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German Pages 365 Year 2004
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 954
Forschungsfreiheit und Kommerz Der grundrechtliche Schutz mit wirtschaftlicher Zielsetzung betriebener Forschung und ihrer Verwertung, beispielhaft anhand der Arzneimittelzulassung
Von
Manuel Kamp
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MANUEL KAMP
Forschungsfreiheit und Kommerz
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 954
Forschungsfreiheit und Kommerz Der grundrechtliche Schutz mit wirtschaftlicher Zielsetzung betriebener Forschung und ihrer Verwertung, beispielhaft anhand der Arzneimittelzulassung
Von
Manuel Kamp
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11432-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2003 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Sie ist auf dem Stand von November 2003. Für die Drucklegung wurden nach der Disputation geringfügige Änderungen und Aktualisierungen vorgenommen. Um das Vorwort nicht zu einer „Register-Arie des Dankens“ (so die glossierte Kritik von Küper, „Dank-Kaskaden“, JZ 2000, 614) ausarten zu lassen, beschränkt sich mein an dieser Stelle geäußerter Dank auf den Referenten und Koreferenten: Herr Professor Dr. Michael Sachs hat diese Arbeit nicht nur angeregt, sondern auch ihren Fortgang in vielfältiger Hinsicht sehr gefördert. Ebenso hat Herr Professor Dr. Wolfram Höfling das Promotionsverfahren mit dem raschen Zweitvotum voran getrieben. Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat mir in der Studien- und Promotionszeit finanzielle und ideelle Förderung zukommen lassen. Die Drucklegung der Arbeit wurde durch die Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung gefördert, wofür auch ihr mein Dank gilt. Gewidmet sei diese Arbeit dem Andenken meiner viel zu früh verstorbenen Eltern. Aachen, im November 2003
Manuel Kamp
Inhaltsübersicht
1. Teil Einleitung und Problemstellung
17
2. Teil Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
19
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Rechtsbegriff des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. „Ärztliche Vertretbarkeitsprüfung“ (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG) . . . . . . . . . 24 D. Therapeutische Wirksamkeit oder ihre Begründung nach dem „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3. Teil Schutz der Erkenntnissuche
37
A. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Untersuchung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . 208
4. Teil Schutz der Verwertungshandlungen
218
A. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 B. Untersuchung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . 299
8
Inhaltsübersicht 5. Teil Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
305
A. Grundrechtsträgerschaft forschender Industrieunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 305 B. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 6. Teil Zusammenfassung in Thesen
326
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung und Problemstellung
17
2. Teil Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
19
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Rechtsbegriff des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. „Ärztliche Vertretbarkeitsprüfung“ (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG) . . . . . . . . . I. Stellung der Ethik-Kommission im Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . II. Von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG erfaßte Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prüfungsgegenstand der Ethik-Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelung des AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelung der EG-Richtlinie über die klinische Prüfung . . . . . . . . . . . . 3. Selbstverständnis der Ethik-Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 24 26 28 28 29 30
D. Therapeutische Wirksamkeit oder ihre Begründung nach dem „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Probleme bei der Bestimmung der Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Datenerfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung der Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 32 33 33 34
3. Teil Schutz der Erkenntnissuche
37
A. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Untersuchung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutzbereich: Keine Schädlichkeit von wirtschaftlicher Verwertungsabsicht bei Durchführung der Erkenntnissuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansatzpunkte zur Annahme einer Schädlichkeit der Verwertungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 38 38 41
10
Inhaltsverzeichnis 3. Ansatzpunkte zur Annahme einer Unschädlichkeit der Verwertungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subsumtion unter anerkannte Merkmale der Forschungsfreiheit . aa) Einzelbetrachtung der Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Ausrichtung der Industrieforschung an Erkenntnisgewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Betreiben der Erkenntnissuche um ihrer selbst willen nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Offene Wahl der Forschungsthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen nicht planbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Wettbewerblicher Zwang zur offenen Themenwahl (cc) Betreiben von Grundlagenforschung . . . . . . . . . . . . . . (dd) Planung auch im Bereich der Hochschulforschung notwendig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ee) Recht des Forschers zur eigenständigen Themenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ff) Besonderheiten der Arzneimittelforschung . . . . . . . . (3) Distanz zum Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Nur systematische Ausblendung von Fremderkenntnissen wissenschaftsuntypisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Wirkungen der Macht des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . (4) Veröffentlichung der Forschungsergebnisse und Kontakt zur „scientific community“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Notwendigkeit dieses Kriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Kriterium der Publizität auch bei mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung erfüllt . . . . . . . . . . . . . (cc) Verzögerung der Publizität ohne Belang . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesamtbetrachtung der Merkmale bei Kumulation externer Einflußfaktoren – Berücksichtigung des Wandels der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geänderte gesellschaftliche Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Offenheit der Verfassungsinterpretation für Wandlungsprozesse zur Gewährung größtmöglicher Freiheit . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Auslegung: Kein allgemeiner Grundsatz des Ausschlusses der Anwendbarkeit eines tatbestandlich erfüllten Grundrechts wegen mit seiner Ausübung bezweckter Gewinnerzielung aa) Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 und 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 48 49 50 50 52 56 59 61 62 63 64 65 66 67 67 68 71 72 75 80 85
85 87 88 95
95 96 97
Inhaltsverzeichnis
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cc) Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . (1) Qualifizierung von Vereinigungen mit wirtschaftlicher Tätigkeit als Religionsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grundrechtsschutz der konkreten wirtschaftlichen Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine Festlegung eines bestimmten Versammlungszwekkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gemeinsame Zweckverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und Gebot der Durchsetzung der Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . (2) Durchsetzung der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . hh) Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . jj) Privatschulfreiheit (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . kk) Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 und 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) mm) Freizügigkeitssgarantie (Art. 11 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . nn) Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) . . . . . . . oo) Petitionsrecht (Art. 17 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . pp) Justizgarantien (Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . qq) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein zusätzliches Einschränkungskriterium der Forschung zum Gemeinschaftswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dafür: Gesellschaftliche Dimension der Forschung . . . . . . . . bb) Einwände gegen ein Kriterium der gesellschaftlichen Nützlichkeit von Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Systematische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inhalt der institutionellen Gewährleistung und des objektiv-rechtlichen Gehalts von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . (3) Irrtümer bei Bestimmung der Nützlichkeit von Forschungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Proportionalität zwischen Unbeeinflußtheit der Forschung und deren Nutzen für die Gesellschaft . . . . . . . . . d) Forschungssteuerung durch materiale Bestimmung des Inhalts . . e) Bestehen anderer Schutzmöglichkeiten ohne Relevanz . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 99 100 105 105 109
111 111 114 114 117 119 121 123 125 126 127 129 129 130 131 131 132 134 134 138 140 142 143 145 147 147
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Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeine Anforderungen an die Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG . . . . . . . . . . . a) Ansatzpunkte zur Ablehnung einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansatzpunkte zur Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine „Schutzbedürftigkeit“ des Forschers . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine immanente ethische Begrenzung der Forschungsfreiheit (1) Keine ungeschriebene Forscher-Verantwortung . . . . . . . . . (2) Keine immanente verfassungsrechtliche Begrenzung i. e. S. cc) Kein Unterschreiten einer etwaigen Geringfügigkeitsgrenze d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung durch äußere Erschwerungen der klinischen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zurechnung der Grundrechtsbeeinträchtigung Privater . . . . . . . . . . b) Verstärkung der Beeinträchtigung bei multizentrischen Prüfungen 4. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung durch Pflicht zur Versicherung der klinischen Prüfung, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG . . . . a) Die Probandenversicherung nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inkongruenz von Versicherungsbedingungen und gesetzlichen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Personale Begrenzung des Versicherungsschutzes . . . . . . . . . bb) Zeitliche Begrenzung des Versicherungsschutzes . . . . . . . . . . cc) Begrenzungen der Versicherungssumme . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgen für die Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigungen 1. Maßgebliche Schranken von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine geminderten Rechtfertigungsanforderungen wegen kommerziellen Bezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reduzierte Anforderungen wegen höherer Fremdbestimmtheit? . . b) Keine reduzierten Anforderungen wegen Vollwertigkeit der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die Zulassungsvoraussetzungen des AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ethische Gesichtspunkte: Prüfung der „ärztlichen Vertretbarkeit“, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine vollständige Rechtfertigung durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (1) Schutz vor Gesundheitsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Über den Gesundheitsschutz hinausgehende ethische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147 152 153 154 155 159 161 161 162 171 174 174 174 176 177 177 179 179 180 181 183 185 185 187 187 188 190 190 190 190 192
Inhaltsverzeichnis
13
bb) Keine Rechtfertigung durch Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . cc) Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . dd) Aspekte zur Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Erschwernisse durch das Votum der Ethik-Kommission c) Erschwernisse durch die verpflichtende Probandenversicherung, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Pflicht zum Abschluß einer Versicherung an sich . . . . . . . . . . bb) Unmöglichkeit eines Versicherungsabschlusses gem. den Anforderungen des AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193 199 203 205
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . I. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzbereich und relevante Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . a) Betreiben von Wissenschaft und Forschung als Beruf . . . . . . . . . . . b) Beeinträchtigung der Berufsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Drei-Stufen-Lehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beeinträchtigung durch die Tätigkeit der Ethik-Kommission, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beeinträchtigung durch die Pflicht zum Abschluß einer Probandenversicherung, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG . . . b) Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 209 209 209 211
206 206 208 208
213 213 213 214 215 216
4. Teil Schutz der Verwertungshandlungen
218
A. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 B. Untersuchung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ansatzpunkte zur Abgrenzung der Erkenntnissuche von Produktion und Anwendung der Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ungeeignete Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignete Ansatzpunkte: Neuheit der Erkenntnisse und Eigenständigkeit der Erkenntnissuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Neue Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personaler Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grad der Neuheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusätzliches Kriterium: Innere Beziehung zum vorhandenen Wissensstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Sonderfragen bei der Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
219 219 219 220 222 222 224 225 226 227 228
14
Inhaltsverzeichnis 2. Einwände gegen die Einbeziehung von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . a) Wissenschaftsindifferentes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weite des Schutzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematische Auslegung: Schutz auch von Verwertungshandlungen bei Kunst- und Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleichbarkeit des Grundrechts mit der Forschungsfreiheit bb) Schutz der Verwertungshandlungen bei der Kunstfreiheit . . . b) Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine erweiterte Auslegung des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit II. Relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 4 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorwirkungen von Einschränkungen wirtschaftlicher Verwertungshandlungen als Beeinträchtigungen der Erkenntnissuche . . . . . . . . . . . a) Verwertungsmöglichkeit als Voraussetzung für Zweckforschung . b) Verwertungsmöglichkeit als wirtschaftliche Grundlage der Erkenntnissuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hohe Kosten von Forschungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anerkennung der Verfügbarkeit wirtschaftlicher Ressourcen als Grundlage freier Forschung in anderen Bereichen . . . . . . cc) Folgerungen für den Schutz der Verwertungshandlungen . . . c) Art. 15 Abs. 2 des Entwurfs von Herrenchiemsee . . . . . . . . . . . . . . d) Kriterien zur Bestimmung der Grenzen der Vorwirkung von Einwirkungen auf Verwertungshandlungen auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG aa) Person des Verwertenden: Forscher oder Dritte . . . . . . . . . . . . bb) Gegenstand der Verwertung: Erkenntnisprodukt oder aufgrund dessen erzeugte Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ziel des eingreifenden Akts: Allgemeine Gesetze . . . . . . . . . dd) Reichweite der Grundrechtsbeeinträchtigung: Vereitelung oder modale Beschränkung der Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Stellungnahme und Entwicklung einer eigenen Lösung . . . . (1) Kritik an den dargestellten Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Maßgebliches Kriterium: Auswirkung auf die Erkenntnissuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Erster Grundtypus: Keine Möglichkeit zur Refinanzierbarkeit der Erkenntnissuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Zweiter Grundtypus: Nur Möglichkeit der Refinanzierbarkeit der Erkenntnissuche ohne Gewinnchance (cc) Dritter Grundtypus: Nur Reduzierung der Gewinnmarge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 229 233 234 234 234 237 242 243 244 244 246 246 248 252 252 253 256 259 260 261 261 262 262 263 263 267 268 269 271 272
Inhaltsverzeichnis 2. Untersuchung der Vorwirkungen von § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 4 AMG auf die Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bezugnahme auf den „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG . . . . . . . aa) Relevante Beeinträchtigung nach den entwickelten Kriterien: Gänzliches Verwertungshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Daneben inhaltliche Steuerung der Forschungstätigkeit . . . . . (1) Meinungsstand zur Beeinflussung des Forschungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Entscheidung wissenschaftlicher Streitfragen durch öffentliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Unerreichbarkeit der vom Forscher aufgestellten These kein geeignetes Ausschlußkriterium . . . . . . . . (cc) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlen der therapeutischen Wirksamkeit oder ihrer Begründung, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Untersuchung von Vorwirkungen auf die Forschungsfreiheit anhand weiterer Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Positivliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Festbetragssystem und sog. Aut-idem-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausstieg aus der gewerblichen Nutzung der Kernenergie . . . . . . . . III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine reduzierten Rechtfertigungsanforderungen wegen kommerziellen Bezugs der Verwertungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Untauglicher Ansatz: Abstufung des Schutzes nach Grad der Außenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tauglicher Ansatz: Schutzbedürfnis der kollidierenden Verfassungsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bezugnahme auf den „jeweils gesicherten Stand der Wissenschaft“ . 3. Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . I. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Relevante Beeinträchtigung des Schutzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigung II. Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzbereich und relevante Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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273 273 273 274 274 276 276 278 280 281 282 282 284 286 288 288 288 290 294 296 298 299 299 299 299 301 301 302
16
Inhaltsverzeichnis 5. Teil Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
A. Grundrechtsträgerschaft forschender Industrieunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . I. Relevanz der Binnenorganisation für die wesensmäßige Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unabhängigkeit der wesensmäßigen Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG von Freiräumen im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgeschlagene Lösungswege im Bereich der allgemeinen Grundrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anknüpfung nur an den konkret-individuellen Rechtsfall . . . . . . . . . . 2. Maßgeblichkeit allein von Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG . . . a) Übertragung der Schranken des schwächsten Grundrechts . . . . . . b) Maßgeblichkeit des Schwerpunkts der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung: Zuordnung zu dem Grundrecht, das schwerpunktmäßig betroffen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßgeblichkeit sowohl von Art. 5 Abs. 3 als auch von Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wertkumulation: Schutz des vorbehaltlosen Grundrechts wird durch das mit Gesetzesvorbehalt verstärkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung der allgemeinen Konkurrenzlehren . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305 305 307 309 310 313 313 314 314 314 314
315 318 318 319 321 325
6. Teil Zusammenfassung in Thesen
326
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
1. Teil
Einleitung und Problemstellung Forschung wird insbesondere seit dem 20. Jahrhundert in immer größerem Umfang statt oder neben der universitären Forschung von der Industrie betrieben1. Die Entwicklung in der Arzneimittelforschung ist davon ganz besonders gekennzeichnet. Gleichzeitig nimmt die Skepsis gegenüber den Folgen der in der Forschung erzielten Fortschritte zu. Dieser Umstand verstärkt die Motivation in der Rechtsanwendung, den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG möglichst eng auszulegen. Um das zu erreichen, sind auf der Ebene des Schutzbereichs zwei Ansatzpunkte denkbar, die im folgenden Untersuchungsgegenstand sind. Zum einen könnte man Erkenntnissuche, die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betrieben wird, als nicht forschungsspezifisch aus dem Schutzbereich ausklammern (s. u. 3. Teil). Zum anderen könnte man die Umsetzung dieser Verwertungsabsicht, also die Phase der Verwertung des fertigen Erkenntnisproduktes nicht unter den spezifischen Schutz der Forschungsfreiheit stellen (s. u. 4. Teil). Diese allgemeine Problematik läßt sich beispielhaft anhand der im Arzneimittelgesetz (AMG) geregelten Arzneimittelzulassung (s. dazu 2. Teil) darstellen. Die Regelungen über die Anforderungen an die Durchführung einer klinischen Prüfung, die Voraussetzung für die Zulassung eines Arzneimittels ist, sind dem erstgenannten Problemschwerpunkt zuzuordnen: Soweit es um Pharmaunternehmen geht, die derartige klinische Prüfungen durchführen, wird die Erkenntnissuche in der Regel mit der Absicht betrieben, ein marktfähiges Produkt zu erhalten. Die Normen des AMG, die die Zulassung eines bereits erforschten Arzneimittels betreffen, greifen auf einer späteren Stufe ein. Bei diesen Normen geht es um die Frage, ob ein „fertiges“ Erkenntnisprodukt der Verwertungsphase zugeführt, zugelassen werden kann. So liegt es z. B. bei § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG, der ein Arzneimittel, das die klinische Prüfung bereits erfolgreich durchlaufen hat, nur unter der Voraussetzung für den Verkehr freigibt, daß es therapeutisch wirksam ist. An welchen Grundrechten – Art. 5 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG – letztlich die Normen des AMG zu prüfen sind, ist die Kernfrage. Sie 1 Häusler, S. 60 f.; BMBF, Bundesbericht Forschung 2000, S. 74. Ausführlich dazu siehe unten 3. Teil B. I. 4. a) bb) (1).
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1. Teil: Einleitung und Problemstellung
ist insbesondere wegen der Schrankendivergenz der Grundrechte relevant: Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit können erheblich schwerer verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden, so daß die Zuordnung zu dem einen oder anderen Grundrecht durchaus erhebliche Konsequenzen haben kann. Hält man die Forschungsfreiheit für das einschlägige Grundrecht, so kann dieses nur durch anderweitige Gewährleistungen der Verfassung begrenzt werden. Verneint man dagegen die Einschlägigkeit der Forschungsfreiheit, so muß man auf die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) und letztlich die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zurückgreifen. Alle drei Grundrechte unterliegen einem Gesetzesvorbehalt.
2. Teil
Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren A. Allgemeines Der Zulassung eines neuen Arzneimittels geht eine Reihe von umfangreichen Prüfungen voraus, deren Ergebnisse der zuständigen Prüfbehörde mit dem Antrag auf Zulassung vorgelegt werden müssen. Neben den Ergebnissen der sogenannten analytischen Prüfung, die beispielsweise physikalische, chemische oder biologische Versuche umfaßt (§ 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AMG), sind auch diejenigen der pharmakologisch-toxikologischen Prüfung (§ 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG) und vor allem die der klinischen Prüfung (§ 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AMG) vorzulegen1. Eine Zulassung findet unter anderem dann nicht statt, wenn die Prüfung des Arzneimittels nicht nach dem „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ geschehen ist (§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG) und wenn dem Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene „therapeutische Wirksamkeit“ fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Ergebnisse unzureichend begründet ist (§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG). Voraussetzung der Zulassung ist zudem der Nachweis der Qualität und der fehlenden schädlichen Wirkungen des Arzneimittels (§ 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 3, 5 AMG). Die Durchführung einer klinischen Prüfung wiederum – also der Erprobung von Arzneimitteln in stationärer oder ambulanter Betreuung2 – verlangt insbesondere eine Feststellung, ob die Risiken, die mit ihr für die Personen verbunden sind, bei der sie durchgeführt werden soll, gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde, ärztlich vertretbar sind (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG3). Diese Vertretbarkeitsprüfung obliegt einer nach Landesrecht gebildeten Ethik-Kommission (§ 40 Abs. 1 S. 2 AMG4). Eine Freistellung von diesen Anforderungen ist auch dann nicht möglich, wenn der Proband bzw. Patient einverstanden ist5. 1 Zum vergleichbaren Verfahren nach dem Schweizer Heilmittelgesetz Richli, AJP/PJA 2002, 340 ff. 2 Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1b. 3 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
20
2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
Zuständige Behörde für die Zulassung von Arzneimitteln ist gemäß § 77 Abs. 1 AMG das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Für Sera, Impfstoffe, Blutzubereitungen, Testallergene, Testsera und Testantigene wird abweichend das Paul-Ehrlich-Institut für zuständig erklärt (§ 77 Abs. 2 AMG). Zudem besteht alternativ die Möglichkeit, über die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) in London eine Zulassung zu erreichen. Durch EG-Verordnung6 sind über die EMEA seit 1995 zwei Zulassungsverfahren möglich. Das zentralisierte Verfahren führt zu einer in der ganzen Gemeinschaft gültigen Arzneimittelzulassung (Art. 12 Abs. 1 der VO). Diese ergeht in Form einer Entscheidung der Kommission, die sich auf eine wissenschaftliche Beurteilung durch die Ausschüsse im Rahmen der EMEA stützt. Obligatorisch ist dieses Verfahren für Arzneimittel, die in biotechnologischen Verfahren hergestellt werden (Art. 3 Abs. 1 der VO). In anderen Fällen kann alternativ das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung angewandt werden. Voraussetzung dafür ist, daß ein Arzneimittel in zwei oder mehr Mitgliedstaaten zugelassen werden soll. Im Rahmen dieses Verfahrens wird die Prüfung durch die zuständige Behörde des sogenannten Referenzmitgliedstaates vorgenommen. Die anderen Mitgliedstaaten, in denen die Zulassung des Arzneimittels ebenfalls gelten soll, erkennen diese Beurteilung an, können aber in bestimmtem Umfang Einwände vorbringen. In der Fassung des AMG von 1961 war weder ein Wirksamkeitsnachweis noch eine Bezugnahme auf den jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand vorgesehen. Erst die Erfahrungen in den aufsehenerregenden Fällen „Contergan“ und „Menocil“ führten zu einer deutlichen Verschärfung der Regelungen7. Der Übergang vom Eintragungs- zum Zulassungsprinzip wurde allerdings schon vor der Novelle des AMG im Jahre 1976 de facto durch die Richtlinie des Bundesgesundheitsministeriums von 19718 erreicht9. Auch, wenn die verbindliche Festlegung von Standards für die Planung und Durchführung von Arzneimittelstudien zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Qualität der Arzneimittelsicherheit geführt haben mag10,
4
Entspricht §§ 40 Abs. 1 S. 2, 42 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003 Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1a. 6 Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanund Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln, ABl. L 214 vom 24.8.1993, S. 1. 7 Henning, NJW 1978, 1671 (1672); Keller, MedR 1991, 11 (15); Leibholz, S. 9. 8 BAnz. Nr. 113 vom 25. Juni 1971, S. 1. 9 Leibholz, S. 6 f. 10 Walter-Sack, MedR 1997, 504. 5
A. Allgemeines
21
hat die zunehmende Regulierung eine Beeinträchtigung der Forschungstätigkeit zur Folge. Die klinische Prüfung verläuft in herkömmlicher Weise in drei Phasen. Das AMG nimmt eine grobe Einteilung der Prüfungsschritte vor, in dem es unterschiedliche Schutzstandards vorsieht, je nachdem, ob es sich um eine Prüfung an gesunden Probanden (§ 40 AMG) oder an Patienten (§ 41 AMG) handelt. Die erste Gruppe ist der Phase I, die beiden anderen sind den Phasen II und III zuzuordnen. Diese Trennung ergibt sich daraus, daß Phase-I-Prüfungen die erste Anwendung eines neues Präparates am Menschen darstellen und gesunde bzw. kranke Versuchsteilnehmer unterschiedliche Schutzbedürfnisse haben. Diese Prüfungen erfolgen nach Abschluß der präklinischen Phase, in der Labor- und Tierversuche mit dem zu testenden Präparat durchgeführt werden. Da eine Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen nicht ohne weiteres möglich ist11, ist die Notwendigkeit klinischer Prüfungen überhaupt anerkannt12. Die Phase I hat im Regelfalle den geringsten therapeutischen Wert für den Menschen, es handelt sich vielmehr vorwiegend um eine Verträglichkeitsprüfung und eine Untersuchung, in welcher Weise die Wirkstoffe im Körperstoffwechsel aufgenommen werden13. Vor allem die Grundlagenforschung, die sich etwa mit der Reaktion des Körpers auf bestimmte Stoffe beschäftigt, findet in der ersten Phase statt14. Da es noch nicht um die Feststellung der Wirksamkeit des Medikaments geht, werden grundsätzlich gesunde Probanden eingesetzt. An Kranken erfolgen die Prüfungen nur ausnahmsweise, um neuartige, potentiell sehr wertvolle Arzneimittel einzuführen15. Kennzeichnend für die erste Phase ist die geringe Zahl der Probanden. Wegen des größeren Risikos am Beginn der Erprobung werden meist nur etwa 50 Personen herangezogen16. In der Phase II finden mit der Untersuchung des pharmakologischen Effekts erste Wirksamkeitsprüfungen des zu testenden Präparates statt17. Da die Wirksamkeit nur dann untersucht werden kann, wenn die Auswirkungen auf Krankheitsverläufe analysiert werden können, nehmen überwiegend Pa11 Siehe die amtliche Begründung BT-Drucks. 7/3060, S. 53; Arndt, Pharma Recht 1996, 72; Blasius/Müller-Römer/Fischer, S. 65; Deutsch, JZ 1980, 289; Keller, MedR 1991, 11 (15); Rehmann, § 40 Rdnr. 1; Tiedemann, ZRP 1991, 54. 12 Blasius/Müller-Römer/Fischer, S. 64; Deutsch, S. 13, 153; Heldrich, S. 34; Richli, AJP/PJA 2002, 340 (347). 13 Biermann, S. 54; Fröhlich, S. 64; Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1d.; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 4. 14 Deutsch, VersR 1983, 1 (2). 15 Fröhlich, S. 65. 16 Fröhlich, S. 65; Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1 d.; Sander, § 40 Erl. 2.; Rehmann, § 40 Rdnr. 3.
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2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
tienten an diesem Teil der Prüfung teil; es handelt sich in diesen Fällen dann um sogenannte Heilversuche18. Beim „reinen“ Heilversuch, der nur der individuellen Behandlung eines Patienten dient, dem mit herkömmlichen Mitteln nicht zu helfen ist, handelt es sich um keine klinische Prüfung19. Häufig stehen Behandlung von Patienten bzw. Probanden und Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse aber nicht klar trennbar nebeneinander20, so daß dann aus Schutzgründen die Regeln über die klinische Prüfung anzuwenden sind. Im übrigen steht in der Phase II das Auffinden der richtigen Dosierung im Vordergrund. Es werden maximal 200 Personen getestet21. Die Phase III ist gekennzeichnet durch die deutlich größere Zahl von Patienten. Gegebenenfalls sind es bis zu mehreren tausend Personen22. Im eigentlichen Sinn nicht mehr zu der klinischen Prüfung gehört die Phase IV. Sie erfolgt mit bereits zugelassenen Arzneimitteln und ist nichts anderes als ein Ausfluß der Produktbeobachtungspflicht der Arzneimittelhersteller23. Anders als früher24 ist heute nicht mehr umstritten, daß die Normen des AMG über die klinische Prüfung auch auf diese Phase anwendbar sind25. Für die Phasen I bis III gilt, daß sie sowohl in Kliniken als auch in Praxen niedergelassener Ärzte möglich sind, wenngleich der weit überwiegende Teil, vor allem der ersten beiden Phasen, in Kliniken stattfindet26. Die in der Form von Verwaltungsvorschriften ergangenen Arzneimittelprüfrichtlinien27 verlangen im 4. Abschnitt unter F. 1., daß klinische Prü17
Biermann, S. 56; Blasius/Müller-Römer/Fischer, S. 69; Fröhlich, S. 66; Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1 d.; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 6 f. 18 Siehe dazu auch noch unten C. 3. 19 Dazu vgl. etwa jüngst Helle/Frölich/Haindl, NJW 2002, 857 (860). 20 Helle/Frölich/Haindl, NJW 2002, 857 (860) m. w. N. 21 Biermann, S. 56; Blasius/Müller-Römer/Fischer, S. 69; Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1 d. 22 Biermann, S. 57; Blasius/Müller-Römer/Fischer, S. 69 f.; Fröhlich, S. 67; Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1 d.; Rehmann, § 40 Rdnr. 3; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 7. 23 Biermann, S. 61; Fröhlich, S. 67; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 9 f. 24 Z. B. Biermann, S. 61. 25 Rehmann, § 40 Rdnr. 3; insgesamt dazu Kollhosser, MedR 1991, 184 ff. 26 Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1 d.; Rehmann, § 40 Rdnr. 2. 27 Bekanntmachung der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der Arzneimittelprüfrichtlinien vom 5. Mai 1995, BAnz. Nr. 96a; abgedruckt auch bei Kloesel/Cyran, A 2.13.
B. Rechtsbegriff
23
fungen generell als kontrollierte klinische Versuche und möglichst randomisiert durchgeführt werden müssen. Jede andere Versuchsanordnung ist zu rechtfertigen. Liegen der klinischen Prüfung bekannte Wirkstoffe zugrunde, so machen die Arzneimittelprüfrichtlinien eine Ausnahme von dem Erfordernis der kontrollierten Doppelblindstudie (5. Abschnitt Nr. 3). Auch für einige der am meisten verbreiteten besonderen Therapierichtungen wird von dem Grundsatz, daß der kontrollierte klinische Versuch den Maßstab bildet, abgewichen und das Selbstverständnis der besonderen Therapierichtungen zum Kontrollmaßstab erhoben (5. Abschnitt, Nr. 3). Die Prüfungen von Arzneimitteln der homöopathischen und anthroposophischen Therapierichtungen müssen demnach nicht als kontrollierte und randomisierte Studien durchgeführt werden. Beim nicht kontrollierten Versuch werden Wirkungen und Verträglichkeit einer diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme an einer oder einzelnen Versuchspersonen beobachtet, ohne daß Vergleiche zu anderen zu gleicher Zeit in Behandlung befindlichen Personen angestellt werden28. Um einen Blindversuch handelt es sich, wenn Patienten oder Probanden nicht wissen, ob sie zur Test- oder zur Kontrollgruppe gehören29. Beim Doppelblindversuch wissen sowohl die behandelnden Ärzte als auch die Patienten nichts von der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit. Der Doppelblindversuch erfolgt regelmäßig in randomisierter Form. Dabei erfolgt die Auswahl der Patienten oder Probanden für die Test- und Kontrollgruppen nach rein zufälligen Gesichtspunkten30.
B. Rechtsbegriff des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ An mehreren Stellen benutzt das AMG den unbestimmten Rechtsbegriff des „jeweils gesicherten Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse“. Er ist zum einen, allerdings ohne den Zusatz „gesichert“, die Beurteilungsgrundlage für die Frage, ob ein Arzneimittel bedenklich und damit verboten ist (§ 5 Abs. 1 und Abs. 2 AMG)31. Zum anderen spielt der Begriff eine entscheidende Rolle für die Frage, ob ein Arzneimittel zugelassen wird. Im Zulassungsverfahren wird an zwei Stellen darauf Bezug genommen: Nach § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG darf die Zulassung versagt werden, wenn in 28 29 30 31
Deutsch, JZ 1980, 289 (290). Deutsch, JZ 1980, 289 (290). Deutsch, JZ 1980, 289 (290). Von Kirchbach, S. 207.
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2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
der klinischen Prüfung keine ausreichende Überprüfung des Arzneimittels an diesem Maßstab erfolgte. Des weiteren muß gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG die Wirksamkeit der Arznei nach diesem Kriterium begründet werden. Außerdem haben die Arzneimittelprüfrichtlinien gemäß § 26 Abs. 1 S. 2 AMG dem „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ zu entsprechen und sind laufend an diesen anzupassen. Auch innerhalb der Vorschriften über die klinische Prüfung verweist das AMG auf diesen Erkenntnismaßstab. Die pharmakologisch-toxikologische Prüfung, die vor den Prüfungen am Menschen durchgeführt werden muß, ist ebenso anhand dieses Maßstabes auszurichten (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AMG32) wie der über die klinische Prüfung zu erstellende Prüfplan (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 AMG). Unter den Vorschriften, die auf den jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse verweisen, kommt § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG besondere Relevanz zu. Das gilt vor allem deswegen, weil die dort angeordnete Prüfung des Arzneimittels – die als sogenannte klinische Prüfung stattfindet (siehe den sechsten Abschnitt des AMG) – einen Schwerpunkt in der Entwicklung eines Arzneimittels darstellt und dementsprechend im Zulassungsverfahren stark gewichtet ist. Für alle diese Normen gemeinsam ist nach Bestimmung des Schutzbereiches der Forschungsfreiheit zu untersuchen, inwieweit die Bezugnahme auf den gesicherten Stand den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG betreffen könnte. Das Erfordernis der Wirksamkeit des Arzneimittels (§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG) ist darüber hinaus unter weiteren Gesichtspunkten an anderer Stelle auf seine verfassungsrechtliche Vereinbarkeit mit der Forschungsfreiheit zu prüfen (unten D.).
C. „Ärztliche Vertretbarkeitsprüfung“ (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG) I. Stellung der Ethik-Kommission im Zulassungsverfahren Seit der 5. Novelle zum AMG vom 19.10.1994 gilt für einen großen Teil der medizinischen Forschung, nämlich den, der am Menschen stattfindet, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, S. 2 AMG33, wonach klinische Prüfungen erst dann begonnen werden dürfen, wenn der obersten arzneimittelrechtlichen Geneh32
Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. Entspricht §§ 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 42 Abs. 1 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003 33
B. Rechtsbegriff
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migungsbehörde das Votum einer nach Landesrecht gebildeten Ethik-Kommission vorliegt. Im geltenden Recht findet sich eine – wenn auch sehr abstrakte – Definition der Ethik-Kommissionen nur im Gemeinschaftsrecht. Art. 2 lit. k der EG-Richtlinie über die klinische Prüfung beschreibt EthikKommissionen als unabhängige Gremien in einem Mitgliedstaat, die sich aus im Gesundheitswesen und in nichtmedizinischen Bereichen tätigen Personen zusammensetzen und deren Aufgabe es ist, den Schutz der Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen von an einer klinischen Prüfung teilnehmenden Personen zu sichern und diesbezüglich Vertrauen der Öffentlichkeit zu schaffen34. Näheres regeln die Bundesgesetze nicht. Auch das Landesrecht ist insofern nicht ergiebig; es regelt nur die Zusammensetzung und Bildung der Ethik-Kommissionen35. Hat die Kommission dem ihr vorgelegten Forschungsvorhaben nicht zugestimmt, darf mit der klinischen Prüfung erst dann begonnen werden, wenn die zuständige Bundesoberbehörde innerhalb von 60 Tagen nach Eingang der Unterlagen nicht widersprochen hat (§ 40 Abs. 1 S. 3 AMG). Die Wirkung eines ablehnenden Votums der Ethik-Kommission wird sich durch die nach ihrem Art. 22 bis zum 01.05.2003 umzusetzende EG-Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln36 (im folgenden: Richtlinie über die klinische Prüfung) entscheidend ändern. Art. 9 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie37 sieht vor, daß mit der klinischen Prüfung erst dann begonnen werden darf, wenn die Ethik-Kommission eine befürwortende Stellungnahme abgegeben hat. Anders als bisher, wird es also zur Verhinderung der Durchführung der Prüfung nicht mehr nötig sein, daß die zuständige Bundesbehörde zusätzlich zum ablehnenden Kommissionsvotum widerspricht. Darüber hinaus besteht nach § 40 Abs. 1 S. 5 AMG38 die Pflicht, die Kommission über alle während der Prüfung auftretenden schwerwiegenden oder unerwarteten unerwünschten Ereignisse zu unterrichten, die die Sicherheit der Studienteilnehmer oder die Durchführung der Studie beeinträchtigen könnten. Zwar regelt das Gesetz nicht ausdrücklich, welche Reaktionsmöglichkeiten der Kommission in diesem Fall zustehen, aber es ist wohl 34 Von den Ethik-Kommissionen i. S. d. AMG sind weitere Kommissionen wie die „Zentrale Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer“ und die „Zentrale EthikKommission für Stammzellenforschung“ abzugrenzen, vgl. dazu Taupitz, JZ 2003, 815 (816 f.). 35 Siehe dazu beispielsweise § 7 HeilberufsG NW. 36 ABl. Nr. L 121 vom 01.05.2001, S. 34 ff. 37 Siehe § 40 Abs. 1 S. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 38 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
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2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
davon auszugehen, daß nunmehr erneut eine Risikoabwägung i. S. v. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG durchzuführen ist39, die mit einem neuen Votum endet. Fällt dieses negativ aus, so dürfte dieses jedenfalls Grundlage für den Widerruf der für die bisherigen Prüfungen erteilten Genehmigung nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vorschriften sein. Durch die 8. Änderung des AMG wurde 1998 für multizentrische Prüfungen, also für klinische Prüfungen, die nach einem einzigen Prüfplan durchgeführt werden, aber in mehr als einer Prüfstelle stattfinden40, eine Neuregelung dahingehend getroffen, daß das Votum von der Ethik-Kommission stammen muß, die für den Leiter der klinischen Prüfung zuständig ist (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 AMG41).
II. Von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG erfaßte Vorhaben Die Durchführung der klinischen Prüfung ist nicht nur Voraussetzung für eine Zulassung eines Arzneimittels zum Verkehr (§§ 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG). Die klinische Prüfung muß auch dann durchgeführt werden, wenn eine Zulassung des in dem Forschungsvorhaben zur Untersuchung stehenden Arzneimittels nicht beabsichtigt ist oder nicht erfolgt. Für ein derartiges Verständnis spricht zum einen die systematische Stellung der Normen über die Ethik-Kommissionen im sechsten Abschnitt des AMG („Schutz des Menschen bei der Klinischen Prüfung“). Dieser ist insbesondere getrennt von dem vierten Abschnitt („Zulassung der Arzneimittel“)42. Mit Blick auf die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes wird dagegen behauptet, die Normen des AMG beträfen nur diejenige Forschung am Menschen, die auf die spätere Zulassung von Arzneimitteln gerichtet ist43. Allerdings ist fraglich, ob dieser Einwand zulässig ist. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG weist dem Bund u. a. die Gesetzgebungskompetenz für den „Verkehr“ mit Arzneien zu. Soweit der Begriff „Verkehr“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewesen ist, so ist er bisher so verstanden worden, daß er den Kauf oder den Verkauf von Arzneimitteln umfasse44. Gleichwohl ist aner39 Arndt, Pharma Recht 1996, 72 (74); Deutsch, MedR 1995, 483 (486); ders., VersR 1995, 120 (124); offengelassen von Wagner, S. 58; für eine Einstellung der Prüfungsdurchführung Rehmann, § 40 Rdnr. 13. 40 Schlacke, MedR 1999, 551 (552); ähnlich auch Art. 2 lit. b. der EG-Richtlinie vom 04.04.2001über die klinische Prüfung. 41 Entspricht §§ 40 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 1 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 42 Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1a; Pfeiffer, VersR 1991, 613. 43 Wagner, S. 47 f.
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kannt, daß der Verkehr mit Arzneimitteln nicht lediglich diese beiden Vorgänge, sondern letztlich den gesamten Umgang mit Arzneimitteln von deren Herstellung über den Handel bis zum Verbrauch erfaßt45. Ausgenommen sollen allerdings solche Arzneimittel sein, die von einem Arzt selbst hergestellt wurden und bei seinen Patienten unmittelbar angewendet werden46. Daß nur ein solches Produkt als im Verkehr befindlich angesehen werden könnte, das einer unbestimmten (größeren) Zahl von Menschen zugänglich ist, ist nicht ersichtlich. Man wird es angesichts des Schutzzweckes der Norm vielmehr ausreichen lassen müssen, daß auch ein kleinerer Personenkreis von mehreren Tausend, nämlich die Teilnehmer an der klinischen Prüfung, mit dem zu prüfenden Arzneimittel Kontakt haben. Sämtliche, dem Bund in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zugewiesenen Materien des Gesundheitswesens betreffen den Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren47. Diese Gefahren machen vor den Grenzen eines einzelnen Landes keinen Halt. Aus diesem Grund ermöglicht der Kompetenztitel zur Gefahrenabwehr und -vorsorge eine bundeseinheitliche Regelung48. Gerade der Personenkreis der Teilnehmer der klinischen Prüfung ist in Anbetracht der noch nicht abgeschlossenen Forschung im Vergleich zu den Patienten, die ein zugelassenes Arzneimittel einnehmen, besonders schutzbedürftig. Klinische Prüfungen ohne unmittelbar feststellbare Absicht, deren Ergebnisse für eine spätere Arzneimittelzulassung zu verwenden, verursachen jedoch die gleichen Gefahren wie solche, bei denen die Zulassungsabsicht deutlich ist. Die hinter dem Kompetenztitel stehenden Erwägungen des Gesundheitsschutzes verlangen somit ein weites Verständnis des Verkehrsbegriffes. Würde man bei der Forschung am Menschen danach unterscheiden wollen, ob sie auf eine spätere Zulassung des zu untersuchenden Arzneimittels gerichtet ist, entstünden letztlich kaum lösbare Abgrenzungsprobleme. Während der klinischen Prüfung ist nicht sicher, ob ihr Ergebnis überhaupt ein zulassungsfähiges Arzneimittel sein wird. Mit einer ex post-Betrachtung könnte man dem Problem nicht gerecht werden. Ein nachträglicher Schutz durch §§ 40 ff. AMG wäre nicht möglich.
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BVerfGE 9, 73; 17, 269; 20, 283; 75, 166; jüngst BVerfGE 102, 26 (37). Maunz, in: ders./Dürig/Herzog, Art. 74 Rdnr. 219; Pestalozza, in: von Mangoldt/Klein/Pestalozza, Art. 74 Rdnrn. 1342, 1436; zustimmend wohl auch BVerfGE 102, 26 (37). 46 Degenhart, in: Sachs, Art. 74 Rdnr. 76; BVerfGE 102, 26 (36). 47 BVerfG, NJW 2003, 41 (43). 48 BVerfGE 102, 26 (36); BVerfG, NJW 2003, 41 (43). 45
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III. Prüfungsgegenstand der Ethik-Kommissionen 1. Regelung des AMG Nach § 40 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. AMG49 ist Voraussetzung für eine zustimmende Bewertung der klinischen Prüfung durch eine Ethik-Kommission, daß die Vorschriften des Satz 1 Nrn. 1–5, Nr. 6, soweit sie die Unterlagen über die pharmakologisch-toxikologische Prüfung und den Prüfplan betreffen, sowie die Nrn. 7 und 8 eingehalten werden. Mit anderen Worten obliegt es der Ethik-Kommission, das Vorliegen der wesentlichen Tatbestandsvoraussetzungen des die klinische Prüfung regelnden § 40 AMG – der Zulassungsbehörde vorgeschaltet – zu prüfen. Der Namensbestandteil „Ethik“ scheint nach dieser Feststellung auf den ersten Blick keine Relevanz zu haben. Ganz frei von ethischen Kriterien ist aber die Tätigkeit der Ethik-Kommissionen nach dem AMG nicht. Einfallstor dafür ist die Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit der mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG50). Die Abwägung, ob die Risiken der Prüfung für den Menschen, gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde „ärztlich vertretbar“ sind, kann nämlich nach der überwiegenden Auffassung von einem Arzt nur unter Zugrundelegung der für ihn geltenden ethischen Maßstäbe vorgenommen werden51. Dabei wird unter anderem auf die Deklaration von Helsinki52 als eine der möglichen Erkenntnisquellen der ärztlichen Ethik Bezug genommen53. Sehr deutlich wird auch formuliert, der Arzt habe das wissenschaftliche Vorhaben stets als Ganzes an ethischen Maßstäben auf seine Vereinbarkeit mit den Rücksichten der Humanität zu überprüfen54. Da nach wohl überwiegender Auffassung im Schrifttum „unwissenschaftliche“ Prüfungen als „unethisch“ zu bezeichnen sind55, weitet sich der Prüfungs49 Entspricht §§ 40 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 S. 5 Nr. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 50 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 51 Amtliche Begründung, BT-Drucks. 7/3060, S. 54; Blasius/Müller-Römer/Fischer, S. 71; Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 4; Pfeiffer, VersR 1991, 614 (617); Sander, § 40 Anm. C 6. Art. 57 Abs. 1 und 2 des schweizerischen Heilmittelgesetzes sieht ebenfalls vor, daß die Ethik-Kommissionen klinische Versuche von einem ethischen Standpunkt aus beurteilen. 52 BAnz. 28 Nr. 152 v. 14.08.1976. 53 Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 4. 54 Keller, MedR 1991, 11 (15). 55 Deutsch, NJW 2001, 3361 (3364); ders., Pharma Recht 2001, 202 (204), jedoch zweifelnd hinsichtlich der Einzelheiten; ders., NJW 1981, 614 (615); ders., S. 66, 89; ders./Lippert, S. 45; Feiden, S. 15; Fischer, S. 11 ff.; Freund, MedR
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rahmen auch auf wissenschaftliche Fragen aus. Mitunter wird sogar vertreten, die Ethik-Kommissionen müßten die wissenschaftliche Qualität der klinischen Prüfungen noch viel intensiver prüfen56. Als ein weiterer Beleg dafür, daß sich die Überprüfung der ärztlichen Vertretbarkeit nicht lediglich auf die Abwehr objektiv nachvollziehbarer Gesundheitsgefahren bezieht, sondern darüber hinausgreift, kann der systematische Vergleich dieses Begriffes mit demjenigen der schädlichen Wirkungen (§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AMG) dienen. Dieser für die Zulassung bedeutsame unbestimmte Rechtsbegriff macht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts eine Abwägung zwischen dem therapeutischen Nutzen des Arzneimittels und seiner möglichen Schädlichkeit notwendig57. Würde die im Rahmen der ärztlichen Vertretbarkeitsprüfung durchzuführende Nutzen-/ Risiko-Abwägung keine ethischen Aspekte umfassen, fiele der Prüfungsrahmen weitestgehend übereinstimmend mit jenem des Merkmals der schädlichen Wirkungen aus. Der eigenständige Sinn einer doppelten Normierung ist aber nicht zu erkennen. 2. Regelung der EG-Richtlinie über die klinische Prüfung Die EG-Richtlinie über die klinische Prüfung vom 04.04.2001 nennt im wesentlichen zwei Prüfungsgegenstände der Ethik-Kommission, die an dieser Stelle von Bedeutung sind. Zum einen hat die Kommission nach Art. 6 Abs. 3 lit. a. der Richtlinie die Relevanz der klinischen Prüfung bei der Ausarbeitung ihrer Stellungnahme zu berücksichtigen. Zum anderen sieht Art. 6 Abs. 3 lit. b. i.V. m. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie eine Berücksichtigung der Angemessenheit der Bewertung von erwartetem Nutzen und erwarteten Risiken der Prüfung vor. Trotz anderer Begrifflichkeiten unterscheiden sich die der Ethik-Kommission übertragenen Prüfungsgegenstände im AMG und der Richtlinie kaum. Bei beiden hat eine Abwägung zwischen therapeutischem Nutzen und dem Nutzen für die öffentliche Gesundheit stattzufinden58. Die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht wird demnach keine relevanten Änderungen an dieser Stelle mit sich bringen59.
2001, 65 (69); Lemmer, S. 72; Losse, S. 21 ff.; Victor, MedR 1999, 408 (409 f.). Nach van den Daele/Müller-Salomon, S. 42 f., 52 f. wurden 10% der dort untersuchten Projekte mit Hinweis auf Mängel der „wissenschaftlichen Qualität“ abgelehnt (van den Daele/Müller-Salomon, S. 47). 56 Dezidiert Victor, MedR 1999, 408 (410); ähnlich Lemmer, S. 72. 57 BVerwG, NJW 1994, 2433 (2443 f.). 58 Für die Richtlinie Deutsch, NJW 2001, 3361 (3362). 59 Siehe insoweit auch §§ 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 42 Abs. 1 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
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2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
3. Selbstverständnis der Ethik-Kommissionen Daß die Ethik-Kommissionen tatsächlich neben den rechtlichen Anforderungen des § 40 AMG auch originär ethische prüfen, wird besonders deutlich bei einem Blick auf deren Selbsteinschätzung. Vor allem Satzungen und Geschäftsordnungen weisen auf diese Prüfungsmaßstäbe hin. § 8 Abs. 5 S. 1 der „Satzung für die Ethik-Kommission an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg“ vom 9. März 1998 erlegt dem Antragsteller auf, „ethisch relevante“ Änderungen seines Forschungsvorhabens mitzuteilen. Die „Satzung für die Ethikkommission bei der Sächsischen Landesärztekammer“ vom 04. März 1996 richtet in § 1 Abs. 2 S. 1 den Prüfungsmaßstab an „ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten“ aus. Gleiches geschieht in weiteren Normenwerken diverser anderer Kommissionen60. Diese satzungsrechtlichen Bestimmungen und andere Dokumente belegen eindeutig, daß die Ethik-Kommissionen den Begriff der ärztlichen Vertretbarkeit mit ethischen Prüfungsgesichtspunkten verbinden. Nähere Hinweise über den materiellen Umfang der ethischen Prüfung enthalten die Normen aber nicht. In den Beratungen und Voten der Kommissionen finden sich nach der Untersuchung von van den Daele/Müller-Salomon indes nur selten explizite Rügen ethischer Art61, obwohl ca. 40% der von ihnen untersuchten Projekte von den Kommissionen wegen fehlender ärztlicher Vertretbarkeit beanstandet worden sind62. Für eine Vielzahl der untersuchten Projekte attestieren die Autoren den Voten eine „semantische Verkleidung“ von Verstößen gegen die ärztliche Ethik, oft in juristischem Gewand63. Ein den Prüfungsumfang eher generell bestimmender Grundsatz in der Praxis kann aber erkannt werden. Die nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG vorzunehmende Nutzen-Risiko-Abwägung erhält andere Gewichtungen, je nachdem, wie sich die therapeutische Relevanz der klinischen Prüfung für die teilnehmenden Versuchspersonen gestaltet64. Ausgangspunkt dazu ist die 60
Z. B. § 1 „Statut und Verfahrensordnung der Ethik-Kommission an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen vom 10.10.2000“; § 1 Abs. 2 S. 1 der „Satzung für die Ethik-Kommission bei der Ärztekammer Niedersachsen“ vom 30. November 1996; § 1 Nr. 1 der „Satzung der Ethikkommission der Ärztekammer Mecklenburg Vorpommern bei der Universität Rostock“; Ziff. B. 2.3 der „Richtlinien für den Antrag an die Ethikkommission“ an der Universität München, Stand: 12. Juli 2000; Merkblatt der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden zur Satzung vom 04. Juli 1996. 61 Van den Daele/Müller-Salomon, S. 43, die Autoren sprechen vom Verzicht auf das „Pathos der moralischen Entrüstung“. 62 Van den Daele/Müller-Salomon, S. 47. Siehe auch Victor, MedR 1999, 408 (409 f.). 63 Van den Daele/Müller-Salomon, S. 43.
B. Rechtsbegriff
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Unterscheidung zwischen therapeutischen und rein wissenschaftlichen Versuchen, die schon in der Deklaration von Helsinki angelegt ist65. Das setzt voraus, daß die Ethik-Kommissionen evaluieren, welcher Zielsetzung die Studie dient. Die Ethik-Kommission beispielsweise der Universitäten Heidelberg und Mannheim und die der RWTH Aachen unterscheiden in ihrem Antragsformular zwischen Zielsetzungen, die auf einer Skala auf der einen Seite beim unmittelbaren Interesse der Patienten beginnen und bei der Gewinnung von Erkenntnissen über spezielle Fragen des Gesundheitszustandes der Bevölkerung auf der anderen Seite enden. Zwischen diesen Polen setzt die Ethik-Kommission die Stufen eines rein wissenschaftlichen Zieles ohne unmittelbaren diagnostischen und therapeutischen Wert für den Patienten, dann die Stufe einer neuen Erkenntnis über Arzneimittel, anschließend die einer künftigen Entwicklung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren und letztlich die der Gewinnung von Erkenntnissen über Ursache und Prognose von Krankheiten. Auch die Richtlinien der Ethik-Kommission an der Marburger Philipps-Universität formulieren ausdrücklich die unterschiedlichen Nutzensgrade. Nach § 3 Abs. 2 der Marburger Richtlinien liegt ein Heilversuch vor, wenn ein noch nicht etabliertes Verfahren angewandt wird, das für den Betroffenen selbst Aussicht auf Heilung, Besserung oder einen sonstigen Nutzen gewährt, ohne daß zugleich Maßnahmen zur Gewinnung neuer verallgemeinerungsfähiger Erkenntnisse getroffen werden66. Im Gegensatz zu einem solchen Heilversuch, hat der Betroffene beim sogenannten klinischen Versuch nur einen mittelbaren Nutzen (§ 3 Abs. 3 Marburger Richtlinien); beim Wissensversuch hingegen fällt dem Betroffenen noch nicht einmal ein mittelbarer Nutzen zu (§ 3 Abs. 5 Marburger Richtlinien). Die an dem Grad des Nutzens für den Probanden bzw. Patienten orientierte Abwägungsentscheidung ist es also, die Einfallstor für ethische Überzeugungen ist.
64 Deutsch, VersR 1999 1 (6); Helle/Frölich/Haindl, NJW 2002, 857 (862); speziell zur Frage des individuellen Nutzens von Forschung für nichteinwilligungsfähige Personen als Prüfungsteilnehmern siehe etwa Höfling/Demel, MedR 1999, 540 ff. 65 Deutsch, Pharma Recht 1982, 1 (2). 66 Abgedruckt bei Freund/Heubel, MedR 1997, 347 (349); ähnlich auch die Definitionen bei Deutsch, VersR 1983, 1; ders., JZ 1980, 289; Helle/Frölich/Haindl, NJW 2002, 857 (862); Keller, MedR 1991, 11 (13); Wagner, S. 49.
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2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
D. Therapeutische Wirksamkeit oder ihre Begründung nach dem „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG I. Allgemeines Gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG darf die Zulassungsbehörde die Zulassung versagen, wenn dem Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist. In historischer Sicht ist erwähnenswert, daß in der Vorgängernorm des AMG von 1961 eine entsprechende Regelung über einen Wirksamkeitsnachweis fehlte. Auch nach den Arzneimittelprüfrichtlinien des Bundesministeriums für Jugend, Frauen und Gesundheit vom 11.6.197167 konnte die damalige Registrierung nicht aus materiellen Gründen abgelehnt werden68. Unter Wirksamkeit wird allgemein ein therapeutischer oder diagnostischer (End-)Erfolg des Arzneimittels auf seinen Anwendungsgebieten verstanden69. Dieser Erfolg läßt sich messen anhand der Differenz zwischen dem unbehandelten Verlauf und dem Verlauf unter der Behandlung mit dem betreffenden Medikament. Im Hinblick auf die Forschungsfreiheit ist bedeutsam, daß der verlangte Wirksamkeitsnachweis bei Anwendung von bestimmten Forschungsmethoden nur schwer geführt werden kann. Das AMG erkennt die im folgenden darzustellenden Unsicherheiten bei der Erfassung der die Wirksamkeit begründenden Umstände an. Nach § 25 Abs. 2 S. 2 darf daher die Zulassung nicht deshalb versagt werden, weil therapeutische Ergebnisse nur in einer beschränkten Zahl von Fällen erzielt worden sind. Nach S. 3 fehlt die therapeutische Wirksamkeit, wenn der Antragsteller nicht entsprechend dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nachweist, daß sich mit dem Arzneimittel therapeutische Ergebnisse erzielen lassen. Für diesen Fall scheinen die Anforderungen an den Antragsteller geringer zu sein als für den Fall des positiven Nachweises der Wirksamkeit. Indes muß er auch in dieser Ausnahmesituation eine – behördlicherseits zu akzeptierende – Begründung für die therapeutische Erfolgsträchtigkeit abgeben.
67 68 69
BAnz. Nr. 113 v. 25.6.1971. Franz, S. 183 f. Henning, NJW 1978, 1671 (1673).
D. Therapeutische Wirksamkeit
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II. Probleme bei der Bestimmung der Wirksamkeit 1. Datenerfassung Die nach der obigen Definition des Wirksamkeitsbegriffs entscheidende Differenz zwischen dem möglichen und dem tatsächlichen Verlauf der Krankheit ist Ausgangspunkt der Wirksamkeitsbeurteilung. Diese Beurteilung ist jedoch von zahlreichen Umständen abhängig. Grundlegend für die Beurteilung einer solchen Differenz ist, daß überhaupt eine umfassende Kenntnis des Krankheitsbildes besteht. Wenn nicht viel Wissen über die zu behandelnde Krankheit vorhanden ist, dann folgt daraus unmittelbar die Schwierigkeit, die Wirksamkeit des Therapeutikums zu beurteilen70. Anders gewendet läßt sich formulieren, daß die Bedeutung der für eine Wirksamkeitsbeurteilung gewählten Kriterien bekannt sein muß. Die vom Arzneimittel beanspruchte Indikation ist damit Fixpunkt dieser Beurteilung71. In dieser Hinsicht verursacht die Erfassung der einer möglichen Wirksamkeitsbeurteilung zugrundeliegenden Daten jedoch in verschiedener Weise Probleme. Zum einen wird schon das Bestehen einer geschlossenen Theorie vom Menschen und von seinen Krankheiten bestritten, was zur Folge hat, daß Gesetzmäßigkeiten im naturwissenschaftlichen Sinn bezüglich der Wirksamkeit von Arzneimitteln nicht immer festgestellt werden können72. In der Tat ist das Wissen von den Wechselbezügen zwischen Materie, Energie, biologischen und psychosomatischen Zusammenhängen sehr lückenhaft73. Insbesondere der ganzheitliche Ansatz der sogenannten besonderen Therapierichtungen stellt auf diese Zusammenhänge ab und versucht, ihnen gerecht zu werden. In gesteigerter Weise betrifft dies Phytopharmaka mit großer therapeutischer Breite74. Hinsichtlich der homöopathischen Arzneimittellehre gilt ähnliches. Sie ist nicht auf Krankheiten im Sinne der Schulmedizin hin orientiert, sondern ausschließlich auf die Summe aller Symptome75. Noch vor ca. 20 Jahren wurden diese Medikamente überwiegend für unwirksam gehalten76, heute sind die Vorgaben des 70
Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (45). Franz, S. 185. 72 Melchart, S. 23 ff. zum Krankheits- und Gesundheitsbild bei Naturheilverfahren; siehe auch Kriele, ZRP 1975, 260 (261); Zuck, NJW 1991, 2933 (2934) zur Erkenntnis und zum Verständnis von Krankheit und Gesundheit allgemein. 73 Kriele, ZRP 1975, 260 (263). 74 Claußen, Pharma Recht 1984, 247 (260). 75 Claußen, Pharma Recht 1984, 247 (261); zu Naturheilverfahren insgesamt vgl. etwa Melchart, S. 23 ff. 76 Henning, NJW 1978, 1671 (1673). Zu den heftigen Vorbehalten gegenüber der Homöopathie trotz ihrer großen Verbreitung s. Clausius, S. 2 m. w. N. 71
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2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
AMG bzw. der Verwaltungsvorschriften offener77. In Kenntnis des Fehlens einer Gesamttheorie von der Krankheit wird die Erbringung eines absoluten Wirksamkeitsnachweises auch nicht erwartet78. Aus dem Umstand, daß eine schlüssige Gesamttheorie nicht existiert, folgen entsprechende wissenschaftliche Streitigkeiten darüber, wie im Einzelfall ein Beweis der Wirksamkeit geführt werden kann. Als klassisches Beispiel derartiger Umstrittenheit sei die Frage genannt, ob die Daten von Durchblutungsmessungen als Therapiekontrolle bei Durchblutungsstörungen geeignet sind79. Bei Krankheiten, die noch weniger erforscht sind, ist kaum anzunehmen, daß irgendwelche unstrittigen Grundlagen bestehen, aufgrund derer die Zulassungsbehörde entscheiden könnte. Neben dem soeben geschilderten Problem ist erwähnenswert, daß mit den für die Wirksamkeitsbeurteilung ausgewählten Kriterien meist nur Teilaspekte der zu behandelnden Krankheit als Ausschnitte aus dem Gesamtbild erfaßt werden. Die Entscheidung, ob und wieweit diese Teilaspekte als Indikatoren für das Krankheitsbild insgesamt geeignet sind, beeinflußt mithin ganz entscheidend die Möglichkeit und die Qualität der Wirksamkeitsbeurteilung80. Diese Entscheidung ist weitgehend geprägt von einem Beurteilungs- und Prognosespielraum bzw. davon, welche Meinungen über die höchst komplexen Wirkungszusammenhänge im Gesamtorganismus vertreten werden. Es wird in Anerkennung dieses Umstands auch zugestanden, daß eindeutige Größen nur für bestimmte Krankheiten zur Verfügung stünden81. Dennoch wird konstatiert82, daß sich insgesamt betrachtet in den meisten Fällen hinreichend klare Kriterien finden ließen. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Regelfall, also typischerweise, ein recht breiter Korridor an Unklarheit über die Art und den Umfang der Daten besteht, der seitens der Zulassungsbehörde letztlich als Grundlage einer Prüfung von § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG genommen wird. 2. Beurteilung der Wirksamkeit Wie gerade festgestellt, ist schon die Auswahl der Datenbasis, der Parameter wegentscheidend für die Wirksamkeitsbeurteilung. Die Probleme setzen sich fort, wenn aufgrund der vorhandenen Daten die Wirksamkeit der Arznei festgestellt werden soll. 77 78 79 80 81 82
Siehe oben B. Franz, S. 184; Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (45). Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (45). Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (45). Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (45). Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (45).
D. Therapeutische Wirksamkeit
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Die Möglichkeit des Nachweises wird teilweise generell in Frage gestellt83, was seine Ursache vor allem in dem sich an dieser Tatbestandsvoraussetzung in besonderer Weise entzündenden Richtungsstreit zwischen der Schulmedizin einerseits und der Komplementärmedizin bzw. den besonderen Therapierichtungen andererseits hat. Bei zurückhaltender Analyse des Streits ist jedenfalls festzustellen, daß sowohl die vor allem auf dem kontrolliert klinischen Versuch fußende Methodik der Schulmedizin Schwächen in der Wirksamkeitsbegründung aufweist, als auch umgekehrt die besonderen Therapierichtungen Erfolge vorweisen können, die als praktischer Beweis für ihre Schlüssigkeit herangezogen werden können84. Der grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden Meinungs„blöcken“ besteht darin, daß die Schulmedizin eher ein partikularistisches Verständnis vom menschlichen Organismus hat. Danach ist dieser (nur) als ein komplexes System von wechselwirkenden Teilchen zu verstehen85. Nach der schulmedizinischen Methodologie ist ein verläßlicher Nachweis der Wirksamkeit von Arzneimittelwirkungen prinzipiell nicht am Einzelfall, sondern nur in statistischen Prüfungen möglich86. Die Komplementärmedizin dagegen geht von ganzheitlichen Gestaltungsmechanismen aus, die als eine Art übergreifende Naturordnung zu verstehen sind87. Die aus der statistischen Betrachtungsweise folgende Konsequenz, daß sich die Wirksamkeit um so eindeutiger beweisen läßt, je enger die Zuordnung von Erkrankung und Arzneimittel ist, läßt sich mit dem Prinzip der homöopathischen und anthroposophischen Arzneimittelfindung nicht vereinbaren. Im Bereich der anthroposophischen Medizin wird ein Arzneimittel bereits dann als wirksam qualifiziert, wenn ein bestimmter Arzt die Arznei für einen bestimmten Patienten benötigt88. Oftmals ist also keine generelle, von den individuellen Gegebenheiten und dem therapeutischen Auftrag losgelöste Antwort möglich89. Damit wird die Prüfung der Wirksamkeit im Rahmen des Zulassungsverfahrens ein schwieriges Unterfangen. Aus diesem Grund sind (jedoch nur) die homöopathischen Arzneimittel durch § 38 AMG von der Zulassungspflicht ausgenommen. Erschwerend kommt hinzu, daß die besonderen Therapierichtungen mit geringsten Dosen der meist komplexen Wirksubstanzen arbeiten, während 83
Leibholz, S. 34 m. w. N. Biermann, S. 67; Henning, NJW 1978, 1671 (1675); Leibholz, S. 33; Kiene, S. 41; Kienle, ZRP 1976, 65 (66); Kriele, NJW 1976, 355 (357). 85 Kiene, S. 3, 95; auch Melchart, S. 23 ff. 86 Henning, NJW 1978, 1671 (1675); Kiene, S. 2. 87 Kiene, S. 2. 88 Kiene, S. 134 f. 89 Claußen, Pharma Recht 1984, 247 (260); Leibholz, S. 34. 84
36
2. Teil: Überblick über das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren
die hoch wirksamen Synthetika oft so stark auf somatische Abläufe durchschlagen, daß ein Nachweis kaum ein Problem ist90. Mithin besteht eine sehr unterschiedliche Ausgangslage hinsichtlich der einer Wirksamkeitsbestimmung oder -begründung zugrundeliegenden Sachverhalte. Es läßt sich zusammenfassen, daß die Bewertung von körperlichen Reaktionen auf die Arzneimitteleinnahme abhängig von dem jeweils vertretenen Standpunkt ist.
90
Leibholz, S. 35.
3. Teil
Schutz der Erkenntnissuche A. Gang der Untersuchung In diesem Teil der Arbeit wird der grundrechtliche Schutz von Forschungstätigkeit untersucht, die mit Verwertungsabsicht betrieben wird. Schwerpunkt ist dabei die Frage, ob sich solche Forschungstätigkeit unter die anerkannten Merkmale der Forschungsfreiheit subsumieren läßt (unten B. I. 4. a)). Es schließt sich eine systematische Analyse an, ob sich ein allgemeiner Grundsatz für den Ausschluß der Anwendbarkeit eines tatbestandlich erfüllten Grundrechts allein wegen der mit seiner Ausübung bezweckten Gewinnerzielung feststellen läßt oder ob der Satz „pecunia non olet“1 auch im Bereich des Grundrechtsschutzes gilt (unten B. I. 4. b)). Hinsichtlich des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit wird letztlich untersucht, inwieweit neben den anerkannten Merkmalen der Forschungsfreiheit ein weiteres stehen könnte, das nur eine ganz bestimmte altruistische Ausrichtung auf die Förderung des Gemeinwohls zulassen würde und egoistische Verwertungsinteressen jedenfalls teilweise ausschließen würde (unten B. I. 4. c)). Die im zweiten Teil dargestellten Regelungen des AMG werden sodann an dem nun beschriebenen Schutzumfang der Forschungsfreiheit gemessen und auf ihren Charakter als relevante Grundrechtsbeeinträchtigungen untersucht (unten B. II.). Es schließt sich die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit an (unten B. III.) Weitgehend unproblematisch ist die Subsumtion der auf Verwertung gerichteten Forschung unter die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie (unten C.). Die Frage, in welcher Weise die Konkurrenz zwischen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG einerseits und Art. 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG andererseits zu lösen ist, wird für den dritten und vierten Teil zusammen behandelt (s. u. 5. Teil B.). Dort wird auch geprüft, inwieweit sich juristi1 Der Satz „Geld stinkt nicht“ wird dem römischen Kaiser Vespasianus (9–79 n. Chr.) zugeschrieben. Er soll damit Einwände gegen die Besteuerung des in den öffentlichen Latrinen anfallenden Urins, welcher zur Ledergerbung verwendet wurde, zurückgewiesen haben.
38
3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
sche Personen des Privatrechts im Hinblick auf Art. 19 Abs. 3 GG auf die hier untersuchten Grundrechte berufen können (unten 5. Teil A.).
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit I. Schutzbereich: Keine Schädlichkeit von wirtschaftlicher Verwertungsabsicht bei Durchführung der Erkenntnissuche 1. Überblick Die Untersuchung geht in ihrem Ausgangspunkt von dem – präzisierungsbedürftigen – Wissenschaftsbegriff aus, wie er durch das Bundesverfassungsgericht unter weitgehender Zustimmung der Literatur definiert wird. Danach ist Wissenschaft alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist2. Die Arbeit orientiert sich weiter am zeitlichen Ablauf wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung und ihrer Vor- bzw. Nachstufen3. Dabei stellt sich zunächst die Frage, inwieweit bereits der grundrechtliche Schutz des zum klassischen Bereich der Wissenschaft schlechthin gehörenden Prozesses der Erkenntnisgewinnung unter dem Vorbehalt gewährt wird, daß dieser ohne wirtschaftliche Motivation durchgeführt wird. Typischerweise lassen sich solche Motivlagen in der Industrieforschung vermuten. Diese wird überwiegend durch ihre betriebsmäßige Bindung an ein industrielles Wirtschaftsunternehmen charakterisiert und als auf Gewinnerzielung gerichtete Forschungstätigkeit definiert4. Daher wird in den folgenden Ausführungen die industriell betriebene Forschung stellvertretend für mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung behandelt. Dabei geraten – gemäß des Untersuchungsgegenstands der Arbeit – die Besonderheiten der pharmazeutischen Forschung nicht aus dem Blick. Im Spannungsverhältnis zwischen Forschung und Wirtschaft liegen auch die staatlich geförderten außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Insbesondere die Fraunhofer-Gesellschaft als Trägerorganisation außeruniversitärer Wissenschaft steht durch ihre Ausrichtung auf ökonomische Verwertbar2 BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367); 90, 1 (12); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 205; Classen, S. 74; Kirchhof, Wissenschaft, S. 2; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 10; Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (115 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 91; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 100. 3 Eine nähere Darstellung der verschiedenen Phasen bei Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (218). 4 Grellert, S. 1236; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 10.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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keit von wissenschaftlichen Erkenntnissen der Industrieforschung sehr nahe5. Ebenso sind die Untersuchungsergebnisse, neben Fragen des Art. 19 Abs. 3 GG, für den Schutz der Großforschung und der Ressortforschung als institutioneller Entscheidungshilfe für Politik, Gesetzgebung und Verwaltung relevant. Der Schutz dieser außeruniversitären Einrichtungen ist bereits von Classen und Trute untersucht worden, so daß die folgenden Ausführungen auf die mit unmittelbarer wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung fokussiert sind. Wegen der zunehmenden Ausrichtung auch der universitären Forschung auf ökonomische Verwertbarkeit gibt es immer mehr Fälle, in denen es auf die hier zu untersuchenden Fragen ankommt: Die Universitäten werden auch in der Grundlagenforschung zu gezielterer Ausrichtung auf angewandte Forschung gedrängt6. So untersucht z. B. in Baden-Württemberg der Landesforschungsbeirat „die Gewichtung der verschiedenen Teildisziplinen im Land auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Entwicklung der baden-württembergischen Wirtschaft“7. Auch für andere Fälle, die außerhalb der Einteilung der Forschung in Universitäts-, Ressort-, Groß- und Industrieforschung liegen, wirkt sich das Untersuchungsergebnis auf den grundrechtlichen Schutz aus. Betroffen sind beispielsweise wissenschaftlich erstellte Publikationen von Rechtsanwälten (Zeitschriftenartikel, Bücher), die auch oder vorwiegend zur Gewinnung von Mandaten dienen. Ebenso sind Dissertationen und Diplom-Arbeiten, vor allem im wirtschafts- und naturwissenschaftlichen Bereich berührt, die von Unternehmen angeregt, betreut und finanziert werden. Der enge Bezug zur wirtschaftlichen Verwertungsabsicht liegt zum einen darin, daß die Themen in der Regel auf die Unternehmen zugeschnitten sind und diese bis zu 1.000 EUR monatlich als Vergütung für die Erstellung der Arbeit zahlen8. Letztlich gibt es eine Reihe von juristischen Dissertationen, die vorwiegend zum Einstieg in den Anwaltsmarkt und zur Erhöhung des Einstiegsgehalts9 angefertigt werden. Im Ergebnis steht jede gewinnorientierte Wahl von Forschungsthemen dieser Lage nahe.
5 Kleindiek, S. 282, 285, der indes sowohl die Forschungstätigkeit der Fraunhofer-Gesellschaft als auch die der Industrieforschung nicht unter Art. 5 Abs. 3 GG subsumiert (s. u.). 6 Dzwonnek, WissR 33 (2000), 95 (96). 7 Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Pressemitteilung Nr. 140/2001 vom 30.08.2001. 8 General-Anzeiger vom 3.11.2001, S. 50 („Forschung im Unternehmensauftrag“). 9 FAZ vom 29.09.2001, S. 46 („Eine Promotion zahlt sich in der Wirtschaft aus“). Danach können Promovierte in der Wirtschaft mit ca. 500.000,– EUR mehr Lebenseinkommen rechnen.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Die verfassungsrechtliche Bearbeitung der Problemfelder außeruniversitärer Forschung entspricht nach dem bereits in der Einleitung Dargelegten nicht der praktischen Bedeutung dieser Form wissenschaftlicher Betätigung10. Zwar erkennt die überwiegende rechtswissenschaftliche Auffassung den Schutz der Industrieforschung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG an11. Aber es unterbleibt eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenauffassung. Diesem Vorwurf muß sich beispielsweise die umfangreiche Arbeit von Dickert zu „Naturwissenschaften und Technik“ stellen. Auch die im Jahre 1992 erschienene Habilitationsschrift von Losch und die 1994 fast zeitgleich erschienen Habilitationsschriften von Classen und Trute behandeln die gerade umrissenen Problemfelder nur am Rande. Im einzelnen wird darauf bei der Darstellung der unterschiedlichen Lösungsansätze noch zurückzukommen sein. Auch die Rezensionen dieser Schriften sehen deren Schwerpunkte eindeutig in anderen Bereichen. Die Zentralfrage Classens beispielsweise wird in der Beschäftigung mit der Frage gesehen, inwieweit die Wissenschaftsfreiheit Forschungstätigkeit in außeruniversitären öffentlichen Einrichtungen schützt12. Auch Trute legt, wie der Titel seiner Arbeit bereits erkennen läßt, seinen Schwerpunkt auf die rechtlichen Rahmenbedingungen staatlicher Forschungspolitik und auf verwaltungsrechtliche Aspekte13. Losch dagegen hat den Fokus auf den Bereich der Begrenzungen der Wissenschaftsfreiheit gelenkt14. Die Stellungnahme von A. Blankenagel15 u. a. zu den drei genannten Habilitationsschriften geht zwar verstärkt auf das Konfliktfeld zur wirtschaftlichen Betätigung ein, kann mit ihrem restriktiven Verständnis des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit im Ergebnis jedoch nicht überzeugen. Lediglich einen Teilaspekt, der für den grundrechtlichen Schutz von Industrieforschung bedeutsam ist, nämlich die Publizität, behandelt die neuere Arbeit von M. Blankenagel zur „Wissenschaft zwischen Information und Geheimhaltung“. Kleindiek, der sich mit „Wissenschaft und Freiheit in der Risikogesellschaft“ beschäftigt hat, behandelt die Besonderheiten der Industrieforschung eher am Rande. Auch die jüngste Dissertation zu diesem Thema von Lux streift das Problemfeld nur. Trotz dieser Bemühungen kann nicht wirklich davon gesprochen werden, die grundrechtliche Einordnung von mit wirtschaftlicher Zielsetzung betriebener Wissenschaft sei klarer geworden.
10 11 12 13 14 15
Ein Defizit stellen auch Classen, S. 10 und Ronellenfitsch, S. 99 fest. Siehe unten b). Thieme, DÖV 1996, 304. Karpen, DVBl. 1994, 113 (114); Löwer, WissR 32 (1999), 250. Karpen, DVBl. 1994, 126; Würkner, NVwZ 1994, 569. A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (90 ff.).
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
41
2. Ansatzpunkte zur Annahme einer Schädlichkeit der Verwertungsabsicht Wie angesprochen, wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nur von wenigen Autoren ausdrücklich zu der Frage der Schädlichkeit wirtschaftlicher Motivation von Forschungstätigkeit für den grundrechtlichen Schutz durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Stellung bezogen. In neuerer Zeit ist es vor allem A. Blankenagel, der sich diesbezüglich kritisch äußert. Er hält die Frage, ob und wenn, dann wie die Industrieforschung in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit falle, einer genaueren Bearbeitung bedürftig, die bisher fehle16. An anderer Stelle bringt er dezediert seine Meinung zum Ausdruck, die den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG ablehnt, indem er von der „(Nicht) Wissenschaftsfreiheit des Industriewissenschaftlers“17 spricht bzw. die Zuordnung industrieller wissenschaftlicher Tätigkeit zu anderen Grundrechten als Art. 12 und 14 GG als „Verbiegung“ des Schutzbereichs charakterisiert18. M. Blankenagel schließt sich diesem Ergebnis an und stützt sich dabei insbesondere auf die ihrer Auffassung nach bei der Industrieforschung fehlende bzw. zu langsame Veröffentlichung der gefundenen Forschungsergebnisse19. Im Gegensatz zu dem überwiegenden Teil des übrigen Schrifttums widmet sie der Frage des Schutzes von Industrieforschung aber mehr Aufmerksamkeit und Raum. Zwar positioniert sich in aktuellerer Zeit auch Kleindiek auf der Seite der restriktiven Auslegung von Art. 5 Abs. 3 GG, jedoch fällt seine Begründung vergleichsweise knapp aus. Er versteht die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit weniger als Abwehr-, denn als Organisationsgrundrecht, weil freie Erkenntnissuche heute nur durch einen staatlicherseits gesicherten organisatorischen Rahmen möglich sei20. Daraus folgert er notwendig, daß außerhalb dieses Rahmens keine Forschung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG möglich sein könne. Hilfsweise belegt er, weshalb das Grundrecht letztlich auch keinen Schutz als Abwehrrecht gewähren könnte. Zu diesem Zwecke erklärt er die Gesetzmäßigkeiten der in der Industrieforschung ablaufenden Prozesse, vor allem die Orientierung an der wirtschaftlichen Verwertung, für unvereinbar mit den Bedingungen autonomer Wissenschaft21. Gleichwohl soll es sich bei Industrieforschung um Wissenschaft handeln, aber nicht um solche, die Art. 5 Abs. 3 GG, sondern Art. 12 Abs. 1 S. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnen sei22. 16 17 18 19 20 21
A. Blankenagel, AöR 116 (1991), 494 (495). A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (41, 70). A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (97). M. Blankenagel, S. 107, 112, auch 92 ff. Kleindiek, S. 206, 240. Kleindiek, S. 331 ff.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Weitere ablehnende Stellungnahmen zur Schutzbereichseröffnung stammen von Roellecke, der ohne weitere Begründung die Ausrichtung auf den Markt als maßgeblichen Grund für diese Behandlung der Industrieforschung hält23, und von Waechter, der generell den forschenden Umgang mit technischen Arbeitsmitteln nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG zuordnet24. In seiner Arbeit zur „Wissenschaftsfreiheit und Arzneimittelkontrolle“ sieht von Kirchbach die Industrieforschung zwar generell im Schutzbereich der Forschungsfreiheit, nimmt aber – ohne viel Begründungsaufwand – solche Forschung aus, die als big business betrieben werde und bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Pharmaindustrie25. Nicht ganz ausdrücklich äußert sich Berg, wenn er solche grundrechtlichen Verhaltensweisen dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit entzieht, in denen das Grundrecht der Erfüllung außerwissenschaftlicher Zwecke „dienstbar“ gemacht werden soll26. Ökonomische Ziele dürfte er als außerwissenschaftliche ansehen und daher die Industrieforschung Art. 12 und 14 GG zuordnen. Im älteren Schrifttum will Köttgen der „technisch unentbehrlichen Zweckforschung“ jede Berufung auf die Wissenschaftsfreiheit versagen27. Außerwissenschaftliche Zielsetzungen ökonomischer Art verschließen nach dieser Ansicht mithin schon den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Die ablehnenden Haltungen hängen unter anderem damit zusammen, daß mehrere Möglichkeiten existieren, den tatsächlichen oder vermeintlichen Gefahren der Forschung zu begegnen: Zum einen ist dies die noch darzustellende immanente ethische Begrenzung des Schutzbereichs. Dazu ist neben dem Ansatz auf der Rechtfertigungsebene eine restriktivere Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Schutzbereichs möglich. Um die letztgenannte Variante geht es an dieser Stelle. Da die Möglichkeit, daß Forschungsvorhaben gefährliche Gegenstände oder Ergebnisse haben, bei der Industrieforschung aufgrund ihrer Dynamik dort im Vergleich zur Forschung ohne Verwertungsabsicht als größer eingeschätzt werden kann, besteht ein nachvollziehbares Interesse, zumindest für die Industrieforschung die starke Schutzwirkung der Forschungsfreiheit auszuschließen. Über diese genannten Stellungnahmen hinaus, die den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG für die Industrieforschung ablehnen, läßt sich im 22
Kleindiek, S. 320. Roellecke, BB 1981, 1905 (1906 f.). 24 Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (46 f., 49). 25 Von Kirchbach, S. 37. 26 Berg, S. 138. Unklar auch zum Bereich der Hochschulforschung Lux, S. 52 f., die überlegt, daß eine von finanziellen Motiven geleitete Tätigkeit „möglicherweise überhaupt keine Wissenschaft“ darstelle. 27 Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 301, 304. 23
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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gesellschaftspolitischen Klima die gleiche Richtung feststellen. Angestoßen wurde diese Entwicklung durch die kritische Bewertung der Chancen und Risiken neuer Forschungsgebiete und -technologien, insbesondere auf dem Gebiet der Biomedizin. Die Ausrichtung auf ökonomische Erträge im Zusammenhang mit der Forschung an menschlichen Stammzellen beispielsweise wurde heftigst kritisiert28. 3. Ansatzpunkte zur Annahme einer Unschädlichkeit der Verwertungsabsicht Überwiegend jedoch wird zweckgebundene Auftrags- und Industrieforschung – in aller Regel ohne weitere Begründung – dem Schutz von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zugeordnet29. Teilweise wird über diese bloße Aussage hinausgehend darauf hingewiesen, daß ab einem bestimmten Gewicht die Zweckausrichtung zu einer Verdrängung des Erkenntnisinteresses führen könne. So führt beispielsweise Trute aus, ab einem gewissem Grad der Einbindung in den Produktionsprozeß oder ab einem gewissen Grad einer Klientelorientierung könnten notwendige autonome Spielräume zur Erzeugung von wissenschaftlichem Wissen nicht mehr angenommen werden30. In diesem Falle stünden den Handlungen, die Trute als „marktvermittelnde Operationen“ bezeichnet, lediglich Art. 12 und 14 GG zur Seite. Nicht ganz einsichtig ist es jedoch, wenn er im Fortgang der Arbeit annimmt, daß wohl eher regelmäßig die auf den Schutz wirtschaftlicher Tätigkeit zielenden Grundrechte und nicht die Wissenschaftsfreiheit heranzuziehen seien31. Auch Losch differenziert zwischen solchen Tätigkeiten, die ausschließlich am praktischen Erkenntniszweck orientiert seien und solchen, die wissenschaftlich-theoretisch ausgerichtet 28
FAZ Nr. 155, vom 07.07.2001, S. 41 („Wertegemeinschaft“). Burger, S. 163; Classen, S. 84; Dickert, S. 302 ff.; Grellert, 1242; Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (217); ders., S. 15; Heldrich, S. 21; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rdnr. 96; Kimminich, WissR 6 (1973), 193 (200 f.); Sachs, Grundrechte, S. 326; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 325; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 152; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 14; Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft) Rdnr. 98; Pieroth/Schlink, Rdnr. 623; Richli, AJP/PJA 2002, 340 (347) zum schweizerischen Recht; Ridder-Stein, DÖV 1962, 361; Schmidt-Aßmann, S. 704; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 98; Seibert, WissR 16 (1983), 130 (140 f.); Schuster, S. 314; Graf Vitzthum, FS Lerche, S. 348; Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237); jüngst Wolfrum/Stoll/Franck, S. 27. Speziell zur pharmazeutischen Forschung: Grupp, in: Furkel/Jung, S. 140; Kloepfer, JZ 1986, 205 f.; Pfeiffer, VersR 1994, 1377 (1382 f.); ders., VersR 1991, 614 (616); Ronellenfitsch, S. 98 f. 30 Trute, S. 105. 31 Trute, S. 635. 29
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
seien32. Beide Autoren äußern sich nicht, wann genau die von ihnen beschriebene Grenze aus ihrer Sicht überschritten sein soll. Eine nähere Begründung, weshalb der grundrechtliche Schutz ab dieser Grenze umschlagen soll, bleiben sie ebenfalls schuldig. Auch andere Autoren belassen es bei solchen Hinweisen33. Die Standpunkte von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht lassen sich – trotz gewisser Unklarheiten – eher derjenigen Gruppe zuordnen, die auch die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Industrieforschung dem Schutz durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unterstellt. Die Betrachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage des grundrechtlichen Schutzes der Industrieforschung ist nicht sehr ergiebig. Die Entscheidung des Gerichts zur Verfassungsmäßigkeit von § 8 Abs. 2 S. 2 TierschutzG34 gibt für die Beurteilung des Standpunkts des Gerichts hinsichtlich der Eröffnung des Schutzbereiches der Forschungsfreiheit nichts her: Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wird mit keinem Wort, weder zustimmend noch ablehnend, erwähnt. Statt dessen stellt das Gericht ausschließlich auf Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG ab. Ob daraus gefolgert werden kann, daß die Forschungsfreiheit bereits vom Schutzbereich her nicht eröffnet ist oder daß sie erst auf Konkurrenzebene ausscheidet, bleibt offen. Zu einer Prüfung von Art. 5 Abs. 3 GG hätte allerdings durchaus Veranlassung bestanden35. Dieses Schweigen des Gerichts ist für Kleindiek dagegen Anlaß, genau gegenteilig zu schließen, es weise darauf hin, daß das Gericht Industrieforschung nicht unter den Schutzbereich der Forschungsfreiheit subsumieren wolle36. Jedoch bestehen Zweifel an der Richtigkeit seiner Interpretation. Es hätte keinen Grund für die Richter gegeben, die sich im Rahmen der Prüfung von Art. 5 Abs. 3 GG stellende, schwierige und umstrittene Frage zu entscheiden, inwieweit der nicht anthropozentrische Tierschutz vor Einführung des Art. 20a GG ein kollidierendes Verfassungsgut darstellte, weil bereits aus Verletzung der Berufsfreiheit eine Verfassungswidrigkeit der untersuchten Norm folgte. Wenn das Gericht die Frage nach dem Schutz der Industrieforschung abschließend hätte beantworten wollen, bleibt es unverständlich, wieso das durch bloßes Schweigen geschehen sein sollte. Angesichts der weitreichenden Folgen einer derartigen Stellungnahme hätte sich das Gericht vielmehr eines knappen ausdrücklichen Hinweises bedienen können. Da nicht davon ausgegangen werden kann, daß seine Entscheidungen dazu gedacht sind, die Findigkeit ihrer Leser zu prü32
Losch, S. 111. So z. B. Tiedemann, ZRP 1991, 54 (58), der von notwendigem „ausreichenden Spielraum“ spricht. 34 BVerfGE 48, 376 (377, 388). 35 R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (473); Kleindiek, S. 175. 36 Kleindiek, S. 175 f. 33
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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fen, hat das Schweigen des Gerichts – ebenso wie grundsätzlich im Rechtsverkehr – keine erklärende Wirkung. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann danach zwar nicht als Beleg für eine Zuordnung der Industrieforschung zum Schutzbereich der Forschungsfreiheit herangezogen werden, aber auch nicht als Beleg für das Gegenteil. Allerdings spricht das Gericht in der Entscheidung zur Gruppen-Universität davon, das Abwehrrecht des Art. 5 Abs. 3 GG stehe „jedem“ zu, der wissenschaftlich tätig sei oder tätig werden wolle37. Daraus kann geschlossen werden, daß es wohl eher nicht von einer grundsätzlichen Ausgrenzung der Industrieforschung ausgeht. Kritik an einem derartigen Verständnis der Entscheidung äußert erneut Kleindiek. Er weist darauf hin, daß diese sich nur auf den Bereich der universitären Selbstverwaltung bezogen habe und insoweit weitergehende Rückschlüsse auf ein „Jedermann“-Grundrecht auch außerhalb der Universität eben nicht getroffen werden könnten38. Vordergründig scheint diese Wertung zutreffend zu sein. Nach der Ansicht von Kleindiek müßte der Begriff „jeder“ vom Gericht wohl als Hinweis gemeint gewesen sein, daß alle in der Universität Tätigen den Schutz der Wissenschaftsfreiheit besitzen. Gegen eine solche Interpretation spricht indes, daß zur Darstellung dieses Umstandes eine wesentlich präzisere und keineswegs umständlichere Formulierung problemlos hätte gewählt werden können. Allein das Hinzufügen des Begriffs „Universitätsbeschäftigte“ als Bezugspunkt hätte genügt, um Mißverständnisse zu vermeiden. Das Potential der allgemein gehaltenen Aussage an unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten zeigt gerade der hier dargestellte Streit. Es ist vom Bundesverfassungsgericht sicher erkannt worden und hätte durch eine andere Formulierung in die eine oder andere Richtung aufgelöst werden können. Entscheidend gegen die von Kleindiek vertretene Interpretation der Entscheidung spricht allerdings der Kontext, indem die Aussage des „Jedermann“-Grundrecht getroffen worden ist. Sie fällt außerhalb der Erörterung der Rechtsbeziehungen der Universitätsbediensteten untereinander. Den „mit öffentlichen Mitteln eingerichteten und unterhaltenen Wissenschaftsbetrieb“ spricht das Gericht erstmals an späterer Stelle, also nach der Passage der „jedermann“Formulierung39 an. Statt dessen schließt es an die umstrittene Aussage unmittelbar einen Vergleich mit der Kunstfreiheit an. In der Entscheidung heißt es, „dieser Freiraum des Wissenschaftlers (sei) grundsätzlich ebenso vorbehaltlos geschützt, wie die Freiheit künstlerischer Betätigung gewährleistet“ sei40. Weder die Verortung noch das Nennen der Kunstfreiheit legen 37 BVerfGE 35, 79 (125, 127); ebenso BVerfGE 90, 1 (11 f.); 95, 193 (209); bereits auch in BVerfGE 15, 256 (263 f.). 38 Kleindiek, S. 170, 173. 39 BVerfGE 35, 79 (115). 40 BVerfGE 35, 79 (112).
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
den Schluß nahe, der Begriff „jeder“ beziehe sich nur auf die innerhalb der Universität Forschenden. Wäre dies anders, wäre das Heranziehen der Kunstfreiheit als Parallele eines von absoluter Freiheit vor jeder Ingerenz öffentlicher Gewalt gekennzeichneten Bereiches41 nicht nachvollziehbar: Die universitär institutionalisierte Wissenschaft ist von anderen Abhängigkeiten und Gefahren gekennzeichnet als das Phänomen Kunst. Ausschlaggebend gegen ein anderes Verständnis der Entscheidung spricht letztlich, daß das Gericht die „jedermann“-Formulierung in seiner neueren Rechtsprechung auch dann verwendet, wenn es sich mit Sachverhalten zu beschäftigen hatte, die keine Hochschulberührung hatten42. Mit einem weiteren Einwand möchte Kleindiek widerlegen, daß die Entscheidung zur Gruppen-Universität als Beleg dafür herangezogen werden kann, daß das Bundesverfassungsgericht die Industrieforschung unter die Forschungsfreiheit subsumiert. Die Aussage des Gerichts, der Staat verfüge heutzutage in weiten Bereichen des Wissenschaftsbetriebes über ein faktisches Monopol43, sei angesichts der sich anders darstellenden Realität nur dann plausibel, wenn eben nicht der gesamte Lebensbereich Forschung, indem private Institutionen mehrheitlich vertreten sind44, von Art. 5 Abs. 3 GG erfaßt werde45. Ein derartiges Verständnis dieser Passage der Entscheidung ist aber weder zwingend noch zutreffend. Der Staat besitzt im gesamten Wissenschaftssystem, das Forschung und Lehre vereint, durchaus eine gewisse Monopolstellung: Die Ausbildung der Wissenschaftler erfolgt nahezu ausschließlich durch die staatlichen Hochschulen. Zudem ist die Industrieforschung thematisch weitgehend auf die Naturwissenschaften beschränkt, so daß es für die Sozial- und Geisteswissenschaften bei einer Vorrangstellung der staatlichen Hochschulen bleibt. Letztlich zeigt der Umstand, daß das Bundesverfassungsgericht auch in dem universitären Wissenschaftssystem deutliche Elemente zweckgerichteter Tätigkeit entdeckt und akzeptiert46, keine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der die Industrieforschung kennzeichnenden Orientierung an wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten.
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So aber BVerfGE 35, 79 (112). Siehe insbesondere BVerfGE 90, 1 (11 f.). BVerfGE 35, 79 (114 f.). Zu einer Änderung der gesellschaftlichen Realität siehe ausführlich unten 4. a)
bb). 45 Kleindiek, S. 171, 320 (Industrieforschung „bleibt zwar Wissenschaft“, werde aber nicht durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt). 46 BVerfGE 35, 79 (109), obgleich das Gericht den Verlust der Zweckfreiheit sieht, differenziert es im Hinblick auf den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG nicht zwischen „reiner“ und zweckgebundener Wissenschaft.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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Für den Bereich der außeruniversitären Forschung an staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen hat das Bundesverfassungsgericht Art. 5 Abs. 3 GG für einschlägig gehalten; es nahm an, dem Zentralinstitut für physikalische Chemie als Einrichtung der Akademie der Wissenschaften der ehemaligen DDR stehe dieser grundrechtliche Schutz zu, wobei der Umfang im einzelnen offen gelassen wurde47. Das ausdrückliche Offenlassen des genauen Schutzumfanges für das Zentralinstitut deutet aber darauf hin, daß das Gericht es zumindest nicht für ganz abwegig hält, diesen im Vergleich zur universitären Forschung zu modifizieren. Zwischen der Forschungstätigkeit in der Industrie und derjenigen an staatlichen bzw. halbstaatlichen außeruniversitären Einrichtungen der Ressortforschung besteht im Hinblick auf die Anwendungsorientierung und die Abhängigkeit von Finanzmitteln eine deutliche Ähnlichkeit: Auch diese außeruniversitären Einrichtungen sind geprägt von externen Aufgabensetzungen48, wobei dort ein Gewinnstreben eine geringere Rolle spielen dürfte. Aus diesem Grunde kann die bundesverfassungsrechtliche Rechtsprechung als positive Stellungnahme für den jedenfalls grundsätzlichen grundrechtlichen Schutz der Industrieforschung durch Art. 5 Abs. 3 GG angesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht sieht, ohne weitergehendere Bedenken zu äußern, jedenfalls die ökonomische Ausrichtung wissenschaftlicher Tätigkeit als unschädlich an. In seinem Urteil zum Lastenausgleichsgesetz aus dem Jahre 1961 weist es darauf hin, daß wissenschaftliche Forschung nicht begriffsnotwendig zu wirtschaftlichen Vorteilen führen müsse und daß das Gewinn- und Erwerbsstreben des Forschers unter Umständen ganz zurücktreten könne49. Offenkundig geht das Gericht also von der ökonomischen Motivation als dem Normalfall aus. Nur so ist die Aussage zu erklären, daß es Forschungstätigkeit auch ohne eine derartige Zweckausrichtung geben könne. Aus der Tatsache, daß diese Entscheidung nicht zu Art. 5 Abs. 3 GG erging, kann sich schwerlich eine andere Beurteilung ergeben. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zwar nicht zu Wissenschaft und Forschung i. S. v. Tatbestandsmerkmalen des Grundrechts geäußert. Ausschlaggebend ist jedoch, daß es eine wirtschaftliche Ausrichtung der Forschung i. S. eines gesellschaftlichen Phänomens nicht als wesensuntypisch für Wahrheitssuche ansieht. Zudem macht es sich die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu eigen, das Grundrecht stehe als Abwehrrecht jedem zu, 47
BVerfGE 85, 360 (370, 384). Classen, S. 242 ff. mit Differenzierungen; Kleindiek, S. 281, 285 nimmt die Fraunhofer-Gesellschaft – anders als die Max-Planck-Gesellschaft (ebd., S. 279) – aus diesem Grunde aus dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG aus; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 34; Trute, S. 438 f., 566 ff. 49 BVerwGE 13, 112 (113 f.); so wohl auch Hailbronner, S. 257, der den um der Forschung willen Forschenden als „Außenseiter“ bezeichnet. 48
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
der wissenschaftlich tätig sei50. Insofern kann auf die oben getroffenen Ausführungen verwiesen werden. 4. Eigener Ansatz Wie angedeutet, geht die überwiegende Auffassung über den bloßen Hinweis, daß auch Industrieforschung vom Schutz der Forschungsfreiheit umfaßt sei, selten hinaus. Die wiederholt von A. Blankenagel daran vorgetragene Kritik51 stößt nicht so recht auf Widerhall52. Was sein Monitum der „langweiligen Sterilität“53 angeht, so kann dieses letztlich nur im Hinblick auf die fehlende Auseinandersetzung der überwiegenden Auffassung mit den Gegenargumenten geteilt werden. Denn im Ergebnis befindet sich auch die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht vorgenommene Forschung im Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Die Ausführungen zum Schutzbereich der Forschungsfreiheit werden bei fast allen Stellungnahmen begleitet von der Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung54. Dabei werden oft andere Begrifflichkeiten eingeführt. So wird differenziert zwischen zweckfreier bzw. anwendungsferner Forschung im Gegensatz zu anwendungsorientierter bzw. -naher Forschung oder auch zwischen solcher Tätigkeit, die auf der einen Seite um ihrer selbst willen, auf der anderen Seite um der späteren Verwertung willen durchgeführt wird. Das der Unterscheidung der verschiedenen Erscheinungsformen von Forschung zugrundeliegende Geflecht an Forschungsinhalten, Organisationsformen, Motivlagen und Zwecksetzungen ist jedoch vielschichtiger und differenzierter, als daß die Abgrenzung des grundrechtlichen Schutzes anhand der schlagwortartigen Einordnung in die eine oder andere Kategorie geschehen könnte. Diese Vielschichtigkeit erkennend hat die Europäische Kommission in der Anlage zum Gemeinschaftsrahmen für staatliche Forschungsund Entwicklungsbeihilfen55 beispielsweise insgesamt fünf Arten von Forschung definiert. Es sind dies neben der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung die industrielle Grundlagenforschung, die industrielle Forschung und die vorwettbewerbliche Entwicklung. Vermutlich ließe sich bei genügender Sorgfalt eine noch feinere Strukturierung erreichen. Letzt50
BVerwGE 102, 304 (307). A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (94 f.); ders., AöR 116 (1991), 494 (495); ders., AöR 105 (1980), 35 (71 Fn. 179). 52 Auch M. Blankenagel, S. 43 kritisiert die fehlende Argumentation der h. M. 53 A. Blankenagel, AöR 116 (1991), 494 (495). 54 Siehe nur Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 72; Stenbock-Fermor, S. 1160. 55 ABl. 1996 Nr. C 45 S. 5; ABl. 1986 Nr. C 83 S. 2. 51
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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lich wird aber immer häufiger auf eine kategoriale Unterscheidung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung verzichtet56. Dagegen, die Frage des Grundrechtsschutzes von der Zuordnung zu der einen oder der anderen Kategorie abhängig zu machen, spricht außerdem der Umstand, daß die Kategorien selber nicht hinreichend bestimmt sind und die Abgrenzungsproblematik lediglich auf die Auslegung anderer Begrifflichkeiten verlagert wird, für die es keine Ableitung aus dem Verfassungstext gibt. a) Subsumtion unter anerkannte Merkmale der Forschungsfreiheit Der am Beginn jeder Auslegung stehenden Analyse des Wortlauts der Norm kommt insofern besondere Bedeutung zu, als sie den äußeren Rahmen der Interpretationsmöglichkeiten absteckt57. Freilich bietet der Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, „Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“, wenig Anhaltspunkte58. Sicher ist jedenfalls, daß sich der Schutz nicht auf Hochschulen beschränkt. Diese Erkenntnis ist heute nahezu unbestritten59. Vielmehr deutet der dreiklangige Wortlaut die Existenz zweier verschiedener Arten von Wissenschaft an: Wissenschaft als universitäre und Forschung als außeruniversitäre Tätigkeit. Bei einer derartigen Unterscheidung könnte sich der Verfassungsgeber an der sozialen Wirklichkeit orientiert haben60, in der eine solche Zweiteilung aufzufinden ist. Ohne weitere Überlegungen zur grammatischen Auslegung anzustellen, kann festgehalten werden, daß der bloße Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 GG die Möglichkeit zur Subsumtion der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Forschung eröffnet. Allerdings ist weder eine solche Forschung umfassende, noch eine sie ausschließende Auslegung vom Wortlaut her zwingend. Wenngleich der Gehalt des Wissenschaftsbegriffs in seinem ganzen Umfang nicht als geklärt bezeichnet werden kann, so dürften doch einige seiner Merkmale als weitgehend anerkannt angesehen werden. Aus der den sachlichen Gewährleistungsbereich umschreibenden Definition des Bundesverfassungsgerichts und im Ansatz auch der überwiegenden Auffassung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum61 lassen sich vier Merkmale klassifizie56 Dickert, S. 268; Graf Vitzthum, FS Lerche, S. 346; Karpen, DVBl. 1994, 113 (114); Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1239). 57 Dazu schon BVerfGE 2, 266 (278). Relativierend BVerfGE 35, 263 (278 f.). 58 Classen, S.12 spricht umständlich von „keiner unzweideutigen Lösung“. 59 Ausführliche geschichtliche Darlegung bei Dickert, S. 302; Kimminich, WissR 6 (1973), 193 (199); Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 413 Fn. 5. 60 So A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (38). 61 Siehe oben 1.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
ren, anhand derer zu überprüfen ist, ob auch die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung unter Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu subsumieren ist: – – – –
Suche nach Erkenntnis62, ggfls. nur um ihrer selbst willen, offene, eigenständige Themenwahl63, Unvoreingenommenheit, Distanz zum Forschungsgegenstand64, Veröffentlichung der Forschungsergebnisse65.
Nimmt man diese grundlegenden Merkmale von Wissenschaft als Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung, so läßt sich die mit Verwertungsabsicht betriebene Forschung – wie die im Anschluß erfolgende Prüfung zeigt – unter diese fassen. Im einzelnen ist freilich umstritten, inwieweit derartig orientierte Forschung grundrechtlich zugeordnet werden kann. Insbesondere wird eingewandt, die mit wirtschaftlicher Zielsetzung betriebene Forschung erfülle wegen Dominanz der wirtschaftlichen Motive nicht die anerkannten Tatbestandsmerkmale. Entgegengehalten wird der Industrieforschung insbesondere fehlendes „reines“ Erkenntnisinteresse (unten aa) (1)), eine beschränkte Themenwahl, die kein Wissen ermögliche, dessen Verwertung noch ungewiß ist (unten aa) (2)), eine fehlende kritische Distanz zum Forschungsinhalt (unten aa) (3)) und letztlich eine zu weite Abkopplung von der „scientific community“ (unten aa) (4)). aa) Einzelbetrachtung der Merkmale (1) Erkenntnisinteresse Einer der wesentlichen Einwände gegenüber der Einbeziehung der Industrieforschung in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit besteht in der Aussage, die Einbindung in ökonomische Forschungskontexte verhindere die Forschungsrationalität. So wird beanstandet, das Ziel der industriell be62
Siehe nur BVerfGE 35, 79 (112 f.); Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 323. 63 A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (53); Burger, S. 160; Hailbronner, S. 296; Kirchhof, Wissenschaft, S. 17. 64 BVerfGE 90, 1 (13); Kirchhof, Wissenschaft, S. 17; Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 304; Merton, S. 99; Tuppy, WissR Beiheft 7 (1979), 178 (189). 65 BVerfGE 35, 79 (112 f.); 47, 327 (375); siehe auch M. Blankenagel, S. 19 f., 65; Dickert, S. 280; Kirchhof, Wissenschaft, S. 7; Raabe, S. 76; Ridder/Stein, DÖV 1962, 361 (362); Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (132); Schmidt-Aßmann, S. 698, sieht in Forschung keinen „isolierten, individualzentrierten gedanklichen Vorgang“; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 110; Starck, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 229; Tuppy, WissR Beiheft 7 (1979), 178 (182); von „Kommunismus“ spricht Merton, S. 93 f. Im einzelnen jedoch str.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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triebenen Forschung sei nicht die Erweiterung des Wissens, sondern ihr Inhalt und ihre Organisation seien an den Imperativen der Produktion und des wirtschaftlichen Ertrages orientiert66. Das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis ist jedoch die allgemein anerkannte Voraussetzung von Wissenschaft überhaupt67. Es soll aber nach dieser Auffassung nicht ausreichen, überhaupt Erkenntnisgewinn zu erstreben, sondern dieses Streben muß gerade um der Erkenntnis selbst willen geschehen. Merton beschreibt diese Motivationslage aus soziologischer Sicht als „Universalismus“68. Die zu einem bestimmten Zweck durchgeführte Forschung läge damit außerhalb des Schutzbereichs. Abgeleitet wird das Erfordernis der Erkenntnissuche um ihrer selbst willen aus dem historischen Kontext der Wissenschaft. Unter Berufung auf die Anfänge der Wissenschaft in der griechischen Antike, spricht man teilweise von einer „reinen“ Wissenschaft69. Nach der aristotelischen „theoria“ soll das Betreiben der Wissenschaft um ihrer selbst willen geschehen und keine Ausrichtung auf praktischen Nutzen haben70. Endzweck der Wissenschaft ist aus dieser Perspektive allein die „Wahrheit“. Unterstützung glaubt die der Einbeziehung der Industrieforschung in den Schutzbereich skeptisch gegenüberstehende Ansicht auch im Idealbild der Wissenschaft im Sinne von Humboldts zu finden. Dort habe sich der Forscher mit der „reinen Wissenschaft zweckfrei in Einsamkeit und Freiheit“71 beschäftigt. Der Begriff der Forschung beschränke sich, dieser Entwicklungslinie folgend, auf Tätigkeiten, die lediglich beobachten und systematisieren, um die Beobachtungen in theoretische Denkarbeit umzusetzen72. Mit dem Ziel der Umsetzung bzw. Anwendung ihrer Erkenntnisse betriebene Forschung wäre danach von grundsätzlich anderen Voraussetzungen beherrscht und demnach auch aus grundrechtlicher Sicht anders zu schützen. Die wissenschaftsfremden Motivlagen werden scharf angegriffen. Teilweise wird sogar eine „krankhafte Hypertrophie des Wissensdranges durch die Geld- und Ruhmgier des Wissenschaftlers“73 gesehen. Konkret die klinische Forschung wird nach Aus66 M. Blankenagel, S. 25, 33; Classen, S. 27, 33; Dickert, S. 85; Kleindiek, S. 319; Merton, S. 90 ff.; Roellecke, BB 1981, 1905 (1907); Seibert, WissR 16 (1983), 130 (140); Trute, S. 106. 67 Siehe nur Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 323. 68 Merton, S. 90 f. 69 Hauff, Bulletin der Bundesregierung, Z 1988 B, v. 14.2.1973, Nr. 16, S. 139; Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 71; Schelsky, S. 54. 70 Aristoteles, S. 983. 71 Ausführlich Schelsky, S. 58 ff. 72 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Sondervotum zum Abschlußbericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, S. 353 ff.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
sagen der Arzneimittelindustrie in Krankenhäusern oft als „industriedominiert“ und deshalb als weniger „wertvoll“ bezeichnet74. In der heutigen Dogmatik finden sich jedenfalls Teile des aristotelischen bzw. humboldtianischen Aspektes in Form des Begriffs von der „Voraussetzungslosigkeit“75 der Wissenschaft wieder, wonach externe Umstände den Erkenntnissuchprozeß unbeeinflußt lassen sollen. Die Feststellung, daß die Industrieforschung nicht vorwiegend auf die Erweiterung des Wissens ausgerichtet ist, sondern diese Art der Forschung eher von der Verfolgung von Unternehmenszielen bestimmt wird, führt dann zum Ausschluß aus dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG. Außerdem wird der Annahme, anwendungsnahe Forschung werde von der Forschungsfreiheit geschützt, entgegengesetzt, solcherart orientierte Forschung sei oft nur Konstruktion und Kombination an sich bekannter Techniken, mit der Folge, daß es an der Gewinnung neuer Erkenntnisse fehle76. Industrieforschung müßte danach wohl lediglich als Teil des Produktionsablaufs und nicht als Suche nach Wahrheit qualifiziert werden. Solche Auffassungen lassen sich mit dem insoweit offenen Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vereinbaren. Gegen sie – und damit für eine die Industrieforschung umfassende weite Auslegung – lassen sich aber im wesentlichen zwei Argumente anführen: Zum einen wird darzulegen sein, daß sich eine Ausrichtung auf Erkenntnisgewinn auch bei der Industrieforschung nicht leugnen läßt (unten (aa)). Zudem ist eine Verengung des in der Verfassung verwendeten Forschungsbegriffs auf eine nur um ihrer selbst willen betriebene Erkenntnissuche nicht feststellbar (unten (bb)). (aa) Ausrichtung der Industrieforschung an Erkenntnisgewinn Bereits die These von Unterschieden zwischen Forschung, die ohne Verwertungsabsicht betrieben wird einerseits und Industrieforschung andererseits, die derartig groß seien, daß die industriell betriebene Forschung anders behandelt werden müßte, ist schon deswegen unrichtig, weil auch die auf Verwertung gerichtete Forschung nach Erkenntnisgewinn strebt. Als unselbständiger Teil des Produktionsablaufs kann sie nicht qualifiziert werden. Der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten noch der Erkenntnissuche zuzuord73
Chargraff, S. 93. Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 15; auf die Qualifizierung als „schnöde“ wirtschaftliche Interessen weisen – im Hinblick auf Meinungsgrundrechte – Friauf/Höfling, AfP 1985, 249 hin. 75 Classen, S. 77; Kirchhof, Wissenschaft, S. 16; Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 304; Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (114). 76 Siehe Trute, S. 106. 74
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nen ist oder bereits zur Produktion bzw. Anwendung der Erkenntnis gehört, wird an späterer Stelle nachgegangen77. An dieser Stelle ist zu prüfen, ob der als Erkenntnissuche identifizierte Prozeß seinen spezifischen Schutz durch die Forschungsfreiheit verliert, wenn er auf den Produktionsprozeß bzw. die wirtschaftliche Verwertung bezogen ist. Indes geht es bei der Industrieforschung nicht ausschließlich um die Entwicklung eines bestimmten Produkts. Die Erforschung von Verfahren, Methoden, Werkzeugen und Ausrüstungen mit breiter Anwendbarkeit ist beispielsweise ein Sektor, der auch staatlicherseits gefördert wird78. Speziell in der Pharmaforschung ist die Phase der Suche nach neuen Wirkstoffen und Wirkmechanismen nicht unmittelbar mit dem Produktionsablauf verknüpft. Das hat seinen Grund in der prinzipiellen Unabgeschlossenheit von Forschungstätigkeit79. An ihrem Beginn ist unklar, zu welchem Ergebnis sie führen wird. Man mag zwar gewisse Vorstellungen oder gar Hoffnungen haben, aber die Eigendynamik der Wissenssuche setzt sich dagegen durch. Gerade die Arzneimittelforschung ist ein riskantes Unterfangen, bei dem lange offen bleibt, ob spezifische Forschungsanstrengungen zu einem entwicklungsfähigen Arzneimittel führen oder nicht80. Es läßt sich daher eine Trennung der eigentlichen Erkenntnissuche vom Produktionsablauf vornehmen. Anders wäre es nicht zu erklären, daß sich bei der industriellen Gemeinschaftsforschung insbesondere mittelständische Unternehmen zu gemeinsamen Forschungsaktivitäten unter dem Dach branchen- oder technologiefeldorientierter Forschungsvereinigungen zusammenschließen, um einander gemeinsam den Zugang zum aktuellen Stand der Technik zu ermöglichen81. Die industrielle Gemeinschaftsforschung hat vorwettbewerblichen Charakter und ist von der Entwicklung einzelner Produkte und Verfahren weit genug entfernt82, um den immerhin am Markt konkurrierenden Unternehmen Freiraum zum individuellen wirtschaftlichen Erfolg zu gewährleisten. Die Ergebnisse der Gemeinschaftsforschung kommen nicht nur dem einzelnen Unternehmen zugute, sondern der jeweiligen Industriebranche oder dem jeweiligen Technologiefeld insgesamt. Sie steht damit zwischen Grundlagenforschung und firmenspezifischer Forschung. An der in77
Siehe unten 4. Teil. B. I. 1. BMBF, Rahmenkonzept, S. 11. 79 Zur Unabgeschlossenheit von Forschungstätigkeit besonders deutlich das Sondervotum Simon/Rupp/von Brünneck, BVerfGE 35, 148 (157). 80 Siehe dazu die Begründung zum Gesetzesentwurf der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, BT-Drucks. 14/6571, S. 4; Majer, S. 25; ein großes Anwendungsrisiko bei der industriellen Forschung insgesamt sieht auch Kleindiek, S. 331. 81 Zu der Definition des Begriffs der Gemeinschaftsforschung, Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, Jahresbericht 2000, S. 14. 82 Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, Handbuch 2000, S. 21; Schuster, S. 325. 78
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
dustriellen Gemeinschaftsforschung nehmen immerhin die ca. 50.000 kleineren und mittleren Unternehmen teil, die in den jeweiligen Forschungsvereinigungen der Fachbranchen zusammengeschlossen sind83. Entscheidend gegen eine Überlagerung des Erkenntnisinteresses durch ökonomische Motive und für das Einbeziehen der Industrieforschung in den Schutzbereich spricht, daß diese sich unter einem wichtigen Gesichtspunkt in keiner Weise von der universitären und der außeruniversitären Forschung im engeren Sinne unterscheidet. Die Tätigkeit in allen diesen drei institutionellen Formen ist darauf aus, neue Erkenntnis zu gewinnen. Alle drei Ausprägungen leben nicht lediglich von „originellen Einfällen aus dem Alltagswissen“84, sondern ragen aus der „Endlosigkeit des Beliebigen“85 heraus. Sie unterscheiden sich nur darin, wozu die gewonnenen Erkenntnisse dienen sollen. Die Konsequenzen, die der Industrieforscher aus der gefundenen Erkenntnis zieht, nämlich die wirtschaftliche Nutzbarmachung, ändert nichts daran, daß der Erkenntnisgewinn das Ergebnis einer Forschungstätigkeit war86. Diese Einsicht spiegelt sich auch in der Definition der Europäischen Kommission zur Industrieforschung wider, wonach es sich bei dieser um „planmäßiges Forschen oder kritisches Erforschen zur Gewinnung neuer Kenntnisse handelt, mit dem Ziel, diese Kenntnisse zur Entwicklung neuer Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen (. . .) zu nutzen“87. Für die Industrieforschung – stellvertretend für mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung insgesamt – ist die Erkenntnissuche also nur (notwendige) Zwischenstation auf dem Weg hin zur Entwicklung eines marktfähigen Produktes. Der wirtschaftliche Gewinn bzw. Ertrag wird aus dem Wissensfortschritt abgeleitet 88. Daraus folgt, daß zwar die Motivation zur Forschungstätigkeit eine Determinierung durch die Verwertungsabsicht erfährt, jedoch die Erkenntnissuche dadurch nicht ausfällt und nicht überflüssig wird. Diese Aussage ist nicht etwa ein Schluß vom Sollen auf das Sein, sondern vielmehr eine Schlußfolgerung aus dem Ziel der Industrieforschung selbst: Nur das Streben nach Wahrheit und die Anwendung der dafür nötigen Methodik können zu der Entwicklung neuer Produkte oder neuer Her-
83 Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, Handbuch 2000, S. 22. 84 Ridder/Stein, DÖV 1962, 361 (363). 85 Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (116). 86 Karpen, JZ 1999, 613 (614); Majer, S. 112; Ronellenfitsch, S. 98; Seibert, WissR 16 (1983), 130 (140); Zacher, FS Jahr, S. 200; ebenso M. Blankenagel, S. 92, die freilich im Ergebnis Industrieforschung wegen fehlender oder zu langsamer Veröffentlichung aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG herausnimmt. 87 ABl. 1986 Nr. C 83 S. 2. (Hervorhebungen nicht im Original.) 88 Majer, S. 129.
