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German Pages 273 [276] Year 2000
STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR
Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil
Band 80
Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit
Herausgegeben von Kilian Heck und Bernhard Jahn
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000
Redaktion des Bandes: Georg Jäger
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Genealogie als Denkform in Mittelalter und früher Neuzeit / hrsg. von Kilian Heck und Bernhard Jahn. - Tübingen : Niemeyer, 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; Bd. 80) ISBN 3-484-35080-6
ISSN 0174-4410
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Geiger, Ammerbuch
Vorwort
Der vorliegende Band dokumentiert die Referate einer Tagung, die im Dezember 1995 in den Räumen des Warburg-Hauses in Hamburg stattgefunden hat. Damals trafen sich die beiden DFG-Graduiertenkollegs »Kunst im Kontext« der Philipps-Universität Marburg und »Politische Ikonographie« der Universität Hamburg. Die Beiträge wurden überarbeitet und um die Aufsätze von Beate Kellner, Wolfgang Brückle, Sara Paulson Eigen und Staffan Müller-Wille ergänzt. Den Herausgebern bleibt die angenehme Pflicht, all jenen zu danken, die das Zustandekommen der Tagung und der Drucklegung möglich gemacht haben. Insbesondere seien hier die beiden damaligen Sprecher der Graduiertenkollegs, Ulrich Schütte und Martin Warnke, erwähnt und nicht zuletzt Ingrid Riedel, der die undankbare Aufgabe oblag, das druckfertige Manuskript zu erstellen.
K.H., B.J.
Inhalt
Kilian Heck / Bernhard Jahn Einleitung: Genealogie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Leistungen und Aporien einer Denkform
I. DER GENEALOGISCHE ANFANG Beate Kellner Aspekte der Genealogie in mittelalterlichen und neuzeitlichen Versionen der Melusinengeschichte
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Wolfgang Brückle Noblesse oblige. Trojasage und legitime Herrschaft in der französischen Staatstheorie des späten Mittelalters
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II. DIE GENEALOGISCHE KETTE
Bernhard Jahn Genealogie und Kritik. Theologie und Philologie als Korrektive genealogischen Denkens in Cyriacus Spangenbergs historiographischen Werken
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Sara Paulson Eigen A Mother's Love, a Father's Line: Law, Medicine and the 18th-Century Fictions of Patrilineal Genealogy
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Staffan Müller-Wille Genealogie, Naturgeschichte und Naturgesetz bei Linne" und Buffon
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III. DER GENEALOGISCHE RAUM
Ulrich Schütte Sakraler Raum und die Körper der Fürsten. Schloßkapellen und genealogisches Denken in den thüringischen Territorien um 1700
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Inhalt
Kilian Heck Genealogie als dynastische Sphärenbildung. Herzog Ulrich zu Mecklenburg in Güstrow
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Frank Druffher Genealogisches Denken in England: Familie, Stammsitz und Landschaft
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Jörg Jochen Berns Baumsprache und Sprachbaum. Baumikonographie als topologischer Komplex zwischen 13. und 17. Jahrhundert
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Wolfgang Kemp Genealogie und Gewölbe. Zu zwei Gewölben Madem Gertheners in Frankfurt am Main
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Abbildungsverzeichnis
199
Abbildungen
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Personenregister
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Genealogie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Leistungen und Aporien einer Denkform
»Genealogie heißt die Wissenschafft die Vorfahren eines Geschlechts in gehöriger Folge anzugeben. Dahero wirds auch die Geschlechts-Kunde genennet.«1 Noch über ein Jahrhundert später scheint sich an dieser Definition von Genealogie aus Zedlers Universal-Lexicon von 1735 nichts Wesentliches geändert zu haben, wenn etwa Wilhelm Schulz im Jahre 1847 Genealogie als »die wissenschaftliche Darstellung des Ursprungs, der Fortpflanzung und des hierdurch begründeten Zusammenhangs der Geschlechter«2 beschreibt. Das Gemeinsame an den Darstellungen von Zedler und Schulz besteht darin, daß sich Genealogie bei ihnen als eine historische Epistemologie der verwandtschaftlichen Verbindungen von Personen darstellt und in diesem Sinn auch als ein wissenschaftsgeschichtlicher Terminus aufgefaßt wurde.3 Es war eine Konsequenz solcher Definitionen, daß sich seit dem 18. Jahrhundert Genealogie nie mehr vom wissenschaftsgeschichtlichen Gebrauch ihres Begriffes hat trennen lassen und schließlich sogar die ursprüngliche Verwendung ihrer Semantik in den Hintergrund trat. So wird etwa bei Nietzsche und Foucault Genealogie als das Modell von der verwandtschaftlichen Abstammung immer wieder auf Probleme der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte ausgedehnt, ohne bei der Verwendung des Begriffes noch an das konkrete Wissen um die verwandtschaftliche Implikation gebunden zu sein.4 Alle diese defmitorischen Erweiterungen machen es schwierig, sich der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs vor den semantischen Veränderungen seit dem 18. Jahrhundert zu nähern. Daß Genealogie auch als ein Argument oder als eine Denkform beschrieben werden kann, das vor allem soll in den folgenden Einzelbeiträgen erhellt werden. Wird Genealogie so verstanden, dann tritt nicht mehr so sehr das wissenschaftliche Theorem in den Vordergrund, sondern vielmehr der Charakter einer kulturellen Ordnungsform mit der Kompetenz, zeitliche und räumliche Relationen herstellen zu können. Bis in das 18. Jahrhundert stand Genealogie ein für eine Vielzahl von Ableitungs- und Kontinuitätsvorgängen, die voneinander geschiedene Einzeldinge oder Personen zusammenbringen konnte, indem sie sie voneinander ableitete. Erst mit Hilfe der Genealogie konnte die Geschichte im Rahmen der aristotelisch-scholastischen Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon, Bd. 10, G-G1. Halle, Leipzig 1735, Neudruck Graz 1994, Sp. 832. Wilhelm Schulz: Genealogie. In: Carl von Rotteck / Carl Welcker (Hg.): Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände. Bd. 5, Altona 1847, S. 537. Genealogie wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar vorübergehend als eigene Universitätsdisziplin etabliert. Vgl. hierzu Eduard Heydenreich: Handbuch der praktischen Genealogie. Leipzig 1913. Zur Verwendung des Begriffs in der Wissenschaftsgeschichte etwa bei Nietzsche und Foucault vgl. Rudi Visker: Michel Foucault: Genealogie als Kritik. München 1991.
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Kilian Heck, Bernhard John
Lehre überhaupt heilsgeschichtliche Dignität erwarten, weil ihre ursprüngliche Minderwertigkeit gegenüber der Philosophie durch die Bildung von kausalen Zusammenhängen, von Universalien aufgewertet wurde.5 Wegen dieser Kapazität wurde Genealogie besonders vom 14. bis zum 18. Jahrhundert zu einem zentralen Regulativ zwischen gesellschaftlicher Kontinuität und Veränderung, indem sie Gedächtnisbildung am sozialen System der Verwandtschaft betrieb. Gleichwohl hatte die Kompetenz des genealogischen Strukturprinzips für soziale Ordnung und Transformation noch grundlegendere Ursachen: Claude Ldvi-Strauss etwa sieht in der menschlichen Eheverbindung allgemein eine anthropologische Grundkonstante. Mit allen daraus ableitbaren Prinzipien stelle sie die früheste Form kulturellen Handelns dar.6 Wolfgang Speyer bezeichnet Genealogie als den »ältesten Versuch einer wissenschaftlich zu nennenden Systembildung« und erkennt in ihr eine »Urform des Weltverstehens.«7 Einen entscheidenden Zugang für die häufige Anwendung genealogischen Denkens am Übergang zur Neuzeit liefert die von Klaus Heinrich betonte Verbindung der Genealogie in ihrer »ursprungsmythischen Geisteslage« mit der rationalisierten Form der deduktiven Logik:8 Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Genealogien nehmen stets einen Probanden zum Ausgangspunkt, von dem aus dieser Einzelne in eine Kette oder in ein mehrsträngiges System eines verwandtschaftlichen Beziehungsgefüges eingebunden und damit im deduktiven Schluß auf das Allgemeine zurückgeführt wird. Die »Macht der Ursprünge erhält sich durch die Kette der genera, der Geschlechter hindurch«; gerade deshalb benennt Heinrich eine doppelte Konsequenz aus der Herleitung vom Ursprung, die »das Individuum erhaltende und zugleich dessen Individualität unterdrückende Qualität«.9 Das Christentum war für einen Beziehungssinn zwischen einzelnen Personen besonders befähigt, handelte es sich doch um eine Religion, die ihren Protagonisten in der Geschichte schon gehabt hatte. Die zahlreichen spätmittelalterlichen Genealogien Christi und Mariae bilden daher einen Prototyp für alle übrigen, weltlichen Genealogien. Sie alle sind das gemeinsame Resultat einer Denkform, bei der erklärt werden mußte, daß es auch nach der heilsgeschichtlichen Finalität, die mit Jesus Christus markiert wurde, >GenealogienGegenwärtigkeitMelusine< - Feenmärchen oder historische Sage? In: Annali della Facolta di Lingue e Letterature Straniere di Ca' Foscari 23 (1984), S. 115-126; Theresia Klugsberger: Die Einbildungen der Melusine-Figur in die Geschichte. In: Georg Schmid (Hg.): Die Zeichen der Historic. Beiträge zu einer semiologischen Geschichtswissenschaft. (Materialien zur historischen Sozialwissenschaft S) Wien, Köln 1986, S. 117-127. Hier S. 121-126; Silke Schilling: Die Schlangenfrau: über matriarchale Symbolik weiblicher Identität und ihre Aufhebung in Mythologie, Märchen, Sage und Literatur. (FrauenForschung FF 2) Frankfurt a. Main 21987, S. 184-197; Ingrid Bennewitz-Behr: Melusines Schwestern. Beobachtungen zu den Frauenfiguren im Prosaroman des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Norbert Oellers (Hg.): Das Selbstverständnis der Germanistik: aktuelle Diskussionen. (Germanistik und Deutschunterricht im Zeitalter der Technologie 1) Tübingen 1988, S. 291300; Ulrike Junk: »So müssen Weiber sein.« Zur Analyse eines Deutungsmusters von Weiblichkeit am Beispiel der >Melusine< des Thüring von Ringoltingen. In: Ingrid Bennewitz (Hg.): >Der frauwen buoch.< Versuch zu einer feministischen Mediävistik. (GAG 517) Göppingen 1989, S. 327-352; Bea Lundt: Melusine und Merlin im Mittelalter: Entwürfe und Modelle weiblicher Existenz im Beziehungs-Diskurs der Geschlechter. München 1991, S. 41-184; dies.: Schwestern der Melusine im 12. Jahrhundert: Aufbruchs-Phantasie und Beziehungsvielfalt bei Marie de France, Walter Map und Gervasius von Tilbury. In: B.L. (Hg.): Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen, Quellen, Antworten. München 1991, S. 233-253; vgl. auch Kurt Ruh: Die >Melusine< des Thüring von Ringoltingen. (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte, 1985, Heft 5) München 1985, S. 5-24.
