Gewalt in Der Fruhen Neuzeit: Beitrage Zur 5. Tagung Der Arbeitsgemeinschaft Fruhe Neuzeit Im Vhd (German Edition) 3428118243, 9783428118243


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Gewalt in Der Fruhen Neuzeit: Beitrage Zur 5. Tagung Der Arbeitsgemeinschaft Fruhe Neuzeit Im Vhd (German Edition)
 3428118243, 9783428118243

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Gewalt in der Frühen Neuzeit

Historische Forschungen Band 81

Gewalt in der Frühen Neuzeit Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD

Herausgegeben von Claudia Ulbrich Claudia Jarzebowski Michaela Rohkamp

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Emst-Reuter-Gesellschaft (Berlin) und der Aleksandra-Stiftung (Wellesweiler).

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-11824-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Claudia Ulbrich, Claudia Jarzebowski, Michaela Hohkamp, Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sektion 1

Hans Medick, Massaker in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

PeterBurscheI, " ... es muss ja ein Unterschied sein . . ." Das Massaker von Frankenhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Denis Crouzet, Königliche und religiöse Gewalt im Massaker der Bartholomäusnacht oder der "Wille" Karls IX. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Christian Büschges, Gewaltsame Kulturkontakte. Massaker in der spanischen Eroberung Mexikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

Martin Krieger; Massaker und koloniale Staatsgewalt in Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Sektion 2

Francisca Loetz, Gewalt: politische Ideale und soziale Leitbilder

83

Mary Lindemann, Gewalt und Bürgerlichkeit: Harnburg und Amsterdam in vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Marian Füssel, Gewalt im Zeichen der Feder. Soziale Leitbilder in akademischen Initiationsriten der Frühen Neuzeit 101 Andre Holenstein, Frugalität und Virilität. Zur Mythisierung kriegerischer Gewalt im republikanischen Diskurs in der Schweiz des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Beat Kümin, Friede, Gewalt und öffentliche Räume - Grenzziehungen im alteuropäischen Wirtshaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Sektion 3

Horst Carl, Gewalttätigkeit und Herrschaftsverdichtung. Die Rolle und Funktion organisierter Gewalt in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Eva Kormann, Violentia, Potestas und Potential - Gewalt in Selbstzeugnissen von Nonnen und Mönchen des Dreißigjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

6

Inhaltsverzeichnis

Maren Lorenz, Besatzung als Landesherrschaft und methodisches Problem. Wann ist Gewalt Gewalt? - Physische Konflikte zwischen schwedischem Militär und Einwohnern Vorpommerns und Bremen-Verdens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts . 155 Markus Meumann, Herrschaft oder Tyrannis? Zur Legitimität von Gewalt bei militärischer Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Joachim Eibach, Institutionalisierte Gewalt im urbanen Raum: ,Stadtfrieden' in Deutschland und der Schweiz zwischen bürgerlicher und obrigkeitlicher Regelung (15. -18. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Sektion 4

Winfried Schulze, Optionen und Beilegung zwischenstaatlicher Gewalt in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Georg J. Wolf, Kommunikation und Gewalt in den frühmodernen Internationalen Beziehungen: Ansätze der Forschung und Praxis Bayerns und der Kurpfalz im konfessionellen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Lothar Schilling, Gewalt als Mittel staatlicher Expansion im Urteil der Aufklärungszeit

227

Heinz Duchhardt, Gewaltverhinderung als Ansatz der praktischen Politik und des politischen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Christoph Kampmann, Friedensstiftung von außen? Zur Problematik von Friedensvermittlung und Schiedsgerichtsbarkeil in frühneuzeitlichen Staatenkonflikten . . . . . . . . . . 245 Ralf Pröve, Vom ius ad bellum zum ius in bello. Legitimation militärischer Gewalt in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Sektion 5

Peer Schmidt, Krieg und Recht in interkultureller Begegnung und Konfrontation: Mittelmeerund Atlantischer Raum in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Suraiya N. Faroqhi, Opfer der Gewalt: Einige Fälle von Mord, Raub und Bedrohung in Nordwestanatolien um 1760 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Mark Häberlein, Recht und Gewalt in den englisch-indianischen Beziehungen im Nordamerika des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Peer Schmidt, Krieg und Recht an den Grenzen der Christianitas: Der Zweifrontenkrieg des spanischen Imperiums gegen Muslime und Indios (16. I 17. Jahrhundert) . . . . . . . . . 307 Christian Windler, Verrechtlichte Gewalt zwischen Muslimen und Christen: französisch-maghrebinische und spanisch-maghrebinische Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Inhaltsverzeichnis

