S. 53 zur besonderen Vorsicht. Ausführliche Nachweise zum Umgang der Zeitgenossen mit den Materialien bei Thomas Honsell, Historische Argumente im Zivilrecht. Ihr Gebrauch und ihre Wertschätzung im Wandel unseres Jahrhunderts, Ebelsbach 1982, S.48ff., insbes. S.57ff. Zu weitgehend Ulrich Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, 2. unveränderte Aufl. Frankfurt am Main 1999, S. 114, der die Motive als „ein problematisches Erkenntnismittel von dubiosem Status" bezeichnet hat, sowie Christian-Matthias Pfennig, Die Kritik Otto von Gierkes am ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, Göttingen 1997, S. 14 Fn. 2, der die Motive „als Quellenwerk für den ersten Entwurf weitgehend unbrauchbar" hielt, in Widerspruch dazu - jedenfalls ohne Begründung - aber meinte, sie würden „einen Einblick in die Grundlagen des Entwurfes" gewähren. 44 Gierke, Entwurf, 1889. Ein anderes anschauliches Beispiel für das, was gemeint ist, bietet Otto Bahr, [Gutachten:] Ist der Begriff der Anspruchsverjährung im Sinne des Entwurfes des B.G.B, beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, B d . l , Berlin 1889, S. 285-305, ausdrücklich sagte er: „Wir werden ... [bei der Kritik] auch die Motive des Entwurfs ins Auge zu fassen haben" (S.287). 45 Schon Ignaz Jastrow, Das Interesse des Kaufmannsstandes an dem „Bürgerlichen Gesetzbuch", Berlin 1890, S. 34, hat gelegentlich davon gesprochen, wie die Motive einen Widerpart für die Kritik dargestellt haben. 46 Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 9), S. 151, 506.

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unternommen hat. Schröder schreibt, der großen begrifflichen Präzision und der gemeinrechtlichen Dogmatik der Materialien stehe „ein ,Weglassen' oder allgemein eine beschwichtigende, beschönigende Behandlung politischer und sozialer Probleme gegenüber"47. Das Urteil stützt er auf die Untersuchung der Begründung der erwähnten Entscheidung im Teilentwurf Gottfried Schmitts, deren Interpretation und Erläuterung er vor den politischen, ökonomischen und philosophischen Hintergründen des 19. Jahrhunderts durchgeführt hat, wobei die politischen und ökonomischen Zusammenhängen deutlicher als die philosophischen geworden sind. Der Schwerpunkt von Schröders Arbeit liegt daher bei den geistesgeschichtlichen Wurzeln der Schmittschen Begründung, also in der Zeit vor dem ersten Entwurf. Im Unterschied dazu geht es hier stärker normativ orientiert um die Debatte nach dem ersten Entwurf und ihre Auswirkungen auf das weitere Gesetzgebungsverfahren. Selbst wenn man die Unergiebigkeit der Materialien für Aussagen über soziale Fragen unterstellt - mir drängte sich im Laufe der Untersuchung der Eindruck auf, sie seien ergiebiger, als man sonst annimmt - , so bleibt es hier notwendig, die Materialien zum Ausgangspunkt zu machen, da es gerade auch um ihren Inhalt ging. Im übrigen ist es zwar möglich, Querverbindungen des Denkens über die soziale Aufgabe des Privatrechts zwischen der Zeit vor und nach dem Entwurf zu ziehen, doch enthebt das nicht der Notwendigkeit, die Debatte nach dem Entwurf als eigenständiges Phänomen zu würdigen, wenn man sich ihrer Inhalte vergewissern möchte, wie es hier der Fall ist. Außer den Entwürfen und Materialien unter Einschluß der stenographischen Berichte des Reichstags ist sodann die rechtswissenschaftliche Literatur zwischen 1888 und 1896 berücksichtigt, soweit sie sich unmittelbar mit den Entwürfen des bürgerlichen Gesetzbuchs befaßte48. Auf diese Weise ergibt sich ein geschlossenes Bild dieser wissenschaftsgeschichtlich aufschlußreichen Debatte. Selbstverständlich sind die dogmatischen Fragen und sozialen Implikationen nicht erst 1888 neu entdeckt worden. Man könnte sie auch in einen größeren Diskurszusammenhang einfügen. Für unser Erkenntnisziel ist das jedoch weder nötig noch nützlich, geht es hier doch um die Rekonstruktion der Debatte über die Entwürfe und die Wechselwirkungen auf das Gesetzgebungsverfahren, die naturgemäß erst nach der Publikation des ersten Entwurfs eintreten konnten und mit dem Tag der Ausfertigung des Gesetzes ihr Ende finden mußten. Nur ausnahmsweise erschien ein Rückgriff auf ältere Literatur für das Verständnis des Weiteren erforderlich. Unwichtig für unseren Zusammenhang ist, daß die Autoren der einschlägigen Beiträge mitunter Nationalökonomen waSchröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 9), S. 506. Ausgeklammert bleiben also solche Schriften, die zwar zur Sozialpolitik und zum Privatrecht, nicht aber zum Entwurf in Beziehung stehen wie zum Beispiel Frhr. Georg von Hertling, Naturrecht und Sozialpolitik, Köln 1893. Zu diesem interessanten Werk Joachim Riickert, Zur Legitimation der Vertragsfreiheit im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität - Inhalt - Funktion - Wirkung, hrsg. von Diethelm Klippel, Goldbach 1997, S. 135-183, hier S. 160; das gleiche gilt etwa von Stammler, Wirtschaft und Recht (wie Fn.25). 47

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ren. Die engen Querverbindungen zwischen den Juristen und Nationalökonomen vor allem der historischen Schule in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind seit langem bekannt 49 . Der Verein für Socialpolitik spiegelte diese Beziehung deutlich wider 5 0 . Zum ersten Entwurf nahmen nicht nur Juristen aller Berufsgruppen in wissenschaftlichen Publikationen Stellung, sondern auch die Bundesregierungen äußerten sich zum Entwurf, namentlich zu den im Rundschreiben des Reichskanzlers vom 27. Juni 1889 benannten Punkten. Diese Äußerungen sind im Reichsjustizamt ebenso wie die wissenschaftlichen Stellungnahmen zusammengefaßt worden 5 1 , allerdings aus Zeitgründen ohne die dazugehörigen Begründungen, um für die Beratungen der zweiten Kommission, die ihre Arbeit am 1. April 1891 aufnahm, wenigstens die Positionen der Bundesregierungen dem Ergebnis nach greifbar zu haben. Das war weniger aus wissenschaftlicher Sicht denn aus politischer wichtig, weil das Gesetz zunächst den Bundesrat passieren mußte, bevor es dem Reichstag vorgelegt werden konnte. Die Art und Weise der Zusammenfassung dieser Stellungnahmen unterschied sich wesentlich von der heute ungleich bekannteren Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zum Entwurf, die mit ungemein großer Sorgfalt nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die jeweils verwendeten Argumente für die einzelnen Anschauungen wiedergibt. Die Argumente aus der wissenschaftlichen Diskussion hatten daher eine viel größere Chance, von den Mitgliedern der zweiten Kommission wahrgenommen zu werden als diejenigen der Bundesregierungen. Mit Rücksicht darauf können wir hier weitgehend davon Abstand nehmen, systematisch zu allen behandelten Rechtsfragen auch die Äußerungen der Bundesregierungen zu erwähnen. Sofern deren Anliegen sich nicht in Anträgen im Justizausschuß des Bundesrats bei der Beratung des (revidierten) zweiten Entwurfs konkretisiert haben, blieben die Äußerungen regelmäßig politisch weitgehend bedeutungslos. Wenn jedoch hier und da eine Beeinflussung der Position der zweiten Kommission erkennbar war, so werden im folgenden auch die Stellungnahmen der Bundesregierungen Berücksichtigung finden. Ein Beispiel mag das Gemeinte verdeutlichen: Im Ehegüterrecht war umstritten, ob man nicht anstelle eines einheitlichen gesetzlichen Güterstandes für das ganze Reich ein Regionalsystem einführen sollte. Diese Frage war zwar von Anfang an auf Reichsebene politisch vorab entschieden, aber dennoch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und als solche ist sie auch Gegenstand dieser Untersuchung. Die Regierungen von Preußen, Sachsen, Baden, Anhalt, Schaumburg-Lippe, Elsaß-Lothringen, Hessen, Coburg-Gotha und Reuß ä. L. hatten sich auf die Seite des Entwurfs gestellt und das Regionalsystem abgelehnt. Demgegenüber erklärten sich nur Württemberg und Lippe zögerlich für Vgl. nur Schröder, Abschaffung ( w i e Fn. 9), S. 303-374. Zu diesem weiter unten S. 77 bei Fn. 140. 51 Zusammenstellung der A e u ß e r u n g e n der Bundesregierungen zu dem Entwurf eines B ü r gerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichsjustizamt, 2 Bde., Berlin 1891. 49

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die Einführung des Regionalsystems 52 , worin sie sich etwa mit Gierke trafen. Diese Information böte zwar manche Gelegenheit zur Interpretation der politischen Absichten der betroffenen Staaten und ließe vielleicht Rückschlüsse auf deren Haltung zur Rechtsvereinheitlichung zu, doch liegen diese Fragen außerhalb der hier verfolgten Fragestellung. Nur soweit die Äußerungen der Bundesregierungen für die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts im Gesetzgebungsverfahren ergiebig waren - und das waren sie in unserem Beispielsfall nicht 53 - , werden sie hier herangezogen. Unabhängig davon ist die Frage der Beeinflussung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch die Bundesstaaten, die auf mehr indirekte Weise geschah. Muscheler hat für das Großherzogtum Baden die These aufgestellt, die Badischen Wünsche an das neue Gesetz seien eine Mischung sozialer und liberaler Ideen gewesen. Die verbreitete Auffassung von der konservativen Grundhaltung der süddeutschen Staaten hielt er jedenfalls nicht länger aufrecht 54 . Dennoch würde die Verfolgung der Politik der Einzelstaaten vom eigentlichen Hauptthema ablenken. Es genügt für die Erfassung der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts, nach den oben beschriebenen Maßgaben vorzugehen. Dasselbe wie von den Äußerungen der Bundesregierungen gilt auch von den zahlreichen Stellungnahmen der Handelskammern und Berufsverbände, deren Inhalte in der Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen vom Reichsjustizamt referiert worden sind. Schließlich haben wir der Tagespresse nur Beachtung geschenkt, soweit sie ergiebig schien. So sehr es sich lohnen würde, die in den Tageszeitungen veröffentlichte Meinung, die seit 1888 regen Anteil an der Vorbereitung des Gesetzbuchs nahm, systematisch auszuwerten 55 , so sind die Äußerungen in der Tagespresse doch nur in seltenen Fällen für die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts einflußreich gewesen, was angesichts des Adressatenkreises der Tagespresse, die sich nicht oder wenigstens nicht vorwiegend an ein Fachpublikum richtete, selbstverständlich nicht überrascht.

h) Die Auswahl der materiellrechtlichen

Sachfragen

Philipp Lotmar bemerkte in einem Aufsatz aus dem Jahre 1902, man dürfe nicht das Soziale im Recht nur in Spezialgesetzen suchen, sondern die sozialen Forderungen müßten im ganzen Privatrecht verwirklicht werden. Er brachte das in lapidarer Kürze auf die Formel: „Alles Recht ist,soziales Recht"' 5 6 . LotZusammenstellung - Bundesregierungen, Bd. 1, S. 146f. sowie Bd. 2, S.33f. Zur Diskussion des Ehegüterrechts im Bundesrat vgl. unten S.453. 54 Karl-Heinz Muscheler; Die Rolle Badens bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Berlin 1993, S. 82ff. 55 In weitem Umfang hat allerdings Michael John, Politics and the Law in Late NineteenthCentury Germany. The Origins of the Civil Code, Oxford 1989, die Äußerungen der Presse verwertet - leider ohne über das Datum der Zeitung hinausgehende konkrete Nachweise. 56 Philipp Lotmar, [Referat und Diskussion zum Thema „Der Dienstvertrag im künftigen schweizerischen Zivilrecht"]. Protokoll der 40. Jahresversammlung des schweizerischen Juri52

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II. Untersuchungsobjekt

und -ziel

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mar sprach damit nur aus, was man als allgemeine Meinung der damaligen Zeit ansehen darf, wenn man nur auf die Forderung eines sozialen Privatrechts schaut, von den Inhalten aber einmal abstrahiert. Gierke hatte davon gesprochen, in den Zweck des Privatrechts müsse der Gemeinschaftsgedanke aufgenommen werden57 und damit nicht Spezialgesetze gemeint. Auch Planck definierte die soziale Aufgabe mit Blick auf das gesamte Privatrecht58. Dieses noch nicht näher differenzierte Verständnis von der sozialen Aufgabe bringt es mit sich, daß grundsätzlich alle privatrechtlichen Normen an diesem Ziel einer sozialen Privatrechtsordnung gemessen werden können. Da selbstverständlich aber nicht alle Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, geschweige denn das gesamte Privatrecht, zum Gegenstand unserer Untersuchung gemacht werden konnten, lag es nahe, zunächst einmal die Stellungnahmen der Wortführer in der Diskussion zu prüfen und daraus geeignete Rechtsinstitute auszuwählen. An erster Stelle unter den Wortführern ist Otto von Gierke zu nennen59. Er stenvereins vom 22. Sept. 1902 [= Zeitschrift für schweizerisches Recht 21 (1902), S. 607-642], in: Philipp Lotmar. Schweizerisches Arbeitsvertragsrecht. Forderungen an den Gesetzgeber. Gesammelte Schriften, hrsg. von Manfred Rehbinder, Bern 1991, S. 87-117, hier S. 87. 57 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 10. 58 Planck, Zur Kritik, S.405. 59 Gierke wird regelmäßig in der modernen Literatur als die herausragenden Person unter den Kritikern des ersten Entwurfs erwähnt, so beispielsweise von: Wieacker, Privatrechtsgeschichte (wie Fn. 19), S. 470; Thomas Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine im 19. Jahrhundert, Berlin - New York 1976, S. 142; Hans Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? Das janusköpfige Bürgerliche Gesetzbuch, in: Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996. Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, hrsg. von Hans Schlosser, Heidelberg 1997, S. 5-33, hier S. 13f. konstatiert zwar auch Gierkes Berühmtheit, hält diese jedoch für ungerechtfertigt. Sein konservativer, alt-deutsch patriarchalischer Charakter, der sich mit sozial-fortschrittlichen Elementen überschnitt, werde verkannt; Diethelm Klippel, Der zivilrechtliche Schutz des Namens. Eine historische und dogmatische Untersuchung, Paderborn 1985, S. 244; Rolf Knieper, Gesetz und Geschichte. Ein Beitrag zu Bestand und Veränderung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Baden-Baden 1996, S. 30; Hans Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: N J W 1996, S. 1705-1710, hier S. 1707; Karl Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1992, S. 15; Dirk Blasius, Bürgerliches Recht und bürgerliche Identität. Zu einem Problemzusammenhang in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts, in: Vom Staat des Ancien Regime zum modernen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder zu seinem 70. Geburtstag, hrsg. von Helmut Berdingu.a., München-Wien 1978, S. 213-224, hier S. 222; Eike Schmidt, Von der Privat- zur Sozialautonomie, in: JZ 1980, S. 153-161, S. 155 (Fn. 37); Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 5. Aufl. Berlin - New York 1996, S.297; Rudolf Gmür, Das Schweizerische ZGB, verglichen mit dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, Bern 1965, S.26; Barbara Dölemeyer, Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, hrsg. von Helmut Coing, München 1982, S. 1572-1625, hier S. 1608 (Gierke und Menger); Gustav Boehmer, Einführung in das bürgerliche Recht, 2. Auflage Tübingen 1965, S. 66; Fritz Sturm, Der Kampf um die Rechtseinheit in Deutschland - Die Entstehung des B G B und der erste Staudinger, in: 100 Jahre B G B - 100 Jahre Staudinger, Beiträge zum Symposion 1998, hrsg. von Michael Martinek und Patrick Sellier, Berlin 1999, S. 13-38, hier S . 2 5 ; J o h n , Politics (wie Fn.55), S. 108f.; Ulrich Spellenberg, Vom liberalen zum sozialen Privatrecht?, in: Recht im sozialen Rechtsstaat, hrsg. von Manfred Rehbinder, Opladen 1973, S.23-67, hier S. 31. Daß Gierke auch in der zeitgenössischen Diskussion als Wortführer angesehen wurde, unter-

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war es, der das Schlagwort von der sozialen Aufgabe des Privatrechts mit dem Titel eines Vortrags vor der Wiener Juristischen Gesellschaft in die Diskussion gebracht hatte. Seine monographische Auseinandersetzung mit dem ersten Entwurf unter dem Titel „Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht", Leipzig 1889, die zunächst in Schmollers Jahrbuch verteilt auf mehrere Nummern erschienen war60, liest sich wie eine Ausarbeitung des Themas der sozialen Aufgabe des Privatrechts. Wie wohl kein anderer Beitrag hat diese Schrift die Diskussion beeinflußt. Auch die anderen Stellungnahmen Gierkes zu den Entwürfen des Bürgerlichen Gesetzbuchs atmen diesen Geist. Doch stand Gierke nicht allein. Andere wichtige Namen sind Anton Menget und Heinrich Dernburg62 sowie natürlich Otto Bährb1'. Nimmt man nur Gierkes Kritik am ersten Entwurf, da sie unbestreitbar das größte Echo gefunden hat, so würde sich in der Ordnung des Gesetzes folgender Katalog von Sachfragen ergeben64:

liegt keinem Zweifel. Man beachte nur die Bemühungen um seine Integration in die zweite Kommission (vgl. oben Fn. 20). Außerdem kündet die Literatur davon: vgl. z . B . J a s t r o w , Das Interesse des Kaufmannsstandes (wie Fn. 45), S. 46f., wo es heißt, Gierkes Buch sei „die eigentliche Fundgrube für die meisten geworden, die nach ihm über den Entwurf geschrieben haben". Es sei das einzige Werk, das über den Entwurf im Ganzen und in seinen Teilen orientiert sei. Ludwig Fuld, Das bürgerliche Recht und die Besitzlosen, in: Die Gegenwart 39 (1891), S. 401; ders., Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik, in: Gruchot 35 (1891), S. 635-637; M. Levy, [Korreferat zur Frage:] Sind die Grundsätze des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuchs II. Lesung über eingetragene Vereine zu billigen?, in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1895, S.22-37, hier S.22f.; Friedrich Weber, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich und dessen weitere Behandlung, in: DNotZ 20 (1891), S. 20-28, hier S. 13; Adolph Wagner, Grundlegung der politischen Oekonomie, Zweiter Theil, 3. Aufl. Leipzig 1894, S. 19; Wilke, [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1895, S.41; Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn.3), S.738 [ S o h m nennt außer Gierke noch Dernburg als „Führer in dem Widerspruche gegen den Entwurf"] und noch einmal deutlich S. 740: „Auf den Schultern des ersten Entwurfes steht der zweite. Aber nicht auf Schultern des ersten Entwurfes allein. An den ersten Entwurf hat sich eine überaus reiche werthvolle kritische Literatur angeschlossen. Als die Spitze dieser Literatur nenne ich das Werk meines verehrten Freundes und Kollegen Gierke." Ebenso ders., Die Entstehung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: DJZ 5 (1900), S. 6-9, hier S. 6; Paul Oertmann, Das bürgerliche Gesetzbuch im Deutschen Reichstag, in: Archiv für bürgerliches Recht 11 (1896), S. 1-25, hier S. 7. 60 Otto Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, in: Schmollers Jahrbuch 12 (1888), S. 843-904; 1179-1265; 13 (1889), S.183-322, 723-946. Zitiert wird im folgenden stets nach der Buchausgabe Leipzig 1889. 61 Vgl. nur Karl Hermann Kästner, Anton Menger (1841-1906). Leben und Werk, Tübingen 1974, S. 164. Zur Resonanz von Mengers Kritik ebendort, S. 165-167 sowie unten S. 71 Fn. 109. Aus der zeitgenössischen Literatur: Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn.59), S.639. 62 Vgl. Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn. 59), S. 637; Oertmann, Das bürgerliche Gesetzbuch im Deutschen Reichstag (wie Fn. 59), S. 7. 63 Besonders hervorgehoben z.B. von Sohm, Die Entstehungsgeschichte (wie Fn. 59), S. 7. 64 Da Gierkes „Entwurf" kein Register enthält, mag es nützlich sein, die einschlägigen Seitenzahlen der Buchausgabe zu den Einzelfragen kursiv hinzuzusetzen.

II. Untersuchungsobjekt Allgemeiner Teil 133-183 Analogie 119-121, 127 Form 165, 240, 257 Gewohnheitsrecht 11, 122-130 Körperschaft 51, 88-93, 147ff. Aktiengesellschaft 92 Gemeinschaft 81, 88-93, 214, 275-278, 328, 350f, 374, 404, 407, 461, 469, 551 Hausgemeinschaft 105, III, 191, 241, 247, 394ff, 441, 458, 460ff. s.a. Familienrecht /Güterrecht Genossenschaft 92f. Gewerkschaft 92 Juristische Person 144-154, 161 Stiftung 154-161 Unternehmen 24, 193 Persönlichkeitsrecht 81-85 Ehre 64, 83-85, 142, 542 Firma 86f. Gewerbe 6, 83, 85, 102f, 105, 107, 141, 168f. Immaterialgüterrechte 6, 81 f f , 197 Schikane 183, 264 Status Frau 50, 257, 403-406, 418, 453, 470, 476, 492 Fremde 107 Kaufleute 107 Privatfürstenrecht 106 Stände 85 Verjährung 173-180, 322f. Willensmängel 166 Wucher 104, 200f, 223, 226 Mietwucher 202, 242 Schuldrecht 184-278 abstraktes Schuldversprechen 226 Abzahlungskauf 202 Darlehen 236 Dienstvertrag 104f, 191, 245-247 Arbeitsvertrag 191-193 Gesinderecht 99, 105, 111, 191 Eisernvieh 240f. Erfüllung Vertragstreue 380 Fahrlässigkeit 38f. Gefahrtragung 216, 236, 248 Gewährleistung beim Kauf 216-220 Viehmängelhaftung 217f.

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Haftung 149, 251f., 266, 270-272 Gefährdungshaftung 167, 171, 259-261, 270 Verschuldenshaftung 105, 251f, 259261, 266f, 270 laesio enormis 202 Lex Anastasiana 202 Miete 74-77, 190f, 238-244, 295, 572 Kauf bricht Miete 74-77, 238, 572 Möbelleihvertrag 202, 259, 388 Pacht 77, 97, 202, 238-244 Privatautonomie 24, 103f, 168f, 192f, 241 f., 259, 281 Verlagsvertrag 99, 258f. Versicherungsvertrag 99, 258f Vertragsstrafe 197f., 202, 222f. Sachenrecht 279-392 Besitz 24, 30f, 51, 179f, 190, 294-311, 339-341, 388 Dienstbarkeiten 77, 217, 315-318, 356f. Eigentum 24, 47, 74, 97, 101-103, 260, 280, 289f, 316, 323-331, 350f, 360, 378, 407, 423, 519, 536 Eigentumserwerb 331-350, 388 Fruchterwerb 202, 244, 290, 293, 344f. Erwerb vom Nichtberechtigten 319 Enteignung 99 Erbbaurecht 355 Gerechtigkeiten 85, 98, III, 356 Gesamthand 89, 210, 422, 424, 551f. Grundbuch 24, 280, 356 Grundschuld 315, 367-382 Grundstücksrecht 312-322 Hypothek 315, 367-382 Miteigentum 350f, 422 Nachbarrecht 102f, 179f, 325-331 Nießbrauch 50, 295, 358-364 Notweg 330f. Pfandrecht 99, 380, 382-392 Personal- und Viehpfändung 77,180f. Registerpfand 388f. Vermieterpfandrecht 241 f. Werkunternehmerpfandrecht 248, 373 Rentenkauf 98 Sache 65 43-48, 282-290, 292f, 299, 323, 328f. Sachgesamtheiten 48, 284f, 389

65 Zum Sachbegriff vgl. im übrigen Otto Gierke, Personengemeinschaften und Vermögensinbegriffe in dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 106-122.

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Trennungs- und Abstraktionsprinzip 24, 187f., 281 Wegerecht 99, 330f. Familienrecht 393-504 Ehe 397ff. Ehescheidung 429, 448-453 elterliche Gewalt 34f, 49, 458, 461-476 Güterrecht 407^447, 534, 587 Gütergemeinschaft 49, 89, 111-117, 214, 331, 417ff.

Schlüsselgewalt 49, 405f. Erbrecht 505-571 Anerbenrecht 97, 111, 567, 570 Erbpacht 97 Familienfideikommiß 85, 97, 566 Heimfall 334 Militärtestament 107 Parentelordnung 529-533 Pflichtteil 535-542

Zu allen aufgezählten Sachfragen ließe sich herausdestillieren, wie die normative Ausgestaltung im Hinblick auf die soziale Aufgabe des Privatrechts nach der Vorstellung von Gierke aussehen sollte. Doch dabei könnten wir nach dem gesetzten Ziel nicht stehen bleiben, weil Gierke keineswegs der einzige war, der sich zur sozialen Aufgabe des Privatrechts geäußert hat. Selbst wenn man die enger gefaßten Themenkataloge zum Beispiel von Ernst Landsberg oder Ludwig Fuld heranzöge, bliebe immer noch eine stattliche Anzahl von Rechtsinstituten zu bearbeiten. Landsberg betrachtete Bestimmungen zum Schutz des Schwächeren als sozial. Fortschritte des E II gegenüber dem ersten Entwurf erblickte er in der Aufnahme der Trunksucht als Entmündigungsgrund, in der Sicherung des Anspruchs aus einer Lebensversicherung für die Hinterbliebenen, in der Einführung des richterlichen Moderationsrechts bei der Vertragsstrafe, in der Verlängerung der Kündigungsfrist bei Darlehen auf unbestimmte Zeit und in der Befugnis des Schadensersatzschuldners, Geldersatz zu leisten 66 . Als Hauptmaterien sah er jedoch die mietrechtlichen und die deliktischen Vorschriften an. Im Mietrecht hob er die Einführung der Regel „Kauf bricht nicht Miete" und der Kündigungsmöglichkeit bei Gesundheitsgefahren hervor. Analog, so erklärte Landsberg, seien Vorschriften zum Schutz der Gesundheit bei der Dienstmiete aufgenommen worden. Sozial inspiriert sei auch die Verlagerung der Beweislast hinsichtlich des Verschuldens bei der Haftung des Unternehmers für seine Verrichtungsgehilfen und die Einführung der verschuldensunabhängigen Billigkeitshaftung des Wohlhabenden gegenüber dem Bedürftigen 67 . 66 Ernst Landsberg, Soziale Bestimmungen im bürgerlichen Gesetzbuch, in: Die Nation 12 (1894/95), S. 131-133, hier S. 131f. 67 Landsberg, Soziale Bestimmungen (wie Fn. 66), S. 132. - Vgl. auch die teilweise übereinstimmenden Aufzählungen in der frühen Literatur nach Abschluß der Arbeiten am BGB, die deshalb aus dem engeren Zeitrahmen dieser Untersuchung herausfallen: Friedrich Endemann, Einführung in das Studium des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band: Einleitung - Allgemeiner Theil - Recht der Schuldverhältnisse, 5. Aufl. Berlin 1899, S.8: Schikaneverbot (§226 BGB), Kauf bricht nicht Miete (§571 BGB), Besitzschutz für den Mieter (§868 BGB mit §§859ff. BGB), Schutz des Arbeitnehmers vor Gesundheitsgefahren (§618 BGB), Kündbarkeit von auf Lebenszeit geschlossenen Dienstverträgen (§624 BGB), Kündbarkeit aller Dienstverträge aus wichtigem Grund (§ 626 BGB), Pflichtcharakter des Eigentums, zum Beispiel beim Notstand (§ 904 BGB), richterliches Moderationsrecht für Konventio-

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A u c h die Gegenstände der sozialpolitisch engagierten Schriften des Mainzer Rechtsanwalts Ludwig Fuld6S weisen auf eine Vielzahl relevanter Einzelfragen hin. M a n braucht nur die Themen seiner Schriften zu betrachten, u m einen Eindruck zu erhalten. D o r t ging es (hier in willkürlicher Reihenfolge) u m Bergrecht, Besitzlose, Ehescheidung, Entstehung juristischer Personen, Versicherungsrecht, Zession, Schikane, elterliche Gewalt, Entmündigung wegen Trunksucht, Erbrecht, Gesinde, Miete und Pacht, Persönlichkeitsrecht, Sprache, Stellung des Richters, uneheliche Kinder, Unfall, Unterhalt, Vaterschaftsklage und Viehmängelhaftung 6 9 . Die A u f z ä h l u n g ließe sich beträchtlich erweitern, doch das mag genügen, um zu zeigen, daß potentiell letztlich alle Rechtsinstitute unter dem Blickwinkel der sozialen A u f g a b e des Privatrechts untersucht w e r d e n könnten. Die praktische U n d u r c h f ü h r b a r k e i t eines solchen Unternehmens im Rahmen einer M o nographie liegt auf der Hand, insbesondere w e n n man bedenkt, daß die Bibliographie z u m bürgerlichen Recht des damaligen Bibliothekars des Reichsgericht Georg Maas70 allein f ü r die Zeit v o n 1888 bis 1898 über 5.000 Titel zu den Entnalstrafen (§343 BGB), richterliches Ermessen beim Schadensersatzanspruch einer Frau wegen eines Sittlichkeitsdelikts (§847 BGB) und bei der Billigkeitshaftung (§829 BGB), vorzeitige Kündbarkeit des Kapitals bei einem Zinsfuß von mehr als 6% (§247 BGB), Verbot des Zinseszinses (§248 BGB); ferner Rudolf Stammler, [Referat:] Soziale Gedanken im Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Soziale Gedanken im Bürgerlichen Gesetzbuch. Aus den Verhandlungen der 5. Hauptverhandlung der freien kirchlich-sozialen Konferenz zu Erfurt am 18.-20. April 1900. Referate, mit Diskussion, Berlin 1900, S.2-16, vgl. unten S.512; Paul Oertmann, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Fünf Vorträge, gehalten im Verein für Volkswirtschaft und Gewerbe zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1900, S. 41-79, der die VerjährungsVorschriften (S. 41), Treu und Glauben (S. 45), Sittenwidrigkeit (S.47), Einschränkungen des Eigentums durch das Nachbarrecht (S. 49-51), die Abschwächung subjektiver Rechte, wenn der Betroffene nur ein geringfügiges Interesse hat (Bsp. §459 BGB, S. 52), verschiedene Formvorschriften zur Erschwerung wirtschaftlich gefährlicher Rechtsgeschäfte (§§313, 518, 566, 766, 780 BGB, S.57-59), die Berücksichtigung des sozialen Stärkeverhältnisses (§§138, 246-248, 288, 544, 559, 571, 616-619, 629f. und andere mehr, S. 59-69), die Rentenschuld (S. 70), die Verbesserung der sozialen Stellung der Frau (S. 77) und den Schutz unehelicher Kinder (S. 79) anspricht; Richard Weyl, Vorträge über das Bürgerliche Gesetzbuch für Praktiker. In zwei Bänden, Bd. 1, München 1898, S. 55-76; zu Weyl und Oertmann vgl. Werner Schubert, Das BGB von 1900 im Urteil der zeitgenössischen deutschen Rechtswissenschaft mit einem Ausblick auf die heutige Zeit, in: Das Bürgerliche Recht - Von der Vielfalt zur Einheit. Vortragsreihe anläßlich einer Sonderausstellung des Landgerichts Flensburg zum 100. Geburtstag des Bürgerlichen Gesetzbuches, hrsg. vom Förderverein der gerichtshistorischen Sammlung des Landgerichtsbezirkes Flensburg e. V., Flensburg 2000, S. 40-79, hier S. 62f., der die Einzelheiten dieser Stellungnahmen zusammengefaßt hat. 68 Zu diesem Werner Schubert, Gesetzgebung und Sozialpolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert - Zur Erinnerung an die rechtspolitischen Schriften von Ludwig Fuld, in: Die Bedeutung der Wörter. Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Festschrift für Sten Gagner zum 70. Geburtstag, hrsg. von Michael Stolleis u.a., München 1991, S.421^139. 69 Vgl. die Aufstellung der Publikationen bei Georg Maas, Bibliographie des Bürgerlichen Rechts 1888-1898, Berlin 1899, S.336 sowie in der Zusammenstellung des Reichsjustizamts, Bd.6, S.683. 70 Maas, Bibliographie des Bürgerlichen Rechts (wie Fn. 69). - Maas war seit 1891 zunächst als Hilfsarbeiter, seit dem 1. April 1893 als einer von drei Bibliotheksassistenten und vom 1. April

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Kapitel 1: Soziales Recht -

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würfen und dem Bürgerlichen Gesetzbuch enthält. Das allein würde schon genügen, ein exemplarisches Vorgehen zu rechtfertigen. Es kommt aber noch etwas hinzu, das man als eine Notwendigkeit des Details bezeichnen könnte, die zu einer strikten Begrenzung der Sachfragen zwingt. Rainer Schröder hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Interpretation häufig von Nuancen abhängt, die erst aus dem Zusammenhang eines wörtlichen oder paraphrasierten Zitats zu erkennen sind, so daß man zu einer verhältnismäßig umfangreichen Darstellung der Quelleninhalte genötigt ist, will man die daraus gezogenen Schlüsse für den Leser nachvollziehbar und im Rahmen des Möglichen auch überprüfbar machen71. Programmatische Aussagen über die soziale Aufgabe des Privatrechts sind in der hier untersuchten Literatur eher selten. Darüber hinaus leiden sie meistens an einer gewissen Inhaltsleere, die erst durch normative Konkretisierungen ausgefüllt werden muß, um Konturen zu finden. Will man über die einer Statistik ähnliche Zusammenschau von Argumenten und Zitaten einerseits und über pauschale Urteile aufgrund eines wenig präzisen Lektüreeindrucks andererseits hinauskommen, so kann man der Diskussion um das Bürgerliche Gesetzbuch nur gerecht werden, wenn man sich auf ihre Einzelheiten einläßt. Sicherlich hat beispielsweise Gierke in seiner Kritik am ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs große, programmatische Äußerungen gemacht. Doch das Gewicht seiner Kritik lag im Detail, in den Bemerkungen zur Ausgestaltung einzelner Rechtsinstitute. Nur dort beginnt die Sache auch konkret faßbare Inhalte einzuschließen. Möchte man den Zusammenhang von Gesetzgebungsentwürfen und wissenschaftlicher Diskussion derselben aufzeigen, so geht es in aller Regel um Einzelfragen vor dem Hintergrund größerer Tendenzen. Auch die Grundsatzfrage nach der sozialen Aufgabe des Privatrechts wurde nicht abstrakt, sondern bezogen auf einzelne Rechtsinstitute und Normen geführt. Aus diesem Grunde bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die Diskussion mit ihren Verzweigungen und feinsinnigen Kleinigkeiten einzulassen, um dahinter die Vorstellungen der Beteiligten zu erspähen. So erlangt rückblickend scheinbar Nebensächliches manchmal große Bedeutung. Ein Beispiel: Auf den ersten Blick erscheinen die Hilfsanträge in den Beratungen der Vorkommission des Reichsjustizamts zur Vorbereitung der Behandlung des Vereinsrechts in der zweiten Kommission uninteressant. Der Hauptsache nach hatte sich die Vorkommission vollständig dem ersten Entwurf angeschlossen und damit scheinbar die umfangreiche Kritik außer Acht gelassen. Doch hilfsweise hat sie Überlegungen angestellt, die im späteren Ge1898 bis zum 30. September 1900 als Bibliothekar in der Reichsgerichtsbibliothek beschäftigt, danach als Bibliothekar im Reichsmilitärgericht, vgl. Karl Schulz, Zur Geschichte der Bibliothek des Reichsgerichts, in: Die ersten 25 Jahre des Reichsgerichts. Sonderheft des Sächsischen Archivs für Deutsches Bürgerliches Recht zum 25jährigen Bestehen des höchsten Deutschen Gerichtshofs, hrsg. von S. Hoffmann, Karl von Sommerlatt und F. Wulfert [Beilageheft zu Band 14], Leipzig 1904, S.203-216, hier S.210. 71 Schröder, Abschaffung (wie Fn.9), S. 13.

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setzgebungsverfahren deswegen von größter Wichtigkeit waren, weil sie die Grundlage für die schließlich gefundene Kompromißlösung darstellten72. Um die Entwicklung der gesetzlichen Lösung zu verstehen und zutreffend zu schildern, kann man also nicht darauf verzichten, die Einzelheiten genau zu betrachten. Auch ein Gesamtbild kann sich daher erst aus einer Reihe sehr feingliedriger Einzelbetrachtungen ergeben. Wenn Geschichte in erster Linie Bericht von Zuständen und Ereignissen der Vergangenheit ist, so bleibt es bei geistigen Ereignissen - und dazu zählt unser Gegenstand - notwendig, sich ganz auf die Gegebenheiten der Quellen einzulassen, die in unserem Fall sehr detailfreudig sind. Erkauft wird die aus diesen Gründen mir notwendig erscheinende Detailliertheit mit dem Verzicht auf die Behandlung möglichst vieler Rechtsinstitute. Die gewählte Darstellungsmethode erzwingt diesen Verzicht schon deshalb, um den Stoff überschaubar zu halten. Es ist durchaus erwünscht, die hier gefundenen Ergebnisse und Thesen an weiteren Rechtsinstituten zu überprüfen und damit diese Studien fortzuführen. Die Auswahl der von uns behandelten Einzelfragen versucht, ein repräsentatives Material zu erfassen und so zu einem haltbaren Ergebnis zu führen. Es galt, das gesamte Spektrum der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts einzufangen, die zum Teil Probleme der sozialen Frage erfaßt hat, zum Teil aber auch auf andere Fragestellungen eingegangen ist. Eine Beschränkung auf die unter dem Aspekt der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts naheliegenden Probleme des Schuldrechts schied daher aus. Wenn das ganze Privatrecht eine soziale Aufgabe haben sollte, so mußte sich das auch in anderen Rechtsgebieten auswirken. Einen gänzlich anderen Ansatz hat Wilfried Haiisch mit seiner Würzburger Dissertation über „Die sozialen Vorstellungen der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches"73 verfolgt, der eine relativ große Zahl von Sachfragen ausgewählt hat und zu diesen die entsprechenden Äußerungen in seinen Quellen zusammengetragen hat, dabei aber weitgehend auf die Einordnung derselben in einen gegenseitigen Zusammenhang verzichten mußte. Durch Werner Schuberts Publikationen der Gesetzesmaterialien ist im übrigen in der Zwischenzeit die Quellengrundlage wesentlich breiter geworden. Die bereits mehrfach erwähnte Arbeit von Rainer Schröder hat ein von unserer Untersuchung verschiedenes Erkenntnisziel verfolgt: Der Redaktor des Erbrechtsentwurfs Gottfried Schmitt hatte seine Entscheidung zugunsten der Testierfreiheit ausführlich begründet. Schröder ging es um die Einordnung dieser Begründung in den sozialen, philosophischen und wirtschaftlichen Kontext des 19. Jahrhunderts. Er hat daher die Geschichte vor dem ersten Entwurf aufgearbeitet, nicht jedoch die an den Entwurf anschließende Debatte, die hier behandelt wird 74 . Vgl. dazu unten in Kapitel 4, S. 155. W ü r z b u r g 1959. 74 Schröder\ Abschaffung oder R e f o r m des Erbrechts (wie Fn. 9). Trotz des abweichenden A n satzes u n d des anderen Untersuchungsgegenstands ergibt Schröders Arbeit f ü r den ersten Entwurf die wichtige Erkenntnis, daß der R e d a k t o r Gottfried Schmitt sich ganz intensiv mit den 72

73

22

Kapitel 1: Soziales Recht -

Einleitung

Aufgrund der erörterten Notwendigkeit des Details und anders als bei Haiisch werden hier exemplarisch Rechtsinstitute ausgewählt, die - mit Ausnahme von „Kauf bricht Miete" - sowohl tatsächlich als auch in der juristischen Diskussion unter dem sozialen Aspekt von Bedeutung waren. Das sind aus dem Allgemeinen Teil die Entstehung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen sowie die Verjährung, aus dem Schuldrecht der Arbeitsvertrag, „Kauf bricht Miete" und das Vermieterpfandrecht sowie schließlich aus dem Familienrecht die elterliche Gewalt (Trägerschaft und Ende) und das Ehegüterrecht (gesetzlicher Güterstand und Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes). c) Gang der

Darstellung

Der Einleitung (Kapitel 1) schließt sich eine kurze Skizze über die soziale Frage als Gegenstand des allgemeinen Bewußtseins der achtziger und neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts an, welches den geistigen Hintergrund der hier interessierenden Debatte bildet. Außerdem wird der Charakter des ersten Entwurfs als einer Zäsur der Privatrechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts erläutert (Kapit e l l ) . Dem folgt ein Kapitel 3, in dem der Versuch unternommen wird, eine Typologie sozialer Argumentationen bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufzustellen. Es geht dabei um die unterschiedlichen programmatischen Vorstellungen von der sozialen Aufgabe des Privatrechts und erste inhaltliche Konkretisierungen derselben. Das so gefundene Instrumentarium wird die Einordnung der verschiedenen Stellungnahmen zu einzelnen Rechtsinstituten ermöglichen. Der folgende, ungleich umfangreichere Teil (Kapitel 4-6) behandelt dann die materiell-rechtlichen Einzelfragen. Hier wird geschildert, welche sozialen Vorstellungen Eingang ins Gesetz gefunden haben und auf welchem Wege dies geschah. In der Reihenfolge der Legalordnung werden Beispiele aus dem Allgemeinen Teil, dem Schuldrecht und dem Familienrecht behandelt. Ausgangspunkt ist für alle Einzelfragen der erste Entwurf mit den dazugehörigen Materialien, das heißt den Vorentwürfen und ihren Begründungen sowie den Protokollen der ersten Kommission, die in der von Jakobs und Schubert besorgten Edition greifbar sind. Es schließt sich die Kritik am ersten Entwurf an, die - soweit sie soziale Argumentationen enthält - möglichst vollständig berücksichtigt worden ist. In einem dritten Schritt wird jeweils die weitere Entwicklung vom Konsequenzen der sozialen Frage für die Entscheidung einer Beibehaltung der Testierfreiheit auseinandergesetzt hatte. Die These von Hans-Georg Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, Berlin 1970, S.151, die Kommissionen hätten es nicht als ihre Aufgabe angesehen, „in wirtschaftliche und soziale Entwicklungen einzugreifen, sofern sich deren Ergebnis nicht voraussehen ließ", bedarf schon auf der Grundlage der Arbeit von Schröder der Relativierung. Der Gesetzgeber konnte sich einer sozialpolitischen Entscheidung letztlich nicht entziehen, auch wenn er sich nicht für eine Reform des Bestehenden entschließen konnte. Nichts zu verändern, war auch eine Entscheidung.

II. Untersuchungsobjekt

und -ziel

23

E I bis zum Gesetz unter Einschluß der Gesetzesmaterialien, der wichtigen Denkschrift des Reichsjustizamts zur Reichstagsvorlage, des Berichts der X I I . Reichstagskommission und der stenographischen Berichte der Reichstagsverhandlungen verfolgt, wobei kritische Stellungnahmen beim jeweiligen Entwurfsstadium behandelt werden. Längere Abschnitte führen am Ende eine Zusammenfassung. Den Schluß bildet Kapitel 7, in dem die Ergebnisse der Untersuchung mit der modernen Einschätzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs beziehungsweise seiner Entwürfe konfrontiert werden.

Kapitel 2

Der Hintergrund In diesem Kapitel wird es darum gehen, mit wenigen Linien den Hintergrund der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts zu skizzieren. Dabei wird zunächst das allgemein-politische Bewußtsein von der sozialen Frage in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts zur Sprache kommen, sodann bedarf es einer kurzen Erläuterung der Einschätzung des ersten Entwurfs als einer Zäsur, bevor schließlich die bewußte Debatte über die soziale Aufgabe des Privatrechts in den Kontext älterer Diskussionen gestellt wird.

I. Die soziale Frage im Bewußtsein der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts 1. Soziale Frage und industrielle Revolution Seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts trat die schon damals sogenannte „soziale Frage" mehr und mehr in das Bewußtsein der Zeitgenossen1. Nipperdey hat die soziale Frage mit der Not der Arbeiter, ihren unwürdigen Lebensbedingungen und ihrem Herausfallen aus der traditionellen und bürgerlichen Welt beschrieben2. Ganz allgemein gesprochen betrifft die soziale Frage die Beschreibung von Störungen der gesellschaftlichen Ordnung sowie die Suche nach ihren Ursachen und den Mitteln zu ihrer Abhilfe3. Im 19. Jahrhundert 1 Dazu Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1998, S. 335-373; für den Uberblick noch immer besonders nützlich: CarlJantke, Der Vierte Stand. Die gestaltenden Kräfte der deutschen Arbeiterbewegung im X I X . Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1955; außerdem: Karl Erich Born, Staat und Sozialpolitik bis Bismarcks Sturz. Ein Beitrag zur Geschichte der innenpolitischen Entwicklung des Deutschen Reiches 1890-1914, Wiesbaden 1957. 2 Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie Fn. 1), Bd. 1, S. 335. Zur Sozialpolitik in den achtziger Jahren sodann ders., Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S. 3 82 ff. 3 Oswald von Nell-Breuning, zitiert in: Franz-Josef Stegmann, Soziale Frage, in: Staatslexikon. Recht - Wirtschaft - Gesellschaft, Bd.4, 7. Auflage Freiburg 1988, Sp. 1231-1234, hier Sp. 1231; ähnlich auch Eckart Pankoke, Soziale Frage, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritterund Karlfried Gründer, Bd. 9, Darmstadt 1995, Sp. 1129-1133, hier Sp. 1129.

/. Die soziale Frage im Bewußtsein

der achtziger

Jahre des 19. Jh.

25

entfernte sich der sogenannte vierte Stand mehr und mehr von den übrigen Bevölkerungsschichten. Seine Probleme ließen sich nicht mehr auf die traditionelle Weise der früheren Ständegesellschaft lösen. Dieser Prozeß lief einher mit der „industriellen Revolution" 4 einerseits sowie der Bevölkerungsexplosion andererseits, wobei die verwickelten Kausalitätszusammenhänge hier nicht erörtert werden müssen. Zwischen 1800 und 1900 wuchs die Zahl der Einwohner im Reich um mehr als das Doppelte von 24 auf 56 Millionen, wobei die Auswanderungsverluste in der zweiten Jahrhunderthälfte noch nicht berücksichtigt sind 5 . Während einige Gewerbelandschaften des Reiches schon im frühen 19. Jahrhundert einen erheblichen industriewirtschaftlichen Aufschwung genommen hatten, so insbesondere die niederrheinischen Gebiete und die Gebiete des ehemaligen rechtsrheinischen Herzogtums Berg sowie das Königreich Sachsen und Oberschlesien, nahm ganz Deutschland erst in den Jahren seit 1850 an der Ausbreitung industrieller Produktion und ihren Folgen teil, nicht zuletzt aufgrund des umfangreich ausgeweiteten Kohlebergbaus im Ruhrgebiet, der zum Motor der Industrialisierung wurde. Die Industrialiserung in der Jahrhundertmitte war vor allem durch neue Produktionstechniken gekennzeichnet, namentlich durch die Verbreitung dampfgetriebener Maschinen 6 , die die geniale, schon 1769 patentierte Erfindung von James Watt nutzbar machten. In Verbindung mit der bereits aus den Manufakturen bekannten Arbeitsteilung bewirkte der Einsatz von Maschinenkraft eine enorme Produktivitätssteigerung. Der sprunghaft steigende Energiebedarf - vor allem bei der nun immer wichtiger gewordenen Verhüttung von Eisenerzen -wurde durch die im Vergleich zur bis dahin viel genutzten Holzkohle energiereichere Steinkohle befriedigt. Signifikant ist ferner für die Industrialisierung die Verbesserung im Verkehrswesen, für jeden wahrnehmbar im Ausbau des Eisenbahnnetzes 7 . Für die breite Masse wurde die freie Lohnarbeit die hauptsächliche Erwerbsform. Mit der Schwierigkeit, für die Lohnarbeiter den rechten Platz in der Gesellschaft zu finden, ging eine Krise der bisherigen Ordnung einher, die nicht zuletzt auch die Familie erreichte. Lange Arbeitszeiten außerhalb des Hauses bei relativ geringfügigem Lohn, mangelhafte Wohnungssituationen, Fortfall von Heiratsbeschränkungen bei gleichzeitig verbesserten Ernährungsmöglichkeiten, die wenigstens eine notdürftige Versorgung der Familie erlaubten, zusammen mit rechtlicher und politischer Benachteiligung - das war der Stoff, aus dem die soziale Frage gemacht war. Dies gilt es zu betonen, da die politische 4 Zum folgenden vgl. den Überblick bei Wolfram Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806-1871, München 1995, S.165ff. 5 Stegmann, Soziale Frage (wie Fn. 3), Sp. 1232. 6 In Deutschland gehörten schon 1807 die Gebrüder Dinnendahl in Essen zu den Ersten, die Dampfmaschinen herstellten. Großen Aufschwung fand dieser Gewerbezweig nach 1830. Er ist verknüpft mit den Namen August Borsig, Josef Anton Maffei und Emil Keßler, vgl. Siemann (wie Fn.4), S. 169. 7 Knut Borchardt, Die industrielle Revolution in Deutschland, München 1972, S.98f.

26

Kapitel 2: Der

Hintergrund

Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als sei nur die Arbeiterfrage Gegenstand der sozialen Frage gewesen. Wohl ebenso wichtig war die Wohnungsnot, die durchaus die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen erregt hat, wie zum Beispiel die Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik im Jahr seiner Gründung 1872 erweisen, aber auch die intensive spätere Diskussion, von der im Zusammenhang mit dem Mietrecht zu sprechen sein wird. Zunehmend wichtiger wurde als dritter großer Bereich der sozialen Frage die Rechtsstellung der Frauen, die später sogenannte Frauenfrage. Im Zentrum des Interesses standen aber in den siebziger und achtziger Jahren die Probleme der Industriearbeiter, was durchaus erklärlich ist durch die politische Organisation in der Sozialdemokratie, die von weiten Kreisen des Bürgertums als eine Bedrohung der Stabilität von Staat und Gesellschaft angesehen wurde8.

2. Der vierte

Stand

Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert brachte die wirtschaftliche Entwicklung die nur scheinbar festgefügte ständische Ordnung durcheinander. Es wuchs eine zahlreiche Unterschicht heran, aus der zu Ende des 19. Jahrhunderts die „Arbeiterklasse" hervorgegangen ist. Diese Unterschicht, anfangs noch völlig ohne ein gemeinsames Bewußtsein, war sowohl auf dem Land - dort unterhalb des Standes der Bauern - anzutreffen als auch in den städtischen Ballungsgebieten. Landarbeiter aller Art, Hausgesinde, Tagelöhner, Handwerksgesellen, Bergleute, Fabrikarbeiter, Bauarbeiter und Eisenbahner bildeten den „vierten Stand". Es ist sogar zu betonen, daß die Landarbeiter in weit stärkerem Maße von den sozialen Problemen betroffen waren, hatten sie doch durch die SteinHardenbergsche Agrarreform ihre sozialen Sicherungssysteme verloren9. Das Fehlen gewerblicher Arbeitsgelegenheiten war zunächst einmal im Zusammenspiel mit der „Bauernbefreiung" ein Grund für die Entstehung der sozialen Frage, bevor um die Jahrhundertmitte in Deutschland mehr und mehr die Industrialisierung zusätzliche und neue Probleme aufwarf, die zunehmend ins öffentliche Bewußtsein drangen und, wie Benöhr betont hat, schon in den siebziger Jahren „die Abkehr vom extremen Wirtschaftsliberalismus" zugunsten einer Mittelstands-und Arbeiterpolitik veranlaßten10.

8 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2 (wie Fn.2), S.383ff. Außerdem vgl. dazu: Karl Erich Born, Von der Reichsgründung bis zum I. Weltkrieg, in: Gebhardts Handbuch der Deutschen Geschichte, hrsg. von Herbert Grundmann, Bd. 3,9. Aufl. Stuttgart 1979, S. 224-375, hier S. 294, der die große emotionale Wirkung des Attentats von Nobiling auf Wilhelm I. Ende Mai 1878 betont hat. 9 Stegmann, Soziale Frage (wie Fn. 3), Sp. 1232. 10 Vgl. Hans-Peter Benöhr, Wirtschaftsliberalismus und Gesetzgebung am Ende des 19. Jahrhunderts, in: ZfA 8 (1977), S. 187-218, hier S.213.

I. Die soziale Frage im Bewußtsein

3. Reaktionen

des Reiches

der achtziger

auf die

Jahre des 19. Jh.

27

Arbeiterfrage

Die „soziale Frage" im öffentlichen Bewußtsein der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts war nach dem oben Gesagten vor allem die „Arbeiterfrage"11. Kaiser Wilhelm I. erklärte in seiner Thronrede vom 12. Februar 1879, daß er auf die Mitwirkung des Reichstags bei der „Heilung unserer sozialen Schäden" hoffe. Die Bundesregierungen berieten in der Folge über die Mittel, „um Uebelstände, unter denen wir auf wirthschaftlichem Gebiete leiden, zu heben oder zu mindern"12. Ein Wandel der sozialpolitischen Absichten des jungen Reichs deutete sich darin mehr an, als daß er ausgesprochen wurde. Immerhin brachte der Kaiser die sozialen Schäden in einen Zusammenhang mit wirtschaftlichen Zuständen. Neu war diese Erkenntnis nicht, aber es war neu, sie aus dem Munde des Kaisers zu hören. Sollte das Reich nunmehr Sozialpolitik treiben, dann ging es zunächst einmal um die Erschließung neuer Einnahmequellen, damit man die Besteuerung insgesamt verändern und insbesondere die unteren Bevölkerungsschichten entlasten könnte. Die soeben angesprochene „Heilung" konnte, das war auch der Reichsregierung klar, „nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialistischer Ausschreitungen" geschehen, sondern es bedurfte dazu, wie der Kaiser am 15. Februar 1881 bei der Eröffnungssitzung des Reichstags erklärte, „der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter"13. Hierzu zählten die 1883 eingeführte Krankenversicherung für Arbeiter, die Unfallversicherung 1884 und schließlich 1889 die Invaliditäts- und Altersversicherung14. Damit verband sich das Ziel, die Arbeiter von einer Mitwirkung an „sozialdemokratischen Bestrebungen", wie es in der zitierten Thronrede vom 15. Februar 1881 hieß15, abzuhalten. Die Parallelität von Sozialistengesetz einerseits und sozialpolitischen Maßnahmen andererseits war in der Innenpolitik Bismarcks zwar nicht zufällig, aber man griffe wohl zu kurz, wollte man in den Integrationsbemühungen das alleinige Motiv der Sozialpolitik erkennen. 11 Davon zeugt außer den oben im Text sogleich darzustellenden Tatsachen auch die zeitgenössische Literatur. Zwei Beispiele: Wagner; Grundlegung der politischen Oekonomie (wie Fn.59), S. 19; Art. „Arbeiterfrage", in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 1, 6. Aufl. Leipzig und Wien 1905, S. 675. Der Artikel beginnt so: „Die Arbeiterfrage], die sogen, soziale Frage, hat zu ihrem Gegenstande die Lage der von Unternehmern namentlich in den großen Unternehmungen beschäftigten Lohnarbeiter in ökonomischer, moralischer, sozialer und politischer Hinsicht." Arbeiterfrage und soziale Frage schienen dem Lexikon identisch. Das Schlagwort „Soziale Frage" verweist konsequent auch nur auf den Artikel „Arbeiterfrage". 12 Thronrede vom 12. Februar 1879, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages. 4. Legislatur-Periode, II. Session 1879, Berlin 1879, S. 1-3, hier S. 1. 13 Thronrede vom 15. Februar 1881, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages. 4. Legislatur-Periode, IV. Session 1881, Berlin 1881, S. 1-2, hier S. 1. 14 Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883, RGBl. S. 73104; Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884, RGBl. S. 69-111; Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889, RGBl. S. 97-144. Ausführlich zu den politischen und gesellschaftlichen Hintergründen Hans-Peter Benöhr, Soziale Frage - Sozialversicherung - Sozialdemokratische Reichstagsfraktion (1881-1889), in: SZGerm 98 (1981), S. 95-156. 15 Thronrede vom 15. Februar 1881 (wie Fn. 13), S.2.

28

Kapitel 2: Der

Hintergrund

Anläßlich der Eröffnung der ersten Session der V. Legislaturperiode im Herbst 1881 warb der Kaiser beim Reichstag um Unterstützung für sein sozialpolitisches Programm. Dazu bedürfe es, so erklärte der Kaiser, auch „der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter" 16 . Deshalb müsse „den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes" gewährt werden 17 . Den Hilfsbedürftigen die nötige Fürsorge zu gewähren, bezeichnete der Kaiser als „eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, welches auf den sittlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht" 18 . Am 9. Januar 1882 hatte Bismarck vor dem Reichstag erklärt: „Es gehört zu den Traditionen der Dynastie, der ich diene, sich des Schwachen im wirtschaftlichen Kampfe anzunehmen. Friedrich der G r o ß e sagte schon: je serai le roi des gueux, und er hat es nach seiner Art durchgeführt in strenger Gerechtigkeit gegen H o c h und Gering . . . " 1 9 .

Zur Festigung der Einheit des Reiches erschien es Bismarck notwendig, für größere Gerechtigkeit auch und gerade gegenüber den unteren Bevölkerungsschichten zu sorgen. Um die sozialpolitischen Pläne durchführen zu können, benötigte das Reich Steuermittel, die im Wege einer Steuerreform gefunden werden sollten. Nur so ließ sich nach Bismarcks Überzeugung für die unteren Bevölkerungsschichten größere Gerechtigkeit erreichen. Dazu zählte die Einführung eines Tabakmonopols, also einer indirekten Steuer, die Bismarck in einer sehr grundsätzlichen20 Rede vor dem Reichstag bei der zweiten Lesung des

16 Thronrede vom 17. November 1881, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages. V. Legislatur-Periode, I. Session 1881/82, Berlin 1882, S. 1—3, hier S.2. 17 Thronrede vom 17. November 1881 (wie Fn. 16), S.2. 18 Thronrede vom 17. November 1881 (wie Fn. 16), S. 2. - Solche Gedanken waren in der Parlamentsdebatte über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich übrigens auch nicht den Sozialdemokraten fremd. Arthur Stadthagen [zu diesem Peter Landau, Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 133-213, hier S. 146] definierte dort gelegentlich die Aufgabe der Sozialpolitik so, daß man den wirtschaftlich Armeren entgegenkommen und eine Anwendung von Rechten, die gegen die guten Sitten verstoßen, untersagen müsse, wie zum Beispiel bei der wucherischen Ausbeutung der Mieter [in: Stenographische Berichte, S. 81]. 19 Otto von Bismarck, [Rede vor dem Reichstag vom 9. Januar 1882], in: Bismarck. Die gesammelten Werke, Bd. 12: Reden 1878-1885, bearbeitet von Wilhelm Schüßler, Berlin 1929, S . 3 1 3 324, hier S. 316. - Die Echtheit des Zitats von Friedrich dem Großen läßt sich nicht nachweisen. Sie wird bestritten von Franz Mehring, Die Lessing-Legende, 1893, in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Thomas Höhle, Bd. 9, Berlin 1963, S.70. 2 0 Die Rede wurde trotz ihres scheinbar so speziellen Bezugspunktes auch von den Zeitgenossen als programmatisch aufgefaßt, wie eine gelegentliche Bemerkung auf dem Deutschen Juristentag 1889 beweist: Ludwig Fuld, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts] in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S . 1 7 0 176, hier S. 171, vgl. dazu unten in Kapitel 5, S.265; ders., Das bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, in: Nord und Süd. Eine deutsche Monatszeitschrift 14 (= Bd. 53) (1890), S . 2 1 4 233, hier S.223.

I. Die soziale Frage im Bewußtsein

der achtziger

Jahre des 19. Jh.

29

Gesetzes am 12. Juni 1882 verteidigte 2 1 . Es ging v o r allem darum, Wege aus der v o n Bismarck als „barbarisch" bezeichneten Klassensteuer zu finden, die w e nigstens in Preußen noch galt 22 und zu schweren Mißständen geführt hatte. Im Steuerjahr 1879/80 gab es in Preußen etwas mehr als 5 Millionen Steuerbürger. M e h r als 1 Millionen Mal mußte der Fiskus im Wege der Zwangsvollstreckung die Steuerforderungen durchzusetzen versuchen, w o m i t er in 438.973 Fällen erfolgreich war. A u f den „vierten Stand" entfielen dabei 6 4 0 . 1 8 3 Pfändungen, die in 2 5 4 . 1 6 6 Fällen Erfolg hatten 2 3 . Die Zwangsvollstreckungen hatten f ü r die Betroffenen meistens ruinöse Folgen und waren f ü r den Staatshaushalt relativ w e nig nützlich. In dieser Situation erhoffte sich Bismarck v o n einem Tabakmonopol einen Fortschritt. W e n n man dessen Einführung als „Sozialismus" verurteile, so erläuterte Bismarck dem Reichstag, so sei zu sagen, daß viele sozialistische Maßnahmen dem Land zum Vorteil gereicht hätten, angefangen v o n der Befreiung der Bauern über die Enteignungen zugunsten der Eisenbahnen bis hin zu A r m e n p f l e g e und Schulzwang 2 4 . Heute muß man freilich ergänzen, daß die Bauernbefreiung eben auch die Voraussetzung f ü r die Verelendung der Landarbeiter geschaffen hat. N u n , nachdem man f ü r die Bauern im 19. Jahrhundert die Befreiung erreicht habe, f u h r Bismarck fort, müsse auch etwas f ü r die A r b e i t e r getan werden. Dazu sei es notwendig „dem Staate ein paar Tropfen sozialen Öls im Rezepte beizusetzen, wie viel, weiß ich nicht, aber es wäre meines Erachtens eine große Vernachlässigung der Pflichten der Gesetzgebung, wenn sie die Reform auf dem Gebiete der Arbeiterfrage nicht erstreben würde, von der wir den Anfang Ihnen jetzt gebracht haben" 25 . 21 Otto von Bismarck, [Reichstagsrede vom 12. Juni 1882], in: Bismarck. Die gesammelten Werke (wie Fn. 19), S. 343-366, hier: S. 360. Die hier erwähnten Grundlinien kamen auch schon in seiner Rede vom 9. Januar 1882 (wie Fn. 19), insbesondere S. 316f., die von der Frage einer Reglementierung der Arbeitszeit und Sonntagsruhe ausging. 22 Die klassifizierte Einkommensteuer setzte prinzipiell die Steuerschuld ohne Rücksicht auf das wirkliche Einkommen nach der gesellschaftlichen Stellung des Steuerpflichtigen oder seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen fest. In Preußen wurde dieses System 1851 eingeführt und erst 1891 im Zuge der Miquelschen Finanzreform in eine rein personale, einkommensabhängige Einkommensteuer umgewandelt, vgl. Josef Dobretsberger, Steuern, in: Staatslexikon, Bd. 5, 5. Aufl. Freiburg im Breisgau 1932, Sp. 109-121, hier Sp. 116; zur Entwicklung der preußischen Steuergesetzgebung seit 1871 neuerdings: Andreas Thier, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie. Staatssteuerreformen in Preußen 1871-1893, Frankfurt am Main 1999, insbesondere S. 91-386. 23 Alle Zahlen nach Bismarck, [Reichstagsrede vom 12. Juni 1882] (wie Fn.21), S.346f. 24 Bismarck, [Reichstagsrede vom 12. Juni 1882] (wie Fn.21), S.360. Zum Begriff des „Staatssozialismus", auf den Bismarck hier anspielte, vgl. Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts. Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen, Ebelsbach 1981, S. 363-366 sowie B. Brossmann, Sozialismus, 5. Der politische S.-Begriff, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Bd. 9, Darmstadt 1995, Sp. 1180-1181. 25 Bismarck, [Reichstagsrede vom 12. Juni 1882] (wie Fn.21), S.360. Die hier erwähnten Grundlinien kamen auch schon in seiner Rede vom 9. Januar 1882 zur Sprache, in: ebendort, S.313-324, insbesondere S.316f., die von der Frage einer Reglementierung der Arbeitszeit und Sonntagsruhe ausging.

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Kapitel 2: Der

Hintergrund

Die Überwindung der Angst vor solchem Sozialismus, so liest man wenig später, sei „für die ganze Reichsgesetzgebung durchaus notwendig"26. Die Revolutionsfurcht war gerade auch mit Blick auf die Sozialdemokraten in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts weit verbreitet und, worauf zum Beispiel Nipperdey hingewiesen hat, keineswegs ohne realen Hintergrund27. Das sozialpolitische Ziel Bismarcks war die Stabilisierung des Reichs durch Integration der Arbeiter in den Staat. Das bedeutete die Schaffung größerer Steuergerechtigkeit durch die Entlastung der Arbeiter von direkten Steuern sowie sonstige Maßnahmen, die in dieser Rede freilich nicht zur Sprache kamen. Ein Hauptziel war es, die Arbeiter der als staatsfeindlich angesehenen Sozialdemokratie zu entfremden. Das wesentliche Mittel zur Umsetzung dieser politischen Ziele war die Intervention des Staates28. Dabei bediente sich das Reich vor allem gesetzlicher Maßnahmen, wie Stolleis betont hat29. Die erwähnten Thronreden dienten der Vorbereitung der Sozialgesetzgebung des Reiches, die am besten die neue Sozialpolitik augenfällig macht30. Die wenigen aus einer großen Fülle herausgegriffenen Quellen31 mögen hier genügen, Bismarck, [Reichstagsrede vom 12. Juni 1882] (wie Fn.21), S.360. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.2 (wie Fn.2), S.383ff. Außerdem vgl. dazu: Born, Von der Reichsgründung bis zum I. Weltkrieg, in: Gebhardts Handbuch (wie Fn. 8), S.294, der die große emotionale Wirkung des Attentats von Nobiling auf Wilhelm I. Ende Mai 1878 betont hat. Speziell im Hinblick auf die Frage der Abschaffung des Erbrechts, aber durchaus mit vielen auch in weiterem Zusammenhang interessierenden Quellen vgl. Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 9), S. 174-219, insbesondere S. 212 ff. 28 Zur Entstehung des Interventionsstaates sowie speziell zu seinen öffentlich-rechtlichen Konsequenzen vgl. Michael Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht, in: Z N R 11 (1989), S. 129-147. 29 Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates (wie Fn.28), S. 138-140. Einen zusammenfassenden Uberblick zur Gesetzgebung zwischen 1877 und 1900, soweit das Reichsjustizamt beteiligt war, bietet Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 20), S. 42—45; speziell zur Wirtschaftsgesetzgebung: Benöhr, Wirtschaftsliberalismus (wie Fn. 10), S. 213-216. 30 Man darf dabei freilich nicht übersehen, daß es auch schon vorher sozialpolitisch motivierte, wichtige Gesetze gab, die wenigstens auch das Privatrecht betrafen. Zu denken ist etwa an die Schutzvorschriften der Reichsgewerbeordnung von 1869, von denen später noch die Rede sein wird (vgl. unten S.218) oder auch das Haftpflichtgesetz von 1871 [Gesetz, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz für die bei dem Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken etc. herbeigeführten Tödtungen und Körperverletzungen vom 7. Juni 1871, in: RGBl. 1871, S.207209], das zu einer Haftung des Unternehmers für das Verschulden seiner Leute führte und damit einen ersten Schritt zu einer Reform des Rechts des Schadensersatzes getan hat, indem es auch die Beschäftigten des Unternehmers schützte. Das zugrundeliegende Prinzip war, daß der Unternehmer die Verantwortung für die durch sein Unternehmen erzeugten Gefahren zu tragen hat; vgl. Victor Mataja, Das Recht des Schadensersatzes vom Standpunkte der Nationalökonomie, Leipzig 1888, S.lOOf., 106. 26

27

31 Selbstverständlich waren weder Bismarck noch seine Beamten an die „Erfinder" sozialpolitischer Ideen. Diese waren längst vorgeprägt. Man erinnere sich nur an die Äußerungen des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel Frhr. von Ketteier [zu diesem Adolf M. Birke, Ketteier, in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, Bd. 3, 7. Aufl. Freiburg usw. 1987, Sp. 394-396] oder an die Forderung eines sozialen Königtums bei Lorenz von Stein, von der oben S. 3 bei Fn. 12 die Rede war. Hier geht es nur darum zu zeigen, daß die Sozialpolitik sozusagen „in der Luft lag", man sich ihr also kaum entziehen konnte, da sie das öffentliche Bewußtsein beherrschte.

I. Die soziale Frage im Bewußtsein

der achtziger

Jahre des 19. Jh.

31

um einen Eindruck vom politischen Klima der späten siebziger und der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts zu vermitteln32. Festzuhalten ist, daß die soziale Frage ein bestimmendes Moment der Politik dieser Zeit gewesen ist, was angesichts der damaligen sozialen Realität mehr als verständlich ist. Es herrschte ein auch heute noch in den Quellen leicht nachvollziehbares Bewußtsein davon, daß die soziale Wirklichkeit meilenweit von einem akzeptablen Zustand entfernt war. Wollte man ein vollständigeres Bild von dem Beginn staatlicher Sozialpolitik und den politischen und geistigen Hintergründen zeichnen, so dürfte man die katholische Soziallehre33 insbesondere des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteier und von Franz Hitze ebensowenig übergehen wie die Arbeit einiger Vereine wie des Vereins für Socialpolitik oder des Deutschen Verdes Deutschen Vereins für Armenpflege eins für öffentliche Gesundheitspflege, und Wohlthätigkeit, aber auch des Deutschen Juristentages oder der politischen Parteien, insbesondere der Sozialdemokraten und des Zentrums. Auch müßte die Gewerbeordnung von 1869, die die Notwendigkeit einer Sozialreform anerkannte, an herausgehobener Stelle gewürdigt werden. Das allgemeine öffentliche Bewußtsein von der sozialen Frage legt es eigentlich nahe zu vermuten, daß schon der erste Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs sich dem Anliegen, auf seine Weise zur Lösung der sozialen Frage beizutragen, nicht vollständig hat verschließen können34. Dieses Bewußtsein macht es unwahrscheinlich, daß die erste Kommission, die sich aus hochqualifizierten Juristen zusammensetzte, die keineswegs weltfremde, verschrobene Existenzen waren, die Zusammenhänge ihrer Arbeit mit der sozialen Frage so gründlich übersehen hat, wie es traditionell suggeriert wird 35 . Die Kritik hat jedoch, angeführt von Gierke, mit übergroßer Enttäuschung festgestellt, der Entwurf habe seine soziale Aufgabe verfehlt. Schon an dieser Stelle ist aber nachdrücklich zu betonen, daß „soziale Frage" und „soziale Aufgabe" nicht völlig deckungsgleich waren. Über die soziale Aufgabe des Privatrechts herrschten ganz unterschiedliche Vorstellungen, von 32 Einen kurzen, immer noch nützlichen Uberblick über die Sozialpolitik des Bismarckreiches bietet: Wilhelm Treue, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik Deutschlands im 19. Jahrhundert, in: Gebhardts Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd.3, 9. Aufl. Stuttgart 1979, S.377541, hier S. 528-532; stärker auf die Person Bismarcks ausgerichtet und an unvermutetem Ort erschienen neuestens: Markus Kaltenborn, Die Sozialgesetzgebung des Reichskanzlers Otto von Bismarck, in: JZ 1998, S. 770-773. 33 Vgl. dazu neuestens Ulrich Sellier, Die Arbeiterschutzgesetzgebung im 19. Jahrhundert. Das Ringen zwischen christlich-sozialer Ursprungsidee, politischen Widerständen und kaiserlicher Gesetzgebung, Paderborn 1998. 34 Für das Erbrecht hat bereits die Untersuchung von Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn.24) den Nachweis erbracht, daß sich der Redaktor des ErbrechtsTeilentwurfs Gottfried Schmitt sogar intensiv mit sozialpolitischen Forderungen seiner Zeit befaßt hatte, vgl. beispielsweise die Zitate bei Schröder, S.218f. 35 Beispielsweise: Gustav Boehmer, Einführung in das bürgerliche Recht, 2. Aufl. Tübingen 1965, S. 84; außerdem: Paul Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl. München 1966, S.286f.; Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S.469f. Vgl. im übrigen unten im Schlußkapitel S. 509.

32

Kapitel 2: Der Hintergrund

denen im Kapitel 3 die R e d e sein wird. D i e sozialpolitischen E n t w i c k l u n g e n im Kaiserreich stehen zwar selbstverständlich stets im H i n t e r g r u n d der D e b a t t e über die soziale Aufgabe des Privatrechts, von der hier gehandelt wird. N i c h t zwingend m u ß t e man aber dem Privatrecht die A u f g a b e ansinnen, auf die soziale Frage zu antworten. E s ließ sich sogar denken, die soziale A u f g a b e des Privatrechts bestehe nicht darin, die soziale Frage zu lösen, sondern sei davon zu trennen. In den Q u e l l e n und auch in der neueren Literatur werden beide Fragen j e doch mitunter vermengt 3 6 .

II. Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

1. Der erste Entwurf als Zäsur In eine Zeit aktiver Sozialpolitik im R e i c h fiel der A b s c h l u ß des von der F a c h welt mit Spannung erwarteten ersten E n t w u r f s eines bürgerlichen G e s e t z b u c h s für das D e u t s c h e Reich, der im F r ü h j a h r 1888 publiziert w o r d e n ist. D e r B r e s lauer P r o f e s s o r Rudolf Leonhard sprach im J a h r des Inkrafttretens des Bürgerlichen G e s e t z b u c h s davon, die Privatrechtswissenschaft sei an einen „Wendep u n k t " gelangt 3 7 . E r b e z o g das in seiner auf das M e t h o d i s c h e blickenden M o n o graphie vor allem darauf, daß sich das G e s e t z b u c h v o n den Q u e l l e n des gemeinen R e c h t s und der wichtigsten Partikularrechte unterscheide, eine neue T e r m i nologie einführe, Geltung für das ganze R e i c h beanspruche und eine einigermaßen vollständige Erfassung des Privatrechts anstrebe 3 8 . In A n l e h n u n g an diese Auffassung erscheint es sogar richtiger, v o n einer „Wendezezi" zu sprechen, als deren A n f a n g s p u n k t der erste E n t w u r f und nicht erst das schließliche Inkrafttreten des G e s e t z b u c h s zu bezeichnen ist, so daß es sich anbot, das J a h r 1888 als Ausgangspunkt für unsere U n t e r s u c h u n g zu wählen. W o r i n aber bestand das wesentlich N e u e ? D i e Rechtswissenschaft ist seit jeher eine 7exiwissenschaft. Sie hat es i m m e r mit der Auslegung und A n w e n d u n g v o n Texten zu tun. H i e r liegt der tiefere G r u n d dafür, warum mit der Veröffentlichung des ersten E n t w u r f s im F r ü h j a h r 1888 eine echte, auch von den Zeitgenossen w a h r g e n o m m e n e 3 9 , Zäsur in der 36 So auch in der gedankenreichen Arbeit von Schröder; Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 24). 37 Rudolf Leonhard, Das neue Gesetzbuch als Wendepunkt der Privatrechts-Wissenschaft, Breslau 1900, außer im Titel auch S.51. 38 Leonhard, Das neue Gesetzbuch (wie Fn.37), S.51 ff. 39 Das läßt sich insbesondere an der Diskussion über die Zukunft des römischen Rechts in der universitären Juristenausbildung ablesen, die unmittelbar nach der Publikation des ersten Entwurfs eingesetzt hat. Vgl. nur Otto Bahr; Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung (Sonderabdruck aus dem Grenzboten), Leipzig 1888; außerdem zahlreiche weitere Literaturnachweise zu diesem Thema bei Georg Maas, Bibliographie des Bürgerlichen Rechts. Verzeichnis von Einzelschriften und Aufsätzen über das im Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich vereinigte Recht, Bd. 1: 1888-1898, Berlin 1899, S. 72f.

II. Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

33

deutschen Privatrechtsgeschichte verbunden war: Die Publikation des Entwurfs leitete für alle sichtbar den Wechsel der wichtigsten Textgrundlage für das Privatrecht ein. Corpus iuris civilis und partikulare Gesetzbücher sollten nur noch für eine kurze Zeitspanne das geltende Recht bestimmen und dann ausschließlich zum Gegenstand der Rechtsgeschichte werden, auch wenn inhaltliche Kontinuitäten ganz selbstverständlich über die Kodifikation hinaus bestehen 40 . Seit 1888 wurde ziemlich schlagartig zunächst der Entwurf und ab 1896 dann das Bürgerliche Gesetzbuch normative Grundlage privatrechtlicher Erörterungen. Insofern begann also 1888 etwas wirklich Neues, dessen Beginn zugleich den zeitlichen Ausgangspunkt unserer Überlegungen darstellt. Ein deutliches Zeugnis von der verändernden Kraft des Entwurfs bietet die bereits erwähnte 41 , von Georg Maas zusammengestellte Bibliographie des Bürgerlichen Rechts für die Zeit von 1888 bis 1898 42 . Ganz überwiegend beschäftigte sich danach die Literatur seit 1888 mit dem in den Entwürfen beziehungsweiRückblickend hielt 1913 Ernst Landsberg die Jahre zwischen 1887 und 1890 für den „wesentlichen Einschnitt" bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs: „was vorangeht und was folgt, dürfen wir als je eine in sich geschlossene Geistesrichtung behandeln", ders., Der Geist der Gesetzgebung in Deutschland und Preußen 1888-1913. Festrede gehalten im Auftrag der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität bei der Jubiläumsfeier Sr. M. des Kaisers und Königs Wilhelm II. am 16. Juni 1913, Bonn 1913, S. 8. 4 0 Zur Bedeutung des römischen Rechts für das geltende Privatrecht vgl. Tilman Repgen, Europäisierung des Privatrechts durch Wiederbelebung des ius commune?, in: Europäisierung des Privatrechts. Zwischenbilanz und Perspektiven. Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1997, hrsg. von Christoph Weber u.a., Stuttgart usw. 1998, S . 9 - 3 6 mit weiterführenden Nachweisen. - Schaut man auf die materiell-rechtlichen Inhalte so ist es richtig zu sagen, daß das B G B „sicherlich kein Wendepunkt der deutschen Rechtsentwicklung" gewesen sei, so: Reinhard Zimmermann, Schuldrechtsmodernisierung?, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, hrsg. von Wolfgang Ernst und Reinhard Zimmermann, Tübingen 2001, S. 1-24, hier S. 7. Das entspricht dem Ertrag eines Symposiums des Frankfurter Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte im März 1999, dessen Ergebnisse im Sammelband: Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter. Zur Reaktion der Rechtsprechung auf die Kodifikation des deutschen Privatrechts (1896-1914), hrsg. von Ulrich Falk und Heinz Mohnhaupt, Frankfurt am Main 2000, festgehalten sind.

Vgl. oben S. 19 bei Fn. 70. Vgl. oben Fn.39. Die äußerst nützliche Bibliographie ist fortgesetzt worden für den Berichtszeitraum bis 1904, danach noch bis 1906 in veränderter Gestalt das gesamte Recht betreffend: Bibliographie des Bürgerlichen Rechts. Verzeichnis von Einzelschriften und Aufsätzen über das im Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich vereinigte Recht, sachlich geordnet von Georg Maas, B d . l : 1888-1898; Bd.2: 1899; Bd.3: 1900; Bd.4: 1901; Bd.5: 1902; Bd.6: 1903; Bd. 7: 1904 [mehr nicht erschienen], Berlin 1899-1905. 41

42

Dabei hat Maas, wie er in der Einleitung näher erläutert hat [S. VII], auch die gemeinrechtliche und partikularrechtliche Literatur erfaßt, soweit sie ihrem Gegenstand nach Rechtsinstitute betraf, die im Bürgerlichen Gesetzbuch einheitlich geregelt worden sind. Maas hat die einschlägige Literatur in sonst nicht erreichter Vollständigkeit verzeichnet. Für die Jahre 1905 und 1906 lauten die Titel: Georg Maas, Jurisprudentia Germaniae 1905. Bibliographie der Deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Unter Mitwirkung von Fachgenossen gesammelt und sachlich geordnet von Georg Maas, Berlin 1906-1907. Vorausgegangen war jeweils ein Vorabdruck zunächst im Archiv für bürgerliches Recht, später dann in der Juristischen Wochenschrift. Diese enthalten jedoch nichts, was nicht auch in den selbständigen Veröffentlichungen enthalten wäre.

34

Kapitel 2: Der Hintergrund

se dem abgeschlossenen G e s e t z niedergelegten Privatrecht und schenkte dem n o c h geltenden gemeinen R e c h t beziehungsweise den Partikularrechten kaum n o c h Beachtung 4 3 . W o h l niemand hatte nach der Publikation des E n t w u r f s damit gerechnet, daß eine so große Zahl v o n Beiträgen - bei Maas geht die Zahl in die Tausende 4 4 - zu seiner K r i t i k erscheinen würden. Arbeiten z u m gemeinen R e c h t oder den Partikularrechten sind dagegen kaum mehr zu verzeichnen gewesen. D i e v o n den Hilfsarbeitern der ersten K o m m i s s i o n im R e i c h s j u s t i z a m t gefertigte Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen füllt mit der Z u sammenfassung v o n etwa 700 Beiträgen allein aus den J a h r e n 1888 bis 1890 i m merhin sechs stattliche Bände, die Tagespresse n o c h nicht eingerechnet. D i e s e Zahlen zeigen, in w e l c h e m U m f a n g die Literatur schon lange vor dem I n k r a f t treten des Bürgerlichen G e s e t z b u c h s sich mit dieser Materie beschäftigt hat. A n dieser Stelle sei nebenbei bemerkt, daß die A r b e i t der Hilfsarbeiter von kaum zu überschätzendem Wert w a r und ist. Sie diente der V o r k o m m i s s i o n im Reichsjustizamt und der zweiten K o m m i s s i o n sowie den späteren parlamentarischen Beratungen als eine w i l l k o m m e n e Grundlage der Diskussion. I n b e m e r kenswert k o r r e k t e r und freimütiger Weise gibt die Zusammenstellung den I n halt der verarbeiteten Literatur wieder, selbst dort, w o das W e r k der ersten K o m m i s s i o n heftig angegriffen wurde. D a s erscheint zwar am M a ß s t a b wissenschaftlicher Redlichkeit gemessen selbstverständlich, verdient aber d e n n o c h hervorgehoben zu werden, da die Bearbeiter der Zusammenstellung selbst an der E n t s t e h u n g des E n t w u r f s beteiligt gewesen waren und daher die W a h r scheinlichkeit der Befangenheit bestand, die Schulte-Nölke angesprochen hat 4 5 . Bei der Auswertung der Zusammenstellung sind im R a h m e n dieser U n t e r s u chung keine echten Fehler aufgefallen, sieht man von wenigen gelegentlichen Unrichtigkeiten in den Belegen ab, die aber w o h l jedem W e r k dieser A r t zu eigen sein dürften 4 6 . E i n weiterer G r u n d dafür, daß die K o d i f i k a t i o n , die mit dem ersten E n t w u r f einen k o n k r e t faßbaren Inhalt b e k o m m e n hatte, als Zäsur aufzufassen ist, wird 43 Die Beobachtung hat schon Maas festgehalten: Bibliographie des Bürgerlichen Rechts (wie Fn. 42), Bd. 1, Berlin 1899, S. VI. Emphatisch, aber in der Sache ähnlich Frederic William Maitland, The Making of the German Civil Code, 1906, in: The Collected Papers of Fredric William Maitland, Bd. 3, Cambridge 1911, S. 474ff., hier S. 480, der die Entwicklung der juristischen Literatur in Deutschland seit 1888 so beschrieb: „A tornado broke loose. It rained, it poured books and pamphlets. At that time, I made a habit of looking through a weekly list of books published in Germany; and it struck me that no German could find anything else to write about except this embryonic code". Vgl. auch das ausführliche Referat über die Stellungnahme Maitlands bei Reinhard Zimmermann, Der moderne Mensch in einer Toga. Maitland und das B G B , in: ZEuP 5 (1997), S. 589-593, dort S. 591 das hier wiedergegebene Zitat. Paul Laband, Die Fortschritte des Rechts 1896-1905, in: DJZ 11 (1906), Sp. 1-9, hier Sp.3, verglich die Entwicklung der Literatur mit der „Plötzlichkeit und Heftigkeit eines Wolkenbruches".

Vgl. oben S. 19. Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn.20), S.334f. 46 Die reservierte Beurteilung durch Thomas Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. Baden-Baden 1997, S . X X X I Fn.46, erscheint mir daher nicht gut begründet. 44 45

II. Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

35

vor dem Hintergrund des jahrzehntelang seit Thibaut und Savigny geführten „Kodifikationsstreits" verständlich 47 , der dem Entwurf für die Fachwelt eine besondere Bedeutung verlieh. War es gelungen, das geltende bürgerliche Recht zu kodifizieren oder fehlte der Gegenwart immer noch der „Beruf" dazu? Wie setzte der Entwurf das Kodifikationsprogramm des Bundesrats um, das durch die Veröffentlichung von Henning Russow schon 1877 bekannt geworden war? 48 Konnte 1881 der damals noch in Göttingen lehrende Rudolf Leonhard in einem engagierten Aufsatz zur Erhaltung des Konventionalpfandes bemerken, man wende gewöhnlich „den gewaltigsten von allen sozialen Faktoren, unseren Privatrechtsnormen, also der Gestaltung unserer Besitzes-, Verkehrs- und Kreditverhältnisse, welche auf jeden Einzelnen fast täglich bestimmend einwirken", keine Beachtung zu 49 , so hatte das für die Zeit ab 1888 keine Gültigkeit mehr. Kaum eine Tages-, Wochen- oder Monatszeitung ließ die Gelegenheit aus, über den Entwurf zu berichten, zum Teil sogar mit sehr speziellem Inhalt. Solange dieses Presseecho des Entwurfs nicht aufgearbeitet ist, was allerdings dringend zu wünschen wäre, vermittelt immerhin die Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen einen Eindruck davon, wie sehr der Entwurf auch ein Anliegen der Öffentlichkeit geworden war. Der Charakter des Entwurfs als Zäsur in der Privatrechtsgeschichte des späten 19. Jahrhunderts war der Grund dafür, die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts von diesem Zeitpunkt ab zu verfolgen. Das hindert nicht, Kontinuitäten über diese Wendezeit von 1888 bis 1896 hinaus nach vorne wie nach hinten zu beobachten. Wir wollen im folgenden mit wenigen Andeutungen die Kontinuität beschreiben, in der die Debatte über die soziale Aufgabe des Privatrechts zwischen 1888 und 1896 stand, uns dabei aber nicht zu weit vom eigentlichen Thema entfernen.

2. a) Römisches

Kontinuitäten

Recht versus Deutsches

Recht vor 1888

Unlösbar verknüpft war die Diskussion über die soziale Frage mit dem Widerstreit römischen und deutschen oder germanischen Rechtsdenkens im 19. Jahrhundert. Die enge Verbindung beider Themenkreise ging schließlich in einer Verschmelzung beider zu einer festen Einheit auf. Wer nach 1888 von einer 47 Zusammenfassend dazu Joachim Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie 1802-1880, Berlin 1974, S. 191-198 sowie später Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn.24), S. 109-116. 48 Henning Rassow, Die Verhandlungen der Kommission zur Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetzbuchs für Deutschland, in: Gruchot's Beiträge 21 (1877), S. 167-244. 49 Rudolf Leonhard, Ueber die Gefahren einer Beseitigung der Verpfändung beweglicher Sachen durch bloßen Vertrag nebst einem Anhange über die beabsichtigte Beseitigung des constitutum possessorium, in: Gruchot's Beiträge 25 (1881), S. 177-221, hier S. 180.

36

Kapitel 2: Der

Hintergrund

römischen Rechtsregel sprach, meinte fast immer zugleich eine Regel, die einer individualrechtlichen Lösung verpflichtet war im Unterschied zum deutschen Recht, das meistens mit sozialem Recht identifiziert wurde. Darauf ist es wohl auch zurückzuführen, daß das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 von manchen Kritikern des Entwurfs als Vorbild gepriesen wurde 50 . In der historischen Rechtsschule war der Gegensatz von römischem und germanischem Rechtsdenken zunächst nicht vorhanden, wie Karl Kroeschell anhand der Eigentumslehre nachgewiesen hat 51 . Es ist auch ganz auffällig, daß gerade die typischen Rechtsinstitute des Kapitalismus nicht aus dem römischen Recht abgeleitet sind, wie Fritz Schulz betonte: „Gegenüber dem Liberalismus des römischen Privatrechts wird es nicht überflüssig sein, hervorzuheben, daß sämtliche charakteristischen Rechtsinstitute des modernen Kapitalismus nicht aus dem römischen Recht stammen: Rentenbrief, Inhaberpapier, Aktie, Wechsel, Handelsgesellschaft (in ihrer modernen, kapitalistischen Form), Hypothek (als Kapitalanlage), direkte Stellvertretung" 5 2 .

Die naturgemäß gemeinschaftsbezogene Volksgeistlehre wurde dementsprechend zunächst auch nicht mit dem deutschen Recht in Verbindung gebracht 53 . Von einem pflichtgebundenen germanischen Eigentum hat nach Kroeschell erst Carl Adolf Schmidt gesprochen 54 . Luig ist dieser Fährte gefolgt und hat unlängst die Einzelheiten weiter ausgeführt 55 . Den Germanisten von Karl Friedrich Eichhorn bis August Reyscher und sogar noch Georg Beseler wird eine „rechtsliberale" Haltung attestiert. Ein wirklicher Umschwung hin zu einem gemeinschaftsbezogenen, sozialen, pflichtengebundenen germanischen Recht soll erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgt sein, vorbereitet durch ver-

schiedene Werke von Eduard Henke, Jacob Grimm, Friedrich Ludwig Freiherr

von Bernhard u.a. 56 . Damit ist freilich nicht gesagt, daß es den Pflichtgedanken nicht schon sehr viel früher gegeben hat. Besonders ausgeprägt begegnet er in Einzelheiten unten S. 45. Karl Kroeschell, Zur Lehre vom „germanischen" Eigentumsbegriff, in: Rechtshistorische Studien. Hans Thieme zum 70. Geburtstag zugeeignet von seinen Schülern Bernhard Diestelkamp, Karl Kroeschell, Adolf Laufs, Wolfgang Leiser, Gerhard Schmidt, Clausdieter Schott und Jörg Winter, Köln-Wien 1977, S. 34-71. 52 Fritz Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, Berlin 1954 (unveränderter Nachdruck), S. 107 in Anlehnung an Max Weber, Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Aus den nachgelassenen Vorlesungen herausgegeben von S. Hellmann und M. Palyi, Berlin 1923, S.292. 53 Zur Volksgeistlehre vgl. Horst Heinrich Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, Paderborn usw. 1983, S . 2 5 45. 54 Kroeschell, Zur Lehre vom „germanischen" Eigentumsbegriff (wie Fn.51), S.54. 55 Klaus Luig, „Römische und germanische Rechtsanschauung, individualistische und soziale Ordnung", in: Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit. Ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, hrsg. von Joachim Rückert und Dietmar Willoweit, Tübingen 1995, S. 95-137. 56 Luig, Römische und germanische Rechtsanschauung (wie Fn. 55), S. 105-114. 50

51

II. Kontinuitäten d e r R e c h t s l e h r e v o n Samuel

von

und

37

Diskontinuitäten u n d Christian

Pufendorf

Wolff

s c h i e d e t w a z u m d e m s e h r a n t i r ö m i s c h d e n k e n d e n Christian

im Unter-

Thomasius,

der

m e h r die s u b j e k t i v e R e c h t s s t e l l u n g des E i n z e l n e n in d e n M i t t e l p u n k t seines P r i v a t r e c h t s g e r ü c k t h a t t e . V o r d e r M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s k o n n t e m a n b e i d e n G e r m a n i s t e n j e d e n f a l l s n i c h t d a v o n s p r e c h e n , die I n t e r p r e t a t i o n des d e u t s c h e n R e c h t s als ein s o z i a l e s R e c h t sei a l l g e m e i n a n e r k a n n t w o r d e n . K a u m w a r 1 8 5 2 d e r erste B a n d v o n Rudolf

von Jherings

„ G e i s t des r ö m i s c h e n

R e c h t s " e r s c h i e n e n , trat d e r R o s t o c k e r O b e r a p p e l l a t i o n s r a t Carl Adolf

Schmidt

1853 mit dem Titel „ D e r principielle Unterschied zwischen dem römischen u n d g e r m a n i s c h e n R e c h t e " an die Ö f f e n t l i c h k e i t . B e r e i t s b e k a n n t w a r die d o r t w i e d e r h o l t e T h e s e v o n d e r G e m e i n s c h a f t s b e z o g e n h e i t des g e r m a n i s c h e n R e c h t s u n d d e m I n d i v i d u a l i s m u s des r ö m i s c h e n . N e u w a r die G r ü n d u n g des g e r m a n i s c h e n R e c h t s a u f ein o b j e k t i v e s S i t t e n g e s e t z . „Die Rechtsgleichheit... besteht... darin, daß jeder das thun darf, was das Sittengesetz grade als besondere Pflicht ihm zu thun auflegt" 5 7 . In Rezensionen

s t i m m t e n Bruns,

G r u n d a u f f a s s u n g v o n Schmidt p r i e s Gustav

Lenz

Esmarch

u n d Heinrich

Dernburg

z u 5 8 . N o c h i m s e l b e n J a h r w i e Schmidts

der Buch

die Ü b e r l e g e n h e i t des l i b e r a l e n r ö m i s c h e n R e c h t s 5 9 . A n d e r s

liest s i c h die G e s c h i c h t e b e i Karl

David

August

Röder;

d e r die G l e i c h s e t z u n g

v o n g e r m a n i s c h u n d g e m e i n s c h a f t s b e z o g e n , s o z i a l w e i t e r v e r t i e f t 6 0 u n d sich d a bei p h i l o s o p h i s c h e r A r g u m e n t a t i o n e n bedient hat: „Was aber die ... mit Recht sogenannte soziale Frage betrifft, die sicherlich die wichtigste unsrer Zeit ist, so schien es mir unerläßlich, daß vor Allem von Seiten der Rechtsfilosofie die sich um solche Dinge früher so gut wie gar nicht bekümmert hatte - die wissenschaftliche Lösung derselben angebahnt werde, und zwar durch Darlegung jener ebenso einfachen als unleugbaren Rechtssätze, aus deren fast vollständiger Beiseitsetzung allein die neuzeitige Sklaverei des Proletariats und Pauperismus hervorgegangen ist" 6 1 . D i e L i s t e v o n G e r m a n i s t e n , die i m d e u t s c h e n R e c h t das s o z i a l e E l e m e n t b e t o n t e n , i m r ö m i s c h e n a b e r n u r d e n A u s d r u c k eines k a l t e n I n d i v i d u a l i s m u s sa57 Carl Adolf Schmidt, Der principielle Unterschied zwischen dem römischen und germanischen Rechte. Erster Band: Die Verschiedenheit der Grundbegriffe und des Privatrechts, Rostock und Schwerin 1853, S.170. Weitere Einzelheiten bei Luig, Römische und germanische Rechtsanschauung (wie Fn. 55), S. 114-122. 58 Luig, Römische und germanische Rechtsanschauung (wie Fn. 55), S. 122-126. - Zum gegenteiligen Ergebnis kam Friedrich von Hahn, Die materielle Uebereinstimmung der römischen und germanischen Rechtsprincipien, Jena 1856. 59 Gustav Lenz, Uber die geschichtliche Entstehung des Rechts. Eine Kritik der historischen Schule, Greifswald 1854, insbesondere S. 35. Das Vorwort datiert auf September 1853. 60 Luig, Römische und germanische Rechtsanschauung (wie Fn. 55), S. 126-130. 61 Karl David August Röder, Grundzüge des Naturrechts oder der Rechtsfilosofie, 2. Abtheilung, Besonderer Theil, 2. Auflage Leipzig und Heidelberg 1863, S. VIII. - Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 24), S. 389ff. sowie ders., Naturrecht und soziale Reform oder soziale Reform durch Naturrecht?, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität - Inhalt - Funktion - Wirkung, hrsg. von Diethelm Klippel, Goldbach 1997, S. 185-217.

38

Kapitel 2: Der

Hintergrund

hen, ließe sich n o c h verlängern. Luig schrieb, seit der J a h r h u n d e r t m i t t e hätten sich alle n a m h a f t e n Zivilrechtler an der D i s k u s s i o n beteiligt 6 2 . U b e r die Position dieser Zivilrechtler in der Diskussion besteht freilich nicht überall Einigkeit. So w e r d e n die Pandektistik und insbesondere Bernhard Windscheid mit einer rein formalistischen, an gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht interessierten und n u r die liberalen Positionen verteidigenden Rechtswissenschaft in V e r bindung gebracht 6 3 . Insbesondere die Forschungen v o n Ulrich Falk sprechen darüber jedoch anders. D o r t erscheint gerade Bernhard Windscheid als jemand, der nicht n u r die sozialpolitische Bedeutung des Privatrechts gesehen hat, sondern der auch k o n s e q u e n t eine schuldnerschützende Tendenz v e r f o l g t u n d ins o f e r n gerade das nicht getan hat, w a s man v o n einem formalistisch-liberalen Zivilrechtler e r w a r t e n w ü r d e 6 4 . Ein deutliches Beispiel ist die Voraussetzungslehre, die es d e m Richter entgegen allen F o r d e r u n g e n des Positivismus e r m ö g lichte, dem „natürlichen Rechtsgefühl" z u r W i r k s a m k e i t zu verhelfen 6 5 , ein anderes die A b l e h n u n g des gutgläubigen E r w e r b s 6 6 . N o c h w e n i g e r Einigkeit besteht aber über Jhering, v o n d e m Wieacker gesagt hat, er habe „als einer der ersten Juristen die gesellschaftliche D i m e n s i o n des Privatrechts erschlossen" 6 7 . V o n einigen w i r d seine Rechtslehre als liberal und individualistisch im angedeuteten Sinne verstanden 6 8 . Andererseits hat schon Luig, Römische und germanische Rechtsanschauung (wie Fn. 55), S. 135. Wieacker, Privatrechtsgeschichte (wie Fn. 35), S. 441; Walter Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, Frankfurt am Main 1958, S. 121-128; Klaus Luig, Pandektenwissenschaft, in: HRG III, Sp. 1422-1431, hier Sp. 1423\ Michael John, Politics and the LawinLate Nineteenth-Century Germany. The Origins of the Civil Code, Oxford 1989, S. 85; Richard Gamauf, Die Kritik am Römischen Recht im 19./20. Jahrhundert, in: Orbis Iuris Romani 2 (1996), S. 33-61, hier S.43f. Ludwig Raiser, Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860-1960, hrsg. von Ernst von Caemmerer, Ernst Friesenhahn und Richard Lange, Karlsruhe 1960, S. 101-134, hier S. 101 f., hat die „Treue zu System und Methode der deutschen Pandektistik im 19. Jahrhundert" dafür verantwortlich gemacht, daß die „Väter des BGB" die Rechtsinstitute nicht von der Funktion her begriffen hätten. Die Anknüpfung an das römische Recht habe zur Distanzierung von der sozialen Wirklichkeit geführt. „Mittelpunkt dieser Rechtswelt" sei das Individuum als Rechtsperson und Rechtssubjekt gewesen. 64 Ulrich Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, 2. unveränderte Aufl. Frankfurt am Main 1999. Dort S. 1-6 Nachweise zum überkommenen Windscheid-Bild. Eingehend auch Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung (wie Fn. 53), S. 101-119; außerdem: Werner Schubert, Windscheid und das Bereicherungsrecht des 1. Entwurfs des BGB, in: SZRom 92 (1975), S. 186-233, hier S.232f. 65 Bernhard Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung, Düsseldorf 1850, S. 119. Dazu speziell Ulrich Falk, Der wahre Jurist und der Jurist als solcher. Zum Gedenken an Bernhard Windscheid, in: R J 12 (1993), S. 598-633, hier S. 602-605 sowie schon früher ders., Ein Gelehrter wie Windscheid (wie Fn.64), S. 193-214. 66 Vgl. Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid (wie Fn.64), S.35. 67 Wieacker, Privatrechtsgeschichte (wie Fn.35), S. 453. 68 So Franz Wieacker, Rudolph von Jhering, in: SZRom 86 (1969), S. 1-36, hier S. 9; KarlKroeschell, Einleitung zu: Jherings Briefe an Windscheid (1870-1891), Göttingen 1988, S. 7-13, hier S. 10; Christian Helfer, Jherings Gesellschaftsanalyse im Urteil der heutigen Sozialwissenschaft, 62

63

II. Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

39

Helmut Schelsky, der freilich selbst Jbering als einen „der späten deutschen Klassiker des Liberalismus" bezeichnet hat, von einer „Wendung" Jherings gesprochen. Bei ihm soll es so gewesen sein, daß der Mensch sich selbst gesellschaftlichen Zielen unterwirft und so seine Individualinteressen fördert 69 . Der Frühliberalismus hatte dies umgekehrt gesehen: Durch die Verfolgung eigener Interessen dient man zugleich der Gesellschaft. Okko Behrends rechnet Jbering weniger dem liberalen als dem sozialen Lager zu 70 . Eine sozialpolitische Präferenz Jherings zugunsten einer Beschränkung des Individuums, der Beschützung der Schwachen, der Hebung der sozialen Bedingungen der unteren Klassen, wird gerade aus einem - von Wieacker so bezeichneten - „Altersgespräch" gefolgert, das Jhering mit seinem Sohn Hermann im November 1887 auf einem Spaziergang geführt haben soll 71 . Von der Beschränkung des Individuums zugunsten der Gemeinschaft, vom Schutz der Schwachen gegen die Starken, von gleichem Recht und gleicher Fürsorge für alle und von der „Hebung der sozialen Bedingungen der arbeitenden Klassen", von einer Reform auf „sozialistischem Gebiete" war in dem Gespräch nach dem Zeugnis von Hermann Jhering die Rede, ganz so als habe sich Jhering die oben erwähnten Thronreden Kaiser Wilhelms I. und damit das sozialpolitische Programm Bismarcks zu eigen machen wollen. All das wäre ein manchmal gewünschter Beweis für eine romanistisch-soziale Richtung im 19. Jahrhundert. Aber es bleiben Zweifel. Denn problematisch an diesem wichtigsten Beleg für eine „soziale" Haltung Jherings ist, daß keine Zeile von diesem Gespräch aus seiner Feder überliefert ist. Warum, so hat Luig gefragt, hat ein Mann, dessen Beruf es Zeit Lebens war, zu schreiben und zu publizieren, diese Gedanken nicht selbst einer Programmschrift anvertraut? 72 Das Problem wird noch dadurch verschärft, daß Jherings eigene Schrifin: Jherings Erbe. Göttinger Symposion zur 150. Wiederkehr des Geburtstags von Rudolph von Jhering, hrsg. von Franz Wieacker und Christian Wollschläger, Göttingen 1970, S. 79-88, hier S. 84; Erich Schanze, Culpa in contrahendo bei Jhering, in: Ius commune 7 (1978), S. 326-358. 69 Helmut Schelsky, Das Jhering-Modell des sozialen Wandels durch Recht. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 3 (1972), S. 47-86, hier S. 53, 55; Wolfgang Pleister, Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werke Jherings, Ebelsbach 1982, S.241ff., 313. 70 Okko Behrends, Rudolph von Jhering (1818-1892). Der Durchbruch zum Zweck des Rechts, in: Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, hrsg. von Fritz Loos, Göttingen 1987, S. 229-269, hier S. 263f.; schon Adolph Wagner, Grundlegung der politischen Oekonomie, Zweiter Theil, 3. Aufl. Leipzig 1894, S.12, hat unter Berufung auf den „Zweck im Recht" betont, für Jhering habe es keine subjektiven Rechte gegeben, die nur den Zwecken des Individuums zu dienen hätten, sondern nur solche mit Rücksicht auf die Gesellschaft. Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. III: Mitteleuropäischer Rechtskreis, Tübingen 1976, S. 101-282, hier S. 156f., bezeichnet Jhering sogar als sozialistischen Monarchisten. 71 Hermann von Jhering, Erinnerungen an Rudolf von Jhering, in: Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, hrsg. von Helene Ehrenberg, Leipzig 1913 (ND Aalen 1971), S. 445-472, hier S. 453—457. Das Gespräch ist auch abgedruckt bei: Fikentscher, Methoden (wie Fn. 70), S. 159-161. 72 Klaus Luig, Jherings Evolutionstheorie des Werdens des Rechts durch Tun und der gesell-

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Kapitel 2: Der

Hintergrund

ten eine andere als die soziale Sprache zu verkünden scheinen. Luig hat das anhand eines Beispiels aus dem „Geist des römischen Rechts" demonstriert, wo sich Jhering für ein Eigentum ausspricht, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist73. Im Anschluß daran hat Jhering die Landnahme in Amerika damit gerechtfertigt, die Erde gehöre der Hand, die sie bebaue. Vom Standpunkt der Weltgeschichte sei den Indianern kein Unrecht widerfahren. Wer den Acker bebaue, so die Erklärung bei Luig, habe das bessere Recht aufgrund des Vorrangs der Gemeinschaft. Darin sei aber keineswegs ein Bekenntnis zum Sozialismus zu sehen, sondern vielmehr die Tradition des pflichtgebundenen Naturrechts aristotelisch-thomistischer Provenienz 74 . Luig nimmt daher eine dritte Einordnung Jberings vor. Als vorherrschende Frage sieht er nicht die soziale - wie später bei Gierke - an, sondern er bezeichnet als Jberings entscheidendes Anliegen die Sittlichkeit des Rechts, die Idee der Gerechtigkeit. So ließen sich dann die widersprüchlichen Stellungnahmen Jberings begreifen. Mal gebietet in den Augen Jberings die Sittlichkeit zugleich den Schutz des Schwachen, mal wirkt sie sich aber auch zugunsten eines Reichen aus75. Und Luig resümierte: „Das alles ist für Jhering kein Problem des vierten Standes und der sozialen Frage, sondern ein Anliegen der Verwirklichung materialer Sittlichkeit im Recht ,.." 7 6

Ob sich damit sämtliche Privatrechtslehren Jberings widerspruchsfrei erklären lassen, bliebe zu überprüfen. Immerhin steht neben dem „Umschwung" Jberings zu einem Befürworter der Monarchie und eines starken Staates, von dem Jhering in einem Brief an Bismarck vom 15. September 1888 sprach 77 , seine geradezu „manchesterliche" Auffassung von der unbedingten Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte, die in der folgenden Bemerkung gipfelte: „Es ist das Zeichen einer schwachen Zeit, mit dem Schuldner zu sympathisieren. Sie selber nennt das Humanität. Eine kräftige Zeit sorgt vor allem dafür, dass der Gläubiger zu seinem Recht komme, selbst wenn der Schuldner darüber zu Grunde geht" 7 8 .

schaftliche Charakter des Privatrechts, in: Privatrecht heute und Jherings evolutionäres Rechtsdenken, hrsg. von Okko Behrends, Köln 1993, S. 161-183, hier S. 175; den., Rudolf von Jhering und die historische Rechtsschule, in: Jherings Rechtsdenken. Theorie und Pragmatik im Dienste evolutionärer Rechtsethik, hrsg. von Okko Behrends, Göttingen 1996, S. 255-268, hier S. 263. 73 Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. 1,2. Aufl. Leipzig 1866, S. 7; zu dieser Stelle: Walter Wilhelm, Private Freiheit und gesellschaftliche Grenzen des Eigentums in der Theorie der Pandektenwissenschaft, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 4, hrsg. von Helmut Coing und Walter Wilhelm, Frankfurt am Main 1979, S. 19-39, hier S.30f. mit Hinweis auf die Ausführungen Jherings in seinem „Zweck im Recht". 74 Luig, Jherings Evolutionstheorie (wie Fn. 72), S. 176. 75 Luig, Jherings Evolutionstheorie (wie Fn.72), S.179-183. 76 Luig, Jherings Evolutionstheorie (wie Fn. 72), S. 183. 77 Brief vom 15. September 1888, in: Rudolf von Jhering in Briefen an seine Freunde, hrsg. von Heinrich Ehrenberg, Leipzig 1913, S. 442f. 78 Rudolf von Jhering, Der Kampf um's Recht, 2. (unveränderte) Aufl. Wien 1872, S. 88.

II. Kontinuitäten

und

41

Diskontinuitäten

Die in so merkwürdigem Gegensatz befindlichen Stellen in Jherings Werk hat jüngst Falk anschaulich zusammengestellt79. Sie sprechen eigentlich für sich. Die Rigorosität der Forderung rücksichtsloser Durchsetzung der Gläubigerrechte erinnert allenfalls an die drastischen Konsequenzen, die das Zwölftafelgesetz (III, 6) dem Schuldner androhte, wenn er in der Zwangsvollstreckung die Leistung schuldig blieb. Shakespeares „Kaufmann von Venedig" zeigt, wie zweifelhaft die Gerechtigkeit solcher subjektiver Rechte ist - oder mit den Worten von Julius Ofner: „auch Shylock hatte seinen Schein"80. Daß aber Jhering etwas von seinem „Bekenntnis" im „Kampf um's Recht", dem das obige Zitat entnommen ist, öffentlich zurückgenommen hätte, ist nicht zu sehen. Was unabhängig davon aber bleibt, ist das Verdienst Jherings, den Blick der Juristen für die gesellschaftliche Dimension des Privatrechts geschärft zu haben, von dem bei Wieacker die Rede war 81 . Hierin wird man wohl die wichtigste Wirkung Jherings für die spätere Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts sehen dürfen. b) Römisch

versus

deutsch

als C h i f f r e in der Diskussion

seit 1888

Der vor allem in der Germanistik seit der Jahrhundertmitte ausgebildete Gegensatz von römischem und deutschem Recht im Sinne eines Gegensatzes von liberalem und sozialem Rechtsdenken fand in der Kritik zum ersten Entwurf geradezu inflationäre Verwendung. Einleitend sprachen wir schon davon, daß Sohrn in der These, der Entwurf enthalte vorwiegend römisches Recht, einen Hauptvorwurf der Kritik gesehen hat. Und auch in den Verhandlungen des Reichstages über das Gesetzbuch kehrt nun vorwiegend in apolegetischem Zusammenhang diese Auffassung wieder. Die knappste Zusammenfassung dieser Kritik findet sich in dem ebenfalls vielfach verwendeten, vermutlich auf Gierke zurückgehenden Bild vom Entwurf als einem „in Gesetzesparagraphen gegossenen Pandektenkompendium" 82 . Es wäre ein gleichermaßen mühsames wie 79 Ulrich Falk, Von Dienern des Staates und von anderen Richtern. Zum Selbstverständnis der deutschen Richterschaft im 19. Jahrhundert, in: Europäische und amerikanische Richterbilder, hrsg. von André Gouron, Laurent Mayali, Antonio Padoa Schioppa und Dieter Simon, Frankfurt am Main 1996, S. 251-292, hier S. 271-279. 80 Julius Ofner; Studien sozialer Jurisprudenz, Wien 1894, S. 61. 81 Vgl. oben bei Fn. 67. 82 Gierke, Entwurf, S.2; dem Sinn nach ebenda, S.3 („Kodifikation des usus modernus pandectarum"), S. 9 („ein zusammenhangloser Haufe [sie!] zeitgemäßer Modifikationen des wahren, ewigen, weltumspannenden römisches Rechtes"); ähnlich ders., Personengemeinschaften und Vermögensinbegriffe in dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S.2. Zuerst begegnet das Bild bei Otto Gierke, [Gutachten] „An welche rechtlichen Voraussetzungen kann die freie Corporationsbildung geknüpft werden?", in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd.2, Berlin und Leipzig 1888, S.259-311, hier S.260, wo er den Entwurf als „ein in Paragraphen gebrachtes Pandectencompendium" bezeichnet hat. Wiederholt in: ders., [Referat und Diskussion zur Frage:] „An welche rechtliche Voraussetzungen kann die freie Corporationsbildung geknüpft werden?", in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd.3, Sitzungsberichte, Berlin und Leipzig 1888, S.221 sowie einschränkend in: ders., Deut-

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Kapitel 2: Der

Hintergrund

nutzloses Unternehmen, alle Nachweise für den Gebrauch der Gegenüberstellung römischen und deutschen Rechts zusammenzustellen, liefe das doch ungefähr auf die Wiederholung der bereits erwähnten Bibliographie von Georg Maas hinaus83. Wir werden im Laufe unserer Untersuchung vielfache Bestätigung dafür finden, daß die Gleichungen: römisch = individualistisch, liberal, und: germanisch = sozial geradezu ein Gemeinplatz der Diskussion waren. Man muß bei der Lektüre der Kritik an den Entwürfen des Bürgerlichen Gesetzbuchs daher stets bei der Verwendung der Ausdrücke „römisch" und „deutsch" die Begriffe „liberal-individualistisch" und „sozial" mitdenken. „Römisch" und „deutsch" waren also, wie Rainer Schröder herausgearbeitet hat, letztlich nichts anderes als Chiffren 84 . Ihre Verwendung hatte einen handfesten politischen Grund, da der Appell an das Nationalgefühl am Ende des 19. sehe Privatrecht, Bd. 1, Leipzig 1895, S.25 („fast nur ein in Paragraphen gegossenes Pandektenkompendium"). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien einige weitere Belege aus der zeitgenössischen Literatur angeführt: B. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Allgemeiner Theil), Köln 1888, S. 53, hat bezogen auf den Titel „Bedingung und Befristung" im Allgemeinen Teil gemeint, er lese sich „fast wie ein Capitel aus einem Pandekten-Lehrbuch". Fritz Meyer, Die Lehre von den Zeitbestimmungen, Bedingungen und Befristungen und der Anspruchsverjährung nach dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (§§ 128-185), in: Gutachten aus dem Anwaltsstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 933-954, hier S. 945, meinte, gerade der Titel über die Verjährung sei „nur ein in Paragraphen gefaßter Abschnitt aus Windscheids Pandekten". Gustav Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch, in: Morgenblatt der Münchener Allgemeinen Zeitung vom 4. Januar 1891, abgedruckt als Anhang 1 in: ders., Wort und That. Ein Nothruf für deutsches Recht, Leipzig 1892, S. 93-109, hier S. 104, meinte, der Entwurf biete das „alte Pandektenrecht in heutiger Anwendung, verziert oder auch verunstaltet durch einzelne partikularrechtliche Gebilde, z.B. das skandalöse, einer Nation von Hausknechten würdige ,Fundrecht'." Große Teile des Entwurfs seien nichts anderes als der in Paragraphen umgeformte Inhalt des Windscheid'schen Pandektenlehrbuchs. Ahnlich Heinrich Dernburg, [Rede vom 29. März 1895], in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses, Session 1895, Erster Band, Berlin 1895, S.112-115, hier S. 113: „Die hauptsächliche Grundlage der Gesetzgebung, was war sie? Windscheid und eine Art gesunder Vernunft, kein Hintergrund einer bestehenden, gewachsenen, historischen, legislativen Anschauung." Auch im Ausland war diese Einschätzung nicht fremd, vgl. Antonio Mantello, „II piü perfetto codice civile moderno". A proposito di BGB, diritto romano e questione sociale in Italia, in: Studia et Documenta Historiae et Iuris 62 (1996), S. 357-399, hier S. 357f. 83 Vgl. oben S. 33 Fn.42. 84 Schröder, Abschaffung oder Reform (wie Fn. 24), S. 48; so auch John, Politics (wie Fn. 63), S. 121; Christian-Matthias Pfennig, Die Kritik Otto von Gierkes am ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, Göttingen 1997, S. 183. Ubersieht man die Chiffrenfunktion, wie beispielsweise Klaus Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Stellung der Frau, Berlin 1990, S. 110-113, so mißversteht man leicht die Anliegen der Anhänger „deutschen" Rechts als ein geschichtliches und nationales Desiderat. Lange vor Schröder hatte bereits Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 1. Aufl. Göttingen 1952, S.280, die Chiffrenfunktion des „Deutsch" bei Gierke umschrieben, indem er sagte: „Im zeitgemäßen Gewand des Rechtshistorikers und des Patrioten sprach hier der Sozialpolitiker ..."

II. Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

43

Jahrhunderts auf allerbreiteste Akzeptanz stoßen mußte85. Wer hingegen für ein der Nation fremdes Recht, das heißt für römisches Recht, eintrat, geriet sofort in eine Verteidigungsposition, und zwar in doppelter Hinsicht. Einerseits mußte er, wie Schröder bemerkt hat, mindestens rechtfertigen, warum er für eine unsoziale Regelung war86. Angesichts eines sozialen Problemen aufgeschlossen gegenüberstehenden politischen Klimas in den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts war schon dies eine hohe Hemmschwelle. Allerdings mag dies durch die im bürgerlichen Lager herrschende Abneigung gegen den Sozialismus neutralisiert worden sein. Andererseits mußten sich die Befürworter römischer Lösungen gegen den latenten Vorwurf antinationaler Gesinnung verteidigen, was vorzugsweise durch den Hinweis darauf geschah, das römische Recht sei im Wege der Rezeption längst zum „im Volke bereits lebenden Rechtsgedanken" geworden87. c) Römisch

versus deutsch - historisch

verstanden

Keine Regel besteht ohne Ausnahme. So begegnet die Verwendung der Begriffe „römisch" und „deutsch" zwar regelmäßig in der Bedeutung von individualistisch beziehungsweise sozial. Gerade die Berufung auf deutsches Recht, die nicht selten mit historischen Betrachtungen vermischt war, mag den Blick auf dieses Phänomen zunächst etwas verschleiern. Von wenigen Ausnahmen abgesehen kann man aber grundsätzlich davon ausgehen, daß Autoren, die in der von uns behandelten Diskussion vom deutschen Recht sprachen, weniger an die mittelalterliche, vom römischen Recht (anscheinend88) noch unbeeinflußte Rechtsordnung dachten, als an eine „soziale" Rechtsordnung, was immer 85 Auf die politische Funktion der Chiffren hat schon Hans Werner Mündt, Sozialpolitische Wertungen als methodischer Ansatz in Gierkes privatrechtlichen Schriften, Diss. jur., Frankfurt am Main 1976, S. 130, aufmerksam gemacht. Eingehend dann Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn.24), S. 37-51. - Um einen Eindruck vom nationalen Pathos zu bekommen, mit dem das Projekt eines bürgerlichen Gesetzbuches von Anfang verbunden war, vgl. eine der wenigen Programmschriften aus der Anfangszeit der Arbeit der ersten Kommission: Moritz August von Bethmann-Hollweg, Uber Gesetzgebung und Rechtswissenschaft als Aufgabe unserer Zeit, Bonn 1876, S. 1 ff., zu der Arbeit von Bethmann-Hollweg vgl. Landau, Zwei Programmschriften (wie Fn. 85).

Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn.24), S.41. Vgl. nur Planck, Zur Kritik, S.331. Ausführlichere Darstellung der Argumentation bei Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn.24), S.41-46. 88 Über die Einflüsse römischen Rechts auf das germanische Recht vor der Rezeptionszeit ist noch wenig bekannt. Immerhin gibt es aber Anhaltspunkte dafür, daß bereits vor der eigentlichen Rezeption schon römisches Recht, vermutlich vermittelt durch die Kirche, in das deutsche Recht Eingang gefunden hatte. Vgl. beispielsweise Rolf Köhn, Wahrnehmung und Bezeichnung von Leibeigenschaft in Mittel- und Westeuropa vor dem 14. Jahrhundert, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, hrsg. von Jürgen Miethke und Klaus Schreiner, Sigmaringen 1994, S.301-334, wo ausgeführt wird, daß in deutschen Urkunden aus dem 10. Jahrhundert bereits römisch-rechtliche Eigentumsbegrifflichkeit auftaucht. 86

87

44

Kapitel 2: Der

Hintergrund

im einzelnen darunter zu verstehen war. Ausnahmsweise aber wurden die Begriffe „römisch" und „deutsch" beziehungsweise „germanisch" auch historisch 89 verstanden. So meinte der Reichsgerichtsrat Paul Stolterfoth im Anschluß an Leopold von Ranke, das römische Recht sei wie ein Baum mit tiefen Wurzeln, der die ganze Welt überschatte 90 . Allerdings sei es verfehlt, unmittelbar auf das römische Recht zurückgreifen zu wollen, um heutige Rechtsfragen zu lösen. Dieser Fehler sei aber nach dem Entwurf ausgeschlossen91. Das historische Begriffsverständnis begegnet auch in einer monographischen Untersuchung des Berliner Amtsgerichtsrats C. Wilmanns über das römische Recht und die soziale Frage, dessen Geschichtsphilosophie von einem Widerstreit zwischen einem egoistischen römischen und einem christlich-germanischen Rechtsdenken ausging. Letzteres war nach seiner Vorstellung eine harmonische Verbindung „der Individualität mit dem Streben, die ,der ganzen Menschheit' gemeinsamen Lebensaufgaben zu erfüllen" 92 . Ludwig Fuld bescheinigte dem ersten Entwurf einen „wahrhaft deutschen Charakter" und meinte, die Aufnahme germanischer Rechtsgedanken zu erkennen, was er tatsächlich im Sinne einer Anknüpfung an die deutschrechtliche Tradition auffaßte93. Das ergibt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, daß er an anderer Stelle mehrfach soziale Defizite des Entwurfs beklagt hat, wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird 94 . Ein Beispiel für die unmittelbare, historische Anknüpfung gibt Fuld im Zusammenhang mit der Befürwortung einer Regelung der Reallasten im Gesetzbuch, die auf einem „gesunden", mittelalterlichen „Kerngedanken" beruhen soll95. Die historische Interpretation steht jedoch der politischen nicht zwingend entgegen. Man kann daher davon sprechen, daß ausnahmsweise die Chiffre auch in dem Sinne gemeint war, daß über das wirkliche römische beziehungsweise deutsche Recht gesprochen werden sollte. Grundsätzlich aber liegt man richtig, wenn man die politische Bedeutung der beiden Begriffe „römisch" und „deutsch" beziehungsweise „germanisch" annimmt.

89 Zu den Begriffen „deutsch" und „germanisch" als termini technici der Rechtsgeschichte vgl. Wolfgang Fliess, Die Begriffe Germanisches Recht und Deutsches Recht bei den Rechtshistorikern des 19. und 20. Jahrhunderts, Diss. jur., Freiburg 1968. 90 Paul Stolterfoth, Beiträge zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Leipzig 1890, S. 39. 91 Stolterfoth, Beiträge (wie Fn.90), S.40. 92 C. Wilmanns, Die Reception des römischen Rechts und die sociale Frage der Gegenwart, Berlin und Leipzig 1896, S.68. 93 Ludwig Fuld, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart 1888, S. 171-177, hier S. 172, 176. 94 Vgl. vor allem zu Fulds programmatischem Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts unten Kapitel 3, S. 103. 95 Ludwig Fuld, Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches und die Landwirtschaft; Teil II: Die Bestimmungen des Entwurfes über Reallasten und Grunddienstbarkeiten, in: Zeitschrift für Agrarpolitik 2 (Heft 4/5) (1889), S. 139-165, hier S. 141.

II. Kontinuitäten

d) Das Allgemeine

und

Diskontinuitäten

Landrecht für die preußischen

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Staaten als Vorbild

In einen engen Zusammenhang mit der Verwendung der Chiffren „römisch" und „deutsch" gehört ein anderes Phänomen in der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts zwischen 1888 und 1896: Immer wieder stößt man auf Hinweise, die das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten als Vorbild für das Gesetzbuch bezeichnen, sozusagen M a ß an dem Landrecht nehmen. Die unausgesprochene Prämisse war, daß dieses Gesetzbuch es in soviel besserer Weise als der Entwurf verstanden habe, den sozialen Anliegen seiner Zeit gerecht zu werden. Es habe, so meinte man, seine soziale Aufgabe erfüllt und könne daher als Vorbild dienen. Rasch vereinnahmte man es dann als ein „deutsches" Gesetzbuch, ohne nach römischrechtlichen Inhalten zu fragen. Dabei vermischten sich nicht selten die Chiffren mit der Anpreisung des A L R . Ein Beispiel bietet die Äußerung des Oberlandesgerichtsrats Meisner aus Posen in seiner vergleichenden Studie zum A L R und dem ersten Entwurf. E r beklagte, daß das preußische Recht im Entwurf nicht die ihm gebührende Beachtung gefunden habe. „Der Entwurf hat vielmehr das Römische Recht in seiner jetzigen gemeinrechtlichen Auffassung zur Grundlage genommen und sich dabei namentlich die schärfere Ausbildung der juristisch-formalen Konsequenz angelegen sein lassen. Wie ganz anders ist der Geist, der im Preußischen Landrecht waltet! Uberall leuchtet in demselben in schöner Weise das Bestreben hervor, das materielle Recht, die Billigkeit zu wahren und zur Geltung zu bringen; überall wird - unter Abweisung juristisch-formaler, engherziger Anschauung - jene hohe Auffassung von der Gerechtigkeit bethätigt, welcher Kant in den Worten Ausdruck giebt: „Wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben"; überall tritt Wohlwollen und Fürsorge für das Gemeinwohl hervor" 9 6 .

D e m engherzigen, formal-juristischen Charakter des römischen Rechts stellte der Verfasser dieser Zeilen das „lichterfüllte, schöne Gesicht" des A L R entgegen. Hier formale Konsequenz, dort hohe Auffassung von der Gerechtigkeit. Hier Engherzigkeit, dort Wohlwollen und Fürsorge für das Gemeinwohl 9 7 . Einige weitere Fälle, in denen das A L R als Vorbild für den Entwurf gewürdigt wurde, seien im folgenden angesprochen: So stimmte etwa Eduard Löning der Kritik Mengers am Recht der unehelichen Kinder im Entwurf zu, obwohl er die Mengersche Kritik in ihrer Grundauffassung verwarf, wie an anderer Stelle zu zeigen sein wird. Es gehe, so meinte Löning, nicht um eine soziale Interessenfrage, sondern um eine Gerechtigkeitsfrage, „die unseres Erachtens von dem 96 J. Meisner, Das Preußische Allgemeine Landrecht und der Entwurf eines Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Vergleichende Kritische Bemerkungen, Berlin 1890, S.IIIf.; ähnlich ders., Kritische Bemerkungen zur Schlußrevision des Entwurfs des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, Breslau 1896, S. IV sowie passim, wo der Entwurf am sozialen Gehalt des A L R gemessen wird. 97 Ähnlich der Gedanke von Anton Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S. 9; konkretes Beispiel: Nichtehelichenrecht im A L R , vgl. Menger, S. 49ff.

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Kapitel 2: Der

Hintergrund

preussischen allgemeinen Landrecht von 1794 weit richtiger gelöst worden ist als von dem Entwurf" 98 . Richard Schröder empfahl für die Ausgestaltung der Verwaltungsgemeinschaft das ALR zur Richtschnur zu nehmen". Ludwig Fuld begrüßte, daß der Entwurf wie das ALR die elterliche Gewalt nicht aus der patria potestas abgeleitet habe, sondern aus der sozialen Pflicht zum Schutz der Schwächeren, so daß die elterliche Gewalt im Entwurf den Charakter der Vormundschaft habe 100 . Gierke hielt die Vorschriften über das Körperschaftsrecht im ALR II 6 §§ 81 f. für vorbildlich gelungen. Die juristische Person sollte seiner Meinung nach nicht auf die Vermögensrechtsfähigkeit reduziert werden, sondern als eine „moralische Person", die einen eigenen Gemeinwillen hat, begriffen werden 101 . Ganz deutlich als Vorbild stellte er das Familienrecht des A L R hin 102 . Schilling rühmte in seinen Aphorismen zum Allgemeinen Teil des Entwurfs das ALR, weil es ausführlich den ganzen Kosmos des Rechts zu erfassen versucht und sich dabei um Verständlichkeit bemüht habe. Auch habe es die unselige Trennung von öffentlichem und privatem Recht nicht mitvollzogen, sondern das Privatrecht vor ungebührlichen Einschränkungen durch das öffentliche Recht geschützt. Das Landrecht nehme Rücksicht auf das natürliche Recht und die hergebrachten Grundsätze 103 . Paul Oertmann pries noch während der Reichstagsverhandlungen das Landrecht als ein im Unterschied zum B G B seiner Zeit vorangehendes Gesetzbuch 104 . Diese Position hatte Heinrich Dernhurg schon lange vor dem ersten Entwurf vertreten. Er hatte sogar gefordert, das A L R regelrecht zur Grundlage des neuen Rechts zu machen 105 , da er sich davon die Lösung der sozialen Probleme der Gegenwart versprach. Das Landrecht hatte in 98 Edgar Loening, Kritik von: Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen 1890, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Neue Folge 21 (1890), S. 392-401, hier S. 398. 99 Richard Schröder, Gutachten über die Frage: Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwürfe des B.G.Bs, einer grundsätzlichen Abänderung und in welcher Richtung?, in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1890, S. 167-171, hier: S. 171. 100 Ludwig Fuld, Die elterliche Gewalt und das bürgerliche Gesetzbuch, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890 [erschienen seit 1888], S.419^145, hier insbesondere S.421. 101 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 82), S.9. 102 Otto Gierke, Das deutsche Haus und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, in: Jahresbericht der Berliner Juristischen Gesellschaft 32 (1890/91), S. 23-38, hier S.29. 103 Schilling, Aphorismen (wie Fn.82), S. 5-10. 104 Paul Oertmann, Das bürgerliche Gesetzbuch im Deutschen Reichstag, in: Archiv für bürgerliches Recht 11 (1896), S . l - 2 5 , hier S. 11. 105 Heinrich Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, Bd. 1,1. Aufl. Halle 1875, S. V (im Vorwort zur 1. Abteilung des 1. Bandes von 1870, am Ende): „Das preußische Recht ist in Folge einer nunmehr fast hundertjährigen angestrengten Thätigkeit... zu der bedeutendsten civilistischen Schöpfung des deutschen Volksgeistes herangewachsen und, wie es für die Gegenwart von Wichtigkeit ist, so liegen auch in ihm die nothwendigen Ausgangspunkte der künftigen Entwicklung des deutschen Rechts." Dernburg wiederholte seine Auffassung 1895 im Preußischen Herrenhaus: Dernburg, [Rede vom 29. März 1895, wie Fn. 82], S. 113.

II. Kontinuitäten und

Diskontinuitäten

47

seinen Augen ein „warmes Gefühl für das Menschenwohl" 106 . Ähnlich sah es auch Adolf Lobe, der gemeint hatte, der Gesetzgeber müsse seiner Zeit voraus sein. Dem Landrecht sei es gelungen, die sozialen Entwicklungen vorwegzunehmen 107 . Auch sonst wird von verschiedenen Autoren das ALR in Einzelfragen als Vorbild gerühmt, zum Beispiel von Gustav Pfizer, der die nachbarrechtlichen Vorschriften insbesondere zum Uberbau als „sehr verständig" pries 108 . Karl Dickel hielt das ALR für musterhaft, da es, wie er sagte, die nationalen Rechtsideen und das praktische Bedürfnis verbunden habe, ohne die Wissenschaft zu verschmähen. Hätte sich der Entwurf vom Geist des ALR inspirieren lassen, so wäre ihm nach der Ansicht Dickels nicht der Vorwurf des Mangels an Volkstümlichkeit und des Fehlens der Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse gemacht worden 109 . Otto Bähr rühmte das Landrecht wegen seines Sinnes für die materielle Gerechtigkeit 110 , der dem „manchesterischen" Entwurf fehle, der den Gedanken eines Schutzes des Schwächeren zu wenig beachte. Die bisherigen Schranken und Schutzvorschriften seien fast vollständig abgebaut worden 111 . Er vermißte die alte laesio enormis, eine Begrenzung des Interesses entsprechend C. 7.47.1, das beneficium competentiae, also die Einschränkung der Zwangsvollstreckung, den Pachtzinsnachlaß im Falle einer Mißernte. Als übertrieben sah er an, daß der Gläubiger Zinsen auch über den Betrag des Kapitals hinaus beanspruchen dürfe, daß künftige Schäden ersatzfähig seien, daß neben Verzugszinsen Schadensersatz gefordert werden dürfe, daß der Vermieter so leicht eine fristlose Kündigung aussprechen könne und einige Dinge mehr 112 . 106 Heinrich Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, Bd. 1,5. Aufl. Halle 1894, S. 10. Weitere Einzelheiten bei Werner Süß, Heinrich Dernburg. Ein Spätpandektist im Kaiserreich. Leben und Werk, Ebelsbach 1991, S. 49f.; ebenda S. 151 f. zur Enttäuschung Dernburgs darüber, daß die Kommission das A L R nicht zur Grundlage des Entwurfs gemacht hat; Klaus Luig, Heinrich Dernburg (1892-1907). Ein „Fürst" der Spät pandektistik und des preußischen Privatrechts, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz, Michael Stolleis, München 1993, S. 231247, hier S.238f. 107 Adolf Lobe, Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? Ein Wort an den Reichstag, Leipzig 1896, S.20. 108 Gustav Pfizer, Wort und That. Ein Nothruf für Deutsches Recht, Leipzig 1892, S. 19 Fn. 6. 109 Karl Dickel, Ueber das neue bürgerliche Gesetzbuch für Montenegro und die Bedeutung seiner Grundsätze für die Kodifikation im allgemeinen, mit Bemerkungen über den neuen Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, Marburg 1889, S.20f. 110 Otto Bähr, Zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, München 1888, S. 179. Ahnlich auch Paul Hinschius, Svarez, der Schöpfer des preussischen Landrechts und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, Berlin 1889, S.14f. 111 Otto Bähr, Gegenentwurf zu dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Kassel 1892, S.VI. 112 Bähr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 110), S. 180f. - Ahnlich auch die Position von Heinrich Brunner in einem Brief an den preußischen Kultusbeamten Friedrich Althoff vom 21. September 1888 [vgl. den Nachweis bei John, Politics (wie Fn. 63), S. 108 Fn. 14].

48

Kapitel 2: Der

Hintergrund

Vergleichsweise selten findet man die gegenteilige Position in der Literatur. Doch auch dafür wollen wir Beispiele zur Illustration anführen: Eine reservierte Haltung gegenüber dem Landrecht nahm Ernst Landsberg in seiner Analyse der „sozialen Bestimmungen" im zweiten Entwurf ein. Er wies darauf hin, daß regelmäßig das ALR für solche Bestimmungen Pate gestanden habe, die man als sozial bezeichne. Allerdings komme darin eine wenig glückliche Bevormundung des Einzelnen zum Ausdruck: „bürokratisch unterstütztes Gottesgnadenthum und Sozialdemokratie" 113 . Ahnliche Überlegungen hatten schon in den zwanziger Jahren zur Erhaltung des französischen Rechts im Rheinland geführt. Vordergründig war es dort um einheimisches oder fremdes Recht gegangen, tatsächlich aber um das zu einer bürgerlichen Gesellschaft passende Zivilrecht. Industrie und Handel hatten unter dem französischen Recht einen Aufschwung erfahren, den man zu verlieren fürchtete, wenn das ALR wieder eingeführt würde. Es ging also, wie Wilhelm einmal formulierte, um „die soziale Zukunft des Rechts"114. Der württembergische Staatsanwalt Oscar Cleß hielt nach dem Erscheinen des ersten Entwurfs vor den kaufmännischen Vereinen in Stuttgart und Reutlingen Vorträge über das geplante Gesetz. Für ihn war weder das deutsche, noch das römische Recht - historisch verstanden - ein Vorbild, sondern sein Motto lautete in Anlehnung an Jhering115: „durch das römische Recht über dasselbe hinaus". Das römische Recht müsse, so sagte er, zu einem wahrhaft deutschen gemacht werden116. Auch das preußische Landrecht habe das römische Recht zur Grundlage, wenngleich manches mißverstanden sei. Hierfür sei der Spott des Mephistopheles angebracht, Gesetze und Rechte erbten sich wie eine Krankheit fort117. Der Entwurf hingegen entspreche, so Cleß, „im Allgemeinen der tatsächlichen Rechtsentwicklung in Deutschland, dem im Volke herrschenden Rechtsbewußtsein und den Anforderungen der Gegenwart", wurde also nach seiner Meinung der Aufgabe des Gesetzes gerecht, die nicht unbeeinflußt war von der Volksgeistlehre Savignys. Maßgeblich solle sein, ob das Gesetz „vernünftig" sei, nicht wo es seinen Ursprung habe118.

113 Ernst Landsberg, Soziale Bestimmungen im bürgerlichen Gesetzbuch, in: Die Nation 12 (1894/95), S. 131-133. 114 Walter Wilhelm, Bemerkungen zur Rezeption ausländischen Rechts, in: Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 1974, S. 106-123, hier S. 123. 115 Vgl. Rudolf von Jhering, Unsere Aufgabe, in: JherJb 1 (1857), S. 1-52, hier S.52. 116 Oscar Cleß, Staat und Familie im Lichte des künftigen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches. Gemeinverständlich dargestellt und vorgetragen in den kaufmännischen Vereinen zu Stuttgart und Reutlingen, Stuttgart 1890, S. 9. 117 Cleß, Staat und Familie (wie Fn. 116), S. 9. - Der Spruch erfreute sich damals in der juristischen Literatur großer Beliebtheit. Vgl. z.B. Theodor Ludwig Thomsen, Gutachten zu der Frage: Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1889, S. 152-206, hier S.152. Vgl. auch die Nachweise unten S. 425. 118 Cleß, Staat und Familie (wie Fn. 116), S. 13.

II. Kontinuitäten und

e) Kontinuität und Diskontinuität. Zusammenhänge

49

Diskontinuitäten

Der Erkenntnisgewinn

der

T r o t z aller Kontinuität, die man beim Streit über römisches und germanisches R e c h t sowie über die soziale Aufgabe des Privatrechts als T h e m a der Privatrechtswissenschaft über den Zeitpunkt der Veröffentlichung des E n t w u r f s hinaus feststellen kann, so k o m m t dieser Kontinuität für das Verständnis der D e batte selbst letztlich nur geringes G e w i c h t zu, da sich die A u t o r e n nach 1888 selbst nicht in einen solchen Kontinuitätszusammenhang gestellt haben, sondern gleichsam a u t o n o m argumentiert haben. Selbstverständlich waren die G e -

danken von Carl Adolf Schmidt oder von Karl August Röder der Fachwelt um 1888 nicht u n b e k a n n t ; n o c h mehr galt das v o m R e c h t s d e n k e n Jherings. A b e r in der Diskussion zwischen 1888 und 1896 spielten deren G e d a n k e n kaum jemals explizit eine R o l l e . Wer „sozial" argumentierte, berief sich nicht auf solche „ A u toritäten". F ü r die Interpretation der Ä u ß e r u n g e n aus der Zeit nach dem ersten E n t w u r f ist der R ü c k g r i f f daher nicht nötig. Stellt man aber die hier untersuchte D e b a t t e in die größere K o n t i n u i t ä t des 19. Jahrhunderts, so zeigt sich, daß die sozialen Ü b e r l e g u n g e n zum ersten E n t w u r f nicht unbedingt neue Ideen zum Inhalt hatten. H i e r i n liegt der E r k e n n t nisgewinn, w e n n man die D i s k u s s i o n über römisches und germanisches R e c h t s denken, über die soziale Aufgabe des Privatrechts v o r und nach 1888 zueinander in B e z i e h u n g setzt. D a h e r gilt es stets zu bedenken, daß die A r g u m e n t e selbst nicht in jedem Fall für sich in A n s p r u c h n e h m e n k o n n t e n , neu zu sein. D o c h das war für ihre U b e r z e u g u n g s k r a f t auch letztlich nicht entscheidend, weshalb wir nun den Zeitraum vor 1888 verlassen wollen, u m uns unserem eigentlichen Gegenstand zuzuwenden.

Kapitel 3

Soziale Topoi - Versuch einer Typologie Schon in der Einleitung ist Plancks Klage darüber zitiert worden, die Begriffe „social", „socialpolitisch" und „socialrechtlich" würden „in neuerer Zeit" in sehr unterschiedlichem Sinn verwendet1. Wenn man die Literatur zu den Entwürfen des Bürgerlichen Gesetzbuchs prüft, muß man feststellen, daß die Beobachtung Plancks durchaus ihre Berechtigung hatte. Jedenfalls hat eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff „sozial" durch diejenigen, die sich seiner bedienten, damals nicht stattgefunden, sondern es lassen sich nur mehr oder weniger scharf umrissene Begriffskonturen aus den verschiedenen Stellungnahmen zum Entwurf ableiten. Soweit ersichtlich, hat erst Rudolf Stammler 1896 eine Begriffsdefinition versucht2, die aber für die hier interessierende Debatte keine Rolle mehr spielen konnte, weil sie erst im Augenblick des Abschlusses des Gesetzgebungsverfahrens veröffentlicht wurde und daher aus unserem Zeitrahmen herausfällt. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, eine Typologie der in der Diskussion über die Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs verwendeten sozialen Topoi zu entwickeln3, deren Anwendung auf konkrete Rechtsinstitute dann in den darauf folgenden Kapiteln möglich ist. Wenngleich diese Typologie hier den materiellrechtlichen Studien vorangestellt ist, so ist doch zu betonen, daß sie eigentlich ein Ergebnis des materiellrechtlichen Teiles ist, da der Inhalt der Begrifflichkeit erst vor dem Hintergrund einer Vielzahl einzelner Quellentexte erkennbar war. Im wesentlichen lassen sich unter Inkaufnahme einer gewissen Vereinfachung vier Topoi unterscheiden, die mit wechselnder Häufigkeit und von wechselnden Autoren in wechselnder Kombination als „soziale" Argumente in der Diskussion Verwendung fanden und die man typologisch ordnen kann, um so die verschiedenen Argumentationsmuster zu begreifen und zu erkennen, was sich inhaltlich hinter der „sozialen" Aufgabe des Privatrechts in den Augen der damaligen Zeitgenossen verbarg. Diese vier Topoi sind - der Gemeinschaftsgedanke, - der Schutz des Schwächeren, Planck, Zur Kritik, S.405; vgl. oben S.5 bei Fn.23. Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosophische Untersuchung, Leipzig 1896, S. 115-124. 3 Vorüberlegungen dazu bereits in meiner früheren Studie: Was war und wo blieb das soziale 01?, in: ZNR 22 (2000), S. 406-424. 1

1

I. Der

Gemeinschaftsgedanke

51

- die soziale Freiheit und - der sozialpolitische Ausgleich. Sie werden im folgenden näher beschrieben, wobei sie sich schwerpunktmässig mit bestimmten Personen verbinden lassen. Das soll nicht bedeuten, daß ein Autor nicht mehrere oder auch alle Topoi sich zu eigen gemacht hätte. Das war sogar widerspruchsfrei möglich, weil die Topoi keine kontradiktorischen Gegensätze bilden, sondern lediglich als besondere Betonung verschiedener Aspekte des Begriffs „sozial" verstanden werden müssen. Die Zuordnung bestimmter Topoi zu einzelnen Personen dient hier lediglich der Aufgabe, durch Systematisierung und Klassifizierung die Erkenntnis zu ordnen und damit handhabbar zu machen 4 . Und noch etwas ist zu bemerken: die Bezeichnungen für die einzelnen Topoi sind in den untersuchten Quellen nicht einheitlich, aber es ist doch möglich, die Äußerungen der jeweiligen Autoren mit diesen Topoi in Beziehung zu setzen. Mit „Topos" sind hier also nicht etwa feststehende, häufig wiederkehrende Floskeln gemeint, sondern - bildlich gesprochen - Begriffsfelder mit unscharfen Grenzen. Die anschließenden Kapitel werden erweisen, wie sich diese Topoi bei einzelnen Rechtsinstituten konkret auswirkten, welche materiellrechtlichen Entscheidungen damit begründet wurden. In diesem Kapitel geht es hingegen mehr um programmatische Aussagen.

I. Der

Gemeinschaftsgedanke

Als erster der vier Topoi ist der „Gemeinschaftsgedanke" zu besprechen, der den Kern der sozialen Aufgabe des Privatrechts in der Kritik Otto Gierkes am ersten Entwurf ausmachte. Schon im ersten Kapitel war davon die Rede, daß zu den Wortführern in der Diskussion über den ersten Entwurf und seine Nachfolger ganz unbestritten Gierke zählte 5 . Die Forderung nach dem „Tropfen sozialistischen Oeles" war zwar nicht seine Erfindung, aber sie wird doch zurecht vor allem mit ihm in Verbindung gebracht, der nach seiner umfassenden, monographischen Kritik am ersten Entwurf mit seinem Vortrag vor der Wiener juristischen Gesellschaft vom 5. April 1889 6 noch einmal in zugespitzter Form die „soziale Aufgabe des Privatrechts" als die Kernfrage der Kodifikation des bürgerlichen Rechts auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Spätestens seit diesem Augenblick gab es kaum noch eine größere Äußerung zum Entwurf, die nicht auf die eine oder andere Weise auch hinsichtlich der sozialen Aufgabe des Privat4 Wenn also beispielsweise Hans 'Werner Mündt, Sozialpolitische Wertungen als methodischer Ansatz in Gierkes privatrechtlichen Schriften, Diss. jur. Frankfurt am Main 1976, S. 57,132, den Schutz des Schwächeren in der Privatrechtskonzeption Gierkes hervorhebt, ist das nicht prima vista von der Hand zu weisen. Dennoch scheint uns der Akzent bei Gierke nicht auf diesem Topos zu liegen. 5 6

Vgl. oben S. 15 bei Fn. 59. Gierke, Soziale Aufgabe.

52

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

rechts wenigstens indirekt Stellung bezog. Gierkes Vorstellungen sind sogar für manche im 20. Jahrhundert so etwas wie ein Zukunftsprogramm der Rechtsordnung gewesen. Dölle sprach beispielsweise aus Anlaß der 50-Jahr-Feier des Gesetzbuchs, die 1950 in Köln stattfand, davon, das bürgerliche Gesetzbuch dürfe nicht mehr länger ein Gesetz für das Individuum, sondern es müsse „wesentlich Sozialrecht im Sinne Gierkes sein" 7 . Es geht im folgenden nicht darum, den zahlreichen Deutungen von Gierkes Gesamtwerk 8 eine weitere hinzufügen oder sie alle auch nur zu prüfen und zu bewerten, sondern hier geht es nur um die Beschreibung des zentralen sozialen Topos in seiner Kritik am ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, den Gemeinschaftsgedanken9. Damit ist nur ein - freilich nicht unwichtiger - Ausschnitt aus dem Werk Gierkes angesprochen. Schlosser hat gemeint, der von Gierke verlangte „Tropfen sozialistischen Öls" sei „in Wahrheit Ausdruck einer altväterlichen, germanophilen Sehnsucht nach 7 Hans Dölle, Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Gegenwart, in: Fünfzig) ahrfeier des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches. Festakt, veranstaltet von den Deutschen Juristischen Fakultäten am 1. Februar 1950 in Köln, hrsg. von Hans Carl Nipperdey, Tübingen 1950, S. 14-35, hier S.35. 8 Für die Zeit bis 1974 vgl. den Uberblick bei Gerhard Dilcher, Genossenschaftstheorie und Sozialrecht: ein „Juristensozialismus" Otto v. Gierkes?, in: Quaderni fiorentini 3/4 (1974/75), S. 319—365; hervorgehoben sei aber aus der Zeit vor 1974 die informative und in mancher Hinsicht nicht wieder eingeholte biographische Studie von Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl. Tübingen 1963, S. 669-712, insbesondere S. 699ff. zu der Haltung Gierkes zum Entwurf; aus der Zeit nach 1974 seien genannt: Christoph Becker, Eher Brunner als Gierke?, in: Z N R 1995, S.264-267; Thomas Haack, Otto von Gierkes Kritik am ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches, Göttingen 1996; Albert Janssen, Otto von Gierkes Methode der geschichtlichen Rechtswissenschaft. Studien zu den Wegen und Formen seines juristischen Denkens, Göttingen usw. 1974; ders., Otto von Gierkes sozialer Eigentumsbegriff, in: Quaderni fiorentini 5-6 (1976/77), S. 549-585; Peter Landau, Otto von Gierke und das kanonische Recht, in: Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit, ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, hrsg. von Joachim Rückert und Dietmar Willoweit, Tübingen 1995, S. 77-94; Mündt, Sozialpolitische Wertungen (wie Fn. 4); Peter Nobel, Otto von Gierke und moderne Entwicklungstendenzen. Ein Versuch zur Restauration, in: Die schweizerische Aktiengesellschaft 50 (1978), S. 11-25; Knut Wolf gang Nörr, Eher Hegel als Kant. Zum Privatrechtsverständnis im 19. Jahrhundert, Paderborn usw. 1991, S. 43^18; Susanne Pfeiffer-Münz, Soziales Recht ist deutsches Recht. Otto von Gierkes Theorie des sozialen Rechts, untersucht anhand seiner Stellungnahmen zur deutschen und zur schweizerischen Privatrechtskodifikation, Zürich 1979 (mit kritischer Rezension von Michael Stolleis, in: Quaderni fiorentini 10 (1981), S. 280ff.); ChristianMatthias Pfennig, Die Kritik Otto von Gierkes am ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, Göttingen 1997; Helga Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft. Kritische Darstellung der Sozialrechtslehre Otto von Gierkes, Frankfurt am Main 1982; Hans Thieme, Was bedeutet uns Otto von Gierke?, in: De iustitia et iure. Festgabe für Ulrich von Lübtow zum 80. Geburtstag, hrsg. von Manfred Härder und Georg Thielmann, Berlin 1980, S. 407-424. 9 Demzufolge ist hier auch die Streitfrage bedeutungslos, ob Gierkes Gesamtwerk von einer einheitlichen Vorstellung sozialen Rechts geprägt ist oder ob nicht eine Entwicklung stattgefunden hat, die ein Nebeneinandersetzen zeitlich weit auseinanderliegender Stellungnahmen aus Gierkes Werk verbieten würde, wie es aber Dilcher, Genossenschaftstheorie (wie Fn. 8) S.326348 getan hat; dagegen dezidiert: Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft (wie Fn. 8), S.87ff.

I. Der

Gemeinschaftsgedanke

53

Wiederbelebung pseudogermanischen Freiheits- und Genossenschaftsdenkens" gewesen 10 . Schon in einer Besprechung der Gierkeschen Kritik hatte Ludwig von Bar11 geltend gemacht, daß das deutsche Recht gar nicht so sozial sei, wie Gierke behaupte. Dem Armen und Schwachen sei es nicht besonders günstig gewesen 12 . Die Gleichsetzung von „sozial" und „Schutz der Armen und Schwachen", die in dieser Kritik an Gierke aufscheint, entsprach sicherlich dem am weitesten verbreiteten Verständnis von „sozial", zeugt aber zugleich von einem Mißverständnis, denn es kam Gierke keineswegs in erster Linie auf diesen Schutz an, sondern er sah „sozial" als einen Ausdruck des Gemeinschaftsgedankens an 13 . Uber die historische Richtigkeit der Thesen Gierkes ist hier nicht zu urteilen 14 . 10 Hans Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? Das janusköpfige Bürgerliche Gesetzbuch, in: Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996. Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, hrsg. von Hans Schlosser, Heidelberg 1997, S. 5-33, hier S. 14. 11 Biographische Informationen bei: Manfred Maiwald, Carl Ludwig von Bar (1836-1913) als Lehrer des Strafrechts, in: Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, hrsg. von Fritz Loos, Göttingen 1987, S.270-288. 12 Ludwig von Bar, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, besonders in sozialpolitischer Beziehung, in: Die Nation 7 (1889/90), S. 399-403, hier S.400. 13 Das verkennt Pfennig, Die Kritik Otto von Gierkes (wie Fn. 8), S. 6, der den sozialen Gedanken bei Gierke nur bei der Vertragsfreiheit, dem Dienstvertrag und dem Eigentum „besonders zur Geltung" kommen sieht. Gierke hingegen wollte den Gemeinschaftsgedanken überall im Privatrecht zur Geltung bringen, vgl. nur die Aufzählung der einschlägigen Gegenstände oben S. 17. Obwohl Pfennig, Die Kritik ... [wie zuvor], S. 182, den Gemeinschaftsgedanken bei Gierke als „leitendes Prinzip" identifiziert hat, erkennt er darin nicht die soziale Aufgabe des Privatrechts. 14 Sie wird seit langem verneint, wie das Zitat von von Bar erweist. Aus der jüngeren Literatur vgl. beispielsweise: Spiros Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse als Ausdruck der gewandelten sozialen Funktion der Rechtsinstitute des Privatrechts, Frankfurt am Main 1957, S.274f. Zustimmend: Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft (wie Fn. 8), S. 167; ähnlich Klaus Luig, „Römische und germanische Rechtsanschauung, individualistische und soziale Ordnung", in: Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit. Ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, hrsg. von Joachim Rückert und Dietmar Willoweit, Tübingen 1995, S. 95-137, hier S. 96.

Simitis hat zurecht betont, daß dem „personenrechtlichen Element" in der Rechtslehre Gierkes unabhängig von der geschichtlichen Begründung selbständige Bedeutung zukommt, die die Anerkennung des Werkes von Gierke erklärt [Die faktischen Vertragsverhältnisse (wie zuvor), S.276], Den Gemeinschaftsgedanken hatte Gierke in aller Breite in seinem Hauptwerk „Das deutsche Genossenschaftsrecht" (Berlin 1868, 1873, 1881, 1913) und der kürzeren „Genossenschaftstheorie" (Berlin 1887) historisch entwickelt. Peter Landau hat jüngst dargelegt, daß ein entscheidendes Element in der Argumentationskette bei Gierke falsch ist. Gierke irrte sich in der Interpretation einiger kanonistischer Schriften zur universitas und gelangte so zur Auffassung, der Genossenschaftsgedanke sei etwas typisch Germanisches. Landau hat demgegenüber erläutert, dieser Gedanke lasse sich im germanischen Mittelalter zwar besonders gut beobachten, aber sowohl der Genossenschaftsgedanke als auch die Freiheit seien Ideen, die dem christlichen Mittelalter insgesamt nicht fremd waren [ L a n d a u , Otto Gierke und das kanonische Recht (wie Fn. 8), S. 92-94]. Die historische Aussage der Einleitung des ersten Bandes des Genossenschaftsrechts von 1868 war daher nicht zutreffend. Dort hatte Gierke geschrieben: „Keinem anderen Volke in dem Zuge nach Universalität und in der Fähigkeit zu staatlicher Organisation nachstehend, die meisten an

54

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

1. Der Kern des

Typologie

Gemeinschaftsgedankens

Auch wenn Gierkes Forderungen nur die Konsequenz eines falschen Geschichtsbildes gewesen sein sollten, er also gleichsam einer historischen Fata Morgana nachgelaufen sein sollte, so waren seine Vorstellungen vom zukünftigen Recht, die er aus diesem Ansatz ableitete, durchaus konkret und Ausdruck eines in sich sehr geschlossenen Gedankengebäudes, an dessen Spitze die Sozialnatur des Menschen stand15. Das Eingebundensein des einzelnen Menschen in die Gesellschaft anderer Menschen war der Kern des Gemeinschaftsgedankens. Die angemessene Berücksichtigung dieser Eingebundenheit auf allen Ebenen des Rechts war die Forderung Gierkes an den Gesetzgeber. Dies war das Ziel seiner Kritik am Entwurf. Auch das Privatrecht sollte nach Gierkes Vorstellung nicht die einzelnen Menschen als isolierte Individuen betrachten, sondern immer deren Beziehung zu anderen Menschen berücksichtigen, mit denen sie in der Familie, in Vereinen und Verbänden, im Unternehmen und im Staat usw. eine Gemeinschaft bilden. Gierke blieb aber im Unterschied zu manchen anderen Kritikern nicht im Nebulösen einer solchen These stecken, sondern hat sie auf Dutzenden von Druckbögen ausgebreitet und ins Konkrete gewendet, wenngleich die konstruktiven Vorschläge dabei eher die Ausnahme geblieben sind. Verwirrung stiftet die häufige Berufung Gierkes auf „deutsches Recht". Daraus wird mitunter gefolgert, Gierke habe unmittelbar an das germanische Recht des Mittelalters anknüpfen wollen, dieses sozusagen wiederbeleben wollen, wie das obige Zitat von Schlosser zeigt16. Wir haben schon von der Funktion des Begriffs „deutsch" als einer Chiffre für „sozial" gesprochen17. Bei der Lektüre der Kritik Gierkes am Entwurf drängt sich die Richtigkeit dieser Interpretation auf. Die historischen Reminiszenzen in seiner Kritik sind stets vage und entbehren Liebe der Freiheit übertreffend, haben die Germanen eine Gabe allen Völkern voraus, durch welche sie der Freiheitsidee einen besonderen Gehalt und der Einheitsidee eine festere Grundlage verliehen haben, - die Gabe der Genossenschaftsbildung", [Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, 1868 (ND Graz 1954), S.3]. So falsch die Behauptung Gierkes in historischer Hinsicht auch sein mag, für eine Werkbiographie hat sie allergrößten Wert, denn sie stellt so etwas dar wie ein Koordinatensystem seines Rechtsverständnisses, dessen eine Achse die Gemeinschaft, die andere die Freiheit war. Zur Wirkungsgeschichte der Genossenschaftstheorie vgl. Karsten Schmidt, Einhundert Jahre Verbandstheorie im Privatrecht. Aktuelle Betrachtungen zur Wirkungsgeschichte von Otto v. Gierkes Genossenschaftstheorie, Hamburg 1987. 15 So notwendig die Einbeziehung von Gierkes Geschichtsverständnis zur Bewertung seines Gesamtwerkes sein mag - z.B. Dilcher, Genossenschaftstheorie (wie Fn. 8), S. 348 hat darin den Schlüssel zum Verständnis gesehen, ähnlich Hans-Georg Mertens, Otto von Gierke. Zum 50. Todestage des großen Germanisten, in: JuS 11 (1971), S. 508-511, hier S. 509 - , für die Bestimmung seines Begriffs von der sozialen Aufgabe des Privatrechts kommt es, soweit man die Schriften zur Kritik des Entwurfs berücksichtigt, darauf nicht an. 16 Vgl. oben bei Fn. 10; außerdem beispielsweise Andreas Kaiser, Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung während des 19. Jahrhunderts - insbesondere in den Auseinandersetzungen über den Arbeitsvertrag, Diss. jur. Berlin 1972, S.202. 17 Vgl. die Einzelheiten oben S.42 bei Fn. 84.

I. Der

55

Gemeinschaftsgedanke

der Überprüfbarkeit, die für eine historische Argumentation doch geboten gewesen wäre. „Deutsch" war nicht mehr als ein Schlagwort, von dem sich Gierke wohl aufgrund der positiven Konnotation des Nationalgefühls größere Attraktivität erhoffte als von dem Begriff „sozial", der damals (noch) nicht in allen Ohren Musik war. Wenn Gierke also von „deutschem" Recht sprach, so meinte er zugleich soziales Recht in seinem Sinne, das heißt ein Privatrecht, das auf die Eingebundenheit des Einzelnen in die Gemeinschaft Rücksicht nimmt. Die Versuche der Beschreibung dessen, was Gierke mit dem „sozialistischen Ol" im Privatrecht gemeint hat - oder allgemeiner gesprochen: was er unter der sozialen Aufgabe des Privatrechts verstand laufen leicht Gefahr, im Abstrakten stecken zu bleiben und verlieren dadurch in weitem Umfang an Anschaulichkeit 18 . Es ist aber nicht notwendig, die Ideenwelt Gierkes losgelöst von konkreten Rechtsnormen einzufangen, da Gierke selbst sie - wenigstens hinsichtlich des Entwurfs - höchst konkret auf verschiedene Rechtsinstitute angewendet hat, wie die Ubersicht über die von ihm behandelten Gegenstände im ersten Kapitel bereits andeutet 19 . Es ist im übrigen nicht richtig, Gierke habe den Begriff „sozial" „für alles" verwendet, wie Thomas Haack jüngst gemeint hat 20 . Gierke hat nur nicht bei allen konkreten Schlußfolgerungen aus dem Begriff „sozial" die Gemeinschaftsbelange klar herausgestellt und sich im übrigen die Freiheit behalten, mit „sozial" auch andere Topoi als den Gemeinschaftsgedanken zu verbinden. Eine willkürliche Beliebigkeit liegt darin jedoch nicht. U m den „Gemeinschaftsgedanken" zu präzisieren, soll im folgenden zunächst die programmatische Idee Gierkes anhand seines Vortrags vom 5. April 1889 dargestellt werden, wobei stets die konkreten Umsetzungen des Gemeinschaftsgedankens, die Gierke in seinem „Entwurf" vorgenommen hat, mitgedacht werden, auch wenn diese Konkretisierungen und die entsprechenden Nachweise den nachfolgenden Kapiteln überlassen bleiben müssen. Sodann wird seine eigentümliche Synthese von Gemeinschaftsgedanken und individuellen, subjektiven Rechten am Beispiel des Persönlichkeitsrechts überprüft.

2. Die soziale Aufgabe

des Privatrechts - ein Vortrag

Gierkes

Die Veröffentlichung des Entwurfes gab Gierke den Anlaß zu erörtern, „was denn eigentlich überhaupt die Aufgabe des Privatrechts ist" 21 . Die Antwort darauf hat Gierke nicht mit wenigen Sätzen gegeben. Ausgangspunkt war für ihn die Idee der Einheit des Rechts. Er hielt die klassische Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht für ein Gedankenkonstrukt. Die Wirklichkeit 18 Vgl. z u m Beispiel Ivan Paparelli, Otto von Gierke u n d Eugen Huber, in: Eugen H u b e r (1849-1923), Bern 1993, S. 221-242; ähnlich auch Urs Fasel, Die Lehre des sozialen Privatrechts, in: w i e zuvor, S . 3 - 2 1 (freilich im Schwerpunkt bezogen auf Eugen Huber). 19 Vgl. oben S. 17. 20 Haack, O t t o von Gierkes Kritik (wie Fn. 8), S. 160. 21 Gierke, Soziale A u f g a b e , S. 4.

56

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

des Rechts sei hingegen, so meinte er, eine Einheit. Öffentliches und privates Recht seien nur unterschiedliche Aspekte des einheitlichen Phänomens Recht, so wie auch individuelles Dasein und die Teilhabe der Gemeinschaft der Menschen im Leben des Einzelnen eine Einheit bilden22. Unter Berufung auf Jherings „Zweck im Recht" sagte Gierke: „So kann auch die Rechtsordnung, wenn sie sich in Privatrecht und öffentliches Recht spaltet, wohl eine Weile davon absehen, daß der Einzelne für das Ganze und das Ganze für die Einzelnen da ist. Allein zuletzt darf sie die Einheit des Zieles nicht vergessen und muß auch im Privatrecht, w o sie zuvörderst für Einzelinteressen sorgt, das Gemeinwohl erstreben, und im öffentlichen Recht, wo sie zunächst auf das Ganze blickt, den Einzelnen gerecht werden" 2 3 .

Das Privatrecht hat danach die Aufgabe, die Interessen des Einzelnen zu regeln, das heißt zu schützen und zu begrenzen. Immer muß es dabei aber die Belange des Gemeinwohls berücksichtigen24. Das 19. Jahrhundert habe die Trendwende zurück zur einheitlichen Rechtsidee gebracht, wie Gierke meinte. Ins öffentliche Recht werde die Freiheit, in den Zweck des Privatrechts die Gemeinschaft integriert25. Das Privatrecht dürfe in dieser Situation dennoch nicht die Rechte des Individuums auf den Gesellschaftszweck reduzieren. Das hieße in den Augen Gierkes, den christlichen Gedanken des unvergleichlichen und unvergänglichen Wertes jedes einzelnen Menschen zu verraten26. Vor dem Hintergrund dieser Idee der „Einheit alles Rechtes" ist schließlich die berühmt gewordene Forderung des „Tropfen sozialistischen Öles" zu verstehen, in der es Gierke um nichts anderes ging als den Gemeinschaftsgedanken, der im Privatrecht zu verwirklichen sei27. Wörtlich heißt es bei Gierke: „Wir können mit dem großen germanischen Gedanken der Einheit alles Rechtes nicht brechen, ohne unsere Zukunft aufzugeben. Und mit diesem Gedanken ist ewig unvereinbar ein absolutistisches öffentliches Recht, ewig unvereinbar aber auch ein individualistisches Privatrecht. Wir brauchen ein öffentliches Recht, das durch und durch Recht ist; das ein Verhältniß der Gegenseitigkeit zwischen dem Ganzen selbst und seinem Gliede, zwiGierke, Soziale Aufgabe, S. 5. Gierke, Soziale Aufgabe, S. 6. 24 In diesem Sinne ist auch Gierkes Forderung der Verknüpfung von Privatrecht und öffentlichem Recht zu verstehen, die er in seinem Gutachten für den Juristentag 1888 formuliert hatte [Otto Gierke, (Gutachten) „An welche rechtlichen Voraussetzungen kann die freie Corporationsbildung geknüpft werden?", in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Berlin und Leipzig 1888, S. 259-311, hier S.261], 25 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 10. 26 Es ist wohl kein Zufall, daß Gierke nicht einen Verrat an Kant befürchtete. In der Tat sind diese Ideen älter als die Aufklärung. 27 Es ist übrigens auffällig, daß das Ideal einer Einheit Gierkes gesamte Gedankenwelt prägte. Auch die einzelne Persönlichkeit beurteilte er unter diesem Aspekt. So schrieb er im Nachruf auf Heinrich Dernburg: „Auch Heinrich Dernburg konnte, was er vollbracht hat, nur vollbringen, weil er ein Mensch aus Einem Gusse war. Harmonisch verband sich in ihm mit der Klarheit des Denkens die Festigkeit des Charakters, mit der Schärfe des Verstandes die Tiefe des Gemütes, mit der Fülle des Wissens die künstlerische Gestaltungskraft", Gierke, Heinrich Dernburg. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 12 (1907), Sp. 1337-1343, hier: Sp. 1342. 22 23

I. Der

Gemeinschaftsgedanke

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sehen der höchsten Allgemeinheit und dem Einzelnen setzt;... Wir brauchen aber auch ein Privatrecht, in welchem trotz aller Heilighaltung der unantastbaren Sphäre des Individuums der Gedanke der Gemeinschaft lebt und webt. Schroff ausgedrückt: in unserem öffentlichen Recht muß ein Hauch des naturrechtlichen Freiheitstraumes wehen und unser Privatrecht muß ein Tropfen sozialistischen Öles durchsickern!" 28

Diesen allgemeinen Überlegungen ließ Gierke dann einige Konkretisierungen folgen: Für alle subjektiven Rechte gelte, so erklärte er, daß es keine reine Befugnis gebe, keine pflichtenlose Herrschaft, „kein Recht ohne Pflicht" 29 . Daraus leitete er die Notwendigkeit des Schikaneverbots ab, das der E I übergangen habe 30 . Das Eigentum und alle anderen Rechte hätten eine „immanente Schranke" 31 . Für Stadtgrundstücke seien dies andere als für Landgüter oder Gewerbeanlagen, Wald oder Wasser32. Der soziale Zweck des Grundeigentums - oder wir könnten auch sagen: die Auswirkung des Gemeinschaftsgedankens auf das Eigentumsrecht an Grundstücken - sei, daß die Stetigkeit des Grundeigentums zugunsten der Familie gewahrt werde. Überschuldung und Zersplitterung müßten verhindert werden33. Von hier bis zur Forderung der Einführung von Rentengütern, des Anerbenrechts für Landgüter, der Einschränkung der Grundpfandrechte usw. ist es nur noch ein kleiner Schritt, den Gierke vor allem in seinem „Entwurf" gegangen ist. Im Schuldrecht forderte der Gemeinschaftsgedanke nach Gierke die Einschränkung der Privatautonomie, da schrankenlose Vertragsfreiheit „eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen" sei34. Hier berührten sich der Gemeinschaftsgedanke einerseits und der Topos vom Schutz des Schwächeren andererseits, der aber - das ist noch einmal zu betonen - für Gierke nicht den Kern der sozialen Aufgabe des Privatrechts darstellte. Nichtig sollten zum Beispiel alle Vereinbarungen sein, mit denen sich der Schuldner vollständig seiner Freiheit begebe, wie etwa bei der Verpfändung des gesamten Vermögens35. Stets solle, so fuhr Gierke fort, das Personenrecht im Mittelpunkt stehen. Als Konsequenz ergab sich etwa, daß das Gesetz die um das Gesinde und die Hausdienerschaft erweiterte Hausgemeinschaft als Herrschaftsverband anerkennen solle. Das Unternehmen sollte als Organismus begriffen werden mit einer Haftpflicht nach außen und der Verpflichtung, im Innenverhältnis zum Beispiel den Schutz der Familien zu gewährleisten36. Diese wenigen Einzelheiten mögen genügen, um einen Eindruck von den 28 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 12f., Hervorhebungen im Original; vgl. auch: Gierke, Entwurf, S. 24, Fn. 1. Zum Bild vom Oltropfen bereits oben S. 4 bei Fn. 16. 29 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 17. 30 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 18. 31 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 20. 32 Gierke, Soziale Aufgabe, S.21. 33 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 23. 34 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 28. 35 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 29-31. 36 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 35, 40f.

58

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

Auswirkungen des Gemeinschaftsgedankens zu vermitteln. In den folgenden Kapiteln werden immer wieder die konkreten Konsequenzen des Gemeinschaftsgedankens zur Sprache kommen. Die Freiheit des Einzelnen, die sich privatrechtlich vor allem in subjektiven Rechtspositionen ausdrückt, stand bei Gierke also in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zu den Konsequenzen des Gemeinschaftsgedankens. Um die Tragweite des Gemeinschaftsgedankens auszuloten, soll das Verhältnis von Freiheit und Gemeinschaftsvorbehalt anhand des Persönlichkeitsrechts untersucht werden.

3. Die Bedeutung des

subjektiver Rechte am Persönlichkeitsrechts

Beispiel

Man würde das soziale Privatrecht Gierkes mißverstehen, wenn man darin eine vollständige Unterordnung der individuellen subjektiven Rechte unter die Belange der Gemeinschaft sehen wollte, wie es dann im Nationalsozialismus geschehen ist, der vom Prinzip „Du bist nichts, dein Volk ist alles" ausging. Um die Bedeutung subjektiver Rechte im Zusammenhang mit der sozialen Aufgabe des Privatrechts nach der Auffassung von Gierke zu demonstrieren, soll als Beispiel das Persönlichkeitsrecht herausgegriffen werden. Gemeinschaftsbezogenes Privatrecht bedeutete nach Gierkes Anschauung nicht gleichzeitig Individualrechtsfeindlichkeit. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie es der heutigen Dogmatik bekannt ist, wurde im Zusammenhang mit dem ersten Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht diskutiert. Es ging vielmehr um einzelne besondere Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts wie insbesondere das persönliche Namensrecht, aber auch um Immaterialgüterrechte wie den Marken-, Fabrikzeichen- oder Urheberrechtsschutz. Hinzu kam der Schutz von Leib, Leben, Freiheit und Ehre durch das Deliktsrecht. Die Bedeutung des Persönlichkeitsrecht bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist in den letzten Jahrzehnten vielfach untersucht worden. In chronologischer Reihenfolge genannt seien nur die Arbeiten von Karl Irmscher27, Robert ScheyhingM, Dieter Leuze39, Karl Heinz Hamprecht40, Jürgen Simon41, Diethelm Klippel42 und - mit Blick auf 37 Karl Irmscher, Der privatrechtliche Schutz der Persönlichkeit in der Praxis des gemeinen und der partikularen Rechte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Frage der geschichtlichen Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes nach bürgerlichem Recht unter Ausschluß der in Nebengesetzen geregelten Materie, Diss. jur. Frankfurt/Main 1953. 38 Robert Scheyhing, Zur Geschichte des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert, in: AcP 158 (1959-60), S. 503-525. 39 Dieter Leuze, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis allgemeines Persönlichkeitsrecht - Rechtsfähigkeit, Bielefeld 1962. 40 KarlHeinz Hamprecht, Persönlichkeitsrecht im 19. Jahrhundert, Diss. jur. Würzburg 1965. 41 Jürgen Simon, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine gewerblichen Erscheinungsformen. Ein Entwicklungsprozeß, Berlin 1981. 42 Diethelm Klippel, Der zivilrechtliche Schutz des Namens. Eine historische und dogmati-

I. Der

Gemeinschaftsgedanke

59

Gierke - jüngst Christian-Matthias Pfennig43. Keine der genannten Arbeiten geht allerdings der Frage nach, inwieweit das Persönlichkeitsrecht Gegenstand eines sozialen Privatrechts im Sinne Gierkes war. Gierke schrieb in seiner Kritik am Entwurf folgendes: „Es wäre wahrlich die Aufgabe des deutschen G e s e t z b u c h e s , . . . die ausdrückliche Anerkennung dieser für jedermann unantastbaren Persönlichkeitsrechte an die Spitze der Privatrechtsordnung zu setzen." 4 4

Die Persönlichkeitsgüter wie Freiheit, Ehre oder Gesundheit faßte Gierke als eigenständige subjektive Rechte auf. § 704 E I , der den deliktischen Grundtatbestand regelte, hatte die Verletzung von Gesundheit, Freiheit und Ehre nur einem Delikt gleichgestellt', indem er bestimmte: „Als Verletzung... ist auch die... des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen"*5. Gierke wehrte sich dagegen, darin lediglich die Fiktion einer Rechtsverletzung zu sehen, sondern meinte, diese Güter stellten selbst geschützte Rechtspositionen dar. Darüber hinaus wollte Gierke einen eigenen Abschnitt über „Persönlichkeitsrechte" ins Gesetz bringen. Darin sollten sämtliche Immaterialgüterrechte erfaßt werden. Im einzelnen dachte er an Leib, Leben, Ehre, Freiheit, Standesrecht, Gewerbebefugnisse, Monopolrechte, Namensrecht, Marken-, Urheber- und Erfinderrecht 46 . Auffällig ist, daß Gierke die Persönlichkeitsrechte nicht ausschließlich an der Personalität jedes Menschen festmachen wollte, was notwendigerweise zu einer völlig gleichen Berechtigung jedes Individuums führen würde, wie es den liberalen Ideen der Aufklärungszeit entspräche. Vielmehr kannte Gierke Persönlichkeitsrechte, die aus der „Zugehörigkeit zu einer besonderen Personenklasse" folgen. Der Entwurf verkenne dies, so sagte er, weil er von der abstrakten Gleichheit der Individuen ausgehe. Geschlecht, Personenstand, Staatsangehörigkeit und religiöses Bekenntnis waren für Gierke Größen, die auf die privatrechtliche Stellung der Person einen Einfluß haben müßten 47 . sehe Untersuchung, Paderborn 1985. - Auch nach 1985 sind noch eine Fülle von Arbeiten erschienen, die das Persönlichkeitsrecht im 19. Jahrhundert betreffen, allerdings meist unter sehr viel spezielleren Fragestellungen wie Gleichberechtigung der Frau oder Entwicklung des Verlags- und Urheberrechts. 43 Pfennig, Die Kritik Otto von Gierkes (wie Fn. 8), S. 57-69. 44 Gierke, Entwurf, S. 84f. 45 § 704 E I: (1) Hat Jemand durch eine aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangene widerrechtliche Handlung - Thun oder Unterlassen - einem Anderen einen Schaden zugefügt, dessen Entstehung er vorausgesehen hat oder voraussehen mußte, so ist er dem Anderen zum Ersätze des durch die Handlung verursachten Schadens verpflichtet, ohne Unterschied, ob der Umfang des Schadens vorauszusehen war oder nicht. (2) Hat Jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines Anderen verletzt, so ist er den durch die Rechtsverletzung dem Anderen verursachten Schaden diesem zu ersetzen verpflichtet, auch wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war. Als Verletzung eines Rechtes im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen. 46 47

Gierke, Gierke,

Entwurf, S. 83. Entwurf, S. 85.

60

Kapitel 3: Soziale Topoi-

Versuch einer

Typologie

So unbestimmt diese Forderung auch ist, denn was bedeutet schon „Einfluß auf die privatrechtliche Stellung", so offenbart sie doch ein Stück der charakteristischen Ambivalenz „sozialer" Gedanken im Privatrecht, die aus der Ambivalenz des Gedankens der Gleichheit herrührt. Abstrakte Gleichheit der Individuen war jedenfalls nicht das Ziel einer sozialen Privatrechtsordnung im Sinne Gierkes. Statt dessen befürwortete er durchaus die Berücksichtigung von Standes- und sonstigen Unterschieden im Privatrecht. Wer verheiratet ist, sollte andere Rechte haben als der Ledige. Mann und Frau wurden keineswegs gleichgestellt, wie sich besonders im Eherecht und bei der elterlichen Gewalt zeigte. Soziale Unterschiede der Individuen sollten vielmehr auch im Privatrecht ihren Ausdruck finden. Insofern herrschte Ungleichheit, womit aber keine Ungleichwertigkeit der einzelnen Personen gemeint war. In der Personenwürde waren auch für Gierke alle Menschen gleich. In anderen Bereichen des Privatrechts leitete Gierke wiederum aus der sozialen Aufgabe die Forderung der Chancengleichheit ab, was sich besonders im Schuldrecht ausdrückte. Mieter und Vermieter, Pächter und Verpächter, Arbeitnehmer und Arbeitgeber - das Privatrecht sollte in diesen Beziehungen möglichst eine gleichberechtigte Stellung der Parteien bewirken, damit man überhaupt von einer Privatautonomie reden konnte. Arm und reich waren für Gierke gerade keine relevanten „Standesunterschiede". Es gilt festzuhalten, daß Gierke die Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte nicht mit der liberalen Forderung der abstrakten Gleichheit vor dem Gesetz verbunden hat, sondern nach Stand, Geschlecht usw. unterschiedene Persönlichkeitsrechte befürwortet hat. Während bei diesen Forderungen Gierkes noch nicht klar wurde, welche Auswirkungen die sozialen Unterschiede denn im einzelnen haben sollten, zählte die Forderung der gesetzlichen Einführung eines Namensrechts zu seinen konkreten Anliegen. Gierke meinte, es sei der „schöpferische Beruf der Gesetzgebung", ein „privatrechtliches Verbietungsrecht gegen Namensanmaßung" einzuführen48. Die Motive hatten in begrenztem Umfang dem einzelnen ein solches Recht schon zugestanden, indem sie es aus dem familienrechtlichen Namensrecht ableiteten: „Wenn das Gesetz einer Person die Befugniß beilegt, einen bestimmten Familiennamen zu führen ..., so kann es nicht zweifelhaft sein, daß dadurch ein subjektives Privatrecht auf Führung dieses bestimmten Familiennamens begründet wird und daß dieses Recht absoluten Karakter hat." 4 9

Aus dem absoluten Charakter des Namensrechts folgerten die Motive einen deliktischen Schutz gemäß §704 II E I 50 . Ob darüber hinaus der Name geschützt werden müsse, ließen die Motive offen, weil dafür nur ein allenfalls ge-

48 49 50

Gierke, Entwurf, S. 86 f. Motive IV, S. 1005. §704 II E I s.o. Fn. 45.

I. Der

61

Gemeinschaftsgedanke

ringes praktisches Bedürfnis bestehe51. Einen Unterlassungsanspruch, wie er aus § 12 S. 2 BGB folgt, lehnten die Motive noch mit dem Hinweis ab, das sei Sache des öffentlichen Rechts52. Genau diesen wollte aber Gierke verwirklicht sehen: „Soll der berühmte Schriftsteller wirklich es dulden müssen, daß ein anderer seinen Namen braucht, um unter ihm pseudonyme Bücher zu schreiben? ... Man denke z.B. an den Mißbrauch eines bekannten Namens zur Benennung einer Romanfigur oder eines im Schauspiel auf dem Theater vorgeführten Lustspielhelden." 5 3

Die Privatrechtsordnung sollte eben mehr leisten, als nur Vermögensinteressen zu schützen. Besonders kritisch stand Gierke der Tatsache gegenüber, daß die Urheber- und Erfinderrechte nicht im Gesetzesentwurf berücksichtigt wurden54. Freilich waren diese Rechte bereits reichsgesetzlich geregelt, was Gierke nicht entgangen war55; sein Anliegen zielte mehr auf die Einheit der Privatrechtsordnung, die durch das neu zu schaffende Gesetzbuch erreicht werden sollte. Nebenbei sei bemerkt, daß sich aus diesem Wunsch auch erklärt, warum Gierke den körperlichen Sachbegriff des Entwurfs ablehnte, denn nur mit einem „unkörperlichen Sachbegriff" könnte man Urheberrechte adäquat ausdrücken56. Zu den konkreten Forderungen Gierkes im Zusammenhang mit dem Schutz immaterieller Persönlichkeitsgüter gehörte eine Schadensersatzpflicht bei der Verletzung solcher Güter57.

4. Eine Synthese von Gemeinschaft

und

Individuum

Fragt man nach dem Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum in Gierkes Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts, also nach der Bedeutung des Gemeinschaftsgedankens insbesondere für die individuellen subjektiven Rechte, so ist zweierlei festzuhalten: (1) Nach Gierkes Auffassung hatte die soziale Aufgabe des Privatrechts nicht die Konsequenz der Verneinung subjektiver Rechte einzelner Individuen. Ganz im Gegenteil: Gierke forderte für die Persönlichkeitsrechte sogar einen eigenen Platz im System des Gesetzbuchs. Nur wenn das Gesetzbuch auch die Persönlichkeitsrechte wie etwa das Namensrecht oder die Ehre und Freiheit auf adäquate Weise zu schützen verstehe, so meinte Gierke, könne es beanspruchen, sozial zu sein, also die Beziehung des Motive IV, S. 1005. Motive IV, S. 1006. 53 Gierke, Entwurf, S. 87. 54 Gierke, Entwurf, S. 88. 55 Gierke, Entwurf, S. 6. 56 Gierke, Entwurf, S.44; zu den Problemen des körperlichen Sachbegriffs im Bürgerlichen Gesetzbuch jetzt: Christoph Becker, Die „res" bei Gaius - Vorstufe einer Systembildung in der Kodifikation? Zum Begriff des Gegenstandes im Zivilrecht, Köln usw. 1999, insbesondere S. 1826. 57 Gierke, Entwurf, S. 198. 51

52

62

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

einzelnen Menschen zur Gemeinschaft richtig zu ordnen. Insofern hatte das Persönlichkeitsrecht einen genuinen und wichtigen Platz im Privatrecht. Es spiegelte bestimmte Aspekte der Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen wider. (2) Dabei ist aber zu beachten, daß die Gemeinschaftsbezogenheit auch ihrerseits wieder auf den Inhalt des Persönlichkeitsrechts zurückwirkte. Hier liegt der wesentliche Unterschied zur Entwicklung des Persönlichkeitsrechts aus der liberal-aufgeklärten Tradition. Ausgangspunkt des Persönlichkeitsrechts bei Gierke war nicht die jeder Person gleiche Menschenwürde, denn für Gierke galt der Gleichheitssatz jedenfalls nicht in dem Sinne, daß jeder vor dem Gesetz gleich sei, sondern die subjektive Rechtsposition des einzelnen war abhängig von seinem status innerhalb der Gemeinschaft 58 . Zwar hatte auch in der Vorstellung von Gierke jedermann Persönlichkeitsrechte, doch deren Inhalt war abhängig von seinem Stand, Geschlecht, seiner Staatsangehörigkeit, seinem religiösen Bekenntnis usw. Aus der Stellung des Einzelnen in der Gemeinschaft konnten bestimmte Rechtspositionen folgen. Sie waren teilweise, wie im Ehegüterrecht, Ausdruck der inneren Verfassung der jeweiligen Gemeinschaft oder Genossenschaft. Die Statusrechte konnten aber auch auf das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen wirken. Die Freiheit der Ehefrau zum Beispiel, mit ihrem Vermögen nach Belieben zu verfahren, war eingeschränkt durch ein nach Gierkes Auffassung bestehendes Statusrecht des Mannes als Haupt der Familie. Diese Stellung hatte er inne nicht aufgrund irgendeiner persönlichen Überlegenheit o.ä., sondern aufgrund der inneren Verfassung der Gemeinschaft der Eheleute 59 . Der Schutz der rechtlich schlechter gestellten Ehefrau wurde also dem Gemeinschaftsgedanken hintangesetzt. Gierkes Privatrechtstheorie, das heißt hier seine Vorstellung von der sozialen Aufgabe des Privatrechts, als eine „konservative Spielart des Kollektivismus" zu interpretieren60 oder mehr als Ausdruck liberalen Gedankengutes 61 , träfe 58 Mündt, Sozialpolitische Wertungen (wieFn.4), S. 131 f. bevorzugt den Begriff der „sozialen Rolle", um eine bessere Abgrenzung zur ständisch-feudalen Gesellschaftsordnung zu gewährleisten. Mir scheint der status-Begriff jedoch nicht so eng zu sein. Daß Gierke nicht eine Wiederbelebung der ständisch-feudalen Strukturen des Ancien Régime erstrebte, bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung. In der Sache besteht daher keine Differenz zu Mündt. Ulrich Spellenberg, Vom liberalen zum sozialen Privatrecht?, in: Recht im sozialen Rechtsstaat, hrsg. von Manfred Rehbinder, Opladen 1973, S.23-67, hier S.32f., sieht Gierkes Anliegen vor allem einem Angriff gegen den Begriff des subjektiven Rechts als reiner Willensmacht zugunsten der Einordnung des Menschen in einen sozialen Verband. Das verdient Zustimmung, solange man daraus nicht auf eine generelle Ablehnung des subjektiven Rechts durch Gierke schließt. 59 Dies wird mindestens klar, wenn man die Fortentwicklung des Genossenschaftsgedankens durch Sohm in der Festschrift für Windscheid berücksichtigt. Vgl. auch unten S. 100 bei Fn. 253 sowie im Kapitel zum Familienrecht S.428ff., insbesondere S.437. 60 So dezidiert Nörr, Eher Hegel als Kant (wie Fn. 8), S. 43 zunächst mit Blick auf das Deutsche Genossenschaftsrecht (1868-1913) und die Genossenschaftstheorie (1887), aber in Fußnote 108 auch auf „Die soziale Aufgabe des Privatrechts"(1889). Einen Bruch Gierkes mit konservativen Ideen beobachtet Michael John, Politics and the Law in Late Nineteenth-Century Germany. The Origins of the Civil Code, Oxford 1989, S.114, andererseits aber S. 118. Aber auch bei ihm wird nicht deutlich, daß der Gemeinschaftsgedanke der rote Faden in Gierkes Kritik am Entwurf war.

I. Der

Gemeinschaftsgedanke

63

hier nicht das Entscheidende. Weder das eine noch das andere ist nach dem oben Gesagten allein richtig. Völlig unentschieden kann hier die in diesem Zusammenhang oft gestellte Frage bleiben, ob von Gierkes Rechtslehre ein direkter Weg zur nationalsozialistischen Ideologie verläuft62. Möchte man die Vorstellungen Gierkes zusammenfassend charakterisieren, so erscheint mir die Sichtweise von Gustav Boebmer richtig, der dargelegt hat, wie sich Gierke sowohl gegen einen formalistischen Rechtspositivismus als auch gegen einen abstrakten Individualismus gestellt und die Rechtsidee als die „Idee der Gerechtigkeit" interpretiert hat63. Individuum und Gemeinschaft, so Boehmer, habe Gierke zu einer Synthese zusammengeführt, die durch Gemeinpflichten der individuellen Willkür und Selbstsucht immanente Schranken gesetzt habe64. Stärker als bei Boehmer geschehen, ist aber zu betonen, daß in der geschilderten Synthese die Gemeinschaft das größere Gewicht besessen hat, da sie eine freiheitsbegrenzende Funktion hatte, die Gierke in die griffige, aber auch mißverständliche Formel 61 So in der Tendenz Landau, Otto von Gierke und das kanonische Recht (wie Fn. 8), S. 78, mit Blick vor allem auf das Genossenschaftsrecht. 6 2 Vgl. dazu den Uberblick über die ältere Literatur bei Mündt, Sozialpolitische Wertungen (wie Fn. 4), S. 1-3; außerdem: Joachim Rückert, „Frei" und „sozial": Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, in: ZfA 23 (1992), S. 225-294, hier S . 2 7 2 274; Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft (wie Fn. 8), S. 170-185, hat herausgearbeitet, daß Gierke vor allen Dingen von Sozialdemokraten wie Hugo Sinzheimer, dem ihm nahestehenden Arbeitsrechtler Heinz Potthoff und dem Gewerkschaftsfunktionär Carl Legien rezipiert worden ist, die nicht die marxistische Sichtweise der Umwandlung der menschlichen Arbeitskraft in eine Ware mitvollzogen hätten, sondern sich den Standpunkt Gierkes zu eigen gemacht hätten, daß die Lohnarbeit „keine Ware, sondern untrennbarer Ausfluß der freien Persönlichkeit" sei [wörtliches Zitat bei Otto von Gierke, Dauernde Schuldverhältnisse, in: JherJb 64 (1914), S. 355-411, hier S. 409]; vgl. außerdem: Michael Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974, insbesondere S. 18ff., 21 Off., der einen relativ engen Zusammenhang zum Nationalsozialismus sieht, gestützt vor allem auf den Vorrang des Staates gegenüber dem Individuum [S.211]; außerdem: Andrea Nunweiler, Das Bild der deutschen Rechtsvergangenheit und seine Aktualisierung im „Dritten Reich", Baden-Baden 1996, sowie Joachim Rückert und Dietmar Willoweit (Hrsg.), Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit. Ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, Tübingen 1995. 63 In Otto Gierke, Naturrecht und Deutsches Recht, Frankfurt am Main 1883, S. 32 hieß es, es sei die Aufgabe aller, „hochzuhalten das Banner der Rechtsidee im Kampfe gegen ihre Zersetzung durch die Ideen des Nutzens und der Macht; treu zu wahren im wirren Streit der Parteien und Interessen den Gedanken, dass des Rechtes Grund und Ziel die Gerechtigkeit ist" (Hervorhebung im Original).

Gierke ist keineswegs der einzige, der damals so dachte. Wenige Beispiele mögen zum Beleg genügen: J. Meisner, Kritische Bemerkungen zur Schlußrevision des Entwurfs des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, Breslau 1896, S.V: „Grund und Ziel der Rechtsordnung ... [ist] die mit Wohlwollen gehandhabte Gerechtigkeit..."; Rudolf Stammler, [Referat:] Soziale Gedanken im Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Soziale Gedanken im Bürgerlichen Gesetzbuch. Aus den Verhandlungen der 5. Hauptverhandlung der freien kirchlich-sozialen Konferenz zu Erfurt am 18.20. April 1900. Referate, mit Diskussion, Berlin 1900, S. 2-16, hier S. 3, der „das Richtige, das Gerechte zu treffen" als soziale Aufgabe des Gesetzes ansah. 64 Gustav Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Zweites Buch, Erste Abteilung: Dogmengeschichtliche Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, Tübingen 1951, S. 156f. In diesem Sinne auch Wolf, Große Rechtsdenker (wie Fn. 8), S. 705.

64

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

„kein Recht ohne Pflicht" drängte65. Für die Privatrechtskonzeption Gierkes hatte das zur Folge, daß die vorwiegend individualrechtlich gedachten Privatrechtspositionen des Einzelnen um den sozialrechtlichen Gemeinschaftsgedanken ergänzt werden mußten, ohne dadurch die Freiheitsrechte und individuellen Ansprüche aufzugeben. Soweit es die Kritik am ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und seine Nachfolger betrifft, stand für Gierke der Gemeinschaftsgedanke ganz eindeutig im Vordergrund66. Der Tropfen sozialistischen Öles, den er vermißte, war die adäquate Berücksichtigung der Tatsache, daß jeder einzelne Mensch eingebunden ist in eine größere Gemeinschaft, angefangen von Familie und Ehe bis hin zum Staat67. Schon hier zeigt sich, daß Gierkes Auffassung von der sozialen Aufgabe des Privatrechts nur indirekt etwas mit der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts zu tun hatte. Der Gemeinschaftsgedanke war nicht darauf angelegt, die Probleme des vierten Standes zu lösen68, auch wenn ihm Gierke das in vielen Fällen zutraute, sondern er war für Gierke Selbstzweck. In seiner Verwirklichung bestand für Gierke die soziale Aufgabe des Privatrechts.

Vgl. schon oben S. 57 bei Fn. 29. Ähnlich auch Pfizer; vgl. unten S. 81 bei Fn. 161. Die Identifikation von „sozial" mit dem Gemeinschaftsgedanken blieb bei Gierke nicht auf die Kritik am Entwurf beschränkt, sondern sie läßt sich auch sonst in seinem Werk nachweisen. Ein Beispiel mag genügen: schon oben wurde eine Bemerkung Gierkes beim dreizehnten Evangelisch-sozialen Kongreß 1902 zitiert (vgl. oben S.5 bei Fn. 24), die er in einer Diskussion über die sittliche und soziale Bedeutung der Bildung angebracht hatte. Er erklärte bei dieser Gelegenheit seinen Zuhörern, was er unter sozial versteht. Wegen der anschaulichen Klarheit sei diese Erklärung hier wörtlich zitiert: „Sozial aber ist nur, was zuerst auf das Ganze sieht, was in dem Individuum ein Glied des Ganzen sieht und was dem Leben der Menschheit alle individuellen Kräfte einordnen will. Sozial ist die Auffassung, wie sie uns der Apostel Paulus an dem großen Bilde der Menschheit zeigt, ein einheitlicher Körper mit Haupt und Gliedern, ein großer, mystischer Leib Christi. So kann keine Auffassung sozial genannt werden, die lediglich hinarbeitet auf die Anerkennung der möglichsten Berechtigung des Individuums, auf die Verwechselung von Gleichwertigkeit und Gleichheit, auf allgemeine Nivellierung und ebenso in unseren Fragen auf die absolute Gleichheit und Uniformität der Bildung. Aber eine wahrhaft soziale Auffassung weiß es doch auch, daß das Ganze nur in Individuen lebt und daß, wie der Apostel sagt, kein Glied leiden kann, ohne daß der ganze Körper leidet, daß das Wohl des Ganzen ruht auf dem Wohle des einzelnen, als eines, wenn auch vielleicht noch so unbedeutenden Gliedes" (Otto Gierke, [Diskussionsbeitrag beim Evangelisch-sozialen Kongreß zum Thema: Die sittliche und soziale Bedeutung des modernen Bildungsstrebens], in: Die Verhandlungen des dreizehnten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten in Dortmund vom 21. bis 23. Mai 1902, Göttingen 1902, S.29-33, hier S. 32f. 65 66

67 Auch Dieter Schwab, Das B G B und seine Kritiker, in: Z N R 22 (2000), S. 325-357, hier S. 331 f. hat die Gemeinschaftsbindung des Einzelnen als den Kern der Kritik Gierkes aufgefaßt, was man seiner Umschreibung des „Tropfens socialistischen Oeles" als „wohlfahrtsstaatliche Schmiere für das kapitalistische Räderwerk" (S. 349) freilich nicht ansieht. 68 So schon mit Bezug auf die Genossenschaftsidee, die man als eine Ausprägung des Gemeinschaftsgedankens betrachten kann: Adolf Laufs, Genossenschaftsdoktrin und Genossenschaftsgesetzgebung vor hundert Jahren, in: JuS 4 (1968), S.311-315, hier S.312.

/. Der

5. Weitere

Vertreter

Gemeinschaftsgedanke

des

65

Gemeinschaftsgedankens

Gierke war keineswegs der einzige, der damals für eine konsequente Berücksichtigung von Gemeinschaftsinteressen auch im Bereich des Privatrechts eintrat. Weiter müssen ein paar Beispiele genannt werden: Die vielleicht deutlichste Parallele zum Gemeinschaftsgedanken im Sinne von Gierke findet sich bei Eugen Ehrlich, der im Unterschied zu Gierke seine Ideen weniger historisch als soziologisch abzuleiten versuchte, aber zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam. Bei Ehrlich begegnet der Gemeinschaftsgedanke allerdings in weniger programmatischer Fassung. Im Zusammenhang mit dem Eigentumsbegriff des Entwurfs meinte Ehrlich, das Eigentum sei nur gerechtfertigt, wenn es „auch der Gesammtheit einen Dienst" erweise. Je größer die Einschränkung zugunsten der Gesamtheit sei, desto näher komme das Eigentum seiner sozialen Aufgabe 69 . In der Sache war das nichts anderes als die Auffassung Gierkes von den immanenten Schranken und der Pflichtgebundenheit aller subjektiven Rechte, die Gierke aus dem Gemeinschaftsgedanken abgeleitet hatte. Noch deutlicher wird die Parallelität zu Gierke bei der Kritik Ehrlichs am Entwurf, der, wie Ehrlich bemängelte, nicht die reale Existenz von Gesamtheiten wie zum Beispiel der Familiengemeinschaft anerkenne, sondern deren Mitglieder je als Einzelpersonen ohne Blick für das Ganze behandle70. Es sei seit Jahrhunderten eine ganz selbstverständliche Auffassung, daß in der Familie das Kapitalvermögen vom Vater verwaltet werde und dessen Erträge für den Familienunterhalt aufgewendet würden, daß aber das übrige Gebrauchsvermögen von allen gemeinschaftlich verwendet werde. Das Recht - auch des Entwurfs, so muß man ergänzen - sei demgegenüber „geradezu unheimlich ... in seinem kalten, starren Individualismus" 71 . In sein ungünstiges Gesamturteil über den Entwurf nahm Ehrlich schließlich auf, der Entwurf führe zu einer Zersetzung der Gemeinschaftsverhältnisse und vertiefe die Kluft zwischen den Menschen, vermeide aber „auch nur die allernothwendigsten socialpolitischen Reformen" 72 . Das könne man allerdings den Mitgliedern der Kommission nicht vorwerfen, da diese nur das Programm der historischen Rechtsschule umzusetzen bemüht gewesen seien, wie es den ganzen deutschen Juristenstand beherrsche: „das geltende Recht in eine technisch vollendete Form zu bringen"73. Demgegenüber solle 69 Eugen Ehrlich, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und die sozialpolitischen Bestrebungen der Gegenwart, in: Unsere Zeit 1890, 2. Band, S. 21-35, hier S.27; ders., Die sociale Frage im Privatrechte, in: Juristische Blätter. Eine Wochenschrift 21 (1892), S. 97-99, 109-111, 121-123, 133-135, hier S. 133f., hat sich in seiner Besprechung von Gierkes Kritik am Entwurf sehr zustimmend insbesondere zu den eigentumsrechtlichen Vorstellungen Gierkes geäußert. 70 Ehrlich, Der Entwurf (wie Fn.69), S.29. 71 Ehrlich, Der Entwurf (wie Fn.69), S.30. 72 Ehrlich, Der Entwurf (wie Fn.69), S.35. 73 Ehrlich, Der Entwurf (wie Fn.69), S.35. - Ob die historische Rechtsschule den Inhalt des Programmhefts der Kommission gefüllt hat, liegt neben unserer Frage; vgl. dazu Horst Heinrich Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, Paderborn usw. 1983.

66

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

die Gesetzgebung auf den von den Arbeiterschutzgesetzen eingeschlagenen Wegen fortschreiten. Es müsse „ein engerer Zusammenhang des Individuums mit der Gesammtheit platzgreifen" 74 . Der Rostocker Amtsrichter Friedrich Bunsen meinte, wo das Privatrecht mit allgemeinen Interessen der Gesellschaft in Konflikt gerate, müsse es zurückweichen und die Durchsetzung der Gemeinschaftsinteressen ermöglichen. Anders als Gierke verstand er zwar öffentliches Recht und Privatrecht als zwei getrennte Materien, aber auch innerhalb des Privatrechts sollten die Gemeinschaftsinteressen verwirklicht werden, so daß beispielsweise das Vermieterpfandrecht keinesfalls zur wirtschaftlichen Vernichtung des Schuldners führen dürfe. Unpfändbare Sachen müßten daher vom Vermieterpfandrecht ausgenommen werden75. Grundsätzlich zustimmend zum Gemeinschaftsgedanken äußerte sich auch der Nürnberger Rechtsanwalt Bernhard Hartmann, der allerdings diese Idee nur auf bereits fertig entwickelte Gebilde des Wirtschaftslebens anwenden wollte, eine sozialpolitische Aufgabe des Privatrechts im Sinne einer Zukunftsgestaltung aber ablehnte, da die sozialpolitischen Anschauungen zu wechselhaft seien, um eine sichere „Unterlage für den massiven Aufbau der privatrechtlichen Gesetzgebung [zu] bieten"76. Deutlicher vertrat Wilmanns77 den Gemeinschaftsgedanken, den er als christlich-germanische Ausbildung einem „römischen Egoismus" gegenüberstellte78. Die Anerkennung der individuellen Persönlichkeit war für ihn abhängig von deren Einbindung in die Gemeinschaft anderer Menschen79. Wilmanns hat aber daraus keine konkreten Forderungen für den Entwurf abgeleitet, sondern sah die Chance des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor allem darin, die nationale Rechtseinheit zu schaffen und so „den Ausgangspunkt einer neuen Periode [zu] bilden, in welcher der deutsche Geist allen Lebensordnungen das Gepräge seines Wesens giebt"80. Die eigentlichen sozialreformerischen Maßnahmen sollten nach seiner Meinung außerhalb der Kodifikation verwirklicht werden81, worin sich Wilmanns dann grundlegend von Gierke unterschied, aber beispielsweise mit Hartmann traf. Ein wichtiges Beispiel für die Verwendung des Gemeinschaftsgedankens durch andere als Gierke ist die Stellungnahme Heinrich Dernburgs auf dem 20. Deutschen Juristentag 1889 in Stettin anläßlich der Diskussion über die Frage, 74

Ehrlich, Die sociale Frage (wie Fn. 69), S. 99. Vgl. dazu unten S. 282. 76 Bernhard Hartmann, Der Entwurf des Einführungsgesetzes, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 1227-1272, hier S. 1230-1232. 77 Zu diesem schon oben S. 44 bei Fn. 92. 78 C. Wilmanns, Die Reception des römischen Rechts und die sociale Frage der Gegenwart, Berlin; Leipzig 1896, insbesondere S. 61-78. 79 Wilmanns, Die Reception des römischen Rechts (wie Fn. 78), S. 68. 80 Wilmanns, Die Reception des römischen Rechts (wie Fn. 78), S.VII. 81 Wilmanns, Die Reception des römischen Rechts (wie Fn. 78), S.VI. 75

I. Der

Gemeinschaftsgedanke

67

ob das Vermieterpfandrecht im künftigen bürgerlichen Gesetzbuch beizubehalten sei, was Dernburg strikt ablehnte 82 . Die Einzelheiten sind hier nicht von Belang, wichtig ist der programmatische Teil seiner Bemerkungen. Dernburg erklärte, das Privatrecht sei nichts anderes als eine „Organisation der Gesellschaft", weshalb soziale Erwägungen für an der Gesetzgebung beteiligte Juristen maßgeblich sein sollten 83 . Und wörtlich setzte er fort: „Der Jurist, der ein Gesetz macht, soll nur das, was der Gesellschaft nützlich ist, in die bezüglichen Formen gießen. Wenn daher die socialpolitischen Seiten der Fragen der Gesetzgebung in den Vordergrund treten, so ist das durchaus richtig, denn es ist eben das Privatrecht die Organisation der Verhältnisse der verschiedenen Klassen, Stände, Erwerbsgenossenschaften, die in der menschlichen Gesellschaft sich geltend machen. Das sociale Element ist das Entscheidende" 8 4 .

Auch Dernburg wollte also die Forderungen der Gemeinschaft oder hier der „Gesellschaft" im bürgerlichen Gesetzbuch zu ihrem Recht bringen. Es sei, so sagte er, auf die Bedürfnisse der Gegenwart und die Volksüberzeugung Rücksicht zu nehmen 85 . Dernburg verstand mithin unter der sozialen Aufgabe die Rücksicht auf das Gemeinwohl, das im Vordergrund stehen sollte. Allerdings sind Dernburgs Äußerungen zu vage, als daß man sagen könnte, er habe den Gemeinschaftsgedanken im Sinne Gierkes aufgefaßt. Immerhin deuten aber die Bemerkungen beim Juristentag darauf hin. Deutlichere Berührungspunkte zum Gemeinschaftsgedanken im Sinne von Gierke weisen hingegen die 1894 veröffentlichten „Studien sozialer Jurisprudenz" des Wiener Juristen Julius Ofner auf. Diese für die Entwicklung des sozialen Rechtsdenkens höchst aufschlußreiche Arbeit ist hier nur am Rande zu erwähnen als ein Beispiel dafür, daß die Diskussion über ein soziales Privatrecht nicht auf die Debatte um den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich beschränkt war, sondern auch unabhängig davon geführt wurde. Ofner ging davon aus, das Recht als Ordnung der Gesellschaft müsse sich der Gesellschaft anschließen 86 . Auch im Privatrecht solle die „gesellschaftliche Idee" verwirklicht werden, die dem frühen Christentum ähnele 87 . Das Privateigentum sollte als Mittel zur gerechten Verteilung der gesellschaftlichen Güter verstanden werden 88 . Das Anrecht daran aber sei, so Ofner, nur als Folge der Arbeit zu rechtfertigen 89 . Die Einzelheiten brauchen nicht ausgeführt zu werden, da sie außerhalb der hier untersuchten Diskussion stehen. Es genügt, an Vgl. dazu unten S. 266. Heinrich Dernburg, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts] in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 176-180, hier S. 176 f. 84 Dernburg, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 83], S. 177. 85 Dernburg, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 83], S. 177. 86 Julius Ofner, Studien sozialer Jurisprudenz, Wien 1894, S. 57. 87 Ofner, Studien sozialer Jurisprudenz (wie Fn. 86), S.63. 88 Ofner, Studien sozialer Jurisprudenz (wie Fn. 86), S. 71. 89 Ofner, Studien sozialer Jurisprudenz (wie Fn. 86), S. 72ff. 82

83

68

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

dieser Stelle zu erwähnen, daß Ofner einen demokratischen Sozialstaat entworfen hat, in dem das Privatrecht vor allem Verteilungsaufgaben in der „Arbeitsgesellschaft" 90 erfüllen sollte.

II. Der Schutz des Schwächeren Der klassische soziale Topos war (und ist) der Schutz des Schwächeren gegen den Stärkeren, zu dem sich mindestens seit den späten siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts auch das Reich berufen fühlte. Wir haben im zweiten Kapitel von der Sozialpolitik des Reiches gesprochen, die gerade diesen Schutz der Schwächeren erstrebte, um den vierten Stand in den Staat zu integrieren und ein weiteres Auseinanderdriften der verschiedenen Bevölkerungsschichten zu verhindern91. Das Reichsjustizamt hatte sich diesen Standpunkt zu eigen gemacht, worauf am Ende dieses Abschnitts zurückzukommen sein wird92. Die Zielrichtung der Staatsintervention war ganz eindeutig der Schutz der wirtschaftlich Schwachen, mit denen weithin vor allem der vierte Stand gleichgesetzt wurde, auch wenn Planck betont hat, dies lasse sich in dieser Allgemeinheit nicht sagen93. So wie der Gemeinschaftsgedanke vor allem von Gierke geprägt worden ist, ist auch der Topos vom Schutz des Schwächeren mit einzelnen Namen aus unserem Diskussionszusammenhang in Verbindung zu bringen, deren große Zahl auf die Bedeutung dieses Topos bereits hindeutet.

1. Beschränkung

subjektiver

Rechte

- Gottlieh

Planck

Mit Planck ist der wichtigste Gegenspieler Gierkes in der die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs begleitenden Diskussion angesprochen. Sein Einfluß schon in der ersten Kommission soll demjenigen Windscheids nicht unähnlich gewesen sein. In der zweiten Kommission hatte er in der Funktion des Generalreferenten eine ganz herausgehobene Position als Koordinator. Seine Meinung war zu allen Punkten gefragt und er hatte den Vorsitz in der Redaktionskommission inne, die dem zweiten Entwurf seine endgültige Gestalt gegeben hat. Schon nach dem zeitgenössischen Urteil muß Planck gerade in der zweiten Kommission auf die übrigen Mitglieder einen sehr starken Eindruck gemacht haben. Davon zeugt ein Bericht Rudolph Sohms, den Wieacker gelegentlich als einen „großen und charaktervollen Gelehrten" bezeichnet hat 94 . Sohm schrieb im Jahre 1900 über Planck:

90 91 92 93 94

Ofner, Studien sozialer Jurisprudenz (wie Fn. 86), S.86. Vgl. oben S. 24ff. Vgl. unten S. 82. Planck, Zur Kritik, S.409. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S.471 Fn. 8.

II. Der Schutz des

Schwächeren

69

„Die geistige Führung der [zweiten] Kommission war von vornherein dem Generalreferenten Planck zugewiesen, dessen Ausführungen, einsichtsvoll und klar, Licht in jede von ihm behandelte Sache b r a c h t e n " 9 5 .

Das einzige soziale Argument, das Planck bei der Bestimmung des Inhalts des Gesetzbuchs gelten ließ, war der Schutz des wirtschaftlich Schwächeren gegen den Stärkeren. Der Gemeinschaftsgedanke im Sinne Gierkes hatte in seinen Augen im Privatrecht keinen Platz, das nur die Verhältnisse der einzelnen Menschen untereinander in die rechte Beziehung setzen sollte 96 . In seiner Apologie des Entwurfs gegen die Kritik von Gierke räumte Planck ein, der Gedanke, auf den Schutz des Schwächeren auch im Privatrecht Rücksicht zu nehmen, sei berechtigt. Doch sofort beeilte er sich, die Tragweite dieses Zugeständnisses einzuschränken, indem er betonte, keinesfalls dürften solche Gesichtspunkte für sich allein betrachtet werden, sondern stets müßten auch die anderen berechtigten Interessen Beachtung finden 97 . Im übrigen könne man auch keine allgemeine Kategorie finden, nach der zu bestimmen sei, wer nun der Schwächere sei. ,Reich' und ,arm* taugten dazu ebensowenig wie der Gläubiger stets der Stärkere, der Schuldner stets der Schwächere sei 98 . Er schrieb: „Es wird daher immer auf eine genaue Prüfung der einzelnen Rechtsverhältnisse ankommen, besonders aber darauf, o b sich die Voraussetzungen, unter welchen ein zum Schutze des Schwachen bestimmter Rechtssatz Anwendung finden soll, sowie der Inhalt dieses Rechtssatzes selbst so bestimmen lassen, daß dadurch wenigstens regelmäßig wirklich nur der Schwache geschützt wird und nicht daneben andere schwerwiegende Nachtheile für die Sicherheit des Verkehrs eintreten. Von diesen Gesichtspunkten hat sich der Entwurf leiten lassen und wenn über einzelne Fragen die Meinungen auch getheilt sein mögen, im G r o ß e n und Ganzen, wie ich glaube, den richtigen Mittelweg festgehalten" 9 9 .

Aus der Feder eines der führenden Mitglieder der ersten Kommission stammend, kommt dieser Aussage ein gesteigertes Gewicht zu. Die Kommission soll sich danach also um den Schutz des Schwächeren bemüht haben, soweit es das Interesse der Verkehrssicherheit erlaubt hat. Diese Verkehrsinteressen hat die Kommission beispielsweise bei der laesio enormis, der Lex Anastasiana 100 und den Zinsbeschränkungen für stärker gehalten als das Schutzbedürfnis des Schwächeren. Später hob Planck einmal die §§138 und 343 B G B sowie das 95 Rudolph Sohm, Die Entstehung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Deutsche Juristen-Zeitung 5 (1900), S. 6-9, hier S. 7. Später schrieb Rudolph Sohm, Gottlieb Planck. Ein Nachruf, in: D J Z 15 (1910), S. 610-614, hier S. 612: „Planck war zweifellos das geistige Haupt der zweiten Kommission". 96 Planck, Zur Kritik, S.405. 97 Planck, Zur Kritik, S.408. 98 Planck, Zur Kritik, S.409. 99 Planck, Zur Kritik, S.409. 1 0 0 Der Käufer einer Forderung, der für sie einen geringeren Preis als die Forderungssumme bezahlt hat, darf auch nur den geringeren Betrag gegenüber dem Drittschuldner geltend machen, vgl. C. 4.35.22.1/3. Zur Lex Anastasiana: Eugene Beaucamp, Die Lex Anastasiana von Thomasius zum B G B , Diss. jur., Köln 1994.

70

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

Dienst- und Mietvertragsrecht als soziale Schutzvorschriften hervor 101 . Und in einer zusammenfassenden Einschätzung meinte er: „... Beschränkung der individuellen Rechte und Abschwächung der Konsequenzen derselben, soweit die billige Rücksicht auf das berechtigte Interesse anderer es erfordert, sowie Schutz der wirtschaftlich Schwachen, das sind die sozialen Gesichtspunkte, welche das B G B . bei seinen Vorschriften stets im Auge gehabt h a t " 1 0 2 .

Der Schutz des wirtschaftlich Schwächeren hatte für Planck also zentrale Bedeutung und war Ausdruck eines sozialen Privatrechts. Das soziale Programm des Gesetzgebers hat Planck auch in seiner Rede während der ersten Lesung des Entwurfs im Reichstag am 4. Februar 1896 dargelegt. Wenn man den Entwurf kapitalistisch nenne, so erklärte er den Abgeordneten, bedeute das nichts. Meine man damit, daß jeder seine Schulden bezahlen müsse, so stimme es. Aber an keiner Stelle werde der Stärkere gegenüber dem Schwächeren bevorzugt 103 . Im Gegenteil: „Auf jeder Zeile des Obligationenrechts finden Sie die Spur, daß der Entwurf sucht gerecht zu sein und, soweit es mit der Gerechtigkeit und Billigkeit vereinbar ist, den sozial Schwachen, den wirthschaftlich Schwachen zu Hilfe zu k o m m e n " 1 0 4 .

Im Anschluß daran zählte Planck verschiedene Beispiele auf, so die Einführung der Regel „Kauf bricht nicht Miete", die Einschränkungen des Vermieterpfandrechts, die Möglichkeit fristloser Kündigung wegen Gesundheitsgefährdung, die dienstvertragliche Lohnfortzahlung bei kurzfristiger Verhinderung des Dienstpflichtigen, den Schutz vor überlanger Vertragsbindung durch ein Kündigungsrecht nach fünf Jahren, die Schutzpflichten des Dienstherrn mit Rücksicht auf die Gesundheit des Verpflichteten sowie schließlich das richterliche Moderationsrecht bei der Vertragsstrafe 105 . Und gegen Ende seiner Rede wiederholte Planck noch einmal: „... sozial ist der Entwurf in dem Sinne durchaus, daß er, soweit es auf der Grundlage der jetzigen Gesellschaftsordnung durch Mittel des bürgerlichen Rechts möglich ist, den Bedürfnissen der wirthschaftlich Schwächeren abzuhelfen, dies in dem weitesten Umfange thut" 1 0 6 .

Die verschiedenen Stellungnahmen Plancks zeigen, wie er vor allem den Schutz des wirtschaftlich Schwächeren als soziale Zielvorgabe aufgefaßt hat 107 , 101 Gottlieb Planck, Die soziale Tendenz des B G B , in: DJZ 4 (1899), S. 181-184, hier S. 182f.; zum Dienstvertrag auch speziell ders., Das bürgerliche Recht und die arbeitenden Klassen, in: DJZ 14 (1909), Sp. 23-28. 102 Planck, Die soziale Tendenz (wie Fn. 101), S. 184. 103 Planck, Rede vom 4. Februar 1896, in: Stenographische Berichte, S. 61-71, hier S.63. 104 Planck, in: Stenographische Berichte, S.63. 105 Planck, in: Stenographische Berichte, S.64. 106 Planck, in: Stenographische Berichte, S.70. 107 Die Argumentation spielte übrigens auch bei der Schaffung des Abzahlungsgesetzes eine hervorragende Rolle, vgl. z.B. die Rede von Ludwig Enneccerus in der Sitzung des Reichstags vom 25. Januar 1894, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen

II. Der Schutz

des

71

Schwächeren

die sich vorwiegend im Obligationenrecht auswirken mußte, aber, wie beispielsweise die Regeln über die elterliche Gewalt und das Ehegüterrecht zeigen 108 , nicht nur dort.

2. Berücksichtigung

von Ungleichgewichtslagen

- Anton

Menger

Der Schutz des wirtschaftlich Schwachen stand auch im Mittelpunkt der Kritik Anton Mengers am Entwurf, die sich insofern bruchlos in eine Linie mit der Auffassung von Planck stellen läßt. Bereits 1889 hatte Menger eine umfassende Beurteilung des Entwurfs vorgelegt, in der er konsequent vom Standpunkt der „besitzlosen Volksklassen" ausging, wie er den vierten Stand bezeichnete 109 . Er Reichstages, I X . Legislaturperiode, II. Session 1893/94, 2. Band, Berlin 1894, S. 8 6 9 - 8 7 2 , insbesondere S. 870 B. Außerdem: Hans-Peter Benöhr; Konsumentenschutz vor 80 Jahren. Zur Entstehung des Abzahlungsgesetzes vom 16. Mai 1894, in: Z H R 138 (1974), S . 4 9 2 - 5 0 3 . 1 0 8 Vgl. dazu unten im Kapitel 7, S.334ff. und S.388. 109 Anton Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 2 (1889), S. 1 - 7 3 , 4 1 9 - 4 8 2 sowie 3 (1890), S. 5 7 - 7 4 ; sodann allein publiziert unter dem Titel: Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen. Eine Kritik des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, 1. Aufl. Tübingen 1890. Eine zweite Auflage erschien in der zweiten Jahreshälfte 1890 und wurde von Menger als teilweise verbessert bezeichnet. Zitiert wird hier nach der Erstausgabe von 1889 beziehungsweise nach der 2. Auflage 1890, wobei die Jahreszahl die Unterscheidung angibt. Biographisches bei Pio Caroni, Anton Menger, 1841-1906, in: Juristen in Osterreich, hrsg. von Wilhelm Brauneder, Wien 1987, S . 2 1 2 - 2 1 6 , 3 3 7 - 3 3 8 . Soweit Caroni geltend macht, das rechte Verständnis der Kritik am B G B [gemeint ist der erste Entwurf] erschließe sich erst aus Mengers „Neue Staatslehre" (Jena 1903) [S.215], so soll dem hier nicht widersprochen werden, aber Mengers Arbeit von 1903 hat dennoch in unserer Untersuchung außer Betracht zu bleiben, da es um die Diskussion zwischen 1888 und 1896 geht und spätere Erläuterungen naturgemäß auf diese Diskussion keinen Einfluß nehmen konnten. Zum Werk Mengers aus der neueren Literatur: Pio Caroni, Das „demokratische Privatrecht" des Zivilgesetzbuches. A. Menger und E. Huber zum Wesen eines sozialen Privatrechts, in: M é langes en l'honneur de Henri Deschenaux publiés à l'occasion de son 70e anniversaire - Festgabe für Henri Deschenaux zum 70. Geburtstag, hrsg. von der rechts-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg, Fribourg 1977, S. 3 7 - 6 2 ; ders., Anton Menger ed il codice civile svizzero del 1907, in: Quaderni fiorentini 3/4 (1974/75), S. 2 7 3 - 3 1 8 ; Hans Hörner, Anton Menger. Recht und Sozialismus, Frankfurt am Main und Bern 1977; Karl Hermann Kästner, Anton Menger (1841-1906). Leben und Werk, Tübingen 1974; Kaiser, Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung während des 19. Jahrhunderts (wie Fn. 16); Eckhart Müller, Anton Mengers Rechts- und Gesellschaftssystem. Ein Beitrag zur Geschichte des sozialen Gedankens im Recht, Berlin 1975 [die Kritik am ersten Entwurf hat Müller bewußt ausgeklammert, da sie ihm aus dem Rahmen des sonstigen Werks herauszufallen schien, vgl. S. 46^18]; Giovanni Orrit, „Idealismo" e „realismo" nel socialismo giuridico di Menger, in: Quaderni fiorentini 3/4 (1974/75), S. 183-272, insbesondere S . 2 0 7 - 2 1 2 [mit einer umfangreichen Bibliographie]; Norbert Reich, Anton Menger und die demokratische Rechtstheorie, in: Recht und Politik 8 (1972), S. 9 3 - 1 0 1 , der anhand des Werkes von Menger eine „demokratische Rechtstheorie" entwickelt; Klaus-Peter Schroeder, Anton Menger: Jurist und Sozialphilosoph, in: JuS 15 (1975), S. 6 7 8 - 6 8 0 ; Dörte Willrodt-von Westernhagen, Recht und soziale Frage. Die Sozial- und Rechtsphilosophie Anton Mengers, Hamburg 1975.

72

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

ging der Frage nach, inwiefern der Entwurf die spezifischen Interessen des vierten Standes berücksichtige und kam zu dem Schluß: „Schwerlich hätte ich in alter und neuer Zeit ein Gesetzeswerk finden können, welches die besitzenden Klassen so einseitig begünstigt und diese Begünstigung so unumwunden zu erkennen gibt ..." 1 1 0 .

Der Sache nach widersprach er also Planck, der für den Entwurf beanspruchte, nicht einseitige besondere Interessen zu befolgen. Menger wollte „die Stimme der Enterbten" 1 1 1 führen, dabei jedoch nicht von einer sozialistischen Rechtsauffassung ausgehen, sondern von den „grundlegenden Prinzipien unseres heutigen Privatrechts", als welche er das Privateigentum, die Vertragsfreiheit und das Erbrecht nannte 112 . Auf dem Boden dieser Prinzipien sah Menger die soziale Aufgabe des Privatrechts vor allem darin, den Schutz des Schwächeren zu gewährleisten, den er im ersten Entwurf vermißte, wie er in seiner Wiener Rektoratsrede vom 24. Oktober 1895 „Über die sozialen Aufgaben der Rechtswissenschaft" erläuterte: „Konstatieren wir zunächst, daß der Vorwurf, der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches habe den Schutz der Schwachen versäumt und besitze deshalb keinen sozialen Charakter, zwar an sich vollständig richtig, aber im Mund der Juristen, die ihn erheben, doch nur in geringem Maße berechtigt ist" 1 1 3 .

Die Passage zeigt, daß Menger der Rechtswissenschaft ins Gewissen reden und den Charakter des Gesetzbuchs am Schutz des Schwachen ablesen wollte. Der Entwurf vernachlässige diesen Schutz nach seiner Meinung vor allem dadurch, daß er für Reiche und Arme dieselben Rechtsregeln aufstelle, obwohl die unterschiedliche soziale Lage auch eine unterschiedliche Behandlung fordere 114 . Diesen Grundsatz hat Menger dann auf die verschiedenen Rechtsinstitute des Entwurfs angewandt und daraus konkrete Forderungen abgeleitet, die hier nicht im einzelnen darzustellen sind. Der Kern dieser Überlegungen war, daß der Schutz des Schwachen sich nur dadurch werde erreichen lassen, daß man Rücksicht nimmt auf Ungleichgewichtslagen. Menger stellte fest: „Man weiss eben heute, dass es keine grössere Ungleichheit gibt, als das Ungleiche gleich zu behandeln" 1 1 5 .

Die „Manchesterdoktrin" sei zwar davon ausgegangen, das „ökonomische Wohlbefinden" aller stelle sich im freien Spiel der Kräfte ein, bei dem alle StaatsMenger, Besitzlose Volksklassen 1890, S. III (Vorwort zur ersten Auflage). Menger, Besitzlose Volksklassen 1890, S.2. 112 Menger, Besitzlose Volksklassen 1890, S.3f. 113 Anton Menger, Uber die sozialen Aufgaben der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. Wien und Leipzig 1905, S. 2, Hervorhebung von T. R. Die Rede ist wiederabgedruckt in: Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie, hrsg. von Gerd Roellecke [Wege der Forschung 644], Darmstadt 1988, S. 94110 111

111. 114 115

Menger, Besitzlose Volksklassen 1890, S. 19. Menger, Besitzlose Volksklassen 1890, S.29.

II. Der Schutz des

73

Schwächeren

bürger ohne Rücksicht auf ihre persönlichen Eigenschaften und ihre wirtschaftliche Kraft gleich behandelt werden. Die neuere Sozialgesetzgebung zeige aber, daß der Schutz der Schwachen - durch Ungleichbehandlung, wie man ergänzen muß - erforderlich sei, um den Armen und Schwachen wenigstens einen bescheidenen Anteil an den Gütern des Lebens zu sichern 116 . Der Topos vom Schutz des Schwächeren fand damit bei Menger sogar eine konkrete Ausfüllung. Er bedeutete für ihn die Rücksichtnahme des Gesetzgebers auf die möglicherweise ganz unterschiedliche persönliche Lage der jeweils Betroffenen. Schutz des Schwächeren war also vor allem Ausgleichung der Ungleichheit.

3. Einschränkung

der Vertragsfreiheit

- Konrad

Schneider

Konrad Schneider, damals Landrichter in Kassel, veröffentlichte 1893 eine Monographie zum Wohnungsmietrecht, in der er sich sehr ausführlich und prinzipiell mit den aufgrund der Wohnungsfrage erforderlichen sozialen Reformen dieses Rechtsgebietes auseinandergesetzt hat. Im Anschluß an Planck sah er als das Ziel einer sozialen Reform des Privatrechts an, „die eine Partei vor der durch Rechtsgeschäfte, also unter vollkommener Wahrung der Rechtsform bewerkstelligten Ausbeutung seitens der ihr allgemein oder im gegebenen Augenblick wenigstens wirtschaftlich überlegenen anderen thunlichst [zu] schützen" 1 1 7 .

Dabei gehe es, so fuhr er fort, nicht primär um den Schutz der Armen oder der unteren Volksklassen, sondern generell um die wirtschaftlich Schwachen 118 . Die Zielsetzung wird besonders klar, wenn man das Hauptmittel zur Umsetzung dieses Ziels in Betracht zieht: die Einschränkung der Vertragsfreiheit. Diese Idee war schon vorgebildet etwa bei den Volkswirtschaftlern Jean Charles Leonhard des Sismondi, Adolph Wagner, Wilhelm Roscher und Karl Rodbertus, auf die sich Schneider ausdrücklich bezog 119 . Die Einschränkung der Vertragsfreiheit wurde vielfach in der Diskussion um den Entwurf gefordert 120 , wie überMenger, Besitzlose Volksklassen 1890, S.29. Konrad Schneider, Das Wohnungsmietrecht und seine sociale Reform, Leipzig 1893, S. 19. 118 Schneider, Das Wohnungsmietrecht (wie Fn. 117), S.20. 119 Schneider, Das Wohnungsmietrecht (wie Fn. 117), S.2-6. Zur Bedeutung der Volkswirtschaftslehre für die rechtswissenschaftliche Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts vgl. insbesondere Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts. Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen, Ebelsbach 1981, S. 303-385. 120 Z.B. Gierke, Entwurf, S. 103f., 168f., 192f. [mit ausdrücklicher Kritik daran, daß der Entwurf den Schutz der Schwachen gegen wirtschaftliche Ubermacht vernachlässige], 241,259 [Verträge sollten dann nicht frei vereinbar sein, wenn sie „der Ausbeutung des Schwachen durch den Starken Thür und Thor" öffnen], im Sachenrecht hingegen sollte nach Gierkes Auffassung wenigstens zum Teil Vertragsfreiheit eingeführt werden, S.281; vgl. auch oben Fn. 34; Otto Bahr, Zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, München 1888, S. 180f. [mit der Forderung eines maßvolleren Rechts anstelle der Tendenz des Entwurfs, immer die weitestgehenden Ansprüche zu schützen]; Gustav Hartmann, Der Civilge116 117

74

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

haupt das Obligationenrecht bevorzugter Gegenstand für die Verwirklichung des Schutzgedankens war. Wagner hatte 1879 geschrieben: „Die persönliche Freiheit überhaupt und die Vertragsfreiheit speciell muss Inhalt, U m fang und daher auch Beschränkung mit nach Bedürfnissen der Gesammtheit erhalten" 1 2 1 .

Peter Reichensperger

hatte schon 1860 erklärt:

„Die Freiheit des Vertrages ist allerdings die Grundlage des Civilrechts; allein diese Freiheit unterliegt, wie jede andere, der allgemeinen, durch die sociale Lebensordnung gebotenen Beschränkung, daß sie nicht in Widerspruch mit den Forderungen des Rechts, der guten Sitten und der öffentlichen Ordnung ausgeübt wird. Soweit diese allgemeinen und höchsten Güter es erfordern, darf und muß die Freiheit der Einzelnen und ihrer Willensbestimmung im Interesse der Gesammtheit beschränkt werden" 1 2 2 .

In Anlehnung an solche Überlegungen vertrat Schneider die Auffassung, das vorzügliche Mittel zur sozialen Reform - jedenfalls im Schuldrecht - sei die stärkere Beschränkung der Vertragsfreiheit 123 , mit dem Zweck, ein Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung zu gewährleisten 124 . Als zweites Mittel zum Ziel des Schutzes der wirtschaftlich Schwächeren beschrieb Schneider die Auslegung „ex bona fide", die bereits de lege lata soziale Verbesserungsmöglichkeiten biete 125 . Die bona fides könne, so erklärte er, wirksam zum Schutz des wirtschaftlich Schwachen dienen, denn unbedingte Vertragstreue sei eben nicht zu wahren, weil es einen höheren Grundsatz gebe „als den der Vertragsfreiheit, die sich hier in das Unschuldsgewand des Festhaltens am gegebenen Worte zu hüllen versucht - das ist der der Gerechtigkeit. ,Sie steht über der Freiheit!'"126

Die Gerechtigkeit als Ziel des Rechts war eine zeitlos gültige Formel, der niemand widersprach. Dazu gehörte für Schneider in zentraler Weise der Schutz des Schwächeren. setzentwurf, das Aequitätsprincip und die Richterstellung, in: AcP 73 (1888), S.309-407, insbesondere S. 353-365 [Hartmann sprach sich für die Beibehaltung hergebrachter Schranken der Vertragsfreiheit aus, z.B. Begrenzung der Zinsen auf die Höhe des Kapitals, um einer gefährlichen Übertreibung des „Manchestertums" vorzubeugen]; Oscar Cleß, Staat und Familie im Lichte des künftigen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches. Gemeinverständlich dargestellt und vorgetragen in den kaufmännischen Vereinen zu Stuttgart und Reutlingen, Stuttgart 1890, S. 16f. [Vertragsfreiheit führt leicht zum mangelnden Schutz gegen wirtschaftliche Ubermacht und Übervorteilung und benachteiligt so Besitzlose und Schwache]; Ludwig von Bar, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, besonders in sozialpolitischer Beziehung, in: Die Nation 7 (1889/90), S.399-403, hier S.401 [Beschränkungen der Vertragsfreiheit sind nach allgemeiner Erfahrung zum Schutz der persönlichen Freiheit insbesondere der „bedürftigen Klassen" besonders wichtig]. 121 Adolph Wagner, Allgemeine oder theoretische Volkswirtschaftslehre. Grundlegung, 2. Aufl. Leipzig und Heidelberg 1879, S.363 [vgl. auch 3. Aufl. (wie Fn.70), S. 34]. 122 Peter Reichensperger, Gegen die Aufhebung der Zinswuchergesetze, Berlin 1860, S. 39. 123 Schneider, Das Wohnungsmietrecht (wie Fn. 117), S. 15f., 25. 124 Schneider, Das Wohnungsmietrecht (wie Fn. 117), S.36. 125 Schneider, Das Wohnungsmietrecht (wie Fn. 117), S.68-95. 126 Schneider, Das Wohnungsmietrecht (wie Fn. 117), S. 83.

II. Der Schutz des

7b

Schwächeren

4. Blick auf das Zwangsvollstreckungsrecht

- Paul

Stolterfotb

Ganz ausdrücklich bezeichnete auch der Reichsgerichtsrat Paul Stolterfoth in seinen Bemerkungen zum Entwurf den „angemessenen Schutz der wirthschaftlich Schwächeren" und die Erleichterung der Rechtsverfolgung begründeter Ansprüche als eine Aufgabe der bürgerlichen Gesetzgebung, der, wie er meinte, der Entwurf besser gerecht werde, als gemeinhin angenommen werde 127 . Nicht ohne Grund wies Stolterfoth allerdings auch darauf hin, daß mancher scheinbarer Härte des Schuldrechts die Spitze genommen werde, wenn man die Vorschriften der Zwangsvollstreckung hinzudenke, denn so schließe nicht nur §715 CPO bestimmte unentbehrliche Sachen von der Pfändung aus, sondern § 749 CPO dehne dies aus auf Arbeits- und Dienstlohn in bestimmten Grenzen, auf Alimente und ähnliche Unterstützungen sowie auf Pensionen von Witwen und Waisen usw. 128 . In der Tat liegt hier ein häufig übersehener Schlüssel zum Verständnis des im Bürgerlichen Gesetzbuch so konsequent durchgeführten Satzes pacta sunt servanda. Anders als im anglo-amerikanischen Recht, das die specific Performance nur ausnahmsweise kennt, haben sich in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts die Fragen des Erfüllungszwangs vom materiellen Recht auf das Prozeßrecht verlagert. Jahrhundertelang war die Rechtswissenschaft auch auf dem Kontinent gewohnt, die damit zusammenhängenden Probleme materiellrechtlich zu lösen, wie es zuerst die Glossatoren und Kommentatoren unternommen hatten 129 . Nur wenige wie zum Beispiel Stolterfoth erkannten diesen Zusammenhang von materiellem Recht und Prozeßrecht, weshalb wohl manchem Teilnehmer der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts der Entwurf in grelleren Farben gezeichnet erschien, als er sich praktisch jemals hätte auswirken können.