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Beate Kellner
II Das genealogische Moment der Nachkommenschaft ist schon in den älteren Texten des >Melusinentyps< bei Walter Map,7 Gervasius von Tilbury8 und Gaufredus von Auxerre9 an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert vorhanden. Im Vordergrund stehen jedoch bei Map die Gefahren, die sich aus einer Verbindung mit Dämonen ergeben können, bzw. bei Gervasius und Gaufredus die Sündhaftigkeit des sexuellen Verkehrs mit dämonischen Wesen. Die Geschichten sind durch die Einbettung in die klerikale Dämonologie bzw. in die christliche Sündenlehre religiös funktionalisiert. Die erwähnte >proles< gehört zu den Gaben des Glücks, die von der Dämonin gespendet werden, und sie kann als Argument zur Beglaubigung der Geschichte dienen, insofern es noch bis in die Gegenwart des Erzählers Nachkommen aus der Verbindung mit dem übermenschlichen Wesen gibt. Das genealogische Thema, das hier eher beiläufig erwähnt wird oder den narrativen Rahmen mitbestimmt, rückt als Hinweis auf die Sippe, ihr Herkommen von der Fee und ihre erfolgreiche Verbreiterung bis hin zu den Königen von Cypern und Jerusalem bei Petrus Berchorius, der unserer Quellenlage nach die Geschichte als erster mit den Lusignan verbunden hat, mehr ins Zentrum.10 In den beiden französischen Romanfassungen des Jean d'Arras und Couldrette sowie in ihrer deutschen Adaptation bei Thüring von Ringoltingen11 verschiebt sich das Interesse dann vollends auf die Genealogie eines Hauses, die Probleme seines Ursprungs, des Aufstiegs über die Generationenzäsur hinweg und die möglichen Gründe für einen späteren Verfall.12 Die Romane präsentieren sich als >Geschlechtermythologi-
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Montague Rhodes James (Hg.): Walter Map: De nugis curialium. Revised by Christopher Nugent Lawrence / Roger Aubrey Baskerville Mynors. (Oxford medieval texts) Oxford 1983, Dist. IV, c. 9: In bezug auf die Nachkommenschaft der Fee heißt es z. B. S. 346: »ex illa pulcherrimam prolem suscitat«. Gottfried Wilhelm Leibniz (Hg.): Gervasius von Tilbury: Otia imperialia. (Scriptores renim Brunsviciensium I) Hannover 1707, Prima Decisio, c. 15, S. 895f.: »filiis et filiabus summae pulchritudinis procreatis« (S. 895), »cujus jam successio ad nos usque pervenit« (S. 896); vgl. Felix Liebrecht (Hg.): Gervasius von Tilbury: Otia imperialia. Auswahl. Hannover 1856, S. 4-6. Ferruccio Gastaldelli (Hg.): Goffredi di Auxerre: Super Apocalypsim. (Temi e Testi 17) Roma 1970, Sermo XV, S. 183-191. Hier S. 184-186. Petrus Berchorius, Reductorium morale, zit. nach Lecouteux (1979, Anm. 4) S. 80: »In mea patria pictavia fama est castrum illud fortissimum de Lisiniaco per quendam militem cum fada conjuge fundatum fuisse et de fada ipsa multitudinem nobilium et magnetum originem duxisse et exinde reges Hiersualem et Cipri necnon comites Marchie et illo(s) de Pertiniaco originaliter procecisse.« Zitiert wird nach folgenden Ausgaben: Louis Stouff (Hg.): Molusine. Roman du XlVe siecle. (Publications de l'Universito de Dijon 5) Dijon 1932; Eleanor Roach (Hg.): Le Roman de Molusine ou Histoire de Lusignan par Coudrette, Paris 1982; Thüring von Ringoltingen: Melusine. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Romane des 15. und 16. Jahrhunderts nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten. (Bibliothek deutscher Klassiker 1) Frankfurt a. Main 1990, S. 9-176. Vgl. Jan-Dirk Müller: Melusine in Bern. Zum Problem der >Verbürgerlichung< höfischer Epik im 15. Jahrhundert. In: Gert Kaiser (Hg.): Literatur - Publikum - historischer Kontext. (Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte 1) Bern, Frankfurt a. Main, Las Vegas 1977, S. 29-77. Hier S. 49: »Held ist das Haus«.
Genealogie in der Melusinenge schichte
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enfragwürdigdaÜberschuß aus der Anderweltnormalen< feudalen Herrschaft mit den typischen adeligen Repräsentationsformen wie Burgen, Schlössern, Kirchenstiftungen sowie die Molusine von Anfang an zu Gebote stehende Schar von Untergebenen deckt die Frage nach dem Ursprung zunächst zu, da sie das Paar im Rahmen gewöhnlicher adeliger Herrschaftsausübung zeigt. Schon bei der Hochzeit wird die Verwunderung über die plötzliche Prachtentfaltung an der Fontaine de Soy< (V. 1045ff.) immerhin dadurch beruhigt, daß die Feier in den Bahnen adeliger Standards, d.h. mit Messe, reichem und köstlichem Mahl, Gesang und Tanz sowie Turnieren abläuft.36 Bis zum Tabubruch tritt die überirdische Natur Molusines sozusagen nur in ihren positiven domestizierten Formen hervor.37 Ihr dämonisches Wesen, das man als die Signatur des Ursprungs der Lusignan bezeichnen könnte, verschwindet in der Heimlichkeit ihres Gemachs, in dem sie sich an den Samstagen einschließt, um sich in ihre Natur der Meerfee zurückzuverwandeln. Raymond und der Hof sind von dieser zeitweiligen Veränderung ihres Körpers in eine Schlangenfrau, ein Wesen, das halb Mensch, halb Tier zu sein scheint, ausgeschlossen. Es ist letztlich die Frage nach dem Ursprung, so könnte man folgern, die in Raymonds Sichtverbot, das Mdusine zur Bedingung der Eheschließung macht, tabuisiert ist und im Zusammenhang der Legitimierung von Herrschaft tabuisiert werden muß. Von daher erklärt es sich, daß Raymonds Tabubruch erst dann zur endgültigen Trennung des Paares führt, als er dieses Geheimnis aus der Intimität des Herrscherpaares entläßt und der Öffentlichkeit preisgibt, indem er Molusine vor dem Hof als Ungeheuer beschimpft (V. 3868ff.).38 Er verscherzt damit nicht nur sein eheliches Glück, sondern legt selbst den Finger auf den 34
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»Le conte dist: , [...] Qui est la dame que prenez? / Gardez que vous ne mesprenez / Dont eile est, et de quel lignage. / Est eile de moult hault parage? / Ditez moy, cousin, qui eile est.« (V. 1015-1021, vgl. Thüring, S. 35). Vgl. Mertens (Anm. 1) S. 202. Thüring zeigt sich am Verlauf und den Details der Repräsentationsformen (S. 37ff.) nicht interessiert, was der Verschiebung seines Rezeptionsinteresses entspricht. Siehe dazu Müller (Anm. 12), S. 59. Auf die Körperzeichen der Söhne ist im nächsten Analyseabschnitt einzugehen. Vgl. Thüring, S. 114f. Auf die Zweiteiligkeit des Tabus und die Verlagerung der Motivationen des Tabubruchs von Jean d'Arras über Couldrette bis zu Thüring von Ringoltingen möchte ich nur hinweisen, ohne sie in diesem Rahmen ausführen zu können.