7

Sektion 6 Monika Mommertz, Gewalt und Imagination .. ...... . .. ... . .. . ......... . . ... . ... . .. . ... 341 Monika Mommertz, "Imaginative Gewalt" - praxe(m)ologische Überlegungen zu einer vernachlässigten Gewaltform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Andreas Bähr, Die Semantik der Ungarischen Krankheit. Imaginationen von Gewalt als Krankheitsursache zwischen Reformation und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Ute Lotz-Heumann, Gewaltpraktiken und ihre Diskursivierung: Die irische Rebellion von 1641 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Harriet Rudolph, "Pain in the reality, yet a delight in the representation" - Verbale und visuelle Repräsentationen von Gewalt am Beginn der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

Einleitung Der vorliegende Band vereinigt die Beiträge der 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Verband der Historikerinnen und Historiker in Deutschland, die vom 18.-20. September 2003 an der Freien Universität Berlin stattgefunden hat. Ziel der Tagung war es, die zum Teil sehr disparaten Zugänge der Frühneuzeitforschung zum Thema Gewalt zusammenzuführen und einen intensiven Gedankenaustausch zu initiieren. Dies hatte sowohl einen aktuellen politischen als auch einen wissenschaftsgeschichtlichen Grund. Mit dem 11. September 200 I hatte das Thema Gewalt eine neue politische Brisanz erfahren, die auch die Geschichtswissenschaft vor neue Aufgaben stellte. Zahlreiche Forschungen zu diesem Thema hatte es bis dahin gerade im Bereich der Frühen Neuzeit gegeben, aber es war auffällig, dass die verschiedenen Teildisziplinen, die sich des Themas Gewalt annahmen, kaum von einander Notiz nahmen. Da der Band eine breite Dokumentation der aktuellen Frühneuzeitforschung zum Thema Gewalt bietet, sollen im Folgenden nur einige der unterschiedlichen Diskussionsstränge skizziert werden. Gewalt wurde in der Geschichtswissenschaft lange hauptsächlich im Kontext von Herrschaft thematisiert. Vor allem in Zusammenhang mit der Darstellung von Staatsentwicklung, Kriegsrecht und Widerstand hatten rechtstheoretische und rechtsphilosophische Fragen große Bedeutung. Der Umstand, dass Gewalt im Sinne des Naturrechtes als "naturrechtliche Gegebenheit" bzw. positiv-rechtlich "als historische Gewordenheit" verstanden wurde, beeinflusste maßgeblich die Forschungsfragen. 1 Mit dem Paradigmenwechsel innerhalb der Geschichtswissenschaft haben sich spätestens seit Beginn der 80er Jahre die Forschungen zum Thema Gewalt grundlegend verändert. Im Zuge der historischen Alltagsforschung wurde die gesellschaftliche Praxis als breites und vielschichtiges Forschungsfeld entdeckt und durch mikrohistorische Zugangsweisen erschlossen2 . In der historischen Frauenforschung und der Geschlechtergeschichte wurden Gewaltverhältnisse in Ehe und Familie zu einem zentralen, aber keineswegs ausschließlichen I Benjamin, Walter: Zur Kritik der Gewalt. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Frankfurt am Main 1991, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. 2, T. I, S. 179 - 203, hier S. 80. 2 Vgl. z. B. die Themenhefte ,Gewalt' der Zeitschriften WerkstattGeschichte 4 ( 1993) und erneut 35 (2003); Traverse 1995, L'Homme 2 (1996). Auch der Internationale Volkskundekongress 1993 in Passau wählte ,Gewalt' als Tagungsthema, vgl. Gewalt in der Kultur 29. Deutschen Volkskundekongresses Passau 1993; Brednich, Rolf W. I Hartinge1; Walter (Hg.): Gewalt in der Kultur. (Passauer Studien zur Volkskunde, Bd. 8), Passau 1994; wegweisend außerdem Lindenberger, Thomas I Lüdtke, Aif (Hg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit. Frankfurt am Main 1995.

