Friedrich Schleiermacher: Leben und Werk (1768 bis 1834) [Reprint 2019 ed.] 9783111368436, 9783111011400


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German Pages 320 [324] Year 1968

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Inhalt
Einleitung
I. Kindheit, Jugend und Studienzeit
II. Die neuen Intuitionen
III. Die Zeit der Systembildung
IV. Sein Beitrag innerhalb der universitas litterarum
V. Sein Dienst in der evangelischen Kirche
VI. Leben in Haus und Familie, Persönliches und Lebensabschluß
Der Lehrerfolg Schleiermachers als Professor der Universität Berlin
Übersicht über die Hörerzahl
Zeittafel
Literaturangaben
Namensverzeichnis
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Friedrich Schleiermacher: Leben und Werk (1768 bis 1834) [Reprint 2019 ed.]
 9783111368436, 9783111011400

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Bildnis eines unbekannten Meisters. Reproduktion befindet sich in der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin.

Friedrich Schleiermacher Leben und Werk (1768 bis 1834)

von

D. Dr. Martin Redeker o. Prof. an der Universität K i e l

Sammlung Göschen Band 1177/1177 a

Walter de Gruyter & Co. • Berlin 1968 vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • G e o r g Reimer • Karl J. Trübner • V e i t & Comp.

©

Copyright 1&58 by Walter de G r u y t e r & C o . , vormals G. J . Göschen'sdie Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuciihandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung v o n Photokopien und Mikrofilmen, vom Verlag vorbehalten. — Archiv-Nr.: 72 39 675 — Satz und Drude: Kahmann-Druck, Berlin. — Printed in Germany.

Inhalt Einleitung

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I. Kindheit, Jugend, Studienzeit

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II. Die neuen Intuitionen 37 1. Anfänge in Berlin. Die romantischen F r e u n d e . . 37 2. Die Reden über die Religion 51 3. Die Monologen 80 4. Schleiermachers Verhältnis zur Romantik 86 5. Vertraute Briefe über die Lucinde 93 6.. Eleonore Grunow 101 III. Die Zeit der Systembildung 1. Anfänge in Stolp 2. Akademische Tätigkeit in Halle Die Weihnachtsfeier 3. Sein Wirken in Berlin a) Der Patriot und Politiker b) Der Professor und Begründer der Berliner Universität ") Die Systematik 1. Das theologische System Idee und Entwicklung der Systematik Der Aufbau der Glaubenslehre Das Prinzip des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls Theologische Analyse des allgemeinen frommen Selbstbewußtseins Theologische Darstellung des christlich-frommen Selbstbewußtseins 2. Das philosophische System Dialektik Kulturphilosophie Kulturphilosophie und christliche Sittenlehre Die Hermeneutik Schleiermachers

105 105 108 116 126 126 136 145 145 147 157 163 172 179 218 219 230 243 253

IV. Sein Beitrag innerhalb der universitas litterarum. . 261 1. Die Platon-Übersetzung 261 2. Mitarbeiter und Organisator der Berliner Akademie der Wissenschaften 267 V. Sein Dienst in der evangelischen Kirche 1. Der'Kirchenpolitiker 2. Der Prediger VI. Leben in Haus und Familie, Persönliches Lebensabschluß Der Lehrerfolg Schleiermachers Übersicht über die Hörerzahl Zeittafel Literaturangaben Namenregister

269 269 287 und

300 307 309 311 313 318

„In das Hilieruien der meisten über den Untergang der Religion stimme ich nicht ein." (Reden über die Religion S. 2)

Einleitung „Die Philosophie Kants kann völlig verstanden werden ohne nähere Beschäftigung mit seiner Person und seinem Leben. Schleiermachers Bedeutung, seine Weltansicht und seine Werke bedürfen zu ihrem gründlichen Verständnis biographischer Darstellung. Daher ist das Verlangen nach einer Biographie dieses merkwürdigen und schwer zu deutenden Mannes früh geäußert und oft wiederholt worden." Mit diesen Worten beginnt Wilhelm Dilthey sein Vorwort zu seiner Schleiermacher-Biographie*. Dilthey plante eine umfassende Lebensbeschreibung Schleiermachers, die ihn in die geistesgeschichtliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts einordnet, aber auch gleichzeitig das Entstehen seines Gedankengebäudes analysiert und aufhellt und seine Gedanken und sein Leben sich gegenseitig erläutern läßt. Dieses Bemühen Diltheys ist Fragment geblieben, zwar ein großes Fragment, aber unabgeschlossen**. Es ist sehr bedauerlich, daß Dilthey sein Werk, von dem jetzt der 2. Band, das System Schleiermachers, posthum veröffentlicht ist, nicht hat abschließen können; denn Dilthey stand in einmaliger Weise der gesamte Nachlaß Schleiermachers einschließlich seines umfangreichen Briefwechsels und wertvolle Informationen durch die noch lebenden Freunde Schleier• W . Dilthey, Leben Sdileiermadiers Bd. I, 1. Aufl. 1870; 2. Aufl. hrsg. v. H. Mulert 1922. ** Dilthey selber hat eine kurze zusammenfassende Darstellung des gesamten Lebens Schleiermaciiers in der Deutschen Biographie 1890 (Bd. 31, S. 422—457) veröffentlicht. Sie ist wieder abgedruckt worden in Dilthey, Gesammelte Schriften. Bd. IV, S. 454—489.

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machers zur Verfügung. Außer diesem großzügigen Unternehmen Diltheys, dessen Leistung ein Vorbild für geistesgeschichtliches biographisches Verstehen geworden ist, gibt es nur noch eine mehr volkstümliche Lebensbeschreibung von D. Schenkel, die im Jahre 1868 zum 100jährigen Geburtstag Schleiermachers erschien. Ferner hat Hermann Mulert im Jahre 1918 auf Grund seiner Beschäftigung mit dem Dilthey-Nachlaß in den „Religionsgeschichtlichen Volksbüchern" einen kurzen Abriß des Lebens Schleiermachers geboten. Es ist erstaunlich, daß bis auf den heutigen Tag eine weitere größere Biographie Schleiermachers nicht erschienen ist. Das sehr umfangreiche Unternehmen Diltheys und die schwierige Beschaffung der zahlreichen Quellen haben anscheinend den Schleiermacher-Forschern den Mut zu einer umfassenden Darstellung seines Lebens genommen. Wir können heute nicht mehr in derselben Weise wie Dilthey oder gar Schenkel eine Biographie Schleiermachers schreiben. Was uns von Dilthey trennt, ist die inzwischen erfolgte Kritik an Schleiermacher, verbunden mit einer Ablehnung des Neuprotestantismus. Der Neuprotestantismus des 19. Jahrhunderts ist nach dieser Ansicht der große Sündenfall des reformatorischen Christentums. In die Verdammung der drei großen Ströme des Neuprotestantismus: Pietismus, Aufklärung und Idealismus, wird Schleiermacher als Hauptschuldiger mit eingeordnet. Hinzu kommt, daß man nach jahrzehntelanger Abwendung von der deutschen idealistischen Philosophie die Sprache Schleiermachers nicht mehr versteht oder falsch interpretiert, weil man auf ihn lange Zeit nicht mehr hören wollte und konnte. Inzwischen ist die Kulturkritik am Neuprotestantismus selbst in die Krise geraten. Die großen Probleme, die mit dem Aufkommen der sog. modernen Welt, insbesondere durch den Umbruch im abendländischen Denken, durch die Transzendentalphilosophie entstanden, sind mit neuer Ge-

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walt und in neuer Gestalt akut geworden, gerade weil die Lösung,'¡versuche der transzendentalphilosophischen Denker uns heute nicht mehr helfen und wir sie nicht unbesehen übernehmen können. Darum genügt uns nicht mehr das Schleiermacherbild der kulturkritischen Theologie, Schleiermacher ist „anders" und gerade deshalb aktuell. Er hat die Erschütterung der christlichen Verkündigung und Glaubensgewißheit durch den Zusammenbruch der überlieferten Gottesvorstellungen, der biblischen Mythologie und das Schwinden der Autorität der überlieferten biblischen und dogmatischen Begrifflichkeit empfunden. Ganz besonders ist er beunruhigt durch die Wandlungen, die aus der Zertrümmerung der supranaturalistischen Metaphysik im Zuge der modernen Welterkenntnis und Kantischen Metaphysikkritik erfolgten. Dennoch hat er nicht eingestimmt in das Klagen über den Zusammenbruch der alten dogmatischen, biblisch-mythologischen Vorstellungen und ihrer Wert- und Lebensvorstellungen. Er ist davon überzeugt, daß das Evangelium in neuer Weise entdeckt wird und bezeugt werden soll. Die überholte Philosophie der supranaturalistischen Metaphysik, aber auch die Moralphilosophie der Aufklärung muß „ausgewechselt" werden. Aber das allein genügt nicht. Die Philosophie kann das Evangelium niemals beweisen und begründen, sondern nur ein Hilfsmittel sein, das Wesen und die Wahrheit der Heilsbotschaft darzustellen. Der Wechsel des Vokabulars ist aber nur sekundär, wenn auch nicht jede Philosophie sich als Hilfsmittel christlichen Bekennens und Bezeugens eignet. Gott und seine Offenbarung in Christus soll neu im Glauben erfahren werden. Der Zusammenbruch der alten religiösen Vorstellungen metaphysischer und mythologischer Art ist eine einmalige Aufforderung und die rechte Zeit, der Kairos, Gottes Wirklichkeit in Christus zu erfahren. So ist Schleiermacher überzeugt, das Religiöse an der

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Religion und das Christliche am Christentum neu finden zu können. V o n dieser Sicht erwächst uns ein neues SchleiermacherBild. Er hat die Lebensgemeinschaft mit Christus, der in seiner Gemeinde lebt, neu bezeugen w o l l e n und dieses Zeugnis auf die Wirklichkeit Gottes bezogen, wie er sie in ihrer A l l w i r k s a m k e i t und Herrlichkeit im schlechthinnigen A b h ä n g i g k e i t s g e f ü h l des Kreaturgefühls und in der Setzung der menschlichen Existenz durch Gott erfuhr. Die Gedankenwelt eines o b j e k t i v e n Idealismus, der v o n Kant her aber auch v o m christlichen Offenbarungsglauben aus modifiziert war, wurde für ihn das Instrument, um dieses Lob der Herrlichkeit Gottes in Christus zum Ausdruck zu bringen. Er hat das Verhältnis v o n Gott und W e l t und das Verhältnis v o n Gott und Selbst des Menschen mit Hilfe der idealistischen Gedankenwelt neu interpretiert. Seiner Zeit hat er damit genug getan und seine A u f g a b e , die ihm in seiner geistesgeschichtlichen Situation gestellt war, angefaßt und mit Erfolg durchgeführt, soweit man das v o n einer theologia viatorum sagen kann. Er hat aber gleichzeitig über die Schranken der idealistischen Lebensanschauung hinausgeführt. Für uns heute ist seine Meisterung des Instrumentes der Begrifflichkeit seiner Zeit Ansporn, die Begegnung der christlichen Heilsbotschaft mit dem allgemeinen menschlichen Wahrheitsbewußtsein, w i e es sich auch in der heutigen Philosophie ausspricht, nicht zu fürchten, sondern mit neuem Mut zu suchen. Schleiermacher kann uns Mut machen und W e g e zeigen, in unserer Zeit des großen Umbruchs die W a h r h e i t des Evangeliums zu bezeugen und den Dialog mit der zeitgenössischen Weltweisheit durchzuhalten. Auf dem Gebiet der Ethik hat Schleiermacher nicht solche umfassenden und abschließenden Veröffentlichungen hin-

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terlassen, wie sie im Bereiche der Dogmatik, z. B. in Gestalt der „Glaubenslehre", vorliegen. Trotzdem ist folgendes erkennbar. Schleiermacher hat die Fragen der modernen Kultur von der philosophischen Systematik des objektiven Idealismus als auch von seiner Erlösungstheologie aus zu meistern versucht. Die Kulturphilosophie des idealistischen Humanitätsethos und die theologische Darstellung des Ethos des Reiches Gottes stehen sich einander gegenüber, ergänzen sich und die Kulturethik erfährt ihre Läuterung und Vollendung in der Erlösungstheologie Schleiermachers. Das ist geistesgeschichtlich aus der damaligen Zeit heraus zu verstehen. Die Kulturphilosophie Diltheys ist sehr wertvoll für die Durchleuchtung dieser philosophischen Leistung Schleiermachers. Für uns heute ist es sehr schwer, diese kulturphilosophische Humanitätsethik nachzuvollziehen, da in unserem Kulturbewußtsein seit Nietzsche die Skepsis an der Humanität zerstörend gewirkt hat und im Gefolge der vernunftlosen Rationalität der modernen technischen Zivilisation eine Deshumanisierung als Gefahr aufgetaucht ist. Der theologischen Ethik fehlt also der Gesprächspartner einer humanistischen Ethik, wie sie Schleiermacher meinte voraussetzen zu dürfen. Wir können uns gerade deshalb mit den aus der geistesgeschichtlichen Situation verständlichen Lösungsversuchen Schleiermachers nicht begnügen. Die atheistische vernunftlose Rationalität der modernen Lebenshaltung ist kein legitimer Gesprächspartner der theologischen Ethik. Die lutherische Theologie und ihre Ethik basiert aber auf der dialektischen Spannung von Gesetz und Evangelium. Daher ist für die lutherische Ethik der wirkliche Dialog mit dem modernen ethischen Wahrheitsbewußtsein durch die moderne Skepsis außerordentlich erschwert. Die christliche Liebes- und Erlösungsethik bedarf eines Gegenüber; denn die christliche Ethik enthält einen Anspruch, der nicht nur für die gläubigen Christen, sondern universell für den Be-

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reich des Humanuni gilt. Für diese Problematik gewinnt die ethische Leistung Schleiermachers neue Aktualität. Wir können zwar seine Lösung nicht übernehmen und wiederholen. Aber auch für diesen Bereich gilt ebenso wie für das theologische Gebiet die Gewißheit Schleiermachers: Es bestehe für die Christen kein Anlaß, in die Hilferufe derer einzustimmen, die im geistesgeschichtlichen Wandel der gegenwärtigen Zeit meinen, den Untergang des christlichen Glaubens, des christlichen Ethos und auch der Humanität feststellen zu können. Unsere Biographie wird also versuchen, die geistesgeschichtliche Analyse der Gedankengänge Schleiermachers so durchzuführen, daß die grundsätzlichen Probleme, die über seine Zeit hinausragen und uns heute in anderer und neuer Weise bedrängen, deutlich werden. Schleiermacher gehört in diesem Bereich nicht zu den Propheten des Unterganges, sondern zu den Verkündern des christlichen Hoffens, Glaubens und Liebens. Außer der Deutung des historischen Schleiermacher im Hinblick auf die Aktualität seiner Gedanken für die Gegenwart ist es für den Biographen eine interessante Aufgabe, Leben und Werk Schleiermachers als eine universale Lebensleistung, die weit über das Gebiet der Theologie hinausführt, darzustellen. Schleiermacher war Professor, Mitbegründer und Organisator der Berliner Universität, prominentes Mitglied und Sekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften, einer der bedeutendsten klassischen Philologen und Platon-Interpreten seiner Zeit, Politiker, vorübergehend auch Referent im Ministerium und ein Kulturphilosoph, der fast alle Gebiete der Kultur geistig durchdrang. Sein Zentrum war aber die Theologie. Er hat in seiner Glaubenslehre die klassische Dogmatik des „Neuprotestantismus" geschaffen und durch die Übertragung der neuen

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Wissenschaftlichkeit der Transzendentalphilosophie auf die Theologie eine neue Periode der wissenschaftlichen protestantischen Theologie eingeleitet. Er war unermüdlicher akademischer Lehrer, der fast täglich von 7—10 Uhr morgens Kolleg hielt; er hat vierzig Jahre lang fast jeden Sonntag als Prediger der Verkündigung des Evangeliums in der christlichen Gemeinde zu dienen sich bemüht. Das Bild, das sich auf diesem Hintergrund von jener zentralen theologischen Leistung ergibt, erhält um so klareres Profil, als auf dem Hintergrund des Universalismus seiner geistigen Lebendigkeit die zielstrebige Konzentration auf jenes Zentrum um so deutlicher wird.

I. Kindheit, Jugend und Studienzeit Der Lebensgang Schleiermachers wird verständlich, wenn wir die verschiedenen Impulse und Intentionen seines Lebens und Denkens aufspüren und zugleich beobachten, wie diese Kräfte sein Leben und Wirken in den verschiedenen Abschnitten seines Lebens beeinflussen und gestalten. Bei einem Gesamtüberblick über sein Leben und Werk zeichnen sich zunächst zwei große Abschnitte ab: 1. Die intuitivschöpferische Periode seiner ersten Berliner Zeit von 1796 bis 1802 und 2. die systematische Periode seines Denkens, die nach seinem Fortgang von Berlin bereits in Stolp beginnt, in seiner Hallenser Zeit erstmalig klar erkennbar ist und dann ihren Höhepunkt und fortschreitende Klärung und Formung in seiner Berliner Zeit von 1811 bis 1834 erfährt. Auch diese systematische Hauptperiode seines Lebens enthält zwei Abschnitte. In der Zeit von 1803 bis 1811 bemüht Schleiermacher sich hauptsächlich unter dem Einfluß Schellings um ein geschlossenes theologisch-philosophisches System. Dieses System hat zwei Brennpunkte: Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie, aber verbunden durch

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Kindheit, Jugend, Studienzeit

die übergreifende Ellipse eines geschlossenen Ganzen. Seit 1811 — hauptsächlich in der Zeit v o n 1811 bis 1814 — also im A l t e r v o n 43 bis 46 Jahren — vollzieht sich im Leben Schleiermachers

eine W e n d e

in seiner

Frömmigkeit

da-

durch, daß die Gebundenheit an Christus und an die christliche Gemeinde stärker hervortritt. Wissenschaftlich-philosophisch vollzieht er unter dem Einfluß Kants und durch seine eigene Differenzierung gegenüber der Identitätsphilosophie des o b j e k t i v e n Idealismus die

Weiterentwicklung

und den Umbau seines Systems zu einer neuen Bestimmung des Verhältnisses v o n Glauben und Wissen. Die Hauptmotive dieser beiden großen Perioden seines Lebens

sind

aber

in

Kindheit,

Jugend

und

Studienzeit

Schleiermachers schon erkennbar. Schleiermacher entstammt ebenso w i e seine Eltern einem reformierten Pfarrhause. M a n darf sogar sagen, er kommt aus einem Pfarrergeschlecht, in dem Schleiermacher bereits die dritte oder vierte Generation darstellt. Sein Großvater, Daniel Schleiermacher (geboren 1695), wurde als reformierter Geistlicher in Elberfeld auf unglückliche, ja

tragische

W e i s e in die Unruhen und Wirrnisse der rheinischen Sektengeschichte verwickelt und erlebte die bittersten Enttäuschungen. V o n den eigenen Glaubensgenossen wurde er bei der kurpfälzischen Regierung in Mannheim w e g e n H e x e r e i und Zauberei angeklagt. W i r staunen heute darüber, daß ein solcher Hexenprozeß noch 1749 möglich war. Auf den Sohn, also den Vater v o n Schleiermacher, machte es einen tief bedrückenden Eindruck, daß er und seine Mutter in diesem Strafverfahren als Zeugen gegen den Gatten und V a t e r aussagen mußten. Daniel Schleiermacher konnte sich der Gefängnishaft nur durch die Flucht zu seiner Schwester nach Arnheim in Holland entziehen und starb dort, ohne

ein

Pfarramt wiedererlangt zu haben. Der V a t e r Schleiermachers wurde am 5. M a i 1727 in Ober-

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kassel als ältestes Kind geboren. Er scheint begabt und frühreif gewesen zu sein. 1741 wurde er bereits mit 14 Jahren an der Universität Duisburg als Student der Theologie immatrikuliert und beendete dieses Studium bereits mit 19 Jahren. Nach dem Zusammenbruch der verhängnisvollen Sekte, der sein Vater angehört hatte, war er 1758 als Lehrer in Magdeburg und seit 1760 als reformierter Feldprediger in der Armee des Preußenkönigs noch während des Siebenjährigen Krieges tätig. Nach Kriegsende wohnte er in Breslau und heiratete dort 1764 im Alter von 37 Jahren die 28jährige Katharina-Maria Stubenrauch. Sie war am 27. Juli 1736 in Berlin geboren. Ihr Vater und ihr Großvater waren Hofprediger an der reformierten Domkirche in Berlin. 1765 wurde eine Tochter Charlotte geboren, die zeitlebens die innigste Vertraute ihres Bruders Friedrich wurde und in allen Lebensperioden ihres Bruders auch zu seiner religiösen und theologischen Haltung ihr uneingeschränktes Vertrauen bewahrte. Am 21. November 1768 bekamen Schleiermachers als zweites Kind ihren Sohn Friedrich Ernst Daniel. Bereits am 27. November 1768 wurde der Neugeborene in der reformierten Hofkirche in Breslau getauft. Erster Pate war sein Großvater Daniel, der im Exil in Holland lebte. Der Name Daniel, den sein Enkelsohn erhielt, war in der Schleiermacherschen Familie Tradition. Den Vornamen Ernst bekam er von dem zweiten Paten, dem Bruder seiner Mutter, von Samuel Ernst Timotheus Stubenrauch, dem Professor der Theologie in Halle. Der Rufname Friedrich stammt von dem Preußenkönig Friedrich II., in dessen Armee sein Vater als Feldgeistlicher diente. Dem Sohn Friedrich folgte später ein jüngerer Bruder Carl. Seine Mutter starb sehr früh, am 17. November 1783. Der Vater Gottlieb schrieb ihr zum Gedächtnis ins Kirchenbuch: „Der Herr sei gelobt für die Liebe und Treue, die sie mir und meinen Kindern bewiesen hat, laß ihr die-

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selbige in seiner allerseligsten Gemeinschaft ewig vergolten werden." Die Pflichten als Feldprediger verlangten von Gottlieb Schleiermacher umfangreiche Reisen, um die Garnisonen Schlesiens zu besuchen. Er war der einzige reformierte Feldprediger in Schlesien neben drei lutherischen Amtsbrüdern. Nach seinen eigenen Angaben hatte er jährlich 400 Meilen, d. h. ungefähr 3000 km im Wagen zurückzulegen. Auf diesen Fahrten besuchte er auch die Garnison Pless, wo sich eine reformierte Gemeinde aus den Beamtenfamilien des Fürsten Anhalt-Pless zusammenfand. Sie wurde dann durch einen Kreis von reformierten Emigranten aus Polen verstärkt, die der Preußenkönig unter dem Schutz seiner Husaren nach Anhalt holte. Der Vater Gottlieb übernahm neben seiner Feldpredigertätigkeit auch die Betreuung dieser Gemeinde. Daher siedelte die Familie Schleiermacher 1778 nach Pless über, als der Vater im Bayerischen Erbfolgekrieg ins Feld zog. Nach Beendigung dieses Krieges verlegte sie ihren Wohnsitz nach dem benachbarten Anhalt. Die frühesten Jugenderinnerungen des Sohnes Friedrich beziehen sich auf das Pfarrhaus in Anhalt; er schrieb später in Halle 1806: „Da (in Anhalt) ist ein Haus, das mein Vater zuerst bewohnt, ein Garten, den er zuerst eingerichtet hat, und den ich habe schaffen helfen; da regte sich mir zuerst die Frömmigkeit, und es ist der weiteste Punkt, zu dem ich mein inneres Leben zurückverfolgen kann" (H. Meisner, Bd. II, S. 60). Gottlieb Schleiermacher hatte sich infolge der tragischen Erfahrungen-seiner Jugend von der pietistischen Frömmigkeit seines Elternhauses abgewandt und war ein aufklärerischer Theologe geworden. Er war eine zwiespältige Natur. Wo er von den überlieferten Lehren der reformierten Orthodoxie nicht überzeugt war, hatte er sich nach eigenem Bekenntnis in der Predigt mit der sog. Akkomodation beholfen. Er empfahl daher später seinem Sohn: „Bedenke, daß du

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zu Menschen redest, die eine Offenbarung annehmen, daß es deine Pflicht sei, dich zu ihnen herabzulassen" (Br. I, S. 102). Im Vordergrund steht die Pflicht, die überlieferten christlichen Wahrheiten der Gemeinde ihren Bedürfnissen entsprechend als Erziehungsmittel zu predigen und sich dem Verständnis der Gemeinde anzupassen. Sein wahres Interesse galt den wissenschaftlichen Studien. Unter großen materiellen Opfern besorgte er sich theologische und philosophische Literatur. Als 60j ähriger studierte er noch Kant und Spinoza und erbat sich von seinem Sohn eine Darstellung des platonischen Systems. Der Zwiespalt zwischen aufklärerischer Wissenschaft und orthodoxer Predigt gibt seinem Wesen widersprüchliche Züge. Eine völlige Wandlung seiner Frömmigkeit und seiner Theologie erfuhr er durch die Begegnung mit der Herrnhuter Gemeinde in Gnadenfrei. Preußische Truppen lagen 1778 (von April bis Juni) in Gnadenfrei in Quartier. Gottlieb Schleiermacher erfuhr unter dem Eindruck des Lebens und des Gottesdienstes der Gemeinde ebenso wie viele friderizianische Soldaten eine pietistische Erweckung. Er wurde innerlich ein Herrnhuter, ohne äußerlich der Gemeinde beizutreten, was für einen reformierten Feldprediger damals wohl nicht gut möglich war. Grund seiner Heilsgewißheit und Quelle eines neuen Lebens wurde für ihn das Versöhnungsopfer Christi am Kreuze. Er lebte mit dem Heiland in inniger Seelengemeinschaft. Er gewann auch seine Frau und seine Kinder für die Christusfrömmigkeit der Brüdergemeinde. Da entschlossen sich beide Eltern, ihre Kinder den Schulen der Brüdergemeinde zur Erziehung und Bildung anzuvertrauen. Am 5. April 1783 reisten die Eltern mit ihren Kindern nach Gnadenfrei. Dort blieben sie ca. 11 Wochen, um die Entscheidung der Brüdergemeinde über die Aufnahme ihrer Kinder, die noch von der Herrnhutischen Losentscheidung abhängig war, abzuwarten. In diese Wochen des gemeinsamen Lebens mit seinen Eltern

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innerhalb der Gemeinde von Gnadenfrei fällt das erste bewußte religiöse Erlebnis Schleiermachers, das er selber später als die Geburtsstunde des höheren Lebens bezeichnete. Die Herrnhuter Pietisten hätten es als „Durchbruch der Gnade" oder „Bekehrung" gekennzeichnet. Schleiermacher erinnert sich später noch genau an Ort und Zeit. In einem Briefe vom 19. August 1802 an Eleonore berichtet er, daß er diese Erfahrung in Gnadenfrei als 14V2jähriger Schüler gehabt habe. Wenn er später in den Reden (WW I 1, S. 408/09, 1. Aufl., S. 268, vgl. Anm. zu S. 409 auf S. 443) diejenigen verteidigt, welche den Geburtstag ihres geistigen Lebens angeben können, so spricht Schleiermacher aus eigener Erfahrung. In einem Brief an Georg Reimer vom 30. April 1802 hat Schleiermacher, also 20 Jahre später, diese Erfahrung folgendermaßen gedeutet: Er schreibt von Gnadenfrei aus: „Hier ging mir zuerst das Bewußtsein auf von dem Verhältnis des Menschen zu einer höheren Welt . .. Hier entwickelte sich zuerst die mystische Anlage, die mir so wesentlich ist und mich unter allen Stürmen des Skeptizismus gerettet und erhalten hat. Damals keimte sie auf, jetzt ist sie ausgebildet, und ich kann sagen, daß ich nach allem wieder ein Herrnhuter geworden bin, nur von einer höheren Ordnung" (Br. I, S. 294/95). Nachdem Schleiermacher am 14. Juni 1783 in das Pädagogium in Niesky aufgenommen war, wurde er äußerlich und innerlich ein Herrnhuter. Er lebte sich in die Gefühlswelt und Sprache der Herrnhuter ein. In dieser Zeit in Niesky, wo er vom 14. Juni 1783 bis zum 17. September 1785 Schüler des Herrnhuter Pädagogiums war, bestimmten drei bedeutsame Motive seine Weiterentwicklung: Das innerliche — man darf vielleicht sagen enthusiastische — Einleben in die Jesusfrömmigkeit der Brüder, die beglückende Erfahrung gemeinsamer Studien auf dem Boden einer innigen Jugendfreundschaft und die humanistische Bildung der damaligen Zeit, die die

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pietistische Erziehungsarbeit in Niesky über das Niveau des Halleschen Pietismus hinausführte. Schwerpunkt war dabei das Studium der lateinischen und besonders der griechischen Sprache. Daneben traten mathematische und botanische Studien, zu denen dann Schleiermacher auf allen Lebensstufen gern zurückkehrte, und das intensive Erlernen der englischen Sprache im Umgang mit seinen englischen Mitschülern und den englischen Lehrern. Die Schule hatte einen starken Prozentsatz englischer Lehrer und Schüler, weil alle Theologen der englischen Brüdergemeinde in Niesky und Barby ausgebildet wurden. Die Schrift von E. R. Meyer über „Schleiermachers und von Brinkmanns Gang durch die Brüdergemeinde" gibt durch die Verwertung des sehr umfangreichen Herrnhutischen Quellenmaterials ein sehr anschauliches Bild des Lebens auf dieser Schule. Auf der einen Seite ist sie ein Art Klosterschule mit pietistischem Gahalt. Die Schüler sind von ihrem Elternhaus getrennt. Viele verbringen nicht einmal die Ferien im Elternhaus, sondern in Niesky. Schleiermacher selber hat seine Eltern nach dem Eintritt in das Pädagogium, also seit seinem 15. Lebensjahr, nicht mehr wiedergesehen, stand aber mit ihnen in einem regen Briefverkehr. Seine Mutter starb allerdings bereits am 17. November 1783; während der Vater am 2. September 1794 im Alter von 67 Jahren verschied, ohne den Sohn wiedergesehen zu haben. Die Seelsorge, die eine sehr weitgehende und auch strenge Betreuung des einzelnen Schülers vollzog, bemühte sich, die Schüler von der sog. bösen Welt fernzuhalten. Das erforderte eine sehr umfangreiche Kontrolle der Schüler. Der Blick sollte von der Außenwelt auf das Innenleben gerichtet werden und die Kräfte auf das religiöse Leben und die wissenschaftliche Arbeit konzentriert werden. Baden und Schlittschuhlaufen waren verpönt, auch so harmlose Spiele wie Schach und Dame, erst recht natürlich das Kartenspiel.

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Auf der anderen Seite aber tragen die Prinzipien und Methoden dieser Schule seihr moderne Züge. Die religiöse Erziehung bestand entsprechend der Herrnhutischen Frömmigkeit nicht in erster Linie in der Übermittlung von dogmatischen Lehren. Wenn Schleiermacher später die Religion nicht für lehrbar, aber für erweckbar hält, so ist diese seine berühmte religionspädagogische These von den Herrnhutern geprägt. Die Brüder wollten die Schüler die christlichen Lehren von Sünde und von der Gnade nicht bloß lehren, sondern nacherleben lassen. Dabei machten sich die besonderen Züge der Herrnhutischen Frömmigkeit bemerkbar. Zinzendorf und in seinem Gefolge die Herrnhuter lehnten den Bußkampf des Halleschen Pietismus ab. Der Durchbruch der Gnade beruhte allein auf dem Wirken des Geistes Gottes und nicht auf menschlicher Anstrengung. Die Herrnhutische Frömmigkeit entdeckte wieder neu das übermoralische Wesen des christlichen Glaubens. Die Freude der Heilsgewißheit, der Phantasieverkehr mit dem Heiland ist der entscheidende Impuls des Lebens. Dieses Lebensgefühl erfüllte alle Bereiche des täglichen Lebens. Die unmittelbare Einwirkung Gottes wurde in der tiefsten Innerlichkeit des Selbst erfahren. Aber diese Unmittelbarkeit des individuellen religiösen Lebens hatte bei den Herrnhutern das starke Gegengewicht des gemeinsamen gottesdienstlichen Lebens, das in der Regel vier tägliche Gottesdienste, die monatliche Beichte und den monatlichen Abendmahlsgang umfaßte. Die eigentliche Arbeit der Schule trug im Gegensatz zu der starken Bevormundung des praktischen Lebens sehr viel freiheitliche Züge. Es gab keine Abschlußexamina, also auch nicht die Abiturientenprüfung. Jeder Schüler wurde seiner Entwicklung entsprechend individuell beurteilt. Es gab daher auch kein starres Stufensystem der Klasseneinteilung. Die Zahl der Unterrichtsstunden war sehr klein. Es wurde den Schülern

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sehr viel Zeit zu p r i v a t e r Arbeit gewährt. Diese viele freie Zeit nutzten sie aus, zu sprachlichen Privatstudien, literarischen Arbeiten und Briefeschreiben. Schleiermacher hat mit seinem Freund Albertini, mit dem er so v e r b u n d e n war, daß sie Orest und Pylades genannt wurden, die klassischen griechischen Schriftsteller und sogar die hebräische Bibel n u r mit Hilfe v o n Lexikon und Grammatik übersetzt. In seinem Lebenslauf erwähnt er als Lektüre Homer, Sophokles, Euripides, Äschylus, v o n den Prosaikern Herodot und Theophrast, Plutarch und Lucian, v o n den Römern Vergil, Tacitus und Cicero, den er allerdings nicht recht mochte und als Schwätzer kritisierte. Piaton hat damals noch k e i n e n Eindruck auf ihn gemacht. Seine Platon-Liebe erwachte erst in Halle, aber seine u m f a s s e n d e Kenntnis der griechischen Sprache und Literatur wurzelte bereits in seinen Privatstudien in Niesky. Infolgedessen studierte er in seinem späteren Leben immer g e r n e die griechischen Dichter. So las er 1809 z. B. seiner Halbschwester abends beim Tee den Homer und den Sophokles vor. Das Zentrum seines Lebens w a r die Jesusfrömmigkeit der Brüder, die er in inniger, aber eigenständiger W e i s e in sich aufnahm. Das bezeugt z. B. das Gedicht, das er seiner Schwester Lotte zu ihrem Geburtstage am 31. 3. 1785 widmete. Der noch unfertige 16jährige Gymnasiast faßte seine Geburtst a g s g e d a n k e n in A n l e h n u n g an den Lehrtext des Tages (Römer 4, 25) in etwas holprige, prosaisch a n m u t e n d e Verse, in denen die Sprache und sogar die gebräuchlichen Reimereien der Brüdergemeinde dominieren: „Sieh' fleißig ihn am Kreuze an, das gibt v e r g n ü g t e Stunden, den liebevollen Martermann, den H e r r n voll Blut und W u n d e n . Ihn lieben, das ist Seligkeit, das höchste Gut auf Erden.

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Und selbst dort in der Ewigkeit wird uns kein größeres werden. Da wusch er midi in seinem Blut von allen meinen Sünden und ließ mich auch in seinem Tod Vergebung, Frieden finden. Und brachte mich zur Gemein' um sicher da zu sein vor allem Übel dieser Welt bei dem Volk, das sich zu ihm hält." (E. R. Meyer a.a.O., S. 144) Anspruchsvoller sind die Verse aus Klopstocks „Messias", die er beim Abschied 1785 seinem Freunde Brinkmann ins Stammbuch schrieb: „Sterbliche, kennt ihr die Ehre, die euer Geschlecht verherrlicht, o so singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben." (E. R. Meyer a.a.O., S. 158) Diese Aufforderung sollte sich später an ihm erfüllen, aber in ganz anderer Weise, als sein pietistischer Vater und seine Lehrer in der Brüdergemeinde es sich gedacht hatten. Am 17. September 1785 verließ Schleiermacher gemeinsam mit zehn anderen Abiturienten das Pädagogium in Niesky, um die Fußreise nach Barby, dem Sitz der Theologischen Hochschule der Brüdergemeinde, anzutreten. Sie trafen dort am 22. September 1785 nach 5tägiger Wanderung ein. Das Städtchen Barby, das eine kleine Brüdergemeinde von ca. 225 Mitgliedern beherbergte, lag am linken Elbufer nicht weit von der Einmündung der Saale in die Elbe. An dieser theologischen Hochschule, die als Seminar bezeichnet wurde und der Ausbildung der Theologen und Lehrer der Brüdergemeinde diente, herrschte die typisch pietistische Auffassung vom Theologiestudium. Die Ausbildung in der Theologie sollte in erster Linie der Vertiefung der Frömmigkeit und erst in zweiter Linie der Einführung in die Wissen-

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schaft dienen. Zur religiösen Erziehung gehörte auch die Einübung in das pietistische Verhältnis zur Welt. Dieses Verhältnis zur W e l t forderte von der Erziehung die fast klösterliche Abschließung v o n der Außenwelt. Die von M e y e r (a.a.O.) ausführlich geschilderten H a u s o r d n u n g e n des Seminars sind v o n dem Geiste der W e i t a b g e w a n d t h e i t und der B e v o r m u n d u n g geprägt. Z. B. ist die Lektüre der modernen schöngeistigen und philosophischen Literatur durch eine strenge Zensur verboten. Aber der Geist der Aufklärung, der auch an der benachbarten Halleschen Universität zur Herrschaft g e k o m m e n war, und die humanistische Bewegung der deutschen Dichter drang auch in die klösterliche Abgeschlossenheit v o n Barby. Der Kreis der Freunde um Schleiermacher, die, zur Kritik erwacht, sich Selbstdenker nannten, las die J e n a e r Literaturzeitung. Sie b e s o r g t e n sich heimlich die zeitgenössische schöngeistige Literatur, z. B. Goethes W e r t h e r und die Schriften Wielands. Die aufklärerische Theologie, z. B. die Bibelkritik Semlers, w u r d e ihnen allerdings nicht im Original zugänglich, sondern in der einseitigen und unzureichenden polemischen Darstellung ihrer Dozenten. Daher trat der pietistischen Frömmigkeit und dem pietistischen W e l t b i l d e die Theologie der A u f k l ä r u n g und vor allen Dingen die humanistische Bildungsmacht der frühidealistischen Dichter entgegen. Die humanistische Hochstimmung der Dichter und ihr ganz a n d e r e s Lebensgefühl standen zu der A b w e r t u n g des Menschen im Pietismus, zu dem Erlebnis der Sündigkeit, das dann die Erlösung durch Christus erfordert, im Widerspruch. Dieses neue Lebensgefühl f a n d e n die F r e u n d e in Goethes W e r t h e r , abre auch in dem jugendlichen Dichter des Göttinger H a i n b u n d e s Hölty, dessen Lyrik Schleiermacher im späteren Leben immer wieder zitierte. Hölty (1748—1776) w a r Theologiestudent in Göttingen und mit Stolberg und Bürger zusammen Mitglied

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des Göttinger Hainbundes. Seine Gedichte waren Ausdruck einer frommen, gelassenen, halb melancholischen, im Anschauen der Natur und ihrer Schönheit versunkenen Seele. Mit dieser Naturschwärmerei war bei den Freunden der Glaube an die Vorsehung und die Menschheit, die Humanität, die fortschreitende Vollkommenheit verspricht, verbunden. Es ist selbstverständlich, daß diese ganz andere Lebensstimmung sich nicht mit der pietistischen Jesusfrömmigkeit und ihrem Sünden- und Gnadenerlebnis vertrug. Die jetzt erwachende Kritik richtete sich gegen das Zentrum der Brüderfrömmigkeit, gegen die Lehre von der Gottheit Christi und vom Versöhnungsopfer des Gekreuzigten, Im Sinne der Aufklärungstheologie verwarf Schleiermacher die Notwendigkeit des Versöhnungsopfers Christi. Gott hat dem Menschen die Kraft gegeben, nach der Vollkommenheit zu streben; das war die Meinung der Aufklärer, aber auch der humanistischen Gebildeten. Daher könne Gott den Menschen nicht wegen seiner Sünde mit ewiger Verdammnis bestrafen, wenn er gerechterweise dieses Vollkommenheitsbestreben berücksichtigen muß. Wenn aber keine ewige Verdammnis drohe, dann sei das Versöhnungsopfer Christi nicht notwendig. Ferner bezweifelte Schleiermacher, inwiefern dieses Opfer Christi ein Ersatz für die Strafe sein könne, die der Mensch für seine Sünden auf sich zu nehmen hätte. Stellvertretendes Strafleiden schien ihm von seiner sittlichen Erkenntnis aus nicht möglich zu sein. Die Gottessohnschaft Christi sei nicht supranaturalistisch, sondern nur symbolisch-humanistisch in Analogie zu unserer Gottes-Kindschaft zu bejahen. Bei dieser religiösen Haltung mußte der 19jährige Student in Konflikt mit der Brüdergemeinde und seinen theologischen Lehrern, aber auch mit seinem pietistischen Vater geraten. Seine theologischen Lehrer in Barby hatten wenig Verständnis für das Ringen eines ehrlichen Zweiflers; aller Zweifel war

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für sie Äußerung eines sündigen Willens. Das führte zu strengen erzieherischen Maßnahmen. 1786 wurden dem Freundeskreis die eigenen philosophischen Studien verboten. Sein englischer Freund Okely wurde aus der Gemeinde ausgeschlossen. Schleiermacher lehnte es auf die Dauer ab, zu heucheln und seine Kritik zu verbergen. Nach einigem Zögern offenbarte er sich seinem Vater und auch seinem Onkel Stubenrauch. Die originalen Briefe zwischen Vater und Sohn, die Dilthey vor 100 Jahren noch vorlagen, sind leider nicht mehr vorhanden. Wir sind nur auf die unvollständige Veröffentlichung der Briefe durch Dilthey angewiesen, so daß wir nicht ein völlig klares Bild von dem Verlauf der nun folgenden Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn erhalten. Der Vater hatte zunächst von seinem strengen Pietismus aus kein Verständnis für das Ringen seines Sohnes. Ebenso wie dessen theologische Lehrer sah er in den Zweifeln seines Sohnes Hochmut, mangelnde Liebe zu Jesus und weltliches Verlangen: „So gehe denn in die Welt, deren Ehre Du suchst. Siehe, ob Deine Seele von ihren Trabern kann satt werden, da sie die göttliche Erquickung verschmäht, welche Jesus allen nach ihm dürstenden Herzen schenkt. Hast Du denn nie ein Tröpfchen Balsam aus seinen Wunden gekostet? Und ist das alles Trug und Heuchelei gewesen, wa,s Du geschrieben und zu empfinden so oft beteuert hast? War es aber Wahrheit, o so wird's mächtig an jenem Tage wider Dich zeugen, wo Du nicht umkehrst zu Deinem ewigen Erbarmer" (Br. I, S.46). Der Sohn rang in seinen Antworten darum, das Vertrauensverhältnis zwischen Vater und Sohn zu bewahren, lehnte es aber ab, seine Zweifel unwiderlegt zu verwerfen und beharrte tapfer auf seinem Plan, nunmehr in Halle Theologie studieren zu wollen. Besonders schmerzlich war es ihm, daß seine theologischen Lehrer und Erzieher in Barby — er nennt sie „die Arbeiter"

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— ihn erheblich unter Druck zu setzen versuchten und ihm damit drohten, daß sein Vater sich von ihm ganz zurückziehen würde und sich von seinem Sohn trennen wollte. In einemBrief vom 12. Februar 1787 heißt es: „MeinBlut kochte, da ich hörte, daß man Sie so verkannte, so lieblos urteilte, aber ich verbiß es . .. Ich empfehle mich der göttlichen Obhut, Ihrem Gebet und Ihrer väterlichen Vorsorge als Ihr gehorsamster Sohn Fritz" (Br. I, S. 52). Der Vater lenkte dann doch ein. Wenn der Briefwechsel noch vollständig vorläge, würde man die Gründe dafür erkennen können. Er war bereit, dem Sohne ein Studium von drei bis vier Semestern zu ermöglichen, um sich für ein Schulamt vorzubereiten. Ein Trost war sein Onkel Stubenrauch. Er war ein Mann der milden Hand. Er schrieb seinem Neffen: Ehrlichen Zweiflern müsse man Zeit lassen und sie mit Sanftmut tragen und ermahnt ihn: „Verlassen Sie sich auf Gott und Ihre gute Sache und treue Wahrheitsliebe und suchen Sie über Ihren Kummer Herr zu werden" (Br. I, S. 58). Er war bereit, ihn zunächst bei sich in Halle aufzunehmen. Schleiermacher wurde Ostern 1787 an der Universität Halle immatrikuliert. Die Blütezeit der Universität Halle, die durch die Philosophie Christian Wolfis und die Theologie Semlers herbeigeführt wurde, war vorbei. Halle hatte aber immerhin die hohe Zahl von 1156 Studenten, von denen 800 Theologen waren. Schleiermacher war ein fleißiger Student. Er arbeitete an seinen eigenen Studienaufgaben bis tief in die Nacht hinein. Selbständiges Arbeiten hatte er bereits in Niesky und Barby gelernt. Die theologischen Kollegs hat er allerdings nicht sehr häufig besucht. Es ist nicht einmal sicher, ob er die Vorlesungen seines Onkels Stubenrauch, der ein Theologe der Aufklärung von einer gemäßigten supranaturalistischen Richtung war, gehört hat. Semler war schon sehr alt, die übrigen Mitglieder der Theologischen Fakultät, Niemeyer, Nösselt und Knapp, nicht sehr bedeutend.

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Schleiermacher erwähnt nicht einmal den Professor Samuel Mursinna, mit dem er entfernt verwandt war, obwohl dieser dem Studenten beim Abgang von der Universität Halle ein glänzendes Zeugnis schrieb, das sich später noch bei den Akten fand. Durch seinen Freund Brinkmann angeregt, suchte er die Verbindung mit dem Philosophen Johann August Eberhard, der damals wohl der bedeutendste philosophische Dozent an der Universität Halle war. Eberhard war ein Schüler von Christian Wolff und trug dessen System auf elegante Weise vor. Vor allen Dingen aber vermittelte er dem jungen Studenten eine tiefergehende Kenntnis des philosophischen Systems Kants. Die Kritik der reinen Vernunft von Kant war 1781 gerade erschienen, die Prolegomena (1783) hatte Schleiermacher schon in Barby gelesen. 1785 erschien die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und 1788 die Kritik der praktischen Vernunft. Der junge Student widmete sich von nun ab für viele Jahre intensiv dem Studium der Kantischen Philosophie, „weil sie die Vernunft von den metaphysischen Wüsten zurück in die Felder, die ihr eigentümlich gehören, zurückweist" (Br. I, S. 66). Eberhard war ein Kritiker Kants und vermittelte seinen Studenten die Einwände, die gegen Kant erhoben werden können. Schleiermacher war aber bereits zu sehr Selbstdenker, als daß er sich nicht jetzt schon in die Schriften Kants, vor allem in die Kritik der reinen Vernunft, selbständig einarbeitete. Eberhard vermittelte seinen Schülern zudem einen Einblick in die verschiedenen philosophischen Disziplinen, in die Geschichtsschreibung der Philosophie, vor allem aber den Zugang zu Piaton und Aristoteles. Im Nachlaß Schleiermachers sind nodi seine Ubersetzungen des Aristoteles, vor allem des 8. und 9. Buches der nikomachischen Ethik, erhalten. Das Studium der griechischen Philosophen wurde dann noch durch die Vorlesungen des jugendlichen Philologen Friedrich August Wolf gefördert.