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Beate Kellner
wunden Punkt seiner Herrschaftslegitimierung. In der narrativen Inszenierung der Texte wird daraus die Prophezeiung des Niedergangs der Lusignan abgeleitet (V. 3911 ff.).39 Daß dies im weiteren Erzählverlauf doch nicht eingelöst wird, hängt im französischen Kontext sicherlich mit der Bindung der Schreibsituation an ein noch blühendes Geschlecht zusammen. Dennoch tritt im Konnex von Tabubruch und Deszendenzvision das über weite Strecken der Texte verdeckte Problem der Herkunft und Legitimierung von Herrschaft - mit aller Macht - zutage. An Mölusine als Ahnfrau der Lusignan wird die Frage nach dem Ursprung, so könnte man folgern, im Blick auf die Legitimität der Vorfahren diskutiert: Die >crux< des >SpitzenahnsSpitzenahn< Übernehme ich von Karl Hauck: Haus- und sippengebundene Literatur mittelalterlicher Adelsgeschlechter von Adelssatiren des 11. und 12. Jahrhunderts her erläutert. In: Walther Lammers (Hg.): Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. (WdF 21) Darmstadt 1965, S. 165-199. Hier S. 173. Vgl. Thüring, S. 135-141. Auf die mediengeschichtlich signifikanten Unterschiede zwischen der mündlichen und schriftlichen Version müßte in einer eigenen detaillierten Analyse eingegangen werden. Mertens (Anm. 1), S. 209f, interpretiert dies als Analogie zum Sündenfall.
Genealogie in der Melusinengeschichte
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eigenen Geschlechts eingenommen wird. Der Nachkomme würde dann mit dem Schatz auch die Herrschaft über das heilige Land gewinnen (V. 5023-5040).43 Und auch der Fluch der dritten Schwester Milior ist letztlich auf ein Mitglied der eigenen Familie gemünzt, und so erweist sich das sogenannte Sperberabenteuer - das ließe sich folgern - als ein implizites Inzestverbot (V. 4996ff., 5867fr.).44 In Geoffreys später Enthüllung seiner mütterlichen Verwandtschaft am Grab seines Großvaters zeigt sich, so die These, sehr deutlich, daß Genealogie auch und gerade eine Ordnung des Wissens ist. Geoffroy ist seine Herkunft zwar im Blut >gegebenSpitzenahnGründungsgewalt< sind andernorts detaillierter zu diskutieren und auf die Kulturtheorie Reno Girards zu beziehen. Vgl. Reno Girard: Das Heilige und die Gewalt. Frankfurt a. Main 1994. Ich verweise auf meine Habilitationsschrift zu genealogischen Wissensformen im Mittelalter.
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der genealogischen Vermischung von irdischer und überirdischer Sphäre zu erklären. Durch die Bindung an die Transzendenz wird Legitimitätspotential eingespeist. Da die überirdische, zugleich aber nichtgöttliche Sphäre christlich als dämonisch verstanden wird, erklären sich die Ambivalenzen in der Bewertung der Mahrtenehen, der Melusinenfigur und ihrer Nachkommen. Das Dämonische läßt sich nicht aus der Genealogie tilgen: Es ist den Körpern eingeschrieben, es zeigt sich in Melusines Schlangenleib ebenso wie am Löwenmal, dem Wolfsfell oder dem Eberzahn ihrer Söhne und es manifestiert sich ebenso in den Gewalttaten der Familienmitglieder. Andererseits stellt das Wunderbare, das mit der Mährte und ihren Kindern gegeben ist, eine Auszeichnung dar, welche das Geschlecht der Lusignan prägt und seine historische Machtposition fundieren soll.74 In den drei Melusinenromanen wird es weithin positiv besetzt und äußert sich in genealogischem wie ökonomischem Reichtum. Letztlich ist es wohl gerade diese Ambivalenz des Dämonischen, die sich in besonderer Weise eignet, das Unergründliche des Ursprungs zu inszenieren.
IV Im folgenden sollen den mittelalterlichen Melusinengeschichten neuzeitliche Versionen, die sich mit der genealogischen Thematik auseinandersetzen, vergleichend gegenübergestellt werden. Von besonderem Interesse sind hier die Transformationsprozesse, da sie Gelenkstellen zwischen den mittelalterlichen und neuzeitlichen Texten markieren und paradigmatisch Interessenverlagerungen zeigen können. Ich gehe zunächst auf Goethes Die neue Melusine ein und diskutiere dann Brentanos Fragment einer Erzählung aus der französischen Revolution. Goethes Neue Melusine entfernt sich sehr weit von den mittelalterlichen Geschichten.75 Sie ist bekanntlich in den Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre (erste Fassung 1821, zweite Fassung 1829) eingelegt (3. Buch, 6. Kapitel)76 und wird von einem Mitglied der 74 75
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Vgl. Müller (Anm. 12), S. 66. Trotz der Wandlung von der Nixe Melusine zum »undenischen Pygmäenweibchen« (Goethe an Schiller (12.8.1797) bleiben die mittelalterlichen Melusinengeschichten als Folie und Reibungsfläche des Novellen-Märchens zentral. Vgl. Oskar Seidlin: Ironische Kontrafaktur: Goethes >Neue MelusineNeue MelusineDie neue MelusineNeue Melusine< und die Elementargeister. Entstehungs- und Quellengeschichte. In: Goethe. N.F. des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft 21 (1959), S. 140-151; Monika Schmitz-Evans: Vom Spiel mit dem Mythos. In: Goethe Jahrbuch 105 (1988), S. 316-332. Hier S. 317-320. Ich zitiere nach der Version von 1829. Vgl. Hendrik Birus / Dieter Borchmeyer / Hans-Georg Dewitz u.a. (Hg.): Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. I. Abteilung. Bd. 10: Gerhard Neumann / Hans-Georg Dewitz (Hg.): Wilhelm Meisters Wanderjahre. (Bibliothek deutscher Klassiker 50) Frankfurt a. Main 1989, S. 632-656, Kommentar S. 1204-1209. Der Text erschien zuerst in zwei Teilen im Taschenbuch für Damen auf 1817 und 1819. Goethe erwähnte die Melusinengeschichte davor bereits mehrfach in
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Auswanderergesellschaft Lenardos erzählt. Schon der narrative Rahmen (S. 632f.) zeigt, wie grundlegend sich der Funktionszusammenhang gegenüber den mittelalterlichen Versionen verändert hat. Goethes Neue Melusine wird situiert im Rahmen geselligen Erzählens - es ist die besondere »Gabe des Erzählens«, die der in den Freundeskreis eintretende Barbier und Wundarzt durch seine Erzählung unter Beweis stellen soll. Da seine Tätigkeit in der Regel durch »große und oft lästige Geschwätzigkeit« begleitet ist, hat es sich dieser Mann zur Aufgabe gemacht, auf die Sprache zu verzichten, um durch sie nichts »Gewöhnliches, oder Zufälliges« auszudrücken - eine Form der Enthaltsamkeit, die in der Folge gerade zur Entwicklung eines besonderen »Redetalents« geführt hat. Die Erzählung von der Neuen Melusine gehört zu den »wunderlichen Erfahrungen« seines Lebens, die er der Gesellschaft als »wahrhafte Märchen und märchenhafte Geschichten« - ohne sich je zu wiederholen - präsentiert. Der mit der mittelalterlichen Feengeschichte verbundene und immer wieder betonte Authentizitätsanspruch wird hier also aufgegriffen, insofern der Erzähler sie als erlebte Begebenheit ausgibt, zugleich jedoch durch die Bezeichnung als >MärchenDer neue Paris< und >Die neue Melusineneue< Melusine verfügt wie die >alte< über sexuelle und ökonomische Macht. Vgl. Wolf Kittler: Causa sui. Mythen der Autorschaft bei Goethe und Hölderlin. In: Thomas W. Kniesche (Hg.): Körper / Kultur. Kalifornische Studien zur deutschen Moderne, Würzburg 1995, S. 167192. Hier S. 172. Lubkoll (Anm. 75), S. 54, betont den Aspekt der »Ökonomisierung der Beziehungen«.
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reich, und vor allem anderen das Kästchen,81 das sich immer wieder als das >Dritte< zwischen das Paar zu schieben droht. Im Symbol des Kästchens verdichten sich die genealogisch-sexuelle und die ökonomische Disposition der Erzählung, denn es wird zum einen zur Geldschatulle (S. 656) und damit zum ökonomischen Äquivalent der Frau, zum anderen erlaubt es der Schönen ein geheimnisvolles Spiel von Ver- und Enthüllung, von Einschluß und Hervortreten, von Rückzug im schwangeren Zustand.82 Die genealogische Thematik der mittelalterlichen Versionen wird in der Novelle parodistisch verarbeitet.83 Der Text setzt bei dem für eine Dynastie prekären Problem der Dekadenz des Blutes und damit der Zeugungskraft an, und er zeigt auf komische Weise, daß es unter Umständen mit fortschreitendem Alter eines Fürstengeschlechts keine >adelsimmanente< Lösung mehr für den Generationenfortgang geben kann. Indem sich die Fürstentochter mit dem zwar körperlich starken, aber sozial minderen Barbier verbindet, wird zwar der physische Verfall der Familie aufgehalten, zugleich aber verliert das Blut der potentiellen Nachkommen jene hochadelige Qualität, auf der doch gerade die Legitimität der Herrschaft beruht. Die genealogische Thematik wird in Goethes Erzählung damit ad absurdum geführt. Handeln die mittelalterlichen Texte vom Ursprung eines Adelsgeschlechts, so wird hier parodistisch auf das Ende, das Problem des Aussterbens eines Herrschergeschlechts reflektiert. Die Verbindung von ZwergenfÜrstin und Barbier erscheint als soziale wie auch physische Mesalliance, die trotz des materiellen Reichtums und des sich einstellenden Kindersegens weder in der Menschenwelt noch in der Zwergenwelt, in die der Barbier nach dem Tabubruch mit ihr eintritt (S. 651 f.), dauerhaft funktioniert Der menschliche Partner verläßt daher schließlich das Zwergenreich, das ihm in seinen >Maßstäben< letztlich nicht angemessen sein kann.84 Die Melusinengeschichte wird hier im Blick auf die Unverhältnismäßigkeit der Partner zugespitzt, in der Erzählung des Barbiers erscheint sie als Kuriosum, und es ist gerade das mit ihr verbundene Märchenhafte der Begebenheit, das den Erzählerfolg im Rahmen der geselligen Runde garantiert.