10

Einleitung

Thema? Auch die historische Kriminalitätsforschung begann, nach der sozialen Konstruiertheit "kriminellen" Handeins und damit nach den vielschichtigen Gewaltdimensionen zu fragen, die in diesem Handeln impliziert waren.4 Vielen Studien zur historischen Gewaltforschung ist gemeinsam, dass sie das Wort Gewalt als Synonym für physische oder - im weitesten Sinn - psychische5 Gewalttätigkeiten verstehen. Vor allem diachron angelegte Untersuchungen zu Gewalthandeln in der Frühen Neuzeit stellten und stellen im Anschluss an Norbert Elias' Überlegungen zum ,Prozeß der Zivilisation' die Frage nach den Veränderungen der Gewaltpraktiken in europäischen Gesellschaften bis zum Ende der Frühen Neuzeit. In quantifizierenden Langzeitstudien wird deshalb insbesondere nach der Häufigkeit von Gewaltdelinquenz gefragt. Eine andere, stärker von Michel Foucaults Studien inspirierte Forschungsrichtung rückt Fragen nach der Diskursivierung von Gewalt und Herrschaft im Kontext einer sich herausbildenden Disziplinarrnacht in den Mittelpunkt. Die lange vorherrschende und prägende Frage nach den Ursachen der Gewalt wurde abgelöst von Fragen nach den Mechanismen und Möglichkeiten, mit Gewalt umzugehen, sich Gewalt anzueignen, Gewalt auszuüben, Gewalt zu widerstehen und das Recht auf Gewalt in Frage zu stellen. Gemeinsam ist diesen Forschungsrichtungen, dass mit der Frage nach Gewaltproduktion und Gewaltwahrnehmung auch die Menschen, die Gewalt ausübten oder erlitten, in den Blick kamen. Dies veränderte u. a. die Sichtweise auf Krieg in der Frühen Neuzeit. 6 Neben den makrohistorischen Entwicklungs- und Konfliktzusammen3 Dass sich die Frauen- und Geschlechterforschung in Bezug auf die Diskussion der Gewaltfrage nicht auf diesen Bereich bzw. auf die Diskussion über das Patriarchat beschränkt hat, zeigt ein Blick in die einschlägigen Zeitschriften. So hat etwa L'Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft bereits 1992 ein Themenheft zu Krieg herausgegeben: H.l (1992). Zentral war in der Frauenforschung auch immer das Thema Gewalt und Sexualität. Wichtige Impulse für die Erforschung der häuslichen Gewalt gingen von den Studien von Farge, Arlettel Foucault, Michel: Familiäre Konflikte. Die "Lettres de cachet". Frankfurt am Main 1989 und von Davis, Natalie Zemon: Der Kopf in der Schlinge: Gnadengesuche und ihre Erzähler. Frankfurt am Main 1991, aus. In diesem Zusammenhang ist auch die Hexenforschung zu erwähnen, die sich als eigenständiger Teilbereich innerhalb der Geschichtswissenschaft etabliert und das Thema Gewalt in verschiedener Weise diskutiert hat. Vgl. dazu Behringer, Wolfgang: Geschichte der Hexenforschung. In: Lorenz, Sönke I Schmidt, Jürgen (Hg.): Wider alle Hexerei und Teufelswerk. Die europäische Hexenverfolgung und ihre Auswirkungen auf Südwestdeutschland. Ostfildem 2004, S. 485-668. 4 Vgl. Schwerhoff Gerd: Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Einführung in die historische Kriminalitätsforschung (Historische Einführungen Bd. 3), Tübingen 1999; Ders. : Historische Kriminalitätsforschung im deutschen Sprachraum. Zum Profil eines "verspäteten" Forschungszweiges. In: Blauert, Andreas I Ders. (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Konstanz 2000, S. 21 - 67 sowie zur sozialen Konstruktion von Kriminalität und dem Zusammenhang mit normativen Geschlechterrollen Ulbrich, Claudia: "Kriminalität" und "Weiblichkeit" in der Frühen Neuzeit. Kritische Bemerkungen zum Forschungsstand. In: Kriminologisches Journal 1995 I 5. Beiheft ,Geschlechterverhältnis und Kriminologie', hg. von Martina Althoff und Sybille Kappe!, S. 208 - 221. s Der Begriff "psychisch" bezeichnet hier alle nicht-körperlichen Gewaltpraktiken, vor allem aber die Konsequenzen aus angedrohter Gewalt und wäre für die Frühe Neuzeit dringend zu spezifizieren.