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Auf Wunsch seines Vaters widmete sich Schleiermacher englischen und französischen Sprachstudien, um sich für eine Tätigkeit als Hauslehrer vorzubereiten. Bei diesen Sprachstudien war ihm seine Tante Judith Stubenrauch, geborene Chabanon, aus einer französischen Hugenottenfamilie stammend, eine verständnisvolle Helferin. Nach knapp zwei Jahren brach Schleiermacher seine Studienzeit in Halle ab. Sein Onkel Stubenrauch, der inzwischen eine Pfarrstelle in dem Landstädtchen Drossen, nicht weit von Frankfurt an der Oder, angenommen hatte, gewährte ihm eine Zeit der Muße zur Erweiterung und Vervollkommnung der Bildung. Onkel und Vater drängten auf den Abschluß des Studiums durch das theologische Examen. Schleiermacher scheint diese Zeit aber weniger zum Examenspauken benutzt zu haben, sondern zu umfassenden philosophischen Studien, zu den ersten eigenen literarischen Arbeiten und zu einem lebhaften Briefwechsel mit seinen Freunden. Als Probestücke dieser ersten literarischen Arbeiten liegen im Nachlaß Studien über das höchste Gut und über die Freiheit des Menschen, die in die Zeit von Drossen und Schlobitten fallen (vgl. Denkmale, S. 6 u. 21). Diese ausgesprochen ethischen Arbeiten zeigen, wie das religiöse Empfinden und das theologische Interesse in Drossen immer mehr zurücktrat. Wie bei Kant, dessen Studium er in Drossen stark intensivierte, hat jetzt bei dem jungen Kandidaten die Ethik den Vorrang vor der Religion. Er würdigt den christlichen Glauben von der Kantischen Ethik aus. Ursprünglich war der christliche Glaube in seinem Kern eine Sammlung von Sittenlehren, die für jedermann leicht verständlich sind (Br. IV, S. 29). „Allein nachdem einige superstitiöse Sophisten zu demselben übergetreten waren, fingen die Heiden an, es als eine philosophische Sekte a n z u s e h e n . . . Die philosophischen Christen mußten nun . . . auch ihr Verhältnis (das Verhältnis zur

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Bibel) gegen die Vernunft festsetzen . . . und daraus entstand die vollständige Dogmatik, welche sich immer mit der Philosophie der Zeit ändern wird" (ebd.). Ohne die philosophischen Christen und ihre Zusätze zu der urchristlichen Ethik hätte das Christentum vielleicht lauter Nutzen und keinen Schaden stiften können. Was heute als Christentum gilt, ist zu verwerfen und an seine Stelle eine Tugendlehre zu setzen, wie sie die Kantsdie Ethik bietet. Allerdings stimmt diese Kantische Lehre mit den sittlichen Weisungen Jesu in den Evangelien überein. Schleiermacher verwirft aber den moralischen Gottesbeweis Kants und den Schluß Kants von der Ethik auf die Realität der ewigen Seligkeit. Die Lebensaufgabe des Menschen ist allein die gegenwärtige Pflichterfüllung, und darin besteht zugleich das höchste Gut. Die Hoffnung auf das Jenseits bringt nur ein falsches eudämonistisches Motiv in die christliche Ethik. Der Winter 1789/90 in Drossen ist wohl der tiefste Punkt in der inneren Entwicklung Schleiermachers. Skepsis und Resignation erfüllten ihn. Hinzu kam sein schlechter Gesundheitszustand. Die Augen waren vom vielen Lesen entzündet. Schleiermacher war zeitlebens kurzsichtig. Ein chronisches Magenleiden, das ihn ebenfalls das ganze Leben begleitete, störte ihn ganz besonders. Nur widerwillig beschäftigte er sich mit dem theologischen Examenswissen und verachtete die theologischen Subtilitäten und Begriffskunststücke. Als Lektüre nennt er in dieser Zeit so heterogene Schriften wie August Sack: „Verteidigter Glaube der Christen" und Johann David Michaelis: „Einleitung in die göttlichen Schriften". Auf Drängen seines Vaters und seines Onkels reiste er 1790 nach Berlin, um vor dem dortigen reformierten Kirchendirektorium das erste theologische Examen abzulegen. Prominentes Mitglied der Prüfungskommission war der Hofprediger und Kirchenrat Friedrich Samuel Gottfried Sack,

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der mit Schleiermachers O n k e l Stubenrauch vom Studium her b e f r e u n d e t war. Der Prüfling m u ß t e innerhalb v o n sechs Wochen eine lateinische und eine deutschsprachige Examensarbeit abliefern. Es h a n d e l t e sich um folgende Themen: 1. „Erklärung des 5. Kapitels des Galaterbriefes unter besonderer Bezugnahme auf die Lehre v o n Freiheit des Christen" (lateinisch); 2. „Zu welchem Zwecke studiert ein künftiger christlicher Lehrer die Polemik?" (vgl. H. Meisner: Schleiermachers Lehrjahre, 1934). A u ß e r d e m h a t t e er folgende Klausurarbeiten anzufertigen: „Was haben wir für das Wesentliche der hebräischen Dichtkunst anzusehen? Welche Streitigkeiten sind in älteren und n e u e r e n Zeiten in Anseh u n g der natürlichen Kräfte der Menschen zum Guten gewesen? Welches sind die hauptsächlichen Übersetzungen des Alten Testamentes? Welche Art Bücher soll der a n g e h e n d e Theologe gelesen haben, um dem akademischen Kursus mit Erfolg folgen zu können?" Die Examenspredigt über die Perikope: Jesus und der Zöllner (Lukas 5) hielt er im Dom am 15. Juli 1790 vor dem Kollegium der Hofprediger. In dem Prüfungsbericht wird die Predigt sehr günstig beurteilt, aber es wird eingewandt, sie sei nicht eine p o p u l ä r e Volksrede, sondern mehr eine philosophische A b h a n d l u n g . Nach bestandenem Examen w e r d e n in dem Prüfungszeugnis seine schriftlichen Arbeiten mit „sehr gut" und „vorzüglich" beurteilt. In den meisten Prüfungsfächern erhält er das Prädikat sehr gut oder gut, nur seine Leistungen in Dogmatik w e r d e n mit der Note genügend bewertet, w a s bei dem k ü n f t i g e n V e r f a s s e r der Glaubenslehre zweifellos ungewöhnlich ist und ein Trost für manchen E x a m e n s k a n d i d a t e n sein mag. Sein väterlicher Freund Sack vermittelte ihm n u n m e h r eine Hauslehrerstelle im H a u s e des G r a f e n zu Dohna in Schlobitten im fernen Ostpreußen. Ursprünglich sollte Schleiermacher den j u n g e n G r a f e n W i l h e l m zu Dohna, der in Königsberg Staatswissenschaft studierte, als Repetent und

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Gesellschafter begleiten. Aber als der junge Kandidat in Schlobitten sich der Familie vorgestellt hatte, vereinbarte man mit ihm, daß er als Hauslehrer der jüngeren Söhne in Schlobitten verblieb. Der Aufenthalt in Schlobitten von Oktober 1790 bis Mai 1793 brachte im Leben Schleiermachers einen starken Wechsel seiner Lebensstimmung und seines Lebensgefühls. Drossen war die Zeit der tiefsten Depression und Skepsis, in Schlobitten dagegen erfolgte ein starker geistiger und seelischer Aufschwung. Diese Wende war durch mehrere Motive bedingt. Es war zunächst der Wechsel des sozialen Milieus. Der mit finanziellen Schwierigkeiten ringende Student verließ die beengten Verhältnisse des Drossener Pfarrhauses und nahm jetzt an dem Leben in dem wohlhabenden Hause eines ostpreußischen Gutsbesitzers aus dem ältesten preußischen Hochadel teil. Noch mehr aber bedeutete der Wechsel des seelischen Klimas. Das einsame Studium in Drossen und die lustlose Examenspaukerei waren vorbei, und der 22jährige Kandidat bekam nun zum ersten Male eine sinnvolle pädagogische Aufgabe, die er mit Freude ergriff. Ganz besonders aber erfaßte ihn die herzliche, aufgeschlossene Atmosphäre der Familie Dohna. Seit Schlobitten ist Schleiermacher der Virtuose der Freundschaft und des seelischen Austausches gleichgestimmter Menschen. Schleiermacher selber gibt dieser Erfahrung in den Monologen Ausdruck: „In fremden Hause ging der Sinn mir auf für schönes gemeinschaftliches Dasein, ich sah, wie Freiheit erst veredelt und recht gestaltet die zarten Geheimnisse der Menschheit, die dem Uneingeweihten immer dunkel bleiben, der sie nur als Bande der Natur verehrt" (Monologen, S. 108). Der Hausherr Graf Dohna hatte noch als preußischer Offizier am Siebenjährigen Kriege teilgenommen. Er war in allen seinen Überzeugungen ein konservativer Preuße. Als Patronatsherr hatte er vier reformierte Prediger-

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stellen zu besetzen. Als Monarchist lehnte er alle politischen Ideen ab, die von der französischen Revolution aus nach Deutschland drangen und die Köpfe vieler junger Deutscher beschäftigten. Daraus entstanden später auch gewisse Differenzen mit seinem Hauslehrer. Die Hausfrau war eine geborene Gräfin Finckenstein, sie war am preußischen Hofe erzogen und repräsentierte in Stil und Lebensart die gesellschaftliche Kultur des gebildeten preußischen Adels. Sie war eine warmherzige und intelligente Mutter für ihre zwölf Kinder, hatte auch ein wadisames Auge für ihren jungen Hauslehrer und hielt auch manchmal mit ihrer Kritik nicht zurück. Schleiermacher hatte den jüngeren Söhnen Unterricht in Französisch, Mathematik, Geschichte und Geographie zu erteilen. Außerdem hatte er für die Fortbildung der geistig aufgeschlossenen und begabten jungen Gräfinnen, von denen die ältere, Caroline, 20 Jahre, die jüngere, Friederike, 17 Jahre und Auguste 16 Jahre alt war, allgemeinbildende Vorträge über ethische, philosophische und religiöse Fragen zu halten. In der jungen, reizvollen, anmutigen und gemütstiefen Friederike begegnete ihm zum ersten Male eine edle und graziöse, zur Frau eben heranreifende Mädchengestalt, zu der Schleiermacher eine tiefe, heimliche Zuneigung faßte; nach ihrem frühen Tode — sie starb an Lungentuberkulose — bewahrte er ihr weiterhin seine heimliche Zuneigung, der er in Schlobitten infolge des gesellschaftlichen Abstandes zwischen der Gräfin und dem jungen Hauslehrer und der strengen Formen des freundschaftlichen Verkehrs der jungen Gräfin gegenüber niemals auch nur andeutungsweise Ausdruck geben konnte und wollte. Dem Gedächtnis an die Gräfin Friederike gelten vielleicht seine Worte „Nicht vergeblich habe ich mancherlei Gestalten des weiblichen Gemütes gesehen und ihres stillen Lebens schöne Weise mir bekanntgemacht" (Monologen, S. 16). In Schleiermachers

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Nachlaß wurde ein Blatt erhalten, das Schleiermacher anscheinend wie eine „Reliquie" in Verehrung an diese seine Schülerin aufbewahrt hat. Dieses Blatt enthält eine Niederschrift der Gräfin Friederike, in der sie im Gebet zu Gott ihren Entschluß begründet, dem Wunsche ihrer Eltern, einen ungeliebten Mann zu heiraten, nicht zu folgen. „Vor Dir Allwissender will ich mich prüfen .. . Ich komme zu Dir, mein heiliger Vater, dem Beschützer meiner Unschuld und dem Führer meiner Jugend. Mein Vater, ich weiß, daß keine schöneren Pflichten erfüllt werden können als die Pflichten einer tugendhaften Frau. Sie sind aber auch die schwersten, wenn man keinen Freund hat, sondern einen bloßen Mann" (Dilthey, Leben Schleiermachers l.Bd., l.Aufl., S. 71). In dieser Umgebung vollzog sich ein so tiefer Wandel in dem Leben des jungen Schleiermachers, daß auch die religiösen Tiefen seiner Seele bewegt wurden. Die Skepsis und die philosophisch-theologischen Grübeleien, die seine Frömmigkeit verschüttet hatten, verschwanden allmählich, und er erwachte zu neuem Leben. Am 6. August 1791 bekannte er seinem Vater gegenüber: „Mein Herz wird hier ordentlich gepflegt und braucht nicht unter dem Unkraut kalter Gelehrsamkeit zu welken, und meine religiösen Empfindungen sterben nicht unter theologischen Grübeleien. Hier genieße ich das häusliche Leben, zu dem doch der Mensch bestimmt ist, und das wärmt meine Gefühle; .. . ich lerne mich und andere kennen, ich habe Muster der Nachahmung und fühle, daß ich ein besserer Mensch werde . . . Sie danken gewiß Gott mit mir für seine gnädige Fügung und wünschen mir Segen, sie weislich zu benutzen" (H. Meisner, Bd. I S. 64/65). Der junge Kandidat, der in Drossen eine starke Abneigung gegen das Predigen empfand, bestieg jetzt die Dorfkanzel in Schlobitten mit großer innerer Freude. Er bezeichnete allerdings noch das Predigen in jugendlicher Selbstironie als das „Herabdonnern" (a.a.O.,

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S. 68), aber er w a r innerlich v o n der P r e d i g t a u f g a b e erfaßt und arbeitete intensiv an der Entwicklung seines Predigtstiles. Dabei w a r der geistige Austausch mit seinem O n k e l und seinem Vater, denen er Predigtniederschriften vorlegte, für ihn wichtig. Die ersten Predigten, z. B. ü b e r das Gebet im N a m e n Jesu, lassen bereits seine b e s o n d e r e rhetorische Begabung und den geistvollen A u f b a u seiner Predigtg e d a n k e n erkennen. Inhaltlich und auch in den sprachlichen Formulierungen stehen diese ersten Predigten noch auf dem S t a n d p u n k t der frommen und sittlichernsten Aufklärung, wie sie sein Onkel Stubenrauch vertrat. Das biblische Zeugnis wird oft sehr eigenwillig umgedeutet. Im Mittelpunkt der Erörterung stehen ethische Lebensfragen, und auch seine Christologie ist noch nicht über die A u f k l ä r u n g hinausgewachsen. Christus ist ein originaler Prophet, sittliches Vorbild und Menschheitswohltäter. Das N i v e a u der Predigten ist mehr auf die gräfliche Familie als auf die D o r f b e w o h n e r abgestimmt. Der Gräfinmutter, die streng an den H e i l s w a h r h e i t e n der Bibel hing, sind diese Predigten zu modern, und sie hält mit dieser Kritik auch nicht zurück. Die N e u j a h r s p r e d i g t v o n 1792 bringt zum Beispiel eine philosophische Erörterung ü b e r die falsche Anschauung, daß Glück und Unglück den W e r t des Lebens bestimmen. Dieselbe ethisch-philosophische Tendenz zeigen auch eine Reihe a n d e r e r Predigten in Schlobitten, z. B. am zweiten O s t e r t a g über die Pflichten, welche die Gewißheit der A u f e r s t e h u n g uns auflegt, am 2. A d v e n t „von der notwendigen Einschränkung der Anhänglichkeit ans irdische Glück" oder über das Thema „die durch Christum aufgeh o b e n e Unmündigkeit des menschlichen Geschlechtes". Obwohl dogmatischer Gehalt und sprachliche Form noch auf dem Boden der A u f k l ä r u n g blieben und Schleiermacher sich nach den Vorbildern der A u f k l ä r u n g s p r e d i g e r auszurichten versuchte — er studierte deutsche und auch englische ge-

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druckte Predigten —, enthielten die Predigten doch einen tieferen Ton, der anzeigt, daß der Verfasser im Begriff war, innerlich die Aufklärung zu überwinden. Auf den ersten Blick sind die Predigten aufklärerische Moralpredigten. Aber dahinter ist die Frömmigkeit als der tiefere seelische Quellpunkt der Sittlichkeit zu erkennen. Der junge Prediger war von einem kraftvollen, an Kants Pflichtbegriff ausgerichteten Ethos erfüllt. Gott befriedigt den Menschen, wenn sie zu ihm beten, nicht ihre eitlen Wünsche, die auf irdisches Wohlergehen gerichtet sind. Ziel des Lebens ist das Wachstum des Guten im Menschen, aber dieses Streben nach sittlicher Vervollkommnung hat das ewige Ziel, Gott immer ähnlicher zu werden. Das war für ihn der religiöse Gehalt der Ethik von Kant und Piaton. Es gelingt dem jungen Prediger nur andeutungsweise zum Ausdruck zu bringen, daß er bereits innerlich über die Frömmigkeit der Aufklärung hinauswächst. Die ethischen Betrachtungen führen den jungen Theologen zunächst zu Analysen des menschlichen Herzens und menschlichen Lebens. Aber bei genauerem Betrachten treten bereits eigentümliche religiöse Grundströme hervor, die ihn als einen „Herrnhuter höherer Ordnung" andeutungsweise erkennen lassen. Z. B. spricht Schleiermacher schon in einer sehr frühen, wahrscheinlich Schlobittener Weihnachtspredigt über den Text Galater 4, 4 einen solchen weiterführenden Gedanken aus: „Der unglückliche Mensch hatte auch seinen Zusammenhang mit Gott verloren. Da schenkt Gott uns Christum, der uns alles wiederbringt, was wir verloren haben." Die Tendenz besteht, die Predigten als Erbauung und in Anwendung auf das religiöse Leben zu gestalten. Dadurch gewinnen sie eine innerliche Lebendigkeit, die die aufklärerischen theologischen Begriffe mit neuem Inhalt füllt, bis es ihm später in den Reden gelingt, auch theologisch-dogmatisch neue Formulierungen zu finden. 2

Redeker, Schleiermacher

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Neben der Predigttätigkeit, der er sich mit Liebe und besonderer Freude widmete, führte er seine philosophischen Abhandlungen weiter. Schon in Sdilobitten 1791 hatte er eine Abhandlung über die Freiheit des Menschen begonnen und an ihr wahrscheinlich bis Ende 1792 weitergearbeitet. An seinem Geburtstag 1792 begann er Selbstbetrachtungen niederzuschreiben, die als Vorbereitung der späteren Monologen zu gelten haben. Dilthey hat sie später unter dem Titel „über den Wert des Lebens" in einem Auszug veröffentlicht. In die Schlobittener Zeit fällt auch die erste Konzeption seines Individualitäts- und Menschheitsgedankens. In den Monologen S. 36 und S. 40 weist Schleiermacher auf diese Anfänge hin: „Mit stolzer Freude denke ich noch der Zeit, da ich die Menschheit fand und wußte, daß ich sie nie mehr verlieren würde." S. 40: „So ist mir aufgegangen, was jetzt meine höchste Anschauung ist; es ist mir klar geworden, daß jeder Mensch auf eigene Art die Menschheit darstellen soll." Die erste Andeutung davon, daß er sich mit dem Gedanken der Individualität beschäftigte, findet sich in der Abhandlung „über die Freiheit des Menschen". Diese Schrift enthält eine Untersuchung über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit im menschlich-sittlichen Handeln im Anschluß an Kants Ethik. Hier taucht anscheinend zum ersten Male, also bereits in Schlobitten, die Frage nach dem Ursprung und Wesen der Individualität auf. Es wird die Frage erörtert, ob die Verschiedenheit der Seelen und die damit zusammenhängende Verschiedenheit ihres Lebensschicksales sich nicht dadurch erklären ließe, daß sie „in sich verschiedene Substanzen" seien. Die quantitative Bestimmung von dem Begriff der Substanz aus wird nicht aufrecht erhalten. Dagegen wird der Gedanke der individuellen Existenz weiterentwickelt. In der berühmten Neujahrspredigt von 1792 und in seiner Schrift über den ,Wert des Lebens" wird die Lösung darin gesehen, daß die indi-

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viduelle Verschiedenheit der Vermögen der Seele die Bestimmung des Menschen enthalte. Individualität ist also Bestimmtheit durch die göttliche Vorsehung, die jedem einzelnen den ihm gemäßen Platz im Weltganzen anweist. Schleiermacher fordert: „Ich will wissen, was der Mensch selbst sein soll" und gibt die Antwort: „Was das Bewußtsein deines Wesens dir zu sein und zu werden gebietet, das bleibt dir geboten" (Denkmale S. 51/52)*. Schleiermacher ist dem Problem der Individualität weiter nachgegangen, besonders in der Zeit, als er wahrscheinlich in Landsberg Spinoza durch die Veröffentlichung Jacobis kennenlernte. Der Ursprung seines originalen Gedankens der Individualität liegt also nicht erst in der Romantik und seiner Begegnung besonders mit Friedrich Schlegel, sondern bereits in Schlobitten und Landsberg beschäftigt ihn die Frage: „wes Ursprungs ist die Idee von einem Individuo und worauf beruht sie?" (WW III 4,1, S. 306). Die eigentliche Wurzel dieser Idee liegt aber in seiner Herrnhuter Zeit. Die Herrnhuter Frömmigkeit und die dort geübte Besinnung auf die Unmittelbarkeit und Eigentümlichkeit der individuellen Glaubenserfahrung hat in ihm den Grund gelegt für diese Idee des Individuums. Damit hängt zusammen, daß er über das Verhältnis zwischen Gott und dem einzelnen in völlig neuer Weise nachdachte und er sowohl über den aufklärerischen als auch über den supranaturalistischen Gottes- und Offenbarungsbegriff hinauszukommen strebte. Schleiermacher war der Familie Dohna sehr verbunden. Die ältere Generation, der Graf und die Gräfin, empfanden aber sehr viel stärker auch die Differenz zwischen ihren konservativen religiösen und politischen Anschauungen gegenüber dem jungen Kandidaten der Theologie, der über diese ihre Welt hinausstrebte. So mußte es zu Auseinander* Vgl. P. Seifert, Die Theologie des jungen Sdileiermacher, S. 131. 2*

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Setzungen kommen, hauptsächlich zwischen dem Grafen und seinem Hauslehrer. Anlaß waren Meinungsverschiedenheiten über pädagogische Fragen. Letzte Ursachen waren aber tiefere geistige und politische Divergenzen. Nach einer heftigen Auseinandersetzung entschlossen sich beide Seiten, die Hauslehrertätigkeit zu beenden. Der Abschied verlief auf beiden Seiten dennoch herzlich. Der alte Graf vergoß sogar Tränen beim Abschied, und auch Schleiermacher war sehr bewegt und hat auch in späteren Jahren die Freundschaft mit der Familie Dohna, ganz besonders mit den beiden älteren Söhnen Alexander und Wilhelm, gepflegt. Der junge Kandidat reiste zunächst einmal zu seinem Onkel Stubenrauch nach Drossen und wurde dort sehr herzlich aufgenommen. Sein Onkel drängte ihn, das zweite theologische Examen abzulegen. Nach einer kurzen Tätigkeit am Pädagogischen Studienseminar von Friedrich Gedicke in Berlin entschied sich Schleiermacher, dem eine Hilfspredigerstelle in Landsberg angeboten war, für das Pfarramt und legte darum bereits am 31. März 1794 in Berlin das 2. theologische Examen ab. Das Examen erforderte fünf Klausurarbeiten, denen ein Kolloquium folgte. Folgende schriftliche Aufgaben wurden ihm gestellt: Welches sind die Quellen der Kirchengeschichte der ersten vier Jahrhunderte? Quaenam est significato vocis „pistis" in Römer 14, 13? Quid est Talmud? Übersetzung des 30. Paragraphen aus der ersten Apologie Justins. Welches sind die berühmtesten Werke in der Kritik des Neuen Testamentes? Das Zeugnis, das er über die Prüfung erhielt war glänzend. Es enthält im Durchschnitt die Zensur sehr gut, nur in der Dogmatik wird ihm bloß „hinlängliche Kenntnis" bescheinigt. Nach bestandenem Examen erhielt er zunächst von 1794—-1796 eine Stellung als Hilfsprediger in Landsberg. Die Hilfsprediger hießen in der damaligen reformierten Kirche Adjunkten, eine Bezeichnung, die sich am Berliner Dom noch bis ins 20. Jahrhundert

Anfänge in Berlin. Die romantischen Freunde

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erhalten hat. In diese Landsberger Zeit fiel der Tod seines Vaters 1794, der ihn tief bewegte, besonders, da sich das Verhältnis zu seinem Vater in der letzten Zeit sehr herzlich gestaltet hatte. Ferner begann er in Landsberg bereits auf Anregung seines Gönners Sack die Predigten des Schotten Hugo Blair und des Engländers Fawcett ins Deutsche zu übersetzen. Die Ubersetzungen der Predigten von Blair erschienen 1795 und führten das Ubersetzungsunternehmen von Sack fort. Die Ubersetzungen des Engländers erschienen 1798 mit einer Vorrede von Sack. Bereits in Landsberg erfolgte 1794 die erste uns bekannte Auseinandersetzung mit den Gedanken Spinozas, die noch nicht sofort aufgrund der Originalschriften Spinozas zustande kam, sondern durch Vermittlung der antispinozistischen Schrift Jacobis. 1796 erhielt er dann seine erste Stelle als Pfarrer an der Charité in Berlin. Mit dieser Ubersiedlung nach Berlin endigt seine Jugend- und Studienzeit. Er war, als er am 18. September 1796 seine Antrittspredigt in der Charité hielt, nicht ganz 28 Jahre alt, und es beginnt nun die erste intuitive und schöpferische Periode in seiner Tätigkeit als theologischer und philosophischer Denker und als Prediger.

II. Die neuen Intuitionen 1. Anfänge in Berlin. Die romantischen Freunde Schleiermacher blieb sechs Jahre lang bis zu seinem 34. Lebensjahr reformierter Prediger an der Charité. Die damalige Charité hatte einen völlig anderen Status und anderes Aussehen als das heutige große Krankenhaus im Zentrum von Berlin, das nahe der Sektorengrenze auf OstBerliner Gebiet liegt. Berlin hatte damals Ende des 18. Jahrhunderts ungefähr 140 000 Einwohner, zu denen noch eine Garnison von 40 000 Soldaten hinzukam. Die seit der Mitte

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des 18. Jahrhunderts schnell wachsende Stadt hatte trotz dieser raschen Ausdehnung die Charité noch nicht ganz erreicht, so daß die Charité noch außerhalb des eigentlichen Stadtkernes lag. Das Gebäude der Charité diente im unteren Stockwerk als Alters- und Pflegeheim, und im oberen Stockwerk bot es 250 Kranken Unterkunft. Im ersten Jahre Schleiermachers (1796) wurden dort ca. 3000 Kranke gepflegt. Das Haus unterstand der Armendirektion der Stadt Berlin. Die hygienischen Zustände in diesem Krankenhaus und die pflegerische Versorgung wurden damals von der Öffentlichkeit stark kritisiert. Böse Zungen behaupteten, in der nahe gelegenen Tierarzneischule würden die Hunde wie Menschen und dafür in der Charité die Menschen wie Hunde behandelt. Der lutherische Kollege Schleiermachers mit Namen Prahm hatte beim preußischen König sich beschwert und erreichte eine Reorganisation des Krankenhauses. Schleiermacher überließ anscheinend die Federführung in diesem Streit seinem lutherischen Kollegen. Er erhielt im dritten Stock eine Wohnung. Daß er diese Wohnung „recht artig" fand, ist wohl mehr ein Beweis für die Bescheidenheit Schleiermachers als für die Qualität der Wohnung. Bereits 1797 bezog er wegen der Umbauarbeiten in der Charité eine Wohnung außerhalb des Oranienburger Tores, wahrscheinlich an der späteren Chausseestraße. Schleiermacher hatte in dem Betsaal der Charité abwechselnd mit seinem lutherischen Kollegen zu predigen. Außer den Armen, Alten und Kranken des Hospitals besuchten seine Gottesdienste auch Teilnehmer aus den benachbarten Stadtteilen. Gegenüber seiner späteren sehr umfassenden Predigttätigkeit an der Dreifaltigkeitskirche waren diese Anfänge relativ bescheiden. Er bemühte sich stark darum, sich der geistigen und geistlichen Haltung seiner Predigthörer anzupassen. In seine erste Predigtsammlung nahm er daher keine von den Predigten in der Charité auf, weil die

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Gottesdienstteilnehmer andere Bedürfnisse gehabt hätten als die Besucher von Landsberg, Potsdam oder anderer Berliner Kirchen. Seine Antrittspredigt aus dem Jahre 1796 ist im 7. Band seiner Predigten dennoch erhalten und zeigt, wie sehr er sich darum bemühte, auf die Bedürfnisse seiner Gemeinde einzugehen: „Laßt mich nicht vergebens um das Wohlwollen, um die Bruderliebe bitten, die man jedem Christen gewähren muß und die ich noch viel mehr als euer Hausgenosse fordere, um die ich euch alle bitte . . . nehmt mich als euren Freund in Liebe auf. Hier, wo so viel allem Anschein nach unverschuldetes Elend zusammengehäuft ist und so viel klägliche Stimmen des Jammers hervorbringt, und wo dagegen dem verschuldeten Elend mit so stumpfer Gleichgültigkeit, mit so schamloser Frechheit getrotzt wird, kann gar leicht der Gedanke entstehen, ob es wohl wahr sei, daß der Herr im Himmel herabschaut auf die Menschenkinder und seinen Thron aufgerichtet hat zum Gericht.. . Hier kann leicht der Zweifel sich einschleichen, ob auch wirklich das Gesetz des Höchsten allen Menschen ins Herz geschrieben ist." Schleiermacher trat zunächst in nähere Beziehung zu den reformierten Predigerfamilien Berlins, mit denen die Familie seiner Mutter befreundet war. Es handelte sich um die Häuser von Spalding und Sack. Der Hofprediger Sack wurde ihm ein väterlicher Freund und konnte später Schleiermacher daran mit folgenden Worten erinnern: „Die Talente, die Ihnen Gott verliehen, die schönen Kenntnisse, die Sie sich erworben, und der rechtschaffene Sinn, den ich an Ihnen wahrnahm, erwarben Ihnen meine Hochachtung und mein Herz" (Br. III, S. 276). Der Propst Spalding selbst war damals bereits hochbetagt. Er hatte nach dem Erscheinen des Wöllnerschen Religionsediktes aus Protest gegen die reaktionäre Orthodoxie alle seine Ämter niedergelegt. Wie Schleiermacher sich zu den kirchenpolitischen und kulturpolitischen Aus-

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einandersetzungen der damaligen Zeit stellte, zeigt eine Eintragung in sein wissenschaftliches Tagebuch aus dem Jahre 1796, die an Schärfe jugendlicher Kritik an den kirchlichen Zuständen wohl kaum zu überbieten ist: „Die Kirche ist ein Polyp; wenn ein Stück davon abgerissen wird, entsteht wieder ein ganzer Polyp daraus und es hilft nichts, wenn die Menschen nach ihren verschiedenen Meinungen sich in noch mehrere Kirchen teilten. Der Polyp muß nicht zerrissen, sondern ganz vernichtet werden." Diese kritische Äußerung ist nur im Zusammenhang mit seiner späteren Stellung zur Staatskirche in den wenige Jahre darauf erscheinenden Reden und seinen positiven Aussagen über das Wesen der wahren Kirche zu deuten und zu verstehen. Bedeutsam für seine schöpferische intuitive Lebensperiode der ersten Berliner Zeit wurden die Freundschaften, die er damals in ganz anderen Kreisen als den reformierten Predigerfamilien fand. Es waren hauptsächlich zwei Lebenskreise, die innerlich miteinander zusammenhingen. Der Bereich der Berliner Romantiker und Dichter, in dem er durch seine Freundschaft mit Friedrich Schlegel eine besondere Stellung einnahm, und der Lebenskreis der neuen Berliner Gesellschaft, die sich Ende des 18. Jahrhunderts in Berlin gesammelt hatte. Diese neue Gesellschaft hatte sich im Gegensatz zum aufklärerischen Berlin der friderizianischen Zeit gebildet. Der große Anreger für das neue Lebensideal und das Verständnis der Kunst in dieser Gesellschaft war Goethe, dessen „Wilhelm Meister" die Geister damals sehr beeindruckte Unter Goethes Einfluß bildete sich diese neue Gesellschaft, und schon 1795 schrieb Rahel Varnhagen: Goethe sei der Vereinigungspunkt für alles, was Mensch heißen könne und wolle. Schleiermacher fand in Berlin den Grafen Alexander Dohna, der, drei Jahre jünger als Schleiermacher, schon eine bedeutende Stellung als Geheimer Kriegsrat gefunden

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hatte. Durch Dohna wurde er in das Haus des jüdischen Arztes und Kant-Schülers Markus Herz eingeführt. Die Familie Dohna gehörte zu den Patienten dieses berühmten Arztes. Alexander, der älteste Sohn des adligen Geschlechtes der Grafen Dohna, war durch eine tiefe und ernste Zuneigung an die Frau dieses Arztes gebunden, so daß er zeitlebens sich nicht verheiratete. Nach dem Tode von Markus Herz bot er Henriette Herz in Mißachtung aller Vorurteile seiner hochadligen Familie die Ehe an. Sie lehnte aber dieses Angebot ab. Auch Schleiermacher war recht bald von einer starken Zuneigung zu dieser bedeutenden Frau erfüllt. Das Verhältnis der beiden war aber zeitlebens auf den Ton der Freundschaft zwischen zwei geistig und menschlich hochstehenden Personen abgestimmt. Bei Schleiermacher tauchte nie ein anderes Motiv auf als das des Verstehens und der harmonischen Freundschaft, weil in seinen Augen diese Frau seinem Freunde Graf Alexander Dohna gehörte. Henriette Herz war die Tochter des jüdischen Arztes De Lemos. Sie war durch den Willen ihrer Eltern, kaum dem Kindesalter entwachsen, sehr früh mit dem berühmten Arzt verlobt und verheiratet worden. Ihr Mann war 17 Jahre älter als sie und hatte verhältnismäßig wenig Verständnis für die besondere geistige Welt seiner Frau. Er war der Lieblingsschüler Kants und in der philosophischen Gesellschaft des aufklärerischen Berlins hochangesehen. Die Ehe blieb kinderlos, war aber eine auf Hochachtung und Freundschaft gegründete harmonische Ehe, und Henriette war stolz darauf, ihren Mann glücklich gemacht zu haben. Der strenge Geist ihres Elternhauses gab ihrem Wesen trotz aller Gefühlsstärke und ihrem Sinn für Freundschaft und tiefes Mitfühlen etwas Diszipliniertes. Obwohl sie innerlich recht bald über den Glauben ihrer jüdischen Väter hinausgewachsen war, ließ sie sich nicht taufen, solange ihre jüdische Mutter noch lebte. Erst sehr

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spät ist sie zum Christentum übergetreten. Sie hat sich nicht durch Schleiermacher taufen lassen*. Sie war im Jahre 1796 32 Jahre alt, also 4 Jahre älter als Schleiermacher. Sie erregte Aufsehen durch ihre große, imponierende Gestalt und ihre vollendete Schönheit, die ihr viele Huldigungen in der Gesellschaft einbrachte. Auch die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt schwärmten für sie. Wilhelm von Humboldt lernte bei ihr die hebräische Sprache und schrieb ihr auch in Hebräisch Liebesbriefe. Sie besaß eine große Gabe des Verstehens. Schleiermacher sprach von ihrer „passiven Wissenschaftlichkeit". Sie beherrschte bereits als junge Frau acht Sprachen, zu denen dann noch Sanskrit und Türkisch hinzukamen. Die gegenseitige Lebensbeziehung zwischen dieser Frau und Schleiermacher beruhte darauf, daß sie beide starke Persönlichkeiten waren, die von einem freudigen Selbstgefühl ihrer Individualität erfüllt waren. Sie bestärkten sich beide in der Gewißheit um ihre eigenständige sittliche Lebensanschauung und der Gewißheit um den eigentlichen sittlichen Gehalt des Lebens. Gegenseitiger Respekt und das vom Begehren der Erotik freie Verstehen des anderen war die Grundlage der Freundschaft. Henriette Herz ist es gewesen, die von allen Berliner Freunden am besten die innerste Gebundenheit Schleiermachers an seinen Predigerberuf verstehen konnte, während seine sonstigen nächsten Freunde in diesen Berliner Jahren seinen theologischen Beruf für etwas Unbegreifliches hielten. Henriette Herz hat aufgrund dieses einzigartigen Verhältnisses ihrem Freunde Schleiermacher ihre Treue bewahrt. Sie starb, 83 Jahre alt, am 22. Oktober 1847, nachdem sie bereits am 20. Januar 1803 nach 24jähriger Ehe Witwe geworden war**. * Sie wurde 1817 in Zossen von Pastor Wolff getauft. ** Henriette Herz lebte nach dem Tode ihres Gatten zunächst auf Rügen, kehrte 1809 nach Berlin zurück und wohnte in Charlottenburg. Sie überlebte alle ihre Freunde. Vor Armut schützte sie eine Pension des preußischen Königs.

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Sie hat aufgrund ihres Verständnisses für die innerste christliche Glaubenshaltung Schleiermachers ihren Freund seinen Feinden und Kritikern gegenüber stets energisch verteidigt. Am 22. März 1831 schrieb sie einen Brief an den Grafen Alexander Dohna, der das schönste Zeugnis ihrer Freundestreue und ihres tiefen Verständnisses für die christliche Haltung Schleiermachers war: „Schleiermacher ist fern vom Rationalismus und ein wahrhaft Gläubiger an Gott und den Heiland. Die Kirchenzeitung (Ev. Kirchenzeitung Hengstenbergs) nennt ihn einen Jesuiten; er schweigt, und er hat Recht, denn so sehr ich für ein vernünftiges ruhiges Widerlegen bin, so sehr bin ich gegen ein ironisches scharfes . . . Welch eine göttliche Predigt hat er gestern gehalten! Der Text war: ,die Zeit ist nahe, wo des Menschen Sohn verklärt wird'. Wie schön sagte er, welche Verklärung der Heiland meinte, nicht die, in welcher die Jünger ihn auf dem Berge sahen — sondern die seiner Sterbestunde, und wie jeder Mensch in dieser, wenn er gut und gläubig ist, verklärt sei, da alles Weltliche ihm zu Nichts geworden. Und dieser Mensch soll Rationalist, soll Jesuit sein! Am Buchstaben klebt er nicht, nicht am toten Wort — er glaubt aber an den lebendigen Geist" (Joh. Bauer: Ungedruckte Predigten Schleiermachers. Leipzig 1909, S. 123/24). Henriette Herz führte damals ein Haus, das eines der Zentren der damaligen Berliner Geselligkeit bildete. Jean Paul schildert dieses Haus (Briefe. Hrsg. Berend. Bd. 4, S. 46): „Gelehrte, Juden, Offiziere, Edelleute, kurz alles, was sich an anderen Orten die Hälse bricht, fällt einander um die (Hälse) und lebt wenigstens freundlich an Eß- und Teetisch beisammen." Natürlich hat auch die Berliner Kritik sich mit diesem ungleichen und doch geistig verwandten Freundschaftspaar beschäftigt. Das konnte aber weder Markus Herz noch Schleiermacher beeinflussen. Daher schrieb Schleiermacher seiner Schwester Charlotte, die ebenfalls den Verkehr des

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ungleichen Freundespaares nicht begriff: „Es ist eine recht vertraute und herzliche Freundschaft, wobei von Mann und Frau aber auch gar nicht die Rede ist." „Sie hat nie eine Wirkung auf midi gemacht, die mich in dieser Ruhe des Gemütes hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruck des Inneren versteht, der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftsloses Wesen. Und wenn ich auch bloß dem Einfluß des Äußeren Raum geben wollte, so hat sie für mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön ist, und ihre kollossale königliche Figur ist so sehr das Gegenteil der meinigen, daß, wenn ich mir vorstellte, wir wären beide frei und liebten einander und heirateten einander, ich immer von dieser Seite etwas Lächerliches und Abgeschmacktes darin finden würde, worüber ich mich nur sehr überwiegender Gründe wegen hinwegsetzen könnte" (Br. I, S. 261). Der zweite Lebenskreis Schleiermachers erster Berliner Zeit war der Kreis der romantischen Dichter und Schriftsteller. Dieser Kreis hing mit der neuen Berliner Bildungsgesellschaft, die sich in den Berliner Salons zusammenfand, persönlich und geistig eng zusammen. Friedrich Schlegel war ihr Hauptrepräsentant und ihr interessantestes Mitglied. Er war es auch, der Schleiermacher den Eintritt in diese geistige Welt vermittelte. Friedrich Schlegel war im Sommer des Jahres 1797 im Alter von 25 Jahren nach Berlin gekommen und galt damals als der berühmteste Schriftsteller und Wortführer der jungen Generation, die später den Namen Romantik erhielt. Schlegel und Schleiermacher begegneten sich in der sog. Berliner Mittwoch-Gesellschaft. Sie trafen sich dann auch im Hause des Ehepaares Herz. Schleiermacher wurde sofort von dieser interessanten, vielseitigen und anregenden Persönlichkeit Friedrich Schlegels angezogen. Es entstand eine sehr innige Freundschaft und eine wissenschaftliche und literarische Arbeitsgemeinschaft.

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Ende des Jahres 1797 bezogen sie sogar für einige Monate eine gemeinsame Wohnung. Schleiermacher beschreibt in einem Briefe vom 31. 12. 1797 an seine Schwester Charlotte sehr anschaulich das gemeinsame Leben mit Friedrich Schlegel, das Anfang Juli 1798 beendet wurde, weil Friedrich Schlegel zusammen mit seinem Bruder für einige Zeit nach Dresden übersiedelte. Friedrich Schlegel war am 10. März 1772 in Hannover geboren, wo sein Vater als Generalsuperintendent wirkte. Friedrich Schlegel war zunächst für den kaufmännischen Beruf bestimmt und entschloß sich danach zum Studium der Jurisprudenz 1790 in Göttingen. Von 1791 bis 1794 widmete er sich aber dem Studium der Altphilologie und Kunstgeschichte in Leipzig. Er wurde durch seine Schriften über die Geschichte der griechischen Dichtkunst schnell berühmt. Er stand bald, wie alle Romantiker, unter dem Eindruck von Fichte, besonders seiner Wissenschaftslehre von 1794. Bezeichnend für Friedrich Schlegel ist seine Bemerkung, es gäbe drei große Ereignisse, die seine Zeit bestimmten: die französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Wilhelm Meister. In Jena trat er in Berührung mit Fichte, um dann 1797 nach Berlin überzusiedeln, wo er recht bald Mittelpunkt des dortigen romantischen Freundeskreises wurde. Welche Bedeutung hat für Schleiermacher die Begegnung mit Schlegel und der von Schlegel geführten romantischen Bewegung gehabt? Was ist das eigentliche Wesen dieser geistigen Bewegung, an der er in eigenständiger Weise teilnahm und mit der er sich auseinandersetzen mußte? Es ist daher die Frage berechtigt, ob Schleiermacher Romantiker geworden ist und ob daher auch seine erste theologische Grundkonzeption in den „Reden" aus der Romantik heraus zu verstehen ist. Da man von der Romantik meist eine bestimmte Klischeevorstellung mit negativem Wert-

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akzent hat, ist mit dieser geistesgeschichtlichen Einordnung meist eine starke Abwertung und Kritik der Theologie des jungen Schleiermachers verbunden. Romantik ist für sehr viele Kritiker poetischer Subjektivismus. Es erfolge daher in der Romantik eine Poetisierung und Sentimentalisierung des religiösen Verhaltens*. Bei Schleiermacher würde dann der persönlich anzueignende christliche Glaube in Anschauung und Gefühl umgesetzt und das bedeute eine Sentimentalisierung der Religion und des protestantischen Christentums im besonderen. Sdileiermacher repräsentiere damit den sentimentalen Typus romantischer Religiosität. Er unterscheide sich als religiöser Romantiker von Novalis als dem poetisch-ästhetischen Typus, aber auch von Friedrich Schlegel als dem intellektuellen und von Adam Müller, dem politischen Typ romantischer Geistesart. Der Begriff der Romantik ist in der deutschen Literaturund Geistesgeschichte außerordentlich umstritten. Es empfiehlt sich, von dem sehr allgemeinen Begriff abzusehen, der unter Romantik meist einen irrationalen ästhetischen Subjektivismus versteht und eine lebensferne unechte Empfindsamkeit. Das ist eine Lebenshaltung und ein künstlerischer Stil, der auch in anderen Zeiten außerhalb der Romantik in der Dichtungs- und Geistesgeschichte vorkommt. Es ist daher nützlich, den Begriff der Romantik auf die eine dichterische und philosophische Bewegung zu beschränken, die von der späteren Literatur- und Geistesgeschichte als Romantik bezeichnet wurde und ungefähr in der Zeit von 1797 bis 1830 innerhalb der Bewegung des deutschen Idealismus eine maßgebliche Rolle spielte. Aber auch diese Bewegung ist uneinheitlich und enthält die verschiedensten Motive. Im allgemeinen unterscheidet man Frühromantik, Hochromantik * Alfred von Martin: Deutsche Vierteljahressdirift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1924, 3. Heft, S. 416.

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und Spätromantik. Für die Deutung des Lebens Schleiermachers ist in erster Linie die Frühromantik wichtig. Sie beginnt 1797 mit den „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" von Wackenroder. Ihr literarisches Organ wurde die Zeitschrift Athenäum, die die Gebrüder Schlegel zusammen mit ihren Freunden in Jena herausgaben. Ein vorläufiger Abschluß dieser Frühromantik sind die Vorlesungen, die August Wilhelm Schlegel in Berlin von 1802 bis 1804 hielt. Hauptrepräsentanten dieser Bewegung sind außer den Gebrüdern Schlegel Tieck, Novalis und Wackenroder. Franz Schultz hat 1924 in der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte hervorgehoben, daß dieser Freundeskreis sich wohl als literarische und philosophische Gruppe verstand, daß aber das Substantiv Romantik noch nicht von ihnen gebraucht wurde. Erst spätere Literaturhistoriker und Kritiker haben die substantivische Bezeichnung Romantik verwandt. Dieser Hinweis ist eine Mahnung, daß man die Klischeevorstellungen späterer Literaturhistoriker nicht vorschnell und ungeprüft auf die dichterische Bewegung selbst übertragen darf. Aber es findet sich bei ihnen, vor allem bei den Schlegels, der Begriff romantisch. Es ist ein Adjektivum, das nicht von dem Substantiv Romantik, sondern von dem Substantiv Roman abgeleitet worden ist. Dieses Wort war bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein vielzitiertes Modewort. Es bedeutet das Romanhafte, d. h. das Wunderbare, Phantastische, das Zeitferne, aber auch das Sentimentale als dasjenige, was sich nur dem Urakt des menschlichen Geistes, dem Gefühl erschließt. Die Gebrüder Schlegel benutzten die Bezeichnung romantisch, um den Gegensatz von antik und modern zu kennzeichnen. Romantisch ist der Gegensatz zur Antike und auch zur klassischen deutschen Kunst. Von diesem Gegensatz gegen die

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Klassik aus entdeckt man auch das Mittelalter und bezeichnet mittelalterliche Ritterromane und Dichtungen als romantisch. Friedrich Schlegel hat versucht, diesen Begriff in seinen Fragmenten näher zu erläutern. Er hat dabei den sehr schillernden Begriff der „progressiven Universalpoesie" gebildet. Das Wort universal betrifft sowohl die Form und den Stil als auch den Inhalt. Diese universale Poesie umfaßt alles, was überhaupt poetisch sein kann. Auch die naive Kunst des kindlichen Gesanges kann romantisch sein. Diese universale Poesie ist dann ein Spiegel des Universums. Das Wort progressiv soll wohl das Unendlichkeitsstreben nach einem nie zu erreichenden Ideal kennzeichnen, ist also gewissermaßen der Sinn für das Unendliche. Unendlich ist eine spezifisch romantische Vokabel zur Bezeichnung des Göttlichen und Absoluten. In Schlegels Brief über den Roman finden wir dann eine neue Definition des Begriffs romantisch. Romantisch ist das, „was uns einen sentimentalen Stoff in einer phantastischen Form darstellt". Mit dem Begriff sentimental ist hier nicht eine unechte Empfindsamkeit gemeint, sondern das, was das Gefühl des menschlichen Geistes anspricht. Sentimental ist bei Schlegel nicht eine abwertende Bezeichnung im Sinne einer unechten Empfindsamkeit. Sentimental ist das, was das Gefühl, das unmittelbare Selbstbewußtsein anspricht. Daher ist das Romantische nicht nur ein Teilbereich der Poesie, sondern das Element der Poesie überhaupt*. Es zeichnen sich in dieser Frühromantik zwei Grundintentionen ab. Der Ort des Gefühls ist das individuelle Selbst, die Innerlichkeit der Individualität. Ausdruck der Regungen dieser Innerlichkeit ist das Phantastische, das Zauberhafte. Die zweite Intention ist die Ausrichtung des Gefühls auf das Unendliche. Das Streben nach dem Unendlichen, das im Endlichen zu finden ist, die Schau des * Vgl. Paul Kluckhohn: Das Ideengut der Deutschen Romantik 1941, S. 176.

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Universums als des Unendlichen im Endlichen ist die zweite typisch romantische Intention. Dieses Romantische ist unmittelbar bei Novalis ausgesprochen, mit dem Schleiermacher allerdings erst nach 1799 in geistigen Austausch eintrat. Persönlich haben sich die beiden nie gesehen. Novalis ist das stärkste dichterische Talent der Frühromantik. Das W e s e n des Romantischen bezeichnet Novalis mit dem Kennwort „magischer Idealismus". Romantisieren heißt bei Novalis dem Gemeinen einen höheren Sinn geben, in dem Endlichen das Unendliche finden, d. h. eindringen in den tieferen Sinn und das W e s e n der Dinge. Poesie ist damit der Zugang zum Göttlichen. „Nach innen geht der geheimnisvolle W e g . In uns ist die Ewigkeit" *. „Gott ist in dem Augenblicke, als ich ihn g l a u b e " * * . Dieser Idealismus wird von ihm magisch genannt, weil er die Kraft hat, die endliche Wirklichkeit zu verklären, und in der W e l t der Poesie, in der W e l t der Wunder die Berührung des Endlichen mit dem Unendlichen zu vollziehen. W a r Schleiermacher Romantiker? Schleiermacher war ein echter Genosse dieses romantischen Dichterkreises und bewahrte doch seine Eigenständigkeit. Er war weder Dichter noch Ästhet, das zeigen seine eigenen unfertigen poetischen Versuche, die er auf Anregungen seiner Freunde unternahm. Aber er lebte damals in der W e l t der Romantiker und redete ihre Sprache. Man hat behauptet, daß die wesentlichen originären Ideen seiner schöpferischen Berliner Periode der Romantik entstammen, etwa der Begriff der Individualität und des Universums. Das trifft nicht zu. Die Idee der Individualität hatte er bereits vorher. Die genialen Schriften dieser Berliner Zeit sind seine „Reden über die Religion an die Gebildeten * Novalis, Schriften 2. Band, S. 418 (Blütenstaub), Stuttgart 1965. ** Novalis, Das allgemeine Brouillon. In: Novalis Gesammelte W e r k e . Bd. 4, S. 23. Hrsg. v. C. Seelig. Zürich 1946.

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unter ihren Verächtern" und die „Monologen". Besonders seine „Reden" machten ihn mit einem Schlage berühmt. Sie sprachen das aus, was die damalige junge Generation religiös empfand. Für die heutige Generation ist es schwer, das Verständnis für diese Jugendwerke Schleiermachers zu finden. Wir haben nicht mehr das Verhältnis zu ihnen wie ein großer Teil der gebildeten Jugend des 19. Jahrhunderts, für den die „Reden" und „Monologen" Schleiermachers so etwas wie ein religiöses und ethisches Erbauungsbuch wurden. Es steht zwischen ihnen und uns auch die große Periode kulturkritischen Denkens, das in der dialektischen Theologie ihre radikalsten Wortführer fand. Die gesamte Lebensstimmung, das Verhältnis zur Welt des Geistes und der Kultur hat sich geändert. Aus dem Vertrauen und der optimistischen Gewißheit um die Welt der Ideen und des Geistes ist Skepsis, Kritik und Ungewißheit bis hin zur nihilistischen Resignation geworden. Kennzeichen der Geistigkeit ist gerade nicht Bejahen und Mitarbeit an der Kultur. Vielmehr wird die Kritik und die Skepsis für das Kriterium der Geistigkeit gehalten. Es gibt für uns daher keinen anderen Weg zu einem echten Verständnis Schleiermachers, als den Weg der geistesgeschichtlichen Analyse. Schleiermacher, seine Theologie und seine Philosophie, ist eines der bedeutsamsten Ereignisse der deutschen, besonders der protestantischen Christentums- und Kirchengeschichte seit den Tagen der Reformation und muß ohne kulturkritisches Ressentiment aus seiner Zeit heraus verstanden werden. Friedrich Naumann hat um 1900 mit großem Ernst und Bedauern festgestellt, daß man im deutschen Protestantismus von diesem Ereignis fast nichts wisse und auch von ihm innerlich nicht erfaßt sei und daß der Protestantismus nicht verstanden habe, die geistige Kraft, die in diesem Ereignis Schleiermacher zutage trete, in der rechten Weise

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zur Wirksamkeit zu bringen. Dieser Aspekt geht weit über die rein geistesgeschichtliche Betrachtung hinaus. Die historische Betrachtung hat immer eine Bedeutung für das gegenwärtige Leben. Wir können die Gedanken Schleiermachers nicht mehr unmittelbar in die theologische und philosophische Diskussion unserer Gegenwart übersetzen. Wir müssen den Umweg über eine genaue historische Interpretation wählen, um die grundsätzliche Aktualität seiner Gedanken für die gesamte protestantische Geistesgeschichte, aber auch für unsere heutige christliche Verkündigung und theologische Wissenschaft zu würdigen. 2. Die Reden über die Religion Für eine solche neue Prüfung des theologischen Gewichtes Schleiermachers ist zunächst eine Feststellung wichtig, die die Schleiermaciier-Kritik in der jüngsten Vergangenheit entweder vergessen oder verschwiegen hat. Ein großer Teil der Zeitgenossen, vor allen Dingen die junge Generation der Theologen um 1800, hat Schleiermacher ganz anders gesehen als wir. Viele von ihnen haben im Laufe ihres Lebens immer wieder bekannt, daß sie von dem jungen Schleiermacher einen entscheidenden Impuls für ihren Glauben und für ihre Theologie erhalten haben. Als Beispiel seien nur solche Namen wie Twesten, Dorner, de Wette genannt. Ganz besonders aber sei Claus Harms hervorgehoben, der im Laufe seines Lebens theologisch und kirchlich ganz andere Wege einschlug als Schleiermacher. Claus Harms bekennt in seiner Autobiographie: „In meinen letzten akademischen Jahren bekam ich die .Reden' Schleiermachers zu lesen; die schlugen mir die Rationalisten tot. Ich kann es nicht deutlicher geben: was ich die Geburtsstunde meines höheren Lebens nenne. Ich empfing von diesem Buch (Schleiermachers .Reden') den Stoß zu einer ewigen Bewegung."