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stellungsarten führen. Ohne Ausweitung des Erkenntnisstandes ist kein Gewinn zu erzielen. Nicht recht verständlich ist es daher, wenn Losch – der grundsätzlich mit Verwertungsabsicht betriebene Forschung dem Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG zuordnet – dort eine Grenze zieht, wo sich die Tätigkeit ausschließlich am praktischen Erkenntniszweck orientiert89. Am wissenschaftlichen Tun ändert sich durch die Zielrichtung der Tätigkeit nichts. Zwischenziel ist immer noch die Erkenntnis, auch, wenn das weitergehendere Endziel die praktische Verwertbarkeit ist. Die vor diesem Endziel liegende Phase kann nicht einfach ignoriert werden, nur weil sich eine weitere anschließt. Die zweite ist nämlich erst zu erreichen, nachdem die Erkenntnis erlangt wurde. Der klassische Weg bis dorthin ist bei der Industrieforschung demnach identisch mit dem Vorgehen bei der Forschung, die ohne Verwertungsabsicht betrieben wird. Immerhin spricht Losch auch selber davon, daß die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen keine Ausklammerung vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG erlaubten. Wenn er die Forschung „um der Erkenntnis selbst willen“ lediglich als Idealfall bezeichnet 90, dann ist es inkonsequent, für die im Endziel ausschließlich auf Verwertung ausgerichtete Tätigkeit eine Ausnahme zu machen. Genau wie bei jeder anderen Motivlage ist die Ausrichtung auf Erkenntniserweiterung die Grundlage, um den selbst gesetzten und möglicherweise zielstrebig verfolgten Zweck überhaupt zu erreichen. Wenn beispielsweise ein pharmazeutisches Unternehmen unbedingt ein neues Arzneimittel gegen eine bestimmte Krankheit auf den Markt bringen möchte, um damit seine desolate wirtschaftliche Lage aufzubessern, wird es sein Ziel nur erreichen können, wenn es über das zur Produktion notwendige neue Wissen verfügt. Und das erlangt es nur, wenn es sich auf Erkenntnissuche ausrichtet. Der Auffassung von Kleindiek, die Industriebzw. angewandte Forschung weise gerade kein theoretisches Fundament auf, sondern passe die theoretischen Erkenntnisse den praktischen Erfahrungen an91, kann angesichts der obigen Darlegungen nicht zugestimmt werden. Ohnehin ist es nicht vorstellbar, wie theoretische Erkenntnisse an praktische Erfahrungen „angepaßt“ werden können sollen. Praktische Erfahrungen können im Wege des Experiments bisherige nur theoretisch gewonnene Erkenntnisse bestätigen, verwerfen oder modifizieren. Damit sind sie Teil der Erkenntnissuche selbst. Zutreffend stellt daher auch A. Blankenagel bei der Industrieforschung eine „gewisse Ähnlichkeit mit jener methodischen Suche nach Wahrheit“ fest, wie sie andernorts auch vorkomme92. An der
89 90 91 92
Losch, S. 111. Losch, S. 111. Kleindiek, S. 256; „Machen-schaft“ statt „Wissen-schaft“. A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (94).
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Erkenntnisorientierung der Industrieforschung können demnach keine Zweifel bestehen. (bb) Betreiben der Erkenntnissuche um ihrer selbst willen nicht erforderlich Allenfalls der Umstand, daß die Gewinnung neuer Erkenntnisse bei der an wirtschaftlicher Verwertung orientierten Forschung nur das Zwischenziel auf dem Weg zur Entwicklung eines marktfähigen Produkts ist, sie also nicht nur um ihrer selbst willen, allein der besseren Erkenntnis wegen betrieben wird, könnte geeignet sein, die Industrieforschung aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG auszusondern. Indes ist die Annahme fragwürdig, das Art. 5 Abs. 3 GG zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis fordere eine um ihrer selbst willen betriebene Erkenntnissuche. Die Materialien zum Grundgesetz lassen gerade nicht erkennen, welches Wissenschaftsverständnis der Verfassungsgeber seinen Überlegungen zugrundelegte93. Die Verfassungsberatungen haben den heutigen Art. 5 Abs. 3 GG eher als unproblematisch behandelt und sich allenfalls mit dem heutigen Satz 2 näher beschäftigt94. Zum einen führt selbst die Unterstellung, das Grundrecht knüpfe an das traditionelle, im 19. Jahrhundert herrschende Verständnis an95, nicht zwingend dazu, daß damit Industrieforschung ausgeschlossen würde. Die Wissenschaftsidee des 19. Jahrhunderts war nämlich nicht fixiert auf die zweckfreie „reine“ Forschung. Dickert weist überzeugend nach, daß bereits zu dieser Zeit dem Anwendungsnutzen große Bedeutung beigemessen wurde96, verfolgt allerdings seine Argumentation nicht konsequent, wenn er darauf hinweist, die Wissenschaft sei, der Grundüberzeugung idealistischer Wissenschaftsauffassung folgend, früher zweckfrei gewesen97. Jedoch hat von Humboldt, was Dickert auch erkennt, selber auf die Nützlichkeit von Wissenschaft für Staat und Gesellschaft aufmerksam gemacht und damit den Grundstein für eine Orientierung der Forschertätigkeit an diesen Folgen gelegt. Die ganze Konzeption der Universitätsausbildung im Sinne von Humboldts baut auf einer Zweckorientierung auf: Dadurch, daß die zentrale For93
Roellecke, JZ 1969, 726 (728 Fn. 13). Dazu siehe Hailbronner, S. 51; Kleindiek, S. 162 f. 95 Ohne Begründung zu einer solchen Anknüpfung Kleindiek, S. 63 f.; im Hinblick auf die Zweckorientierung Grimm, FAZ Nr. 35 vom 11.02.2002, S. 48 („Die Wissenschaft setzt ihre Autonomie aufs Spiel“). 96 Dickert, S. 23 f., 261; offen lassend Raabe, S. 32, 92; zurückhaltend zur Maßgeblichkeit historisch überlieferter Vorstellungen auch Hailbronner, S. 31 f. 97 Dickert, S. 64 f.; Kleindiek, S. 82. 94
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derung des Wissenschaftsidealismus im 19. Jahrhundert „Bildung durch Wissenschaft“ war, ist der Wissenschaft eben auch eine Zielvorgabe gemacht worden. Ihre Ausübung hatte der Bildung der Menschen zu dienen. Oberstes Erziehungs- und Bildungsziel war für den Reformer die „Versittlichung“ des Menschen98. Zwar ist eine derartige Finalisierung im Vergleich zu einer Ausrichtung auf die wirtschaftliche Verwertung abstrakter beschrieben und läßt eine egoistische Motivation nicht erkennen, jedoch ändern diese Unterschiede nichts an dem Umstand, daß die Wissenschaft einem bestimmten (wenn auch hehren) externen Ziel zu dienen verpflichtet war. Nicht unzutreffend ist es daher, wenn von Humboldt selber von dem „Zweck“ schreibt, den die Universitäten nur dann erreichen könnten, wenn sie der Einsamkeit und Freiheit verpflichtet seien99. Mittelbar sollte eine derartige Orientierung der universitären Bildung nach der Vorstellung des Reformers auch dazu dienen, daß Preußen und Deutschland im Ausland ein höheres Ansehen erreichen100. Das Wort von der „Zweckfreiheit“ der „reinen“ Forschung muß angesichts dieser Erkenntnisse skeptisch beurteilt werden. Mit Fichte hat eine weitere für das Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts bedeutsame Person im Sinne von Humboldts Stellung bezogen. Die Aufgabe der Wissenschaft sah er zumindest auch in der Bedürfnisbefriedigung der Menschen101. Zwischen Zweckorientierung konkreter Forschungstätigkeit und der Aufgabenbeschreibung von Wissenschaft allgemein besteht allenfalls ein gradueller Unterschied. In beiden Fällen obliegt es dem Erkenntnissuche betreibenden Forscher, vor und während dieser Tätigkeit eine Frage zu stellen, deren Beantwortung von externen Umständen bestimmt wird: Ist die mögliche neue Erkenntnis des Forschungsvorhabens geeignet, im ersten Fall wirtschaftliche Gewinne zu erreichen oder, im zweiten Fall, für die Befriedigung von Bedürfnissen der Menschheit herzuhalten? Des weiteren sprechen die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrhunderte dafür, daß der Verfassungsgeber bei der Normierung der Forschungsfreiheit nicht nur zweckfreie Forschung vor Augen hatte. Auch zu dem Zeitpunkt, als von Humboldt seine Vorstellungen über das Ideal von Wissenschaft aufzeichnete, entsprachen diese nur einem Teil der tatsächlichen Entwicklung. Eine nicht um ihrer selbst willen betriebene Erkenntnissuche 98 Schelsky, S. 63. Zur Bedeutung dieses Ziels siehe auch Kürschner/von Laer/ Schulz, S. 93. 99 Von Humboldt, S. 255; die Zweckausrichtung der Universität i. S. v. von Humboldt in Richtung Bildung und Ausbildung sieht auch Kleindiek, S. 259. 100 Kürschner/von Laer/Schulz, S. 97. 101 Fichte, Sämtliche Werke, S. 326 f.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
mit Ausrichtung auf praktische Zwecke hat es auch damals schon gegeben102. Da die Grundrechtsentwicklung in Deutschland auch im Zeichen der industriellen Revolution stand103, die zu einer Verstärkung wirtschaftlicher Motivlagen als Handlungsantrieb führte, hat sich im Grunde die gesamte Entwicklung der Wissenschaften seit 1800 besonders auf praktische Nutzanwendung bezogen104. Neben der industriell betriebenen Forschung gab es vor der Genese des Grundgesetzes Forschungstätigkeit außerhalb der Hochschulen auch im Rahmen der außeruniversitären Forschung im engeren Sinne105, also an staatlich eingerichteten bzw. finanzierten Einrichtungen. Erste Akademien, die sich im Laufe ihrer Tätigkeit mehr praktischen Problemen zuwandten, entstanden bereits im 16. und 17. Jahrhundert106. War es im 18. Jahrhundert insbesondere die Landwirtschaft107, auf die im Rahmen staatlich organisierter Forschung die Suche nach unmittelbar in der Praxis verwertbaren Erträgen in der Praxis gerichtet war, so folgte im Kaiserreich ein deutlicher Anstieg der außeruniversitären Forschungsbestrebungen im wirtschaftlichenindustriellen Bereich108. Eine „Industrialisierung der Forschung“ hat damit schon vor 1900 stattgefunden109. In der Folgezeit intensivierte und verbreiterte sich der Anwendungsbezug und damit die Verwertungsabsicht der Erkenntnissuche. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beginnend und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fortdauernd war es vor allem die Luftfahrt- und Militärforschung110, die staatlicherseits forciert wurde. In der Weimarer Republik existierte bereits eine Kooperation zwischen Industrie und außeruniversitärer Forschung. Das der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als Vorgängerin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft angegliederte Institut für Eisenforschung kam beispielsweise seit 1917 den Interessen der Kohle- und Stahlindustrie an verwertungsorientierten Forschungsergebnissen nach111. 102
Kleindiek, S. 64, 80, 82, auch 150 ff., der aus dieser Erkenntnis indes nicht den Schluß zieht, Industrieforschung befinde sich im Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG. 103 A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (49). 104 Kleindiek, S. 61; Losch, S. 123 (m. w. N.); auch Bayertz, ARSP 2000, 303 (318); Weinert, S. 1 f.; Wolters, S. 201. 105 Roellecke, JZ 1969, 726 (731) stellt knapp fest, Wissenschaft und Forschung hätten sich in Deutschland immer schon auch außerhalb der Universitäten entfaltet; Szöllösi-Janze, S. 1193. 106 Kleindiek, S. 58 ff, 62; Kürschner/von Laer/Schulz, S. 91; Szöllösi-Janze, S. 1188 f. Später als in Frankreich und England erfolgte 1700 die Gründung der Berliner Akademie der Wissenschaften. 107 Szöllösi-Janze, S. 1192. 108 Szöllösi-Janze, S. 1193. 109 So auch die treffende Analyse von Szöllösi-Janze, S. 1194. 110 Szöllösi-Janze, S. 1199 ff., 1209.
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Im Ergebnis ist also bereits die Prämisse fragwürdig, das „klassische“ Wissenschaftsbild sei ausschließlich auf akademische bzw. zweckfreie Forschung ausgerichtet. Der Verfassungsgeber des Grundgesetzes sah sich nicht etwa einer bis zu den Verfassungsberatungen antiutilitaristisch geprägten Wissenschaftslandschaft gegenüber112. Einen „idealen“ Wissenschaftler in der Form, wie er mit dem Bild von Humboldts als in Einsamkeit und Freiheit forschend beschrieben wird, hat es wohl ohnehin nie gegeben113. Auch das Bundesverfassungsgericht folgt in seiner Rechtsprechung nicht dem Bild einer zweckfreien Wissenschaft. Es leitet seine Ausführungen zur Begründetheit der Verfassungsbeschwerden gegen das Niedersächsische Vorschaltgesetz mit dem Hinweis auf „tiefgreifende Veränderungen“ ein, die sich im 19. und 20. Jahrhundert an den Universitäten ergeben hätten114. Mit der beschreibenden, nicht wertenden Darstellung des Schwindens der Zweckfreiheit gibt das Gericht zu erkennen, daß es die derart vorgefundene Struktur der Wissenschaft der Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG zugrunde legen will. Eine Einschränkung auf zweckfreie Wissenschaft, Forschung und Lehre wird trotz der Wahrnehmung des „Spannungsverhältnisses“115 zwischen zweckfreier Forschung und den Ansprüchen der Industriegesellschaft nicht vorgenommen. Daher verbietet es sich, die Schutzbereichsmerkmale von Art. 5 Abs. 3 GG derart zu verstehen, daß sie inhaltlich auf die Konzeption des Wissenschaftsidealismus im Sinne von Humboldts ausgerichtet sind und mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung ausschließen. (2) Offene Wahl der Forschungsthemen Denkbar wäre aber, daß mit Verwertungsabsicht vorgenommene Forschung hinsichtlich der Wahl ihrer Forschungsthemen auf ökonomisch verwertbare Gegenstände beschränkt würde. Weil die eigenständige Wahl der Gegenstände der Forschung als besonders ausschlaggebend für Wissenschaftlichkeit angesehen wird116, könnte eine derartige Blickverengung der Forschungsfreiheit widersprechen. Hinsichtlich der Industrieforschung wird behauptet, deren Themenstellung orientiere sich nicht an wissenschaftlich 111
Szöllösi-Janze, S. 1201. Zur Frage, inwiefern eine Änderung der gesellschaftlichen Realität Auswirkungen auf die Verfassungsauslegung hat, siehe unten bb). 113 Sommerer, Diskussionsbeitrag in WissR Beiheft 7 (1979), 190 (192). 114 BVerfGE 35, 79 (109). 115 BVerfGE 35, 79 (109). 116 A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (53); Burger, S. 160; Hailbronner, S. 296; Kirchhof, Wissenschaft, S. 17. A.A. ist insofern – ohne weitere Begründung – Lux, S. 27. 112
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interessanten Fragestellungen oder am wissenschaftlichen Wert, sondern an den für das Unternehmen wichtigen Aspekten117. Noch weitergehender wird von einem „Diktat der Rentabilität“ gesprochen118, das die Industrieforschung beherrsche. Im Gegensatz dazu besitze die universitäre Forschung die Freiheit zur Wahl ihrer Themengebiete und sei daher „rein“, d.h. nicht an Tauglichkeit zu praktischer Umsetzung orientiert119. Die Stellungnahmen zur Beschränkung der Themenwahl sind jedoch in dreierlei Hinsicht kritisch zu beurteilen: Zum einen läßt sich die Erkenntnissuche wegen der Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse jeder wissenschaftlichen Tätigkeit de facto nicht vollkommen auf das gewünschte (verwertbare) Ergebnis konzentrieren. Zusätzlich findet gerade im Bereich der pharmazeutischen Forschung auch Grundlagenforschung statt, die notwendigerweise weit von einer konkreten Verwertung entfernt ist, ohne dabei aber ohne Verwertungsabsicht betrieben zu werden. Zum anderen kommt eine Begrenzung des Forschungsgegenstands aufgrund externer Umstände auch in der universitären Forschung vor. Letztlich verkennt die Gegenansicht, daß unterschieden werden muß zwischen dem Fall, daß der Forscher zu einer Begrenzung der Themen gezwungen wird, und dem, daß er sich diese selber auferlegt. Zweifellos ist die Wahl der Themen- und Fragestellungen im Bereich der von mit Verwertungsabsicht betriebenen Forschung (auch) von betriebswirtschaftlichen Interessen geprägt. Eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung über Durchführungen von Forschungstätigkeiten hängt von der Einschätzung der Verwertbarkeit der möglichen Erkenntnisse ab. So werden Forschungsarbeiten mitunter wegen hoher Kosten zurückgestellt, die sich eventuell nicht wieder durch Vermarktung hereinholen lassen120, und die Themenschwerpunkte der Forschungsbemühungen werden strategisch an der wirtschaftlichen Entwicklung ausgerichtet121. Als ein Beispiel für die Steuerungswirkung läßt sich im Bereich der Pharmaforschung die deutliche Steigerung der Forschungsanstrengungen bei den Medikamenten gegen seltene Krankheiten (sog. Orphan Drugs) nach Schaffen von Anreizsystemen, 117 M. Blankenagel, S. 44, 92; Classen, S. 27 f.; Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 82; Trute, S. 105; auch Grimm, FAZ Nr. 35 vom 11.02.2002, S. 48 („Die Wissenschaft setzt ihre Autonomie aufs Spiel“), der die Bestimmung des Forschungsgegenstands durch Politik und Wirtschaft für problematisch hält. 118 Dickert, S. 68, 85 f. 119 A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (53); Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 71. 120 Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, S. 20; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 24. 121 Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, Handbuch 2000, S. 32; BMBF, Rahmenkonzept, S. 10.
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die den Herstellern die Amortisation der Forschungskosten ermöglichen sollen122, nennen. Bei der auf Verwertung bezogenen Forschung, insbesondere der Industrieforschung, handelt es sich nicht um eine „la-science-pour-lascience-Forschung“. Ihre Anwendungsorientierung sorgt für eine Beschränkung der Forschungsgegenstände. (aa) Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen nicht planbar Allerdings ist die Gewinnung von verwertbaren Forschungsergebnissen nur begrenzt planbar. Die prinzipielle Unvorhersehbarkeit von Forschungsergebnissen123 und die damit verbundene Unsicherheit führen dazu, daß eine Beschränkung der Wahl von Forschungsthemen auf die mögliche wirtschaftliche Verwertbarkeit der späteren Erkenntnisse ihrerseits nur begrenzt möglich ist. So beträgt die Erfolgsquote bei der Entwicklung eines neuen Medikaments etwa 1:6.000124, d.h. nur bei einer von 6.000 neu synthetisierten Substanzen liegen die Voraussetzungen für die Verwertbarkeit als Medikament vor. Die Forschungstätigkeit muß inhaltlich also entsprechend breit angelegt werden, um sicherzustellen, daß gewünschte verwertbare Ergebnisse erzielt werden. Die festgestellte Unvorhersehbarkeit läßt sich nicht mit dem weitgehenden Technisierungsgrad der Arzneimittelforschung widerlegen. Zwar ist zutreffend, daß anders als in deren Anfängen (z. B. 1886: Entdeckung des ersten fiebersenkenden Mittels Acetanilid; 1928 ff.: Entdeckung des Penicillins), die Wirkstoffsuche in hoch technisierter Form betrieben wird. Damals beruhte das Auffinden eines neues Wirkstoffes noch weitgehend auf dem Zufall125. Heute dagegen stellen sogenannte Synthese-Roboter in einer Woche mehrere hundert neue Substanzen her, in dem sie u. a. in vitro Molekülgruppen verändern (kombinatorische Chemie)126. Der Schluß, das Auffin122
Verband forschender Arzneimittelhersteller, Orphan Drug Status, S. 1, 14. Siehe auch BVerfGE 90, 1 (13); Classen, S. 23; Hailbronner, S. 267; Heldrich, S. 23; Losch/Radau, NVwZ 2003, 390; Meusel, Handbuch, Rdnr. 151; Majer, S. 25; Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, S. 26; Würkner, NVwZ 1995, 1195. 124 Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, Pharma-Daten 2002, S. 19; ähnlich FAZ Nr. 127 vom 30.05.2001, S. 24, wonach von konventionellen chemischen Wirkstoffen nur ca. 20% die Marktreife erreichen. 125 M. Blankenagel, S. 102; Kubinyi, S. 3. 126 Kubinyi, S. 5; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Wirkstoffsuche, 10 ff.; auch FAZ vom 07.09.2000, http://www.chemicalnewsflash.de/de/news/120900/ news07.htm („Arzneimittelforschung am Fließband“); allgemeiner Wolfrum/Stoll/ Franck, S. 25. 123
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den eines neuen Wirkstoffes sei durch eben diese Automatisierung nur eine Frage der Zeit, deswegen könne von einer Unvorhersehbarkeit keine Rede sein, würde aber verkennen, daß heute statt der Suche von Wirkstoffen die Aufklärung von Wirkungsmechanismen und der genetischen Ursachen, die Krankheiten bedingen, an oberster Stelle pharmazeutischer Forschung stehen127. Um diese Erkenntnisse zu gewinnen, kann auf eigenständige Arbeit des Forschers selbst nicht verzichtet werden. In diesem Bereich ist das Auffinden der Zusammenhänge nicht ein rein automatisierter Ablauf, der früher oder später zum gewünschten Ergebnis führt. Vielmehr ist nach wie vor ungewiß, ob neue Mechanismen aufgedeckt werden können. Hinzu kommt, daß in der pharmazeutischen Forschung in aktueller Zeit eher eine Abkehr von der kombinatorischen Chemie festgestellt werden kann. Man geht dazu über, statt einer Massenproduktion kleinere Substanzbibliotheken zu synthetisieren128. Die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse der Forschungstätigkeit bleibt demnach erhalten. In dem Komplex der wissenschaftlicher Tätigkeit eigenen Unvorhersehbarkeit kommt als Argument gegen eine zu weitgehende Orientierung der Themenwahl an wissenschaftsfremden Faktoren hinzu, daß sich die Frage der Verwertbarkeit oft erst ex post entscheiden läßt. Der Industrieforscher sieht sich zahlreichen, im Vorhinein nicht quantifizierbaren Risiken gegenüber129. Aus diesem Umstand folgt, daß eine Verengung des Blickfeldes der im Bereich der Industrie betriebenen Forschung kaum möglich ist. Die innovativer Produktion zugrundeliegenden neuen Erkenntnisse kann der dort tätige Forscher nicht soweit planen, wie er es vielleicht gerne wollte. (bb) Wettbewerblicher Zwang zur offenen Themenwahl Zu der Offenheit gegenüber der Wahl seiner Forschungsgegenstände ist er nicht nur wegen der Notwendigkeit genötigt, neues Wissen, z. B. über pharmakologische Wirkstoffe oder Wirkmechanismen, zu erhalten, sondern auch wegen der Gesetze des Wettbewerbs. Aufgrund des herrschenden Konkurrenzdruckes kann es sich kein forschendes Unternehmen leisten, das Risiko ungewisser Ergebnisse zu umgehen. Denn in dem Risiko liegt zugleich auch die Chance, eine Entdeckung zu machen, die wirtschaftlich großen Gewinn zur Folge hat. Diesen Zusammenhang erkennen teilweise auch Befürworter einer Herausnahme der Industrieforschung aus dem Schutzbereich 127 Kubinyi, S. 4; ähnlich FAZ vom 07.09.2000, http://www.chemicalnewsflash. de/de/news/120900/news07.htm („Arzneimittelforschung am Fließband“). 128 FAZ vom 07.09.2000, http://www.chemicalnewsflash.de/de/news/120900/ news07.htm („Arzneimittelforschung am Fließband“). 129 Classen, S. 29; siehe bereits oben die Begründung zum Gesetzesentwurf der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, BT-Drucks. 14/6571, S. 4.; Majer, S. 25.
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von Art. 5 Abs. 3 GG an. M. Blankenagel hält die Erarbeitung eines „Überschusses“ von Erkenntnissen für nötig, damit die Wissenschaft den ihr obliegenden Beitrag zur Lösung noch unbekannter Probleme leisten kann130. Auch Kleindiek sieht eine derartige Arbeitsweise der Unternehmen131. Die Industrieforschung ist an dem Schaffen solchen Problemlösungspotentials mit Blick auf die wirtschaftlichen Verwertungschancen genauso interessiert wie die Gesellschaft im übrigen. Als einleuchtendes Beispiel mag die Krebsforschung dienen: Wer dort zuerst bahnbrechend einen Wirkstoff findet, darf nicht nur auf wirtschaftlichen Erfolg hoffen, sondern auch auf ein großes Ansehen. (cc) Betreiben von Grundlagenforschung Bevor angewandte Wissenschaft ein bestimmtes Problem, das initiierend für das Forschungsengagement gewirkt haben mag, lösen kann, wird im Einzelfall ein Wissenszuwachs auch im Grundlagenbereich benötigt132. So ließ sich das Zweckforschungsprojekt der Atombombenforschung nur auf diesem Wege realisieren133. In der aktuellen Zeit ist es beispielsweise die Gentechnologie oder die Bekämpfung von Krankheiten wie Krebs134 oder AIDS, die nur durch Grundlagenforschung zu verwertbaren Erkenntnissen gelangen kann. Den Zusammenhang zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung erkennend betreibt die Industrie daher auch Erkenntnissuche in fundamentalen Fragen135. Der Anteil der Grundlagenforschung an der gesamten Forschung im Bereich der chemischen Industrie (diese Branche macht ca. ein Drittel der gesamten Industrieforschung aus) betrug im Jahre 1985 6,3 %136. Tatsächlich ist sogar noch mit einem höheren Anteil zu rechnen, da sich die in Anwendungsprojekte einbezogene Grundlagenforschung nur schwer separat ausweisen läßt. Sie wird heutzutage nämlich auch in engem Zusammenhang mit der Anwendungsseite, als anwendungsorientierte Grundlagenforschung, durchgeführt, was zur Folge hat, daß diese Arbeiten in bestimmten Fällen relativ rasch konkret genutzt werden137. 130
M. Blankenagel, S. 82 f. Kleindiek, S. 332. 132 Szöllösi-Janze, S. 1195; Tellerbach, S. 11; von einer „unerläßlichen Vorstufe“ spricht M. Blankenagel, S. 26. 133 Losch, S. 112. 134 Van den Daele/Krohn/Weingart, S. 12. 135 Classen, S. 26; Graf Vitzthum, FS Lerche, S. 346 (zur Genforschung); Kleindiek, S. 328; Püttner/Mittag, S. 1612; Szöllösi-Janze, S. 1195 unter Hinweis auf die bereits in den 1880er Jahren bei Siemens verbreitete Erkenntnis. Die Grundlagenforschung geschieht oft durch institutionalisierte Zusammenarbeit mit Hochschulen, etwa durch Institute oder Stiftungsprofessuren, Schuster, S. 320. 136 Häusler, S. 73. 131
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Dies trifft etwa für die molekularbiologischen oder immunologischen Errungenschaften im medizinischen Bereich zu. Es ist also nicht möglich, mit Gewinnerzielungsabsicht zu forschen, ohne dabei die Grundlagenforschung zu umgehen, die ihrerseits nur mit weiten externen Vorgaben betrieben werden kann. Und auch, wenn deren Feld verlassen wird, muß das forschende Industrieunternehmen den Blick offen halten, um sein Ziel zu erreichen. (dd) Planung auch im Bereich der Hochschulforschung notwendig Des weiteren spricht dagegen, industriell betriebene Forschung aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit auszusondern, daß auch in der Hochschulforschung als oft zitiertem Gegenbeispiel zu mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung keine völlig unbefangene Wahl von Forschungsthemen möglich ist. Zum einen wirkt dort die staatliche Finanzierung in gewissem Umfang steuernd. Bereits der Entwurf eines Forschungsprogramms und die Planung eines Forschungsvorhabens setzen vorherige Überlegungen zur Finanzierbarkeit voraus138. Fallen diese Überlegungen wegen Fehlens finanzieller Mittel negativ für die Durchführung des Vorhabens aus, so ist die Wahl der Forschungsthemen letztlich durch externe Umstände und nicht allein von wissenschaftlichen Gründen bestimmt worden. Zum anderen liegt es – unabhängig von der bewußten Lenkung durch staatliche Finanzierung – im Wesen der Hochschulforschung, daß sie spezialisiert erfolgt. Bereits die Errichtung eines Instituts oder eines Lehrstuhls setzt thematische Grenzen. Als besonders augenfälliges Beispiel für die Steuerung von Wissenschaft und damit Beschränkung der Themenwahl durch gezielte Bereitstellung von Ressourcen ist die Betonung bestimmter Fächer im Dritten Reich, beispielsweise die Einführung der „Grenzlandkunde“139. Aber auch die in der Gegenwart erfolgende Umwidmung von Lehrstühlen im Bereich der Bio- und Informationstechnologie140 ist ein – wenngleich weniger ideologisch aufgeladenes – Muster für diese Steuerung. Des weiteren zwingt die große Komplexität bestimmter Forschungsgebiete die Durchführung von Forschungsprojekten in eine arbeitsteilige Organisation141. Wegen des großen apparativen Aufwands ist das besonders in den 137 Mitteilung der Europäischen Kommission „Hin zu einem europäischen Forschungsraum“ vom 18.01.2000, KOM(2000) 6, S. 6. 138 Karpen, in: ders., S. 219 (221); ähnlich Bauer, S. 192. 139 Hailbronner, S. 49; zur Ausrichtung der Wissenschaft auf „völkische Belange“ im Dritten Reich und auf die Erziehung der Studenten zu „sozialistischen Staatsbürgern“ in der DDR Schiedermair, FS Faller, S. 219 f. 140 Siehe oben 1.
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Naturwissenschaften der Fall. Schon allein deswegen ist die Wahl der Forschungsthemen von vorneherein einer gewissen Beschränkung unterworfen. In ausgeprägter Weise läßt sich diese Einwirkung beispielsweise in der Kernphysik beobachten, die von außerordentlich hohen Aufwendungen charakterisiert wird142. Die Aussage, ein Charakteristikum akademischer Forschung sei die Relevanz innerer Kriterien für die Themenwahl und Durchführung der Forschung143, während bei der auf Verwertung zielenden Forschung externe Faktoren bestimmend seien, kann angesichts dieser Ergebnisse allenfalls insofern zutreffen, als die externe Orientierung bei der mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen Forschung graduell stärker ausgeprägt sein dürfte. So, wie der Industrieforscher fragt, welches Projekt wirtschaftlichen Erfolg verspreche, fragt sich auch der Hochschulforscher, welches Projekt er sich „leisten“ könne144. (ee) Recht des Forschers zur eigenständigen Themenwahl Letztlich spricht ein weiterer Umstand dafür, die Beschränkung der Themenwahl und deren Ausrichtung an externen Faktoren nicht zum Ausschlußkriterium für Wissenschaftlichkeit zu machen. Die Forschungsfreiheit umfaßt auch das Recht des Forschenden, selber seine Forschungsgegenstände und -methoden auszuwählen. Die Orientierung an den Verwertungsmöglichkeiten darf nicht verwechselt werden mit der Nutzung eben jener Freiheit zur Themenwahl. Auch die Entscheidung, seine Forschungstätigkeit durch externe Faktoren motivieren zu lassen, ist frei. Die Freiheit zur Wahl der Forschungsgegenstände besitzt auch deswegen eine besondere Bedeutung für die Wissenschaft, weil besonders solche Forschung originell und produktiv sein wird, die sich der Forscher selbst aus freien Stücken, aus Interesse an der Sache ausgewählt hat145. Eine emotionale Beziehung zum Forschungsgegenstand ist weder ungewöhnlich noch schädlich146. Eine solche kann auch durch externe Faktoren geschaffen werden, so wie es in der
141 Bayertz, ARSP 2000, 303 (320); M. Blankenagel, S. 50; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 155. 142 Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, S. 20, 26. 143 Trute, S. 98 f. 144 Die Determinierung durch die Finanzierbarkeit sieht auch Grimm, FAZ Nr. 35 vom 11.02.2002, S. 48 („Die Wissenschaft setzt ihre Autonomie aufs Spiel“). 145 Dickert, S. 266. 146 Flämig, S. 25; Kirchhof, Wissenschaft, S. 10; das erkennt auch Bundespräsident Rau, zitiert in: FAZ vom 21.06.2001, S. 5 („Rau: Die Menschenwürde weist die Wissenschaft in ihre Grenzen“).
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Industrieforschung die Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg und einen guten Ruf sind, die ein Klima schaffen, in dem Ideen besser reifen147. Die Ideenfindung bei der Industrieforschung kann demnach insgesamt nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Marktinduzierung vonstatten gehen. Sie unterliegt vielmehr gemischten Einflußfaktoren. Auch autonome Eigeninitiative oder forschungsbedingte Ideen, die laufenden Forschungsarbeiten entspringen, sind Anlaß, ein bestimmtes Forschungsprojekt in die Wege zu leiten148. (ff) Besonderheiten der Arzneimittelforschung Speziell zur Arzneimittelforschung sind noch zwei Einwände zu entkräften, die sich gegen das Vorhandensein einer freien und offenen Themenwahl anführen ließen. Zum einen läßt sich aus den Erkenntnissen der Orphan-Drug-Regelungen (s. o.) keine Schlußfolgerung derart ziehen, daß die Forschungsgegenstände in einer der Wissenschaftlichkeit widersprechenden Weise eingeengt bzw. fremdgesteuert würden. Die Entscheidung, sich weniger den seltenen Krankheiten zuzuwenden, hat vielmehr weder weniger wissenschaftlich relevante Fragen zur Folge, noch ist sie Ausfluß besonderen Eigennutzes. Für zwei Drittel aller bekannten Krankheiten gibt es noch keine erfolgsversprechende Behandlungsmöglichkeit149, darunter sind auch die Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Dort sind genauso wissenschaftlich relevante Leistungen zu vollbringen wie für seltene Krankheiten. Zudem sind die Volkskrankheiten aufgrund der großen Zahl von Betroffenen weitaus drängendere Probleme als seltene Krankheiten im Sinne der Orphan-Drug-Regelungen. Es fällt also schwer, die Konzentration der Forschungsanstrengungen auf diese Themen als extern angestoßene Begrenzung der Forschungsgegenstände zu bezeichnen, was dazu führen solle, daß keine wissenschaftlich betriebene Erkenntnissuche vorliege. Im Ergebnis läßt sich also aus dem Einwand begrenzter Themenwahl150 kein Ausschluß der Industrieforschung aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit herleiten.
147
Holder, Diskussionsbeitrag in WissR Beiheft 7 (1979), 190 (192). Majer, S. 24. 149 Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 1. 150 Beschränkungen der Methodenwahl sind vorliegend nicht relevant, da nicht das Verhältnis zwischen Forschungseinrichtung und angestellten Forscher untersucht wird (dazu unten 5. Teil A.), in dem derartige Beschränkungen auftauchen könnten. Zur Frage, daß darüber hinaus – in der Drittmittelforschung – seltenst eine Einengung der Methodenwahl vorkommt Lux, S. 27 f. 148
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(3) Distanz zum Forschungsgegenstand Jedoch könnte die ökonomische Ausrichtung, genauer der Wunsch (auch die Notwendigkeit), praktisch verwertbare Erkenntnisse zu erhalten, die Industrieforschung in der Weise beeinflussen, daß bei der wissenschaftlichen Arbeit die notwendige Distanz zum Forschungsgegenstand fehlt. Die Vorwegnahme der Forschungsergebnisse durch den Forscher würde der Qualifizierung seiner Tätigkeit als wissenschaftlich genauso schädlich sein wie eine Voreingenommenheit151. Die gegen die Subsumtion der mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen Forschung unter Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vorgebrachten Einwände, die finanzielle Motivation könne sich auf die Erkenntnisinhalte auswirken und der Qualitätsmaßstab könne ausschließlich wirtschaftlich ausgerichtet sein152, übersehen indes zwei Umstände. Zum einen ist auf die schon oben getroffene Aussage hinzuweisen, daß vom Forscher nicht verlangt werden kann, dem Forschungsgegenstand gegenüber eine innerliche Gleichgültigkeit zu besitzen. (aa) Nur systematische Ausblendung von Fremderkenntnissen wissenschaftsuntypisch Zum anderen wird Kreativität ungleich mehr gefördert, wenn sich der Forscher durch die Ergebnisse Vorteile erhofft. Auch die kritische Distanz wird dadurch nicht in Frage gestellt. Weshalb ein großes persönliches Interesse, eine enge Beziehung, eine Begeisterung für das Thema oder der Wunsch eines bestimmten Ergebnisses der Forschungstätigkeit ihre Sorgfältigkeit oder ihre Sachbezogenheit nehmen soll, ist nicht einzusehen. Der Schluß vom Vorhandensein emotionaler Faktoren oder von der Hoffnung auf ein bestimmtes Ergebnis hin zu einer die Wissenschaftlichkeit nehmenden Beeinflussung kann nicht ohne weiteres gezogen werden. Würde man ihn ziehen, so würden sich große Teile der universitär betriebenen Forschung unversehens außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG befinden. Unabhängig von dieser Erwägung würde übersehen, daß jedes menschliche Handeln motivationsorientiert ist. Folglich ist die Aussage, in der Erkenntnisphase suspendiere der Forscher den Vorentwurf eigenen Erwartens und die im Eigeninteresse gemachten Hoffnungen153, nicht in der 151 Kirchhof, Wissenschaft, S. 17; Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 304; Merton, S. 99; Tuppy, WissR Beiheft 7 (1979), 178 (189). 152 Oppermann, HStR VI, Rdnr. 46; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1998, 1225 (1227); Tuppy, Diskussionsbeitrag in WissR Beiheft 7 (1979), 190 (194); Zehnpfennig, in: FAZ Nr. 116 v. 22.05.2002, S. 8 („Krämer im Tempel der Wissenschaft“). 153 Kirchhof, Wissenschaft, S. 17; auch Schiedermair, FS Faller, S. 223.
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Richtung zu verstehen, ein solcher Vorentwurf existiere nicht. Notwendig ist nur, daß er das Ergebnis der Thesenüberprüfung nicht vorwegnimmt. Auch die diagnostizierte „Aversion in der Industrie gegen Fremderkenntnisse (Not invented here)“154 ist kein Beleg für fehlende Distanz der industriell betriebenen Forschung zum Forschungsgegenstand. Zum einen besteht ein Unterschied zwischen der (vermeintlichen) Ablehnung fremder Erkenntnisse und der Verschlossenheit gegenüber einem Infragestellen seiner eigenen Meinung. Zwar ist zutreffend, daß es vor allem gegenläufige fremde Meinungen sind, die Anstöße zum Überdenken der eigenen Positionen geben können. Selbst wenn fremde Forschungsergebnisse außer Acht gelassen würden, folgte daraus aber nicht notwendigerweise das Verdikt der Unwissenschaftlichkeit. Eine kritische und distanzierte Haltung zu der Durchführung von Forschung ist kein Kriterium um seiner selbst willen. Eine derartige Einstellung ist vielmehr eine Möglichkeit, sich einem wahren Ergebnis zu verpflichten und nicht den bloßen Wunsch eines bestimmten Ergebnisses an dessen Stelle zu setzen. Die entscheidende Offenheit gegenüber dem Ergebnis155 und das Ausbleiben einer systematischen Ausblendung von Fakten, Quellen und Ansichten156 bleiben auch dann gewahrt, wenn nicht auf alle bereits vorhandenen Forschungsergebnisse zurückgegriffen wird. (bb) Wirkungen der Macht des Marktes Die Frage, ob die Industrieforschung trotz der Ausrichtung auf die Verwertbarkeit der Erkenntnisprodukte die notwendige kritische Distanz bewahrt, läßt sich mit Blick auf die Ziele der Industrieforschung selbst beantworten. Diese lassen sich nämlich nur erreichen, wenn die Kriterien der Wissenschaftlichkeit beachtet werden. Es ist die Macht des Faktischen, welche die Unternehmen zur Distanz zwingt. Forschungsergebnisse stellen sich nicht auf Befehl ein157. Die Mißachtung der in der jeweiligen Disziplin maßgeblichen wissenschaftlichen Standards wird nämlich eher selten zu verkäuflichen Endprodukten führen, so daß sich die Industrie aus ureigenstem – egoistischem – Interesse an neuer naturwissenschaftlicher Forschung ausrichten muß158. Die Vermutung, der „populäre Irrtum“ sei oft „lukrativer als die unpopuläre Wahrheit“159, erweist sich angesichts der eigenen Ziele 154 Meusel, WissR 34 (2001), 135 (141); zu Widerständen einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen Industrie und Hochschule Schuster, S. 312. 155 Classen, S. 79. 156 Nach BVerfGE 90, 1 (13); BVerwGE 102, 304 (311) (Hervorhebung nicht im Original) entscheidendes Kriterium für Wissenschaftlichkeit. Ebenso Heldrich, S. 12 unter Hinweis auf die Lehre K. Poppers. 157 Dickert, S. 86; Flämig, S. 22; Hailbronner, S. 273.
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der gewinnorientierten Forscher als fragwürdig. Wenn in der Arzneimittelindustrie also ein neuer Wirkstoff entwickelt werden soll, muß die Forschung an der langen Leine gelassen werden. Neben dem festen Willen, mit den gewonnenen Erkenntnissen ein verkaufsfähiges Produkt zu entwickeln, sind es zwei weitere Elemente, die eine Einhaltung wissenschaftlicher Qualitätsansprüche erreichen. Im Falle des Inverkehrbringens eines auf unsorgfältiger Forschung beruhenden Produkts drohen Ansehensverlust und möglicherweise Schadensersatzverpflichtungen. Ansehensverlust und Schadensersatzverpflichtungen bewirken aber eher, daß wissenschaftliche Standards nicht mißachtet werden160. Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft spricht im Bereich der Weltraumforschung beispielhaft von einer Furcht aller Mitarbeiter des Unternehmens, ihr Prestige durch ein Mißgeschick oder durch die Überrundung durch ein anderes Unternehmen zu gefährden161. Insbesondere in dem hier untersuchten Fall der pharmazeutischen Forschung würden es Unternehmen auch wegen der Risiken für ihr eigenes wirtschaftliches Überleben nicht wagen, Arzneimittel mit erheblichen Nebenwirkungen auf den Markt zu bringen162, die auf unsorgfältiges Arbeiten zurückzuführen sind. Da die öffentliche Akzeptanz der Arzneimittelforschung gering und ihr Image wenig positiv ist163, gilt hier das zu Ansehensverlust und Schadensersatzforderungen Gesagte in ganz besonderer Weise. Nach der Arzneimittelkatastrophe „Contergan“ in den fünfziger und sechziger Jahren und den aufsehenerregenden Vorkommnissen um das Bayer-Präparat „Lipobay“ im Jahre 2001 ist man in der Pharmaforschung übervorsichtig. Auch die Reaktion von Ärzten auf den „Contergan“-Fall belegen beispielhaft die hohe Steuerungskraft des Marktes. Das von der Firma Grünenthal GmbH produzierte Präparat wird noch heute eng mit dem Unternehmen verbunden. Erstaunlich ist, daß sich vierzig Jahre nach Rücknahme des Medikaments vom Markt immer noch einige Ärzte in Deutschland weigern, Produkte von Grünenthal zu verschreiben164. Die Sorge vor rufschädigenden Zwischenfällen im Bereich der Forschung am Menschen ist stark verbreitet165. In Anbetracht dieser Erkenntnisse wird deutlich, daß die Industrieforschung sogar auf das „autori158 M. Blankenagel, S. 44, die i. E. freilich zu einer Aussonderung aus dem Schutzbereich kommt; Raabe, S. 37; Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, S. 14; wohl auch Seibert, WissR 16 (1983), 130 (140). 159 So die Politologin Zehnpfennig, in: FAZ Nr. 116 v. 22.05.2002, S. 8 („Krämer im Tempel der Wissenschaft“). 160 Classen, S. 29. 161 Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, S. 31. 162 Kubinyi, S. 13. 163 Arbeitsgemeinschaft für angewandte Humanpharmakologie, S. 2. 164 FAZ Nr. 276 vom 27.11.2001, S. 22. 165 Van den Daele/Müller-Salomon, S. 65.
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tative Element“166 der Wissenschaft angewiesen ist. Im Falle von Problemen kann der Hinweis auf nachweisbar wissenschaftliches Arbeiten durchaus entlastende Wirkung haben. Zu undifferenziert ist daher die Ansicht, der durch Wettbewerb bedingte hohe Innovationsdruck und die Gewinnorientierung schadeten der freien Erkenntnissuche167. Der Druck der Konkurrenz bewirkt im Gegenteil, daß es sich ein Unternehmen gerade nicht leisten kann, seine Forschungstätigkeit zu manipulieren. Das forschende Unternehmen kann sich sicher sein, daß seine Mitwettbewerber keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen werden, die aufgrund unwissenschaftlichen Vorgehens entstandenen Unzulänglichkeiten in der Öffentlichkeit gegen den Konkurrenten zu verwenden. Niemand wacht sorgfältiger über die Qualität des mitbewerberischen Gebarens als die wirtschaftlichen Mitstreiter. Man mag den Industrieforschern den Willen absprechen, sich aufgrund eigener Überzeugung an wissenschaftliche Standards zu halten, aber die eben beschriebene, von außen einwirkende Kontrolle kann man kaum leugnen. Nicht anders kann erklärt werden, weshalb den Industrieforschern aus betriebswirtschaftlicher Sicht vorgeworfen wird, sie orientierten sich mehr an den wissenschaftlichen Methoden und Standards ihrer Disziplinen als an den Unternehmenszielen168. Die Aussage Roelleckes, Wissenschaft könne schon allein deswegen nicht durch den Willen zur Gewinnmaximierung gelenkt werden, weil etwas, das noch niemand kenne, auch nicht gekauft werden könne169, ist folgerichtig, obwohl er, wie erwähnt, die Industrieforschung alleine wegen ihrer Orientierung am Markt aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG herausnehmen möchte. Der mehrfach angesprochene Unsicherheitsfaktor, der für die Suche nach Erkenntnissen charakteristisch ist, führt eben nicht dazu, daß die Industrie ihre Forschungsergebnisse manipuliert. Vielmehr ist eine Koordinierung mittels institutioneller Arrangements und die Ausstattung der Forschungsabteilungen mit einem hohen Grad an Autonomie die Folge170. Die Richtigkeit der Aussage, die mit Verwertungsabsicht betriebene Forschung sei gegenüber Kritik verschlossen, kann letztlich aus einem weiteren Grund in Zweifel gezogen werden. Innerhalb der Industrieforschung sowie zwischen ihr und dem universitären Umfeld findet, wie im folgenden darzustellen sein wird, ein durchaus intensiver Austausch statt. 166
Kleindiek, S. 89. So aber Dickert, S. 86; Roellecke, BB 1981, 1905; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1998, 1225 (1227). 168 So der Vorwurf von Kieser, S. 55. 169 Roellecke, BB 1981, 1905. 170 Häusler, S. 11. 167
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(4) Veröffentlichung der Forschungsergebnisse und Kontakt zur „scientific community“ Ein weiteres Kennzeichen wissenschaftlicher Betätigung ist die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse171. Als Sinn der Publizität wird gesehen, der Fachöffentlichkeit die fremden Ergebnisse zur Kenntnis zu geben. Umgekehrt sichert sie dem Forscher die Gelegenheit, sich dem Diskurs zu stellen und sein Ergebnis zu überprüfen bzw. weiterzuentwickeln172. Wegen dieser Prozesse geistiger und offener Auseinandersetzung wird Wissenschaft als auf Veröffentlichung angelegt bezeichnet173. Der Industrieforschung wird vorgehalten, sie halte sich nicht an die Ausrichtung auf Publizität, in dem sie tendenziell nach außen abgeschottet sei und ihre Ergebnisse nicht frei jedermann zur Verfügung stelle174. Die unterlassene Weitergabe der Forschungsresultate aus Gründen der Sicherung des eigenen wettbewerblichen Vorteils sei egoistisch175. In aktueller Zeit wird davon ausgegangen, daß die Veröffentlichung der Weiterentwicklung der gefundenen Ergebnisse und damit der Wissenschaft insgesamt zu dienen habe, was bei mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung fehle176. Nach dieser Ansicht dient das Merkmal der Publizität insbesondere dazu, den wissenschaftlichen Informationsfluß herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten. Andere Wissenschaftler müßten durch die Offenbarung fremder Erkenntnisse erfahren können, daß bisher für wahr gehaltene Erkenntnisse aufgrund der neuen Ergebnisse nunmehr als falsch zu gelten haben, bzw. jeweils umgekehrt177. Zugrunde liegt dieser Einschätzung, daß der wissenschaftliche
171 BVerfGE 35, 79 (112 f.); 47, 327 (375); M. Blankenagel, S. 19 f., 65; Dikkert, S. 280; Kirchhof, Wissenschaft, S. 7; Raabe, S. 76; Ridder/Stein, DÖV 1962, 361 (362); Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (132); Schmidt-Aßmann, S. 698, sieht in Forschung keinen „isolierten, individualzentrierten gedanklichen Vorgang“; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 110; Starck, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 229; Tuppy, WissR Beiheft 7 (1979), 178 (182); von „Kommunismus“ spricht Merton, S. 93 f. 172 Der Forscher ist auf Kritik angewiesen, Schmidt-Aßmann, S. 698. 173 BVerfGE 47, 327 (375); Classen, S. 88; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 42; Tellerbach, S. 11; jüngst Lux, S. 19. 174 A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (71, Fn. 179); M. Blankenagel, S. 20, 65 f.; Dickert, S. 288, 294; Graf Vitzthum, FS Lerche, S. 348, jedoch ohne Bedenken für eine Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 3 GG; Kleindiek, S. 329, der aber Abstufungen je nach Grad der Produktorientierung sieht; Majer, S. 86; Merton, S. 93 ff.; zur angewandten Wissenschaft insgesamt Tellerbach, S. 11. 175 Dickert, S. 287; ähnlich M. Blankenagel, S. 20. 176 M. Blankenagel, S. 65 ff.; Lux, S. 19, 22. 177 M. Blankenagel, S. 65 f., 86. Die Bedeutung der Publizität für das Voranschreiten der Wissenschaft als System betont jüngst auch Lux, S. 19.
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Fortschritt auf der Weitergabe der Erkenntnisse aufbaut. Damit wird die Gewährung des besonderen Schutzes von dem Nutzen für das Wissenschaftssystem insgesamt abhängig gemacht. Diese Auffassung kann sich insbesondere auf die vom Soziologen Merton aufgestellte Norm des „Kommunismus“ oder auch „Kommunalismus“ berufen, die einer der von ihm geprägten „institutionellen Imperative“ ist178. Da der Begriff sich darauf bezieht, daß die wissenschaftlichen Erkenntnisse „ein gemeinsames Erbe“ bilden, „auf das der individuelle Produzent nur sehr begrenzten Anspruch hat“179, ist seine inhaltliche Aussage gar nicht so weit von der Bedeutung des Kommunismus im politischen Sinne entfernt. M. Blankenagel geht des weiteren über die Forderung einer Publizität überhaupt hinaus, in dem sie es für notwendig erachtet, die Möglichkeit zur Kenntnisnahme müsse dem Wissenschaftssystem „möglichst schnell“ bereitgestellt werden180. (aa) Notwendigkeit dieses Kriteriums Es ist jedoch fraglich, inwieweit Publizität und speziell Veröffentlichung der Forschungsergebnisse notwendige Kriterien für wissenschaftliches Handeln sind181. Insbesondere Classen und Trute haben in ihren Habilitationsschriften Stellung gegen dieses Kriterium bezogen. Nach Trute soll es ersetzt werden durch die erfolgreiche Umsetzung der Erkenntnisse und die Innovation182. Classen hält es zutreffend für ausreichend, daß die Distanz bei der Erkenntnissuche und der Richtigkeitsdruck durch andere Umstände hergestellt werden183. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei insbesondere um den gerade durch die Konkurrenzsituation erzeugten Zwang, exakt zu arbeiten. Der Verlust des Renommees und die damit verbundene Schwächung der Marktposition sind keine unbedeutenden Mechanismen, sondern sorgen für eine Beachtung wissenschaftlicher Standards. Auch die insbesondere im Arzneimittelrecht drohenden Schadensersatzansprüche (siehe nur §§ 84 ff. AMG), die bei unsorgfältigem Arbeiten Folge sein können, setzen ein gewisses Mindestmaß an Einhaltung der anerkannten Regeln voraus.
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Merton, S. 93 ff. Merton, S. 93; ihn mit anderen Worten wiederholend M. Blankenagel, S. 85. 180 M. Blankenagel, S. 65. 181 Kupfer, WissR 4 (1971), 117 (133); Rollmann, S. 84; Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (114 Fn. 26); Graf Vitzthum, FS Lerche, S. 348. 182 Trute, S. 106. Auch Frieling, GRUR 1987, 407 (408) sieht in der Anwendung die Möglichkeit, die Eignung der Forschungsergebnisse an den tatsächlichen Gegebenheiten zu überprüfen und zu korrigieren. 183 Classen, S. 89. 179
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Weil auch das Kriterium der Publizität nicht um seiner selbst willen gefordert werden kann, muß man es ausreichen lassen, daß andere Faktoren die Erreichung des von der Forderung nach Publizität im Visier gehaltenen Ziels sichern. Das Merkmal der Publizität ist nur ein Hilfskriterium, um das Charakteristikum von Wissenschaftlichkeit und Forschung schlechthin näher zu beschreiben: Die Freiheit der Erkenntnissuche. Ohne Zweifel ist die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen ein Indiz für eine der Wahrheit verpflichtete Forschungstätigkeit. Denn wer seine Forschungsresultate veröffentlicht und zur Diskussion stellt, dürfte damit regelmäßig zeigen, daß er sich an der Sache selbst ausrichtet: Es liegt näher, ein Ergebnis zu verbreiten, das „wahr“ und unbeeinflußt entstanden ist als eines, das aus einer Manipulation hervorgegangen ist. Insoweit dient die Veröffentlichung der rationalen Überprüfung der vorgeschlagenen Problemlösungsversuche184. Keinesfalls ist die Veröffentlichung aber die einzige Möglichkeit, Rückschlüsse auf die freie Erkenntnissuche zu ziehen. Da die dargelegten Faktoren (Wettbewerb, Ansehen, Schadensersatzforderungen) eine ähnliche Funktion ausüben, mindert ihre Existenz die Bedeutung der Veröffentlichung als Hilfskriterium. Als Selbstzweck ist das Erfordernis der Öffentlichkeit von Forschung nicht zu verstehen. Das gilt um so mehr, als die Veröffentlichung der eigentlichen Erkenntnissuche zeitlich und organisatorisch nachgelagert ist. Der Wahrheitssuchprozeß verläuft also unabhängig von einer etwaigen Publizierung185. Die bei der freien Erkenntnissuche notwendige Auseinandersetzung mit gegen seine Thesen sprechenden Aussagen kann im Stillen, im Kopf des Wissenschaftlers oder in der Diskussion mit einem kleinen Kreis geleistet werden, ohne daß es zwingend erforderlich wäre, seine eigene Meinung zuerst zu publizieren, anschließend auf die Reaktionen zu warten und letztlich diese zum Anlaß zum Hinterfragen seiner Thesen zu nehmen. Zu weit geht es daher, wenn teilweise, insbesondere neuerdings von M. Blankenagel, gefordert wird, fruchtbar für den Wissenschaftler sei ein Austausch mit anderen nur dann, wenn er mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft im Ganzen erfolge186. Nicht ausreichen soll es danach, wenn sich der Forscher mit seinen Kollegen in der jeweiligen Forschungsabteilung des Unternehmens auseinandersetzt187. Dieser Ansatz ist bereits insofern fragwürdig, als offen bleibt, wie ein Austausch mit der „gesamten Gemeinschaft“ erfolgen können soll. Genügte diesem Kriterium bereits das Vortragen der Ergebnisse auf einer Tagung oder die Diskussion mit Kollegen der 184
Bauer, S. 81; Popper, S. 103 ff. Classen, S. 88. 186 M. Blankenagel, S. 98; ähnlich Bauer, S. 81; Brekle, S. 22 f.; ebenfalls Popper, S. 103 ff. 187 M. Blankenagel, S. 98. 185
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Fakultät?188 Eine solche Ansicht ist jedenfalls deswegen fragwürdig, weil sie nicht belegen kann, daß der verfassungsrechtliche Forschungsbegriff von den Forschern fordert, über das Infragestellen seiner eigenen Meinung an sich, sich zu diesem Zwecke eines bestimmten und vor allem eines zahlenmäßig weit gezogenen Kreises von Personen zu bedienen. Wenn es Ziel des Kriteriums der Öffentlichkeit ist, daß sich der Forscher der Kritik seiner Kollegen stellt, dann ist nicht einzusehen, weshalb diese Funktion nicht schon durch einen kleinen Personenkreis, beispielsweise die Mitarbeiter einer Forschungsabteilung, erfüllt werden kann. Entscheidend gegen ein sehr streng gefaßtes Kriterium der Publizität von Forschung läßt sich ein systematischer Vergleich zur Lehre anführen. Da letztere gerade in besonderer Weise auf Publizität ausgerichtet ist, spricht einiges dafür, daß der Publizitätsgrad bei der Forschung geringer sein kann. Die eigenständige Gewährleistung von Forschung und Lehre ist nur dann sinnvoll, wenn Forschung sich nicht in Lehre darzustellen braucht189. Infolgedessen ist es wohl anerkannt, daß auch unverkündete Forschungsergebnisse den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG genießen können190. Ein weit gefaßtes Kriterium der Publizität, das die Zuordnung von Erkenntnissuche zum Schutzbereich der Forschungsfreiheit von der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse abhängig macht, könnte sich allenfalls durch einen Vergleich mit den Maßstäben universitärer Forschung ableiten lassen. Dagegen spricht aber, daß die Zahl von Veröffentlichungen bei Wissenschaftlern im außerindustriellen Bereich in ganz spezieller Weise als ein Gradmesser zur Bewertung von deren Qualifikation betrachtet wird191. Die negativen Auswüchse dieser von der – jedenfalls akademischen – scientific community gestellten Anforderungen an das Publikationsverhalten haben zu der bereits dargestellten Kritik an der Veröffentlichungsflut („Publish or Perish“) geführt. Insofern kann man die Maßgeblichkeit der universitären Vorgaben in diesem Bereich durchaus in Frage stellen. Das hier gefundene Ergebnis, daß der Publizitätsgrad universitärer Forschung nicht notwendig Maßstab für außeruniversitäre, mit Verwertungsab188 Lux, S. 22 will Gespräche mit Fachkollegen nur dann für die Erfüllung des Publizitätserfordernisses ausreichen lassen, wenn der Gesprächspartner nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet wird. Folgt man der Analyse von Flämig, S. 22, so hat die Bereitschaft zum Gespräch mit Kollegen an Hochschulen ohnehin einen „Gefrierpunkt“ erreicht. 189 Knemeyer, S. 23. 190 Hailbronner, S. 53; Meusel, Veröffentlichungspflicht, S. 90; Sachs, Grundrechte, S. 326; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 101. 191 Majer, S. 86; Bericht der Europäischen Kommission zur Evaluierung der Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, KOM(2002) 2 (9).
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sicht betriebene Forschung sein muß, hat mittelbar bereits das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Hessischen Universitätsgesetz angedeutet. Zu seiner Aussage, Forschung sei auf Publizität und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse hin angelegt, gelangt das Gericht, indem es auf das enge Verhältnis von universitärer Forschung und Lehre abstellt192. Eine derart enge Verknüpfung von Forschung und Lehre, wie sie an den Hochschulen besteht, ist im außeruniversitären Bereich jedoch nicht anzutreffen. Nicht weiter bei der Untersuchung, ob die Publizität von Forschungstätigkeit notwendig für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG ist, führt indes der Hinweis von Classen, mit dem Erfordernis der Publizität könne unwissenschaftliches Arbeiten nicht verhindert werden, weil immer, gerade bei guten Wissenschaftlern, eine „Kaschiermöglichkeit“ gegeben sei193. Seiner Aussage folgend, könnte man sämtliche Kriterien für die Bestimmung der Wissenschaftlichkeit für unbeachtlich erklären. Es ist kaum auszuschließen, daß ein Grundrechtsträger die Möglichkeit nutzt, das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals vorzutäuschen. (bb) Kriterium der Publizität auch bei mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung erfüllt Ob Forschung und Wissenschaft tatsächlich nicht auf Publizität im klassischen Sinne ausgerichtet sein müssen – wofür vieles spricht –, kann letztlich jedoch offen bleiben. Denn auch die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung, insbesondere die Industrieforschung, erfüllt ein Mindestmaß an Orientierung an der Öffentlichkeit. Eine Abkoppelung von der scientific community gibt es dort schon allein deswegen nicht, weil Industrieforschung auf die Erkenntnisse auch der universitären Forschung angewiesen ist. Es ist also keinesfalls so, daß die Industrieforschung gegenüber der Aufnahme der von den Hochschulen kommenden Informationen und Forschungsergebnissen verschlossen wäre. Relevant ist allenfalls der umgekehrte Fall, in dem die Industrieforschung mit der Kundgabe ihrer Ergebnisse zu zurückhaltend sein könnte. Die Beziehung zwischen Hochschulen und Industrie würde sich in diesem Fall als eine „Einbahnstraße“ darstellen. Zugestanden werden kann zwar, daß die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen im industriellen Bereich oft mit zeitlicher Verzögerung geschieht194, aber es lassen sich eine Reihe von Umständen anführen, die eine Publizität auch von Ergebnissen der Industrieforschung sicherstellen. 192 193
BVerfGE 47, 327 (375). Classen, S. 93.
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Zum einen besteht ein intensiver Austausch von den Industrieunternehmen hin zu den Universitäten und anderen Industrieunternehmen. Innerhalb des Kreises der in der industriellen Forschung tätigen Unternehmen erfolgt ein wissenschaftlicher Austausch oftmals über Fachverbandszeitschriften. Im Bereich der industriellen Gemeinschaftsforschung verfügt fast jede der über 100 Forschungsvereinigungen, in denen insgesamt ca. 50.000 kleinere und mittlere Unternehmen zusammengeschlossen sind, über eigene Schriftenreihen und/oder Periodika, in denen die Forschungsergebnisse publiziert werden195. In der von Zusammenarbeit gekennzeichneten Gemeinschaftsforschung findet mit großer Breitenwirkung ein Austausch von Erkenntnissen statt. Eine Erfolgsuntersuchung ergab, daß die innerhalb der Vereinigungen publizierten Ergebnisse von 66 zufällig ausgesuchten Forschungsvorhaben in 332 Unternehmen genutzt werden196. Ohne weitgehende Veröffentlichung der Ergebnisse wäre diese Breitenwirkung nicht zu erzielen. Auch außerhalb der industriellen Gemeinschaftsforschung besteht eine hohe Bereitschaft, Expertengremien eines Wirtschaftsgebietes zu bilden197. Ferner haben sich Großfirmen in bestimmten Bereichen zusammengeschlossen, um ihr Know-how zu erweitern, und sie stellen das Wissen in sog. Kompetenzzentren auch kleinen Unternehmen zur Verfügung198. Eine nicht bloß oberflächliche Zusammenarbeit von in unterschiedlichen Bereichen tätigen Industrieforschern wird auch von einem weiteren Umstand der modernen, stark technologisierten Forschung verlangt. Die hohe Arbeitsteilung macht Öffentlichkeit notwendig199. Es ist nicht vorstellbar, daß eine Kooperation in einem Forschungsvorhaben in vor- und nachgelagerten Zeiträumen oder im Kern des Vorhabens ohne einen wissenschaftlichen Austausch auskommt. Auch auf personenbezogener Ebene bestehen zwischen industrieller einerseits und universitärer Forschung andererseits vielfältige Verbindungen. Oftmals findet ein Wechsel des Personals statt, und ein persönlicher Kontakt zu der früheren institutionellen Bindung bleibt bestehen. Ein derartiger 194 M. Blankenagel, S. 93; Burger, S. 160; Classen, S. 27, 94; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 572; Trute, S. 106; Bericht der Europäischen Kommission zur Evaluierung der Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, KOM(2002) 2 (11, 13). 195 Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, Handbuch 2000, S. 29; diess., Jahresbericht 2000, S. 5. Siehe auch schon oben (1) (aa). 196 Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, Handbuch 2000, S. 29. 197 Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, S. 17. 198 Beispielsweise in der mikrotechnischen Produktion, BMBF, Rahmenkonzept, S. 7. 199 Raabe, S. 77; ähnlich Wolfrum/Stoll/Franck, S. 25, 45.
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Transfer über „Köpfe“ wird als der effektivste bezeichnet200, wenngleich die Formen der Kooperation tatsächlich noch zahlreicher sind201. Die Art der personellen Zusammenarbeit ist in Deutschland vor allem in der chemischen Industrie besonders ausgeprägt202 und wird sowohl in sachlicher als auch in personeller Hinsicht schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts praktiziert203. Speziell für die Pharmaindustrie läßt sich ein enger Kontakt mit der Ärzteschaft feststellen204. Zwar kann man nicht umhin, diese Verhaltensweisen als Teil des Marketings der Pharmaindustrie anzusehen. Für die gesamte Industrieforschung sieht Kleindiek dementsprechend den Kontakt zur scientific community nur dort genutzt, wo er „eher ökonomisch verwertbare Erfolge“ verspräche oder der Rekrutierung von Personal und der Imagepflege diene205. Zwar mag es zutreffend sein, daß die Wirtschaft ihre Zusammenarbeit vorwiegend am erhofften Eigennutz orientiert, aber keineswegs ist sie darauf verengt. Vielmehr läßt sich auch eine allgemeine Förderung der Wissenschaft feststellen206. Entscheidend dagegen, den Gründen, die den Industrieforscher zur Publizierung der Forschungsergebnisse bewegen, für die Frage des grundrechtlichen Schutzes Relevanz zukommen zu lassen, sprechen aber folgende Gründe. Zum einen ist nicht klar, daß das Verfolgen weiterer, nicht wirtschaftlicher Ziele der Industrie – speziell der Pharmaindustrie – ausgeschlossen ist. Zum anderen sind die Motive für die Aufnahme und die Pflege des Kontakts zu anderen Wissenschaftlern unter dem Gesichtspunkt des Sinns des Kriteriums der Publizität unerheblich. Entscheidend für die vorliegende Untersuchung ist allein, daß überhaupt ein Kontakt und Austausch zu der scientific community besteht. Wenn Sinn der Forderung nach Publizität sowohl das Weitertragen der Erkenntnisse in die Fachkreise als auch der Anstoß zum Überdenken der eigenen Position sein sollen, dann werden beide Ziele auch bei wirtschaftlichen Motiven erreicht: Die Forschergemeinschaft erhält Kenntnisnahmemöglichkeit, und der Verbreitende kann auf die eventuell geäußerte Kritik reagieren. 200
Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 75; Schuster, S. 309, 317; für die Gemeinschaftsforschung Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, Handbuch 2000, S. 29; für die außeruniversitäre Forschung i. e. S. Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 581. 201 Darstellung weiterer Formen bei Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 75; Püttner/ Mittag, S. 1614; Schuster, S. 316. 202 Majer, S. 87; von regelrechten „Netzwerken“ in den Biowissenschaften und der Biotechnologie sprechen Wolfrum/Stoll/Franck, S. 25. 203 Kleindiek, S. 89 f. 204 Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, Pharma-Daten 2001, S. 81. 205 Kleindiek, S. 333, 330. 206 Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 74; FAZ Nr. 114 v. 18.05.2002, S. 67 („Partnerschaften auf Gegenseitigkeit“).
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Die Aussagen, die unterlassene oder zurückhaltende Weitergabe von Forschungsergebnissen sei egoistisch und demnach schädlich für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG, verkennen den Hintergrund dieses Verhaltens der Industrieforscher. Ein zumindest zeitlich begrenzter Anspruch, seine Forschungsergebnisse für sich selber wirtschaftlich verwerten zu können, ist notwendig, damit Forschungstätigkeit sich wirtschaftlich überhaupt selbst finanzieren kann207. Während der Laufzeit von Patenten müssen die Kosten für die Forschung und Entwicklung zumindest neutralisiert werden. Forschen nimmt oft lange Zeit in Anspruch und ist nur mit großem finanziellen Aufwand zu bewältigen. Selbst, wenn man das zurückhaltende Publizierungsverhalten der Industrieforscher als egoistisch bewerten würde, so wäre das gleichwohl nicht relevant für die grundrechtliche Zuordnung. Naturgemäß ist der Gebrauch der persönlichen Freiheit auf das Individuum bezogen. Das Streben des Einzelnen nach persönlichem Vorteil ist nicht per se schädlich für die Gewährleistung von Grundrechtsschutz. Auch Lux hält es in dem von ihr untersuchten Problem der Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft für möglich, daß den Geheimhaltungsinteressen im Einzelfall Vorrang vor den Publizitätsinteressen zukommt. Vom Grundsatz ausgehend, daß der Veröffentlichungswille Voraussetzung für die Subsumtion unter Art. 5 Abs. 3 GG ist208, erkennt sie das legitime Interesse der Wirtschaft an einem zeitlichen Aufschub der Veröffentlichung an209. Die Kooperationspartner in der Wirtschaft, die die Hochschulen durch Drittmittel unterstützen, könnten sich hinsichtlich einer Vereinbarung einer restriktiven Veröffentlichung auf ihre Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 und 14 Abs. 1 S. GG berufen. Die sich in der Konsequenz ergebende Kollision der unterschiedlichen Verfassungsgüter sei durch die Herstellung praktischer Konkordanz zu lösen, wobei jeweils im Einzelfall zu entscheiden sei, inwieweit welchen Interessen Vorrang zukäme210. Die Notwendigkeit, daß es möglich sein müsse, den Geheimhaltungsinteressen eine Vorrangposition einräumen zu können, stützt Lux auf den Umstand, daß bei Zwang zu Veröffentlichung von Forschungsergebnissen die kooperative Forschung weitgehend unterbleiben würde211. Obwohl bei der 207 Classen, S. 30 f., 89; Trute, S. 106; Wolfrum/Stoll/Franck, S. 28; FAZ vom 26.10.2001, S. 17. Ausführlicher zu der Bedeutung der wirtschaftlichen Grundlage von Forschung siehe unten 4. Teil B. II. 1. b). 208 Lux, S. 19. 209 Lux, S. 22 f.; auch Püttner/Mittag, S. 1616 und Wolfrum/Stoll/Franck, S. 28 f. sehen das legitime Interesse der Wirtschaft. 210 Lux, S. 22 f. Hochschulrechtliche Normen, die für außerhalb der Hochschule betriebene Drittmittelforschung eine Veröffentlichungspflicht ohne Ausnahme vorsehen (z. B. § 34 S. 2 SächsHochSchG), hält sie daher für verfassungswidrig. Regeloder Sollvorschriften (z. B. § 100 Abs. 2 S. 1 HochschulG NW), die für eine Interessenabwägung Raum lassen, hält sie dagegen für unbedenklich (ebd., S. 115).
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mit Verwertungsabsicht betriebenen Forschung ein derartiges Zwei-Personen-Verhältnis fehlt und damit eine Grundrechtskollision dieser Art nicht in Betracht kommt, wird man in Anwendung des Ansatzes von Lux auch dann entsprechend entscheiden müssen, wenn das Geheimhaltungsinteresse nicht beim Kooperationspartner, sondern beim Forscher selbst besteht. Die Kritiker einer Einbeziehung der Industrieforschung in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG übersehen letztlich ganz entscheidend, daß in weiten Gebieten der industriellen Forschungstätigkeit das Patentrecht eine Veröffentlichungspflicht bewirkt. Soweit es sich bei Forschungsergebnissen nämlich um Patente, also um Erfindungen auf dem Gebiet der Technik handelt, die eine gewerbliche Verwendung gestatten (§ 1 PatentG), erfolgt mit der Erteilung des Patents automatisch eine Veröffentlichung im Patentblatt, § 49 Abs. 1 PatentG. Gleichzeitig wird die Beschreibung samt den Zeichnungen veröffentlicht, aufgrund derer das Patent erteilt wurde (sog. Patentschrift), § 32 Abs. 3 PatentG. Damit ist mittelbar weitgehend Vorsorge getragen für eine Zugänglichkeit der Forschungsergebnisse für die Allgemeinheit. Im Bereich des Arzneimittelrechts erfolgen vorrangig Patentierungen, weil zu den Erfindungen nicht nur Gegenstände, sondern auch Stoffe und Verfahren gehören212. Für neue Gestaltungen und Anordnungen von Gebrauchsgegenständen (also keine Stoffe und Verfahren) ist das GebrauchsmusterG relevant. Auch Gebrauchsmuster werden durch die Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle und die Bekanntmachung im Patentblatt (§ 8 GebrauchsmusterG) veröffentlicht. Gegen diese Feststellungen läßt sich nicht der denkbare Einwand erheben, die durch das Patentrecht bewirkte Veröffentlichung sei im Vergleich zum gesamten Bereich der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Forschung größenmäßig zu vernachlässigen. In Untersuchungen der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Vallendar wurde festgestellt, daß Patente für forschende Unternehmen wichtige Quellen technischen Wissens darstellen. Patente dokumentieren danach in etwa 80–90% des veröffentlichten technischen Wissenstandes213. Zahlenmäßig sind Patentierungen damit durchaus als Mittel des Wissenstransfers und der Publizität ernstzunehmen. Die Untersuchung der WHU hat ebenso festgestellt, daß sich in der Praxis Strategien zur Geheimhaltung von Forschungsergebnissen als wenig praktikabel erwiesen haben: Angesichts der zunehmenden Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen Forschenden und externen Partnern sei es kaum noch möglich, die Entwicklung neuer Pro211
So auch schon Rollmann, S. 84. Bruchhausen, in: Benkard/Bruchhausen/Rogge/Schäfer/Ullmann, § 1 Rdnr. 4. Siehe auch § 9 S. 2 Nrn. 1–3 PatentG. 213 FAZ v. 27.05.2002, S. 24. 212
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
dukte geheimzuhalten214. In Anbetracht dieser Ergebnisse kann nicht davon ausgegangen werden, daß bei Forschungstätigkeit, die auf die Verwertung ihrer Erkenntnisse gerichtet ist, die Erkenntnisse im Normalfall nicht weitergegeben werden und das Geheimhaltungsinteresse das durch die Anmeldung als Patent befriedigte Schutzinteresse notwendig oder typischerweise überwiegt. Speziell für die Arzneimittelforschung läßt sich zudem im Hinblick auf die klinische Prüfung eine stark ausgeprägte Publizität feststellen. Die Ergebnisse der klinischen Prüfungen werden in aller Regel publiziert215. Hinsichtlich des Publikationsverhaltens wird bei kommerziell orientierten Prüfungen sogar eine „geradezu demonstrative Öffentlichkeitsarbeit“ vermerkt, die auf das Bedürfnis nach mehr Legitimation zurückgeführt wird216. Damit bleibt für den Vorwurf einer zu weitgehenden Abkoppelung von der scientific community kein Raum mehr. Weil die Öffentlichkeitswirkung im Ergebnis auch bei der Industrieforschung gewahrt ist, kann der Einwand, in ihrem Bereich bestehe keine Freiheit der Anwendung und Verwendung der Forschungsergebnisse, nicht durchgreifen. Die Erkenntnisse der produktorientierten Industrieforschung stehen damit, genau wie diejenigen universitärer Grundlagenforschung, der Allgemeinheit zur Verfügung217. Selbst unter Zugrundelegung einer hier im Ergebnis nicht vertretenen Veröffentlichungspflicht läßt sich die Industrieforschung nicht aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit aussondern. (cc) Verzögerung der Publizität ohne Belang Allenfalls könnte – unter der Prämisse, daß Veröffentlichung von Forschungsergebnissen Voraussetzung für Wissenschaftlichkeit ist – die bereits erwähnte, durch die Verwertungsabsicht der Ergebnisse bedingte zeitliche Verzögerung der Veröffentlichung geeignet sein, dieses Zwischenergebnis zu revidieren. Die namentlich von M. Blankenagel vorgetragene Kritik an der langsamen Geschwindigkeit der Publizierung von innerhalb der Industrieforschung erlangten Forschungsergebnissen218 kann sich indes nicht darauf stützen, daß die Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG eine solche schnelle Veröffentlichung verlange. Zum einen wurde bereits oben der Charakter des Kriteriums der Publizität als Hilfskriterium zur Sicherung der 214
Stiftung Industrieforschung, S. 12, hinsichtlich der Geheimhaltung von neuen Verfahren ist das Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen freilich größer. 215 Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 16. 216 Van den Daele/Müller-Salomon, S. 27 Fn. 53. 217 Burger, S. 161. 218 M. Blankenagel, S. 65, 93 ff., 96 f.
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Freiheit der Erkenntnissuche dargestellt. Die Schnelligkeit der Zugänglichmachung der Forschungsergebnisse steht aber nicht in Zusammenhang mit dem Schutz der freien Erkenntnissuche. Sie erleichtert lediglich anderen Forschern die Arbeit, in dem diese sich zügig einen Überblick über den Stand der Wissenschaft verschaffen können. Ob die Optimierung der Arbeitsbedingungen für Dritte geeignet ist, den Grundrechtstatbestand zu beschreiben, ist daher fragwürdig. Ein systematischer Vergleich zur Lehrfreiheit bestätigt diese Zweifel: Das berechtigte Interesse der wissenschaftlichen Gemeinschaft, nicht dauernd „das Rad neu erfinden“ zu müssen und deshalb einen Zugang zum gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu erhalten, wird durch die Lehre in weiten Bereichen – nicht nur in pädagogischdidaktischer Hinsicht219 – erfüllt und verfassungsrechtlich besonders geschützt. Ein Bedürfnis, darüber hinaus die Ausübung der Forschungsfreiheit an die Unterstützung der Tätigkeit anderer Forscher zu binden, besteht nicht. Das gilt um so mehr als ansonsten die Nähe zur Konstatierung einer Grundpflicht des Forschers groß wäre. Gegen eine solche Grundpflicht spricht aber, daß das Grundgesetz nur einige ausdrücklich geregelte Verpflichtungen, so in Art. 6 Abs. 2, 12a und 14 Abs. 2 GG enthält. Über diese Fälle hinausgehend kann eine Grundpflicht, vor allem im Hinblick auf die Erfahrung mit der weitgehenden Inpflichtnahme der Menschen im Dritten Reich220, nicht angenommen werden. Fragwürdig ist es ferner, die weitreichende Entscheidung über den Schutz der Industrieforschung von einem Kriterium abhängig zu machen, das eine willkürfreie Handhabung kaum gewährleisten kann. Die Bestimmung des konkreten Zeitpunkts, zu dem eine Verzögerung der Veröffentlichung noch nicht anzunehmen ist, weil sie für die Forscherkollegen schon hilfreich ist, ist mit unüberwindbaren Schwierigkeiten behaftet. Wenn der Forscher seine Ergebnisse noch nicht für publikationsreif hält, etwa deswegen, weil zur endgültigen Fertigstellung der Arbeit noch weitere – möglicherweise auch nur nebensächliche – Tätigkeiten erforderlich sind, kann seine Einschätzung wohl kaum übergangen werden. Das sieht für den Bereich der Drittmittelforschung ebenso Lux, die feststellt, es liege in „völlig freier Bewertung“ des Forschers, wann er seiner Arbeit Publikationsreife zuerkenne, die erst die Veröffentlichungspflicht auslöse221. Gleichwohl soll er in seinem Entschluß nicht „völlig frei“ sein, sein Ermessen sei an wissenschaftliche Kriterien gebunden, die objektiv nachprüfbar seien222. Jedoch ist die Annahme, daß ein solcher Entschluß tatsächlich objektiv nachprüfbar sein kann, zwei219
Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Forschung (Veröffentlichung von Forschungsergebnissen) und Lehre (Publikation von Lehrmaterial) s. Hartmut Krüger, WissR (19) 1986, 1 (2). 220 Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 58. 221 Lux, S. 20.
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felhaft. Es käme andernfalls zu einer Fremdbestimmung der inhaltlichen und methodischen Forschungstätigkeit. Die Frage, welche Qualität bzw. welche Tiefe der Argumentation eine Arbeit haben soll, liegt nämlich gerade im durch Art. 5 Abs. 3 GG originär gewährleisteten Bereich wissenschaftlicher Eigenständigkeit. Der Forscher muß frei über die Publikationsreife entscheiden können. Erkennt man eine solche Freiheit an, dann macht es keinen Sinn, über die Veröffentlichungspflicht eine Restriktion des Forschungsbegriffs zu erreichen. Es wäre kaum zu bewerkstelligen, nachzuweisen, daß ein Forschungsergebnis nicht aus „Publikationsunreife“, sondern aus unwissenschaftlichen, wirtschaftlichen Motiven zurückgehalten wird, wenn der Forscher ein anderes behauptet. In der Industrieforschung kann er bis zum Beginn der Serienproduktion sogar einen sachlichen Grund nennen. Bis zur Herstellung des Prototypen finden immer noch – wenn auch möglicherweise nur marginal – Arbeiten mit Erkenntnisgewinn statt223. Dagegen, daß nur eine besonders frühe Veröffentlichung von Forschungsergebnissen der dieser zeitlich vorgelagerten Erkenntnissuche den Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG eröffnet, läßt sich ein weiterer Aspekt anführen, der sogar von der Gegenansicht anerkannt werden müßte. Ginge man mit dieser davon aus, daß das Publikationsgebot – wie hier vertreten – nicht ein Hilfskriterium zur Sicherung und Bestimmung einer kritischen Distanz des einzelnen Forschers zum Forschungsgegenstand ist, sondern der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Wissenschaftssystems und damit primär fremden Interessen dient, dann wäre ein Zwang zur Veröffentlichung geradezu hinderlich für ein Voranschreiten des Systems. Grund für diese Einschätzung ist, daß bestimmte Folgen eintreten würden, wenn die Industrieforschung nicht – jedenfalls in zeitlicher Hinsicht – über ihre Veröffentlichungen disponieren könnte. Um den wirtschaftlich notwendigen Schutz des Patentrechts zu erlangen, müssen die zukünftigen Patentrechtsinhaber sicherstellen, daß ihre Erfindung „neu“ (§§ 1 Abs. 1, 3 PatentG) ist. Daran fehlt es aber, wenn die wissenschaftlichen Ergebnisse schon breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurden224, denn dann gehören sie zu den Kenntnissen i. S. v. § 3 Abs. 1 S. 2 222 Lux, S. 20 f. Unwissenschaftliche, vor allem wirtschaftliche Motive sollen einen Aufschub nicht rechtfertigen können. Wenn Motive entscheiden sollen, verliert das von ihr in den Vordergrund gestellte Voranschreiten des Wissenschaftssystems als Grund der Publikationspflicht aber seinen Sinn. Anders sieht Lux die Auswirkung wirtschaftlicher Interessen freilich, wenn der Drittmittelgeber diese auf Art. 12, 14 GG stützen kann. Die so entstehende Grundrechtskollision könne durch Herstellung praktischer Konkordanz auch zugunsten einer Publikationsverzögerung gelöst werden (Lux, 24 ff.). 223 Zur Abgrenzung von Technik und Forschung siehe unten 4. Teil B. I. 1. 224 Dazu ausführlich M. Blankenagel, S. 124 ff.; Bruchhausen, in: Benkard/ Bruchhausen/Rogge/Schäfer/Ullmann, § 3 Rdnr. 1 ff.; hinsichtlich Überlegungen zur Modifizierung der Neuheitsklausel durch Einführung einer „provisorischen Patentan-
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PatentG, „die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind“. Solche Kenntnisse gehören nach der Legaldefinition zum Stand der Technik und scheiden damit als „neue“ aus (§ 3 Abs. 1 S. 1 PatentG). Eine frühzeitige Veröffentlichung würde also den Wegfall bzw. die erhebliche Minderung der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit bedeuten. Da sich für das Unternehmen auf diese Weise weder ein Ausgleich der u. U. sehr hohen Forschungskosten ergeben würde, noch ein wirtschaftlicher Gewinn möglich wäre, ist mit dem Ausbleiben der Forschungstätigkeit zu rechnen225. Diese Konsequenz wiederum wäre für das Wissenschaftssystem ein Rückschlag. Es müßte auf ein erhebliches Input von Wissen, Anregungen und Ressourcen aus der Industrieforschung verzichten. Insgesamt wäre es also gerade zur Pflege des Wissenschaftssystems erforderlich, der Industrieforschung ihre Kreativität nicht zu nehmen. Insoweit ist nicht nachvollziehbar, weshalb Lux die Freiheit zur Wahl eines verzögerten Veröffentlichungstermins als „Ausnahme von der prinzipiellen Publikationspflicht“226 qualifiziert, obwohl sie doch in dem von ihr untersuchten Fall der Drittmittelforschung zutreffend erkennt, daß der Zweck der Erkenntniserweiterung bei einer Veröffentlichungspflicht geradezu konterkariert227 würde. Diese Beurteilung zugrundelegend, müßte danach die Freiheit zur freien Veröffentlichung der Regelfall sein. Das Fordern einer optimal frühen Veröffentlichung zum Wohle der übrigen Forscher könnte letztlich überhaupt nur dann sinnvoll vertreten werden, wenn der Zeitpunkt, zu dem gerade das Optimum der Publikationsreife erreicht ist, erkennbar wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Wenn auch ohne Zweifel Publikationsreife gegeben sein mag, wenn das „fertige“ Ergebnis nur noch der wirtschaftlichen Verwertung harrt, so dürfte man sich nicht darauf beschränken, lediglich diese Forschungstätigkeit dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG auszugliedern. Hält man nämlich die Förderung der Arbeit dritter Forscher für wesenstypisch für das Grundrecht, dann müßte man konsequent auch solche Forschungstätigkeit anderen Grundrechten zuordnen, die – ohne im Gesamten auch nur ansatzweise abgeschlossen zu sein – bereits für das Fortkommen der übrigen Wissenschaft wichtige Teilmeldung“ oder einer „Neuheitsschonfrist“ siehe den Bericht der Europäischen Kommission zur Evaluierung der Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, KOM(2002) 2 (17 ff.). 225 Ähnlich, jedoch zum Verhalten des Geldgebers aus der Industrie bei der Drittmittelforschung Lux, S. 22 f. 226 Lux, S. 22 f. (Hervorhebung nicht im Original). 227 Lux, S. 23.
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ergebnisse vorzuweisen hat. Führt man die Ansicht von M. Blankenagel folgerichtig weiter und versucht zu verhindern, daß andere Forscher in Unkenntnis von Erkenntnissen, die Kollegen bereits gefunden haben, bis zu deren Bekanntwerden weiterforschen228, müßte man beispielsweise von einem in der Genetik forschenden Wissenschaftler verlangen, nicht erst die Entschlüsselung eines ganzen Genoms zu veröffentlichen, sondern schon wesentlich früher die Offenlegung bestimmter entschlüsselter Teilsequenzen fordern. Der Historiker wäre dazu verpflichtet, nicht erst die Gesamtschau seiner Erkenntnissuche etwa über bestimmte Ursachen der Entstehung des Zweiten Weltkrieges öffentlich zugänglich machen, sondern bereits die Relevanz von neu gefundenen Einzeldokumenten dem Fachpublikum darlegen. Der Forscher würde durch die Sicherstellung laufender Publizierung seiner Teilergebnisse in seiner eigentlichen Tätigkeit, nämlich der Erkenntnissuche, gehemmt. Ob auf diese Weise das von der Autorin angestrebte Ziel der Erhöhung der Geschwindigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts229 erreicht werden kann, ist mehr als fraglich. Will man die aufgezeigten Konsequenzen einer beim Wort genommenen Umsetzung des Ansatzes von M. Blankenagel nicht tragen und die Umsetzung statt dessen dahingehend ändern, daß man erst auf spätere Zeitpunkte abstellt, so würde der Sinn, überhaupt eine schnelle Veröffentlichung zu fordern, verloren gehen. Zudem wäre eine Versagung des durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten starken Grundrechtsschutzes bei wirtschaftlicher Verwertungsabsicht deswegen befremdlich, weil – was M. Blankenagel auch erkennt230 – der Staat durch den weiten Neuheitsbegriff eine bedeutende Ursache für die Verzögerungsbemühungen der Industrieforschung gesetzt hat. Es ist nicht einzusehen, daß der Staat in Form des Gesetzgebers durch einfachgesetzliche Vorgaben bzw. Anreize zu einem Verhalten motiviert und dieses im Wege der Grundrechtsauslegung anschließend zum Nachteil des Grundrechtsträgers verwandt wird. Abschließend geht die Aussonderung der Industrieforschung aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit auch deswegen fehl, weil die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen fragwürdig sind. Die von M. Blankenagel kritisierte Verzögerung der Veröffentlichung ist einer von der Europäischen Kommission betriebenen Untersuchung zufolge nicht oder nur kaum wahrzunehmen. Im Bereich der untersuchten gentechnologischen Forschung gaben etwa 80–90% der Befragten aus Wissenschaft und Industrie an, keine oder nur geringfügige Verzögerungen bei der wissenschaft228 229 230
M. Blankenagel, S. 96 f. M. Blankenagel, S. 96. M. Blankenagel, S. 93, 124.
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lichen Veröffentlichung von solchen Ergebnissen festgestellt zu haben, die Gegenstand einer Patentanmeldung waren bzw. sein könnten231. Die Tatsache, daß diejenigen Wissenschaftler und Unternehmer, die noch keine Erfahrung im Umgang mit Patenten besaßen, lediglich zu 60% und damit unterdurchschnittlich von keinen oder geringfügigen Verzögerungen ausgingen232, mag als Beleg für eine aus Unkenntnis ungenaue Einschätzung der Realität gesehen werden. Insgesamt ist die Industrieforschung also auch unter Berücksichtigung der aus wirtschaftlichen Gründen verzögerten Publizität dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG zuzuordnen. (5) Zwischenergebnis Nach alldem kann festgestellt werden, daß mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung von ihrer Struktur her die anerkannten Tatbestandsvoraussetzungen der Forschungsfreiheit erfüllt. Ein Zustand derart, daß freie Erkenntnissuche per se unmöglich wäre, wenn das Forschungsstreben zu einem bestimmten Zweck, nämlich wirtschaftlicher Verwertung erfolgt, konnte nicht festgestellt werden. bb) Gesamtbetrachtung der Merkmale bei Kumulation externer Einflußfaktoren – Berücksichtigung des Wandels der Wissenschaft Möglicherweise ist die Orientierung der Industrieforschung an externen Umständen aber dergestalt intensiv, daß zwar jedes der oben genannten Tatbestandsmerkmale trotz Verwertungsabsicht für sich als erfüllt anzusehen ist, aber in der Summe der Tatbestandsmerkmale die Grenze zu der Wissenschaftlichkeit überschritten wird. Jedoch ist zum einen bereits fragwürdig, ob es einen derartigen „kumulativen“ Effekt von Antiindikationen bei der Grundrechtsauslegung geben kann. Für die Prüfung der einzelnen Merkmale wissenschaftlichen Verhaltens haben sich differenzierte Kriterien herausgebildet. Aber die Grenze, ab der die für sich erfüllten einzelnen Merkmale zusammen doch nicht die Schwelle zur Berührung des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit über231 Bericht der Europäischen Kommission zur Evaluierung der Auswirkungen Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand tentfähig sein könnte, KOM(2002) 2 (13). 232 Bericht der Europäischen Kommission zur Evaluierung der Auswirkungen Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand tentfähig sein könnte, KOM(2002) 2 (13).
des pades pa-
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schreiten, die vom besonderen Freiheitsgrundrecht aufgestellt wird, ist schwer bestimmbar. Es müßte überlegt werden, wie hoch der Teil abnehmender Schutzbedürftigkeit ist, der gleichsam jedem einzelnen Merkmal „an seiner Spitze“ fehlt, damit die zu prüfende Tätigkeit per saldo unter die Schwelle der Schutzwürdigkeit absinkt. Eine derartige Betrachtungsweise hat den entscheidenden Nachteil, daß sich die genaue Ausformung eines so „abschmelzenden“ Grundrechtsschutzes kaum anhand normativer Kriterien festmachen läßt. Zwar kann man der Verfassung wohl kein Verbot eines solchen Vorgehens entnehmen, jedoch würde es ein Verzicht auf nachvollziehbare Subsumtionsvorgänge zugunsten einer von großen Spielräumen geprägten Entscheidung bedeuten. Die Gefahr, die einem solchen Vorgehen innewohnt, besteht insbesondere darin, daß ein die einzelnen Schutzbereichsmerkmale überwölbendes Billigkeitskriterium entstehen könnte. Folge davon wäre dann nicht nur ein von eher subjektiven Einschätzungen abhängiger Grundrechtsschutz, sondern auch eine Verlagerung von Abwägungsfragen von der Schrankenebene, genauer der Prüfung der Verhältnismäßigkeit, hin zur Schutzbereichsebene. Aus diesem Grunde ist es nicht sinnvoll, neben dem Vorliegen der anerkannten Schutzbereichsmerkmale zusätzlich eine kumulative Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Auch wenn die Subsumtion der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Forschung unter die anerkannten Tatbestandsmerkmale des Art. 5 Abs. 3 GG möglich war, kann im Vergleich zum Wissenschafts- und Forschungsverständnis des 19. Jahrhunderts jedoch zugestanden werden, daß in zweierlei Hinsicht eine Veränderung stattgefunden hat. Zum einen ist der Anteil der industriell betriebenen Forschung im Vergleich zur Hochschulforschung stetig gestiegen. Zum anderen mag der Grad der Orientierung an externen Faktoren bei der Industrieforschung im modernen Gewand höher ausfallen, als das bei ihr möglicherweise in früheren Zeiten gewesen ist. Die Gewinnorientierung und der Blick auf Verwertungschancen beherrschen die Forschungstätigkeit wohl auch intensiver als dies die oben dargelegten externen Umstände bei der Hochschulforschung tun. Grund für die Annahme, daß der Schutzbereich der Forschungsfreiheit die beiden skizzierten Entwicklungen gleichwohl mitträgt, ist die Offenheit der Grundrechtsauslegung für neue Entwicklungen. Von der Beurteilung ausgehend, die Industrieforschung stelle in der Realität den weit überwiegenden Teil der Forschung dar (unten (1)), kann im folgenden festgestellt werden, daß Art. 5 Abs. 3 GG in praxi weitgehend leerliefe, würde der Schutzbereich für solcherart motiviertes Handeln verschlossen bleiben. Berücksichtigend, daß das Grundgesetz auf die Verwirklichung des größtmöglichen Freiheitsschutzes angelegt ist, wird darzulegen sein, daß es insofern für gesellschaftliche Veränderungen offen ist (unten (2)).
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(1) Geänderte gesellschaftliche Realität Im Vergleich zu voranliegenden Zeiträumen von 40 Jahren und erst recht zu Zeiten vor und während der Beratungen zum Grundgesetz hat der Anteil der industriell betriebenen und damit einem typischen Fall von mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung deutlich zugenommen. Die institutionelle Verschiebung von den Hochschulen zu den Industrieunternehmen und die gegenwärtig große Bedeutung der Industrieforschung läßt sich anhand von Zahlenmaterial nachvollziehen. Hatte im Jahr 1962 die Wirtschaft einen Anteil an der gesamten Forschungstätigkeit von 54,6% und der Staat von 39,8%, so hatte die Wirtschaft 1987 bereits einen Anteil von 70,8% und der Staat nur noch einen von 25,5%233. Im Hinblick auf die Verteilung des im Bereich der Forschung und Entwicklung beschäftigten Personals sieht es ähnlich aus. 1975 waren 61,4% des Personals in der Wirtschaft beschäftigt234 und im Jahre 1989 sogar 69,5%235. Als weiterer Vergleichsmaßstab für eine Verlagerung der Forschungstätigkeit hin zur privaten Wirtschaft kann die Verteilung der Finanzierung der Durchführung von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten herangezogen werden. Wurden im Jahr 1962 vom Staat 50,7% der Finanzierung geleistet236, so trug er 1999 nur noch zu 31,2 % der Finanzierung bei237. Die Wirtschaft dagegen leistete 68,8%238. Erwähnenswert ist außerdem, daß nur gut die Hälfte der staatlich finanzierten Forschung an den Hochschulen stattgefunden hat, der Rest aber an außeruniversitären Einrichtungen239. Europaweit ist der Rang der Industrieforschung ähnlich einflußreich. Laut Mitteilung der Europäischen Kommission „Hin zu einem europäischen Forschungsraum“, wird etwa die Hälfte der Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung aus privater Hand finanziert und zu zwei Dritteln im Rahmen von privatwirtschaftlichen Investitionen umgesetzt240. Angesichts dieser Zahlen ist die Einschätzung, der Staat besitze ein „faktisches Monopol“ hinsichtlich des Wissenschaftsbetriebes241, sehr fragwürdig. 233 234 235 236 237 238 239 240
Häusler, S. 60. Häusler, S. 60. BMBF, Bundesbericht Forschung 2000, S. 74. Häusler, S. 61. BMBF, Bundesbericht Forschung 2000, S. 70. BMBF, Bundesbericht Forschung 2000, S. 70. BMBF, Bundesbericht Forschung 2000, S. 70. Mitteilung der Europäischen Kommission vom 18.01.2000, KOM(2000) 6,
S. 7. 241 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (97); ähnlich Bauer, S. 193; Lux, S. 38; Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (132); alle vier zurückgehend wohl auf
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Als Ergebnis läßt sich demnach festhalten, daß, wenn die Industrieforschung nicht unter den Schutzbereich der Forschungsfreiheit subsumiert würde, der grundrechtliche Schutz der tatsächlichen Verlagerung der Forschungstätigkeit von der Universität zur Industrie und der verstärkten Verwertungsorientierung nicht folgen würde. In der Konsequenz würde das Grundrecht nur einen geringen Teil der Forschungstätigkeit erfassen242. Erkenntnissuche würde je nach Betriebsort und Motivation unterschiedlich geschützt und außerhalb der Hochschulen würde sich der Schutz auf Hobbyforscher beschränken. (2) Offenheit der Verfassungsinterpretation für Wandlungsprozesse zur Gewährung größtmöglicher Freiheit Die soeben beschriebene Änderung der sozialen Realität (institutionelle Verlagerung und graduell intensivere Determinierung durch externe Umstände) dürfte wohl vom Grundgesetz im Wege der für eine Entwicklung offenen Auslegung243 nachvollzogen werden, weil die Forschungsfreiheit im Kontext der sozialen Verhältnisse steht, auf die sie wirken soll, und sich ihr Verständnis mit ihnen wandelt. Gegen die Zulässigkeit einer derartigen gewandelten Verfassungsauslegung und speziell zu der Frage, ob sich auf diesem Weg die Einbeziehung der Industrieforschung in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit ergeben könnte, äußert sich kritisch A. Blankenagel. Er spricht davon, die Einbeziehung der Industrieforschung beruhe auf einer bloß deskriptiven, statt auf einer normativ geprägten Rechtswissenschaft244. Die empirische Rückkoppelung der Auslegung an statistisches Zahlenmaterial führe zu einem Verlust des Steuerungsanspruchs des Rechts, weil der Schutzbereich so zurechtgebogen werde, wie es gerade beliebe245. Auch M. Blankenagel kritisiert die Maßgeblichkeit der „Kraft des Faktischen“, die dem Hinweis auf die gewandelte Realität innewohne246. Kritisch äußern sich allgemein, d.h. unBVerfGE 35, 79 (114 f.). Richtigerweise müßte von einem „Universitätsmonopol“ gesprochen werden (Begriff bei Roellecke, JZ 1969, 726 [730]). 242 Ganz ähnlich verhielte es sich bei der Meinungsfreiheit, wenn wirtschaftlich motivierte Aussagen nicht unter Art. 5 Abs. 1 GG subsumiert würden, dazu Friauf/ Höfling, AfP 1985, 249 (251). 243 Dieser Prozeß wird teilweise auch mit dem Begriff des „Verfassungswandels“ gekennzeichnet. Dazu u. a. Hesse, Rdnr. 39; Höfling, S. 187; Pieroth, S. 24; Stern, I, S. 160. Böckenförde, FS Lerche, S. 6 weist indes überzeugend nach, daß unterschieden werden muß zu einer Änderung der von einer Grundrechtsgewährleistung erfaßten Sachverhalte. 244 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (103). 245 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (91, 104 f.). 246 M. Blankenagel, S. 89, 110.
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abhängig von der Frage des Schutzes der Industrieforschung, in ähnlicher Richtung weitere Stimmen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum. Hesse spricht davon, daß unterschieden werden müsse zwischen dem Zustand verwirklichter Verfassung einerseits und der Herausbildung verfassungswidriger Verfassungswirklichkeit andererseits247. Der Kritik an der Berücksichtigung einer gewandelten sozialen Realität bei der Grundrechtsauslegung liegt die Sorge zugrunde, daß die normative Kraft der Verfassung durch die Anpassung der Auslegung an die Realität schwindet248. Da der Grundrechtsstandard letztlich nur von der Mehrheit der Grundrechtsträger verändert werden könne, weil nur diese die Macht dazu besäßen, wird eine Gefahr für den Minderheitenschutz gesehen249. Es ist jedoch nicht eine interessengeleitete Haltung250, welche für die Einbeziehung von mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Forschung in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG spricht, sondern der dem Grundgesetz innewohnende Grundsatz der Gewährleistung eines größtmöglichen Freiheitsraumes. Die Offenheit des Grundgesetzes für eine Berücksichtigung von gesellschaftlichen Entwicklungen ergibt sich daraus, daß das Verfassungsrecht in bestimmter Weise von der sozialen Wirklichkeit abhängig ist. Die Wirklichkeit ist Bestandteil der rechtlichen Norm; genauso läßt sich umgekehrt formulieren, das Recht sei ein Element der sozialen Wirklichkeit251. Der Schutzbereich als der vom Normprogramm bestimmte Ausschnitt der Wirklichkeit, begründet daher die rechtliche Normativität mit252. Als Konsequenz werden Rechtsnormen von der Wirklichkeit mitgeformt und dabei regelmäßig auch verformt, so daß eine absolute Trennung der Norm von der Wirklichkeit nicht möglich ist. In weiterer Folge des Zusammenhangs zwischen Wirklichkeit und Rechtsanwendung ist letztere nicht an das gebunden, was mit einem Gesetz im Zeitpunkt seines Erlasses gemeint war253. Bei Anwendung des Grundge247
Hesse, Rdnr. 3, 46, 68. Siehe nur Isensee, NJW 1977, 545 (551), der „Zeitgeist-Konformismus“ verhindert sehen will; Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2106); skeptisch zu einer Überbetonung der Wandelbarkeit des Verfassungsinhalts auch Schenke, AöR 103 (1978), 566 (587 f.). 249 Bleckmann, S. 80; Schenke, AöR 103 (1978), 566 (588). 250 So aber die Kritik von A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (95 f., 104); ebenso M. Blankenagel, S. 89, 110. 251 Stein, S. 10. 252 F. Müller, Rechtslehre, S. 168 ff., 184 ff.; ebenso Höfling, S. 189, dort speziell zum Wissenschaftsbegriff auf S. 81; Pieroth, S. 9, 25; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 163; Stein, S. 6; zustimmend auch Kleindiek, S. 204 f., der diesen Ansatz indes weder weiter verfolgt, noch in Erwägung zieht, die Industrieforschung könne deswegen unter Art. 5 Abs. 3 GG subsumiert werden. 253 Bleckmann, S. 75; Hailbronner, S. 31. 248
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setzes dürfen – jenseits einer förmlichen Verfassungsänderung – die Entwicklungen in den Jahrzehnten seit seinem Inkrafttreten nicht vernachlässigt werden254. Anders als gegen die Offenheit der Verfassung für gesellschaftliche Wandlungsprozesse eingewandt wird, würde das Verfassungsrecht gerade dann seine Steuerungswirkung verlieren, würde man diese Entwicklungen vernachlässigen255. Gleichwohl ist eine derartige Änderung des Verständnisses von Verfassungsbestimmungen nicht unbegrenzt möglich. Dessen Grenze wird – wie insgesamt bei der Auslegung von Normen – gebildet durch die Grenze der Sinnvarianten des Wortlauts256. Auch das Bundesverfassungsgericht nimmt weitgehend zustimmend Stellung zur Zulässigkeit einer durch gesellschaftliche Veränderungen beeinflußten Verfassungsinterpretation. Zwar äußert es in einer Entscheidung, gesellschaftspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen könnten Grundentscheidungen der Verfassung nicht überwinden257, jedoch berührt diese Aussage nicht die hier untersuchte Zulässigkeit der Änderung der Verfassungsinterpretation. Diese beruht nicht auf der Erwägung, eine Verfassungsnorm sei unzweckmäßig. Vielmehr geht es bei ihr um die Frage, welche Bedeutung die Grundrechte im heutigen sozialen Leben haben258. In anderen Entscheidungen tritt das Bundesverfassungsgericht demnach folgerichtig für die Möglichkeit einer sich wandelnden Verfassungsinterpretation ein. Zu einer staatsorganisationsrechtlichen Frage hat es entschieden, die Einordnung eines Sachverhalts unter einen Rechtsbegriff könne nur richtig vollzogen werden aufgrund einer Anschauung der tatsächlichen Verhältnisse und des politischen Zusammenhangs, in dem er stehe259. In der „Soraya“-Entscheidung äußerte es sich dahingehend, eine Norm stehe ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken solle, ihr Inhalt könne und müsse sich unter Umständen mit ihnen wandeln260. Relevant ist auch, daß das Bundesverfassungsgericht einen Bedeutungswandel einer Verfassungsbestimmung für möglich hält, „wenn neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatsachen durch ihre Einordnung in den Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen“261.
254 Höfling, S. 189; Ipsen, S. 20; Rollmann, S. 27 mit Blick auf die Hochschulforschung; Schenke, AöR 103 (1978), 566 (585); Stein, S. 10. 255 Höfling, S. 187; Pieroth, S. 24. 256 Pieroth, S. 26; Schenke, AöR 103 (1978), 566 (585). 257 BVerfGE 39, 1 (67). 258 BVerfGE 7, 377 (408 f.). 259 BVerfGE 3, 58 (85), Hervorhebung nicht im Original. 260 BVerfGE 34, 269 (288). 261 BVerfGE 27, 360 ff.
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Vor allem die Grundrechte sind durch eine besondere Weite, Vagheit oder Offenheit des Wortlauts ausgezeichnet und einer sich ändernden Auslegung intensiver zugänglich als andere Verfassungsbestimmungen262. Diese Offenheit nutzend, hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Vergangenheit in weitem Umfang Grundrechtsschutz über die bis dahin gezogenen Grenzen gewährleistet. So werden heute unter den Begriff „Presse“ in Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. GG, anders als früher, neben Druckerzeugnissen auch Ton- und Bildträger subsumiert263. Bei der Religionsfreiheit nimmt man keine Beschränkung mehr auf „heutige Kulturvölker“264 vor. Am weitgehendsten und aussagekräftigsten im Hinblick auf die Offenheit der Verfassung für gesellschaftliche Entwicklungen ist die verfassungsrechtliche Ableitung des früher nur zivilrechtlich entwickelten allgemeinen Persönlichkeitsrechts als unbenanntes Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG. Der Umfang des Schutzes liegt dabei in der engeren persönlichen Lebenssphäre und der Erhaltung ihrer Grundbedingungen265. Von besonderer Reichweite in der modernen technologisierten Gesellschaft ist das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung266. Auch der Schutz der persönlichen Ehre und das Recht am eigenen Bild geht auf Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zurück267. Angesichts der weit in den Persönlichkeitsbereich von Prominenten vorstoßenden Presseberichterstattung und den sich daraus ergebenden Forderungen von Schmerzensgeld prägt diese Einzelgewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die aktuelle zivilrechtliche Rechtsprechung. Motiv für die richterrechtliche Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts war die Erkenntnis, daß die traditionellen Grundrechtsgewährleistungen nicht als ausreichend für die modernen Entwicklungen und den mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Persönlichkeitsschutz angesehen wurden268. Die sich in diesen Fällen zeigende Offenheit der Grundrechtsinterpretation muß auch bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 3 GG angewandt werden. Ohne die Entfaltung eines Programms aus den Grundrechten, orientiert an den modernen Entwicklungen, würde die Verfassung Gefahr laufen, ihren Anspruch auf Vorgabe eines Rahmens zu verlieren, der für jedes menschliche Verhalten einen adäquaten Schutz vorsieht. Die Beurteilung 262 Böckenförde, NJW 1974, 1529; Höfling, S. 47 f.; ders., Jura 1994, 169; Ossenbühl, NJW 1974, 2100 (2105); Pieroth, S. 25. 263 Sachs, Grundrechte, S. 302. 264 So noch BVerfGE 24, 236 (246). 265 Vor allem BVerfGE 54, 148 (153). 266 Seit BVerfGE 61, 1 ff. 267 BVerfGE 34, 238 (246); 54, 148 (154); 54, 208 (217). 268 So ausdrücklich BVerfGE 54, 148 (153 f.).
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der Adäquanz ist dabei nicht etwa Zweckmäßigkeitsüberlegungen des Rechtsanwenders überantwortet. Insofern ist der kritischen Aussage des Bundesverfassungsgerichts269 zuzustimmen. Für die Bestimmung der Grenzen muß vielmehr ein rechtlicher Maßstab angelegt werden. Dieser ergibt sich aus der Verfassung selbst. Der Sorge, daß der größte Teil der in der modernen Gesellschaft betriebenen Erkenntnissuche wegen ihrer wirtschaftlichen Orientierung nicht mehr dem Schutzbereich zugeordnet werden könnte, muß nur deswegen Rechnung getragen werden, weil der Verfassung das Ziel der Ermöglichung der größtmöglichen Freiheit innewohnt. Diese Ausrichtung des Grundgesetzes wird insbesondere durch die sogenannte liberale Grundrechtstheorie beschrieben. Von Böckenförde erstmals in verschiedene Kategorien eingeteilt270, werden die unterschiedlichen Grundrechtsinhalte heute überwiegend nach ihren Funktionsgehalten geordnet271. Unabhängig davon, ob man überhaupt einen die Grundrechtsinterpretation überwölbenden und leitenden Grundsatz, der sich in den Kernaussagen einer der Theorien widerspiegeln könnte, für notwendig und zulässig erachtet, ergibt sich insgesamt gleichwohl eine Offenheit der Verfassung für Änderungen der gesellschaftlichen Situation. Die Bedenken, die gegen die Herausbildung von Grundrechtstheorien vorgetragen werden, nämlich die Gefahr von Zirkelschlüssen und des Ziels der Umsetzung vorgeprägter Meinungen272, haben vieles für sich. Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand kann es aber offen gelassen werden, ob wegen der „Multifunktionalität“ der Grundrechte eine wie auch immer gelagerte Kombination der Theorien273 nötig ist. Alle dort genannten Ansatzpunkte werden nämlich durch eine gemeinsame Zielvorstellung vereint. Allen aus der liberalen Grundrechtstheorie weiterentwickelten Theorien ist gemeinsam, daß sie den aus ihr abgeleiteten Schutz für unzulänglich halten und diesen um weitere Aspekte ergänzen wollen274. Daß dabei Ausgangspunkt der abwehrrechtlich-individuelle Schutz ist275, kann schon allein deswegen kaum bestritten werden, weil Freiheit als dem staatlichen Zugriff voraus liegend276 angesehen wird. Der von Kleindiek gegen ein aus vorstaatlicher Freiheit rührendes 269
BVerfGE 39, 1 (67). Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 ff.). 271 Siehe nur Stern, HStR V, Rdnr. 27 ff. 272 Stern, HStR V, Rdnr. 25. 273 Für eine Kombination Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 69; ders, Grundrechte, S. 33; Stern, III/2, S. 1689 f., 1692 f.; ähnlich Brugger, JZ 1987, 633 (634 f.); Häberle, JZ 1989, 913 (916). Für einen Verbindlichkeitsanspruch der auf einem formalen Freiheitsbegriff aufbauenden Grundrechtstheorie Höfling, S. 71 ff. 274 Brugger, JZ 1987, 633 (634). 275 Deutlich Häberle, JZ 1989, 913 (918). 276 Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1537); Höfling, S. 65; Ossenbühl, NJW 1974, 2100 (2101). 270
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Recht des Einzelnen in Stellung gebrachte Charakter von Art. 5 Abs. 3 GG als Organisationsgrundrecht ändert daran nichts. Seine Prämisse, die als Frage wohl schon 1992 von Häberle aufgeworfen worden ist277, freie Wissenschaft sei ohne staatliches Handeln und insbesondere finanzielle Förderung nicht möglich278 und deswegen komme es Art. 5 Abs. 3 GG in erster Linie darauf an, durch die Erteilung eines staatlichen Organisationsauftrags279 zur Bildung und Sicherung eines organisatorischen Rahmens die Bedingungen freier Erkenntnissuche erst zu schaffen, ist fragwürdig280. Auch wenn die Formulierung des Art. 5 Abs. 3 GG anders als beispielsweise jene von Art. 10 Verf. Hessen281 nicht ausdrücklich auf eine abwehrrechtliche Zielrichtung hindeutet, legt die Finanzabhängigkeit der modernen Forschung nicht die Notwendigkeit nahe, im Grundrecht nur einen Organisationsauftrag an den Staat zu sehen. Die Ausführungen zur Industrieforschung haben gerade belegt, daß es Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG auch außerhalb von staatlichen Hochschulen gibt und das im Vergleich zu jener in zahlenmäßig großem Umfang. Freie Forschung kann eben nicht nur dadurch gewährleistet werden, daß der Staat zur Bereitstellung und Sicherung eines finanziellen und organisatorischen Rahmens verpflichtet wird. Diese Bedingungen werden durch die private Industrieforschung vielmehr selbst geschaffen. Art. 5 Abs. 3 GG macht also keineswegs nur dann Sinn, wenn er den Staat verpflichtet, in den von ihm eingerichteten Hochschulen entsprechende Bedingungen zu schaffen. Das Grundrecht erfüllt seine Aufgabe auch dann, wenn es staatliche Beeinträchtigungen privater Forschung abwehrt. Der Grundsatz „in dubio pro libertate“, hier konkretisiert durch „in dubio pro scientia“282, ist als Kernaussage des Grundgesetzes283 leiten277
Häberle, S. 409. Kleindiek, S. 206, 240, auf S. 236 f. zieht er die Rundfunkfreiheit als Vergleich heran. Wohl ebenso Lux, S. 38. 279 Kleindiek, S. 239 ff., jedoch auf die Entfaltung individueller Freiheit ausgerichtet (S. 259). 280 In ähnlicher Weise wendet sich auch Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (167) dagegen, der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension über eine Unterstützung des „abwehrrechtlichen Grundrechtskerns“ hinaus eine Bedeutung zukommen zu lassen. Das gelte auch dann, wenn das Freiheitsrecht ohne die letztere in der „Rechtswirklichkeit“ Gefahr laufe, „notleidend zu werden“. 281 Art. 10 Verf. Hessen lautet: „Niemand darf in seinem wissenschaftlichen oder künstlerischen Schaffen und in der Verbreitung seiner Werke gehindert werden.“ 282 BVerwGE 102, 304 (311 f.) mit einer Vermutung zugunsten der Wissenschaftlichkeit bei dem Vorwurf eines Fehlverhaltens; A. Blankenagel, AöR 105 (1980), 35 (71); R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (472); eine solche Zweifelsfallregelung ohne Begründung ablehnend Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 90. 283 Kritisch ablehnend gegenüber eines „in dubio pro libertate“-Grundsatzes u. a. von Münch, in: ders./Kunig, Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 51; Stern, I, S. 133 f.; ders., III/ 2, S. 1653 f. Im Ergebnis ändert diese Kritik an dem hier vertretenen Ansatz jedoch 278
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der Gedanke für die an dem Wandel der gesellschaftlichen Realität orientierte Auslegung. Folgerichtig äußert Karpen Skepsis an der Konstruktion von Kleindiek und sieht in ihr einen „Abschied vom liberalen Grundrechtsverständnis“284. Es kann somit festgehalten werden, daß die Annahme, das Grundgesetz richte sich auf die Verwirklichung der größtmöglichen Freiheit, gerade nicht durch die Herausbildung unterschiedlicher Grundrechtstheorien in Frage gestellt wird. Im Gegenteil wird diese Annahme belegt durch die von der Theoriebildung angestoßene Schutzerweiterung beispielsweise in leistungsrechtlicher Hinsicht. Aus der Orientierung des Grundgesetzes auf die Maximierung der Freiheit kann geschlossen werden, daß es Schutz auch gegen heutige Gefahren ermöglichen muß285. Die Notwendigkeit, das jedenfalls graduell gewandelte Erscheinungsbild von Forschung und Wissenschaft bei der Auslegung des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG zu berücksichtigen, findet ihren Grund außerdem in dem Wesen von Wissenschaft und Forschung selbst. Das intensive Betreiben der Wissenschaften hat zu permanent zunehmenden Kenntnissen geführt. Deren Anwendung in der Praxis wiederum hatte eine Ausweitung der Technisierung zur Folge. Konsequenz davon ist das Aufwerfen weiterer wissenschaftlicher Fragen. Es findet ein gegenseitiges „Aufschaukeln“286 statt: Forschung schafft Voraussetzungen, und die Industrie produziert in verbesserter Form Geräte für die Forschung, mit deren Hilfe dann wieder neue, verbesserte Forschungsergebnisse erzielt werden, die wiederum neue Forschungsgeräte entstehen lassen287. Die Privilegierung von technisch verwertbarer Forschung im Hinblick auf den Urheberrechtsschutz durch das Patentrecht288 hat diese Entwicklung sicherlich begünstigt. Eine positive Rückkoppelung zwischen Entwicklung und Anwendungsorientierung hat auch unter einem zweiten Gesichtspunkt stattgefunden. Mit den voranschreitenden Möglichkeiten moderner Forschung, in bisher unbenichts, da der Grundsatz der größtmöglichen Grundrechtseffektivität (BVerfGE 39, 1 [38]; 57, 70 [99]; 59, 231 [265]; von Münch, in: ders./Kunig, Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 51) die Grundrechtsinterpretation in die gleiche Richtung lenkt. 284 Karpen, JZ 1999, 613. Ähnlich äußert sich Faller, WRP 1983, 1029 (1033) zu einer Überbetonung des Institutionellen bei der Rundfunkfreiheit, die er als „einen Schritt zurück“ bezeichnet. 285 Bleckmann, S. 92; speziell zu Art. 5 Abs. 3 GG im Ergebnis Hailbronner, S. 31. 286 Eine „wechselseitige Durchdringung“ von Wissenschaft und Technik in der Phase der Industrialisierung sieht Kleindiek, S. 88. 287 Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, S. 13, 26; Wolters, S. 200. 288 Nach § 1 PatentG ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Schutzes als Patent, daß es sich um eine technische Erfindung handelt.