Einleitung

II

hängen fanden nun die Erfahrungen mit Krieg und Kriegsgewalt zunehmend das Interesse der Forschung7 . Die Frage nach der Wahrnehmung und Erfahrung von Gewalt zieht die Frage nach dem Kontext von Gewaltwahrnehmung und Gewalterfahrung nach sich, denn je nach Kontext wird Gewalt verschieden erfahren und wahrgenommen. Diese Erkenntnis veränderte auch den Blick der Historikerinnen und Historiker auf eine mögliche Analysekategorie Gewalt insbesondere in der Frühen Neuzeit. So wurde deutlich, dass sich das frühneuzeitliche Gewaltkonzept mit den beiden Bereichen potestas und violentia nicht annähernd so homogen gestaltete wie weithin angenommen.8 Die Grenzen zwischen beiden Bereichen waren immer umstritten und liegen nicht ineins mit den ebenfalls umstrittenen Grenzen zwischen legitimer Gewalt und illegitimer Gewalt. 9 Vor diesem Hintergrund lässt sich Gewalt für die Frühe Neuzeit als analytische Schlüsselkategorie perspektivieren. Die Frage nach Gewalt ist in der Frühen Neuzeit immer die Frage nach Herrschaft und Herrschaftsfähigkeit Insofern integriert und relationiert eine Analysekategorie Gewalt in der Frühen Neuzeit auch Fragen nach Konfession, Alter und Geschlecht, nach Inklusion und Exklusion, nach Nähe und Distanz (resp. "Zentrum" und "Peripherie") sowie mikro- und makrohistorische Interdependenzen. Potestas und violentia wurden häufig als Gegensatzpaar gedacht. Gewalt wurde entweder im Sinne von violentia definiert und hierbei so behandelt, als hätte potesras nichts mit Gewalt zu tun oder aber es wurde eine gute potestas der anrüchigen violentia gegenübergestellt. Den Schwerpunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung bildete meist die potestas, wobei die violenten Erscheinungsformen als notwendige und durch potestas legitimierte Begleiterscheinungen gesehen wurden. Dass diese Sichtweise zentrale Gewaltverhältnisse stark verkürzte und verfälschte, zeigen u. a. Forschungen zu häuslicher und ehelicher Gewalt. 10 Hier wird deutlich, dass die potestas des Vaters und des Ehemannes zwar das violente Züchtigungs6 Unter dem Titel ,Militär und Geschlecht' gründete sich z. B. eine eigene Forschungsrichtung, die lange Zeit dominierende Deutungen von Krieg und Männlichkeit vorrangig im 19. Jahrhundert hinterfragt. Vgl. Hagemann, Karin: Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel. Frankfurt am Main/New York 1998. 7 Beispielhaft in dem Band von Krusenstjern, Benigna von/ Medick, Hans (Hg.): Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 148). 8 Pröve, Ralf: Violentia und Potestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Meumann, Markus/Niefanger, Dirk (Hg.), Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert. Göttingen 1997,24-42, bes. 31-35. 9 Hohkamp, Michaela, Grausamkeit blutet - Gerechtigkeit zwackt: Überlegungen zu Grenzziehungen zwischen legitimer und nicht-legitimer Gewalt", in: Krug-Richter, Barbara/ Eriksson, Magnus (Hg.), Streitkultur(en). Studien zu Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16. bis 19. Jahrhundert), Köln u. a. 2003, S. 59 - 79. IO V/brich, Claudia: Saufen und Raufen in Steinbiedersdorf- Ein Beitrag zur Erforschung häuslicher Gewalt in der ländlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, in: Historische Mittei-

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Einleitung

recht gegenüber Kindern und Ehefrau einschloss, übertriebene Gewaltformen aber ausschloss. 11 Die vielschichtigen Auseinandersetzungen über die Frage, unter welchen Bedingungen aus legitimer illegitime Gewalt wurde, wurden meistens vor Gericht geführt. Somit ist die Gruppe der Gerichtsquellen seit ihrer ,Entdeckung' durch die historische Kriminalitätsforschung zum bevorzugten Terrain für historisch-anthropologische Fragestellungen geworden, in deren Mittelpunkt Aushandlungsprozesse stehen. Kontroversen über die Frage nach legitimer und illegitimer Gewalt lassen sich hier besonders gut verfolgen und es wird deutlich, dass die Beschäftigung mit violentia bisher vernachlässigt wurde. Die Perspektive einmal umzukehren und von violentia her zu denken, heißt auch, die bisherigen Interpretationsparameter zu überprüfen und sich auf den lohnenden Versuch der Neuorientierung einzulassen. Denn der Zugang über violentia ist auch geeignet, bisherige Auffassungen über Potentiale und Grenzen der potestas zu hinterfragen. 12 Violentia bildet gewissermaßen das Stiefkind der historischen Gewaltforschung. Doch es ist gerade die violente Seite der frühneuzeitlichen potestas, die sich anschickt, potestas als ausschließlich positives Konzept in Frage zu stellen. Die Tragweite eines solchen Perspektivenwechsels bzw. der perspektivischen Erweiterung zeigt sich insbesondere dann, wenn die Aushandlungsprozesse selbst in den Mittelpunkt der Analyse gestellt werden. Denn Gewalt ist nicht an sich legitim oder illegitim. Gewalt wird in gesellschaftlichen Diskursen und Praktiken erst legitimiert und delegitimiert. Das gilt für potestas und violentia gleichermaßen. Spannend wird es dort, wo die Analyse von Legitimations- und Delegitimationsprozessen mit Formen der intendierten und beiläufigen Inklusion und Exklusion von Wahrnehmungen und Erfahrungen von Gewalt verknüpft werden kann. Es wird deutlich, dass im Zusammenspiel von potestas und violentia strukturelle Gewaltverhältnisse erzeugt und abgesichert werden, die auf der absichtsvollen Verdeckung der violenten Anteile an- im weitesten Sinne - sozialer Praxis beruhen. 13 Gerade ein ZuIungen 8, 1995, 28-42; Hohkamp, Michaela: Frauen und Gewalt im 18. Jahrhundert: Überlegungen zur Brauchbarkeit der Kategorie Geschlecht in frühneuzeitlichen Gesellschaften, in: Kriminalität und Geschlecht (Gender-Studies an der Universität Konstanz - Vortragsreihe 1998-99), S. 21-29; Dies.: Häusliche Gewalt: Beispiele aus einer ländlichen Region des mittleren Schwarzwaldes, in: Lüdtke, Alf I Lindenberger, Thomas (Hg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit. Frankfurt am Main 1995, S. 276- 302; Dies. Macht, Herrschaft und Geschlecht. Ein Plädoyer zur Untersuchung von Gewaltverhältnissen in der Frühen Neuzeit, in: L' Homme - Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 7, H.2, (1996), S. 8 -17; Jarzebowski, Claudia: Legitime Nähe, illegitime Sexualität? Vorstellungen von Inzest im 18. Jahrhundert. In: Hilbig, Katjal Kajatin, ClaudiaiMiethe, Ingrid (Hg.): Frauen und Gewalt. Eine Tagung am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterstudien in Greifswald. Würzburg 2003, S. 77-91. II Michaela Hohkamp hat in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Blutes aufmerksam gemacht, das in den Erzählungen über Gewalt empfundene Grenzüberschreitungen zur illegitimen Seite hin indiziert. Hohkamp, 2003, S. 59 -79. 12 Jarzebowski, Ciaudia: Eindeutig uneindeutig. Verhandlungen über Inzest im 18. Jahrhundert in Preußen, in: Eming, Jutta I Dies. I Ulbrich, Claudia (Hg.): Historische Inzestdiskurse. Interdisziplinäre Zugänge, KönigsteiniTaunus 2003, S. 161 - 188.

Einleitung

13

gang, der sich der Untersuchung sozialer Praxis über den Umgang mit und die Verortung von violentia in einem spezifischen historischen Kontext nähert, ist geeignet, die Tragfähigkeit gesellschaftlicher ,Konsensmodelle' zu hinterfragen. 14 In diesem Zusammenhang gewinnt ein mit den Begriffen Sprache und Gewalt allenfalls grob umrissenenes Forschungsfeld an Bedeutung. Wenn Gewalthandeln in Sprache umgesetzt oder gefasst wird, so geschieht dies einerseits meist in legitimatorischer oder delegitimatorischer Absicht. Andererseits wird insbesondere violentes Handeln nur selten direkt sprachlich ausgedrückt. Sehr viel häufiger konstatieren Historikerinnen und Historiker Sprachlosigkeit. Das gilt für die Ausübung von illegitimer Gewalt ebenso wie für den Umgang mit gewaltsamen Übergriffen und Grenzverletzungen post actum und insbesondere für die gerichtliche Auseinandersetzung mit illegitimer Violenz. Diese Beobachtung führt die Notwendigkeit vor Augen, den performativen Gehalt von Sprache und Gewalt näher zu betrachten und in die künftige Analyse von frühneuzeitlichem Gewalthandeln einzubeziehen. 15 Gewalt ist keine anthropologische Konstante, sondern Gewalt wird gemacht. Gewalthandeln und Gewaltkonzepte sind veränderbar, dem historischen Wandel unterworfen und somit historisch und kulturell je spezifisch. Die Wahrnehmungen, Erfahrungen, Darstellungen und Imaginationen von Gewalt interagieren mit dem jeweiligen Kontext des Gewalthandeins und hängen vom Ort der Auseinandersetzung (Gericht, Kirche, Wirtshaus uvm.) ab, an dem die Frage, was als legitime bzw. nicht-legitime Gewalt anzusehen ist, verhandelt wird. Deshalb ist die Diskussion über eine Analysekategorie Gewalt in besonderer Weise geeignet, die zum Teil nebeneinander laufenden Forschungsstränge zusammenzuführen und sie füreinander und damit für die Geschichtsschreibung zur Frühen Neuzeit produktiv zu machen. Diese Diskussion anzuregen und ein Forum der Begegnungen zu schaffen, um damit längerfristige Diskussionszusammenhänge zu etablieren, war ein Ziel der 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung für Sektionen gefallen, die thematisch zum Teil weit auseinander liegen. Mit den schließlich ausgewählten sechs Sektionen haben die Veranstalterinnen versucht, das Thema Gewalt möglichst breit in den Blick zu nehmen und auch ältere und jüngere Forschungstraditionen und Forschungsansätze miteinander ins Gespräch zu bringen. Selbstverständlich gibt es hier Lücken, und auch diese werden im vorliegenden Band dokumentiert. So waren wichtigen Forschungsfeldern wie beispielsweise Religion und Gewalt 16 oder Gewalt und Ge13 In diese Richtung weisen Studien etwa zu Verwandtschaft und sexueller Gewalt. Vgl. dazu Jarzebowski, Claudia: Inzest. Verwandtschaft und Sexualität im 18. Jahrhundert. (Diss. FU Berlin 2004), Köln 2005 (i. D). 14 Vgl. hierzu die Einführung von Hans Medick in diesem Band. 15 In diesem Zusammenhang kann auf die geplante Tagung "Blutige Worte"- Kolloquium zum Verhältnis von Sprache und Gewalt in Mittelalter und Früher Neuzeit, die 2006 an der FU Berlin, veranstaltet von Jutta Eming, Claudia Jarzebowski und Claudia Ulbrich, stattfinden soll, verwiesen werden. 16 Vgl. dazu Greyerz, Kaspar von: Religion und Gewalt im 15.- 18. Jahrhundert. Konflikte, Rituale, Deutungen. Göttingen 2005 (i. D.).

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Einleitung

schlecht 17 keine eigenen Sektionen gewidmet, doch beide Themenbereiche wurden in andere Sektionsthemen und Beiträge integriert. Da die Sektionsleiterinnen und Sektionsleiter die von ihnen geleiteten Sektionen in diesem Band jeweils einführend knapp vorstellen, wird auf die ausführliche Vorstellung der Beiträge verzichtet. Es ist deutlich geworden, dass die Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen einer Analysekategorie Gewalt für die Frühe Neuzeit, die durch die hier zu dokumentierende Tagung neue Anregungen erhalten hat, keineswegs abgeschlossen ist. Den zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern der Tagung sei an dieser Stelle unser Dank ausgesprochen. Das große Engagement vieler Studierender und der Mitarbeiterinnen des Arbeitsbereichs Frühe Neuzeit am Friedrich MeineckeInstitut der FU Berlin hat ganz wesentlich zum Gelingen der Tagung beigetragen. Die Durchführung wurde in großzügiger Weise finanziell unterstützt von der DFG, der FU Berlin sowie den Verlagen, die in der Tagungsbroschüre geworben haben. Der vorliegende Band ist mit der finanziellen Unterstützung der Emst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der FU Berlin sowie der Aleksandra-Stiftung Neunkirchen-WeHesweiler zustande gekommen, denen wir auf diesem Weg recht herzlich danken. Ebenso danken wir den Sektionsleitern und Sektionsleiterinnen, den Autorinnen und Autoren sowie dem Verlag Duncker & Humblot für die reibungslose Zusammenarbeit. Dank gebührt darüber hinaus der redaktionellen Bearbeiterin des Bandes, Dr. Karin Schweißgut, sowie Yvonne Aßmann. Claudia Ulbrich Claudia Jarzebowski Michaela Hohkamp

17 Die aktuelle Ausgabe von Gender & History ist als Themenheft unter dem Titel ,Violence' im November 2004 (Vol. 16/3 (2004) erschienen. Besonders sei hier auf den einleitenden, theoretisch ausgerichteten Beitrag von D'Cruze, Shani/ Rao, Anupama: Violence and the Vulnerabilities of Gender; S. 495 - 512, verwiesen. Als neuere Publikation zu Gewalt in Geschlechterbeziehungen: Nolde, Dorothea: Gattenmord. Macht und Gewalt in der frühneuzeitlichen Ehe. Köln 2003. Vgl. als Abriss zu gewesenen, laufenden und künftigen Themen der Geschlechterforschung Lenz, I!se: Neue Frauenbewegung, Feminismus und Geschlechterforschung. In: Fritzsche, Bettina/Nagoda, Claudia/Schäfer, Eva (Hg.): Geschlechterverhältnisse im sozialen Wandel. Opladen 2002. Zentral für die Entwicklung und Konzeptionalisierung von Gewalt nach der Dekonstruktivismusdebatte ist nach wie vor Hacker, Hanna: Gewalt ist: keine Frau. Der Akteurin oder eine Geschichte der Transgressionen. Königstein im Taunus 1998.

Massaker in der Frühen Neuzeit Einleitender Beitrag zu Sektion 1

Von Hans Medick "In der Geschichte der Gewalt sind Massaker keine Seltenheit ... Sie ragen aus dem Gang der Geschichte hervor wegen ihrer Folgen, und weil sie sich dem Verständnis der Zeitgenossen und Nachfahren entziehen . . . Gewiss sind die historischen Anlässe, die Orte und Zeiten vielfältig. Opfer und Täter, Waffen und Schauplätze wechseln. Gleichwohl bleibt die Natur des Massakers ein und dieselbe. Sein Ziel ist restlose Zerstörung. Das Massaker ist kollektive Gewalt an Wehrlosen. Sie können weder fliehen noch Widerstand leisten. Die Gewalt genießt absolute Freiheit."1 Diese prägnante Äußerung des Soziologen Wolfgang Sofsky charakterisiert Massaker als eine besondere Form "reiner", extremer und einseitiger kollektiver Gewalt. Sie betont ihre Wiederholbarkeit in der Geschichte und zugleich ihre unveränderliche "Natur" als ein Gewaltphänomen von besonderer Dynamik, in dem sich der "kollektive Aktionsexzess" aus den politischen, sozialen und kulturellen Bedingungszusammenhängen und Ordnungsgefügen herauslöst. Sofskys Charakterisierung ist einprägsam und anregend, aber letztlich doch unhistorisch, da sie Geschichte als bloße Beispielsammlung zur Sprache bringt. Allerdings wendet er sich zu Recht gegen eine Lesart der Geschichte der Gewalt, welche von deren erfolgreicher politisch-staatlicher Zähmung in der Periode der Frühen Neuzeit und Neuzeit ausgeht. Aus der Perspektive der Massakererfahrungen am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, von Srebrenica bis Ruanda und Sudan, sind Massaker keineswegs mehr als Sache einer frühneuzeitlichen oder neuzeitlichen Vergangenheit abzutun. Aber sind es die immergleichen Massaker, von denen hier die Rede ist? Hat sich die handgreifliche Dimension der Tötungsgewalt, welche die Praxis frühneuzeitlicher Massaker bestimmte, nicht aufgrund der Fortschritte der Waffen- und Tötungstechnologie verändert? Solche Fragen zeigen, wie nötig es ist, Massaker als historische Kategorie auszuarbeiten und das Phänomen selbst zu historisieren. Jedenfalls erscheint es fragwürdig- wie Sofsky es tut -, Massaker als einen jederzeit möglichen Rückfall der menschlichen Gewaltnatur in den ursprünglichen Natur-Zustand eines "Brüderbunds der DeI

Sofsky, Wolfgang, Traktat über die Gewalt. Frankfurt 1996, S. 176.

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Hans Medick

struktion" zu betrachten und von daher auf eine immergleiche "Natur" des Massakers zu schließen. Die Perspektive, die den folgenden Beiträgen zugrunde liegt, geht von anderen Prämissen aus. So wird versucht, die Gewaltpraktiken und -abläufe, die Wahrnehmungen und Deutungen frühneuzeitlicher Massakerereignisse nicht als Folge der autonomen Dynamik eines "kollektiven Aktionsexzesses" zu erklären, sondern sie in den unterschiedlichen politischen, sozialen und kulturellen Bedingungszusammenhängen zu untersuchen, aus denen heraus sie jeweils entstanden. In den Massakerereignissen und den Gewaltpraktiken, aber auch den Vorstellungen, die sie prägten, waren diese Kontexte jeweils auf spezifische Weise präsent. Dies gilt schon für die Herkunft des Begriffs "Massaker" und die mit ihm verbundene, bleibende Bedeutung einer einseitig-extremen Form von Gewaltanwendung, in der eine relativ schutzlose Gruppe von Menschen von anderen Menschen niedergemacht und getötet wird, von Gewalttätern, welche über die Machtmittel verfügen, tödliche Gewalt anzuwenden, ohne sich dabei selbst zu gefährden. Diese bis heute bleibende Bedeutung des Begriffs bildete sich zuerst um die Mitte des 16. Jahrhunderts in der konfessionellen Bürgerkriegssituation Frankreichs neu heraus. War "massacre" bis zu dieser Zeit gleichbedeutend mit einem Metzgertisch bzw. einer Schlachtbank, auf dem ein Metzgerbeil, "Je massacreur", zur Anwendung kam, so wurde der ursprünglich mit dem "Abschlachten" von Tieren verbundene Begriff in der konfessionellen Bürgerkriegssituation Frankreichs seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in spezifischer Weise "vermenschlicht" und mit umfassender Bedeutung aufgeladen. 2 Er wurde auf das gewalttätige und blutige Abschlachten von Menschen, vor allem aus religiösen Gründen, übertragen, etwa wenn in einer calvinistischen Flugschrift "Histoire memorable de Ia presecution et sagaccement du peuple de Merindol et Cabrieres et autres circonvoisins appelez Vaudois" 1556 von dem "massacre" gesprochen wird, das die Richter des Parlaments von Aix en Provence einige Jahre zuvor an den Waldensischen Brüdern vollzogen hätten 3 . Doch den folgenden Beiträgen geht es nicht um die spezifische frühneuzeitliche Ursprungs-, Bedeutungs- und Diskursgeschichte von "Massaker" als einem Begriff, der seit dem Ende des 16. Jahrhunderts aus dem Französischen in die Sprachen Europas4 und der Welt migrierte. Im Deutschen wurde "Massacre" erst seit dem Ende des 17. Jahrhunderts fassbar5 , fand aber erst im 18. Jahrhundert all2 Vgl. die Bemerkungen und Belege bei Greengrass, Mark: Hidden Transcripts. Secret Histories and Personal Testimonies of Religious Violence in the French Wars of Religion. In: Levene, Mark I Roberts, Penny (Hg.): The Massacre in History. New York I Oxford 1999, S. 69-88, hier S. 69 f. und S. 85. 3 Greengrass, !999 , S. 69, S. 85. 4 Im Englischen ist der Begriff "massacre" terminologisch wie vom historischen Bezug her als Lehnwort aus dem Französischen erstmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts nachweisbar, etwa in Christopher Marlowes auf die Ereignisse der Bartholomäusnacht bezogenen Tragödie "The Massacre at Paris" 1593194.

Massaker in der Frühen Neuzeit

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gemeinere Verbreitung, so z. B. 1739 in Zedlers Universal-Lexikon mit einem kurzen Eintrag als "Massacre". Aber auch dort blieb es ein französisches Lehn- oder Fremdwort, das i.S. von "Blut-Bad oder grausames Niederhauen der Menschen" verstanden wurde6 . Auch während des 19. Jahrhunderts "bürgerte" sich der Begriff "Massaker" nicht im deutschen Sprachgebrauch ein. 7 Es blieb bis ins dritte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hinein beim als französisches Fremdwort gekennzeichneten Begriff "Massacre"8 , aber auch dann in eher seltener Verwendung. Es muss jedenfalls aus der Retrospektive vom Anfang des 21. Jahrhunderts als signifikantes Paradox erscheinen, dass im Unterschied zum Französischen und Englischen im Deutschen - auch im "Zeitalter der Extreme" (Eric Hobsbawm) des 20. Jahrhunderts - die Beteiligung staatlicher Instanzen und militärischer Formationen an Massakern auch im Begriff au·"geblendet blieb und das Massaker eher mit dem "bethlehemitischen Kindermord" 9 in Verbindung gebracht wurde als mit massenhafter, gewaltsamer Tötung von wehrlosen Menschen in der je eigenen Gegenwart. Von daher leuchtet es ein, dass es im Folgenden weniger um Begriffsgeschichte und zeitgenössische Diskurse geht als um die ernste Sache des Themas "Massaker" selbst, aber auch um die Möglichkeiten, sich ihr mithilfe unterschiedlicher methodischer Ansätze als einem Thema frühneuzeitlicher Geschichtswissenschaft anzunähern: An vier Fallbeispielen werden zwei europäische und zwei außereuropäische Massakersituationen vorgestellt. Zunächst beschäftigt sich der Beitrag von Peter Bursehel ",es muss ja ein Unterschied sein'. Das Massaker von Frankenhausen" mit einer Schlüsselepisode des mitteleuropäischen Bauernkriegs von 1525, der sog. Schlacht von Frankenhausen. Peter Bursehel geht es dabei weniger um eine Nahsicht auf die Gewaltereignisse selbst als um die Untersuchung der Logik und Rechtfertigung der herrschaftlich geübten physischen Gewalt, die in diesem Ereignis demonstrativ an Wehrlosen praktiziert wurde. Der zweite Beitrag des französischen Historikers Denis Crouzet stammt von einem vielfach ausgewiesenen Experten für die Geschichte religiöser und politischer Gewalt im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Er hat zwei substans Z. B. im Titel der Flugschrift: Eigentlicher Bericht wegen des in der Stadt Mosskau am 15 I 16 und 17 May Anno 1682 entstandenen greulichen Tumults und grausahmen Massacre: wie auch der augenscheinlichen Lebensgefahr ... verfallen, Harnburg 1682. 6 Artikel Massacre, in: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 19, Leipzig 1739, Sp. 1954. 7 In der ersten Auflage des Brockhausschen "Conversations-Lexikon" von 1846 kommt der Begriff "Massacre" nicht vor, erst in der 13. Auflage: Conversations-Lexikon. Allgemeine detusche Real-Enzyklopädie, Leipzig 1885, Bd. II, S. 508 findet sich ein Eintrag