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Schleiermacher h a t mit seiner ersten Schrift, die er als 30jähriger verfaßte, f ü r viele j u n g e Menschen einen neuen Impuls zur Frömmigkeit und Theologie vermittelt. Daher ist zu fragen, w a s ist der Gehalt dieser Schrift, daß sie eine solche W i r k u n g g e r a d e auf j u n g e Menschen a u s ü b e n konnte? Die „Reden" sind keine ausgesprochen wissenschaftliche Schrift. Sie sind an Nichttheologen, an die „Gebildeten unter den Verächtern der Religion" gerichtet. Ihrem Stil nach sind sie w e d e r eine Predigt noch eine philosophische Abhandlung, sondern eine typische literarische Leistung im Geiste der romantischen Zeit. Daher tut eine solche Kritik, wie sie Friedrich Gundolf bereits an der literarischen Form der „Reden" übt, unrecht. Gundolf b e h a u p t e t , sie sei eine Mischung v o n salbungsvoller Predigt und dialektischem Traktat, also eine Mischung v o n E r b a u u n g und Untersuchung. Dies Urteil trifft deswegen nicht zu, weil die gleichzeitigen Predigten Schleiermachers, die uns erhalten sind, einen ganz a n d e r e n Stil pflegen, weil sie an die schlichte Gemeinde seiner Gottesdienste gerichtet sind. Die „Reden" sind d a h e r eine Bekenntnisschrift, die sich an die literarisch und philosophisch interessierten Gebildeten richtet und dabei nicht die Fachsprache der Theologie, sondern die der romantischen Literatur wählt. Er verschmäht das Pathos der theologischen Predigt, die theologische Begriffssprache und die typisch theologische Polemik. Er will die gebildeten Verächter an der Stelle treffen, wo sie stehen. Fragestellung und M e t h o d e der „Reden" (divinatorische Kritik) W e r heute die „Reden" Schleiermachers zu lesen sich bemüht, gerät zunächst in Versuchung, seine A u s f ü h r u n g für eine A r t psychologische Beschreibung des religiösen Lebens mit den Kategorien der damaligen Psychologie zu

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verstehen. Die Religion wird v o n W i s s e n und Wollen als das Gefühl unterschieden. Sie soll Anschauung u n d das Gefühl für das Universum, Sinn und Geschmack f ü r das Unendliche sein. Dieser erste Eindruck ist aber trügerisch und falsch. Schleiermadier v e r w i r f t gerade die „jämmerliche Empirie" der Religionspsychologie. Die erklärende Psychologie h a t sich nach seiner M e i n u n g durch Unmäßigkeit erschöpft und fast ehrlos gemacht (S. 156f). Er will den Geist der Religion finden (S. 281), das Eigene vom Erborgten und Fremden, das Heilige vom Profanen sondern (S. 248). Schleiermacher kann auch häufig sagen, daß er die Idee der Religion finden will (S. 23, 238, 248). Mit diesem Begriff Idee meint er aber nicht den Begriff, der durch Abstraktion g e w o n n e n wird, sondern das W e s e n , die Mitte, das, w a s die Religion zur Religion macht. Schleiermadier bemüht sich darum, die analytisch-kritische geisteswissenschaftliche Methode, die Kant auf die reine und die praktische V e r n u n f t a n g e w a n d t hat, seinerseits für die A n a l y s e des eigentlichen Gehaltes der Religion zu v e r w e n d e n . Daher will Schleiermacher die innerste Tiefe aufzeigen, aus der sie zuerst im Gemüte entspringt. In diesen Z u s a m m e n h a n g gehört auch Schleiermachers Bemerkung, die Religion entspringe n o t w e n d i g aus dem Innern einer j e d e n b e s s e r e n Seele, und sie h a b e eine eigene Provinz im Gemüt zu beanspruchen. Diese eigene Provinz im Gemüt ist aber ebenfalls nicht ein empirisch-psychologisch festzustellender Ort der Religion. Auf Seite 26 heißt es ausdrücklich: Die Religion b e w e g t „auf eine eigentümliche Art das Gemüt", und alle Tätigkeit wird in ein Anschauen des Unendlichen aufgelöst. Schleiermacher will also die Eigenständigkeit, Ursprünglichkeit und Unableitbarkeit der Religion gegenüber dem wissenschaftlichen Denken und dem sittlichen H a n d e l n b e g r ü n d e n . Er will eine kritische Selbstbesinnung der Religion auf sich selbst, auf das Reli-

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giöse in der Religion, auf ihre Ursprünglichkeit und eigene Evidenz. Friedrich Schlegel hat dafür in einem anderen Zusammenhang den Begriff divinatorische Kritik geprägt. Gemeint ist: Die Religion soll nicht Objekt der Untersuchung, sondern Subjekt der Selbstauslegung sein. Sie soll selber ihres eigenen Grundes und ihres eigenen Wahrheitsgehaltes gewiß werden und soll den Mittelpunkt ihres Lebens finden (S. 153). Das Religiöse an der Religion Was ist das Zentrum der Frömmigkeit für Schleiermacher? Der heutige Leser findet nicht gleich den inneren Zugang zu den zeitbedingten Formulierungen Schleiermachers: Anschauung und Gefühl des Universums, Sinn und Geschmack für das Unendliche, mitten im Endlichen Einswerden mit dem Unendlichen. Schon der Begriff Universum bereitet dem heutigen Leser erhebliche Schwierigkeiten. Die lateinische Vokabel Universum, die ja die lateinische Analogie zu der griechischen Vokabel Kosmos ist, muß zunächst mit dem Begriff Weltall übersetzt werden. Aber diese Etymologie hilft hier nicht weiter. Audi der geistesgeschichtliche Hinweis auf den Gebrauch dieses Begriffes bei Shaftesbury und Hemsterhuis, die Schleiermacher zweifellos gelesen hat, gibt noch keinen eindeutigen Aufschluß über den Sprachgebrauch Schleiermachers, weil Schleiermacher gerade diesen Begriff eigenständig umgeformt hat. Schleiermacher selber gibt in seinen Reden eine Fülle von Interpretationen. Es zeigt sich dabei, daß für ihn die dogmatischen und auch die metaphysisch-philosophischen Begriffe nur sekundär sind und für ihn nicht das Zentrum der Religion ausmachen, sondern nur Mittel sind, um das auszudrücken, was die Frömmigkeit in dem geheimnisvollen Vorgang der Offenbarung des Universums erlebt. Aus der Fülle der Namen,

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die sonst Schleiermacher heranzieht, um das Universum näher zu bezeichnen, seien nur folgende zitiert: Genius der Menschheit (S. 91), der hohe Weltgeist, die ewige Liebe, die Vergeltung, das Schicksal, die Gottheit. So schwer es ist, gerade diese verschiedenen Begriffe auf einen Nenner zu bringen, so ist doch sofort das eine daraus zu entnehmen, daß das Universum für Schleiermacher nicht das empirisch Vorfindbare, in Raum und Zeit wahrnehmbare Weltall sein kann. Vielmehr ist für ihn das Universum die Einheit und die Ganzheit gegenüber der Mannigfaltigkeit des irdischmenschlichen Geschehens. „Alles Einzelne als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinnehmen, das ist Religion" (S. 56). „überall unter allen Verkleidungen dasselbe erkennend und nirgends ruhend als in dem Unendlichen und Einen" (S. 172). Dieses Ganze und die Einheit ist nicht sinnlich-empirisch wahrzunehmen, sie ist auch nicht die Kausalgesetzlichkeit der Natur in Raum und Zeit, sie ist das überendliche und ist ein Handeln auf Menschen und Dinge. Schleiermacher bevorzugt mit der Romantik den Begriff des Unendlichen. Dieses Unendliche ist aber nicht die Unermeßlichkeit von Raum und Zeit, sondern das überendliche, das als formendes Prinzip das endlich Mannigfaltige umgreift. Wenn ein Theologe wie Schleiermacher für Gott und seine Offenbarung den Begriff des Universums wählt, so ist das für uns Heutige wie auch für viele seiner Zeitgenossen mindestens seltsam und für viele ärgerniserregend. Dieser provozierende Sprachgebrauch des jungen Schleiermacher ist daher nur verständlich auf dem Hintergrund seiner Zeit. Das alte überlieferte Gottesbild, das mit der antiken Mythologie und mit dem antiken Weltbild verbunden war, war durch die aufkommende Naturwissenschaft für viele denkende Menschen zerstört. Den Himmel und das Jenseits konnte man sich nicht mehr als einen Raum vorstellen, der

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über der Erde zu suchen sei. Ebenso konnte die Ewigkeit nicht mehr ein Zeitabschnitt sein, der nach Ablauf der irdischen Zeit beginnt. Besonders aber, nachdem Kant durch seine Vernunftkritik die Bedeutung und auch die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung neu bestimmt hatte, war das alte Weltbild und auch der alte metaphysische Gottesbegriff unmöglich. Der Supranaturalismus hatte zwar versucht, für Gott und sein W i r k e n einen Bereich jenseits der Natur zu sichern. Das brachte aber die christliche Frömmigkeit und das theologische Denken in große Verlegenheiten. Gottes Handeln und seine Offenbarung konnten nur noch begriffen werden als ein wunderbares Geschehen, auf das man die naturwissenschaftlichen Begriffe nicht anwenden könne, als Durchbrechung der Naturgesetze. Das gab einen Zwiespalt. Immer mehr Menschen hielten es für unmöglich, zunächst die Physik aufheben zu müssen, um an Gottes Handeln in der Natur und in der Geschichte glauben zu können. Offenbarung und Wunder könne man nicht in den Bereich zurückschieben, der naturwissenschaftlich noch nicht erforscht sei. W e n n Gott also der Herr der W e l t sei, müsse auch der Bereich, der durch die moderne Naturwissenschaft erkannt würde, unter sein W a l t e n und W i r k e n fallen. W i e aber ist es möglich, Gottes lebendiges Handeln innerhalb des Kausalmechanismus des naturwissenschaftlichen Bereichs als W i r k lichkeit zu erfahren? Mit der überlieferten supranaturalistischen Gottesvorstellung war das unmöglich. Gott mußte „anders" sein und von ihm mußte eine andere Vorstellung gebildet werden. Auf dem Boden der kritischen Transzendentalphilosophie kann Gott nicht Gegenstand der menschlichen Erkenntnis sein, weil die menschliche Erkenntnis an Raum und Zeit und die Kategorien der Vernunft, also an die endliche W e l t gebunden ist. Die Lösung des naturalistischen Pantheismus, die Gott und Natur gleichsetzt, war ebenfalls

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unmöglich, weil diese Identifizierung zweifellos das Ende des Gottesglaubens war. Die idealistische Philosophie suchte daher Gott nicht im Bereich des sinnlich Unermeßlichen, sondern suchte das wesentlich Unendliche, den Bereich des überendlichen, der dem gegenständlichen Erkennen aber nicht mehr zugänglich war. Daher meinte man, das Wesen Gottes als Idee bezeichnen zu können, die der intellektuellen Anschauung der philosophischen Spekulation sich als das Absolute und die Totalität und die letzte Einheit darstellte. Am radikalsten war die Lösung der Fichteschen IchPhilosophie. Diesen Weg hat Schleiermacher abgelehnt und ihm bereits in den Reden scharf widersprochen. „Wie wird es dem Triumph der Spekulation ergehen, dem vollendeten und gerundeten Idealismus, wenn Religion ihm nicht das Gegengewicht hält und ihn einen höheren Realismus ahnden läßt als den, welchen er so kühn und mit so vollem Recht sich unterordnet? Er wird das Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint, er wird es herabwürdigen zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbild unserer eigenen Beschränktheit" (S.54). Die Gottesspekulation Fidites ist ihm zu gewaltsam. Sie ist verwegener Übermut, freche Feindschaft gegen die Götter. „Geraubt nur hat der Mensch das Gefühl seiner Unendlichkeit und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unermeßlichen" (S. 52). Die idealistische Spekulation erreicht nicht den letzten Kern der Wirklichkeit, sie führt nicht zu Gott als der Wirklichkeit aller Wirklichkeiten. Schleiermacher strebt für die Gottesgewißheit der Religion nicht die Selbstgewißheit der idealistischen Spekulation an, sondern er will einen „höheren Realismus" finden (S. 54), der den Streit zwischen Supranaturalis-

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mus, naturalistischem Pantheismus und der idealistischen Idee des Absoluten überwindet. Auf diesem Hintergrunde ist die Gedankenbewegung Schleiermachers und seine Begriffsbildung zu interpretieren. Er bezeichnet Gott als die überendliche Macht, die nicht bloß in einem übernatürlichen Bereich wirkt, sondern die ganze Wirklichkeit durchdringt. Daher beschreibt er den Vorgang der Offenbarung nicht als ein supranaturalistisches Wunder, sondern als das viel größere Geheimnis der Selbstmanifestation des Unendlichen im Endlichen. Dieses göttlich Unendliche ist für ihn das Eine und das Ganze. Er meint das, was er später als die absolute Totalität kennzeichnet. Ganz deutlich ist sofort festzustellen, daß dieses Eine und Ganze nicht mit der materiellen W e l t identisch ist, denn das Eine und Ganze umgreift ja die sinnlich-materielle Welt als formendes Prinzip. Aber dieses Unendliche ist auch nicht gleichzusetzen mit der menschlichen Geschichte und dem Wertgehalt des menschlichen Lebens. Es ist „außer und über der Menschheit" (S. 125/26). Diese a b s o l u t e Totalität enthält in sich nicht die Gegensätze, wie sie die menschliche Welt beherrschen (Fleisch und Geist, Unedles und Edles, Böses und Gutes). Das göttliche Unendliche ist gerade das Eine und Ganze, das diese Gegensätze nicht in sich enthält und darum dem Endlichen und Beschränkten und Gegensätzlichen unendlich überlegen ist. Und nun kommt das Entscheidende: Die Wirklichkeit dieser unendlichen Totalität erschließt sich nicht der philosophischen Spekulation, und sie ist auch nicht ein Postulat der Sittlichkeit wie bei Kant. Das Universum schafft sich selbst seine Bewunderer. „Das Universum ist in einer ununterbrochenen Tätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblick" (S. 56). Das letzte entscheidende W u n d e r ist das Erfaßtwerden des Menschen durch diese Offenbarung. Es ist ein Vorgang der Begnadung. Schleiermacher beschreibt es u n g e f ä h r so, wie die Pietisten

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ihr Bekehrungserlebnis. Der Mensch kann nichts dazu tun. Anschauung und Gefühl sind nicht Tätigkeiten des menschlichen Geistes, mit denen er sich das Gegebene verfügbar machen will, sondern sind der Urakt des Geistes, in dem die Unterscheidung von Subjekt und Objekt des gegenständlichen Erkennens gerade nicht vollzogen ist. Anschauung heißt nicht sinnliche Wahrnehmung oder Erkennen und Bemächtigung eines Dinges, sondern das Handeln des überendlichen im Endlichen auf sich wirken lassen. Das Gefühl ist nicht eine dritte psychologische Funktion neben Erkennen und Handeln, sondern es ist der Urakt des menschlichen Geistes überhaupt. Es ist die Erfahrung des Gesetztwerdens der eigenen Existenz in der Berührung mit dem Universum. Bereits in der zweiten Auflage der „Reden" und erst recht in der „Glaubenslehre" hat Schleiermacher den Begriff der Anschauung fallengelassen, vermutlich weil er sich von der intellektuellen Anschauung der idealistischen Spekulation deutlicher abgrenzen wollte. Das ist verständlich, aber in gewisser Hinsicht schade, weil der Begriff Gefühl ohne den Begriff der Anschauung zu leicht mißverstanden wird als ein Vorgang im Innern des Menschen, der in seiner reinen Innerlichkeit nicht für die höhere Realität geöffnet ist. Mit dieser neuen Entdeckung der Unmittelbarkeit und Innerlichkeit der Glaubenserfahrung der Offenbarung, die auf das individuelle Zentrum des Menschen sich richtet, ist gleichzeitig eine methodisch neue Erkenntnis verbunden. Bereits die pietistische Theologie hatte zwischen der Lehre und dem Leben unterschieden. Der orthodoxe Lehrbegriff und der Buchstabe der Bibel werden ergänzt durch die Glaubenserfahrung der Erleuchtung und der Wiedergeburt. Diese pietistische Differenzierung von Lehre und Leben überträgt er auf die modernere in der Transzendentalphilosophie neu erkannte Unterscheidung von Reflexion und Geschehen, Denken und Sein, Begriff und Er-

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fahrung, „Ausdruck" und „Gemütszustand". Daher ist die Lehre, die Reflexion nicht das Fundierende, sondern das Fundierte. Die Heils- und Glaubensgewißheit beruht auf der existentiellen Glaubenserfahrung der Offenbarung und nicht auf der richtigen theologischen Erkenntnis und der richtigen theologischen Formulierung. Der christliche Glaube ist darum niemals ein Glaube an die richtige Lehre und an den toten Buchstaben, sondern das lebendige Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Diese methodische Grunderkenntnis Schleiermachers, die für die „Glaubenslehre" entscheidend wird, ist in den „Reden" im Grundsatz bereits vorhanden. Die theologische Grundkonzeption der „Reden" ist von Anfang an heftiger Kritik und Verketzerung ausgesetzt gewesen. Drei Vorwürfe sind immer wiedergekehrt. Man hat behauptet: 1. Schleiermacher sei Mystiker, 2. es handle sich bei ihm um Pantheismus, 3. er vermenge Kunst und Religion, Glauben und ästhetische Phantasie und künstlerische Intuition; er bringe den schönen Schein des künstlerischen Erlebnisses, aber nicht die W a h r h e i t der Gottesoffenbarung für den Glauben. Der Vorwurf der Mystik hat daran einen Anhaltspunkt, daß Schleiermacher selber diesen Begriff auf sich anwendet. Er bezeichnet selber das Zentrum seiner Religion als Mystik. In der Romantik hat der Begriff Mystik noch einen allgemeineren, man möchte sagen, vorreligiösen Sinn. Mystik will die sinnlichen Wahrnehmungen ausschalten, um geheimnisvollerer innerer Inspirationen und Intuitionen teilhaftig zu werden. V o r allen Dingen ist auch der Bereich der Intuition gemeint, in dem eine Aufspaltung in SubjektO b j e k t durch den Erkenntnisvorgang noch nicht oder grundsätzlich überhaupt nicht vollzogen wird. Es kann also wiederum im vorreligiösen Sinne das Teilhaben durch ein existentielles Betroffensein in letzter Tiefe gemeint sein.

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Diesen Sinn von Mystik wendet Schleiermacher auf das religiöse Urerlebnis an, ohne damit die Grenzen zwischen Gott und Mensch, Gott und Seele in vollkommener Einswerdung auflösen zu wollen. Der Ausdruck mystisch kann daher auch bei Schleiermacher die Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung, dasjenige am Verhältnis von Gott und Mensch bedeuten, das wir heute mit dem vielgebrauchten Begriff existentiell bezeichnen, wobei wir meinen, daß die Offenbarung nur im eigenen Existieren zu erfahren ist und sich nicht durch das Erlernen und übernehmen fremder Begriffe erschließt. Diese letzte Innerlichkeit und Erleuchtung meinte schon die pietistische Theologie bei ihrer Beschreibung des Bekehrungserlebnisses. Der junge Schleiermacher hat die pietistische Spiritualität und Innerlichkeit ins Humane übertragen. Der Gebrauch der Begriffe Mystik und mystisch bei Schleiermacher und in der Romantik ist daher nicht mit dem heutigen religionsphilosophischen und religionsgeschichtlichen Begriff Mystik identisch. Unser heutiger Begriff ist hauptsächlich an der neuplatonischen und der mittelalterlichen Mystik und ihren schwärmerischen Fortsetzungen ausgerichtet. Daher ist für uns Mystik eine Erscheinung, die in fast allen großen Geschichtsreligionen vorkommt und die das Unmittelbarkeitsstreben jeder lebendigen Religion in das Streben nach Unvermitteltheit umsetzt und dabei die Scheidelinie zwischen Gott und Mensch und Gott und Welt verwischt. Will man den Begriff Mystik zur Deutung der Schleiermacherschen Religionsauffassung überhaupt verwenden, so muß man genauer differenzieren und den Inhalt des Begriffes Mystik klarer abgrenzen. Darum hat sich Rudolf Otto (West-östliche Mystik 2. Aufl. 1929) bei der Interpretation Schleiermachers mit Erfolg bemüht. Die geistesgeschichtliche Untersuchung der Bewegung des sog. deutschen Idealismus hat als Hintergrund der

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idealistischen metaphysischen Grundkonzeption eine Regung erkennen lassen, die man gerne als Mystik oder Weltfrömmigkeit bezeichnet hat. Mystische Konzeptionen stehen hinter der Hochspekulation unserer idealistischen Dichtung und Philosophie: „bei Schleiermacher in einer Form, die gelegentliche Nähe zu solcher romantischen Naturmystik zeigt, in Wahrheit aber doch als Geistesmystik zu bezeichnen ist und gelegentlich deutlich gegen die mystische Naturschwärmerei seiner eigenen Freunde streitet. Mystik im strengen Sinne ist diese Regung in unserer Romantik nicht" (R. Otto a.a.O., S. 325). Abgesehen von dieser allgemeinen und uneigentlichen mystischen Konzeption sind in den „Reden" Schleiermachers zwei Momente hervorzuheben, die in Analogie zur mystischen Seelenhaltung stehen. Das erste Moment ist das Ehrfurchtsmotiv im Widerspruch zu Fichtes Souveränitätsgefühl. Frömmigkeit ist für Schleiermacher gerade das Gegenteil des Fichteschen Souveränitätsgefühls. Frömmigkeit ist Andacht und Demut. R. Otto stellt mit überzeugender Deutlichkeit fest: Dieses Moment hat mit Mystik nichts zu tun. Es ist das spezifisch Fromme an der Frömmigkeit. In diesem Demuts- und Kreaturgefühl liegt der Kontrast gegen alles Sich-selbst-setzen idealistischer Freiheitsphilosophie. Dieses religiöse Motiv war das Ureigenste der Frömmigkeit Schleiermachers. Es war in ihm bereits lebendig, lange bevor er mit der Romantik, z. B. mit Schlegel und Novalis, in Berührung trat. Er hat dieses religiöse Motiv später in seiner Glaubenslehre als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit gekennzeichnet. „Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist an und für sich ein Mitgesetztsein Gottes im Selbstbewußtsein" (Glaubenslehre 7. Aufl. S. 164). Mit diesem ersten Motiv der Andacht und Ehrfurcht des Kreaturgefühls verbindet sich in den „Reden" ein zweites Element, das sehr viel mehr Verwandtschaft oder Ähnlichkeit mit der Mystik erkennen läßt: Anschauung

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und Gefühl des Universums. Universum ist die Einheit und Ganzheit, die absolute Totalität. Diese ist niemals nur die Summe von Einzelheiten oder die Addition des Mannigfaltigen der endlichen Welt. Das Universum ist daher auch nicht sinnlich wahrzunehmen. Es erschließt sich der frommen Intuition. Aber auch hier liegt (vgl. Rudolf Otto a.a.O., S. 335) nicht eigentliche Mystik im strengen Sinne vor. Sdileiermacher scheint oft sogar zu zweifeln, ob es für den endlichen Menschen diese Einheitsschau eigentlich geben könne. Sie wird nur in bestimmten Momenten der Offenbarung dem Menschen zugänglich. Schleiermacher ist in irgendeiner Weise mißtrauisch gegenüber dieser mystischen Intuition. Er läßt später den Begriff Anschauung in der 2. Auflage der „Reden" bereits fallen. Er eliminiert ihn auch in der „Glaubenslehre". Der Begriff Gefühl als Bezeichnung für das unmittelbare Selbstbewußtsein tritt in den Vordergrund. Niemals wird ein endlicher Teil zum Ganzen, niemals wird das Zeitliche jenes Ewige, das doch die absolute Totalität ist und alles Endliche und Zeitliche bedingt. Gottes Realität erschließt sich in seiner Offenbarung nicht der mystischen, erst recht nicht der metaphysischen Einheitsspekulation. Um diese fromme Ewigkeitsschau und Einheitsschau des Universums zu vollziehen, muß der endliche Mensch, der an dem Zwiespalt des Endlichen teilnimmt, durch Christus erlöst werden. Trotzdem bleibt ein gewisses spekulatives Moment in der Gottesvorstellung Schleiermachers erhalten. Es handelt sich dabei um die Gottesvorstellung, die als Vorstellung niemals das Gottesverhältnis begründen kann. Bei der Bestimmung des Verhältnisses Gottes zur Welt wirkt ebenfalls diese Einheitsschau mit. Gott ist die Einheit, die alles einzelne trägt, die Welt ist die Mannigfaltigkeit und Vielheit, die von der Einheit abhängig ist. So ist das Verhältnis von Mystik zur Frömmigkeit und auch zur theologischen Deutung von Religion und Christentum

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bei Schleiermacher nicht so eindeutig, wie manche Kritiker feststellen möchten. Schleiermacher hat wohl die Urmelodie der Mystik gehört, aber er ist ihren Klängen letztlich nicht gefolgt. Daran hat ihn die Erkenntnis der Endlichkeit des Menschen, die Ehrfurcht vor dem Göttlichen und die Einsicht in die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen gehindert (vgl. Rudolf Otto a.a.O., S. 338). Der Vorwurf des Pantheismus ist bereits sehr früh erhoben worden. Man denke zunächst einmal an die Auseinandersetzungen zwischen Schleiermacher und seinem väterlichen Freund Sack. Schleiermacher hat sich sein ganzes Leben hindurch leidenschaftlich gegen diesen Vorwurf gewehrt und hat gerade die „Reden" gegen diese Verketzerung mit großer Entschiedenheit verteidigt. Er hat allerdings selber den Anlaß zu diesen Einwänden dadurch gegeben, daß er ehrerbietig eine Locke den Manen des heiligen, verstoßenen Spinoza opfern will (S. 55). Spinoza ist ihm ein frommer Mann und voll heiligen Geistes. Das will etwas bedeuten, weil die protestantische Polemik bis dahin Spinoza als angeblichen Atheisten zu den großen Verführern und Verderbern der Menschheit gerechnet hatte*. Schleiermacher hat sich wahrscheinlich mindestens seit 1794 mit Spinoza beschäftigt. Davon legen seine hinterlassenen Papiere Zeugnis ab, die leider noch nicht vollständig veröffentlicht sind. Schleiermacher hat zum Schrecken seiner Zeitgenossen Spinoza als einen frommen Mann gepriesen, weil er mit Spinoza einig war in der Ablehnung des deistischen und supranaturalistischen Gottesgedanken. Da das Wesen der Religion nicht in dem bloßen Anerkennen eines dogmatischen Lehrbegriffs besteht, kann der Gottesbegriff nicht den Lebensvorgang der Religion fundieren. Die Erfahrung des Unendlichen im Endlichen beruht auf dem Handeln des Universums, also auf dem Offenbarungsgeschehen. Daher findet * Vgl. Kortholt, De tribus impostoribus.

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sich auch in seinen „Reden" der provozierende Satz: „Gott ist nicht alles in der Religion, sondern eins, und das Universum ist mehr; auch könntet ihr ihm nicht glauben willkürlich oder weil ihr ihn brauchen wollt zu Trost und Hilfe, sondern weil ihr müßt" (S. 133). In der zweiten Auflage hat er etwas vorsichtiger formuliert: „Gott, wie er gewöhnlich gedacht wird, als ein einzelnes Wesen außer der Welt und hinter der Welt, ist nicht alles in der Religion." Der junge Schleiermacher hat den Schein des Pantheismus bei dem oberflächlichen Leser hervorgerufen. Aber mit Spinoza und dessen Pantheismus hat Schleiermacher nur die Negation des Gottesgedankens der deistischen oder supranaturalistischen Aufklärung gemein. Spinoza und sein System kann man auf doppelte Weise interpretieren. Entweder sind bei Spinoza Gott und Natur identisch. Dann ist er Atheist. Oder aber, was zweifellos die tiefere Interpretation Spinozas ist, Spinoza läßt nicht Gott in der Natur oder Welt untergehen, sondern umgekehrt, er läßt die Welt in Gott untergehen. Dann ist die Metaphysik von Spinoza ein akosmistisdier abstrakter Pantheismus, aufgebaut auf einer philosophisch nicht haltbaren Metaphysik der Substanz. Beides liegt bei Schleiermacher nicht vor. Schon der „Redner" Schleiermacher hat den Unterschied zwischen Gott und Geschichte der Menschheit hervorgehoben. Zur Religion gehört auch die „Reue über alles dasjenige in uns, was dem Genius der Menschheit feind ist, als der demütige Wunsch, die Gottheit zu versöhnen, als das sehnlichste Verlangen, umzukehren und uns mit allem, was uns angehört, in jenes heilige Gebiet zu retten, wo allein Sicherheit ist gegen Tod und Zerstörung" (S. 110 f.). Nur Gott ist stärker als der Tod (vgl. S. 103). Zwischen Gott und dem Menschen steht der Tod und der menschliche Übermut und der menschliche Verrat an Gott. Gott ist mehr als die Menschheit. „Nun habe ich deutlich genug gesagt, daß die Mensch3

Redeker, Schleiermacher

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heit nicht mein alles ist, daß meine Religion nach einem Universum strebt, wovon sie mit allem, was ihr angehört, nur ein unendlich kleiner Teil, nur eine einzige vergängliche Form ist: kann also ein Gott, der nur der Genius der Menschheit wäre, das Höchste meiner Religion sein?" (S. 125). Dazu gehört die andere leidenschaftliche Bemerkung, daß die Religion nach einer Ahndung von „etwas außer und über der Menschheit" strebt, um von diesem Höheren ergriffen zu werden (S. 105). Schleiermacher hat also ein Recht, schon für seine „Reden" den Vorwurf des Pantheismus entschieden abzuweisen. In der Glaubenslehre wird er später in noch genauerer Begrifflichkeit beweisen, daß eine christliche Theologie den Unterschied von Gott und Welt und von Gut und Böse so deutlich hervorheben müsse, daß innerhalb der christlichen Theologie kein Platz für den Pantheismus ist. Grundsätzlich ist diese Entscheidung schon in den „Reden" gefallen. Der pantheistische Schein entsteht dadurch, daß er die überlieferte, durch Kant erledigte supranaturalistische Metaphysik ablehnt und die neue transzendentalphilosophische und zum Teil romantische Begrifflichkeit von Einheit und Ganzheit für das Verhältnis von Gott und Welt, von Unendlichem und Endlichem verwendet. Der letzte Vorwurf, es handele sich bei Schleiermacher um Ästhetizismus, die Grenzen zwischen Kunst und Religion seien verwischt, wird gerne auch mit der Behauptung verbunden, die Religion Schleiermachers sei vermöge des Ästhetizismus eine Art Bildungsreligion. Der Weg zu Gott, der Weg zum Heil, führe dann angeblich über die Intuition der ästhetischen Phantasie zu dem durch die Kunst bestimmten Bildungsideal der Humanitätsreligion Goethes. Es ist hier zweifellos nicht zu leugnen, daß Schleiermacher bei seiner Begriffsbildung sich gern des ästhetischen Vokabulars seiner romantischen Freunde bedient. Er will ja zu den

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Gebildeten unter den Verächtern der Religion sprechen. Von allen Bereichen der Kultur steht aber das Gebiet der Kunst und der Ästhetik ihm am fernsten. Das zeigt sich auch an seinen späteren Vorlesungen über die Ästhetik. Nur zur Musik hatte er von Jugend an ein engeres Verhältnis. Auf dem Gebiete der Ästhetik ist er von seinen romantischen Freunden abhängig. Erst in der Berliner Zeit ist ihm durch sie die Bedeutung des Gesamtgebietes der Kunst und der Ästhetik aufgegangen. Die neue romantische Kunstbewegung beeindruckte ihn auch deswegen so stark, weil sie für ihn ein Bundesgenosse im Kampf gegen die Aufklärung war. Daher spürte er die Verbindungen und Verwandtschaften zwischen Kunst und Religion auf. In seinen Reden (S. 166/67) prophezeit er der modernen Kunst, daß sie ihren Weg zur Religion finden werde. Er selbst gesteht allerdings, daß er diesen Weg noch nicht kennt und empfindet das als eine Lücke. Er hat zwar von einer Kunstreligion, die Völker und Zeiten beherrscht hätte, nie etwas vernommen (S. 168). Aber der Kunstsinn hat sich nie der Religion genähert, ohne sie mit neuer Schönheit und Heiligkeit zu überschütten. Vorbildlich ist ihm der Geist der Kunst bei Piaton. Er hat die heiligste Mystik auf den höchsten Gipfel der Göttlichkeit und Menschlichkeit erhoben. Kunst und Religion sind befreundete Seelen (S. 169). Er wird beide später in seiner Kulturphilosophie gemeinsam dem Gebiet des Symbolisierens zuordnen. Das reinste Symbol für das Walten Gottes in der Welt ist für ihn das Bild des schöpferischen Künstlers. Das größte Kunstwerk ist das, welches die Menschheit zum Gegenstand hat. (S. 173). Andererseits war bereits der junge Schleiermacher kritisch gegenüber dieser Entwicklung der Romantik, die von der Kunst ihren Weg zur Religion sucht und bekanntlich Friedrich Schlegel in den Schoß der römisch-katholischen Kirche führte. Vieles an dieser romantischen Ästhetik ist ihm fremd. 3*

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Ein Jahr später äußert er sich über A. W. Schlegel: „Merkwürdig ist es, daß diese erkünstelte Begeisterung für die Religion doch niemals ursprünglich sein kann" (Br. IV, S. 65). Bereits der junge Schleiermacher sieht scharf die phantastischen und unrealistischen Züge in der neuen Kunstreligion. „Den phantastischen Naturen gebricht es an durchdringendem Geist, an Fähigkeit, sich des Wesentlichen zu bemächtigen. Ein leichtes, abwechselndes Spiel von schönen, oft entzückenden, aber immer nur zufälligen und ganz subjektiven Kombinationen genügt ihnen und ist ihr Höchstes, ein tiefer und innerer Zusammenhang bietet sich ihren Augen vergeblich dar. Sie suchen eigentlich nur die Unendlichkeit und Allgemeinheit des reizenden Scheines" (S. 157/ 158). Der junge Schleiermacher stellt also hier bereits die Frage nach der Wirklichkeit und Wahrheit der Gotteserfahrung der neuen ästhetischen Religiosität. Er prophezeit wenige Zeilen später in seinen „Reden" ihr sogar den Untergang. Am Ende steht für ihn dann „ein laut schreiendes und doch nicht verstandenes Opfer der allgemeinen Verachtung und Mißhandlung des Innersten imMenschen" (S. 160). Die ästhetische Religiosität, die sog. „Kunstreligion" wird bereits während der romantischen Periode zurückgewiesen. Kunst ist Ausdrucksform der Religion, aber nicht Quelle der Religion. Kunst und Religion verhalten sich wie Wissen und Sprache (vgl. Ethik, W W III 5, § 255). Von hier aus ist auch die Frage zu beurteilen, ob bei Schleiermacher nicht doch eine ästhetische Bildungsreligion vorliege. Er steht wie wenige Theologen innerhalb der Bildungsbewegung seiner Zeit. Er ist unter den Denkern des deutschen Idealismus neben Herder zweifellos der bedeutendste pädagogische Geist. Gemeinsam mit der humanistischen Bildungsbewegung steht er im Kampf gegen die Aufklärung. Warum ist der religiöse Sinn in unserer Zeit so verkümmert? fragt er. Aus demselben Grund, aus dem auch die Bildung zum wah-

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ren Menschentum so behindert w o r d e n ist. Nicht die Zweifler und Spötter sind hier schädlich, sondern vor allem auch die v e r s t ä n d i g e n und praktischen Menschen: „Diese sind in dem jetzigen Zustand der W e l t das Gegengewicht gegen die Religion, und ihr großes Übergewicht ist die Ursache, w a r u m sie eine so dürftige und u n b e d e u t e n d e Rolle spielt. Von der zarten Kindheit an mißhandeln sie den Menschen und unterdrücken sein Streben nach dem H ö h e r e n " (S. 144/45). Man k a n n daher Religion nicht lehren durch Vermittlung v o n Begriffen und A u s w e n d i g l e r n e n von Sprüchen. Man k a n n sie aber vermitteln und erwecken. Unter dem Eindruck f r e m d e n Erlebens erwacht sie in der kindlichen Seele. „Sobald der heilige Funken aufglüht in einer Seele, breitet er sich aus zu einer freien lebendigen Flamme, die aus ihrer eigenen A t m o s p h ä r e ihre N a h r u n g saugt" (S. 142). Als religiöser Erzieher hat Schleiermadier sein Leben lang, wahrscheinlich unter dem Eindruck seiner eigenen J u g e n d , einen sehr einseitigen u n d a b l e h n e n d e n S t a n d p u n k t zum Auswendiglernen v o n Katechismusstücken und geistlichen Liedern eingenommen. Sein eigener Stiefsohn berichtet später über den Konfirmandenunterricht Schleiermachers, daß der Lehrmethode seines V a t e r s eine hohe Achtung g e g e n ü b e r der individuellen Entwicklung des Kindes z u g r u n d e gelegen habe. Daher h a b e er niemals den Katechismus oder ein geistliches Lied lernen müssen (vgl. E. v. Willich: A u s Schleiermachers Hause, S. 82). Er h a t nie Begriffe memorieren lassen, sondern h a t immer n u r die „Sehnsucht j u n g e r Gemüter nach dem W u n d e r b a r e n u n d ü b e r n a t ü r l i c h e n " (Reden, S. 145) erwecken wollen durch Darstellung seines eigenen religiösen Lebens. Etwas ganz a n d e r e s ist es aber, w e n n man dem j u n g e n Schleiermacher vorwirft, dieser Bildungsvorgang der Entfaltung der schöpferischen K r ä f t e des j u n g e n Menschen und das Zum-Bilde-Machen, die Ausrichtung auf das Bild der

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Menschlichkeit, sei bei Schleiermacher bereits das Wesen der Religion. Der BildungsVorgang selber sei schon der Heilsweg. Wer die Äußerungen des jungen Schleiermachers in der dritten Rede wirklich unbefangen liest, wird gerade das Gegenteil daraus entnehmen. Bildung will dem jungen Menschen den Reichtum dieser Welt, besonders aber der Menschheit erschließen. Das Religiöse an der Religion liegt aber gerade darin, daß sie die jungen Menschen über den Reichtum dieser Welt hinausführt (S. 145). Man soll das Endliche verlieren und das Universum finden (S. 166). Gott als die absolute Einheit und Ganzheit ist mehr als ein kompossibles Wertmaximum des humanistischen Bildungsideals. Er ist nämlich über alle Gegensätze von Sinnlichkeit und Verstand, Fleisch und Geist, Tod und Leben erhaben als die absolute Totalität. Darum ist der Vorwurf, der besonders von Gundolf und anderen erhoben worden ist, daß der Inhalt der Religion bei Schleiermacher eigentlich nur die humanistische Bildung sei, unberechtigt. Schleiermacher hat aber seinerzeit die Gebildeten zum Kampf gegen die Aufklärung aufgerufen und hat gemeint, den Gebildeten seiner Zeit zeigen zu können, wie erst eine neue Entdeckung der christlichen Religion und ihrer Offenbarung die Aufklärung überwinde und hat gemeint, daß Kunst und Religion nicht bloß Freunde und Schwestern seien, sondern auch daß Bildung und Religion Verbündete sein müßten. Diese Gewißheit hat Schleiermacher vielen Gebildeten des 19. Jahrhunderts vermittelt. Das Christliche am Christentum Das Wesen oder, wie Schleiermacher auch sagen kann, die „Idee" der Religion manifestiert sich immer nur in der konkreten geschichtlichen Gestalt. D. h. die Anschauung des Universums ist immer individuell. Jede individuelle Gestalt der Religion ist gekennzeichnet durch eine besondere Grund-

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anschauung des Universums. Die eigentümliche Grundanschauung des Christentums ist der Gegensatz, der Widerstreit des Unendlichen und Endlichen in der menschlichen Geschichte und die Überwindung dieses Widerstreites durch die Erlösung in Christus, die Schleiermacher auch Vermittlung nennt. „Die ursprüngliche Anschauung des Christentums" ist „keine andere als die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen und die Art, wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt" (Reden, S. 291). „Das Verderben und die Erlösung, die Feindschaft und die Vermittlung, das sind die beiden unzertrennlich miteinander verbundenen Seiten dieser Anschauung" (S. 291). Das Christentum ist daher „polemisch", d.h. es ist kulturkritisch, religionskritisch, vor allen Dingen aber mit letzter Radikalität kritisch gegen sich selber. Die moralische Welt befindet sich auf dem Wege vom Schlechten zum Schlimmeren und ist unfähig, sich aus dem Teufelskreis der Selbstzerstörung zu befreien; ebenso ergeht es der Philosophie und erst recht den konkreten geschichtlichen Religionen. „Vergeblich ist jede Offenbarung; alles wird verschlungen von dem irdischen Sinn" (S. 293). Infolge seiner Fähigkeit zur Kritik ist das Christentum die höhere Potenz der Religion. Das Christentum zeigt das Irreligiöse und das Verderben der menschlichen Religion auf und kann das nur, indem es auf der anderen Seite das Wirken des Universums in der Religionsgeschichte anschaut. Das ist der Weg der Selbstkritik der christlichen Religion. „Nie zufrieden mit dem Erlangten, sucht es auch in seinen reinsten Anschauungen, auch in seinen heiligsten Gefühlen noch die Spuren des Irreligiösen und der dem Universum entgegengesetzten und von ihm abgewandten Tendenz alles Endlichen" (S. 296). Dies Selbstgericht des Christentums ist unendlich, und das Grundgefühl dieses unendlichen Selbstgerichtes nennt Schleiermacher „heilige Wehmut" (S. 299). Das Verderben der Men-

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sehen wird allein durch Vermittlung, d. h. durch Christus überwunden. Alles Endliche bedarf höherer Vermittlungen, um mit der Gottheit zusammenzuhängen (S. 301). Jesus ist der Mittler dieses Heiles. Das Vermittelnde benötigt selbst nicht die Vermittlung und kann unmöglich selbst bloß endlich sein (S. 302). Daher muß es „der göttlichen Natur teilhaftig sein" ebenso und in dem Sinne, „in welchem es der endlichen teilhaftig ist" (S. 302). Dieses Göttliche in ihm ist „das Bewußtsein von der Einzigkeit seiner Religiosität, von der Ursprünglichkeit seiner Ansicht und von der Kraft derselben, sich mitzuteilen undReligion aufzuregen" (S. 302). Sein Jawort zu dem Befehl seines Vaters im Gebet in Gethsemane, sein freiwilliger Gehorsam am Kreuze war die „herrlichste Apotheose" und „keine Gottheit kann gewisser sein als die, welche sich selbst setzt" (S. 303). Diese Wesensbestimmung des Christlichen im Christentum fällt aus dem Rahmen der Welt- und Lebensanschauung der klassischen Humanitätsauffassung und auch der romantischen Lebensanschauung heraus. Hier kommt das Moderne in Schleiermacher zum Ausdruck, das ihn über die Klassik und über die Romantik und die idealistische Transzendentalphilosophie hinausführt. Goethe hat daher beim Lesen der Reden, deren Anfang er mit Freuden zustimmte, die Schrift an dieser Stelle mit einer kräftigen Antipathie aus der Hand gelegt. Schleiermacher polemisiert zunächst gegen die aufklärerische Ansicht von der natürlichen Religion. Die natürliche Religion, auch die, welche Kant in seiner Religionsphilosophie fordert, ist für Schleiermacher ein abstraktes Vernunftgebilde, weil sie nicht von einer lebendigen und individuellen Glaubenserfahrung der Offenbarung erfüllt ist. In Schleiermachers Sprache heißt es, sie ist nicht unmittelbar, sie ist nicht lebendig, ihr fehlt die Ursprünglichkeit, Eigentümlichkeit und Originalität. Die natürliche Religion ist „nur eine unbestimmte, dürftige und armselige Idee, die

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für sich nie eigentlich existieren k a n n " (S.248). Sie ist „das würdige Produkt des Zeitalters, dessen Steckenpferd eine erbärmliche Allgemeinheit und eine leere Nüchternheit w a r " (S. 277). Die lebendige Religion ist dagegen unendlich. Dieses Unendliche und Unermeßliche k a n n aber in der Geschichte nur in vielfältiger individueller Gestalt wirksam werden. Die Religion muß „ein Prinzip, sich zu individualisieren in sich haben, weil sie sonst gar nicht da sein und w a h r g e n o m m e n w e r d e n k ö n n t e " (S. 241). Weil n u n die Religion ein „ins Unendliche f o r t g e h e n d e s W e r k des Weltgeistes" ist, „so müßt ihr den eitlen und vergeblichen Wunsch, daß es n u r eine geben möchte, aufgeben" (S. 242). Also hält er an dem absoluten W a h r h e i t s a n s p r u c h des Christentums anscheinend nicht fest, sondern relativiert diesen Wahrheitsanspruch durch das Individualitätsprinzip und den G e d a n k e n der geschichtlichen Evolution. Auf der anderen Seite aber ist das Christentum doch die bisher höchste Stufe der religiösen Entwicklung der Menschheit. Es ist „über sie alle erhaben". Dennoch muß er das Christentum als eine vergängliche Erscheinung kennzeichnen. Er bescheinigt dem Christentum sogar, daß es „in seiner Herrlichkeit" „historischer und demütiger" sei als die a n d e r e n (S.308). Deshalb meint er, daß die Entwicklung auch mindestens über die gegenwärtige Gestalt des Christentums h i n a u s g e h e n würde. Aber diese n e u e Entwicklungsepoche w ü r d e w i e d e r u m eine Palingenesie des Christentums b e d e u t e n und seinen Geist in einer n e u e r e n und schöneren Gestalt erwecken und das endliche Ziel aller Entwicklung liegt für ihn „außer aller Zeit". So vermischen sich in dem j u n g e n Schleiermacher der G e d a n k e der Unendlichkeit der menschlichen geschichtlichen Entwicklung mit G e d a n k e n der paulinischen Eschatologie, nach der es einst k e i n e n Mittler mehr geben wird, sondern der V a t e r alles in allem ist. Diese Entwicklungsperiode liegt aber „außer aller Zeit" (S.308). Christus ist d e s w e g e n

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nicht der einzige Mittler. Er hat nie behauptet, der einzige Mittler zu sein und nie hat er seine Schule verwechselt mit seiner Religion (S. 304). Der Schleiermacher der Glaubenslehre wird diesen aus der romantischen Unendlichkeitsphilosophie stammenden Gedanken korrigieren. Das „Gesellige" in der Religion Die Ausführungen in der vierten Rede über das Gesellige in der Religion oder über Kirche und Priestertum können weniger befriedigen als die übrigen Reden. Unter religionswissenschaftlichem und theologischem Gesichtspunkt wird diese vierte Rede für die schwächere theologische Leistung innerhalb seiner Jugendschriften gehalten. Sie ist dafür von leidenschaftlicher Polemik gegen das damalige Kirchentum erfüllt. Schleiermacher beginnt mit der Feststellung, daß die Einwände gegen die Kirche als äußere gesellschaftliche Erscheinung sehr viel schärfer sind als die Abneigung gegen die Religion. „Daher ist euer Widerwille gegen die Kirche, gegen jede Veranstaltung, bei der es auf Mitteilung der Religion angesehen ist, immer noch größer als der gegen die Religion selbst, daher sind euch die Priester, als die Stützen und die eigentlich tätigen Mitglieder solcher Anstalten, die Verhaßtesten unter den Menschen" (S. 175). Dieser Tadel trifft aber die wahre Kirche und die Vereinigung der wahrhaft Frommen nicht; um so mehr kritisiert er aber die „Lehrkirche". In dieser „Lehrkirche" wird das freie Leben der Frömmigkeit, das Eigentümliche und Originale unterdrückt. Wie aufgeklärt auch ihre Lehre sei, sie bewegt sich an den Grenzen der Superstition und hängt an irgendeiner Mythologie (S. 202). Ihr Lehrbetrieb ist ein geistloser Mechanismus und ihr Handeln ein Vollziehen von leeren Gebräuchen (S. 176). Für diese Übel aber ist die Lehrkirche selber nicht hauptschuldiff, sondern der Staat, der für die

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Entartung der Kirche verantwortlich zu machen ist. Der Staat hat die Kirche privilegiert, ihr Besitz verliehen und ihr die Aufgabe der moralischen Erziehung des Volkes anvertraut, in der auch die staatsbürgerliche Erziehung enthalten ist. Infolge dieser Privilegierung übt der Staat aber die Herrschaft über die Kirche aus und hält sie in Unfreiheit. Alles das muß die Kirche entarten. Was ist aber nun die wahre Kirche und weshalb muß es trotzdem Kirche geben? Hier setzt er nun mit einer bedeutsamen Entdeckung ein, die ihn von einem großen Teil der Romantiker unterscheidet. Religion ist notwendig gesellig. Dieser uns fremd gewordene Begriff will besagen: die Kirche ist nicht eine Institution, ist also nicht eine Heilsanstalt im überlieferten Sinne, erst recht nicht eine hierarchische Anstalt mit sakral-magischer Autorität, sondern sie ist eine Gemeinschaft, die als völlig freie geistige Verbindung von wahrhaft frommen Menschen aus dem Leben der Religion entsteht. Das ist eine wichtige Ergänzung seiner sonstigen Beziehung der Religion auf das fromme Individuum. In den „Reden" hat er bereits das deutlich ausgesprochen, was die „Monologen" später für das gesamte Leben der geschichtlichen Menschheit als die originale Entdeckung Schleiermachers verkündigen: Der Mensch ist erst Mensch, wenn er in der Individualität seine Ursprünglichkeit, seine Originalität und Eigenständigkeit entdeckt hat. Er fordert seine Leser auf, zu beachten, „wie allmählich die Gottheit den Teil der Seele, in welchem sie vorzüglich wohnt, in welchem sie sich in ihren unmittelbaren Wirkungen offenbart und sich selbst beschaut, auch als ihr Allerheiligstes ganz eigen erbaut und absondert von allem, was sonst im Menschen gebaut und gebildet wird, und wie sie sich darin durch die unerschöpflichste Mannigfaltigkeit der Formen in ihrem ganzen Reichtum verherrlicht" (S. 269). Aber diese Individualität ist nicht eine auf fiich selbst gestellte Subjektivität, nicht ein titani-

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sches Selbst, das sich selbst genug sein will. Gott hat mit der Individualität dem Menschen den Weg zu anderen Individualitäten geschaffen und dem Menschen die Gabe verliehen, gerade auf dem Gebiete der Religion eine innerliche geistliche Gemeinschaft des geistlichen Verstehens, des Mitteilens, des Sichaussprechens und der gegenseitigen Erbauung durch den Austausch der Sprache gewährt. Von dieser Idee der geistlichen Gemeinschaft aus bildet er seinen Begriff von der wahren Kirche. Er tut das in doppelter Weise. Zunächst konstruiert er ohne Rücksicht auf die geschichtlichen Erscheinungen der Kirche und der geschichtlichen Religionen, „unbekümmert um das, was bis jetzt wirklich ist und was die Erfahrung uns an die Hand gibt" (S. 176); die abstrakte Idee einer Universalkirche. Es gibt für ihn wohl verschiedene Religionen, aber nur e i n e Universalkirche, die alle wahrhaft Frommen umfaßt. Das ist eine reine Konstruktion, ausgehend von der romantischen Überlegung, daß die Religion unendlich und alles Menschliche endlich ist, so gibt es eine Universalkirche und verschiedene, geschichtlich bedingte, endliche, unvollkommene Religionsgemeinschaften. Dann aber läßt er anscheinend diese utopische Idee fallen und will die wahre Kirche doch als eine Gemeinschaft der konkreten Begegnung von frommen Menschen in Andacht und Lob Gottes bestimmen. Er will nicht davon ausgehen, was sein s o l l , sondern was bereits i s t . Diese wahre Kirche findet er „in einzelnen abgesonderten, von der großen Kirche gleichsam ausgeschlossenen Gemeinheiten" (S. 192). In dieser wahren Kirche gibt es nicht den Unterschied von Priestern und Laien. Sie ist eine vollkommene Republik, wo jeder abwechselnd Führer und Volk ist (S. 184). Es gibt dort auch keinen Sektengeist und die Wut der Bekehrungssucht, sondern vorherrschend ist der freie Geist des Verstehens und Sichmitteilens. Sie ist ein Chor von Freunden und

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Brüdern. „Jeder weiß, daß auch er ein Teil und ein Werk des Universums ist, daß auch in ihm sein göttliches Wirken und Leben sich offenbart" (S. 233). „Je mehr sich jeder dem Universum nähert, je mehr sich jeder dem anderen mitteilt, desto vollkommener werden sie eins. Keiner hat ein Bewußtsein für sich, jeder hat zugleich das des anderen, sie sind nicht mehr nur Menschen, sondern auch Menschheit und aus sich selbst herausgehend, über sich selbst triumphierend, sind sie auf dem Wege zur wahren Unsterblichkeit und Ewigkeit." (S. 234). Im Überschwang der Begeisterung wagt Sdileiermacher sogar, den überlieferten Begriff der ecclesia triumphans auf sie anzuwenden. Das ist insofern folgerichtig, als die ewige Seligkeit schon hier auf Erden in der Offenbarung des Universums erfahren wird. Insofern meint er auch von der wahren Kirche bereits als der Gemeinschaft der Seligen sprechen zu dürfen. Es ist nicht zu verkennen, daß Schleiermacher hier das ausspricht, was auf Grund seiner religiösen Jugenderfahrungen in ihm als Idee der Brüderkirche lebte und was er jetzt in neuer Gestalt wiederentdeckte. Es sind die kirchlichen Ideale seiner Herrnhuter Zeit. Seine Idee von der pietistischen Gemeinde der Bekehrten und Erleuchteten wird angewandt auf eine geistliche Gemeinschaft der durch das Wirken des Universums geläuterten und erleuchteten Menschen. Das Herrnhutische Ideal der Bruderkirche ist auf die Ebene der romantisch-idealistischen Humanität übertragen. Von da aus kommen nun seine Reformvorschläge für die Kirche als äußere Gesellschaft seiner Zeit. Er fordert zunächst die Trennung von Staat und Kirche mit der letzten Konsequenz bis hin zur Sonderung von kirchlicher Trauung und bürgerlicher Eheschließung. Er befindet sich damit im Gegensatz zu der Kirchlichkeit des damaligen deutschen Protestantismus. Die altprotestantische Verbindung von Kirche und Staat innerhalb des konfessionellen Einheits-

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staates wurde auch unter den neuen Verhältnissen und der neuen Gestalt des absolutistischen Staates von Pietismus und Aufklärung festgehalten. Der kirchliche Protestantismus von Spener und Francke verdankt seinen großen Einfluß der preußischen Monarchie. Sogar die neue Aufklärung begrüßte die staatliche Herrschaft über die Kirche als Garantie für die Toleranz und gewisse Freiheiten gegenüber den Herrschaftsansprüchen der altprotestantischen Orthodoxie. Für die spätere Aufklärung war das Amt des Pfarrers ein sinnvolles Element für die sittliche und religiöse Volkserziehung und legte auf die sozial-fürsorgerische und staatsbejahende Haltung der Pfarrer größtes Gewicht. Die evangelische Kirche Schlesiens war Friedrich dem Großen, dem freigeistigen Fürsten Europas zu Dank verbunden, weil er ihr nach der Habsburgischen Zeit der Bedrückung mit staatlicher Unterstützung einen neuen Aufbau ermöglichte bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber den Katholiken, überall im deutschen Protestantismus erwartete man, wenn es um die Besserung der Kiichlichen Verhältnisse ging, diese Förderung der Kirche von der Initiative des Staates und des staatlichen Kirchenreginientes. Diesem geradezu allmächtigen Trend innerhalb des deutschen Protestantismus stellte sich der junge Schleiermacher mit Leidenschaft entgegen. Er verlangte gerade um der Freiheit der Lehre und der Erneuerung lebendiger religiöser Gemeinschaft willen als letztes Ziel die Trennung von Staat und Kirche. Das Hauptmotiv dafür war bei Schleiermacher sicher nicht in erster Linie die Ahnung dafür, daß der moderne Staat sich immer mehr säkularisierte. Ihm ging es um die Erneuerung der christlichen Frömmigkeit, die Wiedererweckung christlicher Gemeinschaft, die Neubelebung von wahrhaft priesterlichem Sinn unter den Pfarrern. Dies ist zweifellos eine zukunftweisende Idee gewesen. Und so haben die Gedanken der vierten Rede Schleiermachers, obwohl sie theologisch nicht das

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stärkste Stück in seiner Jugendsdirift sind, eine kirchengeschichtliche Bedeutung für die Weiterentwicklung des Protestantismus gehabt. Dasselbe gilt von seinen anderen Reformideen. Er fordert Personalgemeinden. Sie haben im weiteren Verlauf der kirchengeschichtlichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts durch die Tätigkeit der pietistischen Erweckungsprediger ihre Verwirklichung gefunden. Er wünscht vor allen Dingen aber die Trennung der Predigt und Seelsorge von der moralischen Volkserziehung, wie sie der Staat verlangt. Das sind alles Forderungen, die hellseherisch die weitere Entwicklung des protestantischen Kirchentums in Deutschland vorweggenommen haben. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die theologische Bestimmung des Wesens der Kirche am wenigsten befriedigen kann, während seine Erkenntnisse über das Wesen des Christentums ganz andere Wege gehen und das christologische Zentrum christlicher Frömmigkeit und des christlichen Kirchentums bereits viel deutlicher erkennen lassen. In der Bestimmung des Wesens der Kirche ist er zu sehr in seinen von der Romantik bedingten ethischen und geschichtsphilosophischen Gedanken steckengeblieben und sein herrnhutisches Erbe ist zu sehr diesen, seinen romantischen Gedanken angepaßt, während ihn in der Bestimmung der Religion und des Christentums gerade dies herrnhutische Erbe bereits über sich selbst hinausführt. Das positive Ergebnis dieser Wandlung des Herrnhutischen Erbes besteht darin, daß die wahre Kirche Schleiermachers nicht als pietistischer Konventikel oder eine Sekte mit begrenztem Horizont beschrieben wird. Die wahre Kirche ist auch als kleine konkrete „Gemeinheit" die wahre menschliche Gemeinschaft, in der sich die „Menschheit", der Genius der Menschheit auswirkt und widerspiegelt. Diese konkrete Gemeinschaft hat niemals einen engen Horizont, sondern die Offenheit des religiösen Universalismus. So

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fügen sich in ihm christlicher und romantischer Universalismus zusammen. 3. Die Monologen Die Monologen sind innerhalb des Schrifttums des jungen Schleiermachers das Gegenstück zu den Reden. Wie eng beide inhaltlich zusammenhängen und sich gegenseitig ergänzen, kennzeichnet eine Notiz Schleiermachers aus den ersten Aufzeichnungen bei der Vorbereitung der Monologen: „Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe." (Denkmale. S. 118). In der Anschauung des Universums vollzieht sich das Ereignis der Offenbarung des Unendlichen im Endlichen, in der Selbstanschauung andererseits der sittliche Vorgang, der Ursprung eines neuen Ethos. Obwohl Schleiermacher in den Reden die völlige Unabhängigkeit der Religion gegenüber der Sittlichkeit in einseitiger Radikalität und in Abwehr der Postulate Kants und Fichtes betont, sind die Zusammenhänge von Religion und Ethos in dieser innigen Verbindung von Anschauung des Universums und Selbstanschauung gegeben. Welches neue Ethos ergibt sich aus der Selbstanschauung? In ihr und durch sie vollzieht sich die Bildung des Selbstbewußtseins der Individualität. Die Individualität ist die eigenständige und originale Entdeckung der Lebensphilosophie Schleiermachers. In den Monologen aber steht die Bedeutung dieser Konzeption für das Ethos und für das Lebens- und Weltverständnis Schleiermachers im Vordergrund. Individualität ist nicht bloß Einzeldasein, begrenztes endliches Einzelwesen. Dann wäre sie determiniert und nicht wirklich frei. Die Monologen sind dagegen ein Loblied auf die freie Individualität, auf die Individualität als ein höheres inneres Leben des Menschen. Die Modi in Spinozas System sind begrenzte endliche Einzelwesen. Die Individualität der

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Selbstanschauung Sdileiermachers aber ist Organ und Symbol des Unendlichen, ist der besondere Ort, wo das Unendliche als Einheit und Totalität der letzten inneren Einheit des menschlichen Ich begegnet. Die Individualität ist daher nicht in das Kausalgeschehen natürlichen und menschlichen Lebens einzuordnen. Sie ist nicht etwas Gemachtes, etwas Verursachtes, sondern Ursprunghaftes. Ihr Bildungsprozeß geht von innen nach außen. Sie ist das ursprüngliche Lebendige, aber sie ist nicht ein auf die Spitze gestelltes autonomes Subjekt. Das Universum setzt das Individuum als sein Organ und Spiegelbild. Hier tritt eine der wesentlichen Entdekkungen Schleiermachers zutage. Das Unendliche ist nicht eine allgemeine und abstrakte Idee, sondern das Göttliche offenbart sich dadurch, daß es konkrete Gestalten schafft, die Organ und Symbol der Gottheit werden. Dagegen ist es unmöglich, auf dem Wege der metaphysischen Spekulation das Heil der Gemeinschaft mit Gott zu erlangen. Denn Gott ist keine allgemeine Idee. Die Wirklichkeit Gottes kann man nur dadurch erfahren, daß Gott dem Konkret-Lebendigen, dem Individuum seine Wirklichkeit bezeugt. Deswegen versichert Schleiermacher immer wieder, daß das Universum selbst sich seine Bewunderer schaffe. Diese religiöse Erfahrung gewährt dem Individuum seine Originalität, seine Freiheit und seine Teilhabe am höheren unendlichen Leben. Die Individualität ist daher nicht das biologische Ich, das sich als sinnliches Wesen selbst behaupten will. Sie ist auch nicht das Ich, das seine irdischen Lebensbedürfnisse befriedigen will, nach Wohlergehen und Glück strebt. Das Ich ist freies Handeln und schöpferischer Geist. Im Individuum ist die Mannigfaltigkeit zu einer einmaligen und lebendigen Ganzheit zusammengefügt und in dieser Ganzheit und Einheit ist es Abbild der göttlichen Ganzheit und Einheit. Die schöpferische Freiheit des Geistes ist ebenfalls Setzung, Organ und Abbild des göttlichen Geistes. Diese Freiheit und Eigen-

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ständigkeit zeigt sich darin, daß es nicht das Produkt psychologischen Müssens ist. Auf der anderen Seite aber ist die Freiheit nicht Willkür, denn seine Freiheit und seine Tätigkeit ergibt sich aus seinem W e s e n . Das Individuum ist also trotz seiner Endlichkeit und Begrenztheit in seinem inneren Leben frei, weil es Organ und Symbol Gottes geworden ist. Hier wird deutlich, daß das Eigenste der Individualitätsauffassung Schleiermachers in den Monologen auf Hermhutische Einflüsse zurückgeht. Schleiermacher selbst bezeugt in einem Briefe an Brinkmann, daß die Selbstanschauung der Individualität auf seine pietistischen Erfahrungen in der Herrnhutischen Gemeinde zurückgeht (Br. IV, S. 61). Es ist die pietistische Sorge um das Heil der S e e l e und die Pflege der Innerlichkeit, die dem Individuum sein innerlich geistiges W e s e n geben. Seine Freiheit und seine Lebendigkeit hat eine religiöse Wurzel. Die Berührung Schleiermachers mit der Bildungslehre von Wilhelm Meister setzte ihn darüber hinaus in den Stand, diese christliche Grunderfahrung auf das Gebiet der Humanität zu übertragen. W e gen dieser religiösen Wurzel ist die Individualitätsidee Schleiermachers nicht mit der ästhetischen Würdigung der Individualität zu verwechseln, wie sie zum Beispiel in Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung vorliegt. Von dieser religiösen Wurzel aus entdeckt Schleiermacher die Individualität in ihrer ethisch-geschichtlichen Bedeutung. Sie wird ihm Aufgabe und W e r k des Menschen und Grundstein seiner lebensphilosophischen Weltansicht. Man ist in der gegenwärtigen philosophischen Situation leicht geneigt, auf das Selbst dieser Individualität den Begriff der Existenz und des Existierens anzuwenden. Existenz ist für einen großen Teil der Existenzphilosophie das Heraustreten aus den Bedingungen der Notwendigkeit alles Seienden und des gegenständlich Gegebenen mit dem Mut zur letzten Einsamkeit und Verantwortung. Das existenzielle Ich ist daher

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niemals als Gegenstand erkennbar. Es ist nur im freien Selbstvollzug zu erfassen. Aber das Individuum Schleiermachers unterscheidet sich sehr stark von dem Selbst der modernen Existenz. Das Selbst eines Teils der modernen Existenzphilosophie ist gekennzeichnet durch seine Geworfenheit ins Nichts und durch den vom Menschen selbst frei vollzogenen Entwurf einer Möglichkeit menschlichen Seins. Durch dieses Entwerfen seiner eigenen Möglichkeiten wird der Mensch eigentlich Mensch. Die Existenz der modernen Existenzphilosophie ist gerade nicht gleichbedeutend mit Dasein und Wirklichkeit überhaupt, sondern es ist das Seinkönnen des Mensdien auf Grund seines eigenen Entwurfes Darin ist der radikale Verzicht auf ewige Wahrheiten enthalten. Die Geworfenheit des Mensdien ist die sinnlose Faktizität des Daseins und der „Entwurf" entspringt der Willkür des Menschen. Damit geht das Menschsein ganz in seiner endlichen Geschichtlichkeit auf. Es gibt für dieses Menschsein nichts übergeschichtliches und Dberendliches. Das Individuum Schleiermachers ist aber Organ und Symbol Gottes. Dilthey hat sogar einmal formuliert: Die Individualität sei Organ und Symbol Gottes im Geiste Jesu Christi. Die pietistische Wurzel des Individualitätsgedankens Schleiermachers weist aber auf diesen christlichen Geist hin. Wegen dieser Wurzel im christlichen Geiste ist für Schleiermacher das Individuum nicht nur sich selbst gehörig, sondern es ist dem anderen Individuum geöffnet und zugeordnet. Das Motiv seines höheren Lebens ist „Sinn" und „Liebe". Sinn ist nicht die sinnliche Wahrnehmung. Sinn ist hier das Werten der Individualität des anderen, das Aufgeschlossensein für die Besonderheit und Andersartigkeit des anderen, das Geltenlassen des anderen. In der Verbindung mit Liebe ist diese Haltung die Ehrfurcht vor dem Du des anderen als einem Ebenbild Gottes. Die Forderung des anderen, ihn anzuerkennen, wird vertieft durch die Hingabe.