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kannte Grenzbereiche vorzustoßen, ist eine Zunahme der Risiken verbunden. Höhere Risiken für Mensch und Natur folgen auch aus der Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der technischen Praxis289. Um diese Risiken zu beseitigen, zu minimieren oder besser beherrschen zu können, konzentriert sich die moderne Forschung besonders auf die Lösung der verschärften existentiellen Probleme290. Da insgesamt das Fortschreiten der traditionellen Wissenschaft die Ausformungen der modernen Industrieforschung erst möglich machte, bedeutete, sie nicht dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit zuzuordnen, etwas zu trennen, was aus genetischer Sicht eng zusammenliegt. (3) Zwischenergebnis Die gesellschaftliche Realität wirkt über die gewandelte Verfassungsinterpretation beeinflussend auf die Bestimmung des Schutzumfanges der Forschungsfreiheit. Danach wird die moderne Ausformung der Forschung im Gewand der an wirtschaftlicher Verwertung orientierten Industrieforschung von der Forschungsfreiheit erfaßt. Die Verschiebung der institutionellen Bedeutung von der universitären hin zur industriellen Forschung einerseits und die Steigerung des Grades der Ausrichtung an externen Faktoren innerhalb der Industrieforschung andererseits, hindern mit Blick auf die Gewährung eines größtmöglichen Freiheitsraumes nicht an der Subsumtion der Industrieforschung unter den Schutzbereich der Forschungsfreiheit. b) Systematische Auslegung: Kein allgemeiner Grundsatz des Ausschlusses der Anwendbarkeit eines tatbestandlich erfüllten Grundrechts wegen mit seiner Ausübung bezweckter Gewinnerzielung Die Untersuchung der systematischen Zusammenhänge291 der Verfassung fördert keinen allgemeinen Grundsatz dergestalt zu Tage, daß ein Verhalten, das den Tatbestand eines Grundrechts im übrigen erfüllt, nur deswegen im Ergebnis nicht in dessen Gewährleistungsbereich fällt, weil das Verhalten mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen wird. Das hier behandelte Problem der ökonomischen Zielsetzung taucht insbesondere auch bei anderen Grundrechten auf, wobei die Konstellation entsprechenden Verhaltens in der 289 Auf die „Gefahrenproduktion durch Wissenschaft“ weist ebenso Kleindiek, S. 134 f. hin. 290 Zu dieser Art des „Aufschaukelns“ Heldrich, S. 10. 291 Die historische Betrachtung von Art. 142 WRV (dazu Kleindiek, S. 152 ff.) soll hier unberücksichtigt bleiben, weil an anderer Stelle (siehe Kleindiek, S. 159 ff.) bereits nachgewiesen wurde, daß sie keine klaren Vorgaben für die Lösung des vorliegenden Problems liefert.
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verfassungsrechtlichen Dogmatik nicht bei jedem Grundrecht mit der gleichen Intensität diskutiert wird. Bei manchen Grundrechten äußern sich Rechtsprechung und Schrifttum kaum zu dieser Frage, bei manchen ausführlicher. Nicht erörtert werden im folgenden Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), die als „Wirtschaftsgrundrechte“292 unbestritten wirtschaftlich motiviertes Verhalten und vermögenswerte Rechte schützen. Auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die als Auffanggrundrecht jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf schützt, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt293, bleibt außen vor. Insgesamt lassen die Ergebnisse der systematischen Auslegung die Frage des Schutzes von mit wirtschaftlicher Motivation vorgenommener Grundrechtsausübung teilweise offen (unten aa), bb)). Teilweise sprechen sie gegen eine Unbeachtlichkeit (unten cc), dd)), überwiegend jedoch dafür (unten ee)–pp)). aa) Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 und 2 GG) Die besondere Grundrechtsbegrenzung der Lehrfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG, kann nicht als Argument gegen den Schutz der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Forschung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG angeführt werden. Diese besondere Begrenzung der Lehrfreiheit verlangt vom Lehrenden die Treue zur Verfassung. Wenn Satz 2 sich nur auf die universitäre Lehre bezieht, dann, so könnte man unzulässig auf Satz 1 rückschließen, umfasse dieser ebenfalls nur universitäre Forschung. Indes geht dieser Schluß aus zwei Gründen fehl. Zum einen kann gerade die Tatsache, daß Satz 2 ausdrücklich nur die Lehre betrifft, Wissenschaft und Forschung als die beiden anderen in Satz 1 genannten Bereiche aber unberührt läßt, den unterschiedlichen Regelungsgehalt beider Sätze belegen. Mit anderen Worten: Die von der Verfassung getroffene Differenzierung kann genauso gut bedeuten, daß eben nur die universitäre Lehre einer besonderen Einschränkung unterliegen soll und Wissenschaft bzw. Forschung sowohl in universitärer als auch in außeruniversitärer Form davon unabhängig zu beurteilen sind. Zum anderen spricht gegen die Heranziehung der Treueklausel als Indiz für die Begrenzung des Schutzes auf die universitäre Forschung, daß es auch außerhalb der Universitäten und Hochschulen wissenschaftliche Lehre gibt294. Diese liegt schwerpunktmäßig im Bereich der Graduiertenausbildung. Insgesamt bleibt es nach der Betrachtung von Art. 5 292
Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 9, 32; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnrn. 6 f.,
21 ff. 293
BVerfGE 6, 32 (36 ff.); 54, 143 (146); 80, 137 (152).
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Abs. 3 S. 2 GG offen, ob die Forschungsfreiheit organisatorisch auf die Hochschule verengt ist und Industrieforschung als Paradigma für mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebener Forschung erfaßt. bb) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat das Bundesverfassungsgericht in einer seiner jüngeren Entscheidungen zum Persönlichkeitsschutz bei Prominenten Stellung zu der Frage genommen, inwieweit das Grundrecht in solchen Fällen anwendbar ist, in denen jemand Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt. Nach Auffassung des Gerichts kann der Grundrechtsträger zwar private Bereiche der Öffentlichkeit gegenüber öffnen, in diesen Fällen könne er aber nicht gleichzeitig den öffentlichkeitsabgewandten Persönlichkeitsschutz in Anspruch nehmen295. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei nicht im Interesse einer „Kommerzialisierung“ der eigenen Person gewährleistet. Auch wenn diese Entscheidung dem ersten Anschein nach deutliche Parallelen zum hier untersuchten Fall der „kommerzialisierten Forschung“ aufweist – die wirtschaftlich motivierte Erkenntnissuche müßte ebenso behandelt werden wie der aus wirtschaftlichen Gründen in Anspruch genommene Persönlichkeitsschutz –, so ergibt sich die vom Bundesverfassungsgericht gewählte Argumentation doch gerade aus der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes heraus. Informationen, die sich auf die „engere persönliche Lebenssphäre“, also die Privatsphäre des Grundrechtsträgers beziehen, dürfen ohne dessen Zustimmung grundsätzlich nicht ohne weiteres der Öffentlichkeit preisgegeben werden296. Insbesondere schützt Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG die Verfügungsgewalt über öffentliche Darstellungen der eigenen Person297. Der Schutzbereich des Grundrechts schließt also bereits per definitionem solches Verhalten aus, das Privates nicht nach außen abschirmt, sondern gerade nach außen trägt. Derjenige, der seine Privatsphäre offensiv nach außen darstellt und sich zu diesem Zweck der Medien bedient, kann für dieses Verhalten begriffsnotwendig nicht den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Anspruch nehmen. Diese Erwägungen offenbaren zugleich, daß nicht originär der Aspekt der Kommerzialisierung tragender Grund für die verfassungsgerichtliche Entscheidung ge294 Dickert, S. 303; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 156; ders., WissR 25 (1992), 124 (131). 295 BVerfGE 101, 361 (385). 296 BVerfGE 54, 148 (153). 297 BVerfGE 35, 202 (220).
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wesen ist. Der Umstand, daß mit dem Abschluß von Exklusiv-Vermarktungsverträgen eine wirtschaftliche Verwertung der Privatsphäre erfolgt, ist im Vergleich zu dem Umstand, daß überhaupt eine öffentliche Zurschaustellung stattfindet, eher nachrangig. Die zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht diskutierte Konstellation kann danach nicht zur Begründung eines allgemeinen Grundsatzes des Inhaltes herangezogen werden, daß wirtschaftliche Motive bei der Ausübung grundrechtlich geschützter Tätigkeit zu einer geringeren Schutzbedürftigkeit führten, für die allein Schutz durch die Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG in Betracht käme. Allerdings läßt sich der Einfluß der grundrechtlichen Dogmatik zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf das Zivilrecht unter einem anderen Gesichtspunkt als Beleg dafür nennen, daß der grundrechtliche Schutz dem Satz „pecunia non olet“ folgt. Soweit eine Genugtuung für eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das als sonstiges Schutzgut i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird298, durch Unterlassung, Gegendarstellung oder Widerruf nicht zu erreichen ist, sieht das Bundesverfassungsgericht die Gewährung einer Geldentschädigung als Folge des Schutzauftrages der Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG299. Wenn also davon ausgegangen wird, daß der in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrechts Verletzte Genugtuung gerade durch eine Geldentschädigung erhalten soll, kann umgekehrt die Ausübung der grundrechtlichen Freiheit nicht per se als kapitalfern bewertet werden. Mit anderen Worten können sich allgemeines Persönlichkeitsrecht und ökonomische Aspekte im weitesten Sinne nicht unvereinbar gegenüberstehen. Möglicherweise bestätigt ein weiterer Blick auf das Zivilrecht das zuletzt genannte Resultat. Soweit nämlich in der Rechtsprechung juristischen Personen des Privatrechts ein „wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht“ gewährt wird300, könnte das ebenfalls dafür sprechen, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht ohne eine Beschränkung auf nicht kommerzielle Tätigkeit gewährleistet ist. Insbesondere die Verfremdung von Marken und Kennzeichen wird als Beeinträchtigung des mit dem Namensrecht bei natürlichen Personen korrespondierenden Firmenrechts der Unternehmen angesehen301. Im Ergebnis dürfte aber nicht ganz klar sein, ob ein solches „wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht“ dem Schutz des verfassungsrechtlichen allgemei298
Thomas, in: Palandt, § 823 Rdnr. 176 Zuletzt etwa BVerfG, NJW 2000, 2187; vorher BVerfGE 34, 269 (288 ff.); auch BGH, NJW 2000, 2195 (2197). 300 Z. B. BGH, NJW 1975, 1882 (1884); OLG Frankfurt/Main, OLGZ 1984 114 (115); ebenso Thomas, in: Palandt, § 823 Rdnr. 181; Timm, S. 384 ff. 301 Timm, S. 384. 299
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nen Persönlichkeitsrechts unterfällt oder ob es nicht vielmehr jenseits des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eigenständiges wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht von Art. 14 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 GG geschützt wird302. Dafür, daß das Firmenrecht nicht durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt wird, spricht, daß diesem Firmenrecht die Zusammenhänge zum Menschenwürdegehalt fehlen. cc) Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) Im Bereich der Religionsfreiheit ist die Behandlung von wirtschaftlich orientierten Handlungen von Religionsgemeinschaften aussagekräftiges Parallelproblem. Im Kontext der wirtschaftlichen Betätigungen von Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften, von denen im folgenden stellvertretend nur die erstere genannt wird, werden zwei Komplexe unterschieden. An erster Stelle geht es um die generelle Einordnung von solchen Vereinigungen als Religionsgemeinschaft, die durch oder neben ihrer ideellen Tätigkeit wirtschaftliche Ziele verfolgen (unten (1)). An zweiter Stelle steht dann die Frage, ob den konkreten wirtschaftlichen Handlungen von Religionsgemeinschaften Grundrechtsschutz durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zukommt (unten (2)). (1) Qualifizierung von Vereinigungen mit wirtschaftlicher Tätigkeit als Religionsgemeinschaft Überwiegend wird zum ersten Komplex eine differenzierte Betrachtung vorgenommen: Nicht jeder wirtschaftliche Bezug von religiös-weltanschaulicher Tätigkeit einer Vereinigung soll verhindern, daß die Vereinigung als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft qualifiziert werden kann. Unterschiedlich beurteilt wird indes der Grad, ab dem wirtschaftliche die religiöse Tätigkeit verdrängt. Hierzu sind insbesondere in der Rechtsprechung unterschiedliche Kriterien entwickelt worden. In der sogenannten „Rumpelkammer“-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht das Selbstverständnis der Katholischen und Evangelischen Kirche herangezogen, um zu begründen, daß die Entfaltung und Wirksamkeit der Glaubensauffassung in der Welt auch die Durchführung solcher Tätigkeiten erfasse, die anderweitig erwerbsmäßig wahrgenommen würden303.
302 Dafür BVerfGE 51, 193 (216 ff.), dort zum Schutz von Warenzeichen durch Art. 14 GG; wohl ebenso Thomas, in: Palandt, § 823 Rdnr. 181, der das wirtschaftliche Persönlichkeitsrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, zuordnet. Unklar insoweit Timm, S. 384 ff., der nur von „APR“ spricht.
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In einer späteren Entscheidung erklärte das Gericht das äußere Erscheinungsbild zum maßgeblichen Kriterium für die Qualifizierung als Religions- bzw. Weltschauungsgemeinschaft304. Danach ist die Art des Auftretens der Gemeinschaft im tatsächlichen und rechtlichen Verkehr ausschlaggebendes Unterscheidungsmerkmal für die Einordnung. Unter dem Hinweis, auch Religionsgemeinschaften könnten die Organisationsformen wirtschaftlicher Unternehmen annehmen („Unternehmen Kirche“), wird das Abstellen auf das äußere Erscheinungsbild jedoch für ungeeignet gehalten305. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in einer Entscheidung auf den Schwerpunkt der wahrgenommenen Tätigkeiten gestützt. Solange dieser nicht im wirtschaftlichen Bereich liege, entfalle nicht der Charakter als Religionsgemeinschaft306. Dagegen hat es in neuerer Zeit die Privilegierung als Religionsgemeinschaft nur dann verneint, wenn es die religiöse Betätigung ausschließlich als Mittel zum Zweck der Erreichung wirtschaftlicher, außerreligiöser Ziele gesehen hat307. Als Ergebnis dieses ersten Komplexes läßt sich also festhalten, daß wirtschaftliche Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft ihr nicht per se den rechtlich privilegierenden Status nimmt. In welchem Verhältnis die wirtschaftliche zur religiösen Tätigkeit stehen muß – insbesondere, welche Intensität die erstgenannte annehmen haben darf, damit die Vereinigung insgesamt ihren Status als Religionsgemeinschaft nicht verliert, wird dagegen unterschiedlich beurteilt. (2) Grundrechtsschutz der konkreten wirtschaftlichen Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft Im Rahmen des zweiten Komplexes stellt sich die im hier interessierenden Zusammenhang bedeutendere Frage, ob die konkrete Verhaltensweise einer Religionsgemeinschaft oder auch die eines einzelnen Gläubigen unter 303 BVerfGE 24, 236 (248); zustimmend Muckel, in: Friauf/Höfling, Art. 4 Rdnr. 11; Starosta, S. 66 f. 304 BVerfGE 83, 341 (353); ebenso BAGE 79, 319 (347); zustimmend u. a. Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 4 Rdnr. 15; Morlok, in: Dreier, Art. 4 Rdnr. 46. 305 Brauser-Jung, S. 223. 306 BVerwGE 61, 152 (160 f.); ebenso Brauser-Jung, S. 221 ff., 224; von Campenhausen, HStR VI, Rdnr. 73; Kokott, in: Sachs, Art. 4 Rdnr. 8; Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 4 Rdnr. 15. 307 BVerwGE 90, 112 (118), damit weniger restriktiv als BVerwGE 61, 152 (160 f.); VG Darmstadt, NJW 1979, 1056 (1057); Muckel, in: Friauf/Höfling, Art. 4 Rdnr. 11; in diese Richtung schon Starosta, S. 43 f. mit dem undifferenzierten Hinweis auf „effektiven Grundrechtsschutz“. Kritisch zu diesem Ansatz Brauser-Jung, S. 218 f., 225.
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Art. 4 Abs. 1, 2 GG subsumiert werden kann, wenn diese Verhaltensweise wirtschaftlichen Bezug hat. Restriktiv ist die überwiegende Auffassung zur Einordnung von rein wirtschaftlichen Tätigkeiten von Religionsgemeinschaften. Diese sollen selbst dann nicht unter Art. 4 Abs. 1 und 2 GG fallen, wenn ihr Erlös religiösen Zwecken zugute kommt308. Seltener wird wirtschaftlichem Einfluß eine Verdrängungswirkung auf die Religionsfreiheit abgesprochen, solange nur religiöse Motive die Triebfeder sind309. So will insbesondere Starosta für solche wirtschaftlichen Tätigkeiten einen Schutz durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG annehmen, die in engem Zusammenhang mit der Religionsausübung stehen310. Es handelt sich dabei in der Regel um zur Religionsausübung (vermeintlich) indifferente Handlungen wie den Verkauf von Getränken oder die Vermietung von Unterkünften311. Die Qualifizierung solcher Handlungen als indifferent kann deshalb angezweifelt werden, weil es durchaus diskussionswürdig ist, einen engen Zusammenhang zwischen ihnen und der karitativen Tätigkeit herzustellen. Die einen derartigen Zusammenhang bejahende Ansicht wird eher zurückhaltend vertreten. Brauser-Jung erwähnt jedoch, daß die meisten derartigen Handlungen mittelbar einen religiösen Zweck verfolgen312. Auch Morlok deutet vorsichtig diese Richtung an, indem er kein notwendiges Alternativverhältnis zwischen religiösen und wirtschaftlichen Aktivitäten sieht313. Allerdings handelt es sich bei den genannten Konstellationen nicht um solche, die zur Forschung mit Verwertungsabsicht parallel gelagert sind. Offen bleibt damit die Frage, wie es mit der grundrechtlichen Schutzintensität steht, wenn eine religiös-weltanschauliche Handlung (auch) zu wirtschaftlichen Zwecken vorgenommen wird. Nur diese Konstellation ist das Parallelproblem zur Industrieforschung, bei der die Erkenntnissuche (entspricht der religiösen Handlung) zur ökonomischen Verwertung ihres Produkts vorgenommen wird. Um vergleichbar mit dem Problem bei der Forschungsfreiheit zu sein, müßte ein ansonsten zugleich unter Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 308 BVerfGE 19, 129 (133); Brauser-Jung, S. 374; von Campenhausen, HStR VI, Rdnr. 72; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 4 Rdnr. 17; Kokott, in: Sachs, Art. 4 Rdnr. 39; Röben, S. 553; weniger restriktiv Muckel, in: Friauf/Höfling, Art. 4 Rdnr. 35, 11. 309 Morlok, in: Dreier, Art. 4 Rdnr. 43, 104; Starck, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 4 Abs. 1, 2 Rdnr. 50, 136; Starosta, S. 74, 81, 86; Stober, JuS 1980, 182 (186). Zweifel an der a. A. hat auch Rüfner, HStR V, Rdnr. 41. 310 Starosta, S. 70. 311 Siehe die genannten Beispiele bei Brauser-Jung, S. 357 ff.; auch BVerfGE 19, 129 (133); Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 4 Rdnr. 55. 312 Brauser-Jung, S. 113. 313 Morlok, in: Dreier, Art. 4 Rdnr. 104.
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subsumierbares Verhalten von einer Verwertungsabsicht geprägt sein. Zwar legt der oben zitierte Meinungsstand, der wirtschaftliche Tätigkeiten selbst dann nicht unter Art. 4 Abs. 1 und 2 GG subsumiert, wenn deren Ergebnis unmittelbar dem Wirken der Religionsgemeinschaft zugute kommt, einen Erst-Recht-Schluß nahe: Auch die mit Verwertungs- bzw. Erwerbsabsicht vorgenommenen rituellen Handlungen lägen danach außerhalb des Schutzbereiches. Indes kann man einen solchen Erst-Recht-Schluß gerade nicht vornehmen. Anders als in jenem Fall, wo der Bezug zwischen Religionsfreiheit und wirtschaftlicher Tätigkeit „nur“ darin besteht, daß deren Ergebnis der Glaubensausübung zugute kommt, liegt es im hier interessierenden Fall parallel zum Problem bei der Forschungsfreiheit. Dort stehen der wirtschaftliche und der religiöse Bereich eben nicht nur durch den von einer nichtreligiösen Tätigkeit ausgehenden Geldfluß verbunden nebeneinander („Geldverdienen zur Religionsausübung“), sondern sind dadurch verknüpft, daß ein religiöser Akt selbst die wirtschaftlichen Erfolge herbeiführt („Religionsausübung zum Geldverdienen“). Ein argumentum a maiore ad minus scheitert also daran, daß der hier diskutierte Fall ein Aliud, jedenfalls kein Minus zum in der Literatur beschriebenen ist. Im Bereich der Religionsfreiheit sind derartige Parallelsituationen praktisch schwer vorstellbar. Treffend wäre beispielsweise das – untypische – entgeltliche Anbieten von rituellen Handlungen mit Einnahmeziel. In Gottesdiensten durchgeführte Kollekten lassen sich nicht derartig qualifizieren: Dort erfolgt gerade keine Verwertung der Glaubenshandlungen. Die Gabe eines Opfers geschieht nicht als wirtschaftliche Gegenleistung für die Inanspruchnahme des Ritus. Nicht parallel gelagert ist ebenso der Fall, in denen an der Kirchentüre Bekenntnisschriften verkauft werden314. Auch der vom Bundesverfassungsgericht jüngst entschiedene Fall des Verbots von Tierschächtungen scheidet als Beispiel für mit Verwertungsabsicht vorgenommene rituelle Handlungen aus. Auch dort ist das von dem muslimischen Fleischer vorgenommene Schächten selber kein Akt der Religionsausübung315, so daß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht unmittelbar als Prüfungsgrundlage herangezogen werden konnten. An den Ausgangspunkt der Überlegungen läßt sich, jedenfalls für eine Religion, der (paradigmatische) Rückgriff auf entsprechende Passagen in der Heiligen Schrift der Christen stellen, der für die Unvereinbarkeit von Religiosität und Entlohnung bzw. Bezahlung für diese sprechen könnte. So läßt der Evangelist Johannes Jesus sprechen: „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“316. Noch deutlicher ist die vom Evangeli314 Zu diesem Fall Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Abs. 1,2 Rdnr. 136; Stober, JuS 1980, 182 (186). 315 BVerfG, NJW 2002, 663.
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sten Lukas dem Apostel Petrus zugeordnete Aussage: „Dein Geld fahre mit Dir ins Verderben, weil Du meintest, die Gabe Gottes für Geld zu erwerben“317. Unabhängig davon, daß die Bibelexegese allenfalls in beschränktem Umfang die Verfassungsauslegung leiten könnte, deutet sie zumindest ein Spannungsverhältnis zwischen Religiosität und deren Behandlung als Wirtschaftsgut an. So wird es teilweise abgelehnt, Religion als marktfähige Ware zu sehen. Eine wirtschaftliche Produktion von Glauben als höchstpersönlichem geistigen Prozeß sei nicht möglich318. Dagegen streitet weniger die allgemeine Darlegung, daß öffentlich veranstaltete Praktizierung von Religion und Weltanschauung als eine Art von Dienstleistung qualifiziert werden könne319. Die ausgeprägte karitative Betätigung insbesondere der katholischen und evangelischen Kirchen in Deutschland vor allem mit dem Betreiben von Krankenhäusern, Kindergärten und Altenheimen320 kann man als Religionsausübung qualifizieren, was spätestens seit der erwähnten „Rumpelkammer“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klar sein dürfte. Noch deutlicher als bei diesen Fällen tritt die Verwertungs- bzw. Erwerbsabsicht der Vornahme von religiösen Handlungen beim Blick auf neuartige Erscheinungsformen religiös-weltanschaulicher – teils sektenartiger – Gemeinschaften hervor. Insbesondere kostenpflichtige Angebote zur Lebensführungshilfe sind in Form von Kursen oder Seminaren recht zahlreich vorhanden321. Der Schutz solcher Handlungen durch die Religionsfreiheit wird in der Regel knapp diskutiert und beispielsweise vom Bundesarbeitsgericht in der „Scientology“-Entscheidung mit Hinweis auf die „Ungewöhnlichkeit“ der Kommerzialisierung abgelehnt322. Eine andere Ansicht sieht in den Werbungs- und Verkaufstätigkeiten eine enge Verbindung zur Religionsausübung und ordnet sie daher dem Schutzbereich der Religionsfreiheit zu323. An der Vergleichbarkeit mit dem Fall der mit Verwertungsabsicht betriebenen Forschung bestehen gleichwohl Zweifel. Es handelt sich bei den be316
Joh 2, 16. Apg 8, 20. 318 Röben, S. 549. 319 So OLG Düsseldorf, NJW 1983, 2574 (2575); Brauser-Jung, S. 53 ff., 64, 114, 118 mit Hinweisen zur Religionsökonomie. 320 Siehe die Übersicht bei Starosta, S. 9 ff., 15 ff. 321 Weitere Beispiele und Nachweise bei Brauser-Jung, S. 57, 197, 239; zu Scientology BAGE 79, 319 (342 f.; 345). 322 BAGE 79, 319 (337 ff., 342). Ablehnend auch; Brauser-Jung, S. 239; Röben, S. 553, der eine „religionsregelnde Tendenz“ der jeweils verfassungsrechtlich zu überprüfenden staatlichen Akte verlangt. 323 Starosta, S. 81 f. 317
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schriebenen Situationen gerade nicht um typische Glaubenshandlungen, die sich nur dadurch von den übrigen abheben, daß sie mit Verwertungsabsicht vorgenommen werden. Vielmehr dürfte die „Ungewöhnlichkeit“ bereits die Art und den Inhalt der Lebenshilfeangebote betreffen324 und damit nicht (nur) auf die Kommerzialisierung bezogen sein. Auch die verständliche Befürchtung vor einer „Feigenblatt“-Funktion der Religionsfreiheit ist wohl nicht völlig ohne Entscheidungsrelevanz325. Diese Skepsis daran, daß das Gewicht der wirtschaftlichen Ausrichtung (allein) maßgeblicher Umstand zur Restriktion des Schutzbereichs ist, kann man bestätigt sehen durch die Zuordnung der Erwerbstätigkeit von Geistlichen zur Religionsfreiheit mit dem Argument, die Erwerbsabsicht stehe zu sehr im Hintergrund326. Ein Unterschied zu den ebenfalls sowohl einnahme- als auch glaubensmäßigorientierten Handlungen wie beispielsweise Seminaren zur Lebenshilfe ist nur im Hinblick auf die Gewöhnlichkeit der beiden Orientierungen zu erkennen. Es ist daher nicht unzutreffend, wenn aus Neutralitätsgesichtspunkten davor gewarnt wird, die wirtschaftlichen Aktivitäten der christlichen Großkirchen anders zu bewerten als beispielsweise diejenigen der sogenannten neuen Jugendreligionen327. Möglicherweise leiteten die genannten Erwägungen auch die Gegenansicht, die religiöse Tätigkeiten, für die eine gewisse Art von Gegenleistung erbracht wird, beispielsweise durch die Zahlung von Kirchensteuern, Spenden oder Mitgliedsbeiträgen, nicht als wirtschaftliche Betätigung definiert und den Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1, 2 GG für eröffnet hält328. Ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht in der erwähnten „Rumpelkammer“Entscheidung, wird dabei entscheidend auf das Verständnis des „westeuropäischen Kultur- und Rechtskreises“ Bezug genommen, das solche Leistungen als unschädlich akzeptiere. Zusammenfassend führt die systematische Betrachtung der Religionsfreiheit zu folgendem Ergebnis: Es wird nur der Fall diskutiert, in dem wirtschaftliche Handlungen zu religiösen Zwecken vorgenommen werden. Überwiegend werden diese Konstellationen außerhalb des Schutzes der Religionsfreiheit angesiedelt. Da die genaue Parallelkonstellation zum hier un324 Die Bezeichnungen „Psychokult“ oder „Psychogruppen“ (Brauser-Jung, S. 41 f., 239) weisen eher auf die Mißbilligung des Inhalts hin. 325 Siehe nur die Begründung des Bundesarbeitsgerichts BAGE 79, 319 (330, 337). 326 Bachof, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, S. 170; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Abs. 1,2 Rdnr. 136. 327 Starosta, S. 62. 328 Von Ebner, GewArch. 1981, 118 (120); Kopp, GewArch. 1987, 209; ähnlich Brauser-Jung, S. 375 zu dem Fall, daß die Gegenleistung schwerpunktmäßig eher der Erfüllung der Bitte um eine Spende ähnele.
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tersuchten Fragenkreis bei der Forschungsfreiheit – zu wirtschaftlichen Zwecken vorgenommene Religionshandlungen – bisher nur für als sektenartig qualifizierte Gemeinschaften und für als untypisch empfundene Glaubenshandlungen beschrieben worden ist, kann aber durchaus angezweifelt werden, ob nicht statt der wirtschaftlichen Orientierung die letztgenannten Umstände entscheidungserheblich gewesen sind. dd) Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) Die systematische Betrachtung der Versammlungsfreiheit ist unter zwei Gesichtspunkten relevant. Zum einen ist zu untersuchen, ob der Schutzbereich des Art. 8 GG nur dann eröffnet ist, wenn die Versammlung bestimmte Inhalte, hier also insbesondere solche nicht wirtschaftlicher Art besitzt. Im Zusammenhang mit diesem ersten Aspekt ist auf den sogenannten engen und auf den sogenannten weiten Versammlungsbegriff einzugehen. Als ein zweiter Gesichtspunkt ist – nach der Feststellung, daß ein wirtschaftlicher Zweck der Versammlung nicht notwendig den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit verschließt – die weitergehende Frage von Bedeutung, ob die Teilnehmer von wirtschaftlich ausgerichteten Versammlungen gemeinsam einen Zweck verfolgen. (1) Keine Festlegung eines bestimmten Versammlungszweckes Hinsichtlich einer etwaigen inhaltlichen Beschränkung des Versammlungsbegriffs wird die Frage diskutiert, ob es der Qualifizierung einer Veranstaltung als Versammlung schadet, wenn die Teilnehmer im wesentlichen ihre eigenen, überwiegend wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Allerdings ist diese Frage in der einschlägigen Rechtsprechung bisher offengelassen worden. So hat insbesondere das OVG Berlin in einem Beschluß vom 30.11.2000 zu einer sogenannten „Weihnachtsparade“ die Versammlungsfreiheit für nicht auf eine solche Veranstaltung mit Verkaufscharakter anwendbar gehalten. Es begründet dies damit, daß es für eine Qualifizierung als Versammlung an der nötigen Verbindung der Teilnehmer zu einem gemeinsamen Zweck fehle329. Der gleichzeitig nach außen gezeigte karitative Zweck werde durch die eigenen kommerziellen Interessen überlagert. Gleichwohl erwähnt der Senat, nicht jedes kommerzielle Element einer Veranstaltung schade ihrem Versammlungscharakter330. Der Beschluß des OVG läßt allerdings nicht ganz klar erkennen, ob es konkret der wirtschaftliche Inhalt der Ziele ist, der dem Charakter als Versammlung hinderlich 329 330
OVG Berlin, NJW 2001, 1740. OVG Berlin, NJW 2001, 1740 (1741).
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sein soll. Andererseits könnte es dem Gericht auch allgemein auf die fehlende Gemeinsamkeit der Ziele, also des verbindenden Gemeinschaftswillens angekommen sein331. Eine intensivere Auseinandersetzung mit dieser Frage hat nicht stattgefunden. Auch nähere Begründungen, weshalb wirtschaftliche Motive die Qualifizierung einer Veranstaltung als Versammlung hindern sollen, werden nicht gegeben. Auch die sogenannte „Europa von unten“-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist in diesem Zusammenhang nur teilweise einschlägig. Der Entscheidung lag die Frage zugrunde, ob eine Gegenveranstaltung zur Verleihung des „Karlspreises“ in Aachen, die in der Form eines Festes durchgeführt wurde und auch gesellige (Musik) und kommerzielle (Imbißstände) Elemente enthielt, unter den Schutz der Versammlungsfreiheit falle. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage bejaht332. Die Entscheidung ist zum einen bereits deswegen nicht einschlägig, weil der ihr zugrunde liegende Fall davon gekennzeichnet ist, daß zu einer (unbestritten vorliegenden) Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform lediglich gesellige und kommerzielle Formen beigemischt wurden. Unklar bleibt damit weiterhin, wie die Konstellation zu beurteilen ist, in der Konsum oder Gewinnerzielungsabsicht die meinungsbildenden und -äußernden Komponenten überlagern oder sogar völlig verdrängen. Zum anderen kann die Analyse der Entscheidung keine Auskunft darüber geben, ob der Versammlungsbegriff allgemein Veranstaltungen mit wirtschaftlichem Charakter – unabhängig von dem Vorliegen der weiteren Merkmale des Grundrechtstatbestands – ausklammert. Das Gericht hat seine Entscheidung vielmehr darauf gestützt, daß die Teilnehmer der Veranstaltung durch die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks verbunden waren333. Dieser Aspekt ist jedoch noch separat zu untersuchen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Kammerbeschluß zur „Love-Parade“ und zur „Fuck-Parade“ keine Aussage dazu getroffen, ob der Versammlungsbegriff die Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke einschließt334, obwohl insbesondere die erstgenannte Veranstaltung von einer deutlichen Kommerzialisierung geprägt gewesen ist335. Angesichts dieses zunächst unergiebigen Ergebnisses der Analyse einschlägiger Judikate, bietet es sich an, den Blick von dem spezifischen Fall eines wirtschaftlichen Versammlungszweckes zu lösen und die Dogmatik zu 331
Kritisch dazu und zur Entscheidung insgesamt Sachs, JuS 2001, 1020 (1021). BVerwGE 82, 35 (39). 333 BVerwGE 82, 35 (39). 334 BVerfG (K), NJW 2001, 2459 (2460 f.). 335 Zu der deutlichen Kommerzialisierung der „Love-Parade“ Tschentscher, NVwZ 2001, 1243 (1245). 332
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der allgemeineren Frage zu betrachten, ob der Versammlungsbegriff nur Veranstaltungen erfaßt, die mit Blick auf die demokratiefunktionalen Aufgaben als besonders schutzwürdig erscheinen. Während der sogenannte weite Versammlungsbegriff, der das Zusammenfinden auch aus privaten Zwecken ausreichen läßt, bislang von der überwiegenden Auffassung vertreten wird336, wird neuerdings verstärkt gefordert, daß die Teilnehmer der Versammlung sich gerade zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten zusammenfinden müßten337. Veranlaßt durch das Auftreten der neuen Erscheinungsform von Musik-Events wie der „LoveParade“ und vergleichbaren Veranstaltungen, ist auch das Bundesverfassungsgericht in Richtung auf einen engen Versammlungsbegriff marschiert. Während es in seiner bisherigen Rechtsprechung für die Subsumtion unter den Versammlungsbegriff nur für erforderlich gehalten hat, daß die Veranstaltungen auf Kommunikation angelegt sind338, hat es in dem bereits erwähnten Kammerbeschluß zur „Love- und Fuck-Parade“ die Anforderungen höher geschraubt. Das Gericht formuliert, daß Ziel der Zusammenkunft der Personen die „Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung“ sein müsse339. Für die Eröffnung des Schutzbereiches reiche es nicht aus, „daß die Teilnehmer bei ihrem gemeinschaftlichen Verhalten durch irgendeinen Zweck miteinander verbunden“ seien340. Der Einsatz von Musik und Tanz sei als Mittel zur Einwirkung auf die öffentliche Meinung zwar von Art. 8 GG geschützt, jedoch reiche es zur Bejahung einer Versammlung nicht aus, daß Meinungskundgaben „bei Gelegenheit“ der Veranstaltung erfolgen wür336 BVerwGE 56, 63 (69 f.); 82, 34 (38 f.); OVG Weimar, NVwZ-RR 1998, 497 (498); OVG Münster, NVwZ-RR 1996, 360 f.; VGH München, BayVBl 1994, 600 f.; VGH Mannheim, VBlBW 1987, 300 f.; VG Frankfurt a. M., NJW 2001, 1741; Benda, in: Vogel/Dolzer/Graßhof, Art. 8 Rdnr. 27 f.; Burmeister/Huba, Jura 1989, 36 (37); Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 (242), die sich auf einen Vergleich zur Behandlung der „Scientology-Church“ in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützt; Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rdnr. 9, 12, 19; Eidenmüller, NJW 1991, 1439 (1442 f.); Geck, DVBl. 1980, 797 (799, 802); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 8 Rdnr. 51; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 8 Rdnr. 17; Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rdnr. 13 ff.; Kloepfer, HStR VI, Rdnr. 20, 23; Kunig, in: von Münch/ Kunig, Art. 8 Rdnr. 17; von Mutius, Jura 1988, 30 (35 f.); Pieroth/Schlink, Rdnr. 692; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 8 Rdnr. 14 f.; Wiefelspütz, DÖV 2001, 21, (22); offen gelassen von VGH Kassel, NJW 1994, 1750 f. 337 OVG Münster, NVwZ 2001, 1316; Laubinger/Repkewitz, VerwArch 92 (2001), 585 (621 f.); Tschentscher, NVwZ 2001, 1243 (1245 f.); aus der älteren Rechtsprechung BVerwGE 26, 235 (137); VGH München, BayVBl 1979, 629 f.; VG Mainz, NVwZ-RR 1991, 242 (243 f.). Im älteren Schrifttum auch schon Denninger, ZRP 1968, 42; Guradze, ZRP 1969, 6. 338 BVerfGE 69, 315 (342 f.); 84, 203 (209). 339 BVerfG (K), NJW 2001, 2459 (2460). 340 BVerfG (K), NJW 2001, 2459 (2460), Hervorhebung nicht im Original.
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den341. Die Kammer hat jedoch keine weiteren Ausführungen zu der Frage gemacht, welche Zweckverfolgung konkret noch dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfällt. Somit bleibt auch unklar, ob die Verfolgung kommerzieller Zwecke zur Bejahung ausreicht. In welchem Umfang die Aussage in der „Brokdorf“-Entscheidung, wonach Art. 8 Abs. 1 GG den Grundrechtsberechtigten das Selbstbestimmungsrecht über Art und Inhalt der Veranstaltung gewähre342, danach noch Bestand haben kann, bleibt offen. Die Folge der Anwendung des engen Versammlungsbegriffs wäre, daß zu kommerziellen Zwecken betriebene Veranstaltungen – weil nicht auf politische, öffentliche Angelegenheiten bezogen –, nicht dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfallen. Soweit die Anwendung des engen Versammlungsbegriffes u. a. mit einem systematischen Vergleich mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG begründet wird, wonach nicht angenommen werden könne, daß Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG eine Bundeskompetenz etwa für die Regelung von Kino- und Theaterveranstaltungen oder Familienfesten bedeute343, ist dieses Argument zweifelhaft. Die Kompetenz zur Regelung des Vereins- und Versammlungsrechts wird dem Bund doch gerade ohne Bezugnahme auf den Inhalt der Vereine oder Versammlungen zugesprochen. Weshalb außerdem nicht angenommen werden können soll, daß derartige Veranstaltungen der Regelungskompetenz des Bundesgesetzgebers unterfallen, ist auch im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz für das Vereinsrecht nicht einsichtig. Aus dem Umstand, daß der Bund zuständig ist, wird gleichfalls nicht geschlossen, daß nur die Verfolgung bestimmter Vereinsinhalte von Art. 9 Abs. 1 GG erfaßt wird344. Auch ob der Hinweis, die geschichtliche Entwicklung des Versammlungsrechts lege den Schluß nahe, daß Art. 8 GG ausschließlich die Freiheit der Meinungsbildung und der Meinungsbekundung durch kollektives Handeln vor staatlichen Eingriffen schützen solle345, geeignet ist, einen engen Versammlungsbegriff zu begründen, ist zweifelhaft. Zum einen wird zutreffend in Frage gestellt, ob der Versammlungsfreiheit aus historischer Sicht allein politische Funktionen beigelegt wurden346. Zum anderen müßte eine inhaltliche Festlegung des Versammlungsbegriffes an den Ergebnissen der 341
BVerfG (K), NJW 2001, 2459 (2460 f.). BVerfGE 69, 315 (343). 343 Frowein, NJW 1969, 1081 (1082); zustimmend Laubinger/Repkewitz, VerwArch 92 (2001), 585 (621 f.). 344 Vielmehr ist der Vereinigungsbegriff des Art. 9 Abs. 1 GG weit und offen, siehe BVerfGE 38, 281 (303); Höfling, in: Sachs, Art. 9 Rdnr. 7; Rinken, in: AK, Art. 9 Abs. 1 Rdnr. 46. 345 Frowein, NJW 1969, 1081 (1082); zustimmend Laubinger/Repkewitz, VerwArch 92 (2001), 585 (621). 342
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obigen Darlegungen zur Offenheit der Verfassungsinterpretation für gesellschaftliche Wandlungsprozesse gemessen werden. Letztlich spricht für einen weiten Versammlungsbegriff der insoweit offene Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG. Auch die Schwierigkeit, festzulegen, welche von den Versammlungsteilnehmern verfolgten Zwecke öffentliche Angelegenheiten darstellen, dürfte gegen eine inhaltliche Beschränkung des Versammlungsbegriffes sprechen. Da die Erörterung privater Angelegenheiten genauso bedeutsam für die Meinungsbildung ist und möglicherweise oftmals gerade die „Öffentlichkeit“ eines Anliegens zur Folge hat, wird man im Ergebnis wohl dem weiten Versammlungsbegriff den Vorzug geben müssen. (2) Gemeinsame Zweckverfolgung Nach der soeben behandelten und verneinten Frage, ob der Versammlungsbegriff wirtschaftlich ausgerichtete Veranstaltungen gerade wegen ihres konkreten Inhalts nicht erfassen könnte, ist nunmehr das Tatbestandsmerkmal der gemeinsamen Zweckverfolgung zu untersuchen. Dieses ist formal zu unterscheiden von der Frage, ob Art. 8 GG nur bestimmte Versammlungszwecke erfaßt347. Weitgehend Einigkeit besteht darüber, daß das Kriterium der gemeinsamen Zweckverfolgung Tatbestandsmerkmal der Versammlungsfreiheit ist348. Insbesondere die oben erwähnten Formulierungen in dem Beschluß des OVG Berlin349, aber auch in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts350, legen die Annahme nahe, daß – folgt man dem weiten Versammlungsbegriff – kommerzielle Veranstaltungen jedenfalls wegen fehlender gemeinsamer Zweckverfolgung nicht dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfallen. In der Kommentarliteratur wird das Problem der gemeinsamen Zweckverfolgung bei kommerziellen Veranstaltungen dagegen nur selten explizit angesprochen, sondern überwiegend anhand der Parallelkonstellation von unterhaltenden Veranstaltungen behandelt. Als Beispiele werden Sport- und Theaterveranstaltungen genannt, die wegen Fehlens einer inneren Verbindung unter den Teilnehmern regelmäßig nicht dem Schutzbereich von Art. 8 GG unterfallen sollen351. Anders soll es ausnahmsweise liegen, 346
Geck, DVBl. 1980, 797 (801 f.); Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 8 Rdnr. 5. 347 Darauf weist Wiefelspütz, DÖV 2001, 21, (22) hin; wegen der Gefahr der Materialisierung des Kriteriums auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 8 Rdnr. 50; Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rdnr. 11. 348 Statt vieler Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rdnr. 10, 14. 349 OVG Berlin, NJW 2001, 1740 (1741). 350 BVerwGE 82, 35 (39).
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wenn die Teilnehmer, über die Rolle als bloße Konsumenten hinaus, durch den Willen zur gemeinsamen Zweckverfolgung verbunden sind352. Das generelle Vorhandensein dieser Verbindung wird bei Veranstaltungen mit kommerziellem und unterhaltendem Charakter nur von einer kleineren Gruppe bejaht. Das Gemeinschaftsgefühl komme durch das gemeinsame Hören bzw. Sehen der Akteure, Künstler, Redner zustande353. Folgte man diesen Stellungnahmen, so wäre Veranstaltungen mit kommerziellem Zweck nicht unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zu subsumieren. Der Umstand, daß die zitierten Stimmen aus dem Schrifttum nicht ausdrücklich zwischen konsumierenden Teilnehmern und verkaufenden Veranstaltern unterscheiden, wirft jedoch die Frage auf, ob hier nicht weiter zu differenzieren wäre. Bei genauerer Betrachtung stellt sich nämlich heraus, daß unter dem Stichwort „unterhaltende bzw. kommerzielle Veranstaltungen“ durchweg nur der Schutz des Verhaltens der Konsumenten diskutiert wird354. Die Stellungnahmen zu Art. 8 GG können aber nur dann als Parallelfall bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 3 GG nützlich sein, wenn sie sich auch und gerade auf die Akteure der kommerziellen Veranstaltungen beziehen. Die Untersuchung der Industrieforschung betrifft nämlich den Fall, daß das in Rede stehende grundrechtliche Verhalten vorgenommen wird, um dessen Ergebnisse unmittelbar oder mittelbar zu verwerten. Genau genommen liegt die Parallele daher im Fall der Versammlungsfreiheit nicht im Verhalten der konsumierenden Besucher einer Veranstaltung, sondern in demjenigen der die Veranstaltung aktiv betreibenden und gegebenenfalls wirtschaftlich nutzenden Personen. Auf deren Verhalten bezieht sich der vom OVG Berlin entschiedene Fall, in dem zumindest auch der Schutz der Tätigkeit 351 BVerfGE 69, 315 (345); BVerfG (K), NJW 2001, 2459 (2460 f.); Benda, in: Vogel/Dolzer/Graßhof, Art. 8 Rdnr. 25; Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rdnr. 12; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 8 Rdnr. 19; Kohl, in: Umbach/Clemens, Art. 8 Rdnr. 27; W. Müller, S. 32; Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rdnr. 16; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, Art. 8 Rdnr. 2; Kloepfer, HStR VI, Rdnr. 23; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 8 Rdnr. 17; Sachs, Grundrechte, S. 366; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 8 Rdnr. 14. 352 Benda, in: Vogel/Dolzer/Graßhof, Art. 8 Rdnr. 25; Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rdnr. 13; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 8 Rdnr. 19; Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rdnr. 16; Kloepfer, HStR VI, Rdnr. 23; W. Müller, S. 32; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 8 Rdnr. 14. 353 Geck, DVBl. 1980, 797 (799), der allerdings Kinovorstellungen wegen ihres „reaktionslos in völliger Isolierung“ stattfindenden Ablaufs nicht als Versammlung qualifizieren will; zustimmend zum regelmäßigen Vorliegen der Verbindung bei unterhaltenden Veranstaltungen von Mutius, Jura 1988, 30 (36). 354 So beispielsweise Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 (243); Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rdnr. 13; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 8 Rdnr. 19; Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rdnr. 16; W. Müller, S. 31 f.
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von einnahmeorientierten Anbietern von Gütern und Dienstleistungen Gegenstand der richterlichen Entscheidungsfindung war355. Während bei den Konsumenten, ob zutreffend oder nicht, eine innere Verbindung bzw. ein gemeinsamer Zweck verneint wird, ist eine Übertragung dieser Lösung auf die Anbieter bzw. Veranstalter zweifelhaft. Mag es sein, daß der Wille, einen Zweck gerade gemeinschaftlich zu verfolgen, bei Personen in der Konsumentenrolle kaum ausgeprägt ist, so läßt sich dieses gemeinschaftliche Band bei den Veranstaltern schon eher entdecken. Soweit ersichtlich, äußert sich im Schrifttum, diesen Unterschied erkennend, ansatzweise nur Schulze-Fielitz, der das Verhalten der „Akteure (Musiker, Sportler usw.)“ rein unterhaltender und kommerzieller Veranstaltungen ausdrücklich dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterstellt356. Die Zusammenkunft dieser Personengruppe ist weitaus weniger zufällig als bei den Konsumenten. Typischerweise wird zwischen den Akteuren im Vorfeld einer Veranstaltung bereits mehr oder weniger intensiver Kontakt bestanden haben. Eine gemeinsame Planung und Organisation sowie möglicherweise eine gemeinsame Finanzierung sind Gründe, warum von einem „inneren Band“ zwischen den Akteuren ausgegangen werden kann. Alles in allem führt das Resümee der systematischen Betrachtung – ähnlich wie bei den Ausführungen zur Religionsfreiheit – nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Folgt man den überwiegenden Stellungnahmen in Literatur und Rechtsprechung zum Grundrechtsschutz von zur Gewinnerzielung veranstalteten Versammlungen und überträgt deren Auffassungen auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, so müßte man die Industrieforschung statt durch die Forschungsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sehen. ee) Allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und Gebot der Durchsetzung der Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG)
(1) Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG Im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG spielen Sachverhalte mit wirtschaftlichem Anknüpfungspunkt eine große Rolle. Insbesondere zur Feststellung einer Ungleichbehandlung, die Voraussetzung für die Annahme eines Gleichheitsverstoßes ist, wird oft auf Maßstäbe wirtschaftlicher und finan355 In dieser Richtung auch Sachs, JuS 2001, 1020 (1021), der indes zusätzlich kritisiert, daß das OVG das Verhalten der „Zuschauer“ des geplanten Umzugs keiner Betrachtung unterzogen habe. 356 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 8 Rdnr. 14.
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zieller Art abgestellt. Gerade die zum Sozialversicherungs- und Steuerrecht357 ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts können diesbezüglich als Bestätigung herangezogen werden. Beispielhaft genannt seien die unterschiedliche Gewährung von Kinderfreibeträgen bei Lohnund Einkommensteuerpflichtigen358, der generelle Ausschluß der Studenten vom Bezug des Arbeitslosengeldes359, die unterschiedliche erbschaftsteuerliche Behandlung von Hinterbliebenenbezügen bei Versorgung auf arbeitsrechtlicher und gesellschaftsvertraglicher Grundlage360 und verschiedene Entscheidungen zum Ausbildungsförderungsrecht361. Die Gewährleistung des Art. 3 Abs. 1 GG ist somit von wirtschaftlichen Motiven der Grundrechtsträger insofern unabhängig, als „tertium comparationis“362, also als Bezugspunkt des Vergleichs zwischen den möglicherweise ungleich behandelten Personen, deren wirtschaftliche oder finanzielle Lage sein kann. Auch im Hinblick auf die Funktion von Art. 3 Abs. 1 GG als Teilhaberecht werden wirtschaftliche Ziele des eine Ungleichbehandlung rügenden Grundrechtsträgers nicht schädlich für die Berufung auf das Gleichheitsgebot gehalten. Im Gegenteil: Wenn der Staat Subventionen gewährt, dann folgt aus dem Gleichheitsgebot ein Anspruch auf eine Entscheidung über die Leistungsgewährung363. Der Geltendmachung einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung dürfte in der Realität überwiegend die Absicht zugrunde liegen, eine staatliche Leistung zu erhalten und dadurch wirtschaftlich besser gestellt zu werden. Dogmatisch ist der Gleichheitssatz indes nicht auf diesen Weg der Beseitigung des Gleichheitsverstoßes beschränkt. Vielmehr besteht neben der Möglichkeit der Einbeziehung in die Gewährung eines gleichheitswidrigerweise nur Dritten eingeräumten Vorteils eine weitere Variante, einen Gleichheitsverstoß zu beseitigen. Denkbar ist nämlich auch genau der umgekehrte Weg, nämlich die Anpassung der Lage der begünstigten Dritten an die eigene Situation. Die Anwendung des Gleichheitssatzes würde in dieser Variante ausschließlich bedeuten, einen nur einem Dritte gewährten Vorteil zu beseitigen oder diesen Dritten gleichfalls der von dem gleichheitswidrig Behandelten zu tragenden Belastung zu unterwerfen364. 357 Zu den Auswirkungen des allgemeinen Gleichheitssatzes in diesen Rechtsgebieten Sachs, HStR V, § 127, Rdnrn. 11 ff., 34 ff. 358 BVerfGE 23, 1 (7 ff.); 33, 106. 359 BVerfGE 74, 9 (24 ff.). 360 BVerfGE 79, 106 (121 ff.). 361 BVerfGE 70, 230 (239 ff.); 71, 146 (154 ff.); 91, 389 (400 ff.). 362 Zum Begriff Osterloh, in: Sachs, Art. 3 Rdnr. 1; Pieroth/Schlink, Rdnr. 431. 363 Osterloh, in: Sachs, Art. 3 Rdnr. 53.
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Fraglich und streitig ist indes, ob das Gleichstellungsbegehren des gleichheitswidrig Belasteten zu Lasten Dritter unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützt werden kann. Teilweise wird angenommen, der Gleichheitssatz ermögliche solch eine Gleichstellung zu Lasten Dritter nicht. Andernfalls eröffnete sich die Möglichkeit zu einer „Popularklage des Neids“365. Die Berechtigung dieses Einwandes ist indes zweifelhaft. Es ist nicht ganz einzusehen, weshalb eine Klage auf Gleichstellung zu Lasten eines Dritten als eine Popularklage zu qualifizieren sein soll. Klageberechtigt ist nicht etwa jedermann oder eine unüberschaubare Zahl von Personen. Vielmehr ist der Kreis der Klageberechtigten abgegrenzt. Nur derjenige kann die Aufhebung der einem Dritten gewährten Begünstigung – namentlich einer Subvention – verlangen, der die Möglichkeit darlegt, durch eben diese Drittbegünstigung gleichheitswidrig benachteiligt worden zu sein366. Der Kreis der Klageberechtigten wird bestimmt durch die Zugehörigkeit zur relevanten Vergleichsgruppe. Beispielsweise ist bei der Vergabe von Subventionen der Personenkreis nach dem Zweck der zu gewährenden Leistungen abgegrenzt367. Aber auch für den Fall, daß die Vergleichsgruppe besonders groß sein sollte, läßt sich auch daraus nicht überzeugend die Gefahr einer Popularklage ableiten. Denn auch dann ist hinreichend klar abgrenzbar, wer sich gegen den Gleichheitsverstoß wehren kann, mag die Zahl derer auch größer sein. Auch in der Konstellation der Gleichstellung zu Lasten Dritter kann derjenige, der sich auf Art. 3 Abs. 1 GG beruft, einen mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangen. Wird einem Konkurrenten die diesem unberechtigt gewährte Subvention wieder entzogen, so profitiert der gleichheitswidrig Behandelte auch in wirtschaftlicher Hinsicht von der Bereinigung der Wettbewerbsungleichheit. Insgesamt spricht das von Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Recht, die Gleichstellung zu Lasten Dritter zu verlangen, gegen die Existenz eines allgemeinen Grundsatzes, daß wirtschaftlich orientierte Grundrechtsausübung weniger schutzbedürftig ist als anderweitig orientiertes Verhalten. Erwähnenswert ist noch, daß nach teilweise vertretener Ansicht auch selbstbelastende Gleichstellungsbegehren auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützt werden können: Ein Grundrechtsträger kann eine ihm gleichheitswidrig gewährte Begünstigung zurückweisen oder im Falle von ihm gleichheitswidrig nicht auferlegten Lasten verlangen, diese dennoch tragen zu müssen368. 364
Sachs, FS Friauf, S. 325. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. I Rdnr. 468; Kirchhof, HStR V, § 125 Rdnr. 91. I. E. ebenso BVerfGE 49, 1 (8 f.). 366 Insbesondere Sachs, FS Friauf, S. 325 ff.; ebenso Friauf, DVBl. 1969, 368 (371 f.); Lübbe-Wolff, S. 243. 367 Sachs, FS Friauf, S. 327 Fn. 59. 365
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Anders als in den bisher genannten Fällen erlangt der Grundrechtsberechtigte dabei weder einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil durch Leistungsgewährung, noch einen mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil durch Entzug eines Vorteils bei etwaigen Konkurrenten. Die Möglichkeit, die Herstellung einer Gleichheit zu eigenen Lasten verlangen zu können, ist Folge der selbständigen Bedeutung des Gleichheitssatzes. Abgesehen von dem letztgenannten Fall, der in der Grundrechtspraxis jedoch nur selten vorkommen dürfte, läßt sich aus der Betrachtung der Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes ableiten, daß der von Art. 3 Abs. 1 GG ausgehende Grundrechtsschutz gerade auch Gleichheitsbegehren aufgrund wirtschaftlicher Motivationen erfaßt. Das Berufen auf den allgemeinen Gleichheitssatz dürfte meistens der Erlangung eigener unmittelbarer oder mittelbarer Vorteile dienen. (2) Durchsetzung der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG Im Rahmen der von Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verlangten Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau verhält es sich in weiten Bereichen ebenso. Insbesondere § 612 Abs. 3 S. 1 BGB, der eine geringere Vergütung für gleiche oder für gleichwertige Arbeiten allein aufgrund des Geschlechts eines Arbeitnehmers im Vergleich zu einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechts untersagt und damit Ausfluß der privatrechtsgestaltenden Wirkung von Art. 3 Abs. 2 und 3 S. 1 GG ist, kann als Indiz dafür gelten, daß Gleichbehandlungen gerade auch mit dem Ziel der Gleichstellung unter wirtschaftlichen Aspekten erfolgen sollen369. Auch in den Landesverfassungen von Bayern (Art. 168 Abs. 1), Brandenburg (Art. 48 Abs. 3 S. 2), Bremen (Art. 53 S. 1), Hessen (Art. 33 S. 2), Nordrhein-Westfalen (Art. 24 Abs. 2 S. 2 und 3) und Rheinland-Pfalz (Art. 56 S. 3) kommt in der expliziten Gewährleistung gleichen Lohns für gleiche Arbeit zum Ausdruck, daß die Emanzipation wesentlich durch materielle Gleichstellung erreicht werden kann. ff) Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) Auch Meinungsäußerungen können hinsichtlich des Ob und hinsichtlich ihres Inhalts von wirtschaftlichen Motivlagen beeinflußt werden. Besonders deutlich wird das bei der kommerziellen Werbung zur Beeinflussung von Verbrauchern. Während das Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen unterschiedlich geurteilt hat370, erstreckt es den Schutzbereich der 368 369
Sachs, FS Friauf, S. 325 f.; a. A. Lübbe-Wolff, S. 241 f. Weitere Beispiele bei Sachs, HStR V, § 126, Rdnrn. 100 f.
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Meinungsfreiheit in seiner neueren Judikatur371 unter Zustimmung weiter Teile des Schrifttums372 auf kommerzielle Meinungsäußerungen und sogar auf reine Wirtschaftswerbung. Voraussetzung soll aber sein, daß diese einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt habe373. Allerdings wird man angesichts der Einsicht in den Umstand, daß auch allein Tatsachendarstellungen meinungsbildenden Charakter haben können374, lediglich informative Werbeaussagen in den Schutzbereich einbeziehen müssen375. Wenn die aufgestellte Voraussetzung des meinungsbildenden Charakters gegeben ist, soll die Motivation für die Meinungsäußerung unerheblich sein. Werbung ist grundsätzlich darauf ausgerichtet, die Meinung der Verbraucher zu beeinflussen und sie davon zu überzeugen, das beworbene Produkt sei etwas Besonderes376. Insofern kann man geistige Wirkungen der Wirtschaftswerbung nicht leugnen und wird ihre meisten Erscheinungsformen dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit zuzuordnen haben. Nichts anderes gilt für die durch die Kampagnen der Firma Benetton in das Rampenlicht gerückte Form schockierender Wirtschaftswerbung insbesondere mit ölverschmutzten Enten und HIV-Infizierten, deren informatorischer Gehalt eher gering ist377. Gerade diese Werbeform hat eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst, so daß sich deren kommunikativer Inhalt kaum bestreiten läßt. Der genannten Anforderung meinungsbildenden Inhalts sah das Bundesverfassungsgericht u. a. Genüge getan bei der Werbung für ein Generikum durch einen Arzneimittelhersteller unter Berufung auf die bewiesene thera370 Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geprüft in BVerfGE 53, 96 (99) zu Werbebeschränkungen in der Berufsordnung für Apotheker; ohne Hinweis nicht geprüft in BVerfGE 59, 302 ff.; 60, 215 ff. 371 BVerfG (K), Pharma Recht 2001, 359 (360); BVerfGE 102, 347 (359); BVerfGE 95, 173 (182); BVerfGE 71, 162 (175). 372 Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 25; Clemens, in: Umbach/Clemens, Art. 5 Rdnr. 61; Drettmann, S. 85 ff., 90 ff.; Friauf/Höfling, AfP 1985, 249 (253 f.); Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, 596 (599 ff.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rdnr. 3; Kresse, WRP 1985, 536 (537 f.); Lerche, Innere Pressefreiheit, S. 77 f.; Sachs, Grundrechte, S. 295; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rdnr. 44; Schmidt-Jortzig, HStR VI, Rdnr. 21; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 25; Weides, WRP 1976, 585 (587); Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 11. Zum Schutz von Wirtschaftswerbung auch durch Art. 10 Abs. 1 EMRK Kresse, WRP 1985, 536 (541). 373 BVerfGE 95, 173 (182); BVerfGE 71, 162 (175); ähnlich Drettmann, S. 92. 374 Dazu insbesondere Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 51; Clemens, in: Umbach/Clemens, Art. 5 Rdnr. 61; zum Rundfunk im Hinblick auf die Auswahl und Gestaltung von Sendungen aber auch BVerfGE 12, 205 (260). 375 Drettmann, S. 101 f.; Lerche, Innere Pressefreiheit, S. 86. 376 Drettmann, S. 118, 115, 101 ff. 377 Ausführlich dazu Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, 596 ff. mit einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH.
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peutische Äquivalenz378, bei Anstoß erregenden Fotos eines Textilunternehmens („Benetton“)379 sowie beim Werbeverbot für Ärzte380. Ablehnende Stellungnahmen der Judikatur gegenüber der Einbeziehung der Wirtschaftswerbung stammen überwiegend aus älterer Zeit. Das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesgerichtshof haben ihre in früheren Entscheidungen vertretenen ablehnenden Ansichten nicht weiter vertreten381. Der Bundesgerichtshof hat freilich im Rahmen seiner „Benetton“-Rechtsprechung382 den Äußerungen der Firma Benetton im Rahmen der Abwägung bei § 1 UWG ein geringeres Gewicht zuerkannt, ohne dabei aber den Schutzbereich der Meinungsfreiheit auf nichtkommerzielle Meinungsäußerungen zu verengen383. In Beantwortung der Frage, ob es nicht relevant sei, daß die werbenden Unternehmen nicht unbedingt darauf aus sein mögen, einen Beitrag zur Meinungsbildung und zum öffentlichen Diskurs zu leisten, weist das Bundesverfassungsgericht auf den die Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durchziehenden Grundsatz hin, der Sinn von Meinungsäußerungen müsse sachgerecht erfaßt werden384. Solange also eine solche Auslegung der Äußerung möglich ist, die das Bestehen einer subjektiven Beziehung zwischen Urheber und ihrem Inhalt zuläßt, kann der Charakter als Meinungsäußerung nicht verneint werden385. Das wird regelmäßig der Fall sein, so daß nur in Ausnahmefällen der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht betroffen ist. Begründet wird die grundsätzliche Einbeziehung auch wirtschaftlich motivierter Äußerungen zum einen mit formalen Abgrenzungsschwierigkeiten, die entstehen, wenn mit einer Meinungsäußerung mehrere, z. T. auch nichtwirtschaftliche Ziele verfolgt werden386. Zum anderen wird auch eine enge inhaltliche Verknüpfung zwischen wirtschaftlichen Zielen und Meinungsbildung festgestellt. Zum Wesen der Meinungen über wirtschaftliche Sachverhalte gehöre notwendigerweise ein gewisser wirtschaftlicher Gehalt. Eine
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BVerfG (K), Pharma Recht 2001, 359 (360). BVerfGE 102, 347 (359). 380 BVerfGE 71, 162 (175). 381 Noch a. A. waren – ohne das Problem zu diskutieren – BGHSt 5, 12 (22); BVerwGE 2, 172 (178 f.); anders dagegen BVerwG, NJW 1977, 1411 und BGH, NJW 1992, 3304. 382 BGHZ 130, 196 ff.; NJW 1995, 2490 und 2492. 383 Vgl. dazu insgesamt Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, 596 (598 f.). 384 Zu dieser Anforderung BVerfGE 93, 266 (295 f.); BVerfGE 82, 43 (52); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 80b. 385 BVerfGE 102, 347 (360). 386 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 25. 379
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gegenstandsmäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit verbiete jedoch das liberale Grundrechtsverständnis387. Die Struktur der den oben genannten Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte ist vergleichbar mit der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Forschung. In beiden Fällen wird von der grundrechtlichen Freiheit Gebrauch gemacht, um das Ergebnis des Handelns oder das Handeln selbst wirtschaftlich zu verwerten. In dem einen Fall ist es die Bekundung bestimmter Eigenschaften eines Gegenstands oder einer Dienstleistung, in dem anderen sind es die Ergebnisse der Erkenntnissuche, die zur Verwertung geführt werden sollen. Überträgt man nun die im ersten Fall getroffene Bewertung von Rechtsprechung und Schrifttum auf den zweiten, dann kann dort der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG keine Restriktion erfahren. Genausowenig wie bei der Meinungsfreiheit eine Unterscheidung nach den Motiven des Handelnden vorgenommen werden kann, kann der Grundrechtsschutz der Forschungsfreiheit wirtschaftlich orientierter Erkenntnisgewinnung verschlossen bleiben. gg) Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. GG) Im Bereich der Pressefreiheit wird nicht ausdrücklich unterschieden zwischen solchen Tätigkeiten, die mit, und solchen, die ohne wirtschaftliche Verwertungsabsicht vorgenommen werden. Allerdings kann die zu diesem Grundrecht entwickelte Dogmatik insofern Aufklärung über die Ausschlußwirkung einer derartigen Motivation geben, als der Kreis der Grundrechtsträger erweitert wird und auch presseunspezifische Handlungen unter den Schutzbereich subsumiert werden. Weitgehend werden als Grundrechtsträger von Art. 5 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. GG nicht nur Journalisten und Redakteure, sondern auch Verleger, Drucker und am Vertrieb Beteiligte gesehen388. Geschützt werden soll auch das Verhalten, das die wirtschaftlichen und organisatorischen Voraussetzungen für das Herstellen eines Presseerzeugnisses darstellt, also z. B. die Anschaffung von Maschinen und Papier389. 387 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 25; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 11. 388 BVerfGE 10, 118 (121); 36, 193 (204); 77, 346 (354); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 75; Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, 596 (600); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art.5 Abs. I, II Rdnr. 135; Lerche, Innere Pressefreiheit, S. 53 ff.; Sachs, Grundrechte, S. 302; Scholz, Pressefreiheit, S. 84, 95 f., 122; Starck, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1,2 Rdnr. 63; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 33. 389 Clemens, in: Umbach/Clemens, Art. 5 Rdnr. 75; Starck, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1,2 Rdnr. 63; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 33.
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Das Bundesverfassungsgericht hat insofern eine Ausnahme gemacht und die wirtschaftliche Orientierung zur Sprache gebracht, indem es zwischen presseinternen und -externen Hilfstätigkeiten unterschieden hat. Hilfstätigkeiten, die nicht vom Presseunternehmen selbst, sondern von anderen Unternehmen erbracht werden, sollten danach nicht der Pressefreiheit, sondern vielmehr der Berufsfreiheit unterfallen390. Gleichwohl hat das Gericht der Tätigkeit eines Presse-Grossisten, eines externen Unternehmers, den Schutz von Art. 5 Abs. 1 GG zugesprochen. Grund dafür war die Einsicht, daß die Existenz von Presse-Grossisten notwendig für das Funktionieren einer freien Presse ist, obwohl das Presseerzeugnis sich für diesen nur als Ware darstelle391. Die Einschätzung von Ipsen, die Verfassung schütze das Modell des Presse-Grosso nicht besonders, weil nicht notwendigerweise gerade dieses Modell den Schutz der Informations- und Meinungsfreiheit sichere392, ist fragwürdig. Sie ignoriert, daß zwar durchaus andere Modelle, beispielsweise Wahrnehmung der Aufgaben durch die Verlage selbst, möglich wären, aber nicht die Wirklichkeit darstellen. Herzog formuliert diesbezüglich treffend, die Erzeugnisse der Presse könnten ohne den Großvertrieb weitgehend „nicht an den Mann gebracht werden“393. Damit ist das PresseGrosso de facto das einzige Modell, das die notwendige Weiterverbreitung von Presseerzeugnissen gewährleistet. Auch wenn man die genannte Ausnahme nachvollziehen würde und nur solche wirtschaftlichen Hilfstätigkeiten der Pressefreiheit zuordnen würde, die vom Verlag selber und nicht vom Händler vorgenommen würde, wobei sich letzterer allenfalls394 auf Schutzreflexe von Art. 5 GG berufen können soll395, wäre das für die vorliegende Untersuchung ohne Relevanz. Es sind im hiesigen Vergleichsfall ja gerade die forschenden Unternehmen selbst, die wirtschaftliche Verwertungsabsicht und Forschungstätigkeit in sich vereinen. Für einen Vergleich maßgebliche Personengruppe sind damit weniger die Pressegrossisten und -händler, sondern die Verleger, die sich auch nach der engeren Sichtweise auf die Pressefreiheit berufen können396. Ebenso 390
BVerfGE 77, 346 (354); ebenso Ipsen, S. 46, 49 f. Kritisch dazu im Hinblick auf die traditionelle Trennung zwischen Grosso-Vertrieb und Presseunternehmen z. B. Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 33. 391 BVerfGE 77, 346 (354 f.). 392 Ipsen, S. 42; weitergehender zur Bindung des Gebrauchs der Pressefreiheit an gewerbliche Unternehmen überhaupt Degen, S. 230 ff. 393 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 140a. 394 Ganz auf die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG will Mallmann, Publizistik 1959, 323 ff. die Verlage verweisen. 395 Ipsen, S. 46, 49 f. gegen Kaiser, S. 81 ff., 87. 396 Ipsen, S. 30 f., 63, der gleichwohl ausdrücklich von Wirtschafts-(Unternehmens-)freiheit spricht und damit die intensive ökonomische Ausrichtung der Verlage anerkennt.
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wie bei der Industrieforschung fällt bei ihnen die Teilhabe am speziellen Gewährleistungsbereich zusammen mit der Gewinnerzielungsabsicht. Beide Male besteht zwischen den Handlungs- und Motivfeldern ein untrennbarer Zusammenhang397. Der Schutz wirtschaftlicher Handlungen ist bei der Pressefreiheit im Hinblick auf einen zweiten Aspekt – jenseits des geschützten Personenkreises – anerkannt. So ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts der Anzeigenteil einer Zeitung ebenfalls von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt, weil dieser Rückschlüsse auf die wirtschaftliche und politische Lage in ihrem Verbreitungsgebiet zulasse398 und deren Darstellung einer redaktionellen Arbeit zumindest ansatzweise ähnele. Solche Rückschlüsse zu verhindern, könnte aber im Interesse des Staates liegen, was zu einer Einbeziehung in den weiten Schutzbereich zwinge. Auch die ökonomische Bedeutung der Anzeigen für die Pressefreiheit wird als Argument für ihre Einbeziehung in den Schutzbereich genannt399. Teilweise wird sogar weiter gegangen, indem auch sogenannte Anzeigenblätter, die überwiegend wirtschaftlichen Zielsetzungen entspringen, unter die Pressefreiheit subsumiert werden400. Damit wird nicht mehr nur der kommunikative Aspekt der Verbreitung, sondern auch der ökonomische dem speziellen Schutzregime der Pressefreiheit unterstellt. Die Dogmatik der Pressefreiheit401 spricht aus systematischer Sicht also insgesamt dafür, die Verwertungsabsicht entsprechend ausgerichteter Erkenntnissuche unter den Schutzbereich der Forschungsfreiheit zu subsumieren. hh) Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) Bedenken dagegen, die mit Verwertungsabsicht ausgeübte künstlerische Tätigkeit unter die Kunstfreiheit zu fassen, können sich insbesondere unter einem Gesichtspunkt ergeben. Versteht man Kunst im Sinne der Kunstfreiheit mit der überwiegenden Auffassung als „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht 397 Für die Presseunternehmen Ipsen, S. 32; Kaiser, 81, 87; Scholz, Pressefreiheit, S. 131 f. 398 BVerfGE 102, 347 (359); 64, 108 (114); 21, 271 (278 f.). 399 Clemens, in: Umbach/Clemens, Art. 5 Rdnr. 71. 400 So BGHZ 116, 47 (54); OLG Köln, NJW 1984, 1121; Wendt, in: von Münch/ Kunig, Art. 5 Rdnr. 32. 401 Für die Rundfunkfreiheit gilt Entsprechendes, dazu u. a. Bethge, AfP 1984, 22 (24); Kresse, WRP 1985, 536 (540); Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 68; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 45.
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werden“402, so könnte man bereits eine Inkompatibilität zwischen der mit Verwertungsabsicht betriebenen Kunst und diesem Kunstbegriff annehmen. Man könnte fragen, ob es überhaupt möglich ist, in einem Werk seine persönlichen Eindrücke, Erfahrungen oder Erlebnisse zum Ausdruck kommen zu lassen, wenn die Tätigkeit von Anfang an auch zu dem Zweck erfolgte, das fertige Werk mit Gewinn zu veräußern. Die zur Kunstfreiheit entwickelte Dogmatik teilt diese Bedenken nicht und nimmt – jedoch ohne eine weitergehendere Diskussion – an, daß sich an dem Charakter eines Kunstwerkes nichts ändert, wenn mit ihm ein neben der Schöpfung des Werkes an sich, also l’art-pour-l’art, stehender Zweck auch wirtschaftlicher Art verfolgt wird403. Insofern wird unter Hinweis auf die Verpflichtung des Staates zur Neutralität 404 darauf verzichtet, Kunst durch nähere inhaltliche Anforderungen staatlicherseits zu definieren. Speziell im Hinblick auf Werbung als Kunstform wird teilweise aus dem Umstand, daß das Bundesverfassungsgericht die Werbung für Kunst unter den Schutzbereich der Kunstfreiheit gefaßt hat405, gefolgert, der Schutzbereich müsse erst recht offenstehen, wenn Werbung selbst eine Kunstform sei406. Für die überwiegende Auffassung spricht, daß eine Gewinnerzielungsabsicht das Vorhandensein von Eindrücken, Erfahrungen oder Erlebnissen des Künstlers unbeeinflußt läßt. Die Gewinnerzielungsabsicht wirkt sich erst insofern aus, als sie Anlaß dafür ist, die vorgenannten inneren Tatsachen nach außen zur gestalterischen Umsetzung zu bringen. Im Hinblick auf die im Rahmen der Untersuchung der Meinungsfreiheit bereits angesprochene Wirtschaftswerbung ist die Verbindung zwischen Gestaltungsakt und der Absicht, diesen wirtschaftlich gewinnbringend zu verwerten, besonders deutlich ausgeprägt. Die dort gewählten künstlerischen Gestaltungs- oder Vermittlungsformen haben, obwohl ihre Aussagen und Interessen inhaltlich determiniert sind, keinen anderen Charakter als solche künstlerische Tätigkeit, die ohne die Motivation entsteht, aus ihr wirtschaftlichen Profit zu schlagen407. 402 BVerfGE 30, 173 (189); 67, 213 (226); BVerwGE 77, 75 (82); Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rdnr. 67; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 29; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 89; Zöbeley, in: Umbach/Clemens, Art. 5 Rdnr. 233 ff. 403 Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rdnr. 67; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 32, 35; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 283. Ähnlich BVerfGE 67, 213 (227 f.). 404 So Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 283. 405 BVerfGE 77, 240 (251). 406 Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, 596 (600). 407 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 35.
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Welche Einflüsse es sind, die den Künstler zur Umsetzung seiner Eindrücke, Erfahrungen oder Erlebnisse veranlassen, kann jedenfalls deswegen keine Relevanz für die Frage haben, ob der Schutzbereich der Kunstfreiheit einschlägig ist, weil es keine Möglichkeit geben dürfte, halbwegs zuverlässig zu bestimmen, welcher Einfluß letztendlich maßgeblich für eine solche Umsetzung gewesen ist. Gerade ein historischer Rückblick dürfte offenbaren, daß die Wertung, alleine das Bestehen einer wirtschaftlichen Motivation stehe einer freien künstlerischen Tätigkeit nicht zwingend entgegen, zutreffend ist. Nicht wenige bedeutende Künstler haben Auftragswerke angefertigt, denen die Qualität als Kunst i. S. v. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wohl kaum abgesprochen werden kann. Insbesondere Wolfgang Amadeus Mozart dürfte auf der Liste derjenigen prominenten Künstler, die unter dauernden Geldsorgen litten und infolgedessen Werke mit dem Ziel ihrer wirtschaftlichen Verwertung erstellten, weit oben plaziert sein408. Von seinen Werken entstanden u. a. die Krönungsmesse, Don Giovanni, Hochzeit des Figaro, Idomeneo, Requiem und Zauberflöte (beide für Anton Stadler)409 und Così fan tutte (für Joseph II.) unter dem Zwang, mit der Veräußerung der Rechte an den Werken an die Auftraggeber den Lebensunterhalt zu finanzieren410. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist daher im Einklang mit dem Satz „pecunia non olet“ offen für wirtschaftliche Verwertungsabsichten. ii) Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) Der Schutz der Eheschließung durch Art. 6 Abs. 1 GG differenziert nicht nach der Motivation, aus der eine Ehe eingegangen wird. Genausowenig wie nachprüfbar ist, ob tatsächlich ein Wille zu einer engen Lebensgemeinschaft besteht411, läßt sich die Motivation der (zukünftigen) Ehepartner feststellen. Im Schrifttum werden oftmals auch sogenannte „Schein-Ehen“ solange dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterstellt, bis eine Aufhebung nach § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB erfolgt ist412. Allerdings werden gleichwohl bestimmte günstige Rechtsfolgen, so insbesondere solche aufenthaltsrechtlicher Art, den „Schein-Ehepartnern“ nicht gewährt413. Genauso wie im Zivilrecht für den Eheaufhebungstatbestand der „Schein-Ehe“ (§ 1314 Abs. 2 408
Hildesheimer, S. 25 f. Hildesheimer, S. 33. 410 Hildesheimer, S. 33. 411 Schmitt-Kammler, in: Sachs, Art. 6 Rdnr. 12. 412 So Duttge, in: Siekmann/Duttge, Rdnr. 378; Pieroth/Schlink, Rdnr. 638; Sachs, Grundrechte, S. 333. Anders dezidiert Schmitt-Kammler, in: Sachs, Art. 6 Rdnr. 12, 22. 409
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Nr. 5 BGB) eine restriktive Auslegung vertreten wird414, wird man angesichts der erwähnten tatsächlichen Schwierigkeiten, den Nachweis einer bloßen „Schein-Ehe“ zu führen, zur Sicherung eines effektiven Grundrechtsschutzes nur bei Offenkundigkeit des fehlenden Willens zur Lebensgemeinschaft den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG für verschlossen halten dürfen. Jenseits des Falls, in dem auch nicht der Ansatz einer Lebensgemeinschaft wahrnehmbar ist, sind wirtschaftliche Motive für die Eheschließung für den Schutz der Verbindung durch Art. 6 Abs. 1 GG auch nach der gegenüber der Anerkennung von Scheinehen restriktiveren Meinung unschädlich. Derartige Motive spielen sogar im Gegenteil eine anerkannte Rolle, was sich an der Ausgestaltung des Eherechts offenbart, dessen Kernbestand von der Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet wird415. Die gegenseitige Unterhaltspflicht, die gegebenenfalls auch noch nach Beendigung der Ehe fortwirkt (§§ 1360 ff., 1569 BGB) und die Privilegierung von Ehegatten im Erbrecht (§§ 1371, 1931 f., 2303 Abs. 2 BGB) sind Ausfluß des verfassungsrechtlichen Auftrages zum besonderen staatlichen Schutz der Ehe. Auch die steuerrechtlichen Privilegien Verheirateter416 mögen im Einzelfall Anlaß zur Eingehung der Ehe geben oder diesen Entschluß verstärken. Die „Vernunftehe“, auch aus wirtschaftlichen Motiven, dürfte sogar auf eine lange Tradition zurückblicken können417. Ähnlich verhält es sich mit den sogenannten „Onkel-Ehen“. Der Begriff beschreibt insbesondere Fälle aus der Nachkriegszeit, in denen eine Witwe, regelmäßig mit ihren Kindern, mit einem Mann zusammenlebt, den sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht heiraten will, da ansonsten ihre Renten-, Pensions- oder sonstigen Versorgungsansprüche aus ihrer Ehe jedenfalls anteilig gekürzt würden418. Bestimmte Folgewirkungen der Ehe nach dem Tod des Gatten genießen ebenfalls den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG419. Die Witwe, die (nur) unter dem Gesichtspunkt des Erhaltes ihrer genannten Ansprüche auf eine 413 BVerfGE 76, 1 (42 f.); BVerwGE 65, 174 (179 ff.); VGH Mannheim, FamRZ 1999, 592; OVG Hamburg, FamRZ 1991, 1433 (1435 f.). Aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung vergleiche etwa OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1995, 1409. 414 Brudermüller, in: Palandt, § 1314 Rdnr. 14 m. w. N. 415 Zu der Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG BVerfGE 80, 81 (92); umfassend auch Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 Rdnrn. 43, 69. 416 Siehe z. B. BVerfGE 6, 55 (70 ff.) gegen die steuerliche Zusammenveranlagung von Ehegatten; weitere Beispiele bei Schmitt-Kammler, in: Sachs, Art. 6 Rdnrn. 35 ff. 417 Lecheler, HStR VI, Rdnr. 11. 418 Brockhaus, 13. Band, S. 741. 419 Insbesondere die Witwenrentengewährung, dazu BVerfGE 62, 323 (329 f., 332); 48, 346 (366 f.); aber auch das Ehegattenerbrecht, dazu Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6 Rdnrn. 40, 49; Lecheler, HStR VI, Rdnr. 83.
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zweite Eheschließung verzichtet, profitiert von dem Schutz der hier allein wirtschaftlich bedeutsamen Folgewirkungen. Zu einer Minderung des grundrechtlichen Schutzes können derartige wirtschaftliche Motivationen nicht führen, zeigt sich der vom Grundgesetz verlangte besondere Schutz der Ehe doch gerade in einem wirtschaftlichen Benachteiligungsverbot gegenüber dem Zusammenleben unverheirateter Personen und einer Förderung von Ehe und insbesondere von Familie als Wirtschaftsgemeinschaft420. Die Tatsache, daß ein immaterieller Schutz allenfalls nachrangig als Inhalt der staatlichen Schutzverpflichtung genannt wird421, belegt, wie selbstverständlich bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 1 GG wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen. jj) Privatschulfreiheit (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG) Das in Art. 7 Abs. 4 und 5 GG gewährleistete Recht zur Errichtung und zum Betrieb422 von Privatschulen umfaßt insbesondere das Recht auf freie inhaltliche Gestaltung des Unterrichts sowie das Recht auf freie Lehrerund Schülerwahl423. Zwar dürften weniger diese einzelnen Komponenten des Gewährleistungsbereiches der Privatschulfreiheit, wohl aber die Errichtung und der Betrieb privater Schulen überhaupt mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen werden. Dabei stehen an Einnahmequellen neben der Erhebung von Schulgeld auch das Anwerben von Geld- und Sachspenden zur Verfügung. Der überwiegend anerkannte Anspruch auf staatliche finanzielle Förderung der privaten Ersatzschulen424, darf den Blick auf die Tatsache nicht verstellen, daß die Erschließung weiterer Finanzmittel neben den öffentlichen Geldern für die Grundrechtsträger der Privatschulfreiheit eine bedeutende Rolle spielt. Der Stellenwert privater Finanzierung beruht nicht nur darauf, daß dem privaten Schulträger insbesondere hinsichtlich der Investitionskosten eine hohe Anschubfinanzierung zugemutet wird425, sondern auch darauf, daß das Bundesverfassungsgericht bei der Bemessung der Förderungshöhe auf ein „Bemühen“ des Schulträgers um die Erschließung weiterer Eigenmittel abstellt426. Dieses Bemühen soll nach Ansicht 420 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 Rdnr. 75; Schmitt-Kammler, in: Sachs, Art. 6 Rdnrn. 32 f.; Umbach, in: ders./Clemens, Art. 6 Rdnr. 30. 421 Lecheler, HStR VI, Rdnr. 51. 422 Auch der Betrieb der Schulen ist von dem Grundrecht erfaßt, s. nur Hemmrich, in: von Münch/Kunig, Art. 7 Rdnr. 38. 423 Maunz, in: ders./Dürig/Herzog, Art. 7 Rdnr. 66. 424 BVerfGE 75, 40 (62 ff.); 90, 107 (114); BVerwGE 79, 154 (156 f.); Jach, FS Vogel, S. 78. 425 BVerfGE 75, 40 (67 f.); BVerwGE 70, 290 (295). 426 BVerfG, SPE 236 Nr. 28; kritisch dazu Niehues, Rdnr. 300.
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des Bundesverfassungsgerichts wohl rechtliche Verbindlichkeit besitzen. Der Schulträger wird somit faktisch verpflichtet, sein ideelles Engagement mit intensiven wirtschaftlichen Einnahmeabsichten durchzuführen, ohne daß dabei vom grundrechtlichen Schutz des ideellen Engagements Abstriche gemacht werden. Zwar kann hieraus nicht unmittelbar gefolgert werden, daß genauso zu entscheiden wäre, wenn die Einnahmeabsicht so weit geht, daß sie nicht nur auf die Finanzierung der Schulorganisation gerichtet ist, sondern darüber hinaus auch Gewinne zu erzielen beabsichtigt. Jedoch dürfte eine unterschiedliche grundrechtliche Behandlung der beiden Konstellationen bereits daran scheitern, daß es mit großen praktischen Schwierigkeiten behaftet wäre, die unterschiedlichen Motivlagen – der Einnahmeabsicht alleine zur Finanzierung der Schule einerseits und zur darüber hinausgehender Gewinneinnahme andererseits – zu bestimmen. Auch wenn dies anhand objektiver Kriterien gelänge, müßte bei der Abgrenzung zwischen demjenigen Grad einer wirtschaftlich ausgerichteten Tätigkeit, der von Art. 7 Abs. 4 und 5 GG umfaßt ist und demjenigen, der darüber hinausgeht, berücksichtigt werden, daß der Schulträger durchaus genötigt sein kann, über die Finanzierung des laufenden Betriebs hinaus Überschüsse zu erwirtschaften, um Investitionen zu ermöglichen. Außerdem dürfte eine auf Gewinnerzielung gerichtete Motivlage wohl deswegen für den Schutzumfang von Art. 7 Abs. 4 und 5 GG unerheblich sein, weil eines der wesentlichen Ziele, wegen dessen die Privatschulfreiheit mit verfassungsrechtlichem Rang ausgestattet wurde, durch wirtschaftliche Absichten nicht beeinträchtigt wird. Die Verwirklichung der von den Privatschulen wahrzunehmenden öffentlichen Bildungsaufgabe427 wird grundsätzlich nicht in Frage gestellt, wenn die privaten Schulträger neben der Wahrnehmung dieser Aufgabe individuelle Ziele verfolgen. Letztlich ist eine Unterscheidung zwischen gemeinnützig arbeitenden Privatschulen einerseits und erwerbswirtschaftlich orientierten andererseits vom Wortlaut der Verfassung zwar nicht vorgegeben, aber dennoch nicht nur unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten relevant. So wird vertreten, die Unterscheidung spiele eine Rolle im Genehmigungsverfahren nach Art. 7 Abs. 4 S. 2 GG. Erwerbswirtschaftlich arbeitenden, d.h. auf eigenen wirtschaftlichen Nutzen bedachten Privatschulen soll eine höhere Eigenleistung hinsichtlich der Verhinderung einer Sonderung der Schüler nach Besitzverhältnissen zugemutet werden können428. Außerdem wird die Beurteilung der wirtschaftlichen Sicherung der Lehrer von dieser Einteilung abhängig gemacht429. 427 428 429
Zu diesem Auftrag Niehues, Rdnr. 221. Maunz, in: ders./Dürig/Herzog, Art. 7 Rdnr. 85. Maunz, in: ders./Dürig/Herzog, Art. 7 Rdnr. 85.
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Im Ergebnis zeigt der Blick auf die Privatschulfreiheit zwar, daß Gewinnerzielungsabsicht durchaus ein Kriterium für die konkrete Ausgestaltung des grundrechtlichen Schutzes von Art. 7 Abs. 4 und 5 GG ist. Allerdings ändert eine solche Motivation nichts daran, daß der Schutzbereich des Grundrechts auch derart motiviertes Verhalten generell erfaßt, dieses sogar teilweise als notwendige faktische Voraussetzung für die Anwendung des Grundrechts ansieht. kk) Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 und 3 GG) Auch bei der Vereinigungs- (Art. 9 Abs. 1 GG) und der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) lassen sich Belege dafür finden, daß es keinen allgemeinen Grundsatz gibt, der wirtschaftliche Motivationen für das Ob und den Umfang des Grundrechtsschutzes maßgeblich erklärt. Hinsichtlich der Vereinigungsfreiheit ist anerkannt, daß der Zusammenschluß zu einer Vereinigung zu beliebigen Zwecken erfolgen kann (Zielindifferenz und Zweckoffenheit)430. So werden von Art. 9 Abs. 1 GG insbesondere wirtschaftliche Vereinigungen erfaßt431. Die Zweifel des Bundesverfassungsgerichts, ob sich auch größere Kapitalgesellschaften beim Zusammenschluß auf den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit berufen können432, dürften aber nicht wegen Bedenken an der wirtschaftlichen Motivation der Kapitalgesellschaften, sondern eher wegen Bedenken an deren „personalem Bezug“ entstanden sein. Zudem spricht der insoweit offene Wortlaut für die Einbeziehung von Erwerbs- und Kapitalgesellschaften in den Schutzbereich433. Geradezu handgreiflich ist der auf wirtschaftliche Tätigkeiten bezogene Inhalt der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG). Die Bildung von Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen betrifft hinsichtlich der Arbeitsbedingungen insbesondere Fragen des Lohns434. Zur Erreichung von Verbesserungen sind neben der Gründung entsprechender Vereinigungen u. a. Streik- und andere Arbeitskampfmaßnahmen erfaßt435. Auch zu Lohnsteigerungen führende Tarifabschlüsse, also 430
BVerfGE 38, 281 (303). Bauer, in: Dreier, Art. 9 Rdnr. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 9 Rdnr. 31; Merten, HStR VI, Rdnr. 39. 432 BVerfGE 50, 290 (355 f.). 433 Siehe nur Höfling, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 60; i. E. ebenso Merten, 434 Höfling, in: Sachs, Art. 9 Rdnr. 1981, 1 (4). 431
17; Höfling, in: Sachs, Art. 9 Rdnrn. 4, 14; 3; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9 Rdnr.
Art. 9 Rdnr. 12; Scholz, in: Maunz/Dürig, HStR VI, Rdnr. 41. 54; Scholz, HStR VI, Rdnr. 98; Tettinger, Jura
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auf wirtschaftlichen Motivationen beruhende Verhaltensweisen, werden als Teil der Tarifautonomie von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützt436. Die Wahrung und Förderung der Wirtschaftsbedingungen betrifft über das Arbeitsverhältnis als solches hinausgehende wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte. Der darunterfallende Teilbereich der Vermögensbildung437 ist deutliches Beispiel dafür, daß Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gerade solches Verhalten schützt, das auf kommerziellen Interessen, nämlich u. a. aus Sicht der Arbeitnehmer der Optimierung deren finanzieller Lage, beruht. ll) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) Die Tatbestandsvoraussetzungen des von Art. 10 Abs. 1 GG gewährleisteten Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses knüpfen nur an formale Umstände und nicht an Motivationen der Grundrechtsträger an. Das Briefgeheimnis umfaßt jede die mündliche Kommunikation ersetzende schriftliche Mitteilung in beliebiger Schrift- und Vervielfältigungsart438, während das Postgeheimnis einen Geheimnisschutz (nur) im Wirkungsbereich der Post bewirkt439. Das Fernmeldegeheimnis erfaßt die Vertraulichkeit aller mit Mitteln des Fernmeldeverkehrs übertragenen Mitteilungen440. Der Inhalt der durch Brief, Post oder Fernmeldeeinrichtungen übermittelten Mitteilung ist für die Gewährung des Vertraulichkeitsschutzes unerheblich441. Eine Ausklammerung von solcher Kommunikation aus dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG, die auf wirtschaftlicher Motivation beruht, ist danach nicht gerechtfertigt, weil ansonsten mittelbar auf den Kommunikationsinhalt abgestellt würde. Mit der Einbeziehung der Versendung von Waren in den Schutzbereich des Postgeheimnisses442, wird ebenfalls hinreichend klar dokumentiert, daß der Inanspruchnahme des Postgeheimnisses eine Absicht, das Kommunikationsverhalten zu verwerten, nicht entgegensteht.
435 BVerfGE 50, 290 (367) m. w. N.; BVerfGE 88, 5 (15); Übersicht über Formen des Arbeitskampfes bei Tettinger, Jura 1981, 1 (5 ff.). 436 Zu dem zuletzt genannten Aspekt BVerfGE 58, 233 (248 ff.); 84, 212 (224); 88, 103 (114). 437 Höfling, in: Sachs, Art. 9 Rdnr. 54. 438 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 10 Rdnr. 13. 439 Krüger/Pagenkopf, in: Sachs, Art. 10 Rdnr. 13. 440 BVerfGE 67, 157 (172). 441 So deutlich Sachs, Grundrechte, S. 394. 442 Rohlf, S. 165; zustimmend Krüger, in: Sachs (2. Auflage), Art. 10 Rdnr. 13; Sachs, Grundrechte, S. 393. Wegen Fehlens einer „schriftlichen Mitteilung“ ist dagegen der Schutzbereich des Postgeheimnisses nicht eröffnet.
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mm) Freizügigkeitsgarantie (Art. 11 Abs. 1 GG) Auch die Dogmatik der Freizügigkeitsgarantie des Art. 11 GG spricht gegen eine Begrenzung des Schutzbereiches auf solches Verhalten, das ohne Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen wird. Von einem bestimmten Aufenthaltszweck wird der Schutz durch Art. 11 Abs. 1 GG nicht abhängig gemacht, solange – so jedenfalls ein Teil des Schrifttums – die Dauer des Verbleibens an einem Ort von einer gewissen Erheblichkeit ist443. Ausdrücklich abgelehnt wird indes, weitergehende Zwecke des Ortswechsel zu berücksichtigen444. Ob Wohnsitz oder Niederlassung also gewechselt werden, um an dem neuen Ort ein besseres Einkommen bzw. einen höheren Gewinn zu erreichen, oder aber beispielsweise verwandtschaftliche Gründe eine Rolle spielen, ist damit für die Subsumtion unter die Freizügigkeitsgarantie unerheblich. Im Gegenteil spricht vieles dafür, Art. 11 Abs. 1 GG gerade dann für einschlägig zu halten, wenn der Ortswechsel zu einer Verbesserung der Lebenssituation erfolgt und damit beispielsweise von einer Gewinnerzielungsabsicht getragen wird. Wenn Art. 11 GG teilweise als wesentlicher Bestandteil des Wirtschaftsverfassungsrechts qualifiziert wird445, so erscheint das vor allem deswegen gerechtfertigt, weil Mobilität Grundvoraussetzung (und zugleich Folge) wirtschaftlich erfolgreichen Handelns ist. Die Nennung der Rechte, sich „niederzulassen, Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben“ in Art. 111 Weimarer Reichsverfassung und § 133 der Paulskirchenverfassung weist überdies darauf hin, daß wirtschaftliche Gesichtspunkte ein wesentlicher Aspekt gewesen waren, die Freizügigkeit grundrechtlich zu verankern446. Aus dieser Perspektive lassen sich Rückschlüsse für die Beantwortung der im vorliegenden Zusammenhang interessierenden Frage ziehen. Ein wirtschaftlich motivierter Ortswechsel ist gerade ohne das Ziel, durch ihn eine bessere wirtschaftliche Lage zu erreichen, kaum vorzustellen. Letztlich wird eine Konstellation, bei der es darum geht, am Zielort ein Einkommen zu bekommen, das am Aufenthalts- oder Niederlassungsort eben nicht zu erreichen gewesen ist, in der deutlich wird, daß der Aufent443 Für eine zeitliche Mindestdauer z. B. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 11 Rdnr. 2; Pieroth/Schlink, Rdnr. 791; dagegen z. B. Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 11 Rdnr. 14; Ziekow, S. 462 ff. 444 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rdnr. 36 f.; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 11 Rdnr. 14; Pieroth, JuS 1985, 81 (83); Ziekow, S. 459. Teilweise anders noch BVerwGE 3, 308 (312 f.). 445 So von Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rdnr. 42; Hailbronner, HStR VI, Rdnr. 35. 446 Pieroth, JuS 1985, 81 (82).
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haltswechsel gerade von einer Gewinnerzielungsabsicht getragen wird, ausdrücklich der Freizügigkeitsgarantie zugewiesen447. Das Bundesverfassungsgericht hat anläßlich einer Entscheidung über die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen eines verwitweten Steuerpflichtigen für die auswärtige Unterbringung seiner noch nicht schulpflichtigen Kinder ebenfalls zu verstehen gegeben, daß mittelbare Einwirkungen wirtschaftlicher Art dann gegen Art. 11 Abs. 1 GG verstoßen, wenn sie objektiv geeignet sind, „einen beherrschenden Einfluß auf die Willensentscheidung des Bürgers auszuüben“448. Auch die Tatsache, daß die Freizügigkeitsgarantie über Art. 19 Abs. 3 GG überwiegend für auf inländische juristische Personen anwendbar gehalten wird449, spricht gegen einen engen, die Gewinnerzielungsabsicht ausklammernden Schutzbereich. Da wirtschaftlich tätige juristische Personen, insbesondere Wirtschaftsunternehmen, als typische Erscheinungsform der juristischen Personen, ihren Sitz450, anders als natürliche Personen ihren Wohnort, aus jenseits von wirtschaftlichen Erwägungen anzusiedelnden Gründen wohl kaum verlegen werden, kann gefolgert werden, daß solche Motivationen nicht schädlich für die Subsumtion unter die Freizügigkeitsgarantie sind. Die umstrittene Frage, ob Art. 11 Abs. 1 GG auch die sogenannte „wirtschaftliche Freizügigkeit“, also das Recht umfaßt, beim Fort- bzw. Zuzug bewegliches Eigentum mitführen zu dürfen451, ist nur bedingt geeignet, im hier interessierenden Problemkreis Aufschluß zu geben. Ob nämlich im Regelfall ein Fort- bzw. Zuzug erfolgt, um gerade bewegliches Eigentum mitzuführen, kann sicher bezweifelt werden. Allerdings ist die von der überwiegenden Meinung452 angenommene Einbeziehung der Eigentumsmitnahme in den durch Art. 11 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz jedenfalls Indiz dafür, daß die Freizügigkeitsgarantie nicht völlig ohne die Berücksichtigung wirtschaftlicher Grundlagen der Freiheitsausübung auskommt.
447 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rdnr. 35; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 11 Rdnr. 20. 448 BVerfG, HFR 1981, 579. 449 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rdnr. 42; Hailbronner, HStR VI, Rdnr. 44; Pieroth, JuS 1985, 81 (82); Rüfner, HStR V, Rdnr. 47; Ziekow, S. 525 f. 450 Für Wirtschaftsunternehmen gewährleistet Art. 11 GG die freie Wahl des Sitzes, Krüger/Pagenkopf, in: Sachs, Art. 11 Rdnr. 13; Ziekow, S. 530. 451 Für eine Zuordnung zu Art. 11 GG Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 11 Rdnr. 31; Hailbronner, HStR VI, Rdnr. 35; Krüger/Pagenkopf, in: Sachs, Art. 11 Rdnr. 19; Pernice, in: Dreier, Art. 11 Rdnr. 16; Pieroth, JuS 1985, 81 (84); für eine Zuordnung zu Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rdnr. 19 ff.; s. auch BGH, JR 1953, 296. 452 Siehe Nachweise in der vorherigen Fn.
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nn) Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt den durch Art. 13 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung auf Geschäfts- und Betriebsräume453. Damit sind auch aus wirtschaftlichen Gründen genutzte Räumlichkeiten grundsätzlich als schutzwürdig anerkannt, auch wenn der Schutzumfang im Ergebnis im Vergleich mit zu Wohnzwecken genutzten Räumlichkeiten durch Privatheitsabstufungen reduziert wird454. Dieser abgestufte Schutz gründet sich jedoch nur mittelbar auf die wirtschaftliche Motivation der Geschäfts- und Betriebsinhaber. Maßgebliches Kriterium für die unterschiedlichen Rechtfertigungsanforderungen ist vielmehr der Grad der Öffnung der Räumlichkeiten für den Verkehr, mithin der Grad der Privatheit. Nicht notwendigerweise muß aber Motiv für die weitergehende Zugänglichmachung der Räumlichkeiten ein wirtschaftliches sein, so daß das Ergebnis des Blickes auf Art. 13 Abs.1 GG jedenfalls keinen Beitrag zur Annahme liefert, daß es einen Grundsatz gibt, nach dem wirtschaftlich motivierte Grundrechtsausübung minder stark geschützt würde. oo) Petitionsrecht (Art. 17 GG) Das in Art. 17 GG verbürgte Recht jedermanns, „sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden“, bietet bereits im Hinblick auf den Wortlaut der Norm keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung auf nicht kommerziell motivierte Handlungen. Die Begriffe „Bitte“ und „Beschwerde“ sind inhaltlich neutral gefaßt, wobei ersterer solche Angelegenheiten bezeichnen dürfte, die den Beschwerdeführer nicht persönlich betreffen und letzterer dadurch gekennzeichnet sein dürfte, daß sich der Petent gegen ihn betreffendes staatliches Verhalten wendet455. Beiden in Art. 17 GG genannten Begriffen ist gemeinsam, daß sie das Ziel einer Änderung oder Abhilfe verfolgen456. Welcher 453 BVerfGE 32, 54 (68 ff.); 42, 212 (219); 44, 353 (371); 76, 83 (88); 97, 228 (265 f.); auch BVerwGE 78, 251 (255). Anders freilich der EuGH hinsichtlich des Grundrechtsschutzes auf Gemeinschaftsebene, EuGRZ 1989, 395 (401). 454 So BVerfGE 50, 290 (340 f.); 97, 228 (265 f.); siehe auch Cassardt, in: Umbach/Clemens, Art. 13 Rdnr. 48, der von einem „Sieg des Pragmatismus“ spricht; Kühne, in: Sachs, Art. 13 Rdnrn. 4, 52; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 13 Rdnr. 2 unter Hinweis auf den bereits in der Weimarer Reichsverfassung und der Preußischen Verfassung gewährleisteten Schutz. 455 Sachs, Grundrechte, S. 487 f.; ähnlich Schick, S. 63. 456 Burmeister, HStR II, Rdnr. 4; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 17 Rdnr. 14; Schick, S. 63; Seidel, S. 18.
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Art und Qualität diese Ziele inhaltlich sein müssen, ist in der verfassungsrechtlichen Dogmatik nicht näher eingegrenzt. Vielmehr ist das Grundrecht grundsätzlich für Gesuche jeder Art offen457. Anhaltspunkte dafür, daß eine inhaltliche Begrenzung nicht stattfindet, ergeben sich unter drei Gesichtspunkten. Zum einen ist anerkannt, daß der Petent mit seiner Eingabe (auch) gemeinnützige Ziele verfolgen kann; eine Beschwer setzt Art. 17 GG, anders als Art. 19 Abs. 4 GG nicht voraus458. Zum anderen ist das Petitionsrecht in seiner historischen Entwicklung typischerweise zur Geltendmachung der Begehr benutzt worden, seine wirtschaftliche Situation zu verbessern. So haben bereits mittelalterliche Herrscher über diesen Weg für eine Hilfe für die Armen gesorgt459. Im Absolutismus waren Inhalte der „Supplikationen“ häufig die Gewährung von Pensionen, Gehaltsaufbesserungen, Darlehen oder Schadensersatzleistungen. Letztlich zeigt auch der Blick auf die heutige Praxis, daß der überwiegende Teil der Petitionen nicht nur in allgemeiner Hinsicht egoistisch motiviert ist, sondern gerade finanzielle und wirtschaftliche Besserstellungen zum Ziel hat. So wurden beispielsweise in der vierten Wahlperiode des Deutschen Bundestages eine halbe Million Petitionen zur Urheberrechtsreform eingereicht460, die wirtschaftliche Interessen der Petenten betrafen. Unabhängig von diesem konkreten Beispielsfall werden Petitionen von den Petenten auch im übrigen gerade mit dem Ziel eingesetzt, ihre soziale Lage durch die entsprechenden Reaktionen zu verbessern461. pp) Justizgarantien (Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG) Auch die Betrachtung der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) und des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) offenbart, daß hinsichtlich des durch diese Normen gewährten Schutzes der Grundsatz „pecunia non olet“ gilt. Diese Normen knüpfen lediglich an formale Umstände an. Bei Art. 19 Abs. 4 GG reicht eine Verletzung eigener, d.h. subjektiver462 Rechte durch die öffentliche Gewalt aus. Solche subjektiven Rechte liegen nach der sogenannten Schutznormtheorie bereits dann vor, 457 Sachs, Grundrechte, S. 488. Eine Einschränkung wird insoweit angenommen als ein gesetzlich verbotenes Verhalten gefordert wird oder die Petition beleidigend oder erpresserisch ist, BVerfGE 2, 225 (229); Schick, S. 66. Kritisch zu dieser bereits tatbestandlichen Restriktion Sachs, Grundrechte, S. 488. 458 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 17 Rdnr. 21; Seidel, S. 23 f. 459 Schick, S. 14. 460 Seidel, S. 23. 461 Siehe Seidel, S. 38 f., 98; Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses des 14. Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 14/9146, S. 9, 103. 462 BVerfGE 15, 275 (281); 83, 184 (194 f.).
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wenn sie eine Person objektiv begünstigen, diese individuelle Begünstigung als solche vom Gesetz bezweckt ist und die Durchsetzbarkeit der Rechtsfolge für die gezielt begünstigte Person vom Gesetz intendiert ist463. Damit sind (natürlich) auch Verletzungen solcher subjektiven Rechte justiziabel, deren Ausübung dem Rechtsträger wirtschaftliche Gewinne bringen, wie insbesondere privatrechtliche Eigentums-, Forderungs-, Gesellschafter- oder Wertpapierrechte464. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 2 GG) verlangt als Tatbestandsvoraussetzung ebenso formal lediglich die Beteiligung an einem Verfahren „vor Gericht“. Daß die gewährleisteten Gehalte des Rechts auf Information, auf Äußerung und auf Berücksichtigung von Äußerungen der Beteiligten465 nur dann erfolgt, wenn das Gerichtsverfahren nicht aus wirtschaftlichen Motiven betrieben wird, ist ebensowenig ersichtlich, wie daß die Rechtsweggarantie derartig motiviertes Verhalten ausklammert. qq) Zwischenergebnis Insgesamt führt die systematische Analyse zu folgendem Ergebnis: Ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, daß ein Verhalten, das im übrigen einen Grundrechtstatbestand erfüllt, allein wegen seiner Gewinnerzielungsabsicht nicht dem Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts unterfällt, findet sich in der Verfassung nicht. Von einem „asketischen“ Grundrechtsverständnis466, das wirtschaftliche Motive und Ziele ausklammert, kann danach jedenfalls nicht ausgegangen werden. Allgemeiner: Die Verfassung schreibt nicht vor, wie das Individuum „richtigen“ Gebrauch von seiner Freiheit zu machen hat.466a c) Kein zusätzliches Einschränkungskriterium der Forschung zum Gemeinschaftswohl Dennoch könnte letztlich eine mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung nicht dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG zuzuordnen sein. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn neben den soeben geprüften Merkmalen des Schutzbereichs ein zusätzliches stehen würde. Ein solches, das als Zweckbestimmung des Forschungshandelns nur eine ganz bestimmte altruistische Ausrichtung auf die Förderung des Gemeinwohls zulassen würde und egoistische Verwertungsinteressen ausschlösse, existiert indes nicht. 463
Siehe nur Sachs, Grundrechte, S. 496; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdnrn. 127 ff., 131. 464 Pieroth/Schlink, Rdnr. 1013. 465 Dazu Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rdnrn. 8 ff. 466 Begriff bei Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 (243). 466a Schnapp, JZ 1985, 857 (861 f.); ders., NJW 1998, 960.
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aa) Dafür: Gesellschaftliche Dimension der Forschung Für ein Merkmal der altruistischen Ausrichtung könnte die gesellschaftliche Dimension sprechen, die der wissenschaftlichen Forschung oftmals zugeschrieben wird. Der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG würde dann nur für solche Wissenschaft und Forschung gelten, die dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen bestimmt sind. Die Folge davon wäre, daß der auf eigenen wirtschaftlichen Nutzen gerichteten Forschung nicht der stärkere Grundrechtsschutz der Forschungsfreiheit zukommen würde. Eine derartige Ausrichtung der Forschung kann das Ergebnis einer rechtsvergleichenden467 Betrachtung für sich Anspruch nehmen. Die Verfassungen von Portugal und Ungarn fordern den Staat auf, eine Forschungs- und Technologiepolitik zu entwickeln, die den Vorrang jenen Bereichen einräumt, die für die Entwicklung des Landes von Bedeutung sind (Art. 81 lit. m. Verf. Portugal) bzw. erwähnen gesondert wissenschaftliche Arbeit, die der Entwicklung der Gesellschaft förderlich ist (§ 18 Verf. Ungarn). Nicht anders, sondern sogar noch augenfälliger, verhält es sich in sozialistischen Systemen468. In der Verfassung der früheren DDR war eine „Vereinigung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des Sozialismus“ vorgesehen (Art. 17 Abs. 1 Verf. DDR). Ähnlich verlangt Art. 46 Abs. 1 Verf. Bulgarien einen „Dienst der schöpferischen Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft für das Volk und deren Entwicklung im Geiste des Kommunismus“. Letztlich sah auch die Verfassung der ehemaligen Sowjetunion eine inhaltliche Prägung der Wissenschaft in Richtung auf die „Bedürfnisse der Gesellschaft“ (Art. 26 Verf. UdSSR) vor. Ein entfernt vergleichbarer Ansatz im Rahmen der allgemeinen Dogmatik von Grundrechtsbegrenzungen, der in der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht in Form eines allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalts Verwendung gefunden hat469, wird heute nicht mehr vertreten470. Allerdings wird jenseits einer Rechtsvergleichung eine Ausrichtung der Forschung auf das Gemeinwohl471 unter Berufung auf die objektiv-rechtliche Komponente472 des Grundrechts angenommen. 467 Auf die Problematik von Rechtsvergleichung im Wissenschaftsrecht überhaupt weist Hartmut Krüger, S. 1716, 1722 hin. 468 Dazu Häberle, S. 423 mit weiteren Beispielen. 469 Etwa BVerwGE 1, 92 (94); Kriele, JA 1984, 629 (637). Ausführlich zur Rechtsprechung des BVerwG, Knies, S. 93 ff. 470 BVerwGE 49, 202 (208); Herbert Krüger, NJW 1955, 201 (204); Sachs, in: Stern, III/2, § 81 S. 531; kritisch zum Gemeinwohl als Grundrechtsschranke auch Bettermann, S. 16. 471 Zur Bedeutung des Gemeinwohlbegriffes in der Verfassung vgl. Herbert Krüger, S. 766; Sachs, in: Stern, III/2, § 79, S. 347.
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Die objektiv-rechtliche Funktionskomponente der Wissenschaftsfreiheit – durch das Bundesverfassungsgericht im Hochschulurteil erstmals angesprochen – beinhaltet die staatliche Pflicht, funktionsfähige Institutionen für einen freien Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen473. Daraus wird abgeleitet, dem Grundrecht komme eine spezifische Aufgabenbezogenheit zu, die auf den Gemeinschaftszweck der Verbürgung hinweise, wobei die objektiv-rechtliche Seite individuelle Begrenzungen der subjektiv-rechtlichen Seite ermögliche und ihr einen äußeren Rahmen setze474. Wie erwähnt475, hält Kleindiek die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit für ein Organisationsgrundrecht, das überhaupt erst die Bedingungen freier Erkenntnissuche schaffe. Daraus folgert er, Wissenschaft sei eine öffentliche Aufgabe476 und letztlich zum Wohle der Gemeinschaft gewährleistet. Auch Dickert formuliert, Forschung dürfe nur zum Nutzen der ganzen Gesellschaft ausgeübt werden477 und kann sich dabei teilweise auf das Bundesverwaltungsgericht stützen, das Forschung als letztlich dem Wohle des Einzelnen und der Gemeinschaft dienend ansieht478. Das ergebe sich neben dem Doppelschutzweck des Art. 5 Abs. 3 GG aus der (schrankensystematischen) Privilegierung des Grundrechts gegenüber Meinungs- und Berufsfreiheit. Diese sei kaum nachvollziehbar, wenn die Forschungsfreiheit nur zur individualistischen Freiheitsentfaltung des Einzelnen gedacht sei479. Schiedermair sieht das Forschungsgrundrecht als mehr oder weniger richterähnliches Statusrecht an480, das nicht um der Selbstverwirklichung des Individuums, sondern zum Nutzen der Gemeinschaft gewährleistet sei (drittnütziges Grundrecht)481. Seiner Auffassung zur Seite steht Art. 16 Abs. 6 der Verf. Griechenland, der ebenfalls eine richterähnliche Stellung der Hochschulpro472 Diese läßt sich insbesondere unterteilen in eine teilhaberechtliche und eine organisationsrechtlich-institutionelle Seite. Im übrigen läßt sich mit Alexy, Der Staat 29 (1990), 49 (51) ein „terminologisches Wirrwarr“ bei der näheren Beschreibung der objektiven Komponente feststellen. Kritisch auch Sachs, Grundrechte, S. 48 ff. 473 BVerfGE 35, 79 (115). 474 Dickert, S, 265; Trute, S. 167; Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (47); wohl im Ansatz zustimmend Gramm, WissR 32 (1999), 209 (218). 475 Siehe oben a) bb). 476 Kleindiek, S. 242. Nachweise zu vergleichbaren Ansätzen im Rahmen der Pressefreiheit bei Degen, S. 121. 477 Dickert, S. 265 f. 478 BVerwGE 102, 304 (308). 479 Dickert, S. 265. 480 Die Unterschiede zwischen der von Art. 92 GG gewährleisteten Unabhängigkeit der Richter und der Freiheit des Wissenschaftlers nennt Roellecke, JZ 1969, 726 (730). 481 Schiedermair, FS Faller, S. 222 f.; ders., WissR 21 (1988), 1 (12 f.), jedoch soll die individuelle Seite wohl keiner inhaltlichen Bindung unterliegen; zustimmend Fink, WissR 27 (1994), 126 (134).