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Über das Kästchen ist die Binnenhandlung des Melusinenmärchens subtil mit der Haupthandlung der Wanderjahre verknüpft. Zur Korrespondenz der drei Kastchen in den Wanderjahren siehe Volker Dürr: Geheimnis und Aufklärung: Zur pädagogischen Funktion des Kästchens in >Wilhelm Meisters WanderjahrenWanderjahrenMelusinen-FragmentGute Herrschaft< der Landesherren auszurichten hat. Bereits die erste, für Philipp III. angefertigte Version des Geschichtswerkes weist in den begleitenden Miniaturen Züge auf, deren Zweck in der Betonung vorbildlicher Amtsführung liegt.42 Die Illustrationen des für Philipp selbst angefertigten Exemplars bestätigen die Rolle der Tugend innerhalb der Theorie gerechter Herrschaft, die der Prolog im übrigen auch selbst erwähnt, indem Primat darin als sein Ziel angibt: Si puet chascuns savior que ceste ouvre est profitable ä fere pour fere cognoistre aus vaillanz genz la geste des rois et por mostrer ä touz dont vient la hautece dou monde; car ce est examples de bone vie mener, meismement aus rois et aus princes qui ont terres ä governor.43
Mit Rücksicht auf diese viel zitierte Stelle sind die Grandes Chroniques von Gabrielle Spiegel als Fürstenspiegel nach dem Muster bibelexegetischer Typologie gedeutet
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Anschluß an die tatsächliche Frankengeschichte gewinnt Primat, indem er mit Rücksicht auf frühere Autoren auf Pharamund dessen Sohn Chlodio, dann einen Verwandten Merovech und dessen Sohn Childerich I. als Vater Chlodwigs folgen läßt; vgl. Grandes Chroniques (Anm. 37), Bd. I, S. 6f. Siehe für eine Zusammenfassung der Eingangspassagen der Grandes Chroniques Bodmer (Anm. 1), S. 94ff. Für die Miniatur vgl. auch Hedeman (Anm. 35), S. 43. Vgl. Graus (Anm. 38), S. 39f. Vgl. Hedeman (Anm. 35), S. 12ff. und bes. S. 25. Grandes Chroniques de France (Anm. 37), Bd. I, S. 2f.
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worden.44 Mithilfe einer säkularisierten Typologie habe der Verfasser die Lücke ausgefüllt, die sich durch die Herrscherweihe für die Normierung guter Herrschaft ergab, denn als fundamental unhistorische habe die mittelalterliche Konzeption von Herrschaft den Fürsten ohne vorbildliches Muster gelassen. Für typologische Vorbilder, zu deren Erfüllung der Herrscher aufgerufen sei, habe die Historiographie, wie sie die Grandes Chroniques vertreten, in ihren Geschichtskonstruktionen sorgen wollen; die Schwäche des mittelalterlichen Bewußtseins für Chronologie erkläre sich aus dem Prinzip der Aktivierung von Vergangenem für die jeweilige Gegenwart. Ferner sei die Konstruktion des »Reditus ad stirpem Karoli«, mit dem die einst als Usurpatoren auf den Thron gelangten Kapetinger sich auf die Familie der Karolinger zurückführten, als Schöpfung einer typologischen und dadurch auf Vorbilder verpflichtende Beziehung zu verstehen. Dieser These ist jedoch mehreres entgegenzusetzen. In dem oben zitierten Prolog, der als Indiz für eine solche typologische Konstruktion genommen worden ist, ist zunächst gar kein wirkliches Strukturierungsprinzip des daran anschließenden Textes zu erkennen, denn er liefert nur die topische Auffassung der Geschichte als »magistra vitae«. Außerdem spricht schon die Tatsache, daß dem Prinzip der Weihe zur Zeit der Niederschrift der Grandes Chroniques in der französischen Staatstheorie das Kriterium der Abstammung als konkurrierende Legitimationsgrundlage entgegengehalten wurde, gegen die Stichhaltigkeit von Spiegels Annahme. Der Dominikaner Johannes Quidort von Paris behauptet, indem er die kapetingische Konzeption legitimer Herrschaft der »beata stirps« referiert (und in ausdrücklichem Gegensatz zur hergebrachten Ansicht Hugos von St. Viktor), daß der König nicht in der Weihe durch die Kirche entstehe, deren Akt nur die äußere Form hinzufüge. Der König sei »ipso iure« legitimiert. Auf dessen königliches »Imperium« habe der Papst keinen wesentlichen Einfluß, denn: »Non transtulit veritatem sed nomen.«45 Diese »veritas«, so läßt sich daran anschließen, ist die Wahrhaftigkeit des kontinuierlich an die Amtsnachfolger übertragenen Geblütes: Der kirchliche Translationsakt veräußerlicht das gedankliche Konstrukt selbstverständlicher und nicht von ihm abhängiger Legitimität also nur und liefert im Zeremoniell eine Konkretion, wie sie auf anderer Ebene auch die genealogische Figurengruppe im Pariser Stadtpalast erreicht. Die bruchlose historische Abfolge der Könige dagegen repräsentiert den Staat nicht nur, sondern sie bildet ihn in ihrer Geblütsidentität leiblich aus. Das Kontinuum des heiligmäßigen Geblüts in der dynastischen Erbfolge, das wegen dieser ansatzweisen Identität von Amtsinhaber und Institution das Symbol der Pflanze in Anspruch genommen hat, wacht über die Funktionen und die Geschicke des Staates. Die Personen tragen ihrerseits zur Kontinuität einer Institution bei, die nicht mit den jeweiligen Personen abstirbt, welche das Amt einander übertragen.46 Gerade dadurch wird auf der Ebene der Verhaltensnormen die Typologie, die eingesetzt wird, um zwischen unverbundenen Zeitaltern zu vermitteln, überflüssig gemacht. Nicht die Imitation typologischer Vorbilder stand im Vordergrund des Herrschaftsideals im späteren Mittelalter, sondern der kontinuierliche Transport von Amtsansprüchen 44 45 46
Vgl. Gabrielle M. Spiegel: Political Utility in Medieval Historiography: A Sketch. In: History and Theory 14 (1975), S. 314-325, die Textstelle auf S. 319 in Anm. 22. Zitiert nach Hellmut Kämpf: Pierre Dubois und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalbewußtseins um 1300. Leipzig, Berlin 1935, S. 59. Vgl. für die Beständigkeit des institutionalisierten Amtes Ernst Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. München 1990, für den obigen Themenkreis bes. Kap. VI und VII.
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auf dem Weg der familiären Identität. Die publizistischen Äußerungen aus dem Umkreis von Philipp dem Schönen legen vielfach Gewicht auf die Wahrung der Pflichten, die Philipp von seinen kapetingischen Vorfahren, vor allem natürlich von dem 1297 geheiligten Ludwig IX. übernommen habe und denen er nachkommen wolle, um nicht gegen die »consuitudines antiquuas regni« zu verstoßen.47 Als ausschlaggebend für den Anspruch Frankreichs führen sie die Tradition des kapetingischen Hauses an. Sie verlangen aber nicht die »imitatio« herausragender Viten, sondern die Bewahrung von Konstanz in der Regierungstätigkeit.48 Um 1300 findet diese Perspektive sogar Eingang in die pragmatische Erwägung der Bedingungen von Politik. Pierre Dubois, der ebenfalls dem Umkreis Philipps IV. zugehört, weist in einem Traktat darauf hin, daß die Deutschen erst berechenbar sein werden, wenn sie Kaiser- und Königswürde und deren Staatskassen mit Hilfe des Prinzips der Erbfolge unter Verwandten übertragen.49 In solchen Äußerungen tritt die Eigenart genealogischen Denkens klar zutage. Tatsächlich nimmt die Abstammung den Träger des Geblüts in die Pflicht, nicht aber in typologischem Sinn. Die ständigen Rekurse Philipps des Schönen auf die verpflichtenden Gewohnheiten seiner Amtsvorgänger zeigen, daß nicht das typologische Verfahren, sondern die Kontinuität von Amt und Amtsträgern die stärkste Kraft im chronologischen Denken des Mittelalters war.50 Das heißt nicht, daß die Typologie in der Normierung von tugendhafter Herrschaft keine Rolle gespielt habe: Wenn etwa Karl der Große als »novus David«, Innozenz III. als »alter Salomo« gepriesen wird, so liegt dort eine typologische Geschichtsdeutung vor. So spricht etwa Regino von Prüm von einer Erneuerung des Alten »non tarnen corpore, tarnen spiritu et virtute«. Auch um 1300 ist diese Betrachtungsweise noch aktuell. Guillaume de Sauqueville nennt den französischen König gelegentlich einen Sohn Davids, andernorts wird Salomon für Philipp als Typus bemüht. Doch wo immer solche Beispiele noch auftreten, entstammen sie der unmittelbar tagespolitischen Agitation. Der Anspruch einer typologischen Verschränkung von Zeitläuften ist ihnen nirgends mehr anzumerken. Das mag auch im Zusammenhang mit generellen Wandlungen der Theoriebildung stehen. So ist bei Thomas von Aquin in Orientierung an Aristoteles eine Loslösung von geschichtstypologischen Betrachtunsgweisen zu beobachten, die der Weltgeschichte einen Gang nach Prinzipien des Naturrechts zubilligt und die für den Bereich des Politischen einen von heilsge-
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Vgl. Kämpf (Anm. 45), S. 43. Vgl. für die Kodifikation des Rechts, die am Ende des 13. Jahrhunderts nicht nur in Frankreich verstärkt auftritt, die ausführliche Darstellung bei Sten Gagner: Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung. Uppsala 1960, bes. S. 313ff. Im Original: »regnum et Imperium ex parentum cum thesauris sibi per cos reservatis et fortaliciis roboratis, sine discordiis habuissent, interpolatione vacationeque dominii, immo obediencie discontinuacione quacumque cessante [...].« Pierre Dubois, De recuperatione terrae sanctae § 13, zitiert nach Kämpf (Anm. 45), S. 84. Als Aegidius von Paris den Thronfolger Ludwig an Karl den Großen erinnerte und ihn zur Nachfolge der Beispiele von Pippin bis zu Karl dem Kahlen anhielt, indem er ihn an die Größe und den Ruhm der Könige der Franken erinnerte, deren Erbe er anzutreten habe, könnte dagegen noch ein der Typologie analoges Verfahren bestimmend gewesen sein, denn indem Ludwig leibhaftige Vorbilder vorgehalten wurden, wurde deren Nachfolge gewissermaßen zur Selbstverwirklichung des Trägers ihres Geblüts. Vgl. für die Textstelle im Karolinus Lewis (Anm. 31), S.240f.