127 Paul Stolterfoth, Beiträge zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Leipzig 1890, S. 49. Falsch daher Hörner, A n t o n Mengers Recht und Sozialismus (wie Fn. 109), S. 141, der behauptete, Stolterfoth habe eine soziale A u f g a b e des Privatrechts abgelehnt. Zu einseitig ist auch die Interpretation von Schröder, Abschaffung oder R e f o r m des Erbrechts ( w i e F n . 119), S . 3 6 , 2 1 7 auf das Erbrecht bezogen. Stolterfoth hat, w i e im Text ausgeführt w o r d e n ist, klarer Stellung bezogen, als es Schröders A u s f ü h r u n g e n vermuten lassen. Die Lösung der sozialen Frage, die Stolterfoth tatsächlich als öffentlich-rechtliche A u f g a b e betrachtete, ist aber auch nicht gleichbedeutend mit der sozialen A u f g a b e des Privatrechts, die u n a b h ä n gig von der sozialen Frage besteht. 128 Stolterfoth, Beiträge (wie Fn. 127), S.50f. 129 D a z u : Tilman Repgen, Vertragstreue u n d E r f ü l l u n g s z w a n g in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft, Paderborn usw. 1994, z u m 19. Jahrhundert insbesondere S.329f., z u m a n g l o - a m e rikanischen Recht S. 15-18.

76

Kapitel 3: Soziale

Topoi - Versuch einer

Typologie

5. Beispiele für Schutzvorschriften - Ernst Landsberg, und Ludwig Enneccerus

Victor

Mataja

Noch während der Arbeiten der zweiten Kommission unternahm es Ernst Landsberg, die „nachträgliche Salbung unseres Civilrechts mit dem berühmten Tropfen sozialen Oeles" zu untersuchen130. Als soziale Bestimmungen betrachtete er diejenigen, die „den Schutz des wirthschaftlich Schwächeren gegen Ausbeutung, die straffere Heranziehung des kapitalistischen Unternehmers zur Tragung weitestgehender Verantwortlichkeit, u. dgl. m." bezweckten131. Die Fortschritte des zweiten Entwurfs gegenüber dem ersten erblickte er in der Aufnahme der Trunksucht als Entmündigungsgrund, in der Sicherung des Anspruchs aus einer Lebensversicherung für die Hinterbliebenen, in der Einführung des richterlichen Moderationsrechts bei der Vertragsstrafe, in der Verlängerung der Kündigungsfrist bei Darlehen auf unbestimmte Zeit, in der Befugnis des Schadensersatzschuldners, Geldersatz zu leisten132. Als Hauptmaterien sah er jedoch die mietrechtlichen und die deliktischen Vorschriften an. Im Mietrecht hob er die Einführung der Regel „Kauf bricht nicht Miete" und der Kündigungsmöglichkeit bei Gesundheitsgefahren hervor. Analog, so erklärte Landsberg, seien Vorschriften zum Schutz der Gesundheit bei der Dienstmiete aufgenommen worden. Sozial inspiriert sei auch die Verlagerung der Beweislast hinsichtlich des Verschuldens bei der Haftung des Unternehmers für seine Verrichtungsgehilfen und die Einführung der verschuldensunabhängigen Billigkeitshaftung des Wohlhabenden gegenüber dem Bedürftigen133. Sympathie vermochte Landsberg den neuen Regeln freilich nicht entgegenzubringen, sah er doch darin, daß gerade das ALR für die Veränderungen im Miet- und Deliktsrecht als Vorbild gedient hatte, einen antiliberalen Zeitgeist am Werke: „bürokratisch unterstütztes Gottesgnadenthum und Sozialdemokratie"134. Nahezu gleichzeitig mit dem ersten Entwurf erschien eine umfangreiche Untersuchung des damaligen Wiener Privatdozenten für politische Ökonomie Victor Mataja über das Schadensersatzrecht, die in grundsätzlicher Weise auch die Aufgaben der Gesetzgebung auf diesem Gebiet beschrieb. Mataja sah den Schutz des wirtschaftlich Schwächeren als ein selbstverständliches Ziel der Gesetzgebung an135, zu dessen Erreichung in den Augen von Ludwig Enneccerus der zweite Entwurf „wertvolle Anfänge" gemacht habe. Wenn auch noch manches auf diesem Gebiet zu tun bleibe, so dürfe, wie Enneccerus zur prophylakti-

130 Ernst Landsberg, Soziale Bestimmungen im bürgerlichen Gesetzbuch, in: Die Nation 12 (1894/95), S. 131-133. 131 Landsberg, Soziale Bestimmungen (wie Fn. 130), S. 131. 132 Landsberg, Soziale Bestimmungen (wie Fn. 130), S. 131 f. 133 Landsberg, Soziale Bestimmungen (wie Fn. 130), S. 132. 134 Landsberg, Soziale Bestimmungen (wie Fn. 130), S. 133. 135 Victor Mataja, Das Recht des Schadensersatzes vom Standpunkte der Nationalökonomie, Leipzig 1888, S. VIII, 30 Fn. 1,

II. Der Schutz des

77

Schwächeren

sehen Verteidigung des zweiten Entwurfs gegen Angriffe im Reichstag erklärte, man den Bau des Gesetzes nicht durch vorschnellen Übereifer gefährden136. 6. Ein „ ritterliches

Gefühl"

- Heinrich

Dernburg

Dernburg sprach am 21. März 1894, also noch während der Arbeiten der 2. Kommission am Entwurf, in Wien über die „Phantasie im Rechte". Dabei stellte er die These auf, daß die Gerechtigkeit in Phantasie und Gemüt wurzele137. Die Phantasie spielte deshalb in seinen Augen eine entscheidende Rolle für die Findung richtigen Rechts. In diesem Zusammenhang kam er auch auf den E I und die soziale Aufgabe des Privatrechts zu sprechen. Er meinte, den Gesetzgeber solle das „ritterliche Gefühl" dazu bestimmen, „Minderjährige, Frauen, Schwache unter seinen Schutz und Schirm zu nehmen", doch die moderne Gesetzgebung zeige hierfür nur geringes Verständnis138. Die soziale Aufgabe war also auch für ihn der Schutz der Schwachen, der Benachteiligten. Dementsprechend ist Dernburg zum Beispiel auch für die gänzliche Abschaffung des Vermieterpfandrechts eingetreten139. Für Dernburg gilt also ebenso wie für Gierke und andere, daß seine Argumentation nicht auf einen einzigen sozialen Topos beschränkt blieb. Bemerkenswert ist hier vor allem, daß er den Schutz des Schwächeren gerade nicht nur als eine Aufgabe des Obligationenrechts verstand, sondern darunter ebenso den Schutz der Minderjährigen und die Probleme der Frauenfrage faßte, was, wie sich zeigen wird, der Sache nach auch sonst keine Seltenheit war, aber in den programmatischen Aussagen, die in diesem Kapitel interessieren, selten zur Sprache kam. 7. Staatsintervention zum Schutz der Schwächeren Verein für Socialpolitik

-

Eine der bekanntesten Reaktionen wissenschaftlicher Kreise auf die soziale Frage war die Gründung des Vereins für Socialpolitik im Jahre 1873140, dessen politischer Einfluß vor allem indirekter Natur war. Fast alle Lehrstühle für Na136 Ludwig Enneccerus, Die parlamentarischen Aussichten des Bürgerlichen Gesetzbuches, in: DJZ 1 (1896), S.6-8, hier S.7. 137 Heinrich Dernburg, Phantasie im Recht, Vortrag, Berlin 1894, S. 38. 138 Dernburg, Phantasie im Recht (wie Fn. 137), S. 18f. 139 Vgl. schon oben S. 67 bei Fn. 82 sowie Einzelheiten unten S. 266. 140 Die Einzelheiten sind beschrieben bei Franz Boese, Geschichte des Vereins für Socialpolitik 1872-1932, München usw. 1939, S. 1-18. - Der eigentlichen Vereinsgründung 1873 war bereits 1872 in Eisenach eine erste Versammlung vorausgegangen. Zum Verein für Socialpolitik: Gerhard Albrecht, Verein für Socialpolitik, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, hrsg. von Erwin von Beckerath u.a., Bd. 11, Stuttgart usw. 1961, S. 1016; Karl Erich Born, Kathedersozialisten, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften,

78

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

tionalökonomie waren im späten 19. Jahrhundert mit „Kathedersozialisten" besetzt. Eine große Zahl von Regierungsbeamten war aus deren Seminaren hervorgegangen. Sie waren nun die Träger der sozialreformerischen Gesetzgebung141. Einigkeit bestand in diesem Verein darüber, daß soziale Revolutionen und Klassenkämpfe vermieden werden müßten, über die Mittel, wie dies zu geschehen habe, weniger. In dieser Frage schwankten die Ansichten zwischen staatlicher Intervention und Selbsthilfe142. Schon 1872 hatte Gustav Schmoller eine starke Staatsgewalt verlangt, die Bd. 4, Stuttgart usw. 1978, S.463-465; Heinz Sonntag, Verein für Socialpolitik 1872-1936, in: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945, hrsg. von Dieter Fricke u.a., Bd. 2, Leipzig 1970, S. 735-742 (nützlich wegen einer Zusammenstellung der vom Verein in den Jahren 1872 bis 1932 behandelten Fragen, S. 735f ,);Else Conrad, Der Verein für Socialpolitik und seine Wirksamkeit auf dem Gebiet der gewerblichen Arbeiterfrage, Jena 1906 (auf zum Teil inzwischen verlorenen Quellen basierend); Dieter Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik: Wissenschaft und Sozialpolitik im Kaiserreich, vornehmlich vom Beginn des „Neuen Kurses" bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges, 1890-1914, Wiesbaden 1967 (mit ausführlicher Interpretation der unterschiedlichen sozialpolitischen Richtungen im Verein für Sozialpolitik). Außerdem: Hans Jürgen Teuteberg, Die Doktrin des ökonomischen Liberalismus und ihre Gegner, dargestellt an der prinzipiellen Erörterung des Arbeitervertrages im „Verein für Socialpolitik" (1872-1905), in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, hrsg. von Helmut Coing und Walter Wilhelm, Frankfurt am Main 1977, S. 47-73, hier S. 55ff.; Ingo Töpfer, Die Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik und die Rechtspolitik der späten Bismarck- und Wilhelminischen Zeit, Diss. jur., Frankfurt am Main 1970; Harald Winkel, Der Umschwung der wirtschaftswissenschaftlichen Auffassungen um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 4, hrsg. von Helmut Coing und Walter Wilhelm, Frankfurt am Main 1979, S. 3-18, hier S. 12ff., der als wesentliches Ziel der Historischen Schule der Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, die den Verein für Sozialpolitik geprägt hat, formulierte: „den Mensch als tragendes Element der Gesellschaft... zu berücksichtigen" (S. 18). Die geistige Nähe zu Gierke liegt auf der Hand. Rüdiger vom Bruch, Bürgerliche Sozialreform im deutschen Kaiserreich, in: Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära Adenauer, hrsg. von Rüdiger vom Bruch, München 1985, S. 61-179, hier S. 72-82; Eduard Picker, Der „Verein für Socialpolitik" und der freie Arbeitsvertrag, in: Festschrift für Wolfgang Zöllner zum 70. Geb., hrsg. von Manfred Lieb u.a., Köln usw. 1998, S.899-934. 141 Karl Erich Born, Staat und Sozialpolitik bis Bismarcks Sturz. Ein Beitrag zur Geschichte der innenpolitischen Entwicklung des Deutschen Reiches 1890-1914, Wiesbaden 1957, S.45 (in Anlehnung an eine Arbeit von Rudolf Martin aus dem Jahre 1910); Albert Müssiggang, Die soziale Frage in der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie, Tübingen 1966, S. 154f.; zustimmend: Teuteberg, Die Doktrin des ökonomischen Liberalismus (wie Fn. 140), S. 71 Anm. 76; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.l: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1998, S. 371; übertragen auf die Rechtswissenschaft vertritt John, Politics (wie Fn. 251), S. 3, eine ähnliche These: The „developments in academic jurisprudence directly influenced the attitudes of officials and politicians to an extent which was not equalled in other Western European countries". 142 Born, Kathedersozialisten (wie Fn. 140), S. 463; Pio Caroni, Kathedersozialismus an der juristischen Fakultät (1870-1910), in: Hochschulgeschichte Berns 1528-1984. Zur 150-Jahr-Feier der Universität Bern 1984, hrsg. im Auftrag des Regierungsrates des Kantons Bern von der Kommission für bernische Hochschulgeschichte, Bern 1984, S.201-238, hier S.206 mit Anm.28, S. 227. Dazu auch noch unten S. 121 Fn. 348.

II. Der Schutz des

79

Schwächeren

„über den egoistischen Klasseninteressen stehend, die Gesetze gebe, mit gerechter Hand die Verwaltung leite, die Schwachen schütze, die unteren Klassen hebe" 1 4 3 .

Der Verein für Socialpolitik und die Arbeit seiner Mitglieder waren so etwas wie eine Institutionalisierung dieser Ideen. Drastisch forderte beispielsweise Max Weber 1893, der Staat solle „in die Speichen des Rades der sozialen Entwicklung aus eigener Initiative und mit Erfolg" greifen 144 . Diese Forderung, die in der Mitte zwischen sozialistischen Ideen und einem liberalen laissez faire stand, also weder auf eine Revolution der gesellschaftlichen Verhältnisse noch auf staatliche Untätigkeit hinzielte, könnte man geradezu als Leitmotiv einer breiten Strömung innerhalb der Kritiker des ersten Entwurfs bezeichnen. Der Schutz der Schwachen war für viele von ihnen die zentrale soziale Aufgabe des Privatrechts.

8. Schutz durch Mißbrauchsklauseln

- Gustav

Pfizer

Unter den zahlreichen Befürwortern eines Schutzes des Schwächeren im Privatrecht verdient schließlich der damalige Landgerichtsrat in Ulm Gustav Pfizer145, ein besonders fleißiger Kritiker der Gesetzgebung 146 , hervorgehoben zu werden, da er den Schutz bei gleichzeitiger Wahrung der persönlichen Freiheit und weniger durch Einschränkungen der Vertragsfreiheit erreichen wollte. Pfizer forderte „ein lebendiges deutsches Recht" 147 . Dieses, so meinte er in Anlehnung an die Volksgeistlehre Savignys, könne nur aus der „Rechtsüberzeugung des Volkes" erwachsen 148 . Um der Stimme des Volkes Ausdruck zu verleihen, müsse der Reichstag eingeschaltet werden, der die leitenden Grundsätze beraten und beschließen solle, die Umsetzung derselben dann aber einem einzigen

143 Gustav Schmoller, Eröffnungsrede am 8. Oktober 1872, in: Franz Boese, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932, München - Leipzig - Berlin 1939, S. 8. 144 Max Weber, Die ländliche Arbeitsverfassung, in: Verhandlungen der am 20. und 21. März 1893 in Berlin abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik über die ländliche Arbeiterfrage und über die Bodenbesitzverteilung und die Sicherung des Kleingrundbesitzes, Leipzig 1893, S. 62-86, hier S.86. 145 So das Verzeichnis der Mitglieder des Deutschen Juristentages von 1889, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889. Kurze biographische Angaben zu Pfizer, der 1894 nach einem Disziplinarverfahren aus dem Richterdienst entfernt worden war, weil er die Verurteilung des Tagelöhners Willibald Ilg als Justizirrtum dargestellt hatte, bei Thomas Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, 2. Aufl. Baden-Baden 1997, S. 5 Fn. 3. 146 Vgl. nur die 27 Nachweise bei Georg Maas, Bibliographie des bürgerlichen Rechts 18881898, Berlin 1899, S. 352, die eine keineswegs vollständige Aufzählung aller Äußerungen Pfizers darstellen. 147 Gustav Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch, in: Morgenblatt der Münchener Allgemeinen Zeitung vom 4. Januar 1891, abgedruckt als Anhang 1 in: ders., Wort und That. Ein Nothruf für deutsches Recht, Leipzig 1892, S. 93-109, hier S. 103, ähnlich S. 108. 148 Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S.97.

80

Kapitel 3: Soziale

Topoi - Versuch einer

Typologie

Redaktor übertragen solle 149 . Mit beißendem Spott übergoß Pfizer den ersten Entwurf, in dem er wie manche seiner Zeitgenossen nicht viel mehr als den in Paragraphen umgeformten Inhalt von Windscbeids Pandekten sah, so daß man an die Stelle der ersten beiden Bücher den Satz stellen könne, hier gelte Windscbeids Lehre 150 . Das Volk, so fuhr er fort, verlange aber „ein den heutigen socialen Verhältnissen sich anpassendes Recht" 1 5 1 . Als einer von wenigen hat Pfizer stellenweise übrigens in Ubereinstimmung mit Anton Menger - erläutert, was er darunter verstehe. Kaiser Wilhelm I., Bismarck und auch Wilhelm II. hätten für die soziale Reform das „praktische Christentum" als den richtigen Weg gewiesen, den es auch im bürgerlichen Recht zu verfolgen gelte 152 . Das bedeute Schutz des Schwachen gegen den Starken in jeder Beziehung, physisch, geistig und wirtschaftlich. Er schrieb, die Gesetzgebung müsse „bedacht sein auf den Schutz des Schwachen gegen den Starken: des physisch Schwachen gegen den physisch Starken, des geistig Schwachen gegen den geistig Starken, des w i r t schaftlich Schwachen gegen den wirthschaftlich Starken. D e r bürgerliche Verkehr ist das Gebiet, wo sich die individuelle Freiheit vorzugsweise bethätigt; will man die segensreichen Folgen dieser Bethätigung nicht aufheben, so läßt sich auch das Uebergewicht des Starken über den Schwachen nicht beseitigen, und daraus ergibt sich für das bürgerliche Recht die Aufgabe, nicht sowohl positiv, als vielmehr negativ für die Schwachen einzutreten, nicht sowohl ihnen Wohlthaten zu erweisen als sie gegen Mißbrauch des natürlichen Uebergewichts der Starken zu s c h ü t z e n " 1 5 3 .

Das sollte vor allem für Ehe, Eigentum und Erbrecht gelten; auch hier blieb der Schutz-Topos also nicht auf das Schuldrecht beschränkt. In seltener Klarheit beschrieb Pfizer die Funktion sozialer Überlegungen im Privatrecht. Der Schutz des Schwachen gegen den Starken, von Pfizer selbst als Grundgedanke alles sozialen Rechts bezeichnet 154 , soll erreicht werden nicht durch eine positive Stärkung des Schwachen, so daß nur noch gleichstarke Partner miteinander in Rechtsbeziehungen treten. Nein, es soll nach Pfizer, soweit es um das Privatrecht geht, bei dem Ungleichgewicht bleiben. Doch zum Schutz vor den nachteiligen Folgen eines solchen Ungleichgewichts wollte er Mißbrauchsklauseln aufstellen. Die Freiheit sollte unangetastet bleiben, aber eine äußerste Grenze kennen, die dann überschritten ist, wenn sich der Gebrauch der Freiheit durch den Starken als ein Mißbrauch darstellte. Den wichtigsten Anwendungsfall für den Schutz des Schwachen gegen den Starken sah Pfizer nicht etwa bei der unselbständigen Arbeit oder der WohPfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S. 102. Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S. 104. 151 Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S. 104. 152 Pfizer spielte an auf die Thronreden vom 12. Februar 1879,15. Februar und 17. November 1881, auf die Parlamentsreden Bismarcks vom 9. Januar und 12. Juni 1881 sowie auf die Kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890. Vgl. zum ganzen oben S.24ff. 153 Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S. 104f. 154 Gustav Pfizer, Sociales Recht: Wucher und Abzahlungsgeschäfte, in: Münchener Allgemeine Zeitung vom 21.01.1893, Nr. 21, Beilage Nr. 18, S . h i e r S. 1. 149 150

II. Der Schutz des

Schwächeren

81

nungsmiete, wo man ihn vielleicht im Hinblick auf die krassen Erscheinungen der sozialen Frage des ausgehenden 19. Jahrhunderts vermutet hätte, sondern bei den Rechten der Frauen. Die Frau sei des Schutzes gegenüber dem Mann bedürftig, so sagte Pfizer. Darauf müsse das Eherecht Rücksicht nehmen und die Ehescheidung erleichtern. Das eheliche Güterrecht müsse die Gleichstellung der Frau verwirklichen, wovon der Entwurf weit entfernt sei, der „die Vermögensrechte der Frau der Willkür des Mannes" überantworte, wenn sich die Frau nicht schon zu Beginn der Ehe eines Rechtsanwalts als „Kriegsvogt" versiehere 155 . Zum Schutz des Schwachen gehörte nach Pfizer - mit deutlicher Spitze gegen Planck156 - weiter, daß nicht die Sicherheit des Verkehrs, sondern die Sicherheit des Rechts erzielt werden sollte. Sonst könne, wie er meinte, „der geriebene Geschäftsmann" etwa mit Hilfe eines abstrakten Schuldanerkenntnisses sich bequem einen Vollstreckungstitel besorgen, während der Käufer, im Beispiel ein Bauer, mit seinen „triftigsten Einreden" auf eine Bereicherungsklage verwiesen sei. So schreibe der Entwurf „,mit Tinte und Feder und Papier' der Gerechtigkeit ...,seinen' oder,ihren Abschiedsbrief'" 157 . Pfizer gab noch weitere Beispiele: herrenloses Gut und Nachlässe ohne natürliche Erben sollten dem Gemeinwesen zugute kommen. Die Testierfreiheit müsse entsprechend eingeschränkt werden158. Die Gedanken zum Erbrecht hat Pfizer in einem einige Monate später erschienen Aufsatz in der Münchener Allgemeinen Zeitung weiter vertieft, den er - gemünzt auf die Arbeit der zweiten Kommission - mit der Überschrift „Geflickte Schienen" versah. Der bürokratische Geist auch dieser Kommission stehe aber, so schrieb er, der Schaffung einer liberalen und sozialen Rechtsordnung entgegen159. Doch es gelte, insbesondere im Erbrecht sowie bei Ehe und Eigentum „an die Stelle der individualistischen eine sociale Rechtsordnung zu setzen, dem Recht der Willkür und der Selbstsucht ein Recht der Gerechtigkeit und der Liebe entgegenzustellen"160. Wenn man den Staat „gegen die sozialdemokratische Revolution" verteidigen wolle, so müsse man das vorgeschlagene Erbrecht verwerfen und eines nach dem leitenden Gedanken aufbauen, der die engere Familie zum gesetzlichen Erbe unter Ausschluß eines Privattestaments mache. Mit dem Erbrecht korrespondiere die gegenseitige Unterhaltspflicht, denn es solle kein Recht ohne Pflicht gelten161. Die Polizei helfe nicht gegen die Sozialdemokraten, sondern man müsse auf die berechtigten Anliegen derselben eingePfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S. 105. Vgl. oben S. 69 bei Fn. 99. 157 Pfizer; Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S. 107. 158 Pfizer; Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 147), S. 107f. 159 Gustav Pfizer, Geflickte Schienen, in: Beilage zur Münchener Allgemeinen Zeitung vom 10. Oktober 1891, abgedruckt als Anhang 2 in: ders., Wort und That (wie Fn. 148), S. 110-120, hier S. 115. 160 Pfizer, Geflickte Schienen (wie Fn. 159), S. 117. 161 Pfizer, Geflickte Schienen (wie Fn. 159), S. 119f.; diese Gedanken auch schon früher in ders., Was erwartet Deutschland von dem bürgerlichen Gesetzbuch?, Hamburg 1889, S.42-44. 155

156

82

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

hen, wenn man den Bestand des Staates nicht gefährden wolle 162 . Und an anderer Stelle betonte er, die Arbeiter seien in ihrer Mehrzahl keine Revolutionäre. Sie begehrten keine Wohltaten seitens des Reiches, sondern „Gerechtigkeit, das ist die ihnen zukommende Stellung im bürgerlichen Leben" 1 6 3 . Das Recht, so sagte er einmal ähnlich wie Gierke, sei nicht zugleich Pflicht, aber ihm entspreche regelmäßig auch eine Pflicht 164 . In diesen Gedanken kommt Pfizers Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts deutlich zum Tragen. Liberal und sozial - frei und sozial, diese Begriffspaare erschienen ihm nicht als Gegensatz, sondern als verschiedene Aspekte ein und derselben Sache. Sie ragen bereits hinüber zum Topos der sozialen Freiheit, der als nächstes zu besprechen sein wird. Im Zentrum seiner Auffassung stand allerdings der Schutz des Schwachen gegen den Starken. Doch sollte dieser unter Beachtung der privatrechtlichen Freiheit erreicht werden. Das Privatrecht sollte gegen den Rechtsmißbrauch schützen. Die Freiheitsgrenzen waren nicht konkret umschrieben. Doch - und darin berührt sich das Denken Pfizers mit den Vorstellungen Gierkes - die Gemeinschaftsbezogenheit der privaten Rechte war eine dieser Grenzen. Kein Recht ohne Pflicht. Die Testierfreiheit sollte zugunsten der Gemeinschaft der engeren Familie und sodann der politischen Gemeinde eingeschränkt werden. Andererseits finden sich auch Querverbindungen zur Auffassung etwa von Gottlieb Planck, wie die deutliche Betonung des Gleichheitsgedankens im Ehegüterrecht gezeigt hat, Vorstellungen, die Gierke eher fremd waren. Man könnte die Reihe derer, die „sozial" mit dem Schutz des (wirtschaftlich) Schwächeren gleichstellten, verlängern 165 . Dabei würde man neben Wissenschaftlern und Politikern auch auf Praktiker stoßen, insbesondere auf Richter, denen bisweilen von Zeitgenossen eine Neigung bescheinigt wurde, der ihnen schwächer erscheinenden Partei zu helfen 166 .

9. Die Politik des

Reichsjustizamtes

Der Schutz des Schwächeren hatte in der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts zwischen 1888 und 1896 besondere Bedeutung. Er wurde nicht nur von einer besonders großen Zahl von Rechtswissenschaftlern gefordert, Pfizer, Geflickte Schienen (wie Fn. 159), S. 115. Gustav Pfizer; Sociales Recht: Arbeitsertrag und Arbeitsvertrag, in: Münchener Allgemeine Zeitung vom 11.07. 1892, Nr. 191, Beilage Nr. 159, S.4-7, hier S.7. 164 Pfizer, Was erwartet Deutschland (wie Fn.161), S.44, 46. Zu Gierke vgl. oben S.57 bei Fn.29 und S. 64 bei Fn.65. 165 Vgl. z.B. B. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Allgemeiner Theil), Köln 1888, S. 3f.; Paul Oertmann, Das bürgerliche Gesetzbuch im Deutschen Reichstag, in: Archiv für bürgerliches Recht 11 (1896), S. 1-25, hier besonders S. 19-22 mit Hinweis auf die Reden verschiedener Reichstagsabgeordneter. 166 So Fritz Kalle, Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege, in: Verhandlungen des Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit 6 (1888), S. 69-120, hier S. 95. 162 163

III. Die soziale

Freiheit

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sondern er stand in Übereinstimmung mit der sozialpolitischen Richtung der Reichsregierung, wie sie besonders im Reichsjustizamt deutlich wurde, das seit 1889 mehr und mehr Herr des Verfahrens geworden war167. Der 1891 ins Amt gekommene Staatssekretär Robert Bosse, der zuvor im Reichsamt des Inneren an der sozialpolitischen Gesetzgebung der achtziger Jahre beteiligt und auch Mitglied des Vereins für Socialpolitik gewesen ist168, hatte diese Funktion der Kommission besonders betont: „Die Kritik hat nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Aufgabe der Neuordnung des Privatrechts eine bedeutungsvolle sociale Seite hat und daß der sociale Rechtsschutz der Schwachen, die Beschirmung der Armen und Elenden, insbesondere auch die in der neueren Reichsgesetzgebung zum öffentlich-rechtlichen Ausdruck gekommenen Gedanken bei der Bearbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht gänzlich außer Acht gelassen werden dürften" 1 6 9 .

Dabei muß man berücksichtigen, daß die Umsetzung des Schutzgedankens vielfältige Formen haben konnte. Man griffe zu kurz, wenn man nur die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch die Aufstellung zwingender Regeln als einen Ausdruck dieses Schutzgedankens auffassen würde. Ludwig Raiser hat zurecht einmal gemeint, das Gesetzbuch habe von diesem klassischen Mittel „nur sparsamen Gebrauch gemacht" 170 . Eine ganze Anzahl nicht zwingender Normen war ebenfalls von dem Schutzgedanken getragen. Ihre Wirksamkeit hing freilich dann auch vom guten Willen des Stärkeren ab. Selbstverständlich hatte der Schutz des Schwächeren nicht nur im Spannungsfeld von Schuldverhältnissen sein Gewicht, sondern auch in anderen Rechtsgebieten wie beispielsweise dem Familienrecht, wo etwa die Festlegung des Endes der elterlichen Gewalt mit dem Erreichen der Volljährigkeit des Kindes durchaus etwas mit dem Schutz desselben vor elterlicher Bevormundung zu tun hatte.

III. Die soziale Freiheit An dritter Stelle der Typologie der sozialen Aufgabe des Privatrechts ist die „soziale Freiheit" zu besprechen. Es geht dabei um eine Verknüpfung liberaler Freiheitsvorstellungen mit sozialen Anliegen. Von „socialen Freiheitsrechten" war zwar auch in der Volkswirtschaftslehre die Rede. Adolph Wagner beispielsweise begriff das Recht zur freien Eheschließung, das Recht auf freie Bewegung und Ortswechsel, das Reiserecht und schließlich ein Recht auf Auswanderung 167 Dazu Hans Scbulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt am Main 1995, S. 118ff.\John, Politics (wie Fn.251), S. 160ff., insbesondere S. 184ff. 168 ¡-[elmut Coing, Einleitung zum Bürgerlichen Gesetzbuch, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearbeitung, Berlin 1995, Rn. 18, Fn.21. 169 Bosse an Bötticher, 21. März 1891, ZStA Potsdam, RJA, Nr. 4078, hier zitiert nach SchulteNölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 167), S. 312f. 170 Ludwig Raiser, Vertragsfreiheit heute, in: JZ 1958, S. 1-8, hier S.6.

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Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

als Konsequenzen der persönlichen Freiheit 171 . In der rechtswissenschaftlichen Diskussion über die Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches hat die dialektische Verbindung von Freiheit und sozialer Idee jedoch eine wesentlich weiter gefaßte Bedeutung. Sie soll hier mit dem Topos der „sozialen Freiheit" umschrieben werden, obwohl dieser in den Quellen nur vereinzelt wörtlich auftaucht. Der Sache nach war er sehr verbreitet. „Soziale Freiheit" scheint mir im übrigen das Gemeinte deutlicher widerzuspiegeln als etwa die grundsätzlich auch naheliegende Formulierung „frei und sozial", die Rückert zur Kennzeichnung der arbeitsvertragsrechtlichen Position Philipp Lotmars verwendet hat, die in diesen Kontext gehört 172 . Schon bei der Erörterung der Vorstellungen Gustav Pfizers von der sozialen Aufgabe des Privatrechts zeigte sich eine enge Verbindung des Schutzes der Schwachen und des Freiheitsgedankens173. Dennoch stand bei Pfizer der Aspekt des Schutzes im Vordergrund. Die im folgenden zu besprechenden Auffassungen befinden sich zwar nicht im Gegensatz dazu, aber der Schutzaspekt erscheint dort weniger selbständig, sondern mehr als eine Funktion der Freiheit, ein Mittel zur Freiheit oder Befreiung.

1. Entfaltung der Freiheit in der Gemeinschaft, nicht Willkür insbesondere Julius Baron Am klarsten hat der damals in Bern lehrende Pandektist Julius Baron174 die soziale Aufgabe des Privatrechts mit dem Topos der sozialen Freiheit beschrieben. Seine Vorstellungen von der sozialen Aufgabe des Privatrechts hat er in einem umfangreichen Aufsatz in Auseinandersetzung mit den Thesen Gierkes schon 1889 publiziert 175 . Darin verteidigte er das römische Recht gegen den Vorwurf eines blinden, antisozialen Individualismus. So widersprachen sich in seinen Augen Vertragsfreiheit und Schutz des Schwachen nicht, da die Ausbeutung immer ein Verstoß gegen die guten Sitten sei und daher zur Nichtig171 Adolph Wagner, Grundlegung der politischen Oekonomie, Zweiter Theil, 3. Aufl. Leipzig 1894, S.105f. 172 Rückert, „Frei" und „sozial" (wie Fn.62), S. 225-294. 173 Vgl. oben S. 81 bei Fn. 159. 174 Julius Baron (1834-1898) hatte in Breslau studiert und war nach seiner Promotion (1855) und Habilitation (1860) seit 1869 außerordentlicher Professor in Berlin, lehrte dann von 1880 bis 1883 in Greifswald, danach bis 1888 in Bern und schließlich in Bonn römisches Recht; vgl. Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 119), S. 357. Sein wissenschaftliches Werk wird ausführlich besprochen von Caroni, Kathedersozialismus (wie Fn. 142), S. 212-219; ein abwertendes Urteil über Barons Pandektenlehrbuch von Max Rümelin, Bernhard Windscheid und sein Einfluß auf Privatrecht und Privatrechtswissenschaft, Tübingen 1907, S. 5 („dass manche sich mit Baron oder noch schlimmeren Einpaukbüchern begnügten") erwähnt Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 119), S. 123 Fn. 13. 175 Julius Baron, Das römische Vermögensrecht und die sociale Aufgabe, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, N.F. 53 (1889), S.225-248.

III. Die soziale

Freiheit

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keit des Vertrags führe 176 . Baron muß wohl selbst erkannt haben, daß diese These etwas gewagt war angesichts der tatsächlichen Probleme, die den Stoff der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts bildeten. Zu einem großen Teil waren die Probleme eine Folge rücksichtsloser Ausnutzung der Vertragsfreiheit durch die wirtschaftlich Stärkeren, wie sich etwa bei den Formularverträgen zur Wohnungsmiete zeigen läßt 177 . Baron jedenfalls befürwortete trotz der generalklauselartigen Einschränkung der Vertragsfreiheit durch die guten Sitten weitergehende konkrete Schutzvorschriften, wie zum Beispiel die Einführung von Exekutionsbeschränkungen, namentlich beim Vermieterpfandrecht 178 , das Verbot der Zession des Arbeitslohns, das Wuchergesetz, das Verbot der Verfallsabrede beim Pfand (Lex commissoria) und das Verbot des Trucksystems 179 . Und dennoch gipfelte seine Stellungnahme zur sozialen Aufgabe in der Feststellung, das Privatrecht habe die Aufgabe, dem Einzelnen eine Freiheitssphäre zu seinem eigenen Vorteil zuzuweisen, aber es habe keine soziale Aufgabe. Er schrieb: „Was aber das ewige Verdienst des römischen Rechts bleiben wird, das ist einerseits die formale Ausbildung der Rechtsbegriffe, andererseits die Durchdringung der Begriffe des Vermögensrechts mit dem Gedanken der Freiheit; denn das Privatrecht hat die Aufgabe, dem Einzelnen eine Freiheitssphäre anzuweisen, ad singulorum utilitatem spectat, es hat keine soziale Aufgabe" 1 8 0 .

Um das zu verstehen, muß man den Gedankengang wenigstens in groben Zügen nachzeichnen. Baron richtete seine Thesen gegen Gierke und verteidigte das römische Recht. Das Privatrecht habe nicht Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen, sondern den Vorteil des Einzelnen. Was aber Gierke - und hier löst sich das Paradoxon auf - als notwendige Ausprägung des deutschen Gemeinschaftsgedankens ansehe, sei in Wahrheit größtenteils schon im römischen Recht vorgebildet. In den Augen Barons führte Gierke lediglich einen Schattenboxkampf. Baron wollte nicht „ein vom Tropfen sozialen Oeles durchsickertes ungeheuer weites, sondern ein auf dem Gedanken der sozialen Freiheit beruhendes, aber mit gewissen Grenzen umschlossenes Privatrecht" 181 . Das 19. Jahrhundert, so kann man bei ihm lesen, habe vor allem Freiheit gebracht, politische und individuelle sowie schließlich soziale Freiheit. Letztere bedeute unBaron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S. 247. Einige Beispiele unten S. 244; vgl. außerdem Tilman Repgen, Tenancy in Germany between 1871 and 1914. Norms and Reality, in: Private Law and Social Inequality in the Industrial Age, hrsg. von Willibald Steinmetz, Oxford 2000, S. 381-409, hier S. 400^t08 sowie ders., Das Vermieterpfandrecht im Kaiserreich, in: Das BGB und seine Richter, hrsg. von Heinz Mohnhaupt und Ulrich Falk, Frankfurt am Main 2000, S. 231-279. 178 Julius Baron, Die Miethe und Pacht nach dem Entwurf zum deutschen bürgerlichen Gesetzbuch, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 18.12.1889, Nr. 591,29. Jg., S. 1-2, hier S. 2; ders., Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.247. 179 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.247. 180 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.248. 181 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.231. 176

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gehinderte Berufsausübung, die Fähigkeit, an den gesellschaftlichen Gütern teilzunehmen, an jedem Orte sich niederlassen und frei mit anderen Vereine bilden zu können 182 . Das römische Vermögensrecht aber sei geradezu eine Realisierung des Gedankens der sozialen Freiheit 183 . Doch Freiheit sei auch für die Römer nicht Willkür. So brauche man nicht auf vermeintliche soziale Aufgaben des Privatrechts zurückzugreifen, um das Schikaneverbot zu begründen. Die Rücksicht auf die eigene Würde, nicht Gemeinschaftsbelange, seien dafür Grund genug, da nach römischem Recht sich ein jeder wie ein bonuspater familias betragen solle 184 . Ebensowenig sei nach römischer Auffassung das subjektive Recht schrankenlos. Ein subjektives Recht sei „eine zur Befriedigung eines menschlichen Interesses vorhandene Willensmacht". Immer aber benötige man ein solches gerechtes Interesse, einen Zweck, der zugleich das subjektive Recht begrenze185. Baron hat das näher ausgeführt am Beispiel des Rentengutes und des Eigentumsbegriffs. Der Schutz der Schwachen, von dem die Rede war, solle, so meinte Baron, nicht den Kräftigen und Gesunden die Luft zum Atmen nehmen, sondern neben der Vertragsfreiheit zum Beispiel durch die erwähnten Exekutionsbeschränkungen oder das Wuchergesetz verwirklicht werden 186 . Wenn sich, wie im damals von Streiks heimgesuchten Bergbau 187 , eine Gruppe von Eigentümern als unfähig erweise, die soziale Freiheit der Arbeiter zu respektieren, so müsse man nicht das Eigentum der Unternehmer begrenzen, sondern die Unternehmer selbst austauschen. An die Stelle privater Eigentümer müsse dann eben der Staat treten unter Beibehaltung des vollen Inhalts des freien Eigentums 188 . Trotz aller Gemeinsamkeiten mit Gierkes Forderungen im Ergebnis vertrat Baron also eine ganz abweichende Auffassung von der Aufgabe des Privatrechts. Dasselbe solle, so meinte er, soziale Freiheit garantieren, eine Freiheit, deren Inhalte sich im gesellschaftlichen, das heißt hier sozialen Umfeld realisieren können und müssen. Das etwa bei Pfizer189 nur nebeneinander gefügte „sozial und frei" steigerte Baron zu einer direkten Verknüpfung beider Worte. Ein Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S. 231 f. Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.232. 184 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S. 233 f. 185 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S. 235 f. 186 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.246. 187 Dazu vor allem Klaus Tenfelde, Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, Bonn - Bad Godesberg 1977; zeitgenössische Daten aus der Sicht der Arbeitgeber zum Beispiel bei Bi., Der Ausstand der Kohlenarbeiter im Ruhrgebiet, in: Deutsches Wochenblatt 2 (1889), S. 233-235. 188 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.240f.; ähnlich ders. schon früher in seiner Rezension zu Adolph Wagner, Grundlegung der politischen Ökonomie, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 19 (1877), S.372-401, hier S.392f., dazu auch: Walter Wilhelm, Private Freiheit und gesellschaftliche Grenzen des Eigentums in der Theorie der Pandektenwissenschaft, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 4, hrsg. von Helmut Coing und Walter Wilhelm, Frankfurt am Main 1979, S. 19-39, hier S. 34-39. 189 Vgl. oben S. 81 bei Fn. 159. 182

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III. Die soziale

Freiheit

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Privatrecht, das auf soziale Freiheit zielt, muß nach Baron Grenzen der Willensmacht anerkennen. Subjektive Rechte hatten auch nach Barons Meinung immanente Schranken. Das Schikaneverbot ergab sich für ihn aus dem allgemeinen Haftungsmaßstab des bonus pater familias. Dennoch fügte sich in das Privatrechtsverständnis von Baron der Schutz des Schwächeren nicht harmonisch ein. Baron akzeptierte es zwar, daß die Rechtsordnung diesen Schutz garantieren müsse, aber er bevorzugte dafür eine Gesetzgebung außerhalb der großen Kodifikation, worin er sich mit den Vorstellungen des Reichsjustizamtes und insbesondere Plancks190 traf. Nimmt man beide Elemente des Privatrechtsdenkens Barons zusammen, so wollte er ein Privatrecht, das zugleich soziale Freiheit und den Schutz des Schwächeren garantiert. Energisch hingegen wies er den Gemeinschaftsgedanken Clerkes als privatrechtliche Leitidee zurück, was in seinem Aufsatz über das Vermögensrecht in dem bereits zitierten Satz, das Privatrecht habe „keine soziale Aufgabe", seinen Ausdruck fand191. Soweit Hans Hörner behauptet, Baron habe dem Privatrecht jede soziale Aufgabe abgesprochen192, ist das eine Fehlinterpretation, die auf ein Mißverständnis des Wörtchens „sozial" zurückzuführen ist. Den Sinn der Aussage Barons trifft man nur, wenn man die Gegnerschaft zu Gierke berücksichtigt. Man müßte also richtigerweise lesen, das Privatrecht habe keine soziale Aufgabe im Sinne Gierkes, es habe keinen Platz für den Gemeinschaftsgedanken. Baron vertrat also eine Linie, die man aufgrund der Betonung der Freiheit als „liberal" bezeichnen könnte. Selbstverständlich ist dieser Begriff ebenso vieldeutig wie das hier im Zentrum stehende „sozial". „Liberal" darf in diesem Falle nicht im „manchesterlichen" Sinne verstanden werden. Die Freiheit des Individuums hatte für Baron keine absolute und um jeden Preis gegenüber staatlicher Lenkung zu bewahrende Bedeutung, wie man zum Beispiel an seinem Eintreten für eine vermehrte Sammlung von öffentlichem Eigentum erkennen kann. Das paßt nicht zu radikalem Liberalismus. Es ist das aber auch keineswegs die einzige Haltung, die man mit „liberal" zu umschreiben pflegt, wenn man etwa das Denken der rheinischen Frühliberalen einbezieht, die durchaus die Probleme, die man unter dem Schlagwort der „sozialen Frage" zusammenfaßt, sahen und um Lösungen bemüht waren193. Eindeutig ist aber auch, daß Baron nicht sozialistischen Ideen zugeneigt war. Dies stimmt überein mit der Beobachtung von Rainer Schröder bei der Stellungnahme von Baron zur politischen Aufgabe des Davon wird noch zu sprechen sein, vgl. unten S. 112 bei Fn. 302. Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn. 175), S.248. Vgl. oben bei Fn. 180. 192 Hörner, Anton Mengers Recht und Sozialismus, (wie Fn. 109), S. 141; mindestens mißverständlich: Werner Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB, Berlin 1966, S. 42. Vgl. auch Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 119), S. 36. 193 Vglr-dazu schon die Arbeit von Johanna Köster, Der rheinische Frühliberalismus und die soziale Frage, Berlin 1938. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Teuteberg für die Liberalen des späten 19. Jahrhunderts: Teuteberg, Die Doktrin des ökonomischen Liberalismus (wie Fn. 140), S. 72. 190

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künftigen Erbrechts aus dem Jahre 1877194, die von der Absicht einer Abwehr der Sozialdemokratie getragen war195.

2. Befreiung zur Freiheit - insbesondere Rudolph Sohm Das bei Baron zu beobachtende Bedeutungsfeld der sozialen Aufgabe des Privatrechts im Sinne einer Garantie sozialer Freiheit, die allerdings nicht unbeschränkte Willkür meinte, sondern durchaus eine Pflichtenbindung kannte, begegnet in vielfachen Variationen und mehr oder weniger deutlich in zahlreichen Stellungnahmen zu den Entwürfen eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. So fand ein Vortrag von Sohm breite Beachtung, jedenfalls in der juristischen Fachöffentlichkeit, den dieser am 15. Juni 1895 vor der Berliner Juristischen Gesellschaft gehalten hatte196. Darin nahm er Stellung zum zweiten Entwurf, an dessen Entstehung er als Kommissionsmitglied beteiligt war. Sohms Vortrag hat beispielsweise Gierke veranlaßt, seinerseits zum E II öffentlich Stellung zu nehmen197. Der Vortrag Sohms ist für unsere Fragestellung wegen seiner programmatischen Aussagen zur sozialen Aufgabe bedeutsam. Der Hauptteil des Vortrags behandelte die bereits in der Einleitung erwähnten drei Hauptvorwürfe gegen den Entwurf: (1) er sei nicht volkstümlich, (2) mehr römisch als deutsch und (3) er sei nicht sozial198. Geprägt von der Haltung Gierkes vertrat auch Sohm den Gemeinschaftsgedanken als besonders wichtiges Element eines Gesetzbuchs. Diesem Gedanken wurde der Entwurf seiner Meinung nach schon deswegen gerecht, weil er nicht das Ergebnis der Interessen einzelner gewesen sei. Es sei das Gerechtigkeitsinteresse des ganzen Volkes, nicht nur einiger Klassen, in der zweiten Kommission vertreten gewesen199. Zum Kritikpunkt, der Entwurf verfehle seine soziale Aufgabe, meinte Sohm: „Wir verlangen heute ein soziales Privatrecht, sozial in dem Sinne, daß es den Gedanken der untrennbaren brüderlichen Zusammengehörigkeit aller Volks- und Rechtsgenossen, den Gedanken der Gemeinschaft wie der politischen und wirtschaftlichen Interessen auch auf dem Gebiet des Rechts zum Ausdruck bringe. Wo ein Glied leidet, da leiden die anderen mit. Darum Schutz den Schwachen - Geusenkönigthum!" 2 0 0

In diesem Ausspruch steckt eine gekonnte Verknüpfung an sich zunächst so nicht für zusammengehörig gehaltener Funktionen: einerseits der insbesondere von Gierke geprägte Gemeinschaftsgedanke, andererseits der Topos des Schut194 Julius Baron, Angriffe auf das Erbrecht, Berlin 1877 [Deutsche Zeit- und Streit-Fragen. Flugschriften zur Kenntniß der Gegenwart, Heft 85]. 195 Schröder; Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 119), S. 129, 158. 196 Rudolph Sohm, Ueber den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich in zweiter Lesung, in: Gruchot's Beiträge 39 (1895), S. 737-766. 197 Otto Gierke, Das Bürgerliche Gesetzbuch und der Deutsche Reichstag, Berlin 1896. 198 Vgl. oben S.2 bei Fn.3, S.2 bei Fn.7, S.3 bei F n . l l . 199 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 741. 200 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S.747.

III. Die soziale

Freiheit

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zes des Schwachen als die seit jeher zentrale Aufgabe fürsorglichen wohlfahrtsstaatlichen Handelns, die spätestens seit der vernunftrechtlichen Epoche - etwa im Denken von Leibniz und Wolff - aus dem Privatrechtsdenken nicht mehr wegzudenken war. Die Verbindung dieser Ziele leistete die Vorstellung eines körperlichen Volksbegriffs, einer Art Gemeinschaftskörper, die von der christlichen Theologie auf der Grundlage antiker Vorbilder entwickelt worden ist: „Wo ein Glied leidet, da leiden die anderen mit." Die Anleihe beim Apostel Paulus ist offensichtlich 201 . Wie eine bekräftigende Zusammenfassung des Schutzgedankens zugunsten der Schwachen wirkt das dritte Element der sozialen Aufgabe des Privatrechts bei Sohra, das er nur in einem einzigen Schlagwort andeutete: „Geusenkönigthum". Es war gewollt, daß sich an diesen Begriff Assoziationen anhängen, die nicht eigens ausgesprochen werden mußten. „Geusen" leitet sich ab von französisch gueux, Bettler. Zunächst einmal ist also ein „Bettlerkönigtum" die Forderung. Allerdings schwingt neben einer Anspielung auf eine kolportierte Äußerung Friedrichs des Großen202 in der Bezeichnung auch die Erinnerung an den Freiheitskampf der Niederlande im 16. Jahrhundert mit. Die Partei der sogenannten Geusen führte diesen Kampf gegen den spanischen König, so daß sich der Begriff auch zum Synonym für die um die Unabhängigkeit Kämpfenden entwickelte. Einen Umsturz der Machtverhältnisse hatte Sohm ganz gewiß nicht im Sinn, doch gemeint war, daß die bislang unterdrückten Schichten auch die ihnen zustehende Freiheit erlangen sollten. Ihr Wille sollte - auf der Ebene des Privatrechts - Macht haben. Einen konkreten Ausdruck hätte diese Freiheit etwa im Ehegüterrecht finden können. Aus der traditionell rechtlich unterlegenen Rolle der Frau im 19. Jahrhundert folgte, daß die Frau grundsätzlich nach Eintritt in die Ehe die Verfügungsmacht über ihr Vermögen verlor. Sogar ihr Arbeitslohn, den sie, wenn sie den unteren Bevölkerungsschichten angehörte, regelmäßig erwirtschaften mußte, ging in das Vermögen des Mannes über 203 . In der Frauenfrage zeigte sich deutlich der innere Zusammenhang zwischen sozialen und freiheitlichen Erwägungen. Wenn Sohm also ein Geusenkönigtum verlangte, so hätte das im Ehegüterrecht konkrete Auswirkungen haben müssen, die das Gegenteil von einer Erweiterung der Rechte des Mannes am Vermögen der Frau bedeutet hätten, die Sohm dem Ehegüterrecht des zweiten Entwurfs wohlwollend bescheinigte204. Vom Geusenkönigtum, das den Unterdrückten Freiheit und Recht bringt, war da nichts zu spüren. Aber Sohm hat es auch bei

201 1 Kor 12,26: „Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm." Ahnlich der Gedanke in Röm 12, 15, der wiederum schon im Alten Testament in Sir 7, 34 ein Vorbild fand. 202 Vgl. das Zitat bei Bismarck, oben S.28 bei Fn. 19. 203 Vgl J a z u Emilie Kempin, Die Stellung der Frau nach den zur Zeit in Deutschland gültigen Gesetzes-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Leipzig 1892 sowie die bis heute nicht überholte Arbeit von Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, Tübingen 1907. 204 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 744.

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dem Schlagwort vom Geusenkönigtum belassen, ohne darauf im weiteren Verlauf seines Vortrags noch einmal zurückzukommen 205 . Dennoch vertrat er die These, daß der Entwurf die dreifach definierte soziale Aufgabe nicht nur nicht verkannt, sondern akzeptabel gelöst habe. Zu diesem Schluß konnte er kommen, weil er eine Prämisse gesetzt hatte, die beinahe zwingend zu diesem Ergebnis führen mußte. Die Prämisse war, daß die Kodifikation das Ergebnis des Denkens und Arbeitens des gesamten deutschen Juristenstandes sei, als deren Organ die zweite Kommission gehandelt habe. Der zweite Entwurf resultiere aus dem ersten sowie aus der kritischen Literatur zum E I. „Und diese Literatur ist es vor Allem gewesen, welche die Arbeit der zweiten Kommission, die Ueberführung des ersten Entwurfes in die Gestalt der zweiten Lesung geleitet, angeregt, befruchtet, ihr die Ziele gewiesen hat. Durch das Mittel dieser Literatur und des ersten Entwurfes hat die deutsche Juristenwelt schöpferisch an dem jetzt vorliegenden Entwürfe mitgearbeitet" 2 0 6 .

Mit dieser Prämisse ging Sohra daran zu zeigen, inwiefern der 1895 vollendete zweite Entwurf seine soziale Aufgabe erfüllt hat. Der Maßstab, so führte Sohm 2 0 5 Bedeutung und Inhalt des Freiheitsgedankens im Privatrechtsdenken von Sohm ließen sich tiefer ergründen, wenn man seine Publikationen aus der Zeit nach Abschluß des Gesetzbuchs hinzunähme, insbesondere Sohm, Bürgerliches Recht, in: Systematische Rechtswissenschaft, hrsg. von Paul Hinneberg, Berlin und Leipzig 1906, S. 1-91 [Die Kultur der Gegenwart II, 8]. Dort hat er die Rechtfertigung des Privatrechts darin gesehen, die Entfaltung „wirkungskräftiger" Einzelpersönlichkeiten zu ermöglichen, doch dies nicht um ihrer selbst willen, sondern „für das nationale Leben" (S. 2). Die Freiheit hatte also in seinen Augen eine soziale Funktion, sie stand im Dienst an der Gemeinschaft. In demselben Beitrag rühmte er auch die Fortschritte des Gesetzbuchs zugunsten des vierten Standes, insbesondere im Miet- und Dienstvertragsrecht (S.44, 50). - Die Äußerung von 1906 bestätigt die hier vorgeschlagene Interpretation der älteren Bemerkungen Sohms. Werner Schubert, Das B G B von 1900 im Urteil der zeitgenössischen deutschen Rechtswissenschaft mit einem Ausblick auf die heutige Zeit, in: Das Bürgerliche Recht Von der Vielfalt zur Einheit. Vortragsreihe anläßlich einer Sonderausstellung des Landgerichts Flensburg zum 100. Geburtstag des Bürgerlichen Gesetzbuches, hrsg. von Förderverein der gerichtshistorischen Sammlung des Landgerichtsbezirkes Flensburg e. V., Flensburg 2000, S. 4 0 79, hier S.45, sieht 1906 bei Sohm den „liberalen Charakter des B G B " beschrieben. Sohm selbst verwendete den Begriff „liberal" (S. 13). Das darf jedoch nicht verdecken, daß hier liberal und sozial synthetisch und nicht als Gegensätze gemeint waren. Die Freiheit war für Sohm eine soziale Kategorie. Deutlich in diesem Sinne Sohm: „Mit dem Freiheitsgedanken trifft der soziale Gedanke zusammen" (S. 14). - Keinen näheren Aufschluß über die Interpretation der sozialen Aufgabe durch Sohm bietet hingegen seine Programmschrift aus der Anfangszeit der Arbeit der ersten Kommission, die eine geschichtsphilosophische Rechtfertigung der Kodifikation übernimmt. Bei der Beschreibung der Rezeption und damit der Charaktereigenschaften von römischem und deutschem Recht blieb Sohm ganz in den bekannten Bahnen, die im römischen Recht den Freiheitsgedanken, im deutschen Recht den persönlichen status als Wesenszug zeichneten, vgl. Rudolph Sohm, Die deutsche Rechtsentwicklung und die Codifikationsfrage, in: GrünhutsZ 1 (1874), S. 245-280, insbesondere S.248; vgl. dazu: Peter Landau, Zwei Programmschriften aus den Anfangsjahren der Redaktion des BGB: Moritz August v. Bethmann-Hollweg und Rudolph Sohm, in: Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935, hrsg. von Walther Hadding, Berlin - New York 1999, S. 319-332. 206

Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 740.

III. Die soziale

Freiheit

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aus, müsse die „Gesammtüberzeugung der deutschen Gegenwart, insbesondere des deutschen Juristenstandes" sein. Es komme also nicht auf die Uberzeugung einzelner an - gemeint war: es komme nicht auf die extreme Ansicht Gierkes an - , sondern darauf, daß das Gesetz einen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Recht darstelle 207 . „ D i e U m g e s t a l t u n g des Privatrechts in sozialem Sinne wird und muß eine allmälige sein. Zunächst k o m m t es darauf an, daß der soziale G e d a n k e auch auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts weithin sichtbar auf den Schild gehoben werde, - u n d das hat der Entwurf gethan..."208

Zum Beweis führte Sohra einige Beispiele auf: die Einführung des Satzes Kauf bricht nicht Miete, des Besitzschutzes auch für den nur schuldrechtlich zum Besitz Berechtigten, insbesondere also für Mieter und Pächter. Der Mieter sei nicht mehr der Sklave des Eigentümers, er sei „aus dem Diensthause geführt worden" 209 . Der Entwurf schütze die „grundbesitzlosen Klassen gegen die einst übermächtig waltende Macht des Grundbesitzes" 210 . Gerade im Mietrecht traf diese Einschätzung allerdings höchstens für das gesetzliche Modell zu, die Wirklichkeit der Wohnungsmiete sah anders aus, so daß sich Adolf Lobe veranlaßt sah, den Mieter als „Sklaven des Hausherrn" zu bezeichnen 211 . Auch das Dienstvertragsrecht bringe einen Fortschritt, so setzte Sobm seine Ausführungen fort, wenngleich dort mehr hätte geschehen können. Immerhin habe nun der Arbeitnehmer einen unabdingbaren Schadensersatzanspruch, wenn der Arbeitgeber nicht für die Betriebssicherheit gesorgt habe 212 . Zu den sozial bedeutsamen Fortschritten zähle auch die Einführung des Systems der Normativbestimmungen im Vereinsrecht auf der Grundlage der von Beseler und Gierke entwickelten Genossenschaftstheorie. Zwar bestünden noch einige Vorbehalte bei politischen, religiösen und sozialpolitischen Vereinen, aber endlich sei der Entwicklung eines sozialen Vereinsrechts die Bahn gebrochen 213 . Auch im Gesellschaftsrecht und der Vermögensgemeinschaft habe der E II die Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit und die Vorherrschaft des sozialen Interesses gegenüber dem Einzelinteresse durchgesetzt 214 . Und wie um auch den letzten Zweifler zu überzeugen wiederholte Sohm: „ D e r Inhalt des Entwurfes ist deutsch und sozial. D e r berühmte ,Tropfen sozialen O e les' ist darin. Mancher möchte vielleicht noch mehr des sozialen Oeles. A b e r der Einzelne muß sich bescheiden gegenüber einem solchen Werk. ... D a muß das Gesammturtheil der Gegenwart entscheiden, und das ... ist in d e m Entwurf z u m gesetzgeberischen A u s d r u c k 207

Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 748. Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 748, so auch: Enneccerus, schen Aussichten (wie Fn. 136), S. 7f. 209 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 748f. 210 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 748f. 211 Adolf Lobe, Plaudereien über das neue Recht, Leipzig 1900, S. 641. 212 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S.749f. 213 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 750-753. 214 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S.753. 208

Die parlamentari-

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Typologie

gebracht worden. Darin liegt die Rechtfertigung des Entwurfes. Er entspricht dem Rechte, wie es in dem Gesammtbewußtsein der Gegenwart lebendig ist" 2 1 5 .

Sohm war also der Meinung, der zweite Entwurf entspreche der von ihm definierten sozialen Aufgabe, da er in vielerlei Hinsicht einen Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht bringe. Und was noch nicht den sozialen Anforderungen genüge, könne zum großen Teil durch kluge Auslegung in der Gesetzesanwendung geleistet werden. Dafür spielten die Generalklauseln und die Billigkeitshaftung sowie der soziale Eigentumsbegriff eine zentrale Rolle216. Man vermißt in der Begründung Sohms für die These, daß der zweite Entwurf seiner sozialen Aufgabe gerecht werde, allerdings einen Hinweis darauf, inwiefern der E II das Geusenkönigtum verwirklicht hat. Daß die oben angedeutete Assoziation - Freiheit auch für die Geusen, die Armen und Bettler, also die untersten Bevölkerungsschichten - durchaus von Sohm intendiert war, ergibt sich jedoch im Rückschluß aus Sohms Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Civilpolitik", den Leo von Petrazycki, ein Schüler Dernburgs im russischen Seminar in Berlin, in seinem Werk über die „Lehre vom Einkommen" 217 entfaltet und gegen den Entwurf gerichtet hat. Die Civilpolitik, die den Gesetzgeber zu einem Erzieher zur Liebe machen wolle, verkenne das Wesen der Rechtsordnung, wie Sohm ausführte218. Nur die Gottesliebe erziehe zur Nächstenliebe. Aufgabe der Privatrechtsordnung sei es aber, „die Freiheit des Einzelnen hervorzubringen, welche die Voraussetzung für die Entfaltung der Liebe" sei219. Ganz im Sinne der christlich-abendländischen Philosophie vertrat Sohm die Ansicht, lieben könne nur, wer frei sei. Zur sozialen Aufgabe des Privatrechts gehört also nach Sohm, daß es - modern gesprochen - die Rahmenbedingungen zur Entfaltung der Persönlichkeit schafft. Also Befreiung zur Freiheit, so scheint es mir, war mit dem dritten Element seiner Definition der sozialen Aufgabe des Privatrechts, mit dem Begriff Geusenkönigtum, gemeint und trifft sich mit den Vorstellungen von Baron. Da der Entwurf in Sohms Augen den »Tropfen sozialen Öls' insofern enthielt, als er gegenüber dem bisherigen Privatrecht einen sozialen Fortschritt bot, war Sohm wohl auch der Meinung, daß der Entwurf die Rahmenbedingungen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit verbessert hat. Ohne ausdrücklich auf den Begriff des Geusenkönigtums eingegangen zu sein, lag für ihn ein Zugewinn an Freiheit etwa im Besitzschutz für den Mieter gegenüber dem Eigentümer220. So berechtigt aber die Feststellung eines Zugewinns an Freiheit beim Besitzschutz des Mieters auch gewesen sein mag, so wenig konsequent hat Sohm den Gedanken in allen Bereichen des Privatrechts Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 754. Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 754-758. 217 Leo von Petrazycki, Die Lehre vom Einkommen. Vom Standpunkt des gemeinen Civilrechts unter Berücksichtigung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd.2: Einkommensersatz, Berlin 1895. 2,8 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 763f. 219 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 196), S. 764. 220 Vgl. oben bei Fn.209. 215 216

III. Die soziale

Freiheit

93

durchgeführt, wie das bereits oben angesprochene Beispiel des Ehegüterrechts gezeigt hat, denn Sobm sah gerade den Vorzug der Regelung des E II gegenüber dem E I in einer Verbesserung der Rechtsstellung des Mannes auf Kosten der Frau. Das ist festzuhalten, auch w e n n - insoweit entgegen heute verbreiteter Auffassung 2 2 1 - unter dem Strich die Verwaltungsgemeinschaft des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau gegenüber dem bisherigen Rechtszustand geführt hat. Demgegenüber vertrat etwa Otto Bähr222 in konsequenter Weise den Gedanken der Gleichberechtigung der Frau. Das bedeutete f ü r ihn Befreiung der Frau aus einem System des „Egoismus des Mannes" 2 2 3 , also in erster Linie einen G e w i n n an Freiheit - auch hier wieder zum Schutz des Schwächeren. U b e r die schon mehrfach erwähnte 2 2 4 Benachteiligung der Frau, beispielsweise im Ehegüterrecht, w i r d im Kapitel zum Familienrecht noch ausführlich zu sprechen sein. Dernburg, v o n dem bereits im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsgedanken und beim Schutz des Schwächeren die Rede war 2 2 5 , sprach sogar gelegentlich v o n einer „Wohlthat der Befreiung". Er hat im Zusammenhang mit der schon erwähnten Stellungnahme 2 2 6 zur Beibehaltung oder A b s c h a f f u n g des Vermieterpfandrechts auf dem 20. Deutschen Juristentag den Freiheitsgedanken angesprochen. Die Berücksichtigung sozialer Erwägungen bei der Gesetzgebung hielt er nicht nur f ü r erlaubt, sondern f ü r notwendig. A u c h müsse der

221 Klaus Scbmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Stellung der Frau, Berlin 1990, S. 144f.; Petra Malsbenden, Die rechtliche Stellung der Frau im ehelichen Güterrecht vom ALR zum BGB, Frankfurt am Main usw. 1991, S.298f.; Stephan Buchholz, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauen: zur Kritik des Ehegüterrechts, in: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hrsg. von Ute Gerhard, München 1997, S. 670-682, hier S. 675; Hans Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? Das janusköpfige Bürgerliche Gesetzbuch, in: Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996. Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, hrsg. von Hans Schlosser, Heidelberg 1997, S. 5-33, hier S. 20. Anders jedoch auch Barbara Dölemeyer, Frau und Familie im Privatrecht des 19. Jahrhunderts, in: Frauen in der Geschichte des Rechts (wie zuvor), S. 633-658, hier S. 646. 222 Zu diesem: Birgit Binder, Otto Bähr (1817-1895). Richter von universellem Geist, Mittler zwischen Dogmatik und Praxis, Frankfurt am Main usw. 1983, dort S. 143-157 zu Bährs Kritik am Entwurf, allerdings ohne Berücksichtigung unserer Fragestellung. Daraus, daß Otto Bähr, Gegenentwurf zu dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Kassel 1892, S. V, schrieb, er halte den Vorwurf für unbegründet, „daß der Entwurf nicht unternommen habe, manche Fragen socialer oder wirthschaftlicher Natur, die in unserer Zeit angeregt, aber doch noch mehr oder minder umstritten sind, zu lösen", darf man nicht schließen, Bähr habe dem Gesetzbuch überhaupt keine soziale Aufgabe zugemessen. Es sollte nach seiner Meinung nur frei bleiben von Experimenten im Dienste der Sozialpolitik. Der Maßstab für die richtigen Regeln war für Bähr, ob sie „gerecht und praktisch zuträglich" sind (wie zuvor). 223 Otto Bähr, Zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, München 1888, S. 149f. 224 Vgl. oben S. 62 bei Fn. 59, S. 81 bei Fn. 155 und S. 89 bei Fn. 203. 225 Vgl. oben S.67 bei Fn.82 und S.76 Fn.137. 226 Wie Fn. 225; nähere Einzelheiten unten S.266.

94

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

Gesetzgeber, so führte er aus, die allgemeine Volksüberzeugung im Blick behalten. Und wörtlich heißt es bei ihm: „Es erscheint daher richtiger, wenn der Gesetzgeber mit einem Institute bricht, welches den Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr entspricht, wenn er in großer und freier Weise vor das Volk tritt und sagt: hier habt Ihr eine Wohlthat, hier erhält die große Masse der Bevölkerung eine Befreiung. Das ist es ja, was ich vorzugsweise an dem Entwürfe des bürgerlichen Gesetzbuchs vermisse, daß es nicht Wohlthaten dem deutschen Volke giebt, nicht Brot, sondern vielfach Steine. Ein Gesetzbuch, welches die deutsche Einheit wahrhaft befördern soll, muß uns befreien vom Veralteten, von Härten, von der Gegenwart antipathischen Institutionen" 2 2 7 .

Befreiung - seit der Französischen Revolution war dieser Schlachtruf in Europa nicht mehr verhallt. Er fand im 19. Jahrhundert ungezählten Widerhall. Nicht nur die Bauern wurden befreit, sogar der Grund und Boden. Dernburg verband also die soziale Aufgabe des Privatrechts mit dem Anliegen der Befreiung. Sozial war, so könnte man formulieren, was Freiheit bewirkte. Dazu mußten alte Abhängigkeitsverhältnisse korrigiert und ungerechte Härten abgebaut werden. Das Vermieterpfandrecht beispielsweise konnte vor diesem Programm keinen Bestand haben. Im Blick hatte Dernburg dabei vor allem die unteren Bevölkerungsschichten. Kaiser Wilhelm I., so sagte er, habe die preußischen Klassensteuern abgeschafft, Kaiser Wilhelm II. möge nun die unteren Klassen von den Lasten der Exekutionen aufgrund von Mietverhältnissen befreien 228 . Die von Dernburg angedeutete Aufgabe des Privatrechts umfaßte also auch das, was Baron mit „sozialer Freiheit" und Sohm mit „Geusenkönigtum" gemeint hatte. Das Privatrecht sollte dem einzelnen die zur Entfaltung seiner Persönlichkeit notwendige soziale Freiheit gewähren. Anders als bei Baron trat die Freiheitsidee bei Dernburg aber neben den Gemeinschaftsgedanken, wie auch eine Bemerkung in dem bereits erwähnten Vortrag über die „Phantasie im Recht" zeigt: „Die Rechtswissenschaft ... hat ihre Sätze zu prüfen und zu entwickeln mit Rücksicht auf ihren Zweck. Die Frage des Zwecks aber liegt außerhalb der Erfahrung, hier sind Mächte bestimmend, welche nicht sichtbar sind. Fassen wir als den Zweck ,soziale Gerechtigkeit', so fragt es sich, worin sie besteht, wie sie zu erhalten ist, welche Mittel zu ihr führen. Da kommt in Betracht die Werthung der Persönlichkeit und ihr Verhältniß zur Gesammtheit, Freiheit und Autorität, natürliches Sein und physisches Bedürfniß und Sittlichkeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das läßt sich nicht physisch messen, hier bedarf es der Augen des Geistes, der Phantasie und des Verstandes" 229 .

Trotz der großen begrifflichen Unschärfe, die Dernburg bei der Beschreibung des Zwecks des Rechts, der Aufgabe des Privatrechts, für soziale GerechDernburg, Dernburg, rung ausführlich 229 Dernburg, 227

228

[Diskussionsbeitrag, wie Fn. 83], S. 179. Hervorhebungen von T.R. [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 83], S. 179. Zum realen Hintergrund dieser Fordeunten bei der Erörterung des Vermieterpfandrechts S. 250. Phantasie im Recht (wie Fn. 137), S. 36f.

III. Die soziale

95

Freiheit

tigkeit zu sorgen, in Kauf nahm, so wird doch immerhin deutlich, daß er sowohl den Gemeinschaftsgedanken als auch die Freiheit mit der sozialen Gerechtigkeit, das heißt für ihn mit der Aufgabe oder dem Zweck der Rechtsordnung, verband.

3. Rechtsfriede

als Bestandteil

der sozialen

Freiheit

-

LeonardJacobi

In programmatischer Weise äußerte sich auch der Berliner Rechtsanwalt Leonard Jacobi zur sozialen Aufgabe des Privatrechts, der im Unterschied zu den bisher erörterten Auffassungen in den Topos der sozialen Freiheit besonders klar auch den Rechtsfrieden integriert hat. Anlaß war für ihn die Entscheidung des ersten Entwurfs für den Grundsatz „Kauf bricht Miete" in § 509 E I .Jacobi meinte, der Entwurf entferne sich damit unzulässig von den eigenen Vorgaben im Gutachten der Vorkommission, da er nicht Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Zweckmäßigkeit nehme, sondern in erster Linie im Wege rücksichtsloser Durchführung abstrakter Grundsätze zu einer möglichst geradlinigen K o n struktion des Sachenrechts habe kommen wollen. Deshalb habe der Entwurf den dinglichen Charakter der Miete ignoriert und den Grundsatz „Kauf bricht Miete" eingeführt, um nicht mit den Prinzipien des Grundbuchrechts in K o n flikt zu geraten 2 3 0 . In der Tat haben die Motive größte Unzuträglichkeiten befürchtet, aber die gegenteilige Regelung für unvereinbar mit dem Grundbuchsystem gehalten 2 3 1 . D e n n o c h hat sich die erste Kommission für eine einigermaßen konsequente Durchführung des Grundbuchsystems entschieden und gegen die vom Gutachten der Vorkommission für maßgeblich erachteten Bedürfnisse der Gegenwart 2 3 2 . D e n Ausgangspunkt der Gegenargumentation von Jacobi bot sein Verständnis von der Aufgabe des Gesetzes, die uns in diesem Zusammenhang interessiert. Im Falle innerhalb des Reiches divergierender Privatrechtsnormen solle, so meinte Jacobi in Übereinstimmung mit der zitierten Stelle des Gutachtens 2}0 Leonard Jacobi, Miethc und Pacht. Ihre Stellung in der Kulturgeschichte, im Privatrecht und im Systeme des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 60. 2 3 1 Motive II, S.383f. Weitere Einzelheiten unten S.235. 2 3 2 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 170-185, hier S. 170. Dazu weitere Einzelheiten unten S. 110. - Jacobi hat den dinglichen Charakter der Miete (vgl. oben im Text bei Fn.230) aus der deutschrechtlichen Tradition heraus begründet und warf dem Gesetzgeber zurecht vor, sich nicht an die eigenen Vorgaben gehalten zu haben. Er gab allerdings an einer bezeichnenden Stelle den Inhalt des Gutachtens der Vorkommission mit unzutreffender Bezugnahme auf Rassow's Publikation desselben in Gruchot's Beiträgen 21 (1877), S. 167ff. unrichtig wieder. Im Gutachten hieß es, der Gesetzgeber solle an den bewährten Instituten und Sätzen der innerhalb des Deutschen Reichs bestehenden Zivilgesetze festhalten (vgl. den Wortlaut unten S. 110 bei Fn. 298). Daraus wurden bei Jacobi Institute des Deutschen Rechts, zu denen dann aber auch die Dinglichkeit der Miete gehört hätte [jacobi, Miethe und Pacht (wie Fn. 230); richtig hingegen noch ders., S. 2], Für die weitere Argumentation von Jacobi spielte diese Ungenauigkeit allerdings keine Rolle.

96

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

der Vorkommission, diejenige den Vorzug haben, die am meisten der Zweckmäßigkeit, inneren Wahrheit und Folgerichtigkeit entspreche233. Grundsätzliche Bedeutung habe dabei die Stellung des Gesetzgebers zum Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen im Vermögensrecht 234 . An dieser Stelle gelangen wir nun zum Kern der gesetzgeberischen Aufgabe in den Augen Jacobis: Da die Rechtsordnung, so heißt es bei ihm, die Ordnung der Lebensverhältnisse des Einzelnen durch Rechtsgeschäfte zulasse, müsse sie dem Einzelnen auch den nötigen Rechtsschutz gewähren, damit dieser nicht auf die Selbsthilfe angewiesen sei235. Und weiter: „Die Möglichkeit einer festen Rechtsordnung beruht gerade darauf, daß sich das gesellschaftliche Leben und die Selbstbestimmung des Einzelnen bewegt und abwickelt in bestimmten, typischen Arten von Geschäften, welche nicht willkürlich sind, sondern gegeben durch bestimmte wirthschaftliche Bedürfnisse und die durch den Gang der Kulturentwikkelung herbeigeführte, in der Weiterentwickelung begriffene Gestaltung der Lebensverhältnisse" 236 .

Wenn es nun, so könnte man das Ergebnis von Jacobi vorwegnehmen, der Natur der Miete entspricht, daß der Mieter Besitzschutz erfährt und die Miete daher dinglichen Charakter hat, so entspricht der Satz „Kauf bricht Miete" nicht den Bedürfnissen und muß verworfen werden. Jacobi hat das auf vielen Seiten ausgeführt. Hier braucht es allerdings nicht vertieft zu werden. Die wichtigste Anforderung an die Privatrechtsordnung ist also nach Jacobi die Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. Dabei meinte er freilich kein schrankenloses Recht, sondern: „Die Rechtsordnung soll - innerhalb der durch das Gemeinwohl gezogenen Grenzen so beschaffen sein, daß sie die Selbstbestimmung des Einzelnen sowohl, als die Gesammtentwickelung beschützt und fördert ..." 2 3 7 .

Man könnte auch formulieren: Rücksichtnahme auf die gemeinschaftlichen Belange und gleichzeitig Betonung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. Während der erste Teil dieses Programms an Gierke erinnert, liegt doch das besondere in der Zusammenschau beider Aspekte - sozial und frei. Wie man sich das ins Konkrete gewendet vorzustellen hat, lehrt das Beispiel „Kauf bricht Miete", das das eigentliche Problem der Abhandlung von Jacobi war. Auf den ersten Blick scheint der von Jacobi befürwortete Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete" einen sozialen Inhalt insofern zu haben, als er den sich regelmäßig in der Position des Schwächeren befindenden Mieter gegen die einseitige Durchsetzung kapitalistischer Interessen des Vermieters schützt. Doch diese Zielsetzung lag Jacobi vergleichsweise fern. Für ihn folgte der Grundsatz vielmehr aus dem

233 234 235 236 237

Jacobi, Jacobi, Jacobi, Jacobi, Jacobi,

Miethe Miethe Miethe Miethe Miethe

und und und und und

Pacht Pacht Pacht Pacht Pacht

(wie (wie (wie (wie (wie

Fn.230), Fn.230), Fn.230), Fn.230), Fn.230),

S.3. S.4. S.4. S.4. S.4.

III. Die soziale

97

Freiheit

Selbstbestimmungsrecht des Mieters, der - nach Jacobis Auffassung - einen besitzrechtlichen Status an der Mietsache erlange. Der wirksame und präzise Schutz dieser Rechtsposition lasse sich aber nicht durch eine Schadensersatzforderung oder ähnliches erreichen, sondern er setze voraus, daß der Vermieter gezwungen werde, den Besitz des Mieters zu achten. Die soziale Aufgabe des Gesetzes besteht nämlich, wie aus dem obigen Zitat deutlich wurde, darin, das gesellschaftliche Leben ohne Selbsthilfe des Einzelnen zu ermöglichen. Modern gesprochen ist die Position Jacobis so wiederzugeben: Nur wenn der Gesetzgeber die aus der Natur der jeweiligen Rechtsverhältnisse abzuleitenden subjektiven Rechte des Einzelnen wirksam schützt, erfüllt er seine soziale Aufgabe in rechter Weise. Denn diese besteht darin, eine Ordnung an Stelle der Selbsthilfe zu gewähren. Die gleichzeitig vom Gesetzgeber zu erfüllende freiheitliche Aufgabe besteht hingegen darin, die subjektiven Rechte überhaupt anzuerkennen, um auf diese Weise die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu ermöglichen. So soll nach Jacobi das Privatrecht zugleich sozial und frei sein. Und trotzdem hatte auch für Jacobi der soziale Grundsatz des Schutzes des Schwächeren seine eigenständige Bedeutung, was ein weiterer Beleg dafür ist, daß die hier getroffene Unterscheidung sozialer Topoi keineswegs als kontradiktorischer Gegensatz verstanden werden darf. Eine soziale Ungleichheit müsse, so meinte Jacobi, die Rechtsordnung notfalls durch Unwirksamerklärung der zugrunde liegenden Vereinbarung auszugleichen versuchen238. Hier lag für ihn also eine der Gemeinwohlschranken der Selbstbestimmung, von denen oben die Rede war. Auch dies ist ein sozialer Aspekt im Privatrechtsdenken von Jacobi. Wir haben es also mit einer mehrfachen sozialen Aufgabe des Privatrechts zu tun: Einerseits Gewährleistung der Freiheit in der Form der Selbstbestimmung durch einen wirksamen Rechtsschutz. Das war nur eine andere Formulierung für das Programm, das uns auch bei Sohm, Dernburg und in leichter Abwandlung bei Baron begegnet ist. Im durch den Rechtsschutz zu erreichenden Rechtsfrieden fand Jacobi einen sozialen Aspekt dieser Freiheit. Andererseits verstand Jacobi unter der sozialen Aufgabe des Privatrechts aber auch eine Beschränkung dieser freien Selbstbestimmung durch die Grenzen des Gemeinwohls, die in manchen Fällen sogar zu einer Aufhebung des Selbstbestimmungsrechts im Wege der Nichtigkeit von Vereinbarungen führen kann.

4. Zwingendes

Recht zum Zwecke

der Befreiung

- Philipp

Lotmar

Joachim Rückert hat in mehreren Aufsätzen die Privatrechtstheorie des Schweizer Arbeitsrechtlers Philipp Lotmar als „frei" und „sozial" gekennzeichnet239. Das Begriffspaar ist eine andere Form der Umschreibung des sozialen ToJacobi, Miethe und Pacht (wie Fn. 230), S. 5, insbesondere Fn. 9. Rückert, „Frei" und „sozial" (wie Fn.62), S. 225-294; ders., Philipp Lotmar (1850-1922). Römisches Recht, Rechtsphilosophie und Arbeitsrecht im Geiste von Freiheit und Sozialismus, 238 239

98

Kapitel J: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

pos von der „sozialen Freiheit". Obgleich das rechtswissenschaftliche Denkgebäude von Lotmar dazu einlädt, Querverbindungen von der Debatte um die soziale Aufgabe des Privatrechts im Zusammenhang mit der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verfolgen, würde dies von unserem Untersuchungsgegenstand wegführen. Lotmar hat nur einen, allerdings gewichtigen, Beitrag zur Kritik an den Entwürfen erbracht - und dies erst gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens, als schon die ersten drei Bücher des zweiten Entwurfs publiziert waren240. Der Dienstvertrag des zweiten Entwurfs hatte seine Aufmerksamkeit gefunden. Im Verhältnis zu manchen anderen hat Lotmar nüchtern und zurückhaltend Kritik geübt. Erst gegen Ende dieses Beitrags deutete sich das „soziale" Programm Lotmars an, als er über den Zusammenhang von Vertragsfreiheit und Dispositivität des Privatrechts sprach. Er war der Auffassung, man müsse das Dienstvertragsrecht des Entwurfs in weitem Umfang zwingend ausgestalten, um so die wirkliche Freiheit der betroffenen Dienstleistenden zu garantieren. Wenn das Privatrecht hier, so erklärte er, Grenzen ziehe, bedeute das „nicht Beschränkung der Freiheit, sondern Erweiterung" 241 . Es ging Lotmar darum, möglichst vielen möglichst viel Freiheit zu sichern. Dazu, so Lotmar, müsse das Gesetz „unüberschreitbare unterste Grenzen festsetzen"242. Das Wesen von Lotmars „liberalem"243 Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts, das nach Rückert das „Personenrecht" in den Mittelpunkt stellte und mit dem Ideal individueller Freiheit244 das „Wohl von Menschen" meinte245, kommt hier nur schemenhaft zum Ausdruck. Anders als für Gierke, aber ähnlich wie bei Baron ging es um die Bewahrung der konkreten Freiheit des Einzelnen als Voraussetzung der Entfaltung seiner Persönlichkeit. In Lotmars Kritik am Dienstvertragsrecht kann man diese Einschätzung der sozialen Aufgabe des Privatrechts nur erahnen. Immerhin wurde auch dort deutlich, daß es um die Sicherung der Freiheit ging. in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 331-353; ders., Philipp Lotmars Konzeption von Freiheit und Wohlfahrt durch „soziales" Recht (1850-1922), in: Philipp Lotmar, Schriften zu Arbeitsrecht, Zivilrecht und Rechtsphilosophie, hrsg. von Joachim Rückert, Frankfurt am Main 1992, S. VII-LXXXVI; dazu Rezension von Klaus Luig, in: Quaderni fiorentini 23 (1994), S. 445449. Zu Lotmar neuerdings auch Catherine Antoinette Gasser, Philipp Lotmar 1850-1922. Professor an der Universität Bern. Sein Engagement für das Schweizerische Arbeitsrecht, Frankfurt am Main 1997, hier insbesondere S.98f., wo sie im wesentlich Rückert folgt. 240 Philipp Lotmar; Der Dienstvertrag des zweiten Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 8 (1895), S. 1-74, zugleich in: Philipp Lotmar, Schriften zu Arbeitsrecht, Zivilrecht und Rechtsphilosophie, hrsg. von Joachim Rückert, Frankfurt am Main 1992, S. 97-172. Zitiert wird hier nach der Seitenzählung des Originals. 241 Lotmar, Der Dienstvertrag (wie Fn.240), S.71. 242 Lotmar, Der Dienstvertrag (wie Fn.240), S.71. 243 So bezeichnet Rückert, „Frei" und „sozial" (wie Fn. 62), S.253, Lotmars Arbeitsvertragskonzeption. 244 Rückert, „Frei" und „sozial" (wie Fn. 62), S. 248. 245 Rückert, Philipp Lotmars Konzeption (wie Fn.239), S. LIII.

99

III. Die soziale Freiheit

5. Soziale

Freiheit

auch bei

Gierke?

Auch beim Topos der sozialen Freiheit ist Gierke zu erwähnen. Schon im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsgedanken haben wir ausgeführt, daß Gierke keineswegs zu einer Negation subjektiver Rechte kam. Es ist daher an dieser Stelle sein Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts mit der Konzeption der sozialen Freiheit zu konfrontieren, die Baron ganz bewußt gegen Gierke richten wollte. Doch wie stand letzterer zur Freiheit? Schon vorweg ist zu betonen, daß er den Gemeinschaftsgedanken kompromißlos durchgeführt hat. Im Falle einer Kollision mit der Freiheit oder auch mit dem Schutz des Schwächeren mußten diese Interessen gegenüber dem Gemeinschaftsgedanken zurücktreten. Das hinderte Gierke aber nicht, auch den Schutz des Schwächeren und die Freiheit argumentativ einzusetzen, wenn sich daraus kein Gegensatz zum Gemeinschaftsgedanken ergab, was insbesondere hinsichtlich der Freiheit der Erläuterung bedarf. Zunächst mag jedoch ein Zitat die Verbindung der verschiedenen Topoi bei Gierke illustrieren, das zugleich Aufschluß über sein Freiheitsverständnis bietet: „Wenn das moderne Recht hier [sc. im Obligationenrecht, T.R.] den Grundsatz der Vertragsfreiheit durchführt, so kann doch auch hier nicht willkürliche, sondern nur vernünftige Freiheit gemeint sein: Freiheit, die kraft ihrer sittlichen Zweckbestimmung ihr Maß in sich trägt, - Freiheit, die zugleich Gebundenheit ist. Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst. Eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen, wird sie zum Mittel der Unterdrückung des Einen durch den Anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirthschaftlicher Uebermacht. Das Gesetz, welches mit rücksichtslosem Formalismus aus der freien rechtsgeschäftlichen Bewegung die gewollten oder als gewollt anzunehmenden Folgen entspringen läßt, bringt unter dem Schein einer Friedensordnung das bellum omnium contra omnes in legale Formen. Mehr als je hat heute auch das Privatrecht den Beruf, den Schwachen gegen den Starken, das Wohl der Gesammtheit gegen die Selbstsucht der Einzelnen zu schützen" 246 .

Wir treffen in diesem kurzen Abschnitt auf drei zentrale Topoi der Diskussion um die soziale Aufgabe des Privatrechts am Ende des vergangenen Jahrhunderts: „vernünftige", also soziale Freiheit, Schutz des Schwachen gegen den Starken und Wohl der Gesamtheit als einen Aspekt des Gemeinschaftsgedankens. In dem zitierten Abschnitt fällt besonders Gierkes Überlegung zur Freiheit ins Auge. Die Vertragsfreiheit im Obligationenrecht war für Gierke eine Prinzipienfrage. Die Abschaffung der Lex Anastasiana247, der Anfechtung wegen laesio enormis, des Kündigungsrechts bei Darlehen mit einem Zinssatz über 6%, des Interzessionsverbots für Frauen 248 usw. führe zur schrankenlosen VertragsGierke, Soziale Aufgabe, S.28f. (Hervorhebungen von T.R.). Vgl. oben S.69Fn. 100. 248 Gemeint ist das im SC Velleianum ausgesprochene Verbot der Übernahme von Verbindlichkeiten im Interesse Dritter, vgl. D. 16.1.2.1. 246

247

100

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

freiheit, wie er auf dem 20. Deutschen Juristentag erläuterte249. Eine solche schrankenlose Vertragsfreiheit widersprach jedoch seinem Verständnis von Freiheit. Er erklärte, eine nicht sittlich gebundene Freiheit sei Willkür und widerspreche dem sozialen Wesen des Menschen als Mitglied „einer allumschlingenden Gemeinschaft"250. Mit knappen Worten umriß er seinen Freiheitsbegriff so: „Und darum heißt es auch hier: Freiheit, aber Freiheit innerhalb sittlicher Schranken, Freiheit zum vernunftgemäßen und gesellschaftsfreundlichen Gebrauch; aber nimmermehr Freiheit zu culturwidrigem und gesellschaftsfeindlichem Mißbrauch" 2 5 1 .

Wie alle Rechtsbegriffe so stand für Gierke auch die Freiheit unterhalb des alles beherrschenden Gemeinschaftsgedankens. Sie war eine gebundene Freiheit insoweit, als ihre immanente Schranke aus der sozialen Natur des Menschen, aus seiner Angewiesenheit auf die Gemeinschaftlichkeit resultierte. Gemeinschaftsfeindliche Ausübung der Freiheit erschien in diesem Falle als Mißbrauch. Dies alles sollte aber, wie oben am Beispiel des Persönlichkeitsrechts gezeigt worden ist, nicht zu einer Auflösung der Freiheit in der Gemeinschaft führen, sondern es sollte dem Individuum durchaus Raum zur freien Entfaltung belassen werden252. In der einen oder anderen Weise spielten alle erwähnten Topoi für Gierke eine Rolle. Trotzdem ist zu betonen, daß im Mittelpunkt seines Denkens weder die Freiheit noch der Schutz des Schwachen standen, sondern der Gemeinschaftsgedanke. Das wird letztlich besonders deutlich im Familienrecht, wo Gierke im Unterschied zu anderen gerade nicht für eine Verbesserung der Rechtsstellung der Frau eintrat, die im patriarchalisch strukturierten Familienrecht des Entwurfs eher eine benachteiligte Rolle hatte, sondern im Gegenteil für eine Stärkung der Rechte des Mannes eintrat, die er, wie wir schon bemerkt haben, aus dem Status des Mannes in der Ehegemeinschaft ableitete253. Gierke ging es dabei um eine Stärkung der ehelichen Gemeinschaft und damit des Gemeinschaftsgedankens, nicht aber um den Schutz des Schwachen, der sich in anderem Zusammenhang, insbesondere im Schuldrecht, ganz problemlos mit dem Gemeinschaftsgedanken vereinbaren ließ. Wenn es jedoch darauf ankam, 249 Otto Gierke, [Referat zur Frage:] Soll die Conventionalstrafe im künftigen deutschen Gesetzbuch lediglich der freien Vereinbarung unterliegen oder an gesetzliche oder richterliche Schranken gebunden werden?, in: Verhandlungen des Zwanzigsten Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 60-66, hier S. 62. Zur Vorgeschichte von §343 BGB: Ralf-Peter Sossna, Die Geschichte der Begrenzung von Vertragsstrafen. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte und Wirkungsgeschichte der Regel des §343 BGB, Berlin 1993. - Zur den im Text erwähnten Rechtsinstituten in ihrem Zusammenhang zur Vertragsfreiheit vgl. Klaus Luig, Vertragsfreiheit und Aquivalenzprinzip im gemeinen Recht und im BGB. Bemerkungen zur Vorgeschichte des § 138 II BGB, in: Aspekte europäischer Rechtsgeschichte. Festgabe für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, hrsg. von Christoph Bergfeld u.a., Frankfurt am Main 1982, S. 171-206. 250 Gierke, [Referat zur Conventionalstrafe] (wie Fn. 249), S. 63. 251 Gierke, [Referat zur Conventionalstrafe] (wie Fn.249), S. 63. 252 Vgl. oben S. 62 ff. 253 Vgl. oben S.58 bei Fn.59.

III. Die soziale

Freiheit

101

so entschied sich Gierke für den Gemeinschaftsaspekt, weshalb wir diesen hier in den Vordergrund rücken möchten. Nimmt man die Haltung Gierkes zu allen Teilen des Privatrechtsgesetzbuchs in den Blick, so erscheint der Begriff der gebundenen oder vernünftigen Freiheit, den Gierke im Zusammenhang mit seiner Kritik an der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit formuliert hat, geringere Bedeutung zu haben, als sie etwa Spindler mit Rücksicht auf den Arbeitsvertrag eingeschätzt hat254. Ob man deshalb mit Rückert255, der insoweit Stammler gefolgt ist256, Gierkes Verständnis von „sozial" als „unfreiheitlich" und privatrechts-distanziert bezeichnen soll, ist allerdings weniger gewiß. Im Vordergrund standen freiheitliche Ideen bei Gierke sicherlich nicht, aber er wollte, wie sich zeigen ließ, ebensowenig das freie Individuum aus dem Recht verbannen. Es ging ihm um eine Verbindung von Privatrecht und „sozial"257, die die Freiheit relativiert. Liest man den Text unter diesem Blickwinkel, wie es Rückert getan hat258, so mag man sich daran vielleicht stoßen, aber für Gierke stellte die soziale Aufgabe des Privatrechts eine Synthese von Gemeinschaftsgedanken und Freiheit dar. Primäre Bedeutung hatte dabei der Gemeinschaftsgedanke, was auch Kroeschell zu meinen scheint, wenn er sagt, für Gierke erfülle das Recht dann seine Aufgabe, wenn es den wirtschaftlichen und sittlichen Lebensbedürfnissen der Gesamtheit diente259. Diese Umschreibung verharrt freilich in einer unanschaulichen Abstraktheit, die nur faßbare Inhalte bekommt, wenn man die konkreten Auswirkungen sozialen Privatrechts bei Gierke in den Blick nimmt. Greifen wir noch einmal die oben gestellte Frage auf, ob in Gierkes Verständnis von der sozialen Aufgabe der Topos der sozialen Freiheit Platz hatte, so ist das nur in einem sehr eingeschränkten Sinn zu bejahen, eingeschränkt deshalb, weil der beherrschende Gemeinschaftsgedanke jederzeit für ihn Vorrang hatte, während bei den übrigen Konzeptionen der sozialen Freiheit - bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen - doch der Aspekt der Freiheit im Vordergrund stand. Das Beispiel des Ehegüterrechts zeigt, daß es für Gierke eben nicht um eine „Befreiung" im Sinne Dernburgs ging, die im Wege der Gleichberechtigung zu einer Vergrößerung der individuellen Freiheitssphäre geführt hätte. Während also für Baron und die übrigen die soziale Aufgabe des Privatrechts auf die Freiheit des einzelnen zum Zwecke der Entfaltung zielte, ging es für Gierke Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft (wie Fn. 14), S. 130f. Rückert, „Frei" und „sozial" (wie Fn.62), S.273 Fn. 197 und S.274. 256 Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosophische Untersuchung, Leipzig 1896, S. 123. 257 Insoweit hier also übereinstimmend mit Rückert, „Frei" und „sozial" (wie Fn. 62), S. 273 und auch L.H. Adolph Geck, Zur Sozialreform der Rechts. Die soziale Problematik in der Rechtsphilosophie der Neuzeit, Stuttgart 1957, S.52f. 258 Joachim Rückert, Zur Legitimation der Vertragsfreiheit im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität - Inhalt - Funktion - Wirkung, hrsg. von Diethelm Klippel, Goldbach 1997, S. 135-183, hier S. 167f. 259 Ähnlich Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 3 (seit 1650), 2. Aufl. Opladen 1993, S. 224. 254 255

102

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

vorrangig um den Gemeinschaftsgedanken, der in seinen Grenzen die Freiheit des einzelnen respektierte.

6. Soziale Gerechtigkeit durch Gleichberechtigung Das güterrechtliche Beispiel lehrt, was man auch auf anderen Gebieten des Privatrechts beobachten kann: Im Privatrecht sollte nach dem Willen und Bewußtsein vieler Zeitgenossen die Antwort auf die Kernpunkte der sozialen Frage nicht im Wege einer Bevorrechtigung der Armen und Schwachen gefunden werden, sondern hier hieß - Gierke einmal ausgenommen - das Programm: Gleichberechtigung. Es ging im Arbeitsvertrag ebenso wie im Mietvertrag oder - außer für Sohm - auch dem Ehegüterrecht darum, die Grundvoraussetzung für das sozial adäquate Funktionieren der Privatautonomie zu schaffen, nämlich eine gleichberechtigte - man könnte auch sagen: eine gleich freie - Ausgangslage zwischen Arbeitergeber und Arbeiternehmer, Vermieter und Mieter oder auch zwischen Mann und Frau. Es ging mit den Worten des damaligen Oberlandesgerichtsrats Thomsen um einen Abbau der „Standes- und Classenprivilegien" 260 , um „Befreiung", wie Dernburg sagte261. „Soziale Freiheit" ließe sich daher im wesentlichen auch übersetzen mit „soziale Gerechtigkeit durch Gleichberechtigung". Meistens verbirgt sich aber hier hinter dem Wörtchen „sozial" beim Freiheitstopos zugleich auch der Topos vom Schutz des Schwächeren, der offensichtlich als eine Grundaufgabe der Rechtsordnung angesehen wurde, hier aber keine selbständige Funktion erfüllte, sondern als eine Art Bedingung für die Erreichung des Ziels des Privatrechts, für die freie Entfaltung der Persönlichkeit zum Nutzen der Gemeinschaft, angesehen wurde.

IV. Der sozialpolitische Ausgleich Gelegentlich begegnet in der Debatte über die soziale Aufgabe des Privatrechts das Argument, eine bestimmte Regelung sei erforderlich, um die gesellschaftliche Stabilität zu gewährleisten oder um zu verhindern, daß die Kluft zwischen Arm und Reich sich vergrößere usw., was wir hier als „sozialpolitischen Ausgleich" bezeichnen wollen. Solche Überlegungen sind uns im Zusammenhang mit der Bismarckschen Sozialpolitik bereits im zweiten Kapitel begegnet. Eines der Motive für die Regierung war die Integration des vierten Standes in den Staat 262 . Diese Zielsetzung wurde auch gelegentlich auf das Privatrecht übertragen. Die Denkfigur wird hier mit dem Topos „sozialpolitischer 260 Theodor Ludwig Thomsen, [Gutachten zu der Frage:] Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd.3, Berlin 1889, S. 152-206, hier S.203. 261 Vgl. oben S. 94 Fn. 227. 2 6 2 Vgl. oben S. 30 bei Fn. 28.

IV. Der sozialpolitische

103

Ausgleich

Ausgleich" überschrieben, obwohl er in den Quellen so nicht vorkommt. Der Topos ist vielmehr das Substrat verschiedener Äußerungen, von denen jetzt zu handeln ist.

1. Das Gesetzbuch

als Beitrag zur Lösung der sozialen Frage Ludwig Fuld

-

Immer wieder hat sich in die Diskussion um den E I der bereits mehrfach erwähnte Mainzer Rechtsanwalt Ludwig Fuld eingeschaltet. Er verstand unter der sozialen Aufgabe des Privatrechts vor allem eine sozialpolitische, das heißt er wollte das Gesetzbuch zur Lösung sozialer Probleme, der sozialen Frage selbst, einsetzen. Er schrieb: „... je lebhafter das Interesse ist, welches sich in unserer Zeit der sozialen Frage ... zuwendet ..., um so weniger war zu erwarten, daß eine so bedeutungsvolle, für das gesammte Kultur- und Wirthschaftsleben der Bevölkerung des Deutschen Reiches so überaus wichtig gesetzgeberische T h a t . . . werde ausgeführt werden, ohne daß von verschiedenen Seiten die Forderung geltend gemacht würde, ... den sozialen Verhältnissen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen und auch zu ihrem Theile an der Lösung des sozialen Sphinxräthsels mitzuarbeiten" 2 6 3 .

Niemand, so hieß es bei Fuld weiter, könne ernstlich bestreiten, daß das Bürgerliche Gesetzbuch eine soziale Aufgabe besitze. Bei jeder Norm müsse geprüft werden, wie sie auf die sozialen Verhältnisse einwirken werde264. Anders als zum Beispiel Gierke oder Dernhurg, auf die sich Fuld allerdings bezog265, wollte Fuld ganz ausdrücklich das Privatrecht in den Dienst der Lösung der sozialen Frage der Gegenwart stellen. Er maß ihm also eine eminent sozialpolitische Rolle zu: „Wir verkennen nicht, daß die Lösung der sozialen Fragen dem bürgerlichen Rechte nur zum wesentlich kleineren Theile zufällt, als dem öffentlichen, allein soweit dieselbe in seine Domäne fällt, verlangen wir auch von dem Gesetzbuche, daß es sich von dieser Aufgabe nicht abwende" 2 6 6 .

Als eines der Mittel zur Bewältigung dieser Aufgabe erschien auch ihm die Berücksichtigung des Umstandes, daß die Menschen einander nicht gleich seien, so daß die Armen und Schwachen durch besondere Vorschriften geschützt werden müßten267. Doch dies war für ihn nicht Selbstzweck, sondern eben Mit263 Ludwig Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik, in: Gruchot's Beiträge 35 (1891), S.635-657, hierS.636. 264 Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn. 263), S. 637. 265 Dennoch wäre es nicht richtig, Fuld einfach als einen Vertreter der Auffassung Gierkes einzuordnen, wie es John, Politics (wie Fn.251), S. 116, tut, da für Fuld anders als für Gierke nicht der Gemeinschaftsgedanke im Zentrum der sozialen Aufgabe stand. 266 Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn. 263), S. 637. 267 Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn. 263), S. 639.

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Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

tel zum Zweck der Beantwortung der sozialen Frage. Das zeigt sich dann auch darin, daß Fuld betonte, nicht nur die Bedürfnisse der Massen seien von der sozialen Aufgabe des Privatrechts betroffen - also nicht nur Miet- und Arbeitsvertrag sondern auch etwa das Anerbenrecht oder der Pflichtteil 268 , wo es nicht um den Schutz der Schwachen ging. Mit anderen Worten gab es in Fulds Augen auch Vorschriften mit sozialer Bedeutung ohne Massenwirkung. Der Entwurf befand sich aber nach Fulds Einschätzung „mit den die Gegenwart beherrschenden sozialpolitischen Anschauungen in einem unleugbaren Gegensatz" 269 . Zu den damals ungelösten sozialen Problemen zählte beispielsweise die Überschuldung der Bauern, die zwar im Zusammenhang mit der Bauernbefreiung zu Beginn des 19. Jahrhunderts die persönliche Freiheit erlangt hatten, aber immer mehr in die wirtschaftliche Abhängigkeit von Kreditgebern geraten waren, was für viele mit einer Verelendung einherging 270 . Die von Fuld ebenso wie von Gierke und anderen favorisierte Lösung des Problems war die Rentenschuld, die ertragsabhängig am Grundstück haftete und nicht kündbar den Bauer mit einer zwar dauernden Reallast belastete, andererseits aber auch mit Kredit versah. Fuld schrieb dazu, es sei die Aufgabe der Gesetzgebung, diesen Instituten, sc. der Rentenschuld, neues Leben einzuflößen und hierdurch ihre Verwertung für die Erreichung sozialpolitischer Ziele anzubahnen 271 . Ausführlich hat Fuld über seine Vorstellungen von der sozialen Aufgabe des Privatrechts auf dem 20. Deutschen Juristentag gesprochen, als er für die Abschaffung des Vermieterpfandrechts eintrat 272 . Ganz grundsätzlich meinte er, es gehöre zu den Aufgaben aller Gesetzgebung, die sozialen Auswirkungen in den Blick zu nehmen. Deswegen dürfe das Gesetzbuch nicht im römischen Geist befangen bleiben, sondern es müsse zur Besserung der sozialen Verhältnisse auf seine Weise beitragen 273 . Unmißverständlich wollte Fuld also das Bürgerliche Gesetzbuch in den Dienst der Sozialpolitik stellen 274 , die, so muß man ergänFuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn. 263), S. 640. Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn.263), S. 656. 270 Zur Entwicklung der Agrarwirtschaft vgl. etwa Carl Jantke, Der Vierte Stand. Die gestaltenden Kräfte der deutschen Arbeiterbewegung im XIX. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1955, S. 137-153. 271 Ludwig Fuld, Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches und die Landwirtschaft. Teil 2: Die Bestimmungen des Entwurfes über Reallasten und Grunddienstbarkeiten, in: Zeitschrift für Agrarpolitik 2 (1889), S. 139-165, hier: S. 143f. - Zu den Aktivitäten der landwirtschaftlichen Interessenverbände vgl .John, Politics (wie Fn. 251), S. 122-143. 272 Einzelheiten unten S. 265. 273 Ludwig Fuld, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts] in: Verhandlungendes 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 170—176, hier S. 171; insgesamt beurteilte Fuld aber den Charakter des ersten Entwurfs als „wahrhaft deutsch" und sah in ihm allenthalben die „Anknüpfung an die germanischen Rechtsgedanken", womit er ein historisches Verständnis von „deutsch" und „germanisch" meinte, vgl. ders., Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart 1888, S. 171-177, hier S. 172, 176. 274 So übrigens auch Mataja, Das Recht des Schadensersatzes (wie Fn. 135), S. 114 (Fn.2 von 268 269

IV. Der sozialpolitische

Ausgleich

105

zen, die soziale Frage - in erster Linie Arbeiter- und Wohnungsfrage, aber auch Frauen- und Agrarfrage usw. - zu beantworten versuchen mußte, um ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu verhindern, das Fuld, wie viele andere seiner Zeitgenossen, in Form einer Revolution kommen sah 275 . Zur Illustration der dahinter stehenden Stimmungslage ließen sich zahlreiche Stellungnahmen aus der Zeit anführen. Ein Beispiel soll an dieser Stelle genügen. Es ist entnommen aus einem Beitrag Gustav Schmollers, der 1887 in seinen Jahrbüchern erschien. Dort behandelte er das Thema der Wohnungsnot und schlug zur Abhilfe die Gründung von Aktiengesellschaften vor, die für ein sozial gerechtes Angebot an Wohnungen für „kleine Leute" sorgen sollten. Geradezu beschwörend schloß Schmoller mit folgenden Worten: „Wie man nun aber auch über diesen speziellen Vorschlag [sc. Gründung der Aktiengesellschaften] denken möge: w e m es Ernst ist mit dem Wohle und der Zukunft des Vaterlandes, der muß ihn annehmen oder Besseres vorschlagen. Die Zeit ist vorbei, in der wir die Hände in den Schoß legen durften. Mit ehernen Schlägen pocht eine neue Zeit an unsere Thore 2 7 6 . Die besitzenden Klassen müssen aus ihrem Schlummer aufgerüttelt werden; sie müssen endlich einsehen, daß, selbst wenn sie große Opfer bringen, dies nur, wie es Chamberlain unlängst in London nannte, eine mäßige, bescheidene Versicherungssumme ist, mit der sie sich schützen gegen die Epidemien und gegen die sozialen Revolutionen, die kommen müssen, wenn wir nicht aufhören, die unteren Klassen in unseren Großstädten durch ihre Wohnungsverhältnisse zu Barbaren, zu thierischem Dasein herabzudrücken. ,.." 2 7 7

Wie der Beitrag des Privatrechts zur Beantwortung der sozialen Frage nach Fulds Meinung auszusehen hatte, läßt sich nur anhand seiner Stellungnahmen zu den einzelnen Sachfragen untersuchen. Ein Beispiel haben wir gezeigt: Dort war das Mittel zum Ziel die Wiederbelebung eines die spezifischen Interessen der Landwirtschaft berücksichtigenden Rechtsinstituts. Die sozialpolitischen Kernprobleme der Zeit betrafen allerdings vorwiegend das Schuld- und zum Teil auch das Familienrecht. So wie die Gewerbeordnung bestimmte Klauseln in Arbeitsverträgen für nichtig erklärt hatte, so sollte nach der Vorstellung Fulds auch das bürgerliche Gesetzbuch dafür sorgen, daß die Vertragsparteien „in rechtlicher Beziehung einander möglichst gleichgestellt" werden, daß ein einseitiges wirtschaftliches Ubergewicht nicht zur Geltung kommen könne 278 . Auf diese Weise sollte für einen sozialpolitischen Ausgleich gesorgt werden. S. 113), der die Umgestaltung des Privatrechts und seine Anpassung an die sozialen Bedürfnisse für eines der wichtigsten Mittel der Sozialpolitik hielt. 275 Dazu schon die allgemeinen Ausführungen oben S. 30 bei Fn. 27 sowie die Bemerkung Pfizers S. 81 bei Fn.161. 276 Das Bild benutzte schon früher Rudolph von Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 2,2. Aufl. Leipzig 1886, S. 172, der davon sprach, daß „die durch die socialistischen Theorien wild und leidenschaftlich erregte Masse, [...] mit wuchtigen Schlägen an das Thor pocht, dass es weithin erschallt und die Schläfer aus ihren Träumen aufgescheucht werden." 277 Gustav Schmoller; Ein Mahnruf in der Wohnungsfrage, in: Schmoller's Jahrbuch für Gesetzgebung 11 (1887), S. 425-448, hier S.448. 278 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 273], S. 172.

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Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

Das sozialpolitische Werk von Fuld hat bisher vor allem Werner Schubert näher untersucht. Er kam zu dem Schluß, Fuld sei - in Anlehnung einer auf Caprivi gemünzten Bemerkung Stürmers - ein „konservativer Reformator ohne Sehschwäche nach rechts" gewesen, dessen Leitidee der „Schutz des schwachen Elements der Bevölkerung" gewesen sei279. Der Schutz des Schwächeren hatte, wie sich auch in den folgenden Kapiteln zeigen wird, bei Fuld allerdings die Funktion eines Mittels zum Zweck. Es ging ihm um den sozialpolitischen Ausgleich, um die privatrechtliche Antwort auf die soziale Frage. Dies erscheint uns als seine Leitidee, die inhaltlich selbstverständlich manche Querverbindungen beispielsweise zum Topos vom Schutz des Schwachen und auch zur sozialen Freiheit ermöglichte. Auch Fuld wollte „soziale Gerechtigkeit", was an die erwähnten Bemerkungen Dernburgs2i0 erinnert. Wenn das Gesetzbuch seine sozialpolitische Aufgabe erfülle, so meinte Fuld, dann würden sich seine „Normen als eine Verkörperung der sozialen Gerechtigkeit" darstellen281.

2. Schutz der bestehenden Gesellschaftsordnung Planck, Gierke und andere

-

Auch Planck hat mehrfach die Aufgabe des Gesetzes betont, die bestehende Gesellschaftsordnung zu schützen. Im Reichstag erklärte er, der Entwurf sei „nicht sozialdemokratisch", sondern festige die Grundlage der Gesellschaftsordnung, indem er „Eigentum, Erwerbsrecht, Ehe und Familie, auf die breite und feste Basis eines gemeinen deutschen Rechts" stelle282. Berücksichtigt man die geschilderte politische Lage in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts283, so wird deutlich, daß Planck genau auf der Linie der Reichsregierung lag, die in Furcht vor einer sozialdemokratischen Revolution um die Integration des vierten Standes unter Bewahrung der bestehenden Gesellschaftsordnung bemüht war. Dem so beschriebenen sozialen Programm stimmte beispielsweise der Berliner Justizrat M. Levy zu, der - in Anlehnung an das Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874 - die Sammlung und Kodifikation des geltenden Rechts in den Vordergrund der Aufgaben des Gesetzgebers gestellt hat. Im übrigen, so meinte er, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die wirtschaftliche Existenz des

279 Werner Schubert, Gesetzgebung und Sozialpolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert - Zur Erinnerung an die rechtspolitischen Schriften von Ludwig Fuld, in: Die Bedeutung der Wörter. Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Festschrift für Sten Gagner zum 70. Geburtstag, hrsg. von Michael Stolleis u.a., München 1991, S.421^39. 280 Vgl. oben S. 44 Fn. 229. 281 Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik (wie Fn. 263), S.657. 282 Planck, in: Stenographische Berichte, S.70; ähnlich ders., Die soziale Tendenz (wie Fn. 101), S. 184. 283 Vgl. oben S.24ff.

IV. Der sozialpolitische

Ausgleich

107

Grundbesitzes zu sichern 284 . Bewahrung des sozialen Friedens, des status quo, der Stabilität - so hießen die Ziele. Bei Levy zeigt sich, daß der „sozialpolitische Ausgleich" nicht gleichzusetzen war mit dem Schutz der Schwachen. Mit anderen Schlagwörtern, aber derselben Zielrichtung nahm auch der Berliner Amtsrichter Karl Dickel im Sinne eines sozialpolitischen Ausgleichs Stellung zum Entwurf. Der Gesetzgeber, so meinte er, habe die Aufgabe, ein volkstümliches Gesetzbuch zu schaffen, kein Juristenrecht. Darunter verstand er ein Recht, das die Kluft zwischen den verschiedenen Gesellschaftsklassen überbrücke. „Kauf bricht nicht Miete", „wer säet, der mähet" und ähnliche soziale Regeln müßten notfalls auch gegen die innere Folgerichtigkeit des Gesetzes festgeschrieben werden, wolle man nicht ganzen Gesellschaftskreisen die Identifikation mit dem Gesetz verwehren. Um die Selbstauflösung der Gesellschaft 285 zu verhindern, so meinte Dickel, sei es notwendig, die Bedeutung der Arbeit im Vergleich zum Kapital zu erhöhen. Der Gesetzgeber solle sich am Vorbild des preußischen Allgemeinen Landrechts orientieren. Am grünen Tisch erdachtes Juristenrecht solle durch volkstümliche Rechtsideen ersetzt werden 286 . Noch deutlicher wurde Fritz Overbeck, der den Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht mit der Überlegung begründete, anderenfalls werde der Haß der ärmeren Leute auf die „Reichen" zu einem unkontrollierbaren Ausbruch, also zu einer Revolution führen. Die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens verlange daher, das Vermieterpfandrecht einzuschränken 287 . Ein solche Indienstnahme des Privatrechts zugunsten der Stabilisierung der Gesellschaft beziehungsweise zum Zwecke des Abbaus von Spannungen ist es, die wir hier mit dem Topos „sozialpolitischer Ausgleich" zusammenfassen wollen. Für Gierke stand, wir haben davon ausführlich gesprochen, der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund der sozialen Aufgabe des Privatrechts. Der Gemeinschaftsgedanke konnte aber ebenso mit dem „sozialpolitischen Ausgleich" verknüpft sein wie der Schutz des Schwächeren. In einem Vortrag vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 21. Juni 1890 sagte Gierke: 284 Levy, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts] in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 194-196. Zustimmend auch Reichsgerichtsrat Wielandt, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts] (wie zuvor), S. 197-199, hier S. 198. 285 Auch hier trifft man auf die zeitgenössisch verbreitete Revolutionsangst, die bestrebt war, die Kluft zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten zu überbrücken, um den inneren Frieden zu bewahren. Bei Karl Dickel, Ueber das neue bürgerliche Gesetzbuch für Montenegro und die Bedeutung seiner Grundsätze für die Kodifikation im allgemeinen, mit Bemerkungen über den neuen Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, Marburg 1889, S. 19, heißt es: „Wir dürfen nicht vergessen, dass es heute eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Menschen gibt, welche die Lücken ihrer Logik mit Dynamitbomben auszufüllen bestrebt sind". 286 Dickel, Ueber das neue bürgerliche Gesetzbuch für Montenegro (wie Fn. 285), S. 16-21. 287 Fritz Overheck, Erstreckt sich das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers nach gemeinem Recht auch auf die eingebrachten Sachen des Miethers, welche nach §715 C.P.O. der Zwangsvollstreckung nicht unterworfen sind? Inaug.-Diss. Greifswald, Plettenberg 1895, S. 17.

108

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

„Und wenn überhaupt das Privatrecht eine soziale Aufgabe hat, so muss es im Familienrecht sicherlich die Fundamente legen, auf denen sich der feste Bau einer in sich befriedeten, bürgerlichen Gesellschaft erheben k a n n " 2 8 8 .

Fragte man allerdings, wie der Entwurf diese Fundamente ausführen solle, so gab Gierke den Gemeinschaftsgedanken zur Antwort. Es sei, so meinte er, nicht vom Einzelnen, sondern von der Familie, von der Hausgemeinschaft ausgehend das Familienrecht zu ordnen. Hier genügt es zu sehen, daß Gierke die soziale Aufgabe des Privatrechts auch sozialpolitisch dachte im Sinne der Erhaltung einer „befriedeten, bürgerlichen Gesellschaft". 3. Mittelstandsförderung

- Martin

Scherer

Eine Stabilisierung der Gesellschaftsverhältnisse und damit des Staates wollte der Rechtsanwalt beim Reichsgericht Martin Scherer ähnlich wie Levy im Wege einer Förderung des Mittelstands erreichen und einer fortschreitenden Verarmung entgegenarbeiten. Die Privatgesetzgebung habe deshalb auf die wirtschaftlichen Interessen des Mittelstands Rücksicht zu nehmen289. Darin unterschied sich Scherers Auffassung von derjenigen der meisten anderen, die bisher erwähnt wurden, die mit „sozial" vor allem die Probleme der unteren Bevölkerungsschichten verbunden haben. Hier trafen sich liberale Wirtschaftsinteressen und -instrumente auf eigentümliche Weise mit dem Gemeinschaftsgedanken, den insbesondere Gierke formuliert hatte. Ein Beispiel, auf das später zurückzukommen sein wird290, bietet das Vermieterpfandrecht, das Scherer in weitem Umfang ausdehnen wollte, um so den Hausbesitzern zu helfen, die nach damals verbreiteter Ansicht auf der Seite der wirtschaftlich Stärkeren standen, was im Vergleich zu den Mietern aus ärmeren Bevölkerungsschichten wohl auch zutreffen dürfte, wenngleich sehr viele der Hausbesitzer nur mit geliehenem Kapital arbeiteten und keineswegs wirtschaftlich unabhängig waren291. Dennoch hatte Scherer keine „manchesterlichen Ideen" vor Augen, wie er im Zusammenhang mit seinen Bemerkungen zum Ehegüterrecht betont hat 292 . Die Förderung des Mittelstands als sozialpolitisches Ziel war nun allerdings keine Eigenart von Scherer, der sie freilich auf die Angelegenheiten des Bürgerlichen Gesetzbuchs angewendet hat, sondern sie war in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts weit verbreitet, sogar politisches Ziel der Reichsregierung293. 288 Otto Gierke, Das deutsche Haus und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, in: Jahresbericht der Berliner Juristischen Gesellschaft 32 (1890/91), S. 23-38, hier S.24. 289 Martin Scherer, Besprechung des Entwurfs unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Gegenvorschlägen, Mannheim 1891, S. 7 sowie ders., Der Entwurf unseres Bürgerlichen Gesetzbuches. An meine Kritiker, Leipzig 1892, S. 16. 2 9 0 Vgl. unten S. 277. 2 9 1 Vgl. dazu unten S.323. 292 Scherer, Besprechung des Entwurfs (wie Fn.289), S.64f.; vgl. dazu unten S.435. 2 9 3 Zur Mittelstandspolitik des Reiches: Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 2 (wie Fn. 275), S. 721.

V. Bedürfnisse

und Anschauungen

der

109

Gegenwart

Sie fand auch sonst prominente Anhänger, so beispielsweise den damaligen Zentrumsabgeordneten und Reichsrat der Krone Bayern Frhr. Georg von Heuling294, der seine Position aber nicht speziell auf das Bürgerliche Gesetzbuch bezogen hat.

4. Stabilität der Gesellschaft als soziale Aufgabe des Privatrechts "Zusammenfassung

-

Der Topos des sozialpolitischen Ausgleichs ist wesentlich weiter gefaßt als die übrigen drei hier besprochenen Topoi. Anders als diese zielte er auch nicht auf einen bestimmten oder doch mindestens bestimmbaren materiellen rechtlichen Inhalt wie die Gemeinschaft oder die Freiheit, sondern auf eine außerhalb des Rechts liegende Tatsache, nämlich den Fortbestand der Gesellschaftsordnung. Diesem Ziel wurden dann je nach Bedarf rechtliche Instrumente zugeordnet. Einmal konnten das Schutzvorschriften zugunsten der Mieter sein, ein anderes Mal konnte es die Einführung von Rentenschulden im Interesse der Erhaltung der Landwirtschaft sein, ein drittes Mal die Ausweitung des Vermieterpfandrechts zur Förderung der Interessen des Mittelstands. Solch disparate Ziele ließen sich gleichermaßen mit dem Argument vertreten, es gehe um den sozialpolitischen Ausgleich und die Stabilität des Gemeinwesens oder des Staates. Deutlicher als bei den anderen Topoi wurde hier also die soziale Aufgabe des Privatrechts als eine politische Funktion verstanden.

V. Die Berücksichtigung

der Bedürfnisse und der Gegenwart

1. Die Aufgabe des Gesetzes nach dem Gutachten der

Anschauungen

Vorkommission

Aufgrund eines Beschlusses des Bundesrats vom 28. Februar 1874 hatte die sogenannte Vorkommission dem Bundesrat am 15. April 1874 ein Gutachten „über Plan und Methode, nach welchen bei Aufstellung des Entwurfs eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs zu verfahren sei", erstattet 295 . Entsprechend dem Beschluß des Bundesrates vom 22. Juni 1874 sollten die Vorschläge des Gutachtens für die Arbeit der ersten Kommission „Anhaltspunkte" bieten 296 . Die Vorgaben des Gutachtens hatten die Kommission zwar nicht gebunden, aber sie hatten doch bestimmenden Einfluß auf ihre Arbeit. Das zeigt sich unter anderem auch beim Selbstverständnis von der sozialen Aufgabe des PriFrhr. Georg von Hertling, Naturrecht und Sozialpolitik, Köln 1893, S. 71-82. Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874 (wie Fn. 232). 2 9 6 Protokoll der Bundesratssitzung vom 22. Juni 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 199. 294

295

110

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

vatrechts, w i e sie v o r allem Planck auch v o n Windscheid

Typologie

b e s c h r i e b e n hat, der dieselbe A u f f a s s u n g

b e z e u g t h a t 2 9 7 . D a s G u t a c h t e n v o m 15. A p r i l 1 8 7 4 hat eine

„ s o z i a l e " A u f g a b e des P r i v a t r e c h t s n i c h t a u s d r ü c k l i c h e r w ä h n t , a b e r d o c h einleitend die M a ß s t ä b e f o l g e n d e r m a ß e n u m s c h r i e b e n : „Die Unterzeichneten ... halten dafür, es werde das künftige Gesetzbuch den berechtigten Wünschen der deutschen Nation, den Interessen aller Einzelstaaten, den Anforderungen der Wissenschaft und der Rechtsausübung nur unter der Voraussetzung entsprechen, daß an den bewährten gemeinschaftlichen Instituten und Sätzen der innerhalb des Deutschen Reichs bestehenden Civilrechts-Systeme festgehalten, bei Divergenzen Entscheidung in erster Linie nach Rücksichten des Bedürfnisses und der Zweckmäßigkeit, in zweiter Linie nach juristisch-logischer Folgerichtigkeit getroffen, daß mit schonender Rücksicht auf das überlieferte Recht und eigenthümliche örtliche Verhältnisse die energische und konsequente Durchführung der den Verhältnissen der Gegenwart entsprechenden Rechtsprinzipien verbunden wird; , . . " 2 9 8 A u f der G r u n d l a g e der g e m e i n r e c h t l i c h e n T r a d i t i o n sollte die K o m m i s s i o n also das P r i v a t r e c h t gestalten. Zweifelsfragen k o n n t e n sich i m Falle w i d e r s p r e c h e n d e r R e c h t s e n t w i c k l u n g e n in den v e r s c h i e d e n e n R e c h t s g e b i e t e n D e u t s c h lands ergeben. D i e K r i t e r i e n z u r E n t s c h e i d u n g s o l c h e r F r a g e n sind es, die hier interessieren. M a ß g e b l i c h sollte die R ü c k s i c h t auf die Bedürfnisse Zweckmäßigkeit

i m H i n b l i c k auf die Verhältnisse

der Gegenwart

u n d die

sein. D i e A u f -

gabe der K o m m i s s i o n b e s t a n d d e m n a c h darin, ein einheitliches P r i v a t r e c h t z u schaffen, das v o r allem den gegenwärtigen B e d ü r f n i s s e n auf z w e c k m ä ß i g e W e i se gerecht w e r d e n sollte. D a m i t hatte die V o r k o m m i s s i o n u n m i t t e l b a r an das K o d i f i k a t i o n s p r o g r a m m v o n Anton

Friedrich

Justus

Thibaut

a n g e k n ü p f t , der

1 8 1 4 f o r m u l i e r t e hatte: „Man kann und muß an jede Gesetzgebung zwey Forderungen machen: daß sie formell und materiell vollkommen sey; also daß sie ihre Bestimmungen klar, unzweydeutig und erschöpfend aufstelle, und daß sie die bürgerlichen Einrichtungen weise und zweckmäßig, ganz nach den Bedürfnissen der Unterthanen, anordne" 2 9 9 . D i e V o r k o m m i s s i o n v o n 1 8 7 4 hatte sich o f f e n b a r v o n diesen Z e i l e n inspirieren lassen 3 0 0 . D a ß diese A u f g a b e n b e s c h r e i b u n g n u r s c h e i n b a r klar war, springt 297 Zu Planck schon oben S. 68 und 106 sowie sogleich weiter unten im Text. Zu Windscheid: Gottlieb Planck, Windscheid als Mitarbeiter am Bürgerlichen Gesetzbuche, in: DJZ 14 (1909), Sp. 951-954, hier Sp.953. 298 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874 (wie Fn. 232), S. 170. Hervorhebungen von T.R. Vgl. auch schon oben die Verwendung dieser Argumentation durch Ernst Zitelmann, S. 7 sowie Leonard Jacobi, S. 95. 299 Anton Friedrich Justus Thibaut, Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, Heidelberg 1814, in: Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, mit einer Einführung von Hans Hattenhauer, München 1973, S. 63-94, Nachträge: S. 193-210, hier S.67. 300 Hans-Peter Benöhr, Die Grundlage des BGB - Das Gutachten der Vorkommission von 1874, in: JuS 17 (1977), S. 79-82, hier S. 80 hat mit Recht darauf hingewiesen, es sei in der späteren Kodifikationsdebatte bei solchen allgemeinen Zielbeschreibungen geblieben.

V. Bedürfnisse

und Anschauungen

der

Gegenwart

111

sofort ins Auge. Welche Bedürfnisse sollten maßgeblich sein? Was ist eine zweckmäßige Regelung? Die Vorkommission hatte mit diesen ausfüllungsbedürftigen Begriffen der ersten Kommission einen großen Spielraum gegeben und selbst jede Festlegung vermieden. Die Berücksichtigung der sozialen Frage im Privatrecht war von der Vorkommission weder ausgeschlossen noch zur Aufgabe gemacht worden. Und selbst wenn man sie als ein gegenwärtiges „Bedürfnis" anerkennen wollte, so konnte man sich doch noch auf den Standpunkt stellen, die Lösung der sozialen Aufgabe durch die Kodifikation des Privatrechts sei unzweckmäßig. Der gesetzgebungspolitisch äußerst aufschlußreiche und ausführliche Bericht des Bundesratsausschusses für Justizwesen vom 9. Juni 1874, den Viktor von Liebe verfaßt hat, gab für die Aufgabenstellung der Kommission im hier interessierenden Punkt keine weitere Auskunft301. Die Entscheidung über materiellrechtliche Inhalte sollte demnach ganz der Kommission überlassen bleiben. Der Bundesrat ging damit der Austragung politischer Gegensätze in den eigenen Reihen aus dem Weg und verlagerte die sachliche Diskussion auf die Kommissionsebene, wo politische Rücksichtnahmen eine geringere Rolle spielen würden. Da der fertige Entwarf vom Bundesrat zu beschließen war, begab man sich auf diese Weise scheinbar nicht der Entscheidungs- und Einflußmöglichkeiten. Tatsächlich war so natürlich später eine Änderung des Entwurfs ungleich schwerer zu beeinflussen, als wenn der Bundesrat der Kommission von vornherein bestimmtere Anweisungen gegeben hätte. Im Hinblick auf das Ziel der Rechtseinheit ist die Zurückhaltung des Bundesrats hingegen durchaus verständlich. Hier sollte der Schlußstein zur staatlichen Einheit gesetzt werden. Seit Beginn der Debatte über die Kodifikation des Privatrechts hatte der Einheitsgedanke im Vordergrund gestanden. Die Gefahr, dieses Ziel zu verfehlen erschien zu groß, als daß man die Gelegenheit zugleich zur Reform hätte nutzen wollen. Inhaltliche Vorgaben in dieser Richtung vermied daher der Bundesrat. Das war wohl ohne eigentliche Alternative. Die Offenheit der Vorschläge der Vorkommission hinsichtlich der Definition der sozialen Aufgabe des Gesetzbuchs ermöglichte es dann den Kommissionsmitgliedern, sich nach Belieben auf die Formel des Gutachtens der Vorkommission zurückzuziehen und die eigenen Entscheidungskriterien mit der verschwommenen Begrifflichkeit des Gutachtens zu verhüllen, wenn es passend erschien. Allerdings darf man dabei die Kehrseite nicht übersehen, was bislang nicht gewürdigt worden ist: Die Vorkommission hatte der ersten Kommission auch nicht den Weg verstellt, sozialreformerische Ideen zu verwirklichen, eine Möglichkeit, von der die erste Kommission in größerem Umfang Gebrauch gemacht hat, als es angesichts der Vorgaben seitens des Bundesrats und angesichts der massiven Kritik am ersten Entwurf gerade auch im Hinblick auf die Erfüllung der sozialen Aufgabe des Privatrechts den Anschein hat. 301 Vgl. Bericht des Ausschusses für Justizwesen vom 9. Juni 1874, in: Jakobs/Schubert, tung, Materialien, S. 186-199.

Bera-

112

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

2. Kodifikation des bewährten Rechts und Verlagerung neuer in die Spezialgesetzgebung - Gottlieb Planck

Rechtssätze

Ganz auf der Linie des Bundesrats lag Planck, der nicht müde wurde, immer wieder zu betonen, daß die Kodifikationsaufgabe nicht darin bestehe, neues Recht zu schaffen, sondern daß es darum gehe, das den verschiedenen Rechtsordnungen in Deutschland gemeinsame Recht herauszusuchen und dieses dann, wenn es sich wirtschaftlich bewährt habe, in das Gesetzbuch aufzunehmen302. Die Aufstellung neuer Rechtssätze sollte, weil gefährlich, der Spezialgesetzgebung überlassen bleiben303, insbesondere wenn es sich um Gegenstände handele, die „noch in der Entwicklung begriffen sind und eine feste Gestaltung noch nicht gewonnen haben, oder über deren gesetzliche Regelung die Ansichten noch nicht genügend geklärt sind"304. Planck hatte damit für alle Gelegenheiten ein passendes Argument, warum er die eine oder andere Materie nicht in das bürgerliche Gesetzbuch aufnehmen wollte. In die so verstandene Kodifikationsaufgabe ließ sich dann nach Planck problemlos die soziale Aufgabe des Privatrechts integrieren. Die eigentliche Antwort auf die soziale Frage sollte außerhalb des bürgerlichen Rechts gefunden werden, wie er später einmal meinte305. Im Anschluß an die bereits im ersten Kapitel zitierte Passage, wo Planck von der Beliebigkeit gesprochen hatte, mit der das Wort „sozial" benutzt werde 306 , bemerkte er im Hinblick auf das bürgerliche Gesetzbuch: „Versteht man unter der socialen Aufgabe desselben, daß seine Bestimmungen den sittlichen, gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Bedürfnissen des Volkslebens entsprechen, so sagt man damit im Grunde nur etwas Selbstverständliches. Das Privatrecht hat nur den Zweck, die Verhältnisse der einzelnen Menschen zu einander in einer, jenen Bedürfnissen entsprechenden Weise rechtlich zu ordnen" 3 0 7 . Planck, Zur Kritik, S.331f., 406. Planck, Zur Kritik, S.332, 407. 304 Planck, Zur Kritik, S. 407; für eine möglichst umfassende Kodifikation des Privatrechts in einem einzigen Gesetzbuch hingegen prononciert Friedrich Endemann, Die politische Frage bei dem Entwürfe des Bürgerlichen Gesetzbuches, in: Deutsches Wochenblatt 2 (1889), S. 159-161, der sich damit auch ein Anliegen Gierkes zu eigen machte. Zu dem erwähnten Aufsatz von Endemann auch Sibylle Hof er, Zwischen Gesetzestreue und Juristenrecht. Die Zivilrechtslehre Friedrich Endemanns (1857-1936), Baden-Baden 1993, S.29,46, die freilich den hier erwähnten, wichtigen Aspekt der Forderungen Endemanns nicht behandelt. 305 Planck, Die soziale Tendenz (wie Fn. 101), S. 181. 306 Vgl. oben S. 5 bei Fn.23. 307 Planck, Zur Kritik, S. 405 (Hervorhebung im Original); ähnlich ders., Die soziale Tendenz (wie Fn. 305), S. 181: „Wenn man von dem BGB. verlangt, dass es sozial sei, so kann dies vernünftigerweise nur die Bedeutung haben, dass seine Vorschriften den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart und den sich hieraus ergebenden Bedürfnissen entsprechen." - Mit dieser Auffassung stand Planck nicht allein da, vgl. außer den übrigen sogleich im Text zu besprechenden Äußerungen beispielsweise auch die schon in früherem Zusammenhang zitierte Bemerkung von Cleß, oben S. 48 bei Fn. 118. Die Bedürfnis-Formel verwendete auch Pfizer, vgl. oben S. 80 bei Fn. 151. 302 303

V. Bedürfnisse und Anschauungen der Gegenwart

113

In klarem Gegensatz zu Gierke wollte Planck also nichts von einem übergeordneten Gemeinschaftsgedanken wissen und definierte die soziale Aufgabe in einer Weise, die tatsächlich nur eine Banalität aussprach. Erst in einem Aufsatz nach Abschluß der Arbeiten am Gesetzbuch erkannte Planck die Einführung immanenter Schranken subjektiver Rechte durch das Bürgerliche Gesetzbuch als einen Ausdruck der sozialen Aufgabe des Privatrechts an308. Die entscheidende Frage bei der von Planck formulierten sozialen Aufgabe des Gesetzes mußte aber sein, welches diese sittlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisse sein sollten. Rücksichten auf Gemeinschaftsbelange im Sinne Gierke waren es zweifelsfrei nicht, da das Gesetz, wie Planck selbst betont hat, „nur" die Verhältnisse der einzelnen Menschen zueinander ordnen sollte. Planck legte auch dar, daß das Gesetzbuch keinerlei Klasseninteressen verfolge, keine besonderen Interessen der Grundeigentümer, der Landwirtschaft, der Industrie oder auch der Arbeiter309. „Eine bestimmte sociale A u f g a b e in diesem Sinne hat das bürgerliche Gesetzbuch nicht. ... Das bürgerliche Gesetzbuch aber darf niemals das Interesse der einen oder der anderen Klasse vorzugsweise berücksichtigen" 3 1 0 .

Letztlich blieb die so skizzierte „soziale" Aufgabe nichts als eine Blankettformel. In den Gesetzesmaterialien begegnet die „Bedürfnis-Formel" nicht selten, jedoch meistens ohne nähere Beschreibung, woraus sich diese Bedürfnisse ableiten lassen sollten. Obgleich wir es also bei Planck mit einer der ganz seltenen Definitionen der sozialen Aufgabe des Privatrechts zu tun haben, ist der Topos von den „Bedürfnissen der Gegenwart" nicht als spezifisch „sozialer" Topos zu bezeichnen, da er inhaltlich vollständig entleert war. Zu suchen ist jeweils nach den hinter diesen „Bedürfnissen" steckenden Wertungen. Für Planck waren es „sittliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche" Erwägungen. Dazu gehörte für ihn auch der „Schutz des wirtschaftlich Schwächeren", wie wir oben gesehen haben311, und damit ein soziales Anliegen. Andere sahen das anders, wie noch deutlich werden wird.

3. Tradition

der historischen

Rechtsschule?

Die Mitarbeit Plancks an dem Gesetzbuch war, in der Tradition der historischen Rechtsschule stehend, in erster Linie durchdrungen von dem Grundsatz, daß das geltende Recht unter Berücksichtigung der Zweckmäßigkeit kodifiziert, nicht aber neues Recht geschaffen werden solle. Die Zusammenhänge zwischen der historischen Rechtsschule und der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat insbesondere Horst Heinrich Jakobs aufgearbeitet. Er schrieb: 308 309 310 311

Planck, Die soziale Tendenz (wie Fn. 101), S. 181. Planck, Zur Kritik, S.406. Planck, Zur Kritik, S.406. Vgl. oben S. 68.

114

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

„Die Aufgabe, die der 1. und der 2. Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs übertragen worden ist, war eine wissenschaftliche, sie war - wie Savigny von der bei der Kodifikation zu leistenden Arbeit gesagt hat - eine technische mit der Besonderheit nur, daß Rechtseinheit herzustellen war und daher die im bestehenden Rechtszustand vorhandenen Divergenzen beseitigt werden mußten. Nur insoweit sollten Bedürfnis und Zweckmäßigkeit die Kriterien der Entscheidung sein, nur in diesem beschränkten Sinn war die Aufgabe auch eine politische. Wenn es noch darum ginge, der Wissenschaft, aus deren Geist das B G B entstanden ist, und diesem selbst entgegenzuhalten, es sei die soziale Aufgabe des Privatrechts verkannt worden, so wäre dies nur denjenigen entgegenzuhalten, denen die politische Entscheidung auch über die Beschaffenheit der Kodifikation zugestanden hat" 3 1 2 .

Legt man den Wissenschaftsbegriff der historischen Rechtsschule, wie er sich vor allem bei Savigny ausgebildet hat, zugrunde, so hat die Feststellung von Jakobs ihre Berechtigung. Neues Recht zu schaffen konnte dann auch nicht Aufgabe der wissenschaftlichen Arbeit einer Kodifikation sein .Jakobs hat diese Zusammenhänge überzeugend dargestellt. Und doch steht und fällt dies alles mit der Prämisse, dem Wissenschaftsbegriff Savignys, der den Juristen auf die „technische" Arbeit am „Detail" verpflichtet. Das aber war nicht mehr die Position Plancks oder auch der übrigen ersten Kommission, wie zahlreiche „politisch" motivierte Neubildungen zeigen313. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf das Vermieterpfandrecht und das Ehegüterrecht. Ob das genuin rechtswissenschaftlich genannt werden darf, ist eine Frage der Begrifflichkeit, spielt aber eigentlich keine Rolle.

4. Interpretationsbeispiele für die „ Bedürfnisse der

Gegenwart"

Die Bandbreite der unterschiedlichen Ausfüllungsmöglichkeiten für die unscharfe Formel von den „Bedürfnissen der Gegenwart" läßt sich an den Stellungnahmen zum Entwurf ablesen. Ein paar Beispiele außer der gleichsam authentischen Interpretation durch Planck als Mitglied der ersten Kommission können das zeigen: Auch Dernburg wollte das „Bedürfniß der heutigen Zeit" zum Maßstab der Gesetzgebung machen. Anders als Planck ließ er aber keinen Zweifel daran, daß dieses Bedürfnis vor allem sozialer Natur sei. Er meinte, wie wir an anderer Stelle schon gesehen haben314, da das Privatrecht die Organisation der Gesellschaft darstelle, seien die sozialen Erwägungen „die schlechthin maßgebenden". Was der Gesellschaft nützlich sei, müsse kodifiziert werden315. 312 Horst Heinrich Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, Paderborn usw. 1983, S. 128. 3 , 3 Zur Entwicklung des Selbstverständnisses der Privatrechtswissenschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vgl. Wilhelm, Private Freiheit und gesellschaftliche Grenzen des Eigentums (wie Fn. 188), S. 19-39, der auf die wichtigen Einflüsse der Nationalökonomie hingewiesen hat. 314 Vgl. oben S. 67 bei Fn. 84, außerdem die übrigen Aspekte der sozialen Aufgabe in den Augen Dernburgs oben S.77 bei Fn. 138 und S.93 bei Fn.225. 315 Dernburg, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 83], S. 177.

V. Bedürfnisse

und Anschauungen

der

Gegenwart

115

Nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs wurde dieser nicht nur an den im Gutachten der Vorkommission des Bundesrats festgelegten Maßstäben gemessen, sondern wie selbstverständlich auch an den Vorstellungen der einzelnen Betrachter. So unternahm es beispielsweise SamuelJacoby aus München in einer Aufsatzreihe 316 , den Entwurf vom Standpunkt der Volkswirtschaft - und das hieß für ihn: des Verkehrsbedürfnisses - aus zu prüfen, denn, so meinte er, bei der Kodifikation sei es in allen Fragen von größter Bedeutung, „den Verkehr zu belauschen und seinen Bedürfnissen stets auf das Sorgfältigste Rechnung zu tragen" 317 . Historische Rücksichten wollte Jacoby ausdrücklich nicht gelten lassen 318 . Für Jacoby waren also die wirtschaftlichen Verkehrsbedürfnisse der Maßstab, an dem sich die Gesetzgebung orientieren sollte. Alles, was den Verkehr erleichterte oder sicherer machte, schien dabei willkommen. Der damalige Landrichter in Leipzig Adolf Lobe, seit 1912 Richter am Reichsgericht 319 , veröffentlichte noch kurz vor dem Abschluß der Gesetzgebungsarbeiten 1896 ein „Wort an den Reichstag", in dem er seine Auffassungen von der Aufgabe des Reichstags bei der Verhandlung des Entwurfs darlegte. Unter anderem kam er auch auf die inhaltliche Aufgabe der Gesetzgebung zu sprechen und schrieb: „Das Ziel, das der Gesetzgeber bei jeder seiner Vorschriften verfolgen muß, bleibt einzig und allein die Zweckmäßigkeit" 3 2 0 .

Insoweit noch übereinstimmend mit dem Gutachten der Vorkommission blieb Lobe abweichend von diesem nicht bei dieser allgemeinen Formulierung stehen, sondern erklärte auch sofort, was er unter einer zweckmäßigen Vorschrift verstehe. Zweckmäßig war für ihn eine „gerechte" Norm. „Ob eine Gesetzvorschrift aber zweckmäßig, also gerecht sei oder nicht, kann nicht nach einem allgemeinen Billigkeitsgefühl entschieden werden" 3 2 1 .

316 Samuel Jacoby, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Auf volkswirtschaftlicher Grundlage in Einzelerörterungen besprochen. Einleitende Bemerkungen, I. Die Inhaberpapiere, in: Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik 21 (1888), S. 581-623; II. Der allgemeine Theil des Gesetzesentwurfes, in: Annalen ...22 (1889), S.293-343; III. Schluß des ersten Buches des Gesetzesentwurfes. §§72-205, in: Annalen ... 22 (1889), S.637-710; IV. Das Recht der Schuldverhältnisse, in: Annalen ... 23 (1890), S. 34-89; V. Das Recht der Schuldverhältnisse. §§293 bis 436, in: Annalen... 23 (1890), S. 836-909; VI. Schluß des Rechts der Schuldverhältnisse. §§437 bis 777, in: Annalen... 24 (1891), S. 81-106. 317 Jacoby, Der Entwurf ... (wie Fn. 316), II. Der allgemeine Theil des Gesetzesentwurfes, in: Annalen des Deutschen Reichs 22 (1889), S.294. 318 Jacoby, Der Entwurf ... (wie Fn.316), II. Der allgemeine Theil des Gesetzesentwurfes, in: Annalen des Deutschen Reichs 22 (1889), S.294. 319 Biographische Daten bei Adolf Lobe (Hrsg.), Fünfzig Jahre Reichsgericht am 1. Oktober 1929, Berlin und Leipzig 1929, S.346. 320 Adolf Lobe, Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? Ein Wort an den Reichstag, Leipzig 1896, S.28, 37. 321 Lobe, Was verlangen wir (wie Fn.320), S.28.

116

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

Vielmehr war das seiner Meinung nach abhängig von ihrer Wirkung „auf das wirtschaftliche und sittliche Leben eines ganzen Volkes" 322 . In Anlehnung an Leo von PetrazyckP23 sah Lobe die Aufgabe des Privatrechts darin, für die Verteilung des Volkseinkommens zu sorgen. Bei jeder Bestimmung sei die „Wirkung [...] auf eine gerechte, d. h. dem Wohle des gesamten Volkes förderliche Verteilung des Einkommens", die „soziale Bedeutung", zu berücksichtigen324. Wesentlich unschärfer als bei Gierke erscheint auch hier der Gemeinschaftsgedanke als Maßstab für die Zweckmäßigkeit einer Vorschrift. Er hat allerdings eine andere Konnotation, da Lobe keinen Akzent auf die Verbandspersonalität gelegt hat. Immerhin war das Gemeinwohl für ihn ein Interesse, das mehr war als nur die Summe von Einzelinteressen. Es war zentraler Inhalt seiner Gerechtigkeitsvorstellung, der bei jeder Regelung des Gesetzes zu berücksichtigen sein sollte. Mithin bediente sich zwar auch Lobe der Blankettformel der Zweckmäßigkeit, mit der die Vorkommission die Aufgabe der Gesetzgebung umschrieben hatte, aber er blieb dabei nicht stehen, sondern gab an, woran man erkennen könne, ob die in Aussicht genommene Regelung auch zweckmäßig sei. Gerechtigkeit und Gemeinwohl fielen für ihn zusammen, so daß auf diese Weise der Zweckmäßigkeitsmaßstab einen sozialen Inhalt bekam. Die Lösung der sozialen Krise des 19. Jahrhunderts konnte nach der Auffassung von Ehrlich nur erreicht werden, wenn man das Recht den veränderten Umständen anpasse. Die „Bedürfnisse der Zeit" müßten Beachtung finden, so meinte auch er325. Das hieß für Ehrlich vor allem: Umverteilung von Grundbesitz und Produktionsmitteln, um dem Rückgang der selbständigen Bauern und Handwerker entgegenzuwirken326. Folglich müsse nach dem Vorbild der Arbeiterschutzgesetzgebung die Vertragsfreiheit eingeschränkt werden. Als besonders wichtigen Schritt bezeichnete Ehrlich die Einführung der Gewerbeinspektion, die die Einhaltung der Arbeiterschutzgesetze von Amts wegen überprüfen solle327. Auch die Einlassung Ehrlichs zeigt, wie die Forderung einer „Anpassung an die Bedürfnisse der Zeit" nahezu beliebigen Inhalt bekommen konnte. Ehrlich sah die soziale Aufgabe des Privatrechts, wie wir oben gezeigt haben328, darin, vor allem einen „möglichst innigen Zusammenschluß der an einer Gesammtheit teilnehmenden Personen" zu ermöglichen. Er bezeichnete das als einen bedeutenden Schritt „für die künftige Organisation der Menschheit" 329 . Lobe, Was verlangen wir (wie Fn. 320), S. 29. Leo von Petrazycki, Die Lehre vom Einkommen (wie Fn. 217). Zum Begriff der „Civilpolitik" von Petrazyckis vgl. oben S.92. 324 Lobe, Was verlangen wir (wie Fn.320), S. 29. Vgl. auch den ähnlichen Gedanken bei Fuld (oben S. 104 bei Fn.273). 325 Ehrlich, Die sociale Frage (wie Fn.69), S. 97f. 3 2 6 Also auch hier „Mittelstandspolitik", ähnlich wie bei Scherer. - Ehrlich, Die sociale Frage (wie Fn.69), S.97f. 327 Ehrlich, Die sociale Frage (wie Fn. 69), S. 98. 3 2 8 Vgl. oben S.66 bei Fn.74. 329 Ehrlich, Die sociale Frage (wie Fn.69), S. 134. 322 323

V. Bedürfnisse

und Anschauungen

der

Gegenwart

117

In nur leicht abgewandelter Form begegnen die „Bedürfnisse der Zeit" auch bei Menger, der davon gesprochen hat, der Gesetzgeber müsse bei jedem Rechtssatz prüfen, ob er noch den bestehenden Machtverhältnissen entspreche. Da sich die besitzlosen Volksklassen gegenwärtig in Deutschland zu einer gewaltigen Macht aufgeschwungen hätten, müßten daher bei der Gesetzgebung ihre Interessen Berücksichtigung finden330. Die Umsetzung dieser Interessen sah Menger hauptsächlich im Schutz des Schwächeren, von dem oben die Rede war. Auch Gierke sprach gelegentlich davon, daß es bei dem neuen Gesetzbuch darum gehe, das Privatrecht in das rechte Verhältnis zur „Gesammtentwickelung der Nation, zu den sittlichen und wirthschaftlichen Grundfragen unseres Zeitalters" zu setzen331. Es ist aber nicht zu leugnen, daß Gierke über diese wenig konkrete Aussage hinaus gegangen ist. Wir haben von dem Gemeinschaftsgedanken ausführlich gesprochen. In scharfem Gegensatz zu den soeben besprochenen, überwiegend sozialen Auffassungen von den Bedürfnissen der Zeit formulierte Conrad Bornhak 1891 die Aufgabe des Gesetzgebers. Den Gemeinschaftsgedanken Gierkes lehnte er ab. Die Zeit sei über jeglichen, ständisch geprägten Gemeinschaftsbegriff hinausgegangen332. Zwischen das öffentliche und das (von ihm individualistisch begriffene) Privatrecht dürfe sich nach der französischen Revolution kein „Sozialrecht" mehr schieben. Es gebe, so meinte er, „nur noch Rechtsverhältnisse der Individuen untereinander und zum Staate" 333 . Anders als für Gierke stellte sich Bornhak die Gesellschaft atomisiert nur als eine Menge von Individuen mit einzelnen Rechtsverhältnissen untereinander und gegenüber dem Staat dar, wie es wenig später auch zum Beispiel Heinrich Freiherr von Friesen beurteilte334. Auf der Grundlage dieser Uberzeugung erschien es Bornhak geradezu als Notwen-

330 Menger; Besitzlose Volksklassen 1890, S. 15f.; vgl. auch den ähnlichen Gedanken in ders., Uber die sozialen Aufgaben (wie Fn. 113), S. 21 ff. Dort beschrieb Menger vor allem die Aufgabe der Rechtswissenschaft, die Verschiebungen von Machtverhältnissen zu beobachten und adäquate Vorschläge zur Anpassung der Gesetze auszuarbeiten, die notwendig sei, um sozialen Katastrophen vorzubeugen. Vgl. außerdem den ähnlichen Gedanken bei Lobe und Fuld, oben Fn.324. 331 Otto Gierke, Die Stellung des künftigen bürgerlichen Gesetzbuchs zum Erbrecht in ländlichen Grundbesitz, in: Schmoller's Jahrbuch für Gesetzgebung 12 (1888), S. 401-436, hier S.403. 332 Ausführlich hat Bornhak den Gedanken entwickelt in: Conrad Bornhak, Das deutsche Arbeiterrecht, systematisch dargestellt, in: Annalen des Deutschen Reiches 1892, S. 501-690, hier S. 501-525. 333 Conrad Bornhak, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das öffentliche Recht, in: Annalen des Deutschen Reiches 1891, S.212-224, hier S.214. 334 Heinrich Freiherr von Friesen, Die Familien-Anwartschaften in ihrer geschichtlichen Entwickelung und volkswirtschaftlichen Bedeutung, Dresden 1900, S. 72f.: „Die Gegenwart wird beherrscht von der aus dem Humanismus hervorgegangenen Individualitätslehre, dem Dogma der persönlichen Freiheit. Dieselbe hat mit den alten historischen Verbänden und deren Uberresten, Markgenossenschaften, Lehnswesen, Zunftwesen u.s.w., aufgeräumt. Die menschliche Gesellschaft wird in Atome aufgelöst und der moderne Rechtsstaat unterstützt durch seine Gesetzgebung die Ausführung der philosophischen Theorien."

118

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

digkeit, daß eine wirtschaftsfreundliche Kodifikation entstehen müsse. Er schrieb: „... ein der heutigen w i r t s c h a f t l i c h e n und sozialen Ordnung entsprechendes Recht soll geschaffen werden" 3 3 5 .

Das war nichts als eine Paraphrase der oben zitierten Bedürfnis-Formel der Vorkommission von 18 7 4336. Doch Bornhak ließ den Leser nicht im unklaren über seine Ansicht davon, welches Recht dieser Ordnung entspreche: „Darüber darf keine Täuschung herrschen, daß eine Privatrechtskodifikation, gegenwärtig unternommen, nur von der Voraussetzung der kapitalistischen Wirthschaftsordnung ausgehen konnte, und daß sie deshalb im Prinzipe individualistisch ausfallen mußte" 3 3 7 .

Weder für die Berücksichtigung des Gemeinschaftsgedankens, wie ihn Gierke formuliert hatte, noch für andere soziale Elemente innerhalb des Privatrechts blieb da Platz. Dies hinderte Bornhak aber nicht, ähnlich wie Gierke zum Beispiel gegen das absolute Eigentumsrecht, wie es der Entwurf plante338, einzutreten. Anders als Gierke erkannte Bornhak aber nicht immanente, aus dem Gemeinschaftsgedanken begründete Schranken an, sondern hielt öffentlich-rechtliche Begrenzungen entgegen: Baurecht, Bergrecht, Jagd- und Fischereirecht usw.339 Ähnliches gelte, so erklärte er, für den privatrechtlichen Dienstvertrag340, der beispielsweise durch die Arbeiterschutzgesetzgebung vielfach begrenzt werde341. Der Entwurf sei insofern unwahr, als er über die vielfältigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die in die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse hineinspielen, schweige342. Für Bornhak hatte das Privatrecht selbst keine soziale Aufgabe - gleichgültig, ob man darunter den Gemeinschaftsgedanken oder den Schutz der Schwachen oder einen der übrigen Topoi verstehen wollte. Den Bedürfnissen der Zeit entsprach daher in seinen Augen ein streng individualistisch durchgeführtes Privatrecht. Hier wird besonders deutlich, daß die Vorkommission von 1874 nur eine Blankettformel verwendet hat, deren Ausfüllung keineswegs von vornherein feststand. Dennoch würde man fehlgehen, wenn man in Bornhak einen Anhänger der „Manchesterschule" suchte. Er war nur der Auffassung, daß allein das öffentliche Recht eine soziale Aufgabe zu erfüllen hat. Insofern gleicht sein Bornhak, Der Entwurf (wie Fn.333), S.214. Vgl. oben S. 110 bei Fn.298. 337 Bornhak, Der Entwurf (wie Fn.333), S.215, ähnlich auch S.217. 338 In § 848 EI hieß es: „Der Eigenthümer einer Sache hat das Recht, mit Ausschließung Anderer nach Willkür mit der Sache zu verfahren und über dieselbe zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechtes durch Gesetz oder durch Rechte Dritter begründet sind". 339 Bornhak, Der Entwurf (wie Fn.333), S.215, ähnlich auch S.219f. 340 Dazu ausführlicher - auf die Einzelheiten kommt es für das Verständnis hier nicht an Bornhak, Das deutsche Arbeiterrecht (wie Fn. 332). 341 Bornhak, Der Entwurf (wie Fn.333), S.215, ähnlich auch S.221. 342 Bornhak, Der Entwurf (wie Fn.333), S.215, ähnlich auch S.220, 222. 335

336

V. Bedürfnisse und Anschauungen

der

119

Gegenwart

Ansatz demjenigen von Hermann Roesler, der in der Einleitung erwähnt wurde343. Als Instrument zur Verwirklichung dieser sozialen Aufgabe dachte Bornhak vor allem an eine staatlich initiierte Schaffung von Verbänden zum Schutz der Schwächeren344. Bornhak legte Wert auf die Feststellung, daß es sich dabei nicht um aus der Gesellschaft heraus organisch entstandene Korporationen handeln sollte, also nicht um die Sozialgebilde, an die Gierke dachte.

5. Bedürfnisse

der Zeit sind kein eigenständiger

„sozialer"

Topos

Mit den „Bedürfnissen der Zeit" wurden, wie sich aus den geschilderten Äußerungen ergibt, nahezu beliebige Inhalte verbunden. Acht Stellungnahmen ergaben auch acht, mindestens teilweise unterschiedliche Aussagen über diese Bedürfnisse. Für Planck waren sie auch sozial, für Dernburg vor allem sozial. Lohe setzte die Zweckmäßigkeit mit einer gemeinwohlförderlichen Verteilung des Volkseinkommens gleich. Ehrlich wollte es nicht bei einer gerechten Verteilung belassen, sondern schlug sogleich die t/wverteilung vor, womit er wohl auch die von Menger ins Feld geführten Interessen der besitzlosen Volksklassen getroffen haben dürfte. Anders entschied sich Gierke, der seinen Gemeinschaftsgedanken als Bedürfnis der Zeit postulierte. Schon keine eindeutig soziale Bedeutung mehr hatten die Verkehrsbedürfnisse für Samuel Jacohy. Und in krassem Gegensatz zu allen sozialen Überlegungen sah Bornhak ein Bedürfnis für ein streng individualistisches, wirtschaftsfreundliches Privatrecht, das der kapitalistischen Wirtschaftsordnung entsprechen sollte. Die Beliebigkeit, mit der die „Bedürfnisse der Zeit" beschrieben wurden, zeigt - der Definition der sozialen Aufgabe des Privatrechts durch Planck zum Trotz - , daß diese Blankettformel für sich allein keine eigenständige Bedeutung als „soziales" Argument hatte. Sie wird hier deshalb auch nicht als eigener „sozialer" Topos begriffen. Nicht selten wurden zwar soziale Wertungen mit den „Bedürfnissen der Zeit" in Verbindung gebracht, aber die argumentative Bedeutung bezog die Verwendung der Bedürfnis-Formel dann eben aus dieser im Hintergrund stehenden Wertung, die es jeweils zu erkennen gilt und die dann die Zuordnung zu den vier beschriebenen sozialen Topoi oder auch anderen Überlegungen erlaubt.

343 Vgl. oben S. 3 bei Fn. 13. - Ebenfalls hat Bornhak sich von den Ideen Lorenz von Steins z u m „Königtum der sozialen R e f o r m " inspirieren lassen, vgl. Bornhak, Das deutsche Arbeiterrecht ( w i e Fn.332), S.542. 344 Bornhak, Das deutsche Arbeiterrecht (wie Fn. 332), S. 543.

120

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer Typologie

VI. Zusammenfassung: Die soziale Aufgabe des Privatrechts ein Thema mit Variationen Nimmt man die im Vorangehenden entwickelte Typologie der sozialen Aufgabe des Privatrechts gesammelt in den Blick, so wirken die Konturen der unterschiedlichen Topoi unscharf. Das zeigt sich etwa bei einem Vergleich von Gierke und Sohra, deren Auffassungen jeweils auf eine Synthese von Gemeinschaft und Individuum hinzielten. Die Unterschiede lagen in der Betonung jeweils der einen oder anderen Seite dieser Synthese. Hinzukommt, daß die Topoi nicht selten kumulativ zur Begründung für bestimmte Forderungen an den Gesetzgeber verwendet wurden. Es ist deshalb erforderlich, im folgenden bei den einzelnen Rechtsinstituten nach den konkreten Auswirkungen der sozialen Vorstellungen der verschiedenen Autoren zu fragen. Nur bei einer solchen Betrachtungsweise lassen sich dann auch wieder die Ausprägungen der verschiedenen Typen erkennen. Die Ursache für die Unscharfe bei der abstrakten Unterscheidung liegt darin, daß es bei den sozialen Topoi um ein Thema mit Variationen geht, den Ausgleich zweier, manchmal gegenläufiger Interessen. Auf der einen Seite steht das gemeinschaftliche Interesse. Jede Rechts- und Gesellschaftsordnung ist darauf angelegt, das Zusammenleben zu organisieren. So selbstverständlich diese Aussage ist, so schwierig ist doch die konkrete Schlußfolgerung daraus für das Privatrecht zu ziehen, dessen primäre Funktion, dem einzelnen einen Freiheitsraum zur persönlichen Entfaltung zu garantieren, von niemandem in der damaligen Diskussion bestritten wurde, auch nicht von Menger, der eben gerade dies zur Grundvoraussetzung seiner Kritik gemacht hatte. O b sein sozialistisches Rechtssystem zu einem anderen Ergebnis führen würde, braucht deshalb hier nicht entschieden zu werden. Für das Bürgerliche Gesetzbuch hat Menger keinen Sozialismus gewollt. Die freiheitssichernde Funktion des Privatrechts wurde ebensowenig von Gierke bestritten, der allerdings seine Energie darauf verwendet hat, für die Umsetzung des in seinen Augen letztlich vorrangigen Gemeinschaftsgedankens zu kämpfen. Ausgehend von diesem Privatrechtsverständnis ist es klar, daß die soziale Aufgabe des Privatrechts stets mit dem Ausgleich beider Interessen zu tun hat. Die vorgeschlagene Typologie sozialer Topoi hat nur den Zweck, die Schwerpunkte und Argumentationsmöglichkeiten transparent zu machen. Solche Transparenz vermag aber nichts daran zu ändern, daß man zum Beispiel den Schutz des Schwächeren als eine Freiheitsforderung begreifen kann. Der Arbeitnehmer, der durch „soziale" Schutzvorschriften von seinem Arbeitgeber unabhängiger wird, erfährt auf diese Weise eine Vergrößerung seiner Freiheit. Dieselbe Regelung läßt sich aber auch vom Gedanken eines sozialpolitischen Ausgleichs begreifen, da so möglicherweise gesellschaftliche Stabilität erreicht werden kann. Man könnte die Arbeitsschutzvorschriften schließlich auch aus dem Gedanken der Betriebsgemeinschaft ableiten, die dem Unternehmer die Pflicht zur Fürsorge für die Arbeitnehmer aufgibt.

VI.

Zusammenfassung

121

Ein anderes Beispiel bietet die für das Vereinsrecht wichtige Koalitionsfreiheit, so läßt sich diese - bezogen auf die Situation der Arbeitnehmer oder auch der Katholiken (Kulturkampf) - als Schutz des Schwächeren, als Zugewinn an Freiheit, als Maßnahme sozialpolitischen Ausgleichs und schließlich auch als Ausdruck des Gemeinschaftsgedankens begreifen, der die freie Bildung von Korporationen forderte. Eigenartig und schillernd ist besonders der Zusammenhang zwischen dem Gemeinschaftsgedanken und dem Topos der sozialen Freiheit. Noch einmal ist hier Schmollers Eröffnungsrede auf der Eisenacher Tagung von 1872 zu erwähnen, von der im Zusammenhang mit dem Schutz des Schwächeren schon die Rede war. Sie zeigte schon lange vor der von uns untersuchten Debatte die nahe Beziehung zwischen den sozialen Topoi. Im Anschluß an die zitierte Passage345 rühmte Schmoller den zweihundertjährigen Kampf der preußischen Beamtenschaft und der preußischen Könige für die Gleichberechtigung der unteren Klassen und einen Abbau der Privilegien und Vorrechte der höheren Klassen346. Und beinahe in einem Atemzug mit der Forderung des Schutzes des Schwächeren verlangte er, den Abschluß des Arbeitsvertrags im Blick, „die vollste Freiheit für den Arbeiter" 347 , also die Schaffung wirklicher Gleichberechtigung zum Zwecke einer freien Entfaltung der Persönlichkeit348. Ahnliche Überlegungen sind uns beispielsweise auch bei Sohm begegnet349. Eine konsequent in den Dienst der Gemeinschaft gestellte Konzeption sittlich gebundener Freiheit ist in Gierkes Denken anzutreffen350. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit zeugen alle diese Überlegungen von einer Wechselbeziehung zwischen der auch als liberal interpretierbaren Freiheit und dem sozialen Schutz des Schwächeren beziehungsweise dem Gemeinschaftsgedanken. Gerade der hier mit „sozialer Freiheit" umschriebene Topos zeigt, daß es für den Kontext unserer Untersuchung Vgl. oben S. 79 bei Fn. 143. Schmoller, Eröffnungsrede (wie Fn. 143), S. 8. 347 Schmoller; Eröffnungsrede (wie Fn. 143), S. 10. 348 Diese Erklärung Schmollers zugunsten der sozialen Freiheit läßt die hergebrachte Unterscheidung einer konservativen und einer liberalen Richtung der Kathedersozialisten fragwürdig erscheinen [vgl. nur Born, Kathedersozialisten (wie Fn. 140), S. 463: „Jene [sc. die konservative Richtung] (Schmoller, Schäffle, Wagner, Schönberg) befürwortete eine Sozialpolitik staatlicher Fürsorge, diese dagegen (Brentano, Herkner) setzte sich für eine emanzipatorische, auf soziale Freiheit gerichtete Sozialpolitik ein"]. Mindestens die Zuordnung Schmollers zum konservativen Lager ist problematisch, wenn man auf seine Schlußfolgerungen in konkreten Einzelfragen sieht. 345

346

349 Vgl. oben S. 92. - Ähnliches läßt sich auch in der Fortsetzung der Debatte über die soziale Aufgabe des Privatrechts nach Abschluß der Arbeiten am B G B beobachten. Beispielhaft sei auf die Arbeit von Paul Oertmann, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Fünf Vorträge, gehalten im Verein für Volkswirtschaft und Gewerbe zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1900, hingewiesen, der in den Vordergrund seiner Überlegungen den Gesichtspunkt der Garantie der Stabilität der Gesellschaft (S. 16) und die Fürsorge für sozial Schwächere (S.57) stellte, also die Topoi „sozialpolitischer Ausgleich" und „Schutz des Schwächeren", daneben aber auch den Gemeinschaftsgedanken (S. 22) und die soziale Freiheit (S. 25) als Argumente einsetzte. Zu Oertmanns Sicht der konkreten Auswirkungen im Gesetz vgl. die Nachweise oben S. 18 Fn.67. 350

Vgl. oben S. 99.

122

Kapitel 3: Soziale Topoi - Versuch einer

Typologie

verfehlt wäre, soziale Forderungen von vornherein als anti-freiheitlich oder antiliberal einzustufen. Das gilt auch - mit den erläuterten Einschränkungen351 für die streng gemeinschaftsbezogene Konzeption der sozialen Aufgabe des Privatrechts bei Gierke. In den programmatischen Aussagen bleibt das Stichwort „sozial" manchmal „allgemein und formelartig"352, obwohl verschiedene Topoi zu erkennen sind, die jeweils unterschiedliche soziale Wertungen zum Inhalt haben. Der Begriff „sozial" gewinnt jedoch an Konturen, wenn man die konkreten Ausprägungen hinzunimmt, die die Diskussion über die Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs reichlich bietet, die aber den erklärlichen Nachteil haben, sich „inhaltsreicher" Abstraktion zu entziehen. Im folgenden wird es um solche Konkretisierungen der sozialen Aufgabe des Privatrechts sowohl durch die Gesetzeskommissionen als auch durch die Teilnehmer an der Debatte um die Entwürfe gehen. Die vier Topoi, das heißt -

der Gemeinschaftsgedanke, der Schutz des Schwächeren, die soziale Freiheit und der sozialpolitische Ausgleich, werden dabei in ihrer jeweiligen Auswirkung auf ganz konkrete Rechtsinstitute zu untersuchen sein.

351 352

Vgl. oben S. 101. So, mit Blick auf Gierke: Rückert,

„Frei" und „sozial" (wie Fn. 62), S. 274.

Kapitel 4

Soziales R e c h t im Allgemeinen Teil I. Einführung: Die systematische Entscheidung für einen Allgemeinen Teil und die Auswahl der hier behandelten Einzelfragen Schon wenige Jahre nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zog der damals bekannte Bonner Professor Ernst Zitelmann in einem sehr grundsätzlichen Aufsatz den Wert eines Allgemeinen Teils des bürgerlichen Rechts in Zweifel1. Idealerweise sollte der Allgemeine Teil die Regeln enthalten, die den einzelnen besonderen Materien des Rechts gemeinsam sind. Zitelmann unterschied drei Aspekte des Wertes eines Allgemeinen Teils: nämlich den Wert für die wissenschaftliche Systematik, den für die Gesetzgebung und schließlich den für den Rechtsunterricht2. Nur von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre war er der Meinung, daß sie zurecht im Allgemeinen Teil Aufnahme gefunden habe3. Die Verwendung Allgemeiner Teile hatte sich aus der demonstrativen Methode Christian Wolffs insbesondere bei seinem Schüler Daniel Nettelb ladt entwikkelt. Im Gefolge von Arnold Heise4 übernahmen im 19. Jahrhundert fast alle gängigen Pandektenlehrbücher diese Systematik5. Es erschien daher beinahe selbstverständlich, daß auch der Gesetzgeber sich schon im ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich dieser Systemordnung bediente. Der wissenschaftlichen Faszination Allgemeiner Teile erlag übrigens nicht nur das Privatrecht, sondern auch das öffentliche Recht. Etwas später als 1 Ernst Zitelmann, Der Wert eines „allgemeinen Teils" des bürgerlichen Rechts, in: GrünhutsZ 33 (1906), S. 1-32. 1 Zitelmann, Der Wert eines „allgemeinen Teils" des bürgerlichen Rechts (wie Fn. 1), S. 4. 3 Zitelmann, Der Wert eines „allgemeinen Teils" des bürgerlichen Rechts (wie Fn. 1), S.26f. Skeptisch gerade im Hinblick auf das Kernstück der Rechtsgeschäftslehre, nämlich die Lehre von den Willenserklärungen, Gustav Pfizer, Wort und That. Ein Nothruf für Deutsches Recht, Leipzig 1892, S. 52-55, der vorschlug, den diesbezüglichen Titel im Allgemeinen Teil ebenso wie den Titel über den Vertragsschluß, der allein ins Obligationenrecht gehöre, vollständig zu streichen. 4 Arnold Heise, Grundriss eines Systems des gemeinen Civilrechts zum Behuf von PandectenVorlesungen, Heidelberg 1807. 5 Eine wichtige Ausnahme machte z.B. Alois Brinz, Lehrbuch der Pandekten, Erlangen 18571869.

124

Kapitel

4: Soziales

Recht im Allgemeinen

Teil

im Privatrecht entwickelte sich im 19. Jahrhundert auch dort ein verwaltungsrechtlicher Allgemeiner Teil6. Wieacker hat gemeint, die Entscheidung für oder gegen einen Allgemeinen Teil sei eine „Grundsatzentscheidung im Verhältnis der Rechtsordnung zur gesellschaftlichen Realität". Juristischer Formalismus werde im Allgemeinen Teil seine Vollendung finden, „sozialer oder sozialethisch engagierter Naturalismus von ihm eine Störung des Wirklichkeitsbezuges des Rechts und eine Hemmung seiner (machtpolitischen oder moralischen) Absichten zu zweckmäßiger oder gerechter Gesellschaftsgestaltung befürchten" 7 . Trifft dies zu, so wäre zu erwarten, daß schon die Frage, ob man überhaupt einen Allgemeinen Teil einführen sollte, bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs umstritten war, wobei im Lager derer, die dem Entwurf das Verfehlen der sozialen Aufgabe vorwarfen, die Gegner des Allgemeinen Teils zu vermuten wären. Levin Goldschmidt hatte in seinen Vorschlägen zur Beschlußfassung der Vorkommission zur Anordnung des Stoffes des Gesetzes die Orientierung an der gemeinrechtlichen Doktrin empfohlen, aber gemeint, der Kommission solle man völlige Freiheit lassen 8 . Goldschmidt ging dabei aber davon aus, daß ein Allgemeiner Teil selbstverständlich geschaffen werden müsse, denn im Zusammenhang mit dem Geschäftsgang meinte er, nach der Bearbeitung der einzelnen Hauptteile des Entwurfs solle ein Hauptreferent unter Beteiligung der übrigen Redaktoren „den allgemeinen Theil des Gesetzbuchs" ausarbeiten 9 . Das schließlich von der Kommission dem Bundesrat erstattete Gutachten nahm die erwähnten Vorschläge Goldschmidts auf 10 . Zum Allgemeinen Teil sagte das Gutachten: „Ein allgemeiner Theil, wenngleich von nur mäßigem Umfang, ist nicht zu entbehren. Die Schwierigkeit seiner Abfassung liegt darin, daß einerseits zahlreiche Lehren der Sondertheile sich nur auf Grund feststehender allgemeiner Rechtsprinzipien regeln lassen, andererseits die genaue Begrenzung der letzteren nur mittelst einer Prüfung an dem Inhalt der Sondertheile gewonnen werden kann. Unter diesen Umständen erscheint es gerathen, nicht von dem Allgemeinen zum Besonderen herabzusteigen, vielmehr ausgehend von dem Besonderen das Allgemeine allmälig auszuscheiden. Werden derart die wichtigsten allgemeinen Lehren mit Rücksicht auf deren Gestaltung und Konsequenzen in jedem Sondertheil geprüft, ergiebt sich schließlich, welche Rechtssätze zur Aufnahme in den allgemeinen

6 Michael Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht, in: ZNR 11 (1989), S. 129-147, hier: S. 141-143 mit zahlreichen Nachweisen. 7 Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 487. Wieacker selbst stand einem Allgemeinen Teil im Gesetzbuch - im Unterschied zur Wissenschaft - ablehnend gegenüber, S. 488. 8 Levin Goldschmidt, „Vorschläge" vom 28. März 1874 für die von der Vorkommission zu fassenden Beschlüsse, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 165-169, hier S. 167. 9 Goldschmidt, „Vorschläge" (wie Fn. 8), S. 168. 10 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 170-182, hier S. 176, sowie Anlage: Vorschläge, Nr. VII5., in: Jakobs/Schubert (wie zuvor), S. 183.

I.

Einführung

125

Theil geeignet erscheinen und welche Rechtssätze jedem Sondertheil zu verbleiben haben" 1 1 .

Uber die Notwendigkeit eines Allgemeinen Teils hatte man sich in der Vorkommission keine Gedanken gemacht, sondern sie wurde einfach vorausgesetzt, was im übrigen den damaligen Gepflogenheiten durchaus entsprach. Der Justizausschuß des Bundesrats, der schließlich auf der Grundlage des Gutachtens der Vorkommission seine Beschlüsse faßte, äußerte sich etwas reservierter im Hinblick auf einen Allgemeinen Teil, der zwar nicht ganz zu entbehren sei. Aber, so hieß es in dem Bericht des Ausschusses für Justizwesen, die Abstraktion allgemeiner Rechtsbegriffe und Rechtswahrheiten aus dem Besonderen sei nicht Aufgabe des Gesetzgebers, sondern der Wissenschaft. Es werde sich allerdings empfehlen, der Kommission in dieser Frage freie Hand zu lassen12. Erst nach der Abfassung der einzelnen Hauptteile sollte ein Hauptreferent bestellt werden, der diese zu einem Ganzen zusammenfügen und einen allgemeinen Teil zusammen mit dem Einführungsgesetz ausarbeiten sollte13. Die erste Kommission folgte in ihren Beschlüssen den Vorgaben der Vorkommission und des Justizausschusses des Bundesrats. Der Präsident des Oberappellationsgerichts in Dresden Anton von Weber14 hatte die entsprechende Entscheidung der Kommission vorbereitet15. Die Materien, die schließlich im ersten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt wurden, wurden weitgehend in den folgenden Sitzungen der ersten Kommission festgelegt, indem man beschloß, daß sie nicht in den besonderen Teilen Berücksichtigung finden sollten. Dazu zählten insbesondere das Personenrecht, soweit es die Rechts- und Handlungsfähigkeit betraf, das Recht der juristischen Personen sowie die allgemeinen Voraussetzungen über die Rechtsgeschäfte und die Verjährung. Eine entsprechende Aufstellung hatte Windscheid ausgearbeitet16. Anders als es noch die Vorkommission und der Justizausschuß des Bundesrates angeregt hatten, wurde schon zugleich mit den anderen Redaktoren Albert Gebhard ausgewählt, die soeben bemerkten Materien zu bearbeiten, schon bevor die Entwürfe der übrigen Hauptteile des Gesetzbuchs abgeschlossen sein würden17. Die Motive, die stets eine Rechtfertigung der Entscheidungen der ersten Kommission auch gegenüber denkbaren Angriffen verfolgten, wie sich beiGutachten der Vorkommission (wie Fn. 10), S. 179. Bericht des Ausschusses für Justizwesen vom 9. Juni 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 186-199, hier S. 192f. 13 Bericht des Ausschusses für Justizwesen vom 9. Juni 1874 (wie Fn. 12), S. 197. 14 Zu diesem Jahnel, Kurzbiographien, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 86. 15 Protokoll der vierten Sitzung der ersten Kommission vom 23. September 1874 mit Anlage Nr. 5 II B 3), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S.214, 216f. 16 Anlage Nr. 6 zum Protokoll der sechsten Sitzung vom 26. September 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 219f. 17 Protokoll der achten Sitzung vom 29. September 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 222. Vgl. im übrigen auch den Bericht des Kommissionsvorsitzenden Pape an den Reichskanzler vom 2. Oktober 1874, in: Jakobs/Schubert (wie zuvor), S.273-277, hier S.275. 11

12

126

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

spielsweise in der Diskussion über die Einführung eines Regionalsystems im Ehegüterrecht beobachten läßt18, haben mit keiner Zeile die Aufstellung des Allgemeinen Teils begründet. Das läßt darauf schließen, daß man das gewählte System für eine nicht weiter zu hinterfragende Selbstverständlichkeit hielt. Nicht sehr viel anders steht es mit der Kritik am ersten Entwurf. Zwar wendete Heinrich Degenkolb gegen den Allgemeinen Teil ein, die Aufnahme von Abstraktionen in ein Gesetzbuch sei überflüssig und schädlich19 und auch Paul Klöppel zog die Berechtigung eines Allgemeinen Teils mit denselben Argumenten in Zweifel20. Aber beide Stellungnahmen hatten keine grundsätzliche Bedeutung. Insbesondere läßt sich nicht feststellen, daß die Verfechter der sozialen Aufgabe des Privatrechts, allen voran Gierke, sich gegen das System eines Allgemeinen Teils aufgelehnt hätten. Zwar nahmen diese Gegner des Entwurfs an manchen seiner Regelungen Anstoß, doch betraf das niemals den Allgemeinen Teil als solchen. Dazu hätte allerdings der EI in ungleich stärkerem Maße als der Gesetz gewordene Allgemeine Teil Anlaß geboten, enthielt doch der E I in seinen ersten Paragraphen noch einige allgemeine Regeln über die Rechtsnormen, die für einen (wissenschaftlichen) Allgemeinen Teil typisch gewesen wären. Obgleich man es nach den Thesen Wieackers hätte erwarten dürfen, daß schon die Entscheidung für die Schaffung eines Allgemeinen Teils die Kritik herausgefordert hätte, läßt sich das für die hier untersuchte Diskussion am Ende des 19. Jahrhunderts nicht feststellen; Gierke beispielsweise billigte es ganz ausdrücklich, vom Pandektensystem Heises auszugehen21. Ganz anderes gilt allerdings für einige Sachfragen wie zum Beispiel das Personen- und Körperschaftsrecht, die im Allgemeinen Teil des Gesetzbuchs behandelt worden sind und für die insbesondere Gierke - freilich ohne Erfolg - einen anderen systematischen Standort verlangt hatte22. Nach Gierkes Meinung regelte der Entwurf nur höchst rudimentär im Allgemeinen Teil und im Schuldrecht die Fragen des Gemeinschafts- und Körperschaftsrechts, so daß die Aspekte der Sozialität des Menschen, seiner Einbindung in übergeordnete Personenverbände nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen seien. Für die Diskussion der sozialen Aufgabe des Privatrechts war jedoch der Ort einer Regelung nach dem zuvor Gesagten offenbar weniger bedeutsam als ihr Inhalt. Gemäß der in Kapitel 2 dargestellten Kriterien23 sollen in diesem Kapitel die Rechtsfähigkeit der juristischen Person und die Verjährung näher behandelt werden. Die Entstehungsgeschichte der vereinsrechtlichen Vorschriften im Einzelheiten dazu unten S. 394. Heinrich Degenkolb, Der spezifische Inhalt des Schadensersatzes. Zugleich als kritischer Beitrag zu §219 des Deutschen Civilgesetzentwurfes, in: AcP 76 (1890), S. 1-88, hier S. 19. 20 Paul Klöppel, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, in: Gruchot's Beiträge 32 (1888), S. 611-656, hier S.622f. 21 Gierke, Entwurf, S. 81. 22 Gierke, Entwurf, S. 83ff.; ebenso: ders., Personengemeinschaften und Vermögensinbegriffe in dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 4. 23 Vgl. oben S. 14. 18

19

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

127

B G B ist zwar vergleichsweise gut erforscht 24 , aber niemand ist bisher der Frage nachgegangen, ob das Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs der sozialen Aufgabe des Privatrechts, wie sie in der damaligen Diskussion verstanden wurde, gerecht wurde. Da aber das Vereinsrecht einer der wichtigsten Punkte der sozial motivierten Kritik war 25 , scheint es nicht müßig, die Entwicklung der vereinsrechtlichen Vorschriften des Gesetzbuchs in dieser Hinsicht in den Blick zu nehmen, wobei mit Rücksicht auf die bereits bestehenden Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte der vereinsrechtlichen Vorschriften 26 die Schilderung der Vorgeschichte insbesondere in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts unterbleiben kann. Diese Arbeiten bieten eine willkommene Grundlage für die hier interessierende weiterführende Frage. Die vielfältigen Probleme der inneren Vereinsverfassung bleiben ausgeklammert, weil die Diskussion den „Tropfen sozialen Öles" in der Regelung der Entstehung juristischer Personen vermißte. Es ging darum, ob eine juristische Person die Rechtsfähigkeit durch staatliche Konzession oder aufgrund freier Körperschaftsbildung oder eines Systems von Normativbestimmungen bekommen sollte.

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

Bereits im Vormärz hatte das Vereinsleben in Deutschland einen mächtigen Aufschwung genommen, der nicht nur die bürgerlichen Schichten ergriffen hatte, sondern sowohl Adelige als auch kleinbürgerliche Kreise betraf 27 . Hilfskas24 Peter Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des B G B , Berlin 1974; Thomas Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine im 19. Jahrhundert, Berlin - New York 1976; aus jüngster Zeit ist noch die Dissertation von Fred G. Bär, Die Schranken der inneren Vereinsautonomie - historisch-dogmatische Überlegungen zu einem Vereinsgesetz, Berlin 1996, hervorzuheben, die aber vornehmlich das innere Vereinsrecht zum Gegenstand hat und nur nebenbei auf die Frage der Rechtsfähigkeit von Vereinen eingeht [S. 127f.]; außerdem: Winfried Mummenhoff, Gründungssysteme und Rechtsfähigkeit, Köln usw. 1979, S. 19-60, insbesondere S. 44ff. 2 5 So auch schon die zeitgenössische Einschätzung, vgl. nur Johannes Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte nach der zweiten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuches, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 58 (1892), S. 3 7 9 ^ 0 4 , hier S.379; Otto Gierke, [Referat zur Frage:] Sind die Grundsätze des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuchs II. Lesung über eingetragene Vereine zu billigen?, in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1895, S. 14-22, hier S. 14; Samuel Jacoby, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Auf volkswirthschaftlicher Grundlage in Einzelerörterungen besprochen. II. Der allgemeine Theil des Gesetzesentwurfes, in: Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik 22 (1889), S. 295-343, hier: S. 306. Ein weiteres Beispiel sogleich bei Fn.30.

Vgl. oben Fn. 24. Zurecht hat Bär, Die Schranken der inneren Vereinsautonomie (wie Fn. 24), S. 38, darauf hingewiesen, daß man von „Vereinen" im heutigen Sinne erst nach dem Inkrafttreten des B G B sprechen kann, weil bis dahin die Rechtsnatur solcher Personengemeinschaften sehr unterschiedlich war. Bär, S. 38-51, bietet im übrigen einen faktenreichen Uberblick über die Entwicklung der Vereine im 19. Jahrhundert einschließlich der Arbeiterbewegung mit zahlreichen wei26

27

128

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

sen, Aktien- und Versicherungsvereine entstanden ebenso wie alle möglichen Arten von Vereinen zum Zwecke der Geselligkeit oder Bildung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entfalteten sich diese Anfänge zu voller Blüte28. Gerade die Vielfältigkeit der Zwecke machte eine rechtliche Regelung schwierig. Versicherungsvereine, freiwillige Feuerwehren29 und Gesangsvereine hatten eben ganz unterschiedliche soziale Bedeutung. Besondere praktische Relevanz erhielt die Frage der Entstehung oder Rechtsfähigkeit von Vereinen im Zusammenhang mit den Gewerkschaften. Davon zeugt beispielsweise ein nicht namentlich gezeichneter Artikel, der in der Wochenschrift „Die Grenzboten" im Herbst 1895, also etwa zur Zeit der Vollendung des zweiten Entwurfes, erschienen ist. Dort hieß es, die Ordnung der sozialpolitischen Vereine, womit die Gewerkschaften gemeint seien, bilde „eine der wichtigsten, eine schon viel zu lange hinausgeschobene soziale Aufgabe"30. terführenden Nachweisen, auf die hiermit Bezug genommen wird. Unerwähnt bleiben bei Bär allerdings die insbesondere in den katholischen Ländern des Reiches [zur konfessionellen Verteilung der Bevölkerung im Kaiserreich vgl. Heinz Hürten, Deutsche Katholiken, 1918-1945, Paderborn usw. 1992, S. 13] für die alltägliche Lebenswirklichkeit im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert so bedeutenden kirchlichen Vereine und im Sozial- und Schulbereich die kirchlichen Orden. Zu den schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden caritativen Vereinen vgl. Manfred Baldus, Gründung des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln - 1904, 1916 oder wann? Von der Mühe des kanonischen Rechts mit der christlichen Caritas, in: Die verbandliche Caritas. Praktisch-theologische und kirchenrechtliche Aspekte, hrsg. von Norbert Feldhoff und Alfred Dünner, Freiburg im Breisgau 1991, S. 9-20, hier S. 13. Der Mönchengladbacher Textilfabrikant Franz Brandts hatte 1880 einen Verein „Arbeiterwohl" mit bürgerlich-sozialreformerischen Zielen gegründet, aus dem dann 1890 auf Betreiben Ludwig Windthorsts der in Köln (mit späterem Sitz in Mönchengladbach) gegründete „Volksverein für das katholische Deutschland" hervorging, der bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der einflußreichste Bildungsverein im deutschen Katholizismus war. Der Volksverein zählte 1891 108.000, 1902 schon 230.000 und 1914 805.000 Mitglieder [Zahlen nach August Pieper; Volksverein, in: Staatslexikon, Bd. 5, 5. Aufl. Freiburg im Breisgau 1932, Sp. 996-998, hier Sp. 998]. Zur Entstehung des katholischen Vereins- und Verbandswesens schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und deren Entwicklung in der zweiten Jahrhunderthälfte vgl. den Uberblick bei Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1866-1918, Bd. 1, Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1998, S.439ff., speziell zum Volksverein und den Arbeitervereinen noch S.458ff. sowie Horstwalter Heitzer, Der Volksverein für das Katholische Deutschland im Kaiserreich: 18901918, Mainz 1979 und ders., Der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet: der Volksverein für das katholische Deutschland 1890-1933, Köln 1990; ferner ist der erwähnte Uberblick Bärs um die rege Vereinsbildung der bürgerlichen Frauenbewegung zu ergänzen, dazu: Nipperdey (wie zuvor, S.442) sowie die Hinweise unten im Kapitel 6, S.354 und 380. 28 Vgl. dazu: Otto Dann (Hrsg.), Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1789-1848, München 1984; Ursula Krey, Vereine in Westfalen 1840-1855. Strukturwandel, soziale Spannungen, kulturelle Entfaltung, Paderborn 1993\ Jürgen Reulecke, Die Mobilisierung der „Kräfte und Kapitale": der Wandel der Lebensverhältnisseim Gefolge von Industrialisierung und Verstädterung, in: Geschichte des Wohnens, Band 3: 1800-1918. Das bürgerliche Zeitalter, hrsg. von Jürgen Reulecke, Stuttgart 1997, S. 15-144, hier S. 47-62. 29 Sie entstanden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Vereinsform überall in Deutschland; vgl. Reulecke, Der Wandel der Lebensverhältnisse (wie Fn. 28), S. 60. 30 Dies und das folgende in dem Artikel: Die Vereine und das bürgerliche Gesetzbuch, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Litteratur und Kunst 54, 4 (1895), S. 422-429, hier S.426.

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

129

Zur Begründung meinte der Autor, die Freiheit des Arbeitsvertrags sei zur Phrase geworden und könne zur „Freiheit des Verhungerns" ausarten, wenn der Arbeiter als einzelner dem Unternehmer gegenüberstehe. Nur im Verein mit anderen könne der Arbeiter Einfluß auf die Arbeitsbedingungen ausüben. Die Bundesstaaten täten alles, um die Entwicklung der Gewerkschaften zu hindern. Ohne das Recht zur Vermögensfähigkeit seien die Gewerkschaften genötigt, ihre Fonds Treuhändern zu übergeben. Kredite seien auf diese Weise schwer zu bekommen. Deshalb seien 1892 nur 244.934 Arbeiter gewerkschaftlich organisiert mit einer Jahreseinnahme von 2.031.922 Mark, wozu noch 61.034 Mitglieder in den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen hinzuzuzählen seien. Demgegenüber hätten die englischen Trade Unions, die mit dem Labour Department verbunden seien, 1.237.367 Mitglieder mit einer Jahreseinnahme von 35.774.440 Mark. In dieser Situation sei es kein Wunder, wenn die Arbeiter dem Staat gegenüber mißtrauisch seien und für die Versicherungsgesetze wenig Dankbarkeit zeigten. Trotz der so unterschiedlichen sozialen Funktion der Vereine unternahm der Gesetzgeber den Versuch, mit Hilfe des Begriffs der juristischen Person allen Vereinen eine gemeinsame rechtliche Struktur zu verleihen.

1. Der erste Entwurf a) Keine Bestimmungen

über die Entstehung der

Rechtsfähigkeit

Der dritte Abschnitt des ersten Buches des E I betraf die juristischen Personen. §41 E I enthielt eine Legaldefinition: „§41. Personenvereine und Stiftungen können die Fähigkeit haben, als solche selbständig Vermögensrechte und Vermögenspflichten zu haben (juristische Persönlichkeit)."

Der Entwurf legte als Haupteigenschaft einer juristischen Person ihre Vermögensrechtsfähigkeit fest, jedoch war damit noch keine Aussage darüber getroffen, wann ein Verein diese Fähigkeit auch tatsächlich hat. Dazu legte § 42 E I folgendes fest: „§42. Die juristische Persönlichkeit eines Personenvereines und der Verlust dieser Persönlichkeit bestimmen sich in Ermangelung besonderer reichsgesetzlicher Vorschriften nach den Landesgesetzen des Ortes, an welchem der Personenverein seinen Sitz hat."

Nach dem Willen der ersten Kommission sollte das Gesetzbuch also keine eigene Regelung darüber treffen, wann ein Verein die Rechtsfähigkeit erhalten sollte; die Entscheidung darüber sollte der Landesgesetzgebung überlassen bleiben.

130

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen Teil

b) Die ursprüngliche Absicht einer reichseinheitlichen

Regelung

B e d e n k t man das nationalpolitische Ziel, das die K o d i f i k a t i o n verfolgte, so erscheint dieser Regelungsverzicht wenig konsequent. Ü b e r die gesamte D a u e r der Gesetzgebungsarbeiten läßt sich i m m e r wieder beobachten, daß das nationale Einigungsziel im Vordergrund stand. S o hatte es in dem v o n Viktor von Liebe angefertigten B e r i c h t des Ausschusses für Justizwesen v o m 9. J u n i 1874 wie folgt geheißen: „Wollte man diejenigen Institute ausnehmen, für welche eine Ueberweisung an das Landesrecht gewünscht werden könnte, so würde man nach und nach Eherecht, Vormundschaftsrecht, Familienrecht, Hypothekenrecht, und endlich sämmtliche dingliche Rechte auszusondern in der Lage sein, so daß schließlich nichts übrig bliebe als das Obligationenrecht, womit dann die Absicht des Gesetzes vom 20. Dezember 1873 [sc. Ausdehnung der Gesetzgebungskompetenz auf das gesamte Zivilrecht] wieder vereitelt wäre. Wird einmal der Schritt zu einer Rechtseinheit in Deutschland gemacht, so muß er in der That vollständig gemacht werden, und eine halbe und unvollständige Lösung der Aufgabe wäre ein Mißerfolg, den man mit allen Kräften abzuwenden bemüht sein muß" 3 1 . D e r B e r i c h t von Liebes

stellte sogar ausdrücklich klar, daß man z w a r bei ver-

schiedenen Rechtsinstituten wie auch dem der juristischen P e r s o n e n „mit V o r sicht und S c h o n u n g zu verfahren" habe. „Diese Vorsicht und Schonung wird sich indeß der Nothwendigkeit gleicher Prinzipien unterordnen müssen. Die Handlungsfähigkeit, die Statusrechte, das Recht juristischer Personen werden nicht von Land zu Land verschieden bleiben dürfen" 32 . D a m i t ließ der Bundesrat keinen Zweifel daran, daß er die Rechtseinheit auch im Vereinsrecht wünschte. Soweit Thomas Vormbaum bereits im erwähnten B e r i c h t eine zögerliche H a l t u n g ausgemacht hat 3 3 , erscheint das im H i n b l i c k auf die durch von Liebe gegebene Erläuterung v o n „Schonung und V o r s i c h t " ü b e r trieben. A n der hieraus ersichtlichen ursprünglichen A b s i c h t der Schaffung der Rechtseinheit unter E i n s c h l u ß des ganzen Privatrechts mit A u s n a h m e der im G u t a c h t e n der V o r k o m m i s s i o n genannten Materien (Handelsrecht, B e r g r e c h t , bäuerliches Güterrecht, F o r s t - und Wasserrecht, R e c h t der M ü h l e n , Flößerei, Fischerei, J a g d - , D e i c h - und Sielrecht, Baurecht, Gesinderecht sowie der bereits spezialgesetzlich geregelten Materien des Sonderprivatrechts 3 4 ) hat sich auch im Laufe der Gesetzgebungsarbeiten nichts geändert; ganz im Gegenteil: So begründete die erste K o m m i s s i o n z u m Beispiel die A b l e h n u n g eines R e g i o n a l s y stems im Ehegüterrecht mit H i n w e i s e n auf das nationale Ziel der R e c h t s e i n -

31 Bericht des Ausschusses für das Justizwesen vom 9.6.1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 186-199, hier S. 189. 32 Bericht (wie Fn.31),S. 190. 33 Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 130. 34 Gutachten der Vorkommission vom 15.4.1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 170-185, hier S. 172-174.

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

131

heit35. Sohm faßte das in seiner viel beachteten Rede vor der Berliner Juristischen Gesellschaft so: „Wir haben den Beruf zur Kodifikation aus praktischen Gründen: weil wir um der deutschen Rechtseinheit und um des deutschen Rechtslebens willen kodifiziren müssen" 3 6 .

Schließlich ist hinzuweisen auf die Rede des damaligen Staatssekretärs im Reichsjustizamt Arnold Nieberding, die er zu Beginn der ersten Beratung des Entwurfs im Reichstag am 3. Februar 1896 hielt. Dort bezeichnete er das Bürgerliche Gesetzbuch als ein „nationales Werk". Seit den Freiheitskriegen habe die nationale Entwicklung darauf hingesteuert. Görres und Thibaut hätten sich für die Rechtseinheit eingesetzt. Die Reichsverfassung von 1849 habe ein einheitliches Recht schaffen wollen. Der Juristentag habe sich für dieses Ziel eingesetzt. Und tatsächlich habe niemals „ein großes Kulturland" so lange einen derart verworrenen Zustand der Zerrissenheit im Recht ertragen. Dem Vaterland fehle die Rechtseinheit, die mit dem Entwurf erlangt werden könne. Vom Reichstag hänge es ab, „ob die Hoffnungen, die ... das deutsche Volk an dieses Gesetzgebungswerk knüpft, der Erfüllung entgegensehen sollen"37. c) Die Begründung der ersten Kommission für den

Regelungsverzicht

Vergegenwärtigt man sich die soeben geschilderte Stimmungslage, die die gesamte Entstehung des Gesetzbuchs begleitete, so bedarf es der Suche nach den Gründen für die Entscheidung der ersten Kommission, die Bestimmungen über die Rechtsfähigkeit von Vereinen der Landesgesetzgebung zu überlassen. Vormbaum hat die „politischen Bedenken der Vertreter des Obrigkeitsstaates" dafür verantwortlich gemacht38. Ahnlich hatte schon zuvor auch Kögler geurteilt39. Solche politischen Bedenken hatte etwa Gebhard, der in diesem Punkte die, eine reichseinheitliche Regelung ablehnende, Auffassung der badischen Regierung teilte, was sich auch im späteren Gesetzgebungsverfahren zeigte40. Die Motivation der ersten Kommission ergibt sich aus den Protokollen und der Begründung des Teilentwurfs von Gebhard*1. Dazu unten S. 396. Rudolph Sohm, Ueber den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich in zweiter Lesung, in: Gruchot 39 (1895), S. 737-766, hier S. 739. 37 Arnold Nieberding, in: Stenographische Berichte, S. 4-13. - Zur Rechtseinheit als nationales Ziel vgl. neuerdings Hans Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? Das janusköpfige Bürgerliche Gesetzbuch, in: Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996. Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, hrsg. von Hans Schlosser, Heidelberg 1997, S. 5-33, hier S. 8-10. Die dort angeführten Zitate von Zitelmann, Menger und Brunner zeigen, daß vielfach die Schaffung der Rechtseinheit mit der Schaffung der politischen Einheit Deutschlands durch militärische Gewalt in Beziehung gesetzt wurde. 38 Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 130f. 39 Kögler; Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn. 24), S. 69-75. 40 Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S.132f. unter Hinweis auf ein Schreiben vom 24. März 1894; Werner Schubert hat über Gebhard geurteilt, er dürfte „im ganzen weniger partikularistisch eingestellt gewesen sein als die Vertreter der drei Königreiche", in: 35 36

132

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

(1) Der Teilentwurf und seine Begründung

Teil

durch Albert

Gebhard

§ 1 des Teilentwurfs 42 bestimmte in nur redaktionell abweichender Form die juristische Person wie später § 41 EI 43 . § 4 des Teilentwurfs bestimmte anders als später § 42 E I44, daß nichtwirtschaftliche Personenvereine die Qualität einer juristischen Person durch Verleihung seitens der Landesverwaltung erhalten. Während §42 E I der Landesgesetzgebung überhaupt nicht Vorgriff, sollte §4 des Teilentwurfs das Konzessionssystem auch für die Länder festschreiben, nach dem ein Verein nur die Rechtsfähigkeit erlangen kann, wenn sie ihm von der Verwaltung zugebilligt wird. Es liegt auf der Hand, daß bei diesem System die staatliche Kontrolle über die Vereine am leichtesten verwirklicht werden kann. Mißliebigen Vereinen konnte die Verwaltung so auf einfache Weise die Rechtsfähigkeit vorenthalten. Obgleich sich Gebhard der Tatsache bewußt war, daß „viele und gerade die wichtigsten Körperschaften" sozialen und politischen Zwecken dienten 45 , wollte er mit der vorgeschlagenen Regelung der juristischen Person keine bestimmten wirtschaftlichen oder sozialen Ziele verfolgen, sondern er wollte ausdrücklich ein allgemeingültiges „Konstruktionsmittel" für den vermögensrechtlichen Verkehr schaffen 46 . Der von Gierke erhobene Formalismus-Vorwurf traf hier für die Absicht des Redaktors des Allgemeinen Teils zu. Hingegen erscheint im Hinblick auf die der Theorie nach mit dem Allgemeinen Teil verknüpfte Funktion die Haltung Gebhards konsequent, der die Rechtsform der juristischen Person eben für alle denkbaren Zwecke offen halten wollte 47 . Demzufolge wollte Gebhard im Allgemeinen Teil auch keine Vorschriften über das Innenverhältnis der Personenvereine treffen, weil diese mit den individuellen Zwecken untrennbar verbunden seien 48 . Im Rahmen der Begründung von §4 des Teilentwurfs untersuchte Gebhard zunächst die verschiedenen, bereits geregelten Korporationen und stellte Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Teil 1, B e r l i n - N e w York 1981, S. XIV. Schubert hat allerdings Gebhard als einen überaus konservativen Vertreter der Ministerialbürokratie eingeschätzt [S. XVIII]. Trifft das zu, so war nicht zu erwarten, daß Gebhard der Vereinsfreiheit im Privatrecht zum Durchbruch verhelfen würde. Zur Haltung des Großherzogtums Baden vgl. Karlheinz Muscheler, Die Rolle Badens in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Berlin 1993, S.46f. 41 Der Teilentwurf betreffend das Recht der juristischen Personen wurde von Gebhard nachträglich im Jahr 1882 der Kommission vorgelegt, vgl. Schubert, Einleitung, in: Schubert, Vorlagen, Allgemeiner Teil 1 (wie Fn. 40), S. XIII. Der Text des Teilentwurfs befindet sich im soeben zitierten Band S. 510-514, die ursprünglich separat paginierte Begründung dortselbst S. 515-718. 42 Text in: Schubert, Vorlagen, Allgemeiner Teil 1 (wie Fn. 40), S. 510. 43 Vgl. oben S. 129. 44 Vgl. oben S. 129. 45 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs betreffend das Recht der juristischen Person, in: Schubert, Vorlagen, Allgemeiner Teil 1 (wie Fn. 40), S. 43 [ND S. 557]. 46 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.45), S.46 [ND S. 560]. 47 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.45), S.47 [ND S.561]. 48 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.45), S.48f. [ND S.562f.]

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

133

rechtsvergleichende Überlegungen an, bevor er dann auf den in der Diskussion viel besprochenen Entwurf eines Vereinsgesetzes von Hermann Schultze-Delitzsch49 zu sprechen kam, den dieser am 4. Mai 1869 im Reichstag des Norddeutschen Bundes eingebracht hatte50. Wie bei den Aktiengesellschaften nach Art. 209 A D H G B sollte nach diesem Entwurf die Rechtsfähigkeit von Vereinen abhängig gemacht werden von der Erfüllung bestimmter normativer Anforderungen51. Gebhard äußerte einige Sympathie für das von Schultze-Delitzsch vorgeschlagene System der Normativbestimmungen. Dabei orientierte er sich an den Ausführungen von Otto Bahr im Bericht des Reichstagsausschusses des Norddeutschen Bundes zur Vorlage von Schultze-Delitzsch52. Die Personenvereinigungen verfolgten, so heißt es bei Gebhard, sehr häufig Zwecke, die unabhängig von ihren Begründern und Mitgliedern seien, so daß ein Wechsel, ein Ausscheiden und späteres Hinzukommen möglich bleiben solle. Andererseits wollten die Mitglieder nicht zugleich vermögensrechtlich die Vereinsangelegenheiten zu den eigenen machen, also Miteigentümer, -gläubiger oder -Schuldner werden. Aus dem Wesen solcher Vereine folge aber, daß sie im Hinblick auf das Vermögensrecht selbständige Rechtsfähigkeit benötigten 53 . Interessant sind die folgenden Bemerkungen zur Bedeutung des Privatrechts und den daraus sich ergebenden Konsequenzen für das Vereinsrecht. Gebhard meinte, die Aufgabe des Privatrechts bestehe darin, durch „Rechtssatz und Richter den Betheiligten zu dem [zu] verhelfen, was ihnen zukomm[e]". Das öffentliche Vereinsrecht bleibe davon unberührt. Wenn der Staat bestimmte Vereine nicht zulassen wolle, so bleibe ihm deren öffentlich-rechtliches Verbot unbenommen. Im übrigen müsse dem Staat an einem blühenden Vereinsleben gelegen sein, weil dieses den Sinn für das Gemeinwohl wecke, Einsicht verbreite, „praktische Tüchtigkeit und Gesittung", materielle Wohlfahrt und geistige Bildung fördere 54 . Hinzu kam noch die Überlegung, daß die gesetzgeberische Tendenz auf das System der Normativbestimmungen deutete, weil im Reich die Aktiengesell49 29. August 1808 bis 29. April 1883. Er war Richter und seit 1848 in der Politik tätig. Er gilt als einer der Begründer des deutschen Genossenschaftswesens. Besonders große Verbreitung hatten die Kreditgenossenschaften (Volksbanken), deren erste er 1850 gründete. 50 Dazu und zu verschiedenen früheren Versuchen von Schultze-Delitzsch, den Vereinen eine gesetzliche Grundlage zu verschaffen, vgl. Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 109f. sowie Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn.24), S.23f. - Der Bundesrat versagte damals seine Zustimmung aufgrund seiner Bedenken gegen politische und religiöse Vereine sowie Gewerkvereine. 51 Zu den Einzelheiten und dem parlamentarischen Schicksal der Vorlage von Schultze-Delitzsch vgl. die Darstellung bei Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn. 45), S. 79ff. [ND S. 593ff.] sowie Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 1 lOff. 52 Bericht der Vierzehnten Kommission über den Antrag des Abgeordneten Schulze auf Erlaß eines Gesetzes, betreffend die privatrechtliche Stellung von Vereinen, in: Stenographische Berichte des Reichstags des Norddeutschen Bundes, I. Legislaturperiode, Session 1869, Drucksache Nr. 273, S. 818-824. Den Inhalt des Berichts von Bahr referiert Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 111. 53 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.45), S.81 [ND S.595]. 54 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.45), S.81 [ND S.595].

134

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Schäften und die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften so geregelt waren und Bayern und Sachsen55 schon für Vereine dieses System eingeführt hatten. Im übrigen, so meinte Gebhard, erspare es auch den Behörden manche lästigen und unbeliebten Arbeiten, die bei einer staatlichen Konzessionierung erforderlich seien56. Nach dieser Stellungnahme scheint es so, als habe Gebhard die Aufgabe des Privatrechts in der Schaffung von Gerechtigkeit gemäß der seit der Antike üblichen Formel suum cuique tribuere gesehen. Auf das Vereinsrecht angewendet, bedeutete das, Vereinen unabhängig von staatlicher Erlaubnis und öffentlichrechtlicher Reglementierung, die eben auf einer anderen Ebene ansetzen muß, die Rechtsfähigkeit nach einem System von Normativbestimmungen zuzuerkennen. Dieses schon für sich gesehen plausible Argument verstärkte Gebhard noch mit Hinweisen auf die günstige soziale Wirkung von Vereinen, die den Sinn für das Gemeinwohl wecken und zu einer Verbesserung der Bildung usw. führen würden. Danach erfüllen Vereine eine eminent wichtige soziale Aufgabe, so daß es auch die - soziale - Aufgabe des Privatrechts ist, den Vereinen privatrechtlich die Rechtsfähigkeit zu garantieren, damit sie unabhängig vom Einund Austritt von Mitgliedern ihre Zwecke verwirklichen können und dazu die nötigen vermögensrechtlichen Dispositionen treffen können. Die Idee der Gerechtigkeit war nun kein Spezifikum der Befürworter einer sozialen Aufgabe des Privatrechts, sondern Gemeingut. Dennoch weist die Argumentation von Gebhard Parallelen zum Topos des Gemeinschaftsgedankens auf, die darin liegen, daß Gebhard die Anerkennung der Rechtsfähigkeit aus dem Wesen der Vereine abgeleitet hat, was dem von Gierke vertretenen Gedanken der Verbandspersönlichkeit - von diesem werden wir noch sprechen57 mindestens nahe kommt. Außerdem hatte Gebhard die gemeinwohlbezogene Funktion der Vereine als Argument für das System der Normativbestimmungen geltend gemacht. Auch das läßt sich als eine Konsequenz des Gemeinschaftsgedankens begreifen. Gebhard hat also der Sache nach das System der Normativbestimmungen mit der sozialen Aufgabe des Privatrechts im Sinne des Gemeinschaftsgedankens begründet, auch wenn er selbst dies nicht in dieser abstrakten Form gesagt hätte. Vor diesem Hintergrund ist es um so erstaunlicher, daß sich Gebhard und mit ihm dann auch die Kommission gegen das System der Normativbestimmungen entschieden haben und die Zulassung der Rechtsfähigkeit von Vereinen dem Landesgesetzgeber überlassen wollten. Gebhard führte aus, die Idealvereine berührten in so großem Maße das Gemeinwohl, daß man „vorsichtig und enthaltsam" vorgehen müsse, weil sie ebensogut schädlich wie nützlich sein könnten. Das gelte besonders von politischen, religiösen und sozialen Vereinen, deren 55 Dazu Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn. 24), S. 49; der Text dieser Gesetze ist außer in den Gesetzblättern auch abgedruckt bei Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn. 25) S. 381 f. 56 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.45), S. 82 [ND S. 596]. 57 Vgl. sogleich unten S. 140 bei Fn. 78.

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

135

Stetigkeit durch die Erlangung der Rechtsfähigkeit befestigt werde. Gerade auf diesem Gebiet - und Gebhard nannte besonders die Vereine von Arbeitgebern und Arbeitern - sei eine Prüfung des Einzelfalls stets notwendig, weil die Satzung und die Wirklichkeit nicht übereinzustimmen brauchten. Beim Konzessionssystem könne man drohendes Übel für das Gemeinwohl leichter von vornherein abwehren58. Die Rücksicht auf das Gemeinwohl erwies sich hier in den Augen von Gebhard als ambivalent: Einerseits schien das System der Normativbestimmungen sinnvoll für das Gemeinwohl, weil von Vereinen grundsätzlich eine positive Wirkung auf den Gemeinsinn zu erwarten sei, andererseits müsse die Gemeinschaft vor Vereinen geschützt werden, die schädliche Absichten verfolgen. Letztlich waren es also nur sehr dürftig kaschierte politische Überlegungen, die Gebhard veranlaßten, kein System von Normativbestimmungen vorzuschlagen. Vor dem Hintergrund der im Bismarckreich zunächst gegen die katholische Kirche gerichteten Politik des Kulturkampfes, die dann 1878 abgelöst wurde von einem Kampf gegen die Sozialdemokratie, von der man den Umsturz des bestehenden Staates befürchtete, läßt sich die politische Absicht Gebhards ermessen: Es ging um die Erhaltung der bestehenden Verhältnisse und die Zurückdrängung der als Bedrohung empfundenen Dynamik der Arbeiterbewegung. Diese konservative Richtung war weder sozial noch liberal, denn sie schränkte die Vereinigungsfreiheit in spürbarer Weise ein, indem sie die Vereinsgründung von einer staatlichen Erlaubnis abhängig machte. Der Staat hatte stets, wenigstens nach der Vorstellung der Befürworter dieser Richtung, die Möglichkeit, (sozial-)politisch unerwünschte Entwicklungen auf diese Weise zu bremsen oder abzuschneiden. Rückblickend wird man allerdings sagen müssen, daß weder der Kulturkampf noch die antisozialdemokratische Politik der achtziger Jahre zu einer nennenswerten Schwächung der jeweiligen politischen Gegner geführt haben. Zentrum und Sozialdemokraten traten aus den Krisen gestärkt hervor. Interessant ist, daß Gebhard das soziale Argument, das er zunächst für das System der Normativbestimmungen ins Feld geführt hatte, schließlich dagegen wendete, indem er in der staatlichen Konzessionierung einen Vorteil für die Garantie wirklich gemeinwohlförderlicher Vereine erblickte. Der Staat wird danach seiner Verantwortung für das Gemeinwohl, seiner sozialen Aufgabe nur gerecht, wenn er prüft und wägt, ob der jeweilige Verein, der die Rechtsfähigkeit erstrebt, wirklich dem Gemeinwohl dienen wird. Gebhard reklamierte also für den Staat die alleinige Entscheidungskompetenz darüber, was dem Gemeinwohl nützen wird. Dann war es aber auch konsequent, das Privatrecht dem anzupassen und das System der Normativbestimmungen abzulehnen zugunsten des Konzessionssystems, dessen Festlegung den Ländern überlassen bleiben sollte, die mehrheitlich diesem System folgten. Die oben mitgeteilte Auffassung Vormbaums, daß politische Bedenken für die Entscheidung Gebhards verant58

Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.45), S. 82-84 [ND S. 596-598],

136

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

wortlich waren 59 , trifft also im Ergebnis zu, wenngleich Vormbaum nicht dargelegt hat, worin das Obrigkeitsstaatliche dieser Bedenken bei Gebhard das hier in seinem Verständnis von der Verantwortung des Staates für das Gemeinwohl und der daraus abgeleiteten Bevormundung der Bürger im Hinblick auf zulässige und unzulässige Vereine gefunden wurde.

(2) Die Verhandlungen

der 1. Kommission

und die

„Motive"

Die erste Kommission bewegte sich ganz auf der von Gebhard vorgezeichneten Linie. Zwar äußerten einige Mitglieder Sympathie für das System der Normativbestimmungen, aber die bereits bei Gebhard übermächtigen politischen Bedenken setzten sich auch in der Kommission durch. In den Protokollen heißt es, die Erfahrung habe genügend gelehrt, „welche wichtige politische Bedenken gegen eine solche Regelung [sc. Normativbestimmungen] sich erhöben" 60 . Bei dieser Uberzeugung blieb die Mehrheit der Kommission auch während der weiteren Verhandlungen über diese Frage, die aufgrund der späten Vorlage des Teilentwurfs von Gebhard noch stattfanden 61 . Die Motive schilderten bei § 42 E I zunächst einmal sehr ausführlich den damaligen status quo: Nach gemeinrechtlicher Lehre war grundsätzlich eine staatliche Konzession erforderlich. Auch das ALR vertrat diesen Standpunkt, kannte aber eine abgeschwächte Form der juristischen Person in Gestalt der „erlaubten Privatgesellschaften", die zwar eine innere Verfassung, nicht aber die Rechtsfähigkeit nach außen besaßen 62 . Das französische und badische Recht gehe, so erklärten die Motive, in seiner Praxis ebenfalls von einem Konzessionssystem aus 63 . Obgleich die Motive sofort im Anschluß daran zahlreiche Fälle hauptsächlich aus dem Wirtschaftsrecht erwähnten, in denen sowohl auf Reichs- wie auch auf Landesebene die Körperschaft nach einem System von Normativbestimmungen die Rechtsfähigkeit erlange 64 , so war es doch wichtig Vgl. oben S. 131 beiFn.38. Protokoll der Sitzung vom 2. November 1879, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 154. 61 Prot. I, S. 3093 f., in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 157f.-Die Einzelheiten der Kommissionsverhandlungen zu diesem Punkt hat Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 134f., 139f., geschildert. 62 Das Konzessionserfordernis enthielt ALR II 6 §25: „Die Rechte der Corporationen und Gemeinen kommen nur solchen vom Staate genehmigten Gesellschaften zu, die sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zwecke verbunden haben." ALR II 6 §§ 1, 2,11-24 ermöglichte jedoch den „erlaubten Privatgesellschaften" ohne staatliche Genehmigung im Inneren die Verfassung einer Korporation (II 6 §14). Nach Außen galten die Mitglieder solcher Privatgesellschaften „als Theilnehmer eines gemeinsamen Rechts, oder einer gemeinsamen Verbindlichkeit" (II 6 § 12), waren also modern gesprochen Gesamtgläubiger und -Schuldner. 63 Motive I, S.82f. 64 Motive I, S. 84f. - Das System der Normativbestimmungen galt bereits im ADHGB in der Fassung vom 18. Juli 1884, RGBl., S. 123, und war zuerst für die Aktiengesellschaft eingeführt worden, wenngleich diese nicht als „juristische Person" bezeichnet wurde. Sie konnte aber Vermögensrechte und -pflichten haben, klagen und verklagt werden und insofern wie eine juristi59 60

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

137

zu zeigen, daß das Konzessionssystem für die im Entwurf hauptsächlich gemeinten Idealvereine das vorherrschende Recht sei, denn so konnte sich die Kommission in dieser brisanten politischen Frage auf die vom Bundesrat vorgegebene Aufgabe zurückziehen, es sei das bestehende Recht zu kodifizieren, nicht neues Recht zu schaffen65. Freilich hatte sich die erste Kommission nicht einmal dazu entschließen können, da sie zugunsten der einzelstaatlichen Gesetzgebung gar keine reichseinheitliche Regel über die Entstehung juristischer Personen vorgeschlagen hat. Sodann erörterten die Motive die verschiedenen Gründe für und gegen die in der Diskussion befindlichen Systeme. Das System der freien Körperschaftsbildung sei vor allem deshalb abzulehnen, weil es „die mißlichste Rechtsunsicherheit" zur Folge haben würde66. Zum System der Normativbestimmungen nahmen die Motive vollständig die bereits oben geschilderten Argumente aus der Begründung des Teilentwurfs von Gebhard auf67. Ausschlaggebend waren danach die sozialpolitischen Bedenken gegen ein System von Normativbestimmungen. Sie bestanden darin, daß der Staat seiner Verantwortung für das Gemeinwohl besser gerecht werden könne, wenn er in stärkerem Maße die Gemeinnützlichkeit der Vereine überprüfe als es beim System der Normativbestimmungen möglich sei, insbesondere, weil letzteres nur eine nachträgliche Kontrolle zulasse, nicht aber im Unterschied zum Konzessionssystem bereits präventiv die Versagung der Rechtsfähigkeit. Die Motive schlössen die Erörterung mit der folgenden Feststellung ab: „Die gegen die Annahme des Systemes der Normativbestimmungen sprechenden G r ü n de überwiegen. Die Förderung der Einzelinteressen kann nur insoweit das Ziel der Gesetzgebung sein, als das Gesammtwohl es gestattet" 6 8 .

(3)

Zusammenfassung

Wie oben gezeigt werden konnte, hätte die Kommission im Anschluß an die Überlegungen des Redaktors Gebhard sich die soziale Überlegung zu eigen machen können, daß ein möglichst freies und blühendes Vereinsleben nicht durch staatliche Reglementierung behindert werden dürfe, weil es für das Gemeinwohl grundsätzlich nützlich sei. Gebhard hatte jedoch eine andere Vorstellung sehe Person im Sinne des Entwurfs handeln. Die ursprünglich durch Art. 208 1,249 A D H G B geforderte staatliche Genehmigung war durch §2 Gesetz vom 11. Juni 1870, BGBl., S. 375, aufgehoben wordpn. Nunmehr entstand eine Aktiengesellschaft, wenn Satzung, Firma, Sitz, Unternehmensgegenstand, Höhe des Grundkapitals, Zusammensetzung des Vorstandes und Eintragung ins Handelsregister vorlagen (Art. 209,209a, 2101 A D H G B ) . Dieses System stellte also ein Mittelding zwischen staatlicher Konzession und völlig freier Körperschaftsbildung dar. 65 Vgl. Gutachten der Vorkommission vom 15.4.1874sowie Bericht des Justizausschusses des Bundesrates vom 9.6. 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 170-185, hier S. 170f. sowie S. 186-199, hier S. 190. 66 Motive I, S. 88. 67 Motive I, S. 89-91. 68 Motive I, S. 91.

138

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

von der sozialen Aufgabe des Privatrechts. Sie war seiner Meinung nach abhängig von der sozialen Aufgabe des Staates, das heißt von der staatlichen Verantwortung, für das Gemeinwohl zu sorgen, die sich hier am ehesten dem Topos des sozialpolitischen Ausgleichs zuordnen läßt. Auf das Vereinsrecht übertragen bedeutete das eine obrigkeitsstaatliche Kontrolle der Assoziationsfreiheit der Bürger durch Konzessionierung der Rechtsfähigkeit von Vereinen. Der auch sonst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Reich zu beobachtende Staatsinterventionismus69 machte sich hier ganz konkret, wenngleich indirekt, geltend - indirekt insofern, als das geplante Gesetzbuch die in Rede stehende Frage ausklammern und der Landesgesetzgebung überlassen sollte.

2. Die Kritik am ersten Entwurf Da die Verleihung der Rechtsfähigkeit an Vereine durch staatliche Konzession von der ersten Kommission als eine heikle politische Frage begriffen worden war, deren Beantwortung man durch die Verlagerung der Regelungskompetenz auf die Bundesstaaten umgehen wollte, war eine heftige Kritik vorauszusehen, die insbesondere aus dem Lager der Befürworter eines Systems von Normativbestimmungen kommen würde, wie die Beharrlichkeit, mit der SchultzeDelitzsch im Reich versucht hatte, dieses System einzuführen, nahelegte70. Gerade um auf diese Weise motivierter Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatten die Motive sehr sorgfältig die Abwägung Gebhards über das Für und Wider zum System der Normativbestimmungen wiedergegeben. Dennoch forderten die Kritiker teilweise die Einführung des Systems der Normativbestimmungen, teilweise sogar die Hinwendung zur freien Körperschaftsbildung, während der Entwurf kaum Verteidiger fand. Die Position der Kritiker ist von Kögler und Vormbaum gelegentlich als „liberal" bezeichnet worden 71 . Das ist sicherlich im Hinblick auf die im Ergebnis damit verknüpfte Gewährung der privatrechtlichen Vereinigungsfreiheit auch nicht unpassend. Trotzdem werden wir im folgenden zu untersuchen haben, inwieweit liberale oder soziale Ideen oder gänzlich andere für die Kritiker im Vordergrund standen. Im wesentlichen geht es dabei um zwei Fragen, zunächst um den Begriff der juristischen Person gemäß §41 E I , sodann um die konkreten Entstehungs69 Dazu Michael Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht, in: Z N R 1989, S. 129-147. 70 Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 144 f., schrieb über Gierke, er habe zutreffend vermutet, daß die erste Kommission das Konzessionssystem zum reichseinheitlichen Gesetz gemacht hätte, wenn sie sich nicht einer Regelung ganz enthalten hätte. Vormbaum fährt fort, Gierke habe dies allerdings weniger aus den politischen Bedenken als aus der romanistischen Grundhaltung der Kommissionsmehrheit abgeleitet. Die Beobachtung Vormbaums verkennt den politischen Gehalt des Schlagworts „römisch", das mit individualistisch und gemeinschaftsfeindlich gleichzusetzen war. 71 Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn.24), S.63, 72, 76; Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 199.

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

139

Voraussetzungen der Rechtsfähigkeit juristischer Personen. Die B e a n t w o r t u n g dieser z w e i t e n Frage setzte aber die Entscheidung der V o r f r a g e voraus, o b ü b e r haupt eine reichseinheitliche Regelung zu w ü n s c h e n sei.

a) Der

Begriff

oder persona

der juristischen

Person

- reale

Gesamtpersönlichkeit

ficta

U n t e r den verschiedenen kritischen Stellungnahmen z u m § 4 1 E I ist zunächst diejenige v o n Gierke zu erwähnen, da er einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen d e m Gemeinschaftsgedanken und d e m Begriff der juristischen Person sah 7 2 . D e r Gemeinschaftsgedanke f o r d e r t e die Ü b e r p r ü f u n g jeder einzelnen V o r s c h r i f t des E n t w u r f s auf die Frage, ob sie die n o t w e n d i g e Rücksicht auf die Eingebundenheit des Individuums in die G e m e i n s c h a f t nehme. Diese A u f f a s s u n g Gierkes mußte sich n o t w e n d i g e r w e i s e gerade beim T h e m a der juristischen Person auswirken. S o hieß es bei ihm: „In der That entspringt ja der Vereinigung von Menschen zu neuen Einheiten überall ein das Individualrecht überschreitendes Sozialrecht, welches die Einzelpersonen als Glieder von Ganzen setzt und ihnen in diesem Zusammenhange eigenartige Befugnisse und Pflichten zutheilt. Dieses Sozialrecht bildet jedenfalls insoweit, als es sich auf Privatrechtskörperschaften bezieht... einen Bestandtheil des Privatrechts" 7 3 . Gierke meinte, w ä h r e n d im E n t w u r f die juristische Person als ein künstliches I n d i v i d u u m erscheine, sehe die deutsche Genossenschaftstheorie in der K ö r perschaft eine „reale Gesamtpersönlichkeit" 7 4 - auch: „Verbandsperson" 7 5 , „Verbandseinheit" 7 6 oder „ V e r b a n d s p e r s ö n l i c h k e i t " 7 7 - , so daß man die Rechte der K ö r p e r s c h a f t nicht auf Vermögensrechte reduzieren dürfe, s o n d e r n ihr durchaus auch absolute Persönlichkeitsrechte w i e z u m Beispiel N a m e n und 72 Zu den übrigen kritischen Äußerungen vgl. Zusammenstellung, Bd. 1, S. 66f., Bd. 6, S. 49-51 sowie Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 145ff. 73 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 4. 74 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn.22), S. 5f. - Zur Theorie der realen Verbandspersönlichkeit vgl. Wolfgang Henkel, Zur Theorie der Juristischen Person im 19. Jahrhundert. Geschichte und Kritik der Fiktionstheorien, Diss. jur. Göttingen 1973, S. 192ff.; Christian Tietze, Zur Theorie der Juristischen Person in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Diss. jur. Göttingen 1974, S. 38ff. 75 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 9,33; ders., Entwurf, S. 161; ders., [Gutachten:] „An welche rechtlichen Voraussetzungen kann die freie Corporationsbildung geknüpft werden?", in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin und Leipzig 1888, S.259-311, hier S.293. 76 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 40; ders., Entwurf, S. 134,509; ders., Soziale Aufgabe, S.41. 77 So zum Beispiel Heinrich Rosin, [Gutachten:] „An welche rechtlichen Voraussetzungen kann die freie Corporationsbildung geknüpft werden?", in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin und Leipzig 1888, S. 135-152, hier S. 141. Zu Rosin: Alexander Hollerbach, Heinrich Rosin (1855-1927). Pionier des allgemeinen Verwaltungs- und des Sozialversicherungsrechts, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S.369-384.

140

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Ehre zusprechen müsse78. Eine juristische Person oder Körperschaft war für ihn „ein Gemeinwesen mit einem rechtlich geordneten Gemeinleben, mit einem im Bereiche dieses Gemeinlebens zur Herrschaft berufenen realen Gemeinwillen und mit einer so ihm selbst entstammenden und vom Rechte nur anerkannten Gesammtpersönlichkeit" 7 9 .

Gebhard hatte demgegenüber die juristische Person auf die Vermögensrechtsfähigkeit reduziert und so definierte es dann auch §41 E I 80 . Konstitutiv für die Körperschaft sei, wie Gierke erklärte, der Gemeinwille 81 , während der Entwurf die juristische Person als ein willensunfähiges Gedankending konstruiert habe82. Und gelegentlich umschrieb Gierke die juristische Person nach der Definition des E I so: „Sie ist nichts anderes als die wohlbekannte persona ficta ..., das oft todtgesagte künstliche Individuum, das am hellen Tage umgehende Gespenst, welches den Menschen von Fleisch und Blut nachäfft und nun gleich ihnen Anspruch auf die Güter dieser Erde erhebt!« 8 3

Einer der für Gierkes Verhältnisse schon sehr konkreten Vorschläge zur gesetzlichen Regelung war, das bürgerliche Gesetzbuch solle den Verbänden, das heißt den Körperschaften oder auch juristischen Personen einfach „das Recht der Persönlichkeit" zusprechen, dessen Begrenzung aber Wissenschaft und Praxis überlassen84. Als Vorbild des generellen Körperschaftsrechts sah Gierke die Vorschriften des A L R an85, insbesondere A L R II 6 § 82 86 , wo es heißt: „Sie [sc. Corporationen und Gemeinen] werden in Rücksicht auf ihre Rechte und Verbindlichkeiten gegen Andre, außer ihnen, nach eben den Gesetzen, wie andre

78 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 8; ders., Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, Berlin 1887 (Nachdruck: Hildesheim 1963), S. 146ff. Dort werden von ihm behandelt: Stand und Rang, Domizil, Indigenat, Name und Firma etc., Urheber- und Erfinderrechte, Ehre, deren Schutz die Strafgerichte bereits anerkannt hätten. (Warum sollten Menschen, die jeder für sich Achtung verlangen können, nicht auch im organisierten Verband Achtung der Gesamtpersönlichkeit verlangen können, so fragte Gierke, S. 149f.). Ähnlich: ders., Deutsches Privatrecht. B d . l : Allgemeiner Teil und Personenrecht, Leipzig 1895, S.515f.; dort werden genannt: Stand (z.B. Kaufmannseigenschaft), Name, Zeichenrechte (Wappen, Siegel, Warenzeichen), Urheber- und Erfinderrechte, Gewerberechte.

Gierke, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn.75), S.262. Vgl. oben S. 129. 81 Gierke, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn.75), S.287. 82 Gierke, Gutachten für den 19. D J T 1888 (wie Fn.75), S.263; ders., [Referat und Diskussion zu der Frage „An welche rechtliche Voraussetzungen kann die freie Corporationsbildung geknüpft werden?"], in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3 - Sitzungsberichte, Berlin und Leipzig 1888, S.220-234, 238, 321-327, 329, hier S.221. 83 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn.22), S.5. 84 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn.22), S.9. 85 Die konkrete Ausgestaltung wünschte er sich aber nicht nach dem Vorbild des ALR, das insbesondere das Konzessionssystem verwirklicht hatte. 86 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn.22), S.9. 79

80

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

141

einzelne Mitglieder des Staats, beurtheilt" 87 . Es ging Gierke also darum, die juristische Person nicht nur als vermögensrechtliche Institution aufzufassen, nicht als eine römisch-rechtliche persona ficta, sondern wie in A L R II 6 §81 als eine „moralische Person" mit einer umfassenden Rechtsfähigkeit. In dieser Auffassung stimmte Carl Rocholl, der 1890 einen ausformulierten Gegenentwurf zum Allgemeinen Teil vorgelegt hat, zum Beispiel Gierke zu. Rocholl meinte, nach den Forschungen von Gierke und Rosinsg sei der romanistische Begriff einer persona ficta nicht mehr zu halten 89 . Planck verteidigte den §41 E I gegen die Angriffe von Gierke damit, daß der vermögensrechtliche Aspekt der juristischen Person das einzige sei, was für die gesetzliche Regelung relevant sei. Der theoretische Begriff sei hingegen nicht Sache des Gesetzes, weil er zu keinen bestimmten Konsequenzen nötige 90 . Weitergehend als Planck hielt Holder die Begriffsdefinition in §41 E I für gänzlich überflüssig 91 . Zrodlowski teilte die Ansicht Hölders92. Ebenso wie Gierke lehnte auch beispielsweise Klöppel den Begriff der juristischen Person, wie ihn der Entwurf gebildet hatte, als eine der „beliebten Fiktionen" der Römer ab, die für die Rechtspraxis keinen Wert habe, sondern unnötig zur Verdunkelung führe 93 . „Juristische Person" sei kein Rechtsinstitut und auch kein Rechtsbegriff, sondern ein „leerer Name", der ganz entbehrt werden könne 94 . Mit der Bestimmung der Voraussetzungen einer solchen juristischen Person überschreite aber der Gesetzgeber die Aufgaben des Privatrechts und gerate auf das Gebiet des öffentlichen Rechts 95 . Die Ablehnung des Begriffs der juristischen Person als „römisch" mit der in der Einleitung näher beschriebenen Ubersetzung „unsozial", individualistisch, gemeinschaftsfeindlich usw. gleichzusetzen, scheint hier nicht naheliegend. Doch wenigstens entfernt schwingt auch das in den Äußerungen Klöppels mit, wie die weitere Lektüre zeigt, weil er sich für die Regelung der „Genossenschaft" neben der privatrechtlichen Gesellschaft im Gesetzbuch aussprach. Alltäglich würden solche Genossenschaften unter der Bezeichnung „Verein" entstehen 96 . Es ging ihm also nicht darum, keinerlei Regeln für Körperschaften aufzunehmen, sondern er wollte ein vor allem

Übereinstimmend: § 2 6 A B G B . Vgl. oben Fn. 77. 89 Carl Rocholl, Vorschläge zur A b ä n d e r u n g des Entwurfes eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches in F o r m eines Gegen-Entwurfes mit kurzer Begründung, Erstes Buch. Allgemeiner Theil, Breslau 1890, S.20. 90 Planck, Zur Kritik, S. 337. 91 Eduard Holder, Z u m allgemeinen Theile eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, in: A c P 73 (1888), S ; l - 1 6 0 , hier S.39. 92 Ferdinand Zrodlowski, C o d i f i k a t i o n s f r a g e n und Kritik des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Prag 1888, S. 31, 56. 93 Klöppel, Der Entwurf ( w i e Fn.20), S.633. 94 Klöppel, Der Entwurf ( w i e Fn.20), S.634f. 95 Klöppel, Der Entwurf ( w i e Fn. 20), S. 635. 96 Klöppel, Der Entwurf (wie Fn.20), S.636. 87 88

142

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

von Gierke geprägtes Begriffsverständnis einführen, das den sozialen Gemeinschaftsgedanken in zentraler Weise betraf. Festzuhalten ist, daß im Unterschied zur „romanistisch-individualistischen" Ausgestaltung des Körperschaftsrechts im Entwurf eine „soziale" Regelung im Sinne des Gemeinschaftsgedankens die juristische Person nicht auf ihre Vermögensrechtsfähigkeit reduziert, sondern sie als eine überindividuelle Gesamtpersönlichkeit, die neben den Vermögensrechten auch Persönlichkeitsrechte hat, aufgefaßt wissen wollte. h) Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

der juristischen

Person

Die Kritik an §42 E I betraf im wesentlichen zwei Fragen: (1) Einerseits war zu fragen, ob die Überlassung der Regelung der Rechtsfähigkeit von juristischen Personen an den Landesgesetzgeber befürwortet oder abgelehnt werde. (2) Für den Fall einer Ablehnung der Bestimmung des Entwurfs war andererseits zu überlegen, wie dieses Problem reichseinheitlich gelöst werden solle. (1) Überlassung

an die

Landesgesetzgebung?

