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German Pages 177 [178] Year 2021
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Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung
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Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg.) Band 26
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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von
Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. Universitätsprofessor, Universität Bonn
Volker Butzke Rechtsanwalt, Frankfurt/Main
Prof. Dr. Ingo Drescher Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe
Prof. Dr. Christoph Knauer Rechtsanwalt, München
Dr. Eberhard Schollmeyer, LL.M. Ministerialrat, Leiter des Referats Europäisches Gesellschaftsrecht, Konzernrecht, Recht der Umstrukturierung, Personengesellschaftsrecht im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Berlin
Dr. Andreas Spahlinger Rechtsanwalt, Stuttgart
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62726-3 ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany
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Vorwort Am 6. November 2020 fand die 23. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung statt. Der vorliegende 26. Band der VGR-Schriftenreihe enthält die Referate und Diskussionsberichte dieser Veranstaltung. In diesem Jahr stand die Tagung ganz unter dem Einfluss der Corona-Pandemie. Das betraf leider nicht nur den inhaltlichen Teil, sondern auch den äußeren Rahmen. Anders als zunächst erhofft musste unsere Jahrestagung zum ersten (und hoffentlich einzigen) Mal rein virtuell durchgeführt werden. Der einzige Vorteil dieses Formats war, dass die Teilnehmerzahl nicht durch die Räumlichkeiten vor Ort begrenzt wurde. Insgesamt nahmen ca. 600 am Gesellschafts- und Unternehmensrecht Interessierte an der Tagung online teil. Wie jedes Jahr hatten sich Vorstand und Beirat bemüht, aktuelle Themen aus den verschiedenen Bereichen des Unternehmensrechts zu finden und dafür hoch qualifizierte Referenten zu gewinnen. In guter Tradition stand zu Beginn der Tagung ein Überblick über die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH durch den Vorsitzenden des II. Zivilsenats, Prof. Dr. Ingo Drescher. Zwei der vorgestellten Entscheidungen betrafen Personengesellschaften, drei GmbH und vier Aktiengesellschaften, davon zwei Verwaltungsrechte des Insolvenzverwalters. Es folgte ein Überblick über die Reform des Personengesellschaftsrechts. Der im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz für dieses wichtige Gesetzgebungsvorhaben zuständige Ministerialrat Dr. Eberhard Schollmeyer gab dazu aus erster Hand einen konzisen Über- und Einblick in die Reformziele und die wichtigen Umsetzungsmaßnahmen des in Arbeit befindlichen Entwurfs. Corona-bedingt haben viele börsennotierte Gesellschaften im Jahr 2020 Erfahrungen mit rein virtuellen Hauptversammlungen gesammelt. Die Rechtsgrundlagen dafür wurden im März 2020 angesichts von Lockdown und Versammlungsbeschränkungen innerhalb weniger Tage erarbeitet und in Kraft gesetzt. Über die Erfahrungen aus der ersten Corona-Hauptversammlungssaison und die Möglichkeiten, de lege ferenda in der Post-Corona-Zeit die virtuelle Hauptversammlungsteilnahme und
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Vorwort
Ausübung von Aktionärsrechten zu verbessern und die Hauptversammlung effizienter zu gestalten, referierte Rechtsanwalt Volker Butzke. Es folgte ein weiteres Corona-spezifisches Thema: Rechtsanwalt Dr. Andreas Spahlinger erläuterte die im Rahmen der COVID-19-Gesetzgebung neu geschaffenen Möglichkeiten zur Rettung von Unternehmen in der Krise. Thematisch blieben wir zunächst noch bei der wirtschaftlichen Krise von Unternehmen und befassten uns mit der Haftung des Geschäftsführers insbesondere in dem Fall, dass die Rettungsversuche nicht erfolgreich waren. Hierzu stellte Prof. Dr. Moritz Brinkmann von der Universität Bonn die Pflichten des Geschäftsführers in der Krise und die an eine Verletzung anknüpfenden Haftungstatbestände vor, wie sie durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) einschließlich der darin enthaltenen Schaffung eines außergerichtlichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (StaRUG) neu geschaffen oder verändert wurden. Den Abschluss der Tagung bildete mit dem Unternehmensstrafrecht ein weiteres, im Jahr 2020 deutlich voran getriebenes und für Unternehmen wichtiges Gesetzgebungsvorhaben. Rechtsanwalt Prof. Dr. Christoph Knauer hatte sich kurzfristig bereit erklärt, anstelle der krankheitshalber verhinderten Rechtsanwältin Dr. Simone Kämpfer in den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft einzuführen und dabei besonders auf die für Unternehmensjuristen und ihre Berater wichtigen Neuerungen einzugehen. Zu jedem der Referate fand eine teilweise kontroverse Diskussion statt, die in den Diskussionsberichten im Anschluss an den jeweiligen Vortrag zusammengefasst ist. Alle Beiträge sind zudem bei juris online – im Partnermodul Handelsund Gesellschaftsrecht premium, im Zusatzmodul Hochschulen und im Modul VGR – powered by juris online abrufbar. VGR-Mitglieder, die ihre Zugangsdaten verlegt oder nicht präsent haben sollten, können sich an den Vertrieb des Verlags Dr. Otto-Schmidt (Tel.: (0221) 93738-998; E-Mail: [email protected]) wenden.
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Vorwort
Vorstand und Beirat der VGR danken allen, die zum Gelingen der 23. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern, den Verfassern der Diskussionsberichte sowie Frau Heike Wieland, in deren Händen auch in diesem Jahr die Vorbereitung und Organisation der Tagung lag und die die Hauptlast der kurzfristigen Umstellung von der bewährten Präsenzveranstaltung auf eine rein virtuelle Tagung zu tragen hatte. München, im Februar 2021 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Jochen Vetter
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Inhalt* Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Ingo Drescher Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH . . . .
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I. Auszahlung des Abfindungsguthabens an aus GmbH & Co. KG ausscheidenden Kommanditisten in der Insolvenz, Urt. v. 28.1.2020 – II ZR 10/19, BGHZ 224, 235 . . . . . . . . . . . . .
1
II. Erfüllungseinwand des haftenden Kommanditisten, Urt. v. 21.7.2020 – II ZR 175/19, NZG 2020, 1149 . . . . . . . . . . .
3
III. Ausschluss ohne Einziehung, Urt. v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, GmbHR 2020, 1118 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
IV. Insolvenzplan und Fortsetzungsbeschluss, Beschl. v. 14.1.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
V. Vorauszahlung auf debitorisches Konto, Urt. v. 11.2.2020 – II ZR 427/18, GmbHR 2020, 587 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Firmenänderung durch Insolvenzverwalter, Beschl. v. 26.11.2019 – II ZB 21/17, AG 2020, 215 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Befugnis des Insolvenzverwalters zur Nichtigkeitsfeststellungklage, Urt. v. 21.4.2020 – II ZR 412/17, AG 2020, 545 . . .
8
VIII. Konzernrechtliche Haftungsansprüche und besonderer Vertreter, Urt. v. 30.6.2020 – II ZR 8/19, AG 2020, 744 . . . . . .
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IX. Ergänzung der Tagesordnung, Urt. v. 14.7.2020 – II ZR 255/18, NZG 2020, 1106 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Monika Taube Bericht über die Diskussion des Referats Drescher . . . . . . . . . . . . . . .
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* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.
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Inhalt Seite
Dr. Eberhard Schollmeyer, LL.M. Reform des Personengesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung: Stand des Reformprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Reformziele und ihre Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Schlussbemerkung: Wie geht es weiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Lennart Göbel Bericht über die Diskussion des Referats Schollmeyer . . . . . . . . . . . .
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Volker Butzke Die virtuelle Hauptversammlung – Notfalllösung mit Zukunftsperspektive? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ein kurzer Blick zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. COVID-19 und die HV-Saison 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Praktische Umsetzung in der Hauptversammlungs-Saison 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Zukunftsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Astrid Keinath Bericht über die Diskussion des Referats Butzke . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Andreas Spahlinger, Maître en Droit Rettung von Unternehmen in der Corona-Krise . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ziel, Vorgaben und Handlungsmöglichkeiten, notwendige Gesamtkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Vorübergehende Liquiditätshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Vorübergehende Erleichterungen im Insolvenzrecht und sonstige vorübergehende rechtliche Unterstützungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Nachhaltige Sicherung oder Wiederherstellung der Fortführungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Florian Kienast Bericht über die Diskussion des Referats Spahlinger . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Die Haftung der Geschäftsleitung in den verschiedenen Stadien der Krise im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 VI. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Dr. Theresa Lauterbach Bericht über die Diskussion des Referats Brinkmann . . . . . . . . . . . . . 114 Prof. Dr. Christoph Knauer Unternehmensstrafrecht – der aktuelle Stand des Verbandssanktionengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 II. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 III. Interne Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Dr. Florentine Schulte-Rudzio Bericht über die Diskussion des Referats Knauer . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH Prof. Dr. Ingo Drescher Vorsitzender Richter am BGH, Karlsruhe Rz.
Rz. VI. Firmenänderung durch Insolvenzverwalter, Beschl. v. 26.11.2019 – II ZB 21/17, AG 2020, 215 . . . . . . . . . . . .
23
VII. Befugnis des Insolvenzverwalters zur Nichtigkeitsfeststellungklage, Urt. v. 21.4.2020 – II ZR 412/17, AG 2020, 545 . . . . . . . . . . . .
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VIII. Konzernrechtliche Haftungsansprüche und besonderer Vertreter, Urt. v. 30.6.2020 – II ZR 8/19, AG 2020, 744 . . . . . . . . . . . .
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IV. Insolvenzplan und Fortsetzungsbeschluss, Beschl. v. 14.1.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 . . . . . . . .
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IX. Ergänzung der Tagesordnung, Urt. v. 14.7.2020 – II ZR 255/18, NZG 2020, 1106 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Vorauszahlung auf debitorisches Konto, Urt. v. 11.2.2020 – II ZR 427/18, GmbHR 2020, 587 . . . . . . . .
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I. Auszahlung des Abfindungsguthabens an aus GmbH & Co. KG ausscheidenden Kommanditisten in der Insolvenz, Urt. v. 28.1.2020 – II ZR 10/19, BGHZ 224, 235.
1
II. Erfüllungseinwand des haftenden Kommanditisten, Urt. v. 21.7.2020 – II ZR 175/19, NZG 2020, 1149 . . .
7
III. Ausschluss ohne Einziehung, Urt. v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, GmbHR 2020, 1118 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Auszahlung des Abfindungsguthabens an aus GmbH & Co. KG ausscheidenden Kommanditisten in der Insolvenz, Urt. v. 28.1.2020 – II ZR 10/19, BGHZ 224, 235 Sachverhalt:
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Der Kläger war an der Schuldnerin, einer GmbH & Co. KG beteiligt, ebenso an der Komplementär-GmbH. Sein Geschäftsanteil wurde 2007 einge-
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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
zogen, was gesellschaftsvertraglich sein Ausscheiden aus der Schuldnerin zur Folge hatte, das 2008 im Handelsregister eingetragen wurde. Das Abfindungsguthaben ist nach dem Gesellschaftsvertrag in zehn Jahresraten zu zahlen. 2 2009 erhob der Kläger Klage auf Zahlung der gesamten Abfindung. Im Lauf des Berufungsverfahrens wurde 2015 über das Vermögen der Schuldnerin und der Komplementärin das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Berufungsgericht hat die Abfindungsforderung als nachrangige Insolvenzforderung nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zur Tabelle festgestellt. Der Kläger will eine Feststellung als Insolvenzforderung. 3 Rechtliche Würdigung: Bei der Abfindung des Klägers als Kommanditist sind die Haftungsregeln der §§ 171 ff. HGB zu berücksichtigen. Mit dem Ausscheiden haftet der Kommanditist nur noch für Verbindlichkeiten, die bis dahin begründet sind. Insoweit führte eine Abfindungszahlung zum Wiederaufleben der Haftung gegenüber den Altgläubigern. Die Gläubiger von Altverbindlichkeiten müssen aus diesem Grund dem Kommanditisten vorgehen. Dem Kläger gingen aber keine Altgläubiger mehr vor. Die Fünfjahresfrist der Nachhaftung war bei Insolvenzeröffnung bereits abgelaufen und nicht ersichtlich, dass noch Altverbindlichkeiten bestanden. Gegenüber Neuverbindlichkeiten hat der ausgeschiedene Kommanditist keine Sonderstellung, daher ist seine Abfindungsforderung insoweit eine normale Insolvenzforderung. 4 Anders ist die Rechtslage aber bei einer GmbH & Co. KG. Hier ist § 30 Abs. 1 GmbHG auch bei Auszahlungen an den Kommanditisten zu beachten; der Kläger war zudem Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Die Grundsätze der Kapitalerhaltung gelten auch beim Ausscheiden, wie § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG für den Fall der Einziehung zeigen. Maßgebender Zeitpunkt für den Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG ist dabei der Zeitpunkt der Zahlung. Die Gesellschafterstellung muss aber nur bei Begründung des Anspruchs bestehen, und begründet wird der Abfindungsanspruch mit dem Ausscheiden. 5 Der Abfindungsanspruch wird nicht ein Jahr nach Ausscheiden entsprechend § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO frei, weil Eigenkapital und eigenkapitalersetzendes Fremdkapital unterschiedlich zu behandeln sind. Die Ratenzahlungsvereinbarung für die Abfindung führt nicht zur Anwendung von
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§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG, weil sie statutarisch vereinbart und daher keine Darlehensgewährung ist. Da damit die Abfindungsforderung wie Stammkapital nach § 30 GmbHG 6 gebunden ist, ist sie weder Insolvenzforderung noch nachrangig nach § 39 Abs. 1 InsO, sondern erst bei Schlussverteilung zu berücksichtigen, § 199 InsO.
II. Erfüllungseinwand des haftenden Kommanditisten, Urt. v. 21.7.2020 – II ZR 175/19, NZG 2020, 1149 7
Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer Schiffsfondsgesellschaft in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft. Die Beklagte, die mit einer Einlage von 50.000 t als Kommanditistin an der Schuldnerin beteiligt ist, erhielt nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen i.H.v. insgesamt 18.500 t. Im Rahmen eines Sanierungsprogramms zahlte die Beklagte 7.500 t an die Schuldnerin zurück. Der Kläger verlangt von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr der geleisteten Kommanditeinlange die noch offene Differenz i.H.v. 11.000 t.
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Rechtliche Würdigung: Zur Individualisierung der Gläubigerforderungen bei der Klage des Insolvenzverwalters nach § 171 Abs. 2 HGB gegen die Kommanditisten genügt die Bezugnahme auf eine Insolvenztabelle mit festgestellten Forderungen. Zur Darlegung genügt die Behauptung der festgestellten Forderungen, die Vorlage einer Ausfertigung wäre Beweis.
Der Kommanditist kann aber einwenden, dass die Gläubigerforderungen 9 durch Zahlungen anderer Kommanditisten erfüllt sind. Der Insolvenzverwalter ist nach § 171 Abs. 2 HGB gesetzlicher Prozessstandschafter der einzelnen Gläubiger. Die durch den Insolvenzverwalter eingezogenen Forderungen bleiben aber Ansprüche dieser Gläubiger, so dass die Zahlung eines Kommanditisten als Gesamtschuldner die Erfüllungswirkung nach § 422 Abs. 1 BGB hat. Daher ist es für die Haftung des Kommanditisten unerheblich, ob der Insolvenzverwalter die eingeworbene Mittel an die Gläubiger ausgekehrt oder anderweitig verwendet hat.
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III. Ausschluss ohne Einziehung, Urt. v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, GmbHR 2020, 1118 10
Sachverhalt: Die Klägerin und die Nebenintervenientin der beklagten GmbH sind deren Gesellschafter. Bei einer Kapitalerhöhung wurden neue Geschäftsanteile gebildet, die die Klägerin und die Nebenintervenientin jeweils übernahmen. Ein Teil der neuen Einlage wurde sofort fällig gestellt und eingezahlt, ein weiterer sollte nach Aufforderung erbracht werden. Die Klägerin zahlte die Resteinlage nach mehrfacher Aufforderung nicht. Der Gesellschaftsvertrag erlaubt den Ausschluss eines Gesellschafters, wenn er mit der Einzahlung des vertraglich geschuldeten Gesellschaftskapitals oder einer vertraglich vereinbarten Kapitalerhöhung ganz oder anteilig länger als drei Monate in Verzug ist und ungeachtet einer nochmaligen Zahlungsaufforderung binnen eines weiteren Monates nicht leistet. Die Nebenintervenientin beschloss den Ausschluss, die Klägerin erhob Anfechtungsklage.
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Rechtliche Würdigung: Der BGH hat bereits entschieden, dass die Ausschließung bei vollständig gezahlter Einlage ohne gleichzeitigen Beschluss über die Verwertung des Geschäftsanteils möglich ist (BGHZ 32, 17). Aber auch bei nicht vollständig geleisteter Einlage ist die Ausschließung möglich, ohne gleichzeitig über die Verwertung des Geschäftsanteils zu beschließen. Allerdings kann nur ein vollständig eingezahlter Geschäftsanteil eingezogen werden. Vor der Fälligstellung der Einlage ist die Einziehung nicht zulässig, weil der Gesellschafter nach § 19 Abs. 2 GmbHG nicht von der Einlageschuld befreit werden darf, was bei der Einziehung durch die Vernichtung des Geschäftsanteils geschähe. Nach der Fälligstellung ist sie auch nicht möglich. Zwar haftet der Gesellschafter nach Fälligkeit trotz der Einziehung weiterhin und wird damit nicht von der Einlageschuld befreit. Aber nach der Einziehung kann der Geschäftsanteil nicht mehr anderweitig verwertet werden, so dass nur die Haftung des betroffenen Gesellschafters bliebe und die Kapitalaufbringung gefährdet wäre. Eine Verwertung des Geschäftsanteils ist aber auch ohne Einziehung möglich, etwa durch Abtretung an Gesellschafter oder Dritten, jedenfalls wenn sie wie hier im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist. Daher ist die Kapitalaufbringung durch einen isolierten Ausschlussbeschluss nicht gefährdet und die Ausschließung gleichzeitigen Verwertungsbeschluss möglich.
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IV. Insolvenzplan und Fortsetzungsbeschluss, Beschl. v. 14.1.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 12
Sachverhalt: Die Antragstellerin ist eine eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die über eine gewerberechtliche Erlaubnis zur Ausübung des Bewachungsgewerbes verfügt und über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Sie war Komplementärin einer GmbH & Co. KG, über deren Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Kommanditgesellschaft wurde nach Bestätigung eines Insolvenzplans fortgesetzt und der Auflösungsvermerk im Handelsregister gelöscht.
Der vom AG bestätigte Insolvenzplan der GmbH enthielt u.a. eine Rege- 13 lung, nach der die Schuldnerin dadurch von ihren Schulden befreit werden sollte und ihr die grundsätzliche Möglichkeit gegeben werden sollte, entsprechend ihres Geschäftszwecks weiterhin werbend tätig zu sein. Der Plan ziele auf einen schnelleren Abschluss, weil nur dadurch die Auftraggeber langfristig an die dazu gehörige Kommanditgesellschaft gebunden bzw. neue Auftraggeber nachhaltig gewonnen werden könnten. Das AG hob das Insolvenzverfahren und die zunächst angeordnete Über- 14 wachung der Erfüllung des Insolvenzplans auf. Die Alleingesellschafterin der Antragstellerin beschloss die Fortsetzung der Gesellschaft. Der beauftragte Notar meldete die Fortsetzung der Gesellschaft beim Handelsregister an. Das Registergericht hat die Anmeldung zurückgewiesen. 15
Rechtliche Würdigung: Eine durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöste Gesellschaft kann nur in den in § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG genannten Fällen fortgesetzt werden, zu denen die Bestätigung eines Insolvenzplans zählt, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht. Ein Insolvenzplan sieht den Fortbestand der Gesellschaft i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bereits dann vor, wenn er die Fortführung der Gesellschaft als eine Möglichkeit darstellt, die nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens im Ermessen der Gesellschafter steht. Eine Prüfung der materiellen Fortführungsfähigkeit der Gesellschaft durch das Registergericht findet nicht statt. Die Fortsetzung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG setzt jedoch voraus, dass noch nicht mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens
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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
unter die Gesellschafter begonnen worden ist. Das Registergericht kann der Antragstellerin eine entsprechende Versicherung abverlangen. 16 Das Vorliegen von Insolvenzgründen hat das Registergericht allenfalls dann zu prüfen, wenn begründete Zweifel im Hinblick auf eine Insolvenzreife bestehen. Allein die mit der Fortführung beabsichtigte Zweckänderung von einer Abwicklungsgesellschaft hin zu einer werbenden Gesellschaft ist keine wirtschaftliche Neugründung.
V. Vorauszahlung auf debitorisches Konto, Urt. v. 11.2.2020 – II ZR 427/18, GmbHR 2020, 587 17 Sachverhalt: Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH & Co. Betriebs-KG. Der Beklagte war Geschäftsführer der vormaligen Komplementärin der Schuldnerin. 18
Die Schuldnerin betrieb seit 1999 eine Charterfluglinie mit einem Streckennetz in Europa und unterhielt bei einer Bank ein Geschäftskonto, auf dem im Zeitraum vom 19.7.2010 bis 4.8.2010 Zahlungen eingingen, die mit dem jeweiligen Sollsaldo verrechnet wurden. Der Kläger focht die Verrechnung der Gutschriften gegenüber der Bank an und erreichte aufgrund eines Vergleichs die Rückzahlung von 531.804,40 t.
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Der Kläger hat mit der Klage vom Beklagten die Erstattung von Einzahlungen i.H.v. 4.000.983,23 t verlangt.
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Rechtliche Würdigung: Die Einziehung von Forderungen auf ein debitorisches Konto ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eine Zahlung i.S.d. § 130a HGB. Wird eine Forderung der Gesellschaft auf ein debitorisches Konto eingezogen, wird der künftigen Insolvenzmasse zugunsten der kontoführenden Bank die Forderung gegen den Drittschuldner entzogen. Der Einzug eines Schecks oder einer Forderung auf ein debitorisches Konto ist wirtschaftlich nicht anders zu behandeln als der Fall, dass der Geschäftsführer mit einem vom Schuldner erhaltenen Barbetrag die Forderung der Bank begleicht.
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Die Einziehung einer Vorauszahlung auf ein debitorisches Konto führt unabhängig davon, ob die auf Vorauszahlung gerichtete Forderung der Ge-
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sellschaft zugunsten der Gläubiger hätte verwertet werden können, zu einer Masseschmälerung. Es genügt, dass der Gesellschaft ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Vorauszahlenden zustand, den diese als Rechtsposition aufgibt, mithin der Gegenwert für das Geleistete aus dem Vermögen der Gesellschaft stammt. Es kommt nicht darauf an, ob die Vorauszahlungen auch bei pflichtgemäßem Verhalten in die Masse gelangt wären. Der Erstattungsanspruch entfällt durch einen anderweitigen Ausgleich, 22 der den Zweck der Ersatzpflicht erreicht. Dazu gehört auch die erfolgreiche Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter. Ob und in welchem Umfang eine Masseschmälerung nachträglich ausgeglichen worden ist, richtet sich ausschließlich danach, inwieweit bezogen auf den einzelnen Zahlungsvorgang der Zweck der Ersatzpflicht erreicht ist. Bezieht sich eine durch Insolvenzanfechtung erreichte Rückzahlung nicht auf einzelne Gutschriften, sondern auf die Saldodifferenz in einem bestimmten Zeitraum, werden die in die Saldodifferenz einfließenden Einzahlungen im Verhältnis der Saldodifferenz zur Gesamtsumme der Gutschriften, mithin zum selben Anteil ausgeglichen, wenn die Differenz die Summe der Gutschriften nicht erreicht.
VI. Firmenänderung durch Insolvenzverwalter, Beschl. v. 26.11.2019 – II ZB 21/17, AG 2020, 215 Sachverhalt:
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Der Beteiligte zu 2 ist Insolvenzverwalter in dem am 1.3.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beteiligten zu 1, einer Aktiengesellschaft. In einer notariell beglaubigten Erklärung vom 18.4.2017 meldete der Beteiligte zu 2 beim Registergericht eine Firmenänderung der Beteiligten zu 1 zur Eintragung im Handelsregister an und führte u.a. aus:
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„Kraft der mir eingeräumten Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis ändere ich die Firma der Gesellschaft ab in: ‚A. Abwicklungs AG‘ und beantrage die Eintragung dieser Firmenänderung (…).“
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Der Erklärung war eine vom Beteiligten zu 2 unterzeichnete neue Sat- 26 zung der Beteiligten zu 1 in Textform beigefügt, die eine entsprechend geänderte Firma enthielt.
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27 Das Registergericht hat die Anmeldung zurückgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich ihre vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde. 28 Rechtliche Würdigung: Der Insolvenzverwalter ist zur Veräußerung der Firma mit und ohne Nachfolgezusatz befugt. Die bisherige Firmierung darf für die insolvenzrechtliche Abwicklung firmenrechtlich weitergeführt werden, ggf. mit einem auf die Insolvenz hinweisenden Zusatz. 29 Der Insolvenzverwalter kann keine Ersatzfirma bestimmen. Eine einfache Anmeldung einer Ersatzfirma durch den Insolvenzverwalter scheidet aus, da die Firma in der Satzung verlautbart wird und sonst zwei Firmen verlautbart wären – welche gilt, wäre nicht aus Handelsregister ersichtlich. Der Insolvenzverwalter kann die Satzung nicht ändern. § 80 Abs. 1 InsO beinhaltet die Verwaltung der Masse, aber keine Befugnis zur Änderung der Firma oder anstelle der Hauptversammlung zur Änderung der Satzung. Der innergesellschaftliche Bereich unterfällt nicht der Insolvenzverwaltung. Eine Maßnahme, die ungeachtet der Zuordnung zum innergesellschaftlichen Bereich mittelbar Auswirkungen auf die Verwertung der Insolvenzmasse hat, ist einem sog. Überschneidungsoder Kooperationsbereich zuzuordnen, in dem der angestrebte Erfolg nur durch ein Zusammenwirken des Insolvenzverwalters mit dem jeweiligen Organ der Gesellschaft erreicht werden kann. Dem Insolvenzverwalter bleibt für ein Handeln ohne die Organe der Gesellschaft im Überschneidungsbereich der Insolvenzplan.
VII. Befugnis des Insolvenzverwalters zur Nichtigkeitsfeststellungklage, Urt. v. 21.4.2020 – II ZR 412/17, AG 2020, 545 30
Sachverhalt: Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der beklagten Aktiengesellschaft. Mit der Klage will sie die Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses des Jahres 2010 erreichen, der am 30.12.2011 bekannt gemacht wurde.
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Die Klage ging am 23.12.2014 bei Gericht ein und wurde den Vorständen Ende Januar/Anfang Februar 2015 und dem ersten Aufsichtsrat am 29.1.2015 zugestellt.
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Die Hauptversammlung der Beklagten hatte am 5.12.2014 den Beschluss 32 gefasst, die – bei der Versammlung abwesenden – Aufsichtsratsmitglieder abzuberufen und durch andere Personen zu ersetzen. Der Insolvenzverwalter der Alleinaktionärin unterrichtete die Klägerin hierüber mit E-Mail vom 8.12.2014. Der Abberufungsbeschluss wurde den Aufsichtsratsmitgliedern am 27. und 28.1.2015 durch den von der Hauptversammlung hierzu beauftragten Notar, dem auch die Niederschrift der Versammlung oblag, mitgeteilt. Die neu bestellten Aufsichtsratsmitglieder traten ihr Amt spätestens am 27.3.2015 an. Im April 2015 wurde eine neue Liste der Aufsichtsratsmitglieder beim Registergericht eingereicht, das die Einreichung der Liste im Juni 2015 öffentlich bekannt machte. 33
Rechtliche Würdigung: Der Insolvenzverwalter ist klagebefugt. Er hat anstelle des Vorstands im sog. Verdrängungsbereich für die Rechtmäßigkeit des Korporationshandelns zu sorgen. Daher muss die Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses die Insolvenzmasse betreffen, d.h. die Mängel müssen eine nachteilige Wirkung auf die Insolvenzmasse haben, sie also verringern. Das ist hier der Fall, weil der Fehler zu einer Gewinnausweisung führt.
Die Klagebefugnis entfällt nicht, weil der Insolvenzverwalter selbst einen 34 neuen, seiner Ansicht nach fehlerfreien Jahresabschluss erstellen kann. Die Nichtigkeitsfeststellung durch Urteil wirkt für und gegen alle, insbesondere wird damit auch der Gewinnverwendungsbeschluss nichtig, § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG. Die Neuaufstellung des Jahresabschlusses durch den Insolvenzverwalter hat diese Wirkung nicht. Die Aktiengesellschaft ist die richtige Beklagte. Die Gesellschaft ist gegenüber Klagen passivlegitimiert, die im Erfolgsfall zu Vorteilen für die Masse führen oder masseneutral sind.
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Die Aktiengesellschaft wird gegenüber der Klage des Insolvenzverwalters von Vorstand und Aufsichtsrat vertreten. Die Doppelvertretung durch Vorstand und Aufsichtsrat ist der Regelfall nach § 256 Abs. 7, § 249 Abs. 1, § 246 Abs. 2 AktG.
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Die Klage ist auch alsbald dem Aufsichtsrat zugestellt worden. Der alte 37 Aufsichtsrat war allerdings bei Klagezustellung abberufen. Zur Abberufung genügt der Abberufungsbeschluss allein zwar nicht. Der Beschluss muss dem abzuberufenden Aufsichtsrat auch mitgeteilt werden. Das ist grundsätzlich Aufgabe des Vorstands. Die Hauptversammlung darf aber
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wie hier den beurkundenden Notar zum Übermitteln bestimmen, jedenfalls wenn der Vorstand ungeeignet erscheint. Dass der Aufsichtsrat im Zeitpunkt der Zustellung bereits abberufen war, ist hier aber im Ergebnis ohne Bedeutung. Der Insolvenzverwalter durfte auf die fortbestehende Liste der Aufsichtsratsmitglieder vertrauen. § 171 Abs. 2 BGB ist auf die Vertretung durch den Aufsichtsrat analog anzuwenden, weil die Vertretungsbefugnis mit der Einreichung einer Liste der Aufsichtsratsmitglieder beim Handelsregister öffentlich bekannt gemacht wurde. Der Rechtsschein der Vertretungsmacht bleibt bis zu Listenkorrektur bestehen. Der Insolvenzverwalter ist Dritter, wenn er in die Abberufungsvorgänge nicht eingebunden ist. Eine vorherige Einsichtnahme in die Liste ist nicht erforderlich, weil die Einstellung der Liste in das Handelsregister eine öffentliche Bekanntmachung ist. 38 Hinzuweisen ist auf einen Parallelfall (Urt. v. 21.4.2020 – II ZR 56/18, AG 2020, 540 = ZIP 2020, 1118), der eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses einer KGaA betrifft: Fehlt bei einer KGaA der persönlich haftende Gesellschafter nach seinem insolvenzbedingten Ausscheiden, kann wegen Führungslosigkeit nach § 78 Abs. 1 Satz 2 AktG an den Aufsichtsrat zugestellt werden.
VIII. Konzernrechtliche Haftungsansprüche und besonderer Vertreter, Urt. v. 30.6.2020 – II ZR 8/19, AG 2020, 744 39
Sachverhalt: Die Hauptversammlung der beklagten Aktiengesellschaft beschloss, Ersatzansprüche gegen Vorstand und herrschendes Unternehmen geltend zu machen und bestimmte einen besonderen Vertreter. In einer folgenden Hauptversammlung wurde mit den Stimmen der herrschenden Aktionärin die Abberufung des besonderen Vertreters und – ohne deren Stimmen – seine erneute Bestellung beschlossen. Gegen die neue Bestellung richtet sich die Anfechtungsklage.
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Rechtliche Würdigung: Der Bestellungsbeschluss ist nicht wegen Mängeln des Geltendmachungsbeschlusses anfechtbar. Der Geltendmachungsbeschluss als anfechtbarer Beschluss ist bis zur Nichtigerklärung als wirksam zu behandeln, sofern er nicht nichtig ist. Er ist aber nicht wegen Unbestimmtheit nichtig, wenn der geltend zu machende Anspruch hinreichend indivi-
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dualisiert ist. Dazu genügt es, dass der Lebenssachverhalt unterscheidbar beschrieben ist. Der Geltendmachungsbeschluss ist auch nicht wegen einer Überschreitung der Kompetenzen der Hauptversammlung nichtig. Konzernrechtliche Ansprüche nach § 317 AktG gegen ein herrschendes Unternehmen können nach § 147 AktG geltend gemacht werden.
IX. Ergänzung der Tagesordnung, Urt. v. 14.7.2020 – II ZR 255/18, NZG 2020, 1106 41
Sachverhalt: Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Die Klägerinnen sind Aktionäre der Beklagten. Auf ein Einberufungsverlangen der Klägerin zu 2 lud der Vorstand der Beklagten zur Hauptversammlung auf den 29.7.2016 ein. Am 30.6.2016 verlangte der Nebenintervenient zu 2 die Ergänzung der Tagesordnung um die Beschlussfassung über Sonderprüfungen. Zwei Wochen später beantragte er beim AG die Ermächtigung zur Veröffentlichung der ergänzten Tagesordnung. Mit Beschluss des AG vom 21.7.2016 wurde der Nebenintervenient zu 2 zu Ergänzung ermächtigt. Am 25.7.2016 wurde die Ergänzung der Tagesordnung im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Teilnahmebedingungen sahen vor, dass spätestens am 25.7.2016 eine Stimmkarte beantragt und Aktien hinterlegt sein mussten. Die Klägerinnen fechten den Beschluss zu Sonderprüfungen an.
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Rechtliche Würdigung: Die Ergänzung der Tagesordnung wurde zu spät bekannt gemacht. Die Pflicht, Tagesordnung mit der Einberufung bekannt zu machen, dient der sachgerechten zeitigen Information der Aktionäre. Die Informationspflicht gilt auch bei einer Ergänzung der Tagesordnung.
Bei einer börsennotierten Gesellschaft ist der Nachweisstichtag der spä- 43 teste Bekanntmachungszeitpunkt, daher ist der späteste Antragszeitpunkt für den Ergänzungsantrag 30 Tage vor der Hauptversammlung. Bei nichtbörsennotierter Gesellschaft taugt der Nachweisstichtag als zeitliche Grenze der Bekanntmachung nicht, da das Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG erst 24 Tage und nicht 30 Tage vor der Hauptversammlung eingehen muss und eine Veröffentlichung der ergänzten Tagesordnung nach sachgerechter Prüfung durch den Vorstand vor dem Nachweisstichtag in einem solchen Fall nicht möglich ist. Teil-
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weise wird für die nichtbörsennotierte Gesellschaft eine entsprechende Berechnung mit 9 Tagen Prüfungszeit vorgenommen und der späteste Bekanntmachungszeitpunkt auf 15 Tage vor der Hauptversammlung bestimmt. Der BGH hat das offengelassen. Jedenfalls ist die Bekanntmachung am letzten Anmeldetag zu spät. 44 Der Fehler war für die Beschlussfassung relevant. Es liegt kein atypischer Sonderfall und kein Rechtsmissbrauch durch den Mehrheitsaktionär vor. Die Minderheit, die den Ergänzungsantrag gestellt hat, ist ausreichend geschützt: die gerichtliche Ermächtigung zur Bekanntmachung der Ergänzung der Tagesordnung gilt ohne neues Verfahren für die nächste Hauptversammlung fort. Die Minderheit, die das Quorum des § 122 Abs. 1 AktG erreicht, kann außerdem eine weitere Hauptversammlung für ihren Ergänzungsantrag verlangen und sich dazu bei Weigerung des Vorstands eine Ermächtigung besorgen.
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Bericht über die Diskussion des Referats Drescher Dr. Monika Taube Richterin am AG, Bonn/Karlsruhe Der Diskussionsleiter W. Bayer dankte Drescher für das Referat und eröffnete die Diskussion.
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W. Bayer (Universität Jena) bezog sich auf die Entscheidung vom 2 4.8.20201 und merkte an, es gebe für den Fall, dass ein Gesellschafter ausgeschlossen werde, obwohl die Einlage noch nicht vollständig geleistet sei, die Kaduzierung. Er fragte, warum man den zweiten Weg (über die Ausschließung) gehen müsse. Drescher erwiderte, dass man durchaus nach dem Warum fragen könne, die Gesellschafter diesen Weg in der Satzung aber vereinbart hätten. W. Bayer fragte, ob kein Vorrang der Kaduzierungsregelungen vor den Vorschriften über die Ausschließung gesehen werde. Drescher antwortete, dass die Ausschließung möglich sei, wenn sie in Satzung vereinbart worden sei. Er habe insoweit keine Bedenken. D. Könen (Universität Köln) nahm zu dem Urteil vom 14.1.20202 Stel- 3 lung. Er meinte, die Entscheidung des Senats zu § 60 GmbHG, müsse konsequenterweise auch zu § 42 BGB gelten. Er fragte, ob das bedeute, dass das Insolvenzgericht auch die komplette Vereinsklassenabgrenzung durchzuführen habe. Er stellte die weitere Frage, inwieweit durch die Feststellung der Fortsetzungsfähigkeit im Insolvenzplan der Amtsermittlungsgrundsatz des Registergerichts bezogen auf wahrzunehmende Rechtsformkontrolle ausgeschaltet werde. Drescher erwiderte, dass der Senat nur die GmbH mit der speziellen Vorschrift des § 60 GmbHG und nicht den Verein vor Augen gehabt habe. U. Block (Rechtsanwalt, Berlin) bezog sich auf das Urteil vom 4.8.20203 und Dreschers Äußerung im Referat, dass der Geschäftsanteil mit Wirk1 BGH, Urt. v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, ECLI:DE:BGH:2020:040820UIIZR171.19.0, ZIP 2020, 1757 = GmbHR 2020, 1118. 2 BGH, Urt. v. 14.1.2020 – II ZB 3/19, ECLI:DE:BGH:2020:080420BIIZB3.19.0, ZIP 2020, 1226 = GmbHR 2020, 832. 3 BGH, Urt. v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, ECLI:DE:BGH:2020:040820UIIZR171.19.0, ZIP 2020, 1757 = GmbHR 2020, 1118.
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Taube – Bericht über die Diskussion des Referats Drescher
samwerden des Ausschlusses, also sobald dieser beschlossen und mitgeteilt sei, herrenlos werde. Das stehe so nicht in der Entscheidung und sei aus der bisherigen Rechtsprechung des BGH nicht klar ersichtlich. Wenn der Ausschluss sofort wirksam werde, d.h. die Mitgliedschaft des betroffenen Gesellschafters ende, sei es konsequent, dass der Geschäftsanteil herrenlos werde. Es stelle sich die rechtsdogmatische Frage, wie der ausgeschlossene Gesellschafter den Anteil übertragen könne, wenn das von der Gesellschafterversammlung verlangt werde, oder anders gefragt, wer den herrenlosen Geschäftsanteil übertragen solle. Das sei nicht nur eine rechtsdogmatische Problematik, sondern ziehe weitere praktische Fragen nach sich, z.B. was in der Gesellschafterliste stehen solle. Drescher möchte das „herrenlos“ nicht dogmatisch, sondern eher umgangssprachlich verstanden wissen. Der Senat habe diese Formulierung herausgestrichen. Es sei ein echtes Problem. Wenn der Gesellschafter ausgeschlossen und der Ausschluss wirksam sei, sei er als Person draußen, auch wenn es den Geschäftsanteil noch gebe. Ob das bei der Abtretung Probleme mache, wisse er nicht, weil man vielleicht dem ausgeschlossenen Gesellschafter für die Abtretung den Geschäftsanteil noch zuordnen könne. Diese Frage habe in der Entscheidung nicht zur Diskussion angestanden. Jedenfalls könne die Gesellschaft den Geschäftsanteil in dieser Lage, also wenn er nicht vollständig eingezahlt sei, nicht übernehmen. W. Bayer ergänzte, er wisse bereits, dass es Besprechungen dieser Entscheidung geben werde, in denen diese Probleme, insbesondere des herrenlosen Geschäftsanteils und der Gesellschafterliste, aufgegriffen werden. 5 Abschließend bedankte sich der Diskussionsleiter W. Bayer bei Drescher für den Überblick über die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH.
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Reform des Personengesellschaftsrechts Dr. Eberhard Schollmeyer, LL.M.* Ministerialrat, Berlin Rz.
Rz. I. Einleitung: Stand des Reformprozesses . . . . . . . . . . II. Die Reformziele und ihre Umsetzung 1. Konsolidierung: Neuformulierung des geltenden Rechts 2. Modernisierung: Das neue Leitbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Behebung des Publizitätsdefizits der GbR: Das Register .
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4. Haftungsbeschränkung für freie Berufe: Die Öffnung der Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kodifiziertes Beschlussmängelrecht . . . . . . . . . . . . .
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III. Schlussbemerkung: Wie geht es weiter? . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung: Stand des Reformprozesses Es ist schwierig, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem der Reformprozess 1 für das Recht der Personengesellschaften genau begonnen hat. War es beim „Fenstersturz“1 1972, als Flume2 die Rechtsfähigkeit der Gesamthand so folgenreich beschrieb? War es 2001, als der BGH der GbR die Rechtsfähigkeit zuerkannte3? War es 2009, als der Gesetzgeber mit § 899a BGB zwar aus den Startblöcken kam, aber das Ziel nicht erreichte4? War * Der Verfasser ist Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Er leitet dort das u.a. für das Personengesellschaftsrecht zuständige Referat IIIA1. Er gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder. 1 K. Schmidt, ZHR 177 (2013), 713. 2 Flume, ZHR 136 (1972), 177. 3 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = AG 2001, 307 = ZIP 2001, 333 = NJW 2001, 1056 m. Anm. K. Schmidt, NJW 2001, 993 = DStR 2001, 310 m. Anm. Goette = JZ 2001, 655 m. Anm. Wiedemann = DB 2001, 423 m. Anm. Römermann; Hadding, ZGR 2001, 712. 4 Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte im Grundbuchverfahren sowie zur Änderung weiterer grundbuch-, register- und kostenrechtlicher Vorschriften (ERVGBG) vom 11.8.2009 (BGBl. I 2009, 2713), Gesetzesbegründung s. BT-Drucks. 16/13437, S. 23–27.
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Schollmeyer – Reform des Personengesellschaftsrechts
es 2016 beim Deutschen Juristentag in Essen, als Bedarf an einer Reform formuliert, ihr aber noch keine klare Richtung gegeben wurde5? Dieser Pfad kommt irgendwoher aus der Vergangenheit und führt irgendwohin in die Zukunft. Aber eines steht fest: Mit dem Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG)6 wird jedenfalls in Kürze eine neue Etappe erreicht sein. 2 Das Reformvorhaben verfolgt im Wesentlichen fünf Ziele: Erstens geht es um Konsolidierung7. Das heißt, die von Rechtsprechung und Kautelarpraxis vorangetriebene Entfernung des gelebten vom geschriebenen Recht soll aufgeholt werden. Zweitens geht es um Modernisierung. Das bedeutet, die als Ergebnis der Konsolidierung nunmehr ausdrücklich mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Außengesellschaft wird an einem neuen Leitbild8 ausgerichtet. Drittens gilt es, das Publizitätsdefizit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu verringern9. Viertens soll mit dem Entwurf Freiberuflern eine Möglichkeit zur haftungsbeschränkten Berufsausübung als Personengesellschaft gegeben werden10. Fünftens soll den Personengesellschaften ein kodifiziertes Beschlussmängelrecht zur Verfügung gestellt werden11.
II. Die Reformziele und ihre Umsetzung 1. Konsolidierung: Neuformulierung des geltenden Rechts 3 Wenn die Praxis sich immer weiter vom geschriebenen Recht entfernt, sich diese Diskrepanz verstetigt und der Gesetzgeber untätig bleibt, ist die Kodifikationsidee tot. Im Recht der Personengesellschaften haben – bei gleichbleibendem Gesetzestext – sowohl die Kautelar- als auch die Spruchpraxis zur Entstehung und fortschreitenden Vergrößerung dieser 5 Vgl. Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages 2016, Bd. II/2 – Sitzungsberichte, S O 115 ff. (Diskussion) und S. O 219 ff. (Beschlüsse). Dort sprach man sich mehrheitlich dafür aus, das Gesamthandsprinzip ungeachtet der Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft zu erhalten. 6 Zum Zeitpunkt der Drucklegung lag bereits der auf dem Referentenentwurf beruhende Regierungsentwurf (Kabinettsbeschluss vom 20.1.2021) vor, BRDrucks. 59/21; hierzu Schollmeyer, NZG 2021, 129. 7 Fleischer, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 1 ff. 8 Fleischer, DB 2020, 1107. 9 Luy, notar 06/2020, S. 1; Schäfer, ZIP 2020, 1149, 1151. 10 Wertenbruch, NZG 2019, 1081. 11 Otte, ZIP 2020, 1743.
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Schollmeyer – Reform des Personengesellschaftsrechts
Diskrepanz beigetragen. Die Wissenschaft lieferte hierzu manchen Anstoß und begleitete die Entwicklung kommentierend, dabei teils zustimmend12 und teils kritisch13, gelegentlich auch mit Entsetzen14. Um die Kodifikationsidee am Leben zu halten oder sie – soweit nötig – 4 zu reanimieren, hat der Gesetzgeber in einer solchen Ausgangslage zwei Möglichkeiten: Er kann der Praxis widersprechen und sie durch zusätzliche Absicherungen der bestehenden Gesetzeslage korrigieren. Oder er kann erkennen, dass der von der Praxis vorangetriebenen Entwicklung ein Bedarf aus der Lebenswirklichkeit zugrunde liegt. Ihm kann er Rechnung tragen, indem er die fortentwickelte Praxis im geschriebenen Recht abzubilden sucht: Er kann das geschriebene Recht konsolidieren. Wissenschaft und Praxis haben auf einen solchen Prozess und das denk- 5 bare Ergebnis erfahrungsgemäß unterschiedliche Sichtweisen. In der Mauracher Kommission15 sind diese unterschiedlichen Perspektiven aus Praxis und Wissenschaft zusammengeführt worden. Im Mauracher Entwurf 16 ist das Ergebnis festgehalten. Er orientiert sich vor allem an praktischen Bedürfnissen, ist darauf angelegt, sie dogmatisch angemessen abzubilden, und hat dementsprechend von dem Versuch abgesehen, die Entwicklung insbesondere der letzten 20 Jahre zu korrigieren. Der Entwurfsveröffentlichung im April 2020 folgte eine breite wissenschaftliche Diskussion17. Auch Länder und Interessenverbände haben sich mit dem Entwurf befasst und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme18. 12 13 14 15
K. Schmidt, NJW 2001, 993; Wiedemann, JZ 2001, 661. Zöllner in FS Gernhuber, 1993, S. 563 ff. Beuthien, JZ 2003, 715; JZ 2003, 959. Mitglieder der Kommission waren Prof. Dr. Alfred Bergmann, Prof. Dr. Barbara Grunewald, Dr. Marc Hermanns, Prof. Dr. Thomas Liebscher, Dr. Gabriele Roßkopf, Prof. Dr. Carsten Schäfer, Prof. Dr. Frauke Wedemann, Prof. Dr. Johannes Wertenbruch. Die Abschlusstagung fand Anfang März 2020 auf Schloss Maurach/Bodensee statt. 16 Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, abzurufen über: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/ DE/News/PM/042020_Entwurf_Mopeg.html (zuletzt abgerufen am 4.11.2020). Zur Einordnung des Entwurfs exemplarisch Westermann, DZWiR 2020, 321–327; Heckschen, NZG 2020, 761. 17 Vgl. Insb. ZGR Sonderheft 23 (2020), „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“ mit den Beiträgen des ZGR-Sondersymposiums vom 18.6.2020. 18 Vgl. z.B. die ausführliche Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, abzurufen über https://anwaltverein.de/de/news room?newscategories= 3&category= 31 (zuletzt abgerufen am 9.11.2020).
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Schollmeyer – Reform des Personengesellschaftsrechts
6 Dieser Diskussionsprozess zum Mauracher Entwurf ist abgeschlossen, soweit er für das jetzt anstehende Gesetzgebungsverfahren Bedeutung hat. Sein Ergebnis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Praxis und – soweit ersichtlich – die Mehrheit der wissenschaftlichen Stimmen hat monita zu Einzelfragen, ist aber grosso modo einverstanden mit dem eingeschlagenen Kurs. Ein Teil der Wissenschaft hat demgegenüber grundsätzliche Bedenken vorgebracht19. 7 Dieses Ergebnis kommt nicht überraschend. Auf die grundsätzliche Kritik soll an dieser Stelle eingegangen werden, weil sie bereits das erste Ziel des Modernisierungsgesetzes – die Konsolidierung – berührt. Die Verfolgung der weiteren Gesetzesziele baut hierauf auf. Daher wäre das ganze Vorhaben in Frage gestellt, wenn man dieser Kritik in vollem Umfang nachgeben wollte. 8 Verallgemeinernd lässt sich die ins Grundsätzliche gehende Kritik am Mauracher Entwurf wie folgt zusammenfassen: Er gehe in der Annäherung der GbR an die Personenhandelsgesellschaften zu weit und gebe die in ihrer jetzigen Form als Gesamthand verfasste Gesellschaft ohne Not auf 20. Damit werde der Entwurf den Bedürfnissen von Gelegenheitsgesellschaften nicht gerecht. Das Leitbild der „unternehmenstragenden“ Gesellschaft hätte konsequenterweise nach österreichischem Vorbild in eine offene Gesellschaft für alle unternehmerischen Zwecke übersetzt werden müssen21. 9 Bestritten wurde dabei die Notwendigkeit, die Rechtsfähigkeit der GbR ausdrücklich im Gesetz zu regeln und Vorschriften, aus denen sich die Maßgeblichkeit der Gesamthand für die Vermögenszuordnung ergibt, aus dem Gesetz zu streichen. Denn die Gesamthand sei schon de lege lata selbst rechtsfähig, eine andere Betrachtung beruhe auf einem „dogmatischen Irrtum“22. Soweit die Kritik. 10 Die Entscheidung des BGH „ARGE Weißes Ross“23 ist freilich weniger dogmatischen Erwägungen als vielmehr einem praktischen Bedürfnis ge19 Insb. Habersack, ZGR 2020, 539–568; Altmeppen, NZG 2020, 822; Schall, ZIP 2020, 1443; Martens, demnächst in AcP 2020 (zitiert nach Manuskript). 20 Schall, ZIP 2020, 1443. 21 Habersack, ZGR 2020, 539, 553; Schall, ZIP 2020, 1443, 1444. 22 Altmeppen, NZG 2020, 822. 23 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = AG 2001, 307 = NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 333 = JZ 2001, 655.