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schichtlichen Bezügen freien Evolutionsgedanken vertritt.51 Wie er gibt die französische Geschichtsschreibung des späteren Mittelalters nicht für typologische Konstrukte ein Beispiel, sondern für eine Form genealogischen Denkens, das epochalhistorisch argumentiert. Im folgenden werden Staatstheoretiker der gleichen Zeit zu Wort kommen, die sich ausführlicher als Primat über die normativen Erwartungen an Teilhaber herrscherlichen Geblüts geäußert haben.
Die erste Beschreibung des um 1300 neu aufgeführten Pariser Königspalastes hat 1323 der Pariser Magister Johannes von Jandun verfaßt. Er nennt die Königsreihe in einem Atemzug mit den Regierungsinstitutionen, die in den Räumlichkeiten angesiedelt sind, und verdeutlicht den zweifellos in der Anlage des Gebäudes beabsichtigten Zusammenhang der Kontinuität von Zentralstaat und Herrscherhaus.52 Eine staatstheoretische Schrift hat Johannes nicht hinterlassen, so daß die Möglichkeit entfällt, seine Haltung zu Königtum und Erbmonarchie genauer zu erfassen: Eher lapidar liest sich im gleichen Text ein Einschub in das Loblied auf den französischen König hinter den Worten »in regno suo hereditario«, wo es ergänzend heißt: »quod multipliciter electiva institutione melius esse monstravi«.53 Zugleich schöpft Johannes aber aus Aristoteles und fordert, daß der bestgeeignete Mann die Regierung ausüben solle: Der Herrscher ist für die »felicitas politica« seines Landes verantwortlich, wofür er sich durch Tugend, besonders durch staatsmännische Klugheit und vorbildliches Christentum auszuzeichnen hat. Diese Position ist natürlich nicht ungewöhnlich und bezeichnet das Dilemma, dem sich die mittelalterliche Staatstheorie ausgesetzt sieht, wo sie - meist aufgrund bestehender Konvention - die Erblichkeit der Herrschaftswürde zu rechtfertigen sucht und sich dennoch nicht der Einsicht verschließen will, daß das Prinzip vor Machtmißbrauch und Inkompetenz der Amtsinhaber nicht schützen kann. Johannes von Jandun selbst meint dementsprechend einerseits, daß der Hang zur Sittlichkeit erblich sei und deshalb den Hochadel, dessen Erbe am weitesten zurückreicht, besonders auszeichne. Das hindert ihn andererseits nicht an der Feststellung, daß unter dem Hochadel seiner Generation kaum einer die Tugend aufweise, die er doch eigentlich über seine Ahnenreihe zugestellt bekommen habe, und er warnt vor dem Unheil, daß derart einem ganzen Land 51
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Vgl. für die obigen Beispiele einer Evokation von historischen Typen Johannes Spörl: Das Alte und das Neue im Mittelalter. In: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 1930, Teil I, S. 297-341. Hier S. 314. Für Guillaume de Sauqueville vgl. Bennert (Anm. 32), S. 52, bes. aber Strayer (Anm. 25), S. 11 und passim filr den propagandistischen Kontext. Für Thomas von Aquin vgl. Helmut Walther: Ursprungsgedenken und Evolutionsgedanke im Geschichtsbild der Staatstheorien in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In: Albert Zimmermann (Hg.): Antiqui und modern!. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter. Berlin, New York 1974, S.236-261, S.248. Vgl. für eine ausführliche Analyse des Textes Verf. (Anm. 33). Die Quelle ist ediert bei Le Roux de Lincy / Tisserand: Paris et ses historiens aux XlVe et XVe siecles. Documents et ocrits originaux. Paris 1867, S. 33-79. Daß Johannes die Monarchie als beste Staatsform ansieht, betont er kurz auch in seinen Rhetorik-Quaestionen.Vgl. Ludwig Schmugge: Johannes von Jandun (1285 / 89-1328). Untersuchungen zur Biographie und Sozialtheorie eines lateinischen Averroisten. Stuttgart 1966, S. 45; für das direkt folgende S. 70.
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erwachsen könne.54 Schon Aristoteles als Lehrmeister nicht nur des Johannes, sondern der gesamten spätmittelalterlichen Staatstheorie hatte bekanntlich deshalb gezögert, sich für die Erbmonarchie auszusprechen. Er argumentierte, daß ein schlechter Herrscher der Gemeinschaft mehr schaden könne als ein Kollektiv, selbst wenn dies aus unfähigen Entscheidungsträgern bestehen sollte. Jedoch verblieb Aristoteles aus methodischen Gründen ohne eine grundsätzliche Präferenz. Aus seinen Argumenten für und wider die unterschiedlichen Herrschaftsformen ließen sich deshalb auch einander gegensätzliche Prinzipien rechtfertigen.55 Die mittelalterlichen Befürworter dynastischer Kontinuität kümmern sich denn auch um den aristotelischen Einwand gegen die Erblichkeit des Amtes meist nur insofern, als sie guter Erziehung und Beratung des Königs großen Wert beimessen. Der Fürstenspiegel, den Aegidius Romanus unter dem Titel De regimine principum für Philipp den Schönen noch vor dessen Krönung verfaßte, führt gleich zu Beginn die Politik des Aristoteles an und vereinfacht die dortige Problementwicklung in seinem, das heißt in monarchistischem Sinn.56 Der Philosoph lehre, so beginnt Aegidius die Debatte, daß nicht alle Herrschaftsformen gleich seien und auch nicht unbegrenzt andauerten. Will ein Herrscher seinen Nachkommen die Übernahme des Gemeinwesens sichern, so tut er gut daran, sie zu guter Regierung anzuleiten.57 Einerseits also legitimiert die Abstammung bereits zur Herrschaft, andererseits muß sich der Träger der Geblütskontinuität dieser noch würdig erweisen, und Aegidius ermahnt direkt im Anschluß Philipp, die »fez de vostre pere et de vos anceseurs« zu befolgen, um sich für das »bien quemun« hervorzutun, wie es dem König pflichtgemäß zukomme. Die hohe Abstammung garantiert also nicht etwa, sondern fordert vom Adligen edles Betragen. So ist die eigentliche Größe der Persönlichkeit auch für die mittelalterliche Theoretisierung des Geblüts und damit des genealogischen Prinzips in dem Seelenadel aufzusuchen, wie ihn bereits die
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Vgl. Schmugge (Anm. 53), S. 79. Johannes unterteilt die Sittlichkeit der Freien (im Unterschied zu den servi) in die des Adels und die des Hochadels. Die Freien haben einen natürlichen Hang zur Tugend. Vom Adel sagt er mit Bezug auf Aristoteles (Politik 1294a): »nobiles est, qui habet naturalem inclinationem non ex se, sed ex progenitoribus«; vom Hochadel heißt es: »ingenuus est, qui habet inclinationem naturalem ad virtutes ex multis progenitoribus«. Vgl. Aristoteles: Politik. [Übers. Eugen Rolfes] Hamburg 1981, S. 203 (= 1313a): »In dem erblichen Königtum ist außer den bezeichneten Ursachen des Untergangs noch die weitere zu nennen, daß auf diesem Wege viele verächtliche Personen auf den Thron gelangen und mit frevlem Übermut regieren [...].« Vgl. ferner Gert Melville: Vorfahren und Vorganger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft. In: Peter-Johannes Schuler (Hg.): Die Familie als sozialer und historischer Verband. Sigmaringen 1987, 203-309. Hier S. 255ff. mit einer Darstellung der Unterschiede deutscher und französischer Staatstheorie aufgrund der Divergenzen zwischen Aegidius Romanus und Konrad von Megenberg, der die Wahlmonarchie verteidigt. Beide argumentieren aristotelisch auf naturrechtlicher Grundlage. Vgl. einführend in die Stellung des Aegidius innerhalb der Entwicklung mittelalterlicher Staatstheorie Wilhelm Berges: Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters. Leipzig 1938, S. 224ff.; Tilman Struve: Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter. Stuttgart 1978, bes. S. 189; Dora M. Bell: L'idoal othique de la royaute en France au Moyen Age d'apres quelques moralistes de ce temps. Genf, Paris 1962, S. 54ff. Wörtlich: zur »maniere nature) en gouvernier son pueple«. Vgl. Li livres du gouvemement des rois. A Xlllth Century French Version of Egidio Colonna's Treatise De regimine principum. Hg. von Samuel Paul Molenaer. [1899] Nachdruck New York 1966, hier S. 2. Das folgende Zitat ebd. S. 3.