Die Entscheidung der ersten Kommission, die Regelung der Entstehung juristischer Personen gemäß §42 E I 97 der Landesgesetzgebung zu überlassen, stieß auf fast einhellige Ablehnung. Nur Gustav Pfizer, der in anderen Fragen wie zum Beispiel dem Ehegüterrecht durchaus kritisch dem Entwurf gegenüberstand, meinte, angesichts der engen Verbindung des Vereinsrechts mit dem öffentlichen Recht solle die Frage der Rechtsfähigkeit von Vereinen aus dem Gesetzbuch ausgeklammert bleiben 98 . Ahnlich, aber etwas zwiespältig, wenn man an sein erwähntes Engagement zugunsten der Genossenschaften denkt 99 , äußerte sich auch Klöppel. Er hielt es zwar für denkbar, daß man in einem allgemeinen Rechtssatz Personenvereinen die Rechtsfähigkeit zuspreche, aber dadurch geschehe ein Eingriff ins öffentliche Recht, für den im bürgerlichen Gesetzbuch kein Platz sei100. Gegen die vom Entwurf vorgeschlagene Überlassung an die Landesgesetzgebung und für eine reichseinheitliche Regelung der Entstehung juristischer Personen sprach sich die große Mehrheit der Kritiker aus. In diesem Sinne äußerten sich Bähr, Baron, Bingner, Boyens, Fuld, Gierke, Hachenburg, Bernhard Hartmann, Holder, Samuel Jacoby, Kausen, Lesse, Mecke, Petersen, Planck, Ring, Rocholl, Rosin, Rudioff, Scherer, Schilling, Uhrig und Zrodlowski101. Der Vgl. oben S. 129. Gustav Pfizer, Was erwartet Deutschland von dem bürgerlichen Gesetzbuch?, Hamburg 1889, S.7. 99 Vgl. oben bei Fn. 96. 100 Klöppel, Der Entwurf (wie Fn.20), S. 635; ders., Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs vor dem Juristentage, in: Gruchot's Beiträge 32 (1888), S. 852-870, hier S. 869f. 101 Otto Bähr, Gegenentwurf zu dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das 97 98

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen

143

19. Deutsche Juristentag hat sich in Stettin 1888 unter anderem mit den rechtlichen Voraussetzungen der Entstehung von Körperschaften befaßt und ist mehrheitlich zu dem Entschluß gekommen, das bürgerliche Gesetzbuch solle, vorbehaltlich besonderer Regeln für bestimmte Körperschaften, „allgemeine Bestimmungen über Erwerb und Verlust der Körperschaftsrechte" treffen 102 . Die Begründung für die Forderung einer reichseinheitlichen Regelung war meistens, daß die politischen Argumente der ersten Kommission als nicht tragfähig angesehen wurden. U m Wiederholungen zu vermeiden, werden die Einzelheiten sogleich im Zusammenhang mit den Vorschlägen für die Ausgestaltung der reichseinheitlichen Lösung dargestellt und belegt, da in der damaligen Diskussion über den ersten Entwurf die beiden Fragen nicht strikt voneinander getrennt wurden. Deutsche Reich, Kassel 1892, §35, S. W-, Julius Baron, Das Erbrecht in dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: AcP 75 (1889), S.225;/. Fr. Behrend, Das Deutsche Privatrecht, in: Encyclopädie der Rechtswissenschaft in systematischer und alphabetischer Bearbeitung. Erster, systematischer Teil, hrsg. von Franz von Holtzendorff, 5. Aufl. Leipzig 1890, S. 565-609, hier S. 575; Adrian Bingner; Bemerkungen zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetz-Buches für das Deutsche Reich, in: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht 1 (1891), S. 81-112, 161-193, hier S.83; Friedrich Boyens, Gesellschaft unter Vergleichung mit anderen Rechtsgemeinschaften, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. im Auftrage des Deutschen Anwalt-Vereines von den Rechtsanwälten Adams, Wilke, Mecke, Hartmann und Erythropel, Berlin 1890 [erschienen seit 1888], S. 1015-1025, hier S. 1017; Ludwig Fuld, Reichsrecht und Landesrecht, in: Gruchot's Beiträge 33 (1889), S.628-638, hier S.635f.; Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn.22), S. 10,21; ders., Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 75) sowie ders., Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 82), S. 220-234, 321-327; Max Hachenburg, Das Französisch-Badische Recht und der Entwurf des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, Mannheim 1889, S. 22; Bernhard Hartmann, Die Aufgaben der Kritik des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: JW 17 (1888), S.253f., hier S.254; Holder, Zum allgemeinen Theile (wie Fn. 91), S.44, 58; SamuelJacoby, Der Entwurf... II. (wie Fn. 25), S. 305-307; ders., Legislative Erörterungen zum allgemeinen Theile eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich (§§ 1-71), in: Gruchot's Beiträge 34 (1890), S. 559-592, hier S. 576f.; Hermann Kausen, Juristische Personen mit besonderer Berücksichtigung der modernen Personenvereine, in: Gutachten aus dem Anwaltstande (s. in dieser Fn. bei Boyens), S. 1940, hier S. 24ff.; Theodor Lesse, Die privatrechtlichen Körperschaften im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Archiv für bürgerliches Recht 5 (1891), S. 266-274; Mecke, Das Verhältniß des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu den Landesgesetzen, in: Gutachten aus dem Anwaltstande (s. in dieser Fn. bei Boyens), S. 3-18, hier S. 14; Julius Petersen, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich und die Kritik, in: Gruchot 34 (1890), S. 32-78, hier S. 75; Planck, Zur Kritik, S. 336; Victor Ring, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und seine Beurtheiler, in: Archiv für bürgerliches Recht 1 (1889), S. 190-232, hier: S. 216; Rocholl, Vorschläge (wie Fn. 89), S. 20; Rosin, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 77), S. 139f.; Rudioff, Glossen zum Civilgesetz-Entwurf, in: AcP 73 (1888), S.225-235, hier S.228; Martin Scherer, Besprechung des Entwurfs unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Gegenvorschlägen, Mannheim 1891, S. 12-14; B. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Allgemeiner Theil), Köln 1888, S.29; Uhrig, Zur Kritik des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs über das Deutsche Reich, VII. Juristische Personen, in: Ergänzungshefte der Juristischen Rundschau für das katholische Deutschland, Nr. 1, 1890, S. 94-114; Zrödtowski, Codifikationsfragen (wie Fn.92), S.56f. 102

Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd.3, Berlin und Leipzig 1888, S.331f.

144

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

(2) Die Ausgestaltung

der reichseinheitlichen

Teil

Lösung

Das von den Motiven in Ubereinstimmung mit Gebhard und der ersten Kommission für den Fall einer reichseinheitlichen Regelung als vorzugswürdig bezeichnete Konzessionssystem fand nur sehr wenige Anhänger. Die meisten Kritiker plädierten für das System der Normativbestimmungen. Gierke schließlich sprach sich für eine Mischform von Normativbestimmungssystem und freier Körperschaftsbildung aus, worin ihm der 19. Deutsche Juristentag ziemlich weitgehend gefolgt ist. (a)

Konzessionssystem

Keiner der Kritiker verteidigte das Konzessionssystem als die allein richtige Lösung auf der Reichsebene. Immerhin gab es Stimmen, daß man das Konzessionssystem wenigstens als minimal notwendige Maßnahme tolerieren kön-

(b) System der

Normativbestimmungen

Demgegenüber wollte sich die Mehrzahl der Kritiker nicht mit einem Konzessionssystem zufrieden geben. Der öffentlich-rechtlich gewährten Vereinigungsfreiheit würde auf privatrechtlicher Ebene die Rechtsfähigkeit unabhängig von staatlicher Erlaubnis entsprechen 104 . Um den Vereinen zur Rechtsfähigkeit zu verhelfen, schlugen die meisten ein System von Normativbestimmungen vor 105 . Ausgangspunkt dieser Konzeption war der Grundsatz freier Körperschaftsbildung, nach dem es jedem freisteht, sich mit mehreren anderen Personen zusammenzuschließen und einen Verein zu begründen. Erfüllte dieser Verein bestimmte normative Bedingungen, so entstand eine juristische Person. In diesem Sinne formulierte etwa Rocholl, daß die Entstehung der Körperschaft durch Eintragung der Satzung in das Vereinsregister entstehe 106 . Es folgten Bestimmungen über den notwendigen Inhalt der Satzung, die unter anderem Namen, Zweck und Sitz des Vereins, den Vorstand, die Mitgliederversammlung usw. behandeln mußte 107 . Bahr formulierte in seinem Gegenentwurf:

103 So etwa Uhrig, Zur Kritik des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs über das Deutsche Reich, VII. Juristische Personen, in: Ergänzungshefte der Juristischen Rundschau für das katholische Deutschland 1 (1890), S. 94-114, hier S.96. 104 So etwa Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 12. 105 Beispielhaft genannt seien: Bahr, Gegenentwurf (wie Fn. 101), §35, S. 10; Bingner, Bemerkungen (wie Fn. 101), S. 83; Boyens, Gesellschaft (wie Fn. 101), S. 1019-1024-,]acoby, Legislative Erörterungen (wie Fn. 101), S. 577; Kausen, Juristische Personen (wie Fn. 101), S. 32ff.; Lesse, Die privatrechtlichen Körperschaften (wie Fn. 101), S. 271; Rocholl, Vorschläge (wie Fn. 89), §42, S.21; Schilling, Aphorismen (wie Fn. 101), S.29. 106 Rocholl, Vorschläge (wie Fn.89), §42, S.21. 107 Rocholl, Vorschläge (wie Fn.89), §43, S.22-23.

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

145

„§35. Im Wege der Privatvereinbarung geschaffene Vereine, die eine zum einheitlichen Handeln sie befähigende Organisation sich gegeben haben, erlangen juristische Persönlichkeit durch Eintragung in ein bei Gericht geführtes Vereinsregister. Der Verein hat bei dem Gerichte sich eintragen zu lassen, in dessen Bezirk er seinen Sitz hat. Die Anmeldung zur Eintragung muß zugleich die Satzungen des Vereins, die Namhaftmachung seines Vorstandes und ein Verzeichniß seiner Mitglieder enthalten" 1 0 8 .

Es sollte also nicht ein beliebiger Zusammenschluß von Personen die Eintragung verlangen können, sondern dieser mußte bestimmte formale Kriterien erfüllen. Die Eintragung in das Vereinsregister hing dann aber im Unterschied zum Konzessionssystem nicht mehr von einer Ermessensentscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts ab. Bemerkenswert ist dabei aber, daß einige zugleich die später vom Gesetzgeber vorgenommene Einschränkung für politische und religiöse Vereine vorschlugen109, die nach dem Vorbild des sächsischen Vereinsgesetzes von 1868 solche Vereine dem Konzessionssystem unterwarf, womit das System der Normativbestimmungen in einem für die damalige Lebenswirklichkeit wichtigen Punkt durchlöchert wurde. Ziel dieses Zugeständnisses war es, die politischen Bedenken zu zerstreuen, die die erste Kommission bewogen hatten, vom System der Normativbestimmungen trotz aller Sympathie Abstand zu nehmen. Der 19. Deutsche Juristentag in Stettin hatte allerdings eine Einschränkung zu Lasten der politischen und religiösen Vereine abgelehnt110. Man kann also nicht sagen, diese Einschränkung sei allgemeine Meinung der Juristen gewesen. Im Gegensatz dazu wollte etwa Hermann Kausen gerade für die sozialen, geselligen, wissenschaftlichen, künstlerischen, religiösen und politischen Vereine ein reichseinheitliches System der Normativbestimmungen schaffen. Diese Vereine, so meinte er, seien „das Aschenbrödel der Gesetzgebung". Gerade die Personen, die mit solchen Vereinen Rechtsgeschäfte abschließen würden, bedürften des Schutzes, der nur zu erreichen sei, wenn diese Vereine juristische Personen sind, weil ein Prozeß gegen die Gesamtheit der Mitglieder bei mitgliederstarken Vereinen eine Unmöglichkeit sei111. Für ihn standen also praktische Erwägungen über die Rechtssicherheit im Mittelpunkt der Argumentation. Die politischen Bedenken der Motive gegen das System der Normativbestimmungen wurden von den Kritikern als „polizeiliche Erörterungen" verworfen 112 . Sie entstammten, so meinte Jacoby, einer übertriebenen Ängstlichkeit. Das öffentlich-rechtliche Vereinsrecht könne man auch nicht ins Feld führen, Bahr, Gegenentwurf (wie Fn. 101), §35, S. 10. Bähr, Gegenentwurf (wie Fn. 101), §36 Abs.2, S. 10; Bingner, Bemerkungen (wie Fn. 101), S. 83; Scherer, Besprechung (wie Fn. 101), S. 14; Rocholl, Vorschläge (wie Fn. 89), § 42 Abs. 4, S. 22. 110 Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, S.220-238, 321-333. 111 Kausen (wie Fn. 101), S.26f. - in seinem konkretisierenden Vorschlag für die Neuregelung erwähnte er in der Reihe der reichsrechtlich nach dem System der Normativbestimmungen entstehenden Körperschaften allerdings auch die Vereine, die gewerblichen Zwecken folgen (S. 32). Die Darstellung der Auffassung von Kausen bei Boyens (wie Fn. 101), S. 1018f. ist daher verkürzend. 112 Jacoby, Legislative Erörterungen (wie Fn. 101), S. 577. 108 109

146

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

weil sich hierin die Bundesstaaten nur wenig unterscheiden würden. Es befremde in hohem Grade, daß die Kommission so großes Gewicht auf die politische Seite der Frage gelegt habe 113 . Die Notwendigkeit einer reichseinheitlichen Lösung begründete er mit einem Hinweis auf die Verkehrsbedürfnisse. Wer mit einem Verein Verträge abschließe, sei bislang im Zweifel, ob ein Forderungsrecht gegen eine Körperschaft begründet und diese im Notfalle zu verklagen sei 114 . In eine ähnliche Richtung wies die Kritik Rings, der meinte, die reichseinheitliche Regelung von Erwerb und Verlust der juristischen Persönlichkeit wäre „eine in ihren Folgen unberechenbare That sozialpolitischen Charakters" 115 . Scharf verurteilte er die sozialpolitischen Argumente der Motive, die einen Unterschied zwischen wirtschaftlichen und Idealvereinen gesehen hatten. Ring führte aus, gerade der Erwerbsverein sei geeignet, das Gemeinwohl zu verletzen und die materiellen und sittlichen Grundlagen des Staates zu untergraben, wie auch das „Gründungs- und Spielfieber" der letzten Zeit gezeigt habe. Damit spielte er wohl auf die Erfahrungen der Gründerzeit an, die nach der Vermehrung des Aktienkapitals von 473 auf 1.167 Millionen Mark auf dem Gipfel der Konjunktur zwischen 1869 und 1873 in eine unerwartet starke Depression mündete. Dem plötzlichen Kursverfall an den Börsen war jahrelang ein beispielloser Aufschwung vorausgegangen. Dieser Aufschwung wurde in der Endphase dann von einer ebenso beispiellosen Spekulation begleitet, die andauernde Gewinne und Preiserhöhungen vorwegzunehmen trachtete. Im Oktober 1873 brach dann ausgehend vom Zusammenbruch einiger Kapitalgesellschaften in Wien eine Börsenpanik aus. Kapitalanleger versuchten durch hektische Verkäufe zu retten, was zu retten war. Zahlreiche neugegründete Unternehmen mußten aufgeben 116 . Nicht nur einige Spekulanten waren betroffen, sondern auch viele Bürger, die ihre Ersparnisse angelegt hatten. Verschiedentlich wurde auf die damit einhergehenden sozialpsychologischen Folgen hingewiesen. Das Vertrauen in die Selbstregulation des freien Marktes war sehr nachhaltig erschüttert. Staatliche Protektion war, übrigens nicht nur in Deutschland, wieder gefragt. Die „große Depression" betraf nicht nur die Wirtschaftsdaten, sondern auch die Stimmungslage 117 . Tief im Bewußtsein der Bevölkerung steckte seither eine gewisse Skepsis gegen manche Formen der Geschäftemacherei, die Ring wohl vor Augen hatte, als er meinte, die wirtschaftlichen Vereine könnten mindestens ebensosehr eine Gefahr für das Gemeinwohl sein wie die Idealvereine. Er sagte, wenn man den Idealvereinen nicht auf der Grundlage des Systems der Jacoby, Legislative Erörterungen (wie Fn. 101), S. 577. Jacoby, Der Entwurf ... II. (wie Fn.25), S.306; ders., Legislative Erörterungen (wie Fn.101), S.577. 115 Ring, Der Entwurf (wie Fn. 101), S.216. 116 Zur Wirtschaftskrise am Ende der Gründerzeit vgl. die Ubersicht bei Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, B d . l , S.283ff.; außerdem: Heinz Hurten, 19. und 20. Jahrhundert, in: Studienbuch Geschichte. Eine europäische Weltgeschichte, hrsg. von Reinhard Elze und Konrad Repgen, Bd.2, 3. Aufl. Stuttgart 1994, S.325-737, hier S.437ff. 117 Hürten, 19. und 20. Jahrhundert (wie Fn. 116), S.438; Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 2 (wie Fn. 116), S.284. 113 114

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

147

Normativbestimmungen die juristische Persönlichkeit reichseinheitlich garantiere, so werde man die lauteren Absichten treffen, den unlauteren jedoch den Weg nicht deutlich erschweren. Das System der Normativbestimmungen aber entspreche dem „Zuge der Zeit" 118 . Und Jacoby bemerkte, es sei Aufgabe des Strafrechts, staatsgefährliche Vereine zu bekämpfen. Unerfindlich hingegen sei, wie die Gefährlichkeit eines Vereins sich dadurch steigern lasse, daß man ihm die juristische Persönlichkeit verleihe. Ein Zusammenschluß von Personen, die solche Zwecke verfolgten, könne sich leicht über die Schwierigkeit der Versagung der Rechtsfähigkeit zum Beispiel durch Benutzung gesellschaftsrechtlicher Formen hinwegsetzen119. Im übrigen könne aber auch von konzessionierten Vereinen eine Gefährdung des Staates ausgehen120. Man argumentierte also nicht positiv, warum das System der Normativbestimmungen materiell angemessener für die Entstehung der juristischen Person sei, sondern man bemühte sich vor allem, die politischen Gegenargumente der ersten Kommission zu entkräften. Die sozialen Topoi spielten dabei nur eine verdeckte Rolle. Im Vordergrund stand die Auseinandersetzung mit der für verfehlt gehaltenen politischen Begründung der ersten Kommission. Daran wird deutlich, was in der Einleitung mit der Feststellung gemeint war, die Diskussion über den Entwurf wirke manchmal wie ein Dialog mit den Motiven 121 . Immerhin trat an diesem Punkt die politische Dimension des Gesetzbuchs deutlich zu tage. Die besondere politische Brisanz der freien Vereinsbildung ist nur vor dem Hintergrund der damaligen Tagespolitik im Kontext von Kulturkampf und Erstarken der Sozialdemokratie zu verstehen. Hier gewann das, was wir im vorangegangenen Kapitel als „sozialpolitischen Ausgleich" bezeichnet haben, Bedeutung. Darum ging es letztlich bei der scheinbar ordnungspolitischen Diskussion über die Vereine. Sollte man den Gewerkschaften und sonstigen Vereinen konzessionslos die Rechtsfähigkeit zuerkennen? Gebhard hatte die Bedenken angesprochen, die aber von der Mehrheit der Kritiker nicht geteilt wurden.

(c) Freie

Körperschaftsbildung

Abgesehen vom Konzessionssystem und dem System der Normativbestimmungen wurde noch als dritte Form die sogenannte freie Körperschaftsbildung diskutiert. Vor allem Gierke trat für sie ein und verfolgte dabei eine doppelte Stoßrichtung. Zum einen bekämpfte er das Konzessionssystem, das die Motive als die einzige eventualiter reichsweit einzuführende Form befürwortet hatten, 118 Ring, Der Entwurf (wie Fn. 101), S.216; ähnlich schon zuvor Gierke, Gutachten für den 19. D J T 1888 (wie Fn.75), S.291 sowie Schilling, Aphorismen (wie Fn. 101), S.30, der die Meinung der Motive, wirtschaftliche Unternehmungen seien für das Gemeinwohl weniger gefährlich als Idealvereine angesichts der mit den Aktiengesellschaften „gemachten Erfahrungen" für unverständlich hielt. 119 Jacoby, Der Entwurf ... II. (wie Fn.25), S.306. 120 Jacoby, Der Entwurf ... II. (wie Fn.25), S.307. 121 V g l . o b e n S . i l .

148

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

zum anderen setzte er sich für ein System freier Körperschaftsbildung ein, dessen Unterschiede zum System der Normativbestimmungen in der praktischen Anwendung aber aufgrund der von Gierke vorgeschlagenen Einschränkungen marginal waren. Die Ablehnung des Konzessionssystems zielte auf die Erringung eines Minimalkonsenses, während die freie Körperschaftsbildung die Maximalforderung war. (aa) Konzessionssystem

begrifflich

unpassend

Gierke führte aus, das Konzessionssystem sei nicht passend, weil es die juristische Person von einem Gnadenakt des Staates abhängig mache, obgleich derselbe Staat in seinem öffentlichen Recht die Vereinigungsfreiheit garantiere. Nur bei der verfehlten Auffassung der persona ficta lasse sich die entworfene Regelung rechtfertigen 122 . Legte man den nach Gierke allein richtigen Begriff der realen Gesamtpersönlichkeit der Körperschaften zugrunde 123 , so war es widersinnig, die Rechtsfähigkeit des Vereins von einer staatlichen Erlaubnis abhängig zu machen, weil dieselbe dem Verein bereits begriffsnotwendig zu eigen war. Etwas anderes sollte allerdings für die vom Entwurf ebenfalls den juristischen Personen zugezählten Stiftungen gelten. Da hier die natürliche Willensmacht des Stifters unnatürlich vergrößert werde, wie Gierke meinte, da also der Staat letztlich die Fortführung des Willens schütze, müsse der Staat auch die Bedingungen festlegen, unter denen er das tun möchte. Außer bei Familienstiftungen wünschte Gierke eine konstitutive Mitwirkung des Staates124. (bb) Freie Körperschaftsbildung

mit fakultativer

Registereintragung

Gegenüber dem Konzessionssystem hielt Gierke hinsichtlich der Vereine ein System der Normativbestimmungen mit Registerzwang für überlegen, bei dem die Anerkennung als juristische Person von der Eintragung, auf die bei Erfüllung der Voraussetzungen ein Anspruch bestehe, abhänge125. Doch auch diese Variante sah Gierke noch nicht als ideal an: „Unser bürgerliches Gesetzbuch müßte daher unter rückhaltloser Verwirklichung des Prinzips der freien Körperschaftsbildung einen Rechtssatz an die Spitze stellen, nach welchem ein rechtsbeständiger Verein mit körperschaftlicher Verfassung, insoweit er Dritten oder seinen Mitgliedern als selbständiges Ganzes gegenübertritt, die Rechte und Pflichten einer Person h a t " 1 2 6 . Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 11. Dazu oben S. 139 bei Fn. 74. 124 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 41; ders., Entwurf, S. 155. 125 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 15; in seiner Genossenschaftstheorie (wie Fn. 78), S. 96 mit Fußnote 3, hatte das Gierke noch auf die wirtschaftlichen Genossenschaften eingeschränkt. Für Vereine mit idealen Zwecken sollte aber der Registerzwang keinesfalls gelten, weshalb die Regelung im schweizerischen Recht verfehlt sei. 126 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 15; inhaltlich übereinstimmend: ders., Gutachten für den 19. D J T 1888 (wie Fn.75), S.268, 285, 295, 309. 122

123

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

149

Nicht die Entstehung eines Vereins sollte also an die Eintragung ins Register geknüpft werden, sondern nur seine öffentliche Anerkennung zum Beispiel in Form der Grundbuchfähigkeit. Während für das System der Normativbestimmungen die Eintragung konstitutiven Charakter hatte, sollte sie nach Gierkes Meinung nur eine deklaratorische Wirkung haben. Der Unterschied lag im begrifflichen Vorverständnis. Für Gierke folgte die Rechtsfähigkeit der Körperschaften unmittelbar aus der Rechtsidee genauso selbstverständlich wie die Rechtsfähigkeit der einzelnen Individuen127. Keinen Zweifel ließ Gierke daran, daß er in der freien Körperschaftsbildung einen Ausdruck germanischen - und das heißt in seinem Verständnis „sozialen" - Rechtsdenkens sah. Ein Zitat mag das verdeutlichen: „Die volle und rückhaltlose Verwirklichung dieses Princips ist nichts als der naturgemäße Abschluß einer in unserer deutschen Rechtsgeschichte begründeten Entwicklung. Die Körperschaftsfreiheit ist uraltes deutsches Recht. Sie ist der nothwendige Ausfluß des germanischen Genossenschaftsgedankens. Was immer die Welt dem schöpferischen Associationstriebe der germanischen Völker verdankt, beruht auf der Voraussetzung des Rechtes und der Fähigkeit freier Menschen zur autonomen Erzeugung genossenschaftlicher Verbände mit einer ihnen selbst entstammenden Gesammtpersönlichkeit" 1 2 8 .

Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß eine in Gierkes Sinne soziale Regelung des Körperschaftsrechts zugleich einen ausgesprochen liberalen Inhalt hat: freie Vereinsbildung. Dieses Prinzip erlitt aber in zweierlei Hinsicht eine praktisch bedeutsame Einschränkung: Zum einen sollte es nur für „rechtsbeständige" Vereine gelten, also nicht für solche, die unerlaubte Zwecke verfolgten oder für Geheimverbindungen und ähnliches. Wenn zum andern ein Verein nicht nur die Rechtspersönlichkeit besitzen wollte, sondern auch begehrte, daß andere diese anerkennen und beispielsweise Grundstücke zum Vereinsvermögen werden sollten, so bedurfte er nach Gierke einer an normative Voraussetzungen geknüpften Eintragung in das Vereinsregister. Als Voraussetzungen nannte Gierke eine beurkundete und die wesentlichen Stücke einer Körperschaftsverfassung enthaltende Satzung129. In der praktischen Konsequenz näherte Gierke damit sein System der freien Körperschaftsbildung so sehr dem System der Normativbestimmungen, daß die Unterscheidung nur noch theoretisch möglich war. Nach Gierke war zwar jeder Verein eine juristische Person, doch nur wenn er die Normativbestimmungen für den Registereintrag erfüllte, konnte er auch die Anerkennung dieser Eigenschaft in vollem Umfang verlangen. Der Eintragung dann keine konstitutive Wirkung beizumessen, grenzte schon ans Rabulistische, denn auch nach dem System der Normativbestimmungen hatte

Gierke, Gutachten für den 19. D J T 1888 (wie Fn.75), S.287; ebenso: Rosin, Gutachten für den 19. D J T 1888 (wie Fn.77), S. 141. 128 Gierke, Gutachten für den 19. D J T 1888 (wie Fn. 75), S.285. Klöppel, Der Entwurf ... vor dem Juristentage (wie Fn. 100), S. 867f., bestreitet, daß im deutschen Recht das Prinzip der Körperschaftsfreiheit gegolten habe. Die Frage kann für uns offenbleiben. 129 Gierke, Gutachten für den 19. D J T 1888 (wie Fn.75), S.293. 127

150

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

eine Personenvereinigung einen Anspruch auf die konstitutive Eintragung. Wenn Vormbaum ohne weitere Erläuterung Gierke als einen Anhänger des Systems freier Körperschaftsbildung bezeichnet 130 , ist das also leicht mißverständlich.

(cc) Die Haltung

des Juristen

tages

Führt man sich diese Ähnlichkeit des Systems der Normativbestimmungen und der freien Körperschaftsbildung vor Augen, überrascht es nicht, daß der 19. Deutsche Juristentag 1888 Gierke in diesem Punkt weitgehend gefolgt ist 131 . Der Juristentag hatte mit einer Gegenstimme den folgenden Beschluß gefaßt: „Privatrechtliche Körperschaften, welche nicht unter ein Specialgesetz fallen - Vereine für ideale Zwecke und wirthschaftliche Vereine, wenn sie nicht auf einen kaufmännischen oder gewerblichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind, - erlangen die öffentliche Anerkennung ihrer Persönlichkeit, wenn sie auf Grund gesetzlicher Normativbestimmungen in ein, von den Gerichten geführtes Vereinsregister eingetragen sind" 1 3 2 .

Die Plenarversammlung des Juristentages bestätigte diesen Beschluß 133 . Dem Wortlaut nach stimmte das mit den oben entwickelten Vorstellungen Gierkes vollständig überein. Die Auslegung lies aber verschiedene Deutungen zu, wie auch Gierke ausdrücklich betont hat 134 . Man konnte den Beschluß auch so lesen, daß die Registereintragung im Sinne des Gutachtens von Rosin135 konstitutive Wirkung haben sollte.

(dd) Die Begründung durch Gierke

der Entscheidung

für die freie

Körperschaftsbildung

Gierke hatte in seinem Gutachten und Referat für den Juristentag seine Entscheidung für die freie Körperschaftsbildung ausführlich begründet. Die politischen Bedenken, die in der ersten Kommission und den Motiven laut geworden waren, suchte er hingegen zu zerstreuen. Er meinte, daß das Konzessionssystem kaum geeignet sei, die Entstehung mißliebiger Vereine zu verhindern, - eine Überlegung, die auch andere wie etwa Ring teilten 136 . Das Privatrecht, so erklärte Gierke, sei nicht berufen, Aufgaben der Polizei zu übernehmen 137 . Soweit aber die Gewerkvereine (sc. Gewerkschaften) getroffen werden sollten - Gierke

Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 149. Einzelheiten bei Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 150-152. 132 Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin und Leipzig 1888, S.237f. 133 Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin und Leipzig 1888, S. 331— 333. Zustimmend Fuld, Reichsrecht und Landesrecht (wie Fn. 101). 134 Gierke, Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 82), S.326. 135 Rosin, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn.77). 136 Vgl. oben S. 147 bei Fn. 118. 137 Gierke, Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn.82), S.227, 324. 130

131

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

151

sprach damit aus, was manche nur dachten 138 so gehöre es zu den sozialpolitischen Aufgaben des Reiches, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich diese Vereine entfalten könnten 139 . Gierke teilte zwar die vor allem in Preußen vorhandenen Bedenken gegen eine völlig freie Betätigung politischer und religiöser Vereine. Bei den Gewerkvereinen entschied er sich aber für die Körperschaftsfreiheit. Es liege, so meinte er, nicht der mindeste Grund vor, sie anders als andere Standes- und Berufsverbände zu behandeln 140 . Immerhin seien Sonderregeln möglich 141 . Das Privatrecht sei ungeeignet, Dinge zu regeln, die man öffentlich-rechtlich nicht in den Griff bekomme. Gerade die wirklich gefährlichen Vereine entbehrten die Vermögensfähigkeit nicht 142 . Gegen das von den Motiven zur Begründung der Ablehnung freier Körperschaftsbildung verwendete Argument der „mißlichsten Rechtsunsicherheit"143 sei einzuwenden, weder in Osterreich und der Schweiz noch in Bayern und Sachsen sei aus dem Prinzip freier Körperschaftsbildung ein Problem erwachsen 144 , es habe sich dort vielmehr bewährt 145 . In den Augen Gierkes sprachen im wesentlichen drei Argumente für die freie Körperschaftsbildung. Erstens die geschichtliche Entwicklung, die schon in einer der oben zitierten Passagen angeklungen ist, in der auch Gierke ausnahmsweise in unserem Kontext einmal ganz eindeutig von „deutschem Recht" auch im historischen Sinne sprach 146 . Die Körperschaftsfreiheit sah Gierke als im ursprünglichen deutschen Recht verwirklicht an 147 . „In der staatsabsolutistischen Zeit" nach der Rezeption sei jedoch das Konzessionssystem an die Stelle der Vgl. oben S. 147 nach Fn. 121. Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 17f.; ders., Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 82), S.323. - Kögler; Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn.24), S. 63 [vgl. auch oben Fn. 71] sprach in diesem Zusammenhang davon, Gierke habe moniert, daß die politischen Bedenken ein „liberales" Vereinsrecht verhindert hätten. Das ist allerdings leicht irreführend. Entscheidend war für Gierke ein „soziales" Vereinsrecht. Entsprach dies auch noch freiheitlichen oder liberalen Bestrebungen, war das nicht schädlich, aber darauf kam es Gierke nicht an. 140 Gierke, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn.75), S.299. 141 Gierke, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 75), S. 292; ders., Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 82), S.232, 234. 142 Gierke, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn.75), S.291. 143 Vgl. oben bei Fn. 66. 144 Gierke, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 75), S.291; ders., Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn.82), S.229. Ebenso: Kausen, Juristische Personen (wie Fn. 101), S.31; Schilling, Aphorismen (wie Fn. 101), S.30. 145 Gierke, Personengemeinschaften (wie Fn. 22), S. 13; ders., Genossenschaftstheorie (wie Fn. 78), S. 83f. mit Nachweisen für das österreichische Recht und das Zürcher Gesetzbuch, dessen § 20 lautet: „Rein privatrechtliche Korporationen, welche zu einem wissenschaftlichen oder künstlerischen oder sonst einem gemeinnützigen oder zu einem erlaubt geselligen Zwecke gebildet werden, bedürfen zu ihrer Entstehung lediglich der in den Korporationsstatuten festzustellenden Ubereinkunft mehrerer Korporationsmitglieder" (zitiert nach Gierke, Genossenschaftstheorie, S.36). Gierke, Gutachten für den 19. DJT 1888 (wie Fn.75), S.283-285; Eugen Huber, System und Geschichte des Schweizerischen Privatrechtes, Bd. 1, Basel 1886, S. 158, 168f. 146 Vgl. oben S. 149 bei Fn. 128. 147 Gierke, Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 82), S.223. 138 139

152

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

freien Vereinsbildung getreten. Öffentlich-rechtliche Vereinsfreiheit und Anerkennung der Körperschaftsrechte würden erst später unterschieden. Inzwischen sei aber die Vereinsfreiheit wiederhergestellt und nun breche sich auch das Prinzip der Körperschaftsfreiheit neue Bahn. Das ALR stehe ihr nicht so fern, wie gemeinhin angenommen werde. Es lasse sich leicht zeigen, wie die Praxis in Preußen dazu komme, die erlaubten Privatgesellschaften, die eigentlich vom Gesetz nur nach innen als Körperschaft konstruiert seien, nun als Prozeßparteien und Träger von Rechten und Pflichten anzuerkennen. In Osterreich sei die Körperschaftsfreiheit ohne jegliche Schranken verwirklicht. Eine Reihe deutscher Spezialgesetze biete schon jetzt verschiedenen Gattungen von Körperschaften Freiheit, z.B. den Aktiengesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, freien Hilfskassen usw. In Sachsen und Bayern bestehe schon völlige Körperschaftsfreiheit, mindestens für die nicht wirtschaftlichen Vereine. Das Schweizerische Obligationenrecht habe das in der deutschen Schweiz schon lange gültige Prinzip der Korporationsfreiheit auf die ganze Schweiz ausgedehnt. Und selbst im gemeinen Recht würden bloße Societäten als Prozeßpartei zugelassen. Die konsequente Fortsetzung der geschichtlichen Entwicklung sei daher die Einführung der freien Körperschaftsbildung148. Zweitens spreche die Zweckmäßigkeit für dieses System, denn das Recht sei dazu da, „sich dem Leben anzuschmiegen", alles seiner Natur entsprechend zu behandeln149. Viele öffentlich-rechtliche Vereine seien eben eine Körperschaft. Das Recht müsse sie deshalb auch anerkennen150. Drittens fordere schließlich die Gerechtigkeit die Körperschaftsfreiheit in zweierlei Richtung. Einmal, weil die Verbandspersönlichkeit genausogut wie die individuelle Persönlichkeit rechtlich Anerkennung verdiene. Dem Individuum sei sie früher vorenthalten worden, wie bürgerlicher Tod und Sklaverei zeigten. Es bestehe aber kein Grund, den alten Fehler nun gegenüber der Verbandspersönlichkeit zu wiederholen. Zum anderen spreche die Gerechtigkeit gegenüber Dritten für eine Anerkennung der Körperschaft. Wenn dieser Dritte vertrauensvoll mit dem Verein einen Vertrag vereinbart habe und nun den Vertragspartner nicht wiederfinde, weil letzterer nur der Schein einer juristischen Person gewesen sei, sei das nicht gerecht. Es dürfe nicht am Ende heißen: „Es war ein Nichts, ein Phantom, mit dem du dich eingelassen"151. Hier ging also das Argument der Gerechtigkeit mit dem der Rechtssicherheit Hand in Hand, die das Gesetz leisten muß, um Gerechtigkeit zu erzeugen.

Gierke, Gierke, 150 Gierke, 151 Gierke, Personen hat wiesen. 148 149

Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn.82), S.223-225; ders., Entwurf, S. 147. Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 82), S.226. Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn.82), S.226. Referat für den 19. DJT 1888 (wie Fn. 82), S. 227, 324. Auf die Bedürfnisse dritter auch Schilling, Aphorismen (wie Fn. 101), S.29 in diesem Zusammenhang hinge-

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

153

(ee) Die politische Erwiderung Plancks auf Gierke Planck ließ in seiner Erwiderung auf Gierke erkennen, daß er - ex post sicherlich mit Recht - die Frage der Entstehung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen als ein vor allem politisches Problem ansehe. Er stimmte Gierke darin zu, daß die Genossenschaften im deutschen Recht eine besondere Rolle spielen würden, welche das römische Recht nicht zu erfassen vermöge. Die meisten dieser Genossenschaften seien aber schon spezialgesetzlich geregelt, insbesondere die Handels- und Aktiengesellschaften, weshalb das Bürgerliche Gesetzbuch sie nicht berühren müsse. Für das letztere blieben nur wenige Fragen, wie diejenige, „ob jeder Mehrheit einzelner Personen gestattet sein soll, sich durch einen constitutiven Act zu einer Gesammtpersönlichkeit ... zusammenzuschließen" und unter welchen Voraussetzungen. Daß der Entwurf diese Frage nicht reichsgesetzlich geregelt habe, sei im Hinblick auf die Idealvereine zu bedauern 152 . Planck machte jedoch zugleich deutlich, daß hierfür entscheidend die Haltung des Bundesrates sei. Wenn dieser seine Vorbehalte gegen eine reichsgesetzliche Lösung aufgebe, so sei es schwer, die Lücke auszufüllen 153 . Gerade Planck ist es schließlich gelungen, die Lücke im Gesetz mit einem Kompromißvorschlag, von dem später zu sprechen sein wird, zu füllen.

c) Die sozialen Topoi in der Diskussion über das

Vereinsrecht

Fast einhellig setzte sich die Kritik am Vereinsrecht des Entwurfs für eine reichseinheitliche Regelung der Entstehung von Körperschaften ein. Diese Frage dem jeweiligen Landesgesetzgeber zu überlassen, erschien als ein Verstoß gegen die Bedürfnisse des Verkehrs und auch gegen das Ziel der privatrechtlichen Rechtseinheit, die als eine logische Konsequenz der nationalen Einigung angesehen wurde. Den meisten Kritikern schwebte nach dem Vorbild verschiedener Einzelgesetze und der Gesetzentwürfe von Schultze-Delitzsch als gesetzliche Regelung ein System von Normativbestimmungen vor Augen, das beispielsweise von Bähr und Rocholl auch ausformuliert worden war. Unter bestimmten Voraussetzungen sollte jede Personenvereinigung eine juristische Person bilden können. Gierke ging über diesen Vorschlag noch hinaus und wollte lediglich die rechtliche Anerkennung einer Körperschaft von solchen Voraussetzungen abhängig machen, was freilich zu keinem praktischen Unterschied geführt hätte. Die Differenz lag nur im Begrifflichen. Für Gierke hatte die Rechtsordnung keine Wahl, ob sie einer Personenvereinigung die Rechtspersönlichkeit zuschreibt oder nicht, weil diese eine Folge des Gemeinschaftsgedankens als Element der Rechtsidee selbst sei. Man könnte auch sagen, daß für Gierke das Privatrecht nur dann die adäquate Einbindung des Individuums in gemeinschaftliche Beziehungen darstellt, wenn es die Existenz der Gesamtpersönlichkeit

152 153

Planck, Zur Kritik, S.335f. Planck, Zur Kritik, S.336.

154

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

anerkennt, die mehr ist als nur die Summe der Einzelpersonen in der Gemeinschaft. Die rechtliche Anerkennung der Körperschaft wäre also vergleichbar mit der Anerkennung der Handlungs- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen. Insbesondere Rosin hat diese Auffassung von Gierke geteilt. Auf dem 19. Deutschen Juristentag war sie mitverantwortlich für das Votum zugunsten des Systems der Normativbestimmungen. Die politischen Argumente der ersten Kommission, die zur Begründung von §42 E I dienten, wurden allgemein verworfen. Nicht nur, daß staatliche Konzessionierung nicht die Entstehung zwielichtiger und gemeinschädlicher Vereine hindern könne, sie wirke auch noch kontraproduktiv auf diejenigen, die ehrliche und nützliche Ziele verfolgten, so hieß es. Zu den sozialen Aufgaben des Privatrechts sollte aber auch die Förderung der Vereine und die Anerkennung ihrer berechtigten Interessen gehören, da sie wirklichen Bedürfnissen des wirtschaftlichen Lebens und des Gemeinwohls dienten. Das war schon insofern sozial, als es gesellschaftlichen Interessen wie zum Beispiel der Hebung der Bildung nützte. Der Aspekt des sozialpolitischen Ausgleichs spielte hier also eine Rolle, da es insbesondere um die Vereine der Arbeiterbewegung ging. „Sozial" bedeutete in diesem Zusammenhang nur indirekt Schutz der Schwachen gegen die Starken - nämlich insofern, als die Forderung des Systems der Normativbestimmungen den Arbeitervereinen und ähnlichen, absichtlich ausgegrenzten Vereinen zu einer Anerkennung verholfen hätte. Dieser politische Effekt wurde allerdings kaum einmal artikultiert. Auch der Drittschutz, der Rechtssicherheit über die Rechtspersönlichkeit eines Vereins verlangte, kann nicht ohne weiteres dem Topos vom Schutz des Schwächeren zugeordnet werden. Gierke, der im Vereinsrecht die wegweisenden Gesichtspunkte der Kritik zur Sprache gebracht hat, benutzte neben dem Gemeinschaftsgedanken als wichtigstes soziales Argument den Freiheitstopos, indem er es verstand, die Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Personenvereinen aus der Vereinigungsfreiheit der einzelnen Individuen abzuleiten. Wenn der Staat öffentlich-rechtlich die Vereinigungsfreiheit garantiere, so erklärte Gierke, dann müsse er diesen Vereinigungen auch die privatrechtliche Anerkennung gewähren. Bis auf den Topos vom Schutz des Schwächeren hatten in der Diskussion über die Ausgestaltung des Vereinsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch also die übrigen sozialen Topoi ihren festen Platz in der Begründung der Kritik, wobei der Gemeinschaftsgedanke deutlich im Vordergrund stand.

3. Vom Entwurf zum

BGB

Im folgenden ist zu überprüfen, ob und wenn ja wie die Anregungen der sozial motivierten Kritik die weitere Gesetzgebung beeinflußt haben. Der äußere Gang der Entstehungsgeschichte der Vorschriften über die Rechtsfähigkeit der Vereine ist von Kögler und Vormbaum sehr detailliert nachgezeichnet worden,

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

155

so daß die Einzelheiten hier nicht wiederholt zu werden brauchen154. Wir werden deshalb anders als die bisherigen Arbeiten unser Augenmerk auf die Auswirkungen der oben geschilderten Diskussion auf die weitere Entwicklung konzentrieren. a) Die Vorkommission (1) Die Grundposition

im der

Reichsjustizamt Vorkommission

Die Vorschläge und Forderungen der Kritik fanden bei der Vorkommission des Reichsjustizamtes155 letztlich in der Hauptsache kein Gehör, obgleich man sich in den Beratungen mit den verschiedenen Äußerungen befaßt hatte156. Ausschlaggebend für das Festhalten an der Verweisung auf das Landesrecht wie im ersten Entwurf waren die politischen Bedenken157. Das öffentliche Vereinsrecht, so hieß es in den Protokollen, gewährleiste nicht, daß keine schädlichen Vereine entstehen könnten. Die politischen Vorteile der entgegengesetzten Regelung hingegen seien gering, da gar nicht so viele Vereine davon betroffen seien158. Immerhin wurde die Frage in der Vorkommission kontrovers diskutiert. Die Gegenseite wies in Ubereinstimmung mit der oben geschilderten Kritik159 auf das Bedürfnis an Rechtssicherheit hin, das insbesondere dritte Personen im Verkehr mit Vereinen hätten160. Dennoch glaubte die Vorkommission, nicht von der durch Gebhard im ersten Entwurf vorgegebenen Linie abweichen zu sollen161. (2) Hilfsüberlegungen

zu einer reichseinheitlichen

Regelung

Die Vorkommission hat nach einer Aussetzung der Beratung über das Vereinsrecht im Januar 1891162 die eigentlichen Verhandlungen über die Entstehung der juristischen Person erst im September 1891 geführt. Zu diesem Zeitpunkt war ihr bereits bekannt, daß die zweite Kommission nicht einheitlich auf dem Standpunkt der Vorkommission, die eine landesgesetzliche Regelung des 154 Kögler; Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn. 24), S. 77ff.; Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 154-194. 155 Deren Existenz ist erstmals von Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn.24), S.78ff., beschrieben worden. 156 Vgl. Sitzung vom 24.9.1891, Prot. RJA, S. 291, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S.241. 157 Zur allgemein-politischen Situation vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 18661918, Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S. 707-709. 158 Prot. RJA, S.292f., in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S.241f. 159 Vgl. etwa oben bei Fn. 151. 160 Prot. RJA, S.294, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S.242f. 161 Prot. RJA, S.295, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S.243 sowie die Hauptanträge von Planck (Nr. 1,6), Börner (Nr. 8,2), Achilles (Nr. 13,1 ), Struckmann (Nr. 22,2), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S.221-225. 162 Prot. RJA, S.23, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.237.

156

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Vereinsrechts entsprechend dem E I beabsichtigte, stehen würde, weil bereits Anträge vorlagen, die eine reichsgesetzliche Lösung anstrebten 163 . U m für den Fall vorbereitet zu sein, daß die Anhänger einer reichseinheitlichen Regelung in der zweiten Kommission eine Mehrheit finden würden, entwickelte die Vorkommission dafür hilfsweise ein Konzept 1 6 4 . In dieser Vorgehensweise zeichnete sich übrigens die für das weitere Verfahren wichtige Trennung der Fragen ab, ob überhaupt eine Bestimmung über die Entstehung juristischer Personen in das Gesetz aufgenommen werden solle und wenn ja, wie diese inhaltlich auszugestalten sei. Während die Vorkommission die erste Frage in der Hauptsache verneinte und nur hilfsweise bejahte, tendierte sie bei der zweiten zum System der Normativbestimmungen mit Registerzwang. So schlug Börner in seinem Eventualantrag, der auf dem bereits in der Hauptkommission von Planck am 6. April 1891 eingebrachten, aber noch nicht behandelten Antrag Nr. 20 1 6 5 aufbaute, eine reichseinheitliche Lösung vor, die wie die Mehrheit der Kritiker des ersten Entwurfs vom System der Normativbestimmungen ausging, aber der Verwaltungsbehörde ein Einspruchsrecht zubilligte 166 . Die Regelung war ziemlich verschachtelt. §41 des Antrags schrieb, vorbehaltlich der Vorschriften der §§57a - 57l, die staatliche Verleihung der Vermögensfähigkeit als Grundsatz vor 167 und entsprach damit dem Konzessionssystem. §57a allerdings nahm die Idealvereine, um die es der Sache nach allein ging, davon wieder aus. Dort hieß es: „Ein Verein, dessen Zweck nicht in einem wirthschaftlichen Geschäftsbetriebe besteht, erlangt die Rechte der Körperschaft (Vermögensfähigkeit) durch Eintragung in das Vereinsregister nach Maßgabe der Vorschriften der § § 5 7 b - 5 7 e " 1 6 8 .

Die zuletzt genannten Paragraphen enthielten die üblichen Normativbestimmungen. Die Eintragung ins Vereinsregister sollte also konstitutive Bedeutung Vgl. Prot. RJA, S.295, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.243. Detailliert dazu Kögler; Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn. 24), S. 94-97; Hans Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt am Main 1995, S.271, meint, die Vorkommission habe auch deshalb die Hilfsüberlegungen angestellt, weil der im Februar 1891 an die Spitze des Reichsjustizamtes getretene Staatssekretär Bosse die reichseinheitliche Regelung bevorzugt habe. 1 6 5 Antrag Planck (Nr. 20), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 254-256. Die 2. Kommission hatte die Behandlung des Vereinsrechts mehrfach aufgeschoben, um eine Stellungnahme Preußens zur Frage einer reichseinheitlichen Regelung abzuwarten, vgl. die Berichte über die 6. Sitzung am 5. April 1891 und die 42. Sitzung am 12. Oktober 1891, in: Jakobs/ Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 252f. Die sachliche Behandlung des Vereinsrechts begann schließlich am 30. November 1891. 163

164

166 Antrag Börner (Nr. 68), in: Jakobs/Schubert, Beratung, AllgemeinerTeill,S.227f.-Entgegen Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie F n . 2 4 ) , S . 1 6 2 F n . 8 1 1 , hat Schubert die Anträge Nr. 68-74 als Gegenstände der Verhandlungen der Vorkommission identifiziert. Bei Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn. 24), S.96, wird nicht so recht klar, daß Planck zunächst schon bei der Hauptkommission einen Antrag eingebracht hatte, der nun - Monate später - in der Vorkommission durch Börner modifiziert worden ist. 167 168

Antrag Börner (Nr. 68), in: Jakobs/Schubert, Antrag Börner (Nr. 68), in: Jakobs/Schubert,

Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 227. Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 227.

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

157

haben und nicht nur - wie es Gierke vorgeschlagen hatte - deklaratorisch wirken. Nicht unwichtig war aber das in § 57h angeregte Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörde. Das Amtsgericht mußte nach § 57g den Antrag auf Eintragung nach der Sachprüfung der Verwaltungsbehörde vorlegen, damit diese prüfen konnte, ob sie von ihrem Einspruchsrecht nach §57h Gebrauch machen wollte 169 . §57h erlaubte den Einspruch, „wenn der Verein einen politischen oder religiösen Zweck hat. Bei einem anderen Verein ist Einspruch nur zulässig, wenn eine Gefährdung des Gemeinwohls durch denselben zu besorgen ist" 1 7 0 .

Vereine mit politischem oder religiösem Zweck konnte die Behörde demnach ohne weitere Begründung von der Eintragung ausschließen. Bedenkt man die politische Entwicklung in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, so richtete sich das ganz offensichtlich gegen die Sozialdemokraten und die katholische Kirche, deren Wirken je auf seine Weise vom Reich als Hindernis beziehungsweise Gefährdung der nationalen Einigung angesehen wurde. Mit Hilfe von § 57h wurde also das System der Normativbestimmungen ausgehöhlt und eine indirekte Konzessionierung eingeführt, die nur bei solchen Vereinen wie etwa Taubenzucht- oder Schrebergartenvereinen nicht möglich war, die auch sonst keine Schwierigkeiten beim Erwerb der Konzession gehabt hätten. Obgleich also der Hilfsantrag Börners auf den ersten Blick den Eindruck erweckte, als habe er die Forderung der Kritiker nach Einführung eines Systems von Normativbestimmungen aufgegriffen, hält dieser Eindruck einer Nachprüfung nicht stand. Der Form nach handelte es sich zwar um ein solches System, der Wirkung nach aber stand es dem Konzessionssystem näher. Dasselbe gilt auch von dem Antrag Gebhards, der in ähnlicher Weise wie Börner hilfsweise den Verwaltungsbehörden ein Einspruchsrecht zugestehen wollte 171 . Weitergehend als Börner schlug Gebhard allerdings vor, den Einspruch gegen politische und religiöse Vereine nur aus Gründen der „öffentlichen Wohlfahrt" zuzulassen172. Wie eine Mischung aus den Anträgen von Börner und Gebhard liest sich schließlich die entsprechende Bestimmung im Antrag von Achilles173, die aber sachlich nichts neues brachte. Ende September 1891 entschied sich die Vorkommission schließlich für den Fall, daß eine Mehrheit der 2. Kommission die reichseinheitliche Regelung verlange, im Sinne dieser Anträge gegen das Konzessionssystem zugunsten des Systems der Normativbestimmungen mit Registerzwang, jedoch mit der oben

Antrag Börner (Nr. 68), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 228. Antrag Börner (Nr. 68), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 228. 171 Antrag Gebhard (Nr. 69), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.229ff., dort insbesondere §57a und §57i. 172 § 57i Antrag Gebhard (Nr. 69), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 230. 173 § g Antrag Achilles (Nr. 70), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.233. 169

170

158

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

dargestellten Einschränkung durch das Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörde174. Interessant ist vor allem die Begründung für die Entscheidung gegen das Konzessionssystem. Die Protokolle nahmen dazu Bezug auf konkrete Stellen in den Motiven und der Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen175. Für unseren Zusammenhang ist die an zweiter Stelle genannte Bezugnahme von Bedeutung. Die Zusammenstellung referierte nämlich dort insbesondere die Argumente der oben behandelten Kritik von Gierke, Rosin und Schilling, also Gründe, die, vor allem aus dem von Gierke geprägten Gemeinschaftsgedanken resultierten. Danach sprach vor allem folgendes gegen das Konzessionssystem176: Erstens, so hieß es dort, widerspreche es der modernen Rechtsentwicklung und den deutschnationalen Anschauungen, es sei uraltes deutsches [das heißt in der Terminologie Gierkes zugleich „soziales", T.R.] Recht. Zweitens sei die Rechtssubjektivität menschlicher Gemeinwesen eine notwendige Konsequenz der Rechtsidee. Deshalb verdanke die Verbandspersönlichkeit ihr Dasein ebensowenig wie ein Einzelmensch dem Recht. Drittens bestehe ein dringendes Verkehrsbedürfnis, die Rechtspersönlichkeit der Vereine anzuerkennen. Die Lebenswirklichkeit gerate sonst immer mehr in einen Widerspruch zur rechtlichen Beurteilung. Viertens seien die sozialpolitischen Erwägungen der Motive nicht überzeugend und fünftens treffe es nicht zu, daß es nicht möglich sei, für alle Vereine passende Normativbestimmungen aufzustellen, weil diese nur rein formaler Natur sein dürften. Aus der Tatsache, daß die Vorkommission sich die geschilderten Argumente der Kritik zu eigen gemacht hat, um die Ablehnung des Konzessionssystems zu begründen, ist zu schließen, daß die sozial motivierte Kritik mindestens insofern erfolgreich war. Das Konzessionssystem konnte von diesem Augenblick an als erledigt gelten, wenngleich man aber nicht übersehen darf, daß die Vorkommission durch das geschilderte Einspruchsrecht der Behörde das System der Normativbestimmungen in starkem Umfang entwertet und dem Konzessionssystem angeglichen hat. Gegenüber der Situation in der ersten Kommission war man aber der Verwirklichung des Gemeinschaftsgedankens immerhin schon einen Schritt näher gekommen. Hätte die Vorkommission das Argument, daß die Rechtspersönlichkeit der Personenverbände unmittelbar aus der Rechtsidee folge, ganz Ernst genommen, hätte sie allerdings zur freien Körperschaftsbildung im Sinne Gierkes kommen müssen, denn der Registereintrag konnte dann keine konstitutive Wirkung haben. So weit wollte die Vorkommission aber nicht gehen mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit, weil im Verkehr eindeutig feststehen müsse, ob ein Verein eigene Rechtsfähigkeit besitze177. Abweichend von den geschilderten Hilfsanträgen machte die Vorkommission in dem hier in Rede stehenden Paragraphen keinen Gemeinwohlvorbehalt 174 175 176 177

Prot. RJA, S.295f., in: Jakobs/Schubert, Prot. RJA, S.295, in: Jakobs/Schubert, Das folgende nach Zusammenstellung, Prot. RJA, S.296, in: Jakobs/Schubert,

Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.243. Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.243. Bd. 1, S. 73-76. Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.243.

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

159

für den Einspruch der Verwaltungsbehörde mehr. Statt dessen wurde das Einspruchsrecht folgendermaßen formuliert: „§57h. Die Verwaltungsbehörde kann gegen die Eintragung Einspruch erheben, wenn der Verein nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt ist, oder wenn er politischen oder religiösen Zwecken dient. ..." 1 7 8

Wenn man bedenkt, daß selbst Kritiker des Entwurfs wie Gierke die politischen oder religiösen Vereine von der allgemeinen Regel ausnehmen wollten und daß auch nach deren Vorstellungen nur „rechtsbeständige" Vereine, also solche, die nach öffentlichem Recht zulässig waren, rechtsfähig sein sollten, war dem Anliegen der Kritik von der Vorkommission - hilfsweise - in sehr großem Umfang Rechnung getragen. Festzuhalten ist, daß die Vorkommission grundsätzlich bei der vom ersten Entwurf vorgegebenen Regelung bleiben wollte 179 . Darüber hinaus hat sie aber hilfsweise Regeln für den Fall entwickelt, daß im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Überlassung der Materie an den Landesgesetzgeber nicht beibehalten werden könnte. (3) Erfolg der

Kritik?

Fragt man, ob sich die Kritik in der Vorkommission durchzusetzen vermocht hat, so ist zu differenzieren zwischen den beiden Problemen, erstens ob überhaupt eine reichseinheitliche Lösung gefunden werden und zweitens wie diese inhaltlich zu gestalten sein solle. Für das erste Problem ist die Frage klar zu verneinen. Die Vorkommission blieb entgegen den Vorstellungen der Kritik auf dem Standpunkt des ersten Entwurfs, der die Regelung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen dem Landesgesetzgeber überlassen wollte. Etwas anderes gilt für das zweite Problem. Wenn es zu einer reichseinheitlichen Regelung kommen sollte, dann sollte nicht das von Gebhard und der ersten Kommission favorisierte Konzessionssystem, sondern das von der Kritik mehrheitlich geforderte System der Normativbestimmungen mit Registerzwang eingeführt werden, zu dessen theoretischer Begründung der Gemeinschaftsgedanke in seiner Ausprägung im Begriff der Gesamtpersönlichkeit gehörte. Das einzige Zugeständnis an die Anhänger des Konzessionssystems in den Regierungskreisen war die geplante Einführung eines behördlichen Einspruchsrechts. In dieser Phase des Gesetzgebungsverfahrens war der Einspruch allerdings noch beschränkt auf die Fälle, über die weitgehend Einigkeit zwischen der konservativen Seite und den Kritikern des Entwurfs bestand.

178 Prot. RJA, S.303, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.247. - In den hier nicht wiedergegebenen Absätzen 2 und 3 befanden sich Verfahrensregeln. 179 Prot. RJA, S.24, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.237.

160 b) Die zweite

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Kommission

Die zweite Kommission war angesichts der heftigen Kritik am Vereinsrecht des E I vor die Frage gestellt, ob sie versuchen sollte, zu einer reichseinheitlichen Lösung zu gelangen. Dagegen sprach allerdings die Reserviertheit mehrerer Bundesregierungen, insbesondere die ablehnende Haltung Preußens. Zweimal wurden die Verhandlungen der Kommission über das Vereinsrecht vertagt, um regierungsamtliche Stellungnahmen abzuwarten und Zeit zu gewinnen180. Entscheidende Bedeutung für die Vereinbarung der widerstreitenden Interessen gewann die Behandlung einer auf den ersten Blick zweitrangig erscheinenden Verfahrensfrage. In der Sitzung am 30. November 1891 wurde nämlich „von einer Seite"181 vorgeschlagen, die Reihenfolge der Fragen, ob und wie das Vereinsrecht reichseinheitlich geregelt werden solle, auszutauschen. Man solle, so hieß es, sich erst darüber verständigen, wie die Bestimmungen inhaltlich gestaltet werden sollten, bevor man über die Frage, ob man eine einheitliche Lösung wolle, eine Entscheidung treffe. So sei es dann leichter, die zweite Frage zu entscheiden, weil man abschätzen könne, welche konkreten Auswirkungen sie haben werde182. Die Kommission beschloß daraufhin, in dieser Weise vorzugehen und erörterte zunächst eventualiter die konkreten Bestimmungen über die Entstehung juristischer Personen, die der erste Entwurf noch dem Landesgesetzgeber überlassen wollte183. Grundlage dieser Verhandlungen waren drei Anträge184, einer von Sobm, einer von Hoffmann und schließlich der auf den Beschlüssen der Vorkommission beruhende Antrag von Börner und Planck. (1) Antrag A - Freie

Körperschaftsbildung

Sobm hatte beantragt, daß „alle rechtmäßig bestehenden Vereine mit körperschaftlicher Verfassung ... als solche rechtsfähig" sein sollten. Die Eintragung des Vereins in ein Register sollte nur nötig sein, um die Grundbuchfähigkeit zu erlangen. Eintragungsvoraussetzung sollte sein, daß eine Satzung mit einigen Pflichtbestandteilen dem Register vorgelegt wurde185. Dieser Antrag stimmte also vollständig mit den geschilderten186, auf dem Gemeinschaftsgedanken beZu den Einzelheiten vgl. Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 163f. Leider ist nicht bekannt, wer diesen Einfall gehabt hat; es würde nicht überraschen, wenn Planck die Anregung gegeben haben würde. 182 Prot. II, Bd. 1,S. 490. 183 In dieser Beratungsphase äußerte der Düsseldorfer Staatsanwalt Cornelius Cretschmar im Namen des Niederrheinischen Bezirksvereins Deutscher Ingenieure die Auffassung, die reichseinheitliche Regelung sei unbedingt wünschenswert: Cornelius Cretschmar; Besprechungen der zweiten Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, in: AcP 81 (1893), S. 146-176, hier S. 147. 184 Mitgeteilt in Prot. II 1, S. 476-490 sowie in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 256-267. 185 §§ a, b Antrag Sohm (Nr. 24), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 256f. 186 Vgl. oben S. 147ff. 180 181

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

161

ruhenden Vorstellungen Gierkes überein, die auch den Beschluß des 19. Deutschen Juristentages bestimmt hatten. Sohm meinte zur Begründung, die freie Körperschaftsbildung entspreche allein der von der Rechtsprechung gebilligten Praxis. Überall im Reich würden Vereine unabhängig von ihrer Anerkennung als juristische Person aufgrund der - von Beseler und Gierke entwickelten - Genossenschaftstheorie als prozeßfähig angesehen. Um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, würden diese Gebilde „Genossenschaft" genannt. Die reichsrechtliche Anerkennung der freien Körperschaftsbildung vollzöge demnach nur im Gesetz, was sich in der Praxis längst festgesetzt habe. Sofern der Gesetzgeber die sozialdemokratischen Fachvereine mit der Vorenthaltung der juristischen Persönlichkeit treffen wolle, benutze er ein für sein politisches Ziel ungeeignetes Instrument, weil sich die Fachvereine daran kaum störten. Im übrigen gebiete es die Gerechtigkeit, den Arbeitern nicht vorzuenthalten, was den Arbeitgebern gewährt werde187. Alle diese Argumente sind aus der Diskussion um den E I bereits bekannt. Wir haben es mit einem der seltenen Fälle zu tun, daß die Diskussion so unmittelbar in einen Antrag im Gesetzgebungsverfahren umgesetzt und mit den aus der Diskussion entlehnten Argumenten auch noch begründet worden ist. Der Einfluß Gierkes auf den Antrag A von Sohm ist jedenfalls mit Händen zu greifen. Neben dem Gemeinschaftsgedanken hatte für Sohm in diesem Zusammenhang die soziale Freiheit besondere Bedeutung, die hinter dem Gerechtigkeitsargument stand. Denn er verlangte für die Arbeiter dieselbe Freiheit, rechtsfähige Vereine zu bilden, wie für die Arbeitgeber. (2) Anträge B und C- System von mit Einspruchsrecht

Normativbestimmungen

Die beiden anderen Anträge B von Hoffmannm und C von Börner und Planckm schlugen ein nur in Nuancen unterschiedliches System von Normativbestimmungen vor. Das Konzessionssystem fand keine Befürworter mehr. Man sah es als rückschrittlich an und meinte, in der gegenwärtigen Lage seien den Vereinen auf sozialpolitischem Gebiet Aufgaben zugewachsen, zu deren Bewältigung die Vereine freie Selbstbestimmung ohne staatliche Bevormundung benötigten 190 . Mit diesem Argument setzte sich die Kommission freilich später selbst in Widerspruch, indem sie für Vereine mit sozialpolitischen Zielen den Behörden ein umfassendes Einspruchsrecht einräumte, das praktisch einer Konzessionierung gleichkam191. Prot. II 1,S. 477-479. Antrag Hoffmann Nr. 98, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 258-260. 189 Antrag Börner Nr. 1, Planck Nr. 125, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 260-267. 190 Prot. II 1, S. 491 f. 191 Vgl. §55 I E II: „Die Verwaltungsbehörde kann gegen die Eintragung Einspruch erheben, wenn der Verein nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt ist oder verboten werden kann oder wenn er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt." 187 188

162

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Ausgangspunkt der Beratungen wurde der Antrag C von Börner und Planck192, der das System der Normativbestimmungen für Vereine mit idealen Zielen vorsah. Die freie Körperschaftsbildung wurde nicht zuletzt aus Praktikabilitätsgründen abgelehnt, weil anderenfalls die Abgrenzung zur Gesellschaft schwer überprüfbar sei, die für den Verkehr aber erforderlich sei193. Die Beschränkung auf die Idealvereine wurde damit begründet, für andere Vereine sei im Wege der Spezialgesetzgebung schon weitgehend gesorgt194. Die im Antrag C vorgeschlagenen Bestimmungen fanden fast alle ohne tiefgreifende Änderungen die Zustimmung der Kommission. Umstritten war allerdings das Einspruchsrecht der Behörde nach § 57h des Antrags195. Zum Teil versuchte man, die Einspruchsmöglichkeiten der Behörde zu vergrößern. So beantragte Wilhelm Rüger, außer den politischen und religiösen Zwecken auch noch die „sozialpolitischen" einzuschließen196, während Gustav von Mandry diese Vorbehalte gänzlich streichen wollte 197 . Die Kommissionsmehrheit entschied sich für diejenige Fassung, die der Behörde das umfangreichste Einspruchsrecht gewährte198. Die Begründung dafür war, daß man die politischen Vorbehalte gegen eine reichseinheitliche Regelung zerstreuen wolle, gleichgültig wie man diese Bedenken nun beurteile199. Vor allem Preußen hatte sich noch unmittelbar zuvor ablehnend gegenüber der reichseinheitlichen Festlegung eines Vereinsrechts ausgesprochen200. Man müsse, so ist in den Protokollen ausgeführt, die Chance, im Kompromißwege eine Lösung zu finden, nutzen, weil sonst im Reichstag schwierige Verhandlungen drohten 201 . Die Kommission selbst meinte, daß es mit der gewählten Regelung für die religiösen und politischen Vereine „bei einer dem Konzessionssysteme gleichartigen Gestaltung" bleibe 202 . Ahnlich äußerte sich auch Gebhard gegenüber der badischen Regierung, der davon sprach, der für die Vereine angestrebte Rechtsschutz löse sich infolge des Einspruchsrechts „im wesentlichen in Schein auf" 203 .

Prot. II 1, S.491. Prot. II 1, S.494f. 194 Prot. II 1, S.497. 195 Vgl. die übereinstimmende Regel im Beschluß der Vorkommission oben S. 159 bei Fn. 178. 196 Antrag Rüger, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.295. 197 Antrag von Mandry, Nr. 129, 3a, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.294 Fn. 78. So der Hauptsache nach auch der Antrag von Hoffmann (Nr. 136,2), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.295. 198 p r o t i i S.560. Zu den Mehrheitsverhältnissen vgl. Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 170f. 199 Prot. II 1, S.561. 200 yg] j e n Bericht des Vorsitzenden der 2. Kommission in der Sitzung vom 30. November 1891, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.253. 201 Prot. II 1, S.561. 202 Prot. II 1, S.562. 203 Schreiben vom 4.10. 1891, hier zitiert nach Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 172; ebenso: Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn. 24), S. 97. 192

193

II. Die Entstehung

(3) Befürwortung

der Rechtsfähigkeit

einer reichseinheitlichen

juristischer

Personen

163

Regelung

Nach der zunächst eventualiter erörterten Frage der Ausgestaltung des Vereinsrechts blieb für die Kommission noch vorrangig zu entscheiden, ob überhaupt eine reichseinheitliche Regelung anzustreben sei. Anders als die erste Kommission entschied sich die zweite Kommission mit vierzehn zu neun Stimmen für die reichseinheitliche Lösung204. Beide Seiten wiederholten die schon in der ersten Kommission und später in der Kritik vorgetragenen Argumente für und wider eine solche Entscheidung. Die Befürworter des reichseinheitlichen Vereinsrechts hielten dieses für ein Gebot der Gerechtigkeit und ein Bedürfnis des Rechtsverkehrs, dessen Befriedigung dem Gemeinwohl nützlich sein werde. Auch das Gutachten der Vorkommission von 1874 habe ein einheitliches Recht der juristischen Personen empfohlen205. Die Gegner hielten die Einheitslösung für unzweckmäßig und politisch bedenklich. Im übrigen bestehe auch kein wirkliches Bedürfnis206. Auch die Minderheit versuchte also, die Autorität des Gutachtens der Vorkommission in ihren Dienst zu stellen und bemühte die im Kapitel 3 besprochene „Bedürfnis-Formel"207 für ihre Ziele. Mit der sozialen Aufgabe des Privatrechts hatte, wie die Position der Kritiker gezeigt hat, die Haltung der Minderheit nichts zu tun. Das stützt die These, daß die Berufung auf Zweckmäßigkeit und Bedürfnisse nichts als eine Blankettformel war, die hier nicht im sozialen Sinne der Kritik gefüllt wurde. (4) Was bleibt vom Erfolg der Kritik f Stellt man die Selbsteinschätzung der Beteiligten in Rechnung, so fragt sich, ob man angesichts des beschlossenen Einspruchsrechts der Behörden überhaupt von einem Erfolg der Kritik am ersten Entwurf sprechen kann. Die skeptischen Stimmen auch in der neueren Literatur überwiegen. Vormbaum bezeichnet den Erfolg als „gering"208. Wenn man auf die unmittelbar praktischen Konsequenzen für das Vereinsleben um die Jahrhundertwende schaut, dürfte diese Bewertung zutreffen. Dennoch scheint es berechtigt, in der Einführung des Systems der Normativbestimmungen einen echten Erfolg und damit einen Fortschritt im Sinne der Kritik zu sehen. Die Berechtigung dazu resultiert aus dem prinzipiell unterschiedlichen begrifflichen Ansatz. Anders als der erste Entwurf ging nun der zweite prinzipiell davon aus, daß Vereine bei Erfüllung der formalen normativen Voraussetzungen die Rechtsfähigkeit erlangen. Wenigstens der Grundgedanke entsprach damit den Vorstellungen der Kritiker, die - beeinflußt durch die Genossenschaftstheorie - genau darauf hinaus wollten.

204 205 206 207 208

Prot. 112, S. 578. Prot. 112, S.578f. Prot. 112, S.579f. Vgl. oben S. 109. Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 172.

164

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Das haben auch schon die damaligen Zeitgenossen so gesehen209. Politisch war zwar das Einspruchsrecht der Behörde von großer Bedeutung, doch dogmatisch konnte man es als Ausnahmefall auffassen. c) Die Kritik am zweiten

Entwurf

Im Vergleich zu den sonstigen Materien des Bürgerlichen Gesetzbuchs begleitete die Fachöffentlichkeit die weitere Genese des Vereinsrechts in ungewöhnlich umfangreichem Maße und mit großem Engagement, was deshalb einen eigenständigen Abschnitt erfordert. Anders als zu den meisten anderen Kritikpunkten210, gab es in diesem Falle eine nicht abreißende Flut von Stellungnahmen - wohl auch deshalb, weil die Änderung gegenüber dem ersten Entwurf als eine der wichtigsten angesehen wurde211 und hier politische, sozialpolitische und religiöse Interessen neben den juristischen eine Rolle spielten. Vormbaum hat die Äußerungen zum Vereinsrecht im zweiten Entwurf übersichtlich zusammengefaßt212, so daß wir uns auch hier im wesentlichen damit begnügen können, den sozialen Aspekt herauszugreifen, ohne das Umfeld schildern zu müssen. (1) Zustimmung zur Grundentscheidung

der zweiten

Kommission

Allgemeine Zustimmung erhielt die Entscheidung des zweiten Entwurfs, das System der Normativbestimmungen dem Titel über die juristischen Personen zugrunde zu legen213. Leonhard verteidigte im übrigen auch die Entscheidung 209 Vgl. etwa den Hinweis von Wilke in einem Diskussionsbeitrag auf dem 23. Deutschen Juristentag [Verhandlungen, Bd.2, Berlin 1895, S. 41]. 2 1 0 Vgl. Werner Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des B G B über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des B G B , Berlin 1966, S. 51. 211 Vgl. die Nachweise S.127 in Fn.25. 212 Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 175-183. 213 Eduard Holder, Der allgemeine Theil des deutschen Civilgesetzentwurfes in zweiter Lesung, in: AcP 80 (1893), S. 1-62, hier S. 17; Otto Gierke, Das Bürgerliche Gesetzbuch und der Deutsche Reichstag, Berlin 1896, S. 48 [er hätte allerdings das System der freien Körperschaftsbildung vorgezogen]; Ludwig Fuld, Die Stellung der juristischen Personen im zweiten Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs, in: AcP 85 (1896), S. 134-147, hier S. 134f. [freilich bezeichnete Fuld die Entwurfsregelung als System „freier Körperschaftsbildung", ergänzt durch das Prinzip der Normativbestimmungen, S. 138]; Adrian Bingner, Bemerkungen zu dem zweiten Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht 3 (1893), S. 270-296, hier S.276; Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn.25), S.393; Emil Strohal, Bemerkungen zum Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich in zweiter Lesung, in: JherJb 34(1895), S. 325-376, hier S. 334 [er befürwortete zwar die materielle Seite des Vereinsrechts im E II, plädierte aber für eine Verlagerung des Inhalts in ein eigenständiges Reichsvereinsgesetz, weil die Materie zu sehr der Wandlung unterworfen sei; tatsächlich betrafen von den ersten sechs Änderungen des Gesetzes immerhin drei das Vereinsrecht, vgl. das Register in: Staudinger/7i/miiM Repgen u.a., BGB-Synopse 1896-2000: Gesamtausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs von seiner Verkündung 1896 bis 2000 mit sämtlichen Änderungen im vollen Wortlaut in synoptischer Darstellung, Neubearbeitung 2000, Berlin

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

165

des E n t w u r f s , nicht allen Vereinen ohne weiteres die Rechtsfähigkeit zu gewähren, wenngleich er die Berücksichtigung politischer Vereine in diesem Zusammenhang f ü r etwas einseitig hielt und - ähnlich w i e schon f r ü h e r Ring an die Erfahrungen der G r ü n d e r z e i t mit wirtschaftlichen Vereinen erinnerte 2 1 4 . U n d Endemann meinte, daß das Einspruchsrecht politisch im A u g e n b l i c k n o t w e n d i g sei, u m den L a n d e s b e h ö r d e n die A u f s i c h t ü b e r die Vereine zu erhalten, die die Regierungen n u n einmal w ü n s c h t e n 2 1 5 .

(2) Ablehnung

des Einspruchsrechts

der

Behörden

Im Z u s a m m e n h a n g mit der Regelung der juristischen Person im z w e i t e n Entw u r f griffen die meisten K r i t i k e r v o r allem das - v o m Bundesrat später auch n o c h erweiterte - Einspruchsrecht der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e gegen die Eintragung v o n Vereinen und mitunter auch das mit d e m Einspruchsrecht k o r r e s p o n dierende A u f l ö s u n g s r e c h t an 2 1 6 . K a u m ein Verein v e r f o l g e nicht irgendwie sozialpolitische Ziele, so w e n d e t e n manche ein 2 1 7 . D e n n , so Gierke, jede E i n w i r kung auf das gesellschaftliche Leben sei Sozialpolitik 2 1 8 . Fuld kritisierte die Schwierigkeit der A b g r e n z u n g v o n gemeinnützig und sozialpolitisch 2 1 9 . Gierke stellte z w a r fest, der zweite E n t w u r f habe den Bestimmungen über die juristi1999, S. XVII]; Rudolf Leonhard, [Gutachten:] Sind die Grundsätze des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuchs II. Lesung über eingetragene Vereine zu billigen?, in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1895, S. 249-276, hier S. 254; Theodor Lesse, [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Bd.2, Berlin 1895, S . 3 8 ^ 1 , insbesondere S. 40; Ludwig Enneccerus, [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen (wie zuvor), S.5157, hier S.52, 56. 1895, in: Verhandlungen (wie zuvor), Ebenso der Beschluß des 23. Deutschen Juristentages S. 65: „Die Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches zweiter Lesung über die eingetragenen Vereine sind im Wesentlichen zu billigen, namentlich ist die Wahl des Systems der Normativbedingungen mit Registerzwang anzuerkennen. Das Einspruchsrecht gegen die Eintragung politischer, socialpolitischer und religiöser Vereine, sowie die behördliche Auflösung der Vereine bedürfen einer Veränderung oder Klarstellung, indem den Vereinen gegen ungerechtfertigte Einsprüche oder Auflösungen ein wirksamerer Schutz zu gewähren ist." 214 Leonhard, Gutachten für den 23. DJT 1895 (wie Fn.213), S.257 sowie ders., [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Bd.2, Berlin 1895, S.45-51, hier S.48f. 215 Friedrich Endemann, Die rechtliche Stellung der juristischen Personen, insbesondere der Vereine nach dem Entwürfe des bürgerlichen Gesetzbuches, in: Preußisches Verwaltungs-Blatt 17 (1895/96), S. 205-207, hier S.206. 216 Anders allerdings z.B. Bingner, Bemerkungen zu dem zweiten Entwürfe (wie Fn.213), S. 276, der das Einspruchsrecht als eine „annehmbare und befriedigende Lösung" bezeichnet hat, sowie Levy, [Korreferat zur Frage:] Sind die Grundsätze des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuchs II. Lesung über eingetragene Vereine zu billigen?, in: Verhandlungen des 23. Deutscher Juristentages, Bd.2, Berlin 1895, S.22-37, hier S.37. 217 Gierke, Reichstag (wie Fn. 213), S. 50; Holder, Der allgemeine Theil (wie Fn. 213), S.21; Leonhard, Gutachten für den 23. DJT 1895 (wie Fn.213), S.269. 218 Gierke, Referat für den 23. DJT (wie Fn.25), S. 18. 219 Fuld, Die Stellung der juristischen Personen (wie Fn.213), S. 136f.

166

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

sehen Personen ein „sozialeres Gepräge" gegeben220, aber aufgrund des Einspruchs- und Auflösungsrechts der Verwaltungsbehörde handele es sich um „ein verschleiertes Konzessionssystem"221. Die politische Zielrichtung gegen die Arbeitervereine sei nur allzu offensichtlich. Ein Ausnahmerecht zu Lasten der Arbeiter sei zugleich ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit und gegen eine vernünftige Sozialpolitik, wenn man Sozialrevolutionäre Bewegungen verhindern wolle 222 . In seinem Referat für den 23. Deutschen Juristentag hat Gierke diesen Gedanken näher erläutert: Es bestünde doch stets die Möglichkeit, beispielsweise eine Aktiengesellschaft zu gründen, um die Körperschaftsrechte zu erlangen. Wenn die Gewerkvereine dies nicht täten, so offenbar, um Stoff zu Klagen über die Beschränkung der Vereinsfreiheit zu haben223. Es sei, so Gierke, eine „Versündigung an unserem deutschen Genossenschaftsgeiste, an unserem deutschen Associationswesen, dem größten Hebel der germanischen Weltherrschaft", die Vereine zu idealen Zwecken derartig einzuschränken, Handelsgesellschaften aber zu jedem Zweck zuzulassen224. Die beabsichtigte Behinderung der Arbeitervereine hielt er für einen „verderblichen Mißgriff", der das Rechtsleben und auch die gesellschaftliche Entwicklung schädigen werde225. In Gierkes Augen war der Fortschritt also nur ein hohler Schein, ein Täuschungsmanöver. Die wahre Natur des Vereinsrechts im zweiten Entwurf war seiner Meinung nach nicht besser als zuvor226. Nebenbei sei bemerkt, daß Gierke in seiner Beurteilung des zweiten Entwurfs zwar seltener in scharfe Polemik verfallen ist als in seiner Kritik am E I, doch wäre es verfehlt, daraus auf eine insgesamt günstigere Bewertung des E II durch Gierke zu schließen, wie es gelegentlich geschieht227. Gierke war der MeiGierke, Reichstag (wie Fn.213), S.48. Gierke, Reichstag (wie Fn. 213), S. 49; ders., Referat für den 23. DJT1895 (wie Fn. 25), S. 20; ders., [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages (wie Fn. 25), S. 64. Der Sache nach ebenso: Paul Oertmann, Das bürgerliche Gesetzbuch im Deutschen Reichstag, in: Archiv für bürgerliches Recht 11 (1896), S. 1-25, hier S.24. 222 Gierke, Reichstag (wie Fn.213), S.50f.; ders., Referat für den 23. DJT 1895 (wie Fn.25), S.21. 223 Gierke, Referat für den 23. DJT 1895 (wie Fn.25), S.20f. 224 Gierke, Referat für den 23. DJT 1895 (wie Fn.25), S.21. 225 Gierke, [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages (wie Fn.25), S.63. Ahnlich auch Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn.36), S.752f. sowie Hermann Jastrow, Zur Plenarberathung des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Die Rechtsfähigkeit der Vereine, in: Soziale Praxis 5 (1895/95), Sp. 1013-1018, hier Sp. 1015f. 226 Ahnlich in der Bewertung auch Hermann Jastrow, Die geschäftliche Behandlung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Reichstag, in: Soziale Praxis 5 (1895/96), Sp. 385-391, hier Sp. 388 sowie ders., Der neueste Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, in: Soziale Praxis (wie zuvor), Sp. 481^186, hier: Sp.482f., 484. 227 So etwa: Helga Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft. Kritische Darstellung der Sozialrechtslehre Otto von Gierkes, Frankfurt am M a i n - B e r n 1982, S. S8L; Harald Kindermann, Rechtliche Regelungen als Resultat gesellschaftlicher Konflikte, dargestellt an zwei Beispielen aus der Entstehungsgeschichte des BGB, in: Studien zur Theorie der Gesetzgebung, hrsg. von Jürgen Rödig, Berlin - Heidelberg - New York 1976, S. 550-574, hier S. 569, hat die im Text ausgeführten Einlassungen verkannt, als er die These aufstellte, es sei gerade Gierke 220

221

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

167

nung, daß auch der zweite Entwurf besser nicht zum Gesetz würde. Bewertungen wie die obige zeigen das deutlich. Auch Johannes Conrad kritisierte in scharfer Weise das Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden, insbesondere soweit es die sozialpolitischen Vereine betreffe. Berlin zähle über 250 Wohltätigkeitsvereine, Halle mit 100.000 Einwohnern immerhin 73. Einem dieser Hallenser Vereine sei seit Jahren die Rechtsfähigkeit vorenthalten worden, so daß er ein großes Vermächtnis bislang nicht habe annehmen können. Einen Zweck könne er in der Behinderung der Arbeit solcher Vereine gar nicht erkennen, weil es hier nicht auf die politische Gesinnung der Mitglieder, sondern auf ihren Gemeinsinn ankomme228. Weitere Beispiele von wissenschaftlichen Vereinen, Turnvereinen etc. folgten. Insbesondere aber die Behinderung der Arbeitervereine sei unnatürlich und beklagenswert. Der Buchdruckerverein zahle zum Beispiel jährlich bis zu 1 Mill. Reichsmark als Arbeitslosenunterstützung aus229. Die Vereinsfreiheit sei ein notwendiges Korrelat zur Gewerbefreiheit. Die Gerechtigkeit fordere, den Arbeitern zu ermöglichen, was die Arbeitgeber längst hätten230. Die Vorenthaltung der Korporationsrechte sei aber völlig ungeeignet, um die Entwicklung der Arbeitervereine aufzuhalten. Die Gewährung solcher Rechte hingegen ermögliche ihnen leichter, eine konstruktive Haltung einzunehmen, wie die Erfahrungen in England und Frankreich zeigten231. Die Vorenthaltung der Rechtsfähigkeit führe auch allenfalls zur Umgehung der Probleme durch eigentlich unpassende juristische Konstruktionen. Ein Beispiel gab Leonhard, der davon berichtete, daß zahlreiche Studentenverbindungen einen „alten Herrn" als Eigentümer des Verbindungshauses pro forma vorschöben oder einige der Mitglieder eine Aktiengesellschaft mit dem Zweck gründeten, das Haus der Verbindung zu besitzen232. Daß das Vereinsrecht des zweiten Entwurfs nicht zwingend so bewertet werden mußte, zeigen die weitaus günstigere Beurteilung durch Fuld213 und die gegewesen, der das Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden befürwortet habe. Das Einspruchsrecht hatte im sächsischen Vereinsrecht sein Vorbild und wurde von vielen Seiten befürwortet (vgl. die Nachweise oben S. 145 in Fn. 109). Gierke zeigte sich im Zusammenhang mit dem Vereinsrecht nicht als ein typischer Vertreter der Interessen des deutschen Bürgertums [so aber Kindermann (wie zuvor)], denn er vertrat die Interessen der Arbeiterschaft, indem er sich für eine konzessionsfreie Zulassung von Gewerkschaften einsetzte. Gierke wollte vom Gesetzbuch polizeiliche Aufgaben fernhalten, wie er übrigens auch schon auf dem 19. Deutschen Juristentag erklärt hatte, vgl. oben S. 150 bei Fn. 137. Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn. 25), S.394f. Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn. 25), S. 397-399. 230 Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn. 25), S. 399. 231 Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn. 25), S. 400f. 232 Leonhard, Gutachten für den 23. D J T 1895 (wie Fn.213), S.251f. Weitere Beispiele bei Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn.25), S.394f. 233 Fuld, Die Stellung der juristischen Personen (wie Fn.213), S. 134; ders., Das bürgerliche Gesetzbuch und die Korporationsbildung, in: Soziale Praxis 4 (1894/95), S. 288f. - Fuld verlangte eine ebenfalls reichseinheitliche Regelung des öffentlichen Vereinsrechts, um die Vereinsfreiheit überall gleichmäßig zu gewähren. 228

229

168

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

radezu emphatische Bemerkung Sohms, mit dem Entwurf zweiter Lesung sei „endlich der Entwickelung eines gesunden, dem gegenwärtigen Rechtsbewußtsein entsprechenden wahrhaft sozialen Vereins-Privatrechts die Bahn gebrochen"234. In der Tat entsprach der begriffliche Ansatz der Bestimmungen über die Rechtsfähigkeit des Vereins im zweiten Entwurf jedenfalls in weit höherem Maß den Forderungen Clerkes, die Sohm sich zu eigen gemacht hatte, als die hypothetischen Erwägungen der Motive für eine reichseinheitliche Regelung auf der Grundlage des Konzessionssystems, weil es unter lediglich formellen Voraussetzungen die freie Körperschaftsbildung zuließ. Holder faßte die Einspruchsmöglichkeit der Behörde als ein überflüssiges Instrument auf, weil die unerlaubten Vereine selbstverständlich nicht die Eintragung erlangen könnten und bei denjenigen, die zwar zugelassen würden, aber nachträglich verboten werden könnten, kein Bedürfnis zur Versagung der Rechtsfähigkeit ohne Einschluß des Verbots bestehe235. Leonhard kam, ausgehend von dem mit dem Einspruchsrecht korrespondierenden Auflösungsrecht der Behörden im Falle satzungswidriger Verfolgung politischer, sozialpolitischer oder religiöser Zwecke gemäß §40 III E II236 zu einer ähnlich vernichtenden Bewertung des Vereinsrechts im Entwurf wie Gierke. Die Vereine würden dadurch praktisch vogelfrei, weil Politik und Religion das gesamte Leben prägten, so sagte er. Ein solches Vereinsrecht sei gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine Verschlechterung237. Der 23. Deutsche Juristentag beschloß 1895 nach kontroverser Debatte auf Antrag von Enneccerus, das Einspruchsrecht der Behörden gegen die Eintragung politischer, sozialpolitischer und religiöser Vereine zwar dem Grundsatz nach zu billigen, aber es an die Notwendigkeit einer Begründung gebunden wissen zu wollen238. Damit wollte man erreichen, daß die Verwaltungsbehörden in ihrem Ermessen eingeschränkt werden sollten. Nur für das Gemeinwohl gefährliche Vereine sollten getroffen werden. Faßt man die kritischen Äußerungen zum Vereinsrecht des zweiten Entwurfs zusammen, so kann man feststellen, daß bei allgemeiner Akzeptanz des Systems der Normativbestimmungen das Einspruchs- und Auflösungsrecht der Behörden als verbesserungsbedürftig angesehen wurde. Manche wie Gierke hielten das Einspruchsrecht für einen ungerechten Angriff auf die legitimen Interessen der Arbeiter und lehnten es daher ab. Hierzu war das wichtigste Argument der Topos des sozialpolitischen Ausgleichs. Der Aspekt der Vereinsfreiheit klang nur nebenbei an. Andere - auf dem Juristentag die Mehrheit - wollten das Einspruchsrecht einschränken, nicht jedoch durch die Streichung des Begriffs „soSohm, Ueber den Entwurf (wie Fn.36), S. 753. Holder, Der allgemeine Theil (wie Fn.213), in: AcP 80 (1893), S.20. 236 § 40 III E II: „Ein Verein, welcher nach dem Statut einen politischen, socialpolitischen oder religiösen Zweck nicht hat, kann aufgelöst werden, wenn er einen solchen Zweck verfolgt." 237 Leonhard, Gutachten für den 23. DJT 1895 (wie Fn.213), S.269f. 238 Vgl. Verhandlungen des 23. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1895, S.65. Zum Wortlaut vgl. oben Fn.213 am Ende. 234 235

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

169

zialpolitisch", sondern durch eine Begrenzung des behördlichen Ermessens. Dahinter stand aber wohl weniger die Absicht, den sozialen Gemeinschaftsgedanken, der in der Kritik am E I noch deutlich bemerkt werden konnte, zu verwirklichen, sondern eine politische Taktik. Enneccerus hat das auf dem Juristentag klar ausgesprochen: „ M a n darf sich nicht auf den Standpunkt stellen, w i r wollen Alles gerade so vorschlagen, wie es J e d e r für sich für das B e s t e hält. W e n n Sie sich, meine H e r r e n , auf diesen S t a n d p u n k t stellen, w e r d e n Sie einen Schlag in's Wasser thun. W i r müssen die Frage, wie sie liegt bei den Regierungen, bei dem Bundesrathe, in der C o m m i s s i o n , berücksichtigen. U n d n u n ist eins d o c h klar, o h n e A u s n a h m e b e s t i m m u n g e n für politische und religiöse Vereine ist die A n n a h m e der C o m m i s s i o n s v o r s c h l ä g e über die eingetragenen Vereine i m bürgerlichen G e setzbuche gänzlich aussichtslos , . . " 2 3 9

d) Der

Bundesrat

Die preußische Regierung konnte sich zwar nach der Veröffentlichung des Entwurfs mit der gefundenen Kompromißlösung abfinden. Leitend war dabei der Gedanke, daß ein Zurück hinter den zweiten Entwurf die Zustimmung des Reichstags gefährden und in einigen Ländern Empörung hervorrufen dürfte 240 . Zu bedenken war auch, daß der Bundesrat 1874 eine reichseinheitliche Regelung gebilligt hatte, woran Conrad in seiner kritischen Stellungnahme zum zweiten Entwurf erinnert hatte 241 . Die preußische Regierung sorgte aber dennoch dafür, daß das Einspruchsrecht der Behörden im Bundesrat noch weiter ausgedehnt wurde. Neben den politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereinen sollten nun auch Vereine vom Einspruchsrecht betroffen sein, die Erziehungs- oder Unterrichtszwecke verfolgten 242 . Die durchsichtige politische Absicht hinter diesem Manöver fiel schon den Zeitgenossen auf.Jastrow hat sie anschaulich geschildert243: Zunächst wurde dem Wunsch der Regierungen folgend im zweiten Entwurf das Einspruchsrecht installiert, das in der praktischen Anwendung das System der Normativbestimmungen zunächst einmal weitgeEnneccerus, [Diskussionsbeitrag] (wie Fn. 213), S. 54. 240 Vgl J e n Bericht Hellers über die Sitzung am 7.10. 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 346-348, hier S. 347; zu den Hintergründen vgl. außerdem die umfangreiche Dokumentation der Stellungnahme Preußens zum Vereinsrecht, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1325-1387 sowie Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 173 f. 241 Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn. 55), S.403f. Zur ursprünglichen Haltung des Bundesrates in dieser Frage vgl. oben S. 130. 2 4 2 § 58 II RT-Vorlage: „Die Verwaltungsbehörde kann gegen die Eintragung Einspruch erheben, wenn der Verein nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt ist oder verboten werden kann oder wenn er einen dem Gebiete der Politik oder der Sozialpolitik, der Religion, der Erziehung oder des Unterrichts angehörenden Zweck verfolgt." Vgl. Antrag Preußens zu § 4 0 des Änderungsantrags, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 344. Die endgültige Formulierung ging auf einen Beschluß der Reichskommissarien zurück, vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.353. 243 Jastrow, Zur Plenarberathung (wie F n . 2 2 5 ) , Sp. 1015. 239

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

170

Teil

hend entwertete244. Sodann wurde im Bundesrat auf Betreiben der Regierungen die Einschränkung verschärft, um schließlich im Reichstag ein passendes Objekt für einen „Kompromiß" mit den Gegnern des Entwurfs zu haben. Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz hatten beantragt, reichseinheitlich das Konzessionssystem einzuführen. Das System der Normativbestimmungen des Entwurfs genüge nicht, weil die Voraussetzungen rein formaler Natur seien und nicht sicher sei, daß der Verein längeren Bestand haben werde, hinreichend viel Vereinsvermögen bestehe und keine volkswirtschaftlich unerwünschte Ansammlung von Vermögen geschehe, so hieß es in der Begründung245. Wichtiger dürfte aber gewesen sein, daß es bei der Lösung des Entwurfs nicht immer möglich sei zu bestimmen, welchen Zweck der Verein wirklich verfolge246. Der breite Anwendungsbereich des Einspruchsrechts sollte die Verwaltungsbehörden der sonst notwendigen, nicht unbedingt leichten Abgrenzung der unterschiedlichen Vereinszwecke entheben. Der Antrag fand im Justizausschuß des Bundesrats247 und im Plenum keine Mehrheit248. e) Der

Reichstag

(1) Die Haltung

der

Denkschrift

Die im Reichsjustizamt gefertigte Denkschrift249 verfolgte vor allem den politischen Zweck, den Entwurf möglichst unangetastet durch den Reichstag zu bringen und damit das Hauptziel des Reichsjustizamtes bei dem Unternehmen zu erreichen250. Zu diesem Zweck wurden die hauptsächlichen Kritikpunkte am Entwurf in der Form einer Erläuterung aufgegriffen und die Entscheidungen des Entwurfs begründet. Die Argumente, die die Denkschrift für und wider die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Frage nach der Rechtsfähigkeit der Vereine zusammengefaßt hat, waren aus der bisherigen Debatte bekannt. Insbesondere hat sie die Entwurfslösung in den Traditionszusammenhang der neueren Gesetzgebung gestellt, um deutlich zu machen, daß das System der Normativbestimmungen so etwas wie ein Normalfall sei251. Die Einschränkung dieses 244 Jastrow, Die geschäftliche Behandlung (wie Fn. 226), Sp. 388 - er schrieb mit Blick auf die politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereine: „Alle Vereine können Korporationsrechte erlangen mit Ausnahme derjenigen, welche diese Rechte nöthig haben." 245 Mecklenburg-Schwerin, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 340. 246 Mecklenburg-Schwerin, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S. 339ff. 247 Vgl. den Bericht Hellers über die Sitzung am 7.10. 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S.346-348, hier S.348. 248 Beschluß des Plenums vom 16. Januar 1896, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S.355. 249 Die Vorarbeiten für die Denkschrift hatten Greiff und Unzner geleistet. Struckmann hat die Vorlage überarbeitet. Die Schlußredaktion lag in der Hand des Direktors im Reichsjustizamt Gutbrod, vgl. Rudolph Sohm, Die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: DJZ 5 (1900), S. 6-9, hier S.8. 250 Vgl. Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 164), S.226. 251 Denkschrift, S.ll.

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

171

Systems für sozialpolitische, politische und religiöse Vereine begründete die Denkschrift mit den „Folgen, welche sich für das Gemeinwohl und den öffentlichen Frieden aus dem Machtzuwachs ergeben können, der unverkennbar mit der Erlangung der Rechtsfähigkeit verbunden ist" 252 . Ganz unverblümt erläuterte die Denkschrift das mit dem Wunsch, der Verwaltung einen Einfluß auf die Rechtsfähigkeit der politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereine zu wahren im Wege eines Einspruchs, der sich allein auf diese Zwecke gründen solle253. (2) Erste Lesung im

Reichstag

Das im Bundesrat noch erweiterte Einspruchs- und Auflösungsrecht der Verwaltungsbehörde war auch in den Verhandlungen des Reichstags der Hauptkritikpunkt am Vereinsrecht des Entwurfs. In der ersten Lesung des Gesetzes äußerten sich die Abgeordneten Rintelen254, Kauf/mann255, Förster256, Ennecceru,s2il und Frobme25S sowie als Kommissar des Bundesrates Planck259 zum Vereinsrecht. Bis auf Planck waren alle der Meinung, es müsse das Vereinsrecht nachgebessert werden. Im Blick war dabei vor allem die Beseitigung oder jedenfalls Einschränkung des Einspruchsrechts. Nur Planck verteidigte das Einspruchs- und Auflösungsrecht damit, daß die Rechtsordnung zum Schutz des Gemeinwohls nicht jeden Zusammenschluß respektieren dürfe260. Auffällig ist, daß der Gemeinschaftsgedanke, der für die Ausgestaltung des Vereinsrechts im System der Normativbestimmungen so wichtig gewesen war, in der Debatte im Reichstag keine Rolle spielte. Im Vordergrund standen vielmehr die soziale Freiheit, die das Koalitionsrecht umfaßt und in der Konsequenz die Rechtsfähigkeit verlangt, sowie der sozialpolitische Ausgleich. Das wurde besonders in der Rede von Kauffmann deutlich, der eine Verbindung von frei und sozial knüpfte: „Meine Herren, das ist das Minimum, was wir verlangen müssen, daß für die Berufsvereine, für die Fachvereine, für alle gewerblichen Vereine in weitester Ausdehnung, für alle Handwerkervereine, für alle landwirtschaftlichen Verbände eine gesicherte Rechtsbasis durch Gewährung der Rechtsfähigkeit gegeben werde. Wenn das geschieht, dann werden alle diese Vereine ihre große soziale Aufgabe ganz anders lösen können, als dies bisher der Fall war, wo sie gar keine Rechtsfähigkeit hatten. Meine Herren, hier können wir in der That vom freiheitlichen Standpunkt aus, gerade ohne sozialistischen Theorien zu huldigen, ein ganz gutes Stück praktischer und wirklicher Sozialpolitik treiben. Es harren sehr große 252 253 254 255 256 257 258 259 260

Denkschrift, S. 13. Denkschrift, S. 13. Stenographische Berichte, S.22. Stenographische Berichte, S. 47 und 56. Stenographische Berichte, S. 120. Stenographische Berichte, S. 135f. Stenographische Berichte, S. 153. Stenographische Berichte, S.62. Planck, in: Stenographische Berichte, S.62.

172

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Aufgaben der Lösung durch das freie Vereinsrecht, und ich rufe das freie Vereinsrecht, wie es durch dies Gesetz gestaltet werden soll, als einen Bundesgenossen in dem Kampf für die sozialen Aufgaben der Gegenwart h e r b e i " 2 6 1 .

Dieses hier ausführlich wiedergegebene Zitat zeigt, daß die Begriffe „frei" und „sozial" nicht als ein Gegensatz angesehen wurden. Das Freiheitsrecht zur Bildung von Personenvereinigungen erfüllte zugleich eine sozialpolitische Aufgabe, indem Berufsvereine die Mitglieder zu bestimmten Interessengruppen zusammenführen und so gesellschaftliche Verbesserungen für sie bewirken sollten. (3) Die Verhandlungen

der Reichstagskommission

über das

Vereinsrecht

Nach der ersten Lesung im Plenum wurde die sachliche Einzelberatung der Vorschriften des Entwurfs in der XII. Kommission des Reichstags geführt. Der äußerliche Gang der Beratungen in der Kommission ist zwar von Vormbaum einschließlich der Ergebnisse der Beschlüsse geschildert worden, doch erfährt man dort nichts über die Argumentation der Beteiligten, soweit sie den Bereich der politischen Taktik bei der Verfolgung der Ziele überstieg262. Es bleibt daher zu fragen, ob und mit welchen Gründen die Vorstellungen eines sozialen Vereinsrechts in der Kommission Widerhall fanden. (a) Erste Lesung in der

Kommission

Die Kommission befaßte sich in zwei Lesungen mit dem Vereinsrecht und traf dazu unterschiedliche Entscheidungen. In der ersten Lesung überwogen die Stimmen derjenigen, die den Entwurf, insbesondere das Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden, ablehnten. Die Mehrheit263 fand ein vom Zentrum eingebrachter Antrag264, der wie die Reichstagsvorlage auf dem System der Normativbestimmungen beruhte, aber kein Einspruchsrecht bei politischen, sozialpolitischen, religiösen und erzieherischen Vereinen vorsah, sondern den Einspruch an den Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten knüpfte. Die Zuständigkeit für die Feststellung der Rechtsfähigkeit sollte allein beim Amtsgericht liegen. Zu weitgehend erscheint die gelegentlich vertretene Auffassung, die gemeinsame Opposition von Zentrum und Sozialdemokraten habe das ganze Gesetz gefährdet265. Schon der Kommissionsbericht gibt darüber Aufschluß, daß verschiedentlich hervorgehoben wurde, man wolle die Vorlage nicht am Vereinsrecht scheitern lassen, sondern betrachte diese erste Abstimmung nur als prinzipielle Stellungnahme, „um dasjenige zu kennzeich-

261 262 263 264 265

Kauffmann, in: Stenographische Berichte, S. 56. Vgl. Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 186-190. Bericht der Reichstagskommission, S. 13. Antrag Bachem u.a. (Nr. 18), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 356f. Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? (wie Fn. 37), S. 17.

II. Die Entstehung

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

173

nen, was, abgesehen von der Rücksicht auf das Zustandekommen des Gesetzes, als der richtige Standpunkt erscheinen müßte"266. Daß man auf keinen Fall das Gesetz als Ganzes wegen des Vereinsrechts fallen lassen wollte, hat später auch der Zentrumsabgeordnete Gröber im Reichstag erklärt267. Behandelt wurde ferner der Antrag der Sozialdemokraten, der auf freie Körperschaftsbildung abzielte, den früheren Antrag Nr. 24 von Sohm in der zweiten Kommission aufgriff268 und sich damit am weitesten von der Vorlage entfernte. Der Reichstagsvorlage am nächsten kam der Antrag von Enneccerus, der das Einspruchsrecht auf die politischen und religiösen Vereine beschränken, im übrigen aber nur bei der Anfechtung des Einspruchs besseren Rechtsschutz gewähren wollte269. Dieser Antrag von Enneccerus war erkennbar am meisten von politischer Rücksicht auf die Wünsche und Vorstellungen der Regierungen gekennzeichnet. Das Für und Wider zu den einzelnen Anträgen betraf hauptsächlich die politischen Erwägungen, die seit dem ersten Entwurf zur Debatte standen. Sie brauchen hier nicht wiederholt zu werden270. Wichtig sind für uns die spärlichen sonstigen Begründungen, die in dem offiziellen, von Enneccerus verfaßten Kommissionsbericht überliefert sind. Danach wurde die freie Körperschaftsbildung, die auf den sozialen Genossenschaftsgedanken Gierkes zurückging, von den Sozialdemokraten vor allem mit dem Hinweis darauf verteidigt, daß nur dieses System dem Wesen des Vereins und dem Willen der zusammengeschlossenen Mitglieder gerecht werde271. Obgleich man von den Antragstellern auch eine sozialpolitische Argumentation erwartet hätte, zogen sie sich auf die begrifflichen Gründe zurück. Die Gegner des sozialdemokratischen Antrags beriefen sich auf die auch schon früher gegen die freie Körperschaftsbildung ins Treffen geführte Rechtssicherheit für Dritte272. Der in der ersten Lesung in der Kommission angenommene Antrag des Zentrums wurde mit bei Gierke entlehnten Argumenten begründet. Die Reichstagsvorlage, so hieß es, laufe auf ein „verschleiertes Konzessionssystem" hinaus273. Im übrigen müsse vermieden werden, daß einem nach öffentlichem Recht erlaubten Verein die private Rechtsfähigkeit verweigert werde274. Die Zentrumsabgeordneten machten sich also die auf dem Gemeinschaftsgedanken gründenden Überlegungen ebenso zu eigen wie den Freiheitsaspekt. Der Antrag von Enneccerus schließlich wollte im Interesse des Zustande266 Bericht (J e r Reichstagskommission, S. 13. 267 Gröber, in: Stenographische Berichte, S. 220. 268 Antrag Frohme u.a. (Nr. 22), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 358 mit S.256ff. 269 Antrag Enneccerus u.a. (Nr. 19), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.357f. 270 Vgl. die Berichte von Heller über die Sitzungen vom 26. und 27. Februar 1896, in: Jakobs/ Schubert, Beratung, Allgemeiner Teill, S. 359-365. 271 Wie Fn.263. 272 Wie Fn. 263. 273 Bericht der Reichstagskommission, S. 10. Vgl. auch oben S. 166 bei Fn.221. 274 Bericht der Reichstagskommission, S. 10.

174

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

kommens des Gesetzbuches die Sonderbestimmungen für politische und religiöse Vereine aufrecht erhalten, sie aber mit Rücksicht auf die Freiheit des Vereinslebens und der Vereinsbildung auf das nötigste Maß beschränken. Sozialpolitische Vereine seien nur dann gefährlich, wenn sie politische Macht erlangten, so meinte Enneccerus. Dann aber seien sie als politische Vereine zu betrach-

(b) Zweite Lesung in der

Kommission

Die im Antrag von Enneccerus schon in der ersten Lesung der Kommission vorgezeichnete Kompromißlösung wurde schließlich zur Grundlage für die endgültige Entscheidung der Kommission in zweiter Lesung276. Frohme und Stadthagen277 wiederholten ohne Aussicht auf Erfolg ihren Antrag aus der ersten Lesung auf Einführung der freien Körperschaftsbildung278. Eine Wiederherstellung der Fassung der Reichstagsvorlage beantragte von Buchka279. Unter dem Eindruck der Erklärung des Staatssekretärs im Reichsjustizamt Nieberding sowie der Vertreter der Bundesregierungen Preußens, Bayerns, Württembergs, Badens, Hessens und Mecklenburg-Schwerins, daß der Bundesrat das Gesetz nur annehmen werde, wenn den Verwaltungsbehörden das Einspruchsrecht bei politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereinen vorbehalten werde, ansonsten aber das Vereinsrecht aus dem Gesetz ausgeklammert werden müsse280, bröckelte die alte Mehrheit zugunsten des Antrags des Zentrums ab. Auch die Zentrumsabgeordneten schwenkten auf die Linie der Nationalliberalen von Bennigsen und Enneccerus über, nachdem ihnen die Gegenseite ein Entgegenkommen in einigen Fragen des Eherechts in Aussicht gestellt hatte281. Die Reichstagskommission entschied sich für den Antrag von von Bennigsen u.a. 282 . Damit war im wesentlichen der Zustand des zweiten Entwurfs wiederhergestellt. Die überlieferten Diskussionen innerhalb der Kommission lassen nicht erkennen, daß Rücksichten auf die soziale Aufgabe des Privatrechts die Entscheidung bestimmt hätten, ganz anders als in der zweiten Kommission. Maß-

Bericht der Reichstagskommission, S. 11. Angenommen wurde der Antrag von v. Bennigsen, v. Cuny und Enneccerus (Nr. 148), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 368. 277 Arthur Stadthagen (1857-1917) war zusammen mit Karl Frohme der Wortführer der Sozialdemokraten im Reichstag bei der Diskussion über das Bürgerliche Gesetzbuch, zur Biographie: Jahnel, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 123. 278 Antrag Frohme und Stadthagen (Nr. 124, 2), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.368. 279 Antrag v. Buchka (Nr. 118, 1-5), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 367. 280 Vgl. Bericht der Reichstagskommission, S. 11-13. 281 Vgl. Bericht der Reichstagskommission, S. 16f. Zu den politischen Hintergründen vgl. Michael John, Politics and the Law in Late Nineteenth-Century Germany. The Origins of the Civil Code, Oxford 1989, S.213-215. 282 Bericht der Reichstagskommission, S. 17. 275 276

II. Die Entstehung der Rechtsfähigkeit

juristischer Personen

175

gebliche Bedeutung hatte vielmehr der schon von Jastrow2Si kritisierte politische Winkelzug der Regierungen, im Bundesrat eine Verschärfung des Vereinsrechts durchzusetzen, auf die zu verzichten dann im Reichstag als ein Entgegenkommen ausgegeben werden konnte284. Dennoch ist zu bemerken, daß die von Gierke entwickelte soziale Argumentation auch in der Reichstagskommission verwendet wurde. (4) Zweite und dritte Lesung im

Reichstag

An dem Ergebnis der Beschlüsse der Reichstagskommission änderte sich im Plenum in zweiter und dritter Lesung nichts mehr. Die Sozialdemokraten stellten erneut einen Antrag auf Einführung der freien Körperschaftsbildung285. Stadtbagen verteidigte diesen Antrag mit einer Wiederholung der Argumente Sohms, daß es Aufgabe des Gesetzgebers sei, die wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse des Volkes in Gesetzesform zu bringen, nicht aber der Vormund der Bürger sein zu wollen. Die Gerechtigkeit aber gebiete die freie Körperschaftsbildung286. Ebenfalls aus dem Gebot gleichmäßiger Gerechtigkeit leitete Lenzmann ab, daß das System der Normativbestimmungen keine Einschränkungen zu Lasten der politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereine dulde287. Gröber und von Buchka hingegen verteidigten die von der Reichstagskommission beschlossene Kompromißlösung als einen Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht und als die beste Lösung, die im Augenblick bei den verbündeten Regierungen durchsetzbar sei288. In der Parlamentsdebatte hatte gerade die zuletzt genannte Frage zentrale Bedeutung. Das ist leicht erklärlich, weil der Kompromiß, den die Reichstagskommission gefunden hatte, von der Mehrheit dieser Kommission und daher auch von der Mehrheit des Reichstags eigentlich nicht als ideale Lösung verstanden wurde289, sondern lediglich als eine Forderung „praktischer Politik", die einen Mittelweg einzuschlagen gebiete, wenn das Ideal nicht erreicht werden könne 290 . Vgl. oben Fn. 243. Das Taktieren der verschiedenen Parteien und Regierungen hat Heller in seinem Bericht über die Kommissionssitzung vom 8. Juni 1896 anschaulich geschildert [in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S.369-372]. 2 8 5 Antrag Auer u.a. (Nr. 465, 2), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 372. 286 Stadthagen, in: Stenographische Berichte, S. 224-229. 287 Lenzmann, in: Stenographische Berichte, S.211. 288 Gröber, in: Stenographische Berichte, S. 214,216; von Buchka, in: Stenographische Berichte (wie zuvor), S.221, 223. Das Fortschrittsargument benutzte später auch noch Enneccerus in diesem Zusammenhang [in: Stenographische Berichte (wie zuvor), S. 817]. 2 8 9 Die ideale Vorstellung der Mehrheit des Reichstags spiegelte sich wider in dem auf S. 172 bei Fn. 263 beschriebenen Beschluß der Reichstagskommission erster Lesung, das System der Normativbestimmungen ohne alle Vorbehalte gegen politische, sozialpolitische und religiöse Vereine durchzuführen. 290 Gröber, in: Stenographische Berichte, S. 220. - Schon in der Reichstagsdebatte wurde für die Änderung des Vereinsrechts im Sinne des Bundesrates die Zentrumsfraktion verantwortlich gemacht, wie die Angriffe Stadthagens gegen Gröber beispielsweise zeigen [in: Stenographische 283

284

176

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Der soziale Gemeinschaftsgedanke, der gerade auch durch die Kritik Gierkes wesentlich zur Aufnahme des Systems der Normativbestimmungen in den zweiten Entwurf geführt hatte, spielte in der Behandlung des Vereinsrechts durch den Bundesrat und den Reichstag einschließlich deren Kommissionen keine unmittelbare Rolle mehr, da alle Anträge und Beschlüsse letztlich ihr Fundament in diesem Gedanken hatten. In den Vordergrund hatten sich taktische Überlegungen praktischer Politik geschoben, die aus dem Bestreben resultierten, einerseits das Gesamtwerk nicht zu gefährden, andererseits aber die Verschärfung des Vereinsrechts durch den Bundesrat wieder rückgängig zu machen. Aus der Sicht der Reichstagsmehrheit war auf der positiven Seite des Kompromisses zu verbuchen, daß §21 B G B grundsätzlich allen Idealvereinen die Rechtsfähigkeit zuerkannte. Erkauft wurde das durch das von Gierke als „verschleiertes Konzessionssystem" bezeichnete Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden, das § 61 II B G B 2 9 1 in seiner ursprünglichen Fassung vorsah und das mit §43 III B G B 2 9 2 korrespondierte.

Berichte, S. 224-229, insbesondere S. 228]. - Sicherlich ist der Kompromiß des Zentrums mit den Konservativen eine Tatsache [vgl. die Schilderung bei Vormbaum, Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn. 24), S. 188f.]. Das Umschwenken des Zentrums im Vereinsrecht sollte mit einem Entgegenkommen der Konservativen im Eherecht vergolten werden. Dennoch ist aber nicht so sicher, ob die Regelung des Vereinsrechts wirklich von der Haltung des Zentrums abhängig war oder mit anderen Worten, ob die Reichstagskommission nicht auch gegen die Stimmen des Zentrums zur endgültigen Entscheidung im Sinne der Lösung des E II gekommen wäre. Die Zweifel daran gründen sich auf die unwidersprochen gebliebenen Ausführungen Gröbers im Plenum des Reichstags an der oben zitierten Stelle. Gröber hat dort erläutert, drei Mitglieder der Kommission, die nicht dem Zentrum angehört hätten, hätten in der ersten Lesung für den Mehrheitsantrag des Zentrums gestimmt, später aber erklärt, an dieser Frage auf keinen Fall das Gesetz scheitern lassen zu wollen. Schon dadurch war aber in der Kommission des Reichstags die Mehrheit für den Zentrumsantrag verloren, weil die Abstimmung mit 13 zu 8 Stimmen geschehen war. Hätten nur diese drei in der zweiten Lesung anders gestimmt, so wäre der Antrag des Zentrums mit 10 zu 11 Stimmen unterlegen. Auch John, Politics (wie Fn. 281), S. 214, berichtet im übrigen davon, Bachem, Spahn und Lieber hätten die Mehrheitsverhältnisse in der Kommission als aussichtslos für den ursprünglichen Standpunkt des Zentrums eingeschätzt. Betrachtet man die Sache so, so gewinnt die bereits durch eine Äußerung Lerchenfelds vom 8. März 1896 belegte These von Schulte-Nölke weiter an Plausibilität, daß es dem Zentrum beim Vereinsrecht vor allem um ein Kompensationsobjekt für das Eherecht gegangen sei [Schnlte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 164), S. 238]. Die politischen Absichten des Zentrums hat John, Politics (wie zuvor), S.219ff. ausführlich analysiert. 291 §61 II B G B a.F.: „Die Verwaltungsbehörde kann gegen die Eintragung Einspruch erheben, wenn der Verein nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt ist oder verboten werden kann oder wenn er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt." Die Vorschrift wurde in Art. 124 II 2 WRV vom 11. August 1919 mit Wirkung ab dem 14. August 1919 geändert. Art. 124 II WRV: „Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht aus dem Grunde versagt werden, daß er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt." 2 9 2 §43 III B G B : „Einem Vereine, der nach der Satzung einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck nicht hat, kann die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn er einen solchen Zweck verfolgt." Auch diese Vorschrift wurde mit Art. 124 II 2 (vgl. Fn. 291) WRV obsolet.

II. Die Entstehung

4.

der Rechtsfähigkeit

juristischer

Personen

177

Zusammenfassung

Der erste Entwurf hatte aufgrund der Vorarbeiten Gebhards die Erlangung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen der Landesgesetzgebung überlassen. Subsidiär hatte die erste Kommission die Einführung eines strikten Konzessionssystems geplant. Nimmt man diese Situation als Ausgangspunkt, so sind die Vorschriften über die Entstehung juristischer Personen ein deutliches Zeugnis für die Wirkung der sozial motivierten Kritik am ersten Entwurf. Die Notwendigkeit einer reichseinheitlichen Regelung des Vereinsrechts läßt sich noch am ehesten als eine Konsequenz der Kodifikationsabsicht selbst begreifen. Doch die Ausgestaltung in der Form des Systems der Normativbestimmungen, die ihren gedanklichen Ausgangspunkt bei der freien Körperschaftsbildung hat, war eine direkte Folge der insbesondere von Gierke ausformulierten Genossenschaftstheorie, die das Kernstück eines sozialen Privatrechts nach der Vorstellung von Gierke und anderen war. Die Auswirkungen dieser Lehre auf das Vereinsrecht hatte die Kritik am ersten Entwurf deutlich formuliert. Die zweite Kommission hat sich damit intensiv auseinandergesetzt und die schließlich Gesetz gewordene Regelung ausgearbeitet. Die Grundlage war ein Antrag Plancks, den später Börner in der Vorkommission des Reichsjustizamtes modifiziert hat. Sein Ausgangspunkt war das System der Normativbestimmungen. Damit entsprach er einem zentralen Anliegen der sozial motivierten Kritik. Gleichzeitig enthielt der Antrag das schon früher diskutierte Einspruchsrecht der Behörden gegen die Eintragung. Insofern blieb die Planckscbe Lösung weit hinter den Zielen der Kritik zurück. Unter diesem Blickwinkel ist der Vorwurf Schlossers zutreffend, Planck habe nicht für „radikalere Einschnitte in sozialpolitische oder weltanschaulich tabuisierte Ruhezonen als Voraussetzung für ... zeitgerechtere Regelungen ... brisanter Rechtsfragen" gesorgt293. Nach dem Abschluß der Arbeiten der zweiten Kommission trat der soziale Gedanke, nämlich die Betonung der Belange der Gemeinschaft, in den Hintergrund einer zunehmend politisch-taktischen Debatte über die richtige Ausgestaltung des Rechts der juristischen Person. Man wird sicherlich nicht allein die Kritik am ersten Entwurf als ursächlich für die Einführung des Systems der Normativbestimmungen ansehen dürfen. Der Umstand, daß 1868 und 1869 Sachsen und Bayern landesgesetzlich dieses System eingeführt hatten294, dürfte die Neigung verstärkt haben, dasselbe auch reichsweit vorzuschreiben. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß der Bundesrat nur unter dem Eindruck der Kritik zum Nachgeben bereit war. Diese Kritik aber war ein Ausdruck des zeitgenössischen Verständnisses von der sozialen Aufgabe des Privatrechts. Trotz der ablehnenden Würdigung des E II durch Gierke gerade auch im Hinblick auf das Vereinsrecht stellt sich die Gesetz gewordene Fassung als ein erheblicher Fortschritt in Richtung auf ein soziales Privatrecht im Sinne des Gemeinschaftsgedankens dar. 293 294

Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre (wie Fn. 37), S. 13. Vgl. oben Fn. 55.

178

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Das gilt es, kurz zu begründen angesichts einer weniger positiven Gesamteinschätzung der Fortschrittlichkeit des Vereinsrechts etwa bei Vormbaum1^5, der freilich den Sachverhalt nicht auf unsere spezifische Fragestellung untersucht hat: Die soziale Aufgabe des Privatrechts im Sinne einer Berücksichtigung des Gemeinschaftsgedankens fand im Vereinsrecht ihre klarste und konsequenteste Umsetzung in dem vor allem von Gierke und Sohm vertretenen Prinzip freier Körperschaftsbildung, die allein aus der Tatsache des Zusammenschlusses von Personen dieser Vereinigung die Rechtspersönlichkeit zusprach. Dieser Gedanke aber liegt auch dem §21 B G B zugrunde, da auch das System der Normativbestimmungen zunächst einmal voraussetzt, daß ein solcher Verein auch rechtsfähig ist. Es war daher nicht falsch, wenn einige wie zum Beispiel Fuld, das System der Normativbestimmungen als „freie Körperschaftsbildung" bezeichneten 296 . Im Gesetz wurde das Prinzip jedoch durch weitere formale Voraussetzungen modifiziert, hinter deren Schleier Gierke schließlich das Konzessionssystem ausmachte. Dennoch war allein die Festlegung des begrifflichen Ausgangspunktes in §21 B G B ein Fortschritt. Hier war der Hebel, um im 20. Jahrhundert den Schleier vom Konzessionssystem herunterzureißen und dasselbe vollends abzuschaffen 297 . Neben den Gemeinschaftsgedanken waren in der Kritik auch bei Gierke die beiden Topoi der sozialen Freiheit und des sozialpolitischen Ausgleichs getreten. Die Vereinsfreiheit als Aspekt der sozialen Freiheit des Einzelnen, die eine Entfaltung auch in der Gemeinschaft mit anderen ermöglichen soll, verlangte in den Augen der Kritik auch die privatrechtliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit solcher Vereine unabhängig von einer staatlichen Konzession. Hinzutrat die Überlegung, daß die Berufsvereine, insbesondere die Gewerkschaften, aus sozialpolitischen Gründen nicht länger benachteiligt werden sollten, sondern die Gerechtigkeit deren Anerkennung als rechtsfähige Vereine fordere. Den Arbeitern diese Gerechtigkeit vorzuenthalten, hielten einige für sozialpolitisch unklug, weil man diese Kreise ausgrenze, anstatt sie in den Staat einzubinden. Noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes waren auch auf der Regierungsseite Zweifel aufgekommen, ob das Vereinsrecht nicht zu nachteilig für die Arbeitervereine sei und zu einer Verschärfung der Klassengegensätze führen werde298. Solche Zweifel kamen aber zu spät, um im Gesetzbuch noch berücksichtigt werden zu können. Niemand konnte allerdings behaupten, daß die WarVormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 198 f. Vgl. oben S. 164 in Fn.213. 297 Endgültige Beseitigung von §43 III B G B durch Gesetz zur Wiederherstellung der Gesetzeseinheit auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 5. März 1953 mit Wirkung vom 1. April 1953. Ohne Änderung des Wortlauts brachte allerdings Art. 124 II WRV vom 11. August 1919 schon eine materielle Rechtsänderung, wonach Vereinen nicht die Rechtsfähigkeit versagt werden durfte, weil sie politische, sozialpolitische oder religiöse Zwecke verfolgten. Zu weiteren Einzelheiten vgl. Vormbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine (wie Fn.24), S. 199ff. 298 Vgl. im einzelnen dazu Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (wie Fn.24), S.41 f. 295

296

III. Die

Verjährung

179

nung, das private Vereinsrecht sei untauglich zur Disziplinierung der Arbeiterbewegung, nicht bereits im Gesetzgebungsverfahren mehrfach und deutlich ausgesprochen worden wäre. O b freilich eine entschiedenere Haltung des Reichstags zugunsten eines kompromißlosen Systems der Normativbestimmungen ohne behördliches Einspruchsrecht 1896 nicht doch Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, ließe sich nur im Wege der Spekulation beurteilen. Die damaligen Entscheidungsträger im Reichstag hielten das für unwahrscheinlich und sorgten so dafür, daß das Gesetzbuch zwar den Weg zum sozialen Fortschritt einschlug, doch, wie man in Anlehnung an Gierke sagen könnte 299 , sofort erschrocken auf demselben stehen blieb, bevor es das Ziel erreicht hatte. Ins Positive gewendet könnte man aber auch mit Conrad zu dem Schluß kommen, der erste prinzipielle Schritt sei getan worden, um mit den alten Anschauungen zu brechen 300 .

III. Die Verjährung Als zweites Rechtsinstitut, das dem allgemeinen Teil zuzuordnen ist, soll die Verjährung herausgegriffen werden. Kann man bei der Rechtsfähigkeit von Vereinen noch davon sprechen, daß diese Frage wegen der Benachteiligung gerade der Vereine der Arbeiterbewegung Gegenstand der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts war, so ist das Rechtsinstitut der Verjährung ein geeignetes Objekt, um zu zeigen, daß die soziale Aufgabe des Privatrechts im Verständnis der Zeitgenossen nicht nur die Materien betraf, die mit dem Schlagwort „soziale Frage" umschrieben wurden und werden. Auch scheinbar neutrale technische Normen wie die Verjährungsregeln fanden die Aufmerksamkeit Gierkes und anderer Kritiker. Auch die Verjährungsregeln sollten sozial wie das gesamte Privatrecht sein. Hier geht es allerdings nicht um die zahlreichen Einzelfragen der Verjährung, sondern um einige Grundsatzfragen, vor allem um das System der sogenannten „Anspruchsverjährung", von dem Gierke meinte, es sei „ein gekünsteltes und in sich widerspruchsvolles System, auf welches der Gesetzgeber schwerlich verfallen wäre, wenn es nicht von Windscheid als gemeines Pandektenrecht vorgetragen würde" 3 0 1 .

299 Gierke, Reichstag (wie Fn. 213), S. 51: „Wo bleiben da die Wohlthaten dieses neuen Vereinsrechtes? Es nimmt einen verheißungsvollen sozialen Anlauf. Alsbald aber erschrickt es vor der eignen Kühnheit, macht Kehrt und endet damit, dem Vereinsleben allen Rechtsschutz zu entziehen." 300 Vgl Conrad, Die Verleihung der Korporationsrechte (wie Fn. 55), S.402. 301 Gierke, Entwurf, S. 174.

180

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

1. Der erste a) Der

Teil

Entwurf

Grundtatbestand

Der Entwurf regelte die sogenannte „Anspruchsverjährung" in den §§ 154— 185. Schon die Überschrift des betreffenden Abschnitts legte sich damit auf die Terminologie Windscheids fest. §154 I E I lautete: „Das Recht einer Person, von einem Anderen eine Leistung zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung (AnspruchsVerjährung), sofern nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt. Es macht keinen Unterschied, o b der Anspruch auf einem Schuldverhältnisse oder auf einem anderen Rechtsgrunde beruht."

In einem weiteren Absatz wurde festgelegt, daß familienrechtliche Ansprüche auf eine zukünftige Leistung nicht der Verjährung unterliegen. Im Unterschied zur älteren Lehre des gemeinen Rechts und zum deutschrechtlichen Verjährungsbegriff hatte Gebhard dem §169 seines Teilentwurfs302 den engeren Verjährungsbegriff des gemeinen Rechts des 19. Jahrhunderts zugrunde gelegt, wie er vor allem von Windscheid entwickelt worden ist. Die Ersitzung, so meinte er, gehöre nur ins Sachenrecht ebenso wie der Nichtgebrauch, der ebenfalls zum Untergang des Anspruchs oder Rechts führen konnte303. Daß aber nicht nur von einer „Klagenverjährung" gesprochen wurde, begründete Gebhard damit, es könnten sonst Verwechslungen auftreten, weil es nicht um den Verlust der Klagebefugnis, sondern um den Verlust des Rechts selbst gehe304. b) Windscheids

Lehre von der

Verjährung

Die terminologischen Abgrenzungen und ihre dogmatischen Konsequenzen werden nur verständlich vor dem Hintergrund der Lehre Windscheids, der den für den Entwurf zentralen Begriff des Anspruchs in seiner technischen Bedeutung als einem Mittelding zwischen Klage und Recht geprägt hat. Nicht ganz ohne Grund schrieb der Frankfurter Rechtsanwalt Fritz Meyer in einem Gutachten über den Entwurf, der Vorwurf, es handele sich um einen in Paragraphen 3 0 2 § 169 T E : „Das Recht einer Person, von einer anderen Person eine Leistung zu verlangen, ohne Unterschied, ob dasselbe auf einem Schuldverhältniß beruht oder nicht (Anspruch), unterliegt, sofern das Gesetz nicht eine Anderes bestimmt, der Verjährung (Anspruchsverjährung)." Der Text des Teilentwurfs ist abgedruckt bei Albert Gebhard, Entwurf des Allgemeinen Theils, Berlin 1881, in: Schubert, Vorlagen, Allgemeiner Teil 1 (wie Fn.40), S. lff. [ND S. 1 ff.]. Die „Begründung des Teilentwurfs betreffend die Zeit", die Gebhard vorgelegt hat, bezog sich in der Paragraphenzählung auf einen Spezialentwurf, der später in den Teilentwurf als §§ 162ff. eingearbeitet worden ist. Dieser Spezialentwurf ist identisch mit dem Teilentwurf. Er ist abgedruckt bei ferner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Allgemeiner Teil 2, B e r l i n - N e w York 1981, S. 275-283 des Nachdrucks. 303 Albert Gebhard, Begründung des Teilentwurfs betreffend die Zeit, in: Schubert, Vorlagen, Allgemeiner Teil2 (wie Fn.302), S.20 [ N D S.308], 304 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.20 [ N D S.308].

III. Die

Verjährung

181

gefaßten Abschnitt aus Windscbeids Pandekten, sei im Hinblick auf die Verjährungsvorschriften besonders gerechtfertigt305. Das war zwar übertrieben, aber in vielen Punkten auch begründet. In Ubereinstimmung mit dem älteren gemeinen Recht 306 lehrte Windscheid, daß der Inhalt der Verjährung der Erwerb beziehungsweise der Verlust von Rechten aufgrund von Zeitablauf sein könne 307 . Ersitzung und Verjährung im heutigen Sinne wurden also in ein einheitliches Institut zusammengefaßt. Die so entstandene rechtliche Situation war nicht mehr angreifbar. Die Legitimation für diese Regel leitete Windscheid aus der Neigung ab, Zustände, die eine gewisse Dauerhaftigkeit erlangt haben, als rechtmäßig anzusehen. Er schrieb, derjenige, der eine Rechtsposition auf diese Weise verliere, könne sich auch nicht beschweren, weil es ihm freigestanden hätte, den bestehenden Zustand abzuwehren. „Da er das nicht gethan hat, mag er die Folgen tragen" 308 . Allerdings, so betonte Windscheid, würden diese Regeln im römischen Recht nicht unterschiedslos für alle Rechte gelten, sondern nur für die „Ansprüche". Erst in neuerer Zeit habe sich eine Verjährung herausgebildet, die für alle Rechte gültig sei, die sogenannte „unvordenkliche Verjährung"309. Unter einem „Anspruch" verstand Windscheid „das Recht von einem Anderen Etwas zu verlangen"310. Die Ansprüche - mit Ausnahme der Steuerforderung des Fiskus - könnten dadurch verloren gehen, so Windscheid, „daß sie, obgleich ihnen der thatsächliche Zustand nicht entspricht, eine längere Zeit hindurch unausgeübt" blieben311. Da die Verjährung im öffentlichen Interesse eingeführt worden sei - hier scheint ein erster Bezug zur sozialen Aufgabe des Privatrechts auf - , könne sie vertraglich weder ausgeschlossen noch erschwert werden312. Windscheid lehrte, die erste Voraussetzung der Verjährung sei, daß der An305 Fritz Meyer, Die Lehre von den Zeitbestimmungen, Bedingungen und Befristungen und der Anspruchsverjährung nach dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (§§ 128-185), in: Gutachten aus dem Anwaltsstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 933-954, hier S. 945. - Insgesamt herrschte Einigkeit darüber, daß der Entwurf auf Windscbeids Anspruchsbegriff aufbaue. In diesem Sinne äußerten sich etwa: Otto Bahr; [Gutachten:] Ist der Begriff der Anspruchsverjährung im Sinne des Entwurfes des B.G.B, beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1889, S. 285-305, hier S. 285-287; Eduard Holder, Die Normirung der Verjährung im Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Archiv für Bürgerliches Recht 11 (1896), S. 217-250, hier S. 219, letzterer bezogen auf die Reichstagsvorlage, die insoweit aber nicht vom E I abwich. 3 0 6 Zum älteren gemeinen Recht: Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, München 1989, § 45 I, S. 280. Zum jüngeren gemeinen Recht: Akio Ebihara, Savigny und die gemeinrechtliche Verjährungslehre des 19. Jahrhunderts, in: SZRom 110 (1993), S.602-637. 307 Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl. Frankfurt am Main 1887, §105, S.338. 308 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), §105, S.339. 309 Windscheid, Pandekten (wie Fn.307), § 105, S.341. 310 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 43, S. 111. 311 Windscheid, Pandekten (wie Fn.307), §106, S.342f. 312 Windscheid, Pandekten (wie Fn.307), §106, S.344.

182

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

spruch noch nicht erfüllt sei313. Zweitens dürfe der Anspruch nicht „ausgeübt" worden sein. Denn entweder bewirke die Ausübung die Erfüllung oder eine Unterbrechung der Verjährung etwa durch eine Abschlagszahlung oder Klageerhebung des Gläubigers314. Die dritte Voraussetzung der Verjährung sei der Ablauf einer Verjährungsfrist, die von Fall zu Fall unterschiedlich sein könne. Die Fristen betrugen 2 Monate, ein halbes Jahr, ein Jahr, 4, 5,10,20, regelmäßig 30, mitunter 40 oder gar 100 Jahre315. Nach römischem Recht sei allerdings im Unterschied zum kanonischen die Redlichkeit des Verpflichteten nicht nötig316. Die Rechtsfolge der Verjährung sei eine die Geltendmachung des Anspruchs dauerhaft ausschließende Einrede317. Windscheid sprach sogar von einer Aufhebung und Beseitigung des Anspruchs. Das sollte aber nicht von dem zugrundeliegenden Recht gelten. Ein obligatorisches Recht ging danach in dem nun verjährten Anspruch auf. Ein dingliches Recht hingegen bestand fort, nur geschmälert um den verjährten Anspruch318. Wessen dinglicher Herausgabeanspruch also beispielsweise verjährte, konnte nur dem Schuldner gegenüber sich nicht mehr auf sein dingliches Recht berufen, anderen gegenüber aber blieb er Eigentümer dieser Sache. Neben der bislang dargestellten „Anspruchsverjährung" hatte das gemeine Recht319 die sogenannte „unvordenkliche Verjährung" entwickelt. Dabei ging es um die Anerkennung eines Zustandes als rechtmäßig, der „seit Menschengedenken" bestanden hat320. Windscheid sah den Gedanken sowohl im römischen Recht als auch im kanonischen und deutschen Recht verwirklicht. „Die unvordenkliche Verjährung sanctionirt alle Zustände der Rechtsausübung und Rechtsnichtausübung"321. Voraussetzung war, daß der gegenwärtige Zustand ununterbrochen schon so lange andauert, wie das Gedächtnis der jetzt lebenden Menschen reicht. Dazu gehörte jedoch nicht nur die Wahrnehmung der Lebenden, sondern auch, daß frühere Generationen nicht etwas Gegenteiliges überliefert haben322. Der Gegenbeweis war erbracht, wenn der betreffende Zustand innerhalb der letzten zwei Menschenalter, wofür damals im Anschluß an das kaWindscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 107, S. 344. Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 108, S. 350-352. 315 Windscheid, Pandekten (wie Fn.307), §110, S.356-358. 316 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), §111, S.358f. 317 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 112, S. 359. 318 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 112, S. 360. 319 Gierke hielt die Idee der Unvordenklichkeit allerdings für im deutschen Recht „von je" vorhanden, obgleich sich erst im gemeinen Recht ein eigenständiges Rechtsinstitut daraus gebildet habe, ders., Deutsches Privatrecht I (wie Fn. 78), S.313f. 320 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 113, S. 364. - Der zugrundeliegende Rechtsgedanke ist derselbe wie bei § 1006 BGB. Vorläufer von § 1006 BGB sind aber erst von der Vorkommission des Reichsjustizamtes als §944a entwickelt worden, vgl. Prot. RJA, S. 967, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Sachenrecht I, S.871. 321 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 113, S. 366. 322 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), § 113, S. 366. 313 314

III. Die

Verjährung

183

nonische Recht (VI 2.13.1) insgesamt ca. 80 Jahre angesetzt wurden, einmal nicht bestanden hat 323 .

c) Teilentwurf und

Entwurf

(1) Die soziale Aufgabe der

Anspruchsverjährung

Gebhard legte seinem Entwurf das beschriebene System der Anspruchsverjährung zugrunde. Die unvordenkliche Verjährung hatte darin keinen Platz. Anders als im gemeinen Recht wurde auch die Ersitzung nicht als Sonderfall der Verjährung behandelt. Die Immobiliarersitzung war ausgeschlossen und die Mobiliarersitzung im Sachenrecht geregelt 324 . Der Entwurf kannte schließlich ebenfalls im Unterschied zum gemeinen Recht kein Erlöschen der Rechte durch Nichtgebrauch. Bemerkenswert ist, wie Gebhard die Notwendigkeit der Regelung der Anspruchsverjährung begründet hat. Das ist insbesondere deshalb interessant, weil sich darin zeigt, daß im Vordergrund nicht die Interessen des Schuldners oder sonstige Individualinteressen standen, sondern soziale Belange. Auch Gebhard maß dem Verjährungsrecht eine soziale Aufgabe zu. In seiner Begründung schrieb er: „Grund und Zweck der Anspruchsverjährung ist, der Behelligung mit veralteten Ansprüchen ein Ziel zu setzen. Der Verkehr erträgt es nicht, daß lang verschwiegene, in der Vergangenheit vielleicht weit zurückliegende Thatsachen zur Quelle von Anforderungen zu einem Zeitpunkte gemacht werden, in welchem der in Anspruch genommene Gegner in Folge der verdunkelnden Macht der Zeit entweder gar nicht mehr oder doch nur sehr schwer noch in der Lage ist, die ihm zur Seite stehenden entlastenden Umstände mit Erfolg zu verwerthen. Anforderungen dieser Art sind der Regel nach innerlich unbegründet oder bereits erledigt. D e r Schwerpunkt der Verjährung liegt nicht sowohl darin, daß dem Berechtigten sein gutes Recht entzogen, sondern darin, daß dem Verpflichteten ein Schutzmittel gegeben wird, gegen voraussichtlich unberechtigte Ansprüche ohne Eingehen auf die Sache sich zu vertheidigen. Die rechtsvernichtende Kraft der Verjährung ist das Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck. Geschieht im einzelnen Falle der materiellen Gerechtigkeit Eintrag, geht der Berechtigte seines wohlbegründeten Anspruchs durch die Verjährung verlustig, so ist dies ein Opfer, das der Betroffene dem Gemeinwohl bringen m u ß " 3 2 5 .

Diese Passage zeigt in aller Deutlichkeit, welche Funktion die Verjährungsvorschriften für die Erhaltung des Rechtsfriedens haben sollten. Der Rechtsfriede war in den Augen Gebhards ein Gemeinschaftswert, zugleich jedoch auch ein Ziel, das sich mit einer liberalen und wirtschaftsfreundlichen Auffas-

323 Windscheid, Pandekten (wie Fn. 307), §113, S. 367. Übereinstimmend, wenngleich konstruktiv anders (Rechtsvermutung statt Verjährungsregel) Gierke, Deutsches Privatrecht I (wie Fn. 78), S. 316-318.

Vgl. §§881-889 E I. Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn. 303), S. 21 [ND S. 309]. Großenteils wörtlich übereinstimmend: Motive I, S.291. 324 325

184

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

sung verträgt, da man gerade im Warenhandel darauf angewiesen ist, nur eine möglichst kurze Zeit Forderungen der Handelspartner, insbesondere Regreßansprüchen, ausgesetzt zu sein. Sieht man genauer hin, so entsprach diese Idee in ihrer Konsequenz ferner genau den Forderungen des Gemeinschaftsgedankens Gierkes, weil rechtliche Regelungen getroffen werden sollten, die die Individualansprüche zugunsten eines Gemeinschaftsinteresses beschränkten. Im Interesse des Funktionierens des Rechtsverkehrs der Gemeinschaft mußte nach Ablauf einer Frist der Einzelne auf die Durchsetzung bestimmter subjektiver Rechtspositionen verzichten. Hier wurde also gerade Rücksicht genommen auf die Eingebundenheit des Einzelnen in die Rechtsgemeinschaft. Neben den Topos des Gemeinschaftsgedankens tritt in Gebhards Argumentation andeutungsweise der Schutz des Schwächeren. Dem Verpflichteten, so sagte Gebhard, müsse ein Schutzmittel gegen unberechtigte Ansprüche gegeben werden. Hinzuzudenken ist folgendes: der Verpflichtete ist wegen der Beweisschwierigkeiten zugleich regelmäßig der Schwächere, wenn er sich gegen unberechtigte Ansprüche verteidigen soll, deren Entstehung weit zurückliegt. (2) Die Voraussetzungen

der

Verjährung

Sowohl nach dem Teilentwurf als auch nach dem ersten Entwurf war die Verjährung wie im jüngeren gemeinen Recht an die Voraussetzung gebunden, daß der Anspruch noch nicht befriedigt und auch nicht ausgeübt worden ist. Diese Voraussetzungen waren zusammengefaßt in der positiven Formulierung des § 154 I E I, der einen Anspruch als Gegenstand der Verjährung bezeichnete 326 . Das Recht, von einem anderen eine Leistung zu verlangen bestand aber nur, wenn es nicht bereits erfüllt oder ausgeübt worden ist, was, wie Gebhard ausführte, bei den obligatorischen Ansprüchen auf ein- und dasselbe hinauslaufe 327 . Als negative Tatbestandsvoraussetzung bezeichnete Gebhard das Nichtvorhandensein eines Unterbrechungsgrundes. Diese Voraussetzung sei jedoch aus praktischen Erwägungen der Beweislastverteilung wie eine rechtshindernde Tatsache als Einwendung zu konstruieren 328 . Gebhard hat die Beweislastverteilung nicht weiter begründet, sondern sie schlicht als „sachgemäß" bezeichnet 329 . Schließlich mußte die Verjährungsfrist abgelaufen sein. Der Entwurf unterschied wie das bislang geltende Recht die regelmäßige 30jährige Verjährungsfrist und die kurze Verjährung in zwei beziehungsweise vier Jahren 330 . Die erste Kommission

übernahm die Grundprinzipien der Verjährung nach

Vgl. oben S. 180. Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.23 [ND S.311]. 328 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.23 [ND S.311], 329 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.23 [ND S.311], 330 §§ 155-157 E I ; §S 170-172 TE. - Eine Übersicht über das um 1880 in Deutschland geltende Recht der kurzen Verjährung enthält die Anlage III zu Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), N D S.605ff. 326 327

III. Die

Verjährung

185

dem Vorschlag Gebhards™. Insbesondere entschied sie sich nach längerer Diskussion 332 , von „Anspruchsverjährung" und nicht von „Klageverjährung" zu sprechen. Die Motive begründeten das in Ubereinstimmung mit dem zitierten Argument Gebhards333 damit, der Begriff „Klageverjährung" lege das Mißverständnis nahe, die Verjährung betreffe nur die Klagebefugnis, nicht aber „die Berechtigung selbst" 334 . Anders als im Teilentwurf Gebhards beschloß allerdings die Kommission nicht die Einführung einer einjährigen beziehungsweise dreijährigen kurzen Verjährung für bestimmte Fälle, sondern auf Antrag v. Webers eine einheitliche zweijährige kurze Verjährung, um eine möglichst klare und einfache Regel zu schaffen, die Eingang in das Volksbewußtsein nehmen könne 335 . Auf die Redlichkeit des Verpflichteten sollte es im Unterschied zum kanonischen Recht nicht ankommen, weil diese nur in Systemen vernünftig sei, wo es wie bei der Ersitzung auf das Verhalten des Verpflichteten ankomme, wie Gebhard meinte. Hier jedoch entscheide das Verhalten des Berechtigten, der im öffentlichen Interesse bestimmte Einbußen hinzunehmen habe336.

(3) Die Begründung

für die Dauer der Fristen

Schon im 19. Jahrhundert wurde diskutiert, ob nicht die regelmäßige Verjährungsfrist von dreißig Jahren zu lang sei. Der moderne Verkehr und die schnelllebige Zeit, so Gebhard, lasse vielen eine Frist von zehn bis zwanzig Jahren ausreichend erscheinen 337 . Für die meisten Forderungen des täglichen Lebens sehe aber der Entwurf bereits eine kurze Verjährung vor. Die dreißigjährige Dauer der regelmäßigen Verjährung gleiche etwas die Nachteile des Berechtigten aus, die dieser im Interesse der Allgemeinheit zu tragen habe 338 . Bei den Geschäften des täglichen Lebens allerdings überwiege das öffentliche Interesse an der raschen Abwicklung der Schuldverhältnisse und erzwinge die Abkürzung der Fristen 339 . Denn kaum einmal würden die zahlreichen Geschäfte des täglichen Lebens über längere Zeit erinnerlich bleiben. Und Quittungen würden selten ausgestellt, noch seltener verwahrt. Der Schuldner und seine Erben müßten vor der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme durch unsolide Gläubiger in einer schwierigen Beweissituation bewahrt werden. Die Wahrung des Rechtsfriedens und die Verminderung zweifelhafter Prozesse sowie der Schutz des Schuldners vor Behelligungen und Schikanen seien allerdings nur die eine Seite. 331 Vgl. vor allem die Kommissionssitzung vom 10. O k t o b e r 1877, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1003. 332 Vgl. Sitzung vom 10. O k t o b e r 1877, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1003. 333 Vgl. oben S. 180 bei Fn. 304. 334 M o t i v e I, S. 289f.; Gebhard, B e g r ü n d u n g des Teilentwurfs (wie Fn. 303), S. 20 [ N D S. 308]. 335 Prot. I 333f., in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1014. 336 Gebhard, B e g r ü n d u n g des Teilentwurfs (wie Fn. 303), S. 30 [ N D S. 318]; Motive I, S. 296f. 337 Gebhard, B e g r ü n d u n g des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.29f. [ N D S.317f.]. 338 Gebhard, B e g r ü n d u n g des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.30 [ N D S.318]. 339 Gebhard, B e g r ü n d u n g des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.31 [ N D S.319],

186

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Hinzukomme ein wichtiger volkswirtschaftlicher Grund für die kurze Verjährung. Sie verhindere nämlich eine zu starke Verbreitung des „Borgsystems im Geschäftsverkehr". Der Geschäftsverkehr könne sonst geneigt sein, auf die rasche Geltendmachung von Forderungen zu verzichten, um die Kundschaft zu halten, wodurch dann große Beträge des Betriebskapitals gebunden würden. Grundbedingung einer florierenden Wirtschaft sei aber der „schnelle Umsatz". Bei einer kurzen Verjährungsfrist verliere die Geltendmachung von Forderungen jede Anstößigkeit. Schließlich werde der Verbraucher - damals noch als „Konsument" bezeichnet - vor leichtsinniger Verschuldung bewahrt, die durch Zuwarten immer schwieriger abzutragen sei340. Diese wirtschaftlichen Überlegungen entsprachen übrigens den Vorstellungen zahlreicher Handelskammern, die in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts entsprechende Petitionen an die Kommission gerichtet hatten341. Als Grund für die kurze Verjährung der Rückstände wiederkehrender Leistungen machte Gebhard neben der Berufung auf zahlreiche gesetzliche Vorbilder vor allem die Gefahr der Überschuldung geltend, wenn die Teilbeträge nicht regelmäßig getilgt werden342. Die Motivation der vorgeschlagenen Regelung durch Gebhard war also vielschichtig: die Wahrung des Rechtsfriedens, die Verminderung der Zahl zweifelhafter Prozesse und schließlich die Bekämpfung des Borgsystems. Letzteres Argument für die kurze - nach Gebhards Vorschlag einjährige - Verjährung stieß in der ersten Kommission auf Kritik. Es wurde angezweifelt, daß die beabsichtigte volkswirtschaftliche Wirkung eintreten werde, solange man nicht die rechtsgeschäftliche Vereinbarung einer Verlängerung der Verjährungsfristen untersagen wolle. Das aber widerspreche den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen" - sc. der Vertragsfreiheit - , was nur durch „Gründe der zwingendsten Art" gerechtfertigt werden könne 343 . Dieser Einwand war mitverantwortlich dafür, daß sich die erste Kommission für eine einheitliche zweijährige kurze Verjährung entschieden hat344. Dennoch ist festzuhalten, daß die rechtspolitische Absicht der Zurückdrängung des Borgsystems nicht zurückgewiesen, sondern nur die Tauglichkeit der vorgeschlagenen Bestimmungen zur Erreichung dieses Ziels bestritten worden ist. Im übrigen ist erstaunlich, daß in diesem Zusammenhang in der Kommission nicht § 196 T E zur Sprache kam, der bereits wie später § 185 E I 345 und schließlich §225 BGB die rechtsgeschäftliche Verlänge-

Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.32f. [ND S.320f.]. Vgl. die Anmerkung Nr.2 bei Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.33 [ND S. 321]. 342 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn. 303), S. 33f. [ND S. 321 f.]. - Den im Text dargestellten Gründen schloß sich bei Gebhard [ND S.322ff.] noch die Motivierung der einzelnen Kategorien kurzer Fristen an. 343 Prot. I 333, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1019. 344 Vgl. auch Motive I, S. 297-300. 345 § 185 E I: „Durch Rechtsgeschäft kann die Verjährung nicht ausgeschlossen und nicht erschwert werden. Sie kann insbesondere nicht durch Verlängerung der Verjährungsfrist erschwert werden. 340

341

III. Die

Verjährung

187

rung der Verjährungsfristen untersagte und sich damit als Gegenargument von Gebhard hätte verwenden lassen. Das Verbot der Erschwerung der Verjährung passierte die Kommissionsverhandlungen ohne Beanstandung, insbesondere ohne Anführung der bewußten „Gründe der zwingendsten Art" 346 . Die Motive beriefen sich dafür nach dem Vorbild der Begründung Gebhards auf ältere Vorschriften 347 . Gebhard hatte noch hinzugefügt, die Verjährungsvorschriften gehörten dem öffentlichen Recht an und seien deshalb jeder Privatverfügung entzogen 348 . Weder Gebhard noch die Kommission noch die Motive stellten also bei der Besprechung des Verbots der Erschwerung der Verjährung den inneren Zusammenhang zum volkswirtschaftlichen Zweck der kurzen Verjährung her, den die Kommission dort angesprochen und mit der Begründung verworfen hatte, der volkswirtschaftliche Zweck könne nur erreicht werden, wenn die rechtsgeschäftliche Verlängerung der Verjährung untersagt werde. Die dort von der Kommission für erforderlich gehaltenen „zwingenden Gründe" wurden bei der Diskussion über §196 TE jedenfalls nicht eingefordert, sondern man begnügte sich mit dem öffentlichen Charakter der Verjährungsvorschriften und dem Hinweis auf ältere Gesetze. Das deutet darauf hin, daß für die Kommission bei der Entscheidung für eine einheitliche zweijährige Verjährungsfrist das Argument der Einfachheit und Klarheit ausschlaggebend war, die wirtschaftlichen Überlegungen Gebhards aber nicht völlig von der Hand gewiesen werden sollten. Letztlich hat Gebhard seine Absicht in abgeschwächter Form durchgesetzt.

(4) Zusammenfassung:

Die soziale Aufgabe der

Verjährungsvorschriften

In der Begründung des Teilentwurfs der Vorschriften über die Verjährung von Gebhard, die die Motive in weitem Umfang auch auf die Vorschriften des EI bezogen haben, wurde die soziale Aufgabe dieser Regelungen in aller Deutlichkeit angesprochen. Nicht das Einzelinteresse des Schuldners an einer möglichst einfachen Aufhebung seiner Schuld und auch nicht das Erfüllungsinteresse des Gläubigers führten dem Gesetzgeber die Hand. Im Vordergrund stand das Gemeinschaftsinteresse an der Erhaltung des Rechtsfriedens. Neben dieses Gemeinschaftsinteresse trat eine - von der ersten Kommission freilich nicht als tragend anerkannte - volkswirtschaftliche Überlegung, die sich ebenfalls nicht am Interesse des einzelnen Unternehmers, sondern an der allgemeinen Prosperität und damit am gemeinschaftlichen Nutzen orientierte. Handel und Produktion, so war der Ausgangspunkt der Überlegung, seien auf einen schnellen Umsatz angewiesen. Dann aber sei es nötig, das Betriebskapital schnell zurückzuführen. Die beiden Gemeinschaftsinteressen an der Verjährung sind dem vor allem von Gierke vertretenen Verständnis von der sozialen Aufgabe des PrivatDie Erleichterung der Verjährung, insbesondere die Abkürzung der Verjährungsfrist, kann durch Rechtsgeschäft bestimmt werden." 346 Prot. I 394, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1047. 347 Motive I, S. 345; Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn. 303), S. 106 [ND S. 394], 348 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S. 105f. [ND S. 393f.].

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Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

rechts zuzuordnen: Da der einzelne in eine Gemeinschaft eingebunden ist, sind seine Rechte durch Gemeinschaftsinteressen begrenzt. Hier zeigt sich eine dieser Grenzen. Diesen sozialen Aspekt der Motivation im Sinne des Gemeinschaftsgedankens gilt es zu betonen, weil man vor der Hand geneigt sein könnte, die Rechtssicherheit lediglich als eine liberale Forderung anzusehen. Erst in zweiter Linie stand das soziale Anliegen des Schuldnerschutzes, insofern er in der Rechtsbeziehung als der Schwächere erscheint. Die strukturelle Schwäche des Schuldners gerade bei den Geschäften des täglichen Lebens erkannte die erste Kommission in der Schwierigkeit, die Erfüllung der Verpflichtungen nach Ablauf einer längeren Zeitspanne noch nachweisen zu können. In durchaus lebensnaher Betrachtung hatte Gebhard gemeint, Quittungen würden selten ausgestellt und noch seltener aufbewahrt. Um den Schuldner vor unberechtigten Prozessen zu schützen, mußte seine Beweisnot verkleinert werden. Dazu diente die Abkürzung der Fristen. Die kurzen Verjährungsfristen erscheinen daher auch als Ausdruck der sozialen Aufgabe des Privatrechts, die Schwächeren gegen die Stärkeren mit den Mitteln der Rechtsordnung zu schützen. Hierhin gehört allerdings nicht die Motivation für die kurzen Fristen bei wiederkehrenden Leistungen. Den Schuldner vor der Vermögenszerrüttung zu bewahren, war ein erzieherisches Anliegen, das man jedoch nicht, jedenfalls nicht unmittelbar und allgemein aus der „Schwäche" des Schuldners ableiten konnte. Unter Umständen konnte nämlich durchaus auch der Gläubiger die schwächere Position haben, etwa wenn er sich als Arbeitnehmer in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Schuldner befand. Festzuhalten bleibt, daß die Regeln des Entwurfs über die Verjährung in den Augen der Kommission vor allem eine soziale Aufgabe hatten und zwar im Sinne sowohl des Gemeinschaftsgedankens wie des Schutzes des Schwächeren. (5) Ablehnung

der unvordenklichen

Verjährung

Es ist noch zu erwähnen, daß die Kommission auf der Grundlage der Ausführungen Gebhards die gesetzliche Fixierung der unvordenklichen Verjährung349 abgelehnt hat. Maßgeblich waren zwei Gründe. Zum einen berief sich Gebhard auf ein im ganzen Gesetzgebungsverfahren stets beliebtes Argument, wenn es darum ging, bestimmte Regelungen abzulehnen: die neuere Gesetzgebung sei der unvordenklichen Verjährung nicht günstig gewesen350. Vor dem Hintergrund des Auftrags an die erste Kommission, das im Reich geltende Privatrecht zu kodifizieren351, hatte diese Feststellung beinahe zwingende Kraft. Gebhard Zum Begriff vgl. oben S. 182. Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S.117 [ND S.405]. Inhaltsgleich schon die Vorlage Nr. 10 von Gebhard an die erste Kommission aus dem Jahre 1877, in: Schubert, Vorlagen, Allgemeiner Teil 2 (wie Fn. 302), ND S. 801 ff. 351 Vgl. Gutachten der Vorkommission vom 15.4. 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Einführung, S. 170-185, hier S. 170, 172, 182. In den zusammenfassenden Vorschlägen stand, der Entwurf solle „das den Gesammtzuständen des Deutschen Reichs entsprechende bürgerliche 349 350

III. Die

189

Verjährung

blieb dabei aber nicht stehen, sondern verneinte auch jedes Bedürfnis für dieses Rechtsinstitut. Das Immobiliarsachenrecht baue, so schrieb er, auf dem Grundbuchsystem auf, das für eine eindeutige Rechtslage sorge, im Schuldrecht genüge die Anspruchsverjährung und ein Erwerb von Rechten entgegen gesetzlicher Vorschriften sei mit den derzeitigen Vorstellungen von Gesetz und Recht nicht mehr zu vereinbaren 352 . Etwas anderes könne aber für bestimmte agrarwirtschaftliche Fragen in der Landesgesetzgebung gelten 353 .

2. Die Kritik am ersten

Entwurf

Die Vorschriften des Entwurfs über die Verjährung hatten ihren Grund in sozialen Überlegungen: Rechtsfriede, Vermeidung unnützer Prozesse im Interesse des Schuldners und Ermöglichung eines raschen Güterumsatzes. Diese Ziele stimmten zwar mit den Vorstellungen derer, die dem Entwurf vorwarfen, seine soziale Aufgabe zu verkennen, überein, aber mit zustimmenden Bemerkungen hielten sich die Kritiker dennoch zurück 354 . Immerhin stieß das Grundkonzept der Verjährung nicht auf Widerspruch. a) Gegen den Begriff

Anspruchsverjährung

Wenngleich die leitenden Grundsätze nicht in Frage gestellt wurden, kann man das von manchen Einzelheiten nicht sagen. So wurde der Begriff der Anspruchsverjährung von vielen abgelehnt 355 , insbesondere vom 20. Deutschen Juristentag 1889 in Straßburg 356 . Die Verhandlungen des Juristentages sind symptomatisch für die Behandlung der Verjährungsregeln in der Kritik, da vorwiegend technische Überlegungen zu den Begriffen „Anspruch", „Klage" und „Forderung" angestellt wurden. Daraus ergaben sich für die meisten Kritiker als wichtigste Fragen diejenigen nach der Verjährbarkeit dinglicher Rechte 357 sowie nach der Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen.

Recht in einer den Anforderungen der heutigen Wissenschaft gemäßen Form kodifizirend zusammenfassen" [S. 182 unter II.]. 352 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn. 303), S. 119 [ND S. 407], 353 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs (wie Fn.303), S. 120 [ND S.408]. 354 Ausdrücklich lobend der Dresdner Rechtsanwalt Gustav Lehmann, Die Anspruchsverjährung des Entwurfs, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams, Berlin 1890 [erschienen seit 1888], S. 97-109, hier S. 97 und 109 sowie Brettner, Zwei Beiträge zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, in: Archiv für Bürgerliches Recht 5 (1891), S.58-76, hier S.58. 355 Z.B. Otto Fischer, Recht und Rechtsschutz. Eine Erörterung der Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Civilprozeß in Beziehung auf den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 118. Vgl. weiterhin die in Fn. 359 bis 370 genannten Autoren. 356 Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 59 357 Dazu vgl. die Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen, Bd. 1, S.219f.

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Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Zwar machten einige geltend, der Ausdruck „Klageverjährung" sei dem der Anspruchsverjährung vorzuziehen, aber damit war weder eine Abkehr von den oben besprochenen Prinzipien des Entwurfs gewollt, noch von seiner Konstruktion. Mit dem Begriff der Klageverjährung war auch nicht eine Rückkehr zu alter germanischer Rechtstradition verbunden, die die Verschweigung anstelle der Verjährung kannte358. Gierke beispielsweise hielt die Klageverjährung nur für einen klareren, verständlicheren und daher vorzugswürdigen Ausdruck359. In diesem Sinne äußerten sich auch Hermann Brückner'1'0, Hermann Gerber*1, Gustav Hanausek362, Gustav Hartmann>a, Fritz Meyer3M, Leopold Pfaff65, Carl Reinhold366, Carl RocholP67 B. Schilling368 und - wenigstens der Sache nach - Otto Bahr369. Gustav Pfizer ging noch darüber hinaus und forderte, die Verjährung von Klagen und Ansprüchen bei den einzelnen Rechtsinstituten zu regeln370. Gottlieb Planck hingegen verteidigte die Wortwahl des Entwurfes. Wer von einer „Klageverjährung" spreche und damit das Recht zu klagen meine, übernehme letztlich den römischen Begriff der actio371, den zu überwinden sich der Entwurf gerade anschicke372. 358 Bei der Verschweigung wurde eine Art Aufgebotsverfahren für den fraglichen Rechtsanspruch durchgeführt. Vgl. Gierke, Deutsches Privatrecht. Bd. 1: Allgemeiner Teil und Personenrecht, Leipzig 1895, S. 311 f. 359 Gierke, Entwurf, S. 40-43. 360 Hermann Brückner, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, in: Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt 35 (1888), S. 193-235, hier S.235. 361 Hermann Gerber, Kritische Erörterungen über einige Materien des bürgerlichen Rechts in Anknüpfung an den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Jena 1891, S. 12. 362 Gustav Hanausek, [Gutachten:] Ist der Begriff der Anspruchsverjährung im Sinne des Entwurfs beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1889, S. 306-332, hier: S. 311-313, 331. Hanausek wies in seinem Gutachten nach, daß die Konstruktion der Verjährung im Entwurf besser zum Begriff „Klageverjährung" passe als zur Anspruchsverjährung, da die hauptsächliche Wirkung der Verjährung der Verlust der klageweisen Durchsetzbarkeit der Forderung sei. 363 Gustav Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, das Aequitätsprincip und die Richterstellung, in: AcP 73 (1888), S.347f. Fn. 19. 364 Meyer, Die Lehre von den Zeitbestimmungen (wie Fn. 305), S.947f. 365 Leopold P f a f f , [Referat:] Ist der Begriff der Anspruchsverjährung im Sinne des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 31-43, hier S.32. 366 Carl Reinhold, Zu dem Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs. I. Zu dem allgemeinen Theile, in: Gruchot's Beiträge 34 (1890), S.513-558, hier S.548f. 367 Rocholl, Vorschläge (wie Fn.89), S.70. 368 Schilling, Aphorismen (wie Fn. 101), S.57. 369 Bahr, Gutachten (wie Fn.305), S.286f., 304. 370 Gustav Pfizer, Wort und That. Ein Nothruf für deutsches Recht, Leipzig 1892, S. 81. 371 Zum Begriff der „actio" im 19. Jahrhundert, insbesondere im Zusammenhang mit der Verjährung vgl. Knut Wolfgang Nörr, Das Aktionenrecht bei Savigny, in: Ius commune 8 (1979), S. 110—119, hier S.112f., 114f., allgemein auch: ders., Aus dem Aktionenrecht der Historischen Schule, insbesondere bei Savigny, in: Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, hrsg. von Kurt Ballerstedt, Frederick Alexander Mann, Horst Heinrich Jakobs, Brigitte KnobbeKeuck, Eduard Picker und Jan Wilhelm, Band 1, Köln 1978, S. 191-198; Oliver Vossius, Zu den

III. Die Verjährung

191

Abweichend von der überwiegend bevorzugten „Klageverjährung" sprach sich der Landgerichtsrat Brettner für die kurze Bezeichnung „Verjährung" aus, die genüge, da die Ersitzung vollkommen getrennt von dieser Materie bleibe373. b) Aufrechenbarkeit

verjährter

Forderungen

Zu den in der Kritik viel beachteten Fragen der Verjährung gehörte die Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen. Der Entwurf hatte in §281 II E I bestimmt: „Eine Forderung, welcher eine Einrede entgegensteht, kann nicht zur Aufrechnung gebracht werden."

Und § 162 III E I schrieb vor: „Sie [sc. die Verjährung] wird auch dadurch nicht gehemmt, daß dem Ansprüche eine zur Aufrechnung geeignete Forderung gegenübersteht oder daß der Anspruch der Anfechtung unterliegt."

Damit sollte klargestellt werden, daß die Verjährungsfristen laufen, auch wenn eine Aufrechnungslage eingetreten war. Dagegen forderte insbesondere Bahr die Zulassung verjährter Forderungen zur Aufrechnung374. Alles andere führe, so sagte er, „zur Ausbeutung der minder gewitzigten Theile unseres Volkes durch die schlaueren"375. Ungerecht sei, wenn etwa ein Kaufmann, der bei einem „Geldhändler" ein Darlehen aufgenommen habe, diesem aber jahrelang auf Rechnung Waren aus seinem Laden ausgehändigt habe, ohne gegen die Darlehensschuld aufgerechnet zu haben, sich beim Versuch, bei der Rückforderung der Darlehensschuld mit seiner kaufrechtlichen Gegenforderung aufzurechnen, der Einrede der Verjährung gegenüber sähe376. Das Prinzip des Schutzes des Schwachen gegen den Starken führte

dogmengeschichtlichen Grundlagen der Rechtsschutzlehre, Ebelsbach 1985, dort S.7 weitere Nachweise. 372 Planck, Zur Kritik, S. 387. Für den Begriff der Anspruchsverjährung auch: Adolf Wach, Der Feststellungsanspruch. Ein Beitrag zur Lehre vom Rechtsschutzanspruch, in: Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Bernhard Windscheid zum 22. Dezember 1888, Leipzig 1888, S. 73-138, hier S. 92. 373 Brettner, Zwei Beiträge (wie Fn.354), S.59. 374 Bahr, Gutachten (wie Fn. 305), S.302f. Ebenso: Fischer, Recht und Rechtsschutz (wie Fn. 355), S. 126; Gierke, Entwurf, S. 175,177\ Hartmann, Civilgesetzentwurf (wie Fn. 363), S. 348 Anm. 19; Holder, Zum allgemeinen Theile (wieFn. 91), S. 146f.-Jacoby, Legislative Erörterungen (wie Fn. 101), S. 172; Joseph Unger, Die Einrede der Vorausklage und der Begriff der Bürgschaft im Deutschen Entwürfe, in: JherJb 29 (1890), S. 1-28, hier S. 27 Anm. 21 [dort wehrt sich Unger vor allem gegen die Behauptung der Motive I, S. 344, im österreichischen Recht sei die Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung nicht möglich]; Zrödtowski, Codifikationsfragen (wie Fn. 92), S.84. 375 Bahr, Gutachten (wie Fn.305), S.302. 376 Bahr, Gutachten (wie Fn.305), S.302f.

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Bahr - und ihm folgend auch Pfaff377 - dazu, für die Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen einzutreten. Hinzu komme, so Bahr, daß noch nicht einmal im Handelsverkehr so strenge Regeln wie im Entwurf gelten würden, wie Art. 911 A D H G B zeige378. Der Deutsche Juristentag beschloß insbesondere aufgrund des Gutachtens von Bahr und des Referats von Pfaff nach dem Vorbild von A L R 1 1 6 §377, die Aufrechnung mit verjährten Forderungen sei zu gewähren, wenn zur Zeit des Eintritts der Möglichkeit der Aufrechnung die Verjährung noch nicht vollendet war379. Hinter dieser Empfehlung stand die Überlegung, den wirtschaftlich Schwächeren und Geschäftsungewandten zu schützen, eine Überlegung, die beispielsweise die Handelskammer in Schweidnitz in einer Eingabe an das Reichsjustizamt ausgedrückt hat 380 . In die gleiche Richtung zielte der Vorwurf von Rechtsanwalt Diekamp gegen die Regelung des E I, daß der Gläubiger verjährte Rechte auch nicht einredeweise geltend machen können sollte. In einem Referat für den Westfälischen Bauernverein bezeichnete er das - freilich im Hinblick auf die Situation beim Viehkauf mit seinen speziellen Verjährungsregeln als eine ungerechte Benachteiligung des gutmütigen Erwerbers gegen den unredlichen Veräußerer381.

c) Ungerechte Bevorzugung von Kapitalforderungen zu Lohnansprüchen und Renten

im Vergleich

Die vom Entwurf vorgesehenen kurzen Verjährungsfristen stießen teilweise auf Kritik. § 156 Nr. 11 E I ließ die Ansprüche „derjenigen, welche im Privatdienste stehen, wegen des Gehaltes, Lohnes oder anderer Dienstbezüge einschließlich der Auslagen" in zwei Jahren verjähren. Dasselbe galt für die Lohnansprüche gewerblicher Arbeiter gemäß § 156 Nr. 12 E I. Wir hatten oben gesehen, wie die kurze Verjährungsfrist mit dem Gemeinschaftsinteresse an einer raschen Abwicklung der Geschäfte des täglichen Lebens begründet worden war, die einerseits dem allgemeinen Rechtsfrieden dienen, andererseits aber auch den Schuldner vor einer Beweisnot in einem Prozeß über weit zurückliegende Gegenstände schützen sollte. Die Konstruktion der kurzen Verjährung der in § 156 Nr. 11 und 12 genannten Ansprüche führt jedoch unter Umständen zu einem Mißverhältnis zwischen regelmäßig verjährenden Kapitalforderungen und P f a f f , Referat (wie Fn. 365), S. 42. Bahr, Gutachten (wie Fn.369), S.303. - Art. 911 A D H G B untersagte wie §390 S.2 B G B die Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung nur für den Fall, daß die Forderung schon zur Zeit der Entstehung der anderen Forderung verjährt war. 379 Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S.60. 380 Vgl. den Bericht in Zusammenstellung, Bd. 6, S.293. 381 Diekamp, Referat über das II. Buch des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, das Recht der Schuldverhältnisse betreffend, in: Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Münster 1890, S. 8-24, hier S. 12. Die Kommission des Bauernvereins stimmte Diekamp zu, vgl. Verhandlungen (wie zuvor), S. 86. 377 378

III. Die

Verjährung

193

Lohnansprüchen, zwischen Kapital und Arbeit. Gierke illustrierte das mit einem Beispiel: „Man stelle sich z.B. vor, daß die Gesellschafterin einer alten reizbaren Dame längere Jahre hindurch kein Gehalt empfängt und jeden Schritt, der ihre Stellung kosten könnte, um so mehr unterläßt, als die bereits kränkelnde Dame öfter versichert, sie werde in ihrem Testament die treuen ihr geleisteten Dienste belohnen. Nach dem Tode der Dame findet sich ein Testament nicht vor, die mehr als zweijährigen Gehaltsrückstände aber sind nun verjährt. Vielleicht hat vor mehr als zwanzig Jahren die Gesellschafterin, die damals in Not war, von der Dame ein Darlehn empfangen. Die Erben finden den Schuldschein im Nachlaß und klagen auf Rückerstattung. Nun kann die Gesellschafterin mit ihren verjährten Gehaltsansprüchen nicht einmal kompensieren" 382 .

Die Lohnansprüche auf der einen Seite wurden nach Gierkes Meinung vom Entwurf nicht ausreichend geschützt. Demgegenüber waren die Ansprüche aus dem Kapitaldarlehen gesichert, weil sie erst nach dreißig Jahren verjährten. Das Beispiel zielte auf das Mißverhältnis der Wertschätzung von Arbeit und Kapital. Während die Ansprüche des Dienstpflichtigen, des Arbeiters, nach dem Entwurf rasch verjährten und der den Lohn schuldig gebliebene „Kapitalist" sich der Geltendmachung der berechtigten Forderungen durch die Androhung der Kündigung zu entziehen vermochte, hatte der Dienstpflichtige nicht einmal die Möglichkeit, mit den Forderungen des Darlehensgebers aufzurechnen. Gierke hat diese Schlußfolgerungen selbst nicht verbalisiert. Dennoch liegen sie auf der Hand. Unterschiedliche soziale Forderungen traten hier in Konflikt. Der Gemeinschaftsgedanke, der den Rechtsfrieden bezweckte, und der Gedanke des Schutzes des Schwächeren auf der anderen Seite. Der Schutz des Schwächeren bedeutete hier ausnahmsweise einmal Schutz des Gläubigers gegen den Schuldner. Die Schwäche des Gläubigers resultierte aus seiner Abhängigkeit vom Schuldner. Der Angestellte ist von seinem Arbeitgeber abhängig, auch in der Situation des Lohngläubigers. Für Gierke stand in dem obigen Beispiel eine andere Überlegung im Vordergrund: Das Mindeste sei, so Gierke, daß die Verjährungsfrist für die Dauer des Dienstverhältnisses gehemmt werde, wie es der Entwurf in § 168 E I383 auch in familienrechtlichen Beziehungen vorschreibe 384 . Die Parallelität der Fälle ergab sich für Gierke aus seinem Verständnis von der Hausgemeinschaft. Der Dienstpflichtige, der in den Herrschaftsverband des Hauses eingetreten ist 385 , sollte 382 Gierke, Entwurf, S. 177. - Zustimmend zum Anliegen Gierkes äußerte sich Hanausek, Gutachten (wie Fn. 362), S.326. 383 Die Vorschrift entspricht inhaltlich dem heutigen §204 BGB. 384 Gierke, Entwurf, S. 177. Ablehnend Meyer (wie Fn.305), S.953. 385 Das war außer bei den Hausbediensteten auch bei den Gewerbegehilfen im 19. Jahrhundert noch sehr weit verbreitet. Noch kurz nach der Jahrhundertwende ergab eine Stichprobe bei 4010 Betrieben einen Anteil von 67,9% Beschäftigten, die im Haushalt des Arbeitgebers mitwohnten, Zahlen nach Clemens Wischermann, Mythen, Macht und Mängel: Der deutsche Wohnungsmarkt im Urbanisierungsprozeß, in: Geschichte des Wohnens 1800-1918. Das bürgerliche Zeitalter, hrsg. von Jürgen Reulecke, Stuttgart 1997, S. 333-501, hier S.487.

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Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

aus Pietät nicht zu Prozessen gegen seinen H e r r n , den G e w a l t h a b e r in der Hausgemeinschaft, gezwungen sein, solange er in die Hausgenossenschaft eingegliedert ist 3 8 6 . D i e E i n b i n d u n g in die Hausgemeinschaft zwang nach Gierke den Dienstpflichtigen zur R ü c k s i c h t n a h m e auf den H a u s h e r r n als Schuldner. Prozesse zwischen den Angestellten und dem H a u s h e r r n würden die H a u s g e meinschaft empfindlich stören. Letztlich gebot also das Interesse am R e c h t s frieden innerhalb der Hausgemeinschaft die Zurückstellung des Interesses an einer raschen A b w i c k l u n g der Alltagsgeschäfte. D e n Ausgleich dieser widerstreitenden Gemeinschaftsinteressen wollte Gierke in einer Parallele zu § 168 E I suchen, der die A n s p r ü c h e zwischen V o r m u n d und M ü n d e l für die D a u e r der Vormundschaft gehemmt sein ließ. Bis z u m E n d e des Dienstverhältnisses sollte die Verjährung der L o h n a n s p r ü c h e g e h e m m t sein 3 8 7 . E i n Mißverhältnis zwischen Kapitalforderungen einerseits und R e n t e n a n sprüchen andererseits machte Gierke im Z u s a m m e n h a n g mit § 1 8 4 I I E I aus. Dieser bestimmte: „Bei selbständigen wiederkehrenden Leistungen ist mit der Verjährung des Anspruches im Ganzen auch der Anspruch auf die bis dahin verfallenen Leistungen verjährt."

N i m m t man § 160 E I hinzu, der festlegte, daß bei solchen Leistungen die Verjährung mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem die Verjährung des A n s p r u c h s auf eine Einzelleistung b e g o n n e n hat, so verjährte also der Hauptanspruch in A b hängigkeit v o n der Verjährung der Einzelleistungen. D e r Beginn der Verjährung eines Rentenanspruchs insgesamt hing also v o n der Verjährung einer E i n zelleistung ab. D a s stieß auf Kritik. Holder meinte, es sei ungerecht, w e n n derjenige, dem eine lebenslängliche R e n t e zustehe, dem aber bisher andere M i t t e l zum Lebensunterhalt ausgereicht hätten, nun nach A b l a u f der Verjährungsfrist für die erste Rentenleistung mit seiner gesamten F o r d e r u n g für die Z u k u n f t ausfallen solle 3 8 8 . I m U n t e r s c h i e d dazu bestimmte der E n t w u r f für unselbständige F o r d e r u n gen, wie z . B . Zinsleistungen, daß die Verjährung vollständig abhängig sei v o m Hauptanspruch, § 1 8 4 I E I: „Ist der Hauptanspruch verjährt, so ist auch der Anspruch auf die von demselben abhängenden Nebenleistungen verjährt, selbst wenn die für den letzteren Anspruch geltende besondere Verjährung noch nicht vollendet ist."

386 Gierke schrieb: „Die von den Motiven ... betonte Rücksichtnahme auf das ,Pietätsverhältnis' aber ... hätte dazu führen müssen, die Hemmung der Verjährung auch auf sonstige Fälle der hausgenossenschaftlichen Verbindung während der Dauer der Hausgemeinschaft zu erstrecken" [Entwurf, S. 177]. 387 So auch Samuel Jacoby, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Auf volkswirtschaftlicher Grundlage in Einzelerörterungen besprochen, III. Schluß des ersten Buches des Gesetzesentwurfes. §§72-205, in: Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik 22 (1889), S.637-710, hier S.673. 388 Holder; Zum allgemeinen Theile (wie Fn. 91), S. 143.

III. Die

Verjährung

195

Warum, so fragte Gierke, solle denn die Verjährung einer einzelnen Rentenleistung über den Beginn der Verjährung der Rente insgesamt entscheiden, nicht aber die Verjährung eines Zinsanspruchs über diejenige des Kapitalanspruchs? Dieses Ergebnis sei „inhaltlich wenig befriedigend"389. d) Ersitzung

von

Grundstücken

Die Abschaffung der Ersitzung des Grundeigentums und dinglicher Nutzungsrechte sowie des Erlöschens von Rechten durch Nichtgebrauch werde, so Gierke, dem „praktischen Bedürfnis" nicht gerecht390. Rechte, die nicht gebraucht würden, verlören nämlich ihre Daseinsberechtigung391. Obwohl er diesen Gedanken hier nicht weiter ausgeführt hat, kommt darin doch ein typisches Anliegen des Gemeinschaftsgedankens im Privatrecht zum Tragen. Gerade für die dinglichen Rechte galt nach Gierke eine besondere Gemeinschaftspflichtigkeit. Sie erschienen ihm wie etwas von der Gemeinschaft dem einzelnen treuhänderisch Uberlassenes. Nutzte er es nicht in der gebührenden Weise, so sollte es an die Gemeinschaft zurückfallen. Der Entwurf hat jedoch im Sinne eines möglichst klaren Grundbuchsystems nicht nur die Ersitzung von Grundstücksrechten, sondern auch ihr Erlöschen durch Nichtgebrauch ausgeschlossen. Eingetragene Dienstbarkeiten etwa sollten danach bis zu ihrer Streichung aus dem Grundbuch aufgrund einer Bewilligung des Berechtigten Gültigkeit behalten, obgleich beispielsweise von einem Wegerecht seit vielen Jahren kein Gebrauch mehr gemacht worden war392. e) Unvordenkliche

Verjährung

Auch die Nichtaufnahme der „Unvordenklichkeit"393 in den Entwurf hielt Gierke für einen Fehler. Die Anerkennung eines „unvordenklichen Besitzzustandes" sei, so führte er aus, oft ein „dringendes Bedürfnis", insbesondere im Nachbarrecht und im Körperschaftsrecht394. Gierke legitimierte dieses Anliegen mit dem Rechtsfrieden, den er sonst in ernster Gefahr sah. Die unvordenkliche Verjährung sollte also einem Ziel dienen, das der Entwurf prinzipiell mit dem Verjährungsrecht ansteuerte. Dabei hielt es Gierke aber nicht für erwähnenswert, daß keine moderne Rechtsordnung die Unvordenklichkeit institutionalisiert hatte. Vielmehr meinte er warnend: 389 Gierke, Entwurf, S. 179; die Unklarheit dieser Vorschriften wurde kritisiert von Fritz Meyer (wie Fn.305), S.952. 390 Gierke, Entwurf, S. 179. 391 Gierke, Entwurf, S. 323; vgl. auch ders., Soziale Aufgabe, S.23. 3 9 2 Dazu Klaus Luig, Historische Betrachtungen über die Ersitzung des Wegerechts nach dem A L R und dem B G B , in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, Köln usw. 1988, S. 95-114. 3 9 3 Zum Begriff vgl. oben S. 182. 394 Gierke, Entwurf, S. 179f.

196

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

„Wird die Heiligkeit des im Dunkel der Vorzeit Gewordenen nicht mehr anerkannt und für alles Bestehende ein erweislicher legitimer Anfang gefordert, so stürzt unser gesamtes System der erworbenen Rechte zusammen und man mag zu einer Neuverteilung der irdischen Güter schreiten!" 3 9 5

Die Unvordenklichkeit hielt Gierke für eine unmittelbare Konsequenz der Rechtsidee - und das hieß bei ihm: des Gemeinschaftsgedankens - , weshalb er ihre Abschaffung im Entwurf als einen schweren Fehler ansah396. Im Unterschied zur verbreiteten gemeinrechtlichen Theorie, die in der Unvordenklichkeit eine Art der Verjährung sah, bezeichnete Gierke die Unvordenklichkeit als eine Vermutungsregel des Inhalts, „daß ein seit unvordenklicher Zeit nach der Art eines Rechtsverhältnisses bestehender Zustand zu irgend einer Zeit auf rechtmäßige Weise begründet sei. Bis zum Beweise des Gegentheils wird angenommen, es sei ein ausreichender Entstehungsgrund vorhanden und nur durch den Zeitablauf verdunkelt" 3 9 7 .

f ) Verkürzung

der

Verjährungsfrist

Julius Baron forderte in einem Zeitungsaufsatz vom 17. Januar 1890 für die Forderungen von Kaufleuten, Fabrikanten und Handwerkern eine einjährige Verjährungsfrist einzuführen, wie es bereits Gebhard in seinem Vorentwurf getan hatte. Interessant ist vor allem die Begründung, die ebenfalls an die Gedanken Gebhards erinnert. Das sogenannte „Borgsystem", bei dem Großhändler und End Verkäufer, Produzenten und Konsumenten jeweils Waren mit Kredit erwarben, hielt Baron in Ubereinstimmung mit anderen für eine der Ursachen der wirtschaftlichen Rezession in den achtziger Jahren des Jahrhunderts. Es sei „ein Krebsschaden" des Wirtschaftsverkehrs. Demgegenüber, so führte er aus, sei es besser, das Betriebskapital möglichst rasch umzusetzen, weil man sich bei mehrfachem Umsatz im Jahr mit geringerem Gewinn zufrieden geben könne. Baron hatte dabei aber keineswegs nur die Interessen der Produzenten und Verkäufer vor Augen, sondern er meinte, es sei insbesondere erforderlich, die unteren Klassen der Bevölkerung vor „unsolider Konsumtion" zu bewahren. Es sei aber eine Aufgabe des Gesetzgebers, hier steuernd einzugreifen. Das geeignete Mittel dazu sei die Abkürzung der zweijährigen Verjährungsfrist auf eine ein-

395 Gierke, Entwurf, S.180. - An Stellen wie dieser wird deutlich, daß Gierkes Sozialismus sich in durchaus bürgerlichen Grenzen hielt. Eine Revolution war für ihn ein Schreckgespenst. Andererseits ist es zu weitgehend, Gierke als „liberal" einzustufen [zum Problem der Liberalität Gierkes vgl. schon oben Fn. 139]. Dafür genügen auch Äußerungen wie die Zitierte nicht. 396 Gierke, Deutsches Privatrecht I (wie Fn. 78), S.314f. „... die Annahme, daß das im Dunkel der Vorzeit Gewordene rechtmäßig geworden sei, fließt unmittelbar aus der Rechtsidee" [S. 315]. Die Motive [I, S. 346f.] hatten die Ablehnung der Aufnahme damit begründet, die Bedürfnisse würden bereits durch die Verjährung abgedeckt. Auch sei das Wesen der Unvordenklichkeit bis heute streitig geblieben. 397 Gierke, Deutsches Privatrecht I (wie Fn. 78), S. 315.

III. Die

Verjährung

197

jährige, wie sie auch von einigen Handels- und Gewerbekammern gefordert werde 398 . Baron hat also exakt die Argumentation von Gebhard - vermutlich auf der Grundlage der Motive - wiedergegeben, die dieser zur Begründung der einjährigen kurzen Verjährungsfrist vor der ersten Kommission vorgetragen hatte. Bemerkenswert ist, daß Baron und Gebhard in ihren Forderungen zwar wirtschaftliche Interessen vertraten, diese aber einen durchaus sozialen Charakter hatten. Eine funktionierende Wirtschaft wurde als nützlich für das Gemeinwohl angesehen. Darüber hinaus verbanden sie damit den Schutz der wirtschaftlich Schwächeren, die zu leichtsinniger Kreditaufnahme verführt werden könnten und Schulden machen würden, die sie nicht ohne Ruin abtragen könnten. Ganz im Sinne von Baron hatte sich zuvor auch schon SamuelJacoby geäußert 399 . Demgegenüber pflichtete Gustav Lehmann der Kommission ausdrücklich darin bei, daß die Verkürzung der Verjährungsfristen kaum geeignet sein dürfte, das Borgsystem zu bekämpfen. Er meinte, nach englischem und amerikanischem Vorbild würde sich wohl eher die Einführung von Rabatten im Falle sofortiger Zahlung eignen, um einen beschleunigten Umsatz des Betriebskapitals zu erreichen 400 . Allerdings schlugen unter anderen Lehmann und Holder vor, die dreißigjährige Verjährungsfrist abzukürzen. Lehmann meinte, die jetzigen Verkehrsverhältnisse verlangten eine ordentliche Frist von allenfalls zehn Jahren und nur ausnahmsweise zwanzig Jahren. Bereits nach diesem Zeitraum gelte die von den Motiven angesprochene Gefahr der Verdunkelung der wirklichen Rechtslage 401 . Holder wollte regelmäßig zwanzig Jahre zulassen 402 . Ohne weitere Begründung als die Berufung auf das „raschere Leben" schlug auch Bingner die Abkürzung auf zwanzig und „für die meisten Fälle auf 10 Jahre" vor 4 0 3 . Darüber hinaus wollte Lehmann die kurze Verjährung für rechtsgeschäftliche Zinsen nach vier Jahren (§ 157 E I) auch auf die gesetzlichen Zinsen erstreckt wissen. Hier treffe, so Lehmann, den Staat die Pflicht, über den wirtschaftlich Schwächeren schützend die Hand zu halten und ihn so vor übermäßigen Zinslasten zu bewahren 404 .

398 Julius Baron, Die Verjährung im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 17. Januar 1890, Morgenausgabe, Nr. 27, S. 1. — Gegen eine solche Abkürzung der Frist beispielsweise Fritz Meyer; Die Lehre von den Zeitbestimmungen (wie Fn. 305), S. 951. 399 Jacoby, Der Entwurf ... III. (wie Fn.387), S.672f. 400 Lehmann, Die Anspruchsverjährung (wie Fn. 354), S. 100. 401 Lehmann, Die Anspruchsverjährung (wie Fn. 354), S. 100-103. Zustimmend Hartmann, Civilgesetzentwurf (wie Fn.363), S.351. 402 Holder, Zum allgemeinen Theile (wie Fn. 91), S. 142. - Zum E II äußerte er sich sogar im Sinne einer Abkürzung auf zehn Jahre, vgl. unten bei Fn.445. 403 Bingner, Bemerkungen (wie Fn. 101), S. 85. 404 Lehmann, Die Anspruchsverjährung (wie Fn. 354), S. 99.

198

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen Teil

g) Unterbrechende

Wirkung der Mahnung

Z u m Schutze des Gläubigers vor unnötigen K o s t e n verlangte der H a m b u r g e r Rechtsanwalt Horwitz405, man solle auch der einfachen, unter U m s t ä n d e n an bestimmte F ö r m l i c h k e i t e n bei der Zustellung gebundenen M a h n u n g die W i r kung der U n t e r b r e c h u n g der Verjährungsfrist beimessen und nicht nur der gerichtlichen G e l t e n d m a c h u n g , wie sie § 1 7 0 E I (entspricht weitgehend § 2 0 9 B G B ) vorsehe 4 0 6 . D e n n , so argumentierte er, nur zu oft sei zwar der A n s p r u c h des Gläubigers klar gegeben, eine Zwangsvollstreckung aber aussichtslos. W e n n sich nun der Gläubiger den A n s p r u c h für den Fall, daß der Schuldner einmal wieder zu G e l d k o m m e , sichern wolle, müsse er unnötig ein kostenträchtiges Gerichtsverfahren einleiten 4 0 7 . D e n Schutz des wirtschaftlich Schwachen als G e g e n a r g u m e n t lehnte Horwitz ausdrücklich ab. E s sei eine willkürliche Verallgemeinerung, im Gläubiger einen Kapitalisten, im Schuldner einen armen Tagelöhner zu sehen. D i e Situation k ö n n e auch genau u m g e k e h r t sein. „Man denke doch nur an die Handwerker und Ladeninhaber, die sich bei drohendem Ablauf der Verjährungsfrist vor die peinliche Wahl gestellt sehen, entweder ihr Guthaben einzubüßen oder durch eine Klage den sozial und wirthschaftlich oft hoch über ihnen stehenden Kunden vor den Kopf zu stoßen!" 408 D o c h nicht nur für den unter U m s t ä n d e n wirtschaftlich unterlegenen G l ä u biger, so meinte Horwitz, sondern auch für den Schuldner erweise sich die v o m E n t w u r f vorgeschlagene Regelung nicht unbedingt als segensreich, weil der Gläubiger, anstatt stillzuhalten bis der Schuldner wieder zu G e l d g e k o m m e n ist, sich einen vollstreckbaren Titel verschaffen und v o n diesem dann möglichst G e brauch machen werde 4 0 9 . Wenngleich die E i n w ä n d e v o n Horwitz nicht unmittelbar überzeugen, weil es dem E n t w u r f letztlich um eine Risikoverteilung ging, die zu Lasten des G l ä u bigers ausging, da man sonst den Schuldner mit einem Beweisrisiko belasten würde, das er kaum auf geeignete Weise begrenzen k ö n n t e , so ist es Horwitz d o c h gelungen, die A m b i v a l e n z des sozialen T o p o s „Schutz des S c h w ä c h e r e n " herauszuarbeiten. D e n T o p o s selbst hat Horwitz keineswegs abgelehnt. Seine A r g u m e n t a t i o n setzte vielmehr voraus, daß der S c h u t z des Schwächeren gegen den Stärkeren ein rechtsethisches Ziel sei, aber die v o m E n t w u r f vorgeschlagenen Mittel waren seiner M e i n u n g nach nicht unbedingt zielführend. Was im R e gelfall als Vorteil des Schuldners gedacht war, k o n n t e im Einzelfall zu seinem Nachteil ausfallen. D e r Schuldner k o n n t e auch einmal ein sozial überlegener 405 O. Horwitz, Die Unterbrechung der Verjährung, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890 [erschienen seit 1888], S. 577-588. 406 Horwitz, Die Unterbrechung der Verjährung (wie Fn.405), S.578f. 407 Horwitz, Die Unterbrechung der Verjährung (wie Fn.405), S.579. 408 Horwitz, Die Unterbrechung der Verjährung (wie Fn.405), S.581. 409 Horwitz, Die Unterbrechung der Verjährung (wie Fn.405), S.582.

III. Die

Verjährung

199

Kunde eines armen Handwerkers sein. Das Beispiel lehrt auf anschauliche Weise, wie eine soziale Regel das Gegenteil ihres Zwecks bewirken kann oder - umgekehrt und konkret gesprochen - wie sich die den Gläubiger begünstigende Erleichterung der Unterbrechung mit dem sozialen Topos vom Schutz des Schwächeren begründen ließ.

h)

Zusammenfassung

Die Materialien des ersten Entwurfs ließen klar erkennen, daß es der Kommission bei den Vorschriften über die Verjährung vor allem um zwei Aspekte der sozialen Aufgabe des Privatrechts ging, nämlich um das Gemeinschaftsinteresse des Rechtsfriedens und den Schuldnerschutz. Die von Gebhard ins Spiel gebrachte Überlegung, mit den Verjährungsregeln dem Borgsystem zu steuern, wurde von der Kommission zwar nicht verworfen, aber doch als nicht tragend bezeichnet. Diese Grundmotive der ersten Kommission stießen auch bei denen, die sich besonders deutlich der sozialen Aufgabe des Privatrechts verpflichtet fühlten, nicht auf Widerspruch. Trotz vielfältiger Auseinandersetzung mit den Verjährungsvorschriften des Entwurfs schenkte die Kritik den sozialen Aspekten der Verjährung, die die Kommission herausgearbeitet hatte, nur wenig Aufmerksamkeit. Zum Teil gab es sogar ablehnende Äußerungen, wie z.B. von Hermann Gerber, der den Schutz des wirtschaftlich Schwächeren als eine Bedrohung des Rechts schlechthin ansah. Die Verjährung sei, so meinte er, nur eine Zweckmäßigkeitsregel. Die Gläubigerrechte zu verkürzen, sei äußerst bedenklich, weil das die Rechtsidee selbst gefährde410. Im Vordergrund der Kritik standen eher Überlegungen, die der passenden Bezeichnung des Instituts und dem von Windscbeid entlehnten Anspruchsbegriff galten. Mehrheitlich verlangte man in Fortsetzung des alten Sprachgebrauchs von „Klageverjährung" zu sprechen. Unter den Stellungnahmen zum Entwurf war wohl die von Brettner die erste, die schlicht von „Verjährung" zu sprechen riet. Die übrigen hier besprochenen Kritikpunkte waren sämtlich von sozialen Erwägungen getragen. Hauptsächlich hatten die Kritiker dabei den Schutz des Schwächeren vor Augen, den auch die Kommission mit den Verjährungsvorschriften - freilich in sekundärer Weise - erstrebte. Zu den hieraus abgeleiteten Anliegen zählten in erster Linie die Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen, die Verkürzung der Verjährungsfristen auf zwanzig beziehungsweise zehn Jahre für die ordentliche und auf ein Jahr für die kurze Verjährung sowie schließlich die Einbeziehung gesetzlicher Zinsen in die vierjährige Verjährung. Die Schutzfunktion sollte insoweit vor allem den Schuldnern zugute kommen, indirekt aber auch den Gläubigern, soweit sie Warenkredite gaben. Die Bekämpfung des Borgsystems war zugleich ein wirtschaftliches und soziales Vorhaben. Den Kritikern war aber auch bewußt, daß Schuldnerschutz nicht unbedingt zugleich 410

Gerber, Kritische Erörterungen (wie Fn.361), S. 12f.

200

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Schutz des Schwächeren bedeuten mußte. Befand sich der Gläubiger einmal in der schwächeren Position - hierbei dachte man vor allem an die Lohnansprüche der Dienstpflichtigen - , so konnte es geschehen, daß der Lohngläubiger seine Ansprüche nicht geltend machte, um seine Stellung nicht zu verlieren. Um hier Abhilfe zu schaffen, verlangten einige, die Verjährung von Lohnansprüchen erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses beginnen zu lassen. Die unterbrechende Wirkung der Mahnung sollte zum Zwecke des Gläubigerschutzes eingeführt werden. Gierke verknüpfte die Probleme der abhängigen Dienstpflichtigen darüber hinaus auf für ihn typische Weise mit dem Gemeinschaftsgedanken. Zwar empfand auch er den Arbeitnehmer selbst als schutzwürdig, doch für ihn galt es vor allem, die Hausgemeinschaft zu schützen, sofern es um Hausangestellte und in den Hausstand des Arbeitgebers aufgenommene Gewerbegehilfen usw. ging. Die Rücksichtnahme auf den Frieden in der Hausgemeinschaft sollte für den Dienstpflichtigen nicht nachteilig im Hinblick auf seine Lohnforderungen sein. Vorwiegend mit der Tradition, aber auch mit einem praktischen Bedürfnis und der Gefahr schwerer Probleme für die Landbevölkerung begründete Gierke die Forderung, man solle doch im Gesetz auch die Ersitzung von Grundstükken und die unvordenkliche Verjährung zulassen. Ohne die Unvordenklichkeit sah Gierke den Rechtsfrieden als gefährdet an, also ein Gemeinschaftsinteresse, das die Kommission bei der Aufstellung der Verjährungsregeln in den Mittelpunkt gerückt hatte.

3. Vom Entwurf a) Vorkommission

im

zum

BGB

Reichsjustizamt

Die oben erläuterten Kritikpunkte wurden nur zum Teil von der Vorkommission berücksichtigt. Dazu zählte die unter sozialem Aspekt eher marginale Begrifflichkeit. In der Vorkommission des Reichsjustizamtes stellte Planck in Ubereinstimmung mit dem Vorschlag Brettners den Antrag, dem Abschnitt den Titel „Verjährung" zu geben411. Ohne in der Sache eine vom ersten Entwurf abweichende Haltung einzunehmen, akzeptierte die Vorkommission als Uberschrift den Begriff „Verjäh«412

rung . Erfolgreich war die Kritik auch mit ihrem Anliegen, die Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen zuzulassen. Hermann Struckmann beantragte schon in der Vorkommission die Einführung einer entsprechenden Vorschrift413. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit, die mit denen der Kritiker übereinstimmten, beschloß die Vorkommission die beantragte Einschränkung der 411 412 4,3

Planck, Antrag Nr. 1, 60, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1083. Prot. RJA, S. 127, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1090. Struckmann, Antrag Nr. 1, 48, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 1, S.697.

III. Die Verjährung

201

Verjährungswirkungen. Dem Schuldner, so hieß es in den Protokollen, solle kein Nachteil daraus erwachsen, wenn er mit der Durchsetzung seiner Gegenforderung warte. Nach den Verkehrsanschauungen betrachteten beide Vertragspartner ihre jeweiligen Forderungen als Deckungsmittel für die Gegenforderungen414. Die Vorkommission führte also eine Vorschrift ein, die von der Kritik als notwendige Maßnahme vor allem zum Schutz des Schwächeren gefordert worden war und entsprach damit einer sozialen Forderung an das Gesetz, zog sich zur Begründung aber auf eine Argumentation zurück, die der in Kapitel 3 415 besprochenen Blankettformel von den „Bedürfnissen der Gegenwart" entsprach. Die Blankettformel hatte hier also den Schutztopos zum Inhalt. Hinsichtlich der vor allem von Gierke geforderten Einführung einer Hemmung der Verjährung von Lohnansprüchen während der Dauer des Dienstverhältnisses räumte die Vorkommission ein, es ließen sich dafür „manche Gründe" anführen, aber sie sei dennoch abzulehnen, weil sonst „die Dienstherrschaft gezwungen werden würde, sich den Beweis für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen durch Quittungen zu sichern" 416 . In krasser Abweichung von den in der ersten Kommission insbesondere durch Gebhard formulierten sozialen Zielen der Verjährungsvorschriften, zu denen neben dem Rechtsfrieden auch der Schutz des Schwächeren zählte, entschied sich die Kommission für eine Regelung, die die sozial besser gestellten Schichten begünstigte. Der Rechtsfrieden ließ sich dafür wohl kaum als Argument anführen, weil nicht erkennbar ist, daß die Ausstellung von Quittungen in irgendeiner Weise eine Belastung des Friedens darstellen könnte. Auch die Rücksichtnahme auf die Belange der Hausgemeinschaft konnte nicht zu dieser Maßnahme zwingen. Gierke hatte dargelegt, warum gerade die Entscheidung des Entwurfs, die nun beibehalten werden sollte, für die Hausgemeinschaft eine Gefahr darstelle. Immerhin beseitigte die Vorkommission durch eine Gleichbehandlung aller wiederkehrenden Leistungen einen Kritikpunkt Gierkes. Wiederkehrende Rentenansprüche und Zinsen auf Kapitaldarlehen etwa sollten nach demselben System verjähren 417 . Die Dauer der Verjährungsfristen, die der Entwurf vorgeschlagen hatte, blieb in der Vorkommission unbeanstandet418. Immerhin beschloß die Vorkommission, auch die gesetzlichen Zinsen der kurzen Verjährung zu unterwerfen und § 157 E I insofern abzuändern. Damit griff sie eine Anregung auf, die Lehmann gegeben hatte419. Insgesamt konnte sich die Kritik mit ihren sozial motivierten Anliegen in der Prot. RJA, S.245, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 1, S.697. Vgl. oben S. 109. 416 Prot. RJA, S. 135f., in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1093f. 417 Prot. RJA, S.158, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1103. Zu Gierkes Kritik vgl. oben S. 195 bei Fn.389. 418 Prot. RJA, S. 133-137, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1092-1094. 419 Vgl. oben S.197 bei Fn.404. 414 415

202

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Vorkommission des Reichsjustizamtes nur zum Teil durchsetzen. Die Protokolle der Beratungen der Vorkommission über die Verjährungsvorschriften lassen sogar vermuten, daß die Vorkommission nicht einmal die sozialen Überlegungen der ersten Kommission in vollem Umfang teilte. Das deutet mindestens die Stellungnahme zur Frage der Verjährung von Lohnansprüchen abhängiger Dienstleute an. Daneben wirkte die Einbeziehung gesetzlicher Zinsen in die kurze Verjährung und die terminologische Anpassung der Uberschrift in sozialer Hinsicht eher nebensächlich. Immerhin entschied sich die Vorkommission, verjährte Forderungen zur Aufrechnung zuzulassen, wie es Bahr und andere zum Schutz des Schwächeren gefordert hatten420. Doch auch hier folgte die Vorkommission nur dem Ergebnis, nicht der Begründung der Kritik, da sie die Verkehrsanschauungen und die Zweckmäßigkeit in den Vordergrund rückte. Das widersprach zwar nicht direkt einer sozialen Argumentation, aber es verdeckte die eigentlichen Wertungen, so daß hinter dem Schleier der Blankettformel die soziale Absicht nicht mehr deutlich zu erkennen, sondern nur zu erahnen ist. Politisch mochte solche Zurückhaltung allerdings klug sein, obwohl seit dem ersten Entwurf die Aufgeschlossenheit für soziale Überlegungen gewachsen war, wie sich auch daran zeigt, daß die Kritik am Entwurf in zentraler Weise die soziale Aufgabe des Privatrechts betraf. b) Die zweite

Kommission

Nicht besser erging es der Kritik vor dem Forum der zweiten Kommission. Aufgrund eines Antrags von Richard Wilke wurde überlegt, ob man nicht besser von „Klagverjährung" sprechen sollte, wie es die Kritik ganz überwiegend vorgeschlagen hatte und wie es der übliche Ausdruck sei, der auch der Sache nach besser passe, weil nur die Geltendmachung von Ansprüchen Gegenstand der Verjährung sei421. Diese Argumentation entsprach im Kern derjenigen von Pf äff bei den Verhandlungen des Juristentages422. Wilke zog allerdings diesen Antrag im Laufe der Verhandlungen wieder zurück423, ohne daß die Protokolle Aufschluß über die Gründe dafür geben würden. Emil Dittmar stellte einen Antrag auf Veränderung der §§ 162, 281 E I mit dem Ziel, die Aufrechnung mit kurzfristig verjährten Forderungen zuzulassen424. Ahnlich lautete auch ein Antrag von Struckmann, den dieser auch bereits in der Vorkommission gestellt hatte425, und ein weiterer von von Mandry42b. Vgl. oben S.191 bei Fn.374. Wilke, Antrag Nr. 93, 1, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1103. 422 Vgl. oben S. 190 bei Fn.365. 423 Prot. II 1.S.244. 424 Dittmar, Antrag Nr. 84,1-2, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1113 sowie Antrag Nr.22, in: dies., Beratung, Schuldrecht 1, S.698. 425 Struckmann, Antrag Nr. 91, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 1, S. 1113 sowie dies., Beratung, Schuldrecht 1, S.698. - Struckmann wollte die Aufrechenbarkeit nicht nur für Forderungen zulassen, die der kurzen Verjährung unterlagen. 426 von Mandry, Antrag Nr.25, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 1, S.698. 420 421

III. Die

Verjährung

203

Diese Anträge wurden im Zusammenhang mit den übrigen Aufrechnungsvorschriften ausführlich verhandelt. Die in der Vorkommission vorgebrachten Argumente wurden auch hier benutzt, allerdings ergänzt um einige weitere Aspekte: Die Verjährung, so meinten einige, habe den Zweck, Forderungen auszuschließen, die entweder nicht begründet oder schon erfüllt seien, für die aber Quittungen nicht mehr aufbewahrt worden seien. Der Schuldner laufe sonst Gefahr, nach langer Zeit ungerechtfertigt in Anspruch genommen zu werden427. Die Mehrheit hingegen betonte zunächst, daß die Aufrechenbarkeit mit verjährten Forderungen weithin geltendes Recht sei. Billigkeit und Zweckmäßigkeit würden dafür streiten. Wem eine aufrechenbare Gegenforderung zustehe, so heißt es in den Protokollen, der sei nicht veranlaßt, diese geltend zu machen, wenn er seinerseits einen entsprechenden Betrag auch schulde. Zur Aufrechnung brauche er erst zu schreiten, wenn der Gläubiger seinerseits mit Ansprüchen hervortrete. Nur zur Abwendung der Verjährung solle er nicht die Aufrechnung geltend machen müssen428. Mit anderen Worten: den Rechtsfrieden, das Gemeinschaftsinteresse, dem zu dienen die Verjährung bestimmt sein sollte, sah die Kommission als gefährdet an, wenn man nicht die Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung zulasse, denn Unfrieden würde sonst eintreten, wenn der Schuldner, um den Verjährungsfolgen zu entgehen, sich in eine rechtliche Auseinandersetzung begeben müßte. Neben diese Überlegung trat der Gedanke des Schuldnerschutzes: „Dem Gläubiger könne nicht gestattet werden, den Schuldner dadurch um sein Guthaben zu bringen, daß er ihn bis zum Ablaufe der Verjährung in der Meinung belasse, die beiderseitigen Forderungen hätten auf sich zu beruhen, und dann seine nicht verjährte Forderung geltend m a c h e " 4 2 9 .

Hierin spiegelte sich konkret die Warnung Bährs wider, der gemahnt hatte, die „gewitzigten" Leute würde die ehrlichen leicht hinters Licht führen können430. Diese Gefahr rührte daher, daß es, wie die Protokolle betonten, üblich sei, aufrechenbare Schulden nicht zu bezahlen. Die Mehrheit der Kommission machte schließlich noch einen weiteren Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes im Verjährungsrecht geltend: Wenn der Schuldner gezwungen wäre, während der Verjährungsfrist die Aufrechnung zu erklären, müßte er nötigenfalls später, wenn der Gläubiger die Aufrechnung nach Ablauf der Verjährungsfrist bestreiten und seine Hauptforderung geltend machen würde, die Abgabe der Aufrechnungserklärung beweisen, was unter Umständen nicht möglich sei, wenn die beiden Zeitpunkte weit auseinander lägen, wovor es ihn zu schützen gelte431. Wie oben gezeigt worden ist, sollten die Verjährungsvorschriften gerade generell den Schuldner davor schützen, Bewei427 428 429 430 431

Prot. II 1, S.362f. Prot. II 1, S.363. Prot. II l , S . 3 6 3 f . Vgl. oben S. 191 bei Fn.375. Prot. II 1,S. 364.

204

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

se für weit zurückliegende Tatsachen beibringen zu müssen 432 . Dieses Ziel würde aber vereitelt, wenn man die Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung nicht zuließe. Dementsprechend beschloß die 2. Kommission, den §281 E I, wie von der Vorkommission vorgeschlagen, um eine Ausnahme in §334 E II zugunsten verjährter Forderungen zu ergänzen, deren Wortlaut dem §390 BGB entsprach. In getreuer Umsetzung der Prinzipien des Verjährungsrechts entschied sich vor dem Hintergrund der sozialen Kritik am Entwurf also die zweite Kommission wie zuvor schon die Vorkommission des Reichsjustizamtes zu einer Durchbrechung der gewöhnlichen Wirkungen der Verjährung, indem sie verjährte Gegenforderungen für aufrechenbar erklärte. Wie bereits von der Vorkommission in Aussicht genommen, beschloß die 2. Kommission auf einen Antrag Börners hin die Gleichbehandlung der Verjährung aller wiederkehrenden Leistungen 433 . Die wirtschaftlichen Überlegungen zum Kreditwesen spielten bei den Beratungen der zweiten Kommission über eine Verkürzung der Verjährungsfristen für Lieferungen von Landwirten, die nicht zur Verwendung im Haushalt bestimmt waren, eine Rolle. Die Kommission lehnte eine solche Verkürzung ab, weil die Krämerläden auf dem Lande in Zeiten schlechter Ernten auf langfristige Kreditierung angewiesen seien, da auch sie ihren Kunden Kredit gewähren müßten 434 . Auf das Gegenargument des Vorteils eines rascheren Umsatzes des Betriebskapitals ging die Kommission nicht ein. Ausschlaggebend dürften in dieser Frage allerdings die Stellungnahmen Preußens, Bayerns und Sachsens gewesen sein, die die Beschränkung der kurzen Verjährung auf die zur Verwendung im Haushalt bestimmten Waren forderten 435 . Gegen die beantragte einheitliche kurze Verjährung in drei Jahren statt in zwei und vier Jahren wurde von der Kommission geltend gemacht, diese Fristen hätten sich bereits eingebürgert. Im übrigen würde gegen eine Verlängerung der Fristen von zwei auf drei Jahre sprechen, was Baron dazu ausgeführt habe 436 . Hier liegt einer der wenigen Fälle vor, wo die Kommission ausdrücklich auf eine Stimme der Kritik reagiert hat. Das stützt die These, die Kommission habe die Kritik insgesamt so, wie sie in der Zusammenstellung des Reichsjustizamtes geschildert worden ist - eine fehlerhafte Darstellung ist mir in keinem Punkte begegnet - , bei ihren Beratungen stets im Blick gehabt. Es bedeutet freilich nicht, sie hätte diese Kritik auch stets diskutiert und abgewogen, ob man ihr folgen solle. Die 2. Kommission übernahm ferner den Vorschlag der Vorkommission, in § 157 E I nicht nur die rechtsgeschäftlichen, sondern auch die gesetzlichen ZinVgl. oben S. 185. Börner; Antrag Nr. 1, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1121 sowie Prot. II 1, S.236. 434 Prot. II 1, S.204. 435 Prot. II 1, S.204. 436 Prot. II. 1, S.206. Die Stellungnahme Barons ist oben S. 197 bei Fn.398 wiedergegeben. 432 433

III. Die

Verjährung

205

sen der vierjährigen kurzen Verjährung zu unterwerfen. Ausschlaggebend dafür waren die wirtschaftlichen und sozialen Überlegungen, wie sie schon Lehmann formuliert hatte 437 . Das Anwachsen großer Zinslasten sollte zum Schutze wirtschaftlich Schwächerer verhindert werden. Die Verhandlungen der zweiten Kommission über die Verjährungsvorschriften verliefen ganz in den von den Beschlüssen der Vorkommission vorgezeichneten Bahnen. In keiner Frage kam die zweite Kommission zu Regelungen, die im Sinne der sozialen Kritik über den Stand der Vorkommission hinausreichten. Der zweite Entwurf erreichte demnach gegenüber dem ersten nur in zwei Punkten einen Fortschritt, nämlich bei der Einführung der Aufrechenbarkeit mit verjährten Gegenforderungen sowie der Einbeziehung gesetzlicher Zinsen in die vierjährige kurze Verjährung nach § 164 E II 4 3 8 . Die übrigen Forderungen der Kritik fanden hingegen keine Berücksichtigung. Insbesondere wurde eine generelle Verkürzung der Verjährungsfristen nicht einmal diskutiert. Dasselbe gilt von der Behandlung der Verjährung von Lohnansprüchen abhängiger Dienstpflichtiger. Die durch die Streichung von §§160, 184 II E I bewirkte Gleichbehandlung aller wiederkehrenden Leistungen beseitigte zwar eine von der Kritik monierte Benachteiligung von Renten, allerdings in der Weise, daß nun alle wiederkehrenden Leistungen gleichermaßen nachteilig behandelt wurden. Der von Holder diskutierte Fall eines Rentenberechtigten, der erst am Lebensende für die Zukunft auf Rentenleistungen angewiesen sei, die nun aber infolge Verjährung nicht mehr durchzusetzen seien 439 , wurde dadurch freilich nicht gelöst. Im sachlichen Ergebnis ging die zweite Kommission also nicht über die Beschlüsse der Vorkommission des Reichsjustizamtes hinaus. Es fällt aber ein Unterschied zwischen diesen beiden Kommissionen in der Begründung auf. Während sich die Vorkommission auf die Blankettformel von den „Bedürfnissen der Zeit" und der „Zweckmäßigkeit" zurückgezogen hatte, nahm die zweite Kommission die in der Diskussion über den ersten Entwurf verwendeten sozialen Topoi - insbesondere den Gemeinschaftsgedanken und den Schutz des Schwächeren - wieder auf. c)

Bundesrat

In den Beratungen des Justizausschusses des Bundesrats spielte von den oben angesprochenen Fragen des Verjährungsrechts nur die Dauer der regelmäßigen Prot. II 1, S.208; zu Lehmann vgl. oben S. 197 bei Fn.404. § 164 E II: „Mit dem Ablaufe von vier Jahren verjähren die Ansprüche auf Rückstände von Zinsen mit Einschluß der als Zuschlag zu den Zinsen behufs allmählicher Kapitalstilgung zu entrichtenden Beträge, auf Rückstände von Pacht- und Miethzinsen, soweit diese nicht unter die Vorschrift des § 163 Nr. 6 fallen, ingleichen auf Rückstände von Renten, Auszugsleistungen, Besoldungen, Wartegeldern, Ruhegehalten, Unterhaltsbeiträgen und allen sonstigen Leistungen, die in regelmäßig wiederkehrenden Fristen zu entrichten sind." 437

438

439

Vgl. oben S.194 bei Fn.388.

206

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

Verjährungsfrist noch eine Rolle. Bremen hatte nämlich beantragt, diese Frist von dreißig auf zwanzig oder zehn Jahre zu verkürzen. Die dreißigjährige Verjährung gehe hinter das Recht der Hansestädte zurück und sei veraltet, so wurde argumentiert440. Der Vorsitzende des Justizausschusses, der preußische Bevollmächtigte Nieberding441, meinte, eine solche Verkürzung sei zwar als „Kulturfortschritt" zu begrüßen, doch hindere der Rechtszustand in Preußen seine Einführung 442 . Es blieb deshalb bei der regelmäßigen Verjährung in 30 Jahren. d)

Reichstag

Noch im Mai 1896 hatte sich Holder in einem Vortrag mit den Verjährungsregeln des Entwurfs auseinandergesetzt und sich für den Begriff der Klagenverjährung und eine Abkürzung der ordentlichen Verjährungsfrist auf zehn Jahre eingesetzt443. Zwar äußerte er eingangs die Meinung, die Verjährungsregeln hätten keine bestimmte wirtschaftliche Bedeutung444, aber dennoch waren diese Regeln für ihn nicht bedeutungslos. Die Verkürzung der Verjährungsfrist begründete er nämlich mit einer Unzumutbarkeit für den Schuldner, so lange Zeit Beweismaterial über die Erfüllung seiner Schuld aufzubewahren 445 , also einem Aspekt, der von Anfang an eine tragende Bedeutung für das Verjährungsrecht hatte446. Die im Reichsjustizamt gefertigte Denkschrift erteilte derartigen Forderungen eine klare Absage. Die größere Wirksamkeit der Verjährung, die durch die Verminderung der Gründe einer Hemmung, durch die pauschalen Berechnungsmethoden für den Verjährungsbeginn bei der kurzen Verjährung sowie durch die Abschaffung einiger Privilegien erreicht werde, benötige als Ausgleich die lange Dauer der regelmäßigen Verjährung447. Wie auch sonst war die Denkschrift darum bemüht, der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, insbesondere, soweit sie auf ein Verfehlen der sozialen Aufgabe des Privatrechts abzielte. So wies die Denkschrift die Forderung nach einer Verkürzung der kurzen Verjährung auf ein Jahr zurück. Die Hoffnung, 440 Antrag Bremens vom 10.10. 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1140; Begründung vgl. den Bericht von Schicker vom 9.10. 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1141. 441 Vgl. Schulte-Nölke, Reichsjustizamt, S.211. 442 Bericht von Heller vom 9. Oktober 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1141; ebenso der Bericht von Schicker vom selben Tag, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S.1141. 443 Holder, Die Normirung der Verjährung (wie Fn. 305), S. 223 ff. Für eine Verkürzung der Frist auf 10 oder 20 Jahre auch Cretschmar (wie Fn. 183), S. 168, der insgesamt aber auch für eine stärkere Differenzierung der einzelnen Fristen bei der besonderen Verjährung eintrat, S. 168170. 444 Holder; Die Normirung der Verjährung (wie Fn.443), S.217. 445 Holder; Die Normirung der Verjährung (wie Fn.443), S.240f. 446 Vgl. oben S. 185. 447 Denkschrift (wie Fn.251), S.33.

III. Die

Verjährung

207

dadurch das übermäßige Kreditieren „unmöglich zu machen", hielt die D e n k schrift für unrealistisch, weil die Vertragsparteien leicht auf eine Stundung ausweichen könnten. Auch sei eine einheitliche Frist im Interesse der Klarheit und Einfachheit des Gesetzes wünschenswert 4 4 8 . Wie auch schon für die erste K o m mission war hier das entscheidende Argument die voraussichtliche Untauglichkeit des Mittels zum Zweck. Das Borgsystem wurde also nicht etwa als eine schützenswerte Einrichtung aufgefaßt, aber das vorgeschlagene Steuerungsmittel für ungeeignet gehalten. Andererseits ist die Denkschrift nicht auf die Frage eingegangen, ob man die Verjährung der Lohnansprüche von abhängigen Dienstleuten hemmen soll, bis das Dienstverhältnis abgelaufen ist. Die Vorschriften über die Aufrechnung wurden überhaupt nicht von der Denkschrift kommentiert. Die Verjährungsvorschriften spielten in den Verhandlungen des Reichstags über das Gesetzbuch eine vergleichsweise unwichtige Rolle. In der ersten Lesung kamen sie überhaupt nicht zur Sprache. Die X I I . Reichstagskommission beriet jedoch zwei bislang unverwirklichte Forderungen der sozialen Kritik an den VerjährungsVorschriften: die Verkürzung der Fristen für Kaufleute sowie die Hemmung der Verjährung von Lohnansprüchen. Insgesamt 15 Handelskammern hatten sich in F o r m einer Petition für die Einführung einer kurzen Verjährung aller Ansprüche der Kaufleute eingesetzt. § 1 9 1 Nr. 1 der RT-Vorlage hatte die zweijährige Verjährung der Ansprüche der Kaufleute, Fabrikanten, Handwerker und Kunstgewerbetreibenden für die Lieferung von Waren, Ausführung von Arbeiten und Besorgung fremder Geschäfte unter Einschluß der Auslagen dadurch eingeschränkt, daß dies nicht gelten solle, wenn die Leistung für den Gewerbebetrieb des Schuldners erfolgt sei 449 . Die Ausnahme wollten die Handelskammern gestrichen wissen. Unbeeindruckt von der ständigen Ablehnung der Fristverkürzung als Mittel zur B e kämpfung des Borgsystems wurden wieder die bereits bekannten Argumente vorgebracht. Auch bei Leistungen für den Gewerbebetrieb hinderten bislang Rücksichten auf die Konkurrenz die rechtzeitige und strenge Einziehung der Außenstände. Mahnung und Klageerhebung würden leicht die Aufhebung der Geschäftsverbindung nach sich ziehen. Eine kurze Verjährung beseitige „alle diese Ubelstände", weil der Schuldner aus der Wahrnehmung des Geschäftsinteresses des Gläubigers keine Kränkung mehr ableiten könne. Zudem führe das zu einer Stärkung des Barzahlungssystems auch im Kleinhandel und Handwerk, die auf diese Weise besser mit Konsumvereinen und Versandgeschäften aller Art konkurrieren könnten 4 5 0 . Enneccerus machte sich diese Argumentation zu eigen und beantragte eine entsprechende Änderung, was - wie der K o m Denkschrift (wie Fn.251), S.34. Das entsprach übrigens einem Vorschlag Joseph Bachmairs [in: Bericht an das Generalcomite des landwirthschaftlichen Vereines in Bayern über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, München 1889, S. 11], der es am liebsten gesehen hätte, wenn man die Ansprüche der Landwirte überhaupt nicht der kurzen Verjährung unterworfen hätte. 450 Bericht der Reichstagskommission, S.31f. 448

449

208

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

missionsbericht vermerkte - jedoch „mit geringer451 Majorität abgelehnt" wurde 452 . Ganz im Sinne der von Gierke bereits am ersten Entwurf geübten Kritik 453 beantragten die sozialdemokratischen Abgeordneten Frohme und Stadthagen, die Verjährung von Ansprüchen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gehemmt sein zu lassen, falls der Arbeitnehmer in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen worden sei 454 . Zur Begründung rekurrierte Frohme auf das von Gierke gebotene Beispiel von der Dienstmagd, die um des Friedens willen auf die Geltendmachung der Lohnansprüche jahrelang verzichtet hat 455 . Gebhard räumte zwar ein, daß für die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Arbeitgeber lebenden Dienstboten eine gewisse Analogie zu den durch §199 RT-Vorlage 456 geschützten familienrechtlichen Pietätsverhältnissen bestehe - insoweit stimmte Gebhard der Argumentation von Gierke also zu - , aber es sei für die Dienstberechtigten unzumutbar, die daraus folgende Unsicherheit durch „höchst lästiges Nehmen und langjähriges Aufbewahren von Quittungen" zu bekämpfen 457 . Die Kommissionsmehrheit folgte dieser Argumentation 458 . Eine kleinere soziale Verbesserung kam auf Antrag des Zentrumsabgeordneten Gröber ins Gesetz: Die bereits den Arbeitern in § 191 Nr. 10 RT-Vorlage 459 gewährte Privilegierung der kurzen Verjährung der Ansprüche des Dienstberechtigten wurde auch auf Angestellte ausgedehnt460. Die beiden besprochenen, in der Kommission abgelehnten Anträge wurden in der zweiten Lesung des Gesetzes im Plenum erneut gestellt. Der Antrag auf Verkürzung der Verjährungsfrist für Ansprüche der Kaufleute im Gewerbebetrieb zum Zwecke der Bekämpfung des Borgsystems wurde vom Abgeordneten Bassermann mit den bereits in der Kommission behandelten Argumenten ver451 In der späteren Diskussion im Plenum glaubte sich Enneccerus erinnern zu können, daß nur 1 Stimme die Mehrheit bildete, vgl.: Stenographische Berichte, S. 242. 4 5 2 Bericht der Reichstagskommission, S. 32. - Der Antrag ist bei Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1143, nicht für die Kommissionsberatungen verzeichnet, sondern nur für das Plenum aufgeführt, vgl. S. 1146. 4 5 3 Vgl. oben S. 193 Fn.384. 4 5 4 So der im Bericht der Reichstagskommission, S. 32, wiedergegebene Antrag, der in der ersten Lesung in der Kommission noch nicht die Einschränkung auf die Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft mit dem Dienstherrn enthielt. Vgl. Frohme und Stadthagen Antrag Nr. 1, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1143 einerseits und die Fassung des Antrags Nr. 124, 9 in zweiter Lesung, in: Jakobs/Schubert (wie zuvor), S. 1145. 4 5 5 Bericht der Reichstagskommission, S. 32. 4 5 6 Entspricht §204 BGB. 4 5 7 Bericht der Reichstagskommission, S. 32; Heller, Bericht vom 22. Februar 1896, in: Jakobs/ Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1144. 4 5 8 Bericht der Reichstagskommission, S. 32; Heller, Bericht vom 22. Februar 1896, in: Jakobs/ Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1144. 4 5 9 § 191 Nr. 10: „[In zwei Jahren verjähren die Ansprüche:] der Arbeitgeber wegenderden gewerblichen Arbeitern auf Lohn oder Auslagen gewährten Vorschüsse;..." 4 6 0 Bericht der Reichstagskommission, S. 32. Zum Wortlaut des Antrags Nr. 10, 3 von Gröber vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1143.

III. Die

Verjährung

209

teidigt461. Trotz einer gewissen Unterstützung durch den Berichterstatter Enneccerus fand er jedoch keine Mehrheit im Plenum 462 . Die Sozialdemokraten wiederholten mit den ebenfalls bekannten Argumenten ihren Antrag, die Ansprüche zwischen Arbeitgebern und -nehmern, die in häuslicher Gemeinschaft leben, für die Dauer des Dienstverhältnisses gehemmt sein zu lassen463. Frohme schilderte den Fall eines Handwerksgesellen, der für einen erkrankten Meister den Betrieb führte und sich mit Abschlagszahlungen begnügte, von den Erben des Meisters aber schließlich den gestundeten Lohn nicht erhielt464. Demgegenüber erklärte Bachem, daß zwar das Anliegen berechtigt, die vorgeschlagene Lösung aber praktisch unbrauchbar sei, weil die fraglichen Dienstverhältnisse oft bis zu dreißig Jahren dauerten. Die Rechtsverhältnisse anschließend aufzuklären, sei gänzlich unmöglich. Für die Dienstboten würden auch nicht die zwischen Eltern und Kindern geltenden Pietätspflichten bestehen, auf die eine Rücksichtnahme bei der Geltendmachung der berechtigten Ansprüche geboten sein könnte 465 . Der Antrag wurde im Plenum abgelehnt 466 . In der dritten Lesung wurden die Vorschriften über die Verjährung ohne Diskussion angenommen467. e)

Schlußbetrachtung

Schon die Vorschriften des ersten Entwurfs über die Verjährung waren in hohem Maße von sozialen Erwägungen geprägt. Das gemeinschaftliche Interesse am Rechtsfrieden und der Schutz des Schwächeren und Geschäftsunkundigen waren die ausschlaggebenden Motive gewesen. Dennoch hatte die Kritik in einigen Spezialfragen ebenfalls sozial motivierte Veränderungen gewünscht. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens traten diese Erwägungen jedoch in den Hintergrund. Nur in wenigen Punkten, insbesondere bei der Einbeziehung gesetzlicher Zinsen in die kurze Verjährung sowie bei der Aufrechenbarkeit mit verjährten Forderungen, wurden Fortschritte im Sinne dieser Kritik erreicht. Nicht durchzusetzen waren hingegen soziale Verbesserungen zum Schutze abhängiger dienstpflichtiger Personen und eine weitere Verkürzung der Verjährungsfristen, die vor allem gegen das Borgsystem gerichtet sein sollte. Fragt man, warum sich der Gesetzgeber diesen Anliegen gegenüber verschlossen gezeigt hat, so bieten sich verschiedene Erklärungen an. Zunächst wäre zu denken an einen Wechsel in der Grundauffassung über die soziale Aufgabe 461 Bassermann, Antrag Nr.476, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil2, S. 1146 [dort als Nr. 477 geführt] sowie Stenographische Berichte, S. 241 f. 462 Stenographische Berichte, S. 243. 463 Auer u. a., Antrag Nr. 465, 9, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Allgemeiner Teil 2, S. 1146. 464 Frohme, in: Stenographische Berichte, S.243. 465 Bachem, in: Stenographische Berichte, S.243. 466 Stenographische Berichte, S.244. 467 Stenographische Berichte, S.831.

210

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

des Privatrechts. Ein kleiner Hinweis darauf könnte die lapidare Begründung der Vorkommission dafür sein, daß die Verjährung von Lohnansprüchen nicht für die Dauer des Dienstverhältnisses gehemmt sein solle, um nicht den „Herrschaften" die Beweissicherung durch Quittungen zuzumuten468. Dagegen spricht aber, daß gerade die zweite Kommission die sozialen Topoi der Argumentation der Kritik zur Begründung ihrer eigenen Entscheidungen aufgegriffen hat, wie hier im Zusammenhang mit der Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen, der Einbeziehung gesetzlicher Zinsen in die kurze Verjährung von vier Jahren, aber auch der Ablehnung einer Verlängerung der Verjährungsfristen gezeigt werden konnte. Der Grund für die scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber einigen sozialen Anliegen der Kritik ist meines Erachtens eher darin zu finden, daß man die soziale Aufgabe des Verjährungsrechts bereits durch die Vorschriften des ersten Entwurfs als erfüllt ansah. Da die Grundkonzeption der Verjährungsvorschriften des ersten Entwurfs erhalten blieb, besteht Raum für diese Annahme, die freilich im Bereich des Hypothetischen bleiben muß. Hinzu kam für die Frage der Lohnansprüche der Dienstpflichtigen, daß man die praktischen Konsequenzen fürchtete, wenn unter Umständen dreißig Jahre zurückliegende Tatsachen aufgeklärt werden müßten. Dem Arbeitgeber sollte es nicht zugemutet werden, hier den Beweis zu führen. Selbstverständlich entstand in dieser Frage ein Konflikt zwischen den verschiedenen sozialen Zielen der Verjährungsvorschriften. Für den Rechtsfrieden und den Schutz des Schuldners vor unvermuteten und schwierigen Beweisen sprach die Ablehnung der Ausdehnung der Hemmung auf die Lohnansprüche. Andererseits war die Abhängigkeit eines Arbeitnehmers, der mit seinem Arbeitgeber in Hausgemeinschaft lebt und daher zu größerer Rücksichtnahme genötigt war, offensichtlich. Ausnahmsweise konnte hier der Schutz des Gläubigers „sozial" geboten sein. Die praktische Erfahrung in vielen Fällen bestätigte das, wie auch Bachem im Reichstagsplenum erklärte469. Dennoch wurde die Frage zu Lasten der Dienstboten entschieden. Der Schutz des Schwächeren wurde in diesem Punkt nicht verwirklicht. Der Eindruck, man habe einfach nicht den Mut gehabt, den „Herrschaften" die Beweissicherung zuzumuten, ist freilich nicht ganz von der Hand zu weisen. Soziale Topoi konnte man aber für die eine wie die andere Entscheidung anführen. Die soziale Aufgabe des Privatrechts erschien hier ambivalent. Immerhin bleibt festzuhalten, daß die sozialen Topoi des Gemeinschaftsgedankens und des Schutzes des Schwächeren in der konkreten Ausprägung, die sie in der Begründung des Teilentwurfs durch Gebhard und später in der Kritik am ersten Entwurf erfahren hatten, bis zum Schluß die Diskussion bestimmten. Nur in der Vorkommission des Reichsjustizamts waren sie von den „Bedürfnissen der Zeit" verdrängt worden, um dann aber schon in der zweiten Kommission wieder aufgenommen zu werden. 468 469

Vgl. oben S. 200. Bachem, in: Stenographische Berichte, S. 243.

IV.

Zusammenfassung

211

IV. Soziales Recht im Allgemeinen Teil - Zusammenfassung Die beiden konkreten Beispiele aus dem Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches zeigen, daß sich das Gesetz seiner sozialen Aufgabe nicht entziehen konnte. Im Vereinsrecht kam der Gesetzgeber eher widerwillig der Kritik entgegen und schuf reichseinheitliche Vorschriften über die Entstehung juristischer Personen, die wenigstens vom Grundansatz her den sozialen Forderungen der Kritik dadurch entsprachen, daß sie die freie Körperschaftsbildung akzeptierten, wenngleich in einem System von Normativbestimmungen, das wiederum für die wichtigen Fälle der sozialpolitischen Vereine noch nicht einmal uneingeschränkte Gültigkeit haben sollte. Das war einer der wichtigsten Erfolge der vom Gemeinschaftsgedanken getragenen Kritik. Die Idee der von den einzelnen Mitgliedern unabhängigen Gesamtpersönlichkeit fand im Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine konkrete, wenn auch nicht vollständig konsequente Umsetzung. Gleichzeitig stritten die Topoi der sozialen Freiheit und des Schutzes des Schwächeren für die schließlich gefundene gesetzliche Lösung. Die zögerliche Widerwilligkeit, mit der das System der Normativbestimmungen eingeführt worden ist, ist nicht auf eine Ablehnung der sozialen Erwägungen der Kritik zurückzuführen, sondern auf die handfeste politische Absicht, die staatliche Kontrolle über die Vereine nicht preiszugeben, für die das Konzessionssystem als das beste Mittel angesehen wurde. Das erschien den politisch Verantwortlichen geboten, um - ganz im Sinne der Garantie der Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung, die sich mit dem Topos des sozialpolitischen Ausgleichs verband - Einfluß auf die Entwicklung der Sozialdemokratie zu behalten, die im ausgehenden 19. Jahrhundert noch als eine Bedrohung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung angesehen wurde. Daß das System der Normativbestimmungen schließlich sowohl von den Kommissionen wie vom Bundesrat gebilligt wurde, ist nicht allein eine Folge der sozial begründeten Kritik gewesen. Der Gemeinschaftsgedanke, der hinter der gesetzlichen Lösung steht, war nur eine notwendige Voraussetzung. Hinzukamen wiederum zwei politische Erwägungen: einerseits das vielfach in der Kritik vorgetragene Argument, das Konzessionssystem leiste nicht, was die Verantwortlichen davon erwarteten, weil die wirklich gefährlichen Vereine auch ohne Rechtspersönlichkeit zu agitieren vermöchten. Andererseits - und wohl noch wichtiger die Überlegung, nachdem einmal die Kritik an der ursprünglich geplanten Verweisung auf das Landesrecht und am Konzessionssystem so laut geworden war, werde die Zustimmung des Reichstags zum Gesetz nur sicher sein, wenn man diese Kritik einigermaßen berücksichtige. Die tatsächliche Ausgestaltung der Regeln über die Entstehung der Rechtsfähigkeit der juristischen Personen bleibt aber ein Ergebnis des Gemeinschaftsgedankens. Unbelastet durch solche politisch brisanten Fragen hatte der Gesetzgeber bei den VerjährungsVorschriften von Anfang an die soziale Aufgabe des Privatrechts im Blick. Die Kritik an den Verjährungsvorschriften erschien deshalb

212

Kapitel 4: Soziales Recht im Allgemeinen

Teil

auch wesentlich weniger grundsätzlich. Hier ging es mehr um Einzelfragen, die nur höchst ausnahmsweise auf prinzipielle Fragen zurückgeführt wurden. Schon in der Begründung des Teilentwurfs zeichnete sich ab, worin die soziale Aufgabe des Verjährungsrechts liege. An erster Stelle stand das Gemeinschaftsinteresse am Rechtsfrieden. Dazu kam das Interesse an einer funktionierenden Volkswirtschaft, was die Zurückdrängung des sogenannten Borgsystems, das bereits von Gebhard470 in der Begründung des Teilentwurfs in diesen Zusammenhang gebracht worden war, erforderlich scheinen ließ. Neben dem so verstandenen Gemeinschaftsgedanken hatte auch der Schuldnerschutz seine Bedeutung. Der Schuldner sollte durch die Verjährung vor einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme geschützt werden, die für ihn schnell nachteilig ausgehen könnte, weil er mit der Zeit zunehmend leichter in Beweisnot geraten würde. Auch die Kritik machte sich im wesentlichen diese sozialen Aspekte in ihren Begründungen zu eigen. Erfolg hatte die Kritik nur hinsichtlich der Einbeziehung der gesetzlichen Zinsen in die Verjährungsvorschriften und der Zulassung der Aufrechnung mit verjährten Gegenforderungen. Beide Erfolge zielten vor allem auf eine Verbesserung des Schutzes des Schwächeren und entsprachen damit zugleich dem zentralen sozialen Anliegen, auf das die Reichspolitik seit der sozialpolitischen Wende der frühen achtziger Jahre abzielte 471 .

470 471

Vgl. oben S. 168 Fn.340. Vgl. oben Kapitel 2, S. 24.