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fessoren normiert. Wagner will beide Seiten „derselben Medaille“, also der Forschungsfreiheit, berücksichtigen. Die Ausrichtung der Forschungsfreiheit auf das Gemeinwohl binde die gleichzeitig verbürgte individuelle Freiheitsausübung in eine bestimmte Richtung482. Allerdings sieht er die Funktion der Bindung der Forschungsfreiheit an das Gemeinwohl nur als den bloß negativen Ausschluß schädlicher Forschung an483. Das Erfordernis einer positiven Ausrichtung auf das Gemeinwohl stellt er nicht auf. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum HessUG erkennt der Wissenschaftsfreiheit zwar eine gemeinschaftsgebundene Verantwortung zu, steht jedoch weiterhin hinter dem Prinzip der offenen Forschung und sieht in einer an eine derartige Verantwortung anknüpfenden Norm eine (freilich gerechtfertigte) relevante Beeinträchtigung des Grundrechts484. Diese Entscheidung kann also nicht als zustimmende Äußerung des Gerichts zu einer Begrenzung des Schutzbereichs auf gesellschaftsnützliche Aspekte herangezogen werden. bb) Einwände gegen ein Kriterium der gesellschaftlichen Nützlichkeit von Forschung Die vorgetragenen Argumente für eine Ausrichtung der Forschung an gesellschaftlicher Nützlichkeit überzeugen nicht. Bereits aus der grammatischen Auslegung lassen sich keine eine derartige Überwölbung der Forschungsfreiheit durch Gemeinnützigkeit stützenden Ergebnisse gewinnen. Der Wortlaut „Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ deutet außer einer Gewährleistung eines Freiheitsraumes nichts von einer Begrenzung auf eine besondere Ausrichtung an. Allerdings verschließt er eine solche nicht zwingend. (1) Systematische Betrachtung Gegen eine Ausrichtung der Forschungsfreiheit auf den gesellschaftlichen Nutzen spricht die systematische Betrachtung der Grundrechte. Eine Bindung der Grundrechtsausübung an bestimmte, dem Allgemeinwohl dienende Zwecke sieht das Grundgesetz nur in sehr begrenztem Umfang vor. Im Verfassungstext ausdrücklich verankert ist eine Sozialbindung nur im Rahmen der Eigentumsgarantie. Allerdings formuliert Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG zum Eigentumsgebrauch in zurückhaltender Weise, sein Gebrauch solle 482
Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1239). Ebenso Losch, S. 279, aber ohne Rekurrieren auf die objektiv-rechtliche Dimension. 484 BVerfGE 47, 327 (366 ff.). 483
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zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Damit wird klar, daß im Vordergrund, gleichsam als Ausgangspunkt, der abwehrrechtliche Charakter des Grundrechts steht. Die Sozialpflichtigkeit ist dann eine einschränkende Ausnahme von diesem Grundsatz. Im Ergebnis hat damit keineswegs die Ausrichtung auf das Gemeinwohl automatisch Vorrang. Mit der Wendung „zugleich“ wird das dialektische Verhältnis zwischen Freiheitsgewährleistung und dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung angedeutet, das es zu einem ausgewogenen Ausgleich zu bringen gilt485. Bei der Sozialbindung des Art. 14 Abs. 2 GG handelt es sich um eine Sonderregelung in der Verfassung, deren verallgemeinernde Übertragung auf andere Grundrechte fraglich ist. Bei anderen Grundrechten wird entsprechend überwiegend auf eine Festlegung auf gemeinnützige Ziele verzichtet. Im Rahmen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Hs., 8 Abs. 1 GG) kommt es auf das Vorliegen eines auf die Bedeutung der beiden Grundrechte für den Bestand und das Funktionieren der Demokratie486 gerichteten Zweckes nicht an. Meinungsäußerungen müssen nicht auf politische oder öffentliche Angelegenheiten bezogen sein487, sondern können auch unerwünscht oder gesamtgesellschaftlich wertlos sein488. Im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit wird zwar u. a. angesichts der bereits erwähnten Musik-Events wie der „Love-Parade“ der sogenannte „enge Versammlungsbegriff“, der nur die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten als Zweck einer Versammlung ausreichen läßt, in neuerer Zeit verstärkt vertreten489. Jedoch wird überwiegend eine Versammlung i. S. v. Art. 8 GG auch bei Erörterung nicht politischer Angelegenheiten bejaht, solange nur bei den Teilnehmern der verbindende Gemeinschaftswillen besteht490. Eine andere Ansicht vertritt hinsichtlich der Meinungsfreiheit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit einer ehrverletzenden Meinungsäußerung. Im sogenannten „Greenpeace“-Fall hat er Stellung dahingehend bezogen, daß eine Meinungsäußerung, mit der der Äußernde nicht eigennützige Ziele verfolge, eine Vermutung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit für sich habe491. Das Gericht begibt sich mit dieser Argu485
BVerfGE 37, 132 (140); 52, 1 (29). BVerfGE 69, 315 (344 f.); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 16 f.; Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rdnr. 4; Kloepfer, HStR VI, Rdnr. 1. 487 BVerfGE 61, 1 (8); 65, 1 (41); auch Pieroth/Schlink, Rdnr. 550. 488 Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (233). 489 Siehe oben b) dd) (1). 490 Siehe oben b) dd) (1). 491 BGH, NJW 1994, 124 (126); tendenziell wohl auch Enders, in: Friauf/Höfling, vor Art. 1 Rdnr. 52. Ähnliche Erwägungen dürften auch den Entscheidungen des BGH zur „Benetton“-Werbung (s. o. b) ff)) zugrundegelegen haben, in denen 486
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mentation in die schwierige Lage, eine Begründung liefern zu müssen, weshalb gemeinnützige Ziele einen höheren Stellenwert im Rahmen der Güterabwägung erhalten sollen. Der Bundesgerichtshof übersieht darüber hinaus, daß gerade unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundrechts für den Erhalt und das Funktionieren der Demokratie, das Aufeinandertreffen zahlreicher durchaus individualistisch und egoistisch geprägter Einzelmeinungen unerläßlich für eine pluralistische Gesellschaft ist. Die Werthaltigkeit einer Meinung für die Gesellschaft zeigt sich nämlich weniger in der ihr zugemessenen Ausrichtung an Kategorien wie „gut“ oder „böse“ (in diese Richtung geht aber der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung), sondern mehr in ihrem Kontrast zu anderen Meinungen. Das Aufeinandertreffen zahlreicher sich widersprechender oder sich ergänzender Meinungen setzt den Diskurs in Gang, der als so bedeutsam für die Gemeinschaft angesehen wird492. Bei der Berufsfreiheit wird diskutiert, ob eine Tätigkeit einen „Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung“ leisten muß, um als „Beruf“ i. S. v. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG zu gelten. Das Bundesverfassungsgericht hat vereinzelt darauf ebenso abgestellt wie auf die „wirtschaftliche Sinnhaftigkeit“ des Tuns493. Beide Kriterien haben wohl aber keine Ausschlußfunktion. Höfling hält derartige Kriterien nach dem Konzept seiner offenen Grundrechtsinterpretation, die überzeugend auf einem formalen Freiheitsverständnis aufbaut, für eine unzulässige „definitorische Materialisierung“ des Berufsbegriffs494. Folgerichtig werden diese Merkmale so überwiegend eher als eine Beschreibung der typischen Wirkungen einer beruflichen Tätigkeit aufgefaßt495. Bei einem anderen Verständnis wäre es nicht zu erklären, daß die Wahl des Tätigkeitsfeldes in das Belieben des Grundrechtsträgers gestellt wird496 und auch eine wirtschaftlich erfolglose Tätigkeit von dem Schutz der Berufsfreiheit umfaßt sein soll497. Zudem soll im Ausnahmefall ein Beruf dann nicht vorliegen, wenn es sich um eine gemeinschaftsschädliche Tätigkeit handelt498, diese verboten der BGH die Interessen der werbenden Firma im Rahmen der Abwägung bei § 1 UWG als weniger schutzbedürftig einstufte, kritisch insofern Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, 596 (599). 492 Im „Greenpeace“-Fall hätte also mehr der provozierend pointierte Charakter der Äußerung eine Rolle spielen müssen. 493 BVerfGE 7, 377 (397); 50, 290 (362); 68, 272 (281). 494 Vgl. Höfling, S. 150 ff. 495 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 23; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 34 f. 496 BVerfGE 7, 377 (397). 497 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 21, zur Tätigkeit eines Künstlers. 498 BVerwGE 22, 286 (289).
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ist499 oder dem Menschenbild des Grundgesetzes widerspricht500. Diese Kriterien dienen aber – unabhängig von der Frage, welches von ihnen letztlich maßgeblich ist – lediglich dazu, bestimmte als negativ betrachtete Verhaltensweisen vom Schutz durch die Berufsfreiheit auszuschließen. Eine besondere Förderung des Gemeinwohls wird indes nicht verlangt, so daß der Vergleich mit Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG insgesamt keinen Beleg für eine im System der Grundrechte verankerte Gemeinnützigkeit als Zielvorgabe ergibt. Die Betrachtung der Schutzbereiche anderer Grundrechte kann also insgesamt keinen Beleg für ein verallgemeinerbares Erfordernis der Gemeinschaftsnützigkeit grundrechtlich geschützten Verhaltens liefern. Auch ein systematischer Vergleich der Grundrechtsschranken – von Dickert als Argument für eine derartige Gebundenheit genannt – führt zu diesem Ergebnis. Die dem Hinweis, die Privilegierung der Forschungsfreiheit im Hinblick auf die Schranken, insbesondere gegenüber der Meinungs- und Berufsfreiheit sei nur nachvollziehbar, wenn Art. 5 Abs. 3 GG nicht nur einen individualistischen Zweck besitze501, zugrundeliegende Annahme ist jedoch fraglich. Zwar ist die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für den kulturellen und technisch-wirtschaftlichen Fortschritt unbestritten502, jedoch bedürfte es zunächst eines Nachweises, daß eine Schrankenprivilegierung gerade aus dem Grunde erfolgt, um die besondere gesellschaftliche Bedeutung des Grundrechts kundzutun. Diese Hypothese kann indes im systematischen Vergleich zu anderen Grundrechten nicht verifiziert werden. Die ebensowenig wie die Forschungsfreiheit mit einem Gesetzesvorbehalt ausgestattete Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und nach bestrittener Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch die Religions- und Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG503 sind bezüglich ihrer Inhalte und Wirkungen gerade in besonderer Intensität von Individualität geprägt. Dem Denken und Äußern der religiösen und moralischen Überzeugungen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und der schöpferischen Gestaltung der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers504 (Art. 5 Abs. 3 GG), dürfte im Hin499 BVerfGE 7, 377 (397); 81, 70 (85); zur Rechtsprechung des BVerfG Tettinger, AöR 108 (1983), 92 (98). 500 Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 38. 501 Dickert, S. 265. 502 Siehe nur BVerfGE 35, 79 (114); Häberle, S. 427; Losch, S. 127 f.; ders./Radau, NVwZ 2003, 390 (391); Oppermann, HStR VI, Rdnr. 62; Ridder/Stein, DÖV 1962, 361 (363). 503 BVerfGE 33, 23 (30 f.); zustimmend Kokott, in: Sachs, Art. 4 Rdnr. 113; Morlok, in: Dreier, Art. 4 Rdnrn. 89 ff.; dagegen und für die Übertragung der Begrenzungen des Art. 140 GG, Art. 136 Abs. 1 WRV etwa von Campenhausen, HStR VI, Rdnr. 58 f.; Ehlers, in: Sachs, Art. 140 Rdnr. 4; Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 4 Rdnr. 48; Muckel, in: Friauf/Höfling, Art. 4 Rdnr. 47.
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blick auf gesamtgesellschaftliche Prozesse im Vergleich zu der Meinungsund Versammlungsfreiheit eher geringere Bedeutung zukommen. Diese beiden Grundrechte sind deutlich stärker auf den einzelnen Grundrechtsträger bezogen und sind gleichwohl ohne Gesetzesvorbehalt normiert. Auf der anderen Seite werden solche Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die als schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bezeichnet werden505, durch qualifizierte Gesetzesvorbehalte begrenzt. Schon aus dieser Analyse ergibt sich kein Beleg, der es erlaubte, von einer Schrankenprivilegierung auf eine Gemeinwohlorientierung des Grundrechts zu schließen. (2) Inhalt der institutionellen Gewährleistung und des objektiv-rechtlichen Gehalts von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Eine Ausrichtung der Forschungsfreiheit auf gesellschaftlichen Nutzen könnte allenfalls aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Grundrechts folgen. Aus dem objektiven Gehalt der Wissenschaftsfreiheit wurde ein Teilhaberecht abgeleitet, das insbesondere in Form von (begrenzten) Finanzierungsansprüchen der Universität gegenüber dem Staat wirkt506. Art. 5 Abs. 3 GG soll darüber hinaus einen zusätzlichen Grundrechtsschutz durch Gewährleistung eines institutionellen Rahmens507 schaffen. Eine die individuelle Freiheit begrenzende Wirkung kommt dem objektiven Gehalt aber allenfalls dann zu, wenn das zum Erhalt des institutionellen Rahmens erforderlich ist508. Im Fall der universitären Forschung ist davon insbesondere die Organisation des Wissenschaftsbetriebs umfaßt509. An einer Entwicklung der Grundrechte von subjektiven Abwehrrechten zu objektiven Grundsatznor504
BVerfGE 30, 173 (188 f.). Siehe nur BVerfGE 7, 198 (208); 25, 256 (265). 506 BVerfGE 35, 79 (115); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 217b; Hailbronner, S. 61 ff., 127; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 174 ff.; Sachs, Grundrechte, S. 330; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 116. 507 BVerfGE 35, 79 (114); 90, 1 (11); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 201 f.; Häberle, S. 438, sieht in der personalen Freiheit die „erste Garantie“ (Hervorhebung im Original) der Wissenschaftsfreiheit; Hailbronner, S. 139; Hartmut Krüger, WissR (19) 1986, 1 (15 f.); Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 157, 161; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 20. 508 BVerfGE 35, 79 (115, 121 ff.); BVerfGE 93, 85 (95); BVerwGE 102, 304 (310); Friauf/Höfling, AfP 1985, 249 (250); Hailbronner, S. 269; Lux, S. 38 f.; Schmidt-Aßmann, S. 704 f. spricht davon, die objektiv-rechtlichen Gehalte dürften nicht gegen die personale Freiheit „ausgespielt“ werden. 509 Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 229; zur außeruniversitären Forschung i. e. S. Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 157. 505
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men werden auch aus Sicht der im Grundgesetz angelegten Gewaltenteilung Bedenken erhoben. Böckenförde befürchtet eine Auflösung des Funktionszusammenhangs zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung und eine Hinwendung zum „Jurisdiktionsstaat“510. Während bei den Abwehrrechten der vom Verfassungsgeber vorgegebene Inhalt von der Rechtsprechung lediglich durch Interpretation ermittelt werden müßte, sei es bei Grundsatznormen erforderlich, den Inhalt durch Gestaltungsakte überhaupt erst zu konkretisieren511. Unabhängig davon, ob man eine derartige Unterscheidung für tragfähig hält512 und die Bedenken somit teilt, läßt sich auch aus anderen Gründen nicht der Charakter der Grundrechte als Freiheitserweiterung und Freiheitseinschränkung zugleich ableiten. So können die vom Bundesverfassungsgericht aus den Grundrechten entwickelten Schutzpflichten nicht als Indiz für einen derartigen ambivalenten Charakter herangezogen werden. Zwar wird sich eine beispielsweise aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abgeleitete Schutzpflicht zugunsten eines bestimmten Personenkreises durchaus als Legitimationsbasis für Freiheitsgrenzen im Verhältnis zu anderen Personen darstellen, deren Verhalten gerade das zu schützende Rechtsgut gefährdet, wie allein der Blick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Schwangerschaftsunterbrechung513 zeigt. Jedoch ist die in diesem Fall auftretende Kollision zwischen Schutzpflicht zugunsten des Lebens des nasciturus und dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau keineswegs grundsätzlich zum Vorteil der aus der objektiven Grundrechtsdimension folgenden Schutzpflicht aufzulösen. Maßgabe ist vielmehr – wie bei allen anderen Konstellationen von Grundrechtskollisionen – die Herstellung praktischer Konkordanz514. Nicht anders läge es bei einer Kollision einer aus Art. 5 Abs. 3 GG folgenden Schutzpflicht zugunsten bestimmter Grundrechtsträger mit den Abwehransprüchen anderer Träger aus dem gleichen Grundrecht. Der Vergleich mit grundrechtlichen Schutzpflichten ist mithin nicht geeignet, um ein Vorrangverhältnis zwischen subjektivem und objektivem Grundrechtsgehalt zu belegen. Auch aus einem weiteren Grund führt die Betrachtung der Rechtsprechung zu den Schutzpflichten im hier interessierenden Problemkreis nicht weiter. Während bei den Schutzpflichten die Legitimationsbasis für Freiheitsbeschränkungen nicht aus der eigenen Grundrechtsposition, sondern aus derjenigen Dritter abgeleitet wird, liegt es bei der Frage nach einer inhaltlichen Ausrichtung der Forschung anders: Hier würde sich die eigene 510
Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (25). Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (22). 512 Ablehnend Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (166 f.). 513 BVerfGE 39, 1 (42 f.); 88, 203 (251). 514 BVerfGE 39, 1 (43); 88, 203 (253 ff.); deutlich auch Hufen, S. 403 zur Wissenschafts- und Kunstfreiheit an Kunst- und Musikhochschulen. 511
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Grundrechtsposition in ihrer objektiven gegen die subjektive Ausprägung wenden. Von Jeand’Heur treffend als „Danaergeschenk“ bezeichnet 515, würde sich die Freiheitsgewährleistung – gleich dem Trojanischen Pferde – inversiv in eine Freiheitsbegrenzung umwandeln. Die in der Verfassung vorgesehenen Grundrechtsbegrenzungen würden ihre Funktion weitgehend verlieren, würde sich über sie und die anerkannte Figur des kollidierenden Verfassungsrechts516 eine weitere Begrenzungsmöglichkeit ergeben. Wenn Art. 1 Abs. 3 GG von der Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt spricht, ist damit recht eindeutig ein Verständnis der Grundrechte ausgeschlossen, nach dem sich ein und dasselbe Grundrecht, auf das sich sein Träger beruft, gegen ihn wendet, ihn bindet und der öffentlichen Gewalt als Legitimationstitel zum Einschreiten gegen ihn selbst dient. Den anderen als abwehrrechtlichen Komponenten eines Grundrechts kommt somit lediglich Ergänzungs- und Unterstützungsfunktion für die abwehrrechtliche Seite zu517, was vom Bundesverfassungsgericht jedoch für das Verhältnis zwischen dem Förderungsgebot des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG und dem abwehrrechtlichen Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG anders beurteilt wird518. Die Ausrichtung auf einen bestimmten Inhalt zum Nutzen für die Gesellschaft beinhaltet die Forschungsfreiheit nach alledem nicht. (3) Irrtümer bei Bestimmung der Nützlichkeit von Forschungstätigkeit Selbst wenn man der objektiv-rechtlichen Komponente der Forschungsfreiheit einen Inhalt dergestalt zugestehen würde, daß die Grundrechtsgewährleistung auch zu dem Zwecke erfolgt sei, dem Interesse und Nutzen der Gesellschaft zu dienen, so folgte daraus keine inhaltliche Vorgabe an 515
Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (162); kritisch auch Höfling, S. 114 f. zum Pflichtcharakter der Menschwürdegarantie. 516 Dazu siehe unten III. 1. 517 BVerfGE 7, 198 (205); 50, 290 (337); ähnlich BVerfGE 35, 79 (116); BVerwGE 102, 304 (311 f.); Alexy, Der Staat 29 (1990), 49 (61) sieht eine primafacie-Vermutung zugunsten der subjektiven Dimension; Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 201; ders., VVDStRL 57 (1998), 7 (14); Classen, S. 133; Dickert, S. 139; Häberle, S. 415; Hillgruber, S. 131 ff.; Hufen, S. 402 f.; Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (167); Hartmut Krüger, WissR (19) 1986, 1 (16); Lux, S. 42; Sachs, Grundrechte, S. 51; Schmidt-Aßmann, S. 703 ff.; zurückhaltender ders., NVwZ 1998, 1225 (1233). Auch das Fazit der vielzitierten Staatsrechtslehrertagung von 1968, die eine „Repersonalisierung“ der Wissenschaftsfreiheit forderte, fällt solcherart aus, dazu Kleindiek, S. 167. Zur Pressefreiheit Faller, WRP 1983, 1029 (1033); Scholz, Pressefreiheit, S. 88. 518 BVerfGE 74, 163 (180); 85, 191 (207); 92, 91 (112); für eine generelle Nachrangigkeit des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG gegenüber dem Diskriminierungsverbot jedoch Sachs, HStR V, Rdnrn. 122 ff.
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die Forschungstätigkeit. Dieser Schluß beruht auf der besonderen Eigenart von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es ist bereits unklar, wie eine Bestimmung der Nützlichkeit von Forschung geschehen könnte. Unlösbare Probleme entstehen namentlich, weil aufgrund der Unabgeschlossenheit und Unvorhersehbarkeit wissenschaftlicher Tätigkeit ohne Irrtum eine Nützlichkeitsprognose nur schwer zu treffen ist. Mit Verwertungsabsicht betriebene Forschung kann im Ergebnis durchaus sozialen Nutzen entfalten, auch wenn die ökonomische Orientierung augenscheinlich egoistisch motiviert ist519. Im Bereich der pharmazeutischen Industrie ist besonders greifbar, daß wirtschaftlicher Erfolg aufgrund der Vermarktung eines Arzneimittels und Nutzen für die Patienten eng verbunden sind. Auf die Nützlichkeit der Forschungsergebnisse für die Gesellschaft kann es nicht nur deswegen nicht ankommen, weil deren Prognostizierung zu Beginn der Erkenntnissuche an großer Unsicherheit leidet, sondern sie ist auch deswegen als Kriterium abzulehnen, weil bei der Beurteilung der Nützlichkeit ein Irrtum der Mehrheit möglich ist520. Bei der Entscheidung über die Nützlichkeit können nicht nur subjektiv sehr unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden521, sondern oftmals wurden in der Vergangenheit gerade bahnbrechende Erfindungen und Entdeckungen anfangs für abwegig gehalten. Motive dafür waren neben purem Unwissen durchaus auch Angst vor dem Verlust der eigenen Macht oder Angst vor den Folgen des Neuen. Würde man also die Festlegung der zulässigen Forschungsgegenstände von Entscheidungen Dritter abhängig machen, dann würden derartige Motivationen die Erkenntnissuche bestimmen. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen aber, daß auf diese Weise die Erforschung neuer Erkenntnisse oftmals behindert worden ist. Prägnantestes Beispiel dafür dürften wohl die religiös-moralisch unerwünschten astronomischen Forschungsergebnisse Galileis sein522. Des weiteren lassen sich folgende historische Ereignisse zur Bestätigung der Gefahr irrtumsbehafteter Einschätzungen der gesellschaftlichen Nützlichkeit anführen523: Im Jahre 1944 stieß Oswald Avery mit der Identifizierung der DNS als Träger der Erbinformation auf eine Mauer der Ablehnung. Auch die Forschungsergebnisse von Wilhelm Conrad Röntgen wurden von renommierten Persönlichkeiten wie Lord Kelvin als „geschickter Schwindel“ bezeichnet – 1901 erhielt Röntgen für seine Entdeckung den Nobelpreis. Ein Chirurgenkongreß reagierte auf die Ent519 520 521 522 523
Classen, S. 137; Schuster, S. 313. Ähnlich Flämig, S. 18. Hailbronner, S. 297, 301 zu § 6 HessUG. Wolters, S. 207. Dazu und zum folgenden u. a. Heldrich, S. 10 f.
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deckung der Lokalanästhesie durch den Mediziner Carl Ludwig Schleich mit einer Abstimmung, die die Angelegenheit für „unwahr“ erklärte. (4) Proportionalität zwischen Unbeeinflußtheit der Forschung und deren Nutzen für die Gesellschaft Eine inhaltliche Vorgabe für die Bestimmung des gesellschaftlichen Nutzens scheidet nicht nur wegen der Unmöglichkeit aus, das Eintreten von Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis vorherzusehen. Vielmehr ist der Nutzen, den die Gesellschaft von Forschungstätigkeit hat, dann am größten, wenn sich die Erkenntnissuche frei von externen, d.h. staatlichen oder gesellschaftlichen Einflüssen entwickeln kann. Wenn sich die Befürworter einer auf gesellschaftlichen Nutzen ausgerichteten Wissenschaft zur Stütze ihrer Aussage auf das Bundesverfassungsgericht berufen524, so ist das fragwürdig. Zwar weist das Gericht der Wissenschaft eine Schlüsselfunktion für die Selbstverwirklichung des Einzelnen und zugleich auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu525. Es spricht allerdings ausdrücklich an, nach welchem Mechanismus die Wissenschaft aus seiner Sicht der Schlüsselfunktion gerecht wird. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist der gesellschaftliche Nutzen dann am höchsten, wenn Wissenschaftler in freier Selbstbestimmung tätig werden können, was insbesondere bedeutet, daß sie von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitserwägungen befreit sein sollen526. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum überwiegt Zustimmung zu dieser Aussage527. Anderer Ansicht ist Hailbronner, der zwar eine in einem bestimmten Interesse betriebene Wissenschaft für unbedenklich hält, die Herausbildung eines für den Nutzen der Gesellschaft notwendigen Gesamtbildes der verschiedenen wissenschaftlichen Ansätze aber nur durch universitäre Forschung gewährleistet sieht528. Demnach wäre es nicht der freie Lauf, der zum Nutzen führte, sondern die Institutionalisierung im Hochschulbereich. Jedoch lassen sich Allgemeininteressen am besten verwirklichen, wenn es den Individuen zugestanden wird, ihre egoistischen Motive zu realisieren. In der klassischen Nationalökonomie hat Adam Smith529 524
So insbesondere Dickert, S. 265; Kleindiek, S. 242. BVerfGE 35, 79 (114); 47, 327 (368, 370). 526 BVerfGE 35, 79 (115 f.); 47, 327 (370). 527 Bleckmann, S. 84; Fink, WissR 27 (1994), 126 (134); Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (230), siehe aber unten; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 180; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 63; Schiedermair, FS Faller, S. 222; ders., WissR 21 (1988), 1 (12 f.); Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (132); Wolfrum/Stoll/ Franck, S. 27 f. Zu den Meinungsgrundrechten Friauf/Höfling, AfP 1985, 249 (250). 528 Hailbronner, S. 67. 525
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ganz entscheidend auf diesen Wirkmechanismus hingewiesen530. Smiths zentrale Entdeckung im Jahre 1759 war, daß bei (wirtschaftlicher) Konkurrenz die am Eigeninteresse orientierten Handlungen zum Wohle aller beitragen können. Unabhängig davon, ob das System der natürlichen Freiheit und die Idee von der „unsichtbaren Hand“ anerkennenswert ist, kann jedenfalls nicht übersehen werden, daß durch die hohe Zahl der forschenden Industrieunternehmen und dem zu Höchstleistungen anspornenden Wettbewerb eine durchaus facettenreiche Forschungslandschaft gebildet wird. Daß sich diese Landschaft an den Bedürfnissen der Verbraucher und damit der Gesellschaft insgesamt vorbei entwickelt, kann kaum angenommen werden, außer, man hält die Bedürfnisse der Verbraucher für unvernünftig. Weshalb die unter wirtschaftlichen Eigenmotiven gewonnenen Therapiemöglichkeiten gegen Krankheiten keinen Nutzen entfalten sollten, müßte erst nachgewiesen werden. Im Gegenteil ist der Motor für Innovationen neben dem reinen Erfindergeist vor allem die Erwartung eines wirtschaftlichen Gewinns. So ist es kein Zufall, daß fast alle neuartigen hochwirksamen Arzneimittel aus dem Bereich der Industrieforschung stammen531. Wirtschaftliche Motive und Absichten schaffen demnach durchaus ein Klima, in dem Ideen besser reifen532 und bewirken auf diese Weise eine Förderung des Nutzens der Forschungsergebnisse für die Gesellschaft insgesamt. Ob zweckgebundene Forschung daher tatsächlich weniger „fruchtbar“ ist als allein um der besseren Erkenntnis betriebene533, kann bezweifelt werden. Im Ergebnis ist es für den Schutzumfang des Art. 5 Abs. 3 GG also gleichgültig, warum ein Forscher eine bestimmte Fragestellung untersucht. Eine gesellschaftliche Nützlichkeit des Forschungsergebnisses oder -inhalts ist nicht erforderlich. Das Streben nach wirtschaftlicher Verwertung ist hinsichtlich der Subsumtion unter den Schutzbereich unschädlich. d) Forschungssteuerung durch materiale Bestimmung des Inhalts Die Ausgrenzung von mit wirtschaftlicher Zielsetzung betriebener Erkenntnissuche aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit stellt einen geradezu „klassischen“ Fall einer staatlichen Steuerung von Forschung in 529 Siehe seine „Theory of moral sentiments“. Auf deutsch herausgegeben von Schachtschnabel, Theorie der ethischen Gefühle, Frankfurt/Main 1949. 530 Bleckmann, S. 84. 531 Verband forschender Arzneimittelhersteller, Der Schutz geistigen Eigentums, S. 25. Auch M. Blankenagel, S. 91; Dickert, S. 83 und Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 73, sehen durch die hohe Zahl von Patentanmeldungen aus dem Kreise der Industrieforscher deren Innovationskraft belegt. 532 Ähnlich Holder, Diskussionsbeitrag in WissR Beiheft 7 (1979), 190 (192). 533 So Zacher, FS Jahr, S. 202.
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zweierlei Hinsicht dar. Zum einen ist bereits das Verlangen von altruistischen statt egoistischen Motivgründen eine inhaltliche Beeinflussung der Forschungstätigkeit. Sehr deutlich wird das, wenn M. Blankenagel davon spricht, dem altruistischen Forscher, der sich unter Inkaufnahme finanzieller Nachteile den Normen der „scientific community“ unterwerfe, dadurch einen Ausgleich zu verschaffen, daß der „egoistische“ (weniger Wert schaffende?) Forscher sich nicht auf den weitgehenden Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG berufen können dürfe534. Hinter dieser Erwägung, durch ein System abgestuften Grundrechtsschutzes Anreize zur Erfüllung bestimmter – nach den obigen Ausführungen nicht verfassungsrechtlich abgesicherter – Anforderungen zu schaffen, verbirgt sich nichts anderes als eine Lenkung der Wissenschaft in eine bestimmte Richtung. Zum anderen findet mittelbar eine Steuerung dergestalt statt, daß bestimmte Inhalte der Forschung ausgeschlossen werden. Wirtschaftlich motivierte Forschung ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, daß sie ihr Erkenntnisstreben weniger an gesellschaftlichen oder weltanschaulichen Bedenken ausrichtet, sondern vielmehr an wirtschaftlichen Erfolgsmöglichkeiten535. Dies hat zur Folge, daß wirtschaftlich motivierte Forschungstätigkeit in dieser Hinsicht wesentlich ungehemmter vonstatten geht als dies möglicherweise in anderen Bereichen der Fall ist. Diese Tatsache macht die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung aus Sicht der Befürworter einer moralisch begrenzten Forschungstätigkeit besonders gefährlich. Es wird beispielsweise die „rücksichtslose Vermarktung sensibler Forschungserkenntnisse aus ungehemmtem Gewinnstreben“ befürchtet536. Die Furcht vor den Folgen der Wandlung der Wissenschaft ist ein wesentlicher Grund für die Versuche, den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG einzuengen537. Intensiv in den Bereich unterschiedlicher weltanschaulicher Ansichten ragen die Bedenken gegen biomedizinische Forschung538. So sollen Grenzen, die zwar überschritten werden können, aber aus Sicht vieler Menschen nicht überschritten werden dürften, dazu führen, daß Erkenntnisse im Verborgenen gelassen werden539. Die vermehrten Möglichkeiten der Wissenschaft, in Bereiche vorzudringen, die bisher tabuisiert waren540, 534
M. Blankenagel, S. 105 f. Siehe oben 4. a) aa) (1). 536 Dickert, S. 36 f. Deutlich auch der frühere Präsident der Berliner Ärztekammer Huber, S. 147: „Der freie Markt und das Profitmotiv als Antrieb für unternehmerisches Handeln gehen letztlich über Menschenleben hinweg“. Allgemeiner sieht Zacher, FS Jahr, S. 200, eine unterschiedliche Rangfolge von Forschung. Diese sei nur soviel wert wie der Zweck, dem sie diene. 537 Ähnlich auch die Feststellung von Losch/Radau, NVwZ 2003, 390 (392). 538 Siehe nur Starck, FS Zeidler, S. 1550. 539 Kritisch auch Burger, S. 158; Heldrich, S. 10, 18; Ronellenfitsch, S. 99. 535
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werden gerade von der Industrieforschung genutzt. Die Frage von der Stellung des Menschen in der Welt gewinnt nicht erst dann Bedeutung, wenn die Erkenntnisse biowissenschaftlicher Forschung den Menschen in die Lage versetzen, bisher bestehende Grenzen der Endlichkeit zu überwinden. Bereits das Wissen um diese Möglichkeit rührt an weltanschauliche Vorstellungen. Biomedizinische Forschung empfinden viele Menschen als Bedrohung für ihr religiöses und weltanschauliches Empfinden, im Hinblick auf Fragen der Keimbahntherapie betrifft das sogar bereits Forschung, die hypothetische Keimbahntherapie erst ermöglichen würde541. So wird – ebenfalls im Bereich der gentechnischen Möglichkeiten – von irreparablen Manipulationen am „Bild“ des Menschen gesprochen542. Allerdings ist es gerade das Wesen freier Forschung – ohne Unterdrückung wissenschaftlicher Wahrheiten – das religiös beschriebene Phänomen der Schöpfung erklärbar zu machen543. Weil Forschung nicht aufhören wird, auch die Natur des Menschen zu hinterfragen544, stößt sie zwangsläufig an die von anderen als wissenschaftlichen Autoritäten vorgegebene Auffassung von der Natur des Menschen. Eine die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit aussondernde Auslegung verstößt nach alledem gegen das Gebot, Inhalte fremder Forschung nicht zum Gegenstand staatlicher Vorgaben zu machen. e) Bestehen anderer Schutzmöglichkeiten ohne Relevanz Letztlich wird gegen den Schutz von mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebener Forschung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eingewandt, daß es eines solchen besonderen Schutzes nicht bedürfe545. Denn wirtschaftlich Tätige, insbesondere Wirtschaftsunternehmen könnten sich auf den Markt stützen, im Gegensatz dazu sei die Universität von staatlichen Zuwendungen existentiell abhängig und bedürfe daher eines besonderen Schutzes546. Ähnlich wird bei der Anwendung der Religionsfreiheit auf wirtschaftlich ausgerichtete Sachverhalte argumentiert: Es stelle kein Problem dar, wenn 540
Thieme, DÖV 1995, 82. Ronellenfitsch, S. 91, 96. 542 Turner, ZRP 1986, 172 (174). 543 Losch, S. 128; Ronellenfitsch, S. 96, 99; Wolters, S. 208. 544 Turner, ZRP 1986, 172 (175); Wagner, NVwZ 1998, 1235; speziell zur anwendungsbezogenen Forschung Karpen, JZ 1999, 613 (614). 545 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (94); der gleiche Ansatz findet sich auch bei M. Blankenagel, S. 109, 118; etwas undeutlicher Kleindiek, S. 333; Roellecke, BB 1981, 1905 (1906). 546 Roellecke, BB 1981, 1905 (1906). 541
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Art. 4 GG insofern nicht angewandt werde, da ohne Schaden auf andere Grundrechte zurückgegriffen werden könne547. Zusätzlich wird darauf hingewiesen, daß der Grundrechtsträger selbst wählen könne, ob er günstige oder ungünstigere Rahmenbedingungen für seine wissenschaftliche Tätigkeit haben möchte. Diese Wählbarkeit des Grundrechtsschutzes ermögliche gerade erst die von der Verfassung vorgegebene differenzierende Zuordnung zu universitärer oder industrieller Forschung548. Eine fehlende Schutzbedürftigkeit von Forschung, die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betrieben wird, kann aber schon allein deswegen nicht angenommen werden, weil sie nach den obigen Darlegungen unter Art. 5 Abs. 3 GG subsumiert werden kann. Die Tatsache, daß für den Fall der Aussonderung der Industrieforschung aus dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG diese nicht etwa gar keinen grundrechtlichen Schutz genösse, sondern ein solcher durch Art. 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 und letztlich Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet würde, hat keine Relevanz für die Zuordnung der industriell betriebenen Forschung. Da die Summe der Grundrechte jedes menschliche Verhalten schützt, kann es nicht um die Frage gehen, ob es überhaupt einen Schutz gibt, sondern nur darum, wie intensiv er ist. Hielte man alternative Schutzmöglichkeiten für auslegungsleitend, so würde die Existenz von Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht differenzierte Überlegungen zur Schutzbereichsanalyse der spezielleren Grundrechte überflüssig machen. Der Hinweis auf die Wählbarkeit des Grundrechtsschutzes durch das Individuum geht insgesamt deswegen fehl, weil es nicht darauf ankommt, zwischen zwei oder mehr Schutzalternativen Auswahl zu besitzen. Entscheidend ist vielmehr, daß sich nach den obigen Ergebnissen auch der mit Verwertungsabsicht Forschende von Verfassungs wegen auf den vergleichsweise starken Schutz des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG berufen können soll. Seiner Wahl ist es überlassen, ob er im Einzelfall eine Verletzung dieser Grundrechtsposition rügt oder nicht. Auch der (gut gemeinte?) Hinweis Roelleckes, der Grundrechtsschutz durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG könne für die Industrie im Hinblick beispielsweise auf die weitreichende Mitbestimmung an Hochschulen sogar eher eine Belastung sein549, ist nicht geeignet, Aufschluß darüber zu geben, ob mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung dem Schutz der Forschungsfreiheit unterfällt. Zwar mag die Wertung, die Wissenschaftsfreiheit habe seit 1968 insgesamt ihre „politische Unschuld“ verloren, nicht 547
Von Campenhausen, HStR VI, Rdnr. 72. A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (97); den Aspekt der Wählbarkeit betont auch M. Blankenagel, S. 108 f., 118. 549 Roellecke, BB 1981, 1905 (1906 f.). 548
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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ganz fern liegen550, jedoch ist sie für die Auslegung des Grundrechts unerheblich. Zum einen gewährt Art. 5 Abs. 3 GG in jedem Fall einen weitergehenderen Schutz als die alternativ in Frage kommenden Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, 14 und 2 Abs. 1 GG. Zum anderen ist die Aussage Roelleckes bzgl. der Belastung auch bei unterstellter Richtigkeit nicht relevant für die Auslegung. Wenn die Verfassung von einem Grundrecht tatsächlich partiell auch Beschränkungen oder Pflichten ausgehen ließe – wie im Falle des Einwands von Roellecke die stärkere Mitbestimmung –, würde das nichts daran ändern, daß gleichwohl der Schutzbereich eröffnet wäre. Immerhin können sich unbestritten Hochschullehrer auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen, obwohl sie durch die Mitbestimmung partiell in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. 5. Ergebnis Wirtschaftliche Motive der Forschenden führen nicht zu einer Restriktion des Schutzbereiches. Gestützt wird damit die im Ergebnis gleichlautende überwiegende Auffassung in der Rechtswissenschaft, die jedoch bisher kaum gegenüber abweichenden Stellungnahmen verteidigt worden ist.
II. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung 1. Allgemeine Anforderungen an die Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung Die Frage der allgemeinen Grundrechtsdogmatik, wann nachteilige Einwirkungen auf den Schutzbereich eines Abwehrrechts gegenüber dem Staat oder sonstigen Grundrechtsverpflichteten Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche auslösen, also eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung darstellen, kann trotz ihrer Bedeutsamkeit für die Feststellung von möglichen Grundrechtsverletzungen nicht als geklärt bezeichnet werden551. Schwierigkeiten eröffnen sich insbesondere in den Fällen, die jenseits des sogenannten klassischen Grundrechtseingriffs als dem häufigsten Unterfall der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung liegen. Der „klassische“ Grundrechtseingriff erlaubt es unter Heranziehung von im wesentlichen vier Kriterien, eine grundrechtsverkürzende Handlung als solche zu qualifizieren, die von verfassungsrechtlichen Begrenzungsvorbehalten gedeckt sein muß. Verlangt wird, daß die Grundrechtsverkürzung imperativ, also durch Befehl und 550 So auch Seibert, WissR 16 (1983), 130 (140); einen Verlust der „Unschuld“ der Wissenschaft konstatiert auch Dickert, S. 97 f. 551 Von einer „Krise“ des Grundrechtseingriffs spricht Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (37); „viele Unklarheiten“ sieht Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 83.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Zwang, final, also zielgerichtet, unmittelbar und als Rechtsakt auf den Grundrechtsträger wirkt552. Die Frage nach der Wirkung im Einzelfall wird angesichts der durch Art. 1 Abs. 3 GG aufgestellten Grundrechtsbindung auch des jenseits von Einzelfallregelungen agierenden Gesetzgebers als überholt bezeichnet 553. Durchweg anerkannt ist in der heutigen Grundrechtsdogmatik, daß der Grundrechtsschutz im Hinblick auf geänderte Gefährdungslagen nicht bei der Abwehr „klassischer“ Grundrechtseingriffe Halt macht554. Fraglich und nicht geklärt ist indes, in welchem Umfange sonstige Grundrechtsbeeinträchtigungen verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig sind. Die Bemühungen um die Herleitung von entsprechenden konkretisierenden Kriterien werden u. a. durch die Sorge beeinflußt, daß die Handlungsmacht des Staates, dessen Zuständigkeiten sich im Zeitalter des Sozialstaates weit ausgedehnt haben, durch eine zu weitgehende Annahme der Rechtfertigungsbedürftigkeit von Grundrechtsbeeinträchtigungen in praktisch nicht nachvollziehbarer Weise eingeengt wird555. Weitgehend gebilligt wird hinsichtlich der Feststellung staatlicher Verantwortlichkeit für den Eintritt einer Einwirkung auf einen grundrechtlichen Schutzbereich die Kausalität als Mindestvoraussetzung556. Die Notwendigkeit dieses Kriteriums läßt sich aus Art. 1 Abs. 3 GG ableiten. Eine Bindung des Staates an die Grundrechte kann sich im Einzelfall nur dann ergeben, wenn staatliches Handeln die Grundrechtsbeeinträchtigung bedingt hat. Welche weitergehenden Zurechnungskriterien notwendig sind, um einen Bedingungszusammenhang festzustellen, wird unterschiedlich beurteilt. Unter Rückgriff auf die Lehre vom Handlungsunrecht wird eine Grundrechtsbeeinträchtigung nur dann als relevant angesehen, wenn neben der Kausalität zwischen dem beeinträchtigenden Verhalten und dem Eintritt des 552 Jüngst BVerfG, NJW 2002, 2626 (2628); weiter etwa Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (37); Isensee, HStR V, Rdnr. 61; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57 (60); ausführlich zu den einzelnen Merkmalen Eckhoff, S. 175 ff; Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 104 ff. Ob die einzelnen Kriterien kumulativ, isoliert oder in einzelnen Kombinationen heranzuziehen sind, wird unterschiedlich beurteilt, siehe dazu nur die Zusammenstellung bei Ziekow, S. 534. 553 Isensee, HStR V, Rdnr. 61; Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 127; ders., in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 82. Auch Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (38 f.) nennt dieses Merkmal nicht. 554 BVerfG, NJW 2002, 2626 (2628 f.); Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57 (74 ff.). 555 Siehe nur Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (40 f.); Isensee, HStR V, Rdnr. 65; A. Roth, S. 163; Sachs, Grundrechte, S. 108; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57 (76). 556 So BVerfGE 66, 39 (60 f.); Eckhoff, S. 278; Gallwas, S. 11; Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89 (99); Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 128; Ziekow, S. 539.
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Beeinträchtigungserfolgs das beeinträchtigende Verhalten zusätzlich bestimmte Anforderungen erfüllt557. In ähnlicher Weise wird verfahren, indem der Schutzzweck der Norm zur Begrenzung des Zurechnungszusammenhangs herangezogen wird558 und gefragt wird, ob die jeweils vorliegende Beeinträchtigung Ausdruck derjenigen Gefahr ist, gegen die das Grundrecht gerade Schutz bieten will559. Teilweise wird eine zwischen den unterschiedlichen Beeinträchtigungsformen differenzierende Lösung angeboten. Bei staatlicherseits verursachter Alleinbeeinträchtigung soll neben der Kausalität zwischen Handeln und Eintritt der nachteiligen Wirkung kein weiteres Merkmal notwendig sein. Bei Drittbeeinträchtigungen dagegen, in denen der Staat und dritte Privatpersonen gemeinsam die Grundrechtsbeeinträchtigung herbeiführen560, ohne daß der Staat das Drittverhalten durch auf dieses gerichtete Imperative veranlassen würde, wird zur Feststellung einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung die bloße Kausalität nicht für ausreichend gehalten. So wird eine Zurechnung bereits dann ausgeschlossen, wenn ein privater Akteur dem von ihm zusammen mit dem Staat verursachten freiheitsmindernden Erfolg näher steht als der Staat561. Andererseits wird die staatliche Verantwortlichkeit bejaht, solange das Verhalten des Dritten keine ungewöhnliche und fernliegende Reaktion auf das staatliche Verhalten ist562. Daneben werden Fremd- und Selbstbeeinträchtigungen unterschieden563. Erstgenannte betreffen Fälle, in denen fremde, d.h. ausländische Staatsgewalt auf Verursachung der deutschen Staatsgewalt Grundrechtsbeeinträchtigungen vornimmt. Selbstbeeinträchtigungen beruhen auf freier Willensentscheidung des Grundrechtsträgers selbst, die freilich vom Staat verursacht wurde. Für die weitere Erläuterung dieser beiden im Rahmen dieser Untersuchung irrelevanten Fallgruppen ist hier nicht der Ort. Für staatlich allein verursachte Grundrechtsbeeinträchtigungen, die jenseits eines „klassischen“ Eingriffs liegen, ist im Ergebnis kein Raum für die Anwendung eines der soeben diskutierten Zurechnungskriterien neben dem557 Kirchhof, Mittelbarkeit, S. 77 ff., 81 f. Dagegen, jedenfalls soweit es sich nicht um Drittbeeinträchtigungen handelt: Eckhoff, S. 266; A. Roth, S. 296 ff.; Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 149 ff. 558 BVerfGE 71, 183 (192); Ramsauer, S. 161 ff.; ders., VerwArch 72 (1981), 89 (99 ff.); wohl auch Alexy, S. 277 f. und BVerwGE 71, 183 (192). Dagegen, jedenfalls soweit es sich nicht um Drittbeeinträchtigungen handelt: Eckhoff, S. 265 f.; A. Roth, S. 312 ff.; Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 155 f. 559 Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89 (102). 560 Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 171. 561 Lorenz, HStR VI, Rdnr. 24; Morlok, S. 417. 562 A. Roth, S. 221 ff.; Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 187, 195. 563 Dazu und zum folgenden siehe nur Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 91 ff.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
jenigen der als Mindestvoraussetzung anerkannten der Kausalität564. Hat der Staat eine Grundrechtsbeeinträchtigung alleine hervorgerufen, so ist er auch für nicht vorhersehbare Beeinträchtigungen verantwortlich. Einen Ansatzpunkt, die von Art. 1 Abs. 3 GG aufgestellte Grundrechtsbindung auf solche Fälle zu beschränken, in denen die vom staatlichen Handeln ausgehende Einwirkung auf grundrechtlich geschütztes Verhalten nicht vorhersehbar ist und neben einem staatlichen Verursachungsbeitrag weitere kausale Umstände hinzutreten, bietet die Verfassung nicht. Hinsichtlich der für den Fortgang der vorliegenden Arbeit bedeutsamen Konstellation von Drittbeeinträchtigungen bedarf es jedoch einer näheren Untersuchung der Abgrenzungsproblematik zwischen rechtfertigungsbedürftigen und irrelevanten Grundrechtsbeeinträchtigungen. Eine generelle Zurechnung auch nicht gezielt veranlaßten Drittverhaltens ist deswegen überzeugend, weil sie geeignet ist, effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Zwar kann dem Staat angesichts der vielfältigen Anstöße, die er während seiner Tätigkeit ungezielt für das Verhalten Dritter setzt, nicht jede von Privaten herbeigeführte Grundrechtsbeeinträchtigung zugerechnet werden565, aber aus dieser Gefahr einer zu weitgehenden Inhaftungsnahme des Staates folgt nicht, daß er ganz aus der Verantwortung zu entlassen wäre. Vielmehr ist der Gefahr mit einem begrenzenden Zurechnungskriterium zu begegnen. Der Blick auf in anderen Rechtsgebieten entwickelte Kriterien zur Zurechnung bestimmter Erfolge vermag bei dem Auffinden eines solchen begrenzenden Kriteriums zu helfen. Das der strafrechtlichen Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit nahestehende Merkmal der Finalität staatlichen Handelns ist zwar als hinreichendes Kriterium zur Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung anerkannt566, jedoch kaum geeignet, um eine zweckmäßige Präzisierung der Relevanz von Grundrechtsbeeinträchtigungen vorzunehmen. Wo die Grenze zwischen gewollten und lediglich in Kauf genommenen Grundrechtsbeeinträchtigungen verläuft, ist nur schwer feststellbar567. Der Blick auf die im Strafrecht vorhandenen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit568 zeigt, daß mit dem Kriterium der Finalität, das auf die Motivation des Staatshandelns abstellt, wenig Klarheit zu erreichen ist. Zudem würde Finalität nur „Feindseligkeiten“ des Staates erfassen, weniger 564 W. Roth, S. 135 ff., 225 ff.; insbes. Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 164 ff., 181 ff.; ders., in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 88; ansatzweise Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57 (91). 565 So auch Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 171, 191. 566 BVerfGE 47, 1 (21); 80, 109 (121); BVerwGE 71, 183 (194); 90, 112 (120); deutlich auch Sachs, Grundrechte, S. 109. 567 Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 179 f.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57 (90).
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folgenschweres Verhalten ohne zielgerichtete Schädigungsabsicht aber ausklammern569. Das im Polizeirecht zur Feststellung der Störereigenschaft verwendete Kriterium der Unmittelbarkeit der Verursachung der Gefahr bzw. Störung570 wird sowohl in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung571 als auch im Schrifttum572 überwiegend als ebenfalls ungeeignet für die Lösung der Zurechnungsproblematik empfunden. Das Merkmal mag schwer faßbar und daher praktisch nicht anwendbar sein573, seine Unergiebigkeit für die hier interessierende Abgrenzung zwischen Grundrechtsbeeinträchtigungen, die nicht relevant sind und solchen, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen, ergibt sich aber aus einem anderen Gesichtspunkt. Allein der Umstand, daß ein Handeln der öffentlichen Gewalt die Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht auf direktem Wege bedingt, sondern u. U. erst auf komplexere Weise auf das grundrechtliche Schutzgut einwirkt, kann die Verantwortlichkeit der öffentlichen Gewalt nicht ausschließen. Nicht nur die Lebensumstände der modernen Gesellschaft sind von deutlicher Komplexität, sondern auch das Staatshandeln, das auf diese Lebensumstände einwirkt. Insbesondere die Leistungsverwaltung wirkt kaum in unmittelbarer Weise auf Grundrechte ein, so daß dieser Bereich bei Anwendung eines Unmittelbarkeits-Kriteriums in weiten Teilen faktisch der Grundrechtsbindung entzogen wäre. Hingegen kann auf die zivilrechtliche Dogmatik zur Störungsabwehr und Schadenszurechnung zurückgegriffen werden. Ebenso wie im Zivilrecht, wo der adäquate Kausalzusammenhang, also die Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts unter gewöhnlichen Umständen zwischen dem Handeln des zivilrechtlich in Anspruch Genommenen und der Störung bzw. dem Schadenseintritt Voraussetzung für dessen Haftung ist574, muß die dem Staat gegenüber erfolgende Zurechnung durch Verhalten Privater verursachter Grundrechtsbeeinträchtigungen anhand des Kriteriums der Adäquanz vorge568
Vgl. nur Schmidhäuser, JuS 1980, 241 ff., der die Abgrenzung von bedingtvorsätzlicher und fahrlässiger Straftat für eine der schwierigsten Fragen im Strafrecht hält. 569 Sachs, Grundrechte, S. 108. 570 Dazu Friauf, Rdnr. 76. 571 BVerfGE 13, 181 (185 f.); 66, 39 (60); 82, 209 (223). 572 Philipp, S. 113 f.; Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 87; ders., in: Stern, III/2, § 78, S. 145 f.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57 (88 f.). 573 Sehr kritisch insbes. Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 147 ff., der von einer „Leerformel“ spricht; ähnlich Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57 (88). 574 BGHZ 7, 204; 57, 141; NJW 1998, 140; Larenz, § 27 III; näher zu der Herleitung des Adäquanzkriteriums für die Grundrechtsdogmatik Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 191.
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nommen werden575. Neben der Schadenszurechnung (§§ 249 ff. BGB) kann auch die im Rahmen von § 1004 BGB erfolgende Bestimmung des Schuldners des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs herangezogen werden. Auch dort ist entscheidend, ob eine Beeinträchtigung des Eigentums durch die Handlung eines Dritten adäquat verursacht wurde576. Weitere begrenzende Kriterien in Fällen der Drittbeteiligung werden im Zivilrecht grundsätzlich nicht aufgestellt. So ist anerkannt, daß die Schadenszurechnung nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß außer dem zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignis noch andere Ursachen zur Schadensentstehung beigetragen haben577. Daraus folgt, daß das Verhalten der privaten Dritten dem Staat nicht etwa deswegen nicht zugerechnet werden kann, weil der Kausalzusammenhang zwischen dem staatlichen Handeln und dem Eintritt der Grundrechtsbeeinträchtigung durch das Verhalten der Dritten unterbrochen würde. Die solcherart vorgenommene Konkretisierung der Zurechnungskriterien erweist sich unter zwei Gesichtspunkten als sachgerecht. Zum einen trägt sie der Notwendigkeit Rechnung, nicht jedes Staatshandeln, das auch nur in ganz entfernter Weise eine Grundrechtsbeeinträchtigung hervorruft oder beeinflußt, an verfassungsrechtlichen Begrenzungsvorbehalten rechtfertigen zu müssen. Zum anderen stellt die Berücksichtigung der Vorhersehbarkeit von Auswirkungen eines Staatshandelns auf grundrechtlich geschütztes Verhalten sicher, daß der Bürger gegen solche Grundrechtsverkürzungen Schutz genießt, deren Vermeidung wegen ihrer Erkennbarkeit dem Staat zumutbar ist. 2. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG Hinsichtlich der Prüfung der Vereinbarkeit der im 2. Teil dieser Untersuchung beschriebenen Anforderungen des AMG an die klinische Prüfung mit der Forschungsfreiheit sind zwei Ansatzpunkte zu unterscheiden. Nach Darstellung der verschiedenen Ansichten zu dieser Frage (unten a), b)) wird der Umstand untersucht, daß eine Überprüfung der klinischen Prüfung auf ihre ärztliche Vertretbarkeit und damit auf ihre moralische Werthaltigkeit stattfindet. Im Ergebnis wird hierin eine inhaltliche Steuerung der Forschung gesehen (unten c)). Diese Steuerung wird auch nicht dadurch ver575
Damit kommt dieser Lösungsansatz der generell, also nicht lediglich bei Drittbeeinträchtigungen vertretenen Lehre vom Schutzzwecktheorie nahe, dazu s. o. und insbes. Ramsauer, S. 161 ff. 576 BGH, NJW 2000, 2901. 577 BGH, NJW 1990, 2883; NJW 2000, 947.
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hindert, daß eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit nicht in Frage kommt, wenn bei wissenschaftlicher Tätigkeit ethische Standards nicht beachtet werden (unten c) bb)). a) Ansatzpunkte zur Ablehnung einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung Die jahrelangen Erfahrungen mit der praktischen Arbeit der Ethik-Kommissionen werden durchweg sehr positiv beurteilt578. Jedoch wird allgemein zu dem Ziel, ethischen Maßstäben in der Forschung am Menschen eine höhere Bedeutung zukommen zu lassen, kritisch angemerkt, daß die EthikKommissionen „abgestorbenen Normen“ kein neues Leben einhauchen könnten579. Neben diesen Beurteilungen der praktischen Arbeit, wird in weiten Teilen eine grundrechtliche Problematik verneint. Eine Grundrechtskonformität der entsprechenden Regelungen des AMG wird – eher stillschweigend580 – überwiegend mit dem Argument angenommen, die Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit durch die Ethik-Kommission schütze den Forscher davor, die Grenzen des „ethisch Zulässigen“ zu überschreiten581 und bewahre ihn vor „ethisch bedenklichen“ Vorhaben582. Der von der Tätigkeit der Ethik-Kommissionen erhoffte Schutz von Patienten und von Probanden vor gefährlicher und überraschender Forschung583 ist aber wohl eher als Argument für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung anzusehen, als für eine immanente Schutzbereichsbegrenzung. Ausdrücklich werden solche dogmatischen Einordnungen jedoch nicht vorgenommen. Dadurch, daß es dem Forscher erst durch die Einholung des Votums der Ethik-Kommission ermöglicht zu werden scheint, sich ein Urteil über die Vertretbarkeit seines Projekts zu bilden584, so könnte man argumentieren, werde also 578 Bork, DRiZ 1986, 166 (168): „Ethik-Kommissionen sind weitgehend akzeptiert“; Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, zit. nach Pfeiffer, VersR 1990, 685: „grundsätzlich sachgerecht“; Deutsch, VersR 1999, 1 (5); Freund, MedR 2001, 65 (66); Sobota, AöR 121 (1996), 229 (251): „große Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit, mit der in Ethik-Kommissionen gearbeitet wird“; Tiedemann, ZRP 1991, 54 (55): „im Grunde bewährt“. Jedoch kritisch dazu, daß die Kommissionen die wissenschaftliche Qualität eines Vorhabens nur unzureichend prüfen, Victor, MedR 1999, 408 (410). 579 Freund, MedR 2001, 65. 580 So äußert sich z. B. Oppermann, HStR VI, Rdnr. 29 nur dazu, daß „schwierige Grenzziehungen“ bestehen. 581 Van den Daele/Müller-Salomon, S. 32 f. mit Zitaten von Mitgliedern von Ethik-Kommissionen; Deutsch, VersR 1999, 1 (4); ders., NJW 1995, 3019 (3023); Pfeiffer, VersR 1991, 613 (616); Wenckstern, S. 19. 582 Laufs, NJW 1990, 1505 (1511). 583 Deutsch, VersR 1999, 1 (4); ders., NJW 1995, 3019 (3023); Pfeiffer, VersR 1991, 613 (616).
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
nicht in einen von der Forschungsfreiheit geschützten Bereich eingegriffen. Vielmehr, so wäre wohl aus Sicht dieser Ansicht zu begründen, werde dem Forscher gleichsam erst die Möglichkeit eröffnet, die immanente Schranke seines Verhaltens zu erkennen. Ein weiterer Ansatzpunkt, um eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung zu verneinen, liegt darin, eine Geringfügigkeitsgrenze nicht als erreicht anzusehen. Da nach Auffassung von Vertretern der Literatur von einer Wissenschaftssteuerung nur in einem „sehr abgeschwächten Sinne“ gesprochen werden kann585, fehlt es dieser Ansicht nach an einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung. Insbesondere könne eine Steuerung in eine bestimmte Richtung schon nach dem Zuschnitt des Verfahrens nicht stattfinden, da die Kommission nur auf die Antragsstellung hin reagiere und nicht die Einleitung des Verfahrens beherrsche. b) Ansatzpunkte zur Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung Im Schrifttum wird – eher in geringer Zahl – Gegenposition zu der Annahme bezogen, daß die Pflicht, das Votum einer Ethik-Kommission einzuholen, mit der Forschungsfreiheit vereinbar sei. Diese Auffassung sieht eine Beeinträchtigung des weiten Schutzbereiches der Forschungsfreiheit586. Insbesondere die aus Sicht der anderen Auffassung (oben a)) bestehende Notwendigkeit, den Forscher vor Überschreiten der Grenzen des ethisch Zulässigen zu schützen, verletze die Forschungsfreiheit, weil Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eine Neutralitätsverpflichtung enthalte, die dem Forscher eben Schutz vor solchen aufgezwängten ethischen Verhaltensmaßstäben biete587. Eine im Verhältnis zum Recht irgendwie geartete Überwindungsfunktion der Ethik wird abgelehnt. Das Recht gehe der Ethik vor588. Die Forschungsfreiheit unterliege auch keiner immanenten Begrenzung im engeren Sinne. Der Wissenschaftspluralismus verbiete eine Unterscheidung nach „guten“ und schlechten“ wissenschaftlichen Zielen oder Gegenständen589. Vor allem aber werde damit entgegen dem Verbot staatlichen Wissenschaftsrichtertums auf die Fragestellung und Methode der Wissenschaft Einfluß genommen. 584
Schröder, VersR 1990, 243 (253). Freund, MedR 2001, 65 (71); Schröder, VersR 1990, 58 (60). 586 Ohne konkrete Subsumtion Gramm, WissR 32 (1999), 209 (216); Trute, S. 167, der den Eingriff jedoch für gerechtfertigt hält; Wagner, S. 55 f.; Wolters, S. 205. 587 Kriele, ZRP 1975, 260 (265). 588 Pfeiffer, VersR 1994, 1377 (1381); Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (60); Sobota, AöR 121 (1996), 229 (251). 585
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c) Eigener Ansatz Unabhängig von der Frage, ob bereits die Pflicht, sein wissenschaftliches Vorhaben überhaupt einer ethischen Beurteilung unterziehen zu lassen, eine relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG darstellt590, ist im Hinblick auf eine Verkürzung der Forschungsfreiheit problematisch, daß die klinische Prüfung eines Arzneimittels nur dann zulässig ist, wenn nach Auffassung der prüfenden Ethik-Kommission die nach standesethischen Gesichtspunkten festzustellende ärztliche Vertretbarkeit im o. g. Sinne besteht. Auf diese Weise findet eine Regulierung wissenschaftlicher Tätigkeit ihrem Inhalte nach aufgrund moralischer Wertungen statt. Die Durchführung von Forschung am Menschen, die diesen Wertungen nicht entspricht, ist strafbedroht (§ 96 Nr. 10 AMG). Da die Vorschriften über den Schutz des Menschen bei der klinischen Prüfung (§§ 40 ff. AMG) auch dann gelten, wenn die Zulassung des zu untersuchenden Arzneimittels nicht beabsichtigt ist591, wird die Forschung am Menschen auch über die Arzneimittelzulassung hinaus der Steuerung durch die Ethik-Kommissionen unterworfen. Die Verwirklichung eines konkreten Forschungsvorhabens wird im Ergebnis von den höchstpersönlichen Gewissensentscheidungen der Mitglieder der EthikKommission abhängig gemacht592. Die in Verbindung mit der Entscheidung der Genehmigungsbehörde erfolgte Einflußnahme auf Fragestellung, Methode, Materialsammlung und vor allem auf den Inhalt des Forschungsvorhabens ist mit dem Verbot staatlichen Wissenschaftsrichtertums nicht vereinbar. Aufschlußreich für die Untersuchung des hier interessierenden Bereichs könnte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 6 HessUG sein. Im Fall der von § 6 HessUG normierten Pflicht, gesellschaftliche Folgen der Forschung zu beachten593, hat das Bundesverfassungsgericht eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung erkannt. Es hat ausgeführt, im persönlichen Bereich des einzelnen Wissenschaftlers könne vor allem die wissenschaftliche Fragestellung und die Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Forschung und Lehre dadurch beeinflußt werden, daß die Wissenschaftler unabhängig von ihrem eigenen wissenschaftstheoretischen 589 Von Kirchbach, S. 16; Sobota, AöR 121 (1996), 229 (251); ähnlich Scholz/ Stoll, MedR 1990, 58 (60); zu § 6 HessUG: Kupfer, WissR 4 (1971), 117 (122); Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (232). 590 Für einen Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG ausreichend nach Grupp, in: Furkel/ Jung, S. 136; Schröder, VersR 1990, 243 (251) (der i. E. aber keine Verletzung sieht); zu § 6 HessUG Kupfer, WissR 4 (1971), 117 (122, 132). 591 Siehe oben 2. Teil C. 592 Gramm, FS Hollerbach, S. 621 f. 593 Jetzt § 7 Abs. 2 HessHochschulG. Vergleichbare Regelungen existieren in § 6 Abs. 1 BremHochschulG und § 4 Abs. 6 SachsAnhHochschulG.
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Standort die gesellschaftlichen Folgen mitzubedenken hätten. Im Ergebnis wurde zwar für besonders qualifizierte Folgen eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung angenommen594, jedoch stellte das Gericht fest, daß durch diese Verpflichtung in den eigengesetzlichen Prozeß wissenschaftlichen Suchens und Erkennens von außen her eingegriffen werde595. Als einen bloßen moralischen „Appell“ kann man die Vorschrift nicht auffassen. Vielmehr stellt sie eine echte Rechtspflicht dar596. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich zwar zum Teil auf die Arzneimittelforschung übertragen, zu einem anderen Teil ist die Fallkonstellation aber anders gelagert. Wie im dort entschiedenen Fall, prüfen hier die Ethik-Kommissionen nämlich ethische und juristische Aspekte in der konkreten Form wissenschafts-methodischer Anforderungen597. Um mit einem zustimmenden Votum rechnen zu können, muß der Forschende also auch seine methodischen Erwägungen dahingehend beleuchten, ob sie den Abwägungsanforderungen der Kommission standhalten. Beachtet er dies bereits im Vorfeld und richtet den Versuchsaufbau daran aus oder wird nachträglich sein Versuchsaufbau verworfen, weil er den von der Kommission aufgestellten Anforderungen nicht entspricht, so wird – ebenso wie im Fall von § 6 HessUG – in den Prozeß wissenschaftlichen Suchens und Erkennens eingegriffen. Die Prüfung durch die EthikKommission wirkt abschreckend oder modifizierend auf das Forschungsprojekt ein598. Anders als im Fall von § 6 HessUG, findet hier jedoch eine verbindliche Steuerung statt: Genügt der Forscher den ethischen Beurteilungen des Gremiums nicht, so darf er sein Forschungsvorhaben nicht durchführen. Im Falle der Zuwiderhandlung drohen ihm insbesondere strafrechtliche Folgen (§ 96 Nr. 10 AMG). Die Grundrechtsbeeinträchtigung kann also dem „klassischen“ Grundrechtseingriff zugeordnet werden. Gegen dieses Ergebnis kann nicht eingewandt werden, die ablehnende Entscheidung der Ethik-Kommission entfalte für sich genommen keine Verbindlichkeit599, weil erst die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu einer Einwirkung auf die klinische Prüfung führe. Zum einen kann die klinische Prüfung auch ohne das Mitwirken der Behörde in Form eines Wider594
Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung siehe unten III. BVerfGE 47, 327 (377 f.); ähnlich Kupfer, WissR 4 (1971), 117 (130); Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (113). 596 BVerfGE 47, 327 (375, 382); Dickert, S. 377; Hailbronner, S. 298; Kupfer, WissR 4 (1971), 117 (119). 597 Czwalinna, MedR 1986, 305 (309). 598 Wolters, S. 205. 599 So aber Gramm, FS Hollerbach, S. 622; Sobota, AöR 121 (1996), 229 (258). 595
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spruchs rechtswidrig sein. Das ist dann der Fall, wenn mit der Prüfung begonnen wird, ohne daß ein Votum der Ethik-Kommission eingeholt wurde. Die Rechtsverbindlichkeit kann also jedenfalls insoweit nicht in Frage stehen. Für die Fälle, in denen zwar ein Votum eingeholt wurde, dieses aber negativ ausfällt, ergibt sich zum anderen eine präjudizielle Wirkung des Votums auf die sich anschließende erst verbindliche Entscheidung der Genehmigungsbehörde. Nach § 40 Abs. 1 S. 3 AMG kann mit dem Forschungsvorhaben, der klinischen Prüfung, zwar begonnen werden, wenn die zuständige Bundesbehörde nicht innerhalb von 60 Tagen nach Eingang der Unterlagen i. S. v. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 AMG widersprochen hat. Allerdings werden die zuständigen Bundesbehörden in so gut wie allen Fällen widersprechen, in denen die Kommission die klinische Prüfung für ärztlich nicht vertretbar hält. Grund hierfür ist sicherlich auch, daß andernfalls Amtshaftungsansprüche von im Verlauf der klinischen Prüfung geschädigten Probanden oder Patienten zu befürchten wären. Zudem wird auf das Votum der lokalen Ethik-Kommission unter anderem deswegen großer Wert gelegt, weil sie u. a. auch die Einrichtung beurteilt, in der die klinische Studie durchgeführt wird und die personelle Besetzung der Prüfer samt deren Qualifikation begutachtet600. Die Begutachtungen dieser Umstände können von den zuständigen Bundesbehörden kaum überprüft werden. Im Ergebnis hat damit ein ablehnendes Votum der Ethik-Kommission zugleich einen Widerspruch der zuständigen Bundesbehörde nach § 40 Abs. 1 S. 3 AMG zur Folge601. Wie im zweiten Teil erwähnt, wird eine die klinische Prüfung nicht befürwortende Stellungnahme der Ethik-Kommission nach Umsetzung der EG-Richtlinie vom 04.04.2001 eine noch stärkere Wirkung haben: Art. 9 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie beinhaltet für diesen Fall ein ausdrückliches gesetzliches Verbot der Prüfungsdurchführung. Der Regierungsentwurf für ein Zwölftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 15.10.2003 regelt entsprechendes in § 40 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AMG. Auch die Auffassung, die eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung verneint602, hält die Rechtspflicht, die ärztliche Vertretbarkeit prüfen zu lassen, nicht für ganz unproblematisch. So wird u. a. darauf hingewiesen, daß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Freiheit gegenüber staatlicher Gängelung garan600 Arbeitsgemeinschaft für angewandte Humanpharmakologie, S. 3; zur Relevanz der örtlichen Ethik-Kommission bei multizentrischen Prüfungen Deutsch, NJW 2002, 491 (492). 601 Nach Rehmann, § 40 Rdnr. 13 kommt die Zustimmung der Kommission einer Genehmigung gleich. 602 Siehe oben b).
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tiere603, und der Wirkung von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG604 wird eine Nähe zur Zensur zugestanden605. Diese Nähe ist in der Tat nicht falsch eingeschätzt. Dagegen läßt sich nicht einwenden, durch Offenlegung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses würden Studien unter besonders riskanten Voraussetzungen zurückgedrängt606. Die Einschätzung mag zwar insofern zutreffen, als auch solche riskanten Studien zurückgedrängt werden, die aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts gerechtfertigterweise verboten werden können607. Aber daneben werden solche Studien verdrängt, die aus anderen Gründen der individuellen Abwägung der Ethik-Kommission nicht genügen. Außerdem ist – wie dargelegt – die Risikoeinschätzung selbst nicht frei von Subjektivierungen und weltanschaulichen Kriterien. Über den Fall hinaus, daß ein konkretes Forschungsvorhaben wegen eines negativ ausfallenden Votums der Ethik-Kommission nicht durchgeführt werden kann, existiert eine weitere Auswirkung auf die Freiheit der Forschung. Diese ist nach den oben608 erarbeiteten Kriterien eine mittelbare relevante Grundrechtsbeeinträchtigung. Wenn der Forscher Anlaß hat, daran zu zweifeln, daß die Ethik-Kommission seine ärztliche Vertretbarkeitsentscheidung teilt, wird er im Zweifelsfall sogar schon im Vorfeld auf bestimmte Forschungen verzichten. Der Aufwand für die Vorbereitung solcher von vorneherein erfolglosen Forschungsvorhaben würde sich nicht lohnen. Ein negatives Votum hätte auch insofern Vorwirkungen auf zukünftige Vorhaben, als der Forscher versuchen wird, sich wiederholende ablehnende Entscheidungen der Ethik-Kommission auch aus anderen Gründen zu vermeiden. Er liefe sonst nämlich in Gefahr, moralisch ins Abseits gedrängt zu werden609. Eine solche diffuse Regelungswirkung wird von Sobota als „sogar bezweckt“610 bezeichnet. Aber auch, wenn diese Wirkungen nicht final sind, läßt sich die Verantwortlichkeit des Staates für die Verkürzung der Forschungsfreiheit nicht verneinen. In den Fällen mittelbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen, die jedoch vom Staat ohne Mitwirken Dritter verursacht wurden, ist nach dem Ergebnis der obigen Ausführungen611 neben der Kausalität eben kein weiteres Zurechnungskriterium erforderlich.
603
Deutsch, NJW 1995, 3019 (3024). Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 605 Deutsch, VersR 1999, 1 (7). 606 Walter-Sack, MedR 1997, 504 (505). 607 Siehe dazu unten III. 3. a) aa) (1). 608 Siehe oben 1. 609 Zur insoweit vergleichbaren sogenannten „Zivilklausel“ Oppermann, FS Thieme, S. 675. 610 Sobota, AöR 121 (1996), 229 (246). 611 Siehe oben 1. 604
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Eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit scheidet nicht etwa wegen der oben vorgetragenen Einwände der Gegenauffassung612 aus. Zum einen wäre Folge der Behauptung, der Forscher müsse davor bewahrt werden, ethische Grenzen zu überschreiten (unten aa)), eine unzulässige inhaltliche Steuerung der Forschung. Zum anderen ist die Frage einer möglichen immanenten Begrenzung der Forschungsfreiheit zu untersuchen und zu verneinen (unten bb)). Letztlich bleibt noch die Auseinandersetzung mit dem Einwand, die Beeinträchtigung sei nur marginal und daher unerheblich (unten cc)). aa) Keine „Schutzbedürftigkeit“ des Forschers Mit der von den Vertretern der Meinung zu b. gesehenen Notwendigkeit, den Forscher davor zu schützen, mit seinen Vorhaben die Grenze des ethisch Zulässigen zu überschreiten, wird nichts anderes behauptet, als eine Inkompetenz des Forschenden, seinen Forschungsgegenstand, die Methode und das Ziel autonom zu bestimmen. Die bei § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG613 zu treffende Abwägung wird ihm nicht zugetraut. Unter Hinweis darauf, daß z. B. die gewählte Methode der standesrechtlichen Ethik widerspreche, kann in der Folge entsprechende Forschungstätigkeit eingeschränkt werden. Formulierungen derart, daß die beteiligten Ärzte nicht als „Kenner der ethischen Zulässigkeitsgrenzen“ gelten könnten614, die Ethik-Kommissionen dem Handelnden dabei Hilfe leisteten, „seine begrenzte professionelle Rationalität durch Aspekte anderer Betroffener“ zu erweitern, oder daß der Forscher angehalten werden solle, sich ein Urteil zu bilden615, überdecken in euphemistischem Gewand die dadurch eröffnete Einflußnahmemöglichkeit. Sehr deutlich wird auch geäußert, die Tätigkeit der Ethik-Kommission schütze „gutgläubige Patienten vor Sektierertum“616. Die von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistete Forschungsfreiheit bietet jedoch auch und gerade davor Schutz, daß eine vermeintlich gutgemeinte Beeinflussung unterbleibt: Kriele hat zutreffend festgestellt, der Verfassungsstaat wolle in erster Linie vor Leuten schützen, die ihrerseits vor Sektierertum schützen wollten617. Da die Forschungsfreiheit ein pluralistisches, offenes und wertungsmäßig autonomes System gewährleisten will618, würden hier 612 613 614 615 616 617
Siehe oben b). Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. Bork, DRiZ 1986, 166 (172). Schröder, VersR 1990, 243 (253). Füllgraff, DÄB 1974, 322 (324). Kriele, ZRP 1975, 260 (265).
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Vorgaben hinsichtlich des Ziels, der Methode oder des Vorgehens unzulässig einen für den einzelnen Wissenschaftler verbindlichen Begriff festsetzen. Hinzu kommt, daß es sich bei der Überprüfung der ärztlichen Vertretbarkeit um einen Abwägungsprozeß handelt, der nicht unerheblich geprägt ist von Erfahrungen, Menschenbild und Wertungen der Mitglieder der EthikKommission. Schon aus diesem Gesichtspunkt ist das pauschale Bestreiten der ärztlichen Urteilsfähigkeit nicht gerechtfertigt619. An anderer Stelle des Arzneimittelzulassungsverfahrens, nämlich bei den Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis, ist erkannt worden, daß dort jede Entscheidung „durch Eingehen persönlicher Wertungen subjektiven Einflüssen unterworfen“ sei, dies betreffe insbesondere die Risikoakzeptanz bei der notwendigen Abwägung zwischen Nutzen und Schaden620. Für die Abwägung im Rahmen der Überprüfung der ärztlichen Vertretbarkeit kann nichts anderes gelten. Ein praktischer Umstand bei der klinischen Prüfung führt deutlich vor Augen, daß die Ethik-Kommissionen nicht etwa eine, zwar ungeschriebene, aber dennoch irgendwie objektiv vorgegebene Wertung vornehmen: Wie sich insbesondere bei multizentrischen Prüfungen zeigt, haben die Entscheidungen der unterschiedlichen regionalen Kommissionen über die weitgehend identischen Sachverhalte oftmals ganz inkongruente Inhalte621. Wenn nun aber der Abwägungsprozeß trotz seiner starken subjektiven Prägung für die rechtliche Zulässigkeit eines Forschungsvorhabens entscheidend ist, dann wird das Forschungsvorhaben inhaltlich gesteuert und entgegen der weltanschaulichen und ideologischen Wertfreiheit622 der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in relevanter Weise beeinträchtigt623. Anders als von der Gegenansicht vertreten, ist es daher nicht möglich, Forschung mit den Prädikaten „bedenklich“ oder „unbedenklich“ zu versehen, denn ein Monopol auf die ausschließlich richtige Ethik kann es nicht geben624.
618
Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (114 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III, Rdnr. 95. 619 Kiene, S. 59; auch Gramm, WissR 32 (1999), 209 (213). 620 Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (48). 621 Gramm, WissR 32 (1999), 209 (213); Schlacke, MedR 1999, 551 (552); Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 21, 26; diese Einschätzung kommt auch im Erwägungsgrund Nr. 8 der EG-Richtlinie über die klinische Prüfung vom 04.04.2001 zum Vorschein. 622 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III, Rdnr. 95. 623 Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft) Rdnr. 41 (der gleichwohl eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Pflicht sieht, eine Ethik-Kommission anzurufen); Sobota, AöR 121 (1996), 229 (234, 252, 259). 624 Gramm, WissR 32 (1999), 209 (212); Kupfer, WissR 4 (1971), 117 (122).
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bb) Keine immanente ethische Begrenzung der Forschungsfreiheit Die im Vorherigen festgestellte relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wäre allerdings dann nicht gegeben, wenn die Forschungsfreiheit bereits im Grundrechtstatbestand mit einer immanenten Schranke versehen wäre. Terminologisch wäre eine Verortung dieses Prüfungsschrittes durchaus auch als Frage des Schutzbereiches möglich gewesen. Generell erscheint es auch zweckmäßiger, den Grundrechtstatbestand im engeren Sinne, also den üblicherweise als Schutzbereich bezeichneten Gegenstand, von der relevanten Beeinträchtigung zu trennen625. Hier ist es ausnahmsweise aber sinnvoller, von dem Begriff des Grundrechtstatbestandes im weiteren Sinne auszugehen, der nach Alexy auch das Beeinträchtigungselement beinhaltet (sog. „Schutzgut/Eingriff-Tatbestand“)626. (1) Keine ungeschriebene Forscher-Verantwortung Zunächst ist festzustellen, daß eine ausschließlich ethisch fixierte Begrenzung der Forschungsfreiheit nicht in Betracht kommt. Zwar läßt sich nicht von der Hand weisen, daß das Recht selbst ein ethisches Minimum darstellt627. Immerhin liegen juristischen Normen häufig ethische Überzeugungen zugrunde. Also kann nicht zwingend von einem Antagonismus von Ethik und Recht ausgegangen werden. Vielmehr sichert die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen – auch ohne, daß zu den Tatbestandsmerkmalen eine Ethikklausel gehört – weitgehend auch die ethischen Gesichtspunkte628. Im rechtspositivistischen System kann bis zu einer hoch liegenden Grenze (etwa der, die von der „Radbruchschen Formel“ gesetzt wird) von einem Vorrang des positiven Rechts vor der Ethik ausgegangen werden629. Dennoch wird – wie oben dargelegt – die Einbeziehung ethischer Standards in das Arzneimittelzulassungsverfahren durch Gesetz überwiegend begrüßt und im Hinblick auf die Forschungsfreiheit der Arzneimittelforscher als unproblematisch angesehen. Diesen ethischen Kriterien wird nicht nur die Funktion der Entwicklung neuer Rechtsvorschriften zuerkannt, sondern weitergehender eine Funktion, die sichern soll, daß der Forscherdrang die Grenze des ethisch Zulässigen nicht überschreitet630. Die EthikKommission vereint nach dieser Ansicht faktisch die Stellung des Norm625
Siehe nur Sachs, Grundrechte, S. 95. Alexy, S. 274 ff. 627 Kleinsorge, MedR 1987, 140 (143). 628 Deutsch/Lippert, S. 44 mit Hinweisen zu Einschränkungen; Gramm, FS Hollerbach, S. 611 f.; Kleinsorge, MedR 1987, 140 (143); Taupitz, JZ 2003, 815 (821); von einer „Überlappung“ spricht Wolters, S. 203. 629 Deutsch, VersR 1987, 949 (951); ders., S. 70. 626
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
anwenders mit der des – ethischen – Gesetzgebers631. Das ethisch Verbotene kann im Rechtsstaat aber nur dann Auswirkung auf die rechtliche Zulässigkeit haben, wenn ein bestimmtes ethisches Verhalten von Rechtsvorschriften gefordert wird632. (2) Keine immanente verfassungsrechtliche Begrenzung i. e. S. Der Forschungsfreiheit müßte also – rechtlich betrachtet – eine ethische Begrenzung im engeren Sinne, tatbestandlich immanent sein, damit die bei der Beurteilung der ärztlichen Vertretbarkeit i. S. v. § 40 Abs. 1 S. 1 AMG633 zu berücksichtigenden ethischen Vorstellungen keine von außen die Forschung regulierenden Vorgaben darstellen würden. Eine derartige tatbestandliche Restriktion wird neuerdings verstärkt angenommen. Die Aussagen werden nur teilweise umfangreicher begründet. Insbesondere sind es Dickert und Losch, die ausführlicher zu dieser Frage Stellung nehmen. Eher generalisierend vertritt Losch eine immanente Sozialbindung der Forschungsfreiheit634, ohne darunter eine „sinnbestimmte Indienstnahme“ des Einzelnen zu verstehen635. Restriktiver ist die Auffassung von Dickert, der eine immanente Begrenzung des Schutzbereiches auf solche Forschung vornehmen will, die „schlechthin unverantwortlich oder schlechthin gemeinschädlich“ ist636. Eher am Rande erwähnt von Kirchbach, „ethische Minimalanforderungen“ bildeten eine Schranke der Forschungsfreiheit637. Auch die oben zitierten Auffassungen, welche die Aufgabe der Ethik-Kommissionen darin sehen, den Forscher vor Überschreiten der Grenze des ethisch Zulässigen zu schützen oder von der Ermöglichung „guten“ Handelns bzw. „guter“ Entscheidungen sprechen, gehen offenkundig von einer immanenten Restriktion des Schutzbereichs aus. Teilweise wird nur generell auf ihr Vorhandensein hingewiesen638.
630 Bork, DRiZ 1986, 166 (169); Deutsch, VersR 1999, 1 (4); ders., VersR 1987, 949 (951); Graf, Pharma Recht 1998, 236 (237); Wenckstern, S. 19. 631 So die zutreffende Charakterisierung von Gramm, WissR 32 (1999), 209 (212). 632 Gramm, FS Hollerbach, S. 613; Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (60); Wolters, S. 204. 633 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 634 Losch, S. 277; teilweise zustimmend Karpen, DVBl. 1994, 126. 635 Kritisch zur Schutzbereichsreduzierung auf verantwortlichen Grundrechtsgebrauch insoweit Losch/Radau, NVwZ 2003, 390 (393). 636 Dickert, S. 408. 637 Von Kirchbach, S. 140, 142. 638 Freund, MedR 2001, 65 (70); Keller, MedR 1991, 11 (12); Trute, S. 139.
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Auch in der gesellschaftspolitischen Diskussion werden die ethischen Grenzen der Wissenschaften immer wieder gesucht und gefordert. In der aktuellen Diskussion um die Forschung an menschlichen Stammzellen wird dies besonders deutlich, wenn gefordert wird, es dürfe nicht alles erforscht werden, wozu die Fähigkeiten reichten639. Die Frage nach der wissenschaftlichen Ethik wird auch unabhängig von dieser brisanten Frage erörtert. Ein „hippokratischer Eid der Wissenschaften“ wird in der außerjuristischen Literatur640 schon seit längerer Zeit gefordert. Auch einige Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zu § 6 HessUG scheinen auf den ersten Blick die Annahme nahezulegen, das Gericht nehme eine immanente, tatbestandliche Schutzbereichsbegrenzung des Art. 5 Abs. 3 S.1 GG an. Allerdings ist die Aussage, nicht nur vorbehaltlose Grundrechte müßten im Rahmen gemeinschaftsgebundener Verantwortung gesehen werden641, bzw. die schon früh getroffene allgemeine Feststellung, das Menschenbild des Grundgesetzes sei nicht das eines isolierten Individuums642, eher als ein Hinweis auf die Schranke des kollidierenden Verfassungsrechts zu verstehen. Wie erwähnt, läßt das Bundesverfassungsgericht § 6 HessUG insofern unbeanstandet, als es um die Berücksichtigung schwerwiegender Folgen für verfassungsrechtlich geschützte Gemeinschaftsgüter geht643. In diesem Falle wird die relevante Grundrechtsbeeinträchtigung als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich demnach nicht als Beleg für eine immanente, tatbestandliche Schutzbereichsbegrenzung anführen. Die Auseinandersetzung zwischen Forscherzielen und Gemeinschaftswohl hat nach der Auffassung des Gerichts vielmehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung stattzufinden. Es sprechen auch überwiegende Gründe gegen eine ungeschriebene Verantwortungspflicht des Forschers. Historisch läßt sich gegen die Annahme einer immanenten Ethikpflicht anführen, daß eine solche als in Form eines Gesetzesvorbehalts ausdrücklich fixierte keinen Eingang in das Grundgesetz gefunden hat, obwohl während seiner Entstehungsgeschichte darüber debattiert wurde. In Art. 15 Abs. 2 des Herrenchiemsee-Entwurfs – der wortgleich zu Art. 12 Abs. 2 Verf. Bremen ist – war vorgesehen, der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit einen Gesetzesvorbehalt zuzuordnen und die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtun639 Beispielsweise Bundespräsident Rau, zitiert in: FAZ vom 21.06.2001, S. 5 („Rau: Die Menschenwürde weist die Wissenschaft in ihre Grenzen“). 640 Bertolt Brecht im Leben des Galilei, S. 126: „. . . ihr Wissen einzig zum Wohle der Menschheit anzuwenden!“; Walter Jens, in: FAZ vom 14.06.1982, S. 4. 641 BVerfGE 47, 327 (369). 642 BVerfGE 4, 7 (15). 643 BVerfGE 47, 327 (380).
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gen „zum Schutz menschlichen Zusammenlebens“644 einzuschränken. Ohne nähere Diskussion645 wurde der Vorschlag jedoch fallengelassen, und Grundlage weiterer Beratungen wurde das Grundrecht in seiner heutigen Formulierung. Ob daraus geschlossen werden kann, der Verfassungsgeber habe eine Uneinschränkbarkeit der Forschungsfreiheit gewollt, ist wohl zweifelhaft. Andererseits muß aber davon ausgegangen werden, daß der Verfassungsgeber bewußt auf die Normierung einer Grundrechtsbegrenzung in der konkreten Form eines auf die Sozialverträglichkeit bezogenen Gesetzesvorbehalts verzichtet hat. Eine immanente Begrenzung des Schutzbereichs kann daher erst recht nicht angenommen werden. Die gegenteilige Auffassung, die unter Bezugnahme auf Art. 15 Abs. 2 des Entwurfs von Herrenchiemsee eine geringere Schutzwürdigkeit ableitet646, mißachtet, daß sich der Verfassungsgeber gerade von einer derartigen Begrenzung distanziert hat, in dem er das Grundrecht ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistete. Der Einwand, aus der Abweichung der heutigen Fassung vom Entwurf des Grundgesetz dürfe dieser Schluß nicht gezogen werden, weil der Entwurf gar nicht Beratungsgrundlage wurde647, verkehrt den Sinn historischer Interpretation. Die Tatsache, daß der Text des Art. 15 Abs. 2 HerrchiemseeEntwurf nicht Beratungsgrundlage wurde, belegt doch eher, daß der Verfassungsgeber das Vorgeschlagene verwerfen wollte. Es erschien ihm – aus welchen Gründen, muß mangels Aussagen in den Beratungsunterlagen offen bleiben – nicht sinnvoll, die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit mit einem derartigen Vorbehalt zu versehen. Der Umstand, daß darüber offenkundig nicht beraten wurde, zeigt eher noch deutlicher, für wie wenig diskussionswürdig man die Begrenzung gehalten hat. Selbst wenn Waechter zugestanden würde, daß die unterbliebene Beratung und Abstimmung im Parlamentarischen Rat verböte, Rückschlüsse auf den Willen der an der Verfassungsgebung beteiligten Personen zu schließen, so folgte daraus gleichwohl nicht das von ihm gefundene Ergebnis: Wenn gerade kein Wille des Verfassungsgebers evaluierbar sein soll, dann können keinerlei Schlüsse aus dessen Verhaltensweise gezogen werden, vor allem nicht der, daß der Verfassungsgeber sich mit der Schranke einverstanden zeigte. Insofern kann der Analyse von Waechter nicht gefolgt werden. Neben dieser historischen Interpretation werden für die immanente Schranke vor allem systematische Gründe angeführt. Eine Reihe von Grundrechten wird genannt, um zu belegen, daß das Grundgesetz den Men644
JöR n. F. 1951, 89. Siehe auch Hailbronner, S. 51, der feststellt, Art. 5 Abs. 3 GG sei inhaltlich offenbar generell für unproblematisch gehalten worden; allgemein zur Knappheit der Beratungen Kleindiek, S. 162 f.; Roellecke, JZ 1969, 726 (728). 646 Dickert, S. 403; Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (45). 647 Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (45 Fn. 118). 645
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schen als gemeinschaftsgebundene Persönlichkeit ansieht: Art. 5 Abs. 3 S. 2, 6 Abs. 2, 14 Abs. 2, 18, 33 Abs. 4 und 5 GG648. Dieser Ansatz kann sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen, welche das Menschenbild des Grundgesetzes nicht als das eines isolierten, sondern als eines gemeinschaftsbezogenen und verantwortlichen Individuums beschreibt und dabei eine Reihe weiterer Normen der Verfassung heranzieht649. Eine Parallele zur Sozialbindung der Eigentumsgarantie zieht insbesondere Losch, der eine derartige immanente Bindung auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG übertragen will. Diese sieht er jedoch nicht als klassische Schranke auf der Ebene verfassungsrechtlicher Rechtfertigung oder als Schutzbereichsrestriktion, sondern als ein „vorgreifliches“ Verfahrensproblem650. An diesen Aussagen zur systematischen Auslegung ist in der Tat zutreffend, daß die dort genannten Grundrechte vom Verfassungsgeber mit besonderen Bindungen versehen worden sind. Nicht zulässig ist dagegen die von den Autoren getroffene Schlußfolgerung, diese besonderen Bindungen auf die Forschungsfreiheit zu übertragen. Gegen die genannten Thesen des systematischen Vergleichs wird teilweise mit der fehlenden Vergleichbarkeit der Forschungsfreiheit vor allem mit der Eigentumsgarantie argumentiert. Die Ausübung der Forschungsfreiheit einerseits und die Inanspruchnahme der Eigentumsgarantie andererseits seien wegen des unterschiedlich starken Hineingreifens in die Sozialsphäre und Rechte Dritter nicht vergleichbar. Der Eigentumsgebrauch könne sehr viel deutlicher an den Entfaltungsraum der Nachbarn stoßen als dies wissenschaftliche Gedanken erreichen könnten651. Ein Rückgriff auf die Unterschiede zwischen Art. 5 Abs. 3 und Art. 14 GG – die wohl eher darin bestehen, daß Art. 14 GG einen staatlich zugewiesenen Güterbestand schützt, Art. 5 Abs. 3 GG hingegen „natürliche“ Freiheit – ist indes nicht erforderlich, um die von Losch vertretene These der immanenten Sozialbindung der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit zu widerlegen652. Ganz entscheidend gegen eine Übertragung der Sozialbindung bei der Eigentumsgarantie auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG sprechen die differenzierten Schranken der Grund648
Dickert, S. 404; nur zu Art. 14 Abs. 2 GG Losch, S. 277 ff. Siehe bereits BVerfGE 4, 7 (15 f.) zu Art. 1, 2, 14, 15, 19 und 20 GG; später etwa BVerfGE 65, 1 (44). 650 Losch, S. 272, 390; jüngst auch wieder ders./Radau, NVwZ 2003, 390 (393 ff.). 651 Karpen, DVBl. 1994, 126, der jedoch Losch im Hinblick auf die positive Bewertung von § 6 HessUG folgt. 652 Gegen die These von Losch werden im Schrifttum – nicht näher spezifizierte – Bedenken vorgebracht, so bei Thieme, DÖV 1995, 82; Würkner, NVwZ 1994, 569. 649
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rechte des Grundgesetzes. Von einer „Schrankensystematik“ wird man angesichts einer fehlenden, im schlüssigen Kontext stehenden Konzeption wohl nicht ausgehen können653. Selbst wenn man von einem „Schrankenwirrwarr“ sprechen wollte654 oder manche Begrenzungen in den Grundrechtsnormen zufällig anmuten mögen655, würde daraus nicht die Folge zu ziehen sein, die Begrenzungen stünden zur Disposition des Rechtsanwenders. Da eine ohne Zweifel belegbare Einordnung von Schranken in „zufällige“ und „nicht zufällige“ wohl nicht möglich ist, muß die Vielzahl unterschiedlicher Einschränkungsmöglichkeiten akzeptiert werden. Die Schrankendifferenzierung verlöre ihren Sinn, würde man ihr unterstellen, sie sei weder abschließend noch zwingend656. Denn mit dem Argument, Art. 14 Abs. 2 GG sehe eine auch auf andere Grundrechte übertragbare Sozialbindung vor, müßte man konsequenterweise sämtliche Grundrechte mit einer derartigen Sozialbindung belegen. Eine Differenzierung, weshalb eine Übertragbarkeit gerade nur für die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit gelten solle, ist nur schwer zu finden. Im übrigen ist die Rechtswissenschaft seit längerer Zeit davon abgerückt, Schranken im Sinne der verfassungsrechtlichen Begrenzungen von einem Grundrecht auf ein anderes zu übertragen. Die Übertragung der Schrankentrias von Art. 2 Abs.1 GG auf andere Grundrechte oder auch die des qualifizierten Gesetzesvorbehalts von Art. 5 Abs. 2 GG insbesondere auf die ohne Gesetzesvorbehalt versehene Forschungsfreiheit, wird nicht mehr ernsthaft vertreten657. Auch Losch selber greift bei der Erörterung der Schranken der Forschungsfreiheit nicht auf die Begrenzungen der beiden Grundrechte zurück658. Nach seiner Betrachtungsweise wäre das jedoch naheliegend gewesen. Es ist nicht einzusehen, weshalb bei immanenten Schutzbereichsrestriktionen eine Übertragung auf andere Grundrechte zulässig sein sollte, während dies für Gesetzesvorbehalte abgelehnt wird. Für die Lösung von Losch könnte allerdings der vergleichbare Ansatz von Isensee sprechen. Isensee leitet aus dem Friedlichkeitsgebot des Art. 8 Abs. 1 GG für alle Grundrechte eine „immanente Schutzbereichsschranke“659 der Gewaltlosigkeit ab. Er hält den Vorbehalt der Friedlichkeit für ein verallgemei653
Sachs, in: Stern, III/2, § 81, S. 692. So erstmals Bettermann, S. 3; siehe auch Knies, S. 80 f. 655 Sachs, in: Stern, III/2, § 81, S. 692. 656 Ähnliche Bedenken hat auch Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (21, 25), der jedoch die aus seiner Sicht notwendigen Schranken aus einer teleologischen Reduktion gewinnt. 657 Siehe nur BVerfGE 30, 179 (191 f.); 67, 213 (228) zu Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 GG; auch Sachs, in: ders., Vor Art. 1 Rdnr. 93; ders., in: Stern, III/2, § 81, S. 528 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 184; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 113, 95. 658 Losch, S. 238 ff., gleichwohl stellt er auf S. 211 f. beide Möglichkeiten dar. 654
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nerungsfähiges Muster und stützt sich dabei zur Begründung auf das staatliche Gewaltmonopol sowie auf den Grundsatz des „neminem laedere“660. Beide Ansätze müssen sich aber entgegenhalten lassen, daß Bedenken bestehen, den insoweit recht klaren Wortlaut und die systematische Zugehörigkeit zu nur ganz bestimmten Grundrechten durch allgemeine Erwägungen zu überwinden. Sonderbestimmungen einzelner Grundrechte auf andere Grundrechte zu übertragen, ohne daß es in der Verfassung verdichtete Anhaltspunkte dafür gibt, daß sich in der einzelnen Sonderbestimmung zugleich ein allgemeingültiger Grundsatz widerspiegelt, ist wenig überzeugend. Diese Bedenken sind vor allem deswegen durchschlagend, weil sich das verständliche Ziel, grundrechtlichen Schutz nicht für solches Verhalten zu gewähren, das dritte Personen schädigt, über die Figur des „kollidierenden Verfassungsrechts“661 dogmatisch überzeugender bewerkstelligen läßt. Zudem verkennt Losch, daß seine zutreffende Aussage, wissenschaftliche Wahrheiten dürften weder unterdrückt, noch für politische Zwecke vereinnahmt werden662 – das meint sowohl das Verbot, Wissenschaftler zum Ziel der Praxistauglichkeit ihrer Forschung zu zwingen, als auch umgekehrt bestimmte Moralvorstellungen als Leitbilder von Forschungstätigkeit vorzugeben – der Annahme einer immanenten Sozialbindung entgegensteht. Denn die vom Autor vorgesehene öffentliche und soziale Verantwortung des Forschers, die er als „akzessorische Erweiterung der Aufmerksamkeit“ sehen will und nicht als Belastung des wissenschaftlichen Arbeitsvorgangs663, führt mehr oder weniger direkt in diese Richtung. Wenn der Forscher sich von dem Umstand leiten lassen soll, ob sich aus seiner Tätigkeit „nachteilige Folgen“ ergeben können664, dann folgt daraus aus Gründen des Wissenschaftspluralismus und der Freiheit von inhaltlicher Bestimmung der Forschung ein Problem. Die Bestimmung der Nachteiligkeit ist abhängig von bestimmten politischen und weltanschaulichen Positionen. Diese müßten sich – soll die Schranke Sinn machen – auf die überwiegende Auffassung in der Bevölkerung beziehen, denn eine pluralistisch orientierte Bestimmung würde dazu führen, daß der Forscher doch wieder allein und unabhängig über die Nachteiligkeit der Folgen seines Tuns entscheiden könnte. Als einen bloßen Appell an das Verantwortungsbewußtsein des Forschers will Losch seine These daher wohl auch nicht verstanden wissen. 659 Isensee, FS Sendler, S. 42 ff., 58 f.; kritisch demgegenüber Sachs, in: Stern, III/2, § 81, S. 537 f. 660 Isensee, FS Sendler, S. 58. 661 Zum kollidierenden Verfassungsrecht und dessen Ableitung siehe noch unten III. 1. 662 Losch, S. 128. 663 Losch, S. 279. 664 Losch, S. 279.
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Denn er hat sie vor allem unter dem Gesichtspunkt entwickelt, daß sie dem Rechtsgüterschutz in deutlicherer Weise als die verfassungsrechtlichen Schranken Rechnung tragen kann und sich die soziale Verantwortung „nicht über die Schranken erreichen läßt“665. Seine mehrfach wiederholte Beteuerung, eine inhaltliche Einengung der Erkenntnissuche finde durch die Sozialbindung nicht statt666, läßt im wesentlichen zwei Fragen unbeantwortet: Zum einen bleibt offen, wieso dann die Sozialbindung des Art. 14 Abs. 2 GG herangezogen wird. Zwar ist umstritten, ob diese Norm verfassungsunmittelbare Pflichten des Eigentümers zu begründen vermag. Während die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur Art. 14 Abs. 2 GG unter Hinweis auf die Unbestimmtheit der Norm und den Vergleich mit anderen eingrenzenden Tatbestandsmerkmalen bei Grundrechten (insbesondere Art. 8 Abs. 2 GG) nur als Richtlinie an den Gesetzgeber ansieht667, wird teilweise eine andere Ansicht vertreten. Danach sollen sich unmittelbar aus Art. 14 Abs. 2 GG Gebrauchs-, Nutzungs- und Verfügungsbeschränkungen für den Eigentümer ergeben668. Unabhängig davon, welche der genannten Auslegungsvarianten zustimmungswürdig ist, beinhaltet die Sozialbindung jedenfalls keinen bloßen Appell, der das Eigentumsrecht unmittelbar oder mittelbar nicht materiell begrenzen würde. Eine Autonomie des Grundrechtsträgers dergestalt, daß er kraft eigener Überzeugung über die Ausfüllung der Sozialbindung entscheiden könne, wohnt Art. 14 Abs. 2 GG nicht inne. Zum anderen ist fraglich, wie Losch seinem selbst gesetzten Ziel, einen über die verfassungsrechtlich fixierten Grenzen der Forschungsfreiheit hinausgehenden Rechtsgüterschutz zu erreichen, gerecht werden möchte, wenn die Sozialbindung eben nicht dazu führen soll, daß bestimmte Forschungsvorhaben verhindert werden. Das kann in rechtlich sicherer Weise nur gelingen, wenn die Überlegungen zu den möglichen Folgen des Handelns nicht lediglich anregende Wirkung haben sollen, sondern verbindliche Folgen haben. Die Ablehnung einer immanenten Begrenzung der Forschungsfreiheit kann sich insbesondere auch auf das dem Grundgesetz eigene formale Freiheitsverständnis berufen. Insbesondere Höfling weist mit der von ihm vertretenen „offenen Grundrechtsinterpretation“ nach, daß die Grundrechte Freiheit schlechthin und nicht zu bestimmten Zwecken oder Zielen gewähr665
Losch, S. 281, 266. Losch, S. 277, 279, 281. 667 BVerfGE 20, 351 (356); 56, 249 (260); 80, 137 (150 f.); Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 14 Rdnr. 69 f.; Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 223; Eschenbach, S. 188 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 306; Sieckmann, S. 396 ff.; ders., in: Friauf/Höfling, Art. 14 Rdnr. 169; Wendt, S. 295 ff.; ders., in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 72. 668 Breuer, S. 42; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rdrn. 154, 175. 666
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leisten669. Eine positive Sinngebung der Grundrechtsinhalte und eine daraus folgende materiale Definitionsmacht sei dem Staat verwehrt670. Dabei rekurriert er im wesentlichen auf den offenen Wortlaut der Verfassung und auf die Tradition des Grundgesetzes, die im liberalen bürgerlichen Rechtsstaat und dabei vor allem im Freiheitsverständnis der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 wurzele671. Würde man die Forschungsfreiheit immanent begrenzen, so würde der Grundrechtsschutz nur solcher Forschungstätigkeit zukommen, deren Ziele von externer Seite als ethisch zulässig betrachtet werden. Eine immanente ethische Restriktion des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit kann auch nicht im Wege einer sich ändernden Verfassungsinterpretation672 erreicht werden. Es wird zwar vertreten, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG könne angesichts der gegenwärtigen weitreichenden vermeintlichen oder echten Gefahren der Forschung nicht mehr schrankenlos gewährleistet werden. Die Gründe, die den Verfassungsgeber zur Ausstattung des Grundrechts mit einer starken Position gegenüber staatlichen Einschränkungen bewegt hätten, seien überholt. Insbesondere Starck und Dickert gehen davon aus, das Privileg der Grundrechtsgewährleistung ohne Gesetzesvorbehalt beruhe auf einer Einschätzung des Verfassungsgebers, die angesichts der veränderten Bedeutung der Forschung als überholt zu gelten habe. Die wissenschaftliche Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts, die der Verfassungsgeber vor Augen gehabt habe, habe tendenziell eher harmlosen Charakter aufgewiesen und sich im Unterschied zu heute weitgehend im Kleinstmaßstab gehalten sowie sich überwiegend mit lebloser Materie beschäftigt673. Von den sich gegenwärtig durch die Schrankenprivilegierung des Grundrechts vor allem in der naturwissenschaftlichen Forschung auftuenden Konfliktfeldern habe zu Zeiten der Beratungen des Grundgesetzes niemand etwas ahnen können674. In ähnlicher Richtung äußert sich Grimm, der die in der Wissenschaft selbst entstandenen Änderungen für den Verfassungsgeber für nicht vorhersehbar hält675. Trute gibt allgemeiner zu verstehen, das Ver669
Höfling, S. 64 ff., 75 f.; siehe auch Alexy, S. 511 f.; Bleckmann, S. 84; Bökkenförde, NJW 1974, 1529 (1530); Classen, S. 84; Enders, in: Friauf/Höfling, vor Art. 1 Rdnr. 44; Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (233); Ossenbühl, NJW 1974, 2100 (2103). 670 Höfling, S. 65; kritisch auch Schnapp, JZ 1985, 857 (861 f.); ders. NJW 1998, 960. 671 Höfling, S. 64 f. 672 Siehe dazu bereits oben I. 4. a) bb). 673 Dickert, S. 407; ähnlich Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (47), der von der „Störungsfreiheit“ der technischen Forschung spricht. 674 Starck, FS Zeidler, S. 1552. 675 Grimm, FAZ Nr. 35 vom 11.02.2002, S. 48 („Die Wissenschaft setzt ihre Autonomie aufs Spiel“).
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hältnis von Wissenschaft und Gesellschaft habe sich geändert und deswegen liege auch eine Veränderung der Schranken nahe676. In der Tat ist zwar zutreffend, daß Forschungstätigkeit sich im Zeitlauf von der griechischen Antike bis hin zum Zeitalter der Bio- und Gentechnologie von einem primär auf freies Denken ausgerichteten Verhalten zu einer Tätigkeit mit starker Handlungsorientierung und mit nach außen wirkenden Experimenten gewandelt hat677 und die Notwendigkeit ethischer Überlegungen erst beim experimentellen Teil der Wissensproduktion größere Bedeutung erhalten678. Jedoch sind an der Aussage, aus diesen Umständen habe sich eine immanente, tatbestandliche Begrenzung des Art. 5 Abs. 3 GG herausgebildet, mehrere Annahmen fragwürdig. Zum einen läßt sich ganz entscheidend die Grundannahme in Frage stellen, der Verfassungsgeber habe die aktuelle Entwicklung der Wirkungen der Forschungsfreiheit nicht gesehen und hätte sie bei Kenntnis durch eben eine immanente Schutzbereichsbegrenzung verhindert. Sicherlich sind die konkreten Probleme, die sich angesichts der neuen Möglichkeiten der Forschung und Technik ergeben, nicht Gegenstand von Überlegungen des Verfassungsgebers gewesen. Daß Wissenschaft von prinzipieller Unabgeschlossenheit und nur vorläufiger Wahrheit gekennzeichnet ist, ist eine Erkenntnis, die so lange existiert, wie Wissenschaft betrieben wird: Der Wissens-stand überholt sich ständig. Der „Zauberlehrlings-Effekt“, nämlich daß sich das von einem weiten Schutzbereich umfaßte Verhalten verselbständigen kann und auf diese Weise ungeahnte Konflikte entstehen können, ist Wissenschaft und Forschung immanent. Gegen die Annahme, die Verfassung gehe eher von einer „harmloseren“ Forschung aus, spricht entscheidend der Umstand, daß der Verfassungsgeber des Grundgesetzes trotz des menschenverachtenden Mißbrauchs der Forschung im Dritten Reich die Forschungsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet hat. Da insbesondere auch Art. 15 Abs. 2 des HerrenchiemseeEntwurfs, in dem die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Erfindungen um des Schutzes des menschlichen Zusammenlebens willen begrenzt wurde679, nicht realisiert wurde, läßt sich eine immanente Begrenzung als notwendige Anpassung an die Realität nicht begründen. Das muß so jedenfalls mangels anderer Anhaltspunkte im Wortlaut der Verfassung und in den Verfassungsberatungen angenommen werden.
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Trute, S. 139. Ähnlich Losch, S. 111; Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (36). 678 Wolters, S. 202, der mit Jonas das „Experiment als Intervention in den Gegenstand der Erkenntnis“ bezeichnet. 679 JöR n. F. 1951, 89. 677
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Letztlich sind die vorgetragenen Meinungen in sich nicht schlüssig: Dikkert führt selbst aus, der durch das Anerkennen einer immanenten Schranke verursachte Verzicht auf die zwischen Schutzbereich und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung differenzierende Prüfung führe zu erheblichen Nachteilen680. Nicht einzusehen ist deshalb, wieso diese Nachteile bei der von ihm und anderen Autoren aufgestellten – wenn auch erhöhten Anforderungen unterliegenden – Sozialklausel nicht mehr bestehen sollen. Hinzu kommt, daß die gewählten Begrifflichkeiten für eine immanente Schranke („schlechthin unverantwortlich oder schlechthin gemeinschädlich“) einer gewissen Auslegungsunsicherheit unterliegen. Die weitreichende Entscheidung, das zu prüfende Verhalten per se aus dem Schutzbereich auszuschließen oder es erst auf der Rechtfertigungsebene nach einer Abwägung mit dem kollidierenden Rechtsgut in Frage zu stellen, bewegt sich also auf einem schmalen Grat. Zudem wird so der oft schwierige Prozeß der Abwägung mit kollidierenden Grundrechten Dritter gemieden, obwohl dort der richtige Ansatzpunkt für die Lösung von Grundrechtskonflikten liegt681. Die gegensätzliche Auffassung argumentiert oft vom Ergebnis her, um eine Einschränkung des als zu weit empfundenen grundrechtlichen Schutzes zu erreichen. Offen wird erwähnt, eine immanente Begrenzung des Schutzbereiches werde vor allem deswegen angestrebt, weil sich soziale Verantwortung nicht über die anerkannten Schranken der Forschungsfreiheit erreichen lasse682. cc) Kein Unterschreiten einer etwaigen Geringfügigkeitsgrenze Die soeben festgestellte relevante Grundrechtsbeeinträchtigung durch die von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG683 aufgestellte Pflicht, ein Votum der Ethik-Kommission einzuholen, ist nicht etwa deswegen zu verneinen, weil die Beeinträchtigung so marginal wäre, daß sie unterhalb einer Geringfügigkeitsgrenze liegt. Es wird dennoch vertreten, die Forschungsfreiheit erfahre materiell gesehen keine Beschränkungen, die nicht auch ohne ein Verfahren vor den Ethik-Kommissionen gelten würden684. Im übrigen seien diese Beschränkungen geringfügig. Fragwürdig an diesen Einwänden ist jedoch, ob es überhaupt eine allgemeine Geringfügigkeitsgrenze für Grundrechtsbeeinträchtigungen gibt. Be680
Dickert, S. 408. Zutreffend Raabe, S. 95; Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237). 682 So Losch, S. 266. 683 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 684 Schröder, VersR 1990, 243 (251). 681
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reits der Verfassungstext bietet für die Annahme einer solchen keine Anknüpfungspunkte685. Des weiteren kann ihre Notwendigkeit auch nicht mit praktischen Erwägungen begründet werden, da durch sorgfältige Bestimmung des Schutzbereichs und der verfassungsrechtlichen Begrenzungen Bagatellbeeinträchtigungen ausgeschieden oder legitimiert werden können686. Unabhängig davon wäre eine Geringfügigkeitsgrenze, würde man ihre Existenz anerkennen, durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG jedenfalls überschritten. Die Pflicht, ein Votum der Ethik-Kommission einzuholen, berührt den Kernbereich der Forschungsfreiheit. Wie dargelegt, wird durch diese Pflicht Einfluß nicht nur auf den Weg des Erkenntnisprozesses genommen, sondern auch auf dessen Inhalt. Weil die Durchführung der klinischen Prüfung rechtswidrig wird, wenn ein Kommissionsvotum nicht eingeholt wird und auch ein ablehnendes Votum – wie dargelegt – nicht ohne Folgen bleibt, wird die Durchführung des Forschungsvorhabens in Gänze verhindert. Raum dafür, diese Beeinträchtigung als geringfügig einzustufen, bleibt danach nicht. Immerhin wird grundrechtlich geschütztes Verhalten nicht lediglich erschwert oder im Hinblick auf unbedeutende Modalitäten gelenkt. Eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung läßt sich auch nicht mit dem Argument verneinen, daß lediglich ein „kollegialer Diskurs“ gefordert würde, der den Forscher nur dabei unterstütze, sich selbst ein Urteil über sein Projekt zu bilden687. Zwar ist es zutreffend, daß Wissenschaft gerade auch von einem derartigen Diskurs lebt, jedoch sprechen zwei Gründe dagegen, sie als Argument gegen die Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung zu verwenden. Wenn die Möglichkeit zum Dialog geschützt ist, ist damit eben nicht die Notwendigkeit verlangt, daß er besteht688. Daneben läßt sich gegen eine Verneinung einer Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit anführen, daß zwischen Forscher und Ethik-Kommission schon gar kein Verhältnis eines Dialogs im obigen Sinne vorliegt. Denn es handelt sich nicht um ein gleichberechtigtes Nebeneinander689. Die Ethik-Kommission ist eine Behörde i. S. v. § 1 VwVfG und wird hoheitlich tätig690. Ihr seine wissenschaftlichen Anschauungen darzulegen, geschieht 685
Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 206 m. w. N. Dazu Sachs, in: Stern, III/2, § 78, S. 206 f. 687 Kleindiek, S. 317, der keine Freiheit vor Kritik sieht; Schröder, VersR 1990, 243 (253); Zitate von Mitgliedern von Ethik-Kommissionen zählen van den Daele/ Müller-Salomon, S. 40 f. auf. 688 Ausführlich zu der Frage einer Veröffentlichung als Voraussetzung für die Qualifizierung als Wissenschaft siehe bereits oben I. 4. a) aa) (4). 689 Anders offenbar Losch/Radau, NVwZ 2003, 390 (394), die es als besonders forschungsfreundlich hervorheben, daß die Wissenschaft sich durch die Ethik-Kommissionen selber Schranken setze. 686
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nicht aus autonomer Entscheidung des Forschers, bei der beiden Seiten nur ihre Argumente, aber keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen691. Die klinische Prüfung ist ohne das Votum der Ethik-Kommission rechtswidrig, die Kommission besitzt also die Entscheidungsmacht, der man sich zwangsweise unterwerfen muß. Von einem gleichberechtigten Gegenüber kann demnach nicht die Rede sein692. Für den Fall eines ablehnenden Votums der Kommission ist, entsprechend den obigen Ausführungen – sowohl unter dem geltenden AMG zusammen mit dem Widerspruch der zuständigen Bundesbehörde, als auch nach der Umsetzung der EG-Richtlinie über die klinische Prüfung – die Durchführung der klinischen Prüfung ebenfalls nicht möglich. Für lediglich eine geringfügige Grundrechtsbeeinträchtigung wird darüber hinaus angeführt, von einer Steuerung der Wissenschaft könne nur in einem „sehr abgeschwächten Sinne“ gesprochen werden. Eine Steuerung in eine bestimmte Richtung könne nach dem Zuschnitt des Verfahrens schon nicht stattfinden, da die Kommission nur auf einen Antrag hin reagiere693. Außerdem ließe sich für eine nur geringfügige Beeinträchtigung möglicherweise die weitgehende Akzeptanz der Ethik-Kommissionen bei den betroffenen Forschern anführen694. Auch die hohe Rate von zustimmenden Voten von ca. 98 %695 könnte Argument für eine fehlende Grundrechtsbeeinträchtigung sein. Diese beiden Umstände beruhen aber keinesfalls (nur) darauf, daß die forschenden Unternehmen festgestellt haben, daß von dem Verfahren „keine Gefahr“ für sie ausgeht. Denn der Vorsitzende der Ethik-Kommission und ggfls. der Berichterstatter stehen nicht nur während des laufenden Verfahrens im Kontakt mit dem Prüfungsleiter, sie wirken vielmehr bereits im Vorfeld auf Veränderungen hin696. Deshalb werden die Antragsteller möglicherweise schon im Vorfeld ihre Versuchsanordnungen so ausrichten, daß 690 Arndt, Pharma Recht 1996, 72 (75); Fröhlich, S. 158; Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (59); Sobota, AöR 121 (1996), 229 (239); ähnlich Taupitz, JZ 2003, 815 (816). 691 Das unterscheidet die Ethik-Kommissionen nach dem AMG z. B. von den politischen Ethik-Kommissionen wie der Enquêtekommission des Deutschen Bundestags „Ethik und Recht der modernen Medizin“, dem Nationalen Ethikrat und der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung; insoweit zutreffend Taupitz, JZ 2003, 815 (818). 692 Von Forschern, die eine Beeinträchtigung ihrer Autonomie sehen, sprechen auch van den Daele/Müller-Salomon, S. 21, 60. 693 Freund, MedR 2001, 65 (71). 694 Bork, DRiZ 1986, 166 (168); Freund, MedR 2001, 65 (66); Pfeiffer, VersR 1990, 685; Sobota, AöR 121 (1996), 229 (251). 695 Deutsch, VersR 1999, 1 (8); Gramm, WissR 32 (1999), 209 (215). 696 Deutsch, VersR 1999, 1 (2); Gramm, WissR 32 (1999), 209 (215).
