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German Pages 326 [355] Year 2021
Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der
Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.
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Andreas Dürr
Funktionelle Äquivalente der strafrechtlichen Konkurrenzlehre im Common Law Zugleich eine Abhandlung über die unechte Idealkonkurrenz im Völkerstrafrecht
Mohr Siebeck
Andreas Dürr, geboren 1986; Studium der Rechtswissenschaften an der LMU München und der Universidad de Castilla-La Mancha (Toledo, Spanien); 2012 Erste Juristische Prüfung; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU München; 2014 Carlo-Schmid-Stipendiat des DAAD in der Verfahrenskammer I des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien; 2016 Magister Juris (University of Oxford); Rechtsreferendariat im Bezirk des Kammergerichts Berlin; 2018 Zweite Juristische Staatsprüfung.
ISBN 978-3-16-156941-8 / eISBN 978-3-16-156942-5 DOI 10.1628/978-3-16-156941-8 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen und dankenswerterweise von der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V. in diese Reihe aufgenommen. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Helmut Satzger, der diese Arbeit nicht nur hervorragend betreut hat, sondern durch ein Schwerpunktseminar mein Interesse an Konkurrenzfragen in Common Law-Rechtsordnungen geweckt hatte. Herrn Professor Dr. Frank Saliger danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Anfertigung dieser Arbeit wäre ohne Aufenthalte an der Harvard Law School, der University of Toronto und der University of Oxford nicht denkbar gewesen. Dort hatte ich nicht nur Zugriff auf in Deutschland nur schwer erreichbare ausländische Literatur, sondern ich konnte durch zahlreiche Gespräche mit einheimischen Forschern und Gelehrten auch mein Verständnis für die Funk tionsweise dieser Rechtsordnungen vertiefen. Hervorgehoben danken möchte ich in diesem Zusammenhang Herrn Professor Dr. Markus Dubber von der University of Toronto, der mir als Kenner aller hier einbezogenen Rechtsordnungen wertvolle Anregungen geben konnte. Eine besondere Ehre war es mir zudem, mich in Kanada mit Herrn Professor Dr. Martin Friedland – dem Verfasser des bekanntesten und hier mehrfach zitierten Werks zum Doppelbestrafungsverbot im Common Law – über mein Thema auszutauschen. Diese Dissertation wurde von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Foschung gefördert, was mir die Anfertigung dieser Arbeit erst ermöglichte und wofür ich ebenfalls herzlich danke. Schließlich danke ich meiner Verlobten Franziska, meinen Eltern sowie meinem Bruder für ihre geduldige Unterstützung während meiner akademischen Ausbildung. Ihnen widme ich diese Arbeit. Das Manuskript wurde im September 2018 abgeschlossen. Die Rechtsprechung und – größtenteils – die Literatur befinden sich auf diesem Stand, wenngleich ich bei der ausländischen Literatur am Ende nicht mehr durchweg Zugriff auf die jeweils neueste Auflage hatte. Berlin/München, im Oktober 2018
Andreas Dürr
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1 Das Interesse an der strafrechtlichen Konkurrenz im Common Law
1
§ 2 Ziel, Gang und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . 4
1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 1 Eine Gesetzesverletzung bei mehrfacher Realisierung desselben Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A. Zu einer einzigen Gesetzesverletzung führende Handlungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 B. Die Abgrenzung zur gleichartigen Idealkonkurrenz . . . . . . . 20 C. Die Änderung der Anzahl der Gesetzesverletzungen gegenüber der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 § 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund von Gesetzeskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Gesetzeskonkurrenz und Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . 38 § 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung . . . . . . . . . . 39 A. Die Idealkonkurrenz/Tateinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 B. Die Realkonkurrenz/Tatmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2. Kapitel: Das englische Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 1 Die kumulative Anklage von Gesetzesverletzungen . . . . . . . . . 51 A. Die historisch geringere Relevanz der Konkurrenz im Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
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B. Die kumulative Anklage im gegenwärtigen Recht . . . . . . . . 55 § 2 Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 A. Das Doppelverurteilungsverbot bei inkludierten Delikten . . . . 73 B. R. v. Harris: Ein Doppelverurteilungsverbot bei einer unselbstständigen Vorbereitungstat? . . . . . . . . . . . . . . . 83 C. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund der Ausübung des Anklageermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 D. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund einer gesetzgeberischen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 § 3 Die kumulative Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 A. Der Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 B. Die Verhängung von mehreren freiheitsentziehenden Strafen (custodial sentences) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 C. Die strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung weiterer Delikte (Offences Taken Into Consideration) . . . . . . . . . . 101
3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 105 § 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage . . . . 106 A. Die Rechtsgrundlage und Abgrenzung der rule against multiple convictions . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei der Verwirklichung verschiedener Tatbestände . . . . . . . . . . . 108 C. Doppelverurteilungsverbote bei der mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . 122 D. Die kumulative Anklage und die Auswirkungen von Doppelverurteilungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 2 Die kumulative Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 A. Der Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Die Verhängung mehrerer Freiheitsstrafen (imprisonment) . . . 130 C. Die Berücksichtigung (consideration) weiterer Delikte . . . . . 143
4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht . . . . . . . . . . 145 § 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage . . . . . . . 145 A. Die Grundlage im double jeopardy-Verbot . . . . . . . . . . . 145 B. Das Doppelverurteilungsverbot bei verschiedenen Tatbeständen 146 C. Kumulationsverbote bei der mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
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D. Die Anklage und Kumulativverurteilungsverbote . . . . . . . . 171 E. Der Model Penal Code und das Recht der Einzelstaaten . . . . 176 § 2 Die kumulative Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 A. Der Regelungsrahmen im Bundesstrafrecht . . . . . . . . . . . 186 B. Die Verhängung mehrerer Freiheitsstrafen (imprisonment) . . . 187 C. Der Model Penal Code und das Recht der Einzelstaaten im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse . . . . . . . . . . . . 203 § 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung . . . . . . . . . 203 A. Die Form der Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen . . . . 203 B. Die vorhandenen Differenzierungssysteme und die Ableitung eines generellen Kumulativstrafrahmens . . . . . . . . . . . . 205 C. Die zwischen milder und strenger Variante vorgenommenen Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 § 2 Keine Doppelverurteilung bei der Verwirklichung von verschiedenen Strafgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 A. Doppelverwertung versus Tatumschreibung . . . . . . . . . . . 225 B. Die abstrakt-tatbestandliche Inklusion . . . . . . . . . . . . . . 228 C. Die abstrakt-tatbestandliche Interferenz . . . . . . . . . . . . . 231 § 3 Keine Doppelverurteilung bei der mehrfachen Realisierung desselben Strafgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 A. Keine Doppelverurteilung bei identischen Verhaltenstatsachen . 251 B. Keine Doppelverurteilung bei verschiedenen Verhaltenstatsachen 258
6. Kapitel: Der Einfluss des Blockburger-Tests auf die völkerstrafrechtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . 269 § 1 Die Grundlage des Doppelverurteilungsverbots . . . . . . . . . . . 270 § 2 Die Rechtsprechungswege vor Čelebići . . . . . . . . . . . . . . . 271 A. Die früheren Lösungswege des ICTY . . . . . . . . . . . . . . 271 B. Die früheren Lösungswege des ICTR . . . . . . . . . . . . . . 275 § 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 A. Die Testformel und die Durchsetzung des Tests an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 B. Die (noch nicht endgültige?) Übernahme durch die IStGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
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Inhaltsübersicht
C. Die Frage nach den in den Vergleich einzubeziehenden Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 D. Ein abstrakter oder ein konkreter Vergleich? . . . . . . . . . . 288 E. Die Auswirkungen von Čelebići auf die Anklage . . . . . . . . 301 I. ICTY und ICTR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 § 4 Kritische Würdigung des Čelebići-Tests . . . . . . . . . . . . . . . 304 A. Die unbefriedigende rechtsvergleichende Fundierung . . . . . . 304 B. Erster Vorschlag: Die Kennzeichnung von Doppelverwertungen 305 C. Zweiter Vorschlag: Die Erweiterung von Čelebići . . . . . . . . 306
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . 309 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1 Das Interesse an der strafrechtlichen Konkurrenz im Common Law
1
§ 2 Ziel, Gang und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . 4
1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 1 Eine Gesetzesverletzung bei mehrfacher Realisierung desselben Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A. Zu einer einzigen Gesetzesverletzung führende Handlungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 I. Das Dauerdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 II. Die tatbestandliche Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . 10 III. Die Bewertungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 IV. Die natürliche Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . 14 1. Die iterative Tatbestandsrealisierung . . . . . . . . . . . 15 2. Die sukzessive Tatbestandsrealisierung . . . . . . . . . 16 V. Die Fortsetzungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Die Voraussetzungen der Rechtsfigur . . . . . . . . . . 18 2. Die Aufgabe der Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Die Abgrenzung zur gleichartigen Idealkonkurrenz . . . . . . . 20 I. Einheitliche Gesetzesverletzung und gleichartige Idealkonkurrenz bei Ausführungsidentität . . . . . . . . . . 21 II. Einheitliche Gesetzesverletzung und gleichartige Idealkonkurrenz vermittelt durch natürliche Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
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Inhaltsverzeichnis
C. Die Änderung der Anzahl der Gesetzesverletzungen gegenüber der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 § 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund von Gesetzeskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Die Spezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Die Spezialität im engen Sinne . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Die Spezialität im weiten Sinne . . . . . . . . . . . . . 28 II. Die Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Die formelle Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Die materielle Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Verschiedene Angriffsstadien . . . . . . . . . . . . . 30 b) Verschiedene Angriffsintensitäten . . . . . . . . . . 32 III. Die Konsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Die typische Begleittat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Die mitbestrafte Vortat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Die mitbestrafte Nachtat . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Gesetzeskonkurrenz und Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . 38 § 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung . . . . . . . . . . 39 A. Die Idealkonkurrenz/Tateinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Die Verletzung mehrerer Strafgesetze . . . . . . . . . . . . 40 II. Die Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Voll- oder teilidentische Ausführungshandlungen . . . . 40 2. Die Verklammerung durch ein weiteres Delikt . . . . . . 42 3. Die Handlungseinheit ohne strikte Ausführungsidentität 44 III. Die (eingeschränkte) Rechtsfolgenabsorption nach § 52 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Der Schuldspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Die Einheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 B. Die Realkonkurrenz/Tatmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Die Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB . . . . . . . . . . . 47 1. Die grundsätzliche Erhöhung einer Einzelstrafe . . . . . 47 a) Das Auswerfen von Einzelstrafen . . . . . . . . . . 47 b) Die Bildung einer Gesamtstrafe . . . . . . . . . . . 48 2. Die Kumulation von Strafen als Ausnahmefall . . . . . . 49 II. Die rechtspolitische Kritik an der Gesamtstrafe . . . . . . . 50
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 1 Die kumulative Anklage von Gesetzesverletzungen . . . . . . . . . 51 A. Die historisch geringere Relevanz der Konkurrenz im Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Keine Kumulation von Verbrechen und Vergehen in einem Verfahren (merger of offences) . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Keine Kumulation mehrerer Verbrechen in einem Verfahren (doctrine of election) . . . . . . . . . . . . . . . 53 III. Die Öffnung für die Kumulativanklage durch den Indictments Act 1915 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 B. Die kumulative Anklage im gegenwärtigen Recht . . . . . . . . 55 I. Die Kumulation durch mehrere Anklagepunkte (counts) . . 55 1. Grundsätzlich generelle Zulässigkeit der Kumulation . . 55 a) Eine gemeinsame Tatsachengrundlage (founded on the same facts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Ein Teil einer Serie von Delikten derselben oder ähnlicher Art (part of a series of offences of the same or a similar character) . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Das Gebot der Beschränkung auf wenige Anklagepunkte 59 II. Die Kumulation innerhalb eines Anklagepunkts und das Verbot der duplicity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Die Differenzierung bei alternativ formulierten Statuten 62 2. Keine duplicity bei einer einheitlichen Aktivität (single activity) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Die zulässige Kumulation bei einem fortlaufenden Verhalten (course of conduct), CrimPR, r. 10.2(2) . . . . 66 a) Zur Praxis der Musteranklagepunkte (specimen counts/ sample counts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) „Continuous offence“ und „continuing offence“ . . . 69 § 2 Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 A. Das Doppelverurteilungsverbot bei inkludierten Delikten . . . . 73 I. Die allgemeine Regel: Criminal Law Act 1967, s. 6(3) . . . 73 II. Sonderregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III. Die Funktion als Doppelverurteilungsverbot . . . . . . . . 76 1. In aufeinanderfolgenden Verfahren . . . . . . . . . . . . 76 a) Die Anklage des inkludierten Delikts nach Verurteilung wegen des inkludierenden Delikts . . . . . . . . . . 77
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b) Die Anklage des inkludierenden Delikts nach Verurteilung wegen des inkludierten Delikts . . . . . 77 (1) Das Connelly-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (2) Das Elrington-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (3) Der Sonderfall R. v. JB . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. In einem einzigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Notwendig und normalerweise mitbegangene Delikte 81 b) Die Reichweite dieses Doppelverurteilungsverbots . 83 B. R. v. Harris: Ein Doppelverurteilungsverbot bei einer unselbstständigen Vorbereitungstat? . . . . . . . . . . . . . . . 83 C. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund der Ausübung des Anklageermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 D. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund einer gesetzgeberischen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 § 3 Die kumulative Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 A. Der Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 B. Die Verhängung von mehreren freiheitsentziehenden Strafen (custodial sentences) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I. Das Auswerfen von Einzelstrafen . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Die Festlegung der Vollstreckungsweise . . . . . . . . . . 89 1. Die Differenzierung anhand der Vorfalls-/ Tatsachenidentität (same incident or facts) . . . . . . . . 90 a) Die Vorfalls- oder Tatsachenidentität (same incident or facts) . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Straßenverkehrsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Waffendelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (3) Weitere Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Die Vorfalls- oder Tatsachenverschiedenheit (unrelated incident or facts) . . . . . . . . . . . . . 96 2. Serienstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Die Achtung gesetzlicher Mindest- und Höchststrafen . . 98 III. Die abschließende Gesamtbetrachtung (principle of totality) 99 C. Die strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung weiterer Delikte (Offences Taken Into Consideration) . . . . . . . . . . 101
3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 105 § 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage . . . . 106 A. Die Rechtsgrundlage und Abgrenzung der rule against multiple convictions . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
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B. Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei der Verwirklichung verschiedener Tatbestände . . . . . . . . . . . 108 I. Die Anerkennung und Reichweite der rule against multiple convictions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Die ausdrückliche Anerkennung durch Kienapple v. R. . 109 2. Die Konturierung der Reichweite durch R. v. Prince . . . 110 a) Der tatsächliche Nexus (factual nexus) . . . . . . . . 111 b) Der rechtliche Nexus (legal nexus) . . . . . . . . . . 111 II. Das Verhältnis zur included offence rule . . . . . . . . . . 113 1. Die kanadischen included offence-Regeln . . . . . . . . 114 a) Vollendung und Versuch . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Die allgemeine Regel, einschließlich der Luckett-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Sonderregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Die Funktion als Doppelverurteilungsverbot . . . . . . . 117 a) In aufeinanderfolgenden Verfahren . . . . . . . . . . 117 b) In einem einheitlichen Verfahren . . . . . . . . . . . 117 III. Weitere Anwendungsfälle der Regel . . . . . . . . . . . . 118 1. Waffendelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Vermögens- und Eigentumsdelikte . . . . . . . . . . . . 119 3. Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Delikte der freien Willensentschließung/-betätigung . . . 121 5. Keine Anwendung der Regel zwischen einer Verschwörung (conspiracy) und dem Hauptdelikt . . . . 121 C. Doppelverurteilungsverbote bei der mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Alternativ formulierte Statuten . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Die Determination der anwendbaren Gesetzesverletzungen anhand der Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Die Determination der anwendbaren Gesetzesverletzungen nach einem anderen Faktor als der Tathandlung . . . . . . 123 IV. Eine Gesetzesverletzung bei auf eine Dauertätigkeit angelegten Tatbeständen (continuing offences) . . . . . . . 125 D. Die kumulative Anklage und die Auswirkungen von Doppelverurteilungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Die Kumulation in einem Anklagepunkt . . . . . . . . . . 126 1. Das grundsätzliche Verbot der Kumulation von Delikten in einem Anklagepunkt (duplicity) . . . . . . . . . . . . 126 2. Die single transaction rule als Ausnahme von der duplicity-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
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II. Die Kumulation durch verschiedene Anklagepunkte (joinder of counts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 § 2 Die kumulative Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 A. Der Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Die Verhängung mehrerer Freiheitsstrafen (imprisonment) . . . 130 I. Die Bildung von Einzelstrafen . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Die Festlegung der Vollstreckungsweise . . . . . . . . . . 132 1. Die gerichtliche Ermessensausübung . . . . . . . . . . . 133 a) Die grundsätzlich konsekutive Strafvollstreckung . . 133 b) Die gleichzeitige Vollstreckung bei einem einheitlichen kriminellen Unternehmen (single criminal adventure) 133 (1) Der zeitlich-räumliche Zusammenhang . . . . . . . 134 (2) Die Kongruenz der geschützten Rechtsinteressen, insbesondere die Opferidentität . . . . . . . . . . . . 135 (3) Serientaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (4) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Die gleichzeitige Vollstreckung zur Herstellung einer angemessenen Endstrafe (to achieve a proper totality) 138 2. Die konsekutive Vollstreckung kraft einer gesetzgeberischen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Die Möglichkeit einer Einheitsstrafe . . . . . . . . . . . . 143 C. Die Berücksichtigung (consideration) weiterer Delikte . . . . . 143
4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht . . . . . . . . . . 145 § 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage . . . . . . . 145 A. Die Grundlage im double jeopardy-Verbot . . . . . . . . . . . 145 B. Das Doppelverurteilungsverbot bei verschiedenen Tatbeständen 146 I. Die Deliktsidentität nach dem Blockburger-Test . . . . . . 146 1. Der Ursprung des Tests als Vergleich der abstrakten Tatbestandsmerkmale (same elements test) . . . . . . . 147 2. Die Einbeziehung aller abstrakt-notwendig mitbegangenen Delikte (lesser included offenses) . . . . 148 3. Die Einbeziehung der notwendigen Mitbegehung eines anderen Delikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Die Fiktion eigenständiger Straftatbestände bei Delikten mit verschiedenen Tatmodalitäten . . . . . 150 b) Allgemeines Abstellen auf die notwendige Mitbegehung auf Grundlage der konkreten Anklagetheorie? . . . . 151
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4. Die Einbeziehung der notwendigen Mitbegehung für den konkreten Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Kein Doppelverurteilungsverbot trotz desselben Delikts nach Blockburger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Über Blockburger hinausgehende Kumulationsverbote . . . 154 1. Die „Spezialität“ nach Simpson und Busic . . . . . . . . 155 2. Nielsen: Wertungsbasierte Abweichung vom same elements test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Vor- und Nachbereitungsdelikte . . . . . . . . . . . . . 157 a) Die Entwicklung einer Rechtsprechungslinie in Bezug auf 18 U.S. Code § 2113 . . . . . . . . . . 157 b) Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Rechtsprechung? 158 c) Versuch (attempt) bzw. Verschwörung (conspiracy) und Hauptdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 C. Kumulationsverbote bei der mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Zeitlich gestreckte Kriminalität (continuing offense) . . . . 161 II. Die mehrfache Vornahme einer spezifisch umschriebenen Tathandlung (individual punishable acts) . . . . . . . . . . 164 III. Die Behandlung konkurrierender units of prosecution . . . 166 1. Der Vorrang der Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Der Vorrang anderer Tatbestandselemente . . . . . . . . 168 3. Die Differenzierung bei verschiedenen Opfern insbesondere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 IV. Eine Gesetzesverletzung bei Erfüllung unselbstständiger Tatalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D. Die Anklage und Kumulativverurteilungsverbote . . . . . . . . 171 I. Das Ermessen in Bezug auf die Auswahl der Anklagepunkte 171 II. Das Verhältnis zwischen den Anklageregeln und den Doppelverurteilungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Die Kumulation in einem Anklagepunkt und der Grundsatz der duplicity . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Mehrmals der nominell selbe Tatbestand in einem Anklagepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Nominell verschiedene Tatbestände in einem Anklagepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Die Kumulation durch separate Anklagepunkte und der Grundsatz der multiplicity . . . . . . . . . . . . . . . . 174 E. Der Model Penal Code und das Recht der Einzelstaaten . . . . 176 I. Der Model Penal Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
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II. Modelle in den Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Die Anwendbarkeit des bundesrechtlichen double jeopardy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Double jeopardy-Garantien in den Bundesstaaten . . . . 178 3. Die unterschiedliche Reichweite des Begriffs der Deliktsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Deliktsabsorption bei einer bloß gemeinsamen Tatsachengrundlage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 § 2 Die kumulative Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 A. Der Regelungsrahmen im Bundesstrafrecht . . . . . . . . . . . 186 B. Die Verhängung mehrerer Freiheitsstrafen (imprisonment) . . . 187 I. 18 U.S. Code § 3584 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. United States Sentencing Guidelines . . . . . . . . . . . . 187 1. Die Ermittlung der einzelnen Deliktsebenen (offense level) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Die Ermittlung der final anwendbaren Deliktsebene (combined offense level) . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Die Gruppierung eng zusammenhängender Delikte (closely related counts) . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (1) Opfer- und Handlungs-/Vorgangsidentität (same victim and the same act or transaction) . . . . 189 (2) Opferidentität bei unterschiedlichen Handlungen/ Vorgängen (same victim and two or more acts or transactions) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (3) Tatbestandliches Verhalten bereits im Rahmen eines anderen Delikts berücksichtigt (conduct treated as a offense characteristic or adjustment) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (4) Delikte mit einem quantifizierbaren Schaden (offense level determined on the basis of an aggregate harm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Die Bestimmung der jeweils gruppenintern anwendbaren Deliktsebene (offense level) . . . . . . 193 c) Die Bestimmung der bei mehreren Gruppen anwendbaren Deliktsebene (combined offense level) . 193 3. Die Bildung und Verhängung der endgültigen Strafe (total punishment) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Wenn die Vollstreckungsweise nicht durch Statut festgelegt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
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b) Tatbestände mit obligatorisch konsekutiver Gefängnisstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Der Model Penal Code und das Recht der Einzelstaaten im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Die kumulative Bestrafung nach dem ursprünglichen Model Penal Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II. Die Reform des Model Penal Code . . . . . . . . . . . . . 196 III. Positivrechtliche Tendenzen in den Einzelstaaten . . . . . . 198
5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse . . . . . . . . . . . . 203 § 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung . . . . . . . . . 203 A. Die Form der Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen . . . . 203 B. Die vorhandenen Differenzierungssysteme und die Ableitung eines generellen Kumulativstrafrahmens . . . . . . . . . . . . 205 I. Einheitsstrafe nach § 52 StGB versus gleichzeitige Einzelstrafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 II. Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB versus konsekutive Einzelstrafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Die Reihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Die Höhe der Endstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Lebenslange Einzelstrafe(n) . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Die Grenzen eines generellen Kumulativstrafrahmens . . . 209 1. Die Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Die Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Plädoyer für eine einheitliche Behandlung von Tateinheit und -mehrheit im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . 213 C. Die zwischen milder und strenger Variante vorgenommenen Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Die gemeinsame tatsächliche Grundlage als Vergleichsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Gemeinsame tatsächliche Größe tendenziell nur nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Die Relevanz wertender Gesichtspunkte bei ungleichartigen Gesetzesverletzungen . . . . . . . . . . 217 2. Verschiedene Opfer gleichartiger Gesetzesverletzungen . 218 3. Beendigungszeitraum und Fluchtfälle . . . . . . . . . . 220 4. Obligatorisch konsekutive Strafen und Spezialrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
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III. Gemeinsame tatsächliche Größe tendenziell nur nach Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Seriendelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor- und Nachbereitungsdelikte . . . . . . . . . . IV. Fazit und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
221 221 222 223
§ 2 Keine Doppelverurteilung bei der Verwirklichung von verschiedenen Strafgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 A. Doppelverwertung versus Tatumschreibung . . . . . . . . . . . 225 I. Ein rechtsordnungsübergreifender Zielkonflikt . . . . . . . 225 II. Der übereinstimmende Gang eines Mittelwegs . . . . . . . 227 B. Die abstrakt-tatbestandliche Inklusion . . . . . . . . . . . . . . 228 C. Die abstrakt-tatbestandliche Interferenz . . . . . . . . . . . . . 231 I. Ausdrückliche Doppelverurteilungsverbote . . . . . . . . . 232 II. Implizite Doppelverurteilungsverbote . . . . . . . . . . . . 232 1. Keine Doppelverurteilung bei einem Stufenverhältnis mit ähnlicher Schutzrichtung und einer fast immer erfolgenden Mitrealisierung: sog. Quasi-Inklusion . . . . 233 a) Das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Das englische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Das kanadische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 d) Das US-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Keine Doppelverurteilung bei einem Stufenverhältnis ohne eine fast immer erfolgende Mitrealisierung . . . . 237 a) Das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Das englische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Das kanadische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 d) Das US-Recht, die konkrete Beweisnotwendigkeit insbesondere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3. Keine Doppelverurteilung bei einer notwendigen Mitbegehung durch den konkreten Täter . . . . . . . . . 246 4. Die Verbrechensverabredung/Verschwörung insbesondere 246 III. Vom Wert der Idealkonkurrenz, einschließlich einer Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 § 3 Keine Doppelverurteilung bei der mehrfachen Realisierung desselben Strafgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 A. Keine Doppelverurteilung bei identischen Verhaltenstatsachen . 251 I. Das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
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II. Das US-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 III. Das englische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Das kanadische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 V. Fazit und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 B. Keine Doppelverurteilung bei verschiedenen Verhaltenstatsachen 258 I. Die tatbestandlich geforderte durchgehende Erfüllung seiner Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Die Zusammenfassung von punktuellen Tatbestandserfüllungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Die Mehrfachrealisierung abstrakt-tatbestandlich implizierende Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. In einem engen Sachzusammenhang stehende Tatbestandsrealisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Das US-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Das englische und kanadische Recht . . . . . . . . . 265 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
6. Kapitel: Der Einfluss des Blockburger-Tests auf die völkerstrafrechtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . 269 § 1 Die Grundlage des Doppelverurteilungsverbots . . . . . . . . . . . 270 § 2 Die Rechtsprechungswege vor Čelebići . . . . . . . . . . . . . . . 271 A. Die früheren Lösungswege des ICTY . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Tadić: Gleichzeitig zu vollstreckende Einzelstrafen . . . . . 271 II. Kupreškić: Verbot der kumulativen Verurteilung bei einer abstrakt-notwendigen Mitverwirklichung . . . . . . . . . . 272 1 Die Anwendung von Blockburger v. United States . . . . 272 2. Das „Konsumtionsprinzip“ (principle of consumption) . 273 3. Der different values-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 B. Die früheren Lösungswege des ICTR . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Akayesu: (Eingeschränktes?) Verbot der kumulativen Verurteilung bei der abstrakt-notwendigen Mitbegehung . . 275 II. Kayishema/Ruzindana: Verbot der kumulativen Verurteilung im Falle einer konkreten Beweisnotwendigkeit . . . . . . . 276 III. Rutaganda und Musema: Die Bekräftigung von Akayesu . . 277 § 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
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A. Die Testformel und die Durchsetzung des Tests an den Ad-hoc-Tribunalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 B. Die (noch nicht endgültige?) Übernahme durch die IStGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 C. Die Frage nach den in den Vergleich einzubeziehenden Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . 285 II. Völkermord und Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . 286 III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen 286 D. Ein abstrakter oder ein konkreter Vergleich? . . . . . . . . . . 288 I. Die Deckung von Tatbestandselementen bzw. die abstrakt-notwendige Mitbegehung . . . . . . . . . . . . . 290 1. Ausrottung (extermination) und Mord (murder) . . . . . 290 2. Folter (torture) und grausame (cruel treatment) bzw. unmenschliche Behandlung (inhumane treatment) . . . . 292 II. Die Deckung von Tatsachen bzw. die konkrete Beweisnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 1. Verfolgung (persecution) und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Angriff auf Zivilisten (attack on civilians) und Mord/grausame Behandlung als Kriegsverbrechen . . . 297 3. Vergewaltigung (rape) und Folter (torture) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . 298 4. Zerstörung/vorsätzliche Beschädigung von kulturellen Einrichtungen und Verwüstung bzw. Angriff auf zivile Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 E. Die Auswirkungen von Čelebići auf die Anklage . . . . . . . . 301 I. ICTY und ICTR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 § 4 Kritische Würdigung des Čelebići-Tests . . . . . . . . . . . . . . . 304 A. Die unbefriedigende rechtsvergleichende Fundierung . . . . . . 304 B. Erster Vorschlag: Die Kennzeichnung von Doppelverwertungen 305 C. Zweiter Vorschlag: Die Erweiterung von Čelebići . . . . . . . . 306
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . 309 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Abkürzungsverzeichnis A. Atlantic Reporter a. A. anderer Ansicht ABCA Alberta Court of Appeal abl. ablehnend Abs. Absatz A.C. The Law Reports, Appeal Cases a. F. alte Fassung A.J. Alberta Judgments Ala. Alabama Supreme Court Ala.Crim.App. Court of Criminal Appeals of Alabama ALI American Law Institute Alta. C.A. Alberta Court of Appeal Am. J. Crim. L. American Journal of Criminal Law Ariz. Arizona Reports Art., art. Artikel, article A.R.S. Arizona Revised Statutes A.R.S. Rules Crim. Proc. Arizona Revised Statutes Annotated Rules of Criminal Procedure AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BCCA, B.C. C.A. British Columbia Court of Appeal B.C.J. Quicklaw’s British Columbia Judgments BCSC, B.C. S.C. British Columbia Supreme Court BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BMJ Bundesministerium der Justiz Bro. P. C. J. Brown’s Cases in Parliament B. & S. Best & Smith’s Queen’s Bench Reports BT-Drucks. Bundestagsdrucksache BtMG Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln Buff. Crim. L. Rev. Buffalo Criminal Law Review bzw. beziehungsweise c. chapter ca. circa C.A. Court(s) of Appeal(s) CA 1867 Constitution Act, 1867 CA 1982 Constitution Act, 1982 Cal. Kalifornien; California Reports
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
Cal. L. Rev. California Law Review Car. & M. Carrington & Marshman’s Nisi Prius Reports C.C.C. Canadian Criminal Cases Ch. chapter Charter Canadian Charter of Rights and Freedoms Cir. Circuit Court of Appeals (USA) C.J. Chief Justice; Circuit Judge C.J.C. Chief Justice of Canada CJCCJ Canadian Journal of Criminology and Criminal Justice Colum. L. Rev. Columbia Law Review comment. commentary Conn. Connecticut Reports Const. constitution (dt. Verfassung) Co. Rep. Coke’s King’s Bench Reports Cornell L. Rev. Cornell Law Review Cowp. Cowper’s King’s Bench Reports CPD II Criminal Practice Directions 2015 Division II CPD VII Criminal Practice Directions 2015 Division VII CrimPR Criminal Procedure Rules CPS Crown Prosecution Service Cr. App. R. Criminal Appeal Reports (England) Cr. App. R. (S.) Criminal Appeal Reports (Sentencing) (England) Cr. C. Criminal Code of Canada Crim. L. Forum Criminal Law Forum Crim. L. Q. Criminal Law Quarterly Crim. L. R. The Criminal Law Review C.S.C. Canadian Sentencing Commission Ct. App. Court of Appeal(s) d. der, des, den dass. dasselbe D.C. District Court (USA); District of Columbia (USA); Queen’s Bench Division – Divisional Court (England) ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselbe(n) DPP Director of Public Prosecutions dt. deutsch ECCC Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia E.D. Cal. Eastern District of California Emory Int’l L. Rev. Emory International Law Review EMRK (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten E. R. English Reports et al. et allii (dt. und andere) EWCA Crim Court of Appeal Criminal Division (England) EWHC (Admin) High Court (Administrative Court) (England) F. Federal Reporter f., ff. folgend(-e, -er)
Abkürzungsverzeichnis
XXV
Fed. Appx. Federal Appendix Fla. St. U. L. Rev. Florida State University Law Review Fn. Fußnote(n) Fordham Int. L. J. Fordham International Law Journal F. R. Crim. P. Federal Rules of Criminal Procedure F. Supp. Federal Supplement gem. gemäß Geo. George ggf. gegebenenfalls H. C. House of Commons (Canada) Hervorh. Hervorhebung h. M. herrschende Meinung ICC International Criminal Court (dt. Internationaler Strafgerichtshof) ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (dt. Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) ICTR International Criminal Tribunal for Rwanda (dt. Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda) Idaho Idaho Reports IGH-Statut Statut des Internationalen Gerichtshofs ILCS Illinois Compiled Statutes Ind. Supreme Court of Indiana Ind. L. Rev. Indiana Law Review Int’l Crim. L. Rev. International Criminal Law Review i. n. S. im natürlichen Sinne insb. insbesondere Intramural L. Rev. N.Y.U. Intramural Law Review of New York University IStGH Internationaler Strafgerichtshof IStGH-Statut Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs i. S. v. im Sinne von ItYBIL Italian Yearbook of International Law i. V. m. in Verbindung mit J., JJ. Judge(s), Justice(s) JA Juristische Arbeitsblätter J.A. Justice of Appeal JGG Jugendgerichtsgesetz JICJ Journal of International Criminal Justice JZ Juristenzeitung JuS Juristische Schulung K.B. Law Reports, King’s Bench Kfz Kraftfahrzeug krit. kritisch La. Louisiana LC Law Commission (England) L.G.R. Local Government Review L.J. Lord Justice LJIL Leiden Journal of International Law LK Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar LRCC Law Reform Commission of Canada
XXVI Man. C.A. Mass. Mass. App. Ct.
Abkürzungsverzeichnis
Manitoba Court of Appeal Massachusetts Reports Appeals Court of Massachusetts; Massachusetts Appeals Court Reports MBCA Manitoba Court of Appeal Md. Maryland Reports Md. App. Maryland Appeal Reports Md. Ct. Spec. App. Court of Special Appeals of Maryland MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Melb. J. Int. Law Melbourne Journal of International Law Mich. Michigan Minn. Supreme Court of Minnesota Minn. L. Rev. Minnesota Law Review M.L.R. Modern Law Review MPC Model Penal Code (Modellstrafgesetzbuch der USA) m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. application note; footnote N.B.R. New Brunswick Reports N.C. App. Court of Appeals of North Carolina N.E. North Eastern Reporter Nfld. C.A. Newfoundland Court of Appeal Nfld. & P.E.I.R. Newfoundland and Prince Edward Island Reports N.H. New Hampshire Reports N.J. Newfoundland Judgments (Canada) N.J. Super. Ct. App. Div. Superior Court of New Jersey, Appellate Division NJW Neue Juristische Wochenschrift NK Nomos-Kommentar N.L.C.A. Newfoundland and Labrador Court of Appeal N.M. New Mexico Reports; Supreme Court of New Mexico N.M. L. Rev. New Mexico Law Review N.N. Nomen nominandum No. number Nr. Nummer NSCA, N.S. C.A. Nova Scotia Court of Appeal N.S.R. Nova Scotia Reports NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht N.W. North Western Reporter Nw. J. L. & Soc Pol’y Northwestern Journal of Law & Social Policy N.Y. New York; New York Reports Ohio St. Ohio State Reports Ohio St. J. Crim. L. Ohio State Journal of Criminal Law OGH Oberster Gerichtshof für die Britische Zone O.J. Quicklaw’s Ontario Judgments OLG Oberlandesgericht ONCA Ontario Court of Appeal Ont. C.A. Ontario Court of Appeal Ont. Dist. Ct. Ontario District Court Ont. S.C. Ontario Supreme Court
Abkürzungsverzeichnis
XXVII
P. Pacific Reporter; President of the Queen’s Bench Division p. page par. paragraphe(s) (dt. Absatz, Absätze) para., paras paragraph(s) (dt. Absatz, Absätze) P. & C.R. Property and Compensation Reports P.E.I.S.C. Prince Edward Island Supreme Court Pt. part Q.A.C. Québec Appeal Cases Q.B. Law Reports, Queen’s Bench (England); New Brunswick Court of Queen’s Bench Que. C.A. Québec Court of Appeal R. Rex (dt. König), Regina (dt. Königin) r. rule RG Reichsgericht RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Rn. Randnummer RPE Rules of Procedure and Evidence (dt. Verfahrens- und Beweis regeln) R.S. Revised Statutes RSC Revue de science criminelle et de droit penal comparé R.S.C. Revised Statutes of Canada RStGB Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich R.T.R. Road Traffic Reports Rutgers L. J. Rutgers Law Journal s., ss. siehe; section(s) S. Seite Sask. C.A. Saskatchewan Court of Appeal SC Sentencing Council (England) S.C. Statutes of Canada S.C.C. Supreme Court of Canada (Oberster Gerichtshof von Kanada) Sch. schedule S.C.R. Supreme Court Reports (Kanada) S.Ct. Supreme Court Reporter (USA) S.E. South Eastern Reporter SK Systematischer Kommentar SKCA Saskatchewan Court of Appeal So. Southern Reporter sog. so genannte(-r, -s) S/S Schönke/Schröder SSW Satzger/Schluckebier/Widmaier StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StV Strafverteidiger StVG Straßenverkehrsgesetz Suffolk Transnat’l L. Rev. Suffolk Transnational Law Review Sup. Ct. Rev. Supreme Court Review S.W. South Western Reporter Tenn. Supreme Court of Tennessee
XXVIII Tex. Tul. J. Int’l & Comp. L. Tul. L. Rev. u. a. U. Chi. L. Rev. U. Colo. L. Rev. U.K.
Abkürzungsverzeichnis
Court of Criminal Appeals of Texas Tulane Journal of International and Comparative Law Tulane Law Review unter anderem University of Chicago Law Review University of Colorado Law Review United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland (dt. Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland) U. Pa. L. Rev. University of Pennsylvania Law Review U. Pitt. L. Rev. University of Pittsburgh Law Review U. Rich. L. Rev. University of Richmond Law Review US(A) Vereinigte Staaten von Amerika U.S. United States Reports U.S. Code Code of Laws of the United States of America U.S. Const. amend. Amendment to the Constitution of the United States (dt. Zusatz artikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika) USSC United States Sentencing Commission USSG United States Sentencing Commission, Guidelines Manual Utah Court of Appeals of Utah U. Tor. L. J. University of Toronto Law Journal u. U. unter Umständen v. von, vom; versus v. a. vor allem VereinsG Vereinsgesetz Verf. Verfasser(s) Vict. Victoria vgl. vergleiche V.S.A. Vermont Statutes Annotated VStGB Völkerstrafgesetzbuch Vt. Vermont Reports; Supreme Court of Vermont W.C.B. Weekly Criminal Bulletin Will. William Wis. L. Rev. Wisconsin Law Review WL Westlaw W.L.R. The Weekly Law Reports Wm. Mitchell L. Rev. William Mitchell Law Review W. Va. L. Rev. West Virginia Law Review Yale L. J. The Yale Law Journal YIHL Yearbook of International Humanitarian Law z. B. zum Beispiel ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zust. zustimmend
nemo debet bis puniri pro uno delicto*
Einleitung § 1 Das Interesse an der strafrechtlichen Konkurrenz im Common Law Das Interesse der deutschen Rechtswissenschaft an der Behandlung strafrechtlicher Konkurrenzfragen in Common Law-Rechtsordnungen war über lange Zeit hinweg ziemlich begrenzt. Zum einen schien dieses Thema als für das deutsche Recht wenig relevant wahrgenommen worden zu sein. Zum anderen erweckte ein erster Blick darauf sogar den Eindruck, dass es im Common Law eigentlich gar keine Konkurrenzlehre gebe bzw. jedenfalls nichts von diesem Rechtskreis zu lernen sei. So befand Merkel in einem Gutachten aus dem Jahr 1908 über das englische und US-amerikanische Strafrecht: „Dem englischen Strafrecht ist die Verbrechenskonkurrenz eine unbekannte Erscheinung. Es steht darin heute noch auf einer Stufe, die von der Gesetzgebung, zum mindesten aber – wie in Frankreich – von der Wissenschaft schon seit etwa hundert Jahren überschritten worden ist. Die englischen Entwürfe bringen darin so gut wie keinen Fortschritt; auch der amerikanische Entwurf ist nahezu ergebnislos. [Dass] sie in die rechtsvergleichende Betrachtung einbezogen worden sind, geschah mehr der Vollständigkeit halber, weniger in der Annahme, [dass] sie Interesse beanspruchen können.“1
Fast 50 Jahre später erachtete Stöcker ebenfalls im Rahmen eines Gutachtens seine Erkenntnisse als für die Reform des deutschen Strafrechts wenig brauchbar und bestätigte im Grunde Merkels Einschätzung: „Die kurzen Ausführungen über die Konkurrenzregelungen im anglo-amerikanischen Rechtskreis zeigen, [dass] von dort keine nützlichen Anregungen zu gewinnen sind, weder in dogmatischer Beziehung noch in Strafzumessungsfragen. Die fehlende Unterscheidung zwischen Gesetzes- und Idealkonkurrenz zeigt, [dass] die dogmatischen Fragen der Konkurrenz noch bei weitem nicht die Durcharbeitung gefunden haben wie insbesondere in den kontinental-europäischen Rechten.“2
Hudson v. Lee (1589), 4 Co. Rep. 43a, 76 E. R. 989, 990. Merkel, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Band 5, 1908, S. 326. 2 Stöcker, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 2, 1954, S. 453. * 1
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Einleitung
Von diesen beiden Autoren abgesehen, wurde das Thema nur ausnahmsweise im Rahmen umfassenderer Projekte zum ausländischen Strafrecht oder spezifisch zur Konkurrenzlehre aufgegriffen und wurden infolgedessen Erkenntnisse herausgearbeitet.3 Jedoch wurde die strafrechtliche Konkurrenz gerade im Common Law4 als solche lange nicht schwerpunktmäßig in den Fokus gerückt. Vor allem in den vergangenen zwei bis drei Dekaden hat das Thema jedoch sowohl innerhalb jenes Rechtskreises als auch von Seiten der deutschen Strafrechtswissenschaft größere Aufmerksamkeit gefunden. Das Interesse deutscher Autoren weckte maßgeblich die seit den 1990ern zu beobachtende rasante Entwicklung des modernen Völkerstrafrechts. Diese manifestierte sich vor allem in der Errichtung internationaler Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR) sowie schließlich dem ständigen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Diese Gerichtshöfe wurden – vor allem in ihren Verfahrensrechten – stark durch Common Law-Rechts ordnungen beeinflusst; speziell im Bereich der Konkurrenz hat sich die internationale Rechtsprechung stark am Recht der USA orientiert (vgl. 6. Kapitel). Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass von Seiten deutscher Juristen erste, häufig in einen schwerpunktmäßig völkerstrafrechtlichen Kontext eingebettete, Aus einandersetzungen mit der Konkurrenz im US-Recht und weiteren Common Law-Rechtsordnungen erfolgten. Vor allem die Arbeiten von Stuckenberg5, 3 Vgl. – nicht abschließend – für das englische Recht: Heinemann, Die Lehre von der Ideal konkurrenz, 1893, S. 117 ff.; Schuster, in: von Liszt (Hrsg.), Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in vergleichender Darstellung, Band 1: Das Strafrecht der Staaten Europas, 1894, S. 631 ff.; Grünhut, in: Mezger et al. (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Dritter Band, 1959, S. 190 f.; für das US-amerikanische Recht: Honig, in: Mezger et al. (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Vierter Band, 1962, S. 239–246; rechtsordnungsübergreifend: Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 71–145; Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, S. 725 f. 4 Dieser Begriff wird in vier verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, vgl. Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 2. Aufl. 1987, S. 88 f., und bezeichnet 1. die Gesamtheit des angloamerikanischen Rechtskreises, – regelmäßig in Abgrenzung zu kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen (Civil Law); 2. das einheitliche Recht Englands in Abgrenzung zu früheren örtlichen Gewohnheitsrechten; 3. das gegenüber dem geschriebenen Recht (Statutory Law) abzugrenzende Fallrecht (Case Law); sowie 4. innerhalb des Fallrechts das Common Law der ursprünglichen Common Law Courts gegenüber dem Billigkeitsrecht (Equity) des Court of Chancery. In dieser Arbeit wird er grundsätzlich zur Bezeichnung des Rechtskreises sowie mitunter im dritten Zusammenhang gebraucht. 5 Stuckenberg, Double Jeopardy, 2001; ders., in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 559 ff.; ders., ZStW 113 (2001), 146 ff.
§ 1 Das Interesse an der strafrechtlichen Konkurrenz im Common Law
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Walther6 und Hünerbein7 haben hier schon aufgezeigt, dass im Common Law gleiche Probleme wie im deutschen Recht auftreten und gelöst werden. Auf diesen wertvollen Arbeiten aufbauend soll dieses Projekt eine Lücke füllen, indem die Konkurrenz in mehreren Common Law-Rechtsordnungen, soweit ersichtlich, zum ersten Mal schwerpunktmäßig im Rahmen einer Dissertation in den Fokus gestellt wird. Den Erkenntnissen der Vorarbeiten kann nicht nur mehr als eine weitere Dekade an Rechtsprechung hinzugefügt werden. Darüber hinaus hat das Thema der strafrechtlichen Konkurrenz gerade in den letzten Jahren – und vor allem nach Veröffentlichung der genannten Werke – ein reges Interesse innerhalb des Common Law-Rechtskreises selbst erfahren, was eine erneute Auseinandersetzung damit gewinnbringend erscheinen lässt: So wurde im Jahr 2012 in England eine Richtlinie (Totality guideline) erlassen, welche die Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen zum ersten Mal zu strukturieren versucht. In Kanada wurde dieser Themenbereich 2015 durch den Gesetzgeber neu geordet und in den USA wurde im Jahr 2017 eine Reform des dortigen Musterstrafgesetzbuchs (Model Penal Code) abgeschlossen, die gerade auch den Bereich der Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen neu justiert. Auf der Ebene der Zulässigkeit einer kumulativen Verurteilung für mehrere Gesetzesverletzungen wurde in England im Jahr 2007 eine Art „fortgesetzte Tat“ in den Criminal Procedure Rules kodifiziert; und in den USA ist in den letzten Jahren nach einer scheinbar gefestigten Rechtsprechung zwischen den Obersten Gerichtshöfen eine Auseinandersetzung darüber aufgekommen, inwieweit bei der Verletzung mehrerer Strafgesetze durch dasselbe Verhalten die kumulative Verurteilung gestattet sein sollte. Angesichts dieser spannenden Entwicklungen verwundert es nicht, dass sich Konkurrenzthemen in den Common Law-Rechtsordnungen auch von akademischer Seite nun verstärkt gewidmet und dazu geäußert wird, es handele sich um einen der am wenigsten theoretisch fundierten Teilbereiche des Strafrechts;8 – Ende 2015 war die Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen sogar Gegenstand einer wissenschaftlichen Konferenz an der University of Oxford.9 Im deutschen 6 Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 481 ff. 7 Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 44 ff. 8 Vgl. für die USA Cahill, Ohio St. J. Crim. L. 1 (2004), 599, 610 sowie den jüngsten Befund von ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 381 („No American jurisdiction has formulated a satisfactory
approach to the punishment of offenders convicted of multiple current offenses, in large part
because of the complexity of the task.“). 9 Roberts/Harris, More than one Crime? Sentencing for Multiple Offences, 12.1.2016, abrufbar unter https://www.law.ox.ac.uk/centres-institutes/centre-criminology/blog/2016/01/mo re-one-crime-sentencing-multiple-offences (Abruf. v. 1.9.2018). Ein dazugehöriger Tagungs-
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Recht hingegen mag eher das Gegenteil der „Überdogmatisierung“10 zutreffen, wenn etwa im Bereich der Handlungseinheiten oder der Gesetzeskonkurrenz eine Vielzahl an theoretischen Konzepten existiert, jedoch eine alles andere als kohärente terminologische Vielfalt das ohnehin nicht einfache Thema der Konkurrenz unnötigerweise verkompliziert; – so mancher Autor11 nennt die Konkurrenz sogar ein „leidiges“ Thema.
§ 2 Ziel, Gang und Methodik der Untersuchung Ziel dieser Arbeit ist es mithin, den gegenwärtigen Zustand des Konkurrenzrechts in für den Rechtskreis des Common Law möglichst repräsentativen Rechtsordnungen aufzubereiten und dem deutschen Recht gegenüberzustellen. Hierbei sollen insbesondere rechtsordnungsübergreifende Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden, um sich einer Art gemeinsamem Nenner des Konkurrenzrechts zu nähern. Denn während in anderen Bereichen des Strafrechts schon verstärkt strafrechtsvergleichend im Hinblick auf übergreifende Gemeinsamkeiten geforscht wird, wird das Thema der Konkurrenzen regelmäßig ausgespart. Auch diesem Umstand will die vorliegende Arbeit Rechnung tragen. Da Common Law-Rechtsordnungen begrifflich gerade keine Konkurrenzlehre kennen12 und von Einflüssen des Kontinents in dieser Hinsicht weitgehend unberührt geblieben sind, bieten gerade diese sich an, die in beiden Rechtskreisen angestellten Überlegungen zusammenzuführen. Die Arbeit mündet auf Grundlage der rechtsvergleichenden Erkenntnisse sodann in einen Vorschlag zur Reform der Konkurrenz im deutschen Recht: So wird sich insbesondere die Differenzierung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit als für die Form der Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen nicht notwendig erweisen. Vielmehr wird für eine generelle Form der Kumulativbestrafung plädiert. Dennoch werden die Kategorien der Ideal- und Realkonkurrenz beizubehalten sein, denn die Arbeit wird gerade auch zeigen, dass das Konzept der Idealkonkurrenz13 in seiner Klarstelband ist im Jahr 2018 erschienen, vgl. Ryberg/Roberts/de Keijser (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, Oxford/New York 2018. 10 Diesen Begriff verwendet Ambos, JICJ 4 (2006), 660, 669 für eine exzessiv theoretische und abstrakte Dogmatik. 11 Vgl. Kühl, JA 1978, 475. 12 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 73 (Fn. 7), 83; Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 148. Der etwa im englischen Recht bekannte Begriff der concurrence bezieht sich auf das zeitliche Zusammentreffen von actus reus und mens rea, vgl. Dine/ Gobert/Wilson, Cases & Materials on Criminal Law, 6. Aufl. 2011, S. 56. Er entspricht im deutschen Recht mithin dem Simultan- oder Koinzidenzprinzip. 13 Welches selbstverständlich auch in vielen anderen Civil Law-Rechtsordnungen existiert,
§ 2 Ziel, Gang und Methodik der Untersuchung
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lungsfunktion äußerst wertvoll ist, wenn die Auswirkungen seines Fehlens in den Common Law-Rechtsordnungen untersucht werden. Das Fehlen der uns bekannten Kategorien in Common Law-Rechten bedingt, dass verglichen werden muss, was funktional die gleichen Sachprobleme löst.14 Daher wird unter Konkurrenz für die Zwecke dieser Arbeit verstanden, dass ein Täter begrifflich mehrere Strafgesetze verletzt und diese in einem einzigen Verfahren zur Aburteilung stehen. Grundsätzlich außer Betracht bleiben daher nicht in einem Verfahren abgeurteilte Deliktsmehrheiten. Die Leitfragen der Untersuchung lauten demnach: 1. Inwieweit sind bei einer formellen Erfüllung von begrifflich verschiedenen Strafgesetzen diese kumulativ in der Verurteilung anwendbar? 2. Inwieweit ist bei einer formell mehrfachen Erfüllung des begrifflich selben Strafgesetzes dieses kumulativ in der Verurteilung anwendbar? 3. Wie wird bei der Anwendbarkeit von mehreren Gesetzesverletzungen in Form und Sache die tatsächlich verhängte Endstrafe gebildet? Die Darstellung gliedert sich in vier Landesberichte, eine vergleichende Analyse sowie ein Kapitel zum Völkerstrafrecht. Zunächst erfolgt eine Aufbereitung der Grundzüge der strafrechtlichen Konkurrenzlehre im deutschen Recht (1. Kapitel). In drei weiteren Landesberichten werden dann entsprechende Äquivalente in Common Law-Rechtsordnungen herausgearbeitet. Um die durch eine enorme Stofffülle bedingte Fehleranfälligkeit gering zu halten15 und um einen hinreichenden Erkenntnisgewinn zu gewährleisten16, soll folgende Beschränkung getroffen werden, ohne dass die Repräsentativität für den Common Law-Rechtskreis dadurch Schaden nimmt: Die Einbeziehung von England und Wales17 (2. Kapitel) als Ursprungsraum des Common Law erscheint bei einer Untersuchung dieses Rechtskreises unabdingbar, weil das dortige Recht seit jeher sowohl methodisch als auch inhaltlich das Recht vieler weiterer Common Law-Rechtsordnungen beeinflusst hat.18 Ferner wurde das kanadische Strafrecht (3. Kapitel) maßgeblich aus zwei Gründen einbezogen. Zum einen ist es aufgrund seiner landesweit einheitlichen Geltung relativ leicht handhabbar. Zum anderen weist Kanada gerade in Fragen der Konvgl. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 86 ff., 108 ff.; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 40 ff. 14 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 33. 15 Vgl. Jescheck, Entwicklung, Aufgaben und Methoden der Strafrechtsvergleichung, 1955, S. 37 f. 16 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, S. 40. 17 Wenn im Laufe der Arbeit vom „englischen Strafrecht“ die Rede ist, ist damit das Strafrecht von England und Wales gemeint. 18 Vgl. Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 7. Aufl. 2003, S. 4.
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kurrenz eine selbst gegenüber anderen Common Law-Rechtsordnungen relativ eigenständige Rechtsprechung auf und ist daher sehr interessant für die Zwecke dieses Vorhabens. Schließlich erscheint in einem Rechtsvergleich mit dem Common Law die Einbeziehung des US-amerikanischen Rechts wegen der langen Selbstständigkeit vom kolonialen Mutterland und der damit verbundenen hinreichend eigenen Ansätze erforderlich (4. Kapitel).19 Dabei muss allerdings die föderale Ordnung der USA mit Strafrecht auf allen staatlichen Ebenen vom Bund über die Bundesstaaten bis hin zur Kommune berücksichtigt werden.20 Im Vordergrund wird daher das Bundesstrafrecht stehen, welches im hier relevanten Bereich ohnehin stark auf die bundesstaatlichen Strafrechtsordnungen einwirkt, wie noch gezeigt werden wird. An die vier Landesberichte schließt im 5. Kapitel die Rechtsvergleichung an, welche nach Sachfragen gegliedert und rechtsordnungsübergreifend erfolgt. Abschließend wird im 6. Kapitel der seit inzwischen eineinhalb Jahrzehnten von der Rechtsprechung angewendete, aber in den vorgenannten Werken anderer Autoren zumeist noch nicht berücksichtigte Čelebići-Test kritisch beleuchtet. Dieser bestimmt im Völkerstrafrecht bei mehreren nominell erfüllten verschiedenen Tatbeständen die tatsächlich in der Verurteilung anwendbaren Tatbestände. Dieses Kapitel bietet sich an, weil dieser Test inhaltlich weitgehend dem im US-amerikanischen Bundesstrafrecht angewendeten, in dieser Arbeit ausführlich beleuchteten Blockburger-Test entspricht und ähnliche Probleme mit sich bringt. Auch weitere im Völkerstrafrecht versuchte Tests basierten auf Blockburger, sodass es sich lohnt, dem besonderen Einfluss des US-amerikanischen Rechts auf das Völkerstrafrecht in diesem Teilbereich Aufmerksamkeit zu schenken. Hier wird diese Arbeit aufzeigen, dass sich die völkerstrafrechtliche Rechtsprechung in problematischer Weise einseitig am Bundesrecht der USA orientiert, weil dieses jedenfalls hinter den anderen hier untersuchten Rechtsordnungen zum Nachteil des Angeklagten zurückbleibt. Ferner wird sich zeigen, dass es durch ausschließliche Anwendung dieses Tests im Völkerstrafrecht sogar zu einer strengeren Handhabung dieser Konkurrenzfragen kommt als in den USA selbst. Infolgedessen wird für eine Modifikation des Tests bei Einführung der Idealkonkurrenz in das Völkerstrafrecht plädiert. Aufgrund der enormen Materialfülle, selbst innerhalb der hier einbezogenen Rechtsordnungen, musste eine weitere methodische Beschränkung getroffen werden. Diese besteht darin, dass sich die Arbeit auf die tatsächlich in den Rechtsordnungen angewendeten, mithin von der Rechtsprechung vertretenen Lösungen fokussiert. Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, S. 40; Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 2003, S. 26. 20 Vgl. Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, 2005, S. 2 f. 19
1. Kapitel
Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht Um einen Vergleich der Common Law-Äquivalente mit dem deutschen Recht zu ermöglichen, soll die Konkurrenzlehre des deutschen Rechts nach den oben angesprochenen Fragen aufgegliedert dargestellt werden. Zunächst wird untersucht, inwieweit im deutschen Recht mehrere begriffliche Erfüllungen desselben Tatbestands zu nur einer anwendbaren Gesetzesverletzung führen (§ 1). Anschließend, inwieweit dies bei der Erfüllung von begrifflich verschiedenen Tatbeständen gilt (§ 2). Schließlich wird darauf eingegangen, wie bei mehreren anwendbaren Gesetzesverletzungen eine Endstrafe gebildet wird (§ 3).
§ 1 Eine Gesetzesverletzung bei mehrfacher Realisierung desselben Tatbestands Das deutsche Strafrecht geht in § 53 StGB von dem Grundsatz aus, dass mehrere in einem Verfahren abzuurteilende nominelle Gesetzesverletzungen verschiedene, in die Verurteilung aufzunehmende Straftaten darstellen. Dabei kann auch mehrfach derselbe Tatbestand verletzt werden, was zu mehreren gleichen Straftaten i. S. v. § 53 Abs. 1 StGB führt (sog. gleichartige Realkonkurrenz).1 Davon gibt es zwei Ausnahmen: Zum einen kann trotz mehrfacher Tatbestandserfüllung eine Handlung(seinheit) zu einer einzigen materiellen Gesetzesverletzung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB führen, was dessen Anwendung mangels konkurrierender Gesetzesverletzungen ausschließt (1. Kap. § 3 A. I.). Zum anderen zeigt der Wortlaut des § 52 Abs. 1 StGB („Verletzt dieselbe Handlung [...] dasselbe Strafgesetz mehrmals“), dass auch bei mehrfacher Verletzung desselben Tatbestands durch eine einzige Handlung noch mehrere Gesetzesverletzungen anzunehmen sein können (gleichartige Idealkonkurrenz).
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Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 726.
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
Wann die erste Ausnahmekonstellation anzunehmen ist, soll im Vordergrund der folgenden Ausführungen stehen (A.). Dann wird zur gleichartigen Idealkonkurrenz abgegrenzt (B.). Schließlich wird für die Zwecke des Vergleichs gezeigt, dass im deutschen Recht das Gericht nicht an die von der Anklage vorgegebene Anzahl der Gesetzesverletzungen gebunden ist (C.).
A. Zu einer einzigen Gesetzesverletzung führende Handlungseinheiten Die Rechtsprechung nimmt unter gewissen Voraussetzungen bei begrifflich mehrfacher Verwirklichung eines Tatbestands eine einzige Gesetzesverletzung an. Terminologisch unterscheidet sie Dauerdelikte (I.), die tatbestandliche Handlungseinheit (II.), die Bewertungseinheit (III.), die natürliche Handlungseinheit (IV.) sowie – in der älteren Rechtsprechung – die Fortsetzungstat (V.). Eine einheitliche Gesetzesverletzung in diesem Sinne wird häufig als „Tat im Rechtssinne“ bezeichnet.2 I. Das Dauerdelikt Bei einem Dauerdelikt wird ein durch den Täter geschaffener rechtswidriger Zustand willentlich aufrechterhalten oder eine Tätigkeit ununterbrochen fortgesetzt, sodass der strafrechtliche Vorwurf sowohl an die Begründung als auch die Aufrechterhaltung/Fortsetzung anknüpft.3 Als Beispiele für Dauerdelikte werden zumeist der Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB) und die Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) für aufrechtzuerhaltende Zustandsdelikte angeführt bzw. die Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) oder das Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) als fortgeführte Tätigkeitsdelikte genannt.4 Auch Besitzdelikte werden dogmatisch als Dauerdelikte behandelt.5 Alle den Zustand aufrechterhaltenden bzw. die Tätigkeit fortsetzenden, den Tatbestand nominell nochmals erfüllenden Einzelhandlungen werden hier zu ei2 Vgl. BGH NJW 1970, 255, 257; BGH NJW 1990, 194, 196; BGH NStZ 1990, 490, 491; BGH NStZ-RR 2000, 139; so auch Walter, JA 2004, 133, 136. Der BGH verwendet diesen Begriff mitunter auch für mehrere Gesetzesverletzungen in Form der Idealkonkurrenz, vgl. BGH NJW 1977, 2321. Ferner findet man den Begriff der „Verbrechenseinheit“, vgl. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 257; Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 57, 59. 3 BGH NJW 1990, 194, 196; BGH NJW 1996, 3424. 4 Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 32; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 29. Aufl. 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 81; SSW-Eschelbach, StGB, 3. Aufl. 2016, § 52 Rn. 41 f. 5 SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 41; vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 81; krit. Eckstein, ZStW 117 (2005), 107, 110 ff., 135 ff.
§ 1 Eine Gesetzesverletzung bei mehrfacher Realisierung desselben Tatbestands
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ner einzigen Tatbestandsmäßigkeit verschmolzen.6 In der abstrakt-tatbestandlich geforderten Notwendigkeit der zeitlich andauernden Tatbegehung und damit der kontinuierlichen Verletzung des Tatbestands liegt der das Dauerdelikt auszeichnende Umstand im Gegensatz zu reinen Zustandsdelikten,7 bei denen die mehrmalige punktuelle Verwirklichung allerdings nach anderen Kategorien noch zu einer einzigen Gesetzesverletzung führen kann.8 Die Aufrechterhaltung bzw. Fortführung muss also grundsätzlich ununterbrochen sein,9 jedoch sollen bloß sehr kurze, unwesentliche Unterbrechungen das Dauerdelikt noch nicht in mehrere Gesetzesverletzungen aufspalten.10 Ein nicht im normalen Lauf der Dauertätigkeit liegendes Ereignis konnte – jedenfalls nach bisheriger Rechtsprechung – zu einer das Dauerdelikt in tatmehrheitliche Gesetzesverletzungen teilenden Zäsur führen. Wenn beispielsweise ein Täter des ununterbrochenen unerlaubten Waffenbesitzes den Entschluss fasste, die Waffe bei der Begehung eines anderen Delikts zu führen, stellte dies eine relevante Zäsur dar, weil eine solche Begehung regelmäßig nicht mit der Dauerstraftat des unerlaubten Waffenbesitzes verbunden ist.11 Bei den Organisationsdelikten der §§ 129 Abs. 1 Alt. 2, 129a Abs. 1 Alt. 2 StGB hingegen stellte ein solcher Entschluss bislang keine in diesem Sinne relevante Zäsur dar, weil die Begehung von Straftaten gerade der Zweck entsprechender Vereinigungen ist, an welchen sich der Täter mitgliedschaftlich beteiligt.12 In einer neueren Entscheidung wurde diese konkurrenzrechtliche Einordnung der §§ 129 Abs. 1 Alt. 2, 129a Abs. 1 Alt. 2 StGB allerdings verworfen. So führe auch dort die Verletzung eines weiteren Strafgesetzes zu tatmehrheitlichen Verletzungen des Organisationsdelikts.13 Allerdings sei das Kriterium des Tatentschlusses hierfür unerheblich. Vielmehr sei in objektiver Hinsicht wegen der ungleichwertigen Qualität entsprechender Beteiligungsakte keine Zusammenfassung zu einer Handlungseinheit materiell gerechtfertigt, wenn das eine Mal Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 22; vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 81; vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 4. Aufl. 2017, § 31 Rn. 35. 7 Vgl. BGH NJW 1990, 194, 196; vgl. BGH NJW 1996, 3424; Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 32 f. 8 Vgl. BGH NJW 1996, 3424. 9 Vgl. BGH NJW 1990, 194, 196; vgl. BGH NJW 1996, 3424; vgl. BGH NStZ 1996, 129, 130; vgl. BGH NJW 1998, 1652; SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 40. 10 Vgl. BayObLG NJW 1960, 879; vgl. OLG Stuttgart NJW 1964, 1913; vgl. jüngst BGH, Beschluss v. 9. März 2016 – 4 StR 60/16, Rn. 2; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 23; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 3. Aufl. 2016, § 52 Rn. 29. 11 BGH NJW 1989, 1810 f.; vgl. BGH NJW 2016, 657, 659. 12 Vgl. BGH NJW 1980, 2718; vgl. BGH NJW 1989, 1810. 13 BGH NJW 2016, 657 ff. 6
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
ein anderer Straftatbestand mitrealisiert wird und das andere Mal nicht.14 Ob damit das Kriterium des Tatentschlusses auch für Dauerstraftaten, wie etwa den unerlaubten Waffenbesitz, aufgegeben ist, ist noch nicht geklärt.15 Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass die neuere Rechtsprechung die mitgliedschaftliche Beteiligung nicht mehr als Dauerdelikt, sondern als eine im Folgenden zu behandelnde tatbestandliche Handlungseinheit aufgrund pauschalisierender Handlungsumschreibung ansieht, weil die Tatbestände nicht an die bloße Mitgliedschaft, sondern an die nicht notwendig fortlaufende Beteiligung an einer Vereinigung anknüpfen.16 II. Die tatbestandliche Handlungseinheit Die tatbestandliche Handlungseinheit kommt bei Tatbeständen in Betracht, die im Unterschied zu den Dauerdelikten nicht begriffsnotwendig eine andauernde Tatbestandserfüllung verlangen. Bei diesen Tatbeständen kann vielmehr schon ein punktueller Einzelakt den Tatbestand verwirklichen, wobei er typischerweise allerdings mehrfach realisiert wird.17 Entscheidendes Prüfungskriterium ist, ob der Tatbestand „in erster Linie ein über den Einzelfall hinausreichendes, auf gleichartige Tatwiederholungen gerichtetes Verhalten, somit ganze Handlungskomplexe treffen [soll].“18
Während der Begriff in einem hier verwendeten engeren Sinne in Abgrenzung zum Dauerdelikt und der natürlichen Handlungseinheit gebraucht wird,19 wird er auch in einem weiteren Sinne als Oberbegriff20 für andere normativ vermittelte Handlungseinheiten (insb. auch Dauerdelikte) verwendet.21 14
BGH NJW 2016, 657, 659 f. Vgl. Puppe, JZ 2016, 478, 480; dies., JuS 2017, 503, 505 ff., die dies befürwortet. 16 Vgl. BGH NStZ 2002, 329, 330 f.; BGH NJW 2016, 657 f., 659; BGH, Urteil v. 7.9.2016 – 1 StR 522/15, Rn. 15; BGH, Beschluss v. 20.12.2016 – 3 StR 355/16, Rn. 5; so auch die Begründung von Werle, NJW 1980, 2671, 2674 („Bewertungseinheit“); vgl. auch Geppert, JURA 2000, 598, 602; vgl. LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 12. Aufl. 2006, Vor § 52 Rn. 24; a. A. (Dauerstraftat) noch BGH NJW 1980, 2718 f.; BGH NJW 1989, 1810; Kühl, Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 21 Rn. 24. 17 Vgl. BGH NJW 1994, 1663, 1669; BGH NJW 1996, 3424; BGH NStZ 1997, 487, 488; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 27. 18 BGH NJW 1994, 1663, 1669; BGH NStZ 1997, 487, 488; BGH NJW 1998, 1652; BGH NStZ 1999, 396, 403. 19 Vgl. BGH NJW 1998, 1652. 20 Vgl. BGH NStZ 1997, 487 f.; BGH NJW 2016, 657, 658 f.; Kühl, JA 1978, 475, 479; Geppert, NStZ 1996, 57, 59; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 15, 19 ff.; Seher, JuS 2004, 392, 393; Walter, JA 2004, 572, 573; Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 907; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 24; Puppe, JuS 2017, 503 ff. 15
§ 1 Eine Gesetzesverletzung bei mehrfacher Realisierung desselben Tatbestands
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Indizwirkung dafür, dass ein Tatbestand in erster Linie auf einen Handlungskomplex als Ganzes abzielt, haben ein eine pauschale Handlungsumschreibung verwendender Wortlaut sowie insbesondere der Sinn des Tatbestands.22 Eine pauschale, zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit führende Handlungsumschreibung enthält beispielsweise der Tatbestand des Ausübens geheimdienstlicher Tätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB), welcher kein ununterbrochenes Aufrechterhalten einer geheimdienstlichen Tätigkeit erfordert, aber durch die Verbindung zu einem fremden Geheimdienst dennoch ein gewisses Dauerelement enthält, sodass die Tat nicht mit jedem Einzelakt beendet sein soll.23 Eine tatbestandliche Handlungseinheit kann sich auch aus einer besonderen, die Einzelakte übergreifenden tatbestandlich geforderten Absicht ergeben. So rechtfertigt bei einem Völkermord (§ 6 Abs. 1 VStGB) die Absicht zur Zerstörung der Gruppe die Zusammenfassung aller Einzelakte, auch in verschiedenen Tatalternativen, zu einer Völkermordtat.24 Allerdings schränkt der BGH hier die Annahme einer Tat im Rechtssinne dahingehend ein, dass sie noch als „einheitlicher örtlich und zeitlich begrenzter Lebenssachverhalt“ erscheinen muss.25 Insgesamt kann der räumlich-zeitliche Zusammenhang deutlich lockerer sein als bei der gleich anzusprechenden natürlichen Handlungseinheit und sich ggf. über Jahrzehnte erstrecken.26 Tritt bei einem der tatbestandlichen Handlungseinheit zugänglichen Tatbestand allerdings zwischenzeitlich eine dem Tatbestand nicht wesenseigene, nicht im normalen Verlauf liegende Unterbrechung ein, handelt es sich um eigenständige Taten.27 III. Die Bewertungseinheit Die Rechtsprechung verwendet auch den Begriff der Bewertungseinheit. Allerdings sind Reichweite und Eigenständigkeit dieser Figur gegenüber der tatbestandlichen Handlungseinheit unklar. Während man die Bewertungseinheit teilweise als Synonym der tatbestandlichen Handlungseinheit anzusehen scheint,28 wird teilweise von ihrer Selbstständigkeit gegenüber der tatbestandlichen HandVgl. auch die Differenzierungen von LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 22 ff.; Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 31. 22 Vgl. BGH NStZ 1997, 487 f.; BGH NJW 1998, 1652; BGH NStZ 1999, 396, 403. 23 Vgl. BGH NStZ 1996, 129, 130; BGH NJW 1996, 3424; BGH NStZ 1997, 487 f.; vgl. Geppert, NStZ 1996, 57, 59; Seher, JuS 2004, 392, 394. 24 BGH NStZ 1999, 396, 401, 403. 25 BGH NStZ 1999, 396, 403. 26 BGH NStZ 1997, 487, 488 mit Verweis auf Werle, Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung, 1981, S. 100 f. 27 Vgl. BGH NJW 1996, 3424. 28 Vgl. BGH NJW 1994, 1663, 1669. 21
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lungseinheit ausgegangen.29 In der Literatur ist die Lage nicht übersichtlicher: Während manche Autoren in der Bewertungseinheit ein über die tatbestandliche Handlungseinheit hinausgehendes, eigenständiges Konzept sehen,30 betrachten andere sie als Unterfall31 der tatbestandlichen Handlungseinheit. Ferner wird der Begriff etwa für die zu einer Gesetzesverletzung führende natürliche Handlungseinheit32 oder im Kontext der Gesetzeskonkurrenz33 verwendet. Von der Rechtsprechung wurde der Begriff für verschiedene Einzelakte des auf einen einheitlichen Güterumsatz ausgerichteten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (vgl. §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) unter dem Hinweis darauf entwickelt, dass sich diese Bewertungseinheit gerade aus dem gesetzlichen Tatbestand selbst durch Verwendung einer pauschalisierenden Handlungsumschreibung ergebe.34 Da eine schon tatbestandlich vermittelte Einheit nach der oben angesprochenen Rechtsprechung allerdings gerade eine tatbestandliche Handlungseinheit begründen soll, wird hier keine der tatbestandlichen Handlungseinheit gegenüber eigenständige Kategorie gemeint sein.35 Eine Differenzierung zwischen den Begriffen lässt hingegen der 3. Strafsenat des BGH in Bezug auf Zuwiderhandlungen gegen vereinsrechtliche Betätigungsverbote nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG erkennen.36 Danach seien mehrere Zuwiderhandlungen grundsätzlich selbstständige Taten und können nicht zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden, weil der Tatbestand keinen organisatorischen Erfolg verlangt, der den Grund für eine materiellrechtliche Zusammenfassung bilden könnte.37 Allerdings komme eine tatbestandliche Bewertungseinheit in Betracht, wenn der Täter im Verein ein Amt oder eine Funktion übernommen hat und infolgedessen weitere Zuwiderhandlungen als notwendige Folge der Ausübung dieses Amtes begangen werden.38 Wird die Ausübung dieser Funktion allerdings für eine gewisse Zeit unterbro29
Vgl. BGH NJW 1995, 2045 f. MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 39; SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 49. 31 Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 53, 62; Walter, JA 2004, 572, 573. 32 Sowada, JURA 1995, 245, 248. 33 Vogler, in: Kaufmann et al. (Hrsg.), Festschrift für Paul Bockelmann, 1979, S. 721. 34 BGH NJW 1981, 1325 f.; vgl. BGH NJW 1983, 692, 693; vgl. BGH NJW 1994, 1885, 1886; BGH NStZ-RR 1999, 250; BGH NStZ 2000, 207, 208; vgl. BGH, Beschluss v. 7.3.2017 – 5 StR 38/17, Rn. 4; dazu Geppert, NStZ 1996, 57, 59 f.; Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 53 ff. 35 Vgl. Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 59. 36 Krit. Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 60 ff. 37 BGH NJW 1998, 1652; BGH NStZ 2000, 322, 323; BGH NStZ 2000, 377. 38 BGH NStZ 2000, 322, 324; vgl. BGH NStZ 2000, 377 f. 30
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chen, liegen wieder selbstständige Taten vor.39 Die Differenzierung nimmt der Senat anhand der rechtlichen oder tatsächlichen Vermittlung zu einer Gesamtheit vor, wenn er einerseits eine tatbestandliche Handlungseinheit verneint, weil die Zusammenfassung nicht in der Handlungsumschreibung des Tatbestands angelegt sei, andererseits sich die Bewertungseinheit aus der wiederholten Art und Weise der faktischen Tatbestandserfüllung ergebe: „Die Bewertung mehrerer, schon für sich genommen tatbestandsmäßiger Zuwiderhandlungen gegen ein Betätigungsverbot i. S. des § 18 S. 2 VereinsG als eine einheitliche Tat ist auch dann zwar nicht in der Handlungsbeschreibung des § 20 I Nr. 4 VereinsG angelegt und deshalb auch keine tatbestandliche Handlungseinheit im eigentlichen Sinne. Die Möglichkeit, an sich eigenständige tatbestandsmäßige Handlungen strafrechtlich als eine Einheit zu bewerten, ist allein in einer Eigenheit, der besonderen Art und Weise der Tatbestandserfüllung begründet, der das Element der Wiederholung immanent ist [Hervorh. d. Verf.]. Jedenfalls dann, wenn ein Täter ein auf eine gewisse Dauer angelegtes Amt oder einen Tätigkeitsbereich im Interesse eines mit einem Betätigungsverbot belegten Vereins mit dem Willen übernimmt, zur Aufrechterhaltung oder zur Unterstützung der verbotenen Tätigkeit dieses Vereins beizutragen, und in Ausübung dieser Funktion weitere für den Verein förderliche Tätigkeiten entfaltet, ist eine solche einheitliche Bewertung mehrerer Handlungen nach Auffassung des Senats gerechtfertigt und geboten.“40
Mithin kann es nach dieser Konzeption bei einem rein tatsächlichen Zusammenhang – in der Form einer dauerhaften Funktion und wiederholter tatbestandserheblicher Einzelakte in deren Ausübung – selbst ohne einen Anknüpfungspunkt in der tatbestandlichen Handlungsumschreibung zu einer einzigen Gesetzesverletzung kommen. Diese Konzeption der Selbstständigkeit beider Kategorien scheint sich allerdings weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur durchgesetzt zu haben, sodass immer noch viel Unklarheit herrscht. Die Abgrenzung erschwerend kommt hinzu, dass der BGH mitunter nur von der Zusammenfassung zu einer Tat im Rechtssinne spricht, ohne die der Zusammenfassung unterliegende Figur zu benennen. Als Beispiel einer unklaren Kategorisierung kann der mehrmalige, über Tage verteilte Geschlechtsverkehr genannt werden, der nur eine Vergewaltigungstat nach § 177 Abs. 1 und 2 Satz 2 Nr. 1 StGB a. F. darstellen soll, wenn eine einzige Gewaltanwendung während des gesamten Vorgangs fortwirkt.41 Schließlich wird inzwischen auch eine sukzessive Tatausführung als Bewertungseinheit bezeichnet, wenn sie auf einen einheitlichen Erfolg als Bezugspunkt ausgerichtet ist und die Einzelhandlungen daher inhaltlich zusammengehören.42 In diesem Sinne sind mehrere Einsätze qualifizierter Nötigungsmittel zur (nach 39
BGH NStZ 2000, 377, 378. Vgl. BGH NStZ 2000, 322, 324. 41 BGH NStZ 2000, 419, 420. 42 BGH NStZ 2007, 578 f. 40
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und nach) Erlangung derselben Leistung als eine in Bewertungseinheit verbundene räuberische Erpressung anzusehen.43 In anderen Entscheidungen wird hingegen von einer tatbestandlichen Handlungseinheit gesprochen.44 Ebenfalls liegt eine einzige versuchte Strafvereitelung in Form einer tatbestandliche Handlungseinheit dann vor, wenn an drei Verhandlungstagen eines laufenden Hauptverfahrens nominell drei Versuche unternommen werden, die Bestrafung derselben Person erheblich zu verzögern.45 IV. Die natürliche Handlungseinheit Schließlich kennt die Rechtsprechung den Begriff der natürlichen Handlungseinheit,46 welcher ebenfalls in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht wird: einerseits für die hier relevante Zusammenfassung von mehreren Handlungen zu einer Gesetzesverletzung; zum anderen für die Zusammenfassung von gleichartigen oder verschiedenen Tatbeständen zu mehreren Gesetzesverletzungen in Idealkonkurrenz (§ 52 Abs. 1 StGB) (1. Kap. § 1 B. II. sowie § 3 A. II. 3.).47 Eine Zusammenfassung von mehreren, für sich jeweils schon begrifflich denselben Tatbestand erfüllenden Handlungen zu einer Gesetzesverletzung setzt unter diesem Gesichtspunkt im Wesentlichen gleichartige strafrechtlich erhebliche Betätigungen voraus, die von einem einheitlichen Willen getragen werden und zwischen denen ein derart enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Handeln objektiv für einen Dritten als einheitliches, zusammengehöriges Tun darstellt.48 Die objektive Seite wird terminologisch mitunter um das Erfordernis eines sachlichen Zusammenhangs ergänzt.49 Auf subjektiver Seite verlangt die Rechtsprechung teilweise einen einheitlichen Entschluss,50 teilweise lässt sie einen lediglich gleichartigen, auf dasselbe Ziel ausgerichteten Handlungswillen trotz mehrerer Entschlüsse ausreichen.51 Mitun43
BGH NStZ-RR 2012, 79. BGH NStZ 2000, 532 f.; BGH NStZ 2018, 148 f. 45 BGH NStZ 2009, 692, 693. 46 Vgl. RGSt 32, 137, 138 f.; RGSt 58, 113, 116; BGH NJW 1957, 595, 596; BGH NJW 1957, 1077, 1078; BGH NJW 1970, 255, 257; BGH NStZ 1990, 490, 491. 47 Vgl. Sowada, JURA 1995, 245, 247; Geppert, JURA 2000, 598, 601; Wagemann, JURA 2006, 580 f.; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 18 ff.; krit. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 257 ff., 313 ff.; Warda, in: Herzberg (Hrsg.), Festschrift für Dietrich Oehler, 1985, S. 248 ff.; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 10; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 53, 59. 48 Vgl. statt vieler BGH NJW 1995, 1766; vgl. BGH NStZ 2000, 532. 49 Vgl. z. B. BGH NJW 1998, 1652 f.; BGH NStZ 2000, 322, 324; BGH NStZ 2000, 377 f. 50 Vgl. BGH NJW 1977, 2321; vgl. BGH NStZ 1995, 46, 47; BGH NStZ 1996, 493, 494; so auch Heinrich, Strafrecht AT, 5. Aufl. 2016, Rn. 1413. 51 BGH NJW 1953, 1357, 1358; BGH NStZ 1990, 490, 491 (ein Mord, obwohl sich die 44
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ter werden die subjektiven Anforderungen durch die Formulierung „gemeinsames subjektives Element“ nicht genauer spezifiziert.52 Als Fallgruppen der natürlichen Handlungseinheit im hier verwendeten Sinne werden verbreitet die iterative und die sukzessive Tatbestandsverwirklichung angesehen.53 1. Die iterative Tatbestandsrealisierung Die iterative, d. h. wiederholte, Tatbestandsverwirklichung meint mehrere ähnliche und zeitlich schnell aufeinanderfolgende Einzelhandlungen, die nominell immer denselben Tatbestand erfüllen; z. B. bilden mehrere Schläge gegenüber derselben Person in schneller Abfolge eine Körperverletzung.54 Auch die Wegnahme mehrerer Sachen kann bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen zu nur einem Diebstahl zusammenzufassen sein.55 Selbst wenn eine Wegnahmehandlung in Bezug auf eine Sache nominell nur versucht wurde, wird sie mit auf andere Sachen bezogenen vollendeten Wegnahmehandlungen zu einer Diebstahlstat zusammengefasst.56 Das Beispiel des § 242 Abs. 1 StGB zeigt, dass sich die Zusammenfassung hier unabhängig von der abstrakt-tatbestandlichen Formulierung der Tathandlung vollzieht,57 denn der Tatbestand ist gerade nicht pauschalisierend formuliert („[...] eine fremde bewegliche Sache [...] wegnimmt“). Ferner kann die Verwirklichung von verschiedenen Tatbestandsalternativen unter den Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit zu einer GesetzesverTäter erneut entschließen, die Tat noch zu vollenden, nachdem das Opfer nach einer ersten Einwirkung irrtümlich für tot gehalten wurde); vgl. auch BGH NJW 1967, 60, 61; BGH NStZ 2000, 322, 324; BGH StV 2017, 673, 675; so auch Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 68 ff.; ders., NJW 1978, 300, 302; wohl auch Hoffmann-Holland, Strafrecht AT, 3. Aufl. 2015, Rn. 878. 52 Ausdrücklich offengelassen durch BGH NJW 1984, 1568; vgl. auch BGH NJW 1996, 936, 937; BGH NJW 1998, 1568, 1570. Nunmehr ausdrücklich dagegen, dass ein Tatentschluss „unverzichtbare Voraussetzung“ für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit sei: BGH StV 2017, 673, 675. 53 Geppert, JURA 2000, 598, 601; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 29; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1414. 54 Vgl. BGH NJW 1984, 1568; vgl. Sowada, JURA 1995, 245, 247; vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 32; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 34; vgl. aber Mitsch, JuS 1993, 385, 388 f., wonach die natürliche Handlungseinheit per se nur zu gleichartiger Idealkonkurrenz führe und sich eine einheitliche Strafgesetzverletzung allenfalls aus dem konkret involvierten Tatbestand ergebe. 55 BGH NJW 1957, 1077, 1078; vgl. BGH NStZ-RR 2009, 278, 279; Sowada, JURA 1995, 245, 247; Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 37; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1414. 56 BGH NStZ-RR 2009, 278, 279. 57 Vgl. Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 41.
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letzung führen; zum Beispiel, wenn nach § 267 Abs. 1 StGB zum Zweck des Gebrauchs eine unechte Urkunde hergestellt (Alt. 1) bzw. eine echte verfälscht (Alt. 2) und sodann tatsächlich gebraucht wird (Alt. 3).58 2. Die sukzessive Tatbestandsrealisierung Bei der sukzessiven Tatbegehung führen mehrere Einzelakte eine intendierte Vollendung nach und nach herbei, sodass die der Vollendung (oder nur dem Versuch) vorausgehenden Handlungen für sich betrachtet ggf. schon unter Versuchstatbestände subsumiert werden können. Bei Vorliegen der Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit wird auch hier nur eine Gesetzesverletzung angenommen, anstatt noch aus separaten Versuchstaten zu verurteilen.59 Beispielsweise wird nur wegen eines Diebstahls bestraft, wenn der Täter mehrere, per se unter den Versuch subsumierbare Anläufe zur Wegnahme derselben Sache unternimmt.60 Genauso wird nur auf ein (versuchtes oder vollendetes) Tötungsdelikt erkannt, wenn der Täter mehrere tötungsvorsätzliche Anläufe dazu unternimmt.61 Die nicht gesonderte Strafbarkeit eines Versuchs wird allerdings auch unter dem Gesichtspunkt der materiellen Subsidiarität (1. Kap. § 2 B. II. 2. Ia) begründet.62 Andere nehmen Gesetzeskonkurrenz aufgrund von Spezialität an, weil in jeder Vollendung notwendig ein Versuch enthalten sei.63 Mehrere Gesetzesverletzungen werden jedoch angenommen, wenn der Versuchstatbestand wegen er58 Vgl. BGH NStZ-RR 1998, 269, 270; a. A. (Subsidiarität) Geppert, JURA 2000, 651, 654 f.; a. A. (tatbestandliche Handlungseinheit) Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 21, 203; Walter, JA 2004, 572, 574. 59 Vgl. schon RGSt 15, 281, 283; vgl. BGH NJW 1957, 595, 596; vgl. BGH NJW 1957, 1077, 1078; BGH NStZ-RR 2002, 75. 60 Vgl. RGSt 15, 281, 283; vgl. BGH NJW 1957, 1077, 1078. 61 Vgl. BGH NJW 1957, 595, 596; BGH NStZ 1990, 490 f.; vgl. BGH NStZ-RR 2002, 75; Geppert, JURA 2000, 598, 601; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 47. Aufl. 2017, Rn. 1067. 62 Vgl. BGH NStZ-RR 2005, 201, 202; BGH NJW 2008, 1394, 1395; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 184 f., 187; Mitsch, JuS 1993, 385, 389; Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 735; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 60; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, Vor § 52 Rn. 26; vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1069, 1101; Handlungseinheit nach Warda, JuS 1964, 81, 91 (Fn. 67); Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 42, 203; Walter, JA 2004, 133, 136; ders., JA 2004, 572, 574; ders., JA 2005, 468, 469; vgl. zum Ganzen auch Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 85 ff.; Sowada, JURA 1995, 245, 247 f. 63 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, S. 331; dies., JuS 2016, 961, 963; NK-dies., StGB, Band 1, 5. Aufl. 2017, Vor § 52 Rn. 10; Seher, JuS 2004, 482; Baumann et al., Strafrecht AT, 12. Aufl. 2016, § 27 Rn. 10 (Fn. 39), 16; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 24; SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 9, 19.
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schwerender Umstände (z. B. der Erfüllung eines Qualifikationsmerkmals) über den der Vollendung hinausgeht.64 Die Abgrenzung zwischen einheitlich sukzessiver Ausführung und selbstständigen Teilakten erfolgt entlang der aus dem Rücktrittsrecht (vgl. § 24 StGB) bekannten Gesamtbetrachtung, d. h. bei einem zunächst fehlgeschlagenen Versuch liegen selbstständige Taten vor.65 Dies hängt damit zusammen, dass die sukzessive Tatausführung von der Rechtsprechung inzwischen der Bewertungseinheit bzw. der tatbestandlichen Handlungseinheit zugerechnet wird (vgl. schon 1. Kap. § 1 A. III.).66 Auch im Schrifttum wird die natürliche Handlungseinheit insgesamt oder nur in der Fallgruppe der sukzessiven Tatausführung der tatbestandlichen Handlungseinheit zugeschlagen.67 V. Die Fortsetzungstat Die frühere Rechtsprechung kannte mit der Fortsetzungstat, dem Kollektivdelikt sowie dem Massenverbrechen weitere Formen der Zusammenfassung mehrerer nomineller Realisierungen desselben Tatbestands zu einer einheitlichen Gesetzesverletzung. Wegen ihrer Relevanz für den vergleichenden Teil soll hier nur die Fortsetzungstat hervorgehoben werden.68 Als fortgesetzte Tat, fortgesetzte Handlung oder Fortsetzungszusammenhang konnten über die bislang angesprochenen Handlungseinheiten hinausgehend zeitlich auseinanderliegende, vorsätzliche69 Deliktsverwirklichungen zu einer 64 RGSt 15, 281, 283; vgl. BGH NJW 1957, 1077, 1078; Seher, JuS 2004, 482; a. A. Warda, JuS 1964, 81, 86 f. 65 Vgl. BGH NJW 1996, 936, 937; BGH NJW 1998, 1568, 1570; vgl. BGH NStZ 1999, 406; BGH NStZ 2000, 532 f.; BGH NStZ 2005, 263, 264; zust. Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 907; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1069. 66 Vgl. BGH NJW 1996, 936, 937; BGH NStZ 2000, 532 f.; vgl. BGH NStZ 2007, 578; vgl. BGH NStZ-RR 2012, 79; vgl. Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 41, 44; vgl. MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 11, 34, 54. 67 So Momsen, NJW 1999, 982, 986; Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 39; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 35 f.; Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 907; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 22 ff.; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 52; Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 25 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1067 ff.; Puppe, JuS 2017, 503, 504; für die Eigenständigkeit Warda, JuS 1964, 81, 83 f.; ders., in: Herzberg (Hrsg.), Festschrift für Dietrich Oehler, 1985, S. 257 ff.; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 15 f., 29 ff. differenziert danach, ob sich die Handlungseinheit schon aus dem Wortlaut des Tatbestands ergibt; vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 20, 32. 68 Für die Kategorien des Kollektivdelikts und des Massenverbrechens vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 274 ff. 69 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 717; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 254; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 59. Manche hielten einen
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einzigen Gesetzesverletzung zusammengezogen werden.70 Man wollte dadurch den „Bedürfnissen des Lebens“ entgegenkommen und insbesondere den Strafgerichten die Bildung zahlreicher Einzelstrafen ersparen.71 1. Die Voraussetzungen der Rechtsfigur Die Fortsetzungstat setzte objektiv voraus, dass derselbe Tatbestand oder Tatbestände aus derselben Tatbestandsgruppe (z. B. Grunddelikt, Qualifikation, Privilegierung, Versuch, Vollendung)72 mehrmals in ähnlicher Weise realisiert wurden und die einzelnen Begehungen in einem gewissen räumlich-zeitlichen Verhältnis zueinander standen.73 Letzteres stand allerdings nicht der Entwicklung einer Rechtsprechung entgegen, die sogar sich über Wochen, Monate oder Jahre erstreckende Tatbestandsverwirklichungen zur Fortsetzungstat zusammenfasste.74 Die Einzeldelikte durften sich allerdings nicht gegen höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger richten.75 Subjektiv mussten die Tatbestandsverwirklichungen von einem vor Beendigung des ersten Teilakts gebildeten Gesamtvorsatz getragen sein, der sämtliche Teile der geplanten Handlungsreihe in den wesentlichen Grundzügen (Ort, Zeit, Art der Tatbegehung sowie das verletzte Rechtsgut) umfasste.76 Nach jüngerer Fortsetzungszusammenhang sogar auf rein objektiver Grundlage und damit auch bei Fahrlässigkeitsdelikten für denkbar, vgl. die Nachweise bei Heintschel-Heinegg, JA 1993, 136, 140; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 716 f. 70 Vgl. RGSt 27, 19, 20; RGSt 44, 392, 395; Geppert, JURA 2000, 598, 602; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 248. 71 Vgl. BGH NJW 1952, 1263, 1264; vgl. BGH NJW 1954, 202; BGH NJW 1989, 1615, 1616. 72 Vgl. BGH NJW 1959, 108. Bei Tatbeständen aus derselben Gruppe war grundsätzlich aus der schwersten Tatbestandsverwirklichung zu verurteilen. Jedoch konnten besondere Umstände einen genauer gefassten Schuldspruch rechtfertigen, vgl. RGSt 53; 262; 263; RGSt 57, 81; RGSt 67, 183, 188; BGH NJW 1957, 1288; BGH NJW 1964, 1810, 1811; BGH NJW 1985, 1173; Heintschel-Heinegg, JA 1993, 136, 138 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 715 f., 717; Geppert, JURA 2000, 598, 602 (Fn. 37). 73 Vgl. BGH NJW 1989, 1615, 1616; BGH NJW 1992, 1054, 1055; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 715 f.; vgl. Geppert, JURA 2000, 598, 602; vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1078. 74 Vgl. BGH NJW 1959, 252, 253; vgl. BGH NJW 1961, 1733, 1734; BGH NJW 1975, 395, 396; krit. BGH NJW 1989, 1615, 1616; BGH NJW 1994, 1663, 1664 f.; vgl. Sowada, JURA 1995, 245, 249. 75 RGSt 27, 19, 20; vgl. BGH NJW 1961, 1733; BGH NJW 1975; 320; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 716; Geppert, JURA 2000, 598, 602 (Fn. 37); Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 253; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 28; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1426; vgl. dazu auch Heintschel-Heinegg, JA 1993, 136, 138. 76 Vgl. RGSt 66, 236, 239; BGH NJW 1961, 565, 566; BGH NJW 1974, 959; BGH NJW
§ 1 Eine Gesetzesverletzung bei mehrfacher Realisierung desselben Tatbestands
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Rechtsprechung konnte der Gesamtvorsatz allerdings noch bis zur Beendigung des letzten ursprünglich geplanten Teilakts erweitert werden.77 Nach Teilen der Literatur sollte hingegen schon ein Fortsetzungs- oder Wiederholungsvorsatz ausreichen, d. h. ein auch nach dem letzten Teilakt gefasster Beschluss zu weiteren Taten, wenn dieser als Fortsetzung des vorherigen angesehen werden konnte.78 2. Die Aufgabe der Rechtsfigur Mit der Figur war eine Reihe von Schwierigkeiten verbunden. Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden konnte es zu Rechtskraftproblemen führen, wenn in einem früheren Verfahren eine fortgesetzte Tat angenommen worden war und später weitere, in die Bestrafung nicht einbezogene Einzelakte dieser fortgesetzten Tat entdeckt wurden.79 Ferner, wenn sich zunächst als selbstständig abgeurteilte Taten später als Teile einer fortgesetzten Tat darstellten, für deren (ggf. damals noch nicht bekannte) weitere Bestandteile deswegen Strafklageverbrauch anzunehmen war.80 Für den Täter konnte sie sich etwa in der Form nachteilig auswirken, dass in eine Verurteilung Einzelakte einbezogen werden konnten, die als selbstständige Taten verjährt gewesen wären, denn durch Annahme einer Fortsetzungstat wurde die Verjährung erst ab Beendigung des letzten Teilakts eben dieser Fortsetzungstat berechnet.81 Auch angesichts der Kritik an der Figur aus dem Schrifttum82 sah sich der Große Senat für Strafsachen schließlich dazu veranlasst, ihren Anwendungsbereich stark einzuschränken. Nach dieser Entscheidung können ein bloßer Sachzusammenhang oder Zweckmäßigkeitserwägungen alleine nicht mehrere Tatbe1975, 395, 396; BGH NJW 1982, 247; BGH NJW 1990, 2697; BGH NJW 1992, 1054, 1055; BGH NJW 1994, 1663, 1664; vgl. dazu Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 716. 77 BGH NJW 1964, 1810 f.; BGH NJW 1968, 57, 58; BGH NJW 1969, 2209 f.; BGH NJW 1974, 959, 960; BGH NJW 1982, 247; BGH NJW 1984, 2838; vgl. BGH NJW 1990, 2697; BGH NJW 1994, 1663, 1664; vgl. Walter, JA 2004, 572, 576; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1426; krit. BGH NJW 1989, 1615, 1616. 78 Vgl. Geppert, JURA 2000, 598, 602 f.; vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 254; vgl. Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1426. 79 Vgl. BGH NJW 1954, 1577, 1578 f.; vgl. BGH NJW 1961, 565, 566; vgl. BGH NJW 1994, 1663, 1665. 80 Vgl. BGH NJW 1961, 565, 566; BGH NJW 1985, 1173 f.; vgl. BGH NJW 1994, 1663, 1665. 81 Vgl. BGH NJW 1977, 305, 306; vgl. BGH NJW 1994, 1663, 1666; Heintschel-Heinegg, JA 1993, 136, 137, 142; Geppert, NStZ 1996, 57. In seltenen Fällen ließ der BGH Ausnahmen zu und Einzelakte trotz fortgesetzter Tat selbstständig verjähren, so z. B. im Presserecht, vgl. BGH NJW 1977, 305, 306; vgl. BGH NJW 1994, 1663, 1666. 82 Vgl. statt vieler Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 59 ff.; Heintschel-Heinegg, JA 1993, 136, 137; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 256 ff.; vgl. auch BGH NJW 1994, 1663, 1664 ff. m. w. N.
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standsverwirklichungen zu einer Tat zusammenziehen, sondern es ergebe sich aus dem Deliktstatbestand, ob dies zur sachgerechten Erfassung von Unrecht und Schuld geboten ist.83 Trotz eines angedeuteten Restanwendungsbereichs wird die Fortsetzungstat als faktisch abgeschafft angesehen, denn seit 1994 hat der BGH keine mehr angenommen.84 Diese Rechtsprechungsänderung hat zur Folge, dass im Bereich von Serientaten nunmehr häufiger Realkonkurrenz anzunehmen ist.85 Allerdings werden Tendenzen beobachtet, wonach vermehrt auf die Kategorie(n) der tatbestandlichen Handlungseinheit bzw. Bewertungseinheit zurückgegriffen wird.86 Auch der Anwendungsbereich der natürlichen Handlungseinheit wird nach Beobachtung mancher ausgedehnt.87
B. Die Abgrenzung zur gleichartigen Idealkonkurrenz Weder bei einer natürlichen Handlung noch bei einer Handlungseinheit muss die mehrmalige Erfüllung desselben Tatbestands unbedingt zu einer einheitlichen Tatbestandsverwirklichung führen, sondern kann auch gleichartige Idealkonkurrenz zur Folge haben (vgl. § 52 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Dann liegen mehrere Gesetzesverletzungen vor, jedoch führt die Idealkonkurrenz zu für den Täter im Vergleich zur Realkonkurrenz tendenziell günstigeren Folgen bei der Strafzumessung (dazu 1. Kap. § 3 B. III. 2.). Was die Abgrenzung angeht, ist allerdings vieles umstritten.
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BGH NJW 1994, 1663, 1669. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 263 f.; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 65; SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 63; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1081. 85 Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 266; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 63. 86 Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 30, 38, 57 f.; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 265 f.; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 27; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1424; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 63; vgl. Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 27–32; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1081; Lackner/Kühl, StGB, 2018, Vor § 52 Rn. 15a. 87 Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 27; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1424; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1081; Lackner/Kühl, StGB, 2018, Vor § 52 Rn. 15a; vgl. Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 27–32. So schon die Anregung von Geppert, NStZ 1996, 57, 60 f.; krit. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 31. Anders aber die Beobachtung von MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 76. 84
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I. Einheitliche Gesetzesverletzung und gleichartige Idealkonkurrenz bei Ausführungsidentität Mit einer Willensbetätigung infolge eines Entschlusses ist eine Handlung im natürlichen Sinne gegeben.88 Wird durch eine derart verstandene Handlung derselbe Tatbestand nominell mehrmals verwirklicht, wird hinsichtlich der Anzahl der Gesetzesverletzungen so gut wie alles vertreten. Zumeist wird jedoch nach den von dem jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsgütern wie folgt differenziert: Sind keine höchstpersönlichen Rechtsgüter betroffen, wird häufig nur eine einzige Gesetzesverletzung angenommen.89 Beispielsweise liegt demnach nur eine Sachbeschädigung vor, wenn der Wurf einer Bombe in ein Haus mehrere, selbst verschiedenen Eigentümern gehörende, Sachen zerstört oder beschädigt.90 Auch die durch einen Griff erfolgte Wegnahme von im Eigentum verschiedener Personen stehenden Sachen führt nur zu einem Diebstahl.91 Beim Betrug hingegen besteht wegen eines mit der Täuschung vebundenen „‚höchstpersönliche[n]‘ Einschlag[s]“92 eine stärkere Tendenz zur Annahme von kumulativen Gesetzesverletzungen in Tateinheit, wenn mehrere Personen getäuscht und geschädigt werden.93 88 Vgl. RGSt 32, 137, 138; BGH NJW 1951, 203, 204; BGH NJW 1954, 1209; Warda, JuS 1964, 81, 82; Geppert, JURA 2000, 598, 600; Walter, JA 2004, 572; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1062. 89 Vgl. Honig, Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925, S. 70 ff.; vgl. NK-Puppe, StGB, Band 1, 2017, § 52 Rn. 22; a. A. (mehrere Gesetzesverletzungen auch bei Vermögensdelikten) Schmitt, ZStW 75 (1963), 179, 185 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 720 m. w. N. 90 LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, § 52 Rn. 37; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 15 f.; a. A. (gleichartige Idealkonkurrenz) Mitsch, JuS 1993, 385, 388. 91 Vgl. BGH NStZ-RR 2009, 278, 279; BGH NJW 2016, 2349, 2350; BGH NStZ-RR 2017, 74, 76; Löwenstein, Die Verbrechenskonkurrenz nach dem Reichsstrafgesetzbuch, Diss. Tübingen 1883, S. 22 f., 24 f.; Honig, Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925, S. 70 f.; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 273; Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 82. Anders – nämlich im Sinne von Idealkonkurrenz – wird demgegenüber verfahren, wenn (jedenfalls nominell) mehreren Wohnungseinbruchdiebstählen (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) bereits das gewaltsame Eindringen in das gemeinsame Haus unter den Voraussetzungen des § 244a Abs. 1 i. V. m. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 vorangeht und damit eine Teilausführungsidentität vorliegt, vgl. BGH, Beschluss v. 16.8.2016 – 4 StR 331/16, Rn. 3. 92 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 29. 93 BGH NStZ 1996, 610, 611; BGH NJW 1998, 568, 569; BGH NStZ-RR 2004, 9; BGH, Beschluss v. 16.5.2018 – 2 StR 417/17, Rn. 4; Löwenstein, Die Verbrechenskonkurrenz nach dem Reichsstrafgesetzbuch, Diss. Tübingen 1883, S. 23; MüKo-Hefendehl, StGB, Band 5, 2. Aufl. 2014, § 263 Rn. 869; a. A. (eine Gesetzesverletzung) S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 29.
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Werden hingegen höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt, führt dies – wegen einer nicht nur quantitativen, sondern auch qualitativen Unrechtssteigerung – zwar zu mehreren Gesetzesverletzungen, allerdings stehen diese noch in gleichartiger Idealkonkurrenz zueinander.94 Die Mehrzahl der Erfolge löst mithin nicht die Handlungsidentität i. S. v. § 52 Abs. 1 StGB auf.95 Zum Beispiel führt ein für zwei Menschen tödlicher Schuss zu zwei Tötungsdelikten in gleichartiger Idealkonkurrenz.96 Werden in dem Beispiel des Bombenwurfs auch Menschen getötet oder verletzt, stehen mehrere Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte in Idealkonkurrenz.97 II. Einheitliche Gesetzesverletzung und gleichartige Idealkonkurrenz vermittelt durch natürliche Handlungseinheit Ein (noch) uneinheitlicheres Bild ergibt sich bei der natürlichen Handlungseinheit. Sind hier keine höchstpersönlichen Rechtsgüter verschiedener Personen betroffen, folgt daraus nach vielfach vertretener Ansicht eine einheitliche Gesetzesverletzung. Danach spielt es für die einheitliche Sachbeschädigung keine Rolle, ob die Sachen verschiedenen Eigentümern gehören.98 Auch führen demzufolge mehrere Wegnahmehandlungen von Sachen selbst verschiedener Eigentümer unter den Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit grundsätzlich nur zu einem Diebstahl.99
94 Vgl. BGH NJW 1951, 203, 204; vgl. BGH NJW 1952, 631; BGH NJW 1954, 1209; vgl. BGH NJW 1962, 645; BGH NStZ 2012, 389; Honig, Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925, S. 70 f. (§ 73 RStGB sei analog anzuwenden); Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 83 ff.; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, § 52 Rn. 36 f.; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 16; Puppe, JuS 2017, 503, 504; a. A. (eine Gesetzesverletzung) Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 272 ff.; weitere Nachweise zu dieser Ansicht finden sich bei Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 82 f. 95 BGH NJW 1951, 203, 204; Warda, JuS 1964, 81, 82 f.; Kühl, JA 1978, 475, 478; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1062. Ältere Nachweise, wonach in derartigen Fällen Realkonkurrenz anzunehmen sei, finden sich bei Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 82 f. 96 Vgl. BGH NJW 1951, 203, 204; BGH NJW 1962, 645; BGH NJW 1977, 2321; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 720. 97 Vgl. BGH NJW 1952, 631; vgl. BGH NJW 1962, 645; Schmitt, ZStW 75 (1963), 179, 185; vgl. MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 109; vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 16. 98 Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 80 f.; ders., NJW 1978, 300, 301; a. A. Mitsch, JuS 1993, 385, 388 f.; Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 908. 99 Vgl. BGH NStZ-RR 2009, 278, 279; BGH NJW 2016, 2349, 2350; BGH NStZ-RR 2017, 74, 76; Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 80 f.; ders., NJW 1978, 300,
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Die Rechtsprechung folgt dem aber nicht durchweg und nimmt mitunter gleichartige Idealkonkurrenz an. Dies zeigt deutlich eine beim Diebstahl mehrerer Gegenstände aus Autos vorgenommene Differenzierung zwischen den beiden Wirkungen der natürlichen Handlungseinheit:100 So führt zwar die Wegnahme mehrerer Sachen aus demselben Wagen zu einer Gesetzesverletzung.101 Bei noch unter den Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit nacheinander aus den Autos mehrerer Eigentümer erfolgenden Wegnahmeakten sei indes gleichartige Tateinheit anzunehmen.102 Das Gleiche – also Idealkonkurrenz – gilt, wenn unter den Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit die Autos selbst103 oder Motorräder104 verschiedener Eigentümer gestohlen werden. Wer allerdings mehrere Pkws unter den Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit „nur“ anzündet, scheint demgegenüber lediglich eine einzige Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu begehen.105 Sind höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen betroffen, erfolgt keine Zusammenfassung der Einzelakte zu einer Gesetzesverletzung. Allerdings wird uneinheitlich beurteilt, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit die Betätigungen noch zu gleichartiger Idealkonkurrenz106 zusammenzufassen sind oder Realkonkurrenz107 anzunehmen ist. In der Rechtsprechung wurden einerseits körperliche Misshandlungen verschiedener Personen unter den Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit zur gleichartigen Idealkonkurrenz zusammengezogen.108 Auch sind mehrere Tötungsdelikte in gleichartiger Tateinheit aufgrund natürlicher Handlungseinheit
301; Sowada, JURA 1995, 245, 252; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 36; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 24 f. 100 Vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 26 f. 101 BGH NStZ 1996, 493, 494; BGH NStZ 2000, 30; BGH StV 2017, 580, 581. 102 BGH NStZ 1996, 493, 494; vgl. BGH NStZ 2000, 30 f.; BGH NStZ-RR 2011, 111; a. A. (eine Gesetzesverletzung) LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 13; Hoffmann-Holland, Strafrecht AT, 2015, Rn. 879. 103 Vgl. BGH NStZ 2018, 144, 145. 104 BGH NStZ-RR 2016, 274, 275. 105 BGH, Beschluss v. 11.7.2017 – 5 StR 202/17, Rn. 3–4. 106 Honig, Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925, S. 79; Sowada, JURA 1995, 245, 252 f.; Seher, JuS 2004, 392, 396; Wagemann, JURA 2006, 580, 581 ff.; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 23. 107 Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 81 f.; ders., NJW 1978, 300, 301 f.; Warda, JuS 1964, 81, 84; ders., in: Herzberg (Hrsg.), Festschrift für Dietrich Oehler, 1985, S. 256; Mitsch, JuS 1993, 385, 388; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 38 ff.; Walter, JA 2004, 572; Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 19 f.; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 24 f., 28 f.; Puppe, JuS 2017, 503, 504; Lackner/Kühl, StGB, 2018, Vor § 52 Rn. 7. 108 RGSt 27, 19, 20 f.; BGH NStZ 1985, 217; vgl. schließlich BGH NStZ-RR 1998, 233.
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möglich.109 In anderen Fällen wurden indes tatmehrheitliche Tötungen angenommen, obwohl die Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit nahelagen.110 Inzwischen neigt die Rechtsprechung grundsätzlich der Tatmehrheit zu, indem sie betont, dass höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen einer additiven Betrachtungsweise, die sie der natürlichen Handlungseinheit zugrunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich sind.111 Ein die Aufspaltung in Einzeltaten als willkürlich und gekünstelt erscheinen lassender „außergewöhnlich enge[r] zeitlicher und situative[r] Zusammenhang“ hat sich als Differenzierungskriterium zwischen Grundsatz und Ausnahme herauskristallisiert.112
C. Die Änderung der Anzahl der Gesetzesverletzungen gegenüber der Anklage Zum Zwecke des noch folgenden Vergleichs wird hier kurz aufgezeigt, dass das Gericht im deutschen Recht die Anzahl der mit einem Sachverhalt verbundenen Gesetzesverletzungen gegenüber der Einschätzung der Staatsanwaltschaft verändern kann. Nach deutschem Strafverfahrensrecht werden nicht Tatbestände unmittelbar, sondern einheitliche geschichtliche Vorgänge bildende, also tatsächliche Geschehen angeklagt und abgeurteilt (sog. prozessuale Tat, vgl. §§ 155 Abs. 1, 200 Abs. 1 S. 1, 264 Abs. 1 StPO).113 Jener prozessuale Tatbegriff ist weiter als der materiell-rechtliche Handlungsbegriff und kann auch mehrere realkonkurrierende Taten im konkurrenzrechtlichen Sinne sowie nicht tatbestandsmäßige Handlungen erfassen.114 Umgekehrt hat der BGH bei einer Tat im materiellen Sinne ausnahmsweise sogar mehrere prozessuale Taten angenommen, wenn sich die Tateinheit aus einer Verklammerung ergibt (dazu 1. Kap. § 3 A. II. 2.).115 In einer Anklage führt die Staatsanwaltschaft die in diesem prozessualen Geschehen aus ihrer Sicht verletzten Strafgesetze an (§ 200 Abs. 1 S. 1 StPO), wel109 Vgl. BGH NJW 1977, 2321; BGH NJW 1985, 1565; BGH NJW 2016, 2899, 2900; vgl. auch BGH NStZ-RR 2001, 82; BGH NStZ 2012, 562. 110 BGH NJW 1952, 631; BGH NJW 1962, 645; vgl. auch BGH NStZ 1984, 311. 111 BGH StV 1994, 537, 538; BGH NStZ 1996, 129; BGH NStZ-RR 1998, 233; vgl. BGH NStZ 2003, 366, 367; vgl. BGH NStZ 2005, 262, 263; BGH StV 2013, 382, 383. 112 Vgl. BGH StV 1994, 537, 538; BGH NStZ-RR 1998, 233; BGH NStZ-RR 2001, 82; BGH NStZ 2005, 262, 263; BGH NStZ 2012, 562; BGH StV 2013, 382, 383. 113 Vgl. SSW-Rosenau, StPO, 3. Aufl. 2018, § 264 Rn. 4. 114 BGH NJW 1970, 255, 256; vgl. BGH NJW 1970, 1427, 1428; BGH NJW 1980, 2718 f.; BGH NJW 1988, 1742 f.; vgl. BGH NJW 1989, 1810, 1811; vgl. BGH NJW 1998, 1652, 1653; BGH NJW 2000, 226, 227; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 49; Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 5a; vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1060. 115 BGH NJW 1980, 2718, 2719; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 49.
§ 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände
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che durch den Eröffnungsbeschluss noch modifiziert werden können (vgl. § 207 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StPO). An diese rechtliche Bewertung ist das Gericht der Hauptverhandlung allerdings nicht gebunden (vgl. § 264 Abs. 2 StPO), sondern es kann im Rahmen des angeklagten Geschehens aus anderen Strafgesetzen verurteilen, wenn ein besonderer Hinweis erfolgt und eine Gelegenheit zur Verteidigung gegeben wird (§ 265 Abs. 1 StPO).116 Wird in der Anklage (in Form des Eröffnungsbeschlusses) die prozessuale Tat als mehrfache Verletzung des Gesetzes in Form von gleichartiger Ideal- oder Realkonkurrenz bewertet, kann das Gericht daher dennoch von nur einer einzigen Gesetzesverletzung ausgehen und entsprechend verurteilen. Trotz einer sich verringernden Anzahl an Gesetzesverletzungen wird eine Hinweispflicht i. S. v. § 265 StPO beim Übergang von Realkonkurrenz zur einheitlichen Gesetzesverletzung bejaht, weil die Einheitsstrafe gegenüber der Gesamtstrafe höher ausfallen könnte.117 Im umgekehrten Fall, d. h. bei Übergang von einer Gesetzesverletzung zu Ideal- oder Realkonkurrenz, ist der Hinweis schon wegen der höheren Anzahl der Gesetzesverletzungen im Schuldspruch notwendig.118
§ 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände Grundsätzlich werden im deutschen Recht alle Gesetzesverletzungen – bei verschiedenen Tatbeständen als ungleichartige Idealkonkurrenz oder Realkonkurrenz – in den Schuldspruch eines Urteilstenors aufgenommen.119 Mit den uneinheitlich verwendeten Begriffen der „Gesetzeseinheit“120 oder „Gesetzeskonkur-
116
Vgl. SSW-Rosenau, StPO, 2018, § 264 Rn. 20. Für den Übergang von selbstständigen Einzeltaten zu einer Fortsetzungstat, vgl. BGH StV 1984, 26; SK-StPO-Velten, Band V, 5. Aufl. 2016, § 265 Rn. 17. Anders BGH NStZ-RR 2004, 74, 75 für den ebenfalls eine Einheitsstrafe statt Gesamtstrafe implizierenden Übergang von Tatmehrheit zu gleichartiger Tateinheit aufgrund einer natürlichen Handlungseinheit; krit. dazu SK-StPO-Velten, Band V, 2016, § 265 Rn. 17. 118 Vgl. BGH NStZ 1985, 563; SK-StPO-Velten, Band V, 2016, § 265 Rn. 17; vgl. SSW-Rosenau, StPO, 2018, § 265 Rn. 17; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 265 Rn. 8a. 119 Für die Idealkonkurrenz ergibt sich dies daraus, dass der Gesetzgeber ein im gegenteiligen Sinne erwünschtes Ergebnis mitunter durch formelle Subsidiaritätsbestimmungen anordnet (1. Kap. § 2 A. II. 1.), vgl. Klug, ZStW 68 (1956), 399, 413. 120 RGSt 60, 117, 122; BGH NJW 1970, 255, 257; BGH NJW 1995, 2045, 2046; BGH NJW 1996, 1294; krit. zu diesem Begriff MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 21. 117
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
renz“121 wird jedoch ein Konzept umschrieben, das ein Verbot der kumulativen Verurteilung durch Nichtaufnahme einer Strafgesetzverletzung in den Schuldspruch des Urteilstenors beinhaltet.122 Folglich wird dadurch die erste Leitfrage der Untersuchung für das deutsche Recht beantwortet, sodass die Reichweite dieses Kumulativverurteilungsverbots (A.) sowie seine Wechselwirkung mit der Anklageerhebung (B.) analysiert werden sollen.
A. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund von Gesetzeskonkurrenz Die Gesetzeskonkurrenz ist nicht allgemein geregelt, sondern nur in Ansätzen im geschriebenen Recht ersichtlich.123 Insbesondere treffen die §§ 52 ff. StGB keine Regelung darüber, sondern die Gesetzeskonkurrenz ist diesen Strafzumessungsvorschriften vorgelagert. Wenn ihre Voraussetzungen also greifen, liegen gerade nicht mehrere Gesetzesverletzungen (§ 52 Abs. 1 StGB) oder Straftaten (§ 53 Abs. 1 StGB) vor.124 Daher findet man auch die Begriffe „unechte Konkurrenz“125 oder „Scheinkonkurrenz“126. Nach allgemeiner Formulierung der Rechtsprechung ist das Konzept einschlägig,
121 RGSt 4, 106; RGSt 6, 243, 245; RGSt 7, 116; BGH NJW 1974, 959; BGH NJW 1995, 2045, 2046; BGH NJW 1996, 1294; krit. zu diesem Begriff Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 45; Vogler, in: Kaufmann et al. (Hrsg.), Festschrift für Paul Bockelmann, 1979, S. 715; Seier, JURA 1983, 225 f.; Mitsch, JuS 1993, 385; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 732; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 173; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 102. 122 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 732 f.; vgl. SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 6. 123 Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 533 f.; Warda, JuS 1964, 81, 90; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 171 f.; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 10; SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 6. Der Gesetzgeber geht von der Existenz der Gesetzeskonkurrenz aus, hat deren Ausformung aber bewusst der Rspr. überlassen, s. BT-Drucks. IV/650, S. 191. 124 Vgl. RGSt 45, 344; RGSt 57, 329, 330; vgl. Merkel, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Band 5, 1908, S. 302 f.; Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 51; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 49 f. 125 Vgl. BGH NJW 1980, 1807; BGH NJW 2002, 150, 151; vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 18 Rn. 2 f.; vgl. Lackner/Kühl, StGB, 2018, Vor § 52 Rn. 24. Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1386 f., 1389 verwendet diesen Begriff hingegen für die nominell mehrfache Verwirklichung desselben Tatbestands, welche zu einer einzigen Gesetzesverletzung zusammengefasst wird. 126 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 156 f.; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 92; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 8; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1388 f.; Walter, JA 2004, 133, 136 verwendet den Begriff der „scheinbaren Konkurrenz“ hingegen für die nominell mehrfache Verwirklichung desselben Tatbestands, welche zu einer einzigen Gesetzesverletzung zusammengefasst wird.
§ 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände
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„wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren, dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfasst wird [...]. Maßgebend für die Beurteilung sind die Rechtsgüter, gegen die sich der Angriff des Täters richtet, und die Tatbestände, die das Gesetz zu ihrem Schutz aufstellt [...]. Die Verletzung des durch einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts muss eine – wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige – Erscheinungsform des anderen Tatbestandes sein [...].“127
Zur Kategorisierung werden, bei vielen Streitigkeiten im Einzelnen, zumeist die Fallgruppen der Spezialität, der Subsidiarität und der Konsumtion verwendet.128 I. Die Spezialität 1. Die Spezialität im engen Sinne Unter dem Kriterium der notwendigen Erscheinungsform ist vor allem die Spezialität zu verstehen. Hierbei enthält ein Tatbestand nach gängiger Definition alle abstrakten Tatbestandsmerkmale eines anderen Tatbestandes und unterscheidet sich von dem anderen nur durch ein oder mehrere ihm eigene, weitere Merk male.129 Der Tatbestand mit dem zusätzlichen Merkmal kann also in keiner Weise verwirklicht werden, ohne dadurch notwendigerweise ebenso den anderen zu realisieren.130 Bei Verwirklichung des Tatbestands mit dem zusätzlichen Merkmal wird der andere nach der Regel lex specialis derogat legi generali verdrängt.131 Unter die Spezialitätsregel fallen vor allem Qualifikationen, Erfolgsqualifikationen sowie Privilegierungen132 im Verhältnis zu ihren Grundtatbeständen, in127
Zitiert aus BGH NStZ 1993, 338, 339 [Zitierungen früherer Rspr. weggelassen]; vgl. auch BGH NJW 1963, 1413, 1414; BGH NJW 1983, 2152; BGH NJW 1974, 2098; BGH NJW 1996, 1294; BGH NJW 2000, 1878 f.; vgl. auch RGSt 14, 384, 386; RGSt 57, 329, 330; RGSt 60, 122; BGH NJW 1958, 189. 128 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 733; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 10. 129 RGSt 17, 202, 203; Honig, Straflose Vor- und Nachtat, 1927, S. 19, 113; Warda, JuS 1964, 81, 90; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 733; Geppert, JURA 2000, 651, 654; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 177; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 12; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1437; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 35; Puppe, JuS 2016, 961, 963; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 53. 130 Vgl. RG 7, 116, 117; RGSt 14, 384, 386; vgl. RGSt 45, 344 f.; vgl. BGH NJW 1959, 108; Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 49; Seher, JuS 2004, 482; Walter, JA 2005, 468; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1437. 131 Vgl. RGSt 4, 106, 108; RGSt 7, 116; RGSt 9, 261, 263; RGSt 17, 202, 203 f.; Warda, JuS 1964, 81, 90; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 733; Geppert, JURA 2000, 651, 654; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 178; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 105; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 12. 132 RGSt 7, 116; RGSt 14, 384, 386; RGSt 17, 202, 203 f.; LK-Rissing-van Saan, StGB,
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
dem über eine bloße Nennung des Grundtatbestandes dessen Voraussetzungen inkorporiert werden.133 Darüber hinaus haben nach dieser Regel Tatbestände eine verdrängende Wirkung, die – ohne Qualifikation zu sein – alle Merkmale anderer Tatbestände enthalten, weil sie gerade aus den Tatbestandsvoraussetzungen mehrerer anderer Delikte zusammengesetzt sind.134 Beispielsweise enthält der Raub alle Tatbestandsvoraussetzungen des Diebstahls sowie der Nötigung, sodass er beide Strafgesetze im Wege der Spezialität verdrängt.135 Ein Vergleich der Formulierungen „durch Drohung“ sowie „unter Anwendung von Drohungen“ zeigt, dass nicht exakt dieselbe Formulierung verwendet werden muss. Ferner kann ein Tatbestandsmerkmal in sich selbst eine Spezialisierung enthalten, sodass etwa eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben (§ 249 Abs. 1 StGB) als eine besondere Form eines empfindlichen Übels (§ 240 Abs. 1 StGB) angesehen werden kann. Die Rechtsprechung nimmt allerdings keine Spezialität an, wenn der eigentlich speziellere Tatbestand nur strafbar versucht, der eigentlich allgemeinere aber voll verwirklicht wird.136 Hier greift die sog. Klarstellungsfunktion der Idealkonkurrenz ein, wonach aus dem Schuldspruch ersichtlich sein soll, dass es tatsächlich zu einem Erfolgsunrecht gekommen ist.137 Hintergrund ist, dass die Verwirklichung des allgemeineren Delikts nicht notwendige Voraussetzung des Versuchs des spezielleren Delikts ist. 2. Die Spezialität im weiten Sinne Der Grundsatz der Spezialität hat jedoch durch die Rechtsprechung über die Konstellation der notwendigen Mitbegehung hinaus eine Ausweitung erfahren (Spezialität im weiteren Sinne138). So hat sie eine ausdrücklich als Spezialität bezeichnete Gesetzeskonkurrenz angenommen, obwohl der allgemeinere Tatbestand noch zusätzliche Merkmale enthielt. Eine Inklusion soll hier durch eine „Verengung“ oder „Spezialisierung“ des allgemeineren Tatbestands herbeigeBand 2, 2006, Vor § 52 Rn. 115; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 14; vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 54. 133 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 180; Walter, JA 2005, 468. 134 Vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 54. 135 RGSt 6, 243, 244 f.; vgl. BGH NJW 1966, 1930; Walter, JA 2005, 468; vgl. auch Geppert, JURA 2000, 651, 654; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 186; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 12; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 54. 136 Qualifikation: RGSt 15, 281, 283 f.; RGSt 53, 284 f.; BGH NJW 1957, 1077, 1078; zusammengesetztes Delikt: BGH NJW 1966, 1930 f.; vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 183; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 55. 137 Walter, JA 2005, 468, 470; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 55. 138 Walter, JA 2005, 468.
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führt werden.139 In der Literatur wird diese Herangehensweise jedoch abgelehnt und derartige Fälle stattdessen einer der anderen Kategorien der Gesetzeskonkurrenz zugeordnet.140 So sei beispielsweise § 176 Abs. 1 StGB spezieller als § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F.), obgleich letzterer Tatbestand sowohl mit dem Mindestalter des Täters als auch der Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zu sexueller Selbstbestimmung formell zwei über § 176 Abs. 1 StGB hinausgehende Merkmale enthält.141 Diese beiden Merkmale enthalten nach Ansicht des BGH jedoch kein zusätzliches Unrecht, denn die Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung sei bei einem Kind auch ohne besondere Hervorhebung schon gegeben, während durch das Alter des Täters142 nur der Anwendungsbereich von § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB eingeschränkt werden soll.143 Somit scheint die Rechtsprechung in Bezug auf die Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung sachlich doch von einer abstrakt-notwendigen Mitrealisierung auszugehen. Jedoch bleibt es insgesamt bei einer Überschneidung der Tatbestände, da bei einem Täter unter 21 Jahren ein Anwendungsraum für § 176 Abs. 1 StGB verbleibt, der nicht notwendigerweise mit einer Verletzung von § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB einhergeht. Obwohl nicht jede Freiheitsberaubung durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel herbeigeführt werden muss, nimmt die Rechtsprechung ausdrücklich Spezialität von § 239 Abs. 1 StGB im Verhältnis zu § 240 Abs. 1 StGB an, wenn der Zweck einer durch ein Nötigungsmittel erzwungenen Freiheitsberaubung nur darin besteht, das Opfer an der freien Bestimmung seines Aufent-
Vgl. Geppert, JURA 2000, 651, 654; vgl. Walter, JA 2005, 468. Vgl. Seier, JURA 1983, 225, 228; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 105. 141 BGH NJW 1996, 1294; sodann durch BGH NJW 1996, 1762 f. auf die weiteren Alternativen des § 182 StGB ausgedehnt; vgl. auch BGH NStZ-RR 1997, 66; zwischenzeitliche Bedenken des 3. Strafsenats bzgl. § 182 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB a. F. (BGH NJW 2000, 3726 f.) hat derselbe sodann zurückgestellt (vgl. BGH NJW 2001, 2186, 2187); so auch Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 182; SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 52 Rn. 8. Für Gesetzeskonkurrenz in Form der Konsumtion BayObLG NStZ 1995, 500, 501. 142 Keine Besonderheit besteht hingegen in Bezug auf das Alter des Opfers: Indem ein unter 14 Jahre altes Opfer zwangsläufig auch unter 16 Jahre alt ist, liegt hier eine Spezialisierung im Tatbestandsmerkmal selbst vor. BGH NJW 1996, 1294 hat es ausdrücklich abgelehnt, § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F. nur auf Tatopfer zwischen 14 und 16 Jahren anzuwenden, was ein Exklusivitätsverhältnis zu § 176 Abs. 1 StGB bedeutet hätte. 143 BGH NJW 1996, 1294; vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 182. 139 140
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
haltsorts zu hindern.144 Wenn der Zweck darüber hinausgeht, sei allerdings Tat einheit anzunehmen.145 II. Die Subsidiarität Neben der Spezialität kennt die Rechtsprechung die Kategorie der Subsidiarität (lex primaria derogat legi subsidiarae).146 Diese wird teilweise vom Gesetzgeber selbst vorgegeben (1.), teilweise durch Auslegung ermittelt (2.).147 1. Die formelle Subsidiarität Mitunter ist diese Form der Gesetzeskonkurrenz (als einzige) ausdrücklich im Gesetz geregelt. Ein nominell eigentlich erfüllter Tatbestand wird für nicht anwendbar erklärt, wenn durch die Tat zugleich die Voraussetzungen eines anderen, regelmäßig schwereren Tatbestands erfüllt sind. Der vorrangige Tatbestand kann dabei speziell genannt sein oder es wird allgemein auf Tatbestände mit schwererer Strafandrohung verwiesen.148 2. Die materielle Subsidiarität Auch eine teleologische Auslegung kann ergeben, dass ein Tatbestand nur subsidiär anwendbar sein soll. Dies ist der Fall, wenn die betroffenen Strafgesetze verschiedene Stadien oder verschiedene Intensitäten eines Angriffs auf dasselbe Rechtsgut pönalisieren („materielle Subsidiarität“149).150 a) Verschiedene Angriffsstadien Zum einen treten Strafgesetze zurück, die eine formell selbstständige Strafbarkeit für Vorbereitungs- oder Durchgangsstadien eines anderen Strafgesetzes vorsehen, sofern es tatsächlich zu einem fortgeschritteneren Stadium gekommen ist.
BGH NStZ 1982, 27, 28 selbst nennt etwa die Anwendung einer List; Geppert, JURA 2000, 651, 654; für Spezialität im engen Sinne Walter, JA 2005, 468; für Konsumtion Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, 2011, § 18 Rn. 9. 145 Vgl. BGH NStZ 1982, 27, 28; vgl. BGH NStZ 2008, 209, 210. 146 Vgl. RGSt 9, 261 f.; RGSt 38, 383, 385; BGH NJW 1970, 255, 256 f.; BGH NJW 1980, 1807; vgl. BGH NStZ 1986, 565 f. 147 Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 191. 148 Vgl. BGH NJW 2002, 2188; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 192. 149 Diesen Begriff verwendet etwa BGH NStZ-RR 2005, 201, 202. 150 Honig, Straflose Vor- und Nachtat, 1927, S. 113; Geppert, JURA 2000, 651, 654; Seher, JuS 2004, 482, 483. 144
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So sind im deutschen Recht Vorbereitungsakte mitunter selbstständig strafbar, z. B. in § 30 StGB die Vorbereitung von Verbrechen mit u. a. der Verbrechensverabredung. Ein solches Delikt tritt zurück, „wenn die ‚vorbereitete‘ Haupttat in gleichwertiger, nicht weniger schwerer Erscheinungsform zum Versuch oder zur Vollendung gediehen ist.“151
Bleibt die ausgeführte oder versuchte Tat hinter der vorbereiteten zurück, wird hingegen kumulativ verurteilt.152 Gleiche Regeln gelten im Verhältnis des strafbaren Versuchs zur Vollendung. Es ist allerdings bereits erörtert worden, dass die Rechtsprechung einzelne Versuchsakte unter Zugrundelegung von § 24 StGB als unselbstständig ansieht und zu einer Tat im Rechtssinne zusammenzieht, während manche Autoren – und mitunter die Rechtsprechung selbst – zu einem gleichen Schuldspruch aufgrund von Subsidiarität oder Spezialität kommen. Zu einer Kumulation kommt es aber auch hier, wenn ein schwereres Delikt versucht und ein leichteres vollendet wurde (zum Ganzen 1. Kap. § 1 A. IV. 2.). Zwischen Vollendung und strafbarem Versuch liegt das Verhältnis der notwendigen Mitrealisierung vor, was zu der weiteren Fallgruppe des „notwendigen Durchgangsstadiums“ überleitet. So erachtet die Rechtsprechung gegenüber einem vorsätzlichen Tötungsdelikt das notwendig darin enthaltene vorsätzliche Körperverletzungsdelikt (sog. Einheitstheorie) als grundsätzlich subsidiär.153 Auch hier liegt eine notwendige Mitbegehung vor, jedoch wird diese Fallgruppe überwiegend der Subsidiarität zugeordnet, weil die begrifflichen Tatbestandsmerkmale hier nicht übereinstimmen, sodass keine Subtraktion von Tatbestandsmerkmalen möglich ist.154 Die neuere Rechtsprechung nimmt inzwischen allerdings Idealkonkurrenz an, wenn die Tötung nur versucht, die (ggf. qualifizierte) 151
BGH NJW 1956, 1038, 1039; BGH NJW 1960, 1819; vgl. BGH NStZ 1986, 565 f.; vgl. LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 132 f. 152 Vgl. BGH NJW 1956, 1038, 1039; BGH NJW 1994, 1885, 1886; vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 113. 153 Vgl. RGSt 28, 200, 212 f.; RGSt 44, 321, 323; BGH NJW 1961, 1779; vgl. BGH NJW 1965, 2411; BGH NJW 1967, 1918; BGH NJW 1969, 59; Geppert, JURA 1982, 358, 422, 424; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 131, 134; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1440; Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, 6. Aufl. 2016, Rn. 1390; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 9. Anders die zwischenzeitliche Rspr., die ein Exklusivitätsverhältnis zwischen Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz annahm (sog. Gegensatztheorie), RGSt 61, 375 f.; zum Ganzen Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 158 f. 154 Vgl. Geppert, JURA 1982, 358, 422; vgl. Seier, JURA 1983, 225, 229; vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 105; a. A. (Spezialität) Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, S. 179; dies., JuS 2016, 961, 963; NK-dies., StGB, Band 1, 2017, Vor § 52 Rn. 11; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 204; a. A. (Konsumtion) MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 52.
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
Körperverletzung aber vollendet wurde, weil nicht jede versuchte Tötung notwendigerweise mit einer Körperverletzung einhergeht.155 Ferner sollen die Umstände des Einzelfalles sogar zwischen vollendeter vorsätzlicher Tötung und vollendeter Körperverletzung zu Idealkonkurrenz führen können, um ein gesteigertes Unrecht vollständig zu beschreiben.156 In der Sache ein weiteres Beispiel stellt der Schwangerschaftsabbruch dar, welcher notwendig eine zurücktretende einfache Körperverletzung an der Schwangeren beinhaltet. Hier nimmt der BGH keine Kategorisierung vor, stellt aber auf die abstrakte Notwendigkeit der vorsätzlichen Gesundheitsschädigung ab und nennt den Schwangerschaftsabbruch einen „Sondertatbestand“, was auf Spezialität hindeutet.157 In der Literatur wird diese Konstellation der Subsidiarität oder der Konsumtion zugeordnet.158 Idealkonkurrenz sei wiederum bei einem versuchten Schwangerschaftsabbruch oder bei einem über die Tötung der Leibesfrucht hinausgehenden Zweck möglich.159 Was die gefährliche Körperverletzung angeht, wurde diese ursprünglich auch als erfasst angesehen, jedoch nimmt der BGH inzwischen Tateinheit wegen der aus dem Strafrahmen des § 224 StGB ersichtlichen Unrechtssteigerung gegenüber § 218 StGB an.160 b) Verschiedene Angriffsintensitäten Zum anderen treten weniger intensive Beeinträchtigungen desselben Rechtsguts hinter intensivere zurück. So ist eine nach einem Tatbestand strafbare Herbeiführung einer abstrakten Gefahr subsidiär, wenn diese in eine nach einem anderen Tatbestand strafbare konkrete Gefährdung umschlägt.161 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Kreditbetrug hinter einen versuchten oder vollendeten Betrug zurücktritt, obwohl nicht jeder Betrug einen Kreditbetrug enthält und umgekehrt ein Kreditbetrug schon erfüllt sein kann, ohne dass es zu einer Täuschung und 155
BGH NStZ 1999, 30, 31 unter ausdrücklicher Aufgabe von BGH NJW 1961, 1779; BGH NJW 1967, 1918; BGH NJW 1969, 59; zust. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 205; Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, 2016, Rn. 1390; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1096; a. A. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 171. 156 Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 206; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 52. 157 Vgl. BGH NJW 1957, 1369; BGH NJW 1978, 2040, 2041; so auch Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 217. 158 Für Subsidiarität Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 55; für Konsumtion S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 125; Lackner/Kühl, StGB, 2018, § Vor 52 Rn. 27. 159 Vgl. BGH NJW 1957, 1369; vgl. BGH NJW 1978, 2040, 2041 f. 160 BGH NJW 2007, 2565 f.; anders noch BGH NJW 1978, 2040, 2041. 161 BGH NStZ 2016, 673, 674.
§ 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände
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Vermögensdisposition gekommen sein muss.162 Im Verhältnis zwischen § 316 StGB und §§ 315a, 315c StGB ist diese Art der Subsidiarität formell festgelegt.163 Überdies treten Gefährdungen hinter Verletzungen zurück.164 So verdrängt etwa eine Gewässerverunreinigung eine unerlaubte Abfallbeseitigung.165 Schließlich ist auch die uneidliche Falschaussage nach § 153 StGB gegenüber dem Meineid (§ 154 Abs. 1 StGB) als weniger intensive Beeinträchtigung der Rechtspflege subsidiär.166 Voraussetzung dieser Fallgruppe der Subsidiarität ist grundsätzlich, dass der weniger intensive Tatbestand in seinen geschützten Rechtsgütern nicht über den intensiveren hinausreicht.167 Daher scheidet etwa Gesetzeskonkurrenz zwischen §§ 222 bzw. 229 StGB und § 315c Abs. 1 StGB aus.168 Allerdings handhabt die Rechtsprechung den Grundsatz der Kongruenz von Schutzgütern nicht immer streng, wenn etwa zwischen den §§ 263, 265b StGB Subsidiarität unabhängig von den Rechtsgütern vorliegen kann.169 Eine auf denselben Erfolg bezogene fahrlässige Begehung tritt als subsidiär hinter eine vorsätzliche zurück, wenn das Geschehen zweiaktig ist.170 Wenn beispielsweise ein tödlicher Schuss auf Fahrlässigkeit beruht, tritt § 222 StGB hinter ein vorsätzliches Tötungsdelikt zurück, wenn dieser Schuss einem vorher mit Vorsatz abgegebenen folgt.171 Bei einem einaktigen Geschehen sollen sich Vorsatz und Fahrlässigkeit schon begrifflich ausschließen und nur eine Verurteilung aus dem Vorsatzdelikt erfolgen – selbst wenn der Täter nur eine Teilmenge des Taterfolgs gebilligt hat.172 Andere sehen in jeder vorsätzlichen auch eine fahrläsVgl. BGH NJW 1989, 1868 f.; a. A. Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 57 m. w. N. Vgl. BGH NJW 1970, 255, 257 f.; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 208. 164 Vgl. RGSt 59, 107, 112 f.; RGSt 68, 407, 409; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 62. 165 BGH NJW 1992, 3247, 3251. 166 BGH NJW 1953, 1193; BGH NJW 1956, 191 f.; S/S-Lenckner/Bosch, StGB, 29. Aufl. 2014, § 153 Rn. 16; a. A. (Spezialität) NK-Vormbaum, StGB, Band 2, 5. Aufl. 2017, § 153 Rn. 124; a. A. (tatbestandliche Handlungseinheit) Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 203; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 35, 107. 167 RGSt 59, 107, 113; RGSt 68, 407, 409 f.; vgl. BGH NStZ 1993, 284 f.; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 209; vgl. LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 130. 168 Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 209 m. w. N. 169 Vgl. BGH NJW 1989, 1868, 1869. 170 BGH NStZ 1993, 386, 387; vgl. BGH NJW 2011, 2067, 2068; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 735; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 211; a. A. (Realkonkurrenz) BGH NJW 1955, 876 f.; BGH NJW 1961, 978. 171 BGH NStZ 1993, 386, 387. 172 RGSt 16, 129; BGH NJW 2011, 2067, 2067 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1101. 162 163
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
sige Begehung und plädieren infolgedessen wegen eines notwendigen Durchgangsstadiums entweder für Subsidiarität173 oder Spezialität174. Die materielle Subsidiarität wird schließlich sogar im Verhältnis von weniger intensiven zu intensiveren Formen der Beteiligung angeführt, wenn sie sich auf dieselbe Haupttat beziehen.175 Danach tritt die Beihilfe zu einer Haupttat zurück, wenn der Gehilfe den Vordermann zu dieser auch angestiftet hat.176 Ebenso wird der Anstifter oder Gehilfe nicht mehr wegen Teilnahme verurteilt, wenn ihm dieselbe Straftat auch als Täter zugerechnet werden kann.177 III. Die Konsumtion Als dritte Kategorie der Gesetzeskonkurrenz verwendet die Rechtsprechung den Begriff der Konsumtion, der nach der Anzahl der zugrunde liegenden Handlungen häufig in die typische Begleittat sowie die (mitbestrafte) Vor- bzw. Nachtat unterteilt wird.178 Letztere wird teilweise auch als selbstständige Kategorie angesehen. 1. Die typische Begleittat Der Begriff der Begleittat wird bei Ausführungsidentität der Tatbestandsverwirklichungen gebraucht (unechte Idealkonkurrenz).179 Sie kommt im zweiten Teil der allgemeinen BGH-Definition (1. Kap. § 2 A.) der Gesetzeseinheit/-konkurrenz zum Ausdruck, indem die Verletzung eines Tatbestands nicht notwendige, sondern auch nur regelmäßige Erscheinungsform der Verletzung des anderen sein kann.180 Der konsumierte Tatbestand muss also regelmäßig mit dem konsumierenden einhergehen.181 Ferner darf die weitere Tatbestandsverwirklichung nicht ins Gewicht fallen,182 sodass keine Konsumtion anzunehmen ist, wenn die Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 909. MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 38. 175 Geppert, JURA 2000, 651, 655; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 212. 176 RGSt 62, 74, 75 f.; BGH NJW 1953, 1193. 177 BGH NJW 1981, 1325; BGH, Beschluss v. 2.3.2017 – 4 StR 406/16, Rn. 5 (Beihilfe); RGSt 56, 58, 59 f.; RGSt 59, 26, 28 f.; RGSt 70, 293, 296; BGH NStZ 1997, 281 (Anstiftung); Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 187 ff. 178 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 220 ff.; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 18; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 49. 179 Vgl. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 216; vgl. MüKoHeintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 51. 180 Vgl. BGH NJW 1968, 1886, 1887; vgl. BGH NJW 2002, 150. 181 Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 64. 182 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 219, 222. 173 174
§ 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände
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konkrete Tatbestandserfüllung über eine für eine solche Tat typische hinausgeht.183 Als Paradebeispiel der typischen Begleittat gilt das Zurücktreten der Sachbeschädigung an der Kleidung des Opfers hinter ein Tötungsdelikt, obgleich man theoretisch auch ohne eine solche töten kann.184 Auch wird bei einer Verletzung des Briefgeheimnisses nach § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB regelmäßig, aber nicht zwangsläufig, der Briefumschlag durch Öffnen beschädigt, sodass diese Sachbeschädigung zurücktritt.185 Ebenfalls geht eine Sachbeschädigung regelmäßig mit „Gewalttätigkeiten gegen Sachen“ nach § 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB einher und tritt daher zurück.186 Schließlich kann der Wohnungseinbruchdiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB als Beispiel angeführt werden, hinter den ein Hausfriedensbruch im Wege der Konsumtion zurücktritt. Eine Wohnung wird regelmäßig ohne oder gegen den Willen des Hausrechtsinhabers betreten. Allerdings ist dies nur regelmäßige, nicht notwendige Voraussetzung, denn es sind Fälle denkbar, in denen trotz eines Wohnungseinbruchs kein Hausfriedensbruch vorliegt.187 Die Frage der Regelmäßigkeit stellt sich immer dann, wenn ein Tatbestand explizit oder implizit verschiedene Tatalternativen umfasst, von denen eine Teilmenge selbstständig in einem anderen Tatbestand unter Strafe steht. Wird etwa ein Raub durch körperverletzende Gewalt (§ 223 Abs. 1 StGB) begangen, nimmt der BGH Idealkonkurrenz an, weil der Raub nicht regelmäßig eine Körperverletzung beinhaltet.188 Anders stellt sich die Lage zwischen Raub mit Todesfolge und einer (vollendeten oder versuchten) Körperverletzung mit Todesfolge dar. Hier ist die Todesfolge regelmäßig, wenngleich nicht denknotwendig, auf eine körperverletzende Gewaltanwendung zurückzuführen, sodass der Körperverletzungstatbestand zurücktritt.189 183
Vgl. BGH NJW 2002, 150; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 49 f., 61. 184 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 217; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 737; Walter, JA 2005, 468, 469; Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 909; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 49; a. A. (Idealkonkurrenz) Geppert, JURA 1982, 358, 359 f.; so wohl auch Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 61. 185 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 125; Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 61; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 64. 186 BGH NStZ 2017, 155; a. A. S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl. 2014, § 125 Rn. 32. 187 Vgl. RGSt 40, 430, 431; RGSt 53, 279; vgl. BGH NJW 1968, 1886 f.; vgl. Warda, JuS 1964, 81, 90; Geppert, JURA 2000, 651, 655; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 213; Seher, JuS 2004, 482, 483; a. A. Puppe, JuS 2016, 961, 963. 188 BGH NStZ-RR 99, 173; vgl. BGH NStZ 2006, 449; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 82; Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 907 f.; a. A. (Konsumtion) Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 218. 189 Vgl. BGH NJW 2000, 1878 f. Entsprechendes gilt zwischen § 250 Abs. 1 Nr. 3 lit. b StGB und § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, vgl. BGH NStZ 2006, 449.
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
Schließlich stellt sich die Frage der Regelmäßigkeit auch im Verhältnis von sowohl selbstständigen Tatbeständen als auch (Erfolgs-)Qualifikationen zu (anderen) Qualifikationsformen eines Grundtatbestands. Hier ist die Mitverwirklichung des (anderen) qualifizierten Tatbestands zumeist nicht notwendige Voraussetzung entsprechender Tatbestände. Dennoch nimmt der BGH etwa im Verhältnis zwischen dem Raub und § 244 StGB Gesetzeskonkurrenz an.190 Ferner wird die vollendete schwere Körperverletzung bislang grundsätzlich als vorrangig vor der gefährlichen Körperverletzung angesehen, weil die schwere Folge „in aller Regel“ durch eine gefährliche Begehungsweise herbeigeführt wird und der „zusätzliche Unrechtsgehalt“ der gefährlichen Körperverletzung nicht ins Gewicht fallen soll.191 Idealkonkurrenz nimmt die neuere Rechtsprechung jedoch mit der Variante der abstrakt lebensgefährlichen Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB an, weil andernfalls das „gesonderte Unrecht“ der lebensgefährlichen Handlung keinen Ausdruck findet;192 ferner mit der gemeinschaftlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB.193 Selbst im Verhältnis zu § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zeichnet sich neuerdings eine Rechtsprechungsänderung ab.194 Ausdrücklich Konsumtion nimmt die Rechtsprechung im Verhältnis zwischen § 227 Abs. 1 StGB und § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 StGB an195 und bejaht darüber hinaus Gesetzeskonkurrenz im Verhältnis zwischen Raub mit Todesfolge und anderen Raubqualifikationen196.
190 Vgl. BGH NJW 1965, 1922. Nach heutiger Rechtslage wird bei einer Diebstahlsqualifikation häufig schon eine Raubqualifikation nach § 250 StGB einschlägig sein. Dass dem jedoch nicht zwangsläufig so sein muss, zeigt die Variante des Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB, welche aber hinter den Raubtatbestand zurücktritt, vgl. BGH NStZRR 2005, 202, 203; a. A. Vogler, in: Kaufmann et al. (Hrsg.), Festschrift für Paul Bockelmann, 1979, S. 723. 191 RGSt 63, 423, 424; BGH NJW 1967, 297, 298; BGH NJW 1967, 737. In der Literatur wird fast alles vertreten: Für materielle Subsidiarität Warda, JuS 1964, 81, 91 f.; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT, 2011, § 18 Rn. 14; für Konsumtion Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 50; Rengier, Strafrecht AT, 9. Aufl. 2017, § 56 Rn. 34 (jedenfalls bzgl. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB); für Idealkonkurrenz Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 734; Geppert, JURA 2000, 651, 655 (zumindest bzgl. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB). 192 BGH NStZ 2009, 572, 573; BGH NStZ-RR 2010, 175, 176. 193 BGH NStZ 2014, 269. 194 Vgl. BGH NStZ-RR 2017, 173. 195 BGH NStZ-RR 2007, 76, 77; vgl. auch schon RGSt 26, 312, 313; RGSt 36, 277 f.; RGSt 63, 423, 424; BGH NJW 1953, 1070, 1072. 196 Vgl. BGH NJW 1967, 835 f.; Lackner/Kühl, StGB, 2018, § 251 Rn. 4; differenzierend zwischen den Tatmodalitäten des § 250 StGB Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 737; S/S-Eser/Bosch, StGB, 29. Aufl. 2014, § 251 Rn. 9; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 40.
§ 2 Eine Gesetzesverletzung bei der Realisierung verschiedener Tatbestände
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2. Die mitbestrafte Vortat Eine mitbestrafte Vortat liegt vor, wenn zwei Taten „in einem engen tatsächlichen Zusammenhang stehen und ihre Beurteilung im Hinblick auf die in Betracht kommenden Straftatbestände ergibt, [dass] der Unrechts- und Strafgehalt der früheren Betätigung von dem einer späteren, das Unrecht vertiefenden Tat mit [umfasst] wird.“197
Solch handlungsmehrheitliche Konstellationen treten zumeist im Rahmen der materiellen Subsidiarität auf (z. B. eine Vorbereitungstat im Verhältnis zu Versuch/Vollendung eines Delikts, ein Fahrlässigkeitsdelikt im Verhältnis zu einer nachfolgenden Vorsatztat oder eine niedrigere Beteiligungsform, der eine intensivere folgt, vgl. 1. Kap. § 2 A. II. 2.).198 Darüber hinaus können Vortaten aber auch ohne gesetzessystematisches Stufenverhältnis unter dem Aspekt der Konsumtion zurücktreten, wenn eine Tat konkret zur Ermöglichung einer anderen begangen wird: Beispielsweise konsumiert ein PKW-Diebstahl die vorhergehende Unterschlagung des Fahrzeugschlüssels.199 3. Die mitbestrafte Nachtat Als mitbestrafte Nachtat tritt eine Tatbestandsverwirklichung hinter eine andere zurück, wenn ihre Begehung der Ausnutzung, Sicherung oder Verwertung der durch Verwirklichung des Haupttatbestands erlangten Position dient und es an der Selbstständigkeit des Schadens sowie der Verletzung eines neuen Rechtsguts
197
OLG Hamm MDR 1979, 421 f. Geppert, JURA 2000, 651, 656; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 127; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 68; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1108; Walter, JA 2005, 468, 469 fasst viele der von der überwiegenden Ansicht der Subsidiarität zugerechneten Fallgruppen unter die Konsumtion. Nach Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 54 f. und Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 67 soll stets der Gedanke der Subsidiarität maßgeblich sein. Nach Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 909 f. sei bei mitbestraften Vor- und Nachtaten stets die Konsumtion einschlägig, jedoch scheinen sie die hier unter die Subsidiarität gefassten Fälle der Gesetzeskonkurrenz bei Handlungseinheit zuzurechnen. 199 Vgl. OLG Hamm MDR 1979, 421 f. (Kategorie der Gesetzeskonkurrenz offengelassen); Geppert, JURA 2000, 651, 656; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 127; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 59; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 68; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1108. 198
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
oder Rechtsgutträgers fehlt.200 Sie kommt vor allem, aber nicht ausschließlich, bei Vermögensdelikten vor.201 Ein Beispiel ist die Hehlereiteilnahme, bei welcher der Vortäter eines Diebstahls den Hehler entweder anstiftet oder ihm Hilfe leistet, allerdings dafür nicht gesondert verurteilt wird.202 Ebenso wird eine nach einer Unterschlagung oder einem Diebstahl vorgenommene Beschädigung der Sache als mitbestrafte Nachtat angesehen, weil die Aneignung das gesamte nachfolgende sachherrschaftsausübende Verhalten in den Grenzen dessen umfasst, wozu auch der Berechtigte ermächtigt wäre.203 Während die Rechtsprechung zumeist den Begriff der mitbestraften Nachtat nennt, wird sie in der Literatur überwiegend der Konsumtion204 bzw. vereinzelt der Subsidiarität205 zugeordnet oder als eigenständige Kategorie206 der unechten Konkurrenz angesehen.
B. Gesetzeskonkurrenz und Anklage Die bereits dargelegten Anklageregeln (1. Kap. § 1 C.) führen im Bereich der Gesetzeskonkurrenz zu folgenden Ableitungen: Wird das Verhältnis der Tatbestände in der Anklage als eines der Gesetzeskonkurrenz bewertet, so ist im Anklagesatz nur das verdrängende Strafgesetz anzuführen.207 Tragen die Feststellungen in der Hauptverhandlung sodann jedoch nur eine Verurteilung aus dem bei Gesetzeskonkurrenz eigentlich verdrängten Gesetz, kann aus jenem verurteilt werden.208 Ist umgekehrt nur das zurücktretende Strafgesetz in der Anklage beVgl. RGSt 54, 80, 81; RGSt 60, 371, 372; BGH NStZ 1993, 493; Warda, JuS 1964, 81, 92; Geppert, JURA 2000, 651, 656; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 214, 220, der jedoch die Identität der Geschädigten als Voraussetzung ablehnt; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 69 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1110. 201 S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 131. 202 Vgl. BayObLG NJW 1958, 1597 f.; Geppert, JURA 2000, 651, 656; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 131. 203 RGSt 35, 64 f.; vgl. RGSt 60, 371, 372 f.; BGH NStZ-RR 1998, 294; Warda, JuS 1964, 81, 89; Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 910; a. A. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 224. 204 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 205; Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 535; ders./Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 736; Steinberg/Bergmann, JURA 2009, 905, 909; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 49, 58 (der aber betont, dass es sich lediglich um eine terminologische Frage handelt); Wessels/Beulke/ Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1110. 205 Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 54 f. 206 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, 2011, § 18 Rn. 16. 207 Vgl. Mitsch, JuS 1993, 471, 472; vgl. Puppe, JuS 2016, 961, 962. 208 Ein Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO kann bei einem – regelmäßig milderen – Gesetz nur dann unterbleiben, wenn die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten unberührt bleiben, 200
§ 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung
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zeichnet, kann bei Nachweis der Voraussetzungen des verdrängenden Gesetzes und einem entsprechenden Hinweis (§ 265 StPO) aus jenem Gesetz alleine verurteilt werden.209 Tragen die Feststellungen die Voraussetzungen beider Strafgesetze, aber bewertet das Gericht das Verhältnis entgegen der von einer einzelnen Gesetzesverletzung ausgehenden Staatsanwaltschaft als eines der Ideal- oder Realkonkurrenz, ist ebenfalls unter Beachtung der Hinweispflicht eine kumulative Verurteilung möglich.210 Bewertet das Gericht im umgekehrten Fall trotz Anführung beider Strafgesetze (als Ideal- oder Realkonkurrenz) in der Anklage das Verhältnis als eines der Gesetzeskonkurrenz, kann es aus dem verdrängenden Gesetz alleine verurteilen.211
§ 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung Das deutsche Erwachsenenstrafrecht differenziert bei der Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen in einem Verfahren danach, ob diese durch eine oder mehrere Handlungen im materiellen Sinne herbeigeführt wurden (§§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 1 StGB). Dies führt zu einem Einheitsstrafensystem bei der Idealkonkurrenz (A.) und einem Gesamtstrafensystem bei der Realkonkurrenz (B.). Der rechtspolitische Gedanke dahinter ist, dass das Unrecht geringer ausfallen soll, wenn ein Täter mehrere Gesetze durch nur eine Handlung verletzt anstatt durch mehrere.212
A. Die Idealkonkurrenz/Tateinheit Die (echte) Idealkonkurrenz oder Tateinheit liegt nach § 52 Abs. 1 StGB vor, wenn dieselbe Handlung (II.) mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt (I.). vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 2018, § 265 Rn. 9; SSW-Rosenau, StPO, 2018, § 265 Rn. 18. Dies ist vor allem der Fall, wenn die einschlägigen Tatbestände im Verhältnis der Spezialität zueinander stehen, vgl. BGH NJW 1970, 904, 905. 209 Vgl. SSW-Rosenau, StPO, 2018, § 265 Rn. 24. 210 Vgl. Graf-Eschelbach, StPO, 3. Aufl. 2018, § 265 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 2018, § 265 Rn. 8a, 15. 211 Vgl. Graf-Eschelbach, StPO, 2018, § 265 Rn. 8. 212 Vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 190; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 8/9, § 52 Rn. 1; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1396, 1401; krit. Erb, ZStW 117 (2005), 37, 42; Fandrich, Das Doppelverwertungsverbot im Rahmen von Strafzumessung und Konkurrenzen, 2010, S. 121; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 6.
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
I. Die Verletzung mehrerer Strafgesetze Eine Verletzung mehrerer Strafgesetze liegt vor, wenn durch das Verhalten des Täters die Strafbarkeit mehrerer Tatbestände oder desselben Tatbestands mehrfach begründet ist und diese Tatbestandserfüllungen weder zu einer Gesetzesverletzung zusammengefasst werden (1. Kap. § 1) noch Gesetzeskonkurrenz vorliegt (1. Kap. § 2).213 II. Die Handlungseinheit Darüber hinaus müssen die Gesetzesverletzungen „durch dieselbe Handlung“ herbeigeführt worden sein, sodass der Abgrenzung zwischen Handlungseinheit und Handlungsmehrheit zentrale Bedeutung zukommt.214 Die Rechtsprechung nimmt eine derartige Handlungseinheit in drei Konstellationen an: 1. Voll- oder teilidentische Ausführungshandlungen Mehrere Tatbestände werden vor allem dann durch eine Handlung erfüllt, wenn sie durch einen identischen Ausführungsakt realisiert werden.215 Hierfür wird teilweise auch der aus einem anderen Kontext (1. Kap. § 1 A. II.) schon bekannte Begriff der tatbestandlichen Handlungseinheit verwendet.216 Eine Ausführungs identität ist beispielsweise gegeben, wenn der Erfüllung beider Strafgesetze eine identische Handlung im natürlichen Sinne (vgl. 1. Kap. § 1 B. I.) zugrunde liegt. Jedoch genügt es, wenn sich die Ausführungshandlungen nicht vollständig decken, sondern nur partiell in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil überschneiden (s. die nachfolgende Grafik).217
213 Vgl. Warda, JuS 1964, 81, 86; vgl. Sowada, JURA 1995, 245, 246 f.; vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 5. 214 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 10. 215 Vgl. die „Formel“ des RG in RGSt 32, 137, 139 f. 216 Vgl. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 263, 271 m. w. N. 217 RGSt 32, 137, 139 f.; RGSt 52, 298, 299 f.; RGSt 56, 58, 59; BGH NJW 1955, 509; BGH NJW 1968, 1973, 1974; BGH NStZ-RR 1998, 68, 69; BGH NStZ 1998, 300 f.; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, § 52 Rn. 20; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 39; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1085.
§ 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung
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Tateinheit aufgrund von Ausführungsidentität Tateinheit Strafgesetz A Handlung i.n.S.
Handlung i.n.S.
Handlung i.n.S.
Strafgesetz B
Abbildung 1
Die entscheidende Größe ist also grundsätzlich die (Teil-)Identität in der Ausführungshandlung, während ein einheitliches Ziel, ein einheitlicher Beweggrund, die Gleichzeitigkeit des Entschlusses oder der Begehung etc. nicht genügen.218 Wenn etwa während eines Dauerdelikts ein weiteres (Zustands-)Delikt begangen wird, liegt grundsätzlich Tatmehrheit vor.219 Eine Ausführungsidentität besteht nur dann, wenn die einen anderen Tatbestand verwirklichende Handlung gerade der Begründung oder Aufrechterhaltung des Dauerdelikts dient.220 Im Schrifttum wird allerdings für Idealkonkurrenz plädiert, wenn das Dauerdelikt gerade begangen wird, um das Zustandsdelikt verwirklichen zu können (teilweise auch, wenn umgekehrt das Zustandsdelikt das Dauerdelikt ermöglichen soll).221 Überschneiden sich mehrere Dauerdelikte in einer Ausführungshandlung, stehen sie zueinander in Tateinheit.222 Gleiches gilt, wenn ein Dauerdelikt und eine Bewertungseinheit in einer Ausführungshandlung zusammentreffen.223 218 Vgl. RGSt 32, 137, 139; RGSt 52, 298, 299 f.; RGSt 56, 58, 59; BGH NJW 1955, 509; BGH NJW 1968, 1973, 1974; BGH NStZ-RR 1998, 68, 69; BGH NStZ 1998, 300 f.; vgl. BGH, Urteil v. 1.6.2016 – 2 StR 355/15, Rn. 10; vgl. Geppert, JURA 2000, 651 f.; zumindest missverständlich daher BGH NStZ 2018, 335, 336. 219 RGSt 32, 137, 139 f.; RGSt 54, 288, 289; BGH NJW 1962, 2310 f.; vgl. BGH NJW 1980, 2718; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 93 f. 220 BGH NJW 1962, 2310, 2311; BGH NJW 1977, 442, 443. 221 Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 554; Seher, JuS 2004, 392, 394; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 33; vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1087; a. A. (Realkonkurrenz) Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 722; Geppert, JURA 2000, 651, 652; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 95; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, § 52 Rn. 23 f. 222 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 722; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 32. 223 BGH, Beschluss v. 8.11.2016 – 5 StR 482/16, Rn. 3.
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
Zu einer zu Tateinheit führenden Ausführung eines Tatbestands werden – bei Kritik aus dem Schrifttum – auch noch solche Handlungen gezählt, die nach der Vollendung, aber vor materieller Beendigung der Gesetzesverletzung, erfolgen.224 Jedoch gestehen auch Kritiker dieser Rechtsprechung zu, dass die Einbeziehung des Zeitraums bis zur Beendigung bei Dauerdelikten möglich ist.225 Keine Ausführungsidentität liegt hingegen mangels Tatbestandsmäßigkeit vor, wenn im straflosen Vorbereitungsstadium einer (anderen) Straftat ein Strafgesetz verletzt wird.226 Etwas anderes gilt mithin bei einer nach § 30 StGB strafbaren und damit einen Tatbestand ausführenden Vorbereitungshandlung.227 Umstritten ist, ob das strafbare unmittelbare Ansetzen zu einem Tatbestand als eine Ausführungshandlung i. S. v. § 52 StGB angesehen werden kann, sodass er mit einem anderen, dadurch ebenso realisierten Tatbestand in Tateinheit steht.228 2. Die Verklammerung durch ein weiteres Delikt Wenn mehrere Gesetzesverletzungen miteinander nicht unmittelbar identische Ausführungshandlungen aufweisen und daher eigentlich selbstständig wären, sie aber jeweils mit einem gemeinsamen weiteren Strafgesetz (teil-)identische Ausführungshandlungen aufweisen, nimmt die Rechtsprechung zwischen all diesen Strafgesetzen mitunter Idealkonkurrenz unter dem Gesichtspunkt der Verklammerung an.229 Bei der Annahme von Realkonkurrenz würde das verklammernde Delikt jeweils tateinheitlich zu den verklammerten Delikten treten und doppelt in Ansatz kommen.230 Derart verklammernde Delikte sind häufig RGSt 68, 216, 217; BGH NJW 1963, 212, 213 f.; BGH NStZ 2005, 387; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 89 f.; Walter, JA 2004, 572, 575; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1085; a. A. Warda, JuS 1964, 81, 87; Kühl, JA 1978, 475, 479 f.; ders., Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 40; Mitsch, JuS 1993, 385, 386; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 30; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1417. 225 Warda, JuS 1964, 81, 87; Kühl, JA 1978, 475, 479 f.; ders., Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 40; Mitsch, JuS 1993, 385, 386; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 30. 226 Vgl. BGH NJW 1985, 1967, 1968; Warda, JuS 1964, 81, 87; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 30; Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 42. 227 Vgl. BGH NJW 1994, 1885; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 30. 228 So Warda, JuS 1964, 81, 87; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 10; a. A. BGH NJW 1962, 645, wonach das einheitliche unmittelbare Ansetzen zu mehreren Tatbestandsverwirklichungen dann nicht mehr als identische Ausführungshandlung angesehen wird, wenn die Gesetzesverletzungen sodann durch verschiedene Handlungen weiterverfolgt werden, ohne dass es zur Vollendung kommt; zust. Mitsch, JuS 1993, 385, 386; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 92 m. w. N. 229 Vgl. RGSt 68, 216, 218; BGHSt 1, 67, 68; vgl. BGH NJW 1980, 2718; BGH NStZ 2009, 692, 693. 230 Vgl. BGH NJW 1982, 2080; vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 14; vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 42. 224
§ 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung
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Dauerstraftaten, jedoch kommen auch zusammengesetzte Delikte oder tatbestandliche Handlungseinheiten hierfür in Betracht.231 Strukturell lässt sich dies wie folgt darstellen:
Tateinheit aufgrund von Verklammerung Tateinheit Strafgesetz B
Strafgesetz A Handlung i.n.S.
Strafgesetz C
Handlung i.n.S.
Handlungseinheit
Abbildung 2
Allerdings muss der verklammernde Tatbestand zumindest annähernd die gleiche Schwere aufweisen wie die verklammerten Strafgesetze.232 Eine Verklammerung scheidet nach der Rechtsprechung also aus, wenn mehr als eines der zu verklammernden Delikte schwerer wiegt als das verklammernde.233 Diese Einschränkung beruht darauf, dass der Täter durch Begehung einer leichten weiteren Tat nicht durch Annahme einer für ihn als gegenüber § 54 StGB vorteilhaft empfundenen Idealkonkurrenz privilegiert werden soll; die mehrfache Verwertung des eigentlich verklammernden Delikts wird dann vorgezogen.234 Die Schwere 231 Vgl. BGH NJW 1952, 631; BGH NStZ 2009, 692, 693; vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 101 f.; Walter, JA 2004, 572, 576; vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 15. Vor ihrer Aufgabe durch den BGH konnte insb. der fortgesetzten Tat eine Klammerwirkung zukommen, vgl. BGH NJW 1984, 2838; Schmitt, ZStW 75 (1963), 179, 181. 232 BGHSt 1, 67, 70; BGH NJW 1952, 631; BGH NJW 1975, 985, 986; vgl. BGH NJW 1980, 2718; BGH NStZ 2008, 209, 210. 233 BGH NJW 1982, 2080; BGH NStZ 1993, 39, 40; BGH NStZ 2013, 158; zust. Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1432; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 18; a. A. (keine Verklammerung, wenn schon ein Delikt schwerer wiegt als das verklammernde) Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 281; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 721; anders auch noch BGH NJW 1952, 1263, 1264. 234 Vgl. BGHSt 1, 67, 70; BGH NJW 1952, 631; BGH NJW 1970, 255, 257; BGH NStZ 2008, 209, 210; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 44; insoweit missverständlich Puppe, JuS 2017, 503, 506, als ihrer Ansicht nach das dritte Delikt einer der verklammerten Tatbestandsverwirklichungen zugeschlagen und die Handlungseinheit mit der anderen ignoriert werde. Im Schrifttum wird eingewendet, dass eine Privilegierung auch bei zusätzlicher Realisierung eines gleich schweren oder schwereren Delikts auftritt, vgl. Geppert, JURA 2000, 651, 652; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 103. Für Realkonkurrenz
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eines Delikts bestimmte sich ursprünglich nach dem abstrakten Strafrahmen.235 Die jüngere Rechtsprechung hält hingegen eine konkrete Gewichtung der Taten für maßgeblich, die auch besonders schwere Fälle einbezieht, sodass etwa ein Vergehen zwei Verbrechen zu verklammern vermag.236 Eine relevante materielle Zäsur, welche das verklammernde Delikt in zwei Straftaten aufspaltet, schließt hingegen eine tateinheitliche Verklammerung zwischen den im ersten und zweiten Teilabschnitt verwirklichten weiteren Delikten aus.237 Dies ist auch deswegen von Bedeutung, weil mitunter gerade die Begehung eines weiteren Delikts eine solche Zäsur darstellt (vgl. 1. Kap. § 1 A. I.). 3. Die Handlungseinheit ohne strikte Ausführungsidentität Ausnahmsweise kommt die Rechtsprechung auch ohne strenge Ausführungsidentität (s. die folgende, die Grundstruktur erfassende Grafik) über die natürliche Handlungseinheit zur Tateinheit, indem sie die Figur auch auf die Konstellation der Verwirklichung verschiedener Tatbestände anwendet (zur gleichartigen Ideal konkurrenz bei natürlicher Handlungseinheit vgl. schon 1. Kap. § 1 B. II.).238
Tateinheit aufgrund von natürlicher Handlungseinheit Tateinheit Strafgesetz A Handlung i.n.S.
Strafgesetz B Handlung i.n.S.
Abbildung 3 daher (statt vieler) Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 48; ders., ZStW 75 (1963), 179, 181; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 108; Puppe, JuS 2017, 503, 505 f. 235 BGH NJW 1952, 1263, 1264; BGH NJW 1963, 212, 213; BGH NJW 1970, 255, 257; dafür auch LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, § 52 Rn. 32; wohl auch S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 16. 236 BGH NJW 1984, 2838; BGH NStZ 1989, 20; BGH NStZ 1993, 133 f.; BGH NStZ 2009, 692, 693. 237 Vgl. BGH NJW 1970, 255, 256; BGH NStZ-RR 1999, 8, 9; vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 105; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 15. 238 Vgl. RGSt 60, 315, 316 f.; vgl. BGH NJW 1968, 1973, 1974; vgl. BGH NStZ 1986, 314; BGH NStZ 1997, 276.
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Besonders relevant sind hierbei sog. Fluchtfälle, in denen ein Täter nach Verwirklichung eines Tatbestandes flieht und – von dem Ziel getragen, nicht gefasst zu werden – in einem (teilweise lockeren) zeitlich-örtlichen Zusammenhang verschiedene weitere Tatbestände erfüllt.239 Im Schrifttum wird diese Rechtsprechung überwiegend als die Figur der natürlichen Handlungseinheit überstrapazierend abgelehnt,240 obgleich das RG die natürliche Handlungseinheit bemerkenswerterweise zunächst im Kontext verschiedener Tatbestände entwickelt hat.241 III. Die (eingeschränkte) Rechtsfolgenabsorption nach § 52 StGB 1. Der Schuldspruch Sind die Voraussetzungen der Idealkonkurrenz erfüllt, liegt eine Tat im materiellen Sinne mit mehreren Gesetzesverletzungen vor. Zwar wird diskutiert, ob damit ein einziges oder mehrere Verbrechen vorliegen, was davon abhängt, ob man mit diesem Begriff an die Handlung (Einheitstheorie) oder die Gesetzesverletzung (Mehrheitstheorie) anknüpft.242 Einigkeit besteht jedoch darin, dass grundsätzlich alle anwendbaren Gesetzesverletzungen in den Schuldspruch einzustellen sind.243 Nur bei Gleichartigkeit kann der Ausweis der Idealkonkurrenz ausnahmsweise unterbleiben, wenn der Tenor dadurch unübersichtlich und unverständlich würde.244 239 BGH NJW 1968, 1244, 1245 f.; BGH NJW 1989, 2550 f.; vgl. BGH NStZ-RR 1997, 331, 332; BGH StV 2018, 430, 431; zust. Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1416. 240 Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 101 f.; ders., NJW 1978, 300, 302 f.; Warda, JuS 1964, 81, 84; ders., in: Herzberg (Hrsg.), Festschrift für Dietrich Oehler, 1985, S. 248 ff.; Sowada, JURA 1995, 245, 253 m. w. N.; Geppert, JURA 2000, 598, 601; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 53 ff., 86; Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 24 ff.; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 24 f.; Kühl, Strafrecht AT, 2017, § 21 Rn. 16 f., 39; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 30 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 2017, Rn. 1070 f.; befürwortend aber Puppe, JuS 2017, 637, 640 f. 241 Vgl. dazu Honig, Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925, S. 42 ff.; Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 14 ff., 52 ff., 93 ff. 242 Vgl. Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 533; ders./Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 719 m. w. N.; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 323 ff.; Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964, S. 64 ff.; Warda, JuS 1964, 81, 86; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 71 m. w. N.; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 3. 243 LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, § 52 Rn. 2 f.; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 2. 244 BGH NStZ 1996, 493, 494; BGH NStZ 1996, 610, 611; vgl. BGH NStZ 2000, 30, 31; BGH NStZ-RR 2011, 111; vgl. BGH NStZ-RR 2016, 274, 275; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 50.
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2. Die Einheitsstrafe Trotz einer mehrfachen Gesetzesverletzung wird nur auf eine Einheitsstrafe erkannt (§ 52 Abs. 1 StGB), welche sich bei der gleichartigen Idealkonkurrenz nach dem Strafrahmen des (mehrfach) verletzten Tatbestands bestimmt.245 Obwohl damit formal nicht anders als bei einer einfachen Verletzung des Strafgesetzes bestraft wird, kann die kumulative Verwirklichung über § 46 Abs. 2 S. 2 StGB („Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat“) strafschärfend zu Buche schlagen und sogar die Annahme eines besonders schweren Falles rechtfertigen.246 Rechtspolitisch wurde allerdings vorgeschlagen, über diese Höchststrafe hinaus einen erhöhten Strafrahmen zu bilden, um die gleichartige Idealkonkurrenz deutlicher von der singulären Verletzung eines Gesetzes abzuheben.247 Bei der ungleichartigen Idealkonkurrenz wird die Strafe nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB dem Rahmen des Gesetzes entnommen, das die schwerste Strafe androht. Die Schwere bestimmt sich zunächst nach der Strafart, d. h. eine Freiheitsstrafe wiegt schwerer als eine Geldstrafe.248 Im Falle einer gleichen Strafart ist bei der Freiheitsstrafe die schwerste Höchststrafe der konkret anzuwendenden Strafrahmen maßgeblich, sodass etwa aus dem Strafrahmen eines Vergehens in einem besonders schweren Fall bestraft werden kann, wenn es idealiter mit einem minderschweren Verbrechen konkurriert.249 Nach unten determiniert den neuen Strafrahmen die unter den konkreten Umständen höchste Mindeststrafe aller anwendbaren Strafgesetze (vgl. § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB).250 Ferner müssen/ können nach § 52 Abs. 4 Satz 2 StGB Nebenstrafen, Nebenfolgen oder Maßnahmen nach den weiteren Strafrahmen zusätzlich verhängt werden. Darüber hinaus kann die Tatsache der kumulativen Gesetzesverletzung auch bei der ungleichar-
245 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 110; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 33. 246 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 724; Geppert, JURA 2000, 651, 653; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 111 f.; Walter, JA 2004, 133, 134; S/S-Sternberg-Lieben/ Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 33. 247 Schmitt, ZStW 75 (1963), 179, 186 ff. 248 Lackner/Kühl, StGB, 2018, § 52 Rn. 8. 249 Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 532; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 114; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 36 f.; Baumann et al., Strafrecht AT, 2016, § 27 Rn. 37; Lackner/Kühl, StGB, 2018, § 52 Rn. 8. 250 Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 532; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 114; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 36 f.; insoweit missverständlich Puppe, JuS 2017, 637, 638, nach der die Verwirklichungen der übrigen Tatbestände nur bei der Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens des strengsten Gesetzes zulässig sei, ohne dass eine Erhöhung des Strafrahmens des strengsten Gesetzes zulässig wäre.
§ 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung
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tigen Idealkonkurrenz strafschärfende Berücksichtigung finden,251 jedoch muss das Doppelverwertungsverbot beachtet werden.252 Schließlich bleibt § 41 StGB von der Tateinheit grundsätzlich unberührt (§ 52 Abs. 3 StGB), sodass ggf. eine Geldstrafe aus dem milderen Tatbestand zu einer Freiheitsstrafe kumulativ hinzutreten kann.
B. Die Realkonkurrenz/Tatmehrheit Die (echte) Realkonkurrenz setzt nach § 53 Abs. 1 StGB mehrere Straftaten voraus, d. h. mehrere anwendbare Strafgesetzverletzungen, die nicht unter den Voraussetzungen der Idealkonkurrenz realisiert wurden.253 Wenn wegen mehrerer Straftaten gleichzeitig in einem Verfahren verurteilt wird, kommt es in der Rechtsfolge zur Verhängung einer Gesamtstrafe (I.). Dieses Modell ist allerdings umstritten, sodass auch im Bereich der Realkonkurrenz für den Übergang zu einer Einheitsstrafe plädiert wird (II.) I. Die Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB Ist nach § 53 Abs. 1 und 2 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden, richtet sich dies im Detail nach § 54 StGB. 1. Die grundsätzliche Erhöhung einer Einzelstrafe a) Das Auswerfen von Einzelstrafen Im ersten Schritt wird für jede verwirklichte Tat eine Einzelstrafe nach den allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkten gebildet.254 Es muss sich bei diesen Taten nicht um einzelne Gesetzesverletzungen handeln, sondern es kommen auch idealiter konkurrierende Strafgesetzverletzungen in Betracht.255 Diese Einzelstrafen müssen in der Urteilsbegründung mit den sie bestimmenden Faktoren Erwähnung finden, um etwaige Rechtsmittel besser zu ermöglichen bzw. um
251 Vgl. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 372; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 111 f., 115. 252 Vgl. BGH NStZ 1993, 338, 339. 253 Deutlicher machte dies § 74 RStGB 1871: „Gegen denjenigen, welcher durch mehrere selbständige [sic] Handlungen mehrere Verbrechen oder Vergehen oder dasselbe Verbrechen oder Vergehen mehrmals begangen [...] hat“ [Hervorh. d. Verf.]. 254 Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 140. 255 Vgl. LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, § 53 Rn. 7; S/S-Sternberg-Lieben/ Bosch, StGB, 2014, § 53 Rn. 3; SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 53 Rn. 5.
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1. Kapitel: Die Grundzüge der Konkurrenzlehre im deutschen Strafrecht
wieder selbstständig aufzuleben, sollten die Gesamtstrafe und/oder eine andere Einzelstrafe infolge eines Rechtsmittels hinfällig werden.256 b) Die Bildung einer Gesamtstrafe Aus diesen Einzelstrafen soll sodann eine Gesamtstrafe gebildet werden, indem die höchste verwirkte Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) zugrunde gelegt und erhöht wird (sog. Asperation, § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB). In der Praxis scheint mitunter jedoch anders verfahren zu werden, indem entweder die Gesamtstrafe zuerst und daraus die Einzelstrafen gebildet werden oder indem nach Bildung der Einzelstrafen die noch zu hoch erscheinende Gesamtstrafe durch Reduzierung der Einzelstrafen abgemildert wird.257 Sofern mit einer der Einzelstrafen schon auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt wird, ist auch die Gesamtstrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StGB).258 Bei mehreren zeitigen Freiheitsstrafen bestimmt sich die Einsatzstrafe nach der Dauer der Einzelfreiheitsstrafen.259 Bei mehreren Geldstrafen kommt es nicht auf die Geldsumme an, sondern auf die Anzahl der Tagessätze.260 Bei Einzelstrafen verschiedener Art (vgl. § 54 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB) wiegen Freiheitsstrafen (unabhängig von ihrer Dauer) schwerer als Geldstrafen (unabhängig von ihrer Höhe oder der Anzahl der Tagessätze).261 Was das Ausmaß der Erhöhung angeht, verbietet § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB ausdrücklich die bloße Kumulation der Einzelstrafen (konkrete Obergrenze); ferner darf die Gesamtstrafe nach Satz 2 unabhängig von den Einzelstrafen bei zeitigen Freiheitsstrafen (§ 38 Abs. 1 StGB) nicht höher als 15 Jahre Freiheitstrafe oder 720 Tagessätze bei der Geldstrafe ausfallen (abstrakte Obergrenze).262 Vielmehr wird die Einsatzstrafe bei einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls in einem ge-
Geppert, JURA 2000, 651, 653; Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1404. Vgl. schon RGSt 44, 302, 305 ff.; vgl. Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 532 f. m. w. N.; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 472 m. w. N.; Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, 56; ders., ZStW 75 (1963), 179, 189 f.; aus jüngerer Zeit Erb, ZStW 117 (2005), 37, 48 f. 258 Die anderen Einzelstrafen sind allerdings noch für die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld von Relevanz, welche der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung entgegenstehen kann (§§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 57b StGB), vgl. Walter, JA 2004, 133, 134 f. 259 Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 142. 260 Vgl. BGH NJW 1986, 1117; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 142. 261 Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 142; Klappstein/Kossmann, JuS 2010, 785, 786; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 54 Rn. 5. 262 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 146. 256 257
§ 3 Die Bestrafung bei der kumulativen Verurteilung
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sonderten Strafzumessungsvorgang um eine in §§ 39, 40 Abs. 1 StGB genannte Einheit erhöht (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB).263 Nach der Rechtsprechung muss das Gericht die Gründe für die Gesamtstrafe gesondert bestimmen, wobei ein besonderer Begründungsaufwand besteht, wenn die Einsatzstrafe nur geringfügig überschritten wird oder die Gesamtstrafe sich der Summe der Einzelstrafen nähert.264 Das Ausmaß der Erhöhung soll insbesondere nicht auf einem zu einer schematischen Berechnung führenden Schlüssel beruhen dürfen.265 Nichtsdestotrotz wird beobachtet, dass die Erhöhung häufig in der Hälfte der zweithöchsten Strafe266 oder der Hälfte der Summe aller übrigen Strafen267 besteht. Der BGH betont stattdessen, dass die Erhöhung umso geringer ausfallen soll, je enger der zeitliche, sachliche und situative Zusammenhang zwischen den Straftaten ist.268 In der Literatur wird schließlich festgestellt, dass der praktische Unterschied zur tateinheitlichen Strafzumessung gering ist, weil der Strafrahmen des schwersten Gesetzes selten überschritten wird.269 2. Die Kumulation von Strafen als Ausnahmefall Eine Abweichung vom grundsätzlich untersagten Kumulationsprinzip gilt für Geldstrafen, wenn diese, anstatt in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen zu werden, ausnahmsweise270 auch kumulativ mit einer für eine andere Straftat vorgesehenen Freiheitsstrafe verhängt werden können (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB). Neben einer Einzelstrafe oder einer Gesamtstrafe kann das Gericht für dieselbe Tat unter den Voraussetzungen des § 41 StGB auch eine gesonderte Geldstrafe aussprechen, um eine durch die Tat erlangte Bereicherung abzuschöpfen (§ 53 Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 3 StGB).271 Die Kumulation mit einer Gesamtstrafe lässt das Gesetz auch zu, wenn eines der verletzten Strafgesetze Nebenstrafen, Neben-
263 BGH NJW 1972, 454, 455; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 729; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 150. 264 Vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 54 Rn. 18 m. w. N. 265 BGH NStZ 2001, 365 f.; vgl. Erb, ZStW 117 (2005), 37, 46; S/S-Sternberg-Lieben/ Bosch, StGB, 2014, § 54 Rn. 15, 17; so jedoch der Vorschlag von Bohnert, ZStW 105 (1993), 846, 867 ff. 266 Heinrich, Strafrecht AT, 2016, Rn. 1403. 267 SSW-Eschelbach, StGB, 2016, § 54 Rn. 7 m. w. N.; dagegen ausdrücklich BGH NStZ 2001, 365, 366; BGH NStZ-RR 2009, 200. 268 BGH NStZ 1992, 389; BGH NJW 1995, 1038; BGH NStZ 1996, 187. 269 Werle, Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung, 1981, S. 41; LK-Rissing-van Saan, StGB, Band 2, 2006, Vor § 52 Rn. 5; MüKoHeintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 7. 270 So zuletzt BGH NStZ 2018, 335, 337. 271 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 123, 137.
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folgen oder Maßnahmen vorsieht und die dafür verhängte Einzelstrafe die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt (§ 53 Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 4 StGB).272 II. Die rechtspolitische Kritik an der Gesamtstrafe Die Gesamtstrafe als Folge der Realkonkurrenz ist rechtspolitisch umstritten. So wird immer wieder gefordert, auch bei der Tatmehrheit zu einer Einheitsstrafe überzugehen, um etwa die Anzahl von Revisionen zu verringern oder – gerade nach Aufgabe der fortgesetzten Tat – eine Vielzahl von Einzelstrafen bei Serien straftaten zu vermeiden.273 Ob dies auch die Aufgabe der Differenzierung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz beinhalten sollte, wird unterschiedlich beurteilt.274 Selbst der BGH hat sich – im Kontext der Konkurrenz der Regeln der Gesamtstrafenbildung – schon zur Formulierung eines entsprechenden rechtspolitischen Standpunktes hinreißen lassen.275 Schließlich hat auch die Landesjustizministerkonferenz im Jahre 2003 einen Beschluss zugunsten der Einführung der Einheitsstrafe gefasst, dem bislang jedoch keine bundesgesetzgeberische Umsetzung gefolgt ist.276
272 Vgl. Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 530; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 139. 273 Vgl. statt vieler Honig, Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925, S. 8 ff.; Niese, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 1, 1954, S. 155 ff.; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 454 ff., 470 ff., 483 ff.; Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 542 ff.; Schmitt, ZStW 75 (1963), 179, 193 ff.; Erb, ZStW 117 (2005), 37, 41 ff. m. w. N.; Fandrich, Das Doppelverwertungsverbot im Rahmen von Strafzumessung und Konkurrenzen, 2010, S. 153 f.; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 3 ff. 274 Für die Beibehaltung vgl. Niese, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 1, 1954, S. 163 f.; Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 545, 550; Schmitt, ZStW 75 (1963), 179, 211 ff.; für die Aufgabe vgl. Honig, Studien zur juristischen und natürlichen Handlungseinheit, 1925, S. 8 ff.; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 429 ff., 459 f.; Erb, ZStW 117 (2005), 37, 64 ff.; Fandrich, Das Doppelverwertungsverbot im Rahmen von Strafzumessung und Konkurrenzen, 2010, S. 153 f. 275 BGH, Beschluss v. 17.7.2000 – 5 StR 280/00, Rn. 11. 276 Vgl. Erb, ZStW 117 (2005), 37, 38 f.; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 5.
2. Kapitel
Das englische Strafrecht Zur Beantwortung der Leitfragen betreffend das englische Recht werden zunächst die historischen und gegenwärtigen Regeln der kumulativen Anklage vorgestellt. Diese erklären nicht nur die geringere Relevanz von Konkurrenzfragen in englischen Urteilen, sondern auf dieser Ebene ist auch die Antwort auf unsere zweite Leitfrage in Bezug auf die mehrmalige Erfüllung desselben Straftatbestands zu finden (§ 1). Sodann wird auf die Rechtsprechung zum Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen (§ 2) sowie auf die Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen eingegangen (§ 3).
§ 1 Die kumulative Anklage von Gesetzesverletzungen A. Die historisch geringere Relevanz der Konkurrenz im Common Law Das Fehlen einer begrifflichen Konkurrenzlehre im Common Law-Rechtskreis liegt an der besonderen Geschichte und Struktur der Anklage von Straftaten im common law mit der Folge, dass es seltener zu Konkurrenzsituationen kam.1 Diesem Thema musste demnach nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, was erklären dürfte, warum in den wichtigen books of authority keine Äußerungen zu der Problematik der kumulativen Verurteilung in einem einzigen Verfahren zu finden sind.2 Blackstones kurze Ausführungen zum Verbot der Doppelverurteilung beziehen sich beispielsweise nur auf den Kontext aufeinanderfolgender Strafprozesse: „[The] plea, of auterfoits convict, or a former conviction for the same identical crime, though judgment was ever given, or perhaps will be, (being suspended by the benefit of clergy or other causes,) is a good plea in bar to an indictment. And this depends upon the same principle as the former, that no man ought to be twice brought in danger of his life for one and the same crime.“3 [Fn. weggelassen]
Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 148 (Fn. 7). So Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 111. 3 Blackstone, Commentaries, Band 4, 12. Aufl. 1795, S. 336. 1 2
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
Die Ursache für das geringe Bedürfnis nach Konkurrenzerwägungen waren teils bis in das frühe 20. Jahrhundert bestehende prozessuale Regeln, die bei mehrere Tatbestände erfüllenden Taten oftmals nur zu einem Anklagepunkt führten: I. Keine Kumulation von Verbrechen und Vergehen in einem Verfahren (merger of offences) Zum einen konnte nach common law in eine Anklage (indictment) neben einem Verbrechen (felony) kein Anklagepunkt für ein Vergehen (misdemeanour) aufgenommen werden.4 Dies erklärt sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Prozessregeln für diese Deliktskategorien: Ursprünglich hatte nur der Angeklagte des Prozesses für ein Vergehen (misdemeanour trial) beispielsweise das Recht auf einen Verteidiger sowie eine Abschrift der Anklage und konnte auf die Besetzung der Geschworenenbank Einfluss nehmen.5 Ebenfalls hat es eine Rolle gespielt, dass die felony regelmäßig ohnehin mit dem Tod bestraft wurde. Deshalb empfand man einen weiteren, nur zu einer Gefängnis- oder Geldstrafe führenden Anklagepunkt als überflüssig.6 Aus diesem Umstand wurde eine sog. merger doctrine abgeleitet, wonach bei einer sowohl die Voraussetzungen eines Verbrechens als auch die eines Vergehens erfüllenden Tat nur wegen des Verbrechen verurteilt werden konnte.7 Infolgedessen wiederum war in einem Verfahren wegen eines Vergehens freizusprechen, wenn sich herausstellte, dass die Tatsachen auch ein Verbrechen tragen.8 Überdies konnte die Tat nach Verurteilung für ein Verbrechen aufgrund der merger doctrine nicht erneut als Vergehen verfolgt werden.9
4 Vgl. Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1349; Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 36; Stephen, A History of the Criminal Law of England, Band 1, 1883, S. 291; Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 171 f.; Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 111. 5 Honig, in: Mezger et al. (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Vierter Band, 1962, S. 241; Torcia, Wharton’s Criminal Law, Band 1, 15. Aufl. 1993, § 24; vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 148 (Fn. 7). 6 Stephen, A History of the Criminal Law of England, Band 1, 1883, S. 291. Das etwaige Interesse des Staates an einer Geldzahlung für das Vergehen war unerheblich, denn bei einer Verurteilung für ein Verbrechen fiel das Eigentum des Verurteilten ohnehin an die Krone, vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 175. 7 Stöcker, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 2, 1954, S. 452; Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 174; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 80. 8 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 80; Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 174, 176 f.; Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 111. 9 Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 175.
§ 1 Die kumulative Anklage von Gesetzesverletzungen
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II. Keine Kumulation mehrerer Verbrechen in einem Verfahren (doctrine of election) Die merger doctrine war allerdings nicht zwischen Tatbeständen der gleichen Kategorie anwendbar.10 Bei mehreren Anklagepunkten für Verbrechen war es im 18. und 19. Jahrhundert jedoch eine verbreitete Praxis, dass der Verfahrensrichter den Ankläger auffordern würde, einen Anklagepunkt auszuwählen, welcher den Gegenstand des Verfahrens bilden sollte.11 Die Jury, aber gerade auch der Angeklagte, sollten durch eine Kumulation nicht überfordert werden; immerhin hatte jener häufig (s. sogleich) keinen Verteidiger und bei einer Verurteilung regelmäßig die Todesstrafe zu erwarten.12 Diese als doctrine of election bezeichnete13 Praxis führte faktisch dazu, dass eine Konkurrenz zwischen felonies in einem Verfahren selten auftrat.14 Allerdings war sie nicht einschlägig, wenn mehrere Anklagepunkte nur das einem angeklagten Verbrechen unterliegende Verhalten in verschiedener Weise beschrieben, was mit den damals sehr formalistischen Anforderungen an Anklageschriften zusammenhing.15 Bei misdemeanours gab es keine entsprechende Praxis, sodass grundsätzlich beliebig viele davon zusammen angeklagt werden konnten.16 Allerdings wurde dies ebenfalls als gegenüber dem Angeklagten nicht fair erachtet sowie wegen prozessualer Schwierigkeiten kritisiert.17
Stöcker, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 2, 1954, S. 452; eerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 82; Honig, in: Mezger et al. G (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Vierter Band, 1962, S. 241; Torcia, Wharton’s Criminal Law, Band 1, 1993, § 24. 11 Vgl. Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1349; Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 36; Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 179 f. m. w. N.; Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 111. 12 Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 180; Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 147. 13 Vgl. Stephen, A History of the Criminal Law of England, Band 1, 1883, S. 291; vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 179. 14 Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 148 (Fn. 7). 15 Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 180 m. w. N.; vgl. auch Stephen, A History of the Criminal Law of England, Band 1, 1883, S. 291; Katkhuda/Morrish, Forms of Indictment, 1990, S. 60. 16 Vgl. Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1350; Stephen, A History of the Criminal Law of England, Band 1, 1883, S. 291 f.; Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 146; vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 148 (Fn. 7). 17 Vgl. die Nachweise bei Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 36–37. 10
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
III. Die Öffnung für die Kumulativanklage durch den Indictments Act 1915 Diese Regeln verloren im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr ihre sachliche Berechtigung.18 So wurden die Prozessrechte des eines Verbrechens Angeklagten verbessert, etwa indem ein Verteidiger im felony trial zugelassen19 und die Trennschärfe zwischen den Verfahren durch Criminal Procedure Act 1836, s. 1220 aufgeweicht wurde. Nach diesem Gesetz hatte der Angeklagte eines misdemeanour trial nun nicht mehr das Recht auf einen Freispruch, wenn ihm auf Grundlage der im Verfahren erwiesenen Tatsachen sogar der Vorwurf eines Verbrechens gemacht werden konnte.21 Der Indictments Act 191522, durch dessen s. 4 ausdrücklich die Möglichkeit eingeführt wurde, mehrere Verbrechen bzw. Verbrechen mit Vergehen in einer Anklage zu kumulieren, entzog den alten Prozess- und Praxisregeln schließlich endgültig die Grundlage: „Subject to the provisions of the rules under this Act, charges for more than one felony or for more than one misdemeanour, and charges for both felonies and misdemeanours, may be joined in the same indictment, but where a felony is tried together with any misdemeanour, the jury shall be sworn and the person accused shall have the same right of challenging jurors as if all the offences charged in the indictment were felonies.“
Durch Criminal Law Act 196723, s. 1(1) wurde die Unterscheidung zwischen felonies und misdemeanours später sogar vollständig abgeschafft. Die Möglichkeit zu einer kumulativen Anklage wurde zunächst nur zögerlich von der Praxis angenommen, was deutliche Worte seitens des Court of Criminal
Vgl. Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1350; Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 146 f. 19 Vgl. Trials for Felony Act 1836 (6 & 7 Will. 4 c. 114); vgl. allerdings auch Stephen, A History of the Criminal Law of England, Band 1, 1883, S. 341, 424 f. mit dem Hinweis, dass die dem Angeklagten einen Verteidiger versagende Regel in der Praxis schon nach und nach gelockert worden war. 20 Criminal Procedure Act 1851 (14 & 15 Vict. c. 100), s. 12: „If upon the trial of any person for any misdemeanor it shall appear that the facts given in evidence amount in law to a felony, such person shall not by reason thereof be entitled to be acquitted of such misdemeanor; and no person tried for such misdemeanor shall be liable to be afterwards prosecuted for felony on the same facts, unless the court before which such trial may be had shall think fit, in its discretion, to discharge the jury from giving any verdict upon such trial, and to direct such person to be indicted for felony, in which case such person may be dealt with in all respects as if he had not been put upon his trial for such misdemeanor.“ 21 Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 80, 138 ff. 22 5 & 6 Geo. 5 c. 90. 23 1967 c. 58. 18
§ 1 Die kumulative Anklage von Gesetzesverletzungen
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Appeal erforderlich machte.24 Auch galt mit dem Segen desselben Gerichts25 – wohl als Überbleibsel der doctrine of election – noch lange eine Praxisregel, nach der einer Anklage wegen Mordes oder Totschlags keine weiteren Anklagepunkte hinzugefügt werden durften.26 Dennoch kann festgehalten werden, dass im modernen englischen Recht (wie auch den weiteren hier untersuchten Common Law-Jurisdiktionen) Konkurrenzfragen in einem einheitlichen Verfahren prinzipiell und stärker als früher auftreten können, was funktional einer Konkurrenzlehre entsprechende Lösungen erforderlich macht.
B. Die kumulative Anklage im gegenwärtigen Recht Die Kumulation von Delikten (joinder of offences) in einer Anklage (indictment) kann nach heutigem Recht prinzipiell in einem (II.) oder in mehreren Anklagepunkten (counts) (I.) erfolgen.27 I. Die Kumulation durch mehrere Anklagepunkte (counts) 1. Grundsätzlich generelle Zulässigkeit der Kumulation Die Kumulation von Delikten in mehreren Anklagepunkten ist nunmehr im Grundsatz generell zulässig. Bis zu einer im Oktober 2016 vorgenommenen Neufassung der Criminal Procedure Rules 2015 galt immerhin noch eine einschränkende Regel, nach der die Kumulation in verschiedenen Anklagepunkten (counts) nur dann erfolgen konnte, wenn die Delikte auf einer gemeinsamen Tatsachengrundlage beruhten (founded on the same facts) oder Teil einer Serie von Delikten derselben oder ähnlicher Art waren (part of a series of offences of the same or a similar character) (CrimPR, r. 10.2(3) a. F.28). Vollkommen zusammenhanglose Delikte konnten danach nicht miteinander kumuliert werden und machten die Anklage (indictment) unwirksam.29 Vgl. Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1351 m. w. N. Vgl. R. v. Jones [1918] 1 K.B. 416–417; R. v. Davis (1938) 26 Cr. App. R. 95, 97–98. 26 Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 188 f.; Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 149. 27 Vgl. Hampton, Criminal Procedure, 3. Aufl. 1982, S. 158, 160. 28 CrimPR, r. 10.2(3) a. F. (bis Oktober 2016): An indictment may contain more than one count if all the offences charged – (a) are founded on the same facts; or (b) form or are a part of a series of offences of the same or a similar character. 29 Zu weitgehend erscheint selbst beim damaligen Gesetzesstand die Folgerung von Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 58, dass „tatmehrheitliche Kons24 25
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
Diese Regelung ist zum Oktober 2016 gestrichen worden.30 Jedoch wurde bei den Vorschriften über die Prozessleitung (case management), in CrimPR, r. 3.21(4)(a) a. F.31, zunächst noch eine Vorschrift aufgenommen, nach der das Gericht das Verfahren trennen musste (vgl. Indictments Act 1915, s. 5(3)), wenn die Delikte nicht auf einer gemeinsamen Tatsachengrundlage beruhten (founded on the same facts) oder Teil einer Serie von Delikten derselben oder ähnlicher Art waren (part of a series of offences of the same or a similar character). Dies warf schnell die kontrovers diskutierte Frage auf, welche Folgen es haben würde, wenn das Gericht entgegen dieser Verpflichtung keine Trennung anordnete. Den Fall R. v. Williams (Malachi), in dem es auf diese Frage letztlich nicht ankam, nahm der Court of Appeal hierbei zum Anlass, über den Lord Chief Justice eine Klarstellung durch das Criminal Procedure Rule Committee anzuregen.32 Dieses reagierte im April 2018 mit einer Neufassung der CrimPR, r. 3.21(4), nach welcher die vormalige Regel nur noch in abgeschwächter Form dergestalt weiterlebt, dass das Gericht eine Verfahrenstrennung u. a. dann anordnen kann, wenn es der Ansicht ist, dass der Angeklagte durch die Kumulation in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt ist. Dies soll „beispielsweise“ dann der Fall sein, wenn die Delikte weder auf einer gemeinsamen Tatsachengrundlage beruhen (founded on the same facts) noch Teil einer Serie von Delikten derselben oder ähnlicher Art sind (part of a series of offences of the same or a similar character): Application for joint or separate trials, etc. 3.21. [...] (4) Where the same indictment charges more than one offence, the court may exercise its power to order separate trials of those offences if of the opinion that – (a) the defendant otherwise may be prejudiced or embarrassed in his or her defence (for example, where the offences to be tried together are neither founded on the same facts nor form or are part of a series of offences of the same or a similar character); or (b) for any other reason it is desirable that the defendant should be tried separately for any one or more of those offences.
tellationen in der Regel innerhalb desselben Prozesses gar nicht vorkommen“ konnten, wenn man dabei „Tatmehrheit“ im Sinne des deutschen Konkurrenzrechts versteht. 30 CPD II, 10A.3. 31 CrimPR, r. 3.21(4) a. F. (bis April 2018): Where the same indictment charges more than one offence, the court – (a) must exercise its power to order separate trials of those offences unless the offences to be tried together – (i) are founded on the same facts, or (ii) form or are part of a series of offences of the same or a similar character [...]. 32 R. v. Williams (Malachi) [2017] EWCA Crim 281 [32]–[33].
§ 1 Die kumulative Anklage von Gesetzesverletzungen
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Da auch in dieser neuesten Version der Regel explizit die Terminologie der früheren Regelungen aufgegriffen wird, lohnt es sich, auf die dazu ergangene Rechtsprechung kurz einzugehen, wenngleich es zu bedenken gilt, dass die Verfahrenstrennung nunmehr im Ermessen des Gerichts steht und zu erwarten ist, dass die Kumulation durch mehrere Anklagepunkte noch großzügiger gehandhabt werden dürfte, als es früher schon der Fall war: a) Eine gemeinsame Tatsachengrundlage (founded on the same facts) Schon die Alternative der gemeinsamen Tatsachengrundlage wurde tendenziell weit ausgelegt. So erforderte sie nicht unbedingt die Identität oder Gleichzeitigkeit der die Delikte erfüllenden Tatsachen. Vielmehr war sie auch dann gegeben, wenn die Delikte einen gemeinsamen faktischen Ursprung („a common factual origin“) hatten, d. h. wenn ein Anklagepunkt von den dem anderen unterliegenden Fakten abhing.33 Beispielsweise lagen in R. v. Barrell ca. zwei Monate zwischen den Tathandlungen. Dennoch bestand eine gemeinsame Tatsachengrundlage, weil der Angeklagte versuchte, das Opfer zu einer Änderung seine Aussage über den ersten Vorfall (eine Schlägerei) zu bewegen, was neben den Delikten des ersten Vorfalls zulässig als versuchte Justizbehinderung (attempting to pervert the course of justice) angeklagt wurde.34 Auch bei jedem durchgehenden Verhalten (uninterrupted/continuous course of conduct) lag eine hinreichende gemeinsame Tatsachengrundlage vor35 und sogar sich logisch gegenseitig ausschließende Delikte konnten auf dieser Grundlage alternativ angeklagt36 werden. b) Ein Teil einer Serie von Delikten derselben oder ähnlicher Art (part of a series of offences of the same or a similar character) Darüber hinaus konnten mehrere Delikte gleicher oder ähnlicher Art als Teil einer Serie zusammen angeklagt werden. Dies erforderte eine Ähnlichkeit der Delikte sowohl in der rechtlichen Qualifizierung der Tatbestände als auch der konkret unterliegenden Tatsachen.37 Auch hier war nach dem House of Lords kein R. v. Barrell (1979) 69 Cr. App. R. 250, 252–253. R. v. Barrell (1979) 69 Cr. App. R. 250, 252–253. 35 Atkinson/Moloney, Blackstone’s Guide to The Criminal Procedure Rules, 2. Aufl. 2011, Rn. 5.68; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 15. Aufl. 2015, Rn. 15.19. 36 R. v. Bellman [1989] A.C. 836, 843, 846–851. 37 Vgl. Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 39; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.21. 33 34
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
enges Verständnis wünschenswert, weil der Verfahrensrichter die Anklagepunkte nach seinem Ermessen voneinander trennen konnte, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden (vgl. Indictments Act 1915, s. 5(3)).38 Ferner reichten für eine Serie in diesem Sinne bereits zwei Taten aus.39 Die Ähnlichkeit bezüglich der rechtlichen Qualifizierung lag bei gemeinsamen tatbestandlichen Merkmalen vor, wie beispielsweise dem Diebstahlselement bei versuchtem Diebstahl und Raub.40 Jüngst wurde sie wegen des gemeinsamen Gewaltelements sogar noch zwischen Raub (robbery) und Vergewaltigung (rape) bejaht.41 Verneint wurde jedoch die gemeinsame Verhandlung eines sexuellen Übergriffs (indecent assault) mit einer fünf Tage später an einem anderen Ort erfolgten Freiheitsberaubung (false imprisonment) desselben Opfers.42 An die tatsächliche Ähnlichkeit wurden keine sehr strengen Anforderungen gestellt.43 So wurde sie insbesondere bejaht, wenn die Beweismittel für ein Delikt auch in Bezug auf das andere zulässig waren.44 Auch eine Nähe von Tatort und Tatzeit, die selbst bei 16 Tagen Unterschied zwischen den Taten noch anzunehmen sein konnte, vermochte die tatsächliche Ähnlichkeit zu begründen.45 Bei demselben betroffenen Opfer wurde in einem Fall auch die Kumulation einer Vergewaltigung mit einem elf Jahre später erfolgten Versuch der Vergewaltigung für zulässig erachtet.46 Schließlich war in dem berühmten Fall der Kray-Brüder die gemeinsame Verhandlung von zwei 18 Monate auseinanderliegenden Morden zulässig, da die Taten in der Ausführung ungewöhnliche Gemeinsamkeiten aufwiesen.47 Eine bloße sich durch zwei Delikte manifestierende „Unredlichkeit“ (dishonesty) des Angeklagten stellte hingegen keinen hinreichenden Nexus zwischen zwei Delikten her.48
38 R. v. Kray [1970] 1 Q.B. 125, 131; Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 40. 39 R. v. Kray [1970] 1 Q.B. 125, 130; Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 38. 40 Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 39. 41 R. v. Williams (Malachi) [2017] EWCA Crim 281 [22]. 42 R. v. Williams [1993] Crim. L. R. 533. 43 Vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.21. 44 R. v. Kray [1970] 1 Q.B. 125, 130–131. 45 Ludlow v. Metropolitan Police Commissioner [1971] A.C. 29, 39. 46 C (1993) The Times, 4 February 1993 (zitiert nach Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.23). 47 R. v. Kray [1970] 1 Q.B. 125, 131; ähnlich R. v. Williams (Malachi) [2017] EWCA Crim 281 [21]–[22] betreffend die Gewaltanwendung bei einem Raub und einer später efolgten Vergewaltigung eines anderen (!) Opfers. 48 R. v. Harward (1981) 73 Cr. App. R. 168, 171.
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2. Das Gebot der Beschränkung auf wenige Anklagepunkte Trotz des bestehenden Gestaltungsspielraums soll die Zahl der Anklagepunkte gering gehalten werden, um die Jury nicht zu verwirren und den Angeklagten nicht zu benachteiligen.49 Nachdem allerdings selbst im House of Lords eine gegenteilige Praxis beklagt wurde,50 wurde dieses Thema in der Praxisanweisung zu den Criminal Procedure Rules 2015, den Criminal Practice Directions 2015 Division II, aufgegriffen. So ist es nach CPD II, 10A.3 grundsätzlich nicht wünschenswert, dass eine eine große Anzahl an Anklagepunkten zusammen verhandelt wird: „It is generally undesirable for a large number of counts to be tried at the same time [...].“
Selbst wenn mehrere Gesetzesverletzungen nachgewiesen werden können, sollen aus Gründen der Fairness insbesondere keine trivialen Anklagepunkte in die Anklage aufgenommen werden, weil diese die gerechte Behandlung der wichtigeren Fragen des Falles zu behindern vermögen.51 So hat es der Lord Chief Justice in einem Fall der mehrfachen Vergewaltigung eines Mädchens als überflüssig erachtet, den Vergewaltigungsanklagepunkten einen weiteren wegen Freiheitsberaubung (false imprisonment) hinzuzufügen.52 Anlässlich dieses Falles nannte er für die Auswahl von Anklagepunkten relevante Kriterien. Danach soll neben Beweisbarkeitserwägungen von Bedeutung sein, dass die Anklagepunkte das Ausmaß des kriminellen Verhaltens wiederspiegeln, jedoch auch Überschneidungen und unnötige Komplikationen vermieden werden, um keine Ressourcen zu verschwenden: „This requires close attention to the realities of the case and none at all to the theoretical legal possibilities which may arise. It also requires careful attention to the criminality which has resulted in the case coming to trial, as well as the evidence to support the allegation. Finally, it requires the avoidance of duplication and the risk of unnecessary complications both for the jury and for the judge, and the ultimate wasting of scarce and valuable resources. Unnecessary counts should be stripped out of the indictment.“53
Bei dennoch als zu zahlreich empfundenen Anklagepunkten kann der Verfahrensrichter die Anklagevertretung auffordern, zunächst eine Auswahl zu treffen und über das Schicksal der anderen Punkte später zu entscheiden (CPD II, 10A.3). Vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 144. Vgl. Anderson v. DPP [1978] A.C. 964, 978. 51 R. v. Ambrose (1973) 57 Cr. App. R. 538, 540–541; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 60; Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 6. Aufl. 2015, S. 273. 52 R. v. N(P) [2010] EWCA Crim 941 [18]. 53 R. v. N(P) [2010] EWCA Crim 941 [19]. 49 50
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Insbesondere wird die Anklage einer Verschwörung (conspiracy) neben dem deren Gegenstand bildenden Hauptdelikt (substantive offence) als rechtfertigungsbedürftig empfunden.54 Falls die Kumulation nicht gerechtfertigt werden kann, soll das Gericht die Anklage vor die Wahl stellen, entweder die Verschwörung oder das Hauptdelikt zu verhandeln.55 Finnemore J. führte in R. v. Dawson folgende Punkte aus, die zeigen, dass hierfür verfahrensökonomische Erwägungen sowie die Vermeidung der Umgehung von Beweisverwertungsverboten eine Rolle spielen: „First of all, if there are substantive charges which can be proved, it is in general undesirable to complicate and to lengthen matters by adding a charge of conspiracy. Secondly, it can work injustice because it means that evidence which otherwise would be inadmissible on the substantive charges against certain people becomes admissible. Thirdly, it adds to the length and complexity of the case so that the trial may easily be wellnigh unworkable, and impose a quite intolerable strain both on the court and on the jury.“56
Werden sowohl die Verschwörung als auch die ihren Gegenstand bildende Hauptdelikte verhandelt, scheint die kumulative Verurteilung rein rechtlich gesehen möglich zu sein.57 Allerdings scheint dies kaum vorzukommen. So wurde in R. v. Jones zwar die kumulative Anklage als zulässig erachtet, weil durch die Anklage nur einiger der vielen, den Gegenstand der Verschwörung bildenden Hauptdelikte die Gesamtheit des kriminellen Verhaltens (overall criminality) nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen wäre.58 Jedoch wurde sodann nur aus dem Verschwörungstatbestand verurteilt, während die Anklagepunkte für die Hauptdelikte nicht weiter verhandelt wurden. Darüber hinaus werden in der Anklagepraxis eine Verschwörung und Haupttatbestände mitunter von vornherein nur alternativ angeklagt.59
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CPD II, 10A.4. Das nicht gewählte Delikt wird dann nicht mehr verhandelt, sofern für das gewählte eine rechtskräftige Verurteilung ergeht (CPD II, 10A.4). 56 R. v. Dawson [1960] 1 W.L.R. 163, 170; vgl. auch Verrier v. DPP [1967] 2 A.C. 195, 223–224: „Although […] it could in a very exceptional case be right to charge conspiracy even when the substantive offence had been committed and was charged, it should undoubtedly remain the general rule that, when there is an effective and sufficient charge of a substantive offence, the addition of a charge for conspiracy is undesirable because it will tend to prolong and complicate the trial [...].“ 57 Vgl. R. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3057; Stuart, Canadian Criminal Law: A Treatise, 6. Aufl. 2011, S. 735. 58 R. v. Jones (1974) 59 Cr. App. R. 120, 124. 59 Vgl. R. v. Pollett [2013] EWCA Crim 359. 55
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II. Die Kumulation innerhalb eines Anklagepunkts und das Verbot der duplicity Die Aufnahme mehrerer Gesetzesverletzungen (offences) in einen einzigen Anklagepunkt – kumulativ oder alternativ60 – verstößt eigentlich gegen die auf common law beruhende rule against duplicity.61 Diese Regel findet sich heute implizit in CrimPR, r. 10.2(1)62 kodifiziert, welche „the offence“ im Singular formuliert.63 Dahinter steht der Gedanke, dass der Angeklagte den gegen ihn erhobenen Vorwurf genau kennen und die Jury eindeutig schuldig oder freisprechen können soll.64 Da duplicity ein Formfehler ist, ergibt sich ein „echter“ Verstoß (true duplicity) alleine auf Basis des Wortlauts des Anklagepunkts ohne Rücksicht auf die sich im Verfahren herausstellenden Falltatsachen.65 In einem weiteren Sinne wird der Begriff allerdings auch für die Konstellation verwendet, dass zwar der Wortlaut eines Anklagepunkts nicht zu beanstanden ist, jedoch die in Bezug auf ihn zu Tage geförderten Falltatsachen zeigen, dass mehrere Delikte begangen wurden („Quasi“-duplicity66). Browne L.J. fasste die terminologische Uneinheitlichkeit in dem im Folgenden noch relevanten Fall R. v. Wilson so zusammen: „The word duplicity is used in a rather ambiguous sense, it seems to us, in the authorities and textbooks. First there is a case where it appears on the face of the indictment, or particulars of the indictment, that a count is charging more than one offence. It may sometimes be legitimate to look at the depositions in this context. […] That has been referred to in the course of the argument as true duplicity. Secondly, there is a case where, although the indictment is good on its face, it appears at the close of the prosecution case that the evidence establishes that more than one offence was committed on the occasion to which a particular count relates. Perhaps that is
60 Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 154 f.; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.61. 61 Vgl. DPP v. Merriman [1973] A.C. 584, 593; zur Geschichte Salhany, Crim. L. Q. 6 (1963–64), 205 ff.; krit. schon Stephen, A History of the Criminal Law of England, Band 1, 1883, S. 289 ff. 62 CrimPR, r. 10.2(1): The indictment on which the defendant is arraigned under rule 3.24 (Arraigning the defendant on the indictment) must be in writing and must contain, in a paragraph called a ‚count‘ – (a) a statement of the offence charged that – (i) describes the offence in ordinary language, and (ii) identifies any legislation that creates it; and (b) such particulars of the conduct constituting the commission of the offence as to make clear what the prosecutor alleges against the defendant. 63 Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 64. Aufl. 2015, § 1-216. 64 Vgl. Salhany, Crim. L. Q. 6 (1963–64), 205, 212; Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 158. 65 Vgl. Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.46. 66 Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.57.
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
best described as divergence or departure, but it often seems to be called duplicity. In our judgment, in whatever sense one uses the word duplicity, it is confined to those two situations.“67
Von der duplicity (auch im weiten Sinne) lassen der Criminal Law Act 1967, die CrimPR sowie die Rechtsprechung allerdings gewisse Ausnahmen bzw. Modifikationen zu. So ist die duplicity-Regel nicht einschlägig, wenn zusammen mit dem angeklagten Delikt implizit eine Mitanklage von darin enthaltenen Delikten erfolgt, was der Jury ggf. ein alternative verdict ermöglicht (vgl. dazu noch 2. Kap. § 2 A.).68 Eine weitere Ausnahme ergibt sich aus einer sogleich näher beleuchteten single activity- bzw. course of conduct-Rechtsprechung. Diese führt dazu, dass duplicity-Fragen bei der nominell mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands und der Frage, wie viele Gesetzesverletzungen damit verbunden sind bzw. ob trotz mehrerer Gesetzesverletzungen dennoch in einem Anklagepunkt kumuliert werden darf, besonders relevant sind. Da sie mithin für die Beantwortung der zweiten Leitfrage unserer Untersuchung von Bedeutung sind, wird im Folgenden auf duplicity-Fragen im Zusammenhang mit mehrere Tatbestandsalternativen enthaltenden Delikten eingegangen (1.) sowie auf die Entwicklung einer single activity-Rechtsprechung (2.), die inzwischen eine positive Regelung gefunden hat (3.). 1. Die Differenzierung bei alternativ formulierten Statuten In alternativen Begehungsweisen formulierte Statuten können entweder mehrere selbstständige Delikte oder ein einziges, durch verschiedene Tatalternativen realisierbares Delikt enthalten. Nur im ersten Fall wäre die alternative oder kumulative Aufnahme mehrerer Varianten in einen Anklagepunkt grundsätzlich duplicitous.69 Umgekehrt wird die Anklage mehrerer unselbstständiger Alternativen in verschiedenen Anklagepunkten allerdings nicht als problematisch empfunden. Vielmehr wird dies vom Crown Prosecution Service (CPS) sogar empfohlen, weil die Aufnahme mehrerer unselbstständiger Alternativen in einen Anklagepunkt mitunter als duplicitous erachtet wurde, obwohl eigentlich nur ein Delikt angeklagt war.70 Beispielsweise kann das einheitliche Delikt der Hehlerei (handR. v. Wilson (1979) 69 Cr.App.R. 83, 85. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 158 f. 69 Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 155; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.54. 70 Vgl. CPS, Drafting the Indictment, abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/legal-guidan ce/drafting-indictment (Abruf v. 1.9.2018): „[W]here the wording of the particular statute makes it clear that only one offence is created but provides two or more alternative ways of committing that one offence, then each alternative way should be made the subject of a separate count in the indictment. The only exception to this is where case law has established that, in a particular case, the placing of alternative ways 67 68
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ling stolen goods) durch 18 verschiedene, unselbstständige Begehungsweisen verwirklicht werden: Theft Act 1968 (c. 60), s. 22 (1) A person handles stolen goods if (otherwise than in the course of the stealing) knowing or believing them to be stolen goods he dishonestly receives the goods, or dishonestly undertakes or assists in their retention, removal, disposal or realisation by or for the benefit of another person, or if he arranges to do so.
Wird dem Angeklagten sowohl die Erfüllung der Variante des Entgegennehmens (receiving) als auch eine oder mehrere der weiteren Alternativen vorgeworfen, sollen zwei Anklagepunkte gebildet werden, wobei die Jury dann nur aus einem verurteilen kann.71 2. Keine duplicity bei einer einheitlichen Aktivität (single activity) Eine sog. single activity-Rechtsprechung stellt eine wichtige Ausnahme oder Modifikation der duplicity-Regel dar. Danach wird keine duplicity angenommen, wenn sich das Tatverhalten als eine einheitliche Aktivität darstellt, obgleich ggf. mehrere Handlungsakte vorgenommen werden, die jeweils für sich den entsprechenden Tatbestand schon vollständig erfüllen. Die Reichweite dieser Rechtsprechung ist nicht vollkommen eindeutig und wird gerade dafür kritisiert, dass sie weder mit dem duplicity-Grundsatz an sich noch die Fälle untereinander in Einklang zu bringen seien.72 Folgende Tendenzen lassen sich immerhin fest stellen: Zunächst ist eine solche Aktivität nicht unbedingt auf eine Handlung im physischen Sinne beschränkt, sondern wurde etwa beim unbefugten Schießen von Wild (killing game without a licence) angenommen, obwohl verschiedene Schüsse auf verschiedene Tiere innerhalb weniger Sekunden und am selben Ort abgegeben wurden.73 Ferner kann eine „single offence“ des unvorsichtigen Fahrens (driving without due care and attention) bei einer durchgehenden Autofahrt mit mehreren Ausbrüchen des Fahrzeuges angenommen werden, wenn diese als continuous activity erscheinen.74 Schließlich wird das Nehmen mehrerer Gegenstände – selbst in verschiedenen Abteilungen eines Geschäfts – nur als ein einziin the same count will not be regarded as bad for duplicity; and in any case where there is doubt as to whether the language of the particular statute creates more than one offence, it will always be safer to charge two or more counts.“ [Hervorh. d. Verf.]. 71 Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 155 f.; Katkhuda/Morrish, Forms of Indictment, 1990, S. 89; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.17, 15.32. 72 Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 1-219. 73 Jemmison v. Priddle [1972] 1 Q.B. 489, 495. 74 Horrix v. Malam [1984] R.T.R. 112, 115.
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
ger Diebstahl (theft) bezeichnet.75 Abgelehnt wurde die Zusammenfassung von mehreren, zu verschiedenen Zeiten erfolgten Entgegennahmen (receiving) gestohlener Gegenstände zu einem einzigen Hehlereianklagepunkt, weil jede Entgegennahme eine eigene Aktivität darstelle (single finite act).76 Nicht ganz klar ist in diesen, denselben Tatbestand betreffenden Fällen, ob bei einer einheitlichen Aktivität nur noch eine einzige materielle Gesetzesverletzung angenommen77 wird oder vielmehr „offence“ nur synonym mit „activity“ als tatsächliche Umschreibung – also eher im Sinne von „Tat“, als im Sinne von „Gesetzesverletzung“ oder „Tatbestand“ – verwendet wird.78 So wurde in einem älteren Fall ausdrücklich betont, dass ein im Besitz von 50 Uhren ertappter Schmuggler für gewöhnlich nur einem Anklagepunkt ausgesetzt würde, eigentlich jedoch ein separater Anklagepunkt für jede Uhr gebildet werden könnte.79 Der CPS und Teile der Literatur scheinen danach zu differenzieren, ob etwa der Diebstahl mehrerer Sachen durch eine einzige Handlung oder durch mehrere, aber noch eine Aktivität ergebende Handlungen erfolgt.80 So wird jedenfalls bei mehreren Handlungen überwiegend von eigentlich eigenständigen Gesetzesverletzungen ausgegangen, die nur prozessual in einem Anklagepunkt verfolgt werden können.81 Dies bestätigt ein Zitat von Lord Diplock in DPP v. Merriman, der 75 Vgl. R. v. Wilson (1979) 69 Cr.App.R. 83, 87, wo allerdings betont wird, dass es sich um eine graduelle Frage handele, sodass die Einheitlichkeit der Aktivität bei einem mehrere Gebäude oder große Abteilungen umfassenden Geschäft anders zu beurteilen sein kann; vgl. R. v. Ballysingh (1953) 37 Cr. App. R. 28. 76 R. v. Smythe (1981) 72 Cr. App. R. 8, 13–14. 77 So teilweise Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 157 f., 160. 78 Vgl. beispielsweise Katkhuda/Morrish, Forms of Indictment, 1990, S. 84 ff., wo der Begriff „offence“ sehr unterschiedlich gebraucht wird. 79 R. v. Morris [1951] 1 K.B. 394, 399. 80 Vgl. CPS, Drafting the Indictment, abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/legal-guidan ce/drafting-indictment (Abruf v. 1.9.2018): „[One] offence should be charged in one count if it comprises a single act – even if the offence has more than one victim or involves activities in respect of more than one item of property; where two or more acts of a similar nature committed by one or more defendants are connected in time and place of commission, or by common purpose, they can be charged in a single count.“ [Hervorh. d. Verf.]; vgl. Smith, Case Comment [1992] Crim. L. R. 885 f.; vgl. allerdings Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 213 ff. 81 Vgl. etwa Smith, Case Comment [1992] Crim. L. R. 442, 443, wo bezogen auf das Stehlen von zehn Gegenständen in einem Wohnhaus oder bei fünf Messerstichen davon ausgegangen wird, dass eigentlich zehn Diebstähle (thefts) bzw. fünf Körperverletzungen (woundings) vorliegen, weil die Akte jeweils für sich schon vollständig den Tatbestand erfüllen und auf dieser Grundlage alleine verurteilt werden könnte. Stellen sich diese Akte jedoch als single activity dar, können sie in einen Anklagepunkt aufgenommen werden; ähnlich ders., Case Comment [1992] Crim. L. R. 885 f.; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.11. Vgl. auch das im Kontext kumulativer Bestrafung genannte Beispiel bei Roberts/de Keijser, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 153 sowie
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betont, dass eher praktische Erwägungen hinter der single activity-Regel und dem Begriff „offence“ in diesem Sinne stehen als strikt analytische. Dies impliziert, dass auch er bei mehreren, einander ähnlichen Handlungen von eigentlich selbstständigen Gesetzesverletzungen ausgeht, welche bei zeitlich-örtlicher Nähe oder einem gemeinsamen Zweck zusammengefasst werden können: „The rule against duplicity, viz. that only one offence should be charged in any count of an indictment [...] has always been applied in a practical, rather than in a strictly analytical, way for the purpose of determining what constituted one offence. Where a number of acts of a similar nature committed by one or more defendants were connected with one another, in the time and place of their commission or by their common purpose, in such a way that they could fairly be regarded as forming part of the same transaction or criminal enterprise, it was the practice, as early as the eighteenth century, to charge them in a single count of an indictment.“82
Ebenfalls nicht eindeutig ist, inwieweit diese Rechtsprechung auch bei mehreren Opfern der Erfüllung desselben Tatbestands anwendbar ist, denn es finden sich widersprüchliche Angaben. Nach früherer Rechtsprechung war dies möglich:83 So wurde in einem älteren Fall die Anwendung der doctrine of election sogar anlässlich zweier, bei einer Gelegenheit ausgeraubten Personen mit der Begründung zurückgewiesen: „It is all one act and one entire transaction.“84 Nach dem CPS soll auch heute bei einer einzigen Handlung (single act) mit mehreren Opfern oder Gegenständen generell nur ein Anklagepunkt gebildet werden.85 Dem entgegen steht die Praxisbeobachtung anderer, wonach bei mehreren Opfern für gewöhnlich mehrere Anklagepunkte gebildet würden.86 So sei es etwa in Raubfällen, wie dem genannten, heutzutage üblich, einen separaten Anklagepunkt pro Opfer aufzustellen.87 Für Tötungsdelikte wird eine solche Praxis ebenfalls beobachtet88 und auch ein jüngerer Fall der Belästigung (harassment) mehrerer Opfer passt in dieses Schema.89 Schließlich scheint dies sogar beim Diebstahl der Fall Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 214 f., wonach die Anzahl von Anklagepunkten der Anzahl von Gesetzesverletzungen nicht unbedingt entspricht. 82 DPP v. Merriman [1973] A.C. 584, 607. 83 Vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 159. 84 R. v. Giddins (1842) Car. & M. 634. 85 Vgl. CPS, Drafting the Indictment, abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/legal-guidan ce/drafting-indictment (Abruf v. 1.9.2018): „[One] offence should be charged in one count if it comprises a single act – even if the offence has more than one victim or involves activities in respect of more than one item of property.“ [Hervorh. d. Verf.]; ähnlich Katkhuda/Morrish, Forms of Indictment, 1990, S. 88. 86 Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.12; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.53. 87 Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.53. 88 Vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.12; Smith, Case Comment [1992] Crim. L. R. 885, 886. 89 Vgl. Henderson v. DPP [2016] 1 W.L.R. 1990.
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
zu sein.90 Eine bisweilen uneinheitliche Praxis zeigt sich aber bei den Tatbeständen des gefährlichen Fahrens mit Todesfolge (causing death by dangerous driving causing death) bzw. erheblicher Verletzungsfolge (causing serious injury by dangerous driving), wo bei mehreren Opfern mitunter ein einziger Anklagepunkt91 gebildet wird, während in anderen Fällen mehrere Anklagepunkte92 verwendet werden. Zweifelhaft ist schließlich, ob diese Rechtsprechung auch dann anwendbar ist, wenn durch eine einzige Aktivität verschiedene Tatbestände erfüllt werden. Zum Teil wurde eine solche Rechtsprechung („single incident“) auf verschiedene Tatbestände in einem Anklagepunkt angewendet. So konnten etwa das rücksichtslose Fahren mit Todesfolge (causing death by reckless driving) und das gefährliche Fahren mit Todesfolge (causing death by dangerous driving) in einen einzigen Anklagepunkt aufgenommen werden.93 Allerdings scheint diese Rechtsprechung keine allgemeine Anwendung zu finden, sondern eine (Rück-)Ausnahme zu bilden.94 Beispielsweise wurde bei einem Angriff (assault) und einer Körperverletzung (battery) die Kumulation in einem Anklagepunkt trotz identischer Tatsachengrundlage als duplicitous angesehen.95 3. Die zulässige Kumulation bei einem fortlaufenden Verhalten (course of conduct), CrimPR, r. 10.2(2) Nach CrimPR, r. 10.2(2) kann die mehrfache Verletzung desselben Strafgesetzes zu einem Anklagepunkt zusammengefasst werden, wenn sich die Einzelverwirklichungen unter Berücksichtigung von Zeit, Ort und Zweck der Begehung als ein einziges fortlaufendes Verhalten (course of conduct) erweisen: The indictment: general rules 10.2.– 90 Vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.11, die dies zu implizieren scheinen: „[If] several items are stolen from one victim on one occasion it is standard practice to have just one count [...].“ [Hervorh. d. Verf.]. 91 R. v. Dewdney [2014] EWCA Crim 1722 (ein Anklagepunkt des causing serious injury by dangerous driving bei drei Opfern). 92 Vgl. z. B. R. v. Noble [2002] EWCA Crim 1713 (sechs Anklagepunkte des causing death by dangerous driving für sechs Todesopfer infolge einer einzigen Straßenverkehrsgefährdung); R. v. Jenkins [2015] EWCA Crim 105 (zwei Anklagepunkte des causing death by dangerous driving), wo allerdings betont wird [20], dass aus der Multiplikation von Anklagepunkten im Ergebnis keine höhere Endstrafe folgen darf. 93 R. v. Clow [1965] 1 Q.B. 598, 602; vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 159. 94 Vgl. Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.61. 95 DPP v. Taylor [1992] Q.B. 645, 654. Vgl. zu diesem Fall auch Smith, Case Comment [1992] Crim. L. R. 442, 443 f., wonach die single activity-Rechtsprechung bei verschiedenen Tatbeständen nicht anwendbar sei.
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[...]
(2) More than one incident of the commission of the offence may be included in a count if those incidents taken together amount to a course of conduct having regard to the time, place or purpose of commission.
Bei dieser Modifizierung96 der rule against duplicity handelt es sich um eine Neuerung der 2007 eingeführten Criminal Procedure Rules.97 Obwohl vor allem auf über einen längeren Zeitraum fortlaufende Aktivitäten zugeschnitten, nehmen viele Beobachter an, dass die single activity-Rechtsprechung durch diese Regelung absorbiert wird.98 Ein markanter Unterschied könnte eigentlich nur noch darin bestehen, dass – wie oben gezeigt – jene Rechtsprechung ausnahmsweise schon bei verschiedenen Tatbeständen angewendet worden ist. Wann ein course of conduct anzunehmen ist, wird in der Praxisanweisung (CPD II, 10A.11) – ausdrücklich nicht abschließend – durch folgende Faktoren konkretisiert: The circumstances in which such a count may be appropriate include, but are not limited to, the following: (a) the victim on each occasion was the same, or there was no identifiable individual victim as, for example, in a case of the unlawful importation of controlled drugs or of money laundering; (b) the alleged incidents involved a marked degree of repetition in the method employed or in their location, or both; (c) the alleged incidents took place over a clearly defined period, typically (but not necessarily) no more than about a year; (d) in any event, the defence is such as to apply to every alleged incident. Where what is in issue differs in relation to different incidents, a single „multiple incidents“ count will not be appropriate (though it may be appropriate to use two or more such counts according to the circumstances and to the issues raised by the defence).
Neben der Identität des ggf. betroffenen Opfers spielen die Wiederholung in Ausführung und/oder Lokalität, die Begehung in einer begrenzten Zeitspanne sowie unterschiedslos anwendbare Verteidigungsgründe eine entscheidende Rolle. Mithin determiniert sich dieses fortlaufende Verhalten vor allem objektiv. Als Anwendungsfelder werden etwa Geldwäschetaten (money laundering) in jeweils kleinen Summen über mehrere Wochen oder wiederholte, gleichförmige Angriffe (assault) auf dasselbe Opfer über einen gewissen Zeitraum identifiziert.99
R. v. Hartley [2011] EWCA Crim 1299 [12]. Atkinson/Moloney, Blackstone’s Guide to The Criminal Procedure Rules, 2011, Rn. 5.71. 98 So Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.11; vgl. Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.60; Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, §§ 1-219, 1-222. 99 Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 1-223 m. w. N. 96 97
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Die verschiedenen Gesetzesverletzungen werden hier allerdings nur prozessual wie eine Tat behandelt und nicht materiell miteinander verschmolzen. Dies ergibt sich daraus, dass die Einzelakte selbst bei Vorliegen dieser Kriterien nach dem Ermessen der Anklagebehörde separat verfolgt werden können (CPD II, 10A.12–14). Wenn etwa in Fällen des sexuellen Missbrauchs oder der körperlichen Misshandlung das Opfer über einzelne Vorfälle genauere Angaben machen kann, über andere jedoch nicht mehr, sollen sich spezifische Anklagepunkte neben einem ‚multiple incidents‘ count anbieten (CPD II, 10A.14). a) Zur Praxis der Musteranklagepunkte (specimen counts/sample counts) Die Neuregelung in CrimPR, r. 10.2(2) ist vor dem Hintergrund einer früher verbreiteten Praxis sog. Musteranklagepunkte (specimen counts oder sample counts), welche durch eine Entscheidung des Court of Appeal stark eingeschränkt wurde, zu verstehen.100 So war es bei Serienstraftaten (sexueller oder körperlicher Missbrauch über längere Zeit, „fortgesetzte“ Diebstahls- und Betrugstaten etc.) üblich, nur wenige Vorfälle tatsächlich anzuklagen und sodann zu erklären, dass diese Gesetzesverletzungen exemplarisch für ein kriminelles Gesamtverhalten stehen, welches bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden soll.101 Im Jahr 1998 hat der Court of Appeal in R. v. Canavan jedoch – mangels Schuldfeststellung – die Bestrafung aus Gesetzesverletzungen für unzulässig erklärt, in Bezug auf welche sich der Täter weder schuldig bekannt hat noch um Berücksichtigung bei der Strafzumessung102 gebeten hat und für welche er auch nicht von einer Jury verurteilt wurde.103 Trotz einer zunächst widerspenstigen Praxis wird an dieser Rechtsprechung bis heute festgehalten.104 Die Praxis der Musteranklagepunkte ist damit allerdings nicht obsolet, sondern kann beispielsweise bei in diese Verfahrensweise einwilligenden Tätern angewendet werden.105 Überdies wurde durch Domestic Violence, Crime and Victims Act 2004106, ss. 17–21 für bestimmte Fälle die Möglichkeit eines zwei stufigen Verfahrens geschaffen, wonach zunächst wenige Musteranklagepunkte vor einer Jury und – im Falle eines Schuldspruchs – sodann weitere alleine vor
Vgl. zum Ganzen LC (Hrsg.), The Effective Prosecution of Multiple Offending, 2002. Vgl. R. v. Canavan [1998] 1 W.L.R. 604, 606. 102 Zum Consideration-Verfahren vgl. 2. Kap. § 3 C. 103 R. v. Canavan [1998] 1 W.L.R. 604, 607; bestätigt in R. v. Tovey [2005] EWCA Crim 530 [15]. 104 R. v. Hartley [2011] EWCA Crim 1299 [10]; R. v. A. [2015] EWCA Crim 177 [43]. 105 R. v. Hartley [2011] EWCA Crim 1299 [11]. 106 2004 c. 28. 100 101
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einem Richter verhandelt werden können.107 Dieses Verfahren wird dort empfohlen, wo mehrere Einzelanklagepunkte erforderlich erscheinen, weil die Vorfälle – z. B. wegen unterschiedlicher Opfer – gerade nicht die obigen Kriterien erfüllen (CPD II, 10A.15). Für die obige Kriterien erfüllenden Konstellationen hingegen deutet CPD II, 10A.14 an, dass R. v. Canavan bei der Entscheidung über Anklagepunkte berücksichtigt werden sollte, was als Hinweis zu verstehen sein dürfte, im Zweifel von der Möglichkeit nach CrimPR, r. 10.2(2) Gebrauch zu machen. In diesem Zusammenhang schlägt die Rechtsprechung sogar mehrere solcher Anklagepunkte für verschiedene Phasen vor, wobei einer pro Jahr ausreichen soll.108 Ferner muss aus einem Anklagepunkt auch hervorgehen, dass er als ‚multiple incidents‘ count gemeint ist; andernfalls ist bei der Bestrafung eine singuläre Gesetzesverletzung zugrunde zu legen.109 Schließlich soll in den ‚multiple incidents‘ count eine Mindestanzahl an Vorfällen aufgenommen werden, weil andernfalls bei einem Schuldspruch im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten von nur zwei Vorfällen auszugehen wäre; ein solcher Anklagepunkt soll um alternativ anwendbare specimen counts ergänzt werden, für den Fall, dass die Jury die im Hauptanklagepunkt festgelegte Mindestanzahl nicht feststellen kann.110 b) „Continuous offence“ und „continuing offence“ Eine wichtige Fallgruppe der Neuregelung stellen sog. continuous offences dar. Hierbei handelte es sich schon nach common law um eine Ausnahme von der duplicity-Regel, die nun in CrimPR, r. 10.2(2) aufgeht.111 Danach konnte eine ganze Serie mehrerer gleichartiger Verletzungen desselben Gesetzes, i.d.R. gegen dasselbe Opfer, durch einen Anklagepunkt verfolgt werden, um die Gesamtheit des kriminellen Verhaltens widerzuspiegeln, wenn dies den Angeklagten in seiner Verteidigung nicht beeinträchtigte:
107 Vgl. dazu Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 274 f.; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 19.12. 108 R. v. Hartley [2011] EWCA Crim 1299 [22]. Vgl. aber R. v. Lunn [2017] EWCA Crim 34 [12], [39], [53], wo jüngst die Anklage zahlreicher Steuerbetrugstaten über einen Zeitraum von neun Jahren in einem Anklagepunkt unbeanstandet geblieben ist. 109 R. v. Younas [2017] EWCA Crim 1 [21]–[22]. 110 R. v. A. [2015] EWCA Crim 177 [47]–[48]. Anders aber der Ansatz in R. v. Lunn [2017] EWCA Crim 34 [95, ][99]–[100], wonach es ausreicht, wenn den Umständen nach klar ist, dass eine Vielzahl an Taten begangen wurde. 111 Vgl. Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 1-216; vgl. auch Salhany, Crim. L. Q. 6 (1963–64), 205, 225 ff.; LC (Hrsg.), The Effective Prosecution of Multiple Offending, 2002, S. 34 ff.
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„The second line of authority relates to what is sometimes called a ‚continuous offence‘. It arises where the individual transactions are known but where there are many transactions of the same type, frequently individually of small value, against the same victim, and it is convenient in order to reflect the overall criminality to put them together in one information, or one count, so that if the criminality can be proved, without prejudice to the defendant and having regard to the known defence, then the court will be in a position to sentence appropriately.“112
Auf dieses Konzept wurde vor allem bei Vermögensdelikten zurückgegriffen.113 So wurden beispielsweise über ein Jahr in 94 kleinen Tranchen erfolgende Gelddiebstahlstaten gegenüber demselben Eigentümer, ohne dass der Täter in Bezug auf die Einzelvorfälle unterschiedliche Verteidigungsgründe114 vorzubringen hatte, zulässig als ein Diebstahl der Gesamtsumme angeklagt.115 Ein weiterer Fall betraf das Stehlen mehrerer Bücher aus verschiedenen Bibliotheken desselben Eigentümers.116 Auch hier könnten die einzelnen Gesetzesverletzungen separat angeklagt werden,117 sodass die Verwendung des Begriffs „offence“ nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die Einzeltaten dennoch als materiell verschieden aufgefasst werden und lediglich prozessual eine Gesetzesverletzung fingiert118 wird. Es gibt allerdings auch Konstellationen, in denen anscheinend keine Serie materiell verschiedener, aber prozessual verschmolzener Gesetzesverletzungen angenommen wird, sondern ein sich über gewisse Zeit erstreckendes Verhalten überhaupt nur eine Gesetzesverletzung ergibt. Vor allem der CPS stellt dem Begriff der continuous offence den der continuing offence gegenüber.119 Allerdings werden diese Begriffe vielfach auch synonym oder für andere Sachlagen verwendet.120 Unabhängig von der Terminologie können mithin gewisse Delikte Barton v. DPP [2001] EWHC Admin 223 [6]. Vgl. LC (Hrsg.), The Effective Prosecution of Multiple Offending, 2002, S. 35 ff. 114 Dies war etwa der Fall in R. v. Jackson, The Guardian, November 20, 1991, CA (91 05435 X3) (zitiert nach Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 21-18). 115 Barton v. DPP [2001] EWHC Admin 223 [22]–[23]; bestätigt in R. v. Tovey [2005] EWCA Crim 530 [30]. 116 DPP v. McCabe [1992] Crim. L. R. 885. 117 Barton v. DPP [2001] EWHC Admin 223 [22]. 118 So Smith, Case Comment [1992] Crim. L. R. 885, 886 („the law fictionally treats 36 thefts as one“). 119 Vgl. CPS, Drafting the Indictment, abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/legal-guidance/drafting-indictment (Abruf v. 1.9.2018). Vgl. auch Kirchheimer, Yale L. J. 58 (1949), 513, 540, der die Begriffe synonym verwendet, jedoch auf die mögliche Abgrenzung anhand dieser beiden Begriffe hinweist. Vgl. auch LC (Hrsg.), The Effective Prosecution of Multiple Offending, 2002, S. 35, wo dem Begriff der „continuous offence“ der der „compound allegation“ vorgezogen wird, gerade weil Ersterer fälschlicherweise auf ein ununterbrochenes Verhalten hindeute. 120 Vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 216, wonach es sich bei der „continuing of112 113
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nicht optional als separate Gesetzesverletzungen behandelt werden; jedoch finden sich nicht viele Fälle, in denen das ausdrücklich festgestellt wird: In der alten Entscheidung Crepps v. Durden stellte Lord Mansfield fest, dass ein die Sonntagsarbeit unter Strafe stellendes Statut (unlawfully doing or exercising any worldly labour, business, or work of their ordinary calling on the Lord’s Day) nur eine Gesetzesverletzung für den ganzen Tag beinhaltet und keine gesonderte für jeden tatbestandserfüllenden Einzelakt – hier für den Verkauf mehrerer Brötchen durch einen Bäcker.121 Diese Entscheidung wurde 1988 noch einmal angewendet, als für jeden sonntags erfolgten Verkauf an Kunden separate Verletzungen des Ladenschlussgesetzes sanktioniert werden sollten.122 Auch andere Delikte, bei denen das tatbestandliche Verhalten schon seiner Umschreibung nach nicht an Einzelakte (individual actions), sondern an ein Gesamtverhalten (course of conduct) anknüpft, können ohne Rückgriff auf einen ‚multiple incidents‘ count unter einem Anklagepunkt angeklagt werden; als Beispiele werden Companies Act 2006123, s. 993 oder Fraud Act 2006124, s. 9 genannt, die beide generell auf die Ausübung eines (betrügerischen) Geschäfts abstellen (being party to the carrying on of a fraudulent business).125 Ein zusammengehörendes fortlaufendes Verhalten in diesem Sinne dürfte vermutlich ebenfalls nicht der Verurteilung aufgrund mehrerer Anklagepunkte zugängig sein.126 fence“ um keinen Fachbegriff handele. In Parry v. Forest of Dean District Council (1977) 34 P. & C.R. 209, D.C. etwa wird er gerade zur Umschreibung der Konstellation benutzt, dass mit jedem Tag eine separate Gesetzesverletzung stattfindet. Katkhuda/Morrish, Forms of Indictment, 1990, S. 91 f. fassen beide hier diskutierten Sachlagen unter den Begriff der „continuing offence“; synonym verwendet werden die beiden Begriffe auch von R. v. Lunn [2017] EWCA Crim 34 [30], [41]; LC (Hrsg.), The Effective Prosecution of Multiple Offending, 2002, S. 31; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D11.32; Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, §§ 1-213, 1-218. Vgl. auch The Verderers of the New Forest v. Andrew Young et. al. [2004] EWHC 2954 [33] (Admin): „There is considerable learning and a number of cases which deal with the question as to what are and what are not continuing offences, and it is certainly difficult to establish any consistent principle which defines the nature of a continuing offence.“. 121 Crepps v. Durden 2 Cowp. 640, 646–647 (K.B. 1777). 122 B&Q (Retail) Ltd. v. Dudley MBC 86 L.G.R. 137 (1988). 123 2006 c. 46. 124 2006 c. 35. 125 Hungerford-Welch, Case Comment [2017] Crim. L. R. 478, 482. 126 Dies ist bislang, soweit ersichtlich, noch nicht so festgestellt worden. Jedoch finden sich zu diesen beiden Tatbeständen keine Fälle, in denen mehr als ein Anklagepunkt verwendet wurde, vgl. (zu Fraud Act 2006, s. 9) R. v. Ventriglia [2011] EWCA Crim 2912; R. v. Guy [2015] EWCA Crim 2438; R. v. Munn [2016] EWCA Crim 533; R. v. Perks [2016] EWCA Crim 1491 sowie (zu Companies Act 2006, s. 993) R. v. McCrae et al. [2012] EWCA Crim 976; R. v. Welbourn [2012] EWCA Crim 3222; R. v. Mackey [2012] EWCA Crim 2205; R. v. Boakes [2015] EWCA Crim 2288.
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Ferner stellt der Tatbestand des tagelangen Nichtbefolgens eines Verwaltungsbescheids über die Nutzung eines Grundstücks kein separates Delikt für jeden einzelnen Tag dar, sodass eine entsprechende Anklage nicht duplicitous ist.127 In einer älteren Entscheidung wurde überdies eine Anklage der Gestattung der tagelangen Benutzung des eigenen Anwesens als Bordell128 nicht nur für nicht duplicitous gehalten. Darüber hinaus wurde die Aussage getroffen, dass eine separate Anklage und Verurteilung für jeden Tag falsch gewesen wäre, weil es sich hier um eine continuing offence gehandelt habe.129 Bestätigt wurde diese Entscheidung in einem das Halten und Führen eines Bordells (keeping and managing a brothel) betreffenden Fall, wodurch nur eine andauernde Tathandlung pönalisiert worden sei („a single transaction which may cover a long period of time“).130 Schließlich findet sich Rechtsprechung, nach der das Weiden von Tieren auf einem Gelände, ohne eine dafür erforderliche Jahresgebühr zu entrichten, eine continuing offence während des ganzen Jahres darstellt.131 Gleiches gilt für das permanente Unterlassen von Instandhaltungarbeiten an einer Straße entgegen einer entsprechenden Verpflichtung.132
§ 2 Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen Werden in mehreren Anklagepunkten begrifflich verschiedene Tatbestände angeklagt, ist nicht stets die kumulative Verurteilung erlaubt, denn das englische Recht sieht gewisse Doppelverurteilungsverbote vor. Diese können sich aus inkludierten Delikten (A.), eventuell aus einer unselbstständigen Vorbereitungstat (B.) sowie durch Festlegung der Anklagebehörde (C.) oder durch den Gesetzgeber (D.) ergeben.
127 Hodgetts v. Chiltern District Council [l983] 2 AC 120, 128 overruling Parry v. Forest of Dean District Council (1977) 34 P. & C.R. 209, D.C. 128 Vgl. Licensing Act 1872 (c. 94), s. 15 (repealed): „If any licensed person is convicted of permitting his premises to be a brothel, he shall be liable to a penalty not exceeding twenty pounds, and shall forfeit his license, and he shall be disqualified for ever from holding any license for the sale of intoxicating liquors.“ 129 Ex parte Burnby [1901] 2 K.B. 458, 459. 130 Anderton v. Cooper (1981) 72 Cr. App. R. 232, 235–236. 131 The Verderers of the New Forest v. Andrew Young et. al. [2004] EWHC 2954 [34] (Admin). 132 Thames Water Utilities Ltd. v. London Borough of Bromley 2000 WL 345095 (D.C. 4 March 4, 2000).
§ 2 Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen
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A. Das Doppelverurteilungsverbot bei inkludierten Delikten Im englischen Strafverfahren ist das Gericht bzw. die Jury grundsätzlich an die von der Anklage vorgegebenen Anklagepunkte gebunden, sodass bei einer anderen rechtlichen Würdigung des Sachverhalts grundsätzlich nicht aus einem anderen Tatbestand verurteilt werden kann. Eine Ausnahme hiervon bilden sog. alternative verdict-Regeln, die bei Nichtbeweis des angeklagten, aber bei Beweis eines inkludierten Delikts eine Verurteilung aus jenem (anstelle eines Freispruchs) ermöglichen. Mithin sind derartig inkludierte Delikte stets implizit mit einem inkludierenden angeklagt (I. und II.). Allerdings sind auch separate, explizite Anklagepunkte für inkludierte Delikte zulässig und werden sogar von Rechtsprechung sowie CPS empfohlen.133 Sind die Voraussetzungen sowohl des inkludierenden als auch des inkludierten Delikts erfüllt, ist die kumulative Verurteilung zumeist nicht zulässig (III.). I. Die allgemeine Regel: Criminal Law Act 1967, s. 6(3) In Criminal Law Act 1967, s. 6(3) ist eine den Landesverrat (treason) und den Mord (murder) ausnehmende allgemeine Regelung vorgesehen, nach welcher der Angeklagte schuldig gesprochen werden kann, wenn die Angaben in der Anklageschrift (indictment) ausdrücklich oder stillschweigend den Vorwurf eines anderen Delikts enthalten oder darauf hinauslaufen:134 Criminal Law Act 1967, s. 6(3) Where, on a person’s trial on indictment for any offence except treason or murder, the jury find him not guilty of the offence specifically charged in the indictment, but the allegations in the indictment amount to or include (expressly or by implication) an allegation of another offence falling within the jurisdiction of the court of trial, the jury may find him guilty of that other offence or of an offence of which he could be found guilty on an indictment specifically charging that other offence. [Hervorh. d. Verf.]
Ausdrücklich in der Anklage enthaltene Delikte (expressly included) sind die, die von den konkreten Anklagetatsachen (particulars) noch getragen werden, wenn man die nicht von der Beweislage getragenen Tatsachen subtrahiert (sog. red
133 Vgl. Commissioner of Police of the Metropolis v. Wilson [1984] A.C. 242, 255; R. v. Mandair [1995] 1 A.C. 208, 216–217, 220, 226; R. v. Lahaye [2005] EWCA Crim 2847 [20]– [21]; R. v. JB [2013] EWCA Crim 356 [10]; Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 4-526; vgl. CPS, Drafting the Indictment, abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/legal-guidance/drafting-indictment (Abruf v. 1.9.2018). 134 Übersetzung teilweise nach Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 163.
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pencil-Test).135 Eine implizite Inklusion (by implication included) bestand nach der ursprünglichen Rechtsprechung des Court of Appeal in R. v. Springfield nur dann, wenn ein Delikt mit dem angeklagten Delikt (abstrakt, d. h. stets) notwendigerweise mitverwirklicht wurde (necessary step test): „The test is to see whether it is a necessary step towards establishing the major offence to prove the commission of the lesser offence: in other words, is the lesser offence an essential ingredient of the major one?“136
Diesen engen Test verwarf das House of Lords allerdings im Jahre 1984, als es eine implizite Inklusion auch ohne abstrakt-notwendige Mitverwirklichung annahm. In Commissioner of Police of the Metropolis v. Wilson waren die Lordrichter (Law Lords) nämlich mit der Frage konfrontiert, ob bei Freispruch für das Delikt des Zufügens einer schweren Körperverletzung (inflicting grievous bodily harm137) eine Verurteilung für einen Angriff mit körperverletzender Folge (assault occasioning actual bodily harm138) ergehen kann. Der necessary step test war hier nicht erfüllt, denn nicht jedes „Zufügen“ (inflicting) eines körperlichen Schadens muss unbedingt durch einen „Angriff“ (assault) erfolgen. Lord Roskill und die ihm folgenden Richter hielten dies jedoch für unerheblich und stellten darauf ab, dass das Zufügen jedenfalls auf einen körperlichen Angriff zurückzuführen sein kann: „I am content to accept, as did the full court, that there can be an infliction of grievous bodily harm contrary to section 20 without an assault being committed. The critical question is, therefore, whether it being accepted that a charge of inflicting grievous bodily harm contrary to section 20 may not necessarily involve an allegation of assault, but may nonetheless do so, and in very many cases will involve such an allegation, the allegations in a section 20 charge ‚include either expressly or by implication‘ allegations of assault occasioning actual bodily harm. If ‚inflicting‘ can, as the cases show, include ‚inflicting by assault,‘ then even though such a charge may not necessarily do so, I do not for myself see why on a fair reading of section 6(3) these allegations do not at least impliedly include ‚inflicting by assault.‘“139
Nicht eindeutig geht aus dem Urteil allerdings hervor, wie weit dieser Begriff der Inklusion reicht. Die Formulierung „can [...] include“ ließe sehr weitreichend die Annahme inkludierter Delikte dergestalt zu, dass es ausreichen könnte, wenn in irgendeiner Weise der Begehung des angeklagten Delikts das andere mitbeR. v. Lillis [1972] 2 Q.B. 236, 241; Commissioner of Police of the Metropolis v. Wilson [1984] A.C. 242, 257–258; Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 168; vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 21.24. 136 R. v. Springfield (1969) 53 Cr. App. R. 608, 611; vgl. Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 169. 137 Offences Against the Person Act 1861 (c. 100), s. 20. 138 Offences Against the Person Act 1861 (c. 100), s. 47. 139 Commissioner of Police of the Metropolis v. Wilson [1984] A.C. 242, 260–261. 135
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gangen werden kann. In der hier entschiedenen Tatbestandskonstellation stellten die Richter jedoch auch darauf ab, dass das Zufügen „in very many cases“ auf einen körperlichen Angriff zurückzuführen sein wird. Dementsprechend wird dieses Präjudiz so interpretiert, dass normalerweise mit dem einen Delikt das andere mitbegangen sein muss.140 Die weitere Rechtsprechung bestätigt dieses engere Verständnis. So wird der Einbruch nach Theft Act 1968, s. 9(1)(a) (entering any building or part of a building as a trespasser and with intent to steal) inzwischen als alternativ verfügbares Delikt gegenüber dem Einbruch nach Theft Act 1968, s. 9(1)(b) (stealing or attempting to steal anything in the building or that part of it after having entered it as a trespasser) angesehen. Obwohl der Einbrecher nach (b) das Gebäude nicht notwendig schon mit Diebstahlsabsicht betreten haben muss, sei dies doch „in many, if not the vast majority of cases“ der Fall.141 Ein weiteres Beispiel betrifft das Verhältnis zwischen der vorsätzlichen Verursachung einer schweren Körperverletzung (causing grievous bodily harm with intent142), welche implizit das Zufügen einer schweren Körperverletzung (inflicting grievous bodily harm) beinhaltet, selbst wenn nicht notwendig jedes „Verursachen“ auf ein „Zufügen“ zurückzuführen sein muss.143 In Bezug auf die Alternativen des ausdrücklichen oder impliziten „Hinauslaufens“ (amounting to) auf ein anderes Delikt deutete Lord Roskill an, dass diesen Kategorien eigenständige Bedeutung zukommt, ohne allerdings genauer darauf einzugehen.144 Bislang scheinen sie jedoch keine solche erlangt zu haben.145 Zu beachten ist schließlich, dass das alternative Delikt in Bezug auf die Höchststrafe nicht unbedingt leichter sein muss als das angeklagte Delikt.146 II. Sonderregelungen Für eine Reihe von Konstellationen sieht eine Sondergesetzgebung die (Nicht-) Verfügbarkeit eines alternative verdict vor. So kann bei einer Mordanklage (murder) nach Criminal Law Act 1967, s. 6(2) nur eine Verurteilung wegen Totschlags So Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 21.25 („in the normal course of events“). 141 R. v. Whiting (1987) 85 Cr. App. R. 78, 84. 142 Offences Against the Person Act 1861 (c. 100), s. 18. 143 R. v. Mandair [1995] 1 A.C. 208, 225–226; vgl. R. v. Lahaye [2005] EWCA Crim 2847 [16]. 144 Vgl. Commissioner of Police of the Metropolis v. Wilson [1984] A.C. 242, 258. 145 Vgl. Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D19.42, wo überhaupt nur „two principal situations“ der Inklusion diskutiert werden. 146 Commissioner of Police of the Metropolis v. Wilson [1984] A.C. 242, 258; Sprack/ Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 21.27. 140
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(manslaughter), vorsätzlicher schwerer Körperverletzung (causing grievous bodily harm with intent), eines Versuchs (attempt), strafvereitelnder Hilfeleistung (assisting an offender) oder aus sonstigen Delikten, wenn dies durch ein spezielles Statut147 vorgesehen ist, erfolgen. Bei der Anklage eines vollendeten Delikts ist nach Criminal Law Act 1967, s. 6(4) der Versuch (attempt) immer im Sinne von s. 6(3) im Vorwurf des vollendeten Delikts enthalten. Auch hier ist es jedoch möglich, explizit einen separaten Anklagepunkt hinzuzufügen.148 Ist hingegen umgekehrt nur ein Versuch oder ein Vorbereitungsakt angeklagt und stellt sich im Laufe des Verfahrens heraus, dass das Delikt vollendet wurde, kann auf Grundlage dieser Anklage nur aus dem Versuch oder der Vorbereitung verurteilt werden. Bei einer Anklage der täterschaftlichen Begehung sieht Criminal Law Act 1967, s. 4(2) die Möglichkeit der Verurteilung aus dem eigenständigen Tatbestand149 der strafvereitelnden Hilfeleistung (assisting an offender) nach s. 4(1) vor. Auch wenn viele durch den Criminal Law Act 1967 abgeschafft wurden, gibt es schließlich noch eine Reihe weiterer Spezialregelungen.150 Beispielsweise bestimmt Theft Act 1968, s. 12(4), dass bei einer Anklage wegen Diebstahls (theft) auch wegen Gebrauchsanmaßung (taking a motor vehicle or other conveyance without authority) verurteilt werden kann.151 III. Die Funktion als Doppelverurteilungsverbot Die aufgezeigten Regelungen sind für die Untersuchung relevant, weil zwischen inkludierenden und inkludierten Delikten regelmäßig ein Doppelverurteilungsverbot besteht, wenn die Voraussetzungen beider bewiesen werden können.152 1. In aufeinanderfolgenden Verfahren Dieses Doppelverurteilungsverbot äußerst sich im englischen Recht klassischerweise im Zusammenhang mit der Anklage beider Delikte in aufeinanderfolgenden Verfahren. Hierbei greifen je nach Sachlage allerdings unterschiedliche Rechtsgründe:
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Z. B. wegen Kindestötung, vgl. Infanticide Act 1938 (1 & 2 Geo. 6 c. 36), s. 1(2). Vgl. CPS, Drafting the Indictment, abrufbar unter https://www.cps.gov.uk/legal-guidan ce/drafting-indictment (Abruf v. 1.9.2018). 149 Card, Card, Cross and Jones Criminal Law, 18. Aufl. 2008, S. 794. 150 Pütz-Kücking, „Dieselbe Tat“ im englischen Recht, Diss. Köln 1977, S. 167. 151 Weitere Beispiele finden sich etwa in Road Traffic Offenders Act 1988 (c. 53), s. 24. 152 Vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 209. 148
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a) Die Anklage des inkludierten Delikts nach Verurteilung wegen des inkludierenden Delikts Ergeht zuerst eine Verurteilung für das inkludierende Delikt, kann bei nachfolgender Anklage eines alternativen Delikts in einem zweiten Verfahren auf autrefois convict plädiert werden. Dieser special plea greift, weil im ersten Verfahren schon eine Verurteilung aus dem nun angeklagten Gesetz möglich war.153 In der grundlegenden Entscheidung Connelly v. DPP stellte Lord Morris of Borth-yGest in dieser Hinsicht Folgendes fest: „In my view, both principle and authority establish: (1) that a man cannot be tried for a crime in respect of which he has previously been acquitted or convicted; (2) that a man cannot be tried for a crime in respect of which he could on some previous indictment have been convicted [...].“154
b) Die Anklage des inkludierenden Delikts nach Verurteilung wegen des inkludierten Delikts Wird umgekehrt zunächst wegen des inkludierten Delikts verurteilt, kann bei einer nachfolgenden Anklage des inkludierenden Delikts normalerweise ebenfalls keine zweite Verurteilung erfolgen. Hier greift jedoch nicht die autrefois-Regel, weil im ersten Verfahren noch keine Verurteilung aus dem im zweiten Verfahren angeklagten Delikt möglich war.155 Eine entsprechende Ausdehnung dieser Regel wurde in Connelly v. DPP von der Mehrheit abgelehnt.156 Allerdings wurden in derselben Entscheidung auch Prinzipien gegen missbräuchliche Verfahrensweisen (abuse of process) festgestellt, nach denen es regelmäßig nicht zulässig sei, in einem zweiten Verfahren weitere Delikte auf Grundlage desselben Vorgangs zu verfolgen. Im Gegensatz zur autrefois-Regel handelt es sich allerdings um eine Ermessensentscheidung des Gerichts. (1) Das Connelly-Prinzip Zunächst wurde die generelle Regel aufgestellt, dass sich im Wesentlichen aus demselben Tatsachenvorgang oder sich aus einer Serie ergebende Delikte grundsätzlich in einem Verfahren angeklagt werden sollen und nur besondere Umstände eine Ausnahme zugunsten verschiedener Verfahren rechtfertigen können. Lord Devlins vielfach zitierte Meinung beschreibt dies wie folgt: 153 Griffin, U. Rich. L. Rev. 37 (2003), 471, 491 f.; Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 4-203. 154 Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1305. 155 Griffin, U. Rich. L. Rev. 37 (2003), 471, 491 (Fn. 158). 156 Vgl. R. v. Beedie [1998] Q.B. 356, 360–361; R. v. J (JF) [2014] 2 W.L.R. 701, 709.
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
„As a general rule a judge should stay an indictment [...] when he is satisfied that the charges therein are founded on the same facts as the charges in a previous indictment on which the accused has been tried, or form or are a part of a series of offences of the same or a similar character as the offences charged in the previous indictment. He will do this because as a general rule it is oppressive to an accused for the prosecution not to use rule 3 where it can properly be used. But a second trial on the same or similar facts is not always and necessarily oppressive, and there may in a particular case be special circumstances which make it just and convenient in that case.“157
(2) Das Elrington-Prinzip Speziell bei in einem Stufenverhältnis stehenden Delikten, vor allem also bei den hier diskutierten Delikten, verhindert ferner das sog. Elrington principle eine Verurteilung aus einem inkludierenden Delikt, wenn vorher schon aus dem inkludierten verurteilt wurde. Danach soll in einem zweiten Verfahren keine gesteigerte Form des Delikts eines ersten Verfahrens angeklagt werden: „[We] must bear in mind the well established principle of our criminal law that a series of charges shall not be preferred, and, whether a party accused of a minor offence is acquitted or convicted, he shall not be charged again on the same facts in a more aggravated form.“158
Liegt ein solches Stufenverhältnis zwischen den Tatbeständen vor, verstärkt dies die Vermutung zugunsten einer Verfahrenseinstellung sogar noch.159 Auch dieses Prinzip gilt jedoch nicht ausnahmslos.160 So ist die nochmalige Anklage desselben Vorgangs in einer höheren tatbestandlichen Stufe beispielsweise nicht missbräuchlich, wenn nach Verurteilung wegen eines Gewaltdelikts das Opfer an den Folgen verstirbt und ein neuer Prozess wegen eines Tötungsdelikts angestrengt wird.161 (3) Der Sonderfall R. v. JB Einen besonderen Fall stellt die Konstellation der 2013 ergangenen Entscheidung R. v. JB dar. Hier war in einem ersten Verfahren derselbe Sachverhalt als Mord (murder) und als Totschlag (manslaughter) angeklagt. Nachdem sich die Jury auf einen Totschlag, jedoch in Bezug auf den Mord weder auf einen SchuldConnelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1359–1360. R. v. Elrington (1861) 1 B. & S. 688, 696, 121 E. R. 870; Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1332, 1357–1358, 1367; R. v. JB [2013] EWCA Crim 356 [22]–[23]; Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 4-88. 159 LC (Hrsg.), Double Jeopardy: A Consultation Paper, 1999, § 2.26 m. w. N. 160 R. v. J (JF) [2014] 2 W.L.R. 701, 708. 161 Connelly v. DPP [1964] A.C. 1254, 1332; R. v. JB [2013] EWCA Crim 356 [23]; vgl. LC (Hrsg.), Double Jeopardy: A Consultation Paper, 1999, § 2.27; Griffin, U. Rich. L. Rev. 37 (2003), 471, 498. 157 158
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noch auf einen Freispruch einigen konnte, erging zunächst nur eine Verurteilung wegen Totschlags. Die Anklage wollte sodann noch einmal wegen Mordes anklagen, was letztlich vom Verfahrensrichter untersagt und vom Court of Appeal bestätigt wurde. Dies wurde allerdings nicht auf Elrington gestützt, weil hier der Mord schon im ersten Verfahren angeklagt gewesen und der Anklagebehörde deswegen kein Verfahrensmissbrauch vorzuwerfen war.162 Vielmehr wurde ein Doppelverurteilungsverbot auf Basis der Eigenschaft als ursprünglich alternative Anklagepunkte begründet: Da im ersten Verfahren keine kumulative Verurteilung aus Mord und Totschlag möglich gewesen wäre, konnte dies auch nicht in aufeinanderfolgenden Verfahren der Fall sein.163 Hughes L.J. formulierte für den Court of Appeal dementsprechend: „The key feature of the present case is therefore not either autrefois convict or the Elrington principle. It is that the charges of murder and manslaughter were from the beginning alternatives one to the other. It is in the very nature of alternative charges, meaning a greater offence with a lesser included alternative, that there can be a conviction only for one or the other and not for both.“164
Diese Entscheidung stößt jedoch auf für eine Lösung auf Strafzumessungsebene plädierende Kritik.165 Auch in dem kürzlich entschiedenen, ähnlich gelagerten Fall R. v. Akhtar wurde R. v. JB immerhin distinguiert und letztlich im Sinne einer Strafzumessungslösung verfahren. Dort war der Angeklagte im Laufe der Londoner Unruhen des Jahres 2011 mit einem Molotowcocktail angetroffen worden. Hierfür wurde er zunächst wegen Besitzes eines gefährlichen Gegenstands (possession of an offensive weapon166) sowie Besitzes eines Gegenstands mit dem Vorsatz, fremdes Eigentum zu beschädigen oder zu zerstören (possessing anything with intent to destroy or damage property167), angeklagt. Nachdem die Jury sich in Bezug auf letzteren Tatbestand nicht einigen konnte, erging nur eine Verurteilung wegen Besitzes eines gefährlichen Gegenstands. Der andere Anklagepunkt wurde sodann noch einmal in einem zweiten Verfahren verfolgt, in welchem die neue Jury eine entsprechende Absicht des Täters feststellte, sodass der Angeklagte verurteilt wurde. Leveson P. lehnte zunächst ebenfalls die Anwendbarkeit von R. v. Elrington ab.168 Sodann grenzte er allerdings auch zu R. v. JB auf der Grundlage dessen ab, dass in seinem Fall die Tatsachenbasis im R. v. JB [2013] EWCA Crim 356 [24]. R. v. JB [2013] EWCA Crim 356 [25], [33]. 164 Vgl. R. v. JB [2013] EWCA Crim 356 [25]. 165 Vgl. Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 4-526. 166 Prevention of Crime Act 1953 (c. 14), s. 1(1). 167 Criminal Damage Act 1953 (c. 48), s. 3. 168 R. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3054. 162 163
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Gegensatz zu R. v. JB nicht identisch sei, weil das reine Besitzdelikt schon vollendet sei, noch bevor eine Schädigungsabsicht gebildet werde; ferner handelte es sich hier seiner Ansicht nach um keine lesser included offence nach dem Criminal Law Act 1967, s. 6(2)–(3) und damit bei den Delikten um keine „echten“ Alternativen (dazu sogleich).169 2. In einem einzigen Verfahren Ein Doppelverurteilungsverbot zwischen dem inkludierenden und dem inkludierten Delikt besteht regelmäßig auch im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens.170 Bei einer expliziten Anklage des Hauptdelikts und einer nur impliziten Anklage des Alternativdelikts äußert sich dies dadurch, dass überhaupt nur eine Verurteilung für das explizit angeklagte Delikt ergeht, wenn der entsprechende Beweis geführt werden kann.171 Deutlicher zeigt sich das Doppelverurteilungsverbot allerdings, wenn das Haupt- und das Alternativdelikt explizit in verschiedenen Anklagepunkten verfolgt werden.172 Der Verfahrensrichter weist in einem solchen Fall die Jury an, dass sie nur alternativ verurteilen darf bzw. den alternativen Anklagepunkt überhaupt nur diskutieren soll, falls sie den Angeklagten in Bezug auf das Hauptdelikt für unschuldig hält.173 Befindet die Jury den Angeklagten schon des Hauptdelikts für schuldig, wird sie normalerweise entlassen, ohne dass das Gericht noch einen Schuldspruch in Bezug auf das Alternativdelikt entgegennimmt.174 Auch im summarischen Verfahren vor dem Magistrates’ Court soll das Gericht nach einem Schuldspruch für ein Hauptdelikt keinen weiteren mehr in Bezug auf ein Alternativdelikt aussprechen, sondern das Verfahren insoweit sine die vertagen.175 Ergehen fehlerhafterweise doch einmal kumulative Schuldsprüche, ist die
R. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3055–3056, 3058. Im Gegensatz zum kanadischen oder zum US-amerikanischen Recht wird diese Form des Doppelverurteilungsverbots selten gesondert, sondern allenfalls im Zusammenhang mit aufeinanderfolgenden Verfahren erörtert, vgl. schon Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 89. 171 Vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 209 f. 172 Das alternative Verhältnis wird in der Anklageschrift nicht ausdrücklich angegeben, vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.30. 173 R. v. Gruber [2010] EWCA Crim 1821 [9]; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.30 f.; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D19.72. 174 R. v. Hill [1993] 96 Cr. App. R. 456, 459; R. v. S. [2007] EWCA Crim 2247 [12]; Sprack/ Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 21.26; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D19.72; Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 4-516. 175 Henderson v. DPP [2016] 1 W.L.R. 1990, 1995, 2000. 169 170
§ 2 Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen
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Verurteilung bezüglich des Alternativdelikts unrechtmäßig, wie die folgenden Beispiele aus dem Fallrecht zeigen:176 a) Notwendig und normalerweise mitbegangene Delikte In Fällen einer identischen Tatsachengrundlage wurden fehlerhafte Doppelverurteilungen sowohl bei notwendig als auch normalerweise mit einem Delikt mitverwirklichten weiteren Tatbeständen aufgehoben. Notwendig ist beispielsweise der Drogenbesitz (possession of a drug) im Drogenbesitz mit Verbreitungsvorsatz (possession of a drug with intent to supply) enthalten, sodass die Verurteilung für ersteres Delikt aufzuheben ist, falls auch aus dem zweiten verurteilt wird.177 In einer neueren Entscheidung stellte überdies der Divisional Court fest, dass die Lösung in solchen Fällen auch bei vor einem Magistrates’ Court verhandelten summary offences nicht in einem Absehen von Strafe zu finden ist, sondern schon keine doppelte Verurteilung zulässig ist.178 In diesem konkreten Fall wurden mehrere Verurteilungen für die einfache Belästigung (harassment) aufgehoben, weil aus denselben Sachverhalten auch wegen einer aus rassistischen Motiven erfolgten Belästigung (racially aggravated harassment) verurteilt worden war.179 Die Richter folgten hierbei einer in R. (Dyer) v. Watford Magistrates’ Court vertretenen Sichtweise, in der besonders auf den irreführenden Aussagegehalt einer kumulativen Verurteilung abgestellt wurde: „This claimant stands convicted twice for a single wrong. That is unfair and disproportionate. It is not a matter of being punished twice. The double conviction is of itself unfair. It must be basic to our system of criminal justice that a person’s criminal record should reflect what he has done, no more and no less. That is fair and proportionate. To convict him twice for a single wrong offends this basic rule.“180
Infolge der Wilson-Rechtsprechung genügt es für das Doppelverurteilungsverbot, wenn ein Delikt nicht notwendig, sondern normalerweise mit einem anderen Delikt mitbegangen wird.181 Dementsprechend wird zwischen der Hinzufügung einer schweren Körperverletzung (inflicting grievous bodily harm) und der vor176 Vgl. Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 7-98. 177 Vgl. R. v. Hill [1993] 96 Cr. App. R. 456, 459; R. v. Gruber [2010] EWCA Crim 1821 [10]. 178 Henderson v. DPP [2016] 1 W.L.R. 1990, 1995. 179 Vgl. Henderson v. DPP [2016] 1 W.L.R. 1990, 1992, 2000. 180 Henderson v. DPP [2016] 1 W.L.R. 1990, 1994 unter Zitierung von R. (Dyer) v. Watford Magistrates’ Court [2013] EWHC 547 [11] (Admin). 181 Dafür schon Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 210 („necessarily included in the offence in the vast majority of the cases“).
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
sätzlichen Verursachung einer schweren Körperverletzung (causing grievous bodily harm with intent) ein Doppelverurteilungsverbot angenommen, obwohl nicht jedes Verursachen (causing) auf ein Hinzufügen (inflicting) zurückzuführen sein muss (vgl. schon 2. Kap. § 2 A. I.).182 Ferner kann eine Verurteilung wegen einfacher Brandstiftung (simple arson) auf Grundlage desselben Vorgangs nicht neben einer für Brandstiftung unter rücksichtsloser Gefährdung des Lebens einer anderen Person (arson being reckless as to whether the life of another person would be endangered) stehen.183 Letzteres Delikt setzt (trotz einer entgegenstehenden Äußerung in der zitierten Entscheidung) nicht stets eine einfache Brandstiftung voraus. Nach dem Criminal Damage Act 1971 (c. 48), s. 1 muss das in Brand gesetzte Objekt nur im Falle der einfachen Brandstiftung einer anderen Person als dem Täter gehören, während der qualifizierte Tatbestand auch durch das Inbrandsetzen des eigenen Eigentums erfüllt werden kann: Criminal Damage Act 1971, s. 1: Destroying or damaging property. (1) A person who without lawful excuse destroys or damages any property belonging to another intending to destroy or damage any such property or being reckless as to whether any such property would be destroyed or damaged shall be guilty of an offence. (2) A person who without lawful excuse destroys or damages any property, whether belonging to himself or another— (a) intending to destroy or damage any property or being reckless as to whether any property would be destroyed or damaged; and (b) intending by the destruction or damage to endanger the life of another or being reckless as to whether the life of another would be thereby endangered; shall be guilty of an offence. (3) An offence committed under this section by destroying or damaging property by fire shall be charged as arson. [Hervorh. d. Verf.]
Schließlich formulierte der Court of Appeal in einer ganz jungen Entscheidung noch einmal deutlich, dass eine Doppelverurteilung dann nicht in Betracht kommt, wenn das eine Delikt vollständig oder fast vollständig vom anderen umfasst ist: „In our judgment the proper analysis is that it is only if each of the charges covers the whole (or very substantially the whole such that any differences were de minimis) [Hervorh. d. Verf.] of the criminality alleged that it is undesirable then to leave both counts to the jury.“184
Vgl. R. v. Higgins [2003] EWCA Crim 2943 [16], [20]. R. v. S. [2007] EWCA Crim 2247 [12], [16]–[17]. 184 R. v. Nelson [2017] 1 W.L.R. 491, 502, wo ein solches Verhältnis zwischen den Tatbeständen der strafvereitelnden Hilfeleistung (assisting an offender) und dem unerlaubten Schusswaffenbesitz (possession of a prohibited firarm) abgelehnt wurde. 182 183
§ 2 Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen
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b) Die Reichweite dieses Doppelverurteilungsverbots Nicht vollkommen klar ist, ob ein Doppelverurteilungsverbot in der gesamten oben angesprochenen Spannbreite von möglichen Alternativdelikten besteht. Indem Alternativdelikte aufgrund von Spezialgesetzgebung ursprünglich nämlich nur dazu dienten, unerwünschte Ergebnisse der merger doctrine zu vermeiden (2. Kap. § 1 A. I.), wird dort die kumulative Verurteilung für zumindest vorstellbar gehalten.185 Im besonders geregelten Verhältnis zwischen Mord (murder) und Totschlag (manslaughter) wird ein Doppelverurteilungsverbot jedenfalls angenommen.186 Ebenso im Verhältnis zwischen einem vollendeten und einem versuchten Delikt.187 Zwischen Diebstahl und Gebrauchsanmaßung galt Entsprechendes jedenfalls im Verhältnis früherer Statuten zueinander.188 Fraglich erscheint ein generelles Doppelverurteilungsverbot jedoch bei ausdrücklich (expressly included) in der konkreten Anklage enthaltenen Delikten (vgl. 2. Kap. § 2 A. I.), welche selbst bei verschiedensten Delikten zur Anwendbarkeit von Criminal Law Act 1967, s. 6(3) führen können. Hier liegt es nahe, dass nicht stets ein Doppelverurteilungsverbot besteht, würden die Delikte separat und kumulativ angeklagt.
B. R. v. Harris: Ein Doppelverurteilungsverbot bei einer unselbstständigen Vorbereitungstat? Einen besonderen Fall stellt R. v. Harris dar, in welchem die Thematik eines Doppelverurteilungsverbots in einem einzigen Verfahren trotz Erfüllung zweier Tatbestände, soweit ersichtlich, zum ersten Mal nähere Aufmerksamkeit gefunden hat. Der ein Bett mit einem 14-Jährigen teilende Angeklagte hatte zunächst an den Genitalien des Jungen manipuliert und war unmittelbar danach dazu übergegangen, an jenem den Analverkehr zu vollziehen. Infolge dieses einheitlichen Vorfalls (same incident) wurde der Täter zunächst wegen eines sexuellen Übergriffs (indecent assault) und dem Vollzug des Analverkehrs (buggery) verurteilt. Nach der Ansicht von Davies L.J. konnten jedoch nicht beide Verurteilungen nebeneinander bestehen bleiben: „It is perfectly clear on reading the transcript that the two charges related to one and the same incident. There is no suggestion of any indecent assault upon this same boy Begley except that So Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 212. R. v. JB [2013] EWCA Crim 356 [25]–[26], [34]. 187 Vgl. R. v. Velasquez [1996] 1 Cr. App. R. 155, 157, 161, wo allerdings von einem Exklusivitätsverhältnis zwischen Versuch und Vollendung ausgegangen wird. 188 R. v. Gibbs (1960) 44 Cr. App. R. 77–78. 185 186
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
which formed the preliminary to and was followed very shortly thereafter by the commission of the full act of buggery. It does not seem to this Court right or desirable that one and the same incident should be made the subject matter of distinct charges, so that hereafter it may appear to those not familiar with the circumstances that two entirely separate offences were committed. Were this permitted generally, a single offence could frequently give rise to a multiplicity of charges and great unfairness could ensue. We accordingly allow the application for leave to appeal against the conviction of indecent assault, which really merges into the conviction of the graver charge.“189
Die Einordnung dieses Falles als ein tatbestandliches Inklusionsverhältnis betreffend wird jedoch abgelehnt. Vielmehr wird er als Sonderkonstellation wahrgenommen.190 Hintergrund dessen ist, dass in diesem Fall mit den beiden Tatbeständen in tatsächlicher Hinsicht nicht an ein identisches Verhalten angeknüpft wurde. Anders formuliert war die Basis des Doppelverurteilungsverbots nicht, dass mit dem Analverkehr notwendig ein sexueller Übergriff mitbegangen würde. Zwar weist der Richter explizit auf die Gefahr des durch eine kumulative Verurteilung erzeugten Eindrucks hin, es seien völlig verschiedene Delikte begangen worden. Allerdings scheint „the same incident“ hier weiter als im Sinne einer Tatsachenidentität verstanden worden zu sein, denn der Fall lässt auch die gemeinhin vertretene Lesart zu, dass die faktische Grundlage des Tatbestands des sexuellen Übergriffs einzig und alleine die Akte vor Beginn des Analverkehrs waren.191 Hierfür spricht, dass der Richter keinen sexuellen Übergriff zu erkennen vermochte mit Ausnahme des der Penetration vorhergehenden („There is no suggestion of any indecent assault upon this same boy Begley except that which formed the preliminary to and was followed very shortly thereafter by the commission of the full act of buggery.“). Daher scheint eine unselbstständige Vorbereitungstat angenommen worden zu sein, die nicht in die Verurteilung aufzunehmen war. Gerade wegen der unterschiedlichen faktischen Grundlage der Delikte wurde diese Entscheidung kürzlich von Leveson P. in dem schon angesprochenen Fall R. v. Akhtar kritisiert und ihr jedenfalls eine allgemeine Anwendbarkeit auf Fälle von in faktischer Hinsicht nicht deckungsgleichen Delikten abgesprochen. Stattdessen plädierte er für eine Strafzumessungslösung durch ein Absehen von Strafe:
R. v. Harris (1969) 53 Cr. App. R. 376, 379. Vgl. R. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3056–3057; vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 164; vgl. Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D19.72. 191 R. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3056–3057; vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 164; vgl. Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § D19.72; anders (i. S. v. Tatsachenidentität) wird der Fall wohl in R. v. Nelson [2017] 1 W.L.R. 491, 500–501 verstanden. 189 190
§ 2 Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen Tatbeständen
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„For our part, we do not construe them other than as separate offences either in fact or in law. If the indecent assault had proceeded the buggery by any lapse of time, it is difficult to see how the contrary would be arguable: how little time must elapse before the offences are separate? […] On any showing, however, it must depend very much on the facts as the court understood them to be and cannot therefore be of general application; the vice that concerned the court can now be resolved by a sentence of ‚no separate penalty‘.“192
C. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund der Ausübung des Anklageermessens Die Anklage kann in Ausübung ihres Ermessens auch sonstige Delikte alternativ anklagen, d. h. Tatbestände, die nicht in einem Inklusionsverhältnis zueinander stehen.193 Solche Alternativen wurden in R. v. Akhtar jüngst als „gerichtlich“ (forensic alternatives) im Gegensatz zu „echten“ Alternativen (true alternatives) bezeichnet.194 Ist das Alternativverhältnis derartig durch die Anklage vorgegeben, scheint grundsätzlich auch das Gericht daran gebunden zu sein, sodass es im Ergebnis zu einem Doppelverurteilungsverbot kommen kann. Die Rechtsprechung ist aber uneinheitlich und wendet teilweise auch eine Strafzumessungslösung an, nach der von einer separaten Strafe für das Alternativdelikt abgesehen wird, falls es doch einmal zu einer Doppelverurteilung kommt. Ein Beispiel für die Annahme eines Doppelverurteilungsverbots ist der Fall R. v. Pollett. Hier war ein Ponzi-System alternativ als Verschwörung zum Betrug (conspiracy to defraud) und unter einem Betrugstatbestand (making misleading or false statements to induce people to invest) angeklagt worden, obwohl es sich nicht um echte Alternativen im obigen Sinne handelte. Nachdem der Verfahrensrichter dennoch Schuldsprüche für beide Anklagepunkte entgegengenommen hatte, hob der Court of Appeal die Verurteilung für den Betrugstatbestand auf. Obwohl für diesen Anklagepunkt gar keine separate Strafe erging, begründete das Gericht diesen Schritt damit, dass eine Verurteilung alleine schon einen gewissen Schaden für den Verurteilten mit sich bringe (some prejudice).195 Eine solche Lösung wurde ebenfalls in einem Fall gewählt, in welchem eine VerurteiR. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3055–3057. Vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 164 (Fn. 19). Alternative Anklagepunkte kommen ferner in Betracht, wenn sich die Delikte nach den Umständen des Einzelfalls widersprechen, d. h. wenn nach Abschluss der Beweisaufnahme nur eines der Delikte als überhaupt verwirklicht angesehen werden kann. Selbst dann muss sich die Anklage auf keine Theorie festlegen, sondern kann der Jury die Entscheidung überlassen, vgl. R. v. Bellman [1989] A.C. 836, 843, 847–851; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.20. 194 R. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3055–3056, 3058. 195 R. v. Pollett [2013] EWCA Crim 359 [43]–[45]. 192 193
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
lung für eine vorsätzliche Körperverletzung (wounding with intent) aufgehoben wurde, weil für denselben Vorgang auch ein Schuldspruch wegen versuchten Mordes (attempted murder) ergangen war.196 Hier könnte es sich allerdings schon um ein Inklusionsverhältnis im obigen Sinne handeln. In R. v. Duffy wurden hingegen die Verurteilungen wegen schweren Einbruchs (aggravated burglary) und des Besitzes einer Scheinschusswaffe mit dem Vorsatz, eine Straftat zu begehen (having an imitation firearm with intent to commit an indictable offence), aufrechterhalten. Stattdessen wurde eine reine Strafzumessungslösung gewählt, indem in Bezug auf letzteren Tatbestand keine gesonderte Strafe verhängt wurde.197 Hier mag allerdings eine Rolle gespielt haben, dass die Anklagepunkte nicht als alternativ präsentiert wurden, sondern nur das Gericht der Ansicht war, dass dies vorzugswürdig gewesen wäre. In R. v. Akhtar wurde bei den eigentlich als gerichtliche Alternativen gedachten Anklagepunkten des Besitzes eines Gegenstands mit dem Vorsatz, fremdes Eigentum zu beschädigen oder zu zerstören (possessing anything with intent to destroy or damage property), und des Besitzes eines gefährlichen Gegenstands (possession of an offensive weapon) ebenfalls nur von separater Strafe für letzteres Delikt abgesehen.198 Allerdings handelte es sich um einen besonderen Fall in einem Kontext aufeinanderfolgender Verfahren (vgl. 2. Kap. § 2 A. III. 1. b (3)).
D. Das Doppelverurteilungsverbot aufgrund einer gesetzgeberischen Anordnung Das Verhältnis zwischen Diebstahl und Hehlerei stellt einen besonderen Fall der Alternativität dar. Schon nach früherer Rechtslage standen larceny und receiving in einem Verhältnis der Exklusivität zueinander, sodass zwar beide angeklagt werden konnten, aber die Beweislage am Ende nur einen Schuldspruch für einen der Tatbestände tragen konnte.199 Auch nach der aktuellen Rechtslage gilt zwischen theft und handling stolen goods Entsprechendes.200 Bei isolierter Betrachtung der Tathandlungen ist die Erfüllung beider Delikte durch eine Handlung eigentlich denkbar, sodass zur Vermeidung der Deliktskumulation eine Wendung
R. v. McEvilly [2008] EWCA Crim 1162 [18]. R. v. Duffy [2008] EWCA Crim 1492 [9]–[15]. 198 R. v. Akhtar [2015] 1 W.L.R. 3046, 3058. 199 Vgl. R. v. Seymour [1954] 1 W.L.R. 678, 679–680; R. v. Fernandez [1997] 1 Cr. App. R. 123, 128. 200 Vgl. R. v. Shelton (1986) 83 Cr. App. R. 379, 382, 384–385. 196 197
§ 3 Die kumulative Bestrafung
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zur Herstellung einer tatbestandlichen Exklusivität201 in den Hehlereitatbestand eingefügt wurde:202 Theft Act 1968 (c. 60), s. 22(1) A person handles stolen goods if (otherwise than in the course of the stealing) knowing or believing them to be stolen goods he dishonestly receives the goods, or dishonestly undertakes or assists in their retention, removal, disposal or realisation by or for the benefit of another person, or if he arranges to do so. [Hervorh. d. Verf.]
§ 3 Die kumulative Bestrafung Zur Beantwortung der dritten Leitfrage in Bezug auf das englische Recht wird im Folgenden auf die Bestrafung von Deliktsmehrheiten eingegangen. Nach einer kurzen Einführung in den Rechtsrahmen des englischen Strafzumessungsrechts (A.) wird der Schwerpunkt der Darstellung auf der kumulativen Verhängung von freiheitsentziehenden Strafen liegen (B.). Sodann schließen sich kurze Ausführungen zu einem sog. Consideration-Verfahren an (C.).
A. Der Regelungsrahmen Das englische Strafzumessungsrecht ist im Wesentlichen im Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000 (c. 6) sowie im zwölften Teil des Criminal Justice Act 2003 (c. 44) kodifiziert. Von Bedeutung für die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung ist insbesondere die Totality guideline von 2012, welche auf Fälle Anwendung findet, die am 11. Juni 2012 oder später verhandelt werden.203 Diese Richtlinie ist für das Gericht grundsätzlich bindend. Jedoch kann es davon abweichen, wenn es zu der Überzeugung kommt, dass das Befolgen der Richtlinie ungerecht (interests of justice) wäre, Coroners and Justice Act 2009, s. 125(1).204 Entscheidet sich das Gericht für Letzteres, muss es diesen Schritt allerdings begründen.205 Die schnelle, auf der Grundlage von Coroners and Justice Act 2009 (c. 25), s. 120 erfolgte Erarbeitung dieser Richtlinie durch den Sentencing Council for England and Wales dürfte auf die besondere praktische Relevanz zurückgeführt
Vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 15.32. Vgl. R. v. Fernandez [1997] 1 Cr. App. R. 123, 128–129. 203 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 5. 204 Vgl. auch CPD VII, E.3. 205 Vgl. Roberts, Crim. L. Forum 23 (2012), 319, 337. 201 202
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
werden, da etwa ein Viertel aller zu bestrafenden Täter wegen mehr als eines Delikts zu bestrafen sind.206
B. Die Verhängung von mehreren freiheitsentziehenden Strafen (custodial sentences) Die kumulative Bestrafung vollzieht sich bei freiheitsentziehenden Strafen grundsätzlich in drei Schritten: Zunächst wird für jedes Delikt eine Strafe gebildet (I.). Sodann wird entschieden, ob und inwieweit diese Einzelstrafen parallel oder aufeinanderfolgend vollstreckt werden (II.). Schließlich kann als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung (totality) noch eine letzte Anpassung der endgültig zu verbüßenden Strafe erfolgen (III.).207 I. Das Auswerfen von Einzelstrafen Im ersten Schritt wird für jedes Delikt, dessen sich der Angeklagte schuldig bekannt hat (guilty plea) oder dessen er schuldig gesprochen wurde (verdict), eine Einzelstrafe nach den allgemeinen Kriterien gebildet, insb. unter Berücksichtigung der in Criminal Justice Act 2003, ss. 142–142A aufgezählten Strafzwecke sowie relevanter Sentencing guidelines.208 In Bezug auf einzelne Anklagepunkte kann ggf. von einer separaten Strafe abgesehen werden.209 Eine freiheitsentziehende Strafe ist dem Gericht als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips (proportionality)210 grundsätzlich verwehrt, es sei denn, das Delikt oder seine Kombination mit anderen weist eine solche Schwere (seriousness) auf, dass eine Geldstrafe (fine) und/oder in der Gesellschaft zu verbüßende Strafen (community sentence) nicht mehr darstellbar sind, vgl. Criminal Justice Act 2003, s. 152(2). In „Kombination“ kann das Delikt eine hinreichende Schwere aufweisen, wenn entweder für mehrere Delikte zusammen eine Verurteilung ergeht (conviction) oder in einem gesonderten Bestrafungsverfahren (sentencing proceedings) für mehrere Delikte bestraft wird oder der Täter anlässlich der Bestrafung wegen eines Delikts um die Berücksichtigung (consideration) weiterer 206 Ca. 24 % laut SC, A Short Guide – Sentencing for multiple offences (Totality), 2011, S. 4. Vgl. auch die Zahlen von Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 272 f. m. w. N., wonach es ungefähr in der Hälfte der vor dem Crown Court und in einem Viertel der vor dem Magistrates’ Court verhandelten Fälle zu einer kumulativen Verurteilung kommt. 207 Vgl. SC, A Short Guide – Sentencing for multiple offences (Totality), 2011, S. 3; SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6. 208 Vgl. SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6. 209 Wasik, A Practical Approach to Sentencing, 5. Aufl. 2014, Rn. 3.33. 210 Roberts, Crim. L. Forum 23 (2012), 319, 320.
§ 3 Die kumulative Bestrafung
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Delikte bittet (2. Kap. § 3 C.), vgl. Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000 (c. 6), s. 161(1). II. Die Festlegung der Vollstreckungsweise Das Gericht spricht diese Einzelstrafen gesondert aus und erklärt, ob sie gleichzeitig (concurrently) oder aufeinanderfolgend (consecutively) zu vollstrecken sind.211 Die Festlegung der Vollstreckungsweise fällt grundsätzlich unter das allgemeine Bestrafungsermessen des Gerichts,212 sodass es bis heute keine allgemeinverbindliche, starre Vorgabe darüber gibt, wann welche Vollstreckungsart anzuordnen ist.213 Vielmehr ist nach der Richtlinie von Bedeutung, dass die endgültige Strafe im Einzelfall gerecht und verhältnismäßig ist.214 Die teilweise parallele und teilweise konsekutive Vollstreckung einer Einzelstrafe im Verhältnis zu einer anderen ist jedoch nicht möglich.215 Äußert sich das Gericht nicht zur Vollzugsmodalität, greift eine Vermutung zugunsten der parallelen Vollstreckung.216 Nichtsdestotrotz wurden mit der Totality guideline auf Grundlage der Rechtsprechungspraxis erstmals Fallgruppen ausgearbeitet, in denen üblicherweise (ordinarily) die eine oder andere Vollstreckungsart angemessen (appropriate) ist. Diese Fallgruppen werden im Folgenden mit dazu passender Rechtsprechung 211
CPD VII, E.1. Vgl. Merkel, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Band 5, 1908, S. 368, 381; Grünhut, in: Mezger et al. (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Dritter Band, 1959, S. 190. Dieses Ermessen wird auf die Entscheidung des House of Lords im politisch aufsehenerregenden Fall R. v. Wilkes (1769) 4 Bro. P. C. 360, 366, 2. E. R. 244, 248 zurückgeführt. Danach kann die Vollstreckung einer Strafe im Zeitraum nach der Verbüßung einer anderen Strafe angeordnet werden; vgl. Schuster, in: von Liszt (Hrsg.), Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in vergleichender Darstellung, Band 1: Das Strafrecht der Staaten Europas, 1894, S. 633; N.N., Yale L. J. 75 (1965), 262, 310; vgl. auch Manson, The Law of Sentencing, 2001, S. 98 f.; Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 166. 213 Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 166; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 68; SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 5. 214 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 5. 215 R. v. Salmon [2003] 1 Cr. App. R. (S.) 414; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § E2.19; Wasik, A Practical Approach to Sentencing, 2014, Rn. 3.33; für diese Möglichkeit plädiert Vibla, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 180. 216 Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 24.17; Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § E2.19; Wasik, A Practical Approach to Sentencing, 2014, Rn. 3.33. Vgl. auch CPD VII, E.1., wonach der Gerichtsschreiber (court clerk) das Gericht ggf. auf eine noch nicht erfolgte Vollstreckungsanordnung hinweisen soll. 212
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
dargestellt, um ihre Reichweite zu erarbeiten und um sie später mit den anderen Rechtsordnungen in Beziehung setzen zu können. 1. Die Differenzierung anhand der Vorfalls-/Tatsachenidentität (same incident or facts) Die parallele Vollstreckung ist üblicherweise angezeigt, wenn sich die Delikte aus demselben Vorfall (same incident) oder denselben Tatsachen (same facts) ergeben (a).217 Delikte, die sich auf der Grundlage von nicht miteinander zusammenhängenden Tatsachen oder Vorfällen (unrelated facts or incidents) ergeben, indizieren dagegen die konsekutive Vollstreckung von Einzelstrafen (b).218 a) Die Vorfalls- oder Tatsachenidentität (same incident or facts) Die Herangehensweise der englischen Richter an die Vollstreckungsart bei Vorfalls- oder Tatsachenidentität lässt sich insbesondere an der Rechtsprechung zu Straßenverkehrsdelikten (1) und zu Waffendelikten (2) veranschaulichen. Darüber hinaus wird auf weitere Beispiele eingegangen (3). (1) Straßenverkehrsdelikte Als Beispiel für denselben Vorfall führt die Richtlinie eine Straßenverkehrsgefährdung (dangerous driving) mit mehreren verletzten Opfern an. Kurioserweise verweist sie dabei auf einen Fall, in dem weder jemand verletzt wurde noch gleichzeitige Strafen verhängt wurden.219 Im Fall R. v. Noble hingegen, der wahrscheinlich gemeint ist, wurden für sechs – auf einem einzigen Gefährdungsvorgang mit sechs Todesopfern beruhende – Delikte der Straßenverkehrsgefährdung mit Todesfolge (causing death by dangerous driving) gleichzeitige Strafen angeordnet. Keene L.J. hielt es für entscheidend, dass in solch einem Fall die Zahl der Todesopfer auch vom Zufall abhängt, was das allgemeine Prinzip von gleichzeitig zu verbüßenden Strafen für Delikte aus einem Vorgang untermauere. Das Gericht solle danach mehr die gefährliche Tathandlung als die Anzahl der Tat erfolge berücksichtigen: „It seems to this Court that the element of chance in the number of people killed by a single piece of dangerous driving underlines the appropriateness of the general principle which applies throughout sentencing for criminal offences, namely that consecutive sentences should not normally be imposed for offences arising out of the same single incident [...]. It seems to SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6. SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 219 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6. mit Verweis auf R. v. Lawrence (1989) 11 Cr. App. R. (S.) 580. 217 218
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this Court to be wrong in principle to impose consecutive sentences in respect of each death arising from a single piece of dangerous driving. [...] The fact that multiple deaths have been caused is not of itself a reason for imposing consecutive sentences. The main focus of the sentencing judge in such cases has to be on the dangerousness of the driving [...].“220
Diese Rechtsprechung findet auch bei ausführungsidentisch verwirklichten, verschiedenen Tatbeständen Anwendung, wie R. v. Jones zeigt: Hier erhielt der Täter wegen Fahrens trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis (driving while disqualified) und Fahrens im alkoholisierten Zustand (driving with excess alcohol) gerade deswegen gleichzeitige Strafen, weil den Gesetzesverletzungen ein einziger Fahrvorgang (same facts) zugrunde lag.221 Sodann wurde diese Rechtsprechung auf die Konstellation ausgedehnt, dass die Gesetzesverletzungen nicht über den gesamten Zeitraum der Fahrt kumulativ stattfinden, sondern nur während eines bestimmten Abschnitts der Fahrt eine zweite Gesetzesverletzung hinzutritt: Zwar handelt es sich dann nicht um „precisely the same facts“. Dennoch wurden in R. v. Skinner gleichzeitige Strafen verhängt, obwohl ein rücksichtsloses Fahren (reckless driving) nicht notwendig während des gesamten Zeitraums eines Fahrens trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis (driving while disqualified) erfolgen muss: „It seems to this Court that, strictly speaking, reckless driving and driving while disqualified may not arise precisely out of the same facts. The reckless driving may take place over a short period while the driving while disqualified will take place throughout the period during which the car is being driven by the person concerned. Nevertheless in the light of the authorities to which Ms. Pinsent has very properly drawn our attention, it seems to the court that there is substance in the submission that is made. [...] In the circumstances of this case the general practice which was recognised in Jones [...] should be followed and the sentences in respect of the reckless driving and the driving while disqualified should be concurrent.“222
Weitere Fälle bestätigen, dass für mehrere (teilweise) ausführungsidentisch realisierte Fahrzeugführungsdelikte grundsätzlich gleichzeitige Strafen zu verhängen sind.223 Die bereits angesprochene Einzelfallflexibilität des englischen Rechts zeigt sich allerdings darin, dass die eben vorgestellte Rechtsprechung nicht ausnahmslos gilt und besondere Umstände konsekutive Strafen rechtfertigen können. Im Wesentlichen drei Rechtsprechungslinien lassen sich identifizieren, in denen zu R. v. Jones abgegrenzt wird:
R. v. Noble [2002] EWCA Crim 1713 [15]–[17]; bestätigt in R. v. Jenkins [2015] EWCA Crim 105 [12]–[13]; R. v. Brown [2018] EWCA Crim 1775 [24]–[36]. 221 R. v. Jones (1980) 2 Cr. App. R. (S.) 152, 153. 222 R. v. Skinner (1986) 8 Cr. App. R. (S.) 166, 167–168. 223 Vgl. R. v. King [2000] 1 Cr. App. R. (S.) 105, 107; R. v. Edwards [2004] EWCA Crim 1108 [8]. 220
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
Zunächst können einschlägige Vorstrafen zu konsekutiven Strafen führen. So verweigerte McCowan J. dem Angeklagten in R. v. Wheatley gleichzeitige Strafen, obgleich eine einzige Fahrt trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis und im alkoholisierten Zustand vorlag, weil jener wiederholt ohne Fahrerlaubnis sowie im fahruntüchtigen Zustand gefahren war. Gleichzeitige Strafen würden nach Ansicht des Gerichts einem Wiederholungstäter einen Freibrief zur Begehung eines weiteren Delikts ausstellen: „He persistently drives whilst disqualified and he persistently drives when he has had too much to drink. In these circumstances the practice of the Court operated in many cases, of passing two concurrent sentences for two offences arising out of the same facts, cannot apply. Otherwise this man would have a licence to drive with excess alcohol without any added penalty.“224
Des Weiteren werden bei Verwirklichung eines vollkommen anderen Tatbestandstyps bzw. einem fehlenden Sachzusammenhang häufig konsekutive Strafen für geboten erachtet. Weil beispielsweise eine unterschiedliche Art von Kriminalität vorliegt, werden keine gleichzeitigen Strafen für das Fahren trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis (driving while disqualified) und einen Heroinbesitz (possessing heroin) verhängt, selbst, wenn beide Delikte gleichzeitig begangen werden. Die Abgrenzung zu den mehrere Fahrzeugführungsdelikte betreffenden Fällen erfolgt mit der Begründung, dass es sich dort stets um mehrere Tatbestände handelte, die gerade Autofahrten bzw. allgemein Kraftfahrzeuge betreffen: „We observe that each of those cases dealt with offences concerning bad driving where a number of driving or motorcar related offences all arose out of the same general incident. Here the driving-related offences and the drug-related offence were wholly different in character and were only linked in time because of the coincidence that they were detected simultaneously. […] In those circumstances it cannot be said that those offences arise out of the same transaction in the sense that although they are different charges they cover broadly the same activity. They have completely different origins. They involve wholly different types of offending and, as we have just observed, the only common factor is that they were detected simultaneously.“225
In anderen, ziemlich verschiedene Tatbestände betreffenden Fällen wird schon auf der Ebene der Ausführungsidentität differenziert. Demnach sei das Delikt der Hehlerei (handling stolen goods) schon vollständig abgeschlossen, wenn ein Täter unmittelbar nach dessen Erwerb mit einem Wagen trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis wegfährt (driving while disqualified).226 Ähnlich wird bisweilen argumentiert, wenn eigentlich eine Ausführungsidentität gegeben scheint. So fuhr der Täter in R. v. Dillon nicht nur betrunken und trotz einer entzogenen Fahr 224 R. v. Wheatley (1983) 5 Cr. App. R. (S.) 417, 418–419; so auch R. v. Dent [2001] EWCA Crim 787 [8]–[9]; R. v. Dewhurst [2003] EWCA Crim 330 [5]; R. v. Hardy [2005] EWCA Crim 3097 [14]. 225 R. v. Allen [2004] EWCA Crim 1464 [12]. 226 R. v. Morgan [2008] EWCA Crim 1749 [8].
§ 3 Die kumulative Bestrafung
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erlaubnis, sondern benutzte für diese Fahrt auch einen Wagen, den er unmittelbar zuvor unrechtmäßig entwendet hatte. Trotz einer Ausführungsidentität der Tathandlungen zumindest im Moment des Wegfahrens wurde die Strafe für die Gebrauchsanmaßung konsekutiv verhängt, was u. a. mit einer – wohl durch die Verschiedenheit der Gesetzesverletzungen vermittelten – Aufspaltung des faktischen Geschehens begründet wurde: „In the circumstances of this case, the facts can be readily distinguished from those in Jones. There are two quite distinct offences here the taking of somebody else’s motor car for his own private benefit and purposes, and secondly, having taken that motor car, driving it not only when he was disqualified but in the condition which he was.“227
Als dritte Ausnahme erweist sich die Konstellation, dass ein gefährliches Fahrmanöver (dangerous driving) – trotz einer weiterhin ausführungsidentischen Verwirklichung mit einem Delikt des alkoholisierten Fahrens bzw. des Fahrens trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis – auf dem separaten Entschluss beruht, einer Festnahme durch die Polizei zu entgehen.228 In der Zusammenschau zeigt sich, dass sich die Ausnahme-Rechtsprechung im Wesentlichen auf Fälle beschränkt, in denen ungleichartige Gesetzesverletzungen involviert sind, wie auch Keene L.J. in R. v. Noble feststellte: „But where such exceptional cases occur, they tend to be ones where different offences are committed. It seems to this Court to be wrong in principle to impose consecutive sentences in respect of each death arising from a single piece of dangerous driving. [...] The fact that multiple deaths have been caused is not of itself a reason for imposing consecutive sentences.“229
Schließlich ist noch zu erwähnen, dass in manchen Entscheidungen die Vollstreckungsart für wenig bedeutsam gehalten und sogleich die Höhe der endgültigen Strafe in den Fokus gerückt wird. Die Totality-Gesamtbetrachtung (III.) wird hier also nach vorne gezogen: „It has given us the opportunity to consider this matter afresh, namely the matter whether concurrent sentences have to be passed as a matter of practice when the offences arise out of the same incident. It seems to this Court that the problem is really one of determining what sentence is appropriate to the offences taken as a whole, that is to say the whole of the criminal activity of the defendant on that particular occasion. [...] Whether that is done by imposing shorter sentences to run consecutively or longer sentences to run concurrently, does not really in the end make any difference.“230
R. v. Dillon (1983) 5 Cr. App. R. (S.) 439, 441; so auch R. v. Gibbon (1992) 13. Cr. App. R. (S.) 479, 482; R. v. Kirkland [2004] EWCA Crim 2951 [10]; anders jedoch R. v. Matthews (1987) 9 Cr. App. R. (S.) 367, 368–369. 228 R. v. Lacey [2005] EWCA Crim 2720 [9]. 229 R. v. Noble [2002] EWCA Crim 1713 [16]–[17]. 230 R. v. Lawrence (1989) 11 Cr. App. R. (S.) 580, 582; vgl. auch R. v. Garrington [2002] 227
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2. Kapitel: Das englische Strafrecht
(2) Waffendelikte Als weiteres Beispiel einer Vorfalls- bzw. Tatsachenidentität verweist die Totality guideline auf Waffendelikte, die gerade im Zuge der Begehung eines anderen Delikts – wie etwa einem Raub – realisiert werden.231 In einem in der Richtlinie zitierten Fall versuchte eine Täterin, das Opfer durch Bedrohung mit einem Taschenmesser auszurauben. Daraufhin wurde sie für das unerlaubte Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs (carrying an offensive weapon in a public place) und den versuchten Raub (attempted robbery) zu gleichzeitig freiheitsentziehenden Maßnahmen verurteilt, weil das Messer ein Hilfsmittel (ancillary) der Begehung des schwereren Delikts war.232 Entsprechendes gilt nach einem anderen Urteil, wenn im Zuge einer Schlägerei (affray) ein Messer eingesetzt wird (possession in a public place of a bladed article).233 Besteht zwischen dem Waffendelikt und einem anderen Delikt hingegen kein enger Sachzusammenhang (distinct and independent) in dem Sinne, dass das eine gerade das andere ermöglichen soll, werden eher konsekutive Strafen verhängt. Dies wurde beispielsweise in Fällen angenommen, in denen der Täter einer Straßenverkehrsgefährdung (dangerous driving)234 oder eines Drogenbesitzes mit Verbreitungsvorsatz (possession with intent to supply)235 im Moment der Deliktsbegehung gerade auch eine Waffe dabei hatte.236 Auch der Einsatz einer Waffe nach Vollendung des Hauptdelikts stellt nach der Rechtsprechung keinen hinreichenden Zusammenhang mehr her. So wurde in R. v. John ein gefährliches Werkzeug erst nach Vollendung eines Diebstahls und nach Verlassen eines Supermarkts zur Bedrohung des Sicherheitspersonals eingesetzt. Das Gericht befürwortete hierfür die konsekutive Vollstreckung der Einzelstrafen.237 In Bezug auf (Schuss-)Waffen im Sinne des Firearms Act 1968 (c. 27) verhängte die Rechtsprechung seit den 70er Jahren traditionell konsekutive Strafen, auch wenn der Täter eine Waffe bei sich führte, um das andere Delikt zu begehen.238 Jedoch betonen einige neuere Entscheidungen auch hier, dass mehr das EWCA Crim 1336 [8]; vgl. Thomas, Principles of Sentencing, 2. Aufl. 1979, S. 53; vgl. Ash worth/Wasik, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 211 f. 231 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6. 232 R. v. Poulton and Celaire [2002] EWCA Crim 2487 [19]. 233 R. v. Green [2009] EWCA Crim 1259 [18]–[19]; vgl. auch R. v. Tran [2013] EWCA Crim 1657 [15]. 234 R. v. Poulton and Celaire [2002] EWCA Crim 2487 [19]. 235 R. v. Andrew [2005] EWCA Crim 756 [8]. 236 Anders jedoch R. v. Angol [2004] EWCA Crim 2468 [13], wo die parallele Vollstreckung alleine auf das zeitliche Zusammentreffen gestützt wurde. 237 R. v. John [2008] EWCA Crim 3283 [9]. 238 Vgl. R. v. Faulkner (1972) 56 Cr. App. R. 594, 596; R. v. French (1982) 75 Cr. App. R. 1, 5–6; R. v. Bottomley (1985) 7 Cr. App. R. (S.) 355, 358; R. v. Baptiste [2007] EWCA Crim
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Ausmaß der Endstrafe und nicht deren Form entscheidend ist.239 Teilweise wird die Differenzierung der Totality guideline nun auch bei Waffen nach dem Firearms Act angewendet.240 (3) Weitere Delikte Die Totality guideline ergänzt die genannten Fallgruppen der Vorfalls-/Tatsa chenidentität um einen Betrug (fraud) und eine damit zusammenhängende Fälschung (associated forgery) bzw. um die Aushändigung verschiedener Drogenarten (woraus sich die verschiedenen Gesetzesverletzungen ergeben).241 Parallele Strafen wurden von der Rechtsprechung ferner für das zweifache Eindringen in den Körper des Opfers, zunächst mit dem Finger (assault by penetration) und unmittelbar darauf mit dem Penis (rape), verhängt.242 Konsekutiv für einen körperverletzenden Angriff (assault occasioning actual bodily harm) im Zuge eines Diebstahls (theft) auferlegte Strafen bestätigen allerdings wieder, dass bei unterschiedlichen Deliktstypen trotz eines identischen Vorgangs häufig anders verfahren wird: „In the instant case before us clearly the two separate offences were of a different kind and involved separate elements of criminality. Culpability in our judgment for the offences was cumulative and not coincidental. Gratuitous and renewed violence towards a vulnerable victim causing injury is one thing. Stealing a not inconsiderable sum of money much needed by its owner is quite another.“243
Im Einklang mit R. v. Noble ziehen gleichartige Gesetzesverletzungen, insbesondere gegenüber verschiedenen Opfern, häufiger gleichzeitige Strafen nach sich. So wurden in R. v. Amin sogar für im Abstand von 20 Minuten erfolgte sexuelle Übergriffe (indecent assault) auf verschiedene Opfer gleichzeitige Strafen ver-
2772 [13]–[14]; R. v. Roe [2014] EWCA Crim 1975 [25]–[27]; vgl. Mitchell, M.L.R. 64 (2001), 393, 397; krit. Wasik, in: Zedner/Roberts (Hrsg.), Principles and Values in Criminal Law and Criminal Justice: Essays in Honour of Andrew Ashworth, 2012, S. 289 f.; Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 283. 239 Attorney General’s Reference No. 21 and 22 of 2003 [2003] EWCA Crim 3089 [26]– [27]; vgl. Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § E2.21. 240 R. v. Rusiecki [2012] EWCA Crim 2601 [9]–[11]. 241 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6. 242 R. v. Tamby [2008] EWCA Crim 207 [7]–[8]; vgl. jedoch R. v. Nelmes [2012] EWCA Crim 2851 [10]–[12]. 243 R. v. Edwards [2009] EWCA Crim 602 [14]. Eine Rolle spielte hier auch, dass die Delikte fehlerhafterweise nicht als Raub angeklagt worden waren. Zur Bindung englischer Gerichte an die Anklage vgl. 2. Kap. § 2 A. Anders jedoch R. v. Sheikh [2011] EWCA Crim 3172 [7]–[8] für wounding und theft.
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hängt.244 Auch in R. v. Cosco erhielt der Täter für drei Erregungen öffentlichen Ärgernisses (outraging public decency) im Laufe eines Nachmittags gleichzeitige Strafen.245 In einem weiteren Fall schließlich widersetzte sich der Täter einer Festnahme und griff dabei zwei Polizisten an; auch hierfür wurden parallele Strafen für die beiden common assaults auferlegt.246 Verschiedene Opfer führen aber nicht stets zu gleichzeitigen Strafen. So kann der letztgenannte Fall einem weiteren gegenübergestellt werden, in welchem der Täter zunächst einen ersten und unmittelbar darauf einen zweiten Gefängniswärter angegriffen hatte. Die konsekutiv für die – nach verschiedenen Tatbeständen angeklagten – Angriffe verhängten Strafen wurden gerade damit begründet, dass der Täter bewusst und separat zwei Opfer angegriffen hatte.247 b) Die Vorfalls- oder Tatsachenverschiedenheit (unrelated incident or facts) Als Paradebeispiel für nicht miteinander zusammenhängende Tatsachen oder Vorfälle nennt die Totality guideline einen Täter, der bei einer Gelegenheit einen Diebstahl (theft) und bei anderer Gelegenheit einen Angriff (common assault) auf ein anderes Opfer verübt.248 Darüber hinaus sind konsekutive Strafen in einigen Fallgruppen angezeigt, in denen zwischen den Delikten immerhin ein Sachzusammenhang besteht, aber die ungleichartigen Gesetze zu unterschiedlichen Zeitpunkten verletzt werden:249 So bestraft die Rechtsprechung konsekutiv, wenn in Bezug auf ein erstes Delikt der Täter zusätzlich einer strafbaren Justizbehinderung (perverting the course of justice) (z. B. durch Beeinflussung von Zeugen) schuldig ist.250 Des Weiteren wird grundsätzlich konsekutiv bestraft, wenn ein Täter für ein erstes Delikt nicht in Untersuchungshaft genommen wird und sodann auf Kaution (on bail) ein wei-
244 R. v. Amin [1998] 1 Cr. App. R. (S.) 63, 65–66; vgl. auch R. v. Wragg (1990–91) 12 Cr. App. R. (S.) 537 mit sogar fast einer Woche Abstand zwischen den Übergriffen, jedoch wurde die Vollstreckungsweise in dieser Entscheidung nicht näher thematisiert. 245 R. v. Cosco [2005] EWCA Crim 207 [6]. 246 R. v. Edwards [2005] EWCA Crim 1813 [18]. 247 R. v. Hylton [2011] EWCA Crim 2130 [15]. 248 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 249 Vgl. SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 250 Attorney General’s Reference No. 1 of 1990 (1990–91) 12 Cr. App. R. (S.) 245, 247; R. v. Allen [2004] EWCA Crim 1464 [11]; R. v. Laing and Bell [2004] EWCA Crim 1609 [15]; R. v. Crawford [2005] EWCA Crim 191 [20].
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teres Delikt verwirklicht251 oder wenn im Zuge der Vollstreckung einer Haftstrafe für ein erstes Delikt ein weiteres begangen252 wird. Selbst gleichzeitig begangene Delikte hängen dann nicht hinreichend zusammen (unrelated) und erfordern konsekutive Strafen, wenn ein besonderes unrechtssteigerndes Element vorliegt (an aggravating element that requires separate recognition).253 Gemeint sein dürfte hier das Zusammentreffen von Tat beständen unterschiedlichen Typs, was in der Tendenz, wie gezeigt, mit konsekutiven Strafen geahndet wird. Als Beispiel dient der Richtlinie ein Angriff (assault) auf einen Polizisten, wenn jener einen Täter – selbst, wenn er ihn auf frischer Tat überrascht – wegen eines anderen Delikts festzunehmen versucht.254 Darüber hinaus verweist die Totality guideline auf einen Fall der Bedrohung mit dem Tode (threatening to kill) sowie eines sexuellen Übergriffs (indecent assault), in dem konsekutive Strafen mit den unterschiedlichen durch die Delikte einhergehenden Beeinträchtigungen (gravamen) des Opfers begründet wurden.255 2. Serienstraftaten Die Totality guideline nennt eine Serie von gleichartigen oder ähnlichen Delikten als zweite große Fallgruppe der normalerweise parallelen Vollstreckung, insbesondere wenn diese Delikte gegen dieselbe Person gerichtet sind (a series of offences of the same or similar kind, especially when committed against the same person).256 Als Beispiele werden wiederholte kleinere Diebstahlsdelikte (theft) gegenüber derselben Person angeführt, etwa durch einen Angestellten, sowie wiederholte Sozialbetrugstaten (benefit fraud) bezogen auf mehrere Auszahlungszyklen.257 Man wird diese Fallgruppe wohl als Kehrseite der in solchen 251 R. v. Millen (1980) 2 Cr. App. R. (S.) 357, 360; zweifelnd Ormerod (Hrsg.), Blackstone’s Criminal Practice 2015, 2014, § E2.21, weil diese Tatsache nach Criminal Justice Act 2003 (c. 44), s. 143(3) bei der Bildung der neuen Einzelstrafe schon strafschärfend zu berücksichtigen ist und somit doppelt in Ansatz kommt. 252 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 253 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 254 R. v. Kastercum (1972) 56 Cr. App. R. 298, 299–300; R. v. Wellington (1988) 10 Cr. App. R. (S.) 384, 385–386; SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7; krit. Wasik, in: Zedner/Roberts (Hrsg.), Principles and Values in Criminal Law and Criminal Justice: Essays in Honour of Andrew Ashworth, 2012, S. 289 f.; Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 283. 255 R. v. Fletcher [2002] EWCA Crim 834 [21]; SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 256 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6; krit. Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 282 f. 257 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 6.
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Fällen regelmäßig möglichen, aber nicht obligatorischen, Kumulation von Gesetzesverletzungen in einem Anklagepunkt sehen können (vgl. die continuous offence-, course of conduct-Kumulation nach CrimPR, r. 10.2(2) bei 2. Kap. § 1 B. II. 3.). Durch gleichzeitige Strafen wird der Täter im Falle mehrerer Anklagepunkte im Ergebnis also nicht schlechter gestellt. Konsekutive Strafen sind nach der Richtlinie allerdings angezeigt, wenn zwar gleiche oder ähnliche Delikte vorliegen, jedoch die Gesamtheit des kriminellen Verhaltens durch parallele Strafen nicht hinreichend zum Ausdruck käme (offences that are of the same or similar kind but where the overall criminality will not sufficiently be reflected by concurrent sentences).258 Konkret werden gegen verschiedene Personen begangene Delikte genannt259 und dabei ein Fall zitiert, in dem die Täter bei wiederholten Ladendiebstählen dem sie störenden Personal Säure in das Gesicht gespritzt haben (administering a poison or noxious sub stance with intent).260 Überdies werden mehrere Gelegenheiten von häuslicher Gewalt oder Sexualdelikte gegen dasselbe Opfer angeführt.261 Sollte es sich hier um Ausnahmen von der grundsätzlichen Rechtsprechung zu Serien handeln,262 tritt insoweit eine gewisse Spannung mit der nur eine einzige Strafe nach sich ziehenden anklagepunktinternen Kumulation nach CrimPR, r. 10.2(2) ein, die allerdings durch Verhängung entsprechend kürzerer Einzelstrafen entschärft werden könnte. 3. Die Achtung gesetzlicher Mindest- und Höchststrafen Schließlich kommt dem Willen des Gesetzgebers bei der Anordnung der Vollstreckungsweise eine gewisse Bedeutung zu. Strafen sollen normalerweise auch dann zur konsekutiven Vollstreckung angeordnet werden, wenn der Gesetzgeber für einen oder mehrere Tatbestände eine – im englischen Strafrecht traditionell unübliche263 – Mindeststrafe vorsieht, deren Wirkung durch die parallele Vollstreckung unterlaufen würde (one or more offence(s) qualifies for a statutory minimum sentence and concurrent sentences would improperly undermine that
SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 260 R. v. Jamieson and Jamieson [2008] EWCA Crim 2761 [24]. 261 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. 262 Vgl. insoweit Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 284, als nach seiner Ansicht bei häuslicher Gewalt und Sexualdelikten Ausnahmen von der Serienrechtsprechung anzunehmen sind. Allerdings kritisiert er diese „Ausnahmen“, weil nicht klar sei, warum gerade diese Fallgruppen gewählt wurden. 263 Ashworth, in: Heller/Dubber (Hrsg.), The Handbook of Comparative Criminal Law, 2011, S. 546. 258 259
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minimum).264 Umgekehrt dürfen Einzelstrafen für sich aus demselben Vorfall ergebende, nach den allgemeinen Regeln also parallele Strafen nach sich ziehende Delikte nicht aus dem Grund zur konsekutiven Vollstreckung ausgesetzt werden, weil der verfügbare Strafrahmen der Einzeldelikte nicht weit genug ist. Konsekutive Strafen würden dann den durch die gesetzliche Höchststrafe ausgedrückten Willen des Gesetzgebers missachten.265 III. Die abschließende Gesamtbetrachtung (principle of totality) Wenngleich die Praxis mitunter umgekehrt vorgehen mag,266 kommt erst nach Festlegung der Einzelstrafen und der Vollstreckungsweise eine abschließende Gesamtbetrachtung nach dem sog. Totality-Prinzip zur Anwendung.267 Maßstab ist danach die Angemessenheit der tatsächlichen Endstrafe im Einzelfall,268 woraus zunächst folgt, dass die Tatsache der kumulativen Gesetzesverletzung selbst bei gleichzeitig zu vollstreckenden Strafen (und damit faktisch bloßer Vollstreckung der längsten Einzelstrafe) nicht unberücksichtigt bleiben soll, sondern die höchste Einzelstrafe in einer angemessenen Weise erhöht werden soll.269 Bei der konsekutiven Vollstreckung werden die Einzelstrafen zunächst addiert und die Summe sodann vor dem Hintergrund von Täterverhalten und -persönlichkeit an den Maßstäben der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit gemessen.270 Erscheint die Summe als zu hoch, können bei etwa gleich schweren Delikten entweder sämtliche Einzelstrafen oder – falls sich trotz annähernd gleicher Schwere ein Hauptdelikt identifizieren lässt – nur die Nebendelikte proportional 264 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7 mit Verweis auf R. v. Raza [2009] EWCA Crim 1413 [17]; vgl. auch Attorney General’s Reference No. 70 of 2009 [2009] EWCA Crim 2853 [8]; R. v. Sparkes [2011] EWCA Crim 880 [7]–[8]; R. v. Khan [2012] EWCA Crim 2319 [26]. 265 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7 mit Verweis auf Attorney General’s Reference No. 57 of 2009 [2009] EWCA Crim 2555 [29]; vgl. auch R. v. Katcharian [2013] EWCA Crim 2447 [68]. 266 Vgl. Wasik, in: Zedner/Roberts (Hrsg.), Principles and Values in Criminal Law and Criminal Justice: Essays in Honour of Andrew Ashworth, 2012, S. 290 f.; Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 279 f. 267 Vgl. z. B. R. v. Faulkner (1972) 56 Cr. App. R. 594, 596; R. v. Millen (1980) 2 Cr. App. R. (S.) 357, 360; vgl. auch SC, A Short Guide – Sentencing for multiple offences (Totality), 2011, S. 3; krit. dazu Ashworth/Wasik, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 220. 268 Vgl. SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 5. 269 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 5, 6; vgl. auch SC, A Short Guide – Sentencing for multiple offences (Totality), 2011, S. 3 f. 270 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 5, 7.
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abgemildert werden.271 Bei unterschiedlich schweren Delikten können manche so wenig ins Gewicht fallen, dass eine Einzelstrafe ggf. entfallen oder doch zur parallelen Vollstreckung ausgesetzt werden kann.272 Freilich hat eine derartige Abmilderung eine Privilegierung des für mehrere Delikte Bestraften zur Folge, weil eine bei singulärer Begehung eigentlich zu verhängende Strafe abgemildert wird („Mengenrabatt“, discount for bulk offending).273 Nicht zulässig ist es, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe konsekutiv eine weitere zu verhängen.274 Mehrere lebenslange Strafen können allerdings zur gleichzeitigen Vollstreckung verhängt werden, wie vor kurzem in einem aufse henerregenden Fall des Kindesmissbrauchs geschehen, in welchem der Angeklagte mit 22 lebenslangen Freiheitsstrafen belangt wurde.275 Der Totality-Grundsatz hat sich zunächst in der Rechtsprechung entwickelt und später gesetzgeberische Anerkennung gefunden.276 Thomas hat als Erster die Bedeutung dieses Grundsatzes in der Rechtsprechung des Court of Appeal näher analysiert und dabei eine Obergrenzen- sowie eine Milderungskomponente herausgearbeitet: „A cumulative sentence may offend the totality principle if the aggregate sentence is substantially above the normal level of sentences for the most serious of the individual offences involved, or if its effect is to impose on the offender ‚a crushing sentence‘ not keeping with his record and prospects. The first limb of the principle can be seen as an extension of the central principle of proportionality between offence and sentence, while the second represents an extension of the practice of mitigation.“277
In Ausfüllung der ersten Komponente identifizierte er eine Leitlinie des Gerichts, wonach die endgültige Strafe nach oben nicht den normalen Rahmen einer für das schwerste Delikt in dessen spezifischer Begehung normalerweise verhängten Strafe übersteigen soll:
SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 7. SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 8. 273 Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 277 f.; vgl. dazu ausführlich die zahlreichen Beiträge in Ryberg/Roberts/de Keijser (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, Oxford/New York 2018. 274 R. v. Foy [1962] 1 W.L.R. 609; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 69. 275 Vgl. N.N., Malaysians say harsher sentence needed for UK child rapist Richard Huckle, The Straits Times v. 7.6.2016, abrufbar unter http://www.straitstimes.com/asia/se-asia/malaysians-say-harsher-sentence-needed-for-ukchild-rapist-richard-huckle (Abruf v. 1.9.2018). 276 Vgl. etwa Criminal Justice Act 2003 (c. 44), s. 166(3)(b); vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 23.33. 277 Thomas, Principles of Sentencing, 1979, S. 57 f. 271 272
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„[T]he aggregate sentence should not be longer than the upper limit of the normal bracket of sentences for the category of cases in which the most serious offence committed by the offender would be placed.“278
Dass es sich jedoch nur um eine Leitlinie handelt, zeigt sich daran, dass das Gericht hiervon in seltenen Fällen abweicht und sogar das jeweilige Höchstmaß ausweisende Einzelstrafen in konsekutiver Abfolge bestätigt.279 Bemerkenswerterweise geht die Totality guideline nicht auf die Frage einer Obergrenze aufgrund einer Totality-Betrachtung ein.280 Aus den Beratungen des Sentencing Council geht sogar hervor, dass Thomas’ Leitlinie bewusst nicht aufgegriffen wurde; die Anforderungen an die Totality nach der Guideline sind damit ziemlich unkonkret.281 Vielmehr findet sich in der Richtlinie lediglich das bereits erwähnte Verbot der Umgehung von Maximalstrafen bei Delikten aus demselben Vorfall. Hierdurch dürfte nach der Totality guideline die abstrakte Höchststrafe (maximum penalty) für das schwerste Delikt jedenfalls für solche Fälle eine Obergrenze der Kumulativbestrafung darstellen, aber nicht für sich aus unterschiedlichen Vorfällen ergebende Delikte.282 Gewisse empirische Erkenntnisse deuten aber darauf hin, dass die Höchststrafe für das schwerste Delikt bei der Verhängung konsekutiver Strafen auch in den letztgenannten Fällen nur äußerst selten überschritten wird.283
C. Die strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung weiterer Delikte (Offences Taken Into Consideration) Mit dem Consideration-Verfahren gibt es im englischen Recht schließlich eine Praxis, nach der auch ohne kumulative Anklage/Verurteilung wegen einer mehrfachen Gesetzesverletzung bestraft werden kann. Dieses Verfahren hat in der Form von vereinzelten Erwähnungen inzwischen auch im geschriebenen Recht (statutory law) eine gesetzgeberische Anerkennung gefunden.284 Darüber hinaus Thomas, Principles of Sentencing, 1979, S. 59. Vgl. R. v. Blake [1962] 2 Q.B. 377, 380; R. v. Prime (1983) 5 Cr. App. R. (S.) 127, 132–134; Thomas, Principles of Sentencing, 1979, S. 59. 280 Krit. Wasik, in: Zedner/Roberts (Hrsg.), Principles and Values in Criminal Law and Criminal Justice: Essays in Honour of Andrew Ashworth, 2012, S. 292. 281 Krit. Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 285, 291 f. m. w. N. 282 Vgl. Wasik, in: Zedner/Roberts (Hrsg.), Principles and Values in Criminal Law and Criminal Justice: Essays in Honour of Andrew Ashworth, 2012, S. 304. In der Sache wird dies bestätigt durch R. v. Nelson [2017] 1 W.L.R. 491, 503. 283 Ashworth/Wasik, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 221 f. 284 Vgl. Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000 (c. 6), ss. 130(1)(a), 161(1)(b); vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 252. 278 279
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wurde sogar eine Richtlinie (Consideration guideline) für dieses Institut erarbeitet.285 Ein eigentlich nur wegen eines Delikts (oder mehrerer anderer Delikte) zu bestrafender Täter kann danach im Sentencing-Verfahren weitere Delikte gestehen und das Gericht darum ersuchen, diese bei der Bestrafung zu berücksichtigen (to take offences into consideration).286 Da für solche Delikte jedoch keine Verurteilung ergeht, werden sie nicht in der Form gesonderter Einzelstrafen abgestraft, sondern in den Strafrahmen der verurteilten Delikte (regelmäßig strafschärfend, aber dem Maßstab der Totality genügend) eingestellt.287 Das Gericht entscheidet über die Berücksichtigung nach seinem Ermessen,288 entspricht der Bitte für gewöhnlich jedoch.289 Voraussetzung ist allerdings, dass die entsprechenden Delikte ähnlich sind wie diejenigen, welche der Verurteilung unterliegen.290 Weitere Fallgruppen, in denen von einer Berücksichtigung abgesehen werden soll, sind in der Consideration guideline aufgeführt, z. B., wenn das zu berücksichtigende Delikt eine höhere Einzelstrafe verdient als das der Verurteilung unterliegende Delikt.291 Wird ein Delikt derartig berücksichtigt, könnte bei einer später deswegen erfolgenden Anklage mangels Verurteilung nicht das Doppelverfolgungsverbot anführend auf autrefois convict plädiert werden. Jedoch wird eine solche Anklage in der Praxis normalerweise nicht mehr erhoben292 und wäre wohl als verfahSC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 2–4. Vgl. R. v. Syres (1909) 1 Cr. App. R. 172, 174; R. v. Nicholson (1948) 32 Cr. App. R. 98, 100–101; Fellman, The Defendant’s Rights Under English Law, 1966, S. 91; Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 252. Dem nicht unähnlich können im deutschen Recht über die angeklagte Tat hinausgehende Gesetzesverletzungen strafschärfend nach § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden. Dies ist im Gegensatz zum englischen Recht sogar ohne Geständnis möglich, erfordert allerdings hinreichende Feststellungen, vgl. dazu BGH, Beschluss v. 18. März 2015 – 2 StR 54/15, Rn. 4. 287 Vgl. R. v. Nicholson (1948) 32 Cr. App. R. 98, 101; vgl. R. v. Miles [2006] EWCA Crim 256 [11]; SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 3 f.; vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 252; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 22.62; vgl. SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 2, 3 f. 288 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 2. 289 Vgl. Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 22.61. 290 Grünhut, in: Mezger et al. (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Dritter Band, 1959, S. 191; Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 252; Sprack/Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 22.63. 291 SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 2 f.; vgl. R. v. Lavery [2008] EWCA Crim 2499 [15]–[16]. 292 Vgl. R. v. Nicholson (1948) 32 Cr. App. R. 98, 101; vgl. R. v. Miles [2006] EWCA Crim 256 [10]–[11]; Fellman, The Defendant’s Rights Under English Law, 1966, S. 91; Sprack/ 285 286
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rensmissbräuchlich (abuse of process) zu werten.293 Denn dem Täter soll durch das Consideration-Verfahren gerade ein Neuanfang mit „weißer Weste“ nach Verbüßung der im ersten Verfahren auferlegten Strafe ermöglicht werden.294 Darüber hinaus ist die Entwicklung dieser Praxis gerade auf das Bedürfnis zu einer möglichst prozessökonomischen Erledigung von Deliktsmehrheiten zurückzuführen.295
Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 2015, Rn. 22.64; vgl. Hampton, Criminal Procedure, 1982, S. 194, 252. 293 Richardson (Hrsg.), Archbold: Criminal Pleading, Evidence and Practice, 2015, § 4-202. 294 R. v. Nicholson (1948) 32 Cr. App. R. 98, 101; Anderson v. DPP [1978] A.C. 964, 968, 977; R. v. Miles [2006] EWCA Crim 256 [10]; SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 2. 295 Vgl. R. v. Nicholson (1948) 32 Cr. App. R. 98, 101; vgl. Anderson v. DPP [1978] A.C. 964, 968; Grünhut, in: Mezger et al. (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Dritter Band, 1959, S. 191.
3. Kapitel
Das kanadische Strafrecht Obwohl staatsrechtlich föderal organisiert, ist in Kanada – in bewusster Abkehr vom US-amerikanischen Modell1 – die Kompetenz über das Straf- und Strafprozessrecht (ohne die Gerichtsverfassung2) durch Constitution Act 18673, s. 91(27) ausschließlich der Bundesebene zugewiesen. Daher gibt es in den Provinzen kein eigenständiges Strafrecht4 – insbesondere nicht in Québec, 5 wo diese Vermutung naheliegen mag. Die Rechtsquellen des kanadischen Strafrechts sind der Constitution Act 19826 mit der kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten (Canadian Charter of Rights and Freedoms) in ss. 1–34, das einfachgesetzlich geschriebene Recht (statutory law), insbesondere das Strafgesetzbuch (Criminal Code of Canada7), sowie das common law.8 Innerhalb dieses Rahmens wird das folgende Kapitel die soeben für das englische Recht behandelten Leitfragen für das kanadische Recht beantworten. Dabei wird zunächst auf die Reichweite der zulässig kumulativen Verurteilung bei der begrifflich mehrfachen Realisierung desselben sowie der Verwirklichung verschiedener Tatbestände eingegangen (§ 1) und sodann die Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen (§ 2) beleuchtet. 1 Vgl. Friedland, U. Tor. L. J. 17 (1967), 66 f.; Roach, in: Heller/Dubber (Hrsg.), The Handbook of Comparative Criminal Law, 2011, S. 98 f.; Hogg, Constitutional Law of Canada, 2013 Student Edition, S. 18–1 f. 2 Zur Kompetenz der Provinzen, eigene Gerichte zu schaffen, vgl. CA 1867, s. 92(14) und Handschug, Einführung in das kanadische Recht, 2003, S. 50 ff. 3 30 & 31 Vict. c. 3 (U.K.). 4 Jedoch werden von den Provinzen auf Grundlage von CA 1867, s. 92(15) sog. regulatory offences erlassen. Diese können sogar zu Freiheitsstrafen führen, was immer wieder schwierige Abgrenzungsfragen aufwirft, vgl. Roach, Criminal Law, 5. Aufl. 2012, S. 6, 26 f.; Hogg, Constitutional Law of Canada, 2013 Student Edition, S. 18–3 ff. 5 Im in die Zuständigkeit der Provinzen fallenden Zivilrecht existiert in Québec hingegen ein Code civil in französischer Tradition, vgl. Handschug, Einführung in das kanadische Recht, 2003, S. 8, 69 ff. 6 Sch. B des Canada Act 1982, c. 11 (U.K.). Es handelt sich um ein Gesetz des britischen Parlaments, welches zur Heimführung (patriation) der Verfassung nach Kanada erforderlich war, vgl. Fitzgerald/Wright, Looking at Law: Canada’s Legal System, 5. Aufl. 2000, S. 42 ff. 7 R.S.C. 1985, c. C-46. 8 Roach, Criminal Law, 2012, S. 5.
106
3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage Wie im englischen Recht sind auch im kanadischen Strafrecht mehrere Anklagepunkte möglich (3. Kap. § 1 D. II.), sodass es prinzipiell auch zu einer kumulativen Verurteilung kommen kann. Allerdings ist diese nicht ausnahmslos erlaubt, denn vor allem eine vom Obersten Gerichtshof Kanadas (S.C.C.) speziell entwickelte rule against multiple convictions verhindert sie unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Regel wird daher den Gegenstand der folgenden Ausführungen bilden, was ihre rechtshierarchische Fundierung (A.) sowie ihre Reichweite bei Realisierung verschiedener Tatbestände (B.) oder mehrmals desselben Tatbestands (C.) angeht. Ein abschließender Abschnitt wird auf die kanadischen Regeln zur kumulativen Anklage von Gesetzesverletzungen eingehen (D.): Wie schon für das englische Recht ergeben sich daraus zum einen weitere, für die prozessuale Zusammenfassung mehrerer Realisierungen desselben Tatbestands bedeutsame Erkenntnisse. Zum anderen kann dort aufgezeigt werden, dass sich Doppelverurteilungsverbote wenig auf die Möglichkeit zu einer kumulativen Anklage auswirken.
A. Die Rechtsgrundlage und Abgrenzung der rule against multiple convictions Die im kanadischen Recht angewendete rule against multiple convictions ist eng mit anderen, die Doppelbestrafung verhindernden Konzepten verwandt. Letztlich wird sie aber als eine eigenständige, „nur“ auf common law beruhende Regel angesehen. So ist sie sowohl in einem einheitlichen Verfahren als auch in Bezug auf aufeinanderfolgende Prozesse anwendbar und geht trotz Überschneidungen in ihrer Reichweite über den als autrefois convict bezeichneten special plea (vgl. Cr. C., s. 607) hinaus.9 Ob sie Teil des in Charter, s. 11(h) vorgesehenen double jeopardy-Verbots ist und damit der Disposition des Gesetzgebers entzogen im Verfassungsrang10 steht, ist nicht abschließend geklärt.11
Atrens, The Charter and Criminal Procedure, 1989, §§ 11.60–61; ders./Thompson/ Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-61 f.; Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2. Aufl. 2005 (Loseblatt), S. 22-12 ff. 10 Vgl. Charter, s. 32(1). 11 Vgl. Stuart, Charter Justice in Canadian Criminal Law, 5. Aufl. 2010, S. 467 f.; Currie/ Coughlan, in: Mendes/Beaulac (Hrsg.), Canadian Charter of Rights and Freedoms, 5. Aufl. 2013, S. 871; Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 18-17, 22-13. 9
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
107
Canadian Charter of Rights and Freedoms, s. 11 Any person charged with an offence has the right [...] (h) if finally acquitted of the offence, not to be tried for it again and, if finally found guilty and punished for the offence, not to be tried or punished for it again [...].
Überwiegend wird unter Verweis auf den Wortlaut („for it“; „dont“ in der französischen Version) ablehnend argumentiert, dass diese Bestimmung nicht mehr als die Garantie der special pleas (autrefois acquit bzw. autrefois convict) beinhalte.12 Teilweise wird jedoch erwogen, sie über die in Charter, s. 7 verbürgte Garantie der fundamental justice in den Verfassungsrang zu heben.13 Ein Doppelbestrafungsverbot für dasselbe Delikt sieht schließlich auch Cr. C., s. 12 vor: Criminal Code, s. 12 Where an act or omission is an offence under more than one Act of Parliament, whether punishable by indictment or on summary conviction, a person who does the act or makes the omission is, unless a contrary intention appears, subject to proceedings under any of those Acts, but is not liable to be punished more than once for the same offence.
Über den Anwendungsbereich und die Bedeutung dieser – dem Wortlaut nach ohnehin nur auf in verschiedenen Parlamentsgesetzen vorgesehene, identische Delikte anwendbaren und nur die kumulative Bestrafung (punishment) verbietenden – Vorschrift besteht allerdings Unklarheit.14 Sie scheint unabhängig von Vgl. R. v. Krug (1982), 7 C.C.C. (3d) 324 [32]–[35] (Ont. Dist. Ct.); Brown v. R. (1983), 2 N.B.R. (2d) 209 [5] (Q.B.); Travers v. R. (1984), 14 C.C.C. (3d) 34 [67]–[72] (N.S. C.A.); Friedland, Crim. L. Q. 24 (1981–82), 430, 449; McDonald, Legal Rights in the Canadian Charter of Rights and Freedoms, 2. Aufl. 1989, S. 553; Atrens, The Charter and Criminal Procedure, 1989, §§ 3.52, 11.64, 11.70–71; ders./Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-183; a. A. wohl R. v. Bennett (1984), 22 C.C.C. (3d) 194 [10]–[14] (Nfld. C.A.); R. v. Benoit (1985), 56 Nfld. & P.E.I.R. 55 [1]–[2] (Nfld. C.A.); Roach, Criminal Law, 2012, S. 78. Der S.C.C. hat zur Interpretation der Deliktsidentität (same offence) i. S. v. von Charter, s. 11(h) immerhin teilweise auf die die rule against multiple convictions inhaltlich ausfüllende Entscheidung R. v. Prince zurückgegriffen, vgl. R. v. Wigglesworth, [1987] 2 S.C.R. 541 [37]–[38]; vgl. LRCC (Hrsg.), Double Jeopardy, Pleas and Verdicts, 1991, S. 16; Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 18-17, 22-13; vgl. Stuart, Charter Justice in Canadian Criminal Law, 2010, S. 467, 470 f. 13 R. v. Krug (1982), 7 C.C.C. (3d) 324 [50], [58]–[59] (Ont. Dist. Ct.); Jones J.A., dissenting, in Travers v. R. (1984), 14 C.C.C. (3d) 34 [7] (N.S. C.A.); vgl. Stuart, Charter Justice in Canadian Criminal Law, 2010, S. 467 f.; krit. Friedland, Crim. L. Q. 24 (1981–82), 430, 435 f.; ablehnend wohl auch Krug v. R., [1985] 2 S.C.R. 255 [26]–[29], obgleich die Möglichkeit einer Verletzung im Einzelfall offengelassen wird. 14 Vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 111 f.; N.N., 16 (1973–74) Crim. L.Q. 382, 383; Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 22-13; Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-165. 12
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
der rule against multiple convictions zu sein15 und kaum praktische Bedeutung16 zu haben. Stattdessen wird die rule against multiple convictions zumeist auf das über Cr. C., s. 8(3) anwendbare common law gestützt und mitunter als Teil der umfassenderen17 res iudicata-Doktrin angesehen.18
B. Das Verbot der kumulativen Verurteilung bei der Verwirklichung verschiedener Tatbestände Im Folgenden wird auf die Herleitung der rule against multiple convictions durch den S.C.C. im Rahmen der Verurteilung aus verschiedenen Tatbeständen (I.), ihr Verhältnis zu dem auch im kanadischen Recht existenten Doppelverurteilungsverbot bei inkludierten Delikten (II.) sowie ihre Reichweite anhand von Anwendungsbeispielen eingegangen (III.). I. Die Anerkennung und Reichweite der rule against multiple convictions Wenngleich sich ältere Fälle finden, in denen im selben Verfahren ein Doppelverurteilungsverbot angewendet wurde,19 hat die Regel in ihrer modernen Version erst 1974 in Kienapple v. R. ausdrückliche Anerkennung gefunden (1.).20 Daher wird sie oftmals als Kienapple-Prinzip oder Kienapple-Doktrin bezeichnet.21 15 Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 748–749; Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-165; Greenspan/Rosenberg/Henein, Martin’s Annual Criminal Code, 2013, S. 53. 16 Vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 111 f.; Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-165. 17 Wenngleich die Begriffe mitunter synonym verwendet werden, geht die res iudicata – sofern man sie hier für einschlägig hält – als Oberbegriff über die rule against multiple convictions hinaus, vgl. Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 22-13; Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, §§ 14.20, 14.22. 18 Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 748; Krug v. R., [1985] 2 S.C.R. 255 [12]; Gold, Halsbury’s Laws of Canada, 2012, para. 517; krit. zur res iudicata-Fundierung R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 489; Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 17, 89; Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-118 f. 19 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 489–490 mit Verweis auf R. v. Quon, [1948] S.C.R. 508 und R. v. Siggins (1960), 127 C.C.C. 409 (Ont. C.A.); vgl. Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-117. 20 Vgl. LRCC (Hrsg.), Double Jeopardy, Pleas and Verdicts, 1991, S. 9 f.; Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-117. 21 Vgl. statt vieler Stuart, Charter Justice in Canadian Criminal Law, 2010, S. 465.
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
109
Ihre wesentlichen inhaltlichen Konturen erhielt sie allerdings erst 1986 durch die Entscheidung R v. Prince (2.). 1. Die ausdrückliche Anerkennung durch Kienapple v. R. Kienapple hatte mit einem 13-jährigen Mädchen gegen deren Willen Geschlechtsverkehr gehabt. Infolgedessen wurde er zunächst wegen Vergewaltigung (rape) und Geschlechtsverkehrs mit einem unter 14-jährigen Mädchen (carnal knowledge of a female under fourteen years of age) verurteilt.22 Der S.C.C. hob jedoch letztere Verurteilung auf, obwohl bei formaler Betrachtung keiner der beiden damals anwendbaren Tatbestände notwendig mit dem anderen realisiert wurde. So wies der Tatbestand des Geschlechtsverkehrs mit einer unter 14-Jährigen das überschießende Element des Alters auf, welches der Vergewaltigung fehlte; umgekehrt verlangte die Vergewaltigung das fehlende Einverständnis in den Geschlechtsverkehr, was wiederum beim Geschlechtsverkehr mit einer unter 14-Jährigen unerheblich23 war.24 Damit lag vereinfacht folgendes formales Überschneidungsverhältnis zwischen den Tatbeständen vor (vgl. zur Inklusion in der Sache sogleich):
Kienapple v. R.
Vergewaltigung Opfer: - mindestens 14 Jahre alt - nicht einverstanden
Geschlechtsverkehr mit einem unter 14jährigen Mädchen
Opfer: - unter 14 Jahre alt Opfer: - nicht einver- unter 14 Jahre alt standen - einverstanden
Abbildung 4
Vgl. Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 741–742. Nach dem damaligen Cr. C., s. 140 hätte die Einwilligung des Mädchens keine defence dargestellt, vgl. Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 743. 24 Vgl. Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 743–744. Genau deswegen wandte sich eine Richterminderheit gegen die Mehrheitsentscheidung, denn ein carnal knowledge werde nicht notwendig im Zuge einer Vergewaltigung mitrealisiert, vgl. Ritchie J., dissenting, in Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 733–734, 740–741. 22 23
110
3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
Die Richtermehrheit hielt ausdrücklich eine sog. rule against multiple convictions für einschlägig,25 jedoch ließ die Begründung nicht eindeutig darauf schließen, ob diese Regel alleine an die den Delikten unterliegende Tatsachenidentität oder zusätzlich an eine rechtliche Beziehung der Tatbestände zueinander anknüpft. Einerseits wurde auf eine die Relevanz der Tatsachenidentität nahelegende Terminologie („the same delict“, „the same matter“ oder „the same cause“) zurückgegriffen;26 andererseits enthielt die Begründung die Aussage, dass im konkreten Fall das überschießende Element des Alters nicht ausreiche, um den Tatbestand des carnal knowledge hinreichend von dem der Vergewaltigung zu unterscheiden.27 2. Die Konturierung der Reichweite durch R. v. Prince Die zumindest dem Anschein nach zweigleisige Begründung in Kienapple v. R. führte zu entsprechender Verwirrung bei der nachfolgenden Anwendung dieses Präjudizes.28 Daher sah sich der S.C.C. im Jahre 1986 zu einer Klarstellung der Reichweite der Regel veranlasst:29 In dem entschiedenen Fall stach Prince einer im sechsten Monat schwangeren Frau in den Bauch, woraufhin es wenige Tage später zu einer Frühgeburt kam und das Kind wiederum Minuten danach verstarb. Die Täterin wurde infolgedessen wegen einer Körperverletzung an der Mutter (assault causing bodily harm) verurteilt. In einem zweiten Verfahren wurde sie sodann wegen Totschlags an dem Kind (manslaughter) angeklagt. Dagegen wandte sie sich zunächst mit Erfolg, denn der Manitoba Court of Appeal hielt Kienapple v. R. für einschlägig, weil beiden Tatbeständen dieselbe Handlung zugrunde lag.30 Der S.C.C. stellte jedoch klar, dass Kienapple v. R. zwar einerseits über den engen Begriff der Tatbestandsidentität bzw. -inklusion (same offence, included offence) hinausgeht.31 Andererseits knüpft die Regel nicht lediglich an eine gemeinsame Tatsachengrundlage an.32 Vielmehr setzt ihre An-
Vgl. Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729–730, 751. Vgl. Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 744–750. 27 Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 755. 28 Vgl. statt vieler die geteilte Richterschaft in Hagenlocher v. R. (1981), 65 C.C.C. (2d) 101 (Man. C.A.); vgl. LRCC (Hrsg.), Double Jeopardy, Pleas and Verdicts, 1991, S. 10 f.; vgl. Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-128; Stuart, Charter Justice in Canadian Criminal Law, 2010, S. 465. 29 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 487. 30 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 484–486. 31 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 490. 32 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 490–491, 493–495. 25 26
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
111
wendbarkeit sowohl eine hinreichende tatsächliche (a) als auch rechtliche Nähe (b) der Gesetzesverletzungen voraus (same delict):33 a) Der tatsächliche Nexus (factual nexus) Der tatsächliche Nexus als conditio sine qua non der rule against multiple convictions ist nach dem Obersten Gerichtshof gegeben, wenn den Delikten derselbe Vorgang (same transaction) zugrunde liegt.34 Hierfür sei eine Beurteilung im Einzelfall anhand von verschiedenen Kriterien angezeigt, wie die räumlich-zeitliche Ferne/Nähe (remoteness or proximity in time and place), relevante Zwischenereignisse (intervening events) – z. B. eine Verurteilung für eines der Delikte und die Weiterbegehung des anderen – oder, ob die Tätigkeiten von einem gemeinsamen Ziel getragen werden (common objective).35 b) Der rechtliche Nexus (legal nexus) Der darüber hinaus für das Doppelverurteilungsverbot erforderliche rechtliche Nexus (legal nexus) ist nicht bereits dann gegeben, wenn die beiden Tatbestände ein gemeinsames Tatbestandsmerkmal (common element test) aufweisen.36 Vielmehr sind gerade die nicht übereinstimmenden Tatbestandsmerkmale entscheidend, weil die Delikte jeweils ein zusätzliches und eigenständiges, den Schuldgrad determinierendes Element (additional and distinguishing element that goes to guilt) aufweisen müssen, um die kumulative Verurteilung zu rechtfertigen.37 Die Entscheidung nennt – ausdrücklich nicht abschließend38 – drei Fallgruppen, in denen bei Tatbeständen mit überschießendem Merkmal ein derart qualifiziertes Element nicht vorliegt. Eine treffende Formulierung von Doherty J.A. in einer jüngeren Entscheidung diesbezüglich zeigt, dass diese Fallgruppen zusammen für einen wertenden Ansatz stehen, nach dem untersucht wird, ob bei den Gesetzesverletzungen dasselbe Unrecht involviert ist: „In essence, each presents a situation in which the offences charged do not describe different criminal wrongs, but instead describe different ways of committing the same criminal wrong.“39 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 495. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 491. 35 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 492; vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völker strafrecht, 2005, S. 56. 36 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 495–496. 37 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 497–499; vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 56. 38 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 499–500. 39 R. v. Kinnear (2005), 198 C.C.C. (3d) 232 [37] (Ont. C.A.); zitiert in R. v. Heaney, 2013 BCCA 177 [25]. 33 34
112
3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
Nach dem Obersten Gerichtshof ist dies zum einen der Fall, wenn ein Merkmal des einen Tatbestands eine besondere Ausprägung (particularization) eines allgemeineren Elements des anderen Tatbestands ist. Beispielsweise ist das „Zielen“ (pointing) mit einer Schusswaffe auf einen Menschen (pointing a firearm at a person) als besondere Form des „Benutzens“ (using) einer solchen Waffe im Zuge der Begehung eines weiteren Delikts (using a firearm while committing an indictable offence) angesehen worden.40 Es soll in diesem Sinne sogar noch denkbar sein, eine Brandstiftung (setting fire to a substance which is likely to cause a building to catch fire) als besondere Ausprägung eines Totschlags (man slaughter) anzusehen, sodass nur wegen Totschlags zu verurteilen ist.41 Nach der zweiten Fallgruppe liegt kein eigenständig schulddeterminierendes Element vor, wenn zwei Tatbestände eigentlich dasselbe kriminelle Verhalten unter Strafe stellen, aber aus Gründen der prozessualen Beweisbarkeit verschiedene Straftatbestände geschaffen wurden. Wenn feststeht, welche Aussage falsch war, ist zum Beispiel die kumulative Verurteilung aus einem Meineid (perjury) und einem Tatbestand, welcher eine einer früher gemachten Aussage widersprechende gerichtliche Aussage (giving evidence in a judicial proceeeding contrary to one’s own previous evidence) unter Strafe stellt, unzulässig.42 Letzterer Tatbestand dient nämlich lediglich dem Zweck der Beweiserleichterung, wenn unklar ist, welche Aussage falsch war.43 In der dritten Fallgruppe wird ein Merkmal des einen Tatbestands durch das zusätzliche Element des anderen nur auf eine andere Art bewiesen.44 Als Beispiel dient dem Gerichtshof der Kienapple-Fall selbst, in dem das überschießende Merkmal des Alters das für die Vergewaltigung erforderliche Merkmal der fehlenden Einwilligung ersetzen soll, weil ein Mädchen unter 14 Jahren nicht sinnvoll in den Geschlechtsverkehr einwilligen können soll.45 Entsprechendes gilt zwischen dem Tatbestand des Fahrens im fahruntüchtigen Zustand (impaired driving) und dem des Fahrens unter Alkoholeinfluss (driving while „over 80“46),
40
255.
R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 500–501 mit Verweis auf Krug v. R., [1985] 2 S.C.R.
41 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 504–505 mit Verweis auf Hagenlocher v. R. (1981), 65 C.C.C. (2d) 101 (Man. C.A.). 42 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 501 mit Verweis auf R. v. Gushue (1976), 32 C.C.C. (2d) 189 (Ont. C.A.). 43 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 501. 44 Vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 501–502. 45 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 501; vgl. schon Klinck, Crim. L. Q. 26 (1983–84), 280, 286. 46 Die Blutalkoholkonzentration wird in Nordamerika nicht in Promille, sondern in Prozent gemessen, sodass dieser Wert 0.8 Promille entspricht.
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
113
weil ab einem entsprechenden Alkoholpegel auf eine an sich schwer beweisbare Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit geschlossen werden kann.47 Zu beachten ist, dass selbst in diesen Fallgruppen ein anderslautender Wille des Gesetzgebers zugunsten der kumulativen Verurteilung Vorrang hat.48 Auf einen solchen können u. a. verschiedene geschützte Rechtsinteressen (societal interest) hindeuten;49 z. B. – in der ersten Fallgruppe – im Verhältnis eines strafbaren Verstoßes gegen eine Bewährungsauflage (breach of probation) zu einem weiteren Delikt, aus dem sich jener Verstoß ergibt.50 In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber umgekehrt mitunter sogar ausdrückliche Kumulativverurteilungsverbote vorsieht, vgl. etwa Cr. C., s. 254(6). Schließlich ist jedenfalls bei Gewaltdelikten dann kein hinreichender rechtlicher Nexus gegeben, wenn sich – wie im Prince-Fall – die in Rede stehenden Elemente auf verschiedene Opfer beziehen.51 II. Das Verhältnis zur included offence rule Da der Begriff des same delict nach Kienapple v. R. über den der Tatbestands identität bzw. Tatbestandsinklusion hinausgeht (s. oben), betreffen die PrinceFallgruppen vor allem Konstellationen, in denen keiner der Tatbestände notwendig mit dem anderen mitrealisiert wird. Infolgedessen stellte sich die Frage, ob ein Doppelverurteilungsverbot zwischen einem Tatbestand und einem darin abstrakt inkludierten anderen Tatbestand erst recht unter die rule against multiple convictions fällt oder ob sich ein solches Verbot aus einer ggf. selbstständigen lesser included offence-Regel ergibt. Aus diesem Grund soll kurz auf die included-offence-Regeln in ihrer primären Funktion (I.) sowie auf das auch im kanadischen Recht zwischen solchen Delikten bestehende Doppelverurteilungsverbot und sein umstrittenes Verhältnis zur Kienapple-Regel eingegangen werden (II.).
47 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 501–502 mit Verweis auf Terlecki v. R., [1985] 2 S.C.R. 483. 48 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 499–500, 502; vgl. auch Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 753; Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-138. 49 Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 56. 50 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 502–503 mit Verweis auf R. v. Lecky (1978), 42 C.C.C. (2d) 406 (Nova Scotia County Court); R. v. Earle (1979), 24 Nfld. & P.E.I.R. 65 (Nfld. C.A.); R. v. Pinkerton (1979), 46 C.C.C. (2d) 284 (B.C. C.A.); R. v. Gregoire (1980), 60 C.C.C. (2d) 542 (Que. C.A.). 51 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 505–507; so auch R. v. Sullivan (1991), 63 C.C.C. (3d) 97 [26] (S.C.C.).
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
1. Die kanadischen included offence-Regeln Auch im kanadischen Recht ist das Gericht grundsätzlich an die von der Anklage vorgegebenen Anklagepunkte gebunden.52 Davon ausgenommen sind wiederum included offences, die eine Verurteilung für ein im angeklagten Delikt enthaltenes Delikt ermöglichen, wenn die Beweislage nur jenes trägt. a) Vollendung und Versuch Nach Cr. C., s. 660 kann trotz Anklage des vollendeten Delikts aus einem Versuch verurteilt werden, wenn nur dieser nachgewiesen werden kann.53 Criminal Code, s. 660 Where the complete commission of an offence charged is not proved but the evidence establishes an attempt to commit the offence, the accused may be convicted of the attempt.
b) Die allgemeine Regel, einschließlich der Luckett-Rechtsprechung Allgemein kann, je nach Beweislage, aus dem Versuch oder der Vollendung eines anderen Delikts verurteilt werden, wenn jenes entweder nach seinen abstrakten gesetzlichen Voraussetzungen oder nach der Art und Weise der konkreten Anklageformulierung54 im angeklagten Delikt enthalten ist, vgl. Cr. C., s. 662(1). Criminal Code, s. 662 (1) A count in an indictment is divisible and where the commission of the offence charged, as described in the enactment creating it or as charged in the count, includes the commission of another offence, whether punishable by indictment or on summary conviction, the accused may be convicted (a) of an offence so included that is proved, notwithstanding that the whole offence that is charged is not proved; or (b) of an attempt to commit an offence so included. [Hervorh. d. Verf.]
Ein Anklagepunkt kann zunächst ohne Nennung der konkreten Begehungsweise durch Rückgriff auf die Terminologie des Gesetzes (z. B. „did commit theft“) formuliert werden (vgl. Cr. C., s. 581(2)(b)), womit jede denkbare Begehungs-
LRCC (Hrsg.), Double Jeopardy, Pleas and Verdicts, 1991, S. 34; Atrens/Thompson/ Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-1. 53 Umgekehrt kann bei einem angeklagten Versuch in Anwendung des allgemeinen Grundsatzes wegen Versuchs verurteilt werden, selbst wenn die Beweislage das vollendete Delikt tragen würde. Allerdings kann das Gericht die Geschworenen entlassen und eine Anklage des vollendeten Delikts anordnen, vgl. Cr. C., s. 661(1). 54 Krit. LRCC (Hrsg.), Double Jeopardy, Pleas and Verdicts, 1991, S. 46, 90 f. 52
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
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modalität angeklagt ist.55 In Bezug auf die Verfügbarkeit von inkludierten Delikten wird dann traditionell mit einem sog. „necessary ingredient“-Test geprüft, ob ein anderes Delikt abstrakt-notwendig mit dem angeklagten mitbegangen wird.56 Allerdings bedarf diese Aussage infolge der Entscheidung Luckett v. R. einer Qualifizierung: So konnte der wegen Raubes (robbery) angeklagte Luckett zulässig wegen eines Angriffs (assault) verurteilt werden, obwohl das verschiedene Raubmodalitäten vorsehende Statut nicht in allen Varianten einen assault voraussetzt (vgl. die Alternativen (a) und (d)):57 Criminal Code, s. 343: Every one commits robbery who (a) steals, and for the purpose of extorting whatever is stolen or to prevent or overcome resistance to the stealing, uses violence or threats of violence to a person or property; (b) steals from any person and, at the time he steals or immediately before or immediately thereafter, wounds, beats, strikes or uses any personal violence to that person; (c) assaults any person with intent to steal from him; or (d) steals from any person while armed with an offensive weapon or imitation thereof.
Ungeklärt ist, ob dieses Präjudiz nur den Raub betrifft oder nun allgemein nicht notwendig mitbegangene Delikte inkludiert sind.58 Überwiegend jedoch wird der traditionelle Test weiterhin angewendet und Luckett v. R. auf die spezielle Konstellation beschränkt, dass ein Tatbestand ausdrücklich mehrere Tatalternativen vorsieht, wobei ein weiteres Delikt notwendig in mindestens einer der Alternativen mitbegangen wird.59 So wurde diese Rechtsprechung etwa auf den Tatbestand des schweren Angriffs (aggravated assault) nach Cr. C., s. 268(1) über tragen. Dieser Tatbestand setzt nur in drei von vier ausdrücklich enumerierten Tatalternativen einen tatsächlichen Körperverletzungserfolg voraus, jedoch
55 Vgl. R. v. McKenzie (1972), 4 C.C.C. (2d) 296 [15], [19] (S.C.C.); Atrens/Thompson/ Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-12. 56 Vgl. Lafrance v. R. (1973), 13 C.C.C. (2d) 289 [16] (S.C.C.); Simpson v. R. (1981), 58 C.C.C. (2d) 122 [31]–[33] (Ont. C.A.); R. v. Powell (1983), 9 C.C.C. (3d) 442 [1], [5], [7] (B.C. C.A.); R. v. Beyo (2000), 144 C.C.C. (3d) 15 [30] (Ont. C.A.); vgl. Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 22-8; vgl. Greenspan/Rosenberg/Henein, Martin’s Annual Criminal Code, 2013, S. 1272. 57 Luckett v. R. (1980), 50 C.C.C. (2d) 489 [22] (S.C.C.). 58 Vgl. Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-14 ff. 59 Simpson v. R. (1981), 58 C.C.C. (2d) 122 [38], [40] (Ont. C.A.); R. v. Powell (1983), 9 C.C.C. (3d) 442 [5], [7], [11] (B.C. C.A.); R. v. Beyo (2000), 144 C.C.C. (3d) 15 [29]–[30] (Ont. C.A.); so auch Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 22-10; Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-15 ff.
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
inkludiert er dennoch über die Luckett-Rechtsprechung die Körperverletzung (assault causing bodily harm):60 Criminal Code, s. 268(1) Every one commits an aggravated assault who wounds, maims, disfigures or endangers the life of the complainant. [Hervorh. d. Verf.]
Andererseits beinhaltet beispielsweise eine Anklage wegen versuchten Mordes (attempted murder) keinen Angriff (assault), weil das entsprechende Statut keine bestimmten Tatmodalitäten des Mordes ausdrücklich vorsieht, sondern abstraktgenerell formuliert ist:61 Criminal Code, s. 239(1) Every person who attempts by any means to commit murder is guilty of an indictable offence [...]. [Hervorh. d. Verf.]
Durch eine in der Anklageschrift erfolgende Konkretisierung der Art und Weise der Tatbestandsverwirklichung können weitere Delikte inkludiert werden. Dann wird grundsätzlich mit dem „necessary ingredient“-Test geprüft, ob das alternative Delikt mit dem Hauptdelikt in der angeklagten Begehungsweise notwendig mitverwirklicht wird.62 Allerdings wird hier vorgeschlagen, bei der expliziten Nennung von alternativen Tatmodalitäten die notwendige Mitbegehung in einer Tatmodalität analog Luckett v. R. ausreichen zu lassen; jedoch nur in Bezug auf Tatbestände, die diese Alternativen schon abstrakt ausdrücklich vorsehen, um der Anklage nicht die Möglichkeit zu geben, nach Belieben die Inklusion von Delikten herbeizuführen.63 c) Sonderregelungen Für eine Reihe von Delikten, z. B. Tötungsdelikte, sind in Cr. C., s. 662(2)–(6) schließlich spezielle Regeln vorgesehen. Die allgemeinen Regeln und der
60 Vgl. R. v. Lucas (1987), 34 C.C.C. (3d) 28 [39]–[40] (Que. C.A.); Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 1, 6. Aufl. 2013 (Loseblatt), § 6.4705 m. w. N. 61 Vgl. Simpson v. R. (1981), 58 C.C.C. (2d) 122 [35], [42]–[43] (Ont. C.A.); R. v. Colburne (1991), 66 C.C.C. (3d) 235 [38], [46]–[47] (Que. C.A.); zust. Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 22-9; Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-19. 62 Vgl. Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-22. 63 Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-22 f.
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
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„necessary ingredient“-Test finden im Verhältnis zwischen den dort angeführten Delikten keine Anwendung.64 2. Die Funktion als Doppelverurteilungsverbot Wenn die Voraussetzungen sowohl des inkludierten als auch des inkludierenden Delikts bewiesen werden können, implizieren die included offence-Regeln in der Regel ein Doppelverurteilungsverbot (vgl. zum englischen Recht schon 2. Kap. § 2 A. III.). a) In aufeinanderfolgenden Verfahren Wird der Täter nach Verurteilung für das inkludierende Delikt in einem zweiten Verfahren wegen des inkludierten Tatbestands verfolgt, kann er wie im englischen Recht erfolgreich auf autrefois convict plädieren, weil aus dem Delikt des zweiten Verfahrens im ersten gerade wegen der Inklusion im dort angeklagten Delikt hätte verurteilt werden können, vgl. Cr. C., s. 609(1).65 Erfolgt in der umgekehrten Situation zunächst eine Verurteilung aus dem enthaltenen Delikt (lesser included offence), kann im Ergebnis ebenfalls keine Anklage für das inkludierende Delikt (greater including offence) mehr erfolgen. In der Literatur wird teilweise der mehrdeutige Wortlaut des Cr. C., s. 609(2) in diesem Sinne ausgelegt, jedoch zugestanden, dass dessen richtige Interpretation nicht abschließend richterlich geklärt ist.66 Darüber hinaus findet sich in Cr. C., s. 610(1) eine das aus dem englischen Recht bekannte Elrington-Prinzip beinhaltende Kodifikation (2. Kap. § 2 A. III. 1. b (2)). Schließlich dürfte auch die rule against multiple convictions einschlägig sein (zu ihrem Verhältnis zur included offence-Regel siehe sogleich).67 b) In einem einheitlichen Verfahren Im Kontext eines einheitlichen Verfahrens besteht im Ergebnis ebenfalls Einigkeit über ein Doppelverurteilungsverbot zwischen lesser included offence und
Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-45. 65 Vgl. Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-56. 66 So Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-58 f. 67 Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-60. 64
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
greater including offence.68 Dieses umfasst jedenfalls auch Luckett-Konstellationen69 und das Verhältnis zwischen Vollendung und Versuch70. Umstritten ist lediglich das Verhältnis dieses Doppelverurteilungsverbots zu dem nach Kienapple. Ganz überwiegend scheint man die hier diskutierten Konstellationen als von der rule against multiple convictions erfasst anzusehen, sodass die lesser included offence ihretwegen verdrängt wird.71 Nach anderer Ansicht ergibt sich aus der included offence rule hingegen ein älteres und eigenständiges Doppelverurteilungsverbot, sodass die Kienapple-Regel insoweit nicht anwendbar sein soll.72 III. Weitere Anwendungsfälle der Regel Im Folgenden soll die Anwendung der rule against multiple convictions an einigen konkreten Konstellationen exemplifiziert werden, um für den späteren Vergleich einen genaueren Eindruck über ihre Reichweite zu gewinnen. 1. Waffendelikte Wie in R. v. Prince dargelegt, kann die Benutzung einer Schusswaffe im Zuge der Begehung eines weiteren Delikts (using a firearm while committing an indictable offence, Cr. C., s. 85(1)(a)) nicht kumulativ mit dem Zielen mit einer Schusswaffe auf eine Person (pointing a firearm at a person, Cr. C., s. 87) zur Anwendung gebracht werden.73 Entsprechendes galt – bevor Cr. C., s. 244(1) aus dem Anwendungsbereich von s. 85(1)(a) herausgenommen wurde – zwischen dem Benutzungstatbestand und dem absichtlichen Abfeuern einer Schusswaffe auf eine Person (discharging a firearm with intent).74 Mithin ist die Kumulation aus68 Das war auch schon vor Kienapple der Fall gewesen, vgl. R. v. Fieldhouse (1956), 115 C.C.C. 358 [5]–[7] (Man. C.A.); Paris, Advocate Vancouver 45 (1987), 843 f. 69 Vgl. die Nachweise unter 3. Kap. § 1 B. III. 2. 70 Stuart, Canadian Criminal Law: A Treatise, 2011, S. 737. 71 Vgl. R. v. Doliente (1997), 115 C.C.C. (3d) 352 (S.C.C.); R. v. R. (W.), [2016] N.J. No. 321 [107]–[108]; R. v. Kennedy (2016), 334 C.C.C. (3d) 68 [29]–[30] (Man. C.A.); R. v. Dingwal, 2018 BCSC 1041 [10], [15]; Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-62 ff., XII-132 f.; vgl. schon Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 209 f. 72 Harradence J.A., dissenting, in R. v. Doliente (1996), 108 C.C.C. (3d) 137 [49], [52]– [53], [82] (Alta. C.A.); so auch R. v. Kinnear (2005), 198 C.C.C. (3d) 232 [35] (Ont. C.A.). 73 R. v. Langevin (1979), 47 C.C.C. (2d) 138 [25] (Ont. C.A.); Krug v. R., [1985] 2 S.C.R. 255 [31]–[37]; vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 500. 74 R. v. Langevin (1979), 47 C.C.C. (2d) 138 [25] (Ont. C.A.); R. v. Allison (1983), 5 C.C.C. (3d) 30 [30]–[31] (Ont. C.A.); R. v. Benoit (1985), 56 Nfld. & P.E.I.R. 55 [1]–[2],[7] (Nfld. C.A.); Krug v. R., [1985] 2 S.C.R. 255 [36].
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
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geschlossen, wenn das dem Benutzungstatbestand zugrunde liegende Delikt schon notwendig eine Form der Benutzung einer Schusswaffe voraussetzt.75 Ist dies nicht der Fall, besteht jedoch kein Doppelverurteilungsverbot zwischen Cr. C., s. 85(1)(a) und dem anderen Delikt – selbst wenn jenes sogar noch durch das Bewaffnetsein qualifiziert76 ist. Mit anderen Worten wird die Benutzung einer Waffe als zusätzliches schulddeterminierendes Element gegenüber dem bloßen Beisichführen angesehen.77 Zwischen einem das Beisichführen einer Waffe (ggf. nur in einer Alternative) beinhaltenden Delikt und dem selbstständig strafbaren Besitz einer Waffe (possession of a weapon, Cr. C., s. 88) wiederum ist die kumulative Verurteilung allerdings unzulässig.78 2. Vermögens- und Eigentumsdelikte Grundsätzlich ist die kumulative Verurteilung zwischen Diebstahl (theft, Cr. C., s. 322) bzw. Raub (robbery, Cr. C., s. 343) und dem Besitz von Beutegut (possession of property obtained by crime, Cr. C., s. 354) unzulässig.79 Ein hinreichender Abstand zur Diebstahlstat kann eine Doppelverurteilung allerdings wieder erlauben; vor allem, wenn eine Zäsur durch eine zwischenzeitliche Verurteilung eintritt und den faktischen Nexus auflöst.80 Der Einbruch (breaking and entering with intent to commit an indictable offence, Cr. C., s. 348(1)(b)) soll einen so-
75 Vgl. Travers v. R. (1984), 14 C.C.C. (3d) 34 [56]–[57] (N.S. C.A.); R. v. Switzer (1987), 32 C.C.C. (3d) 303 [22] (Alta. C.A.); Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-145. 76 A.A. Laskin C.J.C., Ritchie J., dissenting, in McGuigan v. R. (1982), 66 C.C.C. (2d) 97 [29]–[37] (S.C.C.). 77 Vgl. R. v. Langevin (1979), 47 C.C.C. (2d) 138 [23], [25] (Ont. C.A.); McGuigan v. R. (1982), 66 C.C.C. (2d) 97 [70] (S.C.C.); Krug v. R., [1985] 2 S.C.R. 255 [16]–[25]; R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 497–498; vgl. R. v. Switzer (1987), 32 C.C.C. (3d) 303 [27] (Alta. C.A.); Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-144. 78 R. v. Loyer (1978), 40 C.C.C. (2d) 291 [2]–[3], [7], [13] (S.C.C.); R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 499; Krug v. R., [1985] 2 S.C.R. 255 [17]; R. v. Briscoe (1992), 76 C.C.C. (3d) 563 [18]–[19], [23] (B.C. C.A.); Rowles J.A., dissenting, in R. v. C. (T.L.) (1994), 87 C.C.C. (3d) 314 [40]–[41] (B.C. C.A.); a. A. R. v. C. (T.L.) (1994), 87 C.C.C. (3d) 314 [16] (B.C. C.A.). 79 Vgl. R. v. Van Dorn (1956), 116 C.C.C. 325 [4] (B.C. C.A.); R. v. Siggins (1960), 127 C.C.C. 409 [13]–[15] (Ont. C.A.); R. v. Loyer (1978), 40 C.C.C. (2d) 291 [10] (S.C.C.); Hewson v. R. (1978), 42 C.C.C. (2d) 507 [11]–[12] (S.C.C.); vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 491. 80 Vgl. R. v. Van Dorn (1956), 116 C.C.C. 325 [1]–[4] (B.C. C.A.); R. v. Côté (1974), 18 C.C.C. (2d) 321 [10]–[11], [19] (S.C.C.); R. v. Loyer (1978), 40 C.C.C. (2d) 291 [10] (S.C.C.); vgl. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 491–492; a. A. Laskin J. dissenting, in R. v. Côté (1974), 18 C.C.C. (2d) 321 [36]–[37], [41]–[45], [47] (S.C.C.).
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
dann verübten Diebstahl verdrängen (theft, Cr. C., s. 322).81 Neben einem Raub (robbery) ist die kumulative Verurteilung mit einem zu diesem Zweck realisierten Gewaltdelikt regelmäßig unzulässig, weil ein solches zumeist nach der Luckett-Rechtsprechung (3. Kap. § 1 B. II. 1. b) bereits inkludiert ist.82 Hingegen verdrängt der Betrug (fraud, Cr. C., s. 380) nicht die Urkundenfälschung (forgery, Cr. C., s. 366), wenn der Betrug mit einer gefälschten Urkunde begangen wird.83 3. Körperverletzungsdelikte Kommt es bei einem versuchten Mord (attempted murder, Cr. C., s. 239) auch zu einer schweren Körperverletzung (aggravated assault, Cr. C., s. 268), wird jene verdrängt.84 Dieser aggravated assault verdrängt seinerseits einen körperlichen Angriff mit einer Waffe (assault with a weapon) nach Cr. C., s. 267(a), wenn eine Körperverletzung gerade mit einer Waffe begangen wird.85 In Bezug auf Letzteres lassen sich zwei für den Rechtsvergleich noch relevante Begründungsansätze feststellen: In R. v. Basilio stellte der Court of Appeal von Ontario vor allem darauf ab, dass dasselbe Unrecht im Sinne von Kienapple v. R. vorliege, weil die Körperverletzung im konkreten Fall gerade durch einen Messerstich herbeigeführt wurde: „On the facts of this case, the same delict underlies both charges. The wounding in the charge of aggravated assault was inflicted through the use of the knife to stab Kerr. It is a knife wound. It is this same wrongful use of a knife to stab Kerr that underlies the charge of assault with a weapon. To focus on the distinction between the elements of wounding and use of a knife, without reference to the essential connection between these two elements on the facts of this case, is to lose sight of the overarching consideration that the same wrong underlies both charges. The wrongful use of the knife is addressed through the more serious offence of aggravated assault. Thus, the conviction for the lesser offence of assault with a weapon should be set aside.“86 [Hervorh. d. Verf.]
R. v. Brownlee, [2018] O.J. No. 553 [48], [50] (Ont. C.A.). Vgl. R. v. Thorpe (1976), 32 C.C.C. (2d) 46 [60]–[64] (Man. C.A.); vgl. Harradence J.A., dissenting, in R. v. Doliente (1996), 108 C.C.C. (3d) 137 [42]–[46], [56] (Alta. C.A.); R. v. Doliente (1997), 115 C.C.C. (3d) 352 (S.C.C.); Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-156; a. A. R. v. Crabe (1993), 79 C.C.C. (3d) 323 [18]–[20] (B.C. C.A.). 83 R. v. Dwyer, 2013 ONCA 34 [6]; R. v. Watson, 2017 ONCA 346 [13]. 84 R. v. Alderman, 2017 BCCA 26 [3]. 85 R. v. Basilio (2003), 175 C.C.C. (3d) 440 [14], [16], [20]–[22] (Ont. C.A.); vgl. R. v. French, [1993] O.J. No. 1063 [2] (Ont. C.A.); R. v. Thomas, 2015 NSCA 112 [54], [61]–[62]; a. A. R. v. Strawberry (1995), 27 W.C.B. (2d) 446 [9] (Alta. C.A.). 86 R. v. Basilio (2003), 175 C.C.C. (3d) 440 [22] (Ont. C.A.). 81 82
§ 1 Die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage
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Der Oberste Gerichtshof von Nova Scotia schloss sich dem in R. v. Thomas an87 und führte ergänzend aus, dass der aggravated assault – nur in der Tatalternative der Verwundens (wounding) – jedenfalls typischerweise auf dem Einsatz einer Waffe beruht: „Here, the wrong committed by the appellant was an assault on the victim that wounded him, thereby committing the offence of aggravated assault under s. 268 of the Code. Aggravated assault is one of the most serious non-sexual offences prescribed by Parliament. To wound someone typically involves the use, by the offender, of a weapon. Indeed normal grammatical usage presupposes the use of a weapon.“88 [Hervorh. d. Verf.]
4. Delikte der freien Willensentschließung/-betätigung Die Äußerung einer Drohung, das Leben oder die körperliche Unversehrtheit zu beeinträchtigen (uttering threats to cause death or bodily harm to any person, Cr. C., s. 264.1(1)(a)), kann nicht kumulativ mit dem § 238 StGB ähnlichen Delikt der Belästigung (criminal harassment, Cr. C. s. 264) zur Anwendung gebracht werden.89 Es handelt sich jedoch nicht um abstrakt inkludierte Delikte: Während die Belästigung durch verschiedene, tatbestandlich in Cr. C. s. 264(2) enumerierte Verhaltensweisen erfolgen kann – unter anderem, aber eben nicht nur, durch bedrohliches Verhalten (engaging in threatening conduct) –, ist es umgekehrt denkbar, dass die Äußerung einer Drohung aufgrund zusätzlicher tatbestandlicher Elemente hinter einer Belästigung zurückbleibt.90 5. Keine Anwendung der Regel zwischen einer Verschwörung (conspiracy) und dem Hauptdelikt Die rule against multiple convictions greift nach der Rechtsprechung gerade nicht im Verhältnis zwischen einer selbstständig strafbaren Verschwörung und der Ausführung eines Hauptdelikts, weil es sowohl am faktischen als auch am rechtlichen Nexus fehlt.91 Im Schrifttum wird dagegen eingewandt, dass der conspiracy lediglich eine präventive Hilfsfunktion zukomme und eine Verurteilung daraus nicht zu rechtfertigen sei, wenn es tatsächlich zu Ausführung und Abur-
R. v. Thomas, 2015 NSCA 112 [77]. R. v. Thomas, 2015 NSCA 112 [76]. 89 R. v. Heaney, 2013 BCCA 177 [46]–[47]. 90 Vgl. zu den Voraussetzungen beider Tatbestände im Einzelnen R. v. Heaney, 2013 BCCA 177 [33]–[40], [46]. 91 R. v. Beeman (1978), 40 C.C.C. (2d) 76 [11], [17] (B.C. C.A.); Sheppe v. R. (1980), 51 C.C.C. (2d) 481 [1], [7], [9] (S.C.C.); Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-153 f. 87 88
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
teilung des den Gegenstand der Verschwörung bildenden Delikts kommt.92 Ein Vorschlag der Law Reform Commission of Canada, hier ein Doppelverurteilungsverbot festzuschreiben, wurde vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen.93
C. Doppelverurteilungsverbote bei der mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands Nun wird zur Beantwortung der zweiten Leitfrage der Untersuchung darauf eingegangen, inwieweit es bei der mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands im kanadischen Recht trotz kumulativer Anklagepunkte zu weniger Verurteilungen als nominellen Tatbestandsrealisierungen kommt. Hierbei ist durchweg eine Besonderheit zu beachten: Teilweise wird bei der mehrfachen begrifflichen Realisierung eines Tatbestands überhaupt nur eine einzige materielle Gesetzesverletzung (same offence) angenommen. Darüber hinaus wird auch die rule against multiple convictions angewendet, sodass trotz an sich eigenständiger Gesetzesverletzungen wegen eines same delict nicht alle davon in der Verurteilung anwendbar sind. I. Alternativ formulierte Statuten Dieser technische Unterschied zeigt sich zunächst bei in einer Vorschrift enthaltenen Alternativen und der Frage, ob diese selbstständig sind oder nicht. Die Frage stellt sich dann also, ob die Vorschrift nominell verschiedene Tatbestände enthält, die zu entsprechend eigenständigen Gesetzesverletzungen führen, oder ob es sich um einen einzigen Tatbestand handelt, dessen Voraussetzungen auf verschiedene Weise erfüllt werden können. Dies kann an den Tatvarianten des Vortäuschens einer Straftat (public mis chief) nach Cr. C., s. 140(1) veranschaulicht werden: Wenn demnach in Bezug auf dieselbe Straftat unwahr behauptet wird, sie sei überhaupt verübt worden (reporting that an offence has been committed when it has not been committed), sowie eine andere Person fälschlicherweise der Begehung dieser Tat beschuldigt wird (making a false statement that accuses some other person of having committed an offence), ist im Ergebnis nur aus letzterem Tatbestand zu verurteilen.94 Strittig ist nur der Weg dorthin: Während die Rechtsprechung auf die KienappleRegel in der zweiten Prince-Fallgruppe rekurriert und daher von selbstständigen Alternativen auszugehen scheint, wird in der Literatur von unselbstständigen Stuart, Canadian Criminal Law: A Treatise, 2011, S. 735 ff. Vgl. LRCC (Hrsg.), Double Jeopardy, Pleas and Verdicts, 1991, S. 46, 55, 57 f. 94 R. v. Sechon (1995), 104 C.C.C. (3d) 554 [37] (Que. C.A.). 92 93
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Tatalternativen einer einzigen Gesetzesverletzung ausgegangen und der Rückgriff auf Kienapple v. R. für entbehrlich gehalten.95 II. Die Determination der anwendbaren Gesetzesverletzungen anhand der Tathandlung Wenn nur eine Tathandlung vorliegt, jedoch ein anderes Tatbestandselement mehrfach erfüllt ist, wird mitunter an der nur einmal vorliegenden Tathandlung die Anzahl der anwendbaren Gesetzesverletzungen festgemacht. So kann auf Grundlage von Kienapple v. R. der Tatbestand des Benutzens einer Schuss- oder Scheinschusswaffe im Zuge der Verwirklichung eines weiteren Tatbestands (Cr. C., s. 85) nicht mehrfach angewendet werden, wenn bei einem einzigen Verhalten gleich mehrere Basistatbestände realisiert werden.96 Die dies feststellende Entscheidung R. v. Kinnear ist auch deswegen interessant, weil der wegen dreier Verletzungen dieses Gesetzes angeklagte Täter – nachdem er bei einem Ladendiebstahl ertappt wurde – die Scheinwaffe zunächst einmal in Richtung zweier Personen richtete und ganz kurz darauf im Zuge seiner Flucht noch einmal auf eine dritte Person. Dennoch wurden alle Einzelakte als eine einzige Benutzung gewertet.97 Auch die Tatsache mehrerer Opfer (s. sogleich) wurde für diesen Tatbestand als unerheblich erachtet, sodass ein hinreichender rechtlicher Nexus im Sinne von Kienapple v. R. die Kumulation verbot.98 III. Die Determination der anwendbaren Gesetzesverletzungen nach einem anderen Faktor als der Tathandlung Trotz eines ggf. faktisch einheitlichen Vorgangs wird zur Determination der Anzahl der anwendbaren Gesetzesverletzungen mitunter jedoch an andere tatbestandliche Einheiten angeknüpft. So führt der gleichzeitige Besitz mehrerer gleicher Waffen zu entsprechend vielen Gesetzesverletzungen und kann nicht anhand der Waffenarten festgemacht werden.99 Insbesondere bei mehreren Opfern jedoch werden regelmäßig mehrere Gesetzesverletzungen angenommen, deren
95 Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-134 („more than one mode of commission of the same offence“). 96 Vgl. R. v. Kinnear (2005), 198 C.C.C. (3d) 232 [44]–[56] (Ont. C.A.). 97 R. v. Kinnear (2005), 198 C.C.C. (3d) 232 [45], [55] (Ont. C.A.) („The uses [...] all arose at the same time and place. There were no intervening events capable of severing the factual nexus.“). 98 R. v. Kinnear (2005), 198 C.C.C. (3d) 232 [49] (Ont. C.A.). 99 R. v. McInnis, 2017 NSCA 79 [19]–[24].
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
Anwendbarkeit auch nicht durch Kienapple v. R. verhindert wird. Dies ist vor allem bei Gewaltdelikten der Fall,100 zu denen es schon in R. v. Prince hieß: „[At] least in so far as crimes of personal violence are concerned, the rule against multiple convictions is inapplicable when the convictions relate to different victims.“101
Bei mehreren Tötungen/Körperverletzungen infolge des Wurfs einer Bombe oder infolge fahrlässigen Fahrens sei der Täter daher mehrfach zur Verantwortung zu ziehen.102 Diese Rechtsprechung wurde auch auf Bedrohungsszenarien übertragen. Wegen des Gesetzeswortlauts „to a person/contre une personne“ in Cr. C., s. 343(a) ist daher die kumulative Verurteilung wegen dreier Raube zulässig, wenn bei einem einzigen Raubvorgang drei Bankangestellte bedroht werden, obgleich nur das Geld einer Eigentümerin (hier der Bank) erlangt wird.103 Im bereits genannten Fall R. v. Kinnear richtete der Täter eine Scheinwaffe in Richtung zweier Personen und äußerte unmittelbar aufeinanderfolgend, diese zu erschießen. Hierfür wurden zwei Bedrohungen mit dem Tode nach Cr. C., s. 264(1)(a) angenommen, gerade weil die Vorschrift das Individuum schützt.104 In einem anderen Fall wurde gegenüber einer einzigen Person eine eine ganze Personengruppe betreffende Drohung nach Cr. C., s. 264(1)(a) geäußert. Hier lässt die Kienapple-Regel jedoch keine mehrfache Verurteilung aus dem Bedrohungstatbestand in Bezug auf die Personengruppe einerseits und die spezielle Person des Empfängers andererseits zu, wenn jener auch Teil der Gruppe ist.105 Allerdings führen nicht bei allen Tatbeständen mehrere Opfer zu mehreren anwendbaren Gesetzesverletzungen. So spielten im Fall R. v. Kinnear die drei Opfer zwar bezüglich Cr. C., s. 264(1)(a) eine Rolle; jedoch wurde in Bezug auf den Waffentatbestand des Cr. C., s. 85(2) der hinreichend enge rechtliche Nexus im Sinne von Kienapple v. R. u. a. mit der Begründung bejaht, dass sich aus dem Wortlaut des Tatbestands kein Schutz verschiedener Opfer ergebe.106 Auch scheint bei nur einer Tathandlung auf Grundlage von Kienapple v. R. nur ein einziger Betrug nach Cr. C., s. 380(1) anwendbar zu sein, wenn sowohl ein Unternehmen als auch dessen Eigner geschädigt werden.107 Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 56. R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 506. 102 R. v. Prince, [1986] 2 S.C.R. 480, 506–507. 103 R. v. Pelletier (1992), 1 C.C.C. (3d) 438 [19]–[21] (Que. C.A.). 104 R. v. Kinnear (2005), 198 C.C.C. (3d) 232 [14], [42]–[43] (Ont. C.A.). 105 R. v. Upson (2001), 194 N.S.R. (2d) 87 [44]–[46]. 106 R. v. Kinnear (2005), 198 C.C.C. (3d) 232 [49] (Ont. C.A.). 107 R. v. Steele, [1992] O.J. No. 27 (Ont. C.A.) (zitiert nach Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-162). 100 101
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IV. Eine Gesetzesverletzung bei auf eine Dauertätigkeit angelegten Tatbeständen (continuing offences) Bei auf eine Dauertätigkeit angelegten Delikten wird teilweise von überhaupt nur einer einheitlichen Gesetzesverletzung ausgegangen. So stellt etwa der ununterbrochene Besitz von Diebesgut als continuing offence schon eine einzige materielle Gesetzesverletzung dar und kann nicht rechtlich in temporale Untereinheiten aufgeteilt werden, wenn nicht das Statut selbst diese Aufspaltung vorsieht.108 Auch eine Verschwörung (conspiracy, Cr. C., s. 465) oder eine Freiheitsberaubung (wrongful detention109) stellt eine continuing offence dar, nicht aber eine vorangegangene Entführung (kidnapping, Cr. C., s. 279(1)).110 Diesen Begriff der continuing offence definierte McIntyre J. für den S.C.C. in dem Sinne, dass der Täter hier auch nach Vollendung des Tatbestands in einem Zustand der Kriminalität verbleibe: „A continuing offence is not simply an offence which takes or may take a long time to commit. It may be described as an offence where the conjunction of the actus reus and the mens rea, which makes the offence complete, does not, as well, terminate the offence. The conjunction of the two essential elements for the commission of the offence continues and the accused remains in what might be described as a state of criminality while the offence continues.“111
In dieser Entscheidung lehnte er es ab, den Import von Drogen darunter einzuordnen, weil dieses Delikt mit der Überquerung der Landesgrenze vollständig abgeschlossen sei.112 Auch das über mehrere Tage unterlassene Einreichen einer Einkommensteuererklärung (failure to file an income tax return) stellt aus besonderen Gründen keine continuing offence dar: Durch die ausdrückliche Festlegung des einzelnen Tages als tatbestandlicher Anknüpfungspunkt (each day of default) hat der Gesetzgeber den Sachverhalt nämlich nicht nur in separate Gesetzesverletzungen (separate offences) aufgespalten, sondern für jeden Tag auch a separate matter or delict geschaffen, sodass auch Kienapple nicht anwendbar ist.113
108 Vgl. R. v. Siggins (1960), 127 C.C.C. 409 [24] (Ont. C.A.); vgl. Bell v. R., [1983] 2 S.C.R. 471, 488. 109 Heute als forcible confinement in Cr. C., s. 279(2). 110 Vgl. Bell v. R., [1983] 2 S.C.R. 471, 488. 111 Bell v. R., [1983] 2 S.C.R. 471, 488; vgl. auch jüngst R. v. Bowers, 2016 NSSC 191 [48]. 112 Bell v. R., [1983] 2 S.C.R. 471, 488–489. 113 R. v. Subacious (1978), 43 C.C.C. (2d) 42 [3]–[7] (Ont. C.A.); Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XII-139; vgl. schon R. v. Siggins (1960), 127 C.C.C. 409 [24] (Ont. C.A.).
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D. Die kumulative Anklage und die Auswirkungen von Doppelverurteilungsverboten Nun wird auf die Regelungen zur kumulativen Anklage von Gesetzesverletzungen eingegangen. Wie schon für das englische Recht ergeben sich daraus weitere, für die Beantwortung der zweiten Leitfrage bedeutsame Erkenntnisse. Darüber hinaus wird gezeigt, dass sich die oben genannten Doppelverurteilungsverbote kaum auf die Möglichkeit zur kumulativen Anklage auswirken. Grundsätzlich muss wiederum unterschieden werden, ob die Kumulation innerhalb eines Anklagepunkts (I.) oder durch mehrere Anklagepunkte (II.) erfolgen soll. I. Die Kumulation in einem Anklagepunkt Nach Cr. C., s. 581(1) muss sich ein Anklagepunkt auf einen tatsächlichen Vorgang (single transaction) beziehen und die Aussage enthalten, dass der Täter dadurch ein Strafgesetz (an offence) verletzt hat. Die single transaction rule soll hierbei den Anklagepunkt auf eine tatsächliche Größe, die rule against duplicity (1.) ihn auf eine rechtliche Frage beschränken.114 Häufig werden die Begriffe jedoch nicht genau getrennt,115 was daran liegen mag, dass sich hinter dem Begriff der single transaction gewissermaßen Ausnahmen von der duplicity verbergen (2.). 1. Das grundsätzliche Verbot der Kumulation von Delikten in einem Anklagepunkt (duplicity) Der Begriff der duplicity wird in Kanada teilweise als das Vorbringen verschiedener Gesetzesverletzungen (offences) in einem Anklagepunkt definiert.116 Andere definieren ihn enger, indem der Anklagepunkt zusätzlich so unklar (ambiguous) sein muss, dass der Angeklagte nicht weiß, wogegen er sich zu verteidigen habe.117 Diese Variante ist darauf zurückzuführen, dass ein mehrere Gesetzesverletzungen anklagender Anklagepunkt nach Cr. C., s. 590(1)(b) per se nicht angreifbar ist, sondern nur dann aufgespalten wird, wenn er die VerteidiVgl. Coughlan, Criminal Procedure, 2. Aufl. 2012, S. 345; Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, § 11.11. 115 Vgl. Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. X-68; Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, § 11.11 (Fn. 40). 116 Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. X-68. 117 Coughlan, Criminal Procedure, 2012, S. 345. 114
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gung des Angeklagten beeinträchtigt, vgl. Cr. C., s. 590(2)(b) und (3).118 In der Praxis kommen duplicity-Fälle daher selten vor.119 Am Relevantesten sind derartige Fragen noch im Zusammenhang mit derselben Vorschrift und dem schon angesprochenen Problem, ob darin enthaltene, alternative Formulierungen mehrere Tatmodalitäten der Begehung einer Strafgesetzverletzung oder mehrere selbstständige Tatbestände darstellen (vgl. schon 3. Kap. § 1 C. I.).120 Bei zueinander im Verhältnis von inkludierendem und inkludiertem Delikt stehenden Tatbeständen ist wegen der lesser-included-Regeln der inkludierte Tatbestand stets implizit mit angeklagt, sodass insoweit kein duplicity-Verbot besteht.121 Entsprechendes gilt auch, wenn in einem das inkludierende Delikt anklagenden Anklagepunkt ausdrücklich auf einen inkludierten Tatbestand Bezug genommen wird.122 Bei nominell verschiedenen Tatbeständen, die „nur“ wegen Kienapple v. R. nicht der kumulativen Verurteilung zugänglich sind, werden hingegen verschiedene Gesetzesverletzungen angenommen, sodass die Anklage beider in einem Anklagepunkt wegen duplicity ggf. zur Trennung des Anklagepunkts führen würde.123 2. Die single transaction rule als Ausnahme von der duplicity-Regel Hinter der single transaction rule verbirgt sich insofern eine Ausnahme von der duplicity-Regel, als dass bei Vorliegen eines einzigen Vorfalls die mehrmalige Verletzung desselben Strafgesetzes in einem Anklagepunkt kumuliert werden kann.124 Beispielsweise wurden schon drei „fahrlässige“ (negligent) Tötungen im Zuge eines Unfalls125 oder mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Vergewaltigungen desselben Opfers126 zulässig in nur einem Anklagepunkt angeklagt und auf dieser Grundlage verurteilt, obwohl es sich materiell um eigenständige Coughlan, Criminal Procedure, 2012, S. 346. So gibt es nach Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. X-69 keine jüngeren Fälle, in denen der Einwand erfolgreich war. 120 Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. X-69 f. 121 Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 17-13. 122 R. v. Hayes (1982), 65 C.C.C. (2d) 294 [43]–[44] (Alta. C.A.). 123 Vgl. Atrens/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. X-69 (Fn. 298). 124 Dies wird als Bruch mit dem traditionellen Gehalt der duplicity-Regel kritisiert, vgl. Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 1, 2013 (Loseblatt), § 6.1178. 125 R. v. Porter (1976), 33 C.C.C. (2d) 215 [13]–[18] (Ont. C.A.). 126 Vgl. R. v. Zamal, [1964] 1 C.C.C. 12 [3] (Ont. C.A.). Dieser Fall hatte allerdings die in einem Punkt angeklagte Vergewaltigung desselben Opfers durch fünf verschiedene Personen zum Gegenstand. 118 119
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Gesetzesverletzungen handelt, die auch Gegenstand separater Anklagepunkte hätten sein können. Eine Rolle in der Überlegung spielt hier, dass der Angeklagte durch nur einen Anklagepunkt ohnehin privilegiert sein soll.127 Der Begriff der same transaction wird tendenziell weit ausgelegt;128 jedoch wird bei zeitlich gestreckten kriminellen Handlungen das Fehlen von Kriterien („no guiding principles“) beklagt.129 Aus dem case law wird immerhin abgeleitet, dass die Art und Weise der Ausführung, die zeitlichen Abstände sowie der Umfang der gesamten Zeitspanne eine wichtige Rolle spielen.130 So findet das schon aus dem englischen Recht bekannte Konzept der continuous offence auch in Kanada Anwendung. Damit können zeitlich gestreckte, mehrmalige Tatbestandserfüllungen prozessual wie eine Gesetzesverletzung behandelt werden, obgleich sie auch separat angeklagt werden könnten.131 Bei auf sechs Monate verteilten Diebstahlshandlungen gegenüber demselben Eigentümer und aus demselben Warenbestand wird etwa eine continuous offence angenommen.132 Gleiches gilt für ebenfalls auf sechs Monate verteilte Betrugshandlungen zum Schaden derselben Körperschaft bei immer wieder gleichen Täuschungshandlungen.133 Verneint wurde eine single transaction jedoch bei ganz unterschiedlichen Täuschungen an unterschiedlichen Orten gegenüber verschiedenen Personen.134 Die kanadische Rechtsprechung geht in Auslegung des same transaction-Begriffs allerdings über Vermögensdelikte hinaus. So fasst sie noch den mehrmaligen sexuellen Verkehr mit derselben Minderjährigen über einen Zeitraum von sechs Monaten als einen einheitlichen Vorgang auf, wenn die Tatbestandsverwirklichungen am selben Ort, in einem ähnlichen Muster und in Ausführung einer ursprünglich gefassten und durchgehend bestehenden Absicht erfolgen.135 Nach einer jüngeren Entscheidung kann sogar der auf sechs Jahre verteilte sexuelle Missbrauch desselben Opfers eine same transaction darstellen.136
R. v. Porter (1976), 33 C.C.C. (2d) 215 [16] (Ont. C.A.). Vgl. R. v. Hulan, [1970] 1 C.C.C. 36 [20] (Ont. C.A.) („‚Transaction‘ [...] is not synonymous with ‚incident‘ or ‚occurrence‘“); Coughlan, Criminal Procedure, 2012, S. 331. 129 Vgl. Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 1, 2013 (Loseblatt), § 6.1150. 130 Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 1, 2013 (Loseblatt), § 6.1150. 131 Vgl. Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 1, 2013 (Loseblatt), §§ 6.1140–75. 132 R. v. Flynn (1955), 111 C.C.C. 129 [10]–[11], [16] (Ont. C.A.). 133 Barnes v. R. (1975), 26 C.C.C. (2d) 112 [43] (N.S. C.A.). 134 R. v. Rafael (1972), 7 C.C.C. (2d) 325 [19]–[20] (Ont. C.A.). 135 R. v. Hulan, [1970] 1 C.C.C. 36 [14], [25]–[28] (Ont. C.A.). 136 R. v. Chamot (2012), 296 C.C.C. (3d) 91 [1], [49] (Ont. C.A.). 127 128
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II. Die Kumulation durch verschiedene Anklagepunkte (joinder of counts) Die allgemeinen Regelungen des kanadischen Rechts zur Kumulation von Anklagepunkten sind relativ großzügig. Zwar darf einem Anklagepunkt wegen Mordes (murder) nach Cr. C., s. 589 grundsätzlich kein weiterer Anklagepunkt hinzugefügt werden, es sei denn, es handelt sich um einen weiteren Mord, der Angeklagte willigt ein oder das andere Delikt ist auf denselben Vorgang zurückzuführen (same transaction). Davon abgesehen können jedoch mehrere Anklagepunkte in einem indictment nach Cr. C., s. 591(1) frei kombiniert werden.137 Für den hiesigen Zusammenhang ist besonders relevant, dass die kumulative Anklage in mehreren Punkten auch bei Doppelverurteilungsverboten als überwiegend zulässig erscheint: In Bezug auf Kienapple-Fälle, in denen die included-offence-Regeln nicht greifen, wird die Anklage in separaten Anklagepunkten als zulässig erachtet.138 Dort wo die included-offence-Regeln anwendbar sind, ist die Zulässigkeit separater Anklagepunkte umstritten, wird überwiegend jedoch mit dem Argument bejaht,139 dass dies Unsicherheiten darüber vermeide, ob Delikte inkludiert sind oder nicht.140 Lediglich bei der nur eine Gesetzesverletzung ergebenden continuing offence scheint die separate Anklage, wie in England (2. Kap. § 1 B. II. 3 b), kritisch gesehen zu werden.141 Bezeichnenderweise wird der in den USA auf die Konstellation der Anklage desselben Delikts in mehreren Anklagepunkten angewendete Begriff der multiplicity (4. Kap. § 1 D. II. 2.) in Kanada gerade im duplicity-Zusammenhang verwendet – entweder als Synonym oder zur Beschreibung einer Anklage von mehr als zwei Gesetzesverletzungen in einem Anklagepunkt.142
Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 17-17; Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, § 11.6. 138 Vgl. Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 744, 751; Ewaschuk, Criminal Pleadings And Practice in Canada, 1983, § 14.100; Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-26 (Fn. 102). 139 Vgl. R. v. Siggins (1960), 127 C.C.C. 409 [14]–[15] (Ont. C.A.). 140 Atrens/Thompson/Thompson, in: Atrens et al. (Hrsg.), Criminal Procedure: Canadian Law and Practice, Band 2, 1982 (Loseblatt), S. XI-62 f. m. w. N. 141 Vgl. R. v. Siggins (1960), 127 C.C.C. 409 [24] (Ont. C.A.). 142 Vgl. R. v. Flynn (1955), 111 C.C.C. 129 [10] (Ont. C.A.); Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 1, 2013 (Loseblatt), § 6.1170; vgl. auch Cr. C., s. 590(1)(b) („multifarious“). 137
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§ 2 Die kumulative Bestrafung In diesem Abschnitt wird die Bestrafung von Deliktsmehrheiten durch das kanadische Recht betrachtet. Nach einer kurzen Einführung in die rechtlichen Rahmenbedingungen (A.) wird der Schwerpunkt auf kumulativ zu verhängenden Freiheitsstrafen liegen (B.). Daran schließen sich kurze Ausführungen zu dem auch in Kanada angewendeten Consideration-Verfahren (C.) an.
A. Der Regelungsrahmen Das kanadische Strafzumessungsrecht ist im Wesentlichen in Teil XXIII des Criminal Code kodifiziert. Trotz intensiver Bemühungen während der 1980er Jahre143 gibt es darüber hinaus bislang keine geschriebenen Strafzumessungsrichtlinien (sentencing guidelines).144 Daher spielt in nur wenig detailliert geregelten Bereichen, wozu u. a. die Bestrafung für mehrere Delikte gehört, das Richterrecht eine gewichtige Rolle.145
B. Die Verhängung mehrerer Freiheitsstrafen (imprisonment) Wird ein Täter wegen mehrerer Delikte verurteilt, folgt das kanadische Recht in der grundsätzlichen Struktur dem englischen Vorbild, indem für jeden Anklagepunkt eine Einzelstrafe gebildet und eine Vollstreckungsart bestimmt bzw. die Endstrafe am Maßstab der Totality gemessen wird.146 Uneinigkeit besteht indes in Bezug auf die Reihenfolge: Nach einem v. a. vom Court of Appeal Neufundlands prominent vertretenen Ansatz sind zunächst für jedes Delikt Einzelstrafen zu bilden und danach die Vollstreckungsweise festzulegen bzw. die Gesamthöhe am Maßstab der Totality zu messen. Diese Vorgehensweise wird mitunter als Goodridge approach bezeichnet.147 Diese oder ähn143 Vgl. insb. die Bemühungen der früheren Canadian Sentencing Commission, C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 269 ff., sowie des parlamentarischen Rechtsausschusses, H. C. (Hrsg.), Taking Responsibility. Report of the Standing Committee on Justice and Solicitor General on its Review of Sentencing, Conditional Release and Related Aspects of Corrections, 1988, S. 59 ff. (sog. „Daubney Report“). Ein Vergleich der Entwicklungen in England/Wales und Kanada findet sich bei Roberts, Crim. L. Forum 23 (2012), 319 ff.; vgl. auch Doob, CJCCJ 53 (2011), 279 ff. 144 Krit. (unter Einbeziehung rechtsvergleichender Entwicklungen) Wakeling J.A., dissenting, in R. v. SLW, 2018 ABCA 235 [88]–[144]. 145 Vgl. Manson, The Law of Sentencing, 2001, S. 98. 146 Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 69. 147 Vgl. R. v. S. (A.T.) (2004), 182 C.C.C. (3d) 47 [7]–[11] (N.L.C.A.) mit Verweis auf R. v. W. (E.J.) (1991), 88 Nfld. & P.E.I.R. 255 [36]–[37] (Nfld. C.A.); R. v. Crocker (1991), 93 Nfld.
§ 2 Die kumulative Bestrafung
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liche Verfahrensweisen finden sich auch bei den Courts of Appeal von British Columbia148, Manitoba149 sowie einiger weiterer Provinzen150. Auch der S.C.C. scheint diese Verfahrensweise als richtig anzusehen.151 Ein weniger verbreitetes, von den Courts of Appeal Nova Scotias (Hatch approach152) und Ontarios (Jewell approach153) befürwortetes Modell besteht darin, zuerst eine passende Endstrafe zu bestimmen und diese sodann in parallele oder konsekutive Einzelstrafen umzumünzen. Für die Vorzugswürdigkeit der Bildung von Einzelstrafen vor der Festlegung einer gesamten Strafe wird jedoch angeführt, dass die Einzelstrafen im Falle eines Rechtsmittels sowie als Orientierung für andere Gerichte Bedeutung erlangen können.154 In diesem Zusammenhang ist schließlich ein Vorschlag der früheren C.S.C. erwähnenswert, wonach zwar Einzelstrafen zu bilden gewesen wären, sodann jedoch direkt über die Anwendung des Totality-Prinzips eine Einheitsstrafe (total sentence) auszuwerfen gewesen wäre.155 Dieser sowie weitere Vorschläge der C.S.C. sind allerdings nicht in geltendes Recht umgesetzt worden.156 & P.E.I.R. 222 [32]–[41] (Nfld. C.A.); R. v. English (1994), 122 Nfld. & P.E.I.R. 15 [31] (Nfld. C.A.); R. v. Spellacy (1995), 131 Nfld. & P.E.I.R. 127 [67] (Nfld. C.A.); R. v. W. (E.) (2002), 168 C.C.C. (3d) 38 [79] (Nfld. C.A.); vgl. auch R. v. McCarthy (2005), 198 C.C.C. (3d) 383 [12] (N.L.C.A.). 148 R. v. A. (R.A.), [1993] B.C.J. No. 2865 [9] (B.C. C.A.); R. v. Li, 2009 BCCA 85 [28]. 149 Nach dem Man. C.A. ist zuerst die Vollstreckungsweise zu bestimmen, dann sind die Einzelstrafen festzulegen und schließlich ist das Ergebnis am Maßstab der Totality zu messen, vgl. R. v. Reader, 2008 MBCA 42 [25]–[29]; R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [33]– [41], [46]–[77] (Man. C.A.); R. v. Grant (2009), 240 C.C.C. (3d) 462 [98]–[104] (Man. C.A.); R. v. Golden (2009), 248 C.C.C. (3d) 344 [85]–[86] (Man. C.A.); R. v. Draper (2010), 253 C.C.C. (3d) 351 [29]–[30] (Man. C.A.); R. v. J. (R.), 2017 MBCA 13 [13]. 150 Vgl. die Nachweise bei R. v. Draper (2010), 253 C.C.C. (3d) 351 [34] (Man. C.A.). Jüngst dezidiert gegen den Jewell approach: R. v. McLean, 2016 SKCA 93 [55]–[57]. 151 Vgl. R. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [42] (S.C.C.). 152 Vgl. R. v. S. (A.T.) (2004), 182 C.C.C. (3d) 47 [13]–[18] (N.L.C.A.) mit Verweis auf R. v. Hatch (1979), 31 N.S.R. (2d) 110 [6], [8] und R. v. H (G.O.) (1996), 148 N.S.R. (2d) 341 [6]; vgl. auch R. v. Lombardo (2008), 237 C.C.C. (3d) 353 [25] (N.S. C.A.). 153 Vgl. R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [36]–[37] (Man. C.A.) mit Verweis auf R. v. Jewell (1995), 100 C.C.C. (3d) 270 [27] (Ont. C.A.); vgl. auch R. v. Treymoyne, [2000] A.J. No. 1551 [9] (Alta. C.A.). 154 Vgl. R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [39] (Nfld. C.A.); R. v. S. (A.T.) (2004), 182 C.C.C. (3d) 47 [27] (N.L.C.A.); vgl. auch R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [39] (Man. C.A.); R. v. Draper (2010), 253 C.C.C. (3d) 351 [32] (Man. C.A.); Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 2, 6. Aufl. 2013 (Loseblatt), § 8.466; vgl. auch Manson, The Law of Sentencing, 2001, S. 102. 155 Diese Einheitsstrafe hätte sich unterhalb sowohl der addierten Höchststrafen für die Delikte als auch der um ein Drittel erhöhten schwersten Höchststrafe bewegen müssen, vgl. C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 223 ff. 156 Vgl. dazu Roberts, Crim. L. Forum 23 (2012), 319, 327 ff.
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
I. Die Bildung von Einzelstrafen Nach Cr. C., s. 725(1)(a) setzt das Gericht für jedes Delikt eine Einzelstrafe fest.157 Hier kommt dem Gericht innerhalb etwaiger Strafrahmenbegrenzungen ein Ermessensspielraum zu, wobei es die in Cr. C., s. 718.2 vorgesehenen Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe, die in Cr. C., s. 718 enumerierten Strafzwecke sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Cr. C., s. 718.1) als Dreh- und Angelpunkt des Strafzumessungsrechts berücksichtigen muss (Cr. C., s. 718.3(2)).158 II. Die Festlegung der Vollstreckungsweise In Cr. C., s. 718.3(4)(b) ist ausdrücklich festgelegt, dass das Gericht bei der Bestrafung für mehrere Delikte die Einzelstrafen zur konsekutiven Vollstreckung anordnen kann. Die Art und Weise der Vollstreckung steht also regelmäßig im Ermessen des Gerichts,159 wobei die Strafen ohne eine entsprechende Anordnung gleichzeitig vollstreckt werden, vgl. Cr. C., s. 719(1).160 Die Teilung einer Einzelstrafe in eine teilweise parallele, teilweise konsekutive Vollstreckung im Verhältnis zu einer anderen Strafe ist nicht zulässig.161 Criminal Code, s. 718.3(4) The court that sentences an accused shall consider directing (a) that the term of imprisonment that it imposes be served consecutively to a sentence of imprisonment to which the accused is subject at the time of sentencing; and (b) that the terms of imprisonment that it imposes at the same time for more than one offence be served consecutively, including when (i) the offences do not arise out of the same event or series of events, (ii) one of the offences was committed while the accused was on judicial interim release, including pending the determination of an appeal, or (iii) one of the offences was committed while the accused was fleeing from a peace officer. Vgl. R. v. Thorpe (1976), 32 C.C.C. (2d) 46 [13] (Man. C.A.). Vgl. R. v. Maroti (2010), 256 C.C.C. (3d) 332 [7] (Man. C.A.); Roach, Criminal Law, 2012, S. 469 ff. 159 R. v. M. (T.E.) (1997), 114 C.C.C. (3d) 436 [46] (S.C.C.); R. v. L. (R.), [2004] O.J. No. 2533 (Ont. C.A.); R. v. McCarthy (2005), 198 C.C.C. (3d) 383 [11] (N.L.C.A.); vgl. Quigley, Procedure in Canadian Criminal Law, 2005 (Loseblatt), S. 23-38; Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, § 17.49; Roach, Criminal Law, 2012, S. 471. 160 R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [27], [30] (Nfld. C.A.); vgl. R. v. McCarthy (2005), 198 C.C.C. (3d) 383 [11], [15] (N.L.C.A.); Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, § 17.48; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 8. Aufl. 2012, § 14.2; vgl. Watt/Fuerst, Tremeear’s Criminal Code, 2012, S. 1568. Hat das Gericht eine entsprechende Anordnung trotz einer eigentlich intendierten konsekutiven Vollstreckung vergessen, kann diese ggf. noch nachgeholt werden, vgl. R. v. Malicia (2006), 211 C.C.C. (3d) 449 [57] (Ont. C.A.). 161 R. v. Sadykov, 2018 ONCA 296 [11]–[15] m. w. N.; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.7. 157 158
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1. Die gerichtliche Ermessensausübung Wenngleich in der Rechtsprechung beklagt wird, dass sich kaum feste Grundsätze in Bezug auf die Anordnung gleichzeitiger oder konsekutiver Strafen finden lassen,162 können – wie im englischen Recht – gewisse Grundtendenzen herausgearbeitet werden. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die verschiedenen kanadischen Provinzen jeweils eigene Appellationsgerichte haben, die mitunter selbstständige Rechtsprechungslinien verfolgen.163 a) Die grundsätzlich konsekutive Strafvollstreckung Die Rechtsprechung geht zunächst sogar von dem Grundsatz aus, dass mehrere Delikte konsekutive Strafen verdienen und nur ein triftiger Grund (valid reason) die parallele Vollstreckung rechtfertigen kann.164 Anerkannt sind zwei Situationen, in denen die gleichzeitige Vollstreckung von Strafen in Betracht kommt, aber nicht unbedingt angeordnet werden muss.165 Zum einen, wenn die Delikte auf einem einheitlichen kriminellen Unternehmen (single criminal adventure) beruhen (b); zum anderen, um eine gerechte Gesamthöhe der tatsächlich zu verbüßenden Strafe herzustellen (to achieve a proper totality) (c).166 b) Die gleichzeitige Vollstreckung bei einem einheitlichen kriminellen Unternehmen (single criminal adventure) Der Grund für gleichzeitige Strafen in solchen Fällen wird darin gesehen, dass die moralische Vorwerfbarkeit bei verschiedenen Taten größer sei als bei einer einzigen.167 Dem hat im Jahr 2015 auch der kanadische Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er das Konzept als same event umschrieben zum ersten Mal in das Strafgesetzbuch aufgenommen hat, vgl. Cr. C., s. 718.3(4)(b)(i).168 In der Rechtsprechung finden sich weitere Bezeichnungen, z. B. same transaction,169 Vgl. R. v. Maroti (2010), 256 C.C.C. (3d) 332 [16] (Man. C.A.); vgl. auch C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. xxxii. 163 Roberts, Crim. L. Forum 23 (2012), 319, 321. 164 R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [32], [39], [41] (Nfld. C.A.); R. v. S. (A.T.) (2004), 182 C.C.C. (3d) 47 [9] (N.L.C.A.); R. v. McCarthy (2005), 198 C.C.C. (3d) 383 [11] (N.L.C.A.); R. v. W. (B.) (2006), 211 C.C.C. (3d) 85 [27] (N.L. C.A.); Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.2. 165 R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [41] (Nfld. C.A.) („Concurrent sentences may, but are not required to be, imposed [...].“). 166 R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [33] (Nfld. C.A.); R. v. S. (A.T.) (2004), 182 C.C.C. (3d) 47 [9] (N.L.C.A.). 167 Renaud, The Sentencing Code of Canada, 2009, § 19.73. 168 Tougher Penalties for Child Predators Act, s. 17 (S.C. 2015, c. 23). 169 R. v. Hatch (1979), 31 N.S.R. (2d) 110 [7]; R. v. Desmarest (1986), 2 Q.A.C. 151 [13] 162
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was – zusammen mit teilweise eigenständigen Rechtsprechungslinien der jeweiligen Courts of Appeal – die Beantwortung der Frage nach dem sachlichen Umfang des Konzepts erschwert.170 Daher ist die Rechtsprechung in der Gesamtschau nicht frei von Widersprüchen, was teilweise von den Gerichten selbst beklagt wird.171 Eine Auswertung der Rechtsprechung ergibt jedoch, dass die Kriterien der zeitlich-räumlichen Nähe der Deliktsrealisierungen, der MittelZweck-Relation, der rechtlichen Verwandtschaft der Tatbestände (vor allem in den geschützten Interessen) sowie der Identität der Opfer tendenziell entscheidend sind. (1) Der zeitlich-räumliche Zusammenhang Eine erste Weggabelung ergibt sich aus dem Kriterium der zeitlich-räumlichen Nähe zwischen den Gesetzesverletzungen. Die Verhängung paralleler Strafen erfordert danach einen hinreichend engen zeitlich-örtlichen Zusammenhang zwischen den Delikten (reasonably close nexus between the offences in time and place).172 Der zeitliche Zusammenhang, auf den zuweilen alleine abgestellt wird (womöglich, weil er zumeist den örtlichen impliziert), meint vor allem zeitgleiche Deliktsrealisierungen.173 Jedoch wird nicht stets die vollkommene Simultanität verlangt, sondern eine hinreichende Nähe als ausreichend erachtet. Daher wurde es noch als „same time and place“ angesehen, dass am selben Tag unmittelbar nacheinander in zwei verschiedenen Gebäuden Diebstähle (theft) begangen wurden.174 In einer neueren Entscheidung wurde sogar ein versuchter Mord (attempted murder) in den frühen Morgenstunden eines Tages als hinreichend im Zusammenhang mit diversen, im Zuge einer am Nachmittag desselben Tages erfolgten Fluchtfahrt verübten Delikten angesehen.175 Zeitlich weiter auseinanderfallende Gesetzesverletzungen (separate occasions) hingegen erfordern an sich grundsätzlich konsekutive Strafen;176 selbst (C.A.); vgl. R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [34] (Nfld. C.A.); vgl. R. v. Maroti (2010), 256 C.C.C. (3d) 332 [22] (Man. C.A.); vgl. auch C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 220; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.11. 170 Vgl. schon C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 221 f. 171 Vgl. R. v. P. (ET) (2002), 162 C.C.C. (3d) 481 [24], [61] (Man. C.A.); R. v. Arbuthnot (2009), 248 C.C.C. (3d) 219 [20] (Man. C.A.); Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, § 17.48; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, §§ 14.11, 14.15. 172 R. v. Hatch (1979), 31 N.S.R. (2d) 110 [7]; vgl. auch R. v. Reader, 2008 MBCA 42 [29]. 173 R. v. Desmarest (1986), 2 Q.A.C. 151 [13] (C.A.) („transactions that are contemporary“). 174 R. v. Osachie (1973), 6 N.S.R. (2d) 524 [1], [4], [11]. 175 R.v. May, 2017 BCSC 1971 [72]. 176 R. v. Spellacy (1995), 131 Nfld. & P.E.I.R. 127 [61] (Nfld. C.A.); R. v. Grossman, [1997] O.J. No. 605 [6] (Ont. C.A.); McLachlin J., dissenting, in R. v. M. (T.E.) (1997), 114 C.C.C. (3d) 436 [116] (S.C.C.); R. v. Abrosimo (2007), 225 C.C.C. (3d) 253 [7], [32] (B.C. C.A.);
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dann, wenn sich die Delikte gegen dasselbe Opfer richten.177 Dies trifft beispielsweise auf zwei sexuelle Übergriffe (sexual assault) auf dasselbe Opfer im Abstand von einem Monat178 oder auf zwei Diebstähle (theft) am selben Ort, aber im Abstand von zwei Wochen, zu.179 Etwas anderes ist allerdings bei Serientaten denkbar (s. sogleich). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass beim gleichzeitigen Besitz mehrerer Diebesgüter nicht auf die Gleichzeitigkeit des Besitzes, sondern auf die Identität der vorausgehenden Diebstahlstaten abgestellt wird.180 (2) Die Kongruenz der geschützten Rechtsinteressen, insbesondere die Opferidentität Das Fallrecht ergibt, dass für die gleichzeitige Vollstreckung über die zeitlich-räumliche Nähe der tatsächlichen Ausführung der Delikte hinaus noch eine Verwandtschaft (related) zwischen den rechtlich qualifizierten Tatbeständen eine Rolle spielt. Diese drückt sich insbesondere in der Schutzrichtung der Tatbestände aus; denn es wird offenbar von einer Rückausnahme von der Nexus-Regel ausgegangen, wenn durch die Delikte verschiedene Rechtsinteressen geschützt werden sollen. Vor dem Hintergrund der englischen Rechtsprechung (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (1)) ist bemerkenswert, dass unter anderem im Verhältnis zwischen dem Fahren trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis (driving while disqualified) und dem gefährlichen Fahren (dangerous driving) so argumentiert wird: „In my opinion, the offences of dangerous driving and driving while disqualified protect different societal interests. The offence of dangerous driving is to protect the public. The offence of driving while prohibited from doing so is to impose appropriate consequences for the disregard of the court’s order of prohibition.“181
In Ermangelung einer hinreichenden tatbestandlichen Nähe wurde ein single criminal adventure auch verneint, als ein Täter mit einem gestohlenen Fahrzeug (possession of stolen goods) angetroffen wurde und sodann einen Alkoholtest R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [48]–[49] (Man. C.A.); R. v. Keats, 2018 NSCA 16 [41]; vgl. Manson, The Law of Sentencing, 2001, S. 101. 177 Vgl. R. v. McCarthy (2005), 198 C.C.C. (3d) 383 [17] (N.L.C.A.); R. v. M. (D.B.) (2008), 77 W.C.B. (2d) 96 [1]–[2], [15] (B.C. C.A.). 178 Vgl. R. v. D. (G.D.), [1998] O.J. No. 4868 [10] (Ont. C.A.); vgl. auch R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [48]–[49] (Man. C.A.). 179 R. v. Osachie (1973), 6 N.S.R. (2d) 524 [5], [11]. 180 R. v. Smith (1980), 40 N.S.R. (2d) 272 [14]; R. v. Adams (2010), 255 C.C.C. (3d) 150 [57]–[60] (N.S. C.A.); vgl. C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 220; parallele Strafen bei gleichzeitigem Besitz sind nach Manson, CJCCJ 55 (2013), 481, 490 jedoch vertretbar. 181 R. v. Vidal (2009), 84 W.C.B. (2d) 493 [66] (B.C. S.C.).
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verweigerte.182 Ferner wurde bei innerhalb von wenigen Minuten am selben Ort erfolgten Delikten des Hausfriedensbruchs (unlawful entry) und der Bedrohung (threat) verschiedener Personen eine hinreichende Nähe zwischen den Delikten abgelehnt.183 Andererseits wurden eine same transaction und parallele Strafen in Bezug auf ein Drogenhandelsgeschäft (trafficking in narcotics) und einen sich in diesem Verlauf ergebenden Mordversuch (attempted murder) am Käufer (er enttarnte sich als Polizist und wollte den Verkäufer festnehmen) bejaht.184 Ein für gleichzeitige Strafen hinreichender Nexus besteht, wenn aus der Verschwörung (conspiracy) und dem ihren Gegenstand bildenden Hauptdelikt (substantive offence) bestraft wird (zur Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung vgl. 3. Kap. § 1 B. III. 5.).185 Darüber hinaus ist dies der Fall, wenn ein Delikt ein zweites mit ähnlicher Schutzrichtung, d. h. als Mittel zur Begehung des zweiten Delikts, vorbereitet. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zur Herstellung von Kinderpornografie (making child pornography) die Kinder dazu überredet werden, den Körper einer anderen Person zu sexuellen Zwecken zu berühren (inviting to sexual touching).186 Trotz einer ggf. vorliegenden zeitlich-räumlichen Nähe zwischen Delikten werden die Einzelstrafen insbesondere dann zur konsekutiven Vollstreckung ausgesetzt, wenn die Tatbestände (vor allem mehrmals derselbe) gegenüber verschiedenen Opfern realisiert werden. Dies war beispielsweise bei Bedrohungen (threat) gegenüber verschiedenen Personen187 oder bei kontinuierlichen sexuellen Übergriffen (sexual assault) gegenüber unterschiedlichen Kindern188 der Fall. Weitere Entscheidungen bestätigen, dass verschiedene Opfer tendenziell konsekutive Strafen erfordern.189 Vereinzelt findet sich allerdings gegenteilige Rechtsprechung.190
R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [42] (Nfld. C.A.). R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [43] (Nfld. C.A.). 184 R. v. Marks (1998), 39 W.C.B. (2d) 521 [3]–[5], [14] (Ont. C.A.). 185 C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 220. 186 R. v. Jewell (1995), 100 C.C.C. (3d) 270 [29] (Ont. C.A.). 187 R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [43] (Nfld. C.A.). 188 R. v. W. (E.J.) (1991), 88 Nfld. & P.E.I.R. 255 [3]–[6], [36] (Nfld. C.A.); vgl. auch R. v. L. (T.B.) (2003), 57 W.C.B. (2d) 356 [22] (Ont. C.A.) und R. v. C. (D.), 2016 MBCA 49 [41]. 189 Vgl. R. v. Spellacy (1995), 131 Nfld. & P.E.I.R. 127 [61] (Nfld. C.A.); R. v. Grossman, [1997] O.J. No. 605 [6] (Ont. C.A.); McLachlin J., dissenting, in R. v. M. (T.E.) (1997), 114 C.C.C. (3d) 436 [116] (S.C.C.); R. v. McCarthy (2005), 198 C.C.C. (3d) 383 [15] (N.L.C.A.); R. v. Reader, 2008 MBCA 42 [29]; R. v. McLean, 2016 SKCA 93 [54]; R. v. Keats, 2018 NSCA 16 [41]; vgl. auch Penney/Rondinelli/Stribopoulos, Criminal Procedure in Canada, 2011, § 17.48. 190 Vgl. R. v. Gillingham (zitiert nach Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.12). 182 183
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(3) Serientaten Die Gerichte nehmen einen hinreichenden Nexus noch an, wenn – trotz einer gewissen zeitlichen Spanne – gleichartige oder ähnliche Delikte als Teil einer Serie verwirklicht werden.191 Bestätigt wurde diese Rechtsprechung durch die 2015 erfolgte Gesetzesänderung, nach der neben dem Begriff „same event“ nun auch eine „same series of events“ für Konstellationen genannt wird, in denen konsekutive Strafen normalerweise nicht in Betracht kommen (für diesen Umkehrschluss vgl. Cr. C., s. 718.3(4)(b)(i)).192 Die Reichweite dieser Rechtsprechung ist allerdings ziemlich unklar. Häufig handelt es sich um Delikte gegen dasselbe Opfer: So wurde bei kontinuierlichen Schlägen gegen dasselbe Opfer über mehrere Jahre ein Vorgang (transaction) angenommen. Folglich waren die vier Einzelstrafen für Angriffe mit einer Waffe (assault with a weapon) gleichzeitig zu vollstrecken.193 Andererseits wurden bei mehreren Sexualdelikten gegenüber verschiedenen Opfern innerhalb von elf Tagen gleichzeitig zu vollstreckende Strafen angenommen, weil alle Taten in der Art der Ausführung (durch Bedrohung mit einem Messer) demselben Muster folgten.194 In wieder anderen Entscheidungen wird davon gesprochen, dass die Serienrechtsprechung im Wesentlichen auf Eigentumsdelikte (property offences) und kurze Zeiträume beschränkt sei.195 In diesem Zusammenhang ist zudem eine speziell vom Court of Appeal Manitobas vertretende Rechtsprechung hervorzuheben, nach welcher ein einheitlicher Vorgang und mithin parallele Strafen selbst bei einer sich über mehrere Tage und Wochen erstreckenden, sogar verschiedene Opfer betreffenden Raubserie angenommen werden, wenn sie auf das Bedürfnis zurückzuführen ist, eine Drogensucht zu finanzieren.196
191 Vgl. R. v. Hatch (1979), 31 N.S.R. (2d) 110 [7]; vgl. Philp J.A., dissenting, in R. v. P. (ET) (2002), 162 C.C.C. (3d) 481 [20]–[21] (Man. C.A.); R. v. Arbuthnot (2009), 248 C.C.C. (3d) 219 [22] (Man. C.A.) mit Verweis auf Thomas, Principles of Sentencing, 1979, S. 54; R. v. Maroti (2010), 256 C.C.C. (3d) 332 [24] (Man. C.A.); vgl. Gold, The Practitioner’s Criminal Code 2014, 2013, S. 1106. 192 Tougher Penalties for Child Predators Act, s. 17 (S.C. 2015, c. 23). 193 Vgl. R. v. P. (ET) (2002), 162 C.C.C. (3d) 481 [58]–[60] (Man. C.A.). 194 R. v. Robinson (1974), 19 C.C.C. (2d) 193 [1]–[2], [24] (Ont. C.A.). 195 R. v. May (2012), 102 W.C.B. (2d) 615 [9] (Alta. C.A.). 196 R. v. Arbuthnot (2009), 248 C.C.C. (3d) 219 [23]–[24] (Man. C.A.); vgl. R. v. Draper (2010), 253 C.C.C. (3d) 351 [37]–[39] (Man. C.A.); R. v. Maroti (2010), 256 C.C.C. (3d) 332 [3], [25] (Man. C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [51]–[52] (Man. C.A.); vgl. R. v. C. (D.), 2016 MBCA 49 [42].
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
(4) Sonderfälle Schließlich gibt es eine Reihe richterlich entwickelter Konstellationen, in denen unabhängig von einem Tatsachen- oder Sachzusammenhang grundsätzlich konsekutive Strafen verhängt werden. Dies betrifft etwa Delikte, die im Gefängnis – vor allem gegenüber dem Strafvollzugspersonal – verwirklicht werden,197 oder Delikte, die der Täter begeht, während er auf Kaution frei ist.198 Hier wird es allerdings ohnehin schon regelmäßig an einem Nexus zwischen den Taten fehlen. Eine echte (Rück-)Ausnahme stellen indessen Delikte dar, welche zur oder auf der Flucht nach Begehung einer anderen Gesetzesverletzung verübt werden.199 Vor allem bei Gewalt gegen Polizisten, die ein Delikt zu beenden oder den Täter festzunehmen suchen, wird auf die englische Rechtsprechung verwiesen (vgl. 2. Kap. § 3 B. II. 1. b).200 Durch die Reform des Jahres 2015 wurde diese Rechtsprechung inzwischen auch durch den kanadischen Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt (Cr. C., s. 718.3(4)(iii)). c) Die gleichzeitige Vollstreckung zur Herstellung einer angemessenen Endstrafe (to achieve a proper totality) Sind nach dem bislang Gesagten eigentlich konsekutive Strafen angezeigt, kann ein letzter Blick (last look) auf die gesamte, nun eigentlich zu vollstreckende Strafe noch zu dem Schluss führen, dass sie angesichts der Schuld des Täters als übermäßig lang erscheint und reduziert werden muss.201 Der Hintergrund dessen ist, wie in England, das Totality-Prinzip, welches in Kanada ausweislich Cr. C., s. 718.2(c) nur bei konsekutiven Strafen einschlägig202 ist und eine speziR. v. Littletent (1985), 17 C.C.C. (3d) 520 [8]–[9] (Alta. C.A.); Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.24. 198 Vgl. R. v. Vincent (2006), 69 W.C.B. (2d) 205 [6] (B.C. C.A.); C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 220; Ewaschuk, Criminal Pleadings And Practice in Canada, 1983, § 16.48; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.25. 199 R. v. McCaw (1974), 15 C.C.C. (2d) 321 [4] (Ont. C.A.); vgl. C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 220 f.; vgl. Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.28; Greenspan/Rosenberg/Henein, Martin’s Annual Criminal Code, 2013, S. 1461; Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 2, 2013 (Loseblatt), § 8.860; anders kürzlich R.v. May, 2017 BCSC 1971 [72]. 200 Manson, The Law of Sentencing, 2001, S. 102. 201 Vgl. R. v. Reader, 2008 MBCA 42 [26]–[27]; R. v. Taylor (2010), 263 C.C.C. (3d) 307 [16] (Man. C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [59], [71] (Man. C.A.). 202 Vgl. R. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [42] (S.C.C.); R. v. Reader, 2008 MBCA 42 [23]; R. v. Grant (2009), 240 C.C.C. (3d) 462 [101] (Man. C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [56], [62], [75] (Man. C.A.); R. v. McLean, 2016 SKCA 93 [57]; Ruby/Chan/ Hasan, Sentencing, 2012, § 2.63. 197
§ 2 Die kumulative Bestrafung
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elle Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl. Cr. C., s. 718.1) darstellt.203 Criminal Code, s. 718.2 A court that imposes a sentence shall also take into consideration the following principles: [...] (c) where consecutive sentences are imposed, the combined sentence should not be unduly long or harsh; [...].
Bei gleichzeitigen Strafen ist jedoch der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anwendbar.204 Wenn daher bei parallelen Strafen die Gesamtlänge als nach den Umständen des Einzelfalls zu niedrig erscheint, kann dieser Grundsatz zu einer straferhöhenden Korrektur an den Einzelstrafen führen, um der kumulativen Gesetzesverletzung Rechnung zu tragen.205 Eine Korrektur nach dem Grundsatz der Totality ist hingegen erforderlich, wenn die Addition der konsekutiven Einzelstrafen eine unangemessen lange oder strenge (unduly long or harsh) Endstrafe ergibt. Bemerkenswert ist, dass sich die kanadischen Gerichte dabei stark an den beiden bereits erwähnten, von Thomas identifizierten, Komponenten zu orientieren scheinen (vgl. 2. Kap. § 3 B. III.). Zum einen darf danach die Endstrafe die dem Täter zu machende Gesamtvorwerfbarkeit nicht übersteigen (not exceed the overall culpability of the offender).206 Anders formuliert soll eine in Bezug auf die Rehabilitationsaussichten „niederschmetternde“ Wirkung (a „crushing sentence“) auf den Täter unter Berücksichtigung seines Alters, seiner Lebensumstände, seiner Vorstrafen und seiner Zukunftsaussichten vermieden werden.207 Mithin sind die Umstände des Einzelfalls von gewichtiger Bedeutung, sodass keine mathematisch griffige Aussage zu den mit diesem Kriterium einhergehenden Implikationen getroffen wird.208 R. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [41]–[42] (S.C.C.); R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [32], [34] (Man. C.A.); Renaud, The Sentencing Code of Canada, 2009, § 19.6; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 2.63; Gold, The Practitioner’s Criminal Code 2014, 2013, S. 1104. 204 R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [56] (Man. C.A.). 205 Vgl. R. v. S. (N.A.) (2007), 75 W.C.B. (2d) 170 [21]–[22] (Man. C.A.); R. v. Taylor (2010), 263 C.C.C. (3d) 307 [12]–[14] (Man. C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [63]–[65], [70] (Man. C.A.); R. v. J. (R.), 2017 MBCA 13 [13]. 206 R. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [42] (S.C.C.); R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [65] (Man. C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [59] (Man. C.A.); R. v. Briltz 331 C.C.C. (3d) 338 [77] (Sask. C.A.). 207 R. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [42] (S.C.C.); R. v. Rowe (2008), 273 Nfld. & P.E.I.R. 38 [49] (N.L.C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [60], [96] (Man. C.A.); Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, §§ 2.63–65. 208 Vgl. R. v. English (1994), 122 Nfld. & P.E.I.R. 15 [36] (Nfld. C.A.); R. v. Golden (2009), 248 C.C.C. (3d) 344 [92] (Man. C.A.); vgl. auch C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 221. 203
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
Jedenfalls darf sich die Strafe nicht der noch zu erwarteten Lebensdauer nähern oder diese gar übersteigen.209 Zum anderen soll das Totality-Prinzip bei einer deutlichen Überschreitung einer normalen Strafe für das schwerste der Delikte verletzt sein (substantially above the normal level of a sentence for the most serious of the individual offences) können („may“).210 Die tatsächliche Geltung dieser Komponente wird jedoch in der Richterschaft bisweilen bezweifelt, weil die Courts of Appeal viele Entscheidungen bestätigt haben, in denen eine normale Strafe für das schwerste Delikt sogar weit überstiegen wurde.211 Der Hintergrund dessen mag eine in Teilen der Richterschaft bestehende Ablehnung einer streng alternativen Anwendung dieser Komponente des Totality-Prinzips im Verhältnis zur vorherigen sein. Eine solche erlaube nämlich keine hinreichende Differenzierung zwischen der zweifachen und der vielfachen Verletzung von Strafgesetzen. Vielmehr soll nach diesem Ansatz der deutlich über einer normalen Strafe für das schwerste Delikt liegenden Endstrafe – unter Berücksichtigung der Anzahl und der Schwere der Delikte – zusätzlich eine „niederschmetternde“ Wirkung zukommen müssen, um eine Verletzung der Totality herbeizuführen: „I would take the approach, therefore, that ensuring proportionality, in the context of imposing consecutive sentences, requires that the total of the sentences not be so substantially above the normal level of a sentence for the most serious of the individual sentences involved that, taking into account the number and seriousness of the additional offences for which consecutive sentences are to be imposed, its effect is to impose on the offender a crushing sentence not in keeping with his record and prospects.“212
In anderen, relativ neuen Entscheidungen scheint schließlich mehr auf die höchste abstrakt verfügbare Höchststrafe abgestellt zu werden (substantially above the maximum sentence available for that type of crime).213 Eine absolute Höchst-
209 Vgl. R. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [74] (S.C.C.); R. v. Johnson (2012), 285 C.C.C. (3d) 120 [20], [30] (Ont. C.A.). 210 Vgl. R. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [42] (S.C.C.) (aus einem Lehrbuch zitierend); R. v. Rowe (2008), 273 Nfld. & P.E.I.R. 38 [49] (N.L.C.A.); R. v. Briltz 331 C.C.C. (3d) 338 [77] (Sask. C.A.). 211 Vgl. Philp J.A., dissenting, in R. v. P. (ET) (2002), 162 C.C.C. (3d) 481 [29]–[31] (Man. C.A.) m. w. N. 212 R. v. Rowe (2008), 273 Nfld. & P.E.I.R. 38 [56]–[58] (N.L.C.A.); vgl. auch R. v. Abrosimo (2007), 225 C.C.C. (3d) 253 [31] (B.C. C.A.); R. v. Li, 2009 BCCA 85 [51]–[52]; R. v. May (2012), 102 W.C.B. (2d) 615 [15] (Alta. C.A.). 213 Vgl. R. v. Traverse (2008), 238 C.C.C. (3d) 330 [65]–[66] (Man. C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [60] (Man. C.A.).
§ 2 Die kumulative Bestrafung
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grenze (von 20 Jahren) für konsekutive zeitige Freiheitstrafen hat der S.C.C. allerdings ausdrücklich abgelehnt.214 Ergibt der letzte Blick auf die Gesamthöhe der konsekutiven Strafen, dass ohne Veränderungen eine Verletzung des Totality-Prinzips vorliegen würde, wird dem auf zweierlei Art und Weise abgeholfen:215 Mitunter werden die Einzelstrafen ohne Veränderung der Vollstreckungsart herabgesetzt.216 Bisweilen werden unveränderte Einzelstrafen doch noch zur parallelen Vollstreckung angeordnet,217 wobei sich die Bildung von Gruppen derselben Deliktskategorie anbieten soll (sog. „grouping“).218 Möglich ist auch die Kombination beider Methoden;219 jedoch wird die Änderung der Vollstreckungsart als vorzugswürdig erachtet, um andere Gerichte durch veränderte Einzelstrafen nicht irrezuführen, wenn diese Orientierung für die Bestrafung des jeweiligen Einzeldelikts suchen. Daher soll zuerst versucht werden, der Totality durch eine parallele Vollstreckung gerecht zu werden.220 Wie im englischen (2. Kap. § 3 B. III.) wird auch im kanadischen Recht bei einer Verringerung der Endstrafe infolge des letzten Blicks ein gewisser Mengenrabatt bei einer kumulativen Gesetzesverletzung („cheaper by the dozen“) in Kauf genommen.221 2. Die konsekutive Vollstreckung kraft einer gesetzgeberischen Anordnung Für bestimmte Delikte ist dem Gericht das Ermessen bzgl. der Vollstreckungsweise entzogen. Vielmehr sieht der Gesetzgeber in gewissen Fällen – unabhänR. v. M. (C.A.) (1996), 105 C.C.C. (3d) 327 [53]–[75] (S.C.C.); vgl. Greenspan/Rosenberg/Henein, Martin’s Annual Criminal Code, 2013, S. 1450. 215 R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [72] (Man. C.A.); vgl. auch R. v. Taylor (2010), 263 C.C.C. (3d) 307 [16], [19] (Man. C.A.); vgl. Manson, CJCCJ 55 (2013), 481, 484. 216 Vgl. z. B. R. v. English (1994), 122 Nfld. & P.E.I.R. 15 [34]–[40] (Nfld. C.A.); R. v. W. (E.) (2002), 168 C.C.C. (3d) 38 [106]–[107] (Nfld. C.A.); R. v. Draper (2010), 253 C.C.C. (3d) 351 [39], [42] (Man. C.A.). 217 Vgl. z. B. R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [40], [51] (Nfld. C.A.); Rowe J.A., dissenting in part, in R. v. Penney (2005), 197 C.C.C. (3d) 498 [26] (N.L.C.A.); R. v. McCarthy (2005), 198 C.C.C. (3d) 383 [18]–[21] (N.L.C.A.); R. v. Vidal (2009), 84 W.C.B. (2d) 493 [70] (B.C. S.C.); R. v. Golden (2009), 248 C.C.C. (3d) 344 [103] (Man. C.A.). 218 Vgl. R. v. Haines, [1975] O.J. No. 251 [4], [7] (Ont. C.A.); R. v. Desmarest (1986), 2 Q.A.C. 151 [15]–[17] (C.A.); vgl. R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [38] (Nfld. C.A.). 219 Vgl. R. v. S. (A.T.) (2004), 182 C.C.C. (3d) 47 [47]–[49] (N.L.C.A.); R. v. Adams (2010), 255 C.C.C. (3d) 150 [66] (N.S. C.A.). 220 R. v. Spellacy (1995), 131 Nfld. & P.E.I.R. 127 [67] (Nfld. C.A.); R. v. W. (E.) (2002), 168 C.C.C. (3d) 38 [79] (Nfld. C.A.); R. v. S. (A.T.) (2004), 182 C.C.C. (3d) 47 [10] (N.L.C.A.); vgl. Manson, CJCCJ 55 (2013), 481, 484. 221 Vgl. Renaud, The Sentencing Code of Canada, 2009, §§ 19.47–48. 214
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3. Kapitel: Das kanadische Strafrecht
gig von der Nähe der Deliktsverwirklichungen – zwingend die konsekutive Vollstreckung der Strafen vor, vgl. Cr. C., s. 719(1).222 Beispielsweise bestimmt Cr. C., s. 85(4), dass eine Strafe für die selbstständig nach s. 85(1) und (2) strafbare Benutzung einer Schuss- oder Scheinwaffe im Zuge der Begehung eines (anderen) Delikts (indictable offence) konsekutiv zu einer weiteren Strafe zu vollstrecken ist, selbst wenn es mit jenem Delikt denselben Vorgang oder eine Serie bildet (arising out of the same event or series of events). Über die Anwendbarkeit des Totality-Prinzips besteht in diesem Bereich Unklarheit in der Rechtsprechung. Jedenfalls scheint in dieser Hinsicht Zurückhaltung geboten zu sein, um den klaren Willen des Gesetzgebers zu konsekutiven Strafen nicht zu umgehen.223 Infolgedessen kann diese Vorschrift selbst beim Zusammentreffen mit relativ leichten Delikten zu sehr hohen Endstrafen führen, weswegen ihre Verfassungsmäßigkeit angezweifelt wird.224 Ein weiteres Beispiel findet sich in Cr. C., s. 467.14, wonach eine Strafe für selbstständig strafbare Delikte der Förderung einer kriminellen Organisation konsekutiv zu den Strafen für andere, ebenfalls realisierte Delikte zu vollstrecken ist. Entsprechendes gilt nach Cr. C., s. 83.26 für selbstständig strafbare Delikte im Zusammenhang mit der Förderung einer terroristischen Gruppe im Verhältnis zu weiteren dabei verwirklichten Delikten. Schließlich wurden im Jahre 2015 obligatorisch konsekutive Strafen in Bezug auf bestimmte Sexualdelikte gegenüber Kindern eingeführt, vgl. Cr. C., s. 718.3(7).225 Zusätzlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann jedoch keine weitere Strafe konsekutiv verhängt werden, weil sie nie zur Vollstreckung käme und daher eine unmögliche Strafe wäre (lex non intendit aliquid impossible).226 Selbst wenn eine Strafe nach dem Gesetz eigentlich konsekutiv zu vollstecken wäre, Vgl. R. v. Crocker (1991), 93 Nfld. & P.E.I.R. 222 [27] (Nfld. C.A.). Vgl. einerseits gegen die Anwendbarkeit R. v. B (P.J.) (1999), 141 C.C.C. (3d) 290 [57] (Nfld. C.A.); R. v. Hechavarria (2006), 68 W.C.B. (2d) 682 [15] (Ont. C.A.); für die Anwendbarkeit andererseits R. v. Stauffer (2007), 216 C.C.C. (3d) 418 [43]–[45] (B.C. C.A.); vgl. dazu Gold, Halsbury’s Laws of Canada, 2012, para. 434; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.33. 224 Vgl. Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.34. Die Vereinbarkeit mit Charter, s. 12 wurde in R. v. Brown (1994), 93 C.C.C. (3d) 97 [2], [6] (S.C.C.) für das Zusammentreffen mit dem Raub (robbery) bestätigt, jedoch für andere Delikte ausdrücklich offengelassen. 225 Tougher Penalties for Child Predators Act, s. 17 (S.C. 2015, c. 23). 226 R. v. Sinclair (1972), 6 C.C.C. (2d) 523 [3] (Ont. C.A.); R. v. Camphaug (1986), 28 C.C.C. (3d) 125 [13] (B.C. C.A.); C.S.C. (Hrsg.), Sentencing Reform: A Canadian Approach, 1987, S. 220; Gold, Halsbury’s Laws of Canada, 2012, para. 434; Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.41; Gold, The Practitioner’s Criminal Code 2014, 2013, S. 1106. Infolge einer 2011 erfolgten Gesetzesänderung kann das Gericht bei mehreren Verurteilungen wegen Mordes allerdings anordnen, dass die für eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung (paro222 223
§ 2 Die kumulative Bestrafung
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muss sie in einer derartigen Konstellation also zur parallelen Vollstreckung ausgesetzt werden.227 III. Die Möglichkeit einer Einheitsstrafe Nach dem Wortlaut von Cr. C., s. 728 kann das Gericht für mehrere Anklagepunkte auch eine Einheitsstrafe verhängen, die sich innerhalb der niedrigsten Mindeststrafe und der höchsten Höchststrafe bewegen muss. Von dieser Möglichkeit scheint in der Praxis allerdings kein Gebrauch gemacht zu werden, weil die Rechtsprechung aus Transparenzgründen ausdrücklich zu dem Weg über Einzelstrafen anhält.228 Criminal Code, s. 728 Where one sentence is passed on a verdict of guilty on two or more counts of an indictment, the sentence is good if any of the counts would have justified the sentence.
C. Die Berücksichtigung (consideration) weiterer Delikte Ähnlich wie in England kann das Gericht im Rahmen des Bestrafungsverfahrens mit Einverständnis des Angeklagten weitere, in seine Zuständigkeit fallende Delikte berücksichtigen, wenn der Attorney General zustimmt bzw. das öffentliche Interesse kein separates Verfahren erfordert.229 Bekennt sich der Angeklagte förmlich schuldig (guilty plea), verhängt das Gericht separate Einzelstrafen für diese Delikte, vgl. Cr. C., s. 725(1)(b). Gibt er die Delikte ohne guilty plea zu, kann das Gericht diese nur als Strafzumessungsfaktor bei der Bildung der anderen Strafen berücksichtigen, vgl. Cr. C., s. 725(1) (b.1).230 Nach Cr. C., s. 725(2) können auch letztere Delikte grundsätzlich nicht mehr Gegenstand einer erneuten Strafverfolgung sein.
le) erforderlichen Mindestvollstreckungsdauern konsekutiv zu verbüßen sind, vgl. Cr. C., ss. 745.21, 745.51; krit. Roberts, Crim. L. Forum 23 (2012), 319, 331. 227 Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 14.41. 228 R. v. Thorpe (1976), 32 C.C.C. (2d) 46 [13] (Man. C.A.); R. v. Wozny (2010), 267 C.C.C. (3d) 308 [68] (Man. C.A.); R. v. Taylor (2010), 263 C.C.C. (3d) 307 [10] (Man. C.A.); Ewaschuk, Criminal Pleadings And Practice in Canada, 1983, § 16.41; vgl. auch R. v. Pretty (1971), 5 C.C.C. (2d) 332 [7] (P.E.I.S.C.) sowie Ruby/Chan/Hasan, Sentencing, 2012, § 3.90, nach denen Einheitsstrafen gar nicht möglich sein sollen. In R. v. J. (R.), 2017 MBCA 13 [13] wurde jüngst immerhin wieder darauf hingewiesen, dass den Gerichten die Möglichkeit einer Einheitsstrafe zur Verfügung stehe. 229 Zu der nur zögerlichen Übernahme dieses Instituts aus England vgl. Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 2, 2013 (Loseblatt), § 8.470–480. 230 Vgl. Salhany, Canadian Criminal Procedure, Band 2, 2013 (Loseblatt), § 8.480.
4. Kapitel
Das US-amerikanische Strafrecht Zur Beantwortung der Leitfragen in Bezug auf das US-amerikanische Strafrecht wird zunächst auf die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung und Anklage aus mehreren Tatbeständen (§ 1), sodann auf die kumulative Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen (§ 2) eingegangen.
§ 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage Im US-Bundesstrafrecht verhindert eine prohibition against multiple punishment die kumulative Verurteilung aus mehreren, in einem Verfahren separat angeklagten Tatbeständen. Die rechtliche Grundlage (A.) und Reichweite dieses Verbots bei begrifflicher Realisierung sowohl verschiedener Tatbestände (B.) als auch mehrmals desselben Tatbestands (C.) stehen im Vordergrund der folgenden Ausführungen. Sodann wird auf Anklagefragen im Zusammenhang mit Doppelverurteilungsverboten (D.) eingegangen sowie auf das – teilweise über die Bundes ebene hinausgehende – Recht der US-Bundesstaaten (E.).
A. Die Grundlage im double jeopardy-Verbot Das angesprochene Kumulativverurteilungsverbot findet seine Grundlage in der im fünften Zusatzartikel der Verfassung enthaltenen double jeopardy-Garantie.1 Diese Bestimmung schützt in Bezug auf dasselbe Delikt sowohl vor einem erneuten Strafverfahren nach einem Freispruch oder einer Verurteilung als auch vor der mehrfachen Bestrafung (punishment) in einem einzigen Verfahren:2
1 Entgegen dem Wortlaut ist der Anwendungsbereich dieses Grundrechts nicht auf lebensbeendende oder andere, körperliche Strafen vorsehende Delikte beschränkt, vgl. Ex parte Lange, 85 U.S. (18 Wall) 163, 170 (1873); Breed v. Jones, 421 U.S. 519, 528 (1975); Yeager v. United States, 557 U.S. 110, 117 (2009). 2 North Carolina v. Pearce, 395 U.S. 711, 717 (1969); Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 165 (1977); Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 688 (1980); Illinois v. Vitale, 447 U.S. 410, 415 (1980); Ohio v. Johnson, 467 U.S. 493, 497–498 (1984); Witte v. United States, 515 U.S. 389,
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
U.S. Const. amend. V. [...] [Nor] shall any person be subject for the same offence to be twice put in jeopardy of life or limb [...].
Letztere, für dieses Vorhaben relevante Teilgarantie ist trotz der anderslautenden Terminologie schon bei zwei Verurteilungen – z. B. auch bei gleichzeitig zu vollstreckenden Einzelstrafen – für dasselbe Delikt einschlägig.3
B. Das Doppelverurteilungsverbot bei verschiedenen Tatbeständen Bei nominell verschiedenen Tatbeständen testet die Bundesrechtsprechung mit dem sog. Blockburger-Test, ob es sich um dasselbe oder verschiedene Gesetze im Sinne des fünften Zusatzartikels handelt (I.). Dieser ist aber nicht notwendig entscheidend, denn es kann unter bestimmten Voraussetzungen trotz einer Identität nach dem Blockburger-Test zu einer zulässigen Doppelverurteilung (II.) bzw., umgekehrt, trotz einer Deliktsverschiedenheit nach dem Blockburger-Test zu einem Doppelverurteilungsverbot kommen (III.). I. Die Deliktsidentität nach dem Blockburger-Test Das Doppelbestrafungsverbot des fünften Zusatzartikels erfordert nicht nur die Einheitlichkeit des zugrunde liegenden tatsächlichen Verhaltens, sondern auch in rechtlicher Hinsicht eine Identität zwischen den rechtlich qualifizierten Tatbeständen.4 Bei durch verschiedene Verhaltensweisen erfüllten Straftatbeständen wird hingegen grundsätzlich kumulativ verurteilt (vgl. allerdings noch 4. Kap.
391, 395–396 (1995); vgl. Stuckenberg, Double Jeopardy, 2001, S. 9; Rudstein, Double Jeopardy, 2004, S. 38. 3 In den älteren Fällen wurde mitunter lediglich die Strafe, nicht aber die Verurteilung für ein eigentlich nicht anwendbares Delikt aufgehoben. Die Lösung auf Verurteilungsebene fand für die prohibition against multiple punishment erst in Ball v. United States, 470 U.S. 856, 861, 864–865 (1985) ihren Durchbruch. Vgl. auch Witte v. United States, 515 U.S. 389, 397 (1995); Rutledge v. United States, 517 U.S. 292, 301–303 (1996); United States v. Morris, 247 F.3d 1080, 1084 (10th Cir. 2001); vgl. auch schon Milanovich v. United States, 365 U.S. 551, 554– 556 (1961); Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 8 f.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 225 f.; Stuckenberg, Double Jeopardy, 2001, S. 21; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 46; krit. allerdings Ross, Am. J. Crim. L. 29 (2002), 245, 266 f. 4 Ex parte Lange, 85 U.S. (18 Wall) 163, 168 (1873); Burton v. United States, 202 U.S. 344, 380 (1906) („the same in law and in fact“); zitiert in Gavieres v. United States, 220 U.S. 338, 423 (1911); Sieveking, ZStW 53 (1934), 297, 304; Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 65, 183; Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 151; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 46 f.
§ 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage
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§ 1 B. III. 3.).5 Die rechtliche Identität zwischen Tatbeständen ermittelt die Rechtsprechung mit dem sog. Blockburger-Test, dessen Formulierung und schrittweise Erweiterung hier aufgezeigt werden soll. 1. Der Ursprung des Tests als Vergleich der abstrakten Tatbestandsmerkmale (same elements test) Der Angeklagte Blockburger war auf Grundlage eines einzigen Drogenverkaufs aus zwei verschiedenen Tatbeständen verurteilt worden (sale of drugs not in or from the original stamped package bzw. sale not in pursuance of a written order of the purchaser) und rügte, dass eigentlich nur eine Gesetzesverletzung vorliege.6 Der Oberste Gerichtshof erhielt jedoch beide Verurteilungen aufrecht. Dabei wendeten die Richter einen in der Entscheidung formulierten Identitätstests an und stellten fest, dass hier mit keinem der Tatbestände notwendig der andere mitbewiesen wird: „Each of the offenses created requires proof of a different element. The applicable rule is that where the same act or transaction constitutes violation of two distinct statutory provisions, the test to be applied to determine whether there are two offenses or only one, is whether each provision requires proof of a fact which the other does not.“7
Aus dieser Formulierung des Tests geht allerdings nicht eindeutig der Bezugspunkt des Vergleichs hervor. Während der Gerichtshof in der konkreten Anwendung des Tests auf in den Tatbeständen jeweils vorhandene, überschießende abstrakte Tatbestandsmerkmale abzustellen schien (proof of a different element), lässt die Testformulierung selbst auch die Lesart zu, dass die konkreten Falltatsachen miteinander verglichen werden müssen (proof of a fact). Diese Varianten können in bestimmten Konstellationen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, worauf noch einzugehen sein wird (vgl. 4. Kap. § 1 B. I. 3. b). Trotz dieser mit der Formulierung behafteten Unsicherheiten hat sich überwiegend die Lesart von Blockburger v. United States als Test der Übereinstimmung der abstrakten Tatbestandsmerkmale (same elements test) durchgesetzt.8 Daher Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 5, 12, 25; Moore, Act and Crime, 1993, S. 314 f.; Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 65, 138, 183. 6 Blockburger v. United States, 284 U.S. 299, 301 (1932). 7 Blockburger v. United States, 284 U.S. 299, 304 (1932). 8 Vgl. Iannelli v. United States, 420 U.S. 770, 785 (1975); Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 166 (1977); Illinois v. Vitale, 447 U.S. 410, 416 (1980); Stevens J., concurring, in Hudson v. United States, 522 U.S. 93, 107 (1997); Scalia, Thomas JJ., concurring, in Lewis v. United States, 523 U.S. 155, 176 (1998); Scalia, Souter, Ginsburg, dissenting, in Monge v. California, 524 U.S. 721, 738 (1998); vgl. Mead, Ind. L. Rev. 13 (1980), 863, 870; Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 168; Muehlmeyer, Multiple Punishment in the Context of Vague and Complex Statutes, 2013, S. 14. 5
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
wird er mitunter nicht in seiner ursprünglichen Version, sondern unter Beseitigung der genannten Schwierigkeiten beispielsweise wie folgt formuliert: „The ‚same elements‘ test, sometimes referred to as the ‚Blockburger‘ test, inquires whether each offense contains an element not contained in the other; if not, they are the ‚same offence‘ […].“9
Nach dieser modifizierten Formulierung sind also solche Tatbestände rechtlich identisch, die formell identische Tatbestandsmerkmale haben und von denen nur einer ggf. ein zusätzliches10 Element aufweist. Beispielsweise ist in diesem Sinne die Qualifikation des Angriffs mit einer gefährlichen Waffe (assault with a dangerous weapon) derselbe Tatbestand wie der einfache Angriff (assault), weil sie alle Elemente des Grundtatbestands enthält, während der einfache Angriff kein ihn auszeichnendes eigenständiges Element hat.11 2. Die Einbeziehung aller abstrakt-notwendig mitbegangenen Delikte (lesser included offenses) Die rein auf die Tatbestandselemente abstellende Formulierung kann theoretisch auf Schwierigkeiten stoßen, wenn zwei Tatbestände nicht die gleiche Terminologie verwenden, aber dennoch in der Sache übereinstimmen oder – praktisch relevanter – der eine den anderen inkludiert. Die Rechtsprechung begegnet dem durch eine Betrachtung der Sache: Die eigentlich hinter Blockburger v. United States stehende Überlegung ist nämlich, dass der Tatbestand mit dem überschießenden Tatbestandsmerkmal in jedem Fall notwendig die Begehung des anderen Tatbestands beinhaltet, wenn jener kein ihm eigenes, zusätzliches Element enthält.12 Die (abstrakte) Notwendigkeit der Mitrealisierung des anderen Tatbestands wurde infolgedessen, vor allem durch das 1977 ergangene Urteil Brown v. Ohio, zum eigentlichen Prüfungskriterium des Blockburger-Tests.13 United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 696 (1993). Nach Amar/Marcus, Colum. L. Rev. 95 (1995), 1, 28 ff.; Amar, Yale L. J. 106 (1997), 1807, 1813 ff. sollen die Tatbestände für die Zwecke des 5. Zusatzartikels nur dann identisch sein, wenn sie in ihren Tatbestandselementen vollkommen übereinstimmen, d. h. eine Inklusion wäre danach nicht erfasst. Sie arbeiten allerdings auch mit der due process clause und kommen so zu ähnlichen Ergebnissen wie die h. M. Eine vollkommene Deckung abl. Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 164 (1977); Moore, Act and Crime, 1993, S. 326 ff.; Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1033 f.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 116 f. 11 Vgl. Waller v. United States, 389 A.2d 801, 808 (D.C. 1978); vgl. Rehnquist J., Burger C.J., dissenting, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 709 (1980). 12 Vgl. Rehnquist J., Burger C.J., dissenting, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 709 (1980). 13 Vgl. Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 167–168 (1977); Rehnquist J., Burger C.J., dissenting, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 708–711 (1980); Illinois v. Vitale, 447 U.S. 410, 9
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§ 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage
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Durch den Rückgriff auf diesen Maßstab wird im Rahmen des Doppelverurteilungsverbots der identische Test angewendet, wie für die Prüfung der Verfügbarkeit einer lesser included offense, wo das US-Bundesrecht ebenfalls auf die abstrakte Notwendigkeit der Mitbegehung zurückgreift. Ob ein Delikt im Sinne von F. R. Crim. P., r. 31(c)(1) im angeklagten Tatbestand „notwendig enthalten“ (necessarily included) ist, wird nämlich auch in jenem Zusammenhang nach dem abstrakten same elements test geprüft.14 Im Ergebnis führt dies dazu, dass auch im Verhältnis zwischen greater including offense und lesser included offense die kumulative Verurteilung regelmäßig15 unzulässig ist.16 Zwar wird teilweise in der Anknüpfung an die lesser included offense-Doktrin eine Ausdehnung des ursprünglichen Blockburger-Tests auf Tatbestände mit unterschiedlichen formellen Merkmalen gesehen.17 In der Sache war es allerdings nicht neu, für double jeopardy-Zwecke auf den Gedanken der (abstrakten) Notwendigkeit der Mitrealisierung abzustellen.18 3. Die Einbeziehung der notwendigen Mitbegehung eines anderen Delikts In einigen Fällen hat der Oberste Gerichtshof von der Voraussetzung der abstrakt-notwendigen Mitverwirklichung jedoch Abstand genommen. So stellt er vor allem bei aus verschiedenen Tatalternativen zusammengesetzten Tatbestän419 (1980); United States v. Woodward, 469 U.S. 105, 108 (1985); vgl. Ball v. United States, 470 U.S. 856, 862 (1985); Scalia, Kennedy JJ., Rehnquist C.J., dissenting, in Grady v. Corbin, 495 U.S. 508, 529 (1990). 14 Vgl. die Entscheidung Schmuck v. United States, 489 U.S. 705, 716–721 (1989), in der ein auf die konkreten Tatsachen und die geschützten Interessen abstellender inherent relationship-Test abgelehnt wurde; Carter v. United States, 530 U.S. 255, 260–261 (2000); vgl. auch Rehnquist J., Burger C.J., dissenting, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 708–709 (1980); Geisler, Die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Strafverfahrensund Verfassungsrecht, 1998, S. 134 f.; Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 364 ff., 407; LaFave et al., Criminal Procedure, 5. Aufl. 2009, S. 1180. 15 Die Konzepte stimmen allerdings nicht vollkommen überein: Einerseits kann bei einem gegenteiligen Willen des Gesetzgebers auch zwischen greater und lesser offense die kumulative Verurteilung zulässig sein (vgl. 4. Kap. § 1 B. II.). Andererseits erfasst die prohibition against multiple punishment nicht nur diese Konstellation, sondern auch vollidentische Tatbestände, vgl. Grady v. Corbin, 495 U.S. 508, 516 (1990). 16 Vgl. Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 167–168 (1977); Rutledge v. United States, 517 U.S. 292, 297 (1996); Currier v. Virginia, 138 S.Ct. 2144, 2150 (2018); Mead, Ind. L. Rev. 13 (1980), 863, 872; Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 356, 407. 17 Vgl. Griffin, U. Rich. L. Rev. 37 (2003), 471, 477 f. 18 Vgl. etwa Burton v. United States, 202 U.S. 344, 377 (1906); Morgan v. Devine, 237 U.S. 632, 638–639 (1915); Albrecht v. United States, 273 U.S. 1, 11 (1927); vgl. auch Slovenko, Tul. L. Rev. 30 (1956), 409, 419 („The lesser included offense doctrine is often the same evidence test in different words.“).
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den, deren Alternativen allesamt auch noch einmal selbstständig strafbar sind (compound crime problem19), auf eine notwendige Mitbegehung bei einer konkreten Betrachtung ab. a) Die Fiktion eigenständiger Straftatbestände bei Delikten mit verschiedenen Tatmodalitäten Harris war auf Grundlage desselben faktischen Vorgangs in aufeinanderfolgenden Verfahren sowohl wegen eines Verbrechens mit Todesfolge (felony murder) als auch wegen bewaffneten Raubes (robbery with firearms) verurteilt worden. Der Oberste Gerichtshof hob allerdings die zweite Verurteilung auf und stellte bei der Prüfung der notwendigen Mitbegehung auf das im konkreten Fall begangene Verbrechen (felony) ab, obwohl ein felony murder nach dem einschlägigen Statut nicht stets einen Raub mit Waffen voraussetzte, sondern theoretisch auch andere Verbrechen den Anknüpfungspunkt hätten bilden können.20 Erst in Whalen v. United States hat das Problem jedoch zu einer kontroversen Diskussion in der Richterschaft geführt. Nachdem der Angeklagte in einem einzigen Verfahren wegen Vergewaltigung (rape) und – das Opfer wurde im Zusammenhang mit der Vergewaltigung getötet – felony murder verurteilt worden war, knüpfte die Mehrheit der Richter bei der Anwendung von Blockburger v. United States auf das im konkreten Fall angeklagte Verbrechen als notwendige Voraussetzung des felony murder an. Infolgedessen hob sie die Vergewaltigungsverurteilung auf: „In this case, resort to the Blockburger rule leads to the conclusion that Congress did not authorize consecutive sentences for rape and a killing committed in the course of the rape, since it is plainly not the case that ‚each provision requires proof of a fact which the other does not.‘ A conviction for killing in the course of a rape cannot be had without proving all the elements of the offense of rape. [...] In the present case, however, proof of rape is necessary element of proof of the felony murder, and we are unpersuaded that this case should be treated differently from other cases in which one criminal offense requires proof of every element of another offense.“21
Eine von Richter Rehnquist angeführte Minderheit betonte hingegen, dass zwei Tatbestände nur dann im Sinne von Blockburger v. United States rechtlich identisch seien, wenn die Begehung des einen in jedem denkbaren Fall die MitverVgl. Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 369. Harris v. Oklahoma, 433 U.S. 682–683 (1977); Griffin, U. Rich. L. Rev. 37 (2003), 471, 479 f.; Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 369 f. 21 Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 693–694 (1980). Vgl. auch Marshall, Stevens JJ, dissenting, in Missouri v. Hunter, 459 U.S. 359, 370 (1983): „[The] theoretical possibility that the underlying felony could be some felony other than first-degree robbery is irrelevant for purposes of the Double Jeopardy Clause where no other underlying felony is in fact charged.“ 19 20
§ 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage
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wirklichung des anderen bedeutet.22 Danach wäre in diesem Fall die Vergewaltigung selbst das Tatbestandsmerkmal gewesen, welches der Tatbestand des felony murder nicht enthält.23 In United States v. Dixon trat das Problem strukturell ähnlich im Zusammenhang mit gerichtlichen Anordnungen auf, die den Tätern ausdrücklich untersagten, gegen ein Strafgesetz bzw. gegen darin spezifizierte Strafgesetze zu verstoßen. Fraglich war infolgedessen, ob sowohl wegen des verletzten Strafgesetzes als auch wegen der – in der Nichtbeachtung der gerichtlichen Anordnung begründeten – strafbaren Missachtung des Gerichts (contempt of court) verurteilt werden konnte. Die Richtermehrheit stellte für die Blockburger-Prüfung auf die konkrete gerichtliche Anordnung bzw. die konkret verübten Delikte ab und kam zu dem Ergebnis, dass die Missachtung des Gerichts dasselbe Delikt darstellte wie die in den Anordnungen genannten Delikte (hier: ein Drogendelikt sowie der Tatbestand des assault).24 Die wiederum von Richter Rehnquist verfasste Minderansicht wandte auch hier ein, dass keiner der Tatbestände bei abstrakter Betrachtung notwendigerweise die Begehung des anderen beinhaltet.25 Schließlich wurde auch in Garrett v. United States – bemerkenswerterweise unter Berichterstattung Rehnquists – für die Anwendung des Blockburger-Tests zwischen dem Tatbestand des continuing criminal enterprise (21 U.S. Code § 848) und den dieses kriminelle Unternehmen stützenden Einzeldelikten auf die konkreten Gesetzesverletzungen rekurriert, sodass die Mehrheitsrechtsprechung im Prinzip bestätigt wurde (vgl. zu diesem Fall aber noch 4. Kap. § 1 B. II.).26 b) Allgemeines Abstellen auf die notwendige Mitbegehung auf Grundlage der konkreten Anklagetheorie? Die Minderheiten in Whalen v. United States und United States v. Dixon warfen den jeweiligen Mehrheiten u. a. vor, dass deren Ansicht eine Abwendung vom same elements test bedeute und auf einen Vergleich der in der konkreten Anklage vorgebrachten Tatsachen hinauslaufe.27 In einem Teil der Literatur wird auf Rehnquist J., Burger C.J., dissenting, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 709–714 (1980). 23 Vgl. Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 79. 24 United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 697–700 (1993). Positiv war Blockburger aber in Bezug auf Tatbestände, die über die in den gerichtlichen Anordnungen genannten Delikte hinausgingen und daher für den Beweis des contempt nicht erforderliche Merkmale enthielten (700–703). In dieser Frage war die Mehrheit allerdings ihrerseits gespalten. 25 Rehnquist C.J., O’Connor, Thomas JJ., concurring and dissenting in part, in United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 714–720 (1993). 26 Vgl. Garrett v. United States, 471 U.S. 773, 778–779 (1985). 27 Vgl. Rehnquist J., Burger C.J., dissenting, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 22
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
Grundlage der Whalen-Dixon-Rechtsprechung sogar allgemein für eine Prüfung der Übereinstimmung der Tatbestandselemente auf Grundlage der konkreten, in der Anklage behaupteten Tatsachen plädiert.28 Dieser Vorschlag kann insbesondere auf eine in einigen Bundesstaaten aufgekommene Praxis verweisen, wo der Blockburger-Test tatsächlich derart modifiziert angewendet wird (vgl. 4. Kap. § 1 E. II. 3.). Der Gerichtshof hat sich dieser weiten Auslegung seiner Whalen-Dixon-Rechtsprechung für das Bundesstrafrecht bislang allerdings nicht angeschlossen; die Whalen-Mehrheit wies den Vorwurf des Tatsachenvergleichs sogar ausdrücklich zurück.29 In einem weiteren Teil des Schrifttums wird die Whalen-Rechtsprechung daher nicht als Übergang zu einem konkreten Tatsachenvergleich interpretiert, sondern als spezielle Anwendung des same elements test durch Fiktion eigenständiger Tatbestände bei zusammengesetzten Delikten.30 Diese Erklärung dürfte auch auf die Fälle mit nicht ausdrücklichen, sondern nur impliziten Tatalternativen, z. B. United States v. Dixon, übertragbar sein. Mithin würde die Grenze zwischen einer ausdrücklich nicht durchgeführten allgemeinen Elementeprüfung anhand der vorgebrachten Tatsachen und einer in bestimmten Fällen möglichen abstrakten Elementeprüfung bei isolierter Betrachtung der Tatalternativen dort verlaufen, wo in einem Tatbestand schon die Begehung eines anderen Delikts durch allgemeinen oder besonderen Verweis angelegt ist und damit stets vorausgesetzt wird. Ob der Oberste Gerichtshof darüber im Sinne einer Elementeprüfung anhand der behaupteten Tatsachen hinausgehen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin wurde eine ähnliche Konzeption für aufeinanderfolgende Prozesse gerade in United States v. Dixon verworfen31 und in der jüngsten Entschei711–712 (1980); Rehnquist C.J., O’Connor, Thomas JJ., concurring and dissenting in part, in United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 716–717 (1993); bzgl. United States v. Dixon kommt auch Ross, Am. J. Crim. L. 29 (2002), 245, 257 (Fn. 76) zu dieser Schlussfolgerung. 28 Muehlmeyer, Multiple Punishment in the Context of Vague and Complex Statutes, 2013, S. 20 ff., 43 ff.; vgl. auch den Ansatz von Tsiatsos, W. Va. L. Rev. 109 (2007), 527, 556 ff. 29 Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 694 n. 8 (1980); Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 85. 30 Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 85 f. 31 In Grady v. Corbin, 495 U.S. 508, 510 (1990) war formuliert worden, dass in einem ersten Schritt die same elements nach Blockburger v. United States zu prüfen sind; im ggf. zweiten Schritt war zu klären, ob die der ersten Verurteilung unterliegenden Tatsachen vollständig für die zweite verwendet werden müssen: „We hold that the Double Jeopardy Clause bars a subsequent prosecution if, to establish an essential element of an offense charged in that prosecution, the government will prove conduct that constitutes an offense for which the defendant has already been prosecuted.“; vgl. auch schon Illinois v. Vitale, 447 U.S. 410, 419–420 (1980). In United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 704–712 (1993) wurde Grady v. Corbin wieder verworfen und zu einem einheitlichen Begriff der rechtlichen Identität zurückgekehrt; zust. Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1040 f.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 57, 145.
§ 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage
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dung32 des Gerichtshofs noch einmal betont, dass der Blockburger-Test ein Vergleich von abstrakten Tatbestandselementen (statutory elements) sei. 4. Die Einbeziehung der notwendigen Mitbegehung für den konkreten Täter Zu einer ähnlichen Erweiterung ist es auch in der Konstellation gekommen, dass zwei zusammengesetzte Delikte (compound offenses) zusammentreffen. So stellte der Oberste Gerichtshof in Ball v. United States zwar fest, dass man eine Schusswaffe nicht entgegennehmen (receiving) kann, ohne sie notwendigerweise auch zu besitzen (possessing).33 Die beide Handlungen unter Strafe stellenden Statuten konnten bei abstrakter Betrachtung jedoch auch ohne notwendige Mitverwirklichung des jeweils anderen realisiert werden, weil es sich um Sonderdelikte mit unterschiedlichen Täterkreisen handelte. Ball gehörte dabei als vorverurteilter Verbrecher einem Täterkreis an, der die Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllte. Demzufolge lag der Notwendigkeitsprüfung nach dem Blockburger-Test auch hier eine isolierte Betrachtung, diesmal der jeweils alternativen Täterkreise der Tatbestände, zugrunde.34 II. Kein Doppelverurteilungsverbot trotz desselben Delikts nach Blockburger Der Blockburger-Test erfüllt über die Feststellung der rechtlichen Identität von Tatbeständen hinaus eine weitere Funktion: So liegt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur dann ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot nach double jeopardy vor, wenn entgegen dem Willen des Gesetzgebers kumulativ verurteilt wird.35 Da dieser Wille allerdings nur selten explizit geCurrier v. Virginia, 138 S.Ct. 2144, 2153–2154 (2018). Ball v. United States, 470 U.S. 856, 862 (1985). 34 Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 84 ff.; der Gerichtshof wies auf die unterschiedlichen Täterkreise explizit hin, vgl. Ball v. United States, 470 U.S. 856, 863–864 (1985). 35 Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 165 (1977); Sanabria v. United States, 437 U.S. 54, 69–70 (1978); Blackmun J, concurring, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 697–698 (1980); Blackmun J, concurring, in Busic v. United States, 446 U.S. 398, 413 (1980); Albernaz v. United States, 450 U.S. 333, 344 (1981); Missouri v. Hunter, 459 U.S. 359, 366–368 (1983); Ohio v. Johnson, 467 U.S. 493, 499 (1984); Grady v. Corbin, 495 U.S. 508, 516–517 (1990); Blackmun J, concurring and dissenting in part, in United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 745 (1993); Boyd v. Boughton, 798 F.3d 490, 497–498 (7th Cir. 2015); so auch Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 4; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 109. Ein Teil der (früheren) Richterschaft wollte hingegen auch den Gesetzgeber an das in der double jeopardy clause enthaltene Verbot der mehrfachen Bestrafung gebunden sehen, vgl. Stewart, Marshall, Stevens JJ., concurring, in Albernaz v. United States, 450 U.S. 333, 344–345 (1981); Marshall, Stevens JJ., dissenting, in Missouri v. Hunter, 459 U.S. 359, 370–374 (1983); krit. auch Hessick/Hessick, Cornell L. Rev. 97 (2011–2012), 45, 54 ff. 32 33
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macht wird, kommt dem Blockburger-Test auch die Funktion einer Vermutungsregel zu.36 Dasselbe Delikt in diesem Sinne schafft mithin eine widerlegliche Vermutung gegen den Willen des Gesetzgebers zu einer Doppelverurteilung.37 In der Rechtsprechungspraxis wurde diese Annahme im Zusammenhang mit Tatbeständen als widerlegt angesehen, die das eben schon angesprochene Pro blem der Verweisung auf andere Tatbestände enthalten (4. Kap. § 1 B. I. 3.). Dies war etwa der Fall zwischen einem Raub ersten Grades (first-degree robbery) und einem Tatbestand der Begehung eines bewaffneten Verbrechens (armed criminal action), der ausdrücklich vorsah, dass die Strafe hierfür zu der für das jeweilige Grunddelikt hinzutreten soll.38 Darüber hinaus ist die kumulative Verurteilung trotz desselben Delikts nach Blockburger v. United States zwischen einem andauernden kriminellen Unternehmen (continuing criminal enterprise) und den diesem Unternehmen unterliegenden Grunddelikten zulässig, weil sich aus Gesetzestext, Systematik und der Entstehungsgeschichte ein entsprechender Wille ergeben soll.39 Auch für 18 U.S. Code § 924(c), der das Vorhandensein einer Waffe im Zusammenhang mit der Begehung eines Gewalt- oder Drogenhandelsdelikts erschwerend berücksichtigt, wird dies angenommen.40 Schließlich besteht zwischen den verschiedenen Bezirksappellationsgerichten derzeit ein Meinungsstreit darüber, ob Entsprechendes auch zwischen der Brandstiftung (arson) und der Verwendung von Feuer zur Begehung eines Verbrechens (using fire to commit a federal felony) der Fall ist.41 III. Über Blockburger hinausgehende Kumulationsverbote Unterschiedliche Delikte im Sinne von Blockburger v. United States lassen umgekehrt den Willen des Gesetzgebers zugunsten der kumulativen Verurteilung
36 Iannelli v. United States, 420 U.S. 770, 785 n. 17 (1975); Rutledge v. United States, 517 U.S. 292, 297 (1996); Boyd v. Boughton, 798 F.3d 490, 497–498 (7th Cir. 2015); Westen/Drubel, Sup. Ct. Rev. 1978, 81, 119 (Fn. 181); vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 153; ders., Double Jeopardy, 2001, S. 20; krit. Warren C.J., dissenting, in Gore v. United States, 357 U.S. 386, 394 (1958). 37 Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 691–692 (1980); Albernaz v. United States, 450 U.S. 333, 337, 339–343 (1981); Ball v. United States, 470 U.S. 856, 861 (1985); Almendarez-Torres v. United States, 523 U.S. 224, 231 (1998); Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 153; ders., Double Jeopardy, 2001, S. 20; Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 400 f. 38 Missouri v. Hunter, 459 U.S. 359, 361, 369 (1983). 39 Garrett v. United States, 471 U.S. 773, 779 (1985). 40 United States v. Morris, 247 F.3d 1080, 1085 (10th Cir. 2001). 41 Für einen Willen zur Kumulation United States v. Anderson, 783 F.3d 727, 742–743 (8th Cir. 2015) m. w. N.; dagegen United States v. Corona, 108 F.3d 565, 571–572 (5th Cir. 1997); United States v. Konopka, 409 F.3d 837, 839 (7th Cir. 2005) m. w. N.
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vermuten,42 was jedoch ebenfalls widerlegt werden kann43. In der Tat finden sich Fälle einer unzulässigen Doppelbestrafung bzw. -verurteilung44, in denen bei abstrakter Betrachtung kein Tatbestand notwendigerweise die Verwirklichung des anderen voraussetzte, sondern andere Gründe als der same elements test die Kumulation verhinderten. 1. Die „Spezialität“ nach Simpson und Busic Zur früheren Fassung des Tatbestands des 18 U.S. Code § 924(c), welcher das Beisichführen bzw. Benutzen einer Schusswaffe zur Begehung eines Verbrechens (carrying/using of a firearm to commit any felony) selbstständig kriminalisierte, wurde etwa entschieden, dass er nicht kumulativ mit einem Delikt angewendet werden konnte, welches selbst schon eine Strafschärfung wegen der Benutzung eines gefährlichen Gegenstands enthielt. Hier wurde das Ergebnis jedoch nicht auf eine modifizierte Anwendung des Blockburger-Tests gestützt, sondern auf den (angeblichen45) Willen des Gesetzgebers: Dies wurde zum Beispiel im Verhältnis zwischen der Benutzungsalternative und einem Bankraub unter Benutzung eines gefährlichen Gegenstands (bank robbery by use of a dangerous weapon or device) angenommen. Nach dem Gerichtshof deutete die Gesetzgebungsgeschichte darauf hin, dass die Benutzung einer Waffe nicht zweimal in Ansatz gebracht werden sollte; jedenfalls war im Zweifel die für den Täter günstigere Auslegung zu wählen (rule of lenity).46 Zusätzlich wurde ein sich aus der rule of lenity ergebendes Prinzip eingeführt, wonach einem „spezielleren“ Statut (a more specific statute) Vorrang vor einem allgemeineren zu geben ist, wenn beide ein identisches Anliegen (same concern) betreffen.47 Diese Rechtsprechung wurde von einer Mehrheit im Verhältnis zwischen dem alten § 924(c) in beiden Tathandlungsalternativen und einem bewaffVgl. Garrett v. United States, 471 U.S. 773, 793 (1985). Vgl. Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 195. 44 In den älteren Fällen wurde teilweise lediglich die Strafe, nicht aber die Verurteilung für ein eigentlich nicht anwendbares Delikt aufgehoben. 45 Der Kongress hat 1984 das Gesetz geändert, um eine doppelte Bestrafung zu ermöglichen, vgl. Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 195. 46 Vgl. Simpson v. United States, 435 U.S. 6, 11–15 (1978), wobei dort zu Blockburger v. United States nicht ausdrücklich Stellung genommen wurde. 47 Simpson v. United States, 435 U.S. 6, 15–16 (1978). Auch hierzu gab es wieder einen dezidierten dissent von Rehnquist, der auf Grundlage der „klaren Wortlaute der Tatbestände“ (plain language of the statutes) für die Kumulation plädierte, vgl. Rehnquist J., dissenting, in Simpson v. United States, 435 U.S. 6, 16–18 (1978); vgl. auch Rehnquist J., dissenting, in Busic v. United States, 446 U.S. 398, 417–419 (1980). Die zur Stützung dieses „Spezialitätsprinzips“ angeführte Entscheidung Preiser v. Rodriguez, 411 U.S. 475 (1973) betraf nicht das Verhältnis zwischen Straftatbeständen, sondern zwischen verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfen. 42 43
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neten Angriff auf einen Bundesbeamten (armed assault on a federal officer) noch bestätigt.48 Danach scheint diese „Spezialitätsregel“ allerdings keinen Anklang mehr gefunden zu haben. 2. Nielsen: Wertungsbasierte Abweichung vom same elements test In dem alten, aber immer noch viel diskutierten Fall Ex Parte Nielsen wurde vom same elements test abgewichen, ohne dass eine die Modifikation des Tests naheliegende Konstellation vorlag. Vielmehr scheint das Abzielen der Tatbestände auf dasselbe Übel den Ausschlag zuungunsten der kumulativen Verurteilung gegeben zu haben. So untersagte der Gerichtshof die in aufeinanderfolgenden Verfahren erfolgte Strafverfolgung für das rechtswidrige Zusammenleben mit mehr als einer Frau (cohabitation with more than one woman) und den Ehebruch (adultery), weil „the material part of the adultery charged was comprised within the unlawful cohabitation of which the petitioner was already convicted [...].“49
Da das Zusammenleben bei abstrakter Betrachtung jedoch keine Ehe einer der Personen erforderte bzw. der Ehebruch kein Zusammenleben als Mann und Frau, war der Blockburger-Test (bzw. der damals anwendbare, sachlich identische Morey v. Massachusetts-Test) hier eigentlich positiv.50 Dennoch wählte der Gerichtshof eine wertungsbasierte Lösung, weil beide Delikte auf dasselbe tatbestandliche Unrecht der Polygamie abzielten. Teilweise wird der Entscheidung infolgedessen ein eigenständiger „essence of the offense“-Test zugeschrieben.51 Insofern gab in diesem Fall ausnahmsweise einmal die Übereinstimmung der geschützten Interessen selbstständig, also unabhängig vom same elements test, den Ausschlag zuungunsten der Kumulation. Davon und von den wenigen weiteren hier noch genannten Fällen abgesehen, scheinen die tatbestandlich geschützten Interessen oder die tatbestandlich bekämpften Übel hingegen keine überragende Rolle zu spielen. Wenngleich gelegentlich eine derartige Argumentation angeführt wird, erfolgt dies in der Regel unselbstständig, d. h. es wird mit den geschützten Rechtsinteressen oder bekämpften Übeln nur ein aufgrund einer
Busic v. United States, 446 U.S. 398, 404–411 (1980). Ex Parte Nielsen, 131 U.S. 176, 187 (1889). 50 Vgl. Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 166 n. 6 (1977); Blackmun J., concurring and dissenting in part, in United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 749–753 (1993); Moore, Act and Crime, 1993, S. 348; Amar/Marcus, Colum. L. Rev. 95 (1995), 1, 41 f.; Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1043 f.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 52 f., 96 f.; Griffin, U. Rich. L. Rev. 37 (2003), 471, 479 (Fn. 59); Rudstein, Double Jeopardy, 2004, S. 78 f. 51 Vgl. Klein, Cal. L. Rev. 88 (2000), 1001, 1004 (Fn. 3), 1011. 48 49
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Blockburger-Prüfung schon erlangtes Ergebnis bestätigt52 bzw. man stellt sich auf den Standpunkt, dass durch den Blockburger-Test implizit schon eine Prüfung der Übereinstimmung der Rechtsinteressen vorgenommen wird53. Bisweilen werden die geschützten Interessen sogar als für die Frage des double jeopardy bedeutungslos gehalten.54 3. Vor- und Nachbereitungsdelikte a) Die Entwicklung einer Rechtsprechungslinie in Bezug auf 18 U.S. Code § 2113 Der Gerichtshof hat mehrmals auch bei nicht durch strikt identische Verhaltenstatsachen vorgenommenen Deliktsrealisierungen die Kumulation untersagt. In früheren Entscheidungen erfolgte dies nur auf Bestrafungsebene, in neueren schon auf Verurteilungsebene. Dies geschah im Fall Prince v. United States im Verhältnis zwischen den selbstständigen Alternativen des 18 U.S. Code § 2113(a), nämlich dem Betreten einer Bank in der Absicht, ein Verbrechen zu begehen (entering a bank with intent to commit a felony affecting such bank) und einem sodann tatsächlich ausgeführten Bankraub (bank robbery). Der Bankraub setzt nicht notwendigerweise das Betreten einer Bank mit einer Verbrechensabsicht voraus. Umgekehrt muss das intendierte Verbrechen für den Tatbestand des Betretens nicht tatsächlich zur Ausführung kommen. Der Blockburger-Test ist mithin positiv.55 Nach der Entstehungsgeschichte dient der Betretenstatbestand jedoch nur dazu, Fälle zu erfassen, in denen der Täter schon vor der Ausführung des intendierten Delikts aufgehalten wird; ferner soll das Unrecht des Delikts (gravamen of the offense) nicht im Betreten an sich bestehen, sondern in der Absicht, zu stehlen.56 In der damit neutralen Handlung des Betretens wurde überdies der zentrale Unterschied zu Vgl. z. B. Albernaz v. United States, 450 U.S. 333, 343 (1981); United States v. Woodward, 469 U.S. 105, 108–109 (1985); vgl. auch Blackmun J., concurring and dissenting in part, in United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 743 (1993). Vgl. für die umgekehrte Konstellation Ball v. United States, 470 U.S. 856, 864 (1985), wo Blockburger in seiner modifizierten Anwendung (4. Kap. § 1 B. I. 4.) schon negativ war. Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 695. 53 Vgl. Rehnquist J., Burger C.J., dissenting, in Whalen v. United States, 445 U.S. 684, 713–714 (1980); vgl. Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 29 f. 54 Vgl. United States v. Dixon, 509 U.S. 688, 699 (1993), vgl. Rudstein, Double Jeopardy, 2004, S. 47. 55 Vgl. United States v. Loniello, 610 F.3d 488, 491 (7th Cir. 2010); Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 38 (Fn. 172); ders., Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1048.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 177. 56 Prince v. United States, 352 U.S. 322, 328 (1957). 52
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einer früheren Entscheidung gesehen, in der die kumulative Verurteilung für einen Einbruch in ein Postamt zur Begehung eines Diebstahls (burglary with intent to commit larceny) und dem unmittelbar nachfolgenden Diebstahl (larceny) aufrechterhalten wurde.57 Diese Herangehensweise wurde später auf Nachbereitungsdelikte des Bankraubs übertragen. Demnach ist eine zusätzliche Verurteilung nach 18 U.S. Code § 2113(c) wegen Besitzens (possessing) oder Empfangens (receipt) durch Aufteilen der Beute mit den Komplizen unzulässig. Dieser Tatbestand will nämlich nur Personen treffen, die die Beute vom Räuber entgegennehmen, ohne selbst am Bankraub beteiligt gewesen zu sein.58 b) Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Rechtsprechung? Da der Gerichtshof im Zusammenhang mit 18 U.S. Code § 2113(a) betont, dass es sich um ein besonderes Statut handelt (a unique statute of limited purpose),59 scheint er nicht über Blockburger v. United States hinaus von der Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Rechtsprechung für die Vor- und Nachbereitung anderer Delikte auszugehen. Einen solchen Weg schlägt zwar das ALI im Model Penal Code vor (vgl. noch 4. Kap. § 1 E. I.),60 jedoch findet im Bundesstrafrecht bislang nur eine vorsichtige Ausweitung statt. Anerkannt scheint bislang nur eine Ausdehnung auf Vor- und Nachbereitungstaten im Zusammenhang mit weiteren Diebstahls-/Raubstatuten zu sein.61 Ein zentraler Streitpunkt ist hier, ob schon die fehlende Ausführungsidentität zwischen den Tatbestandsrealisierungen zur Kumulation führen sollte: So lagen in Milanovich v. United States 17 Tage zwischen einem Diebstahl öffentlicher Gelder (stealing government property) und einer Empfangshandlung (receiving government property). Die Mehrheit nahm hier noch ein Doppelverurteilungsverbot an,62 während die immerhin aus vier Richtern bestehende Minderheit aufgrund separater Vorgänge kumulativ verur-
57 Prince v. United States, 352 U.S. 322, 328 n. 9 (1957) in Abgrenzung zu Morgan v. Devine, 237 U.S. 632, 638–641 (1915). 58 Heflin v. United States, 358 U.S. 415, 419–420 (1959); United States v. Gaddis, 424 U.S. 544, 547–548 (1976). 59 Prince v. United States, 352 U.S. 322, 325 (1957). 60 Vgl. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 110 f., wonach im Model Penal Code nicht erwähnte Nachbereitungstaten analog den nach dem Code straflosen (MPC, s. 1.07(1)(b)) Vorbereitungstaten behandelt werden sollten. 61 Vgl. United States v. Loniello, 610 F.3d 488, 495 (7th Cir. 2010). 62 Milanovich v. United States, 365 U.S. 551, 553–555 (1961).
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teilen wollte.63 Auch in diesem Fall handelte es sich um zwei selbstständige Alternativen innerhalb eines Gesamttatbestands (18 U.S. Code § 641). Auf der Ebene der Bezirksappellationsgerichte wurde die Prince-Rechtsprechung auf das Verhältnis zwischen dem Drogenbesitz mit Verbreitungsabsicht und der Verbreitung von Drogen – beide strafbar nach 21 U.S. Code § 841 – ausgedehnt, weil der Kongress mit dem ersten Tatbestand nur unvollendete Drogenverbreitungen treffen wollte.64 Interessanterweise wird hier auch eine – möglicherweise nicht mit der Supreme Court-Rechtsprechung zu vereinbarende – konkrete Anwendung des Blockburger-Tests bemüht.65 Darüber hinaus wurde Prince v. United States auf das Verhältnis zwischen dem Drogenbesitz an Bord eines Luftschiffs (21 U.S. Code § 955) und der illegalen Drogeneinfuhr (21 U.S. Code § 952(a)) übertragen.66 Bemerkenswerterweise wird für diese Rechtsprechung eines Doppelverurteilungsverbots bei subsidiary provisions67 über Blockburger v. United States hinaus der Begriff „merger“ verwendet,68 worin manche sogar eine Art Fortleben der alten merger doctrine nach common law sehen (vgl. 2. Kap. § 1 A. I.).69 c) Versuch (attempt) bzw. Verschwörung (conspiracy) und Hauptdelikt Betreffend das Verhältnis zwischen einem Hauptdelikt und selbstständig strafbaren allgemeinen Durchlaufstadien muss differenziert werden. So ist der Versuch nach F. R. Crim. P., r. 31(c)(2) ausdrücklich eine lesser included offense des vollendeten Delikts, sodass zwischen beiden ein Doppelverurteilungsverbot besteht.70 Der Blockburger-Test ist hier jedoch nicht notwendigerweise erfüllt, weil der Versuch in seinen Voraussetzungen eigenständige Elemente erfordern kann.71 63 Frankfurter, Clark, Harlan, Whittaker JJ., dissenting, in Milanovich v. United States, 365 U.S. 551, 558–560 (1961); krit. auch Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 207 (Fn. 1). 64 United States v. Gore, 154 F.3d 34, 43–47 (2nd Cir. 1998) m. w. N.; United States v. Weingarten, 713 F.3d 704, 710 (2nd Cir. 2013). 65 United States v. Gore, 154 F.3d 34, 46 (2nd Cir. 1998). 66 United States v. Valot, 481 F.2d 22, 27 (2nd Cir. 1973); United States v. Weingarten, 713 F.3d 704, 710 (2nd Cir. 2013). 67 Vgl. Callanan v. United States, 364 U.S. 587, 596 (1961). 68 Vgl. Prince v. United States, 352 U.S. 322, 328 (1957); United States v. Valot, 481 F.2d 22, 27 (2nd Cir. 1973); United States v. Gore, 154 F.3d 34, 46–47 (2nd Cir. 1998). 69 Frankfurter, Clark, Harlan, Whittaker JJ., dissenting, in Milanovich v. United States, 365 U.S. 551, 558 (1961); a. A. Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 40 f. 70 Vgl. United States v. Madonna, 582 F.2d 704, 705 (2nd Cir. 1978); United States v. Weingarten, 713 F.3d 704, 710 n. 4 (2nd Cir. 2013); Kirchheimer, Yale L. J. 58 (1949), 513, 518; Doyle, Attempt: An Overview of Federal Criminal Law, 2015, S. 10. 71 Vgl. Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 430 f.; In MPC, s. 1.07(4)(b) hat man sich
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Eine Verschwörung (conspiracy) ist hingegen nach ständiger – aber nicht kritikfreier72 – Rechtsprechung keine hinter die ausgeführte Haupttat zurücktretende Vorbereitungstat, weil die Ausführung regelmäßig keine vorherige Vereinbarung erfordert und die Verschwörung umgekehrt keine Ausführung verlangt.73 Ferner wird die eigenständige Gefährlichkeit als Gruppe als Grund für die Kumulation angeführt.74 Entsprechendes gilt auch zwischen der Verschwörung und dem Versuch des Hauptdelikts.75 Ausnahmsweise kann die Kumulation aber unzulässig sein, wenn das Hauptdelikt in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen schon notwendigerweise ein Zusammenwirken mehrerer Personen voraussetzt, obgleich nicht unbedingt eine Vereinbarung im engen Sinne vorliegen muss.76
C. Kumulationsverbote bei der mehrfachen Realisierung desselben Tatbestands Die US-amerikanische Rechtsprechung hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wann die mehrfache begriffliche Realisierung desselben Tatbestands nur eine Gesetzesverletzung und wann mehrere bildet. Auch hier determiniert der Wille des Gesetzgebers die jeweilige Einheit, an welche die einzelne Gesetzesverletzung anknüpft (zumeist als unit of prosecution bezeichnet77).78 Allerdings für eine ausdrückliche Klarstellung entschieden, vgl. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 108, 132. 72 Rutledge J., dissenting in part, in Pinkerton v. United States, 328 U.S. 640, 649–654 (1946); Stewart, Black, Douglas JJ., Warren C.J., dissenting, in Callanan v. United States, 364 U.S. 587, 597–602 (1961); vgl. Kirchheimer, Yale L. J. 58 (1949), 513, 518 f.; Johnson, Cal. L. Rev. 58 (1970), 357, 358. Von dieser Rechtsprechung weicht MPC, s. 1.07(1)(b) ausdrücklich ab, vgl. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 109 f. 73 Heike v. United States, 227 U.S. 131, 144 (1913); Pinkerton v. United States, 328 U.S. 640, 643–644 (1946); American Tobacco v. United States, 328 U.S. 781, 788–789 (1946); Pereira v. United States, 347 U.S. 1, 11–12 (1954); Callanan v. United States, 364 U.S. 587, 593–596 (1961); Iannelli v. United States, 420 U.S. 770, 777–779, 781–782 (1975); United States v. Felix, 503 U.S. 378, 391 (1992); Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 211 f. 74 Callanan v. United States, 364 U.S. 587, 593–594 (1961); Johnson, Cal. L. Rev. 58 (1970), 357, 358. 75 Doyle, Attempt: An Overview of Federal Criminal Law, 2015, S. 11. 76 Iannelli v. United States, 420 U.S. 770, 779–782 (1975); vgl. Westen/Drubel, Sup. Ct. Rev. 1978, 81, 119 f.; vgl. Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 194 f.; vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 49. 77 Vgl. United States v. Universal C.I.T. Credit Corp., 344 U.S. 218, 221 (1952); Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 11. 78 Vgl. Ebeling v. Morgan, 237 U.S. 625, 629 (1915); United States v. Universal C.I.T. Credit Corp., 344 U.S. 218, 221 (1952); Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 217; Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 15.
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wird nicht auf die Vermutungsregeln des Blockburger-Tests zurückgegriffen, weil dieser als Vergleich der abstrakten Tatbestandselemente immer zur Deliktsidentität führen würde und daher nur auf die Konstellation verschiedener Tatbestände ausgelegt ist.79 Die Rechtsprechung stellt zur Ermittlung des gesetzgeberischen Willens stattdessen traditionell stark auf die Formulierung der tatbestandlichen Handlung ab; d. h. sie neigt zu einer einzigen Gesetzesverletzung, wenn die Tathandlung allgemein als ein fortlaufendes Verhalten definiert ist, bzw. zu separaten Gesetzesverletzungen, wenn die Tathandlung spezifisch als Einzelakt umschrieben ist.80 Der Oberste Gerichtshof zitierte – kurioserweise ebenfalls in Blockburger v. United States – folgenden Test aus einem Lehrbuch: „The test is whether the individual acts are prohibited, or the course of action which they constitute. If the former, then each act is punishable separately. If the latter, there can be but one penalty.“81
Im Folgenden wird zunächst eine Auswahl des Fallrechts zur Kategorie der fortlaufenden Verhaltensumschreibung sowie die Ausdehnung, die der Begriff der continuing offense inzwischen erfahren hat, betrachtet (I.). Danach wird auf den Ansatz bei spezifisch umschriebenen Tathandlungen eingegangen und gezeigt, dass die in dem Test angedeutete Strenge nicht vollkommen durchgehalten wird, sodass es teilweise auch bei als Einzelakt umschriebenen Tathandlungen – trotz einer mehrfachen Vornahme – zu nur einer Gesetzesverletzung kommt (II.). Sodann wird spezifisch das Problem beleuchtet, dass die Tathandlung nur einmal vorgenommen wird, aber andere Tatbestandsmerkmale mehrfach erfüllt werden (III.). Schließlich wird kurz die Thematik der Erfüllung verschiedener Tatalternativen eines Tatbestands und deren Zusammenfassung zu einer Gesetzesverletzung aufgegriffen (IV.). I. Zeitlich gestreckte Kriminalität (continuing offense) Bei Delikten, die in der Umschreibung der Tathandlung weder an gesonderte Einzelakte anknüpfen noch einen speziellen Zeitraum als Einheit der VerurteiVgl. Sanabria v. United States, 437 U.S. 54, 70 n. 24 (1978); United States v. Weathers, 186 F.3d 948, 952 (D.C. Cir. 1999). Teilweise wurde der Test allerdings in der Variante der konkreten Tatsachenbetrachtung angewendet und mit der Notwendigkeit des Beweises verschiedener Tatsachen die Kumulation gerechtfertigt, vgl. Ebeling v. Morgan, 237 U.S. 625, 630–631 (1915); Burger C.J., dissenting, in Ashe v. Swenson, 397 U.S. 436, 463–464 (1970); Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 166 n. 6 (1977); vgl. dazu Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 101, 183 f. 80 Vgl. Rudstein, Double Jeopardy, 2004, S. 75 f. 81 Blockburger v. United States, 284 U.S. 299, 302 (1932). Dieser, weniger Aufmerksamkeit findende Blockburger-Test ist daher nicht mit dem (anderen) Blockburger-Test zur Feststellung der Identität zwischen begrifflich verschiedenen Tatbeständen zu verwechseln. 79
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lung festlegen, wird bei einem in tatsächlicher Hinsicht einheitlichen Verhalten eine einzige Gesetzesverletzung angenommen. So stellte der Gerichtshof in der 1887 ergangenen Entscheidung In Re Snow fest, dass das ununterbrochene, ca. drei Jahre lange Zusammenleben mit mehr als einer Frau (cohabitation with more than one woman)82 nur eine Gesetzesverletzung in Form einer continuous/ continuing offense ergibt. Er wies dabei drei Verurteilungen für jeweils ein Jahr als willkürliche Einteilung zurück, weil der Tatbestand keinen gesonderten Akt unter Strafe stellte, sondern eine auf Dauer angelegte Tätigkeit darin beschrieben war: „The offense of cohabitation, in the sense of this statute, is committed if there is a living or dwelling together as husband and wife. It is, inherently a continuous offense, having duration; and not an offense consisting of an isolated act. [Hervorh. d. Verf.] [...] There was but a single offence committed prior to the time the indictments were found. [...] The division of the two years and eleven months is wholly arbitrary. On the same principle there might have been an indictment covering each of the 35 months, [...] or even an indictment covering every week [...]; and so on, ad infinitum, for smaller periods of time.“83
Der Gerichtshof folgte ausdrücklich der bereits erwähnten englischen Entscheidung Crepps v. Durden (2. Kap. § 1 B. II. 3. b). In Re Snow wiederum folgend fasste eine Mehrheit84 des Obersten Gerichtshofs zwei angeklagte, neun Tage auseinanderliegende Fahrten mit demselben entwendeten Wagen als Teile einer einheitlichen Gebrauchsanmaßung (joyriding) auf. Hierbei wurde betont, dass nur dann etwas anderes gegolten hätte, wenn der Gesetzgeber die Bezugsgröße „Tag“ als relevante Einheit der Strafbarkeit festgelegt hätte.85 Ferner liegt nach der Rechtsprechung nur eine einzige Missachtung des Gerichts (contempt of court) „of a continuing nature“ – und nicht elf Gesetzesverletzungen – vor, wenn eine Zeugin entgegen ihrer Aussagepflicht auf elf Fragen Antworten verweigert, die alle einen von ihr festgelegten „Verweigerungsbereich“ (area of refusal) betreffen.86 Eine Gesetzesverletzung wird darüber hinaus bei mehreren Beteiligungsakten an illegalem Glücksspiel (illegal gambling business) nach 18 U.S. Code § 1955(a) angenommen, sogar wenn es in tatsächlicher Hinsicht ver82 Das Statut hatte folgenden Wortlaut: „That if any male person, in a territory or other place over which the United States have exclusive jurisdiction, hereafter cohabits with more than one woman, he shall be deemed guilty of a misdemeanor [...].“ 83 In Re Snow, 120 U.S. 274, 281–282 (1887). Bestätigt in Ex Parte Nielsen, 131 U.S. 176, 185–186 (1889). 84 Blackmun, Rehnquist JJ., Burger C.J., dissenting, in Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 171– 172 (1977) sahen im Nichtbewegen des Autos eine relevante Zäsur; krit. auch Moore, Act and Crime, 1993, S. 320 ff., 386 ff. 85 Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 169–170 (1977). 86 Yates v. United States, 355 U.S. 66, 73–74 (1957).
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schiedene Spiele umfasst.87 Schließlich führt beispielsweise auch der ununterbrochene illegale „Besitz“ (possession) eines Gegenstands grundsätzlich zu nur einer Gesetzesverletzung.88 In jüngerer Zeit hat der akademisch nahezu unerforschte89 Begriff der continuing offense (vgl. zum englischen Recht schon 2. Kap. § 1 B. II. 3. b) eine größere Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der Beendigung von Delikten und dem (späteren) Beginn der Berechnung von Verjährungsfristen erfahren. Trotz einer durch den Obersten Gerichtshof erfolgten Anmahnung90 zu einer zurückhaltenden Handhabung, ist es über die letzten zwei Jahrzehnte zu einer Ausweitung des Konzepts auf nicht notwendig die zeitlich gestreckte Begehung voraussetzende Tatbestände und infolgedessen zu vielen Uneinigkeiten unter den Gerichten gekommen.91 Dies hängt mit einem Streit darüber zusammen, ob man für die Determination einer continuing offense schon auf das konkret angeklagte tatsächliche Verhalten (‚charged conduct’ approach) abstellen kann oder eine entsprechende Umschreibung im abstrakten Tatbestand notwendig ist.92 Beispielsweise ist umstritten, ob die Verwendung von über Jahre unberechtigt ausbezahlten Sozialleistungen zu einer einzigen „Unterschlagung“ (embezzlement)93 als continuing offense führen kann, wenn sie auf einer einheitlichen Absicht beruht.94 Darüber hinaus veranlasst auch das Vorhandensein des Wortes „scheme“ in Betrugstatbeständen vermehrt Gerichte dazu, zahlreiche nominelle Betrugstaten zu einer continuing offense zusammenzuziehen.95 Schließlich soll nach Ansicht mancher Gerichte Sanabria v. United States, 437 U.S. 54, 70–74 (1978). Vgl. Slovenko, Tul. L. Rev. 30 (1956), 409, 416; Moore, Act and Crime, 1993, S. 388; Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 187 f.; Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 233 f. 89 Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 222, 230. 90 Toussie v. United States, 397 U.S. 112, 115–116 (1970) formulierte darüber hinaus folgenden Test zur Identifizierung einer continuing offense: „[Such] a result should not be reached unless the explicit language of the substantive criminal statute compels such a conclusion, or the nature of the crime involved is such that Congress must assuredly have intended that it be treated as a continuing one.“ 91 Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 236 f. 92 Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 238 ff. 93 18 U.S. Code § 641(1). 94 So z. B. United States v. Smith, 373 F.3d 561, 564, 567–568 (4th Cir. 2004) unter Zitierung von United States v. Billingslea, 603 F.2d 515, 520 (5th Cir. 1979), wenn schon bei der ersten Einzelhandlung die Absicht eines Plans, eines Vorhabens oder der Schaffung eines Mechanismus zur wiederholten Begehung vorliegt; a. A. Michael C.J., dissenting, in United States v. Smith, 373 F.3d 561, 568–569 (4th Cir. 2004). 95 Vgl. z. B. United States v. Williams, 356 Fed. Appx. 167, 170–171 (10th Cir. 2009) („The Wire Fraud statute at issue in this case [...] focuses on the scheme itself, and not individual executions of that scheme.“); offen hierfür auch Michael C.J., dissenting, in United States v. 87 88
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auch bei der Geldwäsche ein einheitliches Vorhaben (single unified scheme) eine Zusammenfassung zu einer continuing offense herbeiführen können.96 Im Schrifttum wird diese, das Konzept der continuing offense ausdehnende, Entwicklung jedoch für bedenklich gehalten und für ein stärkeres Abstellen auf den abstrakten Tatbestand plädiert, nach dessen Elementen gerade eine andauernde Kriminalität anvisiert sein soll.97 Als derartige Tatbestände werden etwa Besitzdelikte (crimes of possession), die Entführung (kidnapping), aber auch die Verschwörung (conspiracy) angesehen.98 II. Die mehrfache Vornahme einer spezifisch umschriebenen Tathandlung (individual punishable acts) Bei Tatbeständen, in denen kein Verhaltenskomplex, sondern spezifisch umschriebene Einzelhandlungen unter Strafe gestellt werden, werden in Anknüpfung an diese kleinere unit of prosecution grundsätzlich mehrere Gesetzesverletzungen angenommen, wenn diese Tatbestände mehrfach durch verschiedene Handlungen erfüllt werden. So stellt das mehrmalige Absenden oder Entgegennehmen jeweils eines Briefes für betrügerische Zwecke jedenfalls nach traditioneller Rechtsprechung separate Gesetzesverletzungen dar, wenn das Statut genau diese Tathandlungen und nicht die „allgemeine Nutzung“ des Postamts für solche Zwecke (general use of the post-office for the purposes of carrying out a fraudulent scheme or device) unter Strafe stellt.99 In Ebeling v. Morgan wurden sechs Gesetzesverletzungen für das Aufschlitzen von sechs Postsäcken in Diebstahlsabsicht angenommen, obschon die Einzelhandlungen zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgten. Dies wurde damit begründet, dass nach dem betreffenden Statut100 das Aufschlitzen jedes einzelnen Postsacks strafbar sei: Smith, 373 F.3d 561, 569 (4th Cir. 2004); krit. Rosenberg, Westlaw J. White-Collar Crime (Dec. 2010), 1, 5 f.; Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 246 ff. m. w. N. 96 United States v. Moloney, 287 F.3d 236, 240–241 (2nd Cir. 2002); a. A. United States v. Kramer, 73 F.3d 1067, 1072–1073 (11th Cir. 1996). 97 Rosenberg, Westlaw J. White-Collar Crime (Dec. 2010), 1, 4 f.; Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 253 f. 98 Vgl. Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 233 f. 99 Ex Parte Henry, 123 U.S. 372, 374–375 (1887); Ex Parte De Bara, 179 U.S. 316, 320– 322 (1900); Badders v. United States, 240 U.S. 391, 393–394 (1916); krit. Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 160. 100 „Whoever shall tear, cut, or otherwise injure any mail bag, pouch, or other thing used or designed for use in the conveyance of the mail, or shall draw or break any staple or loosen any part of any lock, chain, or strap attached thereto, with intent to rob or steal any such mail, or to render the same insecure, shall be fined not more than five hundred dollars, or imprisoned not more than three years, or both.“ Diese Vorschrift findet sich heute, leicht verändert, in 18 U.S. Code § 1706.
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„[It] was the intention of the lawmakers to protect each and every mail bag from felonious injury and mutilation. Whenever any one mail bag is thus torn, cut, or injured, the offense is complete. Although the transaction of cutting the mail bags was in a sense continuous, the complete statutory offense was committed every time a mail bag was cut in the manner described, with the intent charged.“101
In einer weiteren Entscheidung wird die Annahme einer Gesetzesverletzung für drei an verschiedenen Tagen an unterschiedliche Käufer erfolgte Drogenverkäufe selbst für den Fall ausdrücklich abgelehnt, dass diese Verkäufe auf eine einheitliche Absicht zurückzuführen sind.102 Selbst bei zwei Drogenverkäufen an dieselbe Person wurden in Blockburger v. United States zwei Gesetzesverletzungen mit der Begründung angenommen, dass nach dem einschlägigen Tatbestand nicht allgemein der Drogenverkaufshandel (engaging in the business of selling), sondern der einzelne Verkauf (any sale) mit Strafe bewehrt sei.103 Die Nähe des zeitlichen Zusammenhangs zwischen den verschiedenen Verkaufsakten soll dann überhaupt keine Rolle spielen.104 Interessanterweise wird in der Blockburger-Entscheidung auch angedeutet, dass bei einem einheitlichen „Impuls“ (single impulse) der Fall möglicherweise anders zu entscheiden gewesen wäre.105 In United States v. Adams, einer weiteren Entscheidung aus dieser Zeit, findet sich sogar eine ähnliche Herangehensweise. Hier wurden mehrere im Zusammenhang mit ein und demselben Betrug gemachte, eigentlich selbstständig strafbare Buchführungsvermerke eines Bankmitarbeiters wegen des einheitlichen Bezugs zu dem Betrug und einer einheitlichen Absicht (single intent) zu einer Gesetzesverletzung zusammengefasst – trotz eines auf die individuelle Eintragung abstellenden Gesetzeswortlauts.106 In United States v. Universal C.I.T. Credit Corp. wurde die single impulse-Idee sodann näher als subjektive Größe107 umrissen und auf die Abgrenzung zeitgleicher courses of conduct übertragen. In diesem Fall wurden mehrere nominelle Verstöße gegen Mindestlohn-, Arbeitszeit- und Buchführungspflichten wegen eines einzigen Entschlusses zu einheitlichen Gesetzesverletzungen zusammengefasst und eine Differenzierung nach Wochen oder Arbeitnehmern abgelehnt: „Such a reading of the statute compendiously treats as one offense all violations that arise from that singleness of thought, purpose or action, which may be deemed a single ‚impulse,‘ a con101 Ebeling v. Morgan, 237 U.S. 625, 629 (1915); krit. Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1064 ff.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 157 ff. 102 Vgl. United States v. Daugherty, 269 U.S. 360, 361–362 (1926). 103 Blockburger v. United States, 284 U.S. 299, 302–303 (1932). 104 Vgl. Blockburger v. United States, 284 U.S. 299, 302 (1932) („Each of several successive sales constitutes a distinct offense, however closely they may follow each other.“). 105 Blockburger v. United States, 284 U.S. 299, 302–303 (1932). 106 United States v. Adams, 281 U.S. 202, 204 (1930). 107 Vgl. auch Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1066.
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ception recognized by this Court in the Blockburger case [...]. Merely to illustrate, without attempting to rule on specific situations: a wholly unjustifiable managerial decision that a certain activity was not work and therefore did not require compensation under F.L.S.A. [Fair Labor Standards Act] standards cannot be turned into a multiplicity of offenses by considering each underpayment in a single week or to a single employee as a separate offense. However, a wholly distinct managerial decision [...] involves a different course of conduct, and so would constitute a different offense.“108
Auch sonst scheinen die (vor allem einzelstaatlichen) Gerichte dem Formalismus von Ebeling nicht sklavisch zu folgen. So wird etwa bei einem identischen Opfer (zu verschiedenen Opfern s. sogleich) in der Regel nur ein Körperverletzungsdelikt angenommen, selbst wenn der jeweilige Tatbestand (z. B. assault oder battery) nominell mehrfach in schneller Abfolge erfüllt wird – z. B. im Zuge einer Prügelei.109 Vereinzelt findet sich andererseits auch heute noch die Überlegungen von Ebeling v. Morgan aufgreifende Rechtsprechung.110 III. Die Behandlung konkurrierender units of prosecution 1. Der Vorrang der Tathandlung Schwierigkeiten können durch eine mit der Tathandlung konkurrierende unit of prosecution auftreten. Damit ist gemeint, dass die Tathandlung nur einmal vorgenommen wird, jedoch ein weiteres Tatbestandselement eine andere Anzahl an Gesetzesverletzungen nahelegt. Die Gerichte ermitteln in dieser Konstellation, an welche Einheit der Gesetzgeber anknüpfen wollte und stellen im Zweifel auf die singuläre Tathandlung als die für den Täter günstigere Auslegung (rule of lenity) ab.111 Ein Beispiel ist der Fall des Angeklagten Bell, der entgegen 18 U.S. Code § 2421 auf einer Fahrt zwei Frauen zum Zwecke der Prostitution über eine Bundesstaatsgrenze transportierte. Dieser Sachverhalt warf die Frage auf, ob sich die Menge der Gesetzesverletzungen nach der Zahl der Transporte („Whoever knowingly transports“) oder nach der Zahl der Transportierten („any woman or
108 United States v. Universal C.I.T. Credit Corp., 344 U.S. 218, 224–225 (1952). Vgl. dagegen die abweichende Meinung von Richter Douglas, der anhand der Arbeitnehmer differenziert (226–227). 109 State v. Moffat, 154 Idaho 529, 533 (Ct. App. 2013) m. w. N.; Horack, Minn. L. Rev. (1937), 805, 808 m. w. N.; Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1064 m. w. N. 110 Vgl. Aekins v. State, 447 S.W.3d 270, 278 (Tex. 2014) („A person who commits more than one sexual act against the same person may be convicted and punished for each separate and discrete act, even if those acts were committed in close temporal proximity.“). 111 Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 15 f.
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girl“112) bestimmt. Die Mehrheit des Obersten Gerichtshof konnte nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, an welche Einheit der Kongress anknüpfen wollte und entschied sich in Anwendung der rule of lenity für den Transport – mithin für eine einmal erfolgte Gesetzesverletzung.113 Die Minderheit sah hingegen in der Anzahl der Frauen die relevante Einheit, weil der Tatbestand ihrer Ansicht nach dem Schutz dieser Individuen dient.114 Der Gerichtshof war sich vor dem Hintergrund eines auf zwei Bundesbeamte abgegebenen Schusses auch in der Frage uneinig, ob der betreffende Tatbestand (assault on a federal officer) nur das ordnungsgemäße Funktionieren der Bundesregierung oder auch den Individualschutz der Beamten zum Gegenstand hat. Eine – der Anknüpfung an die nur einmal vorgenommene Tathandlung zuneigende – Mehrheit kam letztlich wieder in Anwendung der rule of lenity zu einer einzigen Gesetzesverletzung.115 Ein in einer prozessualen Frage abweichender Richter deutete hingegen eine stärkere Betonung des Individualschutzes an.116 Dieser Rechtsprechung folgend nahm ein Bezirksappellationsgericht in einer jüngeren Entscheidung trotz der Tötung zweier Menschen infolge eines Autounfalls – welcher sich im Zuge der Flucht vor der Polizei nach einem Banküberfall ereignete – nur eine einzige Verletzung eines Tatbestands an, der die Tötung einer anderen Person („any person“) in dem Versuch, einer Festnahme nach einem Bankraub zu entgehen, pönalisiert (killing a person while attempting to avoid apprehension for bank robbery, 18 U.S. Code § 2113(e)).117 Bei nur einem verletzten Verschwörungstatbestand (conspiracy) führt schließlich eine einzige „Vereinbarung“ (single continuing agreement) zu nur einer einzigen Verschwörung, selbst wenn sie die Begehung mehrerer Hauptdelikte zum Gegenstand hat.118 112 18 U.S. Code § 2421 wurde im Jahr 2015 durch Public Law 114–22 zugunsten einer geschlechtsneutralen Fassung geändert („any individual“). 113 Bell v. United States, 349 U.S. 81, 82–84 (1955). 114 Minton, Reed, JJ., Warren C.J., dissenting, in Bell v. United States, 349 U.S. 81, 82–84 (1955). 115 Ladner v. United States, 358 U.S. 169, 173–178 (1958). 116 Clark J., dissenting, in Ladner v. United States, 358 U.S. 169, 179–180 (1958) („[I]t appears that [...] the Court clearly informs the criminal [...] that assaults on the lives of federal officers come just ‚as cheap by the dozen.‘“). 117 United States v. Jackson, 736 F.3d 953, 956 (10th Cir. 2013) m. w. N. 118 Braverman v. United States, 317 U.S. 49, 53–54 (1942); bestätigt in Sanabria v. United States, 437 U.S. 54, 73–74 (1978). Wenn jedoch eine Vereinbarung unter verschiedene conspiracy-Tatbestände subsumierbar ist, liegt eine Blockburger-Konstellation vor, sodass ggf. mehrere Gesetzesverletzungen nach den jeweiligen Statuten anzunehmen sind, American Tobacco v. United States, 328 U.S. 781, 788 (1946); Albernaz v. United States, 450 U.S. 333, 339–340 (1981); krit. Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 184 ff.
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2. Der Vorrang anderer Tatbestandselemente Eine generelle Regel der nur einfachen Gesetzesverletzung bei einer nur einmal vorgenommenen Tathandlung lässt sich allerdings nicht feststellen. So knüpft der Wille des Gesetzgebers mitunter an eine andere unit of prosecution, wie das Tatobjekt, an. Bei derartigen Tatbeständen kommt es mithin nicht darauf an, ob die mehrfache Erfüllung des einschlägigen Tatbestandsmerkmals durch eine oder durch mehrere Tathandlungen vorgenommen wurde. Im Gegensatz zur Bell-Rechtsprechung wird bei illegal in das Land geschleusten Ausländern beispielsweise für jeden einzelnen davon eine eigene Gesetzesverletzung nach 8 U.S. Code § 1324 angenommen. Hier sieht nämlich die Rechtsfolge für jeden einzelnen Ausländer eine gesonderte Strafe vor, während dem bei 18 U.S. Code § 2421 nicht so ist.119 An und zwischen den Bezirksappellationsgerichten ist umstritten, ob ein einheitliches Beisichführen, Verwenden oder Besitzen einer Waffe bei mehreren erfüllten Grunddelikten zu entsprechend vielen Verletzungen des schon angesprochenen 18 U.S. Code § 924(c) führt. Zumeist wird auf die nur einmal vorliegende Tathandlung abgestellt, teilweise wird jedoch die Anzahl der Grunddelikte als unit of prosecution in Betracht gezogen.120 3. Die Differenzierung bei verschiedenen Opfern insbesondere Die in den oben genannten Fällen geführten Diskussionen um den Schutzgegenstand der jeweiligen Tatbestände zeigen schon, dass es unabhängig von der Anzahl der Handlungen dann zu mehreren Gesetzesverletzungen kommt, wenn der Tatbestand eine individuelle Schutzrichtung hat und es mehrere Opfer gibt.121 Daher werden durch ein und denselben Vorgang erfolgte Tötungen, Raube oder 119 Vgl. United States v. Martinez-Gonzales, 89 F. Supp. 62, 64–65 (D.C. Cal. 1950); Wright/Leipold, Federal Practice and Procedure, Band 1A, 4. Aufl. 2008, § 142; Orfield/Rhodes, Orfield’s Criminal Procedure, Band 1, 2. Aufl. 1985, § 8:37. 120 Vgl. für das Abstellen auf die Tathandlung und m. w. N. United States v. Rentz, 777 F.3d 1105 (10th Cir. 2015), wo – Bell und Ladner folgend (1113–1114) – die rule of lenity bemüht wird; vgl. auch Kelly C.J., dissenting, in United States v. Rentz, 777 F.3d 1105, 1130–1132 (10th Cir. 2015). 121 Torcia, Wharton’s Criminal Law, Band 1, 1993, § 60. Selbst in Bundesstaaten mit entweder auf Verurteilungs- oder Bestrafungsebene eine Absorption vorsehenden Bestimmungen für auf denselben faktischen Vorgang zurückzuführende Delikte (4. Kap. § 1 E. II. 4.) wird regelmäßig eine „multiple victim“-Ausnahme gemacht, vgl. etwa für Kalifornien People v. Correa, 54 Cal.4th 331, 334 (2012), wo ein gegenteiliges dictum in Neal v. State, 55 Cal.2d 11, 18 (n. 1) (1960) verworfen wird; für Utah State v. Mane, 783 P.2d 61, 63–65 (1989); vgl. allerdings Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 22, der aus dem Bundesfallrecht sogar eine Vermutung zugunsten der einfachen bzw. mehrfachen Gesetzesverletzung ableitet, je nach dem, ob eine oder mehrere physische Handlungen vorgenommen werden.
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Angriffe gegenüber unterschiedlichen Personen generell als verschiedene Gesetzesverletzungen angesehen.122 So führt der einzelne, mehrere Menschen tötende Schuss oder Bombenwurf zu entsprechend vielen anwendbaren Tötungsdelikten.123 Bei mehreren Tathandlungen erscheint auch die bereits erwähnte, auf einen Entschluss (single impulse) oder eine Absicht (single intent) abstellende Rechtsprechung nicht anwendbar. Lediglich für Fahrlässigkeitsdelikte (negligence) mit mehreren (z. B. Todes-)Opfern wird die Annahme nur einer Gesetzesverletzung diskutiert.124 Nicht bei allen Tatbeständen findet, wie teilweise bereits herausgearbeitet, eine Multiplikation an Gesetzesverletzungen aufgrund mehrerer Opfer statt.125 Über jene Entscheidungen hinaus finden sich auch Fälle von mehreren gleichzeitig gegenüber verschiedenen Personen erfolgten Diebstählen, die nur eine Gesetzesverletzung darstellen.126 In der Bundesrechtsprechung wurde insbesondere für Fälle von mehreren nominellen Postdiebstählen (18 U.S. Code § 1709) festgestellt, dass diese nur zu einem einzigen Diebstahl führen.127 Genauso verhält es sich mit dem strafbaren Öffnen entsprechender Briefe (18 U.S. Code § 1703(a)).128 Die in diesen Entscheidungen zu findende Betonung der simultan oder kurz aufeinanderfolgend (simultaneously or continuously) auf Grundlage einer einheitlichen Absicht (single criminal intent) und im örtlich-zeitlichen Zusammenhang erfolgten Ausführung legt nahe, dass die single intent-Rechtsprechung hier jedenfalls der Sache nach Anwendung findet. Rekurriert werden dürfte hier auf eine in den Bundesstaaten weit verbreitete, sog. single larceny doctrine, nach welcher das Nehmen mehrerer, im Eigentum derselben Person oder verschiedener Personen stehender Gegenstände nur einen Diebstahl darstellt, wenn dies zeitlich-örtlich zusammenhängend und auf Grund-
122 Torcia, Wharton’s Criminal Law, Band 1, 1993, § 60 m. w. N.; für den Raub jüngst Currier v. Virginia, 138 S.Ct. 2144, 2149, 2159 (2018). 123 Horack, Minn. L. Rev. (1937), 805, 808; Slovenko, Tul. L. Rev. 30 (1956), 409, 415 f.; Moore, Act and Crime, 1993, S. 359 ff., 386; differenzierend Einstein, Intramural L. Rev. N.Y.U. 16 (1960–1961), 139, 145 f.; Remington/Joseph, Wis. L. Rev. (1961), 528, 549 f. 124 Dafür Remington/Joseph, Wis. L. Rev. (1961), 528, 550 m. w. N.; krit. Horack, Minn. L. Rev. (1937), 805, 809, 813 m. w. N.; Moore, Act and Crime, 1993, S. 359, 363 f.; vgl. Einstein, Intramural L. Rev. N.Y.U. 16 (1960–1961), 139, 143 ff. 125 Vgl. Moore, Act and Crime, 1993, S. 359. 126 Vgl. Einstein, Intramural L. Rev. N.Y.U. 16 (1960–1961), 139, 147 m. w. N.; vgl. auch die Nachweise bei Orfield/Rhodes, Orfield’s Criminal Procedure, Band 1, 1985, § 8:13; krit. Moore, Act and Crime, 1993, S. 359, 364 f. 127 Smith v. United States, 211 F.2d 957, 958 (6th Cir. 1954); United States v. Davis, 484 F. Supp. 26, 27 (D.C. Mich. 1979). 128 United States v. Davis, 484 F. Supp. 26, 27 (D.C. Mich. 1979).
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lage einer einheitlichen Absicht (single intent) vonstattengeht.129 Diese Doktrin wurde insoweit auf den Raub übertragen, als das Nötigungsmittel gegenüber derselben Person eingesetzt wird;130 auch auf weitere Delikte wird sie angewendet, wie auf die Unterschlagung (embezzlement)131 oder die Hehlerei (receiving stolen goods)132. Der dahinterstehende Grund ist, dass nach den Tatbestandselementen das spezielle Eigentumsverhältnis irrelevant ist und es rechtlich wie moralisch keinen Unterschied machen soll, wem die betroffenen Gegenstände gehören.133 IV. Eine Gesetzesverletzung bei Erfüllung unselbstständiger Tatalternativen Eine einzige Gesetzesverletzung trotz einer nominell mehrfachen Erfüllung eines Tatbestands kann schließlich bei der Erfüllung verschiedener Alternativen eines Statuts gegeben sein. Hier stellt sich zunächst die Abgrenzungsfrage, ob die formalen Alternativen eines Statuts selbstständige Tatbestände bilden oder unselbstständige Tatmodalitäten eines Delikts sind. Zum Beispiel enthält 18 U.S. Code § 2113(a) zwei eigenständige Delikte,134 wobei hier ausnahmsweise sogar ein Doppelverurteilungsverbot nach Prince v. United States besteht (vgl. dazu schon 4. Kap. § 1 B. III. 3. a). Bei unselbstständigen Alternativen liegt bei einem einheitlichen Vorgang ein Kumulationsverbot vor, weil das Delikt selbst bei der Erfüllung mehrerer Alternativen nur einmal verletzt wird.135 Beispielsweise stellen das Unterschlagen und das Wechseln (embezzling and converting) öffentlicher Gelder nur zwei Wege zur Realisierung einer einheitlichen Gesetzesverletzung nach 18 U.S. Code § 641 dar.136 Vgl. US Legal Forms Inc., Single Larceny Doctrine Law & Legal Definition, abrufbar unter http://definitions.uslegal.com/s/single-larceny-doctrine/ (Abruf v. 1.9.2018). 130 Vgl. People v. Marquez, 78 Cal.App.4th 1302, 1308–1309 (Cal.App.3.Dist. 2000) mit dem Hinweis, dass mehrere Gesetzesverletzungen anzunehmen sind, wenn das Nötigungsmittel gegen mehrere Personen eingesetzt wird. 131 Vgl. US Legal Forms Inc., Single Larceny Doctrine Law & Legal Definition, abrufbar unter http://definitions.uslegal.com/s/single-larceny-doctrine/ (Abruf v. 1.9.2018). 132 People v. Smith (1945) 26 Cal.2d 854, 858–859 (1945). 133 People v. Smith (1945) 26 Cal.2d 854, 859 (1945); differenzierend aber Einstein, Intramural L. Rev. N.Y.U. 16 (1960–1961), 139, 147 und Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1066 ff.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 159 ff., 171, nach dem es eine Rolle spielen soll, ob der Täter weiß, dass er Gegenstände von verschiedenen Personen stiehlt; generell für mehrere Gesetzesverletzungen (sogar bei nur einer Handlung) Moore, Act and Crime, 1993, S. 359, 364 f. 134 Vgl. United States v. Loniello, 610 F.3d 488, 494–496 (7th Cir. 2010). 135 Vgl. Thomas, Double Jeopardy, 1998, S. 154. 136 Vgl. United States v. Burton, 871 F.2d 1566, 1573–1574 (11th Cir. 1989). 129
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D. Die Anklage und Kumulativverurteilungsverbote Im Folgenden wird zunächst aufgezeigt, dass es über die oben vorgestellten Doppelverurteilungsverbote hinaus auch aufgrund des anklägerischen Ermessens nicht zu einer Verurteilung aus allen durch ein Verhalten nominell erfüllten Tatbeständen kommen muss (I.). Sodann wird herausgearbeitet, inwieweit sich die rechtlich bestehenden Doppelverurteilungsverbote auf die Möglichkeit einer kumulativen Anklage auswirken (II.). I. Das Ermessen in Bezug auf die Auswahl der Anklagepunkte Rechtstatsächlich für die Konkurrenz relevant muss man über die rechtlichen Kumulationsverbote hinaus auch das Ermessen137 der Anklagebehörde hinsichtlich der Auswahl der Anklagepunkte berücksichtigen, sodass nominell erfüllte Delikte ggf. gar nicht erst kumulativ angeklagt werden.138 An diese Auswahl ist das Gericht gebunden.139 Daher kann zum einen nicht aus einem schwereren Delikt als dem angeklagten verurteilt werden, selbst wenn die Beweislage dieses tragen würde. Zum anderen kann bei einer abweichenden Rechtsansicht hinsichtlich der Einschlägigkeit eines Doppelverurteilungsverbots nicht kumulativ verurteilt werden, wenn nur ein Delikt angeklagt ist. Im Zusammenhang mit der Auswahl passender Anklagepunkte ist überdies relevant, dass es zwischen allgemeinen Tatbeständen und „Spezialgesetzgebung“ teilweise aufgrund von Exekutivrichtlinien nicht zur Doppelverurteilung kommt, obwohl nicht unbedingt ein rechtliches Doppelverurteilungsverbot greifen mag. Beispielsweise könnten Steuerdelikte rein begrifflich häufig auch als Post- (mail fraud) oder Telefonbetrug (wire fraud) verfolgt werden. Dies wird in der Praxis für gewöhnlich jedoch verhindert, weil sich die Anklagebehörde eine grundsätzlich nicht zu erteilende Genehmigung der Steuerabteilung des Justizministeriums einholen muss, um ein eigentlich vorliegendes Steuerdelikt unter den allgemeinen Tatbeständen verfolgen zu können.140
137 Ball v. United States, 470 U.S. 856, 859 (1985); Stuckenberg, Double Jeopardy, 2001, S. 10; LaFave et al., Criminal Procedure, 2009, S. 709 f. 138 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 150; Frase, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 195. 139 Vgl. Stuckenberg, Double Jeopardy, 2001, S. 10. 140 Vgl. zum Ganzen Abrams/Beale/Klein, Federal Criminal Law and its Enforcement, 5. Aufl. 2010, S. 208.
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
II. Das Verhältnis zwischen den Anklageregeln und den Doppelverurteilungsverboten Der Kumulativanklage in einem oder mehreren Anklagepunkten können im USRecht die Grundsätze der duplicity bzw. der multiplicity entgegenstehen. Mit duplicity ist die Anklage mehrerer Delikte im selben Anklagepunkt gemeint,141 während multiplicity gemeinhin umgekehrt die Anklage desselben Delikts in verschiedenen Anklagepunkten bezeichnet142. Zu beachten ist jedoch eine terminologische Uneinheitlichkeit,143 die sich etwa darin zeigt, dass die Anklage desselben Delikts in mehreren Anklagepunkten in Massachusetts ebenfalls als duplicity bezeichnet wird.144 Diese Fehler führen allerdings nicht zur Unzulässigkeit der Anklage, sondern können auf vielfältige Weise (Wahlzwang der Anklage hinsichtlich eines Delikts/Anklagepunkts, Trennung/Konsolidierung der Anklagepunkte, entsprechende Jury-Instruktionen) behoben werden.145 1. Die Kumulation in einem Anklagepunkt und der Grundsatz der duplicity a) Mehrmals der nominell selbe Tatbestand in einem Anklagepunkt Wenn die mehrmalige Realisierung desselben Tatbestands materiell nur zu einer Gesetzesverletzung führt, können diese Tatbestandsverwirklichungen in einem Anklagepunkt verfolgt werden, weil schon nicht mehrere Gesetzesverletzungen vorliegen. Beispielsweise kann eine Verschwörungsvereinbarung zur Begehung mehrerer Hauptdelikte in einen Anklagepunkt aufgenommen werden.146 Eine duplicity liegt hingegen grundsätzlich vor, wenn bei mehrmaliger Erfüllung des (vermeintlich) selben Tatbestands materiell verschiedene Gesetzesverletzungen vorliegen. Dies ist zum einen der Fall, wenn scheinbar verschiedene Tatalternativen in Wirklichkeit selbstständige Delikte darstellen, obgleich sie im selben Statut niedergeschrieben sind.147 Ferner liegt eine duplicity vor, wenn derUnited States v. Martinez-Gonzales, 89 F. Supp. 62, 63–64 (D.C. Cal. 1950); United S tates v. Chrane, 529 F.2d 1236, 1237 n. 3 (5th Cir. 1976); United States v. Burton, 871 F.2d 1566, 1573 (11th Cir. 1989); Crapps v. State, 587 So.2d 442, 443 (Ala.Crim.App. 1991); La Fave et al., Criminal Procedure, 2009, S. 931. 142 United States v. Chrane, 529 F.2d 1236, 1237 n. 3 (5th Cir. 1976); Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 159; LaFave et al., Criminal Procedure, 2009, S. 932. 143 Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 159 (Fn. 61); Fisher/Leavens, in: Blumenson/Leavens (Hrsg.), Massachusetts Criminal Practice, 4. Aufl. 2012, S. 16. 144 Fisher/Leavens, in: Blumenson/Leavens (Hrsg.), Massachusetts Criminal Practice, 2012, S. 16; vgl. etwa Commonwealth v. Arriaga, 44 Mass. App. Ct. 382, 385 (1998). 145 LaFave et al., Criminal Procedure, 2009, S. 868, 932. 146 Braverman v. United States, 317 U.S. 49, 54 (1942). 147 Wright/Leipold, Federal Practice and Procedure, Band 1A, 2008, § 142; LaFave et al., Criminal Procedure, 2009, S. 932. Handelt es sich um Tatalternativen eines einzigen Delikts, 141
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selbe Tatbestand in Bezug auf unterschiedliche Objekte erfüllt wird und dies zu materiell verschiedenen Gesetzesverletzungen führt; z. B. bei mehreren Opfern von Raubmorden148 oder mehreren illegal in das Land geschleusten Ausländern149. Eine Besonderheit stellt die oben erwähnte, auf die tatsächliche Tatbegehung abstellende Rechtsprechung bei continuing offenses dar (4. Kap. § 1 C. I.). Hier scheint bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen („scheme“) nicht einheitlich beurteilt zu werden, ob eine einheitliche materielle und damit nur in einem Anklagepunkt verfolgbare Gesetzesverletzung vorliegt150 oder ob die Anklagebehörde die Wahl hat, die Tatbestandsverwirklichungen entweder als con tinuing offense oder in separaten Anklagepunkten zu verfolgen151. Selbst in den Fällen einer nur prozessualen Zusammenfassung mehrerer, eigentlich selbstständiger Gesetzesverletzungen in einem Anklagepunkt werden duplicity-Einwände jedoch als den Angeklagten nicht beeinträchtigend zurückgewiesen: „[A] single count of an indictment should not be found impermissibly duplicitous whenever it contains several allegations that could have been stated as separate offenses, [...] but only when the failure to do so risks unfairness to the defendant. That risk is slight in a case like this where the essence of the alleged wrong is the single scheme to defraud [...].“152
b) Nominell verschiedene Tatbestände in einem Anklagepunkt Bei nominell unterschiedlichen Tatbeständen kann153 eine unzulässige duplicity nur gegeben sein, wenn es sich um nach Blockburger v. United States verschiedene Delikte handelt.154 Manche einzelstaatliche Statuten lassen allerdings unter dürfen diese kumulativ in den Anklagepunkt aufgenommen werden, vgl. F. R. Crim. P., r. 7(c) (1), wobei für einen Schuldspruch schon die Feststellung der Verwirklichung einer Alternative ausreicht, vgl. United States v. Burton, 871 F.2d 1566, 1573–1574 (11th Cir. 1989); United States v. Smith, 373 F.3d 561, 564 (4th Cir. 2004). 148 Dorsey v. State, So.2d 460, 478 (Ala.Crim.App.2002). 149 United States v. Martinez-Gonzales, 89 F. Supp. 62, 64–65 (D.C. Cal. 1950); Wright/ Leipold, Federal Practice and Procedure, Band 1A, 2008, § 142. 150 So United States v. Billingslea, 603 F.2d 515, 518–520 (5th Cir. 1979). 151 So United States v. Margiotta, 646 F.2d 729, 732–733 (2nd Cir. 1981); United States v. Moloney, 287 F.3d 236, 240 (2nd Cir. 2002); Boles, Nw. J. L. & Soc Pol’y 7 (2012), 219, 228, 245. 152 United States v. Margiotta, 646 F.2d 729, 733 (2nd Cir. 1981); bestätigt in United States v. Moloney, 287 F.3d 236, 240 (2nd Cir. 2002). 153 Dass dem nicht notwendigerweise so sein muss, zeigt United States v. Murray, 618 F.2d 892, 896–899 (2nd Cir. 1980): Obwohl in einem Anklagepunkt eine Verschwörung nach zwei verschiedenen Statuten angeklagt war und diese möglicherweise verschiedene Delikte darstellten, wurde der Anklagepunkt nicht als duplicitous angesehen, weil die Schutzzwecke der duplicity-Regel in Einzelfall nicht berührt waren. 154 Vgl. United States v. Martinez-Gonzales, 89 F. Supp. 62, 64 (D.C. Cal. 1950).
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
gewissen Umständen – z. B. ähnliche Delikte und gleiche Strafhöhe – die alternative Anklage von mehreren Tatbeständen in einem Anklagepunkt zu.155 Keine duplicity ist bei identischen Delikten nach den oben genannten Blockburger-Grundsätzen gegeben. Durch die Möglichkeit der Verurteilung wegen einer lesser included offense nach F. R. Crim. P., r. 31(c) – als Ausnahme von der Bindung des Gerichts an die vorgegebenen Anklagepunkte156 – sind solche Delikte ohnehin stets implizit neben dem inkludierenden Tatbestand angeklagt. 2. Die Kumulation durch separate Anklagepunkte und der Grundsatz der multiplicity Nach F. R. Crim. P., r. 8(a) können allgemein mehrere Delikte in verschiedenen Anklagepunkten kumuliert werden, wenn sie entweder gleich oder ähnlich sind (of the same or similar character), wenn sie auf derselben Handlung oder demselben Vorgang (based on the same act or transaction) beruhen, bzw., wenn sie auf ein gemeinsames Vorhaben oder einen gemeinsamen Plan (connected with or constitute parts of a common scheme or plan) zurückzuführen sind.157 Auch die meisten der Bundesstaaten haben derartige Regelungen in ihren Strafrechtsordnungen.158 Wenn zwischen nominell realisierten Delikten ein Kumulativverurteilungsverbot besteht, können folgende Konstellationen unterschieden werden: Bei nicht im Verhältnis der Inklusion zueinander stehenden Delikten muss die Anklage in separaten Anklagepunkten schon deswegen zulässig sein, um eine eventuelle Verurteilung aus dem nach dem Doppelverurteilungsverbot eigentlich nicht anwendbaren Delikt zu ermöglichen, wenn die Beweislage nur jenes stützt.159 Es liegt dann keine multiplicity vor, weil es sich nicht um dasselbe Delikt handelt. Bei der in separaten Anklagepunkten erfolgenden Anklage mehrerer nomineller Erfüllungen desselben Tatbestands trotz einer einheitlichen Gesetzesverletzung bzw. bei separater Anklage von inkludierendem und inkludiertem Delikt 155
Vgl. etwa Alabama Code § 15-8-52. Stuckenberg, Double Jeopardy, 2001, S. 10. 157 MPC, s. 1.07(2) plädiert unter Anwendung einer noch weiteren Definition (based on the same conduct or arising from the same criminal episode) für eine grundsätzlich obligatorische Kumulation (joinder), um mehrere Verfahren in Bezug auf dasselbe Verhalten zu vermeiden, vgl. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 116 ff.; zust. Remington/Joseph, Wis. L. Rev. (1961), 528, 564; Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1040 f. 158 LaFave et al., Criminal Procedure, 2009, S. 857. 159 Vgl. United States v. Gaddis, 424 U.S. 544, 548, 550 (1976); Ball v. United States, 470 U.S. 856, 860 n. 8 (1985); vgl. auch Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 159 (Fn. 58). 156
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würde eigentlich eine multiplicity vorliegen.160 Allerdings scheint die tatsächliche Geltung der Regel in diesen Fällen unsicher zu sein. So leitet der Oberste Gerichtshof ein Verbot der kumulativen Anklage von inkludierendem und inkludierten Delikt jedenfalls nicht aus der double jeopardy-Garantie ab161 und scheint auch sonst kein Hindernis für eine solche Praxis zu sehen.162 Auch auf Ebene der Bundesstaaten wird dies als nicht problematisch empfunden.163 Bei einer Anklage des nominell selben Tatbestands in mehreren Anklagepunkten trotz einer materiell einheitlichen Gesetzesverletzung berücksichtigt der Oberste Gerichtshof, dass diese Einheitlichkeit häufig nicht a priori determiniert werden kann; immerhin scheint er jedoch anzuerkennen, dass es sich um ein multiplicity-Problem handelt.164 Kritischere Stimmen betonen, dass durch mehrere Anklagepunkte die Gefahr einer unzulässigen Doppelverurteilung erhöht sowie die Jury zuungunsten des Angeklagten beeinflusst werden kann, indem das angeklagte Verhalten durch die Multiplikation als besonders schwerwiegend suggeriert wird.165 Andere Beobachter bezweifeln jedoch die einseitige Benachteiligung des Angeklagten, weil mehrere Anklagepunkte von der Jury als übertrieben angesehen werden könnten oder ihr sogar zu suggerieren vermögen, dass sich die Anklagebehörde ihres eigenen Falles nicht sicher sei.166
Vgl. United States v. Luong, 2006 WL 236917 (E.D. Cal. Jan. 31, 2006). Ohio v. Johnson, 467 U.S. 493, 500 (1984); Ball v. United States, 470 U.S. 856, 860 n. 7 (1985). 162 Vgl. Ball v. United States, 470 U.S. 856, 859–861 (1985), wo zwar nicht ausdrücklich von lesser included offenses gesprochen wird, aber auf die Sprache von F. R. Crim. P., r. 31(c) (1) rekurriert wird („necessarily includes“); vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 159 („nicht ausdrücklich verboten“). So auch MPC, s. 1.07(1), vgl. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 104 f. 163 Vgl. für Massachusetts Commonwealth v. Arriaga, 44 Mass. App. Ct. 382, 385 (1998). 164 United States v. Universal C.I.T. Credit Corp., 344 U.S. 218, 225 (1952); vgl. auch United States v. Davis, 484 F. Supp. 26, 27–28 (D.C. Mich. 1979); Orfield/Rhodes, Orfield’s Criminal Procedure, Band 1, 1985, § 8:46; vgl. jedoch Sanabria v. United States, 437 U.S. 54, 66 n. 20 (1978) („A single offense should normally be charged in one count rather than several, even if different means of committing the offense are alleged.“). 165 Marshall, Stevens JJ., dissenting, in Missouri v. Hunter, 459 U.S. 359, 372 (1983); Stevens J., concurring, in Ball v. United States, 470 U.S. 856, 867–868 (1985); Wright/Leipold, Federal Practice and Procedure, Band 1A, 2008, § 142; LaFave et al., Criminal Procedure, 2009, S. 932; Fisher/Leavens, in: Blumenson/Leavens (Hrsg.), Massachusetts Criminal Practice, 2012, S. 16 f.; vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 160 f. 166 Ross, Am. J. Crim. L. 29 (2002), 245, 267 (Fn. 119). 160 161
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
E. Der Model Penal Code und das Recht der Einzelstaaten Bevor auf das in den Bundesstaaten geltende Recht eingegangen wird (II.), soll kurz das vom American Law Institute entworfene Modellstrafgesetzbuch (Model Penal Code) Beachtung finden (I.), weil in diesem die double jeopardy-Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aufgegriffen und einer kritischen Analyse unterzogen wurde sowie teilweise Änderungen vorgeschlagen wurden. I. Der Model Penal Code Im Einklang mit der Bundesrechtsprechung bestehen für die Anklagebehörde auch nach dem MPC keine durch Kumulativverurteilungsverbote vermittelte Einschränkungen bei der Auswahl der Anklagepunkte (MPC, s. 1.07(1)). Eine kumulative Anklage erlaubt nach dem MPC allerdings nicht unbedingt eine kumulative Verurteilung. Aus MPC, s. 1.07(1) ergibt sich zwar, dass ein die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände erfüllendes Verhalten grundsätzlich der kumulativen Verurteilung zugänglich ist. In den sodann enumerierten Ausnahmen findet sich jedoch im Wesentlichen die prohibition against multiple punishment wieder, wobei teilweise sogar darüber hinausgegangen wird. Die kumulative Verurteilung ist insbesondere bei inkludierten Delikten (included offenses) unzulässig (MPC, s. 1.07(1)(a)). Wenngleich das ALI hier von einer abstrakten Prüfung nach dem same elements test ausgeht,167 lässt die Definition der lesser included offense nach MPC, s. 1(4)(a) auch andere Tests, inklusive eine Zugrundelegung der konkreten Anklagetatsachen (vgl. dazu 4. Kap. § 1 E. II. 3.), zu.168 Darüber hinaus werden der Versuch (attempt) und das Ersuchen (solicitation) eines Hauptdelikts ausdrücklich als lesser offenses des vollendeten Delikts definiert und die Doppelverurteilung infolgedessen für unzulässig erklärt (MPC, s. 1.07(4)(b)), obwohl streng nach dem Blockburger-Test die Kumulation nicht ausgeschlossen wäre.169 Über Blockburger hinaus geht auch das Verbot, kumulativ aus Tatbeständen zu verurteilen, die nur unterschiedliche Verletzungs-, Gefährdungs- oder Schuldgrade beinhalten, MPC, s. 1.07(4)(c).170 Darüber hinaus soll nach dem MPC sogar die gemeinsame Verurteilung aus der Verschwörung (conspiracy) bzw. anderen Vorbereitungsakten und dem aus167
130.
ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 107 f.,
Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 410 f. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 108, 132; Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 162. 170 ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 108, 133; Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 162 f.; vgl. Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 370 f. 168 169
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geführten Hauptdelikt (MPC, s. 1.07(1)(b)) unzulässig sein.171 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass MPC, s. 5.05(3) – im Gegensatz zum Bundesrecht – auch die kumulative Verurteilung aus mehreren – auf dasselbe Hauptdelikt ausgerichteten – Durchgangsdelikten, d. h. Verschwörung, Ersuchen und Versuch, nicht zulässt.172 Der die Verschwörung betreffende Teil ist bei den Bundesstaaten, die den MPC umgesetzt haben, auf geteilte Resonanz gestoßen.173 In Bezug auf andere Vorbereitungsakte steht der MPC insofern im Einklang mit dem Bundesstrafrecht, als auf die Prince-Heflin-Rechtsprechung Bezug genommen und in der offiziellen Kommentierung auch für Nachbereitungsakte eine Analogie vorgeschlagen wird.174 Jedoch scheint der MPC sogar von einer Verallgemeinerung auf sämtliche Vorbereitungsakte auszugehen, was sich im Bundesstrafrecht bislang nicht durchgesetzt hat (4. Kap. § 1 B. III. 3. b). Schließlich wird die kumulative Verurteilung aus Delikten untersagt, die dasselbe Verhalten in allgemeiner und spezieller Weise umschreiben, MPC, s. 1.07(1) (d). Als Beispiel werden ein anzügliches Verhalten (lewd conduct) und Exhibitio nismus (indecent exposure) genannt.175 Im Ergebnis geht der MPC betreffend das Verbot der kumulativen Verurteilung aus unterschiedlichen Tatbeständen deutlich über den Stand des Bundesstrafrechts hinaus.176 Für auf eine zeitlich gestreckte Begehung (continuing course of conduct) angelegte Delikte sieht MPC, s. 1.07(e) überdies ein Verbot der mehrfachen Verurteilung aus demselben Tatbestand vor, es sei denn, das Verhalten wird unterbrochen oder der Gesetzgeber hat spezielle Zeiträume der Gesetzesverletzung definiert. Inhaltlich knüpft diese Vorschrift an die Snow-Brown-Rechtsprechung (4. Kap. § 1 C. I.) an.177
171 Dies soll aber nicht gelten, wenn der Gegenstand der Verschwörung über das ausgeführte Delikt hinausgeht, vgl. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01– 2.13, 1985, S. 109. 172 Doyle, Attempt: An Overview of Federal Criminal Law, 2015, S. 11. 173 Übernommen beispielsweise durch Alabama Code § 13A-1-8(b)(2); vgl. andererseits Colorado R.S. 18-1-408. 174 ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 110 f. 175 ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 114. 176 Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 162. 177 ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 115.
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II. Modelle in den Bundesstaaten 1. Die Anwendbarkeit des bundesrechtlichen double jeopardy Die bundesverfassungsrechtliche double jeopardy-Garantie bindet über den 14. Zusatzartikel auch die US-amerikanischen Bundesstaaten.178 Daher können auch die bundesstaatlichen Gerichte gegen die Bundesverfassung verstoßen, wenn sie wegen desselben Delikts und entgegen dem Willen des bundesstaatlichen Gesetzgebers kumulativ verurteilen. Allerdings können die Staaten über dieses Minimum hinaus Schutz gewähren und tun dies zum Teil auch.179 In Bezug auf die Anwendung des einzelstaatlichen Rechts muss beachtet werden, dass die Auslegung der jeweils involvierten Tatbestandselemente sowie die Ermittlung des einzelstaatlichen Gesetzgeberwillens den dortigen Gerichten obliegt.180 Den Bundesgerichten kommt hier also nur eine Kompetenz zur Überprüfung der richtigen Anwendung der double-jeopardy-Grundsätze zu.181 2. Double jeopardy-Garantien in den Bundesstaaten Die überwiegende Anzahl der Bundesstaaten hat eine double jeopardy-Vorschrift in der jeweiligen Verfassung, die im Wesentlichen der Formulierung der Bundesverfassung entspricht.182 Wenige Staaten bleiben insofern dahinter zurück, als Benton v. Maryland, 395 U.S. 784, 787, 794 (1969); North Carolina v. Pearce, 395 U.S. 711, 717 (1969); Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 164 (1977); Illinois v. Vitale, 447 U.S. 410, 415 (1980); Monge v. California, 524 U.S. 721, 727 (1998); zuletzt Currier v. Virginia, 138 S.Ct. 2144, 2148 (2018); anders noch Palko v. Connecticut, 302 U.S. 319, 328 (1937). 179 Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 161 f. 180 Vgl. Illinois v. Vitale, 447 U.S. 410, 416 (1980); Boyd v. Boughton, 798 F.3d 490, 501 (7th Cir. 2015); vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 154. 181 Vgl. Brown v. Ohio, 432 U.S. 161, 168 (1977); Missouri v. Hunter, 459 U.S. 359, 368– 369 (1983); Boyd v. Boughton, 798 F.3d 490, 598–501 (7th Cir. 2015); näher Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 59 ff. 182 Alabama Const., art. I, § 9; Alaska Const., art. I, § 9; Arizona Const., art. II, § 10; Arkansas Const., art. II, § 8; California Const., art. I, § 15; Colorado Const., art. II, § 18; Delaware Const., art. I, § 8; Florida Const., art. I, § 9; Georgia Const., art. I, § 1 para. XVIII; Hawaii Const., art. I, § 10; Idaho Const., art. I, § 13; Illinois Const., art. I, § 10; Indiana Const., art. I, § 14; Kansas Const., Bill of Rights, § 10; Kentucky Const., § 13; Louisiana Const., art. I, § 15; Maine Const., art. I, § 8; Michigan Const., art. I, § 15; Minnesota Const., art. I, § 7; Mississippi Const., art. III, § 22; Nebraska Const., art. I, § 12; Nevada Const., art. I, § 8; New Mexico Const., art. II, § 15; New York Const., art. I, § 6; North Dakota Const., art. I, § 12; Ohio Const., art. I, § 10; Oklahoma Const., art. II, § 21; Oregon Const., art. I, § 12; Pennsylvania Const., art. I, § 10; Rhode Island Const., art. I, § 7; South Carolina Const., art. I, § 12; South Dakota Const., art. VI, § 9; Tennessee Const., art. I, § 10; Texas Const., art. I, § 14; Utah Const., art. I, § 12; Virginia Const., art. I, § 8; Washington Const., art. I, § 9; West Virgina Const., art. III, § 5; Wisconsin Const., art. I, § 8; Wyoming Const., art. I, § 11. 178
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lediglich vor einer erneuten Strafverfolgung nach einem Freispruch183 oder vor erneuter Verfolgung nach einem früher schon durchgeführten Verfahren184 geschützt wird, aber scheinbar nicht vor einer Doppelbestrafung in einem einzigen Verfahren. Jedoch kommt es zum einen wegen der Anwendbarkeit der Bundesverfassung zu keinem hinter dem Bundesrecht zurückbleibenden Standard. Zum anderen wird das einzelstaatliche Schutzniveau durch – mitunter dem MPC nachempfundene – einfachgesetzliche Statuten185 oder durch Auslegung der jeweiligen Verfassungsbestimmung186 ausgeweitet. Entsprechendes gilt für wenige, double jeopardy nicht in der Verfassung vorsehende Staaten, wo ein Kumulationsverbot als Bestandteil des common law187, durch Statut188 und/oder durch eine andere Verfassungsbestimmung (insb. der due process clause)189 garantiert wird.190 3. Die unterschiedliche Reichweite des Begriffs der Deliktsidentität Die verschiedenen Formen der Gewährleistung des double jeopardy-Verbots sagen jedoch wenig über die Reichweite der Doppelverurteilungsverbote in der Sache aus. Diese hängt vom jeweils angewendeten Begriff der Deliktsidentität (same offense) ab,191 bei dem sich teils deutliche Unterschiede zwischen den Bundesstaaten zeigen.
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Iowa Const., art. I, § 12; Missouri Const., art. I, § 19; New Hampshire Const. pt. I, art. 16; New Jersey Const., art. I, § 11. 184 Montana Const., art. II, § 25. 185 Iowa Code, § 701.9; vgl. State v. Daniels, 588 N.W.2d 682, 683 (Iowa 1998); Missouri Rev. Statutes, § 556.041; Montana Code, § 46-11-410. 186 Vgl. für New Hampshire State v. Gooden, 133 N.H. 674, 679 (1990); State v. Goodnow, 140 N.H. 38, 40 (1995); für New Jersey State v. Capak, 638 A.2d 918, 919 n. 2 (N.J. Super. Ct. App. Div. 1994). 187 Vgl. für Maryland Taylor v. State, 381 Md. 602, 610 (2004); für North Carolina State v. Ezell, 582 S.E.2d 679, 682 (N.C.App. 2003); für Massachusetts Commonwealth v. Arriaga, 44 Mass. App. Ct. 382, 383 (1998); Fisher, U. Chi. L. Rev. 28 (1961), 591, 603; N.N., Yale L. J. 75 (1965), 262 n. 3. 188 Vgl. etwa für Vermont 13 V.S.A. § 6556, wobei diese Vorschrift nur vor erneuter Verfolgung nach vorherigem Freispruch schützt. Das Kumulationsverbot nach vorheriger Verurteilung oder in einem einheitlichen Verfahren wird hier vor allem auf die Bundesverfassung gestützt, vgl. State v. Breed, 117 A.3d 829, 834–835 (Vt. 2015). 189 Vgl. für Connecticut State v. Ferguson, 260 Conn. 339, 360 n. 13 (2002); für Massachusetts Commonwealth v. Forte, 423 Mass. 672, 674 (1996). 190 Für eine Gesamtübersicht vgl. Tsiatsos, W. Va. L. Rev. 109 (2007), 527, 560 ff. 191 Vgl. Sigler, Double Jeopardy, 1969, S. 79.
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
Die überwiegende Zahl der Bundesstaaten greift hierfür auf den Blockburger-Test zurück,192 jedoch bestehen bei dessen Anwendung Unterschiede. Während die meisten Staaten – wie die Bundesrechtsprechung – einen Vergleich der abstrakten Tatbestandselemente vornehmen,193 modifizieren einige Staaten den Test, indem sie auf die Übereinstimmung der Tatbestandselemente, wie sie von den konkreten, in der Anklage behaupteten Tatsachen ausgefüllt werden, abstellen (vgl. schon 4. Kap. § 1 B. I. 3. b). Folglich kommt es dort auf den notwendigen Mitbeweis eines Delikts nach den konkret vorgebrachten Umständen der Realisierung des anderen Tatbestands an. Das eine Delikt ist also Mittel zur Begehung des anderen. Folgendes Beispiel zeigt den Unterschied zwischen den Anwendungsweisen des Blockburger-Tests auf: Obwohl beide Delikte bei abstrakter Betrachtung auch unabhängig voneinander begangen werden können, hat der Oberste Gerichtshof von New Mexico den Test zwischen einer durch Benutzung eines lebensgefährlichen Werkzeugs erschwerten Körperverletzung (aggravated battery) und einem versuchten Mord (attempted murder) als nicht erfüllt angesehen. In diesem Fall diente nach der Anklagetheorie nämlich die Begehung der Körperverletzung vollständig dazu, mit dem Ausführungsbeginn ein Element des versuchten Mordes („began to do an act which constituted a substantial part of murder“) zu beweisen.194 Im Gegensatz dazu lässt der Oberste Gerichtshof von Nevada die kumulative Verurteilung aus versuchtem Mord und Körperverletzungsdelikten u. a. deswegen zu, weil der Blockburger-Test (bei einer abstrakten Anwendung) positiv ist.195
Tsiatsos, W. Va. L. Rev. 109 (2007), 527, 531, 564 ff. mit einer exzellenten Übersicht; vgl. auch State v. Watkins, 362 S.W.3d 530, 546 (Tenn. 2012) m. w. N. 193 Klein, Cal. L. Rev. 88 (2000), 1001, 1012; Hoffheimer, Rutgers L. J. 36 (2005), 351, 413; Muehlmeyer, Multiple Punishment in the Context of Vague and Complex Statutes, 2013, S. 7, 16. 194 State v. Swick, 279 P.3d 747, 754–757 (N.M. 2012) overruling State v. Armendariz, 140 N.M. 182 (2006). Ganz scheint sich der Gerichtshof allerdings noch nicht von einer abstrakten Anwendung des Blockburger-Tests gelöst zu haben, wenn er in anderen Entscheidungen Doppelverurteilungen eher auf Grundlage eines entsprechenden gesetzgeberischen Willens ablehnt, vgl. Funkhouser, N.M. L. Rev. 44 (2014), 507, 519–521 (Fn. 142, 149), 523. 195 Vgl. Jackson v. State, 291 P.3d 1274, 1280, 1282–1283 (Nev. 2012). 192
§ 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage
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Eine auf die von der Anklage behaupteten Tatsachen abstellende Prüfung findet beispielsweise auch in New Hampshire196, Texas197 und Vermont198 Anklang. Unklar war die Rechtslage in Idaho, wo der Court of Appeals wegen mehrdeutiger Präzedenzfälle eine Klärung durch den dortigen Obersten Gerichtshof angeregt hatte.199 Infolgedessen legte sich jener auf eine konkrete Betrachtung fest.200 In Indiana ist für die Deliktsidentität nur eine Übereinstimmung der wesentlichen Tatbestandselemente erforderlich und zwar alternativ, d. h. entweder auf Grundlage der abstrakten Tatbestandsmerkmale oder der konkreten, zur Verurteilung eingeführten und benutzten Verfahrenstatsachen (actual evidence presented at trial).201 Louisiana fordert ebenfalls alternativ entweder die Deckung der (gesamten) abstrakten Tatbestandselemente oder der zu deren Erfüllung herangezogenen konkreten Verfahrenstatsachen. Infolgedessen mag beispielsweise das Delikt des Manipulierens an einem Überwachungsgerät (tampering with a monitoring device) bei abstrakter Betrachtung nicht identisch mit dem der Sachbeschädigung (criminal damage to property) sein, weil keiner dieser Tatbestände notwendig die Mitrealisierung des anderen voraussetzt. Allerdings kann es bei konkreter Betrachtung dennoch zu einer Deliktsidentität kommen, wenn im konkreten Fall das Manipulieren durch das Durchschneiden des Riemens einer elektronischen Fußfessel erfolgt und so automatisch die Sachbeschädigung mitbewiesen wird.202 Demgegenüber hat Tennessee zwar lange die konkreten Verfahrenstatsachen in einem gewissen Umfang berücksichtigt, sich allerdings im Jahre 2012 für eine rein abstrakte Blockburger-Prüfung entschieden. So wurde der sog. „four-factor Denton test“ verworfen, der u. a. die Deckung der konkreten VerfahrenstatsaHeald v. Perrin, 123 N.H. 468, 473 (1983); State v. Gooden, 133 N.H. 674, 679 (1990); State v. MacLeod, 141 N.H. 427, 429 (1996); Muehlmeyer, Multiple Punishment in the Context of Vague and Complex Statutes, 2013, S. 8, 37. Vgl. aber State v. Locke, 166 N.H. 344, 351– 353 (2014), worin aufgrund widersprüchlicher Folgeentscheidungen eine baldige Abkehr von Heald v. Perrin erwogen wird. Eine solche ist bislang aber nicht erfolgt, vgl. State v. Ortiz, 2017 WL 4341534 (N.H. Aug. 16, 2017) 197 Garfias v. State, 424 S.W.3d 54, 58–59 (Tex. 2014); Aekins v. State, 447 S.W.3d 270, 279–280 (Tex. 2014). 198 State v. Neisner, 189 Vt. 160, 169–171 (2010); State v. Breed, 117 A.3d 829, 835–837 (Vt. 2015). 199 Vgl. State v. Corbus, 151 Idaho 368, 374–375 (2011) (Ct. App.). 200 State v. McKinney, 153 Idaho 837, 841 (2013) („[A] lesser included offense is one ‚alleged in the information as a means or element of the commission of the higher offense.‘“); vgl. auch State v. Moad, 156 Idaho 654, 658 (2014). 201 Richardson v. State, 717 N.E.2d 32, 49–54 (Ind. 1999); Lee v. State, 892 N.E.2d 1231, 1233–1234 (Ind. 2008). 202 State v. Parker, 195 So.3d 1242, 1246–1247 (La.App. 2016). 196
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
chen („Duchac factor“) beinhaltete. Daneben waren die abstrakten Tatbestandsmerkmale, die Verhaltens-/Opferidentität sowie die Gesetzeszwecke relevante Faktoren, wobei keinem a priori ein Vorrang zukam, sondern im Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen war.203 Die der abstrakten Version von Blockburger v. United States folgenden Staaten korrigieren im Einzelfall jedoch als unsachgemäß empfundene Ergebnisse.204 Beispielsweise wird bisweilen auf der Grundlage von due process die kumulative Verurteilung vermieden, wenn bei einer einzigen Tötung aus mehreren Tötungstatbeständen zu verurteilen wäre.205 Der Oberste Gerichtshof von Massachusetts erreichte dieses Ergebnis durch Annahme eines entsprechenden Willens des Gesetzgebers, weil die involvierten Delikte (involuntary manslaughter und vehicular homicide) seiner Ansicht nach hinreichend eng miteinander verwandt sind (sufficiently closely related) und der Beweis des Totschlags im Einzelfall notwendig den Beweis der Tötung im Straßenverkehr beinhaltete.206 Eben dieser Gerichtshof hat über den von ihm eigentlich angewendeten abstrakten same elements test207 hinaus schon die Kumulation in einer Konstellation untersagt, in der ein Delikt nur sehr häufig mit einem anderen einherging. Dies war der Fall zwischen dem Diebstahl eines Kfz (larceny of a motor vehicle) und der Gebrauchsanmaßung eines Kfz (using a motor vehicle without authority), welche nach dem Statut auf einem öffentlichen Weg erfolgen musste.208 Bei diesen letztlich auch auf die konkreten Falltatsachen abstellenden Entscheidungen scheint es sich jedoch um Ausnahmen zu handeln, denn in jüngeren Fällen wird wieder vermehrt der same elements test betont.209 Einen ganz und gar eigenständigen Test der Deliktsidentität hat der Oberste Gerichtshof von Alaska unter ausdrücklicher Abkehr von Blockburger v. United States entwickelt. Danach müssen für die Tatbestandsverschiedenheit die den Gesetzesverletzungen unterliegenden Absichten oder Verhaltensweisen (diffeState v. Watkins, 362 S.W.3d 530, 546–558 (Tenn. 2012). Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1036 f. m. w. N.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 147 f. m. w. N. 205 Vgl. für Maryland Loscomb v. State, 45 Md. App. 598, 613 (Md. Ct. Spec. App. 1980); Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1036 f.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 147 f. 206 Commonwealth v. Jones, 382 Mass. 387, 392–393 (1981). 207 Vgl. Morey v. Commonwealth, 108 Mass. 433, 434 (1871); Commonwealth v. Vick, 454 Mass. 418, 431–432 (2009). 208 Costarelli v. Commonwealth, 374 Mass. 677, 684 (1978) („Although this may not be the situation in every case, it is a sufficiently common occurrence to warrant our conclusion that the two offenses are the same for double jeopardy purposes.“, [Hervorh. d. Verf.]); Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 164 f. 209 Vgl. Commonwealth v. Arriaga, 44 Mass. App. Ct. 382, 389 (1998); Commonwealth v. Vick, 454 Mass. 418, 433–436 (2009). 203 204
§ 1 Das Verbot der kumulativen Verurteilung und Anklage
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rences in intent or conduct) hinreichend unterschiedlich sein (substantial or significant enough), was im Lichte der involvierten gesellschaftlichen Interessen (differences in light of the basic interests of society), v. a. der Art der verletzten Rechte (nature of personal, property or other rights sought to be protected) und der Zwecke des Strafrechts (broad objectives of criminal law), zu bemessen ist.210 Ohio stellt nach jüngster Auslegung eines entsprechenden Statuts darauf ab, ob die durch ein Verhalten erfüllten Tatbestände im konkreten Fall verschiedene Opfer betreffen, im Falle eines Opfers zu verschiedenen Schäden (separate and identifiable harm) führen oder der Wille bzw. die Motivation zu den Deliktsrealisierungen unterschiedlich war (separate animus or motivation).211 Zwei separate Richtermeinungen, von denen eine für die Annahme des abstrakten Blockburger-Tests,212 die andere für die Maßgeblichkeit eines konkreten Tatsachenvergleichs plädiert,213 zeigen jedoch exemplarisch die Zerrissenheit auf, die sich unter den Bundesstaaten allgemein wiederfindet. 4. Deliktsabsorption bei einer bloß gemeinsamen Tatsachengrundlage? In einer Reihe von Bundesstaaten finden sich – über deren double jeopardy-Garantien hinaus – Bestimmungen, die ein Verbot der mehrfachen Verurteilung auf Grundlage ein und desselben Verhaltens nahelegen und sogar im deutschen Schrifttum schon für Uneinigkeit gesorgt haben.214 So sieht beispielsweise der California Penal Code in s. 654(a) vor: An act or omission that is punishable in different ways by different provisions of law shall be punished under the provision that provides for the longest potential term of imprisonment, but in no case shall the act or omission be punished under more than one provision. An acquittal or conviction and sentence under any one bars a prosecution for the same act or omission under any other.
210 Whitton v. State, 479 P.2d 302, 311–312 (Alaska 1970); Johnson v. State, 328 P.3d 77, 88 (Alaska 2014). 211 So – nach mehreren Rechtsprechungsänderungen – die Auslegung von Ohio Rev. Statutes § 2941.25(A) durch State v. Ruff, 143 Ohio St.3d 114, 121 (2015). 212 French, J., concurring in judgment only, in State v. Ruff, 143 Ohio St.3d 114, 123–125 (2015). 213 Pfeifer, J., dissenting, in State v. Ruff, 143 Ohio St.3d 114, 125–126 (2015). 214 Es ging darum, ob hier von einer Deliktsabsorption gesprochen werden kann. Diesen Begriff verwendet Merkel, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Band 5, 1908, S. 327; dagegen jedoch Sieveking, ZStW 53 (1934), 297, 311 (Fn. 51); vgl. auch Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 111.
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
Aus dieser Vorschrift bzw. der Vorgängerfassung215 haben kalifornische Gerichte früher teilweise ein Verbot der kumulativen Verurteilung bei mehreren, auf einer Handlung oder Unterlassung (act or omission) beruhenden und verschiedenen216 Delikten abgeleitet.217 Inzwischen hat der Oberste Gerichtshof des Staates jedoch klargestellt, dass die Vorschrift nicht bereits die kumulative Verurteilung, sondern nur die kumulative Bestrafung im Sinne mehrerer Einzelstrafen verbietet.218 Bemerkenswert ist hier die weite, subjektiv determinierte Auslegung des Begriffs „act“.219 Nach einem sog. Neal test liegt eine einheitliche Handlung in diesem Sinne nämlich nicht nur bei einem einzigen physischen Akt vor, sondern auch dann, wenn auf einem Gesamtverhalten (course of conduct) beruhende Delikte von einem einheitlichen Ziel getragen werden (incident to one objective).220 Eine ähnliche Vorschrift im Recht von Minnesota221 beinhaltet ebenfalls kein Kumulativverurteilungsverbot, sondern führt nur zur Bestrafung aus einer von mehreren Verurteilungen, wenn den Delikten ein einziges Verhalten (a person’s conduct) zugrunde liegt.222 Obwohl der Wortlaut hier ein Auswahlermessen des Gerichts nahelegen mag („may be punished for only one of the offenses“), hat sich die Regel herausgebildet, dass aus dem schwersten Delikt bestraft wird, welches sich aus den konkreten Einzelstrafen, der Einordnung nach den Minnesota Sentencing Guidelines sowie den abstrakten Höchststrafen ergibt.223
215 Nach der aktuellen Fassung ist der Tatbestand mit der längsten potentiellen Freiheitsstrafe maßgeblich. Eine frühere Version gestand hingegen ein Auswahlermessen zu, vgl. Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 207; Johnson, Cal. L. Rev. 58 (1970), 357, 359 (Fn. 12) („may be punished under either of such provisions“). 216 Bei der Erfüllung mehrmals desselben Gesetzes ist die Vorschrift wegen ihres Wortlauts (different provisions) nicht anwendbar, vgl. People v. Correa, 54 Cal.4th 331, 334 (2012), worin ein gegenteiliges dictum in Neal v. State, 55 Cal.2d 11, 18 n. 1 (1960) verworfen wird. 217 Vgl. etwa Neal v. State, 55 Cal.2d 11, 20–21 (1960); krit. Moore, Cal. L. Rev. 42 (1954), 139, 148 f. 218 People v. Correa, 54 Cal.4th 331, 336–337 (2012). 219 Vgl. Geisler, Die Ausgestaltung des Anklageprinzips nach amerikanischem Strafverfahrens- und Verfassungsrecht, 1998, S. 177. 220 Neal v. State, 55 Cal.2d 11, 19 (1960): „Whether a course of criminal conduct is divisible and therefore gives rise to more than one act within the meaning of section 654 depends on the intent and objective of the actor. If all of the offenses were incident to one objective, the defendant may be punished for any one of such offenses but not for more than one.“ Krit. People v. Latimer, 5 Cal.4th 1203, 1205–1206 (1993), aber wegen stare decisis nicht overruled; krit. auch Johnson, Cal. L. Rev. 58 (1970), 357, 363 ff. 221 Minnesota Statutes § 609.035(1). 222 Vgl. Butler, Wm. Mitchell L. Rev. 39 (2013), 1552, 1553. 223 State v. Kebaso, 713 N.W.2d 317, 322 (Minn. 2006); Butler, Wm. Mitchell L. Rev. 39 (2013), 1552, 1556.
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Eine derartige Bestimmung224 im Recht von Alabama verbietet ebenfalls lediglich die kumulative Bestrafung, nicht die mehrfache Verurteilung.225 Im Staat Utah indessen scheint in Bezug auf eine solche – jedoch selten angewendete – Vorschrift226 tatsächlich davon ausgegangen zu werden, dass diese schon die kumulative Verurteilung verhindert.227 Eine Reihe weiterer Staaten hat solche Bestimmungen inzwischen abgeschafft oder substanziell modifiziert. Der Idaho Code enthielt bis 1995 eine entsprechende Vorschrift228, die sogar als Verbot der kumulativen Verurteilung ausgelegt worden war.229 Arizonas frühere, ebenfalls schon die kumulative Verurteilung verbietende Vorschrift230 wurde durch Arizona Rev. Statutes § 13-116 verändert. Danach sind bei einer Handlung/Unterlassung (act or omission) nun kumulative Strafen zulässig, jedoch müssen diese zur parallelen Vollstreckung ausgesetzt werden. Auch New York kannte früher eine vergleichbare Vorschrift231, die allerdings insofern restriktiv ausgelegt worden war, als mehrere gleichzeitig zu vollstreckende Strafen erlaubt waren.232 In wieder anderen Bundesstaaten schließlich wurden ähnliche, aber auf Richterrecht beruhende Regeln inzwischen aufgegeben. So wandte Texas bis zum Anschluss an Blockburger im Jahr 1982 eine sog. carving doctrine an, wonach auf Grundlage eines Vorgangs (single transaction) nicht kumulativ verurteilt werden 224 Alabama
Code § 15-3-8. Vgl. Parker v. State, 516 So.2d 859, 865 (Ala. 1987). 226 Utah Criminal Code § 76-1-402(1). 227 Vgl. State v. Mane, 783 P.2d 61, 63 (Utah 1989); State v. Casey, 29 P.3d 25 (Utah 2001). 228 Idaho Code § 18-301 (repealed): „An act or omission which is made punishable in different ways by different provisions of this code may be punished under either of such provisions, but in no case can it be punished under more than one; an acquittal or conviction and sentence under either one bars a prosecution for the same act or omission under any other.“ 229 Vgl. Bates v. State, 106 Idaho 395, 398, 401 (1984); State v. Gallatin, 106 Idaho 564, 569 (1984). 230 A.R.S. s. 13-1641 (repealed): „An act or omission which is made punishable in different ways by different sections of the laws may be punished under either, but in no event under more than one. An acquittal or conviction and sentence under either one bars a prosecution for the same act or omission under any other.“ Vgl. dazu State v. Ballez, 102 Ariz. 174, 175 (1967); State v. Lippi, 108 Ariz. 342, 345–346 (1972). 231 N.Y. Penal Law § 1938 (repealed): „An act or omission which is made criminal and punishable in different ways, by different provisions of law, may be punished under any one of those provisions, but not under more than one; and a conviction or acquittal under one bars a prosecution for the same act or omission under any other provision.“ Dazu noch Stöcker, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 2, 1954, S. 453, 461 f.; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 96 f.; Honig, in: Mezger et al. (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Vierter Band, 1962, S. 239 f. 232 People ex rel. Maurer v. Jackson, 2 N.Y.2d 259, 266–269 (1957) (ausdrücklich von der kalifornischen Rechtsprechung abweichend). 225
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
konnte. Diese Doktrin wurde jedoch wegen der Probleme um die Auslegung des Begriffs single transaction – und, um „Freibriefe“ zu vermeiden – aufgegeben.233 Überhaupt scheinen nach verbreiteter Wahrnehmung auch die zuvor genannten Vorschriften die Probleme um die Doppelverurteilung/-bestrafung nicht zu reduzieren, sondern diese nur von der Ebene der rechtlichen Qualifikation der Tatbestände auf die Ebene des Begriffs der relevanten faktischen Einheit verlagert zu haben, wie etwa der eingangs erwähnte und umstrittene Neal test zeigt.234
§ 2 Die kumulative Bestrafung In diesem Abschnitt wird darauf eingegangen, wie im US-amerikanischen Bundesstrafrecht die Strafe zu bilden ist, wenn die kumulative Verurteilung zulässig ist, d. h. wenn wegen einer Deliktsmehrheit zu bestrafen ist. Der Schwerpunkt wird nach einer Einführung in den Rechtsrahmen (A.) wiederum auf Freiheitsstrafen liegen (B.). Sodann wird auf die aktuelle Reform des Model Penal Code und Tendenzen in den Bundesstaaten eingegangen (C.).
A. Der Regelungsrahmen im Bundesstrafrecht Das bundesrechtliche Strafzumessungsrecht findet sich zu einem substanziellen Teil in 18 U.S. Code Chapter 227 und Chapter 228. Aus der Verfassung ergibt sich ferner das Verbot exzessiver Geldstrafen sowie grausamer und ungewöhnlicher Strafen (U.S. Const. amend. VIII). Schließlich sind die auf Grundlage von 28 U.S. Code § 994(a) durch die United States Sentencing Commission 1987 erlassenen und jährlich überarbeiteten Sentencing guidelines und Policy statements zu beachten, vgl. USSG § 1 A. 3. 1. In Bezug auf diese Richtlinien muss allerdings berücksichtigt werden, dass ihnen – entgegen der Intention des Gesetzgebers, vgl. 18 U.S. Code § 3553(b)(1) – wegen einer Verletzung des Rechts auf ein Geschworenenverfahren (jury trial) vom Obersten Gerichtshof die Bindungswirkung abgesprochen wurde und den Gerichten insoweit nur noch eine Berücksichtigungspflicht zukommt, vgl. 18 U.S. Code § 3553(a)(4–5).235
233 Ex Parte McWilliams, 634 S.W.2d 815, 822–824 (1982). Aufgabe bestätigt in Aekins v. Texas, 447 S.W.3d 270, 275–276 (2014). 234 N.N., Yale L. J. 75 (1965), 262, 301; Westen/Drubel, Sup. Ct. Rev. 1978, 81, 115 f.; krit. auch Friedland, Double Jeopardy, 1969, S. 207 f. 235 Die Verletzung ergab sich daraus, dass teilweise auf der Grundlage von nicht gestandenen oder von den Geschworenen nicht festgestellten Tatsachen eine strengere Strafrahmenspanne angenommen wurde als diejenige, die nach den Geschworenenfeststellungen bzw. dem Ge-
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B. Die Verhängung mehrerer Freiheitsstrafen (imprisonment) I. 18 U.S. Code § 3584 Nach 18 U.S. Code § 3584(a) können in Bezug auf mehrere Delikte verhängte Freiheitsstrafen (imprisonment) grundsätzlich zur gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Vollstreckung ausgesetzt werden, wenn die Strafen gleichzeitig verhängt werden oder eine Gefängnisstrafe noch nicht vollstreckt ist und nun eine weitere hinzukommt. Bei der gleichzeitigen Verhängung werden sie grundsätzlich parallel vollstreckt, es sei denn, das Gericht oder das Gesetz ordnet die konsekutive Vollstreckung an. Bei verschiedenen Gelegenheiten (different times) verhängte Gefängnisstrafen werden grundsätzlich konsekutiv vollstreckt, es sei denn, das Gericht ordnet die parallele Vollstreckung an. Gemäß 18 U.S. Code § 3584(b) hat das Gericht im Zuge der Ausübung seines Ermessens für jede Einzelstrafe die Strafzumessungsfaktoren des § 3553(a) zu berücksichtigen, womit u. a. auf die Sentencing guidelines und Policy statements verwiesen ist, die das Ermessen trotz Abweichungsmöglichkeit immerhin erheblich lenken. Nach 18 U.S. Code § 3584(a) ist dem Vollstreckungsermessen einzig die kumulative Verurteilung aus Versuch und Vollendung eines Delikts entzogen, wofür zwingend gleichzeitige Strafen vorgesehen sind.236 II. United States Sentencing Guidelines Nach den Guidelines hängt die Ermittlung eines angemessenen Strafrahmens für eine Gesetzesverletzung allgemein von zwei Faktoren, Tat und Täter, ab. Die Tat wird, je nach Schwere, einer von 43 Deliktsebenen (offense level) zugeordnet. Die Vorstrafengeschichte des Täters wird durch ein Punktesystem in sechs Stufen messbar gemacht (criminal history category). Sind beide Größen ermittelt, wird der letztlich anwendbare Strafrahmen anhand der folgenden Tabelle (sentencing table) ermittelt:
ständnis eigentlich anwendbar gewesen wäre, vgl. United States v. Booker, 543 U.S. 220, 222–224, 264–265 (2005). 236 Dieser Fall dürfte allerdings kaum relevant sein, weil in diesen Fällen schon kumulative Schuldsprüche unzulässig sind (4. Kap. § 1 B. III. 3. c), vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 61 f.
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
Abb. 5: USSC (Hrsg.), Guidelines Manual, Ch. 5, Pt.A., p. 420.
§ 2 Die kumulative Bestrafung
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Für die spezielle Konstellation der Kumulativbestrafung weisen die Tätereigenschaften keine Besonderheiten auf. Herausfordernd ist hingegen die Ermittlung einer geeigneten Deliktsebene, die sodann den auf die Deliktsmehrheit nach der Tabelle anwendbaren Strafrahmen mitdeterminiert, auf Grundlage dessen sich wiederum die zu verbüßende Strafe ergibt. 1. Die Ermittlung der einzelnen Deliktsebenen (offense level) Nach USSG § 1 B. 1. 1. (a)(4) ist hierfür zunächst für jede einzelne der Gesetzesverletzungen die nach den konkreten Umständen anwendbare Deliktsebene nach den in USSG § 1 B. 1. 1. (a)(1–3) genannten allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen. Sind diese einzelnen Deliktebenen ermittelt, ist die in USSG Ch.3, Pt.D. vorgesehene Methodik anzuwenden, um zu einer finalen Deliktsebene für die Gesamtheit der Gesetzesverletzungen zu kommen, vgl. USSG § 1 B. 1. 1. (a)(4). 2. Die Ermittlung der final anwendbaren Deliktsebene (combined offense level) a) Die Gruppierung eng zusammenhängender Delikte (closely related counts) Sodann werden die Delikte in Gruppen eng miteinander zusammenhängender Delikte eingeordnet, vgl. USSG § 3 D. 1. 1. (a)(1). Dieser Zusammenhang bemisst sich laut USSG § 3 D. 1. 2 danach, ob die Delikte im Wesentlichen denselben Schaden betreffen (substantially the same harm), was wiederum in vier Fallgruppen abschließend spezifiziert wird.237 (1) Opfer- und Handlungs-/Vorgangsidentität (same victim and the same act or transaction) Nach USSG § 3 D. 1. 2. (a) ist dies zunächst dann der Fall, wenn die Delikte dasselbe Opfer (same victim) betreffen und zusätzlich auf eine identische Handlung (same act) oder einen identischen Vorgang (same transaction) zurückzuführen sind. Die in der Kommentierung der Guidelines genannten Beispiele zeigen ein weites Verständnis dessen auf, was denselben Vorgang darstellt. So ist dies der Fall bei Fälschung und Gebrauch desselben Schecks (forging and uttering the same check); bei einer Entführung und einem in diesem Verlauf begangenen Angriff auf das Opfer (kidnapping and assaulting during the course of the kidnapping); einer illegalen Angebotsabsprache und einem – durch Unterschreiben wie Absenden der Erklärung, das Angebot erfolge unter Wettbewerbsbedingungen begangenen – Postbetrug (bid rigging and mail fraud); zwei kurz hinterein237
USSG § 3 D. 1.2, comment. (n.1).
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
ander abgegebene Schüsse auf einen Bundesbeamten, um sich einer Verhaftung zu entziehen (two counts of assault)238; sowie das gleichzeitige illegale Einschleusen von drei Ausländern (three counts of unlawfully bringing aliens to the United States).239 Der Begriff des Opfers (victim) umfasst zwar nicht mittelbar oder sekundär Betroffene,240 allerdings ist er insofern weit zu verstehen, als bei Delikten ohne ein individuell identifizierbares Opfer das verletzte gesellschaftliche Interesse (societal interest) Opfer in diesem Sinne sein kann.241 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die USA im Besitz eines gefälschten Staatsbürgerschaftsnachweises (possession of fraudulent evidence of citizenship) rechtswidrig betreten werden (unlawfully entering), weil die durch die Tatbestände verfolgten Interessen in Bezug auf die Einwanderung eng verwoben sind.242 (2) Opferidentität bei unterschiedlichen Handlungen/Vorgängen (same victim and two or more acts or transactions) Nach USSG § 3 D. 1. 2. (b) kann der Zusammenhang auch noch eng genug sein, wenn die Delikte auf verschiedenen Ausführungshandlungen oder Vorgängen beruhen. Voraussetzung ist, dass zum einen dasselbe Opfer betroffen ist und zum anderen die Handlungen/Vorgänge durch eine gemeinsame kriminelle Absicht oder als Teil eines umfassenden Vorhabens oder Plans (common criminal objective or part of a common scheme or plan) verbunden sind.243 Die Einzeltaten müssen jedoch als ein zusammengesetzter Gesamtschaden (one composite harm) erscheinen. Dies sei beispielsweise nicht der Fall, wenn dasselbe Opfer an verschiedenen Tagen beraubt wird, weil die mit einem Raub verbundene Angst und Gefahr eigenständig ist, oder bei Vergewaltigungen desselben Opfers an verschiedenen Tagen.244 Als Beispiele angeführt werden hingegen die Verschwörung (conspiracy) zu und die Ausführung einer Haupttat;245 mehrere Post- und 238 Als
Gegenbeispiel werden zwei Schüsse auf denselben Bundesbeamten an verschiedenen Tagen genannt, vgl. USSG § 3 D. 1. 2, comment. (n.3). 239 USSG § 3 D. 1. 2, comment. (n.3); Übersetzung teilweise nach Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 172. Ebenfalls werden Versuch und Vollendung eines Delikts bzw. spezielle und allgemeine Delikte genannt. Hier wird allerdings zumeist schon keine kumulative Verurteilung in Betracht kommen. Der Grund für die Nennung dürfte sein, dass den Guidelines kein bestimmter Test der Deliktsidentität nach double jeopardy-Grundsätzen zugrunde liegt, vgl. Ross, Am. J. Crim. L. 29 (2002), 245, 257 f. 240 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.2). 241 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.2). 242 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.2). 243 Übersetzung teilweise nach Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 172. 244 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.4). 245 Vgl. auch 28 U.S. Code § 994(l)(2).
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Telefonbetrugstaten an verschiedenen Tagen in der Verfolgung eines umfassenden Betrugsplans sowie ein Autodiebstahl und eine sodann erfolgte Kfz-Kennzeichenfälschung.246 Ferner werden das Ersuchen um die Begehung einer Haupttat (solicitation) und die entsprechende Ausführung zu dieser Fallgruppe gezählt.247 (3) Tatbestandliches Verhalten bereits im Rahmen eines anderen Delikts berücksichtigt (conduct treated as a offense characteristic or adjustment) Nach USSG § 3 D. 1. 2. (c) müssen Delikte in dieselbe Gruppe, wenn ein Tatbestand ein Verhalten unter Strafe stellt, das in Bezug auf ein anderes Delikt bereits als Tatbestands- oder Strafzumessungsmerkmal berücksichtigt ist. Selbstverständlich muss dasselbe Verhalten in Rede stehen, denn es soll gerade eine Doppelverwertung (double counting) desselben vermieden werden.248 Als Beispiel werden die Benutzung einer Schusswaffe im Zuge eines Bankraubes (use of a firearm in a bank robbery) und der ebenso verwirklichte unerlaubte Schusswaffenbesitz (unlawful possession of a firearm) genannt.249 (4) Delikte mit einem quantifizierbaren Schaden (offense level determined on the basis of an aggregate harm) Schließlich können nach USSG § 3 D. 1. 2. (d) auch solche Delikte zusammen in eine Gruppe aufgenommen werden, deren Deliktsebene hauptsächlich250 in Dauer, Schadenshöhe, Menge oder anderweitig quantifizierbar bestimmt wird. Die praktische Anwendung erleichtert, dass USSG § 3 D. 1. 2. (d) selbst eine Reihe entsprechender Delikte auflistet, bei denen es sich vor allem um Drogen-, Vermögens- und Waffendelikte handelt.251 Die Aufzählung ist jedoch ausdrücklich nicht abschließend, sodass bei nicht genannten Tatbeständen im Einzelfall über 246 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.4); Übersetzung teilweise nach Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 172. 247 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.4). 248 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.5); Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 171, 173. 249 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.5). Zu dieser Fallgruppe gehören auch Blockburger-Kon stellationen, vgl. Ross, Am. J. Crim. L. 29 (2002), 245, 258 f.; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 63. 250 Während USSG § 3 D.1. 2. (d) nur von „largely“ (dt. weitgehend) spricht, scheint sich die den Begriff „primarily“ (dt. hauptsächlich) verwendende Lesart in USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6) durchgesetzt zu haben, vgl. näher Bennardo, Fla. St. U. L. Rev. 40 (2013), 791, 803 ff. 251 Vgl. USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6); Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 171, 173; krit. zur Auswahl der Delikte Bennardo, Fla. St. U. L. Rev. 40 (2013), 791, 810 ff.
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
die Anwendbarkeit dieser Fallgruppe entschieden werden muss, USSG § 3 D. 1. 2. (d).252 Als konkrete Beispiele werden mehrere Geldunterschlagungstaten (embezzling money), mehrere Diebstähle gegenüber verschiedenen Opfern (thefts), mehrere Delikte des unerlaubten Handels mit Schusswaffen (unlicensed dealing in firearms), verschiedene Delikte des Verkaufs unterschiedlicher Drogenarten sowie mehrere Steuerhinterziehungstaten (tax evasion) angeführt.253 Diese Fallgruppe legt vor allem die Gruppierung von mehrmals denselben Tatbestand verletzenden Taten nahe und wird für das US-Recht auch als Kehrseite der in einem Anklagepunkt kumulierbaren mehrfachen Verletzung desselben Gesetzes zu verstehen sein (vgl. 4. Kap. § 1 D. II. 1. a).254 Jedoch können auch nominell verschiedene Delikte gruppiert werden, wenn sie eine hinreichende Ähnlichkeit miteinander aufweisen (offenses of the same general type), was ausdrücklich weit zu verstehen sein soll.255 Während dies etwa für den Post- (mail fraud) und den Telefonbetrug (wire fraud) anerkannt ist,256 ist dies zwischen Betrugs- (fraud) und Steuerhinterziehungstatbeständen (tax evasion) umstritten.257 Bestimmte Delikte – wie Raub, Mord, Entführung oder sexueller Missbrauch – sind ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Regel ausgeschlossen. Mithin können beispielsweise mehrere Bankraube nicht nach dieser Regel gruppiert werden.258 Allerdings können derart ausgenommene Tatbestände nach wie vor unter den Voraussetzungen der USSG § 3 D. 1. 2. (a)–(c) gruppiert werden, USSG § 3 D. 1. 2. (d). Trotz der Einordnung unter die „closely related counts“ wird hier – jedenfalls ausweislich der Guideline – über die Quantifizierbarkeit und Nähe der rechtlich qualifizierten Tatbestände hinaus kein weiterer Zusammenhang zwischen den Delikten verlangt. So sollen die aggregierten Betrugstaten beispielsweise auf verschiedenen Vorhaben (schemes) beruhen können.259 Demgegenüber verlangt
252
USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6). USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6). 254 Hier zeigt sich deutlich der Zweck der USSG, die endgültige Strafhöhe unabhängiger von der Entscheidung über die Form der Anklage zu machen, vgl. USSG Ch.3, Pt.D, intro. comment. 255 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6). 256 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6). 257 Abl. jüngst United States v. Doxie, 813 F.3d 1340, 1345–1347 (11th Cir. 2016) m. w. N. zu den vertretenen Ansichten. 258 USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6). 259 Vgl. USSG § 3 D.1. 2, comment. (n.6). 253
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ein Teil der Rechtsprechung zwischen den Gesetzesverletzungen einen engen Zusammenhang im Hinblick auf die tatsächliche Begehungsweise.260 b) Die Bestimmung der jeweils gruppenintern anwendbaren Deliktsebene (offense level) Im nächsten Schritt wird die innerhalb der Gruppe(n) anwendbare Deliktsebene ermittelt, vgl. USSG § 3 D. 1. 1. (a)(2). Hierbei ist nach dem Gruppierungsgrund zu differenzieren: Innerhalb einer nach den in USSG § 3 D. 1. 2. (a)–(c) genannten Kriterien gebildeten Gruppe bestimmt sich die anzuwendende Deliktsebene gemäß USSG § 3 D. 1. 3. (a) nach dem Delikt mit der höchsten Deliktsebene (the highest offense level of the counts in the Group). Für die Gruppierung nach USSG § 3 D. 1. 2. (d) bestimmt USSG § 3 D. 1. 3. (b), dass die addierte Quantität für die Zuordnung zu einer Deliktsebene zugrunde zu legen ist. Bei ähnlichen, aber dennoch verschiedenen Tatbeständen ist das Delikt entscheidend, das für die Summe die höchste Deliktsebene ergibt. Bei der Gruppierung nach (d) kommt es, im Unterschied zu der nach (a)–(c), also gegenüber den Einzeldelikten zu einer höheren gruppenintern anwendbaren Delikts ebene und damit verbunden zu einer Strafschärfung.261 Daher spielt es eine wichtige Rolle, ob eine Gruppierung nach (d) oder schon nach (a), (b) oder (c) erfolgt.262 Liegt überhaupt nur eine Gruppe vor, ist die Gesamtdeliktsebene (combined offense level) mit der gruppenintern anwendbaren Deliktsebene schon ermittelt263 und muss nur noch in Abhängigkeit von den Tätereigenschaften in einen Strafrahmen auf der Straftabelle umgemünzt werden. c) Die Bestimmung der bei mehreren Gruppen anwendbaren Deliktsebene (combined offense level) Bei mehreren Gruppen (die jeweils aus nur einem Delikt bestehen können264) ist sodann noch eine einzelne, letztlich anwendbare Deliktsebene zu ermitteln, vgl. 260 United States v. Doxie, 813 F.3d 1340, 1345 (11th Cir. 2016); krit. Bennardo, Fla. St. U. L. Rev. 40 (2013), 791, 798 f. (Fn. 33). 261 Vgl. Bennardo, Fla. St. U. L. Rev. 40 (2013), 791, 795 ff., der aus diesem Grund dafür plädiert, diesen Gruppierungsmechanismus aus USSG § 3D1.2 herauszunehmen und eine Sonderregel zu schaffen. 262 Ist schon eine Gruppierung nach USSG § 3 D. 1. 2. (a)–(c) möglich, kommt es nicht mehr zu einer Addition der involvierten Quantitäten nach (d), vgl. das Beispiel in USSG § 3 D. 1. 2, comment. (n.6–7). 263 Vgl. USSG § 3 D. 1. 4, comment. (n.1). 264 Vgl. USSG § 3 D. 1. 2, comment. (n.7).
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
USSG § 3 D. 1. 1. (a)(3). Nach USSG § 3 D. 1. 4 ist hierfür die höchste der für die Gruppen ermittelten Deliktsebenen zugrunde zu legen und diese Basisdeliktsebene ggf. noch um bis zu fünf265 Ebenen zu erhöhen. Diese Erhöhung erfolgt in Abhängigkeit von der Anzahl und den Deliktsebenen der weiteren Gruppen im Verhältnis zur Basisdeliktsebene. D. h. je schwerer die anderen Gruppen wiegen, desto höher die Steigerung.266 Verhältnismäßig wenig gewichtige Gruppen können demgegenüber sogar außer Betracht bleiben, aber noch eine strafschärfende Rolle spielen, wenn das Gericht innerhalb des schließlich anwendbaren Strafrahmens sein Ermessen ausübt, vgl. USSG § 3 D. 1. 4. (c). 3. Die Bildung und Verhängung der endgültigen Strafe (total punishment) Die bis hierher ermittelte Gesamtdeliktsebene (combined offense level) kann noch durch ein Schuldeingeständnis (vgl. USSG Ch3, Pt.E) herabgesetzt oder bei gewohnheitsmäßigen Tätern (vgl. USSG Ch4, Pt.B) erhöht werden, USSG § 1 B. 1. 1. (5–6).267 Die sodann endgültige Deliktsebene ist für den schließlich anwendbaren Strafrahmen maßgeblich, USSG § 3 D. 1. 5, der sich zusammen mit der Vorstrafenkategorie (criminal history category) aus der Straftabelle (s. oben) ergibt. Innerhalb dieses Strafrahmens übt das Gericht, vorbehaltlich einer etwaigen Abweichung von den Sentencing guidelines, sein Ermessen aus. Bei einer Gefängnisstrafe (imprisonment) wird die sich aus der Ermessensausübung ergebende Gesamtstrafe (total punishment) sodann in formale Einzelstrafen umgemünzt:268 a) Wenn die Vollstreckungsweise nicht durch Statut festgelegt ist Grundsätzlich wird in Bezug auf jeden einzelnen Anklagepunkt, vorbehaltlich etwaiger Mindest- oder Höchststrafen, diese Gesamtstrafe als Einzelstrafe verhängt, vgl. USSG § 5 G. 1. 2. (b).269 Wenn der die höchste Höchststrafe vorsehende Anklagepunkt diese Gesamtstrafe zulässt (was regelmäßig der Fall sein soll270), werden alle anderen (ggf. gegenüber der Gesamtstrafe noch verkürzten) Einzelstrafen zur gleichzeitigen Vollstreckung ausgesetzt, vgl. USSG § 5 G. 1. 2. (c). Bleibt die in Bezug auf den die höchste Höchststrafe vorsehenden Anklagepunkt entfallende Strafe eben wegen dieser Höchstgrenze hinter der adäquaten 265 Nach USSG § 3 D. 1. 4, comment. (background) soll bei signifikant mehr als fünf Erhöhungseinheiten (units) ein Abweichen von den Guidelines naheliegen. 266 Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 64. 267 Vgl. USSG § 3 D. 1. 5, comment. 268 Vgl. USSG § 5 G. 1. 2, comment. (n.1). 269 USSG § 5 G. 1. 2, comment. (n.1, 3). 270 USSG § 5 G. 1. 2, comment. (n.1).
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Gesamtstrafe zurück, sollen eine oder – falls nötig – mehrere Einzelstrafen insoweit konsekutiv verhängt werden, als zur Erreichung der Gesamtstrafe erforderlich. Für die ggf. weiteren Strafen bleibt es dann bei der gleichzeitigen Vollstreckung, USSG § 5 G. 1. 2. (d). Bleibt umgekehrt der Gesamtstrafrahmen nach der Tabelle hinter einer gesetzlichen Mindeststrafe zurück, ist dieses gesetzliche Minimum als Strafe zu verhängen.271 b) Tatbestände mit obligatorisch konsekutiver Gefängnisstrafe Besonderheiten ergeben sich bei Delikten, die – kraft Statut272 – obligatorisch eine konsekutiv zu einer anderen Strafe zu vollstreckende Gefängnisstrafe vorsehen. Nach USSG § 3 D. 1. 1. (b)(1) wird ein solches Delikt schon von der Gruppierung ausgenommen und die jeweilige Einzelstrafe nach USSG § 5 G. 1. 2. (a) unabhängig von allen anderen ermittelt sowie (konsekutiv) verhängt. Ein Beispiel findet sich in der bereits erwähnten Vorschrift des 18 U.S. Code § 924(c), die zusätzlich mindestens fünf Jahre Gefängnis vorsieht, wenn der Täter während oder in Bezug auf ein Gewalt- oder Drogenhandelsdelikt eine Schusswaffe benutzt, bei sich trägt oder besitzt. Ein weiteres Beispiel stellt 18 U.S. Code § 1028A(b)(2) für den Identitätsdiebstahl dar.273 Eine Rückausnahme gilt, d. h. USSG § 3 D. 1. 1. (b)(1) ist nicht einschlägig und eine Gruppierung möglich, wenn das Statut die konsekutive Vollstreckung nur für den Fall verpflichtend anordnet, dass eine (nicht unbedingt erforderliche) Gefängnisstrafe verhängt wird.274
C. Der Model Penal Code und das Recht der Einzelstaaten im Überblick Nach einer Betrachtung des Bundesrechts soll nun auf eine jüngst abgeschlossene Reform (II.) der Regelungen des Model Penal Code (I.) insoweit eingegangen werden, als sie den Bereich der kumulativen Bestrafung betrifft. Sodann werden überblicksartig die Rechte der Bundesstaaten mit ihren zahlreich vorhandenen Lösungen vorgestellt (III.).
271
USSG § 5 G. 1. 2, comment. (n.1, 3). Vgl. 18 U.S. Code § 3584(a). 273 18 U.S. Code § 1028A(b)(4) sieht eine Rückausnahme zugunsten der gleichzeitigen Vollstreckung bei einer mehrfachen Verletzung eben dieses Tatbestands vor, vgl. USSG § 5 G. 1. 2, comment. (n.2); vgl. auch USSG § 3 D. 1. 1. (b)(2). 274 USSG § 3 D. 1. 1, comment. (n.2). 272
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
I. Die kumulative Bestrafung nach dem ursprünglichen Model Penal Code Der MPC enthält in seiner ursprünglichen Fassung sowohl allgemeine Regelungen über die Strafzumessung und den Strafvollzug (ss. 1.02(2), 6, 7 bzw. Part III und IV) als auch besondere, für die Bestrafung einer Deliktsmehrheit relevante Bestimmungen (s. 7.06). Nach der früheren MPC, s. 7.06(1) und (4) konnten mehrere Gefängnisstrafen nach dem Ermessen des Gerichts entweder zur gleichzeitigen oder zur konsekutiven Vollstreckung angeordnet werden. Trafen Strafen von bestimmter und unbestimmter Länge zusammen, sollten diese parallel vollstreckt werden, MPC, s. 7.06(1)(a). Für konsekutive Strafen waren ferner bestimmte Höchstgrenzen vorgesehen, um exzessiven Strafen vorzubeugen, vgl. MPC, s. 7.06(1)(b)–(d).275 Allerdings bestimmte der Model Penal Code weder ein grundsätzliches Vorrangverhältnis zwischen den Vollstreckungsweisen noch hielt er Kriterien für die Ermessensausübung bereit.276 II. Die Reform des Model Penal Code Das Strafzumessungsrecht des MPC wurde von 2002 bis 2017 umfassend durch das American Law Institute überarbeitet und sollte insbesondere um ein bisher fehlendes Richtliniensystem (guidelines system) mit einer permanenten Strafzumessungskommission (sentencing commission) ergänzt werden.277 Nach ersten Entwürfen in den Jahren 2007, 2011, 2014 und 2016 wurde im Mai 2017 der finale Entwurf 278 von den Mitgliedern des ALI angenommen.279 Während eine Höchstgrenze für konsekutive Strafen beibehalten werden sollte, waren im Kontext der Kumulativbestrafung nach dem MPC gerade die beiden zuletzt genannten Punkte kritisiert und als reformbedürftig identifiziert worden.280 Beides ist aufgegriffen worden, denn nach dem 2017 verabschiedeten Entwurf wird die ehemalige MPC, s. 7.06 in MPC 2017, s. 7.04 wie folgt neu gefasst:281 275 Wechsler, U. Pa. L. Rev. 109 (1961), 465, 481; vgl. Reitz, Buff. Crim. L. Rev. 6 (2002), 525, 663. 276 Reitz, Buff. Crim. L. Rev. 6 (2002), 525, 663. Lediglich in MPC, s. 7.06(3) war ein grundsätzliches Vorrangverhältnis zugunsten der gleichzeitigen Vollstreckung vorgesehen, wenn nach einer Aussetzung einer Strafe zur Bewährung (parole) ein weiteres Delikt begangen wird. 277 Vgl. dazu Reitz, Buff. Crim. L. Rev. 6 (2002), 525 ff. 278 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017. 279 ALI, Model Penal Code: Sentencing Approved, Pressmitteilung v. 24.5.2017, abrufbar unter https://www.ali.org/news/articles/model-penal-code-sentencing-approved/ (Abruf v. 1.9. 2018). 280 Reitz, Buff. Crim. L. Rev. 6 (2002), 525, 663. 281 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 437 f.
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§ 7.04. Sentences upon Multiple Convictions.
(1) The sentencing court shall consult all relevant guidelines and presumptions established by the sentencing commission pursuant to § 6B.08 when imposing sentence on a defendant who is (a) being sentenced in the same proceeding for more than one conviction; (b) the subject of multiple criminal proceedings in the same jurisdiction or a foreign jurisdiction; or (c) already serving a sentence arising out of a different criminal case. (2) Except as otherwise provided in this Section, multiple terms of imprisonment shall run concurrently or consecutively as the court determines when the sentence is imposed. The court may order its sentence to be served concurrent with or consecutive to any sentence the defendant is already serving, but may not specify whether the sentence it imposes will be served concurrent with or consecutive to any pending sentence that has yet to be imposed in another jurisdiction.
(3) The court shall not sentence to probation a defendant who is under sentence of imprisonment [with more than 30 days remaining] or simultaneously impose a sentence of probation and a sentence of imprisonment on separate counts.
Die jeweilige einzelstaatliche Kommission soll also Guidelines u. a. zur Frage der Bestrafung bei mehreren Verurteilungen entwickeln, vgl. MPC 2017, s. 6B.08(1), wofür der MPC 2017 aber gewisse Vorgaben macht: So sollen sie eine Vermutung zugunsten der gleichzeitigen Vollstreckung enhalten, MPC 2017, s. 6B.08(2), weil eine verhältnismäßige Bestrafung mehrerer Delikte normalerweise ohne Überschreitung der Höchststrafe für das schwerste Einzeldelikt erfolgen könne.282 Dies entspricht nach dem ALI ohnehin der richterlichen Praxis, bei Ermessensentscheidungen häufiger gleichzeitige Strafen zu verhängen.283 Für die Kumulativbestrafung in einem einzigen Verfahren sollen die Guidelines allerdings eine das Gericht bindende Vermutung dahingehend enthalten, im Rahmen der Festsetzung der Einzelstrafe für das schwerste Delikt strafschärfend zu berücksichtigen, dass mehrere Verurteilungen zugrunde liegen, MPC 2017, s. 6B.08(3). Der Täter soll zusätzliche Delikte also nicht „gratis“ begehen können, sondern es bedarf im Vergleich zur singulären Gesetzesverletzung einer Erhöhung der letztlich verhängten tatsächlichen Strafe.284 Für einzelne Fallgruppen (selected categories of cases) soll die Kommission aber ermächtigt sein, Vermutungen zugunsten von konsekutiven Strafen aufzustellen, MPC 2017, s. 6B.08(4). Ausweislich der Begründung des ALI fällt darunter – als Minus – auch die Option, dass in keine Richtung eine Vermutung greift und das Gericht sein Ermessen hinsichtlich der Vollstreckungsweise vollkommen frei ausüben kann.285 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 381. ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 381. 284 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 381 f.; vgl. auch Cahill, Ohio St. J. Crim. L. 1 (2004), 599, 608. 285 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 382. 282 283
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4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
Die Fallgruppen, in denen entweder keine Vermutung oder eine Vermutung zugunsten konsekutiver Strafen angebracht sein soll, werden nicht vorgegeben, sondern in das Ermessen der jeweiligen einzelstaatlichen Kommission gestellt.286 Beispielhaft wird jedoch angeführt, dass diese sich an der Art der Gesetzesverletzungen, ihrem Verhältnis zueinander, der schwersten Gesetzesverletzung oder den Vorstrafen des Täters etc. orientieren könnten.287 Von den Vermutungsregeln nach MPC 2017, s. 6B.08(2–4) sollen die Gerichte jedoch abweichen können, wenn sie hierfür angemessene Gründe schriftlich vorbringen, MPC 2017, s. 6B.08(5). Hierdurch soll den Gerichten einerseits genügend Flexibilität verbleiben, andererseits sollen durch die Begründungspflicht greifbare Rechtsprechungsgrundsätze nach common law-Methodik entwickelt werden,288 damit „a jurisprudence of consecutive and concurrent sentencing can develop over time.“289
In Bezug auf konsekutive Strafen und vorbehaltlich der Fälle des MPC 2017, s. 6B.08(4) sollen die Guidelines die besonders gewichtige Vermutung (heavy presumption) enthalten, dass die gesamte Strafhöhe nicht das Doppelte der auf das schwerste Delikt anwendbaren Höchststrafe überschreiten darf, MPC 2017, s. 6B.08(7). Eine Abweichung von dieser Vermutung wäre nur bei außergewöhnlichen Umständen (extraordinary circumstances) möglich.290 III. Positivrechtliche Tendenzen in den Einzelstaaten Auf die Strafzumessung der Bundesstaaten im Einzelnen einzugehen, würde den Rahmen dieses Vorhabens sprengen, denn die Rechtsordnungen der Einzelstaaten sind in dieser Hinsicht stark fragmentiert.291 Immerhin stellt das ALI einen weitgehenden Konsens fest, wonach die tatsächliche Strafe (unabhängig von gleichzeitiger oder aufeinanderfolgender Vollstreckung) bei der mehrfachen Gesetzesverletzung höher als für ein Einzeldelikt ausfallen muss, aber andererseits auch nicht in der bloßen Addition bestehen sollte.292 Ein Blick auf die positiven Regelungen der Staaten ergibt überdies eine tendenzielle Präferenz zugunsten der grundsätzlich gleichzeitigen Strafvollstreckung;293 dies passt auch zur eben angesprochenen Einschätzung des ALI, nach ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 382. ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 382. 288 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 381 f. 289 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 381. 290 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 383. 291 Vgl. Reitz, Buff. Crim. L. Rev. 6 (2002), 525, 536. 292 ALI (Hrsg.), Model Penal Code: Sentencing – Proposed Final Draft, 2017, S. 381. 293 Vgl. etwa Arkansas Code § 5-4-403(a); 730 ILCS 5/5-8-4(a); Hawaii Code § 706286 287
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der die Richterschaft auch in der Praxis häufiger diese Vollstreckungsmodalität wählt. Darüber hinaus wird häufig – schon von den Gesetzgebern – eine Differenzierung nach dem Zusammenhang zwischen den Gesetzesverletzungen vorgenommen:294 So sehen manche Staaten bei nur einer Handlung/Unterlassung grundsätzlich zwingend entweder eine einzige Strafe oder zumindest gleichzeitige Strafen vor. Auf Staaten mit besonderen absorbierenden Bestimmungen bei einer gemeinsamen Tatsachengrundlage ist bereits eingegangen worden (4. Kap. § 1 E. II. 4.). Dem ähnlich ist die Regelung in South Carolina, wonach zeitlich eng verknüpfte Delikte (closely connected in point of time) für die Bestrafung wie ein einziges Delikt zu behandeln sind.295 Wenn die schon vorgestellte kalifornische Regel nicht einschlägig ist, darf erwogen werden, mehrere Strafen parallel oder konsekutiv zu vollstrecken.296 Für diese Ermessensausübung wiederum ist u. a. maßgeblich, ob die Delikte zeitlich (single period of aberrant behavior) oder in der Sache (crimes and [...] objectives were predominantly independent of each other) miteinander zusammenhängen.297 Auch Alabama hat für die Handlungs-/Unterlassungsidentität eine absorbierende Bestimmung.298 Für sonstige Fälle der Deliktsmehrheit ist nach r. 26.12 der Alabama Rules of Criminal Procedure jedoch grundsätzlich die konsekutive Vollstreckung vorgesehen. Arizona vollstreckt ebenfalls grundsätzlich konsekutiv,299 sieht jedoch obligatorisch die parallele Vollstreckung bei Handlungs- oder Unterlassungsidentität vor.300 Auch in New York ist grundsätzlich die parallele Vollstreckung zwingend vorgesehen, wenn die Delikte ganz oder teilweise auf einer Handlungs-/Unterlassungsidentität beruhen (committed through a single act or omission, or through an act or omission which in itself constituted one of the offenses and also
668.5(1); Kentucky R.S. 532-110(2); Missouri R.S. § 558.026(1); Nevada R.S. 176.035(1); North Carolina Code §§ 15A-1340.15(a), 15A-1354(a); Tennessee Rules of Criminal Proce dure, r. 32(c)(1); für die grundsätzlich konsekutive Vollstreckung vgl. etwa Montana Code § 46-18-401(4); Code of Virginia § 19.2-308. 294 Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 175; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 66. 295 South Carolina Code § 17-25-50; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 66 (Fn. 207). 296 Vgl. California Rules of Court, r. 4.424. 297 Vgl. California Penal Code § 669; California Rules of Court, r. 4.425(a). 298 Alabama Code § 15-3-8. 299 A.R.S. § 13-711(A); A.R.S. Rules Crim. Proc., r. 26.13. 300 A.R.S. § 13-116.
200
4. Kapitel: Das US-amerikanische Strafrecht
was a material element of the other).301 In New Hampshire scheiterte im Jahre 2014 eine eine solche Regelung enthaltende Gesetzesinitiative.302 Auch in Colorado müssen die Strafen gleichzeitig vollstreckt werden, wenn die Delikte auf derselben Handlung oder demselben Vorgang (based on the same act or series of acts arising from the same criminal episode) beruhen; bei mehreren Opfern steht der Vollstreckungsmodus hingegen im Ermessen des Gerichts.303 Ähnlich verfährt Maine, wenn dort bei demselben kriminellen Vorgang (same criminal episode) teilweise zwingend parallel zu vollstrecken ist,304 bzw., wenn ein wesentlicher Faktor für eine Ermessensausübung zugunsten konsekutiver Strafen die Frage ist, ob die Delikte auf verschiedenen Verhaltensweisen oder Vorgängen beruhen (based on different conduct or arising from different criminal episodes).305 Oregon räumt dem Gericht ein freies Ermessen nur für den Fall ein, dass kein einheitliches ununterbrochenes Verhalten (same continuous and uninterrupted course of conduct) vorliegt;306 liegt ein solches hingegen vor, müssen die Strafen parallel vollstreckt werden, jedoch sind zwei Ausnahmen kodifiziert, in denen das Gericht konsekutive Strafen anordnen kann.307 In Louisiana sollen Gefängnisstrafen nach dem dortigen Code of Criminal Procedure, art. 883 demgegenüber zwar grundsätzlich parallel vollstreckt werden, wenn die Delikte auf derselben Handlung oder demselben Vorgang (same act or transaction) bzw. auf demselben Vorhaben oder Plan (common scheme or plan) beruhen. In allen anderen Fällen sollen die Strafen grundsätzlich konsekutiv vollstreckt werden. In beiden Konstellationen kann das Gericht jedoch ausdrücklich die andere Vollstreckungsart wählen. Teilweise finden sich in den bundesstaatlichen Rechten auch bestimmte Höchstgrenzen in Abhängigkeit von einem Zusammenhang zwischen den Gesetzesverletzungen.308 So sieht zwar der Indiana Code in § 35-50-1-2(c) keine Vollstreckungspräferenz vor. Jedoch enthält er für konsekutive Strafen – Gewaltverbrechen ausgenommen – gewisse Höchstgrenzen, wenn die Delikte auf einem einheitlichen Verhalten (an episode of criminal conduct) beruhen. Eine derartige 301
New York Penal Law § 70.25(2). Der Gesetzentwurf ist verfügbar unter https://legiscan.com/NH/text/HB1230/id/902630 (Abruf v. 1.9.2018). 303 Colorado R.S. 18-1-408(3). 304 Maine R.S. Title 17-A § 1256(3), wo teilweise die Formulierung von MPC s. 1.07(1) für den Bereich der Bestrafung übernommen wurde. 305 Maine R.S. Title 17-A § 1256(2). 306 Oregon R.S. § 137.123(1)(2). 307 Vgl. Oregon R.S. § 137.123(1)(4–5). 308 Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 176; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 66 f. 302
§ 2 Die kumulative Bestrafung
201
Obergrenze findet sich auch in Illinois309 für den Fall, dass die Delikte auf einem Verhalten ohne wesentliche Änderung des kriminellen Ziels (single course of conduct during which there was no substantial change in the nature of the criminal objective) beruhen, oder in New York310 für auf einem Vorfall oder einem Vorgang beruhende Delikte (single incident or transaction).
309 310
730 ILCS 5/5-8-4(f)(2). New York Penal Law § 70.25(3).
5. Kapitel
Rechtsvergleichende Analyse Nachdem in den vorhergehenden vier Kapiteln die für die Beantwortung der Leitfragen vorhandenen Konzepte längsschnittartig im Gesamtkontext der jeweiligen Rechtsordnung vorgestellt wurden, werden sie an dieser Stelle nach Sachfragen geordnet und rechtsordnungsübergreifend zueinander in Beziehung gesetzt. Hierbei sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl zwischen dem deutschen Recht und den Common Law-Rechtsordnungen als auch unter den einzelnen Common Law-Rechtsordnungen aufgezeigt werden. Darüber hinaus wird ein rechtspolitischer Vorschlag zur Neuordnung der Konkurrenz im deutschen Recht unterbreitet. Dieser beruht auf einer die Bestrafung betreffenden Gleichbehandlung von Ideal- und Realkonkurrenz, woraus sich wiederum Konsequenzen für die Funktion der beizubehaltenden Konzepte der Tateinheit und -mehrheit ergeben. Daher wird in diesem Kapitel die Reihenfolge der drei zu behandelnden Leitfragen geändert: Zunächst wird auf die kumulative Bestrafung bei einer zulässigen kumulativen Verurteilung eingegangen (§ 1). Sodann wird die Reichweite der kumulativen Verurteilung für begrifflich verschiedene Strafgesetze (§ 2) sowie für mehrmals das begrifflich selbe Strafgesetz (§ 3) aufgegriffen.
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung Für den Bereich der kumulativen Bestrafung wird der Vergleich weiter in verschiedene Einzelfragen eingeteilt. Zuerst wird erörtert, in welcher Form (A.) und strukturell-faktischen Höhe (B.) die Rechtsordnungen bei mehrfacher Verurteilung bestrafen. Sodann sollen hierbei in allen Rechtsordnungen angewendete Differenzierungskriterien miteinander verglichen werden (C.).
A. Die Form der Bestrafung mehrerer Gesetzesverletzungen In den untersuchten Rechtsordnungen finden sich generell zwei Formen der Bestrafung der kumulativen Gesetzesverletzung:
204
5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Im deutschen Recht werden stets1 Globalstrafen verhängt, entweder in Form einer Einheitsstrafe, bemessen an dem Strafgesetz mit der schwersten Strafandrohung, oder in der Form einer Gesamtstrafe. Jene wird zwar auf der Grundlage von Einzelstrafen gebildet, jedoch werden diese Einzelstrafen nicht als solche vollstreckt. Überwiegend anders stellt sich der Rechtszustand in den untersuchten Common-Law-Rechtsordnungen dar, wo man Globalstrafen tendenziell mit Skepsis begegnet.2 Stattdessen wird normalerweise eine Einzelstrafe für jeden anwendbaren (i.d.R. eine Gesetzesverletzung beinhaltenden) Anklagepunkt gebildet und als solche ausgesprochen. Zwar besteht im kanadischen Recht mit Cr. C., s. 728 formal die Möglichkeit, nur eine Einheitsstrafe zu bilden. Jedoch spielt diese Vorschrift in der Praxis eine zu vernachlässigende Rolle, weil die Appellationsgerichte aus Transparenzgründen von dieser Möglichkeit abraten (3. Kap. § 2 B. III.). Auch der der deutschen Gesamtstrafe ähnliche Vorschlag, zunächst Einzelstrafen und sodann eine Einheitsstrafe zu bilden, konnte sich dort nicht durchsetzen (3. Kap. § 2 B.). In den USA haben die Appellationsgerichte anlässlich von vor der Einführung der USSG gelegentlich verhängten Einheitsstrafen (general sentence) ebenfalls dazu angehalten, bei mehreren Anklagepunkten für jeden Anklagepunkt eine eigene Einzelstrafe zu verhängen.3 Lediglich in einigen US-Bundesstaaten scheint man der Idee gegenüber insoweit aufgeschlossener zu sein, als die Delikte auf einer einheitlichen faktischen Grundlage beruhen. So sieht das kalifornische Recht, wie der deutsche § 52 Abs. 2 StGB, vor, bei Handlungs- oder Unterlassungseinheit nur aus dem Delikt mit „the longest potential term of imprisonment“ zu bestrafen, mithin eine Absorption (4. Kap. § 1 E. II. 4.).4 Allerdings bleibt die Vorschrift durch Ausnahmerechtsprechung in ihrem Anwendungsbereich hinter § 52 StGB zurück, etwa bei mehreren Opfern einer Handlung, d. h. nach deutscher Terminologie in Fällen der gleichartigen Idealkonkurrenz (4. Kap. § 1 C. III. 3.). In England wird der Idee einer Globalstrafe immerhin aus Richtung der Rechtswissenschaft neuerdings Sympathie entgegengebracht.5
1 Abgesehen von der in § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgesehenen Möglichkeit, neben einer Freiheitsstrafe gesondert eine Geldstrafe zu verhängen. 2 Vgl. Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 482. 3 Vgl. Wright/Welling, Federal Practice and Procedure, Band 3, 4. Aufl. 2011, § 551 m. w. N. 4 Vgl. Stöcker, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 2, 1954, S. 461; Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 163 f. 5 Vgl. Vibla, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 179 f.
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung
205
Funktional betrachtet finden sich noch weitere Ansätze einer Globalstrafe im Common Law. So kann etwa die Anwendung des Totality-Prinzips dazu führen, dass bei mehreren eigentlich gebildeten Einzelstrafen letztlich nur eine überhaupt verhängt wird (2. Kap. § 3 B. III.). Darüber hinaus wird in der Sache eine Einheitsstrafe gebildet, wenn mehrere Gesetzesverletzungen schon in einem Anklagepunkt zusammengefasst werden. Besonders auffällig ist dies etwa im englischen Recht bei sog. ‚multiple incidents’ counts nach CrimPR, r. 10.2(2), wo nicht die einzelne Gesetzesverletzung im Vordergrund steht, sondern ein kriminelles Gesamtverhalten (2. Kap. § 1 B. II. 3.). Schließlich kommt es faktisch zu Einheitsstrafen, wenn ohne entsprechende Verurteilung weitere Gesetzesverletzungen im Rahmen des Consideration-Verfahrens bei der Bestrafung für ein eigentlich anderes Delikt berücksichtigt werden (vgl. 2. Kap. § 3 C., 3. Kap. § 2 C.).
B. Die vorhandenen Differenzierungssysteme und die Ableitung eines generellen Kumulativstrafrahmens Die eben behandelte formale Unterscheidung sagt allerdings wenig über die tatsächliche Höhe der Bestrafung bzw. über das Vorhandensein einer Differenzierung verschiedener Sachlagen aus. Wenngleich es im Common Law nämlich formal zu einer kumulativen Verhängung mehrerer Einzelstrafen kommen mag, hängt die tatsächliche Kumulation im Ergebnis sowohl von der Vollstreckungsweise als teilweise auch von einer abschließenden Gesamtbetrachtung ab. Daher ist es denkbar, dass eine deutsche Einheits- oder Gesamtstrafe insgesamt höher ausfällt, als mehrere Einzelstrafen in den Common Law-Rechtsordnungen. In der Tat sehen sowohl das deutsche Recht als auch die Common Law-Rechtsordnungen jeweils eine strukturell mildere (I.) und eine strukturell strengere (II.) Variante der Bestrafung vor, die im Folgenden jeweils gegenübergestellt werden sollen. Die rechtsvergleichende Betrachtung wird allerdings zu Tage fördern, dass unter Berücksichtigung rechtstatsächlicher Erwägungen ein gemeinsamer Strafrahmen für die Behandlung mehrerer Gesetzesverletzungen gefunden werden kann (III.). Diese Erkenntnis wird sodann in Form eines rechtspolitischen Vorschlags für das deutsche Recht fruchtbar gemacht (IV.). I. Einheitsstrafe nach § 52 StGB versus gleichzeitige Einzelstrafvollstreckung Die milden Varianten entsprechen sich in der Sache vollkommen, indem sich die tatsächliche Endstrafe rechtsordnungsübergreifend normalerweise zwischen der höchsten auf die Einzelgesetze abstrakt anwendbaren Höchststrafe und der für das schwerste Delikt angemessenen, jedoch um einen Faktor erhöhten Einzelstrafe bewegt.
206
5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Wenn im deutschen Recht eine Einheitsstrafe gebildet wird, kommt es zu einer durch die höchste abstrakt mögliche Strafe vermittelten Obergrenze sowie zu einer Untergrenze durch die höchste abstrakte Mindeststrafe. Nach Bildung dieses abstrakten Strafrahmens wird eine konkret angemessene Endstrafe verhängt, wobei die kumulative Gesetzesverletzung nicht nur strafschärfende Berücksichtigung finden kann (1. Kap. § 3 A. III. 2.), sondern dies ist rechtstatsächlich gesehen sogar regelmäßig der Fall.6 Eine solche Absorption durch die höchste Höchststrafe kennen auch einige US-Bundesstaaten, wie eben schon angesprochen. Selbst von diesen Sonderfällen abgesehen kommt es in den Common Law-Rechtsordnungen bei gleichzeitiger Vollstreckung mehrerer Einzelstrafen jedoch zu einem der deutschen Einheitsstrafe entsprechenden Ergebnis. Denn auch hier bewegt sich die tatsächlich zu verbüßende Strafe notwendigerweise zwischen der für die einzelnen Gesetzesverletzungen vorgesehenen höchsten Mindest- und der höchsten Höchststrafe. Darüber hinaus wird die höchste bei singulärer Verletzung eigentlich angemessene Einzelstrafe noch einmal erhöht, um der kumulativen Gesetzesverletzung im Ergebnis Rechnung zu tragen: So führt im englischen Recht die Totality-Schlussbetrachtung zu einer nochmaligen Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (2. Kap. § 3 B. III.), während dies in Kanada auf den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (proportionality) gestützt wird (3. Kap. § 2 B. II. 1. c). Für die US-Bundesstaaten stellt das American Law Institute einen weitgehenden Konsens fest, wonach die tatsächliche Strafe auch bei gleichzeitiger Vollstreckung höher als für eine singuläre Verletzung des schwersten Delikts ausfallen muss, und trifft im neuen Model Penal Code 2017 Vorkehrungen, dass kein Delikt „gratis“ begangen werden kann (4. Kap. § 2 C. II. bzw. III.). Die verschiedenen Wege der diversen US-Guideline-Systeme, eine solche Schärfung sicherzustellen („Concurrent-Plus Sentencing“), hat ein US-amerikanischer Autor jüngst in einem Beitrag zusammengestellt.7 Die rechtsordnungsübergreifend in der milden Variante für normalerweise als angemessen erachtete tatsächliche Strafe bewegt sich damit in einem Bereich, der sich grafisch folgendermaßen aus den einzelnen abstrakten Strafrahmen über einen abstrakten Kombinationsstrafrahmen bis hin zu einem tatsächlichen Endstrafrahmen ableiten lässt:
6 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 1996, S. 724; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 52 Rn. 33, 47 m. w. N.; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 124 f. m. w. N. 7 Frase, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 205 ff.
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung
Die Endstrafe in der milden Variante
6. Jahr
Strafrahmen der Kumulativbestrafung
5. Jahr 4. Jahr 3. Jahr
207
Strafrahmen Delikt 1
Strafrahmen Delikt 2
Strafrahmen Delikt 3
Angemessene Strafe Delikt 3 singulär
2. Jahr 1. Jahr
Abbildung 6
II. Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB versus konsekutive Einzelstrafvollstreckung Wenngleich man zunächst vermuten mag, dass konsekutiv vollstreckte Einzelstrafen zu höheren Endstrafen führen als die Gesamtstrafe nach §§ 53 f. StGB, zeigt ein Vergleich, dass auch hier die Rechtsordnungen trotz unterschiedlicher Methodik ziemlich ähnliche Ergebnisse erzielen. 1. Die Reihenfolge Sowohl im deutschen als auch im englischen Recht werden zunächst Einzelstrafen gebildet. Während dort pro Anklagepunkt eine Einzelstrafe gebildet wird, erfolgt dies im deutschen Recht für jede materielle Tat. In beiden Systemen bedeutet dies nicht notwendigerweise eine Einzelstrafe pro Gesetzesverletzung, da im Common Law ein Anklagepunkt bzw. im deutschen Recht eine materielle Tat bei Idealkonkurrenz mehrere Gesetzesverletzungen enthalten kann. Bemerkenswerterweise wird allerdings sowohl im deutschen als auch im englischen Recht eine eigentlich nicht zulässige Praxis beobachtet, wonach formale Einzelstrafen erst nach einer Gesamtstrafe (1. Kap. § 3 B. I. 1. b) bzw. einer Totality-Gesamtbetrachtung (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (1) und III.) gebildet werden. Im kanadischen Recht wird von den meisten Appellationsgerichten der Weg über die zuerst erfolgende Bildung von Einzelstrafen bevorzugt (Goodridge approach). Dem stehen jedoch andere gegenüber, die zuerst die Endstrafe festle-
208
5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
gen und danach die Einzelstrafen sowie die Vollstreckungsweise (Hatch bzw. Jewell approach) (3. Kap. § 2 B.). Im US-Bundesstrafrecht mit seiner ohnehin etwas anderen Herangehensweise wird zunächst eine angemessene Endstrafe ermittelt und diese erst danach in formale Einzelstrafen und eine Vollstreckungsanordnung umgemünzt (4. Kap. § 2 B. II.). 2. Die Höhe der Endstrafe Werden zuerst Einzelstrafen gebildet, erfolgen im deutschen Recht und dem Common Law zwei weitere Schritte, jedoch in genau entgegengesetzter Richtung: Während das deutsche Recht nur noch die schwerste Einzelstrafe zugrunde legt und diese zwingend erhöht (Asperation), werden die Einzelstrafen in England und Kanada zunächst durch die Anordnung der konsekutiven Vollstreckung kumuliert und sodann durch die Totality-Betrachtung auf ein angemessenes Maß abgesenkt, sofern dies nach den Umständen erforderlich erscheint. Während sich die Endstrafe im deutschen Recht obligatorisch unterhalb der Kumulation bewegen muss (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB), ist dies in England und Kanada zwar nicht zwingend, aber regelmäßig der Fall. Deutlich geht dies aus der englischen Totality guideline hervor, wo es heißt: „[It] is usually impossible to arrive at a just and proportionate sentence for multiple offending simply by adding together notional single sentences.“8
Einen weitreichenden Konsens, dass die Endstrafe über eine Strafe für das schwerste Einzeldelikt hinausgehen, jedoch unterhalb der Kumulation verbleiben muss, stellt auch das American Law Institute für die US-Bundesstaaten fest (4. Kap. § 2 C. III.). Im US-Bundesstrafrecht verhindert schließlich eine funktional eingezogene Obergrenze die Kumulation von Einzelstrafen, indem im Rahmen der USSG die Basisdeliktsebene in der Regel nur um bis zu fünf Deliktsebenen erhöht werden kann (4. Kap. § 2 B. II. 2. c).9 Im Ergebnis nehmen alle Rechtsordnungen damit einen mit der Absenkung der bei singulärer Begehung eigentlich für die Delikte angemessenen Einzelstrafen verbundenen „Rabatt“ in Kauf (vgl. 2. Kap. § 3 B. III., 3. Kap. § 2 B. II. 2. c). Rechtsordnungsübergreifend ergibt sich damit als Gemeinsamkeit, dass sich die Endstrafe in der jeweils strengen Variante normalerweise in einem Bereich unterhalb der Kumulation der Einzelstrafen und über der für das schwerste Delikt
SC, Offences Taken Into Consideration and Totality: Definitive Guideline, 2012, S. 5. Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 173; vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 64. 8 9
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung
209
angemessenen, um einen Faktor erhöhten Einzelstrafe bewegt.10 Grafisch stellt sich dies in einem Beispiel wie folgt dar:
6. Jahr
Die Endstrafe in der strengen Variante Strafe bei Kumulation
5. Jahr 4. Jahr 3. Jahr 2. Jahr 1. Jahr
Strafrahmen Delikt 1 Angemessene Strafe singulär
Strafrahmen Delikt 2
Strafrahmen Delikt 3
Angemessene Strafe singulär
Angemessene Strafe singulär
Strafrahmen der Kumulativbestrafung Höchste Einzelstrafe
Abbildung 7
3. Lebenslange Einzelstrafe(n) Bemerkenswert ist schließlich, wie unterschiedlich in den Rechtsordnungen bei faktisch nicht steigerungsfähigen, weil lebenslangen, Einzelstrafen verfahren wird. So wird nach heutiger deutscher Rechtslage bei einer lebenslangen Einzelstrafe diese auch Gesamtstrafe (§ 54 Abs. 1 S. 1 StGB). Im englischen wie im kanadischen Recht wird die konsekutive Verhängung einer Freiheitsstrafe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als unmöglich und Absurdität abgelehnt (2. Kap. § 3 III. bzw. 3. Kap. § 2 B. II. 2.).11 In den USA hingegen können sogar mehrere lebenslange Freiheitsstrafen in konsekutiver Abfolge ausgesprochen werden (vgl. etwa California Penal Code, s. 669).12 III. Die Grenzen eines generellen Kumulativstrafrahmens Trägt man die beiden rechtsordnungsübergreifenden Strafrahmen der Kumulativbestrafung zusammen und berücksichtigt darüber hinaus rechtstatsächliche Diesen rechtsordnungsübergreifenden Mittelweg („middle ground“) beobachtet auch Lippke, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 105. 11 R. v. Sinclair (1972), 6 C.C.C. (2d) 523 [3] (Ont. C.A.) („[A] logical absurdity which tends to bring the law into disrepute.“). 12 Vgl. z. B. Dawson v. State, 675 So.2d 897 (Ala. 1995) (vier mal lebenslänglich in konsekutiver Abfolge). 10
210
5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Tendenzen, lässt sich sogar ein rechtsordnungsübergreifender genereller Regelstrafrahmen für die Kumulativbestrafung ableiten. 1. Die Untergrenze Zunächst ergibt sich, dass die normalerweise gezogene Untergrenze identisch ist: Es handelt sich in beiden Fällen um eine mindestens die höchste der Mindeststrafen aufweisende und ob des kumulativen Kontexts um eine Einheit erhöhte Einzelstrafe für das schwerste Einzeldelikt. Diese rechtsordnungsübergreifende Untergrenze findet sogar Bestätigung im etwas anders gelagerten US-Bundesstrafrecht, wo die Differenzierungslinie per se gar nicht zwischen gleichzeitiger und aufeinanderfolgender Strafvollstreckung verläuft.13 Bei grundsätzlich überhaupt nur gleichzeitiger Vollstreckung verläuft die Differenzierung vielmehr zwischen einer leichten Erhöhung im Rahmen der Ermessensausübung innerhalb eines gegenüber dem schwersten Delikt unveränderten Strafrahmens und einer stärkeren Erhöhung durch einen höheren anwendbaren Strafrahmen. Mithin kann man auch dort von der gegenüber der singulären Begehung erhöhten schwersten Einzelstrafe als Untergrenze ausgehen. Darüber hinaus wird auch dort sichergestellt, dass die höchste Mindeststrafe nicht unterschritten wird. 2. Die Obergrenze Es erweist sich zudem, dass die normalerweise gezogene Obergrenze zwischen den beiden Varianten die gleiche ist. In der milden Variante bildet die höchste abstrakt mögliche Strafe unter den Einzeldelikten die Obergrenze. In der strengen Variante ist es die um eine Einheit herabgesetzte Summe der singulär angemessenen Einzelstrafen. Allerdings muss diese (um einen Faktor reduzierte) Summe konkreter Einzelstrafen nicht unbedingt die abstrakt höchste Obergrenze der Einzelstrafrahmen (also die Obergrenze der milden Variante) übersteigen. In der Tat zeigt sich, dass die Rechtsordnungen dort jedenfalls de facto normalerweise eine weitere Obergrenze in der strengen Variante ziehen: So wird für das deutsche Recht beobachtet, dass der Strafrahmen des schwersten Gesetzes auch bei der Gesamtstrafe selten überstiegen wird (1. Kap. § 3 B. I. 1. b). Insoweit stimmen hier in tatsächlicher Hinsicht auch die Obergrenzen zwischen milder und strenger Variante im Regelfall überein.
13 Vgl. Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 483.
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung
211
Derartige, durch das schwerste Delikt determinierte Obergrenzen sind auch den Common Law-Rechtsordnungen nicht fremd: Im englischen Recht wurde eine Diskussion darüber vorgefunden, ob die endgültige Strafe durch die auf das schwerste Delikt anwendbare Höchststrafe begrenzt sein sollte, was immerhin eine – nicht ausnahmslos durchgehaltene – Leitlinie des dortigen Court of Appeal darstellt, die für gewöhnlich auch eingehalten wird, obgleich der englische Sentencing Council diese Überlegung explizit nur für für auf demselben Vorfall beruhende Delikte aufgegriffen hat (2. Kap. § 3 B. III.). In Kanada kann die Überschreitung einer normalen Strafe für das schwerste Delikt zu einer Verletzung der Totality führen. Strittig ist nur, ob die Endstrafe zusätzlich eine „niederschmetternde Wirkung“ unter Berücksichtigung der Anzahl und Schwere der Delikte sowie der Vorstrafen und Zukunftsaussichten des Täters haben muss oder ob die Überschreitung alleine schon die Verletzung des Totality-Prinzips herbeiführen kann. Darüber hinaus stellen neuere kanadische Entscheidungen auch auf die höchste der abstrakt verfügbaren Höchststrafen ab, welche zur Wahrung der Totality-Erfordernisse jedenfalls nicht wesentlich überschritten werden soll (3. Kap. § 2 B. II. 1. c). Für die US-Bundesstaaten stellt das American Law Institute fest, dass für die kumulative Gesetzesverletzung in der Regel schon gleichzeitige Strafen verhängt werden können; gerade, weil der Strafrahmen des schwersten Delikts in der Regel ausreiche, um zu einer verhältnismäßigen Endstrafe zu kommen. Für seltene Fälle, in denen dies einmal nicht der Fall ist, findet im MPC 2017 insofern noch eine Orientierung an der abstrakt höchsten Höchststrafe statt, als das Ergebnis konsekutiver Strafen nicht das Doppelte der Höchststrafe des schwersten Delikts überschreiten dürfe (4. Kap. § 2 C. II.).14 Schließlich geht auch das US-Bundesstrafrecht davon aus, dass die Endstrafe (total punishment) in der Regel durch gleichzeitige Einzelstrafen formell umgesetzt werden kann, weil die Höchststrafe des schwersten Delikts für gewöhnlich nicht überschritten wird: „Usually, at least one of the counts will have a statutory maximum adequate to permit imposition of the total punishment as the sentence on that count. The sentence on each of the other counts will then be set at the lesser of the total punishment and the applicable statutory maximum, and be made to run concurrently with all or part of the longest sentence.“15
Im Ergebnis zeigt sich eine rechtsordnungsübergreifend anzutreffende Überzeugung, dass der Kumulativstrafrahmen nach oben hin normalerweise durch zwei 14 Ähnlich der Vorschlag von Frase, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 191, 204, der das Doppelte der höchsten Einzelstrafe als Obergrenze verwenden will. 15 Vgl. USSG § 5 G. 1. 2, comment. (n.1); vgl. auch Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 483.
212
5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Größen begrenzt wird oder werden sollte. Zum einen durch ein Minus der Summe der konkreten Einzelstrafen. Dies trifft auf die strenge Variante in allen Rechtsordnungen zu und liegt in der jeweils milden Variante in der Natur der Sache. Zum anderen durch die auf das schwerste Einzeldelikt anwendbare Höchststrafe, was insofern bemerkenswert ist, als dies nicht nur in der jeweils milden Variante der Fall ist, sondern de facto gerade auch in der jeweils strengen. Allerdings haben wir auch festgestellt, dass die erste Größe in allen Rechtsordnungen häufig unter der zweiten bleibt und somit im Regelfall die tatsächlich determinierende Obergrenze bildet. 3. Fazit Zusammen mit der in beiden Varianten gemeinsamen Untergrenze lässt sich folgender rechtsordnungsübergreifend als grundsätzlich angemessen empfundener Regelstrafrahmen für die kumulative Gesetzesverletzung ableiten:
Der einheitliche Kumulativstrafrahmen 1 6. Jahr 5. Jahr
Höchste Höchststrafe Addierte Einzelstrafen
4. Jahr 3. Jahr
Strafrahmen Delikt 1
Strafrahmen Delikt 2
2. Jahr
Höchste Mindeststrafe
1. Jahr
Angemessene Angemessene Strafe singulär Strafe singulär
Abbildung 8
Strafrahmen Delikt 3
Strafrahmen der Kumulativbestrafung
Angemessene Strafe singulär
Angemessene Strafe Delikt 3 singulär
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung
213
Sollte ausnahmsweise einmal die um eine Einheit reduzierte Summe von Einzelstrafen über den höchsten abstrakten Strafrahmen hinausgehen, determiniert dieser die Obergrenze:
Der einheitliche Kumulativstrafrahmen 2 Addierte Einzelstrafen
6. Jahr Höchste Höchststrafe
5. Jahr 4. Jahr 3. Jahr
Strafrahmen Delikt 1
Strafrahmen Delikt 2
2. Jahr
Höchste Mindeststrafe
1. Jahr
Angemessene Angemessene Strafe singulär Strafe singulär
Strafrahmen Delikt 3
Angemessene Strafe singulär
Strafrahmen der Kumulativbestrafung
Angemessene Strafe Delikt 3 singulär
Abbildung 9
IV. Plädoyer für eine einheitliche Behandlung von Tateinheit und -mehrheit im deutschen Recht Dieser rechtsordnungsübergreifend für grundsätzlich für richtig erachtete Kumulativstrafrahmen kann für die rechtspolitische Diskussion im deutschen Recht fruchtbar gemacht werden: Da er gerade im deutschen Recht sowohl in der strengen als auch der milden Variante regelmäßig befolgt wird, wird auf rechtsvergleichender Grundlage rechtspolitisch vorgeschlagen, bei jeder kumulativen Gesetzesverletzung und unabhängig von den Kategorien der Tateinheit und -mehrheit eine „Kumulativstrafe“ in der Form zu bilden, dass nur eine einzige, mindestens die höchste für die Gesetzesverletzungen vorgesehene Mindeststrafe aufweisende Einzelstrafe für das schwerste Delikt gebildet wird. Diese Einzelstrafe wäre dann – bei Vermeidung jeglicher Doppelverwertung in den Rechtsfolgen, aber unter Berücksichtigung des mit den anderen Delikten zusätzlich realisierten Unrechts – zu erhöhen, um der Kumulation Rechnung zu tragen.16 Lediglich für gewisse Sonderfälle sollte man einen minder schweren Fall vorsehen mit der Folge, dass auf die Schärfung der Einzelstrafe verzichtet wird, z. B. wenn sowohl eine Qua16
Vgl. MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 124.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
lifizierung als auch eine Privilegierung eines Grundtatbestands verwirklicht werden. Die höchste der anwendbaren Höchststrafen würde die einzige Obergrenze bilden. Für begründungspflichtige, besonders schwere Fälle könnte man diese Obergrenze ausnahmsweise um einen Faktor erweitern, z. B. um ein Viertel der höchsten anwendbaren Höchststrafe. Dieser Vorschlag würde einerseits in der Sache keine wesentlichen Veränderungen herbeiführen, denn es konnte aufgezeigt werden, dass dieser sich ergebende Strafrahmen sowohl bei der Gesamtstrafenbildung nach §§ 53, 54 StGB als auch der Einheitsstrafenbildung nach § 52 StGB regelmäßig schon eingehalten wird. Andererseits würde jedoch – gerade nach Aufgabe der fortgesetzten Tat – die gegenwärtig nach den §§ 53, 54 StGB erforderliche, mühsame Bildung sodann sowieso nicht verhängter weiterer Einzelstrafen für die weiteren Delikte entbehrlich (daher entfällt auch die andere, oben herausgearbeitete Obergrenze, d. h. ein Minus der Summe von Einzelstrafen). Man mag dagegen einwenden, dass im Falle eines erfolgreichen, gegen die einzig gebildete Einzelstrafe gerichteten Rechtmittels eine neue Kumulativstrafe zu bilden wäre, ohne dass unpro blematisch auf eine schon gebildete zweitschwerste verwirkte Einzelstrafe zurückgegriffen werden könnte. Allerdings erscheint diese dann vorzunehmende neue Bildung einer Strafe vorzugswürdig, wenn man berücksichtigt, dass es sich eher um einen Ausnahmefall handeln wird, während die gegenwärtig erforderliche, aber weitgehend belanglose Bildung weiterer Einzelstrafen den Regelfall darstellt. Letztlich zählt in allen Fällen der kumulativen Strafbarkeit nur die Angemessenheit der schließlich verhängten Endstrafe; ein Ziel, das in der Regel durch die höchste der individuell möglichen Strafen erreicht werden kann. Dies bestätigt der Rechtsvergleich, wenn er ergibt, dass die Gerichte rechtsordnungsübergreifend gleich die Angemessenheit der Endstrafe in den Blick nehmen und die formelle Bildung dieser Strafe als wenig erheblich erachten. So ist es bezeichnend, wenn deutsche (1. Kap. § 3 B. I. 1. b) wie englische Richter (2. Kap. § 3 B. III.) nur widerstrebend zuerst Einzelstrafen bilden, die sachlich dann sowieso in einer Endstrafe aufgehen. In England wird bei mehreren Gesetzesverletzungen aus einem einzigen Vorfall immerhin durch den Court of Appeal selbst gesagt, dass die Höhe der Einzelstrafen und ihre Vollstreckungsart letztlich nicht wichtig seien, solange das Endresultat stimmt (vgl. 2. Kap. § 3 B. II. 1. a (1)). Auch in Kanada zeigen sich diese Tendenzen (3. Kap. § 2 B.) und in den USA gehen die USSG ganz offen einen Weg, wonach die formalen Einzelstrafen und deren Vollstreckungsart gegenüber dem tatsächlichen Endresultat nebensächlich sind (4. Kap. § 2 B. II.).
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung
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Genauso sollte das deutsche Recht diesen moderner anmutenden Weg gehen und sich bei jeder Kumulativbestrafung innerhalb des einheitlichen Kumulativstrafrahmens bewegen. Die Kategorien der Ideal- und Realkonkurrenz würden dadurch allerdings nicht entbehrlich. Dem Begriff der Tateinheit würde vielmehr noch eine Kennzeichnungsfunktion zukommen, wenn dieselben Tatsachen für die Ausfüllung von Tathandlung oder -erfolg mehrerer Strafgesetze herangezogen und damit mehrfach im Schuldspruch verwertet werden (vgl. dazu noch 5. Kap. § 2 C. III. und § 3 A. V.). Mit einem derart eng verstandenen Begriff der Tateinheit ginge eine Vereinfachung der Abgrenzung zwischen der Ideal- und der Realkonkurrenz einher. Die natürliche Handlungseinheit müsste nämlich gar nicht mehr zur Herstellung von Tateinheit herangezogen werden. Ihre Kriterien (zeitlich-örtlich-sachlicher Zusammenhang, Gleichartigkeit, einheitlicher Wille) wären für die Strafzumessung innerhalb des Kumulativstrafrahmens insoweit flexibler handhabbar, als damit keine Entweder-Oder-Entscheidung zwischen verschiedenen Wegen der Kumulativbestrafung mehr verbunden wäre, sondern ihnen nur Relevanz im Sinne eines graduellen Je-Desto-Systems innerhalb des einzigen Strafrahmens zukäme.17 Was das Verklammerungsdilemma angeht, wäre wegen der an zwei Stellen (zwischen Delikt A und C bzw. Delikt B und C) erfolgenden Mehrfachverwertung von Tatsachen unabhängig von der Schwere der Delikte Tateinheit anzunehmen, um der Kennzeichnungsfunktion der Idealkonkurrenz Rechnung zu tragen. Der Täter würde wegen einer einzigen Form der Kumulativbestrafung jedoch nicht mehr durch Begehung des Delikts C in Form eines angeblich günstigeren Strafrahmens privilegiert bzw. das Delikt C müsste nicht mehr doppelt in Ansatz gebracht werden, wie de lege lata im Falle einer Entklammerung. Die Schwere der involvierten Delikte könnte bei der Strafzumessung innerhalb des einheitlichen Strafrahmens hinreichend berücksichtigt werden. Fragen des Strafklageverbrauchs wären allerdings unabhängig von dem hier vertretenen, sehr engen Begriff der Tateinheit zu klären, wobei die bisher im Rahmen des materiellen Tatbegriffs diskutierte Technik der Zäsur bzw. Zerlegung dann im Rahmen des prozessualen Tatbegriffs eine Rolle spielen mag. Leider kann dies an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.18
17 Vgl. in diesem Sinne Erb, ZStW 117 (2005), 37, 76 ff. Im Anschluss an Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, 432 ff., plädiert er wegen des fließenden Übergangs zwischen Sachverhalten einer Ideal- zu denen einer Realkonkurrenz jedoch für die Abschaffung dieser Kategorien infolge der Einführung einer Einheitsstrafe. 18 Vgl. zur Diskussion mit umfangreichen Nachweisen Erb, ZStW 117 (2005), 37, 86 ff.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
C. Die zwischen milder und strenger Variante vorgenommenen Differenzierungen Bis hierhin wurde festgestellt, dass sich in allen Rechtsordnungen eine Differenzierung zwischen einer milden und einer strengen Variante der Kumulativbestrafung findet. Im deutschen Recht also zwischen Tateinheit und Tatmehrheit; in der englischen, kanadischen und einigen US-Rechtsordnungen zwischen gleichzeitiger und konsekutiver Einzelstrafvollstreckung; im US-Bundesrecht zwischen Erhöhung und Nichterhöhung des nach den USSG anwendbaren Strafrahmens. Nun soll auf die bislang außer Acht gelassenen, jeweils angewendeten Kriterien dieser Differenzierung eingegangen werden. Dabei zeigt sich, dass sich in allen Rechtsordnungen im Wesentlichen eine Differenzierung danach ausmachen lässt, ob die Gesetzesverletzungen auf einer gemeinsamen tatsächlichen Grundlage beruhen (I.). Jedoch bestehen in Bezug auf die Reichweite dieser tatsächlichen Größe im Einzelnen Unterschiede: Zur besseren Veranschaulichung werden daher Bereiche aufgegriffen, in denen tendenziell nur das deutsche Recht (II.) bzw. nur die Common Law-Rechtsordnungen (III.) eine solche gemeinsame tatsächliche Grundlage annehmen. Ein kurzes Fazit, das eine Stellungnahme einschließt, wird diese Ausführungen abrunden (IV.). I. Die gemeinsame tatsächliche Grundlage als Vergleichsgegenstand Was diese tatsächliche Größe angeht, ist für das deutsche Recht maßgeblich, ob den Gesetzesverletzungen nach § 52 Abs. 1 StGB dieselbe Handlung unterliegt. Dies wird grundsätzlich als (teil-)identische Ausführungshandlung verstanden – bei leichter Erweiterung um Fälle der natürlichen Handlungseinheit (1. Kap. § 3 A. II.). Im Common Law können trotz einer starken Einzelfallkasuistik Grundtendenzen gefunden werden, die einen Vergleich mit dem deutschen konkurrenzrechtlichen Handlungsbegriff erlauben. So stellen jene Rechtsordnungen für die Anwendung der milderen Variante u. a. darauf ab, ob die Gesetzesverletzungen auf demselben Vorfall oder denselben Tatsachen (same incident or facts), auf einem einheitlichen kriminellen Unternehmen (single criminal adventure), demselben Ereignis (same event), einer identischen Handlung (same act) oder einem identischen Vorgang (same transaction) beruhen. Wie sich nun zeigen wird, finden sich Übereinstimmungen zwischen dem deutschen Handlungsbegriff und jenen Begriffen, jedoch entsprechen sich die Konzepte nicht vollständig, sondern verhalten sich wie sich überschneidende Kreise zueinander. Gerade für das Common Law ist allerdings zu beachten, dass
§ 1 Die Bestrafung bei einer kumulativen Verurteilung
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hier stets nur von Grundtendenzen gesprochen werden kann, weil sich immer wieder auch abweichende (Ermessens-)Entscheidungen finden. II. Gemeinsame tatsächliche Größe tendenziell nur nach deutschem Recht Es finden sich einige Konstellationen, in denen das deutsche Recht für die mildere Variante optiert, aber die Common Law-Rechtsordnungen tendenziell nicht. Die wichtigsten sollen hier aufgezeigt werden: 1. Die Relevanz wertender Gesichtspunkte bei ungleichartigen Gesetzesverletzungen Die augenfälligste betrifft die Relevanz der Nähe der tatbestandlichen Definitionen der verletzten Gesetze sowie der durch sie geschützten Rechtsinteressen. So spielt es im deutschen Recht für § 52 Abs. 1 StGB grundsätzlich keine Rolle, welche Rechtsgüter durch ausführungsidentisch verletzte, ungleichartige Gesetze beeinträchtigt werden oder welchen Grad an definitorischer Ähnlichkeit die Tatbestände zueinander aufweisen. Auf Grundlage der Rechtsprechung können sich allenfalls bei der (Nichtannahme einer) Verklammerung Besonderheiten ergeben, die aber mehr mit der Schwere und nicht unmittelbar mit einer unterschiedlichen Definition oder Schutzrichtung der Tatbestände zu tun haben. Auch die Annahme oder Ablehnung einer, zu ungleichartiger Idealkonkurrenz führenden, natürlichen Handlungseinheit hängt unmittelbar nur von der Einheitlichkeit des Geschehens ab, nicht von den involvierten abstrakten Tatbeständen. In den Common Law-Rechtsordnungen hingegen spielen für den Begriff der gemeinsamen tatsächlichen Grundlage wertende Gesichtspunkte eine bedeutendere Rolle; vor allem, ob die zeitgleich und ggf. ausführungsidentisch verletzten Gesetze gleiche Interessen schützen, eine gewisse definitorische Verwandtschaft miteinander aufweisen oder ein enger Sachzusammenhang in Form einer Zweck-Mittel-Relation besteht. Während in der englischen Literatur der Gedanke der Übereinstimmung der geschützten Rechtsinteressen betont wird,19 lassen die englischen Gerichte teilweise schon eine definitorische Verwandtschaft zwischen den Tatbeständen (type of offence) für gleichzeitige Strafen ausreichen (2. Kap. § 3 B. II. 1.). Diese etwas „großzügigere“ Handhabung zeigt sich gerade auch im Vergleich zur kanadischen Rechtsprechung. Deutlich gemacht werden kann dies im Verhältnis zwischen dem Fahren trotz einer entzogenen Fahrerlaubnis (driving while disqualiVgl. Thomas, Principles of Sentencing, 1979, S. 53 f.; Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 281; Vibla, in: Roberts (Hrsg.), Exploring Sentencing Practice in England and Wales, 2015, S. 226. 19
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
fied) und gefährdenden Fahrzeugführungsdelikten, wo die englische Rechtsprechung normalerweise gleichzeitige Strafen ausspricht, während die kanadische wegen unterschiedlicher geschützter Rechtsinteressen (die Wahrung der Autorität des die Fahrerlaubnis entziehenden Gerichts bzw. die öffentliche Sicherheit) grundsätzlich konsekutive Strafen favorisiert (3. Kap. § 2 B. II. 1. b (2)). Im US-Bundesstrafrecht findet diese wertende Herangehensweise Bestätigung, wenn dort eine Gruppierung überhaupt nur bei „im Wesentlichen denselben Schaden“ (substantially the same harm) betreffenden Gesetzesverletzungen stattfindet. Die Nähe der rechtlich qualifizierten Tatbestände sowie der tatsächlichen Ausführung spielt hier vor allem dann eine Rolle, wenn bei der Gruppierung nach USSG § 3 D. 1.2. (d) zu bestimmen ist, ob die Delikte eine hinreichende Ähnlichkeit miteinander aufweisen (offenses of the same general type) (4. Kap. § 2 B. II. 2. a (4)). Allenfalls bei der Gruppierung nach USSG § 3 D. 1. 2. (a) und (b) kann die Opferidentität zum Teil eine fehlende Verwandtschaft oder fehlende Interessenkongruenz ausgleichen (z. B. bei einer Entführung und einem in diesem Verlauf begangenen Angriff). Gibt es kein individuelles Opfer, zählen die involvierten gesellschaftlichen Interessen und bestätigten die wertende Betrachtung wieder (4. Kap. § 2 B. II. 2. a (1)). 2. Verschiedene Opfer gleichartiger Gesetzesverletzungen Der Beeinträchtigung verschiedener tatbestandlich geschützter Rechtsinteressen ähnlich ist die Verletzung des gleichen Interesses verschiedener Opfer durch gleichartige Gesetzesverletzungen auf einer identischen tatsächlichen Grundlage. Hier erweisen sich die Lösungen als sehr uneinheitlich und es zeigen sich sogar unter den Common Law-Rechtsordnungen Unterschiede: Zwar liest man für das englische Recht bisweilen, dass verschiedene Opfer generell die Einheitlichkeit des Vorgangs auflösen sollen.20 Allerdings scheint eine solche Rechtsprechung nur bei Serien (dazu sogleich), nicht aber bei simultanen gleichartigen Gesetzesverletzungen gesichert zu sein.21 So bestätigt die hier durchgeführte Rechtsprechungsanalyse, dass in solchen Situationen tendenziell gleichzeitige Strafen für angebracht erachtet werden. Darüber hinaus werden auch die Ausnahmen von der single incident-Rechtsprechung als im Wesentlichen nur auf ungleichartige Gesetzesverletzungen anwendbar erachtet (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (1)). Als Beispiel kann der Fall eines Autounfalls mit mehreren Todesopfern angeführt werden, der sogar Aufnahme in die Totality guideline gefunden hat (2. Kap. Vgl. etwa Vibla, in: Roberts (Hrsg.), Exploring Sentencing Practice in England and Wales, 2015, S. 226. 21 Vgl. Thomas, Principles of Sentencing, 1979, S. 54 f. 20
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§ 3 B. II. 1. a (1)). Weitere Fälle bestätigen diese Rechtsprechung, z. B. gleichzeitige Strafen für kurz aufeinanderfolgende Angriffe auf zwei Polizisten (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (3)). Teilweise wird sogar über die Konstellation der Ausführungsidentität bzw. zeitlichen Simultanität hinausgegangen, wenn die Rechtsprechung noch einen einheitlichen Vorgang bei gleichartigen Gesetzesverletzungen gegenüber verschiedenen Opfern innerhalb von 20 Minuten oder im Laufe eines Nachmittags annimmt (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (1)). Eine Ausnahme mag allenfalls dann angezeigt sein, wenn trotz einer räumlich-zeitlichen Nähe bewusst ein separater Entschluss zu einem weiteren Angriff auf ein zweites Opfer erfolgt, wobei das entsprechende Präjudiz bemerkenswerterweise ungleichartige Gesetzesverletzungen betrifft (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (3)). Die kanadischen Fälle ergeben hingegen, dass man dort bei verschiedenen Opfern stärker zu konsekutiven Strafen neigt (3. Kap. § 2 B. II. 1. b (2)). Auch in den USA erfordert die Gruppierung nach USSG § 3 D. 1. 2. (a) ausdrücklich, dass dasselbe Opfer durch denselben Vorgang betroffen ist (4. Kap. § 2 B. II. 2. a (1)). Zwar ist dort bei verschiedenen Opfern noch eine Gruppierung nach USSG § 3 D. 1. 2. (d) möglich, jedoch nur bei bestimmten (v. a. Vermögens-)Delikten, nicht aber bei Gewaltdelikten (4. Kap. § 2 B. II. 2. a (4)). Im deutschen Recht können verschiedene Opfer bei höchstpersönlichen Rechtsgütern zu mehreren Gesetzesverletzungen in Tateinheit führen (1. Kap. § 1 B.). In diesem Bereich zeigt die deutsche Rechtsprechung jedoch eine eigenartig anmutende Differenzierung auf, wenn sie für die Tateinheit fordert, dass die Gesetzesverletzungen entweder durch einen identischen Ausführungsakt oder durch eine natürliche Handlungseinheit mit einem außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhang herbeigeführt werden (1. Kap. § 1 B.). Diese Differenzierung nach der Art der natürlichen Handlungseinheit erscheint schon de lege lata nicht notwendig, denn man könnte auch bei der Tateinheit der kumulativen Gesetzesverletzung im Rahmen der Strafzumessung Rechnung tragen, sodass jede natürliche Handlungseinheit einbezogen werden könnte. Dies zeigen auch die englischen Fälle mit gleichzeitiger Strafvollstreckung, die in der Sache § 52 Abs. 1 StGB entspricht (5. Kap. § 1 B. I.). Nach dem hier de lege ferenda vorgeschlagenen Modell (5. Kap. § 1 B. IV.) würde der Anwendungsbereich der Idealkonkurrenz hingegen auf (teilweise) durch dieselben Tatsachen fundierte, i.d.R. in der Tathandlung ausführungsidentische, Tatbestandsverwirklichungen beschränkt, um lediglich die im Schuldspruch erfolgende Doppelverwertung ein und derselben Tatsache zu kennzeichnen. Alle anderen Konstellationen der mehrfachen Gesetzesverletzung, also auch die bislang zu Tateinheit führende natürliche Handlungseinheit, wären tatmehrheitliche Gesetzesverletzungen. Allerdings wäre auf die Ideal- wie die Realkonkurrenz ein und derselbe Kumulativstrafrahmen anzuwenden, innerhalb
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
dessen die gängigen Kriterien der natürlichen Handlungseinheit im Sinne des angesprochenen Je-Desto-Systems für eine weniger hohe Strafschärfung sprechen würden. Dennoch zeigt sich zusammenfassend, dass im deutschen Recht jedenfalls bei einer ausführungsidentischen Idealkonkurrenz und bei einer Untergruppe der natürlichen Handlungseinheit die mildere Variante angewendet wird. Dem folgt tendenziell das englische Recht. Soweit die anderen Common Law-Rechtsordnungen bei verschiedenen Opfern tendenziell für die strenge Variante optieren, zeigt sich jedoch ein Unterschied zum deutschen Recht.22 3. Beendigungszeitraum und Fluchtfälle Ein bemerkenswerter Unterschied ergibt sich auch in Bezug auf die Behandlung von Delikten, die nach vollständiger formaler Erfüllung des Tatbestands eines anderen Delikts, aber vor dessen tatsächlichem Abschluss zur Beutesicherung begangen werden. Wenngleich im deutschen Recht die Frage der Ausführungsidentität bei Verwirklichung eines Delikts in der Beendigungsphase eines anderen umstritten ist, bejaht die Rechtsprechung diese Möglichkeit (1. Kap. § 3 A. II. 1.). So nimmt der BGH beispielsweise Tateinheit zwischen schwerer räuberischer Erpressung und Nötigung an, wenn ein „Bankräuber“ nach Verlassen der Bank seinen Verfolgern eine Signalpistole vorhält, um sie zur Aufgabe der Verfolgung zu bewegen.23 Dem kann eine in dieser Hinsicht tendenziell strengere englische Rechtsprechung gegenübergestellt werden, die konsekutive Strafen für den Fall befürwortet, dass nach Vollendung eines Ladendiebstahls und Verlassen eines Supermarkts ein gefährliches Werkzeug zur Bedrohung des Sicherheitspersonals eingesetzt wird (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (2)). Diese Tendenz findet Bestätigung durch konsekutive Strafen für einen Hehler, der nach Erwerb eines gestohlenen Wagens damit ohne Fahrerlaubnis abfährt (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (1)). Unterschiedlich wird ferner die Konstellation beurteilt, dass der Täter nach Begehung eines Delikts vor einer Festnahme flieht und im Zuge dessen weitere Strafgesetze verletzt. Auch hier erweist sich die deutsche Rechtsprechung tendenziell großzügiger als das Common Law, wenn sie gerade auf diese Konstellation die umstrittene Figur der natürlichen Handlungseinheit anwendet und so selbst ohne Ausführungsidentität zur Tateinheit kommt (1. Kap. § 3 A. II. 3.). In den Common Law-Rechtsordnungen wird hingegen gerade diese Konstellation als eine Ausnahme von der single transaction-Regel rechtfertigend empfunden. So erfordern sowohl nach kanadischem als auch englischem Recht solche DelikFür das US-Bundesrecht Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 173; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 63. 23 BGH NStZ 2005, 387. 22
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te eine konsekutive Strafe, die begangen werden, um sich einer Festnahme zu widersetzen (2. Kap. § 3 B. II. 1. b bzw. 3. Kap. § 2 B. II. 1. b (4)). Auch in vielen bundesstaatlichen Rechtsordnungen der USA finden sich derartige Ausnahmen; auf Bundesebene wird es hier häufig an einer Opferidentität zwischen dem zuerst begangenen und dem sodann zur Flucht begangenen Delikt fehlen, sodass es zu keiner Gruppierung kommen dürfte. 4. Obligatorisch konsekutive Strafen und Spezialrechtsprechung Die Spezialrechtsprechung für Festnahmefälle leitet über zu einer Besonderheit in den Common Law-Jurisdiktionen, die sich so im deutschen Recht nicht findet. Gemeint ist die Wahl der strengeren Variante in spezifischen Fallgruppen; ganz unabhängig von einer gemeinsamen tatsächlichen Grundlage mehrerer Gesetzesverletzungen. Dies ergibt sich teilweise, wie in den englischen und kanadischen Festnahmefällen, aus der Entwicklung entsprechender Rechtsprechungslinien, worin sich wiederum der stärker wertungsbasierte Ansatz dieser Jurisdiktionen zeigt. Teilweise werden obligatorisch konsekutive Strafen schon durch den Gesetzgeber angeordnet (vgl. für die USA 4. Kap. § 2 B. II. 3. b). Gerade in Kanada scheint dies in den letzten Jahren ein beliebtes rechtspolitisches Instrument geworden zu sein (3. Kap. § 2 B. II. 2.). III. Gemeinsame tatsächliche Größe tendenziell nur nach Common Law Umgekehrt lassen sich Fallgruppen herausdestillieren, in denen die Common Law-Rechtsordnungen tendenziell die mildere Variante wählen, während das deutsche Recht Tatmehrheit annimmt. 1. Seriendelikte Die auffälligste Besonderheit des Common Law gegenüber dem deutschen Recht ist die Gruppierung bzw. gleichzeitige Vollstreckung bei Seriendelikten. Da hier keine sonst eigentlich geforderte zeitliche Simultanität zwischen den Gesetzesverletzungen verlangt wird, kann man sagen, dass hier im Grunde mit einem zweiten Begriff der transaction gearbeitet wird. So sollen in England selbst bei verschiedenen Vorfällen normalerweise gleichzeitige Strafen verhängt werden, wenn eine Serie gleichartiger oder ähnlicher, insbesondere gegen dieselbe Person gerichteter Delikte vorliegt. Ausgenommen scheinen hiervon neuerdings nur gewisse Gewalt- und Sexualdelikte (2. Kap. § 3 B. II. 2.). Bemerkenswert ist hinsichtlich der Normalfälle, dass das englische Recht bei einer Serie stärker als bei der simultan mehrfach erfolgenden Verletzung desselben Gesetzes betont, dass es sich in der Regel um dasselbe Opfer
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handeln soll.24 Dies erscheint insoweit folgerichtig, als auch die Zusammenfassung mehrerer Gesetzesverletzungen in einem Anklagepunkt nach CrimPR, r. 10.2(2) in der Regel nur bei Opferidentität möglich ist (2. Kap. § 1 B. II. 3.). In Kanada findet sich eine solche Rechtsprechung ebenfalls – jedoch erscheint die genaue Reichweite unklarer, was die Relevanz verschiedener Opfer und die Einbeziehung von Gewaltdelikten anbelangt (3. Kap. § 2 B. II. 1. b (3)). Für das US-Bundesstrafrecht ergibt sich, dass eine Gruppierung bei Serientaten sowohl bei Opferidentität ohne Strafrahmenverschiebung nach USSG § 3 D. 1. 2. (b) als auch bei verschiedenen Opfern mit einer Strafrahmenerhöhung nach USSG § 3 D. 1. 2. (d) möglich ist. Allerdings sind beide Wege nicht bei Gewaltdelikten anwendbar (vgl. 4. Kap. § 2 B. II. 2. a (2) und (4)). Die Gruppierung bzw. Anordnung gleichzeitiger Strafen in diesen Fällen stellt die Kehrseite zu der Option dar, mehrere im Zuge einer Serie begangene Gesetzesverletzungen in einem Anklagepunkt zu kumulieren mit der Folge, dass nur eine Strafe ergeht. Werden mehrere Anklagepunkte gewählt, soll mithin strafzumessungsrechtlich ein gleiches Ergebnis durch Anwendung der milderen Variante sichergestellt werden. Mithin zeigt sich in der Gruppierung bzw. Anordnung gleichzeitiger Strafen ein funktionelles Äquivalent zur früheren Fortsetzungstat im deutschen Recht, bei der – wenngleich schon nur eine Gesetzesverletzung angenommen wurde – im Endeffekt auch nur eine Strafe erging. Im deutschen Recht wurde jedoch mit der Aufgabe der fortgesetzten Tat eine grundsätzliche Abkehr zur strengeren Variante vollzogen, sofern nicht über andere Figuren, z. B. die Bewertungseinheit, wieder eine dann sogar materiell-rechtlich einheitliche Gesetzesverletzung hergestellt wird. 2. Vor- und Nachbereitungsdelikte Schließlich zeigt sich ein Unterschied des Common Law-Ansatzes gegenüber dem Handlungsbegriff nach § 52 Abs. 1 StGB darin, dass er zum Teil über die strikte Simultanität hinausgeht. Teilweise werden nämlich durch eigentlich verschiedene Handlungen begangene Delikte einbezogen, wenn das eine Delikt zur Vor- oder Nachbereitung des anderen dient und eine gewisse tatbestandliche Verwandtschaft besteht. Im englischen Recht zeigt sich dieser weite Begriff etwa bei nach der Totality guideline empfohlenen gleichzeitigen Strafen für eine Fälschung (forgery) und einen Betrug (fraud) (2. Kap. § 3 B. II. 1. a (3)). Das für USSG § 3 D. 1. 2. (a) genannte Beispiel von Fälschung und Gebrauch desselben Schecks (forging and uttering the same check) bestätigt dies für die Gruppierung im US-Bundesrecht (4. Kap. § 2 B. II. 2. a (1)). Für Kanada fand sich schließlich ein Beispiel im 24
So schon die Analyse von Thomas, Principles of Sentencing, 1979, S. 54 f.
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Zusammenhang mit der Herstellung von Kinderpornografie (3. Kap. § 2 B. II. 1. b (2)). Wiederum zeigt sich der gegenüber dem deutschen Recht stärker wertungsbasierte Ansatz, indem diese Tatbestandskombinationen eine gewisse definitorische Verwandtschaft bzw. eine ähnliche Schutzrichtung aufweisen. Das in USSG § 3 D. 1. 2. (b) genannte Beispiel eines Autodiebstahls und einer sodann erfolgenden Kfz-Kennzeichenfälschung bestätigt für Nachbereitungstaten eine Lösung auf Bestrafungsebene (4. Kap. § 2 B. II. 2. a (2)).25 Allerdings zeigen die oben genannten Beispiele aus dem englischen Recht zu Beutesicherungstaten, dass eine Wertung der Verschiedenartigkeit der Delikte für die strengere Kumulativbestrafungsvariante sprechen kann. Folglich werden im deutschen Recht gewisse als mitbestrafte Vor- und Nachtaten, als Handlungseinheiten sowie als echte Realkonkurrenz behandelte Konstellationen im Common Law bisweilen auf Strafzumessungsebene durch gleichzeitige Strafen oder Deliktsgruppierung gelöst.26 Insoweit können sich diese Rechtsordnungen für durch verschiedene Verhaltenstatsachen realisierte Delikte strengere Doppelverurteilungsverbote erlauben. Dies ist auch der Fall, denn deren Doppelverurteilungsverbote knüpfen fast immer an die (Teil-)Identität der den Tatbestandserfüllungen zugrunde liegenden Handlungen an27 und es finden sich nur ausnahmsweise Doppelverurteilungsverbote bei verschiedenen, den Delikten unterliegenden Tatsachen (5. Kap. § 2 A. II.). IV. Fazit und Stellungnahme Das Common Law zeigt in seiner Differenzierung zwischen milder und strenger Variante eine hohe Flexibilität. Jedoch resultiert daraus eine starke Einzelfallkasuistik, die die Herausbildung handfester Kriterien zur inhaltlichen Füllung solcher Begriffe wie same transaction, same incident, same event etc. erschwert. Die terminologische Vielfalt ist ja per se schon bezeichnend. Dieses Problem wurde allerdings erkannt, sodass ihm zunehmend durch Richtlinien begegnet wird, die einen angemessenen Mittelweg zwischen Einzelfallflexibilität und Kohärenz sicherstellen sollen. Auch in der Wissenschaft findet das Thema nunmehr stärkere Aufmerksamkeit.28 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 173, wonach die USSG gerade auch Verwertungsdelikte im Verhältnis zum Hauptdelikt gruppieren. 26 Vgl. für die USA Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 178. 27 Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 71. 28 So differenzieren etwa Roberts/de Keijser, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 145 ff. vier Grade des Zusammenhangs zwischen Gesetzesverletzungen und schlagen zur Bestimmung dieses Zusammenhangs drei Kriterien (zeitliche Nähe, Kausalität und Ähnlichkeit des Verhaltens) vor. Die Strafe soll sich dann zwischen einer Bestrafung für 25
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Das deutsche Recht ging den umgekehrten Weg. Hier schränkte der Handlungsbegriff des § 52 Abs. 1 StGB in seiner grundsätzlichen Auslegung als (teil-) ausführungsidentische Tathandlungen die Rechtsprechung ein. Daher hat sie sich durch Anwendung der natürlichen Handlungseinheit auf § 52 Abs. 1 StGB größere Flexibilität verschafft. Wenn man bedenkt, dass die Differenzierungen nur in der Form, aber nicht in der Sache zu wirklich unterschiedlichen Strafrahmen der Kumulativbestrafung führen (vgl. 5. Kap. § 1 B. III.), sollte nur die Angemessenheit der tatsächlich verhängten Endstrafe innerhalb eines einheitlichen Kumulativstrafrahmens eine Rolle spielen. So lassen die Differenzierungen im Common Law für das deutsche Recht den Rückschluss zu, dass man nicht abstrakt an der Ausführungsidentität (alleine) festmachen kann, ob kumulative Gesetzesverletzungen mehr oder weniger Strafe verdienen. Viele andere Faktoren sind ebenfalls relevant, die innerhalb eines einheitlichen Kumulativstrafrahmens eine Rolle für die Strafschärfung ob der kumulativen Gesetzesverletzung spielen würden (5. Kap. § 1 B. IV.); beispielsweise, ob höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutträger verletzt werden oder mehrere Gesetzesverletzungen in einem zeitlichen, örtlichen oder einem Serienzusammenhang stehen. Im Grunde bestätigt die deutsche Praxis dies selbst, wenn es im Ergebnis kaum einen Unterschied macht, ob die Strafe nach § 52 StGB oder nach den §§ 53, 54 StGB gebildet wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch in England inzwischen vermehrt Stimmen finden, welche die Differenzierung zwischen gleichzeitiger und konsekutiver Strafvollstreckung anhand des single-transaction-Konzepts als nicht notwendig29 oder jedenfalls wenig bedeutsam30 erachten, weil es letztlich eben nur auf die Angemessenheit der Endstrafe ankommt. In diese Richtung weist das US-Bundesstrafrecht, wo zwar auch differenziert wird, jedoch nur im Hinblick auf die Höhe der Endstrafe und nicht in Bezug auf die Form der Erreichung dieser Endstrafe.
das schwerste Delikt (inkl. Strafschärfung ob der Kumulation) und der vollen Addition bewegen. 29 Wasik, in: Zedner/Roberts (Hrsg.), Principles and Values in Criminal Law and Criminal Justice: Essays in Honour of Andrew Ashworth, 2012, S. 304 f. 30 Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 2015, S. 288.
§ 2 Keine Doppelverurteilung bei verschiedenen Strafgesetzen
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§ 2 Keine Doppelverurteilung bei der Verwirklichung von verschiedenen Strafgesetzen Zur Beantwortung der Ausgangsfrage, inwieweit bei formeller Erfüllung begrifflich verschiedener Strafgesetze diese kumulativ in der Verurteilung anwendbar sind, geht der Vergleich zunächst auf das grundsätzliche Spannungsverhältnis bei nominell mehrfach begründeter Strafbarkeit ein und steckt die nach außen denkbaren Lösungsmöglichkeiten ab (A.). Sodann wird aufgezeigt, in welchen sachlichen Konstellationen die Rechtsordnungen welche Lösung wählen (B. und C.).
A. Doppelverwertung versus Tatumschreibung I. Ein rechtsordnungsübergreifender Zielkonflikt Wenn auf einer identischen Tatsachengrundlage mehrere Delikte nominell verwirklicht werden, ist es in einem ersten Extrem denkbar, aus allen Tatbeständen zu verurteilen. Dies hat jedoch den Nachteil, dass dieselben Tatsachen (teilweise) doppelt in Ansatz kommen. Daher wird als Grund der Gesetzeskonkurrenz im deutschen Recht der Gedanke eines Verbots der Doppelverwertung angegeben.31 Auf der anderen Seite ist es denkbar, nur aus einem einzigen Tatbestand zu verurteilen, etwa aus dem schwersten oder dem nach den Umständen treffendsten. Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass eine eigentlich vorliegende Verletzung eines Gesetzes unbeachtet bliebe. Dies wiegt dann besonders schwer, wenn das unbeachtete Gesetz (teilweise) andere Voraussetzungen hat, als das in der Verurteilung angewendete, sodass weiteres Unrecht verwirklicht wird, aber – jedenfalls im Schuldspruch – unberücksichtigt bleibt. Daher wird im deutschen Recht das Bedürfnis formuliert, in der Form abstrakter Tatbestände das Unrecht der konkreten Tat so umfassend wie möglich wiederzugeben (Ausschöpfungsgebot bzw. Klarstellungsfunktion des Schuldspruchs).32 Gerade durch die Aufnah-
31 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, S. 170 ff.; vgl. Vogler, in: Kaufmann et al. (Hrsg.), Festschrift für Paul Bockelmann, 1979, S. 721 f. („Gedanke der Doppelbestrafung“. Darunter versteht er allerdings schon die Verurteilung aus dem verdrängten Gesetz); vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 172; Fandrich, Das Doppelverwertungsverbot im Rahmen von Strafzumessung und Konkurrenzen, 2010, S. 134; vgl. MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 16; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 2017, § 31 Rn. 5; NK-Puppe, StGB, Band 1, 2017, Vor § 52 Rn. 3. 32 MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 17, 26 f.; vgl. Mitsch, JuS 1993, 471, 473 f.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
me eines tatsächlich realisierten Strafgesetzes in den Schuldspruch werde ferner dessen generalpräventive Wirkung verstärkt.33 Dieses Spannungsverhältnis34 zwischen der Vermeidung einer Doppelver wertung und dem Bedürfnis, die Tat umfassend zu umschreiben, wird im Common Law ähnlich wahrgenommen und manifestiert sich auf vor allem auf zwei Ebenen: Zunächst schon bei der Betätigung des anklägerischen Ermessens hinsichtlich der Auswahl der Anklagepunkte, wodurch schon eine Reihe von Konkurrenzsituationen vermieden wird.35 Deutlich zeigt sich die Wirkung des Spannungsverhältnisses auf dieser Ebene etwa im englischen Recht, wo sich nach dem Lord Chief Justice in den Anklagepunkten einerseits das Ausmaß des kriminellen Verhaltens hinreichend wiederspiegeln soll, jedoch andererseits Überschneidungen vermieden werden sollen (2. Kap. § 1 B. I. 2.). Darüber hinaus zeigt es sich bei der Justierung von Konzepten, welche die Reichweite der zulässigen Doppelverurteilung regeln. So betonte etwa der Oberste Gerichtshof von Alaska bei der Annahme seines Tests der Deliktsidentität, dass einerseits die abschreckende Wirkung des Strafrechts, aber andererseits auch das Recht nicht leiden dürfe, für dieselbe Straftat nicht zweimal behelligt zu werden: „[The] problem has to be met so that society’s very basic interest in deterring criminal behavior can be vindicated, and at the same time so that the individual’s constitutional right not to be placed in jeopardy more than once for the same offense can be protected.“ 36
Ähnliche, beide Seiten des Spannungsverhältnisses aufgreifende Überlegungen wurden kürzlich wieder in einer Entscheidung des englischen High Court of Justice angestellt: „It must be basic to our system of criminal justice that a person’s criminal record should reflect what he has done, no more and no less. That is fair and proportionate. To convict him twice for a single wrong offends this basic rule.“37
33 Mitsch, JuS 1993, 471, 473 f.; Fandrich, Das Doppelverwertungsverbot im Rahmen von Strafzumessung und Konkurrenzen, 2010, S. 114. 34 Fandrich, Das Doppelverwertungsverbot im Rahmen von Strafzumessung und Konkurrenzen, 2010, S. 139. 35 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 150; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 60, 71; Frase, in: Ryberg et al. (Hrsg.), Sentencing Multiple Crimes, 2018, S. 195. 36 Whitton v. State, 479 P.2d 302, 306, 311–312 (Alaska 1970). 37 Henderson v. DPP [2016] 1 W.L.R. 1990, 1994 unter Zitierung von R. (Dyer) v. Watford Magistrates’ Court [2013] EWHC 547 [11] (Admin).
§ 2 Keine Doppelverurteilung bei verschiedenen Strafgesetzen
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II. Der übereinstimmende Gang eines Mittelwegs Dieser Zielkonflikt dürfte erklären, warum die beiden „Extremlösungen“ in den hier untersuchten Rechtsordnungen selten sind und zumeist Mittelwege gewählt werden. Derartige Kompromisslösungen bestehen darin, bestimmte Sachkon stellationen zu differenzieren, in denen entweder kumulativ verurteilt wird oder nicht (s. sogleich). Die Extremlösung, stets aus allen nominell verwirklichten Tatbeständen zu verurteilen, findet sich in keiner der untersuchten Rechtsordnungen.38 Mithin wird eine reine Lösung des Doppelverwertungsproblems auf der Rechtsfolgen ebene – etwa durch gleichzeitig zu vollstreckende Einzelstrafen oder absorbierende Strafen – in allen Rechtsordnungen abgelehnt. Wenngleich die Diskussion um die Zulässigkeit einer Doppelverurteilung ohne Doppelbestrafung noch in der Kienapple-Entscheidung von einem Richter als rein „akademische Übung“ abgetan39 und diese Lösung früher auch in den USA häufig angewendet wurde, lässt sich im Common Law sogar eine gewisse Tendenz weg von Doppelbestrafungsverboten zu Doppelverurteilungsverboten feststellen; jedenfalls insoweit, als den Delikten dieselben Tatsachen zugrunde liegen. Während Kienapple v. R. diese Lösung in Kanada (3. Kap. § 1 B. I. 1.) etabliert und Ball v. United States in den USA insoweit eine Trendwende eingeleitet hat (4. Kap. § 1 A.), erscheint diese Praxis nur in England auf den ersten Blick noch nicht gesichert. Allerdings wurden auch dort einige Verurteilungen aufgehoben, obwohl keine separate Strafe diesbezüglich ergangen war (2. Kap. § 2 A. III. 2. a und C.). Ein genauer Blick auf die Fälle einer Lösung durch bloßes Absehen von Strafe zeigt darüber hinaus, dass dort besondere Umstände vorlagen (2. Kap. § 2 C.). Daher kann man auch für England ein echtes Doppelverurteilungsverbot annehmen. Bei unterschiedlichen tatsächlichen Anknüpfungspunkten der Delikte (d. h. Vor- und Nachtaten) erscheint das Common Law uneinheitlicher. Hier lässt sich sogar eine gegenläufige Tendenz ausmachen, wenn in den USA von der Bestrafungs- zur Verurteilungslösung übergegangen wurde (4. Kap. § 1 B. III. 3.), in England jedoch nach einer Verurteilungslösung inzwischen für ein bloßes Absehen von Strafe plädiert wird (2. Kap. § 2 B.). Die andere Extremlösung, d. h. aus nur einem der realisierten Delikte zu verurteilen, war lange in einigen US-Bundesstaaten verbreitet. Jedoch sind Entsprechendes andeutende Gesetze zumeist nur noch für die Bestrafung bei mehrfacher Verurteilung relevant bzw. inhaltlich gleiche Rechtsprechung ist inzwischen auf38
Der ICTY hat dem deutschen Recht Entsprechendes allerdings schon nachgesagt (vgl. 6. Kap. § 4 A.). 39 Martland J., dissenting, in Kienapple v. R., [1975] 1 S.C.R. 729, 731.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
gegeben worden (4. Kap. § 1 E. II. 4.). Auch in Deutschland war die Deliktsabsorption noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts üblich und wurde für § 73 RStGB 1871, dessen Wortlaut eine solche Lösung andeutete, immerhin noch diskutiert.40 Allerdings legte die Rechtsprechung schon diese Vorgängervorschrift des § 52 StGB als nur in der Rechtsfolge absorbierend aus (vgl. 1. Kap. § 3 A. III. 1.).41 Folglich kann für alle Rechtsordnungen ein übergreifender Ansatz festgestellt werden, wonach es bei mehrfacher Gesetzesverletzung auf Grundlage derselben Tatsachen zwar grundsätzlich zu einer kumulativen Verurteilung kommt. Allerdings scheiden in allen Rechtsordnungen nominell verwirklichte Tatbestände mitunter gerade deswegen aus der Verurteilung aus, weil zugleich ein anderes Gesetz verletzt wurde. Wann genau Letzteres passiert, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. Hierfür bietet sich eine Differenzierung zwischen zwei strukturell verschiedenen Konstellationen an, in denen es in allen Rechtsordnungen zu Doppelverurteilungsverboten kommt. Während dies in der Konstellation der abstrakt-tatbestandlichen Inklusion (B.) weitgehend unproblematisch ist, ist die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Doppelverurteilung bei der abstrakt-tatbestandlichen Interferenz (C.) schwieriger zu bestimmen und in den Rechtsordnungen unterschiedlich gezogen.
B. Die abstrakt-tatbestandliche Inklusion Zunächst wird die Konstellation der Subordination oder abstrakten Inklusion betrachtet. Diese liegt vor, wenn die Realisierung des einen Tatbestands unter keinen Umständen denkbar ist, ohne dass auch der andere Tatbestand notwendig mitverwirklicht wird, während dem umgekehrt nicht so ist.42 Zur Veranschaulichung dient die folgende Grafik, die das Verhältnis der jeweils tatbestandlich umfassten Sachverhalte aufzeigt. Die Gesamtheit der den einen Tatbestand erfüllenden Sachverhalte (gestrichelte Linie) ist eine Teilmenge der von dem anderen Tatbestand erfassten Sachverhalte (durchgängige Linie). Der innen dargestellte Tatbestand kann damit nicht ohne notwendige Mitrealisierung des äußeren verwirklicht werden:
Vgl. Heinemann, Die Lehre von der Idealkonkurrenz, 1893, S. 5 f., 95 f. Vgl. RGSt 73, 148, 149; Niese, in: BMJ (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Band 1, 1954, S. 155 f.; Jescheck, ZStW 67 (1955), 529, 531; Warda, JuS 1964, 81, 88. 42 Klug, ZStW 68 (1956), 399, 404; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 35. 40 41
§ 2 Keine Doppelverurteilung bei verschiedenen Strafgesetzen
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Struktur der abstrakten Inklusion eines Tatbestands
Abbildung 10
In dieser Konstellation lässt sich für alle untersuchten Rechtsordnungen feststellen, dass grundsätzlich keine kumulative Verurteilung erfolgt. Im deutschen Recht erfasst die Kategorie der Spezialität viele dieser Fälle, z. B. das Verhältnis zwischen Qualifikation und Grundtatbestand. Jedoch sind die Konzepte der abstrakten Inklusion und der Spezialität nicht deckungsgleich: Zum einen geht die Spezialität über Inklusionsfälle hinaus, wenn der BGH unter den Begriff auch Fälle fasst, in denen ein Tatbestand nicht denknotwendig bei Realisierung eines anderen mitverwirklicht wird (1. Kap. § 2 A. I. 2.). Zum anderen bleibt die Spezialität hinter der abstrakten Inklusion zurück, wenn darunter nicht die Fälle des notwendigen Durchgangsstadiums, inklusive das Verhältnis zwischen Vollendung und Versuch, gefasst werden (1. Kap. § 2 A. II. 2. a).43 Da die Tatbestände hier nicht durch formell identische oder ähnliche Begriffe umschrieben sind, wird zumeist der Begriff der Subsidiarität bemüht, obwohl in der Sache kein Unterschied zur Spezialität besteht.44 Ferner wird im deutschen Recht ein Doppelverurteilungsverbot dann nicht durchweg akzeptiert oder wird zumindest nicht auf die Spezialität gestützt, wenn ein Tatbestand nur in einer Alternative mit einem anderen notwendig mitbegangen wird. Dies ist beispielsweise im Verhältnis zwischen § 227 Abs. 1 StGB und 43 Darüber hinaus lag dem früher im Rahmen der Gesetzeskonkurrenz ebenfalls gebräuchlichen Begriff der „Alternativität“ sachlich eine Inklusion zugrunde. Hier wurde jedoch nicht der Begriff der „Spezialität“ gebraucht, weil es sich bei gleichzeitiger Qualifizierung und Privilegierung um einen Gesetzgebungsfehler handelte, der eine Anwendung des Strafrahmens des generellen Delikts zur Folge hatte. Als „Alternativität“ wird bisweilen auch eine sachliche Heterogenität bezeichnet, bei der sich die Tatbestandselemente zweier Tatbestände gegenseitig ausschließen, sodass keine Gesetzeskonkurrenz vorliegen kann. Vgl. zum Ganzen Klug, ZStW 68 (1956), 399, 409 ff., 414 f. 44 So zutreffend die in Fn. 63 (1. Kap.) genannten Autorinnen und Autoren.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
§ 224 Abs. 1 StGB der Fall, denn jede Körperverletzung mit Todesfolge setzt eine lebensgefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 voraus (vgl. 1. Kap. § 2 A. III. 1.). Eine Klarstellung, dass auch eine andere Tatalternative des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht wurde, erscheint in derartigen Fällen nicht notwendig, weil all diese unselbstständigen Tatalternativen verschiedene Aspekte desselben Unrechts (der Gefährlichkeit) betreffen, welches durch den erfolgsqualifizierten Tatbestand abgedeckt ist. Für das deutsche Recht empfiehlt es sich im Interesse einer stärkeren terminologischen Klarheit daher, den Begriff der Spezialität nur, aber auch für alle Fälle der abstrakten Inklusion zu verwenden.45 Dieser Begriff sollte auch am Maßstab des § 24 StGB zu messende Konstellationen einer sukzessiven Tatbestandsrealisierung einschließen. Die Common Law-Rechtsordnungen verurteilen bei dieser Sachlage ebenfalls nur aus dem Delikt, das nicht ohne Realisierung des anderen Tatbestands begangen werden kann. Im englischen und kanadischen Strafrecht ergibt sich dies schon aus dem den included-offence-Regeln inhärenten Doppelverurteilungsverbot, welches stets bei abstrakt-notwendig mitbegangenen Delikten einschlägig ist (2. Kap. § 2 A. III. 2. a bzw. 3. Kap. § 1 B. II. 2. b). Darüber hinaus stellt im kanadischen Recht die dritte Kienapple-Fallgruppe (teilweise auch die erste) eine der abstrakten Inklusion dar, wenn ihr trotz formell unterschiedlicher Merkmale zu eigen ist, dass ein in einem Tatbestand vorhandenes überschießendes Merkmal bei Realisierung eines anderen Tatbestands auf andere Weise mitbewiesen wird (3. Kap. § 1 B. I. 2. b): So geht der Oberste Gerichtshof Kanadas gerade im Kienapple-Fall beispielsweise davon aus, dass ein unter 14 Jahre altes Mädchen ohnehin nicht sinnvoll in den Geschlechtsverkehr einwilligen kann; also davon, dass das für die Vergewaltigung notwendige Merkmal der Nichteinwilligung bei jedem Verkehr mit einer Minderjährigen gegeben ist. In der Rechtsprechung des BGH kann eine ähnliche Überlegung aufgefunden werden, wenn die formal nur bei einem jugendlichen Opfer nach § 182 Abs. 3 StGB erforderliche Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung vom BGH als bei einem Kind in der Sache unwiderleglich vorliegend und daher implizit in § 176 Abs. 1 StGB enthalten erachtet wird (1. Kap. § 2 A. I. 2.). Dass es zwischen diesen Tatbeständen dennoch nicht zu einer Inklusion kommt, liegt an dem zusätzlichen, nur für § 182 Abs. 3 StGB erforderlichen Mindestalter des Täters, sodass hier immer noch Fälle denkbar sind, in denen nur § 176 Abs. 1 StGB, nicht aber § 182 Abs. 3 StGB realisiert wird.
45 Vgl. Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, S. 175 ff.; dies., JuS 2016, 961, 963; NK-dies., StGB, Band 1, 2017, Vor § 52 Rn. 9–11.
§ 2 Keine Doppelverurteilung bei verschiedenen Strafgesetzen
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In den USA sind die Fälle der abstrakt-notwendigen Mitbegehung die klassischen Blockburger-Konstellationen, in denen unstrittig dasselbe Delikt im Sinne des double jeopardy-Verbots angenommen wird. Ob es dann wirklich zu einem Doppelverurteilungsverbot kommt, hängt jedenfalls im Bundesstrafrecht noch von einem anderslautenden Willen des Gesetzgebers ab. Daher sind Fälle einer kumulativen Verurteilung trotz einer abstrakten Inklusion denkbar,46 jedoch scheint ein Kumulationswille bislang im Wesentlichen solche Fälle zu betreffen, in denen Tatbestände nicht im Verhältnis der abstrakten Inklusion zueinander stehen, sondern Blockburger v. United States bei Interferenzfällen modifiziert angewendet wird (4. Kap. § 1 B. II.).
C. Die abstrakt-tatbestandliche Interferenz In der Konstellation der Interferenz befinden sich die Tatbestände nicht in einem Verhältnis der abstrakten Inklusion zueinander, sondern sie überschneiden sich in den von ihnen erfassten Sachverhalten, d. h. jeder der Tatbestände kann theoretisch ohne notwendige Mitverwirklichung des jeweils anderen realisiert werden:47 Struktur der abstrakten Interferenz von Tatbeständen
Abbildung 11
In Bezug auf diese Sachlage lässt sich feststellen, dass alle untersuchten Rechtsordnungen unter bestimmten Voraussetzungen die kumulative Verurteilung nicht zulassen. Die Mechanismen sind in diesem Bereich verschieden, jedoch finden sich ähnliche Überlegungen rechtsordnungsübergreifend wieder. Zunächst wird dann nicht doppelt verurteilt, wenn der Gesetzgeber selbst dies ausdrücklich verbietet (I.). Darüber hinaus finden sich ohne eine ausdrückliche Anordnung des 46 47
Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 51, 73. Vgl. Klug, ZStW 68 (1956), 399, 404 f.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Gesetzgebers implizit enthaltene Doppelverurteilungsverbote (II.). Schließlich wird sich in diesem Bereich zeigen, welches Verdienst dem Konzept der Idealkonkurrenz im deutschen Recht zukommt, wenn man sich die Schwierigkeiten vor Augen führt, die Common Law-Jurisdiktionen durch sein Fehlen haben (III.). I. Ausdrückliche Doppelverurteilungsverbote Zunächst ergibt sich rechtsordnungsübergreifend ein klares und ziemlich unproblematisches Doppelverurteilungsverbot, wenn der Gesetzgeber ein Strafgesetz ausdrücklich unter der Bedingung für nicht anwendbar erklärt, dass die Voraussetzungen eines anderen Delikts strafbar erfüllt sind. Diese im deutschen Recht als formelle Subsidiarität bezeichneten Doppelverurteilungsverbote finden sich auch im Common Law.48 So wird im englischen Recht ausdrücklich und speziell vorgesehen, dass die Hehlerei (handling stolen goods) nicht anwendbar ist, wenn die Tathandlung im Zuge eines Diebstahls (theft) erfolgt (2. Kap. § 2 D.). Im kanadischen Recht stellt Cr. C., s. 254(6) ein bemerkenswertes Doppelverurteilungsverbot auf, weil es sich rechtstechnisch um keine Subsidiaritätsbestimmung handelt, sondern in der Norm selbst ihre Vorrangigkeit gegenüber anderen Tatbeständen festgelegt ist: Criminal Code, s. 254 [...] (6) A person who is convicted of an offence under subsection (5) for a failure or refusal to comply with a demand may not be convicted of another offence under that subsection in respect of the same transaction. [Hervorh. d. Verf.]
II. Implizite Doppelverurteilungsverbote Schwieriger sind gemeinsame Sachgründe der Doppelverurteilungsverbote dort zu identifizieren, wo der Gesetzgeber seinen Willen dazu nicht ausdrücklich bekundet hat. Jedoch zeigt sich, dass in Kumulationsverbote bei Interferenzfällen betreffenden Entscheidungen rechtsordnungsübergreifend immer wieder zwei Gründe angeführt werden: Zum einen die starke Häufigkeit der Mitverwirklichung eines anderen Tatbestands. Zum anderen eine zwischen den Tatbeständen bestehende Gleichgerichtetheit der Schutzrichtung, weil verschiedene Intensitäten ein und desselben kriminellen Gesamtgeschehens durch verschiedene Strafgesetze pönalisiert werden. Die folgenden Ausführungen werden zunächst rechtsordnungsübergreifende Belege dafür liefern, dass jedenfalls dort, wo beide Stränge zusammentreffen, eindeutig ein Doppelverurteilungsverbot anzunehmen ist (1.). Diese Fallgruppe wird vor die Klammer gezogen, weil sich hier 48
Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 73.
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noch eine hohe Übereinstimmung unter den untersuchten Rechtsordnungen feststellen lässt. Darüber hinaus lassen sich Übereinstimmungen und Gegensätze nur noch schwer systematisieren, was an nicht vorhandenem Rechtsprechungsmaterial bzw. an unterschiedlichen Lösungskonzepten mit teilweise unterschiedlichen Ergebnissen liegt. Es findet sich nur noch eine sehr grobe Übereinstimmung insofern, als in allen Rechtsordnungen auch ohne eine häufige Mitrealisierung eines anderen Tatbestands nicht doppelt verurteilt wird, wenn sich eine „normative Stufe“ ausmachen lässt. Allerdings bestehen im Einzelnen erhebliche Unterschiede (2.). Eine rechtsordnungsübergreifende Gemeinsamkeit lässt sich wiederum für die Fallgruppe identifizieren, dass ein Tatbestand nur durch den konkreten Täter notwendig mitrealisiert wird (3.). Schließlich soll eine bemerkenswerte Divergenz zwischen den Rechtsordnungen im Hinblick auf die Verbrechensverabredung/conspiracy aufgezeigt werden (4.). 1. Keine Doppelverurteilung bei einem Stufenverhältnis mit ähnlicher Schutzrichtung und einer fast immer erfolgenden Mitrealisierung: sog. Quasi-Inklusion Es kommt rechtsordnungsübergreifend unter den Voraussetzungen zu keiner kumulativen Verurteilung, dass (1.) ein Tatbestand mit einem anderen fast immer mitrealisiert wird, dass (2.) die Tatbestände ein Stufenverhältnis zueinander erkennen lassen sowie dass sie (3.) eine ähnliche Schutzrichtung aufweisen. Aus dem fast immer mitverwirklichten Tatbestand wird dann nicht gesondert ver urteilt. Ähnlich einem Verhältnis zwischen Grundtatbestand und Qualifikation pönalisieren die Tatbestände eine niedrigere und eine gesteigerte Form eines einzigen kriminellen Verhaltens. Die Interferenz ergibt sich aber daraus, dass der niederstufige Tatbestand nur eine (allerdings sehr erhebliche) Teilmenge der um die qualifizierenden Merkmale subtrahierten (ausdrücklichen oder impliziten) Alternativen des höherstufigen Tatbestands selbstständig kriminalisiert. Vereinfacht liegt also folgende Struktur einer Quasi-Inklusion vor, wonach bei Erfüllung des höherstufigen Tatbestands fast immer (Alt. 1–3) der schutzrichtungsähnliche, niederstufige Tatbestand mitrealisiert wird. Jedoch sind zumindest theoretisch auch wenige Fälle denkbar, in denen der höherstufige Tatbestand ohne den niederstufigen verwirklicht wird (Alt. 4 des höherstufigen Tatbestands):
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Fast Fast immer immer erfolgende erfolgende Mitrealisierung Mitrealisierung bei bei einem einem Stufenverhältnis und Schutzrichtungsähnlichkeit Stufenverhältnis und Schutzrichtungsähnlichkeit Höherstufiger Höherstufiger Tatbestand Tatbestand
2. Stufe
+ + qualifizierendes qualifizierendes Element Element Alt. Alt. 11 Alt. Alt. 11
1. Stufe
Alt. Alt. 22 Alt. Alt. 22
Niederstufiger Niederstufiger Tatbestand Tatbestand
Alt. Alt. 33 Alt. Alt. 33
Alt. Alt. 44 Nicht Nicht vom vom Tatbestand Tatbestand erfasst erfasst
Abbildung 12
Folgende Beispiele aus den Rechtsordnungen können zum Beleg der These vom Doppelverurteilungsverbot in dieser Situation angeboten werden: a) Das deutsche Recht Im deutschen Recht trifft dies insbesondere auf die Fälle zu, die in einen Überschneidungsbereich zwischen der materiellen Subsidiarität und der Konsumtion fallen (und so auch eine uneinheitliche Terminologie in solchen Konstellationen erklären). Die Tatbestände pönalisieren hier also nicht nur verschiedene An griffsintensitäten auf ein und dasselbe Rechtsgut, sondern der die weniger intensive Beeinträchtigung vorsehende Tatbestand wird zudem „regelmäßig“ bei Verwirklichung des intensiveren Tatbestands mitbegangen. Als Beispiel kann das grundsätzlich zwischen § 226 Abs. 1 StGB und § 224 Abs. 1 StGB bestehende Verhältnis der Gesetzeskonkurrenz angeführt werden (1. Kap. § 2 A. III. 1.). Hier bildet § 224 StGB nicht nur eine systematische Mittelstufe zwischen den §§ 223 und 226 StGB, sondern die Folge der schweren Körperverletzung wird zudem regelmäßig durch eine der Tatmodalitäten des § 224 Abs.1 StGB herbeigeführt. Vereinzelte Fälle sind jedoch denkbar, in denen § 226 Abs. 1 StGB ohne § 224 Abs. 1 StGB realisiert werden kann. Über den engeren Begriff der materiellen Subsidiarität hinaus kann man aus dem deutschen Recht unter diese Fallgruppe bestimmte Konsumtionsfälle fassen; beispielsweise das Verhältnis zwischen dem Wohnungseinbruchdiebstahl und dem Hausfriedensbruch (1. Kap. § 2 A. III. 1.). Wenngleich sich die ge-
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235
schützten Rechtsgüter (Privatsphäre und Hausrecht) hier nicht genau decken mögen, besteht durch die mit beiden Tatbeständen einhergehende Verletzung einer geschützten räumlichen Sphäre immerhin eine starke Ähnlichkeit in der Schutzrichtung. Darüber hinaus kann der Wohnungseinbruchdiebstahl als dem Verhältnis zwischen Raub und Diebstahl/Nötigung ähnliche Zusammensetzung aus Diebstahl und Hausfriedensbruch begriffen werden, mithin als eine Art „gesteigerter Hausfriedensbruch“. Daraus ergibt sich ebenfalls eine Abstufung, bei der die niedrigere Stufe fast immer, aber eben nicht denknotwendig mit der höheren Stufe mitrealisiert wird. b) Das englische Recht Im englischen Recht wird bei dieser Sachlage ebenfalls nicht doppelt verurteilt. Dies ist auf das im Gegensatz zum kanadischen und zum US-Recht weitere Verständnis des Begriffs der lesser included offence zurückzuführen, welcher jedenfalls auch normalerweise mit einem anderen Delikt mitrealisierte Tatbestände erfasst (2. Kap. § 2 A. I.). Das Fallrecht zeigt, dass es infolgedessen zu Doppelverurteilungsverboten bei inkongruenten Stufen kommt. So ist die Hinzufügung einer schweren Körperverletzung (inflicting grievous bodily harm) nicht neben der vorsätzlichen Verursachung einer schweren Körperverletzung (causing grievous bodily harm with intent) anwendbar, obwohl nach der englischen Rechtsprechung theoretisch nicht jedes Verursachen (causing) auf ein Hinzufügen (inflicting) zurückzuführen sein muss (2. Kap. § 2 A. I. bzw. III. 2. a). Ebenfalls tritt die einfache Brandstiftung hinter die Brandstiftung unter rücksichtsloser Lebensgefährdung zurück, obwohl nur bei dem vorrangigen Tatbestand auch ein dem Täter gehörendes Gebäude betroffen sein kann. Dennoch wird ein Brandstifter häufig ein fremdes Gebäude anzünden. Daher zeigt sich zwischen den fast vollständig kongruenten Merkmalen dieser Tatbestände ebenfalls das Verhältnis einer Quasi-Inklusion (vgl. 2. Kap. § 2 A. III. 2. a). c) Das kanadische Recht Das kanadische Recht würde in solchen Fällen im Ergebnis ebenfalls zu einem Doppelverurteilungsverbot kommen. So greift bei ausdrücklichen Tatalternativen des höherstufigen Tatbestands schon die Luckett-Rechtsprechung, nach der bei einer notwendigen Mitrealisierung des niederstufigen Tatbestands in nur einer einzigen Alternative des höherstufigen Tatbestands eine lesser included offence mit einem dazugehörigen Doppelverurteilungsverbot angenommen wird (3. Kap. § 1 B. II. 1. b bzw. 2. b). Als Beispiel kann der schwere Angriff (aggravated assault) nach Cr. C., s. 268(1) genannt werden, der in nur drei von vier ausdrücklichen Tatalternativen einen Körperverletzungserfolg voraussetzt. Den-
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
noch inkludiert er über die Luckett-Rechtsprechung die Körperverletzung (assault causing bodily harm, Cr. C., s. 267(b)) (3. Kap. § 1 B. II. 1. b). Derselbe Tatbestand (aggravated assault) vedrängt darüber hinaus nach der Kienapple-Rechtsprechung den ebenfalls systematisch unter ihm stehenden Angriff mit einer Waffe (assault with a weapon, Cr. C., s. 267(a)). Bemerkenswert daran ist die in einer neueren Entscheidung gegebene Begründung dessen damit, dass (nur) die Tatalternative des Verwundens (wounding) jedenfalls typischerweise auf dem Einsatz einer Waffe beruht (3. Kap. § 1 B. III. 3.). Dies zeigt, dass die Häufigkeit der Mitrealisierung auch in Kanada eine gewisse Rolle spielen kann, wenngleich dies per se keine Voraussetzung für die Kienapple-Bewertung ist, für die (lediglich) erforderlich ist, dass die Tatbestände auf dasselbe Unrecht abzielen („the same criminal wrong“) (3. Kap. § 1 B. I. 2. b). d) Das US-Recht Selbst für das in Bezug auf Doppelverurteilungsverbote tendenziell strenge US-Bundesstrafrecht kann Entsprechendes festgestellt werden. Zwar determiniert dort grundsätzlich der Blockburger-Test die Reichweite der unzulässigen Doppelverurteilung, der regelmäßig nur die Konstellationen der abstrakten Inklusion erfasst. Allerdings werden über Blockburger v. United States hinaus Kumulationsverbote angenommen, wenn dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die wenigen Fälle, in denen ein solcher Wille bejaht wurde, zeigen, dass die hier diskutierte Konstellation darunterfällt: Gemeint ist die Prince-Rechtsprechung; angefangen mit dem Fall Prince v. United States selbst, in welchem der Tatbestand des Betretens einer Bank in der Absicht, ein Verbrechen zu begehen, hinter den des Bankraubs zurücktrat (4. Kap. § 1 B. III. 3. a). Es handelt sich bei diesen Tatbeständen nicht nur um verschiedene Entwicklungsstufen eines einheitlichen kriminellen Geschehens, sondern hier wird der Bankräuber überdies in den allermeisten Fällen die Bank schon mit der entsprechenden Absicht betreten haben.49 Daher fiele diese Konstellation nach deutschem Recht in einen Überschneidungsbereich zwischen Subsidiarität und Konsumtion.50 Die neueren Fälle zeigen ebenfalls deutlich, dass die hier diskutierte Konstellation unter Prince v. United States fällt; etwa, wenn zwischen dem Drogenbesitz mit Verbreitungsabsicht und der Verbreitung von Drogen eine über Blockburger v. United States hinausgehende Unzulässigkeit der kumulativen Verurteilung angenommen wird. Auch hier handelt es sich um ein Stufenverhältnis zwischen dem einfachen Drogenbesitz, dem Drogenbesitz in Verbreitungsabsicht und der 49 50
Vgl. Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 38 (Fn. 172) („usually“). Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 51 f.
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Verbreitung von Drogen. Während hier die zweite Stufe die erste notwendig einschließt, gilt dies nicht zwischen der dritten Stufe und den ersten beiden.51 Dennoch wird die Verbreitung häufig mit einem Besitz der Drogen (in Verbreitungsabsicht) verbunden sein. In der Rechtsprechung von Massachusetts können ähnliche Überlegungen festgestellt werden, wenn zwischen dem Diebstahl eines Kfz und der – wegen des Erfordernisses einer Benutzung auf einem öffentlichen Weg – nicht notwendig ebenfalls realisierten Gebrauchsanmaßung sogar eine Deliktsidentität angenommen wird (4. Kap. § 1 E. II. 3.).52 Neben der dort angesprochenen Häufigkeit der Mitrealisierung einer Gebrauchsanmaßung wird man auch hier eine gleiche Schutzrichtung sowie ein gewisses Stufenverhältnis sehen können, welches sich darin ausdrückt, dass die Gebrauchsanmaßung als lesser included offense aufgefasst wird. e) Fazit Zusammenfassend lässt sich als gemeinsamer Nenner dieser Entscheidungen festhalten, dass die Gerichte rechtsordnungsübergreifend kleine, wegen einer Schutzrichtungsähnlichkeit unwesentliche Inkongruenzen zwischen normativ abgestuften Tatbeständen – die mithin nur zu einer fast immer erfolgenden, aber eben nicht denknotwendigen Mitrealisierung eines Tatbestands mit einem anderen führen – durch Annahme eines Doppelverurteilungsverbots ausgleichen. 2. Keine Doppelverurteilung bei einem Stufenverhältnis ohne eine fast immer erfolgende Mitrealisierung Nun soll die Fallgruppe interessieren, dass zwei Tatbestände zwar noch in einem gewissen Stufenverhältnis zueinander stehen, jedoch diesmal die niedrigere Stufe nicht fast immer mitrealisiert wird. Vereinfacht dargestellt liegt nun also die Situation vor, dass der „qualifizierte“ Tatbestand jedenfalls in einer substanziellen Menge seiner Erfüllungen ohne den niederstufigen realisiert werden kann (Alt. 2–4):
Vgl. United States v. Gore, 154 F.3d 34, 46–47 (2nd Cir. 1998) m. w. N. Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 164 f. („vergleichbar der Gesetzeskonkurrenz qua Konsumtion“). 51 52
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Doppelrealisierung bei nur einer normativen Stufe Höherstufiger Tatbestand
2. Stufe
+ qualifizierendes Element Alt. 1
Alt. 2
Alt. 3
Alt. 4
Alt. 1
1. Stufe
Niederstufiger Tatbestand
Nicht vom Tatbestand erfasst
Abbildung 12
Grob gesagt lässt sich feststellen, dass in allen Rechtsordnungen Doppelverurteilungsverbote auch in der Fallgruppe einer nur geringen Häufigkeit der Mitrealisierung eines Tatbestands mit einem anderen zur Anwendung kommen. Jedoch unterscheiden sich die Lösungswege erheblich, wenngleich sie mitunter zu gleichen Ergebnissen kommen: a) Das deutsche Recht Im deutschen Recht wird die hier diskutierte Kategorie durch das Konzept der materiellen Subsidiarität gelöst, die auf eine gleiche oder zumindest ähnliche Schutzrichtung der Tatbestände abstellt. Dabei muss keine regelmäßige Realisierung des ein vorheriges Angriffsstadium oder eine weniger erhebliche An griffsintensität vorsehenden Tatbestands mit dem höherstufigen Delikt einhergehen. Dennoch erfolgt keine Bestrafung aus dem niederstufigen Tatbestand, weil bei normativer Betrachtung sein Unrecht durch Ausführung des höherstufigen Tatbestands vollständig abgegolten ist. So wird etwa mit einem Betrug nicht regelmäßig ein Kreditbetrug einhergehen (1. Kap. § 2 A. II. 2. b). Ferner werden verbrecherische Hauptdelikte nicht regelmäßig strafbar durch eine Verbrechensverabredung vorbereitet (1. Kap. § 2 A. II. 2. a). Dennoch stehen diese Deliktskombinationen in einem Stufenverhältnis hinsichtlich der Angriffsintensität bzw. -chronologie.
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b) Das englische Recht Der Stand des englischen Rechts ist in diesem Bereich mit Unsicherheiten behaftet. Zum einen ist unklar, wo nach der Rechtsprechung bei nicht notwendig enthaltenen Delikten die Grenze für lesser included offences zu ziehen ist (2. Kap. § 2 A. I.). Zum anderen ist nicht eindeutig, ob solche lesser included offences bei einer weiten Auslegung stets ein Doppelverurteilungsverbot nach sich ziehen (vgl. 2. Kap. § 2 A. III. 2. b). Für die hier diskutierte Konstellation lässt sich jedenfalls sagen, dass sie aufgrund des anklägerischen Ermessens im Ergebnis mitunter keiner doppelten Verurteilung zugeführt wird. So zeigt die vorhandene Rechtsprechung, dass die Anklage ihr Ermessen u. a. durch die alternative Anklage von Tatbeständen ausübt und so eine Bindung des Gerichts an das Alternativverhältnis herbeiführen kann. Dies lässt Rückschlüsse auf als solche wahrgenommene Stufenverhältnisse zwischen Tatbeständen zu. So wird im englischen Recht ein Stufenverhältnis zwischen einem versuchten Mord (attempted murder) und einer vorsätzlichen Körperverletzung (wounding with intent) angenommen (2. Kap. § 2 C.).53 Das daraus resultierende Doppelverurteilungsverbot geht über das deutsche Recht hinaus, wo inzwischen Idealkonkurrenz zwischen einem versuchten Tötungsdelikt und einem Körperverletzungsdelikt angenommen wird, um den Körperverletzungserfolg klarzustellen (1. Kap. § 2 B. II. 2. a). Interessanterweise zeigt sich darüber hinaus, dass in England im Einzelfall auch die Verschwörung als derart höherstufig gegenüber der Haupttat wahrgenommen wird und eine Verurteilung für jene infolgedessen ausgeschlossen wird (2. Kap. § 2 C.). Im deutschen Recht hingegen würde selbst ein hinter einer Verbrechensverabredung zurückbleibendes Hauptdelikt zu einer kumulativen Verurteilung mit jener führen; die Verbrechensverabredung vermag also nicht die Haupttat vollständig zu verdrängen (1. Kap. § 2 B. II. 2. a). c) Das kanadische Recht Das kanadische Strafrecht fordert für seine Doppelverurteilungsverbote an sich überhaupt keine Häufigkeit der Mitbegehung eines Tatbestands mit einem anderen, wenngleich sich dieser Gedanke in einer jüngeren Entscheidung findet (3. Kap. § 1 B. III. 3. und 5. Kap. § 2 C. II. 1. c). Im Gegensatz zum Mord (murder) verlangt der versuchte Mord (attempted murder) notwendig einen Tötungsvorsatz (intent to kill). Ein Vorsatz zu einer schweren Körperverletzung genügt im Gegensatz zum vollendeten Delikt nicht, vgl. Ashworth/Horder, Principles of Criminal Law, 7. Aufl. 2013, S. 310. Diese Autoren bestätigen im Übrigen die Annahme eines Stufenverhältnisses, wenn sie u. a. in Bezug auf die erwähnten Tatbestände bildlich von einer „Leiter nichttödlicher Delikte gegen die Person“ sprechen („[A] ‚ladder‘ of non-fatal offences.“). 53
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
So reicht es bei ausdrücklichen Tatalternativen des höherstufigen Tatbestands nach Luckett v. R. schon aus, dass das niederstufige Delikt in einer Tatalternative des höherstufigen Delikts notwendig mitrealisiert wird (3. Kap. § 1 B. II. 1. b); unabhängig von einer regelmäßigen Mitverwirklichung in Bezug auf den höherstufigen Gesamttatbestand. Darüber hinaus werden Doppelverurteilungen durch die rule against multiple convictions unabhängig von der Häufigkeit der Mitrealisierung eines anderen Tatbestands verhindert. Stattdessen wird geprüft, ob es sich bei den die Interferenz zwischen Tatbeständen begründenden Merkmalen um eigenständige, den Schuldgrad determinierende Elemente (additional and distinguishing element that goes to guilt) handelt (3. Kap. § 1 B. I. 2. b). Es wird also gewertet, ob diese dem Geschehen jeweils einen eigenen Unwert hinzufügen. Hierunter fallen u. a. Stufenverhältnisse, in denen der niederstufige Tatbestand nicht häufig mitrealisiert wird. Ein Beispiel ist das schon angesprochene Verhältnis zwischen dem schweren Angriff (aggravated assault) nach Cr. C., s. 268(1) und einem Angriff mit einer Waffe (assault with a weapon) nach Cr. C., s. 267(a). Hier liegt eine Stufe zwischen den Tatbeständen vor, weil nur das erstgenannte Delikt einen Erfolg in Form der schweren Körperverletzung oder einer Lebensgefahr erfordert. Das letztgenannte Delikt befindet sich auch systematisch im kanadischen Criminal Code genau zwischen dem einfachen assault und dem aggravated assault. Dennoch wird man nicht sagen können, dass eine schwere Körperverletzung nach Cr. C., s. 268(1) häufig durch eine Waffe herbeigeführt wird, denn es sind auch viele, nicht selbstständig strafbare andere Tatmodalitäten denkbar. Zu ihrem Ergebnis einer Verdrängung kamen die Gerichte allerdings weniger durch eine Argumentation mit dem systematischen Verhältnis der ab strakten (Gesamt-)Tatbestände, sondern sie stellten zum einen auf den konkreten Fall ab: Danach lag dasselbe Unrecht im Sinne von Kienapple v. R. vor, weil die Körperverletzung im konkreten Fall gerade durch einen Messerstich herbeigeführt wurde (3. Kap. § 1 B. III. 3.). Mithin wurde eine Art konkreter Tatsachenvergleich angewendet, wie er sich auch in den USA teilweise vorfindet (s. sogleich). Zum anderen wurde jüngst eine Verengung auf die Tatbestandsalternative des Verwundens (wounding) in Cr. C., s. 268(1) bemüht, die „typischerweise“ auf dem Einsatz einer Waffe beruhe (3. Kap. § 1 B. III. 3.). Es zeigt sich, dass in der Kienapple-Regel sachlich auch der Subsidiaritätsgedanke des deutschen Rechts vorzufinden ist.54 Die genannte Konstellation kann demnach als Pendant zur Gesetzeskonkurrenz zwischen §§ 226 Abs. 1 StGB und 224 Abs. 1 StGB betrachtet werden. Die Konzepte sind jedoch nicht deckungs54 Anders Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 57 f., die in Kienapple nur eine Entsprechung für Spezialität und Konsumtion sieht.
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gleich, sondern verhalten sich wie sich überschneidende Kreise: So geht die Kienapple-Regel über die Subsidiarität hinaus, wenn es sogar für denkbar gehalten wird, dass eine Brandstiftung als spezialisierte Tötungshandlung hinter einen Totschlag zurücktritt (3. Kap. § 1 B. I. 2. b). Hier würde das deutsche Recht zu einer klarstellenden Idealkonkurrenz kommen, denn weder kann eine Brandstiftung als regelmäßige Begleittat einer Tötung betrachtet werden noch wird man sagen können, dass es sich um verschiedene Intensitäten eines Angriffs auf dasselbe Rechtsgut handelt. Andererseits verbietet die Subsidiarität des deutschen Rechts – anders als das kanadische Recht – beispielsweise die Kumulation zwischen der Verbrechensverabredung und der jeweiligen Haupttat (s. sogleich). d) Das US-Recht, die konkrete Beweisnotwendigkeit insbesondere In den USA führt der Blockburger-Test dazu, dass grundsätzlich streng auf die abstrakt-notwendige Mitbegehung eines anderen Delikts abgestellt wird, wenn es darum geht, eine Doppelverurteilung zu verbieten. Mithin kann schon eine geringste definitorische, ein Interferenzverhältnis herbeiführende Abweichung zwischen zwei Tatbeständen zu einer Kumulation führen. Diese Inflexibilität wird in der Heimatjurisdiktion von Blockburger v. United States scharf kritisiert55 und stattdessen für eine Deliktsabsorption bei Auswahlermessen der Anklagebehörde56 oder – im Rahmen der Prüfung der Deliktsidentität – für ein Abstellen auf eine eigenständige materielle Unrechtssteigerung durch die jeweils überschießenden Tatbestandselemente ähnlich dem kanadischen Recht plädiert57. Die Enge von Blockburger v. United States wird in der Rechtsprechung jedoch durch eine Reihe von Ausnahmen aufgebrochen, sodass auch für das Recht der USA eine Art materielle Subsidiarität festgestellt werden kann. Die Reichweite zwischen der Bundesebene und den Bundesstaaten bzw. unter den Bundesstaaten ist allerdings unterschiedlich weit ausgeprägt. Auf die Prince-Rechtsprechung wurde schon hingewiesen, die jedenfalls bei einer niedrigeren, schutzrichtungsgleichen und fast immer mitrealisierten tatbestandlichen Stufe die Doppelverurteilung ausschließt. Darüber hinaus wird in den Bundesstaaten – unabhängig von einer abstrakt-notwendigen Mitrealisierung – insoweit aus verschiedene Verletzungs-, Gefährdungs- oder Schuldgrade Vgl. Johnson, Cal. L. Rev. 58 (1970), 357, 358 f.; Mead, Ind. L. Rev. 13 (1980), 863, 866 ff.; Griffin, U. Rich. L. Rev. 37 (2003), 471, 472. 56 Douglas, Black JJ., dissenting, in Gore v. United States, 357 U.S. 386, 396–397 (1958); Douglas J., dissenting, in Iannelli v. United States, 420 U.S. 770, 792–793 (1975). 57 Vgl. Moore, Act and Crime, 1993, S. 337 ff.; Thomas, Cal. L. Rev. 83 (1995), 1027, 1035 f., 1041 ff.; ders., Double Jeopardy, 1998, S. 98 ff., 138 ff., 167 ff. („substantive sameness“, S. 138); Cahill, Ohio St. J. Crim. L. 1 (2004), 599, 605 ff.; vgl. – nur in Bezug auf auf einanderfolgende Verfahren – auch Fisher, U. Chi. L. Rev. 28 (1961), 591, 608 ff. 55
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beinhaltenden Delikten bzw. einer conspiracy neben einer Haupttat nicht kumulativ verurteilt, als dort entsprechende Regelungen des Model Penal Code übernommen wurden (4. Kap. § 1 E. I.).58 Schließlich existiert in den USA ein weiterer Mechanismus, der zu Doppelverurteilungsverboten selbst bei nicht regelmäßig mitverwirklichten Delikten führt; dieser Mechanismus setzt ein im Einzelfall zwischen zwei Tatbeständen bestehendes Verhältnis voraus, dass sich als eines der „konkreten Beweisnotwendigkeit“ bezeichnen lässt. Gemeint ist damit, dass ein Delikt mit einem anderen zwar nicht stets mitbegangen wird, jedoch im konkreten Fall ein zweites Delikt bei Beweis eines ersten Delikts notwendig mitbewiesen wird, weil identische Tatsachen verschiedene abstrakte Merkmale der beiden Tatbestände ausfüllen. Mit anderen Worten ist die Begehung eines Delikts im konkreten Fall Mittel zur Begehung des anderen. Dieser Mechanismus findet sich auf der Bundes- sowie der einzelstaatlichen Ebene, jedoch ist er unterschiedlich weit ausgeprägt. Häufig ist er auf eine modifizierte Anwendung des Blockburger-Tests zurückzuführen. Auf der Bundesebene haben manche Richter des Obersten Gerichtshofs eine Ausweitung von Blockburger v. United States über die abstrakt-notwendige Mitbegehung eines Delikts hinaus zwar vollkommen abgelehnt. Jedoch hat die Mehrheitsrechtsprechung dies vorsichtig zugelassen, denn vorbehaltlich eines anderslautenden gesetzgeberischen Willens verurteilt sie im Ergebnis nicht kumulativ, wenn alle Begehungsalternativen eines Tatbestands auch eigenständig nach verschiedenen anderen Tatbeständen strafbar sind (4. Kap. § 1 B. I. 3. sowie III. 1.). Vereinfacht dargestellt, muss also der Täter von Delikt C notwendig ein weiteres Delikt, entweder A oder B, mitverwirklichen: Konkrete Beweisnotwendigkeit nach dem U.S. Supreme Court
A
C
B
Abbildung 14
58 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 162 f.; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, 53 f.
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Wird im konkreten Fall also für Delikt C auf die nach diesem Tatbestand mögliche Tatalternative A abgestellt, führt der Blockburger-Test zu einer Deliktsidentität zwischen Tatbestand C (in der Alternative A) und dem eigenständigen Tatbestand A. Allerdings beschränkt sich die US-Bundesrechtsprechung – soweit ersichtlich und ausgenommen der Sonderfall United States v. Dixon (vgl. 4. Kap. § 1 B. I. 3. a) – auf diese Konstellation und dehnt die konkrete Beweisnotwendigkeit nicht darauf aus, dass nur eine Teilmenge (B) der Realisierungsalternativen eines Tatbestands (C) eigenständig strafbar ist, nicht aber alle: Konkrete Beweisnotwendigkeit nach einigen U.S.-Bundesstaaten
C
B
Abbildung 15
Auch in solchen Fällen kann, wie in den vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fällen, im konkreten Fall mit dem Beweis eines Delikts das andere notwendig mitbewiesen sein. In einigen US-Bundesstaaten sowie im akademischen Schrifttum wird für die Blockburger-Prüfung daher auf die Übereinstimmung der Tatbestandselemente – wie sie im konkreten Fall ausgefüllt werden – abgestellt (4. Kap. § 1 B. I. 3. b bzw. E. II. 3.). Daraus folgt, dass in manchen Staaten beispielsweise zwischen einem versuchten Tötungs- und einem Körperverletzungsdelikt nicht kumulativ verurteilt wird, wenn gerade durch das Körperverletzungsdelikt der konkrete Tötungsversuch bewiesen wird (vgl. 4. Kap. § 1 E. II. 3.). Damit kommen diese Bundesstaaten zum gleichen Ergebnis wie das englische und das kanadische Recht (2. Kap. § 2 C. bzw. 3. Kap. § 1 B. III. 3.). Darüber hinaus kommt man mit dieser Methodik zum Zurücktreten einer Körperverletzung hinter einen Raub, wenn für beide Delikte auf dieselbe konkrete Gewaltanwendung abgestellt und so durch den Raub notwendig das Körperverletzungsdelikt mitbewiesen wird.59 59 Vgl. ALI (Hrsg.), Model Penal Code and Commentaries, Part I §§ 1.01–2.13, 1985, S. 130.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
Dieser Ansatz ist anderen Rechtsordnungen nicht fremd. So läuft die kanadische Luckett-Rechtsprechung bei ausdrücklich an einen anderen Tatbestand anknüpfenden Tatalternativen darauf hinaus (vgl. 3. Kap. § 1 B. II. 1. b bzw. 2. b). Diese Rechtsprechung bewegt sich insoweit zwischen der US-Bundesrechtsprechung und den einschlägigen US-Bundesstaaten, als sie einerseits über die notwendige Mitbegehung eines Delikts hinausgeht, aber andererseits ausdrückliche Tatalternativen des verdrängenden Tatbestands verlangt, von denen eine notwendig die Mitrealisierung eines weiteren Tatbestands voraussetzt. Auch in Kienapple-Fällen wird mitunter – ohne notwendige Mitbegehung in einer ausdrücklichen Tatalternative – „dasselbe Unrecht“ weniger an den abstrakten Tatbeständen, sondern vielmehr am konkreten Fall gemessen. Dies zeigen die erwähnten Fälle zum Verhältnis des aggravated assault zum aussault with a weapon, in denen darauf abgestellt wurde, dass die Körperverletzung im konkreten Fall gerade durch den Einsatz eines Messers erfolgt war (3. Kap. § 1 B. III. 3. und 5. Kap. § 2 C. II. 1. c bzw. 2. c). Die deutsche Rechtsprechung erreicht durch die Annahme von Spezialität „durch Verengung“, Subsidiarität und Konsumtion teilweise Ergebnisse, die mit den durch den Mechanismus der konkreten Beweisnotwendigkeit erreichten Resultaten übereinstimmen. Allerdings handelt es sich nur um sich überschneidende Kreise: Denn einerseits greifen die Konzepte des deutschen Rechts über die konkrete Tatsachenübereinstimmung hinaus und beziehen auch Vor- und Nachbereitungstaten ein. Andererseits führt die konkrete Beweisnotwendigkeit zu Doppelverurteilungsverboten, die über das deutsche Recht hinausgehen. Dies zeigt schon das Beispiel des Verhältnisses eines versuchten Tötungsdelikts zu einem Körperverletzungsdelikt, wo das deutsche Recht Idealkonkurrenz annimmt (1. Kap. § 2 A. II. 2. a). Das deutsche Recht ist in diesem Sinne auch insoweit strenger gegenüber der konkreten Blockburger-Anwendung – oder gegenüber dem kanadischen Recht (3. Kap. § 1 B. III. 2.) –, als Raub und Körperverletzung in Idealkonkurrenz stehen und damit kumulativ verurteilt wird (1. Kap. § 2 A. III. 1.). Während die Ergebnisse zwischen versuchter Tötung bzw. Raub und einem Körperverletzungsdelikt auch in anderen Rechtsordnungen als jedenfalls vertretbar erscheinen,60 zeigen sich die bisweilen weitreichenden Auswirkungen eines Tatsachenvergleichs in anderen Fällen: Beispielsweise, wenn im Einzelfall neben einer Vergewaltigung nicht auch der schwere Einbruch anwendbar ist, weil in der Vergewaltigung das zu begehen beabsichtigte Verbrechen liegt und darin
60 Diese Fälle sind auch im deutschen Recht umstritten, vgl. für Nachweise 1. Kap. § 2 A. II. 2. a bzw. III. 1.
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zugleich die den Einbruch erschwerende Gewaltanwendung zu finden ist.61 Auch der kanadische Hagenlocher-Fall, wonach eine Brandstiftung als spezialisierte Tötungshandlung hinter einen Totschlag zurücktritt (3. Kap. § 1 B. I. 2. b), beruht letztlich auf den Gedanken der konkreten Beweisnotwendigkeit und erscheint als weiteres Beispiel der sehr weitreichenden Auswirkungen eines solchen Ansatzes. Selbst der Oberste Gerichtshof der USA hat in United States v. Dixon durch einen auf den konkreten Fall bezogenen Schematismus der Beweisnotwendigkeit das ziemlich merkwürdige Ergebnis erreicht, dass das Delikt der Missachtung des Gerichts (contempt of court) sogar Drogen- und Körperverletzungsdelikte inkludieren kann (4. Kap. § 1 B. I. 3. a). e) Fazit Die US-Bundesebene hat sich durch ihre Rechtsprechung der notwendigen Mitbegehung eines Delikts – über ihre Prince-Rechtsprechung hinaus – leicht für den Gedanken der Subsidiarität geöffnet. Viel weiter gehen hier einige Bundesstaaten durch Übernahme des Model Penal Code oder durch modifizierte Tests der Deliktsidentität, welche sogar weiterreichend sein können als die deutsche Gesetzeskonkurrenz. Ähnliches gilt tendenziell auch für das englische Recht, das über die materielle Subsidiarität im deutschen Recht hinaus Doppelverurteilungsverbote annimmt. Schließlich findet sich in Kanada – bedingt durch die Luckett- und Kienapple-Rechtsprechung und unabhängig von einer häufigen Mitrealisierung eines anderen Tatbestands – ein umfassenderes Kumulativverurteilungsverbot, als es etwa der US-amerikanische same elements-Test oder mitunter sogar die deutsche Gesetzeskonkurrenz hergeben.62 Festhalten lässt sich im Ergebnis, dass alle Rechtsordnungen unter gewissen Umständen auch ohne eine fast immer erfolgende Mitrealisierung eines anderen Tatbestands nicht kumulativ verurteilen. Die Wege zu diesem Ergebnis weisen im Einzelnen jedoch erhebliche Unterschiede zueinander auf, sodass sich für das deutsche Recht oder das Völkerstrafrecht brauchbare Gemeinsamkeiten nicht ableiten lassen.
61 Vgl. Pfeifer, J., dissenting, in State v. Ruff, 143 Ohio St.3d 114, 125–126 (2015) („The rape in each case is an essential part of the aggravating circumstance because Ruff did not inflict, attempt to inflict, or threaten to inflict physical harm except incidental to the rape. [...] The aggravated burglaries and the rapes were part and parcel of the same conduct.“), nach dem aber nur die Vergewaltigung Anwendung finden soll. Allerdings wendet er einen sehr speziellen Test eines Tatsachenvergleichs an. 62 Insofern kann der Einwand von Stuart, Charter Justice in Canadian Criminal Law, 2010, S. 466, wonach die rule against multiple convictions dem Angeklagten nur sehr wenig Schutz biete, relativiert werden.
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
3. Keine Doppelverurteilung bei einer notwendigen Mitbegehung durch den konkreten Täter Ein greifbarerer gemeinsamer Grundsatz kann hingegen auf Grundlage des Rechtsprechungsmaterials aus den USA und Deutschland festgestellt werden. Danach kommt es zu keiner Doppelverurteilung, wenn zwei Tatbestände zwar nicht im Verhältnis der abstrakten Inklusion zueinander stehen, aber der konkrete Täter einen Tatbestand bei Begehung eines anderen notwendig mitrealisieren muss. Diese Sachlage tritt auf, wenn die Interferenz von unterschiedlichen, durch die Tatbestände erfassten, Täterkreisen herrührt. So wird im US-Bundesrecht ähnlich wie bei alternativen Tathandlungen eines Tatbestands verfahren, wenn die von einer reinen Prüfung der abstrakt-notwendigen Mitverwirklichung abweichende Ball-Rechtsprechung die Kumulation für den Fall verbietet, dass nur der konkrete Täter einen anderen Tatbestand notwendig mitrealisieren muss (4. Kap. § 1 B. I. 4.). Im deutschen Recht finden sich ähnliche Überlegungen im Zusammenhang mit der zwischen § 176 StGB und § 182 Abs. 3 StGB angenommenen Gesetzeskonkurrenz, wo das Alter des Täters lediglich als Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 182 Abs. 3 StGB angesehen wird, nicht jedoch als ein mit dem Mindestalter des Täters verbundenes zusätzliches Unrecht gegenüber § 176 StGB (1. Kap. § 2 A. I. 2.). Ein über 21 Jahre alter Täter muss hier allerdings notwendig mit § 176 StGB auch § 182 Abs. 3 StGB realisieren. Auch im Verhältnis zwischen § 154 Abs. 1 StGB und § 153 StGB ergibt sich eine tatbestandliche Interferenz daraus, dass der Täterkreis des Meineids gegenüber dem der uneidlichen Falschaussage erweitert ist; dennoch wird auch hier Gesetzeskonkurrenz angenommen (1. Kap. § 2 A. II. 2. b). Diese Fälle zeigen, nebenbei bemerkt, anschaulich die fehlende terminologische Stringenz der deutschen Rechtsprechung auf, wenn sie in diesen sachlich identischen Konstellationen das eine Mal Spe zialität, das andere Mal Subsidiarität annimmt. 4. Die Verbrechensverabredung/Verschwörung insbesondere Eine bemerkenswerte Divergenz zwischen den Rechtsordnungen zeigt sich im Verhältnis der Verbrechensverabredung/conspiracy zu dem jeweiligen Hauptdelikt.63 Interessanterweise verläuft hier die Grenze zwischen dem deutschen, dem englischen und teilweise dem US-amerikanischen Recht einerseits sowie dem kanadischen, dem US-amerikanischen Bundes- und teilweise einzelstaatlichen Recht andererseits. Während es bei Ersteren aus rechtlichen oder faktischen
63
Vgl. dazu auch Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 71.
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Gründen nicht zur Kumulation kommt (1. Kap. § 2 A. II. 2. a bzw. 2. Kap. § 1 B. I. 2.), verurteilen Letztere kumulativ. Die die Kumulation favorisierende Ansicht gerät allerdings in jenen Rechtsordnungen immer mehr unter Druck.64 Dies äußert sich darin, dass die US-Bundesstaaten in der Frage geteilt sind, in Schrifttum und Richterschaft Kritik an der Kumulation geäußert wird sowie durch das American Law Institute und die Law Reform Commission of Canada (teilweise) vergeblich Reformbemühungen zugunsten eines Doppelverurteilungsverbots angestrengt wurden (3. Kap. § 1 B. III. 5.; 4. Kap. § 1 B. III. 3. c bzw. E. I.). Diese unterschiedlich beurteilte Konkurrenzfrage dürfte dazu beitragen, dass die conspiracy im Common Law tendenziell eine größere Aufmerksamkeit erfährt als ihr deutsches Pendant. III. Vom Wert der Idealkonkurrenz, einschließlich einer Stellungnahme Bislang unerwähnt geblieben ist eine weitere Lösung des oben aufgezeigten Spannungsverhältnisses durch das deutsche Recht: der Begriff der Idealkonkurrenz/Tateinheit. Dieses im Common Law unbekannte Konzept65 vermeidet einerseits in den Rechtsfolgen eine Doppelverwertung durch die damit einhergehende Absorption (1. Kap. § 3 A. III. 2.). Es ermöglicht andererseits die Kenntlichmachung des begangenen Unrechts in Form der realisierten Strafgesetze und umschreibt durch die „Tateinheit“ aber zugleich, dass (teilweise) dieselben Tatsachen den Gesetzesverletzungen zugrunde liegen. Das Doppelverwertungsproblem im Schuldspruch wird infolgedessen erheblich abgemildert, weil gar nicht der Eindruck erweckt wird, der Täter habe zwei voneinander unabhängige Taten begangen. Beispielsweise kann die Idealkonkurrenz bei mehreren Tötungstatbeständen, etwa den §§ 211, 251 StGB, einerseits deutlich machen, dass nur eine Person gestorben ist, andererseits das Geschehen in seinen unrechtsbegründenden Tatsachen dennoch vollständig ausschöpfen. Der Vorteil der Tateinheit lässt sich am Fehlen des Konzepts im Common Law veranschaulichen. Dort wird der Umstand, dass bei mehreren Verurteilungen aus einem einzigen faktischen Vorgang der Eindruck mehrerer Taten entsteht, als bedenklich empfunden und auf dieser Basis mitunter ein Doppelverurteilungsverbot begründet. In diesem Sinne wurde es etwa in R. v. Harris folgenermaßen begründet:66
Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 71. Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961, S. 81 f., 94; für die USA Sieveking, ZStW 53 (1934), 297, 311. 66 Obwohl für die involvierten Tatbestände, genau genommen, sogar auf verschiedene Tatsachen abgestellt wurde, vgl. 2. Kap. § 2 B. 64 65
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„It does not seem to this Court right or desirable that one and the same incident should be made the subject matter of distinct charges, so that hereafter it may appear to those not familiar with the circumstances that two entirely separate offences were committed.“67
Daher wird insbesondere in Bezug auf Tatbestände mit gemeinsamen Elementen diskutiert, ob der Umstand, dass das Tatbestandsmerkmal nur einmal realisiert wurde, schon die Doppelverurteilung ausschließen sollte. Der kanadische Oberste Gerichtshof etwa hat einen solchen common element test ausdrücklich abgelehnt (3. Kap. § 1 B. I. 2. b), aber dennoch ein relativ großzügiges Doppelverurteilungsverbot etabliert. Dies erscheint auch gerechtfertigt, denn mangels einer Idealkonkurrenz bedarf es in den Common Law-Rechtsordnungen der stärkeren Vermeidung von Doppelverurteilungen. Entsprechendes kann auch für England festgestellt werden, wo einige schon angeführte Beispiele zeigen, dass über die deutsche Gesetzeskonkurrenz hinaus nicht kumulativ verurteilt wird bzw. schon bei der Auswahl der Anklagepunkte Tatbestände ausgeschieden werden. Lediglich das Bundesstrafrecht der USA sowie die ihm folgenden US-Bundesstaaten halten grundsätzlich an der rein abstrakten Blockburger-Prüfung fest. Jedoch zeigen sich auch hier immerhin Aufweichungen in Form einer eigenständigen Rechtsprechungslinie (Prince v. United States) neben dem Blockburger-Test sowie Modifikationen seiner Anwendungsweise (Whalen v. United States, Ball v. United States). Das Fehlen der Idealkonkurrenz zeigt sich besonders, wenn die Verurteilung aus zwei Tötungsdelikten bei nur einem Opfer als unangemessen empfunden und nur durch eine Abweichung von Blockburger v. United States vermieden wird (4. Kap. § 1 E. II. 3.). Dies wirft genau die Frage auf, warum die Doppelverwertung nur bei Tötungsdelikten, nicht aber auch bei Blockburgers Drogenverkauf unangemessen sein soll (4. Kap. § 1 B. I. 1.). Dies alles bestätigt die Unzulänglichkeit des Blockburger-Tests, welche darüber hinaus durch dessen Zurückbleiben hinter den anderen hier einbezogenen Rechtsordnungen sowie die im Vergleich zu seinem kanadischen Pendant viel stärkere Kritik an dem Test indiziert wird. Der Mechanismus der konkreten Beweisnotwendigkeit erweist sich als genauso schematisch und als gegenüber dem Konzept der Idealkonkurrenz ebenfalls nicht vorzugswürdig. Zunächst liegt der Gedanke jedoch nicht fern: Wenn man sich Tatbestände als Inbegriff verschiedener tatsächlicher Modalitäten ihrer Erfüllung vergegenwärtigt und der Gesetzgeber einen deckungsgleichen Sachverhalt zwei Tatbeständen unterwirft, berücksichtigt er durch einen Strafrahmen verschieden schwere Modalitäten der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale. Insofern ist der konkrete abzuurteilende Sachverhalt vom Gesetzgeber schon im „spezielleren“ Tatbestand berücksichtigt. Ferner wiegt das Doppelverwertungs67
R. v. Harris (1969) 53 Cr. App. R. 376, 379.
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problem hier besonders schwer, weil jede den einen Tatbestand ausfüllende Tatsache auch für den anderen verwendet wird, ohne dass eine eigene unrechtssteigernde Tatsache beigetragen wird. Andererseits kann diese Lösung das Problem nur bei der Volldeckung von tatbestandserheblichen Tatsachen in den Griff bekommen, nicht aber dort, wo trotz einer einheitlichen faktischen Grundlage für den einen Tatbestand nicht der volle Beweis der anderen Tatbestanderfüllung notwendig ist. Darüber hinaus hat gerade die Tateinheit das Potential, durch die Nennung abstrakter Tatbestände einen konkreten Sachverhalt so genau wie möglich zu umschreiben (z. B., dass die Gewaltanwendung im Zuge eines Raubes körperverletzend war) und eine Missbilligung darüber zum Ausdruck zu bringen, ohne zugleich den Eindruck mehrerer Taten zu erzeugen. Dadurch wird beiden, das Spannungsverhältnis ergebenden Bedürfnissen Rechnung getragen. Warum sollte also nicht deutlich gemacht werden, dass Hagenlocher (3. Kap. § 1 B. I. 2. b) nicht nur ein Tötungsdelikt verübt, sondern auch ein Hotelbett angezündet hat, wenn der Tatsache derselben Handlung durch ein Konzept wie der Tateinheit sowohl in der Verurteilung als auch auf Rechtsfolgenebene hinreichend begegnet werden kann? Entsprechendes gilt für die englischen, kanadischen und US-amerikanischen Fälle, die die Körperverletzung im Zuge eines Tötungsversuchs unberücksichtigt lassen. Schließlich schafft jedes Doppelverurteilungsverbot bei interferierenden Tatbeständen ein Gleichheitsproblem, weil der kumulativ Gesetze verletzende Täter bei einer Gesetzesverdrängung wie ein nur den verdrängenden Tatbestand verletzender Täter behandelt wird – zumindest was den Schuldspruch angeht.68 Im Ergebnis erweist sich der Begriff der Idealkonkurrenz als zur Lösung des Paradigmenkonflikts im Bereich der Interferenz grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber der Annahme eines so gut wie immer problematischen Doppelverurteilungsverbots. Für das deutsche Recht empfiehlt es sich – gerade vor den Problemen, die sich im Common Law durch ihre Abwesenheit zeigen –, die zunehmende Tendenz69 hin zur Idealkonkurrenz weiterzugehen. Der Bereich der unechten ungleichartigen Idealkonkurrenz sollte auf Fälle der abstrakten Inklusion sowie der oben herausgearbeiteten Quasi-Inklusion beschränkt werden. In Inklusionsfällen besteht schon kein Klarstellungsbedürfnis; ferner tritt das Gleichheitsproblem hier gar nicht erst auf, weil man den höherstufigen Tatbestand nicht ohne den niederstufigen verwirklichen kann. In Quasi-Inklusionsfällen besteht nur ein vernachlässigbares Klarstellungsbedürfnis, weil die alleinige Realisierung des höherstufigen Tatbestands kaum vorkommt; auch das GleichheitsproStuckenberg, in: Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court, 2015, S. 844. 69 BGH NJW 2000, 1878, 1879. 68
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blem fällt daher gering aus, sodass eine Ausgleichung kleiner gesetzestechnischer Inkongruenzen durch die Rechtsprechung vorgezogen werden kann. Entfallen sollen also notwendig mitverwirklichte Tatbestände sowie niederstufige Tatbestände mit ähnlicher Schutzrichtung, die fast immer mit einem höherstufigen mitrealisiert werden. Während für die Inklusion schon der Begriff der Spezialität vorgeschlagen wurde, könnte man in Bezug auf die Quasi-Inklusion einheitlich den Begriff der Subsidiarität verwenden. Auf die Konsumtion/typische Begleittat als eigenständige Figur könnte dann verzichtet werden.70 Fällen einer regelmäßigen Mitrealisierung eines Tatbestands ohne ähnliche Schutzrichtung (zum Beispiel im Falle der Sachbeschädigung der Kleidung im Zuge einer Tötung) sollte allenfalls über die Anwendung von § 154a StPO begegnet werden. In den vorgeschlagenen Fällen der Gesetzeskonkurrenz dürfte dann konsequenterweise keine strafschärfende Berücksichtigung des zurücktretenden Delikts in der Strafzumessung für das Hauptdelikt mehr erfolgen – eine eklatante Unstimmigkeit der gegenwärtigen Konzeption der unechten Konkurrenz.71 Ähnliche Grundsätze lassen sich auch auf die unechte Realkonkurrenz übertragen, die aus Klarstellungsgründen nur bei notwendiger Mitbegehung, allenfalls noch bei ähnlicher Schutzrichtung und einer fast immer erfolgenden Mit realisierung der niederstufigen Vor- oder Nachtat angenommen werden sollte, sofern nicht der Gesetzgeber ohnehin mit ausdrücklichen Subsidiaritätsklauseln eingreift (was etwa für § 30 StGB zu empfehlen wäre). Hier stellt sich der Zielkonflikt insoweit in entschärfter Form dar, als dasselbe Verhalten schon gar nicht doppelt verwertet wird. Im Taterfolg kann hier zwar eine genaue tatsächliche Identität bestehen – beispielsweise, wenn einer fahrlässigen Tötung eine auf denselben Tod bezogene vorsätzliche Tötung durch Unterlassen nachfolgt. Jedoch wäre dann nach der hier vertretenen Konzeption (5. Kap. § 1 B. IV.) wegen einer im Schuldspruch erfolgenden Doppelverwertung derselben Tatsache für die Erfüllung mehrerer Strafgesetze wiederum Idealkonkurrenz anzunehmen.72 Anderen Konstellationen eines engen Sachzusammenhangs zwischen zwei Taten ohne Verwendung identischer Tatsachen könnte innerhalb des hier vorgeschlagenen einheitlichen Kumulativstrafrahmens durch eine mildere Strafe Rechnung 70 Für einen Verzicht auf die typische Begleittat als eigenständige Kategorie, aber in der Sache anders als hier Klug, ZStW 68 (1956), 399, 414 f.; neuerdings auch Fandrich, Das Doppelverwertungsverbot im Rahmen von Strafzumessung und Konkurrenzen, 2010, S. 141 f. 71 Zu Recht krit. Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, S. 314 f.; MüKoHeintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, Vor §§ 52 ff. Rn. 62 ff.; NK-Puppe, StGB, Band 1, 2017, Vor § 52 Rn. 49–51. 72 Ähnlich (ausgehend von einem anderen Handlungsbegriff) Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, S. 324 ff.; dies., JuS 2016, 961, 965; NK-dies., StGB, Band 1, 2017, Vor § 52 Rn. 25.
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getragen werden, ohne dass ein Informationswert über die Gesetzesverletzungen verloren geht. Insoweit erscheint der im Common Law vorzufindende Ansatz, Vor- und Nachtaten einer Haupttat erst auf Strafzumessungsebene zu begegnen, nachahmenswert (5. Kap. § 1 C. III. 2.).
§ 3 Keine Doppelverurteilung bei der mehrfachen Realisierung desselben Strafgesetzes Zur Beantwortung der Frage, inwieweit bei der begrifflich mehrfachen Erfüllung der Voraussetzungen desselben Strafgesetzes dieses kumulativ in der Verurteilung anwendbar ist, werden zwei Sachkonstellationen unterschieden. Zunächst wird darauf eingegangen, dass das Strafgesetz durch einen identischen faktischen Vorgang begrifflich mehrmals erfüllt wird, also die Tathandlung nur einmal vorgenommen wird, jedoch andere Tatbestandsmerkmale mehrmals erfüllt werden. Dabei soll die Konstellation mehrerer Opfer einer Handlung im Vordergrund stehen (A.). Sodann wird die Konstellation untersucht, dass trotz einer mehrmals vollständigen Erfüllung der Voraussetzungen eines Strafgesetzes durch verschiedene Verhaltenstatsachen von der kumulativen Verurteilung abgesehen wird (B.).
A. Keine Doppelverurteilung bei identischen Verhaltenstatsachen Zunächst zu der Konstellation, dass identische Verhaltenstatsachen die Voraussetzungen desselben Tatbestands in Bezug auf verschiedene Tatobjekte begrifflich mehrmals erfüllen. Folgende, grafisch dargestellte Grundkonstellation soll hier also betrachtet werden: Mehrmalige Tatbestandserfüllung durch identische Verhaltenstatsachen Taterfolg 1 Täter
Tathandlung Taterfolg 2 Eine anwendbare Gesetzesverletzung?
Abbildung 16
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
In dieser Konstellation kommt es in allen vier untersuchten Rechtsordnungen mitunter, aber nicht stets, zu einer geringeren Anzahl an Verurteilungen als begrifflich erfüllten Tatbestandsrealisierungen. Mit anderen Worten wird nicht pauschal an die Anzahl der Tathandlungen oder -erfolge angeknüpft, sondern es findet sich in allen Rechtsordnungen in der Sache eine Differenzierung. Die Herangehensweise der Rechtsordnungen soll anhand der Konstellation verschiedener Opfer bei nur einer Tathandlung exemplifiziert (I.–IV.) und für eine das deutsche Recht betreffende Stellungnahme fruchtbar gemacht werden (V.). Hier wird sich zeigen, dass sich jedenfalls eine übergreifende Differenzierung danach finden lässt, ob Vermögens-/Eigentumsdelikte oder die Person als solche unmittelbar beeinträchtigende Delikte involviert sind. I. Das deutsche Recht Das deutsche Recht macht die Determination der Anzahl materieller Gesetzesverletzungen teilweise von der Zahl der Tathandlungen, teilweise von der Zahl der betroffenen Tatobjekte abhängig. Wenngleich nicht unumstritten, erfolgt die Differenzierung überwiegend danach, ob höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutträger verletzt sind, und ist unabhängig von der tatbestandlichen Formulierung (1. Kap. § 1 B. I.). Danach liegt in der angesprochenen Grundkonstellation nach deutschem Recht nur eine Gesetzesverletzung vor, wenn das in Rede stehende Strafgesetz entweder nicht-höchstpersönliche Rechtsgüter schützt oder – im Fall eines geschützten höchstpersönlichen Rechtsguts – derselbe Träger betroffen ist: Beispielsweise wird – trotz eines auf eine Sache abstellenden Tatbestands – nur eine Sachbeschädigung angenommen, wenn der Wurf einer Bombe mehrere Sachen zerstört oder beschädigt; unabhängig selbst davon, ob diese Sachen verschiedenen Eigentümern gehören. Entsprechend wird nur ein Diebstahl angenommen, wenn durch eine einzige Handlung mehrere fremde bewegliche Sachen – selbst verschiedener Eigentümer – weggenommen werden (1. Kap. § 1 B. I.). Bei durch den Tatbestand geschützten höchstpersönlichen Rechtsgütern verschiedener Träger hingegen bestimmt sich die Anzahl der Gesetzesverletzungen nach der Zahl der Rechtsgutträger. Werden in dem Beispiel des Bombenwurfs auch Menschen getötet oder verletzt, stehen mehrere Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte nach § 52 Abs. 1 2. Alt StGB in Tateinheit (1. Kap. § 1 B. I.). Keine Kumulation von Gesetzesverletzungen wird mithin angenommen, wenn der Tatbestand eigentlich verletzte höchstpersönliche Rechtsgüter nicht schützt. So kann etwa die durch einen Akt erfolgte Tötung mehrerer Menschen zu einer Gesetzesverletzung des Völkermords zusammengefasst werden, wenn die Opfer derselben Gruppe angehören und die Tötungen von einer einheitlichen Gruppen-
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zerstörungsabsicht getragen sind. Dies liegt darin begründet, dass der Völkermord nach Ansicht des BGH keine Individualrechtsgüter schützt, sondern nur die Existenz der Gruppe als solche (vgl. 1. Kap. § 1 A. II.).73 Ferner wird nur eine Gesetzesverletzung angenommen, wenn derselbe Akt das tatbestandlich geschützte Rechtsgut desselben Trägers mehrmals verletzt. Man stelle sich etwa einen Schuss mit einer Schrotflinte vor, der durch Streuung zu mehreren Wunden bei einem Menschen und damit zu nominell mehreren Körperverletzungserfolgen führt. II. Das US-Recht Für die USA lässt sich ebenfalls feststellen, dass nicht pauschal die Anzahl der Handlungen oder der Objekte die Zahl der Gesetzesverletzungen determiniert, sondern eine Differenzierung stattfindet. Allerdings konnte keine so griffige Abgrenzungsregel gefunden werden wie für das deutsche Recht, wo (auf Grundlage der überwiegenden Ansicht) die Verletzung tatbestandlich geschützter, höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Träger zu mehreren Gesetzesverletzungen führt. In der Sache wird das Dilemma im US-Recht jedoch ähnlich gelöst: So führt die single larceny doctrine dazu, dass der Diebstahl mehrerer Gegenstände auch im US-Recht nur einen Diebstahl darstellt, unabhängig selbst davon, ob die Sachen demselben oder verschiedenen Eigentümern gehören. Dabei wird argumentiert, dass der einzelne Eigentümer nicht tatbestandserheblich und die Anzahl der Gesetzesverletzungen sonst vom Zufall der Eigentumsverhältnisse abhängen würde. Die Übertragung der Doktrin auf andere Eigentumsdelikte zeigt, dass hier von einem allgemeinen Grundsatz für solche Delikte gesprochen werden kann (vgl. zum Ganzen 4. Kap. § 1 C. III. 3.). Anders stellt sich die Lage im Großen und Ganzen bei die Person als solche schützenden Delikten dar, wo bei mehreren Opfern in der Regel entsprechend viele Gesetzesverletzungen angenommen werden. Auch hier lässt sich exemplarisch der eine Vielzahl an Menschen tötende Bombenwurf anführen, der zu mehreren Gesetzesverletzungen aus Tötungsdelikten führt (4. Kap. § 1 C. III. 3.). Selbst bei derartigen Tatbeständen kommt es jedoch dann zu einer Ausnahme in Form einer einzigen Gesetzesverletzung, wenn der Tatbestand nicht den Schutz des Individuums bezweckt, sondern ein anderes Interesse schützt. Diese Frage führte in den Supreme Court-Entscheidungen Bell v. United States und Ladner v. United States zu unterschiedlichen Ansichten. So wurde von der Mehrheit in Ladner v. United States trotz eines Schusses auf zwei Bundesbeamte nur ein armed assault on a federal officer angenommen (4. Kap. § 1 C. III. 1.). Bemerkens73 Vgl. BGH NStZ 1999, 396, 401 f.; vgl. auch MüKo-Kreß, StGB, Band 8, 3. Aufl. 2018, § 6 VStGB Rn. 107 f.
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wert ist im US-Recht schließlich die Anwendung des Zweifelsatzes auf diese Rechtsfrage, die zur Anknüpfung an die Tathandlung als für den Angeklagten günstigere Variante führt (4. Kap. § 1 C. III. 1.). III. Das englische Recht Das englische Recht lässt in der Sache ähnliche Erwägungen erkennen, stellt sich jedoch als undurchsichtiger dar. Mit Sicherheit lässt sich feststellen, dass dort etwa der Diebstahl mehrerer Sachen durch eine einzige Handlung nicht durch separate Anklagepunkte verfolgt wird, sondern es nur zu einer Diebstahlsverurteilung kommt (2. Kap. § 1 B. II. 2.). Bei mehreren Opfern einer Diebstahlshandlung ist das Ergebnis allerdings nicht eindeutig, denn es finden sich widersprüchliche Angaben (2. Kap. § 1 B. II. 2.). Einigermaßen gesichert lässt sich jedoch eine Praxis feststellen, wonach es bei unmittelbar die Person beeinträchtigenden Delikten (z. B. Gewaltdelikte) normalerweise zu mehreren Anklagepunkten und mithin Verurteilungen kommt (2. Kap. § 1 B. II. 2.). Damit lässt sich bei funktionaler Betrachtung die auch im deutschen und USRecht gefundene Differenzierung feststellen. So determiniert jedenfalls bei mehreren, nicht in ihrer Individualität geschützten Tatobjekten (z. B. Eigentum) die singuläre Tathandlung im Ergebnis die Anzahl der Verurteilungen, während bei in ihrer Individualität geschützten Tatobjekten (z. B. Menschen) deren Anzahl maßgeblich ist. IV. Das kanadische Recht Im kanadischen Recht kann, ähnlich dem englischen Recht, bei einer single transaction in einem Anklagepunkt die mehrfache Verletzung desselben Gesetzes kumuliert werden. So wird sogar die Zusammenfassung mehrerer Tötungsdelikte infolge desselben Verkehrsunfalls in einen Anklagepunkt gestattet. Dies stellt jedoch keine materielle Verschmelzung zu einem Tötungsdelikt dar, sondern ist eine rein prozessuale Lösung, weil auch separate Anklagepunkte zulässig gewesen wären (3. Kap. § 1 D. I. 2.). Von diesem Sonderfall abgesehen zeigt auch die kanadische Rechtsprechung zur zulässigen Verurteilung aus mehreren Anklagepunkten durchaus eine Differenzierung im hiesigen Sinne. So gestattet sie generell die kumulative Verurteilung, wenn mehrere Opfer betroffen sind und der Tatbestand vor Beeinträchtigungen des Individuums als solches schützt, z. B. bei Gewaltdelikten oder der Bedrohung von mehreren Personen. In anderen Zusammenhängen führen mehrere Opfer indessen nicht zu kumulativ anwendbaren Gesetzesverletzungen. Dies ist der Fall, wenn es sich um ein Vermögensdelikt wie den Betrug handelt oder wenn ein Tatbestand nicht individualschützend ist (3. Kap. § 1 C. III.).
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V. Fazit und Stellungnahme Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass sich in den Rechtsordnungen die Anzahl der Verurteilungen tendenziell nach der singulär vorliegenden Tathandlung und nicht nach der Anzahl der Taterfolge richtet, wenn durch die Handlung ein nicht unmittelbar das Individuum als solches schützendes Delikt nominell mehrfach verwirklicht wird. Im Gegensatz dazu determiniert die Zahl der Tatopfer die der anwendbaren Gesetzesverletzungen, wenn der Tatbestand die Person als solche vor Beeinträchtigungen schützt.74 Für das deutsche Recht ergibt sich daraus ein rechtsvergleichendes Argument für die nach Rechtsgütern differenzierende Ansicht im Zusammenhang mit der Frage, ob die mehrmalige Tatbestandsrealisierung durch einen identischen Ausführungsakt zu mehreren Gesetzesverletzungen in gleichartiger Idealkonkurrenz oder zu einer einzigen (konkurrenzlosen) Gesetzesverletzung führen sollte (vgl. 1. Kap. § 1 B. I.). Eigentlich ist eine solche Differenzierung im deutschen Recht aber nicht notwendig, im Gegensatz zu den Common Law-Rechtsordnungen, denn wiederum bietet diese Rechtsordnung mit dem Konzept der (gleichartigen) Idealkonkurrenz eine elegante Lösung des Problems an, die das Common Law nicht aufweist (vgl. schon 5. Kap. § 1 C. IV.). So besteht das Dilemma unserer Konstellation gerade darin, dass bei einer Determination der Anzahl der Gesetzesverletzungen durch die Taterfolge die nur einmal vorgenommene Tathandlung mehrfach im Schuldspruch in Ansatz gebracht wird. Der Begriff der (gleichartigen) Idealkonkurrenz ermöglicht jedoch die Berücksichtigung aller separaten tatbestandlichen Erfolge durch Einstellung in den Tenor des Schuldspruchs bei gleichzeitiger Kennzeichnung einer nur einmal vorgenommenen Tathandlung. Wegen ihrer Anwendbarkeit auf jeden Tatbestand sowie der Fähigkeit zur genauen Kennzeichnung der Anzahl der im Einzelfall herbeigeführten Erfolge (z. B. drei, zehn oder 50 Morde/Diebstähle in Tateinheit), erscheint die Idealkonkurrenzlösung auch flexibler und praktikabler als der im englischen Recht kürzlich gemachte Vorschlag, für derartige Konstellationen aus Klarstellungsgründen (fair labelling) eigenständige Tatbestände (z. B. „multiple murder“) zu schaffen.75 Insofern ist es auch bei nicht-höchstpersönlichen Rechtsgütern vorzugswürdig, zum Beispiel die durch einen Akt erfolgte Wegnahme mehrerer Sachen als entsprechend viele Diebstähle in gleichartiger Tateinheit zu kennzeichnen. Dies würde dem Wortlaut des § 242 Abs. 1 StGB besser entsprechen („eine fremde bewegliche Sache“ [Hervorh. d. Verf.], anstatt allgemein „fremdes Eigentum“), 74 75
Ähnlich schon Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 73, 105. Vgl. Mitchell, M.L.R. 64 (2001), 393, 403 ff., 409 f.
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die konkrete Tat genauer beschreiben und Inkongruenzen beseitigen, die derzeit zwischen der Wegnahme mehrerer Sachen durch einen identischen Ausführungsakt einerseits und durch natürliche Handlungseinheit andererseits bestehen (1. Kap. § 1 B. I. bzw. II.). Dass das Ergreifen zweier 50 Euro-Scheine dann zwei Diebstähle in Tateinheit darstellte, während das Ergreifen eines 100 Euro-Scheins nur zu einem Diebstahl führen würde, überzeugt, weil es sich nun einmal um zwei Sachen handelt. Dem Umstand, dass wertmäßig in beiden Fällen der gleiche Betrag entwendet wurde, kann durch gleiche Rechtsfolgen Rechnung getragen werden. Auch die hier vorgeschlagene einheitliche Kumulativbestrafung würde die Gleichbehandlung dieser Situationen zulassen, denn § 242 StGB sieht keine Mindeststrafe vor; selbst bei einer Mindeststrafe (z. B. § 244 StGB) könnte im Extremfall ein minder schwerer Fall angenommen und so die Mindeststrafe verhängt werden. Auf Ebene des Schuldspruchs hingegen sollte die Anzahl der Taterfolge/-objekte gekennzeichnet werden, wenn die Idealkonkurrenz diese elegante Lösung geradezu ermöglicht – insbesondere bei Eigentumsdelikten, wo der Wert einer Sache für die Tatbestandserfüllung76 gerade keine Rolle spielen soll. Die Praktikabilität erfordert hier im Normalfall keine Abstriche: Das Gericht hat ohnehin tatsächliche Feststellungen zu treffen, die es erlauben, am Ende – notfalls unter Rückgriff auf den Zweifelssatz – die Anzahl der entwendeten Sachen zu bestimmen. Wenn etwa nur festgestellt werden kann, dass 104 Euro entwendet wurden, wären in dubio pro reo drei Diebstähle in Tateinheit (ein 100 Euro-Schein, zwei Zwei-Euro-Stücke) anzunehmen. Ferner gilt es zu bedenken, dass die Tateinheit, um beim Beispiel des § 242 StGB zu bleiben, durch eine normative Auslegung des Begriffs „eine Sache“ anhand der Verkehrsauffassung häufig ohnehin vermieden werden kann und schwierige Fälle im Einzelfall sach-
76
Dass in § 248a StGB in einer Singular-Plural-Kombination vom „Diebstahl [...] geringwertiger Sachen“ die Rede ist, zwingt nicht zu der Annahme, dass der Gesetzgeber selbst nur von einer Gesetzesverletzung ausgehen mag. Vielmehr erfordert die sprachliche Zusammenfassung mit der Unterschlagung den Plural, denn andernfalls würde suggeriert, man könne ein und dieselbe Sache zugleich stehlen und unterschlagen („Der Diebstahl und die Unterschlagung einer geringwertigen Sache“). Gerade im Rahmen des § 248a StGB vermag der hier gemachte Vorschlag darüber hinaus einen Widerspruch der h. M. aufzulösen, der daraus folgt, dass einerseits für das Überschreiten der Wertgrenze beim Diebstahl mehrerer Sachen auf die Summe der Einzelwerte abgestellt wird (vgl. statt vieler und m. w. N. S/S-Eser/Bosch, StGB, 2014, § 248a Rn. 11–14; Lackner/Kühl, StGB, 2018, § 248a Rn. 3), andererseits aber bei der Antragsberechtigung nach § 77 Abs. 1 StGB nach den Einzelsachen und -werten differenziert werden müsste, wenn etwa mehrere Sachen verschiedenen Eigentümern gehören (vgl. S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 2014, § 77 Rn. 11).
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gerecht gelöst werden können: So liegen einerseits etwa zwei Geldscheine in einer Geldbörse nur – ohne feste Verbindung untereinander – zusammen und werden später für gewöhnlich getrennt, sodass nach dem hier unterbreiteten Vorschlag Idealkonkurrenz anzunehmen wäre. Andererseits würde man bei einem Aktenordner nebst Blättern von „einem Ordner“ oder bei einer Brille – anstatt eines gedanklichen Auseinanderbaus in Gestell, Gläser und Schrauben – von „einer Brille“ auszugehen haben. Schließlich könnte in außerordentlich schwierigen Fällen ein „mehrfacher Diebstahl“ tenoriert werden. Gewisse, zugegebenermaßen herausfordernde Fälle machen aber die Grundannahme nicht unrichtig, dass die Wegnahme zweier Sachen in Zueignungsabsicht zwei Diebstähle, die Herstellung zweier unechter Urkunden in Täuschungsabsicht zwei Urkundenfälschungen und die Schädigung zweier Vermögen unter den Voraussetzungen des § 263 StGB zwei Betrüge darstellt; – selbst wenn dies jeweils durch einen Ausführungsakt erfolgen mag. Bei höchstpersönlichen und anderen Rechtsgütern, die auf das Individuum beschränkt77 sind, sind dann erst recht stets mehrere Gesetzesverletzungen in Tat einheit anzunehmen, wenn verschiedene Individuen betroffen sind. Auch bei der mehrfachen Realisierung eines solchen Tatbestands gegenüber demselben Opfer wäre nach dem hier vertretenen Vorschlag grundsätzlich Idealkonkurrenz anzunehmen. So könnte der schon angesprochene Vergewaltigungsfall des BGH (1. Kap. § 1 A. III.) durch gleichartige Idealkonkurrenz zufriedenstellender gelöst werden als durch die Annahme einer einzigen Vergewaltigung: Durch die Idealkonkurrenz würde nämlich sowohl die Anzahl der ausgeübten Geschlechtsverkehre als auch die Tatsache klargestellt, dass in faktischer Hinsicht auf dieselbe fortwirkende Gewaltanwendung abgestellt wird. Nur bei die Mehrfacherfüllung implizierenden Tatbeständen sollte ausnahmsweise die Zusammenfassung zu einer einzigen Gesetzesverletzung erfolgen: So würde der oben genannte, zu mehreren Wunden führende Schuss mit der Schrotflinte auf ein Opfer trotz mehrerer nomineller Taterfolge nur zu einer (gefährlichen) Körperverletzung führen, weil der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB schon pauschal und somit die Mehrfacherfüllung implizierend formuliert ist („misshandelt“ anstatt „eine Wunde zufügt“).
Löwenstein, Die Verbrechenskonkurrenz nach dem Reichsstrafgesetzbuch, Diss. Tübingen 1883, S. 22 nennt hier noch Delikte gegen den Staat, bei denen das Rechtsgut auf den individuellen Staat beschränkt sei; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 109. 77
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B. Keine Doppelverurteilung bei verschiedenen Verhaltenstatsachen In der zweiten Konstellation erfüllen verschiedene Verhaltenstatsachen die Voraussetzungen desselben Strafgesetzes mehrmals vollständig. Auch hier zeigt sich, dass es in allen Rechtsordnungen mitunter zu einer geringeren Anzahl an Verurteilungen als an nominellen Tatbestandserfüllungen kommt. Die Lösungen gehen jedoch unterschiedlich weit. Wiederum lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden: Zum einen die tatbestandlich geforderte durchgehende Tatbestandsverwirklichung, welche rechtsordnungsübergreifend zu nur einer einzigen anwendbaren Gesetzesverletzung führt (I.). Zum anderen die deutlich schwerer handhabbare, mehrfache punktuelle Tatbestandsverwirklichung, die im Ergebnis ebenfalls nicht stets zu einer kumulativen Verurteilung führt (II.). I. Die tatbestandlich geforderte durchgehende Erfüllung seiner Voraussetzungen In allen Rechtsordnungen lassen sich Tatbestände finden, in denen ein Tatbestandselement (und damit der gesamte Tatbestand) seiner Natur nach notwendig durchgehend realisiert werden muss. Alle Rechtsordnungen nehmen in diesem Fall nur eine Gesetzesverletzung an, wenn die unterliegenden Tatsachen als eine zusammengehörende Einheit erscheinen, womit das Fehlen einer Unterbrechung des faktischen Vorgangs gemeint ist. Grafisch lässt sich dies folgenermaßen darstellen:
Eine Gesetzesverletzung bei durchgehender Tatbestandserfüllung Eine Gesetzesverletzung Tatbestandserfüllung
Abbildung 17
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Im deutschen Recht sind hier die Dauerdelikte gemeint, bei denen der Tatbestand notwendig die Aufrechterhaltung/Fortführung eines rechtswidrigen Zustands bzw. einer Tätigkeit für eine gewisse Zeit verlangt (1. Kap. § 1 A. I.). In den Common Law-Rechtordnungen finden sich ebenfalls solche Tatbestände und sie betreffende Rechtsprechung mit dem Ergebnis, dass bei einer grundsätzlich ununterbrochenen Tatbestandserfüllung nur eine Gesetzesverletzung angenommen wird.78 Mitunter wird hierfür der Begriff der continuing offence verwendet, jedoch wird dieser Terminus nicht einheitlich und auch für andere Sachlagen gebraucht (vgl. schon 2. Kap. § 1 B. II. 3. b sowie sogleich noch). Ein in diese Fallgruppe fallendes Beispiel stellt für das englische Recht die Gestattung der Benutzung des eigenen Anwesens als Bordell dar (2. Kap. § 1 B. II. 3.). Weitere in den Common Law-Rechtordnungen gefundene Beispiele stellen etwa Besitzdelikte (3. Kap. § 1 C. IV., 4. Kap. § 1 C. I.), das „Zusammenleben“ mit mehr als einer Frau,79 die Gebrauchsanmaßung, die Freiheitsberaubung, die Entführung (str.) oder die Verschwörung (3. Kap. § 1 C. IV. und 4. Kap. § 1 C. I.) dar.80 II. Die Zusammenfassung von punktuellen Tatbestandserfüllungen In der zweiten Konstellation erfolgen die nominellen Tatbestandserfüllungen nicht durchgehend, sondern punktuell in Intervallen:
Die Zusammenfassung punktueller Die Zusammenfassung punktueller Tatbestandserfüllungen Tatbestandserfüllungen Eine anwendbare Gesetzesverletzung? Eine anwendbare Gesetzesverletzung? Tatbestandserfüllung Tatbestandserfüllung Tatbestandserfüllung Tatbestandserfüllung Tatbestandserfüllung Tatbestandserfüllung
Abbildung 18
78 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 149; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 47. 79 So auch Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 47. 80 Für weitere Beispiele vgl. Kirchheimer, Yale L. J. 58 (1949), 513, 540.
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Auch hier kommt es im Ergebnis rechtordnungsübergreifend zu einer Zusammenfassung der Tatbestandsverwirklichungen, jedoch unterscheiden sich die Konzepte, Kriterien und Lösungswege stärker. Als Gemeinsamkeit lässt sich abstrahieren, dass alle Rechtsordnungen bei funktionaler Betrachtung über Kon stellationen einer schon tatbestandlich angelegten Mehrfachrealisierung des Tatbestands hinausgehen (1.) und in einer eng sachzusammenhängenden, tatsächlichen Art und Weise der mehrfachen Tatbestandsrealisierung einen Grund der Zusammenfassung sehen (2). Eine kurze Stellungnahme zum deutschen Recht wird diese Ausführungen abschließen (3.). 1. Die Mehrfachrealisierung abstrakt-tatbestandlich implizierende Tatbestände Geringe Schwierigkeiten bereitet die Fallgruppe, dass der Tatbestand seiner Formulierung nach die nominell mehrfache Realisierung zwar nicht unbedingt erfordert, jedoch diese durch mindestens eines seiner Elemente impliziert. So zeigt sich in beiden Rechtskreisen, dass vor allem eine einen hohen Abstraktionsgrad aufweisende Tathandlungsumschreibung zu einer einzigen Gesetzesverletzung führt, obwohl mehrere Einzelhandlungen eines zusammengehörenden81 tatsächlichen Geschehens den Tatbestand für sich betrachtet jeweils schon erfüllen. Aus dem deutschen Recht sind hier vor allem Fälle der tatbestandlichen Handlungseinheit/Bewertungseinheit zu nennen, wie das „Handeltreiben“ (1. Kap. § 1 A. III.) oder das „Ausüben einer geheimdienstlichen Tätigkeit“ (1. Kap. § 1 A. II.). Ferner kann man hier bestimmte Konstellationen der iterativen Tatbestandsverwirklichung nennen, wie eine „körperliche Misshandlung“ in natürlicher Handlungseinheit (sofern man hier nicht ohnehin schon eine tatbestandliche Handlungseinheit annimmt) (1. Kap. § 1 A. IV. 1.). Über eine die wiederholte Verwirklichung andeutende Tathandlung hinaus greift das deutsche Recht auf weitere tatbestandliche Elemente zurück, um auf dieser Grundlage mehrfache Realisierungen zusammenzuziehen; beispielsweise – wie beim Völkermordtatbestand – auf überschießende subjektive Elemente (1. Kap. § 1 A. II.). Bei Sammelstraftaten – wie einer (mehrfachen) gewerbsmäßigen Tatbestandsrealisierung – wird subjektiven überschießenden Merkmalen jedoch keine solche Wirkung zugeschrieben.82 81 Zur Problematik der Begrenzung der zeitlichen Reichweite der tatbestandlichen Handlungseinheit aufgrund pauschaler Handlungsumschreibung vgl. Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 48 ff. Im Feststehen des in dieser Hinsicht begrenzenden Kriteriums identifiziert er eine Besonderheit der Figur der Bewertungseinheit gegenüber sonstigen Fällen der tatbestandlichen Handlungseinheit (S. 62). 82 Zur Rechtsprechungsentwicklung bei Sammelstraftaten vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 33 Rn. 275 ff.
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Im Common Law finden sich ebenfalls Überlegungen, punktuelle Tatbestandsrealisierungen zu einer Gesetzesverletzung zusammenzuziehen, wenn eine Auslegung ergibt, dass der Tatbestand – in der Sprache des deutschen BGH – auf einen Handlungskomplex abzielt. Dies zeigt sich etwa in Crepps v. Durden (2. Kap. § 1 B. II. 3. b), wo die Zusammenfassung aller an einem Sonntag vorgenommenen Tätigkeiten eines Bäckers ausdrücklich unabhängig davon erfolgte, ob er durchgehend oder in Intervallen arbeitete. So war es vor allem das Tatbestandsmerkmal des „Sonntags“, das alle Handlungen an diesem Tag zu einer Gesetzesverletzung zusammenzog: „It is but one entire offence, whether longer or shorter in point of duration; so, whether it consist of one, or of a number of particular acts. […] There is no idea conveyed by the Act itself, that, if a taylor sews on the Lord’s Day, every stitch he takes is a separate offence; or, if a shoe-maker or carpenter work for different customers at different times on the same Sunday, that those are so many separate and distinct offences. There can be but one entire offence on one and the same day […]. […] The question does not turn upon niceties; upon a computation how many hours distant the several bakings happened; […] the offence itself can he committed only once in the same day.“ 83 [Hervorh. d. Verf.]
Wegen der nicht notwendig ununterbrochenen Tatbestandsrealisierung würde es sich in deutscher Terminologie um eine durch den Sonntag vermittelte tatbestandliche Handlungseinheit (1. Kap. § 1 A. II.) oder eine Bewertungseinheit (1. Kap. § 1 A. III.) handeln.84 Obgleich die US-amerikanische Entscheidung In Re Snow maßgeblich Crepps v. Durden zitiert (4. Kap. § 1 C. I.), dürfte das Delikt des „Zusammenlebens mit mehr als einer Frau“ nach deutscher Konzeption eher einem Dauerdelikt entsprechen.85 Dies ergibt sich daraus, dass hier gerade eine Unterbrechung des Zusammenlebens zwei Gesetzesverletzungen herbeigeführt hätte.86 Damit zeigt sich, dass im Common Law nicht immer zwischen beiden Phänomenen differenziert wird.87 Crepps v. Durden 2 Cowp. 640, 646 (K.B. 1777). Die Entscheidung ist im Hinblick auf den genauen Sachverhalt nicht sehr ergiebig. Immerhin deuten die Ausführungen des Vertreters von Durden darauf hin, dass die Arbeit in der Tat unterbrochen wurde: „As to this being but one continued offence, it might be, that it was carried on at four different places; for there is evidence of four different acts [...]. (644)“. 84 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 167 (Fn. 99) („eine Art Sammeldelikt“); a. A. (Dauerdelikt) Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 47. 85 So auch Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 47. 86 Dies ergibt sich wiederum aus der In Re Snow bestätigenden Entscheidung Ex Parte Nielsen, 131 U.S. 176, 185 (1889), in der die Zulässigkeit einer zweiten Anklage des „Zusammenlebens“ davon abhängig gemacht wird, ob es über die von der ersten Anklage erfasste Periode hinaus bis zur Periode der zweiten Anklage andauerte. 87 Vgl. jedoch Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 75 f., der nicht zu Unrecht darauf hinweist, dass die Abgrenzung zwischen Dauerdelikt und tatbestandlicher 83
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Dennoch wird die Zusammenfassung trotz an sich unterbrochenen tatbe standserfüllenden Verhaltens auch in den USA auf der Grundlage als denkbar erachtet, dass eine allgemein umschriebene Tathandlung dies nahelegt. So deutete der Oberste Gerichtshof der USA in Blockburger v. United States immerhin an, dass – ähnlich der deutschen BtMG-Rechtsprechung – die allgemeine Tathandlungsumschreibung eines hypothetischen Tatbestands des Drogenverkaufshandels (engaging in the business of selling) möglicherweise die Kraft hätte, mehrere Verkäufe an denselben Käufer zu einer Gesetzesverletzung zu verschmelzen (4. Kap. § 1 C. II.). Ähnliches hatte er zuvor schon für einen hypothetischen Tatbestand der allgemeinen „Nutzung“ der Post für betrügerische Zwecke (general use of the post-office for the purposes of carrying out a fraudulent scheme or device) angedeutet, der mehrere Versendungs- oder Empfangshandlungen zusammenziehen könnte (4. Kap. § 1 C. II.). Wie eng der tatsächliche Zusammenhang der Einzelhandlungen dann sein müsste, steht jedoch auf einem anderen Blatt geschrieben. So dürfte die single impulse-Rechtsprechung (4. Kap. § 1 C. II.) erfordern, dass die Tatbestandserfüllungen auf demselben Entschluss beruhen und ohne größere Intervalle erfolgen müssen. Ein Beispiel ist der Fall United States v. Universal C.I.T., in welchem mehrere nominelle Verstöße gegen Mindestlohn-, Arbeitszeit- und Buchführungspflichten infolge eines einheitlichen Entschlusses zu drei Gesetzesverletzungen zusammengefasst und eine Differenzierung nach Wochen und betroffenen Arbeitnehmern abgelehnt wurde (4. Kap. § 1 C. II.). Hier kann man sogar sagen, dass es sich um Tatbestände handelt, die aufgrund des ein Dauerelement beinhaltenden arbeitsrechtlichen Kontexts typischerweise mehrfach verwirklicht werden.88 Allerdings ist diese Rechtsprechung nicht unbedingt auf Tatbestände beschränkt, die gerade auf ganze Handlungskomplexe abzielen (s. sogleich). 2. In einem engen Sachzusammenhang stehende Tatbestandsrealisierungen Dies leitet über zu Tatbeständen, die weder notwendig eine nominell mehrfache Realisierung verlangen noch ein die Mehrfachrealisierung implizierendes Merkmal enthalten. In dieser Fallgruppe ergibt sich eine Zusammenfassung vielmehr aus einem engen Sachzusammenhang zwischen den Tatbestandsrealisierungen. Es zeigt sich allerdings, dass dieser Weg in allen Rechtsordnungen gegangen wird, wobei sich materielle und prozessuale sowie eher subjektiv und eher objektiv determinierte Zusammenfassungen unterscheiden lassen. Ferner ergibt sich, Handlungseinheit aufgrund pauschaler Handlungsumschreibung auch im deutschen Recht bisweilen schwierig ist. 88 Vgl. Thomas, U. Pitt. L. Rev. 47 (1985), 1, 20, 21 f.
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dass die Common Law-Rechtsordnungen in diesem Bereich deutlich über das deutsche Recht hinausgehen. a) Das deutsche Recht Die deutsche Rechtsprechung verzichtet nach Aufgabe der Fortsetzungstat vor allem dort auf das Kriterium einer tatbestandlich angelegten Mehrfachrealisierung, wo sie über die natürliche Handlungseinheit einheitliche Gesetzesverletzungen bei Tatbeständen annimmt, welche nicht durch eine pauschale Tathandlung umschrieben sind.89 So kann trotz mehrerer Wegnahmehandlungen in Bezug auf mehrere Sachen nur ein Diebstahl angenommen werden, obgleich der Wortlaut des § 242 StGB dem eher entgegensteht („eine fremde bewegliche Sache [...] wegnimmt“) (1. Kap. § 1 B. II.). Mithin vermag nach deutschem Recht ein enger örtlich-zeitlicher Zusammenhang zusammen mit einem einheitlichen Willen mehrere begriffliche Verwirklichungen desselben Tatbestands zu einer Gesetzesverletzung zusammenzuziehen (1. Kap. § 1 A. IV.). Sofern keine höchstpersönlichen Rechtsgüter verschiedener Personen verletzt werden, können auch unterschiedliche Opfer betroffen sein (1. Kap. § 1 B. II.). Darüber hinaus führt ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Tatbestandserfüllungen bei einer sukzessiven, auf einen im Tatbestand angelegten Taterfolg ausgerichteten Tatbegehung zur einer Gesetzesverletzung (1. Kap. § 1 A. III. bzw. IV 2.). Schließlich vermag – jedenfalls nach dem 3. Strafsenat des BGH – die Figur der Bewertungseinheit auch ohne einen die Mehrfachverletzung implizierenden tatbestandlichen Anknüpfungspunkt eine Gesetzesverletzung herbeizuführen, wenn die Tatbestandserfüllungen rein tatsächlich auf eine auf Dauer angelegte Funktion zurückzuführen sind und sich in wiederholten Einzelakten als Folge dieser Funktion äußern (1. Kap. § 1 A. III.). Im Gegensatz zur früheren Fortsetzungstat und der natürlichen Handlungseinheit führt hier eine rein objektive – durch das Element der Wiederholung und einen gemeinsamen, ununterbrochen vorhandenen tatsächlichen Bezugspunkt gekennzeichnete – Betrachtung die Zusammenfassung herbei.90 Überdies muss kein enger örtlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen den Tatbestandserfüllungen bestehen.91 Als verallgemeinerungsfähig erscheint Letzteres bislang allerdings nicht. Daher wird man für das deutsche Recht festhalten können, dass es nur (noch) sehr Krit. Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 41. Vgl. Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 63 ff.; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 39. 91 Keller, Zur tatbestandlichen Handlungseinheit, 2004, S. 65; MüKo-Heintschel-Heinegg, StGB, Band 2, 2016, § 52 Rn. 39. 89 90
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
vereinzelt Zusammenfassungen zu einer anwendbaren Gesetzesverletzung über die Fälle hinaus zulässt, in denen der abstrakte Tatbestand seine mehrfache Realisierung impliziert. b) Das US-Recht In den USA findet sich eine der natürlichen Handlungseinheit ähnliche Rechtsprechung, indem ein subjektives Element (single intent/single impulse) mehrere begriffliche und vollständige Erfüllungen desselben Tatbestands zu einer einzigen materiellen Gesetzesverletzung zusammenfassen kann – trotz eines ggf. singulär formulierten Gesetzeswortlauts (z. B. any letter, any entry). So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass der Diebstahl mehrerer Sachen – selbst durch verschiedene Tathandlungen und verschiedene Eigentümer betreffend – zu nur einem Diebstahl führt, wenn die Akte auf einem einheitlichen Entschluss beruhen (single intent) und in einem örtlich-zeitlichen Zusammenhang erfolgen (single larceny doctrine) (4. Kap. § 1 C. III. 3.). Eine solche Rechtsprechung findet auch auf andere Delikte Anwendung (4. Kap. § 1 C. II. und III. 3.), jedoch nicht bei mehreren Opfern der Verletzung eines das Individuum als solches schützenden Delikts (vgl. 4. Kap. § 1 C. III. 3.). Hier zeigt sich also eine weitere Ähnlichkeit zur natürlichen Handlungseinheit insoweit, als jene bei höchstpersönlichen Rechtsgütern verschiedener Rechtsgutträger nicht zu einer Gesetzesverletzung führt (1. Kap. § 1 B. II.). Die Reichweite dieser Rechtsprechung ist jedoch nicht genau ersichtlich. So wurde die ältere Supreme Court-Rechtsprechung, die die Zahl der Gesetzesverletzungen unabhängig von einer zeitlich-örtlichen oder subjektiven Komponente streng an der Zahl der vollständigen Tatbestandserfüllungen abhängig machte, nie verworfen (Ebeling v. Morgan). Stattdessen scheint diese formale Betrachtungsweise mitunter nach wie vor Anklang zu finden (4. Kap. § 1 C. II.). Über diese Fälle einer Verbindung zu einer einzigen Gesetzesverletzung hinaus kommt es in den USA auch dann zu einer Zusammenfassung mehrerer nomineller Verwirklichungen desselben Tatbestands, wenn unter dem Stichwort ‚charged conduct‘ approach selbst nicht notwendig durchgehend zu erfüllende oder die Mehrfachrealisierung implizierende Tatbestände als continuing offenses in einem Anklagepunkt angeklagt werden können. Die Rechtsprechung zeigt, dass es sich vornehmlich um Delikte der Wirtschaftskriminalität handelt (4. Kap. § 1 C. I.). Allerdings wird dies in der Richterschaft sowie der Literatur kritisch beäugt (4. Kap. § 1 C. I. und D. II. 1. a). Ferner zeigt diese Rechtsprechung eindrücklich, in welch unterschiedlichen Zusammenhängen der Begriff der continuing offense gebraucht wird und mitunter über den des deutschen Dauerdelikts hinausgeht. Stattdessen entspricht er hier mehr dem Begriff der Fortsetzungstat,
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indem die Zusammenfassung der einzelnen Ausführungsakte nur unter bestimmten Voraussetzungen der konkreten92 kontinuierlichen Begehung möglich ist.93 Besonders fällt die Ähnlichkeit mit dem für die frühere Fortsetzungstat geforderten Gesamtvorsatz auf, wenn schon bei der ersten Einzelhandlung die Absicht eines Plans, eines Vorhabens oder der Schaffung eines Mechanismus zur wiederholten Begehung vorliegen muss (4. Kap. § 1 C. I.). c) Das englische und kanadische Recht Im Unterschied zum deutschen und dem US-amerikanischen Recht scheint es im englischen und im kanadischen Recht über tatbestandlich vermittelte einheitliche Gesetzesverletzungen hinaus bei bloßen Sachzusammenhängen nicht zu einer materiellen Zusammenfassung mehrerer Tatbestandserfüllungen zu kommen. Funktional werden durch eine „prozessuale“ Zusammenfassung zu einem Anklagepunkt jedoch ähnliche Ergebnisse erzielt. Ermöglicht wird dies durch die single activity-, course of conduct- bzw. single transaction-Regel, welche ohne duplicity-Schwierigkeiten die anklagepunktinterne Kumulation ermöglicht. Der Unterschied selbst zwischen den Common Law-Jurisdiktionen lässt sich am Beispiel des Diebstahls mehrerer Gegenstände bei ein und derselben Gelegenheit veranschaulichen: Während in den USA nach der single larceny doctrine von einem einzigen Diebstahl ausgegangen wird,94 geht man in England95 und Kanada96 überwiegend von materiell verschiedenen Diebstählen aus, die lediglich prozessual zu einem Anklagepunkt zusammengefasst werden. In England ist die prozessuale Kumulationsmöglichkeit in einem Anklagepunkt inzwischen nach CrimPR, r. 10.2(2) ausdrücklich kodifiziert worden (2. Kap. § 1 B. II. 3.). Aus der entsprechenden Praxisanweisung geht hervor, dass die Kriterien der Identität des Opfers, die Wiederholung in Ausführungsweise und/oder Lokalität, die Begehung in einer begrenzten Zeitspanne sowie unterschiedslose Verteidigungsgründe eine entscheidende Rolle spielen. Mithin sind eher objektive Kriterien bestimmend im Gegensatz zu der single intent- sowie der continuing offense-Rechtsprechung der USA bzw. der natürlichen Handlungseinheit oder der fortgesetzten Tat im deutschen Recht. Allerdings sind dies 92 Aus diesem Grund krit. Michael C.J., dissenting, in United States v. Smith, 373 F.3d 561, 569 (4th Cir. 2004). 93 Vgl. dazu schon Kirchheimer, Yale L. J. 58 (1949), 513, 540, der die unter den Begriff gefassten Delikte danach differenziert, ob sie immer oder nur unter bestimmten Umständen continuing offenses sind. Zugleich sieht er die Parallele zu Dauerdelikt und Fortsetzungstat. 94 Vgl. People v. Marquez, 78 Cal.App.4th 1302, 1308–1309 (Cal.App.3.Dist. 2000). 95 Vgl. die Nachweise unter 2. Kap. § 1 B. II. 2. 96 Vgl. R. v. Zamal, [1964] 1 C.C.C. 12 [3] (Ont. C.A.); vgl. auch R. v. Hulan, [1970] 1 C.C.C. 36 [27] (Ont. C.A.).
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
im englischen Recht keine abschließend feststehenden Voraussetzungen, sondern ausdrücklich nur Kriterien. Der Text von CrimPR, r. 10.2(2) zeigt etwa, dass auch der subjektive Zweck (purpose) eine Rolle spielt (2. Kap. § 1 B. II. 3.). Durch die single activity- bzw. course of conduct-Kumulation werden Fälle erfasst, die im deutschen Recht über die Figuren der natürlichen Handlungseinheit, der tatbestandlichen Handlungseinheit sowie der Bewertungseinheit gelöst würden.97 Funktional nimmt diese Möglichkeit der einfacheren Strafverfolgbarkeit und Strafbildung ferner den Platz der früheren Fortsetzungstat ein.98 Durch die nur prozessuale Zusammenfassung in Verbindung mit der flexiblen Connelly-Rechtsprechung vermeidet sie sogar gewisse Probleme der deutschen Fortsetzungstat: So dürfte eine Verurteilung wegen eines Einzelakts eine weitere Verfolgung nicht ausschließen, wenn erst später weitere Einzelakte entdeckt werden, aus denen sich die Serie ergibt. Im deutschen Recht war bei dieser Sachlage die Strafklage für alle Teile der Serie verbraucht (1. Kap. § 1 A. V. 2.). Waren die weiteren Einzelakte als Teil der Serie hingegen bekannt, wird das Connelly-Prinzip einer erneuten Strafverfolgung auch im englischen Recht entgegenstehen (2. Kap. § 2 A. III. 1. b (1)). Im kanadischen Recht werden ähnliche Ergebnisse erzielt, indem mehrere Gesetzesverletzungen als single transaction bzw. continuous offences ohne dupli city-Schwierigkeiten in einem Anklagepunkt kumuliert werden können. Wenngleich hier die Kriterien nicht wie in England genauer umrissen sind, ergibt das Fallrecht immerhin, dass die Art und Weise der Ausführung, die zeitlichen Abstände sowie der Umfang der gesamten Zeitspanne eine wichtige Rolle spielen. Mithin sind es auch hier vorwiegend objektive Umstände, welche die Zusammenfassung mehrerer Tatbestandsverwirklichungen ermöglichen. Teilweise wird jedoch auch in Kanada auf eine durchgehend bestehende Absicht rekurriert (3. Kap. § 1 D. I. 2.). d) Fazit Im Ergebnis zeigt sich, dass alle Rechtsordnungen ohne einen die Mehrfachrealisierung nahelegenden tatbestandlichen Anknüpfungspunkt – teilweise sogar gegen den Wortlaut des Tatbestands – mehrere vollständige Realisierungen desselben Tatbestands durch verschiedene Tatsachen zu einer Einheit zusammenfassen. Während sich im deutschen Recht und im US-Recht tendenziell eher materielle Lösungen finden, erfolgt die Zusammenfassung in England und Kanada prozessual. 97 98
Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 59. Vgl. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 59.
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Bemerkenswert ist, dass die Common Law-Rechtsordnungen in dieser Hinsicht deutlich über das deutsche Recht hinausgehen, wo die Art und Weise der tatsächlichen Mehrfachrealisierung eines Tatbestands eigentlich nur noch unter den engen Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit, teilweise auch der Bewertungseinheit, zu einer Zusammenfassung führt. Hier zeigt sich eine interessante gegenläufige Entwicklung: Während das deutsche Recht sie faktisch abgeschafft hat, sind im Common Law Lösungen im Sinne einer Fortsetzungstat stark im Vordringen. Die kritischen Stimmen aus Richterschaft und Literatur in den USA zeigen jedoch, dass sich dort eine ähnliche Diskussion wie im deutschen Recht darüber findet, inwieweit die tatsächliche Begehungsweise alleine eine Zusammenfassung mehrerer Tatbestandsverwirklichungen zu einer Einheit herbeiführen kann. Schließlich zeigt sich eine zweifelhafte Übereinstimmung zwischen den Rechtskreisen darin, dass hier wie dort erhebliche terminologische Uneinheitlichkeit vorherrscht. Im Common Law bestehen große Unsicherheiten in Bezug auf Inhalt, Reichweite und Abgrenzung der Begriffe continuing offence und continuous offence. Für das deutsche Recht trifft das gleiche vor allem auf die Begriffe der tatbestandlichen Handlungseinheit sowie der Bewertungseinheit zu. 3. Stellungnahme Vor dem Hintergrund des hier vertretenen Vorschlags eines einheitlichen Kumulativstrafrahmens für Ideal- und Realkonkurrenz bzw. der hier der Idealkonkurrenz lediglich zugeschriebenen Kennzeichnungsfunktion (5. Kap. § 1 B. IV.), wäre für das deutsche Recht folgender Weg empfehlenswert: Zunächst sollte bei der Beeinträchtigung höchstpersönlicher – oder sonst auf das Individuum beschränkter – Rechtsgüter unterschiedlicher Träger durch verschiedene Handlungen Realkonkurrenz angenommen und innerhalb des Kumulativstrafrahmens bestraft werden. Die Einheitlichkeit der Situation – was Zeit, Ort und Sachzusammenhang angeht – würde jedoch beim Ausmaß der Straferhöhung Berücksichtigung zu finden haben. Die zweifelhafte Ausnahmerechtsprechung des BGH, wonach eine natürliche Handlungseinheit bei einem „außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhang“ zu Idealkonkurrenz führt (1. Kap. § 1 B. II.), könnte aufgrund der hier vertretenen Funktion der Idealkonkurrenz aufgegeben werden, weil bei einer natürlichen Handlungseinheit mit mehreren Taterfolgen keine Doppelverwertung derselben tatbestandserfüllenden Tatsache stattfindet. Bei der Beeinträchtigung nicht auf das Individuum beschränkter Rechtsgüter oder der Beeinträchtigung desselben Rechtsgutträgers würden nur zwei nachein-
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5. Kapitel: Rechtsvergleichende Analyse
ander anzustellende Überlegungen zu einer Zusammenfassung zu einer Gesetzesverletzung führen: Zunächst führt jede vollständige Tatbestandserfüllung durch verschiedene Verhaltenstatsachen grundsätzlich zu entsprechend vielen Taten in Tatmehrheit. Aufgabe des Gerichts wäre es dann, zu bestimmen, wie oft der Täter beispielsweise Sachen von der Ladefläche des Lastkraftwagens weggenommen hat, unabhängig davon, ob diese Akte in einem engen Zusammenhang (bislang Fälle der natürlichen Handlungseinheit) oder in einem loseren zeitlichen Zusammenhang (früher Fälle der Fortsetzungstat) erfolgten. Im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die Taten durch eine die Mehrfachverletzung implizierende Tatbestandsumschreibung zu einer übergreifend einzigen Gesetzesverletzung zusammengefasst werden können. Hierfür wäre dann einheitlich der Begriff der tatbestandlichen Handlungseinheit zu verwenden, dessen Reichweite sich in Abhängigkeit von dem konkreten Tatbestand determiniert. In diesem Sinne würden etwa mehrere Schläge bei einer Gelegenheit nur eine Gesetzesverletzung des § 223 Abs. 1 StGB ergeben, weil man diese in ihrer Gesamtheit als eine „Misshandlung“ ansehen kann.99 Eine in tatsächlicher Hinsicht umfassendere Zusammenfassung ist etwa bei einem ein Dauerelement beinhaltenden Tatbestand wie dem des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB denkbar. Bei Tatbeständen ohne eine die Mehrfachverletzung implizierende Tatbestandsumschreibung würde es hingegen bei der Anzahl der in Realkonkurrenz stehenden Taten (und – je nach dem, ob sich unter diesen Taten welche mit idealiter konkurrierenden Delikten befinden – Gesetzesverletzungen) bleiben, wie sie sich aus den vollständigen Tatbestandserfüllungen durch verschiedene Verhaltenstatsachen ergibt. Stehen nach diesen beiden gedanklichen Schritten realkonkurrierende Gesetzesverletzungen in einem engen zeitlich-örtlichen, einem sachlichen oder einfach keinem Zusammenhang, kann dies innerhalb des einheitlichen Kumulativstrafrahmens Berücksichtigung finden. Diese Lösung würde etwa die Inkonsequenz des gegenwärtigen Rechts vermeiden, beim Diebstahl bestimmte Konstellationen der natürlichen Handlungseinheit als eine Diebstahlsgesetzesverletzung aufzufassen, andere hingegen als mehrere (1. Kap. § 1 B. II.). Darüber hinaus wäre eine über die tatbestandliche Handlungseinheit hinausgehende, eigenständige Figur der Bewertungseinheit für nur in einem Sachzusammenhang stehende Tatbestandsrealisierungen (1. Kap. § 1 A. III.) entbehrlich.
99 Warda, JuS 1964, 81, 84; Werle, Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung, 1981, S. 30; Mitsch, JuS 1993, 385, 389.
6. Kapitel
Der Einfluss des Blockburger-Tests auf die völkerstrafrechtliche Judikatur Die aus dem Rechtsvergleich gewonnenen Erkenntnisse sollen nun für das noch relativ junge Völkerstrafrecht, welches gerade in den Fragen der Konkurrenz als noch unterentwickelt erachtet wird,1 fruchtbar gemacht werden. Zwar lässt die geringe Zahl der in diesen Vergleich einbezogenen Rechtsordnungen keinen Schluss auf allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut, Art. 21 Abs. 1 lit. c IStGH-Statut zu, worauf ein völkerstrafrechtliches Konkurrenzregime angesichts fehlender positiver Regelungen zu stützen wäre.2 Dennoch erscheint eine Auseinandersetzung mit einem Teilbereich der völkerstrafrechtlichen Konkurrenz im Rahmen dieses Projekts als nützlich, weil gerade der Blockburger-Test im Bereich der Verurteilung aus verschiedenen Tatbeständen massiven Einfluss auf die internationale Gerichtsbarkeit hatte und immer noch hat. Daher lohnt es sich, zu untersuchen, inwieweit die Übernahme dieses Tests reicht und wie die damit verbundenen Schwierigkeiten durch die internationale Rechtsprechung bewältigt werden. Zu diesem Zweck soll zunächst kurz aufgezeigt werden, auf welche rechtliche Grundlage das völkerstrafrechtliche Doppelverurteilungsverbot in Kontext eines einheitlichen Verfahrens gestützt wird (§ 1). Sodann werden frühere Lösungswege der Rechtsprechung untersucht, die zu einem Großteil schon auf den Blockburger-Test rekurrierten (§ 2). Den Schwerpunkt der Darstellung bildet jedoch 1 Vgl. Stuckenberg, in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 559; Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 246 f. 2 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 147; ders., in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 572 f.; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 24 f.; Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 247. Die diversen, durch die Rechtsprechung abgeleiteten Tests wurden allerdings bei weitem nicht auf eine wirklich umfassende Vergleichung gestützt, vgl. nur Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, ICTR-96-4-T, Judgement, 2 September 1998, paras 465– 467; Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 669, 677, 680–695; Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, paras 401, 406–412. Auf den zweifelhaften Rechtsvergleich der Delalić-Rechtsmittelkammer wird noch einzugehen sein (6. Kap. § 4 A.).
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
der Čelebići-Test, durch welchen der Blockburger-Test als bis heute gültiger und alleiniger Maßstab für die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung aus verschiedenen Tatbeständen in das Völkerstrafrecht inkorporiert wurde (§ 3). Das Kapitel schließt mit einer kritischen Würdigung des Čelebići-Tests unter Berücksichtigung der aus dem Rechtsvergleich gewonnenen Erkenntnisse (§ 4).
§ 1 Die Grundlage des Doppelverurteilungsverbots Zunächst ist festzustellen, dass das jeweils anwendbare, geschriebene Recht für ICTY, ICTR, MICT und IStGH kein ausdrückliches Verbot der kumulativen Verurteilung aus verschiedenen Tatbeständen in ein und demselben Verfahren enthält. Zwar finden sich im IStGH-Statut sowie in den Verfahrensregeln der Ad-hoc-Gerichtshöfe Regelungen zur Strafbildung bei einer mehrfachen Verurteilung.3 Allerdings setzen diese die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung schon voraus und sagen gerade nichts über die Voraussetzungen an diese Zulässigkeit aus.4 Die sowohl in den Statuten der Ad-hoc-Tribunale (Art. 10 ICTY-Statut, Art. 9 ICTR-Statut, Art. 7 MICT-Statut) als auch in Art. 20 Abs. 1 IStGH-Statut enthaltenen ne bis in idem-Bestimmungen sind ihren Wortlauten nach erkennbar auf den Kontext verschiedener Verfahren, insb. in verschiedenen Jurisdiktionen, zugeschnitten (been tried/déjà été jugé)5 und knüpfen – mit Ausnahme von Art. 20 Abs. 2 IStGH-Statut – an die Verhaltensidentität, anstatt an die Tatbestandsidentität, an (acts, conduct/des faits, des actes)6. Daher wird folgerichtig die dortige Verankerung des sachlich dennoch existenten Verbots der kumulativen Verurteilung für dasselbe Delikt in einem Verfahren überwiegend abgelehnt.7 Stattdessen wird als Rechtsgrundlage dieses Verbots eine ungeschriebene double jeopardy bzw. substantive ne bis in idem-Regel angesehen.8 Allerdings schien die Katan3 Vgl. für den ICTY und den ICTR jeweils Rule 87(C) RPE bzw. für den MICT Rule 104(C); vgl. für den IStGH Art. 78 Abs. 3 IStGH-Statut. 4 Vgl. Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 494; vgl. Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 30. 5 Vgl. Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 356 f., 375, 377. 6 Vgl. Stuckenberg, in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 587. 7 Vgl. Palombino, ItYBIL 12 (2002), 123, 131; vgl. Zahar/Sluiter, International Criminal Law, 2008, S. 317; Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 356 f., 375, 377; Schabas, The International Criminal Court: A Commentary to the Rome Statute, 2010, S. 377. So implizit auch Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, para. 656. 8 Vgl. Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, ICTR-96-4-T, Judgement, 2 September 1998, para. 462; vgl. Nemitz, YIHL 4 (2001), 87, 123; Palombino, ItYBIL 12 (2002), 123, 131 f.; Wills,
§ 2 Die Rechtsprechungswege vor Čelebići
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ga-Verfahrenskammer die Fundierung dieses Doppelverurteilungsverbots – trotz des entgegenstehenden Wortlauts –tatsächlich in Art. 20 IStGH-Statut zu sehen.9
§ 2 Die Rechtsprechungswege vor Čelebići Zur Erläuterung des Hintergrunds des Čelebići-Tests sollen zunächst die früheren Lösungsansätze von ICTY (A.) und ICTR (B.)10 vorgestellt werden, welche zu einem Großteil ebenfalls schon durch Blockburger v. United States beeinflusst waren.
A. Die früheren Lösungswege des ICTY I. Tadić: Gleichzeitig zu vollstreckende Einzelstrafen Die Tadić-Verfahrenskammer setzte sich 1995 mit der Frage im Kontext der kumulativen Anklage auseinander. Sie ging von der generellen Zulässigkeit der kumulativen Anklage (und Verurteilung) auf Grundlage desselben Verhaltens aus und siedelte das Problem auf der Ebene der Bestrafung an:11 „In any event, since this is a matter that will only be relevant insofar as it might affect penalty, it can best be dealt with if and when matters of penalty fall for consideration. What can, however, be said with certainty is that penalty cannot be made depend upon whether offences arising from the same conduct are alleged cumulatively or in the alternative. What is to be punished by penalty is proven criminal conduct and that will not depend upon technicalities of pleading.“12 Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 377 ff.; Conway, Crim. L. Forum 14 (2004), 351, 363; Zahar/Sluiter, International Criminal Law, 2008, S. 317; Schabas, The International Criminal Court: A Commentary to the Rome Statute, 2010, S. 377; Fernández-Pacheco Estrada, JICJ 15 (2017), 689, 710. 9 Procureur c. Germain Katanga, ICC-01/04-01/07, Jugement rendu en application de l’article 74 du Statut, 7 mars 2014, par. 1694; nicht klar ersichtlich ist, ob diese Fundierung von Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 21 March 2016, paras 744–745, 748 geteilt wird. 10 Im Rahmen der Nürnberger Prozesse scheint man von der generellen Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung ausgegangen zu sein, vgl. Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3-T, Judgement and Sentence, 6 December 1999, para. 110; Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-9516-T, Judgement, 14 January 2000, paras 674–675; Bassiouni, Crimes Against Humanity, 2011, S. 456; Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 782. 11 Valabhji, Tul. J. Int’l & Comp. L. 10 (2002), 185, 187; Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 358 ff. Vgl. Prosecutor v. Tadić, IT-94-1-T, Decision on the Defence Motion on the Form of the Indictment, 14 November 1995, p. 10 (zitiert nach Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, para. 402 n. 629). 12
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
Später wurde Tadić bzgl. mehrerer Delikte auf derselben Tatsachengrundlage zu gleichzeitig zu verbüßenden Einzelstrafen verurteilt.13 Diese, sich zunächst etablierende Praxis14 wurde allerdings zugunsten einer Lösung auf Verurteilungsebene wieder aufgegeben. II. Kupreškić: Verbot der kumulativen Verurteilung bei einer abstrakt-notwendigen Mitverwirklichung Einen dreiteiligen, ein echtes Kumulativverurteilungsverbot enthaltenden Test formulierte am ICTY zuerst die Kupreškić-Verfahrenskammer:15 1. Die Anwendung von Blockburger v. United States Unter ausdrücklicher Berufung auf u. a. die Blockburger-Rechtsprechung und die lex specialis-Regel postulierte die Kammer, dass die kumulative Verurteilung wegen mehrerer, auf einem Verhalten beruhender Delikte dann möglich sei, wenn jeder Tatbestand den Beweis einer Tatsache (proof of a fact) erfordert, der für den anderen nicht notwendig ist; anderfalls wäre nur die speziellere Vorschrift anzuwenden.16 Indem die Kammer im Verhältnis zwischen Mord (murder) und Verfolgung (persecution) – jeweils als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – sodann eine äußerst diffuse, teils abstrakte Betrachtung der Tatbestandselemente, teils aber auch eine konkrete Tatsachenbetrachtung anwendete, zeigte sie sogleich noch die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten des Blockburger-Tests (vgl. 4. Kap. § 1 B. I. 1. bzw. 3. b bzw. E. II. 3.) auf.17
13 Vgl. Prosecutor v. Tadić, IT-94-1-T, Sentencing Judgement, 14 July 1997, paras 74–75; Prosecutor v. Tadić, IT-94-1-Tbis-R117, Sentencing Judgement, 11 November 1999, paras 27, 32; Prosecutor v. Tadić, IT-94-1-A and IT-94-1-Abis, Judgement in Sentencing Appeals, 26 January 2000, para. 76. 14 Vgl. Prosecutor v. Mucić et al., IT-96-21-Tbis-R117, Sentencing Judgement, 9 October 2001, para. 34; Prosecutor v. Mucić et al., IT-96-21-Abis, Judgment on Sentence Appeal, 8 April 2003, para. 20. 15 Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 637–695. 16 Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 680–685. 17 Vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 706– 708; vgl. dazu Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 87 („keine eindeutige Aussage“); die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten dieser Passage zeigen sich auch im Schrifttum: Krit. wegen einer konkreten Anwendung Stuckenberg, in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 591; krit. wegen einer abstrakten Anwendung Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 383.
§ 2 Die Rechtsprechungswege vor Čelebići
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2. Das „Konsumtionsprinzip“ (principle of consumption) Darüber hinaus soll der Kumulativverurteilung nach der Kammer ein Konsumtionsprinzip (principle of consumption) entgegenstehen können. Obwohl kein lex specialis-lex generalis-Verhältnis vorliegt, sei die kumulative Anwendung in solchen Fällen unvernünftig („unsound“).18 Nicht vollkommen eindeutig ist, welche Konstellationen die Kammer inhaltlich mit dem Begriff verband. Jedoch spricht viel dafür, dass sie – im Gegensatz zum deutschen Konsumtionsbegriff19 – nur die abstrakte Inklusion bei notwendigen Durchgangsstadien vor Augen hatte.20 Dies legen die angeführten Beispiele nahe, wenn auf die Konstellationen Tötung-Körperverletzung21 sowie Folter-unmenschliche/erniedrigende Behandlung im Kontext von Art. 3 EMRK22 verwiesen wird.23 Auch die Tatsache, dass die Kammer in ihrer eigenen Prüfung sodann nur auf den Blockburger-Test und den gleich anzusprechenden different values-Test rekurrierte,24 dürfte dies bestätigen. Darüber hinaus wird in diesem Sinne der Hinweis der Kammer zu verstehen sein, dass diesem Konsumtionsprinzip die lesser included offence-Doktrin nach früherem common law entspreche; denn die dabei zitierte Literatur stellt gerade auf die notwendige Mitbegehung ab (necessarily included).25 Schlussendlich wird so auch der nach der Kammer das Konsumtionsprinzip tra-
Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 686, 688. Zwar verweist Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 688 u. a. auf BGHSt 10, 312. Jedoch bestätigt auch dieser das Zurücktreten der Körperverletzung hinter eine Fremdabtreibung betreffende Fall das hiesige Verständnis, weil er ein notwendiges Durchgangsstadium betraf („Ohne diese Gesundheitsschädigung ist eine Abtötung der Leibesfrucht nicht denkbar [...].“). Der Begriff der Konsumtion kommt in dieser Entscheidung folgerichtig überhaupt nicht vor. Allerdings wird in den in para. 688 ebenfalls zitierten österreichischen Fällen tatsächlich auf das Kriterium der „Regelmäßigkeit“ rekurriert. 20 So auch Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 489 f.; später auch Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-96-23/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 170; a. A. Stuckenberg, in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 591 f. 21 Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 686. 22 Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 689–692. 23 Im EMRK-Beispiel weist die Kammer explizit auf die abstrakt-notwendige Mitbegehung hin: „It follows that torture always constitutes inhuman and degrading treatment as well.“ [Hervorh. d. Verf.], vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 690. 24 Vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 700– 712. 25 Vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 687. 18 19
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
gende Grund nachvollziehbar, der Interferenzverhältnisse gerade nicht zu beinhalten scheint:26 „Its ratio is that when all the legal requirements for a lesser offence are met in the commission of a more serious one, a conviction on the more serious count fully encompasses the criminality of the conduct.“27 [Hervorh. d. Verf.]
3. Der different values-Test Eine weitere Facette des Kupreškić-Tests besteht darin, die Übereinstimmung der geschützten Interessen (protected values) zu prüfen.28 Die Kammer kam unter beispielhafter Anführung eines Kriegsverbrechens nach Art. 3 ICTY-Statut und einem Völkermord nach Art. 4 ICTY-Statut zu dem Schluss, dass hier die kumulative Verurteilung möglich ist, weil Art. 3 dem Schutz der Kombattanten sowie der Zivilbevölkerung dient, während Art. 4 die ganze Gruppe vor der Ausrottung schützt.29 Allerdings würde dieses Ergebnis auch durch obige Tests erreicht, weil keines der Delikte die notwendige Mitbegehung des anderen voraussetzt (vgl. 6. Kap. § 3 C.). Fraglich ist daher die eigenständige Bedeutung dieser Testkomponente, d. h. ob sie bei unterschiedlichen Rechtsinteressen trotz notwendiger Mitbegehung eines Delikts zur kumulativen Verurteilung30 bzw. bei gleichen Interessen trotz Interferenz zu einem Kumulativverurteilungsverbot31 führen kann.32 Die Kammer schien ihr – ohne dies allerdings völlig auszuschließen („disputable“) – keine derart selbstständige Bedeutung beigemessen zu haben. So hielten es die Richter für unwahrscheinlich („unlikely“), dass diese Testkomponente das Ergebnis
Vgl. Palombino, JICJ 3 (2005), 778, 787; dies., International Comparative Jurisprudence 2 (2016), 89, 91. 27 Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 688. 28 Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 693–694. 29 Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 694. 30 Denkbar nach Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 490; wohl auch nach Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 80, 97; a. A. wohl Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 255 („and“); Stuckenberg, GA 2006, 546, 547. Freilich ist so ein Fall sehr schwer vorstellbar, vgl. Stuckenberg, in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 586. Im nationalen Recht erscheinen unterschiedliche geschützte Rechtsgüter etwa im Verhältnis zwischen dem Schwangerschaftsabbruch und der notwendig mitbegangenen Körperverletzung an der Schwangeren denkbar, vgl. Lackner/ Kühl, StGB, 2018, § 218 Rn. 1 m. w. N. 31 So wohl Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 255 („and“). 32 Wohl wegen dieser, zumindest denkbaren, Eigenständigkeit sieht Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 384 diese Komponente des Tests als einfach manipulierbar an. 26
§ 2 Die Rechtsprechungswege vor Čelebići
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der ersten beiden noch verändern kann, und wendeten sie bei der Prüfung im konkreten Fall teilweise nicht einmal mehr neben dem Blockburger-Test an.33
B. Die früheren Lösungswege des ICTR I. Akayesu: (Eingeschränktes?) Verbot der kumulativen Verurteilung bei der abstrakt-notwendigen Mitbegehung Fast zwei Jahre vor Kupreškić hielt am ICTR schon die Akayesu-Verfahrenskammer die kumulative Verurteilung auf Grundlage derselben Tatsachen nur dann für zulässig, wenn die Delikte verschiedene Tatbestandselemente haben, verschiedene Interessen schützen oder die kumulative Verurteilung notwendig erscheint, um das Verhalten des Angeklagten vollständig zu umschreiben. Die kumulative Verurteilung sei hingegen verboten, wenn ein Delikt eine lesser included offence eines anderen ist oder wenn sowohl eine Komplizenschaft als auch eine Täterschaft auf derselben Tatsachengrundlage angeklagt werden: „On the basis of national and international law and jurisprudence, the Chamber concludes that it is acceptable to convict the accused of two offences in relation to the same set of facts in the following circumstances: (1) where the offences have different elements; or (2) where the provisions creating the offences protect different interests; or (3) where it is necessary to record a conviction for both offences in order fully to describe what the accused did. However, the Chamber finds that it is not justifiable to convict an accused of two offences in relation to the same set of facts where (a) one offence is a lesser included offence of the other, for example, murder and grievous bodily harm, robbery and theft, or rape and indecent assault; or (b) where one offence charges accomplice liability and the other offence charges liability as a principal, e.g. genocide and complicity in genocide.“34
Die Kammer verwendete also auch einen different elements-Test, dessen Kehrseite die Aussage zu sein schien, dass die kumulative Verurteilung bei lesser in-
33 Vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 695, 704, 711. So auch Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 16. In einem früheren Beschluss hatte diese Kammer entsprechende Kriterien immerhin schon einmal kumulativ für die Frage der Zulässigkeit der kumulativen Anklage auf derselben Tatsachenbasis angewendet, vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Decision on Defence Challenges to the form of the Indictment, 15 May 1998, p. 3 („[...] the Prosecutor may be justified in bringing cumulative charges when the Articles of the Statute referred to are designed to protect different values and when each Article requires proof of a legal element not required by the others“ [Hervorh. d. Verf.].). Daraus würde im Umkehrschluss folgen, dass bei abstrakter Inklusion und unterschiedlichen geschützten Rechtswerten bzw. bei Interferenz und übereinstimmenden Rechtswerten jeweils keine Kumulation möglich ist. 34 Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, ICTR-96-4-T, Judgement, 2 September 1998, para. 468.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
cluded offences unzulässig ist.35 Die genannten Beispielkonstellationen Mord (murder) und schwere Körperverletzung (grievous bodily harm), Raub (robbery) und Diebstahl (theft) bzw. Vergewaltigung (rape) und sexueller Übergriff (indecent assault) deuten darauf hin, dass sachlich auch hier auf die abstrakt-notwendige Mitbegehung abgestellt wurde. Fraglich ist auch hier die Rolle der beiden weiteren Komponenten, also der Möglichkeit der kumulativen Verurteilung bei verschiedenen geschützten Rechts interessen bzw. der Notwendigkeit der vollständigen Beschreibung des kriminellen Verhaltens. Die alternative Aufzählung („or“) deutet auf eine Einschränkung im Verhältnis zur ersten Testkomponente hin, d. h. auf die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung trotz einer notwendigen Mitbegehung des anderen Delikts. So verstanden wäre Akayesu aus Sicht des Angeklagten strenger als Kupreškić.36 Zu einer im Ergebnis Kupreškić entsprechenden Lösung kommt man, wenn den letzten beiden Alternativen die Eigenständigkeit abgesprochen und ihnen nur eine Hilfsfunktion beigemessen wird. Für dieses Verständnis spricht, dass in Bezug auf das Verbot der kumulativen Verurteilung – in der Kehrseite der Erlaubnis – die lesser included offence-Regel gerade ohne Einschränkung genannt wird sowie dass die anderen Komponenten im konkreten Fall nur zur Bestätigung des different elements-Test angewendet37 worden zu sein scheinen. Im Hinblick auf die Umschreibungsnotwendigkeit sind neben der Eigenständigkeit auch die von der Kammer vorausgesetzten inhaltlichen Anforderungen an das Kriterium unklar.38 II. Kayishema/Ruzindana: Verbot der kumulativen Verurteilung im Falle einer konkreten Beweisnotwendigkeit Ohne nähere Begründung formulierte die Verfahrenskammer II den Akayesu-Test kurze Zeit darauf in Kayishema and Ruzindana leicht um, wobei sie – von
Vgl. etwa die Anwendung in Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, ICTR-96-4-T, Judgement, 2 September 1998, para. 470; vgl. Stuckenberg, in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 586; vgl. Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 492. 36 Vgl. Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 16. Die von Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 492 ausgemachten Unterschiede scheinen mehr auf einer falschen Anwendung von Blockburger in Kupreškić in Bezug auf das Verhältnis zwischen den Gesamttatbeständen zu beruhen. 37 Vgl. Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, ICTR-96-4-T, Judgement, 2 September 1998, para. 469. 38 Krit. dazu Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 16. 35
§ 2 Die Rechtsprechungswege vor Čelebići
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sprachlichen Abweichungen abgesehen – insbesondere die dritte,39 ohnehin unklare Komponente strich: „It is only acceptable to convict an accused of two or more offences in relation to the same set of facts in the following circumstances: (1) where offences have differing elements, or (2) where the laws in question protect differing social interests.“40
Für beide Kriterien wurde ausdrücklich auf Blockburger v. United States verwiesen, obgleich unterschiedliche Rechtsinteressen beim Blockburger-Test eigentlich keine unmittelbare Rolle spielen (vgl. 4. Kap. § 1 B. III. 2.).41 Bezogen auf den konkreten Fall zeigte auch diese Kammer sodann die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten des Blockburger-Tests auf, indem sie zwischen einem Vergleich der abstrakten Elemente und einem Vergleich der konkreten Tatsachen differenzierte. Infolge des Letzteren kam sie zu der Schlussfolgerung, dass der Völkermord die Ausrottung und den Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdrängt, weil die für den Beweis des Völkermords konkret notwendigen Tatsachen vollständig die für die Verurteilung aus den Verbrechen gegen die Menschlichkeit notwendigen Tatsachen inkludierten.42 Gegen dieses Mehrheitsvotum wandte sich der Richter Khan; allerdings nicht in erster Linie wegen der Anwendungsweise des different elements-Tests. Vielmehr sprach er sich überhaupt schon gegen ein Verbot der kumulativen Verurteilung (und Anklage) aus und plädierte stattdessen für eine Lösung durch gleichzeitige Strafen wie in Tadić.43 III. Rutaganda und Musema: Die Bekräftigung von Akayesu In den Fällen Rutaganda und Musema nahm die schon den Akayesu-Test formulierende Verfahrenskammer I nochmals Stellung und unterstützte – in scheinbar widersprüchlicher Weise – sowohl die von Richter Khan vorgeschlagene LöNach Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 16, 18 verstößt diese Komponente möglicherweise gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz (principle of legality) und wurde deswegen von der Kammer nicht weiterverfolgt. 40 Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, ICTR-95-1-T, Judgement, 21 May 1999, para. 627. 41 Vgl. Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, ICTR-95-1-T, Judgement, 21 May 1999, para. 627. 42 Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, ICTR-95-1-T, Judgement, 21 May 1999, paras 627–650 and p. 235; zust. Palombino, ItYBIL 12 (2002), 123, 141 f.; krit. Stuckenberg, in: Fischer et al. (Hrsg.), International and National Prosecution of Crimes Under International Law, 2001, S. 578; Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 491 f. 43 Vgl. Khan J., dissenting, in Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, ICTR-95-1-T, Judgement, 21 May 1999, paras 6, 12–14, 23, 34–37, 52–53. 39
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
sung44 als auch den eigenen Akayesu-Test45. Der vermeintliche Widerspruch löst sich allerdings auf, wenn man die Kammer so versteht, dass sie Khan nur insoweit unterstützen wollte, als er sich für die Kumulation zwischen Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aussprach. Darüber hinaus befürwortete sie im Verhältnis der Gesamttatbestände zueinander eine abstrakte Tatbestands elementebetrachtung, weil sie in diesen verschiedene Elemente („ingredients“) vorfand.46 Indem die Kammer ferner aus den unterschiedlichen Tatbestandselementen sowie den verschiedenen geschützten Rechtsinteressen in Bezug auf die dritte Akayesu-Komponente folgerte („as a result“), dass die Kumulation gerechtfertigt sei, sprach sie jener Komponente die Selbstständigkeit ab und machte sie vom Ergebnis der ersten beiden abhängig.47 Ob der Test der Rechtsinteressen eine einschränkende Wirkung gegenüber dem Elementetest haben kann, blieb allerdings auch hier offen.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht All diese Tests wurden zugunsten des Blockburger-Tests, der im Völkerstrafrecht als Čelebići-Test bezeichnet wird und den Gegenstand der folgenden Ausführungen bilden wird, verworfen. Zunächst wird dargestellt, dass er seit 2001 an den Ad-hoc-Tribunalen in ständiger Rechtsprechung angewendet wird (A.) und sich voraussichtlich auch am IStGH durchsetzen wird (B.). Darüber hinaus werden mit dem Test verbundene Probleme aufgezeigt: Zum einen gibt es eine Diskus sion darüber, welche Tatbestandselemente in seiner Anwendung zu berücksichtigen sind (C.). Zum anderen zeigen sich in der Rechtsprechung immer wieder die typischen Blockburger-Probleme in Bezug auf die Frage, ob der Test als Prüfung der abstrakt-notwendigen Mitbegehung anzuwenden ist oder ob schon eine konkrete Beweisnotwendigkeit für ein Doppelverurteilungsverbot ausreichen kann 44 Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3-T, Judgement and Sentence, 6 December 1999, paras 114–116; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T, Judgement and Sentence, 27 January 2000, paras 294–296. 45 Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3-T, Judgement and Sentence, 6 December 1999, paras 111, 119, 421; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T, Judgement and Sentence, 27 January 2000, paras 291, 299, 954. 46 Vgl. Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3-T, Judgement and Sentence, 6 December 1999, para. 117; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T, Judgement and Sentence, 27 January 2000, para. 297. 47 Vgl. Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3-T, Judgement and Sentence, 6 December 1999, para. 117; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T, Judgement and Sentence, 27 January 2000, para. 297.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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(D). Schließlich wird dieser Abschnitt eine insbesondere am IStGH bestehende Kontroverse in Bezug auf die Frage aufgreifen, wie sich ein Doppelverurteilungsverbot nach Čelebići auf die Möglichkeit einer kumulativen Anklage auswirkt (E.).
A. Die Testformel und die Durchsetzung des Tests an den Ad-hoc-Tribunalen Die Rechtsmittelkammer (Appeals Chamber) des ICTY setzte sich in Delalić et al. zum ersten Mal vertieft mit den Fragen der kumulativen Anklage und Verurteilung auseinander. Nach einer Analyse der Rechtsprechung des Tribunals sowie einer Reihe von nationalen Rechtsordnungen kam sie in Bezug auf die kumulative Verurteilung zu einem Doppelverurteilungsverbot unter gewissen Voraussetzungen. In der Formulierung eines Tests griff sie keinen der bereits dargestellten48 Wege auf, sondern kam zu folgendem Ergebnis: „Having considered the different approaches expressed on this issue both within this Tribunal and other jurisdictions, this Appeals Chamber holds that reasons of fairness to the accused and the consideration that only distinct crimes may justify multiple convictions, lead to the conclusion that multiple criminal convictions entered under different statutory provisions but based on the same conduct are permissible only if each statutory provision involved has a materially distinct element not contained in the other. An element is materially distinct from another if it requires proof of a fact not required by the other. Where this test is not met, the Chamber must decide in relation to which offence it will enter a conviction. This should be done on the basis of the principle that the conviction under the more specific provision should be upheld. Thus, if a set of facts is regulated by two provisions, one of which contains an additional materially distinct element, then a conviction should be entered only under that provision.“49 [Hervorh. d. Verf.]
Auch dieser sog. Čelebići-Test ähnelt der Blockburger-Formulierung, an welche u. a. in der Begründung angeknüpft wurde.50 Er verzichtet allerdings auf weitere Komponenten, wie die Prüfung von geschützten Interessen oder die Notwendigkeit, die Tat vollständig zu umschreiben;51 auf Kriterien also, welche in ihren 48 Der Kupreškić-Test wurde implizit, durch die Übernahme des Čelebići-Tests im Berufungsverfahren jenes Falles verworfen, vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-A, Appeal Judgement, 23 October 2001, paras 387–388; Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 361; vgl. Olusanya, Double Jeopardy Without Parameters, 2004, S. 103; Azari, RSC 2007, 1, 3. 49 Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, paras 412–413. 50 Vgl. Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, para. 409; Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 27; Azari, RSC 2007, 1, 4; Stuckenberg, in: Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court, 2015, S. 847. 51 Vgl. Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 357; vgl. Azari, RSC 2007, 1, 4; vgl. Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 256.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
Voraussetzungen bzw. in ihrer Selbstständigkeit ohnehin unklar waren. Letzteres wurde allerdings später in Kordić and Čerkez als nicht-eigenständiges Kriterium, d. h. als hinter dem Čelebići-Test stehende Überlegung, wieder eingeführt: „The cumulative convictions test serves twin aims: ensuring that the accused is convicted only for distinct offences, and at the same time, ensuring that the convictions entered fully reflect his criminality.“52
Dem Čelebići-Test wurde sodann in ständiger ICTY-Rechtsprechung gefolgt.53 Am ICTR wurde er zunächst von der Rechtsmittelkammer in MuseProsecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, para. 1033. 53 Vgl. Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23-T & IT-96-23/1-T, Judgement, 22 February 2001, paras 549–550; Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-T, Judgement, 26 February 2001, paras 814–815; Prosecutor v. Jelisić, IT-95-10-A, Judgement, 5 July 2001, paras 78–79, 82; Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, para. 664; Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-A, Appeal Judgement, 23 October 2001, para. 387; Prosecutor v. Kvočka et al., IT-98-30/1-T, Judgement, 2 November 2001, para. 214; Prosecutor v. Krnojelac, IT-9725-T, Judgment, 15 March 2002, para. 502; Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-9623/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 172–173; Prosecutor v. Vasiljević, IT-98-32-T, Judgment, 29 November 2002, para. 265; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, para. 718; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-T, Judgement, 31 July 2003, para. 869; Prosecutor v. Simić et al., IT-95-9-T, Judgement, 17 October 2003, para. 1057; Prosecutor v. Galić, IT-98-29-T, Judgement and Opinion, 5 December 2003, para. 158; Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-A, Judgement, 19 April 2004, para. 218; Prosecutor v. Brđanin, IT-99-36-T, Judgement, 1 September 2004, para. 1084; Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, para. 1032; Prosecutor v. Blagojević and Jokić, IT-02-60-T, Judgement, 17 January 2005, para. 799; Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T, Judgement, 31 January 2005, para. 447; Prosecutor v. Limaj et al., IT-03-66-T, Judgement, 30 November 2005, para. 717; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 355; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-A, Judgement, 3 May 2006, para. 584; Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-T, Judgement, 27 September 2006, para. 1128; Prosecutor v. Martić, IT-9511-T, Judgement, 12 June 2007, para. 474; Prosecutor v. Mrkšić et al., IT-95-13/1-T, Judgement, 27 September 2007, para. 677; Prosecutor v. Haradinaj et al., IT-04-84-T, Judgement, 3 April 2008, para. 479; Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-A, Judgement, 17 July 2008, para. 321; Prosecutor v. Milutinović et al., IT-05-87-T, Judgement, Volume 3 of 4, 26 February 2009, para. 1162; Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-A, Judgement, 17 March 2009, para. 386; Prosecutor v. Lukić and Lukić, IT-98-32/1-T, Judgement, 20 July 2009, para. 1041; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2111; Prosecutor v. Đorđević, IT05-87/1-T, Public Judgement with Confidential Annex, Volume II of II, 23 February 2011, para. 2196; Prosecutor v. Gotovina et al., IT-06-90-T, Judgement, Volume II of II, 15 April 2011, para. 2589; Prosecutor v. Perišić, IT-04-81-T, Judgement, 6 September 2011, para. 1787; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1200; Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, para. 905; Procureur c. Prlić et al., IT-04-74-T, Jugement, Tome 4 de 6, 29 mai 2013, par. 1254; Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-A, Judgement, 27 January 2014, para. 839; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-A, Judgement, 30 January 2015, para. 537; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-A, 52
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
281
ma54 übernommen und ist sodann auch dort in ständige Rechtsprechung er wachsen.55
B. Die (noch nicht endgültige?) Übernahme durch die IStGH-Rechtsprechung Am IStGH ist der Čelebići-Test bereits von mehreren Kammern aufgegriffen worden. Als erste übernahm ihn 2009 die Vorverfahrenskammer II in Bemba I im Zusammenhang mit der Frage von kumulativen Anklagepunkten auf identischer Tatsachengrundlage (vgl. dazu noch 6. Kap. § 3 E.):56 Nachdem die Anklagebehörde im Rahmen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowohl wegen Vergewaltigung als auch wegen Folter sowie im Rahmen der Kriegsverbrechen sowohl wegen Vergewaltigung als auch wegen einer Beeinträchtigung der persönlichen Würde anklagte, verweigerte die Kammer den Punkten Folter57 und Beeinträchtigung der persönlichen Würde58 die Bestätigung. Ihrer Ansicht nach Judgement, 8 April 2015, para. 602; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6011; Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-A, Judgement, 30 June 2016, para. 1088. 54 Musema v. Prosecutor, ICTR-96-13-A, Judgement, 16 November 2001, paras 361–363. 55 Vgl. Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T, Judgement and Sentence, 15 May 2003, para. 409; Prosecutor v. Nahimana et al., ICTR-99-52-T, Judgement and Sentence, 3 December 2003, para. 1090; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I, Judgement and Sentence, 15 July 2004, para. 491; Prosecutor v. Ntakirutimana and Ntakirutimana, ICTR-96-10-A & ICTR96-17-A, Judgement, 13 December 2004, para. 542; Semanza v. Prosecutor, ICTR-97-20-A, Judgement, 20 May 2005, paras 315, 368; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T, Judgement and Sentence, 13 April 2006, paras 96–97; Prosecutor v. Ntagerura et al., ICTR-99-46-A, Judgement, 7 July 2006, para. 425; Simba v. Prosecutor, ICTR-01-76-A, Judgement, 27 November 2007, para. 277; Nahimana et al. v. Prosecutor, ICTR-99-52-A, Judgement, 28 November 2007, para. 1019; Prosecutor v. Gatete, ICTR-2000-61-T, Judgement and Sentence, 31 March 2011, para. 652; Prosecutor v. Ndindiliyimana et al., ICTR-00-56-T, Judgement and Sentence, 17 May 2011, para. 2036; Bagosora and Nsengiyumva v. Prosecutor, ICTR-98-41-A, Judgement, 14 December 2011, para. 413; Prosecutor v. Ndahimana, ICTR-01-68-T, Judgement and Sentence, 30 December 2011, para. 844; Prosecutor v. Karemera and Ngirumpatse, ICTR-98-44-T, Judgement and Sentence, 2 February 2012, para. 1707; Ntabakuze v. Prosecutor, ICTR-98-41A-A, Judgement, 8 May 2012, para. 260; Prosecutor v. Nzabonimana, ICTR98-44D-T, Judgement and Sentence, 31 May 2012, paras 1793; Prosecutor v. Gatete, ICTR-0061-A, Judgement, 9 October 2012, para. 259; Prosecutor v. Karemera and Ngirumpatse, ICTR98-44-A, Judgement, 29 September 2014, para. 710. 56 Vgl. Ambos, LJIL 22 (2009), 715, 723. 57 Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, paras 72, 190, 204–205, 209. 58 Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
handelte es sich um gegenüber den jeweiligen Vergewaltigungstatbeständen nicht unterschiedliche Verbrechen. Unter Zitierung der Čelebići-Entscheidung formulierte sie eine ähnliche Testformel: „The Chamber considers that, as a matter of fairness and expeditiousness of the proceedings, only distinct crimes may justify a cumulative charging approach and, ultimately, be confirmed as charges. This is only possible if each statutory provision allegedly breached in relation to one and the same conduct requires at least one additional material element not contained in the other.“59 [Hervorh. d. Verf.]
In einer weiteren Anklagebestätigung wendete dieselbe Vorverfahrenskammer den Test 2012 erneut an, diesmal im Verhältnis zwischen der Verfolgung zu anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.60 In Katanga schloss sich im Jahr 2014 eine erste Verfahrenskammer (II) dem Test ausdrücklich in Bezug auf die kumulative Verurteilung an: „Considérant qu’il y a lieu de retenir des critères analogues à ceux qu’a élaborés la jurispru dence des tribunaux ad hoc, la Chambre estime qu’un cumul de déclarations de culpabilité ne sera admissible que lorsque le comportement en cause portera clairement atteinte à deux dispositions distinctes du Statut, dont chacune requiert la preuve d’un élément ‚nettement distinct‘ que ne requiert pas l’autre. Un élément sera considéré comme étant distinct s’il exige la preuve d’un fait qui n’est pas requis par les autres.“61
Es folgten im März 2016 die Verfahrenskammer III in Bemba I 62 sowie im Oktober 2016 die Verfahrenskammer VII in Bemba II 63. Mithin deutet vieles auf ein Fortleben von Čelebići am IStGH hin. Allerdings bleibt eine Positionierung der Rechtsmittelkammer noch abzuwarten. Darüber hinaus wirft eine neuere Anklagebestätigung seitens der Vorverfahrenskammer II die Frage auf, ob sie Čelebići verändern will. So formulierte sie Folgendes:
61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, paras 212, 302, 310, 312–313. 59 Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, para. 202. 60 Prosecutor v. William Samoei Ruto and Joshua Arap Sang, ICC-01/09-01/11, Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute, 23 January 2012, paras 280–281. 61 Procureur c. Germain Katanga, ICC-01/04-01/07, Jugement rendu en application de l’article 74 du Statut, 7 mars 2014, par. 1695. 62 Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 21 March 2016, paras 746–748. 63 Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo et al., ICC-01/05-01/13, Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 19 October 2016, para. 951.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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„Indeed, and importantly, certain crimes under the Statute may, although based on the same set of facts, be not alternative to each other, but concurrently lead to a conviction. Notably, this is the case when each of these crimes requires proof of a distinct legal element or offends a different protected interest.“64 [Hervorh. d. Verf.]
Die alternative Anfügung eines Tests der geschützten Interessen erinnert an die frühere Rechtsprechung – insbesondere an die des ICTR – und wirft wieder die Frage nach der Eigenständigkeit dieser Komponente auf. Geht die Kammer also davon aus, dass bei unterschiedlichen geschützten Interessen auch ohne jeweils überschießende Tatbestandselemente kumulativ verurteilt werden kann? Wohl nicht. Zum einen wirkte an dieser Entscheidung Richter Tarfusser mit, der schon an den Anklagebestätigungen in Bemba I und Ruto/Sang beteiligt war. Man wird davon ausgehen können, dass er eine etwaige Meinungsänderung seinerseits begründet hätte. Zum anderen zitiert die Passage sodann („on this ground“) die Urteile in Katanga und Bemba I, in denen es sich um reine Čelebići-Anwendungen ohne einen Test der involvierten Interessen handelte.
C. Die Frage nach den in den Vergleich einzubeziehenden Elementen Im Verhältnis zwischen verschiedenen Gesamttatbeständen hat die Prüfung anhand jeweils überschießender Tatbestandselemente wegen der besonderen Struktur der völkerstrafrechtlichen Gesamttatbestände – zusammengesetzt aus einer Vielzahl von (teils identischen) Einzeltatbeständen – die Frage aufgeworfen, ob nur die Elemente der Einzeltatbestände zu vergleichen sind oder die übergreifenden chapeau-Elemente einzubeziehen sind; d. h. etwa die Zerstörungsabsicht beim Völkermord oder der ausgedehnte bzw. systematische Angriff bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sowohl einzelne Richter65 als auch ein Teil des Schrifttums66 sind in Befürwortung eines „‚substantive distinct element‘ test“67 gegen die Einbeziehung der chapeaux. Insbesondere wird argumentiert, dass die chapeau-Elemente den bloßen Kontext der Tat darstellen, aber nicht unmittelbar mit dem Verhalten oder dem geistigen Zustand des Täters zu tun haben.68 Ferner seien die Kontextelemente lediglich das Ergebnis historischer Zufälligkeiten („historical acciProsecutor v. Ongwen, ICC-02/04-01/15, Decision on the confirmation of charges against Dominic Ongwen, 23 March 2016, para. 32. 65 Vgl. Hunt, Bennouna JJ., dissenting, in Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, paras 24–35. 66 Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 26 ff.; Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 384 ff.; Mettraux, International Crimes and the ad hoc Tribunals, 2005, S. 318 f. 67 Vgl. Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 365. 68 Hunt, Bennouna JJ., dissenting, in Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 64
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
dents“)69 und schließlich sei es ein Kunstgriff, etwa bei nur einer tatsächlich vorgefallenen Vergewaltigung aus zwei Vergewaltigungstatbeständen zu verurteilen70. Die Mehrheitsrechtsprechung hingegen bezieht die chapeau-Elemente in den Vergleich ein.71 So argumentiert die Kunarac-Rechtsmittelkammer, dass ohne deren Berücksichtigung die kumulative Verurteilung aus verschiedenen Gesamttatbeständen in vielen Fällen nicht möglich sei, was dem Willen des UN-Sicherheitsrats zuwiderliefe.72 Die gegenteilige Ansicht würde nach Ansicht der Kammer zu seltsam anmutenden Ergebnissen führen; zum Beispiel, dass ein Kriegsverbrechen einen Genozid verdrängt.73 Teilweise wird dieser Standpunkt sogar wieder auf verschiedene geschützte Rechtsgüter gestützt.74 Aus der Literatur wird schließlich ergänzt, dass sich die Schwere einer Tat gerade auch durch die chapeaux bestimme.75 Für die Konkurrenz zwischen verschiedenen Gesamttatbeständen ergibt sich auf Grundlage der Mehrheit damit fast durchweg die Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung:
20 February 2001, para. 26; dagegen insb. Shahabuddeen J., dissenting, in Prosecutor v. Jelisić, IT-95-10-A, Judgement, 5 July 2001, paras 30–41. 69 Hunt, Bennouna JJ., dissenting, in Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, para. 27. 70 Hunt, Bennouna JJ., dissenting, in Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, para. 33; Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 26. 71 Vgl. für den ICTY Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-96-23/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 177–178; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, para. 718; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-T, Judgement, 31 July 2003, para. 869; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 356; ausführlich auch Shahabuddeen J., dissenting, in Prosecutor v. Jelisić, IT-95-10-A, Judgement, 5 July 2001, paras 30–46; für den ICTR vgl. Musema v. Prosecutor, ICTR-96-13-A, Judgement, 16 November 2001, para. 363; Nahimana et al. v. Prosecutor, ICTR-99-52-A, Judgement, 28 November 2007, para. 1019. Die Verfahrenskammer II des IStGH hat sich dem implizit in Procureur c. Germain Katanga, ICC-01/04-01/07, Jugement rendu en application de l’article 74 du Statut, 7 mars 2014, par. 1696 angeschlossen. Fehlerhaft erscheint Prosecutor v. Gotovina et al., IT-0690-T, Judgement, Volume II of II, 15 April 2011, para. 2591, wenn dort ausgesagt wird, dass Zuständigkeitsvoraussetzungen (jurisdictional requirements) einzubeziehen wären. 72 Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-96-23/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 177–178. 73 Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-96-23/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 177 n. 240. 74 Vgl. Shahabuddeen J., dissenting, in Prosecutor v. Jelisić, IT-95-10-A, Judgement, 5 July 2001, para. 42. 75 Nemitz, YIHL 4 (2001), 87, 124 f.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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I. Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Nach der Rechtsprechung des ICTY ist im Verhältnis zwischen dem Genozid (Art. 4 Abs. 2 ICTY-Statut) und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 5 ICTY-Statut) die kumulative Verurteilung nach Čelebići zulässig. Einerseits verlangt nur der Völkermord den Beweis der Absicht, eine Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören; andererseits muss nur für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewiesen werden, dass die Tat Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung76 war.77 Der ICTR verfährt ebenso in Bezug auf sein Statut.78 Entsprechendes gilt im Verhältnis der Kompli76 Dieses Merkmal ist nicht ausdrücklich in Art. 5 ICTY-Statut genannt; es wird jedoch auf völkergewohnheitsrechtlicher Grundlage in „directed against any civilian population“ hineingelesen, vgl. Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 348; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 22, 108 m. w. N. Ausdrücklich findet es sich in Art. 3 ICTR-Statut sowie Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut. 77 Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-A, Judgement, 19 April 2004, paras 222–223, 229; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2115; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1205; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-A, Judgement, 8 April 2015, para. 610; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6021; so im Ergebnis auch Lüders, Die Strafbarkeit von Völkermord nach dem Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof, 2004, S. 256 ff.; Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 115 ff.; Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, 2016, Rn. 789, 898, 1066; a. A. (Vorrang Völkermord) noch Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, paras 682, 684–686; Palombino, JICJ 3 (2005), 778, 787; Zahar/Sluiter, International Criminal Law, 2008, S. 318; Palombino, International Comparative Jurisprudence 2 (2016), 89, 91; eingeschränkt auf das Verhältnis zwischen Völkermord und Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 259. 78 Musema v. Prosecutor, ICTR-96-13-A, Judgement, 16 November 2001, paras 366–367; vgl. Prosecutor v. Ntakirutimana and Ntakirutimana, ICTR-96-10 & ICTR-96-17-T, Judgement and Sentence, 21 February 2003, para. 864; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I, Judgement and Sentence, 15 July 2004, para. 492; Prosecutor v. Ntakirutimana and Ntakirutimana, ICTR-96-10-A & ICTR-96-17-A, Judgement, 13 December 2004, para. 542; Semanza v. Prosecutor, ICTR-97-20-A, Judgement, 20 May 2005, paras 318, 368; Prosecutor v. Ntagerura et al., ICTR-99-46-A, Judgement, 7 July 2006, para. 426; Simba v. Prosecutor, ICTR-01-76-A, Judgement, 27 November 2007, para. 277; Nahimana et al. v. Prosecutor, ICTR-99-52-A, Judgement, 28 November 2007, paras 1029, 1032; Prosecutor v. Nchamihigo, ICTR-01-63-T, Judgement and Sentence, 12 November 2008, para. 344; Prosecutor v. Rukundo, ICTR-2001-70-T, Judgement, 27 February 2009, para. 584; Prosecutor v. Gatete, ICTR-2000-61-T, Judgement and Sentence, 31 March 2011, para. 663; Prosecutor v. Ndindiliyimana et al., ICTR-00-56-T, Judgement and Sentence, 17 May 2011, para. 2038; Prosecutor v. Ndahimana, ICTR-01-68-T, Judgement and Sentence, 30 December 2011, para. 846; a. A. (Vorrang Völkermord) noch Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, ICTR-95-1-T, Judgement, 21 May 1999, paras 577–579, 628–649 (vgl. dazu schon 6. Kap. § 2 B. II.).
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
zenschaft79 am bzw. der Verschwörung zum Genozid80 sowie der unmittelbaren und öffentlichen Anreizung81 zur Begehung von Völkermord gegenüber Verbrechen gegen die Menschlichkeit. II. Völkermord und Kriegsverbrechen Zwischen dem Genozid und Verstößen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges nach Art. 3 ICTY-Statut lässt der ICTY ebenfalls die kumulative Verurteilung zu, weil der Genozid als Alleinstellungsmerkmal die Gruppenzerstörungsabsicht verlangt, während nur für Art. 3 ICTY-Statut eine enge Verbindung der Tathandlung zu einem bewaffneten Konflikt bewiesen werden muss.82 Das gleiche gilt zwischen der Verschwörung zum Genozid und Art. 3 ICTY-Statut.83 Entsprechend ist der Stand der ICTR-Rechtsprechung in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Genozid84 bzw. der Komplizenschaft daran85 und Verstößen gegen Art. 4 ICTR-Statut, d. h. gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen oder das Zusatzprotokoll II zu den Genfer Abkommen. III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Darüber hinaus ist nach dem ICTY die kumulative Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit und einem Verstoß gegen die Gesetze und Gebräche des Krieges auf Grundlage desselben Verhaltens zulässig, weil nur Art. 5 ICTY-Statut den Beweis eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung verlangt, während nur Art. 3 ICTY-Statut eine enge Verbindung zwischen der Tathandlung und einem bewaffneten Konflikt erforSemanza v. Prosecutor, ICTR-97-20-A, Judgement, 20 May 2005, paras 318, 369. Vgl. Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2117; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1205. 81 Vgl. Nahimana et al. v. Prosecutor, ICTR-99-52-A, Judgement, 28 November 2007, paras 1034–1036, wobei hier beim Genozid noch die unmittelbare und öffentliche Aufforderung an sich sowie die entsprechende Absicht als zu beweisende Elemente hinzukommen. 82 Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, paras 681, 686; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2116; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1205; Prosecutor v. Tolimir, IT-0588/2-A, Judgement, 8 April 2015, paras 616–617; so im Ergebnis auch Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 113 ff. 83 Vgl. Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2117; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1205. 84 Rutaganda v. Prosecutor, ICTR-96-3-A, Judgement, 26 May 2003, paras 582–583; Semanza v. Prosecutor, ICTR-97-20-A, Judgement, 20 May 2005, para. 368; Prosecutor v. Ndindiliyimana et al., ICTR-00-56-T, Judgement and Sentence, 17 May 2011, para. 2040. 85 Semanza v. Prosecutor, ICTR-97-20-A, Judgement, 20 May 2005, para. 369; a. A. Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T, Judgement and Sentence, 15 May 2003, para. 536. 79 80
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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dert.86 Die kumulative Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit und einer schweren Verletzung der Genfer Abkommen von 1949 ist ebenfalls zulässig. Neben den beiden eben genannten Merkmalen muss für Art. 2 ICTY-Statut überdies noch die Internationalität des bewaffneten Konflikt sowie der Schutzstatus des Tatobjekts nachgewiesen werden.87 Wegen des Beweiserfordernisses eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung bzw. der Verbindung der Tat mit einem bewaffneten Konflikt lässt auch der ICTR die kumulative Verurteilung zwischen
86 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23-T & IT-96-23/1-T, Judgement, 22 February 2001, para. 556; Prosecutor v. Jelisić, IT-95-10-A, Judgement, 5 July 2001, paras 82–83; Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, para. 674; Prosecutor v. Kupreškić et al., IT95-16-A, Appeal Judgement, 23 October 2001, paras 387–388; Prosecutor v. Kvočka et al., IT-98-30/1-T, Judgement, 2 November 2001, paras 219, 224, 230, 236; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, Judgment, 15 March 2002, para. 503; Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-96-23/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 176; Prosecutor v. Vasiljević, IT-98-32-T, Judgment, 29 November 2002, para. 266; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-T, Judgement, 31 July 2003, paras 874–875; Prosecutor v. Galić, IT-98-29-T, Judgement and Opinion, 5 December 2003, para. 163; Prosecutor v. Vasiljević, IT-98-32-A, Judgement, 25 February 2004, para. 145; Prosecutor v. Brđanin, IT-99-36-T, Judgement, 1 September 2004, para. 1086; Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1036, 1038; Prosecutor v. Blagojević and Jokić, IT-02-60-T, Judgement, 17 January 2005, paras 800–801; Prosecutor v. Galić, IT-98-29-A, Judgement, 30 November 2006, para. 165; Prosecutor v. Martić, IT-95-11-T, Judgement, 12 June 2007, para. 476; Prosecutor v. Milutinović et al., IT-05-87-T, Judgement, Volume 3 of 4, 26 February 2009, paras 1163–1165; Prosecutor v. Lukić and Lukić, IT-98-32/1-T, Judgement, 20 July 2009, para. 1044; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2112; Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-T, Public Judgement with Confidential Annex, 23 February 2011, para. 2201; Prosecutor v. Gotovina et al., IT-0690-T, Judgement, Volume II of II, 15 April 2011, para. 2591; Prosecutor v. Perišić, IT-04-81-T, Judgement, 6 September 2011, para. 1788; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1201; Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, paras 906–907, 913; Procureur c. Prlić et al., IT-04-74-T, Jugement, Tome 4 de 6, 29 mai 2013, par. 1257; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6014; im Ergebnis ebenso Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 105 ff.; anders noch Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 701, 704, 711; krit. dazu Wills, Emory Int’l L. Rev. 17 (2003), 341, 383; im Ergebnis a. A. auch Nemitz, YIHL 4 (2001), 87, 124 f.; Bogdan, Melb. J. Int. Law 3 (2002), 1, 27 f.; Olusanya, Double Jeopardy Without Parameters, 2004, S. 104 ff.; Fernández-Pacheco Estrada, JICJ 15 (2017), 689, 709. 87 Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-T, Judgement, 26 February 2001, paras 820, 824; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, paras 723–725; Prosecutor v. Brđanin, IT-99-36-T, Judgement, 1 September 2004, para. 1087; Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1037–1038; Procureur c. Prlić et al., IT-04-74-T, Jugement, Tome 4 de 6, 29 mai 2013, par. 1256; Valabhji, Tul. J. Int’l & Comp. L. 10 (2002), 185, 198.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
Art. 3 und 4 seines Statuts zu.88 Schließlich hat auch schon der IStGH bei der vorsätzlichen Tötung89 nach Art. 7 Abs. 1 lit. a IStGH-Statut und Art. 8 Abs. 2 lit. c (i) IStGH-Statut sowie bei der Vergewaltigung90 nach Art. 7 Abs. 1 lit. g IStGH-Statut und Art. 8 Abs. 2 lit. e (vi) IStGH-Statut jeweils kumulativ verurteilt. Im Verhältnis zwischen Art. 2 und 3 des ICTY-Statuts hingegen hat die Rechtsprechung die kumulative Verurteilung unter Vorrang von Art. 2 schon für unzulässig erklärt, weil nur Art. 2 mit dem spezieller umrissenen Status als geschützte Person oder als geschütztes Eigentum (protected person or property) ein eigenständiges Merkmal enthält.91 Unter Berücksichtigung der konkreten Einzeltatbestände können allerdings bei Art. 3 ICTY-Statut eigenständige Merkmale hinzutreten und zu einer kumulativen Verurteilung zwischen Art. 2 und 3 des ICTY-Statuts führen.92
D. Ein abstrakter oder ein konkreter Vergleich? Wegen des Anknüpfens an den Blockburger-Test überrascht es nicht, dass auch die völkerstrafrechtliche Rechtsprechung mit den in den USA vorgefundenen Fragen hinsichtlich der Anwendungsweise des Tests (vgl. 4. Kap. § 1 B. I. 1. bzw.
88 Rutaganda v. Prosecutor, ICTR-96-3-A, Judgement, 26 May 2003, paras 582–583; Semanza v. Prosecutor, ICTR-97-20-A, Judgement, 20 May 2005, para. 368; Prosecutor v. Ntagerura et al., ICTR-99-46-A, Judgement, 7 July 2006, para. 427; Prosecutor v. Ndindiliyimana et al., ICTR-00-56-T, Judgement and Sentence, 17 May 2011, para. 2039; Bagosora and Nsengiyumva v. Prosecutor, ICTR-98-41-A, Judgement, 14 December 2011, para. 415; a. A. Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T, Judgement and Sentence, 15 May 2003, paras 551–552. 89 Procureur c. Germain Katanga, ICC-01/04-01/07, Jugement rendu en application de l’article 74 du Statut, 7 mars 2014, par. 1696; Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC01/05-01/08, Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 21 March 2016, paras 749–751; vgl. auch Prosecutor v. Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui, ICC-01/04-01/07, Decision on the confirmation of charges, 30 September 2008, para. 419. 90 Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 21 March 2016, paras 749–751. 91 Vgl. Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, paras 420, 422–426; Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-T, Judgement, 26 February 2001, paras 820–823, 825; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, paras 721, 725, 731, 734–735; Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1035, 1038; Procureur c. Prlić et al., IT-04-74-T, Jugement, Tome 4 de 6, 29 mai 2013, par. 1258–1266. 92 Vgl. Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, paras 731, 737; Procureur c. Prlić et al., IT-04-74-T, Jugement, Tome 4 de 6, 29 mai 2013, par. 1259, 1267–1270.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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3. b bzw. E. II. 3.) Schwierigkeiten hat.93 Solche treten insbesondere im Verhältnis zwischen verschiedenen Einzeltatbeständen desselben Gesamttatbestands zueinander auf, welche für Čelebići-Zwecke als selbstständige Alternativen, mithin als grundsätzlich verschiedene Tatbestände anzusehen sind.94 Im Kern geht es auch hier um die Frage, ob mit der Realisierung eines Tatbestands der andere abstrakt-notwendig mitverwirklicht sein muss oder ob Čelebići selbst bei im Verhältnis der Interferenz zueinander stehenden Tatbeständen die kumulative Verurteilung verhindern kann, wenn durch den konkreten Beweis der einen Tatbestandsverwirklichung die andere notwendigerweise mitbewiesen ist (vgl. zur konkreten Beweisnotwendigkeit schon 5. Kap. § 2 C. II. 2. d).95 Zwar betont die Rechtsprechung immer wieder, dass die Tatbestandsmerkmale (legal elements of each crime) für den Vergleich entscheidend sein sollen und nicht das den Tatbeständen unterliegende Verhalten.96 So vor kurzem erst die Vorverfahrenskammer VII in Bemba II für den IStGH: „It is the legal elements of each statutory provision – and not the acts themselves – that must be considered when applying the test. Contrary to the allegation of the Bemba Defence, this deter-
93 Vgl. Stuckenberg, in: Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court, 2015, S. 847. 94 Vgl. Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 258 f. 95 Mitunter formuliert die Čelebići-Rechtsprechung selbst das Erfordernis der notwendigen Mitbegehung, vgl. etwa Prosecutor v. Blagojević and Jokić, IT-02-60-T, Judgement, 17 January 2005, para. 799; Prosecutor v. Galić, IT-98-29-A, Judgement, 30 November 2006, para. 163; Prosecutor v. Haradinaj et al., IT-04-84-T, Judgement, 3 April 2008, para. 479; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2111; Prosecutor v. Gotovina et al., IT-06-90-T, Judgement, Volume II of II, 15 April 2011, para. 2589; Prosecutor v. Ndindiliyimana et al., ICTR-00-56-T, Judgement and Sentence, 17 May 2011, para. 2036; Prosecutor v. Karemera and Ngirumpatse, ICTR-98-44-T, Judgement and Sentence, 2 February 2012, para. 1707; Procureur c. Prlić et al., IT-04-74-T, Jugement, Tome 4 de 6, 29 mai 2013, par. 1254. Diese Formulierung kann sowohl die abstrakte als auch die konkrete Notwendigkeit meinen: So wurde in Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-A, Judgement, 19 April 2004, paras 218, 232 entsprechend formuliert, sodann im Verhältnis der Verfolgung zu anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (s. 6. Kap. § 3 D. II. 1.) jedoch auf die konkrete Beweisnotwendigkeit abgestellt. 96 Für den ICTY vgl. Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23-T & IT-96-23/1-T, Judgement, 22 February 2001, para. 550; Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1033, 1040; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 356; Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-A, Judgement, 17 July 2008, para. 322; Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-A, Judgement, 17 March 2009, para. 387; Procureur c. Prlić et al., IT-04-74-T, Jugement, Tome 4 de 6, 29 mai 2013, par. 1254; für den ICTR vgl. Nahimana et al. v. Prosecutor, ICTR-99-52-A, Judgement, 28 November 2007, para. 1020; vgl. auch Azari, RSC 2007, 1, 4 f.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
mination involves comparing legal elements of the relevant statutory provisions; the specific facts of the case play no role.“97
Dennoch ist die Frage bislang nicht für alle Tatbestandskonstellationen und in allen Gerichten abschließend geklärt, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden. I. Die Deckung von Tatbestandselementen bzw. die abstrakt-notwendige Mitbegehung Die überwiegende Rechtsprechung wendet die strengere, d. h. auf die abstrakten Tatbestandselemente abstellende Version an. Hier greift das Čelebići-Verurteilungsverbot mithin, wenn die Realisierung eines Tatbestands stets die Mitverwirklichung eines anderen voraussetzt. Dies hat bei Einbeziehung der chapeau-Elemente zur Folge, dass Doppelverurteilungsverbote kaum vorkommen.98 Folgende Beispiele aus der Rechtsprechung können allerdings genannt werden: 1. Ausrottung (extermination) und Mord (murder) Zwischen der Ausrottung (Art. 5 lit. b ICTY-Statut; Art. 3 lit. b ICTR-Statut; Art. 7 Abs. 1 lit. b IStGH-Statut) und dem Mord (Art. 5 lit. a ICTY-Statut; Art. 3 lit. a ICTR-Statut; Art. 7 Abs. 1 lit. a IStGH-Statut) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit leitet die Rechtsprechung von ICTY und ICTR ein Verbot der kumulativen Verurteilung unter Vorrang der Ausrottung ab, weil die Ausrottung die Tötung in großem Ausmaß verlangt und daher stets die Begehung von Mord voraussetzt.99 Einer durch die Stakić-Verfahrenskammer vorgenommenen Ku97 Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo et al., ICC-01/05-01/13, Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 19 October 2016, para. 951. 98 Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 258. 99 Für den ICTY vgl. Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, para. 683; Prosecutor v. Blagojević and Jokić, IT-02-60-T, Judgement, 17 January 2005, paras 802– 803; Prosecutor v. Lukić and Lukić, IT-98-32/1-T, Judgement, 20 July 2009, para. 1045 (dort wird irrtümlicherweise ausgesagt, dass die Ausrottung kein zusätzliches Element enthalte); Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2114; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1204; Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, para. 913; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, paras 6020, 6023–6024; für den ICTR vgl. Prosecutor v. Ntakirutimana and Ntakirutimana, ICTR-96-10-A & ICTR-96-17-A, Judgement, 13 December 2004, para. 542; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T, Judgement and Sentence, 13 April 2006, paras 102–103; Prosecutor v. Nchamihigo, ICTR-01-63-T, Judgement and Sentence, 12 November 2008, para. 344; Prosecutor v. Gatete, ICTR-2000-61-T, Judgement and Sentence, 31 March 2011, paras 41, 665–667; Prosecutor v. Ndindiliyimana et al., ICTR-00-56-T, Judgement and Sentence, 17 May 2011, para. 2037; Prosecutor v. Nyiramasuhuko et al., ICTR-98-
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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mulation mit der Begründung, dadurch die Gesamtheit des schuldhaften Verhaltens sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene zum Ausdruck zu bringen,100 folgte die Rechtsmittelkammer nicht.101 Eine frühere Rechtsprechungslinie nahm für den Mordtatbestand indes noch ein gegenüber der Ausrottung eigenständiges Merkmal des Vorbedachts (premeditation) an. Nichtsdestotrotz verurteilte die Semanza-Verfahrenskammer nicht kumulativ, weil die subjektiven Elemente beider Tatbestände ihrer Ansicht nach nicht „materially distinct“ seien, wenn zu deren Beweis dieselben Tatsachen verwendet werden.102 Der IStGH hatte sich mit dieser Frage, soweit ersichtlich, noch nicht im Rahmen einer Anklagebestätigung, eines Hauptverfahrens oder gar eines Rechtsmittelverfahrens auseinanderzusetzen. Teilweise wird jedoch wegen einer Haftbefehlsentscheidung der Vorverfahrenskammer I, in welcher sich Mord und Ausrottung unbeanstandet nebeneinander finden,103 eine Rechtsprechungsänderung befürchtet.104 Allerdings wird man dieser Entscheidung nicht allzu viel Bedeutung beimessen müssen, denn sie erging ca. drei Monate vor der den Čelebići-Test für das IStGH-Regime übernehmenden Bemba I-Anklagebestätigung durch die Vorverfahrenskammer II. Daher wurden möglicherweise keine Konkurrenzerwägungen angestellt oder es wurde eventuell davon ausgegangen, dass die kumulative Anklage nach Čelebići ohnehin zulässig wäre (vgl. 6. Kap. § 3 E.).
42-T, Judgment and Sentence, 24 June 2011, para. 6070; Bagosora and Nsengiyumva v. Prosecutor, ICTR-98-41-A, Judgement, 14 December 2011, paras 416, 736; Ntabakuze v. Prosecutor, ICTR-98-41A-A, Judgement, 8 May 2012, paras 260–261; Prosecutor v. Nzabonimana, ICTR-98-44D-T, Judgement and Sentence, 31 May 2012, paras 1794, 1799; Prosecutor v. Nizeyimana, ICTR-2000-55C-T, Judgement and Sentence, 19 June 2012, para. 1553; so auch Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 126 f.; Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 257 f. 100 Vgl. Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-T, Judgement, 31 July 2003, paras 876–877. 101 Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, paras 366–367; so möglicherweise auch die – nicht offengelegte – Überlegung von Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu, ICTR-96-4-T, Judgement, 2 September 1998, paras 470, 744, disposition (allerdings noch auf Grundlage des Akayesu-Tests). 102 Vgl. Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T, Judgement and Sentence, 15 May 2003, paras 500–505. 103 The Prosecutor v. Omar Hassan Ahmad Al Bashir, ICC-02/05-01/09, Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir, 4 March 2009, paras 95–97, disposition. 104 Vgl. Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 257 f.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
2. Folter (torture) und grausame (cruel treatment) bzw. unmenschliche Behandlung (inhumane treatment) Die ICTY-Jurisprudenz nimmt ferner zwischen Folter und grausamer Behandlung als Kriegsverbrechen nach Art. 3 ICTY-Statut einen Vorrang der Folter an, weil diese alle Elemente der grausamen Behandlung enthält.105 Entsprechend wurde auch schon im Verhältnis zwischen Folter und anderer unmenschlicher Behandlung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfahren.106 II. Die Deckung von Tatsachen bzw. die konkrete Beweisnotwendigkeit In Interferenz-Situationen erweist sich die Anwendung von Čelebići trotz fortlaufender Betonung des abstrakten Vergleichsgegenstands bis heute als kontrovers, wie die folgenden Konstellationen zeigen: 1. Verfolgung (persecution) und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit Besonders ist das Problem um den richtigen Vergleichsgegenstand im Rahmen der ICTY-Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen der Verfolgung (aus politischen, rassischen und religiösen Gründen) nach Art. 5 lit. h ICTY-Statut und den anderen Einzeltatbeständen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit hervorgetreten. Wenn beispielsweise für die Verfolgung in tatsächlicher Hinsicht auf – eigenständig nach Art. 5 lit. a ICTY-Statut strafbare – Morde abgestellt wurde, sah eine Reihe von ICTY-Kammern jene als durch die Verfolgung mit ihren zusätzlichen Merkmalen der Diskriminierung und der dazugehörigen Absicht erfasst an, weil für die Morde keine Tatsache bewiesen werden musste, deren Beweis
Vgl. noch Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, Judgment, 15 March 2002, para. 314 (dort nur ein Absehen von Strafe); Verurteilung aufgehoben durch Prosecutor v. Krnojelac, IT97-25-A, Judgement, 17 September 2003, para. 172; Prosecutor v. Limaj et al., IT-03-66-T, Judgement, 30 November 2005, para. 719; Prosecutor v. Martić, IT-95-11-T, Judgement, 12 June 2007, para. 477; Prosecutor v. Mrkšić et al., IT-95-13/1-T, Judgement, 27 September 2007, para. 679; Prosecutor v. Haradinaj et al., IT-04-84-T, Judgement, 3 April 2008, paras 480–481; Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, para. 914. 106 Vgl. noch Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, Judgment, 15 March 2002, para. 314 (dort nur ein Absehen von Strafe); Verurteilung aufgehoben durch Prosecutor v. Krnojelac, IT97-25-A, Judgement, 17 September 2003, para. 172; Prosecutor v. Martić, IT-95-11-T, Judgement, 12 June 2007, para. 477; vgl. Prosecutor v. Martić, T-95-11-A, Judgement, 8 October 2008, paras 319, 346 n. 908; Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, paras 915–916. 105
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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nicht auch für die (konkrete) Verfolgung notwendig war.107 Die Rechtsmittelkammer in Krstić formulierte diesen Gedanken folgendermaßen aus: „Where the charge of persecution is premised on murder or inhumane acts, and such charge is proven, the Prosecution need not prove any additional fact in order to secure the conviction for murder or inhumane acts as well. The proof that the accused committed persecution through murder or inhumane acts necessarily includes proof of murder or inhumane acts under Article 5.“108
Die Rechtsmittelkammer in Kordić and Čerkez sah darin jedoch eine inkorrekte Anwendung von Čelebići, weil für den abstrakten Verfolgungstatbestand nicht notwendig die Tötung eines Menschen bewiesen werden muss, und leitete einen generellen Wechsel zu einer abstrakten Betrachtung ein:109 „The Appeals Chamber finds that the definition of persecutions contains materially distinct elements not present in the definition of murder under Article 5 of the Statute: the requirement of proof that an act or omission discriminates in fact and proof that the act or omission was committed with specific intent to discriminate. Murder, by contrast, requires proof that the accused caused the death of one or more persons, regardless of whether the act or omission causing the death discriminates in fact or was specifically intended as discriminatory, which is not required
Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, para. 675; bestätigt von Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-A, Judgement, 19 April 2004, para. 232; Prosecutor v. Kvočka et al., IT-98-30/1-T, Judgement, 2 November 2001, paras 220–221; Prosecutor v. Vasiljević, IT-98-32-T, Judgment, 29 November 2002, paras 267–268; bestätigt von Prosecutor v. Vasiljević, IT-98-32-A, Judgement, 25 February 2004, paras 146–147; Prosecutor v. D. Nikolić, IT-942-S, Sentencing Judgement, 18 December 2003, paras 118–119; vgl. auch Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-T, Judgement, 31 July 2003, paras 879–881; krit. schon Shahabuddeen J., partially dissenting, in Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-A, Judgement, 19 April 2004, paras 91–93. 108 Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-A, Judgement, 19 April 2004, para. 232. 109 Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1040–1041, 1044; Prosecutor v. Blagojević and Jokić, IT-02-60-T, Judgement, 17 January 2005, para. 810; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 359; Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-T, Judgement, 27 September 2006, para. 1130; bestätigt von Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-A, Judgement, 17 March 2009, paras 388–391; Prosecutor v. Milutinović et al., IT-05-87-T, Judgement, Volume 3 of 4, 26 February 2009, para. 1167; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2113; Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-T, Public Judgement with Confidential Annex, 23 February 2011, para. 2200; bestätigt von Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-A, Judgement, 27 January 2014, paras 840–842; Prosecutor v. Gotovina et al., IT-06-90-T, Judgement, Volume II of II, 15 April 2011, para. 2590; vgl. Prosecutor v. Perišić, IT-04-81-T, Judgement, 6 September 2011, para. 1790; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1202; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6018. 107
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
by persecutions. Thus, cumulative convictions on the basis of the same acts under Article 5 of the Statute are permissible in relation to these crimes.“110
Auch im Verhältnis der Verfolgung zu anderen Einzeltatbeständen hat sich dieser Wechsel zur abstrakten Betrachtung mit der Folge der Kumulation weitgehend durchgesetzt. So in Relation zur Ausrottung (extermination)111, der Deportierung (deportation)112, der Freiheitsentziehung (imprisonment)113, der Folter (torture)114, der Vergewaltigung (rape)115 sowie zu anderen unmenschlichen Hand-
110 Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, para. 1041. 111 Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 364; Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-T, Judgement, 27 September 2006, para. 1130; bestätigt von Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-A, Judgement, 17 March 2009, paras 388–391; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2113; Prosecutor v. Tolimir, IT-0588/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1202; Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, para. 913; Prosecutor v. Karadžić, IT-955/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6019. 112 Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 360; Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-T, Judgement, 27 September 2006, para. 1130; bestätigt von Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-A, Judgement, 17 March 2009, paras 388–391; Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-T, Public Judgement with Confidential Annex, 23 February 2011, para. 2199; bestätigt in Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-A, Judgement, 27 January 2014, paras 840–842; Prosecutor v. Gotovina et al., IT-06-90-T, Judgement, Volume II of II, 15 April 2011, para. 2590; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6019; anders noch Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-T, Judgement, 31 July 2003, paras 879–881; Prosecutor v. Simić et al., IT-95-9-T, Judgement, 17 October 2003, para. 1058; Prosecutor v. Brđanin, IT-99-36-T, Judgement, 1 September 2004, para. 1085. 113 Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1040, 1043–1044; anders noch Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, Judgment, 15 March 2002, para. 503. 114 Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-A, Judgement, 3 May 2006, paras 589– 591; anders noch Prosecutor v. Kvočka et al., IT-98-30/1-T, Judgement, 2 November 2001, paras 227, 233; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, paras 723–724; Prosecutor v. D. Nikolić, IT-94-2-S, Sentencing Judgement, 18 December 2003, paras 118–119; Prosecutor v. Brđanin, IT-99-36-T, Judgement, 1 September 2004, para. 1085. 115 Vgl. Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, para. 1040; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-A, Judgement, 3 May 2006, paras 589. Anders noch Prosecutor v. Kvočka et al., IT-98-30/1-T, Judgement, 2 November 2001, para. 233; Prosecutor v. D. Nikolić, IT-94-2-S, Sentencing Judgement, 18 December 2003, paras 118–119.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
295
lungen (other inhumane acts)116. Der ICTR117 hat diese neuere Rechtsprechung übernommen und auch die Vorverfahrenskammer II des IStGH scheint sich im Rahmen einer Anklagebestätigung für die abstrakte Betrachtung entschieden zu haben.118 Dass die Frage dennoch weiterhin virulent ist, zeigt der in Richterschaft und Literatur119 nach wie vor bestehende Widerstand gegen diese neuere Rechtsprechung. Vor allem die Richter Güney und Schomburg haben sich mehrmals unter Betonung des „materially distinct“ und einer dennoch dezidiert abstrakten Betrachtung – ganz ähnlich wie die Mehrheiten in Whalen/Dixon (4. Kap. § 1 B. III.) – gegen diese Art der Anwendung von Čelebići gewendet. Sie plädieren jedoch dafür, in der – einzig für die Verfolgung vorzunehmenden – Verurteilung die konkreten Einzelakte zu benennen.120 116 Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-95-14/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1040, 1042, 1044; Prosecutor v. Blagojević and Jokić, IT-02-60-T, Judgement, 17 January 2005, para. 810; Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, para. 362; Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-T, Judgement, 27 September 2006, para. 1130; bestätigt von Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-A, Judgement, 17 March 2009, paras 388–391; Prosecutor v. Popović et al., IT-05-88-T, Judgement, Volume I, 10 June 2010, para. 2113; Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-T, Public Judgement with Confidential Annex, 23 February 2011, para. 2198; bestätigt in Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-A, Judgement, 27 January 2014, paras 840–842; Prosecutor v. Gotovina et al., IT-06-90-T, Judgement, Volume II of II, 15 April 2011, para. 2590; vgl. Prosecutor v. Perišić, IT-04-81-T, Judgement, 6 September 2011, para. 1790; Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-T, Judgement, 12 December 2012, para. 1203; bestätigt von Prosecutor v. Tolimir, IT-05-88/2-A, Judgement, 8 April 2015, para. 606; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6019; anders noch Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, para. 676; bestätigt von Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-A, Judgement, 19 April 2004, para. 232; Prosecutor v. Kvočka et al., IT-98-30/1-T, Judgement, 2 November 2001, paras 217, 228, 232, 237; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T, Judgment, 15 March 2002, para. 503; Prosecutor v. Vasiljević, IT-98-32-T, Judgment, 29 November 2002, paras 267–268; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-A, Judgement, 17 September 2003, para. 188; Prosecutor v. Brđanin, IT-99-36-T, Judgement, 1 September 2004, para. 1085. 117 Nahimana et al. v. Prosecutor, ICTR-99-52-A, Judgement, 28 November 2007, paras 1024–1027; Bagosora and Nsengiyumva v. Prosecutor, ICTR-98-41-A, Judgement, 14 December 2011, paras 414, 735. 118 The Prosecutor v. William Samoei Ruto and Joshua Arap Sang, ICC-01/09-01/11, Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute, 23 January 2012, paras 279–281. 119 Die Frage wird auch in der Literatur kontrovers diskutiert. Für die Kumulation etwa Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 131 ff.; unklar Valabhji, Tul. J. Int’l & Comp. L. 10 (2002), 185, 199 f.; dagegen etwa Palombino, JICJ 3 (2005), 778, 789; Erdei, Suffolk Transnat’l L. Rev. 34 (2011), 317, 336. 120 Vgl. Schomburg, Güney JJ., dissenting, in Prosecutor v. Kordić and Čerkez, IT-9514/2-A, Judgement, 17 December 2004, paras 1–13; Güney J., dissenting, in Prosecutor v. Stakić, IT-97-24-A, Judgement, 22 March 2006, paras 1–6; Güney, Schomburg JJ., dissenting,
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
In der Verfahrenskammer des Falles Stanišić/Župljanin fand die Gegenposition in jüngerer Zeit sogar wieder eine Mehrheit. So wurde die kumulative Verurteilung aus der Verfolgung und einer Reihe von selbstständigen Einzeltatbeständen unter ungewöhnlich scharfer Zurückweisung des Ansatzes der Rechtsmittelkammer abgelehnt, weil nach Meinung der Kammer die Verfolgung stets die Mitbegehung eines anderen Verbrechens voraussetzen soll:121 „In the Trial Chamber’s view, it would appear that the Appeals Chamber did not fully appreciate the fact that persecution is always committed through some other crime, such as murder, whose elements must still be proved in addition to the discriminatory element required for persecution. To classify a crime as ‚persecution‘ is to add a discriminatory intent to that crime. [...] Based on the foregoing, in the view of the Trial Chamber, the Čelebići test does not allow a Chamber to analyse the crime of persecution in the abstract and detached from the underlying offence of murder, when the same conduct is charged as two crimes. To do so would lead to the result of convicting the accused twice for the same crime.“122
Erwartungsgemäß nahm die Rechtsmittelkammer dies allerdings nicht zum Anlass, ihre ständige Rechtsprechung noch einmal zu ändern.123 Insbesondere wies sie die Prämisse der Verfahrenskammer zurück, dass die Verfolgung notwendigerweise die Begehung eines anderen Verbrechens voraussetzen soll. Stattdessen können (im Rahmen des ICTY-Statuts) auch nicht selbstständig strafbare Einzel akte Anknüpfungspunkt für ein Verfolgungsverbrechen sein.124 Wäre die Prämisse der Verfahrenskammer für das ICTY-Statut zutreffend, läge strukturell eine Whalen-Konstellation vor, in der in den USA der Blockburger-Test modifiziert angewendet wird (4. Kap. § 1 B. I. 3. a, 5. Kap. § 2 C. II. 2. d). Eine solche Konstellation liegt allerdings im Rahmen des IStGH-Statuts nahe, wo Art. 7 Abs. 1 lit. h für die Verfolgung immerhin einen Zusammenhang mit einem nach dem IStGH-Statut selbstständig strafbaren Verbrechen verlangt (in connection with any act referred to in this paragraph or any crime within the jurisdiction of the in Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-A, Judgement, 3 May 2006, p. 211; Schomburg J., dissenting, in Prosecutor v. Simić et al., IT-95-9-A, Judgement, 28 November 2006, para. 9 n. 16; Güney J., partly dissenting, in Nahimana et al. v. Prosecutor, ICTR-99-52-A, Judgement, 28 November 2007, paras 1–5; Güney J., dissenting, in Prosecutor v. Krajišnik, IT-00-39-A, Judgement, 17 March 2009, para. 391; Güney J., partially dissenting, in Prosecutor v. Đorđević, IT-05-87/1-A, Judgement, 27 January 2014, para. 7. 121 Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, paras 908–913, 916, 918. Zugelassen hat die Kammer die Kumulation zwischen der Verfolgung durch Tötungen und der Ausrottung. 122 Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-T, Judgement, Volume 2 of 3, 27 March 2013, paras 910, 912. 123 Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-A, Judgement, 30 June 2016, paras 1089–1093. 124 Vgl. Prosecutor v. Stanišić and Župljanin, IT-08-91-A, Judgement, 30 June 2016, para. 1091.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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Court). Insoweit wendet jedenfalls der IStGH den Blockburger/Čelebići-Test bislang strenger an, als dies in den USA der Fall ist. Dass die Frage weiterhin umstritten ist, zeigt schließlich auch das Beispiel des Falles Duch an den ECCC, in dem sich die Rechtsmittelkammer125 für die abstrakte Version entschieden hat, nachdem die Verfahrenskammer126 Čelebići konkret angewendet hatte. 2. Angriff auf Zivilisten (attack on civilians) und Mord/grausame Behandlung als Kriegsverbrechen Ein weniger Aufmerksamkeit findender Dissens besteht am ICTY hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem über Art. 3 ICTY-Statut strafbaren Kriegsverbrechen des Angriffs auf die Zivilbevölkerung (vgl. Art. 51 Abs. 2 Satz 1 Genfer Zusatzprotokoll I, Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Genfer Zusatzprotokoll II) und den weiteren Kriegsverbrechen des Mordes sowie der grausamen Behandlung. Die Verfahrenskammer in Strugar verurteilte nur wegen des Angriffs, weil der Mord und die grausame Behandlung ihrer Auffassung nach – sowohl bei abstrakter als auch konkreter Betrachtung – kein zusätzliches Element enthalten.127 Dem folgte die Verfahrenskammer in Martić im Verhältnis zwischen einem Angriff auf Zivilisten und Mord bzw. grausame Behandlung.128 Die Perišić-Verfahrenskammer hingegen ließ im Verhältnis zwischen einem Angriff auf die Zivilbevölkerung und Mord die Kumulation zu, ohne jedoch auf die gegenteilige Judikatur einzugehen oder die überschießenden Elemente ausdrücklich zu benennen.129 Bei einer streng abstrakten Anwendung von Čelebići wird sie allerdings Recht haben, wenn man berücksichtigt, dass im Rahmen des ICTY-Statuts als Konsequenz des Angriffs auf die Zivilbevölkerung der Tod oder schwere Verletzungen von Körper oder Gesundheit unter der Zivilbevölkerung hervorgehen müssen.130 Folglich kann dieser Tatbestand durch einen ohne jede Todesfolge vonstatten gehenden Angriff auf Zivilisten erfüllt werden. Da das Ergebnis in Strugar u. a. auf eine abstrakte Anwendung gestützt und in Mar-
125 Prosecutor v. Guek Eav Kaing alias „Duch“, 001/18-07-2007-ECCC/SC, Appeal Judgement, 3 February 2012, paras 316–332, 335–336. 126 Prosecutor v. Guek Eav Kaing alias „Duch“, 001/18-07-2007/ECCC/TC, Trial Judgement, 26 July 2010, paras 563–565. 127 Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T, Judgement, 31 January 2005, paras 449–451. 128 Prosecutor v. Martić, IT-95-11-T, Judgement, 12 June 2007, para. 478. 129 Prosecutor v. Perišić, IT-04-81-T, Judgement, 6 September 2011, para. 1789. 130 Vgl. Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T, Judgement, 31 January 2005, para. 280; Prosecutor v. Martić, IT-95-11-T, Judgement, 12 June 2007, para. 478; Prosecutor v. Perišić, IT-0481-T, Judgement, 6 September 2011, para. 99.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
tić131 immerhin im Rahmen der Verfolgung eine Kordić entsprechende abstrakte Betrachtung angewendet wurde, scheint man sich der Abweichung von Čelebići hier132 nicht bewusst gewesen zu sein. 3. Vergewaltigung (rape) und Folter (torture) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit Eine zwischen den Gerichtshöfen divergierende Rechtsprechung hat sich im Hinblick auf die Kumulation zwischen der Vergewaltigung und der Folter herauskristallisiert („torture through rape“). So gehen sowohl der ICTY133 als auch der ICTR134 davon aus, dass beide Tatbestände nach Čelebići unterschiedliche Elemente enthalten und daher die Kumulation zulässig ist: Während nämlich nur die Vergewaltigung eine Penetration verlangt, erfordert alleine die Folter die Zufügung schwerer Schmerzen oder Leiden gerade zu einen spezifisch verbotenen Zweck. Die Vorverfahrenskammer II des IStGH hat hingegen die kumulative Anklage von Vergewaltigung (Art. 7 Abs. 1 lit. g IStGH-Statut) und Folter (Art. 7 Abs. 1 lit. f IStGH-Statut) für unzulässig erklärt.135 Dies wirft die Frage auf, ob diese unterschiedliche Bewertung an gegenüber dem an den Ad-hoc-Tribunalen anwendbaren Recht unterschiedlichen Voraussetzungen der Folter liegt oder an einer nicht rein abstrakten Anwendung von Čelebići. Für Ersteres scheint zunächst zu sprechen, dass die Folter im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. f IStGH-Statut nicht zu einem verbotenen Zweck erfolgen muss,136 welcher von den Ad-hoc-Tribunalen gerade als das eigenständige EleProsecutor v. Martić, IT-95-11-T, Judgement, 12 June 2007, paras 474–475. In einer anderen Konstellation erkannte die Strugar-Verfahrenskammer die unterschiedlichen Ergebnisse und wich vom abstrakten Test ab, was von der Rechtsmittelkammer wiederum aufgehoben wurde (vgl. 6. Kap. § 3 D. II. 4.). Interessanterweise wurde das hiesige Abweichen im Rechtsmittelverfahren nicht von der Anklagebehörde gerügt. 133 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23-T & IT-96-23/1-T, Judgement, 22 February 2001, para. 557; bestätigt in Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-96-23/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 179, 189, 196; Prosecutor v. Kvočka et al., IT-98-30/1-T, Judgement, 2 November 2001, para. 233; Prosecutor v. Milutinović et al., IT-05-87-T, Judgement, Volume 3 of 4, 26 February 2009, para. 1164. 134 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T, Judgement and Sentence, 15 May 2003, para. 506. 135 The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, paras 72, 190, 204–205; zust. Ambos, LJIL 22 (2009), 715, 723 f.; ders., ZIS 2011, 287, 296; krit. Green, Int’l Crim. L. Rev. 11 (2011), 529 ff. 136 The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, para. 195; vgl. Elements of Crime, Article 7 (1) (f). 131 132
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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ment des Foltertatbestands angeführt wird. Andererseits setzt die Folter im IStGH-Kontext jedoch voraus, dass die betroffene Person im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Täters ist (in the custody or under the control of the perpetrator).137 Aus diesem Grund kann man die abstrakte Inklusion der Folter in der Vergewaltigung auch unter dem IStGH-Statut verneinen, wenn man für die Folter „eine Art gefestigte Machtposition“ voraussetzt.138 Die genaue Bedeutung dieses Elements ist allerdings noch nicht geklärt.139 Čelebići könnte hier allenfalls dann abstrakt angewendet worden sein, wenn die Kammer davon ausgegangen wäre, dass eine Vergewaltigung stets unter demselben Grad an Kontrolle des Täters und demselben Grad an Schmerz und Leid wie bei der Folter erfolgt. Für so eine abstrakte Betrachtung spricht, dass diese Entscheidung immerhin durch dieselbe Kammer erging, welche drei Jahre später in Ruto/Sang zwischen der Verfolgung und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine rein abstrakte Betrachtung anwenden sollte (6. Kap. § 3 D. II. 1.).140 Mehr spricht hier jedoch gegen eine abstrakte Čelebići-Betrachtung141 und für die Anwendung eines konkreten Tatsachenvergleichs.142 So formulierte die Kammer wie folgt: „The Chamber considers that in this particular case, the specific material elements of the act of torture, namely severe pain and suffering and control by the perpetrator over the person, are also the inherent specific material elements of the act of rape. However, the act of rape requires the additional specific material element of penetration, which makes it the most appropriate legal characterisation in this particular case. The Chamber, after having carefully reviewed the factual circumstances submitted by the Prosecutor, concludes that the evidence he presented reflects the same conduct which underlies the count of rape, as identified in the statements of witnesses 22, 23, 29, 68, 80, 81, 87 and
137 Vgl. The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, para. 192; vgl. Elements of Crime, Article 7 (1) (f), Element No. 2. 138 Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 128. 139 Vgl. Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, 2016, Rn. 1003; ähnlich wird die Folter in 18 U.S. Code § 2340(1) definiert. 140 Nach Stuckenberg, in: Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court, 2015, S. 857 m. w. N. mag die Kammer daher den Test in Bemba I schlicht missverstanden haben. 141 Vgl. Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, 2016, Rn. 791; vgl. Ambos, Treatise on International Criminal Law, Band 2, 2014, S. 258. 142 Sácouto/Cleary, Crim. L. Forum 22 (2011), 409, 430; Green, Int’l Crim. L. Rev. 11 (2011), 529, 536, 538; Stuckenberg, in: Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court, 2015, S. 852, 856 f.; Mokhtarzadeh, Fordham Int. L. J. 36 (2013), 1020, 1057.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
Unidentified Victims 1 to 35. The Chamber therefore considers that the act of torture is fully subsumed by the count of rape.“143 [Hervorh. d. Verf., Fn. weggelassen]
Die Kammer betonte mithin den speziellen Einzelfall („in this particular case“), was darauf hindeutet, dass sie nicht notwendig für jede Vergewaltigung von dem Vorhandensein der Elemente der Folter ausging. Vielmehr stellte sie ausdrücklich auf die vom Ankläger vorgebrachten, den Verbrechen hier konkret unterliegenden Tatsachen ab und schien davon auszugehen, dass hier mit dem Beweis der konkreten Vergewaltigungen die konkreten Folterungen notwendig mitbewiesen wären. Schließlich spricht für eine konkrete Betrachtung, dass die Kammer in einer Fußnote „for a similar approach“ u. a. auf den Fall Kayishema verwies, in dem auf Grundlage einer konkreten Betrachtung der Vorrang des Völkermordes vor den Verbrechen gegen die Menschlichkeit begründet worden war (vgl. 6. Kap. § 2 B. II.).144 Entsprechend ist die Vorverfahrenskammer überdies im Verhältnis zwischen der Vergewaltigung als Kriegsverbrechen (Art. 8 Abs. 2 lit. e (vi) IStGH-Statut) und der Beeinträchtigung der persönlichen Würde als Kriegsverbrechen (Art. 8 Abs. 2 lit. c (ii) IStGH-Statut) verfahren.145 4. Zerstörung/vorsätzliche Beschädigung von kulturellen Einrichtungen und Verwüstung bzw. Angriff auf zivile Objekte Am ICTY gab es schließlich eine Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen der Zerstörung/vorsätzlichen Beschädigung von kulturellen Einrichtungen (Art. 3 lit. d ICTY-Statut) einerseits und der durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigten Verwüstung (Art. 3 lit. b ICTY-Statut) sowie einem Angriff auf zivile Objekte (Art. 52 Abs. 1 Genfer Zusatzprotokoll I) andererseits. Die Strugar-Verfahrenskammer erkannte hier sogar an, dass die drei Delikte bei abstrakter Betrachtung jeweils überschießende Elemente haben; jedoch konnte sie in diesem Einzelfall in der durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigten
The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean- Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, paras 204–205. 144 Vgl. The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, para. 205 mit Verweis auf Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, ICTR-95-1-T, Judgement, 21 May 1999, paras 577, 625–650. 145 The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, paras 302, 310, 312–313; krit. Green, Int’l Crim. L. Rev. 11 (2011), 529, 536, 538. 143
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
301
Verwüstung sowie dem Angriff auf zivile Objekte kein „materially distinct element“ gegenüber der Zerstörung/vorsätzlichen Beschädigung von kulturellen Einrichtungen erkennen.146 Die Rechtsmittelkammer stellte hingegen klar, dass kumulativ zu verurteilen ist, weil abstrakt verschiedene Elemente vorliegen und der Kammer in dieser Sache auch keinerlei Ermessen zukommt.147 Insbesondere kann die Zerstörung/Beschädigung von kulturellen Einrichtungen nach dem ICTY-Statut – abstrakt gesehen – ohne einen Angriff auf zivile Objekte erfolgen, sodass genau jener das im Sinne von Čelebići eigene Element des Verbrechens des Angriffs auf zivile Objekte ist.148 In das IStGH-Statut hingegen wurde das Erfordernis eines vorsätzlichen Angriffs auf kulturelle Einrichtungen in Art. 8 Abs. 2 lit. b (ix) bzw. lit. e (iv) aufgenommen. Insofern wird Čelebići hier im Verhältnis zwischen Art. 8 Abs. 2 lit. b (ix) und dem nach Art. 8 Abs. 2 lit. b (ii) IStGH-Statut strafbaren vorsätzlichen Angriff auf zivile Objekte zu einem Doppelverurteilungsverbot führen.149 Wenngleich es für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt im IStGH-Statut keine unmittelbare Entsprechung des Art. 8 Abs. 2 lit. b (ii) gibt,150 hat die Vorverfahrenskammer I kürzlich den Art. 8 Abs. 2 lit. e (iv) als „lex specialis“ gegenüber dem Verbrechen des vorsätzlichen Angriffs auf zivile Objekte bezeichnet.151
E. Die Auswirkungen von Čelebići auf die Anklage I. ICTY und ICTR Am ICTY war nach Art. 18 Abs. 4 ICTY-Statut, Rule 49 der RPE die kumulative Anklage von Delikten allgemein möglich, wenn die ihnen unterliegenden Einzelhandlungen einen Vorgang (if the series of acts committed together form the same transaction) darstellten. Entsprechende Regelungen für den ICTR finden sich in Art. 17 Abs. 4 ICTR-Statut, Rule 49 RPE. Jedoch enthalten weder die Statuten noch die jeweiligen RPE eine Regelung darüber, ob die Kumulation auch bei Delikten möglich ist, zwischen denen die Doppelverurteilung verboten ist. Nach der Kupreškić-Verfahrenskammer sollte die Anklagebehörde bei Einschlägigkeit eines Doppelverurteilungsverbots beide Delikte in verschiedenen Anklagepunkten anklagen können; allerdings sollte dies ausdrücklich alternativ Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T, Judgement, 31 January 2005, paras 452–455. Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-A, Judgement, 17 July 2008, paras 323–332. 148 Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T, Judgement, 31 January 2005, paras 452–453; Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-A, Judgement, 17 July 2008, paras 326–328. 149 Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 174. 150 Vgl. Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, 2016, Rn. 1366. 151 Prosecutor v. Ahmad Al Faqi Al Mahdi, ICC-01/12-01/15, Decision on the confirmation of charges against Ahmad Al Faqi Al Mahdi, 24 March 2016, para. 43. 146 147
302
6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
erfolgen.152 Obwohl das Gericht (in Common Law-Tradition) grundsätzlich keine abweichende rechtliche Bewertung der Fakten vornehmen dürfe als von der Anklage vorgegeben,153 sei auch am ICTY die Verurteilung aus einer lesser included offence möglich,154 sodass beide Delikte auch implizit zusammen angeklagt werden können. Im Gegensatz dazu hat die Čelebići-Rechtsmittelkammer sogar die ausdrücklich kumulative Anklage uneingeschränkt zugelassen, weil eine Verfahrenskammer nach Abschluss der Beweisaufnahme besser beurteilen könne, welche Anklagepunkte bestehen bleiben können.155 Dieser generellen Erlaubnis wurde in der folgenden Judikatur sowohl am ICTY156 als auch am ICTR157 gefolgt. Die ausdrücklich alternative Anklage, wie sie der Kupreškić-Verfahrenskammer vorschwebte, war damit erst recht zulässig.158 II. IStGH Am IStGH findet sich keine explizite joinder-Vorschrift, jedoch gibt es im Statut und den RPE Regelungen, welche die Möglichkeit der Kumulation von Anklage153
Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, para. 727. Vgl. Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 723,
154
Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-T, Judgement, 14 January 2000, paras 742–743,
152
740. 745.
155 Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, para. 400. Dem stimmten ausdrücklich die bzgl. der Frage der kumulativen Verurteilung abweichenden Richter zu, vgl. Hunt, Bennouna JJ., dissenting, in Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, para. 12. 156 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23-T & IT-96-23/1-T, Judgement, 22 February 2001, para. 548; Prosecutor v. Krstić, IT-98-33-T, Judgement, 2 August 2001, para. 659; Prosecutor v. Kupreškić et al., IT-95-16-A, Appeal Judgement, 23 October 2001, paras 385–386, 394; Procureur c. Kunarac et al., IT-96-23 & IT-96-23/1-A, Arrêt, 12 juin 2002, par. 167; Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, paras 510, 718; Prosecutor v. Galić, IT-98-29-T, Judgement and Opinion, 5 December 2003, para. 156; Prosecutor v. Galić, IT-98-29-A, Judgement, 30 November 2006, para. 161. 157 Musema v. Prosecutor, ICTR-96-13-A, Judgement, 16 November 2001, para. 369; Prosecutor v. Ntakirutimana and Ntakirutimana, ICTR-96-10 & ICTR-96-17-T, Judgement and Sentence, 21 February 2003, para. 863; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T, Judgement and Sentence, 15 May 2003, paras 60, 408; Prosecutor v. Nahimana et al., ICTR-99-52-T, Judgement and Sentence, 3 December 2003, para. 1089; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-200171-I, Judgement and Sentence, 15 July 2004, para. 491; Semanza v. Prosecutor, ICTR-9720-A, Judgement, 20 May 2005, paras 308–309; Simba v. Prosecutor, ICTR-01-76-A, Judgement, 27 November 2007, para. 276; Prosecutor v. Nchamihigo, ICTR-01-63-T, Judgement and Sentence, 12 November 2008, para. 343. 158 Vgl. Prosecutor v. Naletilić and Martinović, IT-98-34-T, Judgement, 31 March 2003, para. 510.
§ 3 Čelebići: Die Übernahme des Blockburger-Tests in das Völkerstrafrecht
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punkten voraussetzen (vgl. Art. 61, 78 Abs. 3 IStGH-Statut, Rules 121, 127–128 RPE; Regulation 52). Auch diese sagen allerdings nichts über Delikte aus, zwischen denen ein Doppelverurteilungsverbot besteht. Daher hat die Rechtsprechung auch im Rahmen des IStGH-Statuts die Lücke gefüllt und – jedenfalls zunächst – einen von den Ad-hoc-Tribunalen abweichenden Weg eingeschlagen: So hat die Bemba I-Vorverfahrenskammer die kumulative Anklage von Čelebići-Konstellationen untersagt.159 Der Grund wird darin gesehen, dass kumulative Anklagepunkte die Verteidigung beeinträchtigen und zu Verfahrensverzögerung führen.160 Darüber hinaus soll die Verfahrenskammer im IStGH-Rechtsrahmen – im Unterschied zu den Ad-hoc-Tribunalen – nach Regulation 55 ohnehin nicht an die rechtliche Bewertung durch die Anklage oder die Vorverfahrenskammer gebunden sein.161 Insofern wird also auch hier von der Möglichkeit einer Verurteilung aus einer lesser included offence ausgegangen, ohne dass ein solcher Tatbestand ausdrücklich angeklagt werden muss. Ob sich diese Rechtsprechung durchsetzen wird, ist noch unklar und bleibt abzuwarten.162 So setzte kürzlich die Vorverfahrenskammer II – bemerkenswerterweise unter Beteiligung eines Richters der Bemba I-Anklagebestätigung – deutlich andere Akzente und erlaubte die kumulative Anklage uneingeschränkt, ohne auf Bemba I einzugehen:163 „The Chamber is of the view that questions of concurrence of offences are better left to the determination of the Trial Chamber. Indeed, article 61(7) of the Statute mandates the Chamber to decline to confirm charges only when the evidence does not provide substantial grounds to believe that the person committed the charged crime and not when one possible legal characterisation of the relevant facts is to be preferred over another, equally viable. When the Prose-
159 Vgl. The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, paras 72, 190, 202–205, 302, 310, 312–313; vgl. auch The Prosecutor v. William Samoei Ruto and Joshua Arap Sang, ICC-01/09-01/11, Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute, 23 January 2012, paras 279–281. 160 The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, paras 201–202. 161 Vgl. The Prosecutor v. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08, Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, 15 June 2009, para. 203. 162 Vgl. Sácouto/Cleary, Crim. L. Forum 22 (2011), 409, 411; Stuckenberg, in: Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court, 2015, S. 855. 163 Prosecutor v. Ongwen, ICC-02/04-01/15, Decision on the confirmation of charges against Dominic Ongwen, 23 March 2016, paras 29–33.
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
cutor meets the applicable burden of proof, the Chamber shall confirm the charges as pre sented.“164
Ausdrücklich wies sie die Argumentation anhand von Regulation 55 zurück, die ihrer Meinung nach nur einschlägig sein soll, wenn sich im Verfahren selbst eine veränderte Beweislage ergibt, die eine andere rechtliche Einordnung erforderlich macht: „Regulation 55 provides for a procedural remedy to situations in which the evidence heard at trial warrants a modification to the legal characterisation of the facts confirmed by the Pre-Trial Chamber. This provision does not address or otherwise concern situations in which the same set of facts could constitute simultaneously more than one crime under the Statute, i.e. those situations warranting cumulative charging or cumulative convictions.“165
§ 4 Kritische Würdigung des Čelebići-Tests Das Verdienst von Čelebići besteht darin, dass es sich um einen eigentlich leicht handzuhabenden Test handelt, welcher der völkerstrafrechtlichen Judikatur trotz der genannten Unsicherheiten eine dennoch hohe Stabilität und Vorhersehbarkeit166 über fast zwei Jahrzehnte ermöglicht hat. Dennoch begegnet er im Hinblick auf Herleitung und sachliche Reichweite Bedenken (A.). Es bietet sich stattdessen an, das Konzept der Tateinheit auch im Völkerstrafrecht einzuführen (B.) und darüber hinaus Čelebići leicht zu erweitern (C.).
A. Die unbefriedigende rechtsvergleichende Fundierung Zunächst ist die rechtsvergleichende Herleitung des Tests durch die Čelebići-Rechtsmittelkammer fragwürdig, wenn dabei von falschen Prämissen ausgegangen wird und überhaupt nur drei nationale Rechtsordnungen bemüht werden, um auf dieser Grundlage einen für den Angeklagten äußerst nachteiligen, fast immer die kumulative Verurteilung erlaubenden Test zu formulieren. Im deutschen Recht wurde die gesamte, sogar weit über die abstrakt-notwendige Mitbegehung hinausreichende Gesetzeskonkurrenz ignoriert und § 52 StGB als Beispiel einer Rechtsordnung angeführt, in der angeblich für jede nominelle Gesetzesverletzung verurteilt wird.167 Darüber hinaus wurde nicht begründet, Prosecutor v. Ongwen, ICC-02/04-01/15, Decision on the confirmation of charges against Dominic Ongwen, 23 March 2016, para. 30. 165 Prosecutor v. Ongwen, ICC-02/04-01/15, Decision on the confirmation of charges against Dominic Ongwen, 23 March 2016, para. 31. 166 So schon die Einschätzung von Valabhji, Tul. J. Int’l & Comp. L. 10 (2002), 185, 202. 167 Vgl. Prosecutor v. Delalić et al., IT-96-21-A, Judgement, 20 February 2001, paras 406– 164
§ 4 Kritische Würdigung des Čelebići-Tests
305
warum ausgerechnet der selbst in seiner Heimatjurisdiktion nicht ausschließlich angewendete, nicht immer abstrakt angewendete und sehr umstrittene Blockburger-Test den Maßstab für das Völkerstrafrecht bilden soll.168 Womöglich war der dahinterstehende, durch den Irrtum hinsichtlich des deutschen Rechts bedingte Gedanke, man gehe einen Mittelweg zwischen den Extremen einer Deliktsabsorptionslösung und einer reinen Bestrafungslösung (vgl. 5. Kap. § 2 A.). Allerdings wird ein Mittelweg auch im deutschen Recht gegangen (vgl. 5. Kap. § 2 A. II.). Auch in der sachlichen Reichweite überzeugt der Test gerade vor einem rechtsvergleichenden Hintergrund nicht. Im Gegensatz zur Čelebići tendenziell streng abstrakt und damit nur bei abstrakter Inklusion anwendenden völkerstrafrechtlichen Rechtsprechung, verurteilen alle hier einbezogenen nationalen Rechtsordnungen auch im Interferenzbereich unter bestimmten Voraussetzungen nicht kumulativ (5. Kap. § 2 C.). Dies ist gerade deshalb bemerkenswert, weil immerhin zwei dieser Rechtsordnungen (das US- und das deutsche Recht) in Delalić zur Herleitung des Čelebići-Tests dienten.
B. Erster Vorschlag: Die Kennzeichnung von Doppelverwertungen Im Völkerstrafrecht fehlt es aufgrund seiner starken Common Law-Beeinflussung bislang am Konzept der Tateinheit, was eigentlich ein erweitertes Doppelverurteilungsverbot umso dringender erforderlich machte. Der Vergleich hat nämlich gezeigt, dass dessen Abwesenheit im Common Law zu Schwierigkeiten und speziell in den USA zu Abweichungen vom Blockburger-Test führt (5. Kap. § 2 C. III.). Im Einklang mit den Ergebnissen des Rechtsvergleichs wird daher vorgeschlagen, im Völkerstrafrecht den Begriff der Tateinheit einzuführen, weil dieser das unter 5. Kap. § 2 A. aufgezeigte Spannungsverhältnis am besten austariert.169 So wäre die mehrfache Verwertung derselben Tatsache (v. a. der Tathandlung) durch eine entsprechende Formulierung in der Urteilsformel (disposition) zu kennzeichnen, z. B. „by way of a single act“, „in relation to the same result“ etc. Das Fehlen des Konzepts macht sich, wie im Common Law, auch im Völkerstrafrecht nachteilig bemerkbar. So erreicht der Status Quo das von der Kordić-Rechtsmittelkammer angegebene Čelebići-Teilziel der vollen Umschreibung 407. Dies wurde im Schrifttum u. a. zum Anlass genommen, für eine Lösung auf Bestrafungsebene zu plädieren, vgl. Conway, Crim. L. Forum 14 (2004), 351, 371 ff. 168 Krit. auch Conway, Crim. L. Forum 14 (2004), 351, 372 f.; Fernández-Pacheco Estrada, JICJ 15 (2017), 689, 693 ff. 169 Vgl. bereits Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 484 f.
306
6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
des kriminellen Verhaltens („ensuring that the convictions entered fully reflect his criminality“, vgl. 6. Kap. § 3 A.) nur mäßig. Wenn etwa auf einer identischen Tatsachengrundlage für eine Tötung drei Mordverurteilungen (je für Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen) ergehen können, führt dies ohne einen Begriff der Tateinheit zu einem Gleichheitsproblem. Denn ein anderer Täter, der bei drei Gelegenheiten drei Menschen tötet, hat bei Vorhandensein jeweils nur eines chapeau-Elements eine identische Verurteilung zu erwarten.170 Bemerkenswerterweise hat der Vergleich gezeigt, dass selbst den Blockburger-Test abstrakt anwendende US-Staaten bei Tötungsdelikten das Ergebnis korrigieren, weil sie es für unbefriedigend erachten, auf eine Tötung mehrere Tötungstatbestände anzuwenden (4. Kap. § 1 E. II. 3.). Die Abwesenheit der Tateinheit führt auch zu Unstimmigkeiten im Zusammenspiel mit der an den Tribunalen verbreiteten Praxis der Anklage mehrerer Realisierungen desselben Einzeltatbestands in einem einzigen Anklagepunkt. Tötet der Täter unseres eben erwähnten Beispiels durch eine Handlung eine Person, wird er bei Vorhandensein aller Kontextelemente mehrfach verurteilt. Tötet er bei Vorhandensein nur eines Kontextelements durch mehrere Handlungen eine Mehrzahl an Personen, wird er ggf. nur einfach verurteilt, z. B. wegen Genozids oder Mordes als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Kriegsverbrechen.
C. Zweiter Vorschlag: Die Erweiterung von Čelebići Darüber hinaus erscheint es mangels eines Umschreibungsbedürfnisses und eines nur geringen Gleichheitsproblems sowie im Einklang mit der gemeinsamen Herangehensweise der hier untersuchten nationalen Rechtsordnungen empfehlenswert, das Doppelverurteilungsverbot von Čelebići um die Konstellation zu erweitern, in der die nationalen Rechte übereinstimmend nicht kumulativ verurteilen. Gemeint sind damit Fälle einer Quasi-Inklusion, d. h. wenn ein Tatbestand neben einem anderen fast immer mitrealisiert wird und sowohl ein Stufenverhältnis als auch eine Schutzrichtungsähnlichkeit zwischen den Tatbeständen besteht (5. Kap. § 2 C. II. 1.). Dies würde im US-amerikanischen Recht der Prince-Rechtsprechung entsprechen, welche dort funktional im Überschneidungsbereich zwischen Konsumtion und Subsidiarität nach deutschem Recht wirkt171 (5. Kap. § 2 C. II. 1. d), jedoch von der völkerstrafrechtlichen Rechtsprechung bislang ignoriert wird.172 Zwar ist zuzugeben, dass es im Völkerstrafrecht weniger tatbestandliche FragmentierunVgl. Fernández-Pacheco Estrada, JICJ 15 (2017), 689, 709. Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 51 f. 172 Vgl. dazu Stuckenberg, in: Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court, 2015, S. 848, 852, wonach die völkerstrafrechtliche Rechtsprechung zu Un170 171
§ 4 Kritische Würdigung des Čelebići-Tests
307
gen ein und desselben kriminellen Geschehens gibt, als dies in nationalen Rechten der Fall ist (z. B. Drogenbesitz, Drogenbesitz in Verbreitungsabsicht und Verbreitung von Drogen). Jedoch gibt es auch hier vereinzelt Tatbestandskombinationen, in denen ein Verhältnis der Quasi-Inklusion besteht: Als Beispiel im Rahmen der am ICTY anwendbaren Kriegsverbrechen kann das Verhältnis zwischen der Terrorisierung der Zivilbevölkerung und dem Angriff auf die Zivilbevölkerung genannt werden. Auf Ebene der Verfahrenskammern wurde hier schon ein Čelebići-Doppelverurteilungsverbot angenommen, was aber daran lag, dass von identischen Voraussetzungen der Tatbestände und dem für die Terrorisierung zusätzlichen (subjektiven) Element der bezweckten Terrorisierung – mithin einer abstrakt-notwendigen Mitbegehung – ausgegangen wurde.173 Die Rechtsmittelkammer hat hingegen die kumulative Verurteilung nach Čelebići ermöglicht, indem sie als Taterfolg der Terrorisierung – im Gegensatz zum Angriff auf die Zivilbevölkerung – nicht zwingend den Tod oder die schwere Verletzung von Körper oder Gesundheit unter der Zivilbevölkerung verlangt. Vielmehr lässt sie darüber hinaus sonstige schwere Folgen aufgrund von Gewalt oder Drohungen mit Gewalt ausreichen.174 Dennoch ist zwischen beiden Tatbeständen eine systematische Stufe175 erkennbar (vgl. Art. 51 Abs. 2 Genfer Zusatzprotokoll I, Art. 13 Abs. 2 Genfer Zusatzprotokoll II) und man wird davon ausgehen können, dass eine Terrorisierung fast immer mit einem Angriff auf die, von beiden Tatbeständen geschützte, Zivilbevölkerung einhergehen wird – sowohl was die Tathandlung des Angriffs als auch die vom ICTY geforderten Taterfolge angeht. Daher wäre auf Grundlage des hier gemachten Vorschlags ein Doppelverurteilungsverbot anzunehmen gewesen. Ein ähnliches Beispiel stellt das im Rahmen des IStGH-Statuts nun im Sinne einer abstrakten Inklusion gelöste Verhältnis zwischen der Zerstörung/vorsätzlichen Beschädigung von kulturellen Einrichtungen und einem Angriff auf zivile Objekte dar (6. Kap. § 3 D. II. 4.). Auch hier hätte trotz formal-tatbestandlicher recht davon ausgeht, dass ein positiver Čelebići-Test stets die kumulative Verurteilung nach sich ziehen müsse. Krit. auch Fernández-Pacheco Estrada, JICJ 15 (2017), 689, 693 ff. 173 Prosecutor v. Galić, IT-98-29-T, Judgement and Opinion, 5 December 2003, paras 160– 162; Prosecutor v. D. Milošević, IT-98-29/1-T, Judgement, 12 December 2007, paras 882, 953, 1007. 174 Prosecutor v. D. Milošević, IT-98-29/1-A, Judgement, 2009, paras 33, 39; Prosecutor v. Karadžić, IT-95-5/18-T, Public Redacted Version of Judgement Issued on 24 March 2016, 24 March 2016, para. 6016. 175 Vgl. immerhin Prosecutor v. Galić, IT-98-29-A, Judgement, 30 November 2006, para. 161: „The Appeals Chamber […] affirms the finding of the Trial Chamber that the prohibition of terror, as contained in the second sentences of both Article 51(2) of Additional Protocol I and Article 13(2) of Additional Protocol II, amounts to ‚a specific prohibition within the general (customary) prohibition of attack on civilians‘.“ [Fn. weggelassen, Hervorh. d. Verf.].
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6. Kapitel: Der Blockburger-Test im Völkerstrafrecht
Interferenz schon am ICTY ein Doppelverurteilungsverbot nach einem leicht erweiterten Čelebići-Test angenommen werden sollen, weil beide Tatbestände die gleiche Schutzrichtung (zivile Objekte) haben und es praktisch selten vorkommen wird, dass eine Zerstörung/Beschädigung in einem Krieg ohne einen Angriff einhergeht, welcher also den „act [...] [causing] damage or destruction“176 [Hervorh. d. Verf.] darstellt. Hier drängt sich insbesondere der Vergleich mit der englischen Rechtsprechung auf, nach der eine zwar speziellere, aber eine Vielzahl von „causing“-Fällen umfassende Tathandlung zu keiner hinreichenden Eigenständigkeit des sie enthaltenden Tatbestands führt (2. Kap. § 2 A. III. 2. a bzw. 5. Kap. § 2 C. II. 1. b). Ferner lässt sich auf diese Weise im Rahmen des IStGH-Statuts auch ein Vorrang der Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor der Folter zufriedenstellender begründen, als es der Bemba-Vorverfahrenskammer unter Rückgriff auf die Idee der konkreten Beweisnotwendigkeit gelungen ist (6. Kap. § 3 D. II. 3.). Da die Folter hier keinen verbotenen Zweck der Behandlung verlangt und eine Vergewaltigung fast immer, wenn nicht stets, mit den für die Folter erforderlichen Schmerzen/Leiden verbunden sein wird, kann von einer sehr häufigen Mitrealisierung ausgegangen werden, auch wenn im Einzelfall einmal kein „Gewahrsam oder eine Kontrolle des Täters“ gegeben sein mag. Ferner wird man beiden Tatbeständen eine identische Schutzrichtung unter genauerer Ausformung bei der Vergewaltigung unterstellen können, die es im Ergebnis rechtfertigt, einen Vorrang der Vergewaltigung unter Anwendung eines leicht erweiterten Čelebići-Tests anzunehmen.177 Schließlich lässt sich so auch der Vorrang des Völkermords vor den Verbrechen gegen die Menschlichkeit ableiten.178 Der Genozid geht nicht nur fast immer mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit (vor allem mit der Verfolgung) einher. Auch die entstehungsgeschichtliche Entwicklung des Völkermords aus den Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie die notwendig mit jedem Völkermord verbundene Verletzung von Individualrechtsgütern sprechen dafür, eine hinreichend ähnliche Schutzrichtung sowie ein Stufenverhältnis zwischen den Gesamttatbeständen anzunehmen. Zwischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit empfiehlt sich hingegen die Idealkonkurrenzlösung, weil hier kein Tatbestand als dem anderen gegenüber höherstufig erkennbar ist. Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T, Judgement, 31 January 2005, para. 312; Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-A, Judgement, 17 July 2008, para. 326. 177 So im Ergebnis auch Ambos, ZIS 2011, 287, 296; a. A. im Ergebnis Hünerbein, Straftatkonkurrenzen im Völkerstrafrecht, 2005, S. 134; Mokhtarzadeh, Fordham Int. L. J. 36 (2013), 1020, 1054 ff. 178 Vgl. für die Nachweise zum Streitstand 6. Kap. § 3 C. I. 176
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung In der Zusammenschau zeigt sich, dass trotz des Fehlens einer begrifflichen Konkurrenzlehre eine solche in allen hier untersuchten Common Law-Rechtsordnungen sachlich nicht nur vorhanden ist, sondern sich sogar viele inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der deutschen Konkurrenzlehre zeigen.1 Gerade die Gemeinsamkeiten zwischen den sich weitgehend unabhängig voneinander entwickelnden Konzepten des deutschen Rechts sowie der Common Law-Rechtsordnungen lassen Rückschlüsse auf eine rechtsordnungsübergreifende „Grammatik des Konkurrenzrechts“ zu. So zeigt sich auf der Bestrafungsebene in allen Rechtsordnungen, dass jeweils eine strukturell mildere und eine strukturell strengere Variante der Bestrafung einer kumulativen Gesetzesverletzung vorgesehen ist2 und das wesentliche Differenzierungskriterium eine gemeinsame tatsächliche Basis der Gesetzesverletzungen ist; allerdings sind die Unterschiede im Einzelnen erheblich.3 Ferner zeigt sich, dass der abstrakte Kumulativstrafrahmen für beide Varianten im Wesentlichen der gleiche ist: Die Untergrenze bildet eine mindestens die höchste der Mindeststrafen aufweisende und ob des kumulativen Kontexts um eine Einheit erhöhte Einzelstrafe für das nach oben schwerste Einzeldelikt.4 Die Obergrenzen bilden nach verbreiteter Überzeugung (1.) die um eine Einheit reduzierte Summe der für die Einzeldelikte angemessenen Einzelstrafen sowie (2.) die höchste auf das schwerste Delikt anwendbare Höchststrafe.5 Bei der Zulässigkeit der kumulativen Verurteilung aus verschiedenen Tatbeständen neigen die Rechtsordnungen in der Tendenz nicht zu den denkbaren extremen Lösungen, d. h. es wird weder stets kumulativ noch stets nur aus einem Delikt verurteilt. Vielmehr wird differenziert.6 Für ein abstrakt-notwendig mit einem anderen realisiertes Delikt ergeht keine Verurteilung.7 Darüber hinaus wird in allen Rechtsordnungen eine Expansion des Doppelverurteilungsverbots über die abstrakt-notwendige Mitbegehung hinaus als erforderlich empfunden. So erfolgt keine Doppelverurteilung, wenn der Gesetzgeber diese ausdrücklich verbietet.8 Ferner zeigt sich, dass rechtsordnungsübergreifend keine Doppelverurteilung stattfindet, wenn ein Tatbestand 1 Vgl. Stuckenberg, ZStW 113 (2001), 146, 178; Walther, in: Cassese et al. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, 2002, S. 481. 2 5. Kap. § 1 B. 3 5. Kap. § 1 C. 4 5. Kap. § 1 B. III. 1. 5 5. Kap. § 1 B. III. 2. 6 5. Kap. § 2 A. 7 5. Kap. § 2 B. 8 5. Kap. § 2 C. I.
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mit einem anderen fast immer mitrealisiert wird und ein Stufenverhältnis sowie eine Schutzrichtungsähnlichkeit bestehen („Quasi-Inklusion“).9 Bei erheblichen Unterschieden im Einzelnen erfolgt auch ohne häufige Mitrealisierung keine Doppelverurteilung, wenn ein Tatbestand eine – um ein qualifizierendes Element subtrahierte – Realisierungsalternative eines anderen selbstständig kriminalisiert und keine weitere Unrechtskomponente zu dem höherstufigen Delikt beiträgt.10 Schließlich erfolgt keine Doppelverurteilung, wenn der konkrete Täter einen Tatbestand bei Begehung eines anderen notwendig mitrealisieren muss.11 Bei nur einmal vorliegenden Verhaltenstatsachen, aber anderen mehrfach erfüllten Merkmalen desselben Tatbestands wird weder pauschal an die Anzahl der Tathandlungen noch an die Zahl der Erfüllungen anderer Tatbestandsmerkmale angeknüpft, sondern es erfolgt eine Differenzierung. So richtet sich in allen Rechtsordnungen die Anzahl der Verurteilungen nach der Tathandlung, wenn ein nicht das Individuum als solches schützendes Delikt nominell mehrfach verwirklicht wird; in der Regel auch, wenn es mehrere Opfer gibt.12 Hingegen determiniert die Zahl der Tatopfer die der anwendbaren Gesetzesverletzungen, wenn der Tatbestand das Individuum als solches vor Beeinträchtigungen schützt.13 Auch bei der mehrfachen vollständigen Erfüllung desselben Tatbestands durch verschiedene Verhaltenstatsachen kommt es unter bestimmten Voraussetzungen zu einer geringeren Anzahl an Verurteilungen gegenüber der Zahl der Tatbestandserfüllungen. So führt die tatbestandlich geforderte durchgehende Tatbestandsverwirklichung nur zu einer einzigen anwendbaren Gesetzesverletzung, wenn ein einheitlicher faktischer Vorgang vorliegt.14 Ferner kann in allen Rechtsordnungen auch die mehrfache punktuelle Tatbestandserfüllung bei einem engen Sachzusammenhang zu einer Verurteilungseinheit führen, selbst wenn ein Tatbestand seine mehrfache Erfüllung nicht durch seine abstrakten Elemente impliziert.15
Eine solche mag gerade für das noch junge Völkerstrafrecht wertvoll sein, welches ohne den Erfahrungsschatz einer jahrhundertealten Rechtsprechung auskommen und verschiedene Rechtstradition zu einer sinnvollen Synthese verarbeiten muss. Gerade bei der im Rahmen dieser Arbeit näher beleuchteten Verurteilung aus verschiedenen Tatbeständen zeigt sich nämlich, dass es bislang hinter übergreifend vorhandenen nationalen Standards noch zurückbleibt.16 Daher bleibt zu hoffen, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen und vor allem die Rechtsmittelkammer des IStGH dem Thema noch größere Aufmerksamkeit schenken wird. Die Arbeit ergibt überdies, dass im Rahmen der Bestrafung einer kumulativen Gesetzesverletzung in mehreren Rechtsordnungen ein nicht notwendiger Formalismus zu Tage tritt, weil in der Sache ein für die milde und strenge Variante einheitlich und rechtsordnungsübergreifend als grundsätzlich angemessen emp9
5. Kap. § 2 C. II. 1. 5. Kap. § 2 C. II. 2. 11 5. Kap. § 2 C. II. 3. 12 5. Kap. § 3 A. V. 13 5. Kap. § 3 A. V. 14 5. Kap. § 3 B. I. 15 5. Kap. § 3 B. II 2. d. 16 6. Kap. § 4 A. 10
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fundener Kumulativstrafrahmen besteht.17 Von diesem Befund ausgehend wird für das deutsche Recht de lege ferenda zugunsten der Einführung einer einheitlichen Kumulativbestrafung plädiert.18 Die Begriffe der Tateinheit und Tatmehrheit wären danach beizubehalten, jedoch wäre die Funktion der Idealkonkurrenz darauf beschränkt, die mehrfache Verwertung derselben Tatsache für mehrere Gesetzesverletzungen im Schuldspruch zu kennzeichnen.19 Gerade in dieser schon heute der Idealkonkurrenz zukommenden Funktion zeigt sich ein Vorteil des deutschen Rechts gegenüber den Common Law-Rechtsordnungen, auf den auch das Völkerstrafrecht nicht verzichten sollte.20 Auf Grundlage dieser Prämissen kann hier ein relativ enges Doppelverurteilungsverbot vorgeschlagen werden, sowohl in Bezug auf die Erfüllung verschiedener Tatbestände21 als auch in Bezug auf die mehrfache Erfüllung desselben Tatbestands22. Die über die letzte Dekade und gegenwärtig in England, Kanada bzw. den USA erfolgenden Reformen (und Rechtsprechungsänderungen) im Bereich des Konkurrenzrechts zeigen schließlich, dass die dortige Entwicklung spannend ist und interessante Ideen aus diesem Rechtskreis weiterhin zu erwarten sind. Dies könnte auch im deutschen Recht zum Anlass genommen werden, unter Einbeziehung der Erfahrungen fremder Rechtsordnungen wieder verstärkt über die Konkurrenz – sowohl de lege lata als auch de lege ferenda – nachzudenken.
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5. Kap. § 1 B. III. 5. Kap. § 1 B. IV. 19 5. Kap. § 1 B. IV.; § 1 C. IV.; § 2 C. III.; § 3 A. V.; § 3 B. II. 3. 20 5. Kap. § 2 C. III.; 6. Kap. § 4 B. 21 5. Kap. § 2 C. III. 22 5. Kap. § 3 A. V.; § 3 B. II. 3. 18
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Sachverzeichnis Abfallbeseitigung, unerlaubte 33 Absorption 45 f., 183 f., 199, 204, 206, 227 f., 241, 305 Alternative verdict, siehe Lesser included offence Angriff 66, 67, 95–97, 115 f., 137, 148, 151, 155 f., 166–169, 189 f., 219, 236, 240, 253 f., 297 f., 300 f., 307 f. Anklage, kumulative 55–72, 126–129, 171–175, 222, 291, 301–304 Anstiftung 34 Asperation 48, 208 Ausführungsidentität 21 f., 40–42, 84 f., 90–97, 110 f., 127–129, 133–138, 184–186, 189–191, 198–201, 216–224, 254 Ausrottung 277, 290 f., 294 Ausüben geheimdienstlicher Tätigkeit 11, 260 Autrefois convict 51, 77, 102, 106, 117 Ball-Rechtsprechung 153, 246, 248 Bedrohung 97, 121, 124, 136, 220 Begleittat, typische 34–36 Beihilfe 34 Belästigung 65, 81, 121 Bell-Rechtsprechung 166–168, 253 Besitzdelikt 8, 163 f., 259 Betätigungsverbot, vereinsrechtliches 12 Betrug 21, 32 f., 85, 95, 97, 120, 124, 128, 165, 171, 192 f., 222, 238, 254 Beweisnotwendigkeit, konkrete 242–245, 248 f., 276 f., 289 f., 292–301, 308 Bewertungseinheit 11–14, 20, 41, 260 f., 263, 265–268 Blackstone 51
Blockburger-Test 146–159, 161, 173 f., 180–183, 231, 236, 241–243, 245, 248, 269–273, 276–278, 288 f., 296 f., 304–306 Brandstiftung 23, 82, 112, 154, 235, 241, 245, 249 Briefgeheimnis, Verletzung 35 Canadian Charter of Rights and Freedoms 106 f. Canadian Sentencing Commission 131 Carving doctrine 185 f. Čelebići-Test 269 f., 278–308 – Kritik 304 f. Chapeau-Elemente 283 f., 290, 306 Charged conduct approach 163, 264 f. Closely related counts 189–193 Common element test 111, 248 Common Law, Begriff 2 Companies Act 2006 71 Compound crime problem 149 f. Concurrent-Plus Sentencing 206 Connelly-Prinzip 77 f., 266 Consideration guideline 101–102 Consideration-Verfahren 88 f., 101–103, 143, 205 Constitution Act 1867 106 Constitution Act 1982 106 Continuing criminal enterprise 151, 154 Continuing offence 69–72, 125, 128 f., 161–164, 173, 177, 258 f., 264–267 Continuing offense, siehe Continuing offence Continuous offence, siehe Continuing offence Continuous offense, siehe Continuing offence Coroners and Justice Act 2009 87
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Sachverzeichnis
Course of conduct 62, 66–68, 265 f., siehe auch Single activity Criminal Code of Canada 106 Criminal Damage Act 1971 82 Criminal Justice Act 2003 87 f. Criminal Law Act 1967 54, 73–83 Criminal Procedure Act 1836 54 Criminal Procedure Rules 2015 3, 55–59 Dauerdelikt 8–10, 41, 43, 258 f., 261 Diebstahl 15 f., 21–23, 28, 37 f., 58, 63–65, 70, 76, 83, 86 f., 94–98, 119 f., 128, 134 f., 169 f., 192, 220, 232, 235, 252–257, 263, 268, 276 Different elements-Test 275–277 Different values-Test 273–275 Doctrine of election 53, 55 Doppelverurteilungsverbot 76–87, 106–125, 146–170, 179–186, 227 f., 231–246, 272–281 Double jeopardy 145 f., 153 f., 157, 175, 178 f., 231, 270 Drogenbesitz 81, 92, 94, 159, 236 f., 306 f. Drogenhandel 12, 165, 192, 260, 262 Duplicity 61–72, 126 f., 172–174, 265 f. Durchgangsstadium, notwendiges 31–34, 229, 273 f. Einbruch 75, 86, 119 f., 244 f., siehe auch Wohnungseinbruchdiebstahl Einheitsstrafe 25, 46 f., 131, 143, 204–207, 214 Einheitstheorie 45 Einsatzstrafe 48 f. Elrington-Prinzip 78 f., 117 Entführung 125, 164, 189, 192, 259 Erpressung, räuberische 14 Essence of the offense-Test 156 Fahren ohne Fahrerlaubnis 8, 91–93, 135, 217 f. Fahrlässigkeitsdelikt 33 f., 37, 127 f., 169, 250 Falschaussage, uneidliche 33 Fälschung 95, 189, 222, siehe auch Urkundenfälschung Firearms Act 1968 94 f. Folter 273, 281, 292, 294, 298–300, 308
Forensic alternatives 85 Fortsetzungstat 3, 17–20, 222, 263–267 – Aufgabe 19 f. – Voraussetzungen 18 f. Four-factor Denton test 181 f. Fraud Act 2006 71 Freiheitsberaubung 8, 29, 58 f., 125, 259, 294 Freiheitsstrafe, lebenslange 48, 100, 142 f., 209 Gebrauchsanmaßung 76, 83, 162, 182, 237, 259 Geldwäsche 67, 163 f. Genozid, siehe Völkermord Gesamtbetrachtungslehre 17 Gesamtstrafe 25, 47–50, 207–210, 214 – Kritik 50 Gesamtvorsatz 18 f., 265 Gesetzeskonkurrenz 12, 25–27, 225, 240 f., 246, 250 Gewässerverunreinigung 33 Globalstrafe 204 Goodridge approach 130 f., 207 f. Handlung, materielle 24, 40–45, 215, 224 Handlungseinheit, natürliche 12, 14–17, 20, 22–24, 44 f., 215 f., 219 f., 255 f., 260, 263–268 Handlungseinheit, tatbestandliche 10–14, 20, 43, 260 f., 265 f., 268 Handlungsumschreibung, pauschale 11, 260 Hatch approach 131, 207 f. Hausfriedensbruch 8, 35, 136, 234 f. Hehlerei 38, 62–64, 86 f., 92, 170, 220, 232 Idealkonkurrenz 20–24, 39–47, 215, 219, 244, 247–251, 255–257, 267, 305 f., 311 – gleichartige Idealkonkurrenz 7, 21–25, 45 f., 255–257 – Klarstellungsfunktion 28, 215, 225 f., 241, 249, 267 – ungleichartige Idealkonkurrenz 46 f. Indictments Act 1915 54, 56, 58 Inklusion, abstrakt-tatbestandliche 228–231 Interferenz, abstrakt-tatbestandliche 231– 246, 273 f., 289, 305, 307 f.
Sachverzeichnis Jewell approach 131, 207 f. Joinder of offences, siehe Anklage, kumulative Justizbehinderung 57, 96 Kienapple-Prinzip, siehe Rule against multiple convictions Klarstellungsfunktion 28, 215, 225 f., 241, 249, 267 Konkurrenz, unechte, siehe Gesetzeskonkurrenz Konsumtion 34–38, 234, 236 f., 244, 250, 273 f. Körperverletzung 15, 22, 31 f., 35 f., 66, 74 f., 81 f., 85 f., 95, 110, 115 f., 119 f., 123 f., 166, 180, 229 f., 234–236, 239 f., 243–245, 249, 252 f., 258, 268, 276 Kreditbetrug 32 f., 238 Kriegsverbrechen 274, 281, 284, 286–288, 292, 297 f., 300 f., 306–308 Kumulativstrafrahmen 209–213, 250 f., 256, 267 f., 310 f. Law Reform Commission of Canada 122, 147 Lesser included offence 73–83, 113–118, 127, 129, 148 f., 174, 176, 230, 235, 237, 239, 273, 275 f., 302 f. Lex primaria derogat legi subsidiarae, siehe Subsidiarität Lex specialis dergogat legi generali, siehe Spezialität Luckett-Rechtsprechung 115 f., 120, 235 f., 239 f., 244 f. Mehrheitstheorie 45 Meineid 33, 112, 246 Mengenrabatt 100, 141, 208 Merger doctrine 52, 159 Missachtung des Gerichts 151, 162, 245 Model Penal Code 3, 158, 176 f., 195–198, 206, 211, 242, 245 – Reform 3, 196–198, 206, 211 Mord 54 f., 58, 75 f., 78 f., 83, 85 f., 116, 120, 129, 134, 136, 150, 180, 192, 239, 272, 276 f., 290–294, 297 f. Multiplicity 129, 172, 174 f. Musteranklagepunkt 68 f.
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Nachtat, mitbestrafte 37 f. Ne bis in idem 270 Neal test 184, 186 Necessary ingredient-Test 116 f. Necessary step-Test 74 Nötigung 28–30, 235 Opfer 18 f., 20 – 24, 58, 65– 69, 90, 95–98, 113, 123 f., 127 f., 135–137, 166–170, 182 f., 189–192, 217–222, 252–257, 266, 310 Organisationsdelikt 9 f., 142 Pauschale Handlungsumschreibung 11, 260 Postbetrug 171, 189–192 Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000 87–89 Prince-Rechtsprechung 157–159, 170, 177, 236, 241, 245, 248, 306 Prohibition against multiple punishment 145, 176 Quasi-Inklusion 233–237, 249 f., 306 f., 310 Raub 28, 35 f., 58, 65, 94, 115, 119 f., 137, 150, 154 f., 157 f., 167–170, 190–192, 220, 235 f., 243 f., 276 Realkonkurrenz 47–50, 215, 268 – gleichartige Realkonkurrenz 7, 23–25 Rechtsgüter, höchstpersönliche 21–24, 219, 224, 252 f., 263 f., 267 Red pencil-Test 73 f. Reform, Model Penal Code 3, 196–198, 206, 211 Rule against multiple convictions 106–125, 227, 230, 236, 240 f., 245 – Anerkennung 108–110 – Rechtsgrundlage 106–108 – Reichweite 110–113 Rule of lenity 155, 166 f., 253 f. Sachbeschädigung 21 f., 35, 181, 252 Same elements test, siehe Blockburger-Test Scheinkonkurrenz, siehe Gesetzeskonkurrenz Schmuggel 64 Schwangerschaftsabbruch 32
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Sachverzeichnis
Sentencing Council for England and Wales 87, 101, 211 Serientat 20, 57 f., 68, 97 f., 135, 137, 221 f., siehe auch Course of conduct Single Activity 63–66, 265 f., siehe auch Course of conduct Single impulse 165 f., 169, 262, 264 Single larceny doctrine 169 f., 253, 265 Spezialität 27–30, 229 f., 244, 246, 272, 301 – im engen Sinne 27 f. – im weiten Sinne 28–30, 229 f., 246 Steuerhinterziehung 171, 192 Strafklageverbrauch 19, 215, 266 Strafvereitelung 14, 76 Straßenverkehrsgefährdung 66, 90–93, 135 Subordination, siehe Inklusion, abstrakt-tatbestandliche Subsidiarität 30–34, 37 f., 232, 234, 236, 238, 240 f., 244–246, 250 – formelle 30, 232 – materielle 30–34, 234, 238, 241, 245 Tat, prozessuale 24 f. Tatausführung, iterative 15 f., 260 Tatausführung, sukzessive 13 f., 16 f., 230, 263 Tatbestandsidentität 110, 179–183 Tateinheit, siehe Idealkonkurrenz Tatmehrheit, siehe Realkonkurrenz Tatsachenidentität, siehe Ausführungsidentität Telefonbetrug 171, 190–192 Totality guideline 3, 87–101, 208, 218, 222 Totality-Prinzip 99–101, 130 f., 133, 138–142, 205–208, 211 Totschlag 75 f., 78 f., 83, 110, 182, 245 Tougher Penalties for Child Predators Act 133, 137 f., 142 Trials for Felony Act 1836 54 True alternatives 85 Trunkenheit im Verkehr 8, 91–93, 112 f.
Übergriff, sexueller 58, 83, 95–97, 134–136, 276 Unit of prosecution 160, 164, 166–170 United States Sentencing Commission 186 United States Sentencing Guidelines 187– 195 Unterschlagung 37 f., 163 f., 170, 192 Urkundenfälschung 16, 120 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 272, 277 f., 281–283, 285–288, 290–297, 306, 308 Verfahrensmissbrauch 77–79, 102 f. Verfolgung 272, 282, 292–297 Vergewaltigung 13, 58 f., 95, 109 f., 112, 150 f., 230, 244 f., 257, 276, 281 f., 283 f., 288, 294, 298–300, 308 Verhältnismäßigkeitsprinzip 88, 138 f., 206 Verklammerung 42–44, 215, 217 Verschwörung 60, 85, 121 f., 125, 136, 159 f., 164, 167, 176 f., 190, 239, 242, 246 f., 259, 285 f. Versuch 16 f., 28, 31 f., 76, 83, 85 f., 114, 117 f., 159, 176, 180, 187, 229, 239, 243 f., 249 Völkermord 11, 252 f., 260, 274, 277 f., 283–286, 300, 306, 308 Vollstreckungsweise 89–99, 133–143, 194–201, 205–209 Vorbereitung 31, 42, 157–159, 222 f., 238, 241, 250 f., siehe auch Verschwörung Vortat, mitbestrafte 37 Vortäuschen einer Straftat 122 Waffendelikt 94 f., 112, 118 f., 123, 154 f., 168, 191, 195 Whalen-Rechtsprechung 149–153, 248, 295–297 Wohnungseinbruchdiebstahl 35, 234 f.