Kapitel 5

Soziales Recht im Schuldrecht Mit keinem anderen Rechtsgebiet verbindet man soziale Anliegen in stärkerem Maße als mit dem Schuldrecht. Der klassische Topos vom Schutz des Schwächeren gegen den Stärkeren wird zu Recht assoziiert mit den Hauptstükken der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts, mit der Arbeiter- und der Wohnungsfrage. So urteilte im Jahr des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs Adolf Lobe, die Vertragspraxis im Mietrecht mache den Mieter zu einem „Sklaven des Hausherrn"1. Schon die Zeitgenossen beobachteten mit Sorge diese Abhängigkeit im Mietrecht, die beispielsweise in Berlin mehrfach zu sozialen Unruhen geführt hatte. So veranlaßte die versuchte Räumung (Exmission) eines Schankwirts in der Oranienstraße (Louisenstadt) am 29. Juni 1863 mehrtägige Krawalle aufgebrachter Mieter. Der Wirt hatte gegen die im Mietvertrag vereinbarte Hausordnung verstoßen und einen eisernen Ofen aufgestellt, worauf sein Vermieter mit einer fristlosen Kündigung reagiert hatte. Daraufhin wurde abends die Wohnung des im selben Haus wohnenden Hausbesitzers angegriffen. Die Situation geriet außer Kontrolle. Sechs- bis achttausend Menschen lieferten sich mit der Polizei regelrechte Straßenschlachten, und erst nach drei Tagen konnte die Polizei die Auseinandersetzung beenden2. Zu ähnlichen Gewaltausbrüchen kam es auch Ende Juli 1872, als in der Blumenstraße in Berlin ein Kleinhändler mit seiner Frau und seinem Sohn die Wohnung verlassen mußte, weil ihnen fristlos gekündigt worden war3. Die Tatsache der Krawalle selbst, die vergleichsweise alltägliche Ereignisse zum Anlaß nahmen, zeigt, welches Maß an Spannungen gerade zwischen den unteren Bevölkerungsschichten, aus denen sich die beteiligten Personen rekrutierten, und den Hausbesitzern bestanden. Für jedermann bestand im Mietrecht ganz deutlich Handlungsbedarf im Sinne eines sozialpolitischen Ausgleichs, dessen Notwendigkeit, wie zu zeigen sein wird, auch die erste Kommission keineswegs geleugnet hat. Dennoch mußte sie Adolf Lohe, Plaudereien über das neue Recht, Leipzig 1900, S.641. Julius Faucher; Die Bewegung für Wohnungsreform, in: Vierteljahrschrift für Volkswirthschaft und Kulturgeschichte 3 (1865), S. 127-199 und 4 (1866), S. 86-151, hier: S.96ff. 3 Vgl. die Dokumentation bei Johann Friedrich Geist/Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus 1862-1945, München 1984, S. 114-120. Welcher Kündigungsgrund vorlag, ist nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren: entweder rückständiger Mietzins oder - wahrscheinlicher - eine unberechtigte Untervermietung eines Teils der Mietwohnung, vgl. den Bericht im Neuen SocialDemokraten vom 25. Juli 1872, abgedruckt in der erwähnten Dokumentation S. 114. 1

2

214

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

gerade im Mietrecht die vielleicht heftigste Kritik an einer einzelnen ihrer gesetzgeberischen Entscheidungen hinnehmen, die überhaupt geäußert wurde: Allgemeine Empörung verursachte nämlich der Satz „Kauf bricht Miete", der in freilich sehr abgeschwächter Form § 509 E I zugrunde lag 4 . Eher hätte man eine derart heftige Kritik beim Arbeitsvertrag erwartet, doch hier stoßen wir auf eine erstaunliche Ruhe, obgleich die Arbeiterfrage keineswegs von der politischen Tagesordnung abgesetzt war. Im folgenden wird es um drei Gegenstände gehen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts stehen: Erstens wird der Arbeitsvertrag der Industriearbeiter angesprochen. Dabei interessieren hier nicht im einzelnen die selbstverständlich als sozialer Fortschritt zu wertenden § § 6 1 6 - 6 1 9 B G B 5 , sondern es soll gezeigt werden, inwiefern die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts an diesem Kernproblem der sozialen Frage meistenteils vorbeiging, ohne die realen Probleme in den Blick zu nehmen 6 . Die Arbeiterfrage als eines der Hauptthemen der sozialen Frage in der Öffentlichkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde von den Teilnehmern an der Auseinandersetzung über die soziale Aufgabe des Privatrechts kaum berührt. Die Diskussion geriet also in eine eigentümliche Schieflage, soweit es ihre Rückkoppelung an die soziale Wirklichkeit betraf, weil sie ein tatsächlich ungeheuer wichtiges soziales Phänomen nicht oder wenigstens nicht adäquat wahrnahm. Zweitens geht es um die Auseinandersetzung über „Kauf bricht Miete". Hier ist ebenfalls eine Schieflage der Diskussion zu beobachten, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Gleich D o n Quijote kämpfte fast die gesamte Fachöffentlichkeit im Verein mit der Tagespresse gegen den vom ersten Entwurf aufgestellten Grundsatz „Kauf bricht Miete". Das Bemerkenswerte daran war, daß hier Vgl. unten S. 234. Dazu vgl. im Augenblick: Andreas Kaiser, Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung während des 19. Jahrhunderts - insbesondere in den Auseinandersetzungen über den Arbeitsvertrag, Diss. jur. Berlin 1972; Günther Bernert, Arbeitsverhältnisse im 19. Jahrhundert. Eine kritische dogmatische Analyse der rechtswissenschaftlichen Lehren über die allgemeinen Inhalte der Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse im 19. Jahrhundert in Deutschland, Marburg 1972, insbesondere S. 239ff.; Klaus-Dieter Waldt, Die Lehre vom Arbeitsvertrag bis zum Ende der Weimarer Republik, insbesondere ein Beitrag zum Arbeitsvertrag von Philipp Lotmar, Diss. jur., Münster 1974; Thomas Weiß, Die Entwicklung des Arbeitsvertragsrechts und das B G B , Baden-Baden 1991; eine sehr gründliche Behandlung der Dogmatik des Arbeitsvertrags um 1900 bei Joachim Rückert, „Frei" und „sozial": Arbeitsvertrags-Konzeptionenum 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, in: ZfA 23 (1992), S. 225-294; Martin Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis in Deutschland. Vom Beginn der Industrialisierung bis zum Ende des Kaiserreichs, Frankfurt am Main 1995. 6 Zu den realen Problemen, die insbesondere mit den Fabrikordnungen zusammenhingen, vgl. aus sozialhistorischer Sicht Lothar Machtan, Zum Innenleben deutscher Fabriken im 19. Jahrhundert. Die formelle und informelle Verfassung von Industriebetrieben, anhand von Beispielen aus dem Bereich der Textil- und Maschinenproduktion (1869-1891), in: Archiv für Sozialgeschichte 21 (1981), S. 179-236 sowie Günther Schuh, Die Arbeiter und Angestellten bei Feiten & Guilleaume. Sozialgeschichtliche Untersuchung eines Kölner Industrieunternehmens im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Wiesbaden 1979. 4

5

I. Der

Arbeitsvertrag

215

das soziale Problem in der Wirklichkeit fehlte. O b man nun „Kauf bricht Miete" oder „Kauf bricht nicht Miete" ins Gesetz aufnahm, war für die Situation der Mieter fast immer vollständig gleichgültig. Die sogenannte Wohnungsfrage hatte mit dieser Frage des Bestandsschutzes nichts zu tun. Es mag daher für den Gesetzgeber besonders leicht gewesen sein, in diesem Punkt dem Wunsch der Kritik Folge zu leisten. Die Auseinandersetzung über das zukünftige Recht traf also weder stets die wirklichen sozialen Probleme noch beurteilte sie die Wirklichkeit immer in der richtigen Weise. Drittens schließlich wird es um das Vermieterpfandrecht gehen, bei dem die Diskussion ein auch in der sozialen Realität wichtiges Anliegen betraf.

I. Der

Arbeitsvertrag

1. Die industrielle Arbeiterfrage als Kernproblem der sozialen Frage Ganz im Vordergrund der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts stand die Situation der Industriearbeiter. Die persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, die überaus strengen Arbeitsordnungen, die faktische Rechtlosigkeit gegen willkürliche Unterdrückung durch Arbeitgeber oder die von diesen angestellten Aufseher bildeten den Stoff eines der wichtigsten innenpolitischen Probleme des Kaiserreichs. Es ging um die Mißachtung der Selbstbestimmung, um den beständigen Mangel an Respekt, um Lohnabzüge und willkürliche Entlassungen7 - Phänomene, die selbstverständlich auch das privatrechtliche Arbeitsverhältnis betrafen und insofern wenigstens für das Verständnis mancher von der sozialen Aufgabe des Privatrechts besondere Beachtung verdient hätten, da beispielsweise die soziale Freiheit des Einzelnen ganz eindeutig berührt war. Auch die Topoi des sozialpolitischen Ausgleichs und des Schutzes des Schwächeren hätten manche Anknüpfungspunkte geboten. Anders als bei der Wohnungsfrage, die allerdings auch für die Arbeiter das „dringendste und bedrängendste Problem" war 8 , und auch bei der Frauenfrage als den beiden anderen Hauptpunkten der sozialen Frage erhielt die Situation der Arbeiter besonderes Gewicht dadurch, daß sich vor allem die Industriearbeiter politisch organisiert hatten und die Sozialdemokraten zum parlamentarischen Sprachrohr ihrer Interessen heranwuchsen. Die Versuche einer Eindämmung dieser neuen politischen Kraft durch die Sozialistengesetze schlugen vollständig fehl. Sie wirkten eher wie ein Verstärker dieses Sprachrohrs. Spätestens

7 Vgl. die zusammenfassende Schilderung bei Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 18661918, Bd. 1, München 1998, S. 307-311. - Die rechtlich bedingte, existentielle Abhängigkeit der Arbeiter vom Unternehmer schildert gut Conrad Bornhak, Das deutsche Arbeiterrecht, systematisch dargestellt, in: Annalen des Deutschen Reiches 1892, S. 501-690, insbesondere S. 525529. 8 Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie Fn.7), B d . l , S.313.

216

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

seit der Thronrede vom 17. November 18819 war offenbar, daß die Reichsregierung um die soziale Integration der Arbeiter bemüht war, ihre rechtliche Zurücksetzung bekämpfen und eine Aussöhnung dieser Bevölkerungsschichten mit dem Staat erzielen wollte. Auch wenn die vergleichsweise gut organisierten Industriearbeiter in den achtziger und neunziger Jahren durch Streiks ihre Macht demonstrierten, so darf man doch nicht das Heer von Landarbeitern, Knechten, Mägden und Hausbediensteten vergessen, das, politisch weniger aktiv, sich auch weniger fest in das historische Bewußtsein eingegraben hat, obgleich das Schicksal der Landarbeiter durchschnittlich keineswegs besser war als das der Industriearbeiter. Unter der Flagge des Gesinderechts erfreute sich diese Gruppe von Arbeitern im Unterschied zu den Industriearbeitern in der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts immerhin noch einiger Aufmerksamkeit10. Wenn man also vom Arbeitsvertrag spricht, muß man außer an die Industriearbeiter vor allem an das sogenannte Gesinde, das heißt die Landarbeiter aller Art und die Hausbediensteten, denken11. Trotzdem war auch schon damals die Arbeiterfrage vor allem eine Industriearbeiter- und weniger eine „Dienstbotenfrage", wie Pierenkemper gelegentlich das Problem genannt hat12, womit nicht gesagt sein soll, daß die sozialen Probleme der einen Gruppe schwerer oder leichter gewogen hätten als die der anderen, aber im Vordergrund der Arbeiterfrage standen die Industriearbeiter13. Die damals sogenannte „landwirtschaftliche Arbeiterfrage" wurde zwar wahrgenommen, aber doch in der politischen Öffentlichkeit weit weniger beachtet, was auch damit zusammenhängen mag, daß sich hier nicht besonders neuartige Risiken verwirklichten. Die Fabrikarbeit hatte hingegen mit ihren neuen Herstellungsverfahren auch neue Gefahren hervorgebracht oder vorhandene verschärft, was ins allgemeine Bewußtsein gelangte14. Der Kern der (industriellen) Arbeiterfrage war die im Zusammenspiel mit dem Koalitionsverbot entstandene tatsächliche persönliche Abhängigkeit der Arbeiter, die sich vor allem in zu langen Arbeitszeiten, der Frauen- und zum Teil auch Kinderarbeit sowie in schlechten Löhnen äußerte, um nur ein paar Kritikpunkte zu nennen. Charakteristisch war die damit einhergehende Vernachlässigung des Unfallschutzes und der Gesundheitsfürsorge.

Vgl. dazu oben S.28. Zum Gesinderecht: Thomas Vormbaum, Politik und Gesinderecht im 19. Jahrhundert (vornehmlich in Preußen 1810-1918), Berlin 1980, S. 270-311. 11 Eine eindrucksvolle Schilderung der Situation der Landarbeiter bietet die Autobiographie von Franz Rehbein, Das Leben eines Landarbeiters, hrsg. von Paul Göhre, Jena 1911. 12 Toni Pierenkemper, „Dienstbotenfrage" und Dienstmädchenarbeitsmarkt am Ende des 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte 28 (1988), S. 173-201. 13 Vgl. z.B. den umfangreichen Artikel „Arbeiterfrage" in: Meyers Großes KonversationsLexikon, Bd. 1, 6. Aufl. Leipzig - Wien 1905, S. 675-680. Einleitend wird dort die Arbeiterfrage so definiert: „Die A., die sogen, soziale Frage, hat zu ihrem Gegenstande die Lage der von Unternehmern namentlich in den großen Unternehmungen beschäftigten Lohnarbeiter in ökonomischer, moralischer, sozialer und politischer Hinsicht." 9

10

14 Vgl. Hans-Peter Benöhr, Wirtschaft und Sozialversicherung vor hundert Jahren, in: Zf A 13 (1982), S. 19-48, hier S.44f.

I. Der

217

Arbeitsvertrag

Obwohl der Arbeitsvertrag als rechtliche Regelung der Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Mitte der sozialen Probleme der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand, spielte er für die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts im Zusammenhang mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch eine vergleichsweise untergeordnete Nebenrolle. Das ist im folgenden näher zu begründen. Es zeigt sich, daß die Kritik am Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs den industriellen Arbeitsvertrag kaum betraf.

2. Der erste a) Die unspezifische und seiner Vorlage

Entwurf

Tendenz des Dienstvertragsrechts

im E I

Schon die Terminologie des ersten Entwurfs macht klar, daß es dem Gesetzgeber nicht um die spezifischen Bedürfnisse der Industriearbeiter oder auch der Landarbeiter ging. Der Arbeitsvertrag 15 mußte unter die allgemeinere Bezeichnung „Dienstvertrag" subsumiert werden, der in den §§559-566 E I geregelt war. Eine besondere Rücksichtnahme gerade auf die Belange der Industriearbeiter war in diesen Vorschriften nicht zu finden. Immerhin sah schon § 562 E I für kurzfristig Erwerbsunfähige die Lohnfortzahlung vor und brachte damit einen gewissen Schutz: „Bei einem dauernden, die Erwerbsthätigkeit des Dienstverpflichteten vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nehmenden Dienstverhältnisse wird derselbe des Anspruches auf die vertragsmäßige Vergütung dadurch nicht verlustig, daß er durch einen in der Person liegenden Grund ohne sein Verschulden während einer nicht erheblichen Zeit in der Dienstleistung verhindert wird."

Damit war in Anlehnung an Art. 60 ADHGB 16 wenigstens ansatzweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall garantiert, was insbesondere solchen Dienstpflichtigen zugute kam, die - wie es regelmäßig, aber nicht nur bei Industriearbeitern vorkam - auf die vollständige Lohnauszahlung existentiell angewiesen waren, da sie meistens keinerlei nennenswerte Ersparnisse hatten und bei den kleinsten Unregelmäßigkeiten im Erwerb wirtschaftlich vor dem Ruin standen, weil sie weder die Miete zahlen noch die nicht seltenen Kredite bedienen konnten 17 . Schon der erste Entwurf bot hier also einen gewissen sozialen Schutz des Schwächeren, den die Motive unter anderem mit einem kurzen Hinweis auf „sozialpolitische Rücksichten" und „Gründe der Humanität" verteiZur Terminologie vgl. insbesondere Rückert, „Frei" und „sozial" (wie Fn. 5), S.230-243. Art. 60 ADHGB: „Ein Handlungsgehilfe, welcher durch unverschuldetes Unglück an Leistung seines Dienstes zeitweise verhindert wird, geht dadurch seiner Ansprüche auf Gehalt und Unterhalt nicht verlustig. Jedoch hat er auf diese Vergünstigung nur für die Dauer von sechs Wochen Anspruch." 17 Zu den Problemen bei der Miete vgl. unten S. 280; zum Kreditwesen zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs vgl. unten S.319. 15

16

218

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

digten18. Auch die Protokolle geben keine Auskunft darüber, worauf die Kommission konkret Rücksicht nehmen wollte. Angesprochen wurden vielmehr nur die Interessen der Wehrpflichtigen, die nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit zum Militärdienst eingezogen würden19. Die Grundlage der Verhandlungen der ersten Kommission über das Dienstvertragsrecht waren die entsprechenden Bestimmungen des Dresdner Entwurfes, weil es dem Redaktor des Schuldrechts, Franz Philipp von Kübel, nicht mehr gelungen war, diese Materie selbst zu bearbeiten20. Die Art. 614 bis 633 des Dresdener Entwurfs enthielten keinerlei Regeln, die auf die Verhältnisse der Industriearbeiter in spezifischer Weise Rücksicht genommen hätten21. Zu diesen Bestimmungen lagen der ersten Kommission Materialien vor, die die sonst üblichen Begründungen der Redaktoren ersetzten. Wer diese Materialien zum Dienstvertrag gesammelt und aufgearbeitet hat, ist nicht mehr zu ermitteln22. Ausgangspunkt war für jeden Paragraphen des Teilentwurfs zunächst die gemeinrechtliche Praxis. Dieser Darstellung folgte eine Zusammenstellung der einschlägigen Vorschriften der „modernen Gesetzbücher und Entwürfe", der reichsgesetzlichen Bestimmungen sowie der Materialien aus den Verhandlungen der Dresdener Kommission und schließlich noch eine kurze „Bemerkung". Auch in diesen Materialien kamen die besonderen Belange der Industriearbeiter so gut wie nicht zur Sprache. Die einzige Ausnahme betraf die Erwähnung der Gewerbeordnung23, die besondere, auf die Verhältnisse der IndustrieMotive II, S. 461. Prot. I, S.2267, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.773f.. 20 Zu Franz Philipp von Kübel vgl. die Einleitung von Werner Schubert, in: Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1 - Allgemeiner Teil, hrsg. von Werner Schubert, Berlin - New York 1980, S . X I - X V I I I . 21 Abgedruckt bei: Werner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 2 - Besonderer Teil, Berlin - New York 1980, S. 553-556 (es wird jeweils die Seitenzählung des Nachdrucks angegeben). 22 Schubert, Vorlagen, Schuldrecht II (wie Fn.21), S.VII. 23 Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869, in: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, S. 245-282. Dem Bearbeiter der Materialien lag die Gewerbeordnung in der Fassung vom 17. Juli 1878 vor (RGBl. 1878, S. 199-212). Die Gewerbeordnung wurde geändert und neu bekanntgemacht am 1. Juli 1883 (RGBl. 1883, S. 159-176 sowie 177240). Erneut geändert am 1. Juni 1891 (RGBl. 1891, S. 261-290). Der Gewerbeordnung vorausgegangen waren mehrere preußische Gesetze zum Schutze von Kindern und Jugendlichen, angefangen mit dem „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" vom 6. April 1839 (Mindestalter 9 Jahre, dreijährige Schulpflichterfüllung, höchstens 10 Stunden täglicher Arbeit, Verbot von Nacht- und Sonntagsarbeit), in: GesetzSammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1839, S. 156-158, sowie das „Gesetz, betreffend einige Änderungen des Regulativs vom 9. März 1839 über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" vom 16. Mai 1853, in: Gesetz-Sammlung 1853, S. 225-227, durch das das Mindestalter auf zwölf Jahre heraufgesetzt, die tägliche Arbeitszeit für Kinder bis 14 Jahre auf 7 Stunden herabgesetzt, die Arbeitsbücher eingeführt sowie die Kontrollen durch Fabrikinspektoren intensiviert wurden. - Das erwähnte Regulativ war am 6. April 1839 ausgefertigt, jedoch schon am 9. März 1839 dem König vorgelegt worden. (Weitere Hinweise auf verschiedene ein18 19

I. Der

Arbeitsvertrag

219

arbeiter zugeschnittene Vorschriften mit teilweise privatrechtlichem Charakter enthielt, nämlich Beschränkungen für Jugendliche (§§106-108, 135-139a), für Frauen (§§135, 139a, 154 IV), Einschränkungen von Sonntagsarbeit (§§105 II, 136 III, 139) 24 , die Verpflichtung zur Barauszahlung des Lohnes verbunden mit einem Verbot von Warenkrediten an eigene Arbeiter und einem Verbot der Zweckbindung des Lohnes (§§115, 117,119) 2 5 . b) Gesinderecht

bleibt

ausgeschlossen

Auf dem Umweg über das E G B G B sollte das Gesinde von Anfang an von den dienstvertraglichen Vorschriften ausgeschlossen werden 26 . Das entsprach den Empfehlungen der Vorkommission vom 15. April 1874. Dort war davon die Rede gewesen, es gebe eine Reihe von Rechtsinstituten, die „im Einzelnen nur nach dem Bedürfniß und den geschichtlich gegebenen Verhältnissen größerer oder kleinerer Distrikte geregelt werden können und deren theilweise polizeilicher Inhalt ein weiteres Hinderniß der Kodifizirung bildet." Zu diesen Materien hatte die Vorkommission auch das Gesinderecht gezählt. Gleichzeitig hatte sie aber geraten zu erwägen, „ob nicht die privatrechtlichen Grundprinzipien dieser Institute sich zur gemeinschaftlichen Regelung im Gesetzbuch eignen" 27 . Die erste Kommission kam dann zu dem prinzipiellen Beschluß, das Gesinderecht vollständig dem Landesgesetzgeber zu überlassen, eventuell ausgenommen der Möglichkeit, einen auf Lebenszeit geschlossenen Dienstvertrag kündigen zu können 28 . zelgesetzliche Maßnahmen zum Schutz insbesondere von Kindern enthält Gallus Strobel, Zum Fabrikarbeitsvertrag in Deutschland im 19. Jahrhundert. Vertragsfreiheit und Kinderschutz, Rheinfelden 1986.) - Schon in der Gewerbeordnung von 1869 waren also einige Regeln zum Schutz der gewerblichen Arbeiter verankert. Wenn es richtig ist, daß die Gewerbeordnung von 1869 „die endgültige Durchsetzung wirtschaftsliberaler Prinzipien" bedeutete (so ausdrücklich: Hans Jürgen Teuteberg, Die Doktrin des ökonomischen Liberalismus und ihre Gegner, dargestellt an der prinzipiellen Erörterung des Arbeitervertrages im „Verein für Socialpolitik" (18721905), in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, hrsg. von Helmut Coing, Walter Wilhelm, Frankfurt am Main 1977, S. 47-73, hier S. 49), so ist darauf hinzuweisen, daß selbst auf dem Höhepunkt wirtschaftsliberaler Gesetzgebung in Deutschland nicht das reine „Manchestertum" erreicht wurde. Selbst hier finden sich also Schutzvorschriften, die einem „liberalen" Charakter eines Gesetzes nicht prinzipiell entgegenzustehen scheinen. O b der Begriff „liberal" in diesem Zusammenhang allerdings wirklich leistungsfähig ist, darf bezweifelt werden. Man muß doch stets eine Konkretisierung des Schlagwortes ermöglichen. 2 4 Grundsätzliches Verbot der Sonntagsarbeit durch Gesetz vom 1. Juni 1891 (RGBl. 1891, S. 261-290). 2 5 Vgl. Material zu den Bestimmungen über die Dienstverdingung, die Werkverdingung und den Mäklervertrag unter Zugrundelegung des dresdener Entwurfs Art. 614-655, 675-680, in: Schubert, Vorlagen, Schuldrecht II (wie Fn.21), S.561-652, hier S.581 (Original: S.21). 2 6 Einzelheiten bei Vormbaum, Politik und Gesinderecht (wie Fn. 216). 2 7 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Einführung - Biographien - Materialien, Berlin - New York 1978, S. 170-185, hier S. 174. 2 8 Beschluß vom 22. September 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 750; Bestätigung in der Sitzung vom 6. Juni 1883, vgl. Prot. I, S.2288, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.750.

220

Kapitel 5: Soziales Recht im

3. Die Kritik am a) Verbesserung

des

Schuldrecht

Entwurf

Arbeitsschutzes

Von sehr wenigen einzelnen Äußerungen abgesehen, ändert sich der Eindruck, die industrielle Arbeiterfrage habe bei der Vorbereitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs keine Rolle gespielt, auch nicht, wenn man die Kritik am ersten Entwurf hinzu nimmt. Die wichtigste Ausnahme bildet die Streitschrift von Anton Menger aus dem Jahre 1889, der im Lohnvertrag die „krasseste Ausbeutung" der besitzlosen Volksklassen erblickte29. Die hauptsächlichen Forderungen Mengers zielten auf eine Verbesserung des Arbeitsschutzes. Manches davon konnte bereits 1891 in der Novelle zur Gewerbeordnung30 berücksichtigt werden, worüber aber hier nicht weiter zu handeln ist. Mit einer gewissen Genugtuung stellte Menger 1890 fest, daß seine von manchen als zu radikal angegriffene Position von Kaiser Wilhelm II. geteilt werde31, der erklärt hatte „daß es eine Aufgabe der Staatsgewalt ist, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt bleiben" 3 2 .

Ein wichtiges Anliegen dabei war, die physische und sittliche Gesundheit der Kinder zu schützen. Darum sollte nach Mengers Vorstellung eine vormundschaftliche Kontrolle eingeführt werden33. Der Kerngedanke war aber, die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber (in der Ausdrucksweise Mengers: Lohnarbeiter und Lohnherr) zu beenden, und zwar gleichermaßen für die Industriearbeiter wie für das Gesinde34. Der Schutz von Leben, Gesundheit, Ehre und Sittlichkeit sollte als Aufgabe des Arbeitgebers verstanden werden35. Menger sprach sich hier für ei29 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S. 448; vgl. auch die Zusammenfassung seiner Vorstellungen vom Arbeitsvertrag bei Vormbaum, Politik und Gesinderecht (wie Fn. 10), S. 284-286 sowie hei Karl Hermann Kästner, Anton Menger (1841-1906). Leben und Werk, Tübingen 1974, Loening, S. 148-154; deutlich gegen Mengers Überlegungen ein Schwager von Gierke: Edgar Kritik über „Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen", in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Neue Folge 21 (1890), S. 392-401, hier S. 399f.; SamuelJacoby, Das zukünftige bürgerliche Gesetzbuch in seinen Beziehungen zu Handel und Industrie, in: Bayerisches Industrie- und Gewerbeblatt 1890, S.301-305; 313-316; 325-328, hier S.315f., 325f. 30 Gesetz, betreffend Abänderung der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891, in: RGBl. 1891, S. 261-290. 31 Menger, Besitzlose Volksklassen 1890, S. 152 Fn. 1. 32 Erlaß Kaiser Wilhelms II. an den Handelsminister und den Minister der öffentlichen Arbeiten vom 4. Februar 1890, in: Reichs- und Staatsanzeiger vom 4. Februar 1890, abgedruckt bei Emst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2:1807-1918, Stuttgart 1964, S.413f., hier S.414. 33 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S. 70f. 34 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S.444, 451 ff. 35 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S. 454-456.

I. Der

Arbeitsvertrag

221

ne persönliche Haftung des Arbeitgebers aus, da die Überwälzung des Risikos allein auf Krankenkassen usw. nicht Ansporn genug seien, Rücksicht zu nehmen36. Tatsächlich war über die vollständige Einstandspflicht der Arbeitergeber als einer Alternative zur Krankenversicherung in den achtziger Jahren diskutiert worden. Die mehrheitlich befürwortete industriefreundliche Wirtschaftspolitik ließ das aber letztlich nicht zu37. Nicht ohne Grund warf allerdings Samuel Jacoby der Kritik Mengers vor, er übersehe, daß der Entwurf die Arbeitskraft im Deliktsrecht insofern schütze, als er bei schuldhafter Verletzung des Körpers oder der Gesundheit Schadensersatz gewähre38. Außerdem würden sich, so meinte Jacoby, die meisten Anliegen Mengers erübrigen, wenn man nur den § 359 E I beachte, der anordnete: „Der Vertrag verpflichtet den Vertragsschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen und der Natur des Vertrages nach Gesetz und Verkehrssitte sowie mit Rücksicht auf Treue und Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergiebt."

Sehr klar hatte Menger erkannt, daß die Vertragsfreiheit beschränkt werden müßte, wollte man vertraglichen Schutzvorschriften zur Wirksamkeit verhelfen. So wie die Besitzenden zum Schutz ihrer eigenen Interessen keineswegs im Familien- und Erbrecht Vertragsfreiheit verlangten, so sei es das Interesse der Besitzlosen, im Obligationenrecht eine ähnliche Richtung zu verfolgen39. Uber die Prämisse mag man streiten, im Hinblick auf das Schuldrecht traf diese Analyse sicherlich zu, solange nicht für ein echtes Gleichgewicht zwischen den Vertragsparteien gesorgt war. Dementsprechend forderte Menger, die Vereinbarung eines Verzichts auf die Haftung für die persönlichen Güter des Arbeiters unwirksam sein zu lassen40. Im übrigen sollte nach Mengers Vorstellung insbesondere die Disziplinargewalt des Dienstherrn beseitigt werden41. Zu betonen bleibt aber, daß Menger dadurch vor allen Dingen die Situation des Gesindes bessern wollte nach dem Vorbild der Gewerbeordnung, die für die Industriearbeiter schon ein gewisses Schutzniveau erreicht hatte42. Ähnlich wie Menger forderte allerdings auch Rechtsanwalt O. Jacobi die gesetzliche Fixierung einer Fürsorgepflicht für Leben und Gesundheit der Arbeiter. Im Falle einer Verletzung resultierte daraus dann ein vertraglicher Schadens36 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S. 455. In diesem Sinne auch, ohne Menger namentlich zu zitieren Bernhard Hartmann, Der Entwurf des Einführungsgesetzes, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 1227-1272, hier S. 1255. 37 Dazu: Benöhr, Wirtschaft und Sozialversicherung (wie Fn. 13), S. 19—48. 38 Samuel Jacoby, Kritik über „Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen", in: Grünhut's Zeitschrift 18 (1891), S. 279-286, hier S.282. 39 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S.444. 40 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S.458. 41 Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S. 466-470. 42 Z.B. Menger, Besitzlose Volksklassen 1890, S. 164f.; ebenso auch Eugen Ehrlich, Die soziale Frage im Privatrechte, in: Juristische Blätter. Eine Wochenschrift 21 (1892), S. 97-99, 109-111, 121-123, 133-135, hier S. 110f., der sich insgesamt hinter die Kritik von Menger gestellt hat.

222

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

ersatzanspruch43. Für einen generellen Schadensersatzanspruch gegen den Unternehmer im Falle eines Unfalls im Wirtschaftsbetrieb setzte sich auch Paul Klöppel ein. Die Verantwortlichkeit des Unternehmers, so meinte er, resultiere aus seiner wirtschaftlichen Stellung. Wer andere zu seinem Nutzen und Gewinn arbeiten lasse, müsse auch für alle Schäden aufkommen, die diese Personen dabei erleiden44. Die Idee einer vertraglichen Haftung des Arbeitgebers für die körperliche Integrität des Arbeitnehmers war nicht neu. Die gemeinrechtliche Rechtsprechung, auch die des Reichsgerichts, hatte schon längst die Sorge für die körperliche Integrität als eine vertragliche Pflicht aufgefaßt. Sie gelangte im Falle einer Pflichtverletzung also unabhängig von den Vorschriften der Gewerbeordnung zur Haftung des Arbeitgebers, vorausgesetzt, es war kein Haftungsausschluß vereinbart45. Neu war nur die Forderung des Verbots eines Haftungsausschlusses. Berücksichtigt man das, so verlieren Mengers Vorschläge zum Arbeitsrecht jeden Anklang an Sozialrevolutionäre Ideen. b) Personenrechtliche

Aspekte des

Arbeitsverhältnisses

Eine Vernachlässigung der sozialen Seite des Dienstes als Folge der kaum eingeschränkten Vertragsfreiheit rügte auch Gierke. Alle Formen der Lohnarbeit sollten vom Dienstvertrag umfaßt werden, also auch das Arbeitsverhältnis des Gesindes46. Gierke macht aber ganz deutlich, daß es ihm dabei weniger um des Schutz des Schwächeren als vielmehr um den Gemeinschaftsgedanken ging. Zu Unrecht, so schrieb er, werde das gemeinschaftsbezogene Wesen eines Dienstverhältnisses, das mit einem Eintritt in die Hausgemeinschaft oder in den „gewerblichen Organismus" des Dienstherrn verbunden ist, ausgeklammert. Der Arbeiter werde stets in einen Herrschaftsverband eingegliedert. Doch das Privatrecht des Entwurfs erhebe sich hier „nicht über eine rein individualistische, 43 O. Jacohi, Die Lehre vom Dienstvertrag im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Archiv für Bürgerliches Recht 4 (1890), S. 137-169, hier S. 161-164. 44 Paul Klöppel, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, in: Gruchot's Beiträge 32 (1888), S. 611-656, hier S.652. 45 Reichsgericht, Urt. vom 30. Dezember 1882 (Rep. I 466/82), in: RGZ 8 (1883), S. 149-152, hier S. 151; Urt. vom 1. Juli 1884 (Rep. III 93/84), in: RGZ 12 (1885), S. 45-50, hier S. 48f. sowie in: SeuffA 40 (1885), S.211-212; Urt. vom 9. Januar 1885, in: SeuffA 40 (1885) S.342f.; Urt. vom 10. März 1885 (Rep. III 321/84), in: RGZ 13 (1885), S.355-357, hier S.357; Urt. vom 4. November 1886 (Rep. l i l a 193/86), in: RGZ 18 (1887), S. 173-176, hier S. 176; Urt. vom 29. März 1887 (3. Senat) (Marwinski./. Eisenbahnfiskus), in: JW 16 (1887), S.210-211, hier S.211; Urt. vom 21. Oktober 1887 (Rep. III 163/87), in: RGZ 19 (1888), S. 189-193, hier S. 191; Urt. vom 13. April 1888 (3. Senat) (Eitzner ./. Kindermann), in: SeuffA 43 (1888), S.401f., hier S.401 sowie in: JW 17 (1888), S.221 Nr. 10; Urt. vom 24. Mai 1888 (Rep. VI 80/88), in: RGZ 21 (1888), S. 170-174, insbesondere S. 171; Urt. vom 6. Juli 1888 (Rep. III 80/88), in: RGZ 21 (1888), S. 77-79, hier S.79; Erk. des obersten Gerichtshofes für Bayern vom 21. Juli 1875, in: SeuffA 33 (1878), S. 180-182, hier S. 181. 46 Gierke, Entwurf, S. 104f.

I. Der

Arbeitsvertrag

223

im Grunde tote und wertlose Schablone" 47 . Schon diese kleine Gegenüberstellung der Positionen von Menger und Gierke erweist sie als denkbar unterschiedlich. Die Vernachlässigung der personenrechtlichen Bezüge des Arbeitsverhältnisses, das heißt der Einbindung des Arbeiters in den Herrschaftsverband, war der Kern von Gierkes Kritik am Arbeitsrecht des Entwurfes 48 . Deshalb sprach er über die familienrechtlichen Konsequenzen des Eintritts in die Hausgemeinschaft49. Ohne weiteres verband er damit die Klage, der Entwurf lasse weniger als jedes andere Gesetzbuch vom Schutz des Schwachen gegen die wirtschaftliche Ubermacht spüren. Sein kapitalistischer Geist lasse keinen Raum für den Wert der freien Arbeit, da er nicht beachte, daß die wirklichen Träger der Wirtschaft nicht die Unternehmer, sondern die Herrschaftsverbände seien. Insbesondere sei es merkwürdig, daß nach außen nur einzelne haften sollten, nicht die Unternehmen selbst50. Als konkrete Desiderate nahm er auf, Langzeitverträge mit einer sechswöchigen Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer auszustatten, die Kündigungsfrist bei Diensten „höherer Ordnung", das heißt Erzieher, Privatsekretäre, Kapläne usw., solle aber für den Dienstherrn nach dem Vorbild des ALR ein Vierteljahr sein51. Gierke vermißte außerdem besondere Vorschriften über die Fürsorge im Krankheitsfall und die Ersatzpflicht für im Dienst erlittene Schäden52. Sieht man einmal von der etwas nebulösen Forderung ab, der Gesetzgeber möge die wirkliche Macht der Herrschaftsverbände berücksichtigen, die Auswirkungen gerade auf die Arbeitsverhältnisse in der Industrie gehabt hätte, so ist Gierke an keiner Stelle in spezifischer Weise auf die Belange der Industriearbeiter eingegangen. Gesinde, Dienstboten, Dienstleute „höherer Ordnung", Privatbeamte sind die Gruppen von Dienstpflichtigen, die ihm vor Augen standen. Für diese verlangte er Normen, die die Einbindung dieser Dienstpflichtigen in die Gemeinschaft mit dem Dienstherrn zum Ausdruck bringen sollten. Die industrielle Arbeiterfrage kam bei ihm jedoch nicht vor.

47 Gierke, Entwurf, S. 105. Zustimmend Andreas Heusler, [Besprechung von Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, Leipzig 1889], in: KritVJS 32 (1890), S. 177-188, hier S. 185 f. 48 Es ist noch einmal zu betonen, daß hier nur die Arbeiten Gierkes aus der Zeit von 1888 bis 1896 Berücksichtigung gefunden haben, die in Zusammenhang mit den Gesetzesentwürfen stehen. Dazu zählt beispielsweise nicht die für die Arbeitsrechtsgeschichte wichtige Diskussion zum Thema: Arbeitseinstellungen und die Fortbildung des Arbeitsvertrags, in: Verhandlungen der am 26. und 27. September 1890 in Frankfurt am Main abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik, hrsg. vom Ständigen Ausschuß, Leipzig 1890, S. 165-273 [Schriften des Vereins für Socialpolitik 47], die Gierke zusammengefaßt hat, ebenda, S. 273-279. Im Text ist also nicht die Würdigung im Sinne einer Werkbiographie beabsichtigt. Zum Arbeitsrecht bei Gierke vor allem Helga Spindler; Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft. Kritische Darstellung der Sozialrechtslehre Otto von Gierkes, Frankfurt am Main 1982. 49 Gierke, Entwurf, S. 191, 247. 50 Gierke, Entwurf, S.192f. 51 Gierke, Entwurf, S.246. 52 Gierke, Entwurf, S. 247.

224

c)

KapitelSoziales

Recht im

Schuldrecht

Kündigungsmöglichkeiten

Auch die Bemerkungen, die der Göttinger Professor Ludwig von Bar zum Dienstvertragsrecht im ersten Entwurf gemacht hat, berühren die Industriearbeiter kaum. Sein Ansatz war wie bei Menger und zum Teil auch bei Gierke, das Prinzip der Vertragsfreiheit vornehmlich im Interesse der „bedürftigen Klassen", zu denen aber oft auch Hauslehrer, Erzieherinnen und Sekretäre zählen würden, einzuschränken. Insbesondere seien zweckmäßige Kündigungsmöglichkeiten wünschenswert53. Doch auch von Bar wandte sich sofort dem Gesinderecht zu und hat somit die Industriearbeiterfrage allenfalls leicht gestreift. d) Höhere Dienste - kein einheitlicher

Arbeitsvertrag

Sehr ausführlich und nach dem Urteil Otto Bährs „wertvoll"54 hat sich der Münchener Rechtsanwalt Theodor Loewenfeld mit dem Dienstvertragsrecht des Entwurfs auseinandergesetzt55. Bahr meinte, es sei „dringend zu wünschen, daß dieser Aufsatz bei der Revision gebührende Beachtung finde"56. Sieht man den so gelobten Beitrag an, muß man feststellen, daß die industrielle Arbeiterfrage auch dort keine Rolle gespielt hat. Offenbar war sie also sowohl für den Autor wie für seinen Kritiker kein Gegenstand für das Bürgerliche Gesetzbuch. Statt dessen ging es Loewenfeld vor allem um die „höheren" Dienstverhältnisse von Rechtsanwälten, Ärzten, Geistlichen, Beamten, Schriftstellern, Dichtern usw. Anders als Menger wollte Loewenfeld gerade keinen einheitlichen Arbeitsvertrag für alle Arbeitsverhältnisse, sondern plädierte für die Beibehaltung der römischen Trennung zwischen operae liberales und illiberales. Die „freien Berufe" - die Ausdrucksweise hat sich bis heute erhalten - sollten in ihrem altruistischen Charakter anerkannt und nicht dem Dienstvertragsrecht unterworfen werden57. Immerhin griff Loewenfeld die Anregung Gierkes, eine Fürsorgepflicht im Krankheitsfall einzuführen, auf und schlug vor, die Schutzvorschrif53 Ludwig von Bar, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, besonders in sozialpolitischer Beziehung, in: Die Nation 7 (1889/90), S.399-403. 54 Otto Bahr; [Literaturbericht:] Weitere Schriften über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: KritVJS 32 (1890), S. 188-207, hier S.205f. 55 Theodor Loewenfeld, Ueber den Dienst-, Werk- und Auftragsvertrag nach dem Entwürfe des bürgerlichen Gesetzbuches. Mit besonderer Berücksichtigung auf die Verhältnisse der Rechtsanwaltschaft, der medizinischen Praxis und anderer wissenschaftlicher Berufe, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 858-932. 56 Bähr (wie Fn. 54). 57 Loewenfeld, Ueber den Dienst-, Werk- und Auftragsvertrag (wie Fn. 55), insbesondere S.922ff.; bezüglich der Rechtsanwälte auch ders./Reatz, Die Vorlagen für den Anwaltstag zu Hamburg am 12. und 13. September 1890. B. Bürgerliches Recht. Die Rechtsstellung des Anwalts gegenüber seinem Klienten, in: JW 19 (1890), S. 251-254, hier S. 253. Demgegenüber betonte Paul Stolterfoth, Beiträge zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Leipzig 1890, S.70f., daß die besonderen standesrechtlichen Vorschriften vom Bürgerlichen Gesetzbuch nicht berührt würden.

I. Der

225

Arbeitsvertrag

ten der Gewerbeordnung in den Dienstvertrag zu integrieren. Außerdem trat er für eine Modernisierung des Gesinderechts ein im Sinne einer Abschaffung der faktischen Leibeigenschaft 58 . Mit den Problemen der Industriearbeiter hat sich Loewenfeld aber nicht auseinandergesetzt. e)

Ergebnis

Obgleich aus den Reihen der Kritiker des Entwurfs verschiedene Vorschläge hervorgegangen sind, wie das Dienstvertragsrecht zugunsten der Arbeitnehmer - auch derjenigen aus der Industrie - verbessert werden könnte, nämlich durch Einführung einer vertraglichen Fürsorgepflicht sowie Schadensersatz im Falle einer Verletzung derselben usw., so fällt doch auf, daß die Lage der Industriearbeiter nirgends besonders gewürdigt worden ist, sehr im Unterschied zu derjenigen des Gesindes. Die Industriearbeiterfrage, die Anstoß und Motor der Sozialpolitik des Reiches war, blieb in der Vorbereitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs unbeachtet.

4. Vom Entwurf

zum

BGB

Auch im weiteren Verlauf der Entstehung des Gesetzbuchs änderte sich nichts daran, daß die Industriearbeiterfrage - für den heutigen Betrachter erstaunlicherweise - ausgeklammert blieb. Zwar wurden ein paar Verbesserungen des Dienstvertragsrechts zugunsten der Arbeitnehmer eingeführt, doch dabei hatten die Kommissionen nicht in besonderer Weise die Bedürfnisse der Industriearbeiter im Blick. Die wesentlichen Veränderungen betrafen die späteren §§617, 618 B G B . §617 B G B statuierte eine Versorgungspflicht des Dienstherrn gegenüber erkrankten Dienstpflichtigen, die er in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen hatte, also insbesondere Dienstboten, Hausangestellte, Gewerbegehilfen und ländliche Arbeiter. Das Ziel dabei war, für die nicht gewerblichen Arbeiter eine Absicherung für den Krankheitsfall zu schaffen, weil das Krankenversicherungsgesetz von 1883 59 nur für die gewerblichen Arbeiter Gültigkeit hatte 60 . Hier ging es also - wie auch schon bei Menger— nur um die Ausdehnung des bereits für Industriearbeiter erreichten gesetzlichen Schutzes auf andere Arbeitnehmer. Schon in der Vorkommission des Reichsjustizamtes wurde ausgehend von der mehrfachen Forderung in der Kritik am ersten Entwurf eine Verpflichtung des Dienstherrn, Schutzvorkehrungen für die Gesundheit der Arbeiter zu tref58 59

104.

Loewenfeld, Ueber den Dienst-, Werk- und Auftragsvertrag (wie Fn. 55), S.930. Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883, RGBl. S. 73-

60 Vgl. den Bericht von Heller über die Sitzung vom 14. März 1896, in: Jakobs/Schubert, tung, Schuldrecht 2, S. 780-782.

Bera-

226

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

fen, geschaffen61. In §558 E II wurde auf Antrag Struckmanns noch ausdrücklich die Schadensersatzpflicht im Falle einer schuldhaften Vernachlässigung der Schutzpflichten eingefügt62. Versuche Bayerns und Hamburgs, im Interesse der Arbeitgeber das Schutzniveau zu senken, scheiterten im Bundesrat, weil man es im Reichstag für politisch nicht durchsetzbar hielt, Regelungen zurückzunehmen, die zu einer Verbesserung der Situation der Arbeitnehmer führen sollten63. Hinzukam das wichtige Argument Struckmanns, gegenüber dem gemeinen Recht bringe die Vorschrift nichts wirklich neues64. Das traf gerade für die gewerblichen Arbeiter zu, deren Schutz durch die §§120a-120e GewO im wesentlichen gewährleistet war65. Im Reichstag wurde auf Antrag von Gröber die Verpflichtung des Dienstherrn ergänzt, für das Gesinde die zum Schutz der Gesundheit, Sittlichkeit und Religion erforderlichen Maßnahmen der Wohn- und Schlafräume, der Nahrung und Bekleidung zu treffen sowie das Züchtigungsrecht des Dienstherrn zu untersagen66. Die Kritik am ersten Entwurf hatte also insofern Erfolg. Das gilt auch für die Festlegung des zwingenden Charakters von den §§617, 618 BGB in §619 BGB. Die Einfügung dieser Vorschrift ging auf einen Antrag von Karl Jacubezky in der zweiten Kommission zurück67. Insbesondere Menger hatte deutlich gemacht, daß ohne eine solche Bestimmung Verbesserungen nicht durchsetzbar sein würden68.

5. Arbeiterfrage

kein Thema der

Diskussion

Sieht man einmal von den Bemühungen der Sozialdemokraten in der Reichstagskommission und später auch im Plenum ab, den Arbeitsvertrag einheitlich im Gesetzbuch für alle Arten von Arbeitnehmern einschließlich des Gesindes zu regeln, so ist festzuhalten, daß sich keine der Kommissionen mit den spezifischen Problemen der Industriearbeiter befaßt hat. Auch in der Kritik an den Entwürfen fanden sie - im Unterschied zu anderen Diskussionsforen69 - nur Prot-RJA, S.468f., in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.783. Antrag Struckmann, Nr. 159, 15, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 784. 63 Vgl. die Bericht von Heller; Schicker und Sieveking vom 11. und 12. Oktober 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 787f. 6 4 Bericht von Heller (wie Fn. 63), S. 787. Zur gemeinrechtlichen Situation vgl. oben S. 222 bei Fn. 45. 6 5 Vgl. Prot. II, Bd. 2, S.290. 6 6 Antrag Gröber, Nr. 35, 7 - 8 , in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.788f. 6 7 Antrag Jacubezky, Nr. 184, 4, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 784. 6 8 Vgl. oben S.221 bei Fn.40. 6 9 Vgl. zum Beispiel die Behandlung des Arbeitsvertrags im Verein für Socialpolitik, in der Erkenntnis, daß die sachgemäße Regelung des Arbeitsvertrags den Kernpunkt der Arbeiterfrage bilde, vgl. Lttjo Brentano, Arbeitseinstellungen und die Fortbildung des liberalen Arbeitsvertrages, in: Verhandlungen (wie Fn. 48), S. 119-130, hier S. 122; außerdem die übrigen Beiträge zu der 61

62

I. Der

Arbeitsvertrag

227

selten Berücksichtigung. D e r wichtigste G r u n d d a f ü r scheint aber nicht Blindheit auf d e m „sozialen A u g e " gewesen zu sein, sondern die Ü b e r z e u g u n g , diese Fragestellungen durch Spezialgesetze bereits behandelt zu haben, was Struckmann in einer Stellungnahme z u m A n t r a g der Sozialdemokraten, einen einheitlichen Arbeitsvertrag einzuführen, gegenüber der XII. Reichstagskommission betont hat 7 0 . A u ß e r d e m w ü r d e die Einarbeitung des Arbeitsvertrags mindestens vier M o n a t e Zeit e r f o r d e r n 7 1 . Mindestens das Zeitargument d ü r f t e aber v o r allem aus taktischen E r w ä g u n g e n ins Spiel gebracht w o r d e n sein, w e i l im J u ni 1 8 9 6 , als diese Fragen in der K o m m i s s i o n behandelt w u r d e n , bereits die M e h r h e i t des Reichstags die A b s i c h t hatte, n o c h v o r der S o m m e r p a u s e das G e setz zu verabschieden. Immerhin kam es aber zu einer einstimmigen 7 2 R e s o l u tion der K o m m i s s i o n , in der beantragt w u r d e , der Reichstag möge in F o r m einer Resolution die E r w a r t u n g aussprechen, daß „die Arbeitsverhältnisse, durch welche jemand sich verpflichtet, einen Theil seiner geistigen oder körperlichen Arbeitskraft für die häusliche Gemeinschaft, ein wirthschaftliches oder ein gewerbliches Unternehmen gegen einen vereinbarten Lohn zu verwenden ... baldthunlichst für ganz Deutschland einheitlich geregelt werden" 7 3 . Frankfurter Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik am 26. und 27. September 1890, im selben Band abgedruckt, insbesondere auch den Beitrag von Gierke, wie zuvor, S. 273-279. Die Diskussion im Verein für Socialpolitik wurde aber nicht mit Blick auf den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs geführt, sondern stand für sich. Brentanos Vorschläge zielten auf die Schaffung von Arbeiterorganisationen und erste Ansätze von Mitbestimmung. Seine arbeitsvertraglichen Vorstellungen wollte er in einer Reform der Gewerbeordnung verankern [ders., wie zuvor, S. 129]. 70 Bericht von Heller über die Sitzung vom 11. März 1896, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 755f., hier S. 756: „... diese Art der Begriffsfeststellung ... greife in Materien ein, die zu einem erheblichen Teile Gegenstand der Spezialgesetzgebung (Gewerbeordnung, Handelsgesetzbuch, Binnenschiffahrtsgesetz u.a.) sind." 71 So der Bericht von Stadthagen über die Debatte des Antrags in der Kommission, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, IX. Legislaturperiode, IV. Session 1895/97, 5. Band, Berlin 1897, S.3821-3846, hier S.3837: „Ich entsinne mich aus der Kommission, daß wir darüber sehr ausgedehnte Debatten hatten; und lediglich oder mindestens wesentlich aus dem Grunde, weil die Herren Regierungsvertreter erklärt haben, bei dem Mangel an Vorarbeiten, der auf ihrer Seite bestände, würde das Zustandekommen des bürgerlichen Gesetzbuchs mindestens vier Monate länger dauern, falls sofort der Arbeitsvertrag hineingearbeitet würde, hat eine Menge von Mitgliedern der Kommission unser Bestreben nicht unterstützt, das Recht des Arbeitsvertrags in das bürgerliche Gesetzbuch sofort hineinzuarbeiten." 72 Vgl. den Bericht des Vorsitzenden der XII. Kommission Spahn in der Sitzung des Reichstags vom 11. Dezember 1896, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, IX. Legislaturperiode, IV. Session 1895/97, 5. Band, Berlin 1897, S.38213846, hier S. 3842. Spahn hat dabei übrigens der Darstellung Stadthagens insofern widersprochen, als er die Beratung der Sachfragen in der Kommission als „kurz" bezeichnete, während Stadthagen von einer „ausführlichen" Behandlung sprach (vgl. Fn. 71). 73 Der Wortlaut der Resolution vom 12. Juni 1896 befindet sich im Bericht [der XII. Kommission] über den Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages 1895/97, IX. Legislaturperiode, IV. Session, 3. Anlagen-Band, Nr.440d, S.2108-2192, hier S.2119. Die Kommission beantragte: „Der Reichstag wolle beschließen ... folgende Resolutionen anzunehmen:... III. es werde

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Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

Über diese Resolution, die auch noch einige andere Rechtsmaterien umfaßte, fand kaum ein halbes Jahr nach Abschluß der Beratungen über das Bürgerliche Gesetzbuch eine Debatte im Reichstag statt, bei der die Resolution mehrheitlich angenommen worden ist 74 . Die Resolution ändert aber nichts an der Tatsache, daß für das Bürgerliche Gesetzbuch selbst eine spezifische Berücksichtigung der Interessen der Industriearbeiter nicht festzustellen ist. Vielmehr zeigt sich auch hier die Bestrebung, solche kritischen Materien in Spezialgesetze zu verlagern. Außerdem wurden manche Probleme der Industriearbeiter gar nicht als Gegenstände bürgerlichen Rechts aufgefaßt 75 . Das gilt vor allem für das kollektive Arbeitsrecht, das sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu entwikkeln begann 76 . N o c h etwas ist bemerkenswert: Selbst die Versuche der Sozialdemokraten, eine allgemeine Regelung des Arbeitsvertrags in das Bürgerliche Gesetzbuch zu integrieren, erscheinen aus heutiger Sicht wenig spektakulär, soweit es die Belange der Industriearbeiter betrifft. Das von der Kritik und schließlich auch von den Sozialdemokraten angestrebte Schutzniveau hätte kaum höher gelegen als die bereits bestehenden Regeln der Gewerbeordnung 7 7 . Der Fortschritt hätte sich hauptsächlich auf das Gesinde bezogen. Dementsprechend standen auch die Belange des Gesindes im Mittelpunkt sozialdemokratischer Bemühungen um das Dienstvertragsrecht 78 . die Erwartung ausgesprochen, daß 1. die Rechtsverhältnisse der Berufsvereine, 2. die Verträge, durch welche Jemand sich verpflichtet, einen Theil seiner geistigen oder körperlichen Arbeitskraft für die häusliche Gemeinschaft, ein wirthschaftliches oder ein gewerbliches Unternehmen eines Anderen gegen einen vereinbarten Lohn zu verwenden, 3. die Haftung des Reiches für den durch Reichsbeamte in Ausübung der Amtsbefugnisse verursachten Schaden für den Fall, daß der Ersatz des Schadens von den Beamten nicht zu erlangen ist, 4. das Bergrecht, 5. das Jagd- und Fischereirecht, 6. das Versicherungsrecht, 7. das Verlagsrecht, 8. das gesammte Wasserrecht mit Einschluß der Vorschriften über Bewässerung und Entwässerung für das Deutsche Reich baldthunlichst einheitlich geregelt werden." 74 Vgl. Protokoll der Sitzung vom 11.12.1896, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, IX. Legislaturperiode, IV. Session 1895/97, 5. Band, Berlin 1897, S. 3821-3846. 75 Vgl. z.B. die bewußt einseitig im Sinne sozialistischer Ziele geschriebene, inhaltlich stark an der Arbeit von Menger orientierte, Kritik von Ernst Noeller, Proletariat und Privatrecht. Kritische Betrachtungen eines Arbeiters über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (2. Lesung), Dresden 1896, S. 16: „Ein Eingehen auf diese Forderungen [sc. zugunsten der Industriearbeiter] muß ich mir versagen; es wäre auch hier eigentlich gegenstandslos, da die gesetzliche Behandlung des Dienstvertrages der industriellen und gewerblichen Arbeiter im großen Ganzen aus dem Bürgerlichen Recht herausgenommen und unbeeinflußt von diesem als besonderer Rechtsstoff in dem Gewerberecht... geregelt ist." 76 Dazu vor allem: Rainer Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, Ebelsbach 1988. 77 Die Gewerbeordnung ist durch Gesetz vom 1. Juni 1891 (RGBl., S. 290) novelliert worden in Reaktion auf die neue sozialpolitische Initiative Wilhelms II. (Februarerlasse von 1890). Wichtige Neuerungen waren: Verbot der Sonntagsarbeit, Verbot der Arbeit von Frauen und Kindern unter Tage und während der Nacht, Pflicht zum Erlaß von Arbeitsordnungen und Erlaubnis von Arbeiterausschüssen in den Betrieben. 78 Vgl. z.B. den Bericht im „Vorwärts" vom 21. Juni 1896, abgedruckt bei Thomas Vormbaum,

I. Der

Arbeitsvertrag

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Fragt man nach den Ursachen, w a r u m die Lage der Industriearbeiter weniger als soziales Problem in den Blick geraten ist als etwa die Situation der Dienstboten und landwirtschaftlichen Arbeiter, so drängen sich mehrere G r ü n d e auf: Abgesehen v o n der Gründerkrise w a r der Arbeitsmarkt in der Industrie trotz der „großen Depression" zwischen 1873 und 1 8 9 6 eher v o n einem A r b e i t s k r ä f temangel geprägt. Die Zahl der Beschäftigten in G e w e r b e , Handel und Verkehr w a r in der Zeit v o n 1 8 8 2 bis 1895 v o n 4,8 auf 7,2 Millionen (1907: 10,6 Millionen) gestiegen 79 . D e r ständig wachsende Arbeitsmarkt bot auch gekündigten Arbeitern - bei aller Schwierigkeit im Einzelfall 8 0 - relativ leicht die Gelegenheit, eine neue Anstellung zu finden. Durchschnittlich die Hälfte aller Arbeiter wechselten um 1 9 0 0 jährlich den Betrieb 8 1 . Besonders betroffen waren Frauen, Ledige, Ungelernte und junge Männer. Von den Arbeitern, die beispielsweise K r u p p im Jahre 1 9 0 6 verließen, waren beinahe 6 0 % weniger als 6 Monate im Betrieb. Im selben Jahr wechselten in Duisburg 1 6 3 % der H o c h o f e n - A r b e i t e r den Arbeitsplatz, manche also mehr als einmal im Jahr 8 2 . 1895 betrug die A r beitslosenquote im Juni 1 , 1 % , im Dezember 3 , 4 % . Bis 1 9 1 4 lag sie meistens zwischen 1 und 3 % , nur dreimal darüber 8 3 . Fragen des Bestandsschutzes waren dann aber f ü r die Industriearbeiter 8 4 weniger wichtig, und so konnte man es sich leisten, zunächst beispielsweise auf die Einführung der Versicherung des A r beitslosigkeitsrisikos zu verzichten. Dennoch litten auch die Arbeiter unter der Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2. Aufl. Baden-Baden 1997, Nr. 67, S. 304f.; Noeller, Proletariat und Privatrecht (wie Fn. 75), S. 5-14. 79 Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie Fn. 7), Bd. 1, S. 291. Vgl. im übrigen die detaillierten Zahlenangaben bei Friedrich Wilhelm Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd. 2: Deutsche Wirtschafts-und Sozialgeschichte im 19. Jahrhundert, Paderborn usw. 1996, S. 678 sowie die ausführliche Darstellung der Entwicklung des Arbeitsmarktes bei Gerhard A. Ritter/Klaus Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, S. 155-261. 80 Vgl. die eindrucksvolle Autobiographie von Adelheid Popp, Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin, von ihr selbst erzählt. Mit einführenden Worten von August Bebel, München 1909, die mitunter kürzer als zwei Wochen bei einem Arbeitgeber beschäftigt war; anschaulich hat auch der Hamburger Unternehmer Max Rieck, Maßgebliches und Unmaßgebliches, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Litteratur und Kunst 54,1 (1895), S. 377-383, hier S. 380, von einem Arbeitslosenschicksal berichtet: Im tiefsten Winter saß Rieck selbst mit seinen gesunden vier Kindern in einem gut geheizten Zimmer, der Tisch bog sich unter den Speisen, als ein Zeitungsjunge mit löcherigen Strümpfen, ohne Handschuhe bei Frost die Zeitung brachte und, hereingebeten, von der häuslichen Situation der neunköpfigen Familie berichtete, deren Vater seit Wochen arbeitslos war. 81 Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie Fn. 7), Bd. 1, S. 294. 82 Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie Fn. 7), Bd. 1, S. 295. 83 Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie Fn. 7), Bd. 1, S. 302. 84 Für die Landarbeiter galt etwas anderes. Die ländliche Not und Unterbeschäftigung trieb die Landarbeiter in die Industrieregionen, vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie Fn. 7), Bd. 1, S. 292; zur Situation der Landwirtschaft zwischen 1873 und 1914 vgl. Henning, Handbuch (wie Fn. 79), S. 889-967, speziell zur Entwicklung der Beschäftigtenzahl Tabelle 79 S.950: zwischen 1882 und 1895 sank die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten um mehr als 300.000 von 5.764.000 auf 5.446.000. Auch Henning bestätigt, daß eine große Zahl von Landarbeitern in die Industrie abgewandert ist, S. 951 f.

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Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

„großen Depression". Die Anforderungen an die Arbeitsleistung stiegen, Lohnkürzungen mußten vielfach in Kauf genommen werden und die Einführung neuer Zölle verteuerte zugleich die Lebenshaltungskosten 85 . Allerdings muß man große individuelle und auch regionale Unterschiede berücksichtigen. Trotz aller Unzulänglichkeiten der konkreten Arbeitssituationen wurden die Probleme der Industriearbeiter offenbar als weniger dringlich angesehen, weil der Bestandsschutz sich nicht als wichtige Aufgabe darstellte. Für die übrigen Fragen wie Arbeitssicherheit, Schutz der persönlichen Integrität usw. konnte man auf die durch die Bismarckschen Sozialgesetze und die Gewerbeordnung erreichten Schutzmaßnahmen für die gewerblichen Arbeiter verweisen. Man war der Auffassung, für die Industriearbeiter hierdurch das einstweilen Nötige schon getan zu haben. Und was noch zu tun blieb, wollte man im Wege der Novellierung zum Beispiel der Gewerbeordnung erreichen 86 . Schließlich könnte ein psychologischer Umstand mitverantwortlich für die Ausklammerung der Industriearbeiterfrage gewesen sein, der sich freilich nicht nachweisen läßt: Sowohl die mit der Gesetzgebung befaßten Personen wie auch die Kritiker des ersten Entwurfs waren in ihrer großen Mehrzahl nicht mit den Erfahrungen der Industriearbeiter in dem Maße vertraut wie mit den Problemen von Dienstboten und Hausangestellten87. Trotzdem bleibt es ein bemerkenswertes Phänomen, daß selbst die Sozialdemokraten, die ihren Rückhalt vor allem in der Industriearbeiterschaft hatten, deren spezifischen Probleme im Bürgerlichen Gesetzbuch kaum berücksichtigen wollten. Nimmt man, wie es Benöhr und Schubert88 getan haben, die Gesamtrechtsordnung in den Blick, so war natürlich für diese Gruppe schon besonders viel geschehen. Es ist nicht zu leugnen, daß auch aus der Sicht der damaligen Zeit85 Zur Entwicklung der Lebenshaltungskosten, die freilich zwischen 1875 und 1885 gesunken waren, vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte, (wie Fn. 79) Bd. 1, S. 304f. Insgesamt muß man aber davon ausgehen, daß durch die Verstädterung in zunehmendem Maße Ausgaben notwendig wurden, die bisher nicht vorhanden waren. Die Zunahme der Brotpreise zwischen 1885 und 1898 um ca. ein Fünftel fügt sich in das Bild, vgl. Hans von Scheel, Brotpreise, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hrsg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis, Edgar Loening, Bd.2: Arnd-Büsching, 2. Aufl., Jena 1899, S. 1098-1101, hier S. 1100. Der allenfalls leichte Anstieg der Reallöhne konnte diese zusätzlichen Lebenshaltungskosten nicht ausgleichen, Henning, Handbuch (wie Fn. 79), S. 1099; speziell zur Situation der Arbeiter vgl. die Zahlenangaben und weiteren Nachweise bei Hans-Peter Benöhr, Soziale Frage - Sozialversicherung - Sozialdemokratische Reichstagsfraktion (1881-1889), in: SZGerm 98 (1981), S. 95-156, hier S.97ff.; vgl. auch unten Fn. 572, insbesondere den dort genannten Aufsatz von Saalfeld.

Vgl. etwa den Hinweis am Ende von Fn. 69. Das erklärt auch das andernorts gelegentlich - z.B. Andreas Wacke, Ursprung der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung, in: RdA 40 (1987), S. 321-327, hier S.323 - konstatierte Schweigen zu arbeitsrechtlichen Problemen bei so engagierten Kritikern wie Gierke. 88 Hans-Peter Benöhr; Wirtschaftsliberalismus und Gesetzgebung am Ende des 19. Jahrhunderts, in: ZfA 8 (1977), S. 187-218, hier S. 216-218; Werner Schubert, Bürgerliches Gesetzbuch, in: Staatslexikon, B d . l , 7.Aufl. Freiburg im Breisgau 1985, Sp. 1053-1058, hier Sp.1057; ders., Das bürgerliche Gesetzbuch von 1896, in: Kodifikation als Mittel der Politik. Vorträge und Diskussionsbeiträge über die deutsche, schweizerische und österreichische Kodifikationsbewegung um 1900, hrsg. von Herbert Hofmeister, Wien u.a. 1986, S. 11-28, hier S.26. 86 87

II. Kauf bricht

Miete

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genossen noch viel zu tun übrig geblieben war, und zwar gerade hinsichtlich einer echten Gleichberechtigung im Arbeitsvertrag, aber die ungelösten Probleme wurden nicht als solche des künftigen Bürgerlichen Gesetzbuchs angesehen. Ganz unabhängig davon, daß sich aus heutiger Sicht eine Auseinandersetzung mit der Reaktion der Rechtsordnung auf die Arbeiterfrage durchaus anbieten würde, insbesondere wenn man die reichen Erträge der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einbeziehen würde, bleibt es also dabei, daß die Arbeiterfrage keine Frage des Bürgerlichen Gesetzbuchs war 89 und daher auch nicht länger eine Frage dieser Untersuchung ist. Festzuhalten ist, daß die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts durch die Nichtbeachtung der Industriearbeiter in eine zwar erklärliche, aber doch bemerkenswerte Schieflage geraten ist, da sie eines der damals wichtigsten sozialen Probleme kaum berücksichtigt hat.

II. Kauf bricht

Miete

1. Wohnungsnot und Bestandsschutz Schon oben wurde die „Wohnungsfrage" als ein Hauptbestandteil der sozialen Frage angesprochen. Die mindestens seit 1860 90 so bezeichnete „Wohnungsfrage" hatte viele Gesichter. Sie betraf vielerorts und vielfach zunächst einmal einen Mangel an Wohnraum, also quantitative Wohnungsnot. Das Versagen der Marktwirtschaft auf dem Wohnungssektor wurde bereits von den Zeitgenossen erkannt 91 . Worin bestand aber nun dieses Versagen? Nur ganz ausnahmsweise gab es einen absoluten Mangel an Wohnungen 92 . Aber dennoch litten diejenigen, die die Wohnungsfrage als einen der wichtigsten Punkte der sozialen Frage ansahen, keineswegs unter Wahnvorstellungen. Es fehlte nämlich, bedingt durch die Bevölkerungsexplosion und die mit der Industrialisierung einherge8 9 Nach Meinung von Bernert, Arbeitsverhältnisse (wie Fn. 5), S. 250, konnte die soziale Frage aus dogmatischen Gründen nicht berücksichtigt werden, weil man dann den Charakter des Schuldverhältnisses hätte aufgeben müssen. 90 Victor Aimé Huber: Die Wohnungsfrage in Frankreich und England, in: Zeitschrift des Centrai-Vereins in Preußen für das Wohl der arbeitenden Klassen 2 (1860), S. 3-37 und 3 (1861), S. 123-196. Zu Huber vgl. Ernst Engel, Die moderne Wohnungsnoth. Signatur, Ursachen und Abhülfe, Leipzig 1873, S. lf. 91 Vgl. insbesondere den Sammelband „Die Wohnungsnoth der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe, Gutachten und Berichte", Leipzig 1886, [Schriften des Vereins für Socialpolitik, 30/31]. Eine besonders gründliche und pointierte Stellungnahme stammt zum Beispiel von dem Frankfurter Bürgermeister Karl Flesch, Die Wohnungsnoth vom Standpunkte der Armenpflege, in: Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit 6, Leipzig 1888, S. 121-172, hier S. 127f. 92 Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn. 90), S. 13; Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91), S. 128. - Die Einschätzung wird geteilt von den neuesten wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Studien, vgl. nur Clemens Wischermann, Mythen, Macht und Mängel: Der deutsche Wohnungsmarkt im Urbanisierungsprozeß, in: Geschichte des Wohnens. 1800-1918, Bd. 3: Das bürgerliche Zeitalter, hrsg. von Jürgen Reulecke, Stuttgart 1997, S. 333-502, hier S.405ff.

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Kapitel y. Soziales Recht im

Schuldrecht

hende Verstädterung 93 , an geeignetem Wohnraum insbesondere für die unteren Bevölkerungsschichten. Die Wohnungsproduktion zielte aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen der Gewinnmaximierung regelmäßig auf eine eher mittelständische bis großbürgerliche Kundschaft. Man baute Wohnungen, die für die ärmeren Schichten aufgrund ihrer Größe unbezahlbar waren. U m dennoch den Mietpreis aufbringen zu können, gingen sehr viele Haushalte zunächst bis an die Grenze des wirtschaftlich Vertretbaren, nicht selten sogar darüber hinaus. Außerdem war es üblich, durch Untervermietung das Haushaltsgeld aufzubessern. Dabei gab es unterschiedliche Formen: manchmal wurden ganze Zimmer - möbliert oder unmöbliert - untervermietet. Manchmal wurden „Aftermieter" direkt in die übrige Familienwohnung aufgenommen. Besonders verbreitet waren die sogenannten Schlafgänger, die nur ein Bett - mitunter nur stundenweise und das auch nicht allein - gemietet hatten. Mit den Schlafgängern gab es oft Probleme sittlicher Art, weil diese Personen das Familienleben natürlich in äußerstem Maße störten. Die zeitgenössischen Kritiker sprachen in diesem Zusammenhang von einem Mangelan Kleinwohnungen. Der Frankfurter Stadtrat KarlFlesch beispielsweise führte diesen auf die relativ schwächere Rentabilität der Errichtung kleinerer Wohnungen zurück 94 . Die Baukosten für kleinere Wohnungen waren - und sind es bis heute - vergleichsweise höher als diejenigen für größere Wohnungen. Ein weiteres Investitionshemmnis war, daß die Vermietung von Arbeiterwohnungen als risikoreich eingeschätzt wurde. Nur große Härte bei der Durchsetzung der Mietzinszahlungen konnte nach dem Urteil Schmollers solche Wohnungen rentabel machen 95 . 93 Zur Verstädterung im 19. Jahrhundert vgl. Henning, Handbuch (wie Fn. 79), S. 1101 ff.; GerdHohorst u.a. haben errechnet, daß die deutschen Großstädte (= 1910 mehr als 200.000 Einwohner) in der Zeit von 1875-1890 um durchschnittlich 45,4% gewachsen waren. Ein paar Zahlen zur Veranschaulichung (genannt werden jeweils die Jahre 1875 und 1890): Berlin 966.859/ 1.587.794, ohne Charlottenburg, das von 25.847 auf 76.859 gewachsen war; Chemnitz 78.209/ 138.954; Duisburg 37.380/59.285; Köln 135.271/281.681; Leipzig 127.387/295.025; München 193.024/349.024. Alle Angaben gemäß der auf dem statistischen Jahrbuch des Deutschen Reiches basierenden Tabelle bei Hans Jürgen Teuteherg/ Clemens Wischermann (Hrsg.), Wohnalltag in Deutschland, Münster 1985, S. 59; ebenda S. 53-64 weiteres Quellenmaterial zur Verstädterung. Zur Entwicklung in Preußen vgl. auch das Ergebnis der Volkszählung von 1890, das Vergleichswerte für 1885 enthält, in: Annalen des Deutschen Reichs 1891, S. 626-641. Im Zusammenhang mit diesen Zahlen, die die Verstädterung belegen, ist daran zu erinnern, daß das Wachstum der Städte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch ein völlig neues Phänomen war. Bis zur Jahrhundertmitte verzeichneten nämlich die meisten Städte nur ein sehr moderates Wachstum. So lebten im Jahre 1800 in Preußen 26,4% der Bevölkerung in Städten, 1849 waren es erst 28% (Zahlen nach CarlJantke, Der Vierte Stand. Die gestaltenden Kräfte der deutschen Arbeiterbewegung im XIX. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1955, S. 140). 94 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91),S.129; ebenso Johannes Miquel, Einleitung zu: Die Wohnungsnoth der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe, Gutachten und Berichte [= Schriften des Vereins für Socialpolitik, 30/31], Leipzig 1886, S. IXXXI, hier S.X, der bereits damals das Einschreiten des Staates in aller Deutlichkeit verlangte. 95 Gustav Schmoller, Ein Mahnruf in der Wohnungsfrage, in: Schmoller's Jahrbuch für Gesetzgebung 11 (1887), S. 425-448, hier S.434.

II. Kauf bricht

Miete

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Die Bevölkerungsexplosion im 19. Jahrhundert und die Wanderung vom Land in die Stadt sorgten allerdings für eine generell große Nachfrage. Hinzu kamen für den naturgemäß wenig flexiblen Wohnungsmarkt enorme Probleme durch Konjunkturschwankungen. Die hochmobilen Arbeitskräfte waren darauf angewiesen, in erreichbarer Nähe der Fabriken zu wohnen. Ging es in der Fabrik bergauf, so entstand schnell ein Sog auch auf dem Wohnungsmarkt. Ging die gute Konjunkturlage zu Ende, so ließ zunächst die Nachfrage nach Arbeitskräften und in der Folge dann auch die Nachfrage nach Wohnungen stark nach 96 . Wer hier sein Geld in noch nicht amortisierte Wohnungen gesteckt hatte, geriet fast notwendig in finanzielle Schwierigkeiten. Bei allen generalisierenden Betrachtungen muß man also stets bedenken, daß die lokale Situation unter Umständen ganz anders aussehen konnte. Trotz langfristig steigender Nachfrage war die Investition in den Wohnungsbau also ein ausgesprochen risikoreiches Geschäft. Dabei resultierte ein Teil des Risikos auch noch aus dem Umstand, daß die zahlenmäßig größte Gruppe der Nachfrager, nämlich die Arbeiter, zum größten Teil eine wirtschaftlich unsichere Existenz hatten. Kleinste Unregelmäßigkeiten beim Verdienst führten fast mit Notwendigkeit zur Zahlungsunfähigkeit und damit zu Mietausfällen. Da die Miethäuser fast immer mit fremdem Kapital finanziert waren, mußten die Hausbesitzer nicht selten ihre Objekte verkaufen, um einer Zwangsvollstreckung wegen nicht bedienter Kredite zuvorzukommen. Es wird auf die Hausfinanzierung und ihre Konsequenzen zurückzukommen sein 97 . Es gab daher verschiedene Gründe für Hauseigentümer, sich von dem Grundeigentum zu trennen, sei es, um Spekulationsgewinne in Zeiten wachsender Märkte zu realisieren, sei es, um dem eigenen wirtschaftlichen Ruin auszuweichen. Die meisten Bauunternehmer errichteten die Häuser, um sie sofort zu veräußern, nicht um sie selbst zu vermieten. Letzteres überließen sie dann gewerblichen Vermietern 98 . Wichtig ist zu sehen, daß die Hausbesitzer mitunter ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der raschen Veräußerung ihres Eigentums hatten. Vergegenwärtigt man sich darüber hinaus, daß wohl mehr als 9 0 % der städtischen Bevölkerung im Deutschen Reich zur Miete wohnte 99 , so gewinnen die Fragen Vgl. Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S.377f. Vgl. unten S.323. 98 Zum ganzen: Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S.383-386. 9 9 Vgl. Clemens Wischermann, Wohnen in Hamburg, Münster 1983, S. 483 sowie die ganz detaillierten Angaben für München 1904-07 aufgrund der Wohnungsenquete, abgedruckt bei Gerhard Neumeier, München um 1900. Wohnen und Arbeiten, Familie und Haushalt, Stadtteile und Sozialstrukturen, Hausbesitzer und Fabrikarbeiter, Demographie und Mobilität - Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einer deutschen Großstadt vor dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main usw. 1995, S.301. In Berlin sank der Anteil an Eigentümerwohnungen von 7,2% im Jahre 1861 auf 0,5% am Jahrhundertende, als München 10% und Hamburg 5,7% solcher Wohnungen hatte [Wischermann, Mythen (wie Fn. 92), S. 368]. In Frankfurt am Main wurden 1895 insgesamt 48.802 Wohnungen gezählt, von denen 84,1% Mietwohnungen, 13,1% Eigentümerwohnungen und 2,8% Dienstwohnungen waren [Franz Adler, Wohnungsverhältnisse und Wohnungspolitik der Stadt Frankfurt am Main zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Heidelberg 1904, S.22]. 96

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Kapitel 5: Soziales Recht im Scbuldrecht

des B e s t a n d s s c h u t z e s B e d e u t u n g , weil dieser m i t den I n t e r e s s e n der v e r ä u ß e rungswilligen H a u s b e s i t z e r in K o n f l i k t geraten k o n n t e . J e nach der K o n j u n k turlage k o n n t e es n ä m l i c h f ü r den V e r k a u f interessant sein, daß das O b j e k t m i e terfrei war. F ü r die M i e t e r w a r in diesen F ä l l e n der B e s t a n d s s c h u t z eine ernste F r a g e 1 0 0 . Als 1 8 7 2 in B e r l i n eine g r ö ß e r e Z a h l v o n F a m i l i e n o b d a c h l o s w u r d e 1 0 1 , trat das P r o b l e m des B e s t a n d s s c h u t z e s v o n M i e t v e r t r ä g e n in das ö f f e n t l i c h e B e w u ß t s e i n . D i e E x m i s s i o n v o n M i e t e r n w a r ein alltägliches G e s c h e h e n m i t den bereits o b e n deutlich g e w o r d e n e n 1 0 2 G e f a h r e n für die ö f f e n t l i c h e O r d n u n g . E i n B e r i c h t der V o s s i s c h e n Z e i t u n g v o m 15. A u g u s t 1 8 7 2 m a g das v e r a n s c h a u l i c h e n : „Ein Exzeß, der durch schnelle Intervention der Polizei keine größeren Dimensionen annahm, kam, wie die ,Neue Allgemeine Zeitung' mittheilt, vorgestern auf dem Wilhelmsplatz vor. Das Haus Nr. 4 daselbst, welches in den Besitz der ,Deutschen Baugesellschaft' übergegangen ist, sollte schon am 1. August von sämmtlichen Miethern, etwa zwanzig an der Zahl, geräumt werden. Die Leute weigerten sich dessen aber, weil sie noch kein anderes Obdach gefunden hatten. Am Dienstag früh fuhr nun vor das Haus in Begleitung mehrerer Arbeiter ein Wagen vor, auf dem sich allerlei Handwerkszeug befand, wie solches zum Abreißen von Gebäuden gebraucht wird. Die Miether widersetzten sich dem Eintritt der Arbeiter und machten hierbei einen solchen Lärm, daß sich alsbald zahlreiches Publikum sammelte. Im rechten Moment erschienen jedoch die Polizeimannschaften, welche zunächst den Platz säuberten und den Tumult unterdrückten" 1 0 3 . S o l c h e B e r i c h t e finden sich in der damaligen Tagespresse i m m e r wieder. D e r B e s t a n d s s c h u t z der Mietverhältnisse w a r als P r o b l e m ins öffentliche B e w u ß t sein eingedrungen.

2. Der

erste

Entwurf

S c h e i n b a r o h n e R ü c k s i c h t auf das Interesse der M i e t e r a m B e s t a n d s s c h u t z enthielt der erste E n t w u r f in A n l e h n u n g an § 1 2 2 5 S ä c h s B G B in § 5 0 9 E I eine R e g e l u n g , die in den A u g e n der Z e i t g e n o s s e n auf b e s o n d e r s krasse Weise einseitig die Interessen der H a u s e i g e n t ü m e r begünstigte. D i e V o r s c h r i f t lautete: § 509. „Ist im Falle der Vermiethung eines Grundstückes nach Ueberlassung desselben an den Miether das Eigenthum an dem Grundstücke von dem Vermiether auf einen Dritten

In ländlichen Gebieten und Kleinstädten sah es anders aus: Für Württemberg liegen Zahlen vor, die auf dem Lande ca. 80%, in Kleinstädten ca. 30% Eigentümerwohnungen ausweisen [Wischermann, Mythen (wie Fn. 92), S.369]. 100 Allgemein zum Bestandsschutz im Mietrecht vgl. Udo Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz. Historische Entwicklung seit 1800 und geltendes Wohnraum-Kündigungsschutzrecht, Frankfurt am Main 1984. 101 Vgl. dazu die Zeitzeugnisse bei Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag (wie Fn.93), S. 101— 106.

Vgl. oben S. 213. Vossische Zeitung Nr. 189 vom 15. August 1872, abgedruckt bei Wohnalltag (wie Fn.93), S. 105. 102 103

Teuteherg/Wischermann,

235

II. Kauf bricht Miete

übertragen worden, so ist der Dritte verpflichtet, den vertragsmäßigen Gebrauch des Grundstückes durch den Miether sowie die Vornahme derjenigen Handlungen, welche gegenüber dem Miether dem Vermiether obliegen, insbesondere die von dem Vermiether zu bewirkenden Ausbesserungen, noch so lange zu gestatten, bis nach der von dem Dritten an den Miether gerichteten Aufforderung zur Räumung des Grundstückes die im §. 522 bestimmte gesetzliche Kündigungsfrist oder, wenn die vertragsmäßige Kündigungsfrist kürzer ist, diese kürzere Frist verstrichen ist. Erfolgt die Aufforderung zur Räumung des Grundstückes, so ist der Miether berechtigt, von dem Vertrage sofort für die Zukunft zurückzutreten."

Der Erwerber des Grundstücks konnte mithin ohne weiteres einen Mieter zur Räumung auffordern, wobei dem Mieter die gesetzliche Kündigungsfrist blieb. Der Ausgangspunkt der Begründung dieser Regel in den Motiven war dogmatischer Art: Sie leiteten den Grundsatz „Kauf bricht Miete" aus dem obligatorischen Charakter des Mietverhältnisses ab 104 . Die Eintragung ins Grundbuch und damit die Sicherung des Mietvertrags gegenüber einem Erwerber erschien unmöglich, weil man so ein systemwidriges, beschränktes dingliches Recht zu schaffen fürchtete 105 . Gleichwohl hielten schon die Motive - in beinahe wörtlicher Wiedergabe der Protokolle der ersten Kommission 106 - die konsequente Umsetzung des Grundsatzes für sozialpolitisch unklug, weil dies „zumal in den größeren Städten, wo die Hauptmasse der Bevölkerung bis zu den höchsten und vornehmsten Ständen hinauf zur Miethe wohnt - zu den größten Unzuträglichkeiten führen muß" 107 . Die Einräumung der Kündigungsfrist geschah also nicht aus Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Armeren, sondern auf die der „höchsten und vornehmsten Stände", die sich im Mietverhältnis unversehens in der Rolle des schützenswerten Schwächeren befinden konnten. Dennoch kam die Kündigungsfrist natürlich auch den unteren Bevölkerungsschichten zugute.

3. Die Kritik am ersten a) Quaestio

Entwurf

agitatissima

Keine andere Materie stieß in der Kritik auf so heftigen Widerstand wie § 509 E I. Die Empörung selbst hatte aber schon Tradition, so daß Ernst Eck auf dem Juristentag von einer „quaestio agitatissima" sprechen konnte 108 . Kaum eine TaMotive II, S. 381. Motive II, S. 383-385. - Zur nach ALR möglichen Eintragung der Miete ins Grundbuch vgl. Gerhard Otte, Die dingliche Rechtsstellung des Mieters nach ALR und BGB, in: Festschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag, hrsg. von Okko Behrends, Malte Dießelhorst, Hermann Lange, Detlef Liebs, Joseph Georg Wolf und Christian Wollschläger, Göttingen 1978, S. 4 6 3 ^ 7 5 , hier S. 469-472. 106 Prot. I, S.2062, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.573. 107 Motivell, S.384. 108 Ernst Eck, [Gutachten zur Frage:] Soll der Grundsatz: „Kauf bricht Miethe" oder der ent104

105

236

Kapitel

Soziales Recht im

Schuldrecht

geszeitung, die nicht dagegen protestierte 1 0 9 . Die politisch unkluge Begründungsstrategie der M o t i v e dürfte die A u f r e g u n g beinahe der gesamten Ö f f e n t lichkeit über die vorgeschlagene Regelung mindestens verstärkt haben. Die K r i tik aus den Fachkreisen lehnte fast einmütig § 509 E I ab und forderte die Einführung des gegenteiligen Prinzips 1 1 0 . gegengesetzte Grundsatz des deutschen und preußischen Rechts im bürgerlichen Gesetzbuche aufgenommen werden, und mit welchen Modificationen in dem einen oder anderen Falle?, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin und Leipzig 1888, S. 229-248, hier S. 231 unter Berufung auf eine Äußerung von Hermann Zoll aus dem Jahre 1687. 109 Vgl. die Nachweise in der Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichs-Justizamt, Bd. 2, Berlin 1890, S. 248, Bd.6, Berlin 1891, S.382. 110 In alphabetischer Reihenfolge seien genannt: Paul Alexander-Katz, [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin und Leipzig 1889, S. 61 ff.; Otto Bahr, Zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, München 1888, S. 73; Julius Baron, Das römische Vermögensrecht und die sociale Aufgabe, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, N.F. 53 (1889), S. 225-248, hier S. 245f.; Rheinischer Bauernverein, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich und der Rheinische Bauernverein, Köln 1890, S. 13; Westfälischer Bauernverein, Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Münster 1890, S. 17f.; Ernst Immanuel Bekker, System und Sprache des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin-Leipzig 1888, S. 86 Fn. 37; Franz Bernhöft, Kauf, Miethe und verwandte Verträge in dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 72ff.; Friedrich Boyens, Miethe und Pacht. Buch II, Abschn. II Tit. V., in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 693-746, hier S. 695f.; Heinrich Brunner, Referat zur Frage: Soll der Grundsatz „Kauf bricht Miethe" oder der entgegengesetzte Grundsatz des deutschen und preußischen Rechts im bürgerlichen Gesetzbuche aufgenommen werden? Und mit welchen Modificationen in dem einen oder anderen Theile?, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin-Leipzig 1888, S. 36—45; Konrad Cosack, Das Sachenrecht mit Ausschluß des besonderen Rechts der unbeweglichen Sachen im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S.60; Karl Dickel, Ueber das neue bürgerliche Gesetzbuch für Montenegro und die Bedeutung seiner Grundsätze für die Kodifikation im allgemeinen, mit Bemerkungen über den neuen Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, Marburg 1889, S. 17; Eck, Gutachten für den 19. DJT (wie Fn. 108), S. 229-248; Otto Fischer, [Gutachten zur Frage:] Soll der Grundsatz: „Kauf bricht Miethe" oder der entgegengesetzte Grundsatz des deutschen und preußischen Rechts im bürgerlichen Gesetzbuche aufgenommen werden? und mit welchen Modificationen in dem einen oder anderen Falle?, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin und Leipzig 1888, S. 312— 449; ders., Wie soll der Satz „Kauf bricht nicht Miethe" im Falle der Subhastation modificirt werden?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1889, S. 312-352; Eugen Fuchs, Das Wesen der Dinglichkeit. Ein Beitrag zur allgemeinen Rechtslehre und zur Kritik des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 104-122; Ludwig Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Landwirtschaft, in: Zeitschrift für Agrarpolitik 1, Heft 9-10 (1889), S.385-421, hier S.389-391; Gierke, Entwurf, S.74-77, 190, 238f., 572f.; ders., Soziale Aufgabe, S. 26; LeonardJacobi, Entstehung und Inhalt des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Einleitender Vortrag in der juristischen Gesellschaft zu Berlin vom 12. Mai 1888, Berlin 1888, S.30, 50; ders., Miethe und Pacht. Ihre Stellung in der Kulturgeschichte, im Privatrecht und im Systeme des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 51 ff.; ders., Immobiliar-Miethe und -Pacht, im Systeme des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Archiv für bürgerli-

II. Kauf bricht

Miete

23 7

Gierke hielt die v o m Entwurf vorgeschlagene Regelung f ü r einen außerordentlichen Mißgriff, mit dem römisches Recht - das heißt: unsoziales Recht festgeschrieben w e r d e n solle. W ö r t l i c h heißt es bei ihm: „Ist es ... der Beruf eines «deutschen» Gesetzbuches, das römische Recht nun endlich dennoch uns allen aufzuzwingen? Vor allem aber handelt es sich dabei zugleich um eine Frage von der größten socialen Tragweite. Die sociale Bedeutung ihrer Entscheidung reicht sogar über die unmittelbaren praktischen Folgen des einen oder anderen Satzes hinaus. ... Wollen wir etwa gar, indem wir den Eigentumsbegriff auf die Spitze treiben, der Aufhebung des Privateigentums an Grund und Boden vorarbeiten? Wenn irgendwo, so ist hier der sociale Beruf unserer Gesetzgebung mit Händen zu greifen" 111 . Diese Zeilen erwecken den Eindruck, als hingen W o h l und Wehe des Reiches an diesem unscheinbaren Paragraphen, und so w u r d e es w o h l auch v o n den Zeitgenossen verstanden, die sich so einträchtig dagegen zur W e h r setzten, „Kauf bricht Miete" im Gesetz zu verankern. Die Revolutionsfurcht verstand jeder Leser als existentielle Gefahr. Jeder Widerspruch gegen die A b l e h n u n g des E n t w u r f s mußte da im Keim ersticken. Trotzdem hielt Gierke auch den Schlüssel zur Bemessung der wahren Tragweite des Satzes „Kauf bricht Miete" in den Händen, als er schrieb, die soziale Bedeutung reiche „über die unmittelbaren praktischen Folgen" hinaus. Die unmittelbaren praktischen Folgen waren nämlich gering, was Gierke w o h l mindestens zu ahnen schien. Merkwürdigerweise hat ihn das nicht daran gehindert zu behaupten, gerade hier sei die soziale A u f gabe des Privatrechts „mit Händen zu greifen". In dieser scheinbar nebensächlichen Bemerkung über die praktische Folgelosigkeit deutet sich bereits an, was nicht genug betont w e r d e n kann: D e r Streit um den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete" hatte den Charakter eines Schaukampfes. Es ging allenfalls um die ideologische Bedeutung des Rechtssatzes, u m ein Symbol, nicht jedoch u m eine ches Recht 2 (1889), S. 31-62, hier S.44; Ignaz Jastrow, Das Interesse des Kaufmannsstandes an dem „Bürgerlichen Gesetzbuch", Berlin 1889, S. 13-17; Rudolf von Jhering, Der Besitzwille. Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode, Jena 1889, S. 449ff.; Wilhelm Kindel, Das Recht an der Sache. Kritische Betrachtungen zum dritten Buche des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Breslau 1889, S. 418ff.; Klöppel, Der Entwurf (wie Fn. 44), S. 654 [immerhin betonte Klöppel, daß die Regelung des Entwurfs durch die Kündigungsfrist „gemildert" werde]; ders., Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs vor dem Juristentage, in: Gruchot's Beiträge 32 (1888), S. 852-870, hier S. 856-859; Deutscher Landwirthschaftrath, Verhandlungen und Beschlüsse der XVII. Plenarversammlung 1889, in: Archiv des Deutschen Landwirthschaftsraths 13 (1889), S. 158-422, hier S.159, 292-313; Lippmann, Die Dinglichkeit der Pacht und Miethe in der Zwangsvollstreckung nach preussischem Recht, in: Archiv für bürgerliches Recht 3 (1890), S.32-101, hier S.99ff.; Hugo Gottfried Opitz, Gutachten über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erstattet für den Landeskulturrat des Königreichs Sachsen, Leipzig 1889, S. 56-60; Martin Scherer, Besprechung des Entwurfs unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Gegenvorschlägen, Mannheim 1891, S. 47; B. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Allgemeiner Theil), Köln 1888, S. 16f.; Emil Strohal, Rechtsübertragung und Kausalgeschäft im Hinblick auf den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: JherJb 27 (1889), S. 335-479, hier S.448 Fn.103. 111

Gierke, Entwurf, S.75f.

238

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

praktisch wichtige Entscheidung. Der symbolische Wert des § 509 E I scheint die Ursache für manche der heftigen Äußerungen gewesen zu sein, wie zum Beispiel für die Bemerkung von Peter Reichensperger, mit dem Satz „Kauf bricht Miete" werde das soziale und wirtschaftliche Interesse der großen Mehrheit der Nation zum Vorteil eines kleinen Bruchteils wortbrüchiger Spekulanten preisgegeben und die deutsche Treue ihrer gesetzlichen Unterlage beraubt 112 .

b) Verteidigungsversuch von Gustav Hartmann Gegen solche Kritik vermochten die zaghaften Versuche einer Verteidigung des Entwurfs nichts auszurichten. Der Tübinger Professor Gustav Hartmann hielt den Grundsatz „Kauf bricht Miete" für gerechter, weil die Verpflichtung zur Mietzinszahlung sofort aufhöre, wenn der Mietvertrag nicht mehr erfüllt werde, der Eigentümer aber als Vermieter die vollständige Gefahr eines zufälligen Untergangs der Mietsache trage. Daher gebühre ihm „gerechter Weise ... die Freiheit, durch Verkauf und Uebergabe jene Gefahr und jene Lasten auf Andere überzuwälzen" 113 . Solche trocken-dogmatischen Entgegnungen lassen ahnen, was Gierke mit dem Verfehlen der sozialen Aufgabe gemeint hatte. Auf den ersten Blick schien es, als sei Hartmann völlig unsensibel für das soziale Problem mietrechtlichen Bestandsschutzes. Allerdings hat Hartmann gemeint, „gegen das widerwärtige Getreibe großstädtischer Häuserspeculanten" gebe sogar ein dingliches Mietrecht keinen hinreichenden Schutz 114 . Tatsächlich traf Hartmann damit einen entscheidenden Punkt. In der Rechtswirklichkeit spielte die Regel „Kauf bricht Miete" oder „Kauf bricht nicht Miete" so gut wie keine Rolle 115 . Selbst Gierke hatte das, wie gezeigt, indirekt eingeräumt. 112 Zitiert nach am Zehnhoff, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich und der Rheinische Bauernverein, Köln 1890, S.49. 113 Gustav Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, das Aequitätsprincip und die Richterstellung, in: AcP 73 (1888), S. 309-407, hier S.389. 1,4 Hartmann, Der Civilgesetzentwurf (wie Fn. 113), S. 390. 115 Die wenigen einschlägigen, gemeinrechtlichen Gerichtsurteile, die insbesondere Windscheid anführt [Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 6. verbesserte und vermehrte Auflage, Frankfurt am Main 1887, § 400 Anm. 7, S. 532-534], bestätigen diesen Eindruck, da es hier kaum einmal dem Erwerber gelang, den Mieter oder Pächter tatsächlich zur Aufgabe der Miet- oder Pachtsache zu zwingen beziehungsweise seine Interessen unbeschädigt durchzusetzen. In der alphabetischen Reihenfolge der Gerichtsorte seien erwähnt: Oberster Gerichtshof für Bayern, Erk. vom 14. Februar 1874, in: SeuffA 31 (1876), S. 266, Nr. 203: Der verkaufte Kahn war an einen Dritten vermietet; die Übergabe, so erklärte das Gericht, könne nur gelingen, wenn der Veräußerer die Detention des Mieters beende oder diesen beauftrage, in Zukunft im Namen des Käufers die Sache zu besitzen. Die Ubereignung war also vorerst gescheitert. Zum „Auftrag" an den Mieter vgl. im übrigen sogleich das abweichende Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 7. Dezember 1882. - Obertribunal Berlin, Erk. vom 19. Juni 1868, in: SeuffA 24 (1870 [ N D 1872]), S. 765, Nr. 210: Die detentio des Pächters hindert den Erwerb nicht, wenn der Pächter den Eigentümer gewaltsam aus dem Besitz gesetzt und dem Erwerber den Eintritt verwehrt hat. - Appellationsgericht Celle, Erk. vom 23. Mai 1868, in: SeuffA 25 (1871 [ N D 1870 {!)]), S. 917-918, Nr. 102: Ein Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber, das Pachtverhältnis mit Drittem fortzusetzen,

II. Kauf bricht Miete

239

c) Die ordentliche Kündigung als Ausweg Nur halbherzig wirkt die Verteidigung des Entwurfs durch Planck, der die entgegengesetzten Interessen von Mieter und Erwerber als einander gleichberechtigt bewertete. Das Interesse der Erwerber beschrieb er so: Wenn der Mieter geschützt werde, so leide die Sicherheit des Grundstücksverkehrs, weil die Miete nicht im Grundbuch stehe. Uber eine andere Lösung könne man aber reden 116 . Erstaunlich ist, daß niemand die Entwurfslösung mit dem Hinweis auf die gesetzliche Kündigungsfrist verteidigt hat 117 . Das gilt um so mehr, als - wenigstens für die unbefristeten Mietverhältnisse - §564 II B G B in seiner ursprünglichen Fassung in Verbindung mit §565 B G B alter Fassung beziehungsweise auch schon § 522 E I 1 1 8 die ordentliche Kündigung unabhängig von einem wirkt auch zugunsten des Dritten. - Appellationsgericht Celle, Urt. vom 2. Oktober 1872,2. Senat, Müller w. Stolte, in: SeuffA 28 (1873 [ND 1872 (!}]), S.499-500, Nr.22: Das Urteil bestätigt die Auffassung der zuvor zitierten Entscheidung vom 23. Mai 1868. - Appellationsgericht Celle, Urt. vom 1. Mai 1877,1. Senat, Sackmann w. Beyhl, in: SeuffA 32 (1877), S. 415-416, Nr. 318: Das Urteil bestätigt die zuvor genannten Entscheidungen desselben Gerichts. - Oberappellationsgericht Dresden, Erk. vom 19. Januar 1853, in: SeuffA 8 (1855 [ND 1867]), S.379, Nr.42. „Kauf bricht Miete" bedeutet nur, daß der Erwerber nicht in die besonderen Verabredungen der Vertragsparteien eintritt. Aber er bleibt an die gewöhnlichen Kündigungsfristen gebunden und muß dem Mieter eine angemessene Frist einräumen, eine neue Wohnung zu finden. - Oberlandesgericht Stuttgart, Urt. vom 7. Dezember 1882, Schneider w. Mack, in: SeuffA 39 (1884), S. 12-13, Nr. 8. Auch in diesem Urteil scheiterte die Vertreibung des Pächters eines Hofguts daran, daß der Eigentumsübergang nicht vollendet war, weil sich der Pächter weigerte, den Hof zu räumen. Solange der Erwerber nicht die physische Herrschaft über die Sache erlangt habe, sei die Ubereignung nicht vollendet, wie das Gericht ausführte. Der Erwerber müsse tatsächlich unumschränkt über die Sache verfügen können. Dazu müsse der Pächter (!) erklären, er wolle nunmehr für den Erwerber den Besitz verwalten. Sonst müsse der Verpächter zunächst den Besitz des Pächters beenden. Schon diese wenigen Urteile zeigen, daß der Grundsatz „Kauf bricht Miete" auf vielfältige Weise konterkariert wurde. Die zahlreichen Auswege für Mieter und Pächter bewirkten, daß dieser Grundsatz in den Händen des Erwerbers allenfalls eine stumpfe Waffe war. 116 Planck, Zur Kritik, S.412. 117 Ignaz Jastrow, Das Interesse des Kaufmannsstandes (wie Fn. 110), S. 17, hat den Entwurf zwar nicht verteidigt, wohl aber seine Verfasser als „Menschen von Fleisch und Blut..., welche selbst Wohnungen miethen, und welche es bitter empfinden würden, wenn sie an einem kalten Dezembertage mit Gemahlin und Kindern auf die Strasse gesetzt würden" (S. 17). 118 § 522 E I: „Das Miethverhältniß endigt mit dem Ablaufe der Zeit, auf welche es eingegangen ist. Ist die Miethzeit nicht bestimmt, so kann sowohl der Miether als der Vermiether das Miethverhältniß durch Kündigung beendigen. Die Kündigung ist bei unbeweglichen Sachen nur zum Ablaufe der am 1. Januar, 1. April, 1. Juli, 1. Oktober beginnenden Kalendervierteljahre zulässig; sie muß vor Beginn des Vierteljahres erfolgen, mit dessen Ablaufe das Miethverhältniß endigen soll. Ist bei einer unbeweglichen Sache der Miethzins nach Monaten bemessen, so ist die Kündigung nur zum Ablaufe eines Kalendermonates zulässig; sie muß spätestens am fünfzehnten des Monates erfolgen, mit dessen Ablaufe das Miethverhältniß endigen soll. Ist bei einer unbeweglichen Sache der Miethzins nach Wochen bemessen, so ist die Kündigung nur zum Ablaufe einer Kalenderwoche zulässig; sie muß spätestens am Montag der Woche erfolgen, mit deren Ablaufe das Miethverhältniß endigen soll.

240

Kapitel

i: Soziales Recht im

Schuldrecht

besonderen Kündigungsgrund bei Einhaltung einer gesetzlich näher definierten Frist zuließ. Der Erwerber hätte also auch ohne die Vorschrift des § 509 E I Mieter mit unbefristeten Verträgen durch ordentliche Kündigung loswerden können - von den übrigen Möglichkeiten einmal abgesehen. Für einen Erwerber bedurfte es also auch ohne § 509 E I kaum langen Wartens, um die Mieter vor die Tür setzen zu können.

4. Vom Entwurf zum a) Die

BGB

Vorkommission

Angesichts einer Gegenwehr, die ihre eigene Position durch die Ankündigung des Nachgebens geschwächt hatte 119 , verwundert es nicht, daß schon die Vorkommission des Reichsjustizamtes auf die Kritik eingegangen ist und den Grundsatz des Entwurfs in sein Gegenteil verkehrt hat. Struckmann hatte eine Vorschrift formuliert, die inhaltlich dem späteren §571 B G B entsprach 120 . Schon in der Vorkommission bestand Einigkeit darüber, den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete" aufzunehmen. Im Protokoll der Sitzung vom 15. März 1892 heißt es: „Einverständniß bestand darüber, daß der E n t w u r f mit R ü c k s i c h t auf die, wenngleich theilweise übertriebenen Angriffe der K r i t i k i m Sinne eines weitergehenden Schutzes des Miethers einer A b ä n d e r u n g bedürfe, und daß mithin statt v o n d e m G r u n d s a t z e , K a u f bricht M i e t h e ' von d e m entgegengesetzten G r u n d g e d a n k e n auszugehen s e i " 1 2 1 .

Der Schutz des Schwächeren, der von der Kritik wortreich verlangt worden war, wurde hier ausdrücklich als Motiv für die Änderung angeführt.

b) Zweite

Kommission

In der zweiten Kommission wurde die Vorschrift nach dem Antrag Struckmanns beschlossen 122 . Weitergehend hatte Sohm angeregt, dem Mieter darüber hinaus ein Kündigungsrecht einzuräumen, auch wenn der Mietvertrag auf längere Zeit geschlossen sei 123 , dafür allerdings keine Mehrheit gefunden. Sohm Bei beweglichen Sachen muß die Kündigung spätestens am dritten Tage vor dem Tage erfolgen, an welchem das Miethverhältniß endigen soll. Ist bei einer unbeweglichen oder beweglichen Sache der Miethzins nach Tagen bemessen, so ist die Kündigung an jedem Tage zum folgenden Tage zulässig." 1 1 9 Außer Planck hatte auch Hartmann, D e r Civilgesetzentwurf (wie Fn. 113), S. 390, ein Nachgeben empfohlen. 1 2 0 Antrag Struckmann Nr. 3, 46, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 587. 121 P r o t - R J A , S.415, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.590. 122 Antrag Struckmann Nr. 142, 6, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 596; Prot. II 2, S. 138. 1 2 3 Antrag Sohm Nr. 149, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.599; Prot. II 2, S. 142.

II. Kauf bricht

Miete

241

hatte seinen Antrag damit begründet, gerade bei der Wohnungsmiete komme es wegen des Herrschaftsverhältnisses des Vermieters über die Mieter auf die Person des Vermieters an, so daß der Mieter bei einem Vermieterwechsel nicht länger an den Vertrag gebunden bleiben solle. Dagegen wurde in der Kommission sehr realistisch eingewendet, dem Mieter nütze das Kündigungsrecht wahrscheinlich nichts, da die Herrschaftsposition des Vermieters meistens aus einem Mangel an Wohnungen resultiere 124 . Bis auf eine kleine Abweichung im Satzbau entsprach dann § 512 E II dem späteren §571 I B G B . Weder im Bundesrat noch im Reichstag wurde die Vorschrift noch einmal angegriffen. Bemerkenswert hellsichtig ist die in den Protokollen der zweiten Kommission überlieferte Begründung für die Entscheidung zugunsten des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete" bei der Wohnungs- und Geschäftsraummiete. Dort heißt es, man habe folgendes erwogen: „ G e g e n den Standpunkt des E n t w f u r f s ] habe sich in den G e b i e t e n , in denen der G r u n d satz , K a u f bricht nicht M i e t h e ' gelte, das R e c h t s b e w u ß t s e i n der B e v ö l k e r u n g in weitestem U m f a n g e e r h o b e n . D i e rechtliche und wirthschaftliche Tragweite der Frage sei hierbei allerdings vielfach übertrieben w o r d e n . D i e überwiegende Zahl der M i e t h e n , insbesondere die M i e t h e n der M i n d e r b e m i t t e l t e n werden regelmäßig nicht auf längere Zeit geschlossen. S c h o n aus diesem G r u n d e k ö n n e von einer sozialen B e d e u t u n g der Frage, v o n einer Steigerung der W o h n u n g s n o t h der ärmeren Volksklassen, v o n einer G e f ä h r d u n g der Seßhaftigkeit der B e v ö l k e r u n g durch den Satz , K a u f bricht M i e t h e ' im E r n s t e nicht die R e d e sein. Bei Miethverhältnissen v o n längerer D a u e r liege der F o r t b e s t a n d meistens auch im Interesse des E r w e r b e r s " 1 2 5 .

Man weiß nicht, wer diese Einsichten in der zweiten Kommission geäußert hat. Sie treffen jedenfalls zielsicher die wirkliche Bedeutung der diskutierten Frage. Obgleich die Lösung des ersten Entwurfs systematisch besser zu den Grundsätzen des Grundbuchrechts gepaßt hätte, stimmte die Kommission mit Rücksicht auf die Bevölkerung und die „maßgebenden Interessenkreise" gegen den ersten Entwurf, obgleich die Sache „ohne soziale Bedeutung" sei 126 .

5. Soziale Bedeutungslosigkeit

der Regel „Kauf bricht (nicht)

Miete"

Auf den ersten Blick wirkt die erregte Debatte über den Satz „Kauf bricht Miete" durchaus verständlich, wenn man die empörenden Berichte über die Exmissionen von Mietern berücksichtigt, von denen wir ein paar Beispiele erwähnt haben 127 . Hier die finanziellen Interessen der Grundstückskäufer - dort die wirtschaftlich meist schwächeren Mieter, die die Wohnung verlieren oder einer willkürlichen Mietpreissteigerung ausgesetzt sind. Doch der Eindruck 124 125 126 127

Prot. 112, S. 142. Prot. II 2, S. 137. Ahnlich auch die Argumentation ebenda S. 150. Prot. II 2, S. 138. Vgl. die Nachweise oben S.213 bei F n . 2 und 3 sowie S.234 bei Fn. 103.

242

Kapitel y. Soziales Recht im

Schuldrecht

täuscht in doppelter Weise. Zunächst einmal ist es keineswegs so, daß die Hausbesitzer unbedingt die wirtschaftlich Stärkeren waren, da nicht wenige die Häuser mit fremdem Kapital finanziert hatten und mit äußerst geringen Spielräumen operierten. Sie waren auf die pünktliche Bezahlung der Mieten angewiesen, um nicht selbst ihre Kreditzinsen schuldig zu bleiben und die eigene wirtschaftliche Existenz zu gefährden 128 . Je nach Konjunkturlage war es also durchaus manchmal nicht uninteressant, gerade ein Objekt mit vielen Mietern zu erwerben. Wichtiger ist aber etwas anderes: der Bestandsschutz der Mietverhältnisse hing schon nach dem damals geltenden Recht nur zum geringsten Teil an Vorschriften wie „Kauf bricht nicht Miete". Zeitungsberichte, wie der zitierte aus der Vossischen Zeitung 129 , schwiegen regelmäßig über die rechtlichen Gründe für die Räumung. Im dort geschilderten Fall der „Deutschen Baugesellschaft" wird es kaum der Erwerb des Grundstücks gewesen sein, der die Kündigung der Mietverhältnisse begründet hat, da in Berlin der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete" galt. Schon 1765 hatte Friedrich der Große für die Stadt Berlin angeordnet, daß der Erwerber eines Miethauses in die Mietverträge zwischen dem Veräußerer und den Mietern eintreten müsse 130 . Die Miete war als dingliches Recht ausgestaltet 131 , so daß der Mieter gegen jeden Dritten, also auch den Erwerber, Besitzschutzansprüche geltend machen konnte. Der dingliche Charakter des Mietrechts war darüber hinaus wichtig, weil das Gesetz anordnete, daß Verträge, die ein dingliches Recht auszuüben gestatten, vom Erwerber übernommen werden 132 . Der dinglich berechtigte Mieter konnte daher seine Mieterrechte gegen den neuen Eigentümer durchsetzen. Schon das Nebeneinander von tatsächlich zahlreichen Exmittierungen und der Grundregel „Kauf bricht nicht Miete" in Berlin hätte zu denken geben können. Die zweite Kommission hatte Recht damit, daß die Debatte um die Frage „Kauf bricht Miete" an der sozialen Realität aus rechtlichen und wirtschaftliWeitere Einzelheiten dazu unten S.323. Vgl. oben bei Fn. 103. 130 Fischer, Gutachten für den 19. D J T (wie Fn. 110), S. 439; Bernhard Jüttner, Zur Geschichte des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete", Düsseldorf 1960, S. 50f.; Hans-Günther Pergande/ Jürgen Pergande, Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Wohnungswesens und Städtebaus. Deutsche Bau- und Bodenbank Aktiengesellschaft 1923-1973. 50 Jahre im Dienste der Bau- und Wohnungswirtschaft, o. 0 . 1 9 7 3 , S. 23. Soweit Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid (wieFn. 115), S. 118, in Anlehnung an eine Bemerkung von Fischer in seinem Gutachten für den Juristentag (wie Fn. 110), S. 439, aus der Tatsache, daß jährlich in Berlin 12% der Grundstücke ihren Eigentümer wechselten auf ein erhebliches „Interesse am ungehemmten Güterumschlag" schließt, ist das nicht von der Hand zu weisen. Aber - und darüber täuscht der Zusammenhang mit der Erörterung der Frage, ob der Kauf die Miete bricht - der Eigentümerwechsel stand in keinerlei Beziehung zum Bestandsschutz im Falle der Veräußerung des Grundstücks. 128

129

131 Der dingliche Charakter wurde aus einem Zusammenspiel von A L R I 7 §§ 1,3 und 121 §2 abgeleitet. 132 A L R 121 § 3: „Die Verpflichtung, ihm [sc. dem Berechtigten] die Ausübung des dinglichen Rechts zu gestatten, geht also auf jeden neuen Eigenthümer der belasteten Sache, welcher sein Recht von dem Besteller des Gebrauchs- oder Nutzungsrechts herleitet, mit über."

II. Kauf bricht Miete

243

chen Gründen vollständig vorbeiging. Da die Vorschriften über den Bestandsschutz im Falle einer Veräußerung des Grundstücks zum Beispiel in Berlin dessen Wohnungszustände die besondere Aufmerksamkeit der Presse genossen - einer Räumung eigentlich entgegenstanden, mußte es andere rechtliche Möglichkeiten für die Vermieter beziehungsweise Erwerber der Grundstücke geben, sich von mißliebigen Mietern zu trennen. Und tatsächlich hatten die Vermieter hier mehr Möglichkeiten, als sie überhaupt je nutzen konnten.

a) Befristete Mietverhältnisse

und Fluktuation am

Wohnungsmarkt

Erstens sind hier die relativ kurzen Laufzeiten der regelmäßig befristeten Wohnungsmietverträge zu nennen. Für „herrschaftliche" Wohnungen wurden in der Regel Verträge für jeweils ein halbes Jahr geschlossen, mittlere und kleinere Wohnungen wurden für ein Vierteljahr vermietet, wobei die Tendenz zu einer Verkürzung auf Monatsfristen bestand 133 . Daß diesen kurzfristigen Verträgen häufig keine Anschlußverträge folgten, zeigt die enorme Fluktuation auf dem Wohnungsmarkt, die für den heutigen Betrachter geradezu unvorstellbare Ausmaße hatte. Man sprach von einem regelrechten „Nomadentum" 134 . Dessen Ursachen liegen im dunkeln. Kündigungen durch den Vermieter zum Zwecke anschließender Mieterhöhungen, Verlegung oder Wechsel des Arbeitsplatzes, familiäre und ökonomische Veränderungen umschreiben die Gründe mehr, als daß sie sie offenlegen könnten. In Hamburg zogen 1893 insgesamt 396.473 Personen, das heißt 66,2% der Bevölkerung, um 135 . 1900 waren es 421.547 Personen oder 59,8% und 1912 schließlich 651.112 Personen oder 65,9%. In den achtziger Jahren dürfte es nicht sehr viel anders gewesen sein. Bedenkt man darüber hinaus, daß man traditionell zum 1. April oder 1. Oktober, manchmal auch in Anlehnung an die kirchlichen Feiertage Himmelfahrt und Martini zum 1. November und 1. Mai umzog 136 , so gewinnt das Bild vom Nomadentum einige Realität. Generell kann man sagen, daß zwischen 1888 und 1912 innerhalb von Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern durchschnittlich 3 0 - 3 5 % der Bevölkerung jährlich umzogen; Zu- und Wegzüge aus der politischen Gemeinde sind von dieser Zahl nicht eingeschlossen 137 . 133 Albert Gut, Wohnungswechsel, in: Handwörterbuch des Wohnungswesens. Im Auftrage des Deutschen Vereins für Wohnungsreform e.V., Berlin, hrsg. von Bruno Schwan u.a., Jena 1930, S. 838-842, hier S. 840; Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag (wie Fn. 93), S.93. 134 Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn. 90), S. 6 [in einem Zitat aus einem Buch Bernhard Friedmanns von 1857], 25, 65; Hermann Schwabe, Das Nomadenthum in der Berliner Bevölkerung, in: Berliner Städtisches Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik, 1874, S. 29-37. 135 Unter Umzügen werden hier die innerstädtischen Umzüge ebenso erfaßt wie Zu- und Wegzug. Zugrunde liegen die Zahlen bei Wischermann, Wohnen in Hamburg (wie Fn. 99), S. 471. 136 Gut, Wohnungswechsel (wie Fn. 133), S. 840; Wischermann, Wohnen in Hamburg (wie Fn. 99), S.228. 137 Vgl. Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag (wie Fn.93), S. 116f. - Die höchste statistische Umzugsziffer ist für Essen aus dem Jahr 1900 überliefert - die Uberzeugungskraft dieser Zahl sei dahingestellt. In diesem Jahr sollen 91,59% umgezogen sein, vgl. Sylvia Brander, Wohnungspoli-

244

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

Wer also ein Gebäude frei von Mietern haben wollte, mußte in der Regel darauf nicht lange warten, wenn er nur keine Neuverträge abschloß. Ging das nicht schnell genug, so half ein zweites Mittel:

b) Formular mäßige Vereinbarung gründe

außerordentlicher

Kündigungs-

Ein zweiter Grund dafür, warum die Regel „Kauf bricht (nicht) Miete" in der Realität unwichtig war, ist rechtlicher Natur und liegt in der Praxis der Vereinbarung außerordentlicher Kündigungsgründe. Seit der Jahrhundertmitte hat sich die Verwendung vorformulierter Vertragsmuster für die Wohnungsmiete immer mehr eingebürgert, von denen etwa 8 0 - 9 0 % von den GrundeigentümerVereinen stammten 138 . Diese Formularverträge enthielten stets eine solche Menge von außerordentlichen Kündigungsgründen, daß es wohl kaum einen Mieter - und das waren, es sei noch einmal wiederholt, in den Städten ca. 9 0 % der Bevölkerung 139 - gegeben haben dürfte, der nicht wenigstens einen dieser Tatbestände verwirklicht hatte. Ein bereits zu Beginn der siebziger Jahre in Berlin gebräuchliches Mietvertragsmuster bedrohte jegliche Verstöße gegen den Vertrag mit Einschluß der Hausordnung mit der sofortigen Räumung der Wohnung: „§14. Wird dieser Kontrakt, mit Inbegriff der in §9 von 1-18 enthaltenen Hausordnung und der etwaigen nachträglichen Bestimmungen, von Seiten des Miethers, seinen Angehörigen, Dienstboten, Inliegern oder Schlafleuten und Aftermiethern, für welche Miether verantwortlich ist, nicht in allen Theilen erfüllt, so ist der Vermiether berechtigt, nicht nur auf Erfüllung des Vertrages, sondern auch auf Exmission zu klagen und die sofortige Räumung der Wohnung ohne vorausgegangene Kündigung zu verlangen, der Miether ist aber in diesem Falle verpflichtet, noch vor der Räumung die volle Miethe für die Dauer des Kontrakts zu bezahlen" 140 .

Die in bezug genommene Hausordnung regelte unter anderem die Art und Weise sowie Uhrzeit des Treppenputzens und der Wohnung; Dienstboten durften nur die Hintertreppen benutzen; „übelriechende Stoffe" durften erst abends nach 10 Uhr nach draußen gebracht werden; Handwagen durften nicht in den Hausflur fahren; Brennmaterial durfte nicht in der Wohnung, auf dem Speicher oder im Keller zerkleinert und auch nur in der täglich benötigten Menge gelagert werden. Eiserne Ofen waren verboten. Gefäße mußten am Brunnen auf dem Hof gesäubert werden. Alle „Unreinigkeiten" mußten sofort beseitigt werden. Auf den gemeinschaftlich genutzten Flächen durfte nichts abgelegt oder hingehängt werden. Das Wäschewaschen in der Wohnung war untersagt, tik als Sozialpolitik. Theoretische Konzepte und praktische Ansätze in Deutschland bis zum ersten Weltkrieg, Berlin 1984, S. 108. 138 Vgl. Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S.345. 139 Vgl. oben Fn. 99. 140 Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn.90), S. 102.

II. Kauf bricht

Miete

245

auch durfte in der Wohnung keine Wäsche getrocknet werden. Verboten war das „Umherstehen und Sitzen und das Kinderwarten und Spielen der Kinder vor den Hausthüren, in den Höfen, auf den Treppen und Fluren" 141 . Solche Vertragsklauseln blieben üblich. In einem Berliner Vertragsmuster, das einem Mietvertrag vom 8. September 1903 zugrunde lag, hieß es beispielsweise in §9 Nr. 10: „Alle Zänkerei im Hause, Trunkenheit, alles unnütze Geräusch des Gesindes, Thürwerfen, starkes Treppenlaufen, Kindergeschrei u.s.w. auf Flur, Hof u.s.w., sowie das Niederlassen vor den Hausthüren, auf dem Hofe, Fluren oder Treppen sind als Unanständigkeiten zu vermeiden. Zugleich wird zur Bedingung gemacht, daß sich Dienstboten ohne Beschäftigung auf dem Hausflur oder vor der Hausthüre zur Conversation nicht aufhalten dürfen" 1 4 2 .

§10 dieses Vertrages bedrohte die Nichtbefolgung dieser und weiterer Vorschriften mit der sofortigen Exmission und der Verpflichtung zur Zahlung der Miete für das nächste Vierteljahr sowie einer Kaution für das darauf folgende Vierteljahr, falls die Wohnung nicht anderweitig vermietet werden könne. Selbst wenn man eine restriktive Auslegung solcher Vorschriften durch die Gerichte berücksichtigt 143 , boten die Verträge jedenfalls genügend Ansatzpunkte für eine außerordentliche Kündigung, die es den Hausbesitzern praktisch jederzeit ermöglichten, die Häuser zu leeren, wenn sie es wollten. Ironisch hatte Ernst Engel144 im Verein für Socialpolitik als Zusammenfassung für Mietvertragsformulare vorgeschlagen: „Der Miether hat nach diesem Kontrakte nur Pflichten und keine Rechte, der Vermiether dagegen nur Rechte und keine Pflichten. Nach diesem Grundsatze sind alle Differenzpunkte zwischen Miether und Vermiether zu erledigen, wenn letzterer nicht vorziehen sollte, erstem, schon wegen Erhebung solcher Punkte, sofort zu exmittiren und sich für die Bezahlung der Miethe für die ganze Kontraktsdauer aus den zurück zu behaltenden Sachen des Miethers ohne Weiteres bezahlt zu machen" 1 4 5 .

Diese sarkastische Bemerkung trifft die tatsächliche Situation der Mieter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Einer gesetzlichen Regelung der Rechte des Mieters im Falle der Veräußerung des Grundstücks bedurfte es da nicht. Jeder gewünschte wirtschaftliche Erfolg ließ sich ohne weiteres unabhängig vom Grundsatz „Kauf bricht Miete" oder „Kauf bricht nicht Miete" erreichen. Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn. 90), S.99f. Dem Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V. und seinen Mitgliedern, insbesondere aber Herrn Rechtsanwalt Frank Pfeifer sei sehr herzlich gedankt für die Unterstützung bei der Beschaffung von Originalvertragsmustern aus der Zeit von 1870 bis 1950. Eine systematische Auswertung der über 120 Verträge ist in Vorbereitung. Der zitierte Vertrag liegt dem Verfasser in Kopie vor. 143 Dazu speziell Tilman Repgen, Tenancy in Germany between 1871 and 1914. Norms and Reality, in: Private Law and Social Inequality in the Industrial Age, hrsg. von Willibald Steinmetz, Oxford 2000, S. 381-409. 144 Ernst Engel (1821-1896) war 1860-1882 Direktor des Königlichen preußischen statistischen Büros. Nachruf in: Arbeiterfreund 34 (1896), S. 378-383. 145 Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn. 90), S. 102. 141

142

246

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

Denn an der Vereinbarkeit solcher Vertragsklauseln, wie wir sie beschrieben haben, sollte durch das Bürgerliche Gesetzbuch nichts geändert werden. In der Diskussion um die Frage „Kauf bricht Miete" spielte diese, in der Praxis ungleich wichtigere Gefährdung des Bestandsschutzes jedoch keine Rolle, obwohl es gerade dieser rechtliche Umstand war, der die Diskussion aus heutiger Sicht als neben der Sache liegend erscheinen läßt.

c) Konjunkturbedingte

Nachfrageschwankungen

Drittens kommt ein wirtschaftlicher Grund für die Irrelevanz von §509 E I hinzu, der für die immer wiederkehrenden Zeiten geringerer Nachfrage Gültigkeit besaß: In Konjunkturphasen mit steigenden Mietpreisen konnten auf Spekulationsgewinn schielende Hausbesitzer ihre Mieter jederzeit auf einfache Weise loswerden und zu höheren Preisen erneut abschließen aufgrund der soeben erläuterten Möglichkeiten. In Zeiten nachlassender Nachfrage hingegen waren auch die Hausbesitzer froh um jeden Mietvertrag. Von der berühmten Berliner Mietskaserne „Meyer's H o f " in der Ackerstraße 132/133 im Wedding ist überliefert, daß der Inhaber zeitweise Prämien aussetzen mußte, um Mieter zu finden 146 . Wir haben schon erwähnt, daß der Wohnungsmarkt im deutschen Reich keine einheitliche und kontinuierliche Entwicklung nahm, sondern regional und zeitlich große Unterschiede bestanden. Die Nachfragesituation läßt sich am besten an der Leerwohnungsziffer ablesen, das heißt am Verhältnis der leerstehenden, aber bewohnbaren Wohnungen zu den tatsächlich bewohnten Wohnungen. Trotz aller statistischer Ungenauigkeiten zeigen die Erhebungen in den deutschen Großstädten erhebliche Schwankungen und bieten mindestens ein Indiz für die Marktlage. So hat man für Berlin 1890 3,14% leerer Wohnungen gezählt, 1895 waren es 5,56% und 1900 dann 0,61%. Für Breslau lauteten die Zahlen in denselben Jahren: 8,04%, 5,68% und 1,92%, für Hamburg: 4,64%, 7,98% und 2,51%; für Leipzig: 6,74%, 3,29% und 1,68% 1 4 7 . Die Zahlen zeigen die große Schwankungsbreite und regionale Differenzen. In absoluten Zahlen bedeutete das etwa für Hamburg 1895 ungefähr 15.000, für Berlin im sel-

146 Vgl. den Bericht von Arnulf Lieber; Gänge durch Jammer und Not und einiges Andere Ein Weckruf an das deutsche Herz und Gewissen, Heilbronn 1901, S.206ff., hier zitiert nach dem Wiederabdruck in: Geist/Klaus, Das Berliner Mietshaus (wie Fn.3), S. 305. 147 Gerhard Albrecht, Leerwohnungsziffer, in: Handwörterbuch des Wohnungswesens. Im Auftrage des Deutschen Vereins für Wohnungsreform e.V., Berlin, hrsg. von Bruno Schwan u.a., Jena 1930, S. 509-512, hier S. 512. - Es liegt auf der Hand, daß die pauschale Zählung der leerstehenden, bewohnbaren Wohnungen keine letztlich befriedigende Auskunft über die Nachfrage zu geben vermag, wenn man nicht die verschiedenen Wohnungsgrößen berücksichtigt, für die freilich keine Zahlen verfügbar sind. Aus demselben Grund ist auch die sogenannte „Hassesche Regel" nicht hinreichend differenziert, die besagt, daß eine Leerwohnungsziffer von ca. 3 % als ausreichend gilt, um die Nachfrage zu bedienen [ausführlich dazu Albrecht, wie zuvor, S. 510f.]. Für unseren Zweck genügen die vorhandenen Zahlen jedoch, da sie doch immerhin ein Indiz für die Tendenz des Wohnungsmarktes haben, auf die es hier allein ankommt.

II. Kauf bricht

Miete

247

ben Jahr rund 30.000 leere Wohnungen. Das entsprach annähernd dem Drei- bis Fünffachen einer durchschnittlichen Jahresproduktion in diesen Städten 148 . Man muß also feststellen, daß es für die Hauseigentümer keineswegs stets wirtschaftlich sinnvoll war, die Objekte mieterfrei weiterzuveräußern, weil die Erwerber mitunter Schwierigkeiten haben könnten, die Häuser wieder rentabel zu vermieten. Zumindest, wenn die Nachfrage nachließ, war es also wirtschaftlich gesehen völlig uninteressant, ob die Regel „Kauf bricht Miete" oder ihr Gegenteil Gültigkeit hatte, weil man die Mieter sowieso halten wollte. Es sind also auch wirtschaftliche Überlegungen, die den Schluß nahelegen, daß der Rechtssatz „Kauf bricht Miete" praktisch wenig Gewicht besaß. Auf Seiten der Mieter konnte schließlich an dem Rechtssatz kein Interesse bestehen, weil für sie daraus nur Pflichten und keine Rechte folgten. Aber - und das ist wichtiger - auch die Vermieter hatten daran tatsächlich kaum ein Interesse. Das wird ganz besonders deutlich an der Behandlung dieser Frage durch den Zentralverband der Haus- und Grundbesitzervereine. Diese Interessenvertretung der Hausbesitzer lehnte die vom Entwurf vorgeschlagene Regel des § 509 E I aus wirtschaftlichen Eigeninteressen ab. Für denjenigen, so hieß es in der Begründung des Verbands, der ein Haus kaufe oder ein Grundstück beleihe, seien die bestehenden Mietverträge die sicherste Grundlage für die Berechnung des Ertrags und damit des Wertes und der Beleihbarkeit 149 . Nur ein dauerhafter und gleichmäßiger Ertrag sei aber wertvoll. Deshalb liege es im Interesse der Hausbesitzer, die Mieter möglichst lange zu halten, was kaum möglich sei, wenn diese jederzeit „vogelfrei" seien 150 . Daß dieses Ziel durch die Vertragspraxis der außerordentlichen Kündigungsgründe konterkariert wurde, steht der Richtigkeit der geschilderten wirtschaftlichen Überlegungen nicht entgegen, sondern zeugt nur von einer gewissen Selbstwidersprüchlichkeit. Zur Begründung der Ablehnung von § 509 E I berief sich der Verband darauf, es sei die höchste Aufgabe der Gesetzgebung, die juristische Konstruktion mit den wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen in Einklang zu bringen 151 . Damit teilte Alfred Baron, der die Begründung verfaßt hat, die Auffassung Plancks, der die Orientierung an den wirtschaftlichen Bedürfnissen geradezu als die soziale Aufgabe des Privatrechts selbst angesehen hatte 152 . Die Ausführungen Barons bestätigen die Beobachtung, daß die „Bedürfnis-Formel" gerade kein sozialer Topos war 153 , denn die zugrunde liegende Wertung des Verbandes war rein betriebswirtschaftlich. Es ging dem Verband um die Sicherung der Erträge aus Wohnungseigentum.

Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag (wie Fn. 93), S.93. Alfred Baron, Das Miethrecht nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, begutachtet nach den Beschlüssen des elften Verbandstages zu Dresden, in: Schriften des Zentralverbandes der Haus- und städtischen Grundbesitzer-Vereine Deutschlands, I B, Leipzig 1890, S.289-319, hier S.304. 150 Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S.309. 151 Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S.311. 152 Vgl. oben S. 112. 153 Vgl. oben S. 119. 148 149

248

Kapitel 5: Soziales Recht im

d) Zeitgenössische

Wahrnehmung

Schuldrecht

der praktischen

Bedeutungslosigkeit

Verschiedene zeitgenössische Urteile deuten bereits darauf hin, daß „Kauf bricht Miete" mit der Realität des Bestandsschutzes wenig zu tun hatte, so zum Beispiel die Begründung der zweiten Kommission für die Regel „Kauf bricht nicht Miete", die oben zitiert wurde 154 . Damit soll nicht behauptet werden, die Mehrheit hätte solche Zweifel geteilt. Eine für die Mehrheit typische Stellungnahme ist die des Kölner Rechtsanwalts Schilling, der gefragt hatte, ob die Urheber des Entwurfs keine Ahnung hätten von der wirtschaftlichen Bedeutung der Mietshäuser in größeren Städten und von der „größeren Schutz-Bedürftigkeit und -Würdigkeit des Miethers, welcher einen Vertrag zur Befriedigung eines der nothwendigsten Lebensbedürfnisse geschlossen hat, im Vergleich mit dem Vermiether, welcher aus Speculation heute vermiethet, morgen verkauft ..." 1 5 5 Der Topos vom Schutz des Schwächeren, dessen Gewicht noch durch den Hinweis auf das existentielle Bedürfnis einer Wohnung gesteigert wurde, diente Schilling als Argument für „Kauf bricht nicht Miete". Dennoch verdienen die Stellungnahmen derer, die die praktische Bedeutung der Regel „Kauf bricht Miete" bestritten, hier hervorgehoben zu werden, weil sie aus heutiger Sicht überzeugend erscheinen. In diesem Sinne äußerten sich manche auf dem 19. Deutschen Juristentag im September 1888, der sich unter anderem mit dem Thema „Kauf bricht Miete" befaßt hatte 156 . Auch eine Bemerkung Hähneis im Landeskulturrat für das Königreich Sachsen deutet in diese Richtung 157 . Wenig später hat Johannes Krechxii erklärt, den wirtschaftlich schwachen Mietern nütze der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete" sowenig wie der entgegengesetzte ihnen schade, weil die Verträge meist kurzfristig abgeschlossen würden, oft auch noch unter Verkürzung der gesetzlichen Kündigungsfristen. Wolle man wirklich etwas zugunsten der Mieter tun, so müsse man die Vertragsbedingungen einschränken, die beispielsweise sofortige Ex-

Vgl. oben S.241 bei Fn.125. Schilling, Aphorismen (wie Fn. 110), S. 16f. 156 Vgl. die Äußerungen in der Sitzung vom 11.9.1888 (sämtlich wiedergegeben in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Sitzungsberichte, Berlin und Leipzig 1888: die geringe praktische Relevanz bestätigten dort: Landrichter Dove, S. 59; Reichsgerichts-Senatspräsident Karl August Eduard Drechsler, S. 67; Rechtsanwalt Paul Alexander-Katz, S. 61. Außerdem: Zusammenstellung, Bd. 2, S.244. - Der Einwand von Rechtsanwalt Paul Klöppel, in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 64f., die Betroffenen würden die Prozesse scheuen, ging ins Leere, weil er nicht die Möglichkeit berücksichtigte, daß das Mietverhältnis auch aus einem anderen Grund als „Kauf bricht Miete" beendet werden konnte. 154 155

157 Hähnel, [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des Landeskulturraths für das Königreich Sachsen über den Entwurf eines deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Bericht der erweiterten III. Kommission, Auszug aus den Protokollen über die X X V I . Session des Landeskulturraths 1889, in: Sächsische Landwirthschaftliche Zeitschrift 37 (1889), S. 252-278, hier S.275. Hähnel meinte, der Grundsatz „Kauf bricht Miete" bestehe seit langer Zeit und habe nicht zu Unzuträglichkeiten geführt. 158

Damals Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat in Berlin.

II. Kauf bricht

249

Miete

mission bei einem Verstoß gegen die Hausordnung vorsehen würden 159 . Krecb hatte damit die rechtlichen Argumente vorweggenommen, die die zweite Kommission dann später aufgegriffen hat, und als einziger den wunden Punkt getroffen: die freie Vereinbarkeit außerordentlicher Kündigungsgründe. Nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs fand die These Krecbs eine Bestätigung in einer Studie von Flesch, die zeigt, daß auch die Einführung des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete" keineswegs eine Veränderung der tatsächlichen Situation der Mieter bewirkt hatte 160 .

e)

Zusammenfassung

Die soziale Bedeutungslosigkeit der Regel „Kauf bricht Miete" hatte also rechtliche und wirtschaftliche Gründe. Wirtschaftlich war zu bedenken, daß die Veräußerung eines mieterfreien Objekts nicht unbedingt vorteilhaft war. Aus Gründen, die außerhalb des Mietrechts lagen, herrschte im übrigen eine starke Fluktuation am Wohnungsmarkt, so daß langfristige Mietverhältnisse selten waren und ein besonderes Bedürfnis zur Beendigung anläßlich einer Veräußerung des Hausgrundstücks kaum entstehen konnte. Schließlich war die Regelung des Entwurfs rechtlich ohne Bedeutung, weil - aufgrund vertraglicher Vereinbarung genügend außerordentliche Kündigungsgründe bestanden, die jederzeit dem Vermieter die fristlose „Exmittierung" des Mieters gestatteten, - die Mietverträge regelmäßig aus heutiger Perspektive kurzfristig waren und - bei unbefristeten Verträgen aber die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung bestand, deren Frist auch im Falle der Beibehaltung von § 509 E I einzuhalten gewesen wäre.

6. „Kauf bricht Miete" als Irrweg der Diskussion eine Zusammenfassung

-

Das Thema „Kauf bricht Miete" zeigt also, daß die Debatte um die soziale Aufgabe des Privatrechts mitunter an der Realität der sozialen Frage vorbei Irrwege beschritt. Das gilt deshalb auch von den Redebeiträgen im Plenum des Reichstags, die zum Teil in §564 E III (= §571 BGB) eine deutsche oder „soziale" Regelung sahen und rühmten 161 . Es war eben nicht richtig, daß der beschlossene Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete" den wirtschaftlich Schwächeren zu159 Johannes Krecb, Die Rechte an Grundstücken nach dem Entwurf, Berlin 1889, S.5f. Anm.2. 160 Karl Flesch/Paul Zirndorfer, Das Mietrecht in Deutschland, in: Neue Untersuchungen über die Wohnungsfrage in Deutschland und im Ausland, hrsg. vom Verein für Socialpolitik, Bd. 1/2, Leipzig 1901, S.277-308, hier S.292. 161 Vgl. die Rede des Abgeordneten Kauffmann, in: Stenographische Berichte, S. 47-61, hier S. 51; Kommissar des Bundesrats Planck, ebenda, S. 61—71, hier S.64.

250

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

gute kommen würde. Die Vorschrift war vielmehr neutral oder genauer: belanglos. Eine belanglose Regel aber konnte weder zur Erfüllung der sozialen Aufgabe des Privatrechts beitragen noch das Gegenteil bewirken. Die Auseinandersetzung über „Kauf bricht Miete" gleicht daher dem legendären Kampf des Don Quijote gegen die Windmühlenflügel. Bei Licht betrachtet konnte (und kann) man aus der Regel „Kauf bricht Miete" beziehungsweise ihrem genauen Gegenteil keinerlei Rückschlüsse auf den sozialen oder unsozialen Charakter des Entwurfs und auch des fertigen Gesetzbuchs ziehen. Gierke hatte nicht Recht, wenn er dieser Regel die Bedeutung einer Art Offenbarungseid über die Erfüllung der sozialen Aufgabe des Gesetzes beimaß 162 . Denn eine Gesetzesbestimmung, die in der Realität aus den dargelegten Gründen keine Wirkung entfaltet, ist selbstverständlich ungeeignet, Auskunft über den sozialen oder unsozialen Charakter dieses Gesetzes zu geben, da sie genausogut als nicht existent betrachtet werden könnte. Das gilt um so mehr, als schon juristische Gründe, die im ersten Entwurf selbst zu finden waren, in vielen Fällen die Vorschrift obsolet sein ließen. Man konnte deshalb nicht einmal ernsthafterweise eine programmatische Absicht in der Bestimmung erblicken.

III. Das

Vermieterpfandrecht

1. Vermieterpfandrecht

als reales

Problem

Auf einem um 1846 entstandenen Gemälde von Peter Schwingen mit der Bezeichnung „Die Pfändung" ist in der Bildmitte ein vornehm gekleideter, groß gewachsener, dickbäuchiger Mann, der Gläubiger, zu sehen. Ihm gegenüber steht in gebeugter Haltung ein jüngerer Mann, offensichtlich der Wohnungsinhaber in Arbeitskleidung, der Schuldner. Beide stehen an einem Tisch, vor dem auf dem Boden einiges Kochgeschirr und anderer Hausrat aufgestapelt liegen. Am Tisch sitzt ein Schreiber, der die Pfandsachen notiert und auf Anweisungen des Gläubigers wartet. Hinter dem Tisch steht eine ältere Frau mit einem vielleicht einjährigen Kind. Sie weist mit einem vorwurfsvollen Blick zum Gläubiger auf das kleine Kind. Die Frau des Schuldners kniet vor dem Gläubiger und fleht mit gefalteten Händen um Mitleid. Ein verzweifelter Sohn hält sich dabei an ihr fest. Auf dem Boden und den Stühlen liegt noch einiger Hausrat. Vier andere Personen stehen in den Ecken des Zimmers 163 . Auf das Beste hat der Maler eine auch für das späte 19. Jahrhundert noch typische Situation ins Bild gefaßt. Vgl. oben bei Fn. 111. Das Bild „Die Pfändung" befindet sich im Kunstmuseum Düsseldorf. Eine Reproduktion findet sich in Schwarzweiß bei Andreas Wacke, Zwischen Kuckuckskleber und Pleitegeier: Gerichtsvollzieher in Malerei und Dichtung sowie im Volksmund, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 17 (1997), S. 27-43, hier S. 29 sowie in Farbe auf dem Einbanddeckel von Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag (wie Fn.93). Die Behauptung von Wacke (S.28), der von Schwingen dargestellte Gläubiger fordere „sein vorgeschossenes Geld" zurück, 162

163

III. Das

Vermieterpfandrecht

251

Häufig hätte man aber im letzten Drittel des Jahrhunderts den Typus des Gläubigers ärmlicher und verbissener sowie den Hausrat noch karger zeichnen müssen und das Bild dann „Die Kahlpfändung" nennen müssen. Die unglückliche Situation einer ungeheuren Zahl von Haushalten, deren wirtschaftliche und familiäre Existenzgrundlage durch das Vermieterpfandrecht gefährdet oder sogar zerstört wurde, war in der Öffentlichkeit bekannt. Dabei muß man bedenken, daß die Drohung einer Verwertung des Vermieterpfandrechts nur eine unter vielen war, freilich eine besonders schmerzhafte, weil hier der Vermieter als Privatperson grundsätzlich ohne weiteres ein „Zurückbehaltungsrecht" an den Sachen des Mieters geltend machen konnte und dadurch dessen Verfügungsmöglichkeiten erheblich einschränkte. Daß es sich um ein durchaus häufiges und ganz reales Problem handelte, künden die ungezählten Prozesse an den Gerichten unterer Instanz. So betrafen beispielsweise im Jahre 1897 vor dem Hamburger Landgericht 1042 von 2063 Sachen den Tatbestand des sogenannten „Rückens", also des heimlichen Auszugs unter Mitnahme der Möbel, der gegen §289 StGB 1 6 4 verstieß 165 . Darüber, was so eine Zwangsvollstreckung für eine Familie bedeuten konnte, berichtete Bismarck 1882 anläßlich einer Reichstagsrede über das Tabakmonopol. Bismarck hatte vorgeschlagen, die preußische Klassensteuer 166 abzuschaffen und sie unter anderem durch eine Tabaksteuer zu ersetzen. Neben dem sozialpolitischen Programm, das in dieser Rede zum Ausdruck kam und von dem im zweiten Kapitel gesprochen worden ist 167 , interessiert hier Bismarcks Bericht über die Durchsetzung der Steuerforderungen, die in seinen Augen die Notwendigkeit einer Reform unterstrich. Für das Steuerjahr 1879/80 wurden in Preußen 5.087.470 Steuerpflichtige gezählt. Beinahe bei jedem fünften Steuerpflichtigen mußte die Steuer im Wege der Pfändung durchgesetzt werden. Erfolgreich waren weniger als 10%, nämlich 438.973 Pfändungen, von denen 254.166 auf den Arbeiterstand entfielen. Für die Jahre 1881/82 schätzte Bismarck in seiner Rede die Zahl der „ausgepfändeten" Staatsbürger auf 600.000. Die Bedrohung durch die Zwangsvollstreckung ging also nicht nur vom Vermieterpfandrecht, sondern auch vom Fiskus aus. Mit großer Anschaulichkeit hat Bismarck die Auswirkungen solcher Pfändungen - gleichgültig ob im Auftrag des Fiskus oder des Vermieters - im Einzelschicksal geschildert: „Wenn Sie sich nun die Wirkung einer solchen Exekution vergegenwärtigen - es ist anzunehmen, daß, ehe es jemand dazu kommen läßt, er seinen Kredit beim Bäcker, Metzger, Milchmann ziemlich erschöpft haben wird, denn die sind noch nachsichtiger als der Steuerexekutor - nun erscheint der Exekutor, sofort geht der Kredit verloren, es wird ihm gekündigt, er fällt dadurch vielleicht einem gefälligen Manne in die Hände, der bereit ist, ihm das, ist keineswegs zwingend. Das zugrundeliegende Rechtsverhältnis könnte ebensogut ein Mietverhältnis sein. Gezeigt wird nur der Vollstreckungsakt der Pfändung. 164 Vgl. oben Fn.186. 165 Heinrich Roscher\ Wohnungsstudien, Hamburg 1900, S. 10. 166 Zur Klassensteuer vgl. oben S. 29. 167 Vgl. oben S. 28.

252

KapitelSoziales

Recht im

Schuldrecht

was er braucht, zu hohen Zinsen vorzustrecken und sich in den Besitz dessen zu setzen, was der Ausgepfändete überhaupt noch hat, was von ihm noch herausgedrückt werden kann, oder er verfällt vor den Augen der Nachbarn der Tatsache, daß der E x e k u t o r zu ihm kommt, das Wenige an Hausrat, Wäsche und Mobilien, was sich ein junger Hausvater angeschafft hat, wird unter Siegel gelegt, zum Zwangsverkaufe gestellt - vielleicht zu einem geringen Ertrage: eine K o m m o d e , die für 15 Mark gekauft wurde, geht vielleicht für 3 Mark weg - daß das alles den Mann, der auf diese Weise in seinem Aufstreben auf der sozialen und wirtschaftlichen Leiter wieder zurückgeworfen wird, schwer kränkt, ihn mitunter zur Verzweifelung, manchmal zum Selbstmord bringt, ihn jedenfalls mit Bitterkeit erfüllt,... wird kein Zweifel sein . . . " 1 6 8 .

Die zitierte Stelle läßt erahnen, wie es so manchem Haushalt in Preußen erging. Und selbst wo die Pfändung der für das tägliche Leben unentbehrlichen Gegenstände unzulässig war - keineswegs überall169 - , ging doch nach dem Urteil der Zeitgenossen auf breiter Linie jegliches Gefühl für Wohnlichkeit verloren, da der Lebensstandard auf das Mindestmaß schlechter Betten, morscher Tische und zerbrochener Stühle reduziert werde, das allein der Gerichtsvollzieher unberührt ließ170. Eine Wohnung aber, so meinte Flesch, sei mehr als nur ein „Unterkunftsraum", sondern ein Raum, „der geeignet [sein müsse], den Angehörigen einer Familie ungestörten und behaglichen Aufenthalt während der arbeitsfreien Zeit ihrer arbeitenden Mitglieder zu bieten" 171 . Neben der quantitativen Wohnungsnot172 war das vielleicht noch größere Problem die qualitative Wohnungsnot, die man kurz mit „ungesundem" Wohnen umschreiben könnte. Was darunter zu verstehen ist, machen die überfüllten großstädtischen Mietskasernen des 19. Jahrhunderts mit dunklen, kalten und feuchten Kellerwohnungen, den heißen Dachwohnungen, den stickigen Innenhöfen usw. deutlich173. Einen großen Anteil an dieser qualitativen Wohnungsnot hatte das Mietvertragsrecht, weil es die Mieter in eine besonders starke Abhängigkeit vom Vermieter brachte, wie gerade das Vermieterpfandrecht zeigt. 168 Otto von Bismarck, [Rede vor dem Reichstag am 12. Juni 1882], in: Bismarck. Die gesammelten Werke, Bd. 12: Reden 1878-1885, bearbeitet von Wilhelm Schüßler, Berlin 1929, S . 3 4 3 366, hier S. 348. 1 6 9 Einzelheiten unten S.254ff. 170 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 134; einen Eindruck von der Ausstattung der Wohnungen der armen Bevölkerungsschichten gibt Schmoller, Ein Mahnruf in der Wohnungsfrage (wie Fn. 95), S. 427f.: „Da wohnt eine Familie mit einem halben Dutzend Kinder in einem Raum, der für Speisen, Arbeiten und Schlafen zugleich dient, ein paar zerbrochene Stühle, ein oder zwei zerlumpte Betten, ein Tisch sind das einzige Geräth. Der Ofen raucht, die Thüren und Fenster schließen nicht. Und daneben sieht es noch schlimmer aus, da hausen noch fremde Schlafgänger mit der Familie im selben Räume, dort ist das Zimmer nur mit einem Kreidestrich für zwei Familien abgetheilt." Dieser Beschreibung schloß Schmoller den Bericht des Stadtmissionars Bockelmann über ein Mietshaus mit 250 Familien an, der neben der drangvollen Enge der Wohnungen vor allem noch auf den „ungeheueren Schmutz" hinwies, der dort herrschte.

Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91), S. 132. Dazu oben S. 231. 173 Dazu Repgen, Tenancy (wie Fn. 143), S. 383-388; ders., Das Vermieterpfandrecht im Kaiserreich, in: Das B G B und seine Richter, hrsg. von Heinz Mohnhaupt und Ulrich Falk, Frankfurt am Main 2000, S. 231-279, hier S.240f. Zur quantitativen Wohnungsnot ebenda S. 233-235. 171

172

III. Das

Vermieterpfandrecht

253

Engel hatte schon 1872 in seinem Vortrag anläßlich der Gründungsversammlung des Vereins für Socialpolitik in Eisenach diesen Zusammenhang mit Recht betont 174 . Was in dieser Situation die Pfändung bedeuten konnte, beschrieb Flesch so: Wenn einmal die Zwangsvollstreckung begonnen habe, werde „mit Gedankenschnelle aus einem Mann, der in geordneten Verhältnissen lebte", jemand, der ohne Obdach und wegen der Zurückbehaltung der Arbeitsgeräte ohne Arbeit sei und der froh sein könne, wenn er Aufnahme im Armenhaus finde 175 . Und bei anderer Gelegenheit kommentierte Flesch die nach gemeinem Recht mögliche Pfändung unentbehrlicher Gegenstände als eine „beschämende" Tatsache. Er sagte: „Man muß sich nur vorstellen, was das bedeutet, wenn eine Frau ihre kleinen Kinder nicht mehr versorgen, wenn sie nicht mehr kochen und waschen kann, weil die Wäschstükke u.s.w. retinirt sind. Ich glaube, wenn Sie nur versuchen, sich den Zustand der Familie vorzustellen, die draußen vor der Thüre steht, während alles, was sie braucht drinnen hinter der Thüre sich befindet und sie davon abgeschnitten ist, da werden die meisten sagen: ja, das paßt sich nicht" 1 7 6 .

2. Der erste

Entwurf

Grundlage des Mietrechts im ersten Entwurf war der von Hermann Struckmann verfaßte Vorentwurf auf der Grundlage der Bestimmungen des Dresdner Entwurfes. Der Redaktor des Teilentwurfs für das Recht der Schuldverhältnisse Franz Philipp von Kübel hatte für diesen Abschnitt des Schuldrechts keinen eigenen Entwurf mehr ausarbeiten können. Der Vorentwurf bestimmte in Art. 567, die Sicherungsrechte des Vermieters an den eingebrachten Sachen der landesrechtlichen Gesetzgebung zu überlassen 177 . Die Entscheidung der ersten Kommission für ein gesetzliches Pfandrecht des Vermieters an den vom Mieter eingebrachten Sachen ist daher, wie Art. 567 TE zeigt, nur zu verstehen vor dem Hintergrund der in den einzelnen Bundesstaaten geltenden Rechtslage, die hier anhand der von Struckmann zusammengestellten Materialien im folgenden kurz skizziert werden soll 178 ; Struckmann bezog sich insbesondere auf Dern-

burg, Windscheid und Vangerow.

Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn. 90), S. 13. Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91), S. 154. 176 Karl Flesch, [Referat:] Die Wohnungsnoth vom Standpunkt der Armenpflege. Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der neunten Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 25. und 26. September 1888 in Karlsruhe, in: Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit 7 (1889), S. 47-51, hier S.49. 177 Art. 567: „Hinsichtlich der Rechte, welche dem Vermiether einer unbeweglichen Sache zur Sicherung seiner Ansprüche aus dem Miethvertrage auf die von dem Miether zum Zwecke der Benutzung in oder auf die gemiethete unbewegliche Sache gebrachten Gegenstände zustehen, sind die Landesgesetze maßgebend" [Schubert, Vorlagen, Schuldrecht II (wie Fn. 21), S.244 des Nachdrucks]. 178 Zur Lage vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausführlich Ernst Eck, Das 174

175

254

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

a) Grundzüge der vor 1900 geltenden Rechtslage (1) Gemeines Recht Das am Ende des 19. Jahrhunderts geltende Vermieterpfandrecht orientierte sich ganz überwiegend am gemeinen Recht. Dieses kannte ein Pfandrecht an den „Invekten 179 und Illaten 180 " des Mieters aufgrund eines stillschweigenden Vertrags beziehungsweise des vermuteten Willens der Parteien, abgeleitet aus D. 2.14.4 pr., 20.2.3,20.2.4 pr. und 20.2.6 1 8 1 . D. 20.2.7.1 bestimmte, daß alle eingebrachten Sachen des Mieters dem Pfandrecht unterworfen sein sollten, soweit sie in Ubereinstimmung mit dem Mietvertrag dorthin gelangt sind. Streitig war allerdings, ob das Pfandrecht die nach Prozeßrecht 182 unpfändbaren Sachen einschließen würde 183 . In der Praxis endete, einer deutschrechtlichen Tradition folgend, das Vermieterpfandrecht an den eingebrachten Sachen, wenn letztere mit Wissen und ohne Einspruch des Vermieters vom Grundstück fortgeschafft wurden 184 . Neben dem Pfandrecht kannte das gemeine Recht auch noch ein selbständiges Zurückbehaltungsrecht, das sogar die nicht dem Mieter gehörigen, in die Wohnung eingebrachten Sachen umfaßte, und zur Sicherung aller mietvertraglichen Ansprüche unter Einschluß künftiger Schadensersatzforderungen diente 185 . Aufgrund des Zurückbehaltungsrechts wurde der Vermieter für befugt gehalten, die Fortschaffung aller eingebrachten Sachen zu verhindern, zumal §289

gesetzliche Pfand- und Vorzugsrecht des Vermiethers in seiner Anwendbarkeit auf die unpfändbaren Sachen, in: Festgabe für Rudolf von Gneist zum Doktorjubiläum am X X . November MDCCCLXXXVIII, hrsg. von Heinrich Brunner u. a., Berlin 1888 (ND Aalen 1974), S. 251-278 sowie zusammenfassend Repgen, Das Vermieterpfandrecht im Kaiserreich (wie Fn. 173), S. 243252. 179 Von lat. invehere = einbringen, einführen. 180 Von lat. inferre = hineintragen. 181 Struckmann, Material zu den Bestimmungen über Miethe, Pacht und Viehverstellung unter Zugrundelegung des dresdner Entwurfs Art. 538-597, in: Schubert, Vorlagen, Schuldrecht II (wie Fn.21), S. 112 [ND S.362], 182 Die prozeßrechtliche Situation der Zwangsvollstreckung ist von der Situation beim Vermieterpfandrecht streng zu unterscheiden. Zur Situation im Zwangsvollstreckungsrecht vgl. einstweilen Herbert Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners. Eine juristische und sozialpolitische Studie, Jena 1906; Otto-Gerd Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, Bielefeld 1983, insbesondere S. 26-44; kurze Hinweise auch bei Andreas Wacke, Antikes im modernen Zivilprozeß, in: Orbis Iuris Romani 3 (1997), S. 68-97, hier S.94f. 183 Gegen die Einbeziehung prozessual unpfändbarer Sachen: Oberappellationsgericht Berlin, Urt. vom 6. November 1871, in: SeuffA 26 (1872) (ND 1872), S. 99f., Nr. 111. Das Urteil ist auch mitgeteilt unter dem Datum vom 29. Oktober 1871 in: Civilrechtliche Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe Preußens für die gemeinrechtlichen Bezirke des Preußischen Staates, zusammengestellt von G. Fenner und H. Mecke 3 (1872), S.31—33. Anders: Reichsgericht, Urt. vom 25. Mai 1881 (3. Strafsenat), in: RGSt 4 (1881), S. 198-202. 184 Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 114 (ND S.364). 185 Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 113 (ND S.363).

III. Das

Vermieterpfandrecbt

255

S t G B dieselbe mit Strafe bedrohte 1 8 6 . Praktische Relevanz hatte das Zurückbehaltungsrecht in Territorien, w o , wie zum Beispiel in Hannover, das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters durch Gesetz ausdrücklich aufgehoben w o r d e n war. Eine besondere Bestimmung über das Zurückbehaltungsrecht w u r d e nicht getroffen. Das Reichsgericht meinte in diesem Fall, ohne Pfandrecht bestehe auch kein Zurückbehaltungsrecht 1 8 7 .

(2) §41 KO In Anlehnung an das gemeine Recht gewährte die Reichskonkursordnung v o m 10. Februar 1 8 7 7 dem Vermieter in § 4 1 Nr. 4 ein besonderes, zur A b s o n d e rung berechtigendes Pfandrecht wegen des Mietzinses f ü r das laufende und vergangene Jahr 1 8 8 . Selbstverständlich galt das zunächst einmal nur f ü r K o n k u r s f ä l le. A b e r Struckmann erläuterte, das neue Bürgerliche Gesetzbuch w e r d e sich sowohl f ü r den K o n k u r s wie f ü r die Fälle außerhalb des Konkursverfahrens einer entsprechenden Regelung zu bedienen haben 1 8 9 . Streitig war, ob aus der K o n k u r s o r d n u n g auch ein konkursunabhängiges Vermieterpfandrecht abzuleiten sei oder ob sich dies nicht allein nach Landesrecht bestimme, wie v o r allem das Reichsgericht geurteilt hat 1 9 0 . D e r Begriff der „eingebrachten Sachen" (Illaten) in § 4 1 Nr. 4 K O w u r d e , wie schon im gemeinen Recht 1 9 1 , überwiegend weit verstanden, so daß auch diejenigen Gegenstände erfaßt wurden, die nur zu vorübergehendem Z w e c k auf das Grundstück des Vermieters gebracht wurden, etwa die Waren eines Lagers 1 9 2 . Gegenstände im Eigentum Dritter sollten nur haften, w e n n der Mieter seiner-

186 § 289 StGB lautete: „Wer seine eigene bewegliche Sache, oder eine fremde bewegliche Sache zu Gunsten des Eigenthümers derselben, dem Nutznießer, Pfandgläubiger oder demjenigen, welchem an der Sache ein Gebrauchs- oder Zurückbehaltungsrecht zusteht, in rechtswidriger Absicht wegnimmt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Thalern bestraft. Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. ...." [RGBl. 1871, S. 183]. 187 Reichsgericht, Urt. vom 19. April 1882 - Rep. 192/82 (3. Strafsenat), in: RGSt 6 (1882), S. 300-305, hier S.301f. Zur Streitfrage: Wilhelm Ch. Francke, Das Selbsthülferecht des Wohnungs-Vermiethers setzt keinerlei Pfandrecht, wohl aber eine gültige Pfand-Obligation oder die Pfändbarkeit der eingebrachten Sachen voraus, in: JherJb 20 (1882), S. 452^-60. 188 §41 Nr.4 KO: „Den Faustpfandgläubigern stehen gleich ... 4. Vermiether wegen des laufenden und des für das letzte Jahr vor der Eröffnung des Verfahrens rückständigen Zinses, sowie wegen anderer Forderungen aus dem Miethverhältnisse, in Ansehung der eingebrachten Sachen, sofern die Sachen sich noch auf dem Grundstücke befinden;..." [RGBl. 1877, S. 359]. Aufgrund des Gesetzes vom 9. Mai 1894, betreffend die Abänderung des § 41 KO [RGBl. 1894, S. 439], galt das Absonderungsrecht nicht, wenn der Konkursverwalter das Mietverhältnis gekündigt hatte. ,189 Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 108 [ND S.358], 190 Reichsgericht, Urt. vom 19. April 1882 (wie Fn. 187). 191 Oberappellationsgericht Berlin, Erk. v. 31.3. 1869, in: SeuffA 24 (1870 [ND 5 (1870)]), S. 749, Nr. 194. 192 Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 109 [ND S. 359].

256

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

seits ein Pfandrecht an ihnen besaß, was allerdings ebenfalls streitig war 193 . Diese Regel zielte auf die im ausgehenden 19. Jahrhundert weit verbreiteten Untermietsverhältnisse, die viele Haushalte zum Zwecke der Absenkung der familiären Grundkosten abschlössen 194 . Die Untervermieter hatten dann ein Vermieterpfandrecht an den eingebrachten Sachen des Untermieters, das wiederum dem Hauptvermieter zugute kommen sollte 195 . Dazu muß man wissen, daß am Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Formen der Untermiete gerade in den unteren Schichten ganz alltäglich waren. Das lag zum einen daran, daß für ledige Personen kaum geeignete Wohnungen angeboten wurden, zum anderen daran, daß ärmere Leute häufig durch Aufnahme von Untermietern, insbesondere Schlafgängern, einen Teil ihrer Miete finanzierten 196 . Im wirtschaftlichen Ergebnis dürfte der Ausschluß der Sachen des Untermieters vom Pfandrecht kaum Bedeutung besessen haben, weil eine sehr große Zahl von Untermietern keinen oder nur äußerst geringwertigen Hausrat besaß 197 , aber die unmittelbare rechtliche Abhängigkeit der Untermieter vom Hauptvermieter war so hergestellt. (3)

Partikularrechte

In Hessen ist 1858 das Vermieterpfand- und -retentionsrecht aufgehoben worden 198 , während in Bayern und Württemberg zwar schon 1822 beziehungsweise 1825 das Vermieterpfandrecht abgeschafft worden war, das selbständige Zurückbehaltungsrecht aber weiter anerkannt wurde 199 . Die preußische Rechtspraxis schloß sich hinsichtlich des Vermieterpfandrechts vollständig dem gemeinen Recht an. Einen positivrechtlichen Anhaltspunkt fand man in A L R I 21 §395, der die Rechte des Vermieters im Konkurs denen der übrigen Pfandgläubiger gleichstellte 200 . Tatsächlich galt im Hinblick auf das Vermieterpfandrecht unmittelbar römisches Recht, was sich bis in die Zitate hinein verfolgen läßt, die ganz selbstverständlich Digestenfragmente anführten, eine Herleitung aus dem Allgemeinen Landrecht jedoch vollständig vermissen ließen 201 . Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 109f. [ND S.359f.]. Wolfgang Kaschuba, Lebenswelt und Kultur der unterbürgerlichen Schichten im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990, S. 101. 195 Einzelheiten dazu unten S.256 bei Fn. 196. 196 Der Anteil der Untermieter an der städtischen Bevölkerung betrug sehr oft 8—10%, die in insgesamt 20-25% der städtischen Haushalte lebten, vgl. Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S. 490^(94. 197 Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S.492-494. 198 Vgl. die Nachweise bei Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 116 (ND S. 366). 199 Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 117 (ND S.367). 200 Insoweit etwas verkürzend Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 119 (ND S.369), der den Bezug zum Konkurs nicht erwähnte. 201 Franz August Alexander Förster / Max Ernst Eccius, Preußisches Privatrecht, Bd. 2,7. Aufl. Berlin 1896, S.210. In einzelnen Punkten ist also am Ende des 19. Jahrhunderts das preußische 193 194

III. Das

Vermieterpfandrecht

257

Art. 2102 Nr. 1 Code civil gab dem Vermieter ein Vorzugsrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters für alle Ansprüche aus dem Mietvertrag. Eine tatsächliche Vermutung sollte dafür sprechen, daß alle Sachen, auch die der Ehefrau, dem Mieter zu eigen seien. Die praktischen Auswirkungen des Vorzugsrechts entsprachen im übrigen weitgehend der Regelung des gemeinen Rechts 202 . Anders als nach gemeinem Recht hatte der Vermieter nach § 1228 SächsBGB an den eingebrachten, dem Mieter gehörigen Sachen nicht ein Pfand-, sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht 203 . Das Reichsgericht erstreckte das Zurückbehaltungsrecht allerdings infolge der Vermutungsregel des §1656 SächsBGB auch auf die Sachen der Ehefrau, soweit es nicht eindeutig persönliche Gegenstände wie Schmuck und Kleider waren, es sei denn, der volle Beweis des Gegenteils werde erbracht 204 . (4) Der „ Miethkredit

der kleinen

Leute "

Der von Struckmann redigierte Vorentwurf sah, wie gesagt, nur die landesgesetzliche Regelung des Vermieterpfandrechts vor. Verharrten Struckmanns Erläuterungen der bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften zunächst im rein technisch-normativen Bereich, so begegnet man doch am Ende sozialen Uberlegungen im Zusammenhang mit der Frage, ob es sich empfehle, das Pfand- und Zurückbehaltungsrecht auf die nach der Zivilprozeßordnung pfändbaren Gegenstände zu beschränken, also den dringendsten Bedarf des Hausrats usw. auszuschließen. Dafür, so heißt es bei Struckmann, spreche zwar die ratio des § 715 CPO 2 0 5 , aber der „Miethkredit der sog. kleinen Leute" werde gefährdet, wenn man diese Kreditunterlage ausschließe. Auch sei ja die vertragliche Verpfändung dieser Dinge zulässig206. Mehrere unterschiedliche Interessen waren nach Struckmann

betroffen: Zu-

Landrecht vom gemeinen Recht vollständig verdrängt worden. Der Einfluß des gemeinen Rechts ging somit manchmal noch wesentlich weiter, als daß bloß eine „Pandektisierung" des Landrechts geschehen wäre. Zur Pandektisierung vgl. beispielsweise Thomas Kiefer, Die Aquilische Haftung im „Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten" von 1794, Pfaffenweiler 1989, S. 165ff. und meine Rezension zu: Christian Wollschläger (Hrsg.), Friedrich Carl von Savigny. Landrechtsvorlesung 1824. Drei Nachschriften. Zweiter Halbband: Obligationen, Familienrecht, Erbrecht. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit Masasuke Ishibe, Ryuichi Nöda und Dieter Strauch (= Ius commune Sonderhefte 105). Klostermann, Frankfurt/Main 1998. XXV, 573 S., in: ZNR 21 (1999), S.513-514. Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 121-124 (ND S.371-374). Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 125 (ND S.375). 204 Reichsgericht, Urt. vom 19. März 1881 [Rep. 471/81], in: RGSt 4 (1881), S. 30-32, hier S. 31. 205 Heute §811 ZPO. 206 Struckmann, Material (wie Fn. 181), S. 128 (ND S. 378). Andreas Wacke, Die Sicherungsübereignung unpfändbarer Sachen, in: Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Paul Hofmann, Ulrich Meyer-Cording und Herbert Wiedemann, Köln usw. 1986, S. 583609, hier S. 600 bezieht die zitierte Aussage auf eine Erkenntnis der „Beratungen über den Dresdner Entwurf". 202 203

258

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

nächst das Interesse des Mieters an der Erhaltung seines Hausrates als Grundlage des täglichen Lebens. Hier ging es um den Schuldnerschutz. Dem Interesse des Schuldners diente aber nach Struckmann auch die Erhaltung der bereits für den Abschluß eines Mietvertrags sowie für die meisten Geschäfte des täglichen Lebens notwendigen Kreditunterlage, was die Pfändbarkeit des Hausrats voraussetzte. Das dritte Interesse betraf einen elementar wichtigen Aspekt des Gemeinschaftsgedankens. Denn die ratio des §715 CPO war nicht nur, dem Schuldner Unannehmlichkeiten zu ersparen, sondern auch die Vollstreckbarkeit aus Rücksicht auf die Gemeinschaftsbelange zu begrenzen. Dem Schuldner sollte eine minimale Existenzgrundlage verbleiben, damit er nicht aufgrund völligen wirtschaftlichen Ruins der staatlichen Fürsorge zur Last falle 207 . Die angesprochenen Interessen betrafen also zwei Topoi des sozialen Gedankens im Privatrecht, den Schutz des Schwächeren gegen den Stärkeren und den Gemeinschaftsgedanken. Allerdings befanden sich die beiden angesprochenen Schuldnerinteressen in einem direkten Gegensatz. Das erste legte (wie der Gemeinschaftsgedanke) den Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht nahe, das zweite sprach gerade gegen diesen Ausschluß. Im letzteren Sinne entschied sich auch Struckmann, denn, so erklärte er, der Kredit der kleinen Leute werde sonst zu stark gefährdet. Die wirtschaftlichen Interessen der Ärmeren sollten also der Grund sein. Diese Argumentation war zu Beginn der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts keineswegs singulär, wie ein Aufsatz des Schweriner Landgerichtsrats Goesch aus dem Jahre 1883 zeigt, der also ungefähr zu der Zeit erschienen ist, als Struckmann seine Begründung zum Teilentwurf verfaßte 208 . Goesch hatte sich dafür eingesetzt, den Vermietern eine maximale Sicherheit zu verschaffen „im Interesse des armen Mieters, der von der Hand in den Mund lebt", um überhaupt eine Bleibe zu finden, da für diese die Vorauszahlung des Mietzinses keine geeignete Lösung sei209. Auch für das Landgericht Frankfurt am Main hatte das „Kreditargument" in einem Urteil vom 14. Juni 1881 ganz selbstverständliche Gültigkeit. Das Gericht leitete aus dem Kreditar207 Zu § 811 Nr. 1 ZPO [in alter Fassung: § 715 CPO] führte das Reichsgericht, Urt. v. 19. November 1909 (Rep. III 566/08), in: RGZ 72 (1910), S. 181-185, hier S. 183, aus: „Denn es handelt sich nicht um eine Rechtsnorm, die nur dem Schuldner eine Wohltat erweisen will, sondern um eine Regelung der Zwangsvollstreckung, die in einem wesentlich öffentlichen Interesse, in den Bedürfnissen des Allgemeinwohls ihren Grund hat. Sie beruht auf dem sozialpolitischen Gedanken, daß die Zwangsvollstreckung nicht zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners und seiner Familie führen darf. Der Staat hat ein wesentliches Interesse daran, daß der einzelne nicht durch völlige Kahlpfändung auf einen Grad der wirtschaftlichen Mittellosigkeit herabgedrückt wird, der ihm die Grundlagen geordneter Beschaffung seines Unterhalts zerstört." Außerdem: Otto-Gerd Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, Bielefeld 1983, insbesondere S. 118, 159-161, 182. 208 Die Vorlage von Struckmann ist nicht datiert, aber sie ist aufgrund eines Beschlusses der ersten Kommission vom 13. Dezember 1882 entstanden, vgl. Schubert, Einleitung (wie Fn. 20), S.XIII. 209 Goesch, Das Recht des Vermieters einer Wohnung an den eingebrachten Sachen des Mieters, in: Mecklenburgische Zeitschrift für Rechtspflege und Rechtswissenschaft 3 (1883), S.93126, hier S. 125.

III. Das

Vermieterpfandrecht

259

gument ab, daß unpfändbare Sachen dem Vermieterpfandrecht unterworfen seien210. Hier ist festzuhalten, daß der Hintergrund der Argumentation der Schutz der „kleinen Leute" war, also ein sozialer Topos, mag er auch in seiner konkreten Anwendung verfehlt interpretiert worden sein. b) Verhandlungen

und Beschlüsse der 1. Kommission

In ihrer 205. Sitzung am 4. Mai 1883 begann die erste Kommission die Verhandlungen über das Vermieterpfandrecht. Ohne weitere Diskussion war sich die Kommission darüber einig, daß erstens dem Vermieter ein Sicherungsrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters einzuräumen sei und zweitens dies einheitlich im Bürgerlichen Gesetzbuch geschehen solle211. Von dem Vorbehalt zugunsten des Landesgesetzgebers, wie er noch in Art. 567 TE212 vorgesehen war, wollte man also abgehen. Als Beratungsgrundlage dienten daher zunächst einmal die Zusammenfassung des in den verschiedenen Territorien geltenden Vermieterpfandrechts von Struckmann sowie die ausformulierten Anträge von von Kübel, von Weber, Kurlbaum und Johow, die sich nur in Nuancen von einander unterschieden und der Sache nach im wesentlichen auf eine Festschreibung der gemeinrechtlichen Praxis hinausliefen 213 . Neben dem Pfandrecht sollte ein Zurückbehaltungsrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters bestehen, regelmäßig beschränkt auf die fälligen Forderungen aus dem Mietvertrag. Hervorzuheben ist, daß der Antrag von Webers ausdrücklich eine Beschränkung des Pfand- und Zurückbehaltungsrechts auf die nach der Zivilprozeßordnung pfändbaren Gegenstände vorsah. §715 CPO sollte also entsprechend anzuwenden sein214. Von Weber bewertete diese Frage offenbar im entgegengesetzten Sinne zu Struckmann, der der gemeinrechtlichen Tradition zu folgen vorgeschlagen hatte. Zur gemeinrechtlich umstrittenen Frage der Rechtsnatur entschied sich die Kommission, von einem „gesetzlichen Pfandrecht" zu sprechen 215 . Gegenstand 210 Landgericht Frankfurt am Main, Urt. vom 14. Juni 1881 (Joseph Hitzler./. Philipp Christ), in: Rundschau der juristischen Gesellschaft 1881, S. 362-367, hier S. 364: „... wenn die unentbehrlichen Gegenstände des §715 der Civilprozeß-Ordnung dem gesetzlichen Pfandrecht des Vermiethers entzogen wären, so wäre dasselbe bei der großen Anzahl derjenigen Miethsleute, welche nur solche Gegenstände besitzen, vollständig gegenstandslos, - eine Consequenz, welche umsomehr abzuweisen ist, als dieselbe mit Nothwendigkeit dahin führen würde, daß diesen Leuten der Abschluß von Miethverträgen beim Mangel irgend welcher Sicherheit für den Vermiether, wenn nicht unmöglich gemacht, so doch wesentlich erschwert würde." 211 Prot. I, S.2110, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.514. 212 Vgl. oben S.253. 213 Vgl. Prot. I, S.2107-2110, Anträge Nr.345, 361, 362, 363, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 512-514. 214 Antrag v. Weber Nr.361, Prot. I, S.2108, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.513. 215 Prot. I, S.2111, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.514.

260

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

des Pfandrechts sollten abweichend vom gemeinen Recht nur die dem Mieter gehörigen Sachen sein, nicht etwa diejenigen der Ehefrau oder Kinder, die zum Haushalt gehörten und auch nicht die Sachen eines Untermieters 216 . Das war eine erhebliche Änderung gegenüber dem früheren, allerdings nicht unstreitigen Rechtszustand, der praktisch das Vermieterpfandrecht auf die so weit verbreiteten Untermietsverhältnisse ausgedehnt hatte und so die Untermieter ebenfalls in unmittelbare Abhängigkeit vom Vermieter gebracht hatte 217 . Entgegen dem Vorschlag Struckmanns im Vorentwurf meinte die Kommission, daß es nicht folgerichtig sei, wenn der Gesetzgeber dem Vermieter „ein gesetzliches Pfandrecht in Betreff der Sachen zugestehe, deren Abpfändung er aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt und im öffentlichen Interesse verbiete" 218 . Die Kommissionsmehrheit war also von der Berücksichtigung der Mietkreditfrage, die Struckmann in den Mittelpunkt gerückt hatte, wieder abgerückt und nahm den vor allem von Gierke behandelten Gemeinschaftsgedanken ins Blickfeld. Aus Rücksicht auf das Gemeinwohl sollte der Gläubiger auf die Beitreibung seiner Forderung beziehungsweise auf den Einsatz der Pfändung verzichten. Das Vermieterpfandrecht sollte in Ubereinstimmung mit dem gemeinen Recht zur Sicherung aller mietvertraglichen Ansprüche dienen 219 . Einschränkungen, wie sie die Partikularrechte zum Teil kannten, sollten nicht vorgeschrieben werden. Das Pfandrecht sollte grundsätzlich nur erlöschen, wenn die Sachen nicht gegen oder ohne Willen des Vermieters fortgebracht würden 220 . Schließlich beschloß die Kommission abweichend vom gemeinen Recht, neben dem Pfandrecht kein eigenständiges Zurückbehaltungsrecht zuzulassen. Allerdings sollte der Vermieter berechtigt sein, eigenmächtig die Wegschaffung der Sachen zu verhindern, wenn es sich nicht um Dinge handelte, die im Geschäftsbetrieb des Mieters oder im gewöhnlichen Leben entfernt zu werden pflegen 221 . Entfernte der Mieter solche zuletzt genannten Gegenstände, so erlosch das Pfandrecht auch gegen den Willen des Vermieters. Das Ergebnis der Beratungen war §521 E I, dessen Regelungsinhalt sich schließlich im B G B auf die §§559-563 verteilte. Im Entwurf hieß es: §521 E I : „Der Vermiether eines Grundstücks hat wegen seiner Forderungen aus dem Miethvertrage ein gesetzliches Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Miethers. Das Pfandrecht besteht nicht in Ansehung derjenigen Sachen, welche der Pfändung nicht unterworfen sind. Es erlischt mit der Entfernung der Sachen von dem Grundstücke, auf welches das Miethverhältniß sich bezieht, es sei denn, daß die Entfernung heimlich oder gegen den Widerspruch des Vermiethers erfolgt ist. Der Vermiether kann der Entfernung derjenigen Sachen nicht widersprechen, zu deren Entfernung der Miether im regelmäßigen Betriebe seines Geschäftes oder dadurch veran216 217 218 2,9 220 221

Prot. I, S.2111 f., in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.514f. Vgl. oben S. 256. Prot. I, S. 2124, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.520. Prot. I, S.2113, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.515. Prot. I, S.2117, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.516. Prot. I, S.2118, 2122, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.517, 519.

III. Das

Vermieterpfandrecht

261

laßt wird, daß die gewöhnlichen Lebensverhältnisse die Entfernung mit sich bringen. Er ist berechtigt, auch ohne Anrufung des Gerichtes die Entfernung aller anderen seinem Pfandrechte unterliegenden Sachen zu hindern und, wenn der Miether das Grundstück räumt, dieselben in seine Inhabung zu nehmen. Der Vermiether ist berechtigt, von dem Mieter die Zurückschaffung der heimlich oder gegen seinen Widerspruch entfernten Sachen, deren Entfernung er zu widersprechen befugt war, und nach bereits erfolgter Räumung des Grundstückes die Ueberlassung der Inhabung derselben zu fordern. Die Ausübung des gesetzlichen Pfandrechtes des Vermiethers kann durch Sicherheitsleistung für die Forderung und in Ansehung jeder einzelnen diesem Rechte unterliegenden Sache durch Sicherheitsleistung bis zur Höhe des Werthes der Sache abgewendet werden. Die Sicherheitsleistung durch Bürgen ist ausgeschlossen. Wird eine dem Pfandrechte des Vermiethers unterliegende Sache für einen anderen Gläubiger gepfändet, so kann diesem gegenüber das Pfandrecht wegen desjenigen Miethzinses nicht geltend gemacht werden, welcher auf eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor der Pfändung entfällt."

Damit schlug die Kommission eine Regelung vor, die in vierfacher Weise eine wichtige Einschränkung der Rechte des Vermieters gegenüber dem Zustand im gemeinen Recht bedeutete. Die beiden ersten Einschränkungen betrafen den Gegenstand des Vermieterpfandrechts, die dritte das Erlöschen und die vierte das gemeinrechtliche Zurückbehaltungsrecht. Im Unterschied zum gemeinen Recht - wurden die unpfändbaren Sachen ausgenommen und - die Sachen der Ehefrau oder anderer Dritter nicht erfaßt; - weiterhin führte die Entfernung von Sachen des Mieters vom Grundstück im Rahmen seines regelmäßigen Geschäftsbetriebs oder der gewöhnlichen Lebensumstände zum Erlöschen des Pfandrechts; - schließlich sollte dem Vermieter kein Zurückbehaltungsrecht mehr neben dem Pfandrecht zustehen. Günstiger als in manchen partikularrechtlichen Vorschriften war allerdings für den Vermieter, daß das Pfandrecht in Ansehung aller mietvertraglichen Forderungen bestand, nicht nur der fälligen oder nur des Mietzinses 222 .

3. Die Kritik am ersten

Entwurf

Die Diskussion über das Vermieterpfandrecht im ersten Entwurf weicht von den bisher dargestellten Auseinandersetzungen über verschiedene Einzelfragen insofern ab, als hier alle Seiten „soziale" Argumente für sich in Anspruch nahmen. Ein umfassendes Vermieterpfandrecht, das sicherlich auch den kapitalistischen Interessen der Vermieter nützlich war, wurde nicht etwa mit solchen Interessen begründet, sondern man begegnet regelmäßig der schon in den Mate222 Eine kleine Ausnahme galt für das Verhältnis mehrerer Pfandgläubiger untereinander. Hier sollten gemäß § 521 V E I nur die mietvertraglichen Forderungen des letzten Jahres berücksichtigt werden können.

262

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

rialien des Gesetzes von Struckmann aufgestellten Hypothese223, es sei das Vermieterpfandrecht im Interesse der Mieter nötig, weil sonst ihr Kredit zu stark geschmälert werde. Aber auch die gegenteilige Position ließ sich mit dem sozialen Topos vom Schutz des Schwächeren rechtfertigen. Dabei ging es einmal um die Frage, ob überhaupt das Vermieterpfandrecht beizubehalten sei, sodann aber auch um die inhaltliche Ausgestaltung desselben für den Fall seiner Beibehaltung. a) Soll das Vermieterpfandrecht

überhaupt

zugelassen

werden?

Die erste Kommission hatte in ihrem Protokoll der Sitzung vom 4. Mai 1883 festgehalten, es bestehe „kein Zweifel, daß dem Vermiether zu seiner Sicherheit ein besonderes Recht an den von dem Miether eingebrachten Sachen einzuräumen ... sei" 2 2 4 .

Die Motive hatten diese These übernommen und behauptet, nur der Umfang des Vermieterpfandrechts könne zu diskutieren sein225. Dennoch hat es sich die Kritik am ersten Entwurf nicht nehmen lassen, auch die Berechtigung des Vermieterpfandrechts selbst - unabhängig von seiner inhaltlichen Ausgestaltung zu hinterfragen. Der 20. Deutsche Juristentag 1889 in Straßburg hatte auf eine Anregung des Justizrats Makower in der ständigen Deputation des Juristentages die Behandlung der Frage: „Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers in seiner gegenwärtigen Gestalt beizubehalten oder abzuändern?" auf die Tagesordnung gesetzt226. Es ging also vor allem um die prinzipielle Frage einer Beibehaltung oder Abschaffung des Vermieterpfandrechts. (1) Gegen eine Zulassung

des

Vermieterpfandrechts

An erster Stelle unter den Gegnern des Vermieterpfandrechts ist der Stettiner Oberlandesgerichtsrat Theodor Ludwig Thomsen zu nennen, der sich in seinem Gutachten für den 20. Deutschen Juristentag gegen die Zulassung des Vermieterpfandrechts aussprach227 und damit ein lebhaftes Echo auslöste. Drei Gesichtspunkte, so meinte er, würden stets für das Vermieterpfandrecht angeführt, nämlich erstens die historische Tradition, zweitens die Billigkeit für den Vermieter und drittens die Erhöhung der Kreditfähigkeit des Mieters228. Keiner dieser Gründe hatte vor Thomsens Urteil Bestand. Vgl. oben S.257 bei Fn.206. Prot. I, S.2110, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.514. 225 Motive II, S. 402. 226 Makower; [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts], in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 185-188, hier S. 185. 227 Theodor Ludwig Thomsen, [Gutachten:] Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1889, S. 152-206. 228 Thomsen, Gutachten (wie Fn.227), S. 189. 223

224

III. Das

Vermieterpfandrecht

263

Ausführlich hat Thomsen die Entstehung und Entwicklung des Vermieterpfandrechts im römischen Recht vor Justinian nachgezeichnet. Er kam zu dem Ergebnis, daß es sich im wesentlichen um ein Privileg, beschränkt auf Rom und Konstantinopel, zugunsten der „Großcapitalisten" gehandelt habe 229 . Die dogmatische Konstruktion sei alles andere als klar und der bestehende Rechtszustand im Reich verwickelt 230 . Ganz folgerichtig sei auch die Entwurfslösung weit davon entfernt, einfaches und klares Recht zu schaffen. Sie lasse mehr Fragen offen, als sie beantworte, da sie eine „gesetzliche Mobiliarhypothek mit verschiedenen Specialrechten (insbesondere Selbsthülfe) und mit der Analogie des Faustpfandrechts" vorschlage 231 . Die Tradition spreche also mehr gegen als für das Vermieterpfandrecht. Auch die Billigkeit verfange nicht als Argument, so meinte Thomsen. Die Quellen würden über den gesetzgeberischen Grund schweigen. Vielmehr sei das Privileg schon im alten Rom als eine unbillige Härte gegenüber dem Mieter aufgefaßt worden 232 . „Dank dem Christentum, der modernen Gesittung und der staatlichen Fürsorge" existiere nicht mehr das römische „System der Ausbeutung der Armen durch die Reichen". Um so stärker dränge sich die Forderung nach Rechtsgleichheit auch im Mietvertrag auf 233 . Die Vertragsparteien sollten, so erklärte Thomsen, gleichen rechtlichen Schutz genießen. Nach dem Entwurf habe aber der Mieter eine ungünstigere Position als jeder andere Schuldner, weil er die Durchsetzung der Forderungen des Vermieters ohne Gerichtsverfahren dulden müsse. So gerate der Mieter in ein Verhältnis „drückender Abhängigkeit" vom Vermieter 234 . Im übrigen werde auch noch der Vermieter gegenüber dritten Gläubigern bevorzugt und darüber hinaus mit einem Selbsthilferecht ausgestattet, welches „dem Miether wie ein drohendes Gespenst immer vor Augen" stehe und „ihn nicht nur zu den äußersten Anstrengungen, sondern auch zu den größten Entbehrungen für sich und seine Familie [antreibe], um nur die Zahlung der Miethe zu ermöglichen" 235 . Hierin liege auch der Grund, weshalb das „Rücken", also das widerrechtliche Entfernen der Möbel, im Volksbewußtsein nicht als strafwürdige Tat aufgefaßt werde. Wenn im übrigen die Hausbesitzer meinten, wer Obdach gewähre, müsse erhöhte Sicherheit haben, so sei auch dies nicht einzusehen. Der auf Kredit vermietende Hausbesitzer stehe doch nicht anders da als ein Schuster, Schneider, Tischler usw., der auf Kredit seine Waren geliefert habe 236 . Bis zu diesem Punkt könnte man geneigt sein, die Argumentation als konsequent liberal zu betrachten, obgleich die starke Betonung der abzuschaffenden 229 230 231 232 233 234 235 236

Thomsen, Thomsen, Thomsen, Thomsen, Thomsen, Thomsen, Thomsen, Thomsen,

Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten

(wie (wie (wie (wie (wie (wie (wie (wie

Fn.227), Fn.227), Fn.227), Fn.227), Fn.227), Fn.227), Fn.227), Fn.227),

S. 162, 174, 190, 192. S. 175ff. S. 183-188, wörtliches Zitat S. 188. S. 192 unter Hinweis auf Martial, Epigr. X I I , 32. S. 193. S. 193f. S. 194f., wörtliche Zitate S. 195. S. 196. Zur Kreditpraxis vgl. unten S.319 bei Fn.529.

264

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

Abhängigkeit des Mieters v o m Vermieter gewiß bereits einen sozialen A s p e k t enthielt. Eindeutig auf den sozial motivierten Schutz des Schwächeren zielte aber die B e m e r k u n g Thomsens, die Mißstände des Vermieterpfandrechts richteten sich vor allem „gegen den kleinen M a n n " . Praktisch seien die ärmeren M i e ter betroffen 2 3 7 . Schließlich wandte sich Thomsen gegen das A r g u m e n t , durch ein möglichst uneingeschränktes Vermieterpfandrecht werde die Kreditfähigkeit der M i e t e r erhöht. Zwar, so führte er aus, werde durch das Pfandrecht tatsächlich der M i e t kredit erhöht, aber dies gelte nur für das erste M a l . W e n n dann der Vermieter sein Pfandrecht ausgeübt habe, so bleibe von dem Kredit für die nächste W o h nung nichts m e h r übrig. D e r M i e t e r müsse einen wohltätigen Verein oder die Armenverwaltung bitten, die Sachen auszulösen und dann k ö n n e „dasselbe Spiel v o n N e u e m b e g i n n e n " 2 3 8 . Das überholte Standesprivileg der Vermieter müsse fallen 2 3 9 . Wolle man den Interessen der Vermieter in gerechter Weise R e c h n u n g tragen, müsse das mit kürzeren Zahlungsfristen und der Vorausbezahlung des Mietzinses geschehen 2 4 0 . Thomsen schloß seine Ü b e r l e g u n g e n damit ab, überall sonst habe das R e c h t den M i e t e r dem Vermieter gleichgestellt. N u n gehe es „um die Beseitigung des letzten Restes der Rechtsungleichheit, u m die consequente D u r c h f ü h r u n g und Vollendung der rechtlichen ... MietherE m a n c i p a t i o n " 2 4 1 . D a m i t war der T o p o s von der sozialen Freiheit angesprochen. D e r A b b a u der Privilegien der Vermieter sollte die M i e t e r rechtlich auf die gleiche Stufe stellen. Ihre soziale Freiheit, ihr persönlicher Gestaltungsspielraum sollte auf diese Weise gesichert werden. In dieselbe R i c h t u n g wie Thomsens G u t a c h t e n zielten auch verschiedene D i s kussionsbeiträge auf dem 20. D e u t s c h e n Juristentag, wenngleich sich niemand der historischen Beweisführung Thomsens anzuschließen bereit war. Makower sprach sich mit einer im K e r n ähnlichen B e g r ü n d u n g wie Thomsen gegen das Vermieterpfandrecht aus. E r wendete das Gleichberechtigungsargument allerdings ins Praktische. D i e tatsächlich veränderten Verhältnisse verlangten eine A u f h e b u n g der Bevorrechtigung des Vermieters. D a s zeige sich besonders bei langfristigen Mietverträgen, bei denen die Mietschuld oftmals das V e r m ö g e n s o gar w o h l h a b e n d e r Leute übertreffe. D a ß aber der Vermieter für eine n o c h nicht erbrachte Leistung ein Pfandrecht haben solle, verstehe niemand. Unbegreiflich sei, weshalb der K r e d i t des Warenlieferanten nicht mit der Ware gesichert w e r de, sondern diese dem Vermieter zugute k o m m e . E r s t recht sei die B e v o r r e c h t i gung im K o n k u r s nicht gerechtfertigt. I m Volksbewußtsein sei allenfalls das

Thomsen, Gutachten (wie Fn.227), S. 197. Thomsen, Gutachten (wie Fn.227), S.200f. 239 Thomsen, Gutachten (wie Fn.227), S.203. Auch Julius Baron, Die Miethe und Pacht nach dem Entwurf zum deutschen bürgerlichen Gesetzbuch, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 18.12. 1889, Nr. 591, 29. Jg., S. 1-2, hier S.2, sah in dem Vermieterpfandrecht ein Privileg, freilich ohne radikal die Abschaffung desselben zu verlangen. 240 Thomsen, Gutachten (wie Fn.227), S.204. 241 Thomsen, Gutachten (wie Fn.227), S.205. 237 238

III. Das

Vermieterpfandrecht

265

Pfandrecht für die bereits verfallene Miete bekannt. Warum aber der Vermieter zu bevorzugen sei, sei nicht ersichtlich. Der Vermieter kreditiere wie jeder andere auch. Das Pfandrecht sei daher abzuschaffen 242 . Der Vermieter sollte also auf dieselbe Stufe wie andere Gläubiger gestellt werden. Das war die „MieterEmanzipation" von Thomsen aus der Perspektive des Gläubigers gesehen. Sehr grundsätzlich äußerte sich der Mainzer Rechtsanwalt Ludwig Fuld, der aus sozialpolitischen Erwägungen das Vermieterpfandrecht ablehnte. Gleichsam als verbindliches politisches Programm interpretierte er die Bemerkung Bismarcks, der in seiner Reichstagsrede vom 12. Juni 1882 gesagt hatte, es dürfe kein Reichsgesetz erlassen werden, das nicht „mit einem Tropfen sozialen Öls getränkt" sei243. Daß das auch für das bürgerliche Gesetzbuch zu gelten habe, setzte Fuld als gegeben voraus. Es dürfe nicht, so meinte er, im Geiste des römischen Rechts verharren 244 . Römischer Geist war für Fuld Individualismus und einseitige Verfolgung kapitalistischer Interessen. Das Vermieterpfandrecht aber, so setzte Fuld fort, stehe in engstem Zusammenhang mit der Wohnungsfrage. Solange es beibehalten werde, werde die Wohnungsfrage in kaum zu steigernder Weise verschärft 245 . Die wichtigste 246 privatrechtliche Ursache für deren „schroffe Signatur" 247 sei das Pfandrecht des Vermieters. Diese schädliche soziale Wirkung des Pfandrechts begründete Fuld damit, es entstehe so ein bedenkliches Ubergewicht des Vermieters, das den Mieter von Anfang an in eine „schiefe Lage" bringe 248 . An dieser Stelle zeigt sich eine konkrete Umsetzung dessen, was Fuld in ähnlicher Weise wie Thomsen als einen wesentlichen Teil der sozialen Aufgabe des Privatrechts ansah, nämlich daß das Privatrecht dafür Sorge zu tragen habe, daß nicht das wirtschaftliche Ubergewicht einer Vertragspartei zur Geltung kommt, sondern die Vertragspartner „in rechtlicher Beziehung einander möglichst gleichgestellt sind" 249 . Lediglich eine Beschränkung des Pfandrechts durch Ausschluß der unentbehrlichen Sachen einzuführen, hielt Fuld für inkonsequent, weil das Pfandrecht dadurch in 90% der Fälle wertlos werde 250 . Im übrigen führe es zu einer unbegründeten Bevorzugung der Hausbesitzer gegenüber anderen Gläubigern, ihnen eine reale Sicherheit zu geben, während der Bäcker oder Schuster seine Leistungen im Vertrauen auf das gegebene Wort erMakower; [Diskussionsbeitrag wie Fn. 226]. Bismarck, [Rede vor dem Reichstag am 12. Juni 1882, wie Fn. 168], hier S.360. Zu dieser Rede vgl. auch oben S.28. 244 Ludwig Fuld, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts] in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 170-176, hier S. 171. 245 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 244], S. 172. 246 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.244], S. 171f.: „... es greift keine Frage in die socialen Verhältnisse so tief ein, es steht keine mit der Wohnungsfrage in so innigem Connex, wie die Frage, ob das Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters zu beseitigen oder beizubehalten ist..." 247 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.244], S. 176. 248 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.244], S. 173. 249 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.244], S. 172. 250 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.244], S. 173. 242 243

266

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

bringe. Aus diesen Gründen sei die Abschaffung des Vermieterpfandrechts geboten 251 . Ahnlich wie Fuld hielt auch Heinrich Dernburg die sozialen Überlegungen bei der Abfassung von Gesetzen für schlechthin maßgeblich. Es sei, so sagte er, das Pfandrecht aufzuheben im wohlverstandenen Interesse des Mieters wie auch des Vermieters. An den gegenwärtigen Mißständen gebe es keinen Zweifel, wie die Strafjustiz zeige, die sich ständig mit „rückenden" Mietern beschäftige, obgleich die Volksüberzeugung darin kein strafwürdiges Vergehen erblicke. Die Volksüberzeugung sei aber sehr ernst zu nehmen bei der Abfassung von Gesetzen 252 . Außerdem habe das Pfandrecht keineswegs die „geträumten" wirtschaftlichen Vorteile, die seine Befürworter behaupteten. Die Probleme beträfen vor allem die „kleineren Leute", deren Habe oftmals wertlos oder nur auf Abzahlung gekauft sei. Hier helfe nur die in weiten Teilen des Reiches schon üblich gewordene Vorauszahlung der Miete. Außer an Kautionen sei auch an Versicherungen gegen Mietausfälle zu denken, die dem Vermieter Sicherheit bieten könnten 253 . Ein Gesetzbuch, das die Einheit befördern solle, müsse mit Veraltetem brechen. Das Vermieterpfandrecht zu Fall zu bringen, sei ein erster Schritt auf dieses Ziel hin 254 . Auch Gierke verlangte im Mietrecht „Einschränkungen der Vertragsfreiheit bei der Wohnungsmiete zum Schutz gegen Mietstyrannei und Mietswucher", angesichts des Umstands, daß der Entwurf das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters „in überaus scharfer Zuspitzung reproduziert" habe. Der Mieter werde dadurch in eine Art von „Grundhörigkeit" gedrängt255. Das 19. Jahrhundert stand aber gerade im Zeichen der Befreiung, auch der Befreiung von der Leibeigenschaft und Grundhörigkeit, so daß aus Gierkes Worten der Vorwurf des Anachronismus sprach. Das Vermieterpfandrecht hielt Gierke jedenfalls für unvereinbar mit den „socialen, wirtschaftlichen und sittlichen Geboten unserer Zeit" 256 . Ob daraus der Schluß zu ziehen ist, Gierke habe das Vermieterpfandrecht grundsätzlich abgelehnt, ist nicht ganz eindeutig zu sagen. Im Reichsjustizamt wurde er zwar nicht im ablehnenden Sinn verstanden 257 , doch das erscheint nicht zwingend. Ebenso hielt Klöppel die Abschaffung des Vermieterpfandrechts für richtig. Den Vermietern entstehe kein Nachteil, weil sie durch Vorauszahlung der Miete 251 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 244], S. 175. - In moderatem Ton wiederholte Fuld diese Stellungnahme später noch einmal: Das Zurückbehaltungsrecht des Vermiethers, in: Sozialpolitisches Centraiblatt 3 (1893/94), S.183. 252 Heinrich Dernburg, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts] in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 176—180, hier S. 177. 253 Dernburg, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 252], S. 178f. - Der Gedanke begegnete uns bereits in der oben S. 168 bei Fn. 168 zitierten Rede Bismarcks. 254 Dernburg, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.252], S. 179. 255 Gierke, Entwurf, S.242. 256 Gierke, Entwurf, S.242. 2 5 7 Vgl. Reichsjustizamt, Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen II, S. 272.

III. Das

Vermieterpfandrecht

267

den nötigen Kredit bekommen könnten, so erklärte er. Von der Notwendigkeit einer besonderen Sicherung des Vermieters könne daher auch keine Rede sein258. In eine ähnliche Richtung zielte eine Artikelserie in der Berliner Gerichtszeitung, die die volkswirtschaftliche Bedeutungslosigkeit des Pfandrechts betonte und auf die Gefahr zahlreicher schikanöser Streitigkeiten hinwies259. Zu selten führe das Pfandrecht wirklich zu einer Befriedigung des Gläubigers, zu oft aber nur zu einer Belastung des Mieters mit einem Zivil- und nicht selten auch Strafverfahren. Im wesentlichen waren für die Gegner des Vermieterpfandrechts drei Gründe maßgeblich. Erstens hielten sie die Entwicklung dieses Pfandrechts für eine historische Zufälligkeit, die zu einem in kapitalistischem Interesse begründeten Privileg geführt habe, das aber inzwischen anachronistisch wirke. Zweitens sei nicht erkennbar, weshalb die Billigkeit eine Bevorzugung des Vermieters gegenüber anderen Gläubigern gebiete. Drittens aber, und das war die wichtigste Überlegung, verursache das Vermieterpfandrecht eine empfindliche Störung des vertraglichen Gleichgewichts, die es zu beseitigen gelte. Das war nicht als lediglich liberales Postulat zu verstehen, sondern als ein soziales Anliegen. Es ging darum, ein Vorrecht der Vermieter abzuschaffen, das die Mieter in eine „drükkende Abhängigkeit" brachte. Schutz des Schwächeren bedeutete in diesem Punkt der sozialen Frage nicht Privilegierung des Schwächeren, sondern Emanzipation, also Schaffung sozialer Freiheit. Das Mittel zum sozialen Ziel war die Befreiung von einer Bevorrechtigung des Vermieters, die Gleichberechtigung von Mieter und Vermieter. Das Programm hieß „soziale Gerechtigkeit durch Gleichberechtigung". Hinter der Forderung der Gleichberechtigung kann man die allgemeinere Regel beobachten, daß die in der Diskussion verlangte privatrechtliche Antwort auf die zentralen Punkte der sozialen Frage zunächst einmal in einem Abbau von Bevorrechtigungen bestehen sollte. Für das Vermieterpfandrecht als einem wichtigen Bestandteil der Wohnungsfrage konnte das hier gezeigt werden. Für die Landarbeiterfrage iieße sich ähnliches nachweisen, und für die Frauenfrage werden wir es bei der Untersuchung des Ehegüterrechts feststellen können. (2) Für die Beibehaltung

des

Vermieterpfandrechts

In seinem Gutachten für den Juristentag zur Frage der Beibehaltung oder Abänderung des Vermieterpfandrechts kam der Berliner Gerichtsassessor Lewinsohn anders als Thomsen zu einer für den Entwurf positiven Stellungnahme. 258 Paul Klöppel, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs vor dem zwanzigsten Juristentage, in: Gruchot's Beiträge 33 (1889), S. 835-849, hier S. 838f. 259 Das Pfandrecht des Vermieters und Verpächters nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Berliner Gerichtszeitung vom 31. Juli 1890, Nr. 87,38. Jg., S.2; Fortsetzung in: Nr. 88 vom 2. August 1890, S. 1-2 und in: Nr. 89 vom 5. August 1890, S. 1-2 sowie Schluß unter dem Titel: Fort mit dem Pfandrecht des Verpächters und Vermieters, in: Nr. 90 vom 7. August 1890, S. 1-2.

268

Kapitel

5: Soziales

Recht im

Schuldrecht

Zwei Gründe waren für ihn maßgeblich: erstens, daß sowohl im deutschen wie im römischen Recht das Pfandrecht üblich gewesen sei, also daß es der historischen Tradition entspreche, sowie zweitens, daß ein unabweisbares Bedürfnis des Verkehrs daran bestehe. Dieses Verkehrsbedürfnis erläuterte er dann mit einigen sozialen Überlegungen: Er ging aus von der Tatsache, daß das Wohnungsbedürfnis neben Kleidung und Essen zu den wichtigsten gehöre. Da weiterhin nur die wenigsten zugleich Grundeigentümer seien, seien die meisten darauf angewiesen, eine Wohnung zu mieten. Wohnungen könnten aber nur in genügender Zahl angeboten werden, wenn das Risiko des Vermieters nicht so hoch sei, daß er es scheue, sein - häufig nur geliehenes - Kapital in Häusern anzulegen. Um das Risiko zu vermindern, sei der Vermieter deshalb an einer Absicherung seines Gegenanspruchs interessiert. Je unsicherer die Einkünfte des Vermieters aus dem Mietobjekt seien, desto höher falle die Miete aus. Eine große Zahl von Menschen könne deshalb keinen adäquaten Wohnraum finanzieren. So entstehe „einer der größten socialen Schäden namentlich unserer Zeit, die Wohnungsnoth". Wenn der Vermieter aber gegen einen Ausfall der Mietzahlungen möglichst geschützt werde, werde wenigstens eine Ursache der Wohnungsnot bekämpft, und das mit einem Mittel, das den Mieter kaum beeinträchtige. Im Gesetz gelte es daher, eine „möglichst ausgiebige Sicherung des Vermiethers bei möglichst geringer Beeinträchtigung des Miethers und dritter Personen" zu erreichen 260 . Für Lewinsohn war also die Beibehaltung des von vielen Mietern als störend empfundenen Vermieterpfandrechts eine soziale Tat, weil es nur das Vermieterpfandrecht ermögliche, Wohnungen in hinreichend großer Zahl zu Preisen anzubieten, die auch von ärmeren Mietern noch bezahlt werden konnten. Nur die Sicherheit des Pfandrechts veranlasse die Vermietung an solche Leute. Diese Argumentation gleicht den schon oben bei Struckmann beobachteten Überlegungen, eine Einschränkung des Vermieterpfandrechts führe zu einer Schmälerung des „Mietkredits der kleinen Leute" und erschwere ihnen so den Abschluß eines Mietvertrags 261 . Im Unterschied zu den Überlegungen Struckmanns sah Lewinsohn allerdings die Gefahr in einer Schmälerung des Angebots an Mietwohnungen, da mangels ausreichender Kreditsicherung nicht mehr in den Wohnungsbau investiert werden würde, während Struckmann sogar eine Gefahr für die Vermietung bereits vorhandener Wohnungen sah. Zu betonen bleibt aber für beide Fälle, daß es um eine soziale Argumentation ging, die getragen war von einem Hauptmotiv sozialer Regelungen, nämlich vom Schutz der wirtschaftlich Schwächeren. Das unabweisbare Verkehrsbedürfnis, das Lewinsohn für die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts streiten sah, war in seinen Augen letztlich der Topos vom Schutz des Schwächeren. Hinter der Blankettformel,

260 E. Lewinsohn, Gutachten zur Frage: Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers in seiner gegenwärtigen Gestalt beizubehalten oder abzuändern?, in: Verhandlungen des 20. D e u t schenjuristentages, B d . 3 , Berlin 1889, S . 2 0 7 - 2 6 0 , hier S . 2 3 8 - 2 4 1 . 2 6 1 Vgl. oben S. 257 bei Fn. 206.

III. Das

Vermieterpfandrecht

269

die seit dem Gutachten der Vorkommission von 1874 262 immer wieder als Scheinbegründung Verwendung fand, stand hier also eine soziale Überlegung. Lewinsohn wollte das Sicherungsmittel des Vermieters zugleich aber auch einer möglichst einfachen Befriedigung offen halten und schlug daher vor, nicht ein Zurückbehaltungs- oder Vorzugsrecht, sondern ein echtes Pfandrecht einzuführen 263 . Zustimmend zu den Vorschlägen Lewinsohns äußerte sich die Mehrheit auf dem 20. Deutschen Juristentag. Der Beschluß des Juristentages befürwortete daher die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts in der Form des §521 E I mit einigen Modifikationen bei der Ausgestaltung 264 : - Erstens sollte nur der künftige Mietzins für das laufende und folgende Kalenderjahr gesichert werden. Künftige Schadensersatzforderungen sollten hingegen ausgeschlossen sein. - Zweitens sollte der Vermieter nicht der Entfernung von Sachen des Mieters widersprechen dürfen, wenn die verbleibenden Gegenstände genügende Sicherheit böten. - Drittens sollte das Pfandrecht ausgedehnt werden auf die Sachen der Ehefrau und der Kinder. Der Rostocker Amtsrichter Friedrich Bunsen und der Berliner Landrichter Paul Koffka referierten auf dem Juristen tag im Sinne Lewinsohns2bi. Entgegen Thomsen meinte Bunsen, die historische Tradition spreche gerade/Är die Beibehaltung des Pfandrechts, weil es in dieser Form seit Jahrhunderten üblich sei und das keineswegs zum Schaden der Gesellschaft 266 . Maßgeblich seien nicht die historischen Verhältnisse zur Zeit der Entstehung des Vermieterpfandrechts im alten Rom, sondern die heutigen sozialen Gegebenheiten, in denen Wohnungswucher praktisch nicht mehr vorkomme. Gelegentliche Meldungen in der Berliner Tagespresse über extreme Mietsteigerungen einzelner Hauseigentümer seien nicht kontrollierbar und jedenfalls nicht zahlreich 267 . Aber auch die Rechtsgleichheit, die Thomsen für die Abschaffung des Pfandrechts angeführt habe, spreche in Wirklichkeit dagegen, denn das Pfandrecht sei nichts anderes als das notwendige Korrelat für die übliche und gesetzlich vorgesehene Zahlung der Miete postnumerando. Wer die Miete praenumerando zahle, sei mit einem Schlage alle Probleme des Pfandrechts los. Die Zahlungsweise praenumerando müsse die Praxis aber erst einführen, bevor man das Pfandrecht abschaffen könne 268 . Vgl. dazu ausführlich oben S. 109. Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.241. 2 6 4 Vgl. Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 204; zur inhaltlichen Ausgestaltung des Vermieterpfandrechts sogleich unten S.272ff. 265 Friedrich Bunsen, [Referat zur Frage:] Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?], in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd.4, Berlin 1889, S. 156-166; Paul Koffka, [Korreferat zu der vorgenannten Frage], in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 166-170. 266 Bunsen, Referat (wie Fn.265), S. 157f. 267 Bunsen, Referat (wie Fn.265), S. 158f. 268 Bunsen, Referat (wie Fn.265), S. 160. 262 263

270

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

Außerdem machte Bunsen unter Berufung auf seine Erfahrungen als Richter in Rostock geltend, die Abschaffung des Pfandrechts berge die Gefahr für den Immobiliarkredit, daß das Mietezahlen aus der Mode komme. Da die Erträge aus den Grundstücken aber vor allem zur Deckung der auf ihnen ruhenden Lasten und Zinsen benötigt würden, würde die Zinszahlung des Eigentümers unter solchen Zuständen leiden und der Immobiliarkredit Schaden nehmen 269 . Die prognostizierten Auswirkungen auf den Immobiliarkredit erscheinen unter Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten, insbesondere der üblichen Baufinanzierung 270 , durchaus realistisch. Bunsen ließ aber offen, warum der Immobiliarkredit als schutzwürdig anzusehen sei. Zu vermuten ist, daß es ihm um die Stabilität der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse ging, also um einen Aspekt des Topos vom sozialpolitischen Ausgleich. Unter anderem ebenfalls wegen der Gefahren für den Immobiliarkredit, die von der Abschaffung des Pfandrechts ausgehen würden, insbesondere aber auch wegen seines Wertes als Absonderungsrecht im Konkurs sprach sich der Vorsitzende des Centraiverbandes der Haus- und städtischen Grundbesitzervereine Deutschlands, der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Strauß für die Beibehaltung des Pfandrechts aus 271 . Auch der Rechtsanwalt am Reichsgericht Martin Scherer trat für die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts ein und rechtfertigte die Sonderstellung des Vermieters im Vergleich zu anderen Gläubigern mit wirtschaftlichen Erwägungen. Eine „Mieter-Emanzipation" 272 kam für ihn daher nicht Betracht. Der Grund dafür, daß der Vermieter nicht genauso wie ein Verkäufer oder Warenlieferant behandelt werde, so erklärte Scherer, bestehe darin, daß die Gewinnspanne des Vermieters ungleich geringer sei. Während ein Kaufmann 5 0 - 6 0 % , mitunter sogar 100% Gewinn mache, erziele der Vermieter allenfalls eine Rendite von 5 - 6 % 2 7 3 . Die meisten Hauseigentümer seien auch keine reichen Leute, sondern mehr Verwalter als Eigentümer, die auf ein pünktliches Eingehen der Mieten angewiesen seien, um die Kapitalzinsen bezahlen zu können. Irrig sei die Annahme, das Pfandrecht sei wertlos, wenn es nicht auch die unpfändbaren Sachen einschließe, denn die Mehrzahl der Leute besitze mehr als den Bestand unpfändbarer Sachen. Bei kleineren Wohnungen bewähre sich im Rheinland die wochenweise Vermietung gegen Vorauszahlung 274 . In den Augen des Berliner Justizrates M. Levy sprachen zwei Argumente für Bunsen, Referat (wie Fn.265), S. 162f. Vgl. dazu oben S.233 bei Fn. 97 sowie ausführlicher unten S.323. 271 Strauß, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts], in: Verhandlungen des 2G. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 180-184. 2 7 2 Vgl. oben S.264 bei Fn.241. 2 7 3 In der Deutschen Hausbesitzer-Zeitung 14 (1907), S.260f. [Wiederabdruck bei Teuteberg/ Wischermann, Wohnalltag (wie Fn.93), S. 148] wurde eine Rendite von höchstens 4 % genannt. Wenn man dieser Zahl vertrauen darf, so ist also die Rendite gesunken. 274 Martin Scherer\ [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts], in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 190-193, hier S. 191 f. 269

270

III. Das

Vermieterpfandrecht

271

die Aufnahme des Vermieterpfandrechts in das Gesetzbuch: Erstens gehe es um die Sammlung und Kodifikation des geltenden Rechts, wobei er allerdings unerwähnt ließ, daß das Vermieterpfandrecht keineswegs überall im Reich geltendes Recht war. Zweitens, so fuhr er fort, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die wirtschaftliche Existenz der Grundbesitzer zu bewahren. Die Eignung des Vermieterpfandrechts dazu ergebe sich vor allem aus der stillschweigenden Drohung, die das Rechtsinstitut entfalte. Man wisse gar nicht, so meinte er, wie viele Mieten gezahlt würden, um die Pfändung der Möbel zu verhindern275. Bemerkenswert ist hier die Bezeichnung der Aufgabe des Gesetzgebers. Daß die Bewahrung des status quo durch Sicherung des Grundeigentums eine vorrangige staatliche Aufgabe sei, war eine nicht seltene Uberzeugung der Zeit. Auch die Stellungnahmen von Bunsen, Koffka, Strauß, Scherer und Levy zielten letztlich auf gesellschaftliche Stabilität. Dahinter stand die verbreitete politische Furcht vor einem Umsturz insbesondere auf Betreiben der Sozialdemokraten 276 . Das Privatrecht sollte durch „sozialpolitischen Ausgleich" dies zu verhindern helfen. Ganz auf dieser Linie lag es auch, daß der Reichsgerichtsrat Wielandt den Juristentag geradezu beschwor, am Vermieter- und Verpächterpfandrecht festzuhalten, weil sonst die Landwirtschaft ruiniert werde277. Soziale Überlegungen im Sinne des Schutzes der Schwächeren stellte schließlich Rechtsanwalt Boyens an, um die Aufrechterhaltung des Vermieterpfandrechts zu begründen. Der Sache nach bediente er sich dabei des bereits mehrfach erwähnten Kreditarguments, das er allerdings sehr verkürzt wiedergab, indem er erklärte: Gerade die Arbeiterinteressen würden verletzt, wenn man statt des Pfandrechts die Vorauszahlung des Mietzinses einführte, weil diese Leute von der Hand in den Mund lebten und allenfalls wochen- oder tageweise vorauszuleisten imstande seien. Dann aber drohe dauernd die Exmission 278 . O b kurze Zahlungstermine verbunden mit einer Vorauszahlungspflicht wirklich zum Nachteil der unteren Bevölkerungsschichten sein würden, wurde allerdings in der Diskussion keineswegs einheitlich beurteilt. Reformerisch orientierte Kreise sahen die Vorauszahlung als ein probates Mittel an, um einerseits dem Interesse der Vermieter an der pünktlichen Mietzinszahlung, andererseits dem Interesse der Mieter an der Pfandfreiheit ihrer Mobilien gerecht zu werden 279 . Aus diesem Grunde hatte beispielsweise der Dresdener „Verein gegen Armennoth" am Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts eine „Mietzinssparkasse" ein275 Levy, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts], in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 194-196. 276 Vgl. dazu oben S.30. 277 Wielandt, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts], in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 197-199. 278 Boyens, [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts], in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 4, Berlin 1889, S. 199-203, hier S.202. 279 Zum Beispiel Fritz Kalle, Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege, in: Verhandlungen des Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit 6 (1888), S.69-120, hier S. 114; Schmoller, Ein Mahnruf in der Wohnungsfrage (wie Fn. 95), S. 447, der sogar für eine wöchentliche Mieteinziehung eintrat.

272

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

gerichtet, um den ärmeren Mietern die Zahlung am Ende eines Quartals zu erleichtern. Die Sparer zahlten wöchentlich ihren Mietzins auf ein Sparkonto ein und waren so in der Lage, den gesamten Betrag am Quartalsende aufzubringen. Darüber hinaus zahlte der die Mietzinssparkasse tragende Verein noch Zinsen auf die Ersparnisse in Höhe von anfangs 10%, später 6 % beziehung sweise 4 % . Entscheidend für den Erfolg war, daß die wöchentliche Zahlung der Miete von den Betroffenen als eine Erleichterung aufgefaßt wurde 280 . Neben solchen Stellungnahmen mit sozialen Argumenten gab es auch Meinungsäußerungen, die lediglich auf der tatsächlichen Verbreitung des Pfandrechts aufbauend für dasselbe stritten. So tat es etwa Jacubezky, der ohne Argument das Pfandrecht als „innerlich berechtigt" bezeichnete 281 . Soziale Rücksichten spielten für ihn nur im Zusammenhang mit den Einschränkungen des Pfandrechts eine Rolle. b) Gegenstand

des

Vermieterpfandrechts

Für die Verfechter des Vermieterpfandrechts stellte sich nach der prinzipiell positiven Entscheidung die Frage, wie das Vermieterpfandrecht inhaltlich ausgestaltet sein sollte. Der Juristentag hatte hierzu einige Beschlüsse gefaßt, die bereits kurz erwähnt worden sind 282 . Verschiedene Einzelfragen sind dabei zu unterscheiden. In diesem Abschnitt wird es um den Gegenstand des Vermieterpfandrechts gehen, und zwar zunächst darum, wessen Sachen betroffen sein sollen, sodann welche Sachen dem Pfandrecht unterliegen sollen. Die nächsten Abschnitte behandeln den Sicherungszweck, also die Frage, welche Forderungen durch das Vermieterpfandrecht abgesichert werden sollen und als letzten Punkt der Ausgestaltung des Pfandrechts die Modalitäten seines Erlöschens. (1) Grundsätzlich unterworfen

sind nur Sachen des Mieters dem

Pfandrecht

Ausdrücklich befürwortete Lewinsohn die Entscheidung des Entwurfs, nur dem Mieter gehörige Sachen dem Pfandrecht zu unterwerfen. Es sei, so meinte er, völlig unbillig, wenn beispielsweise die Dienerschaft mit ihrer Habe für die Mietschulden der Herrschaft haften solle 283 . Abzulehnen sei auch eine Art gut280 Böhmen, [Diskussionsbeitrag zum Thema:] Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege, in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der neunten Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 25. und 26. September 1888 in Karlsruhe, in: Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit 7 (1889), S. 55-57, hier S.56f. 281 Karl Jacubezky, Bemerkungen zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, München 1892, S. 130. 2 8 2 Vgl. oben S.269 bei Fn.264. 283 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.248; zustimmend Koffka, Referat (wie Fn.265), S. 169.

III. Das

273

Vermieterpfandrecht

gläubigen Erwerbs des Vermieterpfandrechts an fremden Sachen in Analogie zu § 1152 E I 284 , denn es handele sich einerseits nicht um ein Vertragspfandrecht, und andererseits müsse der Vermieter wissen, daß nicht alle eingebrachten Sachen dem Mieter zu gehören pflegen. Der Mieter wolle auch gar nicht diesen Eindruck erwecken 285 . Die Konstruktion eines gutgläubig erworbenen Pfandrechts wurde dementsprechend von der Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil der Lehre abgelehnt 286 . Immerhin blieb dem Vermieter regelmäßig ein vereinbarter außerordentlicher Kündigungsgrund, verbunden mit einer Vertragsstrafe, wenn die eingebrachten Sachen nicht frei verfügbares Eigentum des Mieters waren 287 . (2) Vermieterpfandrecht auch an den Sachen der in lebenden Familienangehörigen

Hausgemeinschaft

Von der Regel, daß nur dem Mieter gehörige Sachen dem Pfandrecht unterworfen sein sollen, wollte Lewinsohn allerdings eine wichtige Ausnahme zulassen: Die der Ehefrau und den Kindern des Mieters gehörigen Sachen sollten mithaften, solange die häusliche Gemeinschaft der Familie bestehe 288 . Dies hielt er nicht nur für eine sittliche Pflicht, sondern er fand dafür auch noch eine soziale Begründung: Es diene, so meinte er, dem Schutz der Frau, wenn sie davor bewahrt bleibe, selbst als Partei in den Mietvertrag eintreten zu müssen. Wenn sie aber nicht wenigstens mit ihren eingebrachten Sachen für den Fall mithafte, daß der Ehemann seine Schulden aus dem Mietvertrag nicht mehr begleichen könne, so werde der Vermieter darauf bestehen, daß auch die Frau in den Vertrag eintrete und dann für die Schulden hafte 289 . Der Schutz der Frau wurde als Konsequenz ihrer güterrechtlichen Benachteiligung gegenüber dem Mann stets als Schutz des Schwächeren angesehen. Das Paradoxe an der Forderung von Lewinsohn war, daß dieser Schutz hier nicht durch eine Erweiterung der Rechtsstellung der Frau, sondern durch die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung derselben erreicht werden sollte, um eine empfindlichere vertragliche Verpflichtung überflüssig werden zu lassen. Freilich ist aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen, warum die Vermieter angesichts der gesetzlichen Einbeziehung des Eigentums der Frau eines Mieters in das Vermieterpfandrecht auf die weitergehende vertragliche Verpflichtung hätten verzichten sollen. Ohne daß sich zwischenzeitlich die geltende Rechtslage 284 § 1152 E I : „Das durch Rechtsgeschäft begründete Faustpfandrecht geht allen an dem Pfände früher begründeten Rechten vor, wenn der Erwerber des Pfandrechtes bei dem Erwerbe jene Rechte nicht gekannt, seine Unkenntniß auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht hat. Die Vorschriften des §. 877 Satz 2 und der §§. 879, 880 finden entsprechende Anwendung." 285 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.249. 286 Dazu Repgen, Das Vermieterpfandrecht im Kaiserreich (wie Fn. 173), S.260. 287 Ein Beispiel für entsprechende vertragliche Vereinbarungen unten in Fn. 306. 288 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.251-253; ebenso Koffka, Referat (wie Fn.265), S. 169; Gierke, Entwurf, S.241 Fn. 1. 289 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.252.

274

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

geändert hätte - die ebensowenig wie der erste Entwurf die Sachen der Ehefrau dem Pfandrecht unterwarf - , riet tatsächlich schon kurze Zeit nach dem Juristentag die Berliner Gerichtszeitung den Vermietern, auf dem Eintritt der Ehefrau in den Mietvertrag zu bestehen, da sonst die Zahl der „unerquicklichsten sogenannten Interventionsprozesse" maßlos steigen werde 290 . Auch Boyens hielt eine Ausdehnung des Pfandrechts auf die in Hausgemeinschaft mit dem Mieter lebenden Familienangehörigen für eine dem natürlichen Billigkeitsgefühl entsprechende Selbstverständlichkeit. Er hatte dabei freilich mehr das Sicherungsinteresse der Vermieter im Auge: „Viele unerfahrene Hauswirthe würden [sonst] erst,durch Schaden klug werden'" 2 9 1 . Ebenso wollten Cohn und Goldenring jedenfalls die Sachen der Ehefrau ins Pfandrecht einbeziehen 292 . Verschiedentlich wurde diese Ausdehnung des Pfandrechts auf die Sachen der Ehefrau mit der damals - wenigstens regional - verbreiteten Praxis begründet, daß die Möbel regelmäßig von der Frau in die Ehe eingebracht würden 293 . Strauß wollte durch die Einbeziehung der Frau beziehungsweise „des anderen Ehegatten" verhindern, daß die Eheleute mit Scheinverträgen das Pfandrecht zu umgehen versuchen 294 . In dieselbe Richtung ging auch der Beschluß des elften Verbandstages des Zentralverbandes der Haus- und Grundbesitzervereine am 20. August 18 8 9 2 9 5 . Alfred Baron begründete diesen Beschluß damit, man müsse Umgehungsgeschäfte der Mieter verhindern, die sonst geneigt sein würden, zum Schein ihre Sachen der Ehefrau oder den Kindern zu schenken 296 . Der 20. Deutsche Juristentag befürwortete schließlich die von Lewinsohn angeregte und mit dem Schutz der Frau begründete Ausdehnung des Pfandrechts 297 , womit er allerdings nach der Meinung Klöppels den sozialen Fortschritt der - später zu besprechenden - Beschränkung des Pfandrechts auf den künftigen Mietzins für das laufende und folgende Kalenderjahr wieder aufhob 298 . 2 9 0 Das Pfandrecht des Vermieters und Verpächters nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Berliner Gerichtszeitung vom 31. Juli 1890, Nr. 87,38. Jg., S.2. - Der Autor des Artikels ist unbekannt. 291 Friedrich Boyens, Miethe und Pacht. Buch II, Abschn. II Tit. V., in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a. Berlin 1890, S.693-746, hier S.724. 292 Georg Cohn, Das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 159-162, S. 160; G. Goldenring, Das Recht des Vermiethers an den eingebrachten Sachen des Dritt-Eigenthümers und des Aftermiethers nach Reichs- und Landesrecht, in: Zeitschrift für französisches Civilrecht (Puchelts Zeitschrift) 24 (1893), S. 162-175, 340-358, hier S.358. 293 Koffka, Referat (wie Fn.265), S. 170; Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S. 724. 294 Strauß, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 271], S. 181. 2 9 5 Vgl. Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S.298. 296 Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S. 314. 2 9 7 Vgl. oben Fn.264. 298 Klöppel, Der Entwurf (wie Fn.258), S. 839.

III. Das

Vermieterpfandrecht

275

Soziale Topoi spielten also in der Argumentation für die Einbeziehung des Eigentums der Familienangehörigen des Mieters in das Vermieterpfandrecht nur eine untergeordnete Rolle. Man hielt vielmehr diese Verbesserung der Rechtsstellung des Vermieters vor allem für ein Gebot der Billigkeit. Doch selbst für eine solche, auf den ersten Blick für die Mieter beziehungsweise ihre Angehörigen negativ erscheinende Regelung fand sich noch ein soziales Argument in Gestalt des Schutz-Topos, dessen Uberzeugungskraft jedoch aus den geschilderten Gründen nicht gerade auf der Hand lag. Jacubezky vertrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf die Auffassung, für die Einbeziehung der Sachen der Ehefrau und Kinder sprächen „beachtenswerte Gründe", die er freilich nicht benannte. Dennoch lehnte er sie ab, wenn nicht das Ehegüterrecht die Mithaftung der Ehefrau anordne 299 . Damit nahm er ein schließlich in der Vorkommission des Reichsjustizamts ausschlaggebendes dogmatisches Argument vorweg 300 .

(3) Vermieterpfandrecht

auch an Sachen fremder Personen ?

Die Überlegungen, ob ein Vermieterpfandrecht auch an Sachen fremder Personen, die sich in der Mietwohnung befinden, bestehen sollte, haben ihren Grund in der am Ende des 19. Jahrhunderts blühenden Praxis der Möbelleihverträge. Diese brachte es mit sich, daß relativ häufig Wohnungseinrichtungen oder wenigstens Teile von ihnen nicht im Eigentum des Mieters oder seiner Familienangehörigen standen, sondern dem Möbelgeschäft gehörten. Die verbreitete Konstruktion war eine Art Abzahlungskauf, bei dem die einzelnen Raten jedoch als Mietzins verstanden wurden oder anders gesagt: Es handelte sich um die Verknüpfung eines befristeten Mietvertrags mit einem aufschiebend bedingten Kaufvertrag, der mit Zahlung der letzten Mietzinsrate wirksam wurde 301 . Erst nach Ablauf der „Mietzeit" erwarb der „Mieter" unter Anrechnung des Mietzinses auf den Kaufpreis das Eigentum an diesen Möbeln. So konnte es geschehen, daß der Vermieter einer Wohnung Möbel für das Eigentum des Wohnungsmieters und damit für potentielle Pfandobjekte hielt, die in Wirklichkeit einem Dritten gehörten. Cohn meinte, um solche Fehleinschätzungen der Vermieter zu verhindern, solle das Pfandrecht generell auf die Gegenstände ausgedehnt werden, die mit dem Willen des Dritten aus seinem Gewahrsam ausgeschieden seien und von Jacubezky, Bemerkungen (wie Fn. 281), S. 132. Vgl. unten S.293 bei Fn.386. 301 Einzelheiten bei Roland Fendel, Der Berliner Möbelleihvertrag. Geschichte und Entwicklung des Mietkaufs vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Baden-Baden 1991, S. 115££.; Rezension dazu: Klaus Luig, in: Z N R 1995, S. 148-150; allgemein zur Praxis und rechtlichen Behandlung von Abzahlungsgeschäften Hans-Peter Benöhr; Konsumentenschutz vor 80 Jahren, in: Z H R 138 (1974), S. 492-503; zum Abzahlungsgesetz außerdem: Werner Schubert, Das Abzahlungsgesetz von 1894 als Beispiel für das Verhältnis von Sozialpolitik und Privatrecht in der Regierungszeit des Reichskanzlers von Caprivi, in: SZGerm 102 (1985), S. 131-167. 299

300

276

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

denen der Vermieter bei Abschluß des Mietvertrags nicht wisse, daß sie dem Mieter gar nicht gehörten302. Cohn stand zwar nicht allein da303, stieß mit diesem Vorschlag, den er übrigens auf das Sicherungsinteresse des Vermieters, der laufend eine Leistung erbringe, zurückführte304, aber schon sehr bald auf Kritik. Selbst Boyens, der den Einschränkungen des Pfandrechts durch den Entwurf eher kritisch gegenüber stand, hielt den Vorschlag, fremde Sachen dem Vermieterpfandrecht zu unterwerfen, für zu weitgehend. Die Mieter wären sonst, so meinte er, ständig zu Unterschlagungen gezwungen. „Eine solche Ausdehnung des Pfandrechts würde alles Maß überschreiten .,." 3 0 5 . Dennoch sprach sich auch Boyens für die Einbeziehung der Einrichtungsgegenstände aus, die im Eigentum dritter Personen stehen - freilich auf anderem Wege als Cohn. Er schlug vor, sich an der Berliner Vertragspraxis zu orientieren, nach der die Mieter beim Vertragsschluß zusichern mußten, daß alle eingebrachten Sachen ihr frei verfügbares Eigentum seien, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes erklärt werde306. Bringe der Mieter dann doch „geliehene" Möbel ein, so entstehe für den Vermieter gutgläubig ein Pfandrecht nach dem Grundsatz „Hand wahre Hand" 307 , den auch Scherer auf das Vermieterpfandrecht anwenden wollte, weil eine Sache, die verkauft werden könne, auch verpfändet werden könne 308 . Was Boyens freilich zu diskutieren unterließ, war die Frage, ob denn der Vermieter angesichts der weiten Verbreitung des Möbelleihgeschäfts überhaupt gutgläubig sein konnte beziehungsweiCohn, Das gesetzliche Pfandrecht (wie Fn.292), S. 159-162. Auch Goldenring, Das Recht des Vermiethers (wie Fn. 292), S. 355-358, meinte, aus Billigkeitsgründen fordere der genügende Schutz des Vermieters, daß die im Eigentum Dritter stehenden Sachen in das Pfandrecht eingeschlossen würden. In diesem Sinne auch unter Berufung auf das österreichische Vorbild: Das Pfandrecht des Vermieters und Verpächters nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Fortsetzung aus Nr. 87 der Zeitung), in: Berliner Gerichtszeitung vom 02.08. 1890, Nr. 88, 38. Jg., S. 1-2. 304 Cohn, Das gesetzliche Pfandrecht (wie Fn.292), S. 159. 305 Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S.725. 3 0 6 In einem Berliner Vertragsmuster vom Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts hieß es bereits: „§11 Das Mobiliar, welches der Miether in die Wohnung bringt, ist weder vom Möbelhändler auf monatliche Abzahlung entnommen, noch sonst der Besitz desselben durch die Rechte eines Dritten beeinträchtigt, sondern sein unbeschränktes Eigenthum, und ist, sowie alle eingebrachten Gegenstände, dem Vermiether für den richtigen Eingang der Miethe während der Dauer dieses Kontrakts verpfändet.... Wenn eine Retention der vom Miether eingebrachten Gegenstände stattgefunden hat, soll der Vermiether berechtigt sein, dieselben ohne richterliche Dazwischenkunft öffentlich zu verkaufen ..." Um die Schärfe dieser Regelung zu ermessen, muß man noch § 14 hinzulesen, der bei jedem Verstoß gegen den Vertrag den Vermieter berechtigte, „auf Exmission zu klagen und die sofortige Räumung der Wohnung ohne vorausgegangene Kündigung zu verlangen" [vgl. den bei Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn.90), S. 95-102 abgedruckten Mustervertrag, hier S. 101 f.]. Solche Klauseln blieben bis ins 20. Jahrhundert hinein üblich, vgl. das Berlin-Schönhausener Formular, das Paul Eitzbacher, Großberliner Mietverträge, Berlin 1913, § 9, S. 10, wiedergegeben hat. Dort mußte der Mieter zusichern, daß alle Hausgeräte, gewerblichen Einrichtungsgegenstände und Möbel sein freies, unbelastetes Eigentum seien. Beim Verstoß gegen diese Zusicherung konnte der Vermieter den Vertrag fristlos kündigen. 302

303

307 308

Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S.727. Scherer, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.274], S. 193.

III. Das

Vermieterpfandrecht

2 77

se ob die Unkenntnis vom Eigentum Dritter nicht regelmäßig auf grober Fahrlässigkeit des Vermieters beruhe. Festzuhalten ist jedenfalls, daß es Stimmen in der Literatur gab - wie zum Beispiel diejenige von Scherer - , die einer Ausdehnung des Pfandrechts nicht nur auf die Gegenstände im Eigentum der in Hausgemeinschaft lebenden Familienangehörigen das Wort redeten, sondern die auch die Gegenstände Dritter einbeziehen wollten 309 . Interessant ist, daß Boyens selbst für eine solche, den kapitalistischen Interessen der Vermieter nützliche Forderung, außer dem bereits mehrfach angesprochenen Kreditargument auch einen passenden sozialen Grund anführen konnte, warum die Ausdehnung günstig sei: es werde das Risiko, einen Schaden aus unwahren Angaben des Mieters zu erleiden, vom Vermieter auf den Möbelverleiher übergewälzt und treffe dann jemanden, der nicht als schutzwürdig erscheine: „Wenn die hier vorgeschlagene Bestimmung zu einer gewissen Einschränkung des Möbelleihgeschäfts führen sollte, [wäre] dies auch nicht gerade als ein wirthschaftlicher Schade zu betrachten" 3 1 0 .

Immerhin ist es doch bemerkenswert, daß es die öffentliche Diskussion über den Entwurf offensichtlich nahelegte, soziale Überlegungen in die Wertungen einfließen zu lassen, wobei sozial in diesem Fall besonders den Schutz des wirtschaftlich Schwächeren meint. Andererseits hatte auch hier die soziale Argumentation ein breiteres Spektrum als nur den Topos vom Schutz des Schwächeren. So hat etwa Scherer im Sinne des „sozialpolitischen Ausgleichs" die generelle Ausdehnung des Vermieterpfandrechts auf die Sachen Dritter einschließlich der Sachen eines Untermieters damit begründet, es gelte den Stand der Hausbesitzer im Interesse des Staates zu erhalten und zu vergrößern 311 . Dahinter stand bei ihm die Uberzeugung, es sei für den Staat zweifellos das Gesetz das beste, welches den Mittelstand erhalte und vergrößere, indem es seine wirtschaftliche Blüte begünstige und ermögliche 312 . Obgleich sicherlich eher liberale Vorstellungen von Glück und Wohlfahrt diese Ansicht nährten, ist doch darauf hinzuweisen, daß selbst hier ein Gemeinscbafts'mteresse ins Spiel kam. Es solle, so hieß es bei Scherer für den Staat, also für die nach damaliger Auffassung größte Gemeinschaft, der ein Mensch angehört, wenn man einmal von der religiösen Seite absieht, der Vorteil gesucht werden. Das war für Scherer der Zweck der Mittelstandsförderung. Bemerkenswerterweise hielt der von Scherer in den Blick genommene „Stand der Hausbesitzer" selbst diese Erweiterung des Vermieterpfandrechts nicht für richtig, da sie der Natur des gesetzlichen Pfandrechts widerspreche, wie Alfred Baron erklärt hat 313 .

309 310 311 312 313

So z.B. auch Scherer, Besprechung des Entwurfs (wie Fn. 110), S.48-51. Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S.727. Scherer, Besprechung des Entwurfs (wie Fn. 110), S. 51. Scherer, Besprechung des Entwurfs (wie Fn. 110), S. 7. Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S.314f.

278 (4) Ausdehnung

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

des Gegenstands im Sinne von §1 Abs. 3 KO

Die Konkursordnung hatte in § 1 Abs. 3 die Gegenstände im Sinne von § 715 Nr. 5 und 8 sowie von §20 Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reichs 314 zur Konkursmasse gezogen, obgleich sie grundsätzlich der Pfändung nicht unterworfen waren 315 . Betroffen waren landwirtschaftliches Gerät und Inventar, die Geräte und Waren von Apothekern sowie das Inventar der Posthaltereien. Bayern hatte durch Gesetz vom 18. Dezember 1887 diese Vorschrift auf das Vermieterpfandrecht übertragen 316 , so daß nach §715 C P O zwar unpfändbare Sachen grundsätzlich vom Vermieterpfandrecht ausgeschlossen waren. Dieser Grundsatz fand aber eine Ausnahme bezüglich der Gegenstände im Sinne von §715 Nr.5, 8 und §20 Postwesengesetz.Jacubezky meinte nun, die Gründe, die für § 1 Abs. 3 K O sprächen, würden auch für das Vermieterpfandrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch gelten, das insoweit auszudehnen sei 317 . Die Motive zur Konkursordnung von 1875 hatten zur Begründung dafür, warum die erwähnten Gegenstände zur Konkursmasse zu zählen seien und nicht die Ausnahme von der Einzelpfändung gelten könne, gemeint, die Ausnahme von der Einzelzwangsvollstreckung diene dem Interesse an der Fortsetzung des Betriebs, während im Konkurs die Geräte und das Inventar als erheblicher Vermögensbestandteil nicht ausgenommen werden könnten 318 . Warum allerdings der Fall des Vermieterpfandrechts dem Konkurs und nicht der Einzelzwangsvollstreckung gleichgestellt werden sollte, hat Jacubezky nicht erläutert und die Motive zur 314 §20 Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reiches: „Das Inventarium der Posthaltereien darf im Wege des Arrestes oder der Exekution nicht mit Beschlag belegt werden." [RGBl. 1871, S. 351]. 3 , 5 § 1 III KO: „Die im §. 715 Nr. 5, 8 der Civilprozeßordnung und im §. 20 des Gesetzes über das Postwesen des Deutschen Reichs vom 28. Oktober 1871 vorgesehenen Beschränkungen kommen im Konkursverfahren nicht zur Anwendung." [RGBl. 1877, S.351]. 3 1 6 Art. 1 des Gesetzes, die der Pfändung nicht unterworfenen Sachen und Forderungen betreffend [Bayrisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1887, S. 695f.], abgedruckt bei: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 528 Fn. 14. 317 Jacubezky, Bemerkungen (wie Fn. 281), S. 128f. Die bayerische Regierung machte sich diesen Standpunkt zu eigen, vgl. Zusammenstellung der Aeußerungen der Bundesregierungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichs-Justizamt, Bd. 1, Berlin 1891, S. 63. - Auf einen Nachweis der Anderungsvorschläge der verschiedenen Bundesregierungen wird im folgenden verzichtet, obgleich diese Wünsche in der Vorkommission des Reichsjustizamtes und in der zweiten Kommission durchaus Gewicht hatten. Die Zusammenstellung der entsprechenden Stellungnahmen enthält jedenfalls keine hier relevanten Argumentationsmuster. Im Hinblick auf die soziale Aufgabe des Privatrechts bieten die Äußerungen der Bundesregierungen daher nichts Eigenständiges. 3 1 8 Vgl. dazu die Motive zu dem Entwurf einer Konkursordnung und dem Entwurf des Einführungsgesetzes, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages. Drucksachen, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75. Vierter Band. Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages, zu Nr. 200, Berlin 1875, S. 1363-1618, hier S. 1370. Dort heißt es, bei der Einzelpfändung diene die Ausnahme der Rücksicht darauf, den Schuldner nicht an der Fortsetzung seines Betriebs zu hindern. Im Konkurs falle diese Begründung weg. Die Geräte und das Inventar sei ein erheblicher Bestandteil des Vermögens und müsse daher zur Konkursmasse geschlagen werden.

III. Das

Vermieterpfandrecht

279

Konkursordnung sprechen davon ebenfalls nicht. Relevant wäre die von Jacubezky vorgeschlagene Ausdehnung vor allem für die Apotheken und Posthaltereien gewesen, da die landwirtschaftlichen Grundstücke regelmäßig gepachtet, nicht gemietet wurden und hier § 543 E I bereits die Pfandhaftung des Inventars und der Früchte anordnete319. In der Literatur wurde dieser Vorschlag nicht weiter beachtet. (5) Ausschluß

unpfändbarer

Sachen

Der in §521 I 2 E I 320 bestimmte Ausschluß unpfändbarer Sachen stieß auf verbreitete Zustimmung. Als einer der ersten hatte sich Flesch mit der Beziehung von Wohnungsfrage und Vermieterpfandrecht vertieft auseinandergesetzt 321 . Gelegenheit dazu bot sich ihm in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts gleich mehrfach, da der Verein für Socialpolitik, der Verein für öffentliche Gesundheitspflege und schließlich auch der Verein für Armenpflege und Wohlthätigkeit die Wohnungsnot zu ihrem Thema gemacht hatten. Flesch beteiligte sich an sämtlichen dieser Veranstaltungen322. Es gehört zu seinen Verdiensten, daß er auf den Zusammenhang der Wohnungsfrage nicht nur mit der Zahl der Wohnungen, sondern auch mit ihrer Qualität sowie - und das war einigermaßen neu - ihrer Ausstattung aufmerksam gemacht hatte. Ins Konkrete gewendet hieß das: Wohnungsnot konnte zum Beispiel auch dadurch entstehen, daß einem Mieter die zum Leben notwendigen Gegenstände aufgrund der Pfändung des Vermieters durch den Gerichtsvollzieher genommen wurden. Die statistischen Daten, die Adolph Baumann 1887 publiziert hat, vermögen einen Eindruck von der Wohnungsausstattung zu vermitteln, wenn man die Zahl der pro Person vorhandenen Betten berücksichtigt. Baumann hatte 1887 als Vorsteher des IV. Armendistrikts in der Innenstadt von Frankfurt am Main insgesamt 105 Wohnungen von Fürsorgeempfängern untersucht. In diesen 105 Wohnungen befanden sich 157 Zimmer (davon 115 heizbare), die von insgesamt 377 Personen bewohnt wurden 323 . In mehr als, dieser Wohnungen lebten 5 oder

319 §543 E I: „Der Verpächter eines landwirtschaftlichen Grundstückes hat wegen seiner Forderungen aus dem Pachtvertrage ein gesetzliches Pfandrecht sowohl an den eingebrachten Sachen des Pächters als auch an den Früchten des Grundstückes. Auf dieses Pfandrecht finden die Vorschriften des §. 521 Abs. 1 bis 4 entsprechende Anwendung." 320 Vgl. oben S. 260. 321 Vgl. insbesondere oben S.252 bei Fn. 171. 322 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 121-172 sowie: [Referat] (wie Fn. 176); ders., [Diskussionsbeitrag:] Maßregeln zur Erreichung gesunden Wohnens, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege 21 (1889), S. 37-38; ders., Die Wohnungsverhältnisse in Frankfurt am Main, in: Die Wohnungsnoth der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe. Gutachten und Berichte, hrsg. von Verein für Socialpolitik, Leipzig 1886, S. 57-91. 323 Adolph Baumann, Der IV. Armendistrikt in Frankfurt am Main. Versuch einer social-statistischen Schilderung, Frankfurt am Main 1887, S. lOf.

280

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

mehr Personen (bis zu 13)324. Die 377 Bewohner teilten sich 206 Betten. Nur 92 davon wurden von einer einzigen Person genutzt. 100 weitere von zwei Personen und immerhin 14 Betten, die sich drei und mehr Personen teilen mußten; einmal waren es sogar sieben Personen325. Oder konkret ein paar keineswegs extreme Beispiele: ein Bett für den Vater und seinen siebenjährigen Sohn, eines für die Mutter und ihre neunjährige Tochter, oder: ein Bett für den Vater und zwei Kinder im Alter von elf und neun Jahren und eines für die Mutter und zwei Kinder im Alter von fünf und drei Jahren326. Wer in solchen Haushalten etwas pfänden wollte, mußte tatsächlich die nötigsten Dinge der Betroffenen nehmen, da sie anderes nicht hatten. Dreierlei schien Flesch erforderlich zu sein, um diese Form der Wohnungsnot zu bekämpfen: 1. Vermehrung der Zahl geeigneter (Klein-)Wohnungen durch Neubauten. 2. Regulierung des Angebots und 3. Stärkung der Nachfrage327. Obgleich alle drei volkswirtschaftlichen Forderungen mit der Wohnungsfrage und deshalb auch mit dem Vermieterpfandrecht zusammenhängen, ist hier nur der zweite Punkt zu vertiefen, der nämlich neben öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die aufgrund einer Initiative von Miquel und anderen in einem Wohnungsgesetz niedergelegt werden sollten328, auch Änderungen des Miet- und Zwangsvollstreckungsrechts betraf. Mit seinen Vorschlägen verfolgte Flesch das Ziel, daß auch die ärmere Bevölkerung dauerhaft im Stande bleibe, ihre Wohnungen zu benutzen, unabhängig von den möglichen Erwerbsausfällen der Arbeiter329. Jeder Erwerbsausfall, sei er nun durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Unfall verursacht, führe, so schrieb Flesch, zu sofortiger Zahlungsunfähigkeit. Wenn der Zahlungsunfähigkeit aber dann im Wege der Zwangsvollstrekkung die Veräußerung der ohnehin dürftigen Möblierung folge, so verliere der Betroffene die Möglichkeit, seine Wohnung als solche zu benutzen330. Es sei deshalb richtig, daß der Entwurf das Vermieterpfandrecht insoweit eingeschränkt habe, als die unentbehrlichen Sachen von der Pfändung ausgenommen worden seien. Aber, so meinte Flesch, dabei dürfe man nicht stehen bleiben. Denn das Ergebnis wäre nur eine Gleichstellung des Mieters mit anderen Baumann, Der IV. Armendistrikt (wie Fn.323), S . I I . Baumann, Der IV. Armendistrikt (wie Fn. 323), S. 12. 326 Baumann, Der IV. Armendistrikt (wie Fn. 323), S. 27 sub c) und d). Diese Angaben zitiert (mit kleiner Ungenauigkeit) auch Flesch, [Referat:] Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege (wie Fn. 176), in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der neunten Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 25. und 26. September 1888 in Karlsruhe [= Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit, 7], Leipzig 1889, S. 42^17, hier S.51. 324 325

Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91), S. 131. Miquel, Einleitung (wie Fn. 94), S. Xlff. sowie ders., Referat: Die Wohnungsverhältnisse der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten, in: Verhandlungen der am 24. und 25. September 1886 in Frankfurt a.M. abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik [Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 33], Leipzig 1887, S. 5-17, insbesondere S. 15ff.; Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91), S. 149-151. 329 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 131. 330 Zum Begriff der Wohnung vgl. die oben S.252 bei Fn. 171 zitierte Äußerung von Flesch. 327 328

III. Das

Vermieterpfandrecht

281

Schuldnern. Im öffentlichen Interesse liege eine Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der ärmeren Schichten. Und diese lasse sich nur erreichen, wenn die Betroffenen nicht die „Lust am Besitz derartiger Dinge" verlieren, die eine Wohnung wohnlich machen und über das lebensnotwendigste Maß hinausgehen. Deshalb sei nach amerikanischem Vorbild auch eine Reform des Zwangsvollstreckungsrechts erforderlich, da §715 CPO zu unspezifisch sei und den Gerichtsvollziehern, die einander an Strenge zu überbieten trachteten, zu großen Spielraum lasse331. Auf die weiteren Einzelheiten kommt es für unseren Zusammenhang nicht an. Festzuhalten ist, daß Flesch auch das Privatrecht für berufen hielt, zur Bekämpfung der Wohnungsnot einen Beitrag zu leisten. Motiviert war diese Zielsetzung jedoch nicht von einem Gemeinschaftsgedanken, sondern eher vom Schutz des Schwächeren und von der Vorstellung, auf diese Weise zu einem sozialpolitischen Ausgleich zu gelangen, wie es sich etwa auch bei Fuld beobachten ließ. Zur Kernthese von Flesch gehörte, daß das Privatrecht die Freiheit des unvermögenden Mieters beim Vertragsschluß gewährleisten müsse, um die Wohnungsnot zu bekämpfen332. So verband sich schließlich im Denken von Flesch das soziale Anliegen mit dem Gedanken der Freiheit. Schon früher hatte Flesch auch das öffentliche Interesse daran, den Schuldner nicht in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, analysiert. Ein exmittierter Mieter, dessen Mobilien gepfändet worden waren, wurde in aller Regel ein Fall der Armenverwaltung, die nicht selten beim Vermieter die Möbel auslöste, um zu verhindern, daß der Betroffene dauerhaft ihr Kostgänger werde. Flesch wies darauf hin, daß die Vermieter mit Rücksicht darauf, daß notfalls die Armenverwaltung einspringen werde, mit um so größerer Härte gegen die Mieter vorgehen würden 333 . In der zeitgenössischen Diskussion um das Vermieterpfandrecht war die Stellungnahme von Flesch insbesondere wegen ihrer volkswirtschaftlichen Überlegungen von größter Bedeutung. Kaum ein volkswirtschaftliches Argument, das auf dem 20. Juristentag bemüht wurde, ließe sich nicht bereits in den Schriften von Flesch nachweisen. Das gilt zum Beispiel für das mehrfach erwähnte Argument, die Verwertung unpfändbarer Sachen sei volkswirtschaftlich unsinnig, weil der Erlös außer Verhältnis zum Wert der Sache für ihren Besitzer stehe334. Nicht nur Gierke lobte den vom ersten Entwurf vorgeschlagenen Ausschluß 331 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 131-136. Einzelheiten zur geforderten Reform des Vollstreckungsrechts dortseihst, S. 155-162, wobei sich Flesch an den nordamerikanischen Vollstreckungsordnungen orientierte. Kurz zusammengefaßt äußerte Flesch seine Thesen und Forderungen auch bei der Tagung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Frankfurt am Main zum Thema „Maßregeln für gesundes Wohnen" (wie Fn. 322). 332 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 130; ders., Die Wohnungsverhältnisse (wie Fn. 322), S. 76. Die Studie für den Verein für Socialpolitik enthielt bereits die wesentlichen Grundgedanken von Flesch. Auf eine Nachweisung im einzelnen ist hier verzichtet worden, weil die Arbeit vor der Vollendung des E I publiziert worden ist. 333 Flesch, Die Wohnungsverhältnisse (wie Fn. 322), S. 79. 334 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 134, aufgegriffen von Dernburg (wie Fn.253). Auch sonst begegnet das Argument, zum Beispiel bei Baron, Die Miethe und Pacht (wie Fn. 239),

282

Kapitel J; Soziales Recht im

Schuldrecht

unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht als die Beseitigung eines „geradezu schreienden Mißstands" 335 , sondern auch Lewinsohn hob die zu erwartende segensreiche Wirkung dieser Regelung hervor, da die Pfändung unentbehrlicher Gegenstände den sozialen Frieden auf das Schwerste gefährde, weil die Betroffenen auf die Armenpflege angewiesen sein würden und sich aus diesem Elend kaum wieder befreien könnten. Auch sei es nicht zu verstehen, wenn eine Mutter, die die Betten und Kleider ihrer Kinder beiseite schaffe, nach §289 StGB bestraft werde336. Thomsen, der zwar generell gegen die Aufnahme des Vermieterpfandrechts in das Gesetzbuch war, hielt die Einschränkung des §521 I 2 E I für unbedingt nötig, wenn man denn das Pfandrecht aufrecht erhalten wolle. Sonst sei die Armenverwaltung gezwungen, die Mietschulden abzulösen, um dem Mieter die notwendigste Habe zu erhalten. Das private Interesse der Vermieter an maximaler Sicherheit müsse dem öffentlichen Interesse hintanstehen337. In diesem Punkte stimmte auch Bunsen zu. Er meinte - und machte damit eine der gar nicht so häufigen grundsätzlichen Bemerkungen zur sozialen Aufgabe des Privatrechts - , das Privatrecht werde verhältnismäßig wenig von sozialpolitischen Fragen berührt, da es „mehr egoistischer Natur" sei und die Fragen von Mein und Dein betreffe. Doch es sei sozialpolitisch nicht gleichgültig, ob die Strenge des Rechts zur wirtschaftlichen Vernichtung des Schuldners führe. Wo das Privatrecht mit den „socialistischen Tendenzen des öffentlichen RechS. 1-2. - Das Mißverhältnis von Versteigerungserlös und Gebrauchswert der Sache hatte auch Bismarck in der oben S.252 bei Fn. 168 zitierten Rede kritisiert. 335 Gierke, Entwurf, S. 242; ähnlich ders. in: Verhandlungen des Königlich-preußischen Landes-Oekonomie-Kollegiums, S. 581 f.; außer den im folgenden behandelten Autoren sprachen sich ferner für die Vorschrift des §521 I S. 2 E I aus: Fritz Kalle, [Referat:] Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege, in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der neunten Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 25. und 26. September 1888 in Karlsruhe [= Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit, 7], Leipzig 1889, S. 42-47, hier S. 44f.; Emil Münsterberg, Kritik über „Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit. Berichte und Verhandlungen der 9. Jahresversammlung. (Spec.: Wohnungsfrage und Beschränkung der Zwangsvollstreckung), in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 32 ( N F 13) (1890), S.613-618, hier S.615; Max Mittelstein, Das gesetzliche Pfandrecht und das Pfändungspfandrecht nach dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Archiv für bürgerliches Recht 5 (1891), S. 275-290, hier S.279; Diekamp, Referat über das II. Buch des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, das Recht der Schuldverhältnisse betreffend, in: Westfälischer Bauernverein, Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Münster 1890, S. 19; Klöppel, Der Entwurf (wie Fn. 258), S. 839; Ludwig Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, in: Nord und Süd. Eine deutsche Monatszeitschrift 14 (= Bd. 53) (1890), S. 214-233, hier S. 223; Joseph Bachmair, Bericht an das Generalcomite des landwirtschaftlichen Vereines in Bayern über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich vom 29. September 1889, München 1889, S. 29; Scherer, Besprechung des Entwurfs (wie Fn. 110), S. 49. 336 337

Lewinsohn, Gutachten (wie Fn. 260), S.254f. Thomsen, Gutachten (wie Fn.227), S. 198-200.

III. Das

Vermieterpfandrecht

283

tes" in Konflikt gerate, müsse es weichen, da die allgemeinen Interessen der Gesellschaft stets dem Recht des Einzelnen vorgingen. Aus diesem Grund dürfe der Vermieter keinen Zugriff auf die unpfändbaren Sachen des Mieters haben. Es sei sogar noch weiter zu fordern, daß generell vertraglich keine Pfand-, Zurückbehaltungs- oder Vorzugsrechte vereinbart werden könnten 338 . Bunsen verstand also die soziale Aufgabe des Privatrechts so, daß es öffentlichen, man könnte besser sagen: gemeinschaftlichen Interessen dadurch zur Durchsetzung verhelfen solle, daß es die Durchsetzung privater Einzelinteressen beschränkt oder unmöglich macht. Die inhaltliche Nähe zur Konzeption Gierkes liegt auf der Hand. Sogar Strauß stimmte aufgrund sozialpolitischer Überlegungen der Begrenzung des Pfandrechts auf die pfändbaren Sachen zu, obgleich der Centraiverband der Haus- und städtischen Grundbesitzervereine, dessen Vorsitzender er war, einen gegenteiligen Beschluß gefaßt hatte 339 . Für den Fall aber, daß das Pfandrecht abgeschafft werde, schlug Strauß vor, die Vorauszahlung der Miete gesetzlich vorzuschreiben. Außerdem solle die Lohnpfändung erlaubt werden, soweit der Gläubiger notwendige Lebensbedürfnisse des Schuldners befriedigt hatte 340 . Auf einen sozialpolitischen Interessenausgleich zielte der Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht in den Augen von Fritz Overbeck, der 1893 seine Dissertation dieser Frage widmete 341 . Er meinte, die Interessen der Allgemeinheit würden in diesem Fall diejenigen der einzelnen Vermieter überwiegen, denn eine vergleichsweise kleine Zahl besitzender Leute stehe einer großen Masse „der ärmeren und zumeist ganz armen, in heißem Kampfe um die nothdürftigsten Existenzmittel ringenden Staatsbürger gegenüber". In dieser von Haß erfüllten Atmosphäre sei die Aufrechterhaltung der Pfändbarkeit auch der unentbehrlichen Habe geeignet, „die soziale Gährung dem plötzlichen unheilvollen Ausbruch entgegenzutreiben". Der soziale Friede verlange daher den Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht 342 . Ähnlich wie vor allem bei Fuld ging es Overbeck also um eine Indienstnahme des Privatrechts für die Erhaltung des sozialen Friedens und um den Abbau gesellschaftlicher Spannungen, die sich sonst notwendig in revolutionärer Weise entladen würden, oder mit anderen Worten um das, was in Kapitel 3 unter dem Topos des sozialpolitischen Ausgleichs zusammengefaßt wurde. Stolterfoth sah im Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht den wichtigsten sozialen Fortschritt des Entwurfs. Dabei verstand er sozial im 338 Bunsen, Referat (wie Fn.265), S. 161 £., wörtliche Zitate S. 161. Zustimmend Koffka, Referat (wie Fn.265), S.167. 339 Strauß, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.271], S. 181 f. 340 Strauß, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.271], S.183. 341 Fritz Overbeck, Erstreckt sich das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers nach gemeinem Recht auch auf die eingebrachten Sachen des Miethers, welche nach §715 C.P.O. der Zwangsvollstreckung nicht unterworfen sind? [Diss. iur. Greifswald], Plettenberg 1895. 342 Overbeck, Das gesetzliche Pfandrecht (wie Fn.341), S. 17.

284

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

Sinne des Schutzes der wirtschaftlich Schwächeren, der hier durch die S c h o nung der wirtschaftlichen E x i s t e n z der „kleinen L e u t e " wirkungsvoll ausgedehnt werde 3 4 3 . D i e A n w e n d u n g der E x e k u t i o n s b e s c h r ä n k u n g e n der Z i v i l p r o z e ß o r d n u n g auf das Vermieterpfandrecht hielt Baron für eine geradezu selbstverständliche A u s w i r k u n g des Gedankens, daß die A u s b e u t u n g des Schwachen gegen die guten Sitten verstoße 3 4 4 . D a n e b e n machte er wie Flesch auf den volkswirtschaftlichen Schaden aufmerksam, der aus der Zwangsversteigerung des M o b i l i a r s des exmittierten Mieters entstehe. D i e Sachen w ü r d e n bekanntlich zu einem sehr geringen Preis verkauft, der zum Anschaffungspreis außer Verhältnis stehe. H i n z u k o m m e , daß der M i e t e r einen immateriellen Schaden davontrage, weil sein Sinn für Häuslichkeit leide. D e r M i e t e r werde ärmer gemacht, als er eigentlich sei, weil ihm Werte entzogen würden, die sich nicht anschließend wieder bei einer anderen Person realisierten. D e m E n t w u r f sei daher beizupflichten 3 4 5 . In A n l e h n u n g an die A r g u m e n t a t i o n v o n Flesch erwogjacubezky, nach n o r d amerikanischem Vorbild die Pfändungsbeschränkungen zu erweitern. E i n hinsichtlich des Sicherungszwecks beschränktes Vermieterpfandrecht, so erklärte er, sei sozial nicht schädlich, da es für den Schuldner nicht darauf a n k o m m e , aufgrund welchen Titels das Pfandrecht ausgeübt werde. N u r weitere Pfändungsbeschränkungen k ö n n t e n den wirtschaftlich Schwächeren helfen 3 4 6 . Vorsichtig zurückhaltend ließ Jacubezky allerdings unklar, o b er selbst diese P f a n d r e c h t s beschränkungen wünsche.

(6) Gegen einen Ausschluß unpfändbarer

Sachen

I n U b e r e i n s t i m m u n g mit dem bis 1894 n o c h gültigen preußischen R e c h t entschied sich Boyens gegen den A u s s c h l u ß der unentbehrlichen Gegenstände v o m Vermieterpfandrecht 3 4 7 . Seine Stellungnahme ist hier sozusagen als G e g e n p o l zur Wertung der 1. K o m m i s s i o n zu erwähnen. E r wollte auch die nach § 7 1 5 C P O unpfändbaren Sachen dem Pfandrecht unterwerfen, aber die Verwertung an eine dreimonatige Frist binden, während derer der Schuldner die Sachen auslösen k ö n n e n sollte 3 4 8 . Z u r Begründung für den E i n s c h l u ß auch der unpfändbaren Gegenstände führte er im wesentlichen zwei A r g u m e n t e an: Erstens werde es sonst für diejenigen, die nichts außer dem N o t w e n d i g s t e n besäßen, schwer, 343 Paul Stolterfoth, Beiträge zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Leipzig 1890, S.50. 344 Baron, Das römische Vermögensrecht (wie Fn.llO),S.247. 345 Baron, Die Miethe und Pacht (wie Fn.239), S.2. 346 Jacubezky, Bemerkungen (wie Fn.281), S. 132. 347 Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S.729. - Das „Gesetz, betreffend die Rechte des Vermiethers an den in die Miethräume eingebrachten Sachen" vom 12. Juni 1894 [Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1894, S. 113] bestimmte mit Wirkung seit dem 27. Juni 1894, daß sich das Vermieterpfandrecht nicht auf die der Pfändung nicht unterworfenen Sachen erstrecke. Abweichende vertragliche Vereinbarungen wurden nicht zugelassen. 348 Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S.731.

III. Das

Vermieterpfandrecht

285

eine Wohnung zu finden 349 . Das war im Grunde das schon bekannte Argument, der Kredit der betroffenen Personen werde sonst zu stark geschmälert 350 . Zweitens, so meinte Boyens, entfalte die drohende Pfändung auch der unentbehrlichen Habe eine heilsame abschreckende Wirkung 3 5 1 . Gegen beide Argumente wandte sich Lewinsohn: Die Erfahrung lehre nicht, daß die Vermietung von der Existenz pfändbarer Mobilien abhängig gemacht werde. Die Abschreckung müsse sich aber zulässiger Methoden bedienen, wovon hier nicht die Rede sein könne. Wer den Mietzins nicht bezahlen könne, der werde auch mit Daumenschrauben nicht dazu in die Lage versetzt. Selbst wenn es Leute gebe, die vorsätzlich die Miete nicht bezahlten, so treffe das doch nicht auf die Mehrzahl zu. Man dürfe aber nicht diejenigen leiden lassen, die nicht zahlen können, um auch die zu treffen, die nicht zahlen wollen. Da helfe nicht der von Boyens vorgeschlagene Aufschub der Verwertung um drei Monate, weil es einem exmittierten Mieter wohl kaum gelingen dürfte, ohne die notwendigste Habe seine Familie über Wasser zu halten und gleichzeitig die Ablösung seiner Schulden zu bewirken 3 5 2 . Lewinsohn ging noch darüber hinaus und verlangte ein Reichsgesetz, das schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzbuchs die unpfändbaren Sachen vom Vermieterpfandrecht ausdrücklich ausnehme 353 . Tatsächlich führte immerhin zum Beispiel Preußen ein entsprechendes Gesetz ein, das fast wortgleich dem Vorschlag Lewinsohns entsprach 354 . Auch andere widersprachen Boyens. So meinte Bähr, die Armenverwaltung werde im Falle der Pfändung unentbehrlicher Dinge gedrängt, diese auszulösen, wenn sie den Mieter nicht ins Armenhaus aufnehmen könne oder wolle 355 . Das würde aber - so muß man den offenbar von Flesch^56 entlehnten Gedanken fortsetzen - zu einer Zementierung der Probleme führen, weil die Vermieter mit um so größerer Härte gegen die Mieter vorgehen würden. Der Centraiverband der Haus- und städtischen Grundbesitzervereine lehnte, wie erwähnt abweichend von der Auffassung seines Vorsitzenden Strauß, erwartungsgemäß die Beschränkung des Pfandrechts auf die der Pfändung nach §715 C P O nicht unterworfenen Sachen ab. Alfred Baron hatte den Beschluß des Zentralverbands, gegen den Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht zu stimmen, gerade mit einem öffentlichen, das heißt sozialen In349 Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S. 729f. Overbeck, Das gesetzliche Pfandrecht (wie Fn. 341), S. 15, bezweifelte allerdings nicht die Schlüssigkeit des Arguments und ist deshalb hier anzuführen, bewertete nur im Ergebnis die entgegenstehenden Interessen als wichtiger. 350 Vgl. oben S. 257. 351 Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn.291), S.730f. 352 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.256f. 353 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.257f. 354 § 1 Gesetz, betreffend die Rechte des Vermiethers an den in die Miethräume eingebrachten Sachen vom 12. Juni 1894, in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1894, S. 113; vgl. den Vorschlag von Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.260. 355 Otto Bähr, [Literaturbericht:] Weitere Schriften über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: KritVJS 32 (1890), S. 188-207, hier S.204. 356 Vgl. oben Fn. 333.

286

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

teresse begründet. Die Zahl der Kleinwohnungen, so führte er aus, sei zu gering, wie allgemein beklagt werde. Wenn nun die schmale Sicherheit der ärmeren Bevölkerung, die regelmäßig gar keine nach Prozeßrecht pfändbaren Gegenstände besitze, dadurch geschmälert werde, daß diese Sachen dem Vermieterpfandrecht entzogen würden, so müsse der Staat selbst Armenhäuser bauen usw. Das Pfandrecht an den unpfändbaren Sachen habe auch mehr präventiven Charakter357. Es war also letztlich wie auch bei Boyens das in der Diskussion so häufig verwendete „Kreditargument", das für die Haltung des Zentralverbands ausschlaggebend war. c)

Sicherungszweck

Neben der Bestimmung des Gegenstands des Pfandrechts betraf die Diskussion über die Ausgestaltung des Vermieterpfandrechts vor allem den Sicherungszweck, also die Frage, welche Forderungen des Vermieters durch das Pfandrecht abgesichert werden sollten. Sollten es wie in § 521 I E I 358 schlicht alle Forderungen aus dem Mietvertrag sein oder nur einige? Insbesondere war zu klären, ob künftige, noch nicht fällige Forderungen geschützt werden sollten. Von verschiedenen Seiten wurde vor allem eine Einschränkung der Pfandhaftung für künftige Mietzinsforderungen vorgeschlagen. Dabei herrschten allerdings im einzelnen sehr unterschiedliche Vorstellungen über den Umfang der zu sichernden Forderungen. Lewinsohn, der ganz strikt unter Berufung auf das Kreditargument im Interesse der Mieter die Aufrechterhaltung des Vermieterpfandrechts gefordert hatte359, sprach sich in seinem Gutachten für den Juristentag ebenso eindeutig für eine Einschränkung des Sicherungszwecks aus. Es sei, so meinte er, nachteilig für den Mieter und für dritte Gläubiger, wenn einfach alle Forderungen des Vermieters gesichert würden360. Auch nach Lewinsohns Meinung sollte aber der Mieter als der Schwächere geschützt werden361. Lewinsohn schlug eine Einschränkung des Vermieterpfandrechts hinsichtlich des künftigen Mietzinses nach dem Vorbild von Art. 294 Schweizerisches Obligationenrecht vor. Danach war die Haftung auf den Mietzins für maximal eineinviertel Jahre beschränkt. Mindestens, so sagte Lewinsohn, bleibe die Sicherheit für zwei Quartale zu fordern, wenn der Mieter nach §528 zweimal den Mietzins schuldig geblieben sei362. Wenn der Vermieter aber von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch mache und das Auflaufen größerer Rückstände abwarte, so sei er nicht schutzwürdig, da der Rechtssatz volenti non fit iniuria gelte. Zwar solle der Mieter selbst für alle rückständigen Forderungen in vollem Umfang haften. Um aber 357 358 359 360 361 362

Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S.316f. Vgl. oben S. 260. Vgl. oben S. 268. Lewinsohn, Gutachten (wie Fn. 260), S. 242. Vgl. oben S. 242 Fn. 260. Lewinsohn, Gutachten (wie Fn. 260), S. 243.

III. Das

Vermieterpfandrecht

287

nicht die Interessen Dritter zu sehr zu beeinträchtigen, solle ihnen gegenüber nur der Mietzins für das zuletzt vergangene halbe Jahr gesichert werden 363 . Diese Einschränkung solle für Dritte praktisch bewirken, daß sie sich aus dem Teil befriedigen könnten, der den Mietzins für vier oder fünf Quartale übersteige 364 . Scherer forderte, das Pfandrecht solle nur die Forderungen des laufenden und des folgenden Kalenderjahrs umfassen, um so „schreienden Übelständen" abzuhelfen 365 . Er verfolgte also ein sozialpolitisches Ziel. In Ergänzung zu § 521 V E I 366 wollte Mittelstein das Pfandrecht des Vermieters gegenüber dritten Gläubigern im Hinblick auf die künftigen Mietzinsforderungen für ein Jahr beschränken. Zur Begründung führte Mittelstein ein ökonomisches Argument an, das auch für den Ausschluß der unentbehrlichen Sachen vom Vermieterpfandrecht benutzt wurde 3 6 7 : Wenn die Haftung für künftige Forderungen nicht beschränkt werde, so werde, wie Mittelstein meinte, der Vermieter im Augenblick der Pfändung durch den Drittgläubiger sein Recht auf vorzugsweise Befriedigung (§ 710 C P O beziehungsweise §805 ZPO) geltend machen mit dem Erfolg, daß das gesamte Vermögen des Mieters gepfändet werde und der Vermieter mehr an Sicherheit verliere als er durch die Veräußerung der Sachen gewinne, weil er den Mieter in den Ruin treibe und der Erlös meistens außer Verhältnis zum wahren Wert der Sachen stehe 368 . Diese Einschränkung sollte aber nach Mittelsteins Auffassung nicht im Verhältnis von Mieter und Vermieter gelten. Hier genüge zum Schutz des Mieters, daß er die Sachen gegen Sicherheitsleistung auszulösen berechtigt sei und sie auch im Rahmen gewöhnlicher Lebensverhältnisse entfernen dürfe 369 . Diese letzte Überlegung zeigt deutlich, daß es Mittelstein bei den ökonomischen Argumenten um den Schutz des Schwächeren ging. Der Mieter sollte vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahrt bleiben. Im Unterschied zu den dargestellten Äußerungen ist diejenige von Jacubezky ein Beispiel für eine Argumentation mit wirtschaftlichen Gründen ohne sozialpolitische Absichten. Auch das gab es also in der Diskussion um das Vermieterpfandrecht, die vorwiegend unter sozialen Aspekten geführt wurde. Ausgehend von dem Prinzip, daß das Gesetz die Interessen von Vermietern und Mietern gleichmäßig zu berücksichtigen habe, trat Jacubezky für eine Beschränkung des Sicherungszwecks ein. Es sollten danach nur die fälligen Forderungen und der künftige Mietzins für das laufende und folgende Jahr gesichert werden. Dem lag die ökonomische Uberzeugung zugrunde, daß die Mieten regelmäßig aus den Einkommen bezahlt werden sollten. Nur Ausfälle solle, so meinte Jacubezky, das Vermieterpfandrecht sichern, weshalb man infolge der ungleichmä363

Lewinsohn, Gutachten ( w i e Fn.260), S.244. Lewinsohn, Gutachten (wie Fn. 260), S. 244; weitgehend übereinstimmend Koffka, (wie Fn.265), S.168. 365 Scherer, [Diskussionsbeitrag, w i e Fn.274], S. 192. 3 6 6 Vgl. oben S. 260. 367 Vgl. oben S. 284 Fn. 345. 368 Mittelstein, Gesetzliches Pfandrecht ( w i e Fn.335), S.280. 369 Mittelstein, Gesetzliches Pfandrecht ( w i e Fn.335), S.280f. 364

Referat

288

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

ßigen Gefahr von Ausfällen das Pfandrecht nicht zu weit ausdehnen dürfe. Volkswirtschaftlich sei es vernünftiger, ein Mietverhältnis aufzulösen, wenn der Zins nicht mehr bezahlt werden könne, als lange Zeit zu kreditieren mit Rücksicht auf das Pfandrecht370. Bei den künftigen Forderungen sollte man außerdem nach dem Vorschlag Lewinsohns unterscheiden zwischen dem Mietzins und Schadensersatzforderungen. Künftige Schadensersatzforderungen, die also nur möglicherweise entstünden, wollte Lewinsohn aus dem Sicherungszweck des Vermieterpfandrechts vollständig ausschließen, weil die unbestimmte Höhe die Entfernung aller eingebrachten Sachen sonst hindere und auch eine Befreiung durch Sicherheitsleistung unmöglich gemacht werde371. Weitergehend als die übrigen Kritiker wollte der Rittergutsbesitzer und Rechtsanwalt Hugo Gottfried Opitz in seinem Gutachten über den Entwurf für den Landeskulturrat des Königreichs Sachsen zum Schutz der Mieter überhaupt keine künftigen Forderungen in die pfandrechtliche Sicherung aufnehmen, hauptsächlich weil er darin eine Einladung an den Vermieter oder Verpächter erblickte, den Mieter oder Pächter von Vermögenstransaktionen in schikanöser Weise abzuhalten372. d) Einschränkung

des

Widerspruchsrechts

Neben der prinzipiellen Frage der Beibehaltung oder Abschaffung des Vermieterpfandrechts fand nur die im ersten Entwurf vorgesehene Einschränkung auf die nach der Zivilprozeßordnung pfändbaren Gegenstände die Aufmerksamkeit der Kritik. Der Entwurf enthielt jedoch außer dieser Einschränkung noch weitere Neuerungen gegenüber dem bislang geltenden Recht, so zum Beispiel eine Begrenzung des Widerspruchsrechts des Vermieters. §521 II E I 373 ließ das Vermieterpfandrecht auch gegen den Willen des Vermieters enden, wenn die Entfernung der Sachen vom Grundstück dem regelmäßigen Geschäftsbetrieb oder den gewöhnlichen Lebensverhältnissen entsprach. Diese Einschränkung des Widerspruchsrechts des Vermieters wurde ausdrücklich von Levy gebilligt, der ansonsten sich eher für eine vermietergünstige Lösung eingesetzt hatte. Die Vorschrift, so meinte er, entspreche weitgehend der üblichen Praxis und sei „ganz verständig"374. Die Verfügungsmöglichkeiten des Mieters wurden dadurch sowie durch die Möglichkeit der Sicherheitsleistung gemäß §521 IV E I 375 erheblich verbessert. Jacubezky, Bemerkungen (wie Fn.281), S. 131. Lewinsohn, Gutachten (wie Fn. 260), S. 245; ebenso Koffka, Referat (wie Fn. 265), S. 168. 372 Hugo Gottfried Opitz, Gutachten über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erstattet für den Landeskulturrath des Königreichs Sachsen, Leipzig 1889, S.61. 3 7 3 Vgl. oben S. 260. 374 Levy, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.284], S. 196. 3 7 5 Vgl. oben S. 260. 370 371

III. Das

Vermieterpfandrecht

289

Über die vom ersten Entwurf vorgesehene Einschränkung des Widerspruchsrechts des Vermieters gegen die Entfernung von Sachen hinaus trat vor allem Lewinsohn dafür ein, die Wegschaffung von Gegenständen auch gegen den Willen des Vermieters zu erlauben, wenn der Mieter zur Sicherung entbehrliche Gegenstände vom Grundstück entfernen will. Die gemeinrechtliche Gerichtspraxis hatte in diesen Fällen aus Billigkeitsgründen dem Mieter einstweiligen Rechtsschutz gewährt 376 . Es müsse, so meinte Lewinsohn, nur soviel zurückbleiben, daß außer den fälligen Forderungen der Mietzins für das laufende Viertel- und das folgende ganze Jahr gedeckt bleibe 377 . Der 20. Deutsche Juristentag stimmte dem zu 378 . Dasselbe regte auch Gierke im Königlich preußischen Landes-Oekonomie-Collegium an, dort freilich ohne Erfolg 379 .

e) Selbständiges Pfandrechts?

Zurückbehaltungsrecht

neben oder anstelle des

In einigen Gebieten des Reiches spielte, wie erwähnt 380 , vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein selbständiges Zurückbehaltungsrecht des Vermieters neben oder anstelle des Pfandrechts eine praktisch wichtige Rolle, weil es dem Vermieter auch dann ein Sicherungsmittel gewährte, wenn das Vermieterpfandrecht vom Gesetzgeber abgeschafft worden war. Und sogar nach Inkrafttreten des Gesetzes hatte diese für die Mieter äußerst nachteilige Regel noch nicht ihr Ende gefunden, wie ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1902 beweist, bei dem es unter anderem um die Vereinbarkeit eines vertraglichen Zurückbehaltungsrechts mit dem neuen Recht ging 381 . Bemerkenswert ist, daß die praktisch nicht unwichtige Frage des Zurückbehaltungsrechts in der Diskussion zum Entwurf nicht zur Sprache kam, obgleich die erste Kommission anfänglich über die Abschaffung des selbständigen Zurückbehaltungsrechts nicht einer Meinung war 382 . Erklärlich ist das vielleicht noch am ehesten damit, daß die Kritiker sich doch in starkem Umfang von der positiven Regelung des Entwurfs beeindrucken ließen, die ein solches Zurückbehaltungsrecht eben nicht vorsah.

376 Vgl Heinrich Dernburg, Pandekten, Bd. 1, Allgemeiner Teil und dingliche Rechte, 2. Aufl. Berlin 1888, § 268 b), S. 652; Lewinsohn, Gutachten (wie Fn. 260), S. 212. - Anders als nach § 560 S.3 BGB war der Mieter aber nicht berechtigt, ohne richterliche Erlaubnis eigenmächtig die Sachen zu entfernen, wenn der Rest zur Sicherung ausreichte, vgl. Reichsgericht, Urt. vom 6. November 1880 [3. Strafsenat, Rep.2062/80], in: RGSt 3 (1881), S.24-26. 377 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S.244, 246; zustimmend Koffka, Referat (wie Fn. 265), S. 169. 378 Vgl. oben S.269 bei Fn.264. 379 Gierke, in: Verhandlungen (wie Fn.335), S.581 f. 380 Vgl. oben S. 254. 381 Reichsgericht, Urt. vom 6./20. Februar 1902, in: RGSt 35 (1902), S. 150-157; Einzelheiten dazu bei Repgen, Das Vermieterpfandrecht im Kaiserreich (wie Fn. 173), S. 231 f. und S. 272-274. 382 Vgl. oben S.259 bei Fn.214.

290

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

f ) Die Forderungen der Kritik im Überblick Die Forderungen der Kritik an den Gesetzgeber bezüglich des Vermieterpfandrechts waren keineswegs einheitlich. Eine ganze Reihe zum Teil namhafter Juristen aus allen Berufsständen - die Professoren Dernburg und Gierke, die Richter Thomsen und Makower, die Rechtsanwälte Fuld und Klöppel setzte sich für die vollständige Abschaffung des Vermieterpfandrechts ein. Allerdings blieben diese auf dem 20. Deutschen Juristentag in Straßburg in der Minderheit, während sich die Mehrheit für die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts aussprach, allerdings einige Modifikationen gegenüber dem Entwurf empfahl, die auch anderweitige Unterstützung erhielten und keineswegs ausschließlich günstig für die Mieter waren: Das Vermieterpfandrecht sollte nicht nur die dem Mieter gehörigen Sachen erfassen, sondern auch diejenigen der mit dem Mieter in Hausgemeinschaft lebenden Familienangehörigen. Manche gingen sogar darüber hinaus und schlugen vor, alle eingebrachten Sachen haften zu lassen, also auch zum Beispiel „Leihmöbel". Außerdem wurde vorgeschlagen, den Kreis der unpfändbaren Gegenstände nach § 1 Abs. 3 K O zu bestimmen, so daß die unentbehrlichen Betriebsmittel von Landwirten, Apothekern und Posthaltern dem Pfandrecht unterliegen sollten. Auf fast einhellige Zustimmung stieß der schon im Entwurf vorgesehene Ausschluß der der Pfändung nicht unterworfenen Sachen vom Vermieterpfandrecht. Im Unterschied zum Entwurf sollte nach den Vorstellungen des Juristentages und verschiedener anderer der Sicherungszweck des Vermieterpfandrechts eingeschränkt werden, soweit er künftige Forderungen betraf. Künftige Mietzinsansprüche sollten nur für das laufende und folgende Kalenderjahr - teilweise wurden auch kürzere Fristen favorisiert - , künftige Schadensersatzansprüche gar nicht gesichert sein. Schließlich sollte in Abweichung vom Entwurf das Pfandrecht an einer Sache schon dann durch Entfernung vom Grundstück erlöschen, wenn die übrigen zurückbleibenden Gegenstände zur Sicherung der Forderungen des Vermieters ausreichen. Der Vermieter sollte in diesem Falle der Entfernung nicht widersprechen dürfen.

g) Soziale Topoi in der Kritik am Vermieterpfandrecht Entwurfs

des ersten

Beim Vermieterpfandrecht hatten zwei Fragen die Kritik beschäftigt: Soll das Vermieterpfandrecht überhaupt noch zugelassen werden? Und wenn dies bejaht wird, wie soll es ausgestaltet sein, insbesondere welche Gegenstände sollen erfaßt und welche Forderungen geschützt werden? Nach der Zusammenfassung der normativen Inhalte der Antworten im vorigen Abschnitt, sind nun die wichtigsten Argumente in einen Überblick zu bringen.

III. Das

Vermieterpfandrecht

291

„Fort mit dem Pfandrecht des Verpächters und Vermieters", so titelte die Berliner Gerichtszeitung v o m 7. August 1890 und traf damit eine verbreitete F o r d e r u n g , die allerdings, wie dargestellt, auf dem Juristentag in der Minderheit geblieben ist. D a s H a u p t a r g u m e n t für die F o r d e r u n g einer A b schaffung des Vermieterpfandrechts war sozialer Natur. D i e Vermieter müßten, so war zu hören, ihre einseitigen Vorrechte aufgeben, die nur eine Abhängigkeit der M i e t e r verursachen würden, aber keine Rechtfertigung in der Sache besäßen. D e r Schutz der M i e t e r als der wirtschaftlich Schwächeren fordere ihre E m a n z i p a t i o n . D e r Schutz der Schwächeren sollte durch die Schaffung einer gleichberechtigten Ausgangslage verwirklicht werden. N u r dann würde die Vertragsfreiheit einen sinnvollen Inhalt haben. N e b e n dem T o p o s v o m Schutz des Schwächeren stand also auch n o c h der sozial begründete Freiheitstopos, der sich besonders deutlich im negativen K o n t r a s t spiegelte, w e n n etwa Gierke und Klöppel v o n einer „ M i e t s t y r a n n e i " 3 8 3 oder einer A r t m o d e r n e r „ G r u n d h ö r i g k e i t " sprachen, u m das Verhältnis zwischen M i e t e r und Vermieter zu charakterisieren. Insbesondere aufgrund des Gutachtens v o n Lewinsohn setzte sich die M e h r heit des 20. D e u t s c h e n Juristentages für die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts ein, sofern dieses auf verschiedene Weise zugunsten der M i e t e r abgeschwächt werde. D a h i n t e r stand vor allem die Auffassung, die Beibehaltung sei aus volkswirtschaftlichen G r ü n d e n erforderlich, weil sonst kein hinreichend großes A n g e b o t an M i e t w o h n u n g e n zu einigermaßen bezahlbaren Preisen gewährleistet sei, da der „ M i e t h k r e d i t " gefährdet werde. D i e s e E r w ä g u n g erfreute sich großer Beliebtheit, angefangen bei der Begründung des Teilentwurfs durch

Struckmann. I m übrigen sei es Aufgabe des Gesetzes, so hieß es bei den Verteidigern des Vermieterpfandrechts, den G r u n d b e s i t z zu schützen und für Stabilität zu sorgen. Scherer erhob die Mittelstandsförderung z u m Ziel. W ä h r e n d die volkswirtschaftliche Ü b e r l e g u n g z u m W o h n u n g s m a r k t den Schutz der M i e t e r als der p o tentiell sozial Schwächeren im Auge hatte - er sollte v o r den F o l g e n eines zu knappen A n g e b o t s mit folglich relativ höheren Preisen geschützt werden ist das Stabilitätsziel eher dem T o p o s des sozialpolitischen Ausgleichs z u z u o r d nen. A n der Streitfrage der Abschaffung oder Beibehaltung des Vermieterpfandrechts zeigt sich einmal mehr, wie schillernd - um nicht zu sagen: beliebig - die k o n k r e t e n Ergebnisse „sozialer" A r g u m e n t a t i o n im Privatrecht sein k ö n n e n und tatsächlich damals auch waren. D e n n Fuld vertrat unter dem B l i c k w i n k e l des sozialpolitischen Ausgleichs die Position, die Abschaffung des Pfandrechts trage z u m E r h a l t des sozialen Friedens bei, weil sie geeignet sei, die W o h n u n g s not zu lindern, indem sie die Abhängigkeit des Mieters v o m Vermieter verringere. D e m g e g e n ü b e r vertraten z u m Beispiel Bimsen, Koffka, Strauß, Levy und 383 Der Ausdruck „Mietstyrannei" wurde wohl zunächst von Engel, Die moderne Wohnungsnoth (wie Fn. 90), S. 95, verwendet.

292

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

Scherer die Auffassung, die Stabilität der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordere die Beibehaltung des Pfandrechts, um nicht die wirtschaftliche Stellung der Hausbesitzer und den Immobiliarkredit zu gefährden. Das Sicherungsinteresse der Hauswirte diente manchen auch als Argument für die Ausdehnung des Vermieterpfandrechts auf die Sachen der in Hausgemeinschaft mit dem Mieter lebenden Ehefrau und Kinder sowie auf die Sachen Dritter wie zum Beispiel der „Verleiher" von Möbeln oder auch der Untermieter. Daneben fand sich für die Erfassung der Sachen der Familienangehörigen sogar noch ein soziales Argument, das dem klassischen Topos des Schutzes der Schwächeren zuzuordnen ist. Lewinsohn wies nämlich darauf hin, die Vermieter würden dazu übergehen, regelmäßig darauf zu bestehen, daß die Ehefrau in den Mietvertrag eintritt, wenn nicht deren Eigentum dem Vermieterpfandrecht unterworfen würde. Sie würde dann nicht nur subsidiär und im Notfall haften, sondern ihr Vermögen sei in diesem Fall von Anfang an voll haftbar für alle Schulden aus dem Mietvertrag. Ihre Position werde also durch die Ausdehnung des Pfandrechts in Wahrheit nicht verschlechtert, sondern vor Schaden bewahrt. Das gesamte Instrumentarium sozialer Argumente fand Verwendung zur Begründung dafür, daß das Pfandrecht nicht an Sachen bestehen solle, die nach §715 C P O der Pfändung nicht unterworfen waren. Eine entsprechende Regelung hatte schon der erste Entwurf vorgeschlagen. Das Gemeinschaftsinteresse daran, den Mieter nicht in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, um die Armenpflege nicht unnötig zu belasten, hatte schon in der ersten Kommission eine Rolle gespielt. Insbesondere Flesch hatte in verschiedenen Stellungnahmen auf die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge von Wohnungsnot und Vermieterpfandrecht aufmerksam gemacht. Wenn der soziale Friede erhalten bleiben solle, so waren nach seiner Meinung Verbesserungen zugunsten der Arbeiter nötig, die die Hauptbetroffenen der Wohnungsnot der ärmeren Bevölkerungsschichten seien. Auch bei Erwerbsausfällen sollte nicht sofort der Ruin drohen, sondern der Mieter sollte seine soziale Freiheit behalten und nicht in Abhängigkeit vom Vermieter geraten. Pfändung unpfändbarer Sachen aber war nach verbreiteter Auffassung eine Gefahr für den sozialen Frieden. U m die Spannungen auszugleichen, sollten die unentbehrlichen Gegenstände von der Pfändung ausgenommen werden. Dadurch würde aber schließlich auch der wirtschaftlich Schwächere gegen den Stärkeren geschützt. Gemeinschaftsinteressen, Schutz des Schwächeren, soziale Freiheit und sozialpolitischer Ausgleich - alle wichtigen Topoi sozialer Argumentation dienten also zur Begründung dieser wichtigen Einschränkung des Vermieterpfandrechts. Und doch wurde auch für die Gegenposition noch ein soziales Argument benutzt, das sonst vor allem zur Begründung der Beibehaltung des Instituts des Vermieterpfandrechts selbst Verwendung gefunden hatte. Der Schutz des schwächeren Mieters verlange, so hatte Boyens erklärt, daß sein Kredit in keiner Weise geschmälert werde, weil sonst die Ärmeren Schwierigkeiten haben würden, überhaupt eine Wohnung zu bekommen. Dazu seien auch die unentbehrlichen Gegenstände als Kreditunterlage notwendig.

III. Das

Vermieterpfandrecht

293

Schließlich ist bemerkenswert, daß für die Anliegen, die mit der Ausgestaltung des Vermieterpfandrechts im einzelnen zu tun hatten, vergleichsweise wenig Begründungsaufwand von Seiten der Kritiker getrieben wurde, sieht man einmal von der bereits besprochenen Ausdehnung auf die Gegenstände im Eigentum der Familienangehörigen ab. Die von der Kritik geforderte Beschränkung des Sicherungszwecks wurde damit begründet, der Vermieter, der große Rückstände auflaufen lasse, sei nicht schutzwürdig. Würde das Pfandrecht hinsichtlich der künftigen Forderungen nicht eingeschränkt, dann drohten, so meinte zum Beispiel Mittelstein, der Ruin des Mieters und schikanöse Beeinträchtigungen der Verfügungsfreiheit des Mieters. Die Billigkeit war schließlich das Argument dafür, daß der Vermieter der Entfernung bestimmter Gegenstände nicht widersprechen dürfe, wenn die auf dem Grundstück zurückbleibenden Sachen des Mieters zur Sicherung der Forderungen des Vermieters ausreichten.

4. Vom Entwurf a) Die

zum

BGB

Vorkommission

Schon die Vorkommission des Reichsjustizamtes nahm bei ihren Beratungen des Vermieterpfandrechts im März 1892 die Forderungen der Kritik, insbesondere diejenigen des Juristentages, auf. Die Abschaffung des Vermieterpfandrechts scheint allerdings nicht ernstlich erwogen worden zu sein. Jedenfalls herrschte Einverständnis darüber, daß die völlige Beseitigung nicht in Frage komme 384 . Struckmann schlug in seinem Antrag vor, das Pfandrecht auf diejenigen Sachen zu erstrecken, die dem Ehegatten oder den Kindern des Mieters gehören 385 . Eine Ausdehnung des Gegenstands des Vermieterpfandrechts lehnte die Vorkommission jedoch ab. Der Grund dafür war, daß die Einführung einer Mithaftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes im Ehegüterrecht nicht beabsichtigt war. Dann aber, so kann man in den Protokollen lesen, fehle es auch beim Vermieterpfandrecht an einem zureichenden Grund. Zum Schutz der Frau vor einer Inanspruchnahme für die Schulden des Mannes sollte also keine Ausdehnung des Pfandrechts auf die Sachen der Frau eingeführt werden. Allerdings hatten auch die Befürworter einer Ausdehnung ihre Position mit dem Schutz der Frau zu begründen versucht, da sonst mangels Haftung die Frau gedrängt werde, selbst Vertragspartei zu werden 386 . Der soziale Topos vom Schutz des Schwächeren erwies sich hier als ambivalent. Aufgrund des bayerischen Wunsches und der diesbezüglichen Anregung von Jacubezky387 beschloß - übrigens ohne den sonst üblichen vorherigen schriftli384 385 386 387

Prot-RJA, S.441, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.525. Antrag Struckmann (Nr. 3, 52) §521, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 524. Prot-RJA, S.446f., in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.528. Vgl. oben S.278 bei Fn.317.

294

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

chen Antrag - die Vorkommission allerdings eine Erweiterung des Gegenstands des Vermieterpfandrechts nach dem Vorbild des bayerischen Gesetzes vom 18. Dezember 18 8 7 388 . Danach sollten auch diejenigen Dinge dem Pfandrecht unterliegen, die der Konkursmasse gemäß § 1 Abs. 3 KO unterfielen. Das waren Sachen im Sinne von § 715 Nr. 5, 8 CPO sowie das Inventar von Poststellen gemäß §20 Postwesengesetz. Man dürfe nicht, so meinte die Vorkommission, dem Apotheker oder Posthalter die Fortführung seines Gewerbes zu Lasten der Sicherheit des Vermieters ermöglichen 389 . Interessanterweise wurde das öffentliche Interesse am Betrieb von Apotheken und Poststellen ebensowenig besprochen wie die Interessen der Landwirtschaft, die von §715 Nr. 5 CPO betroffen waren. Letztere kamen allerdings im Zusammenhang mit dem Pachtrecht zur Sprache, das für landwirtschaftliche Grundstücke die Ausdehnung des Pfandrechts im Sinne von § 1 Abs. 3 KO vorsah 390 . Wie die von der Kritik geforderte Ausdehnung des Objekts des Vermieterpfandrechts, so fand auch die verlangte Einschränkung seines Sicherungszwecks Eingang in die Beratungen der Vorkommission. Struckmann beantragte, nur den Mietzins bis zum Ende der Mietzeit - gemeint war wohl bis zum nächsten Kündigungstermin - sowie nur bereits entstandene Schadensersatzansprüche gesichert sein zu lassen 391 , und Planck ging sogar noch über die Vorschläge des Juristentages hinaus, indem er anregte, nur den Mietzins für das vorhergehende, das laufende und das folgende Jahr zu berücksichtigen. Anders als nach dem Votum des Juristentages sollten aber auch die fälligen Schadensersatzansprüche erfaßt werden 392 . Die Kommission entschied schließlich im Sinne des Antrags von Planck mit Ausnahme der von ihm vorgeschlagenen Einschränkung auch hinsichtlich der rückständigen Mietzinsen. Es sollten also nur die fälligen mietvertraglichen Ansprüche und der Mietzins für das laufende und folgende Kalenderjahr gesichert werden. Die erwähnte Plancksche Einschränkung sollte nur im Verhältnis zu dritten Gläubigern wirken, wie es aber auch schon §521 V EI 393 vorgesehen hatte 394 . Der Entscheidung der Vorkommission war eine Debatte vorausgegangen, die wesentliche Gesichtspunkte der Kritik am ersten Entwurf reflektierte. Gegen Vgl. oben S.278 Fn.316. Prot-RJA, S.446, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.528. 390 Prot-RJA, S. 461, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 638. Die landwirtschaftlichen Grundstücke fielen regelmäßig in die Zuständigkeit der Regeln über die Pacht. Bereits nach dem ersten Entwurf dienten dort Inventar und Früchte als Sicherungsmittel, vgl. oben S.279 bei Fn.319. Im E II lautet die Regelung schließlich ähnlich wie der spätere §585 BGB: „§525. Das Pfandrecht des Verpächters eines landwirthschaftlichen Grundstücks kann für den gesammten Pachtzins geltend gemacht werden und unterliegt nicht der Beschränkung des § 505. Es erstreckt sich auch auf die Früchte des Grundstücks sowie auf die nach § 715 Nr. 5 der Civilprozeßordnung der Pfändung nicht unterworfenen Sachen." 391 Antrag Struckmann (Nr. 3,52) § 521b, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 524. 392 Antrag Planck (Nr.6, 66) §521, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.525. 393 Vgl. oben S. 260. 394 Prot-RJA, S.441, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.525. 388

389

III. Das

Vermieterpfandrecht

295

die beabsichtigte Einschränkung des Pfandrechts wurde wieder einmal der Satz gestellt, „kleine Leute" könnten dann nur noch sehr kurzfristige Mietverträge möglichst gegen Vorauszahlung und Sicherheitsleistung abschließen 395 . Die Kommissionsmehrheit hielt jedoch die Sicherung des künftigen Mietzinses bis zum Ende der Mietzeit, also unter Umständen länger als ein Jahr nach der Geltendmachung des Pfandrechts, für überzogen. Volkswirtschaftlich, so heißt es in den Protokollen, sei es unerwünscht, den Mieter so lange zu binden, zumal das Vermieterpfandrecht bei kleinen Leute kaum echte Sicherheit biete, sondern mehr ermahnende Funktion habe, die es auch bei einer Einschränkung des Sicherungszwecks behalte 396 . Wieder argumentierten also beide Seiten mit den Interessen der „kleinen Leute", die zu schützen ganz selbstverständlich als Aufgabe des Privatrechts angesehen wurde. Das Kreditargument erschien der Vorkommission jedoch nicht für ausreichend, um die Einschränkung des Sicherungszwecks abzulehnen. Auch die dritte Forderung des Juristentages, das Widerspruchsrecht des Vermieters gegen die Entfernung von Gegenständen insoweit einzuschränken, als die verbleibenden Sachen zur Sicherung der Forderungen des Vermieters ausreichen, berücksichtigte Planck in seinem Antrag 397 . Uber diesen Teil des Antrags wurde jedoch in der Vorkommission nicht verhandelt. Die Vorkommission befürwortete also eine Ausdehnung des Pfandrechts auf die unpfändbaren Gegenstände, die nach §1 Abs. 3 K O zur Konkursmasse gehörten. Im Sinne der Kritik entschied sie sich aber zu einer Einschränkung bezüglich künftiger Forderungen. Gesichert waren danach nur die fälligen Ansprüche sowie der künftige Mietzins des laufenden und folgenden Jahres. Insbesondere sollten also keine künftigen Schadensersatzansprüche durch das Vermieterpfandrecht gedeckt sein. Unerfüllt blieben die Forderungen der vollständigen Abschaffung des Vermieterpfandrechts einerseits sowie seine Ausdehnung auf die Sachen von Familienangehörigen, die mit dem Mieter eine Hausgemeinschaft bilden, andererseits.

b) Die zweite

Kommission

Der zweiten Kommission lagen zu §521 E I 398 insgesamt dreizehn Änderungsanträge vor, von denen zwölf Aspekte betrafen, die unter Verwendung sozialer Argumente bereits in der Diskussion über den ersten Entwurf behandelt worden sind 399 . Es lassen sich dabei drei Problemkreise isolieren, die nach den Prot-RJA, S.443, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.526. Prot-RJA, S.444f„ in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.527. 397 Antrag Planck (Nr.6, 66) §521a II, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.525. 398 Vgl. oben S. 160. 399 Der dreizehnte Antrag von Rüger (Nr. 165,2), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 532, betraf die Auswirkungen eines Eigentümerwechsels auf das Vermieterpfandrecht. Einzelheiten dazu weiter unten S. 302. 395

396

296

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

Wünschen der Antragsteller abweichend vom ersten Entwurf geregelt werden sollten: der Gegenstand des Vermieterpfandrechts (a), der Sicherungszweck (b) und das Widerspruchsrecht (c). Die völlige Abschaffung des Pfandrechts ist zwar von der zweiten Kommission besprochen, aber abgelehnt worden, ohne daß Anträge in dieser Richtung gestellt worden wären. Für die Beseitigung, so heißt es in den Protokollen, sprächen zwar „beachtenswerte" Gründe, aber mit Rücksicht auf das geltende Recht und die Äußerungen der Kritik und der Regierungen komme sie nicht in Betracht 400 , das heißt, man hielt die vollständige Beseitigung zwar für vernünftig, aber für politisch inopportun. (1) Der Gegenstand

des

Vermieterpfandrechts

Die Beschlüsse der Vorkommission fanden im Wege des Antrags von Struckmann Eingang in die Beratungen der zweiten Kommission. Struckmann hatte beantragt, den Gegenstand des Vermieterpfandrechts gegenüber der Fassung des ersten Entwurfs nach dem Vorbild des bayerischen Gesetzes vom 18. Dezember 1887 401 insofern zu erweitern, als diejenigen unpfändbaren Sachen, die gemäß § 1 III K O zur Konkursmasse gehörten, dem Vermieterpfandrecht unterworfen werden sollten 402 . Betroffen waren davon also die Geräte und Waren der Apotheker, landwirtschaftliches Inventar sowie das Inventar von Posthaltereien. Auch die übrigen fünf Anträge, die den Gegenstand des Vermieterpfandrechts betrafen, erstrebten sämtlich eine Ausdehnung des Pfandrechts und setzten damit die von der Kritik auf dem Juristentag eingeschlagene Linie fort, die zwar vermieterfreundlich wirkt, aber mit einem sozialen Argument begründet wurde, das den Schutz der „kleinen Leute" im Auge hatte. Küntzel trat dafür ein, auch die Sachen, die der in Hausgemeinschaft mit dem Mieter lebenden Ehefrau beziehungsweise den Kindern des Mieters gehören, dem Pfandrecht zu unterwerfen 403 . Conrad schloß sich diesem Vorschlag an, soweit er die Sachen der Ehefrau betraf 404 . Zwei weitere Anträge versuchten, eine Lösung für die Probleme mit den Leihmöbeln zu finden. Gebhard wollte in Anlehnung an den Vorschlag von Boyens405 das Pfandrecht generell auf die Wohnungseinrichtung erstrecken, wenn der Mieter - wie es in den Formularverträgen auch üblich war 406 - erklärt hatte, diese Gegenstände seien sein Eigentum 407 . Etwas einschränkend schlug

400 401 402 403 404 405 406 407

Prot. II 2, S. 198. Vgl. oben S. 278 Fn. 316. Antrag Struckmann (Nr. 142,12), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 530. Antrag Küntzel (Nr. 153), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.531. Antrag Conrad (Nr. 156), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.531. Vgl. oben S. 276 Fn. 305. Vgl. oben S. 276 Fn. 306. Antrag Gebhard (Nr. 158), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 531.

III. Das

Vermieterpfandrecht

297

Planck vor, die Einbeziehung der Sachen Dritter von des letzteren Zustimmung abhängig zu machen 408 . Jacubezky schließlich schlug vor, nicht nur die Sachen des Mieters, sondern auch dessen Forderungen gegen einen Untermieter pfandrechtlich haften zu lassen409. Ahnlich hatte schon Scherer vorgeschlagen, die Untermieter insofern haften zu lassen, als ihre Sachen dem Vermieterpfandrecht des Hauptmieters unterlagen410. Allen erwähnten Anträgen war gemeinsam, daß sie eine Ausdehnung des Gegenstands des Vermieterpfandrechts befürworteten. Die Kommission lehnte jedoch sämtliche Anträge auf Ausdehnung des Gegenstands des Pfandrechts ab 411 . Planck begründete seinen Antrag damit, daß die Wirksamkeit des Pfandrechts die Einbeziehung der Sachen Dritter wünschenswert scheinen lasse. Da das Pfandrecht aber gesetzlich vorgeschrieben werde, könnten Dritte nur einbezogen werden, wenn diese zustimmten, was sich insbesondere für die Ehefrau anbieten könne, wenn sie nicht Partei des Mietvertrags werde wolle 412 . Die Kommissionsmehrheit hielt den Vorschlag allerdings für praxisfern und gefährlich, da im Falle einer Vollstreckungsgegenklage der Vermieter regelmäßig die Zustimmung der Frau behaupten werde, die dann zur Eidesleistung gezwungen werde. Wenn die Frau aber zustimme, dann liege es doch für den Vermieter nahe, sofort den Eintritt in den Mietvertrag zu verlangen413. Ausschlaggebend für die Ablehnung war mithin der Schutz der Frau im Sinne des Topos vom Schutz des Schwächeren. Gebhard hatte seinen Vorschlag, die Wohnungseinrichtung auch dann ins Pfandrecht einzubeziehen, wenn sie Dritten gehört und der Mieter diese Eigentumsverhältnisse nicht offengelegt hat, mit einem nicht näher bezeichneten Interesse der Allgemeinheit an einer ausreichenden Sicherstellung der Vermieter begründet414. Die Einbeziehung der Haftung von Sachen, die einem Dritten gehören, wollte Gebhard durch die Konstruktion eines Gutglaubensschutzes erreichen 415 . Struckmann stimmte dem Anliegen von Gebhard zu, wollte aber von einer Erklärungspflicht des Mieters nichts wissen, sondern befürwortete eine Vermutung, daß die Wohnungseinrichtung dem Mieter gehöre, „anderen Falles ein ungesundes wirthschaftliches Verhältniß bestehen würde" 416 . Die Kommissionsmehrheit lehnte die vorgeschlagene Erweiterung des Pfandrechts ab, da sie über das geltende Recht hinausreiche, obgleich nichts für die Verstärkung des Pfandrechts spreche417. Die Kommission zog sich also auf 408 409 410 411 412 413 414 415 416 417

Antrag Planck (Nr. 162), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.532. Antrag Jacubezky (Nr.144,11), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.532. Vgl. oben S. 277 bei Fn. 311. Prot. 112, S. 203. Prot. 112, S. 201. Prot. 112, S.203f. Prot. 112, S. 201. Prot. II 2, S. 202. Prot. 112, S. 202. Prot. 112, S. 204.

298

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

ein eher formales Argument zurück, das sie der Notwendigkeit einer Offenlegung der Bewertung überhob und den Rückzug auf den Auftrag des Bundesrates gestattete, der die Kodifikation des geltenden Rechts erbeten hatte418. Darüber hinaus machte die Kommission geltend, der Schutz des guten Glaubens könne nur für die rechtsgeschäftliche Pfandbestellung Rücksicht verlangen, die beim Vermieterpfandrecht nun einmal fehle. Er sei kein allgemeines Rechtsprinzip419. Schließlich betonte die Kommission gegenüber der Ansicht von Struckmann den bereits erwähnten Widerspruch zur täglichen Wirklichkeit, der der Vermutung die tatsächliche Grundlage entziehe, „da der Miether häufig nicht mit eigenem, sondern geliehenem420 Mobiliar in die Wohnung einziehe" 421 . Zur Begründung ihrer Anträge beriefen sich Küntzel und Conrad auf die Stellungnahme Preußens zum ersten Entwurf. Die Privilegierung der Ehefrau gegenüber den Gläubigern des Mannes werde überall abgebaut, so meinten die Antragsteller. Jedenfalls bei der Gütergemeinschaft sei es erforderlich, daß der Vermieter nicht nur Zugriff auf die Quote des Mannes habe. Im übrigen sei es ein Gebot der Billigkeit, daß Frau und Kinder, die in derselben Weise wie der Mann die Vorteile der Mietwohnung beanspruchten, gemeinschaftlich haften würden, denn der Vermieter gewähre den Kredit im Unterschied zu anderen Kreditgeschäften gerade mit Rücksicht auf das Inventar, auch wenn es der Frau gehören sollte422. Schließlich beriefen sich die Antragsteller auf ein soziales Argument, daß schon den Juristentag zur Forderung veranlaßt hatte, die Sachen von Ehefrau und Kindern mithaften zu lassen. Sie sagten, es bestehe die Gefahr, daß sonst Ehefrau und Kinder dadurch schlechter gestellt würden, daß die Vermieter wenigstens den Eintritt der Frau in den Mietvertrag verlangen würden423. Doch auch dieses Schutzargument überzeugte die Kommissionsmehrheit nicht, da, so heißt es in den Protokollen, sich die Haftung der Ehefrau nicht aus dem Güterrecht ableiten lasse. Der Ehemann sei zur Tragung der Lasten verpflichtet. Da außerdem die Frau verpflichtet sei, ihrem Ehegatten zu folgen, könne man nicht sagen, daß sie stets freiwillig an den Vorteilen der Ehewohnung teilnehme. Weiter bestünde die Gefahr, daß die erwachsenen Kinder die elterliche Wohnung verlassen, um nicht mit ihren Sachen für die Mietschulden des Vaters haften zu müssen, was ebenfalls nicht wünschenswert sei424. Die Kommission beließ es also nicht bei dem dogmatischen Hinweis auf das Ehegüterrecht, sondern ergänzte diesen um die sozialpolitische Überlegung einer Stärkung des Zusammenhalts der Familie. Der Antrag von Struckmann

erstrebte eine Ausdehnung des Pfandrechts, in-

418 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 170-185, hier S. 170. Vgl. dazu oben S. 109. 419 Prot. II 2, S. 204. 420 Gemeint waren die Berliner Möbelleihverträge, vgl. dazu oben S. 275 bei Fn. 301. 421 Prot. 112, S. 205. 422 Prot. II 2, S.203. 423 Prot. 112, S.203. 424 Prot. 112, S. 205.

III. Das

Vermieterpfandrecht

299

dem er nicht die unpfändbaren, sondern nur die nicht zur Konkursmasse gehörigen Sachen vom Pfandrecht ausnehmen wollte 425 . Struckmann begründete seine Auffassung in Übereinstimmung mit der bayerischen Regierung mit folgender Interessenabwägung: Der Pfändungsschutz in § 715 C P O bestehe aufgrund des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung bestimmter Betriebe, die dem Gemeinwohl dienen. Dieses Interesse verschwinde aber, „wenn der Betriebsunternehmer nicht einmal mehr die Miethe für die zu Betriebszwecken gemietheten Räume bezahlen könne; er habe hierdurch gewissermaßen seine Untüchtigkeit zu dem Betriebe des Gewerbes bewiesen." Schon nach kurzer Zeit, so meinte Struckmann, werde ein geeigneterer Unternehmer die Stelle des früheren einnehmen 426 . Unter dem Deckmantel einer Gemeinwohlüberlegung, des sozialen Gemeinschaftsgedankens, versuchte Struckmann hier eine streng marktwirtschaftliche Betrachtungsweise umzusetzen. Der Markt sollte entscheiden, welcher Unternehmer sich durchzusetzen vermag. Das Beispiel zeigt erneut, wie soziale Argumente zu ganz unterschiedlichen Zielen in der Diskussion verwendet wurden. Die Kommissionsmehrheit lehnte die von Struckmann vorgeschlagene Ausdehnung des Pfandrechts ab und begründete das ebenfalls mit dem öffentlichen Interesse. Dieselben Gründe, die zur Unpfändbarkeit nach der Zivilprozeßordnung führten, seien auch beim Vermieterpfandrecht maßgeblich. Die Geltendmachung eines Pfandrechts an solchen unentbehrlichen Gegenständen führe zu einer Betriebsstörung, die im Falle des Konkurses nicht zu befürchten sei, da der Konkursverwalter den Betrieb fortsetzen werde 427 . Danach überwog in den Augen der Kommission das öffentliche Interesse an der störungsfreien Ausübung des Betriebs das Interesse an der Unterwerfung der Betriebsmittel unter das Vermieterpfandrecht. Auch die von Jacubezky vorgeschlagene Erweiterung des Vermieterpfandrechts durch Einbeziehung der Forderungen des Hauptmieters gegen den Untermieter fand in der Kommission keine Zustimmung. Dabei war die Überlegung maßgeblich, dem Vermieter nur insoweit eine bevorzugte Stellung vor anderen Gläubigern des Mieters einzuräumen, als es zu seiner Sicherung unbedingt erforderlich sei 428 . Diese Leitlinie wäre übertreten worden, hätte die Kommission einer Ausdehnung des Pfandrechts über die Lage im geltenden Recht hinaus zugestimmt. Das Ziel, den Vermietern nur die nötigsten Privilegien zu belassen, ist als ein Versuch zu verstehen, der Kritik entgegenzukommen, die die völlige Abschaffung des Vermieterpfandrechts gerade damit begründet hatte, es gelte die Privilegierung der Vermieter zu beseitigen, sie gleichzustellen mit anderen Gläubigern und so den Mietern die soziale Freiheit zu gewähren, die ihnen gebühre. Neben dieses Argument trat für die Kommission

425 426 427 428

Vgl. oben Prot. II 2, Prot. 112, Prot. 112,

bei Fn. 402. S.206, dort auch das wörtliche Zitat. S. 207. S.213.

300

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

noch der Grund, daß die Untermieter meistens wirtschaftlich schwache Personen seien, die häufig die Untermiete im voraus zahlen müßten. Der Gefahr einer Doppelbezahlung durch die Einbeziehung ihrer Sachen in das Vermieterpfandrecht dürften sie nicht ausgesetzt werden. Auch der Topos vom Schutz des Schwächeren kam so zur Geltung. (2)

Sicherungszweck

Soweit die Anträge, die der zweiten Kommission zur Beratung vorlagen, den Sicherungszweck des Vermieterpfandrechts betrafen, forderten sie alle eine Einschränkung gegenüber dem ersten Entwurf, der noch die Sicherung aller mietvertraglichen Forderungen vorgesehen hatte429. Die nun zur Debatte stehenden Vorschläge orientierten sich an dem Beschluß des Juristentages430. Bei unterschiedlichen Formulierungen war allen Anträgen gemeinsam, daß künftige Mietzinsen nur für das laufende und nächstfolgende Jahr gesichert sein sollten431. Unterschiede ergaben sich bei der Behandlung rückständiger Mietzinsen und fälliger Entschädigungsforderungen. Die weitestgehende Einschränkung hatte von Mandry beantragt, der wie Planck in der Vorkommission432 nur den rückständigen Mietzins des letzten Jahres sowie den künftigen für das laufende und folgende Jahr durch das Pfandrecht sichern wollte. Schadensersatzansprüche sollten nach von Mandry gänzlich ungesichert bleiben433. Emil Dittmar wollte wie von Mandry die Haftung für den rückständigen Zins beschränken, aber fällige Schadensersatzansprüche einbeziehen434. Alle anderen Anträge bezogen in den Sicherungszweck sämtliche fälligen Mietzins- und Schadensersatzforderungen ein435. Küntzel schließlich wollte die erwähnte436 Einbeziehung der Sachen von Ehefrau und Kindern nur wegen des Mietzinses für die Vergangenheit zulassen und erstrebte insofern mit der Erweiterung des Gegenstands des Pfandrechts zugleich ein Beschränkung seines Sicherungszwecks437. Die Kommission entschied sich im Sinne des Antrags von Struckmann dafür, fällige Forderungen sowie den Mietzins für das laufende und nächstfolgende Jahr durch das Pfandrecht zu sichern438. Für eine Beschränkung bezüglich der rückständigen Mietzinsen wurde zwar vorgebracht, dies entspreche auch den Vgl. §521 I I E I , oben S. 260. Vgl. oben S.269 bei Fn.264. 431 Antrag Struckmann (wie Fn.402); Antrag von Mandry (Nr. 154, 4), Antrag Dittmar (Nr. 168, 1-2), Antrag Goldschmidt (Nr. 164), Antrag Küntzel (Nr. 153), sämtlich in: Jakobs/ Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 531. 432 Vgl. oben bei Fn. 392. 433 Antrag von Mandry (wie Fn. 431). 434 Antrag Dittmar (wie Fn. 431). 435 Anträge Struckmann (wie Fn. 402), Dittmar und Goldschmidt (wie Fn. 431), Antrag Rüger (Nr. 165, 1), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.531. 436 Vgl. oben bei Fn.403. 437 Antrag Küntzel (wie Fn. 431). 438 Prot. 112, S. 198. 429

430

III. Das

Vermieterpfandrecht

301

Interessen des Mieters, weil dieser so zu pünktlicher Mietezahlung angehalten werde, da der Vermieter nicht länger als ein Jahr Rücksicht nehmen könne 439 . Und die Ausklammerung der Schadensersatzforderungen im Antrag von von Mandry beuge der Schikane des Vermieters gegenüber dem Mieter vor. Denn die Höhe des Schadensersatzes sei oftmals noch nicht bestimmt, so daß der Mieter nicht wissen könne, welche Summe er zahlen müsse, um seine Sachen auszulösen 440 . Diese Argumente, die den Schutz des Mieters als die tendenziell wirtschaftlich schwächere Partei im Mietvertrag betrafen, überzeugten aber die Kommission nicht. Ihre Entscheidung, so heißt es in den Protokollen, sei von einer Abwägung der Interessen des Vermieters, des Mieters und Dritter getragen 441 . Die Beschränkung auf die fälligen Forderungen wurde nicht weiter begründet als damit, „es gehe nicht an", anders zu verfahren. Hinsichtlich der künftigen Mietzinsforderungen entspreche die Einschränkung den Wünschen der Kritik und einiger Regierungen 442 . Ferner sei es eine „unbillige Zumuthung" für den Vermieter, der Entfernung von Möbeln des Mieters zuzusehen, solange er gegen den Mieter offene Schadensersatzforderungen habe 443 . In der Sache begründet wurde hingegen die Ablehnung der Beschränkung des Vermieterpfandrechts für rückständige Mietzinsforderungen: Das Rücktrittsrecht des §528 E I 4 4 4 des Vermieters genüge nicht immer, da es Verzug voraussetze. Außerdem sei es nachteilig für den Mieter, das Pfandrecht in dieser Richtung einzuschränken, weil der Vermieter sonst genötigt werde, den Mietvertrag nur kurzfristig oder mit jederzeitiger Kündigungsmöglichkeit oder nur gegen Vorauszahlung der Miete abzuschließen, wodurch die „kleinen Leute" geschädigt würden, die keine andere Sicherheit als ihr Mobiliar zu bieten hätten 445 . Der Vermieter werde weiterhin gezwungen, keine Nachsicht zu üben, sondern rasch die Mietzinsen einzutreiben, was für solche Mieter nachteilig sei, die vorübergehend unverschuldet die Miete nicht zahlen könnten 446 . Auch hier stand also der Schutz des Schwächeren im Vordergrund der Argumentation. Auf die Interessen des Schwächeren sollte Rücksicht genommen werden. Die Schutzbedürftigkeit wurde mit dem „Kreditargument" begründet, das sich wie roter Faden durch die gesamte Diskussion über das Vermieterpfandrecht zieht.

Prot. 1 1 2 , S. 199. Prot. 1 1 2 , S. 199. 4 4 1 Prot. 1 1 2 , S. 199. 4 4 2 Prot. 1 1 2 , S. 199. 4 4 3 Prot. 1 1 2 , S. 200. 4 4 4 § 528 E I : „ D e r Vermiether kann ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist von dem Vertrage für die Zukunft zurücktreten: 1. ... [vertragswidriger Gebrauch]; 2. wenn der Miether mit der Entrichtung des Miethzinses oder eines Theiles desselben für zwei auf einander folgende Termine sich im Verzuge befindet und den Vermiether wegen des Rückstandes nicht vollständig befriedigt, bevor dieser den Rücktritt erklärt hat." 4 4 5 Prot. II 2, S. 199f. 4 4 6 Prot. 1 1 2 , S. 200. 439 440

302 (3)

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

Widerspruchsrecht

Das Widerspruchsrecht des Vermieters gegen die Entfernung von Gegenständen, die dem Vermieterpfandrecht prinzipiell unterliegen, sollte nach dem Willen mehrerer Antragsteller eingeschränkt werden. Struckmann griff die Forderung des Juristentages 447 auf und beantragte, daß der Vermieter der Entfernung dann nicht widersprechen dürfe, wenn der verbleibende Rest zur Sicherung der Forderungen des Vermieters ausreiche 448 . Die Kommission nahm diesen Vorschlag ohne ausführliche Verhandlungen mit Rücksicht auf den wirtschaftlichen Zweck des Pfandrechts an 449 . Dittmar und Jacubezky forderten, das Widerspruchsrecht solle erlöschen, wenn es der Vermieter vier Wochen lang nicht geltend gemacht habe 450 . Auch dieser Antrag fand die Zustimmung der Mehrheit der Kommission, da sonst, wie in den Protokollen steht, ein neuer Vermieter Gefahr laufe, seine vermeintliche Kreditunterlage zu verlieren und einen Schaden zu erleiden, weil sein Mieter gegen ein älteres Pfandrecht verstoßen habe 451 . Soziale Topoi fanden in dieser Frage keine besondere Beachtung. (4) Sonstige

Anträge

Außerhalb der bereits von der Kritik angesprochenen Änderungsvorschläge hatte Rüger beantragt, für den Fall eines Grundstückseigentumswechsels die Übertragung des Pfandrechts auf den Nachfolger im Mietvertrag besonders zu regeln 452 . Rüger wollte damit Schwierigkeiten aus dem in Zeiten der Spekulation manchmal raschen Wechsel des Grundstücks durch die Hände mehrerer Eigentümer vorbeugen zu Lasten des spekulierenden Verkäufers 453 . Interessant ist die Begründung der Ablehnung durch die Kommission, die sich einerseits auf die mehrfach erprobte Position zurückzog, im geltenden Recht gebe es eine solche Vorschrift nicht - das geltende Recht wurde also dem Gutachten der Vorkommission von 1874 entsprechend als Maßstab für die Kodifikation genommen 454 - , andererseits sei eine solche Norm auch nicht von der Kritik angeregt worden 455 . Ausdrücklich räumte hier die Kommission also ein, was sich auch überall sonst zeigen ließe: die Beratungen nahmen in größtem Umfang Rücksicht auf die Vorstellungen und Anregungen der Kritik am ersten Entwurf, die dadurch Vgl. oben S.26 bei Fn.264. Antrag Struckmann (wie Fn. 402). 449 Prot. II 2, S. 208. 450 Antrag Dittmar (Nr. 145, 2), Antrag Jacubezky (Nr. 163), in: Jakobs/Schubert, Schuldrecht 2, S.532. 451 Prot. 112, S. 209. 452 Antrag Rüger (wie Fn. 399). 453 Prot. II 2, S. 211. 454 Vgl. zum Beispiel oben S.298 bei Fn.418. 455 Prot. 112, S. 212. 447 448

Beratung,

III. Das

Vermieterpfandrecht

303

ein enormes Gewicht für das weitere Gesetzgebungsverfahren erlangte. Die vielfältige Auseinandersetzung gerade mit sozialen Argumenten in der zweiten Kommission dürfte auf dieses Bestreben, das sich natürlich leicht politisch motivieren ließ, zurückzuführen sein. Politisch stand dahinter die Absicht, die unerwartet massive Kritik am ersten Entwurf gegenstandslos zu machen und so dem Gesetz möglichste Zustimmung im Bundesrat und Reichstag zu sichern 456 .

(5) Zusammenfassung

der Beschlüsse der zweiten Kommission und Kritik

Wie schon in der Vorkommission konnte sich auch in der zweiten Kommission die Forderung einer vollständigen Abschaffung des Vermieterpfandrechts nicht durchsetzen. Mit Rücksicht auf die geltende Rechtslage ist das nicht einmal beantragt worden. Ebensowenig fand sich die Kommission aber bereit, einer Ausdehnung des Pfandrechts, wie sie vielfach gefordert worden war, zuzustimmen. Das Vermieterpfandrecht sollte vielmehr auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden. Deshalb erfaßte es nach den Beschlüssen der Kommission weder die Sachen der in Hausgemeinschaft mit dem Mieter lebenden Familienangehörigen noch die unpfändbaren, aber zur Konkursmasse zählenden Gegenstände. Soweit hingegen die Kritik eine Einschränkung des Vermieterpfandrechts verlangt hatte, konnte sie sich damit in weitem Umfang durchsetzen. Lediglich bezüglich der Sicherung rückständiger Mietzinsforderungen gab es weitergehende Wünsche, die von der Kommission nicht berücksichtigt wurden. In Ubereinstimmung mit den Beschlüssen der Vorkommission entschied die zweite Kommission, daß nur fällige Forderungen und der Mietzins für das laufende und nächstfolgende Jahr gesichert werden solle. Künftige Schadensersatzansprüche blieben vollständig ausgeschlossen. Außerdem konnte sich die Kritik auch damit durchsetzen, das Widerspruchsrecht des Vermieters insoweit einzuschränken, als die auf dem Grundstück verbleibenden Gegenstände zur Sicherung der Ansprüche des Vermieters ausreichten. Das Ergebnis der Beratungen waren die §§501-504 E II (§§551-554 E II rev.). Außer der Umsetzung der genannten Einschränkungen beim Sicherungszweck und Widerspruchsrecht war in §503 E II (§553 E II rev.) neu, daß der Herausgabeanspruch des Vermieters bei einer widerrechtlichen Entfernung der Sachen vom Grundstück innerhalb von vier Wochen nach Kenntniserlangung seitens des Vermieters geltend gemacht werden mußte, anderenfalls das Pfandrecht erlischt. Die Vorschriften des zweiten Entwurfs entsprechen bis auf geringfügige Formulierungsunterschiede bereits den späteren §§559-562 BGB. Nach Bekanntwerden der mietrechtlichen Vorschriften des zweiten Entwurfs im Jahre 1894 äußerte sich der damalige Berliner Amtsgerichtsrat Hermann Jastrow zum Vermieterpfandrecht. Seine Hauptforderung war die vollständige Abschaffung dieses nach seiner Meinung ungerechtfertigten Privilegs, 456 Zu den politischen Hintergründen vgl. Hans Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt am Main 1995, S. 188-247.

304

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

das sowohl den Mietern als auch dritten Gläubigern schade. Nichts, so meinte er, spreche dafür, die Vermieter anders als andere Gläubiger zu behandeln 457 . Der Ausschluß unpfändbarer Sachen wurde von Jastrow als im öffentlichen Interesse stehend begrüßt, weil die Armenpflege nun nicht mehr genötigt werde, Betten und Arbeitsgerät des Mieters auszulösen und damit dem merkwürdigen Zustand ein Ende bereitet werde, daß eine ganze Stadt dafür arbeiten müsse, um die Mietforderungen der Hauswirte zu garantieren458. Der zweite Entwurf, so schrieb Jastrow, bringe nun durch die Einschränkung des Sicherungszwecks im Hinblick auf künftige Schadensersatzforderungen einen Fortschritt, aber die Gleichbehandlung mit den Forderungen anderer Gläubiger verlange die vollständige Abschaffung des Vermieterpfandrechts 459 . Jastrow folgte in seiner Argumentation im wesentlichen den Gedanken des Gutachtens von Thomsen für den Juristentag 460 . Das in der Diskussion zum ersten Entwurf mehrfach verwendete soziale Argument einer Gleichstellung der Mieter bezog Jastrow vor allem auf die Relation zu anderen Gläubigern und illustrierte das Problem anhand eines Prozesses aus seiner eigenen Richtertätigkeit, wo ein Schuster einem Vermieter die gepfändeten Sachen herausgeben mußte, obgleich der Vermieter das Geld im Unterschied zum Schuster nicht unbedingt nötig gehabt hätte 461 . Jastrow transponierte also das Argument der Gleichbehandlung von Mieter und Vermieter auf das Verhältnis von Vermieter und anderen Gläubigern. Echte Vertragsfreiheit konnte nach Jastrow auch nur dann bestehen, wenn nicht bestimmte Gläubiger privilegiert werden. Zur so verstandenen sozialen Freiheit kam für Jastrow aber der soziale Schutz der Schwächeren, die er in der Mehrzahl der Handwerker erblickte, die tägliche Lebensbedürfnisse der Kunden auf Kredit erfüllten und dennoch keine besondere Sicherheit hätten. Warum sollte dann der Vermieter eine solche genießen? Trotz der Verbesserungen im Vermieterpfandrecht, aber auch der unabdingbaren Kündigungsmöglichkeit des Mieters wegen Gesundheitsgefahren (§488 E II 4 6 2 ) hielt Jastrow den sozialen Inhalt des zweiten Entwurfs für „dürftig". Neben der Forderung, das Vermieterpfandrecht vollständig abzuschaffen, dachte er dabei vor allem daran, daß der Entwurf nicht die Formularpraxis bei

457 Hermann Jastrow, Das Pfandrecht des Vermiethers, in: Sozialpolitisches Centralblatt 3 (1894), S. 389-391, S.390f. 458 Jastrow, Das Pfandrecht des Vermiethers (wie Fn.457), S.389. 459 Jastrow, Das Pfandrecht des Vermiethers (wie Fn. 457), S. 390. - Weniger weitgehend Noeller, Proletariat und Privatrecht (wie Fn. 75), S. 21 f., der nur eine spiegelbildliche Sicherung des Mieters für Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter verlangte. 4 6 0 Vgl. oben S.262 bei Fn.227. 461 Jastrow, Das Pfandrecht des Vermiethers (wie Fn.457), S.390. 4 6 2 §488 E II: „Ist eine gemiethete Wohnung so beschaffen, daß ihre Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist, so kann der Miether das Miethverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, auch wenn er die gefahrbringende Beschaffenheit bei dem Abschlüsse des Vertrags gekannt oder auf die Geltendmachung seiner Rechte wegen derselben verzichtet hat."

III. Das

Vermieterpfandrecht

305

der Wohnungsmiete eingeschränkt habe, da hier die stärksten Mißbräuche der Vertragsfreiheit vorkämen 463 . Festzuhalten ist hier, daß Jastrow die alte Forderung einer vollständigen Abschaffung des Vermieterpfandrechts trotz der deutlichen Ablehnung durch die zweite Kommission erneut erhob. Zur Begründung dienten ihm vor allem die beiden Topoi der sozialen Freiheit und des Schutzes des Schwächeren gegen den Stärkeren.

c)

Bundesrat

Im Justizausschuß des Bundesrates machte Bremen den Versuch, die Ausdehnung des Pfandrechts auf die Sachen der Ehefrau durchzusetzen 464 , wie es seit der Veröffentlichung des ersten Entwurfs mehrfach gefordert, aber von der zweiten Kommission abgelehnt worden war. Nach dem Bericht von Schicker, der für Württemberg an den Sitzungen des Bundesrates teilnahm 465 , lehnte der Justizausschuß diese Änderung mit denselben Gründen wie die zweite Kommission 466 ab und betonte, daß namentlich das verbreitete Abzahlungswesen dazu führe, daß die eingebrachten Sachen nicht dem Mieter - und, so muß man ergänzen, auch nicht seiner Frau - gehörten. Die Vermieter sollten sich nötigenfalls damit helfen, mit der Ehefrau einen Vertrag zu schließen 467 . Während es bei Lewinsohn4bs und auch noch bei den Antragstellern Kiinlzel und Conrad in der zweiten Kommission 469 geheißen hatte, der Schutz der Ehefrau gebiete es, sie gerade vor dem Eintritt in den Mietvertrag zu bewahren, so stellte sich nun der Justizausschuß offen gegen diese Bewertung und entschied sich dafür, diese Konsequenz zu tolerieren. Ohne Veränderung gelangten aufgrund der Ablehnung des Antrags Bremens die Vorschriften über das Vermieterpfandrecht in der Form des revidierten zweiten Entwurfs als §§552-556 zum Reichstag.

463 Hermann Jastrow, Die Wohnungsmiethe im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Sozialpolitisches Centraiblatt 3 (1893/94), S. 425—427. - Der Vorwurf wurde auch schon im Zusammenhang mit dem Grundsatz „Kauf bricht Miete" erwähnt, vgl. oben S. 249 bei Fn. 159. 464 Vgl .Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 537. 465 Werner Schubert, Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 62. 466 Vgl. oben S.268 bei Fn.424. 467 Schicker, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 537. - Es scheint übrigens keineswegs rasch gängige Praxis geworden zu sein, die Ehefrauen als Vertragspartner mitzuverpflichten. Dem Verfasser liegen aus der Zeit von 1900 bis 1918 insgesamt 99 Mietvertragsurkunden vor. Nur in fünf Fällen trat als Mieter ein Ehepaar auf. Das Datenmaterial ist freilich zu gering, als daß man gesicherte Aussagen machen könnte. 468 Vgl. oben S.273 bei Fn.289. 469 Vgl. oben S.298 bei Fn.423.

306

Kapitel 5: Soziales Recht im

d)

Reichstag

(1)

Denkschrift

Schuldrecht

Die im Reichsjustizamt gefertigte Denkschrift für den Reichstag warb mit den bereits aus anderen Quellen bekannten Argumenten für den Entwurf: Zunächst wies sie darauf hin, daß das Vermieterpfandrecht in den meisten Teilen des Reiches geltendes Recht sei. Seine Beibehaltung sei sinnvoll, weil sonst die Mietwohnungen „für die weniger bemittelten Kreise der Bevölkerung" verteuert würden 470 . Auch die Denkschrift machte sich damit das Kreditargument zu eigen. Gleichzeitig betonte sie, daß zur Bekämpfung der Mißstände bei der Ausübung des Pfandrechts das Sicherungsrecht eingegrenzt werde, indem nur die Sachen des Mieters beziehungsweise im Falle einer Gütergemeinschaft die Sachen, die zum Gesamtgut gehören, dem Pfandrecht unterliegen sollten. Die darin liegende Abweichung vom preußischen Recht rechtfertige sich durch das Ehegüterrecht, das bereits dafür sorge, daß die Frau einen Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt leiste471. Den Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht begründete die Denkschrift mit dem öffentlichen Interesse, das der Vorschrift der Zivilprozeßordnung zugrunde liege472. Das Kreditargument diente ferner zur Erläuterung dafür, warum sämtliche fällige Forderungen gesichert werden sollten473. Die vergleichsweise kurze Begründung, die die Denkschrift für das Vermieterpfandrecht enthielt, hatte die Tendenz, zu rechtfertigen, warum die Kommission nicht noch weiter gegangen ist und das Pfandrecht entweder abgeschafft oder doch mindestens weiter eingeschränkt hat. Das geschah, um weitergehenden Forderungen, gestützt auf die Kritik an den Entwürfen, von vorne herein vorzubeugen. Neben dem Hinweis auf das geltende Recht erwies sich auch hier wieder das Kreditargument als besonders willkommene Begründung.

(2) Erste Lesung im Plenum des

Reichstags

Als erster brachte im Plenum des Reichstags Planck in seiner später von Frensdorff174 als Glanzpunkt der gesamten Verhandlung des Gesetzes im Reichstag bezeichneten Rede vom 4. Februar 1896 die Sprache auf das Vermieterpfandrecht. Er verteidigte den Entwurf gegen den Vorwurf der Mißachtung der sozialen Aufgabe und meinte, jede Zeile des Obligationenrechts komme im Rahmen von Gerechtigkeit und Billigkeit den sozial und wirtschaftlich Schwa470 Denkschrift zum Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs nebst Anlagen I bis III, Berlin 1896, S. 70. 471 Denkschrift (wie Fn.471), S.70f. 472 Denkschrift (wie Fn.471), S.71. 473 Denkschrift (wie Fn.471), S.72. 474 Ferdinand Frensdorff Gottlieb Planck, deutscher Jurist und Politiker, 1914, S.372f. Planck habe, so heißt es dort, eine Stunde lang gesprochen, dicht umringt von den Abgeordneten, die „lebhaften Beifall" spendeten.

III. Das

Vermieterpfandrecht

307

chen zu Hilfe, so etwa durch die Einschränkung des Vermieterpfandrechts sowohl hinsichtlich des Gegenstandes als auch hinsichtlich der gesicherten Forderungen, da insbesondere nicht mehr die Sachen Dritter und die unpfändbaren Gegenstände Objekt des Pfandrechts seien475. Ganz anders war die Einschätzung von Stadthagen, der unmittelbar nach Planck im Reichstag das Wort ergriff. Dem Vermieterpfandrecht, so erklärte er, fehle die innere Berechtigung. Zwar bringe der Entwurf gegenüber dem preußischen Recht einen Fortschritt, aber das Institut diene nur dem Vorteil der „Großgrundbesitzerklasse". Im Pachtrecht fehle sogar jeder Pfändungsschutz. Sozialpolitik aber bedeute, „dem wirthschaftlich Aermeren entgegenzukommen und eine Anwendung von Rechten, die unmenschlich ist, die sozusagen gegen die gute Sitte geht, zu untersagen und nicht zuzulassen" 476 . Sohrn hingegen verteidigte den Entwurf gegen die Angriffe Stadthagens. Auch der Verpächter habe nur ein Pfandrecht an den pfändbaren Sachen. Die Ausnahme des §715 Nr. 5 C P O betreffe nur das Wirtschaftsinventar, das dort bleiben müsse, wo es wirtschaftlich sinnvoll und nützlich sei - auf dem Hof 477 . Der national-liberale Abgeordnete Enneccerus begründete im Plenum das Vermieterpfandrecht des Entwurfs mit dem beliebten Kreditargument. Die Abschaffung dieser Sicherheit führe, so meinte er, zu einer Verteuerung der Mieten und erzwinge die bereits in Berlin üblich gewordene Zahlung der Miete praenumerando. Auch müßte sonst der Vermieter bei Verzug des Mieters sofort rücksichtslos die Räumung der Wohnung durchsetzen478. (3) XII.

Kommission

In der XII. Kommission des Reichstag standen zwei Anträge zum Vermieterpfandrecht auf der Tagesordnung. Den ersten hatte der Abgeordnete der Deutsch-Sozialen Reformpartei („Antisemiten") Dr. Vielhaben gestellt, der in Hamburg Rechtsanwalt und zeitweise Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes war. Er hatte im Sinne von Boyens479 beantragt, das Pfandrecht auf alle Sachen des Vermieters zu erstrecken und den Ausschluß unpfändbarer Sachen zu streichen480. In die entgegengesetzte Richtung zielte der Antrag der Sozialdemokraten Frohme und Stadthagen, die primär die Abschaffung des Pfandrechts beantragten, sekundär einen Zusatz zu §552 RT-Vorlage481. Satz 2 der Vorschrift sollte danach lauten: „Es [sc. das Pfandrecht] erstreckt sich weder auf die der Pfändung nicht unterworfenen Sachen noch auf Gegenstände, die zum Erwerb oder 475 476 477 478 479 480 481

Planck, in: Stenographische Berichte, S. 63f. Stadthagen, in: Stenographische Berichte, S. 80f. Sohm, in: Stenographische Berichte, S. 100. Enneccerus, in: Stenographische Berichte, S. 137. Vgl. oben S.284 bei Fn.347. Antrag Vielhaben (Nr. 37), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 537. Entspricht §559 BGB.

308

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

zur Ausübung des Berufs des Miethers oder seiner Familie gebraucht werden"482. Auch in der Diskussion der Anträge in der XII. Kommission spielten die mutmaßlichen sozialen beziehungsweise wirtschaftlichen Auswirkungen der jeweiligen Vorschläge nach dem Bericht von Enneccerus die entscheidende Rolle. Während Vielhaben erläuterte, daß das oft Pfandrecht ins Leere laufe, wenn die unpfändbaren Sachen ausgenommen würden mit der Folge, daß der Kredit der Mieter leide, meinten Frohme und Stadthagen, das Pfandrecht des Vermieters sei innerlich nicht gerechtfertigt und eine Härte für die armen Bevölkerungsschichten. Sie traten für eine weitere Beschränkung des Pfandrechts durch Ausdehnung des Kreises der unpfändbaren Sachen ein, wenn man sich nicht vollständig gegen das Vermieterpfandrecht entscheiden könne, das „weder deutsch noch sozial, noch gerecht" sei483. Für die Kommissionsmehrheit begründete Struckmann4M die vollständige Ablehnung beider Anträge damit, daß die Regel des Entwurfs die Interessen des Mieters im unbedingt erforderlichen Maße schütze, andererseits aber die Beseitigung des Pfandrechts den Kredit der Mieter schädige, ihnen die Wohnungssuche erschweren, die Zahlung der Miete praenumerando erzwingen und zu einer strengeren Ausübung der Kündigungsrechte nötigen werde, „sehr zum Schaden gerade der kleineren Miether"485. Noch einmal beriefen sich also alle Seiten darauf, den Schutz des Schwächeren im Auge zu haben. Heller berichtete, Struckmann habe erklärt, „das Bestehen des gesetzlichen Pfandrechts selbst aber liege im Interesse der wirtschaftlich Schwachen; es schütze gegen die Forderung der Vorauszahlung, vermindere die Fälle, in denen von der Exmission Gebrauch gemacht wird. Seine Aufhebung würde nur zur Folge haben, daß ein vertragsmäßiges Zurückbehaltungsrecht zur Regel würde" 4 8 6 .

Von Anfang an hatte Struckmann diese Uberzeugung immer wieder ausgesprochen487 und sich damit im Ergebnis weitgehend durchzusetzen vermocht488, wenngleich die erste Kommission das Kreditargument zurückgewiesen hatte, soweit es zur Begründung der Einbeziehung unpfändbarer Sachen in die dem Vermieterpfandrecht unterworfenen Gegenstände dienen sollte. Noch vor der endgültigen Behandlung des Mietrechts im Plenum des Reichstags erschien in der Deutschen Juristenzeitung ein Aufsatz des Hamburger Rechtsanwalts Leo, der den hoffnungslosen Versuch machte, die Entscheidun482 Antrag Frohme, Stadthagen (Nr. 39, 8), in: Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 537. 483 So der Bericht im Vorwärts - Berliner Volksblatt vom 10. März 1896, Nr. 59, S. 1-2, wiederabgedruckt bei Vormbaum, Die Sozialdemokratie (wie Fn. 78), Nr. 24, S. 156-160, hier S. 157f. 484 Vgl. den Bericht von Heller über die Kommissionssitzung vom 7. März 1896, in: Jakobs/ Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S.537f., hier S.538. 485 Enneccerus, in: Bericht der Reichstags-Kommission über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs und Einführungsgesetzes, Berlin 1896, S.42. 486 Heller (wie Fn.484), S.538. 487 Erstmals in den Materialien für die Beratung der ersten Kommission, vgl. oben S.257. 488 Vgl. oben S.260 bei Fn.218.

III. Das

Vermieterpfandrecht

309

gen zum Vermieterpfandrecht im Sinne der Kritik von Boyensm vermieterfreundlicher zu gestalten. Er war der Meinung, das Gesetz gewähre dem Vermieter nicht genügende Sicherheit, insbesondere da nicht die eingebrachten Sachen Dritter haften würden 490 . Anders als zum Beispiel Jastrow491 sah Leo einen wesentlichen Unterschied zwischen Vermietern und sonstigen Kreditgebern. Der Vermieter, so meinte er, sei gesetzlich zur Vorleistung verpflichtet, müsse also Kredit geben. Und selbst bei einer abweichenden Vereinbarung komme er sehr leicht im Laufe der Mietzeit dazu, kreditieren zu müssen. Die Sicherheit des Vermieters werde durch die geplante gesetzliche Regelung des Vermieterpfandrechts zu stark beeinträchtigt 492 . Argumentation und Ziel waren keineswegs neu. Der Aufsatz zeigt aber, wie bis zum Schluß gerade vor dem Hintergrund des Ringens um die sozial richtige Lösung immer wieder versucht wurde, Einfluß auf das Gesetz zu nehmen. Der Beitrag von Leo ist zugleich ein Beweis dafür, wie stark auch in der Sichtweise der Zeitgenossen soziale Überlegungen und Argumente die Auseinandersetzung über das Gesetzbuch beherrschten. Leo fühlte sich jedenfalls genötigt, geradezu entschuldigend zu schreiben: „Es mag ketzerisch und - der schlimmste heutzutage mögliche Tadel - ,antisocial' erscheinen, wenn man überhaupt Vorschriften des Mietsrechts von einem anderen Standpunkte als dem des Mieters prüft, da nun einmal weiten Kreisen der Mieter, weil er vielfach der ,wirtschaftlich schwächere' ist, unbesehen als der allein schutzwürdige Teil zu gelten Pflegt" 4 9 3 -

Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Leo glaubte, mit dem Vorwurf „antisocial" leben zu können oder ihn für unsachlich und unbegründet hielt, so zeigt seine Bemerkung, daß die soziale Aufgabe des Privatrechts einen zentralen Stellenwert in der Diskussion über das entstehende Bürgerliche Gesetzbuch besaß. (4) Zweite und dritte Beratung

im

Plenum

Im Plenum wiederholten die Sozialdemokraten ihren Antrag auf Streichung der §§ 552-556 RT-Vorlage 494 . Frohme kam in seiner Rede vom 20. Juni 1896 auf das Vermieterpfandrecht zu sprechen und argumentierte dort hauptsächlich in Anlehnung an die bereits besprochenen Äußerungen von Flesch495. Vorbildlich, so meinte er, seien die amerikanischen Pfändungsschutzvorschriften. Wenn man in Deutschland den Arbeitern alles nehmen könne, was zum behaglichen Wohnen diene, so dürfe man sich nicht wundern, wenn die Arbeiter auf die Anschaffung derartiger Dinge keinen Wert legten, weil sie jederzeit mit Arbeitslosigkeit Vgl. oben S. 271 ff. bei Fn.278 und 291. Martin Leo, Zum Mietrecht des Entwurfes des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Deutsche Juristen-Zeitung 1 (1896), S. 230-233, hier S.231. 4 9 1 Vgl. oben Fn. 457. 492 Leo, Zum Mietrecht (wie Fn.490), S.231. 493 Leo, Zum Mietrecht (wie Fn.490), S.231. 494 Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldrecht 2, S. 538. 4 9 5 Vgl. oben S.279 bei Fn.326. 489 490

310

Kapitel

5: Soziales Recht

im

Schuldrecht

und dann mit dem Verlust ihres Hausrats rechnen müßten. Angesichts des geringen Wertes der pfändbaren Habe von Arbeiterfamilien sei die Versteigerung meistens auch sinnlos 496 . Der Zentrumsabgeordnete Gröber wies demgegenüber auf die Fortschritte des Entwurfs gegenüber dem geltenden Recht hin 497 , die bereits Planck in der ersten Lesung im Plenum aufgezählt hatte. Gröber betonte außerdem, der Katalog der unpfändbaren Sachen in der Zivilprozeßordnung solle erweitert werden, was auch der Staatssekretär des Reichsjustizamtes Nieberding im Reichstag bestätigte 498 . Der Reichstag lehnte den Antrag der Sozialdemokraten ab und nahm die Vorschriften zum Vermieterpfandrecht ohne Veränderung an 499 . Obgleich die sozialdemokratischen Anträge im Reichstag nur selten Erfolg hatten, bietet gerade das Mietrecht ein Beispiel für eine Ausnahme von dieser Regel. Stadthagen hatte mehrfach die Vertragspraxis im Mietwesen kritisiert, die mit „Hauspaschanormen" einseitig die Mieter benachteilige 500 . U m dies ein wenig zu unterbinden, hatten die Sozialdemokraten beantragt, das Kündigungsrecht des Vermieters wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache gemäß §546 RT-Vorlage um einen Zusatz zu ergänzen, daß der vertragswidrige Gebrauch durch den Mieter die Rechte des Vermieters erheblich verletzen muß. Ausdrücklich stimmten diesem Antrag der Zentrumsabgeordnete Gröber, der Kommissar des Bundesrats Struckmann und der national-liberale Abgeordnete von Bennigsen zu 501 . Der Antrag wurde daraufhin vom Plenum angenommen 502 . Auch in der dritten Beratung des Entwurfs im Reichstagsplenum kam die Sprache noch einmal auf das Vermieterpfandrecht. Enneccerus verteidigte den Entwurf gegen die Kritik zum Beispiel von Vielhaben, der gemeint hatte, das Gesetzbuch habe vor allem die kapitalistischen Interessen der Großindustrie im Auge und vernachlässige den Mittelstand 503 . Enneccerus erwiderte, das Gegenteil sei der Fall. Vielhaben habe zwar im kapitalistischen Interesse ein Kahlpfändungsrecht beantragt, doch die Reichstagskommission sei dem nicht gefolgt 504 . Vielhaben antwortete, für die Arbeiter seien manche Vorschriften ein Danaergeschenk. So die Einschränkung des Vermieterpfandrechts, denn der Arbeiter brauche Kredit. In Berlin solle nur noch wochenweise an Arbeiter vermietet werden. Wenn dann jemand arbeitslos werde, werde er sofort vor die Tür gesetzt. Da brauche man sich nicht zu wundern, wenn aus diesen Leuten Anarchisten würden 505 . 496 497 498

Frohme, in: Stenographische Berichte, S. 295f. Gröber, in: Stenographische Berichte, S. 296f. Gröber, in: Stenographische Berichte, S.297; Nieberding,

in: Stenographische Berichte,

S.297. 499

500 501 502

503 504 505

Stenographische Berichte, S.298. Stadthagen, in: Stenographische Berichte, S.293, vgl. auch S.298f. Vgl. Stenographische Berichte, S.293 f. Stenographische Berichte, S. 294. Vielhaben, in: Stenographische Berichte, S. 811. Enneccerus, in: Stenographische Berichte, S. 817. Vielhaben, in: Stenographische Berichte, S. 822.

III. Das

Vermieterpfandrecht

311

Wenngleich diese Worte aus dem Munde Vielhabens auf die Mehrheit des Reichstags eher eine amüsante Wirkung hatten, weil seine Anträge tatsächlich wenig mit den Interessen der Arbeiter zu tun hatten, die zu vertreten er nun für sich in Anspruch nahm 506 , so bleibt doch bemerkenswert, wie bis zum Schluß der Debatte alle Seiten soziale Argumente für sich in Anspruch nahmen. Vielhaben spielte mit dem Kreditargument auf den Schutz des Schwächeren an, dessen Kredit zu seinen eigenen Gunsten nicht geschmälert werden dürfe. Der Hinweis auf die Gefahr des Anarchismus hingegen meinte die Revolutionsfurcht, die einen sozialpolitischen Ausgleich geboten scheinen ließ. Die Vorschriften der RT-Vorlage betreffend das Vermieterpfandrecht wurden schließlich unverändert angenommen. Gegenüber dem ersten Entwurf war damit das Vermieterpfandrecht in zweifacher Weise eingeschränkt worden. Zum einen war der Kreis der gesicherten Forderungen erheblich eingegrenzt worden. Nur für die fälligen Forderungen sowie den Mietzins für das laufende und folgende Jahr konnte der Vermieter das Pfandrecht geltend machen. Hinsichtlich der Schadensersatzforderungen hatte die Redaktionskommission der zweiten Kommission allerdings formuliert, für die „künftigen Entschädigungsforderungen" könne das Pfandrecht nicht geltend gemacht werden (§ 501 S. 2 E II = §559 S.2 B G B ) . Damit war allerdings eine von der Kommission und der Kritik gar nicht beabsichtigte Unschärfe gerade für den wichtigsten Anwendungsfall eingetreten: Die Vertragsformulare bestimmten nämlich regelmäßig bei vorzeitiger Auflösung des Mietverhältnisses die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des gesamten Mietzinses der Restlaufzeit für den Fall, daß die Räume nicht zwischenzeitlich weitervermietet werden konnten 507 . In der Rechtsprechung zu Beginn des Jahrhunderts wurde die Frage uneinheitlich beantwortet, ob in § 559 S. 2 B G B „künftig" mit „nicht fällig" gleichzusetzen sei 508 , was vor dem Hintergrund der Debatte um das Vermieterpfandrecht fraglos zu bejahen gewesen wäre. Die Formulierung des Gesetzes erwies sich insoweit trotz allen guten Willens der Beteiligten als eine Fußangel für den sozialen Fortschritt.

5. Die sozialen Topoi in der Diskussion über das sowie die wirtschafts- und sozialgeschichtlichen a) Normative

Vermieterpfandrecht Hintergründe

Veränderungen

Vergleicht man das Vermieterpfandrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Rechtslage im gemeinen und preußischen Recht, aber auch den meisten übrigen Partikularrechten im Kaiserreich (jedenfalls bis 1894 die Pfändungsbeschränkungen in Preußen zum Zwecke der Verbesserung der Lage der Mieter in 506 Vgl Gröber, in: Stenographische Berichte, S. 822f. Vgl. zum Beispiel den Sachverhalt von Reichsgericht, Urt. vom 17. April 1903 (Rep. III 474/02, 3. Zivilsenat), in: R G Z 54 (1903), S.301-303. 5 0 8 Vgl. dazu Repgen, Das Vermieterpfandrecht im Kaiserreich (wie Fn. 173), S. 262-267. 507

312

Kapitel}:

Soziales Recht im

Schuldrecht

Vorwegnahme des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingeführt wurden 509 ), so erscheint die Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch in wesentlichen Punkten für die Mieter günstiger als bisher. Planck hatte die Veränderungen, soweit sie den Gegenstand des Pfandrechts, betrafen, bereits im Reichstag deutlich angesprochen 510 : nur die Sachen des Mieters, nicht die seiner Ehefrau oder Kinder unterliegen dem Pfandrecht, und ausgeschlossen sind die gemäß § 715 C P O der Pfändung nicht unterworfenen Sachen. Ferner hatte der Gesetzgeber gegenüber dem gemeinen Recht den Kreis der gesicherten Forderungen verkleinert. Neben den fälligen Forderungen sollte nur der Mietzins für das laufende und folgende Mietjahr vom Pfandrecht gedeckt sein. Außerdem wurden die Möglichkeiten der Befreiung vom Pfandrecht vergrößert. So durfte der Vermieter nicht mehr der Entfernung der Sachen widersprechen, wenn der verbleibende Rest zur Sicherung ausreichte. Dasselbe galt, wenn die Entfernung im Rahmen des regelmäßigen Geschäftsbetriebs oder der gewöhnlichen Lebensumstände geschah. Schließlich konnte der Mieter durch Sicherheitsleistung die Pfandhaftung aufheben. Diese Fortschritte gegenüber dem bislang geltenden Recht gingen zum Teil schon auf die Entscheidungen der ersten Kommission zurück, so insbesondere die Begrenzung des Gegenstands des Pfandrechts und des Widerspruchsrechts gegen das Entfernen von Gegenständen. Als Erfolg der Kritik am ersten Entwurf kann man die beschriebenen Beschränkungen des Sicherungszwecks ansehen, die von der zweiten Kommission vor allem aufgrund der Verhandlungen des 20. Juristentages beschlossen worden waren. In zentralen Punkten konnte sich die Kritik aber nicht durchsetzen. Dazu zählt zuvorderst die Maximalforderung der Abschaffung des Vermieterpfandrechts. Aber auch die unter anderem vom Juristentag verlangte Ausdehnung des Pfandrechts auf die den Familienangehörigen des Mieters gehörigen Sachen hatten die verschiedenen Kommissionen abgelehnt. Die Leitlinie dabei war: soviel Pfandrecht wie nötig und so wenig wie möglich. Hinter dieser Orientierung stand vor allem ein sozialer Topos: der Schutz des Schwächeren gegen den Stärkeren. Der Mieter wurde - sehr zum Leidwesen mancher Beobachter - als der schwächere Teil angesehen, wobei man die Kritik an dieser Sichtweise insoweit verstehen kann, als nicht selten auch die Vermieter alles andere als wirtschaftlich stark waren.

b) Soziale Topoi In der Diskussion um das Vermieterpfandrecht fällt ganz besonders auf, daß alle Seiten für ihre zum Teil entgegengesetzten Standpunkte „soziale" Argumente verwendeten. Nur höchst ausnahmsweise - und dann mit der Attitüde eines Helden - machte sich einmal jemand von den sozialen Rücksichten frei 511 . 509 510 511

Vgl. oben S. 284 Fn. 347. Vgl. oben S.306 bei Fn.475. Vgl. oben bei Fn. 493.

III. Das

Vermieterpfandrecht

313

Alle im dritten Kapitel dargestellten sozialen Topoi wurden in der Debatte benutzt. (1) Der

Gemeinschaftsgedanke

Der Gemeinschaftsgedanke diente unter anderem zur Rechtfertigung der Pfändungsbeschränkungen. Die zum Leben notwendigen Dinge sollten vom Pfandrecht des Vermieters ausgeschlossen bleiben, damit nicht die wirtschaftliche Existenz der betroffenen Mieter vollständig ausgelöscht wird. Die Mieter wären sonst auf die Fürsorge der Armenpflege angewiesen. Mit Rücksicht auf das Interesse der Allgemeinheit, die Armenpflege nicht zu belasten, sollten also die Vermieter auf die Durchsetzung ihrer Forderungen in gewisser Weise verzichten. Freilich war das ihnen angesonnene Opfer zugunsten der Allgemeinheit nicht besonders groß, weil der Wert des lebensnotwendigen Hausrats meist sehr gering war. Volkswirtschaftlich erschien die Vollstreckung in solche Sachen sogar widersinnig, weil der Erlös regelmäßig außer Verhältnis zu den Wiederbeschaffungskosten für den Schuldner stand. (2) Der Schutz des Schwächeren Zentrale Bedeutung für die Auseinandersetzung über die richtige Ausgestaltung des Vermieterpfandrechts hatte der Topos vom Schutz des Schwächeren. Als der schwächere Teil wurde grundsätzlich der Mieter angesehen, der vor den Zumutungen des Vermieters geschützt werden müsse. Diese Beurteilung war für den Großteil der Bevölkerung sicherlich zutreffend. Nur sehr wenige Mieter dürften aufgrund ihres Vermögens die Möglichkeit gehabt haben, frei den Inhalt der Mietverträge auszuhandeln. Die Mehrheit mußte die Verträge so unterzeichnen, wie sie von den Vermietern unter Benutzung der Formulare diktiert wurden. Das galt, obgleich der Wohnungsmarkt selbst keineswegs zu einer gleichbleibenden wirtschaftlichen Überlegenheit der Vermieter geführt hat, wie wir bereits oben im Zusammenhang mit dem Grundsatz „Kauf bricht Miete" ausgeführt haben 512 . Daß auch durchaus begüterte Mieter sich der „Mietstyrannei" der damals von den Haus- und Grundbesitzervereinen beherrschten Formularpraxis unterwerfen mußten, zeigt beispielhaft ein 1874 vor dem Berliner Obertribunal verhandelter Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung aufgrund eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch ein Dienstmädchen 513 . Der Mieter war offenbar keineswegs arm, denn sonst hätte er keine Hausbediensteten anstellen können. Er hatte aber einen Vertrag nach dem oben beschriebenen Muster unterzeichnet, dessen Hausordnung den Transport von Gefäßen mit „übelriechenden Stoffen" vor einer bestimmten

Vgl. oben S. 244. Obertribunal Berlin, Urteil vom 9. Februar 1874 (3. Senat), in: Striethorst (Archiv für Rechtsfälle ... des Königlichen Obertribunals) 91 (1875), S . 8 5 - 8 9 . 512

513

314

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

Uhrzeit am Abend verbot. Das Dienstmädchen des Mieters hatte gegen diese Vorschrift verstoßen und der Vermieter daraufhin den Vertrag gekündigt. Mit großer Wahrscheinlichkeit war der Verstoß allerdings nur der Anlaß, nicht das Motiv zur Kündigung. Man kann also festhalten, daß nicht nur die unteren Bevölkerungsschichten den von den Vermietern aufgestellten Regeln unterworfen waren. Insofern waren die Mieter unabhängig von ihrer eigenen wirtschaftlichen Stellung tatsächlich regelmäßig die Schwächeren. Etwas anderes galt natürlich, wenn beispielsweise die Reichspost oder eine große Bank als Mieter auftrat. Für die große Masse der Fälle spielte das aber keine Rolle. Die wichtigste Ursache für die Überlegenheit der Vermieter dürfte ihre unvergleichlich viel bessere Organisation gewesen sein, die es erlaubte, die rechtlichen Bedingungen der Wohnungsmiete weitgehend frei festzulegen. Während die Vermieter seit den siebziger Jahren zunehmend in Vereinen ihre Interessen gebündelt wahrnahmen, fehlte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf der Seite der Mieter jegliche organisierte Interessenvertretung. Der erste Haus- und Grundbesitzerverein wurde 1832 in Hamburg gegründet. 1879 entstand in Dresden der „Centraiverband deutscher Haus- und Grundbesitzervereine" mit Sitz in Berlin, und 1912 waren ungefähr 800 Ortsvereine in diesem Zentralverband organisiert 514 . 1899 verabschiedete dieser Verband in Elberfeld einen Mustervertrag, an dem sich alle Ortsvereine orientieren sollten 515 . Erst 1900 konnte sich ein Dachverband der Mietervereine bilden („Bund Deutscher Mietervereine e.V.") 516 . Die Vermietervereine vermochten gerade aufgrund ihrer besseren Organisationsstruktur ihre Vertragsmuster praktisch überall durchzusetzen. Der Hamburger Haus- und Grundbesitzerverein vertrieb 1893 40.000, 1900 sogar 106.000 und in den folgenden Jahren zwischen 50.000 und 80.000 Formulare. Wischermann schätzt aufgrund dieser Zahlen, daß in Hamburg 8 0 - 9 0 % aller Mietverträge unter Verwendung dieser Formulare geschlossen wurden 517 . Diese Schätzung erscheint durchaus realistisch. Sie wird in zeitgenössischen Quellen für andere Städte bestätigt. So meinte etwa das Landgericht München I 1911 in einem Urteil, es sei praktisch unmöglich, in München eine Wohnung zu mieten, wenn man nicht bereit sei, den Formularvertrag des Haus- und Grundbesitzervereins zu unterschreiben 518 . Der Bonner Zivilrechtler Konrad Cosack schrieb Wischermann, Wohnen in Hamburg (wie Fn. 99), S. 220. Abgedruckt bei Hermann Brückner, Die Miete von Wohnungen und anderen Räumen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche, 1. Aufl. Leipzig 1900, S. 162-165; vgl. dazu Fritz StierSomlo, Unser Mietrechtsverhältnis und seine Reform, Göttingen 1902, S. 11-32. 516 Wischermann, Wohnen in Hamburg (wie Fn. 99), S. 221; zu den schleppenden Anfängen der Mietervereine: Karl Christian Führer, Die deutsche Mieterbewegung 1918-1945, in: Wohnungspolitik im Sozialstaat. Deutsche und europäische Lösungen 1918-1960, hrsg. von Günther Schulz, Düsseldorf 1993, S. 223-245, hier S.223. 517 Wischermann, Wohnen in Hamburg (wie Fn. 99), S. 222. 518 Landgericht München I, Urteil vom 13. Januar 1911, in: Deutsche Juristenzeitung 1911, Sp.461f. sowie ausführlicher in: Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 76 (1911), S. 217-220. 514

515

III. Das

Vermieterpfandrecht

315

1903: „... in vielen Städten pflegen sich die Wohnungsvermieter beim Abschluß der Mietverträge gedruckter Formulare zu bedienen, in denen eine Fülle von Klauseln zu ihren Gunsten auftreten; der Mieter ist hiergegen wehrlos, weil er einen Vermieter, der auf den Gebrauch dieser Formulare verzichtet, kaum findet" 519 . Die Formularpraxis zeigt also, daß tatsächlich die Mieter zu Recht als der schwächere Teil angesehen worden sind. Zu ihrem Schutz wurden in der Diskussion um das Vermieterpfandrecht allerdings vollständig gegensätzliche Forderungen erhoben. Die weitestgehende Forderung war die vollständige Abschaffung des Vermieterpfandrechts. Nicht als Gegensatz, sondern nur als kleinere Lösung wurde seine Einschränkung verlangt und mit dem Schutz des Schwächeren begründet. Aber auch die entgegengesetzte Seite berief sich auf den Schutz des Schwächeren und forderte aus diesem Grund die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts, zum Teil sogar seine Ausdehnung über den Rahmen des ersten Entwurfs hinaus auf die Sachen Dritter, insbesondere der Ehefrau und Kinder des Mieters. Der behauptete wirtschaftliche Effekt sollte die Sicherung des sogenannten Mietkredits sein, der als eine Voraussetzung für den Abschluß von Wohnungsmietverträgen angesehen wurde. Die wichtige Rolle des Topos vom Schutz des Schwächeren beim Vermieterpfandrecht stützt die Beobachtung, daß dieser Topos in besonderer Weise auf die typischen Interessenkonflikte im Schuldrecht paßt. Zwar ist er auch in der Auseinandersetzung über die übrigen Bücher der Kodifikation nicht ohne Bedeutung gewesen, aber es ist doch signifikant, daß etwa Gierke, der sonst eher den Gemeinschaftsgedanken an die Spitze gerückt hat, bei schuldrechtlichen Fragestellungen wie zum Beispiel beim Vermieterpfandrecht gerade diesen Topos bemüht hat.

(3) Soziale

Freiheit

Nächst dem Schutz des Schwächeren hatte in der sozial motivierten Auseinandersetzung über das Vermieterpfandrecht der Topos der sozialen Freiheit die größte Bedeutung. Anders als der zuvor besprochene Schutz des Schwächeren verband sich mit diesem Topos aber eine eindeutige Aussage: Zurückdrängung der Position des Vermieters zum Zwecke einer echten Gleichberechtigung von Mieter und Vermieter. Es ging in den Augen der Verwender dieser Argumentation, wie zum Beispiel Thomsenila, darum, Vermietern und Mietern eine gleichberechtigte Ausgangslage zu sichern, das heißt Privilegien der Vermieter abzubauen. Das Vermieterpfandrecht verstanden die, die so argumentierten, als ein solches Privileg. Soziale Freiheit meinte also in diesem Fall die Sicherung von Vertragsfreiheit 519 Konrad Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, Bd. 1, 4. Aufl. Jena 1903, S.479. 520 Vgl. oben S.264 bei Fn.241.

316

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

für den Mieter. Hinzu kam, daß andere Gläubiger der Mieter keinerlei privilegierte Sicherungsmittel hatten. Auch diesen gegenüber sollte die Abschaffung des gesetzlichen Vermieterpfandrechts eine Gleichberechtigung bewirken. (4) Sozialpolitischer

Ausgleich

Schließlich begegnete in der Diskussion immer wieder das Argument, man wolle für Stabilität sorgen. Dabei hatte man - sieht man einmal von der Absicht Scherers, den Interessen des Mittelstands Gehör zu verschaffen, ab521 - hauptsächlich vor Augen, daß gerade die ärmeren Bevölkerungsschichten in besonderem Maße von der Wohnungsfrage betroffen waren. Die Interessen der „kleinen Leute" sollten angemessen berücksichtigt werden. Wie auch sonst verband sich diese Überlegung auf eigentümliche Weise mit den beiden zuletzt besprochenen Topoi. Gerade das ständig wiederkehrende Kreditargument hatte die Lage der Unterschichten vor Augen. c) Wirtschafts-

und sozialgeschichtliche

Hintergründe

Die von allen Seiten in der Diskussion um das Vermieterpfandrecht benutzten sozialen Argumente hatten in ganz besonders deutlicher Weise stets bestimmte wirtschaftliche Hintergründe, die es zu erhellen gilt, um die Beteiligten richtig verstehen zu können. Einiges über den Wohnungsmarkt wurde schon oben im Zusammenhang mit „Kauf bricht Miete" besprochen522. Waren dort die wirtschaftlichen Interessen von Belang, soweit sie den Bestandsschutz der Mietverträge betrafen, so sind es hier die Interessen, die hinter der Beibehaltung oder Abschaffung des Vermieterpfandrechts beziehungsweise seiner Einschränkung zu suchen sind. (1) Kahlpfändung

und

Armenverwaltung

Für die Unpfändbarkeit der unentbehrlichen Gegenstände stritt das Gemeinschaftsinteresse daran, daß möglichst wenige Menschen auf die staatliche Armenverwaltung angewiesen sind. Andernfalls mußte die Armenverwaltung überlegen, ob sie die gepfändeten Gegenstände auslösen oder den Mieter und seine Angehörigen ins Armenhaus aufnehmen wollte. Einmal auf die Armenverwaltung angewiesen, gab es für sehr viele kein Entrinnen mehr aus dem Elend. Wer in Obdachlosigkeit geriet, dem drohte der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte mit allen mißlichen Folgen523. Die Erfahrungen, die man in Berlin und anderswo in den siebziger Jahren gemacht hatte, als hunderte von Familien Vgl. oben S. 277. Vgl. oben S.231. 523 Vgl. dazu Frank Zadack-Buchmeier, Anstalten, Heime und Asyle: Wohnen im institutionellen Kontext, in: Geschichte des Wohnens ..., hrsg. von Jürgen Reulecke (wie Fn. 196), S.637743. 521 522

III. Das

317

Vermieterpfandrecht

in Folge der Wohnungsnot obdachlos geworden waren, waren vielen Zeugest

nossen präsent . Der Erhalt der wirtschaftlichen Lebensgrundlage durch die Einschränkung des Pfandrechts war insbesondere für die unteren Bevölkerungsschichten von existentieller Bedeutung, die bei geringsten Erwerbsausfällen unfähig wurden, Mieten und sonstige Verpflichtungen zu bedienen. Es drohte ihnen der völlige wirtschaftliche Ruin, wenn sofort der gesamte Hausrat gepfändet werden konnte. Die geringen Löhne erlaubten es in der Regel nicht, Rücklagen für solche Gelegenheiten zu bilden. Das gilt trotz der zu Beginn der achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts gesunkenen Lebenshaltungskosten525. (2) Der Mietkredit

und die Vorauszahlungspflicht

(a) Das Sicherungsinteresse

der

des Mieters

Vermieter

Nach dem zuvor Gesagten sprach ein wirtschaftliches Interesse der Allgemeinheit für die Zurückdrängung des Vermieterpfandrechts, mindestens für seine Einschränkung auf die nicht lebensnotwendigen Dinge. Aber auch für das Gegenteil wurde seit Beginn der achtziger Jahre stereotyp wiederkehrend526 ein wirtschaftliches Interesse angeführt: Ohne Vermieterpfandrecht sei es für die Armeren nicht möglich, dem Vermieter Sicherheit zu bieten. Dann würde es für diese Schichten schwer, überhaupt eine Wohnung zu finden, weil diese wegen des erhöhten Risikos teuerer würden. Allenfalls sehr kurzfristige Verträge mit Vorauszahlungspflicht seien denkbar, die Mieter also in noch stärkerem Maße von der Wohnungsnot bedroht. Der Vermieter benötige eine Sicherheit, weil er die Mietsache im voraus bereitstelle, also vorleiste. Wenn der Staat die wirtschaftliche Stellung der Vermieter nicht sicherstelle, so werde darüber hinaus auch der Immobiliarkredit gefährdet - eine Konsequenz, die die erste Kommission keinesfalls einzugehen bereit war, hielt man doch die Immobilienbesitzer in besonderer Weise für eine staatstragende Schicht. Boyens hat gelegentlich die Zusammenhänge aus der Sicht derjenigen, die das 524 Der Bericht von G. Berthold, Die Wohnverhältnisse in Berlin, insbesondere in den ärmeren Klassen, in: Die Wohnungsnoth der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe, Gutachten und Berichte, hrsg. vom Verein für Socialpolitik, Leipzig 1886, S. 199-235, hier S.201, über die Situation in Berlin in den siebziger Jahren sprach von 600 Familien, von denen allein 163 mit ca. 700 Personen auf der Schlächterwiese vor dem Cottbuser Tor Baracken aufschlugen. Weitere Einzelheiten bei Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus (wie Fn. 3), S. 120-124. Hamburg zählte 87 Familien mit etwa 450 Personen im Mai 1874, vgl. Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S. 337. 525 Zur Entwicklung der Lebenshaltungskosten der Arbeiter vgl. oben S. 230 bei Fn. 85 sowie außerdem unten S. 327 bei Fn. 572. 526 Vgl. zunächst die Bemerkung Struckmanns in der Begründung des Teilentwurfs, oben S. 257 bei Fn. 206. Mehr als ein Dutzend weiterer Stellungnahmen zum Entwurf argumentierten in der einen oder anderen Weise mit dem Kreditargument, vgl. aus dem Vorhergehenden die Nachweise bei den Fn.209,210,228,258,260,310, 349,357,395,445,470,473,478,483,485 und 505.

318

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

Kreditargument immer wieder für sich ins Feld führten, in anschaulicher Weise dargestellt: Wohnung und Herd, so erklärte er, seien für den Armen neben der Speise das erste Bedürfnis. Obgleich das, wie man wohl ergänzen müßte, auch für den Reichen zu gelten hätte, kam Boyens sogleich auf den entscheidenden Unterschied zu letzterem zu sprechen. Es sei insbesondere für die einfachen Arbeiter und Handwerker „unendlich wichtig", das Wohnbedürfnis auf Kredit befriedigen zu können. Da diese Leute aber selten so viel Geld besäßen, um die Miete für einen Monat im voraus bezahlen zu können, was in den Städten der übliche Termin sei, müßten sie dem Vermieter anderweit Sicherheit bieten. In Ermangelung anderer Fahrhabe könne diese Sicherheit nur in Form der unpfändbaren, lebensnotwendigen Gegenstände gefunden werden. Wenn man diese Sicherheit wegnehme, würden die Vermieter auf der Vorauszahlung bestehen, die diejenigen, die so buchstäblich von der Hand in den Mund lebten, nicht leisten könnten. Und weiter heißt es bei Boyens wörtlich: „Dadurch würden die bedenklichsten Zustände entstehen. Zunächst würde der Miethstermin auf eine Woche oder gar einen Tag (wie in London und den englischen Fabrikstädten) verkürzt werden, um die Vorausbezahlung zu erleichtern. Dadurch würde den Hauswirthen eine große Mehrarbeit bei der Kontrolirung der Miether und Einziehung der Miethszinsen aufgebürdet. Die armen Miether würden alle Seßhaftigkeit verlieren. Die Exmissionsprozesse würden in erschreckender Weise zunehmen. Viele arme Leute, die auch für den kürzeren Miethstermin nicht voraus bezahlen könnten, müßten von den Gemeinden untergebracht werden und die Armenhäuser bevölkern. Dadurch würde sich die Unzufriedenheit vermehren und die sozialistische Gährung wachsen. Bei diesen Verhältnissen würde der Antrieb zum Bauen und Vermiethen von Arbeiterwohnungen abnehmen und durch die dadurch eintretende Verminderung des Angebots würden alle diese Uebelstände sich immer noch verschlimmern" 527 .

(b) Kreditwesen

auch bei

Konsumgütern

Boyens prognostizierte also Entwicklungen, die zu vermeiden gerade die erklärte Absicht beim Verbot der Pfändung unentbehrlicher Sachen war. Und in der Tat erschien es plausibel, daß die ärmeren Bevölkerungsschichten in große Schwierigkeit gelangen würden, wenn man von ihnen die Stellung anderer Sicherheiten als der persönlichen Habe verlangen wollte. In der Bedarfsdekkungswirtschaft der damaligen Zeit gab es, wie erwähnt, für die ärmeren Schichten wenig Möglichkeit, Ersparnisse anzulegen. Hinzu kam eine Schwierigkeit, die zu selten bedacht wird, deren wirtschaftliche Konsequenz aber uns heutigen klar werden kann, wenn man eine Parallele zu den Problemen des modernen Gesundheitswesens zieht: Die Möglichkeiten einer Steigerung des Lebensstandards waren rein theoretisch größer als es die Finanzmittel breiter Massen er527 Boyens, Miethe und Pacht (wie Fn. 291), S. 729f.; in diesem Sinne auch: Böhmert, [Diskussionsbeitrag:] Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege (wie Fn.279), S. 56; Otto Trüdinger, Die Arbeiterwohnungsfrage und die Bestrebungen zur Lösung derselben, Jena 1888, S. 171.

III. Das

Vermieterpfandrecht

319

laubten, die dennoch teilweise danach strebten, ihre Situation zu verbessern mit der Folge einer Uberschuldung. In vielen Haushalten der unteren Bevölkerungsschichten war man sogar beim Erwerb der alltäglichen Konsumgüter auf Kredite angewiesen, weil der durchschnittliche Arbeitslohn nicht ausreichte, um auch nur die einfachste Existenz zu sichern. Solche Haushalte konnten oft nur durch ständigen Arbeitsplatzwechsel mit der gelegentlich erfolgreichen Hoffnung auf mehr Lohn bei Einsatz aller arbeitsfähigen Familienmitglieder überleben 528 . Die blühende Kreditpraxis auch bei Konsumgütern ist vielfach bezeugt 529 . Insofern ist die Äußerung von Boyens und anderen nachvollziehbar, eine Vorauszahlungspflicht bei der Miete stelle für viele ein unüberwindliches Problem dar. Fest steht, daß erst im Laufe des 20. Jahrhunderts die Vorauszahlung der Wohnungsmiete - in Verbindung mit einer Kaution - allgemein üblich wurde und das Vermieterpfandrecht an Bedeutung verlor. In der Zeit zwischen 1880 und 1945 bietet sich ein uneinheitliches Bild 530 . Sicher ist aber auch, daß 528 Vgl z u m Beispiel Popp, Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin (wie Fn. 80). 529 Fuld, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.244], S. 175: „der arme Mann geht in den Laden und borgt Brot, oder er entnimmt beim Schuster Schuhe auf Borg"; Strauß, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.271], S.183f., wollte die Lohnpfändung für alle Gläubiger „wie Bäcker, Schuster, Schneider u.s.w.", die im vergangenen Vierteljahr ohne Gegenleistung notwendige Lebensbedürfnisse erfüllt hatten; Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 138, sprach davon, Vermieter und Warenlieferanten, wie „Spezereihändler", Schneider usw. müßten ihre Zahlungsbedingungen den Lohnbedingungen der Arbeiter anpassen, wenn sie mit Unbemittelten überhaupt Geschäfte machen wollten; Münsterberg, Kritik (wie Fn.335), S.618: „die hier gemeinte Bevölkerungsklasse ist in der That schon jetzt meist unpfändbar und bietet den am meisten in Betracht kommenden Gläubigerklassen, den Krämern und den Kleiderlieferanten, keine irgend nennenswerthe Sicherheit"; Gustav Schmoller [Diskussionsbeitrag:] Die Wohnungsverhältnisse der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten, in: Verhandlungen der am 24. und 25. September 1886 in Frankfurt a.M. abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik, Leipzig 1887, S. 18-21, hier S. 19: „theilweise spielen Krämer diese Rolle [sc. eines Unteroermieters], welche die Miether zugleich durch Waarenkredit wucherisch ausbeuten" - Schmoller sprach also von einer Art „Trucksystem", übertragen auf das Wohnungsmietverhältnis, das heißt von einer weiteren Parallele der Probleme im Arbeits- und im Mietvertrag; wie selbstverständlich damals der Kredit beim Erwerb des täglichen Lebensbedarfs war, zeigt auch die bereits zitierte Rede Bismarcks, [Rede vor dem Reichstag am 12. Juni 1882, wie Fn. 168], S.348, wo Bismarck meinte, ehe jemand die Steuer nicht bezahle, werde er „seinen Kredit beim Bäcker, Metzger, Milchmann ziemlich erschöpft haben";Jastrow, Das Pfandrecht des Vermieters (wie Fn. 457), S. 390, erwähnte den Kredit der „Bäcker, Fleischer, Schneider und Schuhmacher"; ähnlich die oben S. 263 bei Fn. 236 zitierte Äußerung von Thomsen sowie Rieck, Maßgebliches und Unmaßgebliches (wie Fn. 80), S. 380. Von der weit verbreiteten Übung, Konsumgüter auf Kreditbasis zu erwerben, zeugen auch manche zeitgenössischen Lebensbeschreibungen, zum Beispiel: Edmund Schröpel, Der Gehaltssklave, in: Die Zeitschwingen 1894, wieder abgedruckt bei Friedrich G. Kürbisch (Hrsg.), Der Arbeitsmann, er stirbt, verdirbt, wann steht er auf? Sozialreportagen 1880 bis 1918, Berlin Bonn 1982, S. 65-68, hier S.66f.; Paul Göhre, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche, Leipzig 1891, S. 199. Vgl. im übrigen die Ausführungen zum „Borgsystem" oben im Zusammenhang mit der Anspruchsverjährung, S. 186 und 196. 5 3 0 So wenigstens auf der Grundlage der dem Verfasser vorliegenden mehr als 120 Mietvertragsurkunden aus dieser Zeit, von denen immerhin 50 die Vorauszahlungspflicht enthielten. Der

320

Kapitel 5: Soziales Recht im

Schuldrecht

schon im ausgehenden 19. Jahrhundert die Vorauszahlungspflicht gerade bei Kleinwohnungen keine Seltenheit mehr war, wie die unwidersprochen gebliebene Bemerkung Dernburgs auf dem 20. Deutschen Juristentag 1889 zeigt 531 . Enneccerus hatte sich im Reichstag ähnlich geäußert 532 .

(c) Zeitgenössische Skepsis gegenüber dem

Kreditargument

Obgleich die Überlegungen zum Kredit der Mieter nicht auf den ersten Blick von der Hand zu weisen waren, ist schon in der zeitgenössischen Kritik Skepsis an der Uberzeugungskraft des „Kreditarguments" zu beobachten. Lewinsohn beispielsweise wandte ein, seine Erfahrung bestätige die Befürchtung nicht, daß die Vermieter die Wohnungen nicht vermieten würden, wenn sie nicht die notdürftigste Habe der Mieter als Sicherheit erlangten. Viel wichtiger sei es, daß der Mieter arbeitsfähig sei. Im übrigen verminderten kurze Zahlungsfristen die Verlustgefahr für den Vermieter. Da sonst die Gefahr bestehe, die Wohnung überhaupt nicht vermieten zu können - wir werden auf diese wichtige Überlegung zurückkommen - , würde der Vermieter selbst dann den Vertrag schließen, wenn er keine Pfandsicherheit erlangen könne 533 . Trotzdem hatte sich Lewinsohn - davon war bereits die Rede 534 - für die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts mit der Begründung ausgesprochen, daß anderenfalls nicht genug bezahlbare Mietwohnungen gebaut werden würden. Die Widersprüchlichkeit in Lewinsohns Gutachten wird etwas gemildert, wenn man das wirtschaftliche Bezugsobjekt bedenkt: Lewinsohn befürchtete eine Verringerung der Investitionsbereitschaft mit der Folge einer Verknappung von Wohnraum und dem Anstieg der Mietpreise. Sonst wurde der Mietkredit meistens im Hinblick auf bereits vorhandenen Wohnraum diskutiert. Lewinsohn war nicht der einzige, der die Überzeugungskraft des „Kreditarguments" bezweifelte. Der Verein für Socialpolitik hatte sich 1886 mit der Wohnungsfrage beschäftigt. Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Johannes Miquel schrieb in seiner Einleitung zum entsprechenden Gutachtenband, er messe der Frage der Kreditfähigkeit der Mieter wenig Gewicht bei, weil im Falle der Zahlungsunfähigkeit „Verschleppungen" - gemeint war das „Rücken" leicht durchführbar seien. Vielmehr sei es erwünscht, wenn der Hauseigentümer seine Sicherheit in kurzen Zahlungsfristen und Barzahlung suche 535 . Strauß, der nach eigenem Bekunden fünfzig Wohnhäuser in Mönchengladbach älteste Fall stammt aus Mainz vom 27. März 1880. Selbstverständlich ist die Zahl zu klein, um einigermaßen sichere statistische Aussagen machen zu können. Rudolf Breuer, Das deutsche Wohnungsmietrecht nach den Formularverträgen der Vermietervereine, Diss. iur. Heidelberg 1914, S. 49 hielt die Vorauszahlung für die häufigere Variante. 5 3 1 Vgl. oben S.266 bei Fn.253. 5 3 2 Vgl. oben S.307 bei Fn.478. 533 Lewinsohn, Gutachten (wie Fn.260), S. 256. 5 3 4 Vgl. oben S.268 bei Fn.260. 535 Miquel, Einleitung (wie Fn. 94), S. X V I . Ähnlich Kalle, [Referat:] Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege (wie Fn. 335), S. 45.

III. Das

Vermieterpfandrecht

321

besaß, beurteilte die wirtschaftliche Bedeutung des Pfandrechts nicht als so wichtig wie die Möglichkeit der Mietzinszahlung praenumerando 536 . Flesch hielt die Sicherheit, die sich aus dem Pfandrecht an den Möbeln ergibt, für „belanglos". Entweder erhalte der Unbemittelte, so schrieb er, von seinen Gläubigern Kredit, weil diese auf seine Arbeitskraft und Ehrlichkeit vertrauten oder auch unfreiwillig, weil sie nicht anders könnten 537 . Auch Münsterberg erschien das Argument einer Kreditgefährdung schwach. Die Kreditverhältnisse der ärmeren Bevölkerungsschichten würden durch eine Beschränkung der pfändbaren Gegenstände keine nennenswerte Änderung erfahren, so meinte er. Der bestehende Zustand sei für die Gläubiger von geringem Nutzen, für den Schuldner aber von „ganz außerordentlicher Härte" 538 . Frohme hielt sogar das Argument einer drohenden Verteuerung der Wohnungen für widerlegt 539 . Und Jastrow gab aus Anlaß der Beratung des preußischen Gesetzes über das Vermieterpfandrecht vom 12. Juni 1894540 zu bedenken, er wisse nicht, welchen Vorteil die Besitzer der Berliner Mietskasernen davon haben sollten, dieselben leerstehen zu lassen 541 .

(d) Die Plausibilität

des

Kreditarguments

Fragt man heute, welche Seite denn Plausibilität für sich beanspruchen konnte, so muß man einige Daten über den Wohnungsmarkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Kalkül ziehen. Voraussetzung für die Schlüssigkeit des Kreditarguments war, daß die Vermieter die Wohnungen nur dann an Leute vermieten würden, die nichts außer pfändungssicherer Habe besaßen, wenn sie diese verwerten dürften, falls der Mieter seinen Zins schuldig bleibe. Diese Prämisse erschien jedoch von Anfang an als zweifelhaft. Schon Lewinsohn hatte vermutet, daß der Vermieter lieber einen unsicheren als gar keinen Mieter einziehen lassen werde 542 . Die soeben zitierte Bemerkung von Jastrow, er erkenne keinen Vorteil leerstehender Mietskasernen, zielte auf dasselbe. Vor dem Hintergrund des damaligen Wohnungsmarktes und der Gepflogenheiten bei der Baufinan536 Strauß, [Diskussionsbeitrag zu:] Die Wohnungsverhältnisse der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten, in: Verhandlungen der am 24. und 25. September 1886 in Frankfurt a.M. abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik [Schriften des Vereins für Socialpolitik, 33], Leipzig 1887, S. 25; Strauß sah, nebenbei bemerkt, eine der wichtigsten Ursachen für die hohen Mietpreise in den auf dem Grundstück ruhenden öffentlichen Lasten, die seiner Meinung nach auf die Schultern aller, nicht nur der Hausbesitzer, verteilt werden sollten [S.26f.]. Ahnlich im Hinblick auf die Vorauszahlung der Miete ders., [Diskussionsbeitrag zur Frage der Beibehaltung des Vermieterpfandrechts, wie Fn.271], S. 182f. 537 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn. 91), S. 138. 538 Münsterberg, Kritik (wie Fn.91), S.617f.; ebenfalls gegen das Kreditargument: Wilhelm Reuling, Beiträge zum preußischen Miethrecht, Berlin 1894, S.35. 539 Frohme, in: Stenographische Berichte, S.295. 540 Vgl. oben Fn. 354. 541 Jastrow, Das Pfandrecht des Vermiethers (wie Fn.457), in: Sozialpolitisches Centraiblatt 3 (1894), S.389-391, hier S.389. 542 Vgl. oben bei Fn. 533.

322

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

zierung, hat die Vermutung von Lewinsohn einiges für sich. Und niemand anderes als Boyens selbst, der, wie wir gesehen haben 543 , das Gegenteil zu begründen unternommen hatte, führte in anderem Zusammenhang Erfahrungen an, die die These Lewinsohns zu stützen vermocht hätten. Auf eine Bemerkung Dernburgs auf dem Juristentag, der Vermieter werde froh sein, wenn er einen nichtzahlenden armen Mieter los werde 544 , entgegnete er: „Das mag ganz richtig sein, wenn ich ein großes Haus habe und als einzigen armen Miether meinen Portier, der bei mir für geringe Miethe wohnt. Wenn der nicht zahlt, so werde ich ihn freilich laufen lassen und auf eine Zurückbehaltung seiner Sachen verzichten. Aber nun nehmen Sie einmal unsere Arbeiterviertel - ich bin aus Stettin, wo es in den Vororten Häuser giebt mit 40 bis 50 Arbeiterwohnungen. Da kann der Hauswirth, dessen ganzes Vermögen in dem Hause steckt, nicht sagen: ich bin froh, daß ich die Kerls los bin, - dann ist er überhaupt fertig" 5 4 5 .

Boyens folgerte daraus, daß das Pfandrecht an unpfändbaren Sachen fortbestehen müsse, sonst werde man die Leistung praenumerando einführen müssen. Wenn die Mieter nicht zahlten, wären sie fortwährend von der Exmission bedroht. Dieser Zustand bestand aber ohnehin aufgrund der formularvertraglichen Vereinbarung zahlloser außerordentlicher Kündigungsgründe - schon das Stehen auf dem Treppenabsatz oder vor der Haustür konnte mitunter genügen 546 . Vielmehr künden die Erfahrungen von Boyens davon, daß auch die Vermieter auf ihre Mieter angewiesen waren. Sie konnten nicht so leicht darauf verzichten, notfalls auch unsichere Kantonisten aufzunehmen. Und Flesch sprach gelegentlich davon, daß die Vermieter und Warenlieferanten manchmal gar nicht anders könnten, als Unbemittelten Kredit zu gewähren547. Auch manche Händler mußten um jeden Kunden kämpfen. Festzuhalten ist jedenfalls, daß die Vermieter offenbar gar nicht so selten auf den Abschluß von Mietverträgen unter allen Umständen angewiesen waren, also unabhängig von der Kreditunterlage der Mieter. Dieser Eindruck wird schließlich noch durch die Stellungnahme des Zentralverbands der Haus- und städtischen Grundbesitzervereine von 1890 gestützt, die Alfred Baron verfaßt hatte. Baron hatte dort, wie oben geschildert worden ist 548 , die Ablehnung des Grundsatzes „Kauf bricht Miete" mit dem offenkundigen Interesse der Vermieter an dauerhaften Mietverträgen begründet, die abzuschließen sich die Mieter scheuen würden, wenn § 509 E I Gesetz würde. Das eigene wirtschaftliche Interesse der Vermieter bestehe, so führte Baron aus, darin, aus dem Anlagekapital eine sichere Rente zu beziehen, die sich nur aus den Mietverträgen erzielen lasse 549 . So banal diese Erkenntnis klingt, sie macht deut543 544 545 546 547 548 549

Vgl. oben bei Fn. 527. Dernburg, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.252], S. 178. Boyens, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 278], S. 202. Vgl. dazu oben S.244. Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91), S. 138. Vgl. oben S.247 bei Fn. 149. Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S.309.

III. Das

Vermieterpfandrecht

323

lieh, daß es den Vermietern in erster Linie um den Abschluß von Mietverträgen gehen mußte. Wenn die Nachfrage am Markt nicht hinreichend groß war - und die ärmere Bevölkerung war zahlenmäßig stark - , so waren die Vermieter gezwungen, auch unter Verzicht auf dingliche Sicherheiten Mietverträge abzuschließen 550 . Nimmt man nun hinzu, daß einem Uberangebot an größeren Wohnungen ein Mangel an Kleinwohnungen gegenüberstand551, so liegt es auf der Hand, daß die Vermieter größerer Wohnungen oft Mieter ohne entsprechend große Sicherheiten akzeptieren mußten, die dann durch Untervermietung die für sie eigentlich zu teure Wohnung bezahlbar machten 552 . Die Vermieter waren also oftmals in gewisser Weise wirtschaftlich von den „kleinen Leuten" abhängig und mußten sie ohne Rücksicht auf die Kreditwürdigkeit akzeptieren. Die Befürchtung, durch die Beschränkung des Vermieterpfandrechts auf die nach §715 C P O pfändbaren Gegenstände werde den ärmeren Mietern der Zugang zum Wohnungsmarkt erschwert, erscheint demnach schon aufgrund der Einwände der Zeitgenossen wenig plausibel. (e) Die Baufinanzierung

als Schlüsselfrage

Zu erklären bleibt, warum die Vermieter oft geradezu existentiell auf die Zahlung des Mietzinses angewiesen waren. „Man geht ferner von der Ansicht aus, die Hauseigenthümer seien in der Regel reiche Leute. Das ist aber sehr irrig. D i e große Mehrzahl der Hauseigenthümer muß auf das E i n gehen der Miethen rechnen, damit sie ihre Capitalzinsen zahlen können. Viele Hauseigenthümer haben so viele Hypotheken, daß sie eigentlich mehr Verwalter als Eigenthümer sind"553.

Diese Bemerkung Scherers führt zum entscheidenden Punkt für das Verständnis der wirtschaftlichen Hintergründe der Wohnungsfrage und damit auch des Vermieterpfandrechts: zur Baufinanzierung. Erst vor diesem Hintergrund wird etwa die Klage von Franz Raatz 1898 in Vgl. auch die oben S. 246 bei Fn. 146 zitierte Bemerkung von Arnulf Lieber. So z.B. Alfred Baron, Das Miethrecht (wie Fn. 149), S. 316f.; außerdem: Wischermann, Mythen (wie Fn. 92), S. 412. Der Mangel an Kleinwohnungen hatte übrigens in Städten wie Berlin eine lange Vorgeschichte. So lassen sich Berichte aus dem 18. Jahrhundert finden, die ebenfalls diesen Mangel beklagen, z.B.: Johann Ludwig Formey, Versuch einer medicinischen Topographie von Berlin, Berlin 1796, S.86. 552 Ein besonders krasser Fall lag einem Urteil des Kammergerichts vom 15. Februar 1905 zugrunde: Ein Tischlergeselle mit einem Jahreseinkommen von 1.300 Mark hat für eine jährliche Miete von 1.680 Mark eine Wohnung gemietet, die er dann selbstverständlich entsprechend untervermieten mußte, in: Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts 16 (1905), S. 38f. - Der Vermieter hatte also diesen Mieter akzeptiert in der Annahme, er werde durch Untervermietungen die mangelnde Sicherheit ausgleichen können. Denn es erscheint ausgeschlossen, daß der Hauptmieter einen hinreichend wertvollen Hausrat in die Wohnung einzubringen vermocht hat. 550 551

553

Scherer, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.274], S. 191.

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

324

einer E r l ä u t e r u n g des R e c h t s der W o h n r a u m m i e t e nach d e m B ü r g e r l i c h e n G e s e t z b u c h verständlich, der sagte, die H a u s e i g e n t ü m e r seien o f t die G e t r i e b e n e n , weil sie den

rigorosen

d e n 5 5 4 . Raatz

hielt d e s w e g e n die T h e s e v o n der sozialen U b e r m a c h t des V e r -

B e d i n g u n g e n der B a n k h y p o t h e k e n unterliegen w ü r -

mieters u n d der s c h w a c h e n P o s i t i o n des M i e t e r s f ü r einen „alten A b e r g l a u ben"555. B i s k u r z v o r d e m E r s t e n W e l t k r i e g w a r der W o h n u n g s b a u eine fast vollständig privatwirtschaftliche A n g e l e g e n h e i t o h n e ö f f e n t l i c h e L e n k u n g u n d B e e i n flussung, i n s b e s o n d e r e auch o h n e staatliche F i n a n z i e r u n g s h i l f e n . I n d e r M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s trat b e i m W o h n u n g s b a u eine w i c h t i g e V e r ä n d e r u n g ein, die z u r A u s b i l d u n g eines F i n a n z i e r u n g s m o d e l l s geführt hatte. W ä h r e n d m a n f r ü h e r n u r auf B e s t e l l u n g gebaut hatte, traten seit der J a h r h u n d e r t m i t t e i m m e r häufiger U n t e r n e h m e r auf, die, a n g e t r i e b e n v o n freilich sehr k o n j u n k t u r a b h ä n giger N a c h f r a g e s t e i g e r u n g , m i t d e m Ziel der G e w i n n m a x i m i e r u n g „spekulativ e n " W o h n u n g s b a u f ü r einen a n o n y m e n M a r k t b e t r i e b e n . Seit den s e c h z i g e r J a h r e n entstanden m e h r u n d m e h r g r ö ß e r e B a u u n t e r n e h m u n g e n u n d die b e r ü c h t i g t e n 5 5 6 Terraingesellschaften in der F o r m v o n

Aktiengesellschaften557.

L e t z t e r e k a u f t e n B a u l a n d , das sie mit eigenem Kapital erschlossen u n d dann z u B e b a u u n g s z w e c k e n meistens w i e d e r v e r k a u f t e n 5 5 8 . V e r k a u f s g e w i n n e v o n 1 0 0 %

554 Franz Raatz, Die Miethe von Räumen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Ein Beitrag zur Einführung in das Bürgerliche Gesetzbuch, Berlin 1898, S. 39. Ahnlich auch Leo, Zum Mietrecht (wie Fn.490), S.231. 555 Raatz, Die Miethe (wie Fn.554), S.67. 556 In der zeitgenössischen Literatur wurden die Terraingesellschaften in weitem Umfang für den sogenannten „Bauschwindel" verantwortlich gemacht. Z.B. Rudolph Eberstadt, Berliner Communalreform, in: Preußische Jahrbücher 70 (1892), S. 577-610: Ein kapitalschwacher Unternehmer ließ das Haus auf dem hochbelasteten Grundstück errichten und die verkaufende Terraingesellschaft erwarb anschließend das Gebäude im Wege der Zwangsversteigerung, weil der Bauunternehmer die Handwerker nicht mehr bezahlen konnte. Die Handwerker gingen dann leer aus, da die Hypotheken der Terraingesellschaft bevorzugt bedient werden mußten. Diese Konstruktion kam zwar vor, aber war, wie bereits eine wichtige, auf statistischem Material fußende Studie von 1914 zeigte, doch die Ausnahme, vgl. Heinrich Höpker, Denkschrift über die Verluste der Bauhandwerker und Baulieferanten bei Neubauten in Groß-Berlin in den Jahren 1909-1911. Im Auftrage des Ministers für Handel und Gewerbe bearbeitet im Königlich Preußischen Statistischen Landesamt, A. Textlicher Teil, S.99f. 557 Zum folgenden vgl. die detaillierte Schilderung von Vilma Carthaus, Zur Gev ' rchte und Theorie der Grundstückskrisen in deutschen Großstädten mit besonderer Berücksichtigung von Groß-Berlin, Jena 1917, S. 170ff. [hier zitiert nach dem Abdruck bei Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus (wie Fn.3), S.316ff.]. 558 Ein Beispiel findet sich bei Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus (wie Fn. 3), S. 202f. mit einem Originalprospekt des Baumeisters Kerp für den Verkauf von Bauparzellen in der Nähe des alten Viehmarktes in Berlin am Bahnhof Gesundbrunnen. 80% des Kaufpreises wurden danach kreditiert zu 5% Zinsen [für damalige Verhältnisse kein geringer Betrag]. Bereits bei dreitägigem Verzug der Zinsleistung konnte der Verkäufer kündigen, nach acht Tagen war der gesamte Betrag sofort fällig. Aus der zeitgenössischen Literatur vergleiche Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin, Leipzig 1876, S. 98 ff. mit einer farbigen - freilich etwas einseitigen Schilderung der wirtschaftlichen Vorgänge.

III. Das

Vermieterpfandrecht

325

galten dabei als durchschnittlich 559 . Die Bauausführung 560 lag dann in den Händen der Bauunternehmer, die das Bauland erworben hatten. Die Bauunternehmer waren häufig in Form offener Handelsgesellschaften organisierte ehemalige Maurer und sonstige Handwerker, die auf eigene Rechnung einen Bau hochzogen. Da solche Bauunternehmer für gewöhnlich kaum Eigenkapital aufbringen konnten, mußten sie entsprechend hohe Kredite aufnehmen 561 . Hypothekendarlehen von 80% und mehr waren keine Seltenheit. Mitunter wurden die Häuser auch vollständig fremdfinanziert. Die Finanzierung übernahmen besondere Baubanken, die zum Teil den Terraingesellschaften gehörten. Nach der Fertigstellung verkauften die Bauunternehmer das Objekt möglichst gewinnbringend an einen der sogenannten „Hausbesitzer", dessen Typus Georg Haberland, Direktor der 1890 gegründeten Berlinischen Boden-Gesellschaft, einmal so beschrieb: D e r K r e i s der H a u s b e s i t z e r „setzt sich z u s a m m e n aus kleinen Rentiers, welche durch die A r b e i t eines Lebensalters ein mäßiges Kapital e r w o r b e n haben, aus B e a m t e n , w e l c h e etwas V e r m ö g e n besitzen oder erspart haben, aus Ä r z t e n , A n w ä l t e n , k u r z aus vielen, die für ihr verhältnismäßig nicht großes V e r m ö g e n eine bessere Verzinsung erstreben, als sie ihnen die Anlage ihres [sc. geringen] Kapitals in Anleihewerten ergeben w ü r d e " 5 6 2 .

Carthaus, Zur Geschichte und Theorie der Grundstückskrisen (wie Fn. 557), S. 320. Das technische Verfahren, das Rückschlüsse auf die Ausstattung der Häuser und auch auf die Arbeitsbedingungen der Handwerker erlaubt, ist detailliert geschildert bei Geist/Kürvers (wie Fn. 3), S. 2 3 9 - 2 6 5 , dort auch die Originaldokumentation der Baubeschreibung des Hauses Skalitzer Straße 99 in Berlin von 1901. 559

560

Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S. 3 7 7 - 3 8 3 . Georg Haberland, D e r Einfluß des Privatkapitals auf die bauliche Entwicklung G r o ß - B e r lins, Berlin 1913, S. 5, hier zitiert nach dem Wiederabdruck bei Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus (wie Fn. 3), S. 325. - In Berlin waren 1871 die „Rentiers" und Witwen die größte Gruppe der Hausbesitzer. Auf diese „Berufsgruppe" entfielen mehr als ein Drittel der bebauten Grundstücke, vgl. die Zahlenangaben bei M. Neefe, Hauptergebnisse der Wohnungsstatistik deutscher Großstädte, in: Die Wohnungsnoth der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe, Gutachten und Berichte, hrsg. von Verein für Socialpolitik [Schriften des Vereins für Socialpolitik, 30], Leipzig 1886, S. 161-199, hier S. 179 Tab. X . 561 562

Drastischer als bei Haherland wirkt die freilich auch verkürzende Beschreibung der Situation bei Schmoller [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 529], S. 19: „Diese alten Vermiethungsgeschäfte kommen nur noch sporadisch in der großen Stadt vor; ein großer Theil der Wohnungen ist in den Händen von Bauspekulanten, von Bauunternehmern, die in erster Linie verkaufen wollen; der einzige Gesichtspunkt ist der, das Haus zu vermiethen, bis es verkauft ist. Sie sind schon deswegen nicht die rechten Leute zum Vermiethergeschäft, weil ihnen das Verkaufen die ganze Sache i s t . . . Weiter kommt dazu eine Anzahl von Leuten, die wegen Hypothekenschulden ein Haus übernehmen müssen, denen also das Vermiethen recht unbequem ist, die es deshalb einem Aftervermiether überlassen; wo solche Mittelspersonen nicht unter strenger Disziplin stehen, werden sie leicht zu harten Wucherern; theilweise spielen Krämer diese Rolle, welche die Miether zugleich durch Waarenkredit ausbeuten. Es kommt dazu eine große Anzahl von Hausbesitzern, die selbst so verschuldet sind, daß sie in fortwährender Geldverlegenheit nothwendiger Weise auch mehr oder weniger ihre Miethsleute mißhandeln. Dann kommt eine Zahl kleiner Rentiers, die selbst halb Wucherer sind und in Hausspekulationen und Wohnungsvermiethung ein lukratives Geschäft zu machen suchen."

326

KapitelSoziales

Recht im

Schuldrecht

Die Eigenkapitalbasis der meisten Hausbesitzer war äußerst gering. Sie erwarben die Häuser nicht, um ihr Kapital sicher und zinsgünstig anzulegen, sondern sie glaubten eine Chance zu haben, bei strenger Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen gegenüber den Mietern mit fremdem Kapital selbst den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren und nach Möglichkeit Wohlstand zu bilden. Mitunter war das ein einträgliches Geschäft mit einer Rendite von bis zu 15% 5 6 3 , oft genug führte es aber auch geradewegs in den Ruin 564 . Die Hausbesitzer finanzierten sich wie die Bauunternehmer in der Regel vor allem durch Hypothekendarlehen. Konjunkturell bedingte Mietausfälle konnten sie mangels ausreichender Eigenkapitalbasis meistens nicht ausgleichen 565 . Schon ein achttägiger Verzug mit der Leistung der Hypothekenzinsen konnte aber die Rückzahlung des gesamten Darlehens sofort fällig werden lassen 566 . Zwangsversteigerungen waren die Folge 567 . U m dem zu entgehen, versuchten die Hausbesitzer, den Leistungsdruck an die Mieter weiterzugeben: Bereits bei sehr kurzfristiger Säumnis drohten die Vermieter dann mit einer fristlosen Kündigung und sofortiger Zwangsräumung (aufgrund mustervertraglicher Ermächtigung). Und um ihr eigenes wirtschaftliche Risiko zu verringern, waren die Hausbesitzer darüber hinaus äußerst interessiert an jeder Form der Absicherung, auch durch ein Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht an der Fahrnis des Mieters. Daraus erklärt sich aber auch, warum die Vermieter auf (zahlende) Mieter angewiesen waren und nicht in jedem Falle den Abschluß eines Mietvertrags von der Stellung bestimmter Sicherheiten abhängig machen konnten. Leerstehende Wohnungen konnten keinesfalls die Kreditkosten decken. Und es gab durchaus Zeiten, in denen aufgrund einer örtlichen Konjunkturschwäche die Nachfrage nach Wohnungen nicht so groß war, daß man mit Sicherheit Mieter finden konnte 568 . In solchen Situationen mußten die Vermieter zur Wahrung einer 563 Lieber, Gänge durch Jammer und Not (wie Fn. 146), S.206ff. [abgedruckt bei Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus (wie Fn.3), S.305], berichtet, die Mietskaserne „Meyer's Hof" in der Ackerstraße 132/133 in Berlin Wedding habe in der Anfangszeit 15% Gewinn erbracht. Diese Zahl wird verallgemeinernd bestätigt von Eberstadt (wie Fn. 556), S. 586. Ahnlich Carthaus (wie Fn. 557), S. 323. Scherer, [Diskussionsbeitrag, wie Fn. 274], S. 191, sprach von 5 - 6 % Rendite. 564 Emmy Reich, Der Wohnungsmarkt in Berlin von 1840-1910, München und Leipzig 1912, hier zitiert nach Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus (wie Fn.3), S.338-353, hier S.350, berichtet für die Jahre 1875 bis 1879 eine jährliche Zahl von 4,06% aller Grundstücke, die in Berlin zwangsweise versteigert wurden. Das waren 1879 mehr Löschungen als Eintragungen. 1888 zählte man in Berlin 40, 1895 hingegen 355 Zwangsversteigerungen [Reich, wie zuvor, S.360]. Detaillierte Zahlen für die Jahre 1909 bis 1911 enthält Höpker, Denkschrift (wie Fn.557), B. Tabellenteil und Anlagen, Berlin 1914, S. 60: In den 48 Gemeinden Groß-Berlins wurden in diesem Zeitraum 6.962 Neubauten errichtet, von denen 1.378 zur Zwangsversteigerung kamen. Das entspricht einer Quote von knapp 2 0 % . 565 Wischermann, Mythen (wie Fn.92), S.384-388. 566 Vgl. das Beispiel oben in Fn. 558. 567 Zahlenbeispiele oben in Fn. 564. 568 Vgl. oben S.246 bei Fn. 147.

III. Das

Vermieterpfandrecht

327

wirtschaftlichen Überlebenschance Mietverträge abschließen ohne Rücksicht auf den „Kredit" der Mieter, der insbesondere in den unteren Bevölkerungsschichten niedrig war. Das galt erst recht angesichts eines tendenziellen Überangebots an mittelgroßen und teuren Wohnungen 569 . Auf eventuelle Sicherheiten der Mieter konnten die Vermieter bei dieser Sachlage nicht achten, obwohl gerade bei den Industriearbeitern und kleineren Handwerkern die pünktliche Bezahlung der Miete keineswegs gesichert war, da eine vorübergehende Erwerbslosigkeit infolge des Verlustes des Arbeitsplatzes, einer Krankheit oder eines Unfalls durchaus an der Tagesordnung waren570. Schon kurze Zeiten der Erwerbslosigkeit führten bei den ärmeren Schichten mangels Rücklagen zur sofortigen Zahlungsunfähigkeit und damit zur Säumnis bei der Bezahlung des Mietzinses 571 , für den regelmäßig 2 5 - 3 0 % des Einkommens aufgewendet werden mußten 572 . Angesichts dieser wirtschaftlichen Situation war der beliebte Hinweis auf den „Miethkredit der sog. kleinen Leute" alles andere als ein zwingendes Argument. Das gilt ebenso für die zum Beispiel von Lewinsohn beschriebene Befürchtung, die Zahl der bezahlbaren Wohnungen werde abnehmen, weil den Anlegern das Risiko zu hoch erscheinen werde573. Zweierlei sprach auch gegen diese Befürchtung: Zum einen hatte der Wohnungsbau bis zum ersten Weltkrieg spekulative Züge. Die Wohnungen wurden errichtet, noch bevor die konkrete Nutzung feststand. Man hoffte auf die einsetzende Nachfrage. O b die Häuser dann wirklich gebraucht wurden, interessierte die kapitalstarken Terraingesellschaften, die deren Errichtung finanziert hatten, nicht mehr. Das führt zum zweiten Grund: Die Hausbesitzer erwarben die Häuser ebenfalls zum Zwecke der SpeVgl. oben S.232 vor und bei Fn.94. Zur Fluktuation am Arbeitsmarkt vgl. die Ausführungen oben S. 229 bei Fn. 81. 571 Flesch, Die Wohnungsnoth (wie Fn.91), S. 132. 572 Miquel, Einleitung (wie Fn. 94), S. X; Kalle, Die Wohnungsfrage vom Standpunkt der Armenpflege (wie Fn. 279), S. 71 f. mit einer Differenzierung einzelner Städte; zum Teil mußten sogar bis zu 3 5 % des Lohnes für Wohnzwecke aufgewendet werden, so: Henning, Handbuch (wie Fn. 79), S. 1104; weiteres Zahlenmaterial bei Hermann Schwabe, Das Verhältnis von Miethe und Einkommen in Berlin, in: Berlin und seine Entwickelung. Gemeindekalender und Städtisches Jahrbuch 2 (1868), S. 264-266 [wiederabgedruckt bei Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag (wie Fn. 93), S. 145]. - Verglichen mit der Situation heutiger Mieter wirken diese Zahlen nicht besonders hoch, aber man muß bedenken, daß die übrigen Lebenshaltungskosten durchschnittlich bei weitem relativ höher waren als am Ende des 20. Jahrhunderts. Im Reichsdurchschnitt (!) wurden 1907 allein 46,4% des Einkommens für die Ernährung aufgewendet, vgl. die Zahlenangaben bei Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag (wie Fn.93), S. 152. Für den Zeitraum 1871-1900 beziffert Diedrich Saalfeld, Mieten und Wohnungsausgaben in Deutschland 1880-1980, in: Wohnungspolitik im Sozialstaat. Deutsche und europäische Lösungen 1918-1960, hrsg. von Günther Schulz, Düsseldorf 1993, S. 201-221, hier S.202, den Haushaltsanteil für Lebens- und Genußmittel sogar auf durchschnittlich 55,7% (Vergleichszahl für 1980 in der Bundesrepublik Deutschland: 26,4%). Betrachtet man nur die Gruppe der Lohnabhängigen, auf die sich auch die im Text genannte Zahl bezieht, so ist für das 19. Jahrhundert davon auszugehen, daß zwei Drittel und mehr des Einkommens für die Ernährung ausgegeben werden mußten, so: Henning, Handbuch (wie zuvor), S. 1094. 569

570

573

Vgl. oben S.268 bei Fn.260.

328

Kapitel 5: Soziales Recht im Schuldrecht

kulation. Sie arbeiteten nicht mit eigenem Kapital, was sie vielleicht vorsichtig im Sinne Lewinsohns gemacht hätte. ( f ) Ergebnis Zum Schluß ist festzuhalten, daß das Kreditargument wenig Uberzeugungskraft für sich beanspruchen durfte. Die Entwicklung des Wohnungsmarktes legte es eigentlich nicht nahe, daß man dem Kredit, der sich aus der Verwertungsmöglichkeit der in den fraglichen Fällen regelmäßig äußerst bescheidenen Habe der Mieter ergeben konnte, große Bedeutung beimaß. Das ändert nichts daran, daß offenbar sowohl vom Gesetzgeber als auch von einer großen Zahl der Kritiker der Zusammenhang zwischen dem Kredit der Mieter und der Möglichkeit, eine Wohnung zu finden, als eine Art wirtschaftlicher und sozialer Gesetzmäßigkeit anerkannt wurde. Der Schutz des Schwächeren durch Erhaltung der Kreditunterlage in Gestalt des Mobiliars des Mieters erweist sich so bei genauerer Betrachtung als ein Scheinargument, dessen Unhaltbarkeit allerdings nur von wenigen Zeitgenossen erkannt worden war.

Kapitel 6

Soziales Recht im Familienrecht I. Einführung

und Auswahl der behandelten

Rechtsinstitute

1. Die bürgerliche Familie Keine Materie des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist in den vergangenen 100 Jahren so häufig tiefgreifend geändert worden wie das Familienrecht 1 . Schon das deutet auf eine starke Abhängigkeit des Familienrechts von sozialen Gegebenheiten hin. Die industrielle Entwicklung im 19. Jahrhundert hat die soziale Gruppe ,Familie' wesentlich verändert. In den ländlichen Gebieten waren die Großfamilien mit mehreren Generationen verbreitet. Die Migration in die Städte begünstigte jedoch die Entwicklung der Kleinfamilie, die nur noch eine Generation und ihre Kinder umfaßt. Ungefähr gleichzeitig trat die Frauenfrage auf die Tagesordnung2. Wenngleich die rechtlich adäquaten Ausdrucksformen für die Gleichberechtigung der Frau um die Jahrhundertwende noch lange nicht erreicht waren, so spiegeln doch die Diskussionen um den ersten Entwurf ein Bewußtsein für diese Fragestellung wider3. Helmut Coing hat über das Familienrecht in der ursprünglichen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gesagt, es sei stark von christlichen Traditionen geprägt gewesen. Die Familie sei patriarchalisch aufgebaut, die Rechtsstellung der Frau jedoch verbessert und im Verhältnis von Eltern und Kindern seien die elterlichen Pflichten betont worden 4 . Es ist 1 Vgl. die detaillierte Dokumentation bei Staudinger/Tilman Repgen, Hans Schulte-Nölke, Hans-Wolfgang Strätz, BGB-Synopse 1896-2000: Gesamtausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs von seiner Verkündung 1896 bis 2000 mit sämtlichen Änderungen im vollen Wortlaut in synoptischer Darstellung, Neubearbeitung 2000, Berlin 1999, S . X V I I - X L I und S. 782-1485. 2 Zu den begriffsgeschichtlichen Hintergründen Dieter Schwab, Familie, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 253-301, hier S.278ff. 3 Vgl. etwa Ludwig Fuld, Die elterliche Gewalt und das bürgerliche Gesetzbuch, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890 [erschienen seit 1888], S. 419-445, hier S.421, der betonte, daß der Entwurf den Rechten der Mutter bei der elterlichen Gewalt habe Rechnung tragen müssen, weil „er ja die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter im Vergleiche zu dem bisher geltenden Rechte in wichtigen Punkten erweitert." 4 Staudinger///e/mwf Coing, Einleitung zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearbeitung Berlin 1995, Rn. 70.

330

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

hier nicht Ort, einen Abriß über die Sozialgeschichte der Familie im 19. Jahrhundert zu geben 5 . Eine sicherlich romantisierende, aber doch für das Bürgertum passende Umschreibung des Idealbilds einer „bürgerlichen Familie" 6 , das im 19. Jahrhundert vorherrschend war, findet sich in Schillers berühmten Gedichte „Lied von der Glocke" aus dem Jahre 1799. In diesem Meisterwerk klassischer Dichtung heißt es: „Lieblich in der Bräute Locken Spielt der jungfräuliche Kranz, Wenn die hellen Kirchenglocken Laden zu des Festes Glanz. Ach! des Lebens schönste Feier Endigt auch den Lebensmai, Mit dem Gürtel, mit dem Schleier Reißt der schöne Wahn entzwei. Die Leidenschaft flieht, Die Liebe muß bleiben; Die Blume verblüht, Die Frucht muß treiben. D e r Mann muß hinaus Ins feindliche Leben, Muß wirken und streben Und pflanzen und schaffen, Erlisten, erraffen, Muß wetten und wagen, Das Glück zu erjagen. D a strömet herbei die unendliche Gabe, Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus. Und drinnen waltet Die züchtige Hausfrau, Die Mutter der Kinder, Und herrschet weise Im häuslichen Kreise, Und lehret die Mädchen 5 Vgl. dazu zunächst: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1998, S. 114-130; ders., Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1998, S. 43-124; sodann: Ingeborg Weber-Kellermann, Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte, 6. Aufl. Frankfurt am Main 1996; den Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung und familiären Strukturen behandelt vor allem Werner Come, Der Strukturwandel der Familie im industriellen Modernisierungsprozeß - Historische Begründung einer aktuellen Frage, Dortmund 1979; Franz-Xaver Kaufmann, Ehe und Familie II. Sozialwissenschaftlich, in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, Bd. 2, 7. Aufl. Freib u r g - B a s e l - W i e n 1995, Sp. 96-118, insbes.: Sp. 1 0 6 f R e i n h a r d Sieder, Sozialgeschichte der Familie, Frankfurt am Main 1987; Wolfram Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806-1871, München 1995, S. 195-199. 6 Zum „bürgerlichen" Familienbegriff insbesondere: Schwab, Familie (wie Fn.2), S.287ff. Weder für den Adel noch für die Arbeiterschaft war das Idealbild realistisch. Die Arbeiterschaft orientierte sich aber in großem Umfang an dem Ideal der Bürgerlichkeit.

I. Einführung

und Auswahl

der behandelten

Rechtsinstitute

331

U n d wehret den Knaben, U n d reget o h n ' Ende D i e fleißigen Hände, U n d mehrt den Gewinn Mit ordnendem Sinn, U n d füllet mit Schätzen die duftenden Laden, U n d dreht um die schnurrende Spindel den Faden, U n d sammelt in reinlich geglätteten Schrein D i e schimmernde Wolle, den schneeigten Lein, U n d füget zum Guten den Glanz und den Schimmer, U n d ruhet nimmer."

Dieses Gedicht, das ungezählte Generationen von Schülern auswendig lernen mußten und im 19. Jahrhundert sehr große Verbreitung gefunden hatte, zeichnete ein Familienbild, in dem die Frau eine häusliche Rolle hat, während der Mann „draußen", außerhalb des Hauses wirkt. Die Familie erschien als ein Refugium, dessen Gestaltung der Wirkungsbereich der Frau war, während nach außen hin der Mann der agierende Teil war, dem die letzte Autorität zukam und der die Familie nach außen vertrat. Allerlei häusliche Kleinkunst (Stickereien usw.) der Zeit mit Zitaten aus diesem Gedichtausschnitt beweist die erzieherische Wirkung von Schillers Gedicht. Selbstverständlich genügt nicht ein einziges Gedichtzitat, um die Sozialgeschichte der Familie im 19. Jahrhundert abzubilden. Andere Zeugnisse lassen sich leicht finden, so zum Beispiel A L R II 1 § 184, wo es hieß: „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gemeinschaft; und sein Entschluß giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag."

Die im 19. Jahrhundert verbreitete Sichtweise der Familie als „Keimzelle" von Staat und Gesellschaft hatte eine lange Tradition, die bis auf Aristoteles zurückreicht 7 , was mitunter in der modernen Literatur nicht genügend berücksichtigt wird 8 . Das Gedichtzitat mag aber genügen, um in einem Stimmungsbild das Ideal der Familie im 19. Jahrhundert einzufangen, das auch die Verfasser des Entwurfs und seine Kritiker geprägt hat9. Schillers „Lied von der Glocke" war übrigens auch in der Beratung des Entwurfs im Reichstag präsent, da Rudolph Vgl. Schwab, Familie (wie Fn.2). Zum Beispiel: Jürgen Reulecke, Die Mobilisierung der „Kräfte und Kapitale": der Wandel der Lebensverhältnisse im Gefolge von Industrialisierung und Verstädterung, in: Geschichte des Wohnens. Band3: 1800-1918, Das bürgerliche Zeitalter, hrsg. von Jürgen Reulecke, Stuttgart 1997, S. 15-144, hier S.22. 7 8

9 Symptomatisch ist daher, daß Ernst Engel, Das Rechnungsbuch der Hausfrau und seine Bedeutung im Wirthschaftsleben der Nation. Ein Vortrag, Berlin 1882, S. 4, die Charakterisierung der Familie im „Lied von der Glocke" als „noch eben so wahr wie vor nahe 100 Jahren" bezeichnet hat. Vgl. ferner Josef Kohler, Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte, in: Encyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, begründet von Dr. Franz von Holtzendorff, hrsg. von Josef Kohler, Bd. 1, 6. Aufl. Leipzig; Berlin 1904, S. 1-69, hier S. 13, der ganz selbstverständlich die schlichte Bürgerfamilie mit einem Fragment aus Schillers „Lied von der Glocke" charakterisiert („wo die Hausfrau ohn' Ende die geschäftigen Hände regt").

Kapitel 6: Soziales Recht im

332

Familienrecht

Sohm den Entwurf, der das geltende Recht in eine neue Form gieße, als einen großen „Glockenguß" bezeichnet hat10.

2. Ehegüterrecht

und elterliche

Gewalt als

Untersuchungsobjekte

Im folgenden sollen zwei familienrechtliche Institute exemplarisch untersucht werden: die elterliche Gewalt und das Ehegüterrecht. Auf diese Weise werden die großen Teile des Familienrechts, nämlich Kindschaftsrecht und Eherecht berührt. Die soziale Relevanz beider Rechtsinstitute bedarf nicht der besonderen Erläuterung. Dieter Schwab hat auf den Zusammenhang des Emanzipationseffekts zugunsten der Frau und der Kinder gegenüber der väterlichen Gewalt mit dem individualrechtlichen Familienverständnis, das aus dem aufgeklärten Naturrecht entstanden war, aufmerksam gemacht. Dieser Familienbegriff erlebte im 19. Jahrhundert einige Wandlungen11. Seine Fortentwicklung zu einem sittlich verstandenen Familienbegriff, der die personalen Beziehungen der Familie weitgehend in einen vorrechtlichen Raum verwies, hatte zur Folge, daß die juristische Literatur sich im Familienrecht fast ausschließlich mit dem Vermögensrecht und einigen wenigen Fragen der elterlichen Gewalt befaßte, das Sozialgebilde „Familie" als solches aber kaum mehr in den Blick nahm12. Diese von Schwab auf das 19. Jahrhundert insgesamt bezogenen Bemerkungen lassen sich für die Debatte um das Familienrecht im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs bestätigen. Schon die Auswahl der überhaupt normativ geregelten Materien zeigt dies. Intensiv behandelt wurde außer den beiden angesprochenen großen Fragen nur noch das Ehescheidungsrecht, das nach dem zutreffenden Urteil von Otto Bahr in der Diskussion um den Entwurf mehr als irgend etwas anderes Gegenstand des allgemeinen Interesses war 13 . Angesichts dieser emotional so wichtigen Materie ist das Interesse der Allgemeinheit auch alles andere als überraschend. Dennoch wollen wir hier nicht das Recht der Ehescheidung, sondern das Ehegüterrecht untersuchen, und zwar aus zweifachem Grunde: Erstens treten dabei die Gegensätze zwischen „römischer" und „deutscher" Rechtsauffassung in der Diskussion deutlicher zu tage als beim Scheidungsrecht, zum anderen spielt das Ehegüterrecht für die in sozialer Hinsicht besonders interessante Frage nach der Rechtsstellung der Frau eine wichtige Rolle, während die Debatte um das Scheidungsrecht vor allem die Scheidungsgründe betraf, die für gewöhnlich - mindestens theoretisch - beide Ehepartner gleichermaßen betreffen Rudolph Sohm, in: Stenographische Berichte, S. 101 am Ende. Schwab, Familie (wie Fn.2), S.283, 287ff., 294, 300. 12 Schwab, Familie (wie Fn.2), S.297. 13 Otto Bahr, [Besprechung von:] Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die von dem Bundesrathe berufene Commission. Amtliche Ausgabe. Berlin und Leipzig, J. Guttentag. 1888, in: KritVJS 30 (1888), S. 321-414; 481570, hier S. 541. 10

11

I. Einführung

und Auswahl der behandelten

Rechtsinstitute

333

konnten 14 . Die besondere Bedeutung des Ehegüterrechts für die Frage, ob das Gesetzbuch seiner sozialen Aufgabe gerecht werde, hat auch die zeitgenössische Debatte nicht verkannt. Noch kurz vor dem Beginn der Verhandlungen des Reichstags über den Entwurf äußerte sich Gierke dazu, ob das geplante Gesetzbuch seine Bestimmung erfülle, „nicht nur den Juristen eine wohlausgerüstete Werkstätte, sondern der Nation eine würdige Heimstätte zu bereiten" 15 . Diese Bemerkung war zu verstehen vor dem Hintergrund, daß Gierke wie Sobm und wohl auch die meisten anderen Teilnehmer der Diskussion das Privatrecht als den wichtigsten Teil der Rechtsordnung angesehen hat, weil es das Leben des einzelnen von der Geburt bis zum Tod mit seinen Regeln „umspinne" 1 6 . Damit nun das Gesetz seiner Bestimmung gerecht werden könne, so Gierke, müsse es volkstümlich, deutsch und das heißt sozial sein 17 . Im Familienrecht auch noch des zweiten Entwurfs vermißte Gierke die Berücksichtigung der sozialen Aufgabe. Es sei, so meinte er, nach wie vor individualistisch geblieben 18 , was sich etwa daran zeige, daß das Güterrecht die Vermögenstrennung zum Prinzip erkläre, daß die Hausgemeinschaft kaum eine Rolle spiele, wie man an dem frühen Ende der elterlichen Gewalt unabhängig von der Selbständigkeit des Kindes erkennen könne usw.19. Die Ordnung des ehelichen Güterrechts sei „die ernsteste Frage, die das Familienrecht des Entwurfs" stelle 20 . Gierke erhob den Vorwurf, das Ehegüterrecht des Entwurfs sorge nur für die oberen Gesellschaftsschichten, übergehe aber die berechtigten Interessen der breiten Masse des Volkes, insbesondere der Frauen. Trotz seiner patriarchalischen Vorstellungen, von denen noch zu sprechen sein wird, bemerkte Gierke: „Die Vorkämpfer der Frauenrechte stellen manches thörichte, der deutschen Familie gefährliche Verlangen. Wenn sie aber gegen dieses eheliche Güterrecht zu Felde ziehen, so kann und darf ihr Kampfruf nicht ungehört verhallen!" 2 1 14 Zum Ehescheidungsrecht des Entwurfs: Paul Mikat, Zur Diskussion um die Scheidungsreform nach der Veröffentlichung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: Festschrift für Ferdinand Elsener zum 65. Geburtstag, hrsg. von Louis Carlen und Friedrich Ebel, Sigmaringen 1977, S. 182-198; Johann Peter Schäfer, Die Entstehung der Vorschriften des B G B über das persönliche Eherecht, Frankfurt am Main; Bern; New York 1983. Nebenbei sei bemerkt, daß diese Materie allerdings interessante Aufschlüsse darüber bieten würde, inwieweit die Kritik am Entwurf das A L R zum Vorbild nahm, denn das außerordentlich liberale Scheidungsrecht des Landrechts sah sich im 19. Jahrhundert einer deutlichen Gegenbewegung ausgesetzt, vgl. dazu: Paul Mikat, Zur Bedeutung Friedrich Carl von Savignys für die Entwicklung des deutschen Scheidungsrechts im 19. Jahrhundert, in: Festschrift für Friedrich Wilhelm Bosch zum 65. Geburtstag, hrsg. von Walther J. Habscheid, Hans Friedhelm Gaul und Paul Mikat, Bielefeld 1976, S. 671-697.

Otto Gierke, Das Bürgerliche Gesetzbuch und der Deutsche Reichstag, Berlin 1896, S. 5. Gierke, Reichstag (wie Fn. 15), S.4; Rudolph Sohm, Ueber den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich in zweiter Lesung, in: Gruchot's Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts 39 (1895), S. 737-766, hier S.737. 17 Gierke, Reichstag (wie Fn. 15), passim, insbesondere S.39. 18 Gierke, Reichstag (wie Fn. 15), S.29. 19 Gierke, Reichstag (wie Fn. 15), S.30f. 20 Gierke, Reichstag (wie Fn. 15), S.32. 21 Gierke, Reichstag (wie Fn. 15), S.35. 15 16

334

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Bereits diese wenigen Bemerkungen zeigen, daß das Ehegüterrecht zu den Rechtsinstituten zählte, die in besonderem Maße mit der sozialen Aufgabe des Privatrechts in Verbindung gebracht worden sind. Nimmt man noch hinzu, daß Gierke in der zitierten Schrift die Ehescheidung nur bezüglich ihrer güterrechtlichen Folgen eines kurzen, übrigens vernichtenden, Satzes gewürdigt hat22, so erscheint es hier begründet, die Ehescheidung auszuklammern und das Ehegüterrecht zu behandeln. Die Frauenfrage, die im Ehegüterrecht einen privatrechtlichen Kristallisationspunkt hatte, stand in besonders enger Beziehung zu zwei unserer vier sozialen Topoi: zum Schutz des Schwächeren und zur sozialen Freiheit. Die Gleichberechtigung erscheint geradezu als Mittel zum Ziel der Erlangung sozialer Freiheit. In abgeschwächter Form galt das auch für die Kinder, deren Emanzipation von der elterlichen Gewalt eines der Diskussionsthemen ist, die uns in diesem Kapitel beschäftigen werden. Bei allen drei großen Teilen der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts ging es auch um die Auflösung rechtlicher und persönlicher Abhängigkeiten: der Arbeiter vom Arbeitgeber, der Mieter vom Vermieter und der Frauen von den Männern. Von einer „Kinderfrage" sprach und spricht man nicht. Deren rechtliche und persönliche Abhängigkeit war und ist, von gelegentlichen Sonderwegen der Pädagogik einmal abgesehen, akzeptiert. Streitig war aber schon im ausgehenden 19. Jahrhundert die Grenze dieser Abhängigkeit, die ihren rechtlichen Ausdruck in der elterlichen Gewalt findet. Die als naturgegeben angesehene kindliche Abhängigkeit rief in den Augen der damaligen Zeit nicht nach rechtlicher Auflösung, sondern nach Schutz.

II. Die elterliche Gewalt Das minderjährige Kind ist nicht voll geschäftsfähig und von Natur aus zunächst auf die Fürsorge anderer angewiesen. Diese Fürsorge legen fast alle Rechtsordnungen den Eltern auf. Im Hinblick auf die soziale Aufgabe des Privatrechts sollen hier ein paar ausgewählte Aspekte des Eltern-Kind-Verhältnisses Berücksichtigung finden. Betrachtet man die umfangreichen Diskussionen der ersten Kommission über das Kindschaftsrecht, so würde sich vielleicht als besonders wichtiger Einzelaspekt die Vermögenssorge, insbesondere die Nutznießung des Inhabers der elterlichen Gewalt am kindlichen Vermögen aufdrängen23. Leitender Gesichtspunkt unserer Auswahl ist aber die Debatte um die soziale Aufgabe des Privatrechts, die sich im Anschluß an die Veröffentlichung des Entwurfs entfaltet hatte. Maßgeblich ist daher, welche Punkte in dieser Debatte besonders aufgegriffen wurden. Wenngleich man natürlich Stellungnahmen zu 21 Gierke, Reichstag (wie Fn. 15), S. 35: „Zur krassesten Ungerechtigkeit steigert sich diese Unbilligkeit [sc. daß die Frau nach gesetzlichem Güterrecht nicht am Erwerb des Mannes während der Ehezeit teilhat] im Falle einer vom Manne verschuldeten Scheidung." 23 Vgl. insbesondere die Beratungen der 510.-514. Sitzung zwischen dem 22. Januar und dem 1. Februar 1886, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 357-410.

II. Die elterliche

Gewalt

335

den Einzelfragen der Vermögenssorge finden kann, scheint damals anderes für wichtiger gehalten worden zu sein. Es ging weniger um die technische Ausgestaltung einzelner Vermögenssorgerechte, als vielmehr um drei grundsätzliche Fragen: - Wer ist der Träger der elterlichen Gewalt, das heißt wer übt die Fürsorge für Person und Vermögen des Kindes aus? - Eng damit verbunden ist die weitere Frage, welchen Anteil die Mutter an der elterlichen Gewalt haben sollte. - Schließlich wurde die für den Emanzipationsgedanken besonders relevante Frage diskutiert, wie lange Kinder unter der Gewalt ihrer Eltern stehen sollten. Sollte die elterliche Gewalt mit der Erreichung der Volljährigkeit enden oder erst - wie im römischen Recht und auch dem älteren deutschen Recht mit der wirtschaftlichen Verselbständigung des Kindes, die meistens einherging mit dem Ausscheiden des Kindes aus der engeren Hausgemeinschaft?

1. Die elterliche Gewalt im ersten Entwurf a) Träger der elterlichen Gewalt (1) Die allgemeine Regel des § 1501 II E I Die elterliche Gewalt hat unter dieser Bezeichnung in den §§1501-1561 E I eine sehr ausführliche Regelung erfahren. An die Spitze hat der erste Entwurf zwei allgemeine Vorschriften gestellt, die den Träger der elterlichen Gewalt bezeichnen, deren Umfang regeln und als Betroffenen das minderjährige eheliche Kind bestimmen (§1501 I E I). In § 1501 II E I war dann zu lesen: „Die elterliche Gewalt steht dem Vater und nach dessen Tode der Mutter zu."

Dem Inhaber der elterlichen Gewalt stand gemäß § 1502 E I das Recht und die Pflicht zu, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen und das Recht der Nutznießung des kindlichen Vermögens. In allen Entwurfsfassungen und auch schließlich im Bürgerlichen Gesetzbuch selbst war das Sorgerecht unabhängig von der Unterhaltspflicht geregelt, die der Gesetzgeber aus dem allgemeinen Verwandtschaftsverhältnis abgeleitet hat 24 , obgleich der Unterhalt die materielle Grundlage für die Ausübung des Sorgerechts ist und man ihn für das 2 4 Vgl. § 1601 B G B . Nach § 161211 B G B ist der Unterhalt grundsätzlich in Geld zu gewähren. Dies bestimmte auch schon §1491 E I, der die heftige Kritik Mengers hervorrief, weil hier der tägliche Normalfall der Unterhaltsleistung von Eltern gegenüber ihren unmündigen Kindern in Naturalleistungen bestehe, was der Entwurf nur als Ausnahme (§ 1491 III, IV E I) zulasse. Dagegen, so Menger, richte sich zurecht der Vorwurf einer „abstrakten und unvolkstümlichen Darstellungsweise". Die „naive Umkehrung von Regel und Ausnahme" erinnere an das Witzblatt, das täglich mit Ausnahme der Wochentage erscheine [Menger; Besitzlose Volksklassen, S. 49-51]. - Da der Unterhalt nicht zum Begriff des Sorgerechts gezogen worden ist, wollen wir die Diskussion über diesen Punkt des Entwurfs nicht weiter verfolgen.

336

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Verhältnis zwischen Eltern und Kindern sicherlich auch aus der Verpflichtung zur Personensorge hätte ableiten können.

(2) Vormundschaftlicher

Charakter der elterlichen

Gewalt

Der Ausgangspunkt für die Regeln über die elterliche Gewalt war für Planck das Schutzbedürfnis des Kindes. Die Eltern sollten einem Vormund gleich die Interessen des Kindes verfolgen. Immer wieder leitete Planck aus dieser Überlegung in der Begründung seines Teilentwurfs ein Argument für eine bestimmte Regelung ab25. Die von Struckmann26 bearbeiteten Motive haben diese Argumentation übernommen. Zwar widerspreche, so hieß es dort, der Idee einer vormundschaftsähnlichen elterlichen Gewalt das Recht zur Nutznießung des Vermögens durch die Eltern, aber dieses Recht sei im größten Teil Deutschlands gängige Praxis und es sei vernünftig, weil es auch im Interesse des Kindes liege, daß der Unterhalt aus seinem Vermögen finanziert werde, wenn die Umstände es erfordern 27 . Im übrigen werde so die natürliche Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern unterstrichen, selbst wenn Eltern und Kinder vom Kindesvermögen leben sollten. Wörtlich steht in den Motiven: Der „Gedanke, daß das Recht die natürliche Abhängigkeit des Kindes von dem Inhaber der elterlichen Gewalt anerkennen und in der Gestaltung der beiderseitigen Vermögensverhältnisse, soweit thunlich, zum Ausdrucke bringen müsse, ist, solange das Kind minderjährig ist und der Erziehung der Eltern bedarf, auch heute noch richtig ..." 2 8

Der soziale Topos vom Schutz des Schwächeren, in diesem Falle des Kindes, war also ein Ausgangspunkt des Rechts der elterlichen Gewalt im Entwurf. Die soziale Freiheit, die mit den Überlegungen zur „natürlichen Abhängigkeit des Kindes" angesprochen war, blieb im Vergleich zum Schutzgedanken im Hintergrund.

(3) Die Mutter als Träger elterlicher

Gewalt

Schon durch Beschluß vom 4. Oktober 1876 hatte die erste Kommission festgelegt, daß nach dem Tode des Vaters die Mutter die gleiche elterliche Gewalt ausübt wie der Vater29. Betont wurde in den Motiven im Anschluß an die Be25 Motive IV, S. 724. Gottlieb Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich. Vorlage des Redaktors, Berlin 1880, in: Werner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. Familienrecht, Teil 2: Beendigung der Ehe, Recht der Abkömmlinge, Vormundschaftsrecht, Berlin - New York 1983, S. 1023-2260 [= Schluß] [ND S. 37-1274], hier: S.1356f., 1363 [ND S. 370f., 377], sowie S.1570ff. [ND S.584ff.], insbesondere S. 1578 [ND S.592], 26 Bericht von Pape an den Reichskanzler vom 27.12. 1887, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 81. Vgl. im übrigen zum Aussagewert der Motive oben S. 18. 27 Motive IV, S. 724f. 28 Motive IV, S. 726. 29 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S.1401 [ND Bd.2, S.415], unter Hinweis auf die Zusammenstellung der Beschlüsse, Familienrecht, D. Nr. 1 S.3.

II. Die elterliche

Gewalt

337

gründung des Teilentwurfs zum Familienrecht 30 zunächst einmal, daß das in Deutschland (damals) geltende Recht ein elterliches Recht nur für den Vater, nicht für die Mutter kenne, weil die väterliche Gewalt die Grundlage dafür bilde 31 . So sei es in den gemeinrechtlichen Gebieten des Reiches, in denen die römisch-rechtliche väterliche Gewalt mit der deutschrechtlichen väterlichen Vormundschaft verschmolzen sei, so sei es auch im A L R , im A B G B und im SächsBGB 3 2 . Planck führte aus, daß die Mutter regelmäßig gar kein Nießbrauchsrecht habe, im Erziehungsrecht unselbständig gestellt werde und im allgemeinen allenfalls als Vormünderin diejenigen Rechte ausüben könne, die dem Vater kraft Elternrechts zustanden 33 . Die Motive setzten fort, auch nach dem Tode des Vaters habe im geltenden Recht die Mutter nur vergleichsweise eingeschränkte Befugnisse, die sie zusammen mit einem Vormund ausüben könne 34 . Nur zum geringeren Teil sei in den Partikularrechten eine rechtliche Gleichstellung der Mutter nach dem Tode des Vaters vorgesehen, so namentlich im Code civil 35 , der dem jeweiligen überlebenden Ehegatten eine Vormundschaft kraft Gesetzes zuwies 36 . Freilich erreichte der Code civil diese Gleichstellung nur durch eine Schwächung der Position des Vaters, nicht aber durch eine Stärkung der Rechte der Mutter, indem er für beide nur eine Vormundschaft vorsah, die einen kontrollierenden Gegenvormund mit sich brachte, worauf Planck aufmerksam gemacht hat 37 . Eine dem E I sehr ähnliche Gleichstellung der Mutter nach dem Tode des Vaters sahen der hessische Entwurf (Erste Abtheilung, Titel III, Art. 18—4038) und Art. 220-239 des Codice civile del Regno d'Italia von 1865 vor. Uberwiegend konnte man sowohl für das Deutsche Reich selbst als auch für die umliegenden Länder von einer Gleichstellung der Mutter nicht sprechen, wenngleich es in einigen Gesetzen Tendenzen zu einer Gleichberechtigung wenigstens nach dem Tode des Vaters gab. Die Motive stellten aber mit Recht fest, daß es nach der Anerkennung der Vgl. Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S.1401ff. [ N D B d . 2 , S.415ff.]. Motive IV, S. 733. 3 2 Motive IV, S. 733-,Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1402 [ N D Bd. 2, S.416]. 33 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1402 [ N D B d . 2 , S.416]. 3 4 Motive IV, S. 733. 3 5 Motive IV, S. 735. Zu den Partikularrechten vgl. die Nachweise bei Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S.1404f. [ N D B d . 2 , S.418f.]. 3 6 Art. 390 Code civil a.F.: „Après la dissolution du marriage, arrivée par la mort naturelle ou civile de l'un des époux, la tutelle des enfants mineurs et non émancipés, appartient de plein droit au survivant des père et mère." 30 31

37 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1403 [ N D B d . 2 , S.417], vgl. A r t . 4 2 0 Code civil a.F.: „(1) Dans toute tutelle il y aura un subrogé tuteur, nommé par le conseil de famille. (2) Ses fonctions consisteront à agir pour les intérêts du mineur, lorsqu'ils seront en opposition avec ceux du tuteur." 3 8 Die Angabe bezieht sich auf den Entwurf der ersten Abtheilung des bürgerlichen Gesetzbuches für das Großherzogthum Hessen nach den Anträgen der zur Begutachtung gewählten Ausschüsse der ersten und zweiten Kammer, Darmstadt 1846, nicht jedoch auf die erste veröffentlichte Fassung des Entwurf von 1842. In letzterem sind die im wesentlichen inhaltsgleichen Art. 2 4 - 4 6 einschlägig.

338

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

„vollen Handlungsfähigkeit der Frauen auf dem Gebiete des Privatrechtes" keinen Grund gebe, gerade das elterliche Recht der Mutter vorzuenthalten 39 . Und in der Begründung des Teilentwurfs von Planck war schon die Rede davon, daß man die Mutter gerade, „wo nach den Verhältnissen die natürliche elterliche Schutzpflicht bezüglich ihrer Kinder an sie herantritt, auch rechtlich dem Vater grundsätzlich gleich behandeln" könne 40 . Diese Erkenntnis hat aber keineswegs zu einer rechtlichen Gleichstellung der Mutter geführt, wie §1501 II E I41 beweist. Zwar sollte nicht mehr ein Vormund in die Ausübung der elterlichen Gewalt durch die Mutter eingreifen können, aber andererseits sollte die Stellung des Vaters auch nicht eingeschränkt werden. Die Konsequenz war eine Begrenzung der elterlichen Gewalt der Mutter auf die Zeit nach dem Tode des Vaters. In den Motiven heißt es dazu: „Solange beide Eltern leben, tritt das elterliche Recht der Mutter zurück. Bei bestehender Ehe ist das Uebergewicht des Vaters in der Natur der Dinge begründet, und muß ihm, vorbehaltlich des Antheiles der Mutter an der Sorge für die Person der Kinder nach Maßgabe des § 1506, die elterliche Gewalt beigelegt werden" 4 2 .

Sowohl die Begrenzung der elterlichen Gewalt auf den Vater zu Lebzeiten beider Eheleute wie die unbeschränkte Befugnis der Mutter nach dem Tode des Vaters begründeten die Motive mit der „Natur der Dinge". Weiter heißt es dort: „Es liegt zwar der Einwand nahe, daß es etwas Anderes sei, die Frauen für befähigt zu erklären, ihren eigenen Geschäften vorzustehen, und sie für geeignet zu halten, fremde Geschäfte mit Erfolg zu führen, daß vielfach, besonders in den höheren Ständen, den Frauen die nöthige Einsicht und Erfahrung fehle zur Uebernahme der oft schwierigen Geschäfte der Vermögensverwaltung, daß ihnen die männliche Kraft und Autorität mangele, welche die Erziehung der Kinder erfordere ... Diesem Einwände gegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß es nicht eigentlich fremde Geschäfte sind, deren Besorgung der Mutter hier übertragen werden soll, daß es sich vielmehr um die Angelegenheiten ihrer nächsten Angehörigen, ihrer Kinder, handelt" 43 .

Es gehe, so liest man, um die „vollere Gestaltung" des hausfraulichen und mütterlichen Berufes. Die bisherigen Schranken sollten abgebaut werden zur besseren Erfüllung des der Mutter eigenen Berufes 44 . Und als ginge es darum, auch den letzten Zweifler zu überzeugen, betonen die Motive: „Dem Entwürfe liegt nichts ferner, als der Gedanke der sog. Emanzipation der Frau-

39 Motive IV, S.736. So schon Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1413 [ND Bd. 2, S.427], 40 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1413 [ND Bd.2, S.427], 41 Vgl. oben S. 335. 42 Motive IV, S.736. Fast wortgleich schon Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1413 [ND Bd.2, S.427], 43 Motive IV, S. 736. 44 Motive IV, S. 737. 45 Motive IV, S. 737. So wörtlich schon Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn. 25), S. 1414 [ND Bd. 2, S.428].

II. Die elterliche

Gewalt

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Das frühere Mißtrauen in die Fähigkeit der Frau, die volle Elternpflicht zu übernehmen, sei in der großen Mehrzahl der Fälle unbegründet. Ein Gesetz müsse sich aber am Regelfall orientieren46. Sodann betonten die Motive die praktischen Vorteile der vorgeschlagenen Regelung, die wesentlich unkomplizierter als ältere Modelle sei, weil die Vormundschaftsgerichte seltener tätig werden müßten. Die sorgfältige Abwägung der Motive und die Bemühung, die Regelung des Entwurfs nicht als zu deutlichen Bruch mit der herkömmlichen Situation deutlich werden zu lassen, findet ihren Grund wohl weniger in der inneren Überzeugung Plancks und Struckmanns, die die geistigen Urheber der Motive zum Familienrecht waren, als vielmehr in ganz nüchternem politischem Kalkül. Wenngleich das Schicksal des Entwurfs nach seiner Veröffentlichung 1888 nicht feststand, bemühte sich das Reichsjustizamt doch darum, daß das Projekt nicht zum Stillstand kam47. Die Motive hatten in diesem Zusammenhang nicht nur eine rechtswissenschaftliche Bedeutung, sondern auch eine politische. Gerade das Familienrecht war aber ein politisch heikles Thema, weil die Vorstellungen darüber in den einzelnen Ländern des Reiches durchaus variierten. Die vorsichtige und eher als konservativ zu bezeichnende Argumentation der Motive dürfte sich vor allem an Preußen gerichtet haben, hatte doch die damals noch relativ neue preußische Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 mit Rücksicht auf die Situation in den östlichen Landesteilen sich nicht für eine Gleichstellung der Mutter im Hinblick auf die elterliche Gewalt (nach dem Tode des Vaters) entschieden48. Das Reichsjustizamt war aber stets auf eine enge Zusammenarbeit mit Preußen bedacht, gegen dessen Willen im Bundesrat schwerlich gehandelt werden konnte 49 . Schon die Begründung des Teilentwurfs durch Planck war sichtlich bemüht, politische Bedenken der preußischen Seite zu zerstreuen. Dort hieß es, die gegenläufige Entscheidung der preußischen Vormundschaftsordnung sei vor allem aus Rücksicht auf die östlichen Landesteile getroffen worden, während eine reichseinheitliche Regelung von speziellen Zuständen in einzelnen Landesteilen absehen und sich an der Situation des Volkes im Ganzen orientieren müsse50. Im übrigen berief sich Planck auf die positiven Erfahrungen mit der mütterlichen Gewalt in anderen Ländern. So sei ein praktisches Bedürfnis für die Beiordnung eines Ratgebers, die der Code civil erlaube, in der Rheinprovinz nicht beobachtet worden 51 . Stellt man die politische Situation in Rechnung, so deuten die Motive auf eine 46 Motive IV, S.737. So schon Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1414 [ND Bd. 2, S.428], 47 Vgl. Hans Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt am Main 1995, S.118ff. 48 Motive IV, S. 737; vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Herrenhauses vom 16. März 1875, 10. Sitzung, Berlin 1875, S.121ff. 49 Vgl. im einzelnen Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn.47), S. 202ff. 50 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1414f. [ND Bd.2, S.428f.]. 51 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1415 [ND Bd.2, S.429],

340

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

fortschrittlichere Haltung der Verfasser des Entwurfs, als aus heutiger Sicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Die soziale Freiheit der Frau, die durch die konsequente Anerkennung ihrer Gleichberechtigung geschaffen wurde, war jedenfalls ins Blickfeld der ersten Kommission getreten. Dennoch darf man auch nicht aus den Augen verlieren, daß die Motive zunächst einmal beim Wort genommen werden wollten. Dann aber spricht aus ihnen eine konservative Haltung, die nur die nötigsten Zugeständnisse an die Gleichberechtigung der Frau machen wollte und dies vielleicht weniger aus innerer Uberzeugung von der Richtigkeit der Gleichberechtigung, denn aus praktischen Gründen, wie etwa um die Vormundschaftsgerichte zu entlasten und den betroffenen Familien Kosten und Mühen zu ersparen sowie schließlich aus Rücksicht auf diejenigen Reichsteile, die bereits zu einer Lösung im Sinne des Entwurfs gefunden hatten. Schließlich appellierten die Motive noch an die nationale Ehre, indem sie betonten, daß der Bildungsstand in Deutschland nicht geringer sei als in den romanischen Ländern, wo die Gleichstellung der elterlichen Gewalt der Mutter mit der des Vaters inzwischen eingeführt sei 52 . Die elterliche Gewalt der Mutter war nach dem Entwurf nicht nur subsidiär gegenüber derjenigen des Vaters, sondern sie war trotz der grundsätzlichen Gleichstellung in § 1501 E I durch verschiedene Einzelvorschriften beschränkt. So konnte nach §1538 E I das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Vaters oder der Mutter oder bei besonderen Schwierigkeiten - zum Beispiel im Zusammenhang mit besonders umfangreichen oder schwierigen Vermögensmassen 53 auch ohne Antrag einen Beistand bestellen, dessen Befugnisse das Vormundschaftsgericht festlegen sollte. Mit Rücksicht auf eine möglichst freie und selbständige elterliche Gewalt ohne kontrollierende Vormundschaft hatte sich die Kommission wohl auf Drängen Plancks dazu entschlossen, daß der Mutter nach dem Tod des Vaters nicht obligatorisch ein Gegenvormund für die Kinder zur Seite gestellt werde 54 . Im übrigen endete die elterliche Gewalt der Mutter durch die Eingehung einer neuen Ehe (§1558 E I). Die Begründung für diese Einschränkungen war einerseits ein nicht näher umrissenes Interesse des Kindes und andererseits die Sicherung der Kontinuität der Erziehung und Vermögensverwaltung 55 .

b) Anteil der Mutter an der elterlichen Ehe

Gewalt während

bestehender

Trotz der grundsätzlichen Entscheidung des Entwurfs dafür, den Vater zum alleinigen Träger der elterlichen Gewalt zu machen (§1501 II E I 56 ), sollte der 52 53 54 55 56

Motive IV, S. 738; Planck, Planck, B e g r ü n d u n g des Planck, B e g r ü n d u n g des Planck, B e g r ü n d u n g des Vgl. oben S. 335.

B e g r ü n d u n g des E n t w u r f s (wie Fn. 25), S. 1415 [ N D Bd. 2, S. 429], Entwurfs (wie Fn.25), S. 1418 [ N D Bd. 2, S.432]. Entwurfs ( w i e Fn.25), S. 1417 [ N D B d . 2 , S.431], Entwurfs (wie Fn.25), S. 1416 [ N D B d . 2 , S.430],

II. Die elterliche

Gewalt

341

Mutter auch während des Bestehens der Ehe ein gewisser eigener Anteil am Elternrecht verbleiben. § 1506 E I bestimmte folgendes: „Während des Bestehens der Ehe hat neben dem Vater auch die Mutter die Pflicht und das Recht, für die Person des Kindes zu sorgen; es steht ihr jedoch die gesetzliche Vertretung des Kindes nicht zu. Im Falle einer Verschiedenheit der Meinungen zwischen dem Vater und der Mutter entscheidet der Vater."

Die eigenständige Rechtsposition der Mutter, die im ersten Halbsatz dieser Vorschrift festgelegt wurde, stellte eine Durchbrechung des Grundsatzes des §1501 II E I 5 7 dar, wonach der Vater der Träger des Elternrechts sein sollte. Berücksichtigt man jedoch den gesamten Inhalt von § 1506 E I, so erscheint diese Durchbrechung als äußerst geringfügig, denn die Mutter konnte keinesfalls Rechtshandlungen für das Kind durchführen. Und sogar das Sorgerecht, das nach dem ersten Satz von §1506 E I als eigentlicher Kern des mütterlichen Rechts übrigzubleiben schien, wurde in §1506 II E I durch die Bestimmung über die Lösung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern unterhöhlt, die letztlich doch wieder einseitig den Vater berechtigt. Das Sorgerecht der Mutter betraf die tatsächliche Pflege des Kindes und seine Erziehung 58 . Das Erziehungsrecht allein wurde schon im gemeinen Recht als ein gemeinschaftliches elterliches Recht aufgefaßt 59 . Anders war es beispielsweise im A L R , das auch hier den Vater bevorzugte 60 . Schon §322 des Teilentwurfs von Planck hatte den Inhalt des § 1506 E I 6 1 . Bemerkenswert offen ist die Begründung Plancks für die einseitige Bevorrechtigung des Vaters: „Während bestehender Ehe gelangt die elterliche Gewalt, wenngleich dieselbe begrifflich als eine solidarische Stellung der Eltern den Kindern gegenüber aufzufassen ist, in der Person der Mutter regelmäßig nicht zur Ausübung, da während der Ehe naturgemäß der Mann als das Haupt der Familie die elterliche Gewalt ausübt. Er wird daher während bestehender Ehe ... mit Rücksicht auf die dadurch ermöglichte leichtere Handhabung des Gesetzbuchs auch formell als alleiniger Inhaber der elterlichen Gewalt behandelt" 62 .

Vgl. oben S. 335. Motive IV, S. 755. 59 Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. verbesserte und vermehrte Aufl. Frankfurt am Main 1887, Bd. II, §514,3, S. 956; Carl Friedrich Wilhelm von Gerber/Konrad Cosack, System des Deutschen Privatrechts, 17. Aufl. Jena 1895, §285, S.495. 60 ALR II 2 § 74: „Die Anordnung der Art, wie das Kind erzogen werden soll, kommt hauptsächlich dem Vater zu." 61 §322 TE-Familienrecht: „(1) Während bestehender Ehe hat neben dem Vater auch die Mutter die Pflicht und das Recht der Sorge für die Person des Kindes, jedoch unter Ausschluß des Rechts, das Kind zu vertreten und die Genehmigung zu Rechtshandlungen desselben zu ertheilen. (2) Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet die Stimme des Vaters." Vgl. dazu § 1506 E I oben S. 341. 62 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn. 25), S. 1425 [ND Bd. 2, S. 439]. Hervorhebungen von T.R. 57 58

342

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Diese Passage der Begründung des Teilentwurfs des Redaktors erscheint signifikant auch f ü r die Haltung des Entwurfs, die vollständig derjenigen des Planckschen Teilentwurfs entsprach 6 3 . Einerseits verstand Planck die elterliche G e w a l t „begrifflich" als ein gemeinschaftliches Recht beider Eltern, andererseits aber blieb er den patriarchalisch geprägten Vorstellungen v o n Familie v e r haftet, die den M a n n als Haupt v o n Ehe und Familie begriffen 6 4 und die Planck gelegentlich als „christlich und deutsch" bezeichnete 6 5 . Tatsächlich setzte sich diese Auffassung auch durch, denn w ä h r e n d des Bestehens der Ehe - also im Normalfall - übte nur und ausschließlich der M a n n die elterliche G e w a l t aus, was das Gesetz nach den W o r t e n v o n Planck „auch formell" z u m A u s d r u c k bringen sollte. W i r w e r d e n später das Schicksal dieser Zielsetzung im Gesetzbuch behandeln 6 6 . Mit § 1 5 0 6 E I 6 7 korrespondierte die Regelung der Fälle, in denen der Inhaber der elterlichen Gewalt, regelmäßig also der Vater, an der A u s ü b u n g gehindert ist. D e r Entwurf enthielt zwei Vorschriften, die diese Fälle betrafen, § 1 5 4 4 E I und § 1555 E I. § 1 5 4 4 E I lautete: „Ist der Inhaber der elterlichen Gewalt für die Person oder das Vermögen des Kindes zu sorgen verhindert, so hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln zu treffen." 68 Es sollte danach also nicht etwa die Mutter kraft Gesetzes an die Stelle des Vaters treten, was beim begrifflichen Verständnis der elterlichen G e w a l t als einer „solidarischen Stellung der Eltern" 6 9 nahe gelegen hätte, sondern die Verfasser des E n t w u r f s hielten es f ü r nötig, daß darüber zunächst ein Beschluß des V o r mundschaftsgerichts befinden müsse, das natürlich die Vertretung der Stelle des 63 Die hier untersuchten Vorschriften finden sich alle inhaltsgleich bereits im Teilentwurf von Planck. Vgl. insbesondere § 1501 E I mit §317 TE-FamR und §1506 E I mit §322 TE-FamR. 64 In diesem Sinne auch etwa § 67 S. 1 TE-FamR, in dem programmatisch der Mann als Haupt der Ehe bezeichnet wird. Dieser Satz ist von der 1. Kommission verworfen worden. Der Grund dafür dürfte gewesen sein, daß diese Aussage nicht unmittelbar eine Rechtsfolge betrifft und eher wie ein Lehrsatz wirkt, der im Gesetz nicht notwendig ist. Gleichwohl lag diese Auffassung auch dem Eherecht des Entwurfs zugrunde. Vgl. nur § 1273 EI, der dem Ehemann die Entscheidungsbefugnis „in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten" einräumte. - Planck verteidigte diese später auch Gesetz gewordene Vorschrift (§1354 BGB a.F.) mit praktischen Erwägungen. Irgend jemand müsse schließlich, so meinte er, die Entscheidung treffen, wenn eine Einigung nicht erzielt werden könne (vgl. Gottlieb Planck, Die rechtliche Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch. Vortrag zum Besten des Göttinger Frauenvereins, 1. und 2. Aufl. Göttingen 1899, S. 10f.; ebenso ders. schon im Reichstag, in: Stenographische Berichte, S.550). 65 Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn.64), Göttingen 1899, S. 11. 66 Siehe unten S. 371. 67 Vgl. oben S. 341. 68 Dem entsprach bereits §361 TE-FamR: „Wenn der Inhaber der elterlichen Gewalt durch Abwesenheit oder sonstige Gründe behindert ist, so hat das Vormundschaftsgericht die zum Schutze der Person des Kindes und zur Sicherstellung des Vermögens desselben erforderlichen Maßregeln zu treffen." 69 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1425 [ND Bd. 2, S.439].

II. Die elterliche Gewalt

343

Vaters durch die Mutter anordnen konnte. Dahinter stand vermutlich die Überlegung, daß auf diese Weise der Verkehrssicherheit besser gedient ist, weil es so nicht vorkommen konnte, daß Vater und Mutter gleichzeitig Rechtshandlungen für das Kind durchführten 7 0 . Die Motive schätzten es allerdings als gefährlich ein, der Mutter die Vormundschaft über das Kind zu übertragen, wenn der Vater die elterliche Gewalt verwirkt hatte - etwa infolge einer Straftat - , weil der Vater zu großen Einfluß auf die Mutter habe 71 . §1544 E I verlangte also eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung über die Ausübung der elterlichen Gewalt, wenn der Vater an der Ausübung gehindert war. Etwas anderes galt aber für die Fälle des „Ruhens der elterlichen Gewalt" des Vaters, die in §378 TE-FamR und in §1555 E I inhaltsgleich geregelt waren. §1555 E I lautete: „Solange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, steht die elterliche Gewalt mit Ausnahme der dem Vater verbleibenden elterlichen Nutznießung der Mutter zu. Ruht jedoch die elterliche Gewalt des Vaters wegen Minderjährigkeit desselben, so hat der Vater neben der Mutter die Pflicht und das Recht, für die Person des Kindes zu sorgen, nur in demselben Maße, wie nach den Vorschriften des § 1506 die Mutter. Die Vorschrift des ersten Absatzes findet keine Anwendung, wenn die elterliche Gewalt des Vaters in Folge der Entmündigung desselben wegen Verschwendung ruht, oder wenn die Ehe der Eltern des Kindes aufgelöst ist."

Gemäß § 1554 E I war zwar auch eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung erforderlich, um den Tatbestand des Ruhens festzustellen, aber die Rechtsfolge trat dann von Gesetzes wegen ein, ohne daß sie vom Vormundschaftsgericht gestaltet werden konnte: Die Mutter übt die elterliche Gewalt aus (mit Ausnahme der Nutznießung, was hier nicht vertieft zu werden braucht). § 1554 I E I bestimmte: „Wenn und solange der Inhaber der elterlichen Gewalt geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, ruht die elterliche Gewalt desselben, jedoch mit Ausnahme der elterlichen Nutznießung. Ein solches Ruhen der elterlichen Gewalt tritt auch dann ein, wenn bei einer thatsächlichen Verhinderung des Inhabers, die Gewalt auszuüben, die Nothwendigkeit einer allgemeinen Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes während einer voraussichtlich längeren Zeit sich ergiebt und diese Voraussetzung von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt ist; das Ruhen dauert bis zu dem Zeitpunkte, in welchem von dem Vormundschaftsgerichte der Wegfall der Voraussetzung festgestellt ist."

Der Eintritt des Ruhens der elterlichen Gewalt setzte in allen Fällen eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts voraus. Entweder mußte nämlich das Vormundschaftsgericht über die Geschäftsunfähigkeit beziehungsweise beschränkte Geschäftsfähigkeit entscheiden oder es mußte die Notwendigkeit der Sorge wegen der Verhinderung des Vaters feststellen, was § 1554 E I ausdrücklich voraussetzte. 70 Planck und von Mandry begründeten jedenfalls später in der Reichstagskommission so diese Vorschrift. Vgl. unten S. 376. 71 Motive IV, S. 755.

344

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

Angesichts des Nebeneinanders von §§ 1544 und 1555 E I fragt es sich, worin der Unterschied zwischen der „Verhinderung" gemäß § 1544 E I und dem „Ruhen" gemäß § 1555 E I lag. Als Fälle des Ruhens bestimmte nämlich § 1554 E I die Geschäftsunfähigkeit oder beschränkte Geschäftsfähigkeit des Vaters und die tatsächliche Verhinderung etwa wegen einer längeren Abwesenheit. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1544 E I fanden sich also in § 1555 E I wieder, dessen Anwendungsbereich freilich größer war. Beide N o r m e n betrafen unter anderem die Verhinderung der Ausübung der elterlichen Gewalt durch den Vater. Die Motive sahen den Grund für diese Regelung in der Entscheidung des Entwurfs für die Anerkennung der elterlichen Gewalt der Mutter. Daraus folge, so die Motive, daß nicht eine Vormundschaft über das Kind angeordnet werde, wenn der Vater ausfällt, sondern daß die Mutter die elterliche Gewalt ausübe 72 . Über das Konkurrenzverhältnis von §1544 und §1555 E I schwiegen sich die Motive allerdings aus. § 1544 E I sollte hauptsächlich klarstellende Funktion im Hinblick auf das Vormundschaftsrecht haben und stand in Zusammenhang mit § 1683 EI 7 3 , der eine Ubergangsregelung treffen wollte für die Fälle, in denen ein Vormund noch nicht bestellt ist, aber Entscheidungen erforderlich sind. Es ging also insoweit um einstweilige Maßnahmen, während § 1555 E I bereits eine vormundschaftsgerichtliche Feststellung des Ruhens der väterlichen Gewalt voraussetzte. Immerhin hatte bei §1555 E I das Vormundschaftsgericht nicht zu entscheiden, ob es die Mutter an die Stelle des Vaters setzen wolle, sondern dies wurde dort als Regelfall vorgesehen. Etwas mehr Klarheit in den Sinn von §1544 E I neben §1555 E I bringt Plancks Begründung des Teilentwurfs, dessen §361 dem §1544 E I inhaltlich entsprach. Planck dachte daran, daß es Fälle gibt, in denen auch nicht die Mutter die elterliche Gewalt ausüben kann (z.B. bei einer Entmündigung des Vaters wegen Verschwendung, vgl. § 1555 II E I beziehungsweise §378 TE-FamR). Für diese Fälle sollte klargestellt werden, daß das Vormundschaftsgericht Maßregeln bestimmen sollte. Schließlich könne es sein, so meinte Planck, daß die N o t wendigkeit von Maßregeln an ein Vormundschaftsgericht herangetragen werde, das zur Feststellung des Ruhens der väterlichen Gewalt nicht zuständig sei. Auch dann müsse das Vormundschaftsgericht nach §361 TE-FamR (beziehungsweise §1544 E I) Maßnahmen treffen können 7 4 . In der ersten Kommission hatte man erwogen, ob nicht beide Fälle (§§361,378 TE-FamR) zusammen in einer N o r m geregelt werden sollten, damit klar werde, daß §361 TE-FamR nur auf die Fälle zutreffe, in denen die elterliche Gewalt des Vaters noch nicht

72

Motive IV, S. 822. § 1683 E I: „Ist ein Vormund noch nicht bestellt oder der bestellte Vormund für die Person oder das Vermögen des Mündels zu sorgen verhindert, so hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Mündels erforderlichen Maßregeln zu treffen." Diese Regel entsprach inhaltlich dem §1846 BGB a.F. 74 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1540f. [ N D Bd. 2, S.554f.]. 73

II. Die elterliche Gewalt

345

ruht, weil das zuständige Vormundschaftsgericht n o c h nicht die entsprechende Feststellung getroffen hat 7 5 . G ä n z l i c h ohne vormundschaftsgerichtliche Entscheidung k o n n t e also die M u t t e r nicht an die Stelle des Vaters treten und die elterliche G e w a l t ausüben. D o c h für den Regelfall sah der E n t w u r f vor, daß die M u t t e r kraft eigenen R e c h t s die elterliche G e w a l t ausüben dürfe. Insofern setzte der E n t w u r f den G e d a n k e n eines gemeinschaftlichen Elternrechts um. D a s entsprach auch dem Vorschlag v o n Planck, der dies in § 3 7 8 des Teilentwurfs vorgesehen hatte: „An die Stelle der ruhenden elterlichen Gewalt des Vaters tritt während bestehender Ehe mit Ausnahme des Falls, wenn der Vater wegen Verschwendung entmündigt ist, die elterliche Gewalt der Mutter, soweit nicht auch diese ruht oder kraft Gesetzes verwirkt ist" 7 6 .

N a c h dieser Vorschrift sollte also nicht erst eine Entscheidung des V o r m u n d schaftsgerichts ü b e r die elterliche G e w a l t der M u t t e r befinden, sondern entsprechend dem Leitbild einer elterlichen G e w a l t , die ein gemeinschaftliches R e c h t ist, sollte die M u t t e r kraft Gesetzes zur A u s ü b u n g derselben berechtigt sein, allerdings m u ß t e das Vormundschaftsgericht den Tatbestand des R u h e n s der elterlichen G e w a l t des Vaters feststellen. D i e gesetzliche A u s ü b u n g der elterlichen G e w a l t durch die Mutter, so schrieb Planck in seiner Begründung des Teilentwurfs, entspreche dem System des E n t w u r f s , der auch eine elterliche G e walt der M u t t e r kenne. E i n e A u s n a h m e sei nur für die E n t m ü n d i g u n g des Vaters wegen Verschwendung zu machen, weil es aufgrund der „Abhängigkeit der M u t t e r v o n dem V a t e r " bedenklich sei, hier die G e w a l t der M u t t e r eintreten zu lassen 7 7 . D i e später geltend gemachten Verkehrsinteressen 7 8 spielten hier keine Rolle. § 1555 E I 7 9 entsprach dann auch dem § 3 7 8 T E - F a m R . D a s vorsichtige Lavieren des E n t w u r f s zwischen einem Modell, das klar eine vormundschaftsgerichtliche Regelung verlangt, wenn der Vater die elterliche G e w a l t nicht mehr ausüben kann und einem Modell, das der M u t t e r ohne jegliche Beteiligung des Vormundschaftsgerichts die A u s ü b u n g der elterlichen G e walt gestattete, scheint dem von Planck betonten System einer elterlichen G e walt der M u t t e r zu widersprechen. U n d in der Tat ist dieser G r u n d s a t z nicht mit letzter K o n s e q u e n z durchgeführt. D a s wird aber erklärlich, w e n n man bedenkt, 75 Prot. I, S.7754, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.409. - Noch deutlicher wurde der subsidiäre Charakter des §1544 E I in einem Änderungsantrag von Mandrys in der zweiten Kommission, der wie folgt formulieren wollte: „Ist der Vater wegen Krankheit oder wegen Abwesenheit nicht im Stande, eine Handlung vorzunehmen, welche die Pflicht zur Sorge für die Person oder das Vermögen des Kindes mit sich bringt, und ist Gefahr im Verzuge, so ist die Mutter berechtigt und verpflichtet, die Handlung vorzunehmen, es sei denn, daß der Mutter im Falle des Todes des Vaters die elterliche Gewalt nicht zustehen würde." Der Antrag wurde allerdings abgelehnt, vgl. Prot. II 4, S. 617, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 522f. 76 §378 TE-FamR, in: Werner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht Teil 1, Berlin - New York 1983, S. 88. 77 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1569 [ND Bd. 2, S.583]. 78 Vgl. oben bei Fn. 70. 79 Vgl. oben S. 343.

346

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

daß der Entwurf insbesondere mit dem gerade in Preußen eingeführten Recht (Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875) brach, das eine elterliche Gewalt der Mutter nicht kannte. Berücksichtigt man das, so stellt sich die Entscheidung des Entwurfs als ein Schritt in Richtung auf eine Gleichstellung der Mutter dar.

c) Ende der elterlichen Gewalt Das Ende der elterlichen Gewalt regelte der Entwurf in § 1557 I E I, welcher bestimmte: „Die elterliche Gewalt über das Kind wird, außer durch den Tod, durch die Volljährigkeit des Kindes beendigt." Die Volljährigkeit war also das entscheidende Datum für das Ende der elterlichen Gewalt. Damit orientierte sich der Entwurf am A B G B 8 0 , dem Code civil 81 und dem auch in sonstiger Beziehung zum Vorbild genommenen „Gesetz über die elterliche Gewalt und das Vormundschaftswesen vom 27. März 1872" in Sachsen-Weimar 82 . Im übrigen entsprach diese Regelung auch dem eindeutigen Votum des 12. Deutschen Juristentages, der 1875 in Nürnberg stattgefunden hatte 83 . Die Vorschrift des § 1557 I E I nannte in den weiteren Absätzen einige andere Erlöschensgründe, die hier jedoch nicht von Belang sind. Im Normalfall hörte die elterliche Gewalt mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes auf. Das hätte zwar keiner eigenen Regelung bedurft, weil es sich schon aus § 1501 I E I ergeben hätte, der lautete: „Das eheliche minderjährige Kind steht unter der elterlichen Gewalt." Aus dem hier hervorgehobenen Tatbestandsmerkmal der Minderjährigkeit ergibt sich im Umkehrschluß, daß das volljährige Kind nicht mehr der Gewalt seiner Eltern unterliegt. Aber die § § 1 5 5 7 - 1 5 5 9 E I sollten eine vollständige Regelung der Erlöschensgründe enthalten. Zum Zweck der Verdeutlichung sollte §172 ABGB. Art. 372 Code civil a.F.: „II [sc. l'enfant] reste sous leur [sc. ses père et mère] autorité jusqu'à sa majorité ou son émancipation." 82 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1361 [ND Bd.2, S.375]. 83 Leopold P f a f f , Gutachten über die Gesetzgebungsfrage: „Soll die väterliche Gewalt insbesondere als Grund der Beschränkung der Handlungsfähigkeit kraft des Gesetzes mit der Großjährigkeit des Hauskindes erlöschen?", in: Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1874, S. 158-170. Pfaff betonte, daß die Beschränkung der elterlichen Gewalt auf die Minderjährigkeit des Kindes den Verkehrsinteressen entspreche, weil so für den Vertragspartner leichter nachprüfbar werde, ob der andere voll geschäftsfähig sei [S. 168]. Außerdem Hermann Struckmann, Gutachten über die Frage: „Soll die väterliche Gewalt, insbesondere als Grund der Beschränkung der Handlungsfähigkeit, kraft des Gesetzes mit der Großjährigkeit des Hauskindes erlöschen?", in: Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages, Bd.2, Berlin 1875, S.268275. 80 81

Nach einem Referat von Ritter von Kißling und einem zustimmenden Korreferat von Leonhard bejahte der Juristentag die begutachtete Frage, vgl. Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1875, S.87.

II. Die elterliche

Gewalt

347

das Ende der elterlichen Gewalt wegen des Erreichens der Volljährigkeit des Kindes ausdrücklich normiert werden 84 . Die Kommission sah diese Hervorhebung für nötig an, weil die Regelung für einen großen Teil Deutschlands eine Neuerung von erheblicher praktischer Bedeutung mit sich bringe 85 . Für die Kommission hätte sich alternativ angeboten, das Kind bis zur Erreichung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der elterlichen Gewalt zu unterstellen, wofür Argumente der Tradition hätten herangezogen werden können. Aber das hätte für den Verkehr die Schwierigkeit mit sich gebracht, daß man bei einem erwachsenen Menschen nicht ohne weiteres hätte wissen können, ob er noch der elterlichen Gewalt und demzufolge der Vermögenssorge durch seine Eltern unterliegt. Die Motive begründeten deshalb das Ende der elterlichen Gewalt mit der „Verkehrssicherheit" 86 . Der Entwurf entsprach insoweit dem Vorschlag Plancks, dessen Entscheidung gegen die römisch-rechtliche Variante, die erst eine emancipatio des Kindes verlangte, durch persönliche Erlebnisse befördert worden sein mag 87 . 1851 ging es in Osnabrück um die Neuwahl eines Abgeordneten zur Zweiten Kammer. Als Kandidat der Demokratischen Partei war der damals 27jährige Planck vorgesehen, dessen Wählbarkeit aber fraglich war, wenn er noch unter väterlicher Gewalt stand. Zwar führte er eine separata oeconomia, doch war streitig, ob das zur Beendigung der väterlichen Gewalt nach gemeinem Recht ausreichen sollte. Das Problem löste Planck, in dem er von seinem Vater förmlich aus der Gewalt entlassen wurde 88 . Diese negative Erfahrung mochte für Planck ein Beweggrund mehr gewesen sein, eine klare zeitliche Grenze für die elterliche Gewalt zu ziehen. Da aber das Erreichen der Volljährigkeit nicht notwendig wirtschaftliche Selbständigkeit mit sich bringen würde, war es konsequent, daß der Entwurf die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber den Kindern vollständig aus dem Bereich der elterlichen Gewalt ausgeklammert und in die allgemeine Unterhaltspflicht der Verwandten integriert hat (§§ 1480-1496 E I ) und zwar einschließlich der Verpflichtung der Eltern gegenüber den minderjährigen Kindern in § 1481 III E I: „Dem minderjährigen unverheiratheten Kinde steht gegenüber seinen Eltern der Unterhaltsanspruch ohne Rücksicht auf den Stamm des dem Kinde gehörenden Vermögens zu."

Der Entwurf orientierte sich dabei am Vorbild des preußischen Allgemeinen Landrechts und des sächsischen B G B , die ebenfalls die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern als einen Reflex der Verwandtschaftsbeziehung

Vgl. Motive IV, S. 830. Prot. I, S. 7821, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.435. 86 Motive IV, S. 726f. - So auch schon Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1573 [ND Bd. 2, S.587], 87 Vgl. zum Folgenden: Motive IV, S. 682. 88 Ferdinand Frensdorf/, Gottlieb Planck, deutscher Jurist und Politiker, Berlin 1914, S. 113f. 84 85

348

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

verstanden haben und nicht als Folge der elterlichen oder väterlichen Gewalt 89 . Im Unterschied zu den sonstigen Verwandtschaftsbeziehungen hatte nach dem Entwurf das minderjährige Kind allerdings einen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern unabhängig vom eigenen Vermögen. Denn, so führten die Motive aus, „der natürlichen Stellung und Aufgabe der Eltern entspricht die Pflicht der letzteren, ihre Kinder durch ihre eigenen Kräfte und Mittel zur Selbständigkeit zu bringen . . . " 9 0 .

Für das volljährige Kind hingegen sollte dann die gewöhnliche Verwandtenunterhaltspflicht eingreifen. In Betracht kam schließlich, daß trotz der Volljährigkeit eine eingeschränkte elterliche Gewalt bestehen bleiben sollte, insbesondere nämlich die Nutznießung und Verwaltung des kindlichen Vermögens, sofern das Kind nicht bereits wirtschaftlich selbständig war oder geheiratet hatte. Da der Entwurf aber die elterliche Gewalt als eine Art der Vormundschaft betrachtete, sollten volljährige Kinder nur dann in der elterlichen Gewalt bleiben, wenn ein besonderer Grund zur Bevormundung vorlag. Zum Zwecke der Einfachheit und Verkehrssicherheit, so sagen die Motive, lehnte der Entwurf eine Differenzierung der Vormundschaft nach Erreichen der Volljährigkeit ab91. In der Begründung des Teilentwurfs wies Planck zudem darauf hin, daß den Eltern volljähriger Kinder insofern Einflußmöglichkeiten verbleiben würden, als sie die Art des Unterhalts und seinen Umfang bestimmen könnten und im übrigen die Kinder weiterhin zu Gehorsam und zu unterstützenden Dienstleistungen verpflichtet bleiben würden92.

8 9 A L R II 2 §§63-65,161,251-254 [mit RG, Urt. v. 18.06.1882 - IV 171/83, in: R G Z 9 (1883), S. 280-284, hier S.283] [jedoch mit noch vergleichsweise deutlicher Rückbindung an die väterliche Gewalt] und SächsBGB §§ 1802,1837f.; für das gemeine Recht vgl. O A G Celle, Erk. v. 24.05. 1852, in: SeuffA 5 (ND 1866), S.844, Nr. 296: „Die Verpflichtung des Vaters zur Alimentation seines Kindes... wird... lediglich durch die zwischen beiden bestehende Verwandtschaft begründet"; O L G Celle, Urt. v. 02.03. 1880, in: SeuffA 35 (1880), S.325-328, Nr.222, wo ebenfalls betont wird, die Alimentationspflicht des Vaters beruhe „lediglich auf der Verwandtschaft." - Der Code civil hingegen sah den Ursprung dieser Verpflichtung in der Ehe: Art. 203 („Les époux contractent ensemble, par le fait seul du mariage, l'obligation de nourrir, entretenir et élever leurs enfans"). Eine nähere Ausformung dieser Verpflichtung enthielten Art. 384f. alter Fassung: „384. Le père durant le mariage, et, après la dissolution du mariage, le survivant des père et mère, auront la jouissance des biens de leurs enfans jusqu'à l'âge de dix-huit ans accomplis, ou jusqu'à l'émancipation qui pourrait avoir lieu avant l'âge de dix-huit ans"; „385. Les charges de cette jouissance seront, 1.° Celles auxquelles sont tenus les usufruitiers; 2.° La nourriture, l'entretien et l'éducation des enfans selon leur fortune; 3.° Le paiement des arrérages ou intérêts des capitaux; 4.° Les frais funéraires et ceux de dernière maladie."

Motive IV, S. 681. Motive IV, S. 831. So auch schon Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn. 25), S. 1573f. [ND Bd. 2, S.587f.] 92 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.25), S. 1573 [ND Bd. 2, S.587f.]. 90 91

II. Die elterliche

d)

Gewalt

349

Zusammenfassung

Die Regeln über die elterliche Gewalt im ersten Entwurf weichen nur in geringem Umfang vom zuvor überwiegend geltenden Recht ab. Zu den wichtigen Neuerungen zählte, daß der Entwurf im Prinzip beide Eltern, nicht nur den Vater, als gleichberechtigte Träger der Gewalt ansah. Dieses Prinzip wurde jedoch durch die konkretisierenden Vorschriften bis zur Unkenntlichkeit verändert. Während der bestehenden Ehe der Eltern war praktisch der Vater allein berechtigt. Insbesondere hatte er ein Letztentscheidungsrecht im Falle von Meinungsverschiedenheiten. Die konkrete Ausgestaltung der elterlichen Gewalt entsprach damit weitgehend dem traditionellen, patriarchalisch geprägten Familienbild des 19. Jahrhunderts. Dennoch wurde erstmals der Mutter überhaupt ein eigenständiges Recht zur Ausübung der elterlichen Gewalt - nämlich nach dem Tode des Vaters - zuerkannt. Zu Lebzeiten des Vaters hatte sie nur ein Sorgerecht. Die prinzipielle Zuschreibung der Gewalt über das Kind an beide Elternteile ging einher mit einem neuen Verständnis vom inneren Grund der elterlichen Gewalt, die nicht mehr als Funktion der patria potestas begriffen wurde, sondern die nun vormundschaftlichen Charakter besaß. Damit einher ging die altersmäßige Begrenzung der elterlichen Gewalt. Nicht die wirtschaftliche Selbständigkeit des Kindes, sondern das Erreichen seiner Volljährigkeit ließ die elterliche Gewalt enden. Obgleich es dafür bereits verschiedene gesetzliche Vorbilder gab, bedeutete diese Regelung für die meisten Teile des Reiches eine Neuerung. Bei der Konzeption der elterlichen Gewalt im ersten Entwurf waren die sozialen Topoi vom Schutz des Schwächeren und von der sozialen Freiheit wirksam geworden. Der Schutzgedanke drückte sich konkret in dem vom Kind her gedachten, vormundschaftlichen Charakter der elterlichen Gewalt aus. Besonders deutlich wurde dieser Aspekt bei der Überlegung, wann die elterliche Gewalt über das Kind zu enden habe. Mit der Volljährigkeit entfiel in den Augen Plancks und der ersten Kommission die Schutzbedürftigkeit des Kindes und daher auch die elterliche Gewalt. Umgekehrt legitimierte die Forderung sozialer Freiheit das Ende der elterlichen Gewalt. Wichtiger war dieser Topos aber für das Verständnis der Rolle der Mutter bei der elterlichen Gewalt. Sie sollte prinzipiell dem Vater gleichberechtigt sein. Daß der Entwurf dieses Ziel in der praktischen Konsequenz vereitelt hat, braucht nicht wiederholt zu werden.

350

Kapitel 6: Soziales Recht im

2. Die a) Zum vormundschaftlichen

Familienrecht

Kritik

Charakter

der elterlichen

Gewalt

Nicht nur die inhaltliche Regelung der elterlichen Gewalt stieß auf Kritik, sondern auch ihre Bezeichnung. Gierke hätte zum Beispiel lieber von „elterlicher Vormundschaft" gesprochen93. Obgleich die Motivation für ihn ein Festhalten an alten „deutschen Rechtswörtern" war, wäre der Begriff gar nicht so abwegig gewesen, weil sich die Regelung der elterlichen Gewalt nun einmal am Modell der Vormundschaft orientiert hatte. Gerade dies kritisierte etwa Kohler, der das Elternrecht als ein besonderes Recht des Hausvaters ansah94. Er hielt die „Festigkeit der väterlichen Gewalt" für eine Kernfrage der Zukunft, weil an ihr der Zusammenhalt der Familie hänge. Sie bewahre sie vor der Vereinzelung und enthalte ein konservatives Element für „Zucht, Ehrsamkeit und kerniges We«95 sen . Ludwig Fuld hat in einem Gutachten für den „Anwaltsstand" Stellung zur Regelung der elterlichen Gewalt im ersten Entwurf genommen. Sein Ausgangspunkt war dabei eine Gegenübersetzung der römisch-rechtlichen patria potestas mit ihren „fast unbeschränkten Befugnissen" und der deutschrechtlichen Variante. Während mit der patria potestas keine Pflicht korrespondiere, sei die deutsche Auffassung, daß die Gewalt des Vaters „eine in die Rechtsform gekleidete Pflicht sei"96. Wir treffen hier also auf die üblicherweise in der Diskussion verwendete Charakterisierung von römischem und deutschem Recht. Hier das römische Recht mit seiner kalten, gefühllos individualistischen Betonung der subjektiven Rechte, dort das deutsche Recht, das auf die Gemeinschaft sieht, Rechte mit Pflichten kombiniert und für sozialen Ausgleich insbesondere durch Schutz des Schwächeren sorgt. Gerade im Schutz der Personen, „welche sich selbst zu schützen außer Stande sind", sah Fuld die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers97. Und diese Personen waren (und sind) in erster Linie die Kinder. Zwar gebe es, so fuhr Fuld fort, auch im römischen Recht die Möglichkeit, dem Vater die patria potestas zu entziehen, aber das genüge „selbstverständlich nicht, um das Kind gegen eine nachtheilige Anwendung der in der Gewalt enthaltenen Befugnisse zu schützen"98. Fuld befürwortet vor diesem Hintergrund,

Gierke, Entwurf, S. 49. Josef Kohler, [Gutachten:] Soll an Stelle der väterlichen Gewalt eine der Mutter subsidiär zustehende elterliche Gewalt im bürgerlichen Gesetzbuche aufgenommen werden? und mit welchen Modalitäten?, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin und Leipzig 1888, S. 220-228, hier S.221, 227. 95 Kohler, Gutachten für den 19. DJT (wie Fn.94), S.220. 96 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.419. 97 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.444. 98 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.419. 93 94

II. Die elterliche

Gewalt

351

daß sich der Entwurf in Anlehnung an das Allgemeine Landrecht entschlossen habe, die elterliche Gewalt auch als Pflicht zu verstehen". Größere Bedeutung hatte freilich die materielle Kritik.

b) Träger der elterlichen

Gewalt

Die kritischen Gedanken, die Gierke zur Regelung der elterlichen Gewalt im Entwurf geäußert hat, resultieren vor allem aus zwei Ideen: Zunächst ist die auch sonst bei ihm im Vordergrund stehende Auffassung vom Menschen als einem Gemeinschaftswesen zu nennen. Die Eheleute bilden für ihn eine Gemeinschaft, und so hielt er es für konsequent, daß auch das Elternrecht gemeinschaftlich sein müsse. Gierke anerkannte zwar, daß sich der Entwurf von der römischrechtlichen patria potestas weit entfernt habe100, aber das Verständnis von elterlicher Gewalt, die Vater und Mutter getrennt zusteht, verwarf er mit der Bemerkung, der Entwurf presse den deutschen Stoff „in die mechanisch-individualistische Gedankenschablone"101. Die zweite Überlegung, die weiter unten deutlich werden wird, hat eher konservativen Charakter und betraf die Erhaltung der im 19. Jahrhundert gewachsenen Familienstrukturen. Gierke hielt es für verfehlt, daß die mütterliche Gewalt nur an die Stelle der väterlichen treten sollte, wenn der Vater gestorben ist. Da die Eltern eine Gemeinschaft bildeten, so sei es, wie Gierke meinte, natürlich, daß auch die elterliche Gewalt gemeinschaftlich ausgebildet sein müsse102. Planck wies in seiner Erwiderung auf Gierke diese Kritik zurück und beschrieb, gerade soweit das Familienrecht betroffen war, seine Position detailliert. Hinsichtlich der sozialen Aufgabe des Privatrechts sah er insbesondere den Aspekt des Schutzes des Schwächeren von der elterlichen Gewalt berührt. Das Ziel des Gesetzes sollte es nach seinem Verständnis sein, das minderjährige Kind mit einer elterlichen Schutzgewalt zu umgeben. Dieses Schutzes bedürfe das Kind, so schrieb er, aufgrund seiner Unfähigkeit, für sich selbst zu sorgen und wegen seiner beschränkten Geschäftsfähigkeit103. In dieser Überlegung sah Planck die Rechtfertigung für die umfassenden Regeln des Entwurfs zur Vermögenssorge, für die teilweise Aufsicht durch das Vormundschaftsgericht und

99

Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.421. - Zur Vorbildfunktion des ALR vgl. oben

S.45. Gierke, Entwurf, S. 461 f. Gierke, Entwurf, S.462. Den Vorwurf, der Entwurf habe das Familienrecht zu sehr vom individualistischen Standpunkt aus geregelt und die „egoistischen Sonderinteressen" berücksichtigt, anstatt „den Gedanken ,einer Personeneinheit, einer Haus-und Lebensgemeinschaft'" durchzuführen, hat auch Oscar Cleß, Staat und Familie im Lichte des künftigen deutschen bürgerlichen Gesetzbuches. Gemeinverständlich dargestellt und vorgetragen in den kaufmännischen Vereinen zu Stuttgart und Reutlingen, Stuttgart 1890, S.23, offenbar in Anlehnung an Gierke, erhoben. 100 101

102 103

Gierke, Entwurf, S. 469. Planck, Zur Kritik, S.381.

352

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

für das Ende der elterlichen Gewalt mit Erreichung der Volljährigkeit 104 . Im wesentlichen war das gegenüber seiner erörterten Position, wie sie sich aus der Begründung des Teilentwurfs und den Motiven ergibt, nichts neues. Man muß allerdings berücksichtigen, daß die damalige Fachöffentlichkeit die Begründung des Teilentwurfs nicht kannte. Darüber hinaus war Planck jedoch der Meinung, daß der von Gierke erhobene Vorwurf der Verkennung der Bedeutung der Hausgemeinschaft für die Regelung der elterlichen Gewalt „einer der unbegreiflichsten" sei 105 . Denn, so fuhr er fort, soweit Gierke behaupte, der Entwurf verstehe die elterliche Gewalt als ein je besonderes Recht des Vaters oder der Mutter, gehe er fehl. Gerade das Gegenteil sei der Fall 106 . Der Gemeinschaftsgedanke werde nur nicht ausgesprochen, was auch nicht Aufgabe eines Gesetzes sei 107 . Zur Rechtfertigung dafür, daß der Vorwurf Gierkes unberechtigt sei, berief sich Planck auf den Begriff „elterliche Gewalt", der die Gemeinsamkeit der Pflichten und Rechte erweise. Planck verstand die elterliche Gewalt „in erster Linie" als Pflicht 108 . Zur Gemeinschaftlichkeit des elterlichen Rechts schrieb er: „Bei allen Bestimmungen des Entwurfes über die elterliche Gewalt ist, wie schon diese Bezeichnung andeutet, der Gedanke leitend gewesen, daß es sich hierbei im Principe um eine beiden Eltern gemeinschaftlich obliegende Pflicht und ein derselben entsprechendes Recht handelt und dem Vater dabei nur insoweit der Vorzug gebührt, als es im Interesse des Kindes nothwendig wird, Pflicht und Recht in eine Hand zu legen" 1 0 9 .

Allein aus Zweckmäßigkeitsgründen habe der Entwurf die rechtsgeschäftliche Vertretung und die Vermögenssorge in eine Hand, und zwar in die väterliche gelegt 110 . Doch § 1506 EI 111 spreche im übrigen von der Sorge beider Elternteile für die Person des Kindes 112 . Diese Verteidigung Plancks erscheint mindestens plausibel, denn sicherlich wollte auch Gierke nicht eine völlig gleichberechtigte Stellung der Frau, aber man wird zugeben müssen, daß der Entwurf sehr wenig Anhalt für die These Plancks von der Gemeinschaftlichkeit der elterlichen Gewalt bot, insbesondere wenn man die strikte Regelung des § 1501 II E I113 betrachtet, die allein den Vater als Träger der elterlichen Gewalt bezeichnete. Daran ändert es auch nichts, wenn Planck betonte, daß dies aus Zweckmäßigkeitsgründen geschehen ist. Dieses Argument enthüllt die Motivation der Kommission in ungewohnt klarer Weise. Die Verkehrsinteressen wurden höher bewertet als etwa das Interesse an 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113

Vgl. unten S. 360. Planck, Zur Kritik, Planck, Zur Kritik, Planck, Zur Kritik, Planck, Zur Kritik, Planck, Zur Kritik, Planck, Zur Kritik, Vgl. oben S.341. Planck, Zur Kritik, Vgl. oben S. 335.

S. 377. S. 377. S.345f., 378f. S.383. S.377. S.378. S.377.

II. Die elterliche

Gewalt

353

einer konsequent durchgeführten, gemeinschaftlichen elterlichen Gewalt. Gerade das aber erregte bei Gierke Anstoß. Pfaff sah zwar wie Planck im Entwurf den Gedanken eines gemeinschaftlichen Elternrechts verwirklicht, meinte aber, daß dazu § 1501 II E I, der den Vater zum Träger der elterlichen Gewalt erklärte, nicht passe, sondern daß man die elterliche Gewalt der Mutter als derjenigen des Vaters ebenbürtig hinstellen solle. Der Vater solle freilich seine letztentscheidende Rolle behalten 114 . Bemerkenswert ist, daß anscheinend alle Seiten darüber einig waren, daß die elterliche Gewalt den Eheleuten gemeinschaftlich zukommen müsse. Streit bestand insoweit nur über die technische Ausdrucksform. Jedoch verstand man unter dem beschriebenen gemeinschaftlichen Elternrecht nicht eine elterliche Gewalt oder Sorge im Sinne der heutigen Dogmatik, die gemäß § 1626 B G B n. F. beide Eltern als jeweils volle Träger der gesamten elterlichen Gewalt ansieht 115 , sondern nach Gierkes Vorstellung zum Beispiel sollte die Mutter „die Stelle des Vaters ergänzen" 116 . Pfaff meinte, die Mutter sei Mitträgerin der elterlichen Gewalt, wobei aber der Vater nach außen hin das letzte Wort habe und die Vertretung übernehme 117 . Diese Auffassung von einer gemeinschaftlichen elterlichen Gewalt, die Gierke in seiner Schrift zum Entwurf nicht weiter spezifiziert hat, rührt daher, daß er sich nicht frei gemacht hatte von den Vorstellungen des Bürgertums, das die Frau als „geschäftsuntüchtig" ansah, so daß sie vor Gericht und in bestimmten vermögensrechtlichen Beziehungen auf die ergänzende Hilfe des Mannes angewiesen sei. Daß auch Gierke in dieser Gedankenwelt gefangen war, zeigt eine Bemerkung zur Einschränkung der elterlichen Gewalt der Mutter gemäß § 1538 E I. Gierke sagte: „Es entspricht der Natur der Sache, daß die für sich stehende Witwe in der gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der Kinder und in der Verfügung über das Kindesvermögen minder frei gestellt wird als das Elternpaar oder der Witwer" 1 1 8 .

Gierke glaubte, daß die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft wesentlich von der Funktionsfähigkeit der Familie abhängig sei, was für ihn beinahe selbstverständlich eine patriarchalische Struktur bedeutete. Eine Auflösung dieser Ordnung entziehe der Gesellschaft ihren Halt, so meinte er 119 und berührte damit den Topos des sozialpolitischen Ausgleichs, der auf eine Erhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung zielte. 114 Leopold P f i f f , [Gutachten:] Soll an Stelle der väterlichen Gewalt eine (der Mutter subsidiär zustehende) elterliche Gewalt im Bürgerlichen Gesetzbuch aufgenommen werden? und mit welchen Modalitäten?, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1888, S. 153219, hier S.210f. 115 Einzelheiten zur heutigen Sicht bei Dieter Giesen, Familienrecht, 2. Aufl. Tübingen 1997, Rn.615ff., 659ff. 116 Gierke, Entwurf, S. 469. Ähnlich P f a f f , Gutachten für den 19. DJT (wie Fn. 114). 117 P f a f f , Gutachten für den 19. D J T (wie Fn. 114), S.211. 118 Gierke, Entwurf, S. 470. 119 Gierke, Entwurf, S. 476.

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Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Die unterschiedliche Rolle von Vater und Mutter bei der Ausübung der gemeinschaftlichen elterlichen Gewalt nach der Vorstellung Gierkes zeigt ein Spezifikum des Gemeinschaftsgedankens: zwar sollten beide Eltern gemeinsam die Gewalt ausüben, aber sie sollten sich dabei ergänzen entsprechend ihrem unterschiedlichen status. Gleichberechtigung bedeutete für Gierke insoweit nicht, daß Vater und Mutter dieselben Rechte haben sollten, sondern daß jeder seine Rechte (und Pflichten) hat, wie es seiner je eigenen Beziehung zur Gemeinschaft beziehungsweise seiner Funktion innerhalb der Gemeinschaft entspricht 120 . Innerhalb der Familiengemeinschaft hatte aber für Gierke der Vater die Funktion des „Hauptes". Man ist sicherlich aus heutiger Sicht zunächst geneigt, Gierkes Auffassung in diesem Punkt in die Nähe eines männlichen Chauvinismus zu rücken, aber mit dieser Einschätzung würde man der zeitgenössischen Wirklichkeit nicht unbedingt gerecht. In den unteren Bevölkerungsschichten war sicherlich die Kompetenz der Frauen zur Vermögensverwaltung keinesfalls geringer als die ihrer Männer, aber in den sogenannten höheren Ständen war es noch nicht üblich, daß auch Frauen mit der Verwaltung größerer Vermögensmassen betraut waren. Sie wurden darauf in der Regel nicht in der Erziehung vorbereitet. Gerade auf die Beseitigung des Bildungsdefizits zielte die bürgerliche Frauenbewegung 121 . Stellt man dies in Rechnung, so scheint hier in unerwartetem Zusammenhang das soziale Anliegen des Schutzes des Schwächeren auf. Wenn also Gierke und andere wie etwa Emil Münsterberg122 forderten, daß die Mutter die elterliche Gewalt nur mit einem Vormund ausüben solle, so ist das auch Ausdruck der Idee, daß es zur sozialen Aufgabe des Privatrechts gehört, daß die Schwächeren einen besonderen Schutz erfahren. Münsterberg schrieb: „Zunächst wird in der vollkommenen Gleichstellung der Geschlechter in Bezug auf die elterliche Gewalt (was in Deutschland bisher nur ganz vereinzelt der Fall ist) die durchschnittliche Fähigkeit der Frau zur Geschäftsführung verkannt; dieselbe ist in der That eine sehr viel geringere, als diejenige des Mannes ... Es handelt sich aber auch gar nicht allein um die Fähigkeit - und dieses ist vom Standpunkt der Gemeinde- und Armenverwaltung ganz besonders zu berücksichtigen - sondern auch um die viel größere Schutzbedürftigkeit der Witwe und der von ihrem Ehemann verlassenen Frau und deren Kinder" 1 2 3 .

Aus der Schutzbedürftigkeit folgte nach seiner Meinung eine Schutzpflicht der Behörden für verwitwete oder verlassene Frauen 124 . Der Schutzaspekt paßte natürlich in hervorragender Weise zur hergebrachten patriarchalischen Sicht der Familie, in der der Familienvater sein „Haus" nach außen hin schützt und vertritt. Vgl. dazu oben S. 62. Vgl. dazu Gustav Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. Eine Betrachtung über deren Entwicklung und Ziele, Berlin 1896 sowie die Nachweise in Fn. 256. 122 Emil Münsterberg, Familienrecht, in: Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit, Heft 8, Leipzig 1889, S.57-74, hier S.65f. 123 Münsterberg, Familienrecht (wie Fn. 122). Hervorhebung im Original. 124 Münsterberg, Familienrecht (wie Fn. 122). 120 121

II. Die elterliche

Gewalt

355

Diese Sicht der Familie war auch bei vergleichsweise fortschrittlichen Beobachtern wie dem Rechtsanwalt Ludwig Fuld ganz selbstverständlich. So berief sich Fuld etwa zur Begründung dafür, warum die minderjährige Frau durch Heirat mündig werden solle - was der Entwurf nicht vorsah darauf, daß sonst eine Einmischung Dritter in die Ehe zu befürchten sei, die weittragende Folgen haben könne. Der Ehemann aber solle das Haupt der Familie sein, seine Entscheidung solle bei einer Meinungsverschiedenheit der Eheleute die Ubermacht haben 125 . Sofern sich die Meinungsverschiedenheiten aber auf die Ausübung der elterlichen Gewalt bezogen, sollte das Vormundschaftsgericht entscheiden, wie später zu zeigen sein wird 126 . Der Sachfrage brauchen wir hier nicht nachzugehen. Es geht nur darum zu zeigen, daß auch die Befürworter einer Verbesserung der Stellung der Frau durchaus in den hergebrachten Vorstellungen von Ehe und Familie befangen waren. Andererseits betonten die Befürworter der im Entwurf vorgeschlagenen Regelung, daß die Vermeidung eines Vormundes die Autorität der Mutter stärke und Störungen der Familie durch Einflüsse von außen vermeide127. Auch das ist sicherlich eine Überlegung, die man als „sozial" bezeichnen kann. Fuld begrüßte es, daß der Entwurf entsprechend der deutschen Rechtsauffassung die Mutter teils neben dem Vater, teils an seiner Stelle als Inhaber der elterlichen Gewalt verstehe 128 . Ersteres durch die Teilhabe an der Personensorge mit Ausnahme der rechtsgeschäftlichen Vertretung. Der 19. Deutsche Juristentag 1888 befaßte sich unter anderem auch mit der folgenden Frage: „Soll an Stelle der väterlichen Gewalt eine (der Mutter subsidiär zustehende) elterliche Gewalt im Bürgerlichen Gesetzbuch aufgenommen werden? und mit welchen Modalitäten?"

Zu dieser Frage erstatteten der Wiener Rechtsanwalt Leopold Pfaff und Joseph Kohler die Gutachten 129 . Pfaff hielt es im Anschluß an den Berliner Privatdozenten Karl Lehmann130 für einen „Zug der Zeit", die mütterliche Gewalt inhaltlich übereinstimmend mit der väterlichen Gewalt zu regeln 131 . Lehmann hatte mit einem rechtsver125 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.442; den Ehemann bezeichneten als Haupt der Familie auch Planck, oben bei Fn.62, Riebard Altsmann, Vormundschaft und elterliche Gewalt nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: AcP 76 (1890), S. 325-371, hier S. 368; vgl. außerdem die Nachweise im Abschnitt zum Ehegüterrecht unten S.388ff. 126 Vgl. unten S. 359. 127 Vgl. insbesondere P f a f f , Gutachten für den 19. DJT (wie Fn. 114), S.206ff., 210. 128 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.421. 129 Pfaff Gutachten für den 19. D J T (wie Fn. 114); Kohler, Gutachten für den 19. DJT (wie Fn. 94). 130 Karl Lehmann, Die elterliche Gewalt im Vermögensrechte des heutigen Europa, in: JherJb 25 (1887), S. 142-238, hier: S.236f. 131 P f a f f , Gutachten für den 19. D J T (wie Fn. 114), S. 155.

356

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

gleichenden Ansatz gezeigt, wie die neueren Gesetze in Europa dazu tendierten, eine elterliche Gewalt zu schaffen, die der Mutter nach dem Vater ein eigenes Recht zur Vermögenssorge gewährte. Auch in Deutschland werde sich eine mütterliche Gewalt, die wie die väterliche ausgestaltet sei, entsprechend der allgemeinen Situation in Europa durchsetzen, so meinte Lehmann132. P f a f f deutete das so, als steuere die geschichtliche Entwicklung nahezu naturgesetzlich auf eine Regelung hin, wie sie der Entwurf schließlich vorsah 133 . Schon die Naturrechtler hätten erkannt, daß die elterliche Gewalt beiden Eltern zustehe. Manchmal sei dabei sogar der Mutter der Vorzug gegenüber dem Vater gegeben worden. Diese Stellungnahme der Naturrechtler zugunsten einer elterlichen Gewalt im Unterschied zur väterlichen belegte P f a f f mit Hinweisen auf Grotius, Hobbes, Leyser, Martini, Hufeland, Kant und Zeiller. Ergänzend fügte er noch aus dem 19. Jahrhundert Fichte, Schmalz, Hegel, Krause und Ahrens12,4 hinzu. Einen Rückschlag habe die Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts gebrachte, so meinte er, die wenigstens nach außen eine rein väterliche Gewalt gefordert habe. Aber selbst in den Äußerungen von Stahl, Trendelenburg, Geyer und Zöpfl sah P f a f f noch eine versteckte Tendenz zur elterlichen Gewalt 135 . Hinzu komme, so meinte P f a f f , daß die römisch-rechtliche patria potestas in Deutschland niemals rezipiert worden sei, sondern daß man sich an das „natürliche Recht" gehalten habe, was P f a f f durch verschiedene Literaturzitate von Schilter, Glück und anderen belegte 136 . Schließlich referierte P f a f f sehr umfangreich über die Bestrebungen in der Literatur und den verschiedenen Gesetzesentwürfen in Hessen und Sachsen, die väterliche Gewalt durch eine elterliche Gewalt zu ersetzen 137 . Diesen naturrechtlichen und geschichtlichen Argumenten ließ P f a f f in seinem Gutachten rechtsvergleichende Bemerkungen folgen über die Situation in Osterreich, Frankreich und der Schweiz 138 . Seine begriffsgeschichtlichen Betrachtungen krönte P f a f f mit einem Bericht über Forschungen von Ficker, der nachgewiesen habe, daß bereits im fränkischen Recht eine elterliche Gewalt vorhanden gewesen sei in dem Sinne, daß die Mutter ohne alle Einschränkungen die gleiche Rechte wie der Vater hatte, sobald dieser gestorben war. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Einführung der elterlichen Gewalt als eine „Rückkehr zur nationalen Reorganisation der deutschen Familie" dar, wie P f a f f meinte 139 . 132 Karl Lehmann, Die elterliche Gewalt (wie Fn. 130), S.237f. Vgl. im übrigen die übereinstimmende rechtsvergleichende Studie von Planck, B e g r ü n d u n g des Entwurfs ( w i e Fn. 25), S. 1358ff. [ N D B d . 2 , S.372ff.]. 133 P f a f f , Gutachten für den 19. D J T ( w i e Fn. 114), S. 155. A h n l i c h übrigens schon die A n a l y s e von Planck in seiner B e g r ü n d u n g des Vorentwurfs z u m Familienrecht: Planck, B e g r ü n d u n g des Entwurfs ( w i e Fn.25), S.1356f. [ N D Bd. 2, S.370f.]. 134 P f a f f Gutachten f ü r den 19. D J T ( w i e Fn. 114), S. 157-161. 135 P f a f f , Gutachten f ü r den 19. D J T ( w i e Fn. 114), S. 161-163. 136 P f a f f , Gutachten für den 19. D J T ( w i e Fn. 114), S. 163f. 137 P f a f f , Gutachten f ü r den 19. D J T ( w i e Fn. 114), S. 164-175. 138 P f a f f , Gutachten f ü r den 19. D J T ( w i e Fn. 114), S. 179-194. 139 P f a f f , Gutachten für den 19. D J T ( w i e Fn. 114), S.206.

II. Die elterliche

Gewalt

357

„Auch wir erklären uns für die gesetzliche Anerkennung der elterlichen Gewalt" 1 4 0 .

Für die Praktikabilität seiner Auffassung berief sich Pf ä f f auf die Erfahrungen mit den teilweise bereits bestehenden Gesetzen. An den tatsächlichen Fähigkeiten der Frauen sei nicht zu zweifeln, insbesondere angesichts der sozialen Veränderungen der Stellung der Frau 141 . Die elterliche Gewalt der Mutter sei geeignet, die Familienbande zu stärken und die Autorität der Mutter zu heben 142 . Anders als zum Beispiel Gierke nutze Pfaff damit das zum „sozialpolitischen Ausgleich" gehörige Stabilitätsargument für die Einführung einer weitgehend gleichberechtigten elterlichen Gewalt auch der Mutter. Nach P f i f f s Auffassung sollte die elterliche Gewalt der Mutter nicht nur subsidiär sein, allerdings sollte der Vater bei Meinungsverschiedenheiten das letzte Wort behalten143. Die Richtigkeit der Argumentation von Pfaff kann hier dahinstehen. Bemerkenswert ist ihre Art. Pfaff bemühte vor allem die Geschichte sowie naturrechtliche Überlegungen, um seine Uberzeugung zu begründen, daß die elterliche Gewalt die passende gesetzliche Lösung sei. Hinzu kamen zwei weitere Aspekte. Einmal die soziale Stellung der Frau, die es zu respektieren gelte, weil der Gesetzgeber die Wirklichkeit realistisch zur Kenntnis nehmen müsse, zum zweiten ein nationales Argument, daß Pfaff daraus ableitete, daß die elterliche Gewalt seit jeher dem germanischen Rechtsdenken - man könnte auch lesen: dem sozialen Rechtsdenken - entspreche. Geschichte, Natur, germanisches Rechtsdenken, nationales Rechtsbewußtsein sowie soziale Überlegungen lieferten Pfaff die Argumente. Man darf allerdings nicht übersehen, daß die sozialen Überlegungen bei Pfaff die auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft abzielten, weniger programmatischen Charakter hatten als etwa bei Gierke. Gierke folgerte aus ihnen eine „Aufgabe" des Gesetzes, während es Pfaff weniger um eine aktive Gestaltung der sozialen Verhältnisse ging als vielmehr um die Anerkennung einer seiner Meinung nach bereits bestehenden Wirklichkeit. Immerhin zielte die Einführung der elterlichen Gewalt der Mutter in den Augen Pfaffs auf eine Stärkung der Familie und damit der gesellschaftlichen Stabilität im Sinne des Topos vom sozialpolitischen Ausgleich. Dieser Topos bildete auch den Hintergrund des Gutachtens von Joseph Kohler, das er dem Juristentag zur selben Frage wie Pfaff erstattet hat144. Kohler hielt es für die Aufgabe des Gesetzgebers, die „sociale Wirkung des Rechts auf das Leben" zu berücksichtigen 145 . Charakteristisch sind bereits seine einführenden Bemerkungen:

140 141 142 143 144 145

Pfaff, Pfaff, Pfaff, Pfaff, Kohler, Kohler,

Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten Gutachten

für den für den für den für den für den für den

19. 19. 19. 19. 19. 19.

DJT DJT DJT DJT DJT DJT

(wie Fn. 114), S.206. (wie Fn. 114), S.209. (wie Fn. 114), S.210. (wie Fn. 114), S.211. (wie Fn.94), S. 220-228. (wie Fn.94), S.221.

358

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

„Die Festigkeit der väterlichen Gewalt ist eine Kernfrage für die C u l t u r der Zukunft; denn an der Festigkeit der väterlichen Gewalt hängt der Zusammenhalt der Familie und damit die Sicherung dessen, daß die Familie sich nicht in Vereinzelung verliert und daß in dem kräftigen Z u s a m m e n w i r k e n des Familienbandes ein conservatives Element erhalten bleibt, welches Zucht, Ehrsamkeit u n d kerniges Wesen garantirt" 1 4 6 .

Kohler schwebte also ein durchaus konservatives Bild von der Familie vor, doch er war realistisch genug, um zu sehen, daß die tatsächliche Entwicklung in eine andere Richtung wies. Für unumgänglich notwendig hielt er aber, daß der jeweilige Träger der elterlichen Gewalt ein Nutznießungsrecht am kindlichen Vermögen hat, also auch die Mutter, „soweit sie Trägerin elterlicher Gewalt ist" 147 . Kohler hielt es für angemessen, daß die Mutter die elterliche Gewalt ausüben solle, denn da nur der Inhaber der Vermögensgewalt auch die Person völlig in der Hand habe, müsse der Mutter auch die Vermögensverwaltung zukommen, wolle man nicht auf „ein Hauptferment der Sittenkultur" verzichten. Die Behauptung, die Frau sei nicht in der Lage, ein Vermögen zu verwalten wegen der fragilitas sexus, sei großenteils nichts als Einbildung und beruhe auf „hergebrachten Sprüchen" 148 . In solchen Äußerungen kündigte sich schon der Wechsel der Rolle der Frau in der Familie an, der sich schließlich im 20. Jahrhundert vollzog. Kohler hielt es für gesellschaftspolitisch erwünscht, daß die Mutter Trägerin der elterlichen Gewalt wird, wenn der Vater nicht mehr lebt oder aus anderen Gründen an der Ausübung der elterlichen Gewalt gehindert ist, denn die Einwirkung der Mutter sorge für die „Veredelung und sittliche Verfeinerung" der Kultur 149 . Bei den Verhandlungen des Juristentages referierte der Reichsgerichtssenatspräsident Drechsler zu der von Kohler und Pf ä f f begutachteten Frage, ob an Stelle der väterlichen Gewalt eine der Mutter subsidiär zustehende elterliche Gewalt in das Gesetzbuch aufgenommen werden solle, wobei die Beteiligung an dieser Verhandlung gering war, wie die Sitzungsberichte verzeichneten 150 . Drechsler kritisierte, daß der Entwurf die elterliche Gewalt zunächst dem Vater und erst nach dessen Tod der Mutter zuspreche. Richtiger sei es, so meinte er, daß Vater und Mutter die elterliche Gewalt gleichzeitig haben. Nur zu Lebzeiten des Vaters sei die Ausübung durch die Mutter beschränkt 151 . Trotz seiner Kritik beantragte Drechsler die Billigung der Vorschriften des Entwurfs zur el146

Kohler, Gutachten für den 19. DJT (wie Fn.94), S.220. Kohler, Gutachten für den 19. DJT (wie Fn.94), S.221. 148 Kohler, Gutachten für den 19. DJT (wie Fn. 94), S. 227. - Ähnlich in diesem Punkt: Planck, Zur Kritik, S.382; Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.421. 149 Kohler, Gutachten für den 19. DJT (wie Fn.94), S.226f. 150 Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Sitzungsberichte, Berlin und Leipzig 1888, S. 132. 151 Karl August Eduard Drechsler, [Referat:] Soll an Stelle der väterlichen Gewalt eine der Mutter subsidiär zustehende elterliche Gewalt im bürgerlichen Gesetzbuche aufgenommen werden? und mit welchen Modalitäten?, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Sitzungsberichte, Berlin und Leipzig 1888, S. 132-137, hier: S. 133. 147

II. Die elterliche

Gewalt

359

terlichen Gewalt 152 , was die Anwesenden auch unterstützten. Ohne Debatte wurde Drechslers Billigungsantrag angenommen. Nach einer Dreiviertelstunde war die Behandlung dieser Frage schon beendet. Das geringe Interesse des Juristentages erklärt sich wohl vor allem damit, daß parallel in der ersten Abteilung des Juristentages das Thema „Kauf bricht Miete" diskutiert wurde 153 , das wie kein anderes die Gemüter erhitzt hatte. Ausgehend vom Schutzgedanken wollte Cleß wenigstens die Möglichkeit der Bestellung eines Vormundes auf Antrag der Frau im Gesetz geregelt wissen, damit sie nicht die ganze „Last und Verantwortlichkeit der geschäftlichen Tätigkeit" tragen müsse, wenn sie es nicht wolle 154 . c) Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt zu Lebzeiten

des Vaters

Ludwig Fuld nahm zwar keinen Anstoß daran, daß die Mutter nicht zur rechtsgeschäftlichen Vertretung des Kindes berechtigt sei, plädierte aber für ein Recht der Mutter auch zur Vermögenssorge neben dem des Vaters155. Insbesondere erstrebte Fuld jedoch eine Änderung der Regelung über die Meinungsverschiedenheiten zwischen Mutter und Vater. Nicht der Vater sollte die ausschlaggebende Stimme haben, sondern das Vormundschaftsgericht 156 . § 1506 II E I157 sollte deshalb lauten: „Im Falle einer Verschiedenheit der Meinungen zwischen dem Vater und der Mutter entscheidet das Vormundschaftsgericht" 158 . Es sei nämlich, so führte er zur Begründung aus, auch durch das praktische Leben die Annahme nicht berechtigt, daß die Ansicht des Vaters die Vermutung der Richtigkeit, die der Mutter die Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit für sich habe. Die Bestimmung über die Streitentscheidung sei nur „ein Nachklang zu der früheren Ansicht, welche dem Vater schlechthin den maßgebenden Einfluß gewährte" 159 . Unausgesprochen stand hinter diesen Vorschlägen von Fuld, wie man aus anderen Äußerungen von ihm schließen kann 160 , die sozialpolitische Aufgabe des Gesetzes, die Stabilität der Gesellschaftsordnung und Rechtsfrieden verlangte, um ein Auseinanderdriften verschiedener gesellschaftlicher Schichten zu verhindern. Die Frauenfrage barg aber genausogut wie die Arbeiterfrage gesellschaftliches Konfliktpotential, auch wenn sie sich quer durch alle Drechsler, Referat für den 19. DJT (wie Fn. 151) S. 136. 153 Vgl Jgn Sitzungsbericht der ersten Abteilung am 11. September 1888, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd.3, Sitzungsberichte, Berlin und Leipzig 1888, S.35ff. 154 Cleß, Staat und Familie (wie Fn. 101), S.26f. 155 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.421. 156 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.422, 444. Dagegen aber: Gierke, Entwurf, S.464 Fn. \ ;Hugo Neumann, Literatur zum Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, in: Gruchot's Beiträge 34 (1890), S. 118 Anm.*); P f a f f , Gutachten für den 19. DJT (wie Fn. 114), S.211. 157 Vgl. oben S. 341. 158 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.444. 159 Fuld, Die elterliche Gewalt (wie Fn.3), S.421. 160 Vgl. oben S. 103. 152

360

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

Bevölkerungsschichten stellte. K o n f l i k t e lassen sich aber vermeiden, w e n n man den Rechtsfrieden dadurch sichert, daß man die berechtigten Anliegen aller Seiten verwirklicht. H i e r z u zählte Fuld offenbar auch die Gleichberechtigung der Frau bei der elterlichen G e w a l t verbunden mit einer Abschaffung des L e t z t e n t scheidungsrechts des Vaters. R e i n theoretisch k ö n n t e man die Verbesserung der Rechtsstellung der Frau, die Fuld beabsichtigte, auch als A u s d r u c k der „sozialen F r e i h e i t " begreifen, d o c h liegt diese Interpretation nicht nahe angesichts des programmatischen Schwerpunkts Fulds beim sozialpolitischen Ausgleich als sozialer A u f g a b e des Privatrechts. O h n e selbst k o n k r e t e Verbesserungsvorschläge zu machen, rügte Gierke, daß in § 1544 E I (Verhinderung der A u s ü b u n g der elterlichen Gewalt) 1 6 1 nicht kraft Gesetzes die M u t t e r an die Stelle des Vaters trete, da sie d o c h - kraft ihres aus dem Gemeinschaftsgedanken abzuleitenden status, so m u ß man den G e d a n k e n ergänzen - ein eigenes, subsidiäres R e c h t der elterlichen G e w a l t besitze 1 6 2 . Planck erklärte die E n t w u r f s l ö s u n g so, daß zwar regelmäßig die M u t t e r an die Stelle des Vaters treten solle, aber eine vormundschaftsgerichtliche Bestätigung erforderlich sei, weil nach außen erkennbar sein müsse, w e r gesetzlicher Vertreter des Kindes sei 1 6 3 .

d) Zu frühes Ende der elterlichen

Gewalt

Aus dem Gemeinschaftsgedanken, der den Familienbegriff v o n Gierke prägte, resultierte schließlich auch seine Kritik an der Regelung des E n d e s der elterlichen G e w a l t mit dem Eintritt der Volljährigkeit 1 6 4 . Solange ein H a u s k i n d sich nicht wirtschaftlich verselbständigt hat, sollte es nach Gierkes Vorstellung auch keine rechtliche Selbständigkeit erlangen. D i e s e m G e d a n k e n , so meinte er, habe der E n t w u r f das „Lebenslicht ausgeblasen". D i e Trennung des Elternrechts v o n der Hausgemeinschaft sei damit vollendet 1 6 5 . Soweit das aus R ü c k s i c h t auf die Verkehrssicherheit geschehen sei 1 6 6 , müsse diese eigentlich hinter die Interessen der „deutschen F a m i l i e " zurücktreten 1 6 7 . I m übrigen k ö n n e man d o c h auch die volljährigen K i n d e r zwar geschäftsfähig werden lassen, aber d e n n o c h an die elterliche G e w a l t gebunden sein lassen, insbesondere im H i n b l i c k auf die elterli-

Vgl. oben S. 362. Gierke, Entwurf, S.473f. 163 Planck, Zur Kritik, S.378. 164 § 1557 E I, oben S. 346 und § 1501 I E I, oben S. 346. 165 Gierke, Entwurf, S. 475; ders., Das deutsche Haus und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, in: Jahresbericht der Berliner Juristischen Gesellschaft 32 (1890/91), S.23-38, hier S. 35; ders., [Diskussionsbeitrag zur elterlichen Gewalt], in: Verhandlungen des Königlichen Landes-Oekonomie-Kollegiums über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und andere Gegenstände. III. Session der IV. Sitzungsperiode vom 11. bis 22. November 1889, Berlin 1890, S. 846-853, hier S.847. 166 Vgl. oben S. 347. 167 Gierke, Entwurf, S.475f. 161

162

II. Die elterliche

Gewalt

361

che Verwaltung und Nutznießung des kindlichen Vermögens168. Diesen zuletzt genannten Kritikpunkt teilten auch Bahr169 und Altsmann170. Vor dem Hintergrund des Gedankens der Hausgemeinschaft, die die Grundlage der elterlichen Gewalt nach der Auffassung Gierkes war, wird auch ein weiterer Vorwurf, den er dem Entwurf machte, verständlich, da die Hausgemeinschaft der Eltern mit ihren Kindern nicht unbedingt mit dem Erreichen der Volljährigkeit der letzteren aufhört. Gierke hielt es für einen schweren Mißgriff, daß der Entwurf die Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber den minderjährigen Kindern nicht als Teil der elterlichen Gewalt geregelt habe, die die Pflicht zur Sorge auch um das leibliche Wohl des Kindes umfasse, sondern diese Pflicht als Teil der Unterhaltspflichten von Verwandten aufgefaßt habe. Das widerspreche „jedem gesunden Gefühl" und sei Ausdruck der „individualistischen und mechanischen Schablone" des Entwurfs171. Gierke wollte statt dessen eine eigenständige Regelung der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern, die im Zusammenhang mit der elterlichen Gewalt und dem Nutznießungsrecht der Eltern am kindlichen Vermögen stehen sollte. Auch der Unterhalt gegenüber großjährigen Kindern sollte dort geregelt sein. Planck verteidigte hingegen die vorgeschlagene Regelung, weil die elterliche Gewalt vornehmlich der Geschäftsunfähigkeit und damit also der Schutzbedürftigkeit des Kindes entspringe172. Er verstand die soziale Aufgabe des Gesetzes hier darin, den schutzbedürftigen Kindern eine Schutzgewalt zur Seite zu stellen. „Ist die elterliche Gewalt ihrem Wesen nach eine Schutzgewalt, so muß sie aufhören, wenn das Kind des Schutzes nicht mehr bedürftig ist. Dies tritt ein, sobald das Kind die Volljährigkeit erreicht hat" 1 7 3 .

Planck teilte also gerade nicht die Vorstellung Gierkes, daß die elterliche Gewalt in der Hausgemeinschaft ihre Wurzeln hat, sondern sah entsprechend seiner programmatischen Überzeugung die Aufgabe des Gesetzgebers im Schutz und der Fürsorge für die Kinder. Würde man dem Vater die Vermögenssorge für die Kinder auch nach deren Erreichen der Volljährigkeit zubilligen, so würde diesem Recht keine juristische Pflicht mehr entsprechen, wie Planck meinte. Dafür fehle die innere BerechtiGierke, Entwurf, S.476f. Otto Bahr, Zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, München 1888, S. 159f. 170 Altsmann, Vormundschaft und elterliche Gewalt (wie Fn. 125), S. 367. 171 Gierke, Entwurf, S.458, dort auch die wörtlichen Zitate. 172 Planck, Zur Kritik, S.381; zustimmend: P f a f f , Gutachten für den 19. D J T (wie Fn. 114), Bd. 2, S.219; Paul Klöppel, Das Familien- und Erbrecht des Entwurfs zum bürgerlichen Gesetzbuche, in: Gruchot's Beiträge 33 (1889), S.64-93, 338-364, hier: S.351f.; Cornelius David, Die Vormundschaft des Entwurfs, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a. Berlin 1890 [erschienen seit 1888], S. 73-95, hier S.74. 173 Planck, Zur Kritik, S.381. 168 169

362

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

gung. Im übrigen entzöge sich das Verhältnis der Eltern zu ihren volljährigen Kindern einer rechtlichen Regelung174. Anders motiviert war die Befürwortung des Entwurfs durch den Berliner Rechtsanwalt William Löwenfeld, der hervorhob, die Beendigung der elterlichen Gewalt mit Erreichen der Volljährigkeit stelle insbesondere einen Fortschritt für die rechtliche Stellung der Frau dar, weil die Frau nun nicht mehr wie zuvor erst unter väterlicher Vormundschaft und sodann unter die des Ehemannes gerate, sondern mit der Volljährigkeit rechtlich Selbständigkeit erlange, weil sie dann voll geschäftsfähig werde. Durch die Beschränkung der elterlichen Gewalt auf die Zeit der Minderjährigkeit der Kinder werde es gerade für die Frauen leichter, eine selbständige berufliche Existenz aufzubauen175. Das Privatrecht sollte also für die Verbesserung der sozialen Freiheit der Frauen sorgen. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzte in den Augen Löwenfelds die Möglichkeit der Schaffung einer eigenen Existenzgrundlage voraus. e)

Zusammenfassung

Die „sozial" motivierte Kritik an den Vorschriften des Entwurfs über die elterliche Gewalt wies keineswegs in eine einheitliche Richtung, wenn man davon absieht, daß fast allen Beteiligten ein eher konservativer Grundzug eignete, der mit dem herkömmlichen Familienbild des 19. Jahrhunderts in stärkerem Umfang konform ging als der Entwurf. Kohler hatte sich vor allem an der Ableitung der elterlichen Gewalt aus ihrem vormundschaftlichen Charakter gestört und wollte sie auf die Stellung des Hausvaters gründen. Fuld wollte den Pflichtcharakter der elterlichen Gewalt nach dem Vorbild des ALR, das auch sonst so oft als das sozialere Privatrecht bevorzugt wurde, betont sehen. Abweichend davon und geradezu fortschrittlich erscheint hingegen sein Vorschlag, Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern nicht einseitig durch den Vater entscheiden zu lassen, sondern das Vormundschaftsgericht damit zu befassen. Dahinter stand der Topos vom sozialpolitischen Ausgleich, den auch Pfaff im Sinn hatte bei einer Stärkung der Familie durch Gleichberechtigung der Frau, die in einer ebenbürtigen elterlichen Gewalt der Mutter ihren Ausdruck finden sollte. Solche Ideen waren den sozialen Vorstellungen Gierkes in diesem Punkt allerdings fremd. Er wollte die elterliche Gewalt auf die Hausgemeinschaft gründen. Sie sollte deshalb den Eltern gemeinschaftlich zustehen, nicht getrennt einerseits dem Vater, andererseits der Mutter. Innerhalb der elterlichen Gemeinschaft sollte allerdings keineswegs Gleichberechtigung herrschen, sondern statusbedingt sollten sich Vater und Mutter ergänzen. Das Fortbestehen der Hausgemeinschaft zwischen Eltern und volljährigen Kindern war für Gierke auch Planck, Zur Kritik, S.381. William Löwenfeld, Die rechtliche Stellung der Frau, in: Die Frau im gemeinnützigen Leben. Archiv für die Gesammt-Interessen ... 4 (1889), S.51—61, hier S.52. 174 175

II. Die elterliche

363

Gewalt

der Grund, das Ende der elterlichen Gewalt nicht mit dem Erreichen der Großjährigkeit gleichsetzen, sondern es an die wirtschaftliche Selbständigkeit des Kindes zu koppeln, die erst mit dem Ausscheiden des Kindes aus der Hausgemeinschaft einherging. Eine ebenfalls „sozial" motivierte Verteidigung erfuhr die Entwurfslösung durch Planck, der die Schutzbedürftigkeit der Kinder als Fundament der Regelung der elterlichen Gewalt angesehen hatte. Nur solange die Kinder dieses Schutzes auch wirklich bedürfen, sollten sie unter der elterlichen Gewalt stehen. Ihre Freiheit sollte aber auch nicht weiter eingeengt werden, weshalb sich an dieser Stelle das Ideal einer sozialen mit dem einer freiheitlichen Regel verband. Die soziale Freiheit war schließlich der Wert, den Löwenfeld für das Ende der elterlichen Gewalt bei Erreichen der Volljährigkeit geltend machte, indem er auf den damit verbundenen Fortschritt für die Rechtsstellung der Frau hinwies. Die Gleichberechtigung brachte in diesem Punkt den Frauen nach seiner Auffassung die Freiheit zum Aufbau einer beruflichen Existenz als Grundlage der persönlichen Entfaltung. Mit ganz unterschiedlicher Zielrichtung wurden also in der Diskussion um die elterliche Gewalt alle vier sozialen Topoi eingesetzt. Gegensätzliche Inhalte bekam dabei der Topos vom sozialpolitischen Ausgleich, der in seiner Konkretisierung hier vor allem „Stabilisierung der gesellschaftlichen Ordnung durch Stabilisierung der Familie" bedeutete. Gierke wollte daraus ein Festhalten an der Bevorrechtigung des Mannes ableiten, während Fuld gerade mit der Abschaffung des Letztentscheidungsrechts des Vaters die Stabilisierung im Sinn hatte.

3. Vom ersten Entwurf zum a) Die Zweite

BGB

Kommission

(1) Der Träger der elterlichen

Gewalt

§ 1501 E I 1 7 6 , der in seinem zweiten Absatz den Vater zum Träger der elterlichen Gewalt erklärt hatte, war Beratungsgegenstand in der 304. Sitzung der 2. Kommission am 7. März 1894. Die folgende Fassung der §§ 1501 und 1502 E I 1 7 7 hatte von Mandry beantragt: „Solange das K i n d minderjährig ist, haben die E l t e r n die Pflicht und das R e c h t , für P e r son und V e r m ö g e n desselben zu sorgen (elterliche Gewalt).

Vgl. oben S. 335. § 1 5 0 2 E I: „Die elterliche Gewalt begründet für den Elterntheil, welchem sie zusteht (Inhaber der elterlichen Gewalt): 1. die Pflicht und das Recht, sowohl für die Person als für das Vermögen des Kindes zu sorgen; 2. das Recht der Nutznießung an dem Vermögen des Kindes (elterliche Nutznießung)." 176 177

364

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Die elterliche Gewalt wird [zunächst von dem Vater, während seiner Verhinderung in den gesetzlich bestimmten Fällen von der Mutter ausgeübt 178 ]. Nach dem Tode des Vaters steht die Ausübung der Mutter z u " 1 7 9 .

Ohne daß in den Protokollen eine entsprechende Begründung überliefert worden wäre, entsprach dieser Vorschlag weitgehend den Anregungen Gierkes, weil hier als Träger der elterlichen Gewalt zunächst einmal die Gemeinschaft der Eltern genannt wurde. Nur in der Ausübung dieser Gewalt sollten nach diesem Antrag die Elternteile unterschiedliche Funktionen haben, was durchaus den Intentionen der Kritiker des Entwurfs entsprach. Ganz im Sinne der Kritik war auch die Betonung der Pflicht vor dem Recht, die freilich schon § 1502 Nr. 1 E I 180 enthielt. Die Kommission erkannte jedoch keine inhaltliche Abweichung vom ursprünglichen § 1501 E I und lehnte den Antrag von Mandrys mehrheitlich ab181. Eine vergleichsweise geringe Einschränkung der prinzipiellen Vorrangstellung des Vaters geschah - ohne vorausgegangene Diskussion - bei der von Planck besorgten vorläufigen Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse. Dort hieß es nun in § 1501 II E I-VorlZust: „Die elterliche Gewalt wird zunächst von dem Vater, während seiner Verhinderung in den gesetzlich bestimmten Fällen von der Mutter ausgeübt. Nach dem Tode des Vaters steht die elterliche Gewalt der Mutter z u " 1 8 2 .

Die hier kursiv gesetzte Passage brachte zwar keine inhaltliche Neuerung gegenüber dem § 1501 II E I zum Ausdruck, aber immerhin stellte sie doch deutlich heraus, daß es Situationen geben konnte, in denen das Gesetz von der grundsätzlichen Privilegierung des Vaters absah. Darin kam wenigstens ansatzweise die Kritik zum Tragen, die die Mutter immerhin in einer subsidiären Weise als Trägerin der elterlichen Gewalt auffaßte. Inhaltlich mit der soeben wiedergegebenen Fassung stimmte dann auch die Regelung in der „Zusammenstellung der Redaktionskommission" überein 183 . Eine gründliche Änderung erfuhr §1501 E I dann in der Fassung für den zweiten Entwurf. Lapidar hieß es nun in § 1521 E II: „Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt."

Uber den Träger der elterlichen Gewalt machte diese Vorschrift im Unterschied zur Version im E I keine Aussage mehr. Wer die elterliche Gewalt auszu178 Im Original wird an dieser Stelle auf den oben wiedergegebenen Text aus einem anderen Paragraphen lediglich durch die Worte „etc.... wie § a Abs. 2 Satz 1 des in der Anlage beigefügten Antrags" Bezug genommen. Aus Gründen der Verständlichkeit ist diese Bezugnahme hier aufgelöst worden. 179 Prot. II 4, S. 546, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.516. 180 Vgl. Fn. 177. 181 Prot. II 4, S.546, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.516. 182 Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.530. 183 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.539.

II. Die elterliche

365

Gewalt

üben berechtigt und verpflichtet war, mußte nun im Rückschluß aus den speziellen Vorschriften über die elterliche Gewalt des Vaters, die unter der Uberschrift „1. Elterliche Gewalt des Vaters" (§§ 1522-1571 E II) und aus den Vorschriften über die elterliche Gewalt der Mutter abgeleitet werden, die sich unter der Überschrift „2. Elterliche Gewalt der Mutter" in den §§ 1572-1586 E II fanden. Die rechtliche Lage hatte sich dadurch allerdings gegenüber dem ersten Entwurf keineswegs geändert. Der Vater war weiterhin zunächst einmal Träger der elterlichen Gewalt, wie sich aus § 1522 E II ergab 184 ; die Mutter übte sie nur ausnahmsweise aus, wovon sogleich zu handeln ist. Dem Anliegen der Kritik, ein gemeinschaftliches Elternrecht zu beschreiben, kam die Fassung des E II nicht näher als der E I. Erreicht war nur, daß der Vater nicht mehr so ausdrücklich zum Träger der elterlichen Gewalt wie im § 1501 II E I bestimmt wurde. (2) Der Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt zu des Vaters

Lebzeiten

Im ersten Entwurf hatte § 1555185 mit seiner Regelung über das Ruhen der elterlichen Gewalt des Vaters in einem eigenständigen Abschnitt über „Ruhen und Beendigung der elterlichen Gewalt" Platz gefunden, so daß unmittelbar deutlich wurde, daß die Ausübung der elterlichen Gewalt durch die Mutter an die vorherige Feststellung des Vormundschaftsgerichts gebunden war, das die Voraussetzungen des Ruhens der elterlichen Gewalt des Vaters gemäß §1554 EI 1 8 6 prüfen mußte 187 . Dieser enge Zusammenhang des Tatbestands des Ruhens der elterlichen Gewalt und seiner Rechtsfolge, nämlich der Ausübung der elterlichen Gewalt durch die Mutter, zerriß im E II, der keinen eigenen Abschnitt mehr über das Ruhen der elterlichen Gewalt kannte, sondern nur noch die elterliche Gewalt des Vaters und die elterliche Gewalt der Mutter unterschied, Zwischenüberschriften aber vermied. Die Vorschriften über das Ruhen der elterlichen Gewalt des Vaters, die eine Voraussetzung für das Aufleben der elterlichen Gewalt der Mutter waren, standen nun unter der oben erwähnten Uberschrift „1. Elterliche Gewalt des Vaters", also losgelöst von den mütterlichen Rechten. §§1565 und 1566 E l l lauten: § 1565 E II: „Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, w e n n er geschäftsunfähig ist. Das Gleiche gilt, w e n n der Vater in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist oder w e n n er nach § 1772 einen V o r m u n d erhalten hat; es steht ihm jedoch neben dem gesetzlichen Vertreter die Sorge f ü r die Person des Kindes in gleicher Weise zu wie nach § 1529 der Mutter neben d e m Vater." § 1566 E II: „Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, w e n n von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt wird, daß der Vater auf längere Zeit an der A u s ü b u n g der elterlichen Ge184 § 1522 E II (= § 1627 BGB): „Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen." 185 Vgl. oben S. 343. 186 Vgl. oben S. 343. 187 Vgl. dazu die Ausführungen oben S. 343.

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Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

walt thatsächlich verhindert ist und der Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes durch die Anordnung einer Pflegschaft nicht genügt werden kann. Das Ruhen endigt, wenn von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt wird, daß der Grund nicht mehr besteht."

Erst im 2. Gliederungspunkt, der von der elterlichen Gewalt der Mutter handelte, setzte der E II die Rechtsfolge des Ruhens im Hinblick auf die Ausübung der elterlichen Gewalt fest. § 1573 E II ließ aus sich heraus nicht erkennen, daß die Voraussetzungen des Ruhens der elterlichen Gewalt des Vaters zunächst einer vormundschaftlichen Entscheidung bedurften, sondern sprach schlicht vom „Ruhen" dieser Gewalt. Er lautete: § 1573 E II: „Solange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wird die elterliche Gewalt von der Mutter ausgeübt. Die Mutter ist von der Ausübung ausgeschlossen, wenn der Vater wegen Verschwendung oder wegen Trunksucht entmündigt oder wenn die Ehe aufgelöst ist. Im Falle der Auflösung der Ehe hat jedoch das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung zu übertragen, wenn keine Aussicht besteht, daß der Grund, aus welchem die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wegfallen werde; mit der Uebertragung der elterlichen Gewalt erlangt die Mutter in diesem Falle auch die Nutznießung am Vermögen des Kindes."

Im wesentlichen bedeutete diese Regelung keine Abweichung gegenüber dem ersten Entwurf 188 . Der Zusammenhang von vormundschaftsgerichtlicher Entscheidung und Ausübung der elterlichen Gewalt durch die Mutter war jetzt allerdings weniger leicht ersichtlich. Darüber hinaus wurde im zweiten Entwurf - trotz der teilweise gegenläufigen Kritik - die Rechtsposition der Mutter noch stärker eingeschränkt als im ersten Entwurf, indem die Voraussetzungen für das Ruhen der elterlichen Gewalt des Vaters verschärft wurden. Diese Verschärfung betraf die Fälle der Verhinderung des Vaters an der Ausübung der elterlichen Gewalt infolge Abwesenheit o.ä. § 1554 E I hatte die Feststellung des Ruhens an die „Nothwendigkeit einer allgemeinen Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes während einer voraussichtlich längeren Zeit" geknüpft 189 . §1566 E l l erschwerte diese Voraussetzung hingegen dadurch, daß er das Ruhen von der zusätzlichen Bedingung abhängig machte, daß die Anordnung einer Pflegschaft nicht genügen würde 190 . Das Recht der Mutter auf Ausübung der elterlichen Gewalt trat also nicht nur subsidiär hinter das väterliche Recht zurück, sondern auch noch hinter eine um eine Pflegschaft ergänzte elterliche Gewalt des Vaters. Das Recht der Mutter wurde mithin im E II noch weiter als im ersten Entwurf eingeschränkt.

188 189 190

Vgl. §1555 E I , oben S.343. Vgl. oben S.343. Vgl. den Schluß von § 1566 I E II, oben S. 365.

II. Die elterliche

(3) Das Ende der elterlichen

Gewalt

367

Gewalt

Schließlich ist die Behandlung von § 1557 E I191 durch die 2. Kommission zu erörtern, der ausdrücklich das Ende der elterlichen Gewalt an das Erreichen des Volljährigkeit des Kindes knüpfte. Diese Vorschrift fiel ohne weitere Diskussion fort. Struckmann hatte in seinem Antrag zu den §§ 1501-1561 E I bei § 1557 E I nicht mehr ausgesprochen, daß die elterliche Gewalt durch die Volljährigkeit des Kindes und einige weitere Tatbestände beendet wird 192 , weil er dies entweder für selbstverständlich oder aber bereits durch andere Vorschriften für gedeckt hielt 193 . Die praktischen Bedürfnisse, die in der ersten Kommission noch als Begründung für die eigenständige Regelung in § 1557 I E I hergehalten hatten 194 , kamen nun nicht mehr zur Sprache. Ob die Sätze des § 15571EI zu streichen seien, überließ die Kommission der Redaktionskommission 195 . Letztere begnügte sich dann damit, daß § 1521 E II196 die elterliche Gewalt an die Voraussetzung der Minderjährigkeit knüpfte. Eine besondere Vorschrift über das Ende des Gewaltverhältnisses bei Erreichen der Volljährigkeit war deshalb obsolet. Die Entscheidung der Kommission zu § 15571EI war jedoch eher formaler Natur und besagt noch nichts über die Haltung der Kommission zum Problem, wann denn nun die elterliche Gewalt enden solle. Darüber geben andere Diskussionen in der Kommission allerdings Aufschluß. Struckmann hatte beantragt, die elterliche Gewalt fortdauern zu lassen, wenn ansonsten die Voraussetzungen der Vormundschaft gegeben seien 197 , da es Fälle gebe, in denen die Schutzbedürftigkeit auch nach Erreichen der Volljährigkeit fortbestehe. Es sei dann zweckmäßig, wenn das Vormundschaftsgericht die elterliche Gewalt verlängere 198 . Die Mehrheit der Kommission lehnte das jedoch ab, da dem Richter der nötige Anhaltspunkt zur Entscheidung zwischen Vormundschaft und elterlicher Gewalt fehle 199 . Diese Begründung ist insofern bemerkenswert, als über den Ausgangspunkt und damit die Legitimation der elterlichen Gewalt keine Meinungsverschiedenheit herrschte. Die Schutzbedürftigkeit des minderjährigen Kindes veranlaßte die elterliche Gewalt. Freilich verdeckte diese Begründung die Zweifelsfrage, ob die Schutzbedürftigkeit mit dem Erreichen des Volljährigkeitsalters wegfiel (also an einer starren Grenze) oder erst, wenn das Kind auch wirtschaftlich selbständig geworden ist, was unter Umständen wesentlich später oder auch nie geschehen konnte. Vgl. oben S. 346. Antrag Nr. 110, § s ' , in: Jakobs/Schubert, 4, S. 554. 193 Prot. 114, S. 644. 194 Vgl. oben S. 347. 195 Prot. 114, S. 644. 196 Vgl. oben S. 364. 197 Antrag Nr. 110, § b, in: Jakobs/Schubert, 198 Prot. 114, S. 546. 199 Prot. II 4, S.546f. 191 192

Beratung, Familienrecht II, S.514 s o w i e Prot. II

Beratung, Familienrecht II, S. 508.

368

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Doch ließ sich diese Frage nicht vollständig umgehen. Eine Diskussion darüber, ob die elterliche Gewalt mit dem Eintritt der Volljährigkeit enden oder ob sie nicht doch besser bis zum Erreichen wirtschaftlicher Selbständigkeit erhalten bleiben solle - wenigstens im Hinblick auf die Nutznießung des Kindesvermögens - , fand in der zweiten Kommission im Zusammenhang mit der Frage statt, ob das volljährige Kind das Recht haben solle, die Verfügungsgewalt über sein Vermögen zu verlangen, ohne den gemeinsamen Haushalt mit den Eltern aufgeben zu müssen200. Nach dem ersten Entwurf sollte mit dem Eintritt der Volljährigkeit die elterliche Verwaltung und Nutznießung des Kindesvermögens aufhören, unabhängig davon, ob das volljährige Kind den Haushalt der Eltern verläßt oder noch im Elternhaus bleibt. Die preußische Regierung hatte zu dieser vom A L R abweichenden Regelung erklärt, sie könne nur zustimmen, wenn das Volljährigkeitsalter von 21 auf 24 Jahre heraufgesetzt werde und wenn der Vater das Verfügungsrecht über die Einkünfte des kindlichen Vermögens behalte, solange das Kind zu Hause bleibe 201 . Einen darauf abzielenden Antrag hatte Hermann Gustav Eichholz202 gestellt203. Er wies zur Begründung darauf hin, daß die starre Grenze für die elterliche Gewalt nur aus Rücksicht auf die Verkehrsinteressen eingeführt worden sei. Im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern bewirke das Erreichen der Volljährigkeit keine Änderung. Diese trete erst ein, wenn das Kind einen selbständigen Haushalt begründe. Es sei deshalb gerechtfertigt, im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern die vermögensrechtlichen Wirkungen der elterlichen Gewalt nicht mit der Volljährigkeit enden zu lassen. Die Autorität der Eltern werde sonst untergraben. Man könne auch nicht die Eltern darauf verweisen, sie könnten ihre Kinder vor die Alternative stellen, entweder den Haushalt zu verlassen oder aber dem Vater die Verfügungsmöglichkeit über das kindliche Vermögen zu überlassen. Die Billigkeit fordere aber, die Eltern an den Einkünften des Kindes zu beteiligen, wenn dieses von den Eltern den Unterhalt empfange204. Gegen den Antrag von Eichholz wurde geltend gemacht, er dränge die Kinder zum Verlassen der Familiengemeinschaft, wenn sie die Verfügung über ihr Vermögen erreichen wollten. So könne man an einen vierzigjährigen Sohn denken, der mit seiner Mutter den Haushalt teile und nur in den Genuß seines Vermögens kommen könne, wenn er sich von seiner Mutter trenne205. Der Antrag von Prot. II 4, S. 542-545. Zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Bemerkungen des Königlich Preußischen Justizministers über die in dem Rundschreiben des Reichskanzlers vom 27. Juni 1889 hervorgehobenen Punkte, Berlin 1891, S. 280. - Preußen wollte hilfsweise das Ende der elterlichen Gewalt an das Erreichen der wirtschaftlichen Selbständigkeit knüpfen [wie zuvor, S. 281], wie es insbesondere auch Gierke in seiner Kritik angeregt hatte. 202 Hermann Gustav Eichholz (18.12. 1837-17.6. 1895) war ständiges Mitglied der 2. Kommission. Nach einer Karriere im Justizdienst und preußischen Justizministerium wurde er kurz vor seinem Tod 1895 Präsident des O L G Posen. Vgl.Jahnel, Kurzbiographien, S.98. 203 Antrag Nr. 123, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.321. 204 Prot. II 4, S. 544f. 205 Prot. II 4, S. 545. 200 201

II. Die elterliche

Gewalt

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Eichholz wurde schließlich abgelehnt206. Die Mehrheit in der Kommission bewertete offenbar die Individualinteressen des volljährigen Kindes höher als diejenigen seiner Eltern an der Nutznießung des kindlichen Vermögens. Die Wahrung der Familiengemeinschaft spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Es wäre also verfehlt, wollte man als Motiv für die Grenze elterlicher Gewalt in der Volljährigkeit des Kindes allein die Verkehrsinteressen sehen. Ebensogut läßt sich zeigen, daß das Gemeinschaftsinteresse bei einer Verlängerung der elterlichen Gewalt bis zum Erreichen wirtschaftlicher Selbständigkeit (was mit der Begründung eines eigenständigen Haushalts gleichgesetzt wurde) nicht zwingend gefördert, sondern mitunter beeinträchtigt wird, weil die Kinder früher als vielleicht nötig und gewünscht aus dem gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern gedrängt werden, wenn sie ihr Vermögen selbst nutzen möchten. Nach diesen Beratungen fehlte der frühere § 1557 I E I 2 0 7 bereits in der von Planck angefertigten „Vorläufigen Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs ,.." 2 0 8 sowie später in der Zusammenstellung der Redaktionskommission 209 , im E II und schließlich im BGB. § 1568 E II und § 1679 B G B a.F. enthielten nur noch Vorschriften, die in § 1557 II, III E I enthalten waren. Das Ende der elterlichen Gewalt ergab sich nunmehr im Rückschluß aus der Grundregel des § 1521 E II 2 1 0 . (4) Ein Mißerfolg der Kritik Obgleich Sprache und Form des ersten Entwurfs Gegenstand heftiger Kritik gewesen sind, ist für den zweiten Entwurf im Titel, der von der elterlichen Gewalt handelt, eine Verkomplizierung der Regelung zu beobachten. Der E I hatte in der einleitenden Vorschrift § 1501 II E I 211 noch vergleichsweise deutlich ausgesprochen, wer Träger der elterlichen Gewalt sein sollte. § 1557 I E I hatte ausdrücklich das Ende der elterlichen Gewalt festgelegt. Im E II mußte man nun die Zuständigkeit für die elterliche Gewalt durch einen Rückschluß aus einer Vielzahl von verstreut liegenden Vorschriften ermitteln. Wesentlich einfacher war zwar das Ende der elterlichen Gewalt dem § 1521 E II zu entnehmen, aber auch dort war es nur indirekt ausgedrückt, indem zur positiven Tatbestandsvoraussetzung der elterlichen Gewalt die Minderjährigkeit des Kindes gehörte. Bedenkt man, daß die Forderung eines allgemeinverständlichen, volkstümlichen Gesetzes als Teil seiner sozialen Aufgabe angesehen wurde, so kann man für den zweiten Entwurf sagen, daß er in diesem Punkt seine soziale Aufgabe jedenfalls verfehlte. Auch die sachbezogene Kritik an den Vorschriften des E I über die elterliche Prot. II 4, S. 545. Vgl. oben S. 346. 208 Yg[ Jakobs/Schubert, 209 Vgl. Jakobs/Schubert, 210 Vgl. oben S. 364. 211 Vgl. oben S.335. 206

207

Beratung, Familienrecht II, S. 538. Beratung, Familienrecht II, S. 544.

370

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Gewalt war nicht erfolgreich. Die zweite Kommission ging, wie die Verhandlungen insbesondere über das Ende der elterlichen Gewalt gezeigt haben, unbeirrt vom vormundschaftlichen Charakter der elterlichen Gewalt aus. Die Trennung der Befugnisse des Vaters von denen der Mutter wurde noch deutlicher als im E I, weil schon die Uberschriften eine Trennlinie bildeten. Der Gedanke der Hausgemeinschaft kam so jedenfalls nicht besser als zuvor zum Ausdruck. Schließlich führte der E II in diesem Punkt auch nicht zu einer im Vergleich zum E I verbesserten Gleichberechtigung der Mutter, die insbesondere Fuld und P f a f f angeregt hatten.

b) Der Bundesrat Der Justizausschuß des Bundesrats nahm an den hier besprochenen Regeln keine Veränderungen vor 212 .

c) Der Reichstag (XII. Kommission und Plenum) Eine Anpassung der Terminologie und der juristischen Konstruktion an die Wünsche der Kritik ist bezogen auf das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht erkennbar. Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung von 1896 enthielt insoweit dieselben termini technici wie schon der erste Entwurf. Der von der Kommission bewußt gewählte vormundschaftliche Charakter der elterlichen Gewalt, der sich an der Regelung des Code civil orientierte und den Schutzaspekt zugunsten des minderjährigen Kindes in den Mittelpunkt stellte, stieß auch im Reichstag auf Kritik. Schon gleich bei der ersten Behandlung des Entwurfs im Reichstag kam der Zentrumsabgeordnete Rintelen auf die elterliche Gewalt zu sprechen, die er für einen Teilaspekt der sozialen Frage hielt. Die Auffassung der elterlichen Gewalt als einer Art der Vormundschaft sei in der Rheinprovinz, so meinte Rintelen, nur deshalb nicht problematisch gewesen, weil dort die christlich gesinnte Bevölkerung das vierte Gebot - Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren! - beachte. „Aber, meine Herren, sehen Sie sich die Verhältnisse an in unseren größeren Städten und Industriezentren ... Wohin geht es da mit der Autorität? Wenn Sie da die gesetzlichen Schranken, die die väterliche Autorität schützen gegen die Kinder, wegräumen, dann bin ich für meine Person überzeugt: das wird die ganzen Familienbande überhaupt lockern und lösen ... dann rütteln Sie an der Grundlage des Staats" 2 1 3 .

Rintelen war deshalb für die Beibehaltung der väterlichen Gewalt im hergebrachten Sinne des gemeinen Rechts. Zur Begründung diente ihm der Topos vom sozialpolitischen Ausgleich, der hier in der Variante eines Stabilitätsargu212 Die Materialien zur Behandlung der rechtlichen Stellung der ehelichen Kinder durch den Justizausschuß sind abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 558-560. 213 Rintelen, in: Stenographische Berichte, S. 20.

II. Die elterliche

Gewalt

371

ments begegnet. Die Erhaltung von Staat und Gesellschaft erschien Rintelen nur auf der Grundlage der Familie möglich. Dieses Anliegen stand im Widerspruch mit dem gleichfalls sozial motivierten Schutz des Kindes, den Rintelen hintanstellen wollte. Die so angesprochenen Fragen wurde in der ersten Lesung nicht weiter behandelt. Letztlich blieb es bei der Grundentscheidung des Entwurfs für den vormundschaftlichen Charakter der elterlichen Gewalt. Im folgenden werden die einzelnen Fragen der elterlichen Gewalt gesondert auf ihre Behandlung in der Reichstagskommission und im Plenum untersucht, zunächst also der Träger der elterlichen Gewalt, sodann der Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt während bestehender Ehe und schließlich das Ende der elterlichen Gewalt. (1) Der Vater als Träger der elterlichen

Gewalt

Frohme und Stadthagen hatten in der Reichstagskommission beantragt, § 1605 der Reichstagsvorlage zu ändern. Die Vorschrift lautete: „Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen."

Der Vorschlag von Frohme und Stadthagen Gewalt. Sie wollten, daß es heißt,

betraf den Träger der elterlichen

„die Eltern haben kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes Sorge zu tragen" 2 1 4 .

Außerdem sollten in den Vorschriften §§ 1607 bis 1611 der Reichstagsvorlage die Eltern an die Stelle des Vaters treten 215 . Dieser Antrag ging sogar über die Forderungen einiger Kritiker wie Gierke hinaus, weil das Elternrecht nicht nur gemeinschaftlich sein sollte, sondern darüber hinaus auch die Vorrangstellung des Vaters und der subsidiäre Charakter des mütterlichen Rechts nicht mehr zum Ausdruck kommen sollten. In diesem Sinne hatten sich allerdings Sera Proelß und Marie Raschke, die die Interessen der Frauenbewegung zur Geltung bringen wollten, in ihrer Stellungnahme zum E II ausgesprochen 216 . 214 Antrag Nr. 100, vgl .Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 561 [Hervorhebung von T.R.]. Die Nr. des Antrags wird dort anscheinend irrtümlich mit „Nr. 108" wiedergegeben, jedoch wird der Antrag auf den bei Jakobs/Schubert folgenden Seiten in den Berichten von Heller stets als Nr. 100 zitiert. 215 Nach § 1607 RT-Vorlage (= § 1629 BGB a.F.) sollten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vater und dem Pfleger des Kindes vom Vormundschaftsgericht entschieden werden. § 1608 RT-Vorlage (= § 1630 BGB a.F.) betraf die Vertretung des Kindes. § 1609 RT-Vorlage (= § 1631 BGB a.F.) regelte das Erziehungsrecht des Vaters, §1610 RT-Vorlage (= §1632 BGB a.F.) die Herausgabe des Kindes an den Vater. Nach §1611 RT-Vorlage (= §1633 BGB a.F.) schließlich wurde die elterliche Gewalt des Vaters im Falle der Verheiratung der Tochter eingeschränkt. 216 Sera Proelß/Marie Raschke, Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch. Eine Beleuchtung und Gegenüberstellung der Paragraphen des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich (2. Lesung) nebst Vorschlägen zur Änderung derselben im Interesse der Frauen, Berlin 1895, S.34.

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Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Der Antrag der Sozialdemokraten wurde jedoch von der Reichstagskommission in der Sitzung vom 12.5. 1896 bei zwei Gegenstimmen abgelehnt. Der Bericht über die Ablehnungsgründe in der Kommission ist denkbar lapidar. Da, so heißt es, im gesamten Entwurf der Vater eine Vorrangstellung als Haupt der Familie habe, bestehe keine Veranlassung, von diesem Prinzip bei der elterlichen Gewalt abzurücken 217 . Auch der Sitzungsbericht von Heller gibt keinen besseren Aufschluß über die in der Kommission geführte Diskussion. Heller schrieb nach München, der Antrag habe „im wesentlichen auf einem Mißverständnisse beruht" 218 . Ob man wirklich von einem Mißverständnis sprechen durfte, erscheint aus heutiger Sicht eher fraglich. Zwar konnte man in der Denkschrift zur Reichstagsvorlage folgendes zum Träger der elterlichen Gewalt lesen: „Die elterliche Gewalt ist vom Standpunkte des Entwurfes ein seinem Wesen nach beiden Eltern gemeinsam zustehendes Recht. Solange beide Eltern leben, muß jedoch der Natur der Dinge nach das Recht der Mutter zurücktreten. Während der Ehe kommt deshalb die elterliche Gewalt regelmäßig dem Vater zu, vorbehaltlich des Antheils der Mutter an der Sorge für die Person des Kindes" 2 1 9 .

Der im Schlußsatz angesprochene Anteil der Mutter war rein subsidiärer Art. Solange Vater und Mutter einig waren, konnte die Mutter für die Person des Kindes sorgen, durfte aber keine rechtsgeschäftliche Vertretung für das Kind vornehmen. Im Streitfall entschied die Stimme des Vaters 220 . Die erläuternde Bemerkung der Denkschrift, daß es sich um ein gemeinsames Recht der Eltern handelt, wirkt wie eine vollständige Übernahme der kritischen Einwände Gierkes, der die Gemeinschaftlichkeit des Elternrechts im Entwurf vermißt hatte 221 . Ein Vergleich zwischen dem ersten Entwurf und der dem Reichstag vorgelegten Fassung läßt aber nicht erkennen, daß vom ursprünglichen Verständnis abgewichen werden sollte. Ein gemeinschaftliches Elternrecht würde es nahelegen, daß auch die Mutter während der bestehenden Ehe eine Rechtsposition mit eigenständigem Gewicht besitzt. Doch davon war nichts zu sehen. Die Denkart des Gesetzgebers kam vielmehr im zweiten Satz der Passage aus der Denkschrift deutlich zum Ausdruck: das Recht der Mutter muß „der Natur der Dinge nach" zurücktreten. Sicherlich muß man die Denkschrift zunächst als ein politisches Schriftstück verstehen, so daß bei ihrer Interpretation auch die politischen Motive berücksichtigt werden müssen, die es gerade wegen der schwer kalkulierbaren Vorbehalte im Familienrecht geraten scheinen ließen, den Entwurf so zu charakteriBericht der Reichstagskommission, S. 145. Vgl .Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 562. 219 Denkschrift, S.213. So schon der Sache nach Planck, vgl. oben Fn. 64. 220 Vgl. § 1612 RT-Vorlage: „Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor." 221 Vgl. oben S. 351. 217

218

II. Die elterliche

Gewalt

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sieren, als seien die Kritikpunkte insbesondere sozialer Natur aufgegriffen und umgesetzt worden. Das kann jedoch nicht verdecken, daß eine substantielle Änderung im Hinblick auf die elterliche Gewalt zwischen dem ersten Entwurf und der gesetzlichen Fassung nicht stattgefunden hat. Bei der zweiten Lesung im Reichstagsplenum wiederholte Auer222 zusammen mit seinen sozialdemokratischen Fraktionskollegen den in der Kommission von Frobme und Stadthagen gestellten Antrag 223 , in den §§ 1605,1607 bis 1611 jeweils anstelle des „Vaters" die „Eltern" zu setzen, aber er fand keine Mehrheit 224 . Frohme verzichtete darauf, diesen Wunsch im Plenum näher zu erläutern, weil dazu - in der Reichstagskommission, wie zu ergänzen ist - bereits genug Erwägungen angestellt worden seien 225 . Es wäre verfehlt, wenn man in der ablehnenden Haltung des Reichstags nur eine politische Opposition gegen die als Reichsfeinde verschrieenen Sozialdemokraten sehen wollte. Das wiederholte Zusammengehen des Zentrums und auch der Deutschen Reichspartei (Freikonservative Partei) mit den Sozialdemokraten bei mehreren Änderungsanträgen der Sozialdemokraten spricht dagegen. Ausschlaggebend scheint vielmehr tatsächlich die Auffassung von der Sache gewesen zu sein. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde mehrheitlich der Vater als das Haupt der Familie angesehen, dem insofern auch eine Vorrangstellung gegenüber der Mutter gebührte. Diese Auffassung verstellte den klaren Blick auf die tatsächliche Ungleichbehandlung von Vater und Mutter, wie sich symptomatisch an der Bemerkung von Mandrys zeigt, der meinte, die Positionen des Entwurfs und des Antrags der Sozialdemokraten würden gar nicht so weit auseinander liegen, denn: „Effektiv kommt die elterliche Gewalt nicht bloß dem Vater, sondern auch der Mutter zu; aber es ist als ungeeignet erachtet worden, im allgemeinen dem Vater und der Mutter die Gewalt neben einander ohne Scheidung und nähere Bestimmung zuzuschreiben. Es ist genau bestimmt: zunächst ist es der Vater, der die Gewalt hat und ausübt, und unter gewissen näher bezeichneten Voraussetzungen, wenn Hindernisse kommen, tritt die Mutter ein" 2 2 6 .

Von einer Gleichordnung der beiden Elternteile konnte also weder im Entwurf noch im schließlich beschlossenen Gesetz die Rede sein. So bleibt es aus heutiger Sicht unverständlich, weshalb von Mandry, der in diesem Fall auch die Mehrheitsmeinung des Reichstags wiedergab, eine wirkliche Differenz zwischen dem sozialdemokratischen Antrag und der gesetzlichen Regelung nicht erblicken konnte. Seit dem zweiten Entwurf enthielt das Gesetz keine ausdrückliche Regelung mehr, wer der Träger der elterlichen Gewalt sein solle 227 . Das war allerdings 2 2 2 Zur Biographie: Jahnel, Kurzbiographien, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 115. 2 2 3 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht II, S.570; außerdem oben bei Fn.214. 2 2 4 Stenographische Berichte, S. 65 8 f. 225 Frohme, in: Stenographische Berichte, S.658. 226 von Mandry, in: Stenographische Berichte, S. 659. 2 2 7 Vgl. § 1521 E II, § 1604 RT-Vorlage, § 1626 B G B a.F.

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Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

nicht als eine Umsetzung der kritischen Forderungen etwa von Gierke aufzufassen, sondern das Gesetz blieb hier - anscheinend bewußt - unklar, um möglichem Anstoß auszuweichen. Die übrige gesetzliche Regelung der elterlichen Gewalt ließ an der absoluten Vorrangstellung des Vaters nämlich keinen Zweifel. Für sie galt im selben Maße wie für den ersten Entwurf, daß sie auf - im Sinne Gierkes - „individualistische" Weise die Eltern nicht als Gemeinschaft begriff. Statt dessen sprach das Gesetz zunächst einmal von der elterlichen Gewalt des Vaters (§§ 1627-1683 BGB) und getrennt davon sowie subsidiär von der elterlichen Gewalt der Mutter (§§ 1684-1698 BGB). Daran änderte es auch nichts, daß § 1634 BGB die Personensorge Vater und Mutter zugeordnet hat. Die prinzipielle Gleichberechtigung in diesem Punkt wurde nämlich durch den Schlußsatz der Vorschrift wieder aufgehoben. § 1634 BGB lautete: „Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt, unbeschadet der Vorschrift des § 1685 Abs. I 2 2 8 . Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor."

Der letzte Satz machte deutlich, daß auch die Gesetz gewordene Fassung an dem prinzipiellen Vorrang des Vaters bei der elterlichen Gewalt festhielt. Insofern traf die oben zitierte Stellungnahme der Denkschrift den Nagel auf den Kopf, die dem Vater „regelmäßig" die elterliche Gewalt zusprach, vorbehaltlich des Anteils der Mutter 229 . Von diesem mütterlichen Anteil zu Lebzeiten des Vaters ist nun zu sprechen. (2) Anteil der Mutter an der elterlichen Gewalt während bestehender

Ehe

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Nach § 1506 E I sollte die Mutter zwar Pflicht und Recht zur Sorge für die Person des Kindes haben, womit insbesondere das Erziehungsrecht gemeint war, aber sie sollte nicht zur rechtsgeschäftlichen Vertretung des Kindes befugt sein. Von sprachlichen Korrekturen abgesehen, fand sich diese Vorschrift in §1612 RT-Vorlage wieder. Der Abgeordnete der Deutschen Reichspartei Moritz Pauli231 hatte beantragt, die Vorschrift dahin zu ändern, daß die Mutter im Falle der Verhinderung des Vaters ipso facto zur Vertretung des Kindes berechtigt sein sollte. § 1612 RT-Vorlage sollte also folgenden Wortlaut bekommen: „Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; bei vorübergehender oder dauernder Verhinderung des Vaters ist die Mutter zur Vertretung des Kindes berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor" 2 3 2 . 228

Betraf die Verhinderung oder das Ruhen der elterlichen Gewalt des Vaters. Vgl. oben S.332 bei Fn.219. 230 Vgl. oben S.341. 231 Biographische Angaben bei Jahnel, Kurzbiographien, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 122. 232 Antrag Nr. 60 Ziffer 23, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 560. 229

II. Die elterliche

Gewalt

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Nach den früheren Fassungen sollte die Mutter nicht zur Vertretung des Kindes berechtigt sein. Allenfalls auf dem Umweg über eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung konnte sie zur Vertretung des Kindes als Vormund berechtigt werden. Im Unterschied dazu sollte es jetzt nicht mehr auf eine zwischengeschaltete Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ankommen. Eine dementsprechende Formulierung sollte auch in § 1642 RT-Vorlage233 getroffen werden, der § 1544 E I 234 und § 1556 I E II 235 entsprach. Die Bestimmung sollte nach Paulis Vorstellung folgendermaßen lauten: „Ist der Vater verhindert, die mit der elterlichen Gewalt verbundenen Pflichten zu erfüllen, so tritt die Mutter an seine Stelle. Das Vormundschaftsgericht kann jedoch der Mutter einen Beistand bestellen und andere im Interesse des Kindes erforderlichen [!] Maßregeln treffen" 2 3 6 .

Die Änderungsanträge bezweckten eine gesetzliche Festlegung des Vertretungsrechts der Mutter. Paulis Parteikollege Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, der in seinen saarländischen Stahlindustriebetrieben für die Arbeiter verschiedene Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen hatte, sich im Reichstag allerdings als strikter Gegner der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften erwies237, begründete die Anträge so: Wenn die Autorität der Mutter aufrechterhalten werden solle, dürfe sie nicht von der Vertretung ausgeschlossen werden. Die Zwischenschaltung einer vormundschaftlichen Entscheidung sei nicht ratsam238. Mit der Pflicht und dem Recht der Mutter, für das Kind zu sorgen, müsse eigentlich auch die Berechtigung zur Vertretung des Kindes während der Dauer der Ehe verknüpft sein. Die Beschränkung auf die Zeit der Verhinderung des Vaters sei nur als Minimalforderung zu verstehen239. 233 § 1642 RT-Vorlage: „Ist der Vater verhindert, die mit der elterlichen Gewalt verbundenen Pflichten zu erfüllen, so hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln zu treffen." 234 Vgl. oben S. 342. 235 § 1556 I E II: „Ist der Vater verhindert, die mit der elterlichen Gewalt verbundenen Pflichten zu erfüllen, so hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßnahmen zu treffen." 236 Antrag Nr. 60 Ziffer 26, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 560. 237 Jahnel, in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Materialien, S. 124. Außerdem: Fritz Hellwig, Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, 1836-1901, Heidelberg 1936, freilich ohne besondere Würdigung der Haltung Stumms in den Beratungen des BGB. - Die Anträge von Pauli und Stumm hatte übrigens Emilie Kempin formuliert, die für einige Monate Stumm in Berlin beriet, vgl. Christiane Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage. Die Juristinnen der deutschen Frauenbewegung und das Bürgerliche Gesetzbuch, Baden-Baden 1995, S. 14 und 88. Kempin urteilte auch insgesamt über die Rechtsstellung der Frau im Entwurf wesentlich positiver als die sonstige Frauenbewegung, vgl. Emilie Kempin, Die Rechtsstellung der Frau, Berlin 1895, S. 147f., freilich mit Blick auf das Güterrecht skeptisch S. 159f. Im Güterrecht wünschte Kempin die Gütertrennung als das ihrer Meinung nach einfachste System, das zugleich mit Freiheit und Gerechtigkeit in Ubereinstimmung stehe, S. 167-170.

238 Vgl J e n Bericht von Heller über die Sitzung vom 13. Mai 1896, in: Jakobs/Schubert, tung, Familienrecht II, S. 563. 239 Vgl. den Bericht der Reichstagskommission, S. 146.

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Diese Begründung war von zwei sozialen Topoi getragen. Zunächst ist der Gemeinschaftsgedanke zu nennen, der zu einem gemeinsamen Elternrecht führte, wie Gierke gezeigt hatte. Dieser Zielsetzung kam der Antrag Pauli näher als die RT-Vorlage, weil die Mutter von Anfang an - allerdings aus politischer Rücksichtnahme nur subsidiär - Träger der elterlichen Gewalt war. Ihre Rechtsposition mußte nicht erst durch einen vormundschaftsgerichtlichen Beschluß geschaffen werden. Sodann ging es um den Topos der sozialen Freiheit. Die soziale Freiheit der Frau korrespondiert mit ihrer Gleichberechtigung. Nur dann war und ist persönliche Entfaltung möglich. Die Absicht einer Stärkung der Autorität der Mutter ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Diese Zielsetzung von Stamms wird im Verlauf dieses Kapitels deutlicher werden. In diesen Anträgen leuchtete der Gedanke eines gemeinschaftlichen Elternrechts auf. Das auch von Pauli und v. Stumm subsidiär gedachte Recht der Mutter sollte wenigstens ein eigenständiges Recht sein, was dem von der Denkschrift behaupteten gemeinschaftlichen Wesen der elterlichen Gewalt näher gekommen wäre als die Gesetzesvorlage. Die Anträge waren also ganz im Sinne der Kritik Gierkes. In der Reichstagskommission nahm zu diesen Anträgen der Kommissar des Reichskanzlers von Mandry Stellung. Er meinte zwar, grundsätzlich stünde den Anträgen nichts entgegen. Als Maßstab betrachtete er offensichtlich die Bedürfnisse des Verkehrs. Denen könnte es nützen, wenn die Mutter ohne Zwischenschaltung des Vormundschaftsgerichts, wie es § 1642 RT-Vorlage 240 vorsah, sofort die Vertretungsmacht erhalte. Gleichermaßen hielt er die Änderungen aber für untunlich, weil sie die Verkehrssicherheit beeinträchtigen würden, denn es sei der Fall denkbar, daß Vater und Mutter gleichzeitig an verschiedenem Ort Rechtshandlungen für das Kind vornähmen 241 . Planck hatte sich schon früher in diesem Sinne geäußert und den Aspekt der Zweckmäßigkeit der Regelung des Entwurfs betont 242 . In der Kommissionssitzung wiederholte er diese Auffassung243. Die bei von Mandry und Planck zugrunde liegende Blankettformel von den Bedürfnissen der Zeit und der Zweckmäßigkeit zielte in diesem Fall auf das „liberale" Verkehrsinteresse an Rechtssicherheit. Die Anhänger der sozial begründeten, gegenteiligen Auffassung konnten das liberale Argument aber umkehren, indem sie entgegneten, die zu erwartenden Schwierigkeiten einer eventuell doppelten Vertretung seien „nicht hoch" zu veranschlagen, weil sie in gleicher Weise „auch in jedem kaufmännischen Geschäft, das einen oder mehrere Prokuristen habe" vorkomme, ohne zu nennenswerten Problemen zu führen 244 . Die Reichstagskommission entschied sich im Sinne Paulis schließlich für das Vgl. oben S. 375. Vgl. den Bericht von Heller über die Sitzung am 13. Mai 1896, in: Jakobs/Schubert, tung, Familienrecht II, S. 563. 242 Planck, Zur Kritik, S.378. 243 Wie Fn. 241. 244 Vgl. den Bericht der Reichstagskommission, S. 146. 240 241

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sozial begründete Prinzip, daß bei einfacher Verhinderung des Vaters die Mutter auch die Vertretung des Kindes übernehmen solle und überließ die Formulierung der Vorschrift im einzelnen der Redaktionskommission 245 , die dann das Plenum des Reichstags ohne Beanstandung passierte 246 . Die endgültige Fassung von § 1506 E I beziehungsweise § 1529 E II/§ 1612 RT-Vorlage lautete: § 1634 BGB: „Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt, unbeschadet der Vorschrift des § 1685 Abs. 1. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor."

Und aus dem ehemaligen §1544 E I (§ 1556 E II; § 1642 RT-Vorlage) wurde im BGB § 1665 a. F. mit folgendem Wortlaut: „Ist der Vater verhindert, die elterliche Gewalt auszuüben, so hat das Vormundschaftsgericht, sofern nicht die elterliche Gewalt nach § 1685 von der Mutter ausgeübt wird, die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln zu treffen."

Die Gesetz gewordene Vorschrift stellte das Verhältnis zur Regelung des Ruhens der elterlichen Gewalt in § 1685 BGB eindeutig klar. § 1665 BGB sollte nur eine ergänzende Ausnahmevorschrift sein. Dem Grundsatz nach sollte die Mutter an die Stelle des Vaters treten. Diese Klarstellung gegenüber der Fassung des ersten Entwurfs mag mit auf die Kritik zurückzuführen sein, die den Grundsatz des gemeinschaftlichen Elternrechts verwirklicht sehen wollte, den aber auch schon Planck seinem Teilentwurf zugrunde liegen sah. Die §§ 1565,1566 E II fanden sich in §§1652,1653 der Reichstagsvorlage wieder. Für die Fälle der beschränkten Geschäftsfähigkeit war zwar nun in § 1652 RT-Vorlage nicht mehr die Rede von einem Vormund, sondern von einem Pfleger und die Verweisung auf § 1529 E II wurde durch eine inhaltliche Umschreibung aufgelöst, aber für unseren Zusammenhang ergaben sich daraus keine inhaltlichen Änderungen. § 1653 RT-Vorlage wich nur sprachlich von der Fassung in §1566 E II ab. Die Vorschriften §§1652, 1653 RT-Vorlage müssen im Zusammenhang mit der Regelung der Ausübung der elterlichen Gewalt durch die Mutter gemäß § 1661 RT-Vorlage gesehen werden. Während § 1573 E II dieses Recht der Mutter noch nicht vom Bestehen der Ehe abhängig gemacht hatte, erwähnte die Reichstagsvorlage diese Einschränkung der mütterlichen Rechtsposition. Denn nun hieß es in § 1661 RT-Vorlage: „Solange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, übt während der Dauer der Ehe die Mutter die elterliche Gewalt aus. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Vater wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigt ist. Ist die Ehe aufgelöst, so hat das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung zu übertragen, wenn keine Aussicht besteht, daß der Grund, aus dem die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wegfallen werde. Die Mutter erlangt in diesem Falle auch die Nutznießung an dem Vermögen des Kindes." 245 246

Vgl. den Bericht der Reichstagskommission, S. 146. Stenographische Berichte, S.674, 891.

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Mit §1661 rückte die Reichstags vorläge ein Stückchen weiter von der ursprünglich im Entwurf verfolgten Linie einer Verbesserung der Rechtsstellung der Mutter ab. Statt ihrer Gleichstellung mit dem Vater im Hinblick auf die Ausübung der elterlichen Gewalt, wurden ihre Rechte nun wieder begrenzt. N u r noch während des Bestehens der Ehe sollte sie ohne vormundschaftsgerichtliche Entscheidung von Gesetzes wegen an die Stelle des Vaters treten, wenn dessen Ausübung ruht. Es wäre aber zuvor denkbar gewesen, daß die Mutter auch dann die elterliche Gewalt übertragen bekommt, wenn die Ehe geschieden wurde und nun die Gewalt des Vaters etwa wegen Geschäftsunfähigkeit zum Ruhen kam. Diese Möglichkeit war abgeschnitten. Immerhin blieb es dabei, daß die Mutter in einigen Fällen Trägerin der elterlichen Gewalt sein sollte, ohne daß es einer vorherigen Entscheidung des Vormundschaftsgerichts bedurft hätte. In der Reichstagskommission hatten der Abgeordnete Pauli sowie die Abgeordneten Frohme und Stadthagen zu §1661 RT-Vorlage beantragt, die Einschränkung entfallen zu lassen, daß die Mutter die elterliche Gewalt nur dann ausübt, wenn der Vater nicht wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigt worden ist247. Dafür wurde geltend gemacht, daß es sehr unglücklich sei, wenn das Vormundschaftsgericht gegen den Willen der Mutter einen Dritten als Vormund bestimmen könnte, insbesondere da es für den Amtsrichter schwierig bis unmöglich sei, sich von der wirklichen Lage ein hinreichend genaues Bild zu machen 248 . In seiner Entgegnung machte von Mandry dieses Mal nicht mehr Verkehrsinteressen geltend, sondern er berief sich auf den Schutz der Interessen des Kindes, die gefährdet seien, wenn bei einer Entmündigung des Vaters wegen Trunksucht kein Pfleger bestellt werde. Planck meinte, es könne vom Gericht doch die Mutter zum Vormund bestellt werden. Kauffmann und von Stumm sprachen sich hingegen für den Antrag aus, weil es besser sei, der Vater behalte indirekten Einfluß als wenn das Vormundschaftsgericht Einfluß erlange 249 . Die Kommission entschied sich im Sinne der Anträge 250 . In der Fassung, die zur zweiten Lesung der Reichstagskommission vorlag, lautete § 1661: „Ist der Vater an der Ausübung der elterlichen Gewalt thatsächlich verhindert oder ruht seine elterliche Gewalt, so übt während der Dauer der Ehe die Mutter die elterliche Gewalt aus. Ist die Ehe aufgelöst, so hat das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung zu übertragen, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht und keine Aussicht 247 Antrag Pauli Nr. 60, Ziff. 29, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 560; Antrag Frohme und Stadthagen Nr. 100 Ziff. 12, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.561. 248 Bericht der Reichstagskommission, S. 155. 249 So der Bericht von Heller über die Sitzung am 15.5. 1896, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 567. 250 Bericht der Reichstagskommission, S. 155.

II. Die elterliche

Gewalt

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besteht, daß der Grand des Ruhens wegfallen werde. Die Mutter erlangt in diesem Falle auch die Nutznießung an dem Vermögen des Kindes."

In der zweiten Lesung der Kommission wurde auf Antrag von Bachem der Schluß des ersten Absatzes von § 1661 so gefaßt: „so übt während der Dauer der Ehe die Mutter die elterliche Gewalt mit Ausnahme der Nutznießung aus." 251 Der Antrag erstrebte eine Gleichstellung der Fälle tatsächlicher Verhinderung und des Ruhens der Ausübung der elterlichen Gewalt. Für den Fall des Ruhens der elterlichen Gewalt hatte § 1654 RT-Vorlage bereits diese Einschränkung bestimmt. Das Plenum des Reichstags befaßte sich dann nicht mehr mit dieser Vorschrift, die in § 1685 I B G B folgende Gestalt erhielt: „Ist der Vater an der Ausübung der elterlichen Gewalt thatsächlich verhindert oder ruht seine elterliche Gewalt, so übt während der Dauer der Ehe die Mutter die elterliche Gewalt mit Ausnahme der Nutznießung aus."

Der Absatz 2 der Vorschrift stimmte mit der Fassung des E III 2 5 2 überein. In den §§ 163 4 253 und 1685 B G B kam der Gedanke eines gemeinschaftlichen Elternrechts etwas deutlicher als noch im ersten Entwurf zum Ausdruck. Insofern war die Kritik, die gerade auf ein gemeinschaftliches Elternrecht abgezielt hatte, erfolgreich. Man muß allerdings bedenken, daß auch der Redaktor des Familienrechts schon von diesem Grundgedanken ausgegangen war. Dennoch überwiegt in der Gesetz gewordenen Fassung der Eindruck, daß Vater und Mutter nicht als einheitliche und gemeinschaftliche Träger der elterlichen Gewalt angesehen werden, sondern daß sie dem Vater zukommt und nur hilfsweise und in Ausnahmefällen die Mutter zu ihrem Träger wird, immerhin dann aber kraft eigenen Rechts und nicht kraft vormundschaftsgerichtlicher Übertragung, was erst in der Reichstagskommission auf Antrag der Reichspartei, motiviert vom Gedanken der sozialen Freiheit der Frau, durchgesetzt wurde. Der Vorschlag Fulds, das Letztentscheidungsrecht des Mannes (§ 1634 S. 2 B G B a.F.) zugunsten einer vormundschaftsgerichtlichen Entscheidungsbefugnis aufzuheben, vermochte sich allerdings nicht durchzusetzen, so daß das Gesetz von einer vollständigen Gleichberechtigung der Mutter weit entfernt blieb 254 . Festzuhalten ist, daß sich die Kritik mit ihrem Anliegen, das Elternrecht als ein gemeinschaftliches Recht anzusehen, nur zum geringeren Teil durchgesetzt 2 5 1 Antrag Nr. 138 Ziff. 5, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S. 569. Dort auch der Bericht von Heller über die Sitzung vom 6.6.1896 mit dem erwähnten Beschluß. 2 5 2 Vgl. §1661 E III, oben S.378. 2 5 3 Vgl. oben S. 377. 254 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter, Tübingen 1907, S. 456ff., hat kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes in ihrer auch heute noch modern wirkenden Analyse vorgeschlagen, das Letztentscheidungsrecht des Mannes in geschlechtsspezifischer Weise aufzuheben: Angelegenheiten der Töchter soll die Mutter, die der Söhne der Vater letztlich entscheiden, vorausgesetzt, man möchte prinzipiell eine „Einmischung" des Vormundschaftsgerichts vermeiden, wie es der Gesetzgeber gewollt hatte.

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hat. Freilich m u ß man berücksichtigen, daß niemand eine vollständige Gleichberechtigung der Mutter gefordert hatte, die dem heutigen Verständnis der elterlichen Sorge gemäß § 1 6 2 7 B G B n.F. entsprechen würde. A u ß e r dem soeben erwähnten § 1 6 3 4 B G B , der die A u s ü b u n g der elterlichen G e w a l t durch die Mutter nicht mehr v o n einer vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung abhängig machte, ist auch der gegenüber der Vorlage erweiterte Tatbestand v o n § 1 6 8 5 I B G B als ein v o m Topos der sozialen Freiheit getragener Fortschritt f ü r die mütterliche Rechtsposition zu bewerten, weil das Vormundschaftsgericht nun auch in den Fällen einer Entmündigung des Vaters wegen Verschwendung oder Trunksucht - das dürften übrigens die häufigeren Entmündigungsgründe gewesen sein - nicht mehr zur Entscheidung über die elterliche G e w a l t berufen war, sondern ohne weiteres diese v o n der Mutter ausgeübt w e r d e n durfte. D a ß eine Zurücksetzung der Frauen noch der gesetzlichen Wirklichkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts entsprach, ist nicht zu leugnen. Bemerkenswert ist aber, daß die innere Berechtigung dieser Zurücksetzung mehr und mehr bezweifelt w u r d e . Das zeigte sich übrigens auch in anderen Rechtsgebieten, etwa dem schließlich 1 9 1 9 aufgehobenen Familienfideikommiß in Preußen 2 5 5 . Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandene bürgerliche Frauenbewegung differenzierte, stärker als es heutigen Vorstellungen v o n der Gleichberechtigung der Frau entspricht, zwischen spezifischen Fähigkeiten v o n Frauen und Männern. Infolgedessen befürworteten die Frauenvereine v o r allem das soziale Engagement in kommunaler A r m e n p f l e g e usw. 2 5 6 . D e n n o c h ist zu bemerken, daß auch die damalige Frauenbewegung mit den bescheidenen Fortschritten, die sich aus dem Entwurf ergaben, keineswegs zufrieden war 2 5 7 . 255 Gegen eine Zurücksetzung der Frauen im Fideikommiß, die nur daran liege, daß die Frauen im Heiratsfalle den Familiennamen verlieren: Konrad Schneider, Einiges über das kommende preußische Fideikommißrecht, in: Zeitschrift für Agrarpolitik 11 (1913), S. 111-122, hier S. 117. 256 Vgl. z.B. das Programm des Bundes Deutscher Frauenvereine (seit 1894), der sich um die Ergänzung und Vervollkommnung der männlich geprägten Welt durch „weiblich-mütterliche Wertideen" bemühte; dazu: Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1 (wie Fn. 5), S. 82ff.; Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt am Main 1986, S. 104-128; Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat (wie Fn. 5), S. 190-195. Zur Geschichte der Frauenbewegung die materialreiche Arbeit von Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung, unter Mitarbeit von Ulla Wischermann, Reinbek 1990; speziell zu den Arbeiten von Anita Augspurg, Maria Raschke und Emilie Kempin im Zusammenhang mit der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage (wie Fn.237). Noch immer lesenswert: Cohn, Die deutsche Frauenbewegung (wie Fn. 121). Die sozialistische Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts spielte in unserem Diskussionszusammenhang keine Rolle. Zu ihrer Geschichte: Heinz Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus. Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiserreich, Wuppertal 1981. Unzutreffend ist allerdings seine Einschätzung über die Rechtsstellung der Frau im BGB und den Beitrag der bürgerlichen Frauenbewegung, den er nur darin sieht, daß die unverheiratete Frauen als Vormund bestellt werden konnten [S.37, 155]. Ungleich wichtiger sind jedoch Fortschritte wie § 1358 BGB gewesen, von dem unten S. 461 zu handeln sein wird. 257 Vgl. Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden (Hrsg.), Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das

II. Die elterliche

Gewalt

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Der Kritik von ¥uldlb% an den Bestimmungen über die elterliche Gewalt nicht unähnlich bemerkte auch die Denkschrift: „Wird auf dem Gebiete des Privatrechts die volle Geschäftsfähigkeit der Frauen anerkannt, so fällt jeder innere Grund weg, ihnen da, wo sie nach den natürlichen Verhältnissen zum Handeln berufen sind, dieses Handeln zu versagen." 2 5 9

Wenngleich man nach diesem Satz ein Plädoyer für die Gleichberechtigung der Mutter in der elterlichen Gewalt erwarten würde, bezog sich die Denkschrift lediglich auf die mütterliche Gewalt nach dem Tode des Vaters. Nur ein zögerlicher erster Schritt zur Gleichstellung von Mutter und Vater wurde im B G B vollzogen. Zwar konnte man in der Denkschrift dies lesen: „Zudem zeigt die Erfahrung in denjenigen Gebieten, in denen schon seit langer Zeit eine mütterliche Gewalt besteht, daß die Mutter zur Ausübung der mit der elterlichen Gewalt verbundenen Rechte und Pflichten im Allgemeinen wohl befähigt ist." 2 6 0

Aber die tradierte Überzeugung, daß während des Bestehens der Ehe der Mann die entscheidende Vorrangstellung in der Familie besaß, also ein patriarchalisches Familienbild, erwies sich (noch) als stärker, so daß man von einem gemeinschaftlichen Elternrecht in der Urfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ebensowenig wie von echter Gleichberechtigung der Mutter sprechen kann. Daran vermögen auch die Beteuerungen der Denkschrift nichts zu ändern. Vergleicht man die Situation im 1896 beschlossenen B G B mit derjenigen im gemeinen Recht, dem preußischen Recht in Gestalt der Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 und dem Sächsischen B G B , so erscheint das B G B allerdings in einem fortschrittlichen Licht, denn im Unterschied zu den genannten Gesetzen wurde im B G B der Mutter immerhin überhaupt ein eigenständiger Anteil an der elterlichen Gewalt eingeräumt. (3) Ende der elterlichen

Gewalt

Trotz der Kritik, die vom Gemeinschaftsgedanken ausgehend das Ende der elterlichen Gewalt von der wirtschaftlichen Selbständigkeit des Kindes abhängig machen wollte 261 , knüpfte der zweite Entwurf wie der erste die elterliche Gewalt an die Minderjährigkeit des Kindes. In der dem Reichstag vorgelegten Denkschrift hieß es, daß das Kind mit der Volljährigkeit die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit „und damit die wirthschaftliche Selbständigkeit" erlange 262 . Bedenkt man, daß die Kritiker gerade diesen Zusammenhang bestritten, weil die

deutsche Reich (2. Lesung. Buch IV. Familienrecht), Frankenberg in Sachsen 1895, S. 22-24. Verfasserin dieser Schrift war vermutlich Marie Raschke. 2 5 8 Vgl. oben S. 359. 259 Denkschrift, S.222. 260 Denkschrift, S.222. 2 6 1 Vgl. oben S.260ff. 262 Denkschrift, S.212. Hervorhebung von T.R.

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Erreichung der rechtlichen Selbständigkeit nicht zugleich wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeuten muß, so erweist sich die Erläuterung der Denkschrift als ein Scheinargument zur Ablenkung kritischer Angriffe. Und so sprach der Zentrumsabgeordnete Spahn schon in der ersten Lesung im Reichstagsplenum davon, daß die Frage, ob die elterliche Gewalt mit der Großjährigkeit enden solle, sozialpolitisch wichtig sei. Im Rheinland habe man damit zwar keine schlechten Erfahrungen gemacht, aber es werde darüber zu reden sein 263 . Das hat dann Rintelen getan, indem er sich gegen die Beendigung der elterlichen Gewalt durch das Erreichen der Volljährigkeit aussprach264. Außer in der Rheinprovinz werde diese Regelung kaum verstanden werden. In den meisten Fällen, so meinte er, werde der Sohn das Vermögen in unwirtschaftlicher Weise vergeuden265. In der XII. Reichstagskommission wurde diskutiert, ob man nicht wenigstens eine Vereinbarung des Kindes und seiner Eltern vermuten solle, daß auch nach dem Erreichen der Volljährigkeit die Eltern weiterhin zur Vermögenssorge berechtigt bleiben 266 . Eine solche Vermutungsregel hätte dem Gemeinschaftsgedanken weitgehend Rechnung getragen. Die Fortdauer der Vermögenssorge hatten zuvor insbesondere Gierke, Bahr und Altsmann verlangt267. Gegen diesen Antrag, der von der Kommission abgelehnt wurde, wurde vor allem vorgebracht, eine Differenz zwischen dem Ende der elterlichen Gewalt und der Minderjährigkeit würde „große Uebelstände für das wirthschaftliche Leben zur Folge haben". Außerdem wurde die bereits bekannte Variante des Topos vom sozialpolitischen Ausgleich bemüht: die beantragte Änderung führe, so hieß es, dazu, die Kinder aus der Familie frühzeitig hinauszudrängen und bewirke so eine unerwünschte Destabilisierung 268 . In der zweiten Lesung im Reichstag wurden zwei - schließlich zusammengefaßte - Anträge gestellt, die ebenfalls eine Änderung des Endes der elterlichen Gewalt im Sinne des Gemeinschaftsgedankens und der sozialen Stabilität bezweckten. Antragsteller waren die Abgeordneten Schmidt269 und Rintelen, freilich ohne Unterstützung durch die eigene Zentrumsfraktion. § 1604 RT-Vorlage ( = § 1 6 2 6 B G B a.F.) lautete: „Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher G e w a l t " 2 7 0 .

Nach den erwähnten Anträgen sollte es heißen: „Das Kind steht, so lange es keinen eigenen Hausstand hat, unter elterlicher Gewalt. Durch abgesondertes Wohnen wird ein eigener Hausstand nicht begründet, so lange das 263 264

265 266 267 268 269 270

Spahn, in: Stenographische Berichte, S. 131. Vgl. oben S. 370. Rintelen, in: Stenographische Berichte, S.21. Vgl. Bericht der Reichstagskommission, S. 144. Vgl. oben S.361 F n . l 6 8 , S . 3 6 1 F n . l 6 9 , S . 3 6 1 Fn.170. Bericht der Reichstagskommission, S. 145. Landgerichsrat Otto Schmidt (Warburg) war wie Rintelen Mitglied der Zentrumsfraktion. Vgl. auch § 1501 I E I oben S.346.

II. Die elterliche

Gewalt

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Kind minderjährig ist oder von den Eltern nothwendige Mittel zu seinem Unterhalte empfängt" 2 7 1 .

Ergänzend sollte als § 1604a hinzutreten: „Die elterliche Gewalt erlischt auch a) betreffs des Vaters mit dem vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre des Kindes, betreffs der Mutter mit der Großjährigkeit desselben; b) durch die vom Vater schriftlich abgegebene Erklärung, daß er das Kind aus seiner Gewalt entlasse. Falls der Vater zur Zeit der Abgabe dieser Erklärung in der Ausübung seiner Gewalt beschränkt war und die Mutter ein Recht auf die elterliche Gewalt hat, ist der schriftliche Beitritt der Mutter zur Entlassungserklärung erforderlich. Eine Entlassung aus der elterlichen Gewalt vor vollendetem achtzehnten Lebensjahre des Kindes ist unzulässig" 2 7 2 .

Obgleich die Denkschrift den Eindruck zu erwecken versucht hatte, als sei die Kritik am ersten Entwurf in der Reichstagsvorlage berücksichtigt, hinderte das nicht, daß in der zweiten Lesung im Reichstagsplenum Anträge gestellt wurden, die eine Veränderung genau in diesem Punkt wünschten. Es sollte nach dem Wortlaut der Anträge nicht die Volljährigkeit das Kriterium für das Ende der elterlichen Gewalt sein, sondern - wie in den Stimmen der Kritik - die wirtschaftliche Selbständigkeit des Kindes. Dementsprechend war §1604 in den Anträgen formuliert. Nur kompromißweise sollte nach § 1604a der Anträge das Ende der elterlichen Gewalt nach Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres eintreten, auch wenn das Kind dann noch keine wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt haben sollte. Den Antragstellern schien die Vermutung der Selbständigkeit, die für sie entscheidend war, bei einem 26jährigen berechtigter als bei einem 21jährigen. Es wäre allerdings verfehlt, wenn man aus dem Text der Anträge allein darauf schließen wollte, daß wirtschaftliche Überlegungen bei den Antragstellern im Vordergrund gestanden hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Die wirtschaftliche Selbständigkeit als Grenze für die elterliche Gewalt war vielmehr etwas, worüber man sich nicht hinwegsetzen zu können glaubte, wenn man überhaupt irgendeine Aussicht auf Erfolg im Reichstag haben wollte. Die wirklichen Ziele der Antragsteller zeigten sich in der Parlamentsdebatte. Rintelen erklärte - gegen einen Einwand Plancks273 - , es gehe ihm nicht um eine Wiederherstellung der römischen patria potestas, sondern um die Aufrichtung eines Schutzdamms gegen die Zeitströmung der Auflösung der Autorität. Diese Zeitströmung habe nämlich auch die väterliche Gewalt erfaßt. Wem es aber um die Erhaltung der Familie und damit der Grundlage des Staates zu tun 2 7 1 Antrag Rintelen, Schmidt Nr. 497, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.571. Ähnlich schon Antrag Rintelen Nr. 447; abgestimmt wurde schließlich nur über Antrag 497, in dem die Anträge Nr. 447 und 484 aufgegangen waren, vgl. Stenographische Berichte, S. 673 - die Anträge wurden abgelehnt. 2 7 2 Antrag Schmidt Nr. 484, Rintelen, Schmidt Nr. 497, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht II, S.571. 2 7 3 Dazu vgl. sogleich unten S.386 bei Fn.289.

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Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

sei, der dürfe nicht eine Vorschrift Gesetz werden lassen, die die väterliche Autorität untergrabe274. In der Fassung des zweiten Entwurfs, so sagte Rintelen, führe § 1604 „zum sittlichen Niedergang, zum sozialen Verderben" 275 . Soziale Stabilität war ein Ziel, das wir dem Topos vom sozialpolitischen Ausgleich zugeordnet haben 276 . Außer im Familienrecht spielte das Argument, es gehe um die Erhaltung der väterlichen Autorität, noch eine besondere Rolle bei der Entscheidung, ob im Gesetz die Testierfreiheit festgelegt werden solle. Rainer Schröder hat ausgeführt, dort sei die Stärkung der väterlichen Autorität und damit der gefährdeten Familie durch die Testierfreiheit - der Vater konnte auf seine Kinder Druck ausüben, indem er mit unliebsamen erbrechtlichen Konsequenzen drohte - jedenfalls vom Redaktor Schmitt beabsichtigt gewesen277. Wir brauchen diese Spur hier nicht zu verfolgen. Sie soll nur zeigen, daß die Sorge um die väterliche Autorität eine gewisse Verbreitung hatte, im Erbrecht freilich mit der paradoxen Wirkung, daß man das Familienwohl einerseits mit einer Zurückdrängung des Testaterbrechts, andererseits gerade mit einer Bestätigung der Testierfreiheit schützen wollte 278 . Während Rintelen den Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung alter Familienstrukturen im Auge hatte, ging es Schmidt besonders um die bäuerlichen Verhältnisse, die § 1604 umzuwälzen geeignet sein würde. Im übrigen, so meinte er, werde immer nur auf das Interesse des Kindes geachtet, nicht aber auf das väterliche Recht 279 . Das letztere hatte auch Rintelen als Ziel vor Augen, wie seine Bemerkungen zur Frage, ob die Frau der Einwilligung des Vaters zur Eheschließung bedürfe, zeigen. Es gehe ihm, so führte er aus, um die soziale Bedeutung der elterlichen Gewalt. Der Vater müsse das Recht haben zu entscheiden, wen seine Kinder in die Familie hineinbrächten, und das sei auch zum Wohl des Kindes, um es vor unüberlegten Schritten zu bewahren, bei denen die Reue zu spät komme 280 . Die Abgeordneten Rintelen und Schmidt verfolgten also das Ziel, die Rechtsposition des Vaters zu stärken beziehungsweise zu sichern. Sie sahen im Entwurf die Gefahr, daß die bestehenden Familienstrukturen aufgelöst würden, was sich namentlich im bäuerlichen Bereich destabilisierend auswirken werde. Quer durch alle Fraktionen des Reichstags stießen die Anträge von Rintelen und Schmidt auf Ablehnung. Freiherr von Stumm-Halberg wies zum Beispiel Rintelen, in: Stenographische Berichte, S. 660ff. Rintelen, in: Stenographische Berichte, S. 662. 276 Vgl. oben S. 102. 277 Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts. Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen, Ebelsbach 1981, S. 83ff. 278 Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn. 277), S. 94-96 mit Hinweis auf Hans von Scheel, Volkswirthschaftliche Bemerkungen zur Reform des Erbrechts, in: Annalen des Deutschen Reichs 1877, S. 97-108. 279 Schmidt, in: Stenographische Berichte, S. 667f. 280 Rintelen, in: Stenographische Berichte, S. 858f. 274 275

385

II. Die elterliche Gewalt

darauf hin, daß die Vorschrift sogar für die Ziele der Antragsteller k o n t r a p r o duktiv wirken müsse, weil die vorgeschlagene Ä n d e r u n g geradezu als E r m u n t e rung für die K i n d e r aufgefaßt werden müsse, möglichst frühzeitig das E l t e r n haus zu verlassen, u m sich eine eigene Existenz aufzubauen, w e n n sie selbständig werden möchten 2 8 1 . Stadthagen befürchtete praktisch unsinnige Ergebnisse, w e n n man den Anträgen folgen würde. S o k ö n n e es dann geschehen, daß ein A s sessor n o c h ein H a u s k i n d sei oder ein Leutnant wegen seiner schlechten B e z a h lung unter väterlicher G e w a l t stehe 2 8 2 . Schließlich brachten die G e g n e r der A n träge wie in der R e i c h s t a g s k o m m i s s i o n vor, die Rechtssicherheit leide, w e n n die Volljährigkeit nicht zugleich auch die volle Geschäftsfähigkeit mit sich b r i n ge283" S c h o n in der Reichstagskommission waren die Ü b e r l e g u n g e n v o n Rintelen Gegenstand der Auseinandersetzung gewesen und hatten bei der M e h r h e i t zur U b e r z e u g u n g geführt, daß die beantragten Regeln „für unsere heutigen Verhältnisse praktisch ganz u n m ö g l i c h " seien 2 8 4 . D e m e n t s p r e c h e n d wurde der Antrag v o n Rintelen und Schmidt im Plenum abgelehnt und § 1 6 0 4 der RT-Vorlage mehrheitlich angenommen 2 8 5 . N u r nebenbei b e m e r k t sei, wie selbstverständlich die Anträge von einem subsidiären, aber immerhin eigenständigen R e c h t der M u t t e r auf die elterliche G e walt ausgingen. A u c h in diesem P u n k t ging der Antrag ü b e r die Entwurfsfassung deutlich hinaus. D a s ist insofern besonders erstaunlich, als die Antragsteller durchaus konservative Interessen verfolgten. E s zeigt aber, daß man selbst im Lager derjenigen, die v o n einer Gleichberechtigung der Frau nichts wissen wollten, die sozialen E n t w i c k l u n g e n nicht vollständig ignorieren konnte.

(4) Römisches Recht versus deutsches Recht im Reichstag am Beispiel der elterlichen Gewalt

-

D e r A b g e o r d n e t e Kauffmann, Mitglied der Freisinnigen Vereinigung 2 8 6 , verteidigte in der ersten Lesung im Plenum das G e s e t z b u c h gegen den Vorwurf, zu wenig deutsches R e c h t zu enthalten und meinte, das Familienrecht sei deutsch, denn die Verwaltungsgemeinschaft - v o n der weiter unten zu handeln ist stamme aus dem Sachsenspiegel und auch die volle elterliche G e w a l t der M u t t e r nach dem Tode des Vaters sei deutsch 2 8 7 . Solche Einschätzungen m ö g e n z u m bis

281 prjjT von Stumm-Halberg, in: Stenographische Berichte, S.665; ebenso: von Cuny, in: Stenographische Berichte, S.669. 282 Stadthagen, in: Stenographische Berichte, S. 670. 283 von Mandry, in: Stenographische Berichte, S. 662f. 284 Bachem, in: Stenographische Berichte, S. 673. 285 Stenographische Berichte, S.673. 286 Die Freisinnige Vereinigung und die Freisinnige Volkspartei waren aus der 1893 zerfallenen Deutschfreisinnigen Partei hervorgegangen. Zusammen mit der Deutschen Volkspartei bildeten sie ab 1910 die Fortschrittliche Volkspartei. 287 Kauffmann, in: Stenographische Berichte, S. 52.

386

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

heute gängigen Bild beigetragen haben, daß das Familienrecht vor allem deutschrechtlich geprägt sei 288 . Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch Planck. Er sprach vordergründig über einen Widerstreit römischen und deutschen Rechts. Das römische, so meinte er, habe dem Vater eine zu starke Rechtsstellung gewährt, weil es diepatriapotestas von seinen Interessen her definiert habe. Demgegenüber berechtige zwar auch das deutsche Recht den Vater als Haupt der Familie. Doch dieses Recht sei innerlich begrenzt durch seinen Schutzcharakter im Interesse des Kindes und müsse deshalb wegfallen, wenn das Schutzinteresse beim volljährigen Kind wegfalle 289 . Dahinter stand wie schon von Anfang an in der Begründung des Teilentwurfs für das Familienrecht der Topos vom Schutz des Schwächeren. Gleichzeitig fällt aber auch eine Parallele zu Gierkes Verständnis auf, der gerade die immanenten Schranken subjektiver Rechte als einen Ausdruck des Gemeinschaftsgedankens begriffen hatte - „kein Recht ohne Pflicht". Sieht man hinter dem Begriff der deutschen Lösung das Argument einer sozialen Regelung, so wird die rechtspolitische Bedeutung klar. Wer sich für die deutsche Lösung einsetzte, traf im Verständnis von Planck - und auch der Mehrheit des Reichstags - eine soziale Entscheidung, wer dagegen die römische Variante bevorzugte, erwies sich als Anhänger einer vergangenen Epoche, die für soziale Belange unempfindlich war und individuelle Rechtspositionen einseitig stützte, wie die von Rintelen und Schmidt vorgebrachten Begründungen ihres Antrags in der zweiten Lesung dann auch gezeigt haben 290 . Daß die behauptete Gleichsetzung von „sozial" und „deutsch" auch beabsichtigt war, beweist gerade eine Passage aus der soeben erwähnten Rede Plancks vor dem Reichstagsplenum, in der es hieß: „ D a s bürgerliche G e s e t z b u c h ... führt nicht nur eine neue E p o c h e der Rechtswissenschaft herbei, sondern es ist nach meiner U e b e r z e u g u n g auch in seinem jetzigen Bestand ein ungeheurer Fortschritt, es giebt d e m deutschen Volk wirklich ein gutes, ein deutsches und im besten Sinne auch ein soziales Recht. ... E s i s t . . . sozial, - freilich nicht sozialdemokratisch; im Gegentheil, indem der Entwurf die G r u n d l a g e unserer Gesellschaftsordnung, Eigenthum, Erwerbsrecht, Ehe, Familie, auf die breite und feste Basis eines gemeinen deutschen Rechts stellt, stützt und stärkt er die bestehende Gesellschaftsordnung in einem M a ße, wie dies durch kein anderes Mittel meiner U e b e r z e u g u n g nach geschehen kann. A b e r sozial ist der Entwurf in d e m Sinne durchaus, daß er, soweit es auf der G r u n d l a g e der jetzigen Gesellschaftsordnung durch Mittel des bürgerlichen Rechts möglich ist, den B e d ü r f nissen der wirthschaftlich Schwächeren abzuhelfen, dies in dem weitesten U m f a n g e thut«291.

Die Topoi des sozialpolitischen Ausgleichs und des Schutzes des Schwächeren, die in der bisherigen Diskussion um die elterliche Gewalt meistens entgegengesetzten Positionen zur Begründung dienten, hat Planck vereinigt: Bewah288 Vgl. Staudinger/Coing, Einleitung (wie Fn.4), Rn.52ff., insbesondere Rn.57. 289 Planck, in: Stenographische Berichte, S. 69. 2 9 0 Vgl. oben S.383ff. 291 Planck, in: Stenographische Berichte, S. 70.

II. Die elterliche

Gewalt

387

rung der Gesellschaftsordnung und Fortschritt beim Schutz für die Schwächeren, zu denen Planck nicht nur die Kinder, sondern auch die Frauen zählte. Wollte man eine soziale Regelung, so mußte man ihre Stellung stärken. Und man wird Plancks Beurteilung zustimmen müssen, daß die rechtliche Stellung der Frauen durch die Regelung der elterlichen Gewalt im E I „gegenüber dem bisherigen Rechte" eine Verbesserung darstellte, was diesen Vorschriften eine besondere soziale Bedeutung gab292. Zu weit gehen dürfte allerdings die Einschätzung des Abgeordneten Schröder von der Freisinnigen Vereinigung, der bei der 1. Lesung im Reichstagsplenum verkündete, die Frau sei in der elterlichen Gewalt dem Manne gleichgestellt worden293. Das sprach dann auch Stumm-Halberg aus, der meinte, die Rechte der Frauen würden nicht hinreichend berücksichtigt. Nur im Vergleich zum ALR sei eine Besserung eingetreten, doch diese genüge keineswegs. Die Kodifikation solle das Recht des Schwächeren gegen den Starken schützen und deshalb die Frau besser stellen294. In diesem Punkte trafen sich also die Vorstellungen Plancks und von Stumm-Halbergs, wenngleich beide über den Grad der Verwirklichung dieses Anliegens im Gesetzbuch zweierlei Meinung waren. Auch am Beispiel der elterlichen Gewalt läßt sich also die rechtspolitische Funktion der Schlagworte römisch und deutsch belegen. Als römisch empfand man eine Regelung, die die individuelle Rechtsposition - in diesem Fall des Vaters - stärkte. Politisch war es inopportun, die römische Seite zu vertreten, weshalb beispielsweise Rintelen dies auch von sich wies295. Die Ursache der Inopportunität lag darin, daß mit römisch zugleich „unsozial" assoziiert wurde. Deutsch hingegen war eine „soziale" Regel, die die Rechte der Schwächeren stärkt und für eine Gleichberechtigung der Frau, also ihre soziale Freiheit, eintrat. In dieser Hinsicht war zwar die Regelung des BGB gegenüber älteren Rechten ein Fortschritt, doch blieb es mit diesem Fortschritt noch ziemlich am Anfang: Unmißverständlich stand das Recht des Vaters als Träger der elterlichen Gewalt im Vordergrund. Die Mutter hatte nur eine subsidiäre Funktion, die man allerdings als ersten Schritt zur Erlangung einer gleichberechtigten Position in der elterlichen Gewalt ansehen darf. Eine Stärkung der Rechtsposition des Kindes lag in der Bestimmung über das Ende der elterlichen Gewalt bei Erreichen der Volljährigkeit. Dieser soziale Fortschritt zielte auf eine größere Freiheit des Kindes, sobald sein Schutzinteresse erloschen war. Merkwürdigerweise trat dieser Aspekt in der Argumentation aber zurück hinter das Verkehrsinteresse an einem eindeutigen Zeitpunkt zur Bestimmung der vollen Geschäftsfähigkeit des Kindes. Offensichtlich war ein solches Argument eher salonfähig, als eine „Befreiung" der Kinder. Das ist 292 293 294 295

Gottlieb Planck, Die soziale Tendenz, in: DJZ 4 (1899), S. 184. Schröder, in: Stenographische Berichte, S.40. Stumm-Halberg, in: Stenographische Berichte, S. 105f. Rintelen, in: Stenographische Berichte, S.660.

388

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

insofern hervorzuheben, als in diesem Punkt - wie dargestellt - die persönliche Biographie Plancks als Impuls für die schließlich Gesetz gewordene Regelung begriffen werden kann. In seiner Biographie spielte aber der Freiheitsaspekt die entscheidende Rolle, nicht das Verkehrsinteresse 296 .

III. Das 1. a) Die ökonomische

Bedeutung

Ehegüterrecht Einleitung des

Ehegüterrechts

In einer Zeit, in der die modernen Sozialversicherungssysteme gerade ihre ersten zaghaften Entwicklungsschritte machten, spielte das Ehegüterrecht im Familienrecht eine zentrale Rolle. Während heute vornehmlich das Arbeitseinkommen und die Sozialansprüche aller Art als wesentliche Grundlage der ökonomischen Sicherheit des Einzelnen dienen, hatte auch noch im ausgehenden 19. Jahrhundert das Ehegüterrecht die Funktion, ökonomische Sicherheit zu gewähren 297 . Diese Funktion konnte das Güterrecht jedenfalls dann ausüben, wenn überhaupt bewegliches oder unbewegliches Vermögen vorhanden war, was sicherlich für einen Großteil der Bevölkerung, nämlich die sogenannten Unterschichten, nicht zutraf. Dort diente der Arbeitslohn, den nicht selten beide Ehepartner nach Hause brachten, mehr oder weniger ausschließlich zur Dekkung des täglichen Bedarfs. Die äußerst ärmlichen Wohnverhältnisse dieser Menschen geben davon beredtes Zeugnis. Man lebte von der Hand in den Mund. Uberschüsse wurden kaum erzielt.

b) Rechtseinheit

oder Regionalsystem

im Vorfeld des ersten

Entwurfs

Das Ehegüterrecht war eine Materie, die sich im 19. Jahrhundert in Deutschland durch besonders große Zersplitterung auszeichnete 298 . Daraus resultierten Vgl. oben S. 347. Michael Coester, Gottlieb Planck (1824-1910). Ein Vater des neuen bürgerlichen Rechts, in: Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, hrsg. von Fritz Loos, Göttingen 1987, S. 299-315, hier S.306, unter Hinweis aufMary Ann Glendon, The New Family and the New Property, 1981 [dazu: Rezension von Michael Coester, in: FamRZ 29 (1982), S.856f.]. 298 Die beste Ubersicht zur Rechtslage im 19. Jahrhundert bietet: Wilhelm Neuhauer, Das in Deutschland geltende eheliche Güterrecht nach amtlichen Materialien zusammengestellt, 2. Auflage Berlin 1889 [erste Auflage Berlin 1879]. - Die Anlage II zum Vorentwurf von Gottlieb Planck zählt aufgrund amtlicher Mitteilungen 143 verschiedene Rechtsquellen für das Ehegüterrecht im Deutschen Reich [Anlage II - Rechtsquellen und Literatur des ehelichen Güterrechts in Deutschland, in: Anlagen zu den Motiven des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich, Berlin 1880, S. 13-19 (ND in: Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches. Familienrecht, Teil 3, Berlin-New York 1983, S. 17-23)]. Außerdem: Stephan Buchholz, Einzelgesetzgebung. Ehe und 296 297

III. Das

Ehegüterrecht

389

enorme Schwierigkeiten für den Entwurf, wollte man das im Gutachten der Vorkommission angedeutete Verfahren verwirklichen: „Es ist der Gesammtbestand der innerhalb des Deutschen Reichs geltenden Privatrechtsnormen mit Rücksicht auf deren Zweckmäßigkeit, innere Wahrheit und folgerichtige Durchführung zu untersuchen" 2 9 9 .

Planck berichtete im November 1879 über den Fortgang der Arbeiten am ehelichen Güterrecht, die zunächst mit der Sichtung der geltenden Güterrechtsvorschriften auf der Grundlage von Mitteilungen der Regierungen beginnen mußten: „Mehr als hundert verschiedene Rechte mußten berücksichtigt und wenigstens soweit durchgearbeitet werden, als erforderlich war, um die Hauptrichtungen zu erkennen, in welchen sich das eheliche Güterrecht entwickelt hat. Für manche dieser Rechte stehen nur sehr dürftige Quellen zu Gebote und viele wichtige Fragen sind in der Theorie sowie in der Praxis bestritten. Zu der sich hieraus ergebenden Schwierigkeit, das bestehende Recht vollständig zu übersehen, trat nun die zweite nicht minder schwierige Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit die Verschiedenheit des bestehenden Rechts auf einer Verschiedenheit der realen Lebensverhältnisse oder auf mehr oder weniger zufälligen Umständen beruhe ..." 3 0 0

Wollte man also mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch gerade die Rechtseinheit im ganzen Reich schaffen, so konnte man das Ehegüterrecht nicht auslassen und in die Zuständigkeit der Länder überweisen. Andererseits war der weit überwiegende Teil der Bevölkerung früher oder später in seinem Leben von der Regelung des Ehegüterrechts einmal betroffen und gerade in diesem Bereich war die Verwurzelung mit hergebrachten Rechtstraditionen - wie überhaupt im Familienrecht - besonders stark. Verschiedentlich wurde deshalb bereits im Vorfeld des Entwurfs ein Regionalsystem favorisiert: Das Gesetz sollte gleichberechtigt mehrere Typen von Güterrechten stellen, die dann ähnlich wie im preußischen ALR (II 1 §§345, 396) aufgrund eines Reichsgesetzes oder von Landesgesetzen regional begrenzt Geltung erhalten sollten 301 . Das sei, so meinten die Anhänger des Regionalsystems, in der großen Mehrzahl der Fälle ganz unproblematisch, weil der Wirkungskreis der Eheleute regelmäßig örtlich eng begrenzt sei. Die Hauptgruppen der in Deutschland vorkommenden Güterrechte, nämlich die allgemeine Familienrecht, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Dritter Band: Das 19. Jahrhundert. Zweiter Teilband: Gesetzgebung zum allgemeinen Privatrecht und zum Verfahrensrecht, hrsg. von Helmut Coing, München 1982, S. 1626— 1679, hier S. 1663-1671. Dazu: Paul Mikat, Ehe- und Familienrecht im 19. Jahrhundert. Zur Darstellung der Rechtsentwicklung in Band III des Coing'schen Handbuchs, in: FamRZ 30 (1983), S. 777-780. 299 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 170. 300 Planck, in: Anlage „D. Auskunft des Redaktors des Familienrechts über den Stand seiner Arbeiten" zum Bericht vom 12.11. 1879, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S.296. 301 So auch das Gutachten der Vorkommission vom 15.4.1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 175.

390

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

Gütergemeinschaft, die Errungenschaftsgemeinschaft (in den Quellen auch als „(partikuläre) Gütergemeinschaft" bezeichnet), die Verwaltungsgemeinschaft (auch „Gütereinheit") und schließlich die Gütertrennung in Anlehnung an das römische Dotalrecht sollten im Gesetz als gleichberechtigte Güterstände normiert werden. Der Landesgesetzgeber sollte bestimmen, welches dieser Güterrechte in welcher Gegend Gültigkeit besitzen solle, und im übrigen sollte die Vertragsfreiheit unbenommen bleiben, um den Ehegatten eine Vereinbarung über das Güterrecht zu ermöglichen. Die Diskussion in der ersten Kommission war keineswegs aus der Luft gegriffen, sondern hatte in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bereits stattgefunden. So hatte sich der Deutsche Juristentag wiederholt mit der Gestaltung des Ehegüterrechts in einem zukünftigen Zivilgesetzbuch auseinandergesetzt. Dem 11. Juristentag 1873 in Hannover hatte von Beaulieu-Marconnay, Oberappellationsgerichtsrat in Oldenburg, ein Gutachten vorgelegt 302 . Einleitend stellte von Beaulieu-Marconnay fest, Ehegüterrecht und väterliche Gewalt hätten in Rom auf dem „Gedanken der Einheit des Willens" des pater familias beruht. Anders sei es im deutschen Recht gewesen. Dort habe das väterliche Recht seine Wurzel „im natürlichen Schutzbedürfnis des Schwächeren" gehabt und finde folglich in demselben seine Grenze. Endet die Schutzbedürftigkeit, endet auch die väterliche Gewalt 303 . Demzufolge solle, so von Beaulieu-Marconnay, das Ehegüterrecht möglichst wenig die Rechtsstellung der Frau beeinträchtigen. Im Anschluß an die Auffassung von Gerber304 empfahl er die Verwaltungsgemeinschaft als eheliches Güterrecht in ganz Deutschland einzuführen 305 . Gegen die Vorstellung von Gerber hatte sich im Archiv für civilistische Praxis Binding erklärt, der aus dem Wesen der Ehe ableiten wollte, daß die Errungenschaftsgemeinschaft den Vorzug verdiene. Diesen Gedanken verteidigte Binding auch gegen von Beaulieu-Marconnay™. Bei den Verhandlungen des 11. Juristentages betonte der Oldenburger Oberappellationsgerichtsrat Becker, alle seien sich darin einig, „daß w i r ein einheitliches deutsches eheliches Güterrecht wollen, daß w i r kein römisches Dotalrecht wollen, sondern daß die deutsche Auffassung der Ehe, die Gleichberechtigung beider Gatten, soweit nicht die N a t u r selbst ihnen verschiedene A u f g a b e n z u g e w i e sen hat, auf die Gestaltung des ehelichen Güterrechts Einfluß haben müssen" 3 0 7 . 302 von Beaulieu-Marconnay, Gutachten über die Gesetzgebungsfrage: Ist es wünschenswerth und ausführbar, das eheliche Güterrecht für ganz Deutschland durch ein einheitliches Gesetz auf der Grundlage der „Güterverbindung" zu codificiren?, in: Verhandlungen des 11. deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1873, S. 46-74. 303 von Beaulieu-Marconnay, Gutachten für den 11. DJT (wie Fn. 302), S. 50. 304 Carl Friedrich von Gerber, Betrachtungen über das Güterrecht der Ehegatten nach deutschem Rechte, in: JherJb 1 (1857), S.239-272. 305 von Beaulieu-Marconnay, Gutachten für den 11. DJT (wie Fn. 302), S. 63, 74. 306 G. Binding, Ueber die von dem künftigen Reichsgesetze zu wählende Grundgestaltung des ehelichen Güterrechtes, in: AcP 56 (1873), S.49-121 sowie in: AcP 57 (1874), S. 109-134. 307 Oberappellationsgerichtsrat aus Oldenburg Becker, [Referat:] Ist es wünschenswerth und

III. Das

Ehegüterrecht

391

Betraf der Streit bis dahin noch vor allem die Frage, wie das einheitliche Güterrecht ausgestaltet werden solle, so änderte sich diese Richtung noch auf demselben Juristentag. Ein Antrag Brunners deutete jedenfalls die Frage an, ob ein einheitliches Güterrecht überhaupt wünschenswert sei. Dispositives Recht zu vereinheitlichen, sei eigentlich nicht so wichtig. Im übrigen sei der Vorschlag von v. Beaulieu-Marconnay im Kern römisch, weil das römische Recht Eheverträge nur in engen Grenzen anerkannt habe 308 . Paul von Roth, der als ein besonderer Kenner des Ehegüterrechts galt, hatte sich 1874 in einem Aufsatz für ein Regionalsystem des Ehegüterrechts ausgesprochen, zunächst auf dem Gebiet Bayerns, dann aber auch im Reich 309 . Allerdings hat von Roth später seine Auffassung geändert, da auch das Regionalsystem nicht ohne Verdrängung hergebrachter Gewohnheiten zu verwirklichen gewesen wäre 310 . Der Juristentag vertagte das Thema zunächst einmal, um noch weitere Gutachten einzuholen 311 . Und so trat die Frage auf die Tagesordnung des 12. Juristentages, der im August 1875 in Nürnberg stattfand. Zuvor hatte schon, abweichend vom selbstgesteckten Ziel der Privatrechtseinheit sogar das Gutachten der Vorkommission empfohlen, zwei bis drei Güterrechtssysteme zu kodifizieren und dem Landesgesetzgeber die Auswahl zu überlassen 312 . Für die erste Kommission hätte es daher nahegelegen, diesem Ratschlag zu folgen. Nichts anderes ergab sich für die Kommission auch aus dem von von Liehe angefertigten Bericht des Justizausschusses des Bundesrats vom 9. Juni 1874, der zwar betont hatte, auch das Ehe- und Familienrecht dürfe nicht der Landesgesetzgebung überlassen bleiben und es müßten in Deutschland überall die gleichen Prinzipien ausführbar, das eheliche Güterrecht für ganz Deutschland durch ein einheitliches Gesetz auf der Grundlage der „Güterverbindung" zu codificiren?, in: Verhandlungen des 11. Deutschen Juristentages, Bd.2, Berlin 1873, S.61-65, hier S.64f. 308 Heinriclj Brunner\ [Diskussionsbeitrag zur Frage:] Ist es wünschenswerth und ausführbar, das eheliche Güterrecht für ganz Deutschland durch ein einheitliches Gesetz auf der Grundlage der „Güterverbindung" zu codificiren?, in: Verhandlungen des 11. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1873, S. 65-69, hier S.65f. - Beim 3. Deutschen Juristentag 1862 in Wien hatte ein Antrag auf ein einheitliches Güterrecht keine Mehrheit gefunden, weil er die regionalen Besonderheiten nicht genügend berücksichtigt hatte; vgl. Verhandlungen des 3. Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. 203-217; Einzelheiten bei Klaus Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Stellung der Frau, Berlin 1990, S. 48 f. (Rezension dazu von Klaus Luig, in: Ius commune 1 8 ( 1 9 9 1 ) , S . 4 8 5 488). 309 Paul von Roth, Unifikation und Codifikation, in: [Hausers] Zeitschrift für Reichs- und Landesrecht mit besonderer Berücksichtigung von Bayern 1 (1874), S. 1-27, hier S. 10 und 21. 310 Paul von Roth, Das deutsche eheliche Güterrecht, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 1 (1878), S. 39-94, hier S. 41-46. 311 Verhandlungen des 11. deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1873, S.70. 3 1 2 Gutachten der Vorkommission, in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Materialien, S. 170-185, hier: S. 175: „Es wird das eheliche Güterrecht insbesondere sich nicht einheitlich, sondern nur in seinen zwei oder drei Grundsystemen, etwa als modifizirtes Dotalsystem, als System der allgemeinen Gütergemeinschaft und als System der Errungenschaftsgemeinschaft gesetzlich gestalten lassen, derartig, daß in den verschiedenen Theilen Deutschlands je das eine dieser Systeme nach Bestimmung der Landesgesetze zur gesetzlichen Geltung gelangt."

392

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

gelten 313 . Diese Mahnung zur Einheitlichkeit auch im Familienrecht wäre aber noch vereinbar gewesen mit dem Regionalprinzip, das die Materie nicht vollständig der Landesgesetzgebung überlassen wollte. Das hat Klaus Schmid anders bewertet, der dem Bericht die Empfehlung einer einheitlichen Regelung entnehmen wollte 314 . Im Bericht war aber nur allgemein die Rede vom „Familienrecht, einschließlich des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts und Vormundschaftsrechts" 315 . Ob auch das Ehegüterrecht gemeint war, blieb also unklar. In der Aufzählung fehlte es. Diese bewußte Undeutlichkeit spricht meines Erachtens dafür, daß die erste Kommission gerade nicht festgelegt werden sollte. Zum 12. Juristentag wurden vier Gutachten erstattet. Nur dasjenige von Eu/er316 folgte der Spur von v. Beaulieu-Marconnay und empfahl für eine spätere Gesetzgebung, einheitlich die Verwaltungsgemeinschaft als Güterstand einzuführen unter Beibehaltung der Möglichkeit, ehevertraglich etwas anderes zu vereinbaren. Die übrigen drei Gutachten von Alfred Agricola, Paul von Roth und Richard Schröder rieten hingegen von einem reichseinheitlichen Güterrecht ab und favorisierten mit je eigenen Besonderheiten ein Regionalsystem, das die drei oder vier Haupttypen der deutschen Güterrechtssysteme beibehielt und in ihren bisherigen Verbreitungsgebieten verbindlich machen sollte 317 . Der Juristentag folgte schließlich der Linie, die v. Beaulieu-Marconnay, Euler und der Korreferent, der Präses des Hamburger Handelsgerichts Albrechtils, vorgezeichnet hatten und empfahl die reichseinheitliche Einführung der Verwaltungsgemeinschaft unter Beibehaltung der Möglichkeit, ehevertraglich etwas anderes zu vereinbaren 319 . Auch Schröder selbst wich in seinem Referat für den Jüristentag von der Empfehlung seines eigenen Gutachtens ab, da er aus Anlaß eines Gutachtens für die erste Kommission im Juli 1875 seine Meinung geändert hat-

313 Viktor von Liebe, Bericht des Ausschusses für Justizwesen vom 9.6.1874, in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Einleitung, S. 186-199, hier: 189f. 314 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 42 Fn. 22. 315 Bericht (wie Fn.313), S. 190. 316 Euler, [Gutachten:] „Welches der in Deutschland herrschenden ehelichen Güterrechtssysteme eignet sich zur Verallgemeinerung in Deutschland?", in: Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1874, S. 41-45; war damals Justizrat in Frankfurt am Main. 317 Alfred Agricola, [Gutachten:] „Ist es wünschenswerth und ausführbar, das eheliche Güterrecht für ganz Deutschland durch ein einheitliches Gesetz zu codificiren und auf welcher Grundlage?", in: Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1875, S. 285-328; Paul von Roth, [Gutachten:] „Ist es ausführbar, das eheliche Güterrecht durch ein einheitliches Gesetz in ganz Deutschland zu codificiren?", in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 276-284; Richard Schröder, [Gutachten:] „Ist es wünschenswerth und ausführbar, das eheliche Güterrecht für ganz Deutschland durch ein einheitliches Gesetz zu codificieren, und auf welcher Grundlage?", in: Verhandlungen (wie zuvor), S.29—40. 318 Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1875, S. 57. 319 Verhandlungen (wie Fn.318), S.80. 320 Richard Schröder, „Gutachten über das System der partikulären Gütergemeinschaft und seine Bedeutung bei der Abfassung eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich", in: Werner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Familienrecht Teil 3: Anlagen und Abände-

III. Das

Ehegüterrecht

393

Die Einzelheiten der in den Gutachten vertretenen Positionen sind hier nicht weiter von Bedeutung. Es soll nur gezeigt werden, daß die verschiedenen Vorstellungen, von denen die Motive später sprachen, schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts diskutiert wurden und dementsprechend den Teilnehmern der Diskussion am Ende der achtziger Jahre vor Augen standen. O b man wie Schmid so weit gehen sollte, die Verhandlungen des 12. Juristentages als „entscheidende Weichenstellung für die weitere Behandlung des ehelichen Güterrechts" anzusehen321, erscheint angesichts der geistigen Unabhängigkeit Plancks allerdings etwas zweifelhaft. Sicherlich dürfte die Haltung des Juristentages aber Planck bestärkt haben, die Verwaltungsgemeinschaft als einheitlichen gesetzlichen Güterstand zugrunde zu legen. Plausibel ist hingegen die Einschätzung Schmids, Planck habe auf die Verwaltungsgemeinschaft gesetzt, weil er dort die Interessen der Frau am besten geschützt sah322. Die Debatte auf dem Juristentag bestätigt im übrigen die in Kapitel 2 beschriebene Geschichte der Verwendung der Attribute „römisch" und „deutsch", die nach der Veröffentlichung des Entwurfs geradezu inflationäre Verwendung gefunden hatten. Das römische Recht wurde durch die Herrschaft des Willens charakterisiert (v. Beaulieu-Marconnay). Demgegenüber assoziierte man mit dem deutschen Recht den Schutz des Schwächeren (v. BeaulieuMarconnay), die Gleichberechtigung der Frau (Becker), aber auch die Vertragsfreiheit (Brunner u. a.). Um seinen Vorschlag im Teilentwurf des Familienrechts, die Verwaltungsgemeinschaft reichseinheitlich als gesetzlichen Güterstand einzuführen, gerade gegen diejenigen zu verteidigen, die aus der deutschrechtlichen Tradition ableiteten, man solle ein Regionalsystem einführen323, bemühte sich Planck darum, die Gemeinsamkeiten der deutschrechtlichen Güterrechtssysteme aufzuzeigen, die er sämtlich berücksichtigt habe: - Das Vermögen der Eheleute werde kraft Gesetzes während der Ehe in der Hand des Ehemannes vereinigt, der es zu verwalten habe. - Das Verfügungsrecht der Frau werde eingeschränkt und - die Lasten würden dem beiderseitigen Ehevermögen auferlegt324, wobei „Lasten" den Unterhalt für die Eheleute und die gemeinschaftlichen Kinder bedeutete325. rungsanträge zum Familienrechtsentwurf. Freiwillige Gerichtsbarkeit. Familienrechtliche Vorlagen 1875-1877, S. 847-868 des Nachdrucks. Zu den Hintergründen dieses Gutachtens vgl. Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 45f. 321 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn.308), S.58. 322 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 60. 323 Vgl. oben bei Fn. 317. 324 Gottlieb Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich. Vorlage des Redaktors, Berlin 1880, in: Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. Familienrecht, Teil 1: Eingehung und Wirkungen der Ehe, Eheverträge, hrsg. von Werner Schubert, Berlin - New York 1983, S. 1-1023 [ND S. 131-1175], hier S.290 [ND S.442]; Motive IV, S. 137. 325 Motive IV, S. 163.

394

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

Gegen ein Regionalsystem sei außerdem einzuwenden, es sei von Übel, wenn ein Wohnsitzwechsel im Inland zu einem Wechsel des Güterrechts der Eheleute führe. Auch sei es mißlich, wenn nicht nach außen hin Rechtssicherheit für den Verkehr herrsche 326 . Die persönliche Lebenserfahrung der Kommissionsmitglieder mag für diese Einschätzung eine nicht geringe Rolle gespielt haben. Planck zum Beispiel ist mehrfach zwischen verschiedenen Bundesstaaten des Reiches umgezogen. Ob ein Wohnsitzwechsel allerdings auch einen Güterrechtswechsel bewirkte, wurde nicht einheitlich beurteilt 327 . Nebenbei ist hier zu bemerken, daß beide Seiten, die Befürworter und Gegner eines Regionalsystems auch „liberale" Werte für ihre Vorstellungen als Argumente anführten: einerseits die größere individuelle Freiheit und damit Berücksichtigung regionaler Unterschiede, andererseits aber die Rechtssicherheit im überregionalen Verkehr. Es zeigt sich, daß nicht nur „soziale" Lösungen durchaus einen ambivalenten Charakter haben können, indem sie mal den Gläubiger und mal den Schuldner bevorzugen können. Dieses Schicksal teilen sie mit manchen „liberalen" Lösungen. Bei letzteren ist der Widerstreit von individueller Freiheit und Rechtssicherheit besonders typisch. Für eine reichseinheitliche Lösung des gesetzlichen Güterstandes - die von Anfang an nicht die Vertragsfreiheit beschränken sollte - wurde als weiteres Argument vorgebracht, es bestehe kein erkennbarer Grund für eine regional unterschiedliche Regelung im Reich, wo doch die zugrundeliegende Institution der Ehe überall dieselbe sei 328 . Die Entscheidung der ersten Kommission gegen das Regionalsystem zugunsten eines einheitlichen gesetzlichen Güterstands ist vor allem jedoch politisch motiviert gewesen. Aufschlußreich ist da zunächst ein Brief von Eduard Trieps an Viktor von Liebe. Letzterer hat den Bericht des Ausschusses für Justizwesen über das Gutachten der Vorkommission von 1874 verfaßt. Trieps meinte in seinem Schreiben an von Liebe, der gegenwärtige Zustand im Reich sei unwürdig und für das Verkehrsleben schädlich. Die Kodifikation solle zu einem einheitlichen Rechtsleben führen. Regionale Besonderheiten seien „verderblich für das gesunde Gedeihen eines nationalen Rechts". Es dürfe daher nur ein einziges gesetzliches Ehegüterrecht geben 329 . In seinem Bericht machte von Liebe unmißverständlich deutlich, daß die Rechtseinheit das oberste Ziel der Kodifikation sein solle: „Wird einmal der Schritt zu einer Rechtseinheit in Deutschland gemacht, so m u ß er in der That vollständig gemacht werden, und eine halbe und unvollständige Lösung der A u f gabe w ä r e ein Mißerfolg, den man mit allen Kräften a b z u w e n d e n bemüht sein m u ß " 3 3 0 . 326

Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.286f. [ND Bd. 1, S.438f.]. Vgl. Motive IV, S. 135. 328 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.287 [ND B d . l , S.439]; Motive IV, S. 137. 329 Brief von Eduard Trieps an Viktor von Liehe, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 186 F n . l . 330 von Liebe, Bericht (wie Fn.313), S. 189. 327

III. Das Ehegüterrecht

395

Diese Ansichten hatte sich die erste K o m m i s s i o n zu eigen gemacht. D a v o n zeugt beispielsweise der B e r i c h t v o n Struckmann beim preußischen LandesO e k o n o m i e - C o l l e g i u m über den B e s c h l u ß z u m Ehegüterrecht. G e g e n das R e gionalsystem sprachen in den Augen v o n Struckmann praktische Bedürfnisse, da bisher die Wahl des ersten Wohnsitzes über den Güterstand entscheide, o b gleich sie nicht unter güterrechtlichem A s p e k t getroffen zu werden pflege. D i e unüberschaubar vielfältigen G ü t e r r e c h t e erzeugten darüber hinaus, wie Struckmann erklärte, eine Rechtsunsicherheit, die den V e r k e h r gefährde. E i n einheitliches G ü t e r r e c h t aber sei mit den realen Verhältnissen durchaus vereinbar, weil man nicht sagen k ö n n e , irgendein bestimmter Güterstand k o m m e nur in b e stimmten G e g e n d e n oder unter bestimmten wirtschaftlichen U m s t ä n d e n vor. E i n e R ü c k s i c h t n a h m e auf besondere Eigenarten oder G e w o h n h e i t e n sei daher nicht geboten 3 3 1 . U n t e r s t ü t z e n d kam das erwähnte V o t u m des 12. D e u t s c h e n Juristentages für ein einheitliches G ü t e r r e c h t in ganz D e u t s c h l a n d hinzu 3 3 2 . Planck hatte zusammen mit seinem damaligen Hilfsarbeiter Theodor Braun den Juristentag b e sucht 3 3 3 . Schließlich steuerte auch die Rechtspraxis auf ein einheitliches G ü t e r r e c h t hin, wie sich in der R e c h t s p r e c h u n g des Reichsgerichts zum Ehegüterrecht zeigt, die wiederholt partikularrechtliche Vorschriften übergangen hat 3 3 4 . Eine unmittelbare Beeinflussung der K o m m i s s i o n s a r b e i t durch diese R e c h t s p r e chung ist zwar nicht nachweisbar, aber die Selbstverständlichkeit, mit der sich das Reichsgericht über m a n c h e partikularrechtlichen Einzelheiten im E h e g ü terrecht hinweggesetzt hat, ohne diese Vorgehensweise irgendwie zu legitimieren, beweist, daß man um die Vereinheitlichung des Ehegüterrechts im G e s e t z b u c h keinesfalls h e r u m k o m m e n k o n n t e , wollte man nicht entgegen der K o d i f i kationsidee die Vereinheitlichung dieser für die Lebenswirklichkeit so wichtigen Materie der Rechtsprechung überlassen. I m U n t e r s c h i e d zu anderen Materien des bürgerlichen R e c h t s hat die erste K o m m i s s i o n im Ehegüterrecht b e w u ß t ihre A u f g a b e darin gesehen, neues R e c h t zu schaffen, nicht nur vorhandenes zu kodifizieren, denn eine einheitliche Grundlage fehlte vollständig. D i e heute mitunter vertretene Auffassung, das Ehegüterrecht des Bürgerlichen G e s e t z b u c h s sei weniger auf „ R e f o r m " als auf „bloße Vereinheitlichung" angelegt gewesen 3 3 5 , erscheint wenig einleuchtend. 331 Hermann Struckmann, [Referat zum Ehegüterrecht], in: Verhandlungen des Königlichen Landes-Oekonomie-Kollegiums über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und andere Gegenstände. III. Session der IV. Sitzungsperiode vom 11. bis 22. November 1889, Berlin 1890, S. 841-849, hier S. 842. 332 Vgl. oben bei Fn. 318. 333 FrensdorfJ, Gottlieb Planck (wie Fn. 88), S.316. 334 Die Einzelheiten sind nachgewiesen von Klaus Luig, Rechtsvereinheitlichung durch Rechtsprechung in den Urteilen des Reichsgerichts von 1879 bis 1900 auf dem Gebiete des Deutschen Privatrechts, in: ZEuP 5 (1997), S. 762-779, hier S. 766-769. 335 Jörg Offen, Von der Verwaltungsgemeinschaft des B G B von 1896 zur Zugewinngemeinschaft des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957, Frankfurt am Main u.a. 1994, S. 7 unter Bezug-

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Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

Reform und Vereinheitlichung bedingten sich geradezu, weil die Vereinheitlichung sich nicht ohne Reform verwirklichen ließ. In seiner Vorlage für die Kommission umriß der Redaktor des Familienrechts die Situation mit folgenden Worten: „Hier muß der Gesetzgeber in der That in gewissem Sinne neues Recht schaffen und den Versuch wagen, aus der Vielgestaltigkeit des bestehenden Rechts diejenigen Rechtssätze auszuwählen, welche unter Berücksichtigung aller Verhältnisse am meisten zur Geltung in ganz Deutschland geeignet erscheinen. Was ihm hierzu das Recht giebt, ist eben die aus dem politisch-nationalen Bedürfnisse des deutschen Volkes entspringende Forderung desselben nach Einheit des bürgerlichen Rechts. Sie ist die natürliche Konsequenz des wiedererstarkten nationalen L e b e n s " 3 3 6 .

Nur eine Verschiedenheit der realen Verhältnisse, nicht aber lediglich ein unterschiedliches geschichtliches Herkommen oder divergierende Ansichten über die Zweckmäßigkeit hätten nach der Auffassung von Planck eine regional unterschiedliche Regelung des gesetzlichen Güterstandes trotz des vorgegebenen Ziels der Schaffung einer national einheitlichen Privatrechtsordnung erlaubt 337 . Gerade diese Voraussetzung, so hieß es in der Vorlage Plancks, treffe für das Ehegüterrecht jedoch nicht zu 338 . Die detaillierte Begründung, die Planck dafür geliefert hat 339 , ist hier nicht von Belang. Planck urteilte später über das Ergebnis folgendermaßen: „Ueberblickt man vorurtheilslos das gesammte eheliche Güterrecht des Entwurfes, so wird man anerkennen müssen, daß dasselbe den deutschrechtlichen Gedanken, nach welchem das eheliche Güterrecht einen Ausfluß des die Ehegatten verknüpfenden personenrechtlichen Bandes bildet, in allen seinen Theilen festgehalten hat und daß die Einwendungen gegen die juristische Form, in welcher dies geschehen, nur von dem Standpunkte eines engherzigen germanistischen Doktrinarismus aus begründet werden können." 3 4 0

Liest man statt „deutsch" sozial und bedenkt man, daß die von Planck behauptete Berücksichtigung des „personenrechtlichen Bandes" eine der Hauptforderungen des Gemeinschaftsgedankens bei Gierke war, so tritt der Bezug zur sozialen Aufgabe des Privatrechts in den Blick, der im folgenden zunächst an der prinzipiellen Konstruktion des gesetzlichen Güterstands und sodann an dem speziellen Problem der Haftung der Ehefrau für Schulden des Ehemannes untersucht werden soll.

nähme auf Andreas Wacke, Grundzüge des ehelichen Güterrechts, in: Jura 1 (1979), S. 617—629, hier S.617; zur Arbeit von Offen vgl. die Rezension von Ute Walter, in: Z N R 20 (1998), S. 150152. 336 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.288 [ N D Bd. 1, S.440]. 337 Planck Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.289 [ N D Bd. 1, S.441], 338 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.290 [ N D Bd. 1, S.442], 339 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.290-296 [ N D Bd. 1, S.442-448]; Motive IV, S. 137-141. 340 Planck, Zur Kritik, S.375.

III. Das

Ehegüterrecht

2. Der gesetzliche a) Der Erste

397

Güterstand

Entwurf

(1) Die Entscheidung für die

Verwaltungsgemeinschaft

Bei der Abfassung des Entwurfs war zunächst die Frage zu entscheiden, an welchem der bestehenden Güterrechte sich die reichseinheitliche Regelung orientieren sollte. Das römische Dotalrecht, das die Vermögensmassen der Eheleute grundsätzlich getrennt behandelte und nur die dos, das heißt die von der Frau in die Ehe eingebrachte Mitgift der Verwaltung des Mannes unterstellte, wurde von einigen Frauenvereinen befürwortet, weil nur so eine Gleichstellung der Frauen erreicht werden könne341. 341 Vgl. Motive IV, S. 143 unter Hinweis auf eine später offenbar verloren gegangene Petition des Allgemeinen deutschen Frauenvereins beim Reichstag sowie dessen Verbandsorgan „Neue Bahnen". [Eine Rekonstruktion des Inhalts dieser Petition hat Margrit Twellmann, Die Deutsche Frauenbewegung im Spiegel repräsentativer Frauenzeitschriften. Ihre Anfänge und erste Entwicklung 1843-1889, Meisenheim am Glan 1972, S. 197ff. unternommen. Sie vermutet, daß die Gütertrennung und die Einführung einer elterlichen Gewalt zentrale Anliegen der Petition waren]. Der Petition waren eingehende Studien über den Gesetzeszustand in einigen deutschen Staaten vorausgegangen, die in der Schrift „Einige deutsche Gesetz-Paragraphen über die Stellung der Frau", hrsg. vom Allgemeinen deutschen Frauen-Verein, Leipzig 1876, veröffentlicht worden waren. Ziel dieser Veröffentlichung war es, die Ungerechtigkeit des herrschenden Rechtszustands aufzudecken und darzustellen, daß - nach Auffassung des Frauenvereins - die Frauen durch den Eintritt in die Ehe ihre Rechte verlieren, ihre Selbständigkeit aufgeben und ihren Willen einem anderen Willen unterordnen müssen [S. 4]. Auf diese Weise sollte gezeigt werden, „welche Bewandtniß es mit der Achtung hat, welche die deutschen Frauen vor dem Gesetz genießen" [S. 29]. [Diese Schrift stammte von Louise Otto-Peters, vgl.: Emilie Kempin, Die Stellung der Frau nach den zur Zeit in Deutschland gültigen Gesetzes-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Leipzig 1892, S. e; das Original der Schrift von Otto-Peters trug keinen Hinweis auf den Verfasser. Ohne Angabe von Gründen setzt Beatrix Geisel, Die Rechtsschutzvereine der ersten deutschen Frauenbewegung, in: Frauen in der Geschichte des Rechts, hrsg. von Ute Gerhard, München 1997, S . 6 8 3 697, hier S.685, den Inhalt der Schrift „Einige Gesetz-Paragraphen" mit der Petition gleich].

Die Petition des Allgemeinen deutschen Frauenvereins kam vom Reichstag „unerledigt" zurück und wurde dann beim Reichskanzleramt eingereicht, das die Petition an die erste Kommission weiterleitete, vgl. den Bericht von Louise Otto-Peters, Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, gegründet am 18. Oktober 1865 in Leipzig. Auf Grund der Protokolle mitgeteilt, Leipzig 1890, S.44. Zur Kritik der Frauenvereine am Entwurf und zu ihrem Versuch der Einflußnahme auf das Gesetzgebungswerk vgl. Stephan Buchholz, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauen: zur Kritik des Ehegüterrechts, in: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hrsg. von Ute Gerhard, München 1997, S. 670-682, hier S. 675-677. Buchholz interpretiert die Forderung der Gütertrennung seitens der Frauenbewegung als Ausdruck des liberalen „ethischen Individualismus", wobei er sich hauptsächlich auf das Werk Marianne Webers [Ehefrau und Mutter (wie Fn. 254)] bezog, der er eine „maßvolle Tonlage" und „liberal-emanzipatorische Linie" bescheinigt. Dabei darf man aber nicht übersehen, daß sich bei dem Verlangen, die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand einzuführen, soziale und liberale Ideale in merkwürdiger Form miteinander verbinden. Kritisch zur Stellungnahme des Allgemeinen deutschen Frauenvereins: Gustav Pfizer, Das Fa-

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Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Interessanterweise verband sich also schon im Vorfeld des ersten Entwurfs eine römisch-rechtliche Lösung mit einem „sozialen" Anliegen, nämlich der Gleichstellung der Frau im Sinne der sozialen Freiheit, obgleich die Kritiker des Entwurfs gerne die soziale Regelung mit deutschrechtlichen Bestimmungen assoziierten. Für die Ablehnung des römischen Dotalrechts als Modell für den gesetzlichen Güterstand zog sich Planck auf eine „historische" Argumentation zurück, die sich nahezu wortgleich auch in den Motiven wiederfindet. Planck schrieb: „Wie man indessen über die prinzipielle Berechtigung dieses Standpunktes [sc. der Frauenvereine] auch denken möge, so w i r d man doch anerkennen müssen, daß der geschichtlichen E n t w i c k l u n g des deutschen Rechts eine andere Auffassung zu G r u n d e liegt. Nach ihr soll unmittelbar kraft Gesetzes durch die Eingehung der Ehe eine dem Z w e c k e derselben entsprechende Gestaltung der vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten eintreten. Diese Auffassung liegt allen ehelichen Güterrechten deutschrechtlichen Ursprungs zu G r u n d e und hat bei der Rezeption des römischen Rechts eine solche Widerstandskraft bewährt, daß das römische Dotalrecht ... nur in einem verhältnißmäßig kleinen Theile Deutschlands zur thatsächlichen Geltung hat gelangen können. Das deutsche Rechtsbewußtsein tritt in diesem Gange der geschichtlichen Entwickelung so klar hervor, daß der Gesetzgebung ihr Weg dadurch bestimmt angewiesen ist und f ü r das subjektive Ermessen über den Vorzug der einen oder anderen Auffassung kein Spielraum mehr bleibt" 3 4 2 .

Die Argumentation Plancks war letztlich nichts anderes als eine praktische Umsetzung der Kriterien, die das Gutachten der Vorkommission bereits formuliert hatte: Kodifikation des bestehenden Rechts nach dem Maßstab der Bedürfnisse der Zeit. Da Planck selbst, wie sich im folgenden zeigen wird, die Absicht einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau verfolgte, konnte er nicht gut gegen die Zielsetzung der Frauenvereine offen Stellung beziehen. Das soziale Anliegen der Frauenvereine erschien auch ihm durchaus legitim, der Weg dorthin aber aufgrund der zu respektierenden geschichtlichen Entwicklung nicht in der Weise offen, wie es die Frauenvereine sich vorstellten. Die soziale Freiheit der Frauen mußte nach Plancks Ansicht auf andere Weise verwirklicht werden. Das historische Argument taugte freilich auch nur, um das Dotalrecht abzulehnen. Für die übrigen, in Deutschland verbreiteten Güterrechtstypen ließ sich milienrecht nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: D e u t sche Notariatszeitung 17(1888), S. 85-118 u n d 121-140, hier: S. 123; die meisten deutschen F r a u en, so vermutete er, w ü r d e n wenig Lust haben, im Güterstand der Gütertrennung zu leben. - Insgesamt gesehen spielte die Kritik der F r a u e n b e w e g u n g in der juristischen Diskussion, die die Entstehung des B G B begleitete, eine sehr untergeordnete Rolle. Die N o r m i e r u n g des vertraglichen Güterstands der Gütertrennung als ein „Zugeständnis" an die W ü n s c h e der F r a u e n b e w e g u n g aufzufassen [so Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 109], erscheint mir wenig plausibel. Die Gütertrennung w a r nämlich einer der H a u p t t y p e n des Ehegüterrechts, die Planck z u m A u s g a n g s p u n k t f ü r seinen Entwurf gemacht hatte, vgl. sogleich unten im Text. 342 Planck, B e g r ü n d u n g des Entwurfs (wie Fn.324), S . 2 9 9 [ N D Bd. 1, S.451]; beinahe w o r t gleich in: M o t i v e IV, S. 143f.

III. Das

Ehegüterrecht

399

daraus kein geeignetes Abgrenzungskriterium finden. Aufgrund einer Volkszählung vom Dezember 1890 ergaben sich für das deutsche Reich die folgenden Zahlen: In der Verwaltungsgemeinschaft lebten 17.839.000, in der allgemeinen Gütergemeinschaft 11.813.000, in der Mobiliargemeinschaft 8.216.000, in der Errungenschaftsgemeinschaft 7.697.000 und nach römischem Dotalrecht 3.864.000 Einwohner 343 . Da nach Auffassung der Kommission das römische Dotalrecht als Vorbild für das Bürgerliche Gesetzbuch aus historischen Gründen ausfiel, war die Frage zu entscheiden, welches der übrigen Systeme als Prototyp dienen sollte. Die Gütergemeinschaft, die das Vermögen beider Ehegatten zu einer untrennbaren gemeinschaftlichen Vermögensmasse vereinigt, entspreche zwar, so räumten die Motive ein, in hohem Maße dem sittlichen Verständnis der Ehe als einer Lebensgemeinschaft, folge aber auch nicht notwendig „aus dem sittlichen Wesen der Ehe" 344 . Praktische Vorteile habe die Gütergemeinschaft bei der Auflösung der Ehe, weil dann nur das gesamte vorhandene Vermögen nach einer bestimmten Quote geteilt werden müsse 345 . Allerdings konnte in dieser quotenmäßigen Teilung auch eine Härte für den überlebenden Ehegatten liegen, wenn etwa einer der Ehegatten sehr reich war, der andere nach kurzer Zeit starb und das halbe Vermögen an die Erben fiel, dem Ehegatten aber nur der Rest zustand 346 . Die erste Kommission begründete die Ablehnung der allgemeinen Gütergemeinschaft weiterhin damit, die Interessen der Frau würden auf das Schwerste gefährdet, wenn man die Gütergemeinschaft verbindlich mache, denn der Ehemann habe in diesem System fast unbeschränkte Freiheit zur Verfügung über das Gesamtgut und die Frau hafte mit ihrem (früheren) Vermögen für die einseitig vom Mann eingegangenen Verbindlichkeiten 347 . Weiterhin ergäben sich Schwierigkeiten, wenn man neben einer gesetzlichen Gütergemeinschaft Eheverträge zuließe, weil das auf eine Gestattung der Täuschung des Rechtsverkehrs hinauslaufe. Zwar könne man durch Register etc. eine gewisse Publizität von Eheverträgen erreichen, doch genüge das erfahrungsgemäß nicht, wenn der Verkehr auf eine Gütergemeinschaft als Regelfall vertraue 348 . Aus diesen Gründen wurde die Gütergemeinschaft abgelehnt. Dabei kamen zwei soziale Topoi zum Tragen: die soziale Freiheit in der Form einer Gleichberechtigung der Frau, die noch soeben beim Dotalrecht im Hin343 Alle Angaben nach Franz Winterstein, Deutsche Rechts- und Gerichtskarte, Kassel 1895 (ND Goldbach 1996). - Der ersten Kommission hatten in der Tendenz ähnliche Zahlen zur Verfügung gestanden, die freilich auf Erhebungen aus den Jahren 1871 und 1875 beruhten, vgl. Anlage I - Uebersicht des Geltungsgebietes der verschiedenen Systeme des ehelichen Güterrechts in Deutschland, in: Schubert, Vorlagen. Familienrecht (wie Fn.320), S. 1-12 [ND Bd. 3, S. 5—16]. 344 Motive IV, S. 147. 345 Motive IV, S. 148. 346 Motive IV, S. 149. 347 Motive IV, S. 147; vgl. Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn. 324), S. 322 [ND Bd. 1, S.474], 348 Motive IV, S. 160.

400

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

tergrund bleiben mußte, sowie vor allem der Schutz des Schwächeren. Die Interessen der Frau sollten gegen die Ubermacht des Mannes geschützt werden. Gegen die Mobiliargemeinschaft, die der Entwurf gleichermaßen nicht zum Vorbild seiner Regelung genommen hat, wurden im wesentlichen dieselben Überlegungen angeführt. Allerdings, so heißt es in den Motiven, seien die Härten gemildert, weil der Grundbesitz Sondergut bleibe und insoweit durch den Eheschluß keine Veränderung der Vermögensverhältnisse entstehe 349 . Entscheidend sei aber „die völlige Prinziplosigkeit des Maßstabes, nach welchem der Umfang desjenigen, was unter den Ehegatten gemeinsam sein soll, bestimmt" werde 350 . Die Zugehörigkeit zu den unbeweglichen oder beweglichen Sachen als Maßstab zu nehmen, fehle jeder innere Grund 351 . Aus heutiger Sicht wird man diesen Einwand allerdings kaum gelten lassen können. Es mag zwar wenig zweckdienlich sein, daß man nach Mobilien und Immobilien unterscheidet, doch ist nicht erfindlich, warum dies kein Maßstab für die Entscheidung, was Gegenstand des gemeinschaftlichen Gutes ist, sein soll, sondern „völlige Prinziplosigkeit". Gegen die vom Grundgedanken der heutigen Zugewinngemeinschaft sehr ähnliche Errungenschaftsgemeinschaft machten die Motive „erhebliche Schwierigkeiten und Bedenken" in der „juristischen Ausführung" geltend 352 . Es sei ein schwerer „Ubelstand", daß es nach dem Modell der Errungenschaftsgemeinschaft möglich sei, daß ein Ehegatte sein gesamtes Vermögen verliere, während der andere nur einen geringen Bruchteil einbüße, wenn nämlich die Kosten bei bestehender Ehe die regelmäßigen Einkünfte übersteigen würden und daher das anfängliche Vermögen je zu gleichen Teilen in Anspruch genommen werden müsse. So, wenn etwa die Frau 10.000 Mark, der Mann 100.000 Mark einbringe, keine Einkünfte in der Ehezeit vorkämen und die Kosten der Ehe 20.000 Mark betragen würden. Dem Mann blieben dann 90.000 Mark, der Frau nichts 353 . Die in der Errungenschaftsgemeinschaft übliche Unterscheidung von Eheund Sonderschulden werfe, obgleich vom Prinzip her richtig, in der Praxis große Abgrenzungsschwierigkeiten auf 354 . „Die größte und bedenklichste Schattenseite" der Errungenschaftsgemeinschaft, so meinten die Motive, liege in der Notwendigkeit, eine Auseinandersetzung und Berechnung durchzuführen, um die Sondergüter zu ermitteln 355 . Da aber die Einführung eines reichseinheitlichen Güterrechts ein einfaches, klares und leicht zu handhabendes System voraussetze, scheide auch die Errungenschaftsgemeinschaft als Vorbild für das ge-

349 350 351 352 353 354 355

Motive Motive Motive Motive Motive Motive Motive

IV, IV, IV, IV, IV, IV, IV,

S. 150. S. 151. S. 151. S. 152. S. 152. S. 153. S. 154.

III. Das

Ehegüterrecht

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setzliche Güterrecht im BGB aus356, für die sich im Vorfeld insbesondere Binding stark gemacht hatte 357 . (2) Die Grundzüge der Regelung der Verwaltungsgemeinschaft insbesondere die rechtliche Stellung der Frau

im E I -

Der erste Entwurf regelte aufgrund einstimmiger Befürwortung in der ersten Kommission 358 den gesetzlichen Güterstand in den §§ 1283 bis 1332. Als gesetzlicher Güterstand wurde in § 1283 E I die sogenannte Verwaltungsgemeinschaft - der Entwurf sprach von „Nutznießung und Verwaltung" - festgelegt 359 . Der Grundgedanke dieser Form des Güterstandes war, daß der Ehemann nicht nur sein eigenes, sondern auch das Vermögen seiner Frau, das diese mit in die Ehe bringt oder während der Ehe erwirbt, nutzt und verwaltet. N u r das Vorbehaltsgut der Frau, das heißt insbesondere persönliche Gegenstände wie Kleidung usw., sowie vertraglich festgelegte Sachen waren von der Nutznießung durch den Ehemann ausgeschlossen (§§1285 bis 1290 E I). Zum Vorbehaltsgut der Frau sollte insbesondere der Erwerb der Ehefrau durch Arbeit oder durch den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gehören, wie § 1289 E I 360 bestimmte, sofern die Arbeit nicht in Erfüllung der Mitarbeitspflicht gemäß § 1275 II E I 361 bei häuslichen Arbeiten oder im Geschäfte des Ehemannes geschah. Planck wies in seiner Begründung des Entwurfs darauf hin, diese Regelung stehe in Ubereinstimmung mit der preußischen Rechtspraxis, die ALR II 1 § 211 aufgrund der Verweisung auf §§ 219,220 in dem Sinne interpretiere, daß dem Ehemann nur der Erwerb der Ehefrau durch ihre Arbeit im Hause und im Geschäfte des Ehemannes zustehe 362 . Sofern man auf die eigentumsrechtliche Lage schaut, ist die Auffassung Plancks auch durchaus begrün356

Motive IV, S. 155. G. Binding, Ueber die von dem künftigen Reichsgesetze zu wählende Grundgestaltung des ehelichen Güterrechtes, in: AcP 56 (1873), S. 49-121, hier S. 59f., 70. Irreführend: Ludwig Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, in: Grünhut's Zeitschrift 16 (1889), S.545-616, hier: S.547, der Binding als Anhänger der „Gütergemeinschaft" zitierte. Binding meinte nicht die allgemeine Gütergemeinschaft, sondern die „partikuläre" Gütergemeinschaft in der Form der Errungenschaftsgemeinschaft; vgl. auch Binding, Ueber die Grundgestaltung des ehelichen Güterrechts, in: AcP 59 (1874), S. 109-134, hier S. 116. 358 Prot. I, S.6278, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S.379. 359 § 1283 E I: „Das Vermögen, welches die Ehefrau zur Zeit der Eheschließung hat oder während der Ehe erwirbt, unterliegt, soweit nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt, der Nutznießung und Verwaltung des Ehemannes (Ehegut)." 360 § 1289 E I: „Vorbehaltsgut sind die Gegenstände, welche die Ehefrau durch ihre Arbeit, sofern diese nicht unter die Vorschrift des § 1275 Abs. 2 fällt, oder durch den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes erwirbt." 361 § 1275 II E I lautete: „Zu häuslichen Arbeiten und zur Hülfeleistung im Geschäfte des Ehemannes ist die Ehefrau insoweit verpflichtet, als solche Verrichtungen nach dem Stande des Ehemannes für die Ehefrau üblich sind." 362 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.386 [ N D Bd.l, S.538]; Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 71 bei Fn. 190, geht daher fehl, 357

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Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

det, wie beispielsweise die Erläuterung bei Förster/Eccius zeigt 363 . Freilich war aber mit der Aussage über die Eigentumslage noch nicht entschieden, ob der Erwerb auch zum Vorbehaltsgut gehören sollte, was nach preußischem Recht nur aufgrund vertraglicher Abmachung zwischen den Ehegatten der Fall gewesen wäre. Im Hinblick auf die güterrechtliche Behandlung dieses Teil des Vermögens der Ehefrau enthielt der Entwurf also eine Neuerung, die Planck freilich durch seinen Hinweis auf das Landrecht zu verbrämen versuchte, anscheinend, um damit zu suggerieren, es werde nur das bestehende Recht kodifiziert. Auch § 1668 SächsBGB sprach zwar der Frau das Eigentum an ihrem Erwerb zu, den sie außerhalb des Hauses oder des Geschäftsbetriebs des Mannes erwirtschaftete, gab aber dem Mann das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht, so daß der Entwurf auch im Vergleich zum sächsischen Recht für die Frau eine Neuerung bedeutete. Die Einordnung des Erwerbs der Ehefrau aus eigener außerhäuslicher Erwerbstätigkeit als Vorbehaltsgut geschah im Entwurf namentlich mit Rücksicht auf die Verhältnisse des vierten Standes, um der Ehefrau die Möglichkeit zu eröffnen, „über die Verwendung jenes Erwerbes nach ihrem freien, von der Mitwirkung des Ehemannes unabhängigen Ermessen zu entscheiden", wie die M o tive betonten 364 . Es sei, so die Motive, unbillig, wenn nicht ihr Wille entscheiden solle, weil der Ehemann und nicht sie zur Bestreitung der ehelichen Lasten verpflichtet sei 365 . Es ging dem Entwurf also in erster Linie um eine Verbesserung der Rechtsstellung der Frau, deren Vermögen vor einem „unbilligen" Zugriff des Mannes geschützt werden sollte. Das entsprach den Vorstellungen Plancks von der sozialen Aufgabe des Privatrechts, wie sie im Kapitel 3 geschildert worden sind. Vorrangig waren die Schwächeren gegenüber den Stärkeren zu schützen, also in diesem Fall die rechtlich benachteiligten Frauen gegenüber den Männern. Das bedeutete im Ehegüterrecht konkret Schutz durch Gleichberechtigung, die notwendig auch zu einer Vergrößerung der sozialen Freiheit der Frau führen mußte. Die Frage, ob der Erwerb der Frau zum Vorbehaltsgut geschlagen wurde oder der Nutznießung und Verwaltung des Mannes unterliegen sollte, hatte für die alltägliche Wirklichkeit insbesondere der Angehörigen der unteren Bevölkerungsschichten erhebliche Relevanz. Die Erwerbstätigkeitsquote der Arbeiterfrauen im Alter von 20-30 Jahren lag im Kaiserreich bei 46,6%, diejenige der 30^0jährigen bei knapp 22%, um dann wieder langsam anzusteigen 366 . In Land- und Heimarbeiterhaushalten war die Erwerbstätigkeit der Frau ganz selbstverständlich und auch sonst, wie die genannten Zahlen zeigen, weit verw e n n er A L R II 1 § 2 1 1 generell auf den Arbeitslohn der Frau bezieht. Diese Regel hatte den von Planck beschriebenen vergleichsweise engen Anwendungsbereich. 363 Förster/Eccius, Theorie und Praxis des preußischen Privatrechts, Bd. IV, 5. A u f l . Berlin 1888, § 2 0 6 , S. 37f. (ebenso in der 7. A u f l . von 1897, S.41f.). 364 M o t i v e IV, S. 175. 365 M o t i v e IV, S. 174f. 366 Gerhard Schildt, Die Arbeiterschaft im 19. u n d 20. Jahrhundert, M ü n c h e n 1996, S.90.

III. Das

Ehegüterrecht

403

breitet. Man schätzt, daß die Frauen durchschnittlich etwa 10% zum Familieneinkommen beitrugen. Weitere 10% wurden von den Kindern hinzuverdient 367 . Schon allein der Vergleich der durchschnittlichen Löhne mit den Mietpreisen zeigt die Notwendigkeit dafür, warum in so vielen Haushalten alle arbeitsfähigen Mitglieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen mußten. Ein paar Zahlen können das veranschaulichen: In Hamburg erklärten in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts 74% aller Steuerzahler ein Einkommen zwischen 900 und 2.000 Mark (durchschnittlich 1.255 Mark). In Berlin zahlte zur gleichen Zeit die Hälfte aller Einkommensbezieher gar keine Steuern, weil ihr Einkommen nicht mehr als 900 Mark betrug 368 . Für diese Bevölkerungskreise durfte nach damaliger Einschätzung die jährliche Wohnungsmiete nicht mehr als 1/7 bis 1/5 betragen, maximal also ca. 200 Mark, doch für diesen Preis gab es nirgends in den Großstädten auch nur bescheidene Wohnungen, weil eine 40qm große Wohnung erst für mindestens 248 Mark rentabel vermietet werden konnte 369 . Die Lösung suchten die meisten durch Anmietung relativ günstigerer großer Wohnungen. Die Mehrkosten mußten dann durch Untervermietung und Aufnahme von Schlafgängern und Einlogierern ausgeglichen werden 370 . Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen Situation des vierten Standes zeigt sich die Relevanz der Frage, ob der Arbeitslohn Vorbehaltsgut sein sollte. Die Behandlung des Arbeitslohns als Vorbehaltsgut im Interesse einer Verbesserung der rechtlichen Stellung der Frau wurde allerdings dadurch konterkariert, daß der Entwurf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von der Zustimmung des Ehemannes gemäß §1277 I E I 3 7 1 abhängig machte, der selbstverständlich Bedingungen an seine Zustimmung knüpfen konnte, etwa auch die, daß die Frau ihr Einkommen ins Ehegut überträgt. Die mit der Verwaltung und Nutznießung verbundene wirtschaftliche Macht des Ehemannes sollte einerseits das Vermögen der Frau dem Zweck der Ehe nutzbar machen, andererseits aber ihre Grenze finden in der Substanz des Vermögens der Frau, über die der Ehemann nicht frei verfügen können sollte 372 . Der Grund, den Planck für das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht des Ehemannes anführte, war, daß auf diese Weise die Frau indirekt ihren Teil zur Tragung der ehelichen Lasten beitragen sollte, weshalb auch Inhalt und Umfang 367 Zum ganzen vgl. Gerhard A. Ritter/Klaus Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, S. 500-504. 368 Heinrich Roscher, Wohnungsstudien, Hamburg 1900, S. 12f. 369 Roscher, Wohnungsstudien (wie Fn. 368), S. 6. 3 7 0 In Hamburg wurden 1890 immerhin 50.000 Schlafgänger, also familienfremde Personen, die in der Familienwohnung ein Bett zum Schlafen gemietet hatten, gezählt, vgl. Roscher, Wohnungsstudien (wie Fn. 368), S. 9. 371 § 12771E I lautete: „Die Ehefrau bedarf zu einem Rechtsgeschäfte, durch welches sie zu einer in Person zu bewirkenden Leistung sich verpflichtet, der Einwilligung des Ehemannes." Die übrigen Absätze der Vorschrift betrafen die Anfechtung eines ohne Einwilligung abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, welche in unserem Zusammenhang nicht von Belang ist. 372 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.327 [ND B d . l , S.479], S.330f. [ND Bd. 1, S.482f.].

404

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

der Verpflichtung der Frau zu einem solchen Beitrag zu den ehelichen Lasten die Grenze für die Berechtigung des Mannes markierten 373 . Als Vorzüge der Verwaltungsgemeinschaft gegenüber den anderen Güterrechtssystemen bezeichneten die Motive folgende: Die ehelichen Lasten sollten aus dem Ertrag des Vermögens und der Arbeit beider Eheleute finanziert werden. Im Unterschied zur Errungenschaftsgemeinschaft sollte dieser Ertrag in das alleinige Eigentum des Ehemannes fallen, der im Gegenzug allein zur Tragung der ehelichen Lasten verpflichtet sei 374 . Die Motive sahen darin den Vorteil, durch Verzicht auf eine besondere Vermögensmasse die Auseinandersetzung zu erleichtern; im übrigen entspreche diese Verteilung der Rechte und Pflichten auch der überwiegend feststellbaren wirtschaftlichen Wirklichkeit 375 . Als Nachteil der Verwaltungsgemeinschaft wurde die Schwierigkeit der Aussonderung des Vermögens der Ehefrau im Falle der Auflösung der Ehe angesehen, der freilich durch die erbrechtlichen Bestimmungen zugunsten des überlebenden Ehegatten wenigstens teilweise kompensiert werde 376 . Im Vergleich zur Gütergemeinschaft und auch zur Errungenschaftsgemeinschaft habe, so sagten die Motive, die Verwaltungsgemeinschaft „etwas kühl Verständiges und praktisch Nüchternes" 3 7 7 . Schließlich sei es vernünftiger, im Zweifel die Auswirkungen der Eheschließung auf das Vermögen der Eheleute möglichst gering zu halten und damit in die bestehenden Verhältnisse weniger tief einzugreifen 378 . Das Nutznießungsrecht des Ehemannes war ungefähr deckungsgleich mit den gewöhnlichen Rechten eines Nießbrauchers (§§ 1292ff. E I 379 ). Die „Verwaltung" berechtigte und verpflichtete den Ehemann zu einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Vermögenssubstanz der Ehefrau. Der Zweck der Nutznießung lag in der rechtlichen Absicherung der wirtschaftlichen Macht des Ehemannes, „die Nutzungen des Ehegutes zur Bestreitung der ehelichen Lasten zu verwenden" 380 . Bei alledem konnte das Recht des Mannes nicht weiter reichen als das Recht der Frau, ihre Vermögensgestände zu verwalten, zu nutzen und über sie zu verfügen. Hierin bestand der wesentliche Unterschied zu einem gewöhnlichen Nießbrauchsrecht, das, wenn es einmal entstanden ist, unabhängig davon fortdauert, ob die Gegenstände aus dem Vermögen des Eigentümers herausfallen oder dessen Recht an den Sachen in sonstiger Weise geändert wird 381 . Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.327 [ N D Bd. 1, S.479]. Vgl. Motive IV, S. 156. 3 7 5 Motive IV, S.156f. 3 7 6 Motive IV, S. 158. 3 7 7 Motive IV, S. 159. 3 7 8 Motive IV, S. 160. 3 7 9 § 1292 E I: „Auf die dem Ehemanne an dem Ehegute zustehende Nutznießung (eheliche Nutznießung) finden die Vorschriften über den Nießbrauch Anwendung, soweit nicht aus dem Gesetze ein Anderes sich ergiebt." 3 8 0 Motive IV, S. 180. 381 Vgl. Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.329 [ N D B d . l , S.481]. 373

374

III. Das

Ehegüterrecht

405

Die Rechtfertigung für die dominante Stellung des Ehemannes sah Planck im Wesen der Ehe, die eine „volle Lebensgemeinschaft" darstelle 382 . Daraus resultiere, daß eine „gewisse" Übereinstimmung in den äußeren, wirtschaftlichen Verhältnissen erreicht werden müsse. Den Konsens von Fall zu Fall durch die Zustimmung beider Eheleute herzustellen, sei aber praktisch undurchführbar und entspreche auch nicht „der natürlichen Stellung des Mannes" 383 . Letztere erläuterte Planck mit folgenden Worten: „Wie ihm als Haupt der Ehe überhaupt in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten die entscheidende Stimme gebührt, so muß sie ihm auch bei den die wirthschaftliche Grundlage des gemeinschaftlichen Lebens betreffenden Veränderungen zustehen" 3 8 4 .

Das durchaus patriarchalische 385 Verständnis der Ehe ging hier Hand in Hand mit dem Gemeinschaftsgedanken, der Mann und Frau einen je eigenen status mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten zuwies. (3) Die Geschäftsfähigkeit

der

Ehefrau

Das Nutzungs- und Verwaltungsrecht des Mannes entzog der Frau die Verfügungsmöglichkeit über ihr Vermögen, soweit es nicht Vorbehaltsgut war. Auch die Ehefrau blieb aber voll geschäftsfähig. Der Frauenverein hatte, wie erwähnt, das römische Dotalrecht als Vorbild hingestellt, weil dort die Eheschließung die vermögensrechtliche Stellung der Frau vollständig unberührt ließ und nur die eventuell vertraglich bestellte Dos in das Vermögen des Mannes fiel, die Frau aber ansonsten vollständig frei und geschäftsfähig blieb. Dem römischen Dotalrecht war unter den Kodifikationen nur das österreichische Gesetzbuch gefolgt. Demgegenüber schränkte eine Reihe anderer Rechtsordnungen des 19. Jahrhunderts die Frau sogar in ihrer Geschäftsfähigkeit ein, wovon schon der erste Entwurf bewußt Abstand genommen hatte 386 . Nach Art. 215-225 Code civil in der damaligen Fassung benötigte - von einigen speziellen Ausnahmen abgesehen - die Ehefrau die Ermächtigung des Mannes zu allen Rechtsgeschäften. Ähnliches sahen auch das niederländische und italienische Recht vor sowie der hessische Entwurf 387 . Planck hat in der Begründung seiner Vorlage für die erste Kommission weitere Einzelheiten zum Beleg angeführt. Hervorhebenswert ist insbesondere, daß auch wichtige deutsche Partikularrechte diesen Standpunkt einnahmen. Das gilt für das sächsische Recht in seinen größten Gebieten, für einige Teile Bayerns und Württembergs und insbesondere auch für das preußische Allgemeine Landrecht 388 . Eine ausdrückliche Bestimmung über die Be-

382 383 384 385 386 387 388

Planck, Begründung Planck, Begründung Planck, Begründung So auch Schmid, Die Planck, Begründung Planck, Begründung Planck, Begründung

des Entwurfs (wie Fn.324), S. 342 [ND Bd. 1, S.494], des Entwurfs (wie Fn. 324), S. 342 [ND Bd. 1, S. 494], des Entwurfs (wie Fn.324), S.342 [ND Bd. 1, S.494]. Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 74. des Entwurfs (wie Fn.324), S.342f. [ND Bd. 1, S.494f.]. des Entwurfs (wie Fn.324), S.334f. [ND B d . l , S.486f.]. des Entwurfs (wie Fn.324), S.337f. [ND Bd. 1, S.489f.].

406

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

schränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau enthielt das ALR zwar nicht, aber diese Rechtsfolge wurde aus A L R II 1 §§ 188f. abgeleitet, die dem Mann Recht und Pflicht auftrugen, Person, Ehre und Vermögen der Frau zu verteidigen, und die Prozeßführung der Frau von der Zustimmung des Mannes abhängig machten 389 . Sowohl die Haltung der Partikularrechte und der angeführten ausländischen Rechtsordnungen als auch die mitgeteilte Überlegung aus der Begründung der Vorlage Plancks390 können einen Gradmesser und Maßstab für die Beurteilung der Regelung des Entwurfs darstellen. Sie standen auf der einen Seite der Erwägungen Plancks, als er seinen Vorentwurf, der die spätere Entwurfsfassung prägte, verfaßte. Besonders wichtig für das Verständnis des Entwurfs war auf der anderen Seite die Überlegung, die Planck und später dann die erste Kommission bewegte: Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Frau würde bedeuten, so führte Planck aus, daß die Frau durch die Eheschließung auf den Status einer Minderjährigen herabsinken würde 391 . Und wörtlich hieß es weiter: „Es fragt sich, ob dieser Preis für den erreichten Zweck nicht zu hoch ist. D e n ganzen sittlichen Gehalt der Ehe in Rechtssätzen auszuprägen, ist unmöglich. Der Versuch dazu würde den sittlichen Zwecken der Ehe mehr schaden, als nützen. Das persönliche Verhältniß der Ehegatten, also die eigentliche Grundlage des ehelichen Lebens, kann, wie jetzt wohl Allgemein anerkannt wird, durch zwingende Rechtsvorschriften nur in seinen äußersten Umrissen geregelt werden. Wenn hier die Hauptsache der freien sittlichen Selbstbestimmung der Gatten überlassen wird, ist dann nicht derselbe Standpunkt auch auf dem Gebiet des Vermögensrechts einzunehmen und wenigstens von solchen rechtlichen Vorschriften abzusehen, deren Durchführung einen so tiefen Eingriff in die Rechtssphäre der Frau erfordert, wie in der Beschränkung ihrer Geschäftsfähigkeit liegt?" 3 9 2

Die rhetorische Frage hat der Entwurf selbstverständlich bejaht. Die Äußerung Plancks ist in mehrfacher Hinsicht bezeichnend. Zum einen, weil sie Rückschlüsse auf das Selbstverständnis Plancks als eines der führenden Mitglieder der ersten Kommission erlaubt. Anders als die Kodifikationsidee des 18. Jahrhunderts war Planck - und er berief sich dafür auf eine „allgemeine Ansicht" nicht mehr der Auffassung, daß das Gesetz eine umfassende Regelung aller Lebensbereiche treffen solle. Gerade das Eherecht eignete sich in Plancks Augen besonders schlecht für eine gesetzliche Normierung. Die wesentlichen Punkte der Ehe entzogen sich nach seiner Auffassung vielmehr der rechtlichen Gestaltung und gehörten für ihn in den Bereich der Sitte. Zum zweiten beweist das Zitat aber auch, daß Plancks Haltung in der Frage 3 8 9 A L R II 1 § 188: „Der Mann ist schuldig und befugt, die gen seiner Frau, in und außer Gericht zu vertheidigen." A L R II 1 §189: „In der Regel kann daher die Frau, ohne Mannes, mit Andern keine Prozeße führen." 3 9 0 Vgl. oben bei Fn. 384. 391 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.342 392 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.342

Person, die Ehre, und das VermöZuziehung und Einwilligung des

[ND Bd. 1, S.494]. [ND Bd. 1, S.494],

III. Das Ehegüterrecht

407

der rechtlichen Stellung der Frau relativ zu den meisten R e c h t s o r d n u n g e n des 19. Jahrhunderts fortschrittlich war; fortschrittlich in dem Sinne, daß die Frau ein gleichberechtigtes R e c h t s s u b j e k t neben dem M a n n sein sollte. D a ß aus heutiger Sicht m a n c h e Regeln des E n t w u r f s sich anders darstellen, vermag nichts an dieser B e w e r t u n g zu ändern. Anachronistisch erscheint es allerdings auch, w e n n Schmid die Auffassung Plancks am Frauenbild der Aufklärung mißt 3 9 3 , da Plancks D e n k e n nicht in der Aufklärung wurzelte. D e r status der Frauen hing eng mit dem Familienbegriff zusammen, der sich im 19. J a h r h u n d e r t gegenüber der Aufklärungszeit gewandelt hat 3 9 4 . In der Aufklärung führte das ausgeprägt individualrechtliche Verständnis der familiären B e z i e h u n g e n zu einem „ E m a n zipationseffekt zugunsten der F r a u " 3 9 5 . D a s änderte sich in der R o m a n t i k . Schwab hat v o n einer „Verlagerung der Substanz der E h e in ein psychisches I n t e r n u m " und einem „Verweis des R e c h t s an die Peripherie" gesprochen und das anhand einiger Zitate von Fichte begründet. D i e s e r „ R ü c k z u g des R e c h t s " brachte allerdings auch eine Verschlechterung des Schutzes individueller R e c h t e mit sich 3 9 6 . Ausgehend v o m Verständnis der Familien als „ K e i m e des Staates" 3 9 7 versuchte man den Einzelnen wieder mehr in den Familienverband einzufügen 3 9 8 , was auch Schmid gesehen hat 3 9 9 . E h e und Familie gerieten so wieder in die Einflußsphäre des Staates 4 0 0 , allerdings nur, insoweit es die äußeren Verhältnisse der Familie betraf. N i c h t die Familie als solche wurde als Gegenstand der R e c h t s o r d n u n g angesehen, sondern nur einzelne B e z ü g e wie zum Beispiel das Güterrecht 4 0 1 . Vor diesem H i n t e r g r u n d m u ß man die Position Plancks und der ersten K o m m i s s i o n sehen, die - in M a ß e n - eine Verbesserung der Rechtsstellung der Frau bedeutete. Insgesamt glaubte man, sich im B e r e i c h des Familienrechts auf die notwendigsten Regeln beschränken zu sollen. O h n e das Verdienst Plancks in A b r e d e stellen zu wollen, ist allerdings zu bedenken, daß der E n t w u r f mit seinen Ansätzen zur Gleichberechtigung der Frau zu einem guten Teil nur der vielfach anzutreffenden Wirklichkeit eine entsprechende rechtliche Regelung verlieh. D a ß dabei nicht v o n einem Tag auf den anSchmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 80-82. Vgl. dazu die oben Fn.2, 5 und 256 genannte Literatur. 395 Schwab, Familie (wie Fn.2), S.283. 396 Schwab, Familie (wie Fn.2), S.286.; vgl. in diesem Zusammenhang außerdem ders., Frauenrechte und Naturrecht, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert, Kontinuität - Inhalt - Funktion Wirkung, hrsg. von Diethelm Klippel, Goldbach 1997, S. 77-98. 397 Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, B d . l , Berlin 1840, S.343f. 398 Schwab, Familie (wie Fn.2), S.290. 399 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 82ff. 400 Paul Mikat, Rechtsgeschichtliche und rechtspolitische Erwägungen zum Zerrüttungsprinzip (III. Teil), in: FamRZ 8 (1962), S.497-504, hier S.502f.; ders., Zur Bedeutung Friedrich Carl von Savignys für die Entwicklung des deutschen Scheidungsrechts im 19. Jahrhundert (wie Fn. 14), S.680ff.; Stephan Buchholz, Savignys Stellungnahme zum Ehe- und Familienrecht. Eine Skizze seiner rechtssystematischen und rechtspolitischen Überlegungen, in: Ius commune 8 (1979), S. 148-191. 401 Schwab, Familie (wie Fn.2), S.293ff. 393

394

408

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

deren die bestehenden Verhältnisse umgekehrt wurden, ist angesichts der politischen Situation, in der das Bürgerliche Gesetzbuch entstand, nicht überraschend. In der alltäglichen Wirklichkeit hatten die Frauen auch im 19. Jahrhundert eine oftmals weit einflußreichere Stellung als es ihre rechtlichen Befugnisse vermuten lassen würden. Heinrich Dörner sprach von einer weitgehenden „faktischen" Gleichstellung der Frau am Ende des 19. Jahrhunderts infolge ihres unverzichtbaren ökonomischen Beitrags 402 zum Erhalt der Familie gerade in den unteren Schichten 403 . So kann man - um ein beliebiges Beispiel herauszugreifen - in der 1912 erschienenen Geschichte des westfälischen Bauernstandes lesen, daß die Frau „wie kaum anderswo die Seele des Hauses und der Wirtschaft ist, die ausschlaggebende Stellung im Haushalt einnimmt und zwar zum besten desselben" 404 .

Das Zitat mag genügen, um an die Selbstverständlichkeit zu erinnern, daß die Lebenswirklichkeit mitunter andere Bahnen als die des Rechts kennt. Adomeit hat sicher zurecht gemeint, die Stellung der Frau sei im 19. Jahrhundert längst über das „patriarchalische Modell" hinausgewachsen. Dabei erinnerte er an Thomas Buddenbrock, der als lübischer Senator um die Jahrhundertmitte zum Hausbau und Umzug das Einverständnis seiner Gerda nötig hatte 405 . Festzuhalten ist, daß der Entwurf aus Rücksicht auf die Gleichberechtigung der Frau von einer Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Frau aufgrund der Eheschließung abgesehen hat 406 . Das Ziel, die soziale Freiheit und rechtliche Selbständigkeit der Frau nicht durch die Eheschließung zu beeinträchtigen, lief einher mit dem Interesse des Verkehrs an Rechtssicherheit, denn ein Vertragspartner der Frau brauchte sich nicht die schwer überprüfbare Frage zu stellen, ob der Gegenstand des Vertrags zum Vorbehaltsgut der Frau - über das sie zu verfügen vollständig frei war - oder zum der Verwaltung durch den Mann unterworfenen Vermögen gehört. Hatte sich der Entwurf einerseits dazu entschieden, die Geschäftsfähigkeit der Frau nicht einzuschränken, so wollte er andererseits das Interesse des Ehemannes an der Nutznießung des Vermögens der Frau schützen, weil mit diesem rechtlichen Interesse die Pflicht korrespondierte, die Lasten der Ehe zu tragen Vgl. die Zahlenangaben oben bei Fn. 366 und 367. Heinrich Dörner, Industrialisierung und Familienrecht. Die Auswirkungen des sozialen Wandels, dargestellt an den Familienmodellen des ALR, BGB und des französischen Code civil, Berlin 1974, S.69. 404 Martin und Christian Faßbender, Die ländliche Lebenshaltung und Lebensführung, in: Beiträge zur Geschichte des westfälischen Bauernstandes, hrsg. von Engelbert Freiherr von Kerckerinck zur Borg, Berlin 1912, S.564-614, hier S.604. 405 Klaus Adomeit, Das bürgerliche Recht, das Bürgerliche Gesetzbuch und die bürgerliche Gesellschaft, Baden-Baden 1996, S. 14. 406 Eine umfangreiche grundsätzliche Stellungnahme zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Frau findet sich in der Vorlage 1876 Nr. 12 für die erste Kommission, in der Planck die Grundsatzentscheidung begründete, abgedruckt bei Werner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren, Familienrecht, Teil 3, Berlin-New York 1983, S. 1-18 [= S. 1053-1070]. 402 403

III. Das

Ehegüterrecht

409

(§ 1280 E I 407 ). Zur Erfüllung dieser Pflicht sollte der Ehemann das Vermögen der Frau nutzen dürfen. Es stellte sich daher die Frage, wie dieses Interesse gegen Eingriffe seitens der Frau geschützt werden könne. Der Entwurf wählte dazu die Form der Beschränkung der Verfügungsmacht der Frau über ihr Vermögen, soweit es nicht Vorbehaltsgut war. Die Wirkung sollte einem gesetzlichen Veräußerungsverbot gleichkommen. Hinter dieser Unterscheidung verbarg sich mehr als bloß spitzfindige Feinsinnigkeit. Fehle die Geschäftsfähigkeit, so leide der Willensakt an einem inneren Mangel, was bei der Einschränkung der Verfügungsmacht nicht der Fall sei, wie Planck meinte. Subjektiv, so sagte er, sei der Willensakt gültig, aber er könne nicht die beabsichtigte rechtliche Wirkung erzeugen, weil das Verfügungsobjekt der Verfügung entzogen sei 408 . Erwogen worden war, der Verfügungsbeschränkung nur die Wirkung der Anfechtbarkeit zuzumessen, doch lehnte Planck diese Möglichkeit ab, weil sie zu Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung dinglicher Rechtsgeschäfte führen könne 409 . Den Interessen des Mannes wäre aus der Sicht der Kommission damit Genüge getan, wenn das dingliche Rechtsgeschäft mangels Verfügungsmacht der Frau nichtig wäre. Doch darüber hinaus beschloß sie, auch die obligatorischen Verträge nichtig sein zu lassen. Der Grund dafür war, wie Planck erläuterte, daß die Ehe selbst das geschützte Interesse sei, dieses aber öffentlich und deshalb auch die Nichtigkeit des obligatorischen Geschäfts gerechtfertigt sei 410 .

b) Die Kritik Bei einer so zentralen Materie wie dem Ehegüterrecht überrascht die zahlund umfangreiche Kritik nicht. Sie betraf einerseits die grundsätzliche Frage, ob man in Deutschland überhaupt ein einheitliches Güterrechts einführen solle, sodann aber auch das Problem der Ausgestaltung dieses Güterrechts als Verwaltungsgemeinschaft mit der besonderen Frage der Stellung der Frau. Dementsprechend sollen im folgenden die kritischen Stellungnahmen zu den genannten Aspekten untersucht werden.

(1) Einheitliches

Güterrecht

oder

Regionalsystem?

Die Entscheidung der ersten Kommission, in Deutschland ein einheitliches gesetzliches Güterrecht einzuführen und daneben andere Typen vertraglicher 407 § 1280: „Der Ehemann ist gegenüber der Ehefrau verpflichtet, dieser den seiner Lebensstellung, seinem Vermögen und seiner Erwerbsfähigkeit entsprechenden Unterhalt in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu gewähren. Die Vorschriften des §1488 Abs.4 und der §§1492 bis 1496 finden entsprechende Anwendung." 408 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.347 [ND Bd.l, S.499], 409 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.347 [ND Bd.l, S.499], 410 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.350 [ND Bd.l, S.499].

410

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

Güterrechte zu kodifizieren, stieß zwar auf verbreitete, jedoch nicht einhellige Zustimmung in der Literatur und bei den verschiedenen Kommissionen und Verbänden 4 1 1 . Friedrich Mommsen etwa hielt es geradezu für zwingend, wenn man ein einheitliches Privatrecht in Deutschland schaffen wolle, dabei nicht das eheliche Güterrecht auszusparen, womit er das wesentliche Argument der Motive aufgegriffen hat. D o c h sei dies nicht nur, wie er schrieb, für die Rechtseinheit im allgemeinen wichtig, sondern gerade auch für die wirtschaftlichen Kreditverhältnisse. Dieser Aspekt sei zwar nicht die Hauptsache, aber doch sehr wichtig 4 1 2 . Das ist zu erläutern: Da die Kreditwirtschaft die Bonität eines Kunden nach seinen Vermögensverhältnissen zu bestimmen pflegt, ist es für sie wichtig, leicht erkennen zu können, in welcher Weise das Ehegüterrecht die Vermögensverhältnisse der Ehegatten regelt. Herrscht nun auf diesem Gebiet Rechtseinheit, so erhöht sich damit die Rechtssicherheit für den Kreditgeber. Die sozio-ökonomische Wirkung dieses wirtschaftlichen Aspekts ist freilich nicht eindeutig auszumachen, weil zunächst einmal alle Bevölkerungskreise gleichermaßen von den Vorund Nachteilen der Regelung betroffen waren und weder der Schutz bestimmter Schichten verbessert noch die Vermögensverteilung davon beeinflußt wurde. Dagegen kann man nicht einwenden, daß die unteren Schichten mangels Kapital seltener Kredite aufgenommen hätten. Das ist nämlich nicht einmal für den Immobilienmarkt zweifelsfrei, weil viele Häuserspekulanten in den größeren Städten Rentner, kleinere Beamte usw. waren, die mit geliehenem Geld versuchten, sich eine Altersversorgung aufzubauen. Aber auch in den Arbeiterschichten gehörte der Kredit zum Alltag, wie wir gesehen haben 4 1 3 . Als Wirkung der Rechtseinheit im Ehegüterrecht könnte man allenfalls vermuten, daß die Kredite insgesamt billiger geworden seien, weil das Risiko der Kreditwirtschaft vermindert worden ist. Hält man sich diese Zusammenhänge vor Augen, so liegen echte Vorteile lediglich in einer Vereinfachung für die Kreditwirtschaft. Ein Belebung des Kreditgeschäfts war durch das einheitliche Güterrecht nicht zu erwarten. Ein Teil der Kritik richtete sich gegen die Zulassung vertraglicher Güterstände neben einem gesetzlichen Güterstand. Zwar hatte sich der 13. Deutsche Juristentag schon 1876 in Salzburg mit der Frage beschäftigt, ob neben einem gesetzlichen Güterstand auch subsidiär vertragliche Güterstände kodifiziert werden sollten. Gerade im Hinblick auf den liberalen Grundsatz der Privatautonomie, den Petersen in seinem Gutachten betont hatte 4 1 4 , hatte sich der Juristentag Vgl. im einzelnen die Nachweise in: Zusammenstellung, Bd. 4, S. 79. Friedrich Mommsen, Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: AcP 76 (1890), S. 161-192, hier S. 163, weitere Hervorhebungen der Bedeutung des Kredits: S. 170, 192. Ahnlich auch Ascher, Eingabe an das RJA, zitiert nach Zusammenstellung, Bd. 4, S.83. 413 Zur Baufinanzierung vgl. oben S. 323, zu den Konsumgüterkrediten oben S. 319. 414 Julius Petersen, Gutachten über die Gesetzgebungsfrage: Ist es wünschenswerth, in einem bürgerlichen Gesetzbuch für Deutschland neben dem einheitlichen System des ehelichen Güter411 412

III. Das

Ehegüterrecht

411

auf Antrag von Richard Schröder und Heinrich Brunner für die Kodifikation vertraglicher Güterstände ausgesprochen415. Aber die Gegenseite verstummte nicht. Freilich begründete sie ihre, der Privatautonomie konträr gegenüberstehende Auffassung recht unterschiedlich. Bevor darüber zu sprechen ist, ist aber zu betonen, daß die Ablehnung von Eheverträgen nur eine Minderheit im Konzert der Kritiker blieb. Richard Schröder zum Beispiel befürwortete die Zulassung von Eheverträgen nach dem Vorbild des Code civil und meinte, alles andere sei ein „Fanatismus der Rechtseinheit", der selbst den sonst als zentralistisch verschrieenen Franzosen fremd sei416. Die Rechtfertigung für die Zulassung von Eheverträgen sah er im Grundsatz der Vertragsfreiheit417. Für die Gegner vertraglicher Güterrechte spielte das aber keine Rolle. So machte Pfizer geltend, die Rechtseinheit werde in diesem Punkte niemals erreicht, wenn man die vertraglichen Güterstände zulasse, weil jedermann in Deutschland dann zu demjenigen Systeme greifen werde, das in seiner Gegend bislang gegolten habe. Allerdings könne man das nur verhindern, wenn der gesetzliche Güterstand formell klar, materiell zweckmäßig und gerecht sei418, womit er die im Kapitel 3 angesprochene Blankettformel von den „Bedürfnissen der Zeit" anwendete. Maßstab der Zweckmäßigkeit war für ihn in diesem Fall die Praktikabilität. Das zeigt sich auch daran, daß er die Neigung zur Fortsetzung der jeweils partikularen Zustände als etwas typisch Deutsches bezeichnete, womit er das Argument, etwas entspreche deutscher Art, in negativem Zusammenhang benutzte, während es sonst regelmäßig von seinen Verwendern ins Positive gedreht wurde. Uberhaupt hatte Pfizer erhebliche Vorbehalte gegen die Forderung der Einbeziehung „deutschen" Rechts in das Gesetz. Es handele sich dabei, so führte er aus, um unvernünftiges „Geschrei", unvernünftig, weil man einen längst überholten Rechtszustand wieder einführen wolle. Doch den Gewinn juristisch scharfen Denkens, den das römische Recht gebracht habe, werde „kein Vernünftiger gegen deutschtümelnde Gesinnungstüchtigkeit vertauschen wollen" 419 . Hier zeigt sich, daß die Benutzung von „deutsch" als einer Chiffre für „sozial", wie sie insbesondere bei Gierke häufig begegnet, leicht zu Mißverständnissen führen konnte, da es Gierke nicht um die Einführung längst vergangenen Rechts zu tun war. Als kontraproduktiv für das Ziel eines einheitlichen Privatrechts sah auch Mommsen die Zulassung vertraglicher Güterstände neben dem gesetzlichen an rechts noch subsidiäre Systeme für die Privatautonomie aufzustellen?, in: Verhandlungen des 13. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1876, S. 3-12, hier S. 7. 415 Verhandlungendes 13. DeutschenJuristentages, Bd.2, Berlin 1876, S. 135. 416 Richard Schröder, Das Familiengüterrecht in dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S. 2f. 417 Schröder; Das Familiengüterrecht (wie Fn. 416), S. 32. 418 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn. 341), S. 124. 419 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn. 341), S. 114f. Ebenso: ders., Was erwartet Deutschland von dem bürgerlichen Gesetzbuch?, Hamburg 1889, S. 22-25.

412

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

und meinte, es fehle dafür auch das praktische Bedürfnis. Eheverträge sollten nur insoweit neben dem gesetzlichen Güterstand, den Mommsen als Gütergemeinschaft durchgebildet sehen wollte, erlaubt sein, als damit die Frau bestimmte Vermögenswerte von dem Gesamtgut ausnehmen wollte. Im Unterschied zum Entwurf sollte also nur ein einziger Güterstand herrschen und ein Ehevertrag nicht zu einem abweichenden Güterstand führen, sondern nur die Berücksichtigung besonderer Situationen ermöglichen. Durch die Normierung verschiedener Güterstände mache der Entwurf das Recht unnötig kompliziert, wie Mommsen meinte 420 . Trotz der bereits im Vorfeld des Entwurfs geführten Diskussion über das Regionalsystem, blieb in der Kritik am Entwurf die Forderung laut, auf ein einheitliches gesetzliches Güterrecht in ganz Deutschland zu verzichten. Gierke421, Bäbr422 und von Miaskowski423 mißbilligten die Entscheidung des Entwurfs und erhoben die Stimme für das Regionalsystem, wobei auch die Bundesstaaten Württemberg und Lippe sich dafür aussprachen 424 . Leitender Gedanke war für Gierke, einen Bruch mit der Geschichte zu vermeiden. Und so erkannte er an, daß der Entwurf durch die vertraglichen Güterrechtstypen immerhin den meisten in Deutschland gewachsenen Güterrechtssystemen gerecht werde. Insoweit teilte Gierke also die Auffassung Plancks, dessen Ziel es gerade war, mit den vertraglichen Typen die geschichtlich gewachsenen Strukturen nicht zu zerstören, sondern die Möglichkeit zu schaffen, sie zu erhalten. Der Auffassung Gierkes folgte im übrigen auch die Kommission des Deutschen Landwirtschaftsrates, die dessen Plenarversammlung im Februar 1890 vorzubereiten hatte. Es sei, so meinte der Referent, Geheimer Regierungsrath Friedrich von Frese aus Bückeburg, nicht Aufgabe der Kodifikation, völlig neues Recht zu schaffen.

420

Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 190. Gierke, Entwurf, S. 115-117; ders., Minoritätsvotum [zur Frage eines reichseinheitlichen Ehegüterrechts], in: Verhandlungen des Königlichen Landes-Oekonomie-Kollegiums über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und andere Gegenstände. III. Session der IV. Sitzungsperiode vom 11. bis 22. November 1889, Berlin 1890, S. 341-348. Das Minoritätsvotum ist zwar nicht namentlich gekennzeichnet, aber schon die sachliche und zum Teil wörtliche Ubereinstimmung mit Gierkes „Entwurf" legt die Annahme nahe, daß Gierke auch der Autor des Votums war; eine Bestätigung findet das in einem Diskussionsbeitrag von Gierke, in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 846-853, hier S. 851. 421

422 Otto Bähr, Das eheliche Güterrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Archiv für bürgerliches Recht 1 (1889), S. 233-266. Bährs Kritik ging ohne weitere Begründung davon aus, daß die Zeit für ein einheitliches Güterrecht in Deutschland noch nicht reif sei und wollte die Bestimmung des gesetzlichen Güterstandes dem Landesgesetzgeber überlassen (S. 237). Eine „soziale" Motivierung seiner Kritik ist im Hinblick auf die Frage eines Regionalsystems nicht erkennbar. 423 August von Miaskowski, [Referat zum 4. und 5. Buch des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich], in: Verhandlungen des Königlichen Landes-OekonomieKollegiums über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und andere Gegenstände. III. Session der IV. Sitzungsperiode vom 11. bis 22. November 1889, Berlin 1890, S. 114-122, hier S. 114-116. 424 Zusammenstellung der Aeußerungen der Bundesregierungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 1, Berlin 1891, S. 146f.

III. Das

Ehegüterrecht

413

Die historische Kontinuität müsse gewahrt bleiben425. Es sei ganz einerlei, ob die jeweiligen güterrechtlichen Vorschriften „aus dem Volksgeiste herausgewachsen" seien426. Ohne das methodische Problem vertiefen zu wollen, so ist doch bezeichnend, wie die Gegner des Entwurfs bemüht waren, die Vereinbarkeit ihrer Vorstellungen mit den Prinzipien der historischen Rechtsschule auszuführen. Die Motive hatten die Neuschaffung eines Güterrechts unter anderem damit legitimieren wollen, daß ein Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Güterrecht und den jeweiligen Verhältnissen der Bevölkerung nicht bestehe427. Mithin konnte es dem Gesetzgeber auch nicht darum gehen, das „gewordene" Recht aufzuschreiben, sondern hier mußte man Neues schaffen. Das wurde allerdings von den Anhängern des Regionalsystems auch nicht bestritten. Es ging vielmehr um das Maß der Neuheit. Ein politisch-nationales Bedürfnis für einen reichseinheitlichen Güterstand im Gegensatz zum Regionalsystem bestritt zum Beispiel Fresei2S ganz entschieden unter Hinweis auf die Motive, die die Zulassung von Eheverträgen mit der „schweren Bedrückung" eines einheitlichen Systems begründet hatten429. Zweckmäßigerweise solle man, so erklärte Gierke, also die Bestimmung des gesetzlichen Güterstandes der Landesgesetzgebung überlassen, denn in den verschiedenen Landschaften sei das Familiengüterrecht mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zuständen eng verknüpft 430 . Anders als Planckm, der zwar die historische Entwicklung auch berücksichtigen wollte, aber nicht erkennen konnte, daß irgendwelche realen Unterschiede zur Verschiedenartigkeit der Systeme geführt hatten, behauptete Gierke also solche Unterschiede, freilich ohne dies mit Fakten zu untermauern. Die Favorisierung des Regionalsystems gegenüber einem reichseinheitlichen Güterrecht resultierte für Gierke allerdings aus einer sozialen Überlegung: wenn es wünschenswert sei, so meinte er, die gewachsenen Strukturen zu schonen und zu erhalten, so seien dazu vertragliche Güterrechte ungeeignet, denn und dies ist das entscheidende Argument - dies führe zu einer Benachteiligung der Landbevölkerung, die lieber ein unbekanntes gesetzliches Güterrecht über sich ergehen lassen werde, als ihrer Denkweise fremde Eheverträge abzuschließen, die darüber hinaus auch noch mit Kosten und Mühen verbunden seien432. 425 von Frese, [Referat: Eheliches Güterrecht]. Verhandlungen des Deutschen L a n d w i r t h schaftsraths. XVIII. Plenarversammlung. 24.-27. Februar 1890, in: Archiv des Deutschen L a n d wirthschaftsraths 14 (1890), S. 388-396, hier: S.389. Die Plenarversammlung folgte d e m K o m missionsvorschlag allerdings nicht. Der Referent von Frese w a r bei der Versammlung nicht anwesend und Josef Bachmair bewegte das Plenum dazu, den Entwurf zu billigen [in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 396f. z u s a m m e n mit dem Beschluß auf S. 84]. 426 von Frese, [Referat: Eheliches Güterrecht, w i e Fn. 425], S. 391. 4 2 7 M o t i v e IV, S.138f. 428 von Frese, [Referat: Eheliches Güterrecht, w i e Fn.425], S.394. 4 2 9 Motive IV, S. 142. 430 Gierke, Entwurf, S. 115. 431 Vgl. oben S. 396. 432 Gierke, Entwurf, S. 113. Gierke gab die B e f ü r w o r t u n g des Regionalsystems nicht auf, vgl.

414

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Die „Zeche" habe einmal mehr der Bauernstand zu zahlen und mit ihm die kleineren Bürger aus Städten, die an die Gütergemeinschaft gewöhnt seien433. Schließlich brachte er als soziales Argument noch die Bewahrung der Familie ins Spiel. Der Gesetzgeber solle „nur mit möglichst leiser Hand ihre geschichtlich gewordene Ordnung berühren"434. Und drastisch formulierte Gierke seine Auffassung in seinem Minoritätsvotum bei den Verhandlungen des preußischen Landes-Okonomie-Kollegiums: „In unseren Tagen, in denen die deutsche Familie mehr wie je bisher durch die Wirkungen der Freizügigkeit, der individualistischen Geistesströmungen und der gewerblichen und socialen Verhältnisse bedroht ist, sollte die Gesetzgebung doppelt vorsichtig sein, ehe sie gewagte Experimente mit dem Familienrecht anstellt" 4 3 5 .

