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German Pages 481 Year 2007
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1082
Forschung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit Dargestellt anhand der Forschung und Verwertung ihrer Erkenntnisse in der Bio- und Gentechnik
Von Harald Dähne
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
HARALD DÄHNE
Forschung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1082
Forschung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit Dargestellt anhand der Forschung und Verwertung ihrer Erkenntnisse in der Bio- und Gentechnik
Von Harald Dähne
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Technischen Universität Dresden hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12326-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Urteilt ein Rechtswissenschaftler über die Wissenschaftsfreiheit, dann ist er stets auch Richter in eigener Sache, geht es doch um seine eigene Freiheit. Eine solche Befangenheit soll jedoch kein Hinderungsgrund sein, in dieser Untersuchung einen kritischen Blick auf die überwiegende Bewertung von Art. 5 Abs. 3 GG durch Rechtsprechung und Literatur zu werfen. Das ist nur möglich, wenn auch die tatsächlichen Bedingungen beleuchtet werden, unter denen Forschung heute stattfindet und stattfinden muss. Referenzobjekt ist hierbei die Bio- und Gentechnik. Die Forschungsbedingungen in diesem Bereich lassen sich kaum in Übereinstimmung mit dem akademischen Wissenschaftsverständnis bringen, anhand dessen die verfassungsrechtliche Dogmatik zur Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit entwickelt worden ist. Elementare Bestandteile des wissenschaftlichen Ethos wie Publizität und Autonomie sind in der bio- und gentechnischen Forschung nicht oder nur schwer umzusetzen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Stattdessen ist eine allgemeine Ökonomisierung der Forschung festzustellen, die insbesondere auch die Universitäten als ursprüngliche Stätten freier Wissenschaft betrifft. Ergebnis dieser Arbeit ist, dass entgegen der herrschenden Meinung der richtige grundrechtsdogmatische Zugriff auf die Wissenschaftsfreiheit nur erfolgen kann, wenn die grundrechtliche Absicherung der Wirtschaftsfreiheit berücksichtigt und beide Grundrechte für den Lebensbereich Forschung in Beziehung zueinander gesetzt werden. Eine elementare Rolle spielt hierbei das „geistige Eigentum“. Denn Patente sind das vorrangige Ziel der Forschung in der Bio- und Gentechnik. Das Ergebnis dieser Überlegung ist folgende These: Wer die Wissenschaftsund Forschungsfreiheit in Anspruch nimmt, kann sich nicht auf den Schutz des geistigen Eigentums berufen. Wer forscht, um sich auf den Schutz geistigen Eigentums berufen zu können, dessen Tun wird nicht mehr vom Schutz durch die Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit erfasst. Eine große Bereicherung war für mich die eineinhalbjährige Tätigkeit als Jurist der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Es war mir so möglich, die Praxis medizinischer Forschung kennenzulernen. Dadurch wurde der Inhalt dieser Arbeit ebenso stark beeinflusst wie durch die im Jahre 2003 gefällte Entscheidung, die Juristische Fakultät der Technischen Universität Dresden zu schließen. Die real existierende Wissenschaftspolitik ist plastisches Anschauungsmaterial für die tatsächlich realisierbare Wissenschaftsfreiheit.
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2006 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Das Erstgutachten erstellte Herr Prof. Dr. Joachim Lege, Greifswald, das Zweitgutachten Herr Prof. Dr. Martin Schulte, Dresden, und das Drittgutachten Herr Prof. Dr. Hartmut Bauer, Potsdam. Schrifttum und Rechtsprechung konnten nach dem März 2006 nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem hochverehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Joachim Lege, dessen Wirken ich über fünf Jahre lang – anfangs in Dresden und später an dessen Lehrstuhl in Greifswald – als wissenschaftlicher Mitarbeiter begleiten durfte. Was ich ihm zu verdanken habe, lässt sich nur zum Teil in Worte fassen: Herr Professor Lege hat mich und diese Arbeit in jeder nur erdenklichen Weise gefördert. Er hat zu ihr nicht nur den Anstoß gegeben, sondern sie auch fortwährend wohlwollend und kritisch begleitet. Die langjährige produktive wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ihm hat dieses Buch geprägt – wenn vielleicht auch nicht immer ganz in seinem Sinne. Aber mein Doktorvater hat mich nicht nur immer wieder ermutigt, meine eigenen Ideen zu verfolgen, sondern er hat mir auch in jeder Hinsicht viel Vertrauen und Verständnis entgegengebracht und große Freiräume gewährt. Mit Joachim Lege hatte ich menschlich und wissenschaftlich eine beeindruckende Persönlichkeit als Lehrer. Ich danke ihm von Herzen für die gemeinsame Zeit. Dank gebührt auch den weiteren Gutachtern, Herrn Prof. Dr. Martin Schulte und Herrn Prof. Dr. Hartmut Bauer. Für die Durchführung der Disputation in Dresden, die mir eine große Freude war, danke ich außerdem dem Vorsitzenden der Prüfungskommission, Herrn Prof. Dr. Dieter Wyduckel. Die Fertigstellung dieser Arbeit wäre ohne weitere Hilfe von vielen Seiten nicht möglich gewesen. Hierbei danke ich vornehmlich meinen Kolleginnen und Kollegen an der Juristischen Fakultät der Universität Greifswald. Besonders verdient gemacht haben sich durch Rat und Tat Dr. Peter Collin und Ulrike Lembke. In der Schlussphase standen mir zudem Lena Foljanty, Christian Rühr, Simone Bub und Anja Schlage zur Seite. Ein großes Glück war die umfangreiche und qualifizierte Unterstützung bei der Überarbeitung des Manuskripts durch Dominik Richers. Aus Dresden danke ich insbesondere Sonja Gelinek und Marc Lehr sowie den Kolleginnen und Kollegen von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Prof. Dr. Hans-Peter Götting, Dresden, verdanke ich grundlegende Überlegungen zum „geistigen Eigentum“. Zutiefst gedankt sei meiner Familie und allen Freundinnen und Freunden, ohne deren Zuneigung und Zuwendung ein solches Projekt nicht zu verwirklichen gewesen wäre. Ich widme dieses Buch meinen Eltern. Berlin, im Juli 2007
Harald Dähne
Inhaltsübersicht Einführung: Terra incognita Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Erstes Kapitel Das verfassungsrechtliche Problem – dargestellt am Beispiel des Stammzellgesetzes
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A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Embryonale Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Embryonen, Stammzellen und die Biotechnik – Ursachen und Motivation der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Stammzellgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Überblick: die Forschung und Art. 5 Abs. 3 GG nach herrschender Meinung V. Der vermeintliche Fixpunkt: Der grundrechtliche Status des Embryos in vitro VI. Ergebnis: ein Fokus auf die Forschung und ihre Freiheit . . . . . . . . . . . . . . .
31 31 33 36 42 45 67
B. Präzisierung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemaufriss anhand von Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bio- und Gentechnik als Referenzgebiet für moderne Forschung . . . . . . . . . III. Die Forschungsfreiheit als zentraler Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . IV. Thesen und Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67 69 71 73 94
C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Zweites Kapitel Die Idee von Forschung
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A. Die Vergangenheit: Wurzeln und Geschichte des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit bis zur Staatsrechtslehrertagung 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Das Grundrecht in der Paulskirchenverfassung – Wissenschaftsfreiheit als individuelle Mitteilungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Das Grundrecht in der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Das Grundgesetz und die nachfolgende Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV. Bewertung der historischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
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Inhaltsübersicht
B. Weitere normative Grundlagen der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Landesverfassungen und einfaches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Die Forschungsfreiheit in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 C. Das „Isolationsmodell“: Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG durch isolierende Betrachtung universitärer Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritische Darstellung der Weiterentwicklung des Art. 5 Abs. 3 GG durch die überwiegende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorläufige Folgerungen aus der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . IV. Grundlagen des Isolationsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124 124 136 156 163
D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Drittes Kapitel Die Realität von Forschung A. Die Gegenwart der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legitimation von Forschung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wissenschaft und Technik in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Forschungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wandel der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis: Technisierung und Ökonomisierung der Forschung . . . . . . . . . .
176 176 177 180 182 183 220
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I. Die Ausdünnung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 II. Ergebnis: Exzessiver statt intensiver Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 C. Das „Integrationsmodell“: Integration aller Felder des Lebensbereichs „Forschung“ in die abwehrrechtliche Dimension der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . 240 I. Der Lebensbereich Forschung, das soziale System Wissenschaft und der Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Adaption von Art. 5 Abs. 3 GG durch neuere Ansätze in der Literatur . . . . 242 D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
Viertes Kapitel Die Zukunft der Forschung und die Gefährdung ihrer Freiheit
256
A. Gesellschaftspolitische Anforderungen an wissenschaftliche Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Forschung zwischen Utilitarismus und Kulturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Wissenschaft als Markt und als Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Inhaltsübersicht
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B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik: grenzen- und wirkungslose Grundrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingriff und Beeinträchtigung bei mehrdimensionalen Freiheitsproblemen II. Dimensionen und Inhalt der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte und Grundrechte Dritter . . . . . . IV. Die Forschungsfreiheit als vorbehaltlos gewährtes Grundrecht . . . . . . . . . V. Konsequenz der herrschenden Grundrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . .
273 274 275 293 302 319
C. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Versagen des Rechts – Konjunktur der Ethik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendung des historischen Wissenschaftsverständnisses . . . . . . . . . . . . III. Schutzpflicht des Staates für die Freiheit außeruniversitärer Forschung . . . IV. Ausweg: Die Verdichtung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320 320 328 336 338
D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Fünftes Kapitel Das „Differenzierungsmodell“ – Rekonstruktion des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 1 GG
348
A. Grundgedanken des „Differenzierungsmodells“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 I. Ergebnis der Differenzierung: Die Spiegelbildlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 II. Ausgangspunkte der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutz des geistigen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschränkung der Forschungsfreiheit durch den Schutz geistigen Eigentums III. Inkompatibilität des geistigen Eigentums mit dem System Wissenschaft . .
355 357 377 384
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . 392 I. Konsequenz: Recht auf Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG ist abhängig von der Wissenschaftlichkeit der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 II. Objektive Maßstäbe der Wissenschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 I. Rechtsfolge: Bei Nichterfüllung der Maßstäbe Exklusion aus Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 II. Weitere Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 E. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
Inhaltsverzeichnis Einführung: Terra incognita Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Erstes Kapitel Das verfassungsrechtliche Problem – dargestellt am Beispiel des Stammzellgesetzes A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Embryonale Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Embryonen, Stammzellen und die Biotechnik – Ursachen und Motivation der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Stammzellgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Kompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Überblick: die Forschung und Art. 5 Abs. 3 GG nach herrschender Meinung 1. Einheitliches Grundrecht: Wissenschaftsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der vermeintliche Fixpunkt: Der grundrechtliche Status des Embryos in vitro 1. Meinungsstand zur Menschenwürde des Embryos in vitro . . . . . . . . . . . a) Absoluter Menschenwürdeschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Menschenwürde des Embryos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgestufte und abwägbare Menschenwürde des Embryos . . . . . . . . . aa) Herdegens Kommentierung von Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigene Stellungnahme zur Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Postmortaler und pränataler Würdeschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Marktpreis der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Parallele: Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Stammzellgesetz als Testlauf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis: ein Fokus auf die Forschung und ihre Freiheit . . . . . . . . . . . . . . .
31 31 31 33 36 36 38 40 42 42 43 44 45 47 48 50 50 51 56 58 59 61 62 64 67
B. Präzisierung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
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Inhaltsverzeichnis I.
Problemaufriss anhand von Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausblick auf die Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bio- und Gentechnik als Referenzgebiet für moderne Forschung . . . . . . . . . III. Die Forschungsfreiheit als zentraler Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . 1. Wissenschaft und Forschung – Wissenschaftsfreiheit und Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wissenschaft und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wissenschaftsfreiheit und Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wissenschaft als Oberbegriff von Forschung und Lehre . . . . . . . bb) Forschungsfreiheit als Teil der Wissenschaftsfreiheit . . . . . . . . . 2. Versuch einer Annäherung an die Bedeutung der Begriffe „Wissenschaft“, „Forschung“ und „Lehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsfreiheit als Freiheit wissenschaftlicher Forschung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freie und unfreie Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Gefährdung freier Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Funktion der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Bedeutung der Organisation für die Forschungsfreiheit . . . . dd) Grenzenlose Forschung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Forschung und die Verwertung ihrer Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . aa) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Problembereich Patente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Art der Erkenntnisverwertung als elementarer Steuerungsmechanismus für Forschungsziel und -methode . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erarbeitung objektiver Maßstäbe für die Wissenschaftlichkeit von Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Thesen und Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stand der rechtswissenschaftlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gang der Untersuchung: Die Zeitläufte und die Reaktionen der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlauf der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 69 71 71 73 73 73 74 74 75 76 76 80 80 81 82 83 83 85 86 88 88 89 91 92 94 94 95 96 96 96
C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Inhaltsverzeichnis
13
Zweites Kapitel Die Idee von Forschung
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A. Die Vergangenheit: Wurzeln und Geschichte des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit bis zur Staatsrechtslehrertagung 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Das Grundrecht in der Paulskirchenverfassung – Wissenschaftsfreiheit als individuelle Mitteilungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Verwurzelung in der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Idealismus und Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Wissenschaftsfreiheit in der Paulskirchenverfassung . . . . . . . . . . . . . . 102 4. „Leer laufende“ Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Das Grundrecht in der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Wissenschaftsfreiheit – nur außerhalb der Universität . . . . . . . . . . . . . 106 2. Wissenschaftsfreiheit als Meinungsfreiheit auch für Hochschullehrer – die Staatsrechtslehrertagung von 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Wissenschaftsfreiheit als institutionelle Garantie – das „Grundrecht der deutschen Universität“ und sein Untergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Das Grundgesetz und die nachfolgende Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Anknüpfung an die Tradition der Vorverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Institutionelle Garantie oder Individualgrundrecht? . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. „Repersonalisierung“ im Angesicht der „Reformuniversität“ . . . . . . . . 114 IV. Bewertung der historischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Methodik verfassungsrechtlicher Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Kontinuität und Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Weitere normative Grundlagen der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Landesverfassungen und einfaches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Die Forschungsfreiheit in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 C. Das „Isolationsmodell“: Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG durch isolierende Betrachtung universitärer Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Hochschulurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Normbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zu den Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur außeruniversitären Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reaktion der Literatur auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung II. Kritische Darstellung der Weiterentwicklung des Art. 5 Abs. 3 GG durch die überwiegende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normbereich in sachlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wissenschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124 124 124 127 127 131 132 133 136 136 136
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Inhaltsverzeichnis aa) Prinzipielle Offenheit des Wissenschaftsbegriffs . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidend: die Methodik der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kennzeichen der Wissenschaftlichkeit: Wahrheitssuche . . . . . . b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einheit von Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normbereich in personeller Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Individuell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutionell-organisatorisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewährleistungsdimensionen des Normbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subjektiv- und objektivrechtliche Funktion von Art. 5 Abs. 3 GG . . b) Die Forschungsfreiheit zwischen individueller Freiheit und institutioneller Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eingriffsrechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbehaltlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kollision und Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorläufige Folgerungen aus der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . 1. Keine generelle Einbeziehung der außeruniversitären Forschung . . . . . 2. Teilhabe an staatlicher Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Außeruniversitäre Gewährleistungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Relativierung der universitären Gewährleistungspflicht? . . . . . . . . . 3. Grenzen und Schranken der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Folgerung für die Stammzellenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grundlagen des Isolationsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legitimation der Forschungsfreiheit im Isolationsmodell . . . . . . . . . . . a) Philosophischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aristotelisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kantisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Baconsches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Sonderstellung der Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsfreiheit als geistige Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Forschungsfreiheit als Teil der Geistes- und Kommunikationsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leitwissenschaft: die Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften . . c) Die institutionelle Trennung von Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136 138 139 142 143 147 147 149 150 150 151 153 154 155 156 156 158 158 159 161 161 163 163 163 164 164 166 166 168 168 170 172 175
D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Inhaltsverzeichnis
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Drittes Kapitel Die Realität von Forschung
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A. Die Gegenwart der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legitimation von Forschung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wissenschaft und Technik in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Forschungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wandel der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wandel zur „Wissensgesellschaft“ und zur „Wissensökonomie“ . . 2. Eine neue Leitwissenschaft: die Biowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Janusköpfigkeit wissenschaftlich-technischer Entwicklung . . . . . . a) Die Ambivalenz von Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Forschung und Risikogesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gefahr und Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Problem des Nichtwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Risiko der Macht des Geldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ambivalenz der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folge: Gesellschaftliches Kontrollbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Forschung und Kommerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Forschungsfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Trend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ökonomisierung des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Proprietarisierung des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der grundlegende Wandel akademischer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Hochschulen im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stärkung oder Schwächung der Autonomie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drittmittelabhängigkeit der Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutungsverlust universitärer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis: Technisierung und Ökonomisierung der Forschung . . . . . . . . . .
176 177 180 182 183 184 186 189 189 190 192 193 195 196 197 199 199 199 200 202 203 205 205 213 215 217 220
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ausdünnung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Illusion selbstlose Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Idealistische Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reputation als Belohnungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Belohnungssysteme und Organisationszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eindimensionale Erstreckung des Art. 5 Abs. 3 GG auf alle Forschungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz gefährlicher (risikobehafteter) Forschung? . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutz freier Wissenschaft durch die Wissenschaftsfreiheit? . . . . . . . .
220 222 223 223 225 226 227 229 231
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Inhaltsverzeichnis a) Notwendige Voraussetzungen freier Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konträr: Beispiel Drittmittelforschung und neue Professorenbesoldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Außeruniversitäre Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis: Exzessiver statt intensiver Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Das „Integrationsmodell“: Integration aller Felder des Lebensbereichs „Forschung“ in die abwehrrechtliche Dimension der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . I. Der Lebensbereich Forschung, das soziale System Wissenschaft und der Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Adaption von Art. 5 Abs. 3 GG durch neuere Ansätze in der Literatur . . . . 1. Die Verantwortung des Forschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ethische Limitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sozialbindung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schrankenkonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einbeziehung objektivrechtlicher Grundrechtsgehalte . . . . . . . . . . . . . a) Staatlich organisierte außeruniversitäre Forschung . . . . . . . . . . . . . . b) Privat organisierte außeruniversitäre Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz kommerzieller außeruniversitärer Forschung . . . . . . . . . . . . . aa) „Pecunia non olet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Autonomie und Transparenz als Voraussetzung für Wissenschaftlichkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzung der Autonomie von wissenschaftlichen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzung der Transparenz von Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 5. Problemlösungspotential der neueren Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231 233 237 239 240 241 242 242 242 243 244 244 245 246 248 248 250 251 252 252 254 255
D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Viertes Kapitel Die Zukunft der Forschung und die Gefährdung ihrer Freiheit A. Gesellschaftspolitische Anforderungen an wissenschaftliche Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Forschung zwischen Utilitarismus und Kulturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Alternative: Eine utilitaristisch-ökonomisierte Forschung . . . . . . 2. Zweite Alternative: Eine kulturstaatliche Wissenschaft . . . . . . . . . . . . 3. Eine Parallele: Softwarepatente oder Open Source . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wissenschaft als Markt und als Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wissenschaft als Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wissenschaft als Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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257 258 258 261 265 268 268 269
Inhaltsverzeichnis
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3. Nachfrage- und angebotsorientierte Wissenschaftspolitik . . . . . . . . . . . 271 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik: grenzen- und wirkungslose Grundrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingriff und Beeinträchtigung bei mehrdimensionalen Freiheitsproblemen II. Dimensionen und Inhalt der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Stand der grundrechtsdogmatischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechte als Abwehrrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die sog. objektivrechtliche Dimension der Grundrechte . . . . . . . . . . aa) Grundrechte als objektiv wertentscheidende Normen . . . . . . . . bb) Die Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grundrechte als Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik: Die Gefahr des Jurisdiktionsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Renaissance des Abwehrrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme: Doppelcharakter der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Forschungsfreiheit und die Schutzpflicht des Staates . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte und Grundrechte Dritter . . . . . . 1. Das Problem vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte . . . . . . . . . . . . a) Kollisions- und Abwägungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schrankenübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Immanente Kollisionslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Forschungsfreiheit als vorbehaltlos gewährtes Grundrecht . . . . . . . . . 1. Die Vorbehaltlosigkeit konfliktträchtiger Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein besonderer Schutz vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte . . . . . 3. Forschung und die Bedeutung der Rechte Anderer . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erlaubte Inanspruchnahme der Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inanspruchnahme von Gütern der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenmächtige und rechtswidrige Inanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . d) Risiko einer Inanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erlaubte, gefährliche und riskante Handlungen . . . . . . . . . . . . . bb) Fragwürdige Inanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konsequenz der herrschenden Grundrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . .
273 274 275 275 276 277 278 279 282 284 287 288 290 292 293 293 294 296 299 301 302 302 305 307 308 311 313 316 316 317 318 319
C. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Versagen des Rechts – Konjunktur der Ethik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ruf nach mehr Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ethische Normen im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320 320 321 323
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Inhaltsverzeichnis 3. Mehr Verantwortung in der Forschung durch mehr Forschungsfreiheit II. Anwendung des historischen Wissenschaftsverständnisses . . . . . . . . . . . . 1. Art. 5 Abs. 3 GG ausschließlich für universitäre Forschung? . . . . . . . . 2. Wissenschaftsfreiheit als reine Kommunikationsfreiheit? . . . . . . . . . . . a) Kommunikation und Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Exklusion des Experiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwände gegen die Exklusion außeruniversitärer und experimenteller Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutzpflicht des Staates für die Freiheit außeruniversitärer Forschung . . . IV. Ausweg: Die Verdichtung der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Parallele: Kunst und Kommerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Präzisierung des Normbereichs unter Beachtung der Eigengesetzlichkeiten der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Primat des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vom Lebensbereich Forschung zum Normbereich Forschung . . . . . c) Konkrete Ansatzpunkte einer Normbereichspräzisierung . . . . . . . . .
327 328 328 330 330 332 334 336 338 338 341 342 343 345
D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Fünftes Kapitel Das „Differenzierungsmodell“ – Rekonstruktion des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 1 GG
348
A. Grundgedanken des „Differenzierungsmodells“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ergebnis der Differenzierung: Die Spiegelbildlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgangspunkte der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Funktion des Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterscheidung: Erkenntnisgewinnung und Erkenntnisverwertung . . . 3. Tatsächliche und rechtliche Untrennbarkeit von Wissenschaft und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wechselwirkungszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
348 348 350 350 353
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutz des geistigen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Problem der Verwendung des Begriffs „geistiges Eigentum“ . . . . 2. Schutz und Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Patentrecht als wesentliche Ausprägung des geistigen Eigentums . a) Wissenschaftliches Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz durch das Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung des Urheberrechts für die Wissenschaft . . . . . . . . . . b) Technisches Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz durch das Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung des Patentschutzes in der Forschung . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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cc) Erstes Beispiel: das Arbeitnehmererfindungsgesetz . . . . . . . . . . dd) Zweites Beispiel: die Biopatentrichtlinie und ihre Umsetzung in nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das grundsätzliche Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Insbesondere: Patentierung von menschlichen Gensequenzen (3) Wirkungen des Biopatentrechts auf Wissenschaft und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschränkung der Forschungsfreiheit durch den Schutz geistigen Eigentums 1. Das patentrechtliche Versuchsprivileg und „research tools“ . . . . . . . . . 2. Vermietete Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Direktionsrecht und Betriebsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Forschungsfinanzierung und die vertragliche Bindung unabhängiger Forschungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inkompatibilität des geistigen Eigentums mit dem System Wissenschaft . . 1. Wissenschaft als soziales System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Kommunismus“ der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . I. Konsequenz: Recht auf Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG ist abhängig von der Wissenschaftlichkeit der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wissenschaftsadäquate und wissenschaftsfremde Zwecke . . . . . . . . . . 2. Die Schutzintensität der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG nur für zweckungebundene Forschung . . 4. Andere Grundrechte, deren Normbereichseröffnung vom Zweck des Handelns abhängt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Problem: Einordnung grundrechtlich relevanter Handlungen . . . . . . . . II. Objektive Maßstäbe der Wissenschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen für die Einbeziehung in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ergänzung und Begrenzung des methodologischen Forschungsbegriffes durch soziale Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Maßstab: die Eigengesetzlichkeit freier Wissenschaft . . . . . . . . aa) Offenheit und Unabgeschlossenheit von Wissenschaft . . . . . . . bb) Bedeutung der Publizität in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . (1) Unabdingbarkeit des Publizitätserfordernisses für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Publizität durch Patentierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Validierung durch technische Umsetzung, „Innovation“ und „Implementation“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (4) Normative Kraft des Faktischen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kreativität und Interdisziplinarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verbot einer „Tendenzwissenschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Verbrauchende Forschung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übertragbarkeit von Art. 5 Abs. 3 GG auf außeruniversitäre Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsfolge: Bei Nichterfüllung der Maßstäbe Exklusion aus Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modifizierte Drittwirkung von Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darlegungslast bei nichtpublizierender, nichtautonomer oder rechtsgüterbeeinträchtigender Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entkräftung grundsätzlicher Gegenargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewährleistungsbereich externer und interner Forschungsfreiheit . . . . 4. Schutzpflicht des Staates für die Wahrung freier Forschung . . . . . . . . . a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ein Privilegierungs- bzw. Abstandsgebot für die Wissenschaft? . . . 5. Auswirkungen auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse: Wahlrecht der Forschungsorganisation und des Forschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz exkludierter Bereiche des Lebensbereichs Forschung durch andere Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere konkrete Folgen der Normbereichsbestimmung . . . . . . . . . . . . a) Lösung der Beispielsfälle aus dem Ersten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungswidrigkeit von Maßnahmen der Hochschulreform . . . . . aa) § 42 Arbeitnehmererfindungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 25 HRG und Drittmitteleinwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Maßnahmen der Hochschulreform . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erweiterung des § 11 Nr. 2 PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgen für die Forschungsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Folgen für die Abgrenzung zwischen Entdeckung und Erfindung im PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Folgen für das Ausgangsproblem der Embryonenforschung . . . . . . .
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E. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
„Wir glauben, daß die Wissenschaft der Menschheit am besten dient, wenn sie sich von aller Beeinflussung durch irgendwelche Dogmen freihält und sich das Recht vorbehält, alle Thesen einschließlich ihrer eigenen anzuzweifeln.“ (Albert Einstein, Deklaration der 3. Pugwash-Konferenz in Kitzbühel 1958).
Einführung: Terra incognita Forschungsfreiheit Die Wissenschaftsfreiheit ist als Forschungs- und Lehrfreiheit 1 seit der Paulskirchenverfassung ein elementares Grundrecht liberaler deutscher Verfassungen. Doch seit der ersten Konstituierung 1849 hat sich Wissenschaft grundlegend gewandelt. Dies gilt im besonderen Maße für die Natur- und Ingenieurswissenschaften. Fand im 19. Jahrhundert Wissenschaft vornehmlich an staatlichen Universitäten statt, wird heute der Wissenschaftler, der in „Einsamkeit und Freiheit“ nach der Wahrheit sucht, durch großbetrieblich organisierte und finanzaufwendige Erkenntnisprozesse verdrängt, die sich als Bestandteil privatwirtschaftlicher Aktivitäten in erheblichem Umfang technischer Mittel und Methoden bedienen. Dies zeigt sich exemplarisch an der Forschung im Bereich der Bio- und Gentechnik. Hier ist individuelle wissenschaftliche Forschung schwer möglich, vielmehr muss sie unter Bereitstellung erheblicher Ressourcen organisiert werden. Während das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit in der Paulskirchenverfassung den Wissenschaftler vor dem Zugriff eines autoritären Staates schützen sollte, zeigte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts, dass die Gesellschaft auch vor der Forschung bzw. vor der Anwendung ihrer Erkenntnisse geschützt werden wollte und musste. Nicht mehr das Wort des Wissenschaftlers, sondern die Tat des Forschers schien gefährlich. Wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt konnte elementare Gefahren mit sich bringen. Der 1. Weltkrieg von 1914 bis 1918 war der erste Krieg, der unter massivem Einsatz von moderner Wissenschaft und Technik geführt wurde. Massenvernichtungswaffen wie dem Giftgas lagen nicht nur Forschungen von Wissenschaftlern zugrunde, sondern ihre militärische Verwendung wurde von späteren Nobelpreisträgern angeregt. 2 Später stellte sich Wissenschaft in den 1 Zu den Begriffen Wissenschafts- und Forschungsfreiheit siehe unten Begriffsklärungen sowie Erstes Kapitel, B. III. 1. b). 2 Zur Verwissenschaftlichung des Krieges vgl. Böhme, in: Nickel/Roßberg, FS Podlech (1994), S. 85 ff. Als Beispiel mag Fritz Haber dienen: Er war Leiter des Kaiser-WilhelmInstituts für physikalische Chemie in Berlin und arbeitete ab Ende 1914 als Leiter der „Zentralstelle für Fragen der Chemie“ im Kriegsministerium unter anderem an der Entwicklung
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Dienst totalitärer Ideologien und begleitete Rassenwahn und industrielle Vernichtung mit scheinbarer Objektivität. Die Kernphysik führte 1945 zum Einsatz der Atombombe und schuf ein bis dato unbekanntes globales Zerstörungspotential. 3 Die Janusköpfigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnis führte zum Ruf nach mehr Verantwortung der Wissenschaft. 4 Aber auch wenn wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre technische Umsetzung mit guter Absicht und großer Euphorie angewendet werden, sind Folgen und Risiken schwer abzuschätzen. So wurden die Schattenseiten der friedlichen Nutzung der Kernenergie, die in den 1950er und 1960er Jahren euphorisch als „Zukunftstechnologie“ gefeiert und staatlich forciert wurde, 5 spätestens durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 offenbar. 6 Zur Jahrtausendwende beschloss die deutsche Politik angesichts der Skepsis breiter Bevölkerungskreise, der hohen Kosten für die Sicherheit und des ungelösten Entsorgungsproblems den Ausstieg aus der Atomenergie. 7 Nachdem Rüstungs- und Atomforschung immer wieder Gegenstand kritischer Erörterungen waren 8 und man sich auch philosophisch und sozialwissenschaftlich der Ambivalenz von Wissenschaft und Technik zuwendete, 9 fokussierte sich seit von Gaskampfstoffen. Den völkerrechtswidrigen Einsatz von Giftgas an der Front am 22. April 1915 bei Ypern (Belgien) regte er selbst an. 1919 wurde er mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. 3 Albert Einstein hatte den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt zum Bau der Atombombe geraten, weil er befürchtete, deutsche Wissenschaftler könnten dem NS-Regime den Einsatz dieser Waffe ermöglichen. Zur Bedeutung von Hiroshima auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 360. 4 Vgl. nur Heldrich, Freiheit zum Irrtum? (1987), S. 11 ff. 5 Zu den Hoffnungen in Bezug auf die Kernenergie in den 1950er und 1960er Jahren: Steinberg, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 139 (141 ff.). Siehe hierzu auch unten Drittes Kapitel, A. I. 6 Steinberg, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 139 (149 ff.); Grunwald, in: Winkler, FS Meusel (1997), S. 47 (48 ff.). Zu den Risiken der Kernenergie noch die optimistische Einschätzung von H. Wagner, ZRP 1979, 54 (56 f.), wonach „nichtnukleare Schadensereignisse mit einer 10.000fach höheren Wahrscheinlichkeit zu Todesfällen führen als Kernenergieanlagen“. 7 Zu den Folgen, auch im Zusammenhang mit der Forschungsfreiheit: Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 119 (120); Kamp, Kommerz (2004), S. 286 ff. 8 J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381. Vgl. hierzu H. Wagner, ZRP 1979, 54 ff.; Meyer-Tasch, ZRP 1979, 59 ff. und BVerfGE 49, 89 (insb. 130 ff.) – Kalkar – zum „Restrisiko“.„Schützt das Grundgesetz die Rüstungsforschung?“ fragt Böhme, in: Nickel/Roßnagel, FS Podlech (1994), S. 85 ff. Für einen Schutz der Verteidigungsforschung durch Art. 5 Abs. 3 GG und gegen die Zulässigkeit einer sog. „Zivilklausel“: Oppermann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 671 (673 ff.), wobei Oppermann hier übersieht, dass die entsprechende Klausel lediglich eine „Empfehlung“ vorsieht. 9 Damals noch als Macht- und Kontrollmittel des Staates bzw. des Kapitals: Horkheimer/ Adorno, Dialektik der Aufklärung (1989, Erstauflage von 1947); Marcuse, Der eindimen-
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Anfang der 1980er Jahre sowohl die politische als auch die wissenschaftliche Diskussion auf die Bio- und Gentechnik. 10 Anlass war 1978 die erste künstliche Zeugung eines menschlichen Embryos „im Reagenzglas“ (Invitrofertilisation), mit der ein Rubikon 11 überschritten und die Manipulation am menschlichen Embryo ermöglicht wurde. Die biotechnische Umgehung des natürlichen Zeugungsvorganges bildet die Einbruchstelle der Gentechnik und -analyse in die Humangenetik. 12 Zur gleichen Zeit wurde erste Kritik am geltenden Verständnis von Wissenschafts- und Forschungsfreiheit laut, wie es sich seit dem Hochschulurteil des BVerfG von 1973 etabliert hatte. Es hieß, die Risiken moderner Forschung würden in der herrschenden Interpretation dieses Grundrechts nur ungenügend berücksichtigt. 13 Mit Verabschiedung des restriktiven Embryonenschutzgesetzes (ESchG) von 1990 ebbte die tagespolitische Debatte ab. In der Folge beschäftigte sich jedoch eine Reihe rechtswissenschaftlicher Monographien mit der Forschungsfreiheit, insbesondere mit Bezug zu den Naturwissenschaften, der außeruniversitären und industriellen Forschung sowie der Forschungsförderung. Sie haben zu uneinheitlichen Lösungsansätzen gefunden. 14 sionale Mensch (1998, Erstauflage von 1964); Habermas, Wissenschaft und Technik als Ideologie (1991, Erstauflage 1968). 10 Zur Begriffsklärung siehe Lege, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 669 (670 ff.). Die Begriffe Bio- und Gentechnik werden nicht immer präzise gebraucht. So geht z. B. Gehrlein, NJW 2002, 3680 zu Unrecht davon aus, es handle sich bei der Gewinnung und Verwendung embryonaler Stammzellen um „Gentechnik“. Diese Forschung ist der Zellbiologie zuzurechnen, während die Gentechnik auf molekularer Ebene stattfindet. 11 Von Raasch, KJ 2002, 285 (296) als „Tabubruch“ bezeichnet; Burmeister, in: Ziemske/ Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (92) sieht hierin einen „point of no return“, d. h. die faktische Unumkehrbarkeit des Entwicklungsprozesses in der Bio- und Gentechnik. 12 Hofmann, JZ 1986, 253 f. 13 Analog zu einer „Ethisierung der Wissenschaften“ seit 1970 (vgl. Potthast, in: Becker/ Engelen, Ethisierung – Ethikferne [2003], S. 52 [60]); in der Rechtswissenschaft cum grano salis seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, v. a. hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie. Dies verstärkte sich seit Mitte der 1980er Jahre durch die Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnik, siehe aus dieser Zeit z. B.: Dreier, DVBl. 1980, 471 ff.; Hailbronner, WissR 1980, 212 ff.; Hofmann, JZ 1986, 253 ff., Lerche, in: Lukes/Scholz, Rechtsfragen der Gentechnologie (1986), S. 88 ff.; Flämig, Genetische Manipulation (1985); Benda, NJW 1985, 1730 ff. m. w. N.; Häberle, AöR 1985, 329 ff. Zur Entwicklung der Gentechnologiedebatte siehe z. B. auch Blanke, KJ 2002, 347 (352); Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 15; J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381. 14 Ausgewählte Monographien: Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991); Losch, Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung. Zugleich ein Beitrag zur Kollision von Wissenschaftsfreiheit und Lebensschutz am Lebensbeginn (1993); Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der Hochschule. Zur Bedeutung von Art. 5 Absatz 3 GG für außeruniversitäre Forschung und Forschungsförderung (1994); Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung. Das Wissenschaftsrecht als Recht kooperativer Verwaltungsvorgänge (1994); Kleindiek, Wissenschaft und Freiheit in der Risikogesellschaft. Eine grundrechtsdogmati-
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Im Zuge einer Neuauflage der Diskussion um die Embryonenforschung, die im Jahre 2001 durch ein Positionspapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgelöst wurde, 15 gab es schon wenig später eine kaum noch überschaubare Zahl von Veröffentlichungen zur Embryonenforschung, zum Klonen und zur Genanalyse. 16 Diese hat sich über die Verabschiedung des Stammzellgesetzes (StZG) im Jahre 2002 bis heute fortgesetzt, 17 u. a. weil dieses Gesetz mehr Fragen aufwirft als beantwortet. 18 Obwohl die Kollision aus Forschungsinteressen und Embryonenschutz vielfach als Dilemma wahrgenommen wird, ist in diesem Zusammenhang die Forschungsfreiheit entweder gar nicht, kaum oder nur oberflächlich thematisiert worden. Zumeist wird von Gegnern und Befürwortern der Schutz der Embryonenforschung durch die Forschungsfreiheit pauschal angenommen, ohne ausführlicher begründet zu werden. 19 Dagegen hat man sich intensiv und nuanciert dem verfassungsrechtlichen Status des Embryos gewidmet. Als Anknüpfungspunkt für ethische Grenzen steht dessen Menschenwürde dabei so sehr im Mittelpunkt des Interesses, dass von der Gefahr einer Banalisierung gesprochen wird. 20 Art. 1 Abs. 1 GG erfährt als potentieller Legitimationsgrund sche Untersuchung zum Normbereich von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (1998); Iliadou, Forschungsfreiheit und Embryonenschutz. Eine verfassungs- und europarechtliche Untersuchung der Forschung an Embryonen (1999); M. Blankenagel, Wissenschaft zwischen Information und Geheimhaltung: über einen blinden Fleck in den Lehren zu Art. 5 Abs. 3 GG (2001); Kamp, Forschungsfreiheit und Kommerz (2004). Erwähnt werden soll hier auch die Jahrestagung der Staatsrechtslehrer 2005, die die Wissenschaftsfreiheit zum Gegenstand hatte; siehe zu „Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit“: Schulte und Ruffert, VVDStRL 65 (2005), 110 ff.; zu „Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung“: Hendler und Mager, VVDStRL 65 (2006), 238 ff. 15 DFG, Stammzellenforschung (2003). Zur Vorgeschichte siehe Engels, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 43 (49). 16 Nur eine kleine Auswahl: Classen, Die Forschung mit embryonalen Stammzellen im Spiegel der Grundrechte, DVBl. 2002, 141 ff.; Dederer, Menschenwürde des Embryo [sic!] in vitro?, AöR, 2002, 1 ff.; Herdegen, Die Menschenwürde im Fluß des bioethischen Diskurses, JZ 2001, 773 ff.; J. Ipsen, Der „verfassungsrechtliche Status“ des Embryos in vitro, JZ 2001, 989 ff.; Kloepfer, Humangentechnik als Verfassungsfrage, JZ 2002, 417 ff.; Müller-Terpitz, Die neuen Empfehlungen der DFG zur Forschung mit menschlichen Stammzellen. Ein Weg aus dem bioethischen und verfassungsrechtlichen Dilemma?, WissR 2001, 271 – 286. 17 So z. B. in der Frage, ob die Bundesregierung einer Förderung der gegen das ESchG verstoßenden Embryonenforschung durch die EU zustimmen darf (vgl. Ch. Wagner, NJW 2004, 917 – 919). 18 Siehe hierzu Erstes Kapitel, A. III. 19 So auch – allerdings in umgekehrter Richtung mit der Frage, ob das ESchG mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar wäre – J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381 (1382). 20 Schlink spricht auch von der „überforderten Menschenwürde“ (Der Spiegel vom 15. 12. 2003, S. 50). Kleindiek weist in anderem Zusammenhang auf die Gefahr hin, Menschenwürde „in kleiner Münze“ einzusetzen und ihre Bedeutung so zu banalisieren (Kleindiek, Risikogesellschaft [1998], S. 187). Zugleich glaubt er jedoch, dass eine Abwägung nicht entfallen könne (S. 184, Anm. 178).
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für gesetzliche Beschränkungen der Forschungsfreiheit erneut eine Hochkonjunktur. 21 Im juristischen Schrifttum überwiegen jedoch die Stimmen, die Art. 1 Abs. 1 GG als Legitimation für Forschungsbeschränkungen zu entkräften versuchen und dabei bis hin zur Folter ein weites Feld an Relativierungsmöglichkeiten eröffnen. 22 Verursacht ist diese einseitige Hinwendung der Stammzelldebatte zum passiv Betroffenen entweder durch Desinteresse oder durch die Ratlosigkeit, die die Rechtswissenschaft (noch immer) bei der Betrachtung der terra incognita „Forschungsfreiheit“ befällt. 23 Juristen seien angesichts der Dynamik wissenschaftlichtechnischen Fortschritts überfordert oder gar hilflos. 24 Was Inhalt und Grenzen dieser Forschungsfreiheit sind, ist in vielerlei Hinsicht unklar oder wird inkonsequent gehandhabt. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Novellierung des Gentechnikgesetzes (GenTG) 25, die 2002 nahezu zeitgleich mit der Verabschiedung des Stammzellgesetzes erfolgte. Hierbei entfiel die Privilegierung gentechnischer Anlagen zu Forschungszwecken gegenüber solchen zur gewerblichen Nutzung. Die Vereinbarkeit dieser neuen Restriktionen für gentechnologische Forschung mit Art. 5 Abs. 3 GG wurde im Gegensatz zu den Beschränkungen der Stammzellenforschung erstaunlicherweise nicht einmal zur Kenntnis genommen, geschweige denn thematisiert. 26 Auf der anderen Seite ist die Bio- und Gentechnikdebatte schon längst nicht mehr überschaubar. Es ist für (Rechts-)Wissenschaftler kaum noch möglich, die juristischen, naturwissenschaftlichen, philosophischen, theologischen, ethischen und politischen Debatten zu verfolgen oder zu überblicken. 27 In einer solch unübersichtlichen Situation empfiehlt es sich, einen anderen Standpunkt einzunehmen, um einen neuen Überblick zu gewinnen: Statt sich zu sehr dem Embryo, der Menschenwürde und dem Recht auf Leben zu widmen, sollte die Aufmerksamkeit dem Bereich gelten, dessen Handeln (und dessen grundrechtlich garantierte Freiheit) überhaupt erst die bestehende Konfliktlage geschaffen hat. Dieser Bereich ist die
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Nach einer ersten Hochkonjunktur vor 1990, siehe Nachweise in Fußn. 13. Vgl. statt vieler J. Ipsen, NJW 2004, 268 ff. und ders., DVBl. 2004, 1381 ff. sowie Herdegen, JZ 2001, 773 ff., ders., in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 1 ff. 23 So A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (73); ähnlich auch Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 ff. 24 Laufs, Fortpflanzungsmedizingesetz (2003), S. 12, 14. 25 Durch das 2. GenTG-ÄndG vom 16. August 2002, BGBl. I. 3220. 26 Man könnte die Ansicht vertreten, Art. 5 Abs. 3 GG verlange hier – wie auch bei anderen Vorschriften, die dem Schutz anderer Rechtsgüter dienen – eine Privilegierung der Wissenschaft gegenüber gewerblicher Nutzung, sozusagen ein Abstandsgebot. Vgl. zur Privilegierung von Forschungsanlagen in EU-Normen H. Wagner, DÖV 1999, 129 (136). Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, D. I. 4. b). 27 So auch Blanke, KJ 2002, 346 (349). 22
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Forschung, die sich auf die Forschungsfreiheit beruft und ohne deren Erkenntnisse die stürmische Entwicklung der letzten Jahre nicht stattgefunden hätte. In der vorliegenden Arbeit sollen die bisher zur Forschungsfreiheit vertretenen Konzepte untersucht werden, um die Probleme von der Warte der Forschung und deren grundrechtlichen Schutzes aus neu zu überdenken. Dabei ist die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihr Schutz durch die Rechtsordnung, insbesondere durch den Schutz geistigen Eigentums, besonders zu berücksichtigen. Denn die Forschungsfreiheit darf nicht isoliert betrachtet werden. Gerade bei der Erforschung und Anwendung bio- und gentechnischer Verfahren beeinflussen sich nicht nur Erkenntnisgewinnung und -verwertung gegenseitig, sondern diese Bereiche gehen ineinander über. Ohne die rechtlichen Rahmenbedingungen geistigen Eigentums lässt sich die Forschungsfreiheit nicht vollständig erfassen. Die Forschung in der Bio- und Gentechnik eignet sich hierfür auch deshalb besonders gut, weil sie eine Querschnittsdisziplin durch alle Forschungsbereiche bildet. Sie wird sowohl in der Industrie- und Großforschung als auch an Universitäten betrieben und bei ihr versagt die klassische Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. 28 Hier soll nun ein Brückenschlag zwischen den Gewährleistungen der Forschungsfreiheit und dem geistigen Eigentum versucht werden. Denn die Legitimation von Forschung (und Lehre) scheint sich immer stärker aus ihrer ökonomischen Nützlichkeit und Nutzbarkeit zu speisen. Der wissenschaftliche Fortschritt wird wissenschaftsextern von Angebot und Nachfrage geprägt, nicht von der persönlichen Freiheit des Forschenden, seiner individuellen Neugier und Kreativität. Bei näherem Hinsehen besteht sogar Anlass zur Sorge um die Wissenschaftsfreiheit. 29 Während die bisherige Auslegung von Art. 5 Abs. 3 GG traditionell noch immer stark von den Verhältnissen an den staatlichen Universitäten des 19. und 20. Jahrhunderts beeinflusst ist, haben sich die Hochschulen radikal gewandelt. In den 1960er und 1970er Jahren zu sog. Massenuniversitäten 30 ausgebaut und ihren elitären Bildungsanspruch aufgebend, stehen die seit Jahrzehnten chronisch unterfinanzierten Universitäten heute vor ihrer zweiten großen, durchaus revolutionär zu nennenden Umgestaltung in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie sollen staatlich gelenkt auf die Ansprüche und Anforderungen des ökonomischen Marktes ausgerichtet und wie Unternehmen organisiert werden. Die Wissenschaftsfreiheit steht dem anscheinend nicht entgegen.
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Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 257. So – allerdings mehr auf forschungsbehindernde Normen bezogen – Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 ff. 30 Der Begriff ist eindeutig ein Kampfbegriff, sachlicher wäre es, von „Großuniversitäten“ zu sprechen. Angesichts der Popularität der „Massenuniversität“ wird dieser Begriff jedoch auch hier verwendet. 29
Einführung
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Zugleich wird nach überwiegender Ansicht jede Art von Forschung durch die Forschungsfreiheit geschützt. Der Unterschied zwischen abhängiger, zweckgebundener und gewinnorientierter Forschung und staatlicher, zweckunabhängiger und autonomer Forschung wird somit verwischt. Doch spätestens, wenn die Institution Universität zum Unternehmen wird und damit ihren einzigartigen Charakter verliert, hat die Forschungsfreiheit als spezielle Freiheitsgewährleistung des Grundgesetzes ihre Daseinsberechtigung verloren.
Begriffsklärungen Vor Beginn der Untersuchung sollen – vorerst ohne weitere Diskussion – einige Begriffe geklärt werden: Sofern von Art. 5 Abs. 3 GG gesprochen wird, ist immer (außer wenn ausdrücklich auf die Kunstfreiheit Bezug genommen wird) Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 bis 4 GG („ . . . Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“) gemeint. Die Terminologie in der allgemeinen Grundrechtsdogmatik ist nicht immer einheitlich, was sich auch bei den Untersuchungen zur Forschungsfreiheit widerspiegelt. So werden die Begriffe Schutzbereich oder Normbereich verwendet, ohne dass Unterschiede erkennbar wären. 1 Wird im Folgenden vom Normbereich gesprochen, ist der Ausschnitt des Lebensbereichs Wissenschaft bzw. Forschung gemeint, der verfassungsmäßig geschützt bzw. gewährleistet ist. 2 Die Begriffe Forschung und Wissenschaft, wie auch Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit, werden häufig synonym verwendet und nicht differenziert. 3 Auch in der vorliegenden Untersuchung ist Trennschärfe nicht immer möglich. Nur wissenschaftliche Forschung ist durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. 4 Der Begriff Forschung bezieht sich dagegen auf den gesamten Lebensbereich Forschung, wie er sich auch in seiner alltagssprachlichen Verwendung wieder findet. 5 Forschung 1
Vgl. Schmitt Glaeser, WissR 1974, 107 (108) und Kamp, Kommerz (2004) S. 38; Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 195, 621; Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 248. Teilweise wird auch der Begriff „Grundrechtstatbestand“ verwendet (Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I [1999], Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 322) oder auch „Gewährleistungsbereich“ (Bethge, in: Sachs, GG [2003], Art. 5, Rdnr. 206). Auch wird zwischen „Sach- und Lebensbereich“ einerseits und einem „Gewährleistungsbereich“ andererseits differenziert (vgl. Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht [2005], S. 182 m. w. N.). 2 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 20, 137; Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 70 f.; Trute, Forschung (1994), S. 16. Dieser Begriff ist insofern treffender, als der Begriff „Schutzbereich“ suggeriert, dass ein Schutz vor staatlichen Eingriffen existiert. Dies ist jedoch nur insofern der Fall, als jeder Eingriff in den Normbereich verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden muss. Darüber hinaus muss nach Müller der jeweils spezifische Normbereich ermittelt werden, vgl. hierzu Viertes Kapitel, C. IV. 2. c). Sofern der Begriff Schutzbereich von der Rspr. und Lit. verwendet wird, wird im jeweiligen Kontext an ihm festgehalten, der Verf. versucht jedoch im Laufe dieser Untersuchung eine Normbereichrekonstruktion des Art. 5 Abs. 3 GG und bevorzugt deshalb diesen Begriff. 3 Siehe nur Manssen, Grundrechte (2005), S. 110, Rdnr. 425: Die Forschungsfreiheit garantiere dem Hochschullehrer die Freiheit der Lehre [Hervorh. d. Verf.]. 4 Siehe Erstes Kapitel, B. III. 3.
Begriffsklärungen
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i. d. S. ist nicht identisch mit „Forschung“ als Tatbestandsmerkmal des Art. 5 Abs. 3 GG. Forschungsfreiheit i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung, d. h. der wissenschaftliche Prozess zur Gewinnung von wahren Erkenntnissen. Zu diesem Prozess zählt auch die mündliche bzw. schriftliche Verbreitung von Forschungsergebnissen. Demgegenüber ist Lehre die mündliche Vermittlung (nicht notwendig eigener) wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Zwecken der wissenschaftlichen Ausbildung. Mit dem Begriff Wissenschaft ist nicht nur der Oberbegriff von Forschung und Lehre i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG verbunden, sondern auch ein selbstreferentielles Funktionssystem der Gesellschaft. Die Wissenschaftsfreiheit als Oberbegriff schützt demzufolge nicht isoliert wissenschaftliche Forschung und Lehre, sondern darüber hinaus die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit, die Wissenschaftlichkeit in einem institutionellen bzw. sozialen Sinne. Die besondere Verbindung von Forschung und Lehre führt dazu, dass die Wissenschaftsfreiheit mit ihrer objektivrechtlichen Dimension insbesondere auch die Universitäten schützt. Im Lebensbereich Forschung wird üblicherweise nach dem jeweiligen Forschungsanliegen differenziert. So gibt es die Grundlagenforschung, die sich mit der Überprüfung und Vervollkommnung der Erkenntnisgrundlagen und Theorien einer Wissenschaft befasst; sodann die reine oder zweckungebundene 6 Forschung, die sich unabhängig von pragmatischen äußeren Zielorientierungen und Anwendungsbezügen um die Ausweitung eines Erkenntnisstandes bemüht, und schließlich die angewandte Forschung oder Zweckforschung, die an der Lösung einzelner, oft in Projekten organisierter praktischer Anliegen durch zielgerichtete Ausweitung und Anwendung von Forschungsergebnissen arbeitet. 7 Kommerzielle Forschung ist ein besonderer Fall der Zweckforschung, sie kann aber auch Grundlagenforschung umfassen. Unterschieden wird zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung. Letztere setzt sich aus außeruniversitärer staatlicher Forschung, Industrieforschung und sonstiger privater Forschung zusammen. Sofern hier von außeruniversitärer 5 Der Begriff Forschungsfreiheit wird insb. dann (intuitiv) verwendet, wenn kein spezifisch hochschulrechtlicher Bezug gegeben ist (d. h. die Lehrfreiheit und die objektivrechtlichen Funktionen der Wissenschaftsfreiheit keine Rolle spielen), sondern vorrangig das Abwehrrecht eines jeden Forschers gegen staatliche Forschungsbeschränkungen im Mittelpunkt steht. So z. B. H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 ff.; siehe hierzu z. B. auch die Denkschrift der DFG zur Forschungsfreiheit vom 26. 03. 1996. 6 Da auch „zweckfreie“ Forschung Zwecken dient, ist der Begriff „zweckungebundene“ Forschung präziser. 7 Vgl. zu den verschiedenen Arten von Forschung auch den Bundesbericht Forschung 2004 (= BT-Drs. 15/3300 mit abweichender Paginierung), S. 31. Zur Fragwürdigkeit solcher Differenzierungen siehe unten Drittes Kapitel, A. III.
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Begriffsklärungen
Forschung gesprochen wird, ist im umfassenden Sinne die Forschung außerhalb der Universitäten gemeint, gleich, ob sie privat oder öffentlich finanziert und/oder organisiert ist. 8 Mit Hochschulen sind vorrangig die universitären bzw. wissenschaftlichen Hochschulen gemeint, da an Fachhochschulen oder anderen nichtuniversitären Hochschulen wissenschaftliche Forschung und Lehre als Randerscheinung betrachtet wird. 9 Scientific community ist die Selbstbezeichnung des internationalen Wissenschaftsbetriebs und wäre mit „wissenschaftlicher Gemeinschaft“ nur unzureichend übersetzt. 10 Das deutsche Äquivalent wäre am ehesten der „Wissenschaftsbetrieb“, womit jedoch auch eine institutionalisierte Seite hervorgehoben würde. So wie er hier verwendet wird, trägt der Begriff scientific community dem Umstand Rechnung, dass in den Wissenschaften eigene Kommunikationsformen und Gemeinsamkeiten bestehen und drückt damit zugleich in besonderem Maße die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft aus. Wirtschaftsfreiheit ist die zusammenfassende Umschreibung der speziellen Grundrechtsgewährleistungen für wirtschaftlich tätige natürliche oder juristische Personen. Davon sind – je nach Einzelfall – die Normbereiche der Art. 12 (Berufsfreiheit), Art. 14 (Eigentumsgewährleistung) und Art. 2 Abs. 1 GG (die allgemeine Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht) umschlossen. Art. 5 Abs. 3 GG ist kein Bestandteil der Wirtschaftsfreiheit.
8 Enger Meusel, der hierunter lediglich Einrichtungen versteht, in denen Forschung betrieben oder gefördert wird und die vom Staat gegründet wurden und/oder finanziell überwiegend unterhalten werden. Der Begriff ist so verstanden jedoch missverständlich, zumal Meusel für seine Wahl keine Begründung angibt; vgl. Meusel, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 1235; ders., Außeruniversitäre Forschung (1999), S. IX; auch Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 363 f. Demzufolge ist davon die Industrieforschung nicht umfasst. Die Wissenschaftseinrichtungen, die Meusel mit „außeruniversitärer Forschung“ meint, sind damit z. B. die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, Großforschungseinrichtungen, Ressortforschungseinrichtungen und Förderorganisationen wie die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) oder die Volkswagen-Stiftung. Siehe die Übersicht bei Meusel, in Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 1237 sowie ders., Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 9 ff. Ähnlich auch Trute, Forschung (1994), S. 27 f. 9 Einen Unterschied macht jedoch z. B. das HRG (§§ 1, 4) nicht. Wissenschaftliche Forschung und Lehre können an anderen Hochschularten durchaus stattfinden und sind nicht per se auf Universitäten beschränkt. 10 Für Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 4 ist scientific community die „Gesamtheit der Wissenschaftler, bestimmte abgegrenzte Gruppen oder auch als deren Repräsentanten einzelne Wissenschaftler“.
Erstes Kapitel
Das verfassungsrechtliche Problem – dargestellt am Beispiel des Stammzellgesetzes Die Diskussion um das Stammzellgesetz in den Jahren 2001 und 2002 ist Anlass, sich mit Inhalt und Grenzen der Forschungsfreiheit auseinanderzusetzen. An der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen zeigt sich exemplarisch ein Problem, das sich mit dem heute herrschenden Verständnis von Forschungsfreiheit nicht oder jedenfalls nicht zufrieden stellend lösen lässt.
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen I. Embryonale Stammzellen Stammzellen sind noch nicht ausdifferenzierte Zellen eines Embryos, Fötus oder geborenen Menschen. Sie besitzen die Fähigkeit, sich durch Zellteilung nahezu unbegrenzt zu vermehren, und können sich unter bestimmten Umständen zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung entwickeln (Differenzierung). 1 Embryonale Stammzellen werden aus Zellen früher Embryonalstadien hergestellt. 2 Unter dem Begriff Embryo werden hierbei verschiedene frühe Stadien der Embryonalentwicklung zusammengefasst. 3 Mit Beginn der 10. Entwicklungswoche bezeichnet man den menschlichen Embryo als Fötus. Am Anfang der
1 § 3 Nr. 1 StZG: „Im Sinne dieses Gesetzes sind Stammzellen alle menschlichen Zellen, die die Fähigkeit besitzen, in entsprechender Umgebung sich selbst durch Zellteilung zu vermehren, und die sich selbst oder deren Tochterzellen sich unter geeigneten Bedingungen zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung, jedoch nicht zu einem Individuum zu entwickeln vermögen (pluripotente Stammzellen)“. Vgl. hierzu DFG-Empfehlungen, S. 8 ff.; zum Stand der Forschung: Erster Stammzellbericht der Bundesregierung vom 03. 08. 2004, BT-Drs. 15/3639, S. 4 sowie Paul, Stammzellen (2004), S. 23 ff. 2 § 3 Nr. 2 StZG: „embryonale Stammzellen [sind] alle aus Embryonen, die extrakorporal erzeugt und nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet worden sind oder einer Frau vor Abschluss ihrer Einnistung in der Gebärmutter entnommen wurden, gewonnenen pluripotenten Stammzellen“. 3 § 3 Nr. 4 StZG: „Embryo [ist] bereits jede menschliche totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
embryonalen Entwicklung steht die befruchtete Eizelle (Zygote), dann ein 8- bis 16-Zellstadium (Morula), dem das Blastozystenstadium folgt, das ca. vier Tage nach der Befruchtung erreicht ist. Als Blastozyste ist der Embryo eine Kugel mit etwa 100 – 200 Zellen. 4 Stammzellen können seit 1998 aus Embryonen gewonnen werden, die das Blastozystenstadium erreicht haben. Diese Embryonen werden durch Invitrofertilisation hergestellt. 5 Bei den bisher angewendeten Methoden hat die Stammzellentnahme die Zerstörung oder Beschädigung des Embryos zur Folge, so dass er nicht mehr in den Uterus eingebracht werden kann. 6 Die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus menschlichen Embryonen ist deshalb in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz strafrechtlich verboten. 7 Interessant für die Forschung ist vor allem das entwicklungsbiologische Potential embryonaler Stammzellen. Sie sind pluripotent (auch omnipotent genannt) 8 und können sich unter bestimmten Bedingungen jeweils in bestimmte Zelltypen ausdifferenzieren. In diesem Differenzierungspotential liegt die therapeutische Stärke embryonaler Stammzellen. Mit Hilfe spezifischer Wachstums- und Differenzierungsfaktoren können sich hieraus prinzipiell etwa 200 bis 300 verschiedene einzelne Zelltypen (Herzmuskelzellen, Hirnzellen, Fettzellen usw.) entwickeln, die beim Menschen im Rahmen von Zellersatzstrategien in der Transplantationsmedizin eingesetzt werden könnten. Man verspricht sich beispielsweise Einsatzmöglichkeiten beim Parkinson-Syndrom, dem Diabetes mellitus oder der Herzinsuffizienz. 9
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DFG-Empfehlungen (2003), S. 8. Hierzu und zum Folgenden: Erster Stammzellbericht der Bundesregierung vom 03. 08. 2004, BT-Drs. 15/3639, S. 4 f.; Raasch, KJ 2002, 285; Paul, Stammzellen (2004), S. 25 ff. 6 Der Embryo wird durch die Stammzellentnahme vernichtet, vgl. die Begründung zum Stammzellgesetz, BT-Drs. 14/8394, S. 7 f. sowie Paul, Stammzellen (2004), S. 26. 7 Erster Stammzellbericht der Bundesregierung vom 03. 08. 2004, BT-Drs. 15/3639, S. 7. Vgl. hierzu § 1 Abs. 1 ESchG: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ( . . . ) es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt“; sowie § 2 Abs. 1 ESchG: „Wer einen extrakorporal erzeugten ( . . . ) menschlichen Embryo ( . . . ) zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ und § 2 Abs. 2 ESchG: „Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, daß sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt.“ 8 Zur Frage, ob sie auch totipotent sein könnten vgl. unten Fußn. 29. 9 Hierzu und zum Folgenden: Erster Stammzellbericht der Bundesregierung vom 03. 08. 2004, BT-Drs. 15/3639, S. 4 f. 5
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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Die Kultivierung von Stammzellen ist technisch nicht einfach, da man die Faktoren noch nicht kennt, die für das Wachstum im undifferenzierten Zustand verantwortlich sind. Hinzu kommt das Problem von Abstoßungserscheinungen gegen die Spenderzellen durch das Immunsystem (wie etwa auch bei Organtransplantationen). Bisher gibt es keine Berichte über die erfolgreiche Transplantation dieser Zellen. Weniger Probleme in dieser Hinsicht gibt es mit adulten (somatischen), d. h. körpereigenen Stammzellen, deren Pluripotenz zwar erheblich geringer ausgeprägt ist als bei embryonalen Stammzellen, deren therapeutisches Potential aber ebenfalls als hoch eingeschätzt wird. 10 Auch sie können in eine Vielzahl von Geweben ausdifferenzieren. In beiden Bereichen ist Stammzellenforschung noch Grundlagenforschung. Welche therapeutischen Einsatzmöglichkeiten Stammzellen wirklich haben, lasse sich nur an beiden Stammzellarten erforschen. 11 Während es mit adulten Stammzellen keine Bedenken und erste therapeutische Erfolge gibt, führt die Herstellung von Embryonen (durch Invitrofertilisation oder Klonierung) und deren Verbrauch durch die Entnahme von Stammzellen zu einer Vielzahl juristischer und ethischer Probleme. 12
II. Embryonen, Stammzellen und die Biotechnik – Ursachen und Motivation der Forschung Die Debatte um die Stammzellen- und Embryonenforschung wurde durch einen Innovationsschub im Bereich der Bio- und Gentechnik mit gewaltigen wissenschaftlichen Fortschritten in wenigen Jahren angestoßen. Sie stellt das ethisch heikelste Feld der modernen Naturwissenschaft dar. 13 Hierbei sind herauszugreifen: − die Entschlüsselung des menschlichen Genoms; 14 − das Klonen des Schafs „Dolly“ durch Zellkerntransfer in eine Eizelle. Damit ist auch das Klonen des Menschen prinzipiell technisch möglich;
10 Blanke, KJ 2002, 346 (351); a. A. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 257 ff., der die qualitativen Vorteile der embryonalen Stammzellen betont. 11 Wiss. Dienste des BT, Nr. 04/2004 vom 08. 03. 2004. Es heißt, die beiden Stammzellarten ergänzten sich als Untersuchungsmaterial gegenseitig; auf embryonale Stammzellen könne daher nicht verzichtet werden, auch wenn später in der medizinischen Anwendung nur adulte Stammzellen zum Einsatz kämen (siehe Erster Stammzellbericht der Bundesregierung vom 03. 08. 2004, BT-Drs. 15/3639, S. 7). 12 Vgl. nur (m. w. N.) Lege, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 669 (757 ff.); Blanke, KJ 2002, 346 ff.; Classen, DVBl. 2002, 141 ff.; Dederer, JZ 2003, 986 ff.; Merkel, Forschungsobjekt Embryo (2002); Müller-Terpitz, WissR 2001, 271 ff.; Raasch, KJ 2002, 285 ff.; Trute, in: Hanau/Leuze, GS Krüger (2001), S. 385 ff. 13 So auch Gehrlein, NJW 2002, 3680. 14 Vgl. Zwischenbericht Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT-Drs. 14/5157, S. 3.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
− die Entdeckung und Gewinnung adulter und embryonaler Stammzellen und ihrer Fähigkeit zur Ausdifferenzierung in Zellgewebe. Über diese naturwissenschaftliche und technologische Entwicklung hinausgehend sollen auch ökonomische und soziale Rahmenbedingungen entwickelter Industriegesellschaften der Gegenwart nicht vergessen werden: − die demographische Entwicklung, die zur Überalterung der Gesellschaft führt; − die Dominanz chronischer und unheilbarer Krankheiten durch höhere Lebenserwartung und daraus resultierende hohe Gesundheitskosten; − hohe Profiterwartungen, ein sich verschärfender globaler Wettbewerb und die Umgestaltung der Industriegesellschaft hin zu einer Wissensökonomie. 15 Mit „Dolly“ ist der Beweis erbracht worden, dass sich im Prinzip alle Tierarten gentechnisch verändern ließen, wenn die Gesellschaft es denn wollte. So könnte die Manipulation landwirtschaftlicher Nutztiere zur Routine werden. 16 Aber weniger die Erwartungen der Landwirtschaft sind es, die in der Diskussion über die Bio- und Gentechnik eine große Rolle spielen, sondern es sind die Hoffnungen, die die einst noch vorherrschende Angst und Skepsis verdrängt haben. 17 Von den Fortschritten der Bio- und Gentechnik versprechen sich viele Menschen die Heilung oder Linderung schwerer Krankheiten. 18 Lehnte die DFG noch im Jahre 1999 die embryonale Stammzellenforschung aus rechtlichen und ethischen Gründen ab, 19 hatte sich ihre Position zwei Jahre später grundlegend geändert. Nicht nur die Forschung mit importierten embryonalen Stammzellen wurde jetzt gefordert, sondern auch die Zulassung der verbrauchenden Embryonenforschung. 20 Andererseits sind nach der Verabschiedung des Stammzellgesetzes von Mitte 2002 bis Ende 2003 nur sieben Anträge auf Import und Verwendung von embryonalen Stammzellen bei der entsprechenden Genehmigungsbehörde eingegangen,
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Siehe hierzu unten Drittes Kapitel, A. IV. 1. Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly (2001), S. 288, 294. Freilich setzt die gentechnische Manipulation nicht das Klonen voraus, dies ermöglichte prinzipiell bereits die Invitrofertilisation. Deshalb stellt bereits das ESchG von 1990 die genetische Manipulation am Menschen unter Strafe (§ 5 Abs. 1 und 2 ESchG: „Wer die Erbinformation einer menschlichen Keimbahnzelle künstlich verändert, wird ( . . . ) bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine menschliche Keimzelle mit künstlich veränderter Erbinformation zur Befruchtung verwendet“). 17 Vgl. Hofmann, JZ 1986, 253 f., der von „Horror“ und „Erschrecken“ spricht. Im Übrigen könnten auch neue Chancen Angst vor neuer Benachteiligung verursachen, so Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 67 (87 f.). 18 Siehe nur Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 11 f. Die Bedeutung des Pharmaund Gesundheitsbereichs hebt Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 19 ff. hervor. 19 Vgl. DFG-Pressemitteilung Nr. 10 vom 19. 03. 1999; Engels, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 43 (49). 20 DFG-Empfehlung, Nr. 8, S. 2. 16
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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von der fünf positiv beschieden wurden. 21 Ob dieses geringe Interesse in den Restriktionen des Gesetzes begründet ist oder ob es an der geringen praktischen Bedeutung der Stammzellenforschung liegt, muss offen bleiben. Es ist jedenfalls der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass mit der Diskussion um die Stammzellenforschung auch ein Stellvertreterkrieg geführt wurde. In Wirklichkeit spricht viel für den Wunsch, generell die Handlungsmöglichkeiten von Forschung in all jenen Bereichen zu erweitern, in denen sie in Konflikt mit Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit kommt (zum Beispiel bei klinischen Prüfungen oder dem Freisetzen gentechnisch veränderter Organismen). Der naturwissenschaftlich-technische Fortschritt ist nämlich mit mächtigen ökonomischen und politischen Interessen liiert. 22 Allein die ökonomische Bedeutung der Bio- und Gentechnik ist enorm: Die weltweiten Umsätze der Biotechnologiebranche wurden bereits 2001 auf 40 Mrd. US-Dollar geschätzt, mit entsprechenden pharmazeutischen Produkten wird bis 2010 allein in den USA ein Umsatz von 45 Mrd. US-Dollar erwartet. National wie international sind Zuwachsraten der Branche von 20% bis 30% zu verzeichnen, 23 die denn auch als „Die Darwin AG“ bezeichnet wird. 24 Hinzu kommt eine Kommerzialisierung der Wissenschaft mit zunehmender Verflechtung von universitärer Forschung und Wirtschaftsunternehmen, die die Forschungsergebnisse verwerten. 25
21 Erster Stammzellbericht der Bundesregierung vom 03. 08. 2004, BT-Drs. 15/3639, S. 2 ff. Die verbleibenden zwei Anträge waren nicht etwa abgelehnt, sondern bis zum Ende des Berichtszeitraumes (31. 12. 2003) noch nicht beschieden worden. Bei den genehmigten Fällen handelt es sich ausnahmslos um Grundlagenforschung, die in drei Fällen in Universitätseinrichtungen, in einem Fall in einem Max-Planck-Institut und in einem weiteren Fall in einem Unternehmen durchgeführt wurde. 22 Blanke, KJ 2002, 346 (348). 23 Nach Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 252. Für 2004 wurde der weltweite Umsatz auf 50 Mrd. US-Dollar geschätzt. Der Umsatz deutscher Firmen aus dem Biotechnologie-Bereich wurde für 2004 auf ca. 1 Mrd. € geschätzt, bis 2006 wurde eine Steigerung von 20% des Umsatzes und 15% der Patente erwartet (vgl. FAZ vom 12. 05. 2004, S. 24). Das Statistische Bundesamt (Presseinformation des Stat. Bundesamtes vom Oktober 2003: „Unternehmen der Biotechnologie in Deutschland 2002“) ging für 2002 im Bereich der „Biotech-Kernunternehmen“ (vgl. a. a. O., S. 22 ff.) von einem Umsatz von 750 Mio. € (a. a. O., S. 24) aus, die Zahl der Beschäftigten betrug ca. 9 000, von denen ca. 45 % im Bereich „Forschung und Entwicklung“ beschäftigt waren (a. a. O., S. 27). Die Zuwächse zwischen 2000 und 2002 betrugen im Bereich der „Biotech-Kernunternehmen“ sogar 90% (a. a. O., S. 39). Betrachtet man die gesamte Branche in Deutschland, ergibt sich für 2002 ein Umsatz von knapp 3 Mrd. € und eine Beschäftigtenzahl von knapp 30.000 (a. a. O., S. 34) bei einem Zuwachs von 30 % zwischen 2000 und 2002 (a. a. O., S. 39). 24 Siehe Schirrmacher, Frank (Hrsg.), Die Darwin AG, Köln 2001. 25 Albers, JZ 2003, 275 (276).
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
III. Das Stammzellgesetz Mit dem am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Stammzellgesetz (StZG) 26 wurde es der Forschung in einem engen Rahmen gestattet, embryonale Stammzellen aus dem Ausland einzuführen und zu verwenden. Gleichzeitig wurde damit eine Gesetzeslücke im Embryonenschutzgesetz geschlossen, das Import und Verwendung von Stammzellen nicht explizit verboten hatte. Diese gesetzgeberische Maßnahme, die von der DFG gefordert worden war, unterlag im Vorfeld einer kontroversen Diskussion. Das BVerfG hat nämlich bisher offen gelassen, ob Embryonen vor der Nidation (= Einnistung in den weiblichen Uterus) Lebens- und Würdeschutz beanspruchen können. 27 1. Der Streit Auf der einen Seite verbanden sich mit den Forschungserkenntnissen in diesem Bereich große Hoffnungen auf erfolgreiche Behandlungsmöglichkeiten für bisher unheilbare Krankheiten. Auch die Bedingungen und Chancen des „Forschungsstandortes“ Deutschland waren ein häufig vorgebrachtes Argument. Auf der anderen Seite stand die Furcht vor einem ethischen Dammbruch, mit dem alle Hürden hinweggespült würden, die bis dato einer völligen Kommerzialisierung und Verzweckung vorgeburtlichen menschlichen Lebens entgegenstanden hätten. 28 Es war nicht ganz unumstritten, ob das Embryonenschutzgesetz in seiner bestehenden Fassung den Import erlaubte oder nicht. 29 Eine Konkretisierung der
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Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen vom 28. Juni 2002, BGBl. I. 2277 ff. Vgl. hierzu den Überblick bei Gehrlein, NJW 2002, 3680 ff. 27 BVerfGE 39, 1 (37); 88, 203 (251) – Schwangerschaftsabbruch. Es spricht jedenfalls viel dafür, dass für das BVerfG menschliches Leben mit der Verschmelzung von Samen- und Eizelle beginnt. Ob dies auch der Beginn von Würde- und Lebensschutz ist, ist umstritten. Am Rande: Wäre das nicht der Fall, wäre nach herrschender Dogmatik das ESchG ein ungerechtfertigter Eingriff in die Forschungsfreiheit. 28 Vgl. zum „ethischen Argument der abschüssigen Bahn“ im Zusammenhang mit der PID F. Herzog, ZRP 2001, 393 (395); krit. hierzu Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 199 ff., 263. 29 Nach Merkel, Forschungsobjekt Embryo (2002), S. 270 war der Import vor Erlass des StZG einschränkungslos erlaubt; ebenfalls Kloepfer, JZ 2002, 417 (419). Nach den DFGEmpfehlungen, Nr. 7, S. 2 wird davon ausgegangen, dass Stammzellen nur pluripotent, nicht jedoch totipotent und damit nicht Embryonen i. S. d. StZG und ESchG seien (vgl. § 3 Nr. 4 StZG [abgedruckt in Fußn. 3] sowie den insoweit gleich lautenden § 8 Abs. 1 ESchG). In der Wissenschaft ist unklar, wie Totipotenz und Pluripotenz abgrenzbar sind, der Übergang ist wohl fließend (so ist auch der Erste Stammzellbericht der Bundesregierung vom 03. 08. 2004, BT-Drs. 15/3639, S. 4 zu verstehen), mittlerweile wird auch manchen
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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Bestimmungen zum Embryonenschutz schien unausweichlich angesichts des nachdrücklichen Willens der Forschung, Stammzellen zu importieren und zu verwenden, um Rechtssicherheit zu schaffen. 30 Umstritten war, ob nun der Import erlaubt oder verboten werden sollte. Nicht nur in der politischen Diskussion wurde von den Befürwortern einer Liberalisierung die embryonale Stammzellenforschung geradezu zu einem Symbolfall der Forschungsfreiheit hochstilisiert. Es hieß, ein totales Forschungsverbot an embryonalen Stammzellen verletze das hohe Gut der Forschungsfreiheit. 31 Wenigstens in bestimmten Fällen müsse eine Erlaubnis möglich sein. Auch wenn im Ausland zur Gewinnung von Stammzellen Embryonen „verbraucht“, d. h. getötet werden müssten, was in Deutschland (noch) durch das Embryonenschutzgesetz verboten ist, sei ein totales Importverbot verfassungsrechtlich nicht zulässig, da Stammzellen keine Grundrechtsträger seien. 32 Zum Teil wurde sogar darüber hinausgehend eine völlige Freigabe des Imports zu Forschungszwecken verfassungsrechtlich für notwendig gehalten. 33 Umgekehrt wurde die Position vertreten, der Import sei verfassungsrechtlich verboten, da hierdurch die Menschenwürde als oberstes Verfassungsprinzip verletzt sei. Im Inland sei der Verbrauch von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen ein Verstoß gegen die Menschenwürde und nach dem Embryonenschutzgesetz eine Straftat. Somit dürfe der Gesetzgeber es genauso wenig zulassen, dass das Produkt einer zwar im Ausland begangenen, aber dennoch verfassungswidrigen Handlung legal importiert werden könne. Sonst werde implizit die Forschungsfreiheit über die Menschenwürde gestellt. 34 Es hieß auch, die Forschungsfreiheit werde durch ein Importverbot gar nicht beschränkt, da bereits die Erzeugung im Inland unzuläsadulten Stammzellen Totipotenz zugeschrieben. Fraglich ist auch, was die „weiteren Voraussetzungen“ i. S. v. §§ 3 Nr. 4 StZG, 8 Abs. 1 ESchG sind, z. B. ob hierzu die gerichtete Differenzierung zählen könnte. Zur Tauglichkeit der Totipotenz als Abgrenzungsmerkmal siehe Schulz, ZRP 2003, 363 f., der den Molekularbiologen Jens Reich zitiert: „Die Totipotenz sei ( . . . ) nicht belastbar definiert, arbiträr manipulierbar und nicht legal zu beweisen.“ In diesem Zusammenhang wohl versehentlich (oder den Fluss naturwissenschaftlicher Erkenntnis repräsentierend?) o. w. N. Blanke, KJ 2002, 346 (351), der meint, embryonale Stammzellen seien totipotent (im Gegensatz zu adulten, die lediglich pluripotent seien). 30 Siehe DFG-Empfehlung, Nr. 7, S. 2, 27 f. 31 Abg. Ulrike Flach, BT-Plenarprotokoll 14/214, 21197 vom 30. 01. 2002. 32 Vgl. Abg. Ulrike Flach, Plenarprotokoll 14/214, 21196; so auch Dederer, AöR 2002, 2 (24 f.); Classen, DVBl. 2002, 141 („ebenso wenig wie menschliche Arme oder Beine den Schutz der Grundrechte genießen“); zu Recht zweifelnd dagegen Blanke, KJ 2002, 346 (356). 33 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 109; J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381 (1383): Wissenschaftliche Forschung würde sonst zur Disposition des Gesetzgebers gestellt werden; so auch Kloepfer, JZ 2002, 417 (427). 34 Lege, in: Schulte (Hrsg.), HdBTechR (2003), S. 669 (761 f.); siehe auch Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“,
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
sig sei. Auch bestünde die Gefahr einer Absenkung des Schutzniveaus im Inland, da eine Importregelung den Embryonenschutz in seiner bestehenden gesetzlichen Fassung unter Druck setze. 35 Diesen Argumenten wurde von der Befürworterseite wiederum entgegengehalten: Seien Stammzellen tatsächlich „fruits of the poisonous tree“ 36, die den ethischen Makel ihrer Entstehungsbedingungen in sich trügen, dann müsste konsequent die Anwendung aller Erkenntnisse der internationalen Stammzellenforschung, wie hieraus entwickelte Therapien oder Medikamente, unzulässig sein. 37 Die Diskussion um die Zulässigkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen stand unter der unumstrittenen Prämisse, dass die Forschungsfreiheit (erst) dort auf ihre Grenzen stoße, wo die Grundrechte Dritter beginnen. Nur sie könnten einen Eingriff in die Forschungsfreiheit rechtfertigen. 38 Die kollidierenden Schutzgüter Dritter, d. h. konkret des Embryos, rückten deshalb in den Mittelpunkt der politischen, rechtlichen und ethischen Debatte. 39 Umstritten waren hierbei insbesondere der Zeitpunkt und die Intensität, mit der das ungeborene Leben Grundrechtsschutz genießt. Es wird sich zeigen, dass dieser Anknüpfungspunkt zur Konfliktlösung schwerlich geeignet ist. 2. Der Kompromiss Der gefundene Kompromiss gleicht in vielerlei Hinsicht den Empfehlungen des vom Bundeskanzler eingesetzten Nationalen Ethikrats. 40 In der Begründung des überparteilichen Gesetzentwurfs zum Stammzellgesetz heißt es: „Forschung an embryonalen Stammzellen und deren Einfuhr zu diesem Zweck fallen in den Schutzbereich der in Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes vorbehaltlos garantierten Freiheit der Wissenschaft und Forschung, deren Schranken sich nur aus der Verfassung Teilbericht Stammzellenforschung, BT-Drs. 14/7546, S. 92 ff.; Abg. Monika Knoche, BTPlenarprotokoll 14/214, 21198 vom 30. 01. 2002. 35 Vgl. Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellenforschung, BT-Drs. 14/7546, S. 46. 36 Zur „fruit-of-the-poisonous-tree-Doktrin“ in diesem Zusammenhang auch Kloepfer, JZ 2002, 417 (418); Herdegen, JZ 2001, 773 (776). 37 Schmidt-Jortzig, Biomedizin (2003), S. 14; vgl. auch Haltern/Viellechner, JuS 2002, 1197 (1202). 38 Die Wissenschaftsfreiheit scheine unüberwindliche Barrieren zu errichten, wenn es um den Embryonenschutz geht, so Enders, Jura 2003, 666 (673). 39 Siehe z. B. Dederer, Menschenwürde des Embryo [sic!] in vitro, AöR 2002, 1 ff.; Herdegen, Die Menschenwürde im Fluß des bioethischen Diskurses, JZ 2001, 773 ff.; Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellenforschung, BT-Drs. 14/7546, S. 30 ff. 40 Vgl. Engels, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 43 (57); siehe hierzu die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen
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selbst ergeben können. Diesem Grundrecht stehen bei der Stammzellenforschung ( . . . ) keine unmittelbar kollidierenden Grundrechte von Embryonen gegenüber, welche eine Einschränkung der Ausübung des Grundrechts der Freiheit von Wissenschaft und Forschung erlaubten.“ 41
Jedoch sei eine Abwägung möglich, da Embryonen im Ausland getötet werden müssten, um Stammzellen zu gewinnen. Es würde daher der Werteordnung des Grundgesetzes widersprechen, wäre die Einfuhr solcher Stammzellen ausnahmslos gestattet. 42 Die Problematik findet sich auch in den verabschiedeten Vorschriften wieder. In § 1 StZG heißt es: „Zweck dieses Gesetzes ist es, im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten“. Mit dieser Formulierung kommt bereits die gesetzgeberische Abwägungsentscheidung zum Ausdruck, die in folgender Lösung resultiert: − Die Einfuhr embryonaler Stammzellen ist grundsätzlich verboten (§§ 1 Nr. 1; 4 Abs. 1 StZG). 43 − Ausnahmsweise dürfen Stammzellen mit Genehmigung importiert und verwendet werden (§§ 1 Nrn. 2 und 3; 4 Abs. 2 StZG), allerdings nur für hochrangige Forschungsziele (§ 5 StZG). − Die Verwendung der Stammzellen in Deutschland darf die Gewinnung embryonaler Stammzellen im Ausland nicht veranlasst haben, und diese dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen aus Embryonen gewonnen worden sein (§ 4 Abs. 2 StZG). 44
vom 20. 12. 2001, insb. Nr. 7, S. 49 ff. Der Bedingung, die Forschungsergebnisse auch veröffentlichen zu müssen, ist der Gesetzgeber allerdings nicht gefolgt. Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ hat sich zwar kurz vorher in ihrem Teilbericht Stammzellenforschung mehrheitlich gegen einen Import ausgesprochen, aber in der von der Minderheit vertretenen Meinung sind ebenfalls die Leitlinien des StZG erkennbar (siehe BT-Drs. 14/7546, S. 56 ff.). Auch hier wird eine Publikationspflicht und ein Kommerzialisierungsverbot gefordert, die gesetzlich nicht umgesetzt wurden. 41 BT-Drs. 14/8394, S. 7. Hierin spiegelt sich die herrschende Meinung der Rechtswissenschaft wider. 42 BT-Drs. 14/8394, S. 7 f. 43 Siehe zu den strafrechtlichen Grenzen der Stammzellenforschung und deren Problemen: Schwarz, MedR 2003, 158 ff.; Dahs/Müssig, MedR 2003, 617 ff. 44 Die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken ist u. a. nur zulässig, wenn: „a) die embryonalen Stammzellen in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland dort vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden ( . . . ), b) die Embryonen, aus denen sie gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind, sie endgültig nicht mehr für diesen Zweck verwendet wurden und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies aus Gründen erfolgte, die an den Embryonen selbst liegen, [und] c) für die Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung kein
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
3. Die Kritik Kritiker bezeichnen das Gesetz als einen „Kreis von Wertungswidersprüchen“ oder gar als Ausdruck von „Doppelmoral“. 45 Die Forderung nach einer liberaleren Novellierung oder gar Aufhebung besteht seit seiner Verabschiedung, ebenso wie die Forderung nach einem Totalverbot. 46 Entweder verletze der Gewinn im Ausland und damit auch die Verwendung importierter Stammzellen Menschenwürde und Lebensrecht. Dann müsse diese Forschung vollständig verboten werden, denn: „Der Hehler ist nicht besser als der Stehler.“ 47 Oder Stammzellen seien keine Grundrechtsträger, dann müsse mit ihnen frei und unbeschränkt geforscht werden dürfen. 48 Dabei wurde insbesondere die Stichtagsregelung angegriffen. Nach ihr dürfen aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen nur Stammzellkulturen importiert werden, die vor dem 1. Januar 2002 aus Embryonen extrahiert worden waren. 49 Die Stichtagsregelung wird für verfassungswidrig gehalten, weil sie unverhältnismäßig und unpraktikabel sei. 50 Vor diesem Zeitpunkt entstandene Kulturen sollen für die Forschung in Deutschland keinen Nutzen mehr haben. Das Gesetz gilt deshalb bei Forschern als überholt, auch wenn sich die gemachten Heilsversprechen bisher nicht konkretisiert haben. 51
Entgelt oder sonstiger geldwerter Vorteil gewährt oder versprochen wurde“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 a-c StZG). 45 Beides verwendet Schmidt-Jortzig, Biomedizin (2003), S. 14 f.; zurückhaltender Kloepfer, JZ 2002, 417 (418): das Gesetz beinhalte eine „für einen Kompromiss nicht untypische konzeptionelle Unstimmigkeit“ die „der Praxis der Mehrheitsfindung geschuldet“ sei. 46 Schmidt-Jortzig, Biomedizin (2003), S. 14 f.; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 270 („unehrlich und doppelmoralisch“); a. A. Dederer, JZ 2003, 986 (994): Das Stammzellgesetz sei dann verfassungsdogmatisch stimmig, wenn dem Gesetzgeber eine ganz bestimmte verfassungsrechtliche Konzeption unterstellt werde. Durch die Stichtagsregelung existiere nurmehr ein „postmortal nachwirkender Menschenwürdeschutz“, der abwägungsfähig sei. 47 Böckenförde, JZ 2003, 809 (814). 48 So Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 270. Solange das ESchG den Verbrauch von Embryonen zur Stammzellgewinnung sowie die verbrauchende Embryonenforschung verbietet, sind in der Tat die Wertungswidersprüche des StZG kaum erträglich. Betrachtet man die Verwendung von Embryonen zu solchen Zwecken als Verstoß gegen Menschenwürde und Lebensrecht (wovon der Gesetzgeber im StZG offenkundig grundsätzlich ausgeht), dann dürfen der Import und die Verwendung von Produkten, die unter Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gewonnen worden sind, nicht erlaubt werden. Dies gilt erst recht, wenn Therapiehoffnungen mit einbezogen werden, weil sich dahinter gerade die Verzweckung menschlicher Existenz verbirgt, die verhindert werden soll. 49 § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. a StZG, siehe oben Fußn. 44. 50 Änderungsantrag der FDP-Fraktion, BT-Drs. 14/8869, S. 2; im Ergebnis wohl auch Dederer, AöR 2002, 1 (25); noch weitergehend J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381 (1383).
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Andererseits wurde eingewendet, der Schutzpflicht für ausländische Embryonen könne man auch mit einer Stichtagsregelung nicht gerecht werden, denn die Kausalität zwischen dem Stammzellimport und dem Embryonenverbrauch bliebe bestehen. Mittelbar würde durch den Import weltweit die Nachfrage nach Stammzellen steigen, so dass an anderer Stelle neue Stammzellentnahmen notwendig seien, die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 StZG nicht erfüllten. Auch sei fraglich, inwieweit überprüfbar sei, ob diese Voraussetzungen wirklich eingehalten würden. Darüber hinaus bleibt politisch und verfassungsrechtlich die Frage ungeklärt, ob nicht generell die verbrauchende Embryonenforschung in Deutschland zugelassen werden sollte oder gar müsste. Angesichts „überzähliger“ Embryonen, die nach legaler Invitrofertilisation keine Verwendung mehr fänden und „dem Tode geweiht“ seien, solle dies zulässig sein. 52 Im Zusammenhang mit der Forderung, die Stammzellenforschung zuzulassen, wurde auch weitergehend die Zulässigkeit der verbrauchenden Embryonenforschung und des sog. therapeutischen Klonens 53 gefordert. Forschungsfreiheit und ärztlicher Heilauftrag könnten eine ausreichende Rechtfertigung hierfür sein. Stimmen in der Literatur räumen im Ergebnis dem Gebot der Menschenwürde und des Lebensschutzes nicht ausnahmslos Vorrang vor der Forschungsfreiheit ein. Würde- und Lebensschutz, nicht nur des Embryos, werden abgestuft. 54 Es wird u. a. vertreten, dass hochrangige Forschung auch das Leben der Embryonen vor der Nidation überwiege, oder gar, dass einem für wissenschaftliche oder medizinische Zwecke hergestellten Embryo von vorneherein keine Menschenwürde zukomme. 55
51 Die Zeit, Nr. 33, 8. August 2002, S. 23; vgl. Raasch, KJ 2002, 285 (294) sowie Blanke, KJ 2002, 346 (352). 52 Vgl. DFG-Stellungnahme (2003), S. 42 f. 53 Dies wird „therapeutisches“ Klonen genannt, obwohl es bisher lediglich ein therapeutisches Potential, aber keine Therapien mit geklonten Embryos oder deren Stammzellen gibt, so dass der weniger verschleiernde Begriff „Forschungsklonen“ ist. Davon unterschieden wird das „reproduktive“ Klonen, wofür der Begriff „Fortpflanzungsklonen“ treffender wäre, da sich „therapeutisches“ und „reproduktives“ Klonen jeweils nur in der Zielsetzung, nicht jedoch in der Methode unterscheiden, vgl. Graumann/Poltermann, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23–24/2004. Um einen Menschen zu klonen, muss der geklonte Embryo in den Uterus eingepflanzt werden und es zu einer erfolgreichen Schwangerschaft kommen. Allg. hierzu Paul, Stammzellen (2004), S. 27 ff. 54 Herdegen, JZ 2001, 773 (774 f.). 55 Dederer, AöR 127 (2002), 2 (16 f., 23). Hochrangige Forschungsziele sind zwar in § 5 StZG Importvoraussetzung, aber nicht legaldefiniert. Es heißt auch, dem Embryo in vitro komme ohne Entwicklungsperspektive gar keine Menschenwürde zu, so z. B. J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381 (1385).
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
IV. Überblick: die Forschung und Art. 5 Abs. 3 GG nach herrschender Meinung Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG lautet: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Wie bereits in der Begründung zum Stammzellgesetz deutlich wird, 56 ist nach herrschender Meinung 57 der Schutzbereich der Forschungsfreiheit weit zu verstehen: Jede Art von Forschung ist durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. 58 Damit unvermeidlich entstehende Konflikte mit Grundrechten Anderer und sonstigen Verfassungswerten sind erst auf der Abwägungsebene lösbar. 59 1. Einheitliches Grundrecht: Wissenschaftsfreiheit Im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 GG ist die Kunstfreiheit ein völlig eigenständiges Grundrecht, das auszuklammern ist. Der Dreiklang aus Wissenschaft, Forschung und Lehre bedeutet nicht das Nebeneinander dreier eigenständiger Grundrechte, sondern das einheitliche Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit: Forschung und Lehre sind nach herrschender Meinung lediglich konkretisierende Unterbegriffe der Wissenschaft. Forschung und Lehre sind die beiden Teilelemente der Wissenschaft, die diese hinreichend und abschließend umschreiben. 60 Die Formulierung 56
BT-Drs. 14/8394, S. 7. Der Begriff „herrschende Meinung“ wird hier nicht verwendet, um als anonymisierte Autorität die Meinungsführerschaft eines Arguments zu behaupten, siehe Drosdeck, Die herrschende Meinung – Autorität als Rechtsquelle – 1989; ebenfalls: F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 309. Der Begriff drückt wie der Begriff „überwiegende Meinung“ aus, dass hierunter eine Bestandsaufnahme der zu Art. 5 Abs. 3 GG vertretenen Meinungen zu verstehen ist. 58 Ob die Forschung mit embryonalen Stammzellen unter Art. 5 Abs. 3 GG fällt, wird nahzu ausschließlich in der entsprechenden Literatur nicht weiter problematisiert, sondern selbstverständlich angenommen, vgl. nur Merkel, Forschungsobjekt Embryo (2002), S. 260 ff. Für den Schutz aller Forschungsbereiche: Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 78; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 325, Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 98; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 3, 5. Die fehlende Begründung für diese h. M. will Kamp, Kommerz (2004), S. 43 (m. w. N. in Anm. 29) liefern. Uneindeutig im Ergebnis Trute, Forschung (1994), S. 97 ff., für den wohl Ressort- und Industrieforschung nicht von Art. 5 Abs. 3 GG umfasst sind. 59 Vgl. nur Classen, WissR 1989, 235 (237); Dederer, JZ 2003, 986 (987); Laufs, MedR 2004, 583 (584). Zur Grenzenlosigkeit der Forschung siehe Erstes Kapitel, B. III. 3. a) dd). 60 Vgl. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 24 m. w. N.; so im Kern auch Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 23 m. w. N.; Zöbeley, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 229, 241; Wendt, in: Münch/ Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 100; Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (108); Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 75 m. w. N.; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 162 m. w. N.; abweichend: A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (70), der überlegt, den Begriff der Wissenschaft auf außeruniversitäre Forschung anzu57
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in Art. 5 Abs. 3 GG ist daher so zu verstehen, dass „wissenschaftliche Forschung und Lehre“ frei sind. 61 2. Normbereich In sachlicher Hinsicht ist Wissenschaft – oder besser „wissenschaftliche“ Forschung – i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG jede Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. 62 Zusätzlich wird teilweise ein gewisser Kenntnisstand und ein bestimmtes methodisches Vorgehen verlangt. 63 Personell kommt das in Art. 5 Abs. 3 GG enthaltene Freiheitsrecht jedem zu, der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will. 64 Darüber hinaus ist die Wissenschaftsfreiheit auch eine wertentscheidende Grundsatznorm, die den Staat verpflichtet, mit der Institution der Hochschule Teilhabe an freier Wissenschaft zu organisieren. 65 Diese Funktion als subjektives Abwehrrecht für „Jedermann“ mit denkbar weitem Normbereich führt dazu, dass sich dieser Normbereich mit dem sozialen Lebensbereich „Wissenschaft und Forschung“ zu decken hat. 66 Zwar wird verlangt, die Lehre muss im Zusammenhang mit der Forschung stehen, umgekehrt ist aber Forschung bereits allein ein hinreichender Bestandteil wissenschaftlicher Betätigung. Folglich gilt das Grundrecht auch ohne Zusammenhang mit einer Lehrtätigkeit im außeruniversitären Bereich. 67 Der Schutzbereich umfasst damit auch angewandte Forschung, ebenfalls die inner- und außerstaatliche Drittmittel-, Zweck- und Auftragsforschung sowie die Industrie- und Großforschung. 68 wenden und die Begriffe Forschung und Lehre der Universität zuzuordnen; ähnlich auch Hailbronner (Differenzierung zwischen der Wissenschaftsfreiheit für Jedermann und der Forschungs- und Lehrfreiheit, die lediglich dem Hochschullehrer zukommt); vgl. ders., WissR 1980, 212 (217) sowie ders., Funktionsgrundrecht (1979), S. 9 ff., 26 ff., 74 f. und 148 ff.; differenzierend Trute, Forschung (1994), S. 110 ff., 121, der in der Forschungsfreiheit eine spezielle Handlungsfreiheit sieht. 61 Vgl. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 20; Schmitt Glaeser, WissR 1974, 107 (108, 111). Häberle, AöR 1985, 327 (334) weist auf die Verbürgung der Schweizer Verfassung hin, in der es heißt: „Die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung ist gewährleistet“ (heute Art. 20 der Schweizer Verfassung vom 18. 04. 1999). 62 BVerfGE 35, 79 (113) – Hochschulurteil; 47, 327 (367) – Hess. Universitätsgesetz. 63 Siehe hierzu unten Zweites Kapitel, C. II. 1. a) bb). 64 Vgl. BVerfGE 35, 79 (111) – Hochschulurteil; Bethge in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 209. 65 BVerfG 35, 79 (111, 115) – Hochschulurteil. 66 So Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 72 f. 67 Siehe unten m. w. N. Zweites Kapitel, C. II. 1. c). 68 Vgl. u. a. Trute, Forschung (1994), S. 125; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 30; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 3, 5; Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 101; Schmidt-Aßmann,
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Die herrschende Meinung im Schrifttum geht ferner davon aus, dass der Schutzbereich auch eröffnet ist, wenn bei der Suche nach Wahrheit Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt oder gar verletzt werden. Rechte Dritter sind nach dieser Ansicht erst auf der Schrankenebene in der Abwägung zu berücksichtigen. 69 3. Schranken Die Forschungsfreiheit ist als vorbehaltloses Grundrecht gewährleistet. Vorbehaltlose Grundrechte gelten jedoch nicht schrankenlos, auch in sie sind Eingriffe möglich. Andere Grundrechte und Verfassungsgüter beschränkten verfassungsimmanent vorbehaltlos gewährte Grundrechte, wobei für den Eingriff jeweils eine gesetzliche Konkretisierung vorliegen müsse. 70 Die Lösung für Konflikte der forscherischen Handlungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern ist daher nach herrschender Meinung immer erst auf der Rechtfertigungsebene zu suchen. 71 Im Sinne der „praktischen Konkordanz“ nach K. Hesse ist dabei ein schonender Ausgleich herbeizuführen, der nach beiden Seiten hin jedem Verfassungsgut möglichst weitreichende Geltung verschafft. 72 Bei der Bestimmung der Grenzen durch den Gesetzgeber kann im konkreten Fall die Forschungsfreiheit auch Rechtsgüter Dritter überwiegen, solange nicht die Menschenwürde tangiert ist, die keiner Abwägung zugänglich ist. 73
in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697/703 f.); missverständlich („Adressat“) Zippelius/ Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 248; ausdrücklich für die Eigenschaft entsprechender Forschungseinrichtungen als Grundrechtssubjekte Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 65 m. w. N., S. 78; H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237); Dederer, JZ 2003, 986 (987). Siehe auch die Nachweise oben in Fußn. 58. 69 Vgl. DFG-Empfehlungen (2003), S. 35; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 30, 38 ff.; Paul, Stammzellen (2004), S. 37 f.; Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 105; H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237 f.). Nur wenn sich Forschung eigenmächtig über fremde Rechtsgüter hinwegsetzt, soll dies nach manchen Stimmen vom Gewährleistungsbereich nicht mehr umfasst sein; siehe Hailbronner, WissR 1980, 212 (224); hierzu m. w. N., selbst jedoch ablehnend, Classen, WissR 1989, 235 (237); zur Religionsfreiheit: Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 51; vgl. hierzu Erstes Kapitel, B. III. 3. a) dd) sowie zu den (zum Teil weitergehenden) tatbestandsimmanenten Lösungen: Viertes Kapitel, B. III. 1. c) und B. IV. 3. – Lösungen bei der Inanspruchnahme von Rechten Dritter. 70 BVerfGE 30, 173 (193 f.) – Mephisto. 71 Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 30, 39; Classen, WissR 1989, 235 (237). 72 K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 72, 317 f.; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 10. Mit dem Stammzellgesetz wollte der Gesetzgeber ausdrücklich diesem Prinzip nachkommen (siehe BT-Drs. 14/8394, S. 7).
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V. Der vermeintliche Fixpunkt: Der grundrechtliche Status des Embryos in vitro Das weite Tatbestandsverständnis der herrschenden Meinung zu Art. 5 Abs. 3 GG, nach dem erst andere Verfassungsgüter der Forschung Grenzen setzen können, führt geradewegs zur Fixierung auf diese Verfassungsgüter. Namentlich sind dies Leben und Würde (Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG) des Embryos, die durch die Stammzellenforschung beeinträchtigt sein können. Dabei ist die Menschenwürde in der publizistischen wie auch juristischen Diskussion als eine Art archimedischer Punkt ausgemacht worden. 74 Kann der Embryo in vitro Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 2 GG nicht in Anspruch nehmen, nimmt dies bereits das Ergebnis vorweg: die Zulässigkeit der Embryonenforschung ist verfassungsrechtlich geboten. Ist er dagegen Träger der Menschenwürde, ist die Embryonenforschung zu verbieten. 75 In die andere Waagschale werden neben der Forschungsfreiheit häufig Leben und Gesundheit gegenwärtiger und zukünftiger Patienten gelegt, denen durch neue Forschungserkenntnisse im Bereich der Stammzellenforschung geholfen werden könnte. 76 Dieses Argument, in der Debatte auch häufig unter dem Stichwort „Ethik des Heilens“ 77 vorgebracht, ist aber in juristischer Hinsicht wenig ergiebig, obwohl es versteckt in die Abwägungsentscheidung des Stammzellgesetzes mit einfloss. 78
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Missverständlich insoweit Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 29, wonach die Grenzen der Forschung in der Humangenetik [sic!] und Gentechnologie durch Abwägung u. a. der Menschenwürde mit den Rechten des Forschers zu bestimmen seien. 74 Enders, Jura, 2003, 666 spricht vom „Fixpunkt“; Dederer, AöR 2002, 1 vom „Kristallisationspunkt“; vgl. hierzu auch Frommel, KJ 2002, 411 ff. Der Streit ist indes nicht neu, vgl. bereits Hofmann, JZ 1986, 253 (258 ff.). 75 Aus diesem Grund wird hier der Meinungsstand zum Lebensrecht des Embryo in vitro nicht weiter verfolgt. Vgl. repräsentativ zu einem abgestuften Lebensschutz Dreier, ZRP 2002, 377 ff. und die Gegenpositionen von Beckmann, ZRP 2003, 97 ff. sowie Hoerster, JuS 2003, 529 ff. 76 Vgl. Classen, WissR 1989, 235 (239) und Kloepfer, JZ 2002, 417 (426), die die Chancen verbrauchender Embryonenforschung in die Abwägung mit einfließen lassen (freilich ohne dies genauer zu strukturieren); ebenfalls Schulz, ZRP 2003, 362 (364 f.), der eine US-Studie erwähnt, wonach weltweit 128 Mio. Menschen an Krankheiten litten, deren Therapie mittels Stammzellenforschung möglich erscheine; deutlich motiviert hiervon auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo (2002), S. 11, 254 ff.: Jede Verzögerung der Forschung sei ein moralisches Problem, das möglicherweise mit großen Opfern an Menschenleben und -schicksalen bezahlt werden müsse (S. 259). Eine staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Patienten befürwortet auch Dederer, JZ 2003, 986 (989): „hochrangige“ Forschungsziele verliehen der Forschungsfreiheit ein besonderes Gewicht (ders., a. a. O., 994). 77 Sehr krit. zu diesem Postulat Eibach, MedR 2003 441, (449), der es als Fiktion betrachtet, wolle man die Probleme der Menschen mit Krankheit, Behinderung, Altern und Tod medizinisch-technisch lösen.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Dass aus der Stammzellenforschung eines Tages konkrete Behandlungsmethoden hervorgehen, ist zur Zeit nichts anderes als bloße Hoffnung. Die DFG spricht selbst von einem „Anwendungspotential“, das neue Therapien „als nicht unrealistisch“ erscheinen lasse. Es sei denkbar, dass „mittelfristig“ Spenderzellen für eine Transplantation zur Verfügung stünden. 79 Um die Grundrechte Kranker berücksichtigen zu können, müsste der Normbereich von Art. 2 Abs. 2 GG eröffnet sein und es müsste durch ein gesetzliches Verbot der Stammzellenforschung in diesen Normbereich eingegriffen werden. Dafür fehlt es aber (noch) an gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und damit auch an der Kausalität, ob ein Verbot tatsächlich Kranke in negativer Weise tangiert und in ihr Recht auf Leben und Gesundheit eingreift. Es gibt kaum Anhaltspunkte, die eine gesicherte Prognose zulassen. Aber selbst wenn diese Erkenntnisse vorlägen, bestünde kein grundrechtlicher Anspruch auf eine bestimmte Therapie. 80 Diese Grundrechtsposition soll daher im Weiteren außer Betracht bleiben. Hinsichtlich der Menschenwürde des Embryos stellen sich zwei voneinander abhängige verfassungsrechtliche Fragen: Zum Ersten die (umstrittenste) Frage, ob und in welchem Maße dem Embryo in vitro Menschenwürde zukommen kann. Bejaht man dies grundsätzlich, ist zum Zweiten fraglich, ob im Ausland legal hergestellte Stammzellen, deren Herstellung im Geltungsbereich des Grundgesetzes verfassungswidrig und nach dem Embryonenschutzgesetz strafbar wäre, nach Deutschland importiert und hier verwendet werden dürften. Bejaht man wie der Gesetzgeber mit Stammzell- und Embryonenschutzgesetz die Menschenwürde des Embryos in vitro, ist man jedoch mit zwei weiteren gesetzgeberischen Entscheidungen konfrontiert, die einen Wertungswiderspruch darstellen könnten: die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruches und die Zu-
78 Der Gesetzgeber stellt hierauf wohlweislich nicht ab. Ziel ist vielmehr die Beschränkung der Nachfrage nach embryonalen Stammzellen „auf ein Mindestmaß“ (BT-Drs. 14/ 8394, S. 9). Vgl. hierzu auch unten Viertes Kapitel, C. I. 79 DFG-Empfehlungen (2003), S. 1 f.; Kloepfer, JZ 2002, 417 (426) gibt zu, dass konkrete Therapien in weiter Ferne seien und noch mindestens eine 10jährige Grundlagenforschung erforderlich sei. Es wurden zur Jahrtausendwende weiter Zeiträume zwischen drei und fünfzig Jahren genannt, in denen es die Regeneration oder Redifferenzierung von Geweben auf Bestellung geben könne (Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly [2000], S. 327). Man wird heute sagen können, dass Ernüchterung eingetreten ist und jedenfalls noch jahrelange Grundlagenforschung erforderlich sein wird. Therapien sind derzeit nicht in Sicht (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 24. 10. 2005, S. 10). Durch die Fälschungen des südkoreanischen Forschers Hwang wurde die Stammzellenforschung diskreditiert und um Jahre zurückgeworfen (siehe Süddeutsche Zeitung vom 24. 12. 2005, S. 1). 80 Enquete-Kommission, Zwischenbericht Stammzellenforschung, S. 65; vgl. auch BVerfG, MedR 1997, 318 (319).
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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lässigkeit nidationshemmender Mittel. 81 Hier ist auf den ersten Blick der Embryo in vivo schwächer geschützt als der in vitro. 1. Meinungsstand zur Menschenwürde des Embryos in vitro In seiner Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch vertritt das BVerfG die Meinung, dem Embryo in vivo komme „jedenfalls“ ab Nidation Menschenwürde und Lebensrecht zu. Indem das Gericht auf diesen Zeitpunkt abstellt, lässt es den Status des Embryo in vitro offen. 82 Während damit die verfassungsrechtliche Zulässigkeit nidationshemmender Mittel zur Schwangerschaftsverhütung offen bleibt, ist dagegen der Schwangerschaftsabbruch bzw. dessen Straffreiheit unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsrechtlich zulässig. 83 Wie fragwürdig die gefundene Lösung im Stammzellgesetz ist, wird bereits daran deutlich, dass die Menschenwürde nach (noch) überwiegender Meinung nicht abwägbar ist. 84 Wenn nun das Stammzellgesetz mit seinem grundsätzlichen Verbot dem Schutz der Menschenwürde zu dienen bestimmt ist, dann müsste nach Ansicht des Gesetzgebers eine unreglementierte Einfuhr embryonaler Stammzellen eine Verletzung der Menschenwürde darstellen – sei es, weil die Verwendung der Stammzellen selbst ein Menschenwürdeverstoß ist, sei es, weil sie mit Hilfe eines Menschenwürdeverstoßes im Ausland gewonnen wurden und damit Früchte einer rechtswidrigen Tat sind. Dann ist aber nicht einsichtig, warum in bestimmten Fällen, namentlich für Forschungsarbeiten, die hochrangigen Forschungszielen zu dienen bestimmt sind (vgl. § 5 StZG), die Menschenwürde nicht tangiert oder der Verstoß im Ausland gerechtfertigt sein soll. Stellt die Verwendung von Stammzellen zu Forschungszwecken jedoch keinen Menschenwürdeverstoß dar, dann läge in ihrer Beschränkung durch das Stammzellgesetz nach herrschender Meinung eine Verletzung der Forschungsfreiheit. 81
Vgl. z. B. Schroth, JZ 2002, 170 (179). BVerfGE 88, 203 (252 f.) – Schwangerschaftsabbruch: „Es bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob, wie es Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie nahe legen, menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht.“ Entscheidungserheblich sei nur der Zeitraum der Schwangerschaft, die mit der Nidation beginne. Auch wenn das BVerfG damit der Verschmelzung als relevanten Zeitpunkt zuneigt, hat es diese Frage nicht eindeutig entschieden, obwohl (oder weil?) im Jahre 1993 das Embryonenschutzgesetz bereits in Kraft war und sich ein obiter dictum angeboten hätte. 83 Grundsätzlich wird die Frau nur in Ausnahmesituationen von der verfassungsrechtlich gebotenen Pflicht befreit, das Kind auszutragen, BVerfGE 88, 203 (254 ff.) – Schwangerschaftsabbruch. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, wie das ungeborene Leben am besten geschützt werden kann (vgl. BVerfG, a. a. O., 264 ff.). Da das Strafrecht hierzu nicht immer geeignet ist, lässt das BVerfG am Ende eine Fristenlösung mit vorheriger Beratung zu, die zwar nicht strafbar, aber rechtswidrig ist (vgl. BVerfG, a. a. O., 269 ff., 273 ff.). 84 Vgl. Schmidt-Jortzig, Biomedizin (2003), S. 16 f. m. w. N. 82
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Bei beiden Alternativen steht man vor dem Dilemma des „ganz oder gar nicht“, 85 das dem vorbehaltlos gewährleisteten Schutz der Embryonenforschung durch Art. 5 Abs. 3 GG und der Nichtabwägbarkeit der Menschenwürde geschuldet ist. Letztlich zeigt sich hieran, dass nur unter den Prämissen der herrschenden Meinung Dreh- und Angelpunkt der Embryonenforschung die Menschenwürde des Embryos in vitro sein muss. In der gebotenen Kürze soll deshalb der Meinungsstand zur Menschenwürde des Embryos in vitro skizziert werden. 86 a) Absoluter Menschenwürdeschutz Grundlage der bis vor einigen Jahren herrschenden Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG war die „Objektformel“ von Dürig, die auf Kant zurückgeht. 87 Demnach dürfe der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt oder einer Behandlung ausgesetzt werden, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellen würde. 88 Letztlich wird damit ein Kernbereich menschlicher Würde geschützt, der nach wie vor – da eine positive Umschreibung der Menschenwürde kaum möglich ist – in negativer Hinsicht durch die historischen Erfahrungen der NS-Zeit gekennzeichnet ist. 89 Dürig versteht hierbei die Menschenwürde lediglich als objektives Prinzip. 90 Andere sehen in ihr auch ein subjektives Abwehrrecht, das im Bedarfsfall zu den anderen Grundrechten hinzutreten könne. 91 Auch wenn die Menschenwürde nicht positiv bestimmbar ist, ist jedenfalls jede erniedrigende Behandlung von einigem Gewicht eine Würdeverletzung. Die 85
Kloepfer, JZ 2002, 417 (422). Der Meinungsstand zur Menschenwürde ist seit 2001 sehr im Fluß und mittlerweile unübersehbar geworden. Einen knappen Überblick über die wichtigsten Strömungen bietet (aus nichtjuristischer Sicht) Reiter, Aus Politik und Zeitgeschichte, 23–24/2004, 13 ff. 87 Die „Zweckformel“ des kategorischen Imperativs enthält die Aufforderung, jede Person „jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst“ zu betrachten und „niemals bloß als Mittel“ zu gebrauchen, vgl. Habermas, Zukunft (2001), S. 96. Sie wird auch vom BVerfG u. a. in E 27, 1 (6); 28, 386 (391); 45, 187 (228) verwendet. Ausführlich zu Kant auch Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 3 ff. 88 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (1958), Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 28. Zum Subjektverständnis Kants siehe Starck, JZ 2002, 1065 (1069 f.); zur Objektformel Enders, in: Friauf/ Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 38 ff. 89 Vgl. hierzu Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 23, insb. Anm. 91; vgl. zu den Menschenexperimenten in Konzentrationslagern Classen, WissR 1989, 235 (242). 90 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (1958), Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 4. 91 So insbesondere das BVerfG, ohne dies näher zu begründen, vgl. E 88, 203 (252 f., 252) – Schwangerschaftsabbruch: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Würde zu.“; ebenso in E 39, 1 [42]). Des Weiteren hat das BVerfG Verfassungsbeschwerden zugelassen, die sich allein auf Art. 1 Abs. 1 GG stützten, vgl. m. w. N. Haltern/Viellechner, JuS 2002, 1197 (1201); siehe auch Classen, WissR 1989, 235 (239 ff.). 86
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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Menschenwürde ist abwägungsfest. Jeder Eingriff in die Menschenwürde verletzt diese zugleich. 92 Dies gilt auch, wenn er von nichtstaatlicher Seite erfolgt. 93 Geht man von einem absoluten Menschenwürdeschutz aus, ist der Embryo genauso Grundrechtsträger wie der geborene Mensch. Ihm kommt ab Befruchtung, d. h. ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle Menschenwürde zu, denn ab diesem Zeitpunkt ist das genetische Programm des Menschen in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit festgelegt. 94 Es sei willkürlich, einen anderen Zeitpunkt als die Befruchtung als Beginn des Würdeschutzes festzulegen. Auch die Nidation sei hierfür nicht geeignet. 95 Diese Grundsätze sollen für den Embryo in vivo wie auch für den in vitro gelten, der Einwirkungen von dritter Seite viel schutzloser ausgesetzt ist als im Mutterleib. 96 Hinsichtlich des pränatalen Würdeschutzes seien die Maßstäbe, die für geborene Menschen entwickelt wurden, auf den Embryo zu übertragen. Stammzellentnahmen und verbrauchende Embryonenforschung verletzten die Würde offensichtlich. 97 Würden geborene Menschen zu Forschungszwecken missbraucht und getötet, wäre dies keinesfalls mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar. 98 Das Verbot des „fremdnützigen Verwendens“ des Embryos (§ 2 Abs. 1 ESchG) sei deshalb verfassungsrechtlich unausweichlich. 99
92 Vgl. BVerfGE 34, 238 (245) – Tonband; 93, 266 (293) – Soldaten sind Mörder; m. w. N. (selbst jedoch a. A.) Wittreck, DÖV 2003, 873 f.; A. Blankenagel, in: DäublerGmelin/Adlerstein, Menschengerecht (1986), S. 122 (130) m. w. N.; Enders, in: Friauf/ Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 52 f. m. w. N. 93 Dies ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG: „Sie ( . . . ) zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 94 Classen, WissR 1989, 235 (242), damals noch „weitestgehend anerkannt“; ders., DVBl. 2002, 141 (143 f.); Starck, JZ 2002, 1065 (1070); Böckenförde, JZ 2003, 809 (811 ff. m. w. N. in Anm. 16); Sacksofsky, KJ 2003, 274 (284). Vgl. hierzu auch BVerfGE 88, 203 (251 f.) – Schwangerschaftsabbruch (freilich für den Zeitpunkt ab Nidation). 95 Vgl. Sacksofsky, KJ 2003, 274 (278, 284). Dagegen spricht aber durchaus die Feststellung des BVerfG (E 88, 203 [252]), dass ein Prozess des Wachsens und Sich-Entfaltens als Mensch ohne Nidation nicht wirklich möglich ist. 96 Classen, DVBl. 2002, 141 (143, 145) unter Ablehnung verbrauchender Embryonenforschung. 97 A. A. insofern Classen, DVBl. 2002, 141 ff.: Verbrauchende Embryonenforschung im Inland verstoße gegen Art. 1 Abs. 1 GG, die Stammzellenforschung dagegen nicht, da es nicht Aufgabe des Grundgesetzes sei, die Würde von Embryonen im Ausland zu schützen. Anderes gelte nur, wenn die Tötung der Embryonen von Deutschland aus verursacht worden sei. Classen zeichnet damit die Argumentation des Gesetzgebers für das StZG nach. 98 Vgl. den Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT-Drs. 14/7546, S. 30 f. 99 Keller, MedR 1991, 11 (13).
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
b) Keine Menschenwürde des Embryos Eher am Rande der philosophisch-ethischen Debatte wird vertreten, dass dem Menschen Würde erst ab dem Zeitpunkt zukomme, in dem er sich seiner eigenen Subjektivität bewusst sei. Erst dann könne sich der Mensch auch seiner eigenen Würde bewusst sein und darin verletzt werden. Dieser Zeitpunkt wird zum Teil erst ab dem dritten Lebensjahr angenommen. 100 Verfassungsrechtlich wird diese Meinung, soweit ersichtlich, nicht aufgegriffen. Allerdings wird häufig auf den Zeitpunkt der Geburt abgestellt. Vorher komme dem Menschen keine Würde zu. 101 Die Rechtsprechung des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch wird dabei mit Hinweis auf deren Wertungswidersprüche entkräftet. Auch wird einem geklonten oder für Forschungszwecke bestimmten Embryo die Würde völlig abgesprochen, da er nicht zum Objekt gemacht werde, sondern bereits als Objekt hergestellt werde, das von Anfang an keinerlei Entwicklungsperspektiven habe. 102 c) Abgestufte und abwägbare Menschenwürde des Embryos Stark im Vordringen begriffen sind seit der Jahrtausendwende Meinungen, nach denen die Menschenwürde dem Embryo jedenfalls bis zur Nidation nicht zukomme 103 oder bis dahin bzw. darüber hinaus bis zur Geburt abwägbar sei. 104 Argument 100 Vgl. Heun, JZ 2002, 517 (522), der selbst Rechtssubjektivität erst nach der Individuation (ca. 14 Tage nach Befruchtung) annimmt. Eine Schutzpflicht bestehe nicht, der Gesetzgeber habe aber eine Wahlfreiheit, die Forschungsfreiheit soweit einzuschränken, dass ein Verbot verbrauchender Embryonenforschung wohl zulässig wäre (ders., a. a. O., 523 f.). 101 J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381 (1384); Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 112 ff.: Der Embryo sei nach geltendem Recht kein Inhaber subjektiver Rechte; ebenso Dederer, AöR 2002, 2 (17, 25): „Menschsein“ und der Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG bestünden erst ab Geburt; differenzierter Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 133 ff. (nur Vorwirkung von Grundrechten). 102 Dederer, AöR 2002, 2 (17, 25); ebenfalls J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381 (1384) und Paul, Stammzellen (2004), S. 71. 103 Solange habe der Embryo keinerlei Entwicklungschancen, vgl. hierzu z. B. Dederer, AöR 2002, 2 (9) unter Hinweis auf die Formulierung in BVerfGE 88, 203 (251 f.) – Schwangerschaftsabbruch; ähnlich Schmidt-Jortzig, Biomedizin (2003), S. 33. 104 Man ist fast geneigt von einer überwiegenden, wenn auch noch nicht herrschenden Meinung zu sprechen, zumindest was das Schrifttum seit 2001 anbelangt: siehe Herdegen, JZ 2001, 773 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 43 ff.; Heun, JZ 2002, 517 ff.; Kloepfer, JZ 2002, 417 (420) ist für eine wachsende „Anwartschaft“, die erst mit Geburt zum „Vollrecht“ wird; ähnlich Dederer, AöR 127 (2002), 2 (23, 25); ders., JZ 2003, 986 ff.; andeutungsweise Schreiber, MedR 2003, 367 ff. (Verbrauch überzähliger Embryonen sei zulässig); ebenso Schroth, JZ 2002, 170 (175 ff.); J. Ipsen, NJW 2004, 268 (269); ders., JZ 2001, 989 ff; Subjektsqualität erst ab Geburt ders., in DVBl. 2004,
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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dafür ist die Unantastbarkeit (d. h. Unabwägbarkeit) der Menschenwürde, die zu einer restriktiven Deutung und Beschränkung der inhaltlichen Konkretisierung auf einen engen Kern und evidente Verletzungen zwinge. Diese Ansichten lassen sich wohlwollend mit dem Motto „neue Probleme, neue Abwägung“ bezeichnen, polemischer mit „der Zweck heiligt die Mittel“. aa) Herdegens Kommentierung von Art. 1 Abs. 1 GG Exemplarisch für die neueren relativierenden Ansichten wird hier die von Herdegen dargestellt. 105 Ihr Schlüsselsatz lautet: „Trotz des kategorischen Würdeanspruches aller Menschen sind Art und Maß des Würdeschutzes für Differenzierungen durchaus offen, die den konkreten Umständen Rechnung tragen.“ 106 Diese Position hat viel Echo hervorgerufen 107 und enthält, kurz zusammengefasst, folgende Argumente: − Die Menschenwürde hat keinen eigenständigen objektiven Gehalt, sondern ist lediglich ein subjektives Abwehrrecht mit besonderer Rechtsfolge (der Unantastbarkeit). − Diese Rechtsfolge zwingt zu einer restriktiven Deutung und Beschränkung der inhaltlichen Konkretisierung auf einen engen Kern und eine evidente Verletzung. − Eine Abwägung ist im Rahmen einer Begriffskonkretisierung auf Tatbestandsebene möglich, solange nicht eine „Tabuzone“ betreten wird. − Beim pränatalen Würdeschutz sind Erzeugungsbedingungen und Lebensperspektiven des Embryos zu berücksichtigen. Dessen Erzeugung durch Invitrofertilisation zum Zweck der Stammzellgewinnung ist unzulässig. Das gilt nicht für das sog. therapeutische Klonen zur Stammzellgewinnung. Reproduktives Klonen verstößt nur gegen die Würde des genetischen Spenders. Der „Verbrauch“ überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken ist zulässig.
1381 (1384); ähnlich auch Paul, Stammzellen (2004), S. 54, 71; Wittreck, DÖV 2003, 873 (881) ist bei der Folter für Abwägung von Opfer- und Täterwürde; siehe auch Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 94 ff. Einen abgestuften Lebensschutz entwirft Dreier, ZRP 2002, 377 ff. (a. A. ausdrücklich Beckmann, ZRP 2003, 97 ff.); vgl. hierzu auch den Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BTDrs. 14/7546, S. 31 f. 105 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1, insb. in Rdnr. 43 ff. 106 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 50. 107 Böckenförde, FAZ vom 03. 09. 2003, S. 33 ff.; Müller, FAZ vom 29. 04. 2005, S. 1 f.; Schlink, Der Spiegel vom 15. 12. 2003, S. 50 (54); Laufs, MedR 2004, 583 (584); Reiter, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23–24/2004, 13 ff. Herdegens Kommentierung des Art. 1 GG im GG-Kommentar Maunz/Dürig ist im Jahre 2003 mit der 42. Lieferung an die Stelle der Kommentierung von Dürig aus dem Jahre 1958 getreten.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Herdegen sieht in Art. 1 GG vorrangig ein subjektives Grundrecht, da die Art. 2 ff. GG nicht zuverlässig gegen neuere Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit schützten. Der objektivrechtliche Gehalt von Art. 1 GG beschränke sich dabei auf die staatliche Schutzpflicht des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. Ein eigenständiger objektiver Gehalt, der den Schutz der menschlichen Gattung gebietet, wird von Herdegen abgelehnt, da die Würde des einzelnen Menschen, nicht die „Würde der Menschheit“ oder die „menschliche Würde“ geschützt seien. Art. 1 GG würde sonst zur „Hülse für populär-pädagogische Verhaltenserwartungen“. 108 Er kritisiert das „zähe Festhalten“ der Staatsrechtslehre an einem „überpositiven Charakter“ der Menschenwürdegarantie und sieht sie als „Einbruchstelle für naturrechtliche Vorstellungen“. Damit könne man nur auf das „Hohepriestertum seiner höchstpersönlichen Ethik“ setzen. 109 Auch wenn sich der Menschenwürde ein historisches Erniedrigungsverbot entnehmen lasse, gebe es hinsichtlich neuer „Bedrohungsszenarien“ eine gewisse Zukunfts- und Entwicklungsoffenheit des Begriffs der Menschenwürde. 110 Den zuverlässigsten Maßstab für tabuisierte Eingriffe liefere das Völkerrecht, da sich hierin der Konsens einer weltanschaulich homogenen Gemeinschaft widerspiegle. 111 Die Rechtsfolge der Unantastbarkeit erzwinge eine restriktive Deutung und Beschränkung der inhaltlichen Konkretisierung auf einen engen Kern und eine gewisse Evidenz der Verletzung. 112 Entscheidend ist nun, dass der Begriff der Menschenwürde für eine „wertendbilanzierende Konkretisierung“ geöffnet wird: Die Unantastbarkeit der Menschenwürde könne nur dann zu einem festen Begriffsinhalt führen, wenn ein abwägungsfester „Würdekern“ betroffen sei, der vor bestimmten Formen staatlichen Terrors schützen solle. 113 Die Rechtsfolge des Art. 1 Abs. 1 GG, die einer Abwägung eigentlich unzugängliche Unantastbarkeit, hebelt Herdegen also aus, indem er die Abwägung auf die Tatbestandsebene vorverlagert. 114 Sie habe sich nicht (wie bei der Kollision vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte mit anderen Verfassungsgütern) auf der internormativen Ebene zu vollziehen, sondern bereits „normimmanent“ bei der Konkretisierung des subjektiven Würdeanspruches. 115 108
Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 26 ff. So Herdegen, zit. von Müller, FAZ vom 29. 04. 2005, S. 1. Für Alexy, DZPhil 52 (2004), 15 ff., sind Menschenrechte ohne rationale universelle Metaphysik nicht vorstellbar. 110 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 34–37. 111 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 39. 112 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 41 f. Diesen Kernbereich nennt Herdegen an anderer Stelle „Tabuzone“. 113 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 43. 114 Ähnlich auch Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 94 ff. unter Berufung auf die Rspr. des BVerfG. 115 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 45. 109
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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Die gegenständliche Gleichsetzung von Schutzbereichseingriff und Würdeverletzung durch die herrschende Meinung sei von geringem Wert. 116 In Wirklichkeit existiere eine unterschiedliche Qualität des Würdeanspruchs. Dies zeige der einfachrechtliche Schutz des Embryos in vivo, der durch die Judikatur des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch bestätigt worden ist. Auch indiziere der aktuelle Diskurs über die Würdeschranken der Biotechnologie und Medizin entwicklungsabhängige Stufen des Würdeschutzes. 117 Zudem beweise die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des „großen Lauschangriffs“ (Art. 13 Abs. 3 bis 6 GG) die Abwägungsoffenheit des Würdeschutzes in seiner räumlich-gegenständlichen Dimension. 118 Konkrete Auswirkungen dieser grundrechtsdogmatischen Konzeption zeigen sich nun bei der Folter sowie dem pränatalen Würdeschutz: Schon die kategorische Einstufung einer (staatlichen) körperlichen „Misshandlung“ als Würdeverletzung bereitet Herdegen Schwierigkeiten. 119 Staatliche „Rettungsfolter“ sei nicht in jedem Fall unzulässig, weil sie nicht in völliger Abstraktion vom intendierten Lebensschutz als Würdeverletzung beurteilt werden könne. In eng begrenzten Ausnahmefällen könne – selbst wenn rein „modal“ eine Würdeverletzung vorläge – ihre Finalität (Schutz von Leib und Leben Dritter) eine Würdeverletzung ausschließen. 120 Ein postmortaler Persönlichkeitsschutz müsste eigentlich angesichts der streng subjektivrechtlichen Sichtweise Herdegens mangels Grundrechtsträgers ausscheiden. Doch hier nimmt er eine nachwirkende Respektierung des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen an, die beispielsweise den Leichnam schütze, durch Zeitablauf jedoch immer stärker „verblasse“. 121 Postmortaler wie pränataler Wür116
Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 69. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 65 f.; ders. in JZ 2001, 773 ff. Ob ein Diskurs als Argument für die Abwägungsoffenheit der Menschenwürde dienen kann, ist jedoch fragwürdig. Herdegens „Tabuzone“ unterliegt offenbar dem schweigenden gesellschaftlichen Konsens. Wird über Teilbereiche diskutiert, bricht dieser Konsens auf und das Tabu besteht nicht mehr. Die Menschenwürde befindet sich somit im „Fluß des bioethischen Diskurses“ (so ders. in JZ 2001, 773 ff.). Das eröffnet Interessengruppen beliebiger Couleur Gestaltungsmöglichkeiten. 118 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 87. Vgl. hierzu BVerfGE 109, 279 ff. – Großer Lauschangriff. 119 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 43. 120 So in Vorwegnahme des Falles „Daschner“ Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 90, 45. In der Neuauflage der Kommentierung soll Herdegen dem Vernehmen nach zurückhaltender sein: „Aus strategischen Gründen“ (nach Müller, FAZ vom 29. 04. 2005, S. 1). Mit ähnlichen Ergebnissen zur Folter wie Herdegen auch Wittreck, DÖV 2003, 873 ff. (m. w. N.) sowie Götz, NJW 2005, 953 (957), allerdings in Abwägung Würde gegen Würde. Zur Untauglichkeit einer solchen Abwägung Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 66. 117
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
deschutz seien keine Grundrechte, sondern lediglich verfassungsimmanente Begrenzungen vorbehaltlos gewährter Grundrechte (wie z. B. Art. 5 Abs. 3 GG), bei denen im Rahmen eines beachtlichen Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers eine Abwägung erfolgen müsse. 122 Einen Schwerpunkt der Kommentierung des Art. 1 GG nimmt dementsprechend der Embryonenschutz ein, weil hier die von Herdegen entwickelte Abwägungsmöglichkeit aktuell wird. Der Würdeschutz bei der Begründung menschlichen Lebens verlange eine „ganzheitliche Betrachtung“ von Erzeugungsbedingungen und Lebensperspektiven. Entscheidend sei dabei der subjektivrechtliche Bezug. 123 Der Beginn des pränatalen Würdeschutzes sei scharf vom Beginn eines grundrechtlichen Lebensschutzes zu trennen. 124 Herdegen spricht dem Embryo in vivo zwar ab Empfängnis Würdeschutz zu, aber der werde nicht durch Nidationshemmer oder Schwangerschaftsabbruch verletzt, weil sie ihm jegliche Entwicklungschancen abschnitten. 125 Dagegen komme dem Embryo in vitro Menschenwürde grundsätzlich nicht zu, erst recht sei es „absurd“, dies bei totipotenten Zellen oder Keimzellen annehmen zu wollen. 126 Die Erzeugung von Embryonen in vitro zum Zweck der Stammzellgewinnung spreche ihnen jedoch jeglichen Eigenwert ab und verletze ihre Würde. Diese Annahme stützten auch die Verbote des § 2 ESchG 127 und internationaler Übereinkommen. 128 Dagegen soll das sog. therapeutische Klonen 129 kein Würdeverstoß sein, da hier die Gewinnung von Stammzellmaterial im Vordergrund stünde. Der Würdeschutz erstrecke sich nicht auf den so erzeugten Embryo in vitro (und auch nicht auf den Spender des Zellkerns mit der Erbinformation), da eine Perspektive fehle, dass ein Mensch heranreift. Das Klonverbot des § 6 ESchG 130 verletze 121 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 54. D. h. postmortaler Persönlichkeitsschutz (nach Herdegen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) entspringt allein dem subjektivrechtlichen Gehalt dieser Normen. Dabei ist es viel überzeugender, einen objektivrechtlichen Gehalt aus Art. 1 Abs. 1 GG anzunehmen (so auch zu Recht BVerfGE 30, 173 [194] – Mephisto). 122 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 77. 123 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 93. 124 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 57. 125 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 104. 126 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 62 ff. 127 Siehe oben Fußn. 7. 128 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 96. Schlüssig erscheint diese Annahme Herdegens aber nicht, gerade wenn in Betracht gezogen wird, dass Embryonen, die zu Stammzelllieferanten werden sollen, ebenfalls keine Entwicklungsund Lebensperspektive haben. 129 Zum Begriff siehe oben Fußn. 53. 130 § 6 Abs. 1 und 2 ESchG: „Wer künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Foetus, ein Mensch oder
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deshalb Art. 5 Abs. 3 GG. 131 Das reproduktive Klonen 132 verstoße dagegen gegen Art. 1 Abs. 1 GG. Allerdings gründe sich dies nicht auf den vorwirkenden Würdeschutz des Klons, denn dieser habe keinen Anspruch auf Nichterzeugung. Verletzt werde vielmehr die Würde des geklonten genetischen Spenders, dessen Einverständnis seine Dispositionsbefugnis übersteige, weil sich ein solcher Reproduktionsprozess völlig von den natürlichen Zeugungsbedingungen entferne. 133 Bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen habe der Staat einen großen Gestaltungsspielraum, selbst wenn die Zellen durch würdeverletzenden Embryonenverbrauch gewonnen worden seien. 134 Der beschworene Schutz der Menschenwürde rechtfertige nicht die Import- und Verwendungsbeschränkungen des Stammzellgesetzes, da der anfangs durchaus bestehende Würdebezug mit jeder neuen Generation einer Stammzelllinie „verblasse“. 135 Beim Verbrauch überzähliger Embryonen im Inland zur Stammzellenforschung sei zwar die Nähe zur Menschenwürde größer, diese jedoch nicht eindeutig verletzt. 136 „Positive Eugenik“ oder Menschenzüchtung durch Eingriffe in das Erbgut oder durch eine Präimplantationsdiagnostik (PID) verletze ebenfalls nicht die Würde, in einer Beschränkung solcher Maßnahmen liege lediglich eine verfassungsrechtlich schwach determinierte Gestaltungsaufgabe des Gesetzgebers. 137 Erfolge allerdings ein Schwangerschaftsabbruch mit der Zielsetzung positiver Eugenik, sei die Würde tangiert. 138
ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einen in Absatz 1 bezeichneten Embryo auf eine Frau überträgt.“ 131 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 99. Diesen Unterschied im Gegensatz zur Produktion ungeklonter Embryonen zur Stammzellgewinnung (ders., a. a. O., Rdnr. 96) begründet Herdegen nicht. 132 Zum Begriff siehe oben Fußn. 53. 133 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 98. 134 Also auch, wenn die verbrauchten Embryonen ausschließlich zu diesem Zweck hergestellt worden sind, Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 96. 135 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 109. 136 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 76, 78. 137 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 102. Das ist z. B. der Fall, wenn der Gesetzgeber die Zulässigkeit der PID an bestimmte Voraussetzungen oder schwere Krankheiten knüpft. 138 „Tangiert“ bedeutet nach der Terminologie Herdegens, sie könne auch hinweggewogen werden. Es ist im Ergebnis nicht einsichtig, warum positive Eugenik durch einen Keimbahneingriff zulässig sein soll (Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I [2003], Art. 1 GG, Rdnr. 102), nicht aber durch einen Schwangerschaftsabbruch. Dieses Ergebnis ist jedoch Folge der Differenzierung des Schutzes eines Embryo in vitro und in vivo.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
bb) Kritik Herdegens Konzeption eines ausschließlich subjektiven Abwehrrechts ist grundsätzlich gut vertretbar. Dies gilt auch für seine Absage an das Naturrecht, aus dem Dürig den Gehalt der Menschenwürde herleitet. Mehr als kritikwürdig ist dagegen der Abbau des Würdeschützes nach den Angemessenheitsvorstellungen des jeweiligen Interpreten. Würdefremde Belange bestimmen einen nurmehr relativen Inhalt der Menschenwürde. 139 So sind denn auch die Ergebnisse, die der Interpret Herdegen erzielt, mehr als einmal weder vorherseh- noch nachvollziehbar und nichts anderes als Ergebnisse seiner höchstpersönlichen ethischen Vorstellungen. Vom Ergebnis der Abtreibungsrechtsprechung des BVerfG ausgehend (nicht von deren Begründung) erfolgt die Justierung der Verfassung anhand der einfachen Rechtsordnung. In diese „Einheit der Rechtsordnung“ werden – allerdings unter Ausschluss des Embryonenschutzgesetzes – die Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch ebenso integriert wie völkerrechtliche Vereinbarungen. 140 Um das Mittel der Abwägung anwenden zu können (freilich ohne genauere Abwägungsmaßstäbe zu entwickeln), wird es auf die Tatbestandsseite verlegt. Damit kann man zwar in den problematischen Einzelfällen die gewünschten Ergebnisse konstruieren, das ist aber methodisch genauso fragwürdig, wie den Zweck (die Finalität) einer Menschenwürdeverletzung zu berücksichtigen. Der Mensch soll durch Art. 1 Abs. 1 GG gerade vor Verzweckung geschützt werden. Nun rechtfertigt der Zweck die Mittel, d. h. die Verletzung der Menschenwürde. Dies zeigt sich insbesondere bei der Zulässigkeit der Folter zugunsten anderer hoher Rechtsgüter wie Leib und Leben. Sollte derart „nützliche“ Folter gestattet sein, dann verbietet die Menschenwürde letztlich nur sinnlose Folter, mithin also den staatlichen Sadismus. Gerade angesichts der historischen Ereignisse, die zum Postulat der Menschenwürde geführt haben, erscheint dies wie eine Verkehrung des Willens des Verfassungsgebers. 141 Zusätzlich fragt man sich, ob nicht
139 Vgl. Böckenförde, FAZ vom 03. 09. 2003, S. 33 ff.; Enders, in: Friauf/Höfling, BKGG, Bd I, (2003), Art. 1, Rdnr. 66. 140 Internationale Vergleiche zeigen, dass in Wirklichkeit in den verschiedenen Rechtsordnungen sehr heterogene Positionen verwirklicht sind und von einer internationalen Isolation Deutschlands beim Umgang mit dem ungeborenen Leben nicht gesprochen werden kann. Der Fundamentalwert der Menschenwürde wird international durchaus sehr unterschiedlich interpretiert, vgl. Taupitz, NJW 2001, 3433 (3440). Aufgrund seiner NSVergangenheit sollte hier Deutschland mit gutem Grund restriktiver sein und seine eigenen nationalen „Tabus“ haben. 141 Auf Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG soll in diesem Zusammenhang nur am Rande hingewiesen werden (siehe hierzu auch Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I [2003], Art. 1, Rdnr. 101).
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jedenfalls die auch international geächtete Folter genau zu jenem „Würdekern“ (zu jener „Tabuzone“ also) gehört, der eben jener „normimmanenten bilanzierenden Konkretisierung“ Herdegens für immer verschlossen bleiben muss. Was diesen Würdekern auszeichnet, bleibt ebenfalls unbestimmt und für die jeweilige Interpretation offen. Gerade weil weder auf historische Erfahrungen noch auf naturrechtliche oder staatsphilosophische Grundsätze zurückgegriffen wird, die 1949 dem Verfassungsgeber vor Augen standen, kommt es hier zu einer gewissen Beliebigkeit. 142 Nach Herdegens Vorstellung schützt nicht die Verfassung vor der Folter, sondern ein (noch) bestehender gesellschaftlicher Konsens. Entfiele dieser, wäre Art. 1 Abs. 1 GG unverbindliche Verfassungslyrik. Bei seiner Argumentation zu einzelnen Problemen des pränatalen Würdeschutzes scheint sich Herdegen vordergründig von der internationalen Rechtslage leiten zu lassen. So ist das sog. reproduktive Klonen international geächtet. 143 Folgerichtig verbietet es sich auch für Herdegen. Es sei eine Würdeverletzung. Zugleich soll aber dem geklonten Embryo kein Würdeschutz zukommen. So muss als Grundrechtsträger der geklonte genetische Spender herhalten, der durch die Klonierung in seiner Würde verletzt sein soll. Setzt man dieses Ergebnis nun in Bezug zum „verblassenden“ postmortalen Würdeschutz Herdegens, müsste das sog. reproduktive Klonen eines lange Verstorbenen zulässig sein. Hier müsste dann die Forschungsfreiheit überwiegen. Der Klonierung historischer Persönlichkeiten aus wissenschaftlichem Interesse stünde also nichts entgegen. Eine Verletzung der Würde des Klons bzw. des klonierten Embryos kann für Herdegen nicht in Frage kommen, weil sonst konsequenterweise auch das Forschungsklonen eine Würdeverletzung darstellen müsste; ein objektives Prinzip lehnt er ab. Genauer betrachtet führt Herdegens Konstruktion also nicht nur bei der Folter zu Ergebnissen, die gerade nicht internationalen Übereinkünften entsprechen. 144
142 Herdegen missachtet die Deutungshoheit des Verfassungsgebers bei der Bestimmung dessen, was Inhalt des Begriffs „Menschenwürde“ sein soll. Siehe zur Bedeutung der historischen Auslegung als unverzichtbaren ersten Schritt der Norminterpretation: Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 515 (Rdnr. 812). 143 Das Klonprotokoll ächtet die Erzeugung menschlicher Lebewesen, die mit anderen lebenden oder toten Lebewesen identisch sind, Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 98. 144 Eine Güterabwägung, wie sie bei der Rettungsfolter angewendet wird, ließe sich im Rahmen von Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“) nach Herdegen „nur auf der Ebene der Subsumtion unter die geächteten Maßnahmen“ vornehmen (Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG [2003], Art. 1, Rdnr. 90, 45). D. h. Rettungsfolter darf nach Herdegen nicht unter den Begriff „Folter“ oder „erniedrigende Behandlung“ i. S. d. EMRK subsumiert werden. Die ausnahmsweise Zulässigkeit von Folter wurde erstmals von Brugger vertreten: siehe hierzu Brugger, Der Staat 1996, 67 ff.; ders., JZ 2000, 165 ff.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Zusammengefasst ist das Konzept einer abwägbaren Menschenwürde nicht geeignet, die Probleme in der Bio- und Gentechnik zufriedenstellend zu lösen, obwohl diese zu einem großen Teil Gegenstand von Herdegens Überlegungen zu Art. 1 GG sind. Es liegt nämlich in der Logik der Abwägung, dass sie alles und auch jedes Tabu verflüssigt und verflüchtigt. 145 Stattdessen manifestiert sich die Gefahr eines Dammbruchs 146 und einer Verzweckung menschlichen Lebens, wie sie viele Gegner eines abgestuften oder abwägbaren Menschenwürdekonzeptes fürchten, bereits anschaulich in der Argumentation eines der prominentesten Vertreter dieser Ansicht. 2. Eigene Stellungnahme zur Menschenwürde Die Menschenwürde ausschließlich als Alternative aus subjektivem (Grund-) Recht oder objektivem Prinzip der Verfassung zu sehen, greift zu kurz. Die Menschenwürde gilt sowohl für jeden einzelnen Menschen wie auch für den Menschen allgemein, die Formulierung „Würde des Menschen“ deckt beides ab. 147 Sie ist ein objektivrechtlicher Rechtssatz mit subjektivrechtlichem Charakter. 148 In ihr sind staatliche Schutzpflichten enthalten, die subjektive Rechte reflektieren und damit eine subjektivrechtliche Leistungsdimension entfalten. 149 Welchen subjektivrechtlichen „Status“ der Embryo in vitro dabei haben könnte, kann dahingestellt bleiben, 150 wenn man sich die objektivrechtliche Dimension des Menschenwürdeschutzes vor Augen führt. 151 Dieser ist beispielsweise beim postmortalen Persönlichkeitsschutz anerkannt.
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So Schlink, Der Spiegel vom 15. 12. 2003, S. 50 (54). Vgl. die Darstellung von Taupitz, NJW 2001, 3433; Classen, DVBl. 2002, 141 (146). Zum „ethischen Argument der abschüssigen Bahn“ im Zusammenhang mit der PID: F. Herzog, ZRP 2001 393 (395). 147 Böckenförde, JZ 2003, 809 (811). 148 Stern, in: Brenner/Huber, FS Badura (2004), S. 571 (575). Zum Doppelcharakter der Menschenwürde siehe auch Trute, in: Hanau/Leuze, GS Krüger (2001), S. 385 (392 ff.) sowie unten Viertes Kapitel, B. II. 2. 149 Stern, in: Brenner/Huber, FS Badura (2004), 571 (582). 150 In der Tat fällt es schwer, einem Embryo im Blastozystenstadium mit gleicher Intensität subjektivrechtlich Menschenwürde zuzuerkennen wie einem geborenen Menschen. Dies ist auch über die Verfassungsdogmatik hinaus, insbesondere der Forschung, kaum vermittelbar, vgl. Schulz, ZRP 2003, 362 (366). 151 Zur Gefahr einer isolierten objektiven Betrachtungsweise: Enders, Jura 2003, 666 (670), der die Menschenwürde als „Grund“ aller Grundrechte betrachtet, der nicht über die Einzelgewährleistungen der Grundrechte hinausgeht, sondern vorausgesetzt wird (ders., a. a. O., 672). Das BVerfG wendet Art. 1 Abs. 1 GG auch in beiderlei Gestalt an: Objektiv beim postmortalen Persönlichkeitsschutz, subjektiv beim Schutz des ungeborenen Lebens. Trute, in: Hanau/Leuze, GS Krüger (2001), S. 385 (395) hält die objektivrechtliche Dimension des Art. 1 Abs. 1 GG als Grundlage für den Embryonenschutz für ausreichend. 146
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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a) Postmortaler und pränataler Würdeschutz Ein toter Mensch kann definitiv kein Grundrechtsträger mehr sein. 152 Wird nun dennoch ein postmortaler Persönlichkeitsschutz grundrechtsdogmatisch anerkannt, kann dieser nur Ausfluss der Menschenwürde als objektivem Verfassungsprinzip sein. Hierzu führt das BVerfG (in Bezug auf die Kunstfreiheit) aus: Das Menschenbild, das Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde liegt, wird durch die Freiheitsgarantie in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ebenso mitgeprägt wie diese umgekehrt von der Wertvorstellung des Art. 1 Abs. 1 GG beeinflußt ist. Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ist ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. 153
Für die Forschungsfreiheit kann nichts anderes gelten. Postmortaler Persönlichkeitsschutz wird nicht der Toten wegen, sondern der Lebenden wegen gewährt. 154 Sie wären in ihrer Würde tangiert, müssten sie zu Lebzeiten hinnehmen, dass die Rechtslage die Achtung ihrer Persönlichkeit nach ihrem Tode nicht mehr schützt. Somit hat auch eine rein objektive Sichtweise einen subjektiven Schutz zur Folge. Es ist für jedes menschliche Individuum eine existentielle Frage, wie mit dem Menschen und menschlichem Leben umgegangen wird. 155 Gleiches muss auch für einen pränatalen Würdeschutz gelten. Da menschliches Leben mit der Befruchtung der Eizelle entsteht, muss es objektiv Würdeschutz genießen – nicht des Embryos wegen, sondern der bereits geborenen Menschen wegen, auf deren Zusammenleben es sich jedenfalls mittelbar auswirkt, wie mit menschlichen Embryonen verfahren wird und was der Rechtsordnung menschliches Leben an dessen Beginn wert ist. Wird mit werdendem Leben und menschlicher Einzigartigkeit würdelos verfahren, ist die Würde aller in Gefahr. Es 152 So BVerfGE 30, 173 (194) – Mephisto: „Die Fortwirkung eines Persönlichkeitsrechts [aus Art. 2 Abs. 1 GG – d. Verf.] nach dem Tode ist jedoch zu verneinen, weil Träger dieses Grundrechts nur die lebende Person ist; mit ihrem Tode erlischt der Schutz aus diesem Grundrecht“ (a. a. O., 194). Inkonsequent insofern BVerfGE 75, 369 (380), wonach in bestimmten Fällen das Persönlichkeitsrecht allein durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sein soll (hier eines karikierten Politikers). 153 BVerfGE 30, 173 (194) – Mephisto. Der postmortale Würdeschutz schwinde langsam in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen schwinde (a. a. O., 196). Die Spannungslage zwischen Menschenwürde und Kunstfreiheit müsse hier durch eine Abwägung gelöst werden (a. a. O., 197 f.). 154 Ebenfalls, beschränkt jedoch auf die Angehörigen, Enders, in: Friauf/Höfling, BKGG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 121. 155 Besonders umstritten in den letzten Jahren: Die Ausstellung „Körperwelten“. Der VGH München ging davon aus, dass die Plastination von Leichen wissenschaftliche Forschung und deren Präsentation wissenschaftliche Lehre seien, da populärwissenschaftlich anatomische Gegebenheiten vermittelt würden (VGH München vom 21. 02. 2003, NJW 2003, 1618 [1620]). Gleicher Ansicht Bremer, NVwZ 2001, 167 ff.; krit. hierzu zu Recht Finger/Müller, NJW 2004, 1073 (1075).
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Menschenbild und das Selbstverständnis als Gattung, wenn das früheste Stadium des Lebens als instrumentalisierbares, verfügbares Material behandelt würde. 156 Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang zwischen objektivem Schutz und subjektiver Würde geborener Personen, wenn eine würdelose Behandlung am Lebensanfang (beispielsweise durch die Klonierung, die Selektion 157 einer PID oder durch eine gentechnische Veränderung der DNA) zu geborenem Leben wird. Die Frage, was es für die Würde eines lebenden Menschen bedeutet, dass Andere und nicht die Natur über seine genetische Zusammensetzung entschieden haben, ist noch kaum gestellt worden. 158 Die Würde dieses Menschen gilt es bereits objektiv im Vorfeld zu schützen. Sie steht höher als der Würdeanspruch, auf den sich die Eltern berufen könnten. Ebenso steht der Würdeschutz des Embryos in vitro, aus dem Stammzellen gewonnen werden, über den Rechten der Forscher oder der Kranken. Würde man hier den Würdeschutz versagen, müsste man erst recht Organe Exekutierter importieren dürfen, 159 denn konkret vom Tode bedrohte und schwer leidende Menschen warten auf eine Transplantation und damit auf eine derzeit mögliche Heilung, die nicht ferne Zukunftsmusik ist. Aber nach dem Transplantationsgesetz dürfen im Ausland gewonnene Organe nur dann nach Deutschland vermittelt werden, wenn die Organentnahme „mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten“ nicht offensichtlich unvereinbar ist. 160 Auch ist der Organhandel bei Strafe verboten. 161 Dies stellt einen klaren Wertungswiderspruch zum Stammzellgesetz dar. Würde man jedoch im 156 Gleiches gilt auch für Menschen, die sich ihrer Subjektivität nicht (mehr) bewusst sind, z. B. unheilbar bewusstlos Kranke, an denen „verbrauchende“ Experimente ebenfalls nicht zulässig sind (vgl. Classen, WissR 1989, 235 [243 f.]). 157 Die PID sei Selektion von unwertem Leben, so Starck, JZ 2002, 1065 (1071). Zur präimplantativen und pränatalen Selektion als Diskriminierungsproblem vgl. Lübbe, MedR 2003, 148 ff.; sowie aus ethischer Sicht Joerden, Menschenleben (2003), S. 73 ff. 158 Vgl. Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 132: Beschränkungen ließen sich mit späteren Rechten eines Grundrechtsträgers begründen; die Frage stellen auch Habermas, Zukunft (2001), S. 80 ff. und Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 (206). Hans Jonas, zit. von Hornung, in: Holzhey/ Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 63 (75) vertritt hierzu folgende Meinung: Der Klon sei im Voraus jeder Freiheit beraubt, sich zu einem Individuum zu entwickeln, was ein „unsühnbares Verbrechen“ sei. 159 Vgl. hierzu das Beispiel des Abg. Wolfgang Wodarg in der Stammzelldebatte am 30. 01. 2002, BT-Protokoll 14/214, 21202 f. 160 § 12 Abs. 1 Satz 4 des Transplantationsgesetzes (vom 05. 11. 1997, BGBl. I 1997, 2631, zuletzt geändert durch Art. 14 V vom 25. 11. 2003 BGBl. I 2304). Die Organe dürfen nach dieser Norm nicht nach Deutschland vermittelt werden, da dies ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 sowie Art. 102 GG wäre (BT-Drs. 13/8017, 42 f.). Allg. zur Organtransplantation Deutsch/Spickhoff , Medizinrecht (2003), S. 433 ff., Rdnr. 619 ff.
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Transplantationsrecht die Schranken öffnen, die die Menschenwürde setzt, dann wäre Würde wahrlich nur noch eine Frage des Preises. 162 b) Marktpreis der Menschenwürde In einer technisierten Gesellschaft hat die Menschenwürde einen Marktpreis, wenn sie der Verwirklichung individueller Freiheit im Wege steht. Dieser Preis bestimmt, ob und wieweit der gesellschaftliche Konsens bereit ist, einen Würdeschutz zu tragen. 163 Menschenwürde wird nur solange und soweit geschützt, als sie technisch realisierbarer Freiheit nicht entgegensteht und damit nicht zu teuer wird. Gerade das will Art. 1 Abs. 1 GG verhindern. Nach Kant hat der Mensch keinen Preis, sondern eine Würde. 164 Doch technischer Fortschritt führt nach Burmeister dazu, dass sich das ursprüngliche Freiheitsverständnis wandelt, nach dem sich Freiheit definiert als „Eigentätigkeit, in die der Mensch sein Wesen einlegt, Eigenverantwortung, für die er mit seiner Person einsteht, freie Bejahung der Pflichten, die das gemeinsame Ganze auferlegt“. 165 Technischer Fortschritt ist nicht mit sozialem Fortschritt oder gar Glück gleichzusetzen. 166 Im Gegenteil: Eine solche Annahme gefährdet die Freiheit. Das klassische Freiheitsverständnis wird dann Schritt für Schritt durch ein Bewusstsein ersetzt, das in der unbedingten Teilhabe an den Produkten des technischen Fortschritts die zentrale Voraussetzung menschenwürdiger und freiheitlicher Lebensbedingungen erblickt. Der Ausstattung mit diesen vermeintlich beglückenden Gütern wird größeres Gewicht beigemessen als der Gewissheit, vor dem erniedrigenden und entrechtenden Zugriff des Staates sicher zu sein. 167 Würde befindet sich in Konkurrenz zu anderen Rechten. Die Mechanismen des Marktes scheinen entscheidend zu sein, wenn es darum geht, dem Menschen
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§§ 17, 18 Transplantationsgesetz. Das Verbot dient auch dem Schutz der Menschenwürde; vgl. hierzu die Begründung des Gesetzgebers in BT-Drs. 13/4355, S. 10 ff., 29. Siehe zu Organhandelsverbot, Biomedizinkonvention und EU: König, MedR 2005, 22 (25), der das Gewinnverbot als durchlöchert und unglaubhaft ansieht, da zwar der Handel mit Körpersubstanzen zu Heilzwecken verboten, zu Forschungszwecken jedoch erlaubt sei. 162 Die Menschenwürde ist jedoch verletzt, wenn der Mensch (bzw. seine sterblichen Reste) zum Objekt finanzieller Interessen werden (BT-Drs. 13/4355, S. 29). Nichts anderes kann am Lebensanfang gelten. 163 Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (89). 164 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 78: „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“ 165 Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (88). 166 Siehe bereits Weber, Wissenschaft als Beruf (1919/1995), S. 25. 167 Vgl. Marcuse, Eindimensionaler Mensch (1964/1998), S. 21 ff.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
realisierbare Freiheit zu verschaffen. Gleiches gilt auch für den Wert der Menschenwürde. Diese Würde müsste der Gesellschaft eigentlich etwas wert sein, denn sie bringt als Basis aller Freiheit unbezahlbare Vorteile. c) Keine Parallele: Schwangerschaftsabbruch Den Schwangerschaftsabbruch kennzeichnet ein einzigartiger Konflikt zwischen zwei individuellen Grundrechtsträgern. 168 Wie das BVerfG festgestellt hat, kommt hier dem Lebensrecht des Embryos und damit seiner Würde grundsätzlich der Vorrang zu, während die Frau grundsätzlich die Verpflichtung trifft, das Kind auszutragen. 169 Diese Pflicht verletzt auch nicht die Würde der Frau. 170 Aus diesem Grund kann einem absoluten Schutz des Embryos in vitro nicht die gesetzliche Regelung für den Schwangerschaftsabbruch entgegengehalten werden. 171 Ebenso wenig folgt daraus ein abgestuftes Lebensrecht im grundrechtsdogmatischen Sinne. 172 Nicht die zeitliche Embryonalentwicklung ist für die Vorschriften der §§ 218 ff. StGB maßgebend, sondern es werden unterschiedliche Interessenkonflikte geregelt, die zu bestimmten Zeitpunkten entstehen und die mit Mitteln des Strafrechts gelöst werden sollen.
168 Die Einzigartigkeit des Konflikts bestreitet dagegen Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 89 ff.; J. Ipsen, NJW 2004, 268 spricht von einer „nur als grotesk [zu] bezeichnenden Widersprüchlichkeit“, mit der das Lebensrecht des Embryo in vitro postuliert, gleichzeitig aber „mit der gleichen erbarmungslosen (Doppel-)Moral“ andererseits das Recht verteidigt werde, einen Embryo in utero „abzutreiben“. 169 BVerfGE 88, 203 (252 f., 255) – Schwangerschaftsabbruch. Wo menschliches Leben existiere, komme ihm Würde zu (E 88, 203 [252]; ebenso in E 39, 1 [42]); krit. zur Position des BVerfG Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 126 ff. 170 BVerfGE 88, 203 (255); nach J. Ipsen, NJW 2004, 268 hat das BVerfG damit der „Rabulistik Vorschub geleistet“. 171 „Aber die vermuteten Parallelen trügen“, so Habermas, Zukunft (2001), S. 56 ff.; ebenfalls für eine unterschiedliche Behandlung von ungewollten Schwangerschaften und Embryoselektion und -forschung Mildenberger, MedR 2002, 293 ff.; Classen, DVBl. 2002, 141 (143, 145); „nicht willkürlich“ ist eine Ungleichbehandlung auch für Kloepfer, JZ 2002, 417 (425); ebenso Starck, JZ 2002, 1065 (1070 f.). Die Unterschiede zur Embryonenforschung erkennt zwar auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 89 ff., er macht jedoch die geltende Abtreibungsregelung zum Ausgangspunkt seiner (sophistischen) Überlegungen, die dazu führen, dass der Embryo trotz des Ausgangspunktes des BVerfG verfassungsrechtlich nicht geschützt sein kann (ders., a. a. O., S. 112 ff.). Es ist jedoch genauso möglich, den gegenteiligen Schluss zu ziehen: Der grundrechtsdogmatische Ansatz des BVerfG ist richtig, und das geltende Abtreibungsrecht ist verfassungswidrig (oder ist es nur nicht, weil jede andere Regelung unverhältnismäßig wäre); vgl. hierzu die Rezension zu Merkel, a. a. O., von Schmidt-Recla, MedR 2003, 342. 172 Vgl. Beckmann, ZRP 2003, 97 ff. sowie oben Fußn. 75.
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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Eine Verletzung der Menschenwürde des Embryos ist damit jedoch nicht verbunden. Beim (zulässigen) Schwangerschaftsabbruch wird der Embryo nicht „verzweckt“, 173 er wird nicht zum bloßen Objekt staatlichen oder privaten Handelns. Stattdessen müssen entweder seine Rechte in einer feststellbaren Notlage der Frau zurücktreten, in der es ihr unzumutbar wäre, das Kind auszutragen und zu betreuen (hier steht letztlich Würde gegen Würde). 174 Oder das ungeborene Leben kann in einem frühen Stadium in einer Not- oder Konfliktlage, die nur die betroffene Frau mit einer höchstpersönlichen Gewissensentscheidung lösen kann, pragmatisch nicht ohne deren Mitwirkung staatlich geschützt werden. 175 Damit kann der Gesetzgeber zulässig zur Einschätzung kommen, dass hier das Strafrecht als Mittel des Würde- und Lebensschutzes untauglich ist. So stellt denn das BVerfG auch fest, alle Erfahrungen mit bisherigen strafrechtlichen Regelungen seien wenig ermutigend. 176 Der Zwang zu illegalen Schwangerschaftsabbrüchen und „Abtreibungstourismus“ bedeutet in der Tat für die Betroffenen unzumutbare Belastungen und ist kein probates Mittel, um das ungeborene Leben zu schützen. Dagegen war es Ziel der Liberalisierung der §§ 218 ff. StGB, die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche zu senken. 177 Aufgeschnürt werden müsste jedoch die gesetzliche Regelung der sog. medizinischen Indikation, in der die eugenische Indikation aufgegangen ist. Hier ist weder eine Frist noch eine Beratung vorgesehen. 178 Damit sind in Extremfällen Spätabtreibungen möglich, obwohl der Fötus schon außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre. 179 Dies führt in der Tat zu einem gewissen Wertungswiderspruch mit der PID, wenn diese gesetzlich verboten bleiben sollte, während eugenische 173 Ein anderes Verständnis von „Verzweckung“ bzw. „Instrumentalisierung“ hat Schroth, JZ 2002, 170 (179): Auch die „Pille danach“ sei eine „Instrumentalisierung“. 174 Dann besteht eine Indikationslage, die den Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt, BVerfGE 88, 203 (257); vgl. § 218a Abs. 2 und 3 StGB. 175 BVerfGE 88, 203 (261 ff., insb. 263). Zwar bleibt hier der Schwangerschaftsabbruch rechts- und verfassungswidrig, nicht verfassungswidrig ist es jedoch, dass er unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar ist, weil durch Strafnormen das ungeborene Leben nicht wirksam geschützt werden kann (sog. Fristenlösung, vgl. § 218a Abs. 1 i. V. m. § 219 StGB). Das gleiche Argument findet sich auch bei Classen, DVBl. 2002, 141 (143). 176 BVerfGE 88, 203 (263). 177 Vgl. Beckmann, ZRP 2003, 98. Zwischen 1996 und 2004 ist nach den Zahlen des Stat. Bundesamtes die absolute Zahl der Schwangerschaftsabbrüche (ca. 130.000 jährlich) sowie die Quote pro 10.000 Frauen im gebärfähigen Alter (ca. 75 jährlich) relativ konstant geblieben. Ein Vergleich mit den niedrigeren Zahlen aus den Zeiträumen zuvor ist aus statistischen Gründen nicht möglich, da hier eine andere Rechtslage (reine Indikationslösung) herrschte, die zu einer höheren Dunkelziffer geführt hatte. 178 § 218a Abs. 2 und 3 StGB. Beratungspflicht und Fristen gelten nur in den Fällen des § 218a Abs. 1 StGB. Probleme ergeben sich durch die verbesserten Methoden der Pränataldiagnostik (PND). Damit besteht die Gefahr der sozialen Rechtfertigungsbedürftigkeit bestimmter Schwangerschaften (vgl. bereits Hofmann, JZ 1986, 253 [256]).
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Spätabtreibungen weiter zulässig sind. 180 Allerdings ermöglicht der Schwangerschaftsabbruch im Gegensatz zur PID keine gezielte Selektion. d) Das Stammzellgesetz als Testlauf? Das Stammzellgesetz regelt nur eine Detailfrage der biotechnolgischen Forschung. Aber gerade deshalb ist es verfassungsdogmatisch brisant. Denn die umstrittene Frage, ob verbrauchende Embryonenforschung, sog. therapeutisches Klonen oder die PID in Deutschland zugelassen werden sollen und zugelassen werden können, ist mit dem Stammzellgesetz nicht beantwortet. Seine Entscheidungen regeln den Embryonenschutz nicht abschließend. Aber sie eröffnen neue Wege für dessen Aufweichung. Der Kompromiss des Stammzellgesetzes kann als Testlauf für zukünftige Regelungen dienen, beispielsweise für eine „Generalüberholung“ des ESchG oder ein Fortpflanzungsmedizingesetz. 181 Dabei ist das Ziel der maßgeblichen Forscher klar: Sie wollen die Zulassung der Embryonenforschung in Deutschland und propagieren hierfür die „normative Kraft des Fiktiven“. 182 Allerdings ist, wie gezeigt, die gefundene Konfliktlösung inkonsistent und inkonsequent. Solange nicht die zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen – nämlich der Konflikt zwischen den Ansprüchen auf Freiheit (der Forschung, der Eltern, der Patienten) und der Menschenwürde (hinter der sich ebenfalls Freiheit verbirgt) – geklärt sind, wird die Diskussion um den rechtlichen
179 Zur Spätabtreibung als juristischem Problem siehe Deutsch, ZRP 2003, 332 ff. Die Zahl von eugenisch bzw. embryopathisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht bekannt, vgl. Dreier, ZRP 2002, 377 (381). Starck, JZ 2002, 1065 (1071) hält einen Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischen Gründen für rechtswidrig, wenn auch nicht für verfassungswidrig. 180 Die PID ist nach der hier vertretenen Lösung ebenfalls mit der Menschenwürde unvereinbar, vgl. hierzu Starck, JZ 2002, 1065 (1071); Eibach, MedR 2003, 441 ff.; F. Herzog, ZRP 2001, 393 ff.; Sacksofsky, KJ 2003, 274 ff.; a. A. für eng umgrenzte Fälle unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten: Frommel, KJ 2002, 411 (422 ff.); Giwer, Präimplantationsdiagnostik (2001), insb. S. 142 ff. 181 Raasch, KJ 2002, 285 (295). Ein Fortpflanzungsmedizingesetz soll alle mit der Reproduktionsmedizin zusammenhängenden Fragen regeln. Darin ginge es dann nicht nur um Frühdiagnostik (PID und PND), sondern auch um Leihmutterschaft, Eizellspende und die künstliche Befruchtung bei nicht verheirateten Paaren; vgl. hierzu Laufs, Fortpflanzungsmedizingesetz (2003). 182 So die Vermutung des Abg. Hermann Kues, BT-Protokoll 14/214, 21194, die sich in Der Spiegel 35/2004 vom 23. 08. 2004, S. 117 ff. („Klonverbot schlägt deutsche Stammzellenforscher in die Flucht“) bestätigt; mit einem Formulierungsvorschlag, wie Stammzellgewinnung im Inland erlaubt werden könnte: Merkel, Forschungsobjekt Embryo (2002), S. 271 f. Zum propagandistischen Einsatz der „normativen Kraft des Fiktiven“, die über die „normative Kraft des Faktischen“ [siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb) (4)] hinausgeht, siehe Mieht, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (62).
A. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen
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Status des Embryos in vitro weitergehen, ohne dass klare Antworten gefunden werden. Dabei ist zu befürchten und zu erwarten, dass in den nächsten Jahren die überwiegende Meinung zur Menschenwürde dem durch das Stammzellgesetz eingeleiteten Paradigmenwechsel folgen wird. 183 Es mag dahin gestellt bleiben, ob es wirklich die Funktion des Rechts sein soll, Technik zu ermöglichen. 184 Allein der Druck des vermeintlichen Sachzwanges, 185 die Embryonenforschung verfassungsrechtlich rechtfertigen und zulassen zu müssen, um den Anschluss an den internationalen Forschungswettbewerb nicht zu verlieren, wird ausreichen, die Menschenwürde hier und dort abzustufen und abzuwägen. Wenn es heißt, der Wirtschaftsstandort Deutschland benötige Zukunftstechnologien wie die Embryonenforschung, ist dies angesichts der gegenwärtig schwierigen sozialen und ökonomischen Situation ein politisch gewichtiges Argument. 186 Ob es (ökonomisch) zu Recht oder zu Unrecht vorgebracht wird, sei dahingestellt. Jedenfalls ist die Embryonen- und Stammzellenforschung ein Markt, der viel Profit verspricht. 187 Aber auch die Diskussion um das Folterverbot anlässlich des Falles Daschner zeigt, dass sich die Stimmen mehren, für die die Menschenwürde unantastbar war. 188 In einer globalisierten Welt, in der Volkwirtschaften und Betriebe einem immer stärkeren ökonomischen Wettbewerb und Konkurrenzdruck ausgesetzt sind und diesen zugleich ausüben, kommt dem Individuum mehr und mehr eine Zweckfunktion zu: als Konsument, als Unternehmer, als Kostenverursacher, als Steuerzahler, 183 Laufs, MedR 2004, 583 (584) spricht von „Epochenwechsel“. Ein Paradigmenwechsel ist nach Thomas S. Kuhn eine wissenschaftliche Revolution (vgl. Kuhn, Struktur wiss. Revolutionen, insb. S. 25 ff.; siehe hierzu auch Trute, Forschung [1994], S. 70 ff.). Sie tritt dann auf, wenn in der Wissenschaft Abweichungen auftreten, welche nicht mehr durch das allgemeinhin geltende Paradigma erklärt werden können. Das bis 2001 geltende Paradigma war das der unantastbaren Menschenwürde (u. a. des Embryos). Das neue Paradigma ist das einer abwägbaren (oder abgestuften) Menschenwürde. 184 So jedenfalls Kloepfer, JZ 2002, 417 (419). 185 Siehe hierzu Mieht, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (61 f.): Das Paradigma der Biotechnik übe eine „Sachzwangherrschaft“ aus. 186 Vgl. Kettner, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23–24/2004, S. 14 (21): „Die Darstellung einer biopolitschen Entscheidungslage als ein Sachzwang der Ökonomie [ist] nichts anderes als die Unterordnung der Bioethik unter die Wirtschaftsethik und letztlich überhaupt der Politik unter die Interessen privatwirtschaftlicher Interessen.“ 187 Dies ist wohl der Grund, warum der Gesetzgeber im StZG Forderungen von Ethikrat und Enquete-Kommission nach einem Publikationsgebot und einem Kommerzialisierungsverbot nicht gefolgt ist (siehe oben Fußn. 40). 188 So deutlich zur Kommentierung von Herdegen (noch vor dem Fall „Daschner“) Böckenförde, FAZ vom 03. 09. 2003, S. 33 ff.; mit ähnlicher Kritik („schwerster Schlag für die Garantie der Menschenwürde“) Schlink, Der Spiegel vom 15. 12. 2003, S. 50 (54) sowie Laufs, MedR 2004, 583 (584).
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
als Arbeitgeber oder -nehmer, als Ersatzteillieferant, als Humankapital oder Menschenmaterial. 189 Die Frage ist dabei, ob sich die Menschenwürde wirklich als zentraler Ansatz für die juristische Auseinandersetzung und Bewältigung dieser Entwicklung eignet. 190 Sicherlich ist die moralische Kritik an der Stammzellenforschung und anderen Zweigen biotechnologischer Forschung dort am wirkungsvollsten, wo unter Berufung auf die Menschenwürde argumentiert wird, diese Forschung sei verwerflich. 191 Doch die Komplexität der moralischen Problemlage würde zu sehr vereinfacht, wenn man den gordischen Knoten der neuen Verteilungskämpfe um Lebenschancen allein mit Überlegungen zum Begriff der Würde und Art. 1 Abs. 1 GG durchschlagen könnte. Wer mit der Menschenwürde alle moralisch aufgeladenen Interessengegensätze lösen will, läuft Gefahr, unfreiwillig von der Überschätzung zur Entwertung dieser Idee zu wechseln. 192 Eine Enttäuschung wäre unvermeidlich. Verfassungen sind grundsätzlich interpretationsoffen und nicht auf eine bestimmte Ethik festgelegt. Wird vom „Menschenbild des Grundgesetzes“ gesprochen, dann ist es nicht nur in der Menschenwürde manifestiert, sondern muss aus einer Gesamtbetrachtung der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen gewonnen werden. 193 Auch weil sich die Debatte im Streit über den verfassungsrechtlichen Status des Embryos festgefahren hat, ist die Fixierung auf die Menschenwürde angesichts der neuen Entwicklungen nicht nur im Bereich der Bio- und Gentechnik bei weitem nicht ausreichend. 194
189 Hier sind auch die Euthanasie-Debatte, das Organtransplantationswesen und die Finanzierung des Gesundheitswesens Bereiche, in denen es zu schweren ethischen Auseinandersetzungen kommt. So kann die Abstufung des Würde- und Lebensschutzes für das vorgeburtliche Leben durchaus eine Abstufung am Lebensende mit sich bringen (dagegen verwahrt sich jedoch Dreier, ZRP 2002, 377 [382], was nichts an der dogmatischen Gefahr ändert). Dessen unbenommen sind die Bereiche „Patientenverfügung“ und „Sterbehilfe“ immer auch ein Einfallstor für Kosten-Nutzen-Überlegungen. Vgl. zum Stand der Diskussion (und der Gesetzgebung) Landau, ZRP 2005, 50–54; Kutzer, ZRP 2003, 209 ff.; ders., FUR 2004, 683 ff., insb. in Anm. 11 zur hohen Zahl der Euthanasie-Fälle in den Niederlanden. 190 Es ist fraglich, ob sich die Verfassung auf ein bestimmtes Menschenbild festgelegt hat, vgl. Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 (203); ebenso skeptisch Enders, in: Mellinghoff/Trute, Leistungsfähigkeit des Rechts (1988), S. 157 (198 ff.). 191 Kettner, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23 – 24/2004, 14 (16). 192 Kettner, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23–24/2004, 14 (20); so auch Schlink, Der Spiegel vom 15. 12. 2003, S. 50 ff. 193 Zur zweifelhaften Unterscheidung von „subjektiver“ und „objektiver“ Methode: Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 519, Rdnr. 820; Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 21 ff., 50. 194 So zu Recht Lübbe, MedR 2003, 148 (151).
B. Präzisierung der Fragestellung
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VI. Ergebnis: ein Fokus auf die Forschung und ihre Freiheit Dem Fixpunkt 195 Menschenwürde muss ein weiterer hinzugefügt werden. Die Probleme, die sich in der biotechnologischen Forschung stellen, lassen sich nicht alleine mit – aber sicher auch nicht ohne – Art. 1 Abs. 1 GG lösen. Die gewaltigen Erkenntnisfortschritte und Anwendungsmöglichkeiten der Biound Gentechnik haben zu einer Veränderung des Verständnisses von Wissenschaft und Forschung und ihrer grundrechtlich garantierten Freiheit zu führen. Hier war jahrzehntelang die verfassungs- und verwaltungsrechtliche Diskussion auf die Hochschulen beschränkt. In den letzten Jahren fand in Reaktion auf die neuen wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen eine zweifelhafte Integration der außeruniversitären Wissenschaft statt, indem die entwickelten grundrechtsdogmatischen Leitlinien an die Erfordernisse von angewandter Zweck-, Auftragsund Industrieforschung angepasst wurden. Dabei hat sich der gesellschaftliche Bereich von Wissenschaft, Forschung und Lehre genauso radikal verändert wie die Erkenntnisse und Anwendungsmöglichkeiten in der Bio- und Gentechnik. Forschung, der die Aura der Uneigennützigkeit, der Neutralität, der Unbestechlichkeit und der Wahrheit anhaftet, muss kritisch betrachtet werden. Forschung, die immer stärker in die Umwelt eingreift und hierbei ein zerstörerisches Potential entwickelt hat, muss neu zu definierenden Grenzen unterliegen. Forschung, die immer stärker ökonomischen Zwängen ausgesetzt ist, muss im Grundrechtskatalog neu justiert werden.
B. Präzisierung der Fragestellung Die Diskussion um den Status des Embryos in vitro muss also nicht nur ein Streit um Menschenwürde, Ethik und Moral sein, sondern auch ein Streit über die Grenzen heutiger Forschung und den Umfang der Forschungsfreiheit. Die Ambivalenz von Forschung und wissenschaftlicher Erkenntnis – d. h. Chancen und Risiken, wie sie in der Bio- und Gentechnik in besonderem Maße offenbar werden – ist deshalb seit längerem Gegenstand von Kommentaren, die nicht nur einen „Codex“ oder einen „hippokratischen Eid der Wissenschaften“ fordern, 196 sondern sogar einen wachsenden „Überdruss“ an wissenschaftlicher Erkenntnis oder „bemerkenswerte Reputations- und Legitimationsverluste“ der Wissenschaft feststellen. 197 Die Frage nach den moralischen Grenzen der Wissenschaft wird
195 196 197
Vgl. Enders, Jura 2003, 666. Vgl. Häberle, AöR 1985, 329 (330). So Bayertz, ARSP 2000, 303.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
ebenso häufig gestellt 198 wie ein ethischer Diskurs unter Forschern verlangt, aber auch als ausreichend angesehen wird. 199 Der Versuch, solche Grenzen auch rechtlich festzusetzen, wird jedoch häufig mit dem Hinweis auf die Freiheit der Wissenschaft bzw. Forschung entkräftet. 200 Überhaupt erscheint die Postulierung von Grenzen der Forschung von vornherein als deplatziert, wenn nicht gar als Grundrechtsverstoß. 201 Die Befürchtung, ein Forschungsverbot könne an Art. 5 Abs. 3 GG und damit vor dem BVerfG scheitern, kam auch in der Stammzell-Debatte deutlich zum Ausdruck. 202 Wenn sich nun Wissenschaftler – gleich welcher Fachrichtung – bei der Frage nach den Grenzen von Forschung mit sich selbst beschäftigen, sollten sie die gleiche Neutralität und Unvoreingenommenheit wie bei anderen Fragestellungen wahren. Dabei ist aber zu vergegenwärtigen, dass sie sich natürlich im Konfliktfall ebenso gerne auf die Wissenschaftsfreiheit berufen werden wie Künstler auf die Kunstfreiheit oder Journalisten auf die Pressefreiheit. 203 Der wesentliche Unterschied ist hierbei, dass bei der Bestimmung von „Wissenschaftsfreiheit“ (Rechts-)Wissenschaftler über ihre eigenen Rechte und Pflichten und die ihrer Kollegen befinden. 204 Es findet damit unvermeidbar eine Innenschau statt. Zusätzlich sollen im Wissenschaftsrecht personelle und institutionelle Verflechtungen auf eine Rechtswissenschaft stoßen, die sich fälschlicherweise in einem Bereich von parteiloser Unabhängigkeit wähnt. 205 Überspitzt formuliert sprechen die Betroffenen über sich selbst Recht – und das mit gutem Recht. Denn wer wäre dazu mehr berufen als sie? Aber diese Tatsache sollte zu einer gewissen grundsätzlichen Skepsis führen, wenn man die rechtswissenschaftliche Literatur und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Wissenschaftsfreiheit betrachtet. 206
198 Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 360 ff.; Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 254 ff. 199 Vgl. Abg. Jörg Tauss, BT-Plenarprotokoll 14/214, 21230 sowie Abg. Wolfgang Schäuble (a. a. O., 21234). 200 Vom „Bollwerk“ Forschungsfreiheit spricht Huber, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 31 (40 f.). 201 So die Beobachtung von Bayertz, ARSP 2000, 303. 202 Abg. Margot v. Renesse, BT-Plenarprotokoll 14/214, 21196. 203 Dies trifft noch stärker auf Hochschullehrer zu, womit sich Äußerungen von Rspr. und Lehre zur „herausgehobenen“ Stellung der (habilitierten) Professoren erklären lassen. Anschaulich hierzu die Ausdrucksweise von Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 207 und Rupp, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. I (1987), § 28, Rdnr. 32 in Anm. 82. Siehe auch BVerfGE 35, 79 (125 ff.); Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 11, 34; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 158 f. 204 Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681. 205 Vgl. Drosdeck, Die herrschende Meinung (1989), S. 17.
B. Präzisierung der Fragestellung
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I. Problemaufriss anhand von Beispielen 1. Fälle Zur Verdeutlichung der Fragestellung dienen folgende Beispielsfälle in loser Reihenfolge, anhand derer überprüft werden soll, ob der Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG eröffnet oder gar verletzt ist: Fall 1: Universitätsprofessor B möchte mit embryonalen Stammzellen forschen. Er erhofft sich dadurch neue Therapiemöglichkeiten gegen unheilbare Krankheiten. Nach einiger Zeit meldet er ein Patent an, das besondere Eigenschaften dieser Zellen und ihre Anwendungsmöglichkeiten zum Inhalt hat. Der Fachbereichsrat erklärt in einem Beschluss, diese Forschung sei unethisch. Fall 2 (Abwandlung zu Fall 1): B erhält für seine Stammzellenforschung Drittmittel der Firma S. B vereinbart gegen Entgelt mit S, dass alle Forschungserkenntnisse vorerst geheim gehalten und allein der S zur Verfügung gestellt werden. Der Antrag des B auf Import und Verwendung von embryonalen Stammzellen wird aus diesem Grund von der zuständigen Behörde abgelehnt. Fall 3: Das agrarwissenschaftliche Institut der Technischen Universität (TU) D möchte die Auswirkungen gentechnisch veränderter Apfelbäume auf die Umwelt erforschen. Hierfür werden auf einem Gelände der TU diese Apfelbäume angepflanzt. Nach dem Gentechnikgesetz muss die TU D für schädliche Auswirkungen auf andere Grundstücke haften. Die TU D ist der Meinung, die Haftung dürfe nicht unterschiedslos für wissenschaftliche und gewerbliche Freisetzungen gelten. Die Forschung der TU D müsse hier privilegiert werden. 207 Fall 4: Der Senat der TU D beschließt aufgrund der immer knapper werdenden Mittel der öffentlichen Haushalte zukünftig noch enger mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten. In dem Beschluss heißt es: „Wir wollen in allen Bereichen der Forschung und der Lehre eine Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Wirtschaftsstandortes D. Jedes Mitglied der Hochschule muss sich dieser Aufgabe bewusst werden und seine Forschungsarbeit hierauf ausrichten. Gutachterliche Nebentätigkeit, Drittmitteleinwerbung, Patentanmeldungen und Projektforschung werden sich in Leistungszulagen für die Beschäftigten niederschlagen und die Arbeitsplatzchancen unserer Absolventen wesentlich verbessern.“ 208
206 Stein, JA 2002, 253 (254) weist deutlich auf die Beeinflussung der wissenschaftlichen Diskussion über die Wissenschaftsfreiheit durch bestehende Machtstrukturen hin. 207 Siehe hierzu BT-Drs. 15/2352. 208 Dieser Beschluss ist fiktiv, entspricht aber in vielerlei Hinsicht der Selbstdarstellung und dem Selbstverständnis mancher Universitäten sowie den Anforderungen der Politik an diese, siehe hierzu unten Drittes Kapitel, A. IV. 5.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Das zuständige Ministerium rügt diesen Beschluss wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. Fall 5: Der Millionenerbe Z gründet ein unabhängiges Institut für Zeitgeschichte. Z überlässt es den dort angestellten Wissenschaftlern, sich im Rahmen einer Institutssatzung selbst zu verwalten und über Neueinstellungen, Forschungsgebiete und -ziele mitzubestimmen. Die Ergebnisse erscheinen in einer eigenen Schriftenreihe des Instituts. Forscher H, der sich insbesondere mit der Verstrickung von verstorbenen Bundespolitikern mit der Rüstungsindustrie beschäftigt, möchte Einblick in Akten des Bundesarchivs nehmen. Für das Archivgut gelten die Schutzfristen nach § 5 Abs. 1 bis 3 Bundesarchivgesetz (BArchG). Das Bundesarchiv verweigert die Herausgabe. Es handle sich bei dem Institut des R nicht um eine universitäre Einrichtung und deshalb beim Vorhaben des H nicht um ein „wissenschaftliches Forschungsvorhaben“ i. S. d. § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG. 209 Fall 6: Ein Rechtsanwalt erstellt für seinen Mandanten im Rahmen der Prozessvorbereitung ein wissenschaftliches Gutachten über ein schwieriges materiellrechtliches Problem. Nach Abschluss des Rechtsstreits veröffentlicht er seine Erkenntnisse in der NJW. Fall 7: Ein Journalist mit wissenschaftlicher Ausbildung veröffentlicht nach langer investigativer Tätigkeit in einer Wochenzeitschrift eine Artikelserie über einen politischen Skandal. Fall 8: Der im Pharmaunternehmen S beschäftigte Forscher F kommt bei den ihm aufgetragenen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass ein neu zugelassenes Medikament nicht wirksamer ist als das alte, dessen Patentschutz abgelaufen ist. Stattdessen kann das neue Präparat zu erheblichen Nebenwirkungen führen. S will jedoch das Medikament in Kürze auf den Markt bringen und erwartet sich hiervon hohe Einnahmen. F möchte seine Erkenntnisse veröffentlichen und beruft sich auf seine Forschungsfreiheit. Sein Arbeitsvertrag gebietet ihm jedoch die Geheimhaltung. Fall 9: Das Pharmaunternehmen S ist der Meinung, neue gesetzliche Anforderungen an klinische Studien seien unverhältnismäßig hoch und verstießen gegen seine Forschungsfreiheit.
209 § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG: „Schutzfristen [können] verkürzt werden, wenn die Benutzung für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben oder zur Wahrnehmung berechtigter Belange unerläßlich ist, die im überwiegenden Interesse einer anderen Person oder Stelle liegen und eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange durch angemessene Maßnahmen, insbesondere durch Vorlage anonymisierter Reproduktionen, ausgeschlossen werden kann“ [Hervorh. d. Verf.]. Vgl. hierzu § 32 Abs. 1 des Stasi-Unterlagengesetzes (StUG), das lediglich von „Forschung“ spricht und auf das Attribut „wissenschaftlich“ verzichtet.
B. Präzisierung der Fragestellung
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2. Ausblick auf die Lösung Deutlich wird an diesen Fällen, die im Fünften Kapitel gelöst werden, 210 die häufige Verbindung aus wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen, die auch vor den Universitäten nicht (mehr) halt macht. Grundüberlegung ist: Unterschieden werden muss zwischen „Forschung“ und „wissenschaftlicher Forschung“. Alle Fälle mögen sich dem Lebensbereich „Forschung“ zuordnen lassen. Aber nur wissenschaftliche Forschung ist vom Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG umfasst. Sie ist durch Autonomie und Publizität gekennzeichnet und ist in dem Sinne ökonomisch zweckfrei und ungebunden, als sie nicht gewerblichen, kommerziellen oder sonstigen wissenschaftsexternen Interessen dient. 211 Diese Maßstäbe sind entscheidend, wenn es darum geht, den jeweiligen Prozess der Erkenntnisgewinnung, den wir als „Forschung“ bezeichnen, auch einem Grundrecht zuzuordnen. Differenziert werden muss deshalb nach zwei Kriterien: 1) Dient Forschung gewerblichen bzw. kommerziellen Interessen? Objektiver Maßstab hierfür ist die Publizität des Forschungsvorhabens. Soll geistiges Eigentum erlangt werden und werden aus diesem Grund Erkenntnisse nicht der wissenschaftlichen Öffentlichkeit preisgegeben, so handelt es sich um nichtwissenschaftliche Forschung. 2) Verbraucht oder gefährdet Forschung fremde Rechtsgüter? Da das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 GG vorrangig die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit schützt, umfasst der Normbereich nicht die Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter.
II. Bio- und Gentechnik als Referenzgebiet für moderne Forschung Die Forschung in der Bio- und Gentechnik drängt sich in mehrfacher Hinsicht als spezieller Untersuchungsgegenstand auf: Zum einen gehen hier Naturwissenschaften und Technik ineinander über, ohne dass noch eine Grenze erkennbar wäre. 212 Zum anderen hat es bisher kein anderes Wissenschafts- und Technikgebiet gegeben, das die publizistische und juristische Öffentlichkeit sowie Verbände und Vereinigungen veranlasst hat, einen derart historisch einmaligen Druck auf das Politiksystem mit der Forderung auszuüben, Erforschung und Anwendung
210
Fünftes Kapitel, D. II. 2. a). Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. I. 1. 212 Wobei durchaus eine Verschiebung von der Forschung zur Technik erkennbar ist: Aus „Genforschung im Widerstreit“ (Hrsg.: Klingmüller), wurde in der 3. Aufl. 1994 „Gentechnik im Widerstreit“ [Hervorh. d. Verf.]. Aus dem Vorwort von Klingmüller geht hervor, dass die „stürmische“ Entwicklung“ zu einem neuen Schwerpunkt geführt habe. Es ist hierbei anscheinend unter „Technik“ die Anwendung gesicherter Erkenntnisse zu verstehen, z. B. bei den „Gen- und Fortpflanzungstechniken“. 211
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
dieser Technologien zu ermöglichen, zu regulieren oder zu verbieten. Nicht einmal die Ereignisse von Harrisburg oder Tschernobyl haben annähernd diese Folgen gehabt. 213 Insofern ist die hier behandelte Problematik der embryonalen Stammzellenforschung nur ein (repräsentativer) Teilbereich. Vergleichbare Probleme ergeben sich auf vielen Feldern der Bio- und Gentechnik. So soll es global kaum noch biotechnologiefreie Landwirtschaft geben und die Auswirkungen der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen auf Eigentum und Gesundheit sollen nicht abschätzbar sein. 214 Unterschieden werden müssen dabei die Begriffe Biotechnik und Gentechnik. Unter Biotechnik werden die „neuen Biotechniken“ verstanden, die sich im zellmolekularen Bereich abspielen. 215 Die Gentechnik ist ein spezieller Unterfall der Biotechnik, 216 bei der genetisches Material mit Hilfe von Methoden, die in der Natur nicht vorkommen, neu kombiniert oder charakterisiert und isoliert wird (vgl. zum gentechnisch veränderten Organismus: § 3 Nr. 3 GenTG). 217 Zum Teil wird auch der Begriff Biowissenschaften verwendet, wenn man sich wissenschaftlich der Mittel der Bio- und Gentechnik bedient oder diese erforscht. 218 Auch von Biotechnologie wird gesprochen. 219
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Stehr, Wissenspolitik (2003), 239. Stehr, Wissenspolitik (2003), 240. Das GenTG (i. d. F. vom 16. 12. 1993 BGBl. I 2066; zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. 12. 2004, BGBl. I 186) sieht seit 2004 in den §§ 31 ff. verschärfte Haftungsregelungen für Freisetzungen vor. Krit. hierzu Dolde, ZRP 2005, 25 (28 f.): „unverhältnismäßig hohes Haftungsrisiko für alle, die mit gentechnisch veränderten Organismen umgehen“; a. A. Palme, UPR 2005, 164 ff., der das novellierte GenTG mit Art. 5 Abs. 3 GG für vereinbar hält. Die umstrittene Frage ist, wer bei einer Koexistenz von gentechnisch veränderten und natürlichen Anbaumethoden für das Risiko von Kontaminierungen und hieraus entstehende Schäden aufkommen soll. Hier stellt das Verursacherprinzip die einzig sachgerechte Lösung zur Risikominimierung dar, denn es ist nicht einzusehen, dass die Geschädigten oder die Gemeinschaft dieses Risiko tragen müssen. 215 Von ihnen sind die „traditionellen“ Biotechniken abzugrenzen, z. B. in der Lebensmittelherstellung (Bier, Käse, usw.), oder traditionelle Züchtungsmethoden. 216 Nach Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 bestehen die Biotechniken aus der Gentechnik, der Reproduktionstechnik und der Klontechnik. 217 Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775 (1986), S. 7; Lege, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 669 (670). In § 3 Nr. 3a-3c GenTG (i. d. F. vom 16. 12. 1993 BGBl. I 2066; zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. 12. 2004, BGBl. I 186) werden eine Reihe von Verfahren benannt, die i. S. d. GenTG Gentechnik sind. 218 Mit diesem Sammelbegriff werden verschiedene wissenschaftliche Fächer bezeichnet, die sich mit Lebewesen und Lebensvorgängen meist auf naturwissenschaftliche Weise auseinandersetzen. Dazu zählen vor allem die Biologie (und gelegentlich ausgegliederte Teilbereiche wie Neurowissenschaften, Genetik usw.) und die Biochemie; zusammen mit der Medizin spricht man auch von „Lebenswissenschaften“. Wie noch zu zeigen ist (siehe unten, Drittes Kapitel, A. II. sowie Fünftes Kapitel, A. II. 3.), ist hier eine Abgren214
B. Präzisierung der Fragestellung
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Bereits die Beliebigkeit, mit der teilweise diese Termini verwendet werden, zeigt jedoch, wie schwer allein begrifflich Wissenschaft und Technik zu trennen sind. Wenn man unter „Technik“ die Gesamtheit aller Verfahren versteht, die dazu dienen, naturwissenschaftliche Kenntnisse praktisch nutzbar zu machen, 220 nutzt auch naturwissenschaftliche Forschung die Verfahren der Bio- und Gentechnik und entwickelt sie zugleich weiter. Wissenschaft und Technik stehen in diesem Bereich in wechselseitiger Beziehung zueinander.
III. Die Forschungsfreiheit als zentraler Untersuchungsgegenstand 1. Wissenschaft und Forschung – Wissenschaftsfreiheit und Forschungsfreiheit Die Forschungsfreiheit ist nach allgemeiner Meinung kein eigenständiges Grundrecht, sondern eine Ausprägung des einheitlichen Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit, die Forschung und Lehre schützt. 221 Da im Bereich der Biound Gentechnik die Lehre nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist die Forschungsfreiheit als Freiheit, mit wissenschaftlichen Methoden Erkenntnisse zu gewinnen, hier der zentrale Untersuchungsgegenstand. a) Wissenschaft und Forschung Wenn es heißt, die Begriffe Wissenschaft und Forschung würden „gelegentlich“ synonym verwendet, 222 finden sich in der sozialen Wirklichkeit durchaus unterschiedliche Auffassungen über die Begriffe Wissenschaft und Forschung. Nicht nur alltagssprachlich ist häufig von „Wissenschaft und Forschung“ die Rede, 223 so als ob es sich um zwei getrennte (Lebens-)Bereiche handle. Es scheint dabei der „Wissenschaft“ eher der Bereich der Hochschulen (und dort vor allem die geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen) zugeordnet zu werden, während
zung zwischen „Wissenschaft“ und „Technik“ nicht mehr möglich (vgl. Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung [2002], S. 67 f.). 219 Nach Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 werden die Biotechniken von den Biowissenschaften erforscht und bilden zusammen mit diesen die Biotechnologie. 220 Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 67. 221 Siehe oben Erstes Kapitel, A. IV. 1. 222 Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 137, Rdnr. 152. 223 Zu diesem Laienbild anschaulich R. Herzog, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 459 (461); siehe auch Faktenbericht Forschung 2002 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, S. 219, der zwischen „Wissenschaftsausgaben“ und „Ausgaben für Forschung und experimentelle Entwicklung“ unterscheidet, wobei die Forschungsausgaben Teil der Wissenschaftsausgaben sind. Das Begriffspaar wird im Bundesbericht Forschung häufig verwendet, z. B. S. II, III, XVI, 2 ff.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
„Forschung“ überwiegend als technisch-naturwissenschaftliche Erkenntnissuche gesehen wird, die auf analytischer Empirie 224 gründet und ein bestimmtes Handeln im tatsächlichen Bereich umschreibt. 225 Grundrechtsdogmatisch ist dies jedoch unzutreffend. b) Wissenschaftsfreiheit und Forschungsfreiheit In der rechtswissenschaftlichen Literatur sind im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 GG sowohl die Wissenschaftsfreiheit als auch die Forschungsfreiheit Gegenstand der jeweiligen Untersuchung, ohne dass hierbei grundlegende Unterschiede erkennbar wären. Das ist wohl damit zu erklären, dass Verfassungen vor dem Grundgesetz „Wissenschaft und Lehre“ geschützt hatten und das Tatbestandsmerkmal „Forschung“ erstmals im Grundgesetz erwähnt wurde, ohne dass damit zunächst ein besonderer Inhalt verbunden worden ist. 226 aa) Wissenschaft als Oberbegriff von Forschung und Lehre Die verschiedenen Auffassungen des außerrechtlichen Raumes finden sich in keiner Interpretation des Wortlauts von Art. 5 Abs. 3 GG wieder. Das BVerfG vertritt denn auch – ohne nähere Begründung – die Ansicht, „Wissenschaft“ sei der Oberbegriff von „Forschung und Lehre“, deren enger Bezug damit zugleich zum Ausdruck gebracht werde. 227 Dem folgt nicht nur die überwiegende Meinung, 228 sondern auch der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 1 bis 3 HRG: Hier finden sich
224 Empirie ist „auf Erfahrung beruhende Erkenntnis“. Die wissenschaftstheoretische Position des Empirismus geht davon aus, dass der Wahrheitswert von Aussagen nur durch Beobachten und Befragen gewonnen werden kann und nachprüfbar ist, siehe Mayen, Informationsanspruch (1992), S. 90 f. 225 Vgl. hierzu Trute, Forschung (1994), S. 110 ff., 121 ff. mit einer Konzeption, die hierauf abstellt (vgl. Drittes Kapitel, C. II. 2. a). Selbst innerhalb des Wissenschaftsbereichs verbindet man häufig mit „Forschung“ ein empirisch-analytisches praktisches Handeln, das auf Versuch und Irrtum beruht. Es stößt in jenen Bereichen gelegentlich auf Verwunderung, dass auch Lesen, Nachdenken und Schreiben (so die Forschungsmethode in geisteswissenschaftlichen Disziplinen) Forschung sind und sein müssen. 226 Siehe oben die Literaturtitel (Fußn. 14). Dem Tatbestandsmerkmal „Forschung“ wird z. T. jedoch auch ein eigener Inhalt zugesprochen, siehe z. B. Trute, Forschung (1994), S. 121 ff., der von einer eigenständigen Garantie der Forschungsfreiheit als spezieller Form der Handlungsfreiheit ausgeht. Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 9 ff., 26 ff., 74 f. und 148 ff. sieht in „Forschung und Lehre“ ein eigenständiges Grundrecht für Hochschullehrer (dagegen z. B. Trute, a. a. O., S. 395 ff.); ähnlich auch – ausgehend von einem sozialen Wissenschaftsbegriff – die Überlegung von A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (70). 227 BVerfGE 35, 79 (113); Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (108, 111); R. Dreier, DVBl. 1980, 471.
B. Präzisierung der Fragestellung
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Umschreibungen des Inhalts der gewährleisteten Freiheit der Forschung (Abs. 2) und Lehre (Abs. 3), während eine Freiheit der Wissenschaft selbst unberücksichtigt bleibt. 229 Dies ist konsequent, wenn man davon ausgeht, dass abschließender Inhalt von Wissenschaftsfreiheit gerade Forschungs- und Lehrfreiheit sind. Auch wenn Zweifel angebracht sind, ob es stimmt, dass Wissenschaft zuallererst Forschung sei, wie auch Wissenschaftsfreiheit zuallererst Forschungsfreiheit sei, 230 so ist Wissenschaft ohne Forschung nicht möglich. Rechtlich soll mit der Forschungsfreiheit die Freiheit wissenschaftlicher Forschung geschützt sein. 231 Daraus ergibt sich der Schluss, dass es auch Forschung außerhalb der Wissenschaft geben kann (also nicht-wissenschaftliche Forschung), genauso wie es auch nicht-wissenschaftliche Lehre (z. B. an Schulen oder in Betrieben) gibt. Also ist nicht jede „Forschung“ (als Erforschung eines Sachverhalts) bereits von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. Da Forschung ein Unterbegriff des Wissenschaftsbegriffs ist, führt die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Forschungsbegriff zum verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff. 232 Auch ist damit nicht gesagt, dass „Forschungsfreiheit gleich Wissenschaftsfreiheit minus Lehrfreiheit“ ist. Denn das Attribut „wissenschaftlich“ kann auch durch eine besondere Verbindung von Forschung und Lehre gekennzeichnet sein. 233 bb) Forschungsfreiheit als Teil der Wissenschaftsfreiheit Wissenschaftsfreiheit ist also mehr als die Summe ihrer Teile. Sie wird durch etwas Abstrakteres als Freiheit von Forschung und Lehre gekennzeichnet, nämlich die Freiheit der Wissenschaftlichkeit als notwendige Eigenschaft von Forschung und Lehre. Damit schützt sie gleichzeitig die Eigengesetzlichkeit 234 eines sozialen 228
Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 24; so zu verstehen auch Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 10, der auf die „wissenschaftliche Tätigkeit“ abstellt; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 5 Rdnr. 95; K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 402; Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (108, 111); Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 100; a. A.: A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (70); Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 74 ff.; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 14. Mit eigenem Ansatz Trute, Forschung (1994), S. 110 ff., 121, der die Forschungsfreiheit als eigene Grundrechtsgewährleistung sieht und einem „Oberbegriff“ ablehnend gegenübersteht (ders., a. a. O., S. 132 f.). 229 Siehe auch unten Zweites Kapitel, B. I. 230 Vgl. Schmidt-Aßmann, JZ 1989, 205 (207). 231 Siehe oben Erstes Kapitel, A. IV. 1. 232 So R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (472). 233 Siehe hierzu unten Zweites Kapitel, C. II. 1. c). 234 A. Blankenagel kritisiert zu Recht, dass die h. M. in ihrer Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft im Dunkeln lässt (ders., AöR 1980, S. 35 [43 f.]).
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Systems, wie es sich insbesondere (aber nicht ausschließlich) an den Universitäten ausgeprägt hat. Für die objektivrechtliche Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG ist deshalb der Begriff „Wissenschaftsfreiheit“ prägnanter. Der Begriff schließt zugleich die Forschungsfreiheit als Abwehrrecht mit ein, also die Freiheit zu wissenschaftlichen Handlungen, die konkret dem Erkenntnisgewinn dienen. Im Bezug auf die Grenzen von Forschung im Bereich der Bio- und Gentechnik ist der Begriff „Forschungsfreiheit“ deshalb der prägnantere. 2. Versuch einer Annäherung an die Bedeutung der Begriffe „Wissenschaft“, „Forschung“ und „Lehre“ Bevor die Fragestellung abschließend präzisiert werden kann, muss eine vorläufige Annäherung an die in Art. 5 Abs. 3 GG erwähnten Begriffe erfolgen. Dabei zeigt sich bereits hier, dass das jeweilige Verständnis von Wissenschaft die Interpretation des Art. 5 Abs. 3 GG prägt. a) Wissenschaft Wissenschaft kommt von „Wissen“. 235 Der Wortteil „-schaft“ ist ein Sammelbegriff mit Abstrahierungstendenz, wie er sich auch in den Begriffen „Nachkommenschaft“ oder „Mannschaft“ findet. Bis in die Neuzeit hinein bedeutete Wissenschaft deshalb die Summe positiven Wissens. 236 Erst später entstand die Beziehung zwischen Wissenschaft und Erkenntnis(-suche), denn zu Wissen führt erst die Suche nach Erkenntnis. 237 Erkenntnis ist die Einordnung einer Aussage als wahr (oder falsch), sie ist das Produkt einer logischen Identifikation von Fakten aus der Realität. 238
235 So die nur auf den ersten Blick banal erscheinende Feststellung von Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 323. 236 Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (495). 237 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 119. Ob die Suche nach Erkenntnis auch tatsächlich zu Erkenntnis führt, ist dagegen eine andere Frage. In systemtheoretischer Hinsicht wird „Wissen“ von „Erkenntnis“ (als Ereignis oder Ereignissequenz) unterschieden (vgl. Luhmann, Wissenschaft [1990], S. 122). Wissen ist demnach die Kondensierung von Beobachtungen (ders., a. a. O., S. 123). Dieser Vorgang findet jedoch tagtäglich statt und hat mit Wissenschaft noch nichts zu tun. Wissen wird erst dann zur Wissenschaft, wenn die Begriffsbildung eingesetzt wird, um feststellen zu können, ob bestimmte Aussagen wahr sind, wenn also der Code des Wissenschaftssystems die Wahl der Unterscheidungen dirigiert, mit denen die Welt beobachtet wird (ders., a. a. O., S. 124). Auf den Code des Wissenschaftssystems wird noch zurückzukommen sein, siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. III. 1. 238 Saueressig, JuS 2005, 105 (106).
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Im allgemeinen und besonderen Sprachgebrauch wird „Wissenschaft“ für eine Vielzahl von Disziplinen und Lebensbereiche verwendet, ohne dass wirklich Einigkeit über die Begriffszuschreibung bestünde. Während z. B. die Astrologie keine Wissenschaft ist (obwohl der modale Wissenschaftsbegriff auf sie zutreffen würde), 239 sind die Rechtswissenschaft oder die Theologie Wissenschaften, obwohl an ihrer Wissenschaftlichkeit durchaus gezweifelt wird. 240 Welche Tätigkeiten, Disziplinen, Einrichtungen und Personen der Lebensbereich „Wissenschaft“ letztlich umfasst, kann und muss hier noch nicht abschließend geklärt werden. Im Folgenden wird lediglich die Konturierung eines „Phänomens“ 241 versucht: So kann Wissenschaft eine forschende Tätigkeit in einem bestimmten Bereich sein, die begründetes, geordnetes, für gesichert gehaltenes Wissen hervorbringt. 242 In dieser Definition findet sich bereits der enge Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Forschung wieder. Umfassender (und sozialer) kann Wissenschaft auch als Inbegriff menschlichen Wissens einer Epoche bezeichnet werden, das systematisch gesammelt, aufbewahrt, gelehrt und tradiert wird. Statischer betrachtet ist Wissenschaft eine Gesamtheit von Erkenntnissen, die sich auf einen Gegenstandsbereich beziehen und in einem Begründungszusammenhang stehen. 243 Umgangsprachlich bezeichnet man mit Wissenschaft auch etwas, das so kompliziert ist, dass man dazu über besondere Kenntnisse verfügen muss. 244 Wissenschaftler ist zumeist derjenige, „der über eine abgeschlossene Hochschulbildung verfügt und im Bereich der Wissenschaft beruflich tätig ist“. 245 Zur Bestimmung von „Wissenschaft“ können zudem diverse Wissenschaftstheorien herangezogen werden, die letztlich aber bei der Bestimmung eines formalen
239 Zweifelnd deshalb Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 14. 240 So auch von Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 15. Vgl. Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 200 ff., Rdnr. 280 ff.; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 324. Zur Kritik an der Wissenschaftlichkeit der „Rechtswissenschaft“: Heyke, Rechtstheorie 2003, S. 229 ff. Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (494 f.) sieht die Frage zu Recht als Scheinproblem. 241 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 17. 242 Deutsches Wörterbuch der Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl. 1995), Stichwort „Wissenschaft“. 243 Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl. 1994), Stichwort „Wissenschaft“. 244 Deutsches Wörterbuch der Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl. 1995), Stichwort „Wissenschaft“. Dieser Ansatzpunkt führt dazu, dass für wissenschaftliche Tätigkeit typischerweise eine bestimmte Ausbildung vorausgesetzt werden muss, wie sie die Hochschulen vermitteln. 245 Deutsches Wörterbuch der Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl. 1995), Stichwort „Wissenschaftler“.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Wissenschaftsbegriffs nicht weiterhelfen sollen. 246 Es wird schon als unzulässig angesehen, wenn sich staatliche Organe für eine dieser Theorien entscheiden würden. 247 Aus Art. 5 Abs. 3 GG wird auch auf ein völliges Definitionsverbot geschlossen. 248 Die grundlegende Frage ist in diesem Zusammenhang, ob das Recht nur einem autonomen, d. h. sich aus der Wissenschaft selbst ergebendem Wissenschaftsbegriff folgen darf, der Konsens der scientific community ist. Oder darf/muss der verfassungsrechtliche Wissenschaftsbegriff heteronom, d. h. fremdbestimmt sein? 249 Wenn in Frage gestellt wird, inwieweit das Recht überhaupt befugt sein kann, Wissenschaft rechtlich einzuordnen, ist die Frage nicht, ob das Recht bestimmen darf, was Wissenschaft in sozialer Hinsicht ist, vielmehr geht es darum, wie es das tut, also mit welcher Intensität eine juristische Begriffsdefinition sozialgeprägt sein muss. 250 Denn nur das Recht kann entscheiden, wie eine Rechtsnorm, hier also Art. 5 Abs. 3 GG, zu interpretieren ist. In rechtlicher Hinsicht sind hierbei zwei Herangehensweisen möglich, um Wissenschaft zu bestimmen: Sie kann einmal als ein bestimmter sozialer Bereich definiert werden (sozialer Wissenschaftsbegriff), der entweder durch bestimmte Personen (etwa die Wissenschaftler), bzw. Institutionen (z. B. die Universitäten) oder durch eine bestimmte Art der Kommunikation geprägt ist. Zum anderen kann man sich an einer konkreten Arbeits- bzw. Handlungsmethode orientieren, die für Wissenschaft typisch ist (modaler, kognitiver oder formaler Wissenschaftsbegriff). 251 Die überwiegende Meinung stellt auf die Methode ab. Diese muss wissenschaftlich sein, um Wissenschaft i. S. d. Art. 5 Abs. 3 GG zu sein. Allerdings lässt sich ein solcher modaler Wissenschaftsbegriff nicht entwickeln, wenn nicht der soziale Bereich, den eine typische Methode kennzeichnet, genauer eingegrenzt wird. Auch wenn das BVerfG betont, dass eine eindeutige und allgemein anerkannte Definition fehle, die als Maßstab genutzt werden könnte, um eine Tätigkeit exakt als Wissenschaft oder Forschung zu qualifizieren und einzuordnen, 252 so wird diese Eingrenzung des sozialen Bereichs von der überwiegenden Meinung vernachlässigt. Das Selbstverständnis des sozialen Bereichs Wissenschaft (d. h.
246
Ausführlich Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 123 ff. Vgl. A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (39). 248 Siehe hierzu ausführlich z. B. Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 71 ff. sowie unten Viertes Kapitel, C. IV. 2. a). 249 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 14; siehe ausführlich Trute, Forschung (1994), S. 56 ff. 250 Vgl. Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 69 f., 76 ff. 251 Vgl. A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (38 f.); Häberle, AöR 1985, 329 (352, insb. Anm. 47 m. w. N.). 252 BVerfGE 61, 210 (237 ff.). 247
B. Präzisierung der Fragestellung
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der scientific community) wird lediglich bei der Bestimmung der Methode und damit reduziert berücksichtigt. 253 Zurückgehend auf Merton findet sich zur Umschreibung des sozialen Bereichs Wissenschaft folgende Definition: „Wissenschaft ist die in die Gemeinschaft der Forschenden integrierte, methodische und planmäßige Untersuchung von Problemen unter Beachtung der Normen Universalismus, Kommunalismus, organisierter Skeptizismus und Desinteressiertheit.“ 254 Hier wird ein sozialer Bereich beschrieben, der sich nicht nur durch eine typische („wissenschaftliche“) Arbeitsweise von anderen gesellschaftlichen Bereichen unterscheidet, sondern der darüber hinaus durch bestimmte Normen (und ein spezifisches Anreizsystem) gekennzeichnet ist. 255 Wissenschaftliche Arbeitsweise als Methode kann auch außerhalb dieses sozialen Bereichs existieren, doch erst zusätzliche normative Prämissen entscheiden, ob Handlungen oder Personen diesem Bereich zuzurechnen sind. In anderer Hinsicht nähert sich Luhmann der Wissenschaft als sozialem System: Für ihn machen nicht Normen, sondern der „Code“ einer Kommunikation die Wissenschaft von anderen sozialen Systemen unterscheidbar. Diesen wissenschaftlichen Code kennzeichnet die Unterscheidung zwischen „wahr“ und „unwahr“. 256 Allgemeiner heißt es bei Anderen, das „System Wissenschaft“ kennzeichne ein spezifischer Austausch von Fragen und Ergebnissen, ein wechselseitiger Dialog und allgemeine Publizität. Das Ziel wissenschaftlicher Tätigkeit – die Zueignung objektiver Erkenntnis – sei nicht erreichbar, wenn es nicht die Mitteilung und wechselseitige Prüfung von Ergebnissen und Theorien gebe. 257 Deshalb sind die Astrologie oder politische Heilslehren, soweit sie mit problemgeschlossenem Absolutheitsanspruch auftreten, keine Wissenschaften. Ihnen mangelt es an Transparenz und wissenschaftlicher Kontrolle. Sie verweigern sich kritischer wissenschaftlicher Diskussion, weil dann die Prämissen dieser Ideologien in Frage gestellt werden könnten. 258 Da jedenfalls die Funktionsfähigkeit des sozialen Bereichs Wissenschaft von spezifischer Kommunikation abhängig ist, spricht sehr viel dafür, dass die Wissenschaftsfreiheit vorrangig eine Kommunikationsfreiheit ist, die zugleich die Informationsgewinnung schützt. 259
253
Siehe hierzu unten Zweites Kapitel, C. Vgl. hierzu z. B. Blankenagel, AöR 1980, 35 (61 ff.) mit Erläuterung dieser Begriffe. 255 Siehe unten Drittes Kapitel, B. I. 1. b) und Fünftes Kapitel, B. III. 2. 256 Siehe hierzu auch unten, Fünftes Kapitel, B. III. 1. 257 Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 17, 25. 258 So beruht die Astrologie auf der Prämisse: „Der Stand der Sterne beeinflusst das Leben auf der Erde.“ Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts waren Astrologie und Astronomie kein Gegensatz. Zur Frage, ob der Marxismus-Leninismus Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist: BVerfGE 5, 85 (146) – KPD-Urteil. Hierzu auch Denninger, in: Denninger/ Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 19. 254
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
b) Forschung Während die sprachliche Verbindung von Wissen und Wissenschaft offensichtlich ist, ist die Etymologie von Forschung eine grundsätzlich andere: Der Begriff „forschen“ hat seinen Ursprung im „fragen, bitten, im Sinne von ‚wühlen‘ (verw. mit ‚Furche‘)“ und bedeutet heute zum einen, „durch intensives Bemühen jemanden oder etwas zu finden oder zu ermitteln suchen“, und zum anderen, „sich um wissenschaftliche Erkenntnis [zu] bemühen“. 260 Auf die Wissenschaft bezogen ist Forschung „die Gesamtheit der in allen Bereichen der Wissenschaften erfolgenden methodisch-systematischen, schöpferisch-geistigen Bemühungen (einschließlich der dabei verwendeten Methoden und Techniken), die die Gewinnung neuer, allgemein nachprüfbarer Erkenntnisse sowie das Ermitteln ihrer Gesetzmäßigkeiten ermöglicht.“ 261 Das Bemühen um „wissenschaftliche“ Erkenntnis ist hierbei der Inhalt „wissenschaftlicher Forschung“. Auch hier zeigt sich der Bezug zwischen Wissenschaft und Forschung. Eine über die Wissenschaft hinausgehende Bedeutung hat dagegen der Begriff Forschung, wenn man darunter ein Handlungsprinzip, d. h. „die von Personen betriebene planmäßige und zielgerichtete Suche nach neuen Erkenntnissen in einem Wissensgebiet, einschließlich der Suche nach Möglichkeiten zu deren Überprüfung“ versteht. 262 Damit wird klar, dass nicht jede Erkenntnissuche und jede Problemlösung wissenschaftlich ist, mag sie theoretisch oder praktisch erfolgen. Es gibt auch ernsthafte und planmäßige Forschung, die nichtwissenschaftlich ist, zum Beispiel die von Kriminalisten, Journalisten oder privaten Ahnenforschern. c) Lehre „Lehre“ bedeutet sprachwissenschaftlich „Regel“, „Richtschnur“ oder „Ratschlag“ im Sinne einer Schlussfolgerung oder Erfahrung, aus der man lernt. Vom althochdeutschen „lera“ kommend, ist die Grundbedeutung „rechter Weg“ im Sinne von „richtiger Kenntnis“. Bezogen auf Wissensvermittlung kann Lehre „Lehrzeit“, „Unterricht“ oder „Unterweisung in einem Lehrberuf“ sein. Im wissenschaftlichen Kontext begegnet man der Lehre im Sinne eines „Lehrsatzes“, eines „wissenschaftlichen Systems“ oder einer „Anschauung einer bedeutenden Persönlichkeit oder eines Kreises von Menschen über ein Problem der Wissenschaft“. 263 Eine Lehre ist also etwas, das am Ende eines wissenschaftlichen Forschungs259 Damit lässt sich auch die systematische Stellung der Wissenschaftsfreiheit in Art. 5 GG erklären. 260 Deutsches Wörterbuch der Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl. 1995), Stichwort „Forschung“. 261 Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl. 1988), Stichwort „Forschung“. 262 Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl. 1988), Stichwort „Forschung“.
B. Präzisierung der Fragestellung
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prozesses steht, ein System von Theorien, Erkenntnissen und Personen, die sie vertreten. Deutlicher wird die Einordnung der Lehre, wie sie in Art. 5 Abs. 3 GG erwähnt ist, wenn man das Verb betrachtet. Lehren, althochdeutsch „leren“, kommt vom gotischen „laisjan“, was „durch Nachspüren wissend machen“ bedeutet und dadurch in seiner Bedeutung der Forschung recht nahe kommt. In erster Linie wird „lehren“ als „jemanden unterrichten, unterweisen“ verstanden, d. h. als Vermittlung von Kenntnissen. Systematisch im Zusammenhang mit der Wissenschaft und Forschung betrachtet, deutet alles darauf hin, dass mit „Lehre“ i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG die wissenschaftliche Wissensvermittlung gemeint ist, wie sie typischerweise an Hochschulen stattfindet. Bezogen auf die Wissenschaft werden hier Disziplinen und Fächer insbesondere durch Vorlesungen gelehrt. 264 3. Forschungsfreiheit als Freiheit wissenschaftlicher Forschung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG Auch wenn „Forschungsfreiheit“ im Zusammenhang mit der Bio- und Gentechnik der prägnantere Begriff ist, setzt dies zwingend eine verfassungsrechtliche Analyse von Wissenschaft und Wissenschaftsfreiheit voraus. Schmitt Glaeser folgend ist für die Zuordnung zu Art. 5 Abs. 3 GG allein entscheidend, ob der in Betracht kommenden Tätigkeit (d. h. Forschung oder Lehre) die Eigenschaft „wissenschaftlich“ zugesprochen werden kann oder nicht. 265 Wissenschaftliche Forschung als „das methodenkritische Streben nach neuen Erkenntnissen“ oder „die selbständige Erarbeitung objektiv neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse“ unterscheidet sich von profaner Forschung, die in einem über die Wissenschaft hinausgehenden Sinne ein intensives Bemühen ist, etwas auszuforschen. 266 Es ist gerade das Arbeiten an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Untersuchung eines wissenschaftlichen Problems erforderlich. 267 Forschung ist damit immer nur 263 Wahrig, Deutsches Wörterbuch (6. Aufl. 1997), Stichwort „Lehre“. Vgl. auch den Begriff „herrschende Lehre“. 264 Wahrig, Deutsches Wörterbuch (6. Aufl. 1997), Stichwort „Lehre“. Als Grund für die Wirksamkeit der Universität betrachtete Savigny die auf persönlicher Mitteilung beruhende Unterrichtsmethode des mündlichen Vortrags (nach Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre [1981], S. 52). Vgl. hierzu unten zu den Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit der Lehre: Zweites Kapitel, C. II. 1. b). 265 Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (111 f.). 266 Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 101. Vgl. hierzu z. B. § 12 i Abs. 2 Satz 1 ChemG (Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen, neugefasst durch Bek. vom 20. 06. 2002 BGBl. I 2090; zuletzt geändert durch Art. 2 § 3 Abs. 6 Gesetz vom 01. 09. 2005 BGBl. I 2618). Hier wird zwischen „wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung“ und „verfahrensorientierter Forschung und Entwicklung“ unterschieden. 267 Zum Forschungsbegriff: Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 69 f.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
dann ein Teil der Wissenschaft, soweit es sich um wissenschaftliche Forschung handelt. 268 Damit Forschung wissenschaftlich ist, muss sie aber auch frei sein. 269 Freiheit ist nicht nur die Rechtsfolge des Art. 5 Abs. 3 GG, 270 sondern nach der hier noch zu entwickelnden Spiegelbildlösung 271 zugleich normatives Tatbestandsmerkmal, weil die sozialen Normen, die die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit kennzeichnen, diese Freiheit voraussetzen. 272 Ohne Freiheit ist Wissenschaft nicht möglich, ohne Freiheit fehlt das Merkmal der Wissenschaftlichkeit. Das ist die These, der im Folgenden nachgegangen werden soll. a) Freie und unfreie Forschung Grob vereinfacht gibt es zwei Arten von Forschung – und muss es auch geben: Freie und unfreie Forschung. Freie Forschung muss an Hochschulen gewährleistet sein, außerhalb ist unfreie Forschung möglich. „Frei“ bzw. „unfrei“ bedeutet heute vorrangig ökonomisch zweckungebunden (unabhängig) bzw. zweckgebunden (abhängig). 273 Ausgehend vom Schutzzweck, nämlich dem Schutz der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft, lautet die Fragestellung zugespitzt: Schützt Art. 5 Abs. 3 GG nur die freie Forschung, weil nur freie Forschung wissenschaftlich ist? Beantwortet man diese Frage – wie hier vertreten – mit „ja“, kann abhängige und zweckgebundene Forschung nur die Wirtschaftsfreiheit (die Grundrechte aus Art. 12, 14, 2 Abs. 1 und ggf. 5 Abs. 1 GG) beanspruchen. 274
268 So auch z. B. H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237), für den Forschung jedoch bereits dann „wissenschaftlich“ ist, wenn der Erkenntnisgewinn mit „wissenschaftlichen Methoden“ erfolgt. 269 Vgl. A. Blankenagel, in: Däubler-Gmelin/Adlerstein, Menschengerecht (1986), S. 122 (144 ff.), der die Möglichkeit einer „unterschiedlich wissenschaftlichen Wissenschaft“ andeutet und je nach Grad ihrer Wissenschaftlichkeit den Schutz abstufen will. Ähnlich Heinrich, Forschungsförderung (2003), S. 31 ff. 270 Nach Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 21, soll der adressatenlose Aussagesatz des Art. 5 Abs. 3 GG Normqualität im Sinne einer generalisierten, objektivierten Verhaltenspotentialität erhalten. Der normative Inhalt laute dann: „Die in Forschung und Lehre tätigen Personen sollen in dieser ihrer Tätigkeit frei sein.“ 271 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, A. I. 272 Ähnlich auch Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 204 (unter Bezugnahme auf Scholz, in: Maunz/Dürig, GG [2003], Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 98): „Wissenschaft [ist] nicht als freie Wissenschaft geschützt ( . . . ), wenn sie sich nicht den Bedingungen freier Wissenschaft fügt.“ 273 So auch die Differenzierung von M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 90 ff. 274 Vgl. in Ansätzen auch Heldrich, Freiheit zum Irrtum? (1987), S. 22.
B. Präzisierung der Fragestellung
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aa) Die Gefährdung freier Forschung Im Hintergrund steht folgende Beobachtung: Je stärker der staatliche oder der ökonomische Druck auf die Forschung ist, bestimmte Erkenntnisse zu gewinnen, desto stärker wird die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit eingeschränkt, wenn nicht gar aufgehoben. Dies gilt nicht nur für außeruniversitäre und nichtstaatliche Forschung, sondern mit zunehmender Tendenz auch für die staatlichen Hochschulen: „Nützliche“ Forschungsrichtungen werden gefördert, weniger „nützliche“ Disziplinen müssen sich entweder einer ökonomischen Verwertungslogik anpassen oder stehen auf schwindender finanzieller Grundlage, zum Teil wird auch ihre Daseinsberechtigung in Frage gestellt. Wissenschaftliche Lehre soll so ausgestaltet werden, dass wissenschaftliche Ausbildung möglichst marktgerecht erfolgt. 275 Forschung ist damit heute nicht mehr den gleichen Ingerenzen wie im 19. und 20. Jahrhundert ausgesetzt. Angesichts einer Ökonomisierung der Forschung („capitalisation of knowledge“ statt „Kommunismus“) 276 müsste heute Forschungsfreiheit wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit nicht mehr nur alleine vor den Gesetzen des Staates, sondern auch vor den Gesetzen der Ökonomie schützen. Die Wissenschaft und die Eigenschaft ihrer Erkenntnisse als öffentliches Gut laufen Gefahr, zu einer Ware zu werden. 277 Der ökonomische Druck absorbiert dort wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit, wo mit Forschung nicht mehr allein Erkenntnisse, sondern Eigentumsrechte i. S. v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG begründet werden und sich wissenschaftliche Kommunikation deshalb nicht mehr frei entfalten kann. bb) Die Funktion der Forschungsfreiheit Mit Art. 5 Abs. 3 GG als vorbehaltlosem Grundrecht soll der besondere Eigenwert von Wissenschaft und damit von wissenschaftlicher Forschung geschützt werden. Hierzu zählt die Eigengesetzlichkeit des Systems Wissenschaft und damit die besondere Freiheit, die in der Wissenschaft herrscht und herrschen muss, damit sie ihrer Funktion gerecht wird: möglichst umfassend Erkenntnisse gewinnen und verifizieren. Wissenschaft muss sich der Kritik öffnen, muss ein Forum für Kritik sein und muss Kritik in die Erkenntnissuche aufnehmen. 278 Dies er-
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Vgl. Müller-Böling, Frankfurter Rundschau vom 03. 02. 2004, S. 31. Vgl. Trischler, Forschung & Lehre 1/2002, 8; siehe hierzu unten Drittes Kapitel, A. IV. 4. 277 Zur neuen Bedrohung der Forschungsfreiheit durch finanzielle Abhängigkeit bereits R. Dreier, DVBl. 1980, 471 ff. 278 Das unterscheidet z. B. die Theologie oder Rechtswissenschaft von der Astrologie, nicht, dass dort ein Teil der Prämissen „dogmatisch“ festgelegt ist (so jedoch Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 15). Ein eigenes Problem ist, wie sich Wissenschafts- und Religionsfreiheit vertragen. Anschaulich ist hier 276
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
gibt sich nicht nur aus der historischen Entwicklung von Wissenschaftsfreiheit als Mitteilungsfreiheit, sondern auch aus ihrer Legitimation als Teil des Kulturstaats. 279 Der Wissenschaftsbegriff der herrschenden Meinung, der lediglich eine gewisse methodengerechte Arbeitsweise als Maßstab heranzieht, soziale Komponenten wie die Publizität jedoch vernachlässigt, greift deshalb, gemessen an den Grundrechtsfunktionen von Art. 5 Abs. 3 GG, zu kurz. 280 Denn die Wissenschaftsfreiheit hat dem BVerfG folgend eine Doppelfunktion: Sie ist zum einen subjektives Abwehrrecht für jedermann, zum anderen eine wertentscheidende Grundsatznorm. Sie verpflichtet den Staat nicht nur, negativ die Freiheit der Forschung zu achten, sondern auch positiv die Voraussetzungen für freie Forschung durch Bereitstellung von Ressourcen zu schaffen. Dies tut er durch die Hochschulen mit ihrer (idealistischen) Symbiose aus Forschung und Lehre 281. An dieser Einrichtung kann der individuelle Forscher bzw. die dadurch geschaffene Organisation das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG gegen den Staat in Anspruch nehmen. 282 Der Staat spielt an den staatlichen Hochschulen somit eine ambivalente bzw. janusköpfige Rolle. 283 Er muss individuelle Forschungsfreiheit ermöglichen und zugleich gegen sich gelten lassen. Eine Ambivalenz besteht aber auch für den Hochschulforscher. Er muss grundsätzlich staatliche Eingriffe in seine Forschungsfreiheit akzeptieren, die notwendig sind, damit ihm der Staat Forschungsfreiheit überhaupt erst ermöglichen kann. Jede Organisation von Wissenschaft zur Wahrung ihrer Freiheit nach außen zwingt zugleich zur Begrenzung ihrer Freiheit nach innen. 284 Diese Ambivalenz lässt sich nun umgekehrt auch für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen denken: Freiheit nach innen wäre dann die Voraussetzung, Freiheit nach außen beanspruchen zu können. Grundrechtsschutz durch Art. 5 Abs. 3 GG genießt dann nur freie Forschung. Die Annahme einer Garantiepflicht des Staates für freie Forschung bestätigt erneut, dass es auch unfreie Forschung in Form abhängiger oder (zweck-)gebundener Forschung 285 geben kann. Genau dies ist das Problem, wenn man es mit außeruniversitären Organisationen zu tun hat. Dort ist Forschung zumeist nicht der Fall des Theologen Hans Küng, dem 1979 die kirchliche Lehrbefugnis entzogen wurde, da er die katholische Lehrmeinung kritisierte. 279 BVerfGE 35, 79 (113); Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 23 f. 280 So auch die Kritik von A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (47 f.) sowie ders., in: DäublerGmelin/Adlerstein, Menschengerecht (1986), S. 122 (144). 281 Nach BVerfGE 35, 79 (130). Im Übrigen bringe der Begriff „Wissenschaft“ den engen Bezug von Forschung und Lehre zum Ausdruck (a. a. O., 112). 282 Vgl. hierzu Fünftes Kapitel, C. II. 3. sowie Zweites Kapitel, C. III. 2. 283 Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 13. 284 Vgl. BVerfGE 35, 79 (121): Der einzelne Grundrechtsträger muss sich bedingt durch das Zusammenwirken mit anderen Grundrechtsträgern und den Ausbildungszweck der Hochschulen Einschränkungen gefallen lassen.
B. Präzisierung der Fragestellung
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Zweck an sich selbst, sondern unterliegt bestimmten außerwissenschaftlichen Zwecken, Interessen und Bindungen. Zum Beispiel ist es die Gewinnerzielungsabsicht eines Unternehmens, die Forschungsziele und -organisation bestimmt, nicht die Ermöglichung von individueller Forschungsfreiheit. Forschungsfreiheit kann hier der Forscher nicht – oder nicht in der gleichen Intensität – gegen eine private Organisation richten, die mit Forschung wissenschaftsfremde Ziele verfolgt. Nach herrschender Meinung sind Grundrechte lediglich Abwehrrechte gegen den Staat, nicht aber gegen private Dritte. Hier entfalten sie lediglich eine mittelbare Drittwirkung vor allem über die Generalklauseln des Zivil- und Arbeitsrechts. 286 Die Freiheit der Wahl von Forschungsziel und -methode sowie der Veröffentlichung lässt sich grundsätzlich nur dem Staat entgegenhalten und ist damit auf den Universitätsangehörigen zugeschnitten. Denn die Organisationsmacht und -pflicht, wie sie der Staat an seinen Hochschulen hat, lässt sich kaum auf alle außeruniversitären Einrichtungen, insbesondere in der Privatwirtschaft, ausdehnen. Damit sind Forschungsorganisationen im außeruniversitären Bereich wesentlich freier von grundrechtlichen Restriktionen und können zugleich Forschung und wissenschaftliche Methodik an einen bestimmten Zweck binden. cc) Die Bedeutung der Organisation für die Forschungsfreiheit Ansatzpunkt für eine Bestimmung, was überhaupt freie Forschung kennzeichnet, ist zunächst, dass Forschung heute zum Großteil in Organisationen stattfindet und auch nur stattfinden kann. 287 Hierin besteht ein elementarer Unterschied zur ebenfalls in Art. 5 Abs. 3 GG erwähnten Kunst. 288 Die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft erfordert autonome Organisationsstrukturen, wie sie in Gestalt der Universitäten existieren, und diese können sich gegen den Staat originär auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen. 289 Wenn dagegen der einzelne Forscher in außeruniversitären oder nichtstaatlichen Einrichtungen das Grundrecht aufgrund fehlender unmittelbarer Drittwirkung ge285
So z. B. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 90 ff. Siehe hierzu unten Viertes Kapitel, B. II. 1. b) aa). 287 Ossenbühl in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (508); siehe auch Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 20, 48 ff.; ausführlich Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 52 ff., 118 ff. 288 Auf den Unterschied der Lebensbereiche hinweisend: BVerfGE 47, 327 (369) – Hess. Universitätsgesetz. 289 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 3.; a. A. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 124, der jedenfalls Art. 19 Abs. 3 GG für anwendbar hält; die Gewährleistung der Universitäten als institutionelle Einrichtung erfolge jedoch direkt aus Art. 5 Abs. 3 GG. 286
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
gen seine Organisation nicht oder kaum in Anspruch nehmen kann, stellt sich die Frage, ob dann stattdessen die Organisation der Grundrechtsträger sein kann oder muss. 290 Das führt zu Art. 19 Abs. 3 GG und zur Frage, wann die Forschungsfreiheit konkret wesensmäßig auf Organisationen anwendbar ist. 291 Ist ein wesentliches Element von Wissenschaft Freiheit, dann ist die Wesensmäßigkeit nur bei entsprechender Autonomie der Forschungsorganisation gegeben. Sie ermöglicht es dem Forscher prinzipiell, individuell und unabhängig über die Inhalte seiner Forschung entscheiden zu können, durch Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs seine Erkenntnisse publik zu machen und damit der Überprüfung und Kritik durch die scientific community auszusetzen. 292 dd) Grenzenlose Forschung? Nach überwiegender Meinung ist die Forschungsfreiheit als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht nicht auf Tätigkeiten eingeengt, die mit Rechten anderer nicht in Berührung kommen. 293 Forschung(-sfreiheit) ist damit im Grundsatz grenzenlos. 294 Diesem Problem kann man nur auf eine Art begegnen: man muss sich für Grenzen entscheiden. 295 Denn wenn Forschungsfreiheit wirklich – wie Hailbronner meint – „Narrenfreiheit“ sein sollte, 296 muss sie begrenzbar sein. Mehrere Möglichkeiten bieten sich hierfür an: Zum Beispiel kann man das Maß der Wissenschaftlichkeit von Forschung (das, wie hier vertreten, auch vom Maß der Freiheit abhängt) abstufen und auf der Rechtfertigungsebene bei der Abwägung berücksichtigen 297 oder die Schrankenkonstruktion von Art. 5 Abs. 3 GG modifizieren (zum Beispiel durch Übertragung der Schranken aus Art. 5 Abs. 1 GG oder der Schrankentrias von Art. 2 Abs. 1 GG). 298 Dies löst aber nicht das 290 So Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 111 ff., 114 ff., 119, 143 f.; siehe unten, Drittes Kapitel, C. II. 2. b). 291 Offen gelassen von Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 53a. 292 Siehe unten, Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). 293 Vgl. nur Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 374; Classen, WissR 1989, 235 (237) sowie oben m. w. N. Fußn. 69. 294 Vgl. Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (683); ebenso Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (97) und R. Dreier, DVBl. 1980, 471 ff., der die Begrenzung der Forschung als das verfassungsrechtliche Problem der Wissenschaftsfreiheit sieht. 295 Vgl. Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (683). 296 So der Vergleich von Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 308, 259; krit. hierzu Waechter, Der Staat 1991, 19 (42): Historisch sei so etwas nie gemeint gewesen. 297 So Heinrich, Forschungsförderung (2003), S. 31 ff.; ähnlich auch A. Blankenagel, in: Däubler-Gmelin/Adlerstein, Menschengerecht (1986), S. 122 (144 ff.). 298 Ausdrücklich abgelehnt von BVerfGE 30, 173 (191–193) – Mephisto.
B. Präzisierung der Fragestellung
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Problem, welche Intensität einerseits der Schutzpflicht des Staates, beispielsweise für Würde und Leben, und andererseits dem Abwehrrecht Forschungsfreiheit zukommt. Denn auf Grund des Unter- und Übermaßverbots genießt grundsätzlich derjenige, der ein Abwehrrecht für sich in Anspruch nimmt (der aktive Grundrechtsträger), stärkeren grundrechtlichen Schutz als derjenige, dem hierdurch eine Verletzung seiner Rechte droht (der passive Grundrechtsträger). 299 Würde man einen Grundsatz in dubio pro libertate bzw. in dubio pro scientia 300 gelten lassen, käme dieser immer nur der einen Seite zu Gute. Zweifel gingen immer zu Lasten des Passiven. 301 Unscharf bleibt auch der Ansatz, Forschung, die elementare Grundsätze der Menschenwürde verletzt, als nicht vom Normbereich umfasst zu sehen. 302 Für die Religionsfreiheit wird dies beispielsweise für einen Ritualmord angenommen, der von Anfang an nicht durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG geschützt sein soll. 303 Ein gesetzliches Verbot offensichtlich menschenunwürdiger Menschenversuche 304 griffe dann gar nicht in Art. 5 Abs. 3 GG ein. 305 Wenn aber gerade – wie in der embryonalen Stammzellenforschung – der Würde- und Lebensschutz umstritten ist, ist hiervon keine Lösung zu erwarten. Viel überzeugender ist es deswegen, bei der Konkretisierung des Schutz- und Gewährleistungsbereichs eine scharfe Grenze zwischen wissenschaftlicher (zweckungebundener und unabhängiger) und nichtwissenschaftlicher (zweckgebundener
299 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 89 spricht hier von Asymmetrie, siehe hierzu unten Viertes Kapitel, B. I. Diese entsteht nicht, wenn ein konsequenter Ausgleich im Sinne der praktischen Konkordanz Hesses erfolgen würde (vgl. K. Hesse, Verfassungsrecht [1991], Rdnr. 72). 300 Ausdrücklich dafür Kamp, Kommerz (2004), S. 93; dagegen Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 90. Gegen eine Ausgangsvermutung zugunsten der (aktiven) Freiheit und ein solches Prinzip der Verfassungsinterpretation auch K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 72. 301 Dagegen ein Plädoyer für ein in dubio pro securitate insb. im Bereich der Arzneimittelsicherheit von Scheu, Gefahrenvorsorge (2003), S. 346. 302 Ähnlich das Ergebnis von Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 509, 410. 303 Weitergehend bereits Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 237 f.: „Die Gewissens- und Glaubensfreiheit gestattet ( . . . ) keine strafbaren Handlungen oder Aktionen, die von der Verfassung geschützte Rechtsgüter in erheblicher Weise gefährden.“ 304 Ein Verbot klinischer Prüfungen ohne therapeutischen Nutzen, z. B. bei Nichteinwilligungsfähigen, wäre dann kein Eingriff. Siehe hierzu Sobota, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 367 ff. Das AMG erlaubt jedoch mittlerweile solche Prüfungen, siehe hierzu unten Viertes Kapitel, B. IV. 3. a). Keller, MedR 1991, 11 (12) sieht z. B. in den NSHumanexperimenten keine Forschung, da es dort nicht um Wahrheitsermittlung, sondern um Menschenvernichtung gegangen sei. Es handle sich um eine contradictio in adjecto. 305 Vgl. zur Problematik klinischer Prüfungen mit Arzneimitteln: Kamp, Kommerz (2004), S. 19 ff., 147 ff., jedoch im Ergebnis mit anderen Schlussfolgerungen.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
und abhängiger) Forschung zu ziehen und den Normbereich (d. h. den Schutz- und Gewährleistungsbereich) möglichst präzise zu beschreiben. Tätigkeiten, die nicht wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen, werden anderen Grundrechten zugewiesen. Im Gegensatz zu anderen vorbehaltlos gewährten Grundrechten drängt sich eine derartige Lösung für die Forschungsfreiheit besonders auf, da bei der Forschung das Risiko des Eingriffs und der Verletzung hochrangiger Rechtsgüter besonders hoch und eine Abwägung besonders schwierig ist. Die Inanspruchnahme von Verfassungsgütern Dritter oder der Allgemeinheit ist nicht wesentlicher Bestandteil der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft und damit nicht von der Forschungsfreiheit umfasst. Wissenschaftliche Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist nur solche, die diese Verfassungsgüter nicht in Anspruch nimmt, denn: „Das Grundrecht der Freiheit der Forschung ist ( . . . ) ein Abwehrrecht gegen staatliche Bevormundung, nicht ein Freibrief für den Eingriff in andere Rechtsgüter.“ 306 Diesen Gedanken stützt grundsätzlich auch eine Entscheidung des BVerfG zur Kunstfreiheit, wonach eigenmächtige Eingriffe des Künstlers in Rechte Dritter schon gar nicht vom Gewährleistungsbereich des Grundrechts umfasst seien. 307 Diese Ansätze gilt es weiter zu verfolgen. b) Die Forschung und die Verwertung ihrer Erkenntnisse aa) Allgemein Erkenntnisse eines Forschungsprozesses können zum Beispiel verwertet werden, indem sie veröffentlicht, gelehrt oder patentiert werden. Und nicht zuletzt dienen Erkenntnisse dazu, die eigene Forschung weiter voranzutreiben. Je nachdem, welche Art der Erkenntnisverwertung beabsichtigt ist, gestaltet sich die Wahl des Forschungsziels und der Prozess der Erkenntnisgewinnung. Ob und wie ist die beabsichtigte oder erfolgte Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei Art. 5 Abs. 3 GG zu berücksichtigen? Der Inhalt der Forschungsfreiheit kann nicht vollständig erfasst werden, wenn nicht auch die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse mit einbezogen wird. 308 Werden durch sie Eigentumsrechte begründet, geht es – vereinfacht gesagt – um 306
Benda, NJW 1986, 1978; siehe hierzu auch Viertes Kapitel, B. IV. 3. BVerfG, NJW 1984, 1293 – Sprayer von Zürich (zust. Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I [2000] Art. 5, Rdnr. 93). Siehe auch Viertes Kapitel, B. IV. 3. c). 308 Vgl. andeutungsweise Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 13 f. Kamp kommt nach ausführlicher Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Verwertung nicht von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt ist (ders., Kommerz [2004], S. 244 f.); siehe auch Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 76, 99 f.; Trute, Forschung (1994), S. 125 schließt zusätzlich zur Verwertung („irrelevant für Erkenntnisoperationen“) auch gegen die überwiegende Auffassung (insb. BVerfGE 35, 79 [113]) die Verbreitung von Erkenntnissen vom Forschungsbegriff aus. 307
B. Präzisierung der Fragestellung
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die Beziehung zwischen dem Schutz durch die Forschungsfreiheit und dem Schutz des geistigen Eigentums 309. Grundrechtlich erscheint die Trennung auf den ersten Blick ganz einfach: Die Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) schützt die Suche nach Erkenntnis, die Eigentumsgewährleistung (Art. 14 Abs. 1 GG) schützt den gesetzlich zugeordneten Vermögenswert des Gefundenen. Geistiges Eigentum betrifft also die Frage der Verwertung von Erkenntnissen. 310 Wissenschaftliche Erkenntnisse als solche genießen hierbei zunächst keinen einfachgesetzlichen Schutz. Wissenschaftliche Theorien, Lehren und Ideen sind als solche weder urheberrechtlich geschützt noch patentfähig. 311 Erst wenn Erkenntnisse in ein Werk umgesetzt werden, sich also in einer bestimmten Art und Weise verkörpern, entsteht rechtlicher Schutz. 312 Es gibt zwei Arten, die hier interessieren: Urheber- und Patentschutz. Wie dargestellt, ist es von erheblicher Bedeutung für die Entfaltung wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit, wie (zweck-)frei und unabhängig Forschung betrieben wird. Diese Freiheit ist zumeist nicht gewahrt, wenn Forschungszweck die wirtschaftliche Verwertung der im Erkenntnisprozess gewonnenen Ergebnisse ist. Von besonderem Interesse ist dabei die technische Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in patentgeschützte Erfindungen, die sich angesichts ihrer ökonomischen Verwertbarkeit sehr attraktiv sind. Eine untergeordnete Rolle spielt das Urheberrecht. bb) Problembereich Patente Die Leistung, eine Idee nur aufgefunden zu haben, ist eine durch jedermann nutzbare gemeinfreie Entdeckung, auch wenn sie in Form eines wissenschaftlichen Aufsatzes veröffentlicht wird. 313 Anderes gilt jedoch, wenn eine Lehre zum technischen Handeln hinzutritt. Sie ist das charakteristische Merkmal einer Erfindung. 314 309 Obwohl der Begriff aus dem Englischen („intellectual property“) übernommen wurde, ist er dem Einwand ausgesetzt, mit ihm würde an naturrechtliche Vorstellungen angeknüpft, die seit dem Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG obsolet seien, vgl. Ohly, JZ 2003 545 ff.; siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. I. 1. 310 Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 330; nur auf den ersten Blick scheinbar a. A. Thieme, DÖV 1994, 150 (153), der zwar die „Verwertung der Forschungsergebnisse“ von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sehen will, nicht jedoch die „wirtschaftliche Nutzung“; a. A. jedenfalls Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 28. 311 Vgl. § 2 UrhG, § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG. 312 Im Bereich der Wissenschaft zumeist Sprach-, Lichtbild- und Filmwerke sowie Darstellungen wissenschaftlicher und technischer Art (§ 2 Abs. 1 UrhG) sowie die Erfindung (§ 1 Abs. 1 PatG); vgl. hierzu Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 149, Rdnr. 367 sowie S. 85 f., Rdnr. 210. 313 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 165; krit. Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 325.
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Forschungsergebnisse, die gewerblich verwertbare technische Anwendungen zum Inhalt haben, sind patentierbar. 315 Das Patentrecht schützt den Erfinder eines technischen Verfahrens. Er kann entweder alle Dritten von der gewerblichen Verwertung der Erfindung ausschließen oder einen Vergütungsanspruch geltend machen. 316 Die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Technik wird damit elementar, denn sie entscheidet, ob eine Erkenntnis oder Idee wissenschaftlich und gemeinfrei oder technisch und patentierbar ist. 317 Obwohl das Patentrecht seiner Natur nach einen außerwissenschaftlichen Bereich regelt, dringt es nicht nur mit Biopatenten 318, sondern auch mit dem Arbeitnehmererfindungsgesetz tief in den Bereich der Wissenschaft ein und irritiert deren Eigengesetzlichkeit. So ist zum einen prinzipiell nach der Rechtfertigung des Patentschutzes zu fragen. Geistiges Eigentum befindet sich im Spannungsfeld zwischen Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit (Art. 14 Abs. 1 und 2 GG). 319 Es ist genauso rechtserzeugt wie das Sacheigentum 320 und durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen so ausgestaltet, dass einerseits der Urheber oder Erfinder geschützt und andererseits das Allgemeinwohl durch Wettbewerb, Innovation und technische Entwicklung befördert werden soll. 321 Zum anderen ist die Forschungsfreiheit von derartiger Erkenntnisverwertung unmittelbar betroffen. Wissenschaft beruht ihrem ganzen Wesen nach auf ungehindertem Informationsfluss. Sollen Forschungsergebnisse in Patente münden, 314 Vgl. Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 85, Rdnr. 210; BGH, GRUR 1965, 533 (534). 315 Vgl. § 5 Abs. 1 PatG: Ausgenommen sind technische Verfahren im medizinischen Bereich (§ 5 Abs. 2 S. 1 PatG), jedoch können Arzneimittel patentiert werden (§ 5 Abs. 2 S. 2 PatG). 316 Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 330. 317 Siehe unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. b). 318 Natürliche Stoffe und menschliche DNA-Sequenzen können patentiert werden, obwohl es sich hier nicht um Erfindungen handelt. Siehe hierzu z. B.: Frahm/Gebauer, Patent auf Leben? – Der Luxemburger Gerichtshof und die Biopatentrichtlinie, EuR 2002, 78–95; Haedicke, Kein Patent auf Leben? – Grundlagen des Patentrechts und der Schutz biotechnologischer Erfindungen, JuS 2002, 113–118; Sellnick, Erfindung, Entdeckung und die Auseinandersetzung um die Umsetzung der Biopatentrichtlinie, GRUR 2002, 121–126; Lausmann-Murr, Schranken für die Patentierung der Gene des Menschen – „Öffentliche Ordnung“ und „gute Sitten“ im Europäischen Patentübereinkommen (2000); Zintler, Biotechnologierichtlinie (2002). 319 Siehe hierzu die Patentrechtstheorien, vgl. Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 13 f., Rdnr. 30 ff.; Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 131 ff. 320 Sowohl das Sacheigentum als auch das geistige Eigentum sind immer wieder einer naturrechtlichen Betrachtung ausgesetzt, die es in rechtspolitischer Absicht seiner Begrenzung entziehen will. Vgl. in diesem Zusammenhang zum Grundeigentum und zur Baufreiheit: Dähne, Jura 2003, 455 ff. 321 Vgl. Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 127.
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wird der wissenschaftliche Informationsaustausch unterbrochen oder gestört. Vor der Patentanmeldung 322 müssen die Erkenntnisse der Geheimhaltung unterliegen, da sonst das Neuheitserfordernis (§ 3 PatG) nicht erfüllt ist. Auch nach Offenlegung der Erfindung sind meist nicht alle wissenschaftsrelevanten Informationen publiziert. Das Patent besteht unabhängig von wissenschaftlichen Fragen oder wissenschaftlicher Kritik. 323 Werden Patente begründet, erschweren sie zudem den allgemeinen Erkenntnisprozess. Zwar gilt für die Forschung ein patentrechtliches Versuchsprivileg (§ 11 Nr. 2 PatG). Wenn aber die Nutzung von Wissen mehr und mehr monopolisiert oder dieses Wissen dem wissenschaftlichen Diskurs vorenthalten wird, dann wird der Informationszugang wissenschaftlicher Forschung beeinträchtigt. Hier kollidiert und konkurriert Art. 5 Abs. 3 mit Art. 14 Abs. 1 und 2 GG. Käme dem Lebensbereich patentorientierter Forschung der Schutz beider Grundrechte zu, so wäre dies ohnehin eine ungerechtfertigte Doppelbelohnung, 324 wobei für Forschung ohne Patentorientierung die Kollision zwischen Art. 5 Abs. 3 und Art. 14 zugunsten der Forschungsfreiheit ausfallen müsste. cc) Die Art der Erkenntnisverwertung als elementarer Steuerungsmechanismus für Forschungsziel und -methode Eine direkte Techniksteuerung soll durch das Patentrecht nicht möglich sein. 325 Mittelbar ist aber der Einfluss enorm: Begreift man nämlich Forschung als einen Markt 326 mit Angebot und Nachfrage, dann ergeben sich folgende wechselseitige Wirkungen: Forschung benötigt finanzielle Mittel. Die Wirtschaft bietet diese an und benötigt ökonomisch verwertbare (patentfähige oder geheime) Erkenntnisse. Solche bietet die Forschung an, und je prekärer ihre finanzielle Situation ist, desto mehr konzentriert sie sich mit ihrem Angebot, d. h. ihren Forschungszielen und -methoden, auf diese Nachfrage. Daher kann mit dem Patentrecht erheblicher Einfluss auf den Forschungsmarkt genommen werden. Das Motiv der Einführung der Biopatente war zum Beispiel die Wirtschafts- und Forschungsförderung in der Bio- und Gentechnik. 327 Die 322
Patentschrift, Patentblatt und ggf. Offenlegungsschrift (§§ 32, 58 PatG). Vgl. § 21 Nr. 2 PatG. 324 Vgl. im Zusammenhang mit dem Stoffpatent: Raden/Renesse, GRUR 2002, 393– 399. 325 Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 67 (85 f.). 326 Es sind verschiedene Marktmodelle möglich, je nachdem, welche Güter gehandelt werden und wer Marktteilnehmer ist. A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (59 f.) beschreibt z. B. ein Marktmodell, in dem die „kompetente Reaktion“ innerhalb der scientific community gehandelt wird; ähnlich auch Lege, in: Bohnert/Gramm, FS Hollerbach (2001), S. 385 (400 f.); siehe hierzu unten Viertes Kapitel, A. II. 1. 323
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
Erkenntnisse in diesem Bereich entspringen weniger der persönlichen Neugier der Forscher, sondern sind in starkem Maße finanziell gesteuert. Die Finanzierung von Forschung hat so hohe Steuerungsrelevanz. 328 Für die Motivation des einzelnen Forschers gilt heute: „Wer Erkenntnisse nicht verwerten kann, um seine Erkenntnisse zu verbessern, der wird von der Entwertungsangst für seine Erkenntnisse erfasst.“ 329 Gleiches gilt für die staatliche Forschungsfinanzierung, hier findet jedoch neben der Steuerung durch das „Zuckerbrot“ auch eine Steuerung durch die „Peitsche“, d. h. durch Kürzungsmaßnahmen statt, was den Effekt noch verstärkt. Das trifft vor allem auf die Finanzierung der Universitäten zu. Wenn es daher heißt, der Einfluss des Patentrechts werde überschätzt, 330 so soll dieser These entgegengestellt werden, dass die Patentierbarkeit biotechnologischer Verfahren sich jedenfalls intensiv auf die Wahl der Forschungsschwerpunkte von Forschungseinrichtungen und Hochschulen auswirkt. Geistige Monopolrechte liegen „im Trend“. Dies zeigt zudem der Streit um die Patentierung von Computersoftware. 331 Beim geistigen Eigentum wird ein Konflikt zwischen zwei gegensätzlichen Bereichen offenbar: Zum einen die Wissenschaft, die grundsätzlich auf Transparenz und Diskurs angelegt ist, zum anderen die Wirtschaft, deren Zweck der Profit ist und die auf geheimes Wissen und immaterielle Monopolrechte angewiesen ist. 332 c) Erarbeitung objektiver Maßstäbe für die Wissenschaftlichkeit von Forschung Entscheidend ist nun, wie die Abgrenzung zwischen den Funktionsbereichen „Wissenschaft“ und „ Wirtschaft“ erfolgen könnte. Systemtheoretisch betrachtet bietet sich dafür eine Unterscheidung durch die jeweilige Kommunikation und ihre Codierung an. Das System Wissenschaft kennzeichnet der Code „wahr/unwahr“, die Wirtschaft der Code „haben/nicht haben“. 333 Nicht jede Handlung eines Wis-
327
Haedicke, JuS 2002, 113 (114 f.). Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 439; deutlicher R. Dreier, DVBl. 1980, 471 ff.; siehe hierzu unten Drittes Kapitel, A. IV. 4. 329 Mieht, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (64). 330 Vgl. Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 125 (141), der dem Patentrecht jedoch zu Recht überragende wirtschaftliche Bedeutung zugesteht. 331 Bisher noch gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG vom Patentschutz ausgenommen; vgl. Sellnick, GRUR 2002, 121 (126). Siehe hierzu unten Viertes Kapitel, A. I. 3. 332 Natürlich auch, um erneut Forschung zu finanzieren und zu ermöglichen, die jedoch wieder den gleichen Prämissen folgt. Dennoch wird argumentiert, die Möglichkeit, Profit zu machen, widerspreche nicht Art. 5 Abs. 3 GG, weil damit wieder neue Forschung ermöglicht werde (so Kamp, Kommerz [2004], S. 93; ähnlich auch Classen, Wissenschaftsfreiheit [1994], S. 89). 328
B. Präzisierung der Fragestellung
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senschaftlers bei der Ausübung seines Berufes kann als Bestandteil des Systems Wissenschaft betrachtet werden. 334 Entscheidend ist, ob sie der Suche nach Wahrheit (als Aufgabe der Wissenschaft) oder anderen, insbesondere wirtschaftlichen Zwecken dient. Es liegt jedoch im Wesen wissenschaftlicher Forschung, dass ihre Ergebnisse und deren Verwertung nicht von vorneherein bestimmbar sind. So kann statt einer Veröffentlichung unerwartet eine Patentanmeldung erfolgen – oder das angestrebte Patent wird nicht erteilt und stattdessen die Erkenntnis veröffentlicht. Damit ist es schwer, die mit einem Forschungsprozess verfolgten Ziele ex ante objektiv zu bestimmen und als Maßstab für ihre Schutzwürdigkeit heranzuziehen. 335 Wie gezeigt ist jedoch die Organisation von Forschung entscheidend dafür, ob der Forscher umfassend am Prozess der Wahrheitssuche teilnehmen kann. Deren Autonomie ist objektiver Maßstab, ob die Prinzipien von Wissenschaftlichkeit beachtet werden. Hierzu zählen – insofern ergeben sich keine Unterschiede zur herrschenden Meinung – die freie Wahl von Forschungsziel und Forschungsmethode. Zusätzlich muss die Organisation gewährleisten, dass eine offene, durch Transparenz, Publizität und kritischen Diskurs geprägte wissenschaftliche Kommunikation möglich ist. Die Einhaltung dieser Maßstäbe führt zu einem Wahlrecht 336 der jeweiligen Forschungsorganisation: Will sie das Abwehrrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG für sich in Anspruch nehmen (sei es originär aus Art. 5 Abs. 3 oder über den Umweg des Art. 19 Abs. 3 GG), dann muss sie diese Prinzipien der Wissenschaftlichkeit beachten. Aus der objektiven Schutzpflicht des Staates für freie Wissenschaft, folgt darüber hinaus eine unmittelbare Gewährleistungspflicht solcher Strukturen an den Hochschulen. Die Hochschule ist die entscheidende Organisation, mit der freie wissenschaftliche Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistet werden muss. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit dient vorrangig, wenn auch nicht ausschließlich, ihrem Schutz.
333
Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. III. 1. Zur Wissenschaftsfreiheit als Berufsfreiheit (insb. zur Wissenschaft als Beruf): W. Schmidt, NJW 1973, 585 ff. 335 Damit kann man mit der h. M. fälschlicherweise zu dem Ergebnis kommen, dass sie deshalb nicht bei der Bestimmung des Normbereichs, sondern lediglich auf der Abwägungsebene relevant seien. Siehe zur Hochrangigkeit von Forschung: Zweites Kapitel, C. III. 4. 336 Ein Wahlrecht, das dem Forscher individuell schon immer durch seine Entscheidung für eine freie oder abhängige Forschungsorganisation eingeräumt war und eine Form negativer Forschungsfreiheit darstellt; siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, D. I. 5. 334
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
IV. Thesen und Ablauf 1. Grundthesen Vor diesem Hintergrund soll folgende Hauptthese untersucht werden: − Wer die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in Anspruch nimmt, kann sich nicht auf den Schutz des geistigen Eigentums berufen. Wer forscht, um sich auf den Schutz geistigen Eigentums berufen zu können, kann nicht in den Genuss der Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit kommen. Diesem Ergebnis liegen folgende Thesen zugrunde: − In der Diskussion um die Zulässigkeit der Embryonenforschung liegt die rechtswissenschaftliche Aufmerksamkeit zu einseitig auf den verfassungsimmanenten Schranken. Die Lösung der Schrankenprobleme der Forschungsfreiheit allein auf Abwägungsebene führt zu der Gefahr, die Menschenwürde „in kleiner Münze“ einzusetzen und sie zu entwerten. − Das überwiegende Verständnis von Wissenschaftsfreiheit ist traditionell geprägt von universitärer geisteswissenschaftlicher Forschung und Lehre und deren Unterdrückung durch staatliche Gewalt. Heute findet jedoch Forschung größtenteils außerhalb der Hochschulen statt und ist geprägt durch Technologisierung, Zweckorientierung und Erwerb geistigen Eigentums. Die Universitäten werden kommerzialisiert, dienen dem „Outsourcing“ kommerzieller Forschung und werden ansonsten zu „Lehr-und-Lern“-Anstalten. − In Reaktion hierauf wird der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG durch die herrschende Meinung auf den gesamten Lebensbereich Forschung ausgedehnt. Dies führt im Ergebnis zur Privilegierung privatwirtschaftlichen Handelns, das sich wissenschaftlicher Methoden bedient. Die Forschungsfreiheit für das Individuum wird dagegen marginalisiert. Damit verliert das Grundrecht seine Legitimation. Es bleibt unberücksichtigt, dass erst die mögliche Falsifizierung von Erkenntnissen durch offene wissenschaftliche Kommunikation den besonderen gesellschaftlichen Wert der Wissenschaft charakterisiert. − Bei der Interpretation vorbehaltloser Grundrechte wie der Wissenschaftsfreiheit ist deren Funktion zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere gegenüber aktuellen Freiheitsbedrohungen. Die Funktion des Art. 5 Abs. 3 GG ist Schutz und Ermöglichung freier, d. h. zweckungebundener und unabhängiger Forschung. Dies ergibt sich auch aus der historischen Entwicklung. − Soll freie Forschung auch Ausdruck einer objektiven Wertordnung und des grundgesetzlichen Kulturstaatsgedankens sein, muss zwischen wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Handeln – d. h. unabhängiger und abhängiger Forschung – differenziert werden.
B. Präzisierung der Fragestellung
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− Der Normbereich der Forschungsfreiheit bestimmt sich danach, ob die Eigengesetzlichkeit des Systems Wissenschaft gewahrt ist. Entscheidend dafür ist autonome Organisation und freie Kommunikation. − Als objektive Maßstäbe, die prima facie gegen die Wahrung dieser Eigengesetzlichkeit sprechen, sind fehlende Autonomie der Forschungsorganisation und die Begründung von monopolistischen Eigentumsrechten heranzuziehen. Der Schutz durch Art. 14 Abs. 1 GG schließt in solchen Fällen den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG aus. − Der Träger einer Forschungsorganisation hat ein Wahlrecht, ob er sein Organisationsrecht so ausgestaltet, dass unabhängige und zweckungebundene Forschung gewährleistet ist und damit das subjektive Abwehrrecht des Art. 5 Abs. 3 GG in Anspruch genommen werden kann. Hinsichtlich der Universität ist der Staat verpflichtet, dies zu tun, denn sie hat der Ort freier Wissenschaft zu sein. Insoweit ist Art. 5 Abs. 3 GG ein Organisationsgrundrecht, das lediglich durch den Ausbildungsauftrag der Universität modifiziert werden kann. 2. Stand der rechtswissenschaftlichen Literatur Die rechtswissenschaftliche Literatur der letzten zwei Jahrzehnte kommt bei der Auseinandersetzung mit der Forschungsfreiheit zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zwei grobe Linien werden erkennbar: Auf der einen Seite eine liberale Linie, die insbesondere die abwehrrechtliche Funktion von Art. 5 Abs. 3 GG für Jedermann betont und sie auf jede Art von Forschung(-sorganisation) zu übertragen versucht. Für diese Ansicht ist Freiheit der Forschung vorrangig Freiheit vom Staat. Die Bewältigung der Risiken und Gefahren moderner Forschung sollen vorrangig der wissenschaftlichen Gemeinschaft obliegen. Auch wird die Bedeutung individueller Verantwortung des Wissenschaftlers betont. 337 Auf der anderen Seite existiert eine Richtung, die die Voraussetzungen für den grundrechtlichen Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG spezifizieren und den Normbereich oder die Schranken der Forschungsfreiheit enger fassen will. Hier wird die Rolle des Staates differenzierter gesehen und die objektivrechtliche Seite der Forschungsfreiheit stärker betont. Damit zieht man in seine Betrachtungen auch die Bedingungen mit ein, innerhalb derer freie Forschung ermöglicht wird. Gefahren für die Gesellschaft und Rechte Dritter werden verfassungsrechtlich berücksichtigt. 338 Diese Linie lässt sich als „sozial“ bezeichnen.
337 So z. B. Kamp, Kommerz (2004); Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 139 ff. (insb. S. 183 ff.), 212 ff., 307 ff.; Trute, Forschung (1994), insb. S. 173 ff. (verfassungsrechtliche Grundlagen der Institutionalisierung) sowie S. 394 ff. (Status des Wissenschaftlers in der Organisation); Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 136 ff., Rdnr. 151 ff.; S. 164 ff., Rdnr. 179 ff.
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1. Kap.: Das verfassungsrechtliche Problem
3. Gang der Untersuchung: Die Zeitläufte und die Reaktionen der Jurisprudenz a) Inhalt der Untersuchung Einem alternativen Verständnis von Forschungsfreiheit, das sich an den oben dargestellten Grundthesen orientiert, müssen drei Ansatzpunkte vorausgehen: 1. Notwendig ist eine Rückbesinnung auf das historische Verständnis von Forschungsfreiheit. Ohne diese Basis kann auch heute nicht erfasst werden, vor wem oder was Forschungsfreiheit die Forschung schützen muss. 2. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen ist die Eigengesetzlichkeit der Forschung durch ökonomische Zwänge wesentlich stärker als durch staatliche Restriktion bedroht. 3. Eine aktuelle Grundrechtsinterpretation darf die gesellschaftliche Funktion freier Forschung und ihre zukünftige Entfaltung nicht außer Acht lassen. Ein solche Untersuchung hat einen erheblichen Umfang und kann dennoch bei weitem nicht abschließend sein. Viele Detailfragen des Forschungs- oder des Wissenschaftsrechts müssen offen bleiben. Insbesondere kann im Einzelnen nicht auf die Forschungsförderung und Forschungsfinanzierung 339 eingegangen werden, ebenso wenig auf Forschungsförderungsorganisationen. 340 Gleiches gilt für einzelne Forschungsorganisationen und deren grundrechtliche Stellung. 341 Nur im Einzelfall können sie punktuell zur Veranschaulichung der Ergebnisse herangezogen werden. b) Verlauf der Untersuchung Der Verlauf der Untersuchung folgt den Phasen, mit denen die Rechtswissenschaft auf Veränderungen und Konflikte im Lebensbereich Wissenschaft bzw. Forschung reagiert hat: 1. Sehr lange stand in der Vergangenheit isoliert die Forschung an den Hochschulen im Mittelpunkt des Interesses, da hier die meiste staatliche Gängelung drohte. Zugrunde lag das Ideal von staatlich alimentierter zweckungebundener geisteswissenschaftlicher Forschung Humboldtscher Prägung durch die Hochschullehrer. Dies ist Gegenstand des Zweiten Kapitels der Untersuchung.
338 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 351 ff.; A. Blankenagel, AöR 1980, 35 ff.; ders., AöR 2000, 70 ff. (90 ff.); M. Blankenagel, Information und Gemeinhaltung, insb. S. 81 ff.; Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997). 339 Siehe hierzu ausführlich Trute, Forschung (1994), S. 412 ff.; Heinrich, Forschungsförderung (2003). 340 Siehe hierzu Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 41 f.; 63 ff. 341 Siehe hierzu Trute, Forschung (1994), S. 493 ff.
C. Resümee
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2. Erst nach dem Abflauen der Auseinandersetzungen um die Hochschulreformen der 1960er und 1970er Jahren wandte man sich der gesellschaftlichen Ambivalenz von Forschung zu, die eigentlich bereits seit dem 19. Jahrhundert stetig gewachsen war. 342 Man stellte sich der Gegenwart und Realität von Forschung und versuchte eine Integration der technisierten außeruniversitären Forschung in die bis dato gefundenen Grundsätze (Drittes Kapitel). Diese Versuche sind jedoch unzureichend, um verlässlich die Grenzen von Forschungsfreiheit zu bestimmen. Im Extremfall führen sie zu einer Forschungsfreiheit mit fehlender Legitimation. 3. Zu einer Neubewertung kommt man, wenn man die gesellschaftlichen und politischen Relevanzansprüche 343 an freie Forschung betrachtet. Dies setzt eine Analyse voraus, welche freiheitsbedrohenden Entwicklungen mit diesen Ansprüchen an die Forschung verbunden sind und führt zu einer generellen Auseinandersetzung mit der allgemeinen Grundrechtsdogmatik. Die Zukunft der Forschung und ihrer Freiheit hängt wesentlich davon ab, wie der Gehalt des Art. 5 Abs. 3 GG angesichts dieser neuen Herausforderungen zu verstehen ist (Viertes Kapitel). 4. Die Ergebnisse legen schließlich die Grundlage für das hier vertretene differenzierende Modell. Es unterscheidet zum einen zwischen der Organisationsform und zum anderen zwischen der Zuordnung der jeweiligen Handlung zum Bereich Wissenschaft oder zum Bereich Wirtschaft (Fünftes Kapitel).
C. Resümee Im Ersten Kapitel wurde ein ungewöhnlich weiter Bogen gespannt: Von der Auseinandersetzung über die embryonale Stammzellenforschung und die Menschenwürde hin zum herrschenden Verständnis der Forschungsfreiheit und ihrer Grenzen. Der Entschluss, die Forschungsfreiheit unter den heutigen Bedingungen für Forschung zu interpretieren, führt zu der These, dass nur wissenschaftliche Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt ist und nur freie Forschung wissenschaftlich sein kann. Wirtschaftlich orientierte Forschung ist nicht frei. Zur Abgrenzung ist der Schutz geistigen Eigentums, insbesondere der Patentschutz heranzuziehen. Von dessen Inanspruchnahme kann die Wissenschaftlichkeit von Forschung und der Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG abhängen. In den folgenden drei Kapiteln sollen die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen für diese These ausführlich dargestellt werden, hierbei ist in manchen Punkten bereits eine Annäherung an eine alternative Lösung möglich. Im Fünften Kapitel soll diese sodann systematisch ausgearbeitet werden.
342 343
So auch die Beobachtung von Losch/Radau, NVwZ 2003, 390. Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (695 f.).
Zweites Kapitel
Die Idee von Forschung Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit ist eine „Idee“. 1 Betrachtet man die rechtshistorische Entwicklung und die rechtswissenschaftliche Debatte bis Mitte der 1980er Jahre, so stellt man fest, dass bei der Analyse der Forschungsfreiheit immer mit einem bestimmten Ideal operiert wurde: Die geisteswissenschaftliche Forschung an staatlichen Universitäten und deren Organisation war der Fixpunkt, mit dem sich die Forschungsfreiheit verband. Über 100 Jahre lang waren es die politischen Effekte wissenschaftlicher Meinung und Lehre (vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG), später dann die Organisation der Universitäten, die im Mittelpunkt des Interesses standen. Auch wenn nicht ignoriert wurde, dass Forschung auch außerhalb der Universitäten stattfand, so spielte dieser Bereich doch keine große Rolle in der Diskussion. 2 Die Universitäten und ihre Bedeutung für Elitenbildung, Politik, Kultur und Wirtschaft waren Gegenstand einer Betrachtung, die sich isoliert akademischer Forschung widmete. Im Blick stand die Gesetzgebung zur Sicherung und Förderung der Wissenschaft. 3 Dies hatte zwei Ursachen: Zum einen waren im 19. Jahrhundert Wissenschaft und Technik noch institutionell in Gestalt der Universität abgrenzbar, zum anderen waren die Funktionssysteme Wissenschaft und Wirtschaft noch weitgehend getrennt. Wissenschaft war akademische Wissenschaft, d. h. die Einheit von Forschung und Lehre. Forschung, die in der privaten Wirtschaft und in außeruniversitären staatlichen Einrichtungen stattfand, wurde nicht zur Wissenschaft im engeren Sinne gerechnet. Noch heute findet sich diese Vorstellung im Begriffspaar „Wissenschaft und Forschung“, das zwei unterschiedliche Lebensbereiche zu beschreiben scheint. 4
1
Vgl. Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 8; Schulte, VVDStRL 65 (2006), 110 f. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 306 sieht dies als Folge eines verengten Problembewusstseins. 3 Vgl. Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (507), der diese Gesetzgebung von solcher, die der Beschränkung und Behinderung der Wissenschaftsfreiheit dient, abgrenzt (ders., a. a. O., S. 511 ff.). 4 Siehe oben Erstes Kapitel, B. III. 1. a). 2
A. Die Vergangenheit
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A. Die Vergangenheit: Wurzeln und Geschichte des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit bis zur Staatsrechtslehrertagung 1968 I. Das Grundrecht in der Paulskirchenverfassung – Wissenschaftsfreiheit als individuelle Mitteilungsfreiheit 1. Verwurzelung in der Aufklärung Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht die politische und kulturelle Funktion der Wissenschaftsfreiheit. Hier bereits von „Forschungsfreiheit“ zu sprechen fällt noch schwer, da die Bezeichnung „Forschung“ erst mit dem Grundgesetz ihren Weg in einen deutschen Verfassungstext gefunden hat. Die geistigen Wurzeln der Wissenschaftsfreiheit reichen in die Zeit des Humanismus und den Beginn des mehr als zwei Jahrhunderte umspannenden komplexen Prozesses der Aufklärung zurück. Zwar gab es bereits lange vorher deutsche Universitätsgründungen (zum Beispiel 1348 in Prag, 1386 in Heidelberg, 1409 in Leipzig, 1419 in Rostock und 1456 in Greifswald), aber diese noch mittelalterlich geprägten Institutionen waren dem Glaubenszwang unterworfen, der von Staat und Kirche ausging. Bis ins 18. Jahrhundert hinein bestimmten kirchliche Orthodoxie und das tradierte Wissen der Lehrsysteme und Autoritäten die Lehre. Abweichungen bedurften der Fakultätserlaubnis. 5 Erst die Universitätsgründungen von Halle (1694) und Göttingen (1737) markieren den Anfang der modernen, der Neuzeit und Aufklärung verpflichteten deutschen Universität unter Abwendung von ihren mittelalterlichen Vorgängerinnen. 6 In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Konstitution der modernen Wissenschaft als geistig autonome Vernunfterkenntnis in der Erkenntnistheorie (Descartes), den Naturwissenschaften (Galilei) und der Soziallehre (Hobbes) erfolgt. Da man sich in Fragen der geistigen Erkenntnis nur dem Denkgesetz unterwerfen könne, ist für Spinoza das „freie Philosophieren“ nicht eine Bekenntnis-, sondern eine Erkenntnisfreiheit. Teil der Erkenntnisfreiheit sei das Vernehmen und Mitteilen von Erkenntnissen. Dies schließe „das Recht frei zu denken und seine Erkenntnisse frei zu äußern und zu lehren“ ein. 7 Neben die Glaubensfreiheit (libertas conscientieae) tritt die Wissenschaftsfreiheit (libertas philosophandi). 8 Die Philosophie sollte nicht länger die Magd der Religion sein. 9
5 6 7
Zwirner, AöR 1973, 313 (315); Bayertz, ARSP 2000, 303 (311 f.). Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 2. Baruch de Spinoza, zit. nach Zwirner, AöR 1973, 313 (314).
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Trotzdem wurde noch Ende des 18. Jahrhunderts eine Freiheit der Lehre an den zumeist von absolutistischen Fürsten unterhaltenen Universitäten abgelehnt. Hier waren die Vorgaben der Obrigkeit zu beachten. Außerhalb ihrer staatlichen Pflichten konnten sich jedoch die Professoren durch Schriften an ihr eigentliches gelehrtes Publikum wenden. Hier nahmen sie durch wissenschaftliche Wahrheitserkenntnis und deren Publikation am Prozess der Aufklärung teil. 10 Noch waren die Universitäten nicht wirklich die Stätten der Wissenschaft. 2. Idealismus und Vormärz Grundlage für unser heutiges Verständnis von Wissenschaftsfreiheit an den Universitäten sind erst die preußische Reformbewegung und der deutsche Idealismus bzw. Neuhumanismus am Anfang des 19. Jahrhunderts. Insbesondere Wilhelm von Humboldt gilt als Vater des deutschen Bildungsideals mit wissenschaftlichem Unterricht und wissenschaftlicher Bildung, das in der von ihm 1810 gegründeten Berliner Friedrich-Willhelm-Universität seinen ersten Ausdruck fand. 11 Den Kern der Erneuerungsversuche bildet ein Verständnis von Wissenschaft, das auf dem Unterschied zwischen Theorie und Praxis basiert. Die ungestörte philosophische Reflexion gilt als das geeignete Mittel zum Zwecke der Erziehung und der allgemeinen Menschenbildung. 12 In der Humboldtschen Bildungsreform gewährt der Staat den Universitäten gegenüber den Schulen einen Sonderstatus und erneuert die bereits seit dem Mittelalter existierenden autonomen Rechte der Universitäten. Neben akademischer Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit wird insbesondere das Doppelprinzip der Einheit und Freiheit von Forschung und Lehre anerkannt. 13
8
Zwirner, AöR 1973, 313 (314 f.). Kirchenvater Origines (184–254) verlangte diese Unterordnung der Philosophie als Magd der Religion, so wie die angewandten Wissenschaften (Mathematik, Rhetorik und Astronomie) Mägde der Philosophie seien; vgl. hierzu Meyers Konversationslexikon von 1888, 4. Aufl., Bd. 12, S. 1018. 10 Die ersten Entwürfe des ALR machten zwischen Professoren und Lehrern noch keinen Unterschied. Auch Kant lehnte die Lehrfreiheit ab und unterrichtete selbst nur nach den gebräuchlichen Lehrbüchern. Trotzdem handelte er sich 1794 für seine Abhandlung „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ einen ernsten Verweis seines Dienstherrn ein (Zwirner, AöR 1973, 313 [317]); siehe auch Denninger, in: Denninger/ Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 1. 11 Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 2; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 2; Schulte, VVDStRL 65 (2006), 110 (114 ff.). 12 Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 48 f. 13 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte (2003), Rdnr. 206; ausführlich zum deutschen Wissenschaftsidealismus des 19. Jahrhunderts: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 62 ff. sowie Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 42 ff. 9
A. Die Vergangenheit
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In negativer Hinsicht ist die darauf folgende Zeit der Restauration und des Vormärz zwischen 1815 und 1848 für die Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit ebenfalls grundlegend. Mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 wurde vor allem die akademische Lehre kontrolliert und beschränkt. 14 Insbesondere in Preußen galt die Vorzensur für alle (wissenschaftlichen) Veröffentlichungen, und es erfolgte die sog. Demagogenverfolgung, mit der nationale und liberale Ideen unterdrückt wurden. 15 Hinter den Repressionen dieser Zeit stand nicht nur ein politischer, sondern auch ein gesellschaftlich-kultureller Konflikt, in dem es darum ging, entgegen den Grundsätzen der Aufklärung das christliche Bekenntnis wieder zur Grundlage aller wissenschaftlichen Betätigung zu machen. In den Geisteswissenschaften mussten als Ausgangspunkt jeder philosophischen Überlegung die Grundlehren des Christentums dienen und die Resultate mit den christlichen Wahrheiten übereinstimmen. 16 Der hannoversche Verfassungskonflikt 1837 führte zum Protest der „Göttinger Sieben“, die gegen den Verfassungsbruch durch den König Stellung bezogen und dafür nicht nur entlassen, sondern teilweise auch des Landes verwiesen wurden. 17 Kennzeichnend für diese Zeit ist, dass Wissenschaft vorrangig wegen ihrer gesellschaftlich-politischen Dimension als „gefährlich“ galt. Restaurative Politik versuchte, die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution von 1789, die sich in Forderungen nach politischem Liberalismus und nationaler Einheit äußerten, zurückzudrängen. Selbst ein Deutsches Wörterbuch wie das der Brüder Grimm hatte eine politische Dimension. 18
14 Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 3; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 3 ff.; Waechter, Der Staat, 1991, 19. Die Karlsbader Beschlüsse enthielten vier Gesetze (Exekutionsordnung, Universitätsgesetz, Preßgesetz und Untersuchungsgesetz), die am 20. 09. 1819 vom Bundestag in Frankfurt einstimmig beschlossen wurden und damit im gesamten Gebiet des Deutschen Bundes galten. Siehe hierzu auch Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 50. 15 Vgl. Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte (2003), Rdnr. 246 f., mit Abdruck der Preußische Zensur-Verordnung vom 18. 10. 1819, die zur Umsetzung des Preßgesetzes in Preußen diente. Sie suspendierte die Zensurfreiheit der Universitäten und der Akademie der Wissenschaften für fünf Jahre und unterwarf alle Schriften (d. h. auch wissenschaftliche Bücher) der Vorzensur (Art. 7, Art. 1). Sie ging damit über das Preßgesetz weit hinaus, das lediglich Zeitungen, Flugschriften u. ä. einer Vorzensur unterwarf (§ 1 Preßgesetz). 16 Zwirner, AöR 1973, 313 (319 f.). Dies kommt auch in Art. 2 S. 2 o. g. Zensurverordnung zum Ausdruck: „Ihr Zweck ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion ( . . . ) zuwider ist, zu unterdrücken, was die Moral und gute Sitten beleidigt . . . “. 17 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte (2003), Rdnr. 270 ff.; ausführlich (und durchaus zurückhaltend) hierzu E. R. Huber, Verfassungsgeschichte Bd. II (1988), S. 96 ff. 18 Siehe hierzu das Vorwort von Jacob Grimm in Band I aus dem Jahre 1854.
102
2. Kap.: Die Idee von Forschung
Diese gesellschaftlich-politische Dimension fehlte den Naturwissenschaften. In Preußen wurden ministerielle Erklärungen erlassen, wonach es wissenschaftliche Freiheit nur in den Naturwissenschaften geben könne. 19 Diese Freiheit gründete zum einen in der experimentellen naturwissenschaftlichen Empirie, die mit der fortschreitenden Technisierung ihrer Methoden schwerer zu unterdrücken war. Zum anderen kam sie dem herrschenden wirtschaftlichen Liberalismus entgegen. Die beginnende Industrialisierung war politisch ebenso wenig „gefährlich“ wie die Naturwissenschaften und benötigte wissenschaftlich-technische Erkenntnisse. In Einzelfällen konnten natürlich auch naturwissenschaftliche Ideen wie Darwins Evolutionstheorie (1859) erhebliche Verwerfungen mit sich bringen. 20 3. Wissenschaftsfreiheit in der Paulskirchenverfassung Geburtsstunde der Wissenschaftsfreiheit als Grundrecht ist die Debatte um die Paulskirchenverfassung von 1848/49. Ihrer Verabschiedung ging u. a. im April 1848 die Arbeit einer Verfassungskommission 21 voraus. Gleich zu Beginn ihrer Beratungen stellte Ludwig Uhland zur Diskussion, ob man nicht die „Lehrfreiheit“ gewährleisten solle. Akademische Lehrfreiheit war jedoch nur die Konsequenz eines Anspruches auf Freiheit der Wissenschaft, an dem die Universitätslehrer partizipieren sollten. Weiter galt es, die Lehrfreiheit von einer Unterrichtsfreiheit der Schulen abzugrenzen. Weil man nicht dem Schulmeister glauben machen wolle, er sei freier Lehrer einer freien Wissenschaft, plädierte deshalb Friedrich Christoph Dahlmann für die „Freiheit der Wissenschaft“. 22 Sie solle nicht Grundrecht der „Universität“, sondern der „Wissenschaft“ sein, d. h. derer, die sie pflegen und betreiben. Sie solle der Wissenschaft dorthin folgen, wo sie betrieben werde, also auch in die Universitäten, sofern sie Stätten der Wissenschaft seien. So wie im Mittelalter könnten sie auch wieder Stätten werden, die „Kenntnisse, nicht Wissenschaften“ pflegten, so dass die Letzteren, „die sich aufs Wandern verstehen“, sich mit ihrem Freiheitsrecht wieder außerhalb dieser Stätten ansiedeln müssten. 23 19
Zwirner, AöR 1973, 313 (323). Siehe hierzu Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 (65). Das gilt sogar noch heute, da die Evolutionstheorie angeblich die biblische Schöpfungsgeschichte in Frage stellt. So hat sich US-Präsident George W. Bush 2005 dafür ausgesprochen, dass der sog. Kreationismus (eine neue Form des Schöpfungsglaubens) gleichberechtigt neben der Evolutionstheorie an US-amerikanischen Schulen gelehrt werden solle (vgl. Financial Times Deutschland vom 09. 08. 2005). 21 „Siebzehn Männer des allgemeinen Vertrauens“, der sog. Siebzehner-Ausschuss (Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte [2003], Rdnr. 287); siehe hierzu ausführlich E. R. Huber, Verfassungsgeschichte Bd. II (1988), S. 767 ff.; Kühne, Jörg-Detlef , Die Reichsverfassung der Paulskirche: Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben, 2. Aufl., Neuwied 1998. 22 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 5. 20
A. Die Vergangenheit
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Im Beschluss des gleichzeitig tagenden Vorparlaments wurde dagegen lediglich die Lehr- und Lernfreiheit gefordert. 24 Ins Plenum der Nationalversammlung wurde sodann eine nähere Konkretisierung der Wissenschaftsfreiheit eingebracht: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Niemand darf wegen Mitteilung seiner wissenschaftlichen Überzeugungen verfolgt oder belästigt werden; die Mitteilung von Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchung durch Druck, Rede und Lehre darf in keiner Weise beschränkt werden.“ 25
Sie wurde jedoch im Fortgang verworfen. Hierfür waren nicht inhaltliche Erwägungen ausschlaggebend, sondern man hielt die später verabschiedete Formulierung „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“
für ausreichend, um diesen Inhalt zu umschreiben. 26 Sie sollte den Wissenschaftler, d. h. denjenigen, der die Wissenschaft „zum Gegenstande seiner Tätigkeit macht und die Ergebnisse derselben durch Wort und Schrift verbreitet“, schützen. Das Grundrecht sollte nicht nur für den Privatgelehrten, sondern auch für den öffentlich angestellten Lehrer gelten, je nach Grad der wissenschaftlichen Bestimmung einer Einrichtung. 27 Mit der kurzen Formulierung wurde die Wissenschaftsfreiheit im Plenum angenommen und als § 22 des Grundrechtsgesetzes vom 27. Dezember 1848 vorübergehend Reichsgesetz und als § 152 Bestandteil der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 (der sog. Paulskirchenverfassung), wo sie den bildungs- und schulpolitischen Abschnitt einleitete. 28 Vorher war sie bereits mit gleichem Wortlaut als Art. 17 Bestandteil der oktroyierten 29
23 Zit. nach Zwirner, AöR 1973, 313 (323 f.). Dahlmann war einer der „Göttinger Sieben“ und hatte daher einschlägige Erfahrungen. 24 Abgedruckt in: Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte (2003), Rdnr. 290. 25 Zit. nach: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 144; ebenfalls zit. von Zwirner, AöR 1973, 313 (325) in Anm. 51. 26 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 145. 27 Zwirner, AöR 1973, 313 (325). 28 Abschn. VI Art. VI § 152: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ Die Meinungsund Pressefreiheit war durch § 143 garantiert: „Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Zensur, Konzessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden. Über Preßvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch Schwurgerichte geurteilt. Ein Preßgesetz wird vom Reiche erlassen werden.“ Abgedruckt bei Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, vor Rdnr. 1 und bei Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, vor Rdnr. 1. 29 D. h. die vom preußischen König nach Auflösung der preußischen Nationalversammlung autoritär erlassene Verfassung, die jedoch inhaltlich relativ liberal war; vgl. Frotscher/ Pieroth, Verfassungsgeschichte (2003), Rdnr. 304.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 geworden. 30 Die Wissenschaftsfreiheit hatte also trotz des Scheiterns der Revolution von 1848/49 bereits ihren Weg in die Konstitutionen der Monarchien gefunden. Sie musste sich jedoch in einer ersten langen Etappe bis 1918/19 permanent staatlicher und kirchlicher Einflussnahmen erwehren. 31 Mitte des 19. Jahrhunderts war die Wissenschaftsfreiheit Teil eines umfassenden liberalen Grundrechtskonzeptes, das durch den Gegensatz von Staat und Gesellschaft geprägt war und dessen Ziel es sein sollte, im Bereich der öffentlichen Meinung und Kultur Schutz gegen obrigkeitsstaatliche Bevormundung zu gewähren. 32 Als Grenze der Lehrfreiheit galt jedoch schon damals die Lernfreiheit der Studenten, die den wissenschaftlichen Lehrer zur Vollständigkeit, Zeitmäßigkeit und organisatorischen Einfügung seiner Lehrveranstaltungen in den Studienplan verpflichtete. 33 Weiterhin durfte er nicht in gesetzwidriger Weise die Rechte des Staates oder Privater angreifen. 34 Dies zeigt, dass die Wissenschaftsfreiheit in dieser Phase als Mitteilungsfreiheit bzw. spezieller Fall der Meinungsfreiheit geschützt und als besonders gefährdet angesehen wurde. 35 Während sich jedoch die Meinungsfreiheit damals wie heute zuallererst auf Werturteile bezieht und Tatsachenbehauptungen nur eingeschränkt schützt, 36 geht es bei der Wissenschaftsfreiheit um die Mitteilung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die man für wahr hält. Die Wissenschaft soll nur der eigenen Wahrheit verpflichtet sein. Nicht die Universität als Institution, sondern die wissenschaftliche Erkenntnis soll dieser ihrer eigenen Wahrheit überlassen werden. Gewährleistet ist die geistig frei forschende und lehrende Ausübung der Wissenschaft, also auch – aber nicht ausschließlich – die akademische in den Universitäten. 37 Wissenschaftsfreiheit ist damit zuallererst eine Kommunikationsfreiheit.
30 Später Art. 20 der revidierten Preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850, die bis zum 9. November 1918 in Kraft war. 31 Waechter, Der Staat 1991, 19. 32 Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 2; R. Dreier, DVBl. 1980, 471. 33 Wie auch heute noch, vgl. Lorenz, JZ 1981, 113 (116). 34 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 4. Dies entspricht einer Begrenzung der Wissenschaftsfreiheit auf erlaubtes Verhalten; so z. B. auch heute noch vertreten von Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 626. 35 Trute, Forschung (1994), S. 17, 19; Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 145. 36 Siehe zur Meinungsfreiheit im Grundgesetz: BVerfGE 54, 208 (215 ff.) – Böll; E 66, 116 (149 ff.) – Springer/Wallraff; E 85, 1 (11 ff.) – Bayer-Aktionäre. 37 Zwirner, AöR 1973, 313 (326).
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4. „Leer laufende“ Grundrechte Der Revolution von 1848/49 folgte eine Zeit, in der die Grundrechte zwar konstitutionell verankert waren, aber abgewertet und relativiert wurden. Die Reichsverfassung von 1871 enthielt gar keinen Grundrechtskatalog. Sofern Grundrechte – wie in Preußen – in den Ländern verfasst waren, galten sie nurmehr als Ausdruck des Vorbehalts des Gesetzes und standen damit zur Disposition des Gesetzgebers. Eingriffe waren nur auf gesetzlicher Grundlage möglich, damit aber auch gleichzeitig gerechtfertigt. Exemplarisch für diese Relativierung ist die Ansicht von Anschütz, der mit einer positivistischen Haltung eine Theorie der „leer laufenden Grundrechte“ vertrat und damit auch später maßgeblich das Grundrechtsverständnis zur Weimarer Reichsverfassung (WRV) prägte. 38 Er führt 1912 in seiner Kommentierung zur Preußischen Verfassung aus, dass zwar der Forscher als Privatgelehrter Wissenschaftsfreiheit genieße, als Hochschullehrer jedoch in Gänze dem Beamtenrecht unterworfen sei. 39 Damit hatte eine vollständige Umkehrung des ursprünglichen Grundrechtsverständnisses stattgefunden, das insbesondere die wissenschaftliche Lehrfreiheit vor allem auf Lehramtsverhältnisse, d. h. auf Staatsbedienstete bezog. 40 Somit war es möglich, dass in der Kaiserzeit beispielsweise Anhänger sozialdemokratischer Ideen an Universitäten als untragbar angesehen wurden. 41 Wenn es zur Entwicklung in der Zeit nach 1849 heißt, die Unbedingtheit der Wissenschaftsfreiheit habe sich bis 1918 durchgesetzt, 42 so kann dem nicht ohne Weiteres zugestimmt werden. Allerdings gehörte es zur immanenten Wirklichkeit der konstitutionellen Monarchie in Gestalt der Reichsverfassung von 1871, dass in ihr die monarchischen Kräfte die weichende und die konstitutionellen Kräfte die wachsende Komponente waren. Die Staatsordnung des Kaiserreiches unterlag ab 1871 faktisch dem Wandel in Richtung eines parlamentarisch-demokratischen Systems, was zur Domestizierung des Polizeistaats alter preußischer Prägung führte. 43 Insofern liberalisierte sich die politisch-gesellschaftliche Entwicklung, und es gab wachsende tatsächliche Freiräume für die Wissenschaft.
38
Vgl. hierzu Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 (56 f.); Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 6; Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 55 f. sowie zur Grundrechtsgeschichte BVerfGE 6, 32 (40) – Elfes. 39 Nach Zwirner, AöR 1973, 313 (327); vgl. auch Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 4 f.; ausführlich v. a. im Hinblick auf die Lehrfreiheit: Laaser, Lehrfreiheit (1981), S. 235 ff. 40 Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 18. 41 Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 6. 42 Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 4. 43 Hertz-Eichenrode, Deutsche Geschichte 1871 – 1890 (1992), S. 27.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
II. Das Grundrecht in der Weimarer Reichsverfassung 1. Wissenschaftsfreiheit – nur außerhalb der Universität Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass bei den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung (die nach ihrem Selbstverständnis die „freieste Verfassung der Welt“ beschließen wollte) 44 das Grundrecht wieder in seinem ursprünglichen liberalen Sinne verstanden wurde, nämlich als Teil eines Grundrechts der Gedankenfreiheit, das sich aus Wissenschafts-, Meinungs- und Glaubensfreiheit zusammensetzte. 45 Art. 142 WRV stand an erster Stelle des Abschnitts „Bildung und Schule“, galt den Universitäten 46 und lautete: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“ 47
Im Gegensatz zur Paulskirchenverfassung wurde damit eine Schutz- und Pflegepflicht des Staates für Wissenschaft und Kunst begründet. 48 Dahinter verbargen sich die Veränderungen in der Wissenschaftslandschaft der beginnenden Moderne, die dazu geführt hatten, dass der ursprüngliche Konflikt zwischen der Wissenschaft auf der einen und einem repressiven Staat auf der anderen Seite so nicht mehr bestand. Die Forschungslandschaft hatte sich gewandelt, die flächendeckende Industrialisierung Deutschlands hatte zu einer Technisierung der Wissenschaften geführt und diente zudem dem beruflichen und sozialen Aufstieg. 49 Der Staat för44 Die WRV stand mit ihrem Grundrechten und -pflichten in der liberalen Tradition von 1848/49, beschritt gleichzeitig aber in sozialer Hinsicht neue Wege. Rechtsprechung und Literatur verstanden diese sozial geprägten Grundrechte jedoch nicht als geltendes Recht, sondern als unverbindliche Programmsätze. Deshalb schreibt seit 1949 Art. 1 Abs. 3 GG die unmittelbare Geltung der Grundrechte zwingend vor (vgl. Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte [2003], Rdnr. 479, 495 ff., 754). 45 Zwirner, AöR 1973, 313 (327 f.). Der Begriff „Gedankenfreiheit“ darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es bei der Ausübung dieser Freiheit um ein tatsächliches Tun geht (vgl. hierzu die Einheit aus Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit als Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1, 2 GG). Wenn Wissenschaftsfreiheit Gedankenfreiheit ist, dann wird kommunikatives Tun geschützt. Zudem kann auch jede andere Handlung gewährleistet sein, mit der wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden. 46 Dagegen galten die Art. 143 ff. WRV den Schulen; vgl. Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 (59). 47 Art. 118 WRV (Meinungs- und Pressefreiheit) und Art. 142 WRV sind abgedruckt bei Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, vor Rdnr. 1 sowie bei Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, vor Rdnr. 1. 48 Zur Entstehungsgeschichte Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 8. 49 Die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems hatte im 19. Jh. bereits begonnen. Es bildeten sich nicht nur die Wissenschaftsdisziplinen heraus, wie wir sie heute kennen, sondern auch die Forschung professionalisierte sich. Neben den Hochschulen entstanden verschiedene Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen, und die Forschungspolitik kon-
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derte aus volkswirtschaftlichen und sozialen wie auch aus militärischen Gründen bestimmte Arten der Forschung und beeinflusste sie dadurch. Wissenschaft und Staat waren voneinander abhängig geworden. Das Bildungsideal Humboldtscher Prägung erodierte angesichts einer Ausdifferenzierung von Wissenschaftsbegriffen, einer demokratisch-pluralen Komplexität der Forschungsbereiche und weiter zunehmender Technisierung. Die Aufgabenstruktur der Universitäten veränderte sich: Von der „Menschenbildung“ gesellschaftlicher Eliten hin zur Berufsbildung unter Auflösung der sozialen Voraussetzungen des idealistischen Wissenschaftlertypus, der durch „Einsamkeit und Freiheit“ gekennzeichnet war. 50 Die Aufnahme der sozialen Komponente in Art. 142 WRV betraf dabei nicht nur den Inhalt der Wissenschaftsfreiheit, sondern auch die Verbreiterung ihrer sozialen Basis. So wurde es bis 1933 auch Frauen und Angehörigen aus bis dahin bildungsfernen Schichten zunehmend ermöglicht, Universitäten zu besuchen und wissenschaftliche Karrieren zu ergreifen. Nachdem das überwiegende positivistische Grundrechtsverständnis der Weimarer Zeit nahtlos an das der Kaiserzeit anknüpfte, wurden Grundrechte entgegen der ausdrücklichen Intention des Verfassungsgebers nach wie vor auf eine Bedeutung als allgemeiner Gesetzesvorbehalt reduziert. Zusätzlich konnten sie formal mit qualifizierter Mehrheit des Parlaments außer Kraft gesetzt werden, ein Maßstab materieller Vereinbarkeit mit der Verfassung existierte nicht. 51 Es blieb vorerst dabei, dass die Wissenschaftsfreiheit des Art. 142 WRV für „Jedermann“ mit Ausnahme der Hochschullehrer galt. 52 Damit war jedoch der zentrale Anwendungsfall vom Grundrechtsschutz ausgenommen. 2. Wissenschaftsfreiheit als Meinungsfreiheit auch für Hochschullehrer – die Staatsrechtslehrertagung von 1927 Das änderte sich grundlegend durch die Staatsrechtslehrertagung von 1927 und die Referate von Smend und Rothenbücher, die bis heute eine erhebliche Ausstrahlung auf alle nachfolgenden Diskussionen zur Wissenschaftsfreiheit haben. Im Mittelpunkt stand die Einbeziehung akademischer Lehre in den Geltungsbereich zentrierte sich v. a. auf den naturwissenschaftlich-technischen Bereich (Trute, Forschung [1994], S. 20 ff.). Grundrechtsdogmatisch blieb die Wissenschaftsfreiheit jedoch auf den Aspekt der akademischen Lehrfreiheit konzentriert (ders., a. a. O., S. 34 ff.). 50 Waechter, Der Staat 1991, 19; vgl. hierzu auch Denninger, in: Denninger/HoffmannRiem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 7 sowie ausführlich Trute, Forschung (1994), S. 20 ff. 51 Vgl. hierzu – und zum grundlegend anderen Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes – BVerfGE 6, 32 (40 f.) – Elfes. 52 Gemäß der Anschützschen Theorie von den „leer laufenden Grundrechten“, siehe hierzu oben Zweites Kapitel, A. II. 1. sowie Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 ff.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
von Art. 142 WRV. 53 Beide Referenten verwendeten für dieses Ziel unterschiedliche Begründungsansätze: Rothenbücher beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit (Art. 118 WRV) und Wissenschaftsfreiheit (Art. 142 WRV) und kehrte das bis dahin bestehende Grundrechtsverständnis um: Er sah die Wissenschaftsfreiheit als speziellen Fall der Meinungsfreiheit, die durch Art. 142 WRV in personeller Hinsicht auch auf den wissenschaftlichen Hochschullehrer erstreckt werde. Außerhalb der Hochschulen sei dagegen die allgemeine Meinungsfreiheit zum Schutz der Wissenschaft ausreichend. 54 Smend dagegen hob den institutionellen Charakter der Wissenschaftsfreiheit hervor und postulierte sie unter Bezugnahme auf die Ideen Humboldts als das „Grundrecht der deutschen Universität“. 55 Damit war die Institution Wissenschaft gemeint, die vorrangig an den Universitäten beheimatet war: „Der Kerngedanke des Grundrechts ist natürlich die Anerkennung der Eigengesetzlichkeit des wissenschaftlichen Lebens, das vermöge dieser Eigengesetzlichkeit der rechtlichen Normierung und Nachprüfung entzogen ist.“ 56 Aufgabe der Universität ist die Sicherung eines als wichtig anerkannten und privilegierten Stücks des geistigen Lebens. Gegenstand dieser Freiheit ist damit die gesamte Forschungs- und Lehrtätigkeit der Hochschulen. Damit ist für Smend die Wissenschaftsfreiheit an Hochschulen wesentlich individueller orientiert, als sein Referat später interpretiert wurde. 57
53 Zwirner, AöR 1973, 313 (332); hierzu auch Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 58 ff. 54 Im gleichen Referat interpretierte Rothenbücher die die Meinungsfreiheit beschränkenden „allgemeinen Gesetze“ in ihrem heutigen Sinne (was zur Frage führt, ob die Schranke des Art. 5 Abs. 1 GG auch für Art. 5 Abs. 3 GG gelten könnte): Rothenbücher, VVDStRL 4 (1928), S. 6 (32 ff., 37 f.); Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 157 f.; ähnlich wie Rothenbücher auch Roellecke, JZ 1969, 726 (729 ff.), der das Grundrecht individualisiert (und nach der Repersonalisierung „entinstitutionalisiert“). 55 Smend, VVDStRL 4 (1928), 44, (57, 73); vgl. auch Trute, Forschung (1994), S. 38 (mit der fehlerhaften Jahreszahl 1928 in Anm. 108) sowie ders., a. a. O., S. 273. Zur Staatsrechtslehrertagung 1927 unter der Fragestellung, ob Art. 5 Abs. 3 GG Abwehrrecht „Jedermanns“ sei, ausführlich Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 155. Zur Bezugnahme auf den deutschen Idealismus durch Smend: ders., VVDStRL 4 (1928), 44 (58 ff.) sowie Zwirner, AöR 1973, 313 (330). Zur Zeit Friedrich Paulsens, von dem Smend die Formel übernommen hat, mochte man Wissenschaft und Universität noch identifizieren können. 1927 hat jedoch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bereits das Wissenschaftsmonopol der Universitäten gebrochen (Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme [1993], S. 681 [684]). Auch das deutet darauf hin, dass die Interpretation des „Grundrechts der Universität“ als institutionelle Garantie fehlgeht und stattdessen hinter diesem institutionellen Grundrecht individuelle kommunikative Freiheit steht. 56 Smend, VVDStRL 4, 1927, 44 (61). 57 Aber seine Idee vom Schutz der „Institution Wissenschaft“ reicht über die Hochschulen hinaus. A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (42) spricht zu Recht von einem „Missverständnis“; ebenso Schlink, Der Staat 1971, 244 (266); Kleindiek, Risikogesellschaft (1998),
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Trotz der unterschiedlichen dogmatischen Herangehensweise war das Ergebnis beider Referate gleich: Das einfachgesetzliche Beamtenrecht verdrängt nicht das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Vielmehr räumt es dem verbeamteten Hochschullehrer eine Unabhängigkeit (hinsichtlich des Inhalts und der Methode von Forschung und Lehre) ein, die Smend mit dem Pfarramt des evangelischen Pastors vergleicht und die sich auch mit der richterlichen Unabhängigkeit vergleichen ließe. 58 Die 1927 geäußerten Ansichten verbreiteten sich schnell. 59 Der mit der Staatsrechtslehrertagung eingeleitete grundrechtsdogmatische Paradigmenwechsel hatte – parallel zu den Konflikten im 19. Jahrhundert, doch nun in einer wenig geliebten parlamentarischen Demokratie – eine aktuelle politische Dimension: Die Mehrheit der Hochschullehrerschaft, und für Rechtswissenschaftler wird dies in ganz besonderem Maße gegolten haben, befand sich vermutlich in innerlich kritischer oder ablehnender Haltung, wenn nicht gar Gegnerschaft zur Weimarer Republik. Man wollte sich dem Staat der „Novemberverbrecher“ und seinem Herrschaftsanspruch auch als „Staatsdiener“ nicht beugen. 60 Ähnliche Tendenzen gab es auch in der Richterschaft. 61 Die Staatsrechtslehrer begrüßten deshalb ein Grundrecht, das es Professoren ermöglichte, auch an der Universität Stellung gegen das politische System zu beziehen. 62 Die sich damals entwickelnde Dogmatik subjektiver Abwehrrechte hatte grundsätzlich antiparlamentarischen Charakter und richtete sich gegen die parlamentarische Gesetzgebung. Deutlich wird dies auch an einer Äußerung Koellreutters, der in der Aussprache der Staatsrechtslehrertagung zur Lehrfreiheit meinte: Rein persönlich gefärbte Äußerungen seien zwar nicht geschützt, aber „wenn ein Gelehrter aus seiner wissenschaftlichen Überzeugung heraus das herrschende System angreift, so muss der Schutz der freien Meinungsäußerung Platz greifen“. 63 In der Kommentierung von Kitzinger
S. 158; anders aber z. B. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 7. 58 Siehe Löwer, WissR 1999, 250 (253): Der Hochschullehrer sei wie ein Richter Beamter sui generis; so auch Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 11. 59 Vgl. Zwirner, AöR 1973, 313 (332) m. w. N.; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 7 m. w. N. in Anm. 10, 11. Die Thesen Smends sind jedoch insofern auf Ablehnung gestoßen, als er die Grundrechte als „Kultur- und Wertsystem“ eingeschätzt hat, Schlink, EuGRZ 1984, 457 (458, Anm. 8). 60 Diese Vermutung wird auch durch Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG gestützt, der auf Weimarer Erfahrungen zurückgeht. 61 Siehe I. Müller, Furchtbare Juristen (1989), S. 19 ff. 62 Dieses „Professorengrundrecht“ darf nicht mit einer Privilegierung gegenüber den anderen Hochschulangehörigen verwechselt werden. Die Auseinandersetzungen um institutionelle Vorkehrungen zur demokratischen Bindung der Autonomie des Wissenschaftsprozesses war zu diesem Zeitpunkt noch nicht entwickelt; vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 160; Schlink, Der Staat 1971, 244 ff.
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zu Art. 142 WRV aus dem Jahre 1930 wird denn auch die Wissenschaftsfreiheit als lex specialis zur Meinungsfreiheit eingeordnet. 64 3. Wissenschaftsfreiheit als institutionelle Garantie – das „Grundrecht der deutschen Universität“ und sein Untergang Schon bald wurde Smends „Grundrecht der Universität“ – entgegen seiner ursprünglichen Intention 65 – dahingehend interpretiert, dass mit der Gewährleistung des Art. 142 WRV eine institutionelle Garantie verbunden sei. 66 Damit war jedoch die Institution der Unabhängigkeit der Hochschullehrer gemeint, nicht eine Bestandsgarantie der Universität im heutigen Sinne. 67 Man erstreckte damit die Wissenschaftsfreiheit über die Gewährleistung von Meinungsfreiheit hinaus auf die Pflicht des Staates, eine korporative Selbstverwaltung sicherzustellen. Aus der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft sollte sich zugleich die organisatorische Absicherung gegen den Staat ergeben, wobei nur Selbstverwaltung diese Autonomie sichern können sollte. Damit unterschied sich dieses Verständnis einer institutionellen Wissenschaftsfreiheit grundlegend von der Universität Humboldts oder Dahlmanns, in der der Staat organisatorisch volles Verfügungsrecht hatte und zum Beispiel alleine die Professoren berief. 68 Freie Wissenschaft sollte jedoch nun einen staatlich organisierten Bereich von Freiheit innerhalb des Staates erfordern. 69 Dahinter stand damals neben dem Streben nach (politischer) Autonomie in der Weimarer Republik auch die Erkenntnis, dass der Forscher des 20. Jahrhunderts nicht mehr der finanziell unabhängige bürgerlich-elitäre Privatgelehrte des 63
Koellreutter in der Aussprache zu Rothenbüchers und Smends Referaten, VVDStRL 4 (1928), 74 (76) [Hervorh. d. Verf.]. 64 Kitzinger, in: Nipperdey, WRV, Bd. II (1930), Art. 142, S. 449 (458). 65 Siehe nur Trute, Forschung (1994), S. 273. 66 Die Figur der „institutionellen Garantie“ ist von Carl Schmitt geprägt worden. Sie ist eine „formierte und organisierte und daher umgrenzbare und unterscheidbare Einrichtung öffentlichen Charakters“ (vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 132 sowie Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre [1981], S. 62). Gegen diese Figur wird eingewendet, mit ihr werde die Gewährung subjektiver Rechte der Gewährleistung der Institution untergeordnet, vgl. Schlink, Der Staat 1971, 244 (249). Ausführlich zum institutionellen Charakter des „Grundrechts der Deutschen Universität“ (nach 1949) Köttgen, Grundrecht der Universität (1959), S. 23 ff., der auf den Unterschied zu anderen institutionellen Garantien wie der kommunalen Selbstverwaltung hinweist (ders., a. a. O., S. 31). 67 Vgl. hierzu Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 10; Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 62 f. 68 Vgl. Zwirner, AöR 1973, 313 (321 f.). 69 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 161.
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19. Jahrhunderts sein konnte, sondern ein von staatlichen Ressourcen abhängiger Beamter. Das galt umso mehr, je stärker der technische Fortschritt aufwändigere Forschung erforderte und zugleich eine stärkere Politisierung der Professorenschaft erfolgte. 70 Auch wenn Wissenschaftsfreiheit außerhalb der Universitäten noch nicht im Zentrum des Interesses stand, entwickelte Köttgen das institutionelle Verständnis Anfang der 1930er Jahre weiter zu einer Eigengesetzlichkeit bzw. Autonomie eines über die Universität hinausgreifenden gesamten „Sachbereichs Wissenschaft“. 71 Einigkeit über den Gewährleistungsumfang des Art. 142 WRV war damit jedoch noch nicht erreicht. Anschütz übernahm zwar nach 1927 in seiner Neukommentierung der Weimarer Verfassung das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit als institutioneller Garantie, bejahte jedoch in Analogie zur Meinungsfreiheit eine Bindung des Hochschullehrers an die „allgemeinen Gesetze“ (wie zum Beispiel Strafgesetze oder seuchenpolizeiliche Vorschriften). Solchen Überlegungen entgegnete Smend bereits 1927, „wahre akademische Freiheit erträgt diese Vorbehalte nicht“, zumal sich seuchenpolizeiliche Bestimmungen ohnehin nicht gegen die geistige Tätigkeit des Forschens und Lehrens richteten, sondern nur gegen von bestimmten körperlichen Gegenständen ausgehende Gefahren, die bekämpft werden müssten. 72 Ab 1933 wurde im Nationalsozialismus ein liberales Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit sowohl abwehr- als auch organisationsrechtlich abgelehnt. Ein freier wissenschaftlicher Diskurs, etwa über die Rassetheorie oder die Ausrichtung des Rechts an der NS-Ideologie durch die Rechtswissenschaft, fand nicht mehr statt. Zulässig war nur noch eine „Wissenschaft“, die entweder ideologisch „neutral“ war oder sich in den Dienst des Regimes stellte. 73 Den Universitäten wurde ihre Würde teilweise genommen, zum Teil gaben sie sie widerstandslos selbst auf. 74 Der Wegfall normativer Schranken führte zu einer missbräuchlich
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Waechter, Der Staat 1991, 19 (20, Anm. 8). Arnold Köttgen, Deutsches Universitätsrecht (1933), zit. nach Zwirner, AöR 1973, 313 (332). 72 Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 (66), ein entsprechender gesetzlicher Vorbehalt der Bayrischen Verfassung von 1919 sei deshalb nicht mit Art. 142 WRV vereinbar. Siehe hierzu auch Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 10. 73 Siehe I. Müller, Furchtbare Juristen (1989), S. 75 ff; Prause/Randow, Teufel in der Wissenschaft (1989), S. 97 ff. 74 Vgl. hierzu das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 07. 04. 1933, § 1 Abs. 1: „Zur Wiederherstellung eines nationalen Berufsbeamtentums ( . . . ) können Beamte nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen aus dem Amt entlassen werden, auch wenn die nach dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.“ § 3 Abs. 1: „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in 71
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
„voraussetzungslosen“ Wissenschaft, die Rechte Dritter missachtete und mit ihrer Beteiligung an Rassenwahn, Euthanasie, KZ-Menschenversuchen und Vernichtungskrieg in barbarischen Auswüchsen endete. 75 Alle bis dahin entwickelten liberalen und kritischen Selbststeuerungsmechanismen der bürgerlichen wissenschaftlichen Gemeinschaft versagten.
III. Das Grundgesetz und die nachfolgende Entwicklung 1. Anknüpfung an die Tradition der Vorverfassungen Gegenüber der Fassung von Art. 142 WRV enthält Art. 5 Abs. 3 GG drei Änderungen. Im Wortlaut: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
Erstens entfiel damit der Schutz- und Pflegeauftrag des Staates. Zweitens wurde – resultierend aus den Weimarer Erfahrungen – in Satz 2 die Verpflichtung zur Verfassungstreue eingefügt. 76 Drittens kam der mehrdeutig interpretierbare Tatbestand der „Forschung“ hinzu. 77 Die Entstehungsgeschichte des späteren Art. 5 Abs. 3 GG im Konvent von Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat fügt sich zunächst nahtlos in die Kontinuität von 1848 und 1919 ein: Diskutiert und beschlossen wird das traditionelle geistige Freiheitsrecht, das jedem zusteht, der sich den Anforderungen wissenschaftlicher Arbeitsweise unterwirft. Lediglich der Passus über die Verfassungstreue führt zu längeren Diskussionen, jedoch wird auch geäußert, dass die Meinungsfreiheit zum Schutz ausreiche und eine spezielle Privilegierung der den Ruhestand (§§ 8 ff.) zu versetzen . . . “. § 4: „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.“ Angesichts von mehreren Millionen Arbeitslosen verfehlte dieses Gesetz 1933 seine Wirkung nicht. An der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin wurde mehr als 250 Professoren und Mitarbeitern die Anstellung entzogen. Nach E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl. 1939, S. 481 f., bestand nun die Wissenschaftsfreiheit „in innerer Verbundenheit mit der völkischen Gemeinschaft“, d. h. der NS-Ideologie (zit. nach Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG [2001], Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 11). 75 Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 8. 76 Ganz im Sinne der „wehrhaften Demokratie“, der sich das GG verschrieben hatte, vgl. Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte (2003), Rdnr. 759. Die Treueklausel sollte eine Warnung an all diejenigen sein, die versuchen sollten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung wissenschaftlich zu unterlaufen (Denninger, in: Denninger/HoffmannRiem, AK-GG [2001], Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 12.). Ausführlich hierzu auch Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 40 ff. 77 Siehe hierzu unten Zweites Kapitel, C. II. 1. a) die Ansicht von Hailbronner sowie die von Trute, Drittes Kapitel, C. II. 2. a).
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Wissenschaft nicht notwendig sei. 78 Über die Notwendigkeit eines Gesetzesvorbehalts wird hingegen nicht diskutiert. 79 Allerdings enthält der Herrenchiemseer Entwurf in Art. 15 Abs. 2 für die „Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen“ einen Gesetzesvorbehalt. 80 Der Entwurf dient jedoch im Parlamentarischen Rat nicht als Beratungsgrundlage. 81 Dem Tatbestandsmerkmal „Forschung“ kam in der Diskussion keine eigenständige Bedeutung zu. Es spricht viel dafür, dass mit der Formulierung „Wissenschaft, Forschung und Lehre“ die Formulierung des Art. 142 WRV („Wissenschaft und ihre Lehre“) prägnanter umschrieben werden sollte, ohne damit einen anderen Inhalt zu verbinden. 82 2. Institutionelle Garantie oder Individualgrundrecht? Im Zuge der Verfassungsinterpretation nach 1949 werden sodann zwei sich ergänzende Strömungen erkennbar: Zum einen wurde das „Grundrecht der Universität“ fortgeschrieben, d. h. man ging davon aus, dass Art. 5 Abs. 3 GG im Sinne einer institutionellen Garantie ausschließlich den universitären Bereich erfasst. Die Ergänzung der Lehre um den Begriff Forschung verdeutliche die Einheit von Forschung und Lehre, wie sie sich nur in der universitären Wissenschaft ausprägen könne. 83
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Zwirner, AöR 1973, 313 (334). Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 132, bezeichnet dieses Unterlassen als „unbegreiflich“, da man im Parlamentarischen Rat gewusst habe, dass die Weimarer Grundrechtsdogmatik Art. 142 WRV, der keinen geschriebenen Gesetzesvorbehalt kannte, erst nach Übertragung eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts eine Rechtswirkung zuerkannt hätte; a. A. Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 166. Ein Gesetzesvorbehalt hätte vielleicht seinerzeit den Eindruck erweckt, der Schutz der Wissenschaftsfreiheit sei im GG schwächer ausgeprägt, da die historischen Vorformulierungen einen solchen Vorbehalt nicht kannten (und auf Grund der Grundrechtsdogmatik auch nicht benötigten). 80 Vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 259; siehe hierzu auch Zweites Kapitel, C. IV. 2. c). 81 Waechter, Der Staat 1991, 19 (45); Kamp, Kommerz (2004), S. 163 f., 259. 82 So auch Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 39. Der Wortlaut lässt dennoch vielerlei Interpretationsspielraum. 83 Vgl. Köttgen, Grundrecht der Universität (1959), S. 23 ff.; modifizierend Schlink, Der Staat 1971, 244 ff. Siehe zur Entwicklung ab 1949: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 163 ff. Köttgen blendet sogar jede Form der zweck- oder anwendungsorientierten Forschung (auch der Auftragsforschung) aus dem Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG aus und sieht stattdessen freie Wissenschaft gerade in der Universität verankert. Zusammen mit einer individuellen Komponente sei die institutionelle Garantie keine der Universität, sondern eine des Instituts „freie Wissenschaft“, die in Form der Universitäten garantiert werde (Arnold Köttgen, Die Freiheit der Wissenschaft und die Selbstverwaltung der Universität [1968], zit. nach Kleindiek, a. a. O., S. 164 f.; so auch Waechter, Der Staat 1991, 19 [40 f.]). 79
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Zum anderen entwickelte sich das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit als subjektivem Abwehrrecht „Jedermanns“, der wissenschaftlich tätig ist, weiter. Man knüpfte damit an die Überlegungen der Weimarer Zeit an, erstreckte aber das Grundrecht auch auf den gesamten Lebensbereich „Wissenschaft“ außerhalb der Universitäten. 84 Im Gegensatz zur Weimarer Zeit hatte dies jedoch angesichts der strikten Verbindlichkeit der Grundrechte für die staatliche Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) und des Fehlens eines Gesetzesvorbehaltes für Art. 5 Abs. 3 GG nun wesentlich weitreichendere Auswirkungen. Damit war die Linie für die heute herrschende Meinung vorgezeichnet. 3. „Repersonalisierung“ im Angesicht der „Reformuniversität“ In den 1960er Jahren fokussierte sich im Zuge der studentischen Protestbewegung, die demokratische Reformen an den Ordinarienuniversitäten forderte („Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren . . . “), die Aufmerksamkeit auf die universitäre Selbstverwaltung, die bis dahin allein von den Hochschullehrern ausgeübt wurde. Die Landesgesetzgeber verfassten die Hochschulen nun als Gruppenuniversitäten, in denen alle Gruppen (Hochschullehrer, Studenten, [wissenschaftliche] Mitarbeiter) beteiligt werden sollten. Die Hochschullehrer verloren ihre Dominanz. 85 Man versuchte – ganz im Sinne von „mehr Demokratie wagen“ 86 – durch institutionelle Vorkehrungen die Autonomie des Wissenschaftsprozesses demokratisch zu binden und gleichzeitig eine teilweise Heteronomie der Wissenschaft anzustreben. 87 Damit einher ging eine „Bildungsoffensive“ mit vielen Universitätsneugründungen und der Öffnung der Hochschulen für breite Bevölkerungsschichten. Es sollte nicht mehr nur eine kleine bildungsbürgerliche Elite an der gesellschaftlichen Ressource Wissenschaft partizipieren. Stattdessen sollte wissenschaftlicher Bildung im Sinne der Aufklärung emanzipatorische und politische Breitenwirkung zukommen. 88 Zugleich benötigten wirtschaftlicher Nachkriegsaufschwung und der Staat akademisch ausgebildete Arbeitnehmer. Mit 84 Hierzu Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 165; Rupp, in: Rupp/Geck, Stellung der Studenten, 1968 ( = VVDStRL 27 [1969], 113 ff.), S. 4 f.; a. A. Roellecke, JZ 1969, 726 (729). 85 Im Gegensatz zur Ordinarienuniversität geht diese Organisationsform davon aus, dass die Angelegenheiten der Universität grundsätzlich in die Mitbestimmungskompetenz aller ihrer Mitglieder fallen. Diese werden durch Vertreter typischer Gruppen in den Beschlussorganen repräsentiert; vgl. BVerfGE 35, 79 (124 f.). 86 So das Programm der Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt am 28. 10. 1969. 87 Waechter, Der Staat 1991, 20. Zum demokratischen Prinzip der Gruppenuniversität W. Schmidt, NJW 1973, 585 (588 ff.); krit. zu diesem Prozess Oppermann, JZ 1973, 433 f. 88 Vgl. Schiedermair, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 37 (39 f.), der jedoch einen „Traditionsbruch“ feststellt, der dem Geist der Aufklärung und ihren Bildungsidealen nicht gerecht geworden sei.
A. Die Vergangenheit
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diesen Reformen waren vielfältige Veränderungen in Struktur und Inhalt von Forschung und Lehre verbunden, die bis heute eine Zäsur in der Geschichte der deutschen Universitäten darstellen: Die sog. Massenuniversitäten wurden geboren, in denen die Funktion der Universität als Ausbildungsstätte in den Vordergrund rückte. 89 Die Hochschullehrer scheinen sich, sicherlich nicht zu Unrecht, durch diese Entwicklung in ihrer errungenen Freiheit bedroht gefühlt zu haben. Auf der Staatsrechtslehrertagung von 1968 erfolgte deshalb unter dem Beratungsgegenstand „Die Stellung des Studenten in der Universität“ die so bezeichnete „Repersonalisierung“ 90 der Wissenschaftsfreiheit insbesondere durch das Referat von Rupp. 91 Unter Ablehnung eines ausschließlich institutionellen Verständnisses, das die Entmachtung der Hochschullehrer verfassungsrechtlich gestattet hätte, räumte er der subjektivrechtlichen Komponente von Art. 5 Abs. 3 GG größeren Raum ein. Das sollte insbesondere für die Hochschullehrer bedeuteten, dass ihre Tätigkeit in Forschung und Lehre in jeder Hinsicht frei von staatlicher Ingerenz – insbesondere der Universitätsverwaltungen –, aber auch frei von Fremdbestimmung durch andere universitäre Gruppen zu sein habe. 92 Art. 5 Abs. 3 GG regle nicht nur das Verhältnis der Hochschullehrer gegenüber dem Staat, sondern auch ihr Verhältnis gegenüber ihresgleichen und den anderen universitären Gruppen, was Auswirkungen auf deren Mitbestimmungsrechte haben müsse. Räume der Staat nun im Rahmen einer Demokratisierung der Hochschulen den anderen Gruppen neue Mitbestimmungsrechte ein, solle das ein Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG sein. 93 Die überkommene Ordinarienuniversität sollte somit im Ergebnis grundrechtlich abgesichert werden. Im seinerzeit politisch aufgeheizten Klima mit zum Teil radikalen studentischen Protestformen fand diese „Personalisierung“ schon in der Aussprache nahezu einhellige Zustimmung unter den Staatsrechtslehrern. 94 Die Forderung der Studenten 89 Vgl. Schiedermair, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 37 (42, 45): In Gestalt der Massenuniversität sei die „Reformuniversität“ gescheitert und es habe die damit versprochene soziale Emanzipation nicht erfolgen können. 90 Der von Hans Peter Ipsen (VVDStRL 27, [1969], 198 f.) geprägte Begriff suggeriert, er knüpfe an eine bereits einmal bestandene Personalisierung der Wissenschaftsfreiheit an, was in dieser Form jedoch nicht der Fall war (vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft [1998], S. 169). Die „(Re-)Personalisierung“ diente zur Abgrenzung zur „Institutionalisierung“ der Wissenschaftsfreiheit. 91 Rupp, in: Rupp/Geck, Stellung der Studenten (1968), S. 1 ff., siehe hierzu auch Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 166. 92 Rupp, in: Rupp/Geck, Stellung des Studenten, S. 18 ff. 93 Rupp, in: Rupp/Geck, Stellung der Studenten, S. 20. 94 Dagegen auf der Staatsrechtslehrertagung Rollecke und Stein (VVDStRL 27, [1969] S. 211, 198); vgl. hierzu auch Rollecke, JZ 1969, 726 ff.: Er wendet sich gegen ein institutionelles Verständnis und versteht die Wissenschaftsfreiheit individuell als Unterfall
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
nach Mitbestimmung stellte nämlich die Selbstverwaltungsautonomie nicht in Frage. Die institutionelle Garantie konnte die Hochschullehrer daher nicht schützen. 95 Die „Repersonalisierung“ schaffte eine unteilbare Forschungsfreiheit für Hochschullehrer, die gegen die anderen universitären Gruppen und den Staat, der diesen Mitspracherechte einräumen wollte, verteidigt werden konnte. In dieser Hinsicht folgte 1973 auch teilweise das BVerfG in seinem Hochschulurteil den 1968 aufgestellten Thesen. 96 Sie haben damit das herrschende hochschulrechtliche Verständnis von Art. 5 Abs. 3 GG geprägt, wie es sich heute noch in der überwiegenden Kommentarliteratur wiederfindet.
IV. Bewertung der historischen Entwicklung Nach Betrachtung der historischen Entwicklung stellt sich die Frage, welche Bedeutung sie für heutige Problemlagen noch haben kann. Grundsätzlich ließe sich einwenden, dass gegenwärtige Konflikte wie in der Stammzellenforschung nicht mehr mit Problemen des 19. und 20. Jahrhunderts vergleichbar seien und die heutige Auslegung des Art. 5 Abs. 3 GG unabhängig hiervon zu erfolgen habe. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die historisch/genetische Auslegung ganz wesentlicher Bestandteil der Interpretation insbesondere von Verfassungsnormen ist 97 und sich hieraus im Fall der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit ein „roter Faden“ extrahieren lässt, der auch heute noch Leitlinie der Norminterpretation sein sollte. 1. Methodik verfassungsrechtlicher Interpretation Genau genommen müsste bei der Norminterpretation zwischen historischer Auslegung („Wie war etwas früher geregelt?“) und genetischer Auslegung („Was wollte der Verfassungsgeber mit der Norm?“) unterschieden werden. 98 Bei Grund-
der Meinungsfreiheit (so wie Rothenbücher, VVDStRL 4 [1928], 6 [32 ff., 37 f.]). In der Treueklausel des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG sieht er die Bestätigung, dass der Staat alleinige Organisationsgewalt habe. A. A. als Rupp und Rollecke ist Schlink, Der Staat 1971, 244 (249): Bedeute Art. 5 Abs. 3 GG die Freiheit „Jedermanns“, Wissenschaft und Forschung zu betreiben, dann würde die Norm neben der Berufs- und Meinungsfreiheit leer laufen (anders sieht Schlink es für die Kunst). Dagegen kann jedoch eingewendet werden, dass Rollecke nicht zwischen Wissenschaftlern innerhalb oder außerhalb staatlicher Organisation differenziert, so dass Wissenschaftlern im außeruniversitären Bereich tatsächlich lediglich der Schutz aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 GG zukommen könnte. 95 Zwirner, AöR 1973, 313 (336). 96 Siehe eingehend zum Hochschulurteil des BVerfG: Zweites Kapitel, C. I. 1. 97 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 461 ff., Rdnr. 717 ff. 98 Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 44, 51; F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 275.
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rechten wie Art. 5 Abs. 3 GG sind diese Elemente nicht wirklich trennbar, da das Normverständnis von Herrenchiemseer Konvent und Parlamentarischem Rat entscheidend durch die historische Entwicklung geprägt war. Ob dem „subjektiven Willen“ des historischen Normtextgebers Vorrang vor einem „objektiven Willen der Norm“ einzuräumen wäre, wovon die herrschende Lehre ausgeht, 99 kann bei der Wissenschaftsfreiheit dahingestellt bleiben, da beide Aspekte nahezu identisch sind. Im Übrigen ist der „objektive Wille“ einer Rechtsnorm eine Fiktion, die nicht von der Vorstellung einer vorgegebenen, dem Normtext innewohnenden und unter dem Anspruch der Richtigkeit feststellbaren Bedeutung ausgehen darf. 100 Gleiches gilt jedoch auch für den „subjektiven Willen“ des Verfassungsgebers. Ein zurechenbarer Willensinhalt eines definierten bewussten Subjekts ist angesichts der komplexen und multikausalen Legislationsvorgänge in hochdifferenzierten Rechtssystemen ebenfalls eine Fiktion. 101 Die Bedeutung des historischen Kontexts und die Entwicklungsgeschichte einer Norm sind nichtsdestoweniger nicht zu unterschätzen. Im Zweifel sind die „klassischen“ Grundrechtsgarantien so auszulegen, wie es dem überkommenen, historisch gewachsenen Typus dieser Grundrechte entspricht. Anderes gilt nur, wenn triftige Gründe für eine andere Interpretation bestehen. 102 Damit ist die Frage nach dem Bedeutungswandel einer Norm verbunden. Doch hierbei ist zu beachten: „Grundrechte kennen nicht nur den Wandel, sie kennen vor allem den Verlust ihrer Bedeutung.“ 103 2. Kontinuität und Wandel Ein Bedeutungswandel, der eine Abweichung von der historischen Auslegung einer Norm erlaubt, erfordert den Wandel der tatsächlichen Lebensverhältnisse sowie der herrschenden sozialethischen Vorstellungen. 104
99 Vgl. Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 21 ff.; 50 f.; F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 377. 100 So letztlich unter Hinweis auf den Gesetzgeber auch Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 50; skeptisch hinsichtlich einer Unterscheidung in „subjektive“ und „objektive“ Auslegungstheorie auch F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 377– 379 sowie Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 511 ff., Rdnr. 806 ff. 101 Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 21 ff.; vgl. auch F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 379 f., 406 f. Man denke hier z. B. an das Gesetzgebungsverfahren nach Art. 77 GG und an den Vermittlungsausschuss. 102 Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 24 ff.; 51 f. 103 So im Zusammenhang mit der Wissenschaftsfreiheit als Unterfall korporativer Gewährleistungen in der Weimarer Republik: Zwirner, AöR 1973, 313 (333). 104 Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 25 f., 16 ff.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Zwei Arten des Wandels müssen also zugleich oder nacheinander eingetreten sein: Zum einen muss sich die Bedeutung der Begriffe „Wissenschaft“ und „Forschung“ als Bezeichnung eines Lebensbereichs gewandelt haben. Früher auf die Universitäten beschränkt, wird damit heute ein Lebensbereich verbunden, der weit darüber hinausreicht. 105 Zum anderen müsste dieser Wandel dazu geführt haben, dass sich auch die Bedeutung der Norm, also der Wissenschaftsfreiheit i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG gewandelt hat. Das ist jedoch auch angesichts eines sozialen und wissenschaftlichen Wandels nicht zwingend, erst recht nicht im Sinne einer einzigen Interpretationsvariante. 106 Der Wandel muss sich nämlich als Ausprägung von Gerechtigkeitsvorstellungen darstellen, die sich mehrheitlich in einem Prozess vernunftgeleiteter Konsenssuche herausbilden. 107 Bei Art. 5 Abs. 3 GG ist jedoch ein Konsens nicht klar erkennbar, denn zwei Konfliktlinien dominieren die Diskussion um die Forschungsfreiheit. Ein klarer Bedeutungswandel kann deshalb nur behauptet, aber nicht nachgewiesen werden. 108 Das Postulat der Wissenschaftsfreiheit hat seine historischen Wurzeln in dem strukturellen Konflikt zwischen der antiautoritären und innovativen Erkenntnisweise der modernen Wissenschaft auf der einen und dem religiösen und weltanschaulichen Traditionalismus auf der anderen Seite. Bezeichnenderweise trat dieses Postulat zusammen mit der allgemeinen Forderung nach Gedankenfreiheit auf. Als Wissenschaft galten die geistige Tätigkeit individueller Gelehrter sowie ihre ideellen Resultate, die in Lehre und Publikationen mündeten. Das Verbreiten von Ideen konnte von anderen Handlungsformen nicht nur klar unterschieden, sondern auch mit den Universitäten institutionell separiert werden. 109 Die historische Entwicklung lässt jedoch bisher offen, ob dieses Grundrecht damit auf die Universitäten beschränkt ist. Wie noch zu zeigen sein wird, haben sich die Bedingungen verändert, unter denen Wissenschaftler und Wissenschaftseinrichtungen agieren (müssen). 110 Im Lebensbereich Forschung dominiert ein aufwändig organisierter und technisierter Prozess. Die Forschungsziele werden von den verfügbaren Ressourcen und damit von ökonomischen Imperativen bestimmt. Basis der Erkenntnisgewinnung ist experimentelles Handeln, das in seinen (Aus-)Wirkungen weit über den Raum der Institution Wissenschaft und deren Labors hinausreichen kann. 111 Die struk105 Siehe hierzu oben Erstes Kapitel, B. III. 1. sowie Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 137 ff., Rdnr. 172 ff. 106 Ein Bedeutungswandel der Forschungsfreiheit kann sich erst einstellen, wenn zusätzlich zum sozialen Wandel der Forschung ein verändertes Grundrechtsverständnis im Sinne offener Grundrechtstatbestände hinzutritt (vgl. Kamp, Kommerz [2004], S. 88 ff.). 107 Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 27. 108 So z. B. von Kamp, Kommerz (2004), S. 88 ff. 109 Bayertz, ARSP 2000, 303 (325). 110 Siehe unten Drittes Kapitel, A.
A. Die Vergangenheit
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turellen Unterschiede zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung verschwimmen, wie es sich insbesondere im Bereich der Bio- und Gentechnik beispielhaft zeigt. 112 Unklar ist damit, von welcher Seite der Forschung Gefahr für ihre Freiheit droht. Man kann die zunehmende staatliche Regulierung technisierter Forschung als Gefahr sehen, man kann jedoch auch derartige Forschung als Gefahr für andere Rechts- und Verfassungsgüter betrachten. Nicht zuletzt kann auch in der zunehmenden Ökonomisierung und Finalisierung von Forschung eine Gefahr gesehen werden. Alle drei Varianten können Indizien eines Bedeutungswandels sein, der jedoch seinerseits in drei Varianten der Norminterpretation mündet, wenn der Normzweck unabhängig vom Willen des historischen Verfassungsgebers bestimmt werden soll. 113 Dagegen lässt die Historie dieses Grundrechts und seiner Bedeutung eindeutig Rückschlüsse darauf zu, welche Freiheit – oder anders gewendet: vor welchen negativen Einflüssen – dieses Grundrecht schützen soll. Wesentliches Element hierbei ist die wissenschaftliche Kommunikation, d. h. das Gewinnen und Verbreiten von Informationen. Letztlich sind so drei Funktionen von Wissenschaftsfreiheit erkennbar, die eine gewisse Kontinuität aufweisen und somit dem Verfassungsgeber von 1949 vor Augen gestanden haben müssen: − Die Wissenschaftsfreiheit soll sowohl den staatlich beschäftigten als auch den unabhängigen Wissenschaftler vor staatlicher Bevormundung schützen, damit dieser an freier wissenschaftlicher Kommunikation teilnehmen kann. − Die Wissenschaftsfreiheit verpflichtet den Staat, den Wissenschaftler vor Beeinträchtigungen seiner Kommunikation von Seiten Dritter zu schützen. − Die Wissenschaftsfreiheit verpflichtet den Staat, Rahmenbedingungen für eine unabhängige Wissenschaft sicherzustellen und diese zu fördern. Hierzu stellt der Staat Forschungsressourcen bereit. Diese Funktionen lassen sich durchaus bereits anhand der historischen Entwicklung als „Abwehrrecht“, „Schutzpflicht“ und „objektive Wertordnung“ systematisieren. Sie finden sich in diesen Grundzügen auch in der Rechtsprechung des BVerfG, insbesondere im Hochschulurteil wieder und unterliegen bis heute keinem Bedeutungswandel. Gleiches gilt für die klassische wissenschaftliche Kommunikation. 114
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Bayertz, ARSP 2000, 303 (326); Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 198 f. Vgl. Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 158 ff., 180 ff. 113 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 461 ff., Rdnr. 717 ff. 114 So auch A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (92 f.); siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). 112
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Die historische Auslegung ergibt somit: In sachlicher Hinsicht umfasst der Normbereich der Wissenschaftsfreiheit die wissenschaftliche Kommunikation und die staatliche Organisation von Wissenschaft. In personeller Hinsicht umfasst das Grundrecht (jedenfalls) die Hochschullehrer und in organisatorischer Hinsicht die Universitäten. Der spezielle Schutz außeruniversitärer unabhängiger Wissenschaftler scheint kaum notwendig zu sein, da sich diese auf die Berufsund Meinungsfreiheit berufen können. Mit anderen Worten: Der rechtshistorischen Entwicklung kann nicht ausreichend entnommen werden, ob jede wissenschaftlich motivierte Handlung, die einem Erkenntnisgewinn dient, sich aber außerhalb eines Bereichs bestimmter kommunikativer Handlungen befindet, ebenfalls in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG einzubeziehen ist. 115 Ebenso wenig ergeben sich Rückschlüsse, ob und wie dieses Grundrecht auch außeruniversitäre Forscher und deren Organisationen schützt. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob und wie weit Wissenschaftsfreiheit Rechte anderer beeinträchtigen darf, es spricht jedoch hier viel für eine Beschränkbarkeit durch die allgemeinen Gesetze. In der Vergangenheit spielten diese Fragen keine große Rolle, damit lässt sich wohl auch die Knappheit der Beratungen über Art. 5 Abs. 3 GG erklären, insbesondere, wenn man der Vorbehaltlosigkeit keine große Bedeutung beimisst. 116 Genau dies sind jedoch die Fragen, die sich heute im Zusammenhang mit der Forschungsfreiheit stellen. Hier ist eindeutig ein Wandel der Problemlage und wohl auch der sozialethischen Vorstellungen eingetreten. Es besteht jedoch kein sozialer und rechtlicher Konsens darüber, ob der Wandel der Forschung zu schützen ist oder ob die Forschung vor dem Wandel zu schützen ist. Einerseits kann man die These aufstellen, dass angesichts der heutigen Realität von Forschung die Voraussetzungen und Gründe, die zur Formulierung und Durchsetzung des Prinzips der Wissenschaftsfreiheit Anlass gegeben haben, weitgehend entfallen sind. Ein grundlegender Bedeutungswandel habe sich eingestellt und die Machtverhältnisse und die mit ihnen korrespondierenden Schutzbedürfnisse hätten sich umgekehrt. 117 Forschung wird (wieder) durch den Staat bedroht, insbesondere im Bereich der Bio- und Gentechnik, der Pharmaforschung und der Chemie. 118
115 Zum Teil wird vertreten, dass sich ein solches Grundrecht hinter dem Tatbestandsmerkmal „Forschung“ verbirgt, so z. B. bei Trute, Forschung (1994), S. 110 ff., 121 ff.; zu „forschungstypischen Handlungen“ ders., a. a. O., insb. S. 124 ff. 116 Siehe hierzu unten Viertes Kapitel, B. III. 1. b). 117 Bayertz, ARSP 2000, 303 (326). 118 Vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 87 ff. sowie H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 ff. (Art. 5 Abs. 3 GG solle vor „Überregulierung“ schützen).
B. Weitere normative Grundlagen der Forschungsfreiheit
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Andererseits kann diesem Blick die These entgegengestellt werden, dass die oben genannten drei Funktionen, die ein Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit sicherstellen sollen, auch heute noch von beeindruckender Aktualität sind, wenn man bei der Interpretation des Grundrechts die Gefahren berücksichtigt, die von einer Ökonomisierung wissenschaftlicher Forschung ausgehen. Forschung wird bedroht durch die Verwertbarkeitszwänge und die Marginalisierung wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit. Der Schutz der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft ist jedoch die Quintessenz der historischen Entwicklung, die unabhängig vom Wandel der Forschungslandschaft bis heute bleibenden Bestand hat. Auf dieser Grundlage und mit dieser Richtschnur kann der Gehalt des Grundrechts unter Beachtung heutiger Problemstellungen ausdifferenziert werden.
B. Weitere normative Grundlagen der Forschungsfreiheit I. Landesverfassungen und einfaches Recht Über Art. 5 Abs. 3 GG hinaus schützen auch nahezu alle Verfassungen der Bundesländer die Forschungs- bzw. Wissenschaftsfreiheit. 119 Während die Regelung des Grundgesetzes keinen Gesetzesvorbehalt kennt, gibt es hiervon abweichende Regelungen. Das ist beispielsweise in Art. 7 Abs. 2 der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns der Fall, wonach die Forschung gesetzlichen Beschränkungen unterliegt, „wenn sie die Menschenwürde zu verletzen oder die natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig zu gefährden droht“; nach Art. 10 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung Sachsen-Anhalts kann die Forschungsfreiheit nicht von der Achtung der Menschenwürde und der Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen entbinden. Art. 12 der Verfassung Bremens sieht folgende Beschränkung vor: „Der Mensch steht höher als Technik und Maschine. Zum Schutz der menschlichen Persönlichkeit und des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staatliche Aufsicht und Lenkung gestellt sowie beschränkt und untersagt werden.“ 120 119 Art. 20. Verf. Ba.-Wü. (nur für Hochschulen); Art. 108 Verf. Bay.; Art. 22 Verf. Berlin; Art. 11 Verf. Brem.; Art. 31 Verf. Brdb.; Art. 10 Verf. Hess.; Art. 7 Abs. 2 Verf. M-V; Art. 3 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Verf. Nds.; Art. 18 Verf. NRW (lediglich Förderungspflicht); Art. 9, Art. 39 Verf. Rh.-Pf.; Art. 5 Abs. 2 Verf. Saar.; Art. 21 Verf. Sachs.; Art. 10 Abs. 3 Verf. Sachs.-Anh. (im Rahmen der Meinungsfreiheit); Art. 9 Abs. 1 Verf. Schl.-Holst.; Art. 27 Abs. 1 Verf. Thür. 120 Hervorh. d. Verf.; vgl. hierzu Häberle, AöR 110 (1985), 329 (341 f.). Da diese Formulierung weite Beschränkungsrechte für die Forschungsfreiheit enthalte, sei sie insoweit verfassungswidrig, so Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 82, in Anm. 315. Dem kann
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Angesichts des Vorranges von Bundesrecht (Art. 30 GG) interessiert hier jedoch nur die Regelung des Grundgesetzes. 121 Einfachgesetzlich wird der Inhalt der Forschungsfreiheit in § 4 Abs. 2 Satz 1 HRG genauer umschrieben, 122 gleiches gilt für die Lehrfreiheit in Abs. 3 Satz 1. 123 Hochschulorgane dürfen in diese Rechte jeweils nur in organisatorischer Hinsicht zur Bildung von Forschungsschwerpunkten und in Studienangelegenheiten eingreifen (Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2). Offensichtlich ging der Bundesgesetzgeber davon aus, dass die Wissenschaftsfreiheit mit der Forschungs- und Lehrfreiheit abschließend umschrieben ist, denn zur Wissenschaftsfreiheit finden sich keine Ausführungen. Dem Hochschulrahmengesetz vergleichbare Vorschriften finden sich auch in den Hochschul- und Universitätsgesetzen der Länder. 124 § 22 HRG umschreibt weiter Inhalt und Aufgabe der Forschung an den Hochschulen.
jedoch nicht gefolgt werden: Zum einen darf dieser Gesetzesvorbehalt nur „zum Schutz der menschlichen Persönlichkeit und des menschlichen Zusammenlebens“ angewendet werden, d. h. zum Schutz verfassungsimmanenter Schranken. Zum anderen schützt Art. 5 Abs. 3 GG die Wissenschaft als Eigenwert, nicht jedoch umfassend jede bei Gelegenheit vorgenommene Handlung. 121 Zur Frage, inwieweit solche über Art. 5 Abs. 3 GG hinausgehenden Beschränkungen verfassungsgemäß sind: Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 83, m. w. N. in Anm. 319. Hier ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Vorbehaltlosigkeit des Art. 5 Abs. 3 GG nicht dazu führt, dass Forschungsfreiheit überhaupt nicht gesetzlich beschränkt werden kann, zum anderen müssen die Bestimmungen der Landesverfassungen so verstanden werden, dass deren Gesetzesvorbehalte nur die Konkretisierung verfassungsimmanenter Schranken umfassen und nicht einem „normalen“ Gesetzesvorbehalt entsprechen; so auch Denninger, in: Stober, FS Roellecke (1997), S. 37 ( 41 f.). Letztlich ist auch unter Zugrundelegung des herrschendem Verständnisses im Ergebnis der Unterschied zwischen verfassungsimmanenten Schranken und Gesetzesvorbehalt marginal (siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 1. b). Nach Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 41 m. w. N. sind Gesetzesvorbehalte für die Wissenschaftsfreiheit bei den Verfassunggebungsprozessen in den neuen Ländern mehrfach angeregt worden. 122 „Die Freiheit der Forschung (Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes) umfaßt insbesondere die Fragestellung, die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung“, siehe BVerfGE 35, 79 (112) – Hochschulurteil. 123 „Die Freiheit der Lehre (Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes) umfaßt ( . . . ) im Rahmen der zu erfüllenden Lehraufgaben insbesondere die Abhaltung von Lehrveranstaltungen und deren inhaltliche und methodische Gestaltung sowie das Recht auf Äußerung von wissenschaftlichen und künstlerischen Lehrmeinungen.“ Siehe hierzu auch BVerfGE 35, 79 (112 f.), das auf diese Formulierung im damaligen Entwurf des HRG zurück griff. 124 Mit Ausnahme Niedersachsens, dessen Hochschulgesetz seit einigen Jahren Begriffe wie Forschungs- oder Wissenschaftsfreiheit nicht mehr kennt (NHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Juni 2002 [Art. 1 des Gesetzes zur Hochschulreform in Niedersachsen, Nds. GVBl. S. 286], zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Januar 2004 [Nds. GVBl. S. 33]).
B. Weitere normative Grundlagen der Forschungsfreiheit
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Allerdings dürfen diese einfachgesetzlichen Vorschriften nicht zur Auslegung des Art. 5 Abs. 3 GG herangezogen werden. Wegen Art. 1 Abs. 3 GG bedürfen Grundrechte originärer, aus der Verfassung selbst gewonnener Maßstäbe, die den Schutz- und Gewährleistungsbereich umschreiben. 125
II. Die Forschungsfreiheit in Europa In den Verfassungen der meisten EU-Staaten sowie der EMRK ist die Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit regelmäßig nicht selbständig, sondern als Teil der Meinungsfreiheit geschützt. Als solche unterliegt sie den Beschränkungen durch allgemeine Gesetze. 126 Den verschiedenen (teils historischen) Verfassungstexten der Bundesländer und europäischen Staaten sollen sich aber auch die vier Grundrechtsfunktionen entnehmen lassen, die die deutsche Verfassungsrechtsprechung entwickelt hat. Besonders traditionsreich ist dabei die objektivrechtlichinstitutionelle Seite der Wissenschaftsfreiheit. 127 Im Rahmen der EU wird ein „Gemeinschaftsgrundrecht“ der Wissenschaftsfreiheit bejaht