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sie den Vorstellungen der Ethik-Kommission entsprechen. In diesem Falle von einer eigenverantwortlichen Handlung des Wissenschaftlers zu sprechen, die ohne Steuerung der Kommission geschehe, ist nicht angängig. Es handelt sich vielmehr um eine mittelbare Steuerung. Untersuchungen haben ergeben, daß die den Ethik-Kommissionen vorgelegten Anträge bis zur Hälfte und teilweise sogar bis zu zwei Dritteln auf Veranlassung der Kommissionen korrigiert werden697, bevor dann ein zustimmendes Votum ergeht. Eine Einwirkung wird auch darin offenkundig, daß die Durchführung des Versuchs oft an Bedingungen und Auflagen geknüpft wird698. d) Zwischenergebnis Insgesamt läßt sich zusammenfassen, daß sich die Nutzen-Risiko-Abwägung des § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG699 nicht an den Kriterien ärztlicher Ethik ausrichten kann, ohne Art. 5 Abs. 3 S: 1 GG zu verkürzen. 3. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung durch äußere Erschwerungen der klinischen Prüfung Soeben wurde mit der nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG nötigen Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit durch die Ethik-Kommissionen die materielle Seite der Beteiligung der Ethik-Kommission verfassungsrechtlich untersucht. An dieser Stelle geht es mit der formellen Seite nicht um die Frage, ob der Inhalt der Prüfung Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt. Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sind die äußeren Umstände der Prüfpflicht. a) Zurechnung der Grundrechtsbeeinträchtigung Privater Eine mittelbare Einwirkung auf die Forschungsfreiheit liegt darin, daß sich andere öffentliche und private Einrichtungen in ihrem Verhalten an der Erteilung eines positiven Votums ausrichten. Das ablehnende Votum der Ethik-Kommission wird nach außen – unabhängig von den tragenden Gründen – zum Stigma eines „ethisch Bedenklichen“700, mit den nachstehenden 697
Van den Daele/Müller-Salomon, S. 69 Fn. 97; Gramm, WissR 32 (1999), 209
(215). 698
Deutsch/Lippert, S. 49 f., 54; Deutsch, VersR 1999, 1 (5); abweichend insoweit Lippert, VersR 1997, 545 (546), der nur ein uneingeschränktes Votum für den Vorgaben des AMG entsprechend hält. 699 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 700 Sobota, AöR 121 (1996), 229 (256).
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Folgen. Eine Förderung aus öffentlichen Mitteln ohne Zustimmung der Ethik-Kommission ist nicht zu erhalten701. Angesichts der hohen Kosten der Arzneimittelforschung entfaltet dieser Umstand eine nicht unerhebliche Steuerungswirkung. Vergleichbar sind die Auswirkungen auf die Veröffentlichung von Forschungsprojekten in Fachzeitschriften. Auch hier ist es national wie international faktisch unmöglich, einen Verlag zu finden, der sich zu einer Veröffentlichung der Ergebnisse einer klinischen Prüfung bereit erklärt, die kein positives Votum erhalten hat702. Letztlich soll das „ethische Gütesiegel“ des zustimmenden Votums der Kommission Patienten und Probanden zur Teilnahme motivieren. Bei dessen Fehlen bzw. bei Einsicht in die umfassenden Aufklärungsunterlagen und damit der exakteren Kenntnis von der Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung dürfte die Bereitschaft an der Teilnahme deutlich geringer sein703. Allerdings sind es in den genannten Fällen im Ergebnis Private, die sich freiwillig an der durch das ablehnende Votum staatlicherseits getroffenen Wertentscheidung ausrichten. Nach den allgemeinen Ausführungen zur Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung704, kann in einem solchen Fall kein „klassischer“ Grundrechtseingriff festgestellt werden. Als anerkannte Mindestvoraussetzung staatlicher Verantwortlichkeit für jenseits dieser Eingriffe liegende Grundrechtsbeeinträchtigungen wurde die Kausalität zwischen staatlichem Handeln und Eintritt der Grundrechtsbeeinträchtigung ausgemacht705. In Fällen der sogenannten Drittbeeinträchtigung, in denen der Staat und dritte Privatpersonen gemeinsam die Grundrechtsbeeinträchtigung herbeiführen, wurde, sofern das Drittverhalten nicht auf staatlichen Imperativ hin erfolgte, der Adäquanzzusammenhang als weiteres Zurechnungskriterium aufgestellt706. Eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung wäre demnach zu bejahen, selbst wenn man nicht annehmen wollte, 701 Bork, DRiZ 1986, 166 (169); Freund, MedR 2001, 65; Graf, Pharma Recht 1998, 236 (238); Gramm, WissR 32 (1999), 209 (215); Grupp, in: Furkel/Jung, S. 128; Losch/Radau, NVwZ 2003, 390 (394); Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (59); Sobota, AöR 121 (1996), 229 (236), m. w. N. 702 Bork, DRiZ 1986, 166 (169); Deutsch, VersR 1999, 1 (2); ders., Pharma Recht 1982, 1 (3); Freund, MedR, 2001, 65; Graf, Pharma Recht 1998, 236 (238); Gramm, WissR 32 (1999), 209 (215); Grupp, in: Furkel/Jung, S. 125, 128; Losch/ Radau, NVwZ 2003, 390 (394); Pfeiffer, VersR 1990, 685; Sobota, AöR 121 (1996), 229 (236). 703 Deutsch, VersR 1999, 1 (5) mit Bsp.; Gallwas, ZRP 1975 113 (116). 704 Siehe oben 1. 705 Siehe oben 1. 706 Siehe oben 1.
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daß die Private erfassende Steuerungswirkung eines ablehnenden Kommissionsvotums vom Gesetzgeber beabsichtigt war – in diesem Falle würde sich eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung bereits durch das hinreichende Kriterium der Finalität707 ergeben. Denn daß ein mit dem Prädikat „unethisch“ versehenes Forschungsvorhaben auch in der Gesellschaft auf Ablehnung stoßen wird, ist weder fernliegend noch ganz ungewöhnlich. b) Verstärkung der Beeinträchtigung bei multizentrischen Prüfungen Verstärkt werden die soeben dargestellten mittelbaren Steuerungswirkungen bei sogenannten multizentrischen Studien708. Mangels ausdrücklicher Regelung mußte bis zur 8. AMG-Änderung für eine solche klinische Prüfung, die nach einem einzigen Prüfplan durchgeführt wird, aber in mehr als einer Prüfstelle stattfindet, für jede dieser Prüfstellen ein Votum der jeweils zuständigen Ethik-Kommission eingeholt werden. 1994 wurde eine Neuregelung dahingehend getroffen, daß das Votum von derjenigen Ethik-Kommission stammen muß, die für den Leiter der klinischen Prüfung zuständig ist (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 AMG709). Die damit bezweckte Entlastung der forschenden Unternehmen und Ärzte ist jedoch nicht eingetreten. Der Wortlaut drückt lediglich aus, daß zumindest das Votum der für den Leiter zuständigen Kommission eingereicht werden muß. Der Umstand, daß bei einer multizentrischen Prüfung jede einzelne Prüfstelle eine eigene klinische Prüfung bedeutet, hat aber zur Beibehaltung des Problems geführt: Jede klinische Prüfung bedarf eines Votums einer EthikKommission. Also müssen nach wie vor alle Voten eingeholt werden, durch die Neuregelung ist im Außenverhältnis zur zulassenden Bundesoberbehörde aber nur das Votum der „federführenden“ Ethik-Kommission entscheidend710. Eine andere, an dem Entlastungszweck orientierte Auslegung verstieße gegen den Sinn und Zweck der Prüfung durch die Ethik-Kommission insgesamt. Die vom Verfahren bezweckte Offenlegung von Mängeln und Risiken ist nur möglich, wenn das wissenschaftliche Vorhaben als Ganzes überprüft wird711. Immerhin ist der klinische Versuch, wie dargelegt712, und damit auch das Votum der Ethik-Kommission, abhängig auch von standortspezifischen Parametern. Damit ist die verstärkte mittelbare Belastungswirkung den multizentrischen Studien nicht genommen worden. 707
Siehe oben 1. Graf, Pharma Recht 1998, 236 (239). Zu den multizentrischen Prüfungen siehe bereits oben 2. Teil C. 709 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 710 Schlacke, MedR 1999, 551 (552). 711 Schlacke, MedR 1999, 551 (553). 712 Siehe oben 2. Teil C. 708
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Auch die EG-Richtlinie vom 04.04.2001 über die klinische Prüfung wird diesbezüglich keine Änderung bringen. Art. 7 der Richtlinie läßt im Ergebnis jeweils nur das Votum einer der an der Prüfung beteiligten Kommissionen ausreichen (sog. Master-Kommission). Für den Fall einer multizentrischen Prüfung, die zugleich in mehreren Mitgliedstaaten durchgeführt wird, soll ein Votum pro Mitgliedstaat erforderlich sein, aber auch ausreichen. Aus der Wendung „ungeachtet der Anzahl der Ethik-Kommissionen“ und dem Erwägungsgrund Nr. 8, der von voneinander abweichenden Voten spricht, kann geschlossen werden, daß die örtlichen Ethik-Kommissionen trotz der Maßgeblichkeit der Master-Kommission ihre Aufgaben nicht verlieren713. Ebenso wie bisher das Votum der federführenden Kommission, wird nach außen nur das Votum der Masterkommission maßgeblich sein. 4. Relevante Grundrechtsbeeinträchtigung durch Pflicht zur Versicherung der klinischen Prüfung, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG a) Die Probandenversicherung nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG Eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit geschieht – unabhängig vom Inhalt des Forschungsvorhabens – mittelbar auch durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3714 AMG. Danach muß für den Fall, daß bei der Durchführung der klinischen Prüfung ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, eine den Maßgaben des Abs. 3 entsprechende Versicherung abgeschlossen werden. Der Versicherer muß im Geltungsbereich des AMG zum Geschäftsbetrieb zugelassen sein (§ 40 Abs. 3 S. 1 AMG). Der Umfang der Versicherung muß in einem angemessenen Umfang zu den mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken stehen. Für den Tod oder die dauernde Erwerbsunfähigkeit eines der Probanden müssen nach S. 2 500.000 EUR als Mindestversicherungssumme zur Verfügung stehen. Die Rechtsnatur der Versicherung stellt sich gemischt dar. Sie trägt Züge einer Unfallversicherung, kombiniert mit einer Personenschadensversicherung und Kranken- sowie Haftpflichtversicherung. Man wird sie deshalb als Versicherung sui generis bezeichnen können715. Konstruiert ist sie als Ver713 Im Ergebnis ebenso Deutsch, NJW 2001, 3361 (3365); ders., Pharma Recht 2001, 202 (204). 714 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 715 Bork, VersR 1983, 1094; Kloesel/Cyran, § 40, Erl. 20; Sander, Anh. II/40k, Erl. A. 1; Wenckstern, S. 120.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
sicherungsvertrag zugunsten Dritter716. Schon der Wortlaut von § 40 Abs. 3 S. 1 AMG deutet dies an, wonach die Versicherung nach Absatz 1 Nr. 8 zugunsten der von der klinischen Prüfung betroffenen Personen abgeschlossen werden muß. Ebenso definiert § 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für klinische Prüfungen von Arzneimitteln (AVB) als Versicherten die Person, bei der die klinische Prüfung durchgeführt wurde, als Versicherungsnehmer denjenigen, der die klinische Prüfung durchführt oder veranlaßt. Die EG-Richtlinie vom 04.04.2001 über die klinische Prüfung verlangt in Art. 3 Abs. 2 lit. f., daß Vorschriften über Versicherung oder Schadensersatz zur Deckung der Haftung von Prüfer und Sponsor bestehen. Damit sieht sie nicht zwingend eine Probandenversicherung vor. Vielmehr kann dem Erfordernis der Haftungsabsicherung auch durch Regeln der Verschuldenshaftung genüge getan werden717, die nicht eigens die Verletzung von Rechtsgütern im Rahmen der klinischen Prüfung zum Gegenstand haben. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, daß der Bundesgesetzgeber im Zuge der Umsetzung der Richtlinie die deutsche Probandenversicherung abschaffen wird. Das entspräche jedenfalls nicht dem aktuellen Trend zunehmender Regulierung der Arzneimittelforschung. Die im AMG normierte Pflicht, eine Versicherung für die klinische Prüfung abzuschließen, ist unter zwei Gesichtspunkten verfassungsrechtlich problematisch. Zum einen findet eine Verteuerung der Entwicklung eines neuen Arzneimittels statt. Es sind Fälle bekannt, in denen eine Studie de facto an der mangelnden Finanzierbarkeit der Versicherung scheiterte und wichtige Untersuchungen unterblieben718. Diese Wahrnehmung haben durchaus auch die Ethik-Kommissionen selber. So weist die Ethik-Kommission der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern an der Universität Rostock in einem Merkblatt zum Erfordernis einer Probandenversicherung darauf hin, daß durch die Verteuerung infolge eines Abschlusses einer Probandenversicherung die Durchführung klinischer Studien mitunter ganz in Frage gestellt sein könne719. Diese Folge tritt besonders bei multizentrischen Prüfungen auf, wenn sich durch die Durchführung von mehreren Prüfungen die Zahl der Teilnehmer an der Studie deutlich erhöht. Ob im Ergebnis eine Verletzung der Forschungsfreiheit an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung scheitert, kann hier noch offenbleiben. Die Auswirkung auf 716 Bork, VersR 1983, 1094 (1095); Pfeiffer, VersR 1994, 1377; Wenckstern, S. 121. 717 So auch Deutsch, NJW 2001, 3361 (3362); ders., Pharma Recht 2001, 202. 718 Freund, MedR 2001, 65 (71); Walter-Sack, MedR 1997, 504 (505). 719 Ethikkommission der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern bei der Universität Rostock, http://www.uni-rostock.de/fakult/medfak/remed/ethik/probande. htm, S. 2.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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die Erkenntnissuche ist jedenfalls geeignet, diese ganz zu verhindern oder immerhin zu beeinträchtigen. In dieser Hinsicht liegt mithin eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit vor. b) Inkongruenz von Versicherungsbedingungen und gesetzlichen Anforderungen Die Problematik der Versicherungspflicht liegt zum anderen ganz entscheidend darin, daß Probandenversicherungen, die allen Anforderungen des AMG entsprechen, – soweit ersichtlich – auf dem deutschen Markt nicht angeboten werden720. Im einzelnen sind es folgende Regelungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die mit den gesetzlichen Vorgaben nicht in Einklang zu bringen sind: aa) Personale Begrenzung des Versicherungsschutzes Gesetzlich nicht vorgesehene Haftungsausschlüsse bestehen nach § 3 Abs. 3 AVB für generationsübergreifende genetische Schädigungen721. Die Ursache solcher Schäden mag unter Umständen zwar schwer festzustellen sein, doch rechtfertigt diese Schwierigkeit alleine nicht die Ausnahme vom Versicherungsschutz. Soweit sich nämlich ein Kausalzusammenhang zwischen Schaden und der Durchführung der klinischen Prüfung beweisen läßt, ist nicht ersichtlich, daß das AMG eine solche Beschränkung des Versicherungsumfangs zuläßt. Auch der denkbare Einwand, die materiellen Schäden träten nicht bei dem Versuchsteilnehmer selbst auf, sondern erst bei dessen Abkömmlingen, kann im Ergebnis nicht tragen. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 AMG722 spricht insofern nur von der Tötung oder der Gesundheitsverletzung „eines Menschen“ bei der Durchführung der klinischen Prüfung. § 40 Abs. 3 S. 1 AMG nennt als Begünstigten der Versicherung „die von der klinischen Prüfung betroffene Person“. Daraus läßt sich deutlich ableiten, daß es gerade nicht auf eine Verletzung lediglich des Versuchsteilnehmers selbst ankommen kann. Entscheidend in die gleiche Richtung weisen die Erfahrungen mit dem Contergan-Fall, der Auslöser für die Verschärfung zahlreicher Vorschriften des AMG war. Das betrifft insbesondere die Gefährdungshaftung nach § 84 AMG. Sie greift nicht ein bei Schädigungen, die im Rahmen der klinischen Prüfung entstanden sind, sondern wird im wesentlichen erst nach Zulassung relevant. Folgeschäden bei Kindern der Personen, die das Medikament ein720 721 722
Freund, MedR 2001, 65 (69). G. Fischer, S. 96; Freund, MedR 2001, 65 (69); Wenckstern, S. 261 m. w. N. Vgl. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
genommen haben, werden nach § 84 AMG für das bereits zugelassene Arzneimittel ersetzt. Daß aber der Gesetzgeber den Versicherungsschutz in der besonders risikoreichen Phase der klinischen Prüfung geringer gestalten wollte als den durch § 84 AMG gewährten, ist kaum einsichtig. Nimmt man die gesetzgeberische Motivation als Antwort auf den Contergan-Fall ernst, so läßt sich insgesamt feststellen, daß der Haftungssausschluß nach § 3 Abs. 3 AVB für genetische Schädigungen nicht den Vorgaben des AMG entspricht723. bb) Zeitliche Begrenzung des Versicherungsschutzes Problematisch ist daneben die durch § 4 Abs. 3 S. 1 AVB vorgesehene zeitliche Begrenzung des Schutzes. Nach dieser Bestimmung besteht Versicherungsschutz nur für Gesundheitsschädigungen, die spätestens fünf Jahre nach Abschluß der beim Versicherten durchgeführten klinischen Prüfung eingetreten sind und nicht später als zehn Jahre nach Beendigung der klinischen Prüfung dem Versicherer gemeldet werden. Der Umfang der Probandenversicherung muß nach den Vorgaben des AMG in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiko stehen (§ 40 Abs. 3 S. 2 AMG). Für die Bestimmung des angemessenen Verhältnisses sind neben dem Ziel, den Probanden zu schützen, auch die Interessen des Versicherungsnehmers und der Versicherung zu berücksichtigen. Gegen die Einbeziehung von Spätschäden könnte der Aspekt der Rechtssicherheit sprechen. Irgendwann, so ließe sich einwenden, müsse abschließende Klarheit über die Abwicklung von Versicherungsschäden bestehen. Dies sei auch deswegen nötig, um kalkulatorische Probleme bei der Berechnung der Rückstellung für Spätschäden zu vermeiden. Aus medizinischer Sicht sei – diesem möglichen Einwand folgend – nach fünf Jahren auch kaum noch mit dem erstmaligen Auftreten von Symptomen zu rechnen. Allerdings führt eine Abwägung der unterschiedlichen Belange zu einem Überwiegen des Schutzinteresses der Probanden: Die Nachteile auf Seiten der Versicherung und des Versicherungsnehmers sind im Vergleich zu den Nachteilen, die eine restriktivere zeitliche Laufzeit für die Beseitigungskosten der Spätschäden auf Seiten der Geschädigten bedeuten würde, ungleich geringer. Umgekehrt ist es der einen Seite eher zumutbar, eine wegen etwaig problematischer Kostenkalkulation geringfügig höhere Versicherungsprämie zu zahlen. Den Geschädigten dagegen bleibt es erspart, unter Umständen teure Krankheitsbeseitigungsmaßnahmen finanzieren zu müssen. Angesichts der größeren finanziellen Leistungsfähigkeit sowohl der Versi723
I. E. G. Fischer, S. 96.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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cherungsunternehmen als auch der die klinische Prüfung durchführenden Pharmakonzerne wird man das Absicherungsrisiko von Spätschäden eher Versicherung und Versicherungsnehmer zuweisen müssen. Außerdem kommen die wirtschaftlichen Vorteile der Entwicklung des neuen Arzneimittels vorwiegend den Unternehmen der Pharmaindustrie als Versicherungsnehmern zugute. Für eine Einbeziehung von Spätschäden spricht auch, daß es gerade bei einem geringen Restrisiko dem Versicherer zumutbar ist, bei Nachweis der Kausalität aus der Versicherung zu leisten724. Die zeitliche Begrenzung der Haftung entspricht somit nicht dem risikoangemessenen Versicherungsschutz, wie er von § 40 Abs. 3 S. 2 AMG gefordert wird725. cc) Begrenzungen der Versicherungssumme Eine weitere Abweichung der AVB von den Vorgaben des AMG besteht hinsichtlich der Höhe der Versicherungssumme. Im einzelnen sind es drei Begrenzungen, die kritisch zu würdigen sind. Zum einen legt § 6 Abs. 3 AVB eine Höchstgrenze von 500.000 EUR je versicherter Person fest. Das AMG spricht dagegen von einer Mindestversicherungssumme. Daneben enthält § 6 Abs. 2 AVB Höchstgrenzen für Massenschäden. Danach werden bei bis zu 1.000 versicherten Personen höchstens 5 Mio. EUR geleistet, also im schlimmsten Falle 50.000 EUR pro Person. Nehmen 1.000 bis 3.000 Personen an der klinischen Prüfung teil, so beträgt die Höchstsumme 10 Mio. EUR, im schlimmsten Falle also lediglich 3.300 EUR pro Person. Nehmen mehr als 3.000 Personen teil, so liegt die Deckelung bei 15 Mio. EUR, so daß sich die Versicherungssumme pro Proband weiter reduziert. Zusätzlich enthält § 6 Abs. 4 AVB eine Limitierung der Ersatzleistung auf 25 Mio. EUR für mehrere während eines Versicherungsjahres begonnene klinische Prüfungen. Die o. g. Begrenzungen der Leistungsbeträge sind aus folgenden Gründen zu beanstanden. Zum einen handelt es sich bei der in § 40 Abs. 3 S. 2 AMG angegebenen Versicherungssumme von 500.000 EUR um einen Mindestbetrag, d.h., wenn es wegen der mit der Prüfung verbundenen Risiken erforderlich ist, muß gegebenenfalls eine höhere Versicherungssumme abgeschlossen werden726. Die gesetzliche Mindestversicherungssumme wird durch die AVB jedoch durchweg zu einer Höchstsumme, die sich je nach der Zahl der Studienteilnehmer drastisch reduzieren kann, so daß schlimmstenfalls noch einige Tausend EUR für jeden einzelnen übrigbleiben727. Der 724
Wenckstern, S. 296. So i. E. Bork, VersR 1983, 1094 (1095); Deutsch, Rdnr. 381; G. Fischer, S. 97; Wenckstern, S. 286, 295. 726 Pfeiffer, VersR 1994, 1377. 725
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Einwand, es handele sich bei den Vorgaben der AVB um einem Richtwert, der im individuellen Versicherungsvertrag nicht unterschritten werden dürfe, sehr wohl aber bei Bedarf nach oben hin geändert werden könne728, läßt sich aus dem Wortlaut nicht ableiten. In § 3 Abs. 3 AVB ist ausdrücklich von einer „Höchstgrenze“ die Rede. Das widerspricht dem „mindestens“ in § 40 Abs. 3 S. 2 AMG. Der Umfang der Versicherung ist bezüglich § 3 Abs. 3 AVB damit nicht angemessen, wie vom AMG gefordert wird729. Hinsichtlich der in § 3 Abs. 2 AVB vorgesehenen Höchstsummen für Massenschäden ist zunächst festzustellen, daß das AMG zwar kein ausdrückliches Verbot der Haftungsreduzierung in solchen Fällen enthält. Dennoch ergibt die Auslegung von § 40 Abs. 3 S. 2 AMG, daß die von den AVB vorgenommenen Begrenzungen nicht mit den Voraussetzungen des AMG vereinbar sind. Zum einen spricht § 40 Abs. 3 S. 2 AMG nur von einer betroffenen Person, für die eine Mindestversicherungssumme von 500.000 EUR zur Verfügung stehen muß. Daraus läßt sich ableiten, daß diese Summe für jeden Versuchsteilnehmer Maßstab ist und nicht etwa für die Summe der Teilnehmer. Der Gesetzgeber will die Umsetzung der Europäischen Richtlinie über die klinische Prüfung zum Anlaß nehmen, hier eine Änderung vorzunehmen. § 40 Abs. 3 S. 2 des Regierungsentwurfes vom Oktober 2003 sieht vor, daß der Umfang der Versicherung auf der Grundlage der Risikoabschätzung so festgelegt wird, daß für jeden Fall des Todes oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit einer von der klinischen Prüfung betroffenen Person mindestens 500.000 EUR zur Verfügung stehen. Mit dieser Formulierung wird ersichtlich, daß sich die erforderliche Gesamtversicherungssumme nicht aus einer rein formalen Rechenoperation durch Multiplikation der Anzahl der Probanden mit 500.000 EUR ergibt. Im Bundesgesundheitsministerium geht man davon aus, daß es sich insofern lediglich um eine Klarstellung der Rechtslage handelt730. Auch die systematische Auslegung führt zu dem Ergebnis, daß eine Haftungsreduzierung insgesamt nicht zulässig ist. Die Regeln über die Gefährdungshaftung schreiben im Falle mehrerer Geschädigter in § 88 AMG ausdrücklich die Verringerung der Ansprüche des Einzelnen fest. Im Gegenschluß kann gefolgert werden, daß bei der Probandenversicherung ohne ausdrückliche Regelung eben keine Höchstsummen zulässig sind731. Dieses 727
Freund, MedR 2001, 65 (69). Sander, Anh. II/40k Erl. 5, § 40 Erl. C 17. 729 Bork, VersR 1983, 1094 (1095); G. Fischer, S. 96; Wenckstern, S. 294, 268. 730 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs für ein Zwölftes Gesetz zur Änderung des AMG vom 15.10.2003, S. 71 f. 731 Wenckstern, S. 294. 728
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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Ergebnis wird gestützt durch den unterschiedlichen Charakter beider Haftungsregelungen: Während bei der Gefährdungshaftung nach §§ 84 ff. AMG die Zahl der möglicherweise Betroffenen identisch mit der Zahl der Patienten ist, die das auf dem Markt befindliche Arzneimittel einnehmen und somit in keiner Weise von einer überschaubaren Haftungslage ausgegangen werden kann, ist der Kreis der Betroffenen bei der Probandenversicherung deutlich abgegrenzt. Die Festschreibung von Höchstgrenzen ist bei der letztgenannten aus Gründen der Zumutbarkeit deshalb vergleichsweise weniger bedeutsam. Zudem bestehen in der klinischen Prüfung mangels fortgeschrittener Entwicklungsreife noch weitergehende Schadensrisiken, die eine umfängliche Absicherung wichtiger machen. Es läßt sich mithin resümieren, daß die AVB in den oben dargestellten Punkten nicht den Anforderungen des AMG entsprechen. Trotzdem werden die unzulänglichen Versicherungen in der Praxis bei klinischen Prüfungen akzeptiert732. Allerdings läßt sich eine zunehmende Kritik an den Versicherungsbedingungen verzeichnen733. Trotz mehrfacher Diskussion über die Probleme der AVB ist eine Änderung bis dato nicht erfolgt und steht auch nicht zu erwarten. c) Folgen für die Forschungsfreiheit Das Fehlen der Möglichkeit, de facto eine den Anforderungen des AMG gerecht werdende Probandenversicherung abschließen zu können, hat vielschichtige Folgen für die Forschungsfreiheit. Eine klinische Prüfung ist rechtswidrig, wenn sie durchgeführt wird, ohne daß die Voraussetzungen des § 40 AMG vorliegen. Der Forschende setzt sich strafrechtlicher Verfolgung und zivilrechtlichen Ansprüchen aus, vor allem hat er ohne die erforderliche Versicherung nach den allgemeinen Regeln des Deliktsrechts einzustehen734. Gemäß § 96 Nr. 10 AMG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft, wer unter anderem entgegen der Vorschrift des § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 AMG735 eine klinische Prüfung durchführt. Eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit besteht also bereits in dem Umstand, daß überhaupt eine Versicherung der klinischen Prüfung verlangt wird. Im Ergebnis dürfte diese Versicherungspflicht jedoch wegen kollidierenden Verfassungsrechts zulässig sein: Das durch die For732 733 734 735
Lippert, VersR 1997, 545 (549). Lippert, VersR 1997, 545 (549 f.). Pfeiffer, VersR 1994, 1377; Sander, § 40 Erl. C 13. Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
schung am Menschen gefährdete Grundrecht der Probanden aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfährt durch die Versicherung etwaiger Gesundheitsbeeinträchtigungen jedenfalls dadurch einen Schutz, daß diese Beeinträchtigungen nachträglich gemindert werden können. Allerdings ist eine Beschränkung der Forschungsfreiheit in einer zweiten Hinsicht, die über die generelle Versicherungspflicht hinausgeht, zu diskutieren: Die faktische Unmöglichkeit, eine vom AMG geforderte Versicherung abzuschließen, wird weniger durch die gesetzlichen Regelungen des AMG selber als vielmehr erst durch die AVB bewirkt, die die arzneimittelrechtlichen Vorgaben nur unzureichend umsetzen. Bezüglich dieses Ansatzes gerät der Forschende erst durch die von der Versicherungswirtschaft in ungenügendem Umfange angebotene Probandenversicherung in die Lage, eine den Anforderungen des AMG entsprechende klinische Prüfung nicht durchführen zu können. Die ihm sonst, d.h. bei Gelegenheit zum Abschluß einer solchen Pflichtversicherung mögliche Freiheitsbetätigung, wird eben erst durch das Drittverhalten eingeschränkt. Gleichwohl trägt der Gesetzgeber dafür Mitverantwortung, daß eine seinen Vorstellungen entsprechende Probandenversicherung am Markt nicht angeboten wird. Auch Fälle von Drittbeeinträchtigungen werden – wie im Rahmen der Untersuchung zeitlicher und finanzieller Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die Pflicht, ein Votum der Ethik-Kommissionen einzuholen736 – als relevante Grundrechtsbeeinträchtigungen qualifiziert. Hierbei soll es ausreichen, daß die Freiheitsbeschränkung erst durch die Verweigerung der von Gesetzes wegen erforderlichen Mitwirkung eines Privaten entsteht. Voraussetzung dafür, daß sich der Staat das Drittverhalten zurechnen lassen muß, ist nach den obigen Ausführungen ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem und dem staatlichen Veranlassungsverhalten (Aufstellen der Versicherungspflicht). Ein solcher Adäquanzzusammenhang könnte hier deswegen fragwürdig sein, weil die Erwartung des Gesetzgebers, der Markt werde auf gesetzliche Versicherungspflichten entsprechend mit Angeboten reagieren, in anderen Bereichen nämlich eingetreten ist. Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen beispielsweise decken die nach der Anlage 2 zu § 4 Abs. 2 PflVG festgeschriebenen Mindestversicherungssummen ab. Anders als bei der Probandenversicherung wird die Möglichkeit zur Freiheitsbetätigung, die durch die für sich betrachtet verfassungsrechtlich zulässige Versicherungspflicht begrenzt wird, durch private Dritte nicht beeinträchtigt. Gleichwohl war es keineswegs unvorhersehbar, daß die Versicherungswirtschaft keine Policen anbietet, die den Versicherungsschutz gewähren, wie er vom AMG gefordert wird. Bereits die Tatsache, daß der Markt für Kraftfahrzeughaftpflicht736
Siehe oben 1 und 3.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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versicherungen größer sein dürfte als derjenige für Probandenversicherungen und sich ein Engagement dort betriebswirtschaftlich möglicherweise eher lohnen wird, läßt eine Vergleichbarkeit beider Konstellationen nicht zu. Die Grundrechtsbeeinträchtigung, die durch die Unmöglichkeit, eine den Anforderungen des AMG entsprechende Probandenversicherung abschließen zu können und durch die Folge, die klinische Prüfung rechtswidrig durchführen zu müssen, verursacht wird, ist dem Staat mithin zuzurechnen.
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigungen Die oben festgestellten relevanten Beeinträchtigungen von Art. 5 Abs. 3 GG durch die Regelungen des AMG verletzen auch die Forschungsfreiheit, weil die Grundrechtsverkürzungen nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können. Nach Bestimmung der für das Grundrecht maßgeblichen Schranken (unten 1.) wird im Anschluß die Überlegung angestellt, ob die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung weniger schutzwürdig ist und die an relevante Grundrechtsbeeinträchtigungen zu stellenden Rechtfertigungsanforderungen geringer sein könnten (unten 2.). Dann wird untersucht, ob die einzelnen Normen des AMG dem Schutz kollidierender Verfassungsgüter dienen (unten 3.). 1. Maßgebliche Schranken von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Da die Forschungsfreiheit keinen von der Verfassung vorgegebenen Gesetzesvorbehalt enthält, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Verkürzungen ihres Schutzbereichs zulässig sind. Die Schranke der „allgemeinen Gesetze“ in Art. 5 Abs. 2 GG läßt sich nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG übertragen. Abs. 2 spricht ausdrücklich von „diese Grundrechte“ und bezieht sich dadurch ausschließlich auf die vorher in Abs. 1 genannten737. Auch die „Schrankentrias“ von Art. 2 Abs. 1 GG läßt sich nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG übertragen. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist gegenüber den speziellen Freiheitsgrundrechten subsidiär738. Würde man deren „Schrankentrias“ auf sämtliche anderen Freiheitsgrundrechte anwenden, würden die dort normierten Schranken ihres Sinnes enthoben. 737 Insofern von einer Schranken„systematik“ zu sprechen – so aber Hailbronner, S. 147 –, ist angesichts der oben geäußerten Bedenken fragwürdig. 738 BVerfGE 30, 173 (192); 47, 327 (368 f.); 67, 213 (228); Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 184; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 113, 95.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Eine schrankenlose Gewährleistung der Grundrechte, meist unter Berufung auf eine Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums739, kann aber zutreffend nicht angenommen werden. Das Problem der verfassungsrechtlichen Grenzen von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten wird vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung740 durch die Heranziehung kollidierenden Verfassungsrechts gelöst. Dabei ist die „grundgesetzliche Wertordnung“ und die „Einheit dieses Wertsystems“741 zu berücksichtigen. Maßgabe für die folgende Prüfung ist demnach, daß die Grenzen der Forschungsfreiheit nur aus der Verfassung742 selbst zu bestimmen sind. Da es der Sache nach um die Ermöglichung von Freiheitseingriffen trotz fehlender Erwähnung im Verfassungstext geht743, ist das bloße Feststellen der Kollision mit anderen Verfassungsgütern nicht ausreichend. Notwendig ist vielmehr, daß erstens die verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter konkret herausgearbeitet werden744, was bei der Beschreibung der Risiken der Forschung oft nur abstrakt-generell und andeutungsweise geschieht745. Fraglich ist in diesem Zusammenhang zunächst, welche Verfassungsbestimmungen als Grundlage von Begrenzungen in Frage kommen. Während das Bundesverfassungsgericht sich nicht dazu äußert, welche Anforderungen solcherart geeignete Verfassungsbestimmungen besitzen müssen746 und tendenziell eher großzügig den Verfassungsrang eines Gutes bejaht747, wird diese Weite im Schrifttum als bedenklich angesehen und eine Anknüpfung 739
BVerfGE 30, 173 (193); 47, 327 (369); BVerwGE 102, 304 (308). Seit BVerfGE 28, 243 (260 f.). Zustimmend statt vieler von Münch, in: ders./ Kunig, vor Art. 1 Rdnr. 57; Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 120; ders., Grundrechte, S. 127; Stern, III/2, S. 663 f; speziell zu Art. 5 Abs. 3 GG siehe nur BVerfG, NJW 1978, 1621; BVerfGE 47, 327 (369); Kleindiek, S. 179; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 185; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 113, 96; Zöbeley, in: Umbach/Clemens, Art. 5 Rdnr. 256. 741 BVerfGE 30, 173 (193). 742 Deren Umfang ist freilich umstritten. Während das Bundesverfassungsgericht tendenziell eher großzügig den Verfassungsrang eines Gutes bejaht (so beispielsweise BVerfGE 83, 130 [139]), wird diese Weite als bedenklich angesehen und eine Anknüpfung an konkrete normative Bestimmungen der Verfassung gefordert (Pieroth/Schlink, Rdnr. 328; Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 121; ders., in: Stern, III/2, § 81, S. 552 ff.). 743 So auch Spranger, ZRP 2000, 285 (288); ähnlich R. Dreier, DVBl 80, 471 (473). 744 BVerfGE 77, 240 (255); Pernice, in: Dreier, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 34; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 113, 97. 745 Wagner, NVwZ 1998, 1235. Siehe beispielsweise Dickert, S. 43; Kleindiek, S. 134 f. 746 Sachs, in: Stern, III/2, § 81, S. 552, 747 So beispielsweise BVerfGE 83, 130 (139). 740
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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an konkrete normative Bestimmungen der Verfassung gefordert748. Freilich dürfte es notwendig sein, über diese konkrete Anknüpfung des kollidierenden Gutes an eine Verfassungsbestimmung hinaus, zu untersuchen, ob diese Verfassungsbestimmung überhaupt einen solchen normativen Gehalt hat, der der kollidierenden Grundrechtsgewährleistung als Begrenzung entgegen gesetzt werden kann749. Notwendig ist zusätzlich, daß die den Kollisionsgütern zugrundeliegenden Verfassungsnormen die Tendenz haben, aus Gründen des Güterschutzes Beschränkungen anderer Verfassungsgüter zu legitimieren. Letztlich kommt bei Anwendung kollidierenden Verfassungsrechts als Grundrechtsbegrenzung keinem der konfligierenden Verfassungswerte prinzipiell der Vorrang zu. Vielmehr ist Mittel der Konfliktlösung die Abwägung zwischen den kollidierenden Gütern750, deren Ziel die Herstellung praktischer Konkordanz ist751. 2. Keine geminderten Rechtfertigungsanforderungen wegen kommerziellen Bezugs Neben den noch darzustellenden, speziell auf die Arzneimittelforschung bezogenen Beschränkungen der Forschungsfreiheit, werden für die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung Modelle erleichterter verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Für generelle, an der wirtschaftlichen Verwertungsabsicht anknüpfende Abstufungen des Grundrechtsschutzes fehlt es indes an einer verfassungsrechtlichen Grundlage. a) Reduzierte Anforderungen wegen höherer Fremdbestimmtheit? Für die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Erkenntnissuche (den „Werkbereich“), also namentlich die Industrieforschung, wird teilweise eine jenseits des Schutzbereichs ansetzende geringere Schutzintensität angenommen. Wo die Forschungsfreiheit „primär aus marktpolitischen Erwägungen in Anspruch genommen“ werde, also beispielsweise zur Erhöhung der Marktanteile, müßten die Grundrechtsträger in stärkerem Maße relevante Beeinträchtigungen staatlicherseits dulden752. 748 Pieroth/Schlink, Rdnr. 328; Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 121; ders., in: Stern, III/2, § 81, S. 552 ff. 749 Sachs, in: Stern, III/2, § 81, S. 557. 750 BVerfGE 41, 29 (51); 77, 240 (255); 83, 130 (143); Höfling, Jura 1994, 169 (171); Stern, III/2 , S. 627 f., 656 f.; speziell zu Art. 5 Abs. 3 GG Hailbronner, S. 227; Wagner, S. 56. 751 Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 124.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Nicht an der wirtschaftlichen Zielsetzung, sondern weiter gefaßt, setzt Meusel an, der allgemein für angewandte Forschung erleichterte Rechtfertigungsmöglichkeiten für maßgeblich hält753. Mit Verwertungsabsicht betriebene Forschung ist typischer-, wenn auch nicht notwendigerweise anwendungsorientiert754. Ebenso wie Meusel wählt Dickert ein allgemeineres Merkmal als die Verwertungsabsicht zur Bestimmung einer abgestuften Rechtfertigungslast. Entscheidend dafür ist seiner Ansicht nach der Grad der Eigenbestimmtheit der Erkenntnissuche755. Diesen Überlegungen könnte der Gedanke zugrunde liegen, das Ziel einer wirtschaftlich-technischen Entwicklung vor den Augen sorge dafür, daß der kürzeste Erfolgsweg eingeschlagen werde. Eine derartige Fokussierung, so könnte man befürchten, würde negativen Auswirkungen zuwenig Aufmerksamkeit schenken. Die Folge wäre ein einseitiges Durchsetzen der technisch-wirtschaftlichen Interessen756. Es wäre dann die Befürchtung einer „rücksichtslosen Vermarktung sensibler Forschungsdaten aus ungehemmtem Gewinnstreben“757, die Anlaß für geminderte Rechtfertigungsanforderungen geben würde. b) Keine reduzierten Anforderungen wegen Vollwertigkeit der Forschung Eine an den genannten Punkten ansetzende Abstufung des Schutzes der Forschungsfreiheit kann indes nicht überzeugen. Bereits die für eine solche Lösung notwendige Grundvoraussetzung ist wohl nicht gegeben. Wenn die Orientierung an Anwendung bzw. wirtschaftlicher Verwertung, mithin an außerhalb der Wahrheitssuche liegenden Kriterien, maßgeblicher Anknüpfungspunkt sein soll, dann ist eine Bestimmung der Motivation des For-
752 Von Heydebrandt/Gruber, ZRP 1986, 115 (119); ähnlich Heldrich, S. 24, 26; Kloepfer, JZ 1986, 205 (206). Starosta, S. 74 will die wirtschaftliche Tätigkeit von Religionsgemeinschaften zwar dem Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1, 2 GG unterstellen (s. o. III. 2. c) bb) (2)), hält sie aber für „in wesentlich stärkerem Maße“ einschränkbar. 753 Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 181; ders., Handbuch Wissenschaftsrecht, S. 1282 f. 754 Siehe oben I. 4. a) aa). 755 Dickert, S. 270, 491. 756 Losch, S. 261, jedoch nicht zur Schrankenebene, sondern zur sozialen Verantwortung als immanenter Schutzbereichsgrenze. 757 Dickert, S. 36; ähnlich Starck, FS Zeidler, S. 1552; drastischer der frühere Präsident der Berliner Ärztekammer Huber, S. 147: „Der freie Markt und das Profitmotiv als Antrieb für unternehmerisches Handeln gehen letztlich über Menschenleben hinweg“.
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schers dafür Voraussetzung. Die Forschermotivation ist aber auch aus Sicht der Vertreter eines abgestuften Schutzes kaum zu bestimmen758. Entscheidend gegen eine Reduzierung der Rechtfertigungslast bei relevanten Beeinträchtigungen von Forschungstätigkeit, die mit Verwertungsabsicht betrieben wird, sprechen aber die Ergebnisse der Schutzbereichsprüfung, nach denen derartige Forschung unbeschränkt zu Art. 5 Abs. 3 GG zuzuordnen ist. Zwar ist es gerade Eigenart der Grundrechts-Schranken, das bei der Prüfung des Schutzbereichs gefundene Ergebnis wieder in Frage zu stellen, jedoch bedarf es – genau wie beim Schutzbereich – eines Nachweises, daß der im Vergleich zu „reiner“ Forschung höhere Grad an Außenorientierung und damit Fremdbestimmtheit überhaupt Grund für eine geringere Schutzwürdigkeit sein kann. Nachgewiesenermaßen ist das aber nicht der Fall. In der Schutzbereichsprüfung wurden bereits die auch hier entscheidenden Punkte geprüft. Auch die Untersuchung einer Kumulation von Antiindikationen, als von im Vergleich zu der klassischen Hochschulforschung abweichenden Charakteristika der Industrieforschung konnte kein einen minderen Schutz forderndes Ergebnis zeitigen759. Da also eine sich von außerhalb der Wahrheitssuche liegenden Umständen unbeeinflußt zeigende Forschung gerade nicht von der Verfassung gefordert wird, kann auch eine an diesem Kriterium ansetzende Abstufung der Rechtfertigungsanforderungen nicht der Verfassung entsprechen. Das Gewicht, das die Forschungsfreiheit in die Waagschale der Abwägung mit einbringt, ist bei wirtschaftlich betriebener Forschung nicht geringer als bei solcher ohne Verwertungsabsicht. Ein weiterer, dieses Ergebnis stützender Umstand kommt noch hinzu. Eine Anknüpfung an die Motivation zur Aufnahme einer Forschungstätigkeit, hier also die Verwertungsabsicht und damit die Ausrichtung auf externe Umstände, verstieße gegen das Verbot des Wissenschaftsrichtertums. Ein zur inhaltlichen Steuerung der Forschung führendes Anknüpfungskriterium760 kann auch nicht über den Umweg der Schranken- bzw. SchrankenSchranken-Prüfung zum einschränkenden Merkmal gemacht werden761. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß keine Anhaltspunkte für einen allein auf der Verwertungsabsicht des Forschers basierenden Schutz zweiter Klasse bestehen. Die Abstufung der von Art. 5 Abs. 3 GG für mit Verwer758
Dickert, S. 269; deshalb zutreffend ablehnend Raabe, S. 93. Siehe oben I. 4. a) bb). 760 Siehe oben I. 4. d). 761 So ausdrücklich Friauf/Höfling, AfP 1985, 249 (255); Grigoleit/Kersten, DVBl. 1996, 596 (598) zu den Meinungsgrundrechten. Deren inhaltliche Ausrichtung dürfe auch bei der Rechtfertigung nicht zum Nachteil des Grundrechtsträgers gereichen. 759
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
tungsabsicht betriebener Forschung ausgehenden Schutzintensität richtet sich vielmehr – wie allgemein üblich – an den Eigenarten des konkreten Falls und an dem Grad des Betroffenseins der Rechtsgüter aus. 3. Keine Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die Zulassungsvoraussetzungen des AMG a) Ethische Gesichtspunkte: Prüfung der „ärztlichen Vertretbarkeit“, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG Zur Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch die Prüfung des Forschungsvorhabens auf seine ärztliche Vertretbarkeit (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG762) lassen sich für die hier untersuchten ethischen Gesichtspunkte weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) noch die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) heranziehen. aa) Keine vollständige Rechtfertigung durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (1) Schutz vor Gesundheitsgefahren Üblicherweise wird das oberste Ziel der Tätigkeit der Ethik-Kommissionen im Schutz von Patienten und Probanden vor den von der Forschung für sie ausgehenden Gefahren gesehen763. Dieses Ziel wird für die späteren Patienten, die das dann zugelassene Arzneimittel benutzen, bereits durch die Prüfung der schädlichen Wirkungen (§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AMG) des Arzneimittels erreicht. Für die Teilnehmer an der klinischen Prüfung entfaltet § 25 Abs. 2 AMG dagegen keine Schutzwirkung. Ihr Schutz wird allein durch § 40 AMG gewährleistet. Das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit erfaßt die Integrität der Körpersphäre764, wobei als Gesundheitsschäden insbesondere sowohl somatische Funktionsstörungen als auch Körperschäden in Betracht kommen765. 762
Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. Deutsch, NJW 1995, 3019 (3023); ders., VersR 1999, 1 (4); Gallwas, ZRP 1975, 113 (114); Grupp, in: Furkel/Jung, S. 137; Wenckstern, S. 9, 18 f.; siehe auch Merkblatt der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Aus diesem Grunde nimmt Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft) Rdnr. 41 die Rechtfertigung des Eingriffs in die Forschungsfreiheit an; unklar, welche Grenze Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 384 zieht. 764 BVerfGE 56, 54 (73). 763
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Das Grundrecht auf Leben wehrt auch solche Verhaltensweisen ab, die unbeabsichtigt den Tod eines Menschen herbeiführen766. Relevante Beeinträchtigungen von Leben und körperlicher Unversehrtheit sind nicht nur solche, die eine Tötung oder eine Einwirkung auf die Körpersubstanz zur Folge haben. Um einen effektiven Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit zu gewährleisten, qualifiziert das Bundesverfassungsgericht bereits die Verursachung von Risiken für die beiden Schutzgüter als Grundrechtsbeeinträchtigung767. Im Rahmen der klinischen Prüfungen sind die unterschiedlichsten Einwirkungen auf die körperliche Integrität der Prüfungsteilnehmer denkbar. Am relevantesten dürften die ungezielten Einwirkungen sein. Die Möglichkeit, daß die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in relevanter Weise beeinträchtigt werden und damit als kollidierendes Verfassungsrecht berücksichtigt werden müssen, folgt nicht etwa erst durch eine Mißachtung der von dem Grundrecht ausgehenden Schutzpflicht768, die Teilnehmer einer klinischen Prüfung vor Schäden zu bewahren, die von den privaten Prüfungsdurchführenden ausgehen. Eine relevante Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist bereits deswegen möglich, weil für die Durchführung einer klinischen Prüfung eine staatliche Genehmigung erteilt wird und der Staat für die etwaig eintretenden Gesundheitsschäden somit mitverantwortlich ist. Bei der Durchführung der klinischen Prüfung kann der Eintritt sowohl von Gefahren als auch von Risiken für Leben und körperlicher Unversehrtheit nicht ausgeschlossen werden. Allein der Umstand, daß im Rahmen der klinischen Prüfung die Wirkungen des Arzneimittels im Körper erst noch erforscht werden müssen, bedingt ein gewisses Risiko für die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Güter. Um dieses Risiko genauer bestimmen zu können und entscheiden zu können, ob möglicherweise sogar eine Gefahr für die geschützten Güter besteht, ist die Durchführung einer darauf ausgerichteten Prüfung des Forschungsvorhabens durch die Ethik-Kommissionen wohl zulässig.
765 Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2 Rdnr. 62; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rdnr. 150. 766 Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rdnr. 141. 767 BVerfGE 49, 89 (141 f.); 53, 30 (51); 56, 54 (76); 66, 39 (57 f.); ebenso Murswiek, S. 131 ff. 768 Zur Schutzpflicht siehe nur BVerfGE 46, 160 (164) zum Lebensschutz. Für den Schutz der körperlichen Unversehrtheit gelten ähnliche – jedoch nach Intensität des Eingriffs abgestufte – Anforderungen an die Schutzpflicht, Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rdnr. 189.
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Ab wann die einzelne von der Ethik-Kommission auf ihre ärztliche Vertretbarkeit untersuchte klinische Prüfung derartige Gefahren und/oder Risiken für die beiden Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bedingt, die auch nicht durch Einwilligung unbeachtlich sind und die Unzulässigkeit der klinischen Prüfung zur Folge haben, kann losgelöst vom konkreten Fall nicht bestimmt werden. Wie erwähnt, kommt im Rahmen der Herstellung praktischer Konkordanz nämlich keinem Grundrecht ein genereller Vorrang zu. (2) Über den Gesundheitsschutz hinausgehende ethische Aspekte Die Ethik-Kommissionen berücksichtigen nach den Ergebnissen des zweiten Teils dieser Arbeit bei ihrer Untersuchung, ob das Forschungsvorhaben ärztlich vertretbar ist, nicht nur Gesundheitsgefahren für die Teilnehmer der klinischen Prüfung, sondern beziehen auch ethische Aspekte ein769. Bei der Diskussion originär ethischer Fragen wird – wie erwähnt – auch die wissenschaftliche Gestaltung berücksichtigt. Der Gegenstand der ärztlichen Vertretbarkeitsprüfung ermöglicht damit einen nahezu nicht begrenzbaren Prüfungsrahmen. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann hier von vorneherein nicht als kollidierende Verfassungsnorm zur verfassungsimmanenten Begrenzung der Forschungsfreiheit dienen. Die in dieser Norm gewährleisteten Grundrechte erfassen nur Beeinträchtigungen des Lebens und der körperlichen Integrität. Im Ergebnis kann also, soweit die nicht zu unterschätzenden Verdienste der Ethik-Kommissionen im Blick auf den Gesundheitsschutz hervorgehoben werden770, dieses Tätigwerden nur auf den verfassungskonformen Teil von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG771 bezogen werden, der Schutz von Leben und Gesundheit der Probanden gewährleistet. Anders dagegen sieht es in dem Fall aus, in dem die Ethik-Kommission die Durchführung der klinischen Prüfung mit einem lipidsenkenden Antidepressivum als Mittel gegen Fettleibigkeit mit dem Hinweis abgelehnt hat, mit Fasten sei das gleiche Ergebnis zu erzielen772. Hier verbirgt sich wohl eher eine auf moralischen Ansichten beruhende Wertung, die es für sinnvoll hält, den Übergewichtigen eigenes Tätigwerden zuzumuten. Die eingreifende Wirkung der ethischen Prüfungskriterien läßt sich nicht mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG rechtfertigen.
769 770 771 772
Siehe oben 2. Teil C. Z. B. Deutsch, MedR 1995, 483. Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. Fall nach van den Daele/Müller-Salomon, S. 54.
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bb) Keine Rechtfertigung durch Art. 1 Abs. 1 GG Als weiteres kollidierendes Verfassungsgut wird häufiger die Menschenwürde bemüht, um die Regelungen über die klinische Prüfung zu rechtfertigen773. Über einen pauschalen Hinweis auf dieses Grundrecht hinaus, findet jedoch keine Subsumtion statt. Überwiegend wird die Menschenwürde als ein subjektives Grundrecht verstanden774. Eine andere Auffassung wird neuerdings vertreten u. a. unter Hinweis, Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG enthalte eine Rechtsverpflichtung der deutschen Staatsgewalt, über den politischen Prozeß und die zuständigen Entscheidungsträger dafür Sorge zu tragen, daß die Menschenwürde weltweit und national geachtet und geschützt werde und damit noch kein subjektiv öffentliches Recht775. Gegen diesen abweichenden Ansatz läßt sich neben Art. 142 GG, der von den Grundrechten der „Artikel 1 bis 18“ spricht, anführen, daß es systemwidrig wäre, die Menschenwürde als „strukturgebende Fundamentalnorm“776 des Grundgesetzes lediglich als objektive Norm zu verstehen777. Der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG, wonach die „nachfolgenden“ Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung binden, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 GG ist nicht so zu verstehen, daß alle nachfolgenden Artikel Grundrechtsnormen sind778. Vielmehr ist die Besonderheit des Aussagegehalts dieser Norm, daß die Grundrechte des Grundgesetzes im Gegensatz zu denjenigen der Weimarer Reichsverfassung unmittelbar geltendes Recht sind779. Richtigerweise ist hieraus zu folgern, daß aus Art. 1 Abs. 3 GG ebensowenig der Schluß gezogen werden kann, daß die ihm vorausgehenden Normen keine Grundrechtsqualität besitzen.
773 U. a. von Keller, MedR 1991, 11 (12); Pfeiffer, VersR 1991, 614 (615 f.); ders., VersR 1994, 1377 (1382); Wagner, S. 298 f. 774 Siehe nur BVerfGE 1, 332 (343); 15, 283 (286); 61, 126 (137); 75, 369 (380); Höfling, JuS 1995, 857 f.; ders, in: Sachs, Art. 1 Rdnrn. 3 ff.; Krawietz, GS Klein, S. 255 ff.; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 1 Rdnr. 3; Podlech, in: AK, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 61; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rdnrn. 17 f.; Stern, III/1, S. 26 f. 775 So Brugger, S. 18 ff.; Dreier, in: ders., Art. 1 Rdnrn. 67 ff.; Enders, S. 113 ff.; Geddert-Steinacher, S. 167 ff. Früher etwa Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Vorbem. B XIV 6, Art. 1 Anm. 1a–c; Löw, DÖV 1958, 516 ff. 776 Ähnlich das BVerfG, das Art. 1 Abs. 1 GG zu den tragenden Konstitutionsprinzipien des GG rechnet, BVerfGE 6, 32 (36); 27, 1 (6); 87, 209 (228). 777 Dazu Höfling, S. 107 f.; ders., JuS 1995, 857 (858); Krawietz, GS Klein, S. 256, 260, 279 f.; Sachs, Grundrechte, S. 172. 778 Löw, DÖV 1958, 516 (517); ihm insoweit folgend Krawietz, GS Klein, S. 269. 779 Hierzu und zum folgenden Krawietz, GS Klein, S. 269.
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Qualifiziert man die Menschenwürde demnach als Grundrecht, so hätte ihre Beeinträchtigung durch die Genehmigung klinischer Prüfungen zur Folge, daß ein Ausgleich zwischen den kollidierenden Rechtsgütern nicht vollzogen werden könnte. Nach überwiegender Ansicht kommt eine Rechtfertigung von Beeinträchtigungen des Achtungsanspruchs der Menschenwürde nicht in Betracht780. Anders freilich ist die Lösung nach der oben genannten Ansicht, die die Menschenwürde nicht als Grundrecht, sondern lediglich als „objektives Verfassungsprinzip“ qualifiziert. So behandelt Brugger jede Beeinträchtigung der Menschenwürde im Rahmen eines Grundrechts der Art. 2 ff. GG781. Auf diese Weise gelangt er zur Anwendung der für das jeweilige Grundrecht anerkannten Schranken782. Aus den oben genannten Erwägungen, die für den Charakter von Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht sprechen, scheidet eine derartige Lösung indes aus. Faßt man die Bereiche der klinischen Prüfung, die von § 40 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 6, S. 2 AMG783 reglementiert werden, unter die anerkannten Fallgruppen typischer relevanter Beeinträchtigungen der Menschenwürde, so kann man eine Verletzung des Grundrechts nicht feststellen. Von der Objektformel des Bundesverfassungsgerichts ausgehend, wonach es der Würde des Menschen widerspricht, ihn zum bloßen Objekt im Staat zu machen784, haben sich vier Fallgruppen785 herausgebildet: Achtung und Schutz der körperlichen Integrität, Sicherung menschengerechter Grundlagen, Gewährleistung elementarer Rechtsgleichheit und Wahrung der personalen Identität. In Betracht kommt im vorliegenden Zusammenhang vor allem die erste Fallgruppe. Soweit es jedoch um konkrete Gefährdungen eines bestimmten Menschen oder einer bestimmten Menschengruppe geht, so sind diese bereits durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfaßt. Das Kriterium der ärztlichen Vertretbarkeit bezweckt aber gerade nicht nur die Abwehr solcher Gefahren, vielmehr ermöglicht es – wie dargelegt – einen darüber hinausgehenden 780 BVerfGE 67, 213 (228); 75, 369 (380); 80, 367 (373); 93, 266 (293); BVerfG, NJW 1995, 3303 (3304); Dreier, in: ders., Art. 1 Rdnr. 71; Geddert-Steinacher, S. 83; Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rdnr. 10 f.; ders./Demel, MedR 1999, 540 (545); Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 1 Rdnr. 26; Podlech, in: AK, Art. 1 Rdnr. 73; differenzierend Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rdnr. 31, der eine Begrenzung der Menschenwürde durch diejenige einer anderen Person für zulässig hält. 781 Brugger, S. 21 f. 782 Brugger, S. 22 f. 783 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 784 BVerfGE 9, 89 (95); 57, 250 (275); 88, 203 (252); dazu jüngst Böckenförde, JZ 2003, 809 (811). Zur Entstehung des Begriffs Enders, S. 20 f.; kritisch zur Objektformel als „Leerformel“ Höfling, S. 109. 785 Dazu und zum Folgenden Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rdnr. 19 ff. Fünf Fallgruppen nennend Pieroth/Schlink, Rdnr. 361; Podlech, in: AK, Art. 1 Rdnrn. 17 ff.
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weiten Prüfungsrahmen, dessen Grenzen nur von individueller Willkür gezogen werden. Da die Menschenwürde auch dann als Rechtfertigungsmöglichkeit von Grundrechtsverkürzungen eingesetzt wird, wenn keine konkreten Rechtsgüter einzelner oder der Allgemeinheit verletzt sind786, könnte sie jedoch auch derartige Fälle ethischer Bedenken umfassen. Für eine solche Auffassung könnten einzelne Judikate zu Darbietungen sexuellen Inhalts angeführt werden. Sowohl sogenannte Peep-Shows787 als auch die Ausübung der Prostitution788 werden unter dem Gesichtspunkt der Objekthaftigkeit der Aktricen kritisch betrachtet. So wird vertreten, die Freiwilligkeit des Handelns nehme dem Handeln nicht seine Menschenwürdewidrigkeit789. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob die von Art. 1 Abs. 1 GG verlangte Unantastbarkeit auch für den einzelnen Menschenwürdeträger sich selber gegenüber gilt: Gibt es eine Pflicht, seine eigene – extern definierte – Würde zu achten? Stützen ließe sich die Bejahung dieser Frage mit dem Hinweis, daß das Grundgesetz über die Gewährleistung von singulären Freiheitsrechten hinaus eine Wertordnung aufstellt und sich daraus ein bestimmtes Menschenbild ableiten läßt790. Teilweise wird daher generell die Möglichkeit eines Verzichts791 auf die Menschenwürde abgelehnt792, jedenfalls solange, wie die objektive Funktion des Grundrechts berührt wird. Zwar ist es wohl zutreffend, zwischen subjektiven und objektiven Komponenten der Menschenwürde zu unterscheiden793. Aber bereits im Rahmen der Untersuchung einer etwaigen Ausrichtung von Art. 5 Abs. 3 GG auf nicht egoistisch-wirtschaftlich motivierte Forschung wurde geprüft, inwieweit der objektive den subjektiven Grundrechtsgehalt begrenzen kann794. Dort wurde im Ergebnis festgestellt, daß ersterer nur Unterstützungsfunk786
So deutlich Enders, S. 368. Insbes. BVerwGE 64, 274 (278 f.). 788 BGHZ 67, 119 (125); VG Minden, NVwZ 1988, 663 (666). 789 Deutlich BVerwGE 64, 274 (278 f.). 790 Speziell zur Aussagekraft für die begrenzende Wirkung der Menschenwürde Spieß, S. 110. 791 Unter Verzicht soll im folgenden keine Willenserklärung verstanden werden, durch die das Erlöschen eines (Grund-)Rechtes herbeigeführt wird. Vielmehr bezieht sich der Begriff auf eine Einwilligung des Grundrechtsträgers in den konkreten Fall der staatlichen Einwirkung auf seine grundrechtlichen Schutzgüter, vgl. Sachs, Grundrechte, S. 109. 792 VG Minden, NVwZ 1988, 663 (666); Hillgruber, S. 138, der i. E. bei Freiwilligkeit aber gar keine Würdeverletzung für möglich hält; Stern, III/2, S. 923 m. w. N. 793 Spieß, S. 106 ff.; ansatzweise auch Enders, S. 386, der jedoch zu weitgehend von einer Abstraktion der Menschenwürde vom Selbstbestimmungsinteresse spricht. 794 Siehe oben I. 4. c) bb). 787
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tion zugunsten des letztgenannten besitzt. Speziell zur Menschwürde hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich geäußert, die Wahrnehmung einer aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden staatlichen Schutzpflicht könne nicht so weit gehen, daß die Schutzpflicht gegen den Willen des Grundrechtsträgers laufe795. In der Tat ist der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 GG eindeutig: Der Staat ist ausschließlich Verpflichteter der Grundrechte und damit auch der überwiegend als subjektives Grundrecht anerkannten Menschenwürde796. Der Staat kann aus ihnen keinen Eingriffstitel gegen den Grundrechtsträger selbst herleiten. Anders liegt es verständlicherweise im Fall der Grundrechtskollision. Hier kann die beeinträchtigte Menschenwürde des einen Grundrechtsträgers sehr wohl eine Eingriffslegitimation gegenüber dem diese Beeinträchtigung herbeiführenden anderen Grundrechtsträger sein797. Kritisiert wird eine Auslegung, die der objektiven Komponente der Menschenwürde den Vorrang gegenüber der subjektiven einräumt, mit der so stattfindenden Umdeutung von Menschenwürde in eine Menschenwürdepflicht798. Die einst als höchste Waffe gegen den Staat gedachte Menschenwürde würde sich unversehens gegen ihren eigentlichen Begünstigten richten: Zutreffend wird zugespitzt eine Paternalisierung von Freiheit799 befürchtet. Ein solches Verständnis mit besonders ausgreifenden Schutzwirkungen der Menschenwürde hätte zur Folge, daß moralische Standards gegenüber anderen Grundrechten privilegiert würden800. Insbesondere die den Staat zur Neutralität verpflichtenden Grundrechte könnten jenseits ausdrücklich normierter Begrenzungsvorbehalte durch Verweis auf ethische Anschauungen mit leichter Hand verkürzt werden. Angesichts der Erfahrungen aus der NS-Zeit801, die den Einzelnen für das „Volkswohl“ in Dienst genommen hat und es letztlich beispielsweise eines Deutschen für „unwürdig“ erklärte, bei jüdischen Geschäftsleuten Einkäufe zu tätigen, wird man wohl eine Unterscheidung nach achtenswerter und weniger achtenswerter Menschenwürde ablehnen müssen802. In die Richtung eines derartigen Ver795
BVerfGE 61, 126 (138). Gusy, DVBl. 1982, 984 (985). 797 Die staatliche Schutzpflicht wirkt auch gegenüber von Privaten ausgehenden Gefahren, Sachs, in: Stern, III/1, § 67, S. 734. 798 Geddert-Steinacher, S. 89; Gusy, DVBl. 1982, 984 (986); Hillgruber, S. 134; Höfling, S. 114 f., 126; ders./Demel, MedR 1999, 540 (549); von Olshausen, NJW 1982, 2221 (2222 f.); Spieß, S. 106; kritisch auch Sachs, Grundrechte, S. 115. 799 Geddert-Steinacher, S. 89; Spieß, S. 107 f., 109; kritisch auch Würkner, NVwZ 1988, 600 (602). 800 Ronellenfitsch, S. 104, kritisch gegenüber derartigen Bemühungen im Bereich der biomedizinischen Forschung. 801 Zu der Bedeutung der Erfahrungen aus der NS-Zeit für die Normierung der Menschenwürde vgl. Böckenförde, JZ 2003, 809. 802 Zum letzten Halbsatz Gusy, DVBl. 1982, 984 (986). 796
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ständnisses der Menschenwürde, das die Definitionsmacht dem Einzelnen zuweist, deutet auch die „Transsexuellen“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dort führt das Gericht ausdrücklich aus, entscheidend für das Verständnis der Menschenwürde sei, wie sich der Betroffene in seiner Individualität selbst begreife und sich seiner bewußt werde803. Darüber hinaus hat das Gericht den Einsatz eines sogenannten Lügendetektors im Strafverfahren nur deshalb für mit Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar gehalten, weil es angesichts der faktischen Zwangslage die Freiwilligkeit der Entscheidung des Angeklagten nicht gewährleistet sah804. Hieraus läßt sich ableiten, daß das Gericht – volenti non fit iniuria – eine Verobjektivierung des Menschenwürdeträgers gegen seinen freien Willen nicht für möglich hält. Soweit sich eine Freiwilligkeit nachweisen läßt, fehlt es bereits an einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG805, so daß strenggenommen kein Fall des Grundrechtsverzichts vorliegt806. Teilweise wird das Verhältnis zwischen objektiver und subjektiver Komponente der Menschenwürde differenzierend aufgelöst. Ausgangspunkt dabei sind aber auch die soeben dargelegten Gründe gegen eine irgendwie geartete Inpflichtnahme gegen sich selbst. So sieht Geddert-Steinacher das subjektive Element der Menschenwürde in der Funktion eines negativen Tatbestandsmerkmals807. Einerseits soll das auf dem subjektiven Element fußende Gefühl808 einer Würdewidrigkeit nicht ausreichen, um einen Menschenwürdeverstoß zu begründen. Umgekehrt soll aber die Menschenwürde – dem oben genannten Ansatz folgend – nicht gegen den betroffenen Menschenwürdeträger selbst eingesetzt werden809. Insgesamt verbleibt die letztmaßgebliche inhaltliche Würdeauffassung beim Einzelnen810. Andererseits wird eine Grenzziehung nur im Einzelfall für möglich gehalten. Spieß will danach abgrenzen, mit welcher Schwere das objektive Element der Menschenwürde beeinträchtigt ist, was bei intensiver Außen803
BVerfGE 49, 286 (298). BVerfG, NJW 1981, 375. 805 Deutlich auch Hillgruber, S. 136, 138; Höfling, S. 126; Sachs, Grundrechte, S. 115. 806 Danach dürfte es den Fall des Verzichts auf die Menschenwürde überhaupt nicht geben. Unklar insoweit Hillgruber, S. 138, der eine „Einwilligung in eine Verletzung der Menschenwürde“ für unzulässig hält. 807 Geddert-Steinacher, S. 91 f. 808 Beispiele aus der Judikatur für objektiv nicht begründbares Gefühl der Würdeverletzung BVerwGE 31, 236 (237), „oe“ statt „ö“ im Namen, dazu kritisch Höfling, S. 109; BVerfGE 26, 14 (16), Robenpflicht für Anwälte. 809 Geddert-Steinacher, S. 92; ebenso Hillgruber, S. 148. 810 In diesem Sinne auch Höfling, S. 424; Podlech, in: AK, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 46; Spieß, S. 109; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 7; Würkner, NVwZ 1988, 600. 804
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wirkung der Grundrechtsbeeinträchtigung deutlicher der Fall sei811. Wenn insoweit auf die Außenwirkung der Grundrechtsbeeinträchtigung abgestellt wird, soll damit entscheidend wohl der Eindruck des Verhaltens des Menschenwürdeträgers auf die Gesellschaft sein. Das gewählte Kriterium ist zwar fragwürdig, würde man es anwenden, dürfte im Fall der klinischen Prüfung aber wohl keine Verletzung festzustellen sein. Die Versuchsdurchführung findet nicht in breiter Öffentlichkeit statt. Eine Grenzmarke, ab der das objektive Element die Freiheitsgarantie nicht mehr einschränken kann, steckt letztlich Enders. Solange aus dem Menschenwürdegrundsatz nur ein konkretes Mißbrauchsverbot zugunsten Dritter und keine allgemeine, objektivrechtliche Grundpflicht abgeleitet werde, sei die freiheitsbeschränkende Wirkung nicht zu beanstanden812. Bei der klinischen Prüfung geht es aber nicht darum, Dritte davor zu schützen, daß sich andere mißbräuchlich auf ihre Menschenwürde berufen. Vielmehr wird nur auf die Menschenwürde der Teilnehmer der klinischen Prüfung Bezug genommen, um gerade den Schutz von den Teilnehmern selber zu begründen. Auch nach diesen untersuchten, den (wegen der bloßen Unterstützungsfunktion nicht wirklich bestehenden) Konflikt zwischen subjektivem und objektivem Element differenzierend lösenden Ansätzen ergibt sich danach keine Verletzung der Menschenwürde. Die Verobjektivierung der Teilnehmer an klinischen Prüfungen kann somit insgesamt bereits deswegen nicht angenommen werden, weil die strengen Vorschriften über die Einwilligung die Freiwilligkeit der Teilnahme sicherstellen813. Zudem steht zu berücksichtigen, daß durchaus berechtigte Gründe vorliegen können, an einer klinischen Prüfung teilzunehmen, die aus Sicht der Mitglieder der Ethik-Kommission ethischen Bedenken ausgesetzt ist. Im Bereich der medizinischen Forschung ist das große Interesse an laufenden klinischen Prüfungen ein Zeichen dafür, daß den Patienten die ärztliche Vertretbarkeit nicht allzu bedeutsam ist. Vorbehalte gegenüber gentechnischen Verfahren sind ihnen beispielsweise weitgehend fremd, wegen der Chance, während der klinischen Prüfung mit einem ihnen helfenden neuen Medikament therapiert zu werden, sind sie auch Risiken gegenüber aufgeschlossen814. Auch der Gedanke, daß die an der Prüfung teilnehmenden Patienten ihr Leben oder ihre Gesundheit möglicherweise selbst den 811
Spieß, S. 112. Enders, S. 369 (Hervorhebung nicht im Original). 813 Auch Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 1 Rdnr. 36 sieht bei in Kenntnis der Risiken abgegebenen Einwilligung des Probanden keinen Verstoß medizinischer Versuche gegen die Menschenwürde. 814 FAZ Nr. 127 vom 30.05.2001, S. 24. 812
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Ergebnissen früherer Forschung verdanken und sich daher ihrerseits im Interesse zukünftiger Patienten für die Forschung zur Verfügung stellen815, kann nicht unberücksichtigt bleiben. Soweit die Freiwilligkeit von Entscheidungen an der Prüfungsteilnahme im Hinblick auf den Druck des Leidens angezweifelt wird816, kann auch dieser Einwand nicht zur Begründung einer menschenwürdewidrigen Objektstellung führen. Insbesondere bei unheilbaren Krankheiten kann der letzte Ausweg gerade darin bestehen, ein von anderen Personen möglicherweise als zu hoch eingeschätztes Risiko einzugehen. Ob sich hier eine Moralwacht auf die Menschenwürde berufen kann, auch dann, wenn die den Kranken treibende Hilflosigkeit nicht nachempfunden werden kann, läßt doch erhebliche Zweifel bestehen. Insbesondere Entscheidungen angesichts eines nahen Lebensendes können von außerhalb der Grenzsituation stehenden Dritten wohl kaum adäquat bewertet werden. Es erscheint daher unzutreffend, die Freiwilligkeit aus Sicht eines in dieser Hinsicht Inkompetenten zu beurteilen. Solange der Menschenwürdeträger als Subjekt handelt, ist bereits begrifflich eine Objektstellung seiner Person ausgeschlossen. cc) Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz Der Teil von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG817, der sich in seiner Zielrichtung auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als verfassungsrechtliche Kollisionsnorm berufen kann, ist im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Die vom Bestimmtheitsgrundsatz geforderte inhaltliche Präzisierung von gesetzlichen Anordnungen soll den Normadressaten ermöglichen, sich nach den an ihn gestellten Anforderungen richten zu können818. Die an die inhaltliche Präzisierung einer Norm zu stellenden Anforderungen sind höher, wenn sie zu Grundrechtseingriffen ermächtigen819. Zu beachten ist allerdings, daß Auslegungsbedürftigkeit die Bestimmtheit einer Norm nicht ausschließt820. Ohne die Möglichkeit, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, wäre das Handeln des Gesetzgebers deutlich erschwert821. 815 Van den Daele/Müller-Salomon, S. 37; Deutsch, S. 14. Zu den bei Patienten und Probanden unterschiedlichen Motivationslagen Deutsch, S. 15 f. 816 Simitis, MedR 1985, 195 (197); Sobota, FS Kriele, S. 371 f., bezeichnet weitergehend die Vorstellung, daß der Mensch als selbstbestimmtes Individuum durch rationale Betätigung seines freien Willens handelt, sogar als „irreführendes Ideal“. 817 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 818 BVerfGE 31, 255 (264); 37, 132 (142); 45, 400 (420); 52, 1 (41); 62, 169 (183); 78, 205 (212); 83, 130 (145); 84, 133 (149); 87, 287 (317 f.). 819 BVerfGE 21, 73 (79); 64, 261 (286); 79, 174 (195); Sachs, in: ders., Art. 20 Rdnr. 128.
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Für die Beantwortung der Frage, ob eine Norm als Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingriffe hinreichend bestimmt genug ist, kann die vom Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang entwickelte sogenannte „Wesentlichkeitstheorie“ herangezogen werden: Wenn der Normadressat sein Verhalten an den gesetzlichen Anforderungen ausrichten können soll, müssen diese für ihn zumindest grobe Anhaltspunkte enthalten. M.a.W. müssen die „wesentlichen“ Entscheidungen in der Norm enthalten sein. Das Bundesverfassungsgericht hat mit der sogenannten „Wesentlichkeitstheorie“ den Vorbehalt des Gesetzes insofern auf Grundrechtsbeeinträchtigungen ausgedehnt, die über den „klassischen“ Eingriff hinausgehen, als es fordert, daß über Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG hinausgehend alle wesentlichen normativen Entscheidungen dem Parlament vorbehalten sein sollen822. Unbestritten umfaßt die „Wesentlichkeit“ insbesondere die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Elemente823. Gründe für die Heranziehung des Gesetzgebungsverfahrens als Weg, der für die Regelung der wesentlichen Elemente nötig ist, sind neben der von ihm ausgehenden stärksten demokratischen Legitimation durch die unmittelbare Wahl der Abgeordneten durch das Volk seine Öffentlichkeit und die Beteiligung mehrerer Verfassungsorgane824. Angesichts der einerseits starken Wirkung des Votums der Ethik-Kommission auf die Grundrechtsverwirklichung des Forschers und des andererseits inhaltlich weitgehend im Belieben der Kommissionsmitglieder stehenden Votums könnte eine gesetzgeberische Entscheidung notwendig sein, welche Kriterien bei der Beurteilung der ärztlichen Vertretbarkeit anzulegen sind. Möglicherweise könnte aber vor einer Präzisierung der gesetzlichen Normierung erst die Entwicklung von ethischen Anschauungen und von Kriterien für die Abwägung zwischen Risiken und Nutzen durch die Ethik-Kommission nötig sein. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz würde dann ausscheiden. So meint beispielsweise Sobota, der Patientenschutz könne „auf wissenschaftlich-technischem Neuland durch Ethik-Kommissionen besser gewährleistet werden als durch den schwerfälligen Gesetzgeber“825. Erst nachdem die Kommissionen einige Jahre lang bestimmte Kriterien entwickelt hätten, solle der Gesetzgeber selber die Regelungsverant820
Zu Art. 103 Abs. 2 GG BVerfGE 85, 69 (73); 87, 363 (391 f.). Siehe nur Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rdnr. 68. 822 BVerfGE 88, 103 (116); 61, 260 (275); 49 (89 (126). 823 BVerfGE 47, 46 (79); 57, 295 (321); 98, 218 (251); Sachs, in: ders., Art. 20 Rdnr. 117. 824 BVerfGE 98, 218 (252); auch von Arnim, DVBl. 1987, 1241 (1243); Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Abs. 3 Rdnr. 264. 825 Sobota, AöR 121 (1996), 229 (255), jedoch zum Parlamentsvorbehalt. 821
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wortung übernehmen. Danach besäßen die Ethik-Kommissionen den Cha-rakter als Übergangsgesetzgeber826. Sehr weitgehend wird auch formuliert, daß im Gegensatz zum Recht bei Experimenten am Menschen die obersten Prinzipien des „moralisch Richtigen und Guten“ unter Umständen erst durch die Kommissionen ermittelt werden müßten827. Die von ihnen getroffenen ethischen Entscheidungen hätten sozusagen eine „Entwicklungsfunktion“828, bevor die Regelungsreife für ein Gesetz gegeben wäre. Allerdings wäre das Aufstellen einer gesetzlichen Regelung im Falle der klinischen Prüfung auch der Ansicht Sobotas zufolge schon längst möglich gewesen829. Selbst wenn man den Gedanken der genannten Einwände aufnimmt und anerkennt, daß präzise gesetzliche Vorgaben im Bereich ethischer Fragestellungen schwierig umzusetzen sind, so folgt daraus nicht, daß die Norm hinreichend bestimmt wäre. Als Beispiele dafür, daß der gegenwärtige Umfang der gesetzlichen Regelung dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht gerecht wird, seien zwei grundlegende Bereiche genannt, in denen den Ethik-Kommissionen jede gesetzliche Vorgabe dafür fehlt, welche Aspekte sie bei ihren Entscheidungen überhaupt und in welcher Intensität zu berücksichtigen haben. Zum einen betrifft das die Frage, inwieweit für die Beurteilung von Gefahren für die Gesundheit der Prüfungsteilnehmer bestimmte Risiken hinzunehmen sind830. Zum anderen enthält sich der Gesetzgeber jeder näheren Bestimmung, welche Relevanz die Aussage „voraussichtliche Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde“ (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG831) für die Berücksichtigung einer (freiwilligen oder unfreiwilligen) Aufopferung der Prüfungsteilnehmer für spätere Patienten besitzt. Ist der potentielle Nutzen der Biomedizin so eklatant, daß aus Kosten-/Nutzen-Erwägungen die biomedizinische Forschung zwingend geboten ist832? Die Frage, ob ein gruppenspezifischer Nutzen für das Wohl anderer Personen abwägungsrelevant ist, wird beispielsweise unterschiedlich beurteilt833. Auch die Grenze zwischen der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf826
So mit Hinweis auf das französische Recht Furkel/Jung, S. 123, 149. So Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (59). 828 Arndt, Pharma Recht 1996, 72 (75); Deutsch VersR 1987, 949 (951); ähnlich ders., S. 70; Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (59). 829 Sobota, AöR 121 (1996), 229 (256). 830 Allgemein zu Risiken Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (219, 224); Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1238, 1240). 831 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 832 So beispielsweise Kubinyi, S. 14; Ronellenfitsch, S. 101; allgemeiner zu den Chancen naturwissenschaftlicher Forschung: Dickert, S. 24; Kleindiek, S. 125 ff. 833 Dagegen beispielsweise Freund, MedR 2001, 65 (69); anders Deutsch, VersR 1999, 1 (4); Fröhlich, S. 148. Ohne genaue Festlegung Starck, FS Zeidler, S. 1551. 827
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gestellten Schutzpflicht des Staates und freien Aufopferungsentscheidungen wird im AMG nicht einmal angedeutet. Die Ethik-Kommission hat danach allen Spielraum, zu entscheiden, ob einwilligungsfähige Personen sich selbstschädigend oder hohen Risiken aussetzend an der klinischen Prüfung beteiligen können oder nicht834. Auch § 40 Abs. 5 AMG835, der zum Erlaß einer Rechtsverordnung ermächtigt, die „Regelungen zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung der klinischen Prüfung und der Erzielung dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechender Unterlagen“ enthalten soll, ändert an diesem Ergebnis nichts. Die Ermächtigung zum Erlaß der Durchführungsverordnung dient ausweislich ihres Wortlauts der Gewinnung von Unterlagen und Grundlagen für die Entscheidung der EthikKommissionen. Um eine Konkretisierung des Entscheidungsmaßstabs der Ethik-Kommissionen geht es nicht. Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers, die Richtung der Auflösung der beim vorbehaltlosen Grundrecht der Forschungsfreiheit auftauchenden Grundrechtskollisionen vorzugeben. Die dafür nötige Herstellung der praktischen Konkordanz zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern ist vorrangig Sache des Gesetzgebers836. Die Voraussetzungen und der Umfang der Konkretisierungen der verfassungsimmanenten Grenzen der Forschungsfreiheit müssen daher inhaltlich präziser geregelt sein als es bisher durch den Begriff der ärztlichen Vertretbarkeit geschieht. Tatsächlich hält sich der Gesetzgeber aber in schwierigen gesellschaftlichen Wertungsfragen zurück und überantwortet deren Beantwortung internen Prozessen im wesentlichen der Medizin837. Als Element der Selbststeuerung, das den Forschern mehr Freiheitsraum eröffnet, als durch gesetzgeberisches Eingreifen möglich wäre, können die Ethik-Kommissionen nicht gewertet werden838. Selbst wenn man anerkennen würde, daß es eine detaillierte gesetzliche Abwägungsentscheidung für den einzelnen Fall nicht geben könnte und insofern die Tätigkeit der Ethik-Kommission oder eines anderen Rechtsanwendungsorgans unerläßlich bliebe, so genügten die bestehenden gesetzlichen Regelungen gleichwohl nicht den Anforderungen des Bestimmtheits834 Eine freie Aufopferungsentscheidung annehmend Freund, MedR 2001, 65 (68); tendenziell wohl auch Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1; anders dagegen für nichteinwilligungsfähige Personen Freund/Heubel, MedR 1997, 347. 835 Entspricht § 42 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 836 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Abs. 3 Rdnr. 268; ähnlich Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (36). 837 Gramm, FS Hollerbach, S. 625; auch van den Daele/Müller-Salomon, S. 20, die allerdings i. E. keine Bedenken sehen; Schröder, VersR 1990, 243 (246 ff.) jedoch nur zu Art. 12 GG; Trute, S. 167 Fn. 118 warnt davor, „nicht schon jede Geringfügigkeit [. . .] als parlamentspflichtig zu deklarieren“. 838 Anders aber deutlich Trute, S. 167.
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grundsatzes. Als Minimum einer gesetzgeberischen Entscheidung sind rechtlich verbindliche Kriterien zu fordern, an denen sich die Abwägung zu orientieren hat. Da diese – auch in den entsprechen Heilberufsgesetzen der Länder – fehlen, besitzen die Ethik-Kommissionen derzeit eine Blankettermächtigung839. Die nötige Klarheit darüber, was Rechtens ist840 und welche Anforderungen an die Forschungsvorhaben im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Prüfungsteilnehmer gestellt werden, können die Forscher in der aktuellen Rechtslage gerade nicht finden. dd) Aspekte zur Unverhältnismäßigkeit § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG841 ist mit der im herkömmlichen Sinne verstandenen ärztlichen Vertretbarkeitsprüfung, wie sie von den Ethik-Kommissionen vorgenommen wird, neben den bisher genannten Gründen (fehlendes kollidierendes Verfassungsgut, Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz) unter einem weiteren Gesichtspunkt keine verfassungsgemäße Beschränkung der Forschungsfreiheit. Es bestehen Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Norm. Ein grundrechtlich geschütztes Verhalten verkürzender staatlicher Akt ist verhältnismäßig, wenn er im Hinblick auf die Erreichung des von ihm verfolgten legitimen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist842. Zum einen ist bereits fragwürdig, ob die Beurteilung der ärztlichen Vertretbarkeit überhaupt geeignet ist, den bezweckten Schutz des Prüfungsteilnehmers zu erreichen. Da gerade bei multizentrischen Prüfungen erheblich voneinander abweichende Bewertungen ethischer Fragen festzustellen sind843, kann man jedenfalls große Bedenken daran haben, ob mit dem herrschenden Verständnis von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG eine sachgerechte, vor allem eine objektiv beurteilbare Entscheidung der Ethik-Kommissionen möglich ist. Vieles spricht dafür, daß mehr individuelle Wertungsfragen für den ethischen Teil des Votums prägend sind. Die Tatsache, daß bei multizentrischen Prüfungen im Außenverhältnis nach der 8. AMGÄnderung nur noch das Votum der federführenden Ethik-Kommissionen 839 Gramm, WissR 32 (1999), 209 (223). Auch Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (60), fordern eine präzise gesetzliche Fixierung. 840 Von Arnim, DVBl. 1987, 1241 (1244). 841 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 842 Siehe nur Höfling, Jura 1994, 169 (171 f.); Sachs, in: ders., Art. 20 Rdnr. 149; Stern, III/2, S. 775 ff. 843 Gramm, FS Hollerbach, S. 623; ders., WissR 32 (1999), 209 (213); unkritisch dazu Schlacke, MedR 1999, 551 (552); Walter-Sack, MedR 1997, 504 (505). Siehe auch Erwägungsgrund Nr. 8 zur EG-Richtlinie vom 04.04.2001 über die klinische Prüfung.
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entscheidend ist844, kann diese Bedenken nicht ausräumen, sondern verstärkt diese sogar noch. Wenn sehenden Auges eine von den beteiligten Kommissionen kontrovers eingeschätzte Frage durch die stärkere Kraft des Votums der federführenden Kommission für unbeachtlich erklärt wird, dann nimmt der Gesetzgeber seiner Konzeption die Grundlage, durch die EthikKommissionen die Gesundheit der Prüfungsteilnehmer zu schützen. Soweit es für in der Ethik selber angelegt gehalten wird, daß konkurrierende EthikKommissionen zu unterschiedlichen Bewertungen kommen und ein Problem der „teilbaren“ Ethik darin nicht gesehen wird845, so kann das wohl nur für „politische“ Ethik-Kommissionen wie für den Nationalen Ethikrat gelten, denen keine Entscheidungsmacht zukommt. Eine fehlende Eignung, den Schutz der Teilnehmer an den klinischen Prüfungen zu gewährleisten, läßt sich jedoch nicht aus dem Umstand entnehmen, daß bei einer derartigen Forschungsreglementierung eine Abwanderung der Prüfungen ins Ausland droht846, und damit der bezweckte Schutz leerliefe. Es bleibt auf jeden Fall originäres Recht des Gesetzgebers, auf seinem Staatsgebiet tätig zu werden und dort entsprechende Schutzstandards zu gewährleisten. Umgekehrt kann der Forscher auch nicht darauf verwiesen werden, eine Beschränkung seiner Forschungsfreiheit liege nicht vor, da er weiterhin im Ausland forschen könne und auch die Zulassung in anderen Mitgliedstaaten der EU beantragen könne, die letztlich in Deutschland anerkannt wird. Selbst wenn die Grundrechtsverwirklichung de facto über einen Umweg doch möglich wäre, bliebe der nationale Gesetzgeber gleichwohl derart an die Verfassung gebunden, daß er den Grundrechtsstandard in seinem Gebiet gewährleisten müßte. Insoweit ist die Eignung der Norm zwar anzunehmen. Jedoch bestehen im Ergebnis wegen der oben erörterten Frage, ob die Entscheidungen der Ethik-Kommissionen immer auf objektiv nachvollziehbarer Grundlage ergehen, Bedenken an der Eignung der Norm. Auch die Erforderlichkeit von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG zur Erreichung seines Regelungsziels ist durchaus fraglich. Das gilt jedenfalls für die ethischen Aspekte im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung, die sich nicht direkt in Gesundheitsgefahren widerspiegeln und für die hier nur hilfsweise der Rang kollidierenden Verfassungsrechts angenommen wird. Aus den oben getroffenen Analysen zum Charakter der Zweckforschung ergibt sich, daß sich die Forschungstätigkeit im biomedizinischen Bereich nicht nur an ökonomischem Gewinn, sondern auch an der Nützlichkeit für die medizinische Therapie ausrichtet. Insofern ist es verfehlt, kein Ver844 845 846
Siehe oben II. 3. b). So Taupitz, JZ 2003, 815 (820). Mahnend hinsichtlich der Abwanderungsgefahr Pfeiffer, ZRP 1998, 43 (44).
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trauen in die Vernunft des Menschen zu finden847. Auf diesem Vertrauen fußt letztlich die ganze freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes. Milderes Mittel wäre der Verzicht auf die weite Prüfungsbefugnis der Ethik-Kommissionen. Dieses Mittel müßte jedoch Gewähr für die gleiche Eignung geben848. Ob sich die gleiche Steigerung der Wahrscheinlichkeit, den mit der Regelung angestrebten Erfolg zu erreichen, auch bei Verzicht auf eine verpflichtende Regelung ergibt, kann allerdings bezweifelt werden, so daß eine Erforderlichkeit der Norm bejaht werden kann. Bedenken ergeben sich letztlich gegen eine unbesehene Annahme der Angemessenheit der eingreifenden Regelung. Insbesondere kann ein formelhafter Hinweis auf die hohe Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht ausreichen849. Auch diesem Grundrecht kommt kein absoluter Vorrang gegenüber anderen Rechtsgütern zu, sondern es ist abwägungsfähig850. Anlaß, an der Angemessenheit von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG zu zweifeln, gibt beispielsweise die Erkenntnis, daß Medikamente wie Herzglykoside, Corticosertoide und vielleicht sogar das „Aspirin“ nach den heute herrschenden Kriterien wohl nicht mehr klinisch entwickelt würden, obwohl diese therapeutisch als sehr wertvoll eingestuft werden851 und erkennbar keine Gefährdung des Patientenwohls bedeuten, denn andernfalls dürfte ihr Vertrieb wohl bereits unterbunden worden sein. Eine abschließende umfänglichere Auseinandersetzung mit dieser Frage852 ist letztlich aber entbehrlich, da § 40 Abs. 1 S. Nr. 1 AMG nach den bisherigen Prüfungsergebnissen bereits als verfassungsgemäße Beschränkung der Forschungsfreiheit ausscheidet. b) Zeitliche Erschwernisse durch das Votum der Ethik-Kommission Eine Rechtfertigung der durch das Prüfungsverfahren vor den EthikKommissionen verursachten Verzögerung des Forschungsvorhabens ergibt sich grundsätzlich deswegen, weil das Verfahren vor den Ethik-Kommissionen auch der Prüfung dient, inwieweit im konkreten Fall überhaupt eine Kollision zwischen Art. 5 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vorliegt. Da im Fall einer Kollision von Verfassungs wegen ein Ausgleich zwischen den 847 Burger, S. 164; Gramm, FS Hollerbach, S. 617. Ähnlich auch Karpen, JZ 1999, 613 (614), zwar nicht direkt zu Ethik-Kommissionen, aber generell mehr Vertrauen in die Verantwortungsbereitschaft des Menschen anmahnend. 848 Zu diesem Erfordernis BVerfGE 100, 313 (375). 849 Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1240). 850 BVerfGE 88, 203 (253 f.). 851 Kubinyi, S. 13. 852 Wagner, S. 52, 55 hält die Regelungen für ein „gelungenes Beispiel von Regulierung“.
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Grundrechten herzustellen wäre, muß die Feststellung, ob und mit welchem Inhalt eine Kollisionslage besteht, als dazu notwendige Vorstufe ebenfalls von der Rechtfertigungswirkung erfaßt sein853. Danach ist die durch die Prüfung des Forschungsvorhabens verursachte Verzögerung des Beginns der Forschungstätigkeit Ausfluß einer verhältnismäßigen Schranke der Forschungsfreiheit. Das ergibt sich auch daraus, daß die zeitliche Verzögerung die inhaltliche Freiheit der Erkenntnissuche als den Gewährleistungskern von Art. 5 Abs. 3 GG unberührt läßt. Betroffen ist allenfalls ein Randbereich. Die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit kann im Einzelfall dann erreicht sein, wenn die Prüfungsdauer, gemessen an der Komplexität der Beurteilung der Gesundheitsgefahren, übermäßig lang ist. c) Erschwernisse durch die verpflichtende Probandenversicherung, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG Auch hinsichtlich der durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG854 vorgeschriebenen Versicherung der klinischen Prüfung kommt eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Verkürzung des Schutzbereiches der Forschungsfreiheit nicht in Betracht. aa) Pflicht zum Abschluß einer Versicherung an sich Die nachgewiesene relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit bezog sich nicht auf die Tatsache, daß überhaupt eine Probandenversicherung abgeschlossen werden muß. Nach den obigen Ausführungen zur Rechtfertigung von Einschränkungen der klinischen Prüfung zum Schutz vor Gefahren und Risiken für Leben und körperliche Unversehrtheit von Probanden855, wird man diese Verpflichtung wohl ebenfalls als Ausfluß der verfassungsimmanenten Begrenzung der Forschungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ansehen können. Durch die finanzielle Absicherung von körperlichen Schädigungen, die durch die klinische Prüfung hervorgerufen werden, wird der Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zwar auf die Phase der Wiederherstellung der beeinträchtigten Rechtsgüter bzw. den Ausgleich von Beeinträchtigungen verlagert. Jedoch erfaßt die Rechtfertigungswirkung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch Grundrechtsbeeinträchtigun853 Zu diesem Ergebnis muß man auch kommen, wenn man mit Losch/Radau, NVwZ 2003, 390 (394 ff.), der Ansicht ist, die Tätigkeit der Ethik-Kommissionen sorge für einen „Grundrechtsschutz durch Verfahren“. 854 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 855 Siehe bereits oben a) aa) (1).
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gen, die Folge staatlichen Handelns zum Schutz der Rechtsgüter nach Schadenseintritt sind856. Das muß hier um so mehr gelten, als über die Probandenversicherung gerade etwaige Schäden abgedeckt werden können, mit denen mangels Vorhersehbarkeit oder Wahrscheinlichkeit nicht gerechnet werden konnte und die daher ein Verbot der klinischen Prüfung nicht rechtfertigen konnten. Die Verpflichtung zum Abschluß einer Probandenversicherung ist im Vergleich zum Verbot der klinischen Prüfung insoweit ein milderes Mittel. Die Tatsache, daß geschäftsfähige Probanden vor Durchführung der klinischen Prüfung gem. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AMG857 nach Aufklärung über Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung in die Durchführung einwilligen müssen („informed consent“)858, ändert an diesem Ergebnis nichts. Auch bei erteilter Einwilligung durch den Probanden dürfte die Verpflichtung zum Abschluß einer Probandenversicherung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Diese Einschätzung folgt bereits aus dem Umstand, daß in praxi eine Einwilligungserklärung nur selten abgegeben werden dürfte, wenn sich der Proband nicht einer Absicherung der Risiken vergewissert hätte. So setzt die der Einwilligung des Probanden vorausgehende Aufklärung auch voraus, daß er über das Bestehen und den Umfang der Probandenversicherung informiert wird. Das ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, denn der Proband kann sich nur dann ein umfängliches Bild über die Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung machen, wenn er Kenntnis davon hat, daß er über eine verschuldensunabhängige Versicherung abgesichert ist859. Jedenfalls entspricht es der gängigen Praxis der Ethik-Kommissionen, den Probanden intensiv über das Bestehen der Probandenversicherung aufzuklären und in die schriftliche Einwilligungserklärung einen entsprechenden Passus aufzunehmen860. Daraus folgt, daß es kaum Fälle geben dürfte, in denen die Probanden ihre Einwilligung erteilen, ohne daß sie dabei den Abschluß einer Probandenversicherung zur 856 Vgl. zur staatlichen Schutzpflicht etwa Murswiek, S. 127 ff., 188 f.; ders., in: Sachs, Art. 2 Rdnr. 198. 857 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 858 Dazu Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 4 f.–5a.; Rehmann, § 40 Rdnrn. 8, 15. 859 Nach Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 4., soll die Aufklärung „zweckmäßigerweise“ auch die Pflichten des Probanden aus der Probandenversicherung enthalten. Für dessen Rechte dürfte aber wohl nichts anders gelten dürfen. 860 So etwa die „Checkliste für Forschungsaufträge an die Ethik-Kommission an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen“, Stand Februar 2002, Ziff. 2.10., 4.5.; Antragsformular der Medizinischen Ethik-Kommission II der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Mustertext „Einverständniserklärung“, Version 5.0.; Merkblatt der Ethik-Kommission bei der Ärztekammer Niedersachsen“, Stand: 15. September 1998, Ziff. 5.2.; „Richtlinien für den Antrag an die Ethikkommission“ an der Universität München, Stand: 12. Juli 2000, Ziff. 2.7., 2.9.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Grundlage ihrer Entscheidung gemacht hätten. Die Verpflichtung zum Abschluß einer Probandenversicherung bedeutet danach keine Verletzung der Forschungsfreiheit. bb) Unmöglichkeit eines Versicherungsabschlusses gem. den Anforderungen des AMG Für die oben geprüfte relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch die faktische Unmöglichkeit, eine den Anforderungen des AMG entsprechende Versicherung abschließen zu können, muß jedoch ein anderes Ergebnis gelten. Eine Rechtfertigung hinsichtlich dieses Umstandes muß von vorneherein ausscheiden, weil das Regelungsziel der Versicherungspflicht in dieser Konstellation gerade nicht erreicht wird. Dadurch, daß die Versicherungsgesellschaften nicht gesetzlich zum Angebot einer § 40 Abs. 3 AMG gerecht werdenden Police verpflichtet werden oder der Staat nicht selber entsprechende Möglichkeiten bereitstellt, wird nicht auf den Schutz der Gesundheit der Prüfungsteilnehmer hingearbeitet. Vielmehr ist die Folge gerade eine unzureichende Absicherung durch die nicht vollständig § 40 Abs. 3 AMG rezipierenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen. 4. Zwischenergebnis Es fehlt der hier untersuchten Norm (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG861) also an der Qualität verfassungsrechtlich zulässiger Beschränkung der Forschungsfreiheit, soweit es nicht lediglich um die durch die Prüfung des Forschungsvorhabens verursachte Verzögerung des Beginns der Forschungstätigkeit geht. Während es überwiegend an kollidierenden Gütern mit Verfassungsrang fehlt, muß in den Bereichen, in denen Art. 2 Abs. 2 GG als Kollisionsgut betroffen ist, ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz angenommen werden.
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie Neben der Forschungsfreiheit kommen als einschlägige Grundrechte für den Schutz von mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebener Erkenntnissuche die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie in Betracht. Als wirtschaftliche Tätigkeit wird sie geradezu klassischerweise den beiden 861 Vgl. §§ 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2, 42 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
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„Wirtschaftsgrundrechten“ zugeordnet. Da die Subsumtion unter diese Grundrechte im Gegensatz zur Forschungsfreiheit weitgehend unproblematisch ist, beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf eine knappe Darstellung.
I. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG 1. Schutzbereich und relevante Grundrechtsbeeinträchtigung Die Regelungen des AMG über die klinische Prüfung, insbesondere zur Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit durch die Ethik-Kommissionen nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 6, S. 2 AMG862 und zur Probandenversicherung, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG863, sind eine relevante Beeinträchtigung der Berufsfreiheit. a) Betreiben von Wissenschaft und Forschung als Beruf Weitgehend unproblematisch ist, daß das Betreiben von Wissenschaft und Forschung einen Beruf i. S. v. Art. 12 GG darstellen kann864. Beruf wird üblicherweise als jede Tätigkeit definiert, die auf eine gewisse Dauer angelegt ist sowie der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient865. Eine Dauerhaftigkeit wird angesichts der Ausrichtung der Berufsfreiheit an der Zukunft866 bereits dann angenommen, wenn sich die Tätigkeit nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft867. Die Durchführung klinischer Prüfungen verlangt nicht nur ein besonderes Maß an Fachkunde, sondern wegen der hohen Kosten868 auch eine ausreichende finanzielle Ausstattung. Bereits aus diesen Gründen wird das Durchführen einer klinischen Prüfung 862 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 863 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 864 Raabe, S. 48; Schmidt, NJW 1973, 585 (586); speziell zur Durchführung der klinischen Prüfung VGH Kassel, NJW 1994, 812; Deutsch, VersR 1995, 121; Leibholz, S. 27 ff. (zur Arzneimittelzulassung insgesamt); Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (60); Sobota, AöR 121 (1996), 229 (246). 865 BVerfGE 7, 377 (397); 50, 290 (362); 54, 301 (313); weiter BVerfGE 97, 228 (253); BVerwGE 1, 92 (93); 97, 12 (22); Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12 Rdnr. 4; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 18; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 29. 866 BVerfGE 30, 292 (334); BVerwGE 75, 109 (114). 867 BVerfGE 97, 228 (253). 868 Präklinische Versuche und klinische Prüfung verursachen zusammen in der Regel umgerechnet Kosten i.H.v. ca. 255 Millionen EUR, Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 9.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
nicht bloß einen einmaligen Akt darstellen, sondern sich im Regelfall mehrfach im Rahmen der Entwicklung neuer Arzneimittel wiederholen. Eine Tätigkeit dient dann der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage, wenn sie objektiv, also ihrer Art nach, zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz geeignet ist869. Auch dieses Merkmal des Schutzbereichs wird bei der Durchführung von klinischen Prüfungen angesichts der regelmäßig beabsichtigten Vermarktung des Arzneimittels nur selten zu verneinen sein. Auch in den Fällen, in denen eine klinische Prüfung stattfindet, ohne unmittelbar auf die spätere Zulassung eines Arzneimittels gerichtet zu sein870, wird es an der objektiven Eignung zur Existenzsicherung nicht fehlen. Es mag zwar Konstellationen geben, in denen die Kosten einer klinischen Prüfung von einem Dritten, etwa einer Stiftung übernommen werden, ohne dafür eine wirtschaftliche Gegenleistung von den Verantwortlichen zu erwarten. Das Forschungsvorhaben kann dann ohne eine spätere Vermarktung seiner Ergebnisse durchgeführt werden. Gleichwohl werden die Beteiligten eine Vergütung für ihre Forschungsleistung erhalten. Eine Lebensgrundlage wird in solchen Konstellationen nicht durch die Verwertungsgewinne, aber durch die Vergütung der Forschungstätigkeit erhalten bzw. geschaffen. Neben diesen Mindestvoraussetzungen wird teilweise vertreten, daß weitere Merkmale erfüllt sein müssen, damit eine Tätigkeit als Beruf bezeichnet werden kann. So wird neben der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit des Tuns gefordert, dieses dürfe nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes entgegen stehen oder es dürfe nicht sozial unwertig bzw. es müsse erlaubt sein871. Unabhängig davon, welches der genannten zusätzlichen Kriterien man für erforderlich hält, kann jedenfalls nicht angenommen werden, daß das Betreiben einer klinischen Prüfung generell wegen fehlender wirtschaftlicher Sinnhaftigkeit, sozialen Unwerts, fehlender Erlaubtheit oder Verstoßes gegen das Menschenbild des Grundgesetzes nicht als Beruf zu werten ist. Zudem ist es fragwürdig, den Berufsbegriff anhand eines der genannten Kriterien einzuschränken. Die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer beruflichen Tätigkeit, müßte bereits deswegen ausscheiden, weil die Feststellung, ob eine Tätigkeit wirtschaftlich sinnvoll ist, oftmals kaum möglich sein wird und zudem von gesellschaftlichen Wertungen abhängig ist872. Gegen den Ausschluß sozial unwertiger Tätigkeiten aus dem Schutzbereich des 869 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 21; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 32. 870 Siehe oben 2. Teil C. II. 871 Zu diesen Kriterien siehe oben B. I. 4. c) bb) (1). 872 Ablehnend auch Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 23.
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
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Art. 12 Abs. 1 GG spricht bereits die aus der Offenheit des Begriffs folgende Gefahr, dieses Merkmal zu mißbrauchen873. Als Merkmal des Berufsbegriffes kann auch nicht die Erlaubtheit der Tätigkeit herangezogen werden. Zu Recht lehnt u. a. das Bundesverwaltungsgericht ein solches Merkmal mit der Begründung ab, der verfassungsrechtliche Berufsbegriff könne nicht durch einfachgesetzliche Vorgaben bestimmt werden874. Letztlich ist das Ausschlußmerkmal einer dem Menschenbild des Grundgesetzes entgegenstehenden Tätigkeit zwar weniger bedenklich, weil dessen Inhalt durch die Bezugnahme auf die Verfassung leichter bestimmbar ist875. Allerdings dürfte sich das gleiche Ergebnis auch ohne dieses Merkmal erreichen lassen. In der Regel dürften staatliche Einwirkungen auf solche Tätigkeiten keine nicht gerechtfertigten relevanten Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit sein, weil sie sich im Rahmen der Grundrechtsschranken halten dürften. Insgesamt erfüllt die Durchführung einer klinischen Prüfung als Forschungsvorhaben daher die Merkmale beruflicher Tätigkeit i. S. v. Art. 12 Abs. 1 GG. b) Beeinträchtigung der Berufsausübung Die von § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG876 verlangte Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit und die in § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG877 normierte Pflicht zur Versicherung der klinischen Prüfung müßten eine relevante Beeinträchtigung der Berufsfreiheit darstellen. Relevante Beeinträchtigungen von Art. 12 Abs. 1 GG können sowohl die Berufsausübung als auch die Berufwahl betreffen. Beeinträchtigungen der Berufsausübung gelten den objektiven und subjektiven Bedingungen, unter denen, und den Modalitäten, in denen sich die berufliche Tätigkeit vollzieht878. Hier liegt es so, daß ohne das Votum der Ethik-Kommission und den Abschluß einer den Vorschriften des AMG entsprechenden Probandenversicherung die Durchführung der klinischen Prüfung rechtswidrig ist879. Damit 873 Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 37; i. E. ebenfalls Höfling, S. 150 ff.; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12 Rdnr. 7. 874 BVerwGE 22, 86 (288); 96, 293 (296 f.); 96, 302 (308). 875 Für dieses Kriterium etwa m. w. N. Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 39; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 37; ders., AöR 108 (1983), 92 (98). 876 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 877 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 878 Pieroth/Schlink, Rdnr. 834.
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
wird die Durchführung der Berufstätigkeit von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht und folglich verkürzt. Da Art. 12 GG nur berufs- und ausbildungsspezifische Handlungen schützt, verlangt die Rechtsprechung für eine relevante Beeinträchtigung der Berufsfreiheit, die nicht die Anforderungen des sogenannten klassischen Eingriffsbegriffs880 erfüllt, daß die staatliche Maßnahme eine objektive oder subjektive berufsregelnde Tendenz besitzt881. Wenn die staatliche Maßnahme danach nicht gerade auf die Berufsregelung zielt, muß sie sich unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirken oder in ihren mittelbaren Auswirkungen von einigem Gewicht sein882. Hier ist problematisch, daß die klinische Prüfung nicht zwingend berufsmäßig betrieben werden muß, was an dem Vorliegen der nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts notwendigen berufsregelnden Tendenz zweifeln läßt. § 40 AMG hat nicht unmittelbar Berufstätigkeit zum Regelungsgegenstand. Aus § 21 Abs. 3 S. 1 AMG ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Norm ist die arzneimittelrechtliche Zulassung vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Zwar kann darin eine Fixierung auf beruflich Tätige entdeckt werden. Jedoch sind die Regeln über die klinische Prüfung in einem eigenen Abschnitt des AMG, ohne unmittelbare Bezugnahme auf das Zulassungsverfahren normiert. Eine klinische Prüfung kann danach durchaus auch unabhängig von einer geplanten Zulassung und auch nicht von Berufs wegen durchgeführt werden. Dennoch scheidet die Annahme einer berufsregelnden Tendenz nicht aus. Zum einen ist die Rechtsprechung zur Konkretisierung dieses Merkmals uneinheitlich883 und hat beispielsweise im Fall des Rechts auf Kurzberichterstattung eine relevante Beeinträchtigung der Berufsfreiheit gesehen, obwohl sich dieses auch auf nicht beruflich durchgeführte Veranstaltungen bezieht884. Zum anderen richten sich die Normen über die klinische Prüfung im Rahmen der Arzneimittelzulassung in erster Linie an beruflich Tätige, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts885 ausreichen soll, um eine objektiv berufsregelnde Tendenz zu belegen. Um als solche qualifiziert zu werden, soll es genügen, 879
Siehe oben 2. Teil C. Dazu siehe oben B. II. 1. 881 BVerfGE 70, 191 (214); 82, 209 (224); 95, 267 (302); 98, 218 (258 f.); BVerwGE 71, 183 (191 f.); 87, 37 (42 f.); 89, 281 (283); 90, 112 (120). 882 Pieroth/Schlink, Rdnr. 823. 883 Deutlich schärfere Kritik von Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 71 f. 884 Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 70 mit Hinweis auf BVerfG, NJW 1988, 1627. 885 BVerfGE 13, 181 (185); ebenso Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 70; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 71. 880
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
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wenn die zu prüfenden Vorschriften in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen886. Angesichts der hohen Kosten, die alleine die klinische Prüfung verursacht887, wird diese typischerweise beruflich durchgeführt werden, so daß insgesamt eine relevante Beeinträchtigung mit berufsregelnder Tendenz nicht verneint werden kann. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigungen a) „Drei-Stufen-Lehre“ Für die an eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Grundrechtsbeeinträchtigung zu stellenden Anforderungen hat das Bundesverfassungsgericht in der teils kritisierten888 sogenannten „Drei-Stufen-Lehre“ zwischen den Stufen von Regelungen der Berufsausübung, der subjektiven und der objektiven Berufswahl unterschieden889. aa) Beeinträchtigung durch die Tätigkeit der Ethik-Kommission, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG Die hier in Rede stehenden Vorschriften des AMG regeln unter anderem den Inhalt und die Form der beruflichen Tätigkeit. Maßgeblicher zugrundezulegender Beruf ist nicht der eines „klinischen Prüfers“, sondern der eines forschenden Arzneimittelherstellers. Daraus folgt, daß mit der Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit und der Versicherungspflicht lediglich die Stufe der Berufsausübung tangiert wird. Diese umfaßt die gesamte berufliche und gewerbliche Tätigkeit nach Form und Mittel sowie die Bestimmung von Inhalt und Umfang890. Relevante Beeinträchtigungen auf dieser Stufe sollen bereits dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn sie durch eine sachgerechte und vernünftige Erwägung des Gemeinwohls gedeckt sind891. Hinsichtlich des Teils der Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit, der sich auf die Abwehr von Gefahren und Risiken für die in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 886
BVerfGE 52, 42 (54); 70, 191 (214). Siehe oben Fn. 868. 888 Siehe die Übersicht bei Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 123 ff.; ders., AöR 108 (1983), 92 (117 f.). 889 Erstmals BVerfGE 7, 377 (401 ff.). 890 Gubelt, in: von Münch/Kunig, Art. 12 Rdnr. 38; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12 Rdnr. 8; Tettinger, AöR 108 (1983), 92 (112 f.). 891 BVerfGE 7, 377 (405 f.); 77, 308 (332); 78, 115 (162); 85, 248 (259); 93, 362 (369). Zustimmend u. a. Gubelt, in: von Münch/Kunig, Art. 12 Rdnr. 48; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 140. 887
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
geschützten Güter berufen kann892, ist unproblematisch, daß insofern eine Grundrechtsbeeinträchtigung auch im Rahmen der Berufsfreiheit durch sachgerechte Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Auch für denjenigen Inhalt der Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit, der über den Schutz von körperlicher Unversehrtheit und Leben hinausgeht, also ethische Aspekte berücksichtigt893, wird man wohl eine Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung annehmen können. Die innerhalb dieses Prüfungsrahmens der Ethik-Kommission u. a. vorzunehmenden subjektiven Einschätzungen des Nutzens des Arzneimittels und der wissenschaftlichen Gestaltung des Forschungsvorhabens können sich nach den Ausführungen zur Forschungsfreiheit zwar nicht auf kollidierendes Verfassungsrecht stützen894. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht an das Vorliegen sachgerechter und vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls sehr geringe Anforderungen gestellt. Ausreichen als solche Erwägungen sollen beispielsweise die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Fernrufnetzes895 oder der Schutz des Verbrauchers vor Verwechslung von Lebensmitteln896. Zudem sollen auch Zweckmäßigkeitsaspekte zur Grundrechtsbegrenzung ausreichen897. Die Differenzierung bei der Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit zwischen Versuchen, die auch therapeutischen Wert haben und rein wissenschaftlichen Versuchen898 ist jedenfalls nicht unvernünftig. Auch im übrigen ist das in der Regel von den Kommissionen nicht explizierte Abstellen auf Wertvorstellungen in der Gesellschaft durchaus zweckmäßig, um die gesellschaftliche Akzeptanz klinischer Prüfungen zu sichern. Dieses Ergebnis muß schon deswegen gelten, weil das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen weiten Prognose- und Typisierungsspielraum bei der Bestimmung der Sachgerechtheit und Zweckmäßigkeit der Regelung zugesteht899. bb) Beeinträchtigung durch die Pflicht zum Abschluß einer Probandenversicherung, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG Die Verkürzung des Schutzbereichs durch die Pflicht, eine Probandenversicherung abzuschließen (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG900), obwohl 892 893 894 895 896 897 898 899
Siehe oben B. III. 3. a) aa) (1). Siehe oben 2. Teil C. Siehe oben B. III. 3. a). BVerfGE 46, 120 (145 f.). BVerfGE 53, 135 (145). BVerfGE 77, 84 (106). Siehe oben 2. Teil C. Siehe nur BVerfGE 77, 84 (106).