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antike Moralphilosophie und in deren Folge die Patristik vertreten hatten.58 Der anonyme Verfasser eines in der Nachfolge des Fürstenspiegels von Aegidius Romanus unter dem Titel Avis au rays entstandenen Traktats bedient sich des Exempels der antiken Römer, die Tempel zu Ehren ihrer berühmten Bürger zu Seiten der Altäre der Tugenden errichtet hätten, und vermutet, daß sie damit hatten zeigen wollen, daß man zu gesellschaftlichen Ehren nur durch Tugend gelangen könne.59 Auch Aegidius selbst läßt daran keinen Zweifel offen und scheut sich nicht, den Adel der Abstammung als einen Status zu beschreiben, der seinen Wert bloß aus Konventionen bezieht und sich dem Wandel der Geschichtsläufe verdankt: Dont ceus qui sont nez de lignage hennourable si comme de riches hommes et de puissanz [de lone tens], en tiele maniere que le pueple [ne se remembre que] lor ancesors fussent onques povres, il ont noblece de lignie et sont nobles selon la quidance du pueple. Mes vroie noblece si est selon les vertus et les biens de Tarne, quer c'est vraie noblece qui aorne le courage de l'omtne de bones mours, et bien est provable chose que ceus qui sont nobles selon la quidance du pueple soient nobles selon verito, quer il sont en estat la ou il afiert [= faut] qu'il soient meillors et plus sages des autres.60
Sozialer Stand, definiert über das Geblüt, bestimmt folglich bei Aegidius vorerst nur den normativen Anspruch, nach dem sich die Moral seiner Träger zu bemessen hat. Dennoch zweifelt Aegidius nicht grundsätzlich an den Vorrechten des Adels, nur führt er ein Argument ein, das eher soziologisch geprägt ist und aristotelischen Vorgaben folgt: Aus der Unfähigkeit des dritten Standes, sich selbst vollendet zu beherrschen, sei die Konsequenz zu ziehen, daß der Adlige, bei dem die Selbstbeherrschung größer sei, auch das Volk beherrschen solle, dessen Mangel an Feinsinn, fähigem Geschick und Einsicht es zum »serf par nature« mache. Wie ein Blinder bedürfe der dritte Stand eines Führers.61 Dem Adligen wird die Erlangung der dazu nötigen Tugend insofern leicht fallen (zumindest leichter als anderen Mitgliedern des Gemeinwesens), weil er die Mittel hat, sie sich durch Bildung und Umgang anzueignen: »courtoisie« ist gemäß Aegidius also als eine Art Sittlichkeitsadel zu fassen, der einerseits zwar erst erworben 58
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Darauf verweist schon Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. [Ausg. letzter Hand 1941] Stuttgart 1952, Kap.III, bes. S. 61ff. Vgl. außerdem die Beispiele der obigen Einleitung und ferner Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Ausg. letzter Hand Bern 1954, S. 188f. und mit vielen Quellen bereits Voßler (Anm. 5), der auf S. 38 bemerkt, daß Thomas von Aquin das Wort »nobilis« zuweilen im Sinn von »perfectibilis«, also als Fähigkeit zur Vervollkommnung gebraucht - genauso taucht es bei Johannes von Jandun wieder auf (vgl. Anm. 54). Vgl. Bell (Anm. 56), S. 63. Li livres du gouvernement (Anm. 57), S. 3. Li livres du gouvernement (Anm. 57), S. 149: »Done nos le proverons en cest chapitre par icele reson, quer eil est serf par nature qui a defaute de soutillito, c'est d'engin et d'entendement, en H et ne [se] siet gouvemier ne adrecier, por quoi il covient que eil qui est sires et a sens et entendement en H l'adrece et le gouverne, quer autrement il ne porroit vivre ne estre soustenuz, si comme li avoegles qui ne se set mener ne adrecier a mestier d'un homme qui le sache mener et adrecier [...].« Vgl. ebd. zur »cortoisie« als »noblece de bones mours«. Siehe außerdem auch Aristoteles (Anm. 55), S. 140f. (=1294 a) mit der Vorstellung, daß Adel mit altem Reichtum und alter Tugend gleichzusetzen sei; S. 86 (= 1278 a) mit der Behauptung, Tugend sei nur bei denen voll ausgebildet, die Muße hätten, weil sie von der Erwerbsarbeit durch ihren Stand befreit seien. Der König sollte gemäß Aristoteles entweder wegen seiner hervorragenden Tugend oder aber aufgrund seiner Abstammung aus tugendreichem Geschlecht zum Herrscher bestellt werden; vgl. ebd. S. 195 (=1310 b).
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werden muß, jedoch andererseits faktisch nur vom Adel erworben werden kann. Was spricht aber für die Erblichkeit der Königswürde, wenn doch nicht sicher ist, daß wirklich Edelmut aus edlem Blut entsteht? Aegidius gibt drei Gründe an, die für die dynastische Königsherrschaft mehr als für jede andere Regierungsform sprechen: Erstens wird der König sich dem Gemeinwesen mit mehr Sorgfalt widmen, wenn er erwarten darf, es seinen Nachkommen zu übereignen. Außerdem seien die Sitten und das Betragen derer, die neu zu Reichtum und zur Macht gelangen, weitaus schlechter als die von Familien, die sich schon lange in dieser Position befinden: Mes se les seignories et le reaume vont par heritage, lor enfanz ne quident pas que cen soit grant chose, quant il ont cen que lor peres ont eU, ne il ne sont pas volontiers tyrant, ainz entendent le bien commun et governent le pueple selon loi et droiture.62 Als dritter Grund komme hinzu, daß das Volk lieber gehorche, wenn die Regierung bei denen bleibe, an die es sich gewöhnt habe und deren Herrschaft es deshalb als natürlich empfinde. Es handelt sich hier jeweils um rein pragmatische und auf historischer Erfahrung basierende Argumente, die sich am Staatswohl orientieren. Das Kriterium der Natürlichkeit ist nicht nur unter Bezug auf die »quidance du pueple« berücksichtigt, auf die sich Aegidius mehrfach bezieht. Vielmehr wird es auch auf die historische Genese der Staatsgemeinschaft rückbezogen, indem er behauptet, daß die Übermittlung der Herrschaft innerhalb einer Verwandtschaftsfolge dem natürlich wachsenden Entstehen des Staates, einer »excrescentia« über die Stufen der Hausgemeinschaft, des Dorfes, der »civitas« bis zum »regnum« zu vergleichen sei, also einem Entstehungsmodell, das Aegidius wiederum aus Aristoteles schöpfen konnte.63 In diesem Argument tritt die Orientierung am »arbor sanguinitatis« als bildlichem Modell der Familienstrukturen klar zutage (Abb. 8). Denn erst der Stammbaum suggeriert ein Ganzes, das einen Ablösungsprozeß als Wachstum darstellt und dadurch eine Kontinuität suggeriert, die kumulativ zur Erhöhung des Gesamtwertes einer Blutsgemeinschaft beiträgt. Johannes von Jandun trennt aufgrund eben dieser Anschauung zwischen Adel und Hochadel nach dem Gesichtspunkt der bloßen Quantität edler Vorfahren. Auf demselben Gedanken fußt auch die Suche nach dem rückwärtigen Anschluß an die trojanische Geschichte. Im Rückgang auf Aristoteles und im Bewußtsein, daß das französische Volk auf diesen Stamm zurückgehe, scheut sich Johannes nicht vor der Behauptung, daß es auch unter den Völkern Unterschiede nach ihrem Adel gebe, der sich an der Herkunft und an der Tradition ihrer dauerhaften Freiheit von Zwangsherrschaft bemessen lasse.64 Die Franken, so will es die Etymologie des 14. Jahrhunderts in der kapetingischen Propaganda, seien zu ihrem Namen gerade aufgrund ihrer Geschichte 62
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Eine Stelle der Grandes Chroniques macht ebenfalls die Auffassung deutlich, nach der nur Angehörige eines besonderen Hauses überhaupt regierungsfähig sind. Dort ist vom Emporkömmling Leudast die Rede, dessen niedere Herkunft unwillkürlich in seiner Gesinnung aufscheint: »[...] mais il ne forslignoit pas de mal fere, car assez H venoit par nature de lignache. Sers avoit premierement este" [...]« Vgl. Bodmer (Anm. 1), S. 10 mit Zitat in Anm. 74 nach Grandes Chroniques (Anm. 37), Bd. III, S. 4. Vgl. für das Wachstumsargument Struve (Anm. 56), S. 189 unter Anführung von Passagen aus dem lateinischen Original. Für die Zitate aus der französischen Übersetzung vgl. Li livres du gouvernement (Anm. 57), S. 307, 307f. und 308. Im folgenden Abschnitt spricht sich Aegidius noch für die Bevorzugung von Männern und des jeweiligen Erstgeborenen aus. Vgl. Schmugge (Anm. 53), S. 80. Zur etymologischen Rückführung der »franci« auf »frei« bei Guillaume de Sauqueville vgl. Strayer (Anm. 25), S. 14 und das obige Beispiel Peter Flotes.
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gekommen, indem ihr mehrfacher Aufbruch ins Exil seit der Zerstörung Trojas durch die Weigerung provoziert worden sei, sich von anderen Völkern regieren zu lassen.