Die Rechtseinheit, die die Motive als Begründung für die Einführung eines einzigen gesetzlichen Güterstandes angeführt hatten436, werde, so erklärte Gierke, durch den Entwurf auch nicht erreicht, weil die Zulassung vertraglicher Güterstände das System durchlöchern würde. Und auch sonst, bei den Familienfideikommissen, beim Anerbenrecht usw. verzichte der Entwurf auf die Einheit. Warum dann nicht auch beim Güterrecht? Dem Entwurf gehe es nur um eine formelle Einheit, um den Schein wirklicher Rechtseinheit437. Die soziale Aufgabe des Privatrechts bestand für Gierke vor allem in der adäquaten Berücksichtigung der Tatsache, daß der einzelne Mensch eingebunden ist in größere Verbände. Die wichtigste solcher gliedschaftlichen Bindungen waren für ihn Ehe und Familie. Eine Auflösung hergebrachter Strukturen galt es daher zu vermeiden. Was aber könnte mehr destabilisieren, als eine Veränderung der üblichen Vermögensverhältnisse? Genau das, so befürchtete Gierke, werde eintreten, wenn das einheitliche Güterrecht eingeführt werde und die regional verbreiteten abweichenden Systeme so abgelöst würden. Das im Volksbewußtsein lebendige Recht, in das die ländlichen Familien mit ihrem Fühlen und Denken hineingewachsen seien, werde nun „umgestürzt"438. Es war also der Topos vom sozialpolitischen Ausgleich, der hier, wie im Zusammenhang mit der elterlichen Gewalt, vor allem Erhaltung des status quo bedeutete. Anders als Gierke beurteilten allerdings der Rheinische439 und der Westfälische Bauernverein440 das Ehegüterrecht des Entwurfs vom Standpunkt der Bauetwa ders., [Diskussionsbeitrag zur Frage: Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwürfe des B.G.Bs, einer grundsätzlichen Abänderung und in welcher Richtung?], in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd.3, Berlin 1892, S.281. 433 Gierke, Entwurf, S. 114. 434 Gierke, Entwurf, S. 115. 435 Gierke, Minoritätsvotum (wie Fn.421), S.345. 436 Motive IV, S. 133 ff. 437 Gierke, Entwurf, S. 115. 438 Gierke, Entwurf, S. 114. 439 Vgl. unten Fn. 449. 440 Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Münster 1890, S. 61 [Rechtsanwalt Schultz, bezogen auf das

III. Das

Ehegüterrecht

415

ern als positiv. Sie sahen keine Gefahr für die Stabilität der ländlichen Verhältnisse. Das Königlich-preußische Landesökonomiekollegium war zweigeteilter Meinung441. Die Stellungnahme des Westfälischen Bauernvereins ist insbesondere deswegen bemerkenswert, weil in Westfalen aufgrund des Provinzialrechts grundsätzlich die allgemeine Gütergemeinschaft herrschte und das bürgerliche Gesetzbuch ein erhebliche Veränderung bringen würde. Gegen das Regionalsystem konnte man einwenden, es führe innerhalb der jeweiligen Geltungsgebiete auch zu einer Vereinheitlichung, weil auch seine Anhänger nicht die Aufrechterhaltung der über hundert Güterrechte beabsichtigten. Gierke verteidigte sich dagegen mit dem Argument, das Regionalsystem sei der minder schwere Eingriff im Vergleich zum reichseinheitlichen gesetzlichen Güterstand442. Abzuwägen seien, so meinte Gierke, die Vorteile eines einheitlichen Systems mit ihrer Bequemlichkeit für die Juristen auf der einen Seite mit dem Nachteil für „die Gesundheit und die Kraft der deutschen Familie" auf der anderen Seite. Zum Beweis dafür, daß die Rechtssicherheit keinen Schaden nehme, wenn man auf ein einheitliches Güterrecht verzichte, müsse man das Beispiel des preußischen Staates betrachten, der bislang auch kein einheitliches Güterrecht gekannt hätte. Und Frese bemerkte, einen Gedanken Gierkes aufnehmend443, daß man bei der Einführung eines einzigen gesetzlichen Güterstandes nur dann zu einem Gewinn an Rechtssicherheit kommen könne, wenn man die Privatautonomie auf diesem Gebiet einschränken und Eheverträge verbieten würde444. Struckmann hatte auf den Einwand, daß ein einheitliches Güterrecht zu tief Ehegüterrecht des Entwurfs: „Das Alles entspricht der Gerechtigkeit und den Interessen der Landwirthschaft sehr wohl."], S. 90 [Beschluß der Commission des Westfälischen Bauernvereins zur Prüfung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich: „Zu § 1283 und folgende stimmen wir den Grundsätzen des Entwurfs bezüglich des regelmäßigen ehelichen Güterrechts völlig zu."], S. 98 [der Beschluß wurde mit den Argumenten des Referats von Rechtsanwalt Schultz begründet]. 441 Für den Entwurf und gegen das Regionalsystem: Beschluß der Kommission des LandesÖkonomie-Kollegiums, in: Verhandlungen des Königlichen Landes-Oekonomie-Kollegiums über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und andere Gegenstände. III. Session der IV. Sitzungsperiode vom 11. bis 22. November 1889, Berlin 1890, S. 337341; Struckmann, Referat (wie Fn. 331), S. 841-846, sowie Diskussionsbeitrag, ebendort S.856860; Freiherr von Hövel, in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 853-855; Den entgegengesetzten Standpunkt vertrat Gierke in seinem Minoritätsvotum zum Kommissionsbeschluß (wie Fn. 421); ders., in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 846-853, hier S. 848ff.; von Uhden, in: Verhandlungen (wie zuvor), S.853, 856; Knauer, in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 855 f. 442 Gierke, Minoritätsvotum (wie Fn.421), S.344. 4 4 3 Vgl. oben bei Fn. 437. 444 Frese, [Referat: Eheliches Güterrecht, wie Fn. 425], S. 394. Dagegen allerdings Hermann Struckmann, [Diskussionsbeitrag in:] Verhandlungen des Deutschen Landwirthschaftsraths. XVIII. Plenarversammlung. 24.-27. Februar 1890, in: Archiv des Deutschen Landwirthschaftsraths 14 (1890), S. 398-401, hier S.400 unter Hinweis auf Erfahrungen in Schlesien, wo die Einführung eines einheitlichen Güterrechts 1845 zur Abschaffung von 60 Güterrechten geführt habe. Von einer starken Verbreitung der Eheverträge sei dort aber nichts bekannt geworden.

416

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

in die Gewohnheiten der Bevölkerung eingreife, erwidert, solche Besorgnisse seien nicht begründet, wie die Beispiele in Frankreich und Osterreich oder auch in Schlesien und Oldenburg zeigten445. Im übrigen kämen auch die Befürworter des Regionalsystems nicht um ähnlich bedeutsame Eingriffe herum, wie die Verhältnisse etwa in der Provinz Hannover lehrten446. Ganz überwiegend hielt man bei aller Kritik an der konkreten Ausgestaltung des Güterrechts im Entwurf die Vereinheitlichung für so wichtig, daß man regionale Gewohnheiten übergehen dürfe, freilich regelmäßig ohne eigentliches Argument für den Vorteil der Vereinheitlichung447. Festzuhalten ist, daß in der Frage „einheitliches Güterrecht oder Regionalsystem" nur Gierke einen Zusammenhang zur sozialen Aufgabe des Privatrechts hergestellt hat, während in den übrigen Fällen vor allem Praktikabilitätserwägungen vermischt mit historischen Überlegungen im Vordergrund standen. (2) Ausgestaltung gemeinschaft

des einheitlichen

Güterrechts

als

Verwaltungs-

Während die Entscheidung des Entwurfs für einen reichseinheitlichen gesetzlichen Güterstand weitgehend auf Zustimmung stieß, galt das nicht für die Ausgestaltung dieses gesetzlichen Güterstandes als Verwaltungsgemeinschaft, die auf zum Teil heftige Kritik stieß448. In der Kritik am Entwurf wurden fast alle anderen Güterrechtssysteme von dem einen oder anderen als besser geeignet für das BGB erachtet als die Verwaltungsgemeinschaft, die selbstverständlich auch ihre Befürworter fand449. Klöppel etwa sah es als positiv an, daß in der Verwaltungsgemeinschaft das Vermögen der Frau nur wenig tangiert werde450. Rechtsanwalt am Zehnhoff stellte für den Rheinischen Bauernverein als Vorteil heraus, daß nach dem Tod eines Ehegatten die Kinder nicht sofort die Teilung verlangen könnten. Auch sonst werde die Teilung des Immobiliarvermögens nicht gefördert451. Der Westfälische Bauernverein sah ebenfalls die Interessen der Landwirtschaft berücksichtigt und strich Struckmann, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.444], S.398. Struckmann, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.444], S.399. 447 Vgl. zum Beispiel Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S.562565; Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S. 1. 448 So insbesondere von Bahr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 169), S. 145ff., 169; Gierke, Entwurf, S.416ff. sowie in: Verhandlungen des Königlichen Landes-Oekonomie-Kollegiums (wie Fn.421), S. 341-348, 846-853, 863-865; Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn.341), S. 122ff.; ders., Was erwartet Deutschland (wie Fn.419), S. 15, 39ff.; Menger, Besitzlose Volksklassen, S.45ff.; Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 161-192; Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S.7-32. 449 Vgl. die Ubersicht in: Zusammenstellung, Bd. 4, S. 93 ff. 450 Klöppel, Das Familien- und Erbrecht (wie Fn. 172), S.340. 451 am Zehnhoff, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich und der Rheinische Bauernverein, Köln 1890, S.24 sowie der Commissions-Bericht im selben Band, S. 73-75. 445 446

III. Das

Ehegüterrecht

417

die Mitwirkungsrechte der Ehefrau beim Verkauf von Immobiliarbesitz her-

(a) Entwurf verfehlt die ökonomische

Wirklichkeit

Eines der Hauptargumente gegen die Ausgestaltung des gesetzlichen Güterstandes als Verwaltungsgemeinschaft vertraten Gierke und Menger. Sie meinten, daß das Ehegüterrecht des Entwurfs den ökonomischen Verhältnissen der breiten Masse, für die es zu berechnen sei, nicht gerecht werde, weil es den Grundbesitz als wichtigste Vermögensmasse der Eheleute ansehe 453 . Vergegenwärtigt man sich, daß um 1890 ca. 90% der Bevölkerung zur Miete wohnten 454 , so läßt sich ermessen, daß der Einwand nicht unberechtigt war. Gierke schrieb: „Wenn er [sc. der Entwurf] sich für die Verwaltungsgemeinschaft entschied, mußte er diese deutsch, nicht römisch konstruieren; er mußte sie im Sinne einer wahren Gemeinschaft, nicht im Sinne einer dem gebrauchten N a m e n hohnsprechenden Trennung ausgestalten. D i e Entscheidung hätte aber überhaupt nicht für die Verwaltungsgemeinschaft ausfallen dürfen. Dieselbe entspricht wirtschaftlichen Zuständen, bei welchen der Grundbesitz das ökonomische Ubergewicht behauptet und das erworbene G u t gegenüber dem E r b gut eine geringfügige Rolle spielt. U n t e r den heutigen Verhältnissen ist es ein Verstoß wider die Gerechtigkeit, wenn der Ertrag des beiderseitigen Vermögens und der gesamte eheliche Erwerb dem Manne zufällt" 4 5 5 .

Das Gesetz sollte sich also an den Bedürfnissen und Verhältnissen der breiten Masse, der überwiegenden Zahl der Fälle orientieren und nicht an den Interessen weniger, die über großen Einfluß verfügen. Die „Bedürfnis-Formel" hatte hier einen ganz konkreten Inhalt, nämlich den Gemeinschaftsgedanken, der unvereinbar ist mit der vom Entwurf vorgesehenen Trennung der Vermögensmassen beider Eheleute. Der Einwand, der Entwurf passe nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der breiten Masse, weil die wenigsten Grundbesitz hätten, war getragen von einem Gerechtigkeitsargument, in dem zugleich der Schutz der Interessen der Schwächeren enthalten war. Die Nachteiligkeit der Verwaltungsgemeinschaft gerade für den vierten Stand stellte Menger besonders heraus: Die Verwaltungsgemeinschaft passe, so erläuterte Menger, nur zu den Bevölkerungsschichten, in denen die Frau nicht mitarbeite oder sonst Geld verdiene. Verhandlung des Westfälischen Bauernvereins 1890 (wie Fn. 440). Menger, Besitzlose Volksklassen, S. 47f.; ähnlich Joseph Bachmair, Bericht an das Generalcomité des landwirthschaftlichen Vereines in Bayern über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich vom 29. September 1889, München 1889, S.60, der gemeint hat, die Verwaltungsgemeinschaft widerspreche den Interessen der Mehrheit des Volkes. 452

453

Das Familienrecht nimmt in der Kritik Mengers den ersten Platz ein. Auf diesem Feld für ein in sein Augen soziales Recht zu sorgen, erschien ihm als wichtigstes Anliegen, dem er auch den größten Raum gab, vgl. Menger, Besitzlose Volksklassen 1889, S. 39-108; anders Norbert Reich, Anton Menger und die demokratische Rechtstheorie, in: Recht und Politik 8 (1972), S. 93-101, hier S. 96. 4 5 4 Vgl. oben S. 233. 455 Gierke, Entwurf, S. 416.

418

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Für die mittleren Schichten sei die Errungenschaftsgemeinschaft geeignet, weil dort die Frau meistens häusliche Dienste verrichte oder sonst den Mann unterstütze. Für die unteren Schichten hingegen sei die Behandlung von eingebrachtem Vermögen in der Regel völlig belanglos, weil sie regelmäßig vermögenslos seien456. Die Bestimmungen des Entwurfs seien aber „vom Standpunkt der Reichen und Vornehmen" her gedacht457, womit Menger seine These bestätigt fühlte, daß überhaupt die Interessen der Besitzenden im Entwurf ungleich stärker berücksichtigt worden seien als die Interessen der Besitzlosen, weil für beide Lager dieselben Regeln gelten sollten, obgleich doch die soziale Lage von beiden gänzlich unterschiedlich sei458. Darin, daß das Ehegüterrecht nur an die Reichen denke, aber die Sicherung der Frau aus den armen Ständen vernachlässigt habe, stimmte v. Bar der Stellungnahme Mengers zu 459 . Auch der Berliner Justizrat und Privatdozent Leonard Jacobi sprach - offenbar im Anschluß an Menger - von einer „Classengesetzgebung" und wehrte sich dagegen, gerade diejenigen Bevölkerungsschichten auf die vertraglichen Güterrechte zu verweisen, die die Vertragskosten am wenigsten bezahlen könnten460. Die Auffassung Mengers stieß allerdings nicht auf einhellige Zustimmung. So bemerkte der Hallenser Professor Edgar Loening - übrigens ein Schwager von Gierke461 - , zwar habe der Entwurf bei der Wahl des gesetzlichen Güterstandes eine unrichtige Entscheidung getroffen, aber die Rolle der Frau im Bürgertum und bei den höheren Beamten werde von Menger nicht richtig eingeschätzt. Außerdem würden auch die unteren Bevölkerungsschichten dem in die Ehe eingebrachten Vermögen Bedeutung zumessen, auch wenn es absolut nicht besonders groß sei. Das von Menger befürwortete System einer Gütergemeinschaft gebe im Unterschied zur Verwaltungsgemeinschaft das Vermögen der Frau dem Manne preis462. Loening hat allerdings nicht gesagt, welches Güterrechtssystem er selbst bevorzugt hätte. Samuel Jacoby (ein anderer als der soeben erwähnte 456 Menger, Besitzlose Volksklassen, S.47; ohne eingehende Behandlung stimmte dem später, als der Entwurf schon dem Reichstag vorlag, Adolf Lobe, Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? Ein Wort an den Reichstag, Leipzig 1896, S. 36, ausdrücklich zu. 457 Menger, Besitzlose Volksklassen, S. 48; ebenso: Gustav Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch, in: ders., Wort und That. Ein Nothruf für Deutsches Recht, Leipzig 1892, S. 93-109, hier S. 105 (erstmals abgedruckt im Morgenblatt der Münchener Allgemeinen Zeitung vom 4. Januar 1891); Gierke, [Diskussionsbeitrag, wie Fn.441], S. 863-865, hier S. 864. 458 Menger, Besitzlose Volksklassen, S. 19. 459 Ludwig von Bar, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, besonders in sozialpolitischer Beziehung, in: Die Nation 7 (1889/90), S.399^103, hier S.400. 460 Leonard Jacobi, [Diskussionsbeitrag zur Frage: Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwürfe des B.G.Bs, einer grundsätzlichen Abänderung und in welcher Richtung?], in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1892, S. 278-280. 461 Peter Landau, Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs u.a., München 1993, S. 133-213, hier S.139. 462 Edgar Loening, Kritik über „Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen", in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, N.F. 21 (1890), S.392^t01, hier S.398.

III. Das

Ehegüterrecht

419

Berliner Privatdozent) fügte hinzu, die wirklich Besitzlosen würden sich für das Güterrecht überhaupt nicht interessieren, weshalb der Gesetzgeber sehr zurecht das Güterrecht auf die Interessen der Besitzenden zugeschnitten habe 463 . Die Mengersche Kritik am Ehegüterrecht hatte also durchaus Resonanz. Das ist zu betonen, angesichts der gelegentlich vertretenen These, Mengers Kritik habe direkt keinen Einfluß auf das Gesetzbuch gehabt 464 . Legt man die Betonung auf „direkt", so ist dem wohl zuzustimmen. Immerhin setzte man sich aber mit Mengers Ideen auseinander. Davon zeugt außer den soeben besprochenen Äußerungen zunächst einmal die Zusammenstellung des Reichsjustizamtes, die selbstverständlich bei den Kommissionsarbeiten nützliche Dienste leistete. Fuld, der das Werk Mengers nicht günstig beurteilte 465 , stimmte Menger zum Beispiel beim Ehescheidungsrecht zu 466 . Loening bezeichnete die Arbeit von Menger als einen außerordentlich wertvollen Beitrag zur Kritik des Entwurfs und des geltenden Privatrechts insgesamt 467 . In der hier behandelten Frage des Ehegüterrechts teilte auch Cleß die Auffassung Mengers46S. Die wenigen Zitate sollen genügen, um zu zeigen, daß Menger in der Diskussion um den ersten Entwurf durchaus präsent war. Anders als bei Gierke stand bei Menger jedoch nicht der Gemeinschaftsgedanke hinter den wirtschaftlichen Bedürfnissen der breiten Masse, sondern ihm ging es vor allem um den Schutz der Interessen der „Besitzlosen". Ganz ähnliche Gedanken wie bei Gierke und Menger begegnen auch in einer Abhandlung des bayerischen Notars Freiherr Franz von Godin, der sich mit aller Entschiedenheit für die Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand einsetzte. Denn nur dieser, so schrieb er, werde den wirtschaftlichen Verhältnissen der Vielen, nicht nur einer Minderzahl gerecht. „Für die breite Maße der Taglöhner, Fabrikarbeiter, Gewerbsgehilfen, Klein-Bediensteten, Kleingütler, Kleingewerbtreibenden kann als Regel gelten, daß das eingebrachte Vermögen mit der Arbeit verglichen überhaupt keine Rolle spielt ... Daß es hier keinen Sinn hat, nach der Provenienz des Vermögens zu blicken, und alles auf Gütergemeinschaft hinweist, sollte eigentlich keiner Darlegung bedürfen" 4 6 9 .

463 Samuel Jacoby, Kritik über „Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen", in: Grünhut's Zeitschrift 18 (1891), S.279-286, hier S.281. 464 Karl Hermann Kästner, Anton Menger (1841-1906). Leben und Werk, Tübingen 1974, S. 165-167; Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts (wie Fn.277), S.43, insbesondere dort Fn. 28. 465 Ludwig Fuld, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialpolitik, in: Gruchot's Beiträge 35 (1891), S. 635-657 sowie ders., Das bürgerliche Recht und die Besitzlosen, in: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 39 (1891), S. 401-403. 466 Ludwig Fuld, Die Ehescheidung und die bürgerliche Gesellschaft, in: Deutschland. Wochenschrift für Kunst, Literatur, Wissenschaft und soziales Leben (hrsg. von F. Mauthner) 1890, S.321-322, hier S.321. 467 Loening, Kritik (wie Fn.462), S.401. 468 Cleß, Staat und Familie (wie Fn. 101), S. 16f. 469 Freiherr Franz von Godin, Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: DNotZ 18 (1889), S. 1-11, hier S.7.

420

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Diese Stelle belegt nicht nur die oben genannte These, daß das Arbeitsprinzip für die breite Masse der Bevölkerung galt470 - das heißt, man lebte ausschließlich vom Arbeitslohn sondern sie zeigt auch, daß die von Menger vertretene Auffassung, die sich der sozialistischen Klassendoktrin bediente, in gemäßigter Form durchaus „salonfähig" war. Im übrigen, so führte von Godin den Gedanken weiter, gehe es nicht an, „die Massen zum Vertrag zu treiben", um den für sie unpassenden Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft gegen die Gütergemeinschaft auszuwechseln, denn nur für „die Klasse der oberen Zehntausend" passe die Gütergemeinschaft nicht. „Die Bankiers, die Großgrundbesitzer, die Fabrikanten, die Großhändler, die Rheder, die Bergwerksbesitzer, die Hüttenherren, die Eisenbahnkönige, die Rentenherren haben wie Zeit so Geld, um Eheverträge auszusinnen, und vermittelst derselben die auseinandergehenden Interessen zu verschanzen" 4 7 1 .

Freiherr von Godin fügte diesen Gedanken noch Ausführungen über die verunglückte Form des Güterrechts hinzu, die für Laien völlig unverständlich sei und einer Verpflanzung der Theologie ins Recht gleiche472, worin sich der verbreitete Vorwurf mangelnder Volkstümlichkeit verbarg. Der Schutz der Interessen der gesellschaftlich nicht privilegierten war für von Godin wie für Menger der Wert, der den Vorwurf des unpassenden Güterrechts begründete. (b) Gütertrennung

als Ersatz für die

Verwaltungsgemeinschaft?

Wenn man die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand verwarf, stellte sich die Frage, was an ihre Stelle treten solle. Das römische Dotalrecht wurde vielfach als undeutsch abgelehnt473. Der Romanist Ludwig Mitteis wies auch darauf hin, daß das Dotalrecht seine Berechtigung aus dem Agnationsprinzip herleite, welches die Frau im Erbfall mit einer Aussteuer abfinde und das Vermögen im Mannesstamm vererbe; da dieses Erbrecht in Deutschland nicht vorgesehen sei, passe auch das Dotalrecht nicht 474 . Dennoch billigte Mitteis die Entscheidung des Entwurfs für die Verwaltungsgemeinschaft, die er als modifiziertes Dotalrecht, wie es in der Praxis vorkomme, verstand475, weil es kein ideales Güterrechtssystem gebe476. Er selbst tendierte eher zur Mobiliargemeinschaft, deren Vorteile er in der Einfachheit der Auseinandersetzung im FalVgl. oben S.388. Frhr. von Godin, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.469), S. 8. 472 Frhr. von Godin, Das eheliche Güterrecht (wie Fn. 469), S. 10. 473 Bahr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 169), S. 144 („Das System der vollständigen Gütertrennung, wie dem römischen Recht zu Grunde liegt, paßt nicht zu der deutschen Auffassung der Ehe ..."); Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn.356), S.565ff. 474 Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S. 566; ähnlich auch Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn.341), S. 101, 122f. 475 Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn.356), S.568f. 476 Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn.356), S.546. 470 471

III. Das

Ehegüterrecht

421

le einer Auflösung der Ehe sowie in der Haftung der Frau mit ihrem Mobiliarvermögen für die Schulden des Mannes sah477. Auch Pfizer lehnte das Dotalrecht als „Verneinung des Ehegüterrechts" ab. Nach römischem Recht stehe die Frau vermögensrechtlich außerhalb der Familie ihres Mannes. Das Dotalrecht sei daher unbrauchbar478. Im übrigen sei das Dotalrecht in Deutschland auch so stark modifiziert, daß es kaum mehr diesen Namen verdiene479. Entscheidend war für Pfizer also der Gemeinschaftsgedanke, der es unmöglich machte, die Ehefrau vermögensrechtlich aus der Ehegemeinschaft auszuschließen. Den gegenteiligen Standpunkt nahm von Holtum ein, der sich für das System der vollständigen Gütertrennung aussprach, denn, so meinte er, auf diese Weise werde man am besten der „Vielseitigkeit des deutschen Volkslebens" gerecht und fördere am meisten das Prinzip der Vertragsfreiheit480. Er behauptete ferner, die Gütertrennung entspreche allein dem Begriff der Ehe, weil diese ohne positive Festsetzung keineswegs vermögensrechtliche Wirkungen habe481. Der Konflikt mit dem Gemeinschaftsgedanken konnte nach diesem Ehebegriff selbstverständlich nicht eintreten. Bei der Berufung auf das „Wesen der Ehe" traf sich von Holtum mit den Befürwortern der Gütergemeinschaft, die allerdings ein anderes Eheverständnis hatten, wie sogleich zu zeigen sein wird. Planck verteidigte die Ablehnung der Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand im übrigen mit dem Argument, daß diese dem allgemeinen Rechtsbewußtsein des Volkes nicht entspreche, wie sich aus einer statistischen Auswertung der Eheverträge der achtziger Jahre ergeben habe. Die Aufgabe des Gesetzes sei aber nur die Herstellung der Rechtseinheit auf der Grundlage des bestehenden Rechts482. (c) Gütergemeinschaft als Ideal? In Anknüpfung an verschiedene Äußerungen483 schon vor dem Erscheinen des ersten Entwurfs forderten insbesondere Gzer&e484, Menger4S5, Mommsen4Sb, Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S. 573. Pfizer, Was erwartet Deutschland (wie Fn. 419), S. 40. 479 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn. 341), S. lOOf. 480 von Holtum, Kritische Bemerkungen zu dem ehelichen Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Deutsche Notariatszeitung (Weber) 17 (1888), S. 157-181, hier: S. 170. 481 von Holtum, Kritische Bemerkungen (wie Fn. 480), S. 179f. 482 Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn.64), S.25f. 483 Vgl. Friedrich Weher; Welches System des ehelichen Güterrechtes empfiehlt sich als Principalsystem für das bevorstehende deutsche Reichscivilgesetzbuch. Gutachten, erstattet auf Veranlassung des Notariatsvereines für Deutschland und Oesterreich, Nördlingen 1882, S. 145. 484 Gierke, Entwurf, S. 417 sowie [Diskussionsbeiträge] in: Verhandlungen des Königl. Landes-Oekonomie-Kollegiums (wie Fn.421, 441), S.345-347, 851-853, 864f. und in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages (wie Fn.432), S.282. 485 Menger, Besitzlose Volksklassen, S. 48. 486 Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 161-192. [Einzelheiten unten bei Fn. 494ff.] 477 478

422

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Frhr. von Godinm, Pfizer488 und Ascher489 die allgemeine Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand. Das ist teilweise bereits oben deutlich geworden, als es um die Ablehnung der Verwaltungsgemeinschaft aufgrund des Verfehlens der wirtschaftlichen Realität der breiten Bevölkerungsmassen ging. Die Gründe, die außerdem für die Gütergemeinschaft vorgebracht wurden, sind nun näher zu beschreiben: Gierke meinte, die Verwaltungsgemeinschaft des Entwurfs trage zu Unrecht den Namen einer Gemeinschaft, denn tatsächlich stünden dort lediglich individuelle Rechte und Pflichten einander gegenüber490, ein Vorwurf, der stereotyp in seinem gesamten Werk wiederkehrt. Dem gemeinschaftlichen Wesen der Ehe entspreche, so fuhr er fort, vollständig nur die allgemeine Gütergemeinschaft, hilfsweise genügten aber auch noch die Fahrnisgemeinschaft, bei der lediglich die Immobilien getrennte Vermögensmassen sind, und die Errungenschaftsgemeinschaft, weil die Frau jedenfalls am Gewinn zur Ehezeit teilnehmen müsse491. Der Entwurf hingegen habe durch die Betonung individueller Rechte der Ehegatten gegeneinander das eheliche Güterrecht in „undeutschem Geiste aufgebaut". Der deutschrechtliche Gemeinschaftsgedanke, „daß es sich bei den Rechtsverhältnissen am Ehevermögen um Ausflüsse des die Ehegatten zum Ehepaar verknüpfenden personenrechtlichen Bandes handelt, ist durchweg verloren gegangen"492. Der Status der Eheleute sollte in Gierkes Augen Konsequenzen für das Ehegüterrecht haben, am besten in Form der Gütergemeinschaft. Der Hamburger Notar Ascher hatte sich zum Ehegüterrecht in einer Eingabe an den Reichskanzler geäußert, deren Inhalt vom Reichsjustizamt in der Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen wiedergegeben worden ist493. Dort heißt es, die allgemeine Gütergemeinschaft sei für Rechtssicherheit und Volkswohlstand förderlich. Streitigkeiten über die Güterverhältnisse würden vermieden und der Fortbestand auch nach dem Tod eines Ehegatten sei möglich. Da die allgemeine Gütergemeinschaft mit dem alleinigen Verfügungsrecht des Mannes einhergehen sollte, ist das Argument der Rechtssicherheit auch aus heutiger Sicht plausibel, der positive Einfluß auf den Volkswohlstand blieb jedoch bloße Behauptung. Frhr. von Godin, Das eheliche Güterrecht (wie Fn. 469). Gustav Pfizer, Die Stellung der Ehefrau nach Recht und Sitte, in: Münchener Allgemeine Zeitung vom 21.03.1892, Nr. 81, Beilage Nr. 68, S. 1-3, hier S.2, wobei er die Gütergemeinschaft gesellschaftsrechtlich verstehen wollte. 489 Ascher, [Eingabe, wie Fn.412], S.95. 490 Gierke, Entwurf, S.407 sowie S.416 [vgl. das Zitat oben S.417 bei Fn.455]; ders., in: Verhandlungen des Königl. Landes-Oekonomie-Kollegiums (wie Fn.421, 441), S.347, 851 f. - Die „Individualisirung von Mann und Frau" entgegen dem Gemeinschaftsideal von Gierke wurde hingegen von Seiten der Frauenbewegung begrüßt, vgl. Kempin, Die Stellung der Frau (wie Fn. 341), S. 96. 491 Gierke, Entwurf, S.417f. 492 Gierke, Entwurf, S. 447. Zustimmend: Heusler, [Besprechung von Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, Leipzig 1889], in: KritVJS 32 (1890), S. 177-188, hier S. 187. 493 Ascher, [Eingabe, wie Fn.412], S.95. 487 488

III. Das

Ehegüterrecht

423

Ähnliche Gedanken zur Rechtssicherheit wie Ascher zog auch Mommsen heran, um die Gütergemeinschaft als Ideal zu erweisen 494 . Doch für Mommsen stand eine ganz andere Überlegung im Vordergrund. Entscheidend für ihn war, daß die Gütergemeinschaft nach seiner Auffassung am besten dem sittlichen Wesen der Ehe gerecht werde. Das Gesetz habe, „wenn es sich um Feststellung der Rechtsnormen für ein seinem Wesen nach sittliches Verhältniß handelt, sich thunlichst in Einklang mit dem sittlichen Wesen des Verhältnisses «495 zu setzen ,

so schrieb Mommsen. Und er ließ den Leser nicht im Unklaren über das Wesen der Ehe: „Ihrem Wesen nach ist die Ehe die volle, Alles umfassende Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau. Hieraus ergiebt sich mit Nothwendigkeit die sittliche Forderung, daß der einzelne Ehegatte das, was er an irdischen Gütern hat, nicht als ein Vermögen ansehen darf, welches er für sich haben will, daß die Ehegatten vielmehr das Vermögen, welches sie haben, als ein ihnen gemeinschaftliches, ihren gemeinschaftlichen Zwecken dienendes Vermögen betrachten sollen" 4 9 6 .

Diesen Gemeinschaftsgedanken aber würde am besten die Gütergemeinschaft widerspiegeln, bei der nicht das Vermögen der Frau von dem des Mannes unterschieden werden kann. Ganz dem patriarchalischen Verständnis der Zeit entsprechend, sah Mommsen den Mann als Haupt der Ehegemeinschaft an und berief sich dazu auf verschiedene Stellen der Heiligen Schrift, insbesondere aus den Paulusbriefen, und meinte, die natürliche Aufgabe der Frau beschränke sich „wesentlich auf den engeren Kreis des Hauses" 497 . Diesem Leitbild, das auch Planck teilte, wie wir gesehen haben, werde aber, so meinte Mommsen, nur die Gütergemeinschaft gerecht, deren krasses Gegenteil das römische Dotalrecht mit der Sonderung der Vermögensmassen sei 498 . „So ist denn nach meiner Ueberzeugung das System der Gütergemeinschaft dasjenige, welches wie dem sittlichen Wesen des ehelichen Verhältnisses, so auch der deutschen Auffassung am entschiedensten entspricht" 4 9 9 .

Eheverträge sollten nur zum Zwecke der Vereinbarung von Sondergut zugelassen werden. Dieses Sondergut sollte auch nur der Verfügungsbefugnis des Mannes entzogen sein, nicht aber seiner Verwaltung und Nutzung 500 . Ahnlich wie Gierke ging es also auch Mommsen um ein Ehegüterrecht, das Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 180. Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 178. 496 Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 167. 497 Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 167f. 498 Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 168. 499 Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 171. Anders Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn. 341), S. 123, der bei der allgemeinen Gütergemeinschaft die Gefahr sah, daß die Ehe leicht zu einem unsittlichen Geldgeschäft werde, wenn die Ausgangslage der Ehepartner ganz unterschiedlich sei. 500 Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 174, 187-190. 494 495

424

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

nicht Mann und Frau als zwei isolierte Rechtssubjekte versteht, deren Vermögen lediglich zum Zwecke der Bestreitung der ehelichen Lasten zusammen verwaltet wird, sondern er betonte die Gemeinschaftsbezogenheit des Güterrechts. Der Gemeinschaftsgedanke sollte darin zum Ausdruck kommen, daß beide Eheleute nur ein gemeinsames Vermögen haben. Demgegenüber hatte der Entwurf ein Güterrecht vorgeschlagen, das ähnlich wie das römische Dotalrecht, vom Grundsatz her das jeweilige Vermögen bei Mann und Frau beließ. Einmal mehr treffen wir schließlich bei Mommsen auf die Verknüpfung des Ideals eines deutschen Rechts mit dem sozialen Gemeinschaftsgedanken. Der Verwaltungsgemeinschaft des Entwurfs hingegen warf Mommsen vor, sie sei nur als „Erzeugniß einer romanisierenden Jurisprudenz" anzusehen 501 . Dieses Urteil gründete für ihn darauf, daß der Entwurf das Vermögen der Frau prinzipiell von dem des Mannes getrennt hielt und auch die Haftung für die Schulden des Mannes ablehnte. (d) Plancks Verteidigung der Entscheidung

zur

Verwaltungsgemeinschaft

In diesem Zusammenhang mag es interessant sein zu bemerken, daß auch Planck als idealen Ausdruck des Gemeinschaftsgedankens der Ehe die Gütergemeinschaft ansah. So äußerte er sich schon in seiner Erwiderung auf Gierkes Kritik am Entwurf 5 0 2 , aber auch zehn Jahre später in einem Vortrag vor dem Göttinger Frauenverein nach dem Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens 503 . Seine zuletzt genannte Stellungnahme kann trotz des Zeitpunkts ihrer Publikation nach Abschluß der Arbeiten am BGB unbedenklich auch auf die Kritik am ersten Entwurf bezogen und deshalb an dieser Stelle behandelt werden, weil nach Plancks Auffassung die schließlich Gesetz gewordene Fassung des BGB im Hinblick auf das Ehegüterrecht nicht wesentlich von der Fassung des ersten Entwurfs abwich 504 . Planck betonte, daß die Gütergemeinschaft dem Idealbild der Ehe zwar gerecht werde, sich aber in der Praxis nicht bewähre und im Gegenteil zu erheblichen Nachteilen für die Interessen der Frau führe. Denn, so führte er aus, auch in der Gütergemeinschaft bestehe die praktische Notwendigkeit, daß einer der Ehegatten das Vermögen verwalte. Diese Aufgabe falle regelmäßig dem Mann zu. Das eingebrachte Vermögen der Frau sei dann aber in keiner Weise geschützt. Demgegenüber bleibe beim System der Verwaltungsgemeinschaft die Substanz des Vermögens der Frau sicher erhalten, weil der Mann darüber nicht, sondern nur über die Nutzungen verfügen könne 505 . Nach Plancks Überzeugung befand sich also der Gemeinschaftsgedanke in einem Widerstreit mit dem Ziel der sozialen Freiheit der Frau, die durch Gleichberechti-

501 502 503 504 505

Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn. 412), S. 170. Planck, Zur Kritik, S. 355. Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 64), S. 17. Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 64), S.3. Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 64), S. 18.

III. Das

Ehegüterrecht

425

gung und Schutz vor Benachteiligung zu erreichen sei 506 . Der Gemeinschaftsgedanke war also auch in der damaligen Sicht keineswegs der einzige Aspekt einer „sozialen" Lösung bei der Auswahl des richtigen Güterrechtssystems. Planck stellte dagegen die soziale Freiheit und den Schutz des Schwächeren. Abweichend von seiner früheren Meinung, im Ehegüterrecht gelte es neues Recht zu schaffen 507 , berief sich Planck später zur Verteidigung der vorgeschlagenen und schließlich Gesetz gewordenen Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft darauf, die Rechtseinheit sei auf der Grundlage des bestehenden Rechts in Deutschland aufzubauen, auch wenn das Wort des Mephistopheles gelte: „Es erben sich Gesetz und Rechte / Wie eine ew'ge Krankheit fort - 5 0 8 Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Pflege; / Weh Dir, daß Du ein Enkel bist" 509 , womit Planck auf die Zeitbedingtheit aller Gesetzgebung anspielte. Für den Augenblick hielt Planck jedenfalls die Verwaltungsgemeinschaft des Entwurfs für am besten geeignet, einheitlich im ganzen Reich eingeführt zu werden und bezog sich ausdrücklich auf die in den Motiven geschilderten Gründe 510 . Die dargestellten Überlegungen Plancks sprechen meines Erachtens nicht dafür, den Ursprung der Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft in einer „liberalen Grundeinstellung" zu suchen, wie es Coester getan hat 511 . Wenn es Planck tatsächlich darum gegangen wäre, möglichst wenig in die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Eheleute von Gesetzes wegen einzugreifen512 - was in den Augen Coesters wohl als liberal zu gelten hätte - , so hätte er sich für das System der Gütertrennung stark machen müssen. Planck wollte aber vor allem ein Güterrechtssystem einführen, daß den tatsächlichen Verhältnissen in möglichst großem Umfang entsprach, mit dem gemeinschaftlichen Wesen der Ehe vereinbar erschien und zugleich der Frau ein relativ sichere Stellung bot.

Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn.482), S.4, 18. Vgl. oben das Zitat S.395 bei Fn.336. 508 Ausgelassen sind folgende Zeilen: „Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlecht / Und rücken sacht von Ort zu Ort." 509 Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn.482), S.25. — Das Wortspiel vom Gesetz und der Krankheit erfreute sich in der Kritik des Entwurfs einer gewissen Beliebtheit. So begegnet es außerdem bei Theodor Ludwig Thomsen, Gutachten zu der Frage: Ist das gesetzliche Pfandrecht des Vermiethers und Verpächters beizubehalten?, in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1889, S. 152-206, hier S. 152; Cleß, Staat und Familie (wie Fn. 101), S. 9; Kempin, Die Stellung der Frau (wie Fn. 341), S. e; Proelß/Raschke, Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch (wie Fn.216), S.6. - Auch heute wird es gerne zur Beurteilung des BGB zitiert, vgl.: Mathias Schmoeckel, 100 Jahre BGB: Erbe und Aufgabe, in: NJW 49 (1996), S. 1697-1705, hier S. 1704; Norbert Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, in: NJW 53 (2000), S. 40-46, hier S.45. 506

507

510 5,1 512

Planck, Zur Kritik, S.355. Coester, Gottlieb Planck (wie Fn.297), S.307. So Coester, Gottlieb Planck (wie Fn.297), S.307.

426

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

(e) Gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung des Ehegüterrechts Pfizer hatte als Voraussetzung für ein Gelingen der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts ein formell klares und materiell zweckmäßiges, gerechtes gesetzliches Güterrecht gefordert, wie bereits oben erwähnt wurde 513 . Formell, so sagte er, sei der Entwurf schon zum Scheitern verurteilt, weil er den untauglichen Versuch unternehme, die volle Handlungsfähigkeit der Frau mit einem gesetzlichen Verwaltungsrecht des Mannes zu vereinbaren 514 . Materiell sei es aber ungerecht, daß die Frau nicht am Erwerb und der Nutznießung aus ihrem Vermögen teilnehme 515 . Als Problemlösung schlug Pfizer das Gesellschaftsrecht vor. Die Ehe als vollkommene Lebensgemeinschaft müsse auch eine vollkommene Vermögensgemeinschaft sein, so meinte er. Als Grundlage böten sich dafür die Regeln über die Gesellschaft in §§ 629-656 E I an, die nur zum Teil modifiziert werden müßten 516 . Pfizer war es also sowohl um die Durchführung des Gemeinschaftsgedankens als auch um den Schutz der Rechte der Frau, um ihre soziale Freiheit zu tun. ( f ) Zustimmung zur Verwaltungsgemeinschaft an Einzelbestimmungen

bei gleichzeitiger

Kritik

Richard Schröder, einer der damals bedeutendsten Spezialisten für das Ehegüterrecht, der bereits für den Juristentag 1875 ein Gutachten verfaßt hatte 517 , hielt zwar in seiner Stellungnahme zum Familiengüterrecht im Entwurf die Entscheidung zugunsten der Verwaltungsgemeinschaft für richtig, weil sie allein in geeigneter Weise rechtlich umzusetzen sei518, obgleich die Errungenschaftsgemeinschaft dem „natürlichen Gefühl" besser gerecht werde. Dennoch bemängelte er viele Einzelvorschriften. Im Kern hatte er zwei Dinge an der Verwirklichung des gesetzgeberischen Plans auszusetzen. Erstens hielt er die Zweiteilung von Nutznießung und Verwaltung für bedenklich und bezeichnete die Ausgestaltung der Nutznießung als Nießbrauch als „völlig ungenügend und undeutsch" 519 . Den Vorwurf einer „undeutschen" Regel erhob er auch gegen das einseitige Vorbehaltsrecht der Frau gemäß §1319 E I 520 . Zweitens stieß er sich Vgl. oben S.510 bei Fn.418. Pfizer; Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn.341), S. 124f. 515 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn.341), S. 126f. 516 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn.341), S.129ff.; ders., Was erwartet Deutschland (wie Fn.419), S.40. 517 Vgl. oben Fn.317. 518 Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S.4-6 [zu seiner älteren Auffassung vgl. oben Fn.483], 519 Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S. 15. 520 §1319: (1) „Ein nicht unter die Vorschriften des § 1318 fallendes Rechtsgeschäft [sc. Erfüllung einer Ehegutsverbindlichkeit; Aufrechnung gegen eine Ehegutsverbindlichkeit; Maßnahme zur Erhaltung oder Sicherung des Eheguts] kann der Ehemann im Namen der Ehefrau nur auf Grund einer Vollmacht der letzteren vornehmen. (2) Wird ein solches Rechtsgeschäft zum Zwecke der ordnungsmäßigen Verwaltung des Ehe513 514

III. Das

Ehegüterrecht

427

daran, daß der Entwurf die Ehegatten zu gegenseitigen Prozessen geradezu ermuntere, weil er für Streitfälle den Gerichten die Kompetenz zuschreibe und nicht einem der Eheleute 521 . Der soeben zitierte § 1319 E I 522 ist ein Beispiel für die bemängelten Vorschriften. Der Begriff einer „undeutschen" Regel blieb bei Schröder allerdings einigermaßen im dunkeln. Das Adjektiv verdienten in seinen Augen solche Normen, die kein geschichtliches Vorbild hatten beziehungsweise in Widerspruch zu älteren Rechtsregeln standen. So führte er zur „undeutschen" ehelichen Nutznießung in der Form des Nießbrauchs aus: „Zwar vertreten die Motive die Ansicht, daß der Entwurf auf dem Boden der deutschen Verwaltungsgemeinschaft stehe, dies ist aber nicht der Fall, sondern sein System ist das des engherzigsten ususfructus maritalis, ein System, das nach der Rezeption des römischen Rechtes von Juristen, die für das Recht ihrer Väter [sc. das deutsche Recht] weder H e r z noch Verständniß hatten, durch Entstellung der deutschen Grundsätze ausgebildet wurde, aber nur wenig Anklang fand. Gegenwärtig besteht dies System nur in dem B . G . B , des K ö nigreichs Sachsen zu Recht, dem es nichts weniger als zu einer Zierde gereicht" 5 2 3 .

Der Rekurs auf das Recht der Väter, den die Kommission ebenso wie die Juristen der Rezeptionszeit versäumt hatten, zeigt, daß die „deutschen" Regeln im Wege historischer Betrachtung gefunden werden können 524 . Das historische deutsche Recht war für Schröder also der Maßstab einer geglücktenVorschrift 525 . In diese Richtung zielte es auch, daß Schröder forderte, die zum Schutz der Substanz des Vermögens der Ehefrau eingeführten Vorschriften, die die freie Veräußerung des Mobiliarvermögens dem Ehemann untersagten, zu streichen. Er schrieb: „Wir halten nach unserem prinzipiell entgegengesetzten Standpunkte alle diese Aufstellungen [sc. das Veräußerungsverbot]... für verkehrt, weil wir der Ansicht sind, daß ein G e setzbuch, welches das Mobiliarveräußerungsrecht des Ehemannes prinzipiell aufhebt, überhaupt unannehmbar i s t " 5 2 6 .

gutes erforderlich, so hat der Ehemann die Ehefrau hiervon in Kenntniß zu setzen. Er kann von der Ehefrau verlangen, daß diese das Geschäft mit seiner Einwilligung vornehme; die Ehefrau kann dagegen von dem Ehemanne verlangen, daß dieser als ihr Bevollmächtigter der Vornahme des Geschäftes sich unterziehe." 521 Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S. 11, 22-24, 26f. Diese Einschätzung teilten auch andere Kritiker. Beispielhaft genannt sei: Friedrich Bunsen, [Korreferat zur Frage:] Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwurf des B.G.B.'s einer grundsätzlichen Änderung, und in welcher Richtung?, in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1892, S. 268-273, hier: S.269f. Vgl. oben Fn. 520. Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S. 15. 524 In diesem Sinne auch: Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S. 19, zum Vorbehaltsrecht der Frau gemäß § 1319 E I [oben Fn. 520]. 525 So etwa bezüglich der Ablehnung der Haftung der Frau für die Schulden des Mannes, vgl. unten bei Fn. 785. 526 Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416), S.25. 522 523

428

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Solche Forderungen mochten mit einem „deutschen" Ehegüterrecht zu vereinbaren sein, wenn man „deutsch" historisch verstehen wollte und nicht nur als politischen Begriff. Mit dem sozialen Anliegen, insbesondere mit der Verbesserung der Rechtsstellung der Frauen, hatten sie nichts zu tun. Sie stießen deshalb auch bei denen, die dieses Anliegen verfolgten, auf Ablehnung. So meinte Bähr: „Ich bin der Ansicht, daß weder zur Nutznießung, noch zur Verwaltung des Mannes es nothwendig ist, ihm auch das Recht einzuräumen, die Sachen der Frau beliebig zu verklopfen. Die Verweisung der Frau in eine solche rechtlose Stellung scheint mir mit deutscher Gesinnung nicht vereinbar" 5 2 7 .

„Deutsche" Gesinnung meinte in diesem Falle „soziale" Gesinnung. Und sozialer Gesinnung entsprach es in den Augen der Kritik, daß die Stellung der Frau möglichst gesichert werden sollte. Davon konnte aber nur die Rede sein, wenn Eingriffe des Ehemannes in die Substanz ihres Vermögens möglichst vermieden werden. Ob das auch von Schröder528 gut geheißene Surrogationsprinzip theoretisch dazu ausreichen würde, mag dahinstehen. Zwei soziale Aspekte spielten danach in der Diskussion über das Ehegüterrecht eine besondere Rolle: Einerseits der Gemeinschaftsgedanke, also die Frage, wie das Ideal der „vollen Lebensgemeinschaft" vermögensrechtlich adäquat ausgedrückt werden sollte. Andrerseits war damit untrennbar verbunden die Diskussion über die Rechtsstellung der Frau. Die Topoi der sozialen Freiheit und des Schutzes des Schwächeren liefen hier auf dasselbe Ziel hinaus. Mit der Rechtsstellung der Frau, die auch schon bei der Diskussion über die elterliche Gewalt berührt worden war, ist nach der Arbeiter- und Wohnungsfrage der dritte wichtige Bereich der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts angesprochen. Besonders deutlich wird die Auffassung der Beteiligten bei der Frage der güterrechtlichen Behandlung des Arbeitslohns der Frau. (3) Stellung der Frau (a) Gegen das „ System des Mannesegoismus" Erwerbsbeteiligung der Frau

- Forderung

einer

Die vielleicht heftigste soziale Kritik am Ehegüterrecht des Entwurfs stammt von Bähr und betraf die Stellung der Frau in der Verwaltungsgemeinschaft. Der Kern des Vorwurfs betraf den Umstand, daß die Frau nach dem Entwurf nicht am Erwerb des Mannes teilnimmt, wenn die Ehe aufgelöst wird 529 . Das eheliche Güterrecht habe, so Bähr, der Entwurf „lediglich vom Standpunkt des Egoismus des Mannes" aus geordnet 5 3 0 . 527 Z.B.: Otto Bähr, [Literaturbericht:] Weitere Schriften über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: KritVJS 32 (1890), S. 188-207, hier S.203. 528 Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn. 416), S.26. 529 Bähr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 169), S.6, 149ff. 530 Bähr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 169), S. 149. Ebenso Pfizer, Das Familienrecht nach dem

III. Das

Ehegüterrecht

429

Die Gerechtigkeitsfrage trete vollständig zurück 531 . War schon dieser Vorwurf kaum noch steigerungsfähig, so unterstrich Bähr das Gemeinte noch mit den folgenden, drastischen Worten: „Der Gedanke der Motive ist der: die Frau soll für die Zwecke der Ehe möglichst ausgeschlachtet werden. Das erscheint allerdings vom Standpunkt des Mannes sehr zweckmäßig" 5 3 2 -

Gerade in den niedrigeren Ständen trage, wie Bähr betonte, die Frau in der Regel durch eigene Erwerbstätigkeit zum Unterhalt bei 533 . Ein ideales Güterrecht stellte sich Bähr so vor, daß der Mann das Ehevermögen verwaltet, eingebrachtes Gut im Eigentum der Frau verbleibt, der Erwerb dem Mann gehört und bei der Auflösung jeder sein eingebrachtes Vermögen zurückerhält. Insoweit glich seine Vorstellung im wesentlichen dem Entwurf. Doch die Errungenschaft, also der Vermögenszuwachs während der Ehe, sollte im Unterschied zum Entwurf geteilt werden 534 . In die gleiche Richtung zielte auch Gierkes Hinweis, daß zwei Drittel der Bevölkerung in einer Art von Gütergemeinschaft lebten, die der Frau einen Anteil am ehelichen Erwerb zusprach, so daß Gierke die Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand empfahl 535 . Die Behauptung der Motive, 14 Millionen lebten nach der Verwaltungsgemeinschaft, beruhe auf der unzulässigen Zusammenzählung so verschiedener Systeme wie der echten Verwaltungsgemeinschaft mit den Formen des ehemännlichen Nießbrauchs und des römischen Dotalrechts 536 . Gierke hielt die Erwerbsbeteiligung der Frau für „eine unabweisliEntwurf (wie Fn.341), S. 126: „... das Ehegutssystem des Entwurfs aber ist materiell das System des rücksichtslosen männlichen Egoismus"; ders., Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn.457), S. 105; ebenfalls zustimmend: Gierke, Entwurf, S.416; Frhr. von Godin, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.469), S.3: „Warum nun fällt die Ehefrau durch die Ehe unter Vormundschaft? [sc. nicht im technischen Sinne, T.R.] Der Entwurf knüpft doch die Handlungsund Geschäftsfähigkeit nicht an das Geschlecht, er läßt volljährige Mädchen und Witwen in voller Freiheit verfügen. Also muß man entweder annehmen, daß das weibliche Geschlecht durch die Ehe an Verstand einbüßt, oder aber man muß zugeben, daß lediglich die männliche Herrschsucht, der ganz offene männliche Eigennutz die oben citierten §§ diktierte.... so ist es klarer als das Sonnenlicht, daß hierzu keine innere Notwendigkeit zwingt, sondern daß es der Männerwelt so beliebt." Bähr zustimmend auch Cleß, Staat und Familie (wie Fn. 101), S. 33; moderater im Ton, aber sachlich übereinstimmend: Martin Scherer, Besprechung des Entwurfs unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Gegenvorschlägen, Mannheim 1891, S.64. Anders Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 16), S. 744. 531 Bähr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 169), S. 150; demgegenüber verteidigte den Entwurf Karl Ferdinand Arthur Brühl, Die eheliche Nutznießung im Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, in: AcP 73 (1888), S. 408-428, hier: S. 408, der die Nutznießung des Mannes als Reflex seiner Pflicht, die Lasten der Ehe zu tragen, ansah. 532 Bähr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 169), S. 150. 533 Vgl. die Zahlenangaben oben S.402 bei Fn.366 und S.403 bei Fn.367. 534 Bähr, Zur Beurtheilung (wie Fn. 169), S. 152f. 535 Gierke, Entwurf, S.417. Vgl. oben bei Fn.491. 536 Gierke, Entwurf, S.418; ders. behauptete andernorts, 2/3 der Bevölkerung lebten in einer Gütergemeinschaft [Verhandlungen des Königl. Landes-Oekonomie-Kollegiums (wie Fn.421, 441), S.345f., 863, 865]. Die Zahlen der Motive wurden hingegen bestätigt von Schröder, Das Fa-

430

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

che Forderung unseres Rechtsbewußtseins", da die Frau in aller Regel reichlich zum Erwerbe beitrage insbesondere durch ihre Sparsamkeit 537 . Auch Pfizer sah einen materiellen Mangel des Ehegüterrechts des Entwurfs darin, daß der Mann allein das Vermögen der Frau nutznieße, obgleich dieser Vermögenszuwachs eigentlich der ehelichen Gemeinschaft zugute kommen müsse. Im übrigen sei es auch falsch, den Mann als hauptsächlich erwerbenden Teil in der Ehe anzusehen, wie schon Schillers Lied von der Glocke 5 3 8 lehre 539 . Das eheliche Güterrecht müsse „die sociale Gleichstellung der Frau zum Ausdruck bringen" 540 . Der Entwurf, so meinte Pfizer ähnlich wie Menger und Gier&e541, berücksichtige nur die Interessen der Menschen vom Geheimrat an aufwärts. Zwar bekenne sich der Entwurf mit dem Munde zur Gleichstellung der Frau, übertrage aber tatsächlich die Vermögensrechte der Frau der „Willkür des Mannes", wenn die Frau „nicht gleich bei Beginn der Ehe sich mit einem Rechtsanwalt als ,Kriegsvogt', d.h. als Beistand im ehelichen Krieg" versehe 542 . Allerdings muß man in diesem Zusammenhang betonen, daß der Arbeitslohn sowie der Gewinn aus einem selbständigen Erwerbsgeschäft der Frau gemäß § 1289 E I 5 4 3 zum Vorbehaltsgut der Frau gehören sollten, also nicht der Nutznießung unterlagen, was gegenüber dem bisherigen Rechtszustand beispielsweise im A L R 5 4 4 von der Kritik als sozialpolitischer Fortschritt gewertet wurde 545 . Das gilt insbesondere von einer Stellungnahme von Julius Baron, der sich in einem Artikel in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 19. Dezemmiliengüterrecht (wie Fn.416), S.6. - Noch deutlicher stellte sich die größere Verbreitung der Verwaltungsgemeinschaft bei der Volkszählung von 1890 heraus, vgl. oben Fn.343. 537 Gierke, Das deutsche Haus und der Entwurf (wie Fn. 165), S.32. 538 Vgl. oben S. 330. 539 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn. 341), S. 126f. 540 Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 457), S. 105. 541 Zu den beiden zuletzt Genannten oben S. 416—418. 542 Pfizer, Der Reichstag und das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 457), S. 105. 543 Wortlaut von §1289 E I sowie Überlegungen der Motive vgl. oben S.401, Fn.361. 544 Dazu oben S.401. 545 Richard Schröder, Das eheliche Güterrecht nach dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung der dem Reichstag gemachten Vorlage. Eine Darstellung und Erläuterung, Berlin 1896, S. 6; vgl. auch Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 482), S. 19f.; Klöppel, Das Familien- und Erbrecht (wie Fn. 172), S. 88 sowie Löwenfeld, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 172), S.56f. billigten ausdrücklich die Regel des § 1289 E I. Bähr, Das eheliche Güterrecht (wie Fn. 422), S. 250, befürwortete zwar ebenfalls § 1289 E I, da „darin eine wesentliche Milderung der Unbilligkeit liegen würde, welche in dem Güterstande der eheherrlichen Nutznießung für die Frau gefunden werden kann", aber er schlug vor, daß die Frau subsidiär mit ihrem Erwerb zur Tragung der ehelichen Lasten beitragen solle (§35 seines Gegenentwurfs, 1. c. S.250f.). - Noch weiter gmgKarl Ferdinand Arthur Brühl, Die Arbeit der Ehefrau im Entwürfe, in: AcP 74 (1889), S. 399^-21, der der Ehefrau im Falle ihrer Erwerbstätigkeit generell eine Beteiligungspflicht auferlegen wollte. Dazu sogleich unten bei Fn. 549. Unverständlich ist, daß in der Kritik zum Teil die Forderung aufgestellt wurde, der Arbeitslohn der Frau solle ihr allein zustehen, weil sie nicht selten mehr als der Mann die Kosten der Ehe trage [so z.B. von Bar, Der Entwurf (wie Fn. 459), S. 400]. Unverständlich deshalb, weil schon der erste Entwurf dies vorsah, wie im Text gezeigt wurde.

III. Das

431

Ehegüterrecht

ber 1889 äußerte: § 1289 E I solle unbedingt erhalten bleiben, denn er berücksichtige angemessen die gegenwärtigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die Tausende von Frauen zur Fabrikarbeit nötigten. Baron forderte bei dieser Gelegenheit auch verschiedene Verbesserungen arbeitsrechtlicher Art, die den Frauen mehr Zeit für Haushalt und Familie belassen sollten 546 . Ein englisches Gesetz von 1870 habe bereits die güterrechtlichen Konsequenzen gezogen, die nun der Entwurf vorsehe. Und auch wenn ein Gesetzgeber nicht unbedingt auf die Dankbarkeit des Publikums rechnen kann, so prophezeite ihm Baron diese im Hinblick darauf, daß er „es ihnen ermögliche, trägen und unordentlichen Ehemännern entgegenzutreten und im Schutze der Gesetze das Verdiente für die Kinder zu verwenden" 547 . Sehr deutlich stellte also Baron fest, daß die soziale Veränderung des Alltags so vieler Frauen auch entsprechenden Ausdruck im Güterrecht finden müsse. Die Regel des § 1289 E I änderte freilich nichts daran, daß die Nutznießung lediglich vorteilhaft für den Mann war, woran Gierke und Pfizer Anstoß nahmen, weil das dem Gemeinschaftsgedanken der Ehe widersprach. Pfizers Hinweis auf das Lied von der Glocke 548 sollte schließlich daran erinnern, daß die Frau regelmäßig auch nach den bürgerlichen Idealvorstellungen der Zeit zum Erwerb des Mannes auf indirektem Weg beitrug, so daß ihr gerechterweise eigentlich auch ein Anteil daran gebühren müßte. (b) Die Verpflichtung zur gemeinschaftlichen Bedeutung des Arbeitsertrags der Frau

Lastentragung und die

Der Bautzener Landgerichtsrat Karl Ferdinand Arthur Brühl vertrat die These, daß der Entwurf zwar vorgebe, mit der Verwaltungsgemeinschaft einen deutschen Rechtsgedanken zu verwirklichen, der Sache nach aber sei die eheliche Nutznießung nichts anderes als eine besondere Form des römischen Dotalprinzips 549 . Denn der deutsche Grundgedanke sei, daß das beiderseitige Vermögen und der beiderseitige Arbeitsertrag gemeinsam zur Bestreitung der ehelichen Lasten dienen solle 550 . Und in der Tat hatten auch die Motive dies als einen der deutschrechtlichen Grundsätze des Ehegüterrechts bezeichnet 551 . Als wesentlichen Verstoß gegen diesen Grundsatz sah es Brühl an, daß der Ent546 Auch von der Arbeiterbewegung wurde die Stellung der Hausfrau als eine soziale Errungenschaft angesehen gegenüber der Erwerbstätigkeit insbesondere in der Industrie, vgl. Gerhard Schildt, Frauenarbeit im 19. Jahrhundert, Pfaffenweiler 1993, S. 125. 547 Hier zitiert nach Zusammenstellung, Bd. 4, S. 127. In der mir zugänglichen Ausgabe der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 19.12. 1889, Nr. 593 (morgens) und Nr. 594 (abends) fand sich kein Artikel von Baron. Baron hat zwar in dieser Zeit den Entwurf in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung kommentiert, aber der hier fragliche Artikel scheint andernorts erschienen zu sein. 548 Vgl. oben bei Fn. 539. 549 Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn. 545), S.401. Ebenso Gierke, Entwurf (wie Fn.455). 550 Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.400. 551 Motive IV, S. 13 7f.

432

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

wurf den Arbeitsertrag der Frau zum Vorbehaltsgut rechnen wollte (§ 1289 EI 552 ). In der Auffassung von Brühl begegnet uns das vor allem von Gierke vertretene Sozialmodell eines Gesetzes, daß den Gemeinschaftsgedanken an die Spitze stellt und diesen möglichst konsequent verwirklicht. Brühl bezeichnete seine Position nicht als „sozial", aber doch immerhin als „deutsch". Die Gemeinschaft der Eheleute sollte sich auch im Güterrecht widerspiegeln und dort zur gemeinschaftlichen Lastentragung führen. Der soziale Gemeinschaftsgedanke führte in diesem Fall also zu einer Verschlechterung der Position der Frau, deren Pflichten vergrößert wurden. Von einem Beitrag der Frau, schrieb Brühl, könne man nach dem System des Entwurfs nur sprechen, wenn die Frau Kapitalvermögen besitze, dessen Nutzungen der Mann für die ehelichen Lasten ausschöpfen könne. Fehle aber - wie in der Mehrzahl der Fälle - solch ein Beitrag, so sei nicht einzusehen, warum nicht auch die Frau verpflichtet sein solle, aus ihrem Erwerb etwas zum Unterhalt der Familie beizusteuern 553 . Die Auffassung des Entwurfs, der die Frau nur subsidiär zum Unterhalt durch Erwerbsarbeit verpflichte, sei „mit dem innersten Gedanken der deutschen Rechtsentwickelung, daß die Lasten der Ehe aus den Erträgnissen des beiderseitigen Vermögens und der beiderseitigen Arbeitskraft der Ehegatten zu bestreiten sind, unvereinbar ,.." 5 5 4 .

Leitend war also der Gemeinschaftsgedanke. Und so schlug Brühl vor, daß die Frau verpflichtet werden solle, dem Ehemann einen angemessenen Beitrag von ihrem Arbeitseinkommen zur Bestreitung der Ehelasten zu überlassen. Nur der Rest des Ertrags solle Vorbehaltsgut werden 555 . Allerdings wehrte sich Brühl gegen eine Uberspannung des Gemeinschaftsgedankens, die darin zum Ausdruck kam, daß die Motive aus dem Wesen der Ehe etwa eine Mitarbeitspflicht der Frau im Geschäft des Ehemannes ableiteten556. Auch wollte er den Arbeitsertrag der Frau nicht vollständig der Nutznießung durch den Ehemann unterwerfen 557 . Schon die Überlegung, die Frau zur Mittragung der Lasten zu verpflichten, läßt sich als Ausdruck einer konsequenten Umsetzung der Gleichberechtigungsidee verstehen, die dem Topos der sozialen Freiheit zuzuordnen ist. Daß es Brühl auch darum ging, zeigen die beiden zuletzt angesprochenen Forderungen. Es wird vollends deutlich daran, daß er die Streichung von § 1277 I E I forderte, der den Abschluß eines Arbeitsvertrages der Frau von der Zustimmung des Ehemannes abhängig machte 558 . Die Geschäftsfähigkeit der Frau sollte nach 552 553 554 555 556 557 558

Vgl. oben S. 401. Brühl, Die Arbeit Brühl, Die Arbeit Brühl, Die Arbeit Brühl, Die Arbeit Brühl, Die Arbeit Vgl. oben S.403.

der der der der der

Ehefrau Ehefrau Ehefrau Ehefrau Ehefrau

(wie (wie (wie (wie (wie

Fn.545), Fn.545), Fn.545), Fn.545), Fn.545),

S.417. S.418. S.420. S.403. S.408.

III. Das

Ehegüterrecht

433

seiner Meinung auf keine Weise eine Einschränkung erfahren. Also, so sagte er, dürfe man ihre persönlichen Leistungsversprechen nicht von Einwilligung des Mannes abhängig machen 559 . Ebenso wie Brühl sprachen sich auch andere für die Streichung des § 1277 I E I aus, jedoch mit einer dem (sozialen) Freiheitsgedanken entgegengesetzten Absicht. Klöppel und Gierke befürworten nämlich die Einschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau im Sinne der deutschrechtlichen Munt, was den § 1277 I E I hätte obsolet werden lassen560. Die Durchführung des Prinzips der Geschäftsfähigkeit der Frau war für Gierke Ausdruck einer römischen Rechtsauffassung, die die „Konsequenzen des Individualismus" auf die Spitze treibt, und widersprach seinen Vorstellungen vom Status des Mannes innerhalb der ehelichen Gemeinschaft, denn „Mann und Frau treten nicht mehr in irgend einer Verbundenheit, sondern als zwei vollkommen getrennte ... Einzelpersonen in die Rechtswelt e i n " 5 6 1 .

§ 1277 E I war also von verschiedenen Seiten her Ziel der Kritik. Während einige Vertreter eines als deutschrechtlich bezeichneten Gemeinschaftsgedankens die Vorschrift verwarfen, weil sie statt dessen die Wiedereinführung der ehemännlichen Munt wollten, gab es andere, die die Zuerkennung der allgemeinen Geschäftsfähigkeit der Frau gerade nicht in diesem wichtigen Punkt eingeschränkt wissen wollten, sondern einen freiheitlichen Gedanken verfolgten, der zugleich dem sozialen Ziel der Gleichberechtigung der Frau entsprach. Brühl führte seine Auffassung von einer sozialen Behandlung des Arbeitsertrags der Frau fort, indem er feststellte, daß das Arbeitsvermögen im Gegensatz zum Kapitalvermögen aus der „Herrschaft über sich selbst" resultiere und deshalb eines im Vergleich zum Kapital „erhöhten Rechtsschutzes" bedürfe 562 . „Dieser Gedanke mußte dem römischen Rechte, welches die die Regel bildende Arbeit des Sklaven als Sachnutzung beurtheilte, fremd bleiben" 5 6 3 .

An dieser Stelle berührte Brühl ganz bewußt einen der Hauptaspekte der sozialen Frage des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der sowohl die Arbeiter- wie die Frauenfrage betraf: die Frage der Wertschätzung der Arbeit im Verhältnis zum Kapital. Die Beschränkung der Freiheit der Arbeitskraft der Ehefrau durch den Genehmigungsvorbehalt des § 1277 I E I lehnte Brühl in aller Deutlichkeit ab, sofern es nicht zu einer Kollision mit den ehelichen Pflichten komme. § 1277 E I mache aber, so sagte er, diese Einschränkung nicht, sondern sei wohl vor allem mit Rücksicht auf die Mitarbeitspflicht der Frau im Geschäft des Mannes gemäß

559 560 561 562 563

Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.408. Klöppel, Das Familien- und Erbrecht (wie Fn.172), S.88; Gierke, Entwurf, S.403. Gierke, Entwurf, S. 404. Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.409. Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.409.

434

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

§ 1275 II E I 5 6 4 ganz allgemein formuliert und daher nicht zu rechtfertigen 565 . Im Falle einer Kollision mit den ehelichen Hauptpflichten sollten nach Brühl die Vertragsansprüche Dritter weichen, „weil das Wesen und Interesse der ehelichen Gemeinschaft höher steht als das Recht des Einzelnen" 5 6 6 '.

Im Falle einer direkten Kollision der beiden in Ausgleich zu bringenden Prinzipien des Gemeinschaftsgedankens einerseits und der sozialen Freiheit andererseits sollte nach Brühl also das soziale Interesse der Ehegemeinschaft die Oberhand behalten. Doch sei, so führte Brühl den Gedanken fort, die Kollision nur möglich, wenn es um die Herstellung des ehelichen Lebens gehe 567 - zu denken war wohl in erster Linie an die Fälle des späteren § 1354 B G B , insbesondere die Bestimmung von Wohnort und Wohnung der Eheleute eine Mitarbeitspflicht der Frau „über die Grenzen des Hauses hinaus im Geschäft des Ehemannes" sei grundsätzlich nicht gegeben 568 .

(c) Ablehnung

einer Erwerbsbeteiligung

der Frau

Eine konsequente Fortsetzung des angesprochenen Gemeinschaftsgedankens im Güterrecht wäre natürlich die Beteiligung der Frau am ehelichen Erwerb gewesen. Wenn aber nun der Entwurf dem Mann - gemeinschaftsgedankenwidrig beziehungsweise entgegen den sozialen oder deutschen Vorstellungen, wie man sinngemäß ergänzen muß - , allein die Kosten der Ehe aufbürdet, so sollte nach der Ansicht von Brühl und auch von Mitteis der Mann allein den Gewinn aus dem ehelichen Vermögen ziehen dürfen, auf dessen Kosten die Frau lebe. Das, so heißt es, sei nur gerecht 569 . Auch hier zeigt sich die Schwierigkeit einer gerechten Regelung im Detail. Mitteis verstand die Gerechtigkeit in diesem Punkt symmetrisch: Wenn der Mann alle Kosten tragen muß, soll er auch alle Früchte ernten. Nicht erwogen hatte Mitteis allerdings die Tatsache, daß nach der Konstruktion des Entwurfs die Kostentragungspflicht des Mannes bereits durch das Nutznießungsrecht am Ehegut, also dem von der Frau in die Ehe gebrachten Vermögen, ausgeglichen werden sollte. Diesen Ehegutsbegriff wollte Mitteis weiter fassen als der Entwurf und hätte damit die Möglichkeit der Selbständigkeit der Ehefrau eingeschränkt.

Vgl. oben S. 401. Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.409. 566 Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.411. 567 Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.412. 568 Brühl, Die Arbeit der Ehefrau (wie Fn.545), S.413. 569 Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S. 609; ähnlich: Brühl, Die eheliche Nutznießung (wie Fn. 531), S.408. 564

565

III. Das

(d) Befürwortung

der

435

Ehegüterrecht

Errungenschaftsgemeinschaft

Anders als Brühl und Mitteis wollte Scherer die Frau am Erwerb des Mannes während der Ehezeit teilhaben lassen. Scherer setzte sich dafür ein, die Errungenschaftsgemeinschaft zum gesetzlichen Güterstand zu machen, da dies „einer höheren und idealen Auffassung über die Stellung der Frau" entspreche und auch gerecht sei, weil die Frau tatsächlich durch ihre Hausarbeit zur Vermehrung des Vermögens beitrage570. Darüber hinaus wollte Scherer die vermögensrechtlichen Ansprüche der Frau gegen den Ehemann dadurch sichern, daß ihr eine gesetzliche und grundsätzlich unverzichtbare Hypothek an den gesamten Immobilien des Ehemannes eingeräumt wird. Das, so erläuterte er, gefalle zwar den Anhängern „manchesterlicher" Ideen nicht, weil so bestimmte Teile des Kapitals dem freien Zugriff entzogen würden, aber es fördere den Mittelstand und damit die Stabilität des Staates571. Hier trat also neben den Gemeinschaftsgedanken der Topos vom sozialpolitischen Ausgleich. (e) Für die Ausdehnung der Nutznießungsbefugnis 21. Deutscher Juristentag 1891

des Mannes

-

Der 21. Deutsche Juristentag in Köln im Jahre 1891 befaßte sich unter anderem auch mit dem Ehegüterrecht, also lange bevor sich die 2. Kommission mit dieser Materie auseinandergesetzt hat 572 . Konkret ging es darum, ob das System der Verwaltungsgemeinschaft einer grundsätzlichen Abänderung bedürfe. Die Gutachten hatten Richard Schröder und Brühl vorgelegt573. Schröder kritisierte die „durch und durch undeutsche" Ausgestaltung der Verwaltungsgemeinschaft. Nach deutscher Auffassung stehe dem Mann ein umfassendes Verfügungsrecht über das Mobiliarvermögen der Frau zu, vorbehaltlich der Ersatzpflicht bei Auflösung der Ehe 574 . Um der dadurch entstehenden Gefährdung der Substanz des Vorbehaltsguts entgegenzutreten, schlug Schröder vor, daß der Mann auf Verlangen der Frau zur Sicherheitsleistung für ihre Ersatzansprüche verpflichtet werden solle575. Die Gleichstellung der ehemännlichen NutznieScherer; Besprechung des Entwurfs (wie Fn.530), S. 66. Scherer, Besprechung des Entwurfs (wie Fn. 530), S. 65. 572 Die Vorberatungen der Subkommission zum ehelichen Güterrecht hatten auf Beschluß vom 3. Juli 1893 begonnen [vgl. Prot. II, Bd. 4, S. 116]. Nach dem Bericht von Frensdorff, Gottlieb Planck (wie Fn. 88), S. 358, waren die familienrechtlichen Beratungen erst im Mai 1894 beendet. 573 Richard Schröder, [Gutachten:] Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwürfe des B . G . B , einer grundsätzlichen Abänderung und in welcher Richtung?, in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd. 1, Berlin 1890, S. 167-171; Brühl, [Gutachten, wie zuvor], S. 172-205. 574 Schröder, Gutachten für den 21. D J T (wie Fn.573), S. 167f.; ebenso Heinrich Brunner, [Diskussionsbeitrag zur Frage:] Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwürfe des B. G.Bs, einer grundsätzlichen Abänderung und in welcher Richtung?, in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd.3, Berlin 1892, S.277. 575 Schröder, Gutachten für den 21. D J T (wie Fn.573), S. 170. 570 571

436

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

ßung mit dem Nießbrauchsrecht in § 1292 E I 576 beschränke, so meinte Schröder, den Ehemann in unwürdiger Weise und setze ihn Schikanen und Prozessen aus, „die mit dem Wesen der Ehe nach deutscher Auffassung unvereinbar" seien 577 . Der Ehemann sollte eben nicht an die Zustimmung der Frau bei der Veräußerung von Mobilien gebunden sein und auch sonst möglichst ohne Einschränkung wie ein Eigentümer mit dem Vermögen seiner Frau verfahren können 578 . Grundsätzlicher fiel noch die Kritik von Brühl am ehemännlichen Nießbrauchsrecht aus. Er hielt die dogmatische Konstruktion für verfehlt: „Der Hauptfehler des Entwurfs liegt darin, daß er das Ehegut zum unmittelbaren O b jekt der ehemännlichen Rechte machen will, während der Ehemann unmittelbar nur Rechte an der Person der Ehefrau und erst durch diese hindurch, mittelbar, Rechte an dem Vermögen derselben (als Zubehör der Person) besitzt" 5 7 9 .

Aus diesem Grunde leitete Brühl allerlei schädliche Konsequenzen für die praktische Anwendung der Vorschriften des Entwurfs ab, die für unsere Zwekke nicht dargestellt zu werden brauchen. Brühl wollte die Nutznießung hingegen als eine Funktion der ehemännlichen Verwaltung und damit originär familienrechtlich ansehen 580 . Die Familie sah er ganz im Sinne Savignysm als „erste Stufe der menschlichen Gesellschaft und der staatlichen Ordnung" an 582 . Die Ehe hatte für Brühl öffentlich-rechtlichen Charakter, so daß die Verwaltung durch den Ehemann einem amtlichen Auftrag gleiche 583 . Uber das öffentlichrechtliche Verständnis aber solle man auch zu einer „wahren Verwaltungsgemeinschaft" kommen, so erklärte Brühl5M. Auf der Grundlage dieser Gutachten kam der Juristentag zu dem von Brunner vorformulierten Beschluß: „Das in dem Entwurf aufgestellte System des gesetzlichen Güterstandes bedarf, möge es nun gesetzliches Gütersystem bleiben oder nicht, einer grundsätzlichen Aenderung in der Richtung, daß das System des ehemännlichen Nießbrauchs in dem Sinne der deutschen ehelichen Verwaltungsgemeinschaft ausgestaltet wird" 5 8 5 . Vgl. oben S. 404. Schröder, Gutachten für den 21. DJT (wie Fn.573), S. 171. 578 In der Kritik zustimmend Justizrat aus Köln Elven, [Referat:] Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwurf des B.G.B.'s einer grundsätzlichen Änderung, und in welcher Richtung?, in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1892, S.260267. Elven nahm jedoch den Code civil als Vorbild, dessen Ehegüterrecht „urdeutsch" sei. Für eine freie Verfügungsgewalt des Ehemanns über das Mobiliarvermögen der Frau das Korreferat von Amtsrichter Bunsen aus Rostock (wie Fn. 521), S. 270f., dessen Antrag ebenfalls auf eine Errungenschaftsgemeinschaft hinauslief. 579 Brühl, Gutachten für den 21. DJT (wie Fn. 573), S. 178. 580 Brühl, Gutachten für den 21. DJT (wie Fn.573), S. 184. 581 Savigny, System (wie Fn. 397). 582 Brühl, Gutachten für den 21. D J T (wie Fn.573), S. 196. 583 Brühl, Gutachten für den 21. DJT (wie Fn.573), S. 198. 584 Brühl, Gutachten für den 21. DJT (wie Fn.573), S.200. 585 Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd.3, Berlin 1892, S.287f. Zu den Ver576 577

III. Das

Ehegüterrecht

437

Der Juristentag war überzeugt, daß dem Ehemann eine größere Machtbefugnis bei der Verwaltung und Nutznießung des Vermögens der Frau eingeräumt werden müsse. Offen ließ der Beschluß, ob nicht die Verwaltungsgemeinschaft generell durch die Errungenschaftsgemeinschaft (Erwerbsgemeinschaft) 586 oder die allgemeine Gütergemeinschaft 587 als gesetzlicher Güterstand ersetzt werden solle. Die Verhandlungen des 21. Juristentages sind für unseren Zusammenhang wichtig, weil zu sehen ist, wie die Gutachter und auch die Versammlung selbst dazu tendierten, die Rechte des Mannes innerhalb der Verwaltungsgemeinschaft zu stärken, indem sie die Anlehnung des Nutznießungsrechts an den Nießbrauch zugunsten einer originär familienrechtlichen Nutznießung zurückdrängen wollten. Damit gewann die insbesondere von Gierke vertretene Position die Oberhand. Da Gierke mit seinem Antrag auf Einführung der Gütergemeinschaft 588 beim Juristentag unterlegen ist, bedarf das der Erläuterung. Gierkes Konzeption eines sozialen Privatrechts zielte auf eine Stärkung des Gemeinschaftsgedankens. Eine Stärkung der Position des Mannes, wie sie der Juristentag vorschlug, ließ sich durchaus mit diesem Gemeinschaftsgedanken verbinden, denn sie war Ausdruck des spezifischen Status des Mannes als Familienoberhaupt innerhalb der ehelichen Gemeinschaft, deren Zusammenhalt auch ganz praktisch dadurch verstärkt wurde, daß der Frau eine Verselbständigung schwerer gemacht wurde und sie auf die Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft angewiesen blieb. Brühl hatte den Gemeinschaftsgedanken noch auf andere Weise zur Begründung für eine familienrechtliche Ausgestaltung der Nutznießung herangezogen, indem er erläuterte, daß die Familien die Grundlage des Staates seien. Aus diesem Umstand folgerte er, daß die Verwaltung und Nutznießung durch den Ehemann im öffentlichen, das heißt gemeinschaftlichen Interesse stehe 589 . Ob die Haltung, die der Juristentag einnahm, unter Umständen zu einer Verschlechterung der Rechtsposition der Frau führen würde, weil die Erhaltung ihres Vermögens weniger gesichert wäre, hat den Juristentag nicht beschäftigt. handlungen vgl. den zusammenfassenden Bericht von Elven für die Plenarversammlung des Juristentages am 12. September 1891, in: Verhandlungen (wie zuvor), S. 445-448. 586 So im Anschluß an Menger (vgl. oben S. 418) der Antrag von Leonard Jacohi, in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd.3, Berlin 1892, S.265, vgl. oben S.418 bei Fn.460. Ungenau Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 125, der berichtet hat, Jacohi habe sich für die allgemeine Gütergemeinschaft ausgesprochen. Für den Antrag von Jacohi war vor allem Elven (wie Fn. 578), S. 266f., der jedoch genau genommen etwas anderes als Jacohi wollte: eine Fahrnis- und Errungenschaftsgemeinschaft nach französischem Vorbild, vgl. Carl Crome, Handbuch des Französischen Civilrechts, Bd.3, 8. Aufl. Freiburg 1895, § 475, S. 204f. Brunner empfand zwar Sympathie für den Antrag Jacohi, hielt aber die praktischen Schwierigkeiten für zu groß [wie Fn. 574, S. 278]. 587 So der Antrag von Gierke, in: Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages (wie Fn.432), S.273. 588 Vgl. Fn. 587. 589 Brühl, Gutachten für den 21. DJT (wie Fn.573), S. 196-198.

438

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Dieser soziale Aspekt der Gesetzgebungsfrage, den vor allem Planck in seinen Schriften zu betonen nicht müde wurde, trat in den Hintergrund, obgleich er nicht völlig aus dem Blick geriet, wie das Gutachten und die Stellungnahme von Schröder zeigen, der immerhin zum Ausgleich für ein verbessertes Recht des Mannes zur Mobiliarveräußerung angeregt hatte, der Frau einen Anspruch auf Sicherstellung ihrer Ersatzansprüche einzuräumen590. Ob ein solcher Rechtsanspruch ein wirklich adäquater Ersatz gewesen wäre, braucht hier nicht entschieden zu werden. Wichtig ist festzustellen, daß der Juristentag die Situation und Anliegen der Frau nicht völlig aus den Augen verloren hatte591. Das zeigt auch eine Äußerung Gierkes, der ganz selbstverständlich als Korrelat für die Forderung der Mithaftung der Frau ihre Mitherrschaft über das ganze Ehevermögen verlangte592. Freilich hatte in diesem Fall der Gemeinschaftsgedanke das größere Gewicht als der Schutz der im Ehegüterrecht strukturell benachteiligten Frau. ( f ) Die Gütergemeinschaft

als Konsequenz

des

Gemeinschaftsgedankens

Mommsen, der am patriarchalischen Familienverständnis orientiert war, den Mann also als das Haupt von Ehe und Familie ansah, lehnte konsequenterweise den Einwand der Motive gegen die Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand ab, die eine Gefährdung der Interessen der Frau befürchteten, weil der Ehemann die freie Verfügung über das Vermögen der Frau erlange und die Frau mit ihrem Vermögensanteil für die Schulden des Mannes haften müsse593. Mommsen hingegen sah darin eine unvermeidliche Konsequenz der sittlichen Ehegemeinschaft und wies darauf hin, daß die Eheleute gemeinsam arm oder reich würden. Wer alles zu teilen verspreche, so meinte er, der müsse auch sein Vermögen teilen. Außerdem profitiere die Frau von der Kreditwürdigkeit des Mannes, auch wenn diese aus dem Vermögen der Frau folgte. Gerade in Städten mit einer alten Handelstradition wie Hamburg sei die Gütergemeinschaft sehr beliebt594. Das Argument der Verbesserung des Kredits des Mannes durch das Vermögen der Frau benutzte auch P/zzer595. Frese hingegen bestritt das, da beim Abschluß alltäglicher Kredite niemand nach dem Güterstand frage596. Die Position Mommsens ließ sich zwar mit dem sozialen Gemeinschaftsgedanken verbinden. Die Gleichberechtigung der Frau hatte Mommsen hingegen nicht im Sinn. 590 Schröder; Gutachten für den 21. DJT (wie Fn.573), S. 169 sowie ders., in Verhandlungen des 21. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1892, S.275. 591 Das übersieht Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 122-125. 592 Gierke, [Diskussionsbeitrag beim 21. DJT, wie Fn.432], S.283. 593 Vgl. oben S. 399. 594 Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 180. 595 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn.341), S. 127. 596 Frese, [Referat: Eheliches Güterrecht, wie Fn.425], S.393.

III. Das

439

Ehegüterrecht

Es gibt also eine Reihe von Äußerungen, die aus dem Gemeinschaftsgedanken die Beschränkung der Rechtsstellung der Frau ableiteten. Soweit es den Kritikern des Entwurfs um eine Verbesserung dieser Rechtsstellung ging, stützen sie sich vor allem auf die Idee der Gleichberechtigung, die sowohl dem Topos vom Schutz des Schwächeren als auch der sozialen Freiheit zuzuordnen ist. (g) Volle Geschäftsfähigkeit der Frau verlangt Gütertrennung Abschaffung der praesumptio Muciana

und

Schon oben wurde erwähnt, daß von Holtum die Gütertrennung gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft als das geeignetere gesetzliche Güterrechtssystem ansah, weil es dem „deutschen Volksleben", dem Prinzip der Vertragsfreiheit und dem Begriff der Ehe entspreche 597 . Darüber hinaus erblickte er im System der Gütertrennung ähnlich wie der Allgemeine Deutsche Frauenverein 598 einen Vorteil, weil nur dort die volle Geschäftsfähigkeit der Frau sinnvoll sei, für die sich der Entwurf nun einmal entschieden habe. Wenn man aber die Verwaltungsgemeinschaft durchführen wolle, so müsse man auch die Geschäftsfähigkeit der Frau beschränken, wie es in Art. 217 Code civil599 geschehen sei600. Daß von Holtum andererseits an einer prinzipiellen Verbesserung der Rechtsstellung der Frau interessiert war, zeigen seine Bemerkungen zur erweiterten Form der praesumptio Muciana gemäß § 1282 E I 601 . Er sah eine ungerechtfertigte Gefährdung des Vermögens der Frau darin, daß der Entwurf zugunsten der Gläubiger des Mannes die Vermutungsregel aufstellte, daß sämtliche Mobilien und Inhaberpapiere der Ehegatten dem Mann gehören. Eigentlich, so meinte von Holtum, sei die Frau gegenüber dem Mann des Schutzes bedürftig. Sie solle nicht im Interesse der Gläubiger für „vogelfrei erklärt" werden 602 . Insgesamt erweist sich damit die Position von Holtums als gleichzeitig liberal, insoweit er für eine konsequente Verwirklichung des Prinzips der Vertragsfreiheit eintrat, die einen vollständig mündigen Bürger voraussetzt, und „sozial", weil er die rechtliche Stellung der Frau im Sinne einer Gleichberechti597

Vgl. oben S. 421. von Holtum, Kritische Bemerkungen (wie Fn. 480), S. 170. 599 Die fraglichen Vorschriften sind durch Gesetz vom 18. Februar 1938 aufgehoben worden. Art. 217 lautete ursprünglich wie folgt: „La femme, même non commune ou séparée de biens, ne peut donner, aliéner, hypothéquer, acquérir, à titre gratuit ou onéreux, sans le concours du mari dans l'acte, ou son consentement par écrit." 600 von Holtum, Kritische Bemerkungen (wie Fn.480), S. 161. 601 § 1282 E I: „(1) Es wird vermuthet, daß die in der Inhabung des Ehemannes oder der Ehefrau oder beider Ehegatten befindlichen Sachen, mit Einschluß der Inhaberpapiere und der an Ordre lautenden, mit einem Blankoindossamente versehenen Papiere, dem Ehemanne gehören. (2) Die Vorschrift des ersten Absatzes findet auf die im § 1285 bezeichneten Sachen [sc. Kleidung, Schmuck und sonstige Dinge zum persönlichen Gebrauch der Frau] keine Anwendung." 602 von Holtum, Kritische Bemerkungen (wie Fn. 480), S. 168f., ging damit übrigens weiter als die Frauenbewegung selbst. Zögerlicher als von Holtum äußerte sich Kempin, Die Stellung der Frau (wie Fn.341), S.97f. 598

440

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

gung verbessern wollte. Die liberalen Prinzipien ,Vertragsfreiheit' und volle Geschäftsfähigkeit' der Frau setzte er dabei als axiomatische Grundentscheidungen voraus, ohne ihren Sinn weiter zu diskutieren. Die Forderung der Gütertrennung und des verbesserten Schutzes des Vermögens der Frau gegenüber ihrem Mann durch Einschränkung des § 1282 E I waren das Ergebnis eines Zuendedenkens des einmal eingeschlagenen Weges. Auch Freiherr Franz von Godin wandte sich scharf gegen die praesumptio Muciana in § 1282 E I. Der Entwurf, so meinte er, werde in keiner Weise seiner Aufgabe gerecht, beiden Ehegatten entgegenzukommen. Das gesetzliche Güterrecht sei von Anfang an „ungerecht gedacht" und erreiche dabei den Gipfel in § 1282 E I 603 . Einseitig sei die Vermutung nur dann nicht, wenn man das Vermögen für gemeinsames Eigentum halte604. Freiherr von Godin führte freilich nicht aus, wie sich im Falle der Zwangsvollstreckung der Ausweg der Drittwiderspruchsklage verschließen lasse, obgleich das der - auch heute, bezogen auf § 1362 B G B , noch fragwürdige - rechtspolitische Zweck der Vermutungsregel von §1282 E I war. (h) Die Einschätzung

der Rechtsstellung

der Frau

Im Unterschied zur oben zitierten scharfen Kritik von Bahr605 zeichnete Planck in dem bereits erwähnten606 Vortrag vor dem Göttinger Frauenverein ein positives Bild von der rechtlichen Stellung der Frau im Entwurf. Neben der grundsätzlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau, die er unter anderem an der - von Gierke kritisierten607 - Abschaffung jeder Art von Geschlechtsvormundschaft festmachte608, sah er das Vermögen der Frau wenigstens in der Substanz als geschützt an609. Schon von Beaulieu-Marconnay hatte übrigens in seinem Gutachten für den 11. Deutschen Juristentag die vorgeschlagene Einführung der Verwaltungsgemeinschaft als einen Beitrag zur Verbesserung der Rechtsstellung der Frau angesehen610. Darüber hinaus betonte Planck vor allem die Neuerung, daß der Arbeitslohn und der Erwerb aus einem selbständigen Betrieb der Frau Vorbehaltsgut würden, was von besonderer Bedeutung für die „arbeitenden Stände" sei, da die Frau nicht mehr verpflichtet sei, ihren Erwerb dem Mann auszuhändigen, der diesen, wie die Erfahrung lehre, nur zu häufig verschwende611. Frhr. von Godin, Das eheliche Güterrecht (wie Fn. 469), S.3. 604 p r f j r v o n Godin, Das eheliche Güterrecht (wie Fn. 469), S.4. 605 Vgl. oben S. 428 Fn. 530. 606 Vgl. oben S. 424 Fn. 503. 607 Gierke, Entwurf, S.403. 608 Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn.482), S. 5. 609 Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn.482), S. 18. 610 von Beaulieu-Marconnay, Gutachten für den 11. DJT (wie Fn. 302), S. 72 (er sprach davon, die Frau werde „freier" gestellt, was man in seiner Vorstellung wohl auch als „besser" verstehen darf); Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 53, sagt, von Beaulieu-Marconnay habe diesen Gedanken sogar als erster in der Öffentlichkeit ausgesprochen. 603

III. Das Ehegüterrecht

441

Die Einschätzung Plancks stimmt überein mit derjenigen von William Löwenfeld, der die Interessen der Frau im Vergleich zur Situation im preußischen Landrecht als „besser gewahrt" ansah 612 . Er pries den Entwurf „als einen gewaltigen Fortschritt in der Richtung der Gleichstellung der Geschlechter, wie er in Deutschland wohl noch niemals durch ein Gesetz vollzogen wurde" 6 1 3 .

Auf einem anderen Blatt steht, daß die Frauenvereine den Entwurf wie auch das spätere Gesetz als bei weitem nicht ausreichend betrachteten. Ihnen ging die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Ehefrau nicht weit genug, insbesondere wegen des Bestimmungsrechts des Mannes „in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten" (§ 1273 E I 614 ) 615 . J n der Tat, nimmt man die Perspektive ein, die das Familienrecht seit dem Gleichberechtigungsgesetz bietet, das am 1. Juli 1958 in Kraft getreten ist, so kann von einer wirklichen Gleichberechtigung der Frau im E I und - wie wir später sehen werden - auch in der Urfassung des BGB nicht die Rede sein. Doch eine solche Sichtweise würde der damaligen Situation kaum gerecht. Entscheidend scheint uns vielmehr der Fortschritt zu sein, den etwa Planck und Löwenfeld, aber auch andere wie zum Beispiel Schilling616 festgestellt hatten. Schon der E I bot gegenüber den früheren Rechten einen Verbesserung. U n d selbst Vorschriften wie der soeben angesprochene § 1273 E I verlieren etwas von dem Eindruck eines absolutistischen Herrschaftsrechts des Mannes über die Frau, wenn man die Mißbrauchsklausel 611

Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn.482), S. 19. Löwenfeld, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 172), S. 56f., 60f. 613 Löwenfeld, Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 172), S.61. 614 § 1273 E I: „Dem Ehemanne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu. Der Ehemann bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Ehefrau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Ehemannes Folge zu leisten, wenn die Entscheidung sich als ein mit der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbarer Mißbrauch des Rechtes des Ehemannes darstellt." Die Vorschrift entspricht inhaltlich vollständig §1354 BGB a.F.. 615 Vgl. den „Aufruf" der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine, in der Marie Stritt eine führende Rolle spielte, abgedruckt in: Die Frauenbewegung 2 (1896), S. 114f. Zu den Versuchen der Frauenbewegung, im Guten oder Schlechten Einfluß auf das BGB zu nehmen, vgl. Geisel, Die Rechtsschutzvereine (wie Fn. 341), S. 685-688, die freilich die Einschätzung von Stritt und anderen Führungspersönlichkeiten in der Frauenbewegung teilt, die Rechtslage aber nicht immer genau beschreibt. Mißhandlungen waren auch nach damaligem Strafrecht unerlaubt. Auch das Verschwenden des Arbeitslohns der Frau durch ihre Männer, insbesondere durch Umsatz in Alkohol war keineswegs vom ehelichen Güterrecht des Entwurfs oder auch des BGB gedeckt, vgl. § 1289 E I (vgl. oben S. 401), § 1266 E II (vgl. unten S. 447) sowie den wortgleichen §1367 BGB. Die Rechtsordnung war in dieser Hinsicht eindeutig - ob und warum die Normdurchsetzung nicht gelang, wäre zu fragen gewesen. Man darf jedoch nicht suggerieren, die Frauen seien in diesen Punkten rechtlos gewesen. Diesen Eindruck erweckt jedoch Geisel (wie zuvor), S.691. 612

616 B. Schilling, Aphorismen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Allgemeiner Theil), Köln 1888, S. 17. Erhielt das Ehegüterrecht des Entwurfs für eine „bedeutende Leistung", die den Grundsatz der Handlungsfähigkeit der Ehefrau zur Geltung bringe und den Rechten der Frauen einen „wirksamen Schutz" gebe.

442

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

des zweiten Absatzes hinzu nimmt. Über die Praktikabilität solcher Einschränkungen kann man zwar Zweifel haben, wie sie zum Beispiel Buchholz geäußert hat, der im Anschluß an Marianne Weber schrieb, der Ehemann spiele in der Anfangszeit des B G B nach wie vor die Rolle eines Vormundes 617 . So wenig man dem widersprechen möchte, so sehr vermißt man einen Nachweis, der die These erhärten würde. Uber den systematischen Wert der Mißbrauchsklausel in § 1289 II E I herrscht aber kein Zweifel. (4)

Zusammenfassung

Der Ausgestaltung des Güterrechts im ersten Entwurf wurde vor allem vorgeworfen, sie mißachte die breite ökonomische Wirklichkeit in der Bevölkerung, da die meisten Ehepaare weitgehend vermögenslos seien. Eine Trennung vorehelicher Vermögensmassen sei aber nur sinnvoll, wenn diese in nennenswertem Umfang vorhanden seien. Dem Wesen der Ehe und dem Gedanken der personenrechtlichen Gemeinschaft der Eheleute, die auf eine vollkommene Lebensgemeinschaft hinziele, werde in weit höherem Maße als die Verwaltungsgemeinschaft die allgemeine Gütergemeinschaft gerecht, die die Eheleute auch vermögensmäßig aneinander binde. Planck hatte zur Verteidigung des Entwurfs eingewendet, daß die Verwaltungsgemeinschaft den praktischen Bedürfnissen und den Interessen der Frauen besser als die Gütergemeinschaft gerecht werde. Letzteres insbesondere deshalb, weil das Vermögen der Frau in der Substanz geschützt werde, während es innerhalb der Gütergemeinschaft mit dem Vermögen des Mannes verschmelze und daher nicht gegen Verfügungen gesichert werden könne. Daß der Entwurf den Interessen der Frauen gerecht werde, hatten hingegen manche Kritiker, insbesondere Bähr, vehement bestritten. Das Güterrecht hatte letzterer als „vom Standpunkt des Egoismus des Mannes" geordnet bezeichnet und damit, wie auch zum Beispiel Gierke und Pfizer, die Forderung verknüpft, daß die Frau am Erwerb des Mannes während der Ehezeit beteiligt werden müsse. In innerem Zusammenhang damit stand der Vorschlag vor allem von Brühl, § 1277 I E I zu streichen, der den Abschluß eines Arbeitsvertrags der Frau mit einem Dritten von der Zustimmung des Ehemannes abhängig machen wollte. Die Rechtsstellung der Frau verbiete eine derartige Bevormundung, so war zu hören. Wenn man der Frau die Geschäftsfähigkeit zuerkenne, sei nicht einzusehen, sie ihr für diesen wichtigen Fall vorzuenthalten. Nichts mit diesem sozialen Ziel einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau hatte es hingegen zu tun, daß sich auch Gierke und Klöppel für die Streichung des § 1277 E I ausgesprochen hatten, denn sie verfolgten dabei das Ziel der Wiederherstellung der ehemännlichen Munt, also das Gegenteil von einer Geschäftsfähigkeit der Frau. 617 Buchholz, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauen (wie Fn. 341), S. 680 (im Anschluß an Weber, Ehefrau und Mutter (wie Fn.254), S.407ff.)

III. Das

Ehegüterrecht

443

Gierke begründete sein Verlangen mit dem Gemeinschaftsgedanken, der nach deutscher Vorstellung der Ehe zugrunde liege. Ebenfalls mit der Geschäftsfähigkeit der Frau hing schließlich zusammen, daß von Holtum und Frhr. von Godin diepraesumptio Muciana mindestens einschränken wollten. Die Frau, so hörte man zur Begründung, bedürfe nicht nur des Schutzes vor den Gläubigern, sondern auch vor ihrem Mann. Auch dieser Abschnitt zeigt, wie disparat die Inhalte der „sozial" motivierten Kritik waren. Auf der einen Seite stand die Position Gierkes, der wie auch sonst den Gemeinschaftsgedanken in den Vordergrund aller Überlegungen rückte. Er und einige andere folgerten daraus für das Ehegüterrecht Positionen, die wenigstens zum Teil zu einer Einschränkung der Rechte der Ehefrau geführt hätten, nämlich insbesondere die Wiedereinführung der ehemännlichen Munt, also einer Art Geschlechtsvormundschaft. Andererseits sprach sich Gierke auch für ein Recht der Frau auf Beteiligung am Erwerb des Mannes während der Ehezeit aus, was man sicherlich nicht als eine Schmälerung der Rechtsposition der Frau bezeichnen kann. Stärker als der Gemeinschaftsgedanke erwies sich in der Kritik aber der Topos vom Schutz des Schwächeren, der hier gleichzusetzen war mit einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau zum Zwecke der Gleichberechtigung im Sinne des Topos von der sozialen Freiheit. Die Befürwortung der Geschäftsfähigkeit der Frau durch den Entwurf führte Kritiker wie Brühl dazu, die Streichung des § 1277 I E I vorzuschlagen. Auch der Vorschlag, die praesumptio Muciana zu beschränken, lag auf dieser Linie. Zu überprüfen bleibt, ob und in welcher Weise sich die Kritik durchzusetzen vermochte. c) Vom Entwurf

zum

(1) Die Zweite

Kommission

(a) Ablehnung

des

BGB

Regionalsystems

Zur Vorbereitung der Beratung des Ehegüterrechts hatte die 2. Kommission auf Beschluß vom 3. Juli 1893 618 eine aus sieben Mitgliedern bestehende Subkommission gebildet, die einen eigenen Gegenentwurf 619 ausgearbeitet und, so618 So jedenfalls die Angabe in Prot. II, Bd. 4, S. 116; Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn.47), S. XVIII nennt den 5. Juli 1893. Die Subkommission erfüllte weitgehend die Funktion der Vorkommission des Reichsjustizamtes, die zwischen dem 5. Januar 1890 und 7. April 1893 getagt hatte, und erarbeitete für Teilgebiete des Familienrechts vollständige „Gegenentwürfe", die dann in der Form von Anträgen in die 2. Kommission eingebracht wurden. - Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 120 Fn. 454 sah in der Vorkommission nur ein Mittel zur „Instruktion" der Reichskommissare, läßt aber außer Acht, daß in der Vorkommission die meisten Sachfragen der behandelten Gebiete schon einmal erörtert wurden, die dann in der 2. Kommission wieder zur Sprache kamen. Sehr plausibel ist daher auch die Vermutung von Werner Schubert, Entstehungsgeschichte des B G B , in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 27-68, hier S. 54, daß die Vorkommission nicht zu einer Zeitersparnis geführt hat. 619

Vgl. Anlage I zum Prot. Nr.275, in: Prot. II, Bd.4, 1897, S. 142-150.

444

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

weit er vom E I abwich, begründet hat. Dieser Gegenentwurf war zugleich mit dem E I dann Gegenstand der Kommissionsverhandlungen. E r wich in den uns interessierenden Punkten (§§ 1283 ff. E I ) nur in der redaktionellen Fassung vom E I ab, behielt jedoch die grundsätzliche Entscheidung des ersten Entwurfs für die reichseinheitliche Verwaltungsgemeinschaft bei 620 , weshalb wir den Gegenentwurf der Subkommission nicht weiter zu behandeln brauchen. Die Ablehnung des Regionalsystems wurde von der zweiten Kommission im wesentlichen mit denselben Gründen wie von der ersten Kommission gebilligt. Die Zersplitterung des Rechtszustands in dieser Frage, so führten die P r o t o k o l le der 2. Kommission aus, hänge nicht mit territorialen Bedürfnissen und Verhältnissen zusammen, sondern, so fügte nun die Kommission hinzu, „mit der Verschiedenheit der Berufsstände", von der insbesondere die jeweilige Bevorzugung der Verwaltungsgemeinschaft oder Errungenschaftsgemeinschaft abhänge 621 . Leider haben es die Protokolle versäumt, die zugrunde liegenden B e obachtungen mitzuteilen. Immerhin hätte es sich etwa aufdrängt zu fragen, ob denn nicht vielleicht die territoriale und berufsständische Verteilung der Bevölkerung übereintrafen. Aus den Protokollen ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß sich die Kommission mit der Frage eines Regionalsystems noch einmal intensiv auseinandergesetzt hätte. Wahrscheinlicher ist, daß man sich aufgrund der von Anfang an vorhandenen, eindeutigen politischen Vorgaben 6 2 2 rasch über die Einwände hinwegsetzen wollte. Die soziale Absicht der Kommission ist nicht protokollarisch festgehalten. Mommsen hatte, wie wir gesehen haben, die Vorteile der Kreditwirtschaft betont 6 2 3 , die auf verläßliche Indizien für die Bonität ihrer Kunden angewiesen sei. U n d tatsächlich dürfte es für die Kreditwirtschaft günstig gewesen sein, ein einheitliches Ehegüterrecht einzuführen, so daß man bei Kreditnehmern im Zweifel den Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft annehmen konnte. Gierke hingegen sah die Bauern als benachteiligt an, weil sie häufig andere Güterrechtssysteme bevorzugten als die Verwaltungsgemeinschaft. N u n würden sie vermutlich die weniger interessengerechte Lösung akzeptieren 6 2 4 . O b die Bauern wirklich durch die nun von der Kommission gewählte Einheitslösung benachteiligt wurden, ist allerdings weniger deutlich erkennbar. D e n n zum einen waren auch sie potentielle Kreditnehmer, zum anderen hielten ihre berufsständischen Vertreter die Nachteile für gering, wie sich in den erwähnten 6 2 5 Stellungnahmen des rheinischen und des westfälischen Bauernvereins gezeigt hatte. D i e soziale Ambivalenz der Regelung offenbarte sich also auch schon in der zeitgenössischen Beurteilung. O h n e Resonanz in der Kommission blieb auch das Anliegen Gierkes, 620 621 622 623 624 625

Vgl. Anlage I zum Prot. Nr.275, in: Prot. II, Bd.4, 1897, S. 142. Prot. II, Bd. 4, S. 117. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben oben oben oben

Fn. 330. bei Fn. 412. bei Fn. 432. Fn.440 und 449.

der die

445

III. Das Ehegüterrecht

Auflösung der hergebrachten Sozialstrukturen und die damit einherlaufende M i ß a c h t u n g der gewachsenen gliedschaftlichen Bindungen befürchtete. Das, so wird man sagen müssen, war für die K o m m i s s i o n jedenfalls in diesem P u n k t e unerheblich.

(b) Zulassung vertraglicher

Güterstände

Entgegen m a n c h e n Forderungen der Kritiker, d o c h nur einen einzigen G ü terstand im G e s e t z zu regeln, behielt die K o m m i s s i o n weiter die K o n z e p t i o n verschiedener (vertraglicher) Güterstände bei, u m so den E i n w o h n e r n derjenigen Gebiete, die bisher nicht ein der Verwaltungsgemeinschaft ähnliches G ü t e r recht hatten, den U b e r g a n g ins neue R e c h t zu erleichtern 6 2 6 .

(c) Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft Güterstand

als gesetzlichen

D i e S u b k o m m i s s i o n und ebenso auch die 2. K o m m i s s i o n selbst entschieden sich wie schon der erste E n t w u r f für die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand. § 1263 E II wich nur unwesentlich von seinem Vorläufer im E I 6 2 7 ab, indem er bestimmte: „§1263. Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, welches die Frau während der Ehe erwirbt."

Von § 1263 I I E I I machte das G e s e t z allerdings eine wichtige A u s n a h m e , die unten zur Sprache k o m m e n wird. D i e Ü b e r l e g u n g e n der S u b k o m m i s s i o n , denen sich die H a u p t k o m m i s s i o n vollständig anschloß, verdienen nähere B e trachtung, weil sich hier wenigstens teilweise ganz k o n k r e t eine Auseinandersetzung mit der sozialen Kritik am ersten E n t w u r f b e o b a c h t e n läßt. G l e i c h an den Anfang setzten die P r o t o k o l l e das H a u p t a r g u m e n t für die Verwaltungsgemeinschaft: die tatsächliche Verbreitung. D i e vorgeschlagene Regel entspreche, so heißt es dort, im wesentlichen dem Rechtszustand in P r e u ß e n und Sachsen. U n d auch in den übrigen G e b i e t e n stelle die Verwaltungsgemeinschaft einen im Vergleich zu den anderen Systemen relativ geringen Eingriff in die Vermögensverhältnisse der Ehegatten dar 6 2 8 . Letztere Ü b e r l e g u n g resultierte daraus, daß in der Verwaltungsgemeinschaft die beiden Vermögensmassen der Eheleute grundsätzlich getrennt bleiben. D a s E h e g u t der Frau geht nicht ins E i g e n t u m des Mannes über, sondern wird v o n i h m lediglich verwaltet und genutzt. N e b e n der tatsächlichen Verbreitung und dem Vorzug eines möglichst schonenden Eingriffs betonten die K o m m i s s i o n e n schließlich, daß die geplante 626 627 628

Prot. II, Bd. 4, S. 117. §1283 E I , vgl. oben S. 401. Prot. II, Bd. 4, S. 118.

446

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

Regelung der Frau eine sehr selbständige Position einräume und dies „dem Zuge der modernen Rechtsentwickelung" entspreche629. Für die Verwaltungsgemeinschaft sprach also in den Augen der Kommission erstens die Rechtswirklichkeit, die abzubilden das Gesetz stets bemüht war. Planck hatte seine alte These, im Ehegüterrecht gelte es, neues Recht zu schaffen, offenbar nicht mehr aufrecht erhalten630. Zweitens sprach in den Augen der Kommission für die Verwaltungsgemeinschaft, daß das Vermögen der Frau weiterhin in ihrem Eigentum bleibe, der Eingriff in ihre Rechtssphäre also schonend sei, sowie drittens, daß dies der zukünftigen Entwicklung entspreche. Als gesetzgeberisches Ideal stand dahinter die Schaffung von der geschichtlichen Tradition verbundenen, zukünftige Entwicklungen aber bereits aufgreifenden und die individuelle Persönlichkeit achtenden Vorschriften. Unter Bezugnahme auf die Kritik der hessischen und württembergischen Regierung - die Äußerungen aus der Wissenschaft waren der Sache nach ebenfalls berücksichtigt - hatte sich die Subkommission auch mit dem Einwand gegen die Verwaltungsgemeinschaft auseinandergesetzt, daß die Frau nach diesem System nicht an der während der Ehezeit gewonnenen Errungenschaft teilhabe, obgleich in den mittleren und unteren Bevölkerungsschichten dies als ungerecht empfunden werden müsse, weil die wirtschaftlichen Gegebenheiten oftmals anders liegen würden, da die Frau häufig „durch ihrer Hände Arbeit zu dem ehelichen Erwerbe beitrage und deswegen auch einen entsprechenden Antheil an der Errungenschaft beanspruchen dürfe" 631 . Mit dieser Überlegung griff die Kommission einen wesentlichen Kritikpunkt auf, den Bähr und andere geäußert hatten632: die Benachteiligung der Frauen mittlerer und unterer Schichten. Die entsprechende Regel des ersten Entwurfs hatte unter anderem Mengers Kritik genährt, der Entwurf sei nur auf die Interessen der Reichen berechnet, verkenne aber die Situation der ärmeren Schichten633. Als Ausweg erwog die Kommission die Einführung der Errungenschaftsgemeinschaft, die aber mit erheblichen Nachteilen bei der Auseinandersetzung des Vermögens verknüpft sei, welche nur durch die Beteiligung einer Behörde zu vermeiden seien, wie die Protokolle berichten. Eine solche Einmischung in die privaten Vermögensverhältnisse werde aber auf großen Widerstand stoßen634. Die Subkommission hatte dieses Problem als lösbar angesehen635, aber der zweiten Hauptkommission schien es geeignet, die Ablehnung der Errungenschaftsgemeinschaft zu begründen. Dies um so mehr, wie die Protokolle meinten, als die Interessen der Frauen mittlerer und unterer Schichten dadurch 629 630 631 632 633 634 635

Prot. II, Bd. 4, S. 118. Vgl. oben S.396 bei Fn.336. Prot. II, Bd. 4, S. 118, 139. Vgl. oben S. 434. Vgl. oben bei Fn. 457. Prot. II, Bd.4, S. 118. Prot. II, Bd. 4, S. 139.

III. Das

Ehegüterrecht

447

berücksichtigt seien, als der Arbeitserwerb der Frau gemäß § 1266 E II 636 grundsätzlich Vorbehaltsgut werde637, womit eine wichtige Ausnahme von der Grundregel des § 1263 II E II 638 festgelegt werden sollte, zumal der Vorbehalt der Erfüllung der Mitarbeitspflicht der Ehefrau nach § 1275 II E I 639 nunmehr weggefallen war. Und in der Subkommission hatte man erwogen, für eine zusätzliche Sicherung des Vermögens der Frau gegenüber Eingriffen des Mannes zu sorgen640. Die Auseinandersetzung der zweiten Kommission wenigstens mit einigen Teilaspekten der Kritik änderte nichts an der Grundentscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft. Dennoch wäre es falsch, hierin ein Ubersehen oder Mißachten der sozialen Probleme der unteren Schichten zu sehen. Man war nur der Meinung, auf diese Probleme etwa mit der Einführung von § 1266 E II 641 eine adäquate Antwort zu geben. Ob das tatsächlich der Fall war, ist hier nicht zu entscheiden. (d) Die Abschaffung

des

Nießbrauchsrechts

Im Einklang mit der Kritik von Richard SchröderM1, Brühl643 und dem 21. Deutschen Juristentag644 stellte der E II das Verwaltungsrecht des Mannes an die Spitze645 und ließ die generelle Bezugnahme auf die Vorschriften über den Nießbrauch fallen. Statt dessen wurden die Rechte des Ehemanns im einzelnen ausgeführt646. Dazu zählte entsprechend den Forderungen der Kritik am E I die Ausdehnung der Verfügungsmöglichkeiten des Ehemannes über das Mobiliarvermögen seiner Frau gemäß § 1275 E II 647 . Danach war es dem Ehemann insbesondere erlaubt, ohne die Zustimmung der Frau über Geld und andere verbrauchbare Sachen zu verfügen. Diese Vorschrift war in der Subkommission der 2. Kommission entstanden. Der zugrunde liegende Antrag hatte auch Verfü636 § 1266 E II: „Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erwirbt". Vgl. § 1289 E I, oben S. 197 Fn. 360. 637 Prot. II, Bd. 4, S. 118. 638 Vgl. oben S. 445. 639 Vgl. oben S. 401. 640 Prot. II, Bd. 4, S. 140. 641 Vgl. oben Fn. 636. 642 Vgl. oben S.426 bei Fn.518 sowie S.435 bei Fn.573 643 Vgl. oben S.435 bei Fn.573. 644 Vgl. oben S.436 bei Fn.585. 645 § 1273 E II: „Der Mann hat das eingebrachte Gut ordnungsmäßig zu verwalten. Ueber den Stand der Verwaltung hat er der Frau auf Verlangen Auskunft zu ertheilen." 646 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 125 sieht das sogar als „wichtigste Änderung des ersten Entwurfs" an. 647 § 1275 E II: „Ohne Zustimmung der Frau kann der Mann 1. über Geld und andere verbrauchbare Sachen verfügen; 2. Forderungen, die nicht auf Zinsen ausstehen, einziehen; 3. Forderungen gegen solche Forderungen an die Frau, deren Berichtigung aus dem eingebrachten Gute verlangt werden kann, aufrechnen; 4. Verbindlichkeiten der Frau zur Leistung eines zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenstandes durch Leistung desselben erfüllen."

448

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

gungen über nicht verbrauchbare Sachen zugelassen, soweit sie zum Inventar eines Ehegutsgrundstücks gehörten 648 . Die Mehrheit der Subkommission nahm die Vorschrift in diesem Sinne an. Die verbrauchbaren Sachen seien, so hatte die Subkommission gemeint 649 , nicht zu dauerndem Gebrauch bestimmt. Damit wollte man anscheinend begründen, warum die Substanz des Vermögens der Frau nicht aus solchen Dingen bestehen könne, so daß die Zielsetzung des E I, der eine Verschleuderung des Eheguts durch den Mann verhindern wollte, indem er sein Nutznießungsrecht den Nießbrauchsvorschriften unterwarf, auf diese Gegenstände nicht zutreffen würde. Die im E II vorgesehene Ausdehnung der Befugnisse des Ehemannes ließ sich zwar mit dem sozialen Gemeinschaftsgedanken vereinbaren, widersprach allerdings der Zielsetzung der Verbesserung der Rechtsstellung der Frau, die nicht nur ansatzweise im E I verfolgt worden war, sondern die auch ein ganze Reihe der Kritiker für nötig gehalten hatten. (e) Der Anspruch auf Sicherheitsleistung Eine Forderung sozialer Natur im Sinne der Interessen der Frau griff die Subkommission auf, indem sie der Frau einen Anspruch auf Sicherheitsleistung gab, wenn die Besorgnis begründet war, daß der Mann den Bestand des Eheguts gefährden werde 650 . Im E I hatte der Eigentümer gegenüber dem Nießbraucher einen Anspruch auf Sicherheitsleistung bei Besorgnis der Verletzung der Eigentümerrechte (§ 1005 E I). Da die Nutznießung des Ehemanns nach den Vorschriften über den Nießbrauch stattfinden sollte (§ 1292 E I 651 ), galt § 1005 E I auch für das Eigentumsrecht der Frau an ihrem Vermögen, das der Nutznießung durch ihren Mann unterlag. Die 2. Kommission dehnte nun diesen Anspruch auf Sicherheitsleistung auf die Gefährdung der Ersatzansprüche der Frau gegen den Mann aus. In diesem Punkte hatte der E I keine Hilfe geboten. § 1290 E II (= §1391 B G B a.F.) lautete schließlich: „Wird durch das Verhalten des Mannes die Besorgniß begründet, daß die Rechte der Frau in einer das eingebrachte Gut erheblich gefährdenden Weise verletzt werden, so kann die Frau von dem Manne Sicherheitsleistung verlangen. Das Gleiche gilt, wenn die der Frau aus der Verwaltung und Nutznießung des Mannes zustehenden Ansprüche auf Ersatz des Werthes verbrauchbarer Sachen erheblich gefährdet sind."

Prot. II, Bd. 4, S. 144 = Antrag I aus dem 1. Prot, der Subkommission. Prot. II, Bd. 4, S.167. Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 126 bei Fn.494, rechnet diese Erwägungen irrtümlich der Hauptkommission selbst zu. Sie hat sich mit der Sache nicht mehr eingehend beschäftigt. § i des Gegenentwurfs, der im wesentlichen § 1275 Nr. 1 E II gleichkam, wurde von der Hauptkommission nicht beanstandet, vgl. Prot. II, Bd. 4, S. 128. Die endgültige Fassung von § 1275 E II ist also ein Produkt der Redaktionskommission. 6 5 0 §§ w, x des Gegenentwurfs, in: Prot. II, Bd. 4, S. 132f. 651 Vgl. oben S. 404. 648

649

III. Das

Ehegüterrecht

449

Absatz 2 dieser Vorschrift, der auch die Sicherheitsleistung für Ersatzansprüche der Frau vorsieht, stellt allerdings eine Veränderung und - im Hinblick auf die Rechtsstellung der Frau - eine Verbesserung dar. ( f ) Die Geschäftsfähigkeit

der Frau -

Arbeitsverträge

In dieselbe Richtung zielte die Fortentwicklung von § 1277 EI 6 5 2 , der die Verpflichtung der Frau zu persönlichen Dienstleistungen, also insbesondere den Abschluß von Arbeitsverträgen, von der Einwilligung des Ehemannes abhängig gemacht hatte. In der Kritik von Brühl wurde insbesondere deutlich, daß diese Vorschrift nicht mit der prinzipiellen Entscheidung des Entwurfs, die Ehefrau nicht in der Geschäftsfähigkeit zu beschränken, in Übereinstimmung zu bringen sei. In der zweiten Kommission stellte dann Struckmann den Antrag, die Vorschrift des § 1277 E I ersatzlos zu streichen653. Struckmann bestritt die Notwendigkeit zur Einschränkung der Rechte der Ehefrau 654 . Die Mehrheit der Kommission wollte jedoch das Zustimmungserfordernis beibehalten, um klarzustellen, daß die Frau nur insoweit zur Eingehung von Arbeitsverträgen berechtigt sei, als sie dadurch nicht die Erfüllung ihrer ehelichen Pflichten gefährde655. Die Kommission beschloß auf Antrag Jacubezkys656, in § 1277 I E I statt „Einwilligung" das Wort „Zustimmung" zu setzen, um so auch die nachträgliche Genehmigung durch den Mann zu ermöglichen. Aufgrund verschiedener Beschlüsse zu anderen Absätzen der Vorschrift enthielt ihre Fassung in der von Planck angefertigten Vorläufigen Zusammenstellung schon eine Umkehr von Grundsatz und Ausnahme 657 . Die Frau konnte sich danach verpflichten, der Mann hatte aber ein Kündigungsrecht, es sei denn die Frau handelte mit seiner Zustimmung, die auch durch eine vormundschaftsgerichtliche Erlaubnis ersetzt werden konnte 658 . Gegenüber dem E I stellte die neue Fassung immerhin einen geringfügigen Fortschritt für die Interessen der Frau dar, weil das Geschäft nur noch für die Zukunft gekündigt werden konnte und nicht mehr wie nach § 1277 II E I durch den Mann anfechtbar war, was immerhin für die Rückabwicklung Vorteile bot.

Vgl. oben S. 403. Antrag Nr.4, 5, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 338. 654 Prot. II, Bd. 4, S. 102. 655 Prot. II, Bd.4, S. 103. 656 Antrag 26, 3, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S.339. 657 § 1277 E I-VorlZust, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S.343. 658 § 1258 I E II: „Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, es sei denn, daß der Mann der Verpflichtung zugestimmt oder das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Frau die Zustimmung des Mannes ersetzt hat." Inhaltsgleich dann §1343 E II rev., vgl .Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 347. 652 653

450

Kapitel 6: Soziales Recht im

(g) Gemeinschaftliche

Familienrecht

Verwaltung und familienrechtliche

Nutznießung

Die 2. Kommission war bestrebt, die Verwaltung des Eheguts in den Mittelpunkt des Güterrechts zu rücken. Die Protokolle betonten, daß die Verwaltung des Eheguts gemeinschaftlich zu denken sei 659 . Auch hier wird deutlich, wie die Kommission sich bemühte, die Kritik am E I zu verarbeiten. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß die Kommission die Rechte des Mannes erweitert hat. In den Protokollen selbst heißt es dazu: „Nach dem Gegenentw[urf] 6 6 0 tritt der Mann kraft eigenen Rechtes auf. Zur Sicherung der Frau ist allerdings bestimmt, daß der Mann regelmäßig nur mit Zustimmung der Frau handeln dürfe; der Kreis derjenigen Geschäfte, die der Mann ohne Zustimmung der Frau vornehmen kann, ist indessen gegenüber dem Entw[urf] wesentlich erweitert" 6 6 1 .

Das zeigt, wie vorsichtig die Kommission darum bemüht war, die Forderung nach einer familienrechtlichen Ausgestaltung der Verwaltungsgemeinschaft ohne Rückgriff auf den Nießbrauch unter gleichzeitiger Stärkung der Rechte des Mannes zu erfüllen, andererseits aber den legitimen Anspruch der Frau auf Erhaltung der Substanz ihres Eheguts nicht zu vernachlässigen. Die Änderung der Nutznießung als Nießbrauch in die familienrechtliche Ausgestaltung der Nutznießung, wie sie uns im E II begegnet, das heißt der Wechsel vom ususfructus maritalis zu einer cura maritalis erscheint auf den ersten Blick als ein Rückschlag für die Rechtsstellung der Frau und damit sogar noch als ein Verlust „sozialen Öls". In diesem Sinne hat auch Schmid die Entwicklung gewürdigt 662 . Betrachtet man die Sache jedoch nüchtern bei Licht, so erscheint die Änderung weniger dramatisch. Die Erweiterung der Rechtsstellung des Mannes durch die Eröffnung einer zustimmungslosen Verfügungsmacht über Geld oder verbrauchbare Sachen (§ 1275 Nr. 1 E II 663 ), führte rein tatsächlich nicht zu einem Machtzuwachs, weil die Vorschriften über den Nießbrauch der Frau wenig genützt hätten, wenn der Mann die Sachen veräußert hätte, weil kaum auszumachen gewesen wäre, bei wem die Frau hätte vindizieren sollen. Da erscheint die Einführung der Möglichkeit, bei Gefährdung der Ersatzansprüche Sicherheitsleistung verlangen zu können, wirtschaftlich für die Frau günstiger, weil die Sicherheit der Verfügungsmöglichkeit des Mannes gänzlich entzogen war.

(h) Vermeidung von Prozessen zwischen

Eheleuten

Streitigkeiten der Eheleute sollten nach dem E II vom Vormundschaftsgericht entschieden und klagbare Ansprüche erst nach Auflösung der Ehe durchgesetzt 659 660 661 662 663

Prot. II, Bd. 4, S. 119. Dieser w u r d e insoweit nicht beanstandet. Prot. II, Bd. 4, S. 119. Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 119-130. Vgl. oben S. 447.

III. Das

Ehegüterrecht

451

werden können - auch dies ein Erfolg der Kritik, wie sie Schröder und Bunsen geäußert hatten 664 . Hatte zum Beispiel §1319 II E I den Ehemann noch auf den Klageweg verwiesen, wenn die Frau ihre Zustimmung zu Geschäften verweigerte, die eine ordnungsmäßige Verwaltung erforderten 665 , so ersparte der E II dem Mann ein streitiges Verfahren gegen seine Frau, indem er bestimmte, daß das Vormundschaftsgericht die fehlende Zustimmung ersetzen könne 666 . Die darin zum Ausdruck kommende Förderung des Gemeinschaftsgedankens in der Ehe entsprach einem Anliegen der „sozialen" Kritik am E I und verdient deshalb hier festgehalten zu werden. Gerade in solchen „Kleinigkeiten" zeigt sich, daß die Kritik nicht ungehört verhallt ist, sondern durchaus Spuren im späteren Gesetz hinterlassen hat, die nicht nur in den bekannten Schutzrechten etwa des § 544 BGB spürbar sind. (i) Zeitgenössische Beurteilung

des E II

In den Augen von Schröder hatte der E II eine Wendung zum Positiven und das hieß für ihn zum deutschen Recht gemacht. Den „engherzigen sachenrechtlichen Standpunkt des ehemännlichen Nießbrauches" habe der zweite Entwurf, so schrieb er, in §126 3667 zugunsten einer familienrechtlichen Befugnis umgestaltet 668 . Und auch in einem zweiten Punkt sah er eine Wendung zum Besseren, die er in seiner Kritik am E I angemahnt hatte 669 . Hatte der E I noch die Ehegatten zu gegenseitigen Prozessen geradezu aufgefordert, so waren nun die meisten Streitigkeiten der Ermessensentscheidung des Vormundschaftsgerichts unterworfen 670 . Auch Sohm sah darin einen wichtigen Fortschritt 671 . Darüber hinaus faßte es allerdings Sohm auch als einen Fortschritt auf, daß im E II die Rechte des Mannes über das Vermögen der Frau dadurch erweitert worden seien, daß der Mann nicht mehr nur ein Nießbrauchsrecht daran hat, sondern ein eigenes familienrechtliches Herrschaftsrecht 672 . Bedenkt man, daß Sohm zuvor die soziale Aufgabe des Privatrechts unter anderem darin gesehen hatte, den Freiheitsrahmen zur Entfaltung der Persönlichkeit zu gewährlei664

Vgl. oben S.427 Fn.521. Vgl. oben S. 426 Fn. 520. 666 § 1278 I E II: „Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung des eingebrachten Gutes ein Rechtsgeschäft erforderlich, zu welchem der Mann der Zustimmung der Frau bedarf, so kann die Zustimmung auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn sie von der Frau ohne ausreichenden Grund verweigert wird." 667 Vgl. oben S.445. 668 Schröder, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.545), S.5. Schröder bezog sich auf § 1346 RTVorlage, der allerdings identisch war mit § 1263 E II, so daß es berechtigt ist, seine Äußerung in diesem Punkt auf den E II und nicht (nur) auf die Reichstagsvorlage zu beziehen. Zu Schröders Kritik am Entwurf vgl. oben S.426 Fn.519. 669 Vgl. oben S.427 Fn.521. 670 Schröder, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.545), S.5, 10-13. 671 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 16), S. 744. 672 Sohm, Ueber den Entwurf (wie Fn. 16), S. 744. 665

452

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

sten 673 , so erscheint die Haltung Sohms zum Ehegüterrecht widersprüchlich, weil jedenfalls die Erweiterung der Rechtsstellung des Mannes nicht gerade als Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau verstanden werden konnte. Die Gleichberechtigung wäre aber erforderlich gewesen, um auch der Frau die bewußte Freiheit zu gewährleisten. Daß Sohra trotz seiner programmatischen Erklärung über die soziale Aufgabe des Privatrechts diese Konsequenz nicht zog, scheint zunächst dadurch erklärlich, daß seine Vorstellungen von einem gerechten Ehegütersystem stark von tradierten Denkmustern abhingen, denen die Bevorrechtigung des Mannes nicht ungewohnt waren. Allerdings würde diese Erklärung bei einem Gelehrten vom Format Sohms doch Verwunderung hervorrufen. Der wirkliche Grund dürfte das genossenschaftliche Verständnis von der Verwaltungsgemeinschaft sein, das Sohm mit Gierke verband. Die Vermögensverwaltung innerhalb der Genossenschaft ist danach nicht Gegenstand subjektiver Rechte an den jeweiligen Vermögensgegenständen, sondern sie ist Ausdruck einer besonderen personenrechtlichen Gewalt innerhalb der genossenschaftlichen Gesamtheit 674 . Versteht man die Verwaltungsgemeinschaft in diesem Sinne, so stellt sich eigentlich nicht die Frage der Gleichberechtigung der Frau, denn diese ist danach vollständig gegeben. Die Mitglieder der Genossenschaft waren in den Augen Sohms stets gleichberechtigt im Hinblick auf die Verwaltung des Vermögens, denn sie waren alle gleichermaßen unzuständig. Die Verwaltungszuständigkeit mußte sich vielmehr aus der körperschaftlichen Organisation der Verwaltungsgemeinschaft ergeben. Und diese wies das Verwaltungsrecht nun einmal dem Mann zu, wie Sohm meinte. Dennoch wird durch diese Überlegungen der Widerspruch im Denken Sohms nicht völlig aufgelöst, weil der genossenschaftliche Charakter der Verwaltungsgemeinschaft nicht unbedingt offen zu tage liegt, bleiben doch die Vermögensmassen der Eheleute nach dem Entwurf prinzipiell getrennt, nur der gemeinschaftlichen (oder sollte man sagen genossenschaftlichen?) Verwaltung unterworfen. Dennoch scheint mir der Schlüssel zum Verständnis von der Rolle des Mannes im Ehegüterrecht bei Sohm in seiner auf der Genossenschaftstheorie Gierkes aufbauenden Lehre von der Genossenschaft zu beruhen. (j)

Zusammenfassung

Das Regionalsystem hatte auch in der 2. Kommission keine Chance. Seine Ablehnung bedurfte nicht einmal mehr einer Begründung. Um aber den Übergang zur Verwaltungsgemeinschaft für diejenigen zu erleichtern, die bislang ein anderes Güterrecht gewöhnt waren, entschied sich die Kommission entgegen der Forderung einiger Kritiker für die Beibehaltung vertraglicher Güterstände. Unausgesprochen blieb, daß der Entwurf sonst in Konflikt mit dem im gesamVgl. oben S. 88. Rudolph Sohm, Die deutsche Genossenschaft, in: Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Bernhard Windscheid zum 22. Dezember 1888, Leipzig 1889, S. 139-181, insbesondere S. 168f. 673 674

III. Das

Ehegüterrecht

453

ten Gesetz herrschenden Prinzip der Privatautonomie geraten wäre. Die Kritiker des ersten Entwurfs hatten auch keinen Erfolg mit ihrer Ablehnung der Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichem Güterstand. Die zweite Kommission beschloß keine Änderung, weil dieser Güterstand die größte tatsächliche Verbreitung habe. Die Kommission meinte, nächst der Gütertrennung, die aus geschichtlichen Gründen abzulehnen sei, bedeute die Verwaltungsgemeinschaft den geringsten Eingriff in das Eigentum der Frau, was zugleich vielfach zu einer Verbesserung ihrer Rechtsstellung gegenüber dem bestehenden Recht führe. Damit antizipiere das Gesetz bereits die zukünftige Rechtsentwicklung. Die Kommission hatte zwar nicht überhört, daß dem E I der Vorwurf gemacht worden war, sein Güterrecht sei nur für die Reichen geschrieben, aber sie hielt die Interessen der Frauen, die mittleren und unteren Bevölkerungsschichten angehörten, durch § 1266 E II gedeckt, der den Arbeitslohn der Frau zum Vorbehaltsgut erklärte. Im Unterschied zum E I war diese Regelung nicht mehr abhängig davon, ob die Frau durch ihre Arbeit eine Mitarbeitspflicht bei häuslichen Arbeiten usw. erfüllte. Auch die Einführung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung im Falle der Besorgnis der Gefährdung des Vermögens der Ehefrau sowie die Umkehr von Grundsatz und Ausnahme beim Zustimmungserfordernis zu persönlichen Leistungsverpflichtungen der Frau waren Maßnahmen, die dem Anliegen einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau dienten, welches mit dem Schutz des Schwächeren und der sozialen Freiheit begründet wurde. Gegenläufig war allerdings die Ausdehnung der Verfügungsmöglichkeiten des Mannes über das Mobiliarvermögen, wobei allerdings die praktischen Auswirkungen nicht zu hoch veranschlagt werden dürfen. Wirtschaftlich war wohl die Verbesserung der Sicherheit der Substanz des Vermögens der Frau bedeutsamer.

(2) Der

Bundesrat

Im Justizausschuß des Bundesrats, der sich im Herbst 1895 mit dem Ehegüterrecht befaßte, äußerte Elsaß-Lothringen die Befürchtung, die Einführung der Verwaltungsgemeinschaft werde auf Jahre hinaus den Verkehr mit landwirtschaftlich genutzten Grundstücken erschweren. Im Interesse der Landwirtschaft solle daher die Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzliches Güterrecht eingeführt werden 675 . Im Ergebnis traf sich dieses Anliegen mit den Vorstellungen einiger Kritiker des E I676, wenngleich die Motivation der Erleichterung der Verkehrsfähigkeit von landwirtschaftlichen Grundstücken eine andere war als die der Kritiker. Worin Elsaß-Lothringen gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft den Vorteil der Errungenschaftsgemeinschaft für die Verkehrsfähigkeit von landwirtschaftlich genutzten Grundstücken erblickte, ist leider nicht überliefert. Die 675 676

Vgl .Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht I, S.605. Vgl. oben S.422 bei Fn.491 und S.426 bei Fn.518.

454

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Verfügung über Grundstücke bedurfte hier wie bei der Verwaltungsgemeinschaft (§ 1274 E II) der Zustimmung der Frau. § 1414 E II verwies auf die Vorschriften über die Gütergemeinschaft. Dort bestimmte §1344 E II, daß Verfügungsgeschäfte über ein Grundstück, das zum Gesamtgut gehört, der Einwilligung der Frau bedürften ebenso wie Verpflichtungsgeschäfte zu solchen Verfügungen. Möglicherweise dachte Elsaß-Lothringen an einen Vorteil der Errungenschaftsgemeinschaft gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft im Hinblick auf die Verkehrsfähigkeit von Grundstücken, der sich aus einer Erleichterung der Kreditbeschaffung ergeben könnte. Aufgrund der Mithaftung des Gesamtguts für die Schulden des Mannes gemäß § 1425 E II 677 wäre es für die Kreditwirtschaft einfacher, die Bonität ihres Kunden einzuschätzen als bei einer Verwaltungsgemeinschaft, bei der das eingebrachte Gut nicht für die Schulden des Mannes haftete 678 . Schon Mommsen hatte auf die Probleme der Verwaltungsgemeinschaft für die Kreditwirtschaft hingewiesen. Er leitete daraus sowohl die Forderung nach einem einheitlichen Güterrecht 679 ab als auch den Vorschlag, doch besser die allgemeine Gütergemeinschaft einzuführen680. Der kontinuierlich große Finanzbedarf der Landwirtschaft hatte am Ende des 19. Jahrhunderts zwar zu einer Uberschuldung großer Teile der Landwirtschaft geführt, aber dennoch konnte die Landwirtschaft wenigstens einstweilen auf Kredite nicht verzichten, so daß eine Erleichterung der Kreditbeschaffung nicht stricto sensu als interessewidrig bezeichnet werden kann. Ob allerdings Elsaß-Lothringen solche Überlegungen wirklich angestellt hat, läßt sich anhand der Unterlagen des Justizausschusses nicht überprüfen und muß deshalb hypothetisch bleiben. Im übrigen ist daran zu erinnern, daß die Rheinischen und Westfälischen Bauernverbände die Einführung der Verwaltungsgemeinschaft ausdrücklich begrüßt hatten681. Letzteres mag mit dazu beigetragen haben, daß im Justizausschuß des Bundesrats sich niemand veranlaßt sah, aufgrund der allgemeinen Bemerkung von Elsaß-Lothringen einen entsprechenden Antrag zu stellen, wie Heller am 28. Oktober 1895 seiner Regierung berichtete 682 . 677 § 1425 I E II: „Das Gesammtgut haftet für alle Verbindlichkeiten des Mannes, für die Verbindlichkeiten der Frau nur in den Fällen der §§ 1426 bis 1429." Zusammen mit der Vermutungsregel des § 1422 E II („Es wird vermuthet, daß das vorhandene Vermögen Gesammtgut sei.") war nicht nur die Errungenschaft, sondern auch das eingebrachte Gut der Frau gefährdet. Sofern also ein Grundstück der Frau zum Gesamtgut gehörte, haftete es auch für die Verbindlichkeiten des Mannes. 678 Dazu ausführlich unten S.416ff. 679 Vgl. oben S.410 bei Fn.412. 680 Vgl. oben S.438 bei Fn. 594. Für die Gütergemeinschaft bestimmte §1356 I E II: „Die Gläubiger des Mannes können in allen Fällen, die Gläubiger der Frau, soweit sich nicht aus den §§ 1357 bis 1359 ein Anderes ergiebt, Befriedigung aus dem Gesammtgute verlangen (Gesammtgutsverbindlichkeiten)." 681 Vgl. oben S.416Fn.449. 682 Heller, in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht I, S.608.

III. Das

Ehegüterrecht

455

Die Verhandlung des E II im Justizausschuß verlangt im Zusammenhang mit dem Ehegüterrecht dennoch besondere Erwähnung, weil das Land Bremen am 19. Oktober 1895 beantragt hatte, aus §1266 E II 6 8 3 (= §1351 BR-Vorlage) die Worte „ihre Arbeit oder" zu streichen, damit der Erwerb aus abhängiger Lohnarbeit zum Ehegut falle. Da auch der Mann seine Arbeitskraft aufwenden müsse, um die ehelichen Lasten zu tragen, müsse das gleiche auch für die Frau gelten 684 . Bremen wollte also gerade nicht die Interessen der Frauen mittlerer und unterer Schichten berücksichtigt wissen, die zur Aufnahme der entsprechenden Bestimmung im E I 6 8 5 und E II geführt hatten. Nur der Erwerb aus einem selbständigen Geschäftsbetrieb sollte nach bremischen Vorstellungen allein der Frau verbleiben. Die Interessen wohlhabenderer Schichten, in denen mit solchen Geschäftsbetrieben zu rechnen war, sollten also gewahrt bleiben. Damit entsprach die Haltung in dieser Frage der politisch mächtigen Bürgerschicht des Bundesstaats Bremen. Nach dem Bericht des Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts Sieveking vom 31. Oktober 1895, der dem Justizausschuß angehörte, fand Bremen für seinen Antrag keine Zustimmung, weil das sachliche Anliegen bereits von der Mitarbeitspflicht gemäß §1341 BR-Vorlage 6 8 6 abgedeckt sei 687 . Und weiter heißt es bei Sieveking: „Darüber [sc. über die Mitarbeitspflicht der Frau] hinauszugehen sei aus sozialpolitischem Interesse nicht rathsam, dies um so weniger, als die Sorge für den Unterhalt der Familie dem Manne obliege und dieser, falls sein eigener Erwerb dazu ausreiche, in die Lage kommen würde, den Erwerb der Frau lediglich zu seinem Nutzen zu v e r w e n d e n " 6 8 8 .

Die Vorschrift des § 1266 E II war gerade durch die Rücksicht auf die ärmeren Bevölkerungsschichten, insbesondere auf die Situation der Arbeiterfrauen motiviert, deren Schutz sich hier die Bundesstaaten angelegen sein ließen. Im übrigen trat hinzu die Sorge, den Mann ungerechtfertigt zu bevorzugen, wie sich an der zweiten Hälfte der zitierten Begründung ablesen läßt. Dieser Beweggrund wird auch deutlich bei der in demselben Bericht von Sieveking wiedergegebenen Begründung für die Ablehnung eines Antrags Bremens, den Erwerb eines Pflichtteils der Frau als Ehegut und nicht als Vorbehaltsgut zu erklären. Sieveking schrieb dazu: „Die Mehrheit glaubte, die Frau gegen den Leichtsinn oder das Uebelwollen des Mannes möglichst schützen zu m ü s s e n " 6 8 9 .

Vgl. oben S. 447. Antrag Bremen vom 19. Oktober 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht I, S.402. 6 8 5 §1289 E I, oben S.197. 6 8 6 Entsprach §1256 E II und § 1275 E I, vgl. oben S.401. 687 Sieveking, Bericht vom 31. Oktober 1895, in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht I, S. 403. 688 Sieveking, wie Fn. 687. 689 Sieveking, wie Fn.687. 683

684

456

Kapitel

6: Soziales

Recht im

Familienrecht

Man geht wohl nicht fehl, wenn man dies als eine Reaktion auf den zunächst von Bahr, später auch von anderen geäußerten Vorwurf, das Ehegüterrecht des Entwurfs sei ein „System des Mannesegoismus"690, auffaßt. (3) Die Behandlung (a)

im Reichstag (XII. Kommission

und

Plenum)

Denkschrift

In der Denkschrift des Reichsjustizamtes kehrten zwar die seit den Motiven bekannten Argumente für die Verwaltungsgemeinschaft und gegen die einzelnen anderen Güterrechtssysteme in mehr oder weniger großer Ausführlichkeit wieder691, aber deutlich ist zu merken, daß der Akzent nun stärker auf sozialen Überlegungen lag. So strich die Denkschrift zum Beispiel als Argument gegen die Gütergemeinschaft, die von Teilen der Kritik gefordert worden war, den fehlenden Schutz der Ehefrau vor einem Vermögensverlust heraus: „Vor A l l e m spricht gegen die allgemeine Gütergemeinschaft die G e f ä h r d u n g der E h e frau, die sich hier unvermeidlich ergiebt, w e n n dem M a n n e die durch das praktische B e dürfniß gebotene freie B e w e g u n g gelassen, w e n n namentlich in U e b e r e i n s t i m m u n g mit dem geltenden R e c h t e die H a f t u n g des G e s a m m t g u t s für alle Schulden des M a n n e s anerkannt w i r d " 6 9 2 .

Der soziale Aspekt der Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes, die sich bei der Gütergemeinschaft ergibt, wird unten ausführlicher zu erörtern sein693. Indirekt betonte der Verfasser der Denkschrift, daß die Verwaltungsgemeinschaft in besserer Weise für den Schutz der Ehefrau sorgen würde und führte damit den Topos vom Schutz des Schwächeren ins Treffen. Auch zur Errungenschaftsgemeinschaft stellte die Denkschrift fest, daß dort das Vermögen der Frau in ähnlicher Weise gefährdet sei wie bei der Gütergemeinschaft694. Der Nachteil der Verwaltungsgemeinschaft, der darin gesehen werden könne, wie die Denkschrift meinte, daß die Frau von jeder Teilhabe am Ertrag des Eheguts ausgeschlossen sei, werde durch den umfangreichen Erb- und Pflichtteilsanspruch der Ehefrau wieder ausgeglichen695. Freilich erfaßte dieser Fall nicht die Situation bei einer Auseinandersetzung nach Scheidung der Ehe. (b) Der Antrag auf Einführung

der

Gütertrennung

Schon im Rahmen der ersten Lesung des Entwurfs im Reichstag hatte die Deutsche Reichspartei beantragt, als gesetzlichen Güterstand die GütertrenVgl. oben S. 428 Fn. 530. Vgl. Denkschrift, S. 176-178. 692 Denkschrift, S.177. 6 9 3 Vgl. unten S.472ff. 694 Denkschrift, S. 177. Zur Sicherung der Frau im Rahmen der Verwaltungsgemeinschaft vgl. ebenda, S. 183. 695 Denkschrift, S.178. 690 691

III. Das

Ehegüterrecht

457

nung einzuführen696. Spiritus movens in dieser Frage war der Abgeordnete Freiherr von Stumm-Halberg. Die Reichspartei griff damit ein mitunter ebenfalls schon von der Kritik am ersten Entwurf geäußertes Anliegen auf697, das auch auf Seiten der Frauenbewegung von Sera Proelß und Marie Raschke geäußert worden war 698 . Inwiefern es der Reichspartei dabei mehr um einen „taktischen Interessenausgleich" ging699 als um die Verwirklichung von mehr Gerechtigkeit, braucht hier nicht entschieden zu werden. Interessant ist für unseren Zusammenhang unabhängig von der politischen Motivation die Tatsache, daß die Reichspartei um das soziale Anliegen einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau bemüht war. In seiner ersten Lesung befaßte sich der Reichstag jedoch nicht mit diesem Antrag. Das geschah vielmehr erst in der XII. Kommission des Reichstags, die den Entwurf durchberiet. Immerhin verband Stumm-Halberg den Gegenstand des Antrags mit einer generellen Forderung nach Verbesserung der Rechtsstellung der Frauen. Er erklärte in der Plenarsitzung vom 5. Februar 1896: „Ich verlange aber nicht bloß, daß keine Verschlechterung der Stellung der Frau eintritt, sondern ... die Kodifikation muß in der Richtung fortschreiten, daß sie das Recht des Schwächeren gegen den Starken mehr ins Auge zu fassen hat" 7 0 0 .

Da es aber mehr leichtsinnige Männer als Frauen gebe, so führte er weiter aus, solle das Vermögen der Frau ihrer eigenen Verwaltung und Nutznießung überlassen bleiben 701 . macht ganz besonders Die wörtlich zitierte Äußerung von Stumm-Halberg die Verknüpfung der Frauenfrage mit der sozialen Frage deutlich. Die Gleichberechtigung der Frau erscheint weniger als eine Konsequenz eines liberalen Menschenbildes als vielmehr eine soziale Aufgabe im Sinne des Topos vom Schutz des Schwächeren gegen den Stärkeren. Das ist zu betonen, weil die allgemeine Charakterisierung der Reichspartei als einer Interessenvertretung der Großagrarier und Industriellen702 leicht den Blick darauf verstellen könnte, daß auch diese Kreise die soziale Aufgabe des Privatrechts zu ihrem Anliegen gemacht haben, was man nicht als politisches Schauspiel mißverstehen darf, da weder für die Reichspartei noch für von Stumm-Halberg Vorteile davon erkennbar sind.

§1345 des Antrags Nr. 60, in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht I, S.403. Vgl. oben die Äußerungen von Holtums, S.421. 698 proelß/Rascbke, Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch (wie Fn.216), S. 12; ebenso: Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden (Hrsg.), Das deutsche Recht und die deutschen Frauen (wie Fn.257), S. lOf. Im übrigen vgl. oben S. 397. 699 So Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 139. 700 Frbr. von Stumm-Halberg, in: Stenographische Berichte, S. 105. 701 Frbr. von Stumm-Halberg, in: Stenographische Berichte, S. 106. 702 So zum Beispiel in: Brockhaus, Enzyklopädie, 19. Aufl. Mannheim 1988, Bd. 7, s. v. Freikonservative Partei, S. 632. 696 697

458

Kapitel 6: Soziales Recht im

(c) Die Verhandlungen Güterstand

Familienrecht

der Reichstagskommission

über den

gesetzlichen

Schon in der ersten Lesung hatte Staatssekretär Nieberding die Entscheidung des Entwurfs für die reichseinheitliche Verwaltungsgemeinschaft mit ihrer tatsächlichen Verbreitung begründet 703 . Dieses quantitative Argument besaß offensichtlich erhebliche Uberzeugungskraft, hielt es doch in der Reichstagskommission die Befürworter der Gütergemeinschaft davon ab, die Einführung der Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand überhaupt nur zu beantragen 704 . In der Reichstagskommission wurde sodann der Antrag Pauli Nr. 60 vor der Behandlung von Einzelfragen in einer Generaldebatte behandelt. Neben seinen bereits in seiner Rede vor dem Plenum geäußerten Gründen wies von StummHalberg in der Kommission darauf hin, daß zum einen die Frauenbildung einen Stand erreicht habe, bei dem „man in voller Ruhe der Frau in der Ehe die Verwaltung ihres eigenen Vermögens überlassen könne" 705 . Zum anderen berichtete Bachem als Berichterstatter für das Familienrecht davon, von Stumm-Halberg habe sich auf seine vielfältigen Erfahrungen mit industriellen Arbeitern berufen 706 . So „habe sich ihm die Uberzeugung aufgedrängt, daß kein System mehr dem Interesse der arbeitenden Klassen entspreche, als die Gütertrennung" 707 . Festzuhalten ist, daß der Antrag Pauli Nr. 60 ein sozialpolitisches Ziel verfolgte, nämlich die Verbesserung der Rechtsstellung der Frauen vor allem aus den unteren Bevölkerungsschichten. Die Auffassung der Reichspartei fand von anderer, in dem anonymisierenden Bericht Bachems allerdings nicht benannter Seite Unterstützung mit einem Argument, das bereits von Holtum in die Diskussion eingeführt hatte 708 . Die sittliNieberding, in: Stenographische Berichte, S. 8. 704 Vgl Bericht von Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 133: „Wenn man alleine ausgehe von dem verbreitetsten Recht, so möge es angehen, die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzliches Güterrecht zu acceptiren." Und wenig später heißt es dort: „Von der Stellung besonderer Anträge nach dieser Richtung [sc. Einführung der Gütergemeinschaft] werde abgesehen, weil nach Lage der Verhältnisse in der Kommission eine Aussicht nicht gegeben sei, die Anträge zur Annahme zu bringen." 705 Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 132. 706 frhr v o n Stumm war seinerzeit einer der führenden Unternehmer der saarländischen Eisen- und Stahlindustrie. Gemäß der familiären Tradition hatte er in seinen Werken sich stets intensiv um die sozialen Belange seiner Arbeiter bemüht. Er glaubte, durch ein System persönlicher Führung die Arbeiter von einer - seiner Ansicht nach auch für ihre Interessen schädlichen Einflußnahme der Sozialdemokraten abhalten zu können. So hielt er mehrfach wöchentlich Sprechstunden für seine Arbeiter ab und bestimmte über die wesentlichen Punkte der Arbeitsverträge selbst (obgleich um 1900 sein Unternehmen über 4000 Mitarbeiter zählte). Viele seiner politischen Initiativen beruhten auf den Erfahrungen, die er im Laufe der Zeit im Umgang mit seinen Arbeitern gesammelt hatte. Ausführlich dazu die bereits erwähnte Biographie von Hellwig (wie Fn. 237). 707 Frhr. von Stumm-Halherg, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 132. 708 Vgl oben S. 421. Es steht zu vermuten, daß einer der sozialdemokratischen Abgeordneten (Frohme oder Stadthagen) dieses Argument vorgebracht hat. Jedenfalls trafen sich die Vorstel703

III. Das Ehegüterrecht

459

che Natur der Ehe, so heißt es in dem Bericht der Reichstagskommission, bewirke keine Veränderung der Vermögensverhältnisse. Sonst würden Mitgiftjägerei und der Eheschluß aus wirtschaftlichen Motiven befördert. Schließlich sei die Gütertrennung auch im Falle der Ehescheidung am einfachsten zu bewältigen 709 . Die Regierungskommissare verteidigten hingegen die Verwaltungsgemeinschaft des E II damit, daß die Gütertrennung nicht der deutschen Rechtstradition entspreche und sich in der Form des römischen Dotalrechts nur sehr wenig in Deutschland habe ausbreiten können 710 . Sodann führten sie aus, daß den berechtigten Anliegen der Frauenbewegung im Entwurf schon Rechnung getragen werde durch die Anerkennung der vollen Geschäfts- und Erwerbsfähigkeit der Frau, dadurch, daß der Erwerb der Frau Vorbehaltsgut werde und durch die Zustimmungsbedürftigkeit vieler Verwaltungsgeschäfte des Mannes 711 . „Eine völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe aber sei im Prinzip nicht anzuerkennen" 712 . Nach dieser Ablehnung der Gütertrennung aus Rücksicht auf die Frauen der Arbeiter ist im Bericht der Reichstagskommission von Bachem die Motivation für das System der Verwaltungsgemeinschaft zu lesen. Es heißt dort: „Die Hauptsache sei aber die Frage, welches Güterrechtssystem der rechtsgeschichtlichen E n t w i c k l u n g , der herrschenden Sitte und den wirthschaftlichen Verhältnissen entspreche, w i e sie nicht bloß in einzelnen Volkskreisen, sondern im Ganzen gestaltet seien. Das sei sicherlich nicht die Gütertrennung. Sie w ü r d e namentlich die ländliche Bevölkerung befremden und von ihr zurückgewiesen w e r d e n " 7 1 3 .

Die Regierungskommissare bewegten sich mit ihren Argumenten also vollständig in den seit der Begründung des Vorentwurfs des Familienrechts von Planck bekannten Bahnen und zogen sich auf die Blankettformel der Vorkommission von 1874 zurück. Die Position der Deutschen Reichspartei unter der Führung von StummHalbergs hatte sich schon aus der Diskussion zum EI bekannter Argumente bedient, den sozialen Hintergrund aber noch stärker als bisher ausgeleuchtet. Aber auch eine andere Position aus der früheren Diskussion fand in den Verhandlungen der Reichstagskommission ihren Widerhall. Gierke, Menger, Ascher und Mommsen waren die Wortführer zugunsten der Gütergemeinschaft als System des ehelichen Güterrechts 714 . Auch die Gütergemeinschaft wurde als lung der Sozialdemokraten und von Stumm-Halbergs in diesem Punkt, wie die Diskussion im Plenum des Reichstags später zeigte. Gedanken wie im Text lagen insbesondere Bebel nahe, der freilich nicht Mitglied der Reichstagskommission war, aber doch vielleicht die Auffassung von Frohme und Stadthagen geprägt haben mochte. 709 So Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 133. 710 So Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 132. 711 So Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 132. 712 So Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 133. 713 So Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 133. 714 Vgl. oben S. 421.

460

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

allein dem sittlichen Wesen der Ehe entsprechend bezeichnet 715 . Nun hieß es in der Reichstagskommission, wenn man von der gesundesten Entwicklung der Familie und dem „normalen" Recht ausgehe, wie es dem Wesen der Ehe entspreche, so komme man zur Gütergemeinschaft als gesetzliches Güterrecht 716 . Und wenn man die verschiedenen Gemeinschaftssysteme (Gütergemeinschaft, Errungenschaftsgemeinschaft und Fahrnisgemeinschaft) in Deutschland zusammennehme, so zählten zu ihr 25.088.750 Einwohner im Reich, während die Verwaltungsgemeinschaft nur 13.986.942 Einwohner umfasse717. Dieses letzte Argument erscheint geradezu wie ein mit konkreten Zahlen ergänztes Zitat einer Äußerung Gierkes, der die größere Verbreitung der Verwaltungsgemeinschaft in seiner Kritik am E I bestritten hatte 718 . Und auch das Stabilitätsargument, also der Topos vom sozialpolitischen Ausgleich, den Gierke mit der Forderung der Gütergemeinschaft als gesetzliches Güterrecht verbunden hatte, begegnet in der Debatte der Reichstagskommission wieder. Die Anhänger der Gütergemeinschaft erklärten nämlich, „es erscheine demnach richtiger, die Gütergemeinschaft als gesetzliches Güterrecht einzuführen. N u r dadurch könne man der fortschreitenden Auflösung der Familie entgegen arbeiten und die Familie neu festigen" 7 1 9 .

Gierke hatte die Gefahr einer weiteren Erosion der Institution Familie durch die Einführung eines gemeinschaftsfeindlichen Ehegüterrechts beschworen 720 . Die Anhänger der Gütergemeinschaft in der Reichstagskommission sahen jedoch von der Stellung eines Antrags in dieser Richtung ab, weil sie diesen angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Kommission für aussichtslos hielten. Die Reichstagskommission blieb bei dem vom E II vorgeschlagenen Güterrecht der Verwaltungsgemeinschaft. Für den Antrag der Reichspartei, die Gütertrennung zum gesetzlichen Güterstand zu machen, stimmten lediglich sechs Mitglieder der Kommission 721 . Sie war mehrheitlich der Auffassung, daß den sozialen Forderungen durch die Anerkennung der vollen Geschäftsfähigkeit der Frau, durch die Bestimmung, daß ihr persönlicher Erwerb Vorbehaltsgut werde und durch die verschiedenen Mitwirkungsrechte bei der Vermögensverwaltung die Interessen der Frauen, namentlich auch der unteren Bevölkerungsschichten, hinreichend gewahrt seien. Darüber hinaus war zu beobachten, daß in der Debatte einige der wichtigen Überlegungen bezüglich eines sozialen Ehegüterrechts, die in der früheren Diskussion aufgetaucht waren, zur Sprache gekommen waren. Die vorangegangene wissenschaftliche Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts im Hinblick auf das Ehegüterrecht hatte minde715 716 717 718

719 720

721

So insbesondere bei Mommsen, vgl. oben S.423. So Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 133. So Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 133. Vgl. oben S.429 bei Fn.535. Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 133. Vgl. oben S.414. Bachem, in: Bericht der Reichstagskommission, S. 134.

III. Das

461

Ehegüterrecht

stens insofern ihre Wirkung, als gerade ihre Inhalte zum Gegenstand der Verhandlung der Reichstagskommission geworden waren. (d) Streichung des Zustimmungserfordernisses der Frau?

zum

Arbeitsvertrag

Der § 1341 RT-Vorlage, der dem § 1258 E II722 entsprach, und bestimmte, daß die Frau nur mit Zustimmung des Mannes einen Arbeitsvertrag eingehen könne, anderenfalls der Mann ein Kündigungsrecht besaß, war mehrfach Gegenstand der Erörterung in der Reichstagskommission. Gemäß §1349 RT-Vorlage723 sollte der Arbeitslohn der Frau zu ihrem Vorbehaltsgut werden. Der Wert dieser Bestimmung wäre erheblich gemindert worden, wenn die Eingehung des Arbeitsverhältnisses der Zustimmung des Mannes bedurft hätte. Der bereits erwähnte Antrag Pauli (Nr. 60) wollte § 1341 RT-Vorlage durch eine Vorschrift ersetzen, die der Frau ausdrücklich das Recht auf Abschluß eines Arbeitsvertrags einräumt, dem Vormundschaftsgericht aber die Entscheidung überträgt, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus ehelichen oder Familieninteressen untersagt wird 724 . Der Antrag beruhte auf einer Initiative von Stumm-Halbergs, die aus seinen praktischen Erfahrungen in den eigenen Betrieben resultierte 725 . In der Debatte der Reichstagskommission begründete von Stumm-Halberg den Antrag damit, „daß der Entwurf die Frau der Willkür des Mannes preisgebe und in hohem Grade geeignet sei, den Frieden der Ehe zu gefährden" 726 . Sehr ausführlich ist die Auseinandersetzung in der Kommission im offiziellen, allerdings anonymisierten Kommissionsbericht wiedergegeben. Da der dortige Bericht über die Motivation des Antrags einiges aussagt, sei darüber hier berichtet: Im Kommissionsbericht heißt es, der Antragsteller - gemeint ist von Stumm habe sich auf seine Beobachtungen bei Industriearbeitern berufen. Zwar sei das patriarchalische Verhältnis in der Ehe möglichst aufrechtzuerhalten, aber in den Arbeiterfamilien beruhe die Zerrüttung der Familien sehr oft auf dem Verhalten des Mannes. Das Gesetz müsse aber diese Realitäten berücksichtigen und nicht nach einer vergangenen idealen Ordnung streben. Wenn man der Frau aber ein Recht geben wolle, solle es auch ein ganzes Recht sein. Der Mann solle deshalb Vgl. oben S.449. Im übrigen vgl. §1277 E I, oben S.403. Entsprach dem späteren § 1367 a.F. BGB. 724 Antrag Pauli (Nr. 60,2): „Die Ehefrau ist berechtigt, ohne Einwilligung ihres Mannes einen selbständigen Beruf oder Gewerbe zu betreiben und sich Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung zu verpflichten. Erweist sich solche Thätigkeit der Ehefrau als eine Schädigung der ehelichen oder Familieninteressen, so kann ihr die Fortsetzung derselben auf Antrag des Mannes vom Vormundschaftsgericht untersagt werden. Auf Grund einer diesbezüglichen Verfügung des Vormundschaftsgerichts ist der Mann berechtigt, das Rechtsverhältniß, durch welches seine Frau sich zu einer in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet hat, unter Einhaltung einer vom Vormundschaftsgericht zu bestimmenden Frist zu kündigen" [vgl .Jakobs/ Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 348f.]. 725 Zu den Hintergründen vgl. oben Fn. 706. 726 Bericht von Heller, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S.353. 722

723

462

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

derjenige sein, der einen Antrag beim Vormundschaftsgericht stellen müsse, um das Recht der Frau aufzuheben. Es sei grundfalsch, daß der Entwurf die Frau für viel mehr verpflichtet halte, auf die Gefühle des Mannes Rücksicht zu nehmen, als umgekehrt. Wenn der Mann ohne Einwilligung der Frau einen bestimmten Beruf ausübe, habe doch auch niemand etwas dagegen einzuwenden727. Von Mandry hingegen verteidigte die Fassung des Entwurfs damit, daß sie zweckmäßig sei, weil sie von vorne herein durch die vormundschaftsgerichtliche Erlaubnis zur Rechtssicherheit führen werde728. Im übrigen wurde „aus der Mitte der Kommission entgegnet", daß eine Veränderung der Rechte des Mannes in der Ehe, auch wenn die Frauenbewegung diese fordere, zu einer für die Familie schädlichen Entwicklung führen werde, die zu unterstützen der Gesetzgeber keine Veranlassung habe729. Die Zweifelhaftigkeit der solchen Äußerungen zugrunde liegenden Uberzeugung von einer „normalen Ehe" eigens zu kommentieren, ist hier nicht erforderlich. Bezeichnend ist jedenfalls, daß die patriarchalischen Vorstellungen von der Ehe noch so verbreitet waren, obwohl in der Wirklichkeit - jedenfalls nach dem unbestrittenen Zeugnis z.B. von Stumms - sich die Verhältnisse gewandelt hatten. Erst vor diesem Hintergrund wird das Ausmaß des Fortschritts, den das B G B schließlich auf diesem Felde bot, deutlich. Planck gab bei dieser Verhandlung dann den entscheidenden Ratschlag: Er sei, so sagte er, zwar der Ansicht, daß die Entwurfsfassung zweckmäßig sei, doch sei er persönlich der Auffassung, es sei vielleicht besser, das Kündigungsrecht des Mannes im Falle eines Arbeitsvertrags der Frau, den diese ohne seine Zustimmung abgeschlossen habe, von einer vormundschaftsgerichtlichen Erlaubnis abhängig zu machen 730 . Da die Mehrheit den Antrag Pauli ablehnte, brachte von Stumm-Halberg einen vermittelnden Antrag ein, über den jedoch erst in einer späteren Kommissionssitzung verhandelt werden sollte. Dieser vermittelnde Antrag kannte statt des Zustimmungserfordernisses des Mannes nur noch die Möglichkeit der Zustimmung. Zustimmungsfreie Verträge sollte der Mann kündigen können, wenn das Vormundschaftsgericht ihn dazu ermächtigte. Die Erteilung der Ermächtigung war an eine Ermessensentscheidung gebunden731. Bericht der Reichstagskommission, S. 126f. Bericht von Heller, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 353. 729 Bericht der Reichstagskommission, S. 127. 730 Bericht von Heller, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S.353. 731 Antrag v. Stumm-Halberg Nr. 99: „Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn auf Antrag des Mannes das Vormundschaftsgericht den Mann zu der Kündigung ermächtigt hat. Das Vormundschaftsgericht kann die Ermächtigung nur ertheilen, wenn die Fortsetzung der Thätigkeit der Frau sich als eine Schädigung der ehelichen und Familieninteressen erweist. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, wenn der Mann der Verpflichtung der Frau zugestimmt hat, oder seine Zustimmung Jakobs/Schubert, auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist", in: Beratung, Familienrecht I, S.350. 727 728

III. Das

Ehegüterrecht

463

In der 36. Kommissionssitzung, die am 8. Mai 1896 stattfand, befaßte man sich mit dem Antrag des Freiherrn von Stumm, der sofort auch im Lager derjenigen, die gegen den Antrag Pauli waren - das waren alle außer Stadthagen und von Stumm, der sich hier in einer für ihn ungewöhnlichen Gesellschaft mit den Sozialdemokraten fand - , Zustimmung erhielt 732 . Von Stumm hat den wunden Punkt des Entwurfs getroffen, indem er ausführte, daß die Entwurfsfassung dem Mann das Recht einräume, die Frau „zu drangsalieren", die häufig nur eigenen Erwerb erwirtschaften wolle, um die Familie zu ernähren, weil der Mann seine Pflichten nicht erfülle 733 . Gemäß § 1341 RT-Vorlage wäre es möglich gewesen, daß der Mann seine Zustimmung zur Erwerbstätigkeit der Frau davon abhängig gemacht hätte, daß die Frau ihren Erwerb zum Ehegut schlägt, also in die Verwaltung und Nutznießung des Mannes gibt, obgleich der Arbeitslohn an und für sich zum Vorbehaltsgut zählte. Dennoch blieb die Kommissionsmehrheit bei ihrer ablehnenden Haltung 7 3 4 . Erfolg hatte von Stumm schließlich mit einer Wiederholung seines Antrags in der 2. Lesung des Entwurfs durch die Reichstagskommission 735 . Anders als in seinem ursprünglichen Antrag sollte das Ermessen des Vormundschaftsgerichts anders gefaßt werden: wenn die Interessen von Ehe und Familie durch die Erwerbstätigkeit der Frau gestört werden würden, sollte das Gericht die Ermächtigung zur Kündigung aussprechen müssen, wobei aber auch andere Erwägungen des Vormundschaftsgericht eine Ermächtigung zulassen würden. Dieser veränderte Antrag wurde dann von der Reichstagskommission einstimmig angenommen 736 . Redaktionell nur leicht verändert fand die Regelung dann schließlich als § 1358 Einzug ins BGB. Die güterrechtliche Vorschrift, daß der Arbeitslohn der Frau zum Vorbehaltsgut zählt (§1367 BGB a.F.), fand so eine wichtige praktische Ergänzung, weil die Frau nun grundsätzlich die Freiheit besaß, Arbeitsverträge abzuschließen, solange diese nicht die ehelichen Interessen verletzten. Gewiß war damit noch nicht eine vollständige Gleichberechtigung mit dem Mann erreicht, aber seine so oft als unbeschränkt beschriebene Vorrangstellung als „Haupt der Familie" hatte auch hier Einschränkungen erfahren, die man auf dem Weg zur Gleichberechtigung als einen Fortschritt bewerten muß 737 . Auf Bericht von Heller; in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 354. Bericht der Reichstagskommission, S. 127. 734 Bericht von Heller, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 354. 735 Antrag von Stumm-Halberg, Pauli Nr. 146, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S.357. 736 Bericht von Heller, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S.357. Im Bericht der Reichstagskommission, S. 128, ist die Rede davon, der Antrag sei „mit erheblicher Majorität angenommen worden". Ob dieser Bericht Bachems oder derjenige von Heller („einstimmig") zutrifft, ist nicht mehr zu entscheiden, für uns jedoch auch bedeutungslos. 737 pe(ra Malsbenden, Die rechtliche Stellung der Frau im ehelichen Güterrecht vom ALR zum BGB, Frankfurt am Main usw. 1991, S.298f. [vgl. zu dieser Arbeit die Rezension von Wilhelm Brauneder, in: ZNR 17 (1995), S. 147f.] hat den Fortschritt dieser Regelung des BGB im Vergleich zum ALR als eher theoretisch eingestuft. Sie folgert diese Bewertung daraus, der Ar732 733

464

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

indirekte Weise hat hier die Frauenbewegung einen Erfolg erreicht 738 . Aus ihren Reihen hatten sich Sera Proelß und Marie Raschke für eine vollständige Aufhebung des § 1258 E II 739 eingesetzt 740 . Treibende Kraft in der Kommission war der Reichstagsabgeordnete von Stumm, der sich auch sonst für die Interessen der Frau im neuen Gesetzbuch stark eingesetzt und den Ideen der bürgerlichen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts durchaus aufgeschlossen gegenübergestanden hat.

(e) Plenardebatte

über den gesetzlichen

Güterstand

Im Plenum des Reichstags befaßten sich Abgeordnete verschiedener Parteien mit dem Ehegüterrecht. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob sich nicht die Einführung der Gütertrennung entsprechend dem Antrag Pauli Nr. 60 als gesetzlichen Güterstand empfehle. Der vorsichtige Versuch des Zentrumsabgeordneten Rintelen, sich für ein Regionalsystem stark zu machen 741 , erscheint nur als ein Nachhutgefecht, das keiner weiteren Erörterung bedarf, weil sein Fraktionskollege Spahn für das einheitliche System der Verwaltungsgemeinschaft eine Lanze gebrochen und dafür die Unterstützung seiner Fraktion erhalten hatte 742 . Die Denkschrift des Reichsjustizamtes hatte die maßgeblichen Argumente für die reichseinheitliche Lösung noch einmal zusammengefaßt. Allen Güterrechten in Deutschland seien bestimmte Grundgedanken gemeinsam, so hieß es dort. Die territorialen Unterschiede hätten ihren Grund weder in der Eigenart der Volksstämme noch in den wirtschaftlichen Verhältnissen, sondern regelmäßig in Zufälligkeiten 743 . Ein Ersatz der bestehenden Güterrechte durch ein einheitliches System lasse keine besonderen Schwierigkeiten erwarten, wie beitgeber der Frau werde zur Sicherheit regelmäßig die Einwilligung des Mannes fordern. Zwar könne die Frau diese durch vormundschaftsgerichtliche Entscheidung ersetzen, aber diese werde sie im Interesse des ehelichen Friedens nicht herbeigeführt haben. - Die These, die auf die Verkehrssicherheit abstellt, ist bislang empirisch weder bestätigt noch widerlegt. Angesichts der Tatsache, daß der Mann zur Kündigung die Ermächtigung des Vormundschaftsgerichts benötigt hätte, die an relativ enge Voraussetzungen geknüpft war, erscheint mir das Kündigungsrisiko des Arbeitgebers vergleichsweise gering. Was den ehelichen Frieden anbetrifft, so ist zu bedenken, daß dieser nicht von vorne herein den Männern weniger als den Frauen am Herzen gelegen haben mag. Auch sie hätten aber das Vormundschaftsgericht zur Durchsetzung ihrer Rechtsposition gebraucht. 738 So sieht es Dieter Schwab, Gleichberechtigung und Familienrecht im 20. Jahrhundert, in: Frauen in der Geschichte des Rechts, hrsg. von Ute Gerhard, München 1997, S. 790-827, hier S. 793, der freilich ungenau die Veränderung gegenüber dem E I als einen Erfolg der 2. Kommission ansieht, obgleich erst die Reichstagskommission zur Gesetz gewordenen Lösung gefunden hat.

Vgl. oben S. 449. Proelß/Raschke, Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch (wie Fn.216), S. 10. 741 Rintelen, in: Stenographische Berichte, S.23. 742 Spahn, in: Stenographische Berichte, S. 130. - Auch der Abgeordnete Kauffmann von den Freisinnigen hatte sich deutlich für ein einheitliches Güterrechtssystem ausgesprochen, in: Stenographische Berichte, S.48. 743 Anders, jedoch ohne Begründung: Gierke, Minoritätsvotum (wie Fn.421), S.342. 739 740

III. Das

Ehegüterrecht

465

die Erfahrungen des Code civil zeigten. In Schlesien, Österreich und Oldenburg habe man ähnliche Erfahrungen gemacht 744 . Das beherrschende Thema im Zusammenhang mit dem Ehegüterrecht war also die Frage, ob die Gütertrennung oder die Verwaltungsgemeinschaft das geeignetere System darstelle. Da in den Debatten keine neuen Argumente mehr benutzt wurden, können wir uns hier mit einer zusammenfassenden Darstellung begnügen, wobei das Augenmerk auf den sozialpolitischen Überlegungen der Beteiligten liegen wird. In der ersten Beratung des Gesetzentwurfs hatte sich von Stumm-Halberg zur Begründung des Antrags Pauli Nr. 60 auf Einführung der Gütertrennung geäußert, wie wir oben gehört haben 745 . In der 114. Sitzung des Reichstags am 25. Juni 1896 wurde im Rahmen der 2. Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Antrag zum Ehegüterrecht erneut verhandelt und wieder meldete sich von Stumm-Halberg zu Wort. Die Stellung der Frau im Ehegüterrecht des Entwurfs halte er, so führte er aus, für unbefriedigend. Obgleich der Entwurf sonst für das Recht des Schwächeren eintrete, werde hier die Frau durch die Heirat „von einem vermögensrechtlich völlig gleichgestellten Wesen in die Knechtschaft der Verwaltungsgemeinschaft hinuntergestoßen ..., zum Geschöpf zweiter Klasse degradirt« 7 4 6 .

Es widerspreche aber dem sittlichen Wesen der Ehe, wenn der Mann der Frau mit finanziellen Mitteln seinen Willen aufzwingen könne. Die deutsche Rechtsentwicklung - also das historische Argument, das vor allen Dingen Planck so gerne anführte [T.R.] - könne man der Forderung nach der Gütertrennung nicht entgegenhalten, weil auch die inzwischen aufgehobene Leibeigenschaft eine echt deutsche Erfindung gewesen sei. In England habe man mit der Gütertrennung gute Erfahrungen gesammelt 747 . Seine Rede gipfelte schließlich in dem Ausruf: „Weisen Sie ihr [sc. der Frau] auch rechtlich diejenige Stellung an, welche sie sozial schon seit Jahrzehnten einnimmt, und welche sie im vollsten Maße verdient!" 7 4 8

Der Redebeitrag von Stumm-Halbergs macht besonders deutlich, daß es bei der Auswahl des passenden Güterrechtssystems um die soziale Frage der Rechtsstellung der Frau im Sinne des Schutzes des Schwächeren und auch der sozialen Freiheit ging. Zustimmung erhielt von Stumm-Halberg von Seiten der Sozialdemokraten durch den Abgeordneten Bebel, der um der Gerechtigkeit und des sittlichen Wesens der Ehe willen die Gütertrennung befürwortete 749 . Denkschrift, S.176. Vgl. oben S.456 bei Fn.696. /46 pyfoir von Stumm-Halberg, in: Stenographische Berichte, S.558. 747 Frhr. von Stumm-Halberg, in: Stenographische Berichte, S. 557-563. /48 prfor von Stumm-Halberg, in: Stenographische Berichte, S.564. 749 Bebel, in: Stenographische Berichte, S. 564-570. 744

745

466

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

In derselben Richtung äußerten sich auch die Abgeordneten Rickert™, Conrad751 und Prinz zu Scbönaich-Carolath752. Im Alltag, so meinte letzterer, zeige sich, daß die Frauen schütz- und rechtlos gegenüber ihren Ausbeutern seien. Man müsse nur einmal in die Berliner Dachwohnungen des 4. oder 5. Stockwerks gehen, um sich davon ein Bild zu machen. Diesen Stellungnahmen ist gemeinsam, daß auch sie den sozialen Topos vom Schutz des Schwächeren auf die Rechtsstellung der Frau übertrugen und daraus die Forderung der Gütertrennung ableiteten, um auf diese Weise die Frau vor männlicher Willkür und Macht zu schützen. Die Gegenseite befürwortete eben dieses Ziel, war jedoch der Meinung, es mit anderen, weniger einschneidenden Mitteln erreichen zu können. In diesem Sinne verteidigte Planck als Kommissar des Bundesrats im Reichstag die Regelung des Entwurfs. Man könne, so sagte er, nun einmal nicht festlegen, ob die Gütertrennung oder die Gütergemeinschaft mehr dem sittlichen Wesen der Ehe entspreche. Maßgeblich sei die geschichtliche Entwicklung -Planck blieb unbeirrt von den Ausführungen seiner Gegner. In Deutschland unerprobtes Recht solle man nicht einführen. Die Verwaltungsgemeinschaft entspreche am besten den Interessen der Frau. Bei der Gütertrennung mache die Bestimmung ihres angemessenen Beitrags zu den ehelichen Lasten Schwierigkeiten, bei der Gütergemeinschaft werde ihr Vermögen gefährdet, weil das Gesamtgut für die Schulden des Mannes hafte. Nur in der Verwaltungsgemeinschaft sei das Stammvermögen der Frau vollständig gesichert 753 . Die praktischen Vorteile der Verwaltungsgemeinschaft betonte schließlich auch der Zentrumsabgeordnete Bachem als Berichterstatter der Reichstagskommission für das Familienrecht 754 . Und so beschloß 755 der Reichstag die Einführung der Verwaltungsgemeinschaft gemäß §1363 BGB 756 . ( f ) Erfolg und Mißerfolg der Kritik Die Kritik an der Konzeption des Ehegüterrechts im ersten Entwurf konnte sich mit ihrem Hauptanliegen, anstelle der Verwaltungsgemeinschaft die Gütergemeinschaft beziehungsweise die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand einzuführen, nicht durchsetzen. Dennoch bot sie, wie gerade auch die Verhandlungen im Reichstag, sei es in der Kommission, sei es im Plenum, gezeigt haben, Veranlassung, die schließlich Gesetz gewordene Fassung noch einmal sorgfältig 750 Rickert, in: Stenographische Berichte, S. 575: „Die Bestimmungen des Entwurfs sind weder gerecht, noch klug, noch sind sie zweckmäßig." Rickert gehörte zur Freisinnigen Vereinigung. 751 Conrad, in: Stenographische Berichte, S. 580f. Der schlesische Gutsbesitzer Conrad war Mitglied der Zentrumsfraktion. 752 Prinz zu Schönaich-Carolath, in: Stenographische Berichte, S. 576f. Prinz Heinrich zu Schönaich-Carolath war Mitglied der Nationalliberalen Fraktion. 753 Planck, in: Stenographische Berichte, S. 570-575. 754 Bachem, in: Stenographische Berichte, S. 582. 755 Stenographische Berichte, S. 583 (2. Lesung), S. 876 (3. Lesung). 756 § 1363 BGB entsprach wörtlich § 1346 RT-Vorlage und § 1263 E II, vgl. oben S.445.

III. Das

Ehegüterrecht

467

zu begründen. Dabei zeigte sich, daß Kritiker und Verteidiger der Verwaltungsgemeinschaft in ihrer Zielsetzung nicht gegensätzliche Positionen vertraten. D e r Schutz der berechtigten Interessen der Frauen war allen Seiten ein Anliegen. D i e Positionen unterschieden sich allerdings in der Wahl der für geeignet gehaltenen juristischen Mittel, um den Schutz der Frauen rechtlich durchzusetzen. A m ehesten kann man noch von einem Gegensatz zwischen den Befürwortern der Gütergemeinschaft und den Verteidigern des Entwurfs sprechen, weil der insbesondere von Gierke betonte Gemeinschaftscharakter der E h e in der Verwaltungsgemeinschaft weniger deutlich wurde als in der allgemeinen Gütergemeinschaft, was auch die Anhänger der Verwaltungsgemeinschaft nicht bestritten. Immerhin ließ sich auch für die Position Gierkes nachweisen, daß sie in der Reichstagskommission noch diskutiert worden ist. D a ß sie im Plenum nicht mehr zur Sprache kam und daher der soziale Aspekt der Verbesserung der Rechtsstellung der Frau im Vordergrund stand, lag allein daran, daß im U n t e r schied zur Gütertrennung niemand die Einführung der Gütergemeinschaft beantragt hatte. Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Verwaltungsgemeinschaft darf man aufgrund dieser Entwicklung nicht als ein Unterliegen des sozialen Gedankens begreifen. Jedenfalls in der Vorstellung der damaligen Entscheidungsträger, wie sie sich insbesondere in den Ausführungen Plancks gezeigt hat, entsprach das Gesetz durchaus den sozialen Anforderungen, die sich aus dem Wesen der E h e und dem Ziel, die Interessen der Frau zu schützen, ergaben. Einen konkreten Erfolg hatte von Stumm-Halb erg, der in der Reichstagskommission die Änderung von § 1341 RT-Vorlage 7 5 7 durchgesetzt hatte, mit der Folge, daß nunmehr die Frau ohne die Zustimmung ihres Mannes einen Arbeitsvertrag abschließen durfte. Das ursprünglich vorgesehene Kündigungsrecht des Mannes wurde gleichzeitig abhängig gemacht von einer vorherigen vormundschaftsgerichtlichen Ermächtigung. Auf diese Weise wurde wenigstens in diesem Punkte die Rechtsstellung der Frau verbessert.

3. Die Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes (§§1298, 1299 E I) Während im vorangegangenen Abschnitt die ehegüterrechtlichen Prinzipien der Entwürfe im Vordergrund standen, soll im folgenden die Entwicklung der Frage, ob die Ehefrau für die Schulden ihres Mannes mit ihrem Vermögen haften solle, untersucht werden. Diese Frage scheint insbesondere deshalb interessant, weil die schon aus der allgemeinen Debatte bekannten Positionen hier wie durch ein Brennglas bezogen auf eine konkrete Einzelfrage der Ausgestaltung der Verwaltungsgemeinschaft betrachtet werden können - und dies an einem 757

Entsprach § 1258 I E II, vgl. oben S.449.

468

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

Gegenstand, wo wiederum beide Seiten „soziale" Erwägungen für sich in Anspruch nahmen. Die sozial motivierte Regelung des Entwurfs blieb durch das ganze Gesetzgebungsverfahren hin unverändert. Die auf andere Weise soziale Kritik vermochte sich nicht durchzusetzen. a) Der Erste

Entwurf

Da dem Ehemann die Nutznießung und Verwaltung des Vermögens seiner Ehefrau im gesetzlichen Güterstand übertragen worden ist, stellte sich die Frage, ob und wie das Vermögen der Frau für Schulden haftet, die der Mann Dritten gegenüber auf sich genommen hat. Es war zu entscheiden, ob die Substanz des Vermögens der Frau für diese Schulden haften sollte. Für Planck stellte sich die geschichtliche Entwicklung der Haftung der Frau für die Schulden des Mannes so dar, daß nur einige Partikularrechte die Frau haften ließen, dagegen der Sachsenspiegel und das gemeine Recht eine solche Haftung nicht gekannt haben 758 . Im preußischen Recht sei aufgrund des Gesetzes vom 7. April 1838 klar, daß die Frau gegen Ansprüche Dritter auf ihr Vermögen intervenieren könne. Im Konkurs habe sie ein Vorzugsrecht. Dasselbe gelte schließlich für das sächsische BGB gemäß §§1678, 1685759. Demgegenüber hatte der 12. Deutsche Juristentag in Nürnberg 1875 eine Mithaftung der Frau befürwortet 760 , weil das Vermögen der Eheleute als Ganzes vom Ehemann genutzt und verwaltet werde. Deshalb sei für die Gläubiger des Mannes nicht erkennbar, wie die Vermögensverhältnisse im einzelnen seien. Die Vermögensmassen würden vereint erscheinen und im übrigen geschehe der Frau kein Unrecht, weil ihr Gut gerade dazu dem Mann anvertraut werde, damit er es wirtschaftlich nutze und notfalls auch mit Schulden belaste 761 . Hatte Planck als Redaktor des Familienrechts historisch argumentiert, so begegnet uns beim Juristentag eine im wesentlichen wirtschaftliche Begründung. Die wirtschaftliche Relevanz der Haftungsfrage liegt offen zu tage. Wenn das Vermögen der Frau mithaftet, so wird dadurch die Kreditfähigkeit des Ehemannes gesteigert und damit der wirtschaftliche Geschäftsverkehr vereinfacht. Die soziale Relevanz ist hingegen wie so oft zweideutig. Einerseits profitiert die Ehefrau regelmäßig von einer gesteigerten Prosperität des Mannes, so daß auch sie ein Interesse an der wirtschaftlichen Liberalisierung haben kann. Andererseits verliert sie bei einem Zugriff der Gläubiger des Mannes auf ihr Vermögen einen Teil des Schutzes, den sie bis dahin in Gestalt dieses Vermögens hatte. Im 758 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.399f. [ND B d . l , S.551f.]; Motive IV, S.205f. 759 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.400f. [ND B d . l , S.552f.]; Motive IV, S.206. 760 Beschluß des Juristentages, in: Verhandlungen des Zwölften Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1875, S.80. 761 So der Bericht von Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.403f. [ND Bd. 1, S.555f.]

III. Das

Ehegüterrecht

469

folgenden müssen beide Aspekte im Auge behalten werden, wenn es gilt, die Entscheidung des Entwurfs beziehungsweise des Gesetzes und die Kritik auszulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die erste Kommission von dem Prinzip ausging, daß jede Haftung mit dem eigenen Vermögen einer positiven Begründung bedürfe, während Kritiker wie Gierke solch eine Haftung als nicht weiter begründungsbedürftigen Reflex des familienrechtlichen Verhältnisses der Ehe ansahen. Dem Grundsatz nach ging der Entwurf davon aus, daß sich weder allein aus der Tatsache der Vereinigung des Vermögens beider Eheleute in der Hand des Ehemannes zum Zwecke der Verwaltung und Nutznießung die Haftung des Vermögens der Frau für die Schulden des Mannes rechtfertigen lasse noch aus dem familienrechtlichen Verhältnis der Eheleute untereinander. In den Motiven hieß es: „Jeder Ehegatte haftet nach allgemeinen Grundsätzen für die in seiner Person entstandenen Schulden und nur für diese'. Insbesondere läßt sich eine Haftung der Ehefrau für die Schulden des Ehemannes aus dem Systeme der Verwaltungsgemeinschaft nicht ableiten" 7 6 2 .

Eine Haftung mit der Substanz des Vermögens sei, so fuhren die Motive an anderer Stelle fort, auch nicht dadurch zu begründen, daß die Ehefrau subsidiär unterhaltspflichtig sei noch aus irgendeinem anderen Grund, der mit der Ehe in Verbindung stehe763. Zu keiner anderen Konsequenz führten Billigkeit und Zweckmäßigkeit. Die Vorteile der Gläubiger des Mannes seien unbeachtlich, weil sie damit rechnen müßten, daß der Mann auch das Vermögen der Frau in seiner Hand halte, das er nur verwalten und nutzen dürfe. Entscheidend sei schließlich, daß es der Frau gegenüber unbillig sei, wenn sie haften würde, weil sie auch nicht an der Errungenschaft des Ehemannes teilhabe. „Die Ehefrau hat keinen Antheil an dem Vermögen des Ehemannes oder an der Errungenschaft, der Ehemann haftet auch in keiner Weise für die Schulden der Ehefrau. Das gleiche Maß für beide Theile fordert, daß die Ehefrau, wie sie am Gewinne nicht Theil nimmt, so auch die Gefahr des Verlustes nicht trägt" 7 6 4 .

Vom Grundsatz her lehnte der Entwurf also die Haftung der Ehefrau für die Schulden ihres Mannes ab und zwar zunächst einmal mit einem Gerechtigkeitsargument. Eine dementsprechende Vorschrift wurde - wie auch sonst im ersten Entwurf üblich - nicht aufgenommen. Das Fehlen einer positiven Zurechnungsnorm genügte, um deutlich zu machen, daß das Vermögen der Frau nicht für die Schulden des Mannes haftet. Jeder Ehegatte sollte nach allgemeinen Grundsätzen für die in seiner Person entstandenen Schulden haften765. Die spä762 763 764 765

Motive Motive Motive Planck,

IV, S. 157. IV, S. 207. IV, S. 208. Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.319 [ND Bd. 1, S. 471].

470

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

tere ausdrückliche Festschreibung dieses Grundsatzes im G e s e t z geschah aufgrund eines Vorschlags der zweiten K o m m i s s i o n 7 6 6 . D i e Interessen der Gläubiger des Mannes k ö n n t e n , so meinte Planck, die H a f t u n g nicht rechtfertigen, denn die äußerliche Einheit eines Vermögens sei nicht aussagekräftig. Wer Kredit gebe, müsse sich reale Sicherheit verschaffen 7 6 7 . A u c h k ö n n e man nicht für eine gemeinschaftliche H a f t u n g der Eheleute die „natürliche A u f f a s s u n g " ins Feld führen, denn erstens sei streitig, o b die H a f t u n g der Frau für die Schulden des M a n n e s aus dieser folge, und zweitens dürfe man sich eben nicht auf eine natürliche Auffassung gegen eine ausdrückliche Regelung des Gesetzes berufen. W e r es d e n n o c h tue, täusche sich selbst, und gegen die F o l g e n dieser T ä u s c h u n g Schutz zu gewähren, sei nicht die Aufgabe des Gesetzes 7 6 8 . D e r sicherste A n h a l t s p u n k t dafür, daß die Ehefrau nicht mit ihrem V e r m ö g e n für die Schulden des Mannes haften solle, sei die geschichtliche E n t w i c k l u n g , derzufolge die Frau nur mithafte, wenn sie auf der anderen Seite auch am G e winn des M a n n e s beteiligt sei 7 6 9 . N i c h t zuletzt auch aufgrund dieser Ü b e r l e gung entschied die K o m m i s s i o n am 27. S e p t e m b e r 1876 als Grundsatz, daß die Frau nicht für die Schulden des Mannes haften solle 7 7 0 , was der E n t w u r f dann auch später umsetzte. H i n z u kam, daß die Frau auf diese Weise besser gegen eine mögliche M i ß w i r t s c h a f t des Mannes gesichert war. A u f ihre Sicherung durch Erhaltung der Substanz ihres Vermögens werde, so hieß es in den M o t i v e n , größeres G e w i c h t gelegt, als auf diejenige der Gläubiger des Mannes 7 7 1 . D e m K o m m i s s i o n s b e s c h l u ß waren ausführliche Beratungen in der R e d a k t o r e n k o n f e r e n z vorausgegangen. Planck hatte zu deren Sitzung am 8. J a n u a r 1876 bereits einige T h e s e n und Fragen vorgelegt, die die E c k p u n k t e der späteren R e gelung betrafen. S c h o n dort hatte Planck vorgeschlagen, daß die Frau nicht mit ihrem V e r m ö g e n für die Verbindlichkeiten des M a n n e s haften solle. Anderes sei mit dem System der Verwaltungsgemeinschaft nicht zu vereinbaren 7 7 2 . N i e -

Einzelheiten unten S. 478. Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn. 324), S. 404f. [ND Bd. 1, S. 556f.]. 768 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.408f. [ND Bd. 1, S.560f.]. 769 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.410 [ND Bd.l, S. 562]; Motive IV, S.208. 770 Protokoll der Sitzung vom 27. September 1876, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 376f. Abweichend von diesem Ergebnis hatte Windscheid verlangt, die Frau solle wenigstens subsidiär haften, wenn der Mann die Schulden zu Zwecken der Ehe gemacht habe [so die handschriftliche Randbemerkung im Handexemplar des Protokolls von Gebhard, abgedruckt in Jakobs/Schubert (wie zuvor), S.376 Fn. 5]. Auch Pape hatte Bedenken gegen die Nichthaftung der Frau, die er aber zurückstellte [vgl. Jakobs/Schubert (wie zuvor), S.376f. Fn. 6], 771 Motive IV, S.209f. 772 Neubauer, Aufzeichnung über die Sitzung vom 22. Januar 1876, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 363-364. - Die Ausführlichkeit des Protokolls der Redaktorenkonferenz an dieser Stelle ist eher eine Ausnahme gewesen, vgl. dazu: Werner Schubert, Einleitung, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 14. Wilhelm Neubauer war Schriftführer der 1. Kommission [Schubert, wie zuvor, S. 11]. 766 767

III. Das Ehegüterrecht

471

mand der übrigen Redaktoren (Schmitt, von Kübel, Johow und Gebhard) widersprach dieser grundsätzlichen Entscheidung 7 7 3 . In A n b e t r a c h t der damals geltenden Rechtslage 7 7 4 k a m für den E n t w u r f allenfalls in Frage, in Parallele zur Belastbarkeit des N i e ß b r a u c h s r e c h t s die N u t z n i e ßungsrechte veräußerlich und belastbar zu machen. § 1298 E I bestimmte dazu: „Die Rechte, welche durch die eheliche Nutznießung an den zum Ehegute gehörenden Gegenständen begründet sind, können nicht veräußert werden; sie sind auch der Pfändung nicht unterworfen." D e r G r u n d für die ablehnende Entscheidung war, daß das N u t z n i e ß u n g s recht als eine höchstpersönliche R e c h t s p o s i t i o n verstanden wurde, die ihren G r u n d in dem familienrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen E h e m a n n und Ehefrau fand 7 7 5 . D i e Ehefrau überläßt in der Verwaltungsgemeinschaft die N u t z n i e ß u n g dem E h e m a n n , ohne irgendeine andere Sicherheit zu haben als die Garantie in der Person des Ehemannes 7 7 6 . W e n n j e d o c h die G l ä u b i g e r des M a n nes die N u t z u n g des Ehegutes an sich ziehen k ö n n t e n , so verlöre die H i n g a b e des Vermögens der Frau als E h e g u t ihre innere Berechtigung, weil dasselbe dann nicht m e h r dem ehelichen Z w e c k , sondern den Interessen der Gläubiger des Mannes dienen würde. Diese Interessen k ö n n t e n den ehelichen genau zuwiderlaufen, w e n n etwa der Frau ein H a u s gehöre, das zur gemeinschaftlichen W o h nung genutzt werde, und nun die Gläubiger dasselbe an D r i t t e vermieten w ü r den 7 7 7 . A h n l i c h wie bei der Frage der H a f t u n g des Vermögens der Frau für die Schulden des Mannes, so führte Planck aus, gelte hier die Ü b e r l e g u n g , daß den Interessen der Gläubiger kein U n r e c h t geschehe, weil sie bei der Kreditierung einrechnen k ö n n t e n und müßten, daß ein R ü c k g r i f f auf die N u t z n i e ß u n g des Vermögens der Frau nicht in Betracht k o m m e 7 7 8 . D i e s e Ü b e r l e g u n g e n sollten j e d o c h nicht für die F r ü c h t e der N u t z n i e ß u n g des Vermögens der Ehefrau gelten. Insoweit schien eine E i n s c h r ä n k u n g g e b o ten, u m die Bestreitung der ehelichen Lasten aus den F r ü c h t e n zu gewährleisten 7 7 9 . D a der M a n n aus seinem V e r m ö g e n die Lasten bestreiten und die Verwaltung und N u t z n i e ß u n g ihm dabei helfen solle, hielt die K o m m i s s i o n es für erforderlich, daß der M a n n die F r ü c h t e nicht namens der Frau zieht, sondern daß er sie selbst erwirbt. D a n n aber war es konsequent, die F r ü c h t e , die also nach der Trennung v o n der Hauptsache in das V e r m ö g e n des Mannes fallen würden, v o n Anfang der Pfändung durch die Gläubiger des M a n n e s auszuset773 Neuhauer, Aufzeichnung über die Sitzung vom 22. Januar 1876, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Familienrecht I, S. 364-366. 774 Vgl. im einzelnen die Schilderung in Motive IV, S. 211-213 sowie Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.415^117 [ND Bd.l, S.567-569]. 775 Motive IV, S.213. 776 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.417 [ND Bd. 1, S.569]. 777 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.417 [ND Bd.l, S.569]. 778 Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.418 [ND Bd.l, S.570], 779 Motive IV, S.215f.

472

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

zen. Alles andere führe, so meinte Planck, zu einem „das Rechtsgefühl verletzenden Widerspruch" 780 . Zur Sicherung der Interessen der Frau an der Nutznießung - nämlich daß diese einen Beitrag zu den ehelichen Lasten bietet - sollte die Zwangsvollstreckung insoweit ausgeschlossen sein, als der Ertrag der Nutznießung zur Bestreitung der Verpflichtungen des Mannes gegenüber seiner Frau erforderlich ist. Und dementsprechend bestimmte § 1299 E I: „Die auf Grund der ehelichen Nutznießung von dem Ehemanne erworbenen Früchte sind der Pfändung insoweit nicht unterworfen, als der Ehemann derselben bedarf, um die mit der ehelichen Nutznießung verbundenen Verpflichtungen sowie diejenigen Unterhaltsverpflichtungen zu erfüllen, welche gegenüber seiner Ehefrau und seinen Verwandten ihm gesetzlich obliegen, ingleichen um seinen eigenen standesmäßigen Unterhalt zu bestreiten. Gegen die Pfändung kann auf Grund des ersten Absatzes sowohl der Ehemann als auch die Ehefrau, diese im Wege der Klage nach Maßgabe des §. 690 der Civilprozeßordnung, Widerspruch erheben. Der Beweis des Betrages, welcher erforderlich ist, um die im ersten Absätze bezeichneten Verpflichtungen zu erfüllen und die darin bezeichneten Unterhaltskosten zu bestreiten, liegt dem der Pfändung widersprechenden Ehegatten, der Beweis, daß die Einkünfte des Ehemannes zur Erfüllung jener Verpflichtungen und zur Bestreitung jener Kosten, wenn die gepfändeten Früchte dem Ehemanne entzogen werden, noch genügen, liegt dem Gläubiger ob, welcher die Früchte zu seiner Befriedigung in Anspruch nimmt."

Der letzte Absatz der Vorschrift stellte unter anderem klar, daß es für die Beschränkung der Pfändung nicht darauf ankommen sollte, ob der Ertrag der Nutznießung sonst nicht zur Bestreitung der Lasten ausreicht, sondern entscheidend sollte sein, ob die Einkünfte des Mannes insgesamt sonst nicht mehr genügen würden 781 . b) Die Kritik Gierke kritisierte, daß das Ehegüterrecht des Entwurfs an den normalen Verhältnissen vorbeigehe. Und so nütze es regelmäßig der Frau auch nicht, wenn sie zwar von der Verpflichtung zur Tragung der ehelichen Lasten und der Haftung für Eheschulden befreit sei, aber das eingebrachte Gut gegenüber den Gläubigern des Mannes in keiner Weise gesichert oder bevorzugt sei. Das ausschließliche Nutzungsrecht des Mannes werde nicht ausgeglichen782. Im Hinblick darauf, daß auch nach dem Entwurf die Frau das Eigentum am eingebrachten Gut behielt und sie sich mit den allgemeinen Mitteln einer Drittwiderspruchsklage gegen unberechtigten Zugriff auf ihr Vermögen schützen konnte sowie darauf, daß auch die Nutzungen nicht pfändbar waren, sondern nur die Früchte einem beschränkten Zugriff der Gläubiger des Mannes ausge780 781 782

Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn. 324), S. 419 [ND Bd. 1, S. 571]. Vgl. Planck, Begründung des Entwurfs (wie Fn.324), S.423 [ND Bd. 1, S.575], Gierke, Entwurf, S.416.

III. Das

Ehegüterrecht

473

setzt waren, ist der von Gierke erhobene Vorwurf im Hinblick auf die fehlende Sicherung der Frau jedenfalls aus heutiger Sicht nicht unmittelbar einleuchtend. Gierkes Stellungnahme darf im übrigen nicht so verstanden werden, als befürworte er die Nichthaftung der Frau für Schulden des Mannes. Im Ergebnis gegen eine Haftung der Frau entschied sich Klöppel, der dabei allerdings die Interessen der Kreditwirtschaft durchaus nicht übersah. Der Wettbewerb der meisten Unternehmen beruhe darauf, daß sie mit Krediten arbeiten würden, deren Grundlage das im Unternehmen angelegte Vermögen sei, so führte er aus. „Hat also der Mann das Vermögen der Frau zur Kreditgrundlage für seinen Betrieb verwendet, so ist es für denjenigen, der den Kredit gewährt hat, eine harte Enttäuschung, wenn im Augenblicke der Stockung ihm diese Grundlage entgleitet" 7 8 3 .

Dennoch sei es härter, einen ganzen Hausstand zu ruinieren, als den Gewinn des Kreditgebers zu kürzen 784 . Die Güterabwägung wird verständlich, wenn man an den Topos vom sozialpolitischen Ausgleich denkt, der die Stabilität der Familien als Grundlage der Gesellschaftsordnung verstand. Als geglückt sah es Schröder an, daß der Entwurf in Ubereinstimmung mit dem „alten deutschen Rechte" die Substanz des Ehegutes nicht für die Schulden des Mannes haften lassen wollte 785 . Den entgegengesetzten Standpunkt vertrat in der Haftungsfrage zum Beispiel Pfizer, der sich dafür aussprach, auch das eingebrachte Gut der Frau für die Schulden des Mannes mithaften zu lassen, weil der Mann möglicherweise nur aufgrund des Reichtums seiner Frau vermögend erscheine786. Ausgenommen werden sollten nur die Deliktsschulden des Mannes. Die Frau sollte für diese Fälle die Auseinandersetzung des Vermögens oder die Absonderung verlangen dürfen 787 . Auch Ascher und Mommsen traten für die Haftung der Frau für alle Schulden des Mannes ein 788 . Bemerkenswert ist dabei, daß diese Auffassung verknüpft war mit dem Eintreten für die allgemeine Gütergemeinschaft. In diesem Punkt sollte aber die Rechtssicherheit den Vorrang vor der „sozialen" Forderung nach Verbesserung der Stellung der Frau haben, deren Schutz allein durch das Sondergut erreicht werden sollte. Dabei hätte sich das Postulat der Rechtssicherheit durchaus mit dem sozialen Gemeinschaftsinteresse in Verbindung bringen lassen, wie bei Gierke zu beobachten ist. Das Eintreten für die Gütergemeinschaft und auch eine Mithaft der Ehefrau Klöppel, Das Familien- und Erbrecht (wie Fn. 172), S. 340. Klöppel, Das Familien- und Erbrecht (wie Fn. 172), S.340. 785 Schröder, Das Familiengüterrecht (wie Fn.416),S.19;indiesemSinne auch: Brühl, Gutachten für den 21. D J T (wie Fn.573), S. 185. 786 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn. 341), S. 127. 787 Pfizer, Das Familienrecht nach dem Entwurf (wie Fn. 341), S. 131. 788 Ascher, [Eingabe, wie Fn.412], S.95; Mommsen, Das eheliche Güterrecht (wie Fn.412), S. 171, 176, 179-180. 783 784

474

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

für die Schulden des Mannes verband mit den soeben Genannten auch Gierke, der sich dafür allerdings nicht aus der „liberalen" Erwägung der Rechtssicherheit entschied, sondern aus dem von ihm vertretenen Gemeinschaftsideal789. Wie selbstverständlich ging er davon aus, daß ein Haftungsgrund bestehe, während sich die Gesetzeskommission damit befaßt hatte, ob sich nicht aus irgendeinem Aspekt positiv ein Haftungsgrund ergebe. Gierke verpackte seine Position freilich in die Form der Mißbilligung des Entwurfs, indem er schrieb: „Im Interesse der Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger wird die Frau den sonstigen Gläubigern ihres Mannes [im Entwurf] vollkommen gleichgestellt: sie genießt kein Vorrecht, haftet dafür aber auch mit ihrem Ehegut in keiner Weise für die Schulden des Mannes. Dies alles zielt auf Trennung statt auf Verbindung der Eheleute ab und erhebt statt des Vertrauens das Mißtrauen zur M a x i m e ! " 7 9 0

Und mit leicht sarkastischem Unterton fuhr er wenig später fort: „Das anständig denkende Ehepaar hat den hereinbrechenden Vermögensverfall gemeinsam zu tragen: überwiegt die Klugheit, so lebt der verschuldete Mann aus den Mitteln der reichen Frau „standesgemäß" mit Austern und Champagner weiter. Auch das eheliche G ü terrecht ist eben nicht für die Dummen und Altfränkischen geschrieben, sondern auf eine dem modernen Kulturniveau entsprechende geschäftliche Geriebenheit der künftigen Generation mit Einschluß des schönen Geschlechts berechnet" 7 9 1 .

Wer wollte, konnte dem entnehmen, daß Gierke dafür war, die Frau in vollem Umfang mit dem Ehegut für die Schulden des Mannes haften zu lassen, da die Eheleute eine Gemeinschaft bilden. Auf das soziale Problem der Sicherung der Frau im Falle der Mißwirtschaft des Mannes ging Gierke an dieser Stelle nicht näher ein. Dennoch kann man sicher sein, daß das Problem Gierke nicht entgangen ist, weil er seine gesamte Kritik am Entwurf wie in einem Dialog mit den Motiven verfaßt hat, die genau auf diese Frage zu sprechen gekommen waren. Doch das war nicht Gierkes Anliegen. Ihm ging es in erster und vorderster Linie um den Gemeinschaftsgedanken, den er auf diese Weise konsequent umsetzte. Das Problem der Gefährdung der Frau durch Mithaftung des Eheguts für die Schulden des Mannes hielt er, wie sich aus einer anderen, bereits oben erwähnten792 Äußerung ergibt, wohl für nebensächlich oder praktisch jedenfalls nicht wichtig. Er schrieb:

789 Der Sache nach ebenso Bunsen, [Korreferat, wie Fn. 521], S.271, der die Haftung der Ehefrau aus dem gemeinschaftlichen Wesen der Ehe abgeleitet hat. 790 Gierke, Entwurf, S. 410. Daß die Eheleute vom Entwurf nicht als Gemeinschaft, sondern als getrennte Individuen behandelt werden, hat Gierke auch andernorts beklagt, zum Beispiel ders., Personengemeinschaften und Vermögensinbegriffe in dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889, S.54. - Zu kurz greift Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 101, wenn er als Argument für die Forderung der Haftung der Frau für die Schulden des Mannes in der Kritik des ersten Entwurfs nur die Verkehrsinteressen benennt. Gierke hatte diese beispielsweise nicht im Sinn. 791 Gierke, Entwurf, S.410. 792 Vgl. oben bei Fn. 782.

III. Das

Ehegüterrecht

475

„Es nützt ihr [sc. der Ehefrau] unter normalen Verhältnissen wenig, daß sie nun dafür [sc. daß sie nicht am Ertrag des beiderseitigen Vermögens beteiligt wird] gewissermaßen außerhalb der Ehe gestellt, von der Mittragung der ehelichen Lasten und aller Haftung für Eheschulden befreit, als Geschäftsherrin mit allen möglichen selbständigen Befugnissen und Ansprüchen gegen den verwaltenden Mann ausgerüstet und auf den Erwerb von Vorbehaltsgut durch Arbeit außer dem Hause hingewiesen wird. Geht es dagegen mit der Wirtschaft bergab, so bleibt freilich die Frau von der vielleicht durch sie wesentlich mitverschuldeten Einbuße verschont, entbehrt aber gegenüber den Gläubigern des Mannes aller der Sicherungs- und Vorzugsrechte wegen ihres Eingebrachten, durch deren Gewährung das frühere Recht eine gewisse Kompensation für die ausschließliche Zuweisung alles N u t zens an den Mann herstellte. Man wird die Veurteilung eines solchen Systemes durch Bahr, der es als „System des Mannesegoismus" bezeichnet, nur unterschreiben k ö n n e n " 7 9 3 .

Die am Anfang des Zitats hervorgehobenen Worte zeigen, daß Gierke die Situation einer Haftung der Frau für Schulden des Mannes als einen Ausnahmefall ansah, so daß eine Haftungsbefreiung auch nicht eine praktisch bedeutsame Verbesserung der Stellung der Frau sein würde, sondern mehr eine Wohltat auf dem Papier. Das Interesse, den Gemeinschaftsgedanken zu stärken gegen ein „System des Mannesegoismus" - Bahr wollte allerdings anders als Gierke nicht die Rechtsstellung des Mannes verbessern - , überwog in den Augen von Gierke den theoretischen Vorteil. Nichts anderes ergibt sich aus Gierkes Äußerungen auf dem 21. Deutschen Juristentag, von denen oben in anderem Zusammenhang die Rede war 794 . Gierke hatte dort als Ausgleich für die Mithaftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes verlangt, daß der Ehefrau eine Mitherrschaft über das Ehevermögen eingeräumt werden solle. Nähere Einzelheiten hat Gierke nicht ausgeführt, aber immerhin sollte es für die Frau möglich sein, über die Verwendung des Vermögens mitzubestimmen. Eine solche Rechtsposition räumte der Entwurf - trotz aller Sicherung gegen eine Haftung für die Schulden des Mannes - nicht ein. Bei aller Betonung des Gemeinschaftsgedankens kann man also bei Gierke nicht feststellen, daß er das soziale Anliegen einer Verbesserung der Rechtsstellung der Schwächeren in der Gesellschaft völlig ignoriert hätte. Richtig ist freilich, daß er das nur insoweit für gut hielt, als es mit dem Gemeinschaftsgedanken, aus dem für die Eheleute unterschiedliche Statusrechte abzuleiten waren, zu vereinbaren war. Ahnliches meinte auch Mitteis. Er bestritt zunächst einmal die Berechtigung der Argumente der Motive gegen die Haftung der Ehefrau. Insbesondere sei der Hinweis auf die Tatsache, daß man auch aus einem anderen Grund als der Ehe Vermögen eines Dritten in den Händen halten könne, das als eigenes Vermögen erscheine, verfehlt, weil in solchen Fällen die Nutznießung fehle 795 . Auch dürfe man nicht sagen, es sei eben das Risiko der Kreditgeber, wenn sie nicht die Bonität ihres Kunden überprüften. Denn - und hier leuchtet das Verständnis von der 793 794

795

Gierke, Entwurf, S.416. Hervorhebung von T.R. Vgl. oben S.438 bei Fn.592. Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S.607.

476

Kapitel

6: Soziales

Recht

im

Familienrecht

Aufgabe des Gesetzes bei Mitteis auf - die Gesetzgebung müsse den Verhältnissen des Lebens folgen und nicht umgekehrt 796 . Mitteis befürwortete eine anteilige Mithaftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes. Die Frau solle mit ihrem äußerlich nicht vom Mannesvermögen unterscheidbaren eingebrachten Gut, also nicht mit ihrem Vorbehaltsgut, für die Schulden des Mannes insoweit haften, als ihr Vermögen Anteil am Gesamtvermögen der Eheleute ausmache 797 . Das sollte allerdings nur dann gelten, wenn zuvor das Mannesvermögen zur Begleichung der Schulden vollständig aufgebraucht worden ist. Die anteilige Haftung des eingebrachten Gutes sollte also subsidiär sein 798 . Pfizer bewertete offensichtlich anders als der Entwurf die Interessen des Verkehrs höher als das Interesse der Frau, nicht mit den Schulden des Mannes belastet zu werden, und entschied sich deshalb für die Haftung der Ehefrau. Zum selben Ergebnis kamen Gierke und Mitteis, wenngleich aus anderen Gründen. Welcher Standpunkt war „sozial"? Die damalige Diskussion hielt unter anderem ein Privatrecht für sozial, das die Interessen und Rechte der Frau schützt, ihre Stellung im Sinne einer Gleichberechtigung stärkt. Ganz zweifellos könnte man die Gleichberechtigung auch als „liberales" Ziel bezeichnen. Und selbst wenn man diesen Aspekt ausblendete, so ließe sich die Stärkung der Stellung der Frau als eine Konsequenz der Privatautonomie begreifen, weil die Frau als Rechtssubjekt selbst über ihr Vermögen bestimmen soll. Die Privatautonomie gilt aber ebenfalls als ein Charakterzug „liberalen" Privatrechtsdenkens. Andererseits liefe die Forderung Pfizers, die ihren Grund in dem auch als „liberal" einzustufenden Streben nach möglichst umfassender Verkehrssicherheit hatte, auf eine Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken hinaus, was man sicher im Ansatz eher als „sozial" einstufen könnte. Denn, obgleich die Gläubiger des Mannes nur mit ihm einen Vertrag geschlossen haben, sollten sie doch die eventuell zahlungskräftige Ehefrau als Schuldnerin hinzugewinnen in Folge der ehelichen Gemeinschaft, die sich auch im Vermögensrecht widerspiegeln sollte. Das Geschäftsrisiko, die Bonität des Schuldners zutreffend einzuschätzen, wäre auf diese Weise wenigstens teilweise auf die Frau des Schuldners verlagert worden, die nun haften sollte. Es wäre dennoch verfehlt, hierin ein Postulat des „sozialen" Privatrechts zu erblicken, wie es in der Diskussion um 1890 entworfen wurde. In der zeitgenössischen Literatur empfand man das keineswegs als „sozial". Doch mag das Beispiel einmal mehr zeigen, wie privatrechtliche Instrumente je nach Blickwinkel „sozial" oder „liberal" wirken können. Und ebenfalls bestätigt sich, daß es ganz zwecklos ist, anhand scheinbar charakteristischer Rechtsinstitute die „Liberalität" oder „Sozialität" einer Privatrechtsordnung beurteilen zu wollen. Entscheidendes Gewicht kommt vielmehr stets den jeweiligen inhaltlichen Standpunkten zu. 796 797 798

Mitteis, Mitteis, Mitteis,

Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S. 608. Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S.613f. Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S. 609.

III. Das

Ehegüterrecht

477

Schwieriger noch wird die Beurteilung des Standpunktes von Mitteis, weil er die widerstreitenden Interessen gleichmäßiger ausbalanciert hat. Das Vertrauen der Kreditgeber darauf, daß der Mann über das Vermögen verfügen darf, das sich bei äußerlicher Betrachtung als das seine darstellt, sollte geschützt werden. Von diesem Interesse der Verkehrssicherheit ging auch Mitteis aus. Dadurch sollte aber gleichzeitig auch das Interesse der Ehefrau an der wirtschaftlichen Prosperität des Mannes befördert werden, weil die Frau indirekt davon profitieren würde, wenn die Bonität des Mannes durch das eingebrachte und mithaftende Ehegut gesteigert wird. Umgekehrt würde die Frau auch unter dem schlechteren Kredit des Mannes zu leiden haben, wenn man ihr Gut nicht mit in die Haftung einbezöge 799 . Weiterhin wollte Mitteis die Interessen der Frau an der Erhaltung ihres Eheguts dadurch schützen, daß er der Frau in größerem Umfange die Möglichkeit einräumen wollte zu verlangen, daß ihr Mobiliarvermögen sicher angelegt wird. Im übrigen sah er einen gewissen Schutz darin, daß sich stets der Mann zunächst selbst ruinieren müsse, bevor das Vermögen der Frau in Mitleidenschaft gezogen werde 800 . Betrachtet man das Argument der Kreditwürdigkeit des Ehemannes, die durch die Mithaftung des Vermögens der Frau gesteigert wird, so kann man das durchaus als „ehegemeinschaftsfreundlich" und deshalb sozial etwa im Sinne Gierkes verstehen, obwohl gleichzeitig die Verkehrsinteressen der Kapitalgeber an einem zahlungskräftigen Schuldner gefördert werden. Wir stehen also vor einem ähnlichen Problem wie bei den Bodenkrediten und der Erleichterung oder Erschwerung von Krediten. Erinnert sei ferner an den Berliner Möbelleihvertrag, der diese Doppelwirkung ebenfalls zeigte. Man kann die Erleichterung des Kredits sicherlich nicht einfach als ein „liberales" Interesse der Kapitalseite ansehen. Andererseits hat auch Mitteis nicht durch irgendwelche empirischen Daten belegt, in welcher Weise der Kredit der Eheleute von der Einbeziehung des eingebrachten Gutes abhing. Zugunsten der Haltung der Motive, die einen „sozialen" Schutz des Vermögens der Frau beabsichtigten, sprach im übrigen, daß sie von der wirklichen Vermögenslage und nicht einem äußeren Anschein ausgingen, was letztlich im Interesse aller Beteiligten stand. Die Äußerungen Gierkes zur Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes zeigen einmal mehr, daß man allein aus dem normativen Ergebnis nicht auf den sozialen Charakter einer Regelung schließen darf. Gierke hielt seine Vorstellungen mindestens für „sozial" und seine Zeitgenossen wie aber auch die modernen Darstellungen der Entstehungsgeschichte des BGB, die Gierke stets als Kronzeugen der Kritik am Entwurf benennen, haben ihm das abgenommen. Der zweifellos als „sozial" einzustufende Schutz des Schwächeren gegen den Starken ist jedoch ein Topos, der das Privatrechtsdenken Gierkes nur in sekun799 Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn. 356), S. 608; ähnlich Frhr. von Godin, Das eheliche Güterrecht (wie Fn. 469), S. 5, der sogar aus Gründen der Kreditwürdigkeit die Mithaftung beider für die vorehelichen Schulden befürwortete. 800 Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht (wie Fn.356), S.610.

478

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

därer Weise - und zwar vor allem im Schuldrecht - beeinflußt hat. Ganz im Vordergrund stand bei ihm der Gemeinschaftsgedanke, den er in allen Rechtsverhältnissen kompromißlos durchführen wollte. Und daher erschien ihm sogar eine gesamtschuldnerische Haftung der Ehefrau für die Schulden ihres Mannes ihrer Nichthaftung vorzugswürdig, weil dadurch der Gemeinschaftscharakter der Ehe, die personenrechtliche Bindung der Eheleute sinnfällig zum Ausdruck gekommen wäre. Die Gefahr, daß die Frau durch leichtsinnige Geschäfte ihres Mannes wider ihren Willen in den Ruin geraten könnte, stufte Gierke offenbar als gering ein. Sollte man schließlich zu entscheiden haben, ob eher der Entwurf oder die Kritiker wie Pfizer, Mitteis und Gierke einen sozialen Standpunkt vertreten haben, so müßte man wohl im Entwurf die „sozialere" Regelung erblicken, wenn man, zusammen mit der zeitgenössischen Diskussion 801 , den Schutz des Schwächeren - der hier einherlief mit der sozialen Freiheit - als den stärkeren sozialen Topos betrachtet gegenüber dem von Gierke in den Vordergrund gestellten Topos der Gemeinschaft mit ihren personenrechtlichen Bindungen. c) Vom Entwurf

zum

BGB

(1) Die Zweite Kommission

und der

Bundesrat

Die von der zweiten Kommission gebildete Subkommission billigte dem Inhalt nach die Regelung des ersten Entwurfs über die Schuldenhaftung der Frau, die eine Mithaftung für die Schulden des Mannes verneinte (§§ 1298 f. E I 8 0 2 ) 8 0 3 . Die Subkommission schlug vor, einige Teile dieser Vorschriften in die Zivilprozeßordnung zu verschieben und im Bürgerlichen Gesetzbuch lediglich zu bestimmen: „Die Gläubiger des Mannes können nicht Befriedigung aus dem eingebrachten Gute verlangen. Auch sind die Rechte, welche dem Manne in Ansehung des eingebrachten Gutes zustehen, nicht veräußerlich" 8 0 4 .

Die Frau sollte also nicht für die Schulden des Mannes mit ihrem Ehegut haften. Ferner hob die Vorschrift hervor, daß das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht des Ehemannes ein höchstpersönliches und daher unveräußerliches Recht sein sollte. Der Zweck der Regel sollte sein, daß die Substanz des Vermögens der Ehefrau nicht durch die Eheschließung einen Nachteil erleidet. Die Protokolle der Subkommission lassen nicht erkennen, daß außer der praktischen Frage, wo insbesondere der Inhalt des § 1299 E I 8 0 5 zu regeln sei, ir-

801 802 803 804 805

Vgl. die Debatte im Reichstagsplenum über die Stellung der Frau oben S. 464—467. Vgl. oben S. 471. Prot. II, Bd.4, S. 182 sowie Anlage I zum Prot. Nr.275, in: Prot. II, Bd.4, 1897, S. 147. § 1 Gegenentwurf der Subkommission, in: Prot. II, Bd.4, S. 134. Vgl. oben S.472.

III. Das

Ehegüterrecht

479

gendwelche Überlegungen über die Zweckmäßigkeit der Regeln o. ä. angestellt worden wären 806 . Die zweite Kommission erwog aufgrund eines Antrags von Jacubezkywl, ob man den allgemeinen Grundsatz in § 1 Satz 1 des soeben zitierten Gegenentwurfs nicht besser streichen solle, weil auch sonst das Gesetz grundsätzlich keine Lehrsätze aufstelle. Doch entschied sich die Mehrheit für die Beibehaltung „wegen der Wichtigkeit" des Grundsatzes 808 . Die Ablehnung der Schuldenhaftung der Frau durch den ersten Entwurf war offenbar so hinreichend motiviert worden, daß in der zweiten Kommission kein Diskussionsbedarf mehr bestand. Entsprechend der Ermächtigung durch die Hauptkommission entschloß sich die Redaktionskommission, die beiden Sätze von § l1 des Gegenentwurfs in verschiedene Vorschriften zu stellen. Der Grundsatz, daß die Gläubiger des Mannes nicht aus dem eingebrachten Gut Befriedigung verlangen können, fand sich jetzt in § v1 ZustRedKomm. 809 und gelangte schließlich als § 1309 in den E II: „§1309. Die Gläubiger des Mannes können nicht Befriedigung aus dem eingebrachten Gute verlangen."

Die Unveräußerlichkeit der Rechte des Mannes am eingebrachten Gut bestimmte §1307 E II. Gierkes Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts traf sich in diesem Punkt jedenfalls nicht mit den Vorstellungen der zweiten Kommission, die hier eher den Gedanken des ersten Entwurfs zu folgen bereit war. Wie oben gezeigt werden konnte, wäre es allerdings kurzschlüssig, daraus zu schließen, daß sich der E II sozialen Erwägungen verschlossen hätte. Näher liegt es in diesem Fall anzunehmen, daß der Schutz des Vermögens der Frau als dem potentiell schwächeren Teil der ehelichen Gemeinschaft als eine vorrangige rechtliche Aufgabe angesehen wurde im Vergleich zur Stärkung des Gemeinschaftscharakters der ehelichen Verbindung im Wege gemeinschaftlicher Schuldenhaftung. Der Justizausschuß des Bundesrats ließ den Grundsatz, daß die Frau nicht für die Schulden des Mannes haftet, ohne weitere Diskussion passieren. § 1395 B R Vorlage stimmte mit §1309 E II wörtlich überein und wurde schließlich als § 1393 dem Reichstag vorgelegt. (2) Der Reichstag (XII. Kommission und

Plenum)

Die Denkschrift des Reichsjustizamtes hatte, wie oben bereits erwähnt 810 , als einen Nachteil der Gütergemeinschaft und der Errungenschaftsgemeinschaft die Gefährdung des Vermögens der Frau durch die Mithaftung für die Schulden 806 807 808 809 810

Prot. II, Bd. 4, S.182f. Antrag Jacubezky (Nr. 38, 3), in: Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht I, S.578. Prot. II, Bd. 4, S. 204 f. Vgl .Jakobs/Schubert, Beratungen, Familienrecht I, S. 592. Vgl. oben S.456 bei Fn.692.

480

Kapitel 6: Soziales Recht im Familienrecht

des Mannes bezeichnet. Dahinter stand der Topos vom Schutz des Schwächeren, der hier bedeutete, daß das Vermögen der Frau vor einer solchen Gefährdung durch die Verwaltungsgemeinschaft geschützt werde, weil die Frau in diesem System nicht für die Schulden des Mannes hafte. Die Denkschrift verteidigte also die Regelung des Entwurfs gegen die verschiedenen Kritiker wie Pfizer, Mitteis und Gierke mit einem „sozialen" Argument. Von der Durchschlagskraft des Arguments überzeugt, faßte sich die Denkschrift kurz: „Wenn die Frau an dem Vermögen des Mannes oder der Errungenschaft keinen Antheil hat und der M a n n in keiner Weise für die Schulden der Frau haftet, so ist es eine einfache Forderung der Gerechtigkeit, daß die Frau, w i e sie an dem Gewinne nicht Theil nimmt, so auch nicht die Gefahr des Verlustes trägt" 8 1 1 .

Gegen eine „einfache Forderung der Gerechtigkeit" konnte niemand etwas einwenden. Und so geschah es auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren. Die XII. Kommission des Reichstags nahm die im E II vorgeschlagene Regelung ohne Debatte an 812 . Im Reichstagsplenum kam die Schuldenhaftung der Frau nur einmal nebenbei zur Sprache. Daß in der Verwaltungsgemeinschaft die Frau nicht für die Schulden des Mannes hafte, führte Planck in der Debatte am 25. Juni 1896, die sich mit der passenden Form des Ehegüterrechts beschäftigte, als Vorteil der Entwurfsfassung an. Sowohl in der Gütergemeinschaft als auch in der Errungenschaftsgemeinschaft sei das Vermögen der Frau nicht gegen den Zugriff der Gläubiger des Mannes hinreichend geschützt 813 . Die Vorschrift des § 1410 BGB, die wortgleich mit § 1309 E II und den verschiedenen Zwischenfassungen war, wurde ohne eigene Debatte in der dritten Lesung am 1. Juli 1896 beschlossen 814 . Fragt man am Ende, welche soziale Aufgabe der Gesetzgeber dem §1410 BGB zugemessen hat, so kann man an der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift sehr deutlich demonstrieren, daß der Gesetzgeber den Ideen von Planck gefolgt ist, der die Nichthaftung der Frau als ein Gebot der Gerechtigkeit ansah und eine Sicherung der Substanz ihres Vermögens damit bezweckte, um ihr die Chance einer gewissen wirtschaftlichen und rechtlichen Unabhängigkeit von ihrem Mann zu eröffnen. Dahinter stand das soziale Anliegen, den Schwächeren gegen den Stärkeren zu schützen und die soziale Freiheit der Frau zu fördern 815 . Obgleich die Aussage von § 1410 BGB im ersten Entwurf gar nicht ausdrücklich ausgesprochen worden war, entsprach das endgültige Ergebnis des Verfahrens genau dem Anliegen Plancks, der den ersten Entwurf in diesem Punkte maßgeblich geprägt hatte. Es hatte zwar an kritischen, wenigstens zum Teil ebenfalls „sozial" motivierten Stellungnahmen zur Nichthaftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes nicht gefehlt, doch hatten sie in diesem Punkte keinen 811 812 813 814 815

Denkschrift, S.185. Bericht der Reichstagskommission, S. 138. Planck, in: Stenographische Berichte, S. 573f. Vgl. Stenographische Berichte, S. 876. Ausführlich zur Position Plancks oben S.468ff.

IV. Zusammenfassende

481

Würdigung

Einfluß auf das Ergebnis des Verfahrens. Zwar erscheint das Gesetz äußerlich betrachtet an dieser Stelle also unbeeinflußt von sozialen Vorstellungen der Kritik, aber bei Berücksichtigung der gesamten Entstehungsgeschichte zeigt sich, daß § 1410 B G B eine Vorschrift war, deren Zweck die Verbesserung der Rechtsstellung der Frau und damit ein soziales Anliegen der Zeit war.

IV. Soziales Recht im Familienrecht Zusammenfassende Würdigung 1. Gemeinschaft

und

-

Freiheit

Unter der gemeinsamen Fahne eines „sozialen" Familienrechts begegnen in der Diskussion um den Entwurf zwei germanistische Grundwerte. Zum einen war es allen voran Gierke, der konsequent die Verwirklichung des Gemeinschaftsgedankens im Familienrecht forderte und daher für die Gütergemeinschaft ebenso eintrat wie für die Haftung der Frau für die Eheschulden. Andere Namen aus diesem Lager sind insbesondere Brühl und Mitteis. Neben Gierke traten aber andere Kritiker, die sich konsequent für eine Verbesserung der Rechtsstellung der Frau eingesetzt haben. Und das bedeutete unter den damaligen Verhältnissen Schutz des Schwächeren durch Gleichberechtigung, durch Einforderung von größerer Freiheit. Schließlich waren sowohl das Ehegüterrecht als auch die elterliche Gewalt Materien, von deren Ausgestaltung die Stabilität der Familien abhing, wie einige meinten. Sozialpolitischer Ausgleich bedeutete in diesem Zusammenhang nichts anderes als Erhaltung der Familienstrukturen, um so die Gesellschaftsordnung zu schützen. Alle vier Topoi finden sich in der Diskussion um das Familienrecht wieder. Sowohl für die Regeln über die elterliche Gewalt als auch für das Ehegüterrecht erwies sich der Schutz der Interessen der Frauen im Wege der Vergrößerung ihrer sozialen Freiheit, mit anderen Worten der Schutz durch Emanzipation als ein Leitgedanke - ein Leitgedanke allerdings, der in Konkurrenz stand zu einem beinahe übermächtigen anderen Gesichtspunkt, den der Gesetzgeber beachten wollte: Bewahrung des hergebrachten Rechts, das von einem patriarchalischen Familienbild geprägt war mit seiner starken Benachteiligung der Frauen. Immerhin bewegte sich das Gesetz ein beträchtliches Stück weg von patriarchalischen Familienstrukturen hin zur Gleichberechtigung. Diese Interpretation steht nicht im Widerspruch zur Einschätzung der Frauenbewegung der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts, aus deren Reihen nicht ohne Grund beklagt wurde, die Schutzbedürftigkeit der Frau diene „als Deckmantel des eheherrlichen Prinzips" und bewirke tatsächlich den „Schutz der angemaßten Vorrechte des Mannes" 816 . Solche Kritik richtete sich gegen die Versuche, diejenigen Vorschriften zu legitimieren, die die Ehefrau in Abhängigkeit 816 proelß/Rasckket

D i e Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch (wie Fn.216), S. 1, 5.

482

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

von ihrem Mann brachten. Daß es dabei um eine merkwürdige Doppelmoral ging, wurde schon damals mit dem zutreffenden Hinweis begründet, daß derlei „Schutzmaßnahmen" ausschließlich Ehefrauen, nicht jedoch Ledige und Witwen treffen sollten, ohne daß erkennbar wäre, warum sie in geringerem Maße des Schutzes bedürftig sein sollten 817 .

2. „Sozialkonservative"

Tendenz?

Schmid hat in seiner Dissertation die These vertreten, das Ehegüterrecht des Savignysm Entwurfs sei als eine konsequente Umsetzung der Volksgeistlehre aufzufassen. Planck habe das Ziel verfolgt, das Ehegüterrecht den herrschenden sozio-ökonomischen Verhältnissen anzupassen, ohne mit der hergebrachten Tradition völlig zu brechen. Der Entwurf sei „sozialkonservativ" 819 . Sozialkonservativ heißt indes noch nicht viel. Schmid hat damit gemeint, daß das Güterrecht die traditionelle Unterordnung der Frau unter die Herrschaft des Mannes mit den neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen, insbesondere der Verkehrssicherheit, an die wirtschaftliche und rechtliche Freiheit der Frau zu verbinden gewußt habe. Die Volksgeistlehre Savignys als ideellen Hintergrund des Planckschen Rechtsdenkens zu verstehen, ist sicherlich nicht verfehlt. Die Notwendigkeit einer Anpassung des Rechts an die wirtschaftlichen Gegebenheiten, auf die dieser Hintergrund abzielte, war allerdings während der Entstehung des B G B zu keiner Zeit und von keiner Seite bestritten 820 . Die Diskussion drehte sich folglich auch nicht um diese Frage, so daß eine Uberprüfung dieser These nicht weiter erforderlich erscheint. Streitig war schon eher, inwiefern die wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Kodifikation richtig bewertet würden. Es bestand eben zwischen den Auffassungen auf der einen Seite von Menger und auf der anderen Seite etwa von Jacoby keine Einigkeit. Eine Entscheidung der Frage, ob das Ehegüterrecht des B G B zu den damaligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gepaßt habe, ex post vorzunehmen, wie es Schmid getan hat 821 , wirft allerdings erhebliche Probleme auf, weil es sehr genaue Kenntnisse von dieser Zeit voraussetzt. Schmid ging zunächst einmal von einigermaßen gleichen Lebensverhältnissen im ganzen Reich aus und maß den Schwierigkeiten unterschiedlicher Güterrechtssysteme für den überregionalen Handelsverkehr große Bedeutung zu 822 . Leider hat es Schmid unterlassen, seine wirt817 Proelß/Raschke,

Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch (wie Fn.216), S. 1.

Vgl. dazu oben S. 119. 819 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 118. 820 Vgl z B die Argumentation von Stumm-Halbergs zugunsten einer Veränderung von §1341 RT-Vorlage im Interesse der Frau mit Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse in Arbeiterkreisen, oben S. 462 bei Fn. 727. 821 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 112ff. 822 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 308), S. 114: „Ein un818

IV. Zusammenfassende

Würdigung

483

schaftsgeschichtlichen Beobachtungen mit nachprüfbaren Fakten zu untermauern 823 . Das abstrakte Problem ist sicherlich nicht zu leugnen. Der Handelsverkehr wird ganz zweifellos erleichert, wenn überall dasselbe Ehegüterrecht gilt und Haftungsrisiken dadurch berechenbar werden. Auch Dölemeyer vertritt die Auffassung, die Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts habe zu einer stärkeren Betonung des Aspekts der Gläubigersicherung geführt, weil die Einschätzung der Kreditwürdigkeit eines Geschäftspartners von dessen Güterstand abhängig sei 824 . Doch ist das nur die abstrakte Seite der Sache. Inwieweit es dabei um ein wirkliches, praktisches Problem ging, ist damit noch nicht erwiesen. Der Nachweis, das die Uneinheitlichkeit des Ehegüterrechts den Handel behindert hätte, dürfte auch schwer zu erbringen sein. Das wäre noch am ehesten möglich, wenn man die Entwicklung des überregionalen Handels in Flächenstaaten mit einem zersplitterten Ehegüterrecht in Beziehung zu einem solchen mit einem einheitlichen Güterrecht setzen könnte. Aufgrund des unterschiedlichen Tempos der industriellen Entwicklung im 19. Jahrhundert 825 , in deren Abhängigkeit auch die Ausbreitung des Handels gestanden hat, fehlt es an geeigneten Vergleichsgrößen. Daß wir es also mit einem praktischen Problem zu tun hätten, ist wenigstens im Augenblick nicht nachweisbar. In der damaligen zeitgenössischen juristischen Diskussion sind die wirtschaftlichen Argumente auch nie mit empirischen Daten belegt worden. Sie wirken daher wie vorgeschoben. Hinzu kommt eine weitere Überlegung: Die Gründerzeit, die zunächst durch großes wirtschaftliches Wachstum geprägt war, zeichnete gerade die Organisation in Handelsgesellschaften aus. Die Haftungsrisiken der Vertragspartner waren daher solche, die sich vornehmlich aus der Eigenschaft der jeweiligen Handelsgesellschaft ergaben. Nur sehr indirekt konnte sich das Ehegüterrecht darauf auswirken, nämlich allenfalls dann, wenn ein persönlich haftender Gesellschafter in Regreß genommen werden sollte. Eine gewisse Berechtigung erhält das Argument der Verkehrssicherheit, die durch die Einführung eines einheitlichen Güterrechts erreicht würde 826 , freilich aus einem anderen, von Scbmid allerdings nicht ins Feld geführten Grund: Empirisch nachweisbar ist nämlich die zum Ende des 19. Jahrhunderts zunehmende erhebliche Fluktuation der Bevölkerung 827 . Aber auch hier ist Vorsicht gebogehinderter Handelsverkehr erforderte aber eine formale Rechtssicherheit beim Warenaustausch." 823 Dasselbe Problem begegnet auch in der Studie von Heinrich Dörner, Industrialisierung und Familienrecht. Die Auswirkungen des sozialen Wandels, dargestellt an den Familienmodellen des ALR, BGB und des französischen Code civil, Berlin 1974, S. 47,102. Auch hier fehlt es an empirischen Belegen. 824 Barbara Dölemeyer, Frau und Familie im Privatrecht des 19. Jahrhunderts, in: Frauen in der Geschichte des Rechts, hrsg. von Ute Gerhard, München 1997, S. 633-658, hier S. 646. 825 Das gilt schon für die Entwicklung in Deutschland selbst, vgl. Knut Borchardt, Die industrielle Revolution in Deutschland, München 1972, S.27ff. 826 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 114. 827 Vgl. dazu oben S. 243.

484

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

ten. Die Umzüge innerhalb einer Gemeinde waren nicht seltener als ein wirklicher Gebietswechsel. Sieht man einmal von bestimmten Bevölkerungsschichten wie den Professoren und Soldaten ab, die sehr oft im Laufe eines Lebens umzogen, so zeichneten sich noch die Arbeiter durch eine erhebliche Mobilität meist aber mit geringeren Entfernungen - aus828. Das Argument der Verkehrssicherheit verliert aber gänzlich an Kraft, wenn man berücksichtigt, daß zu keiner Zeit die Abschaffung der vertraglichen Güterrechte geplant war. Das Vertrauen der Handelspartners auf einen bestimmten Güterstand war deshalb keineswegs begründet. Immer wäre eine Nachforschung im Güterrechtsregister erforderlich gewesen. Schon aus diesem Grund hatte das Argument der Verkehrssicherheit keine ausschlaggebende Funktion. Eine „sozialkonservative" Tendenz des Gesetzes läßt sich so nicht begründen. Wichtiger dürfte die aus den Quellen nachweisbare Rolle der Politik gewesen sein. Noch vor allen anderen Argumenten sozialer oder wirtschaftlicher Art war für die Entscheidung zugunsten eines einheitlichen Güterrechtssystems im Reich ausschlaggebend, daß die Rechtsvereinheitlichung als politische Vorgabe von der Kommission verstanden worden ist829. Ob die Kommission davon hätte abgehen können, ist doch einigermaßen fraglich. 3. Die Fortschrittlichkeit

des

Ehegüterrechts

In Anlehnung an Marianne Weber830 hat Schmid behauptet, die güterrechtlichen Vorschriften des BGB hätten nicht zu einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau geführt, sondern es seien nur die notwendigsten Anpassungen geschehen, um die „Binnenstruktur" der Ehe zu erhalten. Diese kennzeichnete er als die Herrschaft des Mannes, als Patriarchalismus und Autoritätsprinzip831. Er schrieb: „Der Mann war daher immer die allein dominante Person in der Ehe, der über Person und Vermögen der Ehefrau disponieren konnte" 8 3 2 .

Ähnlich urteilte Buchholz,

der schrieb:

828 Vgl. z.B. die Angaben bei Erich Enke, Private, genossenschaftliche und städtische Wohnungspolitik in Essen a/R. Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Stuttgart 1912, S. 14f. sowie die Einschätzung von Gierke, Minoritätsvotum (wie Fn.421), S.343. Freilich muß man regionale Unterschiedlichkeiten berücksichtigen. Ostdeutschland gab nach 1870 fast den gesamten natürlichen Bevölkerungszuwachs an die umliegenden Provinzen ab. Die Berliner, so hieß es, stammten aus Schlesien, vgl. Borchardt, Die industrielle Revolution (wie Fn. 825), S. 75. 829 Vgl. oben S. 394. 830 Weber, Ehefrau und Mutter (wie Fn.254), S.498ff. 831 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 144f. Ahnlich urteilt auch Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage (wie Fn.237), S. 103. 832 Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften (wie Fn. 586), S. 145.

IV. Zusammenfassende

Würdigung

485

„Der Ehemann durfte wieder seine herkömmliche, durch jahrhundertealte Rechtstraditionen geformte Rolle eines Ehevormundes genießen" 833 . Schlosser meinte, die Bestimmung der Verwaltungsgemeinschaft zum gesetzlichen Güterstand und die damit verbundene A b w e r t u n g der Gütertrennung w ü r d e n ganz oben auf einer ,„Verlustliste' einer wirklich zeitgemäßen Gesellschaftspolitik" stehen 8 3 4 . U n d jüngst hat Horn gemeint, mit der Emanzipation der Frau hätten die Väter des B G B nichts im Sinn gehabt 8 3 5 . A u s dem Blickwinkel des späten 20. Jahrhunderts betrachtet, w i r k t das Ehegüterrecht des B G B tatsächlich wie eine Fortsetzung alter patriarchalischer G e pflogenheiten. Dieser Blickwinkel erscheint aber wenig geeignet, um den historischen Prozeß zu begreifen. A u f dem Weg zu einer sozialen Gleichberechtigung der Frau stellte das Güterrecht des B G B in seiner alten Fassung einen wichtigen Fortschritt gegenüber der früheren Situation dar 8 3 6 . Planck hat das durchaus richtig geschildert 8 3 7 . Die Verbesserung der Rechtsstellung der Frau resultierte im Ehegüterrecht v o r allem aus zwei Neuerungen, nämlich erstens 833 Buchholz, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauen (wie Fn.341), S. 675. Anders jedoch - freilich mehr mit Blick auf die Geschäfts- und Prozeßfähigkeit der Frau - urteilt Dölemeyer, Frau und Familie (wie Fn. 824), S. 646: „Insgesamt brachte demnach das BGB eine deutliche Abschwächung der aus dem überkommenen Mundialprinzip herrührenden eheherrlichen Rechte ..." 834 Hans Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? Das janusköpfige Bürgerliche Gesetzbuch, in: Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996. Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, hrsg. von Hans Schlosser, Heidelberg 1997, S. 5-33, hier S. 20. Ahnlich Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1866-1918, Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S.200. 835 Norbert Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, in: NJW 53 (2000), S. 40-46, hier S. 42. 836 Ahnlich insbesondere mit Blick auf die vermögensrechtlichen Ehewirkungen auch Dölemeyer, Frau und Familie (wie Fn. 824), S. 658; ebenfalls: Werner Schubert, Bürgerliches Gesetzbuch, in: Staatslexikon, Recht - Wirtschaft - Gesellschaft, Bd. 1, 7. Aufl. Freiburg im Breisgau 1985, Sp. 1053-1058, hier Sp. 1056. 837 Gottlieb Planck, Bürgerliches Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Bd. 1: Einleitung und Allgemeiner Theil, Berlin 1897, S. 19f.; ders., Die rechtliche Stellung der Frau (wie Fn. 64). Ebenso: Hermann Jastrow, Das Recht der Frau nach dem BGB, Berlin 1897, S.III; Rudolf Stammler, Die Bedeutung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches für den Fortschritt der Kultur. Rede zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers am 27. Januar 1900 in der Aula der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg, Halle a.d.S.1900, S.18f.; der französische Jurist Raymond Saleilles meinte, es bestehe im BGB eine vollständige Rechtsgleichheit zwischen Mann und Frau, vgl. den Nachweis bei Werner Schubert, Das Bürgerliche Gesetzbuch im Urteil französischer Juristen bis zum Ersten Weltkrieg, in: SZGerm 114 (1997), S. 128-181, hier S. 164f. Der Einschätzung Plancks ist auch Coester (wie Fn.297), S. 310, gefolgt; anderer Ansicht: Malsbenden, Die rechtliche Stellung (wie Fn. 737), S. 318ff. Sie erkennt zwar an, daß das BGB im Vergleich zum früheren Rechtszustand einige Verbesserungen enthalten habe [S. 325-330], aber ist der Meinung, diese Fortschritte seien wegen praktischer Nachteile „fast bedeutungslos". Gerade das erscheint mir hingegen nicht erwiesen (vgl. z.B. oben S. 463 Fn. 737). Im übrigen läßt sich die These Plancks von einer Verbesserung der Rechtsstellung gegenüber dem ALR nicht dadurch widerlegen, daß man auf praktische Nachteile hinweist. Damit ließe sich allenfalls beweisen, daß die Verbesserung der Rechtsstellung für die Frauen wertlos gewesen sei. Malsbenden mißt das BGB in seiner Ursprungsfassung zu sehr an der Elle unserer Tage.

486

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

daß der Arbeitslohn der Frau aus einer Erwerbstätigkeit außerhalb des Geschäfts des Mannes ipso iure Vorbehaltsgut wurde und so der Verfügungsmacht des Mannes vollständig entzogen war. In Verbindung damit ist die Vorschrift des § 1358 B G B zu sehen, der im Unterschied zur früheren Rechtslage der Frau grundsätzlich die Freiheit zum Abschluß von Arbeitsverträgen unabhängig von der Zustimmung des Mannes einräumte838. Hinzu kommt zweitens die verbesserte Sicherung des Eheguts gegen Verschleuderung durch den Mann. Die Einführung einer Sicherheitsleistung im Falle der Gefährdung der Ersatzansprüche ist hier vor allem zu nennen. Auch der Ausschluß einer Mithaftung der Frau für die Schulden des Mannes zählt hierher. Schließlich ist auf die Verbesserung des Ehegattenerbrechts hinzuweisen, das dem überlebenden Ehegatten im Falle gesetzlicher Erbfolge gemäß § 19311 B G B Vi der Erbschaft neben den Verwandten erster Ordnung und Vi neben den Verwandten zweiter Ordnung zusprach 839 . Solche Verbesserungen kann man ohne Zwang als einen Fortschritt auffassen, der eine günstigere Beurteilung des Ehegüterrechts des B G B erlaubt, als sie Schmid vorgeschlagen hat, auch wenn man sagen muß, daß vermutlich ein schärferer Bruch mit der Vergangenheit eine modernere und eher zeitgemäße Lösung herbeigeführt hätte. Diesen radikalen Einschnitt nicht geleistet zu haben, kritisierte Schlosser mit Blick auf die Person PlancksM0. Den vielleicht besten Schlüssel zum Verständnis von Planck und damit letztlich auch zum Familienrecht des Gesetzbuchs bietet eine Bemerkung Plancks aus der Einleitung zu seinem BGB-Kommentar von 1897. Dort schrieb Planck: „Die persönliche Rechtsstellung der Frau in der Ehe ist durch die Vorschriften des B . G . B , so vollständig gesichert, wie die Natur der ehelichen Lebensgemeinschaft und die dem Manne in derselben gebührende Stellung irgend gestattet" 8 4 1 .

Subjektiv vollkommen ehrlich hat Planck damit ausgedrückt, woran die konsequente Verwirklichung seines Anliegens, die Rechtsstellung der Frau zu verbessern, letztlich gescheitert ist: Der Status des Mannes in der Ehegemeinschaft durfte in Plancks Augen nicht verletzt werden. In diesem Punkt teilte Planck den Gemeinschaftsgedanken von Gierke, der genau dies verlangte. Gleichzeitig ist es aber auch wahr, daß im Vergleich zu vorherigen Zustand das Bürgerliche Gesetzbuch für die Frauen einen Fortschritt bedeutet hat. Freilich gingen die Anliegen einiger noch weit darüber hinaus, insbesondere wenn man an die Forderung der Einführung der Gütertrennung denkt.

838 Diesen Aspekt würdigt überhaupt nicht Buchholz, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauen (wie Fn. 341), insbesondere S. 678 ff. 839 Schwab, Gleichberechtigung und Familienrecht (wie Fn. 738), S. 793, hat besonders auf diese Verbesserung aufmerksam gemacht. 840 Hans Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? (wie Fn. 834), S. 13. 841 Planck, Bürgerliches Gesetzbuch (wie Fn. 837), S. 19.

IV. Zusammenfassende

4. Die Wirkungen

Würdigung

der Kritik am

487

Ehegüterrecht

Die Kritik am Ehegüterrecht des ersten Entwurfs konnte sich in den meisten Punkten nicht durchsetzen. Soziale Erwägungen über die Destabilisierung des Bauernstandes, wie sie namentlich Gierke angestellt hatte, fanden keine Beachtung, sondern der vor allem nationalpolitisch motivierte Einheitsgedanke erwies sich als stärker als die Idee eines Regionalsystems, die zuletzt nur noch wenige Verteidiger gefunden hatte. Auch bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Güterrechts konnte die Kritik auf das Ganze gesehen keine Erfolge für sich verbuchen. Das Gesetz blieb bis auf wenige Punkte bei dem vom E I vorgezeichneten Weg, obgleich diesem die Mißachtung der breiten ökonomischen Wirklichkeit ebenso vorgeworfen wurde wie, daß es sich um ein „System des Mannesegoismus" handele. Nur in den wenigen soeben beschriebenen Punkten führte die Kritik-zu einer Veränderung des Gesetzes im Vergleich zum E I, deren wichtigste die Einführung einer Sicherheitsleistung bei Gefährdung der Ersatzansprüche der Frau sowie die Abschaffung der Voraussetzung der Zustimmung des Mannes zum Arbeitsvertrag der Frau waren. Dennoch konnte gezeigt werden, daß die Diskussion um das Ehegüterrecht des Entwurfs am Gesetzgeber auch sonst nicht spurlos vorbeigegangen ist. Vielmehr war ein Dialog zu beobachten, der zum Ausdruck brachte, daß sich auch der Gesetzgeber - unter dem Einfluß von Planck - an einem sozialen Ziel orientierte: nicht der Gemeinschaftsgedanke, wie er von Gierke, Mitteis und anderen wie etwa Pfizer vertreten wurde und aus dem sogar die Haftung der Frau für die Schulden des Ehemannes abgeleitet wurde, stand für den Gesetzgeber im Mittelpunkt, sondern es waren zwei andere Gesichtspunkte: Zum einen das sicherlich in der Volksgeistlehre wurzelnde Bestreben, den Traditionen möglichst nahe zu bleiben, was sich im Ergebnis in der immer noch beherrschenden Stellung des Mannes ausdrückte, andererseits aber die soziale Absicht, die Rechtsstellung der Frau zu verbessern, nicht nur indem sie nicht für die Schulden des Mannes haften sollte, sondern auch durch Bewahrung der Substanz ihres Vermögens. Letzteres wäre nach der Uberzeugung Plancks in der Gütergemeinschaft nicht möglich gewesen. Die Gütertrennung kam für ihn nicht in Betracht, da sie zu wenig verbreitet sei. Zu den besonders wichtigen Schutzinstrumenten zählte, daß der Arbeitslohn der Frau nicht Ehegut, sondern Vorbehaltsgut wurde (§§ 1289 E I, 1266 E II, 1367 B G B a.F.). Der Kritik am Ehegüterrecht des Entwurfs ist es also vor allem zu verdanken, daß die soziale Absicht des Gesetzgebers deutlich geworden ist: Schutz des Schwächeren gegen den Stärkeren, was in diesem Falle zugleich eine Verbesserung der Rechtsstellung der Frau gegenüber dem bisherigen Rechtszustand bedeutete. Faßte man die soziale Aufgabe des Gesetzes in dieser Weise auf, so wurde es ihr wenigstens in größerem Maße als das bisherige Recht gerecht. Etwas anders stellt sich die Sache dar, wenn man nach der Verwirklichung des Gemeinschaftsgedankens im Ehegüterrecht fragt. Hier vermochte sich die Kri-

488

Kapitel 6: Soziales Recht im

Familienrecht

tik kaum durchzusetzen. Der einzige kleine Erfolg auf diesem Gebiet war die Integration der Nutznießung in das Ehegüterrecht ohne Hinzuziehung der Vorschriften über den Nießbrauch und die damit einhergehende Betonung der Verwaltung des Ehevermögens, die idealiter als gemeinschaftlich gedacht war, wie die Protokolle der 2. Kommission betont hatten. Die Hauptanliegen der Kritik, soweit sie auf dem Gemeinschaftsgedanken beruhten, wurden aber nicht verwirklicht. Weder wurde die allgemeine Gütergemeinschaft oder hilfsweise die Errungenschaftsgemeinschaft zum gesetzlichen Güterstand gemacht, noch wurde der Ausschluß der Frau von der Schuldenhaftung für den Mann zurückgenommen.

5. Die Wirkungen

der Kritik am Recht der elterlichen

Gewalt

Zu den Forderungen in der Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins von 1876 hatte neben der Forderung nach Einführung der Gütertrennung und einigen weiteren Punkten auch gehört, daß die väterliche Gewalt gegen eine elterliche Gewalt eingetauscht werden möge 842 . In diesem Punkte war die Frauenbewegung nicht ohne Erfolg geblieben. Wenigstens dem Prinzip nach waren schon im E I die Eltern gleichberechtigte Träger der Gewalt. Doch wurde dieser Grundsatz praktisch in sein Gegenteil verkehrt, weil dem Vater das Letztentscheidungsrecht bei einer Meinungsverschiedenheit der Eltern blieb. Immerhin wurde im E I erstmals die Mutter überhaupt als eigenständiger Träger der Gewalt anerkannt. Neu war auch die Herleitung der elterlichen Gewalt aus dem Gedanken der Vormundschaft zum Schutz der Kinder als der Schwächsten in der Gesellschaft. Gerade der zuletzt genannte Gedanke war Gegenstand der Kritik gewesen, so etwa bei Kohler der die patria potestas als Grundlage der elterlichen Gewalt ansah oder in ähnlicher Weise bei Gierke, der sie aus der Hausgemeinschaft ableiten wollte. Diese Vorstellungen hätten sich insbesondere im Hinblick auf das Ende der elterlichen Gewalt ausgewirkt, das der Entwurf an die Volljährigkeit gekoppelt hatte. Die Kritik blieb in diesem Punkt ohne Resonanz. Gerade die Rede Plancks im Reichstag am 4. Februar 1896 machte noch einmal klar, daß der Schutzgedanke der leitende Gesichtspunkt war und blieb. Der Schutz des Schwächeren bedeutete aber nicht nur Schutz für die Kinder, sondern auch Schutz für die Rechtsstellung der Frauen. In dieser Richtung erreichte die Kritik in ein paar Detailfragen bezüglich des Anteils der Mutter an der elterlichen Gewalt zu Lebzeiten des Vaters Verbesserungen. §1634 B G B machte die Ausübung der elterlichen Gewalt der Mutter nicht mehr von einer vorhergehenden vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung abhängig und § 1685 B G B ließ auch bei einer Entmündigung des Vaters wegen Verschwendung oder Trunksucht ipso facto die elterliche Gewalt der Mutter aufleben. 842

Vgl. Twellmann, Die Deutsche Frauenbewegung (wie Fn. 341).

IV. Zusammenfassende

Würdigung

489

Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß nach wie vor der Vater die bevorzugte Stellung einnahm. Die Maßnahmen des Gesetzgebers zur Verbesserung der Rechtsstellung der Mutter, die in der prinzipiellen Entscheidung für eine elterliche Gewalt ihren Anfang nahmen, blieben insgesamt auch bei solchen Anfängen stehen. Als ein Fortschritt kann aber die Einführung einer zeitlichen Grenze für die elterliche Gewalt gelten, die bei Erreichen der Volljährigkeit des Kindes endete. Diese Maßnahme war eine konsequente Umsetzung des Schutzgedankens, der als Legitimation für die elterliche Gewalt dem Gesetz zugrunde lag, auch wenn nach außen hin die Verkehrssicherheit und damit ein liberal-ökonomisches Argument für die feste Zeitgrenze vorgebracht worden war. Faßt man die hier untersuchten Einzelfragen des Familienrechts gemeinsam in den Blick, so zeigt sich, daß die sozial motivierte Kritik nur in wenigen - deshalb allerdings nicht unbedingt unwichtigen - Details umgesetzt worden ist. Der Grund dafür war aber nicht, daß der Gesetzgeber die soziale Aufgabe des Privatrechts verkannt hätte, sondern es lag in den meisten Fällen an einem unterschiedlichen Verständnis von dieser sozialen Aufgabe. In der Kritik waren die Stimmen, die die Verwirklichung des Gemeinschaftsgedankens im Privatrecht als dessen soziale Aufgabe betrachteten, häufig tonangebend, während der Gesetzgeber gerade unter dem Einfluß Plancks den Schutz des Schwächeren gegen den Stärkeren durch die Vergrößerung der sozialen Freiheit als seine soziale Aufgabe begriff.

Kapitel 7

Schluß I. Soziale Frage und soziale Aufgabe des Privatrechts Die Forderung Gierkes, dem Privatrecht einen „Tropfen sozialistischen Öles" hinzuzusetzen, drängt zu ganz vielfältigen Fragestellungen. So stellt sich die Frage, inwiefern die Gesamtrechtsordnung am Ende des 19. Jahrhunderts eine adäquate Antwort auf die soziale Frage, begriffen als Störung der gesellschaftlichen Ordnung, gefunden hat. Man müßte zu ihrer Beantwortung zunächst die soziale Frage näher umschreiben. Drei Hauptthemen ließen sich leicht bestimmen: Arbeiter-, Wohnungs- und Frauenfrage. Aber das Bild müßte weiter ausgemalt werden: Bauhandwerker und Kleingewerbetreibende müßten in den Blick genommen werden ebenso wie die Bauern oder bestimmte Dienstgrade des Militärs oder in Industriebetrieben verunglückte Arbeiter, die auf eine Invaliditätsrente angewiesen waren, oder ganz allgemein die Kinder, insbesondere die nicht ehelich geborenen Kinder. Viele weitere Einzelfragen würden hinzutreten, die nicht unbedingt an die gesellschaftliche Stellung des Einzelnen geknüpft wären, sondern prinzipiell alle Bevölkerungsschichten treffen konnten. Hier wäre zu denken an die Abzahlungskäufer und Eisenbahnbenutzer usw. In mancherlei Hinsicht betrafen allerdings auch die Wohnungs- und die Frauenfrage alle Bevölkerungsschichten, dann nämlich, wenn es nicht Fragen waren, die die wirtschaftliche Prosperität berührten, sondern vor allem die soziale Freiheit. Wenn auf diese Weise ein einigermaßen fest umrissenes Bild der sozialen Frage im 19. Jahrhundert entstanden ist, so müßte man den sozialen Gehalt der Gesamtrechtsordnung aus einer Vielzahl von Einzelgesetzen herausdestillieren und käme so zu einem Bild mit vielen Schattierungen. Es wäre gleichermaßen vom Haftpflichtgesetz, den Sozialversicherungsgesetzen, den verschiedenen Novellen der Gewerbeordnung, von Wuchergesetz und Aktiengesetz sowie auch vom Bürgerlichen Gesetzbuch zu sprechen, um einige gesetzliche Maßnahmen zu benennen, die mehr oder weniger direkt die Probleme, die mit der „sozialen Frage" beschrieben werden, betrafen. Manches war am Ende des 19. Jahrhunderts schon erreicht, manches blieb zu tun. In diesem Zusammenhang könnte man aber nach der Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs fragen, da dieses Gesetz von dem berühmten Oltropfen durchsickert werden sollte. Konkret müßte man untersuchen, inwieweit das

I. Soziale Frage und soziale Aufgabe

des

Privatrechts

491

Bürgerliche Gesetzbuch für die Probleme, die mit „sozialer Frage" umschrieben werden, Lösungen gefunden hat, und - günstigenfalls - wie diese gewirkt haben. Hier würde sich einerseits zeigen, daß das Gesetzbuch manche Punkte der sozialen Frage von vornherein ausgeklammert und der Spezialgesetzgebung überlassen hat 1 . Andererseits ist aber nicht zu übersehen, daß schon der erste Entwurf und noch mehr die folgenden Gesetzesfassungen Rücksicht auf soziale Belange genommen haben. Das lag auch schon aus politischen Gründen nahe. Wie Hans Schulte-Nölke zu Recht betont hat, mußte es mit dem Fortschreiten des Kodifikationsprojekts immer mehr das politische Ziel der Reichsregierung werden, das Gesetz überhaupt zum Abschluß zu bringen 2 . U m aber die Zustimmung im Parlament zu erreichen, konnte das Gesetz einerseits nicht völlig unzeitgemäß sein, mußte aber auch andererseits manche Probleme ausklammern, die nur zu Zankäpfeln der Parteien geworden wären und die Durchführung des Gesetzgebungswerkes gefährdet hätten 3 . Sinnvollerweise kann man die Antwort auf die aufgeworfene Frage, ob das Gesetzbuch zur Lösung der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts beigetragen hat - mit anderen Worten: ob es den sozialen Anforderungen seiner Zeit gerecht geworden ist - erst dann suchen, wenn geklärt ist, ob die Kodifikation überhaupt diesen Zweck hatte. Das führt zu der von uns untersuchten übergeordneten Frage nach der sozialen Aufgabe des Privatrechts, die die Suche nach einer Antwort auf die soziale Frage einschließen konnte, aber nicht mußte. Ein Auseinanderlaufen von sozialer Aufgabe und sozialer Frage konnten wir exemplarisch an zwei Stellen beobachten, einerseits bei der Arbeiterfrage, andererseits beim Problem „Kauf bricht Miete". Die Probleme der Industriearbeiter, die - auch nach zeitgenössischem Verständnis - den Kern der sozialen Frage ausmachten, spielten in der Diskussion über die Entwürfe des Gesetzbuchs nahezu keine Rolle. Ihre Probleme gehörten offenbar in den Augen der Teilnehmer der damaligen Debatte nicht zur sozialen Aufgabe des Privatrechts. Man sah sie in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts weitgehend als gelöst an durch die Sozialversicherungsgesetze und die Novelle der Gewerbeordnung von 1891, also durch öffentlich-rechtliche Vorschriften, deren sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen zunächst einmal abgewartet werden sollten. Vom Privatrecht erwarteten hier die wenigsten wichtige Impulse. Selbst für Anton Menger, der in seiner Kritik gerade die Interessen der „besitzlosen Volksklassen", also des vierten Standes, berücksichtigen wollte, galt beim Arbeitsvertrag sein Augenmerk vor allem dem Gesinde, das heißt insbesondere den Landarbeitern und Hausangestellten. Nichts ande1 D a z u Hans Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt am M a i n 1995, S. 313. 2 Schulte-Nölke, Reichsjustizamt ( w i e Fn. 1), S.349. 3 So bereits klar und deutlich Paul Oertmann, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Fünf Vorträge, gehalten im Verein f ü r Volkswirtschaft u n d G e w e r b e zu Frankfurt am Main, Frankfurt am M a i n 1900, S. 18.

492

Kapitel 7: Schluß

res ist von den Sozialdemokraten im Reichstag zu berichten, die sich für die Landarbeiter und Hausangestellten, das Gesinde, engagierten. Der umfassende Anspruch des Bürgerlichen Gesetzbuchs bot dafür eine Gelegenheit. Für den Kernpunkt der sozialen Frage aber war das Privatrecht in den Augen der Zeitgenossen nicht zuständig. Demgegenüber stritt man mit größtem Engagement über den in der sozialen Wirklichkeit irrelevanten Satz „Kauf bricht Miete", den § 509 E I in stark abgemilderter Form der Sache nach enthielt, also einen Gegenstand, der die Wohnungsfrage nur scheinbar betraf. Diese unter sozialen Vorzeichen geführte Diskussion wirkt in ihrer Heftigkeit wie eine Ersatzbefriedigung für zuvor scheinbar Versäumtes. Der Gesetzgeber konnte leicht nachgeben, da letztlich nichts davon abhing, wie die Sache geregelt wurde. Ein ähnliches Phänomen bietet die Ausführlichkeit der Behandlung der „Hasenfrage", also die Frage nach der Ersatzpflicht des Jagdberechtigten für den von Hasen verursachten Schaden, im Reichstag wenige Tage vor dem Abschluß der parlamentarischen Beratungen. Verglichen mit anderen sozialen Problemen war die Hasenfrage trotz ihrer Bedeutung für die betroffenen Eigentümer im Einzelfall äußerst nachrangig 4 . Soziale Frage und soziale Aufgabe, das ist hier festzuhalten, entsprachen sich also nicht völlig. Das Ziel unserer Untersuchung war es daher herauszufinden, was man konkret mit der sozialen Aufgabe des Privatrechts, genauer des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in der Diskussion zwischen dem Erscheinen des ersten Entwurfs im Frühjahr 1888 und der Verabschiedung des Gesetzes im Sommer 1896 verband und ob und in welcher Weise diese Vorstellungen Einfluß auf den Inhalt des Gesetzes hatten. Ausgangspunkt war der erste Entwurf selbst als bisher wichtigste letzte Zäsur der deutschen Privatrechtsgeschichte. Ihre Bedeutung bezieht diese Zäsur weniger aus materiellrechtlichen Wertungen, die ein großes Maß an Kontinuität insbesondere zum gemeinen Recht zeigen, als aus der vollständigen Veränderung der wichtigsten Textgrundlage der Privatrechtswissenschaft. Die Entstehung einer ganz neuen Literatur ist dafür der beste Beweis. Schon der erste Entwurf enthielt wesentlich mehr sozial motivierte Bestimmungen, als die doch eher zurückhaltende Einschätzung Börners, eines der Hilfsarbeiter der ersten Kommission, es nahelegen würde, der gelegentlich bemerkte: „Die sozialpolitischen Bestrebungen hatten erst während der Beratung und zunächst nur schüchtern und tastend eingesetzt und sich erst dann zu greifbaren Ergebnissen verdichtet, als der Entwurf in den Teilen, auf die es dabei namentlich ankam, fertig w a r " 5 . 4 Die Hasendebatte nahm die gesamte Sitzung vom 23. Juni 1896 in Anspruch, vgl. Stenographische Berichte, S. 3 6 7 ^ 2 8 . Es ging um die Erweiterung der Wildschadenshaftung auf Hasen und Fasane. Die parlamentarische Rechte setzte schließlich durch, die Haftung für von Hasen verursachte Schäden wieder zu streichen. Zum ganzen, insbesondere zur sozialpsychologischen Deutung der Debatte vgl. Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S. 244-247. 5 Karl Heinrich Börner, zitiert nach Ferdinand Frensdorfs Gottlieb Planck, deutscher Jurist und Politiker, Berlin 1914, S.344. Mit der - im Ergebnis eigentlich gar nicht notwendigen - Ver-

I. Soziale Frage und soziale Aufgabe

des

Privatrechts

493

Der Kern der Kritik am ersten Entwurf war der Vorwurf, er verfehle die soziale Aufgabe des Privatrechts. Der ebenfalls ständig zu hörende Vorwurf, das Gesetz sei nicht deutsch, lief weitgehend auf dasselbe hinaus, weil derjenige, der diesen Vorwurf in der Zunft populär gemacht hatte (Gierke) selbst nicht zwischen beidem trennte. Der dritte Hauptpunkt der Kritik betraf die sprachliche und systematische Fassung des Gesetzes. Letztere wurde von der Redaktionskommission der zweiten Kommission ganz entschieden - insbesondere durch Abmilderung der Verweistechnik - verbessert6. Was den Vorwurf mangelhafter Erfüllung der sozialen Aufgabe anbetrifft, so zieht er sich als einziger Gegenstand von wirklich grundsätzlicher Bedeutung ernsthafte Versuche, ein allgemeinverständliches Gesetzbuch zu entwerfen, wurden von keiner Seite unternommen - wie ein roter Faden durch eine ungeheure Vielzahl von kritischen Stellungnahmen. Im Reichsjustizamt ist diese Kritik sorgfältig gesichtet und zusammengestellt worden. Die Vorkommission im Reichsjustizamt und die zweite Kommission hatten so ein vorzügliches Hilfsmittel, um bei den Beratungen relativ rasch die kritischen Stellungnahmen zu den einzelnen Vorschriften berücksichtigen zu können. In vielen Fällen zeugen die Protokolle der zweiten Kommission davon, daß man dies sehr gewissenhaft tat. Im Zusammenspiel mit der sozialpolitischen Wende der Reichsregierung zu Beginn der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts ist es deshalb geradezu natürlich, daß neben der sprachlichen Verbesserung die Hauptaufgabe der zweiten Kommission in der Nachbesserung der Erfüllung der sozialen Aufgabe des Privatrechts bestanden hat. Bosse hat das gelegentlich sogar einmal formuliert: „Die Kritik hat nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Aufgabe der Neuordnung des Privatrechts eine bedeutungsvolle sociale Seite hat und daß der sociale Rechtsschutz der Schwachen, die Beschirmung der Armen und Elenden, insbesondere auch die in der neueren Reichsgesetzgebung zum öffentlich-rechtlichen Ausdruck gekommenen Gedanken bei der Bearbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht gänzlich außer Acht gelassen werden dürften" 7 .

Die Bemerkung von Bosse trifft genau das von Seiten der Reichsregierung verfolgte sozialpolitische Programm, wie es in den Thronreden und von Bismarck im Reichstag zu Beginn der achtziger Jahre entworfen worden war. Es ging dort insbesondere um den Topos vom Schutz des Schwächeren gegen den teidigung gegen den Vorwurf mangelhafter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung im Kaiserreich durch den ersten Entwurf stand Börner keineswegs allein. Vgl. etwa Franz Bernhöft, Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hrsg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis, Edgar Loening, Bd. 2, 2. Aufl., Jena 1899, S. 1187-1205, hierS.1195f. 6 Einige Beispiele dafür enthält Tilman Repgen, Die Kritik Zitelmanns an der Rechtsgeschäftslehre des ersten Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs, in: SZGerm 114 (1997), S.73127, insbesondere S. 81-83. Vgl. allerdings auch das Gegenbeispiel oben in Kapitel 6, S.369. 7 Robert Bosse an Karl Heinrich von Bötticher, 21. März 1891, ZStA Potsdam, RJA, Nr. 4078, hier zitiert nach Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S.312f.

494

Kapitel 7: Schluß

Stärkeren. Das geschah natürlich nicht ohne weiterreichende politische Absichten, deren wichtigste die Integration des vierten Standes ins Reich war, was sich in der Zielsetzung mit dem Topos vom sozialpolitischen Ausgleich trifft.

II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung Die Verwendung des Begriffs der „sozialen Aufgabe", die nach Ansicht mancher Kritiker der erste Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1888 so gründlich verfehlt hatte, in der hier bis zum Sommer 1896 verfolgten Diskussion war nichts anderes als der Gebrauch eines Schlagworts, dessen Inhalt jedoch alles andere als eindeutig war. Die Vorkommission von 1874 hatte es vermieden, die Gesetzeskommission im Hinblick auf die Grundsatzfrage, ob und wie das Privatrecht eine soziale Aufgabe zu erfüllen habe, festzulegen. Sie hatte vielmehr, orientiert an traditionellen Überlegungen, eine Blankettformel aufgenommen, hinter der man sich nach Belieben verstecken, die aber zugleich auch als Rechtfertigung für soziale Reform dienen konnte. Es war dort von den „Bedürfnissen" und „Zweckmäßigkeit" nach den „Verhältnissen der Gegenwart" die Rede. Das konnte vieles heißen, bedurfte aber der Konkretisierung, die die Vorkommission unterließ. Die vergleichsweise wenigen programmatischen Äußerungen aus der untersuchten Zeit zwischen 1888 und 1896 erlauben immerhin, eine Typologie von vier sozialen Topoi aufzustellen, die freilich ihrerseits in mehr oder weniger direktem Zusammenhang standen. Die Einzelheiten haben wir im Kapitel 3 auseinandergesetzt. Diese vier Topoi, - der Gemeinschaftsgedanke, - der Schutz des Schwächeren, - die soziale Freiheit und - der sozialpolitische Ausgleich sind geeignet, die Stellungnahmen zur sozialen Aufgabe zu systematisieren und so auch letztlich ihren Erfolg zu bestimmen, aber auch sie werden erst auf einer dritten Stufe der Konkretisierung nach der Bedürfnis-Formel der Vorkommission und den Topoi bei den einzelnen Rechtsinstituten faßbar. Im folgenden sollen die vier Topoi zusammenfassend in ihrer theoretischen Konzeption sowie in ihren praktischen Auswirkungen dargestellt werden. Anders als in den Zusammenfassungen der vorangegangenen Kapitel sind hier nicht die jeweiligen Rechtsinstitute der Ausgangspunkt, sondern die Topoi selbst, es geht also beispielsweise nicht zusammenhängend um die sozialen Aspekte des Verjährungsrechts. Für diese Fragestellung sei auf die entsprechenden Abschnitte der Kapitel 4 bis 6 hingewiesen, während wir hier den Blick von den einzelnen Rechtsinstituten wieder zurück auf die verschiedenen Topoi und ihre Inhalte lenken wollen.

II. Die sozialen

1. Der a) Die

Topoi und ihre

Wirkung

495

Gemeinschaftsgedanke

Konzeption

Unter den vier Topoi ist an erster Stelle der Gemeinschaftsgedanke zu behandeln, da dies der Kerngedanke der Kritik Otto Gierkes am ersten Entwurf war, der den Anstoß zu der hier untersuchten Debatte überhaupt erst gegeben hat. Der Gemeinschaftsgedanke fordert die privatrechtliche Beachtung der Eingebundenheit des einzelnen Menschen in die Gemeinschaft. Gierke ging von der Einheit der Rechtsordnung aus und verwarf die Dichotomie von öffentlichem und privatem Recht. Folglich durfte für ihn das Privatrecht nicht auf eine individualistische Sicht beschränkt bleiben, sondern in den Zweck des Privatrechts mußten die Belange der Gemeinschaft integriert werden. Das sollte aber nicht zu einer Negation subjektiver Rechte führen, sondern das Ziel mußte es sein, diese Rechte in die richtige Beziehung zur Gemeinschaft zu setzen. Die Gemeinschaftsbindung bildete immanente Schranken subjektiver Rechte. Das heißt: aus dem status jedes einzelnen innerhalb der Gemeinschaft folgen für alle seine Rechtspositionen Schranken, die die Belange der Gemeinschaft ins Werk setzen sollen. Ein gutes Beispiel bietet das Ehegüterrecht: Die Frau ist als Rechtssubjekt in ihrer Personenwürde für Gierke dem Mann vollständig gleichgestellt. Dennoch hat sie in der Ehe geringere Vermögensrechte als der Mann, weil dem Mann in seiner Eigenschaft als Haupt der Familie die Verwaltung des gesamten Ehevermögens zukomme. Der status des Mannes in der Gemeinschaft der Eheleute ist also eine Schranke für das Eigentumsrecht der Frau. Selbstverständlich reichte für Gierke die Bedeutung des Gemeinschaftsgedankens aber weiter, als nur bis zur immanenten Einschränkung subjektiver Rechte. So forderte der Gemeinschaftsgedanke beispielsweise die freie Vereinsbildung oder, worüber wir nicht gesprochen haben, die Einführung der Rentenschuld für landwirtschaftliche Grundstücke zum Zwecke des Erhaltes agrarwirtschaftlicher Strukturen, die Gierke als einen Lebensnerv der staatlichen Gemeinschaft betrachtete8. Letztlich - und in diesem Punkt ist Gustav Boekmer zu folgen - beabsichtigte Gierke eine Synthese von Individuum und Gemeinschaft, man könnte auch sagen von Freiheit und Gemeinschaft. Das war weder kollektivistisch noch individualistisch gedacht, sondern synthetisch. Der Einzelne sollte nicht vollständig in der Gemeinschaft aufgehen, die Gemeinschaft aber auch nicht in eine Summe von Individuen zerteilt werden, sondern die Stellung des Einzelnen innerhalb dieser Gemeinschaft definierte seine Rechte. Aber so gut wie die Gemeinschaftsbelange diese Rechtspositionen begrenzten, so gut begrenzten auch die statusgemäßen - Einzelinteressen die Gemeinschaftsbelange. Alle Kritikpunkte Gierkes am ersten Entwurf lassen sich auf den so beschriebenen Gemeinschaftsgedanken zurückführen. Soweit manchmal scheinbar hi8

Vgl. Gierke, Entwurf, S.369f.

496

Kapitel 7: Schluß

storische Argumentationsweisen wie die Berufung auf hergebrachte deutsche Traditionen usw. in Gierkes K r i t i k anzutreffen sind, so ist dahinter regelmäßig der Gemeinschaftsgedanke zu suchen. „Sozial" und „deutsch" fielen für ihn ebenso zusammen wie der Gemeinschaftsgedanke und „sozial". Eigenständige Bedeutung hatte daher das „germanische" A r g u m e n t grundsätzlich nicht. E s trat aber, soweit es nicht überhaupt als Chiffre gemeint war, stets nur ergänzend hinzu. D e r Streit um römisches oder deutsches R e c h t hatte daher - allem A n schein z u m T r o t z - keine eigene Relevanz. E n t w e d e r war es nur die B e n u t z u n g von C h i f f r e n oder aber es handelte sich um schmückendes B e i w e r k .

b) Konkretisierungen,

Erfolge und

Mißerfolge

N u r in den allerwenigsten der hier untersuchten Fragen v e r m o c h t e sich der Gemeinschaftsgedanke im Sinne Gierkes allerdings im Bürgerlichen G e s e t z b u c h durchzusetzen. Sicher ist jedenfalls die R ü c k s i c h t auf die Eingebundenheit des Einzelnen in die verschiedenen E r s c h e i n u n g s f o r m e n gesellschaftlichen L e bens kein prägendes K e n n z e i c h e n des G e s e t z b u c h s geworden. D i e soziale A u f gabe des Privatrechts im Sinne des Gemeinschaftsgedankens hat daher auch das fertige G e s e t z b u c h , von wenigen einzelnen Materien abgesehen, verfehlt. E i n solcher Tropfen „sozialistischen Ö l e s " war nicht eingedrungen. D e n n o c h urteilte Gierke selbst über den zweiten E n t w u r f insgesamt moderater als über den ersten, wenngleich er bei seiner insgesamt ablehnenden H a l t u n g blieb. E r schrieb über den E II: „Der erste Entwurf war, wie mir schien, ein in Paragraphen gegossenes Pandektenlehrbuch; er war durch und durch unvolksthümlich, undeutsch und gesellschaftswidrig. Der zweite Entwurf ist weniger doktrinär, weniger romanistisch und weniger individualistisch; er versucht, nicht ganz ohne Erfolg, eine menschlichere Sprache zu reden, öffnet einigen deutschen Rechtsgedanken das ihnen vom ersten Entwurf verschlossene Thor und trifft hier und da neue Bestimmungen, in denen ein sozialer Geist waltet" 9 . D e n stärksten E r f o l g bei den hier behandelten Beispielen hatte der G e m e i n schaftsgedanke im Vereinsrecht, w o nächst dem Familienrecht auch seine u n mittelbare Berücksichtigung besonders nahe lag. D e r Begriff der realen Verbandspersönlichkeit verlangte die A n e r k e n n u n g der Rechtsfähigkeit v o n Vereinen nach dem System der freien Körperschaftsbildung, das in der - allerdings eingeschränkten - F o r m des Systems der N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n dem G e s e t z zugrunde lag. D a s Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden bei politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereinszwecken gemäß § 6 1 I I B G B w i r k t e deshalb in der gesetzlichen K o n z e p t i o n wie ein F r e m d k ö r p e r , der dann k o n s e quent mit W i r k u n g v o m 14. August 1919 durch A r t . 124 I I 2 W R V abgestoßen w o r d e n ist 1 0 . D e n n o c h hatte Planck im Reichstag sogar das E i n s p r u c h s r e c h t Otto Gierke, Das Bürgerliche Gesetzbuch und der Deutsche Reichstag, Berlin 1896, S. 6. Vgl. Staudinger/7i7?ra^w Repgen, Hans Schulte-Nölke, Hans-Wolfgang Strätz, BGB-Synopse 1896-2000: Gesamtausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs von seiner Verkündung 1896 bis 9

10

II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung

497

mit einer dem Gemeinschaftsgedanken verwandten Gemeinwohlüberlegung legitimiert. Beim Recht der Verjährung diente der Gemeinschaftsgedanke schon vom ersten Entwurf an zur Begründung des Rechtsinstituts selbst, da das Gemeinwohl den Schutz der Schuldner vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme verlangt, wenn eine gewisse Zeit verstrichen ist, weil die Verteidigung dann unverhältnismäßig schwer wird. Der Rechtsfriede erschien hier als Konkretisierung des Gemeinschaftsgedankens, aus dem auch abgeleitet wurde, daß die Verjährung mittels kurzer Fristen zur Bekämpfung des sogenannten Borgwesens eingesetzt werden sollte. Ebenso zählte zu den konkreten Folgerungen des Gemeinschaftsgedankens, daß die Aufrechnung mit verjährten Forderungen zugelassen werden sollte, was schließlich auch im Gesetzbuch verwirklicht worden ist. Man darf dabei allerdings nicht übersehen, daß die einzelnen Regeln des Gesetzes oft von vielschichtigen Begründungen getragen waren. So stand zum Beispiel für die zweite Kommission, die die Aufrechnung mit verjährten Forderungen zugelassen hat, der Schuldnerschutz sicherlich im Vordergrund. Im Schuldrecht war der Gemeinschaftsgedanke auch bei Gierke überlagert vom Topos des Schutzes des Schwächeren, der sich allerdings auch als eine Konsequenz des Gemeinschaftsgedankens begreifen ließ. Es scheint aber doch so, daß der Erfolg in diesem Rechtsgebiet keine Adaption des Gemeinschaftsgedankens, sondern „nur" des Topos vom Schutz des Schwächeren gewesen ist, trafen sich doch hier die Forderungen weiter Teile der rechtswissenschaftlichen Kritik mit denen der Regierungspolitik. Unmittelbare Bedeutung hatte der Gemeinschaftsgedanke in den von uns untersuchten schuldrechtlichen Materien nur im Vermieterpfandrecht, wo er von Anfang an die wichtigste Begründung für den - auch in der sozialen Wirklichkeit äußerst relevanten - Ausschluß unpfändbarer Sachen vom Vermieterpfandrecht darstellte. Der Gläubiger sollte mit Rücksicht auf die Armenverwaltung auf die Durchsetzung seiner Ansprüche verzichten, soweit der Schuldner nur lebensnotwendige Dinge im Sinne von §715 C P O (später §811 ZPO) besaß. Im Familienrecht, wo der Gemeinschaftsgedanke mit der Einführung der allgemeinen Gütergemeinschaft eine Abkehr vom ersten Entwurf gefordert hätte, ist das Gesetz bei der auch schon ursprünglich konzipierten Verwaltungsgemeinschaft geblieben. Aus dem Gemeinschaftsgedanken leiteten Kritiker wie Gierke oder Brühl ab, daß das beiderseitige Vermögen zur Bestreitung der ehelichen Lasten dienen, gleichzeitig dann aber auch die Frau am Erwerb des Mannes beteiligt werden solle. Scherer führte diesen Gedanken fort und wollte der Frau eine Sicherungshypothek an den Immobilien des Mannes einräumen. Wie gegensätzlich sich soziale Topoi auswirken konnten, zeigt sich daran, daß sowohl mit dem Gemeinschaftsgedanken als auch mit dem Topos der sozialen Freiheit die Forderung der Streichung von § 1277 I E I begründet wurde, der 2000 mit sämtlichen Änderungen im vollen Wortlaut in synoptischer Darstellung, Neubearbeitung 2000, Berlin 1999, S. 3 3 - 3 5 .

498

Kapitel 7: Schluß

persönliche Leistungsverpflichtungen der Ehefrau von der Einwilligung des Mannes abhängig machen wollte. Mit dem Gemeinschaftsgedanken ließ sich diese Forderung verbinden, weil nach der Auffassung von Gierke und anderen die Stellung der Frau innerhalb der Ehegemeinschaft die Geschäftsfähigkeit der Frau vollständig ausschloß. Die Ehefrau sollte ihrem status entsprechend unter der „Munt" des Ehemannes stehen. Die gegenteilige Wirkung erhofften sich die Verfechter der Idee sozialer Freiheit, die mit der Streichung von § 1277 I E I die volle Geschäftsfähigkeit der Ehefrau herstellen wollten. Im Kindschaftsrecht hätte der Gemeinschaftsgedanke eine Hinwendung zum Ideal der Hausgemeinschaft verlangt, die sich beispielsweise nicht mit einem formalen, starren Ende der elterlichen Gewalt bei Erreichen der Volljährigkeit vertrug. Den Forderungen des Gemeinschaftsgedankens entsprach schon eher die prinzipielle Anerkennung der vollen elterlichen Gewalt der Mutter durch die Entwürfe und das Gesetz, da das Elternrecht gemeinschaftlich aufzufassen sei. Diese Gleichberechtigung der Mutter hatte nach der Vorstellung Gierkes aber Rücksicht zu nehmen auf die Statusunterschiede beider Elternteile. Die Eltern sollten sich gegenseitig ergänzen, nicht ersetzen. Dementsprechend war im B G B die Stellung der Eltern durchaus unterschiedlich mit einer deutlichen Bevorzugung des Vaters geregelt. Planck hatte dafür zwar im Gesetzgebungsverfahren „praktische" Gründe geltend gemacht, aber auch er verstand die Rechte beider Elternteile rollenspezifisch 11 .

2. Der Schutz des

Schwächeren

Die Sozialpolitik des Reiches hatte sich seit der Thronrede Kaiser Wilhelms I. vom 12. Februar 1879 immer stärker entwickelt. Vorrangiges Ziel war der sozialpolitische Ausgleich zum Zwecke der Integration der Arbeiter in den Staat und der Abwehr einer weiteren Ausdehnung der Sozialdemokratie mit ihren damals als staatsfeindlich eingeschätzten Idealen. In der politischen Öffentlichkeit der achtziger und frühen neunziger Jahre verstand man unter der sozialen Frage vor allem und in erster Linie die Arbeiterfrage, genauer: die Industriearbeiterfrage. Wir haben davon im zweiten Kapitel gehandelt. Wenngleich auch die anderen Probleme der sozialen Frage bekannt und bewußt waren - insbesondere die Wohnungsfrage und Frauenfrage - , so ist doch unverkennbar, daß die Arbeiterfrage Gegenstand des vermehrten Interesses der staatlichen Politik war. Das ist erklärlich gerade aus dem Anwachsen der Sozialdemokratie und den Schwierigkeiten, die Klassengegensätze zu überbrücken und die Arbeiter in den Staat zu integrieren, einzubürgern. Als bevorzugte Begründung für die Umsetzung des sozialpolitischen Programms im Privatrecht diente der Topos vom Schutz des Schwächeren, den auch Bismarck zur Erläuterung seiner Politik bemüht hatte. In staatlicher Per11

Vgl. oben S. 486.

II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung

499

spektive sollte es darum weniger aus christlichen M o t i v e n - die d e n n o c h nicht belanglos waren - als aus G r ü n d e n der Staatsräson und des Machterhalts gehen, in den Augen mancher Kritiker des E n t w u r f s freilich m e h r aus moralischen Überlegungen. M a n ist ganz zu R e c h t gewöhnt, soziales R e c h t gerade mit der F u n k t i o n des Schutzes des Schwächeren zu assoziieren, o b es nun bei der Miete, dem Verbraucherkredit, dem Kündigungsschutz des A r b e i t n e h m e r s oder anderen, sozial besonders empfindlichen Gegenständen vorzugsweise des Schuldrechts ist. D o c h selbst bei dieser klassischen Figur ist die Z u o r d n u n g nicht frei v o n allen Zweifeln. D e n n selbst in als „hochliberal" einzuschätzenden G e s e t z e n kann man den Schutz des Schwächeren finden. Schulte-Nölke hat dafür als schönes Beispiel das „ G e s e t z betreffend die vertragsmäßigen Z i n s e n " v o n 14. N o v e m b e r 1867 1 2 angeführt 1 3 , mit dem das kanonische Zinsverbot endgültig aufgehoben wurde, dessen § 2 1 aber dem Schuldner ein durch Rechtsgeschäft unabänderliches Kündigungsrecht zubilligte, w e n n der vereinbarte Zinssatz 6 % überstieg. E s ist auch an die als „endgültige D u r c h s e t z u n g wirtschaftsliberaler P r i n z i p i e n " 1 4 eingeschätzte G e w e r b e o r d n u n g v o n 1869 zu denken, die d e n n o c h Schutzbestimmungen zugunsten jugendlicher A r b e i t e r und Frauen enthielt 1 5 , oder an das „ G e s e t z , betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- oder D i e n s t l o h n e s " v o m 21. J u n i 1869, das den Pfändungsschutz für A r b e i t s e i n k o m men einführte, soweit dieses der Schuldner oder seine Familie für den U n t e r h a l t benötigen 1 6 . E i n anderes Beispiel bietet die Sozialversicherungsgesetzgebung der achtziger J a h r e . Benöhr hat nachgewiesen, daß sich die Liberalen keineswegs gegen jeglichen staatlichen Zwang stemmten, sondern immerhin für die Einführung einer obligatorischen Krankenversicherung eintraten 1 7 . A u c h dies ein Indiz dafür, daß das einfache Schema „liberal" oder „sozial" versagt. N i c h t s anderes gilt für die moderne Terminologie. I n seiner gekonnten Beschreibung der politischen Bedingungen der Entstehung des Bürgerlichen G e s e t z b u c h s hat Thomas Nipperdey das Vereinsrecht als liberal bezeichnet - und dies nicht o h n e G r u n d , gehörte d o c h ein freies Vereinsrecht zu den F o r d e r u n g e n der L i b e r a Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1867, S. 159-160. Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S.314; Gierke, Entwurf, S.200f. hatte die Abschaffung dieses Schuldnerschutzes durch das geplante Bürgerliche Gesetzbuch scharf kritisiert, die die Motive II, S. 196 damit zu rechtfertigen versucht hatten, die Vorschrift aus dem Jahre 1867 widerspreche „heutigen Anschauung von Zinsennehmen" und sei für den Schuldner von zweifelhaftem Wert. 14 Hans Jürgen Teuteberg, Die Doktrin des ökonomischen Liberalismus und ihre Gegner, dargestellt an der prinzipiellen Erörterung des Arbeitervertrages im „Verein für Socialpolitik" (1872-1905), in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, hrsg. von Helmut Coing und Walter Wilhelm, Frankfurt am Main 1977, S. 47-73, hier S.49. 15 Vgl. dazu oben Kapitel 5, S.218. 16 Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, Berlin 1869, S.242f.; dazu: Herbert Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners. Eine juristische und sozialpolitische Studie, Jena 1906, S. 366-378; Otto-Gerd Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, Bielefeld 1983, S.29f. 17 Hans-Peter Benöhr, Wirtschaft und Sozialversicherung vor hundert Jahren, in: ZfA 13 (1982), S. 19-48. 12

13

500

Kapitel 7: Schluß

len 18 . Und doch muß man einräumen, daß im Ergebnis das Gesetz hier ein gutes Stück sozialer als der Entwurf geworden war, wenn man in den Kategorien zum Beispiel von Gierke denkt.

a) Die

Konzeption

Nur sehr vorsichtig hatte Planck den Schutz des Schwächeren zum sozialen Programm der Kodifikation des Privatrechts gemacht. Der Schutz durfte keine Nachteile für die Sicherheit des Verkehrs bringen. Pfizer hatte demgegenüber die Sicherheit des Rechts als Ziel vor Augen, zu der der Schutz des Schwächeren bei gleichzeitiger Wahrung der privatrechtlichen Freiheit dienen sollte. Die legislatorische Umsetzung sollte vor allem in der Form von Mißbrauchsklauseln geschehen. Zu denken ist dabei nicht nur an das ursprünglich in sachenrechtlichem Zusammenhang diskutierte Schikaneverbot in § 226 B G B und die sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 B G B , sondern auch etwa an familienrechtliche Schutzklauseln wie in § 1353 II B G B oder § 1354 II B G B . U m zu einem Ausgleich von Ungleichgewichtslagen und so zu einem Schutz vor Ausbeutung oder Benachteiligung der Schwächeren zu gelangen, wurde - soweit es sich auf das Schuldrecht bezog - als bevorzugtes, aber keineswegs einziges Mittel die Einschränkung der Vertragsfreiheit angesehen. Der Schutzgedanke spielte aber in allen Teilen des Gesetzbuchs eine Rolle.

b) Konkretisierungen,

Erfolge und

Mißerfolge

Soweit im ersten Entwurf bereits „soziale" Vorstellungen verwirklicht worden waren - wie beispielsweise bei den vielfachen Einschränkungen des Vermieterpfandrechts - , so stand dort im Mittelpunkt das Bestreben, zu einem wirksamen Schutz des Schwächeren zu gelangen. Das deckt sich mit der Behauptung Plancks, die erste Kommission habe sich von diesem Gedanken leiten lassen, eingeschränkt durch schwerwiegende Interessen der Verkehrssicherheit, die die Kommission in den Augen der Kritik manchmal überbewertet hat. In der Diskussion über die Rechtsfähigkeit von Vereinen hatte der Topos vom Schutz des Schwächeren keine tragende Bedeutung. Anders verhielt es sich mit dem Recht der Verjährung. Hier ging es in erster Linie um den Schutz des Schuldners einerseits vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme und der nach Ablauf einer gewissen Zeit fast unvermeidlichen Beweisnot, andererseits aber auch vor der Gefahr der Überschuldung, die infolge großzügiger Zahlungsfristen für kreditierte Konsumgüter bestand. Die zuerst genannte Zielsetzung hatte sich schon die erste Kommission zu eigen gemacht, während die zweite vom Redaktor Gebhard und später verschiedentlich auch von Kritikern des Entwurfs zwar vertreten wurde, aber von den unmittelbar an der Gesetzgebung be18 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S. 193, 198.

II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung

501

teiligten Organen abgelehnt wurde. Man glaubte nicht, daß die Verjährungsregeln ein hierfür geeignetes Steuerungsinstrument seien. Zu den konkreten, mit dem Schutz des Schwächeren begründeten und am Ende erfolgreichen Forderungen der Kritik zählte die Zulassung der Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung. Der Deutsche Juristentag, aber auch Bahr, P f a f f und andere hatten das zum Schutz vor der Ausbeutung durch geschäftserfahrene Leute angeregt. Dem Schutz vor übermäßigen Zinslasten sollte die Erstreckung der kurzen, vierjährigen Verjährung auf die gesetzlichen Zinsen dienen, die vor allem Lehmann gewünscht hatte. Die Vorkommission des Reichsjustizamts nahm entsprechende Vorschriften in den Entwurf auf, die dann schließlich Gesetz wurden. Nicht durchzusetzen vermochte sich die Kritik mit dem Vorschlag, zum Schutz vor der Gefahr der Verdunkelung der Beweise die Frist der ordentlichen Verjährung auf zehn beziehungsweise zwanzig Jahre zu verkürzen. Seine größte Bedeutung hatte der Schutz des Schwächeren im Schuldrecht. Menger begründete damit die Forderung, die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber zu beenden und für einen effektiven Schutz von Leben, Gesundheit, Ehre und Sittlichkeit zu sorgen. Das Mittel dazu sollte vor allem die Einschränkung der Vertragsfreiheit sein, so daß man beispielsweise keinen Haftungsausschluß mehr vereinbaren könnte. Auch die Umkehr des Grundsatzes „Kauf bricht Miete" wurde von der Vorkommission im Reichsjustizamt mit dem Schutz des Schwächeren, der im Wohnungsmieter gesehen wurde, gerechtfertigt. Beide Fälle haben wir oben nur gestreift, weil in beiden Fällen die Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts in eine Schieflage zur sozialen Frage geraten war. Ein erfolgreicher Anwendungsfall des Schutztopos im Schuldrecht war die Einschränkung des Sicherungszwecks des Vermieterpfandrechts. Im Vermieterpfandrecht spielte der Schutz des Schwächeren allerdings zugleich auch eine ambivalente Rolle, die es ermöglichte, daß konträre Positionen mit demselben Topos verteidigt wurden. Denn dieser Topos war gleichsam die Heimat des von uns so bezeichneten „Kreditarguments", mit dem die Aufrechterhaltung und sogar Ausdehnung des Vermieterpfandrechts - beispielsweise durch Einbeziehung der Sachen der Familienangehörigen und der eingebrachten Sachen Dritter - legitimiert werden sollte. Wir haben aber gesehen, daß das Kreditargument keine reale Grundlage hatte. Die Abschaffung des Vermieterpfandrechts ließ sich jedenfalls leichter mit dem Schutz des Schwächeren begründen. Dasselbe galt um so mehr noch für die verschiedenen Einschränkungen des Vermieterpfandrechts vom Ausschluß unpfändbarer Sachen, den schon der erste Entwurf vorgesehen hatte, bis zur Begrenzung des Widerspruchsrechts des Vermieters im Falle ausreichender Sicherung durch andere Gegenstände des Mieters. Diese Konkretisierung des Schutzes des Schwächeren hat den Gesetzgeber letztlich mehr überzeugt als das Kreditargument und seine Ableitungen. Deutlicher als im Schuldrecht war der Schutz des Schwächeren im Familienrecht mit dem Topos der sozialen Freiheit verbunden. Der Charakterisierung

502

Kapitel 7: Schluß

der elterlichen Gewalt als einer Art Vormundschaft hatte ihren Grund darin, daß man das Elternrecht als Befugnis zum Schutz des Kindes ansah. Dieser Schutz erschien aber mit Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr erforderlich. Das Kind konnte dann in die vollständige soziale Freiheit entlassen werden. Im Ehegüterrecht ging es um den Schutz der Frauen mit dem Ziel, ihre soziale Freiheit durch Gleichberechtigung zu gewährleisten. Daraus ergab sich die Ablehnung der allgemeinen Gütergemeinschaft, die Einordnung des Arbeitslohns als Vorbehaltsgut, die Forderung einer Erwerbsbeteiligung der Frau und die Ablehnung der Haftung der Frau für die Schulden des Mannes. Unterschiedlich wurde bewertet, ob die Verwaltungsgemeinschaft oder die Gütertrennung dem Schutz der Frau diene.

3. Soziale a) Die

Freiheit

Konzeption

Mit dem Topos der sozialen Freiheit wurde als Aufgabe des Privatrechts die freie Entfaltung der einzelnen Persönlichkeit zum Wohl und Nutzen der Gesamtheit beschrieben, wobei Baron am stärksten den Akzent auf die individuellen Freiheitsinhalte legte und am wenigsten einen gesellschaftlichen Nutzen damit verknüpft wissen wollte, sondern nur der Auffassung war, daß sich manche Aspekte der Freiheit ausschließlich im gesellschaftlichen Umfeld realisieren lassen. Selbst diese Auffassung hatte also eine soziale Dimension und läßt sich daher als Verbindung liberaler Freiheitsvorstellungen mit sozialen Anliegen begreifen. Deutlicher wird diese Verbindung bei Rudolph Sohm. Er wollte die freie Entfaltung der Persönlichkeit in den Dienst der Gemeinschaft stellen, worin er mit Leonhard Jacobi übereinstimmte. Gierke übertraf solche Gemeinschaftsbindung und kehrte sie um: Für ihn war die Freiheit gebunden zum gesellschaftsfreundlichen Gebrauch. Vergleicht man sein Verständnis mit dem von Sohm, so wirkt die Auffassung Sohras von der sozialen Aufgabe des Privatrechts wie ein Spiegelbild der Position Gierkes, das aufgrund der Spiegelbildern eigenen Seitenverkehrung die individuelle Freiheit in den Vordergrund schob und die Gemeinschaft etwas zurücktreten ließ, aber doch gleichermaßen als eine Synthese von Individuum und Gemeinschaft verstanden werden kann. Die Differenzen beim Verständnis von der sozialen Freiheit, die am deutlichsten zwischen den Positionen von Baron auf der einen und Gierke auf der anderen Seite festzustellen sind, sind vor allem darauf zurückzuführen, daß über die Funktion des Privatrechts selbst keine Einigkeit bestand. Für Baron stand das Privatrecht ausschließlich im Dienst der Vorteile des Einzelnen. Insofern hatte es, wie er mißverständlich schrieb, „keine soziale Aufgabe" 19 . Gleichwohl hatte es auch für ihn eine soziale Dimension, nämlich die Garantie sozialer Freiheit. 19

Vgl. oben S. 85.

II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung

503

Ein vergleichbares Privatrechtsverständnis konnten wir auch bei Conrad Bornhak antreffen. Die entgegengesetzte Position hatte Gierke formuliert, der für die Integration der Gemeinschaft in den Zweck des Privatrechts eingetreten war und in diesem Punkt - nicht hinsichtlich des Inhalts seines Gemeinschaftsgedankens auch Zustimmung erhalten hat, was besonders deutlich bei Rudolph Sohm wurde, der die freie Entfaltung der Person zum Wohl der Gemeinschaft als schützenswertes Ziel aufgefaßt hat.

b) Konkretisierungen,

Erfolge und

Mißerfolge

Im Vereinsrecht bedeutete der Topos der sozialen Freiheit vor allem Koalitionsfreiheit. Sie diente verstärkend als Begründung für die aus dem Gemeinschaftsgedanken abgeleitete Idee der freien Körperschaftsbildung, die in abgewandelter Form hinter dem schließlich Gesetz gewordenen System der Normativbestimmungen stand. Größere Bedeutung hatte die soziale Freiheit in der Diskussion über das Schuldrecht des ersten Entwurfs. Dort ging sie Hand in Hand mit dem Topos vom Schutz des Schwächeren. Das zeigte sich beispielsweise beim Vermieterpfandrecht. Der Schutz des Schwächeren konnte hier nach der Auffassung vieler gerade dadurch erreicht werden, daß der Schuldner eine gegenüber dem Gläubiger gleichberechtigte Ausgangsposition erhielt. Diese „Emanzipation" des Schuldners war notwendig verbunden mit der Vergrößerung seiner sozialen Freiheit, mit einem Zuwachs an rechtsgeschäftlichen Handlungsmöglichkeiten. Konkret leiteten daraus manche, wie etwa Thomsen, die, allerdings vom Gesetz nicht erfüllte, Forderung der vollständigen Abschaffung des Vermieterpfandrechts ab. Abbau von Privilegien durch Gleichberechtigung hieß in diesem Zusammenhang die Antwort des Privatrechts auf die soziale Frage. Auch im Familienrecht verband sich der Topos der sozialen Freiheit mit dem der Gleichberechtigung, insbesondere der Frau, der man die elterliche Gewalt nicht vorenthalten dürfe und deren Entfaltungsmöglichkeiten nicht durch das Ehegüterrecht eingeschränkt werden sollten. Es ging aber beispielsweise beim Ende der elterlichen Gewalt auch um die soziale Freiheit des Kindes, die es mit dem Erreichen der Volljährigkeit bekommen sollte. Der erste Entwurf hatte sich schon in diesem Sinne entschieden und das ließ sich auch schließlich im Reichstag halten. O b man hinsichtlich der Beteiligung der Mutter an der elterlichen Gewalt von einem Erfolg für die Gleichberechtigung der Frau sprechen darf, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Relativ zur bisherigen Rechtslage stellte sich das Bürgerliche Gesetzbuch als ein Fortschritt dar, weil die Mutter nun erstmals überhaupt ein eigenständiges Elternrecht besaß. Die eigentümliche Verbindung mit den Statasvorstellungen, die in den Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsgedanken gehören, begrenzte diese soziale Freiheit der Mutter aber in einer Weise, die verhindert, daß man behaupten könnte, die Gleichberechtigung sei bereits erreicht worden.

504

Kapitel 7: Schluß

Ähnliches ist für das Ehegüterrecht zu sagen. Auch hier gab es relative Fortschritte zugunsten der Gleichberechtigung der Frauen, aber zum Teil wurden mit dem Topos der sozialen Freiheit ohne Erfolg wesentlich weitergehende Forderungen verbunden, insbesondere der Vorschlag, als gesetzlichen Güterstand die Gütertrennung einzuführen, aber auch eine Erwerbsbeteiligung der Frau im Rahmen der Verwaltungsgemeinschaft. Zu einer Belastung der Frau hätte sogar die auch mit dem Argument der Gleichberechtigung verlangte Verpflichtung beider Ehepartner zur Bestreitung der Lasten der Ehe geführt. Zu den wichtigen Erfolgen im Sinne der sozialen Freiheit zählte die Herstellung der vollen Geschäftsfähigkeit der Frau durch die Abschaffung der Zustimmungsbedürftigkeit bei persönlichen Leistungsverpflichtungen. Eine Mitarbeitspflicht der Ehefrau im Geschäftsbetrieb wurde mit Blick auf ihre soziale Freiheit verneint. Die Freiheit der Frau sollte aber eingeschränkt bleiben durch Gemeinschaftsrücksichten, soweit es um die Herstellung des ehelichen Lebens ging. Der bis zum 1. April 1953 gültige §1354 I B G B gab hier dem Mann die ausschlaggebende Stimme, insbesondere, soweit es Wohnort und Wohnung der Eheleute betraf. c) Exkurs:

Vertragsfreiheit

Nur am Rande berührt hat unsere Untersuchung die Vertragsfreiheit 20 , jenen Angelpunkt „liberalen" Rechtsdenkens, den auch das Bürgerliche Gesetzbuch dem Grundsatz nach aufrecht zu erhalten bemüht war, allen Einschränkungen zum Trotz 21 . Die Vertragsfreiheit war gleich von zwei Seiten „sozialen" Rechtsdenkens betroffen: einerseits negativ beim Schutz des Schwächeren. Hier sollte sich die Vertragsfreiheit Einschränkungen gefallen lassen müssen, um einen wirtschaftlich oder sonst Schwächeren vor rechtlicher Benachteiligung zu schützen. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat von diesem Mittel nur in sehr zurückhaltender Form Gebrauch gemacht durch die Einführung zwingenden Rechts, etwa bei §§ 544, 619 B G B . Vielfältige Einschränkungsmöglichkeiten boten die Generalklauseln, die einen Appell an die richterliche Beurteilung darstellten. Wie von ihnen gerade auch in der Anfangsphase der Gültigkeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Sinne eines Schutzes Schwächerer Gebrauch gemacht worden ist, wäre ein lohnendes Untersuchungsobjekt 22 .

2 0 Zum historischen Umfeld vgl. Joachim Rückert, Zur Legitimation der Vertragsfreiheit im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität - Inhalt - Funktion - Wirkung, hrsg. von Diethelm Klippel, Goldbach 1997, S. 135-183. 2 1 Vgl. die berühmte Stelle in Motive II, S. 2, wo der Verzicht auf die Regelung aller Vertragstypen mit dem Hinweis auf das Prinzip der Vertragsfreiheit gerechtfertigt wurde, von dem das gesamte Schuldrecht beherrscht werde. Doch dort wurde auch sofort die wichtige Einschränkung gemacht: „soweit nicht allgemeine oder bestimmte einzelne absolute Gesetzesvorschriften entgegenstehen." 2 2 Ein Beispiel bei Tilman Repgen, Tenancy in Germany between 1871 and 1914. Norms and Reality, in: Private Law and Social Inequality in the Industrial Age, hrsg. von Willibald Stein-

II. Die sozialen Topoi und ihre

Wirkung

505

Andererseits war die Schaffung von Vertragsfreiheit auch ein Mittel zur Verwirklichung der sozialen Freiheit. Die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten vergrößern sich, wenn der rechtliche Bewegungsspielraum wächst. Da die persönliche Entfaltung aber von einigen als eine soziale Aufgabe angesehen wurde, also ein gesellschaftliches Interesse an ihr bestand, und da die Entfaltung infolgedessen zum Nutzen der Gemeinschaft geschehen sollte, war nach der Auffassung mancher die Garantie der Vertragsfreiheit im Sinne einer echten Gleichberechtigung der Vertragspartner beim Vertragsschluß Bestandteil der sozialen Aufgabe des Privatrechts. Dahinter stand die Uberzeugung, daß die Wohlfahrt der Gemeinschaft nur gelingen kann, wenn jeder einzelne seine persönlichen Fähigkeiten entfaltet und in den Dienst dieser Gemeinschaft stellt. So betrachtet erscheint die Befreiung der Mieter durch Abschaffung von Privilegien der Vermieter ebenso wie die Garantie voller Geschäftsfähigkeit auch der verheirateten Frau als eine soziale Tat. Gerade dieser innere Zusammenhang mit den Interessen der Gemeinschaft brachte aber auch Einschränkungen, soziale Bindungen mit sich. Und so war die Bemerkung Adolf Gröbers zutreffend, die Vertragsfreiheit sei nicht das Höchste, sondern die Gerechtigkeit, und auch rechtmäßig erworbene Befugnisse dürften nicht mißbraucht werden. Daraus folgerte er den Grundsatz: „Das formelle Recht muß dem materiellen Recht weichen; die Sätze des menschlichen Gesetzes müssen dienen der göttlichen Gerechtigkeit" 2 3 .

Planck, Sohrn und Gierke, um nur die wichtigsten zu nennen, hätten, wie Rücken mit Recht schrieb, dieser Stellungnahme „gegen originäre Privatautonomie und Freiheit"24 zugestimmt. 4. Sozialpolitisch a) Die

er A usgleich

Konzeption

Stärker als bei den anderen Topoi trat beim „sozialpolitischen Ausgleich" die politische Funktion des Privatrechts in den Vordergrund der Argumentation. metz, Oxford 2000, S. 381-409, insbesondere S.407f. am Beispiel eines Urteils des Landgerichts München I vom 13. Januar 1911. 23 Adolf Gröber, Die Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches für den Arbeiterstand, Stuttgart 1897, S. 37; vgl. den ähnlichen Gedankengang schon bei Rudolf von Jbering, Recht und Sitte, München o. J., S. 131: „Es gibt in meinen Augen keinen verhängnisvolleren Irrtum, als daß der Vertrag als solcher, sofern sein Inhalt nur nicht gesetzwidrig oder unmoralisch sei, einen gerechtfertigten Anspruch auf den Schutz des Gesetzes habe... Das Interesse der Gesellschaft... geht auf das, was nicht bloß dem Einzelnen, sondern was allen paßt, bei dem alle bestehen können, und das ist... nichts anderes als die Gerechtigkeit. Sie steht über der Freiheit." [Hervorhebungen im Original]. 24 Joachim Rückert, „Frei" und „sozial": Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, in: ZfA 23 (1992), S. 225-294, hier S.287.

506

Kapitel 7: Schluß

Das Privatrecht wurde von einigen, wie zum Beispiel Ludwig Fuld oder Karl Dickel, unmittelbar als ein Instrument zur Lösung der sozialen Frage begriffen. Nur für dieses Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts wäre es vernünftig gewesen, nach der Antwort des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf die soziale Frage zu suchen. Bei den übrigen Topoi trat uns aber eine von der sozialen Frage zu trennende Auffassung von der sozialen Aufgabe des Privatrechts entgegen. Die von der Diskussion nach dem ersten Entwurf erfaßten Probleme waren daher, wie wir gesehen haben, nicht deckungsgleich mit denen der sozialen Frage. Ganz gezielt wollten aber die Anhänger des sozialpolitischen Ausgleichs durch das Privatrecht dieses einsetzen, um die bestehende Gesellschaftsordnung zu stabilisieren und deren als Bedrohung empfundene Gefährdung durch ein fortschreitendes Auseinanderdriften der Bevölkerungsschichten so abzuwehren. In diesem Zusammenhang gerieten dann wirtschaftliche Interessen der Bauern oder überhaupt der Grundbesitzer ebenso in den Blick wie die Probleme der Mieter und Pächter. Dem Ideal einer befriedeten, bürgerlichen Gesellschaft wollte man durch eine Förderung des als staatstragend angesehenen Mittelstands näher kommen.

b) Konkretisierungen, Erfolge und Mißerfolge Zur Umsetzung der mit dem Topos vom sozialpolitischen Ausgleich umschriebenen Ziele kamen sehr verschiedene privatrechtliche Mittel in Betracht, die auch bei den übrigen Topoi ihren Platz hatten: sozialpolitischer Ausgleich konnte die Unrechtmäßigkeit schikanösen Verhaltens fordern oder Einführung der Rentenschuld für landwirtschaftliche Grundstücke, um eine Uberschuldung des Betriebs zu vermeiden. In den Augen derer, die den sozialpolitischen Ausgleich als soziale Aufgabe des Privatrechts ansahen, mußte bei jedem Rechtsinstitut geprüft werden, ob es geeignet sei, die Kluft in der Gesellschaft zu vergrößern oder zu überbrücken. So hielt man die freie Vereinsbildung für geeignet, um den sozialpolitischen Ausgleich zu erleichtern. Das galt einerseits und in erster Linie für die Vereine der Arbeiter, die im Zusammenhang mit dem Sozialistengesetz benachteiligt worden waren, andererseits aber auch für die kirchlichen Vereine, die unter dem Kulturkampf gelitten hatten. Auch für diese Gruppierungen, so war zu hören, müsse das Reich einen rechtlichen Rahmen schaffen. Das Bürgerliche Gesetzbuch wurde diesem Ziel allerdings kaum gerecht. Zwar hatte es das System der Normativbestimmungen eingeführt, aber das in §61 II B G B vorgesehene Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden traf gerade diejenigen gesellschaftlichen Gruppen, um deren stabile Integration ins Reich es beim sozialpolitischen Ausgleich ging: die Arbeiter und die Katholiken. Konnte man beim Gemeinschaftsgedanken trotzdem noch das Vereinsrecht auf der Erfolgsseite verbuchen, so ist das hier nicht möglich. Einmal mehr zeigt sich, daß ein pauschales Urteil über die Erfüllung der sozialen Aufgabe durch das Bürgerliche Gesetz-

II. Die sozialen Topoi und ihre Wirkung

507

buch unmöglich ist, da das unterschiedliche Verständnis vom Inhalt dieser Aufgabe zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Sozialpolitische Rücksichten hatten schon im ersten Entwurf ihren Platz. Beispielsweise wurde die Lohnfortzahlung bei kurzfristiger Erwerbsunfähigkeit mit diesem Topos begründet sowie mit der Rücksicht auf kurzfristig zum Militärdienst eingezogene Wehrpflichtige. Deutlich ist auch die sozialpolitische Absicht der unter dem Eindruck der Kritik am ersten Entwurf geschaffenen §§617-619 BGB. Die erfolglose Forderung einer Abschaffung des Vermieterpfandrechts wurde unter anderem auch mit dem Ziel des sozialpolitischen Ausgleichs durch Gleichstellung der Vertragspartner begründet, weil der vierte Stand von den Nachteilen des Mietrechts in besonderem Maß betroffen war. Umgekehrt wurde derselbe Topos aber auch dazu verwendet, die Beibehaltung des Vermieterpfandrechts zu verlangen mit einem Hinweis darauf, daß sonst der Immobiliarkredit gefährdet werde und damit die Stabilität der ganzen Gesellschaft. Diese Überlegung stand auch hinter dem erfolglosen Vorschlag, sogar die eingebrachten, aber in fremdem Eigentum stehenden Sachen dem Vermieterpfandrecht zu unterwerfen. Die Erhaltung des Hausbesitzerstandes, so hatte es geheißen, sei Voraussetzung für die Stabilität des Staates. Die beinahe beliebige Zielrichtung des Topos vom sozialpolitischen Ausgleich zeigte sich auch daran, daß der Topos den Ausschluß von nach der Zivilprozeßordnung unpfändbaren Sachen vom Vermieterpfandrecht begründen sollte. Im Familienrecht diente der Topos vom sozialpolitischen Ausgleich regelmäßig in ganz besonders deutlicher Weise konservativen Zielen. Die Stabilität von Ehe und Familie war der wesentliche Inhalt. Konkret konnte das bedeuten, daß die elterliche Gewalt zur Stärkung der Familienbande und der väterlichen Autorität in den Händen des Vaters bleiben sollte. Vereinzelt wurde aber, etwa von Pf äff und Fuld, das Argument auch umgekehrt zur Begründung für eine gleichberechtigte Beteiligung der Mutter angeführt. Die konservative Tendenz des Topos im Familienrecht zeigte sich auch in der Diskussion über das Ehegüterrecht. So beriefen sich zum Beispiel Anhänger des Regionalsystems darauf, ein reichseinheitliches Güterrecht destabilisiere die ländlichen Familien. Das konservative Ziel, die Stabilität der Familien zu wahren, mußte nicht zwingend zum Nachteil der Frauen sein. Das zeigte der Fall der Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes. Das Insolvenzrisiko sollte der Gläubiger des Ehemannes, nicht die Ehefrau tragen, wenngleich für die gesetzgeberische Entscheidung in diesem Punkt der Aspekt des Schutzes der Frau die größere Bedeutung besessen haben dürfte.

5. Bedürfnisse der Gegenwart Nicht zu den sozialen Topoi in der Diskussion über die soziale Aufgabe des Privatrechts zwischen 1888 und 1896 ist die - auf älterer Tradition beruhende -

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Kapitel 7: Schluß

Formel der „Bedürfnisse der Gegenwart" zu zählen. Die Vorkommission von 1874 hatte diese Blankettformel in ihrem Gutachten verwendet und damit der ersten Kommission den Weg zur sozialen Reform durch das Privatrecht weder geebnet noch verstellt. Die erste Kommission hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur sozialen Reform in manchen Punkten auch durchaus Gebrauch gemacht - freilich nicht im Sinne aller Topoi, insbesondere nicht im Sinne des von Gierke vertretenen Gemeinschaftsgedankens. Aus der Reihe der hier untersuchten Beispiele ist an die Konzeption der Verjährung, an die Einschränkungen des Vermieterpfandrechts, an die selbständige Bedeutung der Mutter als Trägerin elterlicher Gewalt und an die Anerkennung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau zu erinnern. Auch die Tatsache, daß von Anfang an der Arbeitslohn der Ehefrau Vorbehaltsgut bleiben sollte, gehört in diesen Zusammenhang. Gottlieb Planck hat die Bedürfnis-Formel der Vorkommission von 1874 später zur Beschreibung der seiner Ansicht nach einzigen „sozialen Aufgabe" des Privatrechts verwendet. Das Privatrecht, so schrieb er, dürfe keine Klasseninteressen verfolgen und habe nur die Aufgabe, die Verhältnisse der einzelnen Menschen untereinander zu ordnen. Die Berücksichtigung des Gemeinschaftsgedankens Gierkes lehnte er also ab und teilte vielmehr die Privatrechtstheorie von Baron und anderen, die ebenfalls das Privatrecht auf die Funktion beschränken wollten, nur die Individualrechtsverhältnisse zu regeln. Wir haben freilich im Hauptteil dieser Untersuchung feststellen können, daß Planck tatsächlich sozialen Erwägungen im Gesetzbuch wesentlich mehr Platz gewährt hat, als diese strikte Stellungnahme erwarten ließ. Maßgeblich waren für ihn, wie er selbst sagte, sittliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Erwägungen, zu denen er zweifelsfrei den Schutz des Schwächeren gezählt hat. Die Bedürfnisse der Gegenwart hatten für Planck also auch einen sozialen Inhalt. Außer Planck haben auch andere immer wieder die Bedürfnisse der Zeit und die Zweckmäßigkeit als den für die Gesetzgebung entscheidenden Maßstab bezeichnet. Damit konnten, wie sich bei Planck oder insbesondere bei Lobe, Ehrlich, Menger und Dernburg zeigen ließ, soziale Bedürfnisse gemeint sein, die so die Bedürfnis-Formel zu einer sozialen Formel werden ließen. Hatte Dernburg, weitergehend als Planck, vor allem die sozialen Aspekte als entscheidend bezeichnet, so hielt Lobe eine gemeinwohlförderliche Verteilung des Volkseinkommens für zweckmäßig. Ehrlich sprach sogar von einer f/wiverteilung von Grundbesitz und Produktionsmitteln. Die einseitige Berücksichtigung der Interessen des vierten Standes sah Menger als ein Bedürfnis der Zeit an, weil diese Bevölkerungsschicht zunehmend Einfluß gewinne. Auch Gierke hatte den Eindruck, sein Gemeinschaftsgedanke sei ein Bedürfnis der Zeit. Auf unterschiedliche Weise hatte die Blankettformel für diese Autoren also eine soziale Bedeutung. Aber es konnten mit ihr auch ganz entgegensetzte Positionen begründet werden, sei es bei Samuel Jacoby im Blick auf die Verkehrsbedürfnisse als das Entscheidende oder in besonders krasser Form bei Conrad Bornhak, der ein Be-

III. Das Modell vom

Sozialmodell

509

dürfnis für ein liberalistisches Privatrecht feststellen wollte, das den kapitalistischen Wirtschaftsinteressen genügen mußte. So blieben die „Bedürfnisse der Gegenwart" eine Blankettformel, die es erlaubte, ganz gegensätzliche Positionen als „auftragsgemäß" im Sinne des Gutachtens der Vorkommission zu bezeichnen, um die wirklichen Wertungen unangreifbar zu machen, da die Verantwortung auf die Vorkommission von 1874 abgeschoben werden konnte.

III. Das Modell vom Sozialmodell Die Differenzierung verschiedener Topoi zeigt, daß man auf die Frage, ob man im Gesetzgebungsverfahren auf die soziale Aufgabe des Privatrechts Rücksicht genommen hat, keine eindeutige, sondern nur eine differenzierende Antwort geben kann. O d e r anders gesagt: zunächst müßte man bestimmen, welches Verständnis von der sozialen Aufgabe des Privatrechts man zugrunde legen möchte. Die unterschiedlichen Erfolge der verschiedenen Konzepte von der sozialen Aufgabe sind im vorigen Abschnitt zusammenfassend geschildert worden. N u n gilt es, diese Ergebnisse mit den modernen Vorstellungen vom Sozialmodell des Bürgerlichen Gesetzbuchs 2 5 zu konfrontieren, die regelmäßig in auffallend abstrakter Weise aus allgemeinen geistesgeschichtlichen Zusammenhängen gespeist werden, ohne daß bislang ein hinreichend konkreter Nachweis über die Verwirklichung dieses Sozialmodells geleistet worden wäre. Pauschale Hinweise auf Vertrags-, Eigentums- und Testierfreiheit werden offenbar allgemein als genügend angesehen. Man müßte daher richtigerweise von einem „ M o dell vom Sozialmodell" sprechen, das von der geschichtlichen Wirklichkeit möglicherweise doch abweicht. Diese Vorstellungen vom Sozialmodell gilt es nun zum Schluß der hier gewonnenen Anschauung von der Wirklichkeit gegenüberzustellen.

1. Erste

Schlaglichter

Die heute allgemein verbreitete Vorstellung vom „Sozialmodell" des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat Wieacker geprägt, auf den auch die glückliche Wortschöpfung zurückzuführen ist. An den Anfang zu setzen sind aber einige ältere markante Einschätzungen des Gesetzbuchs, die zuvor meinungsbildend gewesen sind. 25 Der Begriff wird hier im Sinne eines Idealbilds der Gesellschaft verstanden, das sich in den Grundentscheidungen der Rechtsordnung widerspiegelt. Zum Begriff des Sozialmodells ausführlich und mit weiteren Nachweisen Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform. Überlegungen zur Rechtfertigung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit bei Schuldverträgen, Berlin 1985, S. 17-33, insbesondere S. 30 sowie ders., Einleitung zu §§241 ff., in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearbeitung, Berlin 1995, Rn.510-512.

510

Kapitel 7: Schluß

Schon in einem Aufsatz von Hermann Jastrow aus dem Jahr 1895 ist zu lesen, daß das Gesetzbuch nicht seiner Zeit vorauseile, sondern rückwärtsgewandt dem 20. Jahrhundert das Recht des 19. Jahrhunderts diktiere26. Derselbe Autor meinte an anderer Stelle, daß der Entwurf, über den der Reichstag zu verhandeln habe, in der Hauptsache von „sozialpolitischem Geist" nicht berührt werde27. Das Gesetz war in seinen Augen veraltet, bevor es in Kraft trat. Jastrow konnte dabei anknüpfen an die rhetorische Frage Gierkes, die dieser angesichts der Publikation des ersten Entwurfs gestellt hatte: „Schauen wir wirklich die Morgenröthe eines jungen Tages? Oder leuchtet uns nur der Abendglanz einer versinkenden Welt?" 2 8

Gierke hatte es 1889 noch für vermessen gehalten, eine Antwort zu geben. Aber es besteht kein Zweifel, daß er einen Fortbestand der bestehenden Welt nur dann für möglich hielt, „wenn wir uns mit dem aufstrebenden Gemeinschaftsgeiste erfüllen und aus ihm heraus Staat und Recht, Sitte und Wirthschaft echt sozial zu gestalten verstehen" 2 9 .

Der Entwurf stand daher in seinen Augen eher für „Abendglanz" als für „Morgenröte". Nur wenig später als Jastrow schrieb Bebel über die Kodifikation: „Das künftige Bürgerliche Gesetzbuch Deutschlands ist also, mit einem Satz gesagt, ein Werk, an dem keiner seiner Väter eine wahre und aufrichtige Freude hat, weil es ein echtes Kind deutscher Zustände, ein Werk der widernatürlichen Kompromisse ist, das bereits in sehr wesentlichen Bestimmungen von den Bedürfnissen der Zeit überholt worden, noch ehe es in Kraft getreten ist"i0.

Bebel warf also dem fertigen Gesetz vor, gerade nicht dem von der Vorkommission gesetzten Maßstab, den Bedürfnissen der Zeit zu entsprechen, gerecht geworden zu sein. Vielmehr sei es das Produkt einer überlebten und eingeschüchterten „Bourgeoisie", die keine Zeit mehr habe zum Kämpfen und Rin26 Hermann Jastrow, Die geschäftliche Behandlung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Reichstag, in: Soziale Praxis 5 (1895/96), Sp. 385-391, hier Sp. 387. Auch Bernhöft, Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich (wie Fn. 5), S. 1202, meinte, das Gesetzbuch habe „auf die Grenze zweier grosser Epochen gestellt, einen mehr rückwärts schauenden Charakter". 27 Hermann Jastrow, Der neueste Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, in: Soziale Praxis 5 (1895/96), Sp.481-486, hier Sp.485. 28 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 10. 29 Gierke, Soziale Aufgabe, S. 10, Hervorhebung von T. R. 30 August Bebel, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialdemokratie, in: Die Neue Zeit 14 (1895/96), Bd. 2, S. 554ff., hier S. 555, wieder abgedruckt in: Thomas Vormbaum (Hrsg.), Sozialdemokratie und Zivilrechtskodifikation. Berichterstattung und Kritik der sozialdemokratischen Partei und Presse während der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2. Aufl. Baden-Baden 1997, Nr. 85, S. 368-377, hier S.369. Hervorhebung im Original. Ganz entsprechend die Karikatur in der sozialdemokratischen Satirezeitschrift „Der wahre Jacob", 1896, die das Gesetzbuch als tänzelnde alte Dame mit buntscheckigem Kleid und Knöpfen in der Form von Paragraphen zeigt, die sich vor ihr unschönes Gesicht die Maske eines jungen Mädchens hält. Die Karikatur wird wiedergegeben von Vormbaum (wie zuvor), S. 398.

III. Das Modell vom

Sozialmodell

511

gen, sondern nur noch „zum Schlafenlegen" 31 . Keineswegs günstiger lauteten die Urteile seiner Fraktionskollegen im Reichstag. Frohme meinte, die Reichstagsvorlage enthalte nur einen „Tropfen recht ranzigen sozialen Öles" 3 2 , und Stadthagen bezeichnete das Gesetzbuch als „kodifizirtes Unrecht der ausgebeuteten Klasse gegenüber" 33 . Vielhaben von der Deutsch-sozialen Reformpartei (Antisemiten) sah im bürgerlichen Gesetzbuch „ein neues Ubergewicht des Kapitals, der Großindustrie" 34 . Entschieden wehrte sich dagegen Gröber vom Zentrum unter Hinweis auf die Vorschriften über Zinsen und Wucher, die den Interessen des Mittelstands entsprechen würden 35 . Positiv urteilte er auch an anderer Stelle, wo er schrieb, mit dem B G B sei Gutes, „namentlich auf dem Gebiet der sozialen Frage" errungen worden 36 . Ahnlich hatte schon im Reichstag Conrad Haußmann von der Deutschen Volkspartei das Gesetzbuch als großen Fortschritt für alle Teile des Volkes, auch für die Arbeiter, angesehen. Es enthalte, so erklärte er, „das Recht des kommenden Jahrhunderts" 37 . Der Spott Frohmes, das Gesetz werde zwar ins neue Jahrhundert hineinreichen, aber diese Zeitspanne nicht ausfüllen38, ist inzwischen selbst überholt. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte noch Rudolph Sohm gerade den „liberalen" Charakter des Gesetzbuchs beschrieben und die Kodifikation als Privatrecht „für die Zukunft" eingeschätzt 39 . Der mit dem Freiheitsgedanken besonders im 31 Bebel, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialdemokratie (wie Fn. 30), S. 556 [ND S. 372f.]. Bebel wollte in seinem Aufsatz die Ablehnung des Gesetzbuchs durch die Sozialdemokraten rechtfertigen. Trotz aller konstruktiven Kritik der Sozialdemokraten im Gesetzgebungsverfahren, so schrieb er, habe das Gesetz aufgrund gravierender Verschlechterungen gegenüber dem bisherigen Rechtszustand abgelehnt werden müssen - tatsächlich betrafen jedoch nicht alle Kritikpunkte Verschlechterungen, vgl. nur die Fortschritte des Ehegüterrechts. An erster Stelle führte Bebel die Wildschadensersatzfrage (Hasenfrage) an, zu der er sich ebenso auffällig ausführlich äußerte, wie diese eher zweitrangige Frage die Parlamentsdebatte beschäftigt hatte (S. 559f., N D S. 375-377). An zweiter Stelle nannte er die Vorschriften über Eheschließung und Ehescheidung, wobei er hauptsächlich gegen den Kaiserparagraph polemisierte (S.578f., N D S. 378-382); im Ehegüterrecht gelte das „alte Herrenrecht" (S.579, N D S.382). Die Rechtsstellung der unehelichen Kinder sei, so Bebel, verwerflich geregelt (S. 580, N D S. 383). Relativ kurz geradezu parallel zum Gesetz selbst - , handelte Bebel den Arbeits- und Mietvertrag ab, indem er nur auf die Debatte im Reichstag verwies (S. 581, N D S. 384), um dann um so ausführlicher das Vereinsrecht zu besprechen, das in der Tat für die Sozialdemokraten nachteilig war (S. 581-583, N D S. 384-387), freilich auch hier nicht schlechter als der frühere Zustand.

Frohme, in: Stenographische Berichte, S. 154. Stadthagen, in: Stenographische Berichte, S. 809. 34 Vielhaben, in: Stenographische Berichte, S. 811. 35 Gröber, in: Stenographische Berichte, S. 822. 36 Gröber, Die Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches (wie Fn. 23), S. 38. 37 Haußmann, in: Stenographische Berichte, S. 810. 38 Frohme, in: Stenographische Berichte, S. 816. 39 Rudolph Sohm, Bürgerliches Recht, in: Systematische Rechtswissenschaft, hrsg. von Paul Hinneberg, Berlin; Leipzig 1906, S. 1-91, hier S. 13f. - Vgl. auch das uneingeschränkt positive Urteil des französischen Juristen Raymond Saleilles, Einführung in das Studium des bürgerlichen Rechts [Introduction à l'étude du droit civil allemand, übersetzt und herausgegeben von Rudolf Leonhard], Breslau 1905, S.2, dazu: Werner Schubert, Das Bürgerliche Gesetzbuch im Urteil 32 33

512

Kapitel 7: Schluß

Miet- und Dienstvertragsrecht verbundene Schutz der Schwächeren erwies in Sohms Augen das Gesetzbuch als Ausdruck der „großen Strebungen des heutigen Kulturlebens" 40 . Schon 1896 hatte Rudolf Leonhard das Bürgerliche Gesetzbuch als „Zukunftsrecht" bezeichnet 41 . In seinen Augen war das Gesetzbuch also auch zur Erfüllung der wenigstens in nächster Zukunft liegenden sozialen Aufgaben des Privatrechts geeignet. Friedrich Endemann erschien die Verwirklichung der sozialen Aufgabe im Gesetz zwar nicht in idealer Weise gelungen, wohl aber habe man erreicht, was unter den gegebenen Umständen in dieser Hinsicht erreicht werden konnte 42 , denn es sei, so sagte er, nicht die Aufgabe eines bürgerlichen Gesetzbuches, „große soziale Umwälzungen vorzunehmen" 43 . Der „Tropfen sozialen Oeles" habe nicht gefehlt, sondern man habe französischer Juristen bis zum Ersten Weltkrieg, in: SZGerm 114 (1997), S. 128-181, hier S. 149ff., dort auch S. 142ff. weitere Stellungnahmen von Saleilles sowie anderen französischen Juristen. Saleilles sah im B G B zwar Defizite im Sinne der Kritik Gierkes, aber namentlich im Dienstvertragsrecht und bei der Gleichberechtigung der Frau sah er soziale Ideale verwirklicht. Auch aus dem angelsächsischen Raum kamen positive Bewertungen des neuen Gesetzbuchs, vgl. die Nachweise bei Werner Schubert, Das B G B von 1900 im Urteil der zeitgenössischen deutschen Rechtswissenschaft mit einem Ausblick auf die heutige Zeit, in: Das Bürgerliche Recht Von der Vielfalt zur Einheit. Vortragsreihe anläßlich einer Sonderausstellung des Landgerichts Flensburg zum 100. Geburtstag des Bürgerlichen Gesetzbuches, hrsg. von Förderverein der gerichtshistorischen Sammlung des Landgerichtsbezirkes Flensburg e. V., Flensburg 2000, S. 4 0 79, hier S. 41 Fn. 3 sowie Marcus Dittmann, Das Bürgerliche Gesetzbuch aus der Sicht des Common Law. Das B G B und andere Kodifikationen der Kaiserzeit im Urteil zeitgenössischer englischer und amerikanischer Juristen, Berlin 2000. Sohm, Bürgerliches Recht (wie Fn. 39), S. 14. Vgl. dazu aber S.90. Rudolf Leonhard, Ein Uberblick über das neue Bürgerliche Gesetzbuch. Vortrag, gehalten in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 13. November 1896, in: Jahrbuch der Gehe-Stiftung zu Dresden, Bd. 2, Dresden 1897, S. 67-93, hier S. 93; ebenso: Sohm, Bürgerliches Recht (wie Fn. 39), S. 14. 42 Anders Oertmann, Die volkswirtschaftliche Bedeutung (wie Fn.3), der meinte, man habe sich „in ängstlicher Scheu vor einem Zuviel mit einem lahmen Zuwenig" begnügt. Allerdings legte Oertmann - in gewisser innerer Spannung zu Einschätzungen wie der soeben zitierten - Wert auf die Feststellung, daß das Gesetz „im Grossen und Ganzen von einem modernen, sozialen und freiheitlichen Geiste" erfüllt sei. 43 Friedrich Endemann, Einführung in das Studium des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band: Einleitung - Allgemeiner Theil - Recht der Schuldverhältnisse, 5. Aufl. Berlin 1899, S. 7; ähnlich auch die Einschätzung von Rudolf Stammler, [Referat:] Soziale Gedanken im Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Soziale Gedanken im Bürgerlichen Gesetzbuch. Aus den Verhandlungen der 5. Hauptverhandlung der freien kirchlich-sozialen Konferenz zu Erfurt am 18.-20. April 1900. Referate, mit Diskussion, Berlin 1900, S.2-16, der als den „sozialen Gedanken" das Bestreben ansah, „das Richtige, das Gerechte zu treffen". Es gehe dem Gesetz um den „rechten wahren Gehalte einer rechtlichen Ordnung", nicht um die formale Aufrechterhaltung von Rechtspositionen (S.3). Als Beispiele nennt er eine Menge von Einzelvorschriften, die hier in der im Text, S.5ff., genannten Reihenfolge aufgezählt seien: §§867, 1005, 912f., 1363, 1432f., 1391f., 1365f., 1634, 1684, 1626, 138, 544, 618, 617, 624, 443, 476, 540, 637, 1354, 226,242, 605,157, 826,1446,1641,1804, 534, 626, 627, 671, 696, 723, 749, 712,1889,2227, 811, 843,1580,1612,1402,1451,1635,1775,1836,119, 343, 303, 874, 384,1134, 931,1024,1060, 659 BGB. Stammler resümierte: „Das sind nur annähernde Beispiele, und durch hundert und aberhundert Paragraphen kommt immer wieder dieser Gedanke zum Ausdruck: es soll richtig zugehen, gerechtes Recht gesprochen werden" (S. 14). 40 41

III. Das Modell vom

Sozialmodell

513

die Hauptsorge auf den Schutz des wirtschaftlich Schwachen verwendet 4 4 . V o n dieser Bewertung rückte Endemann auch nicht beim zehnjährigen Jubiläum des Gesetzbuchs ab, sondern schrieb: „Auch auf dem vielberühmten sozialen Gebiete bedeutet das BGB. einen unzweifelhaften Fortschritt; es hebt mit günstiger Wirkung die Stellung der wirtschaftlich Schwächeren und der rechtlich Hilfsbedürftigeren; es bedeutet eine unzweifelhafte Besserstellung der Ehefrauen; es bringt den Kindern verstärkten Schutz gegen den Mißbrauch der elterlichen Gewalt und fördert das Streben, die Kinder möglichst bald zu wirtschaftlicher Selbständigkeit gelangen zu lassen" 45 . U n d Max Hachenburgbemerkte in seinen 1896/97 gehaltenen Vorträgen über das neue Recht, das Bürgerliche Gesetzbuch enthalte soziales Recht, da es dem Berechtigten Pflichten auferlege aus Rücksicht auf die Gemeinschaft 4 7 . Hachenburg legte also seiner Beurteilung des sozialen Gehaltes des Gesetzes in erster Linie den insbesondere v o n Gierke verwendeten Begriff Topos des G e meinschaftsgedankens zugrunde. Erst in zweiter Linie und wie eine K o n s e quenz dieses Topos erscheint der Schutz des Schwächeren. So heißt es bei Ha-

chenburg: „Versteht man das Wort „sozial" im richtigen Sinne dahin, daß es die aus dem wirtschaftlichen Zustande der heutigen Gesellschaft fließenden Consequenzen bedeutet und den Menschen zwingt, sich als Glied einer großen Kette zu fühlen, daß es die Fürsorge des Gesetzes für den Schwachen, seinen Schutz vor Ausbeutung gegen das wirtschaftliche Uebergewicht auf der einen Seite, sofern die Billigkeit es erfordert, versucht, daß es den Einzelnen nötigt, der Gesammtheit sich unterzuordnen und in ihrem Interesse ein Opfer zu bringen, ..., dann ist das Bürgerliche Gesetzbuch und sein Geist sozial" 48 .

Hachenburg ging über dieses Resümee sogar noch hinaus und bezeichnete die Berücksichtigung der so umschriebenen sozialen A u f g a b e als einen h e r v o r stechenden Charakterzug des Gesetzes, der bei der Auslegung des Gesetzes beachtet w e r d e n müsse 4 9 . Endemann, Einführung (wie Fn. 43), S. 7. Friedrich Endemann, Der zehnte Jahrestag des neuen bürgerlichen Rechtes, in: DJZ 15 (1910), Sp. 18-26, hier Sp.20. 46 Zu diesem Karl Otto Scherner, Recht des Handels als geordnetes Leben der Wirtschaft, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S.415-428. 47 Max Hachenburg, Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich. Vorträge, gehalten in den Jahren 1896/97, Mannheim 1898, S.20. 48 Hachenburg, Das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 47), S. 21. 49 Hachenburg, Das Bürgerliche Gesetzbuch (wie Fn. 47), S. 21. Vgl. auch Paul Laband, Die Fortschritte des Rechts 1896-1905, in: DJZ 11 (1906), S. 1-9, hier S. 1, der die „sozialpolitische Fürsorge" als ein „Leitmotiv" auch des BGB angesehen hat. Ahnlich Richard Weyl, Vorträge über das Bürgerliche Gesetzbuch für Praktiker. In zwei Bänden, München 1898, S.58ff., insbesondere S. 84, der meinte, daß das Gesetz ,volkstümlich' sei, weil es eben sozial sei, wobei sozial für Weyl vor allem die Berücksichtigung des Schutzes des Schwächeren bedeutete, vgl. (wie zuvor) S. 59; Weyl folgend etwa: Julius von Staudinger, Vorträge aus dem Gebiete des Bürgerlichen Gesetzbuchs für Verwaltungsbeamte, München 1900, S. 7. 44 45

514

Kapitel 7: Schluß

Trotz der verschiedenen positiven Stimmen, die „zur Begrüßung" des Bürgerlichen Gesetzbuches einen zum Teil geradezu emphatischen Klang angenommen hatten 50 , blieben die skeptischen Kritiken präsent 51 . Seit der Verkündung des Gesetzbuchs ist die Einschätzung, daß es den sozialen Anforderungen seiner Zeit nicht gerecht geworden sei, nicht verstummt 52 . 5 0 Zu nennen sind - in alphabetischer Reihenfolge - beispielsweise: Ernst Neukamp, Bürgerliches Recht, in: Wörterbuch der Volkswirtschaft in zwei Bänden, Bd. 1,1. Aufl. Jena 1898, S. 4 9 2 504, hier S. 501 und 503; Paul Oertmann, Zum 1. Januar 1900, in: Juristisches Litteraturblatt 11 (1899), S. 221-224; ders., Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Fünf Vorträge, gehalten im Verein für Volkswirtschaft und Gewerbe zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1900, S. 12, (im Unterschied zu Jastrow hat Oertmann auch gemeint, daß das Gesetzbuch in einer ganzen Reihe wichtiger Bestimmungen die Position der wirtschaftlich Schwachen gegenüber den Starken gebessert habe, schon bei oberflächlicher Betrachtung sei dies eines der „Leitmotive des Gesetzbuches"); Rudolph Sohm, Das neue bürgerliche Recht und unsere Aufgaben, in: 41. Jahres-Bericht über die Wirksamkeit der Juristischen Gesellschaft, Berlin 1899/1900, S. 84-86; Richard Schröder, Zum 1. Januar 1900, in: SZGerm 21

(1900), S. V-IX; Rudolf Stammler, Die Bedeutung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches für den Fortschritt der Kultur. Rede zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers am 27. Januar 1900 in der Aula der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg, Halle a.d.S. 1900, hier S. 11-14,36f.; Weyl, Vorträge (wie Fn. 49), S. 84, wo er die Leistung des Gesetzgebers mit den „Heldenthaten" Frithjof Nansens verglich: „Mit,Nacht und Eis' hatte auch das B G B . zu kämpfen, mit der Nacht des Vorurteils und mit den, gleich zahllosen Eisschollen sich emportürmenden Widersprüchen der Kritik..."; Ernst von Wildenbruch, Das deutsche Recht, in: D J Z 5 (1900), S. 1; Ernst Zitelmann, Zur Begrüßung des neuen Gesetzbuches, in: DJZ 5 (1900), S. 2-6. 51 Vgl. zum Beispiel: Hellmut Georg Isele, Ein halbes Jahrhundert deutsches Bürgerliches Gesetzbuch, in: AcP 150 (1949), S. 1-27, hier S.3, schrieb in seinem Jubiläumsaufsatz, das B G B sei „eher als Schlußakkord des 19., denn als Ouvertüre des 20. Jahrhunderts" zu begreifen; ähnlich Gustav Boehmer, Einführung in das bürgerliche Recht, 2. Aufl. Tübingen 1965, S. 83: „mehr ein Kind des 19. als eine Mutter des 20. Jahrhunderts"; August Egger, Die Zivilgesetzbücher in den Stürmen der Zeit, in: Ausgewählte Schriften und Abhandlungen. Erster Band: Beiträge zur Grundlegung des Privatrechts, hrsg. von Walther Hug, Zürich 1957, S. 169-185, hier S. 177: „Dieses Gesetzbuch kam zu spät und kam zu früh"; Ludwig Raiser, 50 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch, in: Göttinger Universitäts-Zeitung vom 15.11. 1946, Nr.20, S. 13, der meinte, das Gesetz habe „mit seiner bürgerlich-liberalen Gesinnung das 19. Jahrhundert" beschlossen, „ohne das Tor zum 20. aufzuschließen"; Michael John, Politics and the Law in Late Nineteenth-Century Germany. The Origins of the Civil Code, Oxford 1989, S. 1: „... very much the completion of nineteenth-century developments rather than the harbinger of a new age" und S.257: „The Civil Code was the final product of that culture and was perhaps already out of date by the time it was introduced"; Eike Schmidt, Von der Privat- zur Sozialautonomie, in: J Z 1980, S. 153-161, hier S. 155.

Für die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts vgl. die Nachweise bei Thomas Honseil, Historische Argumente im Zivilrecht, S. 73 Fn. 39. Zur Entwicklung des Urteils über das Gesetzbuch im 20. Jahrhundert vgl. vor allem: Hans Schulte-Nölke, Die späte Aussöhnung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Das deutsche Zivilrecht 100 Jahre nach Verkündung des B G B . Erreichtes. Verfehltes. Übersehenes, hrsg. von Armin Willingmann u.a., Stuttgart usw. 1997, S . 9 - 2 1 , hier S.ll. 5 2 Stellvertretend seien aus neuester Zeit genannt: Helmut Köhler, Einführung, in: Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896. Faksimileausgabe anläßlich der Verkündung des B G B vor 100 Jahren, München 1996, S. 10f., 22f.; Helmut Heinrichs, Einleitung, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 58. Aufl. München 1999, Rn. 5,8; Franz Jürgen Säcker, Einleitung, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1: Allgemeiner Teil (§§1-240), A G B -

III. Das Modell vom 2. Erste

nüchterne

Sozialmodell Einschätzung

P r ä g e n d w u r d e dann z u n ä c h s t die B e u r t e i l u n g d u r c h Justus mann53

515

Wilhelm

Hede-

in zwei w i c h t i g e n P u b l i k a t i o n e n 1 9 1 3 u n d 1 9 1 9 5 4 . E r b e s c h e i n i g t e d e m

G e s e t z aufgrund seiner G e n e r a l k l a u s e l n ein g r o ß e s E n t w i c k l u n g s p o t e n t i a l 5 5 , traf sich aber m i t den k r i t i s c h e n S t i m m e n aus den J a h r e n 1 8 9 5 u n d 1 8 9 6 darin, das G e s e t z b u c h für u n z e i t g e m ä ß zu halten. J e d o c h m e i n t e er damit, es sei z w a n zig J a h r e zu früh g e k o m m e n , da es in eine U m b r u c h p h a s e geraten sei 5 6 . mann

Hede-

hat später erklärt, was er mit d e m „ Z u - f r ü h - K o m m e n " des G e s e t z e s

m e i n t e : die i m W e r d e n begriffenen E n t w i c k l u n g e n h ä t t e n nicht m e h r b e r ü c k sichtigt w e r d e n k ö n n e n 5 7 . D a s w a r also der S a c h e n a c h n i c h t s anderes als der s c h o n ältere V o r w u r f , das G e s e t z sei s c h o n i m Z e i t p u n k t seines I n k r a f t t r e t e n s ü b e r h o l t gewesen. D i e für das Privatrecht m ä c h t i g s t e E n t w i c k l u n g w a r in d e n A u g e n v o n Hedemann,

daß an die Stelle des I n d i v i d u u m s m e h r u n d m e h r die

M a s s e trat, die G e m e i n s c h a f t 5 8 .

Gesetz, hrsg. von Kurt Rebmann und Franz Jürgen Säcker, 3. Aufl. München 1993, Rn.27ff.; Mathias Scbmoeckel, 100 Jahre BGB: Erbe und Aufgabe, in: NJW 49 (1996), S. 1697-1705, hier S. 1702; etwas milder das Urteil von Norbert Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, in: NJW 53 (2000), S. 40^*6, hier S.42; einen Uberblick bietet neuerdings Dieter Schwab, Das BGB und seine Kritiker, in: ZNR 22 (2000), S. 325-357, hier S. 334-348. 53 Zu diesem: Heinz Mohnhaupt, Justus Wilhelm Hedemann als Rechtshistoriker und Zivilrechtler vor und während der Epoche des Nationalsozialismus, in: Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, hrsg. von Michael Stolleis und Dieter Simon, Tübingen 1989, S. 107-160. 54 Justus Wilhelm Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, Berlin 1913; ders., Das Bürgerliche Recht und die neue Zeit. Rede, gehalten bei Gelegenheit der akademischen Preisverteilung in Jena am 21. Juni 1919, Jena 1919. - Insbesondere zur Rede von 1919 vgl .Jan Schröder, Kollektivistische Theorien und Privatrecht in der Weimarer Republik am Beispiel der Vertragsfreiheit, in: Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik. Zur Entwicklung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert, hrsg. von Knut Wolfgang Nörr, Bertram Schefold und Friedrich Tenbruck, Stuttgart 1994, S. 335-359. 55 Hedemann, Werden und Wachsen (wie Fn. 54), S. 9. 56 Hedemann, Werden und Wachsen (wie Fn. 54), S. 6; ebenso später Heinrich Stoll, Das Bürgerliche Recht in der Zeiten Wende, Stuttgart 1933, S. 13; Ernst Forsthoff, Das Recht zwischen gestern und morgen, in: Christ und Welt vom 29.12.1949, Nr. 52,2. Jg., S. 6f., hier S. 6; Otto Küster, Geschriebenes und empfundenes Recht. Fünfzig Jahre einheitliches Bürgerliches Gesetzbuch, in: Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung vom 28. Januar 1950, Nr. 8, S. 3; Hans Dölle, Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Gegenwart. Festrede, in: Fünfzigjahrfeier des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches. Festakt, veranstaltet von den Deutschen juristischen Fakultäten am 1. Februar 1950 in Köln, hrsg. von Hans Carl Nipperdey, Tübingen 1950, S. 14-35, hier S. 15. 57 Hedemann, Das Bürgerliche Recht und die neue Zeit (wie Fn. 54), S. 8; bei anderer Gelegenheit nannte er das BGB eine „Tat des Verwaltungsstaats des 19. Jahrhunderts", ders., Das Bürgerliche Gesetzbuch nach fünfundzwanzig Jahren, in: DJZ 1925, S.5-7. Erst zum fünfzigjährigen Jubiläum fand Hedemann zu einer eindeutig positiven Bewertung, vgl. ders., Die Wirtschaftskraft des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Ein Tag des Gedenkens, in: Betriebs-Berater 5 (1950), S. 2-4. 58 Hedemann, Das Bürgerliche Recht und die neue Zeit (wie Fn. 54), S. 9-15.

516

Kapitel 7: Schluß

„Um den ewigen Gegensatz zwischen Allgemeinheit und Einzelbürger, societas und individuum, kreist wie seit Jahrtausenden noch heut' das Denken" 5 9 . Das entscheidende Defizit lag f ü r Hedemann darin, daß das Gesetz das „soziale Postulat" nicht mehr hinreichend aufgenommen habe, sondern „schüchtern und ohne hohe Schöpferfreude ... mehr als einmal ängstlich neutral geblieben" sei 60 . Ahnlich hatte schon z u v o r Josef Kohler die wenigen sozialen Züge des Gesetzbuchs f ü r „nachträglich angeklebt" gehalten 6 1 .

Gustav Radbruch hat 1 9 3 0 die Thesen Hedemanns fortgeführt. Die G e m e i n schaft begriff er als den zentralen Begriff eines neuen Zeitalters, in dem das soziale Recht nicht auf das Individuum, sondern „auf den konkreten und vergesellschafteten Menschen" zugeschnitten sei 62 . Die soziale Entwicklung des Rechts stelle sich nicht als die Verwirklichung irgendeines Programms dar, „sondern als Selbstverwirklichung einer überbewußten geschichtlichen N o t wendigkeit", deren Ziel eine gerechtere Gesellschaftsverfassung sei, „die nicht mehr Arbeitsherren und Arbeitsuntertanen kennen wird, sondern n u r noch A r beitsbürger" 6 3 . Das Bürgerliche Gesetzbuch hingegen sei noch ganz individualistisch geprägt. D e r „neue soziale Geist" sei in seine „engen Fugen" noch nicht eingedrungen 6 4 . Die A u s w i r k u n g e n des individualistischen Geistes umschrieb Radbruch damit, statt gleicher Personen gebe es „Besitzende und Besitzlose, statt allseitiger Vertragsfreiheit Diktatfreiheit der wirtschaftlich Mächtigen, Hedemann, Das Bürgerliche Recht und die neue Zeit (wie Fn. 54), S. 18 f. Hedemann, Das Bürgerliche Recht und die neue Zeit (wie Fn. 54), S. 8. 61 Josef Kohler, Die Gesetzgebungspolitik des 19. Jahrhunderts, in: DJZ 10 (1905), Sp. 32-37, hier Sp. 35; vernichtend war Kohlers Urteil über das BGB in seiner Bearbeitung des Art. „Bürgerliches Recht" in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, hrsg. von Franz von Holtzendorff, Bd. 2, 7. Aufl. München 1914, S. 1-191, hier S. 8, es sei, so heißt es dort, „nicht zeitgemäß" und versage in der Frauenfrage, in der Wohnungsfrage, in der Arbeiterfrage, nur wenige Lichtpunkte eröffneten Freiraum für „moderne Gedanken". Ähnlich urteilte Kohler, Besprechung von Stammler u.a., Systematische Rechtswissenschaft, Verlag B.G. Teubner, Leipzig 1913, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 32 (1915), S.312-315, hier S.314, wo es hieß, die Menge „sozialen Öles" im Gesetzbuch sei verschwindend und in keiner Weise genügend, „um die Reibung des Räderwerkes, unter welchem so viele Interessen zerknittert werden, genügend zu mildern"; anders noch ders., Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band 1: Allgemeiner Teil, Berlin 1906 (bereits als Teillieferung 1904 erschienen), S. 6, wo Kohler meinte, es sei dem Gesetz gelungen, „den Zug des modernen Rechts zu erfassen", und ders., Bürgerliches Recht, in: Encyklopädie der Rechtswissenschaft, begründet von Franz von Holtzendorff, hrsg. von Josef Kohler, Bd. 1,6. Aufl., Leipzig; Berlin 1904, S. 561-757, hier S. 568, wo er den Vorwurf, das Gesetz sei nicht „sozial gedacht" als unberechtigt zurückgewiesen hatte; ähnlich wie Kohlers spätere Einschätzung bereits Franz Bernhöft, Das Bürgerliche Recht, in: Encyclopädie der Rechtswissenschaft, hrsg. von Karl Birkmeyer, 2. Aufl. Berlin 1904, S.361-611, hier S.373: „In vielen Bestimmungen [des E II] ist freilich der soziale Zug erkennbar, aber sie sind vereinzelt und machen den Eindruck des Fremdartigen, des nachträglich Hinzugekommenen"; zur entgegengesetzten Auffassung Oertmanns vgl. oben Fn. 50. 59

60

62 Gustav Radbruch, Vom individualistischen zum sozialen Recht, in: Hanseatische Rechtsund Gerichts-Zeitschrift 13 (1930), Sp.457-468, hier Sp.458f. 63 Radbruch, Vom individualistischen zum sozialen Recht (wie Fn.62), Sp.468. 64 Radbruch, Vom individualistischen zum sozialen Recht (wie Fn.62), Sp.462.

III. Das Modell vom

Sozialmodell

517

Diktatunterworfenheit der wirtschaftlich Ohnmächtigen" 6 5 . A n dieser Stelle genügt die Einschätzung Radbruchs v o m individualistischen Charakter des G e setzbuchs. Die übrigen Thesen seines Aufsatzes betreffen die bislang weitgehend ungeschriebene Geschichte der sozialen A u f g a b e des Privatrechts im 20. Jahrhundert.

3. Die communis

opinio

doctorum

Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allgemein verbreitete A u f f a s sung v o m Charakter des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat schließlich Franz Wieacker formuliert, als er in einem erstmals 1953 publizierten Vortrag das Gesetzbuch v o n 1 8 9 6 als „das spätgeborene K i n d der Pandektenwissenschaft und der nationaldemokratischen, insoweit v o r allem v o m Liberalismus angeführten Bewegung seit 1848" bezeichnet hat 66 . Diese Liberalität leitete er einerseits aus den drei Grundfreiheiten (Vertrags-, Eigentums-, Testierfreiheit) ab, andererseits aber auch und noch mehr aus den nicht geregelten Materien. So lasse § 138 II B G B durch den subjektiven W u c h e r begriff keinen Platz mehr f ü r gerechten Preis, laesio enormis oder die Festsetzung eines Zinsmaximums. Das Gesetz kenne keine allgemeine clausula rebus sie stantibus und lasse Geldwertschwankungen außer Betracht, weil es Geldschulden als Nennwertschulden behandle 6 7 . Die Einschätzung des Gesetzbuchs als liberal kann man als herrschend bezeichnen 6 8 . Sie gilt als so sicher, daß man auf einen Nachweis verzichten zu k ö n Radbruch, Vom individualistischen zum sozialen Recht (wie Fn. 62), Sp. 460. Franz Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, in: Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, Frankfurt am Main 1974, S. 9-35 (Erstdruck 1953), hier S. 15 sowie S. 22: „spätgeborenes Kind des klassischen Liberalismus." Ahnlich der Sache nach auch schon die Würdigung in: ders., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 1. Aufl. Göttingen 1952, S.289-291. 67 Wieacker, Sozialmodell (wie Fn. 66); ähnlich ders., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 482. Die von Wieacker angesprochenen Rechtsinstitute dienen auch sonst mitunter als Maßstab für die „Liberalität" von Gesetzbüchern, vgl. Christian Ahcin, Zur Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65, Frankfurt am Main 1996, S.300f. 68 Vgl. in alphabetischer Reihenfolge zum Beispiel: Martin Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis in Deutschland. Vom Beginn der Industrialisierung bis zum Ende des Kaiserreichs, Frankfurt am Main 1995, S. 237f.; Dirk Blasius, Bürgerliches Recht und bürgerliche Identität. Zu einem Problemzusammenhang in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts, in: Vom Staat des Ancien Régime zum modernen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder zu seinem 70. Geburtstag, hrsg. von Helmut Berding u.a., München-Wien 1978, S.213-224, hier S.222f.; Hans Brox, Allgemeiner Teil des BGB, 21. Aufl. Köln usw. 1997, S. 17-,Jan Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, Tübingen 1999, S. 50; Helmut Coing, Bemerkungen zum überkommenen Zivilrechtssystem, in: Festschrift für Hans Dölle, hrsg. von Ernst von Caemmerer, Arthur Nikisch und Konrad Zweigert, Bd. 1, Tübingen 1963, S.25-40, hier S.28f. sowie 35; ders., Allgemeine Züge der privatrechtlichen Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, in: 65 66

518

Kapitel 7: Schluß

nen glaubt. Dabei wird allerdings einerseits zu wenig zwischen dem ersten EntHandbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hrsg. von Helmut Coing, Bd. III/l, München 1982, S. 3-16, insbesondere S. 7-10; Barbara Dölemeyer, Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, hrsg. von Helmut Coing, München 1982, S. 1611; Rudolf Gmür, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch verglichen mit dem Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, Bern 1965, S. 19; Hans Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl. Heidelberg 1999, Rn. 1869; Palandt/Heinrichs (wie Fn. 52); Ewald Hügemann, Die Geschichte des öffentlichen und privaten Mietpreisrechts vom Ersten Weltkrieg bis zum Gesetz zur Regelung der Miethöhe von 1974, Frankfurt am Main 1998, S. 1; Günther Hönn, Zur Problematik der Privatautonomie, in: Jura 6 (1984), S. 57-74, hier S. 58\ Heinrich Honseil, Privatautonomie und Wohnungsmiete, in: AcP 186 (1986), S. 115-186, hier S. 119f.; Max Käser, Wege und Ziele der deutschen Zivilrechtswissenschaft, in: L'Europa e il diritto Romano. Studi in memoria di Paolo Koschaker, Bd.l, Milano 1954, S. 543-579, hier S.570; Karl Hermann Kästner, Anton Menger (1841-1906). Leben und Werk, Tübingen 1974, S.125 in Fn.411; Ernst A. Kramer, Vor §145 Rn. 2, in: Münchener Kommentar (wie Fn. 52); Karl Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1992, S.20f., der allerdings im liberalen Formalismus des BGB die Chance sieht, daß dieses stets zeitgemäß bleibt; Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 5. Aufl. Berlin - New York 1996, S. 294; ders., Beständigkeit und Wandel - Achtzig Jahre deutsches Bürgerliches Gesetzbuch, in: JuS 20 (1980), S. 853-860, hier S. 855; Erik Lindner, Vollendung der Rechtseinheit: „Einheitliches Recht für alle deutschen Staatsbürger", in: Das Parlament vom 5. Juli 1996, Nr. 28, S. 18; Alexander Lüderitz, Kodifikation des bürgerlichen Rechts in Deutschland 1873 bis 1977: Entstehung, Entwicklung und Aufgabe, in: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz. Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1. Januar 1877, hrsg. von Bundesministerium für Justiz, Köln 1977, S.213-261, hier S. 224; Hans-Georg Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, Berlin 1970, S. 153; Christian-Matthias Pfennig, Die Kritik Otto von Gierkes am ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, Göttingen 1997, S. 182; Raiser, 50 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch (wie Fn. 51); Thilo Ramm, Einführung in das Privatrecht. Allgemeiner Teil des BGB, Bd. 1,2. Aufl. München, 1974, S. 13,198; ders., Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch, seine Entstehung und seine Würdigung, in: Ökonomische Theorie und wirtschaftliche Praxis. Festschrift zum 65. Geburtstag von Rolf Hanschmann, hrsg. von Peter Clever u.a., Herne und Berlin 1981, S. 215-224, hier S. 221, 224; MünchKommAöc/br (wie Fn. 52), Rn. 27f.; Hans Schlosser, Zivilrecht für 100 Jahre? Das janusköpfige Bürgerliche Gesetzbuch, in: Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996. Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, hrsg. von Hans Schlosser, Heidelberg 1997, S. 5-33, hier S. 10f.; ders., Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 8. Aufl. Heidelberg 1996, § 5 III 5, S. 164f.; Eike Schmidt, Von der Privatzur Sozialautonomie (wie Fn. 51), S. 153 f.; Karsten Schmidt, Die Zukunft der Kodifikationsidee, Karlsruhe 1985, S.29; Klaus-Peter Schroeder, Gottlieb Planck (1825-1910) - „Ziehvater" des BGB, in: JuS 40 (2000), S. 1046-1051, hier S. 1050; Ulrich Spellenberg, Vom liberalen zum sozialen Privatrecht?, in: Recht im sozialen Rechtsstaat, hrsg. von Manfred Rehbinder, Opladen 1973, S. 23-67, hier S. 26; Rolf Stürner, Der hundertste Geburtstag des BGB - nationale Kodifikation im Greisenalter?, in: JZ 51 (1996), S. 742-752, hier S. 742f. - Schlosser, Schmidt und Stürner sehen wie Kroeschell den abstrakten Formalismus des Gesetzes allerdings als Chance für Rechtsfortbildungen und damit für Zeitgemäßheit; Uwe Wesel, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht, München 1997, S. 409^-11,437; Dörte Willrodt-von Westernhagen, Recht und soziale Frage. Die Sozial- und Rechtsphilosophie Anton Mengers, Hamburg 1975, S. 136; Alfred Wolf, Weiterentwicklung und Überarbeitung des Schuldrechts, in: ZRP 1978, S. 249-254, hier S.250. Auch in der Rechtsprechung ist die Interpretation von Wieacker aufgegriffen worden, vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 19.10. 1993,1. Senat, 1 BvR 567,1044/89, in: BVerfGE 89 (1994), S. 214-236, hier S.233.

III. Das Modell vom

Sozialmodell

519

w u r f und dem schließlichen Gesetzestext unterschieden, andererseits werden auch die soziale Implikationen des ersten E n t w u r f s übersehen 6 9 . D a s ist w o h l vor allem auf die von der späteren Zivilrechtswissenschaft fast ausschließlich w a h r g e n o m m e n e K r i t i k insbesondere von Gierke und Menger zurückzuführen 7 0 . W e n n man also das Bürgerliche G e s e t z b u c h in die liberale Tradition stellt, so ist damit zugleich gesagt, es n e h m e eben v o n seiner G r u n d r i c h t u n g her gerade keine R ü c k s i c h t auf soziale Belange, es diene vornehmlich - oder gar ausschließlich - den Interessen der Besitzbürger 7 1 . D a s ist freilich, wie hier die A n a lyse der Einzelfragen gezeigt hat, eine einseitige Sichtweise.

4. Die Berücksichtigung

der

Gesamtrechtsordnung

Wieackers T h e s e v o m Sozialmodell des Bürgerlichen G e s e t z b u c h s ist seit einigen J a h r e n nicht m e h r unangefochten. Als einer der ersten hat Benöhr die T h e s e Wieackers v o m „spätgeborenen K i n d des klassischen L i b e r a l i s m u s " in Zweifel gezogen und mehr als dieser den B l i c k v o m Bürgerlichen G e s e t z b u c h weg auf das G e s a m t der G e s e t z g e b u n g des Reiches zwischen 1875 und 1900 gelenkt, die eine große Fülle ausdrücklich sozialpolitisch motivierter G e s e t z e hervorgebracht hat, v o n der N o v e l l e der G e w e r b e o r d n u n g 1878, ü b e r die A k t i e n rechtsnovelle, das Wuchergesetz, das Börsengesetz bis z u m Abzahlungsgesetz, um nur einige Gegenstände auf dem G e b i e t e des Privatrechts zu nennen. D e m Bürgerlichen G e s e t z b u c h schrieb er dabei allerdings n o c h eine unpolitische, auf D a u e r berechnete F u n k t i o n zu 7 2 . Andeutungen in diese R i c h t u n g hatte bereits zuvor zum Beispiel Hans Merz gemacht, der auf die „mittelbare K o r r e k t u r " des liberalen Privatrechts durch die Sozialgesetzgebung ebenso hingewiesen hat wie auf die soziale F u n k t i o n der Generalklauseln 7 3 . Ä h n l i c h hat neuerdings Thomas Nipperdey geurteilt, der aber dabei blieb, daß der K e r n der bürgerlichen R e c h t s ordnung liberal-individualistisch gewesen sei, wenngleich das B i s m a r c k r e i c h einige E l e m e n t e des m o d e r n e n Sozialstaats geschaffen habe 7 4 . Stürner hat die „Zweispurigkeit" der R e c h t s o r d n u n g des Kaiserreichs mit der Verlagerung sozial brisanter Materien auf N e b e n g e s e t z e sogar als „weise S e l b s t b e s c h r ä n k u n g "

Das gilt auch für John, Politics (wie Fn.51), S.243, 252. Von dieser doch nur sehr begrenzten Wahrnehmung der Kritik macht auch Schwab, Das B G B und seine Kritiker (wie Fn. 52), keine Ausnahme. Seine Studie bestätigt vielmehr den überaus starken Einfluß der Kritik Gierkes am ersten Entwurf auf die Einschätzung des Charakters des B G B auch im 20. Jahrhundert. 71 Vgl. zum Beispiel: Karl Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts. Ein Lehrbuch, 7. Aufl. München 1989, S. 50f.; Heinz Hübner; Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. Berlin 1996, Rn.80ff. 72 Hans-Peter Benöhr, Wirtschaftsliberalismus und Gesetzgebung am Ende des 19. Jahrhunderts, in: ZfA 8 (1977), S. 187-218, hier S.216-218. 73 Hans Merz, Privatautonomie heute - Grundsatz und Rechtswirklichkeit, Heidelberg 1970, S.6f. 74 Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1866-1918, Bd.2 (wie Fn. 18), S.200f. 69

70

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Kapitel 7: Schluß

gelobt 75 . Für die damaligen Zeitgenossen wäre diese Aussage keine Überraschung gewesen, denn es war ihnen klar, daß das Bürgerliche Gesetzbuch sich nicht besonders gut zur Lösung brisanter Fragen anbot 76 , daß aber beispielsweise die Sozialversicherungsgesetze bei der Beurteilung der Erfüllung der sozialen Aufgabe der Rechtsordnung Berücksichtigung verlangten 77 . Den wichtigen Aspekt, daß man bei der Beurteilung des Gesetzes den Kontext der Gesamtrechtsordnung nicht aus dem Blick verlieren darf, hat insbesondere Werner Schubert mehrfach betont 78 . Er urteilt positiver als manche anderen über das Bürgerliche Gesetzbuch 79 . Die Kritik, so schrieb er einmal, habe sich nicht auf die endgültige Fassung des B G B von 1896 bezogen, die in großem Maße auf die Verbesserungsvorschläge eingegangen sei 80 . Den größten Einfluß auf das Gesetzbuch hätten unter den Kritikern die landwirtschaftlichen Interessenverbände ausgeübt 81 . Für eine Berücksichtigung sozialpolitischer Forderungen im E II habe vor allem Bosse gesorgt 82 , der seit Februar 1891 Staatssekretär im Reichsjustizamt und als solcher dann später Vorsitzender der zweiten Kommission war. Nachweisbar ist der Einfluß von Bosse zum Beispiel für das Vereinsrecht, das im zweiten Entwurf vom reichseinheitlichen System der Normativbestimmungen ausging 83 . Damit entsprach das Vereinsrecht wenigstens im Grundsatz dem Anliegen einer sozial motivierten Kritik. Schubert meinte, das B G B sei „die erste moderne sozialpolitisch motivierte Zivilrechtskodifikation" gewesen, mit der sich die Deutschen allerdings erst nach 1945 ausgesöhnt hätten 84 . Zwar wirft diese These einige Fragen bezüglich des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten von 1794 auf, das von einigen Kritikern des 75 Stürner, Der hundertste Geburtstag des B G B (wie Fn. 68), S. 743; Laufs, Beständigkeit und Wandel (wie Fn. 68), S. 856 betont die Bedeutung des Abzahlungsgesetzes von 1894. 76 Dazu Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S.269ff. 7 7 Vgl. zum Beispiel: Heinrich Peiser, Wesen und Geist des Rechts, in: Das Wesen und der Geist des Rechts. Zehn Vorträge, Berlin 1906, S.7-22, hier S. 11. 78 Werner Schubert, Bürgerliches Gesetzbuch, in: Staatslexikon, Bd. 1, 7.Aufl. Freiburg im Breisgau 1985, Sp. 1053-1058, hier Sp. 1057; ders., Das bürgerliche Gesetzbuch von 1896, in: Kodifikation als Mittel der Politik. Vorträge und Diskussionsbeiträge über die deutsche, schweizerische und österreichische Kodifikationsbewegung um 1900, hrsg. von Herbert Hofmeister, Wien u.a. 1986, S. 11-28, hier S.26. 79 Schubert, Das Bürgerliche Gesetzbuch im Urteil französischer Juristen (wie Fn. 39), S. 172. 80 Schubert, Das bürgerliche Gesetzbuch von 1896 (wie Fn. 78), S. 12. 81 Schubert, Das bürgerliche Gesetzbuch von 1896 (wie Fn. 78), S. 18. Sofern sich Schubert dafür auf Grundpfandrechte und Rentenschuld bezieht, scheint mir das übertrieben. Jedenfalls haben sich hier viele andere außerhalb der Verbände engagiert, man denke nur an Ludwig Fuld. 82 Schubert, Das bürgerliche Gesetzbuch von 1896 (wie Fn. 78), S.23. 83 Vgl. dazu Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S. 270f.; Peter Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des B G B , Berlin 1974, S. 97-99. 84 Schubert, Das bürgerliche Gesetzbuch von 1896 (wie Fn. 78), S. 28; die These von der späten Aussöhnung mit dem B G B in der Zeit der Bonner Republik hat später auch Schulte-Nölke, Die späte Aussöhnung (wie Fn. 51), S. 21 verteidigt; ders. hat auch Schuberts These zugestimmt, das Sozialmodell des B G B sei keineswegs so einseitig und unsozial, wie es manche Beurteilungen glauben machen, vgl. Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S. 346f. Schwab, Das B G B und seine Kritiker (wie Fn. 52), S.348, hat die These von der späten Aussöhnung mit dem B G B mit

III. Das Modell vom

Sozialmodell

521

ersten Entwurfs immer wieder als Vorbild für eine soziale - das heißt aber auch geglückte - Regelung benannt worden war, aber es ist Schubert zuzustimmen, daß das Gesetzbuch eine sozialpolitische Kodifikation war. Hans Schulte-Nölke ist Schubert gefolgt und hat besonders deutlich die politischen Zusammenhänge herausgearbeitet, die bei der Entstehung des B G B dazu nötigten, nicht Maximalforderungen sozialer Art zu folgen 85 . Stets war das Reichsjustizamt, das nach dem Erscheinen des ersten Entwurfs immer mehr Herr des Verfahrens wurde, darauf bedacht, die Mehrheitsfähigkeit im Reichstag zu wahren. Die bekannten Einfügungen von Vorschriften zum Zwecke des Schutzes der Schwächeren (z.B. §§343, 544, 571, 618 B G B ) seien, wie SchulteNölke urteilt, geschehen, auch um die sozialpolitische Aufgabe des Zivilrechts anzuerkennen und darstellen zu können, daß „das neue Zivilrecht unzweifelhaft Verbesserungen gegenüber dem ersten Entwurf und gegenüber dem bisherigen Rechtszustand brachte" 86 . Unsere Untersuchung hat einige weitere Belege dafür gebracht. Dennoch bleibt auch Schulte-Nölke bei der hergebrachten Einschätzung des Bürgerlichen Gesetzbuches als „privatrechtsliberal". Er meint, die zitierte Metapher Wieackers vom „spätgeborenen Kind des klassischen Liberalismus" sei im Kern zutreffend, da der Kompromiß zwischen Liberalismus und Interventionismus blaß geblieben sei87. Sofern er das - wie an anderer Stelle geschehen 88 - nur auf die der ersten Kommission zugrunde liegende Kodifikationskonzeption in Gestalt des Gutachtens der Vorkommission von 1874 bezieht 89 , hat diese Einschätzung einiges für sich. Schon bezogen auf den ersten Entwurf ist die Klassifikation „liberal" aber nicht mehr frei von Zweifeln. Oder anders gesagt: der „liberale" erste Entwurf und erst Recht das Gesetzbuch selbst enthielten mehr soziale Regeln, als man vermutet.

deutlicher Sympathie referiert und zugleich dem Gesetzbuch eine „soziale Komponente" bescheinigt, diese allerdings nicht näher spezifiziert. Die frühere Beurteilung Schuberts, Die Entstehung der Vorschriften des B G B über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des B G B , Berlin 1966, S. 177-184 des B G B als einer späten Frucht des Liberalismus, also die Wieackersche These, ist damit wohl überholt. 85 Hans Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: N J W 49 (1996), S. 1705-1710, hier S. 1708; skeptisch im Hinblick auf den individualistischen Charakter des Gesetzbuchs und die Bevorzugung des Besitzbürgertums hat sich auch Rolf Knieper, Gesetz und Geschichte. Ein Beitrag zu Bestand und Veränderung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Baden-Baden 1996, S.35ff., insbesondere S.42ff., geäußert. 86 Schulte-Nölke, Die schwere Geburt (wie Fn.85), S. 1708. 87 Schulte-Nölke, Die schwere Geburt (wie Fn. 85), S. 1709. - Knut Wolfgang Nörr, Kodifikation und Wirtschaftsordnung im Deutschland des 19. Jahrhunderts: ein Fall von benign neglect?, in: Z N R 23 (2001), S. 51-61, hier S. 59-61, hat in Abgrenzung gegenüber der Position von Franz Wieacker neuerdings die Auffassung begründet, das B G B sei gegenüber der Wirtschaftsordnung indifferent und daher jedenfalls nicht als „wirtschaftsliberal" zu bezeichnen. 88 Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S.352. 89 Gutachten der Vorkommission vom 15. April 1874, in: Jakobs/Schubert, Beratung, Materialien, S. 170-185.

522

Kapitel 7: Schluß

IV. Schlußbemerkung Betrachtet man die kritischen Stellungnahmen der modernen Literatur, so mutet doch seltsam an, daß die pauschale Charakterisierung des Gesetzbuchs kaum konkret nachgewiesen wird. Ließen sich die Kommissionsmitglieder von den Interessen des Besitzbürgertums leiten? Spielten soziale Aspekte bei ihrer Arbeit keine Rolle? Wenn man die Kritik am ersten Entwurf und später am Bürgerlichen Gesetzbuch liest, hat man den Eindruck, die erste und abgeschwächt auch die zweite Kommission hätten eines der wichtigsten innenpolitischen Ereignisse der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts verschlafen, nämlich daß das Reich das Gebiet der Sozialpolitik betreten hatte. Der selbst von Bismarck geforderte soziale „Öltropfen" scheint demnach dem Gesetzbuch bis zum Schluß zu fehlen. Eine auf das Prinzipielle schauende Betrachtungsweise gibt auf den ersten Blick der herrschenden Meinung Nahrung: Vertragsfreiheit, freies Eigentum, Testierfreiheit - Begriffe, die sich leicht mit den Interessen des liberalen Besitzbürgertums assoziieren lassen und selbstverständlich zur Grundlage des Gesetzbuchs gehören. Doch dabei sollte man nicht stehen bleiben. Es wäre auch sehr ungewöhnlich, wenn die Kommissionen, die sich keineswegs aus verschrobenen und weltfremden Personen zusammengesetzt haben, die Relevanz der sozialen Frage für das Privatrecht so vollständig übersehen hätten, wie die Kritik es glauben machen will. Dem steht nicht entgegen, daß ganz selbstverständlich vorrangiges Ziel der Kodifikation die Schaffung der nationalen Rechtseinheit war und blieb 90 , denn beides mußte sich nicht notwendig ausschließen. Viel zu wenig beachtet wird bisher, daß die Kritik, auch soweit sie die Erfüllung der sozialen Aufgabe des Privatrechts im B G B beziehungsweise seinen Entwürfen als mangelhaft ansah, alles andere als homogen war 91 . Sehr unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen von der sozialen Aufgabe sind bei näherer Untersuchung auszumachen. Ein Verwirrung stiftendes Moment dabei ist, daß sich diese unterschiedlichen Ideen nicht unbedingt gegenseitig ausschlössen und manchmal die Betonung auf dem einen, manchmal mehr auf dem anderen Aspekt lag. In ebenso verschiedenem Maße sind diese sozialen Topoi im Bürgerlichen Gesetzbuch schließlich wirksam geworden. 90 Das wurde bis zum Schluß immer wieder betont, zuletzt im Reichstag insbesondere vom Staatssekretär im Reichsjustizamt Nieberding, sowie von dem nationalliberalen Abgeordneten v. Cuny und von Planck, der als Kommissar der Bundesregierung an den Verhandlungen des Reichstags teilnahm, vgl. in: Stenographische Berichte, S.4-13, 26-29, 61-71. Zum Kodifikationsgedanken vgl. insbesondere auch John, Politics (wieFn. 51), S. 15-72. Ders., S. 86,104, meint allerdings entgegen der hier vertretenen Auffassung, die erste Kommission habe sich nicht ernsthaft mit den politischen und sozialen Entwicklungen der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt. 91 Immerhin hat Helmut Going, Einleitung zum Bürgerlichen Gesetzbuch (13. Bearbeitung), in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Berlin 1995, S. 3-133, Rn. 65 in einem knappen Satz darauf aufmerksam gemacht, wenngleich er die soziale Frage im wesentlichen auf den Arbeitsvertrag verkürzt hat (Rn. 16, 41, 65).

IV.

Schlußbemerkung

523

Diejenigen in der damaligen Diskussion, die meinten, das Gesetzbuch habe keine soziale oder sozialpolitische Aufgabe, begründeten das mit dem Argument, die sozialpolitischen Anschauungen seien einem zu raschen Wandel unterworfen, als daß man sie als „Unterlage für den massiven Aufbau der privatrechtlichen Gesetzgebung" hätte verwenden dürfen92. Dahinter stand die Absicht, das nationale Einigungswerk möglichst dauerhaft zu formulieren, wohl ahnend, daß man nicht so schnell wieder die Kraft zu einer Reform haben werde. Immer wieder wurde wie im soeben genannten Zitat das Gesetzeswerk mit einem Bauwerk verglichen. Nieberding sprach im Reichstag vom „Rechtsbau", der nach „Gründen der Zweckmäßigkeit" errichtet werden müsse93. Und Ernst Zitelmann hatte zuvor die Notwendigkeit einer die Einzelheiten betrachtenden Kritik damit begründet, „beim Bauen [sei] die Güte jedes einzelnen Steins und Balkens und seine richtige Lage zu prüfen" 94 . Das Bild vom Bauen ist in der Tat besonders gut geeignet, den Prozeß der Gesetzgebung zu veranschaulichen. Wenn es auch richtig ist, daß das Gesetzgebungswerk „auf dem zerbröckelnden Fundament des Liberalismus" gründete95, so ist doch zu betonen, daß man - beginnend schon im ersten Entwurf - darauf geachtet hat, hinreichend viele, oft freilich kaum nach außen sichtbare, „soziale" Stützpfeiler einzuziehen, die es erlaubten, ein tragfähiges Gebäude entstehen zu lassen, von dem man nun, trotz aller Änderungen und Reformen, nach Ablauf hundertjähriger Gesetzeskraft tatsächlich als von einem Jahrhundertwerk sprechen kann.

92 So zum Beispiel Bernhard Hartmann, Der Entwurf des Einführungsgesetzes, in: Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsg. von Adams u.a., Berlin 1890, S. 1227-1272, hier S.1231. 93 Nieberding, in: Stenographische Berichte, S. 7. 94 Ernst Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erster Teil, Berlin 1889, S. 14. 95 Schulte-Nölke, Reichsjustizamt (wie Fn. 1), S. 356.

Quellen und Literatur Achilles, Albert; Börner, Karl Heinrich; Struckmann, Hermann, Zusammenstellung der gutachtlichen Aeußerungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichsjustizamt, 6 Bände, Berlin 1890/91 Adler, Franz, Wohnungsverhältnisse und Wohnungspolitik der Stadt Frankfurt am Main zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Diss., Heidelberg 1904 Adomeit, Klaus, Das bürgerliche Recht, das Bürgerliche Gesetzbuch und die bürgerliche Gesellschaft, Baden-Baden 1996 [Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, 18] Agricola, Alfred, Gutachten über die Gesetzgebungsfrage: „Ist es wünschenswerth und ausführbar, das eheliche Güterrecht für ganz Deutschland durch ein einheitliches Gesetz zu codificiren und auf welcher Grundlage?", in: Verhandlungen des 12. Deutschen Juristentages, Bd. 2, Berlin 1875, S. 285-328 Ahcin, Christian, Zur Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65, Frankfurt am Main 1996 [Ius commune Sonderhefte, 85] Albrecht, Gerhard, Leerwohnungsziffer, in: Handwörterbuch des Wohnungswesens. Im Auftrage des Deutschen Vereins für Wohnungsreform e.V., Berlin, hrsg. von Bruno Schwan, u.a., Jena 1930, S. 509-512 - , Verein für Socialpolitik, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, hrsg. von Erwin von Beckerath u.a., Bd. 11, Stuttgart; Tübingen; Göttingen 1961, S. 10-16 Alexander-Katz, Paul, [Diskussionsbeitrag zum Thema „Kauf bricht Miete"], in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentages, Bd. 3, Berlin 1889, S. 61 ff. Allgemeiner deutscher Frauen-Verein (Hrsg.), Einige deutsche Gesetz-Paragraphen über die Stellung der Frau, Leipzig 1876 Altsmann, Richard, Vormundschaft und elterliche Gewalt nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: AcP 76 (1890), S.325-371 - , [Rede vor dem Reichstag am 26. Juni 1896], in: Erste, zweite und dritte Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichstage. Stenographische Berichte, Berlin 1896, S. 673 Bachmair, Joseph, Bericht an das Generalcomite des landwirthschaftlichen Vereines in Bayern über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich vom 29. September 1889, München 1889 Bahr, Otto, Bericht der Vierzehnten Kommission über den Antrag des Abgeordneten Schulze auf Erlaß eines Gesetzes, betreffend die privatrechthche Stellung von Vereinen, in: Stenographische Berichte des Reichstags des Norddeutschen Bundes, I. Legislaturperiode, Session 1869, Drucksache Nr.273, Berlin 1869, S.818-824 - , [Besprechung von:] Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die von dem Bundesrathe berufene Commission. Amtliche Ausgabe. Berlin und Leipzig 1888, in: KritVJS 30 (1888), S.321-414; 481-570 sowie 31, S. 369 - , Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung (Sonderabdruck aus dem Grenzboten), Leipzig 1888 - , Das eheliche Güterrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Archiv für bürgerliches Recht 1 (1889), S. 233-266

526

Quellen und

Literatur

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§ 2 1 1 : 401 § 2 1 9 : 401 § 2 2 0 : 401 § 1 6 1 : 348 § § 6 3 - 6 5 : 348 § § 2 5 1 - 2 5 4 : 348 § 1: 136 § 2 : 136 § 12 136 § 14 136 § 2 5 136 § 8 1 46, 141 § 8 2 46, 140 II 6 § § 1 1 - 2 4 : 136 Bürgerliches Gesetzbuch ( B G B ) §21

§138: §204: §209: §225:

176, 178 176, 178 176, 496, 506 69 193,208 198 186

§226 §343

18, 500 69, 521 204 § 5 4 4 504, 521 § 5 5 9 311 §§559-563: 260,303 § 5 6 4 239 § 5 6 5 239 § 5 7 1 18, 240, 249, 521 § 5 8 5 294 i-619: 214 § 6 1 7 225f., 507 § 6 1 8 225f., 507, 521 § 6 1 9 226, 504, 507 500 §1353: 500 §1354: §1358: §1362: §1363: §1367: §1391: §1410: §1601: §1612: §1626: §1627:

342, 434, 500, 504 463 440 466 441,461,487 448 480f. 335 335 353, 373, 382 365, 380 § § 1 6 2 7 - 1 6 8 3 : 374 § 1 6 2 9 : 371 § 1 6 3 0 : 371 § 1 6 3 1 : 371 § 1 6 3 2 : 371 § 1 6 3 3 : 371 § 1 6 3 4 : 374, 377, 379f., 488 § 1 6 6 5 : 377 § 1 6 7 9 : 369 § § 1 6 8 4 - 1 6 9 8 : 374 § 1 6 8 5 : 374, 377, 379f., 488 Bundesratsvorlage (BR-Vorlage) §1341: §1351: §1395:

455 455 479

564

Register

Code civil Art. 203: 348 A m . 215-225: 405 Art. 217: 439 Art. 372: 346 Art. 384: 348 Art. 385: 348 Art. 390: 337 Art.2102: 257 Codice civile (1865) A m . 220-239: 337 Corpus iuris canonici Liber sextus 2.13.1: 185 Corpus iuris civilis D. 16.1.2.1: 99 D. 2.14.4 pr.: 254 D. 20.2.3: 254 D. 20.2.4 pr.: 254 D. 20.2.6: 254 D. 20.2.7.1: 254 Civilprozeßordnung (CPO) §710: §715: 294, §749:

287 75, 257-259, 278, 281, 284f., 292, 299, 307, 312, 323, 497 75

Erster Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs (E I) §41: 129, 132, 138-141 §42: 129, 132, 136, 142, 154 §154: 180,184 §§154-185: 180 §155: 184 §156: 184,192 §157: 184, 197,201,204 §160: 194,205 §162: 191,202 §168: 193 f. §170: 198 §184: 194,205 §185: 186 §281: 191,202,204 §359: 221 § 509: 95, 214, 234-236, 238, 240, 246f., 249, 322, 492 §512: 241 §521: 260f., 269, 279, 282, 286, 287f., 294, 295 §522: 239 §528: 286,301 §543: 279 §§559-566: 217

§§629-656: 426 §704: 59 §§881-889: 183 §1005: 448 §1152: 273 §1258: 449,467 §1273: 342,441,447 §1275: 401, 434, 447f., 455 §1277: 403, 432f., 442f., 449, 461, 497f. §1280: 409 §1282: 439f. §1283: 401,445 §§1283-1332: 401,444 §§1285-1290: 401 § 1289: 401, 430-432, 441 f., 447, 455, 487 §1292: 404,436,448 §§ 1292ff.: 404 §1298: 467,471,478 §1299: 467,472,478 §1319: 426f., 451 §§1480-1496: 347 §1491: 335 §1501: 335, 338, 340f., 346, 352f., 360, 364, 365, 369, 382 §§1501-1561: 335, 367 §1502 335, 363, 364 §1506 341 f., 352, 374, 377 §1538 340, 353 §1544 342-345, 360, 375, 377 §1554 343f., 365, 366 §1555 342-345, 366 §1557 346, 360, 367, 369 §1558 340 §1683 344 Erster Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, Vorläufige Zusammenstellung (E I-VorlZust) §1277: 449 §1501: 364 Zweiter Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs (E II) §40: 168 §164: 205 §334: 204 §488: 304 §501: 311 §§501-504: 303 §503: 303 §525: 58,117,293-295 §558: 226 §1256: 455 §1258: 449,461,464,467 §1263: 445,447,451,466 §1266: 441,447,453,455,487

565

Gesetzregister §1274 454 § 1275 447f., 450 §1278 451 §1290 448 §1307 479 §1309 479f. §1344 454 §1356: 454 §§1357--1359: 454 §1414: 454 §1422 454 §1425: 454 §§1426--1429: 454 §1521: 364, 367, 369, 373 §1522: 365 §§1522 -1571: 365 §1529: 377 §1556 375, 377 §1565 365 §1566 365f., 377 §1568 369 §§1572 -1586: 365 §1573: 366, 377 Zweiter Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, revidierte Fassung (E II rev.) §§551-554: 303 §§552-556: 305 §1343: 449 Gesetz betreffend die vertragsmäßigen Zinsen vom 14. November 1867 §2: 499 Gesetz, betreffend die Rechte des Vermiethers an den in die Miethräume eingebrachten Sachen vom 12. Juni 1894 §1: 285,321 Gewerbeordnung (GewO) §§106-108: 219 §115: 219 §117: 219 §119: 219 §§ 120a-120e: 226 §§135-139a: 219 §154: 219 Konkursordnung (KO) §1: 278,290,294-296 §41: 255 Postwesengesetz §20: 278,294

Reichtstagsvorlage (RT-Vorlage) §191: 207f. §199: 208 §546: 310 §552: 307,309 §553: 309 §554: 309 §555: 309 §556: 309 §564: 249 §1346: 451,466 §1393: 479 §1604: 373, 382, 384f. §1605: 371 §§1607-1611: 371 §1608: 371 §1609: 371 §1610: 371 §1611: 371 §1612: 372,374,377 §1642: 375-377 §1652: 377 §1653: 377 §1654: 379 §1661: 377f. Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch (SächsBGB) §1225 §1228 §1656 §1668 §1678 §1685 §1802 §1837 §1838

234 257 257 402 468 468 348 348 348

Schweizerisches Obligationenrecht (SchweizOR) Art. 294: 286 Strafgesetzbuch (StGB) §289: 251,255,282 Weimarer Reichsverfassung fWRV) Art. 124:

176,496

Zivilprozeßordnung (ZPO), siehe auch Civilprozeßordnung (CPO) §805: 287 §811: 257,497

II. Personenregister Die kursiv gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf die Hauptfundstellen Achilles, Alexander 9, 155, 157 Adler, Franz 233 Adomeit, Klaus 408 Agricola, Alfred 392 Ahcin, Christian 517 Ahrens, Heinrich 356 Albrecht (Handelsgericht Hamburg) 392 Albrecht, Gerhard 77, 246 Alexander-Katz, Paul 236, 248 Althoff, Friedrich 47 Altsmann, Richard 355, 361,382 André, Friedrich 41 Ascher (Notar in Hamburg) 410, 422f., 459, 473 Augspurg, Anita 380 Bachem, Karl 172, 175, 209, 210, 379, 385, 458-460, 466 Bachmair, Joseph 282,413,417 Bähr, Otto 10f., 16, 32, 47, 73, 93, 133, 142, 144f., 153,181, 190-192, 202, 224, 236, 285, 332, 361, 382, 412, 416, 420, 428f., 430, 440, 442, 446, 456, 475, 501 Baldus, Manfred 127 Bär, Fred G. 127 Bar, Ludwig von 53,73,224,418,430 Baron, Alfred 247, 274, 277, 285, 322 Baron, Julius 84-88, 92, 94, 97-99, 101, 142, 196f., 204, 236, 264, 281, 284, 430f., 502, 508 Bassermann, Ernst 208f. Baumann, Adolph 279,280 Beaucamp, Eugène 69 Beaulieu-Marconnay, von 390-393, 440 Bebel, August 229, 458, 465, 510f. Becker (Oberappellationsgerichtsrat) 390 Becker, Christoph 4, 52, 61 Becker, Martin 214,517 Behrend,J. Fr. 142 Behrends, Okko 39,235 Bekker, Ernst Immanuel 236

Bennigsen, Rudolf von 174,310 Benöhr, Hans-Peter 26f., 30, 70, 110, 216, 221,230, 275, 499,519 Berneike, Christian 375, 380, 484 Bernert, Günther 214, 231 Bernhard, Friedrich Ludwig Frhr. von 36 Bernhöft, Franz 236, 492, 510, 516 Berthold, G. 317 Beseler, Georg 2,36,91,161 Bethmann-Hollweg, Moritz August von 43, 90 Binder, Birgit 93 Binding, G. 390,401 Bingner, Adrian 142,144f., 164, 165, 197 Birke, Adolf M. 30 Bismarck, Otto von 4, 24, 27-31, 39f., 77f., 80, 89, 251, 252, 265f., 281, 319, 493, 498, 522 Blasius, Dirk 15,517 Boehmer, Gustav 15,31,63,495,514 Boese, Franz 77, 79 Böhmen, Viktor 272,318 Borchardt, Knut 25, 483 f. Born, Karl Erich 24, 26, 30, 77f., 121 Börner, Karl Heinrich 9, 155-157, 160-162, 177, 204, 492 Bornhak, Conrad 3, 117-119, 215, 503, 508 Borsig, August 25 Bosse, Robert 83, 156,493,520 Bötticher, Karl Heinrich von 493 Boyens, Friedrich 142, 144f., 236, 271, 274, 276f., 284-286, 292, 296, 307, 309, 317319,322 Brander, Sylvia 243 Braun, Theodor 395 Brauneder, Wilhelm 71,463 Brentano, Lujo 121, 226 Brettner 189,191,199,200 Breuer, Rudolf 319 Brinz, Alois 123 Brossmann, B. 29

Register Brox, Hans 517 Bruch, Rüdiger vom 62, 77, 339, 412, 486 Brückner, Hermann 190,314 Brühl, Karl Ferdinand Arthur 429-137, 442f., 447, 449, 473, 481,497 Brunner, Heinrich 4, 47, 52, 131, 236, 253, 329, 3 9 1 , 3 9 3 , 4 1 1 , 4 3 5 - 4 3 7 Bruns, Carl Georg 37 Buchka, Gerhard von 174, 175 Bunsen, Friedrich 66, 269-271, 282f., 291, 427, 436, 451,474 Busche, Jan 517 Caprivi, Leo Graf von 106,275 Caroni, Pio 7 1 , 7 8 , 8 4 Carthaus, Vilma 324-326 Cleß, Oscar 48, 73,112, 351, 359, 419, 425, 428 Coester, Michael 388, 425, 485 Cohn, Georg 274-276, 354, 380 Coing, Helmut 15, 40, 77, 83, 86, 100, 181, 218, 329, 386, 388, 499, 517, 522 Conrad, Else 77 Conrad, Herbert 254,499 Conrad, Johannes 127,167, 230, 492 Conrad, Thaddeus 296 Conze, Werner 329,330 Cosack, Konrad 236, 314, 315,341 Cretschmar, Cornelius 160, 206 Crome, Carl 437 Cuny, Ludwig von 174, 385, 522 David, Cornelius 37, 361 Degenkolb, Heinrich 126 Dernburg, Heinrich 4,15f., 37, 41, 46f., 56, 67, 77, 93f., 97, 102f., 114,119, 253, 266, 281, 289f., 322, 508 Dickel, Karl 47, 107, 236, 506 Diekamp 192,282 Dilcher, Gerhard 52,54 Dinnendahl, Franz 25 Dinnendahl, Johann 25 Dittmann, Marcus 511 Dittmar, Emil 202, 300, 302 Dobretsberger, Josef 29 Dölemeyer, Barbara 15, 93, 483, 485, 517 Dölle, Hans 5 2 , 5 1 5 , 5 1 7 Dörner, Heinrich 408, 483 Drechsler, Karl August Eduard 248, 358f. Dubischar, Roland 4 Eberstadt, Rudolph 324, 326 Ebihara, Akio 181

567 Eccius, Max Ernst 256 Eck, Ernst 235f., 253 Ege, Karl 9 Egger, August 514 Ehrenberg, Helene 39, 40 Ehrlich, Eugen 3, 65f., 116, 119, 221, 508 Eichenhofer, Eberhard 5 Eichholz, Hermann Gustav 368f. Eichhorn, Karl Friedrich 36 Elven 436f. Endemann, Friedrich 18, 112, 165, 512f. Engel, Ernst 231, 243-245, 253, 276, 291, 331 Enke, Erich 484 Enneccerus, Ludwig 70, 76f., 91, 164, 168f., 171,173-175, 207-209, 307f., 310, 320 Esmarch, Karl Bernhard Hieronymus 37 Euler 392 Falk, Ulrich 10, 33, 38, 41, 85, 242, 252 Fasel, Urs 55 Faßbender, Christian 408 Faßbender, Martin 408 Faucher, Julius 213 Fendel, Roland 275 Fichte, Johann Gottlieb 356, 407 Ficker 356 Fikentscher, Wolfgang 39 Fischer, Otto 189,191, 236, 242 Flesch, Karl 231 f., 249, 252f., 279-281, 284f., 292, 309, 319, 321f., 327 Fliess, Wolfgang 44 Formey, Johann Ludwig 323 Förster (Abgeordneter) 171 Förster, Franz 256, 402 Francke, Wilhelm Ch. 255 Frensdorff, Ferdinand 306, 347, 395, 435, 492 Frese, Friedrich von 412f., 415, 438 Frevert, Ute 380 Friesen, Heinrich Frhr. von 117 Frohme, Karl 171, 173f., 208f., 307-310, 321,371, 373,378, 458, 511 Fuchs, Eugen 236 Führer, Karl Christian 314 Fuld, Ludwig 15f., 18f., 28, 44, 4 6 , 1 0 3 - 1 0 6 , 116f., 142, 150, 164f., 167,178, 236, 265f., 281-283, 290f., 319, 329, 350f., 355, 3 5 8 360, 362f., 370, 381, 419, 506f., 520 Gamauf, Richard 38 Gasser, Catherine Antoinette 97 Gebhard, Albert 125,131-138, 140, 144,

568

Personenregister

147,155, 157,159, 162, 177, 180, 183-189, 196f., 199, 201, 208, 210, 212, 296f., 470f., 500 Geck, L.H. Adolph 3,101 Geisel, Beatrix 397,441 Geist, Johann Friedrich 213 Gerber, Carl Friedrich von 390 Gerber, Hermann 190, 199 Gerhard, Ute 93, 380, 397, 464, 483 Gierke, Otto 2-5, 7, 1 0 , 1 1 , 1 4 - 1 8 , 20, 31, 40^13, 46, 51-69, 73, 77, 82, 84-88, 91, 96, 98, 99-104,106-108, 112f., 116-122, 126f., 132, 134, 138-142, 144, 147-154, 157-159, 161,164-166,168, 173, 175-179, 182-184, 187, 190f., 193-196, 200f., 208, 220, 222224, 226, 230, 236-238, 250, 260, 266, 273, 281-283, 289-291, 315, 333f., 350-354, 357, 359-364, 368, 371 f., 374, 376, 382, 386, 396, 411-419, 421-424, 428-433, 437, 438, 440, 442-444, 452, 459f., 464, 467, 469, 472^181, 484, 4 8 6 ^ 9 0 , 493, 495-500, 502f., 505, 508, 510f., 513, 517, 519 Giesen, Dieter 353 Glagau, Otto 324 Glendon, Mary Ann 388 Gmür, Rudolf 15,517 Godin, Frhr. Franz von 419, 420, 422, 428, 440, 443, 477 Goesch 258 Göhre, Paul 216,319 Goldenring, G. 274,276 Goldschmidt, Levin 124 Görres, Joseph 131 Greiff, Max 170 Grimm, Jacob 36 Gröber, Adolf 173,175, 208, 226, 310, 311, 505, 511 Grotius, Hugo 356 Gut, Albert 243 Haack, Thomas 52, 55 Haberland, Georg 325 Hachenburg, Max 142,513 Hahn, Friedrich von 37 Hähnel 248 Haiisch, Winfried 21 f. Hamprecht, Karl Heinz 58 Hanausek, Gustav 190, 193 Hartmann, Bernhard 66,142, 221, 523 Hartmann, Gustav 73, 190, 238 Hattenhauer, Hans 110, 517 Haußmann, Conrad 511 Hedemann, Justus Wilhelm 4, 515, 516

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 52, 62, 356 Heise, Arnold 123, 126 Heitzer, Horstwalter 127 Heldrich, Andreas 3 Helfer, Christian 38 Heller, Wilhelm von 173, 175, 206, 208, 225227, 308, 371 f., 375f., 378f., 454, 461-463 Hellwig, Fritz 375,458 Henke, Eduard 36 Henkel, Wolfgang 139Hertling, Frhr. Georg von 12,109 Heusler, Andreas 223, 422 Hinschius, Paul 47 Hitze, Franz 31 Hobbes, Thomas 356 Hof er, Sibylle 112 Holder, Eduard 141f., 164f., 168, 181, 191, 194, 197, 205 f. Hollerbach, Alexander 139 Holtum, von 421, 439, 443, 457f. Hönn, Günther 517 Honsell, Heinrich 517 Honsell, Thomas 10,514 Höpker, Heinrich 324, 326 Horn, Norbert 425, 485, 514 Hörner, Hans 71, 75, 87 Horwitz, O. 198 Hövel, Frhr. von 415 Huber, Eugen 55,151 Huber, Victor Aimé 231 Hübner, Heinz 519 Hufeland 356 Irmscher, Karl 58 Jacobi, Leonard 95, 110, 236, 418, 437, 502 Jacobi, O. 221 f. Jacoby, Samuel 115, 119, 127, 142,144-147, 191, 194, 197, 220f., 418f., 482, 508 Jacubezky, Karl 226, 272, 275, 278f., 284, 287f., 293, 297, 299, 302, 479 Jakobs, Horst Heinrich 8, 22, 36, 38, 65, 113f., 190 Janssen, Albert 52 Jantke, Carl 24,104,232 Jastrow, Hermann 166, 303-305, 485, 510 Jastrow, Ignaz 11,236,239 Jhering, Hermann von 39 Jhering, Rudolf von 37^11, 48, 105, 236, 505 John, Michael 14f., 38, 42, 47, 62, 78, 83, 103f., 174f., 514, 519, 522 Johow, Reinhold 259,471 Jüttner, Bernhard 242

Register Kaiser, Andreas 54, 214 Kalle, Fritz 82,271,282,320,327 Kaltenborn, Markus 31 Kant, Immanuel 45, 52, 56, 62, 356 Kaschuba, Wolfgang 256 Käser, Max 517 Kästner, Karl Hermann 16, 71, 220, 419, 517 Kauffmann, Gustav 171 f., 249, 378, 385, 464 Kausen, Hermann 142, 144f., 151 Kempin, Emilie 89, 375, 380, 397, 422, 425, 439 Kern, Bernd-Rüdiger 2 Keßler, Emil 25 Ketteier, Wilhelm Emmanuel Frhr. von 30f. Kiefer, Thomas 256 Kindel, Wilhelm 236 Kindermann, Harald 166, 222 Kißling, Ritter von 346 Klippel, Diethelm 12, 15, 37, 58, 101, 407, 504 Klöppel, Paul 126, 141 f., 149, 222, 236, 248, 266f., 274, 282, 290f., 361, 416, 430, 433, 442, 473 Knauer 415 Knieper, Rolf 15,521 Koffka, Paul 269, 271-274, 283, 287, 288f., 291 Kögler, Peter 9, 127, 131, 133f., 138, 151, 154-156,162,178, 520 Köhler, Helmut 514 Kohler, Josef 331, 350, 355, 357f., 362, 488, 516 Köhn, Rolf 43 Koschaker, Paul 31,517 Köster, Johanna 87 Krause, Karl Christian Friedrich 356 Krech, Johannes 248,249 Krey, Ursula 128 Kroeschell, Karl 4, 15, 36, 38, 101, 517 Kübel, Franz von 9,218,253,259,471 Küntzel, Oscar 296, 298, 300, 305 Kurlbaum, Karl 9,259 Kürvers, Klaus 213,317,324-326 Küster, Otto 515 Laband, Paul 34,513 Landau, Peter 28, 43, 52f., 62, 90, 418 Landsberg, Ernst 18,32,48,76 Larenz, Karl 519 Laufs, Adolf 15,36,64,517,520 Legien, Carl 63 Lehmann, Gustav 189,197 Lehmann, Karl 355f.

569

Lenz, Gustav 37 Lenzmann, Julius 175 Leo, Martin 92, 116, 308f., 324 Leonhard, Rudolf 32, 35, 110, 164f., 167f., 346, 502, 511 f. Lesse, Theodor 142,144, 164 Leuze, Dieter 58 Levy, M. 106, 107f., 165, 270f., 288, 291 Lewinsohn, E. 267-269, 272-274, 282, 285289, 291 f., 305, 320-322, 327f. Leyser, Augustin 356 Liebe, Viktor von 9, 111, 130, 391 f., 394 Lieber, Arnulf 246,323 Lindenlaub, Dieter 77 Lindner, Erik 517 Lippmann 236 Lippross, Otto-Gerd 254, 258, 499 Lobe, Adolf 47, 91,115-117, 119, 213, 418, 508 Loening, Edgar 46,220,230,418,492 Loewenfeld, Theodor 224 Löning, Eduard 45 Lotmar, Philipp 14, 84, 97f., 214 Löwenfeld, William 362, 441 Lüderitz, Alexander 517 Luig, Klaus 2, 3 6 ^ 0 , 47, 53, 97, 100, 195, 275, 391,395 Maas, Georg 19, 32-34, 42, 79 Machtan, Lothar 214 Maffei, Josef Anton 25 Maitland, Frederic William 34 Maiwald, Manfred 53 Makower 262, 264f., 290 Malsbenden, Petra 93, 463, 485 Mandry, Gustav von 162, 202, 300f., 343, 363, 373, 376, 378, 385, 462 Mantello, Antonio 41 Martini 243,356 Mataja, Victor 30, 76, 104 Mecke 142,254 Mehring, Franz 28 Meisner, J. 45, 63 Menger, Anton 4, 15f., 45f., 71-73, 80, 117, 119, 120, 131, 220, 221, 223-226, 228, 335, 416-421, 430, 437, 459, 482, 491, 501, 508, 517,519 Mertens, Hans-Georg 4f., 21, 54, 517 Merz, Hans 519 Meyer, Fritz 41,180f., 190, 193, 195, 197, 246, 257, 326 Miaskowski, August von 412 Mikat, Paul 333, 388,407

570

Personenregister

Miquel, Johannes 29, 232, 280, 320, 327 Mitteis, Ludwig 401, 416, 420f., 434f., 475478, 480f., 487 Mittelstein, Max 282, 287, 293 Mohnhaupt, Heinz 33, 85, 252, 515 Mommsen, Friedrich 410-412, 416, 421, 423 f., 438, 444, 454, 459, 460, 473 Müller, Eckhart 71,238 Mummenhoff, Winfried 127 Mündt, Hans Werner 43, 51 f., 62, 63 Münsterberg, Emil 282,319,321,354 Muscheler, Karlheinz 14, 131 Müssiggang, Albert 78 Neefe, M. 325 Nettelbladt, Daniel 123 Neubauer, Wilhelm 9, 388, 470f. Neukamp, Ernst 514 Neumann, Hugo 359 Neumeier, Georg 233 Nieberding, Arnold 131,174, 206, 310, 458, 522 f. Niggemann, Heinz 380 Nipperdey, Thomas 24, 26, 30, 52, 78, 108, 127,146, 155, 215, 229f., 330, 380, 485, 499f., 515, 519 Nobel, Peter 52 Noeller, Ernst 228,304 Nörr, Knut Wolfgang 52, 62,190, 515, 521 Nunweiler, Andrea 63 Oertmann, Paul 15f., 18, 46, 82, 121, 166, 491,512,514 Offen, Jörg 395,437 Ofner, Julius 41, 67f. Opitz, Hugo Gottfried 236, 288 Orrü, Giovanni 71 Otte, Gerhard 235 Otto-Peters, Louise 397 Overbeck, Fritz 107, 283, 285 Pankoke, Eckart 24 Paparelli, Ivan 55 Pape, Eduard 9, 10, 125, 336, 470 Pauli, Moritz 374-376, 378, 458, 461-465 Peiser, Heinrich 520 Pergande, Hans-Günther 242 Pergande, Jürgen 242 Petersen, Julius 142, 410 Petrazycki, Leo von 92,116 Pfaff, Leopold 190, 192, 202, 346, 353, 355359, 361 f., 370, 501,507 Pfeiffer-Munz, Susanne 52

Pfennig, Christian-Matthias 10, 42, 52f., 59, 517 Pfizer, Gustav 41, 47, 64, 79-82, 84, 86, 112, 123, 142,190, 397, 411, 416, 418, 420-123, 426, 428, 430f., 438, 442, 473, 476, 478, 480, 487, 500 Pieper, August 127 Pierenkemper, Toni 216 Planck, Gottlieb 5, 15, 33, 43, 48, 50, 68-73, 81 f., 106, 110,112-114, 119, 141f., 153, 155f., 160-162, 171, 177, 190, 200, 239f., 249, 294f., 297, 300, 306f., 310, 312, 336348, 351-353, 355f., 358, 360-364, 369, 372, 376-378, 386-389, 393-399, 401-106, 408f., 413, 421, 423-425, 430, 435, 438, 440—442, 446, 449, 459, 462, 465 f., 468472, 480, 482, 485-487, 492, 496, 498, 500, 505, 508,517, 522 Pleister, Wolfgang 39 Popp, Adelheid 229,319 Potthoff, Heinz 63 Proelß, Sera 371, 425, 457, 464, 481f. Raatz, Franz 323 f. Radbruch, Gustav 516f. Raiser, Ludwig 38,83,514,517 Ramm, Thilo 517 Ranke, Leopold von 44 Raschke, Marie 371, 380, 425, 457, 464, 481 f. Rassow, Henning 35, 95 Rauscher, Anton 3 Rehbein, Franz 216 Reich, Emmy 326 Reich, Norbert 71,417 Reichensperger, Peter 74, 238 Reinhold, Carl 190 Repgen, Tilman 7, 8, 33, 75, 85,146,164, 245, 252f., 273, 289, 311, 329, 493, 496, 504 Reulecke,Jürgen 128, 193, 231, 316, 331 Reuling, Wilhelm 321 Reyscher, August 36 Rickert, Heinrich 466 Rieck, Max 229,319 Ring, Victor 142, 146f., 150, 165 Rintelen, Viktor 171, 370f., 382-387, 464 Ritter, Gerhard A. 229, 403 Rocholl, Carl 141f., 144f., 153, 190 Rodbertus, Karl 73 Röder, Karl David August 37, 49 Roesler, Hermann 3, 119 Roscher, Heinrich 251,403 Roscher, Wilhelm 73

Register Rosin, Heinrich 139, Ulf., 149, 150,154, 158 Roth, Paul von 391 f. Rückert, Joachim 2-4, 12, 35, 36, 52f., 63, 84, 97f., 101, 122, 214, 217, 504, 505 Rudioff 142 Rüger, Wilhelm 162,295,300,302 Rümelin, Max 84 Saalfeld, Diedrich 230, 327 Saleilles, Raymond 485, 511 Savigny, Friedrich Carl von 35, 48, 79,110, 114, 181,190, 256, 333, 407, 436, 482 Schäfer, Johann Peter 333 Schanze, Erich 38 Scheel, Hans von 230,384 Schelsky, Helmut 39 Scherer, Martin 108, 116, 142,145, 236, 270f., 276f., 282, 287, 291f., 297, 316, 323, 326, 428, 435, 497 Scherner, Karl Otto 513 Scheyhing, Robert 58 Schicker 206,226,305 Schildt, Gerhard 402,431 Schiller, Friedrich 330f., 430 Schilling, B. 10, 41, 46, 82, 142, 144, 147, 151f., 158,190, 236, 248, 441 Schlosser, Hans 15, 52-54, 93, 131, 172, 177, 485 f., 517 Schmalz 3,28,47,97,139,356,513 Schmid, Klaus 42, 93, 391-393, 397, 401, 405, 407, 437, 438, 440, 443, 447^(50, 457, 474, 482-484, 486 Schmidt, Carl Adolf 36f., 49 Schmidt, Eike 15,514,517 Schmidt, Jürgen 509 Schmidt, Karsten 53,517 Schmidt, Otto 382, 384 Schmitt, Gottfried 12, 21, 31, 384, 471 Schmoeckel, Mathias 425, 514 Schmoller, Gustav 78f, 105, 117, 121, 232, 252, 271,319,325 Schneider, Konrad 73f., 238, 263, 319, 380 Schönaich-Carolath, Prinz Heinrich zu 466 Schröder, Hugo 387 Schröder, Jan 515 Schröder, Rainer 2f., 11, 20f., 29, 31, 42, 73, 87, 228, 384 Schröder, Richard 46, 392, 411, 426, 430, 435, 447, 514 Schroeder, Klaus-Peter 71,517

571

Schröpel, Edmund 319 Schubert, Werner 8, 18f., 22, 38, 87, 90, 106, 131f., 164,180, 230, 253f., 258, 275, 388, 399, 408, 485, 511, 520f. Schulte-Nölke, Hans 5f., 8, 30, 34, 83, 156, 170, 175, 206, 303, 329, 339, 443, 491-493, 496, 499, 514, 520f., 523 Schultze-Delitzsch, Hermann 133, 138, 153 Schulz, Fritz 36 Schulz, Günther 214,314,327 Schulz, Karl 19 Schwab, Dieter 64, 329-332, 407, 464, 486, 514, 519f. Schwabe, Hermann 243, 327 Schwingen, Peter 250 Sellier, Ulrich 15,31 Sieder, Reinhard 330 Siemann, Wolfram 25, 330, 380 Sieveking 226,455 Simitis, Spiros 53 Simon, Jürgen 58 Sinzheimer, Hugo 63 Sismondi, Jean Charles Leonhard 73 Sohm, Rudolph 2f., 6f., 15f., 41, 62, 68f., 88-94, 97, 102, 120f., 131,160f., 166, 168, 170, 173, 175, 178, 240, 307, 332f., 428, 451,452, 502f., 505, 511f., 514 Sonntag, Heinz 77 Sossna, Ralf-Peter 100 Spahn, Peter 175, 227, 382, 464 Spellenberg, Ursula 15,62,517 Spindler, Helga 52f., 63,101, 166, 223 Stadthagen, Arthur 28, 174f., 208, 227, 307f., 310, 371, 373, 378, 385, 458, 463, 511 Stahl, Friedrich Julius 356 Stammler, Rudolf 6, 12, 18, 50, 63,101, 485, 512,514,516 Staudinger, Julius von 8,15, 164, 329, 386, 496,513 Stegmann, Franz-Josef 24-26 Stein, Lorenz von 3, 30, 119 Stier-Somlo, Fritz 314 Stoll, Heinrich 515 Stolleis, Michael 3, 19, 28, 30, 47, 52, 63, 97, 106, 124,138f., 513, 515 Stolterfoth, Paul 44, 75, 224, 283f. Strätz, Hans-Wolfgang 8, 329, 496 Strauß, Wilhelm 270f., 274, 283, 285, 291, 319-321 Stritt, Marie 441 Strobel, Gallus 218 Strohal, Emil 164,236

572

Personenregister

Struckmann, Hermann 9, 155, 170, 200, 202, 226f., 240, 253-260, 262, 268, 291, 293f., 296-300, 302, 308, 310, 336, 346, 367, 395, 415 f., 449 Stumm-Halberg, Carl Ferdinand Frhr. von 375f., 378, 384f., 387, 4 5 7 ^ 5 9 , 461467, 482 Sturm, Fritz 15 Stürner, Rolf 517, 519f. Süß, Werner 47 Tenfelde, Klaus 86, 229, 403 Teuteberg, Hans Jürgen 77f., 87, 218, 232, 234, 243, 247, 250, 270, 327, 499 Thibaut, Anton Friedrich Justus 35, 110, 131 Thieme, Hans 36, 52 Thier, Andreas 29 Thomasius, Christian 37, 69 Thomsen, Theodor Ludwig 1, 48, 102, 262265, 267, 269, 282, 290, 304, 315, 319, 425, 503 Tietze, Christian 139 Töpfer, Ingo 77 Trendelenburg 356 Treue, Wilhelm 31 Trieps, Eduard 394 Trüdinger, O t t o 318 Twellmann, Margrit 397, 488

Wach, Adolf 190 Wacke, Andreas 230, 250, 254, 257, 395 Wagner, Adolph 15, 39, 73, 74, 83 f., 86 Waldt, Klaus-Dieter 214 Walter, Ute 395 Weber, Anton von 125,259 Weber, Friedrich 15,421 Weber, Marianne 89, 379, 397, 442, 484 Weber, Max 36,79 Weber-Kellermann, Ingeborg 330 Weiß, Thomas 214 Weyl, Richard 18, 513 f. Wieacker, Franz 4, 6, 15, 31, 38f., 41f., 68, 124, 235, 509,517, 521 Wielandt 107,271 Wildenbruch, Ernst von 514 Wilhelm I. 26f., 30, 80, 94 Wilhelm II. 32, 80, 94, 220 Wilhelm, Walter 38, 40, 48, 77, 86, 218, 499 Wilke, Richard Karl 202 Willrodt-von Westernhagen, Dörte 71, 517

Uhden, von 415 Uhland, Ludwig 4 Uhrig 142, 144 Unger, Joseph 191 Unzner, Karl 170

Wilmanns, C. 44,66 Windscheid, Bernhard 10, 38, 41, 62, 68, 80, 84, 110, 125, 179-183, 190, 199, 238, 242, 253,341,452, 470 Winkel, Harald 77 Winterstein, Franz 399 Wischermann, Clemens 193, 231-234, 243, 244, 247, 250, 256, 270, 314, 317, 323, 325, 326f., 380 Wolf, Alfred 517 Wolf, Erik 5,52 Wolff, Christian 37, 89, 123 Wolter, U d o 234

Vangerow, Karl Adolph von 253 Vielhaben, Georg 307f., 310f., 511 Vormbaum, Thomas 15, 34, 79, 127, 130f., 133, 13 5 f., 138f., 150, 154-156, 160, 162164, 169, 172, 175, 178, 216, 219f., 228, 308, 510 Vossius, Oliver 190

Zadach-Buchmeier, Frank 316 Zehnhoff, am 238,416 Zeiller, Franz von 356 Zimmermann, Reinhard 33f. Zitelmann, Ernst 7, 110, 123, 131, 514, 523 Zöpfl, Heinrich 356 Zrödlowski, Ferdinand 141f., 191

III. Sachregister Die kursiv gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf die Hauptfundstellen Abzahlungskauf 17,266,275 actio 190 Aktiengesellschaft 17, 52, 105, 133, 136, 147, 152f., 166f., 242, 324 Aktiengesetz 490 Allgemeiner Teil als System 123 Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten 36, 45ff., 76, 93, 136, 140f., 152, 192,195, 223, 235, 242, 256, 331, 333, 337, 341, 348, 351, 362, 368, 387, 389, 401, 405f., 408, 430, 463, 483, 485, 520

Bauernbefreiung 26, 29, 104 Bauernverein, Rheinischer 236, 414, 454 Bauernverein, Westfälischer 192, 236, 282, 414ff., 454 Baufinanzierung 2 7 0 , 3 2 ^ , 4 1 0 Bayern 5, 109, 134, 151f., 174, 177, 204, 207, 222, 226, 238, 256, 278, 282, 293f., 296, 299, 391,405,417,419 Bedürfnisse der Gegenwart 48, 67, 94f., 104, 109ff., 163, 205, 210, 247, 376, 398, 411, 417, 494, 507ff.

- als Vorbild 45ff. Analogie 17,208,263,273 Anerbenrecht 17, 57, 104, 414 Anfechtbarkeit 409 Anhalt 13, 190, 352 Arbeiterschutzgesetze 66, 120 Arbeiterfrage siehe s. v. soziale Frage - Arbeitgeber 60, 86, 91, 120, 135, 161, 167, 193, 200, 208ff., 215, 217, 220ff., 226, 229, 334, 463, 501 Arbeitsschutz 18, 70, 76, 220 - U n f a l l s c h u t z 19,216,280 Arbeitsvertrag 17, 22, 54, 82, 101f., 104f., 214, 215ff., 231, 432, 449, 461, 467, 486f., 491,517, 522 - Arbeitslohn 89, 319, 388, 401, 403, 420, 430, 440, 453, 461, 463, 486, 487, 508 - Arbeitsordnungen 215, 228 - L o h n f o r t z a h l u n g 70,217,507 - Trucksystem 319 Armenverwaltung 29, 82, 231, 253, 264, 271 f., 279ff., 285, 292, 304, 313, 316, 318, 320, 327, 354, 380, 497 Ausschuß (des Bundesrats) für Justizwesen 13, 111, 125, 130, 137, 170,205f., 370, 391 f., 394, 453f., 479

- als Blankettformel 112f., 116, 118f., 163, 201 f., 205, 247, 268, 376, 411, 417, 459, 494, 508 f. - Machtverhältnisse 117 - Rechtsbewußtsein 48,168, 241, 357, 398, 421 - Verkehrsbedürfnisse 7, 69, 153, 158, 185, 268, 345, 346, 352, 368f., 376, 378, 474, 477 - Zug der Zeit 147, 355 - Zweckmäßigkeit 7, 95f., 110, 113ff., 119, 152, 163, 200, 202f., 205, 376, 389, 396, 411,469, 479, 494,508, 523 Bergbau 25,86 Bergrecht 19,118,130,227 Besitz 3, 6, 17, 87, 91, 97, 164, 234, 238, 242, 252,276,281,520 Besitzschutz 91, 242 Bevölkerungsexplosion 25,231,233 Bevormundung 48, 83, 136, 161, 348, 442 Beweis 39, 91, 201, 210, 257, 309, 415, 472, 492 -last 18,76 -not 188,192,212,500 -risiko 198 -Schwierigkeiten 184f. -Sicherung 210 Bibel 1 , 6 4 , 8 9 , 4 2 3

Baden 13, 14, 131, 136 Bauern 26, 29, 94, 104, 116, 414, 444, 490, 506

Billigkeit 18, 45, 70, 76, 92, 115, 200, 203, 262f., 267, 274, 275, 293, 298, 306, 368, 469,513

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Sachregister

bonus pater familias 86, 87 Borgsystem 186, 196f., 199, 207ff., 212, 319 Bremen 206,305,455 Bundesrat 9, 10, 13f., 35, 109, l l l f . , 115, 124f., 130, 133, 137,165, 169ff., 174ff., 205, 211, 226, 241, 249, 303, 305, 310, 339, 370, 391, 453, 466, 478 Bundesregierungen 13,165, 169, 170, 173, 175, 296,301,389 Bundesstaaten 10, 13f., 27, 160, 174, 278, 412 Bürgertum 128, 408, 419, 510, 521f. Christentum 28, 53, 56, 67, 80, 89, 92, 127, 263, 329, 499 clausula rebus sie stantibus 517 Coburg-Gotha 13 Code civil 257, 337, 339, 346, 348, 370, 405, 408,411,436, 439, 465,483 Corpus iuris civilis 33 Darlehen 17f., 76, 99,191, 326 Deliktsrecht 18, 58ff., 76, 221 Denkschrift des Reichsjustizamtes 23,170f., 206f., 306, 324, 326, 372, 374, 376, 381 ff., 456, 464f., 479f. Deutsche Reichspartei 373f., 379, 456ff. Deutscher Juristentag 1, 4, 7, 11,15, 28, 31, 38, 41, 46, 48, 56, 66, 67, 79, 93, 100, 102, 104, 107, 127, 131, 139, 140, 142ff., 150, 154, 161, 164ff., 168, 169, 181,189, 190, 192, 202, 235f., 242, 248, 262, 264ff., 274, 281, 286, 289ff., 293ff., 298, 300, 302, 304, 312, 320, 322, 346, 350, 353, 355, 357ff., 390, 391 ff., 395, 410, 411, 413, 418, 421, 425ff., 435, 436ff., 440, 447, 468, 475, 501 Deutscher Verein für Armenpflege und Wohlthätigkeit 31 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege 31,281 Deutsch-Soziale Reformpartei (sog. Antisemiten) 307 Dienstvertrag 14, 17, 53, 70, 98, 118, 193f., 200f., 209f., 217ff., 222, 225, siehe auch s. v. Arbeitsvertrag - Lohnanspruch 192ff., 200ff., 205, 207f., 210 Drittwiderspruchsklage 440, 472 Ehe 17, 64, 80f., 89, 106, 274, 330, 336, 338, 340ff., 348, f., 355, 366, 371 ff., 386, 388, 390f., 393f., 397ff., 414, 418, 420f., 423f.,

426, 428f., 430ff., 443, 445, 450f., 456, 458ff., 475, 478, 484, 486, 495, 504, 507 - Ehebegriff 421, 424, 439 - Ehegemeinschaft 100,331,421,423,430, 433f., 437f., 476, 479, 486, 498 - Ehegüterrecht siehe s. v. Güterrecht - Eheschließung 83, 384, 401, 404ff., 445, 478,511 - Ermunterung zu Prozessen zwischen Eheleuten 427,430,450 - Mitarbeitspflicht der Frau 401, 432ff., 447, 453, 455, 504 - Scheidung 17, 19, 81, 332ff., 373, 392, 419, 456, 459,511 - Schlüsselgewalt 17 - Wesen der Ehe 390, 399, 405, 421ff., 425, 432, 436, 442, 460, 465 ff., 474 Eigentum 17, 36, 40, 43, 52f., 57, 65, 67, 72, 80f., 86f., 92,106, 237, 255, 273, 275f., 292f., 296, 402, 404, 429, 440, 445f., 453, 472, 507, 522 - Erwerb 17 - Erwerb vom Nichtberechtigten 17 - Fruchterwerb 17 - Miteigentum 17 Einwohnerzahl 25 Eisernvieh 17 Elsaß-Lothringen 13, 453, 454 Elterliche Autorität 10, 94, 163, 331, 338, 355, 357, 368, 370, 375f., 383f., 507 Elterliche Gewalt 17, 19, 22, 46, 60, 71, 329, 3 3 2 , 3 3 4 f f . , 397, 414, 428, 481, 488f., 498, 502, 503, 507, 513 - als Vormundschaft 349f., 362, 370, 371 - Anteil der Mutter 340ff. - Ende 83, 333, 335, 346f., 349, 352, 360, 363, 367ff., 381 ff., 387, 488, 498, 503 - Ruhen 343, 345, 365f., 374, 377, 379 - Träger 335f., 340, 351ff., 358, 363ff., 369, 371 ff., 376,379,387 - und Volljährigkeit des Kindes 83, 346f., 367, 369, 489 - Vermögenssorge 334f., 347, 351 f., 356, 359, 361, 382 emaneipatio 347 Enteignung 17 Entmündigung wegen Trunksucht 18, 76, 366, 377, 378, 380, 488 Entwurf, erster lf., 6, 7, 9f., 12, 15, 22, 24, 28, 31 f., 44,48, 67,71,79, 95, 104, 115, 127, 129, 142, 156, 159f., 163, 177, 180, 192, 194, 199, 209, 210, 217, 224, 230, 234, 236, 238, 241, 253, 274, 282, 285, 290, 292,

Register 296, 305, 315, 335, 355, 369, 370, 377, 388, 398, 401, 405, 416, 421, 424, 430, 444ff., 453, 474, 478f., 487, 491 ff., 496, 501, 503, 510, 519, 521, siehe auch die Nachweise im Gesetzesregister - als P a n d e k t e n k o m p e n d i u m 41, 80 - als Zäsur 32 E n t w u r f , zweiter 13, 76f., 89, 98, 164, 166ff., 174, 303, 304f., 333, 384, siehe auch die Nachweise im Gesetzesregister - E r b b a u r e c h t 17 E r b p a c h t 17 E r f ü l l u n g 8, 17, 111, 131, 133, 148, 163, 182, 188, 201, 206, 244, 250, 338, 401, 409, 426, 447, 449, 472, 493, 506, 512, 520, 522 Ersitzung 180f., 183, 185, 191, 195, 200 Fachöffentlichkeit 2, 6f., 32, 35, 49, 88, 164, 214,352 Fahrlässigkeit 1 7 , 5 9 , 2 7 3 , 2 7 7 Familie 25, 48, 54, 57, 62, 64, 65, 73, 81, 82, 93, 106, 108, 229, 233, 251 ff., 258, 263, 273, 285, 298, 3 0 8 , 3 2 9 f f . , 341f., 350f., 353ff., 359f., 362f., 371 ff., 381ff., 386, 407f., 414f., 419, 421, 425, 428, 431f., 436, 438, 455, 460, 462f., 483, 485, 495, 499, 507 - als Keimzelle von Staat u n d Gesellschaft 331,436 - Bürgerliche Familie 329f. - Kleinfamilie 329 - M a n n als H a u p t 4, 62, 64, 69, 331, 341f., 355, 372f., 386, 405, 423, 438, 463, 495 - pater familias 390 - Patriarchalische Struktur 100, 329, 333, 342, 349, 353f., 384, 405, 408, 423, 438, 461 f., 481,484 Familienfideikommiß 17,380 Französisches Recht 136 Frauen, Rechtsstellung der siehe s. v. Status Frau F r a u e n b e w e g u n g 127, 354, 371, 375, 380, 397, 422, 439, 441, 457, 459, 462, 464, 481, 488, siehe auch s. v. soziale Frage - Frauenfrage Frauenvereine 380, 397, 398, 441 Freiheit 3, 39f., 53, 55ff., 61 f., 73f., 79, 80, 82, 84ff., 109, 114,117, 120f., 124,129, 152, 161,173f., 178, 238, 264, 267, 281, 292, 315, 334, 349, 363, 375f., 387f., 394, 399, 428, 433, 452, 463, 474, 481f., 486, 495, 498, 500, 502ff., siehe auch s. v. soziale Freiheit - Berufsausübung 86

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- Gewerbefreiheit 167 - Vereinigungsfreiheit 86, 131, 135, 138, 144, 148f., 151 f., 154, 166,167f., 171, 178 - Vertragsfreiheit siehe s. v. Privatautonomie - Freisinnige Vereinigung 385, 387,466 Freizügigkeit 83, 456 Fürsorge 28, 39, 45, 120f., 221, 223ff., 258, 263, 313, 334f., 361,513 G e f a h r t r a g u n g 17 Gemeines Recht 7, 32, 34, 100, 152, 180ff., 226, 254ff., 260f., 311f., 341, 370, 381, 492 Gemeinschaftsgedanke 15, 39, 51 f f . , 85, 87f., 93ff., 99ff., 107f., 113, 116ff., 134, 139,142, 153 f., 158ff., 169, 171, 173, 176ff., 184, 187f., 192f., 195f., 199f., 203, 205, 210ff., 222, 258, 260, 277, 281, 292, 299, 313, 315f., 352, 354, 360, 369, 376, 381f., 386, 396, 405, 417, 419, 421ff., 428, 431 ff., 437ff., 443, 448, 451, 473ff., 478, 481, 486ff., 4 9 4 f f , 503, 506, 508, 513, siehe auch s. v. Personenrecht - Betriebsgemeinschaft 52f., 63, 101, 120, 166, 223 - Eingebundenheit des Einzelnen in die G e meinschaft 54f., 139, 184, 495f. - Familiengemeinschaft 65, 354, 368, 369 - Gemeinschaft 17, 37, 40, 53 ff., 61 ff., 66f., 77, 82, 84, 88, 90, 100, 102,109, 120f., 135, 139,154, 178, 184, 188, 195, 208, 223, 277, 350f., 354, 362, 364, 374, 417, 422, 424, 432, 437, 442, 474, 478, 481, 495, 502f., 505, 513,515f. - Gemeinschaftsinteresse 3, 65f., 187f., 194, 292 - Genossenschaftstheorie 52ff., 62, 91, 139f., 148,151, 161,163, 177, 452 - Hausgemeinschaft 17, 57, 108, 193, 194, 200f., 208ff., 222f., 225, 227, 273f., 277, 290, 292, 295f., 303, 333, 335, 352, 360ff., 370, 488, 498 - Herrschaftsverband 57, 193, 222f. - Kein Recht o h n e Pflicht 57, 64, 81, 386 - Synthese von Gemeinschaft u n d Freiheit 5 5 , 6 1 , 6 3 , 1 0 1 , 1 2 0 , 4 9 5 , 5 0 2 - Verbandspersönlichkeit 116,134,139, 152,158, 496 G e m e i n w o h l 3, 40, 45, 56, 67, 96, 97, 116, 133ff., 146f., 154,157f., 163, 168, 171, 183, 197, 260, 299, 497 - M e n s c h e n w o h l 47

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Sachregister

- Öffentliches Interesse 181, 185, 258, 260, 281 f., 299,304,306 Genossenschaft 17, 52f., 62f., 101,141, 161, 166, 223, 452 - Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften 134,152 GerechterPreis 517 Gerechtigkeit 1, 20, 28, 40f., 45, 47f., 56, 63, 70, 74, 75, 77, 81f., 88, 92ff., 102,106, 110, 115f., 127, 134f., 137, 152, 161, 163, 166f., 173, 175, 178, 183, 195, 267, 271, 306, 308, 333, 354, 375, 411f., 414, 417, 419, 421, 423f., 426, 429, 434f., 440ff., 457, 465f., 480,487, 491,505f., 510, 514 Gesamthand 17 Gesamtpersönlichkeit 140, 149, 153 Geschäftsfähigkeit 154, 334, 343f., 346, 351, 360, 362, 365, 377, 381, 385, 387, 405f., 408f., 428, 432f., 439, 440, 442f., 449, 460, 498, 504f., 508 - Verfügungsmacht 89, 409, 450, 486 - Zustimmungsbedürftigkeit beim Arbeitsvertrag 432,449,461 Gesellschaft - ständische Gesellschaft 3 Gesellschaftsordnung 67 Gesetzesmaterialien 6, 8ff., 21, 22, 95, 109, 111, 113, 124 f., 130, 137, 174, 199,218f., 253, 298, 305, 308, 336, 370, 373ff., 388f., 391, 394, 443, 470, 521 - Motive 8 f f . , 60f., 95, 102,125, 136ff., 144 ff., 150f., 158, 168, 183, 185ff., 191, 194, 196f., 209, 217f., 235ff., 262, 278f., 336ff., 343f., 347f., 352, 372, 388, 393, 394, 396ff., 404, 410, 413f., 425, 427, 429ff., 438, 456, 459, 468ff., 474, 475, 477, 499, 504 - Aussagewert 10 als Hilfsmittel für die Gesetzesauslegung 10 als historische Quelle 11 - Protokolle 8ff., 22, 131, 136, 155, 162, 201, 203, 241, 248, 293, 295f., 298, 301 f., 364, 444, 450 - Vorentwürfe 8f., 22 - siehe auch s. v. Denkschrift - Gewerbe 17f., 121, 229, 324, 461, 491, 514 Gewerbeinspektion 116 Gewerbeordnung 30f., 105, 218, 220ff., 225ff., 230, 490f., 499, 519 Gewerkschaft 17, 128f., 147, 150, 166, 178, 375 - Arbeitervereine 166f., 178

- Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine 129 - Trade Unions 129 Grundbuch 17, 195, 235, 239 Grundeigentum 57, 195, 271 Gründerzeit 146,165, 483 - Große Depression 146,229,230 Grundpfandrechte 57, 520 Grundstücksrecht 17 - Dienstbarkeiten 17, 195 - Gerechtigkeiten 17 - Grundschuld 17 - H y p o t h e k 17,36,435 - Reallast 44, 104 Gute Sitten 28, 74, 84f., 172, 284 Güterrecht 13, 17, 22, 62, 71, 81f., 89, 93, 102,108, 114, 126, 130,142, 275, 293, 298, 306, 332ff., 343, 348, 355, 361, 363, 366, 368f., 375, 377, 3 7 9 , 3 8 8 f f , 468f., 471 ff., 481 ff., 485, 487f., 495, 502ff., 507, 511 - Arbeitslohn der Frau 82, 402, 428, 430ff., 441,455, 459 - Dotalrecht 390, 397 - Errungenschaftsgemeinschaft 390f., 399ff., 404, 418, 422, 426, 435ff., 444, 446, 453f., 456, 460, 479, 480, 488 - Erwerb der Frau siehe s. v. Güterrecht Arbeitslohn der Frau - Erwerbsbeteiligung der Frau 428, 434, 446 - Erwerbsgemeinschaft 437 - Fahrnisgemeinschaft 422, 460 - Gesamtgut 306,399,412,454,466 Verfügungen über Grundstücke 454 - Gütereinheit 390 - Gütergemeinschaft 17, 298, 306, 390ff., 399f., 404, 412, 414f., 418ff., 429, 437f., 442, 454, 456, 458ff., 466f., 473, 479ff., 487f., 497, 502 - Güterstand 22, 390, 392ff., 401, 410ff., 419ff., 429, 435, 437f., 444f., 452f., 456, 458, 460, 464, 466, 468, 483ff., 488, 504 - Gütertrennung 375, 390, 397, 420f., 425, 439, 440, 453, 456, 458f., 460, 464ff., 485ff., 502, 504 Agnationsprinzip 420 - Haftung der Ehefrau für die Schulden des Mannes 22, 293, 298, 396, 421, 424, 427, 438, 454, 456, 466, 4 6 7 f f , 486f., 502, 507 - Mitgift 397 - Mobiliargemeinschaft 399, 400, 420 - Nutznießung 435 - Nutznießungsrecht 358, 361, 402ff., 434, 448, 471,478

Register - Regionalsystem 13,126, 1 3 0 , 3 8 8 f f . , 409, 412f., 415f., 443 f., 452, 464, 487, 507 - Verwaltungsgemeinschaft 46, 93, 385, 390, 392f., 395, 397, 399, 401, 404, 409, 416ff., 420, 422, 424ff., 431, 435ff., 439f., 442, 444ff., 480, 485, 497, 502, 504 A n s p r u c h der Frau auf Sicherheitsleistung 448 - Vorbehaltsgut 401 ff., 405, 408f., 430, 432, 440, 447, 453, 455, 460f., 463, 475f., 486f., 502, 508 Haftpflichtgesetz 30, 490 H a f t u n g 17f., 22, 30, 76, 221, 222, 227, 256, 286f., 293, 297f., 300, 396, 421, 424, 427, 456, 467ff., 481, 487, 492, 502, 507, siehe auch s. v. Güterrecht - Haftung der Ehefrau - G e f ä h r d u n g s h a f t u n g 17 - Verschuldenshaftung 17 Handelskammern 14,186,207 Hannover 255,390,416 Hasenfrage 4 9 2 , 5 1 1 H a u s - u n d Grundbesitzervereine 244, 274, 313,314 - Zentralverband 2 4 7 , 2 8 3 , 2 8 5 , 3 1 4 , 3 2 2 Hausbesitzer 108, 233f., 242, 246f., 263, 265, 270, 277, 292, 3 2 1 , 3 2 } f f . Heimfall 17 Hessen 1 3 , 1 7 4 , 2 5 6 , 3 3 7 , 3 5 6 Historische Rechtsschule 36, 65, 113f., 413 - Volksgeistlehre 36, 48, 79, 413, 482, 487 I m m a n e n t e Schranken siehe s. v. subjektives Recht Indianer 40 Individualismus 7f., 36f., 63, 65, 84, 265, 332, 397, 433 Individuum 38f., 52, 56f., 59, 61, 63f., 66, 87, lOOf., 120, 139f., 152f., 495, 502, 515f. Industrielle Revolution 1, 24f., 483 f. Jagd- u n d Fischereirecht 118, 227 Juristenrecht 2 , 1 0 7 , 1 1 2 Juristische Gesellschaft, Berliner 46, 88, 107f., 131,360 Juristische Gesellschaft, Wiener 5 , 1 6 , 51 Juristische Person 46, 125f., 1 2 7 f f , 195 - Begriff 138f., 141 - - Körperschaft 3, 17, 46, 119, 121,126, 132, 136, 139, 140ff., 148ff., 156, 195

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Gemeinwille 140 Moralische Person 4 6 , 1 4 1 - - persona ficta 139ff., 148 reale Gesamtpersönlichkeit 139f., 142, 148, 1 5 3 , 1 5 9 , 2 1 1 Verbandsperson 139 - Prozeßfähigkeit 161 - Rechtsfähigkeit 19, 22, 46, 126f., 129, 137, 140, 142f., 153, 156, 160, 177, 211 freie Körperschaftsbildung 127,136, 1 4 4 , 1 4 7 f f . , 161, 162, 164, 168, 173, 175, 178,211 G r u n d b u c h f ä h i g k e i t 160 Konzessionssystem 127, 132,134ff., 138,144,154, 156f., 161,164, 167, 169, 178, 179 verschleiertes Konzessionssystem 166, 173,176,178,202,330 System der N o r m a t i v b e s t i m m u n gen 91, 127, 133ff., 1 4 4 f f , 156ff., 161 ff., 168ff., 175ff., 211, 496, 503, 506, 520 Einspruchsrecht der Behörde 156ff., 161 ff., 179, 496, 506 - Verein 9, 91, 121, 127,129ff., 137f., 142, 145ff., 151, 153ff., 156, 159ff., 162, 164, 166ff., 171f., 174ff., 211, 496, 499, 503, 506, 511, 520, siehe auch s. v. Vereine Politische, religiöse, soziale Vereine 91, 128, 133f., 145,151,157, 162, 167ff., 171, 174,211 - Vereinsregister 144f., 148ff., 156, 157, 159, 160, 164 Justizausschuß siehe s. v. Ausschuß für Justizwesen K a h l p f ä n d u n g 251, 310,316 Kathedersozialisten 77f., 121 Katholiken 121, 127, 506 Kodifikation 1, 6, 33ff., 40f., 47, 51f., 61, 66, 77, 86f., 90, 106f., l l l f . , 114f., 118, 130f., 137,188, 218, 230, 236, 271, 298, 302, 315, 387, 391, 394f., 398, 406, 410ff., 457, 482, 491, 499, 500, 510f., 517, 520ff. - Einfachheit 207 - Rechtseinheit als Kodifikationsziel 14f., 55, 66, 111, 114,130f., 137ff., 142ff., 153, 155 ff., 159f., 162f., 167ff., 177,211,339, 388f., 392ff., 400, 409, 410ff., 421, 425f., 444, 458, 464, 484, 517, 520, 522 - u n d Spezialgesetze 228 Kollektivismus 62

15, 130, 152f., 227,

578

Sachregister

Kommission, erste 8ff., 22, 31, 34, 43, 68f., 90, 95, 109, 111, 114, 125, 129ff., 136ff., 142 ff., 147, 150, 154, 158f., 163, 177, 180, 184, 186ff., 197, 199, 201f., 207, 213, 218f., 235, 253, 258f., 262, 284, 289, 292, 308, 312, 317, 334, 336, 340, 342, 344f., 349, 367, 388, 390ff., 397, 399, 401, 405ff., 444, 469, 470, 492, 500, 508, 521, 522 Kommission, X I I . (Reichstags-) 23, 172ff., 207f., 226f., 307f., 310, 343, 370ff., 375ff., 382, 385, 456ff., 466f., 479, 480 Kommission, zweite 5, 13, 15, 20, 34, 68f., 76, 81, 88, 90, 114, 155ff., 160, 162ff., 173f., 177, 202, 204f., 210, 226, 240ff., 248f., 278, 295f., 300, 303, 305, 31 lf., 345, 363, 367f., 370, 435, 443ff., 447ff., 452, 453, 464, 470, 478f., 488, 493, 497, 520, 522 Königlich-Preußisches Landes-OkonomieKollegium 289, 395, 414, 415 Königtum der sozialen Reform 3, 30, 119 Kontinuität 12, 35, 37, 49, 101, 340, 407, 413,492, 504 Kreditwirtschaft 323, 410, 438, 444, 454, 473, 477, 483 - Immobiliarkredit 2 7 0 , 2 9 2 , 3 1 7 , 5 0 7 - Kreditpraxis bei Konsumgütern 319 Kündigung 18, 47, 70, 76, 193, 213, 223, 235f., 239, 240, 242, 244, 249, 276, 301, 304, 313f., 326, 449, 462f., siehe auch s. v. Miete - Außerordentliche Kündigung laesio enormis 17, 47, 69, 99, 517 Landesgesetzgebung 129, 131f., 138, 142, 177,189, 391f.,413 Landwirtschaft 44, 104f., 109, 113, 229, 236, 2 7 1 , 2 9 4 , 4 1 6 , 453f. - Agrarreform 26 - siehe auch s. v. Bauern Lebensversicherung 18, 76 Lex Anastasiana 1 7 , 6 9 , 9 9 Liberal 15, 36ff., 42, 59f., 62, 77ff., 81f., 87, 90, 108, 121, 135, 138, 149, 151, 183, 188, 196, 218, 224, 226, 263, 267, 277, 307, 310, 333, 376, 394, 397, 410, 425, 439, 440, 457, 474, 476f., 489, 499, 504, 511, 514, 517, 519, m f f . - Frühliberalismus 39, 87 - Manchester-Liberalismus 40, 47, 72, 87, 108, 118 Lied von der Glocke 330, 3 3 1 , 4 3 0 , 4 3 1 Lippe 13,412

Mecklenburg-Schwerin 170, 174 Mecklenburg-Strelitz 170 Menschenwürde 56, 62 Mephistopheles 48, 425 Miete 1, 17f., 26, 28, 47, 60, 76, 91, 92, 95ff., 102, 109, 213ff., 217, 231ff., 334, 417, 499, 505 f. - Außerordentliche Kündigung 244f., 249, 322 wegen Gesundheitsgefahren 1 8 , 7 6 , 3 0 4 - Bestandsschutz 215, 229ff., 234, 238, 242f., 246, 248, 316 - Dinglicher Charakter 242 - Formularverträge 85, 244f., 276, 296, 304, 313ff., 319, 322 - - Hausordnung 213, 244, 249, 313 Hauspaschanormen 310 - Kauf bricht Miete 4, 17, 22, 95f., 214f., 231 f f . , 305, 313, 316, 322, 359, 491f., 501 Praktische Folgelosigkeit 237f., 241, 248 Soziale Bedeutungslosigkeit 249 - Kauf bricht nicht Miete 18, 70, 76, 91, 96, 107, 215, 237f., 240ff., 246, 248f. - Kaution siehe Sicherheitsleistung - Mietpreis 241,269 - Untermiete 213, 232, 256, 260, 292, 297, 299, 300, 323, 403 - Vermieterpfandrecht siehe dort - Vorauszahlung 258, 264, 266, 269ff., 283, 295, 301, 307f., 317ff. Mietkredit 257f., 262, 264, 277, 285f., 291, 295, 301, 306f., 308, 311, 316ff., 320f., 327f., 501 Mietzinssparkasse 2 7 1 , 2 7 2 Militärtestament 17 Minderjährigkeit 334f., 343, 346ff., 351, 355, 361f., 367, 369f., 381f. Mittelstandspolitik 26 Möbelleihvertrag, Berliner 17, 275, 296, 298, 477 Motive siehe s. v. Gesetzesmaterialien Munt 433, 442f., 498 Mütterliche Gewalt 351, 355f., 381 - siehe auch s. v. elterliche Gewalt Nachbarrecht 17f., 195 - Notweg 17 - Wegerecht 18, 195 Nationalliberale Partei 174,466 Nationalsozialismus 58, 6 3 , 5 1 5 Natur des Menschen 54, 100 Nichteheliche Kinder 19, 45

Register Nichtigkeit 97,409 Nießbrauch 17, 404, 426, 437, 447f., 450, 488 Norddeutscher Bund 133,218,499 Obdachlosigkeit 234,317 Öffentliches und privates Recht als Einheit 46, 55f., 282, 495 Öltropfen siehe s. v. Tropfen Österreich 71, 151f., 356, 416, 465 Oldenburg 390,416,465 Pacht 17, 19, 85, 95ff., 205, 236, 254, 264, 274, 276f., 281, 284f., 294,318 - Zinsnachlaß 47 Pandektensystem 126 Pandektenwissenschaft 38 Parentelordnung 17 patria potestas 46, 349, 350f., 356, 383, 386, 488 Personal-und Viehpfändung 17 Personenrecht 57, 98, 125, 140, 190 Persönlichkeitsrecht 17,19, 55, 58f, 62, 100 - Ehre 17, 58f., 61, 140, 220, 340, 406, 501 - Entfaltung der Persönlichkeit 92, 97, 102, 121,362, 451,502 - Firma 17, 136,140 -Immaterialgüterrechte 17, 58f. - Namensrecht 58ff. Pfändungspfandrecht 260 Pflicht 36, siebe auch s. v. Gemeinschaftsgedanke - Kein Recht ohne Pflicht Pflichtteil 17, 104 Phantasie 77, 94 praesumptio Muciana 439f., 443 Presse 2, 14, 34f., 214, 234, 269 Preußen 13, 29, 32, 151f., 156, 160, 162,169, 174, 204, 206, 216, 231f., 251f., 254, 285, 298, 311, 339, 346, 368, 380, 445 Privatautonomie 17, 57, 60, 102, 410, 411, 415, 453, 476, 505, 517, 519, 522 - Eigentumsfreiheit 509 - Testierfreiheit 11, 21, 81f., 384, 509, 517, 522 - Vertragsfreiheit 12, 38, 53f., 57, 71 ff., 79, 83ff., 98ff., 116,186, 214, 218, 221f., 224, 266, 291, 304f., 315, 390, 393f., 411, 421, 439, 440, 500f., 504f, 509, 515f. - - Gleichgewicht 71,72,74,221,267, 500 Privatrechtstheorie 52, 62, 87, 97, 120, 503, 508

579

Rechtsfriede 95, 97, 183, 185ff., 209f., 212, 359f., 497 Rechtsgeschäftslehre 7, 123, 493 Rechtsidee 3, 56, 63, 149, 153, 158, 196, 199 Rechtsmißbrauch 79, 80, 500 Rechtssicherheit 81, 145, 152, 154f., 158, 173, 188, 376, 385, 394, 408, 410, 415, 422f., 462, 473 f., 482, 500 -Verkehrsinteressen 69,81,500 Rechtswissenschaft als Textwissenschaft 32 Regionalsystem siehe s. v. Güterrecht Registerpfand 17 Reichsgericht 19, 108, 115, 222, 254, 255, 257f., 270, 289,311,395 Reichsjustizamt 5f., 13f., 30, 34, 68, 83, 131, 156, 170, 174f., 192, 206, 266, 275, 303, 306, 339, 422, 443, 491ff., 499, 517, 520ff. Reichskanzler 9, 125, 336, 422 Reichsregierung 27, 83, 106, 108, 216, 491, 493 Reichstag 13, 15f., 23, 28, 41, 46, 47, 70, 77, 79ff., 88, 106, 115,131, 133, 162, 164ff., 170f., 173ff., 179, 206, 226, 227f., 241, 252, 265, 303, 305ff., 310, 312, 319f., 331, 333f., 342, 370, 372, 375, 381ff., 385, 397, 418, 428, 430, 456f., 466, 479, 488, 492f., 496, 503, 510f., 521 ff. Reichstagsvorlage 23, 172ff., 181, 371 f., 377f., 383, 451, 511, siehe auch Gesetzesregister Rendite 270,326 Rente 192, 194f., 205, 322 Rentengüter 57, 86 Rentenkauf 17 Rentenschuld 18, 104, 109, 454, 495, 506, 520 Reuß ä. L. 13 Revolutionsfurcht 26, 30, 106f., 166, 222, 237, 283,311,318, 445 Rheinland 48,270,382 Rheinprovinz 339, 370, 382 Richterbild 19 Römisches Recht versus deutsches Recht 2f., 18,32f., 36f., 41 f f , 46, 63, 88, 90, 106,131, 139,142, 149, 151, 153, 182, 333, 335, 350, 355, 386, 390, 393, 398, 424, 431f., 451,459, 473,496,511 - als Chiffre 2, 41 f f , 54, 411, 496 - historisch verstanden 43, 427 Sachsen 13, 25, 134, 151f., 177, 236, 248, 288, 346, 356, 380, 427, 445, 517

580

Sachregister

Sachsenspiegel 385, 468 Schadensersatz 18, 30, 47, 76, 91, 221, 222, 225,311 - in Geld 18,76 Schaumburg-Lippe 13 Schikane 17ff., 57, 86, 87, 301, 500 Schlesien 415f., 465, 484 Schuldversprechen 17 Schutz des Schwächeren 18, 28, 39, 46f., 50f., 57, 68ff., 86f., 93, 97, 99,102, 104ff., 113, 117ff., 154, 184,188, 191, 193, 197ff., 205, 209ff., 215, 217, 222, 240, 248, 258f., 262, 264, 267f., 273ff., 277, 281, 287, 291 ff., 295ff., 300f., 304, 305f., 308, 311 ff., 315, 328, 334, 336, 349ff., 354, 361, 363, 367, 386, 390, 393, 400, 425, 428, 439, 443, 453, 456, 457, 465ff., 477f., 480f., 487ff., 493f., 497, 498ff., 508, 512, 513 - d u r c h Auslegung 74 - Schuldnerschutz 188, 199, 203, 212, 258, 497, 499 - Ungleichgewichtslagen 71 f., 74, 221, 500 Schweiz 1 5 1 , 1 5 2 , 3 5 6 Selbstbestimmungsrecht 96f., 161, 215, 406 Selbsthilfe 78, 96f. Sicherheitsleistung 245, 261, 287f., 295, 312, 319, 435, 448ff., 453, 486f. Sittlichkeit 40 Sozialdemokraten 26, 28, 30f., 34, 48, 63, 76, 79, 81, 88, 135, 147, 157, 172ff., 209, 211, 215, 226, 228, 230, 271, 307ff., 372f., 375, 458, 463, 465, 492, 498, 510f. Soziale Frage 1, 6, 12, 22, 24f, 27, 31, 35, 37, 44, 71, 77f., 80, 87, 105f., 112, 179, 216, 221, 231, 267, 465, 490f., 503, 506, 517, 522 - Arbeiterfrage 3, 26f., 29, 77, 79, 213f., 215f, 216, 220, 223ff., 230f„ 359, 490f„ 498, 516 Arbeiterbewegung 9, 24, 104, 127, 131, 133ff., 138, 151, 154 ff., 162, 178, 179, 232, 431, 520 Dienstbotenfrage 216 - Frauenfrage 2 6 , 7 7 , 8 9 , 2 1 5 , 2 6 7 , 3 2 9 , 3 3 4 , 358f., 375, 380, 418, 428, 433, 457f., 484, 488, 490, 498, 516, siehe auch s. v. Status Frau - W o h n u n g s f r a g e 213, 316ff., 490, siehe auch s. v. Wohnungssituation - - W o h n u n g s n o t 26, 105, 231f., 241ff, 252f., 268, 276, 279ff., 291f., 317, 319, 321f., 325, 327 Qualitative W o h n u n g s n o t 252 Quantitative W o h n u n g s n o t 252

Soziale Freiheit 51, 82, 8 3 f f , 94f., 98ff., 106, 121f., 154, 161, 171,178, 211, 215, 264, 291 f., 299, 304f., 315, 334, 336, 340, 349, 360, 362f., 376, 379f., 387, 398f., 402, 408, 424ff., 428, 432, 434, 439, 443, 453, 465, 478, 480f., 489., 494, 497, 501, 502ff. - als Befreiung 29, 84, 88, 92ff., 97, 101 f., 266f.,288, 312, 387, 505 - d u r c h Gleichberechtigung 58, 81, 93, 101, 102, 121, 220, 231, 264f., 267, 270, 280, 291, 304, 315f., 329, 334, 337ff., 346, 354, 360, 362f., 370, 374, 376, 378ff., 385, 387, 390, 393, 397ff., 402, 407f., 430, 433, 435, 438ff., 443, 452, 457, 459, 463f., 476, 481, 485f., 498, 502ff., 507,511 - Frei u n d sozial 82, 84, 171 - G e b u n d e n e Freiheit 100, 121 - Gerechtigkeit durch Gleichberechtigung 102,267 - G e u s e n k ö n i g t u m 88ff., 92, 94 - Vernünftige Freiheit 99 Sozialistengesetze 27, 215, 506 Sozialkonservativ 482 Sozialmodell 6, 432, 509, 517, 519 f. Sozialpolitik 4f., 12, 15f., 19, 22, 24, 27f., 30ff., 38f., 51, 53, 65f., 68, 73, 77ff., 83, 91, 93, 102 ff., 120, 121 f., 128, 137f., 146f., 151, 154, 158, 161 f., 164ff., 211ff., 215, 217, 224f., 228, 235, 243, 251, 254, 258, 265, 270f., 275, 277, 281 ff., 287, 291 f., 298, 307, 311, 353, 357, 359f., 362f., 370, 382, 384, 386, 414, 418f., 430, 435, 460, 465, 473, 492ff., 496, 498f., 505ff., 513, 519ff. Sozialpolitischer Ausgleich 5 1 , 1 0 2 f f . , 120ff., 138, 147, 154, 168, 171, 178, 211, 213, 215, 265, 270f., 277, 281, 283, 291f., 311, 353, 357, 360, 362f., 370, 382, 384, 386, 414, 435, 460, 473, 494, 498, 505ff. - Mittelstandsförderung 2 6 , 1 0 8 f . , 116, 277, 291,316, 506,511 - Sozialer Friede 107, 282f., 291, 292 - Stabilität der Gesellschaftsordnung 102, 106, 120, 211, 271, 317, 357, 386, 460, 473, 481, 506, 507 Sozialrecht 4 , 5 2 , 1 1 7 , 1 3 9 Sozialversicherungsgesetze 490f., 499, 520 - Altersversicherung 27 - Krankenversicherung 2 7 , 2 2 1 , 2 2 5 , 4 9 9 - Unfallversicherung 27 Spekulation 146, 238, 248, 302, 328, 410 Sprache des Gesetzes 2 Staat 3 , 1 5 , 24, 29f., 48, 54, 64, 68, 73, 78f., 81, 86, 102, 117,129, 133, 135, 137, 148,

Register 154, 178, 197, 216, 258, 277, 286, 317, 330f., 351, 359, 371, 419, 425, 428, 498, 510,517 Staatsintervention 30, 68, 77, 138 Ständegesellschaft 17, 25, 26, 67, 102, 235, 440 Status 10, 17, 62, 97, 100, 130, 406, 422, 433, 437, 475, 486, 503 - Frau 17f., 26, 42, 60, 77, 81, 89, 93, 99f., 102, 105, 213, 216, 219, 228f., 250, 253, 273f., 293, 297f., 305f., 329, 331 ff., 338ff., 342, 352ff., 357ff., 362f., 371, 375f., 379ff., 384, 387, 390f., 393, 397ff., 401ff., 412, 416ff., 428ff., 507 - Gleichberechtigung 58, 93, 329, 340, 360, 362, 380, 385, 387, 393, 399, 407f., 433, 438, 441, 452, 457, 485, 503f., 511, siehe auch s. v. soziale Freiheit - durch Gleichberechtigung - Fremde 17 - Gesinde 17, 19, 57, 130, 216, 219, 220, 223f., 226, 228, 491 f. Hausdiener 57 - Gleichheit 59f., 64, 474 - Privatfürstenrecht 17 - Privileg 121, 206, 263f., 267, 299, 315, 503,505 -Sklaven 37,91,152,213,433 - S t ä n d e 17,60,67,235,440 Steuerreform 28 - Klassensteuer 29,251 - Tabakmonopol 28 Subjektives Recht 58 - Immanente Schranken 4, 57, 63, 65, 87, 100,386, 495 Systematik 2, 123 Terraingesellschaften 324f., 327 - Berlinische Boden-Gesellschaft 325 Thronrede 27,28,216,498 Topoi, soziale siehe s. v. Gemeinschaftsgedanke, Schutz des Schwächeren, soziale Freiheit, sozialpolitischer Ausgleich Tropfen sozialistischen (sozialen, sozialpolitischen) Öls 4, 29, 51, 52, 56f., 64, 76, 85, 91 f., 127, 265, 490, 496, 511f., 522 - Maschinenöl 4 - Salböl 4 Überschuldung 57, 104, 186, 319, 454, 500, 506 Unpfändbare Sachen 250ff., 256, 317, 323

581

Unterhalt 19, 217, 306, 335f., 361, 368, 393, 409, 429, 432, 455, 472, 499 Unternehmen 17, 30, 42, 54, 57, 146, 170, 223, 227, 458, 473 Väterliche Gewalt 332, 337, 344, 346ff., 350, 353, 355f., 358, 370, 383, 390, 488 Vaterschaftsklage 19 Verein für Socialpolitik 13, 26, 31, 77, 79, 83, 218, 223, 226, 231f., 245, 249, 253, 279ff., 317, 319ff., 325,499 Verein gegen Armennoth 271 Vereine, siehe auch s. v. Juristische Person - Berufsverbände 2, 149, 171, 414, 520 - Caritas 127 - Freiwillige Feuerwehren 128 - Gesangsvereine 128 - Schrebergartenvereine 157 - Taubenzuchtvereine 157 - Versicherungsvereine 127 Vereinsgesetz 133, 145 Verfallsklausel 85 Verjährung 17, 22, 41, 125f., 179ff., 494, 497, 500f., 508 - Anspruchsverjährung 11,41, 179ff., 197, 319 - Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen 189ff., 199f., 202f., 205, 209f., 497 - Hemmung 194, 201, 206f. - Klagenverjährung 180, 185, 190f., 199, 206 - Kurze Verjährung 184ff., 188, 192, 197, 199, 202, 204f., 207, 209f. - Unvordenklichkeit 181ff., 195f., 200 - Verjährungsbeginn 194f. - Verjährungsfrist 182, 184ff., 191ff., 201, 203 ff. Verlagsvertrag 17 Vermieterpfandrecht 17, 22, 28, 66f., 70, 77, 85, 93f., 104,107ff., 114, 215, 250ff., 326, 497, 500f., 503, 507f. - Erlöschen 261 -Gegenstand 261, 272ff., 293f., 296f. Sachen der Familienangehörigen 273 Sachen fremder Personen 275 - - Unpfändbare Sachen 107, 253f., 257ff., 270, 279, 283ff., 288, 296, 304, 306, 307f., 310f., 313, 321 ff.,, 497, 499, 501, 507 - Heimlicher Auszug (sog. Rücken) 251, 263, 320 - Kahlpfändung 251,258,316

582

Sachregister

- Sachen der Ehefrau 261 - Sicherungsinteresse 274, 276, 292, 317 - Sicherungszweck 272,2$4,286ff.,290, 293ff., 300ff, 311f., 501 - Widerspruchsrecht 288, 302 - Zurückbehaltungsrecht 251, 254ff., 266, 269, 283, 289, 308, 326 Vermögensrecht 84ff., 96, 133, 236, 284, 332, 476 Vermutungsregel 196, 257, 382, 439f., 454 Versicherungsvertrag 17 Verstädterung 1, 128, 230, 232, 329, 331 Vertragspfand 35 Vertragsstrafe 17,18,70,76,273 Vertragstreue 17, 74, 75 - pacta sunt servanda 75 Viehkauf 192 - Viehmängelhaftung 17,19 Vierter Stand 25, 26ff, 40, 64, 68, 71 f., 89f., 94, 102, 106, 108, 213, 232, 235, 271, 314, 317, 319, 327, 354, 402f., 417f., 446, 453, 458,460, 491,494, 507f. - Arbeiter 24, 26ff., 60, 82, 86, 91, 105, 113, 120f., 129,161, 166,168, 188, 192, 200, 208, 213ff., 233f., 280, 292, 309, 310f., 317ff., 334, 375, 403, 419, 428, 433, 458f., 484, 490f., 498f., 506,511 - Arbeiterfrage siehe s. v. soziale Frage -Arbeiterklasse 26,39,70,231,458 - Bauarbeiter 26 - Bergleute 26 - Eisenbahner 26 - Handwerksgesellen 26, 209 - Hausgesinde 26 - Landarbeiter 26, 29, 216f., 229, 491 f. - Tagelöhner 26, 198 volenti non fit iniuria 286 Volksgeistlehre siehe s. v. Historische Rechtsschule Volksrecht 2 Volkstümlichkeit 2, 6f., 47, 107, 420 Volksverein 127 Volkswirtschaft 18, 77, 115, 121, 212, 491, 514 - Nationalökonomen 6,12f. Volljährigkeit 83, 335, 346ff., 352, 360ff., 367ff., 381 ff., 488f., 498, 502f.

Vorkommission (1874) 9, 95, 106, 109f., 115,118, 124f., 130, 137, 163, 188,219, 269, 298, 302, 389, 391, 394, 398, 459, 494, 508f., 521 Vorkommission des Reichsjustizamtes 20, 34, 155, 177, 182, 200, 202, 204f., 210, 225, 240, 278, 293, 443, 493, 501 Vormärz 77, 127 Vormundschaft 175,194, 336ff., 344, 354, 365, 375, 377f., 380 Vormundschaftsordnung, Preußische 339 Wille 87 Willensmängel 17 Willkür 63, 81, 84, 86, 88, 100, 118, 430, 461,466 Wohltätigkeitsvereine 167 Wohnungssituation 25, 279, siehe auch s. v. soziale Frage - Wohnungsfrage - Aftermieter 232 - Arbeiterwohnungen 232,318,322 - Fluktuation 243,249 - Leerwohnungsziffer 246 - Mietskasernen 252, 321 - Schlafgänger 232, 252, 403 - Wohnungsmarkt 193,231,233,243,246, 291, 313, 316, 321, 323, 326, 328 Kleinwohnungen 232,286,320,323 Konjunkturschwankungen 233, 246 Wucher 17,80,511 - Mietwucher 17 Wuchergesetz 85f., 490, 519 Württemberg 5,13, 174, 233, 256, 305, 405, 412 Zentrum 26, 31, 82, 87,103, 109, 135, 172ff., 208, 310, 370, 373, 382, 464, 466, 511 Zessionsverbot 85 Zinsen 69,197,205,501,517 - Verzugszinsen 47 Zurückbehaltungsrecht siehe s. v. Vermieterpfandrecht Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen 13f., 34f., 158, 189, 236, 266, 422 Zwangsvollstreckungsrecht 29, 41, 47, 75, 107, 198, 233, 236, 251, 253f., 258, 280, 282f., 440, 472

Jus Privatum Beiträge zum Privatrecht - Alphabetische Übersicht

Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band 29. Bayer, Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Berger, Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band 25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band 20. Bittner, Claudia: Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht. 2000. Band 46. Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band 36. Busche, Jan: Privatautonomie und Kontrahierungszwang. 1999. Band 40. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band 35. Dethloff, Nina: Europäisierung des Wettbewerbsrechts. 2001. Band 54. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band 31. Eberl-Borges, Christina: Die Erbauseinandersetzung. 2000. Band 45. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga, Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Escher-Weingart, Christina: Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht. 2001 .Band 49. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Habersack, Mathias: Die Mitgliedschaft - subjektives und sonstiges' Recht. 1996. Band 17. Heermann, Peter W.: Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte. 1998. Band 24. Heinrich, Christian: Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit. 2000. Band 47. Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand. 1994. Band 6. Hergenröder, Curt Wolfgang: Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung. 1995. Band 12. Hess, Burkhard: Intertemporales Privatrecht. 1998. Band 26. Hofer, Sibylle: Freiheit ohne Grenzen. 2001. Band 53. Huber, Peter: Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung. 2001. Band 58. Junker, Abbo: Internationales Arbeitsrecht im Konzern. 1992. Band 2. Kaiser, Dagmar: Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB. 2000. Band 43. Kindler, Peter: Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht. 1996. Band 16. Kleindiek, Detlef: Deliktshaftung und juristische Person. 1997. Band 22. Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte. 1998. Band 32. Looschelders, Dirk: Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht. 1999. Band 38. Lipp, Volker: Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson. 2000. Band 42.

Jus

Privatum

Merkt, Hanno: Unternehmenspublizität. 2001. Band 51. Möllers, Thomas M.J.: Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht. 1996. Band 18. Muscheler, Karlheinz: Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung. 1994. Band 5. Oechsler, Jürgen: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag. 1997. Band 21. Oetker, Hartmut: Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung. 1994. Band 9. Oppermann, Bernd H.: Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß. 1993. Band 3. Peifer, Karl-Nikolaus: Individualität im Zivilrecht. 2001. Band 52. Peters, Frank: Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb. 1991. Band 1. Raab, Thomas: Austauschverträge mit Drittbeteiligung. 1999. Band 41. Reiff, Peter: Die Haftungsverfassungen nichtrechtsfähiger unternehmenstragender Verbände. 1996. Band 19. Repgen, Tilman: Die soziale Aufgabe des Privatrechts. 2001. Band 60. Rohe, Mathias: Netzverträge. 1998. Band 23. Sachsen Gessaphe, Karl August Prinz von: Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige. 1999. Band 39. Saenger, Ingo: Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung. 1998. Band 27. Sandmann, Bernd: Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten. 2001. Band 50. Schwarze, Roland: Vorvertragliche Verständigungspflichten. 2001. Band 57. Sieker, Susanne: Umgehungsgeschäfte. 2001. Band 56. Stadler, Astrid: Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. 1996. Band 15. Stoffels, Markus: Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse. 2001. Band 59. Taeger, Jürgen: Außervertragliche Haftung für fehlerhafte Computerprogramme. 1995. Band 13. Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band 28. Wagner; Gerhard: Prozeß Verträge. 1998. Band 33. Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Weber, Christoph: Privatautonomie und Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht. 2000. Band 44. Wendehorst, Christiane: Anspruch und Ausgleich. 1999. Band 37. Würthwein, Susanne: Schadensersatz für Verlust der Nutzungsmöglichkeit einer Sache oder für entgangene Gebrauchsvorteile? 2001. Band 48.

Einen Gesamtkatalog erhalten Sie gern vom Verlag Mohr Siebeck, Postfach 2040, D-72010 Tübingen. Aktuelle Informationen im Internet unter http://www.mohr.de