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
215
die Grundrechtsträger einen den Anforderungen des AMG entsprechenden Versicherungsvertrag nicht abschließen können901, kann dagegen nicht auf sachgerechte Erwägungen des Gemeinwohls gestützt werden. Genau wie bei der Untersuchung einer Verletzung der Forschungsfreiheit kommt es hier nicht auf die Verpflichtung an, die klinische Prüfung überhaupt zu versichern. Diese Grundrechtsbeeinträchtigung kann nach der obigen Untersuchung sogar die Schwelle kollidierenden Verfassungsrechts überwinden. Maßgeblicher Ansatzpunkt für die Annahme einer Verletzung der Berufsfreiheit ist die oben902 als mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung qualifizierte fehlende Sicherstellung der Möglichkeit, die zur Rechtmäßigkeit der Berufsausübung erforderlichen Voraussetzungen überhaupt erfüllen zu können. Zwar ist die Intensität, mit der Beeinträchtigungen von Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG, namentlich auf der Ausübungsebene, gerechtfertigt werden müssen, geringer als bei Art. 5 Abs. 3 GG. Jedoch ist der soeben beschriebene Umstand, genau wie bei der Forschungsfreiheit, gerade keine ausreichende Grundlage für eine Rechtfertigung. Ein vernünftiger Grund, nicht sicherzustellen, daß die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt werden können, ist nicht zu erkennen. Bleibt der Versicherungsumfang also hinter § 40 Abs. 3 AMG zurück, kann für die Grundrechtsverkürzung insbesondere nicht ein Schutz der Gesundheit der Prüfungsteilnehmer angeführt. Die Pflicht, für die klinische Prüfung eine nicht abschließbare Versicherung abzuschließen, ist somit ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG. b) Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz Auch die durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 6, S. 2 AMG903 vorgesehene Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit verletzt trotz der oben festgestellten Rechtfertigung nach den Anforderungen der „Drei-Stufen-Theorie“ die Berufsfreiheit, weil die Anforderungen an den Bestimmungsgrundsatz nicht eingehalten werden. Im Rahmen der Prüfung der Forschungsfreiheit wurde hinsichtlich der Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes auf die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen904. Daraus, daß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG die Regelung der Berufsausübung durch oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt, kann nicht gefolgert werden, die weitergehenderen 900 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 901 Siehe oben B. II. 4. 902 Siehe B. II. 4. 903 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 904 Siehe oben B. III. 3. a) cc).
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3. Teil: Schutz der Erkenntnissuche
Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie fänden keine Anwendung. Vielmehr sind auch im Rahmen der Berufsfreiheit die grundrechtswesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber zu treffen905. Auf die bei der Forschungsfreiheit getroffenen Ausführungen906 kann hier verwiesen werden. Unter diesen Voraussetzungen ist die Berufsfreiheit also verletzt sowohl durch die Notwendigkeit der Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit als auch durch die Pflicht, die klinische Prüfung zu versichern.
II. Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Den von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten Schutz des Eigentums verletzen dagegen weder die vorgeschriebene Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG907) noch die nicht erfüllbare Versicherungspflicht (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG908). Der Schutzbereich ist bereits nicht eröffnet. Als Schutzgegenstand der Eigentumsgarantie kommt hier allein der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb in Frage. Unter dieser Bezeichnung wird die Rechts- und Sachgesamtheit eines wirtschaftlichen Unternehmens zusammengefaßt909. Dieses auf die zivilrechtliche Ausformung als „sonstiges Recht“ i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB zurückgehende Schutzgut umfaßt insbesondere den Schutz der gesamten gewerblichen Tätigkeit vor unmittelbaren Störungen910. Das Bundesverfassungsgericht läßt bisher offen, ob es den Gewerbetrieb als eigenständiges Schutzgut im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt sehen will911. Da es sich bei der Eigentumsgarantie jedoch um ein normgeprägtes Grundrecht handelt, spricht vieles dafür, daß sich der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb insofern über die richterrechtliche Ausprägung des § 823 Abs. 1 BGB Art. 14 Abs. 1 GG zuordnen läßt912. Bedenken daran, das Schutzgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als Teil der Eigentumsgarantie zu verstehen, erge905 Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 112; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Abs. 85. 906 Siehe oben B. III. 3. a) cc). 907 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 908 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 909 Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 135; Sachs, Grundrechte, S. 442; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 26. 910 BGHZ 23, 157 (162 f.); 78, 41 (44). 911 Siehe nur BVerfGE 51, 193 (221 f.); 68, 193 (222 f.). 912 BVerwGE 67, 93 (96); 81, 49 (54); BGHZ 111, 349 (355 f.); Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 136; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 26; a. A. Wieland, in: Dreier, Art. 14 Rdnr. 44.
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
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ben sich jedoch deswegen, weil Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG die Bestimmung des Eigentumsinhalts dem Gesetz vorbehält. Richterrecht dürfte aber nicht als „Gesetz“ zu qualifizieren sein913. Berücksichtigt man allerdings, daß mit dem Begriff „sonstiges Recht“ in § 823 Abs. 1 BGB eben durch ein Gesetz eine Brücke auch zu nicht ausdrücklich im Gesetz geregelten Schutzgütern geschlagen wird, dürften die Bedenken im Ergebnis nicht durchgreifen. Im Schrifttum wird teilweise eine Beeinträchtigung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs angenommen, wenn ein Forschungsvorhaben der Pharmaindustrie unerträglich verzögert wird914. Der Schutzumfang des Betriebseigentums ist aber auf folgende Fälle begrenzt: Unter Hinweis auf das beim Eigentümer verbleibende unternehmerische Risiko werden bloße Erwerbschancen und Verdienstmöglichkeiten aus dem Schutzbereich genommen915. Anders soll es aber liegen, wenn sich die Chancen und Möglichkeiten zu konkreten Vermögensbestandteilen „verdichtet“ haben. Die die klinische Prüfung reglementierenden, hier zu prüfenden Normen des AMG treffen indes noch nicht auf ein derart verdichtetes Objekt. Vor Beginn der klinischen Prüfung liegen zwar bereits die Ergebnisse der toxikologischen und pharmazeutischen Prüfungen vor916, aus tatsächlicher Sicht kann vor Beendigung der klinischen Prüfung noch überhaupt nicht von einer wirklichen Erwerbsaussicht gesprochen werden. Wie erwähnt, lassen sich die in den der klinischen Prüfung vorhergehenden Untersuchungen gefundenen Ergebnisse nicht ohne weiteres auf die Anwendung der Wirkstoffe am Menschen übertragen. Vielmehr ist erst nach der klinischen Prüfung endgültig klar, ob einmal ein marktfähiges, Verdienstmöglichkeiten eröffnendes Arzneimittel entstehen kann. Bis zu deren Abschluß bestehen – unabhängig von der noch gesondert erforderlichen Zulassung – zu viele Unwägbarkeiten, zu welchen Ergebnissen die Versuchsanordnungen führen werden. Von einer zu einem Vermögensbestandteil verdichteten Erwerbschance kann danach in dem Zeitpunkt, wo § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 und § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG917 auf die Forschungsphase einwirken, noch nicht gesprochen werden. Damit scheidet eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG aus. 913 BVerfGE 84, 212 (227); Sachs, in: ders., Art. 20 Rdnr. 107; a. A. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 20 Rdnr. 26. 914 Deutsch, MedR 1995, 483 (486) im Rahmen zur Frage nach etwaigen Amtshaftungsansprüchen. 915 BVerfGE 28, 119 (142); 74, 129 (148); BGHZ 45, 150 (155); 76, 387 (394); ebenso die Kommentarliteratur, jedoch mit Differenzierungen Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 137 f.; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 44. 916 Siehe oben 2. Teil A. 917 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2 bzw. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8, Abs. 3 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
4. Teil
Schutz der Verwertungshandlungen A. Gang der Untersuchung Eng verbunden mit der im dritten Teil geklärten grundrechtlichen Zuordnung wissenschaftlicher Tätigkeiten, die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht vorgenommen werden, ist die Frage des Schutzes der Verwertungshandlungen, die der Erkenntnissuche nachgelagert sind. Gerade derjenige Forscher, der wirtschaftlich motivierte Erkenntnissuche betreibt, wird die gefundenen Ergebnisse auch tatsächlich verwerten wollen. Die folgenden Ausführungen knüpfen an den Zeitpunkt an, zu dem der Vorgang der Erkenntnissuche abgeschlossen ist. Die Verwertung gehört danach nicht mehr zum Auffinden der Wahrheit und zum Erlangen neuer Erkenntnisse und fällt damit nach den bisherigen Ausführungen nicht in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit. Allerdings ist fraglich, ob der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG zur Absicherung seines spezifischen Gewährleistungsinhalts auch über die Erkenntnissuche hinaus Wirkung entfaltet. Zunächst werden die vorgetragenen Einwände gegen eine Einbeziehung der Verwertungshandlungen in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit und für eine Einschlägigkeit der Art. 12 und 14 GG (unten B. I. 2.) dargestellt. Anschließend wird systematisch untersucht, inwieweit Verwertungshandlungen bei anderen Grundrechten geschützt werden (unten B. I. 3.). Davon ausgehend wird untersucht, inwieweit Einschränkungen der Verwertungsphase relevante mittelbare Beeinträchtigungen des nicht um Verwertungshandlungen erweiterten Schutzbereich der Forschungsfreiheit darstellen (unten B. II.). Es wird geprüft, inwieweit ein Kausalzusammenhang zwischen Einschränkung der Verwertungsphase und Grundrechtsbeeinträchtigung besteht, der als Vorwirkungszusammenhang bezeichnet wird. Anschließend wird der Versuch einer Bestimmung der Grenze des von der Forschungsfreiheit für Verwertungshandlungen gewährten Schutzes gemacht, indem unterschiedliche Modelle zur Feststellung einer relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit diskutiert werden (unten B. II. 1 c)). Danach werden die Regelungen der Arzneimittelzulassung und weitere Beispiele auf ihre Vereinbarkeit mit der Forschungsfreiheit untersucht (unten B. II. 2. und 3., III.). Der vierte Teil der Arbeit endet mit der Prüfung
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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einer Verletzung von Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie durch § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 4 AMG.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit I. Schutzbereich 1. Ansatzpunkte zur Abgrenzung der Erkenntnissuche von Produktion und Anwendung der Erkenntnisse Vorfrage der Überlegungen, in welchem Umfang Verwertungshandlungen von der Forschungsfreiheit (mit-)geschützt werden, ist die Abgrenzung, ob das in Rede stehende menschliche Verhalten noch der Erkenntnissuche zuzuordnen ist – dann ist der Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG unter Anwendung der im dritten Teil erfolgten Auslegung unproblematisch – oder bereits eine Verwertungshandlung darstellt – dann bedarf es zur Begründung des Schutzes durch Art. 5 Abs. 3 GG der in diesem Teil der Untersuchung anzustellenden Überlegungen. Es sind also Kriterien zu erarbeiten, die eine Zuordnung zur Erkenntnissuchtätigkeit einerseits oder zur Verwertungsphase andererseits ermöglichen. Erst anschließend kommt es darauf an, welche Folgen diese Zuordnung im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz hat, also unter welchen Voraussetzungen gegebenenfalls der Schutzbereich der Forschungsfreiheit auch für Verwertungshandlungen einschlägig ist oder Einschränkungen der Verwertungshandlungen mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sind. Im wesentlichen ist es das Handlungsfeld der Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse, das sich zeitlich an die Erkenntnissuche anschließt und das einer Abgrenzung zu jener bedarf. Einen besonderen Fall der Anwendung stellt dabei die Produktion von Waren und Dienstleistungen dar. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Anwendung der Wissenschaft und dem Prozeß der Erkenntnissuche wird nicht erst in aktueller Zeit erkannt. So sah beispielsweise schon Klein nicht in jeder Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse gleichzeitig angewandte Forschung1. Ebenso sah Köttgen das Erfordernis, den „gegenständlich irgendwie abgegrenzten Handlungsausschnitt“2 der Forschungsfreiheit näher zu bestimmen. Auch in neuerer Zeit wird eine Abgrenzung zwischen den beiden Sachverhalten Erkenntnissuche einerseits und Verwertung bzw. Anwendung der Forschungsergebnisse andererseits gefordert3. Ein umfassender Versuch, 1
Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Art. 5 Anm. X 4 d). Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 296 f., jedoch ausführlicher nur zu Vorfeldtätigkeiten („Vorhöfen“). 2
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
durch die Herausarbeitung klarer Kriterien die Unterscheidungsfrage zu erleichtern, ist bisher jedoch nur vereinzelt und eher mit schwer umsetzbaren Ergebnissen unternommen worden (unten a)). Eine trennscharfe Abgrenzung der beiden Ebenen ist nicht unproblematisch, aber bei genauerer Betrachtung der anerkannten Merkmale wissenschaftlicher Tätigkeit durchaus möglich (unten b)). Parallel zur Abgrenzung des Schutzbereiches der Forschungsfreiheit zu nachgelagerten Handlungen, also zur Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und zu Produktionsprozessen, jedoch zeitlich auf einer sehr viel früheren Stufe einzuordnen, stellt die Grenzziehung zu vorgelagerten Handlungen eine Schwierigkeit dar. Die Abgrenzungsversuche in der Literatur bleiben auch in diesem Bereich eine umfänglichere Lösung schuldig4. Eine weitergehendere Auseinandersetzung mit dieser Frage liegt jedoch außerhalb des Untersuchungsgegenstands dieser Arbeit. a) Ungeeignete Abgrenzungskriterien Die Bezeichnung der Wissenschaftsverwertung als Dienstbarmachung der bereits gefundenen Erkenntnisse für einen anderen als der Wahrheitssuche dienenden Zweck5 geht von der Prämisse aus, Erkenntnissuche geschehe notwendigerweise um ihrer selbst willen. Da aber nicht nachgewiesen werden konnte, daß der Forschungsbegriff auf derart motivierte Erkenntnissuche verengt ist6, vermag eine an den Kategorien „zwecklose Tätigkeit“ (dann Art. 5 Abs. 3 GG) und „Mittel zum Zweck“ (dann Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG; Art. 5 Abs. 3 GG ggfls. nur unter besonderen Voraussetzungen) vorgenommene Abgrenzung keine ausreichende Differenzierung zu ermöglichen. Wie erwähnt, läßt sich eine Abgrenzung im Ergebnis durch die Heranziehung der anerkannten Kriterien von Wissenschaft leisten. Indes sind nicht alle Kriterien gleichermaßen dazu brauchbar. So hilft das Merkmal der Publizität von Forschungstätigkeit nicht weiter. Nach den Ausführungen zum Schutz der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht vorgenommenen Er3 So von Brückner, Pharma Recht 1990, 7 (14); Losch, S. 112; in früherer Zeit ebenso von Leibholz, S. 43. 4 Anders, nämlich diesbezüglich deutlich detaillierter Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 296 ff.; Losch, S. 115 ff.; auch Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (729): mittelbarer Eingriff in die Hauptfreiheit, wenn Vorbereitungshandlungen erschwert werden; ansatzweise Hailbronner, S. 77 für die universitäre Forschung. Ohne nähere Aussagen nur die Schutzbedürftigkeit feststellend Frieling, GRUR 1987, 407 (408); Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (112). 5 Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 72. 6 Siehe oben 3. Teil.
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kenntnissuche7 ist die Publizität von Forschungsergebnissen mehr als Hilfskennzeichen denn als eigenständiger „Grenzstein“ zu verstehen, der eine klare Linie zwischen Erkenntnissuche zieht, die unter Art. 5 Abs. 3 GG fällt und solcher, die unter Art. 14 Abs. 1 S. 1 und Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG zu subsumieren ist. Jedenfalls wurde aber nachgewiesen, daß eine Veröffentlichung von Forschungsergebnissen auch bei solcher Forschung stattfindet, die auf wirtschaftliche Verwertung angelegt ist, die Veröffentlichung aber oftmals mit zeitlicher Verzögerung erfolgt. Aus diesem Ergebnis folgt der Schluß, daß es nicht möglich ist, die Veröffentlichung als Trennmarke im Rahmen der Abgrenzung zwischen Erkenntnissuche und Verwertung zu benutzen. Eine Veröffentlichung schließt demnach vielleicht oft, aber keineswegs zwingend die Erkenntnissuche ab. Umfänglicher – jedoch nur im Hinblick auf einen Teilaspekt – hat sich vor allem Trute bemüht, Kriterien zu entwickeln, anhand derer ein Umschlagen der Forschungstätigkeit in Technik bzw. technische Produktion festgestellt werden kann. Mit der Entwicklung der Begriffspaare „Erzeugung von Wissen“ einerseits und „Produktion von Artefakten“ andererseits beginnt er seine Ausführungen zur Abgrenzung8. Während Forschung durch den ersten Begriff beschrieben werde, kennzeichne der zweite Technik. Erzeugung der Techniken durch „spezifisches Verfahrenswissen“ solle jedoch als „Wissenschaft der Technik“ wiederum zum Schutzbereich der Forschungsfreiheit gehören9. Eine Präzisierung dieser Formel hält Trute zutreffend deswegen für erforderlich, weil das Experiment im Prozeß der Erkenntnissuche eine hohe Bedeutung habe. Gerade in den Naturwissenschaften stellt das Experiment10 oftmals das Mittel der Erkenntnis dar11, so daß die Erstellung eines „Artefakts“ durchaus noch zur Wahrheitssuche gehören kann. Voraussetzung dafür soll aber eine unmittelbare Erkenntnisrelevanz des Experiments sein12. Die Grenze dieses wissenschaftsspezifischen Zusammenhangs liegt für Trute in der Umsetzung bereits gewonnenen Wissens in ein (technisches) Instrument, das wiederum zur weiteren Wissenserzeugung verwandt werden kann. Für die Industrieforschung nimmt er regelmäßig die Herstellung von Prototypen und die weitere produktorientierte Umsetzung vom Forschungsbegriff aus.
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Siehe oben 3. Teil B. I. 4. a) aa) (4). Trute, S. 127. 9 Trute, S. 127. 10 Von Kleindiek, S. 41 mit Blick auf die Soziologie als Versuch definiert, durch eine Anordnung von steuerbaren natürlichen Faktoren einen Effekt zu erzeugen. 11 Kleindiek, S. 32 ff., der den Dreiklang von Experiment, Gesetz und Fortschritt als soziologische Kennzeichen der Wissenschaft nennt; Trute, S. 128. 12 Trute, S. 128. 8
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Seine resümierende Feststellung, Art. 5 Abs. 3 GG beziehe sich nur auf die Veränderung der Welt durch Wissen und nicht durch Artefakte13, liefert indes allenfalls für die Abgrenzung im Bereich der Produktion einen Ansatzpunkt. Für die Abgrenzung gegenüber weiteren Formen der Anwendungen von Forschungsergebnissen, also anderen als der Produktion von Waren und Dienstleistungen, kann sie keine Hilfestellung bieten. Es bleibt insbesondere offen, welchen Grad der Neuheit die Wissenserzeugung annehmen muß, damit die dieser zugrundeliegende Tätigkeit schon als Forschung bezeichnet werden kann. Jede Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse bringt – wenn auch teilweise nur in geringem Maße – neues Wissen hervor, sei es nur, daß durch die erfolgreiche Anwendung erneut ein Beweis für die Richtigkeit der bisher schon erforschten Annahmen geliefert wird. Losch löst Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem wissenschaftlichen Experiment und der praktischen Erprobung, sowie zwischen Forschungsprozeß und der technischen Anwendung damit, daß er im Zweifel, also bei Fehlen eines eindeutigen Auslegungsergebnisses, Art. 5 Abs. 3 GG für anwendbar erklärt14. Die Schutzintensität soll für diesen Fall aber je nach Grad des Zusammenhangs der Anwendung zur Forschung erfolgen. Die Frage, bis zu welchem Moment denn nun noch Forschung vorliegt und ab wann nicht mehr, bleibt aber ebenfalls ungeklärt. b) Geeignete Ansatzpunkte: Neuheit der Erkenntnisse und Eigenständigkeit der Erkenntnissuche Die Abgrenzung zwischen dem wissenschaftsspezifischen Prozeß der Erkenntnissuche und dem nachgelagerten Prozeß der Anwendung bzw. insbesondere der Verwertung erlangter Erkenntnis kann durch Subsumtion unter die anerkannten Merkmale von Wissenschaft und Forschung, insbesondere die Kriterien der Neuheit und der Eigenständigkeit, erreicht werden. aa) Neue Erkenntnisse Wohl unbestritten ist, daß Forschungstätigkeit die Erarbeitung neuer Erkenntnisse zum Ziel haben muß15. Klein führte zu wissenschaftlichen Gutachten aus, diese seien nur dann dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG zuzu13
Trute, S. 127. Losch, S. 120. Als Beispiel nennt er die zur Entwicklung der Atombombe führende Forschungstätigkeit. 15 BVerfGE 47, 79 (113); BVerwG, NVwZ 1987, 681(682); Hailbronner, S. 267; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 26; Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237); Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 101. 14
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ordnen, wenn sie „mit neuen Begriffen, Methoden, Denksystemen arbeiten“, also zu neuen Erkenntnissen schlechthin führen16. Insbesondere die Betrachtung der Tätigkeit eines Arztes, deren Zuordnung zu Art. 5 Abs. 3 GG strittig17 ist, legt aber die Notwendigkeit dar, diesen Ansatz tiefergehend auszuarbeiten. Ausgehend von diesem Beispiel der Arzttätigkeit läßt sich wie folgt eine Abgrenzung zwischen Erkenntnissuche und Anwendung vornehmen, wobei am Beginn die Frage steht, was genau unter der Anwendung bekannter Erkenntnisse zu verstehen ist. Als Kriterium zur Unterscheidung zwischen Erkenntnissuche und Anwendung der Erkenntnisse ist der folgende Ansatz nicht geeignet. Bloße Sachverhaltsermittlungen gehören nach der Ansicht von Klein nicht in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG18. Diese stellten keine Einordnung in das System des Seins dar, und es fehle der notwendige Bezug auf die geistige Welt. Dagegen ist einzuwenden, daß der Sachverhaltsbezug auf beide Vergleichspunkte – Erkenntnissuche und Anwendung – in gleicher Weise zutrifft. Auch die wissenschaftlich ermittelte Wahrheit ist bei abstrahierter Betrachtung (lediglich) die Beschreibung eines Sachverhaltes. Oftmals besteht die wissenschaftliche Leistung zu einem großen Teil darin, ein bestimmtes Phänomen auch zu beschreiben. Über die bloße Beschreibung hinaus wird in der Regel auch eine Erklärung des Gefundenen geleistet werden. Das ist aber gerade bei gänzlich unbekannten Materien nicht unbedingt der Fall. Die Möglichkeit, das Entdeckte zu erklären, stellt sich durchaus erst schrittweise ein. Bevor ein auf ein Phänomen bezogenes, durch eine beispielsweise biochemische Formel erfaßbares theoretisches Erklärungskonstrukt errichtet werden kann, vergeht möglicherweise eine längere Zeit der tiefgehenden Auslotung der nur ansatzweise bekannten Untiefen des Phänomens. Letztlich bleibt eine Formel, die ein natürliches Faktum erklärt, wie beispielsweise die Beschreibung des Volumens als Produkt aus Länge, Breite und Höhe (V = l x b x h), eine – wenn auch abstrakte und theoretische – Ableitung aus der Realität, also eine Art Beschreibung. Auch die wissenschaftlichen Aussagen über die Arbeitsweise eines Enzyms oder den Zyklus der Photosynthese sind im Grunde nichts anderes als die Sichtbarmachung eines real bereits vorhandenen Zustands. Es ist nicht die Tätigkeit eines Forschers, die für die bei der Photosynthese u. a. stattfindende Assimilation von Kohlenstoffdioxidmolekülen zu Glucosemolekülen verantwortlich ist. 16
Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Art. 5 Anm. X 4 e). Einerseits Schröder, VersR 1990, 243 „Der Arzt ist bei jeder Behandlung eines Patienten nicht weit davon entfernt, auch forschend tätig zu werden.“, andererseits von Mangoldt, in: ders./Klein, S. 256, der praktische Tätigkeiten eines Arztes als bloße Anwendung der Wissenschaft sieht. 18 Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Art. 5 Anm. X 4 f). 17
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Dieser Vorgang lief auch vor einer Million Jahren ab, bevor sich jemand Gedanken über ihn gemacht hat. Das Besondere besteht vielmehr in dem Aufspüren des nicht auf der Hand liegenden Phänomens oder – weitergehend – in dem Bereitstellen der Bedingungen, unter denen ein Naturgesetz wirksam wird, das sich vorher nicht betätigte 19. Die Umschreibung „Ermittlung eines Sachverhalts“ führt demnach bei dem Versuch einer hier vorzunehmenden Grenzziehung zwischen Erkenntnissuche und Verwertungshandlungen nicht weiter. Der Umstand, der die solchermaßen beschriebene Sachverhaltsermittlung im Vergleich beispielsweise zum Lesen eines Busfahrplans20 zur Forschung qualifiziert, ist nicht, wie von Klein angenommen, der Bezug zur „geistigen Welt“. Vielmehr ist das den Grenzbereich markierende Kriterium der noch näher zu beschreibende Grad des ermittelten Neuen. Danach liegt lediglich Anwendung von Wissenschaft vor, wenn mit „feststehender oder wenigstens allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnis“ umgegangen wird21. Dieser Ansatzpunkt ist am besten geeignet, eine Grenze wenigstens anzudeuten. bb) Personaler Bezugspunkt Fragwürdig könnte jedoch sein, auf wessen Erkenntnisstandserweiterung es ankommt. Es kann nicht etwa unter Hinweis auf den „ausgeprägten überindividuellen Bezug“ der Wissenschaftsfreiheit die Erweiterung des objektiven, über das Individuum hinausgehenden Bestandes von Erkenntnissen als Maßstab festgelegt werden22. An anderer Stelle dieser Arbeit wurde gegen eine Inpflichtnahme der Forschung durch die Gesellschaft argumentiert. Sowohl eine Ausrichtung auf gesellschaftlichen Nutzen23 als auch die Notwendigkeit einer zum Wohl des Wissenschaftssystems schnellen Veröffentlichung24 wurde abgelehnt. Maßgeblich zur Bestimmung der Erkenntniserweiterung ist danach das für den einzelnen Forscher Neue.
19 So zur Umschreibung des Erfindungsbegriffes im Patentrecht Bruchhausen, in: Benkard/Bruchhausen/Rogge/Schäfer/Ullmann, § 1 Rdnr. 42. 20 Letztlich scheitert die Qualifizierung dieses Verhaltens als Wissenschaft jedenfalls an der fehlenden Planmäßigkeit im Sinne methodisch geordneten Denkens. 21 Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Art. 5 Anm. X 4 e). Die Tatsache, daß Starck in der Neubearbeitung den Abschnitt über die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und ihr nachgelagerten Handlungen nicht fortgeführt hat, mag Indiz dafür sein, für wie unproblematisch sie gehalten wird. 22 Anders aber Lüthje, in: Denninger, § 3 Rdnr. 14; ihm folgend Lux, S. 17. 23 Siehe oben 3. Teil I. 4. c). 24 Siehe oben 3. Teil I. 4. a) aa) (4).
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cc) Grad der Neuheit Mit der Aufstellung eines solchen Kriteriums, das auf den zusätzlichen Erkenntnisgewinn abstellt, und der Klärung des personalen Bezugspunkts, sind die Abgrenzungsfragen indes noch nicht beantwortet. Insbesondere ist zu klären, welche Intensität der Neuheit einer Erkenntnis erforderlich ist, damit sie als wissenschaftlich bezeichnet werden kann. Nicht nur im Fall der Tätigkeit eines Mediziners oder Juristen können die Erkenntnisse nämlich sehr individuell und nur auf einen eng umgrenzten Sachverhalt bezogen sein. Ausschlaggebend für das Umschlagen von Wissenschaft in deren Anwendung wird angesichts dessen wohl kaum der Grad der Verallgemeinerung oder Allgemeingültigkeit der gefundenen Ergebnisse sein. Ohnehin ist die Frage, was Gegenstand der Neuheit sein sollte, nur schwer zu beantworten. Eine zufriedenstellende Lösung dieser Frage kann nicht gefunden werden, weil sich ohne größere Probleme bei jeder Arbeit allein im Hinblick auf die Anwendung der Methoden oder die Betrachtung einer Materie aus einem anderen Blickwinkel heraus immer ein gewisser Grad an Neuheit finden lassen dürfte. Im Bereich der Industrieforschung ist beispielsweise neben einer Neu- auch eine Weiterentwicklung möglich25, die ebenfalls über das bisher Dagewesene hinausgeht26, aber dieses möglicherweise nicht grundlegend neu bewertet. Die Bestimmung der Neuheit des erlangten Wissens muß sich vielmehr daran ausrichten, ob lediglich ein (durch Wissenschaft) bereits vorgefertigtes Schema abstrakter Kriterien mit konkreten Inhalten gefüllt wird oder ob die abstrakten Kriterien zunächst noch aufgestellt werden müssen. Sind also die Variablen einer Formel erst in der Realität bestimmbar und werden diese lediglich als ermittelte Werte in die Formel eingesetzt, so fehlt es an der für Wissenschaft charakteristischen Neuheit. Nicht anders liegt es, wenn im Wege eines schematischen Vorgehens eine Verfeinerung oder Operationalisierung der von bereits aufgrund von vorhandenem Wissen vorgeprägten Kriterien erfolgt. Das Abarbeiten von Checklisten als Beispiel für das Letztgenannte ist gerade bei der ärztlichen Tätigkeit typisch. In aller Regel ordnet sich der Mediziner bei der Anamnese, Diagnose und Therapie einem bereits vorgegebenen Raster unter und richtet sich dabei an typischen Prüfkriterien aus. Weiter offen ist, welche genauen Anforderungen an die Neuheit der Erkenntnis zu stellen sind, mit anderen Worten, welche Dichte die, hier beispielhaft genannte, vorgegebene Checkliste haben muß. Hierzu lassen sich 25
Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 80. Ohne Verfahrensforschung läßt sich ein neues Produkt kaum entwickeln, Graf Vitzthum, FS Lerche, S. 346 Fn. 18. 26
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Kriterien im einfachen Recht, im Patentrecht finden, die herangezogen werden können, um den notwendigen Grad der Neuheit näher zu beschreiben. Zwar unterscheidet sich wissenschaftliche Erkenntnis von der Erfindung im Sinne des Patentrecht im wesentlichen in zweierlei Hinsicht: Während – erstens – der Erfinder keine stichhaltige wissenschaftliche Erklärung für die Funktionsweise seiner Erfindung zu geben braucht, um den Schutz des Patentrechts zu erhalten27, lebt Forschung (auch) von dem Nachweis von Zusammenhängen. Zweitens sind gerade wissenschaftliche Theorien (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 PatentG) und damit die menschliche Verstandestätigkeit28 von der Patentfähigkeit ausgenommen. Gleichwohl kann ein vergleichender Blick auf das Patentrecht und dabei insbesondere auf § 4 PatentG Ansatzpunkte dafür geben, wie das Abgrenzungskriterium der Neuheit der Erkenntnis weiter auszudifferenzieren ist. § 4 PatentG setzt für die Zuerkennung des Patentschutzes das Vorliegen einer „erfinderischen Tätigkeit“ voraus. Eine solche wird dann angenommen, wenn ein Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem momentanen Stand der Technik auf die Erfindung schließen kann (§ 4 Abs. 1 S. 1 PatentG). Entscheidend dürfte danach der Grad an Simplizität sein, der dem Akt des Transfers von der allgemeineren zur spezielleren Handlungsanweisung zugrunde liegt. Erschließt sich die Umsetzung einer wissenschaftlichen Norm in die praktische Anwendung ohne einen von eigenständiger Leistung geprägten Akt, so liegt dieser außerhalb der Erkenntnissuchtätigkeit. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Durchschnittsfachmann die Handlungsanweisung erfolgreich als „Regel für technisches Handeln“ nutzen kann29, wobei – ebenso wie im Patentrecht30 – „Kinderkrankheiten“ die Ausführbarkeit der Regeln bzw. Handlungsanweisungen nicht beeinträchtigen dürften. Anders ist zu urteilen, wenn sich die Konkretisierung/ Operationalisierung nicht „in naheliegender Weise“ ergibt, sondern diese Akte selber umfangreichere Denkoperationen erfordern. dd) Zusätzliches Kriterium: Innere Beziehung zum vorhandenen Wissensstand Bleiben neben der Anwendung dieser Abgrenzungskriterien noch Zuordnungszweifel, so läßt sich zu deren Klärung ein Hilfskriterium heranziehen: In zweiter Linie ist dann auf die innere Beziehung zum vorhandenen Wis27
BGH, GRUR 1965, 138 (142); auch schon RG, GRUR 1927, 472 (475). BGH, GRUR 1977, 152 (153); GRUR 1980, 849 (850). 29 So zum Erfindungsbegriff im Patentrecht BGH, GRUR 1971, 210 (212); GRUR 1965, 533 (534). 30 Bruchhausen, in: Benkard/Bruchhausen/Rogge/Schäfer/Ullmann, § 1 Rdnr. 70. 28
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sensstand desjenigen abzustellen, der durch seine Tätigkeit erst neue Erkenntnisse erlangt. Wird das vorgegebene Raster, an dem sich die Tätigkeit ausrichtet, ständig kritisch hinterfragt, so ist der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG eröffnet, wird es unkritisch übernommen, ist er verschlossen. Für sich alleine betrachtet ist das Merkmal des ständigen kritischen Infragestellens bereits gewonnener Erkenntnisse nicht sonderlich hilfreich für eine Konkretisierung. Weil ohne Aufbau auf bereits vorhandene Erkenntnisse ein Voranschreiten der Wissenschaft kaum möglich ist, kann das Hinterfragen aller Grundlagen nicht verlangt werden. Das Rad muß nicht immer neu erfunden werden. Das Kriterium erfüllt somit nur eine sekundäre Funktion. ee) Sonderfragen bei der Produktion Die mit der Bezugnahme auf das PatentG beschriebene Abgrenzung der Erkenntnissuche zur Anwendung im allgemeinen bleibt im Hinblick auf die Produktion als einen Anwendungsmodus im speziellen einer Konkretisierung bedürftig. Kein Problem stellt insoweit die Zuordnung des Experiments als Bindeglied zwischen Forschung und ihrer Anwendung dar. Soweit dieses zur Überprüfung der Richtigkeit eines Theorems eingesetzt wird und diese Überprüfung – wie soeben beschrieben – nicht ohne größeres Nachdenken passieren kann, ist das Experiment Teil der Forschung. Auch das einfache Gesetzesrecht anerkennt einen engen Zusammenhang der Erprobung neuer Erzeugnisse und Verfahren mit der Erkenntnissuche, indem beispielsweise § 4 Abs. 1 S. 2 BImSchG für Anlagen, die einem solchen Zweck dienen, erleichterte Genehmigungsmöglichkeiten vorsieht. Bei experimenteller und konstruktiver Entwicklung31 im Bereich der Industrieforschung findet der Eintritt in den wissenschaftsunspezifischen Produktionsprozeß in dem Moment statt, wo sich an die erste Testphase der praktischen Tauglich- und Funktionsfähigkeit der bloße Ablauf eines vollautomatischen Programms anschließt. Nur vordergründig eines anderen Bewertungsmaßstabes bedarf die Beurteilung der Herstellung funktionstüchtiger Prototypen. Diese sind zum Teil kaum noch unterscheidbar vom angestrebten Endprodukt. Während diese dem Endprodukt früher nur geometrisch angenähert wurden, so entsprechen sie ihm heute darüber hinaus in der Funktionalität32. Die Perfektion des möglicherweise bereits in der Phase des Experiments erreichten Prototyps entfaltet für sich genommen keine Bedenken gegen die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG für die Tätigkeit der Herstellung eines solchen Prototyps. Genau wie 31 32
Mayer, S. 112, 72, 23, 15. BMBF, Rahmenkonzept, S. 14.
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im oben diskutierten Fall kommt es auf den Grad der neuen Erkenntnis an, der sich durch die Herstellung des Prototyps ergibt. Solange noch Versuche zum Auffinden einer Problemlösung erforderlich sind, ohne die eine Handlungsanweisung nicht in die Tat umgesetzt werden kann33, fehlt es an der für die Qualifizierung als Anwendung charakteristischen Umsetzungsfähigkeit. Ist bereits mit vorangegangenen Experimenten die Richtigkeit der ihnen zugrundeliegenden theoretischen Überlegungen bewiesen worden und handelt es sich in der Weiterentwicklung von diesen letzten Experimenten zum Prototyp lediglich um den letzten „Schliff“, so ist die Zuordnung zu Art. 5 Abs. 3 GG ausgeschlossen. Auch kleinere Änderungen an der wissenschaftlichen Gestaltung, deren Auswirkungen im Ergebnis nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhersehbar sind, mögen sie auch eine Weiterentwicklung der sich im Ergebnis der Experimente widerspiegelnden Erkenntnisse sein, unterfallen nicht dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit. c) Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich damit eine am Grad der Neuheit der Erkenntnisse orientierte Grenzziehung: Erschließt sich der zur Erkenntnis führende Gedankenschritt ohne eine eigenständige Leistung in naheliegender Weise, so handelt es sich um die bloße Umsetzung einer wissenschaftlichen Norm in die praktische Anwendung. Erst in zweiter Linie kommt es bei der Abgrenzung darauf an, inwieweit abstrakte Formeln oder Checklisten, die es zu konkretisieren gilt, hinterfragt werden. 2. Einwände gegen die Einbeziehung von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG Die wohl überwiegende Auffassung in der Rechtswissenschaft geht im Ergebnis davon aus, daß die nach der obigen Darstellung von der Erkenntnissuche abgrenzbaren wirtschaftlichen Verwertungshandlungen in keinem Falle dem Schutz der Forschungsfreiheit unterfallen, sondern dem Schutz der Berufsfreiheit bzw. der Eigentumsgarantie zuzuordnen sind. Die Begründungsansätze dafür, daß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG im Ergebnis keinen Schutz für Eingriffe in die Verwertungsphase gewährt, bleiben in der Regel knapp und sind unterschiedlich. Unklar bleibt aber überwiegend, ob wirtschaftliche Verwertungshandlungen bereits nicht dem Schutzbereich der 33 Ähnlich Bruchhausen, in: Benkard/Bruchhausen/Rogge/Schäfer/Ullmann, § 1 Rdnr. 53 zum Begriff der „fertigen“ Erfindung im Patentrecht.
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Forschungsfreiheit unterfallen oder ob Einschränkungen der wirtschaftlichen Verwertungshandlungen keine relevanten (mittelbaren) Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein können. a) Wissenschaftsindifferentes Verhalten Aus wissenschaftssoziologischer Sicht hält es Merton für unvereinbar mit der bereits oben34 angesprochenen Norm des „Kommunismus“, daß wissenschaftliche Erkenntnisse dem Privateigentum zugeordnet werden35. Unter dieser Voraussetzung kann es erst recht nicht möglich sein, die Verwertungshandlungen von Erkenntnissen des einzelnen Forschers als durch die schwer einschränkbare Forschungsfreiheit geschützt zu sehen. Eine gleich gelagerte Auffassung läßt sich wohl auch in der aktuellen Diskussion in der Öffentlichkeit feststellen. Hinter der Aussage, die Wissenschaft und die (zur Frage der Nutzung menschlicher Stammzellen) versprochene medizinische Nützlichkeit nähmen keinen Schaden, wenn die ökonomischen Erträge nicht der Forschung zufielen36, steht unausgesprochen die Wertung, die wirtschaftliche Verwertung stünde losgelöst neben der typischen Erkenntnissuche. Auch die für unzulässig gehaltene „Vermischung“ von Fragen der Wissenschaft mit denen der ökonomischen Verwertung etwaiger Erkenntnisse37 ist ein Beleg dafür, daß eine Verbindung zwischen beiden nicht gesehen wird. Auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive wird eine Subsumtion von Verwertungshandlungen unter die Forschungsfreiheit tragend damit abgelehnt, daß eine innere Verbindung zwischen den Verwertungshandlungen und dem Prozeß der Erkenntnissuche nicht bestehe. Ganz überwiegend werden Verwertungshandlungen mit dem Argument nicht dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit zugeordnet, das in Rede stehende Verhalten sei nicht spezifisch für Forschungstätigkeit. So sieht das Bundesverfassungsgericht in der wirtschaftlichen Ausnutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse den „typischen Schutzgegenstand anderer Grundrechte“38. In dem entschiedenen Fall hat es wirtschaftliche Werbung für Erkenntnisprodukte deswegen nicht unter die Forschungsfreiheit gefaßt, weil diese Werbung ihrer Natur nach schon kein ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit, also keine Wissenschaft sei39. Eine weitergehendere Auseinandersetzung mit den sich aus den Zu34 35 36 37 38
Siehe 3. Teil B. I. 4. a) aa) (4). Merton, S. 91. FAZ vom 7. Juli 2001, S. 41. FAZ vom 7. Juli 2001, S. 41. BVerfGE 71, 162 (176).
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sammenhängen zwischen der Erkenntnissuche einerseits und der Verwertung andererseits ergebenden Problemen findet indes nicht statt. Keinerlei Ausführungen zu der Frage, inwieweit die Forschungsfreiheit bei Regulierungen von wirtschaftlichen Handlungen betroffen sein könnte, hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Veröffentlichung von Arzneimittel-Transparenzlisten gemacht40. Im Schrifttum wird aus dem Nebeneinander von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG von Dickert gefolgert, der Forschungsfreiheit könne es nicht um die Sicherung der ökonomischen Erwerbsmöglichkeiten gehen41. Voraussetzung für die Subsumtion einer Tätigkeit unter Art. 5 Abs. 3 GG soll danach also ein wissenschaftsspezifischer Funktionszusammenhang sein. Diesem Ergebnis schließen sich knapp Philipp42, M. Blankenagel 43 und jüngst auch Lux44 an, ohne über den Hinweis auf das Spezialitätsverhältnis zwischen den Schutzzielen der Grundrechte hinausgehende Gründe zu nennen. Speziell für die Pharmaforschung verneint auch von Kirchbach den Schutz des Vertriebs von Arzneimitteln durch die Forschungsfreiheit, weil der Vertrieb als „big business“ zu bewerten sei, welches Wissenschaft als Ware behandele45. Auch bleibe das Stadium der Entwicklung unberührt, es könne weiter geforscht werden, betroffen sei nur die nachgelagerte kommerzielle Verwertung46. Nicht eindeutig ist die Auffassung von Karpen. Einerseits ordnet er die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG zu47, andererseits sieht er sie – insbesondere den Verkauf von Forschungsergebnissen – als „Ausfluß aus Art. 5 Abs. 3 GG“ an48. Eine differenzierende Auffassung vertritt Losch, der zwar die Entscheidung über die Verwertung und die Verwertung als Beitrag zur Forschung und Lehre Art. 5 Abs. 3 GG zuordnet, jedoch den hier in Rede stehenden Vorgang wirtschaftlicher Verwertung selbst davon ausnimmt49. Allerdings erkennt er die Möglichkeit an, daß über den Umweg wirtschaftspolitischer 39
BVerfGE 71, 162 (176). BVerwGE 71, 183 (186 ff.). 41 Dickert, S. 411 f., 421 f. 42 Philipp, S. 183, ausdrücklich für Pharmaunternehmen. 43 M. Blankenagel, S. 80. 44 Lux, S. 29, 56 f., die die Frage des Schutzes der Verwertungsergebnisse gleichwohl als „hochrelevant“ einstuft. 45 Von Kirchbach, S. 37; auch Schmidt-Aßmann, NVwZ 1998, 1225 (1227); zur Kunst F. Müller, Kunstfreiheit, S. 101. 46 Von Kirchbach, S. 204. 47 Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 72. 48 Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 79. 49 Losch, S. 119 f., auch S. 75 f. 40
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Maßnahmen die Möglichkeit privater Forschung überhaupt oder die Dispositionsfreiheit über die wissenschaftliche Tätigkeit eingeschränkt würde50. Wie genau die Grenze zwischen dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit und den anderen Grundrechten zu bestimmen ist, läßt er aber offen. Auch Hailbronner wählt einen differenzierenden Ansatzpunkt. Danach sieht er zwar die kommerzielle Verbreitung des Erkenntnisproduktes selbst an der Peripherie des Schutzbereiches liegend, die kommerzielle Nutzanwendung und Umsetzung der Forschung befinde sich aber außerhalb dessen51. Eine Produktion solle nicht bloß deswegen eine Privilegierung erfahren, weil sie auf wissenschaftlichen Verfahren beruhe. Eine solche Privilegierung solle nur denjenigen Tätigkeiten zukommen, die ein integraler Bestandteil im Verfahren der Erkenntnisgewinnung seien52. Die Auswertung von Ergebnissen zugunsten technischer und sonstiger Interessen soll also keine rechtliche Sonderstellung beanspruchen können53. Soweit er von „Produktionsformen wissenschaftlicher Arbeit“ spricht, die als eigentlich indifferente Handlungen gleichwohl dem Schutzbereich unterfallen sollen54, meint er aber wohl nicht Verwertungshandlungen. Dem Zusammenhang nach zu schließen, gilt sein Augenmerk eher dem Experiment und praktischen Seiten der Forschungstätigkeit. Um den Schutz der Produktion des Ergebnisses der Erkenntnissuche geht es gerade nicht. Daß die Wissenschaftsindifferenz tragendes Argument dafür ist, den Schutz von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen als nicht durch die Forschungsfreiheit gewährleistet zu sehen, klingt auch in solchen Stellungnahmen durch, die zu dieser Frage keine umfängliche Argumentation beinhalten. Trute und Losch sehen Art. 5 Abs. 3 GG nicht als „Wissenschaftsunternehmensfreiheit“55 und nicht als Schutz der „kaufmännischen oder unternehmerischen Seite“56. Auch nach Classen fallen wirtschaftliche Handlungsanweisungen57 bzw. Verwertungshandlungen, die über die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse hinausgehen58, der Erkenntnissuche also zeitlich nachfolgen, aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit 50
Losch, S. 120. Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (218). 52 Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (218). 53 Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 298; ähnlich Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (218) bezüglich der Produktion, die auf wissenschaftlichen Verfahren beruht. 54 Hailbronner, S. 78. 55 Trute, S. 119, 125. Seine Aussage auf S. 106 f. zur Umsetzung als Ersatz für die Veröffentlichung wird insoweit wohl fehlgedeutet von Lux, S. 29 (Fn. 106). 56 Losch, S. 119 f. 57 Classen, S. 98. 58 Classen, S. 76. 51
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
heraus. Classen läßt es jedoch ausdrücklich offen, ob sich gegebenenfalls eine andere Beurteilung ergibt, wenn die Verwertungsregeln derart beschaffen seien, daß sie wissenschaftliches Arbeiten unmöglich machten59. Auch die anderen in neuerer Zeit zu Art. 5 Abs. 3 GG erschienenen Arbeiten behandeln das hier zu untersuchende Thema eher zurückhaltend. Kleindiek nimmt keine Stellung zum Schutz der Verwertungshandlungen, würde aber angesichts seiner ablehnenden Stellungnahme zur Zuordnung der in der Industrie betriebenen Erkenntnissuche zu Art. 5 Abs. 3 GG60 wohl erst recht auf Art. 12, 14 GG abstellen. Auch die in der Literatur anzutreffende Aussage, Art. 5 Abs. 3 GG wolle die Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse schützen, nicht dagegen ökonomische Interessen61, läßt in ähnlicher Weise erkennen, daß die Autoren von einer Wissenschaftsindifferenz der Verwertungshandlungen ausgehen. In der Kommentarliteratur finden sich ebenso meist nur wenig ausführliche Ausführungen. So weist Jarass die wirtschaftliche Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse kurzbündig dem Schutzbereich von Art. 12 GG zu62. Bei Bethge bleibt letztlich offen, wie er die Schutzlage bewertet. Allerdings läßt seine Aussage, die gleichzeitige Anwendung der wirtschaftlichen Grundrechte Art. 12 und 14 GG „dürfte nur bei der Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse in Frage kommen“63, den Schluß zu, daß er die Lösung, welcher Grundrechtsschutz letztlich entscheidend ist, auf die Konkurrenzebene verlagert wissen möchte. Den gleichen Weg scheint Scholz zu beschreiten, wenn er im Ergebnis die Garantie des Art. 5 Abs. 3 hinter die Grundrechtsgewährleistungen aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 zurücktreten sieht64. Eine Differenzierung macht er aber insofern, als daß üblicherweise für Publikationen anfallende wirtschaftliche Erträge unschädlich für die Zuerkennung des Schutzes der Wissenschaftsfreiheit sein sollen. Teilweise wird die Frage des Schutzes der wirtschaftlichen Verwertungshandlungen nur für Kunstwerke aufgeworfen, während sie bei der Kommentierung der Wissenschaftsfreiheit nicht gestellt wird65. 59
Classen, S. 99. Kleindiek, S. 333 ff., siehe auch oben 3. Teil. 61 So Thieme, DÖV 1994, 150 (155); ähnlich Heldrich, S. 24; Sachs, Grundrechte, S. 326. 62 Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rdnr. 96 unter Verweis auf Oppermann, HStR VI, Rdnr. 26. 63 Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 220a. 64 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 84. 65 Ohne Aussage zur Wissenschaft Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft), jedoch zur Kunst Rdnr. 48; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3, jedoch zur Kunst (ablehnend) Rdnr. 289; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5, jedoch zur Kunst Rdnr. 94. 60
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
233
b) Weite des Schutzbereichs Weiter wird – vor allem im älteren Schrifttum – gegen die Subsumtion von Verwertungshandlungen unter Art. 5 Abs. 3 GG vorgebracht, der Grundrechtstatbestand erlange ansonsten eine bedenkliche Weite66. Auch die Kritik von A. Blankenagel, die Ausdehnung des Schutzbereiches der Wissenschaftsfreiheit auf die wirtschaftlichen Verwertungsvorgänge, stelle ein „Zurechtbiegen“ des Schutzbereiches dar67, ist in diese Kategorie einzuordnen. Hinter diesen Überlegungen stehen, mehr oder weniger ausgesprochen, die bereits dargelegten68 Sorgen vor den tatsächlichen und vermeintlichen Gefahren der modernen Forschung, vor allem solcher, die an ökonomischen und nicht an ethischen Imperativen orientiert ist und daher eine gewisse „Hemmungslosigkeit“ besitzen mag. Die dadurch bedingte Gefahr der inhaltlichen Steuerung von Forschungstätigkeit wurde ebenfalls angesprochen. Die Möglichkeit, eine mißbräuchliche Inanspruchnahme des Schutzes der Forschungsfreiheit zu verhindern, ist im Bereich der Außenwirkung entfaltenden Verwertungshandlungen deutlich größer als bei der vorgelagerten Erkenntnissuche. Durch Verneinen des Schutzbereichs des ohne Gesetzesvorbehalts gewährleisteten Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG oder durch Verneinen einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung gelangt man durch die Subsumtion unter Art. 12 Abs. 1 S. 1 und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu einer größeren Begrenzungsmöglichkeit des Forscherverhaltens. Eine andere Motivation, den Schutzbereich durch restriktive Auslegung oder durch Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung nicht zu weit geraten zu lassen, kann man in dem Wunsch sehen, solche Normen nicht der Gefahr der Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 3 GG auszusetzen, die gegenwärtig die Anwendung von Forschungsergebnissen regulieren. So gibt Classen zu verstehen, daß er Verwertungshandlungen unter anderem deswegen nicht Art. 5 Abs. 3 GG zuordnen will, weil andernfalls fast sämtliche Normen des Technik- und Sicherheitsrechts an diesem Grundrecht zu messen sein würden69.
66 Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 298; Klein, in: von Mangoldt/ Klein, 2. Aufl., Art. 5 Anm. X 5 a). 67 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (105). 68 Siehe oben 3. Teil B. I. 4. d). 69 Classen, S. 76, 100.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
3. Systematische Auslegung: Schutz auch von Verwertungshandlungen bei Kunst- und Pressefreiheit Der Wortlaut des Grundgesetzes läßt offen, ob Art. 5 Abs. 3 GG neben der eigentlichen Forschungstätigkeit auch die Handlungen der wirtschaftlichen Verwertung schützt. Auch eine Orientierung am einfachen Recht führt nicht zu diesbezüglichen Erkenntnissen. Zwar schützt § 4 Abs. 2 HRG auch die „Verbreitung der Forschungsergebnisse“. Jedoch betrifft diese Aussage zum einen nur Hochschulen, und zum anderen läßt sie nicht erkennen, welche Art der Verbreitung erfaßt sein soll, ob also über die bloße Mitteilung der Forschungsergebnisse hinaus gerade deren wirtschaftliche Verwertung geschützt sein soll. Hinweise für die Beantwortung der Frage des grundrechtlichen Schutzes von Verwertungshandlungen lassen sich aber durch die systematische Auslegung des Grundgesetzes gewinnen. Wirtschaftliche Bezüge derart, daß durch die Verwertung des Produkts einer durch spezielle Freiheitsgrundrechte geschützten Tätigkeit ein ökonomischer Nutzen gezogen wird, sind neben der Forschungsfreiheit auch bei anderen Grundrechten denkbar. Die Rechtswissenschaft hat sich mit diesem Themenfeld mehr als bei der Forschungsfreiheit vor allem bei der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) beschäftigt (unten a.). Daneben reicht der Schutzumfang der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. GG) weit in wirtschaftliche Verwertungsbereiche hinein (unten b.). Ein Blick auf die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) ist für den systematischen Vergleich indes unergiebig (unten c.). a) Kunstfreiheit aa) Vergleichbarkeit des Grundrechts mit der Forschungsfreiheit Die Frage, inwiefern Forschungs- und Kunstfreiheit einander ähnlich sind, die vergleichende Untersuchung des Schutzumfangs also überhaupt verwendbare Ergebnisse für die hier interessierende Frage zeitigen kann, wird in der Rechtswissenschaft nicht ganz einheitlich beantwortet. Ein tragender Unterschied zwischen Forschung und Wissenschaft einerseits und Kunst andererseits wird in der bei der Kunst fehlenden rationalen Arbeitsmethode und der fehlenden objektiven Nachprüfbarkeit der Ergebnisse gesehen70. Des weiteren wird Forschung eher als ein in Bewegung bleibender Prozeß beschrieben, während die Kunst wegen ihrer Ausrichtung auf die Herstellung eines Werks eher statischen Charakter haben soll71. 70 71
Classen, S. 83; ähnlich Pieroth/Schlink, Rdnr. 624. Trute, S. 126.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
235
Auch wird der Forschung eine stärkere innewohnende Konfliktträchtigkeit bescheinigt. Sie entfalte größere Wirkungen auf die Umwelt als Kunst72. Gegen eine Heranziehung der Kunstfreiheit als „Referenzgrundrecht“ der Forschungsfreiheit wendet sich insbesondere A. Blankenagel. Er sieht einen strukturellen Unterschied73 zwischen den beiden Grundrechten. Wissenschaft und Forschung beschreibt er als „selbstgenügsames System“, das – in sich abgeschlossen – seine Ergebnisse in die Gesellschaft selbst transferiere74. Kunst sei dagegen auf „spezielle Vermittler“ angewiesen, die für einen Kontakt zur Gesellschaft erforderlich seien75. Statt dessen regt A. Blankenagel die Heranziehung der Pressefreiheit als Referenzgrundrecht an. Allerdings liegt seinen Überlegungen76 zur Parallelisierung der beiden Grundrechte ein anderer Vergleichspunkt zugrunde. Er sieht zutreffend deren Ähnlichkeit im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen „Organisation und Organisationsmitglied“77. Im Zusammenhang mit der noch zu erörternden Frage der Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen wird auf diesen Ansatz zurückzukommen sein78. Die gegen eine Vergleichbarkeit von Forschungs- und Kunstfreiheit vorgebrachten Einwände sind fragwürdig. Die Aussage, Forschung stelle eher einen Kommunikationsprozeß dar, während sich Kunst eher statisch gebe, verkennt, daß Kunst sowohl in ihrer Entstehung (Werkbereich) als auch in ihrer Vermittlung nach außen (Wirkbereich) stark prozeßorientiert ist. So beschreibt Scholz beide Grundrechte zutreffend als auf eine Vielzahl geistig-autonomer und kommunikativer Erkenntnis- und Vermittlungsprozesse bezogen79. In der Tat stellt sich bereits die Erstellung eines Kunstwerkes oft als ein Interaktionsvorgang zwischen Künstler und Gesellschaft dar. Besonders augenfällig wird das bei Formen der Aktionskunst, die Zuschauer in der Weise einbinden, daß sie durch eigene Vorschläge aktiv oder allein durch ihr Verhalten, dann eher passiv, den Künstler zu bestimmten Werkhandlungen inspirieren.
72
Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (223). Einen strukturellen Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft im Hinblick auf die institutionelle Prägung sieht auch Knies, S. 189. 74 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (97 f.). 75 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (97). 76 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (98 f.); auch M. Blankenagel, S. 193 f. und Kleindiek, S. 236 f. ziehen Vergleiche zur Presse-/Rundfunkfreiheit, wobei auch ihre Bezugspunkte nicht im Bereich der wirtschaftlichen Verwertung, sondern des Charakters als Organisationsrecht bzw. der Gestaltung des Innenverhältnisses liegen. 77 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (98); ähnlich M. Blankenagel, S. 151. 78 Siehe unten 5. Teil A. I. 79 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 87. 73
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Auch die Annahme, Kunst wirke durch spezielle Vermittler in die Gesellschaft hinein, wohingegen die Wissenschaft den Transfer ihrer verwertbaren Ergebnisse selbst übernehme, ist in ihrer Absolutheit nicht zutreffend. Sie ist zu sehr auf die Form der Präsentation von Kunst bezogen, die in Galerien und in Museen erfolgt80. Das ganze Spektrum von Straßenkunst bis hin zur exklusiven Präsentation im eigenen Atelier wird nicht berücksichtigt. Auch der Eigenvertrieb, sei er wirtschaftlich motiviert oder sei er nicht erwerbsorientiert, sollte als Form des Kunsttransfers nicht außer acht gelassen werden. Umgekehrt greift die Wissenschaft beim Transfer ihrer Ergebnisse in die Gesellschaft im allgemeinen und in die Wirtschaft im besonderen auf die Unterstützung von Vermittlern zurück. Als Beispiel sei nur die „Verwertungsgesellschaft Garching Instrumente GmbH“ genannt, welche die in Instituten der Max-Planck-Gesellschaft gemachten Erfindungen und entwikkelte Geräte und Meßinstrumente vermarktet81. Ebenso werden an bzw. im Umfeld von Hochschulen Transferstellen gegründet82, die Vermittlerfunktion haben. Auch die Bedeutung von Buch- und Zeitschriftenverlagen, die oftmals erst die Weiterverbreitung von Forschungsergebnissen über die Lehre hinaus ermöglichen, läßt die Ablehnung einer Vergleichbarkeit zwischen Kunst- und Forschungsfreiheit im Hinblick auf die Abhängigkeit von Mittlern zweifelhaft erscheinen. Die Wesensverwandtschaft zwischen Forschungs- und Kunstfreiheit besteht nicht nur im Hinblick auf die erforderliche Kreativität des betreffenden Verhaltens und auf die Gefährdungen durch gesellschaftliche Einflußnahmen83, sondern ist bereits der Struktur nach vorhanden84. Weniger ausschlaggebend ist diesbezüglich, daß sich die Begriffe Wissenschaft und Kunst bis weit in das 18. Jahrhundert nicht gegenüber standen, sondern ein und denselben Gegenstand bezeichneten85. Relevanter für die verfassungsrechtliche Auslegung ist daneben die Normierung beider Grundrechte im gleichen Absatz des Art. 5 GG. Auch der Blick auf die Vorgängerregelungen in Art. 142 Weimarer Reichsverfassung 80
Siehe auch Sachs, Grundrechte, S. 317. Zu dieser Verwertungsgesellschaft Majer, S. 89. 82 Schuster, S. 320; auch FAZ Nr. 114 v. 18.05.2002, S. 67 („Partnerschaften auf Gegenseitigkeit“). 83 Auf diese Punkte beschränkte Parallelisierung bei A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (97). Beide Grundrechte geben nach Häberle, S. 438 „vorletzte Sinngebung und Sinnerfüllung“ für den einzelnen Bürger frei. 84 Dickert, S. 136; Hailbronner, S. 71 f.; Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner, S. 303; Losch, S. 113; wohl auch Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1239). Alle jedoch ohne nähere Begründungen. Auch Köttgen, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner, S. 303 sieht trotz inhaltlicher Unterschiede eine struktureller Verwandtschaft. 85 Zu der historischen Begriffsverwandtschaft siehe von Moltke, S. 21. 81
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237
und § 152 Paulskirchenverfassung offenbart die dem Nebeneinander der Grundrechte zugrundeliegende Einschätzung mehrerer Verfassungsgeber, daß die Grundrechte eine gewisse Ähnlichkeit miteinander besitzen86. Die Grundrechte unterliegen, bis auf die durch die Treueklausel des Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG zusätzlich begrenzte Lehrfreiheit, der gleichen Art verfassungsimmanenter Begrenzungen. Beide sind nicht mit einem Gesetzesvorbehalt versehen, und Verkürzungen können nur durch kollidierende Verfassungsgüter gerechtfertigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zur Forschungsfreiheit wie selbstverständlich auf die in der „Mephisto“-Entscheidung87 entwickelten Grundsätze der Schranken der Kunstfreiheit Bezug genommen88 und damit ebenfalls seine Auffassung von der Vergleichbarkeit der beiden Grundrechte dokumentiert. bb) Schutz der Verwertungshandlungen bei der Kunstfreiheit Bei den Ausdrucksformen, die Kunst annehmen kann, wird ganz überwiegend differenziert zwischen dem sogenannten Werkbereich einerseits und dem sogenannten Wirkbereich andererseits. Teilweise werden die Begrifflichkeiten auch bei der Forschungsfreiheit benutzt89. Dabei bezeichnet der Werkbereich die Sphäre der Produktion, des Schaffens des Kunstwerks90. Der Wirkbereich stellt die Sphäre der Kommunikation dar und umfaßt Darbietung, Verbreitung und sonstige kommunikative Vermittlung des fertig gestellten Kunstobjektes91. Die Trennung zwischen beiden Ausdrucksformen ist in Teilbereichen schwer zu ziehen. So wird beispielsweise bei der Baukunst bereits in der Realisierung des Bauwerks ein Akt der Darstellung gesehen92.
86
Ebenso Knies, S. 188 f. zur WRV. BVerfGE 30, 173 (188). 88 Siehe vor allem die Leitenscheidung BVerfGE 35, 79 (112). 89 So etwa bei Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 79; Losch, S. 115 ff.; Turner, ZRP 1986, 172 (173). 90 BVerfGE 30, 173 (189), 77, 240 (251); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 188; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rdnr. 86; F. Müller, Kunstfreiheit, S. 98; Pernice, in: Dreier, Art. 5 Art. III (Kunst) Rdnr. 25; Sachs, Grundrechte, S. 317; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 17; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 283; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 93. 91 BVerfGE 30, 173 (188 f.), 77, 240 (251); jüngst BVerfG, NJW 2002, 3458 (3459); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 188; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rdnr. 86; F. Müller, Kunstfreiheit, S. 98; Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Kunst) Rdnr. 27; Sachs, Grundrechte, S. 317; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 17; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 285; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 93. 92 F. Müller, Kunstfreiheit, S. 127. 87
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Die generelle Schutzbedürftigkeit des Wirkbereichs, also auch der Verbreitungshandlungen wird mit einem untrennbaren Zusammenhang zur Herstellung des Werkes begründet93. Die Schutzwirkung soll aber in ihrem Umfang beschränkt sein, wobei nicht bei allen Stellungnahmen deutlich wird, ob maßgeblich beim Umfang des Schutzbereiches oder bei der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung angesetzt wird. Jedenfalls hält man überwiegend nur die allgemeine Möglichkeit der Verbreitung für geschützt. Solange die Möglichkeit bestehe, die Kunst der Öffentlichkeit überhaupt in zumutbarer und praktisch effektiver Weise zugänglich zu machen, sei den Anforderungen des Schutzes durch die Kunstfreiheit genüge getan94. Die hier relevante Frage, ob auch wirtschaftliche Verwertungswege dem Wirkbereich und damit dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfallen, wird unterschiedlich beurteilt. Einerseits wird Kunst – vor allem mit Blick auf den Kunsthandel und das Verlagswesen – auch als „Ware im marktwirtschaftlichen Sinne“ bezeichnet, die Teil eines „big business“ sei95. Für solche Fälle wird die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG abgelehnt96. Die wirtschaftliche Verwertung einer künstlerischen schöpferischen Leistung liege im thematischen Einzugsbereich der Eigentumsgarantie97. Allerdings läßt diese Einschätzung nicht deutlich genug erkennen, ob nicht jede wirtschaftliche Verwertung im Ergebnis aus dem Schutz herausgenommen werden soll. F. Müllers Aussage zum „big business“ ist nicht ganz klar dahingehend zu deuten, ob sich statt der von ihm ausdrücklich ausgenommenen Verleger und Händler denn die Künstler98 auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen können. Für ein solches Verständnis seiner Stellungnahme spricht, daß er an anderer Stelle das Verbot einer Gemäldeausstellung als Beispiel für eine relevante Beeinträchtigung des „gattungstypischen Gewährleistungsgehalts“ der Kunstfreiheit nennt99. Auch solche Formen des Werkbereiches, die Formen von Werbung betreffen, hält er für schutzbereichsmäßig, sofern sie im praktischen Ergebnis ganz ausgeschlossen werden100. Beide genannten Beispiele weisen eine große Nähe zu wirtschaftlichen Verwertungen auf. Diese Umstände deuten darauf hin, daß F. Müller 93 BVerfGE 30, 173 (189); BVerwGE 84, 71 (74); Denninger, HStR VI, Rdnr. 44; F. Müller, Kunstfreiheit, S. 99; Ossenbühl, NJW 1976, 2104, stellt dagegen auf den institutionellen Charakter der Kunstfreiheit ab. 94 F. Müller, Kunstfreiheit, S. 101. 95 F. Müller, Kunstfreiheit, S. 101. 96 Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft), Rdnr. 47; Wendt, S. 256, 258. 97 Wendt, S. 256; jüngst auch Korte, JA 2003, 225 (229), der von der „Vorzugswürdigkeit“ der Art. 12 und 14 GG spricht. 98 Bei der wirtschaftlichen Verwertung durch den Künstler selbst hält das OVG Münster, GewArch 1987, 235 (236) die Kunstfreiheit für einschlägig. 99 F. Müller, Kunstfreiheit, S. 102. 100 F. Müller, Kunstfreiheit, S. 104.
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ökonomische Aspekte beim Verhalten der Künstler selbst nicht aus dem Schutzbereich ausklammern möchte. Die o. g. Beschränkung des Schutzumfangs der Kunstfreiheit auf die bloß allgemein bestehende Möglichkeit der Verbreitung wird man für die wirtschaftliche Verwertung als Unterfall der Verbreitung erst recht annehmen müssen, so daß nach der Ansicht von F. Müller erst die einer totalen Verwertungssperre gleichkommenden Beeinträchtigungen an der Kunstfreiheit zu messen sind. Uneingeschränkt bejaht wird ein Schutz der wirtschaftlichen Verfügungen dagegen von Erbel und Maunz. Neben den von Erbel „Zentralvorgänge des künstlerischen Schaffens und Publizierens“ genannten Handlungen sollen auch all jene Prozesse geschützt sein, die in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang zu diesen stehen101. Die Aussagen der Vertreter dieser Ansicht lassen jedoch nicht eindeutig erkennen, ob die wirtschaftliche Verwertung noch zu dem Schutzbereich der Kunstfreiheit gezählt wird. Denkbar ist auch, daß der andere mögliche Weg, wirtschaftlichen Verwertungsvorgängen den Schutz der Kunstfreiheit zu gewähren, gewählt wird. In diesem Fall werden Einschränkungen von Verwertungsvorgängen lediglich als relevante mittelbare Beeinträchtigungen des Schutzbereichs der Kunstfreiheit qualifiziert. In einer vermittelnden Sicht werden wirtschaftliche Verwertungshandlungen nur unter bestimmten Voraussetzungen dem Schutz der Kunstfreiheit zugeordnet. Danach müßte mit der Entziehung der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten zugleich die künstlerische Betätigung als solche faktisch ausgeschlossen werden102. Auch die Aussagen der Vertreter dieser Ansicht lassen nicht eindeutig erkennen, ob die wirtschaftliche Verwertung noch zum Schutzbereich gezählt wird oder Einschränkungen der wirtschaftlichen Verwertung lediglich relevante mittelbare Beeinträchtigungen der Kunstfreiheit sind. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der wirtschaftlichen Verwertung von Kunstwerken läßt sich am ehesten der vermittelnden Sicht zuordnen. Im wesentlichen sind die sogenannte „Mephisto“Entscheidung103 und die Entscheidung zum Urheberrecht104 aussagekräftige Leitentscheidungen. In der zeitlich früher ergangenen „Mephisto“-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht in dem vom Adoptivsohn und Alleinerben des verstorbenen Gustaf Gründgens erwirkten Verbot der Veröf101 Erbel, S. 84; Maunz, GRUR 1973, 107 (114), beschreibt die Orientierung des Künstlers an der Verwertung seiner Schöpfung als den „faktischen Regelfall“ 102 OVG Münster, GewArch, 1987, 235 (236); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 18; jüngst und knapp auch Korte, JA 2003, 225 (229). 103 BVerfGE 30, 173 ff. 104 BVerfGE 31, 229 ff.
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fentlichung und des Vertriebs des von Klaus Mann verfaßten Buchs „Mephisto – Roman einer Karriere“ eine relevante Beeinträchtigung des Grundrechts des Verlegers aus Art. 5 Abs. 3 GG gesehen. Dessen Tätigkeit sei eine unentbehrliche Mittlerfunktion, damit das Werk der erzählenden Kunst Wirkung in der Öffentlichkeit entfalten könne105. Damit hat das Bundesverfassungsgericht über das eigentliche künstlerische Schaffen hinaus auch originär wirtschaftliche Handlungen geschützt, sogar die eines Dritten. Die „Urheberrechts“-Entscheidung scheint auf den ersten Blick der Aussage der vorgenannten Entscheidung zu widersprechen. Hier ging es um die Frage, ob die in § 46 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) a. F. vorgenommene Begrenzung der Vergütung des Urheberrechts die Kunstfreiheit und/ oder die Eigentumsgarantie des Urhebers beeinträchtige. § 46 Abs. 1 UrhG schränkte das dem Urheber dem Grunde nach ausschließlich zustehende Verwertungsrecht seiner Werke dahingehend ein, daß die Verwertung durch Dritte vergütungsfrei erfolgen konnte, wenn die Werke in eine Sammlung aufgenommen wurden, welche Werke eine größere Anzahl von Urhebern vereinigte. Das galt jedoch nur dann, wenn die Sammlung ihrer Beschaffenheit nach für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch bestimmt war. Im Ergebnis nahm das Gericht eine Zuordnung der Verwertungshandlungen zum Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG vor, weil § 46 UrhG das Erscheinen des Werks voraussetze und damit nicht die künstlerische Tätigkeit und auch nicht die Möglichkeit, ihr Ergebnis in der Öffentlichkeit zu verbreiten, beeinträchtige106. Jedoch ließ das Gericht erkennen, daß es durchaus eine enge Beziehung zu der künstlerischen Betätigung sah. So heißt es in der Entscheidung, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung sei die „unlösbare Verbindung von persönlich-geistiger Schöpfung mit ihrer wirtschaftlichen Auswertbarkeit“ gebührend zu berücksichtigen107. Eine klare dogmatische Zuordnung, wie diese Berücksichtigung in der Entscheidung erfolgte oder wie sie später einmal zu erfolgen habe, blieb aber aus. Statt dessen wird in der Entscheidung – mangels Vorliegens der Voraussetzungen – ausdrücklich offen gelassen, ob die Kunstfreiheit einschlägig sei, wenn die wirtschaftliche Verwertung des Werkes durch ein Gesetz derart beschränkt würde, daß die freie künstlerische Betätigung praktisch nicht mehr möglich wäre108. Angesichts der letztgenannten Aussage, die sich aber keineswegs als Distanzierung von der Entscheidung im vorherigen Band verstehen läßt, scheint das Bundesverfassungsgericht der oben genannten Auffassung zu sein, nur die Gewährleistung der allgemeinen Möglichkeit der 105
BVerfGE 30, 173 (191). BVerfGE 31, 229 (239). 107 BVerfGE 31, 229 (239 f.). 108 BVerfGE 31, 229 (240); ähnlich offen auch BVerfGE 49, 382 (392). Jüngst BVerfG, NJW 2002, 3458 (3459). 106
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Verbreitung sei vom Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG erfaßt. Beschränkungen der wirtschaftlichen Verwertung wären demnach allenfalls dann eine Verkürzung der Kunstfreiheit, wenn sie sich wie ein generelles Verbreitungsverbot auswirkten. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dem hier untersuchten Problemkreis festgestellt, daß zwischen der Herstellung und der wirtschaftlichen Verwertung eines Kunstwerkes eine „unauflösliche Verknüpfung“ bestehe109. Der Straßenkünstler, der Schattenrißbilder herstelle, könne seine Modelle nur dort finden und an den Porträtierten verkaufen, wo sich Menschen in größerer Zahl befänden. Ohne die Möglichkeit, den Scherenschnitt wirtschaftlich zu nutzen, würde mit anderen Worten die schöpferische Handlung unterbleiben, so daß die Verwertungshandlungen dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG unterfallen müßten. Das Bundesverwaltungsgericht hat – anders als das Bundesverfassungsgericht – ausdrücklich ausgeführt, daß es Verwertungshandlungen dadurch von der Kunstfreiheit geschützt sieht, daß es diese durch weite Auslegung in den Schutzbereich einbezieht. Die andere dogmatische Möglichkeit, Verwertungshandlungen durch Art. 5 Abs. 3 GG zu schützen, nämlich Einschränkungen dieser Handlungen als mittelbare Beeinträchtigung der Kunstfreiheit zu betrachten, wurde nicht erörtert. Das Gericht zieht mit dieser Entscheidung den Schutz der Kunstfreiheit auch aus einem anderen Gesichtspunkt weiter als das Bundesverfassungsgericht. Jedenfalls hat es die in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wohl entscheidende Abgrenzung des grundrechtlichen Schutzes danach, ob ein generelles Verwertungsverbot besteht oder lediglich der Modus der Verwertung beschränkt wird, nicht übernommen. Zusammenfassend läßt sich der Meinungsstand zum Schutz der wirtschaftlichen Verwertungshandlungen von Kunstwerken als durchaus gemischt bezeichnen. Überwiegend werden aber Einschränkungen solcher Handlungen nicht per se als von der Kunstfreiheit nicht geschützt angesehen. Nicht immer eindeutig ist jedoch ob der Schutz der Verwertungshandlandungen über eine weite Schutzbereichsauslegung oder über die Annahme einer relevanten mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung erreicht wird. Teilweise wird als Voraussetzung aufgestellt, daß die Einschränkungen der Verwertungshandlungen geeignet sein müssen, die künstlerische Betätigung als solche auszuschließen, was regelmäßig bei einem generellen Verwertungsverbot der Fall sein soll.
109
BVerwGE 84, 71 (74).
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b) Pressefreiheit Auch die Pressefreiheit läßt sich im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung als Referenzgrundrecht heranziehen. Anders als bei der Kunstfreiheit ist die Vergleichbarkeit mit der Forschungsfreiheit weniger umstritten bzw. wird nicht diskutiert. Teilweise wird sie sogar noch als der Forschungsfreiheit im Vergleich zur Kunstfreiheit näherstehend eingeschätzt110. Es sind im wesentlichen zwei Aspekte der Pressefreiheit, auf die im vorliegenden Problemzusammenhang der Blick zu lenken ist. Zum einen wird der Schutzbereich personell und sachlich weit über den Kern der eigentlichen Pressearbeit ausgedehnt. Zum Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG werden alle Handlungen gezählt, die nicht nur beiläufig zur Verbreitung des gedruckten Wortes beitragen111. Um des Schutzes der freien Presse willen ist damit auch der Schutz der organisatorischen und wirtschaftlichen Hilfstätigkeiten (Anschaffung von Maschinen und Papier, Post-, Botenzustellung, Vertrieb112) gewährleistet. Dabei handelt es sich um presseunspezifische Tätigkeiten113, also solche ohne Inhaltsbezug, die isoliert betrachtet der Berufsfreiheit oder der allgemeinen Handlungsfreiheit zuzuordnen sind. Da aber ohne diese presseunspezifischen Tätigkeiten die Ausübung der Pressefreiheit nicht möglich wäre114, werden sie zur Sicherung von deren Eigenständigkeit in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG einbezogen. Grundrechtsträger der Pressefreiheit sind dabei sogar Verleger, Produzenten und Vertriebsunternehmer115. Die Pressefreiheit ist neben der gerade beschriebenen personellen und sachlichen Ausdehnung auf die verschiedenen Stationen des Verbreitungsweges unter einem zweiten vergleichenden Blickwinkel für die Frage des Schutzes der wirtschaftlichen Verwertung von Forschungsergebnissen relevant. Noch deutlicher an die Phase der wirtschaftlichen Verwertung heran kommt die Einbeziehung von bestimmten Teilen der wirtschaftlichen Grundlage der Presse. Während das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung „Südkurier“ noch ausdrücklich offen gelassen hat, ob über den Schutz des Anzeigenteils einer Zeitung hinausgehend auch die Einnahmen aus dem Anzeigenteil von der Pressefreiheit geschützt sind116, hat es in 110 A. Blankenagel, AöR 125 (2000), 70 (98 f.); M. Blankenagel, S. 193 f.; Kleindiek, S. 236 f. Diese Aussagen beschränken sich allerdings auf die institutionelle Ausgestaltung von Presse- und Forschungsbetrieb. 111 Siehe oben 3. Teil B. I. 4. b) gg). 112 Zur Reichweite siehe schon BVerfGE 10, 118 (121). 113 BVerfGE 77, 346 (354 f.). 114 Von der Gefahr des Leerlaufens spricht Lerche, Pressekonzentration, S. 78. 115 Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 75. Siehe auch bereits oben 3. Teil B. I. 4. b) gg).
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einer späteren Entscheidung117 den Schutzbereich ausdrücklich weiter gezogen. Nach dieser zustimmungswürdigen Ansicht des Gerichts gehört auch die Verwertung der Einnahmen aus dem Anzeigenteil zum von der Pressefreiheit geschützten Verhalten. Für das Bestehen einer vom Staat unabhängigen Presse – so das Gericht – müsse auch deren unentbehrliche wirtschaftliche Grundlage entsprechend geschützt werden118. Diese Feststellung gilt um so mehr, als in der heutigen Gesellschaft die Verwirklichung der Pressefreiheit kaum noch durch Einzelpersonen möglich ist. Der Zusammenschluß wirtschaftlich potenter Einheiten ist regelmäßig erforderlich, um die Voraussetzungen für die Grundrechtsausübung zu erlangen119. c) Religionsfreiheit Bei der Prüfung des Schutzes der Erkenntnissuche, die mit Verwertungsabsicht betrieben wird, konnten Vergleichsfälle bei der Religionsfreiheit, in denen eine religiös-rituelle Handlung vorgenommen wird, um sie selbst oder deren Ergebnis zu verwerten, nur im Bereich der Auseinandersetzung mit dem Gebaren neuartiger, insbesondere sektenartiger Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gefunden werden120. Auch der Fall des Vertriebs einer religiösen Schrift, der nur nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützt werden soll121, ist vorliegend nicht einschlägig, denn das Verfassen der Schrift ist keine religiöse Betätigung, so daß diese Tätigkeit nicht die wirtschaftliche Verwertung einer religiösen Handlung ist. Die religiösen Handlungen und ihre Verwertung fallen in den oben diskutierten Fällen der Tätigkeiten der neuartigen Religionsgemeinschaften zusammen. Anders als bei der Forschung, wo eine zeitliche und organisatorische Trennung möglich ist, stellt sich die Durchführung von Seminaren zur Lebensführungshilfe gegen Entgelt zugleich als Verwertung dar, so daß auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden kann. Im Ergebnis ist damit nach der überwiegenden Dogmatik zur Religionsfreiheit unter der oben dargelegten Skepsis hinsichtlich des tatsächlichen Hintergrunds der analysierten Stellungnahmen der Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1, 2 GG für Verwertungshandlungen nicht eröffnet. 116
BVerfGE 21, 271 (279 f.). BVerfGE 64, 108 (114). 118 BVerfGE 64, 108 (114). Ähnlich Scholz, Pressefreiheit, S. 128, der auf die Interdependenz zwischen privat-, arbeits- und wirtschaftsrechtlicher Strukturen (allerdings nur) des inneren Presseverhältnisses einerseits und den kommunikationsrechtlichen Aspekten andererseits hinweist. 119 Faller, WRP 1983, 1029 (1031). 120 Siehe oben 3. Teil B. I. 4. b) cc). 121 Bachof, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, S. 170. 117
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
d) Zwischenergebnis Die systematische Betrachtung führt insgesamt also zu folgendem Ergebnis: Während bei der Religionsfreiheit vergleichbare Fälle fehlen, wird die wirtschaftliche Verwertung eines Kunstwerks der Kunstfreiheit zugeordnet, wobei nicht immer danach differenziert wird, ob der Schutzbereich weit auszulegen ist oder Einschränkungen der Verwertungshandlungen mittelbare Beeinträchtigungen der Kunstfreiheit sind. Auch bei der Pressefreiheit werden presseunspezifische Handlungen im Schutzbereich gesehen. 4. Keine erweiterte Auslegung des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit Nach dem Ergebnis der systematischen Auslegung eröffnen sich zwei denkbare Wege, wie der Schutz von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen durch die Forschungsfreiheit zu erreichen ist. Zum einen könnte der Schutzbereich der Forschungsfreiheit weit zu bestimmen sein. In systematischer Hinsicht könnte sich dieser Ansatz auf die vergleichbare Dogmatik bei der Pressefreiheit stützen. Zudem kann Bezug genommen werden auf die wenigen Aussagen zur Kunstfreiheit, die den Schutz von Verwertungshandlungen ausdrücklich über eine Schutzbereichslösung begründen. Auch der Grundsatz, daß diejenige Grundrechtsauslegung zu wählen ist, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet122, könnte für ein weites Verständnis des Schutzbereiches der Forschungsfreiheit sprechen. Zum anderen kann der Schutz von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen durch die Forschungsfreiheit auch dann erreicht werden, wenn die Verwertungshandlungen nicht dem Schutzbereich zugeordnet werden. Möglich ist ebenfalls, den Schutzbereich eng zu verstehen und nur die eigentliche Forschungstätigkeit einzubeziehen. Die Forschungsfreiheit könnte dann mittelbar dadurch beeinträchtigt werden, daß die Verwertungshandlungen eingeschränkt werden. Dieser Lösungsansatz kann sich auf die vergleichbare Handhabung bei der Kunstfreiheit berufen. Zutreffend dürfte es sein, den Schutz von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen durch die Forschungsfreiheit nicht auf dem Wege einer weiten Schutzbereichsinterpretation zu erreichen und statt dessen zu prüfen, ob Einschränkungen der Verwertungshandlungen als relevante mittelbare Beeinträchtigungen des Grundrechts zu qualifizieren sind. Für diesen Weg 122 BVerfGE 6, 55 (72); siehe auch das weite Tatbestandsverständnis von Höfling, S. 75 f., 177.
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spricht zum einen, daß eine weite Auslegung der Begriffe Wissenschaft und Forschung, die Verwertungshandlungen erfaßt, mit dem doch überwiegend anerkannten Begriffsverständnis nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist. „Wissenschaft“, wie sie durch das Bundesverfassungsgericht unter weitgehender Zustimmung der Literatur als alles definiert wird, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist123, ist begrifflich deutlich von Verwertungshandlungen unterscheidbar124. Diese betreffen ja gerade Verwertungen der „gefundenen Wahrheit“, also der Erkenntnisse. Geht man davon aus, daß die Forschungsfreiheit im Ergebnis nur um der freien Erkenntnisgewinnung willen gewährleistet ist125, dann liegt es nahe, den Schutzbereich auf die Tätigkeit der Erkenntnissuche zu konzentrieren. Zum anderen kann sich die Lösung über den Weg der mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung auf eine klarere dogmatische Grundlage stützen. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang Verwertungsmöglichkeiten (mittelbar) durch die Forschungsfreiheit geschützt werden. Zur Beantwortung dieser Frage kann auf die allgemeinen Kriterien zurückgegriffen werden, die zur Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung entwickelt wurden126. Insgesamt ist danach festzuhalten, daß die Verwertung von Ergebnissen von Forschungstätigkeit nicht in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit fällt.
123 BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367); 90, 1 (12); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 205; Classen, S. 74; Kirchhof, Wissenschaft, S. 2; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 10; Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (115 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 91; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 100. 124 So auch M. Blankenagel, S. 80; Dickert, S. 411 f.; von Kirchbach, S. 204; Philipp, S. 183; Thieme, DÖV 1994, 150 (155). Allerdings ziehen die Autoren eine mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch Einschränkungen der Verwertungshandlungen nicht in Erwägung. 125 Dazu Starck, FS Zeidler, S. 1550; ders., in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 375; Trute, S. 102 (zur Ressortforschung). Dickert, S. 411 f. und Losch, S. 120 nähern sich dem nur ansatzweise. 126 Siehe oben 3. Teil B. II. 1.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
II. Relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 4 AMG 1. Vorwirkungen von Einschränkungen wirtschaftlicher Verwertungshandlungen als Beeinträchtigungen der Erkenntnissuche Gleichwohl ist mit dem Zwischenergebnis, daß wirtschaftliche Verwertungshandlungen nicht dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit zuzuordnen sind, nicht gesagt, daß Einschränkungen der Verwertungshandlungen nicht von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützt werden könnten. Die generelle Möglichkeit, daß solche Einschränkungen mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein können, wurde soeben bereits angesprochen. Losgelöst von der dogmatischen Einordnung von Einschränkungen der Verwertungshandlungen als eigenes Schutzgut im Schutzbereich oder lediglich als relevante mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung, hat der systematische Vergleich mit der Kunst- und Pressefreiheit nämlich jedenfalls zu dem Ergebnis geführt, daß auch die forschungsunspezifischen Verwertungshandlungen unter Umständen des Schutzes der Forschungsfreiheit bedürfen können. Einschränkungen wirtschaftlicher Verwertungshandlungen – wie die Zulassungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 4 AMG – sind typischerweise keine „klassischen“ Eingriffe in die Forschungsfreiheit. Wie erwähnt, wird für einen solchen Eingriff verlangt, daß die Grundrechtsverkürzung imperativ, also durch Befehl und Zwang, final, also zielgerichtet, unmittelbar und als Rechtsakt auf den Grundrechtsträger wirkt127. Notwendig für einen Eingriff im klassischen Sinne wäre hier insbesondere, daß der staatliche Befehl (hier: Zulassungsverbot) ein zum Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zählendes Verhalten betrifft. Die Voraussetzungen zur Zulassung eines Arzneimittels sind jedoch keine rechtsverbindliche Gestaltung der Erkenntnissuche. Die eigentliche Forschungstätigkeit selber bleibt von einer imperativen Versagung der Zulassung eines Arzneimittels unberührt. Erst das Hinzutreten weiterer Umstände führt dazu, daß unter Umständen die Erkenntnissuche beeinträchtigt wird. Ein Akt der öffentlichen Gewalt kann nach den Ausführungen zum dritten Teil auch dann eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung sein, wenn er nicht die Merkmale des „klassischen“ Eingriffsbegriffs erfüllt. Als ausreichend zur Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung wurde in Fällen staatlicher Alleinverursachung das Bestehen einer Kausalität zwi-
127
Siehe oben 3. Teil B. II. 1.
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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schen staatlicher Tätigkeit und Verkürzung des Grundrechtsschutzes angesehen128. Die Besonderheit im hier untersuchten Fall liegt darin, daß die Einschränkungen der Verwertungsphase zeitlich nach der grundrechtlich geschützten Tätigkeit der Erkenntnissuche liegen. Einschränkungen der Verwertungshandlungen von Forschungsergebnissen können demnach auf die Erkenntnissuche nur vorwirken und so eine mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit darstellen. Dieser Zusammenhang zwischen Einschränkungen der Verwertungsphase und mittelbarer Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit wird im folgenden durch den Begriff des Vorwirkungszusammenhangs gekennzeichnet, ohne daß damit eine neue eigenständige Kategorie der Grundrechtsbeeinträchtigung gebildet werden soll. Der Begriff der Vorwirkung wird insbesondere von Kloepfer gebraucht, der ihn jedoch anders verwendet. Zum einen versteht er unter „Grundrechtsvorwirkung“ einen „chancensichernden“ Schutz der tatsächlichen Voraussetzungen der Grundrechte129. Zum anderen hat er untersucht, ob ein künftiges Gesetz im Sinne einer Vorwirkung bereits vor seinem erwarteten oder möglichen Inkrafttreten Wirkungen entfalten kann und darf130. Als Unterfälle der Vorwirkungen nennt Kloepfer das Abwarten künftiger Gesetze, die Voranwendung und die Vorberücksichtigung von Gesetzen131. Ein Kausalzusammenhang (=Vorwirkungszusammenhang) zwischen Einschränkungen der Verwertungshandlungen und Beeinträchtigungen der Erkenntnissuche – der sogar die Anforderungen an die Adäquanz erfüllt – besteht in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird Forschung insgesamt, also nicht nur die industriell betriebene, u. a. in der Zielsetzung ausgeübt, über die Gewinnung der Wahrheit um ihrer selbst willen – „la science pour la science“ – hinaus außerhalb der Wissenschaft etwas zu bewirken (unten a)). Zum anderen ist es zur Finanzierbarkeit des vor allem in den Naturwissenschaften teuren Erkenntnissuchprozesses unerläßlich, daß eine wirtschaftliche Verwertbarkeit nicht übermäßig beschränkt wird. Andernfalls würde Forschungstätigkeit „austrocknen“ (unten b)) Im Anschluß an diese grundsätzliche Darlegung der Voraussetzungen einer mittelbaren Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit werden verschiedene Kriterien untersucht, die es erlauben, das Vorliegen einer mittelbaren Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit näher zu bestimmen (unten d)).
128
Siehe oben 3. Teil B. II. 1. Kloepfer, Bestandsschutz, S. 21. 130 Kloepfer, Vorwirkung, S. 1 f. Weitere Nachweise zum Gebrauch des Begriffes Vorwirkung ebd. 131 Kloepfer, Vorwirkung, S. 56 ff., 94 ff., 161 ff. 129
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
a) Verwertungsmöglichkeit als Voraussetzung für Zweckforschung Der Einwand, die Verwertungshandlungen seien indifferent zur Erkenntnissuche, und folglich sei ihr Schutz durch die Forschungsfreiheit nicht gerechtfertigt132, trägt nicht. Die Möglichkeit einer mittelbaren Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit wird häufig insofern ausgeblendet, als Verwertungshandlungen (nur) als forschungsunspezifisch qualifiziert werden133. So ist es nicht zweckmäßig, wenn das Bundesverfassungsgericht bei der – zutreffenden – Feststellung, wirtschaftliche Werbung für Erkenntnisprodukte sei ihrer Natur nach schon kein ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit, also keine Wissenschaft134, stehenbleibt. In der Tat kann kein Zweifel bestehen, daß die Verwertungshandlungen nicht mehr zur eigentlichen Erkenntnissuche gehören135. Mit der Frage, inwieweit gleichwohl eine Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch Einschränkungen forschungsfremder Handlungen möglich ist, hat sich das Gericht nicht beschäftigt. Bei der Untersuchung der mit Verwertungsabsicht vorgenommenen Forschung wurde bereits136 festgestellt, daß Erkenntnissuche in der gesellschaftlichen Realität nicht nur um ihrer selbst willen betrieben wird. Im dritten Teil dieser Arbeit wurde jedenfalls die Zulässigkeit von ökonomischen Motiven im besonderen und damit von wissenschaftsexternen Faktoren insgesamt abgeleitet. Der Untersuchungsgegenstand an dieser Stelle geht jedoch noch weiter: Es ist darzustellen, daß externe Motivationen nicht nur unschädlich, sondern sogar ganz typisch für die moderne Forschung sind und die Möglichkeit einer freien Realisierung der Motivation auf den Prozeß der Erkenntnissuche vorwirkt. Das gilt in ganz besonderer Weise für die medizinische Forschung. Dieser Argumentationsweg ist nicht etwa schon ausreichend belegt durch das im dritten Teil gefundene Ergebnis, daß die Verwertungsabsicht für die Eröffnung des Schutzbereiches unschädlich ist. Das wäre nur dann anders, wenn man aus diesem Ergebnis ganz allgemein den weitergehenderen Schluß ziehen könnte, die verfassungsrechtliche Anerkennung eines Zwecks der Erkenntnissuche müsse dazu führen, daß auch dasjenige Verhalten in den Schutz des Grundrechts einbezogen werden müsse, das letztlich die Realisierung eben dieses Zwekkes darstellt. Für eine solche Argumentation könnte sich zwar anführen lassen, daß, wenn die Freiheit zur Wahl des Erkenntniszieles mehr sein soll 132
Siehe oben I. 2. a). Siehe oben I. 2. a). 134 BVerfGE 71, 162 (176). 135 Insofern ist die Aussage von Philipp, S. 183, die Teilhabe an Vermarktungschancen sei nur in zweiter Linie eine Forschungsvoraussetzung, zutreffend. 136 Siehe oben 3. Teil B. I. 4. a) aa) (1) (bb). 133
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als eine Art schrankenlose Gedankenfreiheit, die Realisierung dieses Ziels in einem gewissen Maß geschützt werden müsse. Gegen eine derartige Schlußfolgerung sprechen jedoch mehrere Gründe. Zum einen läßt sich aus ihr nicht konkret ableiten, in welchem Umfang die Realisierungshandlungen von der Forschungsfreiheit mit geschützt werden sollten. Die Notwendigkeit einer Begrenzung liegt dabei aber unmittelbar auf der Hand: Nicht jedes Verhalten, das nur ganz entfernt mit solchen Realisierungshandlungen zu tun hat, verdient den weitgehenden Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG. Außerdem ist aus der Feststellung, das Verfolgen eines bestimmten Zweckes bei der Erkenntnissuche sei unschädlich für die Subsumtion unter Art. 5 Abs. 3 GG, nicht abzuleiten, daß das weitergehendere Verhalten der Realisierung dieses Zweckes gerade von der Forschungsfreiheit geschützt werden müsse. Für dieses könnte – möglicherweise erst ab einer bestimmten Grenze – die Eigentumsgarantie oder die Berufsfreiheit einschlägig sein, so wie es im Ergebnis auch überwiegend vertreten wird. Insgesamt läßt sich also festhalten, daß die Zuordnung von Einschränkungen von Verwertungshandlungen als relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit allein mit der Schlussfolgerung nicht begründet werden kann, es handele sich dabei um eine Beschränkung der Ziele, an dem die Erkenntnissuche zulässigerweise orientiert ist. Die Begründung, weshalb Einschränkungen von Verwertungshandlungen jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sind, ergibt sich vielmehr erst aus dem Vorwirkungszusammenhang, der zwischen der Erkenntnissuche und den äußerlich neutralen Verwertungshandlungen besteht. Der spezifische Zusammenhang zur Forschungsfreiheit ist darin zu sehen, daß gerade in den angewandten Wissenschaften eine große Zielorientierung – unabhängig von bzw. neben ökonomischen Ausrichtungen – besteht, wie nachstehend belegt wird. Beseitigt oder verhindert man also die Möglichkeit, die Ziele überhaupt verwirklichen zu können, fällt eine der Grundvoraussetzungen weg, wegen der Forschung überhaupt betrieben wird. Forschung ist gerade nicht nur auf das Erlangen „reiner Erkenntnisse“ ausgerichtet. Vielmehr ist sie von einem Willen gekennzeichnet, ihre Erkenntnisse auch in die Realität umgesetzt zu sehen. Es läßt sich generell eine enge Verbindung zwischen Theorie und Wirklichkeit feststellen: Eine Trennung von Theorie und Praxis, Grundlagenforschung und Anwendung ist weder logisch noch real möglich137. Die Bewährung einer theoretischen Forschungsarbeit in der Praxis, namentlich in der Technik ist zudem ein wichtiges Regulativ138, an dem der Forscher im Hinblick auf die laufende 137 Graf Vitzthum, FS Lerche, S. 346; Kirchhof, Wissenschaft, S. 8; Schuster, S. 309, 311; zweifelnd auch Tellerbach, S. 4; Wolfrum/Stoll/Franck, S. 25.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Überprüfung seiner Arbeit selber Interesse hat. Eine theoretische Forschungsarbeit, der nicht an einer Beeinflussung der Realität gelegen ist und die auch nicht an der „Nagelprobe“ der praktischen Umsetzung interessiert ist, bezeichnet Kirchhof treffend als „Luftschlange, die sich frei schwebend vergnügt und gefällt“139. In der Regel liegt es im Sinn und Interesse des Forschens, die gewonnenen Erkenntnisse weiterzugeben und zur praktischen Umsetzbarkeit zu verbreiten140. Auch der Wissenschaftsrat setzt auf eine stärkere Orientierung der Forschung nach außen. Er fordert dazu auf, den Praxisbezug zu stärken und stellt fest, es sei genuines Interesse wissenschaftlicher Einrichtungen, mit ihren Forschungsergebnissen nicht nur Beachtung, sondern auch Anwendung zu finden141. Dieses genuine Interesse ist gerade das Bindeglied zwischen Erkenntnissuche und den Verwertungshandlungen. Ganz besonders auf die Wirkung nach außen ist die Arzneimittelforschung bzw. die Medizin im allgemeinen gerichtet. Die Medizin beschränkt sich als angewandte Wissenschaft, die der Heilung und Gesunderhaltung von Menschen dient142, nicht auf das Erkennen von Krankheiten, sondern sucht nach Behandlungsmöglichkeiten. Dieser Zielbestimmung folgend, ist sie darauf angelegt, die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zu verbessern. Damit steuert sie Lösungsmöglichkeiten für medizinisch relevante Probleme in der Gesellschaft bei, in der der Forscher lebt143. Von einer von der übrigen Gesellschaft abgeschotteten und damit nicht auch auf praktische Anwendung orientierten Forschung zu sprechen, wäre angesichts dessen wohl verfehlt. Die Medizin selber würde zum Stillstand kommen, würde sie ihre theoretischen Ergebnisse nicht in der Anwendung überprüfen können144. Auch die Arzneimittelforschung ist – nicht erst durch Zunahme der Ökonomisierung – darauf angewiesen, ihre Produkte aus der Abgeschiedenheit pharmakologisch-chemischer Labore herauszuführen, will sie dem Heil der Menschheit dienen. Sicher existieren auch Beispiele, in denen ein bedeutender Forschritt für eine spezielle Problemstellung erreicht wurde, obgleich die Forschungstätigkeit sich nicht darauf ausgerichtet hat, diese womöglich mit einer ganz an138
Kirchhof, Wissenschaft, S. 8; Tellerbach, S. 15 f., 19. Kirchhof, Wissenschaft, S. 8. 140 Flämig, S. 14 f.; Püttner/Mittag, S. 611; Tellerbach, S. 17 sieht als eigentliche Triebfeder das „Sichauswirken“ von Erkenntnissen in der Realität; Weinert, S. 14. 141 Bei Meusel, WissR 34 (2001), 135 (140 ff.). 142 Von Kirchbach, S. 204 f.; Keller, MedR 1991, 11; Ronellenfitsch, S. 98. 143 Burger, S. 159, 163. 144 Tellerbach, S. 16. 139
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dersartigen Zielbestimmung versehen war. Im Bereich der Medizin ist das beste Beispiel die Entdeckung des Penicillins durch Fleming. Sie erfolgte eher durch Zufall145. Die Folgeforschung im Kreis der Antibiotika ist jedoch in besonderem Maße von konkreten Zwecken geleitet gewesen und ist es immer noch: Es geht dabei insbesondere um die Suche nach neuen Wirkungsbereichen und um das Überwinden möglicher Resistenz der Bakterienstämme gegen bereits im Einsatz befindliche Wirkstoffe. Das übergeordnete Ziel ist dabei, weitergehendere Therapiemöglichkeiten zu schaffen. Ähnlich konkret wird die Antibiotikaforschung mit Blick auf die Konservierung von Lebensmitteln betrieben. Das geschieht auch an den klassischen universitären Stätten. Ob jede dieser auf Anwendung zielenden Forschungstätigkeiten in dem gleichen Maße erfolgen würde, wenn klar wäre, daß die mit ihr beabsichtigen Ziele mangels Verwertbarkeit des Wissens nicht erreichbar wären, ist fraglich. Da der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn typischerweise letztlich in die praktische Anwendung umgesetzt werden soll, würde Forschungstätigkeit oftmals unterlassen, wenn dieser Weg erkennbar nicht möglich wäre146. Damit läßt sich der Einwand, Einschränkungen von Verwertungshandlungen könnten wegen ihrer Wissenschaftsindifferenz keine relevanten Beeinträchtigungen von Art. 5 Abs. 3 GG darstellen, nicht nachvollziehen. Die Möglichkeit der Verwertung wirkt zurück bzw. vor auf den Prozeß der Erkenntnissuche. Ebenso wie bei der Kunstfreiheit147 ist es zum Schutz der freien Forschung geboten, auch die ihr zeitlich nachgelagerten Handlungen dem Schutz des stärkeren Grundrechts zuzuordnen. De facto würde sonst nämlich keine wirtschaftlich motivierte Forschung mehr betrieben, wenn der von Art. 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG vermittelte Schutz nicht ausreicht, mit der Verwertungsmöglichkeit eine Grundvoraussetzung der Wissenschaft zu gewährleisten. Zwischen Erkenntnissuche und Verwertung besteht also weniger ein Spannungsverhältnis148 als vielmehr eine enge Verbindung. Insgesamt hat die Möglichkeit der Verwertung von Forschungsergebnissen eine Vorwirkung motivatorischer Art auf die Forschung dergestalt, daß Einschränkungen der Verwertungsphase eine relevante mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit darstellen.
145
Ebenso M. Blankenagel, S. 102 f. Spranger, ZRP 2000, 285 (288) zu Tierversuchen; ähnlich Lepa, DVBl. 1972, 161 (164). 147 Siehe oben I. 3. a) bb); insbesondere die „Scherenschnitt“-Entscheidung des BVerwG. 148 So aber Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 72. 146
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
b) Verwertungsmöglichkeit als wirtschaftliche Grundlage der Erkenntnissuche Gegen das gerade gefundene Ergebnis ist der Einwand denkbar, die Möglichkeit eines unentgeltlichen Weitergebens der Forschungsergebnisse bestehe jederzeit und sei völlig ausreichend, damit sich der vom Forscher gewählte Zweck, also z. B. der Beitrag zu Problemlösungen oder zum Heilen von Krankheiten, verwirklichen könne. Eine solche Betrachtung verkennt aber gerade die nun zu untersuchende Vorwirkung wirtschaftlicher Art. Diese verknüpft noch intensiver die Ebene der Verwertungshandlungen mit den forschungsspezifischen Handlungen der Erkenntnisgewinnung als die vorgenannte Vorwirkung motivatorischer Art, die sich auf einen Vergleich mit der Kunstfreiheit berufen konnte. Die nun zu diskutierende Vorwirkung kann sich dagegen auf die zur Pressefreiheit entwickelten Dogmatik und auf die teilhaberechtliche Komponente der Forschungsfreiheit stützen. aa) Hohe Kosten von Forschungstätigkeit Die Durchführung von Forschungsarbeiten ist teuer geworden149. Aus eigener Kraft können die notwendigen Mittel oftmals kaum aufgebracht werden150. Dieser Zustand wird beispielhaft bei der Arzneimittelforschung deutlich. Der Grund für den hohen Anteil der pharmazeutischen Industrie an der innovativen Entwicklung151 liegt in den hohen finanziellen Belastungen, die von der universitären Forschung alleine nicht mehr aufgebracht werden können152. Die Kosten für die Erforschung und Entwicklung eines neuen Arzneimittels sind in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen: Während sie 1979 noch bei 136 Mio. US-$ lagen, erreichten sie in den Jahren 1998/2000 500–635 Mio US-$153. Die Dauer der Entwicklung eines neuen Arzneimittels liegt um die 12 Jahre154, so daß hohe (finanzielle) Vorleistungen zu erbringen sind, bevor sich überhaupt Einnahmen aus der Vermarktung eines Arzneimittels einstellen. Erschwerend kommt hinzu, daß 149
Siehe nur Dickert, S. 68; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 155. Bauer, S. 191; Classen, S. 102; Dickert, S. 102; bereits im Jahre 1954 Tellerbach, S. 10. Das gilt insbesondere für die universitäre Forschung, die deswegen auf Drittmittelfinanzierung angewiesen ist, Frieling, GRUR 1987, 407; Lux, S. 36 f. 151 Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 14. 152 Der Spartrend setzt sich fort: Allein die Uniklinik der RWTH Aachen als eines der größten Krankenhäuser Europas erhält im Jahr 2002 700.000 EUR weniger an Mitteln für Forschung und Lehre vom Land NRW, s. WDR-Fernsehen, Lokalzeit Regio Aachen, 02.03.2002. 153 Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, Pharma-Daten 2002, S. 21; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Statistics 2002, S. 29. 150
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einmal erfundene neue Substanzen nicht nur im Bereich der Arzneimittel in der Regel ohne großen Aufwand nachzubauen sind155, wohingegen der erstmalige Forschungs- und Entwicklungsaufwand immens ist. Da sich Forschung und Entwicklung in diesem Bereich zum größten Teil durch den Arzneimittelpreis finanzieren156, ist die Verwertungsmöglichkeit unerläßliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Forschungstätigkeit. bb) Anerkennung der Verfügbarkeit wirtschaftlicher Ressourcen als Grundlage freier Forschung in anderen Bereichen Die Bedeutung der Verfügbarkeit von wirtschaftlichen Ressourcen als Grundlage für die freie Forschungstätigkeit wird im Schrifttum unter anderen Aspekten anerkannt. Beispielsweise wird der Schutz der Forschungsfreiheit auf ökonomische Entscheidungen im Vorfeld der Erkenntnissuche ausgedehnt. So will ein bedeutender Teil der rechtswissenschaftlichen Stellungnahmen den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG auch für solche Tätigkeiten gewähren, die nicht unmittelbar Bestandteil des Erkenntnisprozesses sind, aber als Rahmenbedingungen für diesen unentbehrlich sind157. So präzisiert Classen solche nicht-wissenschaftlichen Tätigkeiten, die für die Erkenntnissuche erforderlich sind, in zweierlei Hinsicht: Zum einen nennt er Entscheidungsbefugnisse im organisatorischen Bereich158. Darunter versteht er insbesondere den Kauf bestimmter Geräte oder Regelungen des Arbeitsverhältnis angestellter Forscher. Zum anderen zählt er solche Fragen zu den wissenschaftsunspezifischen Rahmenbedingungen, die mit der Betätigung von Wissenschaft als Beruf zusammenhängen159. Hierzu gehören beispielsweise Regeln über die Mitbestimmung oder die Absicherung des Personals. Zur Bedeutung von Verwertungshandlungen als weiteren, hier relevanten wissenschaftsunspezifischen Tätigkeiten nimmt Classen keine Stellung. Vielmehr läßt er es an anderer Stelle offen, ob Verwertungsregelungen nicht ausnahmsweise am Maßstab von Art. 5 Abs. 3 GG zu rechtfertigen sind, wenn sie ein „sinnvolles wissenschaftliches Arbeiten unmöglich machen“160. Daß Classen darunter wohl auch den Vorwirkungszusammenhang 154 Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, Pharma-Daten 2002, S. 21; Verband forschender Arzneimittelhersteller, Klinische Forschung, S. 9; ders., Statistics 2002, S. 29. 155 Verband forschender Arzneimittelhersteller, Der Schutz geistigen Eigentums, S. 3, 20. 156 Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, Pharma-Daten 2002, S. 27, 60; ders., Pharma-Daten 2001, S. 53. 157 Classen, S. 76, 102; Losch, S. 115; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 21; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 331. 158 Classen, S. 103 f. 159 Classen, S. 104 ff.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
zwischen Erkenntnissuche und ihrer Finanzierung fassen dürfte, läßt sich darin erkennen, daß er die Möglichkeit der wirtschaftlichen Verwertung des durch die Forschung erworbenen Wissens als häufige Voraussetzung für deren Finanzierung bezeichnet161. Losch setzt bei den Vorbereitungshandlungen in ähnlicher Weise an und subsumiert solche Tätigkeiten, die den Forschungs- und Lehrvorgang erst ermöglichen, unter den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG. Voraussetzung soll aber ein „unmittelbarer objektiv-funktioneller Handlungszusammenhang“ zwischen Vorbereitung und Forschung bzw. Lehre sein162. Teilweise wird die Bedeutung der wirtschaftlichen Verwertung als Stütze der Erkenntnissuche selbst erkannt, im Ergebnis jedoch nicht dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit zugeordnet163. Obwohl beispielsweise Wendt erkennt, daß der wissenschaftlichen Betätigung und Kommunikation in wesentlichen Bereichen die wirtschaftliche Grundlage entzogen würde, wenn den Urhebern die vermögensrechtliche Zuordnung und Sicherung des wirtschaftlichen Wertes (=Verwertung) vorenthalten würde164, sieht er diese Sachverhalte allein durch die Eigentumsgarantie und nicht durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. Daneben erkennt Kleindiek die Bedeutung des die Forschungstätigkeit umhegenden Rahmens an. Seiner gesamten Arbeit liegt die Annahme zugrunde, freie Forschungsausübung sei nur innerhalb eines staatlicherseits (v. a. finanziell und organisatorisch) gesicherten Rahmens möglich165. Jüngst hat auch Lux für die Hochschulforschung fördernde Vergabe von Drittmitteln i. S. v. § 25 Abs. 1 S. 1 HRG angenommen, diese schaffe oftmals überhaupt erst die Voraussetzungen für wissenschaftliche Tätigkeit und freie Methodenwahl166. Daß auch solchen Handlungen die Schutzwirkung der Forschungsfreiheit zukommen muß, die überhaupt erst die Erkenntnissuche ermöglichen, hat – 160
Classen, S. 99. Classen, S. 28; siehe auch von Kirchbach, S. 52. 162 Losch, S. 115 f. 163 Hailbronner, S. 114 (zu Hochschulen); von Kirchbach, S. 52 sieht jedenfalls die Effizienz der Grundrechte von tatsächlichen Voraussetzungen abhängig; Kleindiek, S. 206, 240; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 174, sieht keinen Sinn darin, sich auf die Forschungsfreiheit berufen zu können, wenn die finanziellen, sachlichen oder personellen Möglichkeiten zu deren Ausübung fehlen; Trute, S. 300 f., 125; Wendt, S. 256. In die ähnliche Richtung weist wohl Raabe, S. 50, der den Schutz auch auf solche Personen ausdehnt, die die materielle Basis der Forschungstätigkeit bereitstellen. 164 Wendt, S. 256; ders., in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 63. 165 Kleindiek, S. 206, 240; wohl zustimmend Lux, S. 38. 166 Lux, S. 55. Indes soll nur für „philanthropische Forschungsförderer“ der Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 3 GG gelten, was angesichts der Ergebnisse der Untersuchung im 3. Teil dieser Arbeit nicht einsichtig ist. 161
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für den universitären Bereich – auch das Bundesverfassungsgericht gesehen. Es ist in der Entscheidung zum Niedersächsischen Vorschaltgesetz sogar noch weiter gegangen. Das Gericht hat dem einzelnen Grundrechtsträger ein Recht aus Art. 5 Abs. 3 GG auf solche Maßnahmen zugestanden, die zum Schutz des Freiheitsraums unerläßlich sind, weil sie ihm die freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen167. Damit ist der Teilhabecharakter168 des Grundrechts entwickelt worden. Im Hinblick auf die Relevanz dieses Gewährleistungsinhalts für die Ausstattung der Hochschulen mit Sach- und Personalmitteln hat Rollmann die Schutzgarantie als „ihrer Natur nach finanzorientiert“ qualifiziert169. Der Umfang des Hochschulforschern von Art. 5 Abs. 3 GG gewährten Ausstattungsanspruchs ist im einzelnen strittig170, wobei hinsichtlich des Grundsatzes Einigkeit besteht, daß es einen Anspruch auf Maximalausstattung im Sinne dessen, was erstrebenswert ist, nicht geben kann171. Die Bedeutung einer staatlichen (finanziellen) Unterstützung der Wissenschaft und damit auch die hier interessierende Bedeutung der Sicherung des wirtschaftlichen Rahmens allgemein, ist bereits in der Weimarer Reichsverfassung normiert gewesen. Art. 142 S. 2 Weimarer Reichsverfassung sah nicht nur vor, daß der Staat Wissenschaft und Lehre Schutz gewährt, sondern forderte auch dessen Teilnahme an deren Pflege. Auch Art. 158 Weimarer Reichsverfassung stellte in seinem Absatz 1, das Recht der Künstler unter den Schutz und die Fürsorge des Reiches. In seinem Absatz 2 wurde dem Staat die Verpflichtung auferlegt, den Schöpfungen deutscher Kunst durch zwischenstaatliche Vereinbarung auch im Ausland Geltung und Schutz zu verschaffen172. Eine ausdrücklich fördernde Verantwortung des Staates, ähnlich wie Art. 142 S. 2 Weimarer Reichsverfassung, enthalten auch die Landesverfassungen Bayerns, Niedersachsens und NordrheinWestfalens (Art. 140 Abs. 1 Verf. Bayern173, Art. 5 Abs. 1 Verf. Niedersachsen174, Art. 18 Abs. 1 Verf. Nordrhein-Westfalen175). Ebenso ergibt 167
BVerfGE 35, 79 (116); 43, 242 (285). Siehe bereits oben 3. Teil B. I. 4. c) bb) (2). 169 Rollmann, S. 34. 170 Hinsichtlich der Schwierigkeiten, überhaupt den Mittelbedarf in der Forschung zu bestimmen, siehe Hailbronner, S. 272 ff.; ähnlich Bauer, S. 199 ff. 171 BVerfGE 35, 79 (112 f., 115 f.) spricht von für die Grundrechtsausübung „unerläßlicher“ Ausstattung; Bauer, S. 191 ff.; Hailbronner, S. 272; Rollmann, S. 36. 172 Zu den grundrechtlichen Problemen hoheitlicher Kunstförderung siehe Höfling, DÖV 1985, 387 (390 ff.). 173 Art. 140 Abs. 1 Verf. Bayern lautet: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind vom Staat und von den Gemeinden zu fördern.“ 174 Art. 5 Abs. 1 Verf. Niedersachsen lautet: „Das Land schützt und fördert die Wissenschaft.“ 168
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
eine rechtsvergleichende Betrachtung, daß drei der insgesamt sechs Verfassungen europäischer Mitgliedstaaten, die überhaupt eine ausdrückliche Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit enthalten, den Staat zur Förderung und Unterstützung der Wissenschaft verpflichten (so Art. 16 Abs. 1 Verf. Griechenland176, Art. 9 Abs. 1 Verf. Italien177, Art. 73 Abs. 4 Verf. Portugal178; in der österreichischen Verfassungsrechtsprechung wird eine Teilhaberechtsfunktion dagegen abgelehnt179). cc) Folgerungen für den Schutz der Verwertungshandlungen Obgleich also in breiter Front, in weiten Teilen des Schrifttums, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in anderen Verfassungstexten die Bedeutung einer gesicherten wirtschaftlichen Grundlage für die Erkenntnissuche erkannt wird und vergleichbare Konstellationen bei anderen Grundrechten mit einer weiten Schutzbereichsinterpretation oder der Annahme einer mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung gelöst werden, wird die hier gezogene Schlußfolgerung, die selbst geschaffene wirtschaftliche Grundlage abwehrrechtlich zu schützen, nicht getroffen. Dabei liegt es nahe, den Schutz der wirtschaftlichen Grundlagen gerade dadurch zu erreichen, daß man Einschränkungen der Verwertung derjenigen Vorgänge, die Kerngegenstand des Schutzbereichs sind, als Beeinträchtigungen des Grundrechts wertet. Die Nähe zwischen Verwertung und Erkenntnissuche besteht nicht nur in Form der bereits180 beschriebenen Zweckausrichtung, sondern auch derart, daß die Verwertung von Erkenntnissen die Folge der Erkenntnisgewinnung ist. Die Notwendigkeit, Einschränkungen der Verwertungshandlungen als relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit zu werten und damit in den abwehrrechtlichen Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG einzubeziehen, ergibt sich insbesondere im Vergleich mit der dem Grundrecht zuerkannten Teilhaberechtsfunktion. Die Reichweite des Aussagegehalts der Rechtsprechung zum Teilhabegehalt der Wissenschaftsfreiheit geht sogar über den 175 Art. 18 Abs. 1 Verf. Nordrhein-Westfalen lautet: „Kultur, Kunst und Wissenschaft sind durch Land und Gemeinden zu pflegen und zu fördern.“ 176 Art. 16 Abs. 1 Verf. Griechenland lautet: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei; deren Entwicklung und Förderung sind Verpflichtung des Staates.“ 177 Art. 9 Abs. 1 Verf. Italien lautet: „Die Republik fördert die kulturelle Entwicklung wie die wissenschaftliche und technische Forschung.“ 178 Art. 73 Abs. 4 Verf. Portugal lautet: „Der Staat wird Anreize für die wissenschaftliche Entfaltung und Forschung schaffen und dieselben fördern.“ 179 VfGH Österreich, Slg. 8136/1977, S. 90 zu Art. 17 Abs. 1 StGG. 180 Siehe oben a).