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folgt. Aber selbst, wenn man meint, der BGH habe lediglich einen dogmatischen Irrtum korrigiert, der sich 100 Jahre lang festgesetzt habe, bleibt Konsolidierungsbedarf. Um ihn anzuerkennen, bedarf es nicht einmal des Hinweises auf die fehlende Rechtsfähigkeit der beiden anderen im BGB geregelten Gesamthandsgemeinschaften, der ehelichen Gütergemeinschaft und der auf Abwicklung angelegten Erbengemeinschaft. Denn eine Gesetzeslage, die in der zentralen Frage „Wem gehört was?“ einen hundertjährigen Irrtum hervorrufen kann, bedarf auch dann der Klarstellung, wenn dieser Irrtum behoben ist: Vorschriften, die ihn 100 Jahre lang befördert haben, gehören an das neue, nunmehr klargestellte Verständnis angepasst. Der Weg der Mauracher Kommission, diese Konsolidierung durch eine umfassende Neufassung und Neuordnung sowie begriffliche Klärung des maßgeblichen Rechtsstoffes vorzunehmen, ist überzeugend. Deshalb werden sich diese und andere Grundentscheidungen des Mauracher Entwurfs im Referentenentwurf wiederfinden.
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Um die Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts angemessen 12 im Gesetz abzubilden, werden die beiden Grundtypen regelungstechnisch und begrifflich klar unterschieden. Die rechtsfähige Gesellschaft, bislang schlagwortartig oft „Außengesellschaft“ genannt, und die nicht rechtsfähige Gesellschaft – bislang „Innengesellschaft“ – werden in je eigenen Untertiteln behandelt. Ihnen ist ein Allgemeiner Teil vorangestellt24. Die Beiträge der Gesellschafter, erworbene Rechte und begründete Verbindlichkeiten werden Vermögen der rechtsfähigen Gesellschaft. Die nicht rechtsfähige Gesellschaft ist nicht vermögensfähig. Wesentliche Strukturmerkmale der Personengesellschaften bleiben erhalten und werden ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen. Für die rechtsfähige GbR als Grundform der anderen Personengesellschaften gilt: Anteile sind nur mit Zustimmung der anderen Gesellschafter übertragbar. Eigene Anteile kann die Gesellschaft nicht erwerben. Ein- und Austreten von Gesellschaftern unterliegen dem Prinzip der An- und Abwachsung. Bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters geht das Gesellschaftsvermögen auf den letzten verbleibenden Gesellschafter über. Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sie vertreten 24 Gliederung entsprechend einem Vorschlag von Armbrüster, ZGR Sonderheft 23 (2020), „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 143 ff. und Bachmann vgl. https://www.rewi.hu-berlin.de/de/lf/ls/bcm/gb/pub/formulie rungsvorschlage-zur-mopeg-anderung.pdf.
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die Gesellschaft – dem Prinzip der Selbstorganschaft folgend – selbst. Haben sie nichts Anderes vereinbart, vertreten sie gemeinsam. All dies wird in der gebotenen Klarheit ausdrücklich im Gesetz stehen. Ob mit der Fortgeltung der in diesen Vorschriften niedergelegten Prinzipien bei gleichzeitiger Aufgabe der bisherigen §§ 718, 719 BGB das Gesamthandsprinzip vollständig aus dem Personengesellschaftsrecht verschwunden oder lediglich funktionslos geworden ist, braucht der Gesetzgeber nicht zu entscheiden. Dazu sind andere berufen. 13 Mit der Fortgeltung wesentlicher Strukturprinzipien, die Personengesellschaften von juristischen Personen absetzen, wird noch etwas sichergestellt: Niemand kann später behaupten, mit dem MoPeG sei der Boden für eine generelle Unterwerfung von Personengesellschaften unter die Körperschaftsteuer bereitet worden. Auch die Gefahr solcher Legendenbildung muss bereits bei der Gesetzesformulierung antizipiert werden. 14 Zur Konsolidierung gehört die Grundentscheidung, an der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten festzuhalten. Auch diese Entscheidung des Mauracher Entwurfs ist auf Kritik gestoßen25. Sie entzündet sich u.a. daran, dass die Unterscheidung mit der Öffnung der Personenhandelsgesellschaften für die Ausübung Freier Berufe nicht konsequent durchgehalten werde. Man darf aber nicht übersehen, dass eine Aufgabe dieser Unterscheidung im Gesellschaftsrecht zugunsten eines weiter gefassten Unternehmensbegriffs die Unterscheidung nicht hätte entfallen lassen. Sie wäre nur verschoben worden, um einem erwartbar deutlich artikulierten Bedürfnis von Freiberuflern und Kleingewerbetreibenden nachzugeben: Es wäre eine Diskussion über die Anwendungsbereiche der Vorschriften über Bilanz- und Buchführungspflichten und die Sonderregelungen über Handelsgeschäfte entbrannt. Demgegenüber scheint eine mit einer gewissen Elastizität versehene Ansiedlung der Unterscheidung bei den Unternehmenskategorien vorzugswürdig. Sie erlaubt im Grundsatz eine Anknüpfung an etablierte Unterscheidungsmerkmale.
2. Modernisierung: Das neue Leitbild 15
Kern des Modernisierungsziels ist die Ausrichtung der Vorschriften über die rechtsfähige Gesellschaft bürgerlichen Rechts an einem neuen Leitbild. Die Vorschriften orientieren sich an der typisierten Interessen- und 25 Habersack, ZGR 2020, 539, 553.
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Bedarfslage einer auf Dauer angelegten Gesellschaft, die für die Verfolgung des vereinbarten Gesellschaftszwecks am Rechtsverkehr teilnimmt26. Dies wurde gelegentlich als Leitbild einer „unternehmenstragenden Gesellschaft“ missverstanden27. Zwar mag ein Teil der Vorschriften besonders gut für unternehmenstragende Gesellschaften passen: Leitbild waren sie nicht für den Mauracher Entwurf und sie sind es auch nicht für den Referentenentwurf. Dies liegt in der Konsequenz der eben beschriebenen Grundsatzentscheidung, den Kaufmannsbegriff nicht durch eine weiter gefasste Unternehmenskategorie zu ersetzen. Der Leitbildwandel von der Gelegenheits- zur Dauergesellschaft findet Ausdruck insbesondere in dem künftig periodisch vorzunehmenden Rechnungsabschluss und dem Vorrang der Verbandskontinuität vor der Personenkontinuität: Zwischen der Auflösungs- und der Austrittskündigung wird nicht nur systematisch, sondern auch in den Voraussetzungen unterschieden und der Tod eines Gesellschafters führt ohne besondere Vereinbarung grundsätzlich nicht zur Auflösung der Gesellschaft, sondern nur zu seinem Ausscheiden.
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Zur stärkeren Strukturierung der Gesellschaft als Organisation im Sinne 17 dieses Leitbildwandels tragen der Abschied von der etwas altertümlichen diligentia quam in suis und die Regelungen über die actio pro socio bei, die sich als Gesellschafterklage im Gesetz wiederfinden wird. Auch wird in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass Mehrheitsentscheidungen generell zulässig sind. Auch das unterstreicht die Ausrichtung des Gesetzes an der Gesellschaft als Organisation. Schließlich ist auch der Ausschluss eines Gesellschafters aus wichtigem 18 Grund im Gesetz verankert. Die dispositive Regelung zu der Abfindung, die dem ausscheidenden Gesellschafter zu gewähren ist, lässt Raum für gesellschaftsvertragliche Regelungen, die ihre Grenze in den allgemeinen Bestimmungen, insbesondere § 138 BGB haben. Eine Festlegung konkreter Kriterien für die Wirksamkeit von Abfindungsklauseln oder der Ausübung der in solchen Klauseln eingeräumten Befugnisse durch die Gesellschaftermehrheit wäre für die Belastbarkeit solcher Klauseln möglicherweise förderlich gewesen. Ein Regelungskonzept, das hier über den Mauracher Entwurf hinausweist, müsste freilich der Vielgestaltigkeit von Gesellschaften und dem steten Wandel der Anschauungen über 26 Fleischer, DB 2020, 1107 (Fn. 8), 1109. 27 Schall, ZIP 2020, 1443, 1451.
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die Abwägung von Gesellschafterrechten und Verbandsstabilität gerecht werden. Das ist leichter gefordert als in konkrete Gesetzesform gefasst. Die Antwort im Referentenentwurf lautet deshalb, Gestaltungsfreiheit ausdrücklich anzuerkennen. Auf dieser Linie liegt es, wenn von bestimmten Bewertungsmethoden zur Ermittlung des Abfindungsanspruchs abgesehen und auf die jeder Anteils- oder Unternehmensbewertung immanente Schätzunsicherheit abgestellt wird28.
3. Behebung des Publizitätsdefizits der GbR: Das Register 19
Zur Behebung des Publizitätsdefizits bleibt der Referentenentwurf auf der Linie des Mehrheitsvotums des Deutschen Juristentags und auf dem Weg, den der Mauracher Entwurf eingeschlagen hatte: Es wird ein Gesellschaftsregister eingeführt29. Die Gesellschafter haben ein Eintragungswahlrecht. Für eine Reihe eintragungsfähiger Rechte gilt ergänzend: Will eine Gesellschaft als Berechtigte eines solchen Rechts eingetragen werden, muss sie zuvor im Gesellschaftsregister eingetragen sein – dies gilt auch für die Beteiligung an Umwandlungsvorgängen. Ob Vertragspartner von Gesellschaften – zu denken ist hier vor allem an Dauerschuldverhältnisse – künftig eine Voreintragung verlangen, wird der Markt entscheiden. Mit anderen Worten: Wenn Erika und Monika für den gemeinsam erworbenen und abwechselnd gerittenen Araberhengst Acatenango30 einer Tierhalterhaftpflichtversicherung abschließen wollen, kann es sein, dass der Versicherer die Vorlage eines Registerauszugs verlangt.
20 Von den Vorschlägen im Mauracher Entwurf weicht der Referentenentwurf jedoch in zwei Einzelpunkten ab. Zum einen sollen eingetragene Gesellschaften nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sein, den Namenszusatz „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder ein geeignetes Kürzel zu verwenden. So soll klargestellt werden, dass bei Gesellschaften ohne dieses Kürzel keine Veranlassung für den Rechtsverkehr besteht, sich durch einen Blick ins Register über ungewöhnliche, mit Publizitätswirkung ausgestattete Vertretungsverhältnisse zu informieren. Auch soll generell deutlich werden, dass es keine eingetra-
28 M. Noack, NZG 2020, 581, 584. 29 Westermann, DZWiR 2020, 321; Herrler, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 39. 30 Beispiel entnommen bei Altmeppen, NZG 2020, 822, 823.
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genen Gesellschaften ohne diesen Zusatz gibt. So wird der Seriositätsvorsprung der eingetragenen Gesellschaften abgesichert. Zum anderen verändert sich gegenüber dem Mauracher Entwurf der 21 Kreis der registrierungsfähigen Rechte, für die eine Voreintragungsobliegenheit einer als Berechtige einzutragenden GbR besteht. Im Referentenentwurf wird diese Voreintragungsobliegenheit auf diejenigen Rechte beschränkt, für die das Gesetz einen Gutglaubenserwerb oder eine Legitimationswirkung vorsieht. Da dies bei den Rechten des gewerblichen Rechtsschutzes nicht der Fall ist, wird das entsprechende Voreintragungserfordernis bei ihnen zurückgenommen. Es kommt hinzu, dass man das Voreintragungserfordernis bei Ihnen sowie nicht auf die über das Europäische Patentamt oder die WIPO vermittelten Anmeldungen hätte erstrecken können. Das schon im Mauracher Entwurf enthaltene Eintragungswahlrecht mit Voreintragungsobliegenheit in bestimmten Fällen ist auf Kritik gestoßen. Ihr Kern: Das Publizitätsdefizit werde nur teilweise behoben. Rechtsfähige Gesellschaften ohne Publizität seien weiterhin möglich. Eine Eintragungspflicht oder eine konstitutive Wirkung der Eintragung31 wären zur vollständigen Behebung des Publizitätsdefizits vorzugswürdig gewesen.
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Gegen diese Kritik kann der schlanke Ansatz des Gesetzentwurfs beste- 23 hen: Mit der Einführung einer Eintragungspflicht wäre die GbR noch näher an die OHG herangeführt worden, als dies im Mauracher Entwurf vorgesehen ist. Zudem wäre eine solche Eintragungspflicht wohl von den Registergerichten durchzusetzen. Die Durchsetzung einer Eintragungspflicht von Gesellschaften, deren Gesellschafter in manchen Fällen selbst nicht wissen, dass sie eine Gesellschaft gegründet haben, würde auf praktische Umsetzungsschwierigkeiten stoßen32. Die Abhängigkeit der Rechtsfähigkeit von der Eintragung würde den Fort- 24 schritt, den ARGE Weißes Ross gebracht hat, weitgehend aufzehren33. Eine solche Regelung würde bedeuten, die Praxis zu korrigieren, wie oben dargelegt. Sie ließe sich wohl auch nur bei einer Aufgabe des Kaufmannsbegriffs als unternehmensrechtliche Kategorie und Einführung 31 Habersack, ZGR 2020, 539; Geibel, ZRP 2020, 137, 140. 32 Herrler, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 39. 33 Herrler, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 39.
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einer generell unternehmenstragenden Personengesellschaft erreichen. Die Mauracher Kommission hat von einem solchen Schritt aus den genannten Gründen abgesehen. Zwar wäre man der Beendigung völliger Intransparenz der GbR mit einer konstitutiven Eintragung näher gekommen als durch die Kombination des Eintragungswahlrechts mit den dargestellten Voreintragungsobliegenheiten34. Der Preis wäre aber womöglich ein überschießender und unnötig bürokratischer Eintragungsaufwand gewesen, der auch Gesellschaften getroffen hätte, bei denen er außer Verhältnis zu dem mit der Eintragung verbundenen Transparenzgewinn gestanden hätte. Der Mauracher Kommission folgend ist im Referentenentwurf deshalb ein marktkonformer Ansatz gewählt, der bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise vor allem die Gesellschaften in das Register bringen soll, bei denen das Bedürfnis nach Transparenz und Klarheit der Haftungs- und Vertretungsverhältnisse besonders ausgeprägt ist. Das sind nicht nur Gesellschaften als Inhaber registrierter Rechte, die von der Voreintragungsobliegenheit erfasst werden. Das sind auch Gesellschaften, deren Vertragspartner die Registrierung verlangen, um Risiko- und Sachaufklärungskosten zu sparen.
4. Haftungsbeschränkung für freie Berufe: Die Öffnung der Personenhandelsgesellschaften 25
Nicht nur die Anwaltschaft, sondern auch andere Freiberufler waren in der Vergangenheit – wenn sie sich nicht als Kapitalgesellschaft organisieren konnten oder wollten – auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder die Partnerschaftsgesellschaft angewiesen. Zwar erfreut sich die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung- mangels vorzugswürdiger Alternativen – einer gewissen Beliebtheit. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Berufsgruppen beim Zugang zu haftungsbeschränkter Berufsausübung kaum noch vermittelbar sind35. Deshalb liegt es nahe, trotz grundsätzlicher Fortführung der systembildenden Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten die bereits im Mauracher Entwurf vorgesehene grundsätzliche Öffnung der Personenhandelsgesell34 Habersack, ZGR 2020, 539, 556; Herrler, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 39. 35 Uwer, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, 87; Wertenbruch, NZG 2019, 1081, 1082; Henssler, DAV-Diskussionsvorschlag zum anwaltlichen Gesellschaftsrecht, AnwBl. Online 2018, 566.
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schaften für Freiberufler vorzunehmen. Der Schutz von Kunden, Mandanten und Patienten vor den Risiken dieser Haftungsbeschränkung wird mit dem berufsrechtlichen Vorbehalt dort verortet, wo er hingehört: im Berufsrecht. Dort können Versicherungspflichten und ähnliches geregelt werden – auch als Zugangsvoraussetzung. Die Öffnung der Personenhandelsgesellschaften hat zunächst keine Auswirkungen auf das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz. Es bleibt bestehen – das Namensrecht wird bei Gelegenheit der Reform etwas liberaler gefasst. Der Empfehlung des Essener Juristentags, das Gesetz, das sich von Anbeginn auch deutlicher Kritik ausgesetzt sah36, aufzuheben, wird nicht gefolgt. Es bleibt abzuwarten, ob die Zahl der Gesellschaften in dieser Rechtsform irgendwann so weit zurückgeht, dass es in einigen Jahren aufgehoben werden kann. Dies ist zwar nicht ausgeschlossen, zu erwarten ist es aber auch nicht.
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5. Kodifiziertes Beschlussmängelrecht Breiten Raum nahm in der Diskussion des vergangenen halben Jahres 27 schließlich das Beschlussmängelrecht ein37. Der Mauracher Entwurf enthält ein am aktienrechtlichen Anfechtungsmodell orientiertes Beschlussmängelrecht, das bei fehlerhaften Beschlüssen zwischen nichtigen und mit einer befristeten Anfechtungsklage anzugreifenden Beschlüssen unterscheidet. Nichtigkeits- und Anfechtungsklage sind gegen die Gesellschaft zu richten. Damit ging der Mauracher Entwurf über die Empfehlung des Essener Juristentages, das Beschlussmängelrecht erst zusammen mit einer Neuregelung der aktienrechtlichen Bestimmungen in Angriff zu nehmen, hinaus38. Schließlich ist äußerst fraglich, ob man die Realisierungschancen für solche Regelungen erhöht hätte, wenn man sie mit der Reform eines Teilgebiets verbunden hätte, in dem fachliche Erwägungen traditionell besonders stark von dahinterstehenden Interessen überlagert werden. Zudem liegen die institutionellen Voraussetzungen für das Anfechtungsmodell bei rechtsfähigen Personengesellschaften schon vor39.
36 K. Schmidt, NJW 1995, 1, 6, 7; K. Schmidt, ZHR 177 (2013), 712, 730. 37 M. Noack, ZIP 2020, 1382; Drescher, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 115; Otte, ZIP 2020, 1743. 38 Kritisch hierzu Altmeppen, NZG 2020, 822. 39 K. Schmidt ZHR 177 (2013), 712; M. Noack ZIP 2020, 1382 etc.
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28 Kritik an dem im Mauracher Entwurf enthaltenen Modell bezog sich auf das Problem der Beschlussfixierung40, auf die offen gelassene Frage der Kombination von Anfechtungs- und Feststellungsbegehren, die als zu hart empfundene Ausschlussfrist von zwei Jahren für die Anfechtungsklage41 und die Regelung, nach der Mehrheitsklauseln im Zweifel auch Änderungen des Gesellschaftsvertrages erfassen sollten42. 29
Auf diese Kritikpunkte wird im Referentenentwurf reagiert: Die wesentliche Veränderung gegenüber dem Mauracher Entwurf wird darin bestehen, dass die Regeln zum Beschlussmängelrecht vom BGB in das HGB verlagert werden43. Bei der gebotenen verallgemeinernden Betrachtungsweise scheint der Regel-Anwendungsbereich dieser dispositiven Bestimmungen auf diese Weise eher der typischen Interessenlage gerecht zu werden: Wir dürfen nicht vergessen, dass die GbR auch eine Auffangfunktion für Fälle hat, in denen die Gesellschafter sich über die Einzelheiten ihrer gemeinsamen Zweckverfolgung keine allzu tiefen Gedanken gemacht haben.
30 Für die GbR stehen die neuen Regelungen zum Beschlussmängelrecht damit als opt-in-Version zur Verfügung. Es bei der GbR im Übrigen bei dem alten Nichtigkeitsmodell zu belassen, erscheint bei Abwägung aller Aspekte am Ende eher hinnehmbar als die Alternative: Bei regelhafter Geltung des Anfechtungsmodells für die GbR hätte man sich von der Anwendbarkeit gerade in solchen Fällen oft nur durch gequälte Annahmen konkludenter Abbedingung befreien können, in denen ein professionell ausgearbeiteter Gesellschaftsvertrag fehlt. 31 Mit dieser Verschiebung in das HGB sind einige Kritikpunkte bereits „entschärft“. So kann bei kaufmännischen Gesellschaften eher ein Professionalisierungsgrad erwartet werden, der eine regelmäßige Beschlussfixierung in der Gesellschafterversammlung erwarten lässt. Zudem werden die Bestimmungen zum Fristbeginn präziser gefasst und die absolute Ausschlussfrist soll entfallen. 40 Geibel, ZRP 2020, 137, 140; Otte, ZIP 2020, 1743, 1746; Drescher, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 115; Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2257. 41 Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2259. 42 Drescher, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 115. 43 So auch die zentrale Forderung von Drescher, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 115.
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Die im Mauracher Entwurf enthaltene Auslegungsregel, dass Mehr- 32 heitsklauseln im Zweifel auch für Änderungen des Gesellschaftsvertrages gelten, ist mehrfach kritisiert worden, weil sie jedenfalls Gelegenheitsgesellschaften zu weit von ihrer vertraglichen Grundlage entferne. Auch diese Kritik ist nicht ungehört geblieben – die entsprechende Bestimmung entfällt im Referentenentwurf. Das bedeutet, Mehrheitsklauseln bleiben zulässig, aber zu der Frage, ob sie auch für Änderungen des Gesellschaftsvertrags gelten, wird der Gesetzentwurf schweigen. Schweigen wird er auch zur Schiedsfähigkeit44: Es kann vom Gesetzgeber auch nicht ernsthaft erwartet werden, dass er sein Reformgesetz mit der Botschaft verknüpft, dass er die Anwendung des neuen Rechts den staatlichen Gerichten nicht zutraut.
III. Schlussbemerkung: Wie geht es weiter? Das Gesetzgebungsverfahren schreitet fort. Der Referentenentwurf wird in Kürze veröffentlicht werden. Er bildet dann die Diskussionsgrundlage.
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Kabinettbefassung und parlamentarisches Verfahren müssen sich der Ver- 34 öffentlichung des Referentenentwurfs mit nicht allzu langen Fristen anschließen. Nur so kann das im Koalitionsvertrag verabredete Ziel erreicht werden, das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Anmerkungen und Kritik bleiben willkommen. Dies gilt vor allem, wenn 35 sie mit konstruktiven Alternativvorschlägen verbunden werden. Der Referentenentwurf wird, vor allem wegen der aufgenommenen redaktionellen Folgeänderungen in über 100 weiteren Gesetzen, in seinem Umfang den Mauracher Entwurf bei weitem übersteigen. Es gibt für den November, in dem wir alle zu Hause bleiben sollen, also reichlich Lektüre.
44 Eine ausdrückliche Regelung wurde beispielsweise gefordert von Drescher, ZGR Sonderheft 23 (2020) „Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, S. 115.
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Bericht über die Diskussion des Referats Schollmeyer Dr. Lennart Göbel Referendar am OLG Köln 1
Die Diskussionsleiterin Roßkopf dankte Schollmeyer für sein Referat und eröffnete die Diskussion, die sodann einzelne Aspekte des Reformprojekts zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts noch einmal deutlich vertiefte. Themen waren die Aufgabe des Gesamthandsprinzips, die Öffnung der Personenhandelsgesellschaften für die Ausübung Freier Berufe, das neue Beschlussmängelrecht sowie gesetzessystematische Grundsatzfragen. Um einen reibungslosen virtuellen Ablauf zu gewährleisten, wurden Fragen und Beiträge verschiedener Diskussionsteilnehmer zunächst gesammelt und anschließend en bloc beantwortet. Die folgende Darstellung fasst zur besseren Nachvollziehbarkeit Redebeiträge und Antworten jeweils zusammen.
2 Als erster Diskutant meldete sich Könen. Aufgrund von Schollmeyers Bemerkung, die Klärung dogmatischer Einsichten zähle nicht zu den Aufgaben der Reformgesetzgebung, warf er die Frage auf, inwiefern der Referentenentwurf – dem Mauracher Entwurf folgend – sich zur konkreten Ausgestaltung der Haftung der Gesellschafter in der Personengesellschaft positionieren dürfe, sei diese doch in erster Linie von dogmatischen Weichenstellungen bei der Erfassung des Wesens der Gesamthand abhängig – diese oblägen der Rechtswissenschaft. Dem trat Schollmeyer entgegen und erklärte, dass sich die bereits im Mauracher Entwurf vorgesehenen Regelungen zur Gesellschafterhaftung auch im Referentenentwurf wiederfänden, und zwar unverändert in den §§ 721 ff. BGB-E. Schließlich handele es sich bei der persönlichen Haftung der Gesellschafter um eine praktisch besonders relevante Sachfrage, deren Klärung von dem Reformgesetzgeber berechtigterweise erwartet werde. Die Bemerkung zur Nebensächlichkeit dogmatischer Kontroversen habe das Bedürfnis nach Klärung von Sachfragen nur unterstreichen sollen. Daher habe man sich auch gegen eine ausdrückliche Fortführung des Gesamthandsprinzips entschieden. Der Begriff der Gesamthand werfe seit über 100 Jahren Fragen auf, ohne dabei jedoch entscheidend zur Beantwortung der mit ihm verbundenen Zuordnungsprobleme beizutragen.
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Göbel – Bericht über die Diskussion des Referats Schollmeyer
Die zweite Wortmeldung kam von Wertenbruch. Als Mitverantwort- 3 licher des Mauracher Entwurfs begrüßte er, dass sich für den finalisierten Referentenentwurf offensichtlich eine enge Anlehnung an die Diskussionsvorschläge der Expertenkommission abzeichne und unterstrich noch einmal die von Schollmeyer dargestellten Reformziele. Vor deren Hintergrund sei die Abkehr vom Gesamthandsprinzip überzeugend. Die notwendige Klärung der Sachfragen werde durch das gesetzliche Bekenntnis zum Grundsatz der Selbstorganschaft und zu den Instituten der An- und Abwachsung geleistet. Zugleich blieben damit die wesentlichen Grundlagen für die dogmatische Erfassung der Personengesellschaft erhalten. In Verbindung mit dem künftig im Gesetz verankerten Begriff der „rechtsfähigen Personengesellschaft“ ermöglichten diese normativen Grundentscheidungen zudem die erforderliche Abgrenzung von den juristischen Personen. Damit sei etwa weiterhin ausgeschlossen, dass die Personengesellschaft selbst zum Körperschaftssteuersubjekt werde; die Gesellschafter blieben vielmehr Mitunternehmer i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Sodann lenkte Anzinger die Diskussion auf die vorgeschlagene Öffnung 4 der Personenhandelsgesellschaften für Freie Berufe. Er meinte, die Reform gehe diesbezüglich noch nicht weit genug. Zwar sei die Klärung des Meinungsstreits um die Reichweite von § 105 Abs. 2 HGB erfreulich, doch erscheine weitergehend die Abkehr vom Kaufmannsbegriff zugunsten eines einheitlichen Unternehmerbegriffs geboten. Unauflösbare Abgrenzungsprobleme seien insofern nicht zu erwarten. Vielmehr leide der Typusbegriff des Freien Berufs ungeachtet seiner Verankerung in § 1 Abs. 2 PartGG schon heute an erheblicher Unschärfe. Durch die zunehmende Veränderung der Arbeitswirklichkeit werde die Abgrenzung freiberuflicher von gewerblicher Tätigkeit zusätzlich erschwert. Insbesondere im Steuerrecht zeige sich, wie streitanfällig solche Abgrenzungsfragen im Einzelfall werden könnten. Der zunehmende Einsatz neuer Technologien lasse für die Zukunft eine noch weitergehende Verschärfung dieser Abgrenzungsschwierigkeiten erwarten, denn mit ihm sei womöglich eine „Industrialisierung“ von Dienstleistungen und erhöhter (Fremd-) Kapitaleinsatz in den von den klassischen Freien Berufen dominierten Tätigkeitsbereichen verbunden. Zu bezweifeln sei schließlich, inwiefern den Freiberuflern mit der GmbH & Co. KG, auf deren Verwendung der Wunsch nach Öffnung erklärtermaßen abziele, tatsächlich eine geeignete Rechtsform zur Verfügung gestellt würde. Diese sei nämlich – vor dem Hintergrund des § 241a HGB und unter Berücksichti-
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Göbel – Bericht über die Diskussion des Referats Schollmeyer
gung unionsrechtlicher Vorgaben – unausweichlich bilanzierungs- und darüber hinaus uneingeschränkt gewerbesteuerpflichtig, so dass die Vorzüge dieser Rechtsform gegenüber der GmbH praktisch nicht ins Gewicht fielen. Letztere stehe den Freiberuflern bereits jetzt auch berufsrechtlich offen. Eine Reform, die Freie Berufe isoliert einbeziehe, könne daher wohl nicht mehr als zeitgemäß gelten. Die alternative Möglichkeit des Übergangs zu einem einheitlichen Unternehmensrecht sei demgegenüber nicht zwingend mit einer zunehmenden Belastung der Freien Berufe verbunden. Am österreichischen Vorbild zeige sich vielmehr, wie Ausnahmen von der Bilanzierungspflicht und die insofern differenzierenden Anknüpfungsregelungen aussehen könnten. 5 Dem Ausgangspunkt stimmte Schollmeyer zwar im Grundsatz zu und bestätigte, dass die Idee eines einheitlichen Unternehmensrechts theoretisch durchaus reizvoll sein könne. Er gab jedoch zu bedenken, dass sich Reformvorschläge stets auch einem Kosten-Nutzen-Vergleich stellen müssten und auch vor diesem Hintergrund die Frage ihrer politischen Umsetzbarkeit entscheidend sei. Der Referentenentwurf für das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts orientiere sich daher an dem im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode erteilten Mandat. Der Versuch, mit noch ambitionierteren Vorhaben darüber hinauszugehen, sei in der parlamentarischen Realität stets der Gefahr ausgesetzt, der Diskontinuität anheimzufallen. Dem Vorschlag eines einheitlichen Unternehmensrechts sei damit zwar nicht zwingend auf Dauer der Boden entzogen. In der Sache sei aber zu berücksichtigen, dass sich Abgrenzungsschwierigkeiten nie gänzlich vermeiden ließen. Auch die mit dem Übergang zu einem einheitlichen Unternehmensrecht verbundene Schaffung einer neuen Kategorie des „Unternehmers“ würde daher wohl nur zu einer Verlagerung von Abgrenzungsfragen führen, mit deren Klärung staatliche Ressourcen in Rechtsprechung und Verwaltung über Jahre gebunden würden. Solche Folgen seien schon zu Beginn eines Reformprozesses zu berücksichtigen. Bei der Vorbereitung des nun zur Diskussion stehenden Reformgesetzes habe man sich daher früh für das Motto „Renovierung statt Abriss“ entschieden. 6 Als nächster Diskutant meldete sich Karsten Schmidt. Hinsichtlich der zuvor diskutierten Überwindung der Unschärfen des Gesamthandsbegriffs einerseits und dem Festhalten an der Kaufmannseigenschaft andererseits unterstützte er die von Schollmeyer vorgestellte Linie des Referentenentwurfs. Die Verortung des neuen Beschlussanfechtungsrechts
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im Handelsgesetzbuch halte er indes für konzeptionell und systematisch unzulänglich. Zum einen bedürfe es, wenn man den Kodifikationsgedanken ernst nehme, entsprechender Regelungen auch im Vereins- und GmbH-Recht. Schließlich hätten in der Praxis die meisten Beschlussmängelstreitigkeiten ihre Grundlage in GmbH-Gesellschafterversammlungen, so dass das Fehlen gesetzlicher Regelungen dort besonders schwer wiege. Zum anderen sei das Bestreben, den Anwendungsbereich des Anfechtungsmodells im Personengesellschaftsrecht zu begrenzen, zwar nachvollziehbar, eines „Umzugs“ der Regelungen in das Handelsgesetzbuch hätte es dafür aber wohl nicht bedurft. Vielmehr könne doch davon ausgegangen werden, dass das Anfechtungsmodell für all diejenigen Gesellschaften sachgerecht sei, deren Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag für das Mehrheitsprinzip optiert hätten. Folglich dürfte die Vereinbarung einer Mehrheitsklausel das passende und im Übrigen ohne weiteres nachprüfbare Anknüpfungsmoment zur Anwendung des Anfechtungsmodells bei der Geltendmachung von Beschlussmängeln im Personengesellschaftsrecht darstellen. Ferner begegne die im Mauracher Entwurf vorgesehene Abschichtung der Innen- gegenüber der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts systematischen Bedenken. Die Breite der dort vorgesehenen Regelungen zur Außengesellschaft vermittle den Eindruck, diese stelle den „Urtyp“ aller Personengesellschaften dar, was jedoch weder dogmatisch noch tatsächlich zutreffe. Vielmehr sei die Innengesellschaft der – auch statistische – Normalfall, weshalb die durch den Reformentwurf vorgezeichnete Typusbildung noch einmal überdacht werden sollte. Wenn das geleistet sei, werde auch die Verortung der Gesellschaft im besonderen Schuldrecht (wieder) nachvollziehbar. Schollmeyer konzentrierte sich auf den zuletzt erhobenen Einwand. 7 Dieser werde bereits dadurch entschärft, dass der Referentenentwurf eine gegenüber dem Mauracher Entwurf abweichende Untergliederung der §§ 705 ff. BGB-E vorsehe. Es werde nunmehr eine Einteilung in drei Untertitel vorgenommen. Der erste Untertitel enthalte allgemeine Vorschriften, während der zweite Untertitel sich mit der Außengesellschaft beschäftige und der dritte die Innengesellschaft behandele. Beide Grundformen der Personengesellschaft begegneten sich im Gesetz nunmehr also „auf Augenhöhe“. Zudem seien die §§ 705 ff. BGB als Regelungsstandort ungeachtet des für die Außengesellschaft vollzogenen Leitbildwandels weiterhin geeignet, weil beide Formen der Gesellschaft unbestritten – auch – als Schuldverhältnis zu qualifizieren seien. Ferner sprächen Tradition und Praktikabilität gegen die Aufgabe der schuld-
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rechtlichen Verankerung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zugunsten einer Vielzahl sperriger Buchstabenparagrafen im Allgemeinen Teil des BGB. 8 Die nächste Wortmeldung nahm Anzingers Hinweis auf die praktischen Unzulänglichkeiten der GmbH & Co. KG auf. Der Diskutant Leo meinte, diese würden nicht nur im Zusammenschluss von Freiberuflern virulent, sie bestünden vielmehr schon jetzt in gewerblich tätigen Gesellschaften. Daher sei, jedenfalls aus Sicht der Beratungspraxis, die Zeit gekommen, die Konstruktion der GmbH & Co. KG durch etwas Neues zu ersetzen. Vorbild könne die amerikanische LLC sein. Schollmeyer verwies daraufhin auf das gescheiterte Vorhaben zur Einführung einer „Handelsgesellschaft auf Einlagen“. Dieses mittlerweile fast 50 Jahre zurückliegende Reformprojekt habe darauf abgezielt, die legitimen Gestaltungsmotive der GmbH & Co. KG – nämlich, die steuerliche Mitunternehmerschaft mit einem haftungsersetzenden Garantiekapital und Fremdorganschaft zu verbinden – in einer neuen Rechtsform in Gestalt einer „Kommanditgesellschaft ohne Komplementär“ zu verwirklichen. Eine solche Rechtsform werfe stets die Frage nach der unternehmerischen Mitbestimmung auf. Die GmbH & Co. KG werde heute über § 4 Abs. 1 MitbestG erfasst, dessen politische Symbolkraft nicht unterschätzt werden solle. Bei einem erneuten Vorstoß sei daher aller Voraussicht nach wieder mit erheblichem Diskussionsbedarf zu rechnen. 9 Zum Abschluss kam Markwort noch einmal auf die Rechtsform der Partnerschaftsgesellschaft zu sprechen. Er war der Auffassung, die Öffnung der Personenhandelsgesellschaften bei gleichzeitigem Festhalten an der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung führe zu einer Doppelprivilegierung der Freien Berufe. Zum einen ermögliche der – unverändert fortbestehende – § 8 Abs. 4 PartGG eine Haftungsbeschränkung ohne Gewerbesteuerpflicht. Darüber hinaus werde von den Möglichkeiten berufsrechtlicher Vorbehalte praktisch viel zu oft kein Gebrauch gemacht; dies gelte insbesondere für Freie Berufe, die keiner bundeseinheitlichen Regelung unterlägen und denen insofern faktisch weniger Aufmerksamkeit des Gesetzgebers zuteilwerde. Schollmeyer erwiderte, dass ein berufsrechtlicher Vorbehalt gleichwohl nötig sei und bei dessen Ausfüllung die unterschiedliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen wohl hingenommen werden müsse. Zudem erfahre der Bereich der Heilberufe seit einiger Zeit besondere politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die infolge der Corona-Pandemie noch
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ansteige. Vor diesem Hintergrund sei nicht fernliegend, dass nun auch Landesgesetzgeber jedenfalls in diesen Bereichen mit berufsrechtlichen Regelungen reagierten. Daraufhin schloss Roßkopf die Diskussion. Ihren Dank an den Referen- 10 ten und alle Diskutanten verband sie mit der Hoffnung, dass schon bald der ressortabgestimmte Referentenentwurf veröffentlicht werde, denn dieser verspreche für den langen Corona-Winter zweifellos interessanten Lesestoff.
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Die virtuelle Hauptversammlung – Notfalllösung mit Zukunftsperspektive? Volker Butzke Rechtsanwalt, Frankfurt/M. Rz.
Rz. I. Ein kurzer Blick zurück . . . . II. COVID-19 und die HV-Saison 2020 1. Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzgeberische Reaktion. . 3. Fundamentalkritik am COVID-19 Gesetz . . . . . . . . . . . . III. Praktische Umsetzung in der Hauptversammlungs-Saison 2020 1. Entscheidungsgrundlagen und -verfahren bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung im Einzelnen . a) Einberufung . . . . . . . . . . . . b) Stimmrechtsausübung . . . c) Rede-, Frage- und Auskunftsrecht . . . . . . . . . . . .
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d) Antragsrecht . . . . . . . . . . . e) Widerspruch und Anfechtungsrecht. . . . . . . . . . . . . 3. Erfahrungswerte jenseits der rechtlichen Gestaltung. . . . .
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IV. Zukunftsperspektiven 1. Hauptversammlungen bei fortwirkender Pandemie in 2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Eckpunkte für ein Zukunftsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Hybride Versammlungsformate als Königs- oder Irrweg? . . 41 V. Schlussbetrachtung . . . . . . . 1. Große Publikumsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kleinere börsennotierte und nicht notierte Gesellschaften
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Vorbemerkung Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen, und gelegent- 1 lich können solche Maßnahmen Entwicklungen anstoßen, die über ihren Anlass deutlich hinausreichen. Ob die COVID-19-Pandemie mit Blick auf die Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften eine solche Wirkung entfaltet, wird sich wohl erst in ein paar Jahren zeigen. Dass sie praktisch alle Publikumsgesellschaften zur Erprobung virtueller Hauptversammlungsmodelle zwingt, steht heute schon fest. Die gewonnenen Erfahrungen und Denkanstöße für zukünftige Gestaltungen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
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I. Ein kurzer Blick zurück 2 Schon die Aktionärsrechterichtlinie (ARRL I)1 verpflichtete die Mitgliedstaaten, bei börsennotierten Gesellschaften Hindernisse für die elektronische Teilnahme – einschließlich der Stimmrechtsausübung – an Hauptversammlungen abzubauen. Erklärtes Ziel war es dabei, besonders gebietsfremden Aktionären* den Zugang zu Informationen und zur Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung ohne persönliche Anwesenheit zu erleichtern (Erwägungsgrund 5), wozu elektronische Teilnahme oder Briefwahl als Instrumente aufgeführt wurden (Erwägungsgrund 9 und Art. 8).1 3 Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben mit dem ARUG in § 118 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AktG umgesetzt, wo jeweils den Gesellschaften ermöglicht wird, durch Satzungsregelung elektronische Teilnahme bzw. Briefwahl zuzulassen oder den Vorstand zu ermächtigen, solche Möglichkeiten zu schaffen. Er ging dabei insoweit über die Vorgaben der Richtlinie hinaus, als er die Möglichkeit für alle Aktiengesellschaften ohne Rücksicht auf Börsennotierung eröffnete. 4 Richtlinie und AktG sehen in Briefwahl und elektronischer Teilnahme lediglich mögliche Ergänzungen der physisch stattfindenden Hauptversammlung2, eröffnen also gerade nicht die Möglichkeit, eine Hauptversammlung ausschließlich virtuell durchzuführen. Andererseits bindet die Richtlinie die Hauptversammlung allerdings auch nicht zwingend an ein physisches Format und lässt damit insoweit den nationalen Gesetzgebern großen Gestaltungsspielraum3. 5 Viele börsennotierte Gesellschaften haben von der in § 118 AktG eröffneten Gestaltungsfreiheit durch Satzungsregelungen Gebrauch gemacht, die den Vorstand entsprechend ermächtigen. Briefwahl ist heute bei diesen Gesellschaften weit verbreitet, während elektronische Teilnahme – trotz der Möglichkeit, die Aktionärsrechte bei dieser Teilnahmeform sehr * Zur sprachlichen Vereinfachung wird nachfolgend bei geschlechtsdifferenzierenden Substantiven durchweg die männliche Form verwendet. 1 Richtlinie 2007/36/EG v. 11.7.2007, ABl. Nr. L 184/17 v. 14.7.2007. 2 RegBegr. BT-Drucks. 16/11642, 26; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 118 Rz. 10; Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2017, § 118 AktG Rz. 99 jew. m.w.N. 3 Spindler, ZGR 2018, 17, 25 f.; Lieder, FS E. Vetter, 2019, 419 ff.; Krenek in Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020, § 1 GesCoronaG Rz. 6.
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weitgehend zu beschränken, nur bei wenigen Gesellschaften (und regelmäßig beschränkt auf die Stimmrechtsausübung) praktiziert wurde. Dementsprechend fehlen auch bei den HV-Dienstleistern weitgehend Erfahrungen mit einer elektronischen Direktteilnahme von Aktionären mit Rede-, Frage- und Antragsrechten4.
II. COVID-19 und die HV-Saison 2020 1. Sachlage Als Ende Februar/Anfang März 2020 erste Beschränkungen für Groß- 6 veranstaltungen eingeführt wurden, waren die Vorbereitungen auf die Hauptversammlung bei den meisten Gesellschaften, deren Geschäftsjahr das Kalenderjahr ist, schon in vollem Gang. Mit einer Beschränkung von Veranstaltungen auf weniger als 500 Teilnehmer konnten Präsenzveranstaltungen größerer Publikumsgesellschaften mit oft mehreren Tausend Aktionären und einigen hundert Mitwirkenden seitens der Gesellschaft (Vorstand, Aufsichtsrat, Präsenzerfassung, HV-Dienstleister, Backoffice, Catering, Sicherheit) praktisch nicht mehr realisiert werden. Eine Rationierung der Teilnahmemöglichkeit hätte wohl nicht beherrschbare Anfechtungsrisiken begründet. Eine Verschiebung der Hauptversammlung in dem gesetzlichen 8-Monats-Rahmen war theoretisch denkbar, aber der weitere Verlauf der Pandemie war ungewiss, Hallenkapazitäten nicht ohne weiteres verfügbar und Juli/August als traditionelle Ferienmonate erschienen für Hauptversammlungen nur eingeschränkt geeignet. Und schließlich war es in dieser Situation kaum zu verantworten, Aktionäre durch Abhaltung einer Hauptversammlung unklaren gesundheitlichen Risiken auszusetzen.
2. Gesetzgeberische Reaktion Noch ehe die Gesellschaften sich für eine Lösung des Dilemmas ent- 7 scheiden mussten, reagierte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVID-19 Gesetz), das in wenigen Wochen konzipiert und im parlamentarischen Verfahren verabschiedet und am 27.3.2020 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde5. Es trat am 4 Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 118 Rz. 10; Wicke, beckonline Großkomm. AktG (Stand: 19.10.2020), § 130 Rz. 21. 5 BGBl. I, 569 ff.; Abdruck des FraktionsE mit Begründung BT-Drucks. 19/18110.
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28.3.2020 in Kraft. In Bezug auf Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften bietet sein Art. 2 § 1 zwei voneinander unabhängige Ansätze, um mit den pandemiebedingten Einschränkungen umzugehen: 8 a) Art. 2 § 1 Abs. 1 COVID-19 Gesetz eröffnet allen Aktiengesellschaften – auch ohne die nach § 118 AktG sonst erforderliche Satzungsgrundlage – die Möglichkeiten, die § 118 AktG mit elektronischer Teilnahme von Aktionären und Aktionärsvertretern, Briefwahl, Bildund Tonübertragung der Versammlung und Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern auf elektronischem Weg bereithält. Die Nutzung dieser Instrumente wird in die Entscheidungshoheit des Vorstands gegeben, der aber der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf (Art. 2 § 1 Abs. 6 COVID-19 Gesetz). Dieses Modell, das jedenfalls ergänzend die Durchführung einer Präsenzversammlung erfordert, dürfte bei nicht börsennotierten Gesellschaften flexible Lösungen ermöglicht haben, spielte aber bei börsennotierten Gesellschaften praktisch keine Rolle. b) In Art. 2 § 1 Abs. 2 COVID-19 Gesetz findet sich die ganz neu konzipierte Möglichkeit, eine rein virtuelle Hauptversammlung abzuhalten, also die physische Teilnahme der Aktionäre gänzlich auszuschließen, wenn einige Mindeststandards eingehalten werden. Von dieser Möglichkeit haben die Verwaltungen von Publikumsgesellschaften seit April 2020 nahezu ausnahmslos Gebrauch gemacht6. Die einzuhaltenden Mindeststandards, die der – ansonsten durchaus signifikanten – Möglichkeit zur Beschränkung von Aktionärsrechten Grenzen setzen, umfassen –
die vollständige Bild- und Tonübertragung der Versammlung
–
die Möglichkeit der Stimmrechtsausübung einerseits über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) und andererseits über Vollmachterteilung (an den Abstimmungsvertreter der Gesellschaft)
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Fragemöglichkeit im Wege elektronischer Kommunikation und
–
Widerspruchsrecht gegen Hauptversammlungs-Beschlüsse.
In diesem Rahmen, der auch den gänzlichen Ausschluss der ZweiWege-Kommunikation während der Hauptversammlung ermöglicht, wurden die diesjährigen Hauptversammlungen mit durchweg hohen
6 Zur Statistik im Einzelnen Danwerth, AG 2020, 776, 777.
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Teilnahmequoten7 durchgeführt, was zumindest verdeutlicht, dass mit der Virtualisierung kein grundlegendes Legitimationsdefizit verbunden war.
3. Fundamentalkritik am COVID-19 Gesetz a) Dass der Gesetzgebungsprozess in Rekordzeit verlief, beeinträchtigt die ordnungsgemäße demokratische Legitimation nicht. Mängel des Gesetzgebungsverfahrens sind nicht zu erkennen8. b) Verschiedentlich wird geltend gemacht, das Gesetz schränke das Eigentumsgrundrecht der Aktionäre unangemessen stark ein9. Diese Kritik verstört zunächst schon angesichts der Zwecksetzung des Gesetzes. Ihm geht es darum, den Aktionären in einer Zeit, in der an die Durchführung klassischer Hauptversammlungen nicht zu denken ist, die Ausübung der Aktionärsrechte in einem neuen Rahmen zu ermöglichen. Es dient also nicht der Einschränkung der Eigentumsrechte der Aktionäre gegenüber dem status quo ante, sondern im Gegenteil ihrer Wahrung. Ohne dieses Gesetz hätte es seit April 2020 kaum eine Hauptversammlung von Publikumsgesellschaften gegeben, die Gestaltungsrechte der Aktionäre hätten brachgelegen. Diese Überlegung rechtfertigt selbstverständlich nicht jede Ausgestaltung, es ging aber bei der Notfallgesetzgebung in der Sache nicht um Eigentumseingriff, sondern um eine Neuvermessung der Schranken des Eigentumsrechts in der bislang unbekannten Situation, für die das bisherige Recht den Aktionären keinerlei sichere Rechtsausübung eröffnete. Der Gesetzgeber, der die Ausübung von Aktionärsrechten eröffnen wollte, musste also fragen, welche individuellen Aktionärsrechte gewährt werden können, ohne das Ziel, den Aktionären in ihrer Gesamtheit auch in der Pandemie rechtssichere Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, zu gefährden. 7 Angabegemäß lag die Präsenz bei ca. 80 % der Versammlungen auf Vorjahresniveau oder darüber; bei der Deutsche Bank AG stieg die Präsenz (inklusive Briefwahlstimmen) von ca. 34,5 % in 2019 auf ca. 43,2 % in 2020. 8 Zum Gesetzgebungsverfahren Hirte in Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020, AbmilderungsG Vor Art. 1 Rz. 11 ff.; zur Beschlussfassung des Bundestags Plenarprotokoll 19/154, S. 19163. 9 Heidel/Lochner in Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020, § 1 GesCoronaG Rz. 28 ff.; kritisch auch Hippeli, DZWiR 2020, 263, 266 f.; Tröger, BB 2020, 1091, 1092, 1094.
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In der generell-abstrakten Welt der Gesetzgebung heißt das, dass Mindeststandards definiert werden können und müssen, die voraussichtlich einen praktikablen Rahmen für die Ausübung der Aktionärsrechte in allen (Publikums-)Gesellschaften bieten. Der Gesetzgeber muss nicht einen die Minderheitsrechte besser schützenden Weg vorgeben, wenn dessen Praktikabilität ungewiss ist. Nach diesen Kriterien hat er Festlegungen getroffen, die – wie der Blick auf die letzten Monate zeigt – geeignet und unter Berücksichtigung der Prognoseunsicherheit erforderlich waren, um Publikums-Hauptversammlungen auf breiter Basis durchzuführen. c) Zum Teil wird auch darauf hingewiesen, dass die starke Reduzierung des Auskunftsrechts, die Art. 2 § 1 Abs. 2 COVID-19 Gesetz zulässt, dem Mindeststandard des Art. 9 der Aktionärsrechterichtlinie nicht gerecht werde und das Gesetz somit europarechtswidrig sei bzw. einschränkend europarechtskonform ausgelegt werden müsse10. Allerdings beansprucht die Aktionärsrechterichtlinie keine unmittelbare Geltung im deutschen Recht, so dass der behauptete Verstoß für die Wirksamkeit der Regelung nicht relevant wäre11. Vor allem aber erkennt auch die Aktionärsrechterichtlinie an, dass Anforderungen an den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung dem Fragerecht Grenzen setzen können12. Dieser Gedanke dürfte auch die Regelung im COVID-19 Gesetz tragen.
III. Praktische Umsetzung in der HauptversammlungsSaison 2020 1. Entscheidungsgrundlagen und -verfahren bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen 10
Auch in der Pandemie bleibt es dabei: Es ist grundsätzlich Aufgabe des Vorstands, die Hauptversammlung einzuberufen (§ 121 Abs. 2 Satz 1 10 Heidel/Lochner in Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020, § 1 GesCoronaG Rz. 39 ff.; offen gelassen durch LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, AG 2020, 598; zur einschränkenden Auslegung Tröger, BB 2020, 1091, 1094; Lieder, ZIP 2020, 837, 841. 11 Dazu etwa EuGH v. 14.7.1994 – C 91/92, NJW 1994, 2473; EuGH v. 10.3.2005 – C 235/03, NJW 2005, 1263. 12 Vgl. aus der aktuellen Diskussion Noack/Zetzsche, AG 2020, 265, 271; Schäfer, NZG 2020, 481, 483; Tröger, BB 2020, 1091, 1094; grundsätzlich auch Heidel/Lochner in Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020, § 1 GesCoronaG Rz. 53.
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AktG) und für deren Vorbereitung zu sorgen13. Dabei muss er die aktuelle Lage und mögliche Entwicklungen jedenfalls zwischen Einberufungsbeschluss und Versammlungstag, also einen Prognosezeitraum von fast zwei Monaten14 berücksichtigen. In diesem Jahr sahen sich die Vorstände mit einer ungewohnt hohen Prognoseunsicherheit konfrontiert, seit die Pandemie Europa erreichte. Schon die Entscheidung zwischen Durchführung und Verschiebung der 11 Hauptversammlung fiel schwer, weil eine zuverlässige Prognose der Entwicklung des Geschehens nicht möglich war. Die Rückschau zeigt, dass es – wo nicht zwingender Zeitdruck die Entscheidung vorgab – kein „Richtig oder Falsch“ gab. Wer verschob, griff schließlich doch zu virtuellen Formaten und hatte zum Teil mit den wenig erprobten Regeln des ARUG II15 Neuland zu betreten. Leichter fiel die Entscheidung zwischen dem rein virtuellen Modell des Art. 2 § 1 Abs. 2 COVID-19 Gesetz und hybriden Strukturen. Angesichts der nicht vorhersehbaren öffentlich-rechtlichen Teilnahmebeschränkungen blieb den Vorständen von Publikumsgesellschaften praktisch nur die Nutzung des virtuellen Modells.
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Nicht rechtlich vorgezeichnet, aber unter Risikogesichtspunkten auch klar zu entscheiden, war die Frage, ob im Rahmen der Hauptversammlung nach Art. 2 § 1 Abs. 2 COVID-19 Gesetz eine 2-Wege-Kommunikation, also die Möglichkeit für Aktionäre, selbst an der Hauptversammlung teilzunehmen und Frage-, Stimm- und Antragsrechte auszuüben, eröffnet werden sollte. Erfahrungswerte der Dienstleister mit solchen Formaten lagen nur in sehr beschränktem Umfang vor, so dass auch die-
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13 Zu den Vorbereitungsmaßnahmen im Einzelnen etwa Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 5. Aufl. 2011, B 3 ff. 14 Beschlussfassungen von Vorstand und Aufsichtsrat, Einreichung des Veröffentlichungstextes zum Bundesanzeiger und in der Regel mindestens 36 Tage zwischen Veröffentlichung und HV-Tag. Der erforderliche Zeitraum für Vorbereitungsmaßnahmen ist sogar noch deutlich länger, wenn ein Saal angemietet und Dienstleister beauftragt werden müssen. 15 Gesetz zur Umsetzung der zweiten AktionärsrechteRL vom 12.12.2019, BGBl. I 2637, das uneingeschränkt auf nach dem 3.9.2020 einberufene Hauptversammlungen anzuwenden ist, aber auch bei lediglich nach diesem Zeitpunkt durchgeführten Hauptversammlungen Wirkung zeigt – dazu auch Zetzsche, AG 2020, 1 ff.; Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 722.
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se in der Regel von der Nutzung abrieten. Die Vorstände folgten ganz überwiegend diesem Rat16. 14 Die sich so ergebenden Weichenstellungen führten in die Nutzung der Möglichkeiten, die Art. 2 § 1 Abs. 1 und 2 COVID-19 Gesetz eröffnet, und damit in das Erfordernis, die Zustimmung des Aufsichtsrats nach Art. 2 § 1 Abs. 6 COVID-19 Gesetz einzuholen.
2. Ausgestaltung im Einzelnen 15
Der Blick auf die unter dem COVID-19 Gesetz durchgeführten Hauptversammlungen zeigt, dass mit kleinen Varianten ähnliche Lösungen für die Ausgestaltung und damit für den Umgang mit Aktionärsrechten gefunden wurden, die sich im groben Überblick wie folgt zusammenfassen lassen:
a) Einberufung 16
Art. 2 § 1 Abs. 3 COVID-19 Gesetz hat generell die Möglichkeit geschaffen, die Einberufungsfrist für Hauptversammlungen, die nach dieser Regelung durchgeführt werden, auf das europarechtliche Minimum von 21 Tagen zu verkürzen. Damit wurde insbesondere in der Frühphase die Einhaltung angekündigter Zeitpläne möglich, um (Dividenden)Erwartungen institutioneller Anleger Rechnung zu tragen17. Während so kurze Fristen im Zielbild des ARUG II, also bei rein elektronischer Kommunikation, vermutlich praktikabel wären, sind sie aktuell besonders bei Inhaberaktien, bei denen der Nachweisstichtag dann nur 12 (statt 21) Tage vor der Hauptversammlung liegt, für die Abwicklung sehr eng gesetzt. Auch Tagesordnungsergänzungen, die bei einer Fristverkürzung bis 14 Tage vor der Hauptversammlung verlangt werden können, würden kaum noch in den üblichen Bearbeitungsprozess institutioneller Aktionäre passen. Nach der Startphase wurde die Möglichkeit der Verkürzung der Einberufungsfrist nur noch vereinzelt genutzt. Tagesordnungsergänzungen bei verkürzter Einberufungsfrist sind in dieser Saison nicht bekannt geworden, so dass keine größeren praktischen Probleme 16 Laut Danwerth, AG 2020, 776, 783 f wurde von 326 von ihm untersuchten Hauptversammlungen lediglich in 5 Hauptversammlungen (1,5 %) eine Online-Teilnahme, also die Zwei-Wege-Kommunikation, ermöglicht. 17 Zur Nutzung der Möglichkeit der Fristverkürzung im Zeitablauf und der möglichen Motivation der Gesellschaften vgl. Danwerth, AG 2020, 776, 778; vgl. auch Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 722 f.
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berichtet wurden. Allerdings ist – auch mit Blick auf die Hauptversammlungs-Saison 2021 – eine solche Fristverkürzung nicht empfehlenswert18. Sie gefährdet die Rechtsausübung durch Aktionäre ohne Not.
b) Stimmrechtsausübung Wie erwähnt, haben die Gesellschaften nahezu ausnahmslos auf die Mög- 17 lichkeit der als riskant empfundenen Zwei-Wege-Kommunikation in der Hauptversammlung verzichtet und den Aktionären – entsprechend den Minimalanforderungen des Art. 2 § 1 Abs. 2 COVID-19 Gesetz – die Stimmrechtsausübung ausschließlich im Weg der Briefwahl und der Erteilung von Vollmacht und Weisungen an Abstimmungsvertreter der Gesellschaft ermöglicht. Da elektronische Plattformen die Änderung der Briefwahlstimmen und Weisungen praktisch bis unmittelbar vor der Abstimmung ermöglichten, konnten alle Informationen aus der Hauptversammlung in der Stimmausübung berücksichtigt werden. Wesentliche Beeinträchtigungen gegenüber der Stimmausübung in der Präsenzversammlung ergaben sich damit für den Großteil der Aktionäre nicht. Eher verbesserten sich die Reaktionsmöglichkeiten für Aktionäre, die die Hauptversammlung ansonsten gar nicht unmittelbar verfolgt hätten.
c) Rede-, Frage- und Auskunftsrecht Großaktionäre und institutionelle Anleger sind weder zur Informations- 18 beschaffung noch zum Austausch mit dem Vorstand auf die Hauptversammlung angewiesen. Sie artikulieren Kritik oft weniger öffentlichkeitswirksam und sind häufig in der Hauptversammlung nur durch Bevollmächtigte vertreten, deren Abstimmverhalten Wochen vor dem Termin festgelegt wurde. Dennoch ist der Austausch mit dem Vorstand in der idealen Welt eine zentrale Funktion der Hauptversammlung. Direkte Interaktion, kritisches Hinterfragen der Leistungen von Vorstand und Aufsichtsrat, unmittelbare Konfrontation mit unangenehmen Themen machen für viele (Klein)Aktionäre auch in der Realität großer Publikumsgesellschaften einen wesentlichen Reiz der Präsenzveranstaltung aus.
18 Ebenso Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 723; Herb/Michelbach, DStR 2020, 811, 816.
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19 Hier hat das COVID-19 Gesetz die wohl gewichtigsten Einschränkungen gebracht. Es verlangt zwar ein Fragerecht im Wege elektronischer Kommunikation, lässt aber einen Einreichungsschluss bis zu zwei Tage vor der Hauptversammlung zu und stellt in das pflichtgemäße freie Ermessen des Vorstands, „welche Fragen er wie beantwortet“ (Art. 2 § 1 Abs. 2 Satz 2 COVID-19 Gesetz). 20 Grund der Restriktionen war die Prognoseunsicherheit. Redezeitbeschränkung und Schluss der Debatte haben im Internet keine erprobte Entsprechung, so dass eine Überflutung mit Fragen befürchtet wurde19. Diese Furcht war auch nicht gänzlich unbegründet. Einige Gesellschaften konnten eine deutliche Ausweitung der Zahl der Fragen gegenüber ihren Präsenz-Hauptversammlungen feststellen20, ohne dass die Zahl der Fragesteller angestiegen wäre. 21 Insgesamt ermöglichte die Befristung der Frageneinreichung, die nahezu alle Gesellschaften im Jahr 2020 nutzten21, eine Strukturierung des Antwortprozesses und zum Teil die Vermeidung von Wiederholungen. Sie erlaubte den Gesellschaften auch, auf die rechtlich mögliche Auswahl der zu beantwortenden Fragen zu verzichten und die eingegangenen Fragen fokussiert aber vollständig zu beantworten. 22 Als für die Aktionäre nützlich hat sich erwiesen, die vorbereiteten Reden jedenfalls des Vorstands vorab elektronisch zugänglich zu machen, so dass Fragen darauf aufbauen konnten22. Auch Wege für eine begrenzte Ausweitung (z.B. durch begrenzte Nachfragemöglichkeit) sollten auf der Basis der im Jahr 2020 gewonnenen Erfahrungen gesucht werden23. 19 Begr. zum FraktionsE BT-Drucks. 19/18110, 26; Noack/Zetzsche, AG 2020, 265, 270 (Rz. 48); Kruchen, DZWiR 2020, 431, 455. 20 So gingen bei der Deutschen Bank im Vorfeld der Hauptversammlung und insbesondere in den letzten Stunden der vorgegebenen Frist nahezu doppelt so viele Fragen ein, wie in der vorangehenden Präsenz-HV. 21 Danwerth, AG 2020, 776, 780 f.; kritisch dazu Dubovitskaya, NZG 2020, 647, 651. 22 Das entsprechende Vorgehen der Deutschen Bank zu ihrer Hauptversammlung im Mai 2020 ist u.a. bei Aktionärsvereinigungen auf positive Aufnahme gestoßen und wurde zwischenzeitlich auch von anderen Unternehmen aufgegriffen. 23 Freiräume für solche Entwicklungen wird es allerdings nur geben können, wenn die Beantwortung der vorab eingereichten Fragen in überschaubarem zeitlichen Rahmen gehalten werden kann – die Hauptversammlung 2020 der Deutsche Bank AG schloss (ohne Nachfragen) erst gegen 20 Uhr, die zwi-
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d) Antragsrecht Das COVID-19 Gesetz schweigt zum Antragsrecht der Aktionäre. In 23 den Materialien wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass das Antragsrecht nach dem Konzept des AktG nur in der Hauptversammlung ausgeübt werden kann, also nicht (elektronisch oder physisch) an der Hauptversammlung teilnehmende Aktionäre es nicht nutzen können24. In dem Modell der Hauptversammlung ohne Zwei-Wege-Kommunikation ist dann die Möglichkeit, dass Aktionäre selbst Anträge in die Hauptversammlung einbringen, ausgeschlossen. Diese Konsequenz wird zu Recht als unbefriedigend empfunden. Zum 24 Teil werden nach §§ 126, 127 AktG zugänglich gemachte Anträge in der Hauptversammlung als gestellt behandelt. Dogmatisch ist das nicht ganz befriedigend, aber dieses Vorgehen stellt praktikabel sicher, dass alle Aktionäre die Möglichkeit hatten, sich vorab eine Meinung zu dem Vorschlag zu bilden. Ein konsistenterer Weg wäre es, die Abstimmungsvertreter der Gesellschaft als Bevollmächtigte auch zur Antragstellung in die Pflicht zu nehmen. Das geht allerdings deutlich über deren konzeptionellen Aufgabenbereich hinaus und dürfte nur mit klaren Vereinbarungen u.a. zum Haftungsausschluss für diese zumutbar sein. Besonders sehr kurzfristige (Verfahrens)Anträge sind im rein virtuellen 25 Format gleich auf welchem Weg problematisch. Da präsente Aktionäre fehlen, drohen hier Zufallsmehrheiten, weil eine breite Abstimmung im Aktionärsportal regelmäßig nicht erfolgen wird. Ein überzeugendes Modell fehlt hier noch.
e) Widerspruch und Anfechtungsrecht Für den Widerspruch würde dasselbe gelten, wie für das Antragsrecht, 26 wenn nicht Art. 2 § 1 Abs. 4 COVID-19 Gesetz insoweit Vorsorge getroffen und ermöglicht hätte, diesen auch ohne Teilnahme an der Hauptverschenzeitliche Stärkung des Fragerechts könnte den Freiraum für Nachfragen weiter beschränken. 24 Begr. zum FraktionsE BT-Drucks. 19/18110, 26; ebenso Kruchen, DZWiR 2020, 431, 453 ff.; zu Möglichkeiten der Ausübung des Antragsrechts in der HV und kritisch zu einem völligen Ausschluss Noack/Zetzsche, AG 2020, 265, 269 (Rz. 23); Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 813 f.; Simons/Hauser, NZG 2020, 488, 493 f.; Heidel/Lochner in Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020, § 1 GesCoronaG Rz. 89 ff.; Herrler in Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 118 Rz. 37r ff.
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sammlung zu Protokoll zu geben. Bewährt hat sich hier eine direkte E-Mail-Kommunikation mit dem Notar, die Zweifel an der ordnungsgemäßen Weiterleitung durch die Gesellschaft von vornherein ausschließt25. 27
Die Anfechtungsmöglichkeiten sind in Art. 2 § 1 Abs. 7 COVID-19 Gesetz deutlich gegenüber dem AktG eingeschränkt. Besonders Mängel bei der Ausgestaltung der Versammlung und der Fragenbeantwortung sollten die Gesellschaft nicht Risiken aussetzen, die sie vor der Durchführung der Hauptversammlung zurückschrecken lassen könnten. Während eine Reform des Anfechtungsrechts seit vielen Jahren auf der Agenda steht26, ist der Ansatz des COVID-19 Gesetzes zwar wohl für die Notfalllösung geboten, aber zu holzschnittartig, als dass er unverändert Eingang ins Aktienrecht finden sollte.
3. Erfahrungswerte jenseits der rechtlichen Gestaltung 28
Neben der rechtlichen Ausgestaltung der virtuellen Hauptversammlung nach COVID-19 Gesetz, die teils überzeugende Ansätze, teils deutliche Defizite der Notfalllösung erkennen lässt, lassen sich einige weitere Feststellungen treffen, die für die mögliche Zukunftsperspektive relevant werden können:
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Positiv ist sicher, dass der Aufwand der Aktionäre für die Wahrnehmung der Aktionärsrechte auch mit unmittelbarem Eindruck von der Veranstaltung deutlich geringer ist, als bei der Präsenzversammlung. Die Möglichkeit, das Geschehen online zu verfolgen und bis unmittelbar vor der Abstimmung online das Stimmverhalten zu ändern, ist für interessierte Aktionäre – gleich ob aus dem In- oder Ausland – sehr bequem. Auch für die Gesellschaft ist eine rein virtuelle Hauptversammlung (jedenfalls wenn sich ein verlässliches Verfahren etabliert hat) deutlich kostengünstiger als eine Präsenzveranstaltung mit Saalmiete, viel Personal und Catering. Schließlich lassen die vorab eingereichten Fragen auch eine fokussierte Beantwortung durch Bündelung und Straffung der Abläufe zu, so dass der Informationsgehalt der Hauptversammlung steigen kann.
25 Dazu auch Kruchen, DZWiR 2020, 431, 459; eher für Nutzung eines Gesellschaftsportals Herrler in Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 118 Rz. 37o, p. 26 Vgl. etwa Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617 ff. und die Diskussion auf dem 72. DJT 2018.
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Aber das Internet schafft Distanz. Die Wirkung der Antworten kann nicht wahrgenommen werden und auch Rede und Gegenrede sind nicht nur wegen des Zeitversatzes der Übertragung kaum möglich. Zugleich steigt das Risiko, dass aufgrund der gefühlten Anonymität des Netzes die soziale Kontrolle auch unter den Aktionären verlorengeht und unangemessene oder unkontrolliert ausschweifende Beiträge eingehen.
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Schließlich bindet die virtuelle Hauptversammlung nur einen kleinen Teil der Organmitglieder ein. Die anderen können der Veranstaltung physisch fernbleiben27, jedenfalls aber bei gut abgestimmter Kameraführung unerkannt auf die Verfolgung des Geschehens verzichten. Insgesamt geht der persönliche Kontakt, der für Kleinaktionäre nur im Rahmen der Hauptversammlung erreichbar ist, verloren.
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IV. Zukunftsperspektiven 1. Hauptversammlungen bei fortwirkender Pandemie in 2021 Das COVID-19 Gesetz hatte zunächst eine bis zum 31.12.2020 begrenz- 32 te Laufzeit, sieht aber in Art. 2 § 8 vor, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Geltung der Regelungen des Art. 2 des COVID-19 Gesetzes, also insbesondere auch die Regeln zur virtuellen Hauptversammlung, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bis längstens 31.12.2021 verlängern kann, wenn die Auswirkungen der Pandemie in der Bundesrepublik dies geboten erscheinen lassen. Dies hat der Gesetzgeber, wie gerade die jüngste Entwicklung zeigt, zu Recht, bejaht und die entsprechende Rechtsverordnung am 20.10.2020 erlassen28. 27 Sie sollen zwar teilnehmen, aber physische Anwesenheit ist nicht erforderlich, vgl. etwa Noack/Zetzsche, AG 2020, 265, 268; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 816. 28 Vgl. BGBl. I v. 28.10.2020, S. 2258. Nach Fertigstellung des Manuskripts hat der Bundesgesetzgeber mit Art. 11 und 12 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (…) (BGBl. I 2020, S. 3328 ff.) Änderungen in dem die Hauptversammlung betreffenden Teil des COVID-19 Gesetzes vorgenommen und die entsprechende Regelung in der Rechtsverordnung mit Wirkung ab 1.3.2021 aufgehoben. Die Neuregelung stärkt die Aktionärsrechte durch Einführung eines erweiterten Fragerechts und einer Antragsfiktion, wie sie bereits in der Hauptversammlungssaison 2020 von vielen Gesellschaften (ohne zuverlässige Rechtsgrundlage) praktiziert worden war.
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34 Angesichts der bereits beschriebenen Vorlaufzeiten bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen war diese Entscheidung auch zu diesem Zeitpunkt erforderlich, um Gesellschaften, die Anfang 2021 ihre Hauptversammlung abhalten müssen, Klarheit zu verschaffen. Sie dürften eine virtuelle Hauptversammlung planen und durchführen, wenn (und weil) das die einzige sicher realisierbare Alternative ist. 35 Bei der Ausgestaltung dieser Hauptversammlungen müssen natürlich die Erfahrungen aus den im Jahr 2020 durchgeführten virtuellen Hauptversammlungen berücksichtigt werden. Das mag zu weiter gehenden Lösungen im Umgang mit Gegenanträgen führen. Auch die Zulassung einzelner Nachfragen noch während der Hauptversammlung wäre denkbar. Bewährt hat sich aus meiner Sicht die Vorab-Veröffentlichung der Reden von Versammlungsleiter und – vor allem – Vorstand, die zielgerichtete Fragen der Aktionäre ermöglichen und dem Gedanken eines Austauschs zumindest in Grenzen entsprechen. 36 Für den weiteren Verlauf des Jahres gibt die Verlängerung des Geltungszeitraums keinen Freibrief für die Gesellschaften. Während die Begründung des Referentenentwurfs der Rechtsverordnung lediglich einen Appell enthält, von dem Instrumentarium des COVID-19 Gesetzes „nur dann Gebrauch zu machen, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens erforderlich erscheint“29, dürfte eine Nutzung der Möglichkeiten des COVID-19 Gesetzes nach vollständigem Wegfall der pandemiebedingten Beschränkungen und Risiken richtigerweise sogar ermessensfehlerhaft und damit pflichtwidrig sein30. Die Ausgestaltung von Versammlungen mit einem eingeschränkten Universum von Aktionärsrechten ist, wie erwähnt, durch die Pandemiesitua-
Die nachfolgenden Ausführungen werden durch diese Änderungen nicht wesentlich berührt und bleiben daher unverändert. Die Umsetzung der geänderten Vorgaben in der Hauptversammlungssaison 2021 kann weitere nützliche Hinweise für die Ausgestaltung eines Zukunftsmodells rein virtueller Hauptversammlungen geben. 29 Referentenentwurf vom 18.9.2020, S. 6, zitiert nach https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Verlaengerung_Bekaempfung_Coro na.html, zuletzt abgerufen: 3.12.2020. 30 So zu Recht schon für einen etwaigen Wegfall der Beschränkungen in 2020 Tröger, BB 2020, 1091, 1094; Krenek in Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020, § 1 GesCoronaG Rz. 7; wohl a.A. E. Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1177 f.
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tion begründet und gerechtfertigt, aber eben als Notfalllösung gedacht und in ihrer Anwendung auf diese Situation beschränkt. Allerdings gilt auch hier wieder: Zwischen Vorbereitung und Durchfüh- 37 rung der Hauptversammlung liegen mehrere Monate. Der Vorstand muss (wenn er vom COVID-19 Gesetz Gebrauch machen will, mit Zustimmung des Aufsichtsrats) zu Beginn die Weichen stellen und zu diesem Zeitpunkt eine unternehmerische Entscheidung zwischen Verschiebung, virtuellem Format und Präsenzversammlung treffen, und dabei einen nach dem Erkenntnisstand sicheren Weg wählen. Wenn mit hinreichender Sicherheit wieder klassische Hauptversammlungen durchführbar sind, oder ohne Nachteil zugewartet werden kann, bis solche Formate wieder zweifelsfrei durchführbar sein werden, sollte sich die Gesellschaft dafür entscheiden. Dabei muss – auch das ist eine Erkenntnis aus der diesjährigen Saison – nicht auf die vage Hoffnung auf Besserung gesetzt werden. Wer auf diese gestützt im Jahr 2020 die Hauptversammlung vertagte, endete schließlich doch bei virtuellen Formaten ohne erkennbare Vorteile für Aktionäre oder Gesellschaft.
2. Eckpunkte für ein Zukunftsmodell Einige positive Effekte des virtuellen Hauptversammlungsformats ha- 38 ben die Frage aufkommen lassen, ob nicht krisenunabhängig das Aktiengesetz um ein rein virtuelles Angebot zumindest31 erweitert werden sollte. Aus meiner Sicht ist diese Überlegung klar zu unterstützen. Online-Hauptversammlungen können die Teilnahme nicht nur für ausländische Aktionäre deutlich erleichtern. Sie können bei deutlich reduziertem Aufwand für Gesellschaft und Aktionäre sehr fokussierte Veranstaltungen mit hohem Informationswert ermöglichen und sind damit eine wertvolle Erweiterung des gesetzlichen Angebots, die sicher auf Akzeptanz stoßen wird, wo ein solches Format für die Beteiligten passt.
31 Vereinzelt wird gar über virtuelle Formate als Regelfall nachgedacht – vgl. Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 725 f. Das könnte zwar einen initialen Schub schaffen, letztlich muss aber jede Gesellschaft das für sie in der konkreten Situation passende Format finden. Wenn virtuelle Lösungen (auch nach den Erfolgen in der Pandemie) nicht für sich überzeugen, sollte nicht künstlicher Druck durch den Gesetzgeber aufgebaut werden.
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39 Als neues Modell im Aktiengesetz sollte die virtuelle Hauptversammlung allerdings nicht als „Hauptversammlung light“ positioniert werden, über die Verwaltung oder Großaktionäre wesentliche Teile der Aktionärskritik von sich fernhalten können. Außerhalb der aktuellen Notlage muss nach meiner Überzeugung eine gesetzliche Regelung sicherstellen, dass die Aktionärsrechte nicht wesentlich gegenüber einer alternativ möglichen Präsenzhauptversammlung reduziert sind. Unbedenklich erscheint es mir dagegen, dass rein elektronischen Formaten nicht internetaffine Aktionäre tendenziell fernbleiben werden. Eine relevante Zugangsbeschränkung stellt dieses Medium angesichts seiner nahezu flächendeckenden Verbreitung nicht dar. Selbst aus schlecht erschlossenen Regionen kann jeder interessierte Aktionär mit deutlich geringerem Aufwand als bei Anreise zum Versammlungsort die elektronische Teilnahme ermöglichen. Für große Aktionärsgruppen eröffnet das virtuelle Format überhaupt erst eine realistische Teilnahmemöglichkeit, so dass – bestätigt durch die Erfahrung der COVID-Hauptversammlungen – tendenziell steigende Präsenzen bei diesem Format zu erwarten sein dürften. 40 Einen vollständig durchdachten Vorschlag für den Gesetzgeber vorzulegen, würde dieses Format sprengen, daher sollen hier nur einige Kernüberlegungen angesprochen werden: a) Die heutige Ausgestaltung des deutschen Anfechtungsrechts ist seit vielen Jahren berechtigter Kritik ausgesetzt32. Das gilt unabhängig von der Einführung einer rein virtuellen Hauptversammlung, wird aber – gerade im Bereich des Auskunftsrechts – dringlicher, wenn über die Online-Teilnahme deutlich erweiterte Fragemöglichkeiten eröffnet werden33. Umgekehrt würde eine spezifische Beschränkung des Anfechtungsrechts wegen Informationsmängeln bei rein virtuellen Hauptversammlungen zu Recht auf Kritik stoßen, wenn sie nicht durch technische Besonderheiten getragen ist. Das Anfechtungsrecht muss daher insgesamt so neu justiert werden, dass es auch für rein virtuelle Hauptversammlungen keine prohibitiven Risiken schafft. Eine Sonderregelung für die Online-Teilnahme bleibt allerdings geboten: technische Störungen außerhalb des Herrschaftsbereichs der
32 Vgl. oben Fn. 26. 33 Zu den diesbezüglichen Sorgen des Gesetzgebers des COVID-19 Gesetzes, die zu den aktuellen, restriktiven Regeln führten, BT-Drucks. 19/18110, S. 26 und oben Fn. 19.
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Gesellschaft dürfen grundsätzlich kein Anfechtungsrecht auslösen34. Dass die Gesellschaft bei ihr bekannt werdenden allgemeinen Störungen z.B. durch Unterbrechung der Debatte reagieren muss, bleibt davon unberührt. b) Eine rein virtuelle Hauptversammlung, in der die Aktionäre nur per Briefwahl oder über einen von der Gesellschaft bereitgestellten Vertreter ihre Rechte ausüben können, erscheint nicht als adäquate Option. Direkte Teilnahme und Zwei-Wege-Kommunikation ist für ein nachhaltiges Modell unverzichtbar. c) Auch wenn man Möglichkeiten zur Vorabeinreichung von Fragen, die sich unter dem COVID-19 Gesetz grundsätzlich bewährt haben, beibehält, gehört das Frage- und Rederecht in der Hauptversammlung zum Kernbestand der Aktionärsrechte, der auch in der rein virtuellen Hauptversammlung außerhalb des aktuellen Krisenmodus nicht aufgegeben werden sollte. Beschränkungen des Fragerechts (quantitative Beschränkung, evtl. Auswahlermessen des Vorstands) sind wohl erforderlich, um die Durchführbarkeit der Hauptversammlung nicht zu gefährden. Jedenfalls für Sachanträge sollte auch über eine Ankündigungspflicht nachgedacht werden, um dem Risiko von Zufallsmehrheiten bei spontan gestellten Anträgen zu begegnen. d) Ob man dem Vorstand die freie Entscheidung geben sollte, eine rein virtuelle Hauptversammlung einzuberufen, ihn jedenfalls an die Zustimmung des Aufsichtsrats binden sollte, oder – wie heute in § 118 AktG – eine Satzungsregelung zur Voraussetzung der Nutzung dieser Gestaltung macht, ist eine Abwägungsfrage. Jedenfalls sollten die Aktionäre – richtigerweise auch schon die Minderheit nach § 122 Abs. 1 AktG, die auch die Einberufung einer Hauptversammlung verlangen kann – berechtigt sein, die Durchführung einer Präsenzversammlung zu verlangen. Erwägenswert ist darüber hinaus, ob für besonders weitreichende Beschlüsse, die regelmäßig intensiver Diskussion bedürfen (Strukturbeschlüsse, Liquidation, …), die Durchführung einer Präsenzversammlung zwingend vorgeschrieben werden sollte. Hier kann der unmittelbare Austausch unter Einbeziehung des gesamten Vorstands, der bei virtuellen Formaten nicht sichergestellt ist, für die Aktionäre besondere Bedeutung haben. 34 So im Grundsatz schon derzeit § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG – dazu nur Hüffer/ Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 243 Rz. 44; für noch weiter gehenden Ausschluss in einem künftigen Modell auch Dubovitskaya, NZG 2020, 647, 652 f.
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3. Hybride Versammlungsformate als Königs- oder Irrweg? 41
Die vorstehenden Überlegungen scheinen darauf hinzudeuten, dass eine Kombination von Präsenzveranstaltung und virtuellem Format, wie sie § 118 AktG schon heute ermöglicht, auch wenn sie bislang kaum genutzt wurde, alle Vorteile beider Welten (außer der Kostenersparnis) vereint. Investoren können individuell entscheiden, welche Teilnahmeform ihren Bedürfnissen gerecht wird, und die Kombinationsmodelle, die § 118 AktG bei entsprechender Satzungsermächtigung dem Vorstand eröffnet, lassen so weitgehende Beschränkungen der Rechte der OnlineTeilnehmer zu, dass die rechtlichen Risiken aus dieser zusätzlichen Teilnahmeform beherrschbar bleiben35. Neben der vollständigen Übertragung der Hauptversammlung könnten insbesondere die Öffnung von Aktionärsportalen für Weisungsänderungen bis unmittelbar vor der Abstimmung und die Möglichkeit, vorab eingereichte Fragen (ohne sanktionierte Antwortpflicht) in der Hauptversammlung aufzugreifen, als positive Erfahrungen aus den COVID-19 Hauptversammlungen einfließen.
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Bei aller Flexibilität, die § 118 AktG schon heute eröffnet, bleibt es allerdings dabei, dass bei dem heutigen Modell die Präsenzversammlung führt und die Rechte der präsenten Aktionäre uneingeschränkt gewahrt werden müssen. Das wird bei diesen Modellen tendenziell zu Einschränkungen der Rechte virtuell teilnehmender Aktionäre im Interesse des Risikomanagements führen, was die Wahrnehmung gleichberechtigter Teilnahme gefährdet. Dass sich hybride Formen der Hauptversammlung bislang nicht durchgesetzt haben und wohl auch perspektivisch nur beschränkte Attraktivität haben, dürfte neben dem dort deutlich erhöhten organisatorischen und finanziellen Aufwand für die Gesellschaft vor allem daran liegen, dass sich die Risiken umso mehr kumulieren, je mehr man die Position der virtuellen Teilnehmer ausbaut. Rein virtuelle Gestaltungen sind insoweit deutlich leichter beherrschbar und zudem finanziell attraktiver, so dass wohl nur auf diesem Weg eine zügige Neuorientierung großer Publikumshauptversammlungen möglich wäre.
V. Schlussbetrachtung 43
Während sich die aktuelle Diskussion intensiv mit Formen der Hauptversammlung befasst, gerät eine andere Frage etwas in den Hintergrund, 35 Vgl. nur Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 118 Rz. 10 ff.
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die Probleme der Hauptversammlung weitaus grundsätzlicher anspricht und damit auch Rückwirkungen auf die vorstehende Diskussion haben kann, nämlich die nach den Aufgaben, die die Hauptversammlung heute und in Zukunft erfüllen soll. Die Antwort darauf lässt sich nach meinem Eindruck nicht einheitlich geben, sie fällt je nach Zuschnitt der Gesellschaft sehr unterschiedlich aus.
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1. Große Publikumsgesellschaften Der Aktionärskreis dieser Gesellschaften ist oft durch institutionelle, zunehmend passiv investierende Investoren und einzelne Großaktionäre geprägt, während die Bedeutung privater Aktionäre jedenfalls was die Kapitalbeteiligung betrifft in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ist. Für viele institutionelle Investoren und praktisch alle Großaktionäre ist nicht die Hauptversammlung der Ort, um mit dem Vorstand zu kommunizieren. Die Informationsversorgung der Aktionäre erfolgt hier primär im Rahmen der Kapitalmarktkommunikation, große Investoren werden über Analystenkonferenzen und Roadshows erreicht und adressieren etwaige Kritik dort oder auf anderen Wegen unmittelbar an die Gesellschaft. Auch das Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung wird von diesen Aktionären, die oft an einer Vielzahl von Gesellschaften beteiligt sind (und vielfach die ganz überwiegende Mehrheit des in der Hauptversammlung vertretenen Kapitals repräsentieren), meist Wochen vor der Veranstaltung festgelegt. Allenfalls in wenigen Sondersituationen sorgen institutionelle Investoren für Erreichbarkeit am Tag der Hauptversammlung, um auf (vorhersehbare) kurzfristige Entwicklungen reagieren zu können.
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Die Abstimmungsergebnisse sind dann weitgehend vorab festgelegt, umgekehrt drohen aber auch bei spontanen Beschlussanträgen Zufallsmehrheiten – beides sind wenig wünschenswerte Phänomene. Allerdings sind auch bei verstärkt virtuellen Hauptversammlungen nachhaltige Verhaltensänderungen insoweit wenig wahrscheinlich. Die Bedeutung des Austauschs am Hauptversammlungstag wird bei großen Publikumsgesellschaften also unabhängig vom Format wohl eher gering bleiben.
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Während das öffentliche Bild von Publikumshauptversammlungen zum 47 Teil durch lange kontroverse Debatten, Kampfabstimmungen und Anfechtungsklagen geprägt ist, bilden solche Hauptversammlungen, bei de-
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nen Rechtssicherheit oberste Priorität haben muss36, definitiv die Ausnahme. Schon unter den DAX-Gesellschaften finden sich viele, deren Hauptversammlungen nur wenige Stunden dauern. Dort gibt die Verwaltung einen aktuellen Situationsbericht und Aktionärsvereinigungen und allenfalls wenige Einzelaktionäre kommentieren kurz und oft wohlwollend. Bei solchen Hauptversammlungen kann ein virtuelles Format für alle Beteiligten attraktiv und effizient sein.
2. Kleinere börsennotierte und nicht notierte Gesellschaften 48
Bei vielen kleineren, regional geprägten oder Familiengesellschaften, bei denen institutionelle Anleger keine dominante Rolle spielen, dient die Hauptversammlung ganz anderen Zwecken. Roadshows lohnen sich für solche Gesellschaften oft nicht und die Hauptversammlung ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Aktionärstreffen. Den Teilnehmern, die vielfach tatsächlich die Mehrheit des Kapitals selbst repräsentieren, geht es um den Kontakt zu Produkten, Personal und Umfeld der Gesellschaft und im Zweifel auch um den Austausch untereinander. Hier werden gelegentlich noch während der Hauptversammlung Allianzen geschmiedet, jedenfalls aber wird vielfach der echte Austausch im Aktionärskreis gesucht. Virtuelle Modelle erscheinen in solchen Konstellationen eher ungeeignet, weil sie die hier noch lebendige Interaktion der Aktionäre und das „haptische“ Element der Hauptversammlung nicht unterstützen.
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Insgesamt spricht damit viel für ein rein virtuelles Hauptversammlungsformat als ergänzendes Angebot für Gesellschaften und Aktionäre, aber wenig für eine vollständige Ablösung der Präsenz-Hauptversammlung. Welche Form die geeignetere ist, lässt sich nur situationsabhängig entscheiden. In der Pandemie waren und sind virtuelle Formate alternativlos. Künftig werden hoffentlich Berührungsängste abgebaut sein. Das sollte aber nicht zur flächendeckenden Ablösung der Präsenz-Hauptversammlung führen.
36 Hier können erhöhte Risiken, die aus einem komplexeren Format resultieren mögen, keinesfalls hingenommen werden.
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Bericht über die Diskussion des Referats Butzke Astrid Keinath Rechtsanwältin, Frankfurt am Main Die Diskussion im Anschluss an das Referat von Herrn Butzke zur vir- 1 tuellen Hauptversammlung wurde von Herrn Prof. Dr. Jochen Vetter moderiert. Herr Prof. Dr. Vetter bedankte sich zunächst für den ideenreichen und ausgewogenen Vortrag, der sowohl Erfahrungen aus der Praxis als auch Gedanken zur möglichen künftigen Ausgestaltung virtueller Hauptversammlungen beinhaltete. Anschließend wurden zunächst mehrere Diskussionsbeiträge und Fragen aus dem Teilnehmerkreis gesammelt, zu denen Herr Butzke dann Stellung nahm. Eröffnet wurde die Diskussionsrunde durch Frau Dr. Claudia Junker, 2 die sich zunächst für den guten Vortrag bedankte. Der Beitrag von Frau Dr. Junker bezog sich auf die mögliche konkrete Ausgestaltung virtueller Hauptversammlungen im kommenden Jahr unter der Verlängerungsverordnung (Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 20.10.2020, BGBl. I S. 2258) für das COVID-19-Gesetz (Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020, BGBl. I S. 569) und den in diesem Zusammenhang geäußerten Wunsch des Gesetzgebers, dass die Gesellschaften Aktionärsfragen möglichst auch am Tag der Hauptversammlung zulassen sollten. Frau Dr. Junker wies zunächst auf die beachtliche Anzahl von Fragen bei den diesjährigen virtuellen Hauptversammlungen der Lufthansa Aktiengesellschaft und der Deutsche Telekom AG hin, die alle beantwortet wurden. Vor diesem Hintergrund sei ein Mehr an Fragenbeantwortung nicht erforderlich. Dennoch werde die fehlende Interaktion am Hauptversammlungstag von vielen Aktionären als Defizit empfunden. In Bezug auf den Vorschlag von Herrn Butzke, Ausweitungen des Fragerechts etwa durch begrenzte Nachfragemöglichkeiten zu erreichen, fragte Frau Dr. Junker, wie dies in der Praxis ausgestaltet werden könne. Anschließend wurde Herrn Dr. Christof Schneider das Wort erteilt. Herr Dr. Schneider griff ebenfalls das Thema der möglichen praktischen Ausgestaltung einer Zwei-Wege-Kommunikation am Hauptversammlungs-
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tag auf. Er wies darauf hin, dass die Gesellschaften in der vergangenen Hauptversammlungssaison die virtuelle Hauptversammlung nach seinem Eindruck vielfach auch als – verhältnismäßig risikolosen – Test für die Ausgestaltung künftiger Hauptversammlungen genutzt hätten. Vor diesem Hintergrund sei es interessant, zu sehen, wie man sich auf die Frage-Antwort-Interaktion in künftigen Hauptversammlungen vorbereitet. 4 Der nächste Beitrag kam von Herrn Prof. Dr. Tim Drygala. Herr Prof. Dr. Drygala führte zunächst aus, dass die derzeitige Gesetzgebung zur virtuellen Hauptversammlung eine als solche akzeptable Notfallmaßnahme sei, auf deren Defizite bereits hinreichend eingegangen wurde. Die interessante Frage sei, was daraus für die Zukunft mitgenommen werden könne. In diesem Zusammenhang habe er die Ausführungen von Herrn Butzke als etwas widersprüchlich empfunden, da er einerseits sage, die Aktionärsrechte müssten gewahrt werden, andererseits aber nach Auskunft der Hauptversammlungsdienstleister die praktisch verfügbaren Möglichkeiten nicht hinreichend ausgereift seien, um entsprechende Risiken einzugehen. Aus diesem Grund hätten sich auch in der Hauptversammlungssaison 2020 viele Gesellschaften gegen eine Zwei-Wege-Kommunikation entschieden. Herr Prof. Dr. Drygala warf die Frage auf, wie damit am besten umzugehen sei, insbesondere, wenn die Entscheidung weiterhin den Gesellschaften freigestellt werde, die nach seiner Einschätzung dann immer den sicheren Weg wählen würden, um sich keinen zusätzlichen Anfechtungsrisiken oder dem Risiko einer Überflutung mit Fragen auszusetzen. Er bat daher Herrn Butzke, noch einmal darauf einzugehen, wie die weitgehende Wahrung der Aktionärsrechte unter Vermeidung zusätzlicher Risiken für die Gesellschaften umgesetzt werden kann. 5 Herr Butzke nahm zu den aufgeworfenen Fragen, beginnend mit den von Herrn Prof. Dr. Drygala aufgeworfenen Punkten, wie folgt Stellung: Das Modell der hybriden Hauptversammlung werde praktisch kaum genutzt, weil es nur sehr limitierte Vorteile für die Gesellschaften biete. Die virtuelle Hauptversammlung sei demgegenüber für Gesellschaften attraktiver, insbesondere, da sie erheblich billiger sei und weniger Organmitglieder auf der Bühne präsent sein müssten. Bei einem Modell, das nicht mit unvertretbaren Risiken verbunden sei, werde es daher schnell erste Gesellschaften geben, die es umsetzen. Größtes Problem sei die Kommunikation. Hierzu äußerte Herr Butzke die Erwartung, dass
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die Hauptversammlungsdienstleister Konzepte entwickeln, die testbar sind und – bei eher unkritischen Hauptversammlungen – dann auch erprobt werden. Vorstellbar sei auch, dass Investoren Druck ausübten, verstärkt virtuelle Hauptversammlungen abzuhalten, da dies auch für sie mit geringerem Aufwand verbunden wäre. Als entscheidend sieht Herr Butzke die Frage, ob sich Konzepte finden, mit denen sich Debatten auch bei mehreren tausend Teilnehmern steuern lassen, ohne zusätzliche Anfechtungsrisiken zu kreieren. Als denkbare Möglichkeit schlug er die Einreichung von Vorabfragen vor, mit denen bereits ein Großteil der Fragenmenge abgedeckt wäre, und dann in der Hauptversammlung – ggf. zahlen- und/oder personenmäßig begrenzt – nur noch Nachfragen zuzulassen. Ein solches Konzept könne man auch in der kommenden Hauptversammlungssaison unter dem fortgeltenden COVID-19-Gesetz erproben, um eine Verbesserung gegenüber den diesjährigen virtuellen Hauptversammlungen und einen risikoarmen Einstieg in mögliche Lösungen zu erreichen. Die zweite Diskussionsrunde wurde durch Herrn Prof. Dr. Gregor Bach- 6 mann eröffnet. Herr Prof. Dr. Bachmann sah einen gewissen Widerspruch zwischen der Aussage im Vortrag, institutionelle Investoren brauchten die Hauptversammlung nicht, da die Kommunikation mit ihnen sich in Investorendialogen abspiele und sie ihre Abstimmungsentscheidungen bereits vor der Hauptversammlung träfen, und der Befürwortung der Beibehaltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes der Hauptversammlung. Er warf daher die Frage nach einem rechtspolitisch radikaleren Ansatz nach Verschlankung der Hauptversammlung im Sinne des COVID-19Gesetzes auf. Die Aktiengesellschaft sei nicht vergleichbar mit einem kleinen Verein, in dem man diskutiert und dann unter dem Eindruck der gewonnenen Argumente seine Meinung findet; informieren könne man sich vielmehr vorher, Reden würden ins Internet gestellt, Fragen könnten vorab gestellt werden. In diesem Zusammenhang wies er auf die jüngste Diskussion zu ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeiten im Fall „Linde-Praxair“ hin (siehe dazu das erstinstanzliche Urteil des LG München I vom 20.12.2018, Az. 5 HKO 15236/17). Auch im Rahmen dieser Diskussion hätten Kommentatoren (z.B. Prof. Dr. Jens Koch oder Prof. Dr. Hans-Ulrich Wilsing) ausgeführt, eine entsprechende Hauptversammlungszuständigkeit – die zu Recht verneint werde – solle auch nicht eingeführt werden, wenn nicht zugleich das Anfechtungsrisiko deutlich reduziert werde, da ansonsten gerade bei internationalen Transaktionen erhebliche Rechtsunsicherheit geschaffen werde.
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Vor dem Hintergrund der Erhöhung der Transaktionssicherheit könne es sinnvoll sein, das Anfechtungsrecht so zu beschneiden, wie es das COVID-19-Gesetz macht. 7 Der nächste Beitrag kam von Herrn Dr. Richard Backhaus. Er schlug ein zweistufiges Vorgehen in Bezug auf den Frage-Antwort-Prozess vor, in dem viele Fragen bereits vorab beantwortet und die Fragen in der Hauptversammlung dann auf neue Aspekte beschränkt werden könnten. Auf diese Weise könne man das formalistische „Frage-Antwort“Spiel entschlacken. Herr Dr. Backhaus sprach sich ebenfalls für eine Beschränkung des Anfechtungsrechts aus. 8 Im Anschluss fragte Herr Prof. Dr. Vetter, ob man sich in der kommenden Hauptversammlungssaison auch dann für eine virtuelle Hauptversammlung nach Maßgabe des COVID-19-Gesetzes entscheiden könne, wenn – für die Gesellschaft rechtzeitig vorher absehbar – zum Zeitpunkt der Hauptversammlung Präsenzveranstaltungen wieder möglich seien. 9 Herr Butzke antwortete zunächst auf die Beiträge von Herrn Prof. Dr. Bachmann und Herrn Dr. Backhaus. Dem Vorschlag von Herrn Dr. Backhaus zur Entschlackung des Frage-Antwort-Prozesses stimmte er zu und ergänzte, dass dies aber nur dann zur Entlastung der Hauptversammlung führen könne, wenn man die Möglichkeit von Nachfragen während der Versammlung beschränke, etwa dadurch, dass Nachfragen nur von Aktionären gestellt werden können, die vorab Fragen eingereicht haben. Wenn man das Fragerecht in der Hauptversammlung unbeschränkt nur zusätzlich zu der Möglichkeit von Vorabfragen gewähre, ergäbe sich keine Erleichterung, da der Aufmerksamkeitswert, den man mit Fragen in einer Live-Situation erzielt, höher sei als der von Vorabfragen, die gebündelt auf der Webseite beantwortet werden. Auch die Auffassung, dass das Anfechtungsrecht reformbedürftig sei, teilte Herr Butzke. Er wandte allerdings ein, dass das Anfechtungskonzept des COVID-19-Gesetzes etwas zu radikal sei und es zu einer zu starken Einschränkung der Aktionärsrechte führe, wenn man in Bezug auf die Fragenbeantwortung fast gar nicht und ansonsten nur bei vorsätzlichen Verletzungen anfechten könne. Auf Herrn Prof. Dr. Vetters Frage antwortete Herr Butzke, sein Gefühl sei, dass im Rahmen der über die Versammlung zu treffenden Ermessensentscheidung gute Gründe für eine Präsenzveranstaltung sprächen, wenn sicher feststeht, dass es keine Teilnahmebeschränkungen geben werde, da die Beschränkungen, die das COVID-19-Gesetz ermöglicht, nicht zweckfrei seien; es handele sich
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um ein Notfallgesetz, das man nicht einfach zum Standard erheben könne. Prof. Dr. Vetter stimmte der Einschätzung von Herrn Butzke zur Ermes- 10 sensausübung zu und wies in Bezug auf das von Herrn Prof. Dr. Bachmann erwähnte Urteil i.S. Linde-Praxair darauf hin, dass zwischenzeitlich auch die Berufungsentscheidung ergangen sei; die Berufung sei zurückgewiesen worden, die Urteilsgründe lägen aber noch nicht vor (ihre Veröffentlichung wird für Anfang kommenden Jahres erwartet). Herr Dr. Thomas Heidel führte anschließend aus, der Gesetzgeber sei 11 mit dem COVID-19-Gesetz über das Ziel hinausgeschossen; dies sei ein schlechtes Zeichen für die Corporate Governance und ein schlechtes Signal für künftige Diskussionen über die virtuelle Hauptversammlung. Er widersprach der Einschätzung von Herrn Butzke, die Vorgaben des Gesetzes seien sachgerecht und erforderlich; insbesondere könne dies nicht an der Notwendigkeit der Auszahlung von Dividenden festgemacht werden, da hier auch die Möglichkeit von Abschlagszahlungen bestehe. Herr Dr. Heidel berichtete, er kenne viele kleine Gesellschaften, die das Gesetz missbraucht hätten, und auch große Gesellschaften hätten die Grenzen ausgetestet. Herr Dr. Heidel stimmte Herrn Butzkes Einschätzung zu, dass die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung nach dem COVID-19-Gesetz nicht mehr zulässig sei, wenn die Pandemiesituation dies nicht mehr erfordere. Den letzten Diskussionsbeitrag leistete Frau Dr. Friederike Rotsch. Nach 12 ihrer Einschätzung sollten die technischen Möglichkeiten in nächster Zeit einen viel interaktiveren Austausch mit Aktionären ermöglichen. Frau Dr. Rotsch warf die Frage auf, was davon zu halten sei, wenn man jedes Jahr die Aktionäre über die Ausgestaltung der Hauptversammlung im kommenden Jahr abstimmen ließe. Auf die Frage von Frau Dr. Rotsch entgegnete Herr Butzke, dass man zwar darüber nachdenken könne, die Aktionäre jeweils über das Folgejahr entscheiden zu lassen, er halte den Ansatz aber nicht für ganz überzeugend, da die Entscheidung auch von den anstehenden Themen abhänge und nicht immer schon im Vorjahr absehbar sei, was im kommenden Jahr auf der Tagesordnung stehen werde. Zu den Ausführungen von Herrn Dr. Heidel entgegnete er, dass sich seine Ausführungen zur Notwendigkeit der Dividendenauszahlung nicht auf eine Abschlagsdividende, sondern auf die volle Dividende bezogen. Auch die Abschlagsdividende er-
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setze nicht die Beschlussfassung zu anstehenden Themen der Gesellschaft durch die Aktionäre. Mit dem COVID-19-Gesetz hat der Gesetzgeber nach Einschätzung von Herrn Butzke daher schnell eine praktikable, wenn auch nicht in jeder Hinsicht optimale Lösung geschaffen, um Hauptversammlungen in der Pandemiesituation überhaupt abhalten zu können. 14 Abschließend dankte Herr Prof. Dr. Vetter allen Diskussionsteilnehmern und insbesondere Herrn Butzke und führte aus, dass die Corona-Pandemie Defizite der deutschen Hauptversammlung und Möglichkeiten, sie zu beheben, aufgezeigt habe. Es sei daher ein guter Zeitpunkt, den Impuls aufzunehmen und zu überlegen, wie die traditionelle deutsche Hauptversammlung ins 21. Jahrhundert überführt werden könne.
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Rettung von Unternehmen in der Corona-Krise Dr. Andreas Spahlinger, Maître en Droit Rechtsanwalt, Stuttgart* Rz.
Rz. I. Ziel, Vorgaben und Handlungsmöglichkeiten, notwendige Gesamtkonzeption 1. Das Ziel: die Rettung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . 2. Unionsrechtlicher Rahmen für die Rettung von Unternehmen durch staatliche Intervention a) Grundstruktur des EUBeihilfenrechts . . . . . . . . . b) Zulässige nationale Programme und Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen in der Corona-Krise – insbesondere aufgrund des „Befristeten Rahmens“ . . . . . . . . . . . . . 3. Deutsches Rettungskonzept – notwendige Gesamtkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorübergehende Liquiditätshilfen 1. Die zur Verfügung gestellten Programme im Überblick . . . 2. Kredite und Garantien der KfW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Staatliche Liquiditätshilfen im internationalen Vergleich . . . . . . . . . . . . .
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III. Vorübergehende Erleichterungen im Insolvenzrecht und sonstige vorübergehende rechtliche Unterstützungsmaßnahmen . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt der CoronaKrisen-Compliance: Pflichten der Geschäftsführungsorgane in der Krise . . . . . . . . 2. Das COVInsAG bis 30.9.2020 . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das COVInsAG im Zeitraum 1.10.2020 bis 31.12.2020 . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das COVInsAG ab dem 1.1.2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Exkurs: Modifizierung des Insolvenzrechts in anderen Staaten. . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Nachhaltige Sicherung oder Wiederherstellung der Fortführungsfähigkeit . . . . . . . . . 1. Neuer rechtlicher Rahmen für Restrukturierung und Insolvenz in Deutschland. . . 2. Wesentliche Ziele des StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das StaRUG – ein effizientes Werkzeug für die Sanierung von Unternehmen? . . .
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V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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* Der Verfasser dankt herzlich Herrn RA Dr. Florian Kienast für wertvolle Vorarbeit und die Mitwirkung bei der Bearbeitung des Manuskripts.
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Einleitung 1 Die Rettung von Unternehmen beschäftigt uns in Deutschland seit der rasanten Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im März 2020 und dem daraufhin beschlossenen weitgehenden ersten Lockdown. Seit dem Beginn der „zweiten Welle“, d.h. dem sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen in den letzten Wochen und dem Ende Oktober 2020 beschlossenen neuen Teil-Lockdown, ist das Thema auch wieder vermehrt in der politischen und journalistischen Diskussion. So hat z.B. das Handelsblatt am 26.10.2020 in der Überschrift zu einem ganzseitigen Artikel die Frage gestellt „Wie viel geht noch?“ und dann ergänzt: „Die Politik wird die Wirtschaft in diesem Winter wohl ein zweites Mal retten müssen“1. Die Rettung der Wirtschaft oder Rettung von Unternehmen ist vor allem ein politisches bzw. wirtschaftspolitisches Thema. Es ist aber auch ein rechtliches und rechtspolitisches Thema. Diese Dimension des Themas soll nachfolgend näher betrachtet werden.
I. Ziel, Vorgaben und Handlungsmöglichkeiten, notwendige Gesamtkonzeption 1. Das Ziel: die Rettung von Unternehmen 2 Erklärtes Ziel vieler Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19 Pandemie ist die Rettung von Unternehmen2. Dabei stellen sich drei Eingangsfragen: Was ist eine anzustrebende Rettung? Wer entscheidet über eine Rettung? Und: Welche Unternehmen können bzw. sollen gerettet werden? Auf die dritte Frage komme ich später zurück. Zunächst zu den ersten beiden Fragen: 3 Auf die Frage, was eine anzustrebende Rettung ist, würde man intuitiv antworten, dass eine Insolvenz vermieden werden soll. Jedenfalls im Frühjahr und Sommer 2020 war das auch ersichtlich das politisch ge-
1 Handelsblatt v. 26.10.2020, S. 8 f. 2 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds, BT-Drucks. 19/18109, S. 1, 25; Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BT-Drucks. 19/18110, S. 2 f., 17; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes, BT-Drucks. 19/22178, S. 1, 4.
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wollte Ziel.3 Bei genauerem Hinsehen ist die zutreffende Antwort allerdings nicht so einfach. Auch darauf werde ich später zurückkommen. Kommen wir zu der Frage, wer über die Rettung eines Unternehmens 4 entscheidet. Bei Gesellschaften liegt es grundsätzlich in der Verantwortung der Organe und der Gesellschafter die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Fortführung der Gesellschaft zu treffen. Geschäftsführer und Vorstände sind verpflichtet, rechtzeitig Maßnahmen zur Sanierung der Gesellschaft zu ergreifen (Sanierungspflicht)4 und die Gesellschafter zu informieren und ihnen die Gelegenheit zu geben, ihrerseits Maßnahmen zur Abwendung einer Krise zu beschließen (wie z.B. Maßnahmen zur Stärkung des Eigenkapitals). In vielen Fällen wird die Rettung eines Unternehmens auch vom Verhalten von Vertragspartnern und Gläubigern abhängen, so dass letztlich und zu Recht der Markt und die Marktteilnehmer über das Schicksal eines Unternehmens entscheiden. Der Staat stellt grundsätzlich nur den rechtlichen Rahmen zur Verfügung, in dem sich die Marktteilnehmer bewegen können. Für Unternehmen in der Krise bietet er den rechtlichen Rahmen für Liquidationen, Insolvenzen und Restrukturierungen und regelt dabei insbesondere, wann ein Unternehmen Gegenstand eines Insolvenzverfahrens sein soll. Weitergehende staatliche Maßnahmen zur Rettung einzelner oder ausgewählter Unternehmen sind in Deutschland nur nach Maßgabe des EU-Beihilfenrechts (Art. 107 ff. AEUV) zulässig.
3 Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BT-Drucks. 19/18110, S. 2 f, 17. 4 M.w.N. Tresselt in Schmidt, Sanierungsrecht, 2. Aufl. 2019, Teil 1 Abschn. 2 Rz. 24; Bork, ZIP 2011, 101, 106; Theiselmann in Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 4. Aufl. 2020, Kapitel 13 Rz. 4; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 43 Rz. 32 f.; Veil, ZGR 2006, 374, 379; Fleischer in Münchener Kommentar GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 Rz. 63 f.; Westermann, DZWIR 2006, 485, 487; Uhlenbruck, GmbHR 1995, 81, 86; Gundlach in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 7 Rz. 45; K. Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1504; Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, 3. Aufl. 2009, Rz. 6000.
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2. Unionsrechtlicher Rahmen für die Rettung von Unternehmen durch staatliche Intervention a) Grundstruktur des EU-Beihilfenrechts 6 Staatliche Beihilfen sind nach Art. 107 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verboten. Beihilfen sind jegliche Begünstigungen durch oder aus staatlichen Mitteln, die nur einem Unternehmen oder einem Produktionszweig zugutekommt (sog. Selektivität). Durch die Begünstigung wird der Wettbewerb zwischen den EU-Mitgliedstaaten verfälscht sowie der Handel beeinträchtigt. Deshalb sind Beihilfen nur ausnahmsweise zulässig. Zu den Ausnahmen gehören u.a. Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind (Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV) sowie Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates (Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV). Über die Einhaltung des EU-Beihilfenrechts wacht gemäß Art. 108 Abs. 1 Satz 1 AEUV die EUKommission. Beabsichtigt ein Mitgliedstaat eine Beihilfe zu gewähren, muss diese der EU-Kommission im Voraus notifiziert werden (Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Die EU-Kommission entscheidet dann über die Genehmigung oder das Verbot der Beihilfe (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV). Erst nach der Genehmigung darf der Mitgliedstaat die Beihilfe umsetzen (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV).
b) Zulässige nationale Programme und Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen in der Corona-Krise – insbesondere aufgrund des „Befristeten Rahmens“ 7 Keine Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV und damit uneingeschränkt zulässig sind Unterstützungsmaßnahmen, die ohne Unterschied allen Unternehmen zur Verfügung stehen5. Solchen Maßnahmen fehlt die Selektivität und damit der marktverzerrende Charakter6. Hie5 EuGH, v. 8.11.2001 – Rs. C-143/99, Rz. 35; Mitteilung der EU-Kommission „Die koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie“ v. 13.3.2020, COM(2020) 112 final, S. 10; v. Wallenberg/Schütte in Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 71. EL August 2020, Art. 107 AEUV Rz. 41; Cremer in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV Rz. 28; Koenig/Förtsch in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rz. 42. 6 EuGH v. 8.11.2001 – Rs. C-143/99, Rz. 34 f.; v. Wallenberg/Schütte in Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 71. EL August 2020, Art. 107 AEUV Rz. 41; Cremer in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016,
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runter fallen z.B. Lohnzuschüsse, die Aussetzung der Zahlung von Körperschafts- und Umsatzsteuern oder von Sozialbeiträgen7 und damit auch die befristete Senkung der Umsatzsteuersätze in Deutschland von 19 % auf 16 % sowie von 7 % auf 5 %8. Ebenfalls nicht vorlage- und genehmigungspflichtig sind Unterstützungsmaßnahmen, die im Einklang mit Verordnungen der EU-Kommission nach Art. 109 AEUV konzipiert wurden, wie z.B. der De-minimis-Verordnung9 und der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung10. Auf die De-minimis-Verordnung wurde z.B. die bayerische „Soforthilfe Corona“ gestützt11. Der Genehmigung durch die EU-Kommission bedürfen dagegen alle Programme bzw. Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Entschädigung von Verlusten infolge des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie zugunsten von Unternehmen in stark betroffenen Sektoren (z.B. Verkehr, Tourismus, Kultur, Gastgewerbe oder Einzelhandel)12 und Programme und
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Art. 107 AEUV Rz. 28; Koenig/Förtsch in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rz. 42. Mitteilung der EU-Kommission „Die koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie“ v. 13.3.2020, COM(2020) 112 final, S. 10; Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, ABl. (EU) v. 20.3.2020, C 91 I/1, Rz. 12. Art. 3 Nr. 3 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes v. 29.6.2020, BGBl. I 2020, S. 1512 ff. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 v. 18.12.2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen, ABl. (EU) v. 24.12.2013, L 352/1, geändert durch Art. 1 der Verordnung (EU) 2020/972 v. 2.7.2020 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 hinsichtlich ihrer Verlängerung und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 hinsichtlich ihrer Verlängerung und relevanter Anpassungen, ABl. (EU) v. 7.7.2020, L 215/3. Art. 3 der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission v. 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. (EU) v. 26.6.2014, L 187/1. „Richtlinien für die Unterstützung der von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) geschädigten Unternehmen und Angehörigen Freier Berufe („Soforthilfe Corona“)“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, Bekanntmachung v. 17.3.2020, Az. 52-3560/ 33/1, BayMBl. 2020 Nr. 156. Mitteilung der EU-Kommission „Die koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie“ v. 13.3.2020, COM(2020) 112 final, S. 10.
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Maßnahmen zur Liquiditätsunterstützung, um damit Unternehmen vor einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zu bewahren13. 9 In diesem Kontext hat die EU-Kommission zur Konkretisierung des Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV14 im Frühjahr sehr schnell den „Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“ geschaffen. Er wurde schon am 19.3.2020 erlassen15 und bislang viermal geändert16. Der Befristete Rahmen hat zum Ziel, sehr weitgehend vorübergehende staatliche Unterstützungsprogramme zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie zu ermöglichen17. Er gestattet die Unterstützung von Unternehmen, die sich zum 31.12.2019 noch nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden haben18. Dabei verweist die EU-Kommission auf Art. 2 Nr. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung19, der eine im Detail komplexe Definition von Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten enthält. Im Kern handelt es sich dabei um Unternehmen, die insolvenzreif sind oder eine relativ hohe Überschuldung ausweisen.
13 Mitteilung der EU-Kommission „Die koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie“ v. 13.3.2020, COM(2020) 112 final, S. 10. 14 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, ABl. (EU) v. 20.3.2020, C 91 I/1, Rz. 19. 15 https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/coronavirus-response/jobs-andeconomy-during-coronavirus-pandemic_de (abgerufen am 24.11.2020). Der Befristete Rahmen wurde unter dem Titel „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“ veröffentlicht im ABl. (EU) v. 20.3.2020, C 91 I/1 veröffentlicht. 16 Die Änderungen wurden veröffentlicht im ABl. (EU) v. 4.4.2020, C 112 I/1, ABl. (EU) v. 13.5.2020, C 164/3, ABl. (EU) v. 2.7.2020, C 218/3 und ABl. (EU) v. 13.10.2020, C 340 I/1. 17 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 19.3.2020, ABl. (EU) v. 20.3.2020, C 91 I/1, Rz. 11. 18 Siehe der Befristete Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 19.3.2020, ABl. (EU) v. 20.3.2020, C 91 I/1, Rz. 22 lit. c. 19 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission v. 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. (EU) v. 26.6.2014, L 187/1.
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Der Befristete Rahmen regelt detailliert die Voraussetzungen, die be- 10 stimmte Unterstützungsmaßnahmen erfüllen müssen, um mit dem Ausnahmetatbestand des Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV vereinbar zu sein. Hierzu gehörten von Anfang an direkte (nicht rückzahlbare) Zuschüsse, rückzahlbare Zuschüsse oder Steuervorteile, Garantien und Zinszuschüsse für Darlehen, Garantien und Darlehen über Kreditinstitute oder andere Finanzintermediäre, kurzfristige Exportkreditversicherungen, Stundungen von Steuern und/oder Sozialversicherungsbeiträgen, Lohnzuschüsse für Arbeitnehmer zur Vermeidung von Entlassungen während des COVID-19-Ausbruchs und Unterstützungsleistungen für ungedeckte Fixkosten20. Später kamen staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen (Eigenkapitalinstrumente und/oder hybride Kapitalinstrumente) hinzu21. Die Befristung des Rahmens ist in einem doppelten Sinne zu verstehen. 11 Erstens stehen die Programme und Maßnahmen nur vorübergehend zur Verfügung. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Maßnahmen grundsätzlich nur bis zum 31.12.202022 und staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen nur bis zum 30.6.2021 gewährt werden können23. Diese Befristung wurde kürzlich verlängert, sodass Maßnahmen derzeit grundsätzlich bis zum 30.6.2021 möglich sind24. Auch eine weitere Verlängerung ist nicht ausgeschlossen. Die zweite Befristung liegt darin, dass die Laufzeit der Maßnahmen beschränkt ist. Garantien und Zinszuschüsse
20 Siehe den Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 19.3.2020, ABl. (EU) v. 20.3.2020, C 91 I/1, Rz. 21 ff. und die Änderungen des Befristeten Rahmens (veröffentlicht im ABl. (EU) v. 4.4.2020, C 112 I/1, ABl. (EU) v. 13.5.2020, C 164/3, ABl. (EU) v. 2.7.2020, C 218/3 und im ABl. (EU) v. 13.10.2020, C 340 I/1). 21 Änderung des Befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, ABl. (EU) v. 13.5.2020, C 164/3, Rz. 37 i.V.m Rz. 16. 22 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 19.3.2020, ABl. (EU) v. 20.3.2020, C 91 I/1, Rz. 22 lit. d. 23 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 8.5.2020, ABl. (EU) v. 13.5.2020, C 164/3, Rz. 48. 24 Vierte Änderung des Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, ABl. (EU) v. 13.10.2020, C 340 I/1, Rz. 21 ff.
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für Darlehen dürfen eine Laufzeit von max. sechs Jahren haben25. Bei staatlichen Rekapitalisierungsmaßnahmen ist im Ausgangspunkt eine „glaubwürdige Strategie für den Ausstieg aus der Beteiligung“ erforderlich26; diese Strategie muss innerhalb von 12 Monaten ab Gewährung der Rekapitalisierungsmaßnahme ausgearbeitet, dem Mitgliedstaat vorgelegt und von diesem gebilligt werden27. Eine solche Ausstiegsstrategie ist nicht erforderlich, wenn die Beteiligung innerhalb von 12 Monaten ab Gewährung der Rekapitalisierungsmaßnahme auf unter 25 % gesenkt wird28 oder wenn der Mitgliedstaat schon vor der Rekapitalisierungsmaßnahme bereits Anteilseigner war29. 12 Hilfsmaßnahmen, die über den Befristeten Rahmen hinausgehen und/ oder nicht mit den Durchführungsverordnungen zu Art. 107 ff. AEUV vereinbar sind, bedürfen weiterhin einer Einzelnotifizierung und Genehmigung gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV. Eine solche Einzelnotifizierung erteilte die EU-Kommission z.B. für die Unterstützung und Rekapitalisierung der Lufthansa30.
3. Deutsches Rettungskonzept – notwendige Gesamtkonzeption 13
Bund und Länder haben, insbesondere auf Grundlage des Befristeten Rahmens, zahlreiche Programme zur Unterstützung von Corona bedingt gefährdeten Unternehmen aufgelegt und von der EU-Kommission genehmigen lassen, um damit diesen Unternehmen die zur Fortführung benötigte 25 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 3.4.2020, ABl. (EU) v. 4.4.2020, C 112 I/1, Rz. 25 lit. f, 27 lit. b. 26 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 8.5.2020, ABl. (EU) v. 13.5.2020, C 164/3, Rz. 79. 27 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 8.5.2020, ABl. (EU) v. 13.5.2020, C 164/3, Rz. 81. 28 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 8.5.2020, ABl. (EU) v. 13.5.2020, C 164/3, Rz. 79. 29 In diesem Fall ist die Ausstiegsstrategie unter weiteren Voraussetzungen entbehrlich, Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 i.d.F. v. 29.6.2020, ABl. (EU) v. 2.7.2020, C 218/3, Rz. 78a. 30 Die Genehmigung ist im ABl. (EU) v. 20.11.2020, C 397/2 (Beihilfe Nr. SA.57153) veröffentlicht.
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Liquidität zur Verfügung zu stellen. Ergänzend wurde am 27.3.2020 das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ erlassen mit u.a. dem „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG)“31. Für Unternehmen, die aufgrund der COVID-19-Pandemie in Schwierigkeiten gerieten, wurde damit die Insolvenzantragspflicht vorübergehend weitgehend ausgesetzt. Allein durch die Zurverfügungstellung von Programmen für Liquiditätshilfen wäre es im Frühjahr 2020 nicht möglich gewesen, eine Vielzahl von Unternehmen vor einer Insolvenz zu bewahren. Jeder Gewährung einer Liquiditätshilfe geht ein Antrags- und Genehmigungsverfahren voraus. Viele Unternehmen, die im Frühjahr 2020 kurz vor der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eintritt der Überschuldung standen, hätten ohne das COVInsAG Insolvenzanträge stellen müssen, bevor es ihnen möglich gewesen wäre, eine Liquiditätshilfe oder die Zusage einer Liquiditätshilfe zu erhalten. Das deutsche Rettungskonzept aus dem Frühjahr 2020 bestand daher aus zwei Bausteinen: den vorübergehenden finanziellen Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere Liquiditätshilfen und der vorübergehenden (weitgehenden) Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Um zu beurteilen, ob dieses Rettungskonzept aus heutiger Sicht erfolgreich war und es bisher gelungen ist, deutsche Unternehmen in der Corona-Krise zu retten, liegt ein Blick auf die Entwicklung der Zahl der Unternehmensinsolvenzen nahe: Im ersten Halbjahr 2020 ist die Zahl der eröffneten Verfahren gegenüber dem Vorjahr von 9.604 um 6,2 % auf 9.006 zurückgegangen (3,7 % Rückgang im ersten Quartal und 8,9 % im zweiten Quartal)32. Dieser Trend hat sich im Laufe des Jahres 2020 noch verstärkt bzw. wurde aufgrund des Umstands, dass sich die Zahlen auf die typischerweise erst bis zu drei Monate später eröffneten Insolvenzverfahren bezieht, ab dem Sommer immer deutlicher: Im Juli 2020 be-
31 Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BGBl. I, 2020, S. 569 ff. 32 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 348 v. 10.9.2020, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/09/PD20_ 348_52411.html (abgerufen am 24.11.2020) sowie Nr. 205 v. 8.6.2020, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/06/PD20_ 205_52411.html (abgerufen am 24.11.2020).
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trug der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr 16,7 %33 und im August 2020 sogar 35,4 %34. Für September 2020 weisen die vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen von 34,5 %35 und für Oktober 2020 sogar einen Rückgang von 45,8 %36 aus. Man könnte deshalb zu dem Schluss kommen, dass das Ziel der Unternehmensrettung ganz hervorragend gelungen sei. Der deutliche Rückgang bei den Unternehmensinsolvenzen lässt aber auch darauf schließen, dass auch solche Unternehmen „gerettet“ wurden, die unabhängig von der COVID-19-Pandemie insolvenzreif waren und nur aufgrund der vorübergehenden teilweisen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht keinen Insolvenzantrag stellen mussten oder jedenfalls keinen Antrag gestellt haben. 15 Als sich diese Entwicklung im Sommer abzeichnete, wurden zunehmend Stimmen laut, die davor warnten, dass die Kombination von weitreichenden Liquiditätshilfen und Aussetzung von Insolvenzantragspflichten in zahlreichen Fällen sogenannte „Zombieunternehmen“ schafft, die als solche nicht nachhaltig fortführungsfähig sind37. Nachdem die Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit seit dem 1.10.2020 wieder uneingeschränkt gilt und auch die Antragspflicht bei Überschuldung ab dem 1.1.2021 wieder gelten soll, wird dies voraussichtlich (jedenfalls) ab 33 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 394 v. 8.10.2020, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/10/PD20_ 394_52411.html (abgerufen am 24.11.2020). 34 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 454 v. 13.11.2020, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/11/PD20_ 454_52411.html (abgerufen am 24.11.2020). Diese Zahlen wurden erst nach der Tagung (am 13.11.2020) veröffentlicht. 35 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 394 v. 8.10.2020, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/10/PD20_ 394_52411.html (abgerufen am 24.11.2020). 36 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 454 v. 13.11.2020, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/11/PD20_ 454_52411.html (abgerufen am 24.11.2020). Diese Zahlen wurden erst nach der Tagung (am 13.11.2020) veröffentlicht. 37 Siehe hierzu Ökonomenpanel von ifo und FAZ v. 19.10.2020, abrufbar unter https://www.ifo.de/node/58822 sowie Handelsblatt v. 11.8.2020 „Warnung von Zombiefirmen“, S. 6 f.; WirtschaftsWoche online „Pro & Contra. Ist es sinnvoll, die Pflicht zum Insolvenzantrag weiter auszusetzen?“, abrufbar unter https://www.wiwo.de/my/politik/deutschland/pro-und-contra-ist-es-sinnvolldie-pflicht-zum-insolvenzantrag-weiter-auszusetzen/26127866.html (jeweils abgerufen am 24.11.2020).
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Januar 2021 zu einer stark zunehmenden Zahl von Unternehmensinsolvenzen führen. So rechnet z.B. Volker Ulbricht, Geschäftsführer der Creditreform, für das Jahr 2021 mit mehr als 24.000 Unternehmensinsolvenzen38. Das wäre gegenüber 2019 ein Anstieg um etwa 1/3 und gegenüber 2020 ein Anstieg um voraussichtlich 50 %. Mit Blick auf das Ziel einer Rettung von Unternehmen in der Corona 16 Krise ist daraus zu schließen, dass die beiden Bausteine aus dem Frühjahr alleine kein ausreichendes Rettungskonzept bilden. Hinzukommen muss im Sinne einer Gesamtkonzeption ein dritter Baustein zur nachhaltigen Sicherung oder Wiederherstellung der Fortführungsfähigkeit von Unternehmen oder alternativ zum geordneten Ausscheiden aus dem Markt. Für ein Ausscheiden aus dem Markt und der Abwicklung des Unternehmens stehen Liquidations- und Insolvenzverfahren zur Verfügung. Eine Restrukturierung zur Sicherung oder Wiederherstellung der Fortführungsfähigkeit kann derzeit im Wesentlichen zwischen den Beteiligten konsensual oder gleichfalls in einem Insolvenzverfahren erreicht werden. Voraussichtlich ab dem 1.1.2021 wird in Deutschland mit dem Inkrafttreten des StaRUG39 ein neuer rechtlicher Rahmen zur vorinsolvenzlichen Restrukturierung von Unternehmen zur Verfügung stehen. Dieser Rahmen, die insolvenzliche Restrukturierung und ggf. auch ausländische Restrukturierungsverfahren40 bilden den dritten Baustein für die sachgerechte Rettung der Unternehmen und werden letztlich über den gesamtwirtschaftlichen Erfolg der Rettungsaktion entscheiden. 38 https://www.stimme.de/deutschland-welt/wirtschaft/wt/creditreform-24000oder-mehr-firmenpleiten-2021;art270,4411398 (abgerufen am 24.11.2020). 39 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, S. 223. Am 17.12.2020 wurde das SanInsFoG vom Bundestag beschlossen und trat mit Ausnahme der Art. 1, §§ 84-88 StaRUG (öffentliche Restrukturierungssachen), Art. 7 (öffentliche Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet) und Art. 9 (Insolvenzstatistik) am 1.1.2021 in Kraft (BGBl. I 2020, 3256). Das Gesetz weicht in einigen Punkten vom Gesetzesentwurf der Bundesregierung ab. So wurden insbesondere im StaRUG die §§ 2 f. StaRUG-RegE und die Möglichkeit der Vertragsbeendigung gestrichen (vgl. BT-Drucks. 19/25303, S. 15 f., 48 ff.). 40 So soll z.B. das neue niederländische Restrukturierungsverfahren auch für ausländische Unternehmen zur Verfügung stehen, sofern hinreichende niederländische Anknüpfungspunkte gegeben sind, vgl. die Übersicht von De Brauw Blackstone Westbroek, Court Confirmation of Extrajudicial Restructuring Plans, S. 6 abrufbar unter https://www.debrauw.com/wp-content/uploads/ 2020/10/20201006-Booklet-2020-revised-final.pdf (abgerufen am 24.11.2020).
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II. Vorübergehende Liquiditätshilfen 1. Die zur Verfügung gestellten Programme im Überblick 17
Auf Grundlage des Befristeten Rahmens hat die EU-Kommission zahlreiche Maßnahmen der Bundesregierung genehmigt. Hierzu gehören u.a.: –
„Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“, nach der die KfW oder andere Regionalbehörden und Förderbanken direkte Zuschüsse i.H.v. höchstens 800.000 EUR auszahlen können41;
–
„Bundesregelung Bürgschaften 2020“, die der KfW oder anderen Regionalbehörden und Förderbanken die Gewährung von zinsgünstigen Darlehensgarantien zur Deckung des unmittelbaren Betriebs- und Investitionsbedarfs ermöglicht42;
–
„Bundesregelung Darlehen 2020“, nach der die KfW oder andere Regionalbehörden und Förderbanken zinsgünstige Darlehen zur Deckung des unmittelbaren Betriebs- und Investitionsbedarfs ausreichen können43;
–
Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der Beihilfen in Form von Garantien oder nachrangigen Darlehen sowie in Form von Rekapitalisierungsmaßnahmen ermöglicht44. Dies gesetzliche Grundlage hierfür bildet das ehemalige Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz vom 17.10.200845, das im Zuge der Errichtung des WSF in „Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarkt- und eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz – WStFG)“ umbenannt und geändert wurde46.
18 Der Zugang zu den Hilfsmaßnahmen, die Bund und Länder zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie aufgelegt haben, ist von der Unternehmensgröße und vom Unternehmensgegenstand abhängig47. Die Programme lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. 41 42 43 44 45
Beihilfe Nr. SA.56790, ABl. (EU) v. 3.4.2020, C 112/10. Beihilfe Nr. SA.56787, ABl. (EU) v. 8.5.2020, C 158/15. Beihilfe Nr. SA.56863, ABl. (EU) v. 30.4.2020, C 144/15. Beihilfe Nr. SA.56814, ABl. (EU) v. 18.9.2020, C 310/4. Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG), BGBl. I, 2008, S. 1982 ff. 46 Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds v. 27.3.2020, BGBl. I, 2020, S. 543 ff. 47 Vgl. die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erstellte Übersicht „Coronahilfen: Förderinstrumente auf einen Blick“, abrufbar unter https://
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Zum einen sind dies Eigenkapitalmaßnahmen (bspw. stille Beteiligungen) nach dem WStFG48. Deren praktische Bedeutung scheint bisher jedoch sehr gering zu sein. Bislang sollen nur „rund 85 Interessenbekundungen“ bei der Bundesregierung eingegangen sein49. Der zweite große Block umfasst die Fremdkapitalmaßnahmen, die von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt werden. Sie umfassen Garantien und Bürgschaften, Darlehen, Kurzarbeitergeld, steuerliche Maßnahmen, Überbrückungshilfen und einen Schutzschirm für Warenkreditversicherer50. Insbesondere die KfW Programme bilden das Kernstück für die Liquiditätssicherung vieler Unternehmen. In der Ausgabe des Handelsblattes vom 5.11.2020 wurde berichtet, dass die KfW bislang 95.000 Anträge auf Corona-Hilfen bearbeitet und insgesamt 45,6 Mrd. EUR ausgezahlt habe51.
2. Kredite und Garantien der KfW Die KfW bietet Garantien für Finanzierungen im Rahmen von unter- 19 schiedlichen Programmen an. Sämtliche Programme sind derzeit bis zum 30.6.2021 befristet. Die Darlehensverträge werden stets mit einer privaten Bank oder Sparkasse geschlossen, die KfW sichert das Darlehen mit einer Garantie ab. –
48 49
50
51 52
KfW-Schnellkredit 202052: Dieser Förderkredit wird für Anschaffungen (Investitionen) und laufende Kosten gewährt. Die KfW sichert den Kredit mit einer Garantie i.H.v. 100 % ab. Abhängig von der Unternehmensgröße sind Kredite bis zu 800.000 EUR möglich. Das Dar-
www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/C-D/coronahilfen-foerderinstrumen te-infografik.pdf?__blob=publicationFile&v=14 (abgerufen am 24.11.2020). Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarkt- und eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (Stabilisierungsfondsgesetz), BGBl. I, 2020, S. 543 ff. Antwort des Staatssekretärs Dr. Ulrich Nußbaum v. 12.11.2020 auf die Frage der Bundestagsabgeordneten Katharina Dröge, BT-Drucks. 19/24261, Frage Nr. 93. Siehe die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erstellte Übersicht „Coronahilfen: Förderinstrumente auf einen Blick“, abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/C-D/coronahilfen-foer derinstrumente-infografik.pdf?__blob=publicationFile&v=14 (abgerufen am 24.11.2020). Handelsblatt v. 5.11.2020: „KfW fördert so viel wie noch nie“, S. 29. Siehe das Merkblatt KfW-Schnellkredit 2020, abrufbar unter https://www. kfw.de/PDF/Download-Center/Förderprogramme-(Inlandsförderung)/PDF-Do kumente/6000004525_M_078.pdf (abgerufen am 24.11.2020).
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lehen hat eine Laufzeit von bis zu zehn Jahren. Der Effektivzins beträgt derzeit 3,03 % p.a53. –
KfW-Unternehmerkredit 202054: Damit können Investitionen und Betriebsmittel mittelständischer und großer Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, Einzelunternehmer und Freiberufler finanziert werden. Die KfW gibt eine Garantie i.H.v. 90 % (kleine und mittlere Unternehmen) bzw. 80 % (große Unternehmen). Abhängig von der Unternehmensgröße und vom Verwendungszweck werden die Darlehensvaluta (bis zu 100 Mio. EUR) und die Darlehenslaufzeit (bis zu zehn Jahre) festgelegt.
–
ERP-Gründerkredit – Universell55.
–
Sonderprogramm „Direktbeteiligung für Konsortialfinanzierung“56: Es richtet sich an in- und ausländische Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft. Die Finanzierung erfolgt hier im Rahmen eines Konsortiums. Die KfW beteiligt sich mit Risikobeteiligungen an Fremdkapitalfinanzierungen. Der von der KfW übernommene Risikoanteil beträgt im Regelfall mind. 25 Mio. EUR und max. 80 % der Vorhabenfinanzierung. Daneben darf der Anteil der KfW an der Gesamtverschuldung max. 50 % betragen. Die Laufzeit der Konsortialfinanzierung beträgt höchstens sechs Jahre.
3. Exkurs: Staatliche Liquiditätshilfen im internationalen Vergleich 20
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen (Industrie-)Staaten wurden staatliche Liquiditätshilfen zur Rettung von Unternehmen zur Verfügung gestellt. Dabei unterscheiden sich die zur Verfügung gestell53 https://www.kfw-formularsammlung.de/KonditionenanzeigerINet/Konditio nenAnzeiger (abgerufen am 24.11.2020). 54 Siehe das Merkblatt KfW-Unternehmerkredit, abrufbar unter https://www. kfw.de/PDF/Download-Center/Förderprogramme-(Inlandsförderung)/PDFDokumente/6000000188_M_037_047_Unternehmerkredit.pdf (abgerufen am 24.11.2020). 55 Siehe das Merkblatt ERP-Gründerkredit – Universell, abrufbar unter https:// www.kfw.de/PDF/Download-Center/Förderprogramme-(Inlandsförderung)/ PDF-Dokumente/6000004523_M_75-76_Universell.pdf (abgerufen am 24.11.2020). 56 Siehe das Merkblatt Sonderprogramm „Direktbeteiligung für Konsortialfinanzierung“, abrufbar unter https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Förder programme-(Inlandsförderung)/PDF-Dokumente/6000004518_M_855.pdf (abgerufen am 24.11.2020).
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ten Volumina ganz erheblich. Dies ist einerseits Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einzelner Staaten, unterstreicht damit aber auch die Berechtigung regulatorischer Vorgaben durch das EU-Beihilfenrecht. So beträgt z.B. das bisherige Gesamtvolumen der Hilfsmaßnahmen in Deutschland ca. 1.200 Mrd. EUR57 und damit etwa genau so viel wie die Summe der bisherigen Programme in Frankreich, Italien und Spanien oder nahezu das Dreifache der Programme im Vereinigten Königreich (Frankreich: rund 560 Mrd. EUR58, Italien: rund 400 Mrd. EUR59, Spanien: rund 200 Mrd. EUR60, UK: rund 420 Mrd. EUR61).62
III. Vorübergehende Erleichterungen im Insolvenzrecht und sonstige vorübergehende rechtliche Unterstützungsmaßnahmen Am 25.3.2020 verabschiedete der Bundestag als Teil seines Maßnahmen- 21 pakets zur Abschwächung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie in großer Eile das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht63. Dessen Art. 1 bildet das COVInsAG. In Bezug auf die insolvenzrechtlichen Regelungen im COVInsAG ist das Gesetz rückwirkend zum 1.3.2020 in
57 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/The men/Schlaglichter/Corona-Schutzschild/2020-03-13-Milliarden-Schutzschildfuer-Deutschland.html (abgerufen am 24.11.2020). 58 https://www.imf.org/en/Topics/imf-and-covid19/Policy-Responses-to-COVID19 (abgerufen am 24.11.2020). 59 https://www.handelsblatt.com/politik/international/neues-hilfspaket-italieni sche-unternehmen-bekommen-400-milliarden-euro-und-die-regierung-groesse ren-einfluss/25721850.html?ticket=ST-1398416-NzaMcaaMe7GvGaG22DK9ap6 (abgerufen am 24.11.2020). 60 https://www.gtai.de/gtai-de/trade/wirtschaftsumfeld/bericht-wirtschaftsum feld/spanien/regierung-stuetzt-wirtschaft-in-zeiten-von-covid-19-231052 (abgerufen am 24.11.2020). 61 https://www.manager-magazin.de/politik/konjunktur/coronavirus-paketeund-paeckchen-staatshilfen-im-vergleich-a-1305926.html unter Zugrundelegung des BIP 2019 (abgerufen am 24.11.2020). 62 Bei allen angegebenen Zahlen ist zu beachten, dass die Zahlen im Fluss sind, sich noch erheblich ändern können und sich je nach Quelle unterscheiden. 63 Plenarprotokoll 19/154 der 154. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25.3.2020, S. 19157 Abschnitt (D). Der Bundesrat rief in der Sitzung am 27.3.2020 den Vermittlungsausschuss nicht an, Plenarprotokoll 988 der 988. Sitzung des Bundesrates am 27.3.2020, S. 99.
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Kraft getreten64. Durch das COVInsAG wurden zunächst vorübergehende Regelungen für die Zeit bis zum 30.9.2020 getroffen und insbesondere die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags teilweise ausgesetzt. Dies galt bis zum 30. September sowohl für den Insolvenzgrund der Überschuldung als auch für zahlungsunfähige Unternehmen. Aufgrund der Änderung des COVInsAG am 25.9.202065 schließt sich für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31.12.2020 eine zweite Phase an, in der die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nur noch für überschuldete Unternehmen gilt. Voraussichtlich mit Wirkung zum 1.1.2021 wird das COVInsAG ein weiteres Mal geändert und auch alle überschuldete Unternehmen grundsätzlich wieder verpflichten, einen Insolvenzantrag zu stellen66. 22
Durch das COVInsAG wurden Insolvenzantragspflichten in Deutschland nicht zum ersten Mal vorübergehend eingeschränkt. Mit Vorgängerregelungen hatte der Gesetzgeber auch schon früher in Reaktion auf Hochwasserkatastrophen die Insolvenzantragspflicht für betroffene Unternehmen zeitweise ausgesetzt67. Dabei wurden (wahrscheinlich unabsichtlich) nur die Insolvenzantragspflichten vorübergehend ausgesetzt, nicht aber die an die materielle Insolvenzreife anknüpfenden Zahlungsverbote68. Im Frühjahr hat der Gesetzgeber mit dem COVInsAG richtigerweise einen umfassenderen Ansatz gewählt: Die Aussetzung der In-
64 Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BGBl. I, 2020, S. 569 ff. 65 Gesetz zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes v. 25.9.2020, BGBl. I, 2020, S. 2016. 66 Art. 10 des Entwurfes eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181. 67 Hochwasserkatastrophe von 2002: Art. 6 des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften und zur Errichtung eines Fonds „Aufbauhilfe“ (Flutopfersolidaritätsgesetz) v. 19.9.2002, BGBl. I, 2002, S. 3651 ff.; Hochwasserkatastrophe von 2013: Art. 3 des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe“ und zur Änderung weiterer Gesetze (Aufbauhilfegesetz) v. 15.7.2013, BGBl. I, 2013, S. 2401 ff.; Hochwasserkatastrophe aus 2016: Art. 3a des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht v. 26.7.2016, BGBl. I, 2016, S. 1824 ff. 68 Müller/Rautmann, DStR 2013, 1551, 1553; Landry/Knapp, jurisPR-HaGesR 7/2013 Anm. 1 unter C. II.; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 16; Schmidt, ZInsO 2013, 1463, 1465; Jarchow/Hölken, ZInsO 2020, 730, 731.
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solvenzantragspflicht (§ 1 COVInsAG) wurde durch ergänzende Regelungen, wie vor allem der Lockerung der gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverbote, flankiert (§ 2 COVInsAG). Mit dem COVInsAG und den Erleichterungen im Insolvenzrecht sollten 23 nach dem Willen des Gesetzgebers Insolvenzen möglichst abgewendet und Haftungsgefahren der Geschäftsleiter reduziert werden69. Die Geschäftsleiter sollten dadurch Zeit gewinnen, um Vorkehrungen zur Beseitigung der Insolvenzreife treffen zu können70. Daneben sollten Anreize geschaffen werden, den betroffenen Unternehmen neue Liquidität zuzuführen und Geschäftsverbindungen aufrecht zu erhalten71. Von vielen Unternehmen und ihren Geschäftsleitern ist jedoch übersehen worden, dass die Insolvenzantragspflicht nicht umfassend ausgesetzt wurde und es auch weiterhin haftungsbewehrte Pflichten gibt, die durch das COVInsAG nicht berührt oder nur eingeschränkt wurden. Diese Pflichten haben Geschäftsführer und Vorständen zu prüfen, zu überwachen und zu beachten. In unserer Beratungspraxis haben wir das als „CoronaKrisen-Compliance“ bezeichnet.
1. Ausgangspunkt der Corona-Krisen-Compliance: Pflichten der Geschäftsführungsorgane in der Krise Um die Reichweite des COVInsAG und die im Anwendungsbereich des 24 COVInsAG zu beachtende Corona-Krisen-Compliance zu verstehen, soll zunächst ein Blick auf die ohne COVInsAG bestehenden Pflichten der Geschäftsführungsorgane in der Krise geworfen werden. Gerät ein Unternehmen in eine Krise oder droht sogar die Insolvenz, hat die Geschäftsleitung insbesondere die folgenden wesentlichen Handlungspflichten und Haftungsrisiken: Die Geschäftsleitung hat alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Existenz der Gesellschaft zu sichern (Sanierungspflicht)72. Die Liquidität ist bestmöglich zu sichern; falls Unterstützungsleistungen zur Verfügung stehen, müssen sie rechtzeitig beantragt
69 Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BT-Drucks. 19/18110, S. 17. 70 Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BT-Drucks. 19/18110, S. 17. 71 Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BT-Drucks. 19/18110, S. 17. 72 Siehe hierzu oben Fn. 4.
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werden73. Eine Gesellschafterversammlung ist einzuberufen, wenn die Hälfte des Stamm- oder Grundkapitals verloren gegangen ist (siehe z.B. § 49 Abs. 3 GmbHG oder § 92 Abs. 1 AktG). Darüber hinaus hat die Geschäftsführung fortlaufend zu prüfen und zu überwachen, ob ein Insolvenzgrund eingetreten ist und ob gemäß § 15a Abs. 1 InsO ein Insolvenzantrag gestellt werden muss74. Ist die Insolvenzreife eingetreten, hat die Geschäftsleitung den Insolvenzantrag innerhalb von drei Wochen zu stellen. Ein Verstoß gegen die Antragspflicht (Fahrlässigkeit genügt) löst eine strafrechtliche Haftung (§ 15a Abs. 4 und 5 InsO) sowie eine zivilrechtliche Haftung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO)75 aus. Daneben besteht bei Insolvenzreife ein grundsätzliches Zahlungsverbot (sog. Notgeschäftsführung), das ebenfalls haftungsbewehrt ist (§ 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG). Auch die Pflichten zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer können in der Krise zu einer Haftung der Geschäftsleiter führen. Ein in der Praxis ganz erhebliches Risiko bildet schließlich die straf- und zivilrechtliche Haftung wegen Eingehungsbetrug (§ 263 StGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB76.
2. Das COVInsAG bis 30.9.2020 25
Durch § 1 Satz 1 COVInsAG ist die Pflicht der Geschäftsleiter zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO bis zum 30.9.2020 grundsätzlich ausgesetzt worden. Dies galt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhte oder wenn keine Aussichten auf Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bestand. § 1 Satz 3 COVInsAG stellte insoweit eine widerlegliche Vermutung auf: War das Unternehmen am 31.12.2019 zahlungsfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und dass Aussichten bestehen, eine Zahlungsunfähigkeit wieder beseitigen zu können. In der Praxis wurde oft nur die (grundsätzliche) Aussetzung der Insolvenzantragspflichten wahrgenommen, nicht aber die Aus73 Tresselt/Kienast, COVuR 2020, 21, 21 f.; Verhoeven, GmbH-StB 2020, 141, 143. 74 Tresselt/Schlott, KSzW 2017, 192; Tresselt/Kienast, COVuR 2020, 21, 22; Theiselmann in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 4. Aufl. 2020, Kap. 13 Rz. 83. 75 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10 –, juris Rz. 9; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a Rz. 39 ff.; Klöhn in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2019, § 15a Rz. 140. 76 Siehe hierzu auch Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019 f., § 1 COVInsAG Rz. 13.
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nahmen. Ob trotz der COVID-19-Pandemie die Insolvenzantragspflicht fortbestand, wurde infolgedessen häufig nicht geprüft und es ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen Insolvenzantragspflichten verletzt wurden. Wahrscheinlich hat dieses – bewusste oder unbewusste – Missverständnis dazu beigetragen, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr so deutlich zurückgegangen ist77. Parallel zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sind auch die ge- 26 sellschaftsrechtlichen Zahlungsverbote eingeschränkt worden. Regelungstechnisch blieb es bei dem Grundsatz der Zahlungsverbote. Für Unternehmen, die aufgrund des COVInsAG vorübergehend keinen Insolvenzantrag stellen müssen, bleiben aber ausnahmsweise alle Zahlungen erlaubt, die „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen“. Da es sich um eine (wenn auch sehr weitgehende) Ausnahme handelt, liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Zulässigkeit einer Zahlung bei der Geschäftsleitung78. Aus diesem Grund hat ein Geschäftsführer einer materiell insolvenzreifen Gesellschaft nicht nur zu prüfen und zu dokumentieren, dass er keinen Insolvenzantrag zu stellen hat. Er hat vielmehr auch sicherzustellen und zu dokumentieren, dass die Gesellschaft nur noch Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang leistet79 Nach meiner Einschätzung ist auch dies in der Praxis häufig übersehen worden. Weitergehende wichtige Handlungspflichten und Haftungsrisiken haben 27 trotz der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht fortbestanden80. Hierzu gehören die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen81 und Lohnsteuer ebenso wie die Pflicht zur Einberufung einer Ge77 Siehe hierzu oben A.II.3. 78 Fritz in Fritz, COVAbmildG, 2020, Art. 1 COVAbmildG/§ 2 COVInsAG Rz. 19; Born, NZG 2020, 521, 528; Trölitzsch/El-Saleh in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, § 53 Rz. 23; Obermüller, ZInsO 2020, 1037, 1045. 79 Tresselt/Kienast, COVuR 2020, 21, 24; Brünkmans, ZInsO 2020, 797, 803; Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 642; Verhoeven, GmbH-StB 2020, 141, 144 f. 80 Römermann, Stbg 2020, 317, 322 f.; Kuleisa/Denkhaus/Schmidt in Schmidt, COVInsAG, 2020, § 1 COVInsAG Rz. 25 ff. 81 Nach Ruppert besteht sogar ein größeres Risiko der Strafbarkeit gemäß § 266a StGB, weil durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht der rechtliche
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sellschafterversammlung bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals bzw. Grundkapitals. Daneben haben sich die Geschäftsleiter vor allem nach wie vor wegen eines Eingehungsbetrugs strafbar machen können82. 28 Durch weitere Regelungen des COVInsAG sind neue Finanzierungen erleichtert worden: Gewähren Dritte während des Aussetzungszeitraums einen neuen Kredit, können Rückzahlungen bis zum 30.9.2023 in einem späteren Insolvenzverfahren nicht angefochten werden. Hat der Schuldner während des Aussetzungszeitraums eine Sicherheit zugunsten des Dritten bestellt, ist die Bestellung ebenfalls nicht anfechtbar, falls der Schuldner bis zum 30.9.2023 einen Insolvenzantrag stellt. Bei der Kreditgewährung durch Gesellschafter ist davon abweichend nur eine Rückzahlung bis zum 30.9.2023 nicht anfechtbar, nicht aber eine Besicherung. Daneben besteht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 COVInsAG für Kreditgeber kein Haftungsrisiko aus § 826 BGB, weil Kreditgewährungen und Besicherungen nicht als sittenwidriger Beitrag zu einer Insolvenzverschleppung gewertet werden dürfen. Für Kredite der KfW, ihren Finanzierungspartnern oder andere Institutionen im Rahmen der staatlichen Hilfsprogramme gelten die Privilegierungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2-3 COVInsAG ohne zeitliche Beschränkungen (§ 2 Abs. 3 COVInsAG). 29 Schließlich sind in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG die Anfechtungsrechte im Insolvenzverfahren für Sicherungen und Befriedigungen während des Aussetzungszeitraums eingeschränkt worden. Mit dieser Regelung sollen Vertragspartner von Unternehmen in der Krise anfechtungsrechtlich geschützt werden, weil die Insolvenzanfechtungsgründe immer an die materielle Insolvenz, nicht aber die Insolvenzantragspflicht anknüpfen.
3. Das COVInsAG im Zeitraum 1.10.2020 bis 31.12.2020 30
§ 4 COVInsAG i.d.F. vom März 2020 enthielt die Option, das COVInsAG bis zum 31.3.2021 zu verlängern. Im Sommer 2020 entbrannte eine Diskussion darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen das COV-
Konflikt zwischen § 266a StGB und den gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverboten zugunsten § 266a StGB aufgelöst sei, COVuR 2020, 130, 133. 82 Wolfer in BeckOK-InsO, 18. Ed. 1.4.2020, § 15a Rz. 41a; Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 292; Tresselt/Kienast, COVuR 2020, 21, 24; Pape, NZI 2020, 393, 398; Verhoeven, GmbH-StB 2020, 141, 146; zweifelnd Brand, BB 2020, 909, 913; Schülke, DStR 2020, 929, 934 f.
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InsAG verlängert werden soll83. Diese Diskussion wurde davon geprägt, dass die Zahl neuer Unternehmensinsolvenzen stark zunehmend zurückging und die Sorge aufkam, dass viele der (vorübergehend) geretteten Unternehmen als „Zombieunternehmen“ auf Dauer nicht überlebensfähig seien und letztlich nur andere Unternehmen schädigen würden. Der Gesetzgeber nahm daher von einer schlichten Verlängerung des COVInsAG Abstand und änderte das COVInsAG für den Zeitraum vom 1.10.2020 bis zum 31.12.2020. Für die Zahlungsunfähigkeit gilt die Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO ab dem 1.10.2020 wieder uneingeschränkt, für die Überschuldung wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31.12.2020 verlängert. Soweit die Insolvenzantragspflicht weiterhin ausgesetzt ist, gelten auch die geschilderten Einschränkungen und Erleichterungen betreffend die Zahlungsverbote, Insolvenzanfechtung und Kreditgeberhaftung fort.
4. Das COVInsAG ab dem 1.1.2021 Mit dem geplanten SanInsFoG84 soll auch das COVInsAG nochmal ge- 31 ändert werden (Art. 10 RegE SanInsFoG). Ab 1.1.2021 sollen die Insolvenzantragspflichten wieder nahezu uneingeschränkt gelten. Lediglich für die Überschuldung ist eine weitere vorübergehende Einschränkung geplant: Bis zum 31.12.2021 soll bei der Überschuldungsprüfung der Prognosezeitraum für die Fortführungsprognose nur vier Monate (statt 12 Monate) betragen. Daneben soll trotz Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ein Schutzschirmverfahren möglich sein, wenn im Jahr 2021 ein Insolvenzantrag gestellt wird. Voraussetzung für beide Erleichterungen soll es sein, dass der Schuldner zum 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war, dass er im letzten, vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis erzielte und dass der Umsatz im Kalenderjahr 2020 um mehr als 40 % im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen ist. Alle anderen Erleichterungen und Privilegierungen sollen am 31.12.2020 auslaufen.
83 Siehe das Handelsblatt v. 11.8.2020 „Warnung von Zombiefirmen“, S. 6 f.; WirtschaftsWoche online „Pro & Contra. Ist es sinnvoll, die Pflicht zum Insolvenzantrag weiter auszusetzen?“, abrufbar unter https://www.wiwo.de/my/po litik/deutschland/pro-und-contra-ist-es-sinnvoll-die-pflicht-zum-insolvenzan trag-weiter-auszusetzen/26127866.html (abgerufen am 24.11.2020). 84 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181.
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5. Exkurs: Modifizierung des Insolvenzrechts in anderen Staaten 32
Wie Deutschland haben auch viele andere Staaten in Europa Liquiditätshilfen mit vorübergehenden Einschränkungen der Insolvenzantragspflicht kombiniert. Dies zeigen die folgenden Beispiele: –
In Frankreich wurde die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, wenn vor dem 12.3.2020 keine Zahlungsunfähigkeit vorlag85. Dadurch konnten Unternehmen, die nach dem 12.3.2020 ihre Zahlungen eingestellt haben, dennoch vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren nutzen.
–
In Italien wurden Insolvenzverfahren zwischen dem 9.3.2020 und dem 30.6.2020 grundsätzlich ausgesetzt. Hiervon ausgenommen waren u.a. solche Insolvenzen, die nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhten86.
–
In Österreich wurde die Frist zur Stellung des Insolvenzantrags wegen Zahlungsunfähigkeit auf 120 Tage verlängert87 und die Antragspflicht wegen Überschuldung bis zum 31.3.2021 ausgesetzt88. Daneben wurde das Recht der Gläubiger, einen Insolvenzantrag zu stellen, bis zum 31.3.2021 auf den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit beschränkt89.
85 Art. 1 der Ordonnance n° 2020-341 du 27 mars 2020 portant adaptation des règles relatives aux difficultés des entreprises et des exploitations agricoles à l’urgence sanitaire et modifiant certaines dispositions de procédure pénale (abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFTEXT000041762344/, abgerufen am 24.11.2020). 86 Art. 10 des Decreto-Legge n° 23 v. 8.4.2020 (abrufbar unter https://www. normattiva.it/uri-res/N2Ls?urn:nir:stato:decreto.legge:2020;23, abgerufen am 24.11.2020). 87 § 69 Abs. 2a der Insolvenzordnung wurde mithilfe des Art. 22 des 2. COVID19-Gesetzes um die Worte „Epidemie, Pandemie“ ergänzt. Das 2. COVID-19Gesetz wurde im BGBl. I Nr. 16/2020 v. 21.3.2020 verkündet und ist unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_I_16/BGBLA_ 2020_I_16.pdfsig (abgerufen am 24.11.2020) abrufbar. 88 § 9 Abs. 1 des 2. Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz – 2. COVID-19-JuBG) wurde nach dem Vortrag geändert durch Art. 3 des 157. Bundesgesetzes, mit dem die Notariatsordnung, das GmbH-Gesetz, das 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz und das EIRAG geändert werden (BGBl. I Nr. 157/2020, abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_I_157/ BGBLA_2020_I_157.pdfsig, abgerufen am 12.1.2021). 89 § 9 Abs. 2 COVID-19-JuBG, (in der am 4.4.2020 verkündeten Fassung [BGBl. I Nr. 24/2020, abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/
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–
Im Vereinigten Königreich wurde bei Einführung des neuen Unternehmensinsolvenzrechts (Corporate Insolvency and Governance Act 2020) die Insolvenzantragspflicht für Gesellschaften bis zum 31.12.2020 eingeschränkt90. Daneben wurde das Recht der Gläubiger zur Stellung eines Insolvenzantrags bis zum 31.12.2020 im Grundsatz ausgesetzt. Hiervon ausgenommen blieben nur Gesellschaften, bei denen die COVID-19-Pandemie keinen Einfluss auf die finanzielle Lage der Gesellschaft oder auf den Eintritt der Insolvenzreife hatte91. Daneben war im Grundsatz auch die Haftung der directors aufgrund eines wrongful trading vom 1.3.2020 bis zum 30.9.2020 ausgesetzt92.
IV. Nachhaltige Sicherung oder Wiederherstellung der Fortführungsfähigkeit Wie oben bereits dargestellt, ist für eine sachgerechte Rettung von Unternehmen in der Corona-Krise eine Gesamtkonzeption erforderlich. Der Gesetzgeber hat dazu einen rechtlichen Rahmen zur Verfügung zu stellen, der es ermöglicht, dass die Fortführungsfähigkeit der dafür geeigneten Unternehmen nachhaltig gesichert oder wiederhergestellt werden kann. Das deutsche Recht bietet als Alternative zu einer konsensualen Restrukturierung bislang grundsätzlich nur die Restrukturierung in einem Insolvenzverfahren. Das deutsche Insolvenzrecht ist für die BGBLA_2020_I_24/BGBLA_2020_I_24.pdfsig, abgerufen am 24.11.2020) i.V.m. § 9 Abs. 1 2. COVID-19-JuBG (in der am 23.12.2020 verkündeten Fassung, s.o. Fn. 89). 90 Für eingetragene Gesellschaften in Großbritannien: Schedule 10, Part 1 Paragraph 1 des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 i.d.F. v. 29.9.2020 (abrufbar unter https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2020/12/contents, abgerufen am 24.11.2020); für nicht eingetragene Gesellschaften in Großbritannien: Schedule 10, Part 2 Paragraph 2 des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 i.d.F. v. 29.9.2020. Für Nordirland gelten in Schedule 11 des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 identische Regelungen. 91 Für eingetragene Gesellschaften in Großbritannien: Schedule 10, Part 2 Paragraph 2 i.V.m. Paragraph 21 Abs. 1 des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 i.d.F. v. 29.9.2020; für nicht eingetragene Gesellschaften in Großbritannien: Schedule 10, Part 2 Paragraph 3 i.V.m. Paragraph 21 Abs. 1 des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 i.d.F. v. 29.9.2020. Für Nordirland gelten in Schedule 11 des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 identische Regelungen. 92 Section 12 (Großbritannien) bzw. Section 13 (Nordirland) des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 i.d.F. v. 29.9.2020.
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Restrukturierung von Unternehmen sehr gut geeignet. Dies gilt insbesondere auch im internationalen Vergleich. Die Weltbank führt jährlich Studien über die Funktionsfähigkeit der nationalen Insolvenzrechte durch und fasst ihr Ergebnis in einem Ranking zusammen. Deutschland schneidet dabei schon seit Jahren hervorragend ab. In der Studie aus 2020 belegt Deutschland Platz vier93, 2017 belegte Deutschland sogar Platz drei94. Was hingegen im deutschen Recht bislang fehlte, war ein Werkzeug, das eine vorinsolvenzliche Restrukturierung auch dann ermöglicht, wenn zwar nicht alle relevanten Gläubiger, aber eine ausreichend große Mehrheit dieser Gläubiger zustimmt. Aus diesem Grunde haben einige deutsche Unternehmen für ihre Restrukturierungen in der Vergangenheit ausländische Verfahren genutzt, insbesondere ein englisches Scheme of Arrangement95.
1. Neuer rechtlicher Rahmen für Restrukturierung und Insolvenz in Deutschland 34
Am 19.9.2020 wurde der Referentenentwurf und am 14.10.2020 der Regierungsentwurf für das „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungsund Insolvenzrechts (SanInsFoG)“ vorgelegt und in den Gesetzgebungsprozess eingebracht96. Kernstück des SanInsFoG ist das schon mehrfach erwähnte „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG)“. Das StaRUG dient der Umsetzung der EU-Richtlinie über den präventiven Restrukturierungsrahmen vom 20.6.201997. Durch das StaRUG wird auch in Deutschland ein recht93 Weltbank, Doing Business, abrufbar unter https://www.doingbusiness.org/ en/data/exploreeconomies/germany#DB_ri (abgerufen am 24.11.2020). 94 Weltbank, Doing Business 2017, S. 208, abrufbar unter https://www.doingbusi ness.org/content/dam/doingBusiness/media/Annual-Reports/English/DB17-Re port.pdf (abgerufen am 24.11.2020). 95 Siehe die Beispiele High Court Chancery Division, Entscheidung v. 6.5.2011 – [2011] EWHC 1104 (Ch) bzw. Case No. 2135/2011 (Justice Briggs) – „Rodenstock GmbH“; High Court Chancery Division, Entscheidung v. 20.1.2012 – [2012] EWHC 164 (Ch) bzw. Case No. 10990/2011 (Justice Hildyard) – „Primacom Holding GmbH“; jeweils abrufbar über www.bailii.org. 96 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181. 97 Richtlinie (EU) 2019/1023 v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie
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licher Rahmen bzw. ein Verfahren für eine vorinsolvenzliche Restrukturierung von Unternehmen zur Verfügung stehen, in dem es ausreicht, dass die erforderliche Mehrheit der Gläubiger der Restrukturierung zustimmt. Das SanInsFoG und damit auch das StaRUG sollen bereits zum 1.1.2021 in Kraft treten (Art. 25 SanInsFoG RegE).
2. Wesentliche Ziele des StaRUG Das StaRUG verfolgt im Wesentlichen das Ziel, frühzeitige Restruktu- 35 rierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu erleichtern. Dabei soll die Möglichkeit bestehen, den Willen dissentierender Minderheiten zu überwinden98. Das Verfahren wird im Wesentlichen vom Schuldner in „Eigenverwaltung“ vorbereitet und durchgeführt. Als „Rahmen“ konzipiert, handelt es sich um ein sehr flexibles Instrument. So können zum einen nur die für die Restrukturierung benötigten ausgewählten Gläubigergruppen einbezogen werden99. Auch eine Einbeziehung der Anteilsinhaber des Schuldners ist möglich. Zum anderen kann das Restrukturierungsvorhaben, wie bisher, außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel einer möglichst konsensualen Lösung begonnen und eine gerichtliche Unterstützung nur bei Bedarf beantragt werden. Herzstück des Rahmens ist der Restrukturierungsplan. Dessen Regelungen sind dem Insolvenzplanrecht nachgebildet100. Der Restrukturierungsplan wird vom Schuldner erstellt und enthält die für die Restrukturierung erforderlichen Regelungen. Der Plan bedarf einer Zustimmung der Gläubiger und sofern nicht alle Gläubiger zugestimmt haben auch der Bestätigung durch das Restrukturierungsgericht.
über Restrukturierung und Insolvenz), abrufbar unter https://eur-lex.euro pa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L1023 (abgerufen am 24.11.2020). 98 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, S. 86, 89. 99 Die Einbeziehung von Arbeitnehmerforderungen und Ansprüchen aus Pensionszusagen ist ausgeschlossen, vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, S. 87, 89. 100 Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, S. 109.
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3. Das StaRUG – ein effizientes Werkzeug für die Sanierung von Unternehmen? 36
Das StaRUG Restrukturierungsverfahren und der Restrukturierungsplan bieten sehr weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten. Weitgehend die gleichen Restrukturierungsmaßnahmen und Gestaltungen wie in einem Insolvenzplanverfahren sind möglich. Die Annahme eines Restrukturierungsplans bedarf grundsätzlich einer Zustimmung aller im Plan gebildeten Gläubigergruppen. Dabei genügt eine 75 % Mehrheit der Gläubiger jeder Gruppe. Die Ablehnung einer Gruppe kann über einen cross-class cram down überwunden werden. Daneben soll nach dem derzeitigen Stand des Gesetzgebungsverfahrens auch die Möglichkeit bestehen, Verträge zu beenden und gewisse Vertragsanpassungen vorzunehmen. Gesellschafter können, wie auch in einem Insolvenzplan, in den Restrukturierungsplan einbezogen werden und auch in einem Restrukturierungsplan sind (wie in einem Insolvenzplan) alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen möglich. Dies alles spricht für die Möglichkeit einer effektiven Restrukturierung durch einen Restrukturierungsplan. Man könnte deshalb das Restrukturierungsverfahren als „Insolvenzverfahren light“ bezeichnen. Leider zeichnet sich das Verfahren durch eine extrem hohe Komplexität aus und wird sich daher kaum für die Restrukturierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen eignen.
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Früh- und rechtzeitige Restrukturierungen gelten schon seit längerer Zeit zurecht als Erfolgsfaktor. Die Änderungen im Insolvenzrecht durch das ESUG haben nicht im gewünschten Umfang dazu geführt, dass Insolvenzverfahren frühzeitig zur Restrukturierung von Unternehmen genutzt werden. Durch das StaRUG und die im Regierungsentwurf in § 2 vorgesehene Pflicht der Geschäftsleiter, bei drohender Zahlungsunfähigkeit vorrangig die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren, soll es vermehrt zu frühzeitigen Restrukturierungen kommen101. Hier geht der deutsche Gesetzgeber deutlich über die Restrukturierungsrichtlinie hinaus, dessen Art. 19 nicht verlangt, dass im Anwendungsbereich der Richtlinie, d.h. bei einer „likelihood of insolvency“, die Gläubigerinteressen Vorrang haben. Flankierend werden die Überwachungsorgane durch § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG RegE verpflichtet, zu überwachen, dass 101 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts (Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, S. 105 f.
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Spahlinger – Rettung von Unternehmen in der Corona-Krise
die Geschäftsleiter ihrer Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen nachkommen. Beschlüsse und Weisungen, die den Gläubigerinteressen entgegenstehen, sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG RegE unwirksam. Hierbei handelt es sich um einen spektakulären Paradigmenwechsel im deutschen Gesellschaftsrecht. Für die künftige Praxis stellen sich dabei viele Fragen, so z.B. die Frage, ob es unzulässig sein wird, einen Geschäftsführer abzuberufen, der das Vertrauen der Gläubiger hat oder der als CRO (Chief Restructuring Officer) eine Restrukturierung plant, die den Gesellschaftern missfällt. Für die handelnden Personen, insbesondere die Geschäftsleitung des 38 Schuldners entstehen durch das StaRUG zusätzliche Haftungsrisiken. Auch die Pflicht, vorrangig die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren, ist nach dem StaRUG RegE haftungsbewehrt. Dabei handelt es sich zunächst, d.h. ab drohender Zahlungsunfähigkeit um eine (Innen-)Haftung der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft (§ 3 Abs. 1 StaRUG RegE). Sobald eine Restrukturierungssache bei Gericht rechtshängig ist (§ 45 StaRUG RegE), sollen die Geschäftsführer aber auch unmittelbar gegenüber den Gläubigern haften. Dass die neuen Haftungsrisiken Restrukturierungen erleichtern, muss leider bezweifelt werden. Abschließend stellt sich noch die Frage, ob das StaRUG auch für die 39 Restrukturierung internationaler Unternehmensgruppen geeignet und attraktiv sein wird. Der StaRUG RegE enthält keine Regelung zum internationalen Anwendungsbereich des StaRUG und vergleichbarer ausländischer Restrukturierungsverfahren (internationale Zuständigkeit, Anerkennung). Zudem werden die Bestimmungen über öffentliche Restrukturierungssachen erst am 17.7.2022 in Kraft treten (Art. 25 Abs. 3 SanInsFoG RegE). Ab diesem Zeitpunkt, aber auch erst dann, wird es möglich sein, dass ein entsprechendes öffentliches StaRUG Verfahren in den Anwendungsbereich der EuInsVO fällt. Für Schuldner mit einem Center of Main Interests in Deutschland wäre dann eine internationale Zuständigkeit für StaRUG Verfahren gegeben und diese wären dann auch EU-weit automatisch anzuerkennen. Bis dahin und darüber hinaus auch generell für nicht öffentliche Restrukturierungssachen ist derzeit noch unklar, für welche Schuldner eine internationale Zuständigkeit in Deutschland und eine Anerkennung deutscher Restrukturierungsverfahren im Ausland möglich sein wird. Für die Restrukturierung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen ist das ein Problem.
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V. Fazit 40
Das Projekt der „Rettung von Unternehmen in der Corona-Krise“ ist noch nicht beendet. Vorübergehende Liquiditätshilfen und vorübergehende Einschränkungen der Insolvenzantragspflicht sind ab dem Frühjahr 2020 zwei sachgerechte Bausteine gewesen. Weitere vorübergehende Unterstützungen für einzelne Unternehmen oder ganze Branchen sind wahrscheinlich erforderlich. Auch eine nochmalige Verlängerung der Einschränkung der Insolvenzantragspflicht kann möglicherweise sinnvoll sein. In jedem Fall sind vorübergehende Liquiditätshilfen und vorübergehende Erleichterungen im Insolvenzrecht der einfachere Teil der Aufgabe. Der schwierigere Teil – die Sicherstellung und Wiederherstellung der nachhaltigen Fortführungsfähigkeit – liegt weitgehend noch vor uns.
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Bericht über die Diskussion des Referats Spahlinger Dr. Florian Kienast Rechtsanwalt, Stuttgart Habersack eröffnete die Diskussion mit der Einschätzung, dass der Vortrag gezeigt habe, dass man auch in rechtlicher Hinsicht in ganz besonderen Zeiten lebe und insbesondere das sich abzeichnende StaRUG das Gesellschaftsrecht in fundamentaler Weise verändern werde. Insoweit sei es sehr schade, dass die Geschwindigkeit des Gesetzgebungsprozesses einen wissenschaftlichen Diskurs nahezu ausschließe. Einen Grund hierfür sieht er in dem durch die COVID-19-Pandemie erzeugten Zeitdruck, der eine Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Juli 2021 dringend erforderlich mache.
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Schadbach kam auf die Kritik am StaRUG zu sprechen. Nach seinem 2 Eindruck seien die geäußerten Hauptkritikpunkte Folgende: Erstens sei das Regelungswerk für kleine und mittlere Unternehmen viel zu komplex, zweitens werde die bereits strenge Haftung der Geschäftsleiter weiter ausgeweitet und drittens werde kein Insolvenzgeld bzw. werden keine vergleichbaren staatlichen Leistungen in den StaRUG-Verfahren gewährt. Dem letzten Kritikpunkt sei nicht zuzustimmen, weil die Gewährung staatlicher Leistungen während der drohenden Zahlungsunfähigkeit ordnungspolitisch verfehlt sei. Schadbach hält die anderen beiden Kritikpunkte für berechtigt. Er fügte hinzu, dass das Ineinandergreifen des Insolvenzrechts und des Gesellschaftsrechts zu Lasten des Gesellschaftsrechts ausgehe. Schließlich fragte er Spahlinger nach seiner Einschätzung. Spahlinger bestätigte, dass auch er die Komplexität des Gesetzes sehe, 3 wie er auch schon im Vortrag erwähnt habe. Im Übrigen sei ihm aufgefallen, dass der Gesetzgeber anscheinend ein großes Misstrauen gegenüber Geschäftsleitern hege und deshalb an vielen Stellen im Gesetz neue Haftungsvorschriften eingeführt habe. Dies sei bemerkenswert, weil die deutsche Rechtsordnung schon heute eine Rechtsordnung sei, die im Krisenfall strenge Haftungsvorschriften habe. Damit einher gingen Dokumentationspflichten der Geschäftsleiter, die durch das StaRUG noch einmal gesteigert würden. Aufgrund dessen werde es zukünftig tendenziell noch wichtiger werden, in der Krise Restrukturierungs-
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Kienast – Bericht über die Diskussion des Referats Spahlinger
experten (CRO) in den Geschäftsleitungen zu platzieren, die sich dieser Themen annehmen und die anderen Geschäftsleiter entlasten. 4 Brinkmann gab zu bedenken, dass der Prognosezeitraum für die Überschuldung von bis zu 24 Monaten auf einen Zeitraum von 12 Monaten verkürzt werde, so dass die Monate 13 bis 24 aus dem für die Insolvenzverschleppung maßgeblichen Zeitraum herausfallen werden. An die Stelle der daran anknüpfenden Zahlungsverbote und Insolvenzverschleppungstatbestände trete dann die Haftung nach § 2 Abs. 3 StaRUG. Aus diesem Grund geht er nicht davon aus, dass das StaRUG tatsächlich die Haftung der Geschäftsleiter so ausweite, wie es Spahlinger und Schadbach erwarten. 5 Spahlinger fügte an, dass der Prognosezeitraum für die Überschuldung zwar verkürzt werde, zugleich aber mit der Anknüpfung an den Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 2 Abs. 3 StaRUG der für die Haftung relevante Zeitraum vergrößert werde. Bislang umfasse der Zeitraum bei der Überschuldungsprüfung das laufende und das darauffolgende Geschäftsjahr, also einen Zeitraum von einem bis zu zwei Jahren. Durch das StaRUG werde der für die drohende Zahlungsunfähigkeit relevante Zeitraum stets 24 Monate betragen. Anders als bei der Erstellung der insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose reiche es dann nicht mehr, wenn Unternehmen mit der Aktualisierung des Business Plans einmal im Jahr ihre Liquiditätsplanung aktualisierten. Stattdessen werden Unternehmen zur Überwachung ihrer Pflichten nach dem StaRUG auf eine rollierende 24- bzw. sogar 25-Monats-Liquiditätsplanung umstellen müssen. Für kleine und mittlere Unternehmen stelle dies eine Herausforderung dar. 6 Wieneke warf ein, dass überwiegend Fremdkapitalmaßnahmen in Anspruch genommen würden, weil die gesetzlichen Grundlagen für Eigenkapitalmaßnahmen lange auf sich haben warten lassen. Reine Fremdkapitalmaßnahmen sieht er kritisch: Zwar sichern diese das Überleben des Unternehmens; spätestens bei der Aufstellung des Jahresabschlusses komme aber die gesunkene Eigenkapitalquote zum Vorschein, was eine positive handelsrechtliche Fortführungsprognose in Frage stellen kann. Mithin sei – so Wieneke – zu erwarten, dass entweder Eigenkapitalmaßnahmen doch noch verstärkt nachgefragt werden oder dass es vermehrt zu Sanierungen kommen werde, weil das Eigenkapital, das der Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Verfügung stellt, sehr teuer sein werde.
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Spahlinger griff den letzten Punkt auf und verwies auf die im Vortrag be- 7 schriebene Gesamtkonzeption einer Unternehmensrettung. Die Liquiditätshilfen seien wie das COVInsAG und das StaRUG Bausteine eines Gesamtkonzeptes, das den Unternehmen die Möglichkeit eröffne, sich nicht nur in einem Insolvenzverfahren, sondern auch zuvor zu restrukturieren. Flankierend hierzu werde Phase 3 des COVInsAG ab Januar 2021 Übergangsregelungen enthalten, die ermöglichen werden, dass einige Unternehmen eine Restrukturierung nach dem StaRUG noch durchführen können, obwohl sie ohne das COVInsAG bereits insolvenzantragspflichtig wären. Hieraus folge schlussendlich auch, dass der Gesetzgeber durchaus erkannt habe, dass Liquiditätshilfen alleine Unternehmen in der Krise nicht retten können, sondern zusätzlich Restrukturierungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen. Aber leider würde die neuen Restrukturierungsinstrumente des StaRUG wohl nur großen, gut beratenen Unternehmen helfen, da das StaRUG für kleine und mittlere Unternehmen wahrscheinlich ungeeignet sei. Habersack warf die Frage auf, ob ein Inkrafttreten zum 1.1.2021 realis- 8 tisch sei. Abschließend gab er zu bedenken, dass anders als im Insolvenzplanverfahren Eingriffe in Gesellschafterrechte durch einen Restrukturierungsplan während der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mit der Prämisse gerechtfertigt werden können, dass die Anteile wertlos seien. Deshalb habe, so Habersack, das StaRUG eine weitreichende Bedeutung für das Gesellschaftsrecht. Spahlinger betonte, dass er davon ausgehe, dass das StaRUG zeitgleich mit dem Auslaufen des COVInsAG der Phase 2 am 1.1.2021 in Kraft treten werde. Falls dies nicht möglich sein sollte, sei mit einer weiteren Verlängerung des derzeitigen COVInsAG über den 31.12.2020 hinaus zu rechnen. Im Übrigen pflichtete er Habersack bei.
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Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. Universität Bonn Rz.
Rz. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . .
3
III. Das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG im Überblick . . . . . . . . . . . . .
6
IV. Die Haftung der Geschäftsleitung in den verschiedenen Stadien der Krise im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit: Reorganisationsverschleppungshaftung nach § 3 RegE-StaRUG . 2. Haftung bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht. . . . . 3. Haftung bei Verstoß gegen das Zahlungsverbot aus § 15b InsO . . . . . . . . . . . . . . . a) Änderungen im zeitlichen Anwendungsbereich . . . . . b) Änderungen bei der gegenständlichen Reichweite: Verbotene Zahlungen im Rahmen von § 15a Abs. 1–3 InsO . . . . . . . . . .
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c) Änderungen beim Umfang der Ersatzpflicht durch § 15b Abs. 4 InsO: Beweis eines geringeren Schadens zulässig . . . . . . . 4. Die Haftung der Geschäftsleitungsorgane nach Stellung des Insolvenzantrags, insbesondere in der (vorläufigen) Eigenverwaltung . . . . . 5. Die Haftung der Geschäftsleiter im Restrukturierungsverfahren nach dem RegEStaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innenhaftung nach § 3 RegE-StaRUG . . . . . . . b) Außenhaftung nach § 45 RegE-StaRUG . . . . . . c) Haftung wegen Verletzung der Anzeigepflicht nach § 44 RegE-StaRUG . d) Haftung nach § 15b InsO während des Restrukturierungsverfahrens . . . . . .
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V. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Schlussbemerkung . . . . . . . .
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I. Einleitung 1 Der für Unternehmen in der Krise anwendbare Rechtsrahmen steht vor einem fundamentalen Umbruch, der auch das Gesellschaftsrecht betreffen wird. Dieser vollzieht sich mit einer ganz außergewöhnlichen Dynamik, die nicht zuletzt von der pandemiebedingt dramatischen Situation vieler Unternehmen getrieben ist. 2 Der Gesetzgeber hat nicht nur im September 2020 die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht partiell verlängert,1 im selben Monat hat das BMJV auch einen Referentenentwurf 2 eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) vorgelegt, dem schon Mitte Oktober ein entsprechender Regierungsentwurf folgte3. Nach diesem Entwurf sollen die wesentlichen Teile des Gesetzes am 1.1.2021 in Kraft treten. Zur Begründung dieses für eine so grundlegende Reform geradezu atemberaubenden Tempos liest man im Regierungsentwurf: „Diese Kurzfristigkeit wird die Praxis, insbesondere die Gerichtsorganisation, vor erhebliche Herausforderungen stellen, muss aber in Kauf genommen werden, um die Instrumente so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen.“4 Der Hintergrund ist, dass nach derzeitigem Stand die Insolvenzantragspflicht bei Vorliegen von Überschuldung zum 1.1.2021 wieder greifen soll (vgl. § 1 Abs. 2 COVInsAG), sodass ohne die im SanInsFoG enthaltenen Sanierungsinstrumente viele Unternehmen mangels Alternative ins Insolvenzverfahren gezwungen wären. Durch das mit dem SanInsFoG geschaffene Restrukturierungsverfahren soll ihnen eine Alternative geboten werden5.
1 Gesetz zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes vom 25.9.2020, BGBl. 2020 Teil I, 2016. 2 Zu diesem Thole, ZIP 2020, 1985. 3 Die folgenden Überlegungen gehen von der Fassung des Regierungsentwurfs des SanInsFoG aus. Dieser ist zugänglich unter https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_SanInsFoG.pdf?__blob=publi cationFile&v=3. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) wurde in seiner endgültigen Fassung am 22.12.2020 verabschiedet, BGBl I 3256. 4 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 219. 5 Siehe die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 19/23442, S. 3.
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Brinkmann – Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem SanInsFoG
II. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts Das SanInsFoG beeinflusst auch und nicht zuletzt die Verhaltenspflichten und damit korrespondierend die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise erheblich6. Um die Auswirkungen auf die Haftung im Einzelnen erläutern zu können, ist es in einem ersten Schritt erforderlich, den Inhalt dieses Gesetzes kurz zu umreißen.
3
Das SanInsFoG setzt zum einen die Richtlinie 2019/1023 des Europäi- 4 schen Parlaments über präventive Restrukturierungsrahmen um, indem es – wie schon angedeutet – u.a. ein vollständig neues Restrukturierungsverfahren schafft. Dessen gesetzliche Grundlage bildet das in Art. 1 des SanInsFoG enthaltene Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG). Dieses neue Verfahren macht auch Änderungen in der Insolvenzordnung erforderlich, nämlich insbesondere im Bereich der Insolvenzgründe und -antragspflichten. Hierauf wird sogleich ausführlicher einzugehen sein, weil mit diesen und weiteren Änderungen wichtige Folgen für die Haftung der Organe einhergehen. Zum anderen reformiert das SanInsFoG die insolvenzrechtlichen Vor- 5 schriften über den Insolvenzplan und die Eigenverwaltung7. Insoweit ist das SanInsFoG als Reaktion des Gesetzgebers auf die im Jahr 2018 durchgeführte Evaluation des ESUG aus dem Jahr 2012 und die sich daran anschließende Diskussion in der Fachöffentlichkeit zu sehen8. Auch diese Änderungen haben Bezüge zum Thema „Haftung der Geschäftsleiter in der Krise“, denn die Haftung der Organe in der Eigenverwaltung wird positiv geregelt (dazu unter Rz. 39 ff.).
III. Das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG im Überblick Zunächst sei das künftige Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG 6 skizziert9. Das StaRUG bietet verschiedene Instrumente, die ein drohend 6 Siehe auch schon den Beitrag von Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570. 7 Dazu Frind, NZI 2020, 865, 868 ff. 8 Jacoby/Madaus/Sack/H.Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung- Forschungsbericht zur Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011. Siehe ferner zum Beispiel die Ergebnisse der Diskussion des ZIP Kolloquiums „Evaluierung des ESUG“, ZIP 2017, 2430. 9 Dazu Thole, ZIP 2020, 1985; Frind, ZInsO 2020, 2241.
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zahlungsunfähiges Unternehmen nutzen kann, um sich zu sanieren. Herzstück des Verfahrens ist der Restrukturierungsplan, der ähnlich wie ein Insolvenzplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern und Gesellschaftern aufgrund von Mehrheitsentscheidungen ermöglicht. 7 Abgestimmt wird auch hier nach Klassen. Innerhalb einer Klasse ist eine 75%ige Forderungsmehrheit zur Annahme des Plans erforderlich (§ 27 Abs. 1 RegE-StaRUG). Die Zustimmung einer oder mehrerer Klassen kann unter ähnlichen Voraussetzungen wie im Insolvenzplanrecht fingiert werden, auch ein sogenannter „cross-class cram-down“ ist also möglich (§ 28 RegE-StaRUG). Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ist entscheidend, dass der Restrukturierungsplan auch einen debt to equity swap enthalten kann (§ 4 Abs. 3 RegE-StaRUG), der wegen der Möglichkeit des cross-class cram-down auch gegen den Willen der Gesellschafter beschlossen werden kann10. 8 Die Abstimmung über den Restrukturierungsplan kann im Rahmen einer vom Schuldner einberufenen Planbetroffenenversammlung erfolgen (§ 22 RegE-StaRUG). Alternativ kann über den Plan im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens abgestimmt werden (§§ 47 ff. RegE-StaRUG). Hier zeigt sich der modulare Aufbau des StaRUG, der es den Unternehmen ermöglicht, zu entscheiden, wie intensiv die Mitwirkung des Gerichts sein soll. Der Grad der gerichtlichen Mitwirkung hängt nicht zuletzt davon ab, von welchen Stabilisierungsinstrumenten im Rahmen des Verfahrens Gebrauch gemacht werden soll. 9 Zu seiner Wirksamkeit bedarf der Restrukturierungsplan unabhängig von der Art der Abstimmung der Bestätigung durch das Restrukturierungsgericht (§ 74 RegE-StaRUG), das übrigens nach dem RegE das Amtsgericht ist, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, wobei eine weitere Zentralisierung bei einzelnen Amtsgerichten möglich sein soll (§ 36 RegE-StaRUG). 10 Das Planabstimmungsverfahren kann – wie schon angedeutet – flankiert werden von weiteren Restrukturierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen, die dem Schuldner optional und unter weiteren Voraussetzungen
10 Kritisch C. Schäfer, ZIP 2020, 2164. Grundsätzlich zum Problem Korch, ZGR 2019, 1050. Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 572 prognostizieren, dass am Ende das Bundesverfassungsgericht über diese Regelung entscheiden wird.
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zur Verfügung stehen. Hierzu zählt einerseits die Möglichkeit, laufende Verträge – man denke an Mietverträge bei einem Filialisten – durch gerichtliche Entscheidung beenden zu lassen (§ 51 RegE-StaRUG).11 Andererseits gehört hierher die Option, beim Restrukturierungsgericht ein zunächst drei Monate umfassendes Verwertungs- und Vollstreckungsmoratorium zu beantragen. Diese sogenannte Stabilisierungsanordnung kann auf maximal acht Monate ausgedehnt werden (§§ 56, 60 RegE-StaRUG). Die beschriebenen Instrumente – cross-class cram-down, Vertragsbeendi- 11 gung und Stabilisierungsanordnung – stehen grundsätzlich nur solchen Schuldnern zur Verfügung, die drohend zahlungsunfähig sind. Damit ist einerseits die Eintrittsschwelle in das Restrukturierungsverfahren beschrieben, andererseits aber auch die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Restrukturierungsverfahrens gegenüber dem Insolvenzverfahren angesprochen. Diese Abgrenzung lässt sich am einfachsten verdeutlichen, indem man 12 die sich zuspitzende Unternehmenskrise gleichsam vom Ende her betrachtet, nämlich von dem Zeitpunkt aus, zu dem der Schuldner zahlungsunfähig wird. Ist es so weit gekommen, muss grundsätzlich – wie bisher auch – Insolvenzantrag gestellt werden; für die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens ist es jetzt zu spät. Der Anwendungsbereich des Restrukturierungsverfahrens ist auf der anderen Seite – wie schon erläutert – begrenzt durch den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, wobei nach dem neuen § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO in der Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist. Bekanntlich ist auch im Rahmen der Überschuldungsprüfung eine Prog- 13 nose anzustellen. Denn nach dem sogenannten zweistufigen Überschuldungsbegriff ist eine Gesellschaft (trotz bilanzieller Überschuldung) im Rechtssinne nicht überschuldet, wenn die „Fortführung des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist“. Insoweit ging die herrschende Meinung in Anknüpfung an den IDW Standard S 11 davon aus, dass dieser Prognosezeitraum das laufende und das künftige Geschäftsjahr umfasse, maximal also 24 Monate. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, diesen Zeitraum auf 12 Monate zu begren-
11 Dieses Instrument ist im beschlossenen Gesetz aufgrund zum Teil heftiger, m.E. ungerechtfertigter Kritik nicht enthalten.
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zen, wie sich aus der Neufassung des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ergibt. Eine Überschuldung im Rechtssinne kann damit in aller Regel frühestens ein Jahr vor dem erwarteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorliegen. In den Monaten 24 bis 13 vor dem erwarteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit müssen die Geschäftsführer also nicht fürchten, sich wegen Verletzung einer Insolvenzantragspflicht straf- oder haftbar zu machen. 14 Zu beachten ist aber weiter, dass darüber hinaus ausweislich der Begründung des Entwurfs eine Überschuldung im Rechtssinne ausscheidet, wenn „die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Sanierung überwiegend wahrscheinlich sind“12. Die Fortführungsprognose ist mit anderen Worten positiv, wenn es dem Schuldner voraussichtlich gelingt, den Eintritt von Zahlungsunfähigkeit durch eine beabsichtigte Sanierung oder Restrukturierung zu vermeiden. 15 Der Anwendungsbereich des Restrukturierungsverfahrens lässt sich somit wie folgt beschreiben: Dem Schuldner muss der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 24 Monate drohen. Wäre aber mit dem Eintritt von Zahlungsunfähigkeit ohne Sanierungsmaßnahmen schon innerhalb der nächsten 12 Monate zu rechnen und ist der Schuldner bilanziell überschuldet, so besteht nur dann keine Insolvenzantragspflicht wegen rechtlicher Überschuldung, wenn der tatsächliche Eintritt der Zahlungsunfähigkeit aufgrund der in Aussicht genommenen Sanierungsmaßnahmen wahrscheinlich vermieden werden kann13. 16 Der Vollständigkeit halber sei noch eine Ergänzung angefügt: Treten Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung während eines Restrukturierungsverfahrens ein, so ist dieses zwar grundsätzlich vom Gericht aufzuheben, sodass der Weg in das Insolvenzverfahren offen steht. Allerdings kann das Gericht von der Aufhebung des Verfahrens absehen, wenn eine solche offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde (§ 35 Abs. 2 Nr. 1 RegE-StaRUG), etwa weil der erfolgreiche Abschluss des Restrukturierungsverfahrens kurz bevorsteht.
12 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 88. 13 Der Gesetzgeber übernimmt hier im Kern das vom Verfasser mit den Beiträgen in der 2. FS für Karsten Schmidt, 2019, Bd. II, S. 153; in NZI 2019, 921 sowie in Ebke/Seagon/Piekenbrock, Überschuldung: Quo vadis?, 2020, S. 67, 75 f. entwickelte Konzept, vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 192.
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Brinkmann – Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem SanInsFoG
Der Anwendungsbereich des Restrukturierungsverfahrens sei anhand dieses Schaubilds beschrieben:
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T-24 Monate § 18 InsO nF
ߠ Ins-Antragspflicht, § 15a InsO
T-12 Monate § 19 InsO nF
ߠ Ins-Antragspflicht, § 15a InsO
Zahlungsunfähigkeit
Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG
Überschuldung
5 50%
Drohende Zahlungsunfähigkeit g g
Wahrscheinlichkeit d. Erfolgs d. Restrukturierung
§ 35 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG
TT-0 0 § 17 InsO ©Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. (McGill)
IV. Die Haftung der Geschäftsleitung in den verschiedenen Stadien der Krise im Einzelnen Bevor wir uns endgültig dem Thema der Haftung der Geschäftsleiter 18 widmen können, gilt es noch deutlich zu machen, dass der Regierungsentwurf zum StaRUG zu einem Paradigmenwechsel an der Schnittstelle zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht führt und zwar in dem Sinn, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 RegE-StaRUG im Moment des Eintritts der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Pflichten der Geschäftsleiter neu ausgerichtet werden14. Sie haben ab diesem Zeitpunkt primär die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Nur vorbehaltlich der Orientierung am Gläubigerinteresse „berücksichtigen“ die Geschäftsleiter die Interessen der Gesellschafter (§ 2 Abs. 4 RegE-StaRUG). Mit anderen Worten: Durch den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit kommt es zu einem „shift of fiduciary duties“ – das Gläubigerinteresse verdrängt ab diesem Zeitpunkt die Orientierung am Gesellschaftsinteresse. Entsprechend sind nach § 2 Abs. 2 Satz 2 RegE-StaRUG Beschlüs14 Die in diesem Abschnitt behandelten §§ 2, 3 RegE-StaRUG sind im verabschiedeten Gesetzestext nicht mehr enthalten. Die Vorschriften wurden nicht zuletzt aus – nach hier vertretener Ansicht unberechtigter – Sorge vor einer zu scharfen Haftung der Geschäftsleiter gestrichen.
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se und Weisungen der Überwachungsorgane und anderer Organe für die Geschäftsleiter unbeachtlich, soweit sie der Wahrung des Gläubigerinteresses entgegenstehen.
1. Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit: Reorganisationsverschleppungshaftung nach § 3 RegE-StaRUG 19
Mit der Neuausrichtung der Pflichten der Geschäftsleiter im Moment des Eintritts der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist auch eine Veränderung des für sie geltenden Haftungsregimes verbunden. An die Stelle bzw. neben die originär gesellschaftsrechtliche Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG tritt ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Haftung für die Verletzung der Interessen der Gläubiger (§ 3 RegE-StaRUG). Bei dieser Haftung geht es jedenfalls auch um eine Haftung für unterlassene Sanierungsbemühungen, also um eine Reorganisationsverschleppungshaftung. Mit ihr wird eine Verminderung des den Gläubigern zur Verfügung stehenden Haftungsfonds sanktioniert. Dies erfolgt im Wege einer Innenhaftung: Trägerin dieser Ansprüche ist die Gesellschaft, in einem anschließenden Insolvenzverfahren würden sie also vom Verwalter zur Masse gezogen werden und so den Gläubigern als den Geschädigten zu Gute kommen.
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Vieles spricht allerdings dafür, dass diese Reorganisationsverschleppungshaftung in der Praxis – jenseits von Fällen, die zugleich einen existenzvernichtenden Eingriff darstellen und damit auch eine Haftung der Gesellschafter begründen15 – nur selten zu nennenswerten Zahlungen in die Masse seitens der Geschäftsleiter führen wird. Selbst wenn ex post festgestellt werden kann, dass diese trotz drohender Zahlungsunfähigkeit keine Sanierungsbemühungen eingeleitet, sondern nach einer ungesunden Mischung aus den Devisen „Augen zu und durch“ und „wird schon gut gehen“ gehandelt haben, wird es trotz § 287 ZPO nicht selten schwierig sein, zu beweisen, dass die hierin liegende Pflichtverletzung einen Schaden verursacht hat. Denn dazu müsste man ex post zeigen können, dass bestimmte Sanierungsmaßnahmen praktisch umsetzbar waren und in welchem Umfang deren Ergreifen weitere Masseminderungen verhindert hätte. Weil man sich insofern auf der Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität im Rahmen von § 3 RegE-StaRUG 15 Vgl. bspw. K. Schmidt in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016 Rz. 11.151 ff.; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 1 Rz. 22 ff.
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nicht einfach mit einem Vergleich der Masse zum Zeitpunkt des Eintritts der drohenden Zahlungsunfähigkeit einerseits und zum Zeitpunkt der Einleitung eines Insolvenzverfahrens andererseits begnügen kann, bestehen nennenswerte Beweisprobleme. Zusätzliche Schwierigkeiten bei der Durchsetzung dieser Haftung ergeben sich daraus, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 2 RegE-StaRUG eine Pflichtverletzung nicht vorliegt, „wenn der Geschäftsleiter vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen die Interessen der Gläubiger zu wahren.“ Auch bei der Reorganisation kann er sich mit anderen Worten auf eine Variante der business judgment rule berufen. Da es in der Regel mehr als einen Weg aus der Krise geben wird, erscheint ein solches unternehmerisches Ermessen auch in der Situation der drohenden Zahlungsunfähigkeit angemessen. Gleichwohl bringen die §§ 2, 3 RegE-StaRUG einen richtigen und wich- 21 tigen Gedanken zum Ausdruck: Je mehr sich die Gesellschaft der Insolvenz nähert, umso stärker müssen die Geschäftsführer die Interessen der Gläubiger beachten, weil es der Sache nach nur noch um ihr Vermögen geht, wenn das Eigenkapital einmal aufgebraucht ist. Dass diese Pflichten gegenüber den Gläubigern auch haftungsbewehrt sind, ist völlig berechtigt. Dass diese Haftung möglicherweise in einigen Fällen zahnlos bleiben wird, ändert nichts an ihrer grundsätzlichen Systemgerechtigkeit. Sie ist insbesondere wichtig, weil die Geschäftsleiter unter Verweis auf die ihnen drohende Haftung solche Weisungen seitens der Gesellschafter zurückweisen können und müssen, die auf Maßnahmen gerichtet sind, die die Gläubigerinteressen verletzen könnten. Entsprechend ist ein Antrag eines Geschäftsleiters auf die Anordnung von Stabilisierungsmaßnahmen oder auf Bestätigung eines Restrukturierungsplans unabhängig davon zulässig, ob die Gesellschafter zuvor der Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens zugestimmt haben16. Zwar mag es sich hier aus gesellschaftsrechtlicher Sicht um eine strukturändernde Entscheidung handeln,17 der Entwurf macht aber sehr deutlich, dass er 16 So aber C. Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2168; zuvor schon ZIP 2019, 1645, 1648; s. demgegenüber Thole, ZIP 2020, 1985, 1986. Florian Jacoby und Christoph Thole danke ich sehr herzlich für einen äußerst fruchtbaren Gedankenaustausch zu diesem Punkt. 17 Vgl. zu der Frage, ob nach bisherigem Recht die Stellung eines fakultativen Insolvenzantrags eines Beschlusses der Gesellschafter bedurfte OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, GmbHR 2013, 590 m. Anm. Leinekugel = ZIP 2013, 1121, 1124; Brinkmann in FS für Seibert, 2019, S. 165, 172 ff.; Hölzle,
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diese gesellschaftsrechtliche Einordnung für irrelevant hält und dass sich die Frage, ob ein Restrukturierungsverfahren einzuleiten ist, primär nach den Interessen der Gläubiger richtet. Gerade hier zeigt sich der mit dem neuen Recht einhergehende Paradigmenwechsel. 22 Es ist eine andere Frage, ob den Geschäftsleitern zu raten ist, vor Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens eine entsprechende Willensbildung auf Gesellschafterebene oder im Aufsichtsrat herbeizuführen. Schon um sich davor zu schützen, später von den Gesellschaftern (nach §§ 43 GmbHG, 93 AktG etc.) in Anspruch genommen zu werden, sind sie sicher gut beraten, einen solchen Beschluss über die Frage herbeizuführen, wie der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden soll. Verschließen aber die Überwachungsorgane die Augen vor der Krise und weigern sich, aussichtsreiche Reorganisationsbemühungen einzuleiten, so muss der Geschäftsleiter auch ohne die Rückendeckung der Überwachungsorgane Reorganisationsschritte einleiten, schon um seine Haftung aus § 3 RegE-StaRUG zu vermeiden. 23 Die Konsequenzen, die sich aus §§ 2, 3 RegE-StaRUG für die Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter ergeben, sollten nicht unterschätzt werden. Ihnen droht ein Entzug der Mitgliedschaft schon in einer Phase, in der das Eigenkapital noch nicht notwendigerweise negativ ist. Bereits zwei Jahre bevor die Gesellschaft voraussichtlich zahlungsunfähig werden wird, ist für das Verhalten der Geschäftsleitung nun nicht mehr primär das Gesellschaftsinteresse, sondern in erster Linie das gemeinschaftliche Interesse der Gesellschaftsgläubiger leitend. Wenn die Geschäftsleiter zu der Auffassung kommen, dass letzterem nur durch die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens Rechnung getragen werden kann, dann müssen sie schon um die eigene Haftung zu vermeiden, diesen Weg gehen. Der in diesem Verfahren zur Abstimmung gestellte Restrukturierungsplan kann wie schon erwähnt genau wie ein Insolvenzplan auch einen debt to equity swap vorsehen (vgl. § 4 Abs. 3 RegEStaRUG) und genau wie im Insolvenzverfahren ist die mehrheitliche Zustimmung der Gesellschafter nicht zwingend erforderlich, sondern kann im Wege eines cross-class cram-down ersetzt werden (§ 28 RegEStaRUG).
ZIP 2013, 1846, 1850; Lutz, Der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens im Insolvenzrecht, 2020, S. 158.
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2. Haftung bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht Wird aus der drohenden eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder 24 wird die Gesellschaft im eben beschriebenen Rechtssinne überschuldet, so trifft die Geschäftsleiter wie bisher auch eine Insolvenzantragspflicht, die schon seit dem MoMiG in § 15a InsO verortet ist. Im Detail sind hier einige Änderungen zu verzeichnen, die sich einerseits aus dem veränderten Überschuldungsbegriff – Stichwort: Begrenzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Fortführungsprognose auf 12 Monate – ergeben und die andererseits daraus folgen, dass die Geschäftsleiter nach Eintritt der Überschuldung nunmehr maximal sechs Wochen Zeit haben, das „Ruder herumzureißen“ um vielleicht doch noch das Insolvenzverfahren vermeiden zu können. Bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit bleibt es allerdings bei der bisher auch gewährten nur dreiwöchigen Karenzfrist. Die praktische Bedeutung der sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO ergebenden Schadensersatzhaftung für die Verletzung der Antragspflicht ist allerdings seit BGHZ 138, 211 gering und wird es voraussichtlich auch bleiben. Damals hatte der BGH entschieden, dass der Konkursverwalter nicht befugt sei, „einen Quoten- oder sonstigen Schaden der Neugläubiger“ geltend zu machen. Hieraus erwächst für den Verwalter die Notwendigkeit, exakt zu ermitteln, wann Insolvenzreife eingetreten ist, damit er Alt- und Neugläubiger voneinander abgrenzen kann. Diesen Zeitpunkt ex post exakt zu bestimmen, ist in der Praxis aber außerordentlich schwierig, sodass es sich bei dieser Haftung praktisch um „totes Recht“18 handelt, wie Karsten Schmidt zu Recht festgestellt hat.
25
3. Haftung bei Verstoß gegen das Zahlungsverbot aus § 15b InsO Die Praxis der Geschäftsleiterhaftung in der Krise wird auch vor diesem Hintergrund seit Jahren bestimmt von der Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife, die bisher in § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 i.V.m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG und § 130a Abs. 1, Abs. 2 und § 177a HGB geregelt war. Diese sogenannten „Zahlungsverbote“ und die Anordnung der entsprechenden Ersatzpflicht werden in § 15b InsO zusammengefasst, die eben genannten
18 K. Schmidt in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 11.27; s. auch K. Schmidt, NZG 2015, 129, 130; K. Schmidt, ZHR 183 (2019), 2, 4.
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gesellschaftsrechtlichen Vorschriften werden gestrichen19. Durch diese Reform wird nicht nur gesetzessystematisch verdeutlicht, dass diese Haftung insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist20, viel wichtiger ist, dass auch deutlicher konturiert wird, welche Zahlungen „verboten“ sind, dazu sogleich sub b), und dass der Umfang der Ersatzpflicht begrenzt wird, s. sub c)21.
a) Änderungen im zeitlichen Anwendungsbereich 27
Änderungen im zeitlichen Anwendungsbereich des Zahlungsverbots ergeben sich zunächst wiederum daraus, dass die Überschuldung frühestens zwölf Monate vor dem voraussichtlichen Eintritt von Zahlungsunfähigkeit eintreten kann. Zahlungen die beispielsweise 16 Monate vor dem voraussichtlichen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit getätigt werden, sind damit von vornherein nicht mehr erfasst. Die Auswirkungen der Änderung des Überschuldungsbegriffs sollten an dieser Stelle allerdings nicht überschätzt werden, denn in der Regel werden die finanziellen Mittel eines Geschäftsführers (bzw. die Deckungssumme der D&O Versicherung, dazu noch unter c)) schon durch die Inanspruchnahme wegen Zahlungen innerhalb des letzten Jahres vollkommen aufgezehrt werden.
28
Ferner ist schon an dieser Stelle kurz darauf hinzuweisen, dass die Haftung aus § 15b InsO nur mit Einschränkungen noch nach Stellung eines Insolvenzantrags greift (dazu Rz. 39 ff.).
19 Die Streichung von § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG hätte den Effekt, dass die Verweisung aus § 116 Abs. 1 Satz 1 AktG die sogenannten Zahlungsverbote nicht länger umfasst. Der Aufsichtsrat würde somit nicht für die Zahlungen trotz Insolvenzreife haften. Auf diesen Effekt hat Stefan Denkhaus i.R. des Insolvenzverwalterkongresses des VID am 5.11.2020 hingewiesen. Ob es sich hierbei um ein Redaktionsversehen oder um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelt, ist offen. 20 EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410, ZIP 2015, 196 Rz. 24; Brinkmann in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, Art. 4 EuInsVO Rz. 13; Madaus in Brinkmann, EIR, 1. Aufl. 2019, Art. 6 Rz. 16. 21 Siehe zu § 15b InsO schon den Beitrag von Bitter im Blog Gesellschaftsrecht des Otto Schmidt Verlags, https://blog.otto-schmidt.de/gesellschaftsrecht/ 2020/10/16/neues-zahlungsverbot-in-§-15b-inso-e-und-streichung-des-§-64gmbhg-positive-ueberraschung-im-regierungsentwurf-eines-saninsfog/.
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b) Änderungen bei der gegenständlichen Reichweite: Verbotene Zahlungen im Rahmen von § 15a Abs. 1–3 InsO Von der Ersatzpflicht ausgenommen bleiben wie bisher auch solche Zah- 29 lungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 15b Abs. 1 Satz 2 InsO). Insoweit ergibt sich aus Abs. 3 eine Vermutung, dass Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, wenn die in § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO geregelten Karenzzeiten für eine rechtzeitige Antragstellung verstrichen sind und der Antragspflichtige trotz Fristablauf keinen Antrag gestellt hat. Erfolgt die Zahlung dagegen innerhalb der Karenzzeit, so ist sie dann mit 30 der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn sie im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs erfolgte und die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betrieben haben (§ 15b Abs. 2 Satz 2 InsO). Ebenso gelten solche Zahlungen als erlaubt, die im Insolvenzeröffnungsverfahren, also nach Antragstellung aber vor Verfahrenseröffnung, mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgen (Satz 3). Hierdurch wird eine gewisse Rechtssicherheit für das Insolvenzeröffnungsverfahren geschaffen. Gesonderter Behandlung bedürfen in diesem Zusammenhang Zahlungen an die Sozialversicherungsträger und auf Steuerforderungen des Fiskus. Auch solche Zahlungen unterfallen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einerseits grundsätzlich dem Verbot des § 15b Abs. 1 Satz 1 InsO. Andererseits besteht eine straf- bzw. buß- und haftungsrechtlich bewehrte Pflicht zur Abführung des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung und der Steuer22. Eine insoweit bestehende Pflichtenkollision kann der Geschäftsleiter durch die Stellung eines Insolvenzantrags vermeiden. Denn jedenfalls nach Antragstellung tritt die Pflicht zur Abführung der Beiträge und zur Sozialversicherung hinter die Massesicherungspflicht zurück, wie auch die Begründung des Regierungsentwurfs klarstellt23.
31
Für die Phase vor Antragstellung enthält der Regierungsentwurf anders als noch der Referentenentwurf aus dem September 2020 keine ausdrück-
32
22 § 266a StGB, §§ 34, 69 AO. 23 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 190 f.
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liche Positionierung. Dort hatte sich noch eine Ergänzung der Zahlungsverbotsvorschriften dahingehend gefunden, dass Zahlungen zur Erfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nach Insolvenzreife nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar seien. Da diese Regelung im reformierten Gesetz fehlt, wird die Frage in der Diskussion bleiben. In der Rechtsprechung hatte sich insoweit zuletzt die Auffassung durchgesetzt, dass die Pflichten gegenüber dem Fiskus und den Sozialversicherungen – jedenfalls im Hinblick auf die vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitnehmeranteile – der insolvenzrechtlichen Massesicherungspflicht vorgehen. Jedenfalls die Zahlungen, die nach Ablauf der Antragsfrist aus § 15a InsO an den Fiskus oder die Sozialversicherungsträger – soweit es um die Arbeitnehmeranteile geht – geleistet wurden, galten mit anderen Worten als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar. Vieles spricht dafür, dass diese Rechtsprechung grundsätzlich auch nach Inkrafttreten der Reform und dem gesetzessystematischen Umhängen der Zahlungsverbote in die Insolvenzordnung fortgesetzt wird24. Während der laufenden Antragsfrist führen Zahlungen künftig allerdings dann nicht zur Haftung, wenn die Antragspflichtigen zugleich Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags betreiben (§ 15b Abs. 2 Satz 2 InsO). 33
Erst ab der Stellung des Insolvenzantrags geht die Massesicherungspflicht vor und Zahlungen an den Fiskus und die Sozialversicherungsträger auf Forderungen, die im eröffneten Verfahren Insolvenzforderungen wären, haben zu unterbleiben. Im Übrigen wären solche Zahlungen ohnehin regelmäßig anfechtbar nach §§ 129, 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO25.
c) Änderungen beim Umfang der Ersatzpflicht durch § 15b Abs. 4 InsO: Beweis eines geringeren Schadens zulässig 34
Neben den bisher beschriebenen, vielleicht eher technisch erscheinenden Änderungen bei der Haftung für verbotene Zahlungen sieht § 15b 24 Insoweit kritisch Bitter, Beitrag im Blog Gesellschaftsrecht des Otto Schmidt Verlags, https://blog.otto-schmidt.de/gesellschaftsrecht/2020/10/16/neues-zah lungsverbot-in-§-15b-inso-e-und-streichung-des-§-64-gmbhg-positive-ueberra schung-im-regierungsentwurf-eines-saninsfog/, sub 3b). 25 Auch für zuvor geleisteten Zahlungen wird der Insolvenzverwalter die Anfechtbarkeit zu prüfen haben. Soweit er hier erfolgreich Ansprüche geltend macht, verkürzt dies die Haftung der Geschäftsleiter entsprechend, s. dazu BGH v. 11.2.2020 – II ZR 427/18, GmbHR 2020, 587.
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InsO eine weitere Neuerung vor, die diese Haftung in qualitativer Hinsicht verändert: Die Handhabung der Haftung aus § 64 GmbHG und den entsprechenden 35 Vorschriften durch den BGH wurde in der Literatur teilweise heftig kritisiert, weil es nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich keine Rolle spielte, ob den Gläubigern durch die Zahlungen überhaupt ein (Quoten-) Schaden entstanden ist26. Der BGH hielt vielmehr bisher – dem Wortlaut des § 64 GmbHG und der §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG folgend, aber den des § 130a Abs. 2 HGB ignorierend – ein Aufsummieren der im fraglichen Zeitraum erfolgten Zahlungen für zulässig. Allerdings prüfte er durchaus, ob im Rahmen eines „unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs“ mit einer konkreten Zahlung eine die Masseverkürzung ausgleichende Gegenleistung in das verwertbare Gesellschaftsvermögen gelangt ist. Ein reiner Aktivtausch war dadurch auch haftungsrechtlich neutral. Nach § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO ist künftig die Haftung für Zahlungen 36 nach Insolvenzreife der Höhe nach begrenzt auf den der Gläubigerschaft entstandenen Schaden. Dass und wie weit der Schaden der Gläubiger hinter der Gesamthöhe der geleisteten Zahlungen zurückbleibt, haben die Geschäftsleiter zu beweisen. Diese Neuerung ist aus zwei Gründen bedeutsam: Zum einen nimmt 37 sie der Haftung ihre enorme und geradezu überschießende Schärfe, indem sie das Anliegen der Ersatzpflicht wieder klar konturiert, nämlich die Gläubiger vor Verkürzungen des Haftungssubstrats nach Eintritt der Antragspflicht zu schützen. Wo es per Saldo gar nicht zu Masseverkürzungen und damit verbundenen Quotenschäden gekommen ist, sollte auch keine Ersatzpflicht eingreifen. Die Begrenzung der Haftung auf den den Gläubigern entstandenen Schaden ist daher sehr zu begrüßen27.
26 K. Schmidt, ZIP 2005, 2177; K. Schmidt, NZG 2015, 129; Bitter, WM 2001, 666; Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1515; Bitter, ZIP Beilage zu 22/2016, 6; Casper, ZIP 2016, 793. Ausführlich zu dem Streit Bitter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 64 Rz. 20 ff. und Rz. 99. 27 Ebenso Bitter, Beitrag im Blog Gesellschaftsrecht des Otto Schmidt Verlags, https://blog.otto-schmidt.de/gesellschaftsrecht/2020/10/16/neues-zahlungsver bot-in-§-15b-inso-e-und-streichung-des-§-64-gmbhg-positive-ueberraschungim-regierungsentwurf-eines-saninsfog/, sub 3.
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38 Zum anderen beendet die Regel in Abs. 4 Satz 2, nach der der Geschäftsleiter nur auf einen geringeren Schaden haftet, endgültig die Diskussion um die Frage, ob die D&O Versicherung auch die Haftung für den Ersatz verbotener Zahlungen erfasst. Dies hatte insbesondere das OLG Düsseldorf in zwei Entscheidungen28 verneint, für die der Senat in der Literatur zu Recht sehr viel Kritik erfahren hatte29. Das recht formale Kernargument lautete, dass es sich bei der D&O Versicherung um eine Vermögensschadensversicherung handele und die Haftung aus § 64 GmbHG nach dem BGH eben keine Schadensersatzhaftung, sondern eine Haftung sui generis sei. Dieses Argument war bislang schon nicht besonders überzeugend, künftig ist es geradezu unzulässig, denn die Haftung aus dem neuen § 15b Abs. 4 InsO ist der Sache nach eben sehr wohl eine Schadensersatzhaftung, sodass auch nicht ersichtlich ist, wieso die D&O Versicherung insofern nicht eingreifen sollte.
4. Die Haftung der Geschäftsleitungsorgane nach Stellung des Insolvenzantrags, insbesondere in der (vorläufigen) Eigenverwaltung 39
Wird das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter eingesetzt, so verlieren die Geschäftsleiter nicht nur die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, sie sind auch den Gläubigern nicht mehr haftungsrechtlich verantwortlich. Ebenso ist es schon im Eröffnungsverfahren, wenn hier ein starker vorläufiger Verwalter eingesetzt wurde. Für den Fall der Einsetzung eines schwachen vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt ist auf § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO hinzuweisen, nach dem Zahlungen, die der Geschäftsleiter mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters tätigt, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar und damit als erlaubt gelten. Auch in dieser Phase sind also – sieht man von dem Fall der Einsetzung eines vorläufigen Verwalters ohne Zustimmungsvorbehalt ab – keine signifikanten Haftungsrisiken mehr zu besorgen.
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Etwas näher sei nun noch die Haftung der Geschäftsführungsorgane in der (vorläufigen) Eigenverwaltung beschrieben. Bei der Eigenverwaltung übernehmen die Organe des Schuldners mehr oder weniger die Aufga28 OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, GmbHR 2018, 970; OLG Düsseldorf v. 26.6.2020 – 4 U 134/18, GmbHR 2020, 1078. 29 Siehe nur Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853; Bauer/Malitz, ZIP 2018, 2149; Brinkmann in FS für Bergmann, S. 93; Fiedler, ZIP 2020, 2112.
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ben des Insolvenzverwalters, insbesondere kommt ihnen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen zu. Im Hinblick auf die Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung 41 setzt der Gesetzgeber die vom BGH eingeschlagene Richtung fort und schafft dadurch Rechtssicherheit. Schon im Jahr 2018 hatte der BGH entschieden, dass der eigenverwaltende Geschäftsführer den Beteiligten des Insolvenzverfahrens wie ein Insolvenzverwalter hafte. Die für den Insolvenzverwalter geltenden Haftungsnormen, §§ 60, 61 InsO, seien analog auf die eigenverwaltenden Geschäftsleiter anzuwenden30. In der Literatur war dies begrüßt worden31 und es wurde ferner für richtig erachtet, diese Haftung auch schon in der vorläufigen Eigenverwaltung eingreifen zu lassen32. Dies ist exakt der Weg, den der Gesetzgeber nun mit der Schaffung von § 276a Abs. 2, Abs. 3 InsO genommen hat. Dankenswerterweise hat er in der Begründung klargestellt, dass diese Haftung die Haftung aus § 15b Abs. 4 InsO wegen eines Verstoßes gegen die Zahlungsverbote verdrängt33. Im (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahren haften die Geschäftsleiter somit nur noch nach § 276a Abs. 2, Abs. 3 i.V.m. §§ 60, 61 InsO.
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Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch auf eine Entscheidung 43 des BGH aus dem März 2020. Hier hatte der IX. Senat entschieden, dass § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, also die business judgment rule, im Rahmen der Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO nicht entsprechend anzuwenden sei34. Weil § 276a Abs. 2, Abs. 3 InsO auf § 60 InsO verweist, sollten sich die Organe diesen Unterschied in der Ausgestaltung ihrer Haftung vor Augen führen. Auf ein unternehmerisches Ermessen können sie sich ab Antragstellung und Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht mehr berufen.
30 BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 = AG 2018, 711 = GmbHR 2018, 632 m. Anm. Hoos/Forster. 31 Bitter, ZIP 2018, 986; Hofmann, ZIP 2018, 1429; zumindest i.E. zustimmend Thole, EWiR 2018, 339; Schwartz, NZG 2018, 1013. 32 Bitter, ZIP 2018, 986, 988; Hofmann in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 7 Rz. 228; Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430. 33 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 190. 34 BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, GmbHR 2020, 758 = ZIP 2020, 1080.
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5. Die Haftung der Geschäftsleiter im Restrukturierungsverfahren nach dem RegE-StaRUG 44
Das Thema „Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise“ wäre seit der Vorlage des Entwurfs zum SanInsFoG nicht erschöpfend behandelt, wenn nicht auch ein Blick auf das Haftungsregime geworfen würde, unter dem die Geschäftsleiter künftig während eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG handeln.
a) Innenhaftung nach § 3 RegE-StaRUG 45
Die durch das StaRUG zur Verfügung gestellten Instrumente stehen wie schon erwähnt dann zur Verfügung, wenn das Unternehmen drohend zahlungsunfähig, aber nicht im Rechtssinne überschuldet ist, also frühestens 24 Monate vor dem erwarteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Insofern greift auch während eines Restrukturierungsverfahrens die eingangs behandelte Haftung wegen der Verletzung der Interessen der Gläubiger nach § 3 RegE-StaRUG.
b) Außenhaftung nach § 45 RegE-StaRUG 46
Neben diese Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft tritt im Restrukturierungsverfahren eine Außenhaftung gegenüber den Gläubigern aus § 45 RegE-StaRUG. Während des Restrukturierungsverfahrens haben die Gläubiger also einen eigenen Anspruch auf Ersatz des ihnen infolge von Pflichtverletzungen (i.S.d. § 2 Abs. 1 RegE-StaRUG) entstandenen Schadens. In einem anschließenden Insolvenzverfahren wird dieser Anspruch über § 92 InsO vom Insolvenzverwalter geltend gemacht. Strukturell ist diese Haftung die Parallele zur Haftung der Geschäftsleiter nach § 276a Abs. 2, Abs. 3 i.V.m. §§ 60 ff. InsO in der Eigenverwaltung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren35.
c) Haftung wegen Verletzung der Anzeigepflicht nach § 44 RegE-StaRUG 47
Wird die Gesellschaft während eines Restrukturierungsverfahrens zahlungsunfähig oder wird sie überschuldet, weil zum Beispiel das Restrukturierungsverfahren nicht mehr aussichtsreich ist, so haben die Geschäftsleiter dies dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen (§ 44 Abs. 1 35 Auf die Parallele zu § 60 InsO weisen auch Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, 570, 580 hin.
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Satz 2 RegE-StaRUG). Dazu muss man wissen, dass die Insolvenzantragspflicht während des Restrukturierungsverfahrens suspendiert ist (§ 44 Abs. 1 Satz 1 RegE-StaRUG), sie wird durch die beschriebene Anzeigepflicht, die die Geschäftsleiter sowie die anderen nach § 15a InsO Antragspflichtigen persönlich trifft, ersetzt36. Wie schon erwähnt kann das Gericht auf diese Anzeige hin das Restrukturierungsverfahren aufheben, wodurch die Insolvenzantragspflicht wieder auflebt. Die Anzeigepflicht aus § 44 Abs. 1 Satz 2 RegE-StaRUG ist als Schutz- 48 gesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren, sodass ihre Verletzung entsprechend der Verletzung der Insolvenzantragspflicht haftungsbewehrt ist. Auch im Rahmen der „Anzeigeverschleppungshaftung“ sind auf der Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität die Quotenschäden der Gläubiger zu ersetzen. Kommt es später zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, so ist der Insolvenzverwalter nach § 92 InsO befugt, diese Ansprüche der Gläubiger zur Masse zu ziehen. Ob der BGH seine Rechtsprechung, nach der dies nur für die Quotenschäden der Altgläubiger gilt, auch auf § 44 RegE-StaRUG überträgt, bleibt abzuwarten. Dann wäre wohl auch diese Haftung zahnlos.
d) Haftung nach § 15b InsO während des Restrukturierungsverfahrens Nach dem Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung greift 49 auch im Rahmen eines Restrukturierungsverfahrens grundsätzlich die Haftung aus § 15b InsO für Schäden wegen verbotener Zahlungen. Allerdings kann sich ein Geschäftsleiter auf § 96 Abs. 3 RegE-StaRUG berufen, wenn die eben beschriebene Anzeigepflicht erfüllt wurde. Danach gilt bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Restrukturierungsgericht jede Zahlung im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs als grundsätzlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar.37 Daher sind insbesondere solche Zahlungen nicht verboten, die für die Fortsetzung der gewöhnlichen Geschäftstä-
36 Daneben besteht eine Anzeigepflicht der Gesellschaft selbst, § 34 Abs. 3 RegE-StaRUG. 37 Dies gilt jedoch gem. Abs. 3 Satz 2 nicht für solche Zahlungen, die bis zu der absehbar zu erwartenden Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zurückgehalten werden können, ohne dass damit Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens verbunden sind.
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tigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind. 50 Diese Regelung ist vor allem dann wichtig, wenn das Restrukturierungsgericht nach der Anzeige der Zahlungsunfähigkeit nicht von der Möglichkeit Gebrauch macht, das Restrukturierungsverfahren aufzuheben. Von der Aufhebung wird es unter anderem dann absehen, wenn es dafür hält, dass die Aufhebung „offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde“. Die Geschäftsleiter können dann also trotz der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit das Restrukturierungsverfahren fortsetzen. Sie dürfen auch die hierfür notwendigen Zahlungen leisten und müssen insoweit keine Inanspruchnahme fürchten.
V. Überblick 51
Einen Gesamtüberblick über die für die Geschäftsleiter in den verschiedenen Stadien der Krise geltenden Haftungsregime soll diese Grafik erleichtern:
52 straf- u. haftungsbewehrte Anzeigepflicht,§ 44 StaRUG
§ 45 StaRUG
Restrukturierungsverfahren
§ 3 StaRUG
Überschuldung od. Zahlungsunfähigkeit
§ 43 GmbHG
Drohende Zahlungsunfähigkeit
§ 3 StaRUG
§ 15b InsO iVm § 96 Abs. 3 StaRUG
§ 276a Abs. 2, 3 InsO iVm § 60 InsO
Eigenverwaltungsverfahren Regelinsolvenzverfahren
straf- u. haftungsbewehrte Antragspflicht, § 15a InsO
§ 15b InsO
Insolvenzverschleppung ©Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. (McGill)
VI. Schlussbemerkung 53
Zum Abschluss sei erneut auf die insbesondere durch § 2 RegE-StaRUG und den dort vorgesehenen shift of fiduciary duties ausgelösten Verschie-
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bungen der Verhandlungsmacht hingewiesen. Aus der künftigen Gesetzeslage ergeben sich nicht zuletzt für Private Equity Fonds, die sich auf den Erwerb von distressed debt und loan to own Strategien spezialisiert haben, neue Handlungsmöglichkeiten38. Diese Fonds befinden sich unter dem neuen Recht in einer äußerst vorteilhaften Verhandlungsposition gegenüber Geschäftsleitung und Gesellschaftern einer drohend zahlungsunfähigen Gesellschaft. Die häufig recht robust vorgehenden distressed debt Fonds werden die Gesellschafter vor folgende Wahl stellen: Entweder erklären sich die Gesellschafter damit einverstanden, das Unternehmen an die Fonds zu verkaufen, und zwar zu einem aus Käufersicht attraktiven Preis. Oder aber sie gehen das Risiko ein, ihre Beteiligung „gewaltsam“ zu verlieren: Die Investoren werden ihrem Kaufangebot Nachdruck verleihen, indem sie damit drohen, für den Fall seiner Ablehnung Druck auf die Geschäftsleiter auszuüben, sodass diese zur Vermeidung der eigenen Haftung gezwungen sind, ein Restrukturierungsverfahren einzuleiten. In dessen Rahmen können die Gesellschafter – wie gezeigt – mehr oder weniger kompensationslos aus der Gesellschaft gedrängt werden. Angesichts dieser Wahl zwischen Regen und Traufe ist den Gesellschaftern künftig dringend zu raten, die Finanzplanung sehr langfristig anzulegen, etwaige Risiken ernst zu nehmen und frühzeitig gegenzusteuern. Die Geschäftsleiter sollten die in § 1 RegE-StaRUG formulierte Pflicht, „fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können“ zu wachen, sehr ernst nehmen. Nur so können sie es vermeiden, dass die Gesellschafter im Rahmen von schuldenbasierten Übernahmeversuchen vor die beschriebene Wahl des kleineren Übels gestellt werden.
38 Ausführlich zu loan to own Strategien Palenker, Loan-to-own (2019); mit dem Fokus dem Vorwurf der Missbräuchlichkeit Lutz, Der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens, 199 ff.; insb. zum Publizitätsbedürfnis vor dem Hintergrund eines „Anschleichens“ über die Passivseite Brinkmann, WM 2017, 1033.
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Bericht über die Diskussion des Referats Brinkmann Dr. Theresa Lauterbach Rechtsanwältin, München 1
Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag von Herrn Prof. Dr. Brinkmann zur Geschäftsführerhaftung in der Krise wurde von Herrn Prof. Dr. Bachmann geleitet. Zunächst bedankte er sich herzlich für den äußerst gelungenen Vortrag und die anschauliche Darstellung der komplexen Materie. Sodann eröffnete Herr Prof. Dr. Bachmann die Diskussion mit der Feststellung, dass der bevorstehenden Gesetzesreform einiges Positives abzugewinnen sei. Bisher sei die analoge Anwendung des § 60 InsO in Hinblick auf das Vorliegen der Analogievoraussetzungen sehr umstritten gewesen. Durch die Neuregelung entfiele etwa der Einwand, dass die Gesetzeslücke nicht durch die Rechtsprechung, sondern den Gesetzgeber zu schließen sei. Nach seinem Verständnis sehe der Reformvorschlag, stark vereinfacht, das folgende Konzept vor: Bis zur drohenden Zahlungsunfähigkeit hafte der Geschäftsführer nach § 43 GmbHG; in diesem Stadium seien Verzicht und Entlastung durch die Gesellschafter möglich; im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit komme das Haftungsregime der § 2 und § 3 RegE-StaRUG1 unter Geltung der Business Judgment Rule zur Anwendung, wohingegen bei Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Insolvenzverwalter oder Eigenverwalter nach § 60 InsO hafte, ohne sich auf die Geltung der Business Judgment Rule berufen zu können.
2 Als erster Teilnehmer meldete sich Herr Prof. Dr. Habersack zu Wort, der sich herzlich für den überaus klaren und instruktiven Vortrag bedankte. Herr Prof. Dr. Brinkmann habe die Bedenken, die im Zusammenhang mit dem Referat von Herrn Dr. Spahlinger geäußert worden seien, relativieren können. Zunächst bat Herr Prof. Dr. Habersack um Bestätigung bzw. Richtigstellung seines Verständnisses, dass die Haftung nach §§ 2 und 3 RegE-StaRUG letztlich insolvenzabhängig sei und ein Gläubiger1 §§ 2 und 3 des Gesetzesentwurfs, der dem Vortrag von Herrn Prof. Brinkmann zugrunde lag, sind nach den Beratungen im Rechtsausschuss gestrichen worden und sind daher nicht Bestandteil der am 22.12.2020 als Art. 1 des SanInsFoG verabschiedeten und am 1.1.2021 in Kraft getretenen Fassung des StaRUG (BGBl I 3256).
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ausfallschaden folglich nicht eintreten könne, wenn es am Ende nicht zur Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung komme. Eine Bindung an die Interessen der Gesamtgläubigerschaft wirke sich nur in den beiden zuletzt genannten Fällen aus. Sodann betonte Herr. Prof. Dr. Habersack die Wichtigkeit des Hinweises von Herrn Prof. Dr. Brinkmann auf das vermutlich in der Tat als Redaktionsversehen zu bezeichnende Versäumnis bezüglich des Aufsichtsrats. Seiner Ansicht nach wäre es jedenfalls erstaunlich, würde das StaRUG von etablierten Grundsätzen abweichen wollen. Schließlich habe der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht gesehen, dass eine Verlagerung in die InsO entsprechende Anpassungen hinsichtlich der Organpflicht nach sich ziehe. Im Hinblick auf die D&O-Versicherungsproblematik führte Herr Prof. Dr. Habersack aus, dass er die Entscheidung des OLG Düsseldorf immer so verstanden habe, dass man sich daran gestört habe, dass § 64 GmbHG keinen Gesellschaftsschaden, sondern einen Gesamtgläubigerschaden voraussetze. Es sei nicht ersichtlich, dass sich daran etwas ändern sollte, wenn man dem Geschäftsleiter die Möglichkeit des Nachweises darüber, dass der Gesamtgläubigerschaden hinter dem Betrag der Zahlung zurückbleibt, eröffne. Denn im Ergebnis handle es sich eben nicht um einen Gesellschafts- sondern um einen Gesamtgläubigerschaden, der vom Geschäftsleiter zu ersetzen sei. Herr Prof. Dr. Brinkmann bedankte sich für den Redebeitrag und bestä- 3 tigte, dass die Haftung aus §§ 2, 3 RegE-StaRUG aus seiner Sicht insofern insolvenzabhängig sei, als es nur in einer Insolvenzsituation zu einem zu ersetzenden Gläubigerschaden komme. Bezüglich der Haftung des Aufsichtsrats ergänzte er, dass er den Hinweis der Aussage eines Insolvenzverwalters im Rahmen einer anderen Tagung entnommen habe. Zum dritten Punkt führte Herr Prof. Dr. Brinkmann aus, dass das OLG Düsseldorf zwar das von Herrn Prof. Dr. Habersack angeführte Argument aufgegriffen haben möge; die Argumentation sei aus seiner Sicht aber jedenfalls nicht überzeugend. Schließlich sei bislang unstreitig gewesen, dass die D&O-Versicherung auch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO gestützte Insolvenzverschleppungsschäden ersetze. Dies sei ein Schaden der Gläubiger und es sei nicht ersichtlich, dass die D&OVersicherung für diese Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsleiter nicht haften würde. Im Anschluss an diese erste Fragerunde rekapitulierte Herr Prof. Dr. Bachmann, dass der Insolvenzsenat des BGH entschieden habe, dass
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die Business Judgment Rule nicht für Insolvenzverwalter gelte. Allerdings sei dies im Schrifttum stets stark umstritten gewesen, da gute Gründe für eine Geltung der Business Judgment Rule sprechen. Insbesondere werde das Gesellschaftsvermögen vom Insolvenzverwalter nicht nur zerschlagen und verteilt; sofern dieser das Unternehmen saniere oder fortführe, sei er durchaus mit einem Geschäftsführer vergleichbar. Herr Prof. Dr. Bachmann warf die Frage auf, ob vor dem Hintergrund des StaRUG die angesprochene Rechtsprechung des BGH mit dem Argument, der Gesetzgeber mache in § 2 Abs. 1 Satz 2 RegE-StaRUG deutlich, dass die Business Judgment Rule zum Schutz von Gläubigerinteressen zumindest in einem vor-insolvenzrechtlichen Verfahren gelten solle, in Frage gestellt werden könne. Seiner Ansicht nach könne argumentiert werden, dass sich die in § 2 Abs. 1 Satz 2 RegE-StaRUG geregelte Konstellation nicht wesentlich von der des Insolvenzverwalters unterscheide. Sodann führte Herr Prof. Dr. Bachmann aus, dass im Rahmen des § 43 GmbHG seit jeher umstritten sei, ob § 93 Abs. 5 AktG außerhalb der Insolvenz analoge Anwendung finde, mit der Folge, dass die Aktionäre nicht auf Schadensersatzansprüche verzichten können, wenn der Schadensersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sei. An die Runde der Gesellschaftsrechtler richtete er die Frage, ob aus der Neuregelung des § 3 Abs. 4 RegE-StaRUG abgeleitet werden könne, dass dies generell gelten solle. Zuletzt setzte sich Herr Prof. Dr. Bachmann mit der Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB auseinander und bat um eine Stellungnahme dazu, ob die von Herrn Prof. Dr. Brinkmann als misslich dargestellte Unterscheidung von Alt- und Neugläubigern dazu führe, dass die Normierung der Schadensersatzpflicht nach § 15b InsO nach sich ziehe, dass die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB darin aufgehe. 5 Herr Prof. Dr. Brinkmann hob einleitend hervor, dass der Referentenentwurf ungefähr sechs und der Regierungsentwurf ca. drei Wochen alt seien, und daher noch nicht alle Fragen umfassend aufgearbeitet worden seien. Bezüglich der Differenzierung zwischen Neu- und Altgläubigern sei grundsätzlich zwar denkbar, dass der BGH seine Rechtsprechung ändern und der von Herrn Prof. Dr. Dr. K. Schmidt entwickelten Konzeption folgend davon ausgehen könnte, dass im Zeitraum der materiellen Insolvenz die gesamte Masseverkürzung erfasst sei. Allerdings sei es sehr unwahrscheinlich, dass der BGH zu einer Stellungnahme Gelegenheit bekommen werde, da ab dem 1.1.2021 Klagen von Insolvenzverwaltern voraussichtlich vor allem auf den im Verhältnis zu § 823 Abs. 2 BGB
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i.V.m. § 15a InsO leichter durchsetzbaren § 15b InsO gestützt werden. Zur ersten Frage, ob eine Änderung der Rechtsprechung zu § 60 InsO zu erwarten sei, entgegnete Herr Prof. Dr. Brinkmann, dass er dies ebenfalls für unwahrscheinlich halte. Im Übrigen halte er es für richtig, dass sich Insolvenzverwalter nicht auf die Business Judgment Rule stützen können. Bei der Business Judgment Rule gehe es im Kern darum, dem Geschäftsleiter zu erlauben bzw. Anreize zu geben, auch eine risikoreichere Entscheidung zu wählen, die einen höheren Ertrag für die Anleger verspricht. Die Aufgabe des Insolvenzverwalters hingegen bestehe nicht darin, den Gläubigern einen möglichst hohen Ertrag zu verschaffen; im Interesse der Gläubiger habe er vielmehr dafür zu sorgen, primär deren Geld zurückzuerlangen. Den mit der Business Judgment Rule verbundenen Anreizen solle er daher gerade nicht ausgesetzt sein. Herr Prof. Dr. Brinkmann äußerte zudem Zweifel an der rechtspolitischen Sinnhaftigkeit der Geltung der Business Judgment Rule im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 2 RegE-StaRUG. Er hielt sie im Ergebnis aber mit dem Argument für vertretbar, dass in der besagten Phase noch nicht sicher feststehe, ob es ausschließlich um das Geld der Gläubiger oder jedenfalls möglicherweise auch noch um Geld der Gesellschafter gehe, so dass der oben genannte Investorengedanke noch eine Rolle spiele könnte. Allerdings nahm Herr Prof. Dr. Brinkmann an, dass der Gesetzgeber von einer anderen Motivation getrieben sei. Durch § 2 Abs. 1 Satz 2 RegE-StaRUG solle primär der Tatsache Rechnung getragen werden, dass große Unsicherheit darüber bestehe, welche Reorganisationsmöglichkeit – außergerichtliche Sanierung, StaRUG-Verfahren, Insolvenzplanung – die beste sei. Insofern unterscheide sich die von § 2 Abs. 1 Satz 2 RegE-StaRUG erfasste Konstellation wesentlich von der des § 60 InsO. Die in die Runde gegebene Frage nach einer analogen Anwendung des 6 § 93 Abs. 5 AktG überlies Herr Prof. Dr. Brinkmann der Diskussion der Gesellschaftsrechtler. Er bemerkte lediglich, dass der Frage voraussichtlich keine hohe praktische Bedeutung zukommen dürfte, da die Haftung nach § 43 GmbHG in ihrem zeitlichen Anwendungsbereich so weit von der Krise weggedrängt worden sei, dass kaum Fälle denkbar seien, in denen der Verzicht auf den Schadensersatzanspruch gläubigerrelevant werden könnte. Allerdings sei zu bedenken, dass der Anspruch möglicherweise früher entstanden und noch zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sein könnte.
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7 Die nächste Fragerunde eröffnete Herr Dr. Könen mit Blick auf den neuen § 15b InsO. Ebenso wie die Gesetzesbegründung habe Herr Prof. Dr. Brinkmann in seinen Ausführungen die Regeln aus GmbHG, AktG, Genossenschaftsgesetz und § 130a HGB über einen Kamm geschert, während der Mauracher Entwurf eine Regelung im MoPeG vorsehe. Herr Dr. Könen bat um die Einschätzung, ob es sinnvoll sei, Personengesellschaften und juristische Personen gleich zu behandeln. Schließlich zeige § 42 Abs. 2 Satz 2 BGB, dass für den Verein ein anderer Weg gewählt werde und eine Außenhaftung vorgesehen sei. Für die Personengesellschaft werde hingegen eine Innenhaftung der zahlenden Geschäftsleiter vorgesehen. Da § 130a HGB lediglich den Ausfall des § 128 HGB kompensieren solle, sei fraglich, ob es nicht mehr Sinn machen würde, die Regelung des § 130a HGB zu befristen und eine ausgewogene Regelung im Rahmen des MoPeG zu treffen. Daran anknüpfend bat Herr Dr. Könen Herrn Prof. Dr. Brinkmann um eine Stellungnahme dazu, ob der Ausschluss bzw. die Beschränkung der Haftung in § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO aus seiner Sicht Folgen für die deliktische Rechtsnatur bzw. die Rechtsnatur der Zahlungsverbote als Ersatzansprüche sui generis habe. 8 Als nächster Diskutant meldete sich Herr Haubold zu Wort, der sich wie seine Vorredner für die ausgezeichnete Aufbereitung des Themas bedankte. Nach seiner Erfahrung stelle es ein bewährtes Mittel dar, bei Unsicherheiten über das richtige Vorgehen das Votum der Gesellschafter einzuholen. Dies spiele in der Praxis bei der Beratung von Geschäftsführern einer GmbH eine wichtige Rolle. Würden die Gesellschafter eine entsprechende Weisung erteilen oder einen Beschluss fassen, sei – von gläubigerschädigenden Maßnahmen abgesehen – die Haftung der Geschäftsführer ausgeschlossen. Diese Möglichkeit entfalle allerdings ab dem Moment der drohenden Zahlungsunfähigkeit; Fiduciary Duties bestünden nun gegenüber den Gläubigern, die allerdings nicht befragt werden könnten, es sei denn, es sei ein entsprechendes Verfahren eröffnet. In der Zwischenphase, in der entweder außergerichtlich restrukturiert werde oder die Überlegungen noch nicht abgeschlossen seien, seien die Geschäftsführer sozusagen „alleine auf hoher See“ und müssten darauf vertrauen, dass ihre Maßnahmen dem Interesse der Gläubiger und gegebenenfalls der Gesellschafter entsprechen. Herr Haubold bat um Bestätigung seines Verständnisses, dass die Geschäftsführer in dieser Konstellation keinen haftungserleichternden Beschluss herbeiführen können. Dies habe aus seiner Sicht gravierende Auswirkungen auf die konkrete Rechtsberatung in der Krisensituation.
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Der anschließende Redner Herr Prof. Dr. Dr. K. Schmidt wiederholte zu- 9 nächst die Komplimente für das Referat und wies darauf hin, dass der Gesetzgeber in diesem Jahr Erstaunliches auf den Weg gebracht habe. Sodann nahm er zu verschiedenen Einzelfragen wie folgt Stellung: Er halte es persönlich für einen Segen, dass die sog. Zahlungsverbote in der bisherigen Konzeption aufgegeben würden. Eine klare Verbesserung sei insbesondere darin zu sehen, dass das Verhältnis der sog. Zahlungsverbote und ihrer Sanktionen zur Insolvenzverschleppungshaftung durch den Entwurf deutlich klarerer abgebildet werde als bisher. Bezüglich der Behandlung von Personengesellschaften wies Herr Prof. Dr. Dr. K. Schmidt auf § 130 HGB hin, dessen Wortlaut von „Schadensersatz“ spreche, was vom zweiten Zivilsenat als Redaktionsversehen verstanden worden war. Der Sache nach handle es sich um Schadensersatz aus Insolvenzverschleppungshaftung; durch die sog. verbotenen Zahlungen werde der Gesamtgläubigerschaden erhöht. Herr Prof. Dr. Dr. K. Schmidt widersprach der Ansicht von Herrn Prof. Dr. Brinkmann in Bezug auf die Business Judgment Rule, die seiner Auffassung nach auch für den Insolvenzverwalter gelte. Schließlich handle es sich um eine Common SenseRegel für die Unternehmensführung. Dabei sei der Insolvenzverwalter heute nicht als bloßer Liquidator, sondern auch als eine das Management einer Gesellschaft leitende Person anzusehen. Zur Reorganisationsverschleppungshaftung habe sich Herr Prof. Dr. Brinkmann bereits im Jahr 2019 geäußert, als das Thema noch vorgedacht wurde. Die Figur der Reorganisationsverschleppungshaftung als Schwester der Insolvenzverschleppungshaftung bezogen auf das Reorganisationsverfahren sei sehr plausibel. Allerdings sei fraglich, ob die Überlegungen zum Reorganisationsverfahren und insbesondere zur Erforderlichkeit bzw. Gebotenheit von 12 oder 24-Monatsprognosefristen rein akademischer Natur seien. Es sei schwer vorstellbar, dass sich Geschäftsführer in der Praxis darüber auseinandersetzen würden, ob die Gesellschaft aus ihrer Sicht voraussichtlich in exakt 11 oder 13 Monaten insolvent sei. Auf die Hindsight-Bias sei von Herrn Prof. Dr. Brinkmann bereits in zutreffender Weise hingewiesen worden. Zum Abschluss der Diskussion bezog Herr Prof. Dr. Brinkmann noch einmal Stellung. In Hinblick auf § 15b InsO, § 130a HGB habe Herr Dr. Könen möglicherweise eine Erklärung dafür geliefert, dass im Referentenentwurf, anders als im Regierungsentwurf, noch vorgesehen gewesen sei, die Haftung aus §§ 2, 3 RefE-StaRUG auch auf Personengesellschaften zu erstrecken. Hintergrund sei möglicherweise, dass der
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Entwurf zur Reform des Personengesellschaftsrechts eine als Surrogat taugliche Haftung enthalte. Zur Frage, ob im Hinblick auf § 15b InsO wegen des Ausschlusses der Verzichtsmöglichkeit eine deliktische Qualifikation denkbar sei oder naheliege, entgegnete Herr Prof. Dr. Brinkmann, dass er hiervon aus kollisionsrechtlicher Sicht abraten würde, da es ansonsten so klinge, als wolle man die Rom II-Verordnung anwenden. Auch wenn es sich nun um eine Schadensersatzhaftung handle, auf die man nur eingeschränkt verzichten könne, solle es aus seiner Sicht keine deliktische Qualifikation geben, vorzugswürdig sei eine insolvenzrechtliche Qualifikation, die dann zur Anwendbarkeit der EuInsVO führe. 11
Bezüglich der Frage von Herrn Haubold, was Geschäftsführern zu raten sei, entgegnete Herr Prof. Dr. Brinkmann, dass es auch nach bisheriger Rechtslage in der besagten Phase, in der theoretisch bereits Überschuldung, d.h. materielle Insolvenz eingetreten ist, mit Weisungsrechten und Entscheidungsbefugnissen der Gesellschafter ohnehin nicht mehr weit her sei. Die Rechtslage würde insofern nicht wesentlich geändert, aber etwas deutlicher. Dennoch halte er es für problematisch, dass es keinen Gläubigerausschuss gebe, den man dazu befragen könne, wie den Gläubigerinteressen am besten Rechnung zu tragen sei.
12 Anschließend wies Herr Prof. Dr. Brinkmann darauf hin, dass nicht unterschätzt werden dürfe, welche Hebemöglichkeiten das neue Verfahren für Loan to Own-Strategien eröffne. Man stelle sich vor, Distressed Debt Investoren haben in dieser Phase in großem Umfang die Verbindlichkeiten der Gesellschaft aufgekauft. Diese könnten damit drohen, mit Blick auf die Haftung aus § 3 RegE-StaRUG massiven Druck auf die Geschäftsleitung auszuüben, bis diese das Restrukturierungsverfahren mit der Möglichkeit eines Debt Equity Swaps eröffne, wenn die Gesellschafter das Unternehmen nicht zuvor zu einem attraktiven Preis veräußerten. Geschäftsleitern sei dringend zu raten, mehr denn je sehr weit nach vorne zu blicken. Vor diesem Hintergrund seien die Pflichten zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 2 und 3 GmbHG in Zukunft viel ernster zu nehmen, damit die Gesellschafter die Möglichkeiten zum Umsteuern wahrnehmen können, bevor das Schicksal der Gesellschaft von Gläubigern bestimmt werde. Herr Prof. Dr. Brinkmann schloss sich dem Lob von Herrn Prof. Dr. Dr. K. Schmidt für den Gesetzgeber an, der Großes geleistet habe. Der Referent räumte ein, die Reorganisationsverschleppungshaftung möge akademischer Natur sein; in der Tat seien nicht besonders viele Haftungsfälle zu erwar-
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ten. Doch sei die programmatische Aussage, dass es ab einem bestimmten Stadium um die Interessen der Gläubiger und nicht mehr der Gesellschafter gehe, von großer Bedeutung. Wenn sich in der Gesellschafterversammlung der Eindruck durchsetze, dass man weit in die Zukunft blicken müsse und sich die Geschäftsleiter darüber bewusstwürden, dass sie in der Krise die Interessen der Gläubiger im Blick zu behalten haben, dann sei sehr viel gewonnen. Bezüglich der Frage, ob sich der Insolvenzverwalter auf die Business Judgment Rule stützen dürfe, ließ sich Herr Prof. Dr. Brinkmann abschließend darauf ein, dass man geteilter Meinung sein könne. Nach einer Danksagung an den Referenten und alle Diskussionsteilnehmer wurde die Diskussion sodann von Herrn Prof. Dr. Bachmann geschlossen.
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Unternehmensstrafrecht – der aktuelle Stand des Verbandssanktionengesetzes Prof. Dr. Christoph Knauer* Rechtsanwalt, München Rz.
Rz. I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätzliches 1. Strafe, Sanktion, Schuld? . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . 3. Zurechnungsmodell – Auslandsgeltung. . . . . . . . . . . . . . 4. Unvertretbar hoher Sanktionsrahmen a) Rahmen und 10 % Obergrenze. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzernumsatz als Maßstab. . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kombination mit der Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . III. Interne Untersuchungen 1. Keine Definition nach dem VerSanG-E . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematisch missglückte Regelung innerhalb von Sanktionsvorschriften . . . . . . 3. Inhaltliche Anforderungen . . a) Unbestimmtheit der einzelnen Voraussetzungen des § 17 VerSanG-E . . . . . .
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aa) Wesentlicher Beitrag zur Aufklärung, § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E . . . . . . . . . bb) Ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit, § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E . . . . . . . . . cc) Vorlage aller wesentlichen Dokumente, § 17 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG-E . . . . . . . . . b) Trennung Verteidigung/ Interne Untersuchung aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . c) Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens, § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik: Ausreichender Schutz der betroffenen Mitarbeiter? . . . .
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* Aktualisierte und um rein strafprozessuale Fragen gekürzte Fassung meines Beitrages aus NStZ 2020, 441, der dem Vortrag zugrunde lag – mit freundlicher Genehmigung der NStZ-Redaktion. Der Autor war federführender Berichterstatter der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum VerSanG-E, Nr. 32 vom 1.7.2020 (Im Folgenden: „BRAK-Stellungnahme 32/2020“). Inhaltliche Übereinstimmungen zwischen der Stellungnahme und diesem Beitrag sind deshalb nicht zufällig.
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Knauer – Unternehmensstrafrecht – aktueller Stand Verbandssanktionengesetz Rz. 4. „Quasi-Obliegenheit“ zur Kooperation . . . . . . . . . . . . . .
Rz. IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einführung 1 Nachdem in der Fachöffentlichkeit ein nicht offiziell veröffentlichter Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ mit Datum 15.8.2019 kursierte und bereits intensiv diskutiert und kritisiert wurde1, war den Verbänden mit Stellungnahmefrist zum 12.6.2020 der Referentenentwurf mit Stand 20.4.2020 als „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (nachfolgend „Ref-E“) zugeleitet worden. Kern ist jeweils das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (nachfolgend „VerSanG-E“).2 Nur vier Tage nach Ablauf der Stellungnahmefrist, mit einem Wochenende dazwischen, also am 16.6.2020, beschloss das Kabinett, den Entwurf ins Gesetzgebungsverfahren zu geben („Reg-E“). 3 Die abgeänderte Nomenklatur des Gesetzespakets passt in die Zeit demonstrativer Gesetzgebung. Gerade in den für Unternehmen schwierigen Zeiten der Corona-Krise soll offenbar unter dem Deckmäntelchen positiv general- und spezialpräventiver Aspekte3 die bittere Pille schmack1 Vgl. zur Kritik an den Referentenentwürfen und am Regierungsentwurf Ströhmann, ZIP 2020, 105 ff.; Brouwer, AG 2019, 920 ff.; Brand, GmbHR 2019, R 316, R 317; Mayer/Jenne, CB 2019, 405 ff.; Bielefeld, CB 2019, 413 ff.; Petrasch, CB 2020, 45 ff.; Lawall/Weitzell, NZWiSt 2020, 209 ff.; Cordes/Wagner, NZWiSt 2020, 215 ff.; Nienaber/Schauenburg/Wenglarczyk, NZWiSt 2020, 223 ff.; Michaelis/Nolte, BB 2020, 1154 ff.; Bittmann, ZWH 2020, 157 ff.; Rübenstahl, ZWH 2019, 233 ff., 2020, 164 ff.; Pelz/Habbe, ZWH 2020, 176 ff.; Lanzinger/Petrasch, CCZ 2020, 109 ff.; Schauer, AnwBl. 2020, 225 ff.; Beukelmann, NJW-Spezial 2020, 312 f.; Achenbach, ZIS 2020, 1 ff.; Gercke, GA 2020, 122 ff. sowie die Stellungnahme des DAV, hier zitiert nach NZG 2020, 298 ff.; BR-Drucks. 440/20; Franke/Henseler, ZRP 2020, 209 ff.; Kämpfer/Travers/ Schwerdtfeger, NZG 2020, 848 ff.; Caracas, CCZ 2020, 331 ff.; Sartorius/ Schmitt, wistra 2020, 393 ff.; Adzmos/Herse. DB 2020, 56 ff.; Szesny/Stelten, ZRP 2020, 130 ff.; Tödtmann/von Erdmann, NZA 2020, 1577 ff.; Schweiger, ZIS 2021, 137 ff. 2 Zur Vereinfachung wurde im nachfolgenden Beitrag der Begriff des „Unternehmens“ synonym mit „Verband“ gewählt, eine abweichende Bedeutung ist damit nicht verbunden. 3 Vgl. nur Begr. RegE, S. 50.
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hafter gemacht werden. Das Gesetz solle rechtstreue Verbände einerseits fördern und andererseits klar machen, dass die „schwarzen Schafe“ unter den Verbänden nicht ungeschoren davonkommen, um einer Schwächung des Vertrauens in den Rechtsstaat wegen Ausbleibens einer angemessenen Reaktion entgegenzuwirken.4 Welches am Markt aktive – derzeit häufig durch die „Corona-Krise“ angeschlagene – Unternehmen könnte dem Ziel der Integrität ernsthaft widersprechen?5 Die anhaltende Kritik6 fand nur wenig Berücksichtigung. Während zwar die massiv kritisierte Verbandsauflösung offenbar endgültig vom Tisch ist, hält der neue Entwurf bedauerlicherweise etwa an der nicht minder in die Kritik geratenen Trennung zwischen externen Untersuchungsführern und Unternehmensverteidigung fest. Der Bundesrat folgt zwar nicht der von den Rechts- und Wirtschaftsausschüssen empfohlenen Gesamtablehnung des Gesetzesentwurfs7, steht dem VerSanG-E mit seiner Stellungnahme vom 18.9.2020 aber dennoch insgesamt sehr kritisch gegenüber und fordert u.a. die Begrenzung der Verbandsverantwortlichkeit sowie die grundsätzliche Überarbeitung der Sanktionen gegenüber kleineren und mittleren Verbänden.8 Die Bundesregierung erklärt in ihrer Gegenäußerung zwar, dass sie den besonderen Belangen kleinerer und mittlerer Verbände bereits hinreichend Rechnung getragen hat und ihnen insbesondere die prozessualen Regelungen zugutekommen sollen, will jedoch zumindest prüfen, ob die Vorgaben an Compliance und die Sanktionsbemessungskriterien weiter konkretisiert werden können.9
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Wie dem auch sei: wird der Entwurf Gesetz, so ändert er die bisherige Realität der Rolle von Unternehmen im Strafverfahren grundlegend. Im Folgenden sollen aus subjektiver Sicht zentrale Inhalte des Entwurfes vorgestellt und – teils unter Bezugnahme des Münchener „Gegen-Ent-
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4 Begr. RegE, S. 1. 5 Dass dabei ganz nebenbei ein Verstoß gegen das Belastungsmoratorium des Koalitionsausschusses vom 22.4.2020, wonach Belastungen für Unternehmen und Ihre Beschäftigte durch Gesetze während der Krise möglichst zu vermeiden sind, vorliegt, zeigt der Strafrechtsausschuss der deutschen Anwaltschaft („Strauda“) auf, BRAK-Stellungnahme Nr. 33, Juli 2020, S. 28 f. 6 Auf der Homepage des BMJV sind am 8.1.2020 alleine 62 überwiegend kritische Stellungnahmen veröffentlicht (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzge bungsverfahren/DE/Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.html;jsessionid=34409AA 273A4BF1EA37C6FCC3F5E8895.2_cid324). 7 BR-Drucks. 440/1/20. 8 BR-Drucks. 440/20. 9 BT-Drucks. 19/23568, S. 151 f.
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wurfs“ eines Verbandssanktionengesetzes (nachfolgend: „ME-VerSanG“) – kritisiert werden.
II. Grundsätzliches 1. Strafe, Sanktion, Schuld? 6 Es liegt nun also der vorläufige Höhepunkt der unendlichen Geschichte um die Einführung eines Verbandsstrafrechts in Deutschland vor. Weil ein klassisches Unternehmensstrafrecht nach herrschender Auffassung im Konflikt mit der fehlenden Schuldfähigkeit juristischer Personen steht,10 vermeidet der Entwurf den Begriff der Strafe und spricht stattdessen durchweg von Sanktion.11 In der Begründung wird zudem die „systematische Eigenständigkeit der Verbandssanktionen gegenüber Kriminalstrafen und Geldbußen“ betont.12 7 Eine klare dogmatische Einordung ist damit freilich nicht verbunden. Ungeachtet der Frage, ob der Gesetzgeber beabsichtigt, mit dem VerSanG-E eine Sanktionsart sui generis, eine „Dritte Spur“ zu etablieren oder nicht, ist jedenfalls klar, dass auch die Verbandssanktion als staatliche Reaktion auf eine begangene Straftat verhängt wird. Der Entwurf folgt einem Zurechnungsmodell, indem die Verhängung von Sanktionen nach dem VerSanG-E an das Vorliegen einer „Verbandstat“ anknüpft; eine solche wird gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E definiert als jede Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte.13 8 Es spricht viel dafür, der Verbandsgeldsanktion (§§ 8 ff. VerSanG-E) zumindest einen strafähnlichen Charakter zuzubilligen.14 Ob dies aber auch die Anwendbarkeit des in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Gesetzlichkeitsprinzips zur Folge hat, ist keinesfalls eindeutig; immerhin bemisst das BVerfG die Strafqualität von strafrechtlichen Maßnahmen da-
10 „Societas delinquere non potest.“ Siehe hierzu statt vieler etwa nur Greco, GA 2015, 503 ff. m.w.N.; zuletzt Rostalski, NJW 2020, 2087 ff.; vgl. auch BVerfG v. 25.10.1966 – 2 BvR 506/63, NJW 1967, 195, 196. 11 Diese Terminologie findet sich auch bereits im Kölner Entwurf, s. hierzu Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1, 9; krit. Rostalski, NJW 2020, 2087 ff. 12 Begr. RegE, S. 64. 13 S. hierzu auch Begr. RegE, S. 75 f. 14 S. Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848, 849.
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ran, ob sie zumindest auch dem Schuldausgleich dienen.15 Das wäre nach dem deutschen Verständnis bei Unternehmen – anders beim Konzept der „Corporate Liability“ wie etwa in vielen angelsächsischen Rechtsordnungen – mangels Schuldfähigkeit gerade nicht der Fall. Angesichts der Massivität der möglichen Belastung des Unternehmens mit einer Sanktion, die bis zu 10 % des Konzernjahresumsatzes betragen kann (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 VerSanG-E), ein wenig intuitives Ergebnis.
2. Anwendungsbereich Das VerSanG soll nach § 1 VerSanG-E auf Verbände beschränkt sein, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Es soll deshalb keine Anwendung auf ideelle Vereine i.S.d. § 21 BGB, also solche, die keine Leistungen am Markt vergleichbar mit einem Unternehmer anbieten, finden.16 Anwendbar bleibt für diese allein § 30 OWiG.17, mit einem an der Untergrenze milderen Mindestmaß von nur 5 t. Die von den Rechts- und Wirtschaftsausschüssen des Bundesrats geforderte Erweiterung des Anwendungsbereichs auf nicht-wirtschaftlich tätige Verbände18 fand im Plenum des Bundesrats keine Mehrheit.19
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Sofern Vorschriften der Immunität entgegenstehen, erfolgt gem. § 5 Nr. 2 10 VerSanG-E keine Sanktionierung. Bei der verfassungsrechtlich in Art. 46 Abs. 2 GG verankerten Immunität handelt es sich jedoch lediglich um ein Verfahrenshindernis, wobei die Tat selbst rechtswidrig und schuldhaft bleibt20, weshalb der Bundesrat dafür plädiert, § 5 Nr. 2 VerSanG-E zu streichen. Es erschließe sich nicht, weshalb sich die Immunität des 15 S. nur BVerfG v. 11.7.2013 – 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12, NJW 2013, 3151, 3159, Rz. 110; BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 745. 16 Der Reg-E verweist zur Bestimmung eines Unternehmens mit einem wirtschaftlichen Betrieb auf die Abgrenzung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Vereinen i.S. §§ 22, 21 BGB, S. 71 Reg-E. 17 Eine zunächst vorgesehene Beschränkung des § 30 OWiG auf Ordnungswidrigkeiten sieht der Reg-E nicht mehr vor, Art. 9 Nr. 2 Reg-E VerSanG, S. 41 f. 18 BR-Drucks. 440/1/20, S. 8 f. 19 Zur möglichen Benachteiligung aufgrund der Nichtanwendbarkeit der §§ 16 bis 18 VerSanG-E s. BRAK-Stellungnahme 32/2020, S. 3 f.; Schweiger, ZIS 2021, 137, 138 f. schlägt vor das Kriterium der wirtschaftlichen Tätigkeit nach dem Vorbild des ME-VerSanG durch Kriterien zu ersetzen, die die wirtschaftliche Stärke wiederspiegeln, etwa die Anzahl der Beschäftigten, den Jahresumsatz oder die Bilanzsumme. 20 Vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., Vor §§ 3–7 Rz. 21.
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Haupttäters im Individualstrafrecht zwar nicht auf die Strafbarkeit von Mittätern oder Teilnehmern, jedoch auf die Sanktionierung von Verbanden auswirken soll.21 Die Bundesregierung hält eine solche Änderung nicht für geboten, da sich die Regelung am geltenden Recht orientiere und der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Immunität Rechnung trage.22 11
Eine Verbandssanktion gegen juristische Personen wie etwa Kommunen, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder Beliehene ist möglich, wenn diese fiskalisch tätig werden. § 5 Nr. 3 VerSanG-E schließt lediglich aus, dass eine Verbandssanktion wegen einer Verbandstat, die in Vornahme hoheitlichen Handelns begangen wird, verhängt wird.
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Unklar bleibt der Umgang mit Zusammenschlüssen Freier Berufe. Zwar sind diese als GbRs oder Partnerschaftsgesellschaften rechtsfähige Personengesellschaften i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 c) VerSanG-E. Allerdings zeigt gerade dies die Begrenztheit des Konzeptes der pauschalen Einbeziehung von Personengesellschaften. Denn einerseits fällt die insbesondere von Großkanzleien häufig gewählte Rechtsform der englischen bzw. amerikanischen LLP (Limited Liability Partnership) hierunter eben nicht23 (wie wohl schon nicht unter § 30 OWiG) und andererseits ist einem Zusammenschluss freier Berufsträger, insbesondere von unabhängigen (sic!) Organen der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ein Konzept der hierarchischen Organisation und somit auch einer Compliancestruktur bereits normativ fremd, so dass Haftung für fehlende Compliance, eine Verbandsverantwortlichkeit, insoweit fernliegt.
3. Zurechnungsmodell – Auslandsgeltung 13
Das schlichte Zurechnungsmodell des Entwurfs sieht nach § 3 VerSanG-E zwingend die Verhängung einer Verbandssanktion vor, wenn eine Leitungsperson des Verbands eine Verbandstat begangen hat oder wenn eine Leitungsperson die Straftat durch Compliance-Maßnahmen, wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitungen und Aufsicht, hätte verhindern oder wesentlich erschweren können. 21 BR-Drucks. 440/20, S. 9; ebenso Franke/Henseler, ZRP 2020, 209, 210. 22 BT-Drucks. 19/23568, S. 153; zustimmend mit weiterer Begründung Schweiger, ZIS 2021, 137, 143. 23 Henssler, NJW 2014, 1761 ff.; Henssler, NJW 2014, 171 ff.; BGH v. 3.4.2019 – VII ZB 24/17, juris Rz. 33: „Diese Gesellschaftsform hat im deutschen Recht keine Entsprechung.“
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Es wird dem Verband damit das Verschulden der Leitungsperson entwe- 14 der wegen des Begehens einer Straftat oder aber wegen eines Organisations- bzw. Compliancemangels zugerechnet, wobei in letzter Variante sowohl das Verschulden der Person auf der Mitarbeiterebene als auch ein (nicht) strafrechtliches Verschulden der Leitungsperson Voraussetzung der Zurechnung ist. Der Verband haftet also insbesondere bei § 3 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E für jede Verbandstat ohne Abstufung und ohne Zurechnungsbegrenzung selbst dann, wenn er auch Verletzter der Straftat ist. Dass das zu weit geht, ist zurecht deutlich gemacht worden.24 Letztlich wird dem Verband damit die Entscheidung für eine bestimmte Leitungsperson als sanktionsrechtliche Verantwortlichkeit aufgebürdet, obwohl in der bloßen Beschäftigung einer Führungskraft ein rechtlich gebilligtes Verhalten liegen dürfte. Die daraus zu ziehende Schlussfolgerung, dass ein Organisationsverschulden bei einer Straftatbegehung einer Leitungsperson vermutet wird, ist in höchstem Maße problematisch.25 Dass eine Verbandstat nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Entwurfs auch dann vorliegt, wenn nicht eine Pflicht des Verbandes selbst betroffen ist, sondern bereits wenn sich dieser aufgrund irgendeiner Straftat bereichert hat oder dies intendiert war, führt zu weiterer ausufernder Anwendbarkeit.26 Denn selbst wenn eine nicht systematische Bereicherung durch einen einzelnen Mitarbeiter erfolgt (etwa stellen überhöhter Rechnungen), die ex post auch noch abgestellt wird, ist dies nach dem Gesetz sanktionswürdig.27 Von der Sanktionierung „organisierter Unverantwortlichkeit“ ist das alles weit weg. Eine Verantwortlichkeit des Verbandes für Nicht-Leitungspersonen er- 15 fordert einerseits, dass sie in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands tätig wird und andererseits, dass sie der Auswahl, Anleitung und Überwachung durch Leitungspersonen des Verbandes und dessen Weisungs- und Direktionsrechten unterliegen.28 Eine Nicht-Leitungsperson der Tochtergesellschaft handelt regelmäßig nicht in Wahrnehmung der Angelegenheiten des übergeordneten Mutterkonzerns i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E, da die Tochtergesellschaft ein rechtlich selbständiger 24 S. nur Bittmann, ZWH 2020, 157, 156. 25 Zum Ganzen Rostalski, NJW 2020, 2087, 2088. 26 Der Bundesrat fordert in seiner Stellungnahme lediglich den klarstellenden Passus in § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E, dass der Verband „zu Unrecht“ bereichert worden ist oder werden sollte, BR-Drucks. 440/20, S. 2. 27 S. Bittmann, ZWH 2020, 156. 28 Begr. RegE, S. 78.
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Verband und der Konzern selbst nicht Verband i.S.d. § 2 Abs. 1 VerSanG-E ist.29 Die Nicht-Leitungsperson unterliegt zunächst einmal den Direktions- und Weisungsrechten der Leitungspersonen der Tochtergesellschaft, wobei hieraus nicht ohne weiteres der Rückschluss gezogen werden kann, dass die Leitungspersonen des Mutterkonzerns keine Pflicht mehr zur Überwachung der Mitarbeiter der Tochtergesellschaft trifft.30 Hiergegen spricht bereits die Tatsache, dass Aufsichtspflichten vordergründig nicht zur Vermeidung von Sanktionen, sondern vielmehr aufgrund gesellschafts- und haftungsrechtlicher Aspekte begründet werden. Hiervon ist die Frage der Verbandsverantwortlichkeit zu trennen. Darüber hinaus ist eine Aufsichtspflicht stets anhand der tatsächlichen Verhältnisse im Konzern zu bestimmen.31 16
Der Bundesrat merkt außerdem völlig zu Recht an, dass die fehlende Notwendigkeit einer eigenen Verantwortlichkeit der Leitungsperson bei der Begehung einer Verbandstat durch eine „sonstige Person“ gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E nicht nur eine Verschärfung gegenüber §§ 30, 130 OWiG darstellt, der die volldeliktische und folglich auch schuldhafte Begehung einer Ordnungswidrigkeit durch die Leitungsperson voraussetzt.32 Vielmehr werde hierdurch auch die verfassungsrechtliche Rechtsprechung außer Acht gelassen, nach der für die „Schuld“ des Verbandes nur das Verschulden der Personen i.S.d. § 31 BGB, nicht auch sonstiger Dritter maßgeblich ist.33 Deshalb fordert der Bundesrat § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E um die Voraussetzung zu ergänzen, dass die Leitungsperson angemessene Vorkehrungen vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen haben muss.34 Zwar wird hierdurch die Verantwortlichkeit des Verbands für Fehlverhalten „sonstiger“ Personen auf ein angemessenes Maß begrenzt, dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlich zu weit gehenden Zurechnung von Fehlverhalten der Leitungspersonen.
29 BegrRefE, S. 73. 30 Caracas, CCZ 2020, 331, 334. 31 OLG München v. 23.9.2014 – 3 Ws 599/14, 3 Ws 600/14, StV 2016, 35; BGH v. 1.12.1981 – KRB 3/79, MDR 1982, 461. 32 BR-Drucks. 440/20, S. 3, 4, infolge der Empfehlung der Rechts- und Wirtschaftsausschüsse, BR-Drucks. 440/1/20, S. 11 f.; unter Verweis auf KK/OWiG/ Rogall, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 88 m.w.N.; zustimmend Schweiger, ZIS 2021, 137, 142. 33 Unter Verweis auf BVerfG v. 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04, NJW-RR 2007, 860. 34 BR-Drucks. 440/20, S. 3, 4; die Bundesregierung sagt zu, diesen Vorschlag zu prüfen, BT-Drucks. 19/23568, S. 153.
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Die nahezu grenzenlose Verbandsverantwortlichkeit setzt sich auch den 17 Grundlagen zur Bemessung der Sanktion fort. Während etwa nach dem Münchener Entwurf in § 8 Abs. 1 das Maß der Pflichtverletzung des Verbandes und seiner Leitungspersonen Grundlage insbesondere der Bemessung der Verbandsgeldzahlung ist, ist dies in § 15 Abs. 1 VerSanG-E hingegen einzig die Bedeutung der Verbandsstraftat. In besonders schweren Fällen gem. § 3 Abs. 2 VerSanG-E soll auch die Schwere und das Ausmaß des Unterlassens angemessener Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten zu berücksichtigen sein. Dieses „auch“ belegt das dargestellte Defizit, nämlich die nahezu unbegrenzte Zurechnung der Verantwortung der Führungskraft. Selbst bei den allgemeinen Sanktionszumessungsregeln des § 15 Abs. 3 VerSanG-E setzt sich das fort: so sollen zwar die Umstände die für und gegen den Verband sprechen gegeneinander abgewogen werden – die gesetzlich benannten Zumessungstatsachen beziehen sich aber zur Hälfte (Nr. 1-4) wieder auf die Verbandstat selbst; besonders offenbar wird dies, wenn in Nr. 6 von der Verbandstat die Rede ist, „für die der Verband verantwortlich ist“, wobei sich die Verantwortlichkeit ja regelmäßig in derjenigen der Führungskraft erschöpft. Das in § 3 Abs. 1 VerSanG-E kodifizierte Legalitätsprinzip, welches das 18 bei § 30 OWiG bestehende Ermessen ersetzen soll, tut sein Übriges: Zwar sieht der Entwurf auch Möglichkeiten von Opportunitäts-Einstellungen vor(§ 35 ff. VerSanG-E). Dennoch muss regelmäßig ein Verfahren eingeleitet werden, so dass mit einer massiven Zunahme von Ermittlungsverfahren zu rechnen ist. Ob dies die Justiz mit der derzeitigen Ausstattung bewältigen kann, ist mehr als zweifelhaft.35 In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die massive Erweiterung der Anwendbarkeit Deutschen Strafrechts in § 2 Abs. 2 VerSanG-E. Wenn das VerSanG-E auch in Fällen gelten soll, in denen das Unternehmen zur Zeit der Tat einen Inlandssitz hat (Nr. 3), so hat auch dies kombiniert mit dem Legalitätsprinzip für die knappen Ressourcen der Justiz fatale Folgen, worauf auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hinweist.36 Wird in der chinesischen Niederlassung eines deutschen Automobilherstellers von chinesischen Mitarbeitern (versuchter!) Betrug zu Lasten der chinesischen Kunden begangen, so sollen deutsche Staatsanwaltschaften dafür zuständig sein. Um diese nahezu grenzenlose Anwendbarkeit einzudämmen, genügt auch die vom Bundesrat vorgeschlagene Voraussetzung, der Ver35 S. Stellungnahme Nr. 7/20 des Deutschen Richterbundes vom Juni 2020. 36 BR-Drucks. 440/20, S. 2, 3, der der Empfehlung der Rechts- und Wirtschaftsausschüsse folgt, hierzu BR-Drucks. 440/1/20, S. 11 f.
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band müsse einen wesentlichen Geschäftsbetrieb im Inland haben oder es müsse zumindest ein erheblicher Schaden im Inland eingetreten sein37, noch nicht. Hierdurch wird zwar richtigerweise die Sanktionierung von Verbänden ausgeklammert, die nahezu keinen Inlandsbezug aufweisen. Für eine adäquate Begrenzung der deutschen Zuständigkeit müssten diese Voraussetzungen aber zumindest kumulativ vorliegen. Die Bundesregierung hält eine Änderung demgegenüber nicht für geboten und verweist auf die ausreichenden Möglichkeiten zum Absehen von der Verfolgung bei Auslandstaten in § 38 VerSanG-E.38
4. Unvertretbar hoher Sanktionsrahmen a) Rahmen und 10 % Obergrenze 19
Unabhängig von der dogmatischen Schwäche sind die Rahmen der Verbandsgeldsanktion unverhältnismäßig hoch. § 9 Abs. 1 VerSanG-E übernimmt zunächst das Höchstmaß einer Verbandsgeldbuße nach § 30 Abs. 2 OWiG (10 Mio. t bei vorsätzlicher, 5 Mio. t bei fahrlässiger Anknüpfungstat) und erhöht dessen Mindestmaß von 5 t (§ 17 Abs. 2 OWiG) um das Hundert- bzw. Zweihundertfache auf 500 bzw. 1.000 t.
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Gegen große Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. t wird aber nun die Sanktionskeule ausgepackt: Hier liegt die Mindestgeldsanktion gem. § 9 Abs. 2 VerSanG-E bei 5.000 t (bei Fahrlässigkeit) bzw. mindestens 10.000 t (bei Vorsatz) und ist damit gegenüber kleineren Unternehmen um das Zehnfache, gegenüber den bisherigen Bußgeldhöhen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz sogar um das Tausend- bzw. Zweitausendfache erhöht. Die Obergrenze übersteigt sogar eine überdurchschnittliche Gewinnerwartung eines solchen Unternehmens: sie soll bei vorsätzlicher Verbandstat 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes, bei fahrlässiger Tat immerhin noch 5 % betragen.
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An die Geschäftszahlen eines Unternehmens anzuknüpfen, um eine wirksame Geldsanktion zu erreichen, ist grundsätzlich nachvollziehbar. Eine umsatzabhängige Obergrenze erlaubt eine gerechtere Sanktionszumessung als starre Obergrenzen.39 Die Höhe, die die Sanktion nach 37 BR-Drucks. 440/20, S. 2, 3. 38 BT-Drucks. 19/23568, S. 152; zustimmend Schweiger, ZIS 2021, 137, 139. 39 Ref-E VerSanG, S. 84; BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12, NJW 2013, 1972, 1973 – Grauzementkartell-Beschluss.
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dem Entwurf jedoch konkret annehmen kann, spiegelt gerade nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des durchschnittlichen zu sanktionierenden Verbands wieder.40 Denn selbstredend werden vor allem auch mittelständische nationale Unternehmen sanktionsbetroffen sein,41 die verglichen mit den von zumeist internationaler Kartellverfahren betroffenen Unternehmen personell und finanziell völlig anders strukturiert sind. Der durchschnittliche Gewinn mittelständischer Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 500 Mio. t lag im Jahr 2018 bei durchschnittlich 7,4 %.42 Die mögliche Sanktionsobergrenze ist damit schlicht existenzbedrohend und gefährdet Arbeitsplätze.43 Aufgrund der möglichen Unverhältnismäßigkeit für kleinere und mittlere Verbände fordert der Bundesrat ganz generell, bestimmte Verbandstaten für kleinere und mittlere Verbände vom Anwendungsbereich des VerSanG-E eventuell ganz auszunehmen, oder bei ihnen zumindest deutlich geringere Anforderungen an die angemessenen Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten zu stellen.44 Genügen kann dies freilich nicht, denn die Amerikanisierung der Sanktion droht gerade bei großen Konzernen.45 Die Orientierung an den Sanktionsrahmen des Gesetzes gegen Wettbe- 22 werbsbeschränkungen (GWB), insbesondere an § 81 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 GWB46 geht insgesamt fehl.47 Denn das GWB bezweckt in erster Linie 40 So auch der Münchener Entwurf, der zu Recht auf die Möglichkeit immenser Sanktionshöhen hinweist, vgl. Begr. Münchener Entw, S. 53. Auch die Rechtsund Wirtschaftsausschüsse des Bundesrats kritisierten die Sanktionshöhen deutlich, BT-Drucks. 440/1/20, S. 22. 41 Im Jahr 2018 gab es in Deutschland 46.337 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 10–50 Mio. t und 14.375 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 50 Mio. t und mehr, bei insgesamt rund 3,48 Mio. Unternehmen (https:// de.statista.com/statistik/daten/studie/239418/umfrage/unternehmen-in-deutsch land-nach-umsatzgroessenklassen/). 42 So die Statistik von statista bei 10.000 Unternehmen, die sich an der Umfrage beteiligten, vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/261430/umfra ge/umsatzrenditen-im-deutschen-mittelstand-nach-branchen/. 43 Aber auch bei DAX-Konzernen liegt der Jahresgewinn durchschnittlich unter 10 % des Jahresumsatzes. 44 BR-Drucks. 440/20, S. 1. 45 Ebenso kritisch die Rechts- und Wirtschaftsausschüsse des Bundesrats, BRDrucks. 440/1/20, S. 22. 46 Der Referentenentwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des GWB (Ref-E 10. ÄndG GWB), der die Bußgeldvorschriften der §§ 81 ff. GWB völlig neu strukturiert, enthält diese Bestimmung inhaltlich identisch in § 81c Abs. 2 und 5 Ref-E 10. ÄndG GWB. 47 Zustimmend Schweiger, ZIS 2021, 137, 144.
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die Sicherung des freien Marktwettbewerbs und die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen, sanktioniert einen unberechtigten wirtschaftlichen Vorteil am Markt und ist bereits im Kern wirtschaftlich geprägt.48 Die Verhängung einer Verbandssanktion setzt hingegen keinen unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil voraus. Da nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E, eine Verbandsstraftat jede Straftat sein kann, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte, lässt sich ein bestimmtes übergeordnetes Rechtsgut mit hohem präventivem Sanktionserfordernis insoweit anders als beim GWB nicht ausmachen.
b) Konzernumsatz als Maßstab 23
Die durch § 9 Abs. 2 Satz 2 VerSanG-E vorgesehene Möglichkeit, bei der Sanktionsbemessung den Jahresumsatz des Konzerns zu berücksichtigen, führt endgültig zu existenzbedrohender Massivität der Sanktion.49 In der Regel fehlt den einzelnen, zu einem Konzern verbundenen Unternehmen die wirtschaftliche Zugriffsmöglichkeit auf die Umsätze der übrigen Unternehmen. Zwar können Konzernobergesellschaften durch Unternehmensverträge i.S.v. §§ 291 ff. AktG (Beherrschungsverträge) Weisungsrechte gegenüber unterstellten Unternehmen eingeräumt werden, wobei auch eine Gewinnabführung vorgesehen sein kann; grundsätzlich bleiben die Unternehmen aber rechtlich selbständig (§ 17 Abs. 1 AktG).50 Die Bemessung der Geldsanktion würde hingegen auf den Umsatz aller Konzernunternehmen abstellen, ohne dass diese notwendigerweise an dem gesamten Konzernumsatz partizipieren.
24 Die Auswirkungen sollen folgendes Beispiel51 verdeutlichen: Beispiel Der Siemens-Konzern erwirtschaftete 2019 einen Gesamtumsatz von ca. 86 Mrd. Euro.52 Die Obergrenze einer Geldsanktion i.H.v. 10 % des Jahresumsatzes des Konzerns gegen die Tochtergesellschaft Digital Industries würde also ca. 8,6 Mrd.
48 Bechthold/Bosch, GWB Komm, 9. Aufl., Einführung, Rz. 50 f, 77 ff. 49 So auch die Rechts- und Wirtschaftsausschüsse des Bundesrats, BR-Drucks. 440/1/20, S. 22. 50 Worauf der Entwurf auch hinweist, vgl. Begr. RegE, S. 73. 51 Weiteres Beispiel in BRAK Stellungnahme 32/2020, S. 5. 52 Bericht Siemens des Geschäftsjahres 2019 https://assets.new.siemens.com/sie mens/assets/api/uuid:bb722ca2-ba5e-4886-a59c-a31f5cb10508/siemens-gb 2019.pdf, S. 82.
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Knauer – Unternehmensstrafrecht – aktueller Stand Verbandssanktionengesetz Euro betragen. Digital Industries hat aber lediglich 16 Mrd. Euro Umsatz im Geschäftsjahr 2019 verbucht.53 Die Obergrenze der Geldsanktion beträgt damit auch in diesem Fall 50 % des Unternehmensumsatzes.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass es nach § 9 Abs. 2 Satz 2 VerSanG-E 25 auf den Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre, die der Verurteilung vorausgehen, ankommen soll. Dies kann etwa in Transaktionssachverhalten zusätzlich zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führen (z.B. Erwerb eines inkriminierten, aber (noch) nicht verurteilten Start-ups durch international tätigen Konzern).
c) Kombination mit der Einziehung Endgültig inakzeptabel für jede Art von Unternehmen ist die mögliche 26 Kombination der, wie gezeigt, bereits jetzt unverhältnismäßigen Obergrenze der Verbandsgeldsanktion mit einer Einziehung nach §§ 73 ff. StGB54, die hinsichtlich der Taterträge zwingende Folge einer Verurteilung oder eines Sanktionsbescheids ist und einer Verständigung mit Gericht oder Staatsanwaltschaft entzogen wäre.55 Vergleicht man die jetzige Situation einer maximalen Geldbuße i.H.v. zehn Mio. Euro pro Tat nach § 30 OWiG plus Einziehung des wirtschaftlichen Vorteils mit der nach dem Entwurf möglichen Geldsanktion i.H.v. 10 % des jährlichen Konzernumsatzes zzgl. der Einziehung, ergeben sich Geldzahlungen amerikanischen Ausmaßes. Als fiktives Beispiel soll die kürzlich gegen die VW AG verhängte Geldbu- 27 ße i.H.v. einer Mrd. t dienen, wovon 5 Mio. t den Ahndungsteil und 995 Mio. t den Abschöpfungsteil betrafen. Stellt man sich vor, dass künftig neben einer Einziehung von 995 Mio. t eine Verbandssanktion von höchstmöglichen 10 % des Konzernumsatzes verhängt werden kann, kommt man zu exorbitanten Summen. Gemessen an dem Umsatz des VW-Konzerns im Jahr 2019, der ca. 252 Mrd. t betrug56, wäre eine Ver-
53 Bericht Siemens des Geschäftsjahres 2019 https://assets.new.siemens.com/sie mens/assets/api/uuid:bb722ca2-ba5e-4886-a59c-a31f5cb10508/siemens-gb 2019.pdf, S. 132. 54 Ebenso die Rechts- und Wirtschaftsausschüsse des Bundesrats, BT-Drucks. 440/1/20, S. 22. 55 Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848, 855. 56 Bericht VW des Geschäftsjahres 2019 https://www.volkswagenag.com/pre sence/investorrelation/publications/annual-reports/2020/volkswagen/Y_ 2019_d.pdf, S. 1.
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bandsgeldsanktion i.H.v. 25 Mrd. t, zzgl. 995 Mio. t Einziehungsbetrag möglich. Dies ist eine Steigerung von 25.000 %. Selbst eine Verbandsgeldsanktion i.H.v. 1 % des Konzernumsatzes würde noch 2,5 Mrd. Euro betragen, so dass zusammen mit der Einziehung ca. 3,5 Mrd. t zu zahlen gewesen wären, was immer noch eine Steigerung von über 300 % bedeuten würde. Weshalb diese gigantischen Beträge notwendig oder angemessen sein sollen, erschließt sich nicht und wird in der Entwurfsbegründung nicht weiter erläutert. 28 Deshalb ist es zwingend, die Sanktionshöhen des VerSanG-E noch einmal abzumildern und zwar nicht nur für kleinere und mittlere Verbände, sondern generell. Denkbar wäre einerseits, nicht an den Umsatz, sondern an den Gewinn des zu sanktionierenden Unternehmens anzuknüpfen, da hierdurch dessen tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abgebildet wird. Ebenso angemessen wäre es, anstatt des Konzernumsatzes lediglich den jeweiligen Umsatz des zu sanktionierenden Unternehmens bei der Bestimmung der Sanktionshöhe zu berücksichtigen.57 Vor dem Hintergrund, dass die Verantwortlichkeit des jeweiligen Verbands für Straftaten ihrer Leitungs- oder Nicht-Leitungspersonen sanktioniert wird, ist der Rückgriff auf den Konzern, auf dessen Verantwortlichkeit es gar nicht zwingend ankommt, ohnehin unangemessen. So sieht etwa der Münchener Entwurf in § 7 vor, für eine vorsätzliche Verfehlung eine Geldzahlung bis zu 20 Mio. t und für eine fahrlässige Verfehlung eine Geldzahlung bis zu 10 Mio. t anzusetzen sowie bei Verbänden mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 500 Mio. bis 2 Mrd. t den Höchstbetrag bei 40 Mio. bzw. 20 Mio. t und bei Verbänden mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von über 2 Mrd. t auf 200 Mio. bzw. 100 Mio. t festzusetzen. Letztlich reicht eine Begrenzung auf 3 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes sicherlich aus, um die präventiven Zwecke, die der Entwurf verfolgen will, zu erreichen.58
57 Die Rechts- und Wirtschaftsausschüsse des Bundesrats schlugen vor, ein Abstellen auf den „tatbezogenen Umsatz“ zu fordern, BT-Drucks. 440/1/20, S. 22, was jedoch im Plenum des Bundesrats keine Mehrheit fand. 58 BRAK-Stellungnahme 32/2020, S. 7.
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III. Interne Untersuchungen 1. Keine Definition nach dem VerSanG-E Der Entwurf verfolgt ein „Zuckerbrot-und-Peitsche“59-Prinzip: Hohe Sanktionen einerseits sollen durch vom Verband geleistete Aufklärungsarbeit andererseits abgemildert werden können.
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Nachdem der Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags nicht nur das Ziel definiert hat, ein eigenständiges Regelwerk zur Sanktionierung von Unternehmen zu schaffen, sondern auch rechtlichen Vorgaben für interne Untersuchungen,60 waren die Erwartungen hoch.
30
Doch diese werden enttäuscht, das hehre Ziel des Koalitionsvertrages 31 von Vornherein verfehlt, auch wenn in der Entwurfsbegründung das Gegenteil behauptet wird: Denn in den §§ 16–18 VerSanG-E werden die internen Untersuchungen nur im Rahmen einer Sanktionsmilderungsnorm geregelt. Dementsprechend findet sich keine Definition, sondern baut der Entwurf auf dem bisherigen Verständnis auf,61 wonach „verbandsinterne Untersuchungen nur solche Maßnahmen [sind], die der systematischen Aufklärung des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat dienen.“62 Daran anknüpfend werden durch § 17 Abs. 1 VerSanG-E verschiedene abstrakte bzw. einzelfallabhängige Voraussetzungen aufgestellt, die erfüllt sein müssen, damit das Unternehmen in den Genuss der gesetzlich vorgesehenen Sanktionsmilderung gem. § 18 (Reduktion des vorgesehenen Höchstmaßes um 50 %) gelangt.
59 S.a. Gercke/Grözinger, LTO v. 23.8.2019 (https://www.lto.de/recht/hinter gruende/h/verbandssanktionengesetz-entwurf-bmjv-compliance-interne-unter suchungen-trennung-strafverteidigung-gastkommentar/). 60 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags (https://www.bundesregierung.de/resource/blob/ 975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitions vertrag-data.pdf?download=1), S. 126; s. für eine Übersicht über weitere Gesetzes-Vorschläge nur Köllner, NZI 2020, 60 m.w.N. 61 Siehe hierzu auch Makowicz, BB 2019, I; zur Begrifflichkeit sowie zur Unterscheidung zwischen internen Untersuchungen im engeren und solchen im weiteren Sinne Knauer, ZWH 2012, 41, 42; aktuell aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive auch Traub, AG 2019, 813, 814. 62 S. Begr. RegE, S. 98.
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2. Systematisch missglückte Regelung innerhalb von Sanktionsvorschriften 32
Die beabsichtigte Systematik ist schon rechtspraktisch wenig überzeugend. Weil durch die Einbettung der Regelungen zu den internen Untersuchungen in eine Strafzumessungsvorschrift deren Anwendungsbereich auf Sachverhalte, die zu einer Sanktion gegen das Unternehmen führen, begrenzt sein soll, bleiben viele grundsätzliche Fragen offen: Das betrifft zuvörderst die seit Jahren umstrittene Frage des Schweigerechts vs. einer Aussagepflicht von Mitarbeitern.63 Zudem ist zu befürchten, dass die Verknüpfung der Normierung der unternehmensinternen Untersuchungen mit einer zwingenden Sanktionsrahmenverschiebung letztlich nur dem Zweck dient, die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaften auf die Unternehmen „outzusourcen“.64
33
Durch die Ausgestaltung als Teil einer Milderungsnorm und die daran geknüpften Voraussetzungen wird der originäre Zweck einer internen Untersuchung systemwidrig dem Kooperationsziel untergeordnet und verkannt, dass unternehmensinterne Untersuchungen zunächst die Bereiche des Gesellschafts-, Arbeits- und des Datenschutzrechts betreffen,65 wohingegen sich straf- und strafprozessuale Rechtsfragen erst dann stellen, wenn es zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen kommt bzw. deren Einleitung oder jedenfalls eine Straftat zumindest im Raum steht.
34
Angesichts der in Rede stehenden Dimension der Verbandsgeldbuße wird sich im Übrigen kaum ein Vorstand je in der Lage sehen, bei der Abwägung auf Basis der Business Judgement Rule gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG,66 ob eine kooperative interne Untersuchung durchgeführt werden soll, von vornherein auf den 50%igen Bonus zu verzichten – zumal ihm
63 Knauer/Buhlmann, AnwBl. 2010, 381, 389 ff.; Knauer, ZWH 2012, 81, 84; Knauer/Gaul, NStZ 2013, 192, 193; Mansdörfer, jM 2014, 167, 170; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2376; Schur in MünchKomm/StPO, 1. Aufl. 2014, Vorbemerkung zu den §§ 133 ff., Rz. 115 ff.; Park in MAH, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2. Aufl. 2014; § 11 Rz. 96 ff.; ebenfalls kritisch dazu, dass der Entwurf das Verhältnis zur arbeitsrechtlichen Aussagepflicht nicht regelt, Schmitz, WiJ 2019, Heft 4, S. 9. 64 Zum selben Ergebnis kommen Sartorius/Schmitt, wistra 2020, 393, 400. 65 Dazu auch Kainer/Feinauer, NZA 2020, 363, 365 f. 66 Zu den Voraussetzungen s. Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 Rz. 42 ff.
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eine „angemessene Informationsbasis“ i.S.d. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zu diesem Zeitpunkt regelmäßig nicht zur Verfügung stehen dürfte.67 Es wäre einzig überzeugend, den internen Untersuchungen einen eigen- 35 ständigen Regelungsbereich bzw. -abschnitt unabhängig von der Sanktionszumessung zuzuerkennen. Nur dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass an einer internen Untersuchung regelmäßig schon aus gesellschafts- und haftungsrechtlichen Gründen kein Weg vorbeiführt – dieser also regelmäßig nicht im Strafprozess- oder Strafrecht liegt. Die Fälle, in denen sich ein Leitungsorgan rechtmäßig gegen die Untersuchung eines wie auch immer gearteten „Compliance-Störfalls“ entscheiden kann, sind auf wenige Ausnahmen begrenzt. Die Sorgfaltsund Leitungspflicht des Vorstands (§ 73 Abs. 1, § 93 AktG), die Überwachungspflicht des Aufsichtsrates (§ 111 AktG) bzw. die korrespondierenden Pflichten der GmbH-Geschäftsführer (§ 43 GmbHG) verlangen – so bekanntlich die Formulierung des Neubürger-Urteils des LG München68 – dass Verstöße im Unternehmen grundsätzlich aufzuklären, abzustellen und zu ahnden sind. Diese Pflichtentrias liegt grundsätzlich auch dem Entwurf zugrunde, wie sich etwa daran zeigt, dass die Begründung darauf verweist, dass auch andere Jurisdiktionen, etwa jene der USA, eine solche interne Untersuchung zwingend voraussetzen können.69 In diesem Punkt überzeugender ist deshalb der Ansatz des Münchner 36 (Gegen-) Entwurfs, der den internen Untersuchungen mit den §§ 33 bis 39 ME-VerSanG einen eigenen Abschnitt widmet. Darin werden in § 33 Abs. 1 ME-VerSanG interne Untersuchungen zunächst als alle Maßnahmen definiert, die ein Verband selbst durchführt oder durch externe Experten durchführen lässt, um Umstände möglicher verbandsbezogener Zuwiderhandlungen aufzuklären. Unterschieden wird dabei zwischen rein unternehmensintern Untersuchungen bzw. solchen, die unter Zuhilfenahme externer Berater betrieben werden und jenen, die unabhängig und mit den Strafverfolgungsbehörden abgestimmt werden und dabei
67 A.A. Sartorius/Schmidt, die der Ansicht sind, dass die Halbierung der Sanktion angesichts der immensen Sanktionsrahmen faktisch nahezu wertlos sei, wistra 2020, 393, 400. 68 LG München v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, AG 2014, 332 = NZG 2014, 345, 347; vgl. hierzu etwa Fleischer, NZG 2014, 321, 324. 69 Begr. RegE, S. 96.
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den Vorgaben des Münchner Entwurfs genügen. Nur bei Letzteren soll es sich um interne Untersuchungen im Sinne des Gegenentwurfs handeln. Neben den Anforderungen an interne Untersuchungen (§ 34 MEVerSanG) werden darüber hinaus auch Fragen zur Beschlagnahme von Unterlagen aus internen Untersuchungen (§ 38 ME-VerSanG) und zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus internen Untersuchungen thematisiert (§ 39 ME-VerSanG).
3. Inhaltliche Anforderungen 37
§ 16 VerSanG-E stellt zunächst klar, dass verbandsinterne Untersuchungen sowohl durch den Verband selbst, als auch durch externe Untersuchungsführer durchgeführt werden können. Dies soll es vor allem kleineren und mittleren Unternehmen ermöglichen, die erheblichen Kosten, die bei der Beauftragung externer Berater regelmäßig anfallen, zu vermeiden.70 Jedoch werden insbesondere kleinere und mittlere Verbände oftmals gar nicht über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um die Anforderungen, die § 17 VerSanG-E an die internen Ermittlungen stellt, ohne externe Berater erfüllen zu können.71
38
Die zentrale Regelung zu den verbandsinternen Untersuchungen enthält § 17 VerSanG-E, mit dem qualitative Ansprüche an eine interne Untersuchung aufgestellt werden. Genügt die verbandsinterne Aufklärungsarbeit den darin vorgesehenen, kumulativ erforderlichen Anforderungen, soll das Gericht die Sanktion gegen das Unternehmen mildern. Das ist auch konsequent – erfüllt das Unternehmen die Kooperationsanforderungen, muss das Ermessen des Gerichts gebunden sein (anders noch der erste Ref-E).
a) Unbestimmtheit der einzelnen Voraussetzungen des § 17 VerSanG-E 39
Doch die einzelnen Voraussetzungen des § 17 VerSanG-E sind vielfach zu unbestimmt.72
70 S. Begr. RegE, S. 98. 71 Ott/Lüneborg, NZG 2019, 1361, 1364; Sartorius/Schmidt, wistra 2020, 393, 394. 72 Hierzu ebenfalls Sartorius/Schmidt, wistra 2020, 393 ff.; Szesny/Stelten, ZRP 2020, 130 ff.
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aa) Wesentlicher Beitrag zur Aufklärung, § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E legt fest, dass das Unternehmen bzw. der beauftragte Dritte zur Aufklärung der Verbandstat und -in Abweichung zum Referentenentwurf – der Verbandsverantwortlichkeit „wesentlich beigetragen“ haben müssen. Dazu wird in der Begründung ergänzend ausgeführt, dass eine Sanktionsmilderung jedenfalls dann nicht in Betracht komme, wenn die Verfolgungsbehörde den Sachverhalt selbst bereits vollständig aufgeklärt habe.73
40
Es bleibt letztlich offen, was unter einer wesentlichen Aufklärungshilfe 41 zu verstehen sein soll. Die Formulierung „wesentlich“ scheint zu bedeuten, dass der überwiegende Teil des Sachverhalts vom Verband selbst bzw. von den untersuchungsführenden Personen geliefert werden muss.74 In Anbetracht des vom Entwurf nunmehr vorgesehenen Legalitätsprinzips kann dies aber nicht gemeint sein, zumal es mit Blick auf eine rechtsstaatliche Strafrechtspflege klare Prämisse sein muss, bereits den bloßen Anschein einer „Privatisierung des Ermittlungsverfahrens“ zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, als die Begründung des Entwurfs selbst davon spricht, lediglich eine Unterstützung, jedoch ausdrücklich keine Substituierung staatlicher Ermittlungstätigkeit zu bezwecken.75 Deshalb ist es empfehlenswert in § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E statt eines wesentlichen Beitrags beispielsweise eine angemessene Förderung oder einen nicht unwesentlichen Beitrag der Aufklärung durch das Unternehmen vorauszusetzen.76
bb) Ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit, § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E § 17 Nr. 3 VerSanG-E bestimmt, dass die Kooperation mit den Behörden 42 „ununterbrochen“ und „uneingeschränkt“ erfolgen soll. Hierzu wird in 73 74 75 76
So Begr. RegE, S. 99; vgl. dazu auch Aszmons/Herse, DB 2020, 56, 57. Die Gefahr sieht auch Schweiger, ZIS 2021, S. 137, 148. Begr. RegE, S. 98. S.a. BRAK-Stellungnahme Nr. 32/2020, S. 12 f.; dafür, dass auch ein kleiner Beitrag wesentlich sein kann ebenfalls Adzmos/Herse, DB 2020, 56, 58; Szesny/Stelten, ZRP 2020, 130, 131; kritisch zur derzeitigen Regelung auch Schweiger, ZIS 2021, S. 137, 148 f., die auf den Unterschied zu den U.S. Sentencing Guidelines hinweist, wonach eine umfassende Sachverhaltsaufklärung keine zwingende Voraussetzung einer Milderung der Sanktion sei.
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der Begründung u.a. auf das Übermitteln von Zwischenberichten sowie die umfassende Beantwortung von Fragen der Verfolgungsbehörden – in deren Ermessen das Verfahren insoweit steht – verwiesen.77 43
Es bleibt bereits unklar, ab welchem Zeitpunkt die Pflicht zur Kooperation mit den Behörden beginnt und welches Verbands-Verhalten hiervon (nicht mehr) umfasst ist.
44
In der Begründung heißt es dazu, dass die detaillierten Vorgaben zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit im Ermessen der Verfolgungsbehörde stünden. Eine Anzeigepflicht oder eine Verpflichtung zur sofortigen Mitteilung der Ergebnisse einer verbandsinternen Untersuchung werde durch Nr. 3 nicht begründet. Der Zeitpunkt der Offenbarung solle jedoch bei der Festlegung des Umfangs der Sanktionsmilderung zu berücksichtigen sein. Wenn der Verband sich entschließt, mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen zu arbeiten, müsse es sich dann aber um eine umfassende Kooperation handeln.78 Treten die Verfolgungsbehörde im Laufe ihrer Ermittlungen an den Verband heran (z.B. durch eine Durchsuchung), könne die Sanktionsmilderung nur erlangt werden, wenn der Verband „unverzüglich“ mit den Verfolgungsbehörden kooperiere.79 Immerhin hat die Kritik aus dem Schrifttum80 bei der zweiten Entwurfsfassung Berücksichtigung gefunden und zumindest zu einer geringfügigen Nachbesserung geführt. Konkretisierend heißt es nun: „Eine unverzügliche Kooperation setzt voraus, dass der Verband innerhalb kurzer Frist über die Kooperation entscheidet.“81 Die Ergänzung führt jedoch nicht zu der gebotenen Bestimmtheit, da die vermeintliche Konkretisierung, die Entscheidung müsse „innerhalb kurzer Frist“ getroffen werden, ebenfalls ausfüllungsbedürftig ist.82
77 78 79 80
S. Begr. RegE, S. 99. Vgl. auch Aszmons/Herse, DB 2020, 56, 58; Köllner, NZI 2020, 60, 62. S. hierzu sowie zum Folgenden Begr. RegE, S. 99 f. Mit ähnlicher Kritik wie hier auch Ströhmann, ZIP 2020, 105, 110 und Brouwer, AG 2019, 920, 923. Teicke, CCZ 2019, 298, 304 sieht ebenfalls die Gefahr, dass sich viele Vorstände und Geschäftsführer in solchen zeitlichen Drucksituationen „blind“ für eine interne Untersuchung bzw. eine Kooperation mit den Behörden entscheiden. 81 S. Begr. RegE, S. 100; während im ersten Entwurf ohne weitere Konkretisierung lediglich von einer „unverzüglichen Kooperation mit den Verfolgungsbehörden die Rede war, Entwurf vom 15.8.2019, Begründung, S. 100. 82 Schweiger, ZIS 2021, 137, 152.
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Die unklaren Begrifflichkeiten einerseits sowie die gesetzlich angeord- 45 neten Vorteile einer solchen Kooperation mit den Behörden andererseits setzen die Entscheider des Verbandes erheblich unter Druck. Denn diese haben eine unter Umständen milliardenschwere Entscheidung zu treffen, begibt man sich bei der Entscheidung gegen die Kooperation doch des Kooperationsbonus der §§ 17 und 18 VerSanG-E. In jedem Fall muss sich die Geschäftsleitung – wird sie mit einem aus dem Unternehmen heraus begangenen Fehlverhalten konfrontiert – so schnell wie möglich eine Informationsgrundlage darüber verschaffen, ob an dem Verdacht „etwas dran sein“ könnte oder nicht. Das gilt erst recht, wenn das Unternehmen nicht über interne Hinweise, sondern aus der Presse oder im worst case durch eine Durchsuchung oder gar auf Grund von Festnahmen von Unternehmensangehörigen erfährt. In solchen Konstellationen wird die Geschäftsleitung nicht selten von den Vorwürfen überrollt, während es an ausreichenden Informationen im Unternehmen fehlt und das Ausmaß der tatsächlichen Rechtsverletzung schwer zu überblicken ist. Um beurteilen zu können, ob der Verdacht der Ermittlungsbehörden realistisch ist, wird man der Unternehmensleitung deshalb einen angemessenen Zeitraum zur Erstsachverhaltsaufklärung zugestehen müssen, bevor sie sich gegenüber den Ermittlungsbehörden erklären kann.83 Der konkrete Umfang solcher primären Aufklärungsansätze hängt freilich von der Begründungstiefe und Schwere des Vorwurfs im konkreten Einzelfall ab; zumindest aber wird man bei Auslegung der nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E normierten Kooperationsanforderung die für § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG geltenden Maßstäbe hineinzulesen haben. Denn nur mit einem ausreichenden Sachverhaltsüberblick steht der Geschäftsleitung überhaupt eine angemessene Informationsgrundlage zur Verfügung, um entscheiden zu können, ob ein kooperativer Ansatz tatsächlich auch im Sinne der Business Judgement Rule im Interesse des Unternehmens liegt oder ob nicht doch mit einer streitigen Verteidigung die Interessen des Unternehmens besser gewahrt werden. In diese Abwägung ist auch die Pflicht zur „uneingeschränkten“ Kooperation aufzunehmen. Denn durch die Übergabe sämtlicher Unterlagen an die Behörden kann es etwa dazu kommen, dass im Rahmen etwaiger zivilrechtlicher Streitigkeiten dortige Kläger durch ihr Akteneinsichtsrecht ggf. Zugriff auf die Unterlagen erhalten könnten. Bereits deshalb sollten derartige an die Ermittlungsbehörden übergebenen Informatio83 Ebenso die Rechts- und Wirtschaftsausschüsse des Bundesrats, die für eine vollständige Streichung des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E plädieren.
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nen jedenfalls mit einem Vertraulichkeitsvermerk versehen und darum gebeten werden, hierfür einen Sonderband anzufertigen.84 Noch komplexer ist dies bei Fällen mit US-amerikanischem Bezug. Dort greift zwar grundsätzlich das sog. legal privilege für Unterlagen aus einer internen Untersuchung. Dies ist jedoch dann nicht mehr der Fall, wenn der Verband hierauf verzichtet (privilege waiver), was anzunehmen wäre bei der Herausgabe an eine ausländische Behörde, wie etwa an die deutsche Staatsanwaltschaft.85 47
Auch darf eine Entscheidung zur Kooperation nicht dazu führen, dass es dem Unternehmen im weiteren Verlauf verwehrt ist, den Ermittlungsergebnissen im Rahmen zulässiger Verteidigung kritisch gegenüber zu treten, ohne die Möglichkeit der Sanktionsmilderung zu riskieren.86 Die Entscheidung des Unternehmens anhand der durch § 17 Abs. 1 VerSanG-E normierten Anforderungen auf einen Kooperationsbonus hinzuarbeiten, darf nicht mit dem Verlust grundlegender Verteidigungsrechte einher gehen. Schließlich gewährt § 27 VerSanG-E dem Unternehmen die Rechte eines Beschuldigten auch unabhängig davon, für welchen Verteidigungsansatz es sich entscheidet. Kooperation darf nicht, wie es bereits heute manche Staatsanwaltschaften verstehen, nur dann anzunehmen sein, wenn diese einem „umfassenden Geständnis“ gleichkommt, sondern es muss ausreichen, wenn eine vollumfängliche Transparenz bei der Sachverhaltsaufarbeitung geleistet wird. Bei der Umsetzung dieser Vorgaben wird die Praxis deshalb zeigen müssen, ob Ermittler bereits Kleinigkeiten zum Anlass nehmen, dem Unternehmen das Attest der uneingeschränkten Kooperation zu entziehen.87 Kooperation heißt aber nicht Kapitulation.
cc) Vorlage aller wesentlichen Dokumente, § 17 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG-E 48
Dass nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG-E die Ergebnisse in Form des Abschlussberichts einschließlich der wesentlichen Dokumente zu übergeben sind, wird die auch heute schon bestehenden Diskussionen zwischen Unternehmen und Ermittlungsbehörden, welche Daten denn wesentlich 84 Szesny/Stelten, ZRP 2020, 130, 132. 85 Mit diesem Argument und weiteren Nachweisen Priewer/Ritzenhoff, WiJ 2019, Heft 4, S. 6. 86 Hierzu ebenfalls Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848, 856. 87 Zu diesem Aspekt bereits auch Schmitz, WiJ 2019, Heft 4, S. 5.
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sind, nicht beseitigen und überlässt es letztlich den Staatsanwaltschaften im Einzelfall, welche Dokumente sie anfordern können.88 Immerhin würde dies wohl das Ende der doch eher durchschaubaren These mancher „Corporate-Lawyer“ bedeuten, dass auch nach aufwendiger (und teurer) Investigation ein Abschlussbericht nicht erforderlich sein soll – auch aus heutiger Sicht ist das wohl gesellschaftsrechtlich jedenfalls aufwendig zu begründen. Denn wie soll sich der Vorstand ohne Abschlussbericht ein Bild vom Ergebnis der Untersuchung machen?
b) Trennung Verteidigung/Interne Untersuchung aa) Inhalt In § 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E heißt es:
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„[Das Gericht kann die Verbandssanktionen mildern, wenn …] der beauftragte Dritte oder die für den beauftragten Dritten bei den verbandsinternen Untersuchungen handelnden Personen nicht Verteidiger des Verbandes oder eines Beschuldigten, dessen Verbandsstraftat dem Sanktionsverfahren zugrunde liegt, sind.“
Nach dem neuen Entwurf soll einem Verband also nur dann gem. § 18 50 VerSanG-E die Möglichkeit offen stehen, die 50%ige Milderung zu erhalten, wenn er die interne Untersuchung nicht von seinem Strafverteidiger durchführen lässt, sondern er diese entweder selbst durchführt oder eine Investigation-Kanzlei oder Wirtschaftsprüfer damit beauftragt. Zur Frage, wie dann die konkrete Abgrenzung zwischen unabhängiger, interner Untersuchung und Strafverteidigung aussehen soll, verhält sich der Entwurf allerdings (erneut) nicht eindeutig. So heißt es in der Begründung lediglich: „Von diesen internen Untersuchungen zu unterscheiden ist die Verteidigung des Verbandes, sobald sich dieser mit einer konkreten Beschuldigung konfrontiert sieht. Die Verteidigung dient der Rechtswahrung in einem dem Verband von außen aufgezwungenen Verfahren, in dem er die Position eines Beschuldigten innehat.“89
Zur Begründung der angestrebten Trennung offenbart der Entwurf schließlich ein indiskutables Verständnis von (Unternehmens-)Verteidigung:
88 Zur genaueren Bestimmbarkeit s. BRAK-Stellungnahme 32/2020, S. 13. 89 BegrRegE, S. 98.
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Knauer – Unternehmensstrafrecht – aktueller Stand Verbandssanktionengesetz „Die Verbindung von verbandsinternen Untersuchungen und Unternehmensverteidigung schwächt die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse verbandsinterner Untersuchungen und kann zu Konflikten mit dem Strafverteidigungsmandat führen. Verbandsinterne Untersuchungen dienen der objektiven Aufklärung des Sachverhalts einschließlich aller belastenden und entlastenden Umstände. Aufgrund der potentiellen Konflikte, die sich aus einer Verbindung von verbandsinternen Untersuchungen und Strafverteidigung ergeben, ist die Trennung von verbandsinternen Untersuchungen und Vertretung im Ordnungswidrigkeitenverfahren bereits heute weit verbreitet. Eine funktionale Trennung von Verteidigung und verbandsinterner Untersuchung sichert den jeweiligen Untersuchungsführern eine größere Eigenständigkeit gegenüber der Unternehmensverteidigung. Dies führt zu einer erhöhten Glaubwürdigkeit ihrer Untersuchungsergebnisse und zu einem Vertrauensvorschuss bei den Verfolgungsbehörden. Die Unabhängigkeit des Untersuchungsführers gegenüber der Unternehmensverteidigung kann darüber hinaus auch der erste Schritt zu einer ernsthaften Selbstreinigung des Verbandes und einem nachhaltigen Kulturwandel sein, da nur ein unabhängiger Untersuchungsführer zum Kern der aufzuarbeitenden Straftat vordringen und hierbei auch eventuelle Verstrickungen der Firmenleitung ernsthaft in den Blick nehmen.“90
bb) Kritik 52
Es stimmt zwar, dass die funktionale Trennung von Verteidigung und Untersuchung der gängigen Praxis entspricht. Schon heute führen Unternehmensverteidiger die unternehmensinterne Untersuchung häufig nicht selbst durch, sondern von diesen unabhängige Wirtschaftsprüfer oder Großkanzleien. Dies hat nicht nur Kapazitätsgründe, sondern liegt zuvörderst daran, dass die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen wie oben bereits beschrieben eben nicht bloß strafrechtlich motiviert ist.
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Das Trennungsprinzip und dessen Begründung ist nur bezogen auf die selbstverständliche zwingende Nichtidentität von Ermittler(-kanzlei) und Individualverteidiger nachvollziehbar. Ansonsten geht es nicht nur an der heute gelebten Praxis von internen Untersuchungen in weiten Teilen vorbei. Die Unterstellung, Strafverteidigung würde in einem Gegensatz zur Wahrheit, Unabhängigkeit und Glaubhaftigkeit stehen und ohne die Trennung liege stets ein Konfliktpotential vor, ist vielmehr schlichtweg empörend.91 Dieses Bild ist weder normativ noch – jedenfalls bei seriöser Unternehmensverteidigung – praktisch richtig. Normativ 90 S. BegrRegE, S. 99. 91 So auch Priewer/Ritzenhoff, WiJ, S. 4, 2; Schweiger, ZIS 2021, 137, 149; Dierlamm, StV, Heft 11 (Editorial): „Verteidigerbild ist grotesk und praxisfern“;
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sind Verteidiger wie alle Rechtsanwälte unabhängige Organe der Rechtspflege (§ 43a Abs. 1 BRAO) und gem. § 43a Abs. 3 BRAO der Wahrheit verpflichtet, die unterstellte Beweisverfälschung wäre nach § 258 StGB als Grenze zulässigen Verteidigerverhaltens strafbar und die Interessenkollision ist sowohl berufsrechtswidrig nach Abs. 4 des § 43 BRAO wie als Parteiverrat nach § 356 StGB strafbar.92 Einen empirischen Beleg dafür, dass die Sachverhaltsaufklärung der Verteidigung bzw. unter Mitwirkung der Verteidigung reduzierte Glaubwürdigkeit zukommt, bleibt der Entwurf nämlich schuldig.93
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Es steht außer Frage, dass aus dem Blickwinkel der Justiz Untersuchungs- 55 ergebnisse objektiv vollständig, verwendbar und verwertbar sein müssen, um eine Sanktionsmilderung zu ermöglichen. Allerdings ist es ein Irrtum, zu glauben, die Qualität der Untersuchung werde gerade durch das Trennungsprinzip gesichert, bzw. dass Ermittlungsergebnisse dann besonders brauchbar für die Justiz würden, wenn sie unabhängig von der Verteidigung erarbeitet werden.94 Die beabsichtigte Trennung verkennt vielmehr die „Dolmetscher“-Funktion des Verteidigers zwischen dem Unternehmen und den Strafverfolgungsbehörden. Ganz praktisch sind es bekanntlich doch die Verteidiger, die aus der Erfahrung und ihren Kenntnissen der StPO wissen, was die Staatsanwaltschaft benötigt und akzeptiert, und was nicht. Zudem ist schon heute angesichts der potentiell exorbitanten Bußgeldhöhen nach § 30 OWiG und der reputationellen Risiken einer streitigen Verteidigung die vollumfängliche Kooperation verbunden mit einem Zurverfügungstellen von (brauchbaren) internen Ermittlungsergebnissen die häufigste strategische Variante umsichtiger Unternehmensverteidigung – jedenfalls dann, wenn an den im Raum stehenden Vorwürfen „etwas dran“ ist.95 Wäre die Denkweise des Referentenentwurfes richtig, so wäre ein Geständnis im Rahmen der Vertretung eines Individualbeschuldigten keine Verteidigungsoption.
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Ströhmann, ZIP 2020, 105, 110 hält die Trennung für „strukturell … sehr unglücklich“. S. auch die Stellungnahme des DAV, NZG 2020, 298, 303 f. Dazu bereits in Bezug auf die Jones Day Entscheidung des BVerfG, Winkler, StraFo 2018, 464, 470; ebenso Sartorius/Schmidt, wistra 2020, 393, 395. Ebenso Schweiger, ZIS 2021, 137, 149 f., mit Blick auf die Rechtslage in den Vereinigten Staaten. Zur verbandsinternen Untersuchung als Teil der Unternehmensverteidigung ebenso Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848, 852.
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56 Völlig inkonsistent ist deshalb auch, dass zwar die nicht von der Verteidigung unabhängige Untersuchung die zwingende Strafrahmenverschiebung kostet, nicht aber die Untersuchung nach § 16 VerSanG-E durch Unternehmensinterne. Wieso die Objektivität und Unabhängigkeit insoweit weniger in Zweifel stehen sollen, als bei der Untersuchung durch Verteidiger, erschließt sich nicht und ist einmal mehr Ausdruck des grundlosen Misstrauens gegen die Verteidigung.96 Genauso wenig scheint der Entwurf die Situation kleiner Unternehmen zu berücksichtigen. Das Aufzwingen von zwei, statt einer Anwaltskanzlei scheint schlicht nicht zumutbar.97 Dass dafür die zwingende Sanktionsrahmenverschiebung auf dem Spiel steht und nur eine allgemeine Milderung im Ermessen des Gerichts in Frage kommt nicht sachgerecht. 57
Nicht zuletzt wird der Verteidiger durch die angestrebte Trennung einer seiner grundlegenden Tätigkeitsfelder, der Sachverhaltsaufklärung, beraubt, obwohl eben jene auch ureigene Aufgabe des Strafverteidigers ist und eigene Ermittlungen dem Verteidigungskonzept der Strafprozessordnung sowohl vorausgesetzt wie auch immanent sind.98 Bei komplexen Fällen ist die Aufklärung des Sachverhalts für Unternehmensverteidigung sogar zwingend, ihre Nichtdurchführung mag in manchen Fällen geradezu ein Kunstfehler sein.99 Dabei hat sich das Verteidigungsziel im Falle der Unternehmensverteidigung am Unternehmensinteresse zu orientieren, welches je nach Richtigkeit der Vorwürfe eben Kooperation oder streitige Verteidigung erfordern kann.100
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Zudem bleibt unklar, ob es der im Kooperationsmodus ermittlungsführenden Kanzlei auch verwehrt sein soll, ihre Untersuchungserkenntnisse während des laufenden Verfahrens mit der Verteidigung zu teilen, um
96 Sartorius/Schmidt, wistra 2020, 393, 395. 97 S. hierzu nur von Galen, LTO v. 21.9.2019 (https://www.lto.de/recht/hinter gruende/h/gesetzentwurf-unternehmenssanktionen-kritik-strafverteidiger-in terne-ermittlungen/); Ströhmann, ZIP 2020, 105, 110; Stellungnahme des DAV, NZG 2020, 298, 303. 98 BGH v 10.2.2000 – 4 StR 616/99, NStZ 2001, 49, 50 m.w.N; ausführlich dazu Neuhaus in MAH/Strafverteidigung, 2. Aufl., § 15 Rz. 1, 7, ff, 12 m.w.N.; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl., Rz. 307 ff.; Willnow in KK/ StPO, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung zu § 137 Rz. 4; Priewe/Ritzenhoff, WiJ 4/2019. 99 Spoerr, StV 2019, S. 697; Priewer/Ritzenhoff, WiJ, S. 3. 100 Zu den Modellen von Unternehmensverteidigung Trüg, NStZ 2020, 120 ff.
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die zwingende Sanktionsrahmenverschiebung des § 18 VerSanG-E nicht zu riskieren.101 Die Entwurfsbegründung könnte man in diesem Sinne tatsächlich ver- 59 stehen, wenn es darin (allerdings bezogen auf die Tätigkeit in einer Kanzlei) heißt, dass der Verteidiger „nicht an der verbandsinternen Untersuchung mitgewirkt …, sonst an dieser beteiligt gewesen sein oder unmittelbaren Zugriff auf die Erkenntnisse aus der verbandsinternen Untersuchung [gehabt] haben [darf]. Insoweit muss der beauftragte Dritte die entsprechenden organisatorischen Vorkehrungen treffen “102 In der Konsequenz hätte dies ein massives Informationsgefälle zu Lasten 60 der Verteidigung zur Folge und würde zu einem abstrusen Ergebnis führen: Mit der Staatsanwaltschaft würden Zwischenberichte geteilt, mit der Verteidigung – dem Dolmetscher zwischen den Strafverfolgungsbehörden einerseits und dem Unternehmen andererseits – nicht.103 Verteidigung hieße dann, die interne Untersuchung abzuwarten und erst im Anschluss die Verteidigungsarbeit aufzunehmen. Dabei stellt sich aber unweigerlich die Frage, ob die Verteidigung im Namen des Unternehmens die Ergebnisse aus der internen Untersuchung anzweifeln kann – etwa weil die Verteidigung im Rahmen eigener, von der Kooperationsuntersuchung unabhängiger Sachverhaltsaufklärung zu davon abweichenden Erkenntnissen gelangt ist. Würde das den Bonus kosten, weil dies dann keine „umfassende Kooperation“ mehr wäre? Und wie soll ein sowohl die ermittelnde Kanzlei als auch die Verteidigung beauftragender Vorstand quasi janusköpfig mit diesen kommunizieren? Von der einen Kanzlei informiert werden und gegenüber der anderen die Erkenntnisse verschweigen? Das ist schlicht abwegig. Der Wortlaut der Norm ist anders als die Begründung eindeutig und man wird letztere wohl so verstehen können, dass sie sich lediglich auf die Tätigkeit des Verteidigers in der untersuchenden Kanzlei bezieht. Insgesamt muss dem Verteidiger, der sich nach dem VerSanG-E nicht aktiv an der Untersuchung beteiligen darf, jedenfalls die freie Kommunikation sowohl mit dem Verband selbst als auch weiteren Beratern wie der untersuchenden
101 Ausführlich zu dieser Unklarheit Priewer/Ritzenhoff, WiJ 2019, Heft 4, S. 4; Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848, 852. 102 BegrRegE, S. 99; mit einem solchen strengen Verständnis (wohl) z.B. Külz/ Odenthal, PStR 2020, 10, 16 f. 103 Ebenso Schweiger, ZIS 2021, 137, 150.
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Kanzlei ermöglicht werden, damit er die Interessen des Verbands pflichtgemäß vertreten kann.104 61
Ganz nebenbei: Diese „Chinese Walls“ sind für traditionell kleinere Strafverteidigerkanzleien wesentlich weniger einfach vorzuhalten als für internationale Großkanzleien.105 Damit würde klassische Strafverteidigerkanzleien durch das Trennungsprinzip gegenüber Großkanzleien benachteiligt. Sollte also zwischen den Zeilen gewollt gewesen sein, die umfassende „Compliance, White-Collar und Corporate law“-Beratung aus einer Hand begrenzen zu wollen, so ginge dieser Schuss nach hinten los.
62 Interne Untersuchungen im Sinne des Münchner Entwurfs sind dagegen nach § 33 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 lit. c ME-VerSanG ausschließlich solche, die unabhängig und in Abstimmung den Strafverfolgungsbehörden erfolgen sowie den weiteren Voraussetzungen des Gesetzes genügen. Das Merkmal der „Unabhängigkeit“ wird in diesem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und verwandtschaftlichen Unabhängigkeit der Untersuchungsführer zum zu untersuchenden Unternehmen definiert (§ 34 Abs. 2, 3 ME-VerSanG). Da der Verteidiger dabei schlicht keine Erwähnung findet, scheint vom Entwurf vorausgesetzt zu sein, dass auch der Unternehmensverteidiger die interne Untersuchung durchführen darf. Allerdings liegt wohl auch hier der Schwerpunkt zu sehr auf der bloßen Kooperationsuntersuchung. Diese ist nach § 34 ME-VerSanG die einzig ausführlich definierte, die auch nur den zwingenden Bonus bringt. Letztlich führt hier die Staatsanwaltschaft die Regie und der Vorwurf, dass Unternehmen zum gegen sich selbst erhobenen verlängerten Arm der Staatsanwaltschaft würden, liegt auf der Hand.
c) Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens, § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E aa) Inhalt 63
Für die Befragung von Mitarbeitern (im Reg-E nunmehr: „Befragte“106) im Rahmen von internen Untersuchungen regelt § 17 Abs. 1 Nr. 5 Ver104 Ebenso Szesny/Stelten, ZRP 2020, 130, 131. 105 S.a. Priewer/Ritzenhoff, WiJ 2019, Heft 4, S. 1; generell krit. ggü. deren Einsatz in dieser Konstellation Köllner, NZI 2020, 60, 63. 106 Dass die Änderung von „Mitarbeiter“ in „Befragte“ eine der wenigen Unterschiede zwischen Ref-E und ReG-E ist, verwundert. Erfasst sind damit auch Dritte wie Lieferanten, oder etwa ehemalige Mitarbeiter und Vorstände. Wie-
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SanG-E107, dass diese nur dann zur Sanktions-Milderung beitragen, wenn die Befragungen „unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens“ durchgeführt worden sind. Befragte sind vor der Befragung über die Verwertbarkeit ihrer Aussagen 64 in einem späteren Strafverfahren (lit. a) sowie über ihr Recht auf Beiziehung eines Anwalts oder Betriebsratsmitglieds (lit. b.) zu belehren. Schließlich steht ihnen nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. c VerSanG-E auch das Recht zu, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung sie selbst (oder die in § 52 Abs. 1 StPO genannten Angehörigen) gefährden würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Auch hierauf sind die Befragten vor der Befragung hinzuweisen. Die Überprüfbarkeit der Einhaltung dieser Anforderungen wird durch § 17 Abs. 2 VerSanG-E gewährleistet, der eine entsprechende Dokumentationspflicht des Verbandes statuiert, wobei unklar bleibt, ob eine Milderung aufgrund einer mangelhaften Dokumentation versagt werden kann.108 Diese Anforderungen entsprechen bereits heute einer „Best Practice“ bei der Durchführung von Mitarbeiterbefragungen, auch wenn dies unter Hinweis auf die arbeitsrechtliche Rechtsprechung teilweise anders gesehen wird.109 Obwohl es dabei grundsätzlich um das Verhältnis Privater zueinander und damit um einen der Geltung des nemo-teneturGrundsatzes grundsätzlich entzogenen Bereich handelt, ordnet der Gesetzgeber diese nun ausdrücklich an. Die Begründung des Entwurfs setzt sich insofern ausführlich mit den verschiedenen Versuchen auseinander, das Dilemma zwischen Aufklärungsinteresse einerseits und Rechten des Mitarbeiters andererseits zu lösen.110
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so sich diese von einem Betriebsrat begleiten lassen sollen, erschließt sich schon einmal nicht. Baur/Holle, ZRP 2019, 186, 188 halten diese Regelung jedoch für „nur halbherzig“. Der Reg-E äußert sich hierzu nicht, vgl. Begr. RegE, S. 103. S. zuletzt Giese, ZIP 2020, 498; anders hingegen Tödtmann/von Erdmann, NZA 2020, 1577, 1583, welche die Regelungen des VerSanG ins Verhältnis zur Rechtsprechung des BAG setzen und hierin eine sinnvolle arbeitsrechtliche Absicherung der strafprozessualen Schweigepflicht sehen. S. zur Kombination von Aussagezwang und Beweisverwertungsverbot einerseits und „Widerspruchslösung“ andererseits Begr. RegE, S. 102.
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66 Im Ergebnis entscheidet sich der Entwurf für das durch § 17 Abs. 1 VerSanG-E aufgestellte „Anreizmodell“, wonach das Unternehmen nur dann für seine Aufklärungsbemühung mit einem gesetzlich festgelegten Kooperationsbonus rechnen kann, wenn es dabei auch die rechtsstaatlichen Standards gegenüber seinen Mitarbeitern wahrt.
bb) Kritik: Ausreichender Schutz der betroffenen Mitarbeiter? 67
An diesem Ansatz wird zunächst kritisiert, dass er nicht umfassend genug sei. So wird insbesondere darauf hingewiesen, dass bei einer Missachtung der Anreizwirkung durch den Verband bzw. bei einem Verstoß gegen die Regeln des § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E dies nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führe.111 Der Entwurf begründet die Entscheidung gegen ein solches Beweisverbot damit, dass dies einerseits dazu führen würde, dass die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Interviewprotokolle in die Hände der privaten Untersuchungsführer gelegt werde.112 Andererseits würde ein Beweisverwertungsverbot aufgrund der fehlenden Fernwirkung den jeweiligen Zeugen auch nur eingeschränkt schützen.113
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Diese Gefahr sieht der der Münchner Entwurf nicht, da er in § 35 Abs. 2 Satz 4 ME-VerSanG ein Verwertungsverbot von Mitarbeiteraussagen im Rahmen der internen Untersuchungen vorsieht, wenn diese zuvor nicht vollständig belehrt worden sind. Ausweislich der Begründung gilt das Verwertungsverbot dann auch für die staatlichen Ermittlungsbehörden.114
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Es ist erfreulich, dass der Referentenentwurf die lang gehegte Forderung des fairen Umgangs mit den Mitarbeitern115 erstmals regelt. Dass sich nun ausgerechnet aus der Verteidigung hiergegen Widerstand regt,116 ist 111 Mit dieser Kritik insb. von Galen, LTO v. 21.9.2019 (https://www.lto.de/ recht/hintergruende/h/gesetzentwurf-unternehmenssanktionen-kritik-straf verteidiger-interne-ermittlungen/); Baur/Holle, ZRP 2019, 186, 188; ebenso die Stellungnahme des DAV, NZG 2020, 298, 304. 112 Begr. RegE, S. 102. 113 Begr. RegE, S. 102. 114 Begründung zum Münchner Entwurf, S. 88. 115 Dazu unter ausdrücklicher Bezugnahme auf „fair trial“ bereits Knauer/Buhlmann, AnwBl. 2010, 387, 388; Roxin, StV 2012, 116, 118 f.; Knauer, NStZ 2013, 192, 193. 116 Salditt, im Rahmen des X. StV-Symposiums am 1.2.2019, StV 2019, 718, 719; ebenso auch von Galen, LTO v. 21.9.2019 (https://www.lto.de/recht/hinter gruende/h/gesetzentwurf-unternehmenssanktionen-kritik-strafverteidiger-in
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deshalb nicht ganz nachvollziehbar. Salditt hat kritisiert, dass diese Strafmilderung bei fairer Behandlung der Mitarbeiter und Anerkennung von deren Schweigerecht mit der Aufklärungspflicht des Unternehmens und dessen Streben nach der materiellen Wahrheit im Rahmen der unabhängigen Untersuchung kollidiere.117 Dies mag sein. Der Entwurf wägt aber beide Interessenlagen schlicht gegeneinander ab und entscheidet sich letztlich für den Vorrang der fairen Behandlung der Mitarbeiter. Dem ist auch Sicht der Unternehmensverteidigung nichts entgegenzuset- 70 zen: Dem Entwurf ist nämlich gerade nicht zu entnehmen, dass das Unternehmen seinen Kooperationsbonus verliert, wenn sich theoretisch alle Mitarbeiter dazu entscheiden würden, von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Die Kooperation des Unternehmens ist vielmehr von der Kooperationsbereitschaft der betroffenen Mitarbeiter entkoppelt.118 Denn Sanktionsmilderungsbonus gibt es demnach sogar dann, wenn die Mehrheit der Mitarbeiter die Auskunft verweigert.119 Auch das ist ein Statement. Auch hier liegt das Problem aber in der bloßen Regelung im Rahmen des Anreizsystems der Sanktionszumessungsnorm. Weil der faire Umgang mit den Mitarbeitern damit eben nicht für jede Art der Untersuchung normiert wird, leistet der Entwurf die behauptete Rechtssicherheit und Entscheidung der Streitfrage „nemo-tenetur für Mitarbeiter?“ gerade nicht.
terne-ermittlungen/); DAV Stellungnahme, NZG 2020, 298, 304; Sartorius/ Schmidt, wistra 2020, 393, 397 f. 117 Salditt, im Rahmen des X. StV-Symposiums am 1.2.2019, StV 2019, 718, 719. Zu dieser Kollision s. auch Brouwer, AG 2019, 920, 923. 118 So (wohl) auch Aszmons/Herse, DB 2020, 56, 58. Anders sehen dies jedoch der DAV in seiner Stellungnahme, NZG 2020, 298, 304 sowie Schneider/ Priewer, Compliance September 2019, 7. Letztere verstehen insofern Nr. 5 nicht als Konkretisierung der Anforderung eines wesentlichen Aufklärungsbeitrags aus Nr. 2. Vielmehr gehen sie davon aus, dass bei einer Aussageverweigerung befragter Mitarbeiter, welche eine Aufklärung wesentlicher Fragen durch die Untersuchung beeinträchtigt, aufgrund des § 17 Abs. 1 Nr. 2 nur noch ein allgemeiner Milderungsgrund in Betracht komme. Vgl. auch von Galen, LTO v. 21.9.2019 (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ge setzentwurf-unternehmenssanktionen-kritik-strafverteidiger-interne-ermitt lungen/). 119 Für die Verdeutlichung dieser Lesart durch den Gesetzgeber plädiert Schweiger, ZIS 2021, 137, 153.
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4. „Quasi-Obliegenheit“ zur Kooperation 72
Bei allen positiven Folgen einer vorbildlichen Kooperation des Unternehmens darf nicht aus den Augen verloren werden, dass dessen Verteidigungsrechte gerade dadurch aber auch in erheblichem Maße eingeschränkt werden. Schließlich wird die Unternehmensführung durch das wohlgemeinte Anreizmodell vor die Wahl gestellt: Der Vorstand muss sich „zur Stunde Null“ – also dann wenn er sich durch die Verfolgungsbehörden mit einem gegen das Unternehmen gerichteten Verdacht konfrontiert sieht – für oder gegen eine Kooperation, also eine Verteidigungsuntersuchung oder eine unabhängige unternehmensinterne Untersuchung (oder auch beides parallel?) entscheiden.120
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Daher hilft es rechts-praktisch wenig, dass die aktuelle Entwurfsbegründung nicht nur auf den Begriff der Obliegenheit121 verzichtet, sondern auch ausdrücklich davon spricht, dass für den Verband keine „Anzeigepflicht oder eine Verpflichtung zur sofortigen Mitteilung der Ergebnisse“ besteht.122 Tatsächlich wird dem Verband aber nichts anders übrig bleiben, möchte er sich nicht sehenden Auges um den Kooperationsbonus bringen.
IV. Fazit 74
Ein Sanktionsrecht für – oder besser gesagt gegen – Unternehmen ist grundsätzlich zu befürworten. Denn trotz aller dogmatischen Einwände, aufgrund derer ein selbstständiges Unternehmensstrafrecht weiterhin abgelehnt wird,123 ist das geltende Recht nicht in der Lage, die zahlreichenden Aspekte der Aufarbeitung strafrechtlicher Sachverhalte im Unternehmen hinreichend zu erfassen. Insbesondere bei der Durchführung von internen Untersuchungen und deren Auswirkungen auf Strafverfahren fehlt es bislang an einem sicheren Rechtsrahmen. Die §§ 30, 130 OWiG werden von den Staatsanwaltschaften höchst unterschiedlich gehandhabt. Hier ist eine Neuregelung sinnvoll.
75 Der vorliegende Entwurf leistet dies aber nicht vollumfänglich. Die Einhaltung des Fairnessprinzips gegenüber den befragten Unternehmensmitarbeitern, deren Belehrung, die Gewährung eines Schweigerechts, 120 121 122 123
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Ebenso Szesny/Stelten, ZRP 2020, 130, 132. So noch der Referenten-Entwurf vom 15.8.2019, dort S. 100. Begr. RegE, S. 100. S. etwa Beck/OK/StGB/Momsen/Laudien, § 14 Rz. 31.
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das Stellen eines Anwalts und Forderung nach größtmöglicher Unabhängigkeit und Objektivität der internen Untersuchung entsprechen zweifelsohne den Forderungen aus der Praxis ebenso wie die Klärung der prozessualen Stellung des Unternehmens. Interne Untersuchungen werden jedoch einerseits eben nicht rechtsverbindlich normiert und andererseits mit einseitiger Konzentration auf das Kooperationsziel im Strafverfahren in ein zu starres Konzept gezwungen, wohingegen die gleichrangigen, manchmal sogar primär gesellschafts-, arbeits- und haftungsrechtlichen Implikationen hintenangestellt werden. Erschreckend ist das Misstrauen gegenüber der (Unternehmens-)Vertei- 76 digung, das durch das beabsichtigte Trennungsprinzip zum Ausdruck gebracht wird. Der Entwurf geht von einem völlig falschen Bild der Durchführung von internen Ermittlungen und von dem moderner Unternehmensverteidigung aus. Unternehmen werden wegen der funktionalen Trennung von Verteidigung und Untersuchung und der damit verbundenen Doppelung von Anwaltskapazitäten künftig mit erheblichen Mehrkosten belastet werden, ganz zu schweigen von den vorgesehenen unverhältnismäßig hohen Sanktionsobergrenzen bei gleichzeitiger Einziehung. Der nahezu unbegrenzte Zugriff auf Unterlagen der internen Ermittlung tut sein Übriges. Es bedarf also noch einiger Nachbesserung, um aus der „bitteren Pille“, die der Entwurf derzeit für die Unternehmen darstellt, einen „großen Wurf“ zu machen.
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Bericht über die Diskussion des Referats Knauer Dr. Florentine Schulte-Rudzio Rechtsreferendarin, Kammergericht Berlin 1
Die Diskussion im Anschluss an das Referat von Herrn Prof. Dr. Knauer zum aktuellen Stand des Verbandssanktionengesetzes wurde von Frau Prof. Dr. Langenbucher moderiert.
2 Die Diskussion eröffnete Frau Dr. Junker. Sie bedankte sich für das Referat und führte aus, sie teile die Kritik von Herrn Prof. Dr. Knauer an dem Gesetzesentwurf. Aus ihrer Sicht laufe das geplante Gesetz einerseits bei besonders gravierenden Fällen – wie z.B. Wirecard – im Ergebnis ins Leere; andererseits seien die Anforderungen besonders für kleinere und mittlere Unternehmen sehr hoch. Sie fragte Herrn Prof. Dr. Knauer, ob er erwarte, dass die Kritik des Bundesrates von der Bundesregierung berücksichtigt werde. Die Bundesregierung habe sich ja vorbehalten, in einigen Punkten die Kritik noch prüfen zu wollen. 3 Herr Prof. Dr. Knauer antwortete, der Bundesrat habe die richtigen Kritikpunkte adressiert, sich aber zur zentralen Frage, ob das Schuldprinzip auf Unternehmen Anwendung finden könne, nicht geäußert. Die Verbandsgeldsanktion weise einen strafähnlichen Charakter auf, obwohl der Gesetzesentwurf sich hiervon distanziere und damit gerade nicht entschieden habe, ob das Schuldprinzip aus Sicht des Gesetzgebers auch für Unternehmen Geltung beanspruche. Auch habe der Bundesrat die Höhe der Verbandsgeldsanktion – 10 Prozent des weltweiten Konzernumsatzes – nicht in seiner Stellungnahme kritisiert, obwohl dem Referenten bekannt sei, dass einige Bundesländer mit dieser Grenze nicht einverstanden seien. Stattdessen habe sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme – offenbar politisch motiviert – auf kleinere und mittlere Unternehmen konzentriert. 4 Für die weitere Diskussion schlug Frau Prof. Dr. Langenbucher vor, zunächst Fragen zu sammeln; Herr Prof. Dr. Knauer solle dann im Anschluss auf die gesammelten Fragen eingehen. 5 Herr Prof. Dr. Bachmann führte aus, dass gegen den Entwurf teilweise angeführt werde, dass Unternehmen sich durch die neuen Regelungen
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zur Kooperation gezwungen sähen; der entsprechende Regelungsmechanismus der §§ 16 ff. VerSanG-RegE stünde danach im Konflikt mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz. Hier stelle er sich die Frage, ob sich bei den Individualpersonen nicht die gleiche Problematik stelle. Ferner bat Herr Prof. Dr. Bachmann den Referenten um seine Einschätzung hinsichtlich des Abschlusses des Verfahrens durch sog. „Deals“ mit der Staatsanwaltschaft. Werde in der Praxis nicht der Deal mit der Staatsanwaltschaft der Hauptanwendungsfall sein und würden dadurch die rechtlichen Probleme des Gesetzes entschärft werden? Frau Prof. Dr. Windbichler bat den Referenten zu erläutern, wie vor 6 dem Hintergrund des Verbandssanktionengesetzes das Prinzip der wirtschaftlichen Einheit zu verstehen sei. Der Begriff sei zwar – wie Herr Prof. Dr. Knauer ausgeführt habe – im Kartellrecht bekannt, aber nicht unumstritten. Als Beispiel führte sie das Rechnungslegungsrecht an. Dort genüge für die Konsolidierung in der Konzernbilanz eine Beherrschungsmöglichkeit, die sehr formal definiert werde. Die Ausübung der Beherrschung sei nicht erforderlich. Frau Prof. Dr. Windbichler führte weitere Beispiele für den aus ihrer Sicht problematischen Begriff der wirtschaftlichen Einheit an; es stelle sich die Frage, wie diese Probleme im Zusammenhang mit einem Verbandssanktionengesetz zu sehen seien. Herr Prof. Dr. Knauer entgegnete, die Frage nach einem Verstoß gegen 7 den nemo-tenetur-Grundsatz von Prof. Dr. Bachmann sei mit Blick auf den Regelungsmechanismus der §§ 16 ff. VerSanG-RegE aus seiner Sicht ein Randthema. Der banale Unterschied diesbezüglich sei, dass der Individualtäter wisse, ob er „es war“ oder nicht. Der Unternehmensvorstand, der über die Kooperation mit den Behörden entscheiden müsse, wisse zu diesem frühen Zeitpunkt im Verfahren hingegen nicht, ob die vorwurfsgegenständlichen Sachverhalte überhaupt so passiert seien und tatsächlich strafrechtliche Relevanz – erheblichen Ausmaßes – hätten. Und in diesem Fall, so der Referent, räume der Gesetzesentwurf dem Unternehmensvorstand nicht die Möglichkeit ein, auf angemessener Informationsbasis nach § 93 AktG zu entscheiden, ob er mit den Behörden kooperiere. Nach der Begründung des Gesetzes müsse der Unternehmensvorstand sofort bzw. innerhalb kürzester Frist entscheiden; wenn dies nicht geschehe, habe das Unternehmen seinen Kooperationsbonus verwirkt. Der Entwurfsverfasser Herr Dr. Korte (BMJV) sei diesbezüglich der Meinung, das Unternehmen könne in diesem Fall weiterhin die „nor-
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Schulte-Rudzio – Bericht über die Diskussion des Referats Knauer
male“ Sanktionsmilderung erlangen; allerdings bliebe die gesetzliche vorgesehene zwingende Reduktion um 50 % jedenfalls verloren. Der Kern des Problems liege in der Frage, ob der Vorstand wisse, ob an dem Problem etwas dran sei oder nicht. Erfahre der Vorstand frühzeitig (vor strafrechtlichen Ermittlungen gegen das Unternehmen) von einem strafrechtlich relevanten Vorgang, könne er sich – durch eine interne Untersuchung des Vorgangs – eine angemessene Informationsgrundlage verschaffen, aufgrund derer er später die Entscheidung über die Kooperation treffen könne; der Vorstand nähme dann eine Abwägung dahingehend vor, ob er mit dem Vorfall auf die Staatsanwaltschaft zugehen solle oder zunächst abwarte. Anders liege der Fall, wenn der Vorstand – z.B. im Fall einer Durchsuchung – erst durch die Behörden auf den Vorgang aufmerksam werde; da dann andere Erkenntnisquellen fehlten. So wisse der Vorstand etwa bei Vorliegen eines Durchsuchungsbeschlusses nicht, ob der dort beschriebene Sachverhalt in dieser Weise zutreffend sei. Aus seiner Berufserfahrung könne er indes berichten, dass sich Vorwürfe später auch als haltlos erweisen könnten. Da dies im Zeitpunkt der Entscheidung jedoch meist unklar sei, treffe der Vorstand nach seiner Erfahrung häufig eine stark emotional geprägte Entscheidung, ob er kooperieren oder sich verteidigen wolle. Eine Entscheidung auf angemessener Informationsbasis i.S.d. § 93 AktG sehe aber anders aus. Es bestehe folglich ein „Stunde-Null-Problem“; der Vorstand müsse im Fall einer Durchsuchung sofort entscheiden, wie er sich verhalte, weil er sonst den Bonus der zwingenden Sanktionsmilderung verliere. 8 Im Anschluss ging Herr Prof. Dr. Knauer auf die zweite Frage von Herrn Prof. Dr. Bachmann – hinsichtlich des Deals – ein. Heute – unter Geltung des § 30 OWiG – sei ein Deal zwischen Unternehmen und Staatsanwaltschaft üblich; es werde dann häufig eine Geldbuße gegen das Unternehmen in einem Bußgeldbescheid festgesetzt. Ziel der Verteidigung sei es, aus Reputationsgründen die Öffentlichkeit einer Hauptverhandlung zu vermeiden. Der andernfalls eintretende Reputationsschaden sei so erheblich, dass es letztlich fast irrelevant sei, wenn am Ende des Verfahrens ein Freispruch stehe. Das Ziel der Unternehmen sei es, nicht „auf der Anklagebank“ sitzen zu müssen, sondern vorher einen Weg zur Verfahrensbeendigung zu finden. Das VerSanG-RegE sehe entsprechende Lösungen vor; zuvorderst sei der Sanktionsbescheid des § 50 VerSanGRegE zu nennen, der der bisherigen Praxis sehr nahe komme. Es handele sich um eine Art Strafbefehlsverfahren, bei dem das Gericht nur noch die vereinbarte Sanktion bestätigen müsse.
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Anschließend ging Herr Prof. Dr. Knauer auf die Frage von Frau Prof. Dr. Windbichler ein. Er könne nur berichten, dass die Entwurfsbegründung letztlich vollumfänglich auf das Kartellrecht Bezug nehme. Von dem Entwurf werde „irgendeine Beherrschung“ gefordert, es müsse jedoch kein Beherrschungsvertrag vorliegen. Mehr Mühe mache sich der Entwurf, mit all den damit einhergehenden Problemen, die Frau Prof. Dr. Windbichler beschrieben habe, nicht.
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Frau Prof. Dr. Langenbucher warf daraufhin ein, dass es ja vielleicht noch eine teilweise Nachbesserung des Entwurfes im weiteren Gesetzgebungsverfahren geben werde. Herr Prof. Dr. Knauer erwiderte, dass dies nach bisherigem Vernehmen aus dem politischen Raum eher nicht der Fall sein dürfe. Abschließend führte er aus, dass es weitere kritikwürdige Bereiche im Gesetzesentwurf gebe, etwa im prozessualen Abschnitt. Insbesondere sei diesbezüglich das Auseinanderfallen der Zuständigkeiten der Verfolgungsbehörden zu nennen, da § 130 OWiG neben dem VerSanGRegE bestehen bliebe. Zu begrüßen sei allerdings, dass als Folge des Gesetzesentwurfs das Gesellschafts- und das Wirtschaftsstrafrecht näher zusammenrückten.
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Stichwortverzeichnis Die Angaben beziehen sich auf die Seitenzahlen. Abfindung 2 Abfindungsguthaben 2 Abfindungsklausel 21 Abschlussbericht 144 f. Actio pro socio 21 Altverbindlichkeiten 2 Anfechtungsmodell 25 f., 31 Anreizmodell 152, 154 An- und Abwachsung 19, 29 Anzeigepflicht 110 ff., 142, 154 Aufklärungshilfe 141 Aufsichtsrat 9 f., 41, 43, 102 – Liste 10 Außengesellschaft 16, 19, 31 Beihilfen 63 ff., 72, 75 – Befristeter Rahmen 66 f. Bekanntmachungszeitpunkt 11 f. Berufsrecht 25, 30, 32 Beschlussmängelrecht 16, 25 f., 28 – Anfechtungsklage 25 f. – Anfechtungsmodell 25 f., 31 – Beschlussfixierung 26 Besonderer Vertreter 10 Business judgment rule 101, 109, 114, 116 f., 119, 121, 138, 143 Chinese Walls 150 Compliance 125, 150, 139 – Corona-Krise 77 – Mangel 129 – Maßnahmen 128 – Struktur 128 COVInsAG 69, 75 ff., 91, 94 D&O-Versicherung 104, 108, 115 Dauergesellschaft 21 Debitorisches Konto 6 Diligentia quam in suis 21 Distressed Debt 113, 120
Dokumentationspflicht 151 Doppelvertretung 9 Eigenkapital 2, 63, 101 Eigenkapitalmaßnahmen 73, 90 Eigenverwaltung 85, 95, 108 ff. Eingetragene Gesellschaft 5 – Namenszusatz 22 Einlage 4, 13 Eintragungspflicht 23 Eintragungswahlrecht 22 ff. Einziehung 2, 4, 6, 135 f., 155 Europäisches Patentamt 23 Externe Untersuchungsführer 125, 140 Fortführungsfähigkeit 71, 83, 88 Fortführungsprognose 81, 90, 98, 103 Freie Berufe 20, 24 f., 29 f., 32, 128 – Haftungsbeschränkung 16, 24 f. – Kapitalgesellschaft 24 – Personengesellschaft 16, 20, 29 – Versicherungspflichten 25 Fremdkapitalmaßnahmen 73, 90 GbR 18 ff., 22 ff., 26 – Anteil 19 – Auffangfunktion 26 – Publizitätsdefizit 22 f. – Rechtsfähigkeit 15, 18 – Voreintragungsobliegenheit 23 f. Gelegenheitsgesellschaft 18, 27 Gesamtgläubigerschaden 115, 119 Gesamthand 18 ff., 28 – Eheliche Gütergemeinschaft 19 – Erbengemeinschaft 19 – Gesamthandsprinzip 20, 28 f. – Rechtsfähigkeit 15 Geschäftsanteil – herrenlos 14 – Verwertung 4
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Stichwortverzeichnis Gesellschaft – als Organisation 21 – Auflösung 21 – eingetragene 5, 22 – Rechtsfähigkeit 16, 19 f., 23 – unternehmenstragende 18, 21 – Vermögen 5, 7, 19, 107, 116 – Vermögensfähigkeit 19 – Zweck 21 Gesellschafter – Ausscheiden 10, 19, 21 – Ausschluss 4, 13 f., 21 – gemeinsame Zweckverfolgung 26 Gesellschafterliste 14 Gesellschafterversammlung 26, 31, 78, 120 f. Gesellschaftsregister 22 Gesellschaftsvertrag 2, 4, 26 f., 31 Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen s. StaRUG Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs-und Insolvenzrechts s. SanInsFoG Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID19-Pandemie bedingten Insolvenz s. COVInsAG Grundsatz fairen Verfahrens 150 f. Gutglaubenserwerb 23
Insolvenzanfechtung 7, 81 Insolvenzantragspflicht 69 f., 76 ff., 88, 94, 98, 103, 111 f., 115 f. – Aussetzung 69 f., 76, 78 f., 81, 94 Insolvenzforderung 2 f., 106 – Abfindungsforderung 2 f. Insolvenzplan 5, 8, 13, 86, 95 f., 102 Insolvenzverschleppung 80, 90, 112 – Haftung 119 Insolvenzverwalter 3, 7 ff., 106, 108, 109 ff., 114, 116 f., 119, 121 – Firmenänderung 7 ff. – Klagebefugnis 9 Interne Untersuchungen 137 ff., 145 f., 149 f., 158
Haftung – Geschäftsführer 14, 87, 109, 114, 118 – Geschäftsleiter 77 f., 87, 89 f., 95, 99 ff., 118 – Gesellschafter 28 – Insolvenzverschleppung 119 – Kommanditist 2 f. – Reorganisationsverschleppung 100, 119 f.
Mauracher Entwurf s. MoPeG Mauracher Kommission s. MoPeG Mitarbeiterbefragungen 150 f. MoPeG 16 ff., 20, 118 – Gesetzgebungsverfahren 18, 27 – Mauracher Entwurf 17 ff., 28 f., 31, 118 – Mauracher Kommission 17, 19, 24 Mehrheitsklausel 26 f. 31
Immunität 127 f. Innengesellschaft 19, 31
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Kaduzierung 13 Kapitalerhaltung 2 Kaufmannsbegriff 21, 13, 29 Kleingewerbetreibende 20 Kodifikationsidee 16 f., 31 Kommanditist 1 ff. Konzernumsatz 134 ff., 156 Kooperation 141 ff. Kooperationsbereich 8 Legalitätsprinzip 131, 141 Legitimationswirkung 23 Liquiditätshilfen 69 f., 72, 74, 82, 88 Liquiditätsplanung 90 Loan to Own-Strategien 113, 120
Nachhaftung 2 Nemo-tenetur-Grundsatz 151, 153, 157
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Stichwortverzeichnis Neuverbindlichkeiten 2 Nichtigkeitsfeststellungsklage 8 f. Partnerschaftsgesellschaft 24 f., 32, 128 Pflichtverletzung 100 f., 131 Rechtsformkontrolle 13 Registerauszug 22 Registergericht 5 ff., 13, 23 Reorganisationsverschleppungshaftung 100, 119 f. Restrukturierungsplan 85 f., 96, 101 f. Restrukturierungsrichtlinie 86, 89 Restrukturierungsverfahren 71, 86 f., 94 f., 97 f., 99, 101 f., 110 ff., 120 Rettung von Unternehmen 62 ff. – deutsches Konzept 68 f. – Gesamtkonzeption 62, 68, 71, 83, 91 SanInsFoG 71, 76, 81, 84 f., 87, 94 ff. Schiedsfähigkeit 27 Selbstorganschaft 20, 29 Shift of fiduciary duties 99, 112 Sicherung oder Wiederherstellung der Fortführungsfähigkeit 71, 83, 88 Staatliche Beihilfen s. Beihilfen StaRUG 95 ff., 114 ff., 71, 84 ff., 89 ff. Tagesordnung – Ergänzung 11 ff., 42 Tochtergesellschaft 129 f. Tod eines Gesellschafters 21 Trennungsprinzip 146 f., 150, 155
Überschuldungsbegriff 97, 103 f. Überschuldungsprüfung 81, 90, 97 – Prognosezeitraum 81, 90, 97, 103 Unternehmensbegriff 20 Unternehmensbewertung 22 Unternehmensstrafrecht 124 ff. Verbandsgeldsanktion 126, 132, 135 f., 156 Verbandsinterne Untersuchung s. Interne Untersuchung Verbandskontinuität 21 Verbandssanktionengesetz 124 ff. – Anwendungsbereich 127, 133 – Münchener Entwurf 125, 131, 133, 136 – Sanktionsmilderung 137, 141 f., 144, 147, 158 – Sanktionszumessung 131 f., 139, 153 Verbandsverantwortlichkeit 125, 128, 130 f., 141 Verdrängungsbereich 9 VerSanG-E 123 ff. Verschulden 129 f. Voreintragungsobliegenheit 23 f. Wesentlicher Beitrag zur Aufklärung 141 WIPO 23 Zahl der Unternehmensinsolvenzen 69, 79 Zahlungsverbot 76 ff., 103 f., 109, 118 f. Zombieunternehmen 70, 81 Zurechnungsmodell 126, 128
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Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 1 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 1999, 146 S., brosch. 29,80 7. ISBN 978-3-504-62701-0 Bd. 2 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2000, 281 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62702-7 Bd. 3 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2000 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 200 S., brosch. 38,– 7. ISBN 978-3-504-62703-4 Bd. 4 – Umwandlungen in den neuen Bundesländern nach der Rechtsprechung des BGH Von RiLG Dr. Guido Wißmann, RiLG Dr. Markus Märtens und VorsRiLG Dr. Enno Bommel. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 171 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62704-1 Bd. 5 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2002, 205 S., brosch. 42,80 7. ISBN 978-3-504-62705-8 Bd. 6 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 204 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62706-5 Bd. 7 – Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling Von RA Dr. Jochen Vetter und RA Dr. Christoph Stadler. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 168 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62707-2
Bd. 8 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2004, 195 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62708-9 Bd. 9 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2005, 187 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62709-6 Bd. 10 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 179 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62710-2 Bd. 11 – Die GmbH-Reform in der Diskussion Sondertagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62711-9 Bd. 12 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2007, 226 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62712-6
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Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 13 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2008, 196 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62713-3 Bd. 14 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2009, 206 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62714-0 Bd. 15 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2010, 182 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62715-7 Bd. 16 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2011, 254 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62716-4 Bd. 17 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2012, 215 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62717-1 Bd. 18 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2013, 205 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62718-8 Bd. 19 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2014, 166 S., brosch. 44,80 7. ISBN 978-3-504-62719-5 Bd. 20 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2015, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62720-1 Bd. 21 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2016, 192 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62721-8 Bd. 22 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2017, 252 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62722-5 Bd. 23 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2018, 226 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62723-2 Bd. 24 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2019, 208 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62724-9 Bd. 25 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2019 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2020, 200 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62725-6