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Um angesichts der Zweifel, die in der mittelalterlichen Staatstheorie an der Ehrenhaftigkeit bloßer Geburtsadligkeit geäußert wurden, aus dem Ursprung in Troja ein Argument beziehen zu können, mußte die Tugendhaftigkeit der Trojaner auch in ihren »gesta« nachweisbar sein. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, daß sich mit der Entwicklung der Staatstheorie und der Festigung der Monarchie im Zentralstaat Tendenzverschiebungen in der Instrumentalisierung des Trojamythos ergeben haben, die die Lesart des Spätmittelalters bestimmen konnten, ohne daß der Torso der Textüberlieferung davon besonders betroffen worden wäre. Dementsprechend findet sich im Prolog einer Version des Trojastoffes bereits vom Ende des 13. Jahrhunderts eine Übernahme aus den älteren Fais des Romains, die eine Orientierung am Gemeinwohl als Handlungsmaxime für die Leser ausgibt.65 Die Institution des Rittertums geht dabei ganz im Staatsdienst auf - eine Auffassung, die besonders bei Aegidius Romanus zum Tragen kommt. So habe jedes Königreich und jede »citez« gleichermaßen den Tugenden der Gesetze und der Ritterschaft zu gehorchen, »et devons dilijaument savoir que tout ausi comme les lois sont establies por le bien et por le profit commun, tout aussi chevalerie est principaument establie por garder le bien commun et por defendre le contre ceus qui empeocher le veulent«. Niemand soll die Würde der Ritterlichkeit empfangen dürfen, von dem nicht bekannt ist, daß er dem Wohl des Königreichs und dem Gemeinwohl dienen will.66 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß die ritterlichen Helden des trojanischen Krieges zu Wohltätern der Sozialgemeinschaft erhoben werden. In Christine de Pisans Beschreibung des kompletten Wiederaufbaus des von den Argonauten zerstörten Troja wird Priamus in seiner umsichtig planenden Weisheit zum
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»Les anciens sages qui de philosofie parlerent nous defendent a mener nostre vie ociousement et sanz labour, par ce que ociousetez esmuet le euer et encline le cors a touz vices [...] Et pour ce amerent il ouvrer et traveillier le cors, non mie seulement a leur propre profit, mais au comun bien de touz les autres.« Der Text fährt fort: »Et pour ce devons nous mout metre noz cuers a entendre les euvres des anciens et des vieilles estoires, quar l'en i puet assos apenre des bienz et des maus que il usoient en leur afaires. Et tout ce vos est necessaire cose a faire et a savoir: c'est le bien por ovrer pour nos et por nos amis, et le mal por eschiver.« Es folgen Einlassungen zur Frage des Tugendadels. Vgl. L.-F. Flutre: Un nouvel emprunt aux Faits des Romains. In: Neophilologus 21 (1936), S. 16-19. Wenn die von Flutre parallel abgedruckten Textstellen aus den Fais des Romains nicht täuschen, so findet der Begriff des »bien commun« erst in die erst durch diese Übernahme in Trojaroman Eingang. Vgl. für die Stellung in der StoffÜberlieferung außerdem Jung (Anm. 12), S. 443. Li livres du gouvernement (Anm. 57), S. 372f. Christine de Pisan berichtet als gute Aristotelikerin von der Entstehung des Rittertums, daß es bis in die Zeit zurückreiche, in der die Menschen, von Bösartigkeit erfüllt und auf der immer volkreicheren Erde nicht mehr bereit, sich aus dem Weg zu gehen, einander bedrängt hätten, bis nach dem Ratschluß der Alten die Königsherrschaft eingeführt worden sei. Die aufgrund von Tugend und Geistesgaben ausgewählten Fürsten hätten ihre Völker in mehrere Gruppen eingeteilt. Den Ritterstand schildert Christine als moderne Armee mit »ordre« und »gouvemment«. Vgl. Christine de Pisan: Li livres des fais et bonnes moeurs de Charles Quint. 2 Bde., Paris 1940, Bd. I, S. 193.
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Bauherrn einer idealen Stadt.67 Oresme fügt seiner Übersetzung der aristotelischen Ethik an der Stelle, wo von der heroisch-göttlichen Tugend die Rede ist und wo mit Verweis auf Homer als Beispiel für diese Tugend Hektor genannt wird, als kleine Glosse an: »De cestui Hector descendirent les Fra^ois; ce dit un expositeur, et ainsi le dient les hystoires.«68 Im Glauben des späten Mittelalters hat Frankreich demnach mit seiner Abstammung aus dem Adel Trojas die beste aller möglichen Gesellschaftsformen geerbt. Christine de Pisan führt aus: Ainsi ces nobles fleurs de Its odorans venues de la reacine susditte, qui de Troye la grant rut aportoe, seront et sont peuplioes en exaulcement de gloire et vertu, par quoy maintes gens seront revigorez et reconfortez, et aussi par aide de la noble chevalerie de France moultiplio [...], tous tendens au bien et utilito de ceste terre, et d'autres preudes hommes sages distribueu[r]s et conseilliers loyaulz en la policie commune et bien propre de la personne du roy [...]. Si avons cause d'esperer, ä l'aide de Dieu, et n'est point de double, France estre continued en bonne convalescence et prosperite", selon les autres terres de crestiento, es quelles les seigneuries sont venues d'aventure et continues par tyrannic, et non pas ainsi natureles conune en ce reaume, et oü il n'a tant de pilliers nobles et poissans, tous d'une alliance et d'un lignage, vrays, obeissans ä un seul chief [...]69
Auch in diesem Text macht Christine, indem sie die Metapher des Staatskörpers bemüht, die Prämisse deutlich, unter der ein nationaler Stolz auf Ursprünge in Troja angemessen ist: Von dort ist Frankreich die Verfaßtheit der politischen Kultur zugegangen, um deren Erhalt und Glorifizierung die politische Publizistik des 14. Jahrhunderts sich nach Kräften bemüht. Im folgenden Jahrhundert setzt sich dieser Prozeß zunächst unvermindert fort, befördert zweifellos durch die populären Werke Christine de Pisans. Bei näherer Betrachtung von Milets Drama erscheint der trojanische Herrscher Priamus nicht durchweg in dem negativem Licht, in das Milet ihn im Epitre nachträglich rückt. In einer Szene, die eine visionäre Reise des »bon roy Priam« in eine allegorische Landschaft schildert, muß er die düstere Zukunft seines Reichs in einer Vision erblicken.70 Eine Jungfrau führt ihn durch die Anlagen einer abgelegenen Burg zu einer großen Maschine, die von Gott regiert wird und von den Griechen, wie Milet berichtet, einst als »Chaos« bezeichnet wurde. In einem zweiten Zimmer lenkt Fortuna das Schicksalsrad, in dem die mittelalterliche Ikonographie den unkontrollierbaren Wandel alles 67
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Christine de Pisan: Le Livre de la Mutacion de Fortune. Hg. von Suzanne Solente. 3 Bde., Paris 1959-1964, Bd. I, S. 58f., v.l5115ff. Eine weitmöglichst verknappte Inhaltsangabe der Trojanersage, die einer Handschrift in Lyon (Bibl. municipale 878) vorangestellt ist, beginnt folgendermaßen: »Cy commence la table de ce present intitule" l'istoire ancienne de Troye la grant, ou quel sera traittie" et redige' au long le tresgrant et tres superflus estat, noblesse et cituacion d'icelle cito; du roy Priant, filz de Laomedon, de son tresnoble parage, enfans et lignaiges, et de leur tresrenommee et excellent chevalerie.« Hier zitiert nach Jung (Anm. 12), S. 466f. Es scheint, als hätte bei der Formulierung das theoretische Verwertungsinteresse federführend gewirkt, das die »translatio militae« auf die prosperierende französische Nation in der Erzählung aufsucht. Maistre Nicole Oresme: Le livre de Ethiques d'Aristote. Hg. von Albert D. MenuL New York 1940, S. 364. Christine de Pisan erinnert, als sie von Karls V. »grant renom de la sagece et bonne fortune« spricht, an Hektor. Beide seien darin vergleichbar, daß »pour la grant bonto de lui tant l'amerent plusieurs estrangiers que ilz desirerent estre ses subgiez, et de fait ä lui se rendirent pluseurs haulz barons [...]« Vgl. C. P. (Anm. 66), Bd. I, S. 220f.
Christine de Pisan (Anm. 66), Bd. I, S. 178f. Vgl. Milet (Anm. 7), w. 24678ff Die Bezeichnung als »bon roy« findet sich im »epltre logative«; vgl. Jung (Anm. 8), S. 256.
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Irdischen formuliert.71 Bei Milet dominiert jedoch eine andere, nämlich nationale Perspektive. An dem Rad sind die Namen der Menschen eingetragen. Priamus findet seinen eigenen ganz unten, und in einem Monolog prophezeit er Karl VII. eine große Zukunft. In dieser Perspektive wird die moralische Anfechtbarkeit des Herrschers marginalisiert und die fatale Macht des Schicksals als Erklärungsmuster für den Fall Trojas bemüht - hier konterkariert die Länge des Stücks offenbar den argumentativen Systemzwang einer kritischen Auslegung der unvorteilhaften Politik des trojanischen Fürsten. Andererseits ist aber auch in dieser Szene etwas von der Intention der Bearbeitung Milets bemerkbar. Zwar wirkt auf die Ikonographie noch latent die Auslegungstradition christlicher Moralistik ein, die bis ins 15. Jahrhundert zuweilen auf den Untergang Trojas Bezug nimmt und ihn als Paradebeispiel für die Vergänglichkeit der weltlichen Institutionen anzuführen liebt.72 Aber sie spielt keine paradigmatische Rolle mehr. Stattdessen steht im Vordergrund die Kontinuität, die das antike und das französische Volk miteinander verbindet. Das läßt sich auch anhand einer Schrift Christine de Pisans aufzeigen, die Milet leicht als Anregung gedient haben kann. Mit dem Fortunarad und der Figur des Chaos finden sich bei ihm zwei Motive, die ähnlich bereits vorher im Zusammenhang mit der Trojasage Verwendung gefunden hatten. Die im ganzen Verlauf des 15. Jahrhunderts viel gelesene Christine de Pisan schildert in der Lavision-Christine einen Traum, der mit den Personifikationen von Chaos und Natur beginnt. Darin erscheint ihr eine gekrönte Dame, die Frankreich darstellt. Diese allegorische Figur berichtet von ihrer Herkunft aus Troja und von ihrem anschließenden weltgeschichtlichen Werdegang.73 Zu Christines Text existiert eine anonyme zeitgenössische Auslegung als eine Art fortlaufender Kommentar, der kürzlich ediert wurde und, wie die Herausgeberin vermutet, zumindest zum Teil vielleicht von ihr selbst verfaßt worden ist. Strenger als Milet ist er den allegoretischen Traditionen des Mittelalters verpflichtet. Zur Figur des Chaos erläutert er folgendes:
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Vgl. zur Ikonographie der Fortuna T. Kurose: Miniatures of the Goddess Fortuna in Medieval Manuscripts. Toronto 1977. Siehe außerdem Alfred Doren: Fortuna im Mittelalter und in der Renaissance. In: Vorträge der Bibliothek Warburg 1923 / 24, S. 17-144. Vgl. für die Illustration des Trojastoffes im Mittelalter Hugo Buchthal: Historia Troiana. Studies in the History of Mediaeval Secular Illustration. London, Leiden 1971. Vgl. dort bes. S. 9 und 18f. Außer einer provinziellen Handschrift von 1264 sind in Frankreich vor dem Ende des 14. Jahrhunderts keine illustrierten Fassungen des Trojanerkrieges bekannt. In Italien enthalten mehrere Handschriften als ikonographischen Zusatz das Rad der Fortuna, zum Teil mit der Sapientia in Gestalt Kassandras daneben. Vgl. ferner für die Auslegung christlicher Moralistik Graus (Anm. 38), S. 27ff.; ebd. der Hinweis auf den Songe du vergier, auf Christine de Pisans Livre de la mutation de fortune und auf Alain Chartiers quadrilogue invectifais Beispiele für Moralisierungen der Sage. Diese Interpretationslinie ist aber nie dominant geworden. In ihrer Vita Karls V. von Valois hat Christine de Pisan auf das gleiche Motive Bezug genommen. Aber auch dort ist deutlich, zumal der Blick auf Troja dort im Kontext einer Hymne auf die noble Abkunft König Karls angesiedelt ist, daß das Motiv nicht einer Warnung vor der Vergänglichkeit der weltlichen Dinge dient, sondern im Gegenteil die segensreichen Folgen der Geschichtsläufte betont, wie um über die Niederlage der trojanischen Helden zu vertrösten; vgl. C. P. (Anm. 66), Bd. I, S. 12f.: »De la noble royal lignioe de la renommoe Troye, jadis par variation de Fortune destruitte des Grieux, par divine voulento, au salut des universes terrres remplir de nobles nacions, se partirent plusieurs barons nez de la lignoe royal [...].« Christine de Pisan: Lavison-Christine. Hg. von Marie Louise Towner. Washington 1932, S. 73ff.
Noblesse oblige
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Son nom qu'escript en son front portoit, c'est assavoir >Chaozchaozthe law< explicitly with marriage, and argued that a child bom outside of wedlock was born outside of the law: >[solches Kind] ist in das gemeine Wesen gleichsam eingeschlichen (wie verbotene Waare), so daß dieses seine Existenz (weil es billig auf diese Art nicht hätte existieren sollen), mithin auch seine Vernichtung ignorieren kann, und die Schande der Mutter, wenn ihre uneheliche
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From the fifth lecture, entitled, >Wie sich in der natürlichen, allen Völkern der Erde gemeinschaftlichen Verfassung der Familie die lebendige Natur des Staates ausdrücken In Adam Heinrich Müller: Die Elemente der Staatskunst (1808 / 09). Berlin 1936, p. 59-72. Müller's position is countered by Fichte's famous and explicit justification of the married woman's legal annihilation - she is >durch ihre Verheirathung für den Staat ganz vernichtete In: Johann Gottlieb Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796). Hamburg 1960, p. 304ff. 9 See Joachim Heinrich Campe: Väterlicher Rath für meine Tochter (1801). Braunschweig 1832. 10 Mothers are also largely missing from literary representations of the family generated by male canonical authors; note for example Gail Hart: Tragedy in Paradise. Family and Gender Politics in German Bourgeois Tragedy 1750-1850. Columbia 1996; also Susan Gustafson: Absent Mothers and Orphaned Fathers. Narcissism and Abjection in Lessing's Aesthetic and Dramatic Production. Detroit 1995. 1 ' The historiography of inheritance law by Friedrich Christoph Jonathan Fischer: Versuch über die Geschichte der teutschen Erbfolge, 2 vols. Mannheim 1778. Fischer identified it as the simple source of all law.
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Niederkunft bekannt wird, kann keine Vorordnung habenx12 The >gemeines Wesen< of civil society need neither acknowledge its existence nor, by extension, the termination thereof. Explicit discussions of the importance of legitimacy, or the knowledge of a child's legal origins, took place for the most part in the context of theoretical writing about the state. Montesquieu's Esprit des lois, influential in Germany throughout the eighteenth century, provided the model for a history of civilization which came to identify the family as a threefold source of stability for the political present: first, the form and power structure of the (patriarchial) state was understood to have evolved from a primordial first family of father, mother and child;13 second, that first family generated the capacity for virtuous behavior (effort expended not in one's self interest, but in the interest of one's children) that itself has evolved to be a part of the ideal nature of the state (as an ability to act in the interest of the general good); and third, the particular families that make up contemporary society are the units which comprise the state, they continue to be reflected by the whole, and they provide the moral socialization that is needed to produce citizens.14 These families by definition are legally sanctioned, consisting of a marriage with legitimate offspring. The importance of legitimacy, argued Montesquieu, cannot be underestimated within a society concerned not only with the quantity of its citizens, but with the moral quality of each of those citizens; such a society is required to degrade its bastards as living reminders of legal infraction (>Dans les rdpubliques, ou il est nocessaire que les moeurs soient pures, les bastards doivent etre encore plus odieux...Der Wohlstand der Republik gründet sich auf die Ruhe und die Wohlfahrt der einzeln Familien, aus welchen die Republik zusammengesetzt ist.first, it is evident that dominion, government, and laws, are far more ancient than history or any other writing, and that the beginning of all dominion amongst men was in families...Eine Vermischung beyder Geschlechter, wodurch die Väter der Kinder ungewiß werden, kann also der Wohlfahrt und einer vernünftigen Verfassung des Staats keinesweges gemäß seyn. Tugend ist das festeste Band der Gesellschaft und die Quelle der öffentlichen Ruhegute Bürger, gute Väter, gute Freunde.brotherhood< upon which he so liberally drew, and despite his declarations of the equality of all before the law, 17 18
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Justi (note 16), p. 11. Ibid., p. 29: >Der Vater, wenn er kein Unmensch ist, wird allemal so viel Liebe haben, als zur Vorsorge vor dieselben, und zu ihrer Erziehung nötig ist. Eine eben so große Affenliebe des Vaters aber, als öfters die Mutter hat, würde einer vernünftigen Erziehung vielmehr schädlich, als beförderlich seyn.< Ibid., p. 44: >Die Natur pflanzet den Vätern ein Verlangen ein, ihren Kindern Nachfolger zu verschaffen, das sie kaum in Ansehung ihrer selbst empfinden. In den verschiedenen Graden der Nachkommenschaft sehen sie sich unvermerkt einer künftigen ewigen Dauer entgegen schreitenx Ibid., p. 11. From the essay by Friedrich dem Großen: Versuch über die Eigenliebe als Moralprinzip. In: Jürgen Bona Meyer (Ed.): Friedrich's des Großen pädagogische Schriften und Äußerungen: mit e. Abh. über Friedrich's d. Großen Schulreglement nebst e. Sammlung d. hauptsächlichsten Schul-Reglements, Reskripte u. Erlasse. Königstein / Ts. 1978, p. 200 and 203.
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Friedrich's state never reached so far as to include illegitimates in its encompassing familial embrace. Despite Friedrich's personal generosity in responding to particular instances of illegitimate pregnancies and despite his inaugural efforts to decriminalize extramarital sex (under which harsh laws unwed mothers were punished, and which therefore were identified as the catalyst for infanticide),22 the official state position on bastardy did not soften. Under Prussian laws (as under the laws of the Empire), bastards were considered, in Montesquieu's term, >odiousStandnaturliche Kinden, listing illegitimate male children from various princely houses who were given lands and titles (though never the titles of their fathers) and female children who were successfully married off. The identity of these children, all products of illicit affairs conducted by noble men, was no secret; on the contrary, legal commentaries developed better and worse ways of mapping these genealogies. Moser, for example, writes: >Von König Augusts II. in Fohlen und Churfürstens zu Sachen vielen natürlichen Kindern findet man überall genügsame Nachricht: Ich will ihrer aber hier nicht gedencken, weil man sie besser unter die natürliche Kinder souverainer gecrönter Häupter rechnete Moser's list of bastard children spawned by roving noblemen fills twenty pages, at the end of which he concludes, rather merrily: >Und was könnte ich noch für weitere Exempel beyfügen