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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hier vertretenen Ansatz hinaus, nach dem lediglich der abwehrrechtliche Grundrechtsgehalt zur Wirkung kommt. Während das Teilhaberecht in gewissem Umfang einen Anspruch auf Fremdfinanzierung verbürgt, steht vorliegend (nur) der Schutz der Handlungen in Rede, mit denen der Forscher seine Tätigkeit selbst finanziert. Wenn seitens der Hochschule gegenüber dem Staat sogar schon ein positiver Anspruch auf finanzielle Grundausstattung aus Art. 5 Abs. 3 GG abgeleitet wird, ist nicht nachvollziehbar, warum dann nicht erst recht ein Recht der Forschenden auf Abwehr von Beeinträchtigungen der bereits bestehenden wirtschaftlichen Grundlagen Teil des Gewährleistungsgehalts der Forschungsfreiheit sein soll. Die Finanzierung der Forschung durch die Vermarktung ihrer eigenen Ergebnisse ist gegenüber einer Fremdfinanzierung ein Minus. Genau wie Art. 5 Abs. 3 GG im Bereich der Hochschulforschung zu einem „nudum ius“ schrumpfen würde, wenn es keinen Anspruch auf staatliche Förderung eröffnete181, ist die Lage im Bereich der Abwehr relevanter Beeinträchtigungen der mit Verwertungsabsicht betriebenen privaten Forschung. Die Freiheit, Erkenntnissuche zu betreiben, würde gegen Null abschmelzen, könnte die wirtschaftliche Grundlage der Erkenntnissuche nicht durch Abwehr von Beschränkungen der Verwertungsphase gewährleistet werden. Soweit gegen einen solchen – durch die Annahme einer mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung bewirkten – weiten Grundrechtsschutz in Stellung gebracht wird, die Herkunft der die Forschung finanzierenden Gelder stamme schädlicherweise aus gewerblichen Gewinnen182, so ist dieser Einwand fragwürdig. Zum einen ist nicht einzusehen, weshalb die Verwertung von Gewinnen aus gewerblicher Quelle nicht durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt werden sollten, sofern diese die wirtschaftliche Grundlage der Forschung sichern. Zum anderen bleibt der Einwand eine Antwort auf die Frage schuldig, woher denn das (unzweifelhaft notwendige) Geld zur Finanzierung von Forschung kommen soll, wenn nicht aus wirtschaftlicher Tätigkeit. Auch die in der Hochschulforschung staatlicherseits verteilten Mittel stammen letztlich aus Steuereinnahmen und damit aus dem Wirtschaftskreislauf. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, daß an der institutionellen Verlagerung der Forschung von der Hochschule in außeruniversitäre staatlich finanzierte Einrichtungen und solche der Industrieforschung die staatlich verantwortete unzureichende Ressourcenausstattung an den Hochschulen nicht unmaßgeblich beteiligt war, dann erscheint es nur folgerichtig, privatwirtschaftlich verantwortete Forschungsfinanzierung nicht weniger hoch einzuschätzen als staatliche.
181 182
Oppermann, JZ 1973, 435 (438). Philipp, S. 183, ohne weitere Begründung.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Ein weit gefaßter Schutz der Forschungsfreiheit, der Folge der Annahme einer relevanten mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung bei Einschränkungen der Verwertungshandlungen ist, ist ebenso unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Eigen- bzw. Fremdfinanzierung für die Freiheit vor inhaltlicher Beeinflussung der Forschung notwendig. Die Eigenfinanzierung durch Vermarktung der Ergebnisse von Forschung sichert deren Eigenständigkeit in einem größeren Maße, als durch die staatliche Mittelverteilung geleistet werden könnte. Die Industrieforschung dürfte in ihrer Gesamtheit trotz der ebenfalls vorhandenen Abhängigkeit vom Geldgeber183 hinsichtlich eines Umstandes im Ergebnis pluralistischer als die heute – anders als zu ihren Anfängen, wo sie zur ihrer Gründung einen Stiftungsfonds zur eigenen Bewirtschaftung erhielt184 – staatlich finanzierte universitäre Forschung sein: Sie ist ihr eigener Geldgeber und entscheidet über die Prioritätensetzung. Insbesondere ist sie unabhängig vom Staat, dessen Handeln trotz gewandelter gesellschaftlicher Strukturen auch heute noch Hauptgefahr für die Verwirklichung grundrechtlicher Freiheit ist. Jedenfalls stellt die Industrieforschung deswegen eine größere Pluralität sicher, weil es nicht nur einen (Bund) oder 16 (Länder) Geldgeber gibt, sondern Hunderte. Auch der zwischen den forschenden Industrieunternehmen bestehende Wettbewerb dürfte dazu führen, daß es nicht zu einer an den Interessen Weniger ausgerichteten Forschung kommt und statt dessen ein breites inhaltliches Spektrum gesichert bleibt. Der wissenschaftliche Trägerpluralismus185 führt auch zu einem inhaltlichen Pluralismus186. Die Möglichkeit der wirtschaftlichen Verwertung sichert danach gerade die Unabhängigkeit der Erkenntnissuche. Damit ist neben der wirtschaftlichen Grundlage eine weitere Grundvoraussetzung der freien Forschung angesprochen. Zwischen originärer Forschungstätigkeit und Verwertungshandlungen besteht demnach auch aus dieser Perspektive ein spezifischer Zusammenhang. Zusammenfassend kann konstatiert werden, daß Erkenntnissuche oftmals nur durchgeführt werden kann, wenn sie selber zu ihrer Finanzierung beiträgt. Wegen dieser Verknüpfung besteht ein forschungsspezifischer Zusammenhang zwischen den beiden Ebenen. 183 Zur Abhängigkeit von universitärer und industrieller Forschung von den Ressourcen, siehe oben 3. Teil B. I. 4. a) aa) (2) (dd). 184 Rollmann, S. 14. 185 So Begriff bei Häberle, S. 416. 186 Nicht anders verhält es sich bei der Rundfunkfreiheit, bei der die innenpluralistische durch eine außenpluralistische Struktur (= Vielfalt der Träger) ergänzt wird, siehe dazu BVerfGE 57, 295 (325). Zur Pressefreiheit auch BVerfGE 20, 162 (175); Scholz, Pressefreiheit, S. 143: „Der Wettbewerb der Medien (. . .) pluralisiert und differenziert den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung“.
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c) Art. 15 Abs. 2 des Entwurfs von Herrenchiemsee Dieser Zusammenhang wurde wohl auch bei den Vorbereitungen der Verfassungsgebung gesehen. Wie bereits erwähnt187, sah Art. 15 Abs. 2 des Herrenchiemsee-Entwurfs zum Grundgesetz im Anschluß an die Normierung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit in Abs. 1 einen Gesetzesvorbehalt für die „Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen“ vor188. Die Aufnahme eines solchen Gesetzesvorbehalts läßt sich aber nur dann erklären, wenn eine relevante Beeinträchtigung des von ihm begrenzten Grundrechts grundsätzlich möglich ist, also Einschränkungen der genannten Benutzungen mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein können. Art. 15 Abs. 2 des Herrenchiemsee-Entwurfs kann, nicht nur aus dem systematischen Kontext heraus betrachtet, lediglich auf die Forschungsfreiheit bezogen sein. Auf Berufsfreiheit, Eigentumsgarantie und allgemeine Handlungsfreiheit, die ebenfalls die Benutzung technischer Erfindungen schützen, kann er sich sinnvollerweise nicht beziehen. Diese Grundrechte besitzen entsprechende Begrenzungen durch Gesetzesvorbehalte. Würden Einschränkungen der Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen nicht unter Art. 15 Abs. 1 des Entwurfs von Herrenchiemsee, sondern nur unter einen oder mehreren der Schutzbereiche der heutigen Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 S. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1 GG fallen, verlöre der in Art. 15 Abs. 2 des Entwurfs vorgesehene Gesetzesvorbehalt seine Eigenständigkeit und wäre überflüssig. Er läßt sich nur damit erklären, daß – aus Sicht des Verfassungsgebers bzw. des wichtige Vorarbeit leistenden Herrenchiemseer Konvents – die besagten Handlungen mittelbare Beeinträchtigungen der ansonsten schrankenlosen Forschungsfreiheit sein können. Aus dem Umstand, daß Art. 15 Abs. 2 des Entwurfs von Herrenchiemsee gerade nicht Aufnahme in das Grundgesetz gefunden hat, läßt sich nicht zwingend folgern, daß der Herrenchiemseer Konvent die aus der Zuordnung zu den wirtschaftlichen Grundrechten folgende Überflüssigkeit der Norm gesehen und deshalb bewußt auf sie verzichtet habe. Genauso kann Grund für den Verzicht die Annahme gewesen sein, die in Abs. 2 genannten Handlungen bedürften keiner im Vergleich zu Art. 15 Abs. 1 des Entwurfs von Herrenchiemsee verstärkten Begrenzungsmöglichkeit. Selbst wenn man die Einsicht in die fehlende Eigenständigkeit des Gesetzesvorbehalts unterstellte, so würde sich damit noch immer nicht seine Verortung im Rahmen von Art. 15 des Entwurfs erklären. Gesetzesvorbehalte werden üblicherweise entweder „vor die Klammer gezogen“ oder unmittelbar im An187 188
Siehe oben 3. Teil B. I. 4. c). JöR n. F. 1951, 89.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
schluß an die Grundrechtsgewährleistung normiert. Seine Stellung innerhalb desjenigen Artikels, der auch die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit enthält, läßt sich nur damit begründen, daß bei den Vorbereitungen der Verfassungsgebung nicht nur ein spezifischer Zusammenhang zur Erkenntnissuche gesehen wurde, sondern die vom Gesetzesvorbehalt genannten Verhaltensweisen gerade im Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit gesehen wurden. Freilich ist die Aussagekraft des Ergebnisses einer Analyse der Entstehung des Grundgesetzes als Mittel zur Verfassungsauslegung begrenzt. Das gilt vor allem dann, wenn dieses Ergebnis mit dem Resultat der übrigen Auslegung nicht in Einklang steht. Ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die Frage des Stellenwertes der Entstehungsgeschichte als Mittel der Verfassungsauslegung nicht beantworten. Die Rechsprechung zu diesem Problemkreis ist nicht einheitlich189. Die Stellungnahmen des Gerichts reichen von dem Einräumen einer nur subsidiären Stellung im Vergleich zu anderen Auslegungselementen190 bis hin zur Konstatierung eines Vorrangs der Entstehungsgeschichte191. Jedenfalls wird man aber festhalten können, daß die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes als „Mosaik-Stein“ im Gesamtbild der Auslegung durchaus ihren Beitrag leisten kann, zumal, wenn sie nicht allein oder besonders tragende Erwägung ist. d) Kriterien zur Bestimmung der Grenzen der Vorwirkung von Einwirkungen auf Verwertungshandlungen auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Möglicherweise sind Einschränkungen der Phase der wirtschaftlichen Verwertung von Erkenntnissen jedoch nicht immer eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit. Der Vorwirkungszusammenhang, mit dem die Kausalität zwischen staatlichem Handeln und Grundrechtsbeeinträchtigung beschrieben wurde, könnte vielmehr bestimmten Grenzen unterworfen sein. Bei der folgenden Suche nach geeigneten Kriterien zur Bestimmung der Vorwirkung kann stellenweise Bezug genommen werden auf die bei der Kunstfreiheit – in der Regel zum Fall der Verbreitung – vorgeschlagenen Differenzierungen. Im wesentlichen sind es vier Kriterien, die diskutiert 189 Zur Analyse der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und zum folgenden Sachs, DVBl. 1984, 73 (75 ff., 78 ff.). 190 BVerfGE 1, 299 (312); 6, 389 (431); 62, 1 (45); schwächer etwa BVerfGE 26, 186 (202); 40, 56 (60 f.). 191 U.a. BVerfGE 8, 28 (33); 13, 97 (121 f.); 13, 167 (170); 56, 192 (206); 58, 45 (57).
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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werden: Zum einen wird auf die Person des Verwertenden bzw. Verbreitenden (unten aa)), zum anderen auf den Gegenstand der Einwirkung (unten bb)) als Merkmal abgestellt, das verwandt wird, um eine relevante Beeinträchtigung des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG festzustellen. Zudem wird vorgeschlagen, den Begriff der allgemeinen Gesetze, wie er in Art. 5 Abs. 2 GG verwendet wird, als maßgebliches Kriterium heranzuziehen (unten cc)), bzw. zwischen Beeinträchtigung des Modus der Verwertung und deren gänzlicher Vereitelung zu unterscheiden (unten dd)). Nach dem hier vertretenem Standpunkt werden diese vier Ansatzpunkte, die eine abstrakte Abgrenzung nach allgemeinen Kriterien zum Gegenstand haben, zugunsten einer Lösung verworfen, die nur auf die konkreten Einschränkungen der Freiheit des Forschers abstellt (unten ee)). aa) Person des Verwertenden: Forscher oder Dritte Eine Grenze des von Art. 5 Abs. 3 GG für Verwertungshandlungen gewährten Schutzes könnte durch die Unterscheidung gekennzeichnet werden, wer die Verwertungshandlungen vornimmt. Ist dieses der Forscher selber, so könnte man hinsichtlich Einschränkungen dieser Handlungen die Forschungsfreiheit für einschlägig halten. Handelt es sich dagegen um Dritte, die ökonomischen Nutzen aus den Forschungsergebnissen ziehen, so könnten Einschränkungen dieser Verwertungsvorgänge keine relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG sein. Damit würde sich die Lösung an eine im Schrifttum zu dem allgemeineren Fall der Verbreitung von Forschungsergebnissen vertretenen Ansatz orientieren. So sieht Klein nur das Verbreiten eigener Forschungsergebnisse im Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG. Grund sei nicht nur das Fehlen eines eigenen Strebens nach Erkenntnis im anderen Fall – auf das es an dieser Stelle aber nicht ankommen kann, da es um die Annahme einer relevanten mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung geht –, sondern die wohl unerwünschte Folge, daß ansonsten jedem Verleger wissenschaftlicher Lehrbücher und weiteren Personen der Grundrechtsschutz von Art. 5 Abs. 3 GG zustünde192. bb) Gegenstand der Verwertung: Erkenntnisprodukt oder aufgrund dessen erzeugte Ware Sowohl bei Classen als auch bei Hailbronner lassen sich Ansätze dazu erkennen, eine Trennungslinie des Schutzumfanges von Art. 5 Abs. 3 GG am Gegenstand der Verwertung festzumachen. Die ökonomische Verwer192
Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Art. 5 Anm. X 5 a).
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
tung der Erkenntnisprodukte, also der „Verkauf“ des Wissens selbst, soll noch der Forschungsfreiheit zugeordnet werden193. Anders dagegen sieht es bei dem Verkauf der unter Verwendung des Wissens produzierten Ware aus. Diese soll aus dem Schutzbereich ausscheiden194. Auf den hier vertretenen Ansatz der mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung übertragen, würde sich eine Einschränkung der Verwertungshandlungen des Erkenntnisproduktes selbst als Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit qualifizieren lassen, nicht jedoch eine Einschränkung der Verwertung von Folgeprodukten. cc) Ziel des eingreifenden Akts: Allgemeine Gesetze Mit einem weiteren denkbaren Ansatz, um zu bestimmen, bis zu welchem Umfang Einschränkungen forschungsunspezifischer Verwertungshandlungen beeinträchtigend auf die Forschungsfreiheit vorwirken, kann auf das Regelungsziel des eingreifenden Akts als Grenzmarke abgestellt werden. Betrifft die Norm oder ein anderer Akt der öffentlichen Gewalt jedermann und ist sie nicht speziell gegen die Forschung gerichtet, so könnte man eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit annehmen195. Diese Variante lehnt sich an die durch Art. 5 Abs. 2 GG für die Grundrechte des Abs. 1 aufgestellte Schranke der allgemeinen Gesetze an. Während nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts dort die Entstehung eines Sonderrechtes gegen den Prozeß freier Meinungsäußerungen verhindert werden soll196, würde hier darauf abzustellen sein, daß eine wissenschaftsspezifische Steuerung unterbunden wird. Soweit also Beschränkungen der Verwertungsebene eine inhaltliche Beeinflussung der Forschung bewirken sollen, wäre nach diesem Ansatz Art. 5 Abs. 3 GG betroffen. dd) Reichweite der Grundrechtsbeeinträchtigung: Vereitelung oder modale Beschränkung der Verwertung Das Problem des Schutzumfangs von Verwertungshandlungen ist in Rechtsprechung und Literatur vorwiegend im Bereich der Kunstfreiheit be193 Classen, S. 28, der indes keine Aussage zur grundrechtlichen Zuordnung trifft, sondern nur allgemein darstellt, daß es diese zwei Wege der Verwertung gibt; Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (218). 194 Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (218). 195 Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (224), freilich nicht explizit zu Verwertungshandlungen; allgemeiner: Berg, S. 77, 139 und Stern, III/2, S. 1407 f., zur Konkurrenzebene; Erbel, S. 135, zur Kunstfreiheit; Röben, S. 553, zur Religionsfreiheit. 196 BVerfGE 71, 206 (214).
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handelt worden. So hat das Bundesverfassungsgericht – mehr unausgesprochen als ausdrücklich – unterschieden zwischen der gänzlichen Vereitelung der Weitergabe bzw. Verwertung von Kunstwerken, die eine relevante Beeinträchtigung des Art. 5 Abs. 3 GG darstellen197, und bloßen Einschränkungen des Modus der Weitergabe bzw. Verwertung, deren Abwehr Art. 14 Abs. 1 GG zuzuordnen sei198. Auch bei anderen Grundrechten, namentlich am Beispiel des Vertriebs von religiösen Schriften, wird unterschieden zwischen der Regelung des Vertriebs überhaupt (dann Art. 4 Abs. 1, 2 GG) und der Regelung lediglich von Modalitäten199 (dann Art. 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG). Ebenso wird bei der Meinungsfreiheit vertreten, gesetzliche Beschränkungen der Wirtschaftswerbung200 seien nur dann an Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu messen, wenn sie die Möglichkeit zur Werbung ganz oder teilweise abschnitten201. Für die anderen Fälle seien je nach Fallgestaltung Art. 14 Abs. 1 S. 1 bzw. 12 Abs. 1 S. 1 GG einschlägig. Ausdrücklich zur Wissenschaftsfreiheit nehmen F. Müller und Classen Stellung. F. Müller sieht – ebenso wie das Bundesverfassungsgericht zur Kunstfreiheit – nur den Schutz der grundsätzlichen Möglichkeit einer Verbreitung des Erkenntnisprodukts von Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistet202. Nicht klar ist dabei, ob er für die Fälle der Verbreitung, die von wirtschaftlicher Verwertungsabsicht bestimmt sind, eine Ausnahme machen will. Nach Classen kann eine die Forschung nur begrenzende Wirkung von Verwertungsvorschriften nicht durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt sein. Er befürchtet, daß ansonsten das Sicherheits- und Technikrecht an diesem Grundrecht zu messen sein würde203. ee) Stellungnahme und Entwicklung einer eigenen Lösung (1) Kritik an den dargestellten Ansätzen Als Kriterium, um näher zu bestimmen, bis zu welcher Grenze Einschränkungen von Verwertungshandlungen Beeinträchtigungen der For197
So BVerfGE 30, 173 (191). So BVerfGE 31, 229 (239); 49, 382 (392); jüngst auch BVerfG, NJW 2002, 3458 (3459). 199 Bachof, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, S. 170; Berg, S. 159, der das Problem indes erst auf der Ebene der Konkurrenzen verortet und es wohl ohnehin nur für Fälle der fehlenden Verwertungsabsicht gelten lassen will (vgl. Berg, S. 158). 200 Zu dieser siehe bereits oben 3. Teil B. I. 4. b) ff). 201 Weides, WRP 1976, 585 (589), allerdings zur Konkurrenzebene. 202 F. Müller, Kunstfreiheit, S. 99. 203 Classen, S. 76, 100. 198
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
schungsfreiheit sind, ist das Abstellen auf die handelnde Person204 nicht geeignet. Zum einen läßt sich gegen eine derartige Lösung der Charakter der Forschungsfreiheit (auch) als Kommunikationsgrundrecht205 anführen. Da diese Eigenschaft verlangt, daß die Möglichkeit besteht, daß der Empfänger eine Meinungsäußerung ohne staatlichen Eingriff faktisch erhalten kann206 – freilich ohne, daß der Empfänger selber im Schutzbereich des entsprechenden Grundrechts sein muß207 – kann das bloße Unangetastetlassen der Forschungstätigkeit nicht ausreichend für die Bestimmung der Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit sein208. Entscheidend gegen eine am Personenkreis orientierte Differenzierung der grundrechtlichen Zuordnung spricht zum anderen, daß auf diese Weise die wirtschaftliche Voraussetzung, überhaupt eine freie Erkenntnissuche zu betreiben, nicht ausreichend gesichert würde. Wenn der Forscher selbst frei von staatlicher Reglementierung seine Forschungsergebnisse gegenüber Dritten verwerten könnte, also beispielsweise das gefundene Wissen als „Ware“ veräußern könnte, so wäre es trotzdem weiterhin möglich, durch entsprechend weitgehende Einschränkungen auf der nächsten Stufe die Verwertungsfreiheit des Forschers leerlaufen zu lassen. Würde es nämlich beispielsweise dem Erwerber der Wissensware unmöglich gemacht, mit dieser seinerseits weiter zu arbeiten, sei es, daß die Weiterveräußerung verhindert würde oder sei es, daß für ein aufgrund des Wissens erstelltes Produkt ein Verkauf- bzw. Kaufverbot bestünde, dann würde dem Forscher seine Verwertungsfreiheit wenig nützen. In Kenntnis der Nutzlosigkeit des Wissens – bezogen auf den Nutzen für dessen weitere Verarbeitung – würden Dritte das Wissen vom Forscher erst gar nicht erwerben wollen. Es bestünde bei einer Beschränkung des Schutzes auf die Person des Forschers die Möglichkeit, den Grundrechtsschutz zu umgehen, in dem erst auf einer nachfolgenden Stufe im Verwertungsprozeß eingegriffen würde. Der „Mephisto“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt wohl unter anderem eine derartige Erwägung zugrunde: Der ein Kunstwerk (Buch) verbreitende Verlag wurde wegen seiner unentbehrlichen Mittlerfunktion209 in den Schutz der Kunstfreiheit einbezogen, weil es eben nicht ausreichen würde, allein das Verhältnis zwischen Künstler und Verlag zu schützen. Kein Verlag würde ein Werk abnehmen, wenn er wüßte, daß ihm die weitere Verwertung staatlicherseits unmöglich gemacht würde. Auf 204
Siehe oben aa). Siehe nur Hartmut Krüger, WissR (19) 1986, 1. 206 Bleckmann, S. 91. 207 Der einzelne Bürger als Hörer, Zuschauer, Leser etc. kann sich nicht auf die Presse- und Rundfunkfreiheit berufen. Einschlägig ist vielmehr die Informationsfreiheit, s. Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 76, 114. Zur Pressefreiheit: BVerfGE 95, 28 (35). 208 So wohl auch Ridder/Stein, DÖV 1962, 363. 209 BVerfGE 30, 173 (191). 205
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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den Fall der Pharmaforschung bezogen, kann es somit nicht darauf ankommen, daß zwar die Zulassung eines Arzneimittels nicht verhindert wird, es aber beispielsweise den Großhändlern oder den Apothekern verboten wird, das Produkt zu verkaufen. Die Vorwirkung auf die Forschung liegt dann zwar zeitlich und organisatorisch weiter von der Erkenntnissuche entfernt, kann aber trotzdem zu empfindlichen Beeinträchtigungen der Forschung selbst führen. Die Grenzen der für die Annahme einer mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung nötigen Kausalität können ebensowenig über den Gegenstand der Verwertungshandlungen210 bestimmt werden. Eine Unterscheidung zwischen Verwertung des Erkenntnisproduktes selbst und der Verwertung von Waren bzw. Dienstleistungen, die erst aufgrund der Erkenntnisse hergestellt bzw. erbracht worden sind, stellt sich nämlich als eine Parallele der soeben verworfenen Anknüpfung an den handelnden Personenkreis dar. Im Ergebnis macht es keinen Unterschied, ob es abgelehnt wird, Einschränkungen von Verwertungshandlungen dritter Personen als mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit zu qualifizieren oder ob dies Einschränkungen von Verwertungen von Waren bzw. Dienstleistungen betrifft, die aus der Verwendung von Wissen hervorgegangen sind. Zum einen fallen die Varianten in praxi wohl zusammen: Es sind dritte Personen und nicht die Forscher, die regelmäßig die Weiterverwertung vornehmen. Zum anderen sind beide Varianten dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht an der Quelle der Erkenntnisgewinnung ansetzen, sondern erst zeitlich und gegenständlich später anknüpfen. Die oben gegen die Heranziehung einer Unterscheidung nach der handelnden Person geltend gemachten Bedenken haben demnach auch hier ihre Berechtigung. Auch das Abstellen auf das Ziel des eingreifenden Akts211 ist nicht geeignet, Aufschluß darüber zu geben, wann eine mittelbare relevante Beeinträchtigung des Art. 5 Abs. 3 GG bei Einschränkungen von Verwertungshandlungen anzunehmen ist. Mit dem Vergleich zum die Meinungsneutralität vor relevanten Beeinträchtigungen wahrenden Art. 5 Abs. 2 GG käme es für die Bestimmung des Schutzumfangs maßgeblich auf das Ziel des staatlichen Akteurs an, das Spezifische von Forschungsinhalt oder -methode zu beschränken. Zunächst ist eine derartige Lösung möglicherweise bereits deswegen abzulehnen, weil eine Übertragung der Schranken von Art. 5 Abs. 2 auf Abs. 3 GG nahezu einhellig für unzulässig gehalten wird212. Zwar stammt der Gedanke, darauf abzustellen, ob die eingreifende Regelung gerade Forschungstätigkeit als solche verhindern wolle, systematisch 210 211 212
Siehe oben bb). Siehe oben cc). Siehe dazu oben 3. Teil B. III. 1.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
u. a. von Art. 5 Abs. 2 GG. Das Grundgesetz kennt auch an anderer Stelle, so in Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV und ähnlich in Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 GG, den Gedanken, daß grundrechtliche Freiheit nur im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung ausgeübt werden kann. Die Schrankenfunktion allgemeiner Gesetze wird auch in der allgemeinen Grundrechtsdogmatik vertreten213. Jedoch wäre die Anwendung des Begriffs des allgemeinen Gesetzes, wie er in Art. 5 Abs. 2 GG genannt wird, dogmatisch betrachtet keine Schrankenübertragung, da der Gedanke zur Bestimmung einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung herangezogen würde. Gleichwohl dürften die gegen eine Schrankenübertragung vorgetragenen Bedenken auch bei einer entsprechenden Anwendung des Gehalts von Art. 5 Abs. 2 GG auf der Ebene der Grundrechtsbeeinträchtigung gelten, wenn die Wirkung der Schranke dort in gleicher Weise erreicht würde. Die Bestimmung der Grenzen der Annahme einer Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit anhand des Ziels des eingreifenden Aktes läßt sich nicht mit den hier definierten allgemeinen Anforderungen zur Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung in Einklang bringen. Nach diesen Kriterien ist es ausreichend, daß ein staatlicher Akt im Falle staatlicher Alleinverursachung kausal auf das Grundrecht einwirkt214. Eine subjektive Komponente, insbesondere die Finalität des staatlichen Akts, als maßgebliches Merkmal zur Bestimmung relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen wurde abgelehnt. Eine solche Komponente würde aber maßgeblich, wenn das Ziel des staatlichen Aktes zu berücksichtigen wäre. Letztlich ist auch die Reichweite der Beeinträchtigung215 kein in Gänze überzeugendes Kriterium, die Grenzen des Schutzumfangs der Forschungsfreiheit für Verwertungshandlungen zu bestimmen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kunstfreiheit im Urheberrecht, die bloße Beschränkungen des Verbreitungsmodus nicht an Art. 5 Abs. 3 GG messen will, ist insofern nicht ganz verständlich, als das Gericht selber von der „unauflöslichen“ Verbindung216 spricht, die zwischen der Schaffung und der Verbreitung des Kunstwerks bestehe. Das Gericht ist eines Nachweises schuldig geblieben, weshalb die Unauflöslichkeit 213 Bettermann, JZ 1964, 601 (603); ders., S. 25 ff.; w. N. bei Sachs, in: Stern, III/2, § 81, S. 532 ff. Zur Kunstfreiheit („keine Kunst an fremdem Eigentum“) siehe etwa auch BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294); BVerwG, NJW 1995, 2648 (2649); Isensee, AfP 1993, 619 (621 ff.); Pieroth/Schlink, Rdnr. 616; weitergehender Knies, S. 257 ff. 214 Siehe oben 3. Teil B. II. 1. 215 Siehe oben dd). 216 BVerfGE 31, 229 (239).
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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von vorneherein bei Beschränkungen des Verwertungsmodus fehlen soll. So sind modale Beschränkungen des grundrechtlich geschützten Verhaltens denkbar, die durch Behinderung des Vertriebs die gesamte Verbreitung eines Kunstwerkes oder eines Forschungsergebnisses unmöglich machen217. Wenn eine Verwertung generell möglich bleibt, z. B. auch, weil verschiedene Wege dafür offenbleiben, könnte man annehmen, daß die Forschungstätigkeit davon unbeeinflußt bliebe. Indes ist es gerade im Bereich der Industrieforschung nicht allein ausschlaggebend, daß sie ihre Forschungsergebnisse in irgendeiner Weise wirtschaftlich verwerten kann. Die Frage, ob wirtschaftliche Verwertungshandlungen überhaupt durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt werden, wurde insbesondere damit bejaht, daß auf diese Weise die für freie Forschung notwendige wirtschaftliche Grundlage gesichert werden kann218. Von diesem Standpunkt ausgehend, ist die Forschungsfreiheit bereits dann betroffen, wenn über die Beschränkung der Verwertungsmöglichkeiten die wirtschaftliche Grundlage der Forschung gefährdet wird. Diese Wirkung können auch lediglich Beschränkungen des Verwertungsmodus haben. Das wäre im Bereich der Arzneimittelforschung beispielsweise denkbar, wenn die Preise für ein Arzneimittel staatlicherseits auf eine Höhe festgesetzt werden, die die aufgewendeten Investitionen auch nicht annäherungsweise wieder refinanzieren können. Anders dürften bestimmte Anforderungen an die Verpackung von Arzneimitteln beanstandungslos bleiben. Würde man dagegen einen deutlich sichtbaren Hinweis auf die Verpackung plazieren, nach dem das Arzneimittel als unwirksam bezeichnet wird, müßte man wohl zu einer anderen Beurteilung kommen. Hier käme die modale Beschränkung von ihrer Intensität einem Verwertungshindernis insgesamt gleich. Allenfalls kann dem Kriterium der Reichweite der Grundrechtsbeeinträchtigung zugestanden werden, daß die vorwirkenden Beeinträchtigungen der Erkenntnissuche in solchen Fällen tendenziell eher geringer sein mögen als bei einem gänzlichen Verbot der Verwertung. (2) Maßgebliches Kriterium: Auswirkung auf die Erkenntnissuche Da eine Vorwirkung also grundsätzlich bei allen staatlichen Maßnahmen denkbar ist, läßt sich die Annahme einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung nicht anhand der oben untersuchten abstrakten Kriterien ausschließen. Entscheidend muß daher auch für den Schutzumfang des Art. 5 Abs. 3 GG für die forschungsunspezifische Tätigkeit die Auswirkung auf die freie Erkenntnissuche sein. Dieser Zusammenhang ist um so stärker, je mehr die Möglichkeit der Verwertung beeinträchtigt wird. Er besteht eindeutig bei 217 218
Berg, S. 75 f. zum Vertrieb einer religiösen Schrift. Siehe oben 1. b).
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
einem völligen Verwertungsverbot, kann aber auch schon vorher gegeben sein. In solchen Fällen, in denen lediglich der Modus der Verwertungsmöglichkeiten betroffen ist, bedarf es zur Feststellung einer relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit weiterer Überlegungen. Die Anknüpfung daran, ob die gesamte Verwertung unmöglich gemacht wird oder lediglich in ihrem Modus Einschränkungen erfährt, kann nach den obigen Ausführungen lediglich Anhaltspunkte für eine Grenzziehung liefern. Grundvoraussetzung für die Feststellung einer Vorwirkung auf die Erkenntnissuche ist im Bereich der Modusbeschränkungen ihre Bedeutung für die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage der Erkenntnissuche. Aus dieser Prämisse lassen sich drei Grundkonstellationen ableiten, in denen sich die Frage stellen kann, ob eine derartige Vorwirkung angenommen werden kann. Im ersten Fall wirkt die Beeinträchtigung der freien Verwertbarkeit derart, daß sich die Forschungstätigkeit nicht refinanzieren kann (unten (a)). Auf der Skala folgt an nächster Stelle die Konstellation, daß die Möglichkeit zur Refinanzierbarkeit der Erkenntnissuche nicht angetastet wird, aber die Möglichkeit versperrt wird, darüber hinaus einen Gewinn zu erwirtschaften (unten (b)). Letztlich steht am anderen Pol der Skala das Belassen einer Gewinnmöglichkeit bei lediglich einer Reduzierung der Gewinnmarge (unten (c)). Diese vorstellbaren drei Grundtypen lassen sich nun danach qualifizieren, ob sie zu einer relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit führen. (aa) Erster Grundtypus: Keine Möglichkeit zur Refinanzierbarkeit der Erkenntnissuche Dieser erste Fall ist bezüglich der Zuordnungsfrage weitgehend unproblematisch. Greift der Staat derart intensiv in die Verwertungsmöglichkeit ein, daß der Forschende damit rechnen muß, seine Forschungsergebnisse weder selbst noch über einen Dritten wirtschaftlich verwerten zu können, ist damit die Durchführung des Forschungsvorhabens gänzlich in Frage gestellt. Zum einen wird sich der Forscher fragen, inwiefern ohne die Möglichkeit zur Anwendung des neuen Wissens die zu einem bestimmten Zweck durchgeführte Forschung – unabhängig von wirtschaftlichen Aspekten – überhaupt Sinn macht219. Zum anderen könnten die hohen Ausgaben für die Forschung nicht wieder ausgeglichen werden220. Auch dieser Umstand würde zum Ausbleiben der Erkenntnissuche führen. Entweder würde die Forschungstätigkeit von Anfang an unterbleiben, weil der Forscher Kenntnis 219 220
Siehe oben 1. a). Siehe oben 1. b).
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von der staatlich ausgeschlossenen Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse hat. Oder weitere Forschungstätigkeit würde in der Zukunft unterbleiben, wenn sich die fehlende Verwertbarkeit erst nachträglich herausstellt. Wären also Arzneimittel gänzlich verboten, die beispielsweise auf gentechnischem Weg gewonnene Inhaltsstoffe enthalten, dann würde in diesem Bereich erst gar nicht mit Forschungsvorhaben begonnen. Daher wäre in diesem Fall eine relevante mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit anzunehmen. Deutlich ist aber darauf hinzuweisen, daß, anders als bei dem teilhaberechtlichen Charakter des Art. 5 Abs. 3 GG, wie er bei der Hochschulforschung angenommen wird, keineswegs ein Anspruch dahingehend besteht, vom Staat Leistungen zur Sicherung der Refinanzierbarkeit zu verlangen. (bb) Zweiter Grundtypus: Nur Möglichkeit der Refinanzierbarkeit der Erkenntnissuche ohne Gewinnchance In der zweiten Grundkonstellation ist die staatliche Einschränkung der Verwertungsphase nicht intensiv genug, um die Refinanzierbarkeit der Forschungstätigkeit zu beseitigen, aber stark genug, um zu verhindern, daß über die Refinanzierbarkeit hinaus ein Gewinn möglich ist. Dieser Typus ist schwieriger einzuordnen. Wie soeben dargelegt, erwächst der Industrieforschung kein Anspruch auf Förderung ihrer Tätigkeit. Aufgabe des Staates ist es demnach nicht, dafür zu sorgen, daß die sich in der freien Wirtschaft engagierenden Forscher eine Gewinngarantie erhalten221. Auch in abwehrrechtlicher Sicht reicht der Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG nicht so weit, daß er Einschränkungen derjenigen Verbreitungsmöglichkeiten von Forschungsergebnissen als relevante Grundrechtsbeeinträchtigung erfaßt, die ein Optimum an Verbreitung gewährleisten222. Ob sich ein verwertetes Forschungsergebnis als Produkt am Markt – beispielsweise als Arzneimittel – durchsetzt, liegt (natürlich) im Risiko des Unternehmers223. Dieses Risiko wird dem Unternehmer auch nicht dadurch abgenommen, daß er sich gegenüber staatlichen Ein221 Auch dort, wo der Staat – möglicherweise veranlaßt durch grundrechtliche Schutzpflichten – schützend tätig geworden ist, beispielsweise durch die Normierung des Patentrechts, ist keine „amtliche“ Garantie auf wirtschaftlichen Gewinn entstanden, Verband forschender Arzneimittelhersteller, Der Schutz geistigen Eigentums, S. 3. 222 Trute, S. 126. Zur Kunstfreiheit ähnlich Erbel, S. 127 f., jedoch eher auf typische und atypische Formen bezogen; F. Müller, Kunstfreiheit, S. 101 f. Zu Art. 12 GG und der Pharmaindustrie Philipp, S. 134. 223 So auch die Begründung des Gesetzesantrags der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, BT-Drucks. 14/6571, S. 3.
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schränkungen der Verwertungsphase auf die Forschungsfreiheit berufen kann. Ob sich das Arzneimittel tatsächlich später am Markt derart positionieren läßt, daß sich die Refinanzierung einstellt, ist ebenso irrelevant wie das Ob und die Höhe des durch die Verwertung der Erkenntnis erwirtschafteten tatsächlichen wirtschaftlichen Gewinns. In Anknüpfung an das zu (aa) Dargelegte ist allein entscheidend zunächst, daß der Staat nicht durch sein Handeln von vorneherein jede Möglichkeit des Ausgleichs der Forschungskosten verhindert. Dennoch wirken nicht allein solche Einschränkungen der Verwertungshandlungen als Beeinträchtigungen auf die Forschungsfreiheit vor, die die Refinanzierbarkeit beseitigen. Grundlegende Ausgangsüberlegung dafür, daß Einschränkungen wirtschaftlicher Verwertungshandlungen relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein können, war insbesondere die dadurch erfolgende Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage der freien Forschungstätigkeit224. Dieses Ziel ist nicht bloß erreicht, wenn die Möglichkeit besteht, Forschungsausgaben und -einnahmen auszugleichen. Die wirtschaftliche Grundlage besteht nicht allein in einem ausgeglichenen Saldo. Forschung muß gegebenenfalls in hohen Summen vorfinanziert werden; das ist gerade in der Arzneimittelforschung der Fall225. Damit diese vom forschenden Unternehmen selber oder durch Fremdfinanzierung aufgebracht werden können, dürften auch Einschränkungen von Verwertungshandlungen relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein, wenn die Bedeutung der Verwertungshandlungen über die Sicherung der Refinanzierbarkeit hinausgeht. Die Richtigkeit dieser Erwägung bestätigt sich durch den Blick auf den Umfang des von Art. 5 Abs. 3 GG gewährten Teilhaberechtscharakters im Bereich der Hochschulforschung. Dort wird, wie erwähnt, zwar kein Anspruch auf eine Maximalausstattung zugestanden, jedoch wird eine Minimalausstattung für unzureichend gehalten226. Der Wert, die finanzielle Möglichkeit zu haben, jenseits der von unmittelbar der Planung zugänglichen Kosten flexibel auf bei der Durchführung des Forschungsprojekts auftauchende Fragestellungen reagieren zu können, zeigt sich dann, wenn diese Möglichkeiten fehlen. Inhaltliche Verengung der Forschungstätigkeit227 und möglicherweise ineffiziente Forschung wären dann die Folge. Bei der privatwirtschaftlich betriebenen Forschung liegt die Bedeutung der Sicherung einer über das bloße Minimum hinausgehenden Finanzausstattung vor staatlichen Beeinträchtigungen mehr in der Notwendigkeit, die Möglichkeit zu 224 225 226 227
Siehe oben 1. b). Siehe oben 1. b). Deutlich Rollmann, S. 36 ff. Rollmann, S. 38.
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einer Anschubfinanzierung zu haben – oder wie Rollmann für die Hochschule fordert, eine Initiativgewährleistung zu haben228. Zudem würde es denjenigen Forschern, die mit Verwertungsabsicht forschen, ohne die Möglichkeit zur Gewinnerzielung an der Motivation fehlen, sich dem Forschungsvorhaben zu widmen. Der Umfang des Schutzes der Forschungsfreiheit gegen Einschränkungen derjenigen Verwertungshandlungen, die über die Refinanzierbarkeit hinausgehen, dürfte jedoch eng zu ziehen sein. Es dürfte in der Realität ausreichend sein, allein Einschränkungen der zur Refinanzierbarkeit des einzelnen Forschungsprojekts beitragenden Verwertungshandlungen als relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG zu werten. Der Begriff des einzelnen Forschungsprojekts erfaßt jedoch auch solche Maßnahmen, die im Ergebnis keinen Erfolg hatten. Da Forschungstätigkeit durch die Ungewißheit gekennzeichnet ist, welche Ergebnisse sie haben wird229, ist es notwendig, auch Fehlversuche einzubeziehen. Soweit die forschenden Unternehmen – wie regelmäßig anzunehmen sein dürfte – auch über andere Einnahmequellen und über ein gegebenenfalls hohes Vermögen verfügen, müssen diese Umstände bei der Prüfung, ob die Forschungstätigkeit durch Einschränkungen der Verwertungshandlungen gefährdet ist, einbezogen werden. Nur dann, wenn trotz der Berücksichtigung der das ökonomische Fundament der Forschungsarbeit bildenden Leistungsfähigkeit des Unternehmens im Gesamten eine Vorwirkung auf die Erkenntnissuche im Sinne einer Gefährdung ihrer Durchführung besteht, kann eine Einschränkung der Verwertungsphase eine relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG bedeuten. Daß dabei für die Reichweite des Grundrechtsschutzes im Ergebnis möglicherweise auch nach finanziell starken und schwachen Unternehmen zu differenzieren ist, liegt insofern in der Natur der Sache begründet, als die Vorwirkungen auf die Forschungstätigkeit in tatsächlicher Hinsicht abhängig von der Leistungsfähigkeit des Forschers sind. (cc) Dritter Grundtypus: Nur Reduzierung der Gewinnmarge Auf die beiden bisher dargestellten Konstellationen von Beschränkungen des Verwertungsmodus folgt der dritte Grundtypus, dessen Zuordnung sich weitgehend aus den vorstehenden Erörterungen ergibt. In dieser Fallgruppe führt die staatliche Einschränkung der Verwertungsphase nicht dazu, daß sich das Forschungsvorhaben von vornherein wirtschaftlich nicht tragen könnte. Die Refinanzierbarkeit bleibt also trotz Beschränkungen in der Ver228 229
Rollmann, S. 39. Siehe oben 3. Teil B. I. 4. a) aa) (2) (aa).
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wertungsphase möglich. Es findet lediglich eine Gewinneinbuße statt. Damit besteht – wie bei der ersten Konstellation – kein Problem im Hinblick auf die Unbeeinflußtheit der Forschungsphase. Allerdings kann – wie bei der zweiten Konstellation – nicht unberücksichtigt bleiben, daß aufgrund der staatlich veranlaßten Reduzierung der Gewinnmöglichkeit trotz Refinanzierbarkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit Vorwirkungen auf die Forschungsvorhaben entstehen dürften, sei es, daß diese ganz unterbleiben, sei es, daß sie inhaltlich oder ihrem Umfang nach geändert werden. Noch deutlicher als bei der zweiten Konstellation tritt aber die Schwelle hervor, unterhalb derer diese Vorwirkungen für die Annahme einer relevanten Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG irrelevant sind: Die Höhe eines Gewinns ist weder zur Sicherung der Möglichkeit, einen Forschungszweck zu erreichen230, noch zur Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage231 notwendig. Eine in diese Fallgruppe einzuordnende staatliche Maßnahme dürfte daher eher selten als eine relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG zu qualifizieren sein. Eine derart gezogene Grenze verwischt auch nicht die spezifischen Grundrechtsinhalte von Art. 5 Abs. 3 GG einerseits und Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG andererseits. Einwirkungen auf Gewinnmöglichkeiten, die unterhalb der spezifischen Vorwirkungsschwelle bleiben, sind allein anhand Art. 12 Abs. 1 GG232 bzw. nach teilweise vertretener Auffassung daneben auch an Art. 14 Abs. 1 GG (Recht am Gewerbebetrieb)233 zu messen. ff) Ergebnis Einschränkungen der wirtschaftlichen Verwertungshandlungen sind somit unter der Voraussetzung einer die Kausalität beschreibenden Vorwirkung auf die Erkenntnissuche relevante mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit. Der Vorwirkungszusammenhang wird zum einen durch die für Zweckforschung notwendige Realisierungsmöglichkeit des verfolgten Zwecks234, zum anderen aber maßgeblich durch die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage der Forschungstätigkeit235 gebildet. Dieses Fundament wird gefährdet, wenn die Einschränkung der Verwertungsphase die Refinanzierbarkeit verhindert. Staatliche Einschränkungen, die zu bloßen 230
Siehe oben 1. a). Siehe oben 1. b). 232 Für den Schutz des „Erwerbs“ durch Art. 12 GG insbesondere BVerfGE 30, 292 (334 f.); 88, 36 (377) st. Rspr. 233 So Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 14 Rdnr. 21; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 49; tendenziell für eine Idealkonkurrenz auch Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 165. 234 Siehe oben 1. a). 235 Siehe oben 1. b). 231
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Reduzierungen des Gewinns führen, sind dagegen solange irrelevant, wie nicht erst der Gewinn die Grundlage für die Forschungsarbeit legt.
2. Untersuchung der Vorwirkungen von § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 4 AMG auf die Forschungsfreiheit a) Bezugnahme auf den „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG aa) Relevante Beeinträchtigung nach den entwickelten Kriterien: Gänzliches Verwertungshindernis Im hier untersuchten Fall des § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG besteht ein gänzliches Verwertungshindernis, wenn ein Arzneimittel nicht zugelassen wird. Daher ist nach den oben dargelegten Grundsätzen eine mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung der Forschungsfreiheit gegeben, ohne daß es weiterer eingrenzender Kriterien etwa in Form der drei Grundtypen bedürfte. Aus zweierlei Gründen hat sich die Erkenntnissuche für die forschenden Arzneimittelhersteller nämlich nicht „gelohnt“. Zum einen aus wirtschaftlicher Sicht: Eine die hohen Kosten der Erkenntnissuche auffangende Marktzulassung ist nicht erfolgt, so daß ein wirtschaftlicher Verlust zu verzeichnen ist. Bei fortgesetzter Nichtzulassung von entwickelten Arzneimitteln kann die Erkenntnissuche nicht mehr finanziert werden; sie unterbleibt, so daß die Grundlage der Forschung betroffen ist. Die Erkenntnissuche hat sich zum anderen nicht gelohnt unter dem Gesichtspunkt, daß der Forscher sich (auch) das Ziel gesetzt hat, mit dem erforschten Arzneimittelwirkstoff Menschen zu helfen. Durch das Absprechen der Zulassungsfähigkeit ist es in Gänze ausgeschlossen, das Präparat seiner Zweckbestimmung zukommen zu lassen. Auch hinsichtlich dieses Aspektes gilt: Wiederholen sich derartige Vorfälle, fällt die Erkenntnissuche aus. Praktisch relevanter dürfte aber der Wirkungsmechanismus sein, nach dem in solchen Fällen, in denen der forschende Arzneimittelhersteller eine negative Zulassungsentscheidung absehen kann, weil er die Kriterien der zuständigen Organe kennt, die Erkenntnissuche erst gar nicht begonnen wird. Statt dessen wird man auf andere Präparate ausweichen, die den Anforderungen der herrschenden Definition des „jeweils gesicherten Standes wissenschaftlicher Erkenntnisse“ genügen. Es liegt damit eine mittelbare Regulierung des Erkenntnissuchprozesses selbst vor. Die Richtigkeit des Ergebnisses, unter der getroffenen Grenzziehung wirtschaftliche Verwertungshandlungen dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG
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zuzuordnen, bestätigt sich, wenn im folgenden die Möglichkeiten der inhaltlichen Steuerung von Forschungstätigkeit betrachtet werden, die der Rechtsbegriff des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ beinhaltet. bb) Daneben inhaltliche Steuerung der Forschungstätigkeit Eine Diskussion darüber, daß eine inhaltliche Steuerung der Forschungstätigkeit durch die Anwendung des Begriffs des „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ stattfinden kann, wird in der Literatur zwar geführt, aber nicht auf das Problem zugespitzt, daß dabei das Hindernis des soeben dargelegten Vorwirkungszusammenhangs zur Erkenntnissuche zu überwinden ist, also die Voraussetzungen einer mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegen müssen. (1) Meinungsstand zur Beeinflussung des Forschungsprozesses Ob die vom Gesetzgeber vorgesehene rechtliche Relevanz des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ – in ihrer durch die Arzneimittelprüfrichtlinien vorgesehenen Auslegung236 – mit der Verfassung vereinbar ist, wird im rechtwissenschaftlichen Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Wohl überwiegend wird im Ergebnis eine Beeinflussung des Forschungsprozesses durch die Bezugnahme auf den „jeweils gesicherten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse“ abgelehnt. Zum einen wird festgestellt, der Gesetzgeber bzw. die Zulassungsbehörden entschieden nicht wissenschaftliche Streitfragen, wenn sie den unbestimmten Rechtsbegriff interpretierten. Vielmehr entschieden sie aufgrund wissenschaftlicher Kriterien237. Es sei entscheidend, daß Kontroversen in der Wissenschaft von Interessierten ungehindert fortgeführt werden könnten238. Zum anderen finde keine unzulässige Majorisierung des wissenschaftlichen Meinungsstreits statt, da der Begriff des „jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ nicht als herrschende Meinung ausgelegt werde239. Des weiteren wird angeführt, eine Beeinflussung könne schon deswegen nicht in Betracht kommen, weil es gerade Voraussetzung für die Qualifizierung als Wissenschaft sei, daß eine Anerkennung durch das „System Wis236 237 238 239
Siehe oben 2. Teil. Henning, NJW 1978, 1671 (1677). Henning, NJW 1978, 1671 (1676). Von Kirchbach, S. 214 ff.
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senschaft“ selbst erfolge240. Werden danach solche Prüfungsmethoden von der klinischen Prüfung ausgeschlossen, die nicht dem von einer Mehrheit gedeckten gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen, so könne das keine Steuerung von Forschungstätigkeit darstellen – unabhängig von der Frage, an welchem Grundrecht eine solche Steuerung zu messen wäre. Ebenso wird argumentiert für den Fall, daß die Antwort auf eine Fragestellung sicher oder unerreichbar erscheint241. Diese Fragestellung sei dann nicht wissenschaftlich. Oftmals wird zu der Frage einer Beeinflussung des Forschungsprozesses und in diesem Zusammenhang zu einer etwaigen relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung nicht ausdrücklich Stellung genommen242, sondern diesbezüglich stillschweigend von der Unbedenklichkeit der Regelungen ausgegangen. Letztlich wird eine verfassungskonforme Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs für möglich gehalten. Das sei dadurch möglich, daß lediglich eine wissenschaftliche Fundierung und Vertretbarkeit der Wirksamkeitsbegründung zu fordern sei243, bzw. für § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG im Falle einer kontroversen Diskussion die klinische Prüfung wissenschaftlich fundiert sein müsse244. Andererseits wird es im Hinblick auf die unbeeinflußte Forschung für problematisch und unzulässig gehalten, daß der Gesetzgeber bzw. die Behörde gerade doch in einem wissenschaftlichen Meinungsstreit Partei ergreife245 und Entscheidungen treffe, die auch denjenigen Wissenschaftlern gegenüber verbindlich seien, die eine abweichende wissenschaftliche Meinung verträten246. Auf diese Weise werde eine Form staatlichen Wissenschaftsrichtertums betrieben.
240
Denninger, in: ders./Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Art. 5 Abs. 3 I Rdnr. 18. Dazu w. N. in Pernice, in: Dreier, Art. 5 III Rdnr. 21. 241 Deutsch, VersR 1983, 1, 2. 242 So die Kommentarliteratur: Kloesel/Cyran, § 40 Anm. 1; Rehmann, § 40 Rdnr. 1 ff.; Sander, § 40 Erl. 1 ff. 243 Von Kirchbach, S. 227. 244 Von Kirchbach, S. 235. 245 Dulce, ZRP 1975, 285 (286). 246 Kriele, NJW 1976, 355 (356); ähnlich ders., ZRP 1975, 260; zu § 6 HessUG Kupfer, WissR 4 (1971), 117 (123); Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (115); Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (232).
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(2) Kritik und Stellungnahme Wie im folgenden darzustellen sein wird, wird dadurch, daß der „jeweils gesicherte Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse“ zum Maßstab mehrerer Normen für das Zulassungsverfahren gemacht wird, mittelbar eine inhaltliche Steuerung der Forschungstätigkeit bewirkt. Die Auswirkungen der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs sind weitgehend. Derjenige Forscher, dessen wissenschaftliche Anschauungen von den entscheidenden Behörden nicht als zum „jeweils gesicherten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse“ gehörend qualifiziert werden, kann klinische Forschungen am Menschen nicht vornehmen, auch dann nicht, wenn er, wie im Falle des § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AMG247, eine arzneimittelrechtliche Zulassung gar nicht anstrebt. Letztlich ist in diesem Fall ein Forschungsverbot die Folge. Die Auswirkungen der Auslegung des Rechtsbegriffs sind darüber hinaus auch in wirtschaftlicher Hinsicht weitgehend: Wer den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse verbindlich angeben kann, ist Herr des Arzneimittelmarktes und damit zugleich Herr der therapeutischen Möglichkeiten248. (aa) Entscheidung wissenschaftlicher Streitfragen durch öffentliche Gewalt Der Einwand, die Behörden bzw. der Gesetzgeber entschieden keinen wissenschaftlichen Streit, ist fragwürdig. Die Behörden mögen zwar nicht selber mit wissenschaftlicher Argumentation in eine kontrovers diskutierte medizinische oder pharmakologische Auseinandersetzung eingreifen. Allerdings lassen sie sich bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe durch Sachverständige – insbesondere antizipiert249 in Form der aufgrund § 26 AMG ergangenen Arzneimittelprüfrichtlinien – beraten, die jeweils selber eine bestimmte wissenschaftliche Auffassung haben. Dadurch wird die Vorbereitung der Grundrechtsbeeinträchtigung auf Private vorverlagert: Der mögliche Einwand, die Behörde könne gar nicht anders, als dem aus ihrer Sicht objektiven und neutralen Votum der Sachverständigen zu folgen, geht fehl. Es darf nicht verkannt werden, daß die öffentliche Gewalt mit der Einbeziehung der Vertreter der jeweils gesicherten wissenschaftlichen Standards diesen gerade erst die Möglichkeit eröffnet hat, derart Einfluß zu nehmen. So sieht auch von Kirchbach, der Majorisierung als Teil des freien wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses versteht, im Ergebnis eine unzulässige Beeinflussung der Wissenschaft darin, daß sich der Staat eine be247 248 249
Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. Gallwas, ZRP 1975, 113 (116). Kloesel/Cyran, § 26 Anm. 6.
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stimmte Meinung zu eigen macht250. Eine Einschaltung von Sachverständigen führt demnach nicht zu einem Entlassen des Staates aus der grundrechtlichen Bindung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Im Ergebnis entscheiden die Behörden also über wissenschaftliche Streitigkeiten251. Das zweite Problemfeld betrifft die besonderen Therapierichtungen. Wie erwähnt252, sind durch den 5. Abschnitt der Richtlinien über die Durchführung der klinischen Prüfung für homöopathische und anthroposophische Therapierichtungen zwar deren Selbstverständnis und Eigenerfahrung als Bewertungspunkte maßgeblich geworden. Auch in der vermeintlichen Offenheit und gelobten Anerkennung des Prinzips der „Binnenanerkennung“253 bezüglich besonderer Therapierichtungen im 5. Abschnitt, Teil 3 der Arzneimittelprüfrichtlinien ist im Grundsatz eine Majorisierung angelegt: Die Bestimmung des Selbstverständnisses und der Eigenerfahrung der jeweiligen Therapierichtung muß entweder einen bestimmten Maßstab, der von der überwiegenden Mehrheit anerkannt wird, anlegen, oder aber sie gesteht jeder Abweichung automatisch den Status einer eigenen Therapierichtung zu, was aber zur Folge hätte, daß sich die Überprüfung wie folgt gestalten würde: Der Prüfungsmaßstab würde von dem zu Überprüfenden in Gänze selber festgelegt werden. Dieses Ergebnis ist sicher nicht von den oben zitierten Vertretern des rechtswissenschaftlichen Schrifttums gewollt und läßt sich auch nicht mit Teil A des 1. Abschnitts der Arzneimittelprüfrichtlinien vereinbaren, der konstatiert, daß der jeweils gesicherte Stand die „vorherrschende Auffassung“ der Experten der pharmazeutischen und medizinischen Wissenschaft und Praxis wiedergibt. Letztlich werden jedenfalls diejenigen methodischen Ansätze, die nicht homöopathisch, anthroposophisch oder phythologisch sind, weiterhin dem Dogma des kontrolliert klinischen Versuchs unterworfen. Die Ausnahme von der Zulassungspflicht für homöopathische Arzneimittel und das statt dessen geltende Registrierungsverfahren (§§ 38 f. AMG) kann an dem Vorwurf einer Majorisierung nichts ändern. Zwar findet dadurch eine nicht unerhebliche Reduzierung der Dominanz der Schulmedizin statt. Jedoch ist in den vom Einfluß der Schulmedizin befreiten Ausnahmebereichen die Registrierung zu versagen, wenn u. a. das Arzneimittel nicht nach einer im Homöopathischen Teil des Arzneibuchs beschriebenen Verfahrenstechnik hergestellt ist (§ 39 Abs. 2 Nr. 7 AMG) oder wenn die Anwendung als homöopathisches oder anthroposophisches Arzneimittel nicht allgemein anerkannt ist (§ 39 Abs. 2 Nr. 7a AMG). Die Festschreibung der 250 251 252 253
Von Kirchbach, S. 215 f. Dulce, ZRP 1975, 285 (286); Kriele, ZRP 1975, 260 (266). Siehe oben 2. Teil. Zuck, NJW 1991, 2933 (2937).
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Rechtsverbindlichkeit des Homöopathischen Arzneibuchs und des Kriteriums der allgemeinen Anerkanntheit lassen aber ihrerseits keinen Raum für von diesen vorgegebenen Maßstäben abweichende Ansätze. Die Einrichtung von Zulassungskommissionen (§ 25 Abs. 6 AMG), die auf die Besonderheiten der Therapierichtungen Rücksicht nehmen, vermag an der Beschränkung des Wissenschaftspluralismus ebenfalls wenig zu ändern. Sie mag zwar der Sicherung der Entscheidungsbeteiligung unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansichten dienen254, doch bleibt es auch hier nicht aus, daß eine bestimmte Mehrheit von Sachverständigen über die Wissenschaftlichkeit anderer Auffassungen entscheidet: Die Kommissionen werden eben nur für bestimmte, nämlich für die bedeutendsten Richtungen gebildet. Nicht jede Abweichung von den Richtungen mit den meisten Vertretern erhält eine eigene Kommission. Nach der „Bekanntmachung zur Berufung der Sachverständigen für die Kommissionen nach § 25 Abs. 6 und 7 AMG v. 13.4.1977“255 sind es lediglich die Kommissionen für anthroposophisch orientierte Medizin (Kommission C), Homöopathie (Kommission D), Phytotherapie (ehemals Kommission E). Alle übrigen Therapierichtungen werden unter den Begriffen Naturheilkunde, Biologische Medizin oder Ganzheitsmedizin zusammengefaßt. Für sie bestehen keine eigenen Regelungen. Soweit die hier in Rede stehenden, vom Standard abweichenden Vorgehensweisen der Forschungstätigkeit erkenntnisgeleitet sind, dürfen sie von der Teilhabe an der klinischen Prüfung am Menschen auch mit Zulassungsabsicht jedoch nicht generell ausgeschlossen werden256. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht. Beide sehen den von Art. 5 Abs. 3 GG gewährten Grundrechtsschutz wie selbstverständlich auch für unorthodoxe Ansätze gegeben, die möglicherweise sogar nur intuitiv geleitet sind257. (bb) Unerreichbarkeit der vom Forscher aufgestellten These kein geeignetes Ausschlußkriterium Allerdings könnte man eine inhaltliche Steuerung der Forschung für ausgeschlossen halten, wenn die vom Forscher zum Beginn der klinischen Prüfung aufgestellten Thesen mit den anvisierten Methoden unerreichbar schei254
Franz, S. 189. BAnz. Nr. 79 v. 27.4.1977. 256 Ähnlich Ronellenfitsch, S. 98; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rdnr. 322 f. 257 BVerfGE 35, 79 (112 f.); 47, 327 (367); 90, 1 (12); BVerwGE 102, 304 (307); ebenso Flämig, S. 25; Hailbronner, S. 154. 255
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nen258, sich diese Thesen also aus Sicht der den „jeweils gesicherten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse“ bildenden Auffassung als unsinnig darstellen würden. Dem könnte man allenfalls dann folgen, wenn die Beurteilung der Unerreichbarkeit möglich wäre, ohne daß dabei grundlegende Zweifel bleiben. Andernfalls ist die Grenze zur Einflußnahme auf bestimmte Inhalte oder Methoden leicht überschritten: Denn die Erkenntnisgewinnung in der Wissenschaft ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß es sich nur um ein Suchen259, um ein Bemühen um Wahrheit260 handelt und zu Beginn eines Experimentes nicht oder jedenfalls nur mit großer Unsicherheit die Ergebnisse vorhergesagt werden können. Wäre das anders, bräuchte man die Versuche nicht durchzuführen. Auch der Prozeß der Wissenschaft gewinnt immer wieder ungewöhnliche und überraschende Inhalte und Formen261. Es ist demnach von einer prinzipiellen Unabgeschlossenheit wissenschaftlicher Erkenntnis auszugehen262, die es verhindert, mit objektiver Sicherheit vorherzusagen, ob ein methodischer Ansatz neue Erkenntnisse hervorzubringen vermag. Der erkenntnistheoretische und technische Fortschritt hat gezeigt, daß die eine oder andere Meinung, die im Zeitpunkt ihrer Entstehung objektiv richtig zu sein schien, sich letztlich doch nicht als tragfähig erwiesen hat. Die unkontrollierten Versuchsmethoden beispielsweise haben in der Vergangenheit durchaus bedeutende Erfolge in der Arzneimittelentwicklung hervorgebracht. Die wegweisende Entwicklung des Chinins, der Digitalispräparate, des Aspirins und des Penicillins sind vor allem zu nennen263. Beobachtungsstudien als Fall eines unkontrollierten Versuchs werden auch in der Psychotherapie und der Onkologie (so z. B. bei der Chemotherapie) angewandt264. Von den Naturheilmethoden, die heute weniger als früher scharf angegriffen werden265, sind mittlerweile Teilbereiche seitens der Schulmedizin anerkannt266. 258 So Deutsch, VersR 1983, 1 (2); ähnlich Heydebrand/Gruber, ZRP 1986, 115 (116) zur Unzulässigkeit von Tierversuchen, die nicht zu bisher unbekannten Ergebnissen führen können. 259 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 331; Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft) Rdnr. 14. 260 BVerfGE 47, 327 (367). 261 Pieroth/Schlink, Rdnr. 622; ähnlich Häberle, AöR 110 (1985), 329 (360). 262 BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367 f.); 90, 1 (12); Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft) Rdnr. 20; siehe auch schon oben 3. Teil B. I. 4. a) aa) (2) (aa). 263 Biermann, S. 67. 264 Biermann, S. 67. 265 Siehe nur die Nachweise bei Kiene, S. 93, der die besonderen Therapierichtungen als „Wucherungen“ bezeichnet sieht; Clausius, S. 2 m. w. N.
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Selbst die klassische Schulmedizin gebraucht zahlreiche eingeführte Therapien mit unsicherem Erfolg, insbesondere Transplantationen gehören oftmals noch zur experimentellen Medizin267. Aus diesen Erfahrungen mit nicht erwarteten Erkenntnisgewinnen und aus dem hohen Unsicherheitsfaktor, mit dem einige standardmäßige Verfahren durchaus belastet sind, ergibt sich, daß das Kriterium der Unerreichbarkeit von Erkenntnisgewinn schon aus tatsächlichen Gründen weitgehend ungeeignet ist. Würde man das anders beurteilen, so bedeutete das eine Verengung des Wissenschaftsbegriffs, die verkennen würde, daß die Wissenschaft geradezu davon lebt, völlig Neues zu entdecken268. (cc) Verfassungskonforme Auslegung In Anbetracht der oben dargestellten relevanten Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit wird eine verfassungskonforme Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „jeweils gesicherten Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ vorgeschlagen. Es werden als Mindestanforderung lediglich eine wissenschaftlich fundierte und vertretbare Argumentation und Untersuchung verlangt269. Damit kommt sie der hier vertretenen Auffassung nahe, Maßstab könne nur eine Plausibilitätsprüfung der vom Forscher selbst aufgestellten theoretischen Ansätze sein. Für eine derartige verfassungskonforme Auslegung läßt sich die vom Gesetzgeber des AMG von 1976 geäußerte Vorstellung anführen, es sei ausreichend, daß bestimmte Indizien für die im Zulassungsantrag behauptete Wirksamkeit sprechen, weil es nicht Aufgabe des Gesetzgebers sei, eine bestimmte Methode zum ausschließlichen Maßstab für die Zulassung zu erheben270. Jedoch können die Ersatzkriterien der wissenschaftlichen Fundiertheit und Vertretbarkeit nichts an der grundrechtsverkürzenden Wirkung der hier zu prüfenden AMG-Normen ändern. Denn trotz dieser – für sich gesehen zutreffenden Aussagen – wird im Ergebnis eine Vorrangstellung des kontrolliert klinischen Versuches eingeräumt, die eben zur Pluralitätsverletzung 266
Clausius, S. 2; Leibholz, S. 31 f. Ringe, S. 69; Laufs, VersR 1978, 385 (387); vgl. auch zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht bei „Neulandoperationen“ Kramer, S. 23 ff. m. w. N. 268 Dazu Bleckmann, S. 81. 269 Von Kirchbach, S. 235, 225, 227; auch die Gesetzesbegründung zum AMG von 1976 (BT-Drucks. 7/5091, S. 15, zur Wirksamkeit) geht von einem Wissenschaftspluralismus aus, der nicht nach einem an einheitlichen Methoden ausgerichteten naturwissenschaftlichen Experiment verlangt; zur Prüfung der Wirksamkeit auch Scholz/Stoll, MedR 1990, 58 (62). 270 BT-Drucks. 7/5091, S. 15. 267
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
281
führt. So schließt etwa von Kirchbach an sein Bekenntnis zur verfassungskonformen Auslegung hinsichtlich des § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG an, daß der kontrolliert klinische Versuch weiterhin eine Standardmöglichkeit im Rahmen der Wirksamkeitsbegründung sei, jeder Antragssteller jedoch dartun müsse, aus welchen Gründen er für sein Arzneimittel keinen kontrolliert klinischen Versuch durchgeführt habe271. Diese Anforderung entspricht – wie erwähnt – den „Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Anwendung der Arzneimittelprüfrichtlinien“, die aufgrund § 26 AMG – jedoch zeitlich erst nach der Arbeit von Kirchbachs – erlassen wurden. Über den Begriff des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ findet, zusammenfassend formuliert, über den Umweg der Vorwirkungen wirtschaftlicher Art also eine inhaltliche Beeinflussung der Forschungstätigkeit statt. Insgesamt liegt eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit mit anderen Worten nicht nur deswegen vor, weil irgendeine Form von Forschung am Menschen reguliert wird, sondern auch deswegen, weil bestimmte Methoden ausgeschlossen werden. b) Fehlen der therapeutischen Wirksamkeit oder ihrer Begründung, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG Auch im Fall der Prüfung der Wirksamkeit eines Arzneimittels im Zulassungsverfahren wirkt eine Einschränkung der Verwertbarkeit des bereits gewonnenen Erkenntnismaterials durch eine negative Beurteilung der Wirksamkeit als mittelbare Beeinträchtigung auf die Erkenntnissuche vor. Da die Ergebnisse der Arzneimittelforschung ohne Zulassung wirtschaftlich gänzlich nicht verwertet werden könnten, liegt nicht lediglich eine Beschränkung des Verwertungsmodus vor, die anhand der oben entwickelten Grundtypen zu bewerten wäre. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist in dieser Konstellation einer Verwertungssperre immer betroffen. Die bei dem Begriff des „jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse“272, diskutierten Probleme inhaltlicher Steuerung von Forschungstätigkeit treten auch bei der Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit auf. Ähnlich wie dort, wird im Schrifttum zu der Frage, inwiefern eine solche Steuerung möglich ist, unterschiedlich geurteilt, ohne dabei jedoch auf den hier untersuchten Vorwirkungszusammenhang, also auf die Möglichkeit einer mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung einzugehen. Überwiegend wird den Aussagen des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren zum AMG von 1976 gefolgt. Dort wurde ausdrücklich erklärt, die 271 272
Von Kirchbach, S. 231. Siehe oben a).
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Pluralität der Therapierichtungen solle erhalten bleiben und die Methodenwahl solle der medizinischen Wissenschaft überlassen bleiben273. Eine Majorisierung anderer Therapierichtungen durch die überwiegende Auffassung solle nicht erfolgen, denn es sei nicht Aufgabe des Gesetzgebers, bestimmte Methoden für den Nachweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels festzulegen und zum ausschließlichen Maßstab für die Zulassung zu erheben274. Ausfluß dieses (allerdings nur vorläufigen) Bekenntnisses zur Pluralität sind auch die bereits erwähnten Arzneimittelprüfrichtlinien, die bei besonderer Rechtfertigung, der Prüfung bekannter Wirkstoffe und bei homöopathischen sowie anthroposophischen Arzneimitteln Ausnahmen vom Erfordernis des kontrolliert klinischen Versuchs vorsehen. Die Arzneimittelprüfrichtlinien sehen hinsichtlich der Wirksamkeitsbeurteilung – ebenso wie hinsichtlich des jeweils gesicherten Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse – in ihrem 4. Abschnitt, F. 1. den kontrollierten klinischen Versuch als Regelfall an erklären Abweichungen von dieser Versuchsanordnung für rechtfertigungsbedürftig. Auch die im 5. Abschnitt enthaltenen Sonderregeln für Arzneimittel der homöopathischen und anthroposophischen Therapierichtungen bedeuten nach den obigen Darlegungen im Ergebnis gleichwohl eine Majorisierung der Arzneimittelforschung. 3. Untersuchung von Vorwirkungen auf die Forschungsfreiheit anhand weiterer Beispiele Die zur Feststellung einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung der Forschungsfreiheit im Bereich der Verwertungshandlungen entwickelten Kriterien sollen im folgenden an einigen weiteren Beispielen angewendet werden. Dabei wird sich zeigen, daß mit der Einbeziehung von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit nicht etwa Tür und Tor geöffnet wird für eine „Hypertrophie“ des Grundrechtsschutzes. a) Positivliste Insbesondere im Bereich des Arzneimittelrechts gibt es angesichts dramatischer Zustände275 im Gesundheitssystem zahlreiche (oftmals untaugliche) 273
BT-Drucks. 7/5091, S. 6. Franz, S. 184; Kloesel/Cyran, § 26 Anm. 11; auch: Bundesgesundheitsamt, bei Kiene, S. 34; Schnieders/Schuster, Pharma Recht 1983, 43 (48). 275 Mehr als die Hälfte des im Jahre 2001 zu erwartenden Defizits in der GKV von ca. 4 Mrd. DM geht auf die Ausgaben im Arzneimittelbereich zurück, siehe dazu den Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrucks. 14/7144, S. 1. Zur Entwicklung im Jahr 2002 Verband forschender Arz274
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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Versuche, durch „Herumdoktern“ an den Symptomen den drohenden Kollaps zu verhindern. Dabei ist durchaus auch die Arzneimittelforschung mit betroffen. Eine Möglichkeit, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen zu senken, wird in der Einführung der sogenannten Positivliste gesehen, die eine Ablösung der sogenannten Negativliste darstellt276. Während die Negativliste lediglich diejenigen Medikamente aufzählt, die nicht erstattungsfähig sind, werden in der Positivliste alle Arzneimittel aufgeführt, auf die der Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Behandlung einer Erkrankung Anspruch hat277. Arzneimittel, die nicht auf der Positivliste aufgeführt sind, kann der Arzt nicht zu Lasten der GKVen verordnen278. Mit der Positivliste wird quasi ein zweites Zulassungsverfahren eingeführt279, denn die Marktreichweite des Arzneimittels ist von der Aufnahme in die Liste abhängig. Die Verordnung eines Arzneimittels per Privatrezept bleibt aber möglich. Grundlage für die Positivliste ist eine Rechtsverordnung der Bundesregierung aufgrund § 33a SGB V. Die Positivliste sollte nach Vorstellung der Bundesregierung in Form eines Gesetzesentwurfes in den Bundesrat eingebracht werden. Dieser „Entwurf eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung“280 wurde jedoch mit der Mehrheit im Bundesrat im Mai 2003 abgelehnt281. Das Schicksal der Positivliste ist nunmehr vorerst offen. Die Positivliste wird zur Folge haben, daß die wirtschaftliche Verwertung auch von bereits zugelassenen Arzneimitteln beeinträchtigt wird: Nur noch die Kosten für bestimmte Arzneimittel werden von den GKVen erstattet werden. Diejenigen, die nicht auf der Liste stehen, dürften nur noch eher selten verordnet werden. Gleichwohl ist die Positivliste keine relevante mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß die GKV-Erstattungsfähigkeit eines Medikaments für dessen wirtschaftlichen Erfolg maßgebliche Bedeutung hat. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Kassenarztrecht im Hinblick auf die Tätigkeit eines Arzneimittelhersteller, Statistics 2002, S. 45 ff. Überblick über die vergangenen Jahrzehnte bei Philipp, S. 59 ff. 276 Mummenhoff, Pharma Recht 2001, 217 (229). 277 Zu den materiellen Kriterien der Positivliste Mummenhoff, Pharma Recht 2001, S. 217 ff. 278 Damit ist die Positivliste vergleichbar mit den sogenannten Spezialitätenlisten im schweizerischen Recht, Richli, AJP/PJA 2002, 340 (346 Fn. 42). 279 Philipp, S. 151 f.; kritisch auch die Begründung des Gesetzesantrags der FDP-Fraktion, BT-Drucks. 14/6571, S. 3. 280 BR-Drucks. 236/03. 281 BR-Plenarprotokoll 788. Sitzung, 23.05.2003, S. 148.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
tes festgestellt, der frei praktizierende Arzt könne wirtschaftlich gesehen seinen Beruf ohne Kassenzulassung nicht erfolgreich ausüben282. Obwohl die GKV-Erstattungsfähigkeit von ähnlicher Bedeutung für die forschenden Arzneimittelhersteller ist wie für den Arzt die Kassenzulassung, ist hinsichtlich einer relevanten Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG – anders als bei dem der zitierten Entscheidung zugrundeliegenden Grundrecht der Berufsfreiheit – der wirtschaftliche Erfolg nur in dem oben dargelegten Umfang und in der spezifisch auf die Erkenntnissuche vorwirkenden Weise relevant. Ausschlaggebend für eine Verneinung der Vorwirkung in diesem Fall ist zum einen, daß – wie es auch die Gesetzesbegründung sieht – die Nichtaufnahme in die Vorschlagsliste nicht die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit beeinträchtigt283. Es findet keine Vereitelung der Verwertungsmöglichkeit überhaupt statt. Die Beeinträchtigung des Verwertungsmodus belastet die Erkenntnissuche nicht. Denn eine wirtschaftliche Verwertung bleibt weiterhin möglich, da eine Erstattung von Arzneimitteln durch private Krankenversicherungen und der staatlichen Beihilfe nicht betroffen ist. Außerdem ergibt sich die fehlende Vorwirkung aus dem hohen, stetig zunehmenden Anteil der Selbstmedikation, also desjenigen Arzneimittelkonsums, der nicht auf eine ärztliche Verordnung zurückgeht und daher von der GKV-Erstattungsfähigkeit unberührt bleibt. Im Jahr 2000 wurden in Deutschland für 8,2 Mrd. DM Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung gekauft, das sind 58% der abgegebenen freiverkäuflichen, rezeptfreien Medikamente284. 2001 wurden 4,26 Milliarden Euro für die Selbstmedikation ausgegeben, was einer neuerlichen Steigerung um 2,3% entspricht285. Die Zahlen belegen, daß auch bei Beschränkungen des Verwertungsmodus ein durchaus beachtlicher wirtschaftlicher Erfolg auf dem Markt der verordnungsfreien Arzneimittel zu erreichen ist. Einschränkungen derjenigen Verwertungsmöglichkeiten, die eine erdenklich optimale Verwertung eröffnen, sind – wie gezeigt – gerade nicht typischerweise relevante mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit. b) Festbetragssystem und sog. Aut-idem-Regelung Neben der Positivliste wird über das System der Arzneimittel-Festbeträge auf den Arzneimittelmarkt eingewirkt. Art. 2 Abs. 1 Arzneimittelausgaben282
BVerfGE 11, 30 (43). BT-Drucks. 14/1245, S. 76 zu Abs. 5. 284 Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, Pharma-Daten 2001, S. 8 f., 74; vgl. zur Entwicklung seit 1996 Verband forschender Arzneimittelhersteller, Statistics 2002, S. 52. 285 FAZ vom 28.03.2002, Nr. 74, S. 19 („Ärzte verschreiben wieder mehr rezeptfreie Medikamente“). 283
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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Begrenzungsgesetz (AABG)286 sieht vor, daß die Preise verschreibungspflichtiger Arzneimittel in den Jahren 2002 und 2003 höchstens 96% der am 1. Juli 2001 geltenden Preise betragen dürfen. Auch die sogenannte Aut-Idem-Regelung, bei der das vom Arzt verordnete Arzneimittel durch den Apotheker durch ein wirkstoffgleiches preiswerteres Präparat ersetzt werden kann (§§ 73 Abs. 5 S. 1, 129 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), ist ein Versuch, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen aufzuhalten. Ebenfalls durch das AABG eingeführt, kehrt es die gegenwärtige Rechtslage um, nach der das Substitutionsrecht des Apothekers die Ausnahme ist, die vom Arzt ausdrücklich erlaubt werden muß287. Beiden Fällen ist gemeinsam, daß sie – ebenso wie die Positivliste – im Bereich der GKV-Fähigkeit der Kosten eines Arzneimittels ansetzen. Die Festbeträge gelten nur für die Erstattungsleistung der GKVen, etwaige Überbeträge muß der Patient selber zahlen. Die Möglichkeit, Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung zu erwerben und die Erstattung durch private Krankenversicherungen und die staatliche Beihilfe, bleibt davon unberührt. Wegen des bedeutenden Anteils der Selbstmedikation (s. o.), ist dieses Marktsegment auch geeignet, die wirtschaftliche Grundlage der Forschungstätigkeit zu sichern. Darüber hinaus, und das ist entscheidend, ist die Höhe der Festbeträge nicht derart niedrig angesetzt, daß jede Refinanzierbarkeit der Erkenntnissuche und Entwicklung des Arzneimittels unmöglich wäre. Gegen das vor Änderung der Festbeträge bestehende Festbetragssystem hat sich ein Pharmaunternehmen nicht etwa unter Hinweis auf eine Beeinträchtigung seiner Forschungsfreiheit, sondern unter Hinweis auf die Verletzung seiner Berufsfreiheit gewendet. Das Bundesverfassungsgericht erklärte auf Vorlage des Bundessozialgerichts die entsprechenden Regelungen des SGB V jedoch für verfassungsgemäß. Insbesondere sei die Berufsfreiheit nicht beeinträchtigt, da das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb oder auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten gewähre288. Vielmehr unterlägen die Wettbewerbspositionen und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen. Auch eine Verfassungsbeschwerde gegen Art. 1 AAGB, rügte nur die Verletzung der Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG. Diese hat das Bundesverfassungsgericht schon gar nicht zur Entscheidung angenommen289.
286
BGBl. I 2002, S. 684 ff. Wigge, Pharma Recht 2002, 2. 288 BVerfG, NJW 2003, 1232 ff. unter Hinweis auf BVerfGE 24, 236 (251); 34, 252 (256). 289 BVerfG, Beschl. v. 28.03.2002, 1 BvR 408/02, http://www.bverfg.de. 287
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Bei der Aut-Idem-Regelung besteht die Möglichkeit, daß der verordnende Arzt die Abgabe eines alternativen Medikaments ausschließt (§ 73 Abs. 5 S. 2 SGB V). Die GKV-Erstattungsmöglichkeit ist demnach auch teureren Arzneimitteln gleichen Wirkstoffs nicht generell verschlossen. Dieser Aspekt und die genannte unberührt bleibende Möglichkeit, die Arzneimittel weiterhin auf dem Markt der Selbstmedikation zu verwerten, führen dazu, daß auch in diesem Fall eine relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 GG nicht angenommen werden kann. Eine Vorwirkung auf die Forschungstätigkeit besteht nicht, da die von der Aut-Idem-Regelung ausgehende Beschränkung des Verwertungsmodus nur die Möglichkeit größeren Gewinns beeinträchtigt. Die wirtschaftliche Grundlage der Forschungstätigkeit wird nicht angegriffen. c) Ausstieg aus der gewerblichen Nutzung der Kernenergie Die oben gefundene Grenzziehung läßt sich an einem Beispiel außerhalb des Arzneimittelrechts anwenden. Dafür wird ein Fall ausgewählt, bei dem eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit eher fernliegend zu sein scheint. Eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 GG wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits in der „Kalkar“-Entscheidung290 nicht geprüft, obwohl der Genehmigungsvorbehalt des § 7 AtomG a. F. dazu durchaus Veranlassung gegeben hätte291. Der gesetzlich angeordnete Ausstieg aus der gewerblichen Nutzung der Kernenergie bietet noch mehr Anlaß dazu, die Forschungsfreiheit als Maßstab für die Beurteilung seiner Verfassungsmäßigkeit heranzuziehen. Der Ausstieg ist nach § 1 Nr. 1 AtomG zwar nur auf die gewerbliche Erzeugung von Elektrizität bezogen, so daß Forschungsreaktoren weiterhin betrieben werden können. Das durch § 7 Abs. 1 S. 2 AtomG ausgesprochene Verbot, weitere Anlagengenehmigungen zu erteilen, gilt demnach ebenfalls nicht für Forschungsreaktoren292. Das sich zur Rechtmäßigkeit des Atomausstiegs äußernde Schrifttum verfährt überwiegend wie das Bundesverfassungsgericht in der „Kalkar“-Entscheidung und erwähnt Art. 5 Abs. 3 GG nicht293. Intensiver hat sich indes Roßnagel – allerdings noch auf Grundlage des Referentenentwurfs, der Forschungsreaktoren nicht generell ausnahm – mit der Frage einer Verletzung von Art. 5 Abs. 3 GG beschäftigt und geprüft, inwiefern die entsprechen290
BVerfGE 49, 89 ff. R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (473). 292 Ausdrücklich klargestellt in der Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD und Bündnis90/Die Grünen, BT-Drucks. 14/6890, S. 21. 293 Ebenso übergeht die Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD und Bündnis90/Die Grünen die Forschungsfreiheit und erörtert nur eine mögliche Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG, BT-Drucks. 14/6890, S. 15. 291
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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den Grundrechtspositionen der Betreiber von Forschungsreaktoren dem Ausstieg entgegenstehen könnten294. Aus zwei Gründen gelangt er zu einer Rechtfertigung der Grundrechtsverkürzung. Zum einen verweist er pauschal auf kollidierende Verfassungsgüter295. Zum anderen gesteht er dem Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum beim Ausgleich der unterschiedlichen Verfassungspositionen zu. Letztlich führt er an, die Regelung sei jedenfalls verhältnismäßig, weil kleinere Forschungsreaktoren weiterhin betrieben werden könnten296. Im Rahmen der hier vorzunehmenden Untersuchung interessieren indes nicht die Forschungsreaktoren, sondern die kommerziell zur Stromgewinnung betriebenen Reaktoren297, auf welche die „geordnete Beendigung“ der Kernenergienutzung durch das beschlossene Gesetz beschränkt ist. Die Verbindung zur Forschungsfreiheit besteht darin, daß die Kernenergieforschung durch den staatlich veranlaßten Wegfall der Kernenergienutzung in Deutschland keine inländische Verwertungsmöglichkeit ihrer Erkenntnisprodukte mehr besitzen würde. Mangels Sicherung ihrer wirtschaftlichen Grundlage könnte dann der hier die Verbindung zwischen Verwertung und Erkenntnissuche herstellende Vorwirkungszusammenhang bejaht werden. Daß diese Vorwirkung aber einen Grad erlangt, wie er nach der obigen Prüfung für eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit nötig wäre, ist fragwürdig, weil die forschenden Unternehmen ihre Erkenntnisprodukte und die aus diesem folgenden Waren weiterhin im Ausland absetzen können. Die Verwertbarkeit ist trotz des inländischen Verwertungsverbotes also im ganzen gesehen gegeben. Auch Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG, nach denen sich die deutsche Staatsgewalt in ihrer Tätigkeit an die Grundrechte halten muß, ändern daran nichts. Zwar ist zutreffend, daß die Grundrechte (natürlich) verlangen, das geschützte Verhalten im Geltungsbereich des Grundgesetzes ausüben zu können. Indes sind die Verwertungshandlungen, um deren Beschränkung es hier geht, im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 GG nicht eigenständig geschützt, sondern nur über den Umweg, daß Einschränkungen der Verwertungshandlungen mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein können. In der Folge kommt es nur auf die de facto bestehende Möglichkeit der Verwertung an. Diese ist durch die Absatzmärkte im Ausland vorhanden. Die eigentlich geschützte Tätigkeit der Erkenntnissuche bleibt dadurch aber weiterhin im Inland möglich. Auch in dem Fall des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie bedeutet die staat294
Roßnagel, S. 31 f. Roßnagel, S. 32. 296 Roßnagel, S. 59 f. 297 Daß die Betreiber dieser Anlagen in der Regel gemischt-wirtschaftliche juristische Personen sind, tut ihrer Grundrechtsfähigkeit keinen Abbruch, siehe nur Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 19 Rdnr.15; Stern, III/1, S. 1169 ff. 295
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
liche Einschränkung der Verwertungsphase nur eine Reduzierung der Gelegenheit möglichst optimaler Gewinnerzielung, die nicht an Art. 5 Abs. 3 GG zu messen ist.
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit Die allgemeinen Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von staatlichen Akten, die die Forschungsfreiheit verkürzen, wurden bereits im 3. Teil entwickelt. Ebenso wie dort ist zur Rechtfertigung einer relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit ein kollidierendes Verfassungsgut erforderlich298. 1. Keine reduzierten Rechtfertigungsanforderungen wegen kommerziellen Bezugs der Verwertungshandlungen Mehr noch als bei der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Erkenntnissuche wird für die Verwertungshandlungen selbst eine Abstufung der Intensität des Grundrechtsschutzes für nötig erachtet (unten a.). Es läßt sich indes nicht nachweisen, daß von Verfassungs wegen eine solche Abstufung geboten ist. Ausschlaggebend für die Abstufung ist vielmehr insbesondere der Grad der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Kollisionsgüter (unten b.). a) Untauglicher Ansatz: Abstufung des Schutzes nach Grad der Außenwirkung Maßgebliches Kriterium für die Bestimmung des Grades der Abstufung ist, faßt man die unterschiedlichen Ansätze – die jedoch überwiegend nicht unmittelbar Bezug auf den Schutz der Verwertungshandlungen nehmen, weil sie diesen erst gar nicht Art. 5 Abs. 3 GG zuordnen – zusammen, die Außenwirkung der Grundrechtsausübung. So wird überwiegend vertreten, im Fall der konfliktträchtigen Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder bestimmten Forschungsergebnissen erreiche Art. 5 Abs. 3 GG die schrankenintensivere Zone des Wirkbereichs299. Wenn man die Verwertung nicht als Unterfall der Verbrei298
Siehe oben 3. Teil B. III. 1. Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 223; Hailbronner, WissR 13 (1980), 212 (218); Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 79; Losch, S. 115; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 181; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 27; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III, Rdnr. 187; Turner, ZRP 1986, 172 (173); Wendt, in: von 299
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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tung sehen möchte, so wird man gleichwohl den Ansatz zur Differenzierung des Schutzes auch für die Verwertungshandlungen gelten lassen müssen. Auch diese entfalten, im Vergleich zur Erkenntnissuche, eine höhere Wirkung nach außen. Diese Außenwirkung muß aber nicht zwingend dazu führen, daß häufiger Kollisionen mit anderen Rechtsgütern auftreten. Die Gefahren für die Gesundheit derjenigen Patienten, die ein zugelassenes Arzneimittel einnehmen, sind im Vergleich zu den Gefahren, die in der Phase der klinischen Prüfung für deren Teilnehmer bestehen, sicher nicht höher. Während der klinischen Prüfung wird gerade untersucht, wie mögliche Gefahrenpotentiale des Arzneimittels minimiert werden können. Da die Zahl der Patienten, die ein zugelassenes Arzneimittel einnehmen aber deutlich größer ist als der Kreis der Teilnehmer der klinischen Prüfung, ist jedenfalls insofern eine größere Außenwirkung der Verwertungsphase anzunehmen. Teilweise wird nach dem sozialen Bezug der Forschungstätigkeit abgegrenzt. Einschränkungen der Phase des Experiments werden ebenso wie Einschränkungen der Anwendung der Erkenntnisse geringeren Rechtfertigungsanforderungen unterstellt300. In diesem Zusammenhang werden Art. 15 Abs. 2 des Entwurfs von Herrenchiemsee bzw. der wortgleiche Art. 12 Verf. Bremen angeführt als Beleg dafür, daß die „besondere rechtliche Legitimation für wissenschaftliche Leistungen nicht in die praktische Anwendung hineinzutragen“ sei301. Hieraus wiederum wird die Notwendigkeit einer abgestuften Schrankenintensität gefolgert. Die auf den Grad der Außenwirkung bezugnehmende Auffassung kann sich auf das Ergebnis systematischer Betrachtungen berufen. Eine Unterscheidung der Schutzintensität zwischen verschiedenen Ausdrucksformen – wie hier zwischen Werk- und Wirkbereich – wird auch bei anderen Grundrechten angenommen. Eine solcherart gestaltete Abstufung wird man deshalb nicht als Fremdkörper im Bereich der Grundrechtsdogmatik ablehnen können. Auch bei der Kunstfreiheit werden für den Wirkbereich im Vergleich zu dem Werkbereich abgestufte Rechtfertigungsanforderungen aufgestellt. Relevante Beeinträchtigung des Wirkbereichs sind danach nach stark vertretener Auffassung wegen ihres Ausgreifens in die Sozialsphäre hinein unter geringeren Anforderungen möglich302. Eine solche Einordnung geht von
Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 113, 98; Würkner, NVwZ 1992, 150 (153), zur Kunstfreiheit. Allgemein zum abgestuften Schutz bei höherem sozialen Bezug Bleckmann, S. 89. 300 So Dickert, S. 492 f. 301 Art. 12 LVerf. Bremen heranziehend Losch, S. 268.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
der dienenden und daher weniger schutzwürdigen Funktion der Vermittlung des Kunstwerks gegenüber dessen Schaffung aus. Ebenso wird bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) mit der sogenannten Sphärentheorie zwischen Intim-, Privat- und Sozialsphäre unterschieden303. Auch dort ist der Schutz abgestuft: Die Intimsphäre soll dem staatlichen Zugriff ganz entzogen sein304, bei der Privatsphäre sollen relevante Grundrechtsbeeinträchtigungen „besonders streng“ am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen sein305, wohingegen die Sozialsphäre den nicht modifizierten Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG unterliegen soll306. b) Tauglicher Ansatz: Schutzbedürfnis der kollidierenden Verfassungsgüter Die soeben beschriebene Abstufung des Schutzes von Grundrechtstätigkeit anhand der durch stärkeres Auftreten nach außen verursachten höheren Einwirkungsintensität auf andere Rechtsgüter ist indes nicht geeignet, um den von der Forschungsfreiheit ausgehenden Anforderungen gerecht zu werden. Gegen ein derartiges Abgrenzungskriterium lassen sich mehrere, im folgenden darzustellende Gründe anführen. Zum einen erscheint eine unterschiedliche Behandlung zwischen Erkenntnissuche und Verwertungshandlungen angesichts des engen Zusammengehörens beider Phasen weder sinnvoll noch brauchbar. Zum anderen wird im folgenden durch Rückgriff auf die Aufgabe der Schrankenebene als taugliches Abgrenzungskriterium statt des Grades der Einwirkung auf andere Grundrechte der Grad der Schutzwürdigkeit der kollidierenden Verfassungsgüter abgeleitet. Eine Differenzierung der Schutzintensität zwischen einem mehr im „stillen Kämmerlein“ stattfindenden Verhalten (Werkbereich) und einem, das mehr nach außen tritt (Wirkbereich), wird schon bei der Kunstfreiheit für 302 Jarass, in: ders., Pieroth, Art. 5 Rdnr. 91a; F. Müller, Kunstfreiheit, S. 98, 101 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Rdnr. 65; Wendt, in: von Münch/Kunig, Art. 5 Rdnr. 98; Zöbeley, in: Umbach/Clemens, Art. 5 Rdnr. 259. Ablehnend zur Kunstfreiheit BVerfGE 77, 240 (253 f.); Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rdnr. 196, 198a; Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Kunst) Rdnr. 32 mit Blick auf die Einheitlichkeit und Gleichrangigkeit von Werk- und Wirkbereich. 303 Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rdnr. 104. Die Sphärentheorie ist freilich nicht unbestritten, vgl. dazu etwa Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2 Rdnr. 41; Podlech, in: BK, Art. 2 I Rdnrn. 35 ff.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Rdnr. 11. 304 BVerfGE 6, 32 (41); 38, 316 (320). 305 BVerfGE 27, 344 (350). 306 BVerfGE 35, 202 (220); 80, 367 (373).
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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problematisch gehalten. Zwar ist es nicht unzutreffend, eine Verselbständigung des Werks gegenüber dem Urheber zu erkennen und festzustellen, es könnte unabhängig vom Schöpfer tradiert werden307. In der Folge aber den Wirkbereich für geringer schutzbedürftig zu halten, ist fragwürdig. So hat das Bundesverfassungsgericht zur Kunstfreiheit dargestellt, daß die Grundrechtsgewährleistung weitgehend leer liefe, wenn ihr Geltungsbereich nicht auf den Wirkbereich erstreckt würde308. Zutreffend weist das Gericht auch auf die Erfahrungen der NS-Zeit hin, die die Notwendigkeit eines Schutzes der Wirkungen eines Kunstwerkes begründen309. Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegend interessierenden Bereich der wirtschaftlichen Verwertungshandlungen in der bereits erwähnten „Scherenschnitt“-Entscheidung310 ausgeführt, wegen des engen Zusammenhangs zwischen der Schöpfung und der Kommunikation mit der Außenwelt sei der Wirkbereich nicht weniger schutzwürdig als der Werkbereich311. Insgesamt kann mit Denninger zur Kunstfreiheit zusammengefaßt werden, daß die Freiheit des Wirkbereichs keine „Freiheit zweiter Klasse“312 ist. Über diese Überlegungen hinausgehend ist hier bereits nachgewiesen worden313, daß von Einschränkungen der Verwertungsphase derart intensive Vorwirkungen auf die Erkenntnissuche als dem eigentlichen Kern der Forschungstätigkeit ausgehen können, daß eine unterschiedliche Behandlung der beiden Phasen einen zusammenhängenden Prozeß zerteilen würde314. Entsprechend wie bei der Kunstfreiheit werden auch bei der Forschungsfreiheit Bedenken gegen einen schwächeren Schutz des Wirkbereiches erhoben, bzw. wird – früher ansetzend – die Unterscheidung der beiden Bereiche prinzipiell für überflüssig gehalten. Alle Stellungnahmen beziehen sich aber nicht auf den Schutz der Verwertungshandlungen, die von den Autoren erst gar nicht Art. 5 Abs. 3 GG zugeordnet werden315, sondern auf die übrigen Verbreitungsformen. Generell gegen eine Unterscheidung der Schutzintensität wendet sich insbesondere Trute. Er sieht Wissenschaft zu sehr als Kommunikationsprozeß an, als daß der auf Statik setzende und eine gerin307
F. Müller, Kunstfreiheit, S. 70 ff. BVerfGE 30, 173 (189); 67, 213 (224). 309 BVerfGE 30, 173 (192); umfänglich zur nationalsozialistischen Kunstpolitik Knies, S. 11 ff. 310 Siehe oben I. 3. a). 311 BVerwGE 84, 71 (74). 312 Denninger, HStR VI, Rdnr. 44. 313 Siehe oben I. 3. b). 314 Im Hinblick auf die Folgen einer derartigen Aufteilung für den Kommunikationsprozeß allgemein Kleindiek, S. 198; Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1239). 315 Siehe dazu bereits oben I. 2. 308
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
gere Schutzintensität bedeutende Begriff des Wirkbereiches von der Kunst übertragen werden könnte316. Darüber hinaus eigne er sich nicht zur Lösung der bei der Wissenschaft anfallenden Probleme, da die Risiken von Versuchstätigkeiten nicht mit den Handlungen gleichzusetzen seien, die vom Wirkbereich bei der Kunstfreiheit beschrieben würden317. Der letztgenannte Aspekt wird auch im weiteren Schrifttum aufgenommen. Für die Fälle, in denen das Experiment noch zur Erkenntnissuche gehöre318, sei eben keine Trennung zwischen Erkenntnissuche einerseits und weniger forschungsspezifischen sowie weniger schutzwürdigen, nach außen gerichteten Handlungen andererseits möglich319. Damit sind aber gerade nicht die Konstellationen angesprochen, in denen es um die Verwertung von Erkenntnissen geht. Gegen eine unterschiedliche Schutzintensität von Werk- und Wirkbereich läßt sich zutreffend anführen, daß ein Werk seinen Charakter nicht dadurch ändert, daß es auf sozialer Ebene Wirkungen entfaltet320. Als Lösung bietet sich daher die von Losch statt einer strikten Unterscheidung zwischen Wirk- und Werkbereich vorgeschlagene Berücksichtigung der Intensität des Zusammenhangs zwischen Erkenntnisprozeß und Weitervermittlung bei der Abstufung der Schutzintensität an321. Je mehr im Einzelfall die Forschung betroffen sei, desto stärker sei ihr Schutz zu berücksichtigen. Allerdings bleibt er dabei, daß der Übergang zum Wirkbereich verstärkte Regelungskonflikte auslösen könne322. Auf der Suche nach einem geeigneten Kriterium, aufgrund dessen der Schutz von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen auf der Rechtfertigungsebene abgestuft werden kann, kann zunächst anerkannt werden, daß die Hauptgefahren, die vom Forschungsprozeß ausgehen, weniger im Bereich der Formulierung und Diskussion von Hypothesen und Theorien, also der Erkenntnissuche, sondern in ihrer Überprüfung vor allem mit Mitteln des Experiments323 und noch mehr in der Verwertungsphase liegen. Aber mit der Feststellung höherer Konfliktträchtigkeit eines grundrechtlich ge316
Trute, S. 145 f. Trute, S. 146. 318 Zur Abgrenzung siehe oben I. 1. 319 Kleindiek, S. 197 f.; Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft) Rdnr. 33; in diese Richtung auch Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (33); allgemein gehaltener Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1236). 320 Schmitt Glaeser, WissR 7 (1974), 177 (179 f.); ablehnend zur Trennung zwischen Wirk- und Werkbereich auch Hufen, S. 143, 173 zur Kunstfreiheit und zur Wissenschaft an Kunst- bzw. Musikhochschulen. 321 Losch, S. 120. 322 Losch, S. 121. 323 R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (474). 317
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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schützten Verhaltens ist noch nichts darüber gesagt, auf welche Weise der solcherart entstandene Konflikt zu lösen ist. Daß Verhalten mit höherer Außenwirkung gerade wegen dieses Ausgreifens nach außen weniger schutzbedürftig sein sollte, erschließt sich nicht unmittelbar aus der Verfassung324. Allein aus der Konfliktträchtigkeit auf die Abnahme des Grundrechtsschutzes zu schließen, würde die Aufgabe verkennen, die dem Prüfungspunkt der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zukommt. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die auf die Feststellung folgt, daß die Ausübung eines Grundrechts mit anderen Gütern von Verfassungsrang kollidiert, erfüllt im wesentlichen folgenden Zweck: Sie untersucht die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit des in das Grundrecht eingreifenden staatlichen Aktes im Hinblick auf die Erreichung des von ihm verfolgen legitimen Ziels325. Ziel von staatlichen Akten, die eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung zur Folge haben, ist jedenfalls im Bereich der ohne Gesetzesvorbehalt gewährleisteten Grundrechte auch die Lösung des Konflikts zwischen kollidierenden Rechtsgütern. Wenn die Konfliktlösung insbesondere im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit aber nach dem Grad der Außenwirkung bestimmt wird, wird übersehen, daß eigentlich die Wertigkeiten der Kollisionsgüter maßstabgebend für die Konfliktlösung sein müssen. Daß der Grad der Außenwirkung des geschützten Verhaltens eben nicht per se zu einer geringeren Schutzbedürftigkeit führt, ist mit dem Nachweis des intensiven Vorwirkungszusammenhangs326 bewiesen worden. Eine pauschale Lösung der Frage der Intensität von Grundrechtsschutz im Bereich der Verwertung von Forschungsergebnissen ist daher fragwürdig. Auch der Hinweis, jedenfalls im Regelfalle komme den Verwertungshandlungen ein geringerer Schutz zu, ist zweifelhaft. Eine solche Lösung birgt die Gefahr in sich, die Bedeutung der Vorwirkung von Beschränkungen der Verwertungshandlungen auf die Erkenntnissuche zu verkennen und eine zu wenig differenzierende Entscheidung zu treffen. Mehr noch als bei anderen Grundrechten ist – wie oben dargelegt – die Forschungsfreiheit zur Erhaltung ihrer eigenen Grundlagen auf die Verwertung der Erkenntnisprodukte angewiesen. Statt des Grades der Außenwirkung bzw. der Einwirkung auf andere Rechtsgüter ist für die Bestimmung der Schutzintensität der Grad der Schutzbedürftigkeit der Forschungsfreiheit maßgeblich. Geringere Rechtfertigungsanforderungen an relevante Beeinträchtigungen von Verwertungshandlungen sind demnach nur dann zu stellen, wenn die Ausübung der Forschungsfreiheit weniger Schutzes bedarf als das kollidierende Grundrecht.
324 Ähnlich Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1239), der kein proportionales Abnehmen der „Schutzzone“ zum Maß der Außenwirkung sieht. 325 Siehe nur Sachs, in: ders., Art. 20 Rdnr. 149; Stern, III/2, S. 775 ff. 326 Siehe oben II. 1.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Auch unter einem weiteren Aspekt betrachtet, ist eine an der Außenwirkung orientierte Schutzabstufung nicht ohne weiteres schlüssig. Es läßt sich argumentieren, daß, je größer die Außenwirkung eines Verhaltens ist, die Freiheit des Handelnden um so größeren Einflußnahmen ausgesetzt ist, weil ihre Ausübung mit Interessen Dritter kollidieren kann. Und je umfangreicher die Gefahr einer Beeinflussung ist, desto größeren Schutzes bedarf das Verhalten. Zwar besteht in diesem Fall unbestritten die Notwendigkeit, die stärker auftretenden Interessenkonflikte durch Abwägung der einzelnen Positionen auszugleichen. Jedoch darf auf der anderen Seite die zuvor beschriebene Gefahr größerer Einflußnahme nicht zugunsten der „Gesellschaftstauglichkeit“ des grundrechtlichen Verhaltens ignoriert werden. Beiden Aspekten muß bei Abwägung der Verfassungsgüter im Einzelfall Rechnung getragen werden. In systematischer Hinsicht kann sich dieser Lösungsansatz auf die bei Art. 12 Abs. 1 GG entwickelte sogenannte „Drei-Stufen-Lehre“ stützen. Das Bundesverfassungsgericht stellt in deren Rahmen unterschiedliche Rechtfertigungsanforderungen an die eingreifenden Maßnahmen, je nach dem, ob sie als objektive327 bzw. subjektive328 Zulassungsschranke die Berufswahl beeinträchtigen oder ob sie lediglich die Berufsausübung329 betreffen. Auch dort ist nicht der Grad der Außenwirkung Maßstab der Einschränkbarkeit, sondern vor allem derjenige des Rangs und der Betroffenheit der kollidierenden Güter sowie das Vorhandensein von Ausgleichsmechanismen. Damit geht zumindest der hinter der „Drei-Stufen-Lehre“ stehende Gedanke, der das Gewicht der kollidierenden Güter berücksichtigt – anders als bei den oben330 aufgeführten systematischen Vergleichsfällen – in die Richtung der hier vertretenen Orientierung am Gewicht der jeweils kollidierenden Güter. 2. Bezugnahme auf den „jeweils gesicherten Stand der Wissenschaft“ Die in § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG vorgenommene Bezugnahme auf den „jeweils gesicherten Stand der Wissenschaft“ läßt sich nach dem soeben
327 Nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerwiegender Gefahren für ein überragend wichtiges Allgemeingut zulässig, BVerfGE 7, 377 (408); 85, 360 (374). 328 Nur zulässig, wenn diese Regelungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter notwendig sind, BVerfGE 13, 97 (107); 73, 301 (316 ff.). 329 Bereits zulässig bei Legitimation durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, BVerfGE 7, 377 (405 f.); 81, 70 (84). 330 Siehe oben a).
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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erarbeiteten Prüfungsmaßstab verfassungsrechtlich dann rechtfertigen, wenn sie verfassungskonform ausgelegt wird. Ohne eine entsprechende Auslegung steht der durch die Norm bewirkten Grundrechtsverkürzung nicht die körperliche Unversehrtheit der Teilnehmer an der klinischen Prüfung und der späteren Patienten als kollidierendes Verfassungsgut nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zur Seite. Das wäre nur dann anders, wenn der Maßstab des jeweiligen Erkenntnisstandes sich (nur) auf den Schutz der Gesundheit beziehen würde. Allerdings legt § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG den Maßstab des jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse gerade nicht an die Frage der Schädlichkeit und Wirksamkeit eines Arzneimittels an, sondern erstreckt diesen auf die gesamte Prüfung des Arzneimittels. Die Verhinderung von bedenklichen/schädlichen und unwirksamen Arzneimitteln wird durch andere Normen bewirkt. Soweit Gefahren für die Gesundheit derjenigen Patienten verhindert werden sollen, die das zugelassene Arzneimittel einnehmen oder anwenden, so sind derartige Fälle bereits dadurch erfaßt, daß §§ 5, 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AMG Arzneimittel mit schädlichen Wirkungen nicht zulassen. Für die Teilnehmer der klinischen Prüfung geschieht der Gesundheitsschutz durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG331. Aus diesem systematischen Vergleich kann gefolgert werden, daß § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG über die genannten Bereiche hinausgeht. Soweit der jeweils gesicherte Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse also als Maßstab für Methoden und Vorgehensweisen bei der Prüfung des Arzneimittels gemacht wird, die keinen Bezug zur Gesundheit der Patienten haben, fehlt es an kollidierendem Verfassungsgut. Es ist nicht erkennbar, weshalb die Verbindlicherklärung des kontrolliert klinischen Versuches jenseits von Fragen der Bedenklich- und Wirksamkeit eines Arzneimittels aus Gründen des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit nötig wäre. Die langjährigen Erfahrungen mit seiner Methodik und die Anerkanntheit, die er besitzt, haben eben nur im Rahmen der genannten Bereiche verfassungsrechtliche Relevanz. Die systematischen Zusammenhänge stehen einer verfassungskonformen Interpretation des § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG aber nicht entgegen. Dieses Ergebnis dürfte freilich kaum praktische Auswirkungen haben, da es wenig Streitfragen zwischen den unterschiedlichen medizinischen Schulen geben wird, die Gegenstände betreffen, die außerhalb von Fragen der Schädlichkeit und Wirksamkeit liegen. Ein großzügiges Verständnis des Bezuges zwischen entsprechenden Streitgegenständen und den Auswirkungen auf Schädlichkeit und Wirksamkeit dürfte zum effektiven Gesundheitsschutz angebracht sein. 331
Entspricht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Für die in § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG vorgesehene Begründung der Wirksamkeit nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erscheint eine verfassungskonforme Auslegung indes nicht geboten zu sein. Die Norm kann sich auch ohne eine solche Interpretation auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stützen. Dieses unterschiedliche Ergebnis folgt daraus, daß anders als im Falle der Nr. 2 bestimmt ist, was genau an dem Maßstab des jeweils gesicherten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu messen ist. Wie noch darzustellen sein wird (unten 3.) ist es aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderlich die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels zu verlangen. Die Folge davon ist, daß auch die Pflicht, die Wirksamkeit nach dem genannten Maßstab zu begründen, auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als kollidierendes Verfassungsgut gestützt werden kann. Aufgrund der Erfahrungen mit dem herrschenden Standard kann vergleichsweise zuverlässig verhindert werden, daß durch Therapieversuche mit unwirksamen Medikamenten Gesundheitsschäden entstehen. Nach den Darlegungen im 2. Teil der Arbeit ist zwar auch der kontrolliert klinische Versuch kein Garant für das Verhindern von Gefahren für die Gesundheit der Prüfungsteilnehmer und der späteren Patienten. Jedoch bedeutet die Bezugnahme auf den gesicherten Erkenntnisstand eine handhabbarere und sichere Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes, weil durch die starke Orientierung an statistischen Werten332 zumindest eine gewisse Grundlage für die Gefahrabschätzung vorhanden ist. 3. Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit Auch hinsichtlich der von § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG vorgesehenen Prüfung des Arzneimittels auf seine therapeutische Wirksamkeit läßt sich an Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als kollidierendes Verfassungsrecht denken. Die Gesundheit der Patienten als kollidierendes Verfassungsgut kann dann (mittelbar) einschlägig sein, wenn ein wirkungsloses Medikament von Patienten im Glauben eingenommen wird, es entfalte Wirkungen333. Durch den solchermaßen veranlaßten Verzicht auf eine Alternativmedikation kann es mittelbar zu Schädigungen kommen334. Zwar ist die Herbeiführung eines therapeutischen Erfolgs selbst bei für wirksam befundenen Arzneimitteln vom Einzelfall abhängig. Jedoch ist der Grad der Gefahr, der von Arzneimitteln ausgeht, deren Wirksamkeit grundsätzlich nachgewiesen wurde und nur im Einzelfall fehlen kann, geringer als der Grad der Gefahr, der von 332
Siehe oben 2. Teil D. Ähnlich die Zielsetzung des schweizerischen Bundesrates bei der Verabschiedung des Heilmittelgesetzes, vgl. dazu Richli, AJP/PJA 2002, 340 (342). 334 Zu den Folgen psychischer und finanzieller Art etwa Oerpen, S. 25. 333
B. Untersuchung der Forschungsfreiheit
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Arzneimitteln ausgeht, deren Wirksamkeit nur oder überwiegend einzelfallabhängig ist. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Wirksamkeitsnachweises durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG könnte allerdings unter einem anderen Aspekt bedenklich sein. So wird vertreten, eine mit Rücksicht auf die freie Erkenntnissuche großzügige Wirksamkeitsprüfung sei geeignet, stärkere Gesundheitsgefahren zu bewirken. Um den geforderten Nachweis erbringen zu können, würden die Medikamente mit stärkeren somatischen Wirkungen ausgestattet als möglicherweise erforderlich wäre335. Infolgedessen steige auch die Zahl unerwünschter Nebenwirkungen. Die Schlußfolgerung, solche Versuchsanordnungen verstießen gegen das Interesse der Versuchspersonen336, ist verfassungsrechtlich allerdings deshalb nicht relevant, weil die diese Lage verursachende Regelung des AMG mit dem Schutz vor den Folgen der Anwendung nicht wirksamer Arzneimittel gleichwohl andere Gesundheitsgefahren abwehren kann. Eine Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigung kommt jedoch nicht durch andere kollidierende Verfassungsgüter in Betracht. Anders als vertreten wird337, ist die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems kein Gut mit Verfassungsrang. Geschützt werden durch die Verfassung nur einzelne Güter, die Teil des Gesundheitssystems sind. Neben Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG läßt sich in gewissem Umfang auch auf das Sozialstaatsprinzip rekurrieren. Indes ist dieses nur dann als Legitimation für Einschränkungen geeignet, wenn es sich im Rahmen der Gesetzesvorbehalte bewegt338. Selbst ist es keine eigene Eingriffslegitimation. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit bestehen an der Erforderlichkeit, den Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit zu verlangen, nicht etwa deswegen Zweifel, weil sich in großer Zahl Arzneimittel am Markt befinden, ohne nach den strengen Regelungen des AMG nach seinen wichtigsten Novellen geprüft worden zu sein. Von den gut 40.000 Arzneimitteln, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verwaltet werden, sind nur 23.000 Präparate nach dem geltenden AMG zugelassen339. Für den größten Teil der anderen – die nur registrierungspflichtigen homöopathischen Arzneimittel ausgenommen – besteht eine sog. fiktive Nachzulassung. Darunter fallen Produkte, die sich vor 1978 im Verkehr be335
Gallwas, ZRP 1975, 113 (117); Kiene, S. 68; Leibholz, S. 38. Kienle, ZRP 1976, 65 (67). 337 Franz, S. 184 m. w. N. aus der medizinischen Literatur; Henning, NJW 1978, 1671 (1672, 1675); auch Kiene, S. 67, der die Bundesärztekammer mit einer solchen Meinung zitiert. 338 BVerfGE 59, 231 (263); 68, 193 (220); Sachs, in: Stern, III/1, § 65, S. 575 ff. 339 FAZ Nr. 259 vom 07.11.2001, S. N 2. 336
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
fanden. Wegen derer langjährigen Verwendung wird auf eine Wirksamkeitsprüfung verzichtet. Die Selbstregulation des Marktes kann für neu zuzulassende Arzneimittel aber mangels gleicher Eignung nicht milderes Mittel zur Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit sein. Denn zum Zeitpunkt der Zulassung existiert gerade kein jahrelanger Erfolg des Arzneimittels am Markt, der als Beleg für die Wirksamkeit gewertet werden könnte. Würde sich ein Arzneimittel erst nach der Zulassung durch entsprechende Reaktionen des Marktes als unwirksam erweisen, was bereits schwer feststellbar wäre, so ist nicht ausgeschlossen, daß bis dahin schon Schäden durch den Verzicht auf eine Alternativmedikation eingetreten sind. Die von § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG vorgesehene Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit eines Arzneimittels, dessen Zulassung beantragt ist, dient somit dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit als Gütern kollidierenden Verfassungsrechts (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Sie stellt daher keine Verletzung der Forschungsfreiheit dar. 4. Ergebnis Losgelöst vom Beispielsfall der Arzneimittelforschung ergeben sich für relevante Beeinträchtigungen von Forschungsarbeit, die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betrieben wird, keine geminderten Rechtfertigungsanforderungen allein wegen ihrer Ausrichtung auf Verwertung und Gewinn. Die der Erkenntnissuche nachgelagerten wirtschaftlichen Verwertungshandlungen können nicht wegen ihrer höheren Außenwirkung mit einem geringeren Gewicht in die Güterabwägung eingestellt werden. Ihr Rang richtet sich vielmehr insbesondere nach dem Grad der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Tätigkeiten. Die Regelung des AMG, die eine Zulassung eines Arzneimittels nur unter der Voraussetzung der Prüfung des Arzneimittels nach dem jeweils gesicherten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse ermöglicht, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG, ist – bei entsprechender verfassungskonformer Auslegung – eine gerechtfertigte mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit. Auch die durch den von § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG verlangten Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit ausgehende mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit kann durch die kollidierenden Verfassungsgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gerechtfertigt werden.