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Für die W e r t u n g des a n d e r e n ist ein weiterer Grundbegriff Schleiermachers wichtig: der Begriff der Menschheit. W i r Heutigen k ö n n e n vielleicht schwer nachempfinden, welchen W e r t g e h a l t dieser Begriff der Menschheit für Schleiermacher und seine Zeitgenossen hatte. Menschheit ist nicht eine allgemeine a b s t r a k t e Idee vom W e s e n des Menschen und Menschentum, sondern Menschheit ist für ihn die Fülle freier k o n k r e t e r Individualitäten, die aber in sich eine Ganzheit bilden. Die Vision für die Z u k u n f t ist die Bildung einer solchen Menschheit. Schleiermacher läßt seiner Phantasie freien Lauf, um dieser Vision sich hinzugeben. Die Menschheit ist etwas k o n k r e t Lebendiges, das für ihn in den drei Gemeinschaftsformen der Freundschaft, der Ehe und des V a t e r l a n d e s gestaltet wird. Es genügt ihm nicht, in der Beherrschung der Natur, im Geiste des Zeitalters Fortschritte zu machen. Die Sorge für den fortschreitenden W o h l s t a n d und die Perfektion der menschlichen Zivilisation ist gerade nicht das ganze W e r k der Menschheit, sondern „Menschheit" ist die Steigerung des inneren Lebens, der Liebe und der u n z e r s t ö r b a r e n Z u s a m m e n s t i m m u n g der Menschheit. Zum Beispiel ist der vaterländische Staat nicht ein notwendiges Übel, nicht eine äußere Gemeinschaft der Sinnenwelt zur V e r m e h r u n g des Besitzes und des Schutzes gegen Schicksal und Unglück (S. 85). Dieser Staat ist das schönste Kunstwerk des Menschen, wodurch er sein W e s e n auf die höchste Stufe stellen soll (S. 84). Der vaterländische Staat ist für Schleiermacher die Konkretion der Menschheit als sittlicher Gemeinschaft und des h ö h e r e n Lebens. Der G e d a n k e der Individualität ist auf die Sozialindividualität V a t e r l a n d a n g e w a n d t und will den vaterländischen Staat als sittlich geschichtliches W e s e n bestimmen. Das innere Leben der Menschheit ist unzerstörbar und unendlich. Es strebt immer ü b e r sich h i n a u s nach h ö h e r e r

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Vollendung. Dieses Streben ist für Schleiermacher das wahre Kennzeichen der Jugend. Darum prägt Schleiermacher die berühmte Formulierung: „Ich schwöre mir ewige Jugend" (Monologen S. 140). Das Kennzeichen der Jugend ist gerade nicht die biologische Kraft, sondern die Freiheit, das innere unendliche Streben nach sittlicher Vollendung. „Stark soll mir bleiben der Wille und lebendig die Phantasie, und nichts soll mir entreißen den Zauberschlüssel, der die geheimnisvollen Tore der höheren Welt mir öffnet und nimmer soll mir verlöschen das Feuer der Liebe" (S. 141). „Von mir soll nie weichen der Geist, der den Menschen vorwärtstreibt und das Verlangen, das nie gesättigt von dem, was gewesen ist, immer Neuem entgegenstrebt. Das ist des Menschen Ruhm, zu wissen, daß unendlich sein Ziel ist." Nur wenige Schriften Schleiermachers tragen so einseitig und eindeutig die Züge seines ethischen Idealismus, der eine höhere innere Welt der Menschheit als ein Reich freier Geister in der Endlichkeit aufbauen will. Die Monologen sind ein Preislied auf den schöpferischen Geist. Es ist sehr viel Stolz in diesem Lobpreis, aber dennoch verbunden mit der Ehrfurcht und Demut, die nicht vergißt, daß alles höhere Leben empfangen werden muß und Gnade ist. Die Schranke und Grenze dieses romantisch überhöhten sittlichen Idealismus ist nur zu deutlich. Es ist ein Idealismus ohne Selbstgericht der Buße, während die „Reden" den Gegensatz des unendlichen und endlichen Geistes selbstkritisch ins Bewußtsein rufen. Dem Inhalt der Monologen entspricht die Form. Der Verfasser bemüht sich um eine rhythmisierte Prosa, die sich der Lyrik nähert. In seinem Briefe an Brinkmann gibt Schleiermacher an, daß er den Rhythmus der Jamben, Daktylen und Anapästen in seine Prosa habe einfließen lassen. Vermutlich war das Vorbild für die Jamben der Egmont-Monolog Goethes. Dadurch bekommt der Stil etwas Gekünsteltes, was

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bereits Brinkmann kritisierte. Schleiermacher hat die Schrift in den Tagen, die um seinen Geburtstag herum lagen (21. November 1799), begonnen und sie in vier Wochen unter Verwendung von Vorarbeiten (z.B. über den Wert des Lebens) beendet, so daß sie in den ersten Tagen des neuen Jahrhunderts fast gleichzeitig mit Fichtes „Bestimmung des Menschen" veröffentlicht werden konnte. Dilthey bemerkt in seiner Schleiermacher-Biographie dazu folgendes: „Als schriftstellerisches Werk haben die Monologen eine größere Lebenskraft bewiesen als die Bestimmung" Fichtes. „Sie enthalten das Ergebnis einer Welt- und Lebensansicht, welche nicht durch streitige philosophische Annahmen beschränkt, sondern vielmehr das Gemüt wahrhaft befreit, weil sie in jeder edlen Seele aus der Besinnung über das Leben selber sich auf ähnliche Weise bilden muß. Daher wirkt unter allen moralischen Schriften moderner Denker diese allein bis auf den heutigen Tag in weiten Kreisen. Sie übt gerade in den entscheidenden Jahren der Entwicklung, wo sie tiefere Naturen berührt, beinahe unfehlbar einen bestimmenden Einfluß." (Dilthey: Leben Schleiermachers, 1. Band, S. 449 f., 2. Aufl., S. 493 f.) Wir sind heute von dieser Zeit so weit entfernt, daß es uns schwierig ist, uns zu diesem Verständnis Diltheys aufzuschwingen, geschweige denn die Gedanken Schleiermachers nachzuvollziehen. Uns trennt von dieser Zeit die Kulturkritik und die ethische Skepsis, die seit Nietzsches Zarathustra und durch die Erschütterung des deutschen Idealismus als geistiger und philosophischer Bewegung die deutsche Geisteswelt erfaßt hat.

4. Schleiermachers Verhältnis zur Romantik Die Ansätze zu einer neuen theologischen Grundkonzeption sind in den beiden Jugendschriften Schleiermachers, den

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„Reden" und den „Monologen" zu erkennen. Der „Redner" hat sich zu diesen Ansätzen im Laufe seines Lebens wiederholt bekannt und die Wandlungen seines Denkens selbst als weitere Ausführung, tiefere und klarere Begründung und mehr als einen Wechsel der Begriffs- und Ausdrucksformen als einen Wandel seines theologischen Grundansatzes gedeutet (vgl. Br. IV, S. 241: Ich bin seit den Reden noch ganz derselbe). Es sind einige wenige Grundgedanken. Zunächst erfolgt die Ablehnung der Aufklärungstheologie sowohl in supranaturalistischer als in neologischer Gestalt. Schleiermacher formuliert das durch die Abgrenzung, Religion sei ihrem Wesen nach etwas anderes als Metaphysik und Moral. Es geht ihm dabei nicht nur um die Besonderheit des religiösen Gebietes in der Unterscheidung von metaphysischer Spekulation und Moral; vielmehr fragt er nach dem Wesen der Religion. Das Religiöse an der Religion, das Christliche am Christentum und das Theologische in der Theologie will er finden und neu bestimmen. Gott ist nicht eine Idee der metaphysischen Spekulation und nicht ein Postulat des Sittengesetzes, sondern die höhere alles umgreifende Realität, die sich durch ihr Offenbarungshandeln dem gläubigen Individualzentrum des Menschen erschließt. Damit ist eine wichtige methodische Entdeckung verbunden. Es handelt sich um das Verhältnis von Offenbarung und Theologie, von Glaube und theologischer Lehre, von der Geisteserleuchtung des Christen zum Buchstaben der dogmatischen Formulierung. Das Verhältnis von Gott und Mensch, das die gläubige Existenz des Menschen trägt, wird nicht durch die metaphysische Spekulation begründet. Der Glaube ist nicht ein Fürwahrhalten von Ideen, sondern das Lebensverhältnis von Gott und Mensch. Alle theologischen Begriffe sind daher nicht das Fundierende, sondern erst das Fundierte. Das Christliche am Christentum ist das, was von Christus

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herkommt und die Lebensgemeinschaft zwischen Christus und dem Erlösungsbedürftigen begründet. Christlich ist aber auch das höhere Leben des Menschentums, das die Lebensgemeinschaft mit Christus begründet. Das entscheidende Kennzeichen dieses höheren Lebens ist die theologische Deutung der Individualität als Organ und Symbol Gottes. Es ist nunmehr erneut die Frage aufzugreifen, ob und inwieweit diese neuen theologischen Ansätze mit dem Ideengut und Geist der Romantik zusammenhängen. Trifft der Vorwurf zu, daß Schleiermadier Religion und Christentum romantisiert habe? Zweifellos gehört seine Sprache der Romantik an. Daran haben j a Freunde und Gegner erheblichen Anstoß genommen. Am schärfsten hat sein väterlicher Freund Sack dagegen Stellung genommen. In seinem Briefe an Schleiermacher, in dem er seinem Unmut über die „Reden" heftigen Ausdruck verleiht, heißt es: „Äußerst empörend und verderblich erscheint mir die revolutionäre neue Schule, die mit frevelhafter Hand alles umstürzt und niederreißt. . . Ebenso empörend ist mir die revolutionäre neue Sprache, die der ersten Regel alles vernünftigen Redens und Belehrens zum Trotz, immer mit falscher Münze zahlt, sich in rätselhaftes Dunkel hüllt und aus Furcht, sich gemein auszudrücken, schwülstig wird, gerade wie ein Mensch, der, um nur größer als andere zu scheinen, auf Stelzen einhergeht. Ein mit der edlen Einfalt der Griechen so bekannter Mann wie Sie, sollte wenigstens diese pomphafte und geschmacklose Schreibart verschmähen und sie den Schwärmern und poetisierenden Witzlingen überlassen, die sich mit dem Anstaunen und dem Lobe der empfindelnden, gelehrtseinwollenden Weiblein begnügen" (Br. III. S. 278/79). Die meisten Kritiker gehen aber über den Tadel an der Maniriertheit der Sprache hinaus und behaupten, daß er die Religion und das Christentum romantisiert und sentimentalisiert habe. Her-

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kunft und Ursprung dieser seiner Gedanken aus der Romantik gelten als Vorwurf und Tadel. Diese Behauptung enthält einen Tadel, der in den verschiedenen Perioden der Schleiermacher-Forschung, zuletzt auch von literarhistorischer Seite wie von theologischer Seite, wiederholt worden ist. Dieser Tadel enthält die übliche grundsätzliche Kritik an der Romantik. Für diese Kritiker verwischt die romantische Bewegung die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Das Leben, auch das religiöse Leben, sei für die Romantiker ein schöner Traum und die Aussagen über das höhere Leben mit Gott und die Berührung des Unendlichen mit dem Endlichen seien ein Produkt der Phantasie. Mit der Sentimentalisierung meint man die Reduktion alles geistigen Lebens auf eine unklare geheimnisvolle subjektive Innerlichkeit, die der harten Begegnung mit der Wirklichkeit auswiche. Sentimentalisierung der Religion wäre dann entsprechend die Auflösung der Religion in eine „Religion ohne Gott", in einen irrationalen innerlich unendlichen Gefühlsbereich des Menschen*. Stellt man ganz präzise die Frage, ob Schleiermacher ein Romantiker wie z. B. Friedrich Schlegel war, so kann diese Frage nur verneint werden. Schleiermacher war kein geborener Romantiker. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm unterstellt, daß sein theologisches Verständnis der Religion poetisch-ästhetischer Subjektivismus sei und daß er eine Religion ohne Gott wolle. Was er ablehnte, waren die Gottesvorstellungen der supranaturalistischen Dogmatik, weil sie auf der durch die Transzendentalphilosophie überwundenen supranaturalistischen Metaphysik der Aufklärung beruhten. * Vgl. Fr. Gundolf: Schleiermachers Romantik, Deutsche VieTteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Halle 1924, S. 451: „Er wollte Religion ohne Gott begründen und muß poetisch verkleidete Allegorien des göttlichen Geistes einführen und seelische Tatsachen zu kosmischen Mäditen personifizieren."

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Durch diese negative Feststellung ist aber Schleiermachers Verhältnis zur Romantik noch nicht hinreichend gekennzeichnet. Die Berliner Romantik seiner Freunde war eine Kunstbewegung. Der Kreis, der sich zusammengefunden hatte, war in keiner Weise homogen. Schleiermacher hat das selber in einem Briefe an Brinkmann (Br. IV, S. 83) klar erkannt: „Wenn man betrachtet, wie gänzlich verschieden in ihren Produktionen und ihren Prinzipien Friedrich Schlegel, Tieck und A. W. Schlegel sind und immer sein werden, so muß man wohl gestehen, daß hier keine Neigung sein kann, offensiv eine Sekte zu bilden, sondern höchstens defensiv; sie könnten also unmöglich existieren, wenn die anderen, die sich die alte Schule zu bilden einbilden, nicht offendierten". Schleiermacher wußte selber um seine Grenzen. Er war kein Dichter. „So ganz entschieden vermied ich das zu suchen, was den Künstler m a c h t . . . in jedem Werk, das sich ihm darstellt, ergründet er den Eindruck aller Teile, des Ganzen Zusammensetzung und Gesetz, und freut sich des kunstreichen Gefäßes mehr als des köstlichen Gehaltes, den es darbeut . . . Mir aber hat dies alles nur der Sinn erspäht, denn meinen Gedanken ist es fremd. Aus jedem Kunstwerk strahlt mir die Menschheit, die darin abgebildet, weit heller hervor als des Bildners Kunst . . . Ich strebe nicht, bis zur Vollendung den Stoff zu zwingen, dem ich meinen Sinn eindrücke. . . . Darum darf ich auch nicht wie der Künstler einsam bilden" (Monologen, S.45f). Schleiermacher sucht die Verschiedenheit und den Zusammenhang von Kunstsinn und Religion zu ergründen. Die Sprache verhält sich zum Wissen, wie die Kunst zur Religion. Das Fundierende und Eigentliche ist für ihn die Religion und die Kunst nur der Ausdruck, die Sprache, das Wortgeschehen, das den Wahrheitsgehalt der religiösen Erfahrung wohl darstellen, aber nicht begründen kann. In diesem Sinne ist die Predigt audi ein rednerisches Kunstwerk.

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Schleiermacher hat von seinen romantischen Freunden viel gelernt, zunächst sogar allzu viel übernommen. Erst allmählich macht er sich von den Banden der Romantik frei und erkennt sein Zentrum. Er hat nicht nur von der Romantik das Verständnis der Dichtung und der Kunst überhaupt entlehnt. Seine Hermeneutik, seine Deutung Piatons und auch seine philosophische Entwicklung haben von der romantischen Lebensanschauung Anregung erhalten. Aber er hat auch der Romantik Wesentliches gegeben. Er hat seine Freunde davon zu überzeugen versucht, daß Kunstsinn noch nicht Religion ist. Kunst und künstlerische Intuition ist ebenso wie die metaphysische Spekulation zunächst ein Spiel des Geistes, der Phantasie, des Strebens, des Fragens nach der Ganzheit und Einheit in der Flucht der endlichen Erscheinungen. Die eigentliche Antwort auf das Suchen kann der Kunstsinn nicht geben. Das geschieht nur durch die Offenbarung des Universums im Gefühl, im frommen Selbstbewußtsein. Es zeigt sich hier schon der Grundansatz seines späteren Systems. Die letzte Wahrheitsgewißheit des Wissens und die Teilhabe der Kunst am Leben gründet sich weder auf das Wissen selbst noch auf die künstlerische Phantasie. Diese Grundlage bietet allein das höhere Leben der Religion. Dem frommen Selbstbewußtsein erschließt sich erst die überlegene Realität der absoluten Totalität, die sowohl der Welt der endlichen Erscheinungen überlegen als auch in ihr gegenwärtig und wirksam ist. Dilthey kennzeichnet das Verhältnis Schleiermachers zu seinen romantischen Freunden: „Wie jeder Genius war er mitten unter ihnen einsam und doch ihrer bedürftig." (a.a.Ol, l.Aufl., S. 260). „Er lebte unter ihnen wie ein Nüchterner unter Träumenden" (a.a.O., S. 439). Dieses Bemühen Schleiermachers, in der neuen Sprache der Romantik mit ihren Begriffen Universum, Unendlichkeit und Individuum das Religiöse an der Religion zu kennzeichnen, waren die

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Vertreter der supranaturalistischen Theologie keineswegs einverstanden. So waren für seinen geistlichen Vorgesetzten Sack die Gedanken Schleiermachers nur der Beweis unangemessener Eitelkeit und Ehrsucht. Sack hat das Schleiermacher gegenüber auch ausgesprochen (vgl. S. 88). Besonders anstößig war es ihm, daß Schleiermacher die aufklärerische Vorstellung von einem persönlichen Gott und individueller Unsterblichkeit in Frage stellte. Schleiermacher antwortet seinem väterlichen Freunde in würdiger, aber entschiedener Form. „Mein Endzweck ist gewesen, in dem gegenwärtigen Sturm philosophischer Meinungen die Unabhängigkeit der Religion von jeder Metaphysik darzustellen und zu begründen. In mir ist also um irgendeiner philosophischen Vorstellung willen der Gedanke eines Streites meiner Religion mit dem Christentum niemals entstanden . . . Vielmehr bin ich sehr überzeugt, die Religion wirklich zu haben, die ich verkündigen soll, wenn ich auch eine ganz andere Philosophie hätte, als die meisten von denen, welche mir zuhören" (Br. III, S. 284). Die neue Sprache Schleiermachers wirkte provozierend auf die ältere Generation. Schenkel berichtet in seiner Biographie Schleiermachers (S. 139): „Die Reden seien wie Brandraketen in die papierenen Laubhütten der herrschenden aufgeklärten Theologie gefahren." Mit seinen romantischen Freunden ist Schleiermacher mehr durch die Absage an die Aufklärung und ihre supranaturalisti-sche Dogmatik verbunden als durch das Positive, was er eigentlich sagen wollte. Er hat in der Begegnung mit seinen romantischen Freunden an ihrer Geisteswelt teilgenommen und sich ihrer Sprache bedient, aber er ist den Versuchungen romantischer Phantastik und Sentimentalität, ihrer Erfindsamkeit und Empfindsamkeit am Ende doch nicht erlegen, weil er in seinen entscheidenden religiösen und theologischen Konzeptionen nicht in der

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Romantik wurzelte. Das Neue in Frömmigkeit und wissenschaftlicher Gedankenbildung ist bereits vor seiner Berliner Zeit erkennbar, wie oben nachgewiesen wurde. Das höhere Leben der christlichen Gläubigkeit beruht auf der Begegnung mit der Christusoffenbarung. Er selber versteht es als ein Erfaßtwerden durch das von Christus neu gestiftete Gesamtleben. Auch seine wissenschaftliche Arbeit in Theologie und Philosophie führte ihn bald über die Romantik hinaus. W i s senschaft wurde ihm sehr viel mehr als das spekulative Spiel mit Gedanken und Begriffen und wurde ihm der ernste Dienst an der W a h r h e i t in der Überwindung von Schwärmerei und haltloser Skepsis. An die intuitiv-schöpferische Periode schloß sich daher organisch die systematische Periode seines Denkens an, die größere begriffliche Klarheit und Profilterung seiner Theologie und Philosophie brachte. Vorerst müssen wir aber uns noch mit der Ethik der Romantiker beschäftigen und der Auseinandersetzung Sdileiermachers mit der romantischen Anschauung vom menschlichen Gemeinschaftsleben.

5. Vertraute Briefe über die Lucinde Das Bewußtsein von der Besonderheit der Individualität ist gerade die Voraussetzung für die Vertiefung des Gemeinschaftslebens. So hat die romantische Ethik und Anthropologie das Verständnis der Freundschaft und der Liebe zwischen den Geschlechtern bereichert und mit neuen Impulsen versehen. Voraussetzung für die neue Ethik der Liebe und Ehe ist die Anschauung der Romantik von der Individualität der

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Frau und die Überzeugung von der Einheit von Leib und Geist in dem Verhältnis der Geschlechter. Die Liebe hilft beiden Partnern, ihr Menschentum zu entdecken. Der Liebende will durch den sog. „Silberblick" der Liebe in dem anderen das Ebenbild Gottes finden und dann mit Hilfe des Geliebten diese Gottesebenbildlichkeit als das wahre Humanuni in sich entdecken und entfalten. So ist die Erfahrung der Liebesgemeinschaft verbunden mit der Entdeckung des wahren eigenen Selbst, das erst in der Überwindung des eudämonistischen Egoismus gefunden werden kann. Die romantische Eheauffassung ist daher nicht zu verwechseln mit der sog. modernen freien Liebe als der „Emanzipation des Fleisches", mit der ethischen Bindungslosigkeit. Die Schrift Schlegels mit dem Titel „Lucinde" und Schleiermachers „Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde" (WWIII/1, S. 421) behandeln daher nicht die sog. freie Liebe, sondern die romantische Ehe. Schlegels Lucinde soll nach dem Willen Schlegels eine Verklärung der wahren Ehe sein. Diese Absicht ist schon in dem Vornamen des Buchtitels enthalten. Der Vorname Lucinde hat dieselbe Bedeutung wie der weibliche Vorname Luciane und ist vielleicht zu übersetzen mit dem deutschen Wort die Erleuchtete. Schlegel hat wahrscheinlich diesen Namen von dem spanischen Dichter Cervantes übernommen. Die romantische Ehe ist zwar kein Sakrament; sie ist auch nicht die Pflichtgemeinschaft des lutherischen Ehestandes. Aber sie ist doch das Mysterium einer Glücksgemeinschaft zu Zweien. Die Sanktion dieser Ehe besteht in dem Glauben daran, daß jedes Individuum, jedes Selbst durch die unlösliche Verbindung mit dem Du zu echter Lebensharmonie, zur wahren Humanität sich vollende. Die Ehe ist daher unlösbar. Eine romantische Ehe, die auf Liebe begründet ist, soll ihrem Wesen nach die Gewähr der Dauer in sich tragen. Eine Scheidung der Ehe

Vertraute Briete über die Lucinde

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widerspricht dem Wesen der ehelichen Gemeinschaft. Sie offenbart nur den Sachverhalt, daß die Verbindung von Mann und Frau eigentlich keine Ehe gewesen ist. Eine wirkliche Ehe führt die Liebenden über die Grenze des Endlichen und zeitlich Begrenzten hinaus und bringt beiden Liebenden die Erfahrung des Unendlichen, weil sie die Erlösung aus dem Einzelsein bedeutet. Daher wird die Liebe als das einzig Reale und als Begegnung mit dem göttlichen Urgrund des Lebens empfunden. Man darf vielleicht so formulieren: Für Schlegel ist die Liebe Gott. Aber nur umgekehrt ist dieser Satz richtig. Gott ist in der biblischen Aussage das Subjekt. „Gott ist die Liebe." Der tiefere Sinn von Schlegels Lucinde wird völlig verzerrt durch die unmögliche literarische Form, die Schlegel seinen Gedanken gibt. Schlegel will durch eine paradoxe Gedankenführung und romantische Ironie das moralisierende Philistertum vor den Kopf stoßen. So ist seine Schrift ein chaotisches Gemenge von einzelnen genialischen Einfällen, Märchen, Allegorien und geschmacklosen selbstbiographischen Skizzen und Indiskretionen. Alles in allem ist seine Schrift kein wirklicher Roman, sondern höchst langweilig und als poetisches Werk wertlos. Schleiermacher hat sich selber über den dichterischen und geistigen Gehalt des Romans getäuscht und auf Bitten seines Freundes und dessen späterer Gattin Dorothea Veit den Mut gehabt, dieses Machwerk noch zu verteidigen. In Wirklichkeit gibt er aber mehr als eine Verteidigung des sog. Liebesromanes Schlegels. Seine „Vertrauten Briefe über die Lucinde" sollen eine Darstellung der romantischen Eheauffassung vermitteln. Leider hat er die Unechtheit und das Formlose der Schlegelschen Schrift nicht erkannt und die Fehler dieses Werkes mit dem Wohlwollen des Freundes zu verdecken versucht. Schärfer als Schleiermacher urteilte Schiller in einem Brief an Goethe vom 19. Juli 1799 über Schlegels Lucinde: „Das

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W e r k ist übrigens nicht ganz durchzulesen, weil einem das hohle Gesdiwätz gar zu übel macht. Er erlaubt sich alles und die Frechheit erklärt er selbst für seine Göttin. Diese Schrift ist der Gipfel moderner Unform und Unnatur." Schleiermacher hat aber in seiner Schutzschrift zugunsten des Freundes die romantische Ehe sehr viel besser und klarer dargestellt, als Friedrich Schlegel es konnte. Schleiermacher kritisiert allerdings die Ehen der Aufklärung, die aus äußeren Interessen geschlossen seien und nur die Form und nicht den Geist der Ehe enthielten. In ihnen sieht er eine „Entheiligung des heiligsten Bandes des menschlichen Daseins". In den Briefen über die Lucinde, in denen fünf Menschen, drei Frauen und zwei Männer, miteinander brieflich korrespondieren, ist die Liebe eine Ganzheit, die ein Analysieren und Zerlegen nicht verträgt. In der Liebe ist das Geistigste und das Sinnlichste innigst verbunden. Der verwerfliche Gegensatz zur wahren Liebe ist die isolierte Sinnlichkeit, die entweder als ein notwendiges Übel der Natur erduldet werden muß, oder die geistlose und unwürdige Freibeuterei, die nur den natürlichen Trieb zum Raffinement steigert, ohne ihn verfeinert und humanisiert zu haben. Die Liebe ist ein göttlicher Funke und kann nicht ohne Entweihung in Geist und Fleisch, Willkür und Natur zerlegt werden. Die ängstliche und beschränkte Schamhaftigkeit ist aber durch das Bewußtsein eines tiefen Verderbens und allgemeiner Verkehrtheit bestimmt. Die echte Schamhaftigkeit als sittliche Haltung dagegen befreit den Menschen von der Knechtschaft der Triebe und entdeckt in der Liebe das Schöne und das Zarte. Wielands erotische Schreibereien sind für Schleiermacher unsittlich und häßlich. Wieland gehe fast überall darauf aus, die sinnliche Lust zu beschreiben, die eigentlich nichts künstlerisch Darstellbares ist. Die wahre und echte Liebe, in der sich Geistiges und Sinnliches verbinden, ist das wahre Mysterium des Lebens und öffnet die

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Menschen für das Unendliche. Die schönen Künste und die Poesie verklären diese Synthese vom Geistigen und Sinnlichen und zeigen, wie die wahre Liebe in ihrer Beziehung auf das Gute und Schöne ihre göttliche Bestimmung findet. Die Ehe geht darauf, aus zweien Eins zu machen (Denkmale, S. 129). Das liebende Individuum sucht das liebende Du, um beide Individuen zu einem Ganzen zusammenzuschließen. Zeugnis und Symbol dieser tiefsten Gemeinschaft ist die Einigung von Geistigkeit und erotischer Sinnlichkeit. „Objektive Vorstellungen" von dem bloß animalischen Leben müssen aber als schamlos erkannt werden (Vertraute Briefe, S.460). Das Ehe-Ethos Schleiermachers ist eine bedeutsame Verfeinerung und Vertiefung der bisherigen Auffassung von Liebe und Ehe und führt über die reformatorische Eheethik, erst recht aber über die aufklärerische Ethik, hinaus. Dieses Neue entsteht durch die Aufnahme der romantischen Anthropologie in die Eheethik. Liebe und Ehe sind nicht ein bloßer Naturvorgang, den man erträgt oder durch den man in Versuchung gerät. Sie sind nicht nur eine Last von Pflichten, sondern Liebe ist Verstehen des anderen; und in diesem Verstehen der inneren Verbundenheit wird die Erhöhung des Lebens als inneres Glück erfahren, das den sinnlichen Genuß läutert. Diese Deutung der Ehe bei Schleiermacher ist in den Vertrauten Briefen noch unabgeschlossen und unfertig. Sie enthält noch zu viel von Schlegels Romantik, zu viel vom Subjektivismus des Genusses. Die wahre Liebe, ihre sittliche Größe und ihr sittlicher Ernst entstehen erst, wenn sie über den bloßen Subjektivismus des Genusses hinausgehoben wird. Soll denn die Liebe sich nicht in eine übergreifende sittliche Ordnung des Lebens einfügen lassen? Die Einheit des Geistigen und des sinnlich Erotischen ist nicht nur eine bloße Gabe der Natur, die den Menschen leicht in den Schoß fällt. Sie ist das Ziel sittlicher Bildungsarbeit. Hier liegt der 4

Redeker, Schleiermacher

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zweite Fehler Schleiermachers. Infolge der Schwärmerei seiner ästhetischen Vision verkennt er die Schwere der Spannungen zwischen Geist und Sinnlichkeit und verkennt die Notwendigkeit, das Leben der Liebe und Ehe der Heiligkeit der sittlichen Ordnungen des Lebens unterzuordnen. Schleiermacher hat infolge der metaphysischen Vision der Einheit von Geistigem und Sinnlichem die Macht der Leidenschaften und ihrer zerstörerischen Wirkungen im Leben in ihrer Schwere verkannt. Immerhin gesteht er zu, daß es im individuellen Leben die vollendete Liebe nicht gibt, d. h. Vollendung findet die Liebe nur im Tod (S. 501). Dilthey stellt die Frage, wie eigentlich Schleiermacher überhaupt dazu gekommen sei, die Vertrauten Briefe über Lucinde zu schreiben, da diese Schrift trotz einiger tiefer Ausführungen Schleiermachers nicht würdig sei (Dilthey: Leben Schleiermachers, 1. Aufl. S. 506). Dilthey spricht damit das aus, was auch ein größerer Teil der Freunde und Schüler Schleiermachers empfunden haben. Der Grundfehler der Schrift ist nach Dilthey, daß Schleiermacher die Prinzipien der neuen romantischen Ethik vorschnell auf das Leben übertragen und dabei heilige sittliche Interessen verletzt habe (a.a.O.). Eigentlich hätte Schleiermacher trotz seines guten Willens, seinem Freunde Friedrich Schlegel zu helfen, die Schrift Schlegels verurteilen müssen. Die Hauptschwächen der Lucinde sind für Dilthey: 1. Die Einheit von Geistigem und Sinnlichem ist von Schlegel nicht glaubwürdig dargestellt. 2. Die egoistisch subjektivistische Lust an der Lust bricht bei Schlegel immer wieder durch. 3. Die Lucinde enthält einen törichten Haß gegen die Ehe als einer objektiven sittlichen Ordnung des menschlichen Lebens. Die Liebe ist nicht in erster Linie sinnliches Glück, sondern Tat und Opfer in der Bewältigung der gemeinsamen sittlichen Aufgaben von Ehe und Familie. Das alles hat Schleiermacher wohl empfunden, aber nicht ausdrücklich ausgesprochen.

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Darum kommt er in die Situation, eine verlorene Sache mit halbem Herzen zu verteidigen. Schleiermacher hat sich darum später dieser Schrift nicht mehr erfreuen können und in seinen Predigten über den christlichen Ehestand hat er vor allem die Ansicht über die Ehescheidung und über den Ehestand als sittliche Ordnung völlig gewandelt. Die Ehescheidung soll als gemeinsame Schuld mit tiefer Beschämung gefühlt werden (WW II/3 S. 250). Für das Urteil über das Verhältnis Schleiermachers zur Romantik und zum romantischen Ideengut ist auch sein persönliches Verhältnis zu den einzelnen Romantikern bedeutsam. Bezeichnend ist vor allen Dingen seine Freundschaft zu Friedrich Schlegel. Diese Freundschaft war ein Verhältnis von zwei sehr ungleichen Partnern, und in dieser Ungleichheit lag der Sprengstoff für die Auflösung dieser Freundschaft. Die Selbstlosigkeit und ruhige Besonnenheit Schleiermachers hat immer wieder versucht, die freundschaftliche Verbundenheit mit Schlegel aufrechtzuerhalten. Aber die Unruhe, Sprunghaftigkeit, der Egoismus und das mißtrauische Verhalten von Friedrich Schlegel hat die Verbundenheit der beiden im persönlichen Leben und auch in der gemeinsamen Arbeit immer wieder gefährdet und den Bruch der Freundschaft allmählich herbeigeführt. Seit 1802 nahm die Entfremdung einen rapiden Verlauf. Friedrich Schlegel verließ beinahe fluchtartig Deutschland; mit der Reise nach Paris begannen seine wunderlichen Irrfahrten, die schließlich zu seiner Konversion führten und damit die Trennung von Schleiermacher herbeiführte. In einem Brief Schleiermachers an Ernst von Willich aus dem Jahre 1801 bekennt er: „Aber die gänzliche Verschiedenheit unserer Empfindungsweise, sein rasches, heftiges Wesen, seine unendliche Reizbarkeit und seine tiefe, nie zu vertilgende Anlage zum Argwohn, dies macht, daß ich ihn nicht mit der vollen Wahrheit behandeln kann, nach der ich mich 4'

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sehne, daß ich alles anders gegen ihn aussprechen muß als ich es für mich selbst ausspreche, damit er es nur nicht anders versteht, und daß es immer noch Geheimnisse für ihn in meinem Inneren gibt oder er sich welche macht" (Br. I, S. 277). Zwar hatte Schleiermacher tapfer und entschlossen sich zu seinem angefeindeten Freunde bekannt. Z. B. hatte er gegenüber seinem geistlichen Vorgesetzten Sack, der Schleiermacher vorgeworfen hatte, er habe Geschmack an vertrauteren Verbindungen mit Personen von verdächtigen Grundsätzen und Sitten, erwidert: „Nie werde ich der vertraute Freund eines Menschen von verwerflichen Gesinnungen sein; aber nie werde ich aus Menschenfurcht einem unschuldig Geächteten den Trost der Freundschaft entziehen" (Br. III, S. 282). Das hat Schleiermacher nicht gehindert, die vielen Fehler Friedrich Schlegels allmählich doch schärfer zu erkennen und daraus die Konsequenzen zu ziehen. In einem Brief an Eleonore Grunow aus dem Jahre 1802 hebt er hervor, „daß Friedrichs übermächtige stürmische Sinnlichkeit mir in einigen ihrer Äußerungen unangenehm und gleichsam meinem Geschmack zuwider gewesen ist, auch daß ich mit großer Mißbilligung gesprochen von der Leichtigkeit, mit der er sich bisweilen einem unrechtlichen Verfahren in seinen Angelegenheiten nähert" (Br. I, S. 305). Aufs Ganze gesehen, muß man dem Urteile Diltheys zustimmen: „Sicherer und männlicher geworden in den Kämpfen dieser Zeit, begann Schleiermacher sich des ganzen Gegensatzes bewußt zu werden, der ihn von diesen Charakteren schied, von allen ohne Ausnahme, die den Kreis der (romantischen) Genossen ausmachten. Den, der in diesen Korrespondenzen zu arbeiten hat, verläßt nie der wunderbare Eindruck, inmitten dieser hochbegabten Gesellschaft, den Schlegel, Tieck, Fichte, Schelling, Bernhardi, von denen keiner, ich schreibe es mit Bedacht, kein einziger frei von Zweizüngigkeit und

Eleonore Grunow

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der willkürlichen Härte wechselnden Urteils ist, dieser besonnenen, religiös-sittlichen Natur zu begegnen, in deren gesamten Briefwechsel niemand einen Ausbruch momentaner leidenschaftlicher Ungerechtigkeit oder gar ein doppeltes Spiel finden würde, einer Natur, die ganz frei erscheint von selbstsüchtiger Betrachtung der Menschen unter eignem Gesichtspunkt, von dem Willen sie zu gebrauchen, ja selbst von der Unruhe des Temperamentes, die das Urteil überspannt und verfälscht" (Dilthey a.a.O., 1. Aufl. S. 531/32). Schleiermacher verließ Berlin im Jahre 1802 und entschied sich, eine schlecht dotierte Hofpredigerstelle in Stolp in Pommern anzunehmen. Mit diesem Abschied und der Trennung von den romantischen Genossen endet die erste schöpferische Periode seines Denkens und begann ein neuer Abschnitt seines Lebens und seines geistigen Schaffens. 6. Eleonore Grunow In die Zeit der Begegnung Schleiermachers mit der Romantik fällt auch die Zuneigung Schleiermachers zu Eleonore Grunow, der unglücklich verheirateten Frau eines Berliner Predigers. Schleiermacher lernte sie 1799 durch die Beziehungen seiner Verwandten zu der Familie Grunow kennen. Für Freunde und Feinde Schleiermachers war es anstößig, daß er jahrelang um diese Frau warb, obwohl sie mit einem anderen Prediger in einer allerdings kinderlosen und sehr unglücklichen Ehe lebte. Schleiermacher war der Ansicht, daß jede Frau in der Ehe ein unveräußerliches Recht auf ihre Individualität habe, und dieser romantischen Auffassung von der Individualität gemäß war für ihn eine Ehe, in der eine Frau an der Entfaltung der Individualität durch die sittliche Unwürdigkeit des anderen Ehepartners gehindert würde, keine Ehe mehr, sondern eine Zerstörung des heiligsten Bandes der Menschheit. Darum hielt er es für

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seine Pflicht, eine solche Ehe, die eigentlich keine Ehe sei, aufzulösen. Schleiermacher hat später in seinen Predigten über die Ehe und in seiner christlichen Sittenlehre einen anderen Standpunkt eingenommen. Später ist für ihn die Ehe unauflöslich. Irrtum und eine v e r f e h l t e Ehe muß v o m Christen in Buße getragen werden. W e n n aber der Staat trotzdem eine solche tote Ehe löst, so könne die Kirche eine z w e i t e Ehe nur mit einem tiefen Schmerzgefühl über die Unvollkommenheit

der

Kirche

Standpunkt hat Schleiermacher

segnen.

Diesen

späteren

aber damals nicht

einge-

nommen. Darum hat er jahrelang darauf gewartet, daß Eleonore auch äußerlich ihre Ehe auflöse. Sie betrachteten sich als heimliche V e r l o b t e . Schleiermacher verließ Berlin, um ihr für die eigene Entscheidung v ö l l i g e Freiheit zu lassen. Sie hat sich jahrelang zu keinem Entschluß durchringen können. Auch als sie bereits ihren Mann verlassen hatte und das Ehescheidungsverfahren mit H i l f e ihres Bruders eingeleitet hatte, kehrte sie aus Gewissensgründen w i e d e r zu ihrem Mann zurück und verzichtete auf die Ehescheidung. Eleonore empfand es als ihre Pflicht, in ihrer verfehlten Ehe

auszuharren,

auch

wenn

es

ihr

das

Leben

Schleiermacher schrieb damals an seinen Freund

koste. Reimer

(Br. I, S. 363): „Es hat mir w e h e getan, daß Du v o n ihr so schweigst. Die Schwachheit, die sie begangen hat, ist die einer reinen demütigen in M i l d e zerfließenden Seele und sie verdient wohl, daß jeder, der ihr Schicksal und ihre Tat kennt, mit Liebe und Schmerz, aber noch mehr mit Liebe auf sie hinsieht." Niemand kann Schleiermacher v o r w e r f e n , daß er auf das Recht der Leidenschaft der bestehenden Ordnung gegenüber gepocht habe. Es war seine sittliche Auffassung v o n der wahren Ehe und v o n der Liebe als Verstehen und Einswerden v o n z w e i Individuen, die ihn zu seiner Haltung führte. Später hat er die Entscheidung v o n Eleonore Grunow nicht bloß respektiert, sondern gebilligt.

Eleonore Grunow

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Viele Freunde Schleiermachers haben nicht ganz verstanden, was Schleiermacher an Eleonore so fesselte, daß er ungefähr sechs Jahre um sie warb. Sie war keine Romantikerin; es fehlte ihr die umfassende Bildung, die Vielseitigkeit der typischen romantischen Frauen. Sentimentalität, Empfindelei und das geistreich Spielerische lag ihr fern. Sie war auch keine Schönheit. Von den Zeitgenossen wird sie als groß, hager und herb geschildert. Leider ist von Eleonores Briefen an Schleiermacher nur ein Fragment erhalten und auch die zahlreichen Briefe Schleiermachers an Eleonore sind zum großen Teil verloren. Als Dilthey vor ungefähr 100 Jahren zusammen mit L. Jonas den Briefwechsel Schleiermachers unter dem Titel „Aus Schleiermachers Leben in Briefen" herausgab, lagen ihm die Briefe Schleiermachers an Eleonore noch vor. Er hat dann aber aus Respekt vor der Intimsphäre Schleiermachers nur wenige von ihnen in seine Briefsammlung aufgenommen. Der Rest ist nach den Auskünften von Meisner bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verlorengegangen. So fehlen die Quellen, aus denen man Näheres über das Leben und das Wesen Eleonores und ihrer Stellung zu Schleiermacher erfahren könnte. Man kann aus diesen spärlichen Mitteilungen aber folgendes entnehmen: Schleiermacher suchte bei Eleonore nicht die typisch romantische Frau. Sie war es ihrem Wesen nach auch nicht. Er liebte an der Frau seines Herzens nicht den hohen Bildungsgrad, sondern den Reichtum des Gemütes, seine Bildsamkeit und seine Kräfte (Meisner, Bd. I, S. 230). Liebe war für beide Anschauen und Verstehen des anderen in seiner Wesenstiefe. Der gegenseitige Einfluß aufeinander war stark. „Unter allen Seelen, die mich angeregt und zu meiner Entwicklung beigetragen haben, ist doch niemand mit Ihnen, mit Ihrem Einfluß auf mein Gemüt, auf die reinere Darstellung meines Inneren zu vergleichen" (a.a.O., S. 288). Schleiermacher liebte an Eleonore besonders den Reichtum an Gefühlen und ihre unge-

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Die neuen Intuitionen

wohnliche Mitteilungskraft. AusStolp schrieb er ihr: „Genießen Sie ihn recht, den Reichtum an Gefühlen, der jetzt in Ihnen ist •— er gleicht einem Moment in einem großen musikalischen Kunstwerk, worin der Unkundige die widersprechendsten Töne zu vernehmen glaubt, worin aber doch alles Harmonie ist, eine Harmonie, die gewiß jedem noch lange nachklingt, der nur alle Töne vernommen hat, und wer das nicht kann, dem würde gewiß, wenn ihm der Sinn nicht versagt ist, jeder einzelne wohltun" (19. August 1802. Br. Mulert, S. 144, Meisner, Bd. I, S. 257.) Es ist für uns heute schwierig, diese Art von Liebe als eines Verstehens im Gefühlsaustausch, als Lebenserhöhung durch schwärmerische Phantasie richtig zu würdigen. Schleiermachers Verständnis der Liebe ist aus folgender Mitteilung an Eleonore zu entnehmen: „Ich wollte, der Teufel holte die Hälfte alles Verstandes in der Welt ... und wir könnten dafür nur den vierten Teil der Phantasie bekommen, die uns fehlt auf dieser schönen Eide. Aber er wird sich hüten, denn er muß wissen, daß sein Reich schlecht bestehen würde." „Wieviel gehört aber auch dazu, liebe Freundin, um einen Menschen recht zu sehen und was! Nämlich es muß der Mensch sich selbst kennen und nicht nur das, sondern er muß auch a l l e s in sich gefunden haben. Die rechte Einfalt und Unschuld wird zu einer solchen Menschenkenntnis nicht kommen. Aber wer von allem Verkehrten und Verderbten, wenn auch nur ein Element in sich entdeckt hat, in dem das Wesentliche doch ganz liegt, und dann auch von allem Großen und Schönen eine Spur, und dabei eitel genug ist, sich aus dieser Spur die ganze vollendete Gestalt herauszuphantasieren —- sehen Sie, der ist zur Menschenkenntnis gemacht. Wie groß komme ich mir dabei vor, daß ich weiß, ich habe Ihre Erlaubnis, Sie da so mitzumeinen" (Br. I, S. 342/43). Schleiermacher ist nicht nur der Mann des Gefühls, der Phantasie und der Reflexion, sondern der Mann der sittlichen Tat, des Helfen-

Anfänge in Stolp

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wollens und des Verzichtes. Daher ist auch ein starkes Motiv seiner Zuneigung zu Eleonore sein Wille, durch Verstehen, Mitfühlen und auch Mitleiden dieser vielfach von Depressionen und Ängsten geplagten Frau zur Freiheit und inneren Ruhe zu verhelfen. Besonders zu beachten ist auch das Bekenntnis, das Schleiermacher in seinen Lucinde-Briefen Eleonore in den Mund legt: „Im Grenzenfinden und -Festhalten bin ich von jeher eine große Heldin gewesen" (WW III/l, S. 486). Sie beide haben dem Gatten Grunow nichts verschwiegen und die Grenzen, die ihnen ihr Gewissen setzte, streng innegehalten. Die Entwicklung Schleiermachers führte ihn wohl in die Romantik hinein, aber durch sie hindurch und über sie hinaus. Der Berliner Generalsuperintendent Wilhelm Faber hat bei der Aufstellung der Marmorbüste Schleiermachers vor der Dreifaltigkeitskirche im Jahre 1904 diese Entwicklung Schleiermachers durch folgende kritische Anmerkung gekennzeichnet: „Durch die phantastische Blütenwelt der Romantik, in der es unter der Schlange an den Blumen nicht fehlte, hinauf auf die kühlen Höhen philosophischen Denkens, aus der fesselnden Welt des Schönen in die bessere Welt des sittlich Guten: so ist er geführt worden, auch an manchem Abgrunde vorbei" (Th. Kappstein: Schleiermachers Weltbild, S. 34/35). III. Die Zeit der Systembildung 1. Anfänge in Stolp Schleiermacher trat 1802 nach einem Besuch bei seiner Schwester in Gnadenfrei die Pfarrstelle in Stolp an. Stolp ist eine Provinzstadt in Pommern in der Nähe der Ostseeküste. Seine reformierte Gemeinde war sehr klein; sie umfaßte ungefähr 50 Familien. Zu seinen Amtspflichten gehörte

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Die Zeit der Systembildung

außerdem die kirchliche Versorgung einer großen Anzahl reformierter Zwerggemeinden, die in der näheren und weiteren Umgebung von Stolp bis hin nach Westpreußen innerhalb der lutherischen Großkirche ihre Selbständigkeit bewahrt hatten. Diese Erfahrungen in der reformierten Diaspora wurden Motiv und Anlaß für die ersten Unionsvorschläge Schleiermachers in dieser Zeit. Im Herbst 1802 schrieb er an Alexander Dohna: „Mit meiner Muße steht es schlecht genug. Kleine Geschäfte, die noch dazu das Verdrießliche haben, daß sie gar nicht der Rede wert sind, ruinieren mir Zeit genug, und dann das fatale Reisen, wovon ich während der guten Jahreszeit nicht sechs Wochen lang ganz frei bin" (Briefe an Dohna S. 22). Er widmete sich mit Energie seiner Predigttätigkeit. Die Selbstbeurteilung seiner Predigten enthielt einen Unterton von Unzufriedenheit und Resignation. „Das Predigen ist jetzt das einzige Mittel von persönlicher Wirkung auf den gemeinschaftlichen Sinn der Menschen in Masse. Es ist freilich der Realität nach nur ein kleines; denn es wird wenig gewirkt; aber wenn einer redet, der die Sache nimmt und behandelt, wie sie sein soll und nicht, wie sie ist, und man sich dann nur zwei oder drei denken kann, die wirklich hören, so muß es doch eine schöne Wirkung machen (Br. I, S. 338). „Mir ist dieser Beruf immer lieber geworden, auch in seiner unscheinbaren Gestalt und seinem nachteiligen Verhältnis zum Geiste dieser Zeit, und ich glaube, wenn ich ihn aufgeben müßte, würde ich noch tiefer trauern um alles, was ich jetzt verloren habe" (Br. I, S. 362). Mit viel Liebe erteilte er den Konfirmandenunterricht. Piaton war ihm das große Vorbild und Lehrer im Katechisieren. Für seine geistige und wissenschaftliche Fortentwicklung waren zwei große wissenschaftliche Arbeiten von entscheidender Bedeutung. Einmal arbeitete er an der Piatonübersetzung und dann an seinem ersten großen Wissenschaft-

Anfänge in Stolp

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liehen Werk „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre", die er in 11 Monaten angestrengter Arbeit verfaßte und 1803 erscheinen ließ. Diese relativ trockene und umständliche Untersuchung veranschaulichte aber die Veränderung seines Wesens und Lebens. Nach dem Rausch seiner intuitiven romantischen Periode in Berlin kam jetzt die Ernüchterung in stiller und sachlich schwieriger wissenschaftlicher Arbeit. Er empfand zunächst die Analyse der bisherigen philosophischen Ethik als eine tiefe Ernüchterung. „Wieviel tote Buchstaben über den heiligsten und lebendigsten Gegenstand" (Br. I, S. 354). „Wenn ich mir vorstelle, wie . . . die alten Herren sich wundern, wie ich ein so nüchterner und gründlicher Kritiker geworden und abwarten, ob ich eine solche Verwandlung überleben werde. Indes sollen sie bald wieder sehen, daß ich noch der alte Mystiker bin" (Br. I, S. 366). Schleiermacher hat später selbstkritisch dieses Buch einen „ostländischen Kaktuswald" genannt, durch den man schwer hindurchkommen könne, obschon am Ende alles aus einer einzigen Wurzel gewachsen sei. Die Schrift enthält kritische Polemik und radikale Durchleuchtung der in der Geschichte vorhandenen ethischen Systeme. Nur Piaton und Spinoza werden einigermaßen wohlwollend beurteilt. Kant und Fichte werden besonders kritisch untersucht. Das Buch hatte wenig Wirkung. Fichte lehnte es ab, es zu lesen und vielen Lesern erging es so wie Spalding, der bekannte: „Ich komme von Ihren Grundlinien wie von einer Algebra mit dem wehmütigen Seufzer Gellerts gegen Kästner: Und das verstehen Sie nun so alles? Durchgelesen habe ich Sie in ununterbrochener Lesung, aber wie! Wie ein schaufelnder Maulwurf. Nichts, durchaus nichts habe ich verstanden im Zusammenhang" (Br. III, S. 367). Schleiermacher selbst war von tiefem Kleinmut erfaßt. In seinem Brief an Brinkmann vom 14. Dezember 1803 klagt er, wieviele Menschen seine Gelehrsamkeit überschätzten. Es werde mit ihm noch ein

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schlechtes Ende nehmen. In der Philosophie werde er immer nur ein Dilettant bleiben und wenn sich auf diesem Gebiete nichts erhalten könne als systematische Kunstwerke, so werde hier bald keine Spur mehr von ihm gefunden werden (Br. IV, S. 89). Dennoch sind in dieser Sammlung von kritischen Spänen die Ansätze zu den Grundlagen seines späteren Systems zu erkennen. Er will die subjektive und formale Ethik Kants und Fichtes weiterentwickeln zu einer objektiven und materialen Ethik der Güterlehre. Außerdem wird die Idee der Individualität hervorgehoben, die Ausdruck und Organ der Ganzheit sein soll. Endlich ist die Dreiteilung der Ethik in Güter-, Tugend- und Pflichtenlehre hier erstmalig konzipiert. Seine pfarramtliche Tätigkeit veranlaßte seinen kritischen Geist auch zu seinem „unvorgreiflichen Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens in Beziehung auf den Preußischen Staat". Schleiermacher empfahl nicht eine eigentliche Union. Die aufklärerische Nivellierung der konfessionellen Unterschiede lehnte er ab, wie das von dem Verfasser der „Reden" nicht anders zu erwarten war. Schleiermacher schlägt eine Kultusunion vor, die lediglich gegenseitige Zulassung der Kommunikanten beim Abendmahl enthält. Eine neue liturgische Ordnung oder eine neue Abendmahlslehre als Grundlage der Union strebt er nicht an. Seine Reformvorschläge waren für ihn selber nur ein Notruf ohne Hoffnung, die Verhältnisse ändern zu können. In einem Brief an Reimer vom 11. November 1803 (Br. III, S. 370) nannte er seine Vorschläge „eine Rakete, die wieder nichts hilft, als daß man die Finsternis desto besser sieht". 2. Akademische Tätigkeit in Halle In Stolp erhielt Schleiermacher einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Ethik und Praktische Theologie an der neu errich-

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teten Universität Würzburg. Diese Neugründung war ein Teil der aufgeklärten Kulturpolitik des neubayerischen Staates, der seit der Säkularisierung der geistlichen Territorien im Jahre 1803 neue Gebiete — unter ihnen auch protestantische Landesteile — gewonnen hatte. Auf dem Gebiete des Bildungswesens erstrebte dieser neubayerische Staat die Gleichberechtigung der Konfessionen und die staatliche Lenkung des gesamten Bildungswesens. Folgerichtig errichtete er daher neben der katholischen auch eine protestantischtheologische Fakultät, deren erster Professor der Rationalist Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761—1851) wurde. Schleiermacher zögerte zunächst, diesen Ruf anzunehmen; seine Freunde warnten ihn, weil die weitere Entwicklung der protestantisch-theologischen Fakultät unklar und unsicher war. Paulus und Schelling waren mit ihren Vorlesungen am katholischen Widerstand gescheitert. Schleiermacher nahm trotzdem diesen Ruf an, weil ihm eine akademische Predigttätigkeit zugesichert worden war. Dann griff die preußische Regierung ein und berief ihn als Extraordinarius und als Universitätsprediger an die bis dahin lutherische Fakultät der Universität Halle. Die preußische Regierung hatte bei dieser Berufung zwei politische Absichten. Sie wollte die Universität Halle zur ersten und angesehensten Universität des preußischen Staatsgebietes machen. Die Berliner Universität war noch nicht gegründet. Man versprach sich für die Aufwärtsentwicklung der Universität Halle viel von neuen Professoren, die die Aufklärung überwinden wollten. So setzte man viele Hoffnungen auf so junge und lebendige Gelehrte, wie den Naturphilosophen Steffens und den Theologen Schleiermacher. Zweitens beabsichtigte die Regierung, durch die Berufung des reformierten Schleiermacher an eine lutherisch-theologische Fakultät einen Schritt auf dem Wege zur Union zu tun. Die Hallenser Fakultät wehrte sich zwar grundsätzlich

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nicht gegen die Berufung von Schleiermacher, erreichte es aber, daß er zunächst als Extraordinarius berufen wurde. Schleiermacher nahm diesen Ruf an, obwohl er eine geringere Besoldung erhielt, als ihm in Würzburg versprochen worden war und obwohl er Aussicht hatte, eine Dompredigerstelle in Berlin zu erhalten. Er wollte gern in preußischen Staatsdiensten bleiben. Außerdem lockte ihn die Verbindung von akademischem Lehramt und dem Dienst als Universitätsprediger. Nach einem Jahr zog Schleiermacher als Ordinarius in die engere Fakultät ein. So wurde aus der lutherischen Fakultät Halle die erste unierte Fakultät Preußens. Halle war im Oktober 1804 eine Stadt von 13 000 „Zivileinwohnern", zu denen Beamte, Professoren, Studenten, Schüler und Soldaten noch hinzukamen. Im wesentlichen war es aber die Stadt der Schulen. Neben den Franckeschen Stiftungen gab es noch eine Vielzahl anderer Bildungsstätten. Die Universität Halle hatte im Herbst 1804 796 Studenten, eine Zahl, die bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1806 auf 1280 anstieg. Die theologische Fakultät umfaßte im Jahre 1804 347 Studenten. Die Zahl stieg bis 1806 auf 473 an. Die Universität Halle hatte eine ihrer Blütezeiten im 18. Jahrhundert, weil damals die berühmtesten Vertreter der Aufklärung an ihr wirkten. Der Philosoph Christian Wolff gewann beherrschenden Einfluß durch sein System der Philosophie, das eine aufklärerische Umgestaltung der Philosophie von Leibniz war. Ferner untersuchte die aufklärerische historische Kritik das altprotestantische Dogma und besonders die Verbalinspirationslehre der Bibel. Die bedeutsamsten Vertreter dieser historisch-kritischen Aufklärungstheologie waren Baumgarten, Semler und Michaelis. Das geschichtliche Ergebnis dieser aufklärerischen Theologie war die kritische Auflösung der altprotestantischen Bibeltheologie und ihrer Dogmatik.

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Seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts setzte auch in Halle ein bedeutsamer geistiger Wandel ein, der gewisse Linien der Aufklärung wohl fortsetzte, aber auch die Ansätze eines völlig neuen wissenschaftlichen Denkens und Forschens brachte. Diese Wandlung erfolgte in Halle durch vier bedeutsame Neuberufungen. 1783 traten der klassische Philologe Friedrich August Wolf, 1787 der Mediziner Reil und 1804 der Naturphilosoph Steffens sowie Schleiermacher in den Lehrkörper der Universität ein. Diese vier Gelehrten fanden sich als Vertreter eines neuen Geistes zusammen, der die Aufklärung überwinden wollte. In seiner eigenen Fakultät fand Schleiermacher zunächst eine kühle Aufnahme. Er war in den Augen seiner Kollegen der „mystische" Kollege, eine neue Art von Ketzer, der im Verdacht stand, ein Anhänger Schellings und des Pantheismus der neuen Lebensauffassung im Sinne Goethes zu sein. Innerhalb der Fakultät war Niemeyer das angesehenste Mitglied. Als Urenkel August Hermann Franckes war er aus den Franckeschen Stiftungen hervorgegangen und trat besonders durch pädagogische Arbeiten hervor. Wie Melanchthon vertrat er eine Verbindung eines in der Antike wurzelnden Humanismus mit dem christlichen Glauben. Von dort aus versuchte er die pädagogischen Ideen der damaligen Zeit zu koordinieren. Von den Gedanken des Philosophen Wolff und den Ideen Lessings aus bestimmte er das Prinzip der Erziehung und ihre Aufgabe. Alle Kräfte des Menschen seien so zu entwickeln und auszubilden, daß dadurch die letzte Bestimmung des Menschen zur Sittlichkeit erreicht werde. Für ihn war der Gottesglaube das Mittel zu sittlicher Erziehung. Der alte philosophische Lehrer Schleiermachers Eberhard, der noch in Halle wirkte, lehnte seinen ehemaligen Schüler ganz ab. In den Briefen Schleiermachers (Br. III, S. 403) wird folgende Äußerung Eberhards überliefert: „Soweit ist es

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nun gekommen: einen offenbaren Atheisten ruft man nach Halle zum Theologen und Prediger." Dieser alte Aufklärer sprach damit das aus, was alle Vertreter der Aufklärung gegenüber der neuen Religionsphilosophie und Theologie empfanden. Sie verstanden nicht die transzendentalphilosophische Kritik an dem aufklärerischen Gottesbegriff und der in der Aufklärung noch bejahten supranaturalistischen Metaphysik. Die Kritik Schleiermachers und seiner Freunde an der aufklärerischen Religion und ihrem supranaturalistischen Gottesgedanken war für sie Pantheismus und damit Atheismus. Die übrigen Mitglieder der theologischen Fakultät, d. h. der Orientalist Vater und Nösselt, waren kritische Theologen. Besonders Nösselt war der typische Aufklärer. Er erklärte die Verkündigung Christi und der Apostel aus der Anpassung der Predigtweise Christi an die damals geltenden mythologischen Vorstellungen. Die Berichte von Dämonen, Engeln und Besessenen und die neutestamentlichen Wunder reduzierte er auf natürliche und psychologisch-historisch erklärbare Vorgänge. Es gab damals schon eine aufklärerische „Entmythologisierung". Trotz aller dieser kritischen Vorbehalte hielten sie an dem Glauben an einen persönlichen Gott, an seine weise Lenkung der menschlichen Geschichte und an dem Ziel Gottes mit der Menschheit fest. Gott wolle die Menschen zur Aufklärung und Glückseligkeit führen und zur Vollendung im künftigen ewigen Leben. Nösselt war der Spezialkollege Schleiermachers. Beide hielten dieselben Vorlesungen: Theologische Enzyklopädie, Hermeneutik, Dogmatik und Ethik. Noch ferner stand ihm sein pietistischer Kollege Georg Christian Knapp. Allerdings hatte Knapp trotz seiner unbedeutenden wissenschaftlichen Leistungen die vollsten Kollegs. Er verkörperte die Verbindung von Orthodoxie und pietistischem Glauben, war aber bereits durch die Aufklärung in seinem Festhalten an dem Dogma erschüttert. Er

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bewies noch immer aus den supranaturalistisch gedeuteten neutestamentlichen Wundern die Gottheit Christi und aus der Gottesverheißung Christi an die Seinen die Inspiriertheit der Apostel und der Heiligen Schrift. Diese Fakultät von Rationalisten, Supranaturalisten und Spätpietisten ist der Hintergrund für die erste theologische Tätigkeit Schleiermachers als Gelehrter und Professor. Die Intention seiner damaligen theologischen Arbeit und Lehrtätigkeit war durch diesen Gegensatz bestimmt. Schleiermacher erkannte selber ganz deutlich: „daß ich den meisten meiner hiesigen Mitarbeiter ein Dorn im Auge bin" (Br. II, S. 49). Dagegen fand Schleiermacher in anderen Fakultäten und nichttheologischen Lebenskreisen offene Aufnahme und Freundschaft. Im Hause des Komponisten Reichardt in Giebichenstein wurde ihm das Verständnis für die zeitgenössische Musik der beginnenden Romantik vermittelt. Der Verkehr mit Friedrich August Wolf, dem Philologen, war schwierig. Wolf ließ seinem zügellosen Witz und Spott gegen die Theologie und seine Vertreter gelegentlich ziemlich freien Lauf. Er mußte aber andererseits die ernsthafte und bedeutende philologisch-wissenschaftliche Arbeit Schleiermachers anerkennen. Später mußte er sogar die Überlegenheit Schleiermachers in der Interpretation der Philosophie Piatons eingestehen. Wolf vermittelte ihm auch die Bekanntschaft mit Goethe, der seinen Anhänger Wolf im Sommer 1805 in Halle besuchte. Schleiermacher fand aber sowohl 1805 in Halle als auch bei einem späteren Besuch 1814 in Weimar keinen wirklichen Zugang zu Goethe, der ihm fremd blieb. In der weiteren Entwicklung Schleiermachers hatte die Freundschaft mit dem Naturphilosophen Steffens die größte Bedeutung für die Ausbildung seiner philosophischen Lebensansicht. Schleiermacher hatte bisher seine Kulturphilosophie von der Geschichte aus aufgebaut. Obwohl er in

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seinem philosophischen System für die Naturphilosophie, die er Physik nannte, Platz ließ, hat er niemals darüber ein Kolleg gehalten oder sich literarisch über diesen Gegenstand geäußert. Dilthey hat daher mit Recht in seiner Darstellung des Systems Schleiermachers die Naturphilosophie von Steffens dazu benutzt, um diese Lücke im philosophischen System Schleiermachers auszufüllen. Er hat dabei nachgewiesen, daß die Naturphilosophie von Steffens in der Tat genau in dieses System Schleiermachers hineinpaßt*. Mit großer Begeisterung widmete sich der junge Professor Schleiermacher seinen Vorlesungen. In seinen exegetischen Darbietungen befaßte er sich hauptsächlich mit Paulus und sah in ihm die Schlüsselfigur für das Verständnis der Urchristenheit. Aus seinen Studien über die paulinischen Briefe erstand die stilkritische, man könnte beinahe sagen formgeschichtliche Arbeit über den 1. Timotheusbrief, der mit stilkritischen Argumenten die Unechtheit dieses Briefes bewies. Das Schwergewicht lag aber auf seinen Vorlesungen über die Ethik, die Dogmatik und die Hermeneutik. Schleiermacher legte seinen Vorlesungen nicht ein ausgearbeitetes Kollegheft zugrunde. Er fertigte zunächst einen Gesamtplan für die Vorlesung an und hatte für die einzelne Kollegstunde nur einige Notizen und Stichworte zur Verfügung. Er ließ seinem Gedankenfluß freien Lauf, und so waren seine Vorlesungen ein kunstvolles und sehr geistreiches Selbstgespräch, das seine Hörer wohl in den Bann zog und begeisterte, ihnen aber das Folgen und vor allem das Mitschreiben erschwerte. Einer seiner Hörer (Börne) kennzeichnete seine Lehrmethode: „Er lehrte die Theologie

* Vgl. den Bericht Twestens über entsprechende Äußerungen Schleiermachers in seinen Ethikvorlesungen (A. Twesten: Fr. Schleiermacher, Grundriß der philosophischen Ethik, S. XCVII. Berlin 1841).

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wie Sokrates gelehrt hätte, w e n n er Christ gewesen w ä r e " (Börne: W e r k e II, S. 183, Hrsg. v o n Geiger). In diesen Vorlesungen e n t s t a n d e n die Grundlinien seines s p ä t e r e n philosophischen und theologischen Systems. Dilthey beobachtete ganz richtig, daß Schleiermacher solchen Grundlinien, w e n n er sie erst einmal gefaßt hatte, in der späteren Entwicklung meist treu blieb. Das zeigte sich b e s o n d e r s an der Grundkonzeption seines philosophischen Systems, die er in der Ethik und später in der Dialektik durchführte. Es ist sehr bedauerlich, daß er eine druckfertige philosophische Ethik nicht hinterlassen hat, obwohl er sehr zahlreiche V o r l e s u n g e n über sie gehalten hat. Es h a n d e l t sich dabei um die Vorlesungen im W i n t e r s e m e s t e r 1804/05, 1805/06 und 1812/13 und im Sommersemester 1816, 1824, 1827 und 1832. Die Grundkonzeption seiner Ethik ist bereits in den beiden Hallenser Vorlesungen e r k e n n b a r und später nur vielseitiger dargestellt. Es empfiehlt sich daher, die Untersuchung und P r ü f u n g dieser A n f ä n g e seines theologischen und philosophischen Systems im Zusammenhang mit der Darstellung seines Gesamtsystems, die wir in einem b e s o n d e r e n Abschnitt vollziehen, durchzuführen. Uns interessiert aber hauptsächlich das N e u e in der Religionsphilosophie und Theologie, das Schleiermacher in dieser Zeit fand. Denn es ist für das Verständnis Schleiermachers von großer Bedeutung, die Verbindungslinie v o n den „Reden" zur „Glaubenslehre" zu finden. Dieser W e g geht auch über die philosophischen Vorlesungen Schleiermachers, weil er in ihnen seine n e u e Konzeption des Verständnisses der Religion im Z u s a m m e n h a n g mit den philosophischen Erörterungen a u s g e f ü h r t hat*. W e i t e r e Quellen sind die

* Vgl. D i e U n t e r s u c h u n g d e s R e l i g i o n s b e g r i f f e s d e r e i n z e l n e n e t h i s c h e n E n t w ü r f e durch W . D i l t h e y . (W. D i l t h e y : S c h l e i e r m a c h e r s L e b e n Bd. II, S. 551 ff.)

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2. Auflage seiner „Reden" von 1806 und seine nachtsfeier".

„Weih-

Die Weihnachtsfeier Was ist das Neue an seinem theologisch-philosophischen System? Schleiermacher läßt in der Bestimmung des Wesens der Religion den Begriff Anschauung fallen und bezeichnet das Wesen der Religion nur noch als Gefühl der Einheit, des Universums, der Totalität, des Ewigen. Es sei daran erinnert, daß dieser Begriff Gefühl nicht psychologisch zu verstehen ist (vgl. S. 59). Das Gefühl ist der Urakt des Geistes, es ist das unmittelbare Selbstbewußtsein, das durch das Wirken des Universums gesetzt und betroffen wird. Der Gläubige erfährt dieses Selbst als eine Ganzheit, als eine Eigenständigkeit, aber auch vor allen Dingen als Bestimmtheit. In diesem Gefühl wird die Einheit des Selbst als Organ und Symbol Gottes durch die Offenbarung Gottes gesetzt. Schleiermacher vollzieht diese Änderung, weil er die Religion noch viel deutlicher als in der ersten Auflage der „Reden" von der metaphysischen Spekulation unterscheiden will. Der Begriff der Anschauung könnte die Spekulation der intellektuellen Anschauung im Sinne Schellings enthalten. Das Spekulieren will Schleiermacher vermeiden. In diesem Gefühl haben wir Menschen Gemeinschaft mit Gott als der absoluten Einheit und Totalität. Wir erfahren unser Sein als ein Sein in Gott (B. Pünjer, S. 60). Religion ist also das Gefühl, das uns die Gewißheit verleiht, Gott lebt und wirkt in uns. Begriffe, Worte und Symbole haben für das Leben der Religion nur sekundäre Bedeutung. Sie sind lediglich Ausdrucksformen, Darstellungen, Symbole des Lebens. Ferner: Religion ist jetzt Empfangen, Passivität und nicht Produktion. E. Hirsch, der in seiner Geschichte der neueren evangelischen Theologie gerade

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diesen Lebensabschnitt Schleiermachers in Halle und in den Berliner Anfängen sehr lehrreich und lebendig darstellt, hat hier einen letzten Einfluß Fichtes auf Schleiermacher vermutet. Dieser Einfluß ist aber nur erkenntnis-theoretisch formal für die Verwendung des Begriffes Gefühl nachweisbar. Inhaltlich ist das Wesen des religiösen Vorganges bei Schleiermacher etwas ganz anderes als bei Fichte. Er hat immer die Religionsphilosophie und Religionsdeutung Fichtes und dessen Deutung des Selbst als eine Gewaltsamkeit betrachtet. Religion und Gottesgemeinschaft ist für Schleiermacher zunächst Empfangen und ein Bestimmtwerden des unmittelbaren Selbstbewußtseins. Der Akt der Freiheit des Selbst erfolgt gerade aufgrund dieser Bestimmtheit. Die Freiheit basiert auf der Abhängigkeit des Menschen von Gott. Was ist nun für Schleiermacher das Wesen des Christentums? Neben seinem ersten Predigtband gibt darüber seine Schrift „Weihnachtsfeier" Auskunft. Die „Weihnachtsfeier" schrieb Schleiermacher einer plötzlichen Eingebung folgend im Dezember 1804, so daß sie bereits im Januar 1805 gedrucktwerden konnte. Im Unterschied zu den Reden und Monologen erschien diese Schrift nicht mehr anonym. In der Vorrede zur zweiten Auflage, die er im November 1826 abschloß und 1827 veröffentlichte, bekannte er rückblickend: „Die Zeiten sind jetzt anders als vor nun beinahe 21 Jahren, als dieses Büchlein zuerst erschien. Das große Schicksal, welches damals drohend einherschritt, hat seine Rolle ausgespielt und in tausend kleine hat sich der große Kampf zersplittert. Die religiösen Verschiedenheiten, welche hier einander gegenübertreten, wenn sie auch allerdings dem Wesen nach noch fortbestehen, haben doch Farbe und Ton bedeutend geändert, so daß wohl das meiste hier nicht mehr dieselbe Wahrheit hat wie damals." Schleiermacher lehnte es trotzdem ab, die Schrift zu ändern und dem späteren Augenblick

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anzupassen. Er versuchte nur, genauer und bestimmter zu formulieren. Sinn und Absicht dieser Schrift bleiben dieselben wie 1804. „So mag es ein erfreulicher Anblick sein und nicht unwert, als Weihnachtsgabe dargebracht zu werden, wie die verschiedensten Auffassungsweisen des Christentums hier in einem mäßigen Zimmer nicht etwa nur friedlich nebeneinander sind, . . . sondern wie sie sich einander freundlich stellen zur vergleichenden Betrachtung" (WWI/1, S. 463f.). Die literarische Form dieser Schrift ist den Dialogen Piatons nachgebildet. Die „Weihnachtsfeier" enthält ein Gespräch, das in einem Freundeskreis sich mit dem Sinn des Weihnachtsfestes und des biblischen Berichtes von der Christgeburt befaßt. Teilnehmer des Gespräches sind die Gastgeber Eduard und Ernestine, ein Brautpaar Ernst und Friederike, Agnes, die jugendliche Karoline, das halberwachsene und etwas altklug erscheinende Kind Sophie und Leonhard sowie zum Schluß der Herrnhuter Joseph. Die drei Frauen beginnen mit Erzählungen von Weihnachtserlebnissen. Das Weihnachtsfest bringt die religiöse Deutung des Verhältnisses von Mutter und Kind. Jede Mutter ist eine Maria, die Mutterliebe ist das Ewige im Leben der Frauen, der Grundakkord ihres Wesens. In ihren Kindern vernehmen die Mütter, ebenso wie die Gottesmutter Maria, die reine Offenbarung des Göttlichen. Der anschließende Dialog der kritisch denkenden Männer zeigt die theologische und philosophische Problematik des Weihnachtsfestes. In Leonhard ist der historisch-kritische Rationalismus dargestellt, in Joseph ein alle wissenschaftliche Kritik ablehnendes naives Gefühlschristentum; die spekulative Theologie und Religionsphilosophie der Schellingschen Schule ist durch Eduard vertreten. Die Grundkonzeption Schleiermachers findet sich vielleicht am deutlichsten bei Ernst, dem er wohl deswegen seinen eigenen Vornamen

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verlieh, den er von seinem Patenonkel Stubenrauch erhalten hatte. Der Dialog beginnt mit der historischen Kritik des Aufklärers Leonhard. Der historische Jesus steht dem Täufer Johannes näher als dem Apostel Paulus. Vom Leben und der Lehre Jesu gibt es wenig historisch Gesichertes zu berichten. Das heutige Weihnachtsfest ist wohl eine starke kräftige Gegenwart, hat aber kaum einen echten historischen Hintergrund. Die Christgeburtsgeschichte ist eine Legende. Das heutige Weihnachtsfest ist nur ein Sinnbild kindlicher Freude. Wie die Nacht die historische Wiege des Christentums ist, so wird auch dieses Fest in der Nacht begangen. Die Kerzen und Lichter des Weihnachtsabends sind der Weihnachtsstern über der Herberge, ohne den man das Kind im Dunkel der Geschichte nicht finden könne. Diese platte, aufklärerische Vordergründigkeit wird durch Ernst und Eduard kritisiert. Es ist interessant, mit dieser Kritik die kurzen schriftlichen Bemerkungen Schleiermachers zur Kirchengeschichte von 1806 zu vergleichen. In diesem Vorlesungsmanuskript von 1806 verwirft Schleiermacher die reflektierende Empirie der aufklärerischen Geschichtsbetrachtung. Sie läuft auf das Bestreben hinaus, zu großen Begebenheiten kleine Ursachen aufzufinden, also das ganze Resultat der Geschichte für zufällig anzusehen, weil man es nämlich in einem falschen Sinne für notwendig ansieht (WWI/11, S. 624). Es ist eine höhere Behandlung der Geschichte notwendig, „denn die Geschichte stammt vom Epos ab und von der Mythologie, und diese gehen doch offenbar auf die Identität der Erscheinung und der Idee". „Daher ist es gerade das Amt der Geschichte, den einzelnen unsterblich zu machen." „Also bekommt auch das Einzelne erst Haltung und bestimmtes Dasein in der Geschichte durch die höhere Behandlung" (a.a.O., S. 625). Das geschichtliche Verstehen muß sich zwischen Spekulation und Empirie bewähren.

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„Mögen die historischen Spuren, die Sache so in einem niedrigen Sinne kritisch angesehen, noch so schwach sein; das Fest hängt nicht daran, sondern an der notwendigen Idee eines Erlösers" (WWI/1, S. 518). Die historische Begründung des Weihnachtsfestes mag schwach sein. Aber trotzdem ist das Weihnachtsfest nicht bloß ein allgemeines Fest der kindlichen Freude. Es hat vielmehr eine ganz bestimmte sachliche Beziehung auf die Erlösung, den Erlöser und seine Geburt. Wir endlichen Menschen leben nicht in der Einheit und Harmonie der Freude der ursprünglichen Natur. Wir leben heute in dem Zwiespalt von Geist und Fleisch und bedürfen der Erlösung. Darum gibt es für uns Christen kein anderes Prinzip der Freude als die Erlösung. „Und von dieser wiederum muß für uns der erste Punkt sein, die Geburt eines göttlichen Kindes" (WWI/1, S. 517, 1. Aufl. S. 117). In dem ersten Keime des neuen Lebens schauen wir zugleich seine schönste Blüte, seine höchste Vollendung (a.a.O., S. 119). Diesen christologischen Gedanken hat Schleiermacher in der zweiten Auflage von 1827 noch mehr verdeutlicht. Das Weihnachtsfest hängt an der Notwendigkeit eines Erlösers. Aber diese Wirklichkeit wird nicht postuliert, sondern das Weihnachtsfest hängt an der Erfahrung eines gesteigerten Daseins, welches auf keinen anderen Anfang als diesen (den Erlöser) zurückzuführen ist (WWI/1, S. 518/519). „So ist es auch wirklich Christus gewesen, dessen Anziehungskräften diese neue Welt ihre Gestaltung verdankt, und wer . . . das Christentum für eine kräftige Gegenwart anerkennt für die große Form des neuen Lebens, der heiliget dieses Fest" (a.a.O., S. 519). Das höhere Leben, das der Erlöser vermittelt, wird also nicht durch einen Rückschluß auf den Erlöser bezogen, sondern die Kraft des Erlösers wird in diesem höheren Leben angeschaut und erfahren. Hier liegt bereits die christologische Grundkonzeption vor, die Schleiermacher später in der Glaubenslehre weiter

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ausgeführt hat. Dilthey urteilt daher, die Weihnachtsfeier sei die beste Einleitung in das Studium der Dogmatik Schleiermachers (Dilthey: Leben Schleiermachers I, 2. Aufl., S.775). Der junge Hallenser Professor war damals gerade dabei, seine dogmatische Vorlesung zu entwerfen. Grundlage und Ausgangspunkt seiner dogmatischen Untersuchungen ist die Tatsache des christlichen „Gesamtlebens". Dessen Ursprung wird in Christus gefunden. Es handelt sich dabei nicht um den historischen Jesus, sondern um den Christus, dessen Bild später für ihn in der Dogmatik als eine „Gesamttat" und als ein Gesamtbesitz in der Gemeinde wirkt (Glaubenslehre, 2. Aufl. § 88 Abs. 3). Gleichzeitig mit seiner Dogmatik entwarf Schleiermacher in dieser Zeit die Grundkonzeption seiner philosophischen Ethik als einer Lebens- und Geschichtsphilosophie. Diese spekulativen Gedanken finden innerhalb der „Weihnachtsfeier" in der dritten Rede Eduards ihren Ausdruck. Schleiermacher gibt eine spekulative Deutung des berühmten Anfangs des Johannesevangeliums. Von hier aus findet er den geistigen und höheren Sinn des Weihnachtsfestes: die Inkarnation des Wortes im Fleisch. Das Fleisch ist das Irdische, Endliche, Sinnliche und das göttliche Wort ist Gedanke, Erkennen (1. Aufl., S. 125/26). „Das Fleischwerden (der Vernunft) ist also das Hervortreten dieses Ursprünglichen und Göttlichen in jener Gestalt. Was wir sonach feiern, ist nichts anderes als wir selbst, wie wir insgesamt sind oder die menschliche Natur oder, wie ihr es sonst nennen wollt, angesehen und erkannt aus dem göttlichen Prinzip." Schleiermacher knüpft mit diesen Gedanken zweifellos an die achte Vorlesung Schellings an, die dieser innerhalb seiner Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums wenige Jahre vorher veröffentlicht hatte*. * V g l . d i e B e s p r e c h u n g d e r W e i h n a c h t s f e i e r durch S d i e l l i n g in d e r J e n a e r L i t e r a t u r - Z e i t u n g v o n 1807 ( S d i e l l i n g W W 1/7, S. 498 ff.). S d i e l l i n g miß-

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Schleiermacher war bereits damals kritisch gegenüber Schellings spekulativer Ansicht von Christus. Er findet in seiner Besprechung der genannten Schrift Schellings die „hohe Willkür etwas verwischt, die von dieser Seite doch der Schlüssel des Christentums sein möchte" (Br. IV, S. 586). Schleiermacher will die Idee des Christentums nicht wie Schelling in einem reinen spekulativen Begriff darstellen. Sein Begriff der Inkarnation will die kontingente Tatsache des Eingehens in das geschichtlich Konkrete festhalten. Dadurch löst er sich auch von Piatons Ideenlehre. Die platonischen Ideen sind Urbilder des reinen Seins. Daher kann es konsequenterweise nicht möglich sein, daß diese Urbilder in dem Endlich-Geschichtlichen erscheinen. Die Welt der Gegensätze und des Werdens, die endliche Welt kann nur Abbild der Ideen und Urbilder sein. Schleiermacher dagegen unterscheidet zwar das ewige Sein und das endliche Werden. Aber das ewige Sein geht in den Werdeprozeß der Geschichte ein. Der Geist, die Ideen offenbaren sich im geschichtlichen Prozeß der Menschheit dadurch, daß die Menschheit zum Selbstbewußtsein gelangt. Der Mann kann nicht in der Welt der Urbilder und Ideen leben. Der einzelne Mensch lebt in der Welt der Gegensätzlichkeit, des Werdens, der Zwietracht und der Verwirrung. Diese Zwietracht und Verwirrung wird aber dadurch aufgehoben, daß das Urbild der Menschheit in die Geschichte eingeht und die einzelnen Menschen zur Gemeinschaft zusammenfügt. Diese Befreiung der einzelnen Menschen aus Zwietracht und Verwirrung ist die Erlösung. Der Grundgedanke des Christentums, ist diese Befreiung der Menschen zum höheren Leben der Menschheit. Christus ist dieses Urbild, das die Idee der wahren Menschheit verkörpert. Der einversteht den Kirchenbegriff Schleiermachers im Sinne einer partikularen klerikalen Institution und empfiehlt statt dessen die universalere überkonfessionelle geistige Gemeinschaft der öffentl. Nationalreligion.

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zelne Mensch ist aber nicht eine Modifikation der Gottheit. Der Mensch an sich ist nicht Gott, sondern der Erdgeist. Dieser Erdgeist ist das Erkennen der Erde in seinem ewigen Sein und seinem immer wechselnden Werden (1. Aufl., S. 126). So ist in der Idee des Menschen der Geist nach Art und Weise unserer Erde entfaltet. Die Gemeinschaft des höheren Lebens ist die Kirche. Diese Kirche muß aber einen Anfangspunkt haben, und dieser Anfangspunkt muß Christus sein, weil er das Selbsterkennen unabhängig in sich trägt. „In Christo sehen wir also den Geist nach Art und Weise unserer Erde zum Selbstbewußtsein in dem einzelnen sich ursprünglich gestalten" (WW 1/1, S. 523). Diese philosophische Spekulation bestimmt die philosophische Ethik Schleiermachers. Die Kirche ist nichts anderes als Gemeinschaft der Menschheit, in der sich der sittliche Prozeß der Menschwerdung des Menschen und das Wahrhaftigwerden seiner Existenz vollzieht. Der christliche Glaube ist daher das höhere Selbstbewußtsein der Menschheit. Die spekulative Wissenschaft ist das Kennzeichen der Glieder dieser kirchlichen Gemeinschaft. Das höhere christliche Selbstbewußtsein können aber die Nichtphilosophen unter den Christen selbstverständlich auch haben, aber nur in der „Empfindung" und nicht in der „Erkenntnis" (1. Aufl., S. 128). Das humanistische Selbstverständnis der Menschheit von ihrem wahren höheren Leben und das christliche Glaubensleben sind daher in der „Weihnachtsfeier" eng miteinander verbunden, ja sie sind letztlich inhaltlich identisch. Das ist ein Standpunkt, den Schleiermacher später nach der Kehre seines Denkens seit 1811 verworfen hat (Glaubenslehre, 2. Aufl. § 14,2). In der „Weihnachtsfeier" verbindet der Hallenser Professor das wahrhaft Menschliche mit dem Christlichen. Die christliche Weihnachtsfreude ist die Vollendung der Humanität. Andererseits ist jede echte Humanität das hö-

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here Leben des christlichen Glaubens. Christologische Spekulation verbindet sich mit der Humanitätsidee der idealistischen Philosophie. Am Schluß der kritischen Dialoge nimmt Schleiermacher die christologischen Spekulationen zurück in den Einwänden des Herrnhuters Joseph gegen das „schlechte Prinzip", gegen Leonhardt, den reflektierenden dialektischen überverständigen Menschen. „Der sprachlose Gegenstand verlangt . . . eine sprachlose Freude" (WWI/'l, S. 524). Joseph fühlt sich neugeboren wie ein Kind in einer „besseren Welt, in welcher Schmerz und Klage keinen Sinn hat". Der weitere Lebensgang Schleiermachers wurde durch die politischen Ereignisse, besonders durch die Niederlage Preußens im Krieg mit Napoleon bestimmt. Die Stadt Halle wurde von französischen Truppen in Straßenkämpfen erobert und besetzt. Schleiermacher gewährte seinen Freunden Gass und Steffens — letzterem sogar mit Familie — in seiner Wohnung in der Märkerstraße Unterkunft. Sie wurden dort ausgeplündert und erhielten lästige Einquartierung. Hart traf die Freunde die Vertreibung der Studenten aus Halle und die Auflösung der Universität selbst. Trotzdem blieb Schleiermacher in der Stadt. Er war fest davon überzeugt, daß für Preußen und Deutschland eine bessere Zukunft bevorstand. Die Zerstörung des alten preußischen Staates war für ihn nur eine Durchgangsstufe. Was alt und gebrechlich war, mußte fallen, damit ein neues Preußen und Deutschland um so kräftiger sich entfalten könne. Das war seine Hoffnung. „Was auf Sand gebaut war, muß einstürzen in dieser stürmischen Zeit" (an Varnhagen, 17. November 1806). „Die Zuchtrute muß nun schon über alles gehen, was deutsch ist; nur unter dieser Bedingung kann hernach etwas tüchtig Schönes daraus entstehen. Wohl denen, die es erleben; die aber sterben, daß sie im Glauben sterben" (Br. II, S. 77). Wie wenige Pro-

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fessoren und Vertreter der geistigen Schichten Deutschlands lehnte er Napoleon entschieden als fremden Eroberer und Diktator ab. Als der französische Beamte, der bei ihm einquartiert war, ihn aufforderte, den Einzug Napoleons in Halle mit anzusehen, versuchte er sich dieser Aufforderung zu entziehen. Man vergleiche mit dieser Ablehnung Napoleons die Verehrung, die Goethe und Hegel damals dem französischen Eroberer entgegenbrachten. Der unerschütterliche Glaube an Preußens Wiederherstellung gaben ihm die innere Ruhe und die Kraft, in dieser turbulenten Zeit sich seinen wissenschaftlichen Arbeiten zu widmen. Er förderte seine Platon-Übersetzung, er schrieb eine Rezension über Fichtes „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" und er verfaßte in dieser Zeit das Sendschreiben über den Timotheus-Brief, das in der neutestamentlichen Literatur-Kritik der damaligen Zeit große Bedeutung erlangte. Schleiermacher entschloß sich auch, zunächst in Halle zu bleiben, weil er die Hoffnung hatte, daß Halle bei Preußen blieb und seine Universität wieder eröffnet würde. Solange er in Halle noch „Kartoffeln und Salz" auftreiben könne, wollte er in Halle bleiben und das Schicksal Deutschlands abwarten. Eine sehr verlockende Berufung als Pfarrer an die Stephanskirche in Bremen, die ihm alle wirtschaftlichen Sorgen sofort abgenommen hätte, lehnte er ab. Neben den wissenschaftlichen Arbeiten entfaltete er in den Jahren 1806 und 1807 in Halle eine sehr wirkungsvolle Predigttätigkeit. Schleiermacher hatte schon bei seiner Berufung Wert darauf gelegt, einen akademischen Gottesdienst einzurichten. Erst am 3. August 1806 stand ihm die Universitätskirche zur Verfügung. Zum Eröffnungsgottesdienst fanden sich 700 Studenten zusammen, und Schleiermacher predigte über den Text Römer 1, 16. Bereits Mitte September wurde die Universitätskirche durch das preußische Militär beschlagnahmt und als Kornmagazin verwandt. Schleiermacher

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verlegte seine Predigttätigkeit in die Ulrichskirche. Allmählich stellte sich jedoch heraus, daß er in Halle nicht bleiben konnte. Neue politische und wissenschaftliche Aufgaben zogen ihn nach Berlin. 3. Sein Wirken in Berlin a) Der Patriot

und

Politiker

Während seines Aufenthaltes in Halle erwachte in dem Sohn des preußischen Feldpredigers der preußische und deutsche Patriot, der mit den Reformern des preußischen Staates und ihren politischen Ideen in nähere Verbindung trat. Ebenso wie diese Reformer forderte Schleiermacher schon vor dem Zusammenbruch des preußischen Staates eine gesellschaftspolitische und soziale Neuordnung dieses Staates. Ursprung dieser Reformideen war der neue vaterländische Gedanke. Schleiermacher wurde in dieser Zeit der Verkündiger einer neuen politischen Ethik, die die Werte von Heimat, Volk und Staat von der neu entstehenden protestantischen Ethik aus entdeckte und eine neue Periode des protestantischen Staatsverständnisses und der politischen Diakonie der kirchlichen Predigt an den öffentlichen Anliegen des Staates einleitete. Im Anfang seiner ethischen Gedanken stand die Idee der Individualität im Vordergrunde. Aus der Idee der Individualität wurde nun das moralische Selbst, das seine Freiheit im Dienst für Volk und Staat betätigte. Menschliches Leben ist unlebendig, wenn es nicht am Leben des Staates und des Volkes teilhat. Unter der Fremdherrschaft staatenlos und heimatlos zu leben, ist eigentlich kein Leben. Ferner wird die Idee der Individualität auf das geschichtliche Werdewesen Volk als eine Sozialindividualität ange-

W i r k e n in Berlin

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wandt. Gott, der Herr der Geschichte, bedient sich bei seiner Weltregierung bestimmter Ordnungen. Zu diesen Ordnungen gehören auch die geschichtlichen Individualitäten der V ö l k e r und Staaten. In dieser Geschichtstheologie werden jetzt die Reste romantisch-ästhetischer Frömmigkeit ausgelöscht. Die Geschichte der Menschheit ist nicht mehr Gegenstand der ästhetischen Betrachtung. Der Ablauf der Geschichte der Menschheit ist nicht ein harmonisches friedliches Ganzes und der Prozeß einer kontinuierlichen Perfektion. Die Menschheitsgeschichte ist ein Leben des Kampfes, der Entscheidungen, auch der Katastrophen und Zusammenbrüche, der Opfer und der Leiden. Aber gerade in diesen harten Auseinandersetzungen setzt sich der W i l l e Gottes durch. Es siegt letztlich die Gerechtigkeit und die W a h r heit. Dilthey hat in seinem Aufsatz über Schleiermachers politische Gesinnung* mit Recht in dieser Zeit einen W a n d e l und einen Reifungsprozeß in Schleiermachers Frömmigkeit und Gottesanschauung dargestellt. Der christliche Glaube ist nicht mehr nur eine passive Haltung des unmittelbaren Selbstbewußtseins, das er das Gefühl nennt, sondern der Glaube ist jetzt im wesentlichen Gesinnung, d. h. Antrieb, Wille, Handlung. Aus dem mehr passiv eingeteilten Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit und der Innerlichkeit des unmittelbaren Selbstbewußtseins wird jetzt ein sehr entschlossener Vorsehungsglaube. Dieser Vorsehungsglaube bezieht sich nicht nur auf Leiden und Glück des einzelnen Christen, sondern er ist auf das Handeln Gottes in der Geschichte überhaupt bezogen. Er ist erfüllt von der Gewißheit, daß das göttliche Gesetz, welches in dem frommen Gewissen gebietet, und die göttliche Urkraft, welche die menschliche Geschichte lenkt, identisch sind. Gott ist jetzt nicht nur das Unendliche, das Universum, die absolute Totalität als Grund und Einheit der Weltgegen* W . Dilthey, Gesammelte Schriften Bd. 12, S. 1 ff.

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sätze, sondern Gott ist der Herr der Geschichte, er ist der Herr über alle Werte und Güter der Welt. Der Zusammenbruch des preußischen Staates ist ihm nicht ein zufälliges Unglück, sondern er erkennt darin den Willen Gottes, der durch die Niederlage zum Sieg führt. Der Predigt, die Schleiermacher am 28. März 1813 anläßlich des Kriegsausbruches in Berlin hielt, legt er den Text aus Jeremía zugrunde: „Plötzlich rede ich wider ein Volk und Königreich, daß ich es ausrotten, zerbrechen und verderben wolle." Er entnimmt diesem Text nicht eine Drohung gegen Frankreich, sondern er hört darin das Gericht über das eigene Volk. Der Zusammenbruch des preußischen Staates ist Gottes Gericht darüber, daß der preußische Staat die alten Tugenden vergessen habe und in einer Flut von Eitelkeit und der Verschwendung nicht mehr auf die Stimme Gottes gehört habe. Die Rückkehr zu Gott ist die Rettung. Es gilt darum, Gottes Werk und Gebot in der individuellen Art des deutschen Volkstums und des geschichtlich gewordenen preußischen Staates zu erkennen und zu befolgen. Gott will das Volk beschützen, das den eigentümlichen Sinn und Geist, den Gott der Herr ihm anerschaffen hat, und seine Freiheit und Selbständigkeit erhalten will. Für dieses Vaterland und diese Freiheit gilt es, das Leben zu wagen. Schleiermacher weiß um die Unerforschlichkeit der Ratschlüsse Gottes, die uns Menschen Schranken setzen, wo wir vor Begeisterung und Ubermut zu schnell vorwärtsschreiten wollen. Der Christ soll sich bei seinem Einsatz für das Vaterland nicht auf Menschen und auf sein eigenes Planen verlassen, sondern nur auf Gottes Kraft vertrauen und im Gehorsam die Wege gehen, die Gott uns führt. Hier ist nicht ein Nationalismus, der das Volk und den Staat absolut setzt. In seinen Predigten sind Volk und Staat nicht ewige Werte. Die neue Nationalbegeisterung ist nicht ein Ersatz für verlorene christliche Gläubigkeit. Der Leser des 20. Jahrhun-

B i l d n i s e i n e s u n b e k a n n t e n M e i s t e r s . Ursprünglich im B e s i t z der D r e i f a l t i g k e i t s g e m e i n d e . D a s O r i g i n a l ist zers t ö r t . R e p r o d u k t i o n befindet sich in der D e u t s c h e n S t a a t s b i b l i o t h e k in B e r l i n .

Photographische Reproduktion einer SchleiermacherBüste. Im Besitz der Familie Dr. Goldschmidt in Kiel. Diese Büste wurde durch Arno Breker nach dem Originalmodell von Christian Daniel Rauch hergestellt.

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derts, der einen völlig säkularisierten und daher zuchtlosen Nationalismus und Chauvinismus erlebte, muß sich das vor Augen halten. Das objektive historische Verstehen erfordert diese Differenzierung zwischen den Anfängen des deutschen Nationalbewußtseins auf dem Hintergrund christlicher Humanität und dem säkularisierten entarteten Spätnationalismus des 20. Jahrhunderts. Der patriotische Prediger der deutschen Befreiungskriege hat bereits 1817 in seiner Schrift „über die für die protestantische Kirche des Preußischen Staates einzureichende Synodalverfassung" sehr kritisch die Gewissensfrage gestellt, ob das Wiederaufleben der Frömmigkeit in den Kriegsjahren nicht nur Traum und Selbsttäuschung gewesen sei (WW 1/5, S. 255). „Neuerdings haben wir freilich die großen Taten, welche die Welt bewundert, unter dem Panier der Frömmigkeit verrichtet, und die Welt ist über diese scheinbare Verwandlung erstaunt. Sie (die Welt) wird nun . . . erkennen wollen, wieviel Wahrheit an jenem Vorgeben gewesen und ob wirklich Gott und nicht bloß die Not und die Rache uns begeistert und geleitet haben." Schleiermacher hat später in seiner christlichen Sittenlehre das noch deutlicher formuliert: „Wo die Volkseinheit der letzte Beziehungspunkt ist, da ist auch nichts als Eigenliebe, also keine Sittlichkeit" (Chr. Sitte, W W 1/12, S. 476). Eigenständigkeit der Sozialindividualität Volk und Staat und autonome Eigenmächtigkeit sind etwas völlig Verschiedenes. Es ist eine harte, entschlossene, männliche Frömmigkeit, die den jungen Professor erfüllt. Dilthey meint, daß in Schleiermacher noch etwas von dem Geist seiner reformierten Vorfahren lebe. Man muß aber auch eine andere Seite sehen. Einer der Hauptgedanken Schleiermachers ist es: Die Gottesfurcht überwindet die Menschenfurcht. Der Einsatz für Volk und Vaterland ist theonom begründet. Fichte sagt in seinen Reden: Du sollst. Schleiermacher begründet: Gott will es. Sein Staat ist nicht ein 5 Redeker, Schleiermadier

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autonomer Wohlfahrts- und Glückseligkeitsstaat. Wer in sich den Impuls des göttlichen Geistes im Glauben erfährt, der ist erst recht tüchtig zu der richtigen Selbstbestimmung menschlicher und politischer Freiheit. Wo das Christentum den Prozeß der Talent- und Naturbildung ,adoptiert', da geht jetzt die sittliche Bildung nicht nur vom natürlichen Menschen aus, sondern wird vom göttlichen Geiste getragen. (Vgl. a.a.O. S. 481.) So hat Schleiermacher im Kampf gegen Napoleon alle Halbheit und Unentschlossenheit verworfen. Er war selbst bereit, in der nationalen Verteidigung die Waffen zu ergreifen und hat an den Landwehrübungen teilgenommen. Dennoch hat er die Problematik des Kampfes um die Freiheit in nationaler Selbstbehauptung und die Gebote der christlichen Nächstenliebe, die dazu in Spannung stehen, empfunden. Der Krieg ist nur gerechtfertigt um des Friedens willen, den er erwirken soll. Rein christlich ist ihm nur die Idee des ewigen Friedens. Diesen ewigen Frieden kann man aber hier auf Erden durch Rechtsvertrag und materielle Garantie nicht herstellen. Seine Geschichtstheologie ist so realistisch, daß er die Auswirkungen des nationalen Egoismus und des dämonischen Eroberungswillens richtig einschätzt. Der ewige Friede ist daher die esdiatologische Forderung des Reiches Gottes und ist ein Stachel im Gewissen der Christen (Chr. Sitte, W W 1/12, S.485), aber auf Erden nicht realisierbar. Diese politische Ethik verkündete Schleiermacher in der Hauptsache durch seine Predigten, die in Halle und in Berlin eine große Anzahl von tief beeindruckten Gottesdienstbesuchern anzogen. Steffens berichtet von der Kanzelwirksamkeit Schleiermachers in Berlin: „Wie er die Gesinnung der Einwohner hob und r e g e l t e . . . ; Berlin ward durch ihn wie umgewandelt." „Sein mächtiger, frischer, stets fröhlicher Geist war einem kühnen Heere gleich in der trübsten Zeit" *. * Henridi Steffens: Was idi erlebte. Bd. VI, S. 271 f. Breslau 1842.

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Die politischen Predigten Schleiermachers hatten ihre Wirksamkeit nicht dadurch, daß sie auf politische Ereignisse anspielten oder in der üblichen Weise die Obrigkeit als eine Macht zitierten, unter welcher wir ein ruhiges Leben führen sollten. Es war auch nicht eine Predigtweise im wilden Stil einer fanatischen Sekte. Die Wirkung bestand darin, daß er in neuer Weise diese politische Ethik aus dem christlichen Glauben entspringen ließ und zeigte, wie aus dem christlichen Glauben und besonders aus dem christlichen Vorsehungsglauben und der christlichen Geschichtstheologie starke neue Impulse des politischen Handelns entspringen. Im Jahre 1808 begann eine kurze Episode im Leben Schleiermachers, in der er auch in die praktische Politik mit eingriff. Es sammelten sich damals die preußischen Patrioten und versuchten, durch geheime Agitation den Volksaufstand und den Volkskrieg gegen Napoleon vorzubereiten. In Berlin bestand ein solches nationales Komitee, an der Spitze stand Graf Chasot. Der eigentliche Motor dieses Kreises aber war der damalige Kammergerichtsassessor Eichhorn, der spätere preußische Unterrichtsminister. Die Mitglieder dieser patriotischen Vereinigung reisten in die verschiedensten Provinzen des preußischen Staatsgebietes und versuchten, ihre Freunde zu sammeln, die sie unter den vielen entlassenen Offizieren der preußischen Armee und den Beamten der verlorenen preußischen Provinzen fanden. Eine politische Reise führte Schleiermacher auch nach Königsberg. Er machte dort Steins Bekanntschaft und beriet sich auch mit Gneisenau und Scharnhorst. In Privataudienz wurde er von der Königin Luise, die den patriotischen Kreisen besonders nahe stand, und der Prinzessin Wilhelm empfangen. Dilthey hat in dem genannten Aufsatz aus den Briefen Schleiermachers die noch vorhandenen Zeugnisse für diese seine politische Tätigkeit zusammengestellt. Schleiermacher ist den W e g der 5'

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Agitation, aber nicht den Weg der Verschwörung gegangen. Dem Tugendbund ist er nicht beigetreten, aber er beteiligte sich an der Arbeit freier Komitees. Ihr Ziel war der Volksaufstand gegen Napoleon im Winter 1808/09. Aber die Politik des Zaren und der Erfurter Fürstentag verdarben den Patrioten dieses Spiel. Die preußische Kriegspartei wurde erst durch Stein 1811 unter günstigeren Umständen neu belebt. Eine weitere politische Beteiligung Sdileiermachers war seine kurze Mitwirkung als Beamter in der Unterrichtssektion des Innenministeriums. Der älteste Sohn des Hauses Dohna, Alexander, wurde als Nachfolger Steins Minister des Inneren von 1808 bis 1810. Er berief Schleiermacher zum Direktor der Berliner wissenschaftlichen Deputation und dann zum Mitglied der Unterrichtssektion im Ministerium des Inneren. Er hat durch Gutachten, die noch erhalten sind und von Kade gesammelt wurden*, an der Neugestaltung des preußischen Schulwesens mitgewirkt. Der Minister Schuckmann, der Schleiermacher nicht freundlich gesonnen war, ergriff 1814 die Gelegenheit, ihn als Beamten abzulösen, als er Sekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften wurde. Schleiermacher wurde nach 1814/15 den preußischen Politikern, die von Revolutionsangst erfüllt waren, verdächtig. Er wünschte die Durchführung der Steinschen Reformen, aber auch eine konstitutionelle Monarchie mit einer Verfassung und einem Parlament, wie es der König 1813 seinem Volke versprochen hatte. Die konservativen Kreise Preußens, die eine Liberalisierung des preußischen Staates verhindern wollten, betrachteten Schleiermacher mit Argwohn. Besonders machte er sich den ultrakonservativen Kreisen Preußens durch seine Tätigkeit als Journalist und Redakteur im Jahre 1813 ver* Franz Kade: Schleiermadiers Anteil an der Entwicklung des preußischen Bildungswesens von 1808—18. Leipzig 1925.

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dächtig. In diesem Jahre wurde durch Niebuhr eine Zeitung gegründet mit dem Namen „Der preußische Korrespondent", der viermal wöchentlich erschien. Schleiermacher mußte am 25. Januar die Leitung übernehmen. Er geriet bald in Konflikt mit der preußischen Zensur. Anstoß erregte besonders ein Artikel vom 14. Juli, in dem er die preußische Politik als nicht entschlossen genug kritisierte. Vor allem sprach er sich gegen einen vorzeitigen Friedensschluß mit Napoleon aus. Wie Schleiermacher dachten alle preußischen Patrioten; drei Monate später wurde Napoleon bei Leipzig geschlagen. In diesen drei Monaten hatte die Zensur aber die Möglichkeit, sich mit Schleiermachers Artikel eingehend zu beschäftigen. Der Minister Hardenberg erwirkte sogar eine höchste Mißbilligung des Königs, und umgehend erging Kabinettsorder: „Ich trage Ihnen auf, demselben seine Dienstentlassung anzukündigen und ihm anzudeuten, binnen 48 Stunden Berlin zu verlassen und sich über SchwedischPommern ins Ausland zu begeben. Mache Sie auch verantwortlich dafür, daß dieser Befehl pünktlich zur Ausführung gebracht wird." Dieser Befehl wurde allerdings nicht durchgeführt und Schleiermacher erfuhr von ihm nichts. Am 19. Juli erhielt Schleiermacher einen Verweis. Der Zeitungsartikel verkündige angeblich die Notwendigkeit einer Umwälzung der preußischen Staatsformen durch gewaltsame Ereignisse. Das sei Hochverrat. Es wurde ihm aufgetragen, sich jeder politischen Einmischung, die ihm als Geistlichen und Lehrer am wenigstens zustehe, zu enthalten oder unfehlbar Entsetzung vom Dienst zu gewärtigen. Schleiermacher äußerte sich gegenüber dem Verleger dieser Zeitung, die Geschichte habe ihm nur Spaß gemacht (24. Juli 1813, Br. II, S. 305). Er fügte hinzu: „Das ist alles aus einem Stück, und sie nennen es einen entscheidenden Sieg über die Steinsche Partei. Das sind so die ersten Früchte von Scharnhorsts Tod. Doch laß nur gut sein, die gute Sache

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wird doch siegen." Schleiermacher redigierte die Zeitung tapfer weiter bis Ende September. Er geriet aber wiederum mit den Behörden in Streit. Hardenberg erteilte ihm am 22. Oktober 1813 einen erneuten Verweis. „Der preußische Korrespondent" stellte dann am 30. Dezember 1814 seiA Erscheinen ein. Schleiermachers Erfahrungen in der Zeit der Demagogenverfolgung In diese Zeit fällt Schleiermachers Auseinandersetzung mit dem Senior der Juristischen Fakultät in Berlin, Geheimrat Schmalz. 1815 ließ Schmalz eine Schrift erscheinen über „politische Vereine und ein Wort über Scharnhorst und meine Verhältnisse zu ihm". Schmalz war selber Freimaurer, er hatte dem Tugendbund angehört und verdächtigte jetzt trotzdem seine ehemaligen Gesinnungsfreunde als Revolutionäre. Niebuhr und Schleiermacher antworteten auf diese Schrift. Selten hat Schleiermacher in der Polemik eine so scharfe Sprache geführt. Sie machten der Schrift von Schmalz den Vorwurf, daß sie jeden, der eine Verfassung wünsche, als Hochverräter verdächtige, weil eine Verfassung die Macht der Fürsten schwächen könne. Schleiermacher hatte es nunmehr mit der konservativen Partei im damaligen Preußen verdorben. Der preußische König verbot die Fortsetzung dieses literarischen Krieges und Schmalz bekam den preußischen Roten und Schwarzen Adlerorden. Als Freunde und Kollegen Schleiermacher hintergründig fragten, warum er nicht auch den Adlerorden erhalten hatte, antwortete Schleiermacher mit dem Bibelzitat: „Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler"*. Hauptsächlich wurden die preußischen und auch die meisten deutschen Universitäten politisch diffamiert, weil die deutschen * A. H a u s r a t h : Ridiard Rothe und seine Freunde Bd. I, S. 109.

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Studenten mit der Ermordung des Dichters Kotzebue durch den Theologiestudenten Karl Sand am 23. März 1819 in Verbindung gebracht wurden. Der Berliner Theologieprofessor De Wette, ein Fakultätskollege Schleiermachers, schrieb an die Mutter des Studenten Sand, der hingerichtet wurde, einen Trostbrief. Diese seelsorgerliche Handlung wurde ihm sehr übel genommen. Er mußte seine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst einreichen. Schleiermacher und der Senat der Berliner Universität verwandten sich für De Wette. Trotzdem mußte er seinen Dienst in Preußen quittieren. Auch Schleiermacher geriet in das Zwielicht der Verdächtigungen. Sogar Freunde aus der preußischen Reformzeit, wie Gneisenau, zogen sich von ihm zurück. Sein Berliner Kollege Hegel trat seit der Affäre von De Wette in Gegensatz zu Schleiermacher und erlaubte sich zynische, herabsetzende Bemerkungen in der Einleitung zu seiner Rechtsphilosophie und Religionsphilosophie. Die nationalen Ideen waren für ihn ein „Gedankenbrei". Zu einem Vorgehen gegen Schleiermacher kam es im Jahre 1823. Man hatte bei der Durchsuchung der Wohnung von Ernst Moritz Arndt Briefe gefunden, die Schleiermacher an seinen Schwager geschrieben hatte und in denen einige unvorsichtige Äußerungen gegen den preußischen König standen. Schleiermacher gelang es aber, in der Untersuchung die Harmlosigkeit der Angelegenheit nachzuweisen, so daß das Verfahren eingestellt wurde. Trotzdem war das Verhältnis Schleiermachers zum preußischen König Jahre hindurch gestört. Erst im Jahre 1830/31 anläßlich der französischen Juli-Revolution trat eine Wandlung ein. In einer Pariser Zeitung wurde über Schleiermacher berichtet und er als Führer einer politisch liberalen Revolutionspartei in Berlin bezeichnet. Schleiermacher, den echten Preußen, empörte das so stark, daß er in der Allgemeinen Preußischen Tageszeitung eine Gegenerklärung veröffentlichte. Er

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wollte mit der französischen Revolution, insbesondere der Juli-Revolution von 1830, nichts zu tun haben. Der entschiedene Verehrer der Freiheit und der Vaterlandsliebe war zu gleicher Zeit ein entschlossener Preuße. Dazu gehörte für ihn auch die Anerkennung der preußischen Monarchie, was den Wunsch nach einer Verfassung nicht ausschloß. Der König lenkte nach diesem Bekenntnis Schleiermachers ein. Er bat Schleiermacher sogar um die Vermittlung mit dem konfessionellen Luthertum, das aus der preußischen Staatskirche austreten wollte, und verlieh ihm als Zeichen der Versöhnung den Roten Adlerorden III. Klasse, den ersten und einzigen Orden, den Schleiermacher von seinem König erhielt.

b) Der Professor der Berliner

und Begründer Universität

Schleiermachers maßgeblicher Anteil an der Gründung der Berliner Universität ist in der Literatur über die Geschichte der Berliner Universität nicht immer klar genug zu erkennen. Das hängt damit zusammen, daß Schleiermacher beim Beginn der Universitätsplanungen noch keine führende Rolle spielte. Nach dem Zusammenbruch des preußischen Staates 1806/07 und nach dem Verlust der westlichen Gebiete waren für Preußen alle westlichen Universitäten und besonders auch Halle verlorengegangen. Daher entstand der dringende Wunsch, neben Königsberg und Frankfurt/Oder eine dritte Universität in Berlin zu begründen und dafür einen wesentlichen Teil der Professoren der Universität Halle nach Berlin zu berufen. Eine Deputation von Hallenser Professoren reiste daher nach Memel, um dem preußischen König unmittelbar diese Wünsche vorzutragen. Der preußische König

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Friedrich Wilhelm III. stimmte zu und formulierte nach den Berichten des Professors Schmalz dabei das später berühmt gewordene und viel zitierte Wort: „Der preußische Staat müsse durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren habe." Der Kabinettsrat Beyme forderte zunächst eine Reihe von Gelehrten zu einem Gutachten für die bevorstehende Universitätsplanung auf; unter ihnen auch Fichte, während Schleiermacher zunächst nicht berücksichtigt wurde. Schleiermacher meldete sich aber selber zu Wort mit einer anonymen Schrift unter dem Titel „Gelegentliche Gedanken über deutsche Universitäten im deutschen Sinne", die in Berlin im Frühjahr 1808 erschien. Vorher hatte Beyme ihm aber mitteilen lassen, daß er für eine Berufung an die Universität Berlin vorgesehen sei. Die endgültige Ernennung erhielt er erst am 14. Juli 1809. Inzwischen waren die Pläne von Beyme ins Stocken geraten, weil der Minister von Stein sie nicht im vollen Umfange unterstützte. Stein hatte Bedenken, in die Großstadt Berlin eine Universität zu verlegen. Er hätte sie lieber in Potsdam errichtet. Die eigentliche Gründung der Universität Berlin erfolgte erst unter Wilhelm von Humboldt. Er hatte 1809 die Leitung der Sektion für Kultus und Unterricht im Innenministerium, das von Schleiermachers Freund Graf Alexander von Dohna geleitet wurde, übernommen. Es gelang ihm, in kurzer Zeit die finanziellen Vorbereitungen soweit zu fördern, daß bereits im Frühjahr 1810 die Gründung der Universität Berlin durch den König öffentlich angeordnet werden konnte. Humboldt ging sehr schnell ans Werk und berief eine Kommission, der Süvern, Uhden und Schleiermacher angehörten. Auf diese Weise wurde Schleiermacher einer der engsten Mitarbeiter Wilhelm von Humboldts. Humboldt hatte allerdings zunächst als Griechenfreund an den klassischen Philologen Wolf gedacht, der ihn aber durch seine Arroganz enttäuschte. Die Gedanken aus der Programm-

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schrift Schleiermachers wurden von Humboldt aufgenommen und in seiner eigenen Denkschrift verwertet. Aus Schleiermachers Programmschrift seien nur folgende Hauptgedanken hervorgehoben. Schleiermacher lehnte ebenso wie Fichte die Errichtung einer höheren wissenschaftlichen Fachschule ab. Dieser Plan war dadurch aktuell geworden, daß man in Frankreich die alten, meist kirchlich bestimmten Universitäten aufgelöst und dafür höhere wissenschaftliche Fach- und Spezialschulen eingerichtet hatte. Es ist das Verdienst von Schleiermacher, daß er die Gedanken, die bereits Fichte ausgesprochen hatte, bei der konkreten Planung und Gestaltung der Universität durchsetzte. Die deutschen Gelehrten, die von der idealistischen Transzendentalphilosophie und ihrem neuen Wissenschaftsverständnis bestimmt waren, lehnten die Fachschule deswegen ab, weil Wissenschaft für sie ein universaler Zusammenhang war. Wissenschaft wurde als System der Einheit und Universalität des gesamten Wissens verstanden. Infolgedessen sollte die Universität nicht eine Fachhochschule werden, sondern als Universität diese Ganzheit des Wissen repräsentieren. „Die Gesamtheit der Erkenntnis soll dargestellt werden, indem man die Prinzipien und gleichsam den Grundriß alles Wissens auf solche Art zur Anschauung bringt, daß daraus die Fähigkeit entsteht, sich in jedes Gebiet des Wissens hineinzuarbeiten" (WW III/1 S. 558). Die Beschäftigung mit der Einheit und dem Zusammenhang aller Erkenntnisse und mit dem Wesen des Erkennens überhaupt ist die Aufgabe der Philosophie (a.a.O. S. 559). Darum ist wirklich schöpferische und produktive wissenschaftliche Arbeit nicht ohne Verwurzelung in dem wissenschaftlichen Geiste, wie er sich in der Philosophie darstellt, möglich. Schleiermacher formuliert diesen Gedanken so: „Es gibt kein wissenschaftlich hervorbringendes Vermögen ohne den spekulativen Geist." Unter Spekulation

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verstellt Schleiermacher hier nicht die leere Spekulation, sondern das höchste Bewußtsein, den wissenschaftlichen Geist, der nicht „gespensterartig" sich isolieren kann, sondern alle wissenschaftliche Arbeit, auch die einzelne wissenschaftliche empirische Forschungsarbeit durchdringt (a.a.O. S. 558/559). Darum erhielt zunächst die Philosophische Fakultät ein Übergewicht gegenüber den anderen Fakultäten. Fichte ging in seiner spekulativen Gewaltsamkeit sogar so weit, daß er die Bedeutung der anderen Fakultäten sehr stark minderte. Die Theologische Fakultät wollte er überhaupt nicht als eigene Institution berücksichtigen. Demgegenüber hat Schleiermacher nun das Verdienst, daß . er sowohl den neuen Wissenschaftsbegriff, aber auch die Sonderheit und Eigenständigkeit der Fachwissenschaften zum Ausdruck brachte und organisatorisch die eigenständige Arbeit der Fachwissenschaften, der Theologie, der Jurisprudenz und der Medizin, in der Gesamtuniversität zur W i r k u n g kommen ließ. Er wurde dabei auch von den einzelnen Fachwissenschaftlern unterstützt. Der Mediziner Reil verstand die Medizin ebenfalls nicht als eine Sonderwissenschaft, sondern ordnete sie in den Zusammenhang der Naturwissenschaften und diese wieder in den Rahmen der Gesamtwissenschaften ein. Ebenso wollten die geisteswissenschaftlichen Vertreter ihre Fachdisziplinen nur im Zusammenhang des gesamten Wissens behandeln. Der zweite Gedanke w a r die Verbindung von Forschung und Lehre. Die Universität soll eine Zwischenstellung zwischen der wissenschaftlichen Fachschule und der Akademie einnehmen. Sie soll Forschung und Lehre verbinden und dadurch den jungen Studenten anregen, sich nicht bloß ein SpezialWissen mit möglichst viel Stoff anzueignen. Der Studierende soll von der Idee des Wissens erfaßt werden und alle Einzelkenntnisse im Gesamtrahmen

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der Wissenschaft selber verstehen und von da aus die Impulse zum eigenen Forschen bekommen. Der dritte Hauptgedanke betrifft das Verhältnis von Universität und Staat. Der Staat soll Forschung und Lehre ihre Freiheit lassen. Dem stimmte auch Wilhelm von Humboldt zu. Das Problem bestand aber darin, inwiefern man staatliche Finanzierung und staatliche Verwaltung in der Fürsorge für die Universität mitwirken ließ. Humboldt und Schleiermacher waren beide davon überzeugt, daß der Staat nicht in das freie Leben und den Geist der Wissenschaft eingreifen solle. Die Wissenschaft dient nach ihrer Auffassung dann dem Staate am besten, wenn der Staat ihr die Freiheit des Forschens und des Lehrens in keiner Weise beeinträchtigt. Dann, wenn die Wissenschaft im Streben nach der Idee der Wahrheit ihren Endzweck erfüllt, wird sie auch dem neuen Staat der preußischen Reformzeit als einer Rechtsund Kulturgemeinschaft dienen können. Diese Gedanken hat Humboldt in seiner eigenen Denkschrift über die Organisation der Wissenschaft ausgesprochen*. Dort heißt es wörtlich: „Der Staat muß im ganzen von den Universitäten nicht fordern, was sich unmittelbar und gerade auf ihn bezieht; sondern die innere Überzeugung hegen, daß, wenn sie ihren Endzweck erreichen, sie auch seine Zwecke, und zwar von einem viel höheren Gesichtspunkt aus, erfüllen, von einem, von dem sich viel mehr zusammenfassen läßt und ganz andere Kräfte und Hebel angebracht werden können, als er in Bewegung zu setzen vermag" **. Als Mitarbeiter von Humboldts und als Mitglied der Organisationskommission hat Schleiermacher entscheidenden Einfluß auf die Anfänge der Universität Berlin genommen. Hinzu kam noch, daß der zuständige Minister, der Innen* Vgl. Wilhelm von Humboldt: „Uber die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin 1810." ** W . v. Humboldt, W e r k e Bd. IV, S. 260. Stuttgart 1964.

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minister Alexander von Dohna, seinen Freund Schleiermacher in vielen Angelegenheiten persönlich zu Rate zog. Zu Schleiermachers Referat gehörte u. a. die Theologische Fakultät. Auf seinen Vorschlag wurden zunächst De Wette und Marheineke berufen; De Wette als Neutestamentier und Marheineke im wesentlichen als Kirchen- und Dogmengeschichtler. Aus einer Denkschrift über die Errichtung der Theologischen Fakultät, die Schleiermacher am 25. Mai 1810 der Kommission vorlegte, sind seine Grundsätze dafür zu entnehmen. Schleiermacher hielt an der Vierteilung der theologischen Disziplinen in exegetische, historische, dogmatische und praktische Theologie fest. Er forderte aber keinen besonderen praktisch-theologischen Lehrstuhl, weil er die praktisch-theologische Ausbildung im wesentlichen der Kirche überlassen wollte. Ferner war die Spezialisierung der theologischen wissenschaftlichen Arbeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht so weit fortgeschritten, daß man einen Ordinarius nur für ein Wissenschaftsgebiet berief. Schleiermacher forderte drei Professuren, erwartete aber, daß jeder Ordinarius zwei theologische Disziplinen vertreten könne, so daß jedes Fach doppelt besetzt sei. Für die akademischen Grade der Theologie wünschte er zwei Stufen. Der theologische Ehrendoktor soll „hoch in Ehren gehalten" werden. Als niedere Stufe empfahl er den Lizentiaten der Theologie, er sollte die Voraussetzung für die Habilitation und außerdem eine Qualifikation für höhere kirchliche Ämter sein. Schlaiermacher nahm selbstverständlich als Mitglied der Kommission auch auf die Berufung der Professoren anderer Fakultäten erheblichen Einfluß. Besonders war er bemüht, ein Gegengewicht gegen Fichte zu finden, da von vornherein feststand, daß Fichte als erster Philosophieprofessor nach Berlin berufen wurde. Er bemühte sich dann sehr um die Ernennung seines Freundes

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Steffens, was aber erst 20 Jahre später gelang. Auf Schleiermachers Einfluß geht auch die erste Satzung der Universität Berlin und der Theologischen Fakultät zurück. Ihm lag vor allen Dingen an der Errichtung einer echten Selbstverwaltung der gelehrten Körperschaft. Der Staat sollte im wesentlichen sich um die äußere Organisation kümmern. Das Schwergewicht der akademischen Selbstverwaltung lag naturgemäß bei den Fakultäten. Der Kern dieser Fakultäten sind die ordentlichen Professoren, zu denen die außerordentlichen Professoren und Privatdozenten hinzukommen können. Es sollten damit nicht die Ordinarien privilegiert werden, sondern es sollte die Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit der Fakultäten und damit auch der Universität gesichert werden. Schleiermacher forderte ferner die Aufhebung der Zensur für alle Druckschriften, die unter der Autorität der Universität erscheinen. Er hatte damit aber nur teilweise Erfolg. Die stärkste Einwirkung auf das Leben der Universität Berlin hatte er aber durch seine Wirksamkeit als Lehrer und Gelehrter, als Neubegründer der neuprotestantischen evangelischen Theologie und als Mitbegründer und Mitgestalter der neuen Geisteswissenschaften und ihrer Methode des Verstehens, die auf dem Boden der deutschen Transzendentalphilosophie sich entfaltete. Es war verständlich, daß Schleiermacher im September 1810 als erster Dekan der Theologischen Fakultät ernannt wurde. Er hat dieses Amt viermal innegehabt (1810/11, 1813/14, 1817/18, 1819/20). Das Rektorat verwaltete er im Jahre 1815/16. Seit dem 50. Lebensjahr verzichtete Schleiermacher auf alle Ämter, die mit einer Verwaltungstätigkeit verbunden waren, weil er sich ausschließlich seinem Beruf als Lehrer und Gelehrter widmen wollte. Seine Vorlesungsleistung auf dem Katheder der Universität Berlin war außerordentlich. Wenn man außerdem noch bedenkt, daß er neben

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seiner Professur das Pfarramt der Dreifaltigkeitskirche verwaltete, daß er Sekretär der preußischen Akademie war und sonst als Schriftsteller und Gelehrter in Anspruch genommen war und dazu einen sehr regen geistigen Austausch mit seinen Freunden durch seinen umfangreichen Briefwechsel vollzog, so war der Umfang seiner Lehrtätigkeit erstaunlich. Darüber gibt der erhaltene Lektionskatalog der Berliner Universität Auskunft. Im Sommersemester hielt er von 6 bis 7 Uhr eine philosophische Vorlesung, von 7 bis 9 Uhr an fünf Wochentagen, also lOstündig in der Woche, seine theologischen Vorlesungen. In der Theologie behandelte er — abgesehen vom Alten Testament — fast alle Disziplinen. Neben der Dogmatik, die er sehr häufig wiederholte, stand die Enzyklopädie und die christliche Sittenlehre. Hinzu kamen seine exegetischen, kirchenhistorischen und praktisch-theologischen Vorlesungen. In der philosophischen Fakultät las er über die Gebiete der Dialektik, Ethik, Psychologie, Pädagogik, Ästhetik, Hermeneutik. Es ist sehr bedauerlich, daß Schleiermacher nicht dazu gekommen ist, diese Vorlesungen in Buchform zu veröffentlichen. Erhalten sind nur seine fragmentarischen Aufzeichnungen und Notizen für sie. Nach dem Tode Schleiermachers haben seine Schüler, z. B. Jonas, • Alexander Schweizer, Lücke, Lommatzsch, George versucht, den Gehalt seiner Vorlesungen der Nachwelt zu übermitteln. Es standen ihnen die Kollegnotizen Schleiermachers und eine Reihe von mehr oder weniger sorgfältigen Nachschriften von Hörern zur Verfügung. Sie haben versucht, diese zum Teil sehr fragmentarischen und ungleichen Uberlieferungsbestände zu kompilieren und zusammenzufassen. Infolgedessen ist die Lektüre dieser zusammengestückelten Vorlesungen außerordentlich mühsam. Sie geben kein klares Bild von der Struktur des Systems Schleiermachers und von den Entwicklungsstufen seines

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philosophischen Denkens. Diese Art der Überlieferung hat der Wirkung der philosophischen Gedanken Schleiermachers außerordentlich geschadet und das Verständnis und die Würdigung seiner philosophischen Leistung gemindert. Einer der bedeutendsten philosophischen Schüler Schleiermachers, Wilhelm Dilthey, hat im 19. Jahrhundert versucht, mehrere Jahrzehnte nach Schleiermachers Tod seine philosophischen Gedanken und sein philosophisches System ausführlich darzustellen. Auch diese Arbeiten Diltheys sind leider ein Fragment geblieben und konnten jetzt erst viele Jahrzehnte später aus dem Nachlaß Diltheys veröffentlicht werden*. Besser steht es um die Uberlieferung seiner theologischen Gedanken. Schleiermacher hat selber seine Glaubenslehre in zwei Auflagen von 1821/22 und 1830/31 und auch seine theologische Enzyklopädie in zwei Ausgaben von 1810 und 1830 veröffentlicht. Dazu kommen eine Reihe von kleineren Abhandlungen. Aufschlußreich über seine Grundintention sind seine beiden Sendschreiben an Lücke. Schleiermacher war vielleicht viel stärker der Mann des gesprochenen als des geschriebenen Wortes; er war der Prediger auf der Kanzel, und er war der lebendige Lehrer auf dem Katheder. Das hat seine Wirkung auf die damalige Gegenwart erhöht, aber seine Wirkung auf die Gesamtheit der Theologie und der Geistesgeschichte gemindert. Leider ist es versäumt worden, im 19. Jahrhundert eine wissenschaftliche Ausgabe seiner gesamten Werke in Angriff zu nehmen, die nach kritischen Gesichtspunkten die vorhandenen Manuskripte prüft und einen besseren Text sedner. Schriften uns übermittelt als den, welchen wir in den Gesammelten Werken Schleiermachers haben, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen sind. Es wird sehr schwer sein, heute eine wissenschaftliche Gesamtausgabe seiner Werke zustandezubringen, * Vgl. W. Dilthey: Leben Schleiermachers II. Hrsg. von M. Redeker 1966.

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da bereits viele Manuskripte im 19. Jahrhundert verlorengingen. Trotzdem ist der Protestantismus und die theologische wie die philosophische Wissenschaft einem ihrer bedeutendsten Gelehrten diese Ausgabe schuldig. c. Die

1. D a s

Systematik

theologische

System

Dilthey, der Biograph Schleiermachers, bezeichnete als das letzte Ziel seiner Biographie „die große geschichtliche Frage zu lösen, wie ganz zerstreute Elemente der Kultur . . . in der Werkstatt des einzelnen Geistes verarbeitet und zu einem originalen Ganzen gebildet werden, das wiederum schöpferisch in das Leben der Gemeinschaft eingreift" (Vorwort zum Leben Schleiermachers). Dilthey hatte daher die Absicht, das System Schleiermachers als Theologie und Philosophie darzustellen und zu interpretieren. Er wollte zeigen, wie Schleiermacher „in der tiefen Besonnenheit seines Wesens das universale Erleben und Verstehen der verschiedensten Lebensgebiete zum philosophischen Bewußtsein erhob", und wie dadurch eine universale Anschauung der Kulturwelt entstand. (Vgl. Einleitung S. XXIII.) In diesem Zusammenhang mußte die geistige Entwicklung Schleiermachers dazu führen, daß aus dem intuitiven Verständnis des christlichen Glaubens aus seinen Jugendtagen sich ein einheitliches System der Theologie entwickelte. Dilthey hat mit dieser Feststellung recht. Schleiermacher ist Systematiker. Es gilt daher, für unsere Interpretation Schleiermachers die theologischen und philosophischen Gedanken Schleiermachers als System zu begreifen. Theologie und Philosophie sind bei Schleiermacher eigenständige und in sich geschlossene Systeme und ergänzen sich doch gegenseitig zu einem größeren Ganzen, das

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man vielleicht mit einer Ellipse, die zwei Brennpunkte hat, vergleichen kann. In unserer Abhandlung wird versucht, beide Systeme in ihrer Besonderheit zu analysieren und dabei gleichzeitig ihr gegenseitiges Verhältnis herauszustellen. Die Entwicklungsgeschichte der neuzeitlichen Wissenschaft hat im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts dahin geführt, daß man den Systemen und der Systembildung mißtraut, nachdem zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Wissenschaftsverständnis der idealistischen Philosophie in der Systembildung den besonderen Charakter und das eigentliche Ziel wissenschaftlicher Forschung erblickt hatte. Wir müssen uns heute freimachen von einer falschen Kritik an solcher Systembildung. Das System der Theologie Schleiermadiers ist nicht ein formal-logischer Kunstbau von Begriffen, wie man ihn sonst in der altprotestantischen Dogmatik zu finden meint und als theologischen Irrweg hinzustellen gewohnt ist. Zu allen Zeiten der protestantischen Theologie hat es sich als sachliche Notwendigkeit herausgestellt, Verkündigung und Theologie als ein Sinngefüge zu verstehen, das von dem Zentrum der Christusoffenbarung zusammengehalten wird. Daher hat die Frage nach dem inneren Sachzusammenhang der Theologie einen berechtigten methologisdien Sinn. Schon früh tauchte bei Schleiermacher die Frage auf, wo das Zentrum seines Lebens und Denkens liege und was das Zentrum seiner Theologie sei. Schleiermacher selber hat sich über sein theologisches System sehr viel eindeutiger und entschlossener ausgesprochen als über sein philosophisches. Während wir für die Erforschung seines philosophischen Systems auf wenige originale Aufsätze Schleiermachers zu Teilfragen, in der Hauptsache aber auf die Vorlesungsnachschriften zur Dialektik und philosophischen Ethik angewiesen sind, hat er sein theologisches System in zwei

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programmatischen und epochemachenden Veröffentlichungen dargestellt. Es ist das die Kurze Darstellung des theologischen Studiums (1. Aufl. 1811, 2. Aufl. 1830) und seine berühmte Glaubenslehre (1. Aufl. 1821/22, 2. Aufl. 1830/31). Von dieser seiner Glaubenslehre ist mit Recht gesagt worden, außer Calvins „institutio" gäbe es in der protestantischen Theologie kein theologisches System, das als System das Niveau der Schleiermacherschen Glaubenslehre erreiche. Idee und Entwicklung der Systematik Von den Intuitionen der „Reden" und „Monologen" bis zur Glaubenslehre von 1821 führt die Entwicklungslinie seiner theologischen Systembildung. Sie läuft nicht so geradeaus, wie man im allgemeinen annimmt. In der Zeit von 1806 bis 1811 stand Schleiermacher der idealistischen Identitätsphilosophie, besonders der Metaphysik von Schelling, so nahe, wie sonst niemals. Zu den Intuitionen seiner Anfänge tritt jetzt eine Art christliche Spekulation hinzu. Schon in der dritten Rede Eduards in der „Weihnachtsfeier" von 1806 ist sie erkennbar, aber auch in den verschiedenen Vorlesungsnachschriften der Ethik und Dialektik dieses Zeitabschnittes, sofern sie religionsphilosophische Fragen betreffen. Die Uberlieferung seiner theologischen Gedanken, die er in seinen anfänglichen Dogmatikvorlesungen vortrug, ist sehr spärlich, weil Schleiermacher anscheinend fast alle Manuskripte bis zur Herausgabe seiner Glaubenslehre von 1821 vernichtet hat. In dem Nachlaß von Twesten befindet sich eine Vorlesungsnachschrift von 1811, die wertvolle Ergänzungen unserer bisherigen Kenntnisse bringt.* Schleiermacher nimmt in dieser Zeit eine Mittelstellung • M e i n Mitarbeiter J. H. Hördier, der in m e i n e m Auftrag den A. T w e s t e n s sichtete, iand d i e s e Kollegnadisdirift.

Nachlaß

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zwischen Jacobi und der spekulativen Metaphysik von Schelling und Hegel ein. Schleiermacher folgt nicht der Alternative Jacobis, mit dem Kopf ein Heide und dem Herzen ein Christ zu sein. Für Jacobi führte die metaphysische Einheits- und Totalitätsspekulation zum Atheismus und Determinismus und war für ihn unvereinbar mit der Glaubenserfahrung des Gefühls als des unmittelbaren Selbstbewußtseins. Schleiermacher will Gefühl und die spekulative Anschauung des Universums verbinden, Sie sind die zwei Seiten unseres Geistes, die miteinander korrespondieren. Das uns unmittelbar gegebene Bewußtsein von Gott muß sich daher nicht nur in beiden, sondern auch in gleicher Weise aussprechen. Denn ergäbe sich in beiden ein Verschiedenartiges, so müßte das Bewußtsein von Gott zwiespältig sein. Dann wäre es aber nicht das Bewußtsein von Gott. Die Totalität des religiösen Gefühls muß also der Totalität der wissenschaftlichen Anschauung gleich sein, wiewohl nicht geleugnet wird, daß die Art, wie man vom Allgemeinen zum Besonderen kommt, in beiden verschieden sein kann. Da nun die Analyse des Gefühls der Dogmatik anheimfällt, die wissenschaftliche Konstruktion oder die Durchführung des Bewußtseins von Gott der Philosophie, so folgt, daß Dogmatik und Philosophie sich nicht widerstreiten können, was im Gefühl, ist auch in der Anschauung gegeben. So berichtet die wörtliche Nachschrift, die der junge Twesten 1811 in Schleiermachers Kolleg angefertigt hat. Ähnliche Gedanken äußert Schleiermacher bereits in seiner Ethikvorlesung von 1805/06 (ed. Braun Bd. II, S. 103). Theologie und Philosophie bilden also für Schleiermacher in gegenseitiger Ergänzung ein widerspruchsloses System. Diese Gedanken hat Schleiermacher in den Jahren 1811 bis 1814 völlig abgewandelt, obwohl gewisse Elemente der christlichen Spekulation noch in seiner Glaubenslehre ent-

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halten sind (vgl. Glaubenslehre, 2. Aufl. § 13). Die Vernunft und ihre Herrschaft über die Sinnlichkeit ist auch später immer noch für Schleiermacher die Manifestation des Geistes Gottes. Aber es ist nicht zu verkennen, daß Sdileiermadier von 1811 bis 1814, also im Alter von 43 bis 46 Jahren, die grundlegenden Gedanken seiner Systematik umgestaltet hat. Eine ähnliche Entwicklung beobachten wir auch an seiner christologischen Spekulation. In den Reden Eduards in der „Weihnachtsfeier" wird die platonische Idee des Urbildes mit dem neuen Humanismus der idealistischen Philosophie verbunden. Christus ist das Urbild des Menschen, das durch die Fleischwerdung des Logos sich im Leben der Menschheit manifestiert. Die Abweichung von Piaton ist sofort erkennbar, das Urbild geht ein in die Geschichte, was bei den platonischen Ideen nicht der Fall ist. Aber auch diese christologische Spekulation wird ebenso wie seine Geistesmetaphysik völlig gewandelt. Innerhalb seiner Christologie tritt die Zinzendorfsche Christusfrömmigkeit, das Prinzip der Lebensgemeinschaft Christi mit seiner Gemeinde und das soteriologische Motiv der Erlösung und Versöhnung so stark hervor, daß die Christusspekulation an die zweite Stelle tritt, wenn sie auch noch in Anlehnung an die Paulinische Adam-Christus-Spekulation erhalten bleibt. Grundlegung und Methode der ausgereiften Systematik Schleiermachers Bereits Schleiermachers Programmschrift „Kurze Darstellung des theologischen Studiums" leitet eine neue Epoche des Selbstverständnisses der protestantischen Theologie ein. Im Sinne der neuen Wissenschaftssystematik werden auch alle theologischen Disziplinen in den lebendigen Zusammenhang eines einheitlichen und doch gegliederten Organismus

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hineingestellt. Diese Konzeption hatte weder die altprotestantische Dogmatik mit ihrer Methode der Loci und erst recht nicht die Aufklärungstheologie entwickeln können. Die einzelnen theologischen Disziplinen wurden einfach nebeneinandergeordnet, ohne daß der innere Sachzusammenhang herausgestellt wurde. Als Schleiermacher 1804 nach Halle kam, hatte die Theologische Fakultät gerade eine sachlich unzulängliche Einführung in das theologische Studium veröffentlicht. Schleiermachers „Kurze Darstellung" will Einheit und Gliederung der Theologie von einem beherrschenden Gesichtspunkt aus erfassen. Dieses Einheitsprinzip ist bei ihm aber nicht ein absolutes Wissen, aus dem alles andere deduziert wird, sondern die Ausrichtung der Theologie auf eine bestimmte Aufgabe hin. Das Ziel der Theologie ist ihre Bedeutsamkeit für die Leitung der christlichen Kirche. „Die christliche Theologie ist der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d. h. ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist" (K. D., § 5). Schleiermacher räumt ein, daß der christliche Glaube selber vielleicht eines solchen „Apparates" nicht bedarf, aber dafür die christliche Kirche. Für das Leben und die christliche Kirche ist die theologische Wissenschaft notwendig. Schleiermacher versteht — ebenso wie der Altprotestantismus* unter Kirchenregiment in erster Linie das Mandat des geistlichen Amtes und nicht wie unser heutiger Sprachgebrauch — die oberste Leitung des Rechtsinstitutes der Kirche und die Handhabung der Kirchenordnung. Diese kirchliche Thematik der Theologie ist bei Schleiermacher etwas ungeschützt formuliert .Es liegt nicht im Sinne Schleiermachers, diese kirchliche auf das geistliche Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung ausgerichtete Thematik pragma* Vgl. Confessio Augustana XXVIII.

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tisch zu verzerren, wie das später im 19. Jahrhundert geschehen ist. Kirchlichkeit heißt nicht Nützlichkeit und Brauchbarkeit für kirchliche Praxis. Aus dem Prinzip der Nützlichkeit und Brauchbarkeit könnte man sowohl fundamentalistische Dogmatik als auch eine substanzlose moderne Akkomodationstheologie ableiten. Beides entspricht in keiner Weise den Intentionen Schleiermachers. Seine Aufgabe ist es: „Das eigentümliche Wesen (des christlichen Lebens) in jedem künftigen Augenblick reiner darzustellen" (K.D. § 84). „Die Idee des Christentums nach der eigentümlichen Auffassung der evangelischen Kirche in ihr immer reiner zur Darstellung zu bringen und immer mehr Kräfte für sie zu gewinnen" (K.D. § 313). Die kirchliche Thematik der Theologie führt daher zur Wesens- und Wahrheitsfrage des christlichen Glaubens und Lebens. Die Theologie ist die Selbstbesinnung der Kirche auf ihre Substanz; Verkündigung und Handeln der Kirche, ihre Lehre, ihr Kultus und ihre Ordnung sollen phänomenologisch analysiert, pneumatologisch geprüft, begründet und geläutert werden. Kirchliches Interesse (K.D. §258), d.h. die Teilnahme am kirchlichen Leben und wissenschaftlicher Geist sollen sich verbinden. Glauben und kritisch konstruktiver Forschergeist widersprechen sich nicht, sondern treten in lebendige Beziehung. Kirchliche Gesinnung ist die Voraussetzung der Theologie. Bedeutsam ist dabei, wie Schleiermacher sein neues Wissenschaftsverständnis auf die Theologie anwendet. Die Theologie ist nicht spekulative, sondern positive Wissenschaft. Der Begriff „positiv" kennzeichnet in der Begriffsverbindung positive Theologie die theologische Darstellung des christlichen Offenbarungsinhaltes im Unterschiede von der natürlichen Theologie der Aufklärung, die Offenbarung und Vernunft identifizierte. Die positive Wissenschaft will das tatsächlich Gegebene, das konkret geschichtliche Leben erforschen und nicht spekulativ deduzieren. Mit der spä-

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teren Unterscheidung von konservativ-positiver Theologie einerseits und kritisch-liberaler Theologie andererseits, wie sie im 19. Jahrhundert erfolgte, hat Schleiermachers Begriff der positiven Theologie nichts zu tun. In dieser Kennzeichnung der Theologie liegt der Grund der Abwendung Schleiermachers von Schelling und dessen metaphysischem Wissenschaftsverständnis. Schelling will alle Wissenschaft aus dem absoluten Wissen ableiten. In der Identitätsphilosophie Sdiellings gibt es zwei Manifestationen des absoluten Seins, und zwar erstens in der Natur — dann hat das Reale das Übergewicht gegenüber dem Idealen — und zweitens in Vernunft und Geschichte — dann überwiegt das Ideale gegenüber dem Realen. Schleiermacher hat, wenn auch abgewandelt, für seine Philosophie den Wissenschaftsaufbau der Identitätsphilosophie übernommen. Die beiden Hauptwissenschaften sind die Naturphilosophie und die philosophische Ethik, die eigentlich Geschichtsphilosophie, Kultur- und Sozialphilosophie darstellt. Die übergreifende philosophische Grundwissenschaft ist dann die transzendental-philosophische Fundamentallehre der Dialektik, die ontologisch das Verhältnis von Denken und Sein und außerdem Methode und Logik des wissenschaftlichen Erkennens untersucht. Schleiermacher fügt aber die Theologie in dieses System der spekulativen Wissenschaft erster Ordnung nicht ein. Er unterscheidet also von der eigentlichen spekulativen Wissenschaft die Sekundärform der positiven Wissenschaft. Er wiederholt also hier den Gedanken seiner Reden, daß die Wahrheitsgewißheit des Glaubens nicht durch metaphysische Spekulation begründet werden könne. Mit großer Leidenschaft bekennt er, daß sein Glauben an Christum nicht von der Philosophie her sein könne (Sendschreiben an Lücke, W W 1/2, S. 616). Die Lehrsätze der Dogmatik sind daher nicht von der Philosophie her zu begründen, sondern

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Ausdruck der christlich-frommen Gemütszustände. Die wissenschaftliche Spekulation, das Anschauen des absoluten Seins, versucht die Idee des höchsten Seins durch das Denken der Vernunft zu erfassen. Die dogmatischen Sätze aber sind nichts anderes „als zerlegende Betrachtung der ursprünglichen frommen Gemütszustände" (Glaubenslehre, 1. Aufl. §2). „Die evangelische Kirche trägt das einmütige Bewußtsein in sich, daß die ihr eigentümliche Gestaltung der dogmatischen Sätze nicht von irgendeiner philosophischen Form oder Schule abhängt oder überhaupt von einem spekulativen Interesse ausgegangen ist, sondern nur von dem der Befriedigung des unmittelbaren Selbstbewußtseins allein mittels der echten und unverfälschten Stiftung Christi" (2. Aufl., § 16 Zus.). Von dieser Bestimmung der Theologie als kirchlicher und positiver Wissenschaft ist auch der Aufbau der Theologie verständlich. Schleiermacher unterscheidet drei Hauptdisziplinen: die historische, philosophische und praktische Theologie. Zur historischen Theologie gehören die biblische Exegese, die Kirchengeschichte, die Dogmatik als Phänomenologie der in der Kirche geltenden Lehrsätze und die Statistik. Die historische Theologie ist der „eigentliche Körper des Theologiestudiums". Sie hat es mit dem Material, dem Stoff des theologischen Erkennens zu tun. Bliebe sie für sich allein, so wäre sie durch einen geistlosen Empirismus gefährdet. „Die philosophische Theologie setzt zwar den Stoff der historischen als bekannt voraus, begründet aber selbst erst die eigentliche geschichtliche Anschauung des Christentums" (K. D., 2. Aufl. §65). Gemeint ist mit der geschichtlichen Anschauung die Schau des Wesens und der Wahrheit des Christentums im geschichtlich konkreten Leben. Der etwas unglückliche Begriff „philosophische Theologie" könnte dem Mißverständnis

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Vorschub leisten, als ob nun doch wiederum die Philosophie in die Theologie eindringe. Der Begriff philosophische Theologie enthält aber lediglich eine methodische Thematik und nicht die Ablösung der Gottesoffenbarung durch die philosophische Spekulation. Gemeint ist die Frage nach dem Normativen, dem Wesentlichen und Eigentümlichen in der Bearbeitung des gegebenen Erkenntnisstoffes. Bereits Tertullian hat behauptet, daß eine philosophische Rede über Gott außerhalb des Glaubens nicht von Gott handele, sondern von den Dämonen. Dieses Verdammungsurteil hat im theologischen Sprachgebrauch über Jahrhunderte hindurch sich fortgesetzt. Es wäre unrecht, wegen der zufälligen Bezeichnung philosophische Theologie den Grundansatz der Schleiermacherschen Theologie zu verdammen. Bei diesem Grundansatz der Theologie fällt der sonst in der altprotestantischen Theologie übliche Schriftbeweis aus dem Buchstaben des Bibelzitates oder der Bekenntnisschriften fort. Der christliche Glaube soll durch die Dogmatik nicht begründet, sondern nach seinem inneren Wesen verständlich gemacht werden. In dieser Darstellung selbst bereits liegt der Erweis seiner Wahrheit. Der christliche Glaube entsteht nicht durch den Gehorsam gegenüber irgendwelchen Lehrnormen, sondern aus der Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser. Dadurch aber, daß wir durch Christus gläubig wurden, gewinnen Schrift und Bekenntnis die neue Bedeutung des Glaubenszeugnisses. Daher soll die Dogmatik durch konstruktive und kritische Bearbeitung der biblischen und kirchlichen Lehrüberlieferung und des gesamten historischen „Materials" zu einem Ausdrude des christlichen Glaubens verhelfen, der seinem wahren Wesen entspricht. Keine Theologie kann leugnen, daß ihr Verständnis der Wissenschaft und ihre Methodik durch die zeitgenössische Wissenschaftsphilosophie beeinflußt ist. So kann auch Schleiermachers theologische Methode ihre Herkunft von

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dem neuen Wissenschaftsbegriff der deutschen Transzendentalphilosophie nicht verbergen. Er selbst hat diesem Einfluß nur formale Bedeutung beigemessen, was noch zu prüfen sein wird. Sein Denken ist durch zwei methodische Prinzipien bestimmt: 1. durch die transzendentalphilosophische Differenzierung von Idee und Erscheinung und 2. durch den organischen Ganzheitsgedanken. Schleiermacher will den Gegensatz zwischen dem bloßen Empirismus der historischen, psychologischen und soziologischen Analyse des Lebens, des christlichen Glaubens einerseits und der Spekulation über Gott und Christus andererseits überwinden. Die Idee, d. h. Wesen und Wahrheit des christlichen Glaubens, gewinnt konkrete Gestalt im christlichen Leben, und nur im ständigen Gegenüber und Miteinander von Wesenserkenntnis und von Beobachtung der Erscheinung ist die Aufgabe des theologischen Denkens zu lösen. Das zweite methodische Prinzip ist seine Systematik. Erst im Zusammenhang ist die wissenschaftliche Erkenntnis, die in dem Zirkelverfahren von Idee und Erscheinung gefunden ist, bewährt und gesichert. Es kann nicht genug darauf hingewiesen werden, daß diese Systematik nicht spekulativ konstruiert, sondern in der theologischen Besinnung auf Wesen und Wahrheit des christlichen Glaubens als etwas bereits Gegebenes gefunden werden muß. Der innere, sachliche Zusammenhang der christlichen Glaubenslehre ist nicht konstruiert und postuliert. Er ist gestiftet durch die Christusoffenbarung. Die Selbstmanifestation Gottes in dem christlichen Glaubensleben enthält eine Systematik, d. h. ein inneres Gefüge, das auf der Offenbarungswahrheit beruht, also Voraussetzung menschlicher Frömmigkeit und theologischer Reflexion ist, aber in seinem Zentrum nicht durch theologische Reflexion begründet, sondern nur gefunden und dargestellt werden kann. Was ist von diesen Voraussetzungen aus Gegenstand

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der Dogmatik? Die Lebensgemeinschaft mit Christus dem Erlöser, in der die Glaubensbeziehung zwischen Gott und Mensch enthalten ist. Schleiermacher bezeichnet diese innere Glaubenserfahrung als christlich fromme Gemütszustände. Diese Gemütszustände seien Gegenstand der theologischen Reflexion und Darstellung. Gemüt ist hier nicht der psychologische Bereich des Irrationalen und Emotionalen, sondern in der besonderen Sprache Schleiermachers das Gefühl als unmittelbares Selbstbewußtsein. Gemeint ist hier die Zentriertheit des Menschen in seinem innersten Selbst, dessen der Mensch nur in dem Selbstvollzug der existentiellen Betroffenheit und Bestimmtheit inne wird. Man hat diesen theologischen Ansatz als Subjektivismus und Psychologismus getadelt, seinen Sinn aber ebenso verfehlt, wie man den Grundansatz der modernen existentiellen Theologie verfälscht, wenn man die methodische Beziehung aller theologischen Aussagen auf die menschliche Existenz als Subjektivierung des christlichen Glaubens verurteilt. Schleiermacher will nicht Exist-entialontologie, sondern Theologie treiben. Gott ist nacii den Voraussetzungen der kritischen Transzendentalphilosophie nicht ein Gegenstand dieser Welt und nicht ein Gegenstand einer metaphysisch konstruierten Uberwelt. Daher ist die Wirklichkeit des lebendigen Gottes nicht durch die metaphysische Spekulation zu erfassen, wie Schleiermacher ja unermüdlich immer wieder hervorhebt. Es handelt sich gar nicht in der Theologie Schleiermachers um die Besinnung auf das isolierte Selbst, erst recht nicht um die bloße Besinnung auf das unmittelbare Selbstbewußtsein. Gemeint ist ein transsubjektiver Sachverhalt, gemeint ist die Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins durch Gott. Gerade der christliche Erlösungsglaube erfährt in der Neusetzung des menschlichen Selbst durch die Erlösung in Christus, daß mit der Setzung des menschlichen Selbst die Wirklichkeit Gottes als des

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Stifters des Selbstbewußtseins sich manifestiert. Ebenso verhält es sich mit den Aussagen über die Welt. Die theologischen Aussagen über die Welt betreffen nicht die Welt •»ls Gegenstand des Erkennens, sondern die Herrschaft Gottes über die Welt und in der Welt. So ist das zunächst einmal die entscheidende theologische Leistung Schleiermachers, daß er von der Transzendentalphilosophie ausgehend die Nichtgegenständlichkeit Gottes feststellt. Aber das Ergebnis der Ablehnung der alten metaphysischen Gegenständlichkeit Gottes ist nicht die agnostische Ungewißheit, die in der Aussage mündet, man könne nicht wissen, ob es einen Gott gäbe oder nicht. Die Kritik an der alten metaphysischen Gottesvorstellung erfolgt von der neuen, den Menschen überwältigenden Offenbarungserfahrung der Wirklichkeit Gottes aus, die das menschliche Selbst setzt und bestimmt und dadurch von der Wirklichkeit Gottes überführt. Die Erlösung in Christus setzt in Rechtfertigung und Wiedergeburt ein neues Selbst und erweist dadurch die Wirklichkeit Gottes. So hat Schleiermacher auf diese Weise gerade das Theologische an der Theologie neu entdeckt und gegenüber aufklärerischem Vernunftglauben, supranaturalistischer Metaphysik und pantheistischer Aufhebung der Gottheit Gottes die Wirklichkeit Gottes als des Vaters Jesu Christi neu bezeugt. Der Aufbau der Glaubenslehre Der kunstvolle Aufbau der Glaubenslehre unterscheidet sich erheblich von der sonst üblichen Einteilung dogmatischer Lehrgebäude. Wie ist dieser Aufbau von seiner theologischen Grundkonzeption her zu interpretieren? Die Glaubenslehre hat von ihrem Gottesgedanken her eine monistische Tendenz, weil die Allmacht Gottes nicht in dem Sinne verstanden wird, daß Gott alles kann, was er will,

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sondern in dem universalistischen Sinne, daß er tatsächlich alles bewirkt. Trotz dieser immer wieder durchschlagenden monistischen Tendenz ist der eigentliche Teil der christlichen Glaubenslehre dualistisch und durch die Gegensätzlichkeit von Sünde und Gnade, von der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen einerseits und der durch Christus vollzogenen Erlösung andererseits bestimmt. Diesem Hauptteil hat er einen anderen ersten Teil vorausgeschickt, der eine Theologie des „allgemeinen Gottesbewußtseins" ohne Berücksichtigung der Gegensätzlichkeit von Sünde und Gnade bringen soll. In vereinfachter Formulierung könnte man feststellen, Schleiermacher stellt der Theologie des zweiten und dritten Artikels des christlichen Glaubensbekenntnisses eine Theologie des ersten Artikels voraus. In ihm soll der theologische Gehalt des christlich-frommen Kreaturgefühls und des Bekenntnisses: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen", vertreten werden. Uber den Sinn dieser Theologie des „allgemeinen Gottesbewußtseins" besteht keine Einigkeit unter den Schleiermacher-Interpreten. Immer wieder glaubt man, ihn hier auf den Pfaden einer natürlichen Theologie oder einer philosophischen Spekulation ertappt zu haben. Schleiermacher selbst hat dem energisch widersprochen (1. Aufl., § 2,2; 2. Aufl., § 63). Es handelt sich für ihn nicht um eine natürliche Theologie, weil es in der Wirklichkeit des geschichtlichen Lebens keine natürliche, sondern nur eine positive Religion gibt. Deshalb gibt es dieses allgemeine Gottesbewußtsein niemals isoliert und für sich bestehend. Es ist nur ein Moment innerhalb des christlichen Erlöserglaubens. Im Gottesglauben des Christen gibt es keine „christlosen frommen Momente" (1. Aufl., § 30 S. 182). Es gibt „keine Beziehung auf Christum . . . in welcher nicht auch Beziehung auf Gott wäre. Unser Satz ist daher nur die allgemeinste Aussage von dem lebendigen Zusammenhang dessen, was

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den ersten, mit dem, was den zweiten Teil unserer Darstellung ausmacht." Die gesonderte Behandlung des Schöpferglaubens ist also nur eine Abstraktion (l.Aufl., §78 S. 4). Aber Schleiermacher hält diese Abstraktion für notwendig. Außerdem stellt er diesem ersten Teil eine Einleitung von 35 Paragraphen voraus. Diese enthalten außer einer theologischen Wissenschaftslehre eine religionsphilosophische Untersuchung über das Wesen und Wahrheit der Religion und eine entwicklungsgeschichtliche Übersicht über die Religionsgeschichte und eine theologische Stufenordnung der Religionsarten, in der das Christentum die höchste Stufe bildet. Der Verfasser der Glaubenslehre hat in seinem Sendschreiben an Lücke zugestanden, daß er innerhalb seiner Glaubenslehre lieber die Darstellung des „vollen christlichen Bewußtseins" vorangestellt hätte. „Keiner hätte dann verkennen können, daß die Darstellung des eigentümlich christlichen Bewußtseins wahrhaft und wirklich der eigentliche Zweck des Buches sei" (WW I 2, S. 609). Schleiermacher nennt zwei Gründe, die dieser Anordnung entgegenstanden. 1. Seine Abneigung gegen ein Antiklimax, d. h. er wollte nicht vom Wichtigeren ausgehen, um dann zum Unwichtigeren herabzusteigen. Eine wissenschaftliche Untersuchung sei kein Gastmahl, bei dem man zuerst den guten und später den schlechten Wein austeile. Der Hauptgrund ist aber ein anderer. 2. Schleiermacher hält es für nötig, den christlichen Gottesglauben von allem unnötigen, metaphysischen und mythologischen Ballast zu befreien, um in Auseinandersetzung mit dem modernen naturwissenschaftlichen Weltbild die fromme Erfahrung der Wirklichkeit Gottes bezeugen zu können. Auf dem Boden der kritischen Transzendentalphilosophie darf das naturwissenschaftliche Weltbild nicht die Tendenz zum Pantheismus und Atheismus enthalten und muß für die Wirklichkeit des lebendigen Herrn von Natur und Geschichte offen sein,

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wie ihn der christliche Glaube bekennt. Um diese Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaft und Theologie so zu führen, daß ein Bund zwischen beiden gestiftet werden kann, vollzieht er diese Abstraktion des „allgemeinen Gottesbewußtseins", das als universaler Anspruch an alle Menschen im christlichen Erlöserglauben enthalten ist. Es kommt noch ein weiteres Motiv hinzu. Seine Auffassung von der wissenschaftlichen Systematik veranlaßt ihn, das spezifisch Christliche in den größeren Rahmen einer Wesensbestimmung der Religion einzufügen. In der ersten Auflage brachte .er sogar die Formulierung: Der Religionswissenschaftler müsse seinen Standpunkt „über" dem Christentum nehmen, um das spezifisch Christliche bestimmen zu können (l.Aufl. §6). Das hat eine heftige Polemik gegen Schleiermacher hervorgerufen. Selbst sein treu ergebener Schüler Twesten wollte seinen Standpunkt nur „im" Christentum und nicht „über" dem Christentum nehmen. Schleiermacher hat deshalb in der zweiten Auflage der Glaubenslehre diese Formulierung fallengelassen. Er wollte sich nicht vom christlichen Glauben lösen, sondern nur die im christlichen Glauben enthaltene universalistische Tendenz wissenschaftlich zur Geltung bringen. Der Begriff „über" hat nur logischtheoretischen Sinn und bedeutet nicht die Transzendierung im Sinne der Überwindung. In den religionsphilosophischen Ausführungen der Einleitung ist ein apologetisches Motiv enthalten. Hier tritt zwar nicht die spekulative Philosophie Schellings, aber die kritische Transzendentalphilosophie Kants in einer Abwandlung durch Schleiermacher hervor. Schleiermacher will nachweisen, daß die Religion auf der einen Seite in ihrer Wahrheitsgewißheit eigenständig gegenüber dem Wahrheitsanspruch des menschlichen Geistes ist, auf der anderen Seite aber will er zeigen, daß die Religion ein notwendiges Lebenselement der menschlichen Geschichte ist, weil

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sie allein die tiefere Begründung für die Verbindung des menschlichen Geistes mit dem Urgrund des Seins vermittelt and dadurch Wissenschaft, Kunst und Moral vor Skepsis und Entartung bewahrt. Hier in der Einleitung ist also eine Entlehnung aus dem Gebiet der Philosophie vollzogen. Schleiermacher leugnet nicht, daß die theologische wissenschaftliche Arbeit diese Hilfe der Philosophie benötigt. Die theologische Wissenschaft ist nicht an eine einzige Philosophie gebunden, es ist aber auch nicht jede Philosophie für diese Zusammenarbeit mit der Theologie geeignet. „Ein Theologe kann nur ein solches (philosophisches System) annehmen, welches die Ideen Gott und Welt irgendwie auseinanderhält und welches einen Gegensatz zwischen Gut und Böse bestehen läßt." „Mancher eigentümlichen Ansicht dagegen kann freilich das eine System mehr zusagen und anderen das andere, und so wird durch den Wechsel oder das Nebeneinanderbestehen der Systeme und durch den geteilten oder wechselnden Einfluß derselben auf die dogmatische Sprache und Darstellung nur das gehörige Gleichgewicht in deren gesamter Entwicklung erhalten" (1. Aufl., § 31 S. 158). Die Philosophie darf nie Herrin und Richterin in theologischen Sachen werden, aber „die Trennung der Dogmatik von der Philosophie kann nie so weit gehen, daß sie auch der philosophischen Sprache entsagen müßte" (a.a.O., S. 156). „Was aber die Umwälzungen in dem betrifft, was von der Philosophie in die Dogmatik übergeht, so sind sie unvermeidlich, wenn ein philosophisches System antiquiert ist, d. h. wenn nach dem Typus desselben nicht mehr gedacht wird, sondern ein anderes System von Begriffen herrschend geworden ist" (a.a.O. S. 157). So ergibt sich für den Aufbau der Glaubenslehre folgende kunstvolle Systematik: Teil I. Theologische Bestandsaufnahme des allgemeinen 6 Redeker, Schleiermacher

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frommen Selbstbewußtseins, wie es in der christlichen Frömmigkeit stets vorausgesetzt wird. Teil II. Theologie des christlich frommen Selbstbewußtseins bzw. Theologie der Erlösung durch Christus in der Gegensätzlichkeit von Sünden- und Gnadenlehre, wobei Sünden- und Gnadenlehre gesondert werden. Alle zwei bzw. drei Teile werden nach demselben methodischen Gesichtspunkt dreifach gegliedert (vgl. 2. Aufl., § 35): Theologische Untersuchung 1. des frommen Selbstbewußtseins, 2. der Begriffe von den göttlichen Eigenschaften in ihrer Beziehung auf Welt und Mensch, 3. theologische Kosmologie. Die Reihenfolge dieser drei Gesichtspunkte ist in Teil I und II verschieden. In Teil I wird folgende Reihenfolge innegehalten: 1. Theologische Analyse des menschlichen Selbstbewußtseins, 2. Gotteslehre, 3. Kosmologie. In der Erlösungstheologie kommt 1. die Analyse des frommen Selbstbewußtseins, 2. die Kosmologie, 3. (als Höhepunkt) die Gotteslehre. Alle drei Lehrgebiete werden also dreifach behandelt. Zum Beispiel wird die Gotteslehre in folgender Weise aufgeteilt: Teil I. Lehre von Gottes Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht und Allwissenheit. Teil II, 1. Die Lehre von Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit. Teil II, 2. Lehre von Gottes Liebe und Weisheit. Die Trinitätslehre wird gesondert am Schluß der Dogmatik behandelt.

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Das Prinzip des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls In der Glaubenslehre bietet Schleiermacher in der Einleitung eine Wesensbestimmung der Religion. Sie soll das Religiöse an der Religion hervorheben, um mit diesem Religionsbegriff als Deutungsprinzip das Besondere des christlichen Glaubens kennzeichnen zu können. Auf der anderen Seite ist aber sofort deutlich, daß die Wesensbestimmung der Religion weder rein spekulativ noch rein empirisch gewonnen werden kann. Dieses religiöse Deutungsprinzip muß einer bestimmten, d. h. positivgeschichtlichen Religion entnommen werden. Bei der Kennzeichnung des Wesens der Religion ist der Theologe, wenn er religionsphilosophisdi arbeitet, an die spezielle christliche Offenbarungserfahrung gebunden. Schleiermacher läßt seine Wesensbestimmung der Religion aus den „Reden", die sie als Anschauung und Gefühl des Universums darstellen oder als Sinn und Geschmack für das Unendliche kennzeichnen, fallen. Er behält nur die Kategorie des Gefühls als des Uraktes des Geistes, der fundamentalontologisch dem Erkennen, auch dem spekulativen Erkennen, und dem Wollen des Menschen vorausgeht. Dieses Gefühl beschreibt Schleiermacher als unmittelbares Selbstbewußtsein. In handschriftlichen Anmerkungen in seinen Kollegheften zu § 8 der 1. Auflage deutet er den Sinn des Wortes „unmittelbares" Selbstbewußtsein als „ursprüngliches" Selbstbewußtsein. D. h. dieses Selbstbewußtsein ist in seiner Selbstgewißheit und in seinem Bestimmtwerden völlig unabhängig von Metaphysik und Sittlichkeit. Es ist ein völlig eigenständiger Bereich, ja es ist noch mehr, es ist der Ort und der Bereich, in dem sich die ursprüngliche Setzung, besser das Gesetztwerden des menschlichen Selbstbewußtseins vollzieht. 6*

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In diesem unmittelbaren Selbstbewußtsein sind zwei Elemente enthalten: „Ein Sichselbstsetzen und ein Sichselbstnichtsogesetzthaben". Das erste Element ist das Fürsichsein des einzelnen oder „das Sein des Subjekts für sich" (2. Aufl., § 4 Abs. 1). Das andere Element ist das Zusammensein mit anderen und das Bestimmtwerden durch anderes. Diese beiden Elemente des Selbstbewußtseins werden als Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit, als Freiheit und Abhängigkeit bezeichnet. Das Selbstbewußtsein steht zu dem jeweils Anderen, das auf das Selbstbewußtsein einwirkt, in dem Verhältnis der Wechselwirkung. Es ist dem Anderen gegenüber also teilweise frei und teilweise abhängig. Dieses Andere ist im Selbstbewußtsein immer schon mitgesetzt. Es ist die Gesamtheit alles Endlichen. Diese Gesamtheit ist das, was wir Welt nennen. Von dieser Welt des Endlichen sind wir also teilweise abhängig, aber auch teilweise ihr gegenüber frei. Es gibt also im Bereich des Endlichen kein absolutes Freiheitsgefühl, aber auch kein schlechthlnniges Abhängigkeitsgefühl. Außer diesem Verhältnis zur Welt gibt es aber im unmittelbaren Selbstbewußtsein das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl. Dadurch, daß es absolute Abhängigkeit enthält, unterscheidet es sich von dem Weltbewußtsein. Das Bestimmende in diesem absoluten Abhängigkeitsgefühl, das wesensmäßig mit dem Selbstbewußtsein gesetzt ist, kann also nicht die Welt sein, es kann sich also nur um eine überendliche und absolute Instanz handeln, die die Welt transzendiert. Diese bestimmende Instanz kann daher nur Gott sein; denn Gott ist die absolute unendliche Einheit, die sich von der Welt dadurch unterscheidet, daß sie alle Weltgegensätze, z. B. den Gegensatz von Denken und Sein, von Vernunft und Sinnlichkeit, umgreift und transzendiert. Als solche letzte Einheit ist Gott der Welt gegenüber einerseits transzendent, andererseits die bestimmende

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Macht, die die Weltgegensätze zur Einheit zusammenfügt und dadurch das Leben in dieser Welt schafft und erhält, also die Welt lebendig durchwaltet. Die unendliche Macht ist der endlichen Welt schlechthin überlegen und doch in ihr wirksam. Die Wirklichkeit dieses Gottesverhältnisses, das Bestimmtwerden des Endlichen durch das Unendliche ist aber nicht Gegenstand der metaphysischen Spekulation, sondern eine Erfahrung des unmittelbaren Selbstbewußtseins. Schon in den „Reden" hatte Schleiermacher hervorgehoben, daß das Universum sich selbst seine Bewunderer schaffe. Jetzt wird von Schleiermacher darauf hingewiesen, daß das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl und das Gottesverhältnis, das er im Sendschreiben an Lücke als ein „unmittelbares Existentialverhältnis" kennzeichnet, einerlei ist. Die schlechthinnige Abhängigkeit ist die „Grundbeziehung" zwischen Gott und Mensch, die alle Beziehungen einschließt und durch eine ursprüngliche Offenbarung Gottes an die Menschen hervorgerufen ist. Gottesbewußtsein und Selbstbewußtsein sind innigst miteinander verknüpft (2. Aufl., §4 Abs. 4). „Hingegen bleibt jedes irgendwie Gegebensein Gottes völlig ausgeschlossen, weil alles äußerlich Gegebene immer auch als Gegenstand einer wenn auch noch so geringen Gegenwirkung gegeben sein muß. Die Ubertragung jener Vorstellung auf irgendeinen wahrnehmbaren Gegenstand, wenn man sich derselben nicht als einer rein willkürlichen Symbolisierung bewußt wird und bleibt, ist immer eine Korruption, sei es nun eine vorübergehende Übertragung, als Theophanie, oder eine konstitutive, in welcher Gott als ein wahrnehmbares beharrliches Einzelwesen vorgestellt wird." Damit ist die Nichtgegenständlichkeit Gottes klar gekennzeichnet. Diese theologische Interpretation des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als ein Mitgesetztsein Gottes im Selbstbewußtsein (2. Aufl., § 30 Abs. 1) ist oft von den Schleiermacherinterpreten in Frage ge-

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stellt worden. Schon Schaeder (Theozentrische Theologie I, S. 18) erhob den Einwand, Schleiermacher setze mit seiner Bestimmung des Wesens der Religion nicht bei Gott ein, sondern beim Menschen, und durch einen Rückschluß von dem Selbstbewußtsein auf Gott als die Ursache des Abhängigkeitsgefühls gelange er erst zum Gegenstand der Religion. Dieser Einwand ist unrichtig. Durch die Reflexion entsteht bei Schleiermacher nur eine theologische Vorstellung von Gott, dem menschlichen Selbstbewußtsein und der Welt, aber nicht die Frömmigkeit selber, denn das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist ja bereits ein Gottesverhältnis, das Schleiermacher auch als Gottesbewußtsein bezeichnen kann. Erst recht trifft nicht der Einwand zu, den F. Flückiger (Philosophie und Theologie bei Schleiermacher S. 36) geltend macht, das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit sei nur das nackte menschliche Seins- und Existenzbewußtsein; denn gerade dieses Mißverständnis bekämpft Sdileiermacher als die „unfromme Erklärung dieses Gefühls" (1. Aufl., § 36 S. 174). Es ist vielmehr Gottesbewußtsein, das sich deutlich unterscheidet von einem Bewußtsein von Gott (= Gottesvorstellung). Es ist ein lebendiges Verhältnis Gottes zu den Menschen, des Schöpfers zum Geschöpf und es ist nicht ein Einssein mit der Welt. Das Verhältnis des Menschen zur Welt ist dagegen bestimmt durch teilweises Abhängigkeitsgefühl und teilweises Freiheitsgefühl. Nur wenn man im Weltbewußtsein das Freiheitsgefühl aufhebt, wenn man also „in einem allgemeinen Notwendigkeitsgefühl alles einzelne ertötet und die Ursprünglichkeit des Lebens nirgends übrig läßt" (a.a.O., S. 175), dann gibt es der Welt gegenüber nur das Gefühl der Notwendigkeit, und es entsteht dann ein Pantheismus, der Gott und Welt nicht unterscheiden kann. Schleiermacher legt aber großen Wert darauf, die Transzendenz Gottes als der absoluten Totalität im Gegensatz zu der endlichen Welt als

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der Gesamtheit aller Gegensätze und Differenzen radikal aufrechtzuerhalten. Daher hat er sich mit Leidenschaft stets gegen den Vorwurf des Pantheismus gewehrt. „Fast unbegreiflich, wie man mir hat Pantheismus zuschreiben können, da ich das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl von der Beziehung auf die Welt ganz sondere" (7. Aufl., S. 29 Anm.). „Durch den Ausdruck, daß schlechthin abhängig und abhängig von Gott gleich ist, ist der verderbliche Pantheismus, der den Menschen aus einem Teil Gottes setzt, schon ausgeschlossen" (7. Aufl., Bd. II, S. 500). In der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott erfährt der Mensch gleichzeitig, daß alles endliche Sein, also die Welt ebenso von Gott absolut abhänge. Die Frömmigkeit ist für Schleiermacher nicht etwas Zufälliges oder Vorübergehendes, sondern ein „wesentliches Lebenselement" (1. Aufl., §37, 2. Aufl., §33). Diese Feststellung tritt bei Schleiermacher an die Stelle aller Gottesbeweise. Das hat sofort die Kritiker auf den Plan gerufen, weil sie hier eine unzulässige Apologetik und eine Verwandlung der Theologie in Philosophie feststellen wollen. Man meint hier nicht eine theologische Konzeption, sondern eine transzendentalphilosophische Idee feststellen zu können. Schleiermacher habe hier zwar nicht mit dem Begriff, aber der Sache nach für das Gebiet der Religion auch ein religiöses Apriori als innerste Voraussetzung alles religiösen Lebens und Erfahrens feststellen wollen. In der Transzendentalphilosophie bedeutet Apriorität die Notwendigkeit und Allgemeinheit der Gültigkeit von Vernunftprinzipien. Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl sei also für den religiösen Bereich ungefähr ebenso ein apriorisches Prinzip wie der kategorische Imperativ für den Bereich des Sittlichen oder die Kategorie des Verstandes für das naturwissenschaftliche Erkennen. Da man in vielen Fällen die Idee des Apriorischen neukantisch versteht, kommt man

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dann leicht zu der irrigen Meinung, daß durch diese Bestimmung des Prinzips der schlechthinnigen Abhängigkeit des menschlichen Selbstbewußtseins der Mensch bei sich selber bleibe und Gott lediglich ein Produkt des menschlichen Geistes sei und das Gottesverhältnis aufgrund dieses apriorischen Prinzips vom Menschen aus postuliert und konstruiert sei. Dem ist energisch entgegenzuhalten, daß Schleiermacher sich selber so nicht verstanden wissen wollte. Das Glaubensverhältnis von Gott und Mensch ist ihm ein ursprüngliches, unmittelbares von Gott gesetztes Verhältnis, das mit Spekulation und Metaphysik und auch mit der transzendentalkritischen Vernunft nicht begründet werden kann. Auf der anderen Seite ist aber nicht zu leugnen, daß Schleiermacher zur Darstellung des Prinzips der schlechthinnigen Abhängigkeit die transzendentalphilosophische Begrifflichkeit benutzte. In besonderer Ausführlichkeit hat darauf G. Wehrung in seinem Buche „Die philosophisch-theologische Methode Schleiermachers" 1911 hingewiesen. Das Prinzip der schlechthinnigen Abhängigkeit ist „das in allen einzelnen Erscheinungen der Frömmigkeit Identische .. ., welches sich daher zu allen Aufwallungen des frommen Lebens verhält, wie sich das Ichsetzen eines jeden verhält zu allen Aufwallungen seines persönlichen Daseins überhaupt" (1. Aufl., § 36 S. 174). Die Ausführungen Schleiermachers in der Einleitung und in Teil I seiner Glaubenslehre haben durch den Einbruch transzendentalphilosophischer Kategorien etwas Zwiespältiges. Sie sind ein Gemisch von theologischen und philosophischen Gedanken. Den Schlüssel für diese Gespaltenheit finden wir vielleicht in §20 der 1. Auflage (2. Aufl., § 13, Zusatz). Das Christliche am Christentum und das Religiöse in der Religion kann nicht durch Vernunft hervorgebracht oder aufgenötigt werden. Aber es kann doch vernunftgemäß dargestellt werden. Das übervernünftige im Christentum kann

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daher nicht widervernünftig sein, und das hängt damit zusammen, daß diese vernünftige Darstellung das „betrachtete Selbstbewußtsein" ist (1. Aufl. § 20 S. 112). Das innerste Selbstbewußtsein und das gegenständliche Bewußtsein, d. h. die Gesamtheit alles Vernünftigen, können nach Schleiermachers Auffassung sich nicht widersprechen, obwohl die Tatsachen des frommen Selbstbewußtseins in keiner Weise durch die Vernunft hervorgebracht werden. Wenn Schleiermacher sich also so leidenschaftlich gegen Spekulation und Metaphysik wendet, so ist er im Recht gegenüber der Spekulation Schellings, wie sie sich beispielhaft in der 9. Vorlesung über die Methode des akademischen Studiums findet. Zur Darstellung, nicht zur Begründung der Frömmigkeit des diristlidien Glaubens benutzt Schleiermacher mit ruhigem Gewissen die Kategorien der kritischen Transzendentalphilosophie Kants, weil die Vernunft für ihn auch ein Geschöpf Gottes ist und letztlich ihre Begründung und ihre Wahrheitsgewißheit von der Frömmigkeit erhält. Schleiermacher ist sich dessen bewußt, daß seine Aussagen im ersten Teil der Glaubenslehre über Gott als Schöpfer, die Welt und die Menschheit als Geschöpfe Gottes unvollständig und vorläufig sein müssen. Infolge seiner theologischen Methode geht er vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl aus. Denn die dogmatischen Lehrsätze sollen das lebendige Gottesverhältnis des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls und die darin enthaltene Glaubenserfahrung „repräsentieren", wie er im zweiten Sendschreiben an Lücke ausdrücklich formuliert (WW 1/2, S. 618). Aber die Theologie dieses schlechthinnigen Abhängigkeitsbewußtseins ist ohne den zweiten Teil der Glaubenslehre eine Abstraktion und bedarf der Erläuterung, Ergänzung und Vertiefung. Dasselbe trifft für die dogmatischen Lehrstücke der Glaubenslehre über das allgemeine Gottesbewußtsein zu. „Gewiß ist doch, daß eine Allmacht, von

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der idi nicht weiß, welches ihr Ziel ist und wodurch sie in Bewegung gesetzt wird, eine Allwissenheit, von der ich nicht weiß, wie sie die Gegenstände ihres Wissens stellt und schätzt, eine Allgegenwart, von der ich nicht weiß, was sie ausstrahlt und was sie an sich zieht, nur unbestimmte und wenig lebendige Vorstellungen sind, ganz anders aber, wenn in dem Bewußtsein der neuen geistigen Schöpfung die Allmacht, in der Wirksamkeit des göttlichen Geistes die Allgegenwart, im Bewußtsein göttlicher G n a d e und Wohlgefallens die Allwissenheit sich kundgibt" (Sendschreiben, W W 1 / 2 , S. 608). Schleiermacher gesteht zu, daß bei der Umkehrung von Teil I und Teil II „die Sätze des jetzigen ersten Teils, die in ihrer dermaligen Gestalt wohl verdienten, als bloßes Außenwerk zuletzt aufgeführt zu werden, w e n n sie wirklich erst hinter der Christologie und der Lehre von der Kirche und nach der Entwicklung der göttlichen Liebe und Weisheit auftreten, einen w ä r m e r e n Farbenton haben und ebenfalls im eigentümlich christlichen Licht erscheinen würden . . . so würde dann gewiß dem schlimmsten und grellsten Mißverständnis, daß nämlich meine Glaubenslehre eine spekulative Tendenz habe und auf spekulativem Grund ruhe, möglichst vorgebeugt worden sein" (a.a.O., S. 609). Dennoch hält er an der ursprünglichen Anordnung fest. Sein eigentliches Motiv dafür hat er im zweiten Sendschreiben an Lücke erläutert: Er ist dessen gewiß, daß die theologische Arbeit einem dringlichsten Bedürfnis unserer Zeit Genüge tun müsse. Dieses Bedürfnis besteht in einer klaren innerlich wahrhaftigen und die zukünftige Entwicklung berücksichtigenden Auseinandersetzung mit der freien und unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen Forschung. Er ist dessen gewiß, daß das Ziel der Reformation sei, zwischen dem christlichen Glauben und der freien Forschung einen ewigen Vertrag zu stiften. Die Grundlage

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für diesen Vertrag sei bereits vorhanden. Es tue aber not, daß wir zu einem bestimmteren Bewußtsein der Aufgabe kommen, um sie auch zu lösen. Dieser Vertrag bedeutet nicht eine Kapitulation vor der modernen Wissenschaft, auch nicht eine bloße Verteidigung einer schwächlichen Apologetik (a.a.O., S. 617f.). Aber es muß möglich sein, daß christlicher Glaube und Philosophie in demselben Subjekt bestehen können, „daß ein wahrer Philosoph auch ein wahrer Gläubiger sein und bleiben kann und ebenso, daß man von Herzen fromm sein kann und doch den Mut haben und behalten, sich in die tiefsten Tiefen der Spekulation hineinzugraben" (a.a.O., S. 649). An dieser Stelle ist die Frage zu prüfen, ob man zur Interpretation des ersten Teils der Glaubenslehre auch die philosophischen Gedankengänge aus der Dialektik heranziehen müsse oder nicht; eine alte Streitfrage der Schleiermacher - Auslegung. Schleiermacher selber will in seiner gesamten Glaubenslehre Theologie treiben. Er lehnt es ab, daß seine systematische Kunst in der Dogmatik inhaltlich durch die Philosophie bestimmt sei. Am deutlichsten wird diese Intention am Schluß seines zweiten Sendschreibens an Lücke hervorgehoben. Er will nicht Naturphilosophie und metaphysische Weltanschauung bringen, sondern theologische Lehre von der Schöpfung. Die Schöpfung ist übernatürlich. Sie wird aber auf den Naturzusammenhang bezogen. Das übernatürliche ist das erste und das Natürliche ist das zweite; vom Ubernatürlichen ist das Natürliche abhängig und geleitet. Wir werden zu prüfen haben, ob Schleiermacher diese theologische Intention rein durchgeführt hat.

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Die Zeit der Systembildung Theologische A n a l y s e des allgemeinen f r o m m e n Selbstbewußtseins

Das H a u p t p r o b l e m im ersten Teil der G l a u b e n s l e h r e ist das Verhältnis der Schöpfermacht Gottes zu dem Naturzusammenhang, wie er sich dem naturwissenschaftlichen Forschen des Menschen als Gegenstand der Erkenntnis und technischer Bewältigung der N a t u r darstellt. Schleiermacher hat erstmalig dieses Problem, das mit dem A u f k o m m e n des naturwissenschaftlichen W e l t b i l d e s in der Neuzeit entstand, grundsätzlich aufgegriffen und auf eine völlig n e u e W e i s e gelöst. Schleiermacher v e r w i r f t die beiden Lösungsversuche der aufklärerischen Theologie: erstens die supranaturalistische Theorie, die Gottes Schöpferwalten nicht direkt auf den Kausalnexus des naturwissenschaftlichen Erkennens beziehen kann, sondern ihm und seiner Allmacht n u r ein Gebiet zuweisen kann, das außerhalb des naturgesetzlich E r k e n n b a r e n liegt oder das diese N a t u r gesetzlichkeit aufhebt. Zweitens lehnt Schleiermacher aber auch die gegensätzliche Lösung ab, die in einem pantheistischen N a t u r a l i s m u s das Schöpferwirken Gottes und den Kausalnexus der N a t u r identifiziert. Der G e d a n k e n g a n g Schleiermachers zur Lösung dieser Frage ist folgender: „Gott k a n n als in dem absoluten A b h ä n g i g k e i t s g e f ü h l a n g e d e u t e t nur so beschrieben werden, daß auf der einen Seite seine Ursächlichkeit von der im N a t u r z u s a m m e n h a n g enthaltenen unterschieden, ihr also entgegengesetzt, auf der anderen aber dem Umfange nach ihr gleichgesetzt w e r d e " (l.Aufl., §65). Der §51 der 2. A u f l a g e formuliert ähnlich. Die göttliche schlechthinnige Ursächlichkeit umgreift auch die Ursächlichkeit des N a t u r z u s a m m e n h a n g e s . Gottes Allmacht ist also nicht n u r potentiell als Allmacht zu denken, Gott k a n n also nicht nur schaffen, w a s er will, sondern er b e w i r k t und bedingt a l l e s , auch den N a t u r z u s a m m e n h a n g , auch das

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Übel in der Welt und auch das Sterben und die Endlichkeit. Gottes Allmacht ist also als Allwirksamkeit im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl erfahren. Von da aus ist die supranaturalistische Verlegenheitslösung unmöglich, die Gottes Allmachtswirken hauptsächlich in den Lücken des Naturzusammenhanges findet oder seine Allmacht als willkürliche Durchbrechung des Naturzusammenhanges mißversteht. Für Schleiermacher ist die supranaturalistische Lösung eine Einschränkung der Schöpferallmacht Gottes. Auf der anderen Seite ist die göttliche Ursächlichkeit dem Kausalnexus der Natur entgegengesetzt, d. h. sie ist im Umfange wohl gleich, aber der Art nach verschieden. „Der Unterschied aber ist daran am leichtesten zu fassen, daß der Naturzusammenhang . . . sich durchaus als ein zeitlich bedingter darstellt, das Verhältnis aber, welches sich in dem frommen Selbstbewußtsein ausspricht, nur als ein vollkommen zeitloses kann aufgefaßt werden. Diese Entgegensetzung, als göttliche Eigenschaft aufgefaßt, gibt den Begriff der Ewigkeit" (l.Aufl., §65,1). Das bedeutet, daß die Allmacht Gottes ewige Allmacht ist und als solche Ewigkeit der endlichen Naturursächlichkeit entgegengesetzt ist. Hier zeigt es sich, wie stark Schleiermacher sich auf die Denksituation eingestellt hat, die durch die kritische Transzendentalphilosophie Kants im Bereich der Naturanschauung geschaffen worden war. Der Naturzusammenhang und seine Ursächlichkeit ist nach Kants kritischer Analyse des naturwissenschaftlichen Denkens an Raum und Zeit gebunden. D. h. diese Ursächlichkeit ist zeitlich und endlich. Diesem erkenntnistheoretischen Ergebnis der kritischen Transzendentalphilosophie Kants wird nun eine theologische Aussage gegenübergestellt. Gott ist ewig, d. h. er ist nicht an die Zeit gebunden, er ist zeitlos, bedingt aber alle Zeitlichkeit, er ist nicht an den Raum gebunden, er bedingt aber alle Räumlichkeit, weil er in seinem Allmachtswirken

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allgegenwärtig ist. Dieser Gottesgedanke ist nicht ein Grenzbegriff der metaphysischen Spekulation, sondern er ist eine spezifisch theologische Aussage über die ewige und allmächtige Schöpferwirksamkeit Gottes, die sich im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl offenbart. Hier ist wirklich etwas Neues in dem Gottesgedanken Schleiermachers, eine theologische Lösung angesichts des neuen Bildes von Natur und Welt im Gefolge der modernen Naturwissenschaft und ihrer Deutung in der kritischen Transzendentalphilosophie. Man hat häufig mit Recht hervorgehoben, daß durch die Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes das christliche Gottesdenken gezwungen würde, die alte supranaturalistische Metaphysik und Gegenständlichkeit fallenzulassen und Gott und sein Wirken nichtgegenständlich zu denken. Das ist für viele Christen schwierig, weil sie sich unter der Nichtgegenständlichkeit Gottes zunächst nicht etwas Rechtes vorstellen können und meinen, Gott und sein Wirken wäre in die Innerlichkeit des Gemüts verlegt worden, und man wage nicht mehr, den religiösen Glauben an Gottes Allwirksamkeit auch auf die Welt zu beziehen, die sich dem sog. modernen Naturerkennen erschließt. Schleiermachers Schöpfungstheologie ist aber kein Rückzug, der Blick ist vorwärts auf das veränderte Weltbild und das Verhältnis von Gott und Welt gerichtet. Gottes Urwirklichkeit und Allmächtigkeit darf nicht als ein Gegenstand und eine Kraft dieser Welt gedacht werden. Gottes Wirken darf auch nicht als eine Ergänzung und eine Konkurrenz der Naturkräfte gedacht werden. Denn dann hat man nicht die Souveränität und absolute Überlegenheit Gottes, d. h. die Artverschiedenheit der Ursächlichkeit Gottes von der zeitlich-endlichen Ursächlichkeit ernst genommen. Schleiermacher will die göttliche Ursächlichkeit nicht supranaturalistisch und nicht pantheistisch-naturalistisch, sondern

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nur existentiell mit Hilfe der unmittelbaren Erfahrung des Kreaturgefühls im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl deuten. Wie ernst es ihm damit ist, erkennt man an der Behandlung einer Reihe von Einzelfragen. Schleiermacher hat es erstens scharf abgelehnt, die Naturursachen, d. h. den Kausalnexus des Naturgeschehens, als eine Art Zwischeninstanz oder Zwischenursache zwischen Gott und Welt zu verstehen (2. Aufl., § 47 Abs. 2). Die Theorie Mosheims von einer gubernatio immediata oder inordinata hält er für völlig falsch. Diese Formel steht mit dem religiösen Grundgefühl in Widerspruch, „weil darin Gott in dem gewöhnlichen Naturlauf als gebunden dargestellt wird" (a.a.O.). Dadurch wurden die Grundursächlichkeit Gottes und die Ursächlichkeit der Naturgesetze als gleichartig vorgestellt. Sie sind aber ungleichwertig. Gottes ewige Wirksamkeit ist die Voraussetzung, die Quelle alles endlichen Ursachenzusammenhanges. Gottes ewige Allmacht ist — bildlich gesprochen — das Licht, das ewige Licht. Die endliche Ursächlichkeit der Naturgesetze ist nur der Schatten dieses ewigen Lichtes. Niemand wird behaupten können, daß das Licht durch den Schatten bedingt sei; es verhält sich vielmehr umgekehrt (vgl. H. Scholz, Christentum und Wissenschaft, S. 163, 1911). „Die göttliche Allwissenheit verhält sich zur göttlichen Allmacht nicht wie sich menschlicher Verstand und Willen verhalten; sondern ist nur die Geistigkeit der göttlichen Allmacht selbst" (1. Aufl., § 69). Dazu gibt Schleiermacher folgende bedeutsame Erläuterung, durch die die allmächtige Geistigkeit Gottes von einer wahrnehmenden und empfindenden Seele der Welt und auch der Geistigkeit des Menschen deutlich unterschieden wird. „Unter Geistigkeit soll hier nichts anderes verstanden werden, als was oben schon die innige Lebendigkeit genannt ward, und es kommt weit mehr darauf an,

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daß der Unterschied festgestellt werde zwischen dem auf das höchste Wesen bezogenen Abhängigkeitsgefühl und dem, welches eine blinde und tote Notwendigkeit einflößen könnte, als daß die Ähnlichkeit zwischen Gott und dem, was wir Geist nennen, auf bestimmte Weise festgestellt werde, wovon unten noch wird zu reden sein. Jenen Unterschied aber wissen wir nicht besser zu bezeichnen, als indem wir dem Toten und Blinden das Lebendige und Bewußte entgegenstellen, weil das bewußte Leben uns das höchste ist. Dabei aber wissen wir wohl, daß wir in Gott kein Bewußtsein wie das unsrige zu denken haben — wie denn auch das biblische Pneuma darauf nicht hinführt — und daß wir, um das Verhältnis der Abhängigkeit rein zu erhalten, uns wohl hüten müssen, Gott etwan als eine wahrnehmende und empfindende Seele der Welt zu denken" (1. Aufl., § 69 Anm.). Hier ist es zweckmäßig, zur Auslegung der theologischen Gedankengänge Schleiermachers seine naturphilosophischen Anschauungen vom Naturzusammenhang und dem Zusammenhang des Lebens überhaupt, wie er sie z. B. in seiner Dialektik oder in der philosophischen Ethik darstellt, heranzuziehen. Schleiermacher lehnt mit der naturphilosophischen Bildung seiner Zeit die Deutung der Natur als eines mechanistischen Kausalzusammenhanges, wie ihn die französische Aufklärung des 18. Jahrhunderts, aber auch die materialistische Naturphilosophie des späteren 19. Jahrhunderts sich vorstellte, ab. Dieser mechanistische Kausalzusammenhang ist etwas Totes. Natur, Menschen und Welt sind aber Leben. Die Natur ist ein Ganzes lebendiger Kräfte (1. Aufl., § 40,2). Sie ist auch nicht rein biologisch vitalistisch verstanden. Der Naturzusammenhang ist weder ein Kausalmechanismus noch ein bloß biologischer Prozeß, sondern eine Ordnung individueller Kraft- und Lebenseinheiten, die einerseits sich selber bestimmen, also teilweise frei sind, andererseits sich gegenseitig bedingen, also teil-

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weise abhängig sind. Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl überschreitet diesen Gegensatz von teilweiser Freiheit und teilweiser Abhängigkeit. Gottes Macht, die sich uns im schlechthinnigen A b h ä n g i g k e i t s g e f ü h l bezeugt, ist nicht eine solche geistig-seelische Kraft, wie sie in der W e l t vorkommt. Gott ist die Einheit und Totalität, die den Gegensatz v o n Sinnlichkeit und Geist zusammenhält und dadurch die Quelle alles endlichen Lebens ist. So bedarf die gesamte Lehre v o n der Schöpfung, wie sie überliefert wird, einer völligen Umgestaltung. Die Schöpfung ist nicht ein mythischer V o r g a n g in grauer Vorzeit und nicht ein Ereignis am A n f a n g der Erdgeschichte. W i r k ö n n e n als Christen nur das von Gottes Schöpferhandeln aussagen, dessen wir im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl unmittelbar innewerden. Zwei W a h r h e i t e n w e r d e n uns vermittelt: 1. Gott, der Schöpfer schafft und erhält unsere menschliche Existenz und bewirkt in uns das fromme Kreaturgefühl. 2. In diesem K r e a t u r g e f ü h l w e r d e n wir dessen gewiß, daß Gott die gesamte W e l t lebendig durchwaltet. Gottes Schöpfung und Erh a l t u n g sind dann inhaltlich dasselbe. Gott schafft den N e u a n f a n g des Lebens in unablässiger Folge und erhält dadurch das Leben. Das zeitliche Nacheinander unserer Vorstellungen dürfen wir nicht auf Gott übertragen. Darum hat die Schöpfung keinen A n f a n g in der Zeit. Es wird v o n Schleiermacher lebhaft bestritten, daß diese Schöpfertheologie eine isolierte natürliche Theologie darstelle. Die O f f e n b a r u n g von Allmacht und Allwissenheit Gottes in der Schöpfung ist nicht ein isolierter Vorgang. Inhalt und letztes Ziel der ewigen Allmacht Gottes ist die erlösende Liebe in Christus. „Gott sei die liebende Allmacht oder die allmächtige Liebe" (2. Aufl., § 167). Gottes Schöpferh a n d e l n wirkt auch in dem unerlösten Menschen. Das unerlöste Gottesbewußtsein ist aber in seiner Ohnmacht nicht fähig, Inhalt und Richtung des göttlichen Schöpferhandelns

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zu erfassen. Daher muß das gestöl te Gottesbewußtsein durch Christus erlöst werden, um Gottes Allmacht und ihre letzte Zielrichtung im frommen Selbstbewußtsein zu erlassen. Infolge dieser Läuterung und Reinigung der Schöpfertheologie muß auch der Wunderbegriii erneuert werden und von den verfehlten Vorstellungen der supranaturalistischen Metaphysik befreit werden. Alles Geschehen ist Wunder, sofern es der Glaube als Wirkung Gottes erfährt. Daher kann das Wunder der Frömmigkeit nicht ein magisch-mythischer Zauber oder ein supranaturalistisches Mirakel sein, das in den Lücken des von uns zu erforschenden Kausalzusammenhanges der Natur untergebracht werden kann (2. Aufl., § 34, Abs. 2). Wie steht es mit den Wundern des Neuen Testamentes? Schleiermacher hält die Berichte des Neuen Testamentes von den Wundern Jesu und der Auferstehung für glaubwürdig. Unsere Vorstellungen und Kenntnisse des Naturzusammenhanges reichen aber nicht aus, um sie in den Naturzusammenhang hineinzustellen. Das Wunderhafte an dem Wunder ist aber nicht das naturwissenschaftlich Erkennbare, sondern der Schöpferwille Gottes, der in ihm wirksam ist. Wir heutigen Christen sind in unserem Glaubensleben von diesen neutestamentlichen Wundern nicht mehr abhängig. Unsere Glaubensgewißheit beruht auf der Lebensgemeinschaft mit Christus. Wir stehen heute nicht mehr unter dem Eindruck der sinnlichen Gegenwart Christi, sondern unter dem Einfluß der geistlichen Wirksamkeit des Erlösers (2. Aufl., § 103). Die neutestamentlichen Wunder gehören darum nicht zur Begründung des lebendigen Glaubens an Christus, sondern zu unserem Vertrauen zu der Heiligen Schrift. Wir dürfen daher heute nicht auf die einzelnen Wunder Jesu sehen, sondern auf das geistige Gesamtwunder seines Erlöserlebens, das heute, gestern und in Zukunft die entscheidende Erlöserwirklichkeit ist. Christus ist der Gipfel der

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Wunder Gottes (7. Aufl. § 103, S. 117), „das absolute Wunder" (1. Aufl. § 124, S. 281). „Wir erkennen, daß dieses (Erlösungswunder) — von ihm abgesehen — durch alle Kräfte der uns bekannten Natur nicht hätte verrichtet werden können" (a. a. O.). Christus ist also das Wunder aller Wunder, allem wunderbaren Geschehen in unserer endlichen W e l t überlegen und dadurch auch das Ende der Wunder im Sinne des supranaturalistischen Mirakels. Theologische Darstellung des christlich-frommen Selbstbewußtseins Die Sündenlehre Schleiermachers ist in der neueren Theologiegeschichte immer wieder heftig kritisiert worden. Bereits seine Zeitgenossen, besonders Pietisten wie Tholuck, glaubten hier die Achillesferse seiner Theologie entdeckt zu haben. Für Tholuck und seine Freunde war in großer Einseitigkeit die Sündenlehre zum kritischen Maßstab für die Beurteilung einer Theologie gewählt worden, während in der Reformationszeit dieser Maßstab die Rechtfertigungslehre war. Infolge dieser besonderen pietistischen Norm fanden sie, daß Schleiermacher gerade in seiner Theologie der Sünde geirrt habe. Kennzeichnend dafür ist z. B. eine Tagebuchnotiz des jungen Wiehern, der die Dogmatikvorlesungen Schleiermachers gehört hatte. Er urteilte im Rückblick auf diese Vorlesung, „daß nach dieser Lehre das Böse seine schwarze Farbe mit der grauen vertausche"*. Im Gegensatz dazu hat neuerdings Karl Barth die Sündenlehre Schleiermachers im Zusammenhang seiner Darstellung des Nichtigen eine positive und verheißungsvolle Leistung genannt, wenn er auch die Gesamttheologie Schleiermachers

* Briefe und Tagebudiblätter D. Johann Hinricta Wichems, Band 1, S. 125. Hrsg. v. D. J . Wichern. Hamburg 1901.

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als „Bewußtseinstheolog>ie" ablehnt (Kirchl. Dogmatik III 3, S. 365ff.). Für unsere Untersuchung ist zunächst einmal im Gegensatz zu einer vorschnellen Diskriminierung das Verdienst der Sündenlehre Schleiermachers in der Theologiegeschichte hervorzuheben. Er hat die oberflächliche und moralistische Fehldeutung der Sünde in der Aufklärung widerlegt und hat damit in einer Zeit, die von optimistischer Fortschrittsgläubigkeit und einer dementsprechenden guten Selbstbeurteilung des Menschen als Exemplar der Humanität beherrscht war, sich in erheblichen Gegensatz zum Geist seiner Zeit und seiner Freunde gesetzt. Er hat der optimistischen moralischen Selbstbeurteilung der Aufklärung und auch der Humanitätsphilosophie durch seine Lehre von der Erlösungsbedürftigkeit und Sündigkeit des Menschen widersprochen. Schleiermacher hat vom christlichen Erlösungsglauben aus den religiösen Sinn der Sünde als Störung und radikalen Gegensatz gegen das Gottesbewußtsein überzeugend herausgestellt. Der Begriff Sünde ist bei ihm nicht eine psychologische, soziologische oder gar moralische Kategorie, vielmehr hat dieser Begriff einen ausgesprochen christlichen und theologischen Sinn; denn die eigentliche Erkenntnis der Sünde kommt aus der inneren Erfahrung der Lebensgemeinschaft mit Christus und dem darin enthaltenen Gottesbewußtsein. In Anlehnung an die Paulinischen Formulierungen im 7. Kapitel des Römerbriefes begreift er die Sünde als den „positiven Widerstreit des Fleisches gegen den Geist" (Glaubenslehre, 2. Aufl., § 66). In der 1. Auflage erläutert er den Gegensatz von Fleisch und Geist als den Widerstreit „dessen in uns, was Lust und Unlust hervorbringt" und „demjenigen in uns, was Gottesbewußtsein hervorbringt" (a.a.O., l.Aufl., §86). Man muß sich hüten, in diesem Gegensatz von Fleisch und Geist den Widerstreit zwischen Sinnlichkeit und Vernunft zu verstehen. Wenn er auch den

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Begriff der Sinnlichkeit zur Interpretation heranzieht, so ist der Gegensatz „Geist" nicht die abstrakte Vemünftigkeit and nicht die Vernunft, die die Ideen hervorbringt. Der Gegensatz von Fleisch und Geist ist bei ihm der Widerstreit zwischen unfrommem Weltbewußtsein der geschichtlichen Existenz, das sich als Für-sich-Tätigkeit des Fleisches und in sich ruhende Endlichkeit begreift, und dem Gottesbewußtsein. Erst wenn man sich dieses in der ganzen Konsequenz klarmacht, wird deutlich, daß Sünde eine spezifisch religiöse und christliche Bedeutung hat, weil das Sündenbewußtsein die Eiiahiung der Erlösungsbedüritigkeit im Gesamtzusammenhang des christlichen Erlösungsglaubens ist. Sünde ist dann die „vollkommene Unfähigkeit zum Guten" (1. Aufl., § 91; 2. Aufl., § 70), sie ist Erbsünde, dem Menschen eingeboren, eine innerliche und zeitlose Richtung auf das Sündigen, aber gleichzeitig ist sie auch als Erbsünde Tat und Schuld des einzelnen und Gesamttat und Gesamtschuld der Menschheit (1. Aufl., § 92). Die Erbsünde ist die innerliche und zeitlose Richtung auf die Sünde. Die Ursünde erscheint in der Zeit und dadurch entsteht die von der Ursünde zu unterscheidende aktuelle Sünde als konkrete Tat und Schuld (1. Aufl., §95). Die Menschheit steht wegen der Ursünde in der Solidarität des Sündigens; die Sünde ist eine ansteckende Kraft, die von Generation zu Generation fortwirkt. In diesem Sinne wird der Gedanke der Erbsünde aufgenommen, weil dieser Generationszusammenhang der Sündigen im Selbstbewußtsein erfahren wird. Nur in den Wiedergeborenen, die auch noch mit der Sünde zu kämpfen haben, ist diese ansteckende Kraft nicht mehr wirksam, weil die Erlösung in Christus grundsätzlich die Macht der Sünde gebrochen hat. Aber wo das Gottesbewußtsein durch die Erlösung nicht wiederhergestellt ist, übt die Sünde ihre zerstörende Wirkung aus. Das gilt für alles Schöne im antiken Heidentum, besonders aber auch für die moralischen Lei-

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stungen der bürgerlichen Gerechtigkeit (l.Aufl., §96,4). Auch die von Schleiermacher so hoch gewertete Vaterlandsliebe ist ohne das Gottesbewußtsein noch potenzierte Sinnlichkeit und höchstens eine fleischliche Gerechtigkeit. „Daher auch das Beste auf diesem Gebiete, sofern es unabhängig von der Kraft des Gottesbewußtseins besteht, nur zur fleischlichen Gesinnung, Weisheit und Gerechtigkeit gerechnet werden kann" (2. Aufl., § 70, 3). Die eigentliche Problematik behandelt Schleiermacher in dem dritten Abschnitt seiner Sündenlehre, der die Überschrift trägt „Von den göttlichen Eigenschaften, welche sich auf das Bewußtsein der Sünde beziehen" (l.Aufl., §101—106, 2. Aufl., § 79-85). Das Dilemma entsteht dadurch, daß Schleiermacher die Allmacht Gottes als Alleswirksamkeit verstehen muß und nun die Frage auftaucht, ob Gott auch die Sünde und das Böse gewirkt haben könne. Wenn Gott alles wirkt, müßte er auch der Urheber der Sünde sein. Wenn man aber nun mit Recht meint, Gott könne die Sünde, die er radikal verneint, doch nicht bewirken, dann müßte der Mensch oder der Teufel der Urheber des Bösen sein. Dann gäbe es aber in der Welt eigentlich zwei Götter, wie bei den Manichäern, Gott und den Teufel als zwei konkurrierende Mächte. Dies letztere ist aber für den christlichen Gottesglauben genauso unerträglich wie der Gedanke, daß Gott das Böse wirke. Wie kommt Schleiermacher zu einer Lösung dieser Frage? Zunächst muß zweierlei festgehalten werden. Gott bewirkt alles, was geschieht, zweitens Gottes Verhältnis zur Sünde ist dadurch gekennzeichnet, daß er sie durch sein Gesetz, durch seine Heiligkeit verneint und daß er sie durch seine Erlösung überwindet. Damit allein ist das Dilemma des christlichen Gottesglaubens noch nicht gelöst. Schleiermacher lehnt die üblichen theologischen Schleichwege, die immer wieder in der Theologiegeschichte vorkommen, ab. Die erste Verlegenheitslösung klammert sich an den Gedanken

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der Zulassung. Gott bewirkt zwar nicht das Böse, aber Gott läßt es zu, indem er seine unterstützende Hand von den Menschen zurückzieht. Schleiermacher weist darauf hin, daß diese Gedanken auch in der Augsburgischen Konfession vorkommen, die von einem menschlichen Willen spricht, von dem Gott seine Hand abgezogen hat*. Dieser Gedanke ist deswegen nicht tragbar, weil er eine Einschränkung der Allwirksamkeit Gottes bedeutet. Diese Einschränkung ist eine anthropomorphe Betrachtungsweise. Diese Redeweise ist nur zulässig vom menschlichen Regiment und seinen endlichen Verhältnissen. Dort gibt es eine geteilte Ursächlichkeit. Gottes Ursächlichkeit ist aber immer absolut (1. Aufl., § 103 Zus. 1; 2. Aufl., § 8 1 , 4 ) . Der andere Lösungsversuch besteht darin, daß man die Sünde als eine bloße Negation bezeichnet, sie für einen bloßen Mangel hält. Schleiermacher gesteht ein, „das Natürlichste wäre dann zu sagen, das Bewußtsein, welches wir durch das Bewußtsein der Sünde bezeichnen, sei in seinem ganzen Umfang . . . nichts anderes als das . . . uns vergegenwärtigte Bewußtsein des uns noch fehlenden Guten" (2. Aufl., § 68, Abs. 3). Diese Ansicht verwirft Schleiermacher energisch, weil sie sowohl die Wirklichkeit der Sünde als auch die Notwendigkeit der Erlösung aufhebt. Sie „läßt überall für die eigentümliche Tätigkeit eines Erlösers so wenig Spielraum übrig, daß sie kaum noch für eine christliche gehalten werden kann" (a.a.O.). Schleiermachers eigene Lösung vollzieht zwei Differenzierungen. 1. stellt er fest, Gott könne nicht in derselben Weise Urheber der Sünde sein, wie er Urheber der Erlösung ist (2. Aufl., § 80). Aber Gott hat, sofern wir nie ein Bewußtsein der Gnade haben ohne Bewußtsein der Sünde, das Sein der Sünde mit und neben der Gnade geordnet. Die Erlösung in Christus geschieht ohne Verdienst des Menschen. Keine noch so gute Tat des Menschen kann die * Vgl. Confessio Augustana X I X .

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Erlösung bewirken. Die Ausschließlichkeit des Gnadenwerkes Christi schließt jedes Mitwirken des Menschen aus. Gott hat das so gewollt und hat daher auch die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen geordnet. So kommt Schleiermacher zu der Aussage, Gott habe die Sünde nicht an und für sich, sondern nur in bezug auf die Erlösung geordnet. Die Sünde ist Störung und Ohnmacht des Gottesbewußtseins, und der gebietende göttliche Wille, bewirkt es, daß diese Störung des Gottesbewußtseins für uns Menschen Sünde wird und wir uns der Sünde bewußt werden. Es klingt in den Formulierungen Schleiermachers manchmal so, als ob der Akzent bei dem Begriff Sündenbewußtsein auf dem zweiten Teil des Wortes Hegt und ihm hauptsächlich daran liegt, daß wir uns der Sünde bewußt sind, d. h. Gott bewirke nicht die Störung und Ohnmacht, die die Sünde für das Verhältnis zu Gott bringt, sondern Gott bewirke durch seine Heiligkeit nur das böse Gewissen als Sündenbewußtsein. Das wäre aber ein Mißverständnis Schleiermachers. Gemeint ist, daß die Sünde aus der Freiheit und damit aus der verantwortlichen Tat des Menschen entspringt. Schleiermacher sagt ausdrücklich, die Freiheit des Willens schließt alle äußere Nötigung aus. Das Wesen des bewußten Lebens besteht darin, daß „jede Erregung erst von dem innersten Mittelpunkt des Lebens aus Bestimmtheit erhält" (2. Aufl., § 81, Abs. 2). Daher ist die Sünde des Sünders eigene Tat und die Tat keines anderen. Mit der Bewußtheit der Sünde meint Schleiermacher also die Verantwortlichkeit der frei aus dem innersten des Wesens entspringenden Tat. Die Sünde ist daher eine Realität und nicht bloß eine Betrachtungsweise des Menschen von sich selber. Sie ist ein positiver Widerstreit gegen das Gottesbewußtsein und gegen den Geist, der in uns das Gottesbewußtsein hervorruft. Neben dieser einen Antwort, daß Gott die Sünde nicht an und für sich, sondern die Sünde nur in bezug auf die Erlösung geordnet habe, steht bei Schleier-

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macher noch eine zweite Differenzierung. Gott verneint die Sünde absolut, daher ist sie vor Gott das Nichtige. In derselben absoluten Weise kann aber der Mensch Gott nicht widersprechen. Der Widerstreit gegen Gottes Geist hat nicht diese Radikalität und Absolutheit, wie der Widerspruch Gottes gegen die Sünde. So findet sich bei Schleiermacher folgende Formulierung: Die Sünde „ist doch auch auf ewige Weise in und mit der gesamten Entwicklung des Gottesbewußtsein von Gott gewirkt" (2. Aufl., § 81 Abs. 3). Im Zusammenhang des ganzen Erlösungsgeschehens ist also die Sünde als unsere eigene von dem Zusammenhang mit der Erlösung noch geschiedene Tat gewirkt. Das ist aber nur möglich, weil die menschliche Sünde nicht „ein schlechthinniger Widerspruch gegen den gebietenden Willen Gottes" sein kann (a. a. O.). Ein schlechthinniger Widerspruch gegen den gebietenden Willen Gottes wäre der Zustand der schlechthinnigen Verstockung, „den wir aus dem menschlichen Gebiet schon ausgeschlossen haben" (a. a. O.). Das heißt im Zusammenhang der Gedanken Schleiermachers: Gott ist stärker als die menschliche Sünde, die gegen Gott streiten will. Menschliche Sünde kann Gottes Schöpiungsund Erlösungshandeln nicht aulheben. Insofern ist die Sünde um der Erlösung willen geordnet und deswegen kann Schleiermacher auch feststellen, daß die Sünde zu den Bedingungen der Existenzstufe des menschlichen Geschlechtes gehört. Wir sind noch nicht im Reiche Gottes und darum ist das Sein der Sünde mit und neben der Gnade von Gott geordnet, weil nur so die schlechthinnige Hoheit und Majestät des Gnadenhandelns Gottes gewahrt werden kann. Wir sind noch in der Existenzstufe der menschlichen Geschichte, in der der Widerstreit zwischen Fleisch und Geist besteht. Durch Gott ist die Zeitlichkeit der Geschichte, d. h. der Prozeß des Werdens geordnet, d. h. daß die Sünde neben der Gnade mitgesetzt

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ist, die Sünde besteht als „verschwindend neben der Gnade" (2. Aufl., § 80 Abs. 2). Das gilt nur für das endliche zeitliche Werden der menschlichen Geschichte, in der noch der Gegensatz zwischen dem Reidi Gottes und der Welt besteht, den aber Gott geordnet hat, um die Allmacht und Allwirksamkeit seiner Gnade in der menschlichen Geschichte zu manifestieren. Schleiermacher hat sich also nicht damit begnügt, das Verhältnis Gottes zur Sünde als eine logisch und sachlich unauflösliche Paradoxie zu bezeichnen. Er will innerhalb der Geschichte Gottes mit den Menschen die Gewichte zwischen Gottes heiliger, gnädiger Allmacht und menschlichem Widerstreit richtig verteilen und bestimmte theologische Akzente setzen. Der entscheidende Gesichtspunkt ist der Universalismus der allmächtigen Liebe Gottes. Die christliche Sinnerfüllung des Prinzips der schlechthinnigen Abhängigkeit ist das Wirken der erlösenden Liebe Gottes. Vor Gott unter absolutem Gesichtspunkt ist die Sünde nichts. Unter dem Gesichtspunkt aber des Wirkens Gottes in dem zeitlich endlichen Werden der menschlichen Geschichte ist die Sünde ein Durchgangspunkt, eine Stufe des Menschen, die überwunden werden soll. Es ist zweifellos einfacher und bequemer, das Böse als das Eschaton und als die letzte Paradoxie zu bezeichnen, als in kunstvoller Systematik zu versuchen, die Gewichte theologisch richtig zu verteilen. Trotz der Anerkennung für die theologische Leistung dieser Systematik, der selbst Karl Barth seinen Respekt nicht versagt, darf man sich nicht verbergen, daß die Sündenlehre Schleiermachers sich dennoch von der Sünden- und Rechtfertigungslehre Luthers und von der Paulus-Interpretation Luthers unterscheidet. Man muß sich zunächst hüten, eine Theologie der menschlichen Schwäche als spezifisch lutherisch zu bezeichnen. Die moderne Skepsis, die von naturalistischen Gedankengängen, aber auch von den nihilistischen Argumen-

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ten innerhalb der modernen Existenzphilosophie getragen wird, trifft nicht den entscheidenden Punkt. Die Sündenlehre Schleiermachers ist nicht von einer Theologie der menschlichen Schwäche zu widerlegen. Die Sünde ist menschliche Tat, sie ist der Widerstreit gegen Gott aus dem innersten Zentrum der Lebendigkeit heraus. Sie ist daher nicht menschliche Schwäche. Sie ist aber eine Störung des Gottesverhältnisses, die durch Gottes Gnade überwunden wird. Bei Luther und in seinem Gottesgedanken spielt der Gedanke des Gerichtes Gottes und die Drohung der Vernichtung der menschlichen Existenz eine größere Rolle. Der Unterschied von Schleiermacher und Luther wird an einer Predigt Schleiermachers von 1830 vielleicht am besten deutlich, deren Thema Schleiermacher mit dem Satz formuliert: „Daß wir nichts vom Zorne Gottes zu lehren haben." Die biblischen Bilder vom Zorn und Gericht Gottes sind für Schleiermacher Anthropomorphismen. Der Zorn ist ein psychologischer Affekt, der im christlichen Gottesgedanken keinen Platz haben soll. Das Nein Gottes zur Sünde ist identisch mit seiner erlösenden Liebe. Schleiermacher läßt erkennen, daß seine Sünden- und Gnadenlehre in Antithese zu einer pietistischen Seelsorgepraxis steht, die den Menschen zunächst einmal bewußt in die Reue und den Bußkampf führt, um dann um so mehr die Seligkeit der Gnade groß zu machen. Schleiermacher steht innerlich mehr auf dem Standpunkte Zinzendorfs, bei dem die Grundstimmung des Christentums die Freude und Seligkeit der erfahrenen Gnade bildet. Die Bußkampfseelsorge des Hallenser Pietismus treibt nach seiner Ansicht ein seelengefährdendes Spiel, daß außerdem unwahr ist. Dennoch liegt hier anscheinend ein theologischer Kurzschluß bei Schleiermacher vor, der die Tiefe der Dialektik von Gericht und Gnaide bei Luther abschwächt. Die Geschichte Gottes mit der Menschheit ist bei Schleiermacher extrem supralapsarisch gedeutet

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und die Spannung zwischen Gericht und Gnade dadurch abgeschwächt. Nur insofern hat der immer wiederholte Einwand der Pietisten, daß bei Schleiermacher die Sünde nicht schwarz, sondern grau sei, ein gewisses Wahrheitsmoment. In derselben Richtung liegt auch die Kritik an dem Prinzip der schlechthinnigen Abhängigkeit, das auf das Kreaturgefühl und auf die Gnadenerfahrung der Erlösung vornehmlich abgestimmt ist, aber die Unbedingtheit der Gewissensforderung Gottes an den Menschen nur sekundär als teleologische Richtung der Frömmigkeit in § 11 der Glaubenslehre und in der Interpretation der Heiligkeit Gottes (2. Aufl., § 83) berücksichtigt. Schleiermachers Sündenlehre enthält zwei Bereiche oder zwei Aspekte: 1. den Aspekt der ewigen, heiligen Allmacht Gottes. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Sünde von Gott verneint und vernichtet. Gott ist alles und in allem. 2. Daneben gibt es den Gesichtspunkt, der Gottes Handeln im Prozeß der menschlichen endlichen Existenzstufe im Glauben erfährt. In diesem Bereich ist die Sünde als etwas Vorläufiges und als ein Durchgangspunkt „geordnet". Es ist bei Schleiermacher nicht hinreichend berücksichtigt, daß wir in erster Linie nur eine theologia viatorum betreiben können und die Existenzstufe der theologia gloriae Gegenstand christlicher Hoffnung ist. Christologie Das Lehrstück der Glaubenslehre von der göttlichen Würde des Erlösers ist zweifellos das Herzstück seiner Dogmatik. Seine Christologie hat mit Recht die besondere Aufmerksamkeit von Anhängern und Gegnern hervorgerufen. Diejenigen seiner Schüler und Anhänger, die im Laufe des 19. Jahrhunderts die Verknüpfung der altgläubigen, konfessionellen lutherischen Dogmatik mit seiner Theologie der Glaubenserfahrung versuchten, haben ihm wegen der

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Christologie viele sonstige Abweichungen von der alten Dogmatik und die U m w a n d l u n g biblisch-mythologischer Aussagen in m o d e r n e Lehrformulierungen verziehen. Aus demselben Grunde aber h a b e n seine Gegner unter den Rationalisten und Linkshegelianern g e r a d e dieses Zentrum seiner Theologie angegriffen, weil er auf dem halben W e g e stehengeblieben sei, weil er eine unechte Vermittlungstheologie betriebe und weil seine Theologie theologische Illusionen und Verschleierungen bringe, bis hin zur diffamierenden Etymologie seines Namens, daß Schleiermacher der M a n n sei, der die nackte W a h r h e i t verschleiere. Zwei methodologische Ansätze bestimmen seine Christologie. Erstens: Er h a t das Verhältnis der Lehre von der Person und dem „Geschäft" oder W e r k Christi neu bestimmt. Inhaltlich stehen beide Lehrstücke in einem Verhältnis der Interdependenz, d. h. sie sind gegenseitig v o n e i n a n d e r abhängig. Die dogmatischen A u s s a g e n über die Person sind gleichzeitig inhaltliche A u s s a g e n ü b e r sein „Geschäft" und umgekehrt. Zweitens: Das Verhältnis der theologischen Begrifflichkeit zur christlichen Existenz in der Lebensgemeinschaft mit Christus. Der § 15 bestimmt: die Lehraussagen der Dogmatik sind die christlich-frommen Gemütszustände in der Rede dargestellt. Daher hat man seine M e t h o d e lediglich als eine Reflexion auf das christliche Selbstbewußtsein v e r s t a n d e n und speziell von der Christologie b e h a u p t e t , sie wolle Rückschlüsse von den seelischen Erfahrungen der g e g e n w ä r t i g e n Christen auf den geschichtlichen J e s u s vollziehen, weil dieser geschichtliche J e s u s die auslösende Ursache für die seelischen Erlebnisse sei. Selbst der k o n g e n i a l e Biograph Schleiermachers Wilhelm Dilthey hat mit aus diesem G r u n d e die Christologie Schleiermachers abgelehnt: das Bild Jesu, das sich

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aus diesen Reflexionen auf das christliche Selbstbewußtsein ergäbe, sei nur eine nachträgliche Konstruktion und ein unhistorisches Postulat. Die christologischen Aussagen Schleiermachers lassen diese Auslegung nicht zu. Schleiermacher geht davon aus r daß Christus mit seinen Gläubigen in einem unmittelbaren Lebenszusammenhang steht. Die Beziehung zu Jesus ist ganz besonderer Art. Es ist nicht das Verhältnis der mitteilenden und verstehenden Teilgabe und Teilnahme menschlichen geistigen Lebens, sondern es ist die Teilgabe und Teilnahme am Gottesleben, es ist eine Seinsbeziehung zu dem Gott, der in Christus gegenwärtig ist. Es gibt einen unmittelbaren Lebenszusammenhang, eine Lebensgemeinschaft des Erlösten mit dem Erlöser. Es liegt bei Schleiermacher der Sachverhalt vor, den Adolf Schlatter in zutreffender Vereinfachung damit gekennzeichnet hat — P. Tillich (Syst. Theol. Bd. II, S. 127) weist erneut darauf hin —, daß wir niemanden so gut kennen wie Jesus. Gemeint ist hier die unmittelbare Lebensbeziehung, die uns das Sein Gottes in ihm erschließt, das Christushafte in ihm; das Schema von Ursache und Wirkung, und das Schema des Kausalrückschlusses ist hier mißverständlich. Es handelt sich in der Christologie um die Selbstbesinnung des gläubigen Christen, um das Unmittelbarwerden und das Innewerden des in Christus offenbarten Lebens. Das unmittelbare Selbstbewußtsein, das bereits bei Augustin der Ort der eigentlichen Wahrheits- und Wirklichkeitserfahrung ist, ist auch bei Schleiermacher der Ort, wo die Offenbarungswahrheit, die sich in dem einmaligen und urbildlichen Gottesbewußtsein Jesu manifestiert, auch im gläubigen Leben Geist und Wirklichkeit wird. Es liegt hier derselbe Prozeß vor wie im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl, wo die Wiiklichkeit Gottes sich unmittelbar erschließt und wo Gott nicht erst durch den Rückschluß auf das Woher dieses Abhängig-

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keitsgefiihls postuliert wird oder wo Gottesvorstellung nicht erst von woanders her begründet sein darf, um im unmittelbaren Selbstbewußtsein sich als Wirklichkeit zu erweisen. Die Christologie Schleiermachers basiert also nicht auf einem historisierenden Kausal-Rückschluß von der historischen W i r k u n g auf ihre Ursache, sondern auf der unmittelbaren existentiellen Glaubenserfahrung der Offenbarung in Christus. Die Fragen der historischen Kritik an den Berichten der Evangelien sind nicht mehr grundlegend. Zentral ist das aktuelle gegenwärtige Lebensverhältnis zu Christus, dem Gegenwärtigen, Lebendigen. Schleiermacher glaubt um Christi willen an die biblischen Berichte. Die mythologische Bildersprache der Bibel und die Umgestaltung des biblischen Zeugnisses in der Zweinaturenlehre des altkirchlichen Dogmas muß neu interpretiert werden. Schleiermacher will die biblische Bildersprache und das altkirchliche Dogma nicht beseitigen, aber für die heutige Theologie einen neuen „wissenschaftlichen Ausdruck organisieren" (2. Aufl., §96 Abs. 3). Er hat dieses existentielle O ff enbarungs Verständnis bereits bei der Analyse des schlecht hinnigen Abhängigkeitsgefühls und des in ihm wirksamen Gottesbewußtseins schon vorläufig und mehr formal gekennzeichnet. Das schlechthinmge Abhängigkeitsgefühl wird jetzt aber von der Christusoffenbarung aus inhaltlich bestimmt. Die göttliche W ü r d e des Erlösers ist nicht mythologisch oder supranaturalistisch zu erfassen. Die göttliche W ü r d e des Erlösers kann nicht sinnlich-gegenständlich als eine empirische Allmacht oder empirische Allwissenheit erfahren werden, wie das in den mythologischen oder supranaturalistischen Mirakeln angeblich geschieht (2. Aufl., § 93 Abs. 3). Nach Schileiiermachers Auffassung wird durch dieses Mirakeldenken die Glaubenserfahrung .der Offenbarung Gottes in Christus mehr verschlossen als eröffnet, mehr verdunkelt als verdeutlicht. Das gilt in besonderem Maße

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für die Metaphysik der Zweinaturenlehre. Schleiermacher begründet mit Nachdruck und sehr einleuchtend diese Kritik zunächst formal-logisch. Der Begriff Natur hat einen völlig verschiedenen Inhalt, wenn von der göttlichen Natur einerseits und von der menschlichen Natur andererseits gesprochen wird. Die menschliche Natur kann nur das endliche Dasein des Menschen bedeuten; daher kann man denselben Naturbegriff nicht auf Gott anwenden. Die göttliche Natur Christi kann nur darin sich kundtun, daß er das ewige Wort Gottes im Sinne des Prologs des Johannesevangeliums ist. Daher kann man hier einen einheitlichen metaphysischen Begriff Natur nicht vortäuschen. Ebenso ist es formallogisch bereits verwirrend, daß Christus in der Trinitätslehre eine der drei göttlichen Personen sei, die mit Gott eines Wesens sind, daß er aber andererseits in der Zweinaturenlehre eine menschliche und göttliche Natur haben soll. Diese mehr formallogischen Einwände gegen die alte dogmatische Begrifflichkeit treffen jedoch nicht das eigentliche Anliegen Schleiermachers. Der Grundfehler liegt in der s-upranaturalistischen Metaphysik. Sie ist immer noch gegenständliche Metaphysik. Gottes ewige Allmacht ist raumlos und auch nicht im Sinne des Supranaturalismus als «in überräumlicher Raum in Analogie zum endlicher Raum vorzustellen. Gottes Wesen ist zeitlos, und daher hat er auch nicht die supranaturalistische Zeitlichkeit der Mirakel, bei dienen Gottes Wirken anscheinend einen Anfang und ein Ende hat. Wenn Gottes Ewigkeit aber einen Anfang und ein Ende hätte, ist sie nicht deutlich von der Zeitlichkeit unterschieden. Vor allem aber verfälscht das supranaturalistische Denken die göttliche Allmacht dadurch, daß die Kausalität Gottes in Konkurrenz zu der endlichen Kausalität des Naturzusammenhanges tritt. Daher darf die göttliche Würde Jesu gerade um der Göttlichkeit willen und seines Erlösungswirkens nicht als ein supranaturalisti-

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sches Mirakel verstanden werden. Ebensowenig ist für ihn aber der christologische Weg der Aufklärung möglich. Jesus ist nicht der Lehrer einer Idee von Gott oder Tugend und der Unsterblichkeit, er ist auch nicht Vorbild und Träger eines religiösen Prinzips. Denn dann würde Jesus nur einen gedachten Gott lehren und durch das Lehren von religiösen und sittlichen Gedanken kann er die Menschheit nicht von ihren Sünden erlösen. Daher spricht Schleiermacher in Ablehnung dieser Irrwege seine Grundintention ganz klar und radikal aus. Der Erlöser ist durch die stetige Kräffcigkeit seines Gottesbewußtseins exklusiv von allen Menschen unterschieden, weil „ein eigentliches Sein Gottes in ihm war" (2. Aufl. § 94). Die erste Auflage formuliert das in § 116: Er ist „dadurch von allen anderen Menschen unterschieden, daß das ihm einwohnende Gottesbewußtsein ein wahres Sein Gottes in ihm war." Weil das in Jesus einwohnende Gottesbewußtsein ein wahres Sein Gottes ist, muß es von allem sonstigen menschlichen Gottesbewußtsein nicht nur dem Grade, sondern der Art nach scharf unterschieden werden. Auch das mit dem natürlichen und unmittelbaren Selbstbewußtsein dem Menschen mitgegebene Gottesbewußtsein kann nicht in strengem Sinne ein Sein Gottes genannt werden, weil es immer wieder durch das sinnliche Selbstbewußtsein, also das Weltbewußtsein, „überwältigt" wird. Jesus ist also der einzige ursprüngliche Ort, an dem es ein Sein Gottes gibt, da das Gottesbewußtsein in seinem Selbstbewußtsein „als stetig und ausschließlich jeden Moment bestimmend, folglich auch diese vollkommene Einwohnung des höchsten Wesens als sein eigentümliches Wesen und sein innerstes Selbst" gesetzt werden muß (§ 94, Abs. 2). „Ja, wir werden nun rückwärtsgehend sagen müssen, wenn erst durch ihn das menschliche Gottesbewußtsein 7

Redeker, Schleiermacher

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ein Sein Glottes in der menschlichen Natur wird und erst durch die vernünftige Natur die Gesamtheit der endlichen Kräfte ein Sein Gottes in der Welt werden kann, daß er allein alles Sein Gottes in der Welt und alle Offenbarung Gottes durch die Welt in Wahrheit vermittelt, insofern er die ganze neue eine Kräftigkeit des Gottesbewußtseins enthaltende und entwickelnde Schöpfung in sich trägt" (a. a. O.). Die „vernünftige Natur" ist die Menschheit, gemeint ist also, daß durch Christus die gesamte Menschheit unter die Herrschaft Gottes gestellt wird und dadurch auch alle endlichen Kräfte der Welt in ihrer schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott offenbar werden. Das heißt also: die göttliche Weltregierung in Natur und Geschichte und das göttliche Erlösungshandeln an der Gesamtheit der Welt wird durch Christais vermittelt und im Glauben erfahren. Zur Grundaussage der Christologie Schleiermachers gehört es, daß Christus als der Sündlose durch ein uibildlich kräftiges Gottesbewußtsein ausgezeichnet ist. Dieses Urbild ist in dem Menschen Jesus geschichtliche Wirklichkeit geworden. Im Gegensatz zur Hegeischen Christologie wird daran festgehalten, daß die letzte Vollkommenheit des Gottesbewußtseins, die Schleiermacher als Urbild bezeichnet, in der individuellen konkreten Erscheinung des geschichtlichen Jesus sich manifestiert. Die normale idealistische Philosophie hält es nicht für möglich, daß die Idee vollkommen in eine individuelle Erscheinung eingeht. Daher hat David Friedrich Strauß gerade an diesem Punkte gemeinsam mit Ferdinand Christian Baur die Christologie Schleiermachers kritisiert. Ihm hat sich auch der Biograph Schleiermachers, Wilhelm Dilthey, angeschlossen. Der Strahl des göttlichen Lichtes kann nach Meinung der Hegelianer nur gebrochen in die Erscheinungswelt eintreten. Daher könne auch der geschichtlichen Person Jesu nicht das Vorrecht zugesprochen werden, die vollkommene Offenbarung

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des Urbildes des 'Gottesbewußtseins zu sein. Der Begriff Urbild ist ein gebräuchlicher philosophischer Begriff der damaligen Zeit. In Kants Religionsphilosophie wird er im Sinne eines ideellen Prinzips auf Jesus angewandt. Er taucht auch bei Schelling auf. W e n n Schleiermacher diesen Begriff aufgegriffen hat, so hat er ihn vermutlich von Piaton übernommen, aber er hat ihn schöpferisch umgewandelt und produktiv mißverstanden. Die einzelnen Elemente dieser Urbildlichkeit Christi sind 1. die absolute Vollkommenheit, 2. die Produktivität als die schöpferische Kraft der Erlösung, 3. die Originalität und Einmaligkeit in der Geschichte. W a s Schleiermacher aber eigentlich zum Ausdruck bringen wollte, ist das Anliegen, das die alte christliche Theologie erfüllte, als sie die Mythen vom Gottessohn, Menschensohn und von dem Logos auf Jesus anwandte, um das Offenbarungsmächtige an der Gestalt Jesu zum Ausdruck zu bringen. Dahinter steht die Gewißheit, daß der Mythos, der in der antiken Mythologie ungeschichtlich ist, in Jesus Geschichte geworden ist und daß dadurch Jesus als der Christus zu v e r e h r e n ist. Dieses ursprüngliche Anliegen der Christologie will Sdileiermacher zum Ausdruck bringen, wenn er behauptet, daß der Erlöser Urbild und Wirklichkeil ist. In Christus wird der Mythos Geschichte. Es ist völlig deutlich, daß sich diese Christologie Schleiermachers vom altkirchlichen Dogma, insbesondere der Zweinaturenlehre, abhebt. In dieser Christologie ist nicht das komplizierte Verhältnis von zwei Naturen gegeneinander abgewogen, um dann doch bei den Negationen des Chalcedonense stehenzubleiben. Christus ist Mensch, aber eine völlig neue Schöpfung. Er ist der zweite Adam, womit Sdileiermacher an Paulus anknüpft. Auf der anderen Seite ist er aber das reine Sein Gottes, und zwar in der Weise, wie sich Gott überhaupt für das existentielle theologische Denken Schleiermachers in der Bestimmtheit des unmittel7*

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baren Selbstbewußtseins nur offenbaren kann. Man kann nicht sagen, daß Schleiermacher eine rein spirituelle Christologie vertrete. In Christus ist die Einheit von Geist und Fleisch vollzogen. Denn Gott ist ja der einheitliche Ursprung von Geist und Fleisch. Wegen der Einpflanzung des Gottesbewußtseins in Jesus ergibt sich aus dieser Herrschaft des Gottesbewußtseins auch eine Neugestaltung der Leiblichkedt des irdischen Jesus. Aber Christus ist eine einheitliche Person, die Lehre von den beiden Ständen ist überflüssig, die von Erniedrigung und Entäußerung ist fortgefallen, und die Doktrin von der communicatio idiomatum ist mit der alten Metaphysik geschwunden und durch den neuen existentiellen Offenbarungsbegriff ersetzt. Gottes ewige Allmacht und Geistigkeit war in ihrer unbedingten, ewigen Größe in Jesus gegenwärtig und hat das gesamte Leben Jesu zum Werkzeug und Abbild gestaltet. Das ist das Neue und Einfache gegenüber der Zweinaturenlehre. Schleiermacher hat die altkirchliche Zweinaturenlehre nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen, er hat sie aber umzuformen versucht. Er hat ferner die Lehre von der übernatürlichen Zeugung Jesu und auch das Lehrstück von der Anhypostasie oder Enhypostasie umgedeutet. Die übernatürliche Zeugung ist natürlich nicht im physiologisch-magischen Sinn zu verstehen, aber die Idee der übernatürlichen Zeugung soll erhalten bleiben; die Einpflanzung des urbildlichen Gottesbewußtseins in dem Menschen Jesus ist für ihn die übernatürliche Zeugung. Ebenso steht es mit der alten Frage, inwiefern die göttliche Natur Christi bei der communio naturarum das personbildende Moment sei und weswegen die menschliche Natur keinen Personkern haben könne. Schleiermacher legt auch hier Wert auf eine Ubereinstimmung zwischen dem altkirchliciien Dogma und seiner Christologie. Das eingepflanzte urbildlidie Gottesbewußtsein ist das eigentliche

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produktive Element, und die Menschheit Jesu ist Organ, Werkzeug und Abbild des absolut kräftigen Gottesbewußtseins. Man kann verstehen, daß seine Gegner in dieser Deduktion logistische Kunststücke sahen und Kahler von ScMeiermacher behauptete, er könne eben alles beweisen. Man darf Schleiermacher nicht unterstellen, daß er durch Begriffskunststücke sich den Schein der Orthodoxie habe geben wollen. Er hat sonst den Mut zur Abweichung von der kirchlichen Lehre gehabt. Wahrscheinlich hat er gemeint, daß die Umbildung des theologischen Denkens durch seinen neuen Offenbarungs- und Gottesbegriff sich nur allmählich vollziehe und daß von seiner Christologie aus man auch ein Verhältnis zu den dogmatischen Formulierungen einer anderen geschichtlichen Epoche gewinnen könne. Worin besteht die spezifisch erlösende Tätigkeit des Erlösers? Schleiermacher bestimmt diese Tätigkeit als Stiftung eines neuen Gesamtlebens durch Christus, indem er die unsündliche Vollkommenheit, id. h. die urbildliche Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins den Gläubigen mitteilt (2. Aufl., §88). Er kann auch kürzer formulieren: „Der Erlöser nimmt die Gläubigen in die Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins auf" (2. Aufl., §100). Dieses Gesamtleben, das von Christus in unser Leben eingepflanzt wird, ist der Zustand der Gnade, „in dem das neue Gesamtleben der Ort dieses Taterzeugens Christi ist, in welchem sich die fortwährende Wirksamkeit seiner unsündlichen Vollkommenheit offenbart" (a.a.O., Abs. 1). Die Erlösten verhalten sich in dem Gesamtleben mit Christo zu ihm, wie sich die menschliche Natur in Christo zu der göttlichen verhält (1. Aufl., § 121 Abs. 3; 2. Aufl., § 100 Abs. 2). Christus ist die personbildende, urbildliche, göttliche Kraft, die den entscheidenden geistig-persönlichen

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Impuls gibt, und die Gläubigen sind Organ und Abbild seiner erlösenden Tätigkeit. Die beiden wesentlichen Elemente dieser Tätigkeit sind Berufung und Beseelung. In der Vereinigung Christi mit den Gläubigen in dem neuen Gesamtleben ist die göttliche Andersartigkeit, also die qualitative und nicht nur die quantitative Überlegenheit Christi festgehalten gegenüber dem menschlichen Selbstbewußtsein. Man darf die Verschiedenheit zwischen dem Erlöserwirken Christi und dem frommen Selbstbewußtsein der Christen nicht psychologisch nivellieren. Das urbiidiiche Gottesbewußtsein Jesu erfüllt das Selbstbewußtsein des Menschen mit neuem Leben; das ist ein Analogon und Abbild des Vorganges der Inkarnation. Die Einwirkung Jesu auf den Gläubigen ist nicht nur ein menschlich innerseelischer, psychologisch begreiflicher Kausalzusammenhang. Die Inkarnation des Gottesbewußtseins Jesu in den Gläubigen ruft ein völlig neues Leben in dem menschlichen Selbstbewußtsein hervor, das gerade aus dem psychologischen Kausalzusammenhang der bloßen seelischen Beeinflussung, wie sie innerhalb der Menschen weit geschieht, herausfällt. Diese Inkarnation des Gottesbewußtseins Jesu in den Gläubigen ist niemals ein magischer Vorgang, der supranaturalistisch und metaphysisch zu deuten wäre. Schleiermacher lehnt das ab, weil man dann die Verbindung mit der geschichtlichen Erscheinung des Menschlichen, mit dem Menschen Jesu, aufgibt und dem Doketismus verfällt. Die Einwirkung Christi auf die Gläubigen ist seine personhaft geistige Tätigkeit durch das Wort. Auf der anderen Seite ist diese Mitteilung seines urbildlichen Gottesbewußtseins nicht eine Belehrung und Unterweisung durch Lehre und Vorbild, sondern geistig-personhafte Wesensmitteilung und eine Neusdiöpfung als Erlösung, Wiedergeburt und Heiligung. Schleiermacher betont die Differenzierung gegen-

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über dem supranaturalistischen und rationalistischen Fehlverständnis des Christusgeschehens. Die rationalistische Auffassung, die er in der ersten Auflage als „dürftig" bezeichnet, nennt er die empirische und die supranaturalistische die magische Erlösungstheorie. Seine eigene Christologie nennt er mystisch. Es ist aber schwer verständlich, daß es vielen Schleiermacher-Inteipreten entgangen ist, daß der Begriff mystisch bei Schleiermacher nicht mit unserem heutigen religionswissenschaftlichen Begriff Mystik übereinstimmt. Das ist bereits bei der Besprechung der „Reden" oben hervorgehoben worden. Das neue Leben und das Verhältnis zwischen Christus und den Gläubigen wird mystisch genannt, weil es denen, „welche nicht darin begriffen sind, nicht kann nachgewiesen werden, sondern die Wahrheit desselben ganz in der eigenen Erfahrung ruht" (a.a.O., 1. Aufl., § 121, 4 S. 257). Entsprechend seinem existentiellen Offenbarungsverständnis ist das Lebensverhältnis zwischen dem Erlöser und den Erlösten in der unmittelbaren Existenz des Glaubens und der Betroffenheit des Glaubens als Wirklichkeit zu erfahren. Daß unter Mystik nicht etwas Schwärmerisches verstanden wird, steht für Schleiermacher deswegen fest, weil sich das Lebensverhältnis auf den geschichtlichen Jesus bezieht, in dem das Gottesbewußtsein in höchster Vollkommenheit eingepflanzt war. Die Wirkung dieses Erlösers erfolgt ganz im Unterschied von der Mystik (als religionsgeschichtliches Phänomen) durch das Wort, durdi die geistig-personhafte Selbstdarstellung Christi in seiner geschichtlichen Erscheinung. Die versöhnende Tätigkeit Christi besteht in der Aufnahme der Gläubigen in die Gemeinschaft seiner Seligkeit (a. a.O., § 122, vgl. 2. Aufl., § 104). Die Versöhnung mit Gott beseitigt nicht Leiden und Tod, aber diese Übel sind durch die Versöhnung Christi nicht mehr Strafen Gottes für den Gläubigen. Leiden und Tod können also die Seligkeit der

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Gemeinschaft mit dem Erlösten nicht aufheben. Christus selbst hat wegen seiner Unsündlichkeit auch nicht die Übel, also Leiden und Tod als Strafe erfahren. Vielmehr hat er sein Leiden und seinen Tod ertragen in der Gemeinschaft mit Gott und hat dadurch bewiesen, daß die Gemeinschaft mit Gott wegen ihrer sündlosen Vollkommenheit Leiden und Tod überwindet. Christus hat aber an den Übeln, die die Menschen als Strafe empfinden, insofern teilgenommen, als er, ohne selbst strafwürdig zu sein, das Strafbewußtsein der Menschen und ihr Schuldbewußtsein mitgefühlt hat. Christus hat also nicht durch ein Sühnopfer auf magisch-supranaturalistische Weise Gericht und Strafe beseitigt, aber er hat durch seine geistige Tat, durch die geistige Stiftung eines Gesamtlebens und die Selbstdarstellung in Wort und Werk handelnd und leidend und in unser menschliches Gesamtleben hineintretend die Menschen, die sündig sind und ihrer Strafwürdigkeit bewußt waren, an sich gezogen und mit sich verbunden (a.a.O., § 123, Zus. b, S. 267). Die versöhnende Tätigkeit Christi ist vorzüglich sündenvergebend, und in der weiteren Entwicklung ist sie durch Vermittlung der Seligkeit segnend. „Da nun nur vermöge dieses Mitgefühls (Christi) eine Richtung auf das Hinwegnehmen des Übels in ihm sein konnte, so ist es offenbar richtig, sein Leiden in diesem Sinne auf die Versöhnung zu beziehen" (1. Aufl., § 122 Abs. 4). Diese theologische Auslegung des sog. Geschäftes Christi, die weder mit der altkirchlichen Christologie noch mit der aufklärerischen Entleerung des Kreuzes Christi übereinstimmt, setzt Schleiermacher unter dem Kopfschütteln seiner Gegner und Freunde .dennoch in Beziehung zu dem altkirchlichen Dogma vom Sühneopfer Christi und seinem stellvertretenden genugtuenden Strafleiden. In der zweiten Auflage seiner Glaubenslehre gibt er als Motiv dafür an, er wolle die Kontinuität mit der ursprünglichen christologi-

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sehen Lehre bewahren, er will sogar seine Übereinstimmung mit ihr nachweisen. Er sieht die neutestamentlichen und altkirchlichen Begriffsbildungen, die Christus als Propheten, Hohenpriester und König darstellen als „potenzierte Umbildungen" derjenigen Bilder und Lehren, „durchweiche sich im AltenBunde die göttliche Regierung offenbarte" (2.Aufl.,§ 102 Abs. 1). Für unsere Untersuchungen sind diese theologiegeschichtlichen Erwägungen Schleiermachers nicht so bedeutsam wie die andere Frage, aus welchem Grunde er tatsächlich der Auffassung gewesen ist, seine Christologie stimme zwar nicht in der Lehrformulierung, aber in der Grundrichtung mit dem altkirchlichen Dogma überein. „Endlich ist auch die innere Notwendigkeit eines solchen Todes für Christum selbst nicht zu verkennen, da er auch in diesem Augenblick die volle Herrschaft des Geistes über das Fleisch bekunden mußte, welche in diesem Grade weder bei dem Tode aus Altersschwäche noch bei dem aus zufälliger Krankheit zur Anschauung kommen kann. Auch dieser Gefahr aber, die Freiheit in dem Tode Jesu auf eine bedenkliche Art zu bestimmen, wird am besten vorgebeugt durch die Subsumption des leidenden Gehorsams unter das hohepriesterliche Amt Christi. Denn das Versöhnungsopfer war auch eine freie Berufshandlung des Hohenpriesters . . . einer feststehenden göttlichen Ordnung folgend ohne Spur eigener Willkürlichkeit" (1. Aufl., § 125 Abs. 3). Dadurch ist Schleiermacher dessen gewiß, den tieferen Sinn der oft angefochtenen Ausdrücke zu finden, daß Christus durch seine freie Hingebung in Leiden und Tod der göttlichen Gerechtigkeit genug getan und uns dadurch von der Schuld und Strafe der Sünde befreit habe. Nur in dem unsündlichen Leiden Christi kann sich uns die Art, wie Gott in Christus war, um mit sich die Welt zu versöhnen —• Schleiermacher gebraucht absichtlich die paulinische Formulierung — „zur vollständigen An-

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schaulichkeit vergegenwärtigen" (1. Aufl., § 125 S. 294). Christus ist derjenige, der uns „rein darstellt vermöge seiner eigenen vollkommenen Erfüllung des göttlichen Willens, . . . so daß wir in diesem Zusammenhang mit ihm auch Gegenstände des göttlichen Wohlgefallens sind" (2. Aufl., § 104 Abs. 3). Das ist der auf christlichem Boden nicht anzufechtende Sinn jenes oft mißverstandenen Ausdrucks, daß Christi Gehorsam unsere Gerechtigkeit sei oder daß seine Gerechtigkeit uns zugerechnet werde (§ 104 Abs. 4). Die Gerechtigkeit Christi und sein Opfertod sind nicht nur der zentrale Inhalt der Selbstverkündigung oder Selbstdarstellung Christi, die in die Lehre vom prophetischen Amte Christi einzuordnen wäre, sondern der hohepriesterliche Wert besteht in der Christusgemeinschaft in einem Doppelten: 1. „daß Gott uns in Christo als Genossen seines Gehorsams sieht" und 2. daß „wir Gott in Christo sehen und Christum als den unmittelbarsten Teilhaber der ewigen Liebe, welche ihn gesandt und ausgerüstet hat" (§ 104, Abs. 4). Damit will Schleiermacher die alte Lehre vom aktiven und passiven Gehorsam Christi erneuern. Das Verständnis dieses verhältnismäßig großen Teiles seiner Glaubenslehre wird dadurch erschwert, daß Schleiermacher um der Kontinuität der christlichen Lehraussage willen sich allzu große Mühe gibt, die Hauptformulierungen der altprotestantischen Dogmatik von der Genugtuung und der Stellvertretung Christi aufrechtzuerhalten. Er will diesen altprotestantischen Formulierungen einen neuen Sinn geben, um sie gegenüber der aufklärerischen Kritik — wie er sagt — leichter verteidigen zu können. Das stiftet für den heutigen Leser allzu leicht Verwirrung. Er lehnt eindeutig die sog Blut- und Wundentheologie, wie er sie selbst noch bei den Herrnhutern erfahren hatte, ab. In dieser Christologie werde fälschlich die tiefere Bedeutung des Leidens Christi in sinnlichen Einzelheiten gefunden und die Gesamtheit

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des Leidens Christi und dessen Gesamtsinn werde zerteilt um eines allegorischen Spiels mit diesen sinnlichen Einzelheiten willen. Am stärksten aber lehnt er die Theorie vom stellvertretenden Strafleiden Christi ab, wie sie im Gefolge von Anselm auch in die altprotestantische Dogmatik eingedrungen war. Er verurteilt erstens den Maßstab dieses Denkens, das in dem Strafleiden Christi eine quantitative Äquivalenz für die Sünden der Menschheit finden will. Der Unendlichkeit der menschlichen Sünde soll die Unendlichkeit des Strafleidens Christi und die Unendlichkeit seines Verdienstes entsprechen. Diese rationalistische rechenhafte Betrachtungsweise trifft nicht den Gesamtsinn des Leidens Christi. Sehr viel leidenschaftlicher ist sein Protest gegen den Gedanken der Vergeltungsnotwendigkeit für die menschliche Sünde. Er hält diesen Gedanken vom christlichen Gottesgedanken aus für widersinnig. Die Voraussetzung einer absoluten Notwendigkeit göttlicher Strafen und göttlicher Vergeltung, um dem Zorne Gottes genug zu tun, ist „schwerlich zu trennen von einer Vorstellung der göttlichen Gerechtigkeit, welche von den rohesten menschlichen Zuständen her auf Gott übertragen ist" (§ 104, Abs. 4). Außer diesen beiden Einwänden hat er zwei grundsätzliche Vorbehalte. Der erste Vorbehalt betrifft den Gedanken der Stellvertretung im Erleiden der Strafe. Bereits in der Krise des Glaubens, die er in Barby erlebte, war der Gedanke lebendig, den er in einer gewissen Abwandlung sein Leben lang festgehalten hat: Das was der Erlöser für die Erlösten tue, könne er und dürfe er nicht stellvertretend für die Erlösten tun wollen. Denn dann würde man den Erlösten zumuten, daß sie sich eigentlich hätten selber erlösen können. Dann hätte man uns selbst zumuten müssen, das neue Leben aus uns selbst heraus anzufangen (vgl. § 104, Abs. 4). Es widerspricht also dem Wesen der Erlösung, wenn man das Heilshandeln Christi als stellvertretend be-

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zeichnet. Denn die Sünder können sich nicht selber erlösen und können sich auch nicht selber mit Gott versöhnen. Schleiermacher will also der Genugtuung und der Stellvertretung einen anderen Sinn geben, so daß die Stellvertretung nicht Genugtuung und die Genugtuung nicht stellvertretend ist. Die Genugtuung identifiziert er mit der Erlösung. Damit gibt er ihr einen ganz anderen Sinn als dieser Begriff in der altkirchlichen Versöhnungslehre hatte. Das ist verwirrend. Die Stellvertretung ist nicht genugtuend, aber wirkliche Stellvertretung. Es gibt ein Mitgefühl des leidenden Christus mit den Sünden und dem Strafleiden der Menschen. Wir würden heute sagen, Christus ist solidarisch mit den Sündern und der Strafe der Sünder. Jedes Leiden eines Unschuldigen mit dem Leiden eines Schuldigen hat stellvertretenden Charakter. Schleiermacher kommt aber noch von dem Gedanken des Hohenpriestertums aus zu einer anderen Bedeutung der Stellvertretung. In Christi hohenpriesterlichem Gebet haben wir die denkwürdige Tatsache dieser Vertretung und auch in der Läuterung unseres Gebetes. Das Gebet im Namen Jesu enthält die Gewißheit „einer dasselbe heiligenden Mitwirkung Christi als Reinigung und Vervollständigung unseres Gottesbewußtseins. Diese Mitwirkung nun ist in dem Sinn seine Vertretung für uns, daß nur durch ihn unser Gebet wohlgefällig und wirksam vor Gott kommt" (§ 104, Abs. 5). Auch hier ist der Gedanke der Stellvertretung gegenüber der alten Dogmatik völlig abgewandelt. Um der Klarheit willen müssen wir nunmehr nach den positiven Aussagen über das Heilswerk Christi fragen. Der leidende und sterbende Christus ist für ihn nicht ein menschlicher Heros und ein Vorbild im Sinne der Aufklärung. Andererseits darf das Heilswerk des Opfertodes Christi nicht wie im Supranaturalismus im Sinne eines magischen Zaubers verstanden werden, bei dem durch ein Opfer der Zorn

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Gottes besänftigt wird. Das Heilswerk Christi hat seine Heilsbedeutung .in der geistig-personhaften Wirkung des Erlösens und Versöhnens auf die Gläubigen. Die Überlegenheit Christi gegenüber den Erlösten ist nicht nur quantitativ als vollkommenere Kräftigkeit des Gottesbewußtseins zu bestimmen, sondern er ist qualitativ überlegen, weil in ihm, dem Sündlosen, Gott wirklich gegenwärtig und lätig ist. So ist das Leiden und der Opfertod Christi ein Doppeltes. Einmal bringt der Opfertod Christi den in der Geschichte der Menschheit einmaligen Erweis der Herrschaft des göttlichen Geistes über das Fleisch, d. h. über die Sünde und die Weltversunkenheit des Menschen. Andererseits hat Christus dadurch, daß er die Sünde besiegt hat und die Erlösten in die neue Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch aufgenommen hat, nicht nur die Sünde besiegt, sondern auch die Folgen der Sünde aufgehoben, d. h. die Übel dieser W e l t sind für die Gläubigen nicht mehr Strafen für die Sünde. Deshalb hat Christus die Gläubigen mit Gott versöhnt, weil wir jetzt Gott in Christo sehen und Christum als den unmittelbarsten Teilhaber der ewigen Liebe, welche ihn gesendet und ausgerüstet hat. Das W e r k Christi ist mehr als eine Veranschaulichung seiner Verkündigung. Es ist Tat. In dem W e r k e Christi zeigt sich, daß das göttliche Wort, das in Christus menschliche Gestalt angenommen hat, Gottes schöpferisches Heilshandeln ist. Es wäre vom Standpunkt des heutigen Lesers besser gewesen, wenn Schleiermacher nicht versucht hätte, diese christologische Auffassung doch wieder mit den alten Begriffen von Genugtuung und Stellvertretung zu verbinden. In diesem Zusammenhange ist als Endergebnis festzuhalten, daß Schleiermachers Theologie und Christologie nicht nur das Evangelium des Weihnachtsfriedens in Konsequenz der Lehre von der Inkarnation des Logos im Fleisch gebracht hat. Nicht nur seine Predigt, sondern auch seine Dogmatik

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kann nicht auf die Botschaft vom Kreuze verzichten. Was ihn von der reformatorischen Kreuzestheologie unterscheidet, ist die Ablehnung des Gedankens der Sühne, den er ebenso wie den Gedanken der absoluten Vergeltungsnotwendigkeit eliminiert. Die christliche Theologie ist von ihren Anfängen bis zur Reformation dessen gewiß, daß die Sünde der Menschen eine Sühne erfordere. Nicht alle Theologen haben diese Sühne so verstanden, daß durch ein Sühneopfer gewissermaßen ein Gesinnungswandel des zornigen Gottes hervorgerufen werden müsse. Der Hauptgedanke der christlichen Theologie legt das Schwergewicht der Versöhnung darauf, daß Gott selbst diese Versöhnung im Opfer seines Sohnes vollzieht im Sinne der paulinischen Formulierung, daß Gott die Welt mit sich selbst versöhnt, d. h. daß Gott der allein Handelnde im Versöhnungsgeschehen ist. Die Gnade und Liebe Gottes wird zur Sentimentalität verfälscht, wenn nicht die Spannung von Gericht und Gnade, Gerechtigkeit und Liebe aufrechterhalten wird. Diese Spannung ist in Schleiermachers Christologie nur in abgeschwächter Form vorhanden. Der sündige Mensch empfindet die Übel dieser Welt als Strafen Gottes, und Christus erlöst die Menschen von ihren Sünden durch die Vergebung der Sünden und vollzieht damit gleichzeitig die Versöhnung, weil er das Strafbewußtsein aufhebt. Das hängt mit dem innersten Kern seines Gottesgedankens zusammen. Die Allmacht und Gewalt der heiligenden und den Menschen umwandelnden Liebe Gottes ist so stark betont, daß von Gott aus gesehen die Sünde in Nichts zerfällt. Vor der Allmacht und Liebe Gottes ist die Sünde das Nichts, weil die Allmacht des liebenden Gottes das Böse und die Sünde überwindet. In seiner Christologie ist alles auf das aktuelle Lebensverhältnis zu Christus konzentriert. Die biblischen Berichte von der Jungfrauengeburt, Auferstehung, Himmelfahrt

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Christi sind für dieses Lebensverhältnis zu Christus nicht unmittelbar relevant. Sie sind für die Dogmatik lediglich historische Berichte, die Schleiermacher für glaubwürdig hielt. Seine idealistische Naturphilosophie ermöglicht es ihm, diese Berichte von den wunderbaren Ereignissen des Lebens Christi für möglich zu halten. Für die Begründung der Glaubensgewißheiit sind sie aber unerheblich. D a s L e h r s t ü c k v o n d e r Wiedergeburt

und Heiligung

des

Christen ist eine sachlich und nicht bloß logisch konsequente Weiterführung seiner Christologie. Das entspricht seiner Aufteilung der Dogmatik. Auch die Christologie wird in dreifacher Hinsicht betrachtet: in ihrem Ertrag für die Gotteslehre, in ihrer Bedeutung für das christliche Selbstbewußtsein und in ihrer Bedeutung für die Beschaffenheit der Welt in der Beziehung auf die Erlösung. Dieser letzte große Abschnitt enthält seine Ekklesiologie und seine Eschatologie als die Lehre von der Vollendung der Kirche. Die Analyse des christlichen Selbstbewußtseins bei Schleiermacher entspricht der traditionellen Theologie des Heilsweges, handelt also von der Wiedergeburt, die die Bekehrung und Rechtfertigung umfaßt, und von der Heiligung. Die Wiedergeburt ist die Gründung und der Anfang des neuen Lebens und die Heiligung der Fortgang des neuen Lebens, das Wachsen in der Gnade. Die Wiedergeburt ist also nicht nur das menschliche Reagieren auf den Impuls, der von Christus ausgeht, sondern ist der Gnadenprozeß, durch den der Erlöser die neue Gemeinschaft zwischen Gott und dem Erlösten begründet. Den Prozeß der Wiedergeburt und Heiligung will Schleiermacher am liebsten aus dem Verhältnis des Erlösers zum Erlösten verstehen; und diese Lebensgemeinschaft, diese Vereinigung von Christus und dem Erlösten, erläutert er durch die Analogie der Vereinigung des göttlichen Logos mit dem Menschen Jesus in dem Ereignis der Inkarnation (vgl. 1. Aufl., § 131 S. 359).

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Die Wiedergeburt -wird als Bekehrung und Rechtfertigung verstanden. In der ersten Auflage steht die Rechtfertigung an erster Stelle. Die Bekehrung enthält die Buße als Reue und Sinnesänderung und den Glauben. Der Glaube ist die Aneignung der Vollkommenheit und Seligkeit Christi (2. Aufl., § 108). Buße und Glaube hängen innig zusammen und entwickeln sich aus derselben Quelle, aus der Einwirkung des Erlösers. Dem Glaubenden sind die Sünden vergeben und er ist als Kind Gottes adoptiert. Es wird also energisch bestritten, daß der Glaube unter Umständen noch ergänzt werden müsse, daß noch etwas ihm Fremdartiges hinzukommen müsse, z. B. die Früchte des Glaubens oder die Heiligung. Der Glaube betrifft den Anfang (die Wiedergeburt), aber auch die Heiligung. Der Glaube ist die Stiftung des Erlösers. Der Mensch kann ihn also nicht aus sich heraus entwickeln. Er ist niemals ein gutes Werk des Menschen, er kann also auch nicht die causa instrumentalis der Rechtfertigung sein. Unsere Frage ist nun, wie Schleiermacher innerhalb der Wiedergeburtslehre die Rechtfertigung bestimmt. Die Bekehrung entspricht der Erlösung und die Rechtfertigung der Versöhnung. Die beiden Teile der Wiedergeburt verhalten sich wie Mitteilung der Vollkommenheit und Mitteilung der Seligkeit Christi. Die Rechtfertigung bedeutet Vergebung der Sünden und damit die Adoption des Sünders als Kind Gottes. Die Rechtfertigung des einzelnen beruht nicht auf einem abgesonderten einzelnen Ratschluß Gottes. Es gibt nur einen ewigen und allgemeinen Ratschluß der Rechtfertigung des Menschen um Christi willen (2. Aufl., § 109 Abs. 3). Dieser göttliche Ratschluß ist identisch mit der Sendung Christi. Es ergeht also nicht ein besonderes Rechtfertigungsurteil für den einzelnen, aber das Bewußtsein der Rechtfertigung und Gotteskindschaft muß in dem einzelnen erweckt werden. Vor allem ist die Rechtfertigung nicht rein deklaratorisch zu verstehen.

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Sie ist die von Christus a u s g e h e n d e schöpferisch lebenerweckende Heilstat. In Gott sind G e d a n k e und Tat, W o r t und H a n d l u n g eins, und darum ist die Gerechtsprechung immer Gerechtmachung. Trotz aller w e i t g e h e n d e n Übereinstimmung mit der lutherischen Rechtfertigungslehre ist die Abweichung Schleiermachers v o n Luther auch in diesem Punkte nicht zu v e r k e n n e n . Die Rechtfertigung ist in d e r Theologie Luthers ein p a r a d o x e s Geschehen, d. h. eine H a n d l u n g Gottes, die unseren menschlichen Vorstellungen und Erwartungen widerspricht. Gott vergibt dem Sünder, der k e i n e V e r g e b u n g v e r d i e n t h a t und adoptiert den als Sohn, der sich selber die Sohnschaft verwirkt hat. Dieses p a r a d o x e Moment ist i n Schleiermachers Formulierungen nicht zu finden. Es fehlt hier die Spannung von Gerechtigkeit und G n a d e Gottes in der Rechtfertigung des Sünders, die bereits in d e r V e r s ö h n u n g s l e h r e vermißt wurde. Es ist nicht zu leugnen, daß im Verlauf des N e u p r o t e s t a n t i s m u s die Zahl der Christen und Theologen abgenommen hat, die bei Luther stehen. Das Verständnis f ü r die Paradoxie der grundlosen V e r g e b u n g Gottes und der Gedanke der Sühne ist bei einem großen Teil der Christen d e r Neuzeit geschwunden. So steht Schleiermacher damit nicht allein. Er ist der Sprecher einer größeren theologischen Bewegung und Entwicklung. In seiner Theologie wird die Rechtfertigung aus G n a d e und aus Glauben gelehrt; sie ist aber nicht m e h r die Rechtfertigungslehre Luthers. Auch in a n d e r e n Einzelheiten weicht er stark von der dogmatischen Tradition ab. Als Beispiele seien nur seine Ablehnung des Begriffes des Sakramentes, seine Kritik an der Kindertaufe und sein Widerspruch gegen den sog. dritten Gebrauch des Gesetzes f ü r die W i e d e r g e b o r e n e n genannt. Von seiner Christologie aus lockert er auch die S p a n n u n g v o n Gesetz u n d Evangelium, die bis dahin f ü r die lutherische Theologie m a ß g e b e n d war. In der ersten A u f l a g e hebt

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er diese Spannung geradezu auf, wenn er auf S. 684 formuliert: „Das Bewußtsein des Gesetzes, worauf sich das sittliche Gefühl bezieht, ist ein Durchgangspunkt in der göttlichen Mitteilung, also nichts anders als die göttliche Liebe auf einem bestimmten Entwicklungspunkt betrachtet." Am meisten Kritik hat seine Stellung zur Eschatologie gefunden. Man hat behauptet, er habe überhaupt auf die Eschatologie verzichtet. Schleiermacher selbst ist an dieser Kritik nicht ganz unschuldig. Die Kritiker der Eschatologie Schleiermachers gehen im allgemeinen von seiner philosophischen Ethik aus. Das Zentralthema diieser philosophischen Ethik ist die Herrschaft des Geistes über das Fleisch, die Einwirkung der Vernunft auf die Natur, auf der der Fortschritt der menschlichen Geschichte und der menschlichen Kultur beruht. Die philosophische Ethik Schleiermachers ist daher eine sehr überzeugungskräftige Darstellung der Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts. Ist ein solcher Fortschrittsglaube, auch wenn er nur auf dem Gebiete der Kultur- und Geschichtsphilosophie vertreten wird, nicht fakti-sch. das Ende aller christlichen Eschatologie? Aber auch in seiner Dogmatik bringt Schleiermacher Darlegungen über die göttliche Weltregierung und die Weltgestaltung des christlichen Glaubens, die eine Eschatologie des christlichen Erlösungs- und Vollendungsglaubens auszuschließen scheinen. Die göttliche Weisheit ist eine göttliche Selbstmitteilung, die durch die Erlösung die Welt gestaltet und ordnet. Die Welt ist jetzt das „schlechthin zusammenstimmende göttliche Kunstwerk" (2. Aufl., § 168 Abs. 1). Die Mitteilung der göttlichen Weisheit wird in ihrem zeitlichen Fortschreiten uns immer mehr zur vollkommenen Darstellung der allmächtigen Liebe Gottes. Darum ist die göttliche Weisheit „der Grund, vermöge dessen die Welt als Schauplatz der Erlösung auch die schlechthinnige Offenbarung des höchsten Wesens ist, mithin gut" (2. Aufl., §169). In der

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ersten Auflage sagt Schleiermacher sogar, die Welt sei der Schauplatz der Erlösung und darum die vollkommene Offenbarung der göttlichen Weisheit oder die beste Welt (§ 185). Die Christusoffenbarung ist daher schon die vollkommene Erlösung für den Menschen und diese Welt. Schleiermacher schließt also daraus, „daß wir nach einer größeren göttlichen Mitteilung nicht aussehen sollen als die mittels der Erlösung durch Christum in dem Menschengeschlechte bewirkte" (2. Aufl., § 169 Abs. 1). Daher scheint die Vollkommenheit der Christusoffenbarung die Vollendungsoffenbarung in der Ewigkeit auszuschließen. Dem widerspricht, was Schleiermacher in seiner Glaubenslehre 2. Aufl., § 157 ff., von der Vollendung der Kirche lehrt. Die Kirche kann im Verlauf des menschlichen Erdenlebens nicht zur Vollendung gelangen. Schleiermacher erhofft, daß die Einwirkung des Erlösers auf die Kirche sich immer mehr verstärken wird, so daß die Herrlichkeit des Erlösers sich immer deutlicher abspiegelt. Aber selbst wenn ein immer größerer Teil der Menschheit in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen würde und an dem Gesamtleben des Christus teilnähme, so ist damit doch nicht eine Vollendung der Kirche in der Zeit des menschlichen Erdenlebens zu erwarten. Die Kirche steht stets im Kampf mit den Einwirkungen der Sünde und dem Widerstande der Welt. Sie wird daher niemals die vollendete triumphierende Kirche, sondern immer die streitende Kirche bleiben müssen. Als Hoffnung des christlichen Glaubens ergeben sich zwei Glaubens- und Hoffnungsmotive: Erstens die Vollendung der Kirche im Reiche Gottes jenseits des menschlichen Erdenlebens und zweitens der Glaube an das Fortbestehen der menschlichen Persönlichkeit. Diese Hoffnung ist bereits im Christusglauben enthalten. Der Glaube an den Erlöser enthält den Glauben an die Unveränderlichkeit der Vereinigung des göttlichen Wesens mit der

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menschlichen Natur in der Person Christi. Darin ist der Glaube an das Fortbestehen der menschlichen Persönlichkeit jenseits des Todes mitenthalten. Denn die Person des Erlösers vermittelt durch das Gesamtleben mit dem Gläubigen ein Personsein, dessen Fortbestehen dem Erlösten gewiß ist. Schleiermacher unterscheidet diesen personhaften Ewigkeitsglauben des Christen sehr deutlich von dem Unsterblichkeitsglauben eines allgemeinen Gottesbewußtseins Er distanziert sich hier sehr deutlich von den „Reden", in denen er die Frage nach dem personhaften Fortbestehen offenließ, weil die wahre Unsterblichkeit bereits mit der Gottesoffenbarung im Augenblick des diesseitigen Lebens gegeben sei. Davon weicht Schleiermacher jetzt in der Glaubenslehre ab. Er gibt zu, daß in diesen beiden Motiven der christlichen Endhoffnung die Tendenz enthalten ist, sich den vollendeten Zustand der Kirche und auch der Persönlichkeit des Erlösten gegenständlich vorzustellen. Andererseits lehnt er eine Glaubenserkenntnis von diesem eschatologischen Vollendungszustand ab, weil die Glaubenserfahrung der Erlösung nicht eine Aussage über den Vollendungszustand erlaubt (§ 157, Abs. 2). Da Christus das Ende aller Weissagung ist, kann auch die Kirche keine Gabe des Geistes anerkennen, der das Bild einer Zukunft „vorbildet, auf welche —• weil ganz jenseits aller menschlichen Dinge liegend — unsere Tätigkeit gar keinen Einfluß ausüben kann, ja deren Bild wir aus Mangel aller Analogie schwerlich richtig zu fassen oder sicher festzuhalten vermöchten" (a.a.O.). Wenn also der Glaube an die Realität der vollendeten Kirche und der Glaube an das Fortbestehen der menschlichen Persönlichkeit dm gegenwärtigen Glaubensleben eine „wirksame treibende Kraft in uns" ist, so sind wir nicht berechtigt, über d/ie Art und Weise dieser Fortdauer uns Vorstellungen zu machen. Denn unser gesamtes Vorstel-

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lungsvermögen bezieht sich nur auf ein räumlich und zeitlich erscheinendes Dasein. Die Ewigkeit Gottes ist aber raumlos und zeitlos. Daher vermögen wir uns die Fortdauer in einem Leben nach dem Tode ebensowenig in der Form „der ins Unendliche fortgehenden Entwicklung als in der einer sich selbst gleichbleibenden Vollendung" wirklich vorzustellen, „indem