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
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C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie I. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG 1. Relevante Beeinträchtigung des Schutzbereichs Die Zulassungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4 AMG, der den „jeweils gesicherten Stand der Wissenschaft“ als Maßstab aufstellt und die Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit verlangt, verkürzen neben der Forschungs- auch die Berufsfreiheit. Die wirtschaftliche Verwertung von Forschungsergebnissen ist eine auf Gewinnerzielung gerichtete gewerbliche Tätigkeit, die den Schutz von Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG genießt340. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit wird von denjenigen Vertretern des Schrifttums als alleiniger verfassungsrechtlicher Maßstab herangezogen, die Einschränkungen von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen nicht an der Forschungsfreiheit messen341. Im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht verlangte zumindest objektiv berufsregelnde Tendenz kann weitgehend auf die obigen Ausführungen342 verwiesen werden. Die Ausrichtung der hier untersuchten Normen gerade auf die Berufstätigkeit ist noch deutlicher als bei den oben untersuchten Regelungen über die klinische Prüfung. Die Zulassungspflicht wirkt wie eine Genehmigungspflicht, die unmittelbar bestimmte Hürden aufgestellt, die erfüllt sein müssen, bevor mit der Berufsausübung begonnen werden kann. Die berufregelnde Tendenz ist ebenso § 21 Abs. 3 S. 1 AMG, nach dem die Zulassung vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen ist, zu entnehmen. Die Norm knüpft unmittelbar an die berufsmäßige Ausübung an. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigung Ebenso wie bei den im dritten Teil geprüften relevanten Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit343, handelt es sich bei den hier untersuchten Zulassungsschranken um Regelungen auf der Stufe der Berufsausübung mit identischen Rechtfertigungsanforderungen, so daß wegen der allgemeinen 340 BVerwGE 71, 183 (189); i. E. Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 553; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 84; zustimmend Lux, S. 30. 341 Siehe die Nachweise oben unter B. I. 2. 342 Siehe oben 3. Teil C. I. 1. 343 Siehe oben 3. Teil C. I 2.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. Als vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung344 die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichen lassen. Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung könnte man die relevante Beeinträchtigung der Berufsfreiheit als gerechtfertigt ansehen. Indes versperrt die Versagung der Zulassung nicht nur die Erstattungsfähigkeit durch die GKVen, sondern wirkt als Sperre für den gesamten Arzneimittelmarkt. Damit sind auch diejenigen Arzneimittel erfaßt, deren Kosten von den privaten Krankenversicherungen und der beamtenrechtlichen Beihilfe erstattet werden. Als milderes Mittel zur Erreichung des Ziels der finanziellen Stabilitätssicherung käme daher der Ausschluß von der GKV-Erstattungsfähigkeit in Betracht, wie er aktuell bereits durch die Negativ-/Positivliste besteht345. § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4 ist zur Erreichung des Ziels der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung angesichts dessen nicht erforderlich. Allerdings kommt als rechtfertigende vernünftige Erwägung des Gemeinwohls der Erhalt der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitssystems insgesamt in Betracht. Wie bei der Prüfung einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit wird im Schrifttum auch für die Berufsfreiheit auf dieses Kollisionsgut verwiesen. Es wird befürchtet, daß es dadurch zu deutlich höheren Kosten kommen könnte, daß Patienten im Glauben an die Wirksamkeit und unter Verzicht auf alternative wirksame Behandlungsmethoden unwirksame Arzneimittel einnehmen346. Die Folgekosten für die anschließend eventuell notwendige Behandlung würden entsprechend steigen. Für wirksame Arzneimittel, die aber im übrigen nicht dem jeweils gesicherten Stand entsprechen, liegt es ähnlich, da Kosten entstehen könnten, die darauf beruhen, daß Alternativbehandlungen oder Schadensbeseitigungsmaßnahmen erforderlich werden. Diesen Bedenken stand nach den obigen Untersuchungen kollidierendes Verfassungsrecht zur Seite347, so daß der Gesundheitsschutz unproblematisch als eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls gewertet werden kann. Zudem sind an eine zulässige Verkürzung der Berufsfreiheit niedrigere Anforderungen zu stellen als bei der Forschungsfreiheit. Wenn das Bundesverfassungsgericht bereits die Sicherung der Funktionsfähigkeit des 344 345 346 347
BVerfGE 70, 1 (29); siehe auch BVerfGE 11, 30 (44). Siehe oben B. II. 3. a). Siehe oben B. III. 3. Siehe oben B. III. 3.
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
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Systems der GKV als vernünftige Erwägung des Gemeinwohls anerkennt, dann muß das erst recht für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems insgesamt gelten. Der Folgefrage, insbesondere der Prognoseentscheidung, ob die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems durch unwirksame oder nicht dem jeweiligen Stand der Wissenschaft entsprechende Arzneimittel beeinträchtigt werden kann, liegt eine weite Einschätzungsprärogative348 des Gesetzgebers zugrunde. Ein milderes Mittel – insbesondere die Beschränkung der GKV-Erstattungsfähigkeit – ist im Hinblick auf diesen Gemeinwohlbelang nicht ersichtlich. Folgt man also der herkömmlichen Dogmatik, so dürften die Beschränkungen der Verwertungshandlungen keine Verletzungen der Berufsfreiheit sein.
II. Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG 1. Schutzbereich und relevante Grundrechtsbeeinträchtigung Die wirtschaftliche Verwertung von Erkenntnisprodukten selbst und von Waren bzw. Dienstleistungen, die aufgrund der Erkenntnisse entstanden sind, fällt zwar unter den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Beschränkungen durch die hier interessierenden Normen des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens dürften im Ergebnis aber verfassungsrechtlich zulässig sein. Der Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG umfaßt als Eigentum insbesondere private Vermögensrechte349. Verwertungen wissenschaftlicher Erkenntnisse sind demnach dann unproblematisch Gegenstand der Eigentumsgarantie, wenn sie beispielsweise durch Patentrechte o. ä. geschützt sind350. Aber auch Verwertungshandlungen, die von derartigen Rechten nicht umhegt sind, werden – überwiegend ohne nähere Spezifizierung – statt dem Schutz der Forschungsfreiheit demjenigen der Wirtschaftsgrundrechte unterstellt351. Fraglich ist hierbei zunächst, ob in diesen Fällen das Sacheigentum betroffen sein kann. Eine Beeinträchtigung des Sacheigentums könnte sich bejahen lassen unter Rückgriff auf den Umfang der Verfügungsbefugnis des Eigentümers, wie sie im Zivilrecht durch § 903 BGB ihren Ausfluß 348 BVerfGE 39, 210 (225 f.); 46, 246 (257); 51, 193 (208); 53, 135 (145); 77, 84 (106); 77, 308 (332). 349 Kimminich, in: BK, Art. 14 Rdnrn. 30 ff.; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr 22. 350 BVerfGE 31, 229 (234 f.); 31, 270 (274); 36, 281 (290 f.); 71, 162 (176); 77, 263 (270 f.); Classen, S. 98 ff.; Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art 14 Rdnr. 60, 152 f.; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 24. 351 Siehe die Nachweise oben unter B. I. 2.
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
findet: Dem forschenden Arzneimittelhersteller ist durch die Nichtzulassung untersagt, mit seinem Sacheigentum an den Produkten so zu verfahren, wie es ihm beliebt. Allerdings dürfte erst nach der Zulassung in nennenswertem Umfang mit der Produktion der einzelnen Arzneimittel und deren Verkauf begonnen werden. Vor der Zulassung ist eine Beeinträchtigung des Sacheigentums an den Arzneimitteln demnach wohl nicht anzunehmen. Über das Eigentum an den zur Herstellung des Arzneimittels nötigen Produktionsmitteln dagegen kann der Eigentümer weiterhin frei verfügen. Als Schutzgut der Eigentumsgarantie, kommt in zweiter Linie – ähnlich wie bei der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Erkenntnissuche – der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb in Betracht. Anders als vor Beginn der klinischen Prüfung352 ist nach deren Ende hinreichend konkret klar, daß der Forschungsprozeß zu einem marktfähigen Produkt geführt hat, dessen Verwertung nun staatlicherseits behindert wird. Die Erwerbschancen haben sich zu diesem Zeitpunkt somit bereits in einem Vermögensbestandteil „verdichtet“353. Diese Verdichtung ist insofern auf das Sacheigentum am späteren Produkt bezogen, als dieses zwar noch nicht endgültig hergestellt ist, es zur Verwirklichung des Sacheigentums jedoch nur noch am Ingangsetzen des Produktionsprozesses fehlt. Eine Beeinträchtigung des Schutzgutes des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes ist demnach möglich. Die vielfach getroffene Unterscheidung zwischen der Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie, diese schütze den Erwerb, sei also vorwiegend personenbezogen, jene richte ihren Schutz dagegen mehr auf das bereits Erworbene aus, sei also objektbezogen354, ist nicht im Sinne eines tatbestandlichen Ausschlußverhältnisses zu verstehen. Sofern sowohl in den Vorgang der Erwerbstätigkeit als auch in das bereits Erworbene eingriffen wird, finden beide Grundrechte nebeneinander Anwendung355. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung Die Zulassungsbeschränkung, welche die Eigentumsgarantie verkürzt, dürfte aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwertung durch die Zulassungsbeschränkungen legt 352
Siehe oben 3. Teil C. II. Wohl a. A. Philipp, S. 174. 354 Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 99; Wendt, S. 265 f.; ähnlich BVerfGE 30, 292 (335); s. auch Tettinger, AöR 108 (1993), 92 (129 f.). 355 Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 99. 353
C. Untersuchung der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie
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die mit dem Eigentum verbundenen Befugnisse des forschenden Arzneimittelherstellers fest. Hinsichtlich der vor Begründung der gesetzlichen Regelung bereits im Eigentum eines Grundrechtsberechtigten stehenden Güter handelt es sich um eine Schrankenbestimmung i. S. v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, die im Unterschied zur Enteignung „die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten“ hinsichtlich des Eigentumsgegenstandes bedeutet356. Schrankenbestimmungen sind verfassungsgemäß, wenn sie verhältnismäßig sind357. Das ergibt sich neben der allgemeinen Bindung staatlichen Handelns an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips358 aus dem auf gesetzgeberischen Ausgleich dringenden Nebeneinander der Freiheit des Einzelnen (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) und des Sozialgebots (Art. 14 Abs. 2 GG)359. Für die Qualifizierung der durch die Zulassungsregeln des AMG bedingten Beeinträchtigungen des Eigentums als verfassungsrechtlich gerechtfertigt streiten die gleichen Gründe wie bei der Berufsfreiheit360. Da das Bundesverfassungsgericht auch bei der Eigentumsgarantie dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Festlegung von Inhaltsund Schrankenbestimmungen zuspricht361, kann hier mit der ebenso reduzierten Dichte geprüft werden. Im Vergleich zur Berufsfreiheit könnte es gleichwohl zu einer Reduzierung des Gestaltungsspielraums kommen. Das zur Zulassung und zum Verkehr vorgesehene Arzneimittel kann ohne Zulassung nicht ohne weiteres sinnvoll verwendet werden. Würde man die Verwertungsbeschränkung wie ein faktisches Verbot der Veräußerung von Eigentum qualifizieren, so würde das eine relevante Beeinträchtigung eines elementaren Bestandteils der Eigentumsfreiheit bedeuten362. Man könnte dann also durchaus Veranlassung haben, eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG anzunehmen. Jedoch ist die Verwertungsbeschränkung in Form der Versagung der Zulassung kein faktisches Veräußerungsverbot. Die forschenden Arzneimittelher356
BVerfGE 58, 300 (330); 72, 66 (76). BVerfGE 52, 1 (29); 87, 114 (138); Höfling, Jura 1994, 169 (172). Zum Unterschied zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen s. nur Sachs, Grundrechte, S. 446 f. 358 Sachs, in: ders., Art. 20 Rdnr. 146 ff. 359 Siehe BVerfGE 25, 112 (117 f.); 50, 290 (340); 79, 29 (40); 102, 1 (17). 360 Siehe oben I. 2. Allgemein wird in den meisten Fällen von einer zulässigen Beschränkung der Berufsfreiheit auf eine rechtmäßige Beschränkung des Eigentums geschlossen, BVerfGE 50, 290 (334 f.); zustimmend Depenheuer, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 99; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 186. Das kann aber nicht der Notwendigkeit einer gesonderten Rechtfertigungsprüfung entheben. 361 BVerfGE 8, 71 (80); 53, 257 (293); 58, 81 (110 f.); 79, 29 (40). 362 Zur Bedeutung von Veräußerungsverboten für Art. 14 Abs. 1 GG BVerfGE 50, 290 (340). 357
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4. Teil: Schutz der Verwertungshandlungen
steller können über das während der klinischen Prüfung gesammelte Wissen frei verfügen und es insbesondere als Grundlage nehmen, um durch etwaige Modifizierungen am zur Zulassung beantragten Arzneimittel zukünftig doch noch eine Zulassung zu erhalten. Die Bedenken gegen eine Rechtfertigung können insbesondere deswegen nicht überzeugen, weil dem Verlangen der therapeutischen Wirksamkeit und – nach verfassungskonformer Auslegung – dem Aufstellen des Maßstabs der jeweils gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse das kollidierende Verfassungsgut der körperlichen Unversehrtheit zur Seite steht. Insgesamt wird man mit der gegenüber Rechtfertigungen von Beeinträchtigungen der Eigentumsgarantie großzügigen Judikatur § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4 AMG als eine verhältnismäßige Schrankenbestimmung des Eigentums der forschenden Arzneimittelhersteller ansehen können.
5. Teil
Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen Gemeinsam für die im dritten und vierten Teil vorgenommenen Grundrechtsprüfungen bedarf es noch der Behandlung zweier Gesichtspunkte aus dem Bereich der allgemeinen Grundrechtsdogmatik. Zunächst ist zu untersuchen, inwieweit die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG insbesondere neben denen der Berufsfreiheit, der Eigentumsgarantie und insbesondere der Forschungsfreiheit bei mit Verwertungsabsicht betriebener Erkenntnissuche und bei den nachgelagerten Verwertungshandlungen erfüllt sind (unten A.). Anschließend ist zu diskutieren, ob die Forschungsfreiheit in den untersuchten Konstellationen nicht auf der Ebene der Grundrechtskonkurrenzen hinter die Berufsfreiheit und/oder die Eigentumsgarantie zurücktritt oder ob alle betroffenen Grundrechte gleichermaßen anwendbar bleiben (unten B.).
A. Grundrechtsträgerschaft forschender Industrieunternehmen Mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung ist nach den obigen Ausführungen im wesentlichen Industrieforschung. Diese findet typischerweise in einem Unternehmen statt, wo sie von angestellten Forschern realisiert wird. In dem hier beispielhaft untersuchten Bereich der Arzneimittelforschung erfolgt die klinische Prüfung, auch wenn sie letztlich von angestellten Ärzten in Kliniken oder von niedergelassenen Ärzten durchgeführt wird, für das forschende Unternehmen1. Die sich an die klinische Prüfung im Erfolgsfall anschließende Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen (§ 21 Abs. 3 S. 1 AMG). Dieser Dualismus macht es nötig, das Verhältnis zwischen Unternehmen einerseits und einzelnem, angestelltem oder beauftragtem Forscher andererseits zu untersuchen. Möglicherweise können sich nicht beide nebeneinander auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen.
1
Pfeiffer, VersR 1990, 685 (686).
306
5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
Die institutionell organisierte Forschung von Industrieunternehmen ist nur dann dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit zuzuordnen, wenn sie die Voraussetzungen der sogenannten Grundrechtserstreckungsnorm2 des Art. 19 Abs. 3 GG erfüllt. Bei den betroffenen Unternehmen handelt es sich entweder um rechtsfähige juristische Personen im engeren zivilrechtlichen Sinn (insbes. AG, GmbH) oder aber um juristische Personen im weiteren verfassungsrechtlichen Sinn, denen jedenfalls eine (zivilrechtliche) Teilrechtsfähigkeit zukommt (oHG, KG). Für diese juristischen Personen wird die generelle Grundrechtsfähigkeit – vorbehaltlich der Prüfung, ob das einzelne Grundrecht seinem Wesen nach anwendbar ist – unproblematisch kraft Indizfunktion der Privatrechtsform anerkannt3. Schwieriger ist eine Beurteilung, ob die Forschungsfreiheit „ihrem Wesen nach“ auf die juristischen Personen anwendbar ist. Der Begriff der wesensmäßigen Anwendbarkeit beschreibt die Notwendigkeit, auf die Eigenart des jeweiligen Grundrechts abzustellen und zu prüfen, ob die juristische Person in ihren grundrechtsspezifischen Interessen ebenso berührt werden kann wie menschliche Grundrechtsträger4. Unbestritten ist die Unanwendbarkeit solcher Grundrechte, die eindeutig nur auf die menschliche Person gerichtet sind5. Im Vergleich zur wesensmäßigen Anwendbarkeit der Forschungsfreiheit auf juristische Personen des Privatrechts ist die Erfüllung dieser Voraussetzung des Art. 19 Abs. 3 GG bei der Berufsfreiheit6 und der Eigentumsgarantie7 allgemein anerkannt.
2 Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 245; Krebs, in: von Münch/Kunig, Art. 19 Rdnr. 27; Stern, III/1, S. 1079. 3 BVerfGE 39, 302 (312); 68, 193 (206 f.); 75, 192 (196); Bethge, S. 36; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 331; Krebs, in: von Münch/ Kunig, Art. 19 Rdnr. 40; Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 59 ff.; Stern, III/1, S. 1116; Trute, S. 366. 4 Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 67. 5 Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 330; Krebs, in: von Münch/Kunig, Art. 19 Rdnr. 34; Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 68; Rüfner, HStR V, Rdnr. 37; Sachs, Grundrechte, S. 85; Stern, III/1, S. 1126. 6 Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 81; Stern, III/1, S. 1126; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rdnr. 22; s. auch ders., AöR 108 (1983), 92 (104 f.). 7 BVerfGE 4, 7 (17); 53, 336 (345); 66, 116 (130); Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rdnr. 190; Stern, III/1, S. 1125, 1127; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 16.
A. Grundrechtsträgerschaft forschender Industrieunternehmen
307
I. Relevanz der Binnenorganisation für die wesensmäßige Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Kontrovers wird diskutiert, ob die Forschungsfreiheit auch Industrieunternehmen zukommen kann. Einerseits wird vertreten, Forschung könne von diesen Rechtssubjekten selber nicht betrieben werden, vielmehr könne nur der Einzelne Suche nach Erkenntnis betreiben8. Andererseits wird zwar dem Grunde nach eine wesensmäßige Anwendbarkeit der Forschungsfreiheit auf juristische Personen anerkannt, diese jedoch von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht. Dabei wird maßgeblich auf die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den angestellten Forschern und der anstellenden Institution abgestellt. Grundrechtsträger des Art. 5 Abs. 3 GG soll die juristische Person demnach nur dann sein, wenn organisatorisch sichergestellt ist, daß die Arbeitnehmer die zum Betreiben der Wissenschaft notwendige Freiheit besitzen9. Ergeben sich im Innenverhältnis Freiheitseinbußen für den Arbeitnehmer durch Vorgaben des Arbeitgebers, so verlangt beispielsweise Raabe deren Kompensation durch „entsprechende Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte“10. Ohne diesen Ausgleich würde sich das forschende Industrieunternehmen nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen können. Ähnlich, aber mit weitgehenderen Folgen, positionieren sich weitere Autoren. Nach der Konzeption von Dickert scheidet die Anwendbarkeit der Forschungsfreiheit auf die Tätigkeit des Arbeitgebers aus, wenn „betriebswirtschaftliches Kalkül“ inhaltlich auf die Forschungstätigkeit einwirkt11. Nur, wenn sich der Aufbau der Forschungsabteilung an den Organisationsstrukturen der Hochschulen orientiere, werde der Zustand erreicht, der eine Anwendung des Grundrechts rechtfertige. Auch andere Autoren fordern, daß die innere Organisationsstruktur autonome Wissenschaft zulassen müsse12. Die von Trute entwickelten Kriterien zur „grundrechtsadäquaten Ausgestaltung des binnenorganisatorischen Status“ (Verfügung über die Betriebsmittel der Forschung und Einrichtung von bestimmten Kooperations8 So BVerwGE 102, 304 (309), zum Grundrechtsschutz der Hochschulen; Fink, WissR 27 (1994), 126 (135); Roellecke, JZ 1969, 726 (727); Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 370. 9 Bull, WissR 4 (1971), 35 (55); Dickert, S. 318, 320; Kleindiek, S. 310, 337 f.; Raabe, S. 52, 54; Schmidt-Aßmann, S. 707; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art 5 Abs. 3 Rdnr. 253, 260. 10 Raabe, S. 52 ff. 11 Dickert, S. 320. 12 Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rdnr. 99; Kleindiek, S. 310, 337 f.; SchmidtAßmann, S. 707; Trute, 364, 366; zur Hochschulforschung siehe beispielsweise jüngst Lux, S. 52 f.
308
5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
und Entscheidungsformen)13 beziehen sich auf die staatlich organisierten und finanzierten außeruniversitären Einrichtungen14. Zur Charakterisierung der Industrieforschung sind sie schon ihrer Zielrichtung nach nicht geeignet, denn die Sicherung der Freiheit gegenüber staatlicher Institutionalisierung ist dort gerade kein Problem. Etwas unklar zur Frage der Relevanz der Binnenorganisation der juristischen Person für deren Grundrechtsschutz sind die Aussagen von M. Blankenagel. Zwar hält sie auch juristische Personen, soweit sie ihre Forschungsergebnisse publizieren, für Träger der Forschungsfreiheit15. Allerdings scheinen Forschungsorganisationen auch nach Ansicht der Autorin nur dann Art. 5 Abs. 3 GG geltend machen zu können, wenn zusätzlich zu der Publizierung der Forschungsergebnisse im Innenverhältnis die Möglichkeit wissenschaftlichen Handelns gewährleistet wird16. Hinter dem Ansatz der Stellungnahmen, die eine wesensmäßige Anwendbarkeit der Forschungsfreiheit auf juristische Personen verneinen bzw. diese an das Innenverhältnis koppeln, verbirgt sich der Gedanke des sogenannten „Durchgriffs“ auf die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen, der ursprünglich von Dürig17 und dem Bundesverfassungsgericht18 vertreten wurde. Beispielsweise rekurriert Kleindiek darauf, daß die juristischen Personen die Anforderungen des Schutzbereichs an die hinter ihnen stehenden natürlichen Personen „vermitteln“ 19 müßten. Die von Art. 19 Abs. 3 GG ausgehende Schutzwirkung soll nur um der natürlichen Personen willen gewährleistet sein. Sobald von der juristischen Person eine Verkürzung der Freiheiten im Innenverhältnis ausgehe, scheide die Anwendung der Grundrechtserstreckungsnorm aus. Art. 19 Abs. 3 GG soll nach Kleindiek wohl nur dann einschlägig sein, wenn es nicht nur zu keiner Freiheitsverkürzung kommt, sondern darüber hinaus die Tätigkeit der juristischen Person zu einer Erweiterung des Freiheitsraumes der natürlichen Personen führt20. Eine Effektuierung des Grundrechtsschutzes wird insbesondere – wohl aber mehr als typische Erscheinung denn als notwendige Voraussetzung – in der Bedeutung arbeitsteiliger Strukturen gesehen21. 13
Trute, S. 300 ff. Trute, S. 300. 15 M. Blankenagel, S. 187, 203. Allerdings sollen sich die Forschungsorganisationen nur gegenüber dem Staat und nicht gegenüber dem angestellten Forscher auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen können. 16 M. Blankenagel, S. 163 f. 17 In der Erstbearbeitung von Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. III Rdnr. 1, 35, 45. 18 BVerfGE 21, 362 (369). 19 Kleindiek, S. 337, 310; ähnlich auch Dickert, S. 316. 20 Kleindiek, S. 338. 14
A. Grundrechtsträgerschaft forschender Industrieunternehmen
309
II. Unabhängigkeit der wesensmäßigen Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG von Freiräumen im Innenverhältnis Andere Stimmen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum bejahen eine Anwendbarkeit der Forschungsfreiheit über Art. 19 Abs. 3 GG auch für industrielle Forschungsvereinigungen ohne Beschränkungen durch Anforderungen an die Ausgestaltung des Innenverhältnisses22. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Frage bisher lediglich bei einer staatlich finanzierten außeruniversitären Einrichtung eine wesensmäßige Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 GG angenommen. So wurde das Zentralinstitut für physikalische Chemie, das der damaligen Akademie der Wissenschaften der früheren DDR angegliedert war, als Träger der Forschungsfreiheit qualifiziert23. Weil das Gericht den Umfang des durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Schutzes offengelassen hat24, wird teilweise die Aussagekraft der Entscheidung in Frage gestellt25. Derartige Bedenken sind allerdings nur im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale der Forschungsfreiheit berechtigt. Was die Voraussetzungen der Grundrechtserstreckungsnorm des Art. 19 Abs. 3 GG angeht, so erschienen diese dem Gericht wohl derart unproblematisch vorzuliegen, daß es die Norm noch nicht einmal erwähnt hat. Teilweise wird der Grundrechtsschutz juristischer Personen zwar unabhängig von der Ausgestaltung des Innenverhältnisses gewährleistet gesehen, aber auf die Organisation und Förderung der Wissenschaftsausübung natürlicher Personen beschränkt26.
21
Bethge, S. 18 f.; M. Blankenagel, S. 197; Raabe, S. 55; Schmidt-Aßmann, S. 707; auch Kleindiek, S. 337, jedoch als zwingende Voraussetzung. 22 Siehe Grellert, S. 1242; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 336; Karpen, Wissenschaftstransfer, S. 78; Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 74; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 125; Seibert, WissR 16 (1983), 130 (141); Stern, III/1, S. 1126; zu staatlich finanzierten außeruniversitären Einrichtungen Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 163 f. 23 BVerfGE 85, 360 (370, 384). 24 BVerfGE 85, 360 (384). 25 So M. Blankenagel, S. 57; anders Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 166 a. E. 26 Kleindiek, S. 337 f., der – wie oben erwähnt – zudem eine Erweiterung des Freiheitsraumes verlangt; wohl auch Raabe, S. 55, der die Förderung der Forschung durch äußere Organisation als die „grundrechtsrelevante Tätigkeit“ der Unternehmen bezeichnet; Schmidt-Aßmann, S. 707, spricht von „stabilisierenden und absichernden Tätigkeiten“; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 370; Stern, III/2, S. 1126. Speziell zur Hochschule BVerwGE 102, 304 (309); Lux, S. 53; Fink, WissR 27 (1994), 126 (135).
310
5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
III. Stellungnahme Der erstgenannte Ansatz, der die wesensmäßige Anwendbarkeit der Forschungsfreiheit von der Gewährleistung von Freiräumen im Innenverhältnis abhängig macht, kann zwar für sich beanspruchen, daß das Grundrechtssystem in erster Linie auf den Schutz des einzelnen angelegt ist27, übersieht aber die bei historischer Betrachtung erkennbare Wertung des Verfassungsgebers, die Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen nicht zu sehr einzuengen. Bis zur 51. Sitzung des Hauptausschusses enthielt die Entwurfsregelung eine enumerative Aufzählung, in der (nur) die heutigen Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 2, 11, 13, 14 GG für wesensmäßig anwendbar erklärt wurden28. Der letztendliche Entschluß gegen eine derartige Normierung und die Wahl der generalklauselartigen Formulierung des jetzigen Art. 19 Abs. 3 GG lassen gerade erkennen, daß der Verfassungsgeber eine Begrenzung der wesensmäßigen Anwendbarkeit auf einen engen Bereich nicht wollte. Da auch umgekehrt keine negative Abgrenzung derart erfolgte, daß bestimmte Grundrechte ausgenommen wurden, ergeben sich keine grundsätzlichen Bedenken, Art. 5 Abs. 3 GG seinem Wesen nach auf juristische Personen für anwendbar zu halten. Daß der Grundrechtsschutz juristischer Personen nicht absolut auf denjenigen natürlicher Personen fixiert ist, zeigt sich auch daran, daß Art. 19 Abs. 3 GG eben eine gegenüber den natürlichen Personen verselbständigte Freiheit gewährleistet, die mehr als die Addition der Einzelfreiheiten der mit der juristischen Person verbundenen Menschen ist29. Dieses Verständnis von Art. 19 Abs. 3 GG ist deshalb plausibel, weil der Norm nur deklaratorische Bedeutung zukäme, wenn sie nur die kollektive Grundrechtsausübung als solche, also die Summe der Grundrechtsausübung natürlicher Personen erfassen würde30. Die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG, die eine gegenüber natürlichen Personen verselbständigte Freiheit juristischer Personen zur Folge hat, wird teilweise auch auf Art. 9 Abs. 1 GG gestützt. Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit belege, daß die Grundrechtsberechtigung personaler Vereinigungen kein Fremdkörper im Grundrechtssystem 27 Siehe nur Bethge, S. 15; Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 69; Rüfner, HStR V, Rdnr. 31; Schmidt-Aßmann, S. 705; Stern, III/1, S. 1100; Trute, S. 358. 28 Parlamentarischer Rat, Hauptausschuß, 51. Sitzung v. 10.2.1949, S. 673. Zum weiteren Verfahrensgang ausführlicher Bethge, S. 24. 29 Bethge, S. 15, 27; Classen, S. 116; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. III Rdnr. 8; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 246; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, Rdnr. 163 f.; Rüfner, HStR V, Rdnr. 31; Schmidt-Aßmann, S. 705; Stern, III/1, S. 1087, 1104, 1118; Trute, S. 359, 362; dem folgend auch M. Blankenagel, S. 195 und Kleindiek, S. 336, die i. E. gleichwohl einen Schutz durch Art. 19 Abs. 3 GG ablehnen. 30 Rüfner, HStR V, Rdnr. 31.
A. Grundrechtsträgerschaft forschender Industrieunternehmen
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sei31. Diese Aussage ist allerdings nur insoweit zutreffend, als die Vereinigungsfreiheit das unmittelbar mit der Gründung und Existenzsicherung des Vereins zusammenhängende Verhalten schützt32. In welchem Umfange dagegen die übrige externe Betätigungsfreiheit des Vereins im Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit liegt, wird unterschiedlich beurteilt33. Das Bundesverfassungsgericht hat die gegenüber den natürlichen Personen verselbständigte Freiheit juristischer Personen indirekt klargestellt, in dem es von „Durchblick“ statt „Durchgriff“ gesprochen hat34. Das Gericht erkennt damit an, daß die eigentlichen Grundrechtsträger nicht die hinter der juristischen Person stehenden Menschen sind und jene nicht bloß Treuhänderin abgeleiteter Rechte ist35. Zutreffend ist daher die Aussage von Bethge, der Grundrechtsschutz einer juristischen Person sei nicht von der durch sie im Innenverhältnis zu den natürlichen Personen gewährleisteten Grundrechtssicherung abhängig36. Autonome Spielräume im Innenverhältnis einer juristischen Person sind demnach nicht Prüfungsmerkmal im Rahmen der Grundrechtserstreckungsnorm des Art. 19 Abs. 3 GG. Auch begrenzt Art. 19 Abs. 3 GG den Grundrechtsschutz der juristischen Person nicht lediglich auf die Förderung und Unterstützung fremder, von natürlichen Personen ausgeübter Forschung. Neben der Förderung fremder Forschung gestaltet sich die eigene Forschung der juristischen Person beispielsweise wie folgt: Ihre Organe fassen einen Beschluß darüber, in welchem Themenkreis und durch Einsatz welcher wissenschaftlichen und finanziellen Ressourcen ein Forschungsvorhaben begonnen werden soll. Daraufhin folgt die Auftragsvergabe an u. U. gebundene Forscher, die wiederum im Forschungsprozeß Erkenntnisse erlangen. Die Organe entscheiden nach entsprechender Mitteilung der Ergebnisse über deren Publizierung. Die Ausübung der Forschungsfreiheit ist daher keine Tätigkeit, die nur höchstpersönlich ausgeübt werden könnte. Im Bereich der Verhaltensgrundrechte wäre es – anders als etwa beim Bestandsschutz des Eigentums – eine „naturalistische Verengung“37, würde man ausschließlich auf die im Ergebnis handelnden Personen abstellen. Un31
So Stern, III/1, S. 1087. Höfling, in: Sachs, Art. 9 Rdnr. 19. 33 Einerseits etwa Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9 Rdnr. 86; anderseits etwa Rinken, in: AK, Art. 9 Abs. 1 Rdnr. 54. Offen gelassen von BVerfGE 30, 227 (241 f.). 34 BVerfGE 61, 82 (101). 35 Wie das BVerfG Bethge, S. 26; Krebs, in: von Münch/Kunig, Art. 19 Rdnr. 38; Schmidt-Aßmann, S. 707, der Binnenbeziehungen von Forschungsorganisationen für zu komplex hält, als daß sie in einem solchen vereinheitlichenden Modell beschrieben werden könnten. 36 Bethge, S. 43 f. 32
312
5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
abhängig davon, daß die juristische Person auch38 die Forschung natürlicher Personen fördern kann, ist sie in der Lage, die für Forschung typischen Handlungsmerkmale zu erfüllen. Letztlich könnten alle Verhaltensgrundrechte nicht auf juristische Personen angewandt werden, verfolgte man eine zu eng am Bild der natürlichen Person orientierte Auslegung: Ein Handeln der juristischen Person ohne die Zuhilfenahme ihrer Organe oder ohne Beauftragung Dritter ist schlechterdings nicht möglich39. Art. 19 Abs. 3 GG würde im Bereich der Verhaltensgrundrechte – nicht aber beispielsweise beim Bestandsschutz des Eigentums, beim allgemeinen Gleichheitssatz – funktionslos, verlangte man eine von natürlichen Personen in ihrer Ausübung unabhängige Handlungsfähigkeit. Entscheidend für die Frage der wesensmäßigen Anwendbarkeit ist damit nur der von den Schutzbereichsmerkmalen des Grundrechts abstrakt beschriebene Verhaltenstypus. Insgesamt schützt Art. 5 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 19 Abs. 3 GG also gerade die von der juristischen Person betriebene Erkenntnissuchtätigkeit. Damit erfüllen forschende Industrieunternehmen die Anforderungen des Art. 19 Abs. 3 GG40. Wenn sich sowohl das Unternehmen als auch die Mitarbeiter auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen können, kommt es unvermeidbar zu Spannungen, die sich vor allem in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten widerspiegeln können. Die Auflösung der Spannungen ist indes hier irrelevant41, da Untersuchungsgegenstand das Ob des Grundrechtsschutzes bei wirtschaftlicher Verwertungsorientierung ist. Parallel gelagert ist die Lage wohl bei der sogenannten inneren Pressefreiheit, wo Verleger und Redakteure gleichermaßen grundrechtsberechtigt sind. Wie die Problematik bei der inneren Pressefreiheit zu lösen ist, ist umstritten42.
37 Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 67; ähnlich Bethge, S. 14, 27; der Richtung nach auch Rüfner, HStR V, Rdnr. 31 im Hinblick auf den Schutz von Stiftungen. 38 Die alleinige Förderung und Unterstützung fremder Bemühungen soll nach Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 74 nicht ausreichen. 39 Speziell zu Art. 5 Abs. 3 GG auch Trute S. 364. 40 Classen, S. 33 ff.; Krüger/Sachs, in: Sachs, Art. 19 Rdnr. 74; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 370. 41 Zu diesem Bereich vor allem Raabe, passim; M. Blankenagel, S. 151 ff. 42 Siehe nur Scholz, Pressefreiheit, S. 93 ff.
B. Konkurrenzen
313
B. Konkurrenzen I. Überblick Nach dem Ergebnis der Grundrechtsprüfungen stellen die im dritten Teil auf ihre Verfassungsmäßigkeit untersuchten Regelungen des AMG Verletzungen von Art. 5 Abs. 3 GG dar, sind aber im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 unbedenklich. Da für den vierten Teil, jedenfalls nach verfassungskonformer Auslegung eine Rechtfertigung der Beeinträchtigungen aller geprüften Grundrechte angenommen wurde, ergibt sich dort kein unterschiedliches Ergebnis. Diese Überlagerung führt zum Problem der Grundrechtskonkurrenzen. Der Begriff – in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts außerhalb des Verhältnisses zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und speziellen Freiheitsgrundrechten43 nicht verwendet44 – beschreibt die nebeneinander bestehende tatbestandliche Anwendbarkeit von Grundrechten45. Ganz überwiegend wird es – selbstverständlich – für unerläßlich gehalten, als Vorstufe der Diskussion von Lösungsstrategien von Konkurrenzverhältnissen zu prüfen, ob tatsächlich mehrere Grundrechte nebeneinander betroffen sind oder ob nicht letztlich durch genaue Tatbestandsabgrenzung nur eine Norm einschlägig ist46. Ein Fall derartiger „Scheinkonkurrenzen“ liegt nach den oben erfolgten Schutzbereichsprüfungen hier indes nicht vor. Letztlich kann die Lösung der Konkurrenzproblematik nicht offengelassen werden. Ob man das mit dem Hinweis auf die Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung begründet47 oder die Notwendigkeit einer Grundrechtsausschöpfung normativ aus der Bindungswirkung des Art. 1 Abs. 1 GG folgert48, ist dabei eher von zweitrangiger Bedeutung. Wie oben erwähnt49, sind Art. 12 und 14 GG tatbestandlich nebeneinander anwendbar. Für den hier zu untersuchenden Problemkreis ist jedoch das 43
Seit BVerfGE 1, 264 (274). Stern, III/1, S. 1370. 45 Heß, S. 49; Degen, S. 47, sieht die Ursache für Grundrechtskonkurrenzen in der Auffassung von Schutzbereichen als „Räumen“; Sachs, Grundrechte, S. 163. 46 Berg, S. 75, 84; Bleckmann, S. 392; ders./Wiethoff, DÖV 1991, 722; Dreier, in: ders., Vorb. Rdnr. 97; Drettmann, S. 133; Heß, S. 51; Lepa, DVBl. 1972, 161 (163); Sachs, Grundrechte, S. 163; Stern, III/1, S. 1378. Ein Beispiel mag BVerfG (K), NStZ 2000, 363 liefern, wo eine Trennung zwischen (auf Wahrheitssuche gerichteten) wissenschaftlichen Äußerungen und neutralen Äußerungen eines Werkes gezogen wurde. 47 Heß, S. 31, 133, 137. 48 Stern, III/1, S. 1379. 49 Siehe 4. Teil C. II. 1. 44
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5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
Verhältnis zwischen der Forschungsfreiheit einerseits und den beiden sogenannten Wirtschaftsgrundrechten insgesamt interessant, so daß die folgende Darstellung nicht weiter zwischen Art. 12 und 14 GG unterscheidet.
II. Vorgeschlagene Lösungswege im Bereich der allgemeinen Grundrechtsdogmatik 1. Anknüpfung nur an den konkret-individuellen Rechtsfall Nach einer Ansicht verbieten sich generelle Aussagen zur Auflösung von Konkurrenzsituationen. Während viele der Untersuchungen zu Grundrechtskonkurrenzen trotz des Angebots einer verallgemeinernden Lösung die Bedeutung der Besonderheiten des konkreten Rechtsfalls betonen50, wird nur ganz vereinzelt eine völlig jenseits abstrakter Lösungsmodelle liegende Zuordnung vorgeschlagen. Für die Kunstfreiheit hat Erbel festgestellt, der Schrankenkonflikt könne nur „von Fall zu Fall wertinterpretatorisch“ gelöst werden51. Diesen Grundsatz konkretisiert er im weiteren dadurch, daß er typische und untypische Erscheinungsformen unterscheidet, wobei letztere im Ergebnis nicht den Schutz der Kunstfreiheit genießen sollen52. 2. Maßgeblichkeit allein von Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG a) Übertragung der Schranken des schwächsten Grundrechts Gelöst wird die Konkurrenzlage vereinzelt mit der Annahme eines grundsätzlichen Vorrangs desjenigen Grundrechts, dem die Verfassung die größeren Beschränkungsmöglichkeiten auferlegt. Der auf Klein53 zurückgehende Ansatz überträgt in Überschneidungsfällen die stärkeren Vorbehalte der einen Bestimmung auf die andere. Ob eine solche Übertragung54 stattfindet, soll sich nach einer Güterabwägung richten. Entscheidend ist danach, ob das schrankenfreiere Grundrecht dem schrankenintensiveren Grundrecht derart vorgeht, daß „es sich verbietet“, die Schranken des letztgenannten 50 Berg, S. 75; Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (724); Degen, S. 126; Fohmann, EuGRZ 1985, 49 (51); Heß, S. 134; Stern, III/1, S. 1381, 1383, 1406; Würkner, NVwZ 1992, 150 (153). 51 Erbel, S. 127. 52 Erbel, S. 127 f. 53 Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Vorbem. Anm. B XV 2 b), Art. 5 Anm. X 6; in aktuellerer Zeit wohl ähnlich Kloepfer, JZ 1986, 205 (206). 54 Zutreffend weist Heß, S. 74 darauf hin, daß es sich dabei eigentlich um eigene Schranke des unbeschränkten Grundrechts handele, die aber identisch mit derjenigen des hinzutretenden sei.
B. Konkurrenzen
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ausschlaggebend sein zu lassen55. Unter Hinweis auf die Verfassung als einheitliches Ganzes wird im Konkurrenzfalle nur eine solche Auslegung für richtig befunden, nach der sämtliche zusammentreffende Bestimmungen miteinander vereinbar seien56. Wie die von Klein aufgeführten Beispiele57 zeigen, ergibt sich aus dieser Formel regelmäßig der Vorrang des schwächeren Grundrechts58. Umgesetzt in die vorliegenden Problemfelder folgt aus diesem Ansatz Kleins eine Übertragung der Schranken der eingriffsintensiver ausgestalteten Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG auf die Forschungsfreiheit. b) Maßgeblichkeit des Schwerpunkts der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung: Zuordnung zu dem Grundrecht, das schwerpunktmäßig betroffen ist Ein flexiblerer Ansatz zur Lösung des Konkurrenzfalls findet sich vor allem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wieder. In einzelnen Entscheidungen59 stellt das Gericht darauf ab, welches der einschlägigen Grundrechte als sachnähere Norm letztlich Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung des staatlichen Aktes sei. Grundrechte, die thematisch nur entfernt einschlägig seien60, sollen zurücktreten. Besonders augenfällig ist das in einer frühen Entscheidung zur Wirtschaftswerbung, wo Art. 12 Abs. 1 GG gegenüber der Meinungsfreiheit als die sachnähere Norm angesehen wurde61. Nicht einschlägig ist an dieser Stelle die bereits genannte Entscheidung zur Kunstfreiheit. Die Zuordnung des geschützten Verhaltens im „Schulbuch“- bzw. „Urheberrechts“-Fall zu Art. 14 Abs. 1 GG62, fußt zwar durchaus auch auf dem Gedanken des schwerpunktmäßigen Betroffenseins. Sie ist aber bereits auf der Ebene des Schutzbereichs vorgenommen worden. Zu etwaigen Konkurrenzlagen kam das Gericht in seiner Prüfung demnach nicht mehr.
55
Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Vorbem. Anm. B XV 2 b). Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Vorbem. Anm. B XV 2 b). 57 Klein, in: von Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Vorbem. Anm. B XV 2 b). 58 Gleiche Feststellung von Berg, S. 55. Erbel, S. 127 f. allerdings wirft Klein eine inkonsequente Umsetzung seiner abstrakten Aussagen in Beispiele vor. 59 BVerfGE 36, 321 (360); 38, 61 (79); 39, 334 (360); 77, 308 (332); ähnlich s. auch schon BVerfGE 13, 290 (296). 60 So die Zusammenfassung der Judikatur von Stern, III/1, S. 1407. 61 BVerfGE 13, 290 (296); dazu siehe auch Drettmann, S. 139 f. 62 BVerfGE 31, 229 (238). 56
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5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
Ingesamt betrachtet, ist die verfassungsrechtliche Rechtsprechung also uneinheitlich. Neben den soeben genannten Entscheidungen, die sich an der „Meistbetroffenheit“ orientieren, wendet das Gericht die betroffenen Grundrechte nebeneinander, idealkonkurrierend an63. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum findet dieser Ansatz der Rechtsprechung teilweise Zustimmung64. Bei der letztendlichen Auswahl der maßgeblichen Grundrechtsschranken ist danach entscheidend, wie „intensiv“ das konkrete Verhalten dem jeweiligen Schutzbereich der konkurrierenden Grundrechte zugeordnet werden kann. Zur Bestimmung des Schwerpunkts der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung wird auch die Zielrichtung der eingreifenden hoheitlichen Maßnahme (mit) herangezogen65. Vereinzelt werden folgende Konkretisierungen bzw. Abwandlungen der grundsätzlichen Zuordnung ökonomisch-gewerblichen Verhaltens zu Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1GG vorgenommen. So will Dickert eine Art „conditio-sine-qua-non“-Formel benutzen, um Konkurrenzverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb zu lösen. Wenn eine Handlung hinweggedacht werden könne, ohne daß die Charakterisierung des Gesamtablaufs als wissenschaftliche Forschungstätigkeit entfalle, dann sei sie nicht durch die Forschungs-, sondern durch die Berufsfreiheit geschützt66. Gleichwohl soll die endgültige Entscheidung einzelfallabhängig sein. Im Wege einer typisierenden Zuordnung kommt er zur größeren Sachnähe von Handlungen der Ergebnisverwertung, also insbesondere von Verkauf, Publikation und Patentierung zu Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG67. Die Schranken der Forschungsfreiheit sollen aber relevant bleiben, wenn die Möglichkeit der kommunikativen Erkenntnisvermittlung durch die Entziehung oder Beschränkung wirtschaftlicher Verwertungsmöglichkeiten faktisch unmöglich gemacht oder beschränkt wird. Auch Scholz differenziert: Beeinträchtigungen „typischer und schlechterdings unverzichtbarer Formen wissenschaftlicher Kommunikation“ sollen auch dann an den Schranken von Art. 5 Abs. 3 zu messen sein, 63
Siehe unten II. 3. b). So bei Berg, S. 136, 138, der eine Unterscheidung zwischen Rand- und Zentralbereich der Grundrechtsausübung vornehmen will; Dickert, S. 419 f.; Oppermann, HStR VI, Rdnr. 17; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 84; punktuell zustimmend Stern, III/1, S. 1407, zum Verhältnis zwischen Art. 5 Abs. 3 GG einerseits und Art. 12, 14 GG andererseits bei Randbezug zur Forschung. Wohl auch – als Aspekt einer gestuften Lösung – Dreier, in: ders., Vorb. Rdnr. 97; Starck, in: vom Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 254. Zur Kunstfreiheit siehe u. a. Erbel, S. 134, der die Tätigkeit eines Goldschmiedes schwerpunktmäßig Art. 12 Abs. 1 GG zuschlägt. 65 So von Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 38; Stern, III/1, S. 1407 f. 66 Dickert, S. 421. 67 Dickert, S. 421. 64
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wenn wirtschaftliche Erträge erzielt werden68. Diese seien für die ihnen zugrundeliegende wissenschaftliche Tätigkeit nicht zweckbestimmend. Diffiziler ist die von Scholz an anderer Stelle vorgeschlagene Lösung von Konkurrenzkonflikten, die aber letztlich ebenfalls den Schwerpunkt zum maßgeblichen Kriterium erklärt. Scholz will (bei der Wirtschaftswerbung) den Wirkungszusammenhang zwischen den Grundrechten dadurch berücksichtigen, daß er zwischen dem finalen Inhalts- und dem instrumentalen Ausübungsrecht unterscheidet69. Eine Beschränkung der gegenüber der Berufsfreiheit schrankenintensiveren Meinungsfreiheit soll demnach zulässig sein, soweit letztgenannte ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Mittel der Wirtschaftwerbung beschränkt wird70. Übertragen auf relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit bedeutet das eine Maßgeblichkeit der Schranken von Art. 12 und 14 GG, soweit die Forschung nur als Mittel zur Gewinnerzielung betrieben wird. Folgt man der Zuordnung zum Schwerpunkt der Beeinträchtigung, wie sie überwiegend vorgenommen wird, dann müßte man im Ergebnis möglicherweise im Fall der mit Verwertungsabsicht betriebenen Erkenntnissuche, jedenfalls aber im Fall der Verwertungshandlungen von Forschungsergebnissen statt der Forschungsfreiheit Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG für allein schutzgewährleistend ansehen. Das gilt aber nur dann, wenn die in dieser Arbeit dargelegten Vorwirkungen von Beschränkungen der Verwertungsebene auf die Erkenntnissuche als mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit – wie es überwiegend der Fall ist – nicht beachtet werden. Berücksichtigt man sie, dann kann von einem schwerpunktmäßigen Betroffensein der Wirtschaftsgrundrechte im Fall der Verwertungshandlungen keine Rede sein. Für die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Forschung kann ebenfalls auf das Ergebnis der obigen Prüfung71 verwiesen werden. Danach wird solche Forschungstätigkeit von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützt. Anhaltspunkte dafür, daß diese Tätigkeit schwerpunktmäßig aber von anderen Grundrechten geschützt wird, die Forschungsfreiheit also nur in ihrem Randbereich betroffen wäre, haben sich nicht ergeben. Richtigerweise wäre daher eine Zuordnung zu Art. 5 Abs. 3 GG vorzunehmen.
68 69 70 71
Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 84. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 108 ff. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 114. Siehe oben 3. Teil B.
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5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
3. Maßgeblichkeit sowohl von Art. 5 Abs. 3 als auch von Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG a) Wertkumulation: Schutz des vorbehaltlosen Grundrechts wird durch das mit Gesetzesvorbehalt verstärkt Zu einem Bestehenlassen aller konkurrierenden Grundrechte kommen Bleckmann/Wiethoff. Sie nehmen eine Addition der durch die einzelnen Schutzbereiche repräsentierten „Wertigkeiten“ vor. Die zusammentreffenden Werte sollen sich gegenseitig verstärken: Die Kumulation der betroffenen Grundrechtspositionen hat dabei einen höheren Rang als jede der einzelnen Grundrechtspositionen isoliert betrachtet72. Dogmatisch verortet wird dieser Ansatz im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung73. Von den Verfassern werden mehrere Beispiele genannt. Der Trompete spielende Berufsmusiker habe eine stärkere Rechtsposition (Art. 5 Abs. 3 plus Art. 12 Abs. 1 GG) als der Hobbymusiker (nur Art. 5 Abs. 3 GG), ebenso wie der Vortrag eines Universitätsprofessors durch das zu Art. 5 Abs. 3 GG hinzutretende Grundrecht der Berufsfreiheit insgesamt intensiver geschützt sei als ein Privatvortrag74. Ein ähnlicher Ansatz wird für die Auflösung von Konkurrenzen im Bereich der Wirtschaftswerbung beschrieben. Auch dort wird die Wertigkeit der betroffenen Rechtspositionen (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG neben den Wirtschaftsgrundrechten) nicht nach allgemeinen Grundsätzen bestimmt, sondern soll sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben75. Im Unterschied zu der vorher beschriebenen „Kumulationstheorie“ will diese Ansicht jedoch keine Addition der Werte vornehmen. Die Kumulation soll vielmehr zu einer im Einzelfalle zu bestimmenden Verstärkung der Individualrechtspositionen76 führen, die jedoch nicht näher spezifiziert wird. Für die beiden hier interessierenden Fälle im Bereich von Forschung und Kommerz ergibt sich damit folgendes Ergebnis: Sowohl die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebene Erkenntnissuche als auch die Verwertungshandlungen der Forschungsergebnisse werden bei der industriellen Forschung im Rahmen der Berufsausübung vorgenommen. Im Einzelfall kommt möglicherweise noch die Eigentumsgarantie hinzu. Die Schutzintensität des zu prüfenden Verhaltens wird im Ergebnis aus der „mathematisch“
72 73 74 75 76
Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (729). Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (729). Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (728 f.). Drettmann, S. 178 ff. Drettmann, S. 182.
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oder eher flexibel bestimmten Summe des von den einzelnen Grundrechten gebildeten Ranges gebildet. b) Anwendung der allgemeinen Konkurrenzlehren Wohl überwiegend werden die auch in den anderen Rechtsgebieten77 aufgestellten Regeln zur Auflösung von Normkonkurrenzen für die Grundrechtsdogmatik übernommen. Anders als im Strafrecht, wo die Normen wegen dessen fragmentarischen Charakters nur einen Teil des menschlichen Verhaltens umfassen, betreffen die Grundrechte die gesamte menschliche Tätigkeit78. Infolgedessen sind hier Überschneidungsfälle typischerweise häufiger anzutreffen. Ein Vergleich mit der zivilrechtlichen Dogmatik liegt aus folgenden Erwägungen näher: Aus den grundrechtlichen Abwehrrechten folgen im Fall ihrer Beeinträchtigung negatorische Ansprüche, die auf Beseitigung der bestehenden Störung und auf Unterlassung bevorstehender Störungen gerichtet sind79. Diese Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche entsprechen dem Schutz absoluter Rechte im Zivilrecht, vor allem des Eigentums. Während § 903 BGB Parallele für den abwehrrechtlichen Aspekt ist, kann für den Aspekt des negatorischen Schutzes auf § 1004 Abs. 1 BGB80 verwiesen werden. Als im Zivilrecht entwickelte allgemeine Konkurrenzlehren kommen als Vergleichsmodelle die Spezialität und die Kumulation (Idealkonkurrenz) in Betracht. Der Fall der tatbestandlichen Spezialität scheidet in der Grundrechtsdogmatik weitgehend – unbestritten bis auf das Verhältnis der speziellen Freiheitsgrundrechte gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG81 – aus82. Forschungsfreiheit einerseits sowie Eigentumsgarantie und Berufsfreiheit andererseits 77 Übersicht über die dort vertretenen Ansätze Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (724); Stern, III/1, S. 1371 ff. 78 Berg, S. 74. 79 Anschaulich Sachs, Grundrechte, S. 40 f.; zur historischen Bedeutung der Grundrechte als negatorischer Rechte Lübbe-Wolff, S. 35 ff. I. E. ähnlich Lepa, DVBl. 1972, 161 (164); Degen, S. 306 80 Der Anwendungsbereich von § 1004 BGB wird über seinen Wortlaut hinaus auf alle absoluten Rechte ausgedehnt, s. Bassenge, in: Palandt, § 1004 Rdnr. 2 m. w. N. 81 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 6, 32 (37), überwiegend geteilt im Schrifttum, siehe nur Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. I Rdnr. 3, 6, 9; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2 Rdnr. 88; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 34. Zu weiteren Spezialitätsverhältnissen siehe Stern, III/1, S. 1402 f. 82 Sachs, Grundrechte, S. 164.
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5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
verhalten sich zueinander nicht wie konzentrische Kreise83. Die Berufsfreiheit ist gegenüber der Forschungsfreiheit nicht spezieller, weil es auch andere Berufstätigkeiten als die Ausübung von Forschen gibt. Ebenso verhält es sich mit der Eigentumsgarantie, soweit es um das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geht. Überwiegend wird statt eines Spezialitätsverhältnisses zwischen Grundrechten angenommen, daß diese in Idealkonkurrenz zueinander stehen84. Danach schützen Grundrechte bestimmte Rechtsgüter, ohne den von anderen Grundrechten gewährleisteten Schutz zu verdrängen. Wie bereits erwähnt, verfolgt das Bundesverfassungsgericht eine am Einzelfall orientierte pragmatische Lösung und stützt sich dabei nicht konsequent auf einen dogmatischen Ansatz85. Vielmehr vertritt es – meist ohne nähere Ausführungen – wechselnde Strategien. Unter anderem wendet es die in seinen Entscheidungen geprüften Grundrechte parallel an und folgt damit in diesen Fällen dem hier beschriebenen Ansatz der Idealkonkurrenz86. Begründet wird die Lösung unter anderem mit dem Hinweis, ein Außerachtlassen der Schranken des stärker geschützten Grundrechts würde dazu führen, daß derjenige schlechter stünde, der daneben zugleich ein weiteres, schwächer geschütztes Grundrecht in Anspruch nehme87. Außerdem spreche für ein Bestehenlassen des Schutzes aller betroffener Grundrechte die damit gezogene klare Linie88. Zudem wird darauf hingewiesen, die Wertaussage des stärkeren Grundrechts ändere sich nicht durch das Hinzutreten des schwächeren89. Ganz entscheidend sei, daß eine staatliche Regelung erst dann verfassungsgemäß sei, wenn sie überhaupt kein Grundrecht verletze90. Die Schranken 83 Dickert, S. 415; Raabe, S. 49. Die metaphorische Beschreibung stammt von Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 32; zum Begriff der Spezialität auch Berg, S. 162; Heß, S. 34 ff., 37. 84 Zu Art. 5 Abs. 3 und Art. 12, 14 GG Dickert, S. 415; Grupp, in: Furkel/Jung, S. 140; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. III Rdnr. 180, 50; Pernice, in: Dreier, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rdnr. 54; Pfeiffer, VersR 1994, 1377 (1382); Raabe, S. 50. Allgemeiner Berg, S. 83, 145, 153 f. 158, 161 ff.; Dreier, in: ders., Vorb. Rdnr. 97; Fohmann, EuGRZ 1985, 49 (59); Heß, S. 163 ff.; Lepa, DVBl. 1972, 161 (164); Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 136; ders., Grundrechte, S. 165 f.; Siekmann/Duttge, Rdnr. 1057 f.; Stern, III/1, S. 1405 ff. 85 Stern, III/1, S. 1385 beschreibt die verfassungsrechtliche Rechtsprechung als uneinheitlich. 86 So u. a. BVerfGE 50, 290 (336); 33, 240 (247); 77, 240 (257); 82, 236 (258); 85, 226 (233, 237); 90, 255 (259). 87 Berg, S. 80; Knies, S. 78 f.; Lepa, DVBl. 1972, 161 (162). 88 Stern, III/1, S. 1406. 89 Lepa, DVBl. 1972, 161 (162). 90 Stern, Gebietskörperschaften, S. 65; ebenso Berg, S. 61; Bleckmann, S. 393; Sachs, Grundrechte, S. 166 f.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 254.
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des stärker geschützten Grundrechts bestimmen daher im Ergebnis die Anforderungen, die an Grundrechtseinschränkungen zu stellen sind. Letztlich also kann der Bürger seinen Abwehranspruch gegenüber staatlichen Beeinträchtigungen – wie im Zivilrecht – auf diejenige Norm stützen, die ihm die weitesten, für ihn positiven Rechtsfolgen gewährt91. Anwendbar sind damit sowohl im Fall der mit Verwertungsabsicht betriebenen Erkenntnissuche als auch im Fall der wirtschaftlichen Verwertungshandlungen sowohl die Forschungsfreiheit und neben ihr Berufsfreiheit sowie Eigentumsgarantie. Schutzbestimmend ist damit im Ergebnis der schrankenstärkere Art. 5 Abs. 3 GG.
III. Kritik und eigener Lösungsvorschlag Von den oben dargestellten Ansätzen zur Auflösung von Konkurrenzverhältnissen dürfte im Ergebnis nur derjenige der Verfassung entsprechen, der alle parallel betroffenen Grundrechte nebeneinander bestehen läßt, mithin von einer Idealkonkurrenz ausgeht. Ausgangspunkt der zu dieser Konsequenz kommenden Überlegungen ist, daß sich das Kriterium zur Konkurrenzauflösung verfassungsrechtlich ableiten lassen muß. Für die anderen vertretenen Meinungen, nach denen nicht generell das schrankenstärkste Grundrecht den Maßstab für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von relevanten Grundrechtsbeeinträchtigungen bildet, könnte sprechen, daß sie allen konkurrierenden Grundrechten ihre Eigenständigkeit bewahren und sie jedenfalls im Einzelfall für maßstabsbildend halten92. Die Befürchtung, neben einem schrankenstärkeren Grundrecht komme den anderen lediglich ein deklaratorischer Wert zu93, verkennt aber, daß in diesem Zustand kein Mißstand besteht. Geht man zutreffend davon aus, daß Art. 1 Abs. 3 GG verlangt, jedes betroffene Grundrecht müsse seine Wirkungen entfalten94, dann ist ein eingreifender Akt öffentlicher Gewalt – wie Stern treffend feststellt – nur dann rechtmäßig, wenn er die Anforderungen aller Grundrechte erfüllt, an denen er zu messen ist95. Die Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 3 GG läßt sich nicht etwa als unzulässige petitio principii quali91
Ähnlich Lepa, DVBl. 1972, 161 (164). So insbesondere Degen, S. 99; Drettmann, S. 159. Auch Berg, S. 83 betont, daß zwischen den Bestimmungen kein beziehungsloses Nebeneinander bestehen könnte. 93 Degen, S. 99. 94 Stern, III/1, S.1379; ähnlich Heß, S. 135 f. 95 Stern, Gebietskörperschaften, S. 65; auch Berg, S. 61; Bleckmann, S. 393; Sachs, Grundrechte, S. 166 f.; Starck, in: vom Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 254. 92
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5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
fizieren. Richtig ist insofern zwar, daß die Norm die Bindung an die Grundrechte nur soweit verlangt, als diese gelten. Ist jedoch der Schutzbereich eröffnet und haben auch die verfassungsrechtlichen Begrenzungsvorbehalte keine Rechtfertigung der staatlichen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben, so bleibt keine Möglichkeit, den Grundrechtsschutz über einen anderen Weg zurückzudrängen. Eine dogmatische Grundlage, insbesondere für eine Schrankenübertragung, ist bisher nicht dargelegt worden96. Wenn dem Wortlaut und der Systematik nach eine Grundrechtsverletzung festgestellt worden ist, bedürfte die Rücknahme des von der Verfassung so nachgewiesenen Schutzes aber einer besonderen Rechtfertigung97. Zusätzlich gilt es zugunsten der Annahme einer Idealkonkurrenz folgendes zu bedenken: Weil Forschung typischerweise von Berufs wegen ausgeübt wird, wäre die Folge eines anderen als des hier vertretenen Ansatzes, daß die Forschungsfreiheit zum Sondergrundrecht des Privat- und Hobbyforschers würde98. Die Relevanz des Umstandes, daß ein Leerlaufen einer Grundrechtsgewährleistung in praxi von der Verfassung nicht unberücksichtigt bleiben kann, wurde bereits dargelegt99. Zu diesem Aspekt tritt entscheidend hinzu, daß Art. 5 Abs. 3 GG ein von der Verfassung besonders ausgegliederter Aspekt der Berufsfreiheit ist100 – ohne dabei die speziellere Norm zu sein, weil es auch andere Berufstätigkeiten als die Ausübung von Forschung gibt. Von diesem Verhältnis ausgehend, kann Art. 5 Abs. 3 nicht hinter Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG zurücktreten. Die alternativ vorgeschlagene Schwerpunktlösung101 ist nicht nur aus den dargelegten Gründen nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen, sie besitzt auch in sich keine Überzeugungskraft. Allgemein wird durch sie eine Verkürzung des Grundrechtsschutzes durch Zerreißung einheitlicher, nicht teilungsfähiger Lebenstatbestände befürchtet102. Für den hier untersuchten Fall der Industrieforschung scheidet eine Trennung des Sachverhalts schon per se aus, da es um die Erkenntnissuchtätigkeit selber geht und 96
Kritisch auch Heß, S. 78. Berg, S. 105, 159; ähnlich Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (724); auch Heß, S. 80 befürchtet einen Verlust der Bedeutung des Verfassungstextes; Sachs, Grundrechte, S. 166, sieht „grundsätzlich keine plausible Handhabe“ für eine Konkurrenzlösung, die die Schutzreichweite eines der beteiligten Grundrechte reduziert. 98 Dickert, S. 417 f.; von Kirchbach, S. 127; ähnlich Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 141 zur Pressefreiheit. 99 Siehe oben 3. Teil B. I. 4. a) bb). 100 Häberle, S. 428; ders., AöR 110 (1985), 329 (350); Schmidt, NJW 1973, 585 (586); Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 254. Aus soziologischer Sicht Schelsky, S. 146. 101 Siehe oben II. 2. b). 102 Lepa, DVBl. 1972, 161 (164); ihm folgend Stern, III/1, S. 1380. 97
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kein Raum für unterschiedliche Anknüpfungspunkte besteht. Für die wirtschaftlichen Verwertungshandlungen dagegen scheint sich eine Trennungslösung geradezu anzubieten: Die Erkenntnissuche würde dann Art. 5 Abs. 3 GG zuzuordnen sein, während die darauf folgende Phase schwerpunktmäßig Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG zufallen würde. Indes kommt auch in dieser Konstellation eine Trennungslösung nicht in Betracht. Wegen des erbrachten Nachweises der mittelbaren relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch die intensive Vorwirkung motivatorischer und wirtschaftlicher Art von Einschränkungen der Verwertungsphase auf die Forschungstätigkeit103, kann ein den Schutz der Forschungsfreiheit auf Konkurrenzebene zurückdrängender Ansatz nicht überzeugen. An der von Scholz zur Wirtschaftswerbung entwickelten Differenzierung nach Inhalts- und Ausübungsrecht104 ist die von ihm getroffene Zuordnung zu einer der beiden Kategorien unzutreffend. Nicht ganz einsichtig ist, wieso das Verhältnis zwischen Meinungs- und Berufsfreiheit (in seinem Beispiel) und Forschungsfreiheit sowie Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie (im hier interessierenden Fall) zwingend so sein soll, wie von ihm behauptet. Genauso gut ist denkbar, daß Inhaltsrechte Meinungs- bzw. Forschungsfreiheit sind105. Zur Ausübung seiner Forschungsfreiheit würde sich der Industrieforscher dann der durch Art. 12 und 14 GG geschützten Gewerbsmäßigkeit bedienen. Selbst wenn man das anders sehen wollte, würde die Frage, was Ziel und was Mittel ist, kaum objektiv zu bestimmen sein. Die Zielsetzung setzt begriffsnotwendig eine sie konstituierende Entscheidung des Grundrechtsträgers voraus. Umgekehrt ist die im Rahmen der „Schwerpunktstheorie“ praktizierte Bestimmung des Schwerpunkts einer relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung anhand der Zielrichtung der eingreifenden Norm ungeeignet, soweit dabei ein subjektives Element eine Rolle spielt. Maßgebend für die Auflösung von Konkurrenzlagen kann nur der objektiv freiheitsmindernde Effekt sein106. Es ist mittlerweile anerkannt, daß relevante Grundrechtsbeeinträchtigungen faktischer bzw. mittelbarer Art auch dann anzunehmen sind, wenn die Merkmale des sogenannten „klassischen“ Eingriffsbegriffes nicht vorliegen107. Die von Dickert alternativ vorgeschlagene „conditio-sine-qua-non“-Formel, nach der die Forschungs- die Berufsfreiheit auf Konkurrenzebene nur dann ausschließt, wenn eine Handlung nicht hinweggedacht werden könne, 103 104 105 106 107
Siehe oben 4. Teil B. II. 1. a). Siehe oben 2. b). Zur Meinungsfreiheit Drettmann, S. 166. Degen, S. 86. Siehe nur Sachs, in: ders., vor Art. 1 Rdnr. 83; auch oben 3. Teil B. II. 1.
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5. Teil: Grundrechtsträgerschaft und Konkurrenzen
ohne daß die Charakterisierung des Gesamtablaufs als wissenschaftliche Forschungstätigkeit entfalle108, würde eine Reduzierung des Schutzes auf das Minimum darstellen. Wenn Maßstab der „Gesamtablauf“ der Forschungstätigkeit sein soll, dann birgt das die Gefahr, daß bestimmte Aktionsmodalitäten von Forschungstätigkeit nicht durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt werden. Es ist vorstellbar, daß es Aktionsmodalitäten gibt, die zwar für die Qualifizierung des Gesamtablaufs als Forschung ohne Einfluß sind, wohl aber für Teilbereiche des Forschungsvorhabens für Bedeutung sind. Zudem bestehen gegenüber der „conditio-sine-qua-non“-Formel deswegen entscheidende Bedenken, weil die Bestimmung derjenigen Handlungen, die hinweggedacht werden können, kaum objektiv möglich sein dürfte. Die konkrete Ausgestaltung eines Forschungsvorhabens ist gerade Teil der dem einzelnen Forscher gewährten Freiheit. Die von Dickert zugestandene Ausnahme für den Fall, daß die kommunikative Erkenntnisvermittlung durch die Entziehung oder Beschränkung wirtschaftlicher Verwertungsmöglichkeiten faktisch unmöglich oder beschränkt werde109, geht nicht weit genug. Ihm kommt es nur auf die Wirkung auf die Kommunikation des Erkenntnisprodukts an. Mit Anerkennung der hier vertretenen Vorwirkung auf die gesamte Erkenntnissuche, also nicht lediglich auf ihren kommunikativen Teil, kann eine derartige Begrenzung nicht zulässig sein. Soweit gegen die Annahme einer Idealkonkurrenz eingewandt wird, sie führe zu einer Starrheit und geringen Flexibilität und überhöhe unsachgemäß den Schutz, wenn das reglementierte Verhalten „zutreffender“ als berufliche denn als wissenschaftliche Tätigkeit zu qualifizieren wäre110, kann diese Einschätzung nicht geteilt werden. Ob eine Qualifikation als wissenschaftliche Tätigkeit „zutreffend“ ist, richtet sich allein nach der Eröffnung des Schutzbereiches. Ist die Tätigkeit dort unter Art. 5 Abs. 3 GG subsumiert worden, ist kein Platz mehr für eine Rücknahme des Schutzes. Ist der Schutzbereich eröffnet, schützt er nicht ein „bißchen“ Forschung, sondern entfaltet seine volle Wirkung. Die Bedenken gegen eine derartige „Radikallösung“111 beruhen auf dem verfassungsrechtlich wohl irrelevanten Bedürfnis, neben der wohl als unzureichend eingeschätzten Begrenzung durch kollidierendes Verfassungsrecht der Forschungsfreiheit über den Umweg der Konkurrenzen eine flexiblere Schrankenregelung – von einem „Arsenal an mehr oder minder geschmeidigen Schranken“ spricht Ridder112 – zuzuordnen113. 108 109 110 111
Siehe oben II. 2. b). Dickert, S. 421. Dickert, S. 418. So die Bezeichnung von Dickert, S. 419.
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IV. Ergebnis Der auf den Schrankendivergenzen beruhende Konflikt zwischen konkurrierenden Grundrechten ist derart aufzulösen, daß jedes Grundrecht für sich genommen zur Anwendung kommt und eine Schrankenübertragung gleich welcher Richtung ausscheidet. Die relevanten Beeinträchtigungen von Art. 14 Abs. 1 GG durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG114 sind sowohl im Hinblick auf die mit Verwertungsabsicht betriebene Erkenntnissuchtätigkeit als auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verwertungshandlungen gerechtfertigt. Dagegen sind die Beeinträchtigungen von Art. 5 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt. Ein Widerspruch, der die Einheitlichkeit der Verfassung gefährden würde und deswegen auf Konkurrenzebene beseitigt werden müßte, besteht in diesem Ergebnis nicht. Die verschiedenen Schranken der einzelnen Grundrechte legen nicht „mehr oder weniger“, sondern – mit punktuellen Überschneidungen – voneinander abweichende Regeln fest115. Daß ein und derselbe Akt öffentlicher Gewalt ein Grundrecht verletzt, ein anderes aber zulässigerweise verkürzt, ist daher ein in der Verfassung angelegtes Nebeneinander. Deswegen ist allenfalls mittelbar das Argument ausschlaggebend, daß das Grundgesetz dem Primat der Freiheit verpflichtet ist116 und somit der volle Gewährleistungsgehalt, wie er nach ihren spezifischen verfassungsrechtlichen Begrenzungen Bestand hat, auszuschöpfen ist. Die Beschränkungen von mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung sind demnach im Ergebnis auch an der Forschungsfreiheit mit allein ihren spezifischen Begrenzungen zu messen.
112
Ridder, S. 10 zur Kunstfreiheit. Dementsprechend spricht Dickert, S. 419 davon, jede Schranke habe bestimmte typischerweise vom Grundrechtsgebrauch auszuschließende Gefahrensituationen im Auge. Mit der Radikallösung sei dieses Ziel aber nicht erreichbar. Ähnliche Erwägungen leiten auch Sachs, Grundrechte, S. 166. 114 Entspricht § 40 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 2 des Regierungsentwurfes vom 15.10.2003. 115 Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (724). 116 BVerfGE 13, 97 (105). Auf diesen Grundsatz als tragendes Argument für die Konkurrenzlösung abstellend Berg, S. 80 f, 105, 145; Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (729); Lepa, DVBl. 1972, 161 (164); kritisch Heß, S. 69 m. w. N. 113
6. Teil
Zusammenfassung in Thesen I. Verfassungsrechtlicher Schutz der mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebenen Forschung 1. Eröffnung des Schutzbereiches Die neuerdings verstärkt vorgebrachte Kritik an der Subsumtion von mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht betriebener Forschung unter die Forschungsfreiheit ist nicht gerechtfertigt. Derart motivierte Forschung fällt unter den Schutz von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. a) Anerkannte Tatbestandsmerkmale der Forschungsfreiheit Insbesondere sind die anerkannten Tatbestandsmerkmale der Forschungsfreiheit auch dann erfüllt, wenn die Erkenntnissuche mit Verwertungsabsicht betrieben wird. Eine Verhaltensweise wird nach üblicher Dogmatik dann unter Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG subsumiert, wenn – nach Erkenntnis gesucht wird, nach teilweise vertretener Ansicht jedoch nur um ihrer selbst willen (aa)), – die Themenwahl offen und eigenständig erfolgt (bb)), – der Forscher Distanz zum Forschungsgegenstand bewahrt (cc)) – und die Forschungsergebnisse veröffentlicht (dd)). aa) Es fehlt den mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht Forschenden nicht etwa überhaupt das Interesse der Erkenntnisgewinnung1. Außerdem fordert die Verfassung keine „reine“ Forschung, die nur um ihrer selbst willen betrieben wird. Bereits das sogenannte klassische Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts war von einer deutlichen Zweckorientierung der Wissenschaft gekennzeichnet. bb) In der Praxis kommt eine Beschränkung der Wahl der Forschungsthemen auf solche, die wirtschaftlichen Erfolg versprechen, nicht ohne wei1
Dazu und zum folgenden S. 50 ff.
6. Teil: Zusammenfassung in Thesen
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teres in Frage2. Das ergibt sich bereits aus der Unvorhersehbarkeit von Forschungsergebnissen: Was die Beschäftigung mit einer bestimmten Fragestellung an Resultaten bringen wird, kann im Vorhinein nicht festgestellt werden. Außerdem erhalten die mit Verwertungsabsicht Forschenden nur dann eine Chance, tatsächlich wirtschaftlich verwertbare Resultate zu erlangen, wenn sie Risiken bei der Wahl der Forschungsthemen eingehen. Letztlich ist das Betreiben von Forschung – auch außerhalb der Industrieforschung – nicht möglich, ohne sich an den vorhandenen Ressourcen, insbesondere der sachlichen und personellen Ausstattung der Forschungseinrichtungen, zu orientieren und damit eine Fremdsteuerung zuzulassen. Im Ergebnis stellt sich die freie Wahl des Forschungsgegenstands gerade als Niederschlag des Gebrauchs der Forschungsfreiheit dar. cc) Allein die wirtschaftliche Verwertungsabsicht führt nicht dazu, daß der Forscher die für wissenschaftliches Verhalten typische kritische Distanz verlieren würde3. Fraglich ist bereits, ob die Befürchtung, eine emotionale Verbundenheit mit dem Forschungsgegenstand oder den erhofften Ergebnissen verursache eine Mißachtung der wissenschaftlichen Standards, gerechtfertigt ist. Zum einen ist eine emotionale Unabhängigkeit zur Forschungstätigkeit und zu ihrem (erhofften) Ergebnis nicht Voraussetzung für die Subsumtion des entsprechenden Verhaltens unter Art. 5 Abs. 3 GG. Zum anderen sorgt gerade die Aussicht, ein marktgängiges Produkt durch Forschung zu entwickeln, dafür, daß Forschung nicht nachlässig betrieben wird. Insbesondere der Konkurrenzdruck verlangt, daß die mit Verwertungsabsicht Forschenden ihre wirtschaftliche Stellung am Markt nicht durch unsorgfältiges Arbeiten gefährden. Vor allem die pharmazeutische Forschung fürchtet Ansehensverlust und Schadensersatzforderungen für den Fall des Eintritts von solchen Gesundheitsschäden, die auf unwissenschaftliches Arbeiten zurückzuführen sind. dd) Die mit Verwertungsabsicht vorgenommene Forschung besitzt typischerweise auch genügenden Kontakt zur scientific community4. Der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Industrieunternehmen selbst und mit Hochschulen ist vielfältig und verhindert eine Abkoppelung der Industrieforschung von der Wissenschaftsgemeinschaft. Die bestehenden Geheimhaltungsinteressen der mit Verwertungsabsicht Forschenden, die im Ergebnis zumindest zu einer verspäteten Veröffentlichung der Forschungsergebnisse führen, verschließen den Schutzbereich der 2 3 4
Dazu und zum folgenden S. 59 ff. Dazu und zum folgenden S. 67 ff. Dazu und zum folgenden S. 71 ff.
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6. Teil: Zusammenfassung in Thesen
Forschungsfreiheit nicht. Zum einen ist die Publizität von Forschungsergebnissen nur ein Hilfskriterium zur Bestimmung, ob die zu diesen Ergebnissen führenden vorhergegangenen Forschungstätigkeiten unter die Forschungsfreiheit zu subsumieren sind. Zum anderen sorgt die von §§ 49, 32 Abs. 3 PatentG vorgesehene Veröffentlichungspflicht in weiten Bereichen dafür, daß andere Forscher Kenntnis von dem Forschungsvorhaben erlangen können, sobald mit der wirtschaftlichen Verwertung in Form der Patentierung begonnen wird. Eine Geheimhaltung ist daher nur beschränkt möglich. Eine möglichst frühzeitige Veröffentlichung ist nicht Voraussetzung für die Zuerkennung des Schutzes des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Eine solche würde die Forschungsfreiheit in eine Grundpflicht zur Erleichterung der Forschungsarbeit Dritter umkehren. Außerdem müßte die Frage, wann ein Forschungsergebnis Publikationsreife erlangt hat, von Dritten beantwortet werden, was den Kern wissenschaftlicher Eigenständigkeit berühren würde. Denn die Frage, ob Publikationsreife vorliegt, betrifft die inhaltliche Qualität der Arbeit. b) Gesamtbetrachtung der anerkannten Tatbestandsmerkmale der Forschungsfreiheit Es kann auch nicht argumentiert werden, daß bei an wirtschaftlicher Verwertung orientierter Forschung zwar jedes der genannten Tatbestandsmerkmale der Forschungsfreiheit für sich betrachtet erfüllt ist, aber wegen Überwiegens von Antiindikationen derartige Forschung im Ergebnis doch nicht dem Schutzbereich dieses Grundrechts unterfalle5. Eine solche dogmatische Konstruktion müßte im Wege einer Gesamtbetrachtung berücksichtigen, daß solche Forschung zum einen im Vergleich zu nicht verwertungsorientierter Hochschulforschung graduell stärker an externen Faktoren ausgerichtet ist. Zum anderen würde sie annehmen müssen, daß bei auf Verwertung gerichteter Forschung die einzelnen Tatbestandsmerkmale im Vergleich zu nicht derartig orientierter Forschungstätigkeit jeweils nur „schwächer“ erfüllt sind, so daß in Betrachtung der Summe der Merkmale der Schutzbereich für derartige Forschung nicht einschlägig wäre. Ein solcher dogmatischer Ansatz ist jedoch nicht statthaft. Im Gegenteil ist die Verfassungsauslegung für die Berücksichtigung von Wandlungen in der gesellschaftlichen Realität – hier der Zunahme der Verwertungsabsicht in der Forschung – offen, wie aus der Normstruktur der Grundrechte allgemein und aus systematischen Vergleichen mit der Rechtsprechung zu anderen Grundrechten gefolgert werden kann.
5
Dazu und zum folgenden S. 85 ff.
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Die Verfassung ist letztlich auf die Gewährung eines weiten Freiheitsraumes angelegt, der auch die mit Verwertungsabsicht betriebene Forschung umfaßt. c) Kein allgemeiner grundrechtsdogmatischer Grundsatz der Schädlichkeit von Gewinnerzielungsabsicht Die Untersuchung der systematischen Zusammenhänge der Verfassung fördert keinen allgemeinen Grundsatz dergestalt zu Tage, daß ein Verhalten, das den Tatbestand eines Grundrechts im übrigen erfüllt, nur deswegen nicht in dessen Gewährleistungsbereich fällt, weil das Verhalten mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen wird6. Die insoweit fragwürdige überwiegende Ansicht zur Versammlungsfreiheit und der Meinungsstand im Rahmen der Religionsfreiheit zum Gebaren sektenartiger Gemeinschaften deuten zwar die Existenz eines solchen Grundsatzes an. Diese Überlegungen beschränken sich allerdings auf die genannten beiden Grundrechte und sind nicht auf die übrigen Grundrechte übertragbar. Im Gegenteil spricht die Dogmatik zu folgenden Grundrechten gegen die Existenz eines derartigen allgemeinen Grundsatzes: Die Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), des allgemeinen Gleichheitssatzes und der Förderung der Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 1 und 2 GG), der Meinungs- (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Var. 1 GG), Presse- bzw. Rundfunk- (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG), des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), der Privatschul- (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG), Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 und 3 GG), die Dogmatik der Grundrechte des Art. 10 Abs. 1 GG, desjenigen auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), des Petitionsrechts, (Art. 17 GG), der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie die der grundrechtsgleichen Rechte der Art. 103 Abs. 1 und 101 Abs. 1 S. 2 GG. d) Keine Reduzierung des Schutzes der Forschungsfreiheit auf altruistische Forschung Die Feststellung, daß der Satz „pecunia non olet“ im System der Grundrechte des Grundgesetzes seine Geltung hat, die Grundrechte also für eine Gewinnerzielungsabsicht offen sind, ist nicht etwa speziell für die Forschungsfreiheit wieder in Frage zu stellen7. Neben den anerkannten Schutz6
Dazu und zum folgenden S. 95 ff.
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6. Teil: Zusammenfassung in Thesen
bereichsmerkmalen existiert insbesondere kein weiteres Merkmal, das etwa nur altruistische, auf gesellschaftliche Nützlichkeit ausgerichtete Forschung erfassen würde und egoistische Motivationen wie die wirtschaftliche Verwertung der Forschungsergebnisse ausschließen würde. Ein systematischer Vergleich ergibt, daß das Grundgesetz eine Bindung der Grundrechtsausübung an den Nutzen für das Allgemeinwohl nur in Ausnahmefällen kennt. So kommt es insbesondere im Rahmen der Tatbestandsebene von Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Hs., 8 Abs. 1 GG) auf das Vorliegen eines Zweckes nicht an, der auf die Bedeutung der beiden Grundrechte für den Bestand und das Funktionieren der Demokratie gerichtet ist. Auch auf den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalt kann die Annahme eines egoistische Forschung ausklammernden Tatbestandsmerkmals nicht gestützt werden. Der objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalt dient nur der Unterstützung der individuellen Freiheit. Selbst wenn letztlich eine Ausrichtung auf gesellschaftlichen Nutzen anzuerkennen wäre, könnten daraus jedenfalls keine inhaltlichen Vorgaben folgen. Denn die Unvorhersehbarkeit von Forschungsergebnissen verhindert eine Prognoseentscheidung, ob von einem bestimmten Forschungsvorhaben gesellschaftlicher Nutzen zu erwarten ist. e) Inhaltliche Steuerung der Forschungstätigkeit Eine Aussonderung von mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit würde in zweierlei Hinsicht eine Forschungssteuerung bedeuten8. Bereits das Abstellen auf eine bestimmte Motivationslage des Forschers als Anknüpfungspunkt für die Zuordnung des Verhaltens zu einem Grundrecht mit geringerer oder stärkerer Schutzintensität hat Lenkungswirkung. Des weiteren ist wirtschaftlich orientierte Forschung typischerweise „ungezügelter“ im Hinblick auf gesellschaftlich tabuisierte Forschungsgegenstände oder -verfahren, beispielsweise in der biomedizinischen Forschung. Mit ihrer Herausnahme aus dem Schutz der Forschungsfreiheit fände mittelbar eine inhaltliche Steuerung statt. 2. Relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch die Normen des AMG Das geltende Arzneimittelrecht reglementiert im Bereich des Zulassungsverfahrens und der klinischen Prüfung grundrechtsverkürzend die Forschung. 7 8
Dazu und zum folgenden S. 131 ff. Dazu und zum folgenden S. 143 ff.
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a) Allgemeine Voraussetzungen relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen Eine relevante Grundrechtsbeeinträchtigung ist nicht erst dann anzunehmen, wenn ein staatlicher Akt die Voraussetzungen des sogenannten klassischen Eingriffsbegriffs erfüllt9. Vielmehr liegt bereits bei staatlicher Alleinverursachung auf mittelbarem Weg oder bei Fehlen einer der anderen Voraussetzungen des klassischen Eingriffsbegriffs bei Vorliegen einfacher Kausalität des Staatshandelns eine verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftige Grundrechtsbeeinträchtigung vor. Auch im Falle von Drittbeeinträchtigungen, in denen erst das Verhalten Dritter zur Freiheitsverkürzung führt, ist der Staat dann verantwortlich, wenn sein Handeln für den Eintritt der Beeinträchtigung adäquat kausal ist. b) Relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG Die von den Ethik-Kommissionen im Rahmen des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens geprüfte „ärztliche Vertretbarkeit“ i. S. v. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG beinhaltet ethische Fragestellungen. Die Anwendung der Norm beeinträchtigt in relevanter Weise die nicht durch eine immanente (tatbestandliche) ethische Schranke begrenzte Forschungsfreiheit, weil sie eine Steuerung des Forschungsvorhabens nach Inhalt und Gestaltung bewirkt10. c) Relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG Die durch § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG aufgestellte Pflicht, zugunsten der Teilnehmer von klinischen Prüfungen eine Versicherung abzuschließen (sog. Probandenversicherung), ist eine relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG11. Probandenversicherungen, die den Anforderungen des AMG entsprechen, werden auf dem deutschen Markt nicht angeboten, so daß die in praxi vorgenommenen klinischen Prüfungen nicht rechtmäßig sind.
9
Dazu und zum folgenden S. 147 ff. Dazu S. 152 ff. 11 Dazu und zum folgenden S. 206 ff. 10
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3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit Die relevanten Beeinträchtigungen von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch die soeben untersuchten Regelungen des AMG sind verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. a) Keine erleichterten Rechtfertigungsanforderungen bei mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommener Grundrechtstätigkeit Die Verfassung bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß Beeinträchtigungen der Erkenntnissuche, die mit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht vorgenommen wird, erleichterten Rechtfertigungsanforderungen unterliegen12. Ein etwaiger höherer Grad an Außenorientierung und damit Fremdbestimmtheit ist, wie bei der Schutzbereichsprüfung dargelegt, gerade kein Kriterium, um den von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ausgehenden Schutz in seiner Intensität zu differenzieren. Das gilt gleichermaßen auf Tatbestands- wie auf Schrankenebene, denn auch bei der letzteren hätte ein Abstellen auf dieses Kriterium eine inhaltliche Steuerung der Forschung zur Folge. b) Kein kollidierendes Verfassungsrecht, Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Hinsichtlich der im Rahmen der Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit gem. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG stattfindenden Beurteilung des Forschungsvorhabens anhand ethischer Gesichtspunkte, fehlt es an kollidierendem Verfassungsrecht13. Weder Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG noch Art. 1 Abs. 1 GG stehen als kollidierende Verfassungsnormen zur Rechtfertigung der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung zur Verfügung. Auch das Verbot von Forschung am Menschen ohne Abschluß einer Probandenversicherung, obwohl eine den Anforderungen des AMG entsprechende Versicherung de facto nicht angeboten wird, läßt sich nicht mit einem Kollisionsgut rechtfertigen. Hinsichtlich derjenigen Prüfungsinhalte der ärztlichen Vertretbarkeit, die sich auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als kollidierendes Verfassungsrecht berufen können, also nicht lediglich ethische Fragestellungen betreffen, liegt ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vor. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 12 13
Dazu und zum folgenden S. 187 ff. Dazu und zum folgenden S. 190 ff.
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AMG kann nicht ansatzweise entnommen werden, unter welchen Voraussetzungen die Ausübung des Grundrechts der Forschungsfreiheit zulässig ist. Überdies bestehen Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der relevanten Grundrechtsbeeinträchtigungen. 4. Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), nicht jedoch der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) a) Die Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit (§ 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AMG) verkürzt ebenso wie das Fehlen der Möglichkeit, eine den Anforderungen des AMG entsprechende Probandenversicherung abzuschließen, die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)14. Die Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit kann, anders als das Fehlen der Möglichkeit, eine den Anforderungen des AMG entsprechende Probandenversicherung abzuschließen, auf vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gestützt werden. Allerdings liegt – wie bei Art. 5 Abs. 3 GG – ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vor. b) Die Eigentumsgarantie ist mit ihrem Schutzgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes (Art. 14 Abs. 1 GG) indes noch nicht betroffen15. Vor Beendigung der klinischen Prüfung werden lediglich die bloße Erwerbschance bzw. die Verdienstmöglichkeit beeinträchtigt, die aber aus dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG ausgenommen sind und als Risiko beim Unternehmer verbleiben. II. Verfassungsrechtlicher Schutz der Verwertungshandlungen von Forschungsergebnissen 1. Eröffnung des Schutzbereiches der Forschungsfreiheit Die der Erkenntnissuche nachfolgenden forschungsunspezifischen Verwertungshandlungen gehören selber nicht zum Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, können aber relevante mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein. a) Abgrenzung der Verwertungshandlungen von der Erkenntnissuche Auch durch Verwertungshandlungen und durch Phasen der Produktion können und sollen, jedenfalls in gewissem Umfang, neue Erkenntnisse her14 15
Dazu und zum folgenden S. 209 ff. Dazu und zum folgenden S. 216 ff.
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vorgebracht werden, beispielsweise hinsichtlich der Praxistauglichkeit der Erkenntnisse16. Um diese Handlungen von der typischerweise ebenfalls auf neue Erkenntnisse ausgerichteten Forschungstätigkeit abzugrenzen, ist der Grad der Neuheit der Erkenntnisse als Kriterium heranzuziehen: Erschließt sich der zur Erkenntnis führende Gedankenschritt ohne eine eigenständige Leistung in naheliegender Weise, so handelt es sich um die bloße Umsetzung eines wissenschaftlichen Erkenntnissatzes in die praktische Anwendung. b) Systematischer Vergleich mit Kunst- und Pressefreiheit Ein systematischer Vergleich mit der Kunstfreiheit zeigt, daß Einschränkungen wirtschaftlicher Verwertungshandlungen von Kunstwerken überwiegend nicht per se als von der Kunstfreiheit nicht geschützt angesehen werden17. Nicht immer eindeutig ist jedoch, ob der Schutz der Verwertungshandlungen über eine weite Schutzbereichsauslegung oder über die Annahme einer relevanten mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung erreicht wird. Auch die Untersuchung der Dogmatik zur Pressefreiheit offenbart, daß es nicht untypisch ist, den Schutzbereich eines speziellen Freiheitsgrundrechts auf solche Tätigkeiten zu erstrecken, die die wirtschaftliche Verwertung solcher Verhaltensweisen betreffen, die ihrerseits typischerweise von dem speziellen Freiheitsgrundrecht geschützt werden. c) Keine erweiterte Auslegung des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit Von den nach dem Ergebnis der systematischen Auslegung zwei denkbaren Wegen, wie der Schutz von wirtschaftlichen Verwertungshandlungen durch die Forschungsfreiheit zu erreichen ist, ist diejenige Variante vorzuziehen, bei der die Forschungsfreiheit als mittelbar beeinträchtigt angesehen werden kann, wenn Verwertungshandlungen eingeschränkt werden. Hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang Verwertungsmöglichkeiten (mittelbar) durch die Forschungsfreiheit geschützt werden, kann auf die allgemeinen Kriterien zurückgegriffen werden, die zur Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung entwickelt wurden.
16 17
Dazu und zum folgenden S. 219 ff. Dazu S. 234 ff.
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2. Relevante mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit Einschränkungen wirtschaftlicher Verwertungshandlungen – wie die Zulassungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 4 AMG – sind typischerweise keine „klassischen“ Eingriffe in die Forschungsfreiheit. Die Voraussetzungen zur Zulassung eines Arzneimittels sind keine rechtsverbindliche Gestaltung der Erkenntnissuche. Die eigentliche Forschungstätigkeit selber bleibt (zunächst) von einer imperativen Versagung der Zulassung eines Arzneimittels unberührt. Ausreichend zur Annahme einer sonstigen relevanten Grundrechtsbeeinträchtigung ist das Bestehen einer Kausalität zwischen staatlicher Tätigkeit und Verkürzung des Grundrechtsschutzes. a) Kausalität von Einschränkungen der Verwertungshandlungen für Beeinträchtigungen der Erkenntnissuche (Vorwirkungszusammenhang) Beschränkungen der Verwertungsphase sind wegen ihrer kausalen Vorwirkungen auf die Erkenntnissuche unter zweierlei Gesichtspunkten relevante mittelbare Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit. aa) Das grundsätzliche Vorhandensein einer wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit ist Voraussetzung dafür, daß zweckorientierte Forschung überhaupt betrieben wird18. Insoweit verhält es sich vergleichbar wie bei der Kunstfreiheit. Die Leistung eines Beitrages zum technischen Fortschritt – vor allem bei der medizinischen und pharmazeutischen Forschung – gehört typischer-, nicht jedoch notwendigerweise, zu den beabsichtigten Wirkungen der Forschungstätigkeit. Daß Einschränkungen von forschungsunspezifischen Tätigkeiten relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit sein können, ergibt auch andeutungsweise ein Blick auf Art. 15 Abs. 2 des Entwurfs von Herrenchiemsee, der für die „Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen“ einen Gesetzesvorbehalt vorsah. bb) Die Verwertungsmöglichkeit von Forschungsergebnissen ist vor allem Voraussetzung für die wirtschaftliche Grundlage von Forschungstätigkeit19. Insbesondere im Rahmen der Arzneimittelforschung muß der Forscher angesichts langer Entwicklungszeiten umfängliche wirtschaftliche Vorleistungen erbringen, damit die Phase der Erkenntnissuche überhaupt 18 19
Dazu und zum folgenden S. 248 ff. Dazu und zum folgenden S. 252 ff.
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finanziert werden kann. Schneidet man die Verwertungsmöglichkeiten von Forschungsergebnissen ab, so würde das auf die Forschung selbst vorwirken und diese letztlich auch inhaltlich steuern können. Der Blick auf die teilhaberechtliche Dimension von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, der Hochschulforschern im bestimmten Rahmen einen Anspruch auf positive Unterstützung einräumt, bestätigt das hier gefundene Ergebnis, gerade auch diejenige Tätigkeit mittelbar mit abwehrrechtlichem Schutz zu versehen, die sich selber die wirtschaftliche Grundlage der Forschung sichert. Auch die in verschiedenen Landesverfassungen und in Verfassungen anderer Staaten sowie in der Weimarer Reichsverfassung normierten Förderungspflichten des Staates beschreiben die Bedeutung finanzieller Ressourcen für eine unabhängige Forschung. Die Einbeziehung wirtschaftlicher Verwertungshandlungen in den (mittelbaren) Schutz der Forschungsfreiheit dadurch, daß Einschränkungen der Verwertungsphase als mittelbare Beeinträchtigungen von Art. 5 Abs. 3 GG qualifiziert werden, rechtfertigt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Forschungsvielfalt. Die Eigenfinanzierung durch Vermarktung der Ergebnisse von Forschung sichert die Eigenständigkeit in zumindest genauso großem Maße wie die staatliche Mittelverteilung im universitären Bereich. b) Kriterien zur Annahme einer relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch Einschränkungen der Verwertungsphase Einschränkungen der Phase der wirtschaftlichen Verwertung von Erkenntnissen sind jedoch nicht immer eine relevante Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit. Führen Beeinträchtigungen der Verwertungsphase zu einem gänzlichen Verwertungshindernis für Forschungsergebnisse, ist eine Vorwirkung auf die Erkenntnissuche stets anzunehmen. In den übrigen – häufigeren – Fällen, in denen lediglich der Verwertungsmodus betroffen ist, läßt sich die Grenze zu einer relevanten Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit anhand von drei Grundkonstellationen verdeutlichen, in denen es um die Bedeutung von Einnahmen aus der wirtschaftlichen Verwertung für die Erkenntnissuche geht: Eine Einschränkung der wirtschaftlichen Verwertungsphase wirkt dann in relevanter Weise auf die Erkenntnissuche vor, wenn sie deren Refinanzierbarkeit unmöglich macht (erster Grundtypus). Insofern steht sie einem gänzlichen Verwertungshindernis gleich. Ebenso ist eine Einschränkung der Verwertungsphase eine relevante Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wenn sie zwar die Refinanzierbarkeit der Erkenntnissuche unangetastet
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läßt, also forschungsbedingte Ausgaben und Einnahmen ausgeglichen werden können, aber die wirtschaftliche Grundlage der Forschungstätigkeit nur durch Schutz des Verwertungsgewinns vor Beeinträchtigungen gesichert werden kann (zweiter Grundtypus). Dagegen ist die Beeinträchtigung im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich unbeachtlich, wenn sie lediglich zu einer Reduzierung der Gewinnmarge führt (dritter Grundtypus). 3. Relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit durch Regelungen des AMG und andere beispielhaft herangezogene Normen a) Relevante Beeinträchtigung durch § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4 AMG Die Bezugnahme auf den „jeweils gesicherten Stand der Wissenschaft“ in § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4 AMG und die von § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG verlangte Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit des Arzneimittels, für das eine Zulassung beantragt ist, bedeuten je ein gänzliches Verwertungshindernis. Denn hiernach wird ein Arzneimittel dann nicht zugelassen, wenn es nicht nach dem „jeweils gesicherten Stand der Wissenschaft“ geprüft wurde oder nicht therapeutisch wirksam ist20. Die Qualifizierung von Einschränkungen wirtschaftlicher Verwertungshandlungen als relevante mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen der Forschungsfreiheit hat außerdem zur Folge, daß eine von den genannten Regelungen des AMG ausgehende inhaltliche Steuerung der Forschung abgewehrt werden kann. Der kontrolliert klinische Versuch gilt weitgehend als Gradmesser für den gesicherten Stand der Wissenschaft. Von ihm abweichende wissenschaftliche Versuchsgestaltungen bedürfen sowohl nach den aufgrund von § 26 AMG erlassenen Verwaltungsvorschriften als auch nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum einer besonderen Rechtfertigung. Andere wissenschaftliche Ansichten werden so in ihrer Anwendung im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren zurückgedrängt. b) Keine relevanten Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit durch § 33a SGB V, §§ 73 Abs. 5 S. 1, 129 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, Art. 2 Abs. 1 Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungsgesetz und § 7 Abs. 2 S. 1 AtomG Relevante Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit ergeben sich dagegen nicht in den untersuchten weiteren Beispielen der Positivliste (§ 33a SGB V), der Aut-Idem-Regelung (§§ 73 Abs. 5 S. 1, 129 Abs. 1 Nr. 1 20
Dazu und zum folgenden S. 273 ff.
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SGB V) und des Festbetragssystems (Art. 2 Abs. 1 Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungsgesetz)21. Betroffen ist jeweils nur der o. g. dritte Grundtypus, da nur die Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Krankenversicherung geregelt wird und im übrigen eine Verwertung durch die Möglichkeit der Selbstmedikation und der Kostenerstattung durch private Krankenversicherungen sowie durch die staatliche Beihilfe besteht. Auch der gesetzlich angeordnete Ausstieg aus der gewerblichen Nutzung der Kernenergie wirkt nur nach Art des dritten Grundtypus auf die Forschungstätigkeit vor. Die in Deutschland auf dem Gebiet der Kernenergie Forschenden können ihre Ergebnisse jedenfalls im Ausland weiter verwerten. 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der relevanten Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit a) Keine erleichterten Rechtfertigungsanforderungen bei Beeinträchtigungen der Verwertungshandlungen Auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung kommt eine Abstufung der Intensität des Schutzes von Verwertungshandlungen nach dem Grad der Außenwirkung nicht in Betracht22. Aus der gesteigerten Konfliktträchtigkeit solcherart nach außen wirkenden Verhaltens kann nicht auf die Abnahme des Grundrechtsschutzes geschlossen werden. Maßgeblich für die Lösung von Grundrechtskollisionen und damit für eine eventuelle Reduzierung des Schutzes sind vielmehr insbesondere die Wertigkeiten der konfligierenden Güter. b) Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als kollidierendes Verfassungsrecht Die Regelung des AMG, die eine Zulassung eines Arzneimittels nur unter der Voraussetzung der Prüfung des Arzneimittels nach dem jeweils gesicherten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse ermöglicht, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG, ist nur dann eine gerechtfertigte mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit, wenn sie verfassungskonform ausgelegt wird23. Voraussetzung für die Annahme, daß die körperliche Unversehrtheit von Probanden und Patienten kollidierendes Verfassungsgut ist, ist eine Beschränkung des Beurteilungsmaßstabs des jeweils gesicherten Standes wissenschaftlicher Erkenntnisse auf solche medizinischen Fragen, die Auswir21 22 23
Dazu und zum folgenden S. 282 ff. Dazu und zum folgenden S. 288 ff. Dazu und zum folgenden S. 294 ff.
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kungen auf die Schädlichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittels haben (was typischerweise der Fall sein wird). Auch die durch den von § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG verlangten Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit ausgehende mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit kann durch die in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG genannten kollidierenden Verfassungsgüter gerechtfertigt werden. 5. Keine Verletzung der Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie a) Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG) Die Zulassungsregeln des § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4 AMG stellen eine Verkürzung der Berufsausübungsfreiheit dar24, die aber durch auf den Erhalt der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitssystems zielende vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Dem Gesetzgeber steht ein weiter Spielraum sowohl bei der Festlegung des Gemeinwohls als auch bei der Bestimmung einer Gefahr für das Gemeinwohl zu. Jedenfalls greift auch hier der Schutz des kollidierenden Verfassungsgutes der körperlichen Unversehrtheit der Probanden und Patienten. b) Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) Anders als zum Zeitpunkt vor Durchführung der klinischen Prüfung, haben sich die Erwerbschancen bei Beantragung der Zulassung bereits „verdichtet“, so daß durch die Versagung der Zulassung das Schutzgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes beeinträchtigt wird25. Im Ergebnis dürften die § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4 AMG aber als verhältnismäßige Schrankenbestimmungen zu bewerten sein. III. Grundrechtsträgerschaft forschender Industrieunternehmen Grundrechtsträger der Forschungsfreiheit können nach Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen des Privatrechts sein26. Auf den Grad des im Innenverhältnis zwischen der juristischen Personen und angestellten Forschern gewährleisteten Freiraums kommt es bei der Frage der wesensmäßigen Anwendbarkeit der Forschungsfreiheit auf juristische Personen nicht an. Neben der Förderung fremder Forschung können juristische Personen 24 25 26
Dazu und zum folgenden S. 299 ff. Dazu und zum folgenden S. 301 ff. Dazu und zum folgenden S. 305 ff.
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auch selber – vermittelt durch ihre Organe – forschen. Ihre Organe fassen einen Beschluß darüber, in welchem Themenkreis und durch Einsatz welcher wissenschaftlichen und finanziellen Ressourcen ein Forschungsvorhaben begonnen werden soll. Daraufhin folgt die Auftragsvergabe an u. U. gebundene Forscher, die wiederum im Forschungsprozeß Erkenntnisse erlangen. Die Erkenntnisgewinnung wird der juristischen Person durch ihre Organe vermittelt, die nach entsprechender Mitteilung der Ergebnisse auch über deren Publizierung entscheiden. IV. Grundrechtskonkurrenzen Auf der Ebene der Konkurrenzen ergibt sich keine Modifizierung der gefundenen Lösung27. Ein Akt öffentlicher Gewalt ist nur dann rechtmäßig, wenn er den Anforderungen der Begrenzungsvorbehalte aller Grundrechte gerecht wird, die er relevant beeinträchtigt. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG einerseits und die schrankenschwächeren Art. 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG andererseits stehen demnach in Idealkonkurrenz zueinander. Das Abstellen auf den Schwerpunkt der Beeinträchtigung scheitert ebenso wie eine Schrankenübertragung daran, daß nach Feststellung einer Grundrechtsverletzung die Rücknahme des von der Verfassung ausgehenden so nachgewiesenen Schutzes einer Grundlage entbehrt.
27
Dazu und zum folgenden S. 313 ff.
Literaturverzeichnis Alexy, Robert: Theorie der Grundrechte, Baden-Baden 1985. – Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat 29 (1990), S. 49 ff. Arbeitsgemeinschaft für angewandte Humanpharmakologie e. V.: Ethikkommissionen in der Arzneimittelforschung, Bericht zur Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft für angewandte Humanpharmakologie e. V., September 1996, www.agah-web.de/ ethics96.htm. Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guerike“ e. V. (Hrsg.): Handbuch 2000, Köln 2001. – Jahresbericht 2000, Köln 2001. Arndt, Melanie: Klinische Prüfungen am Menschen – Bedeutung und Aufgaben der Ethik-Kommissionen nach der Neufassung des § 40 AMG mit der 5. AMG-Novelle, Pharma Recht 1996, S. 72 ff. von Arnim, Hans Herbert: Zur „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts. Einige Anmerkungen zum Parlamentsvorbehalt, DVBl. 1987, S. 241 ff. Bachof, Otto: Freiheit des Berufs, in: Bettermann, Karl August/Nipperdey, Hans Carl/Scheuner, Ulrich (Hrsg.): Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte Band 3, Halbband 1, 1. Auflage, Berlin 1958, S. 155 ff. Bauer, Tomas: Wissenschaftsfreiheit in Lehre und Studium. Zur Konkretisierung des Art. 5 Abs. 3 GG im geltenden Recht, Berlin, 1980. Bayertz, Kurt: Drei Argumente für die Freiheit der Wissenschaft, ARSP 3 (2000), S. 303 ff. Benkard, Georg/Bruchhausen, Karl/Rogge, Rüdiger/Schäfers, Alfons/Ullmann, Eike: Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, Kommentar, 9. Auflage, München 1993. Bethge, Herbert: Die Grundrechtsgewährleistungen des Art. 5 GG in der Kommentierung von Ingo v. Münch, AfP 1984, S. 22 ff. – Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, Passau 1985. – Der Grundrechtseingriff, VVDStRL 57 (1998), S. 7 ff. Bettermann, Karl August: Rundfunkfreiheit und Rundfunkorganisation, DVBl. 1967, S. 41 ff. – Grenzen der Grundrechte, Berlin 1968.
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Sachwortverzeichnis Allgemeines Persönlichkeitsrecht 91, 97 ff. Arzneimittel – Aut-Idem-Regelung 284 ff. – Bedenklichkeit, Schädlichkeit 295 – Festbeträge 284 ff. – jeweils gesicherter Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse 23 f. – und Berufsfreiheit 299 ff. – und Eigentumsgarantie 301 ff. – und Forschungsfreiheit 273 ff. – verfassungskonforme Auslegung 280 f. – Nachzulassung 297 – Negativliste 283 – Positivliste 282 ff., 300 – therapeutische Wirksamkeit 34 ff. – und Berufsfreiheit 299 ff. – und Eigentumsgarantie 301 ff. – und Forschungsfreiheit 281 f., 296 ff. Arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren – europäisches 20 – Überblick 19 ff. Ärztliche Vertretbarkeitsprüfung Siehe auch Ethik-Kommission, Prüfungsgegenstand – und Berufsfreiheit 209 ff. – und Eigentumsgarantie 216 f. – und Forschungsfreiheit 152 ff. Aufopferung 201 f. Berufsfreiheit – Berufsbegriff 136, 209 ff., 299 – Drei-Stufen-Lehre 213 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 199 ff., 215 f.
Briefgeheimnis 126 Contergan 20, 69, 179 Distanz zum Forschungsgegenstand 67 ff. – Wirkungen des Wettbewerbs 68 ff. Ehe, Schutz der 121 ff. Eigentumsgarantie – Betriebseigentum 216 f. – eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb 216 f., 301 f. – Inhalts- und Schrankenbestimmung 304 – Sozialbindung 132 ff., 165 ff. Erkenntnisinteresse – Erkenntnissuche um ihrer selbst willen 56 ff. – und Verwertungsabsicht 50 ff. Erkenntnissuche, Abgrenzung zu Verwertungshandlungen 219 ff. Ethik-Kommission – positives Votum als Genehmigungsvoraussetzung 24 ff. – Prüfungsgegenstand – Ärztliche Vertretbarkeit 24 ff. – Wissenschaftlichkeit des Vorhabens 28 f. – Selbstverständnis 30 f. Familie, Schutz der 121 ff. Fernmeldegeheimnis 126 Forschung – außeruniversitäre Siehe auch Großforschung, Ressortforschung – außeruniversitäre i. e. S. 38 f., 58 f., 307 ff.
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Sachwortverzeichnis
– Bedeutung der wirtschaftlichen Grundlagenkosten 253 ff. – Steuerung von 143 ff. – Unvorhersehbarkeit von Forschungsergebnissen 61 f., 141 Forschungsfreiheit – Gesamtbetrachtung der Tatbestandsmerkmale 85 ff. – immanente Schranke i. e. S. 162 ff. – Nützlichkeit von Forschung 140 ff. – objektiv-rechtlicher Gehalt 138 ff. – wesensmäßige Anwendbarkeit auf juristische Personen Siehe juristische Personen Forschungslandschaft 87 f. Freiwilligkeit der Teilnahme an der klinischen Prüfung 197, 199 Freizügigkeitsgarantie 127 f. Gesetzgebungskompetenz, Arzneimittelgesetz 26 f. Gesetzliche Krankenversicherung 282 ff., 300 f. Gesundheitssystem, Funktionsfähigkeit – als kollidierendes Verfassungsgut 297 – als vernünftige Erwägung des Gemeinwohls 301 Gleichberechtigung 114 Gleichheitssatz, allgemeiner 111 ff. Großforschung 38 f. Grundlagenforschung 48 f. – in der Industrieforschung 63 f. Grundpflicht 81, 198 Grundrechtsbeeinträchtigung, relevante – Geringfügigkeitsgrenze 171 ff. – klassischer Grundrechtseingriff 147 f. – mittelbare, Zurechnungskriterien 148 ff. Grundrechtskonkurrenz – Idealkonkurrenz 319 ff. – Schrankenübertragung 314 ff. – Schwerpunktslösung 315 ff.
– Verhältnis zwischen Art. 12 und 14 GG 302 – Wertkumulation 318 Grundrechtsschranken Siehe verfassungsrechtliche Rechtfertigung Grundrechtstatbestand i. w. S. 161 Grundrechtstheorien 92 ff. Grundrechtsverzicht 195 ff. Hochschule – Abhängigkeit von Ressourcen 64 f., 253 ff. – angewandte Forschung 39 – Anspruch auf finanzielle Förderung 255 f. – Maßstab der Binnenorganisation 307 ff. – Umfang der Hochschulforschung 87 f. – Zusammenarbeit mit Unternehmen 76 f. Homöopathie 277 f. Industrieforschung – Begriff 38 – industrielle Gemeinschaftsforschung 53 f., 76 Juristische Personen, Freiheit im Innenverhältnis 307 ff. Klinische Prüfung – Arzneimittelrichtlinien 22 f., 32, 276 f., 281 f. – Doppelblindstudie 23 – kontrolliert klinischer Versuch 23 – multizentrische Prüfungen 176 f. – Probandenversicherung 177 ff. – und Berufsfreiheit 215 – und Eigentumsgarantie 217 – und Forschungsfreiheit 183 ff., 206 ff. – Randomisierung 23 – Vorhaben ohne Zulassungsabsicht 26 f.
Sachwortverzeichnis – Zulassungskommissionen 278 Koalitionsfreiheit 125 f. Körperliche Unversehrtheit, als kollidierendes Verfassungsgut 190 ff., 294 ff. Kunstfreiheit – Schutz des Wirkbereichs 237 ff. – Vergleichbarkeit mit Forschungsfreiheit 234 ff. – Verwertungsabsicht 119 ff. Lehre, außeruniversitäre 96 f. Lehrfreiheit 81, 96 f., 237 Meinungsfreiheit – Gemeinnützigkeit 135 f. – Verwertungsabsicht 114 f. Menschenwürde – als kollidierendes Verfassungsgut 194 f. – objektiv-rechtlicher Gehalt 193 ff. Objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte – Forschungsfreiheit Siehe Forschungsfreiheit – Menschenwürde Siehe Menschenwürde Patentrecht 226 – Auswirkungen auf die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen 79 f., 82 f. Petitionsrecht 129 f. Postgeheimnis 126 Pressefreiheit – innere 312 – Schutz der Verwertungshandlungen 242 f. – Verwertungsabsicht 117 ff. Privatschulfreiheit 123 ff. Probandenversicherung Siehe klinische Prüfung Produktion, Abgrenzung zur Erkenntnissuche 219 ff.
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Rechtliches Gehör 130 f. Rechtsweggarantie 130 f. Religionsfreiheit – Qualifizierung als Religionsgemeinschaft 99 f. – Schutz wirtschaftlicher Tätigkeit 100 ff. – Verwertungshandlungen 243 Ressortforschung 38 f., 47 Rundfunkfreiheit 119 Schulmedizin 33 ff., 276 ff., 279 f. Scientific community, Kontakt zur 71 ff. Selbstmedikation 284 ff. Sozialstaatsprinzip 297 Teilhaberecht – Gleichheitssatz 112 – Wissenschaftsfreiheit 138, 255 f., 257, 336 Themenwahl, offene 59 ff. – Orphan-Drugs 66 – Ressourcenknappheit 64 f. – Wirkungen des Wettbewerbs 62 f. Vereinigungsfreiheit 125 f. Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee 163 f., 170, 260 f., 289 Verfassungsinterpretation, gewandelte 88 ff., 169 f. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung – bei Verwertungshandlungen 288 ff. – bei wirtschaftlicher Verwertungsabsicht 187 ff. – kollidierendes Verfassungsrecht 186 f. Verhältnismäßigkeit – Angemessenheit 205 – Eignung 203 f. – Erforderlichkeit 204 f. Veröffentlichung – als Hilfskriterium 72 ff. – Industrieforschung 75 ff. – Verzögerung 80 ff. – Wirkungen des Wettbewerbs 75
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Sachwortverzeichnis
Versammlungsfreiheit – Gemeinnützigkeit 135 f. – Gemeinsamkeit der Zweckverfolgung 109 ff. – weiter Versammlungsbegriff 105 ff. Vorwirkungszusammenhang 246 ff.
Wirtschaftswerbung Siehe Meinungsfreiheit – Verwertungsabsicht Wohnung, Unverletzlichkeit der 129
Wesentlichkeitstheorie 200 ff., 215 f.
Zweckforschung 248 ff.
Zulassungsverfahren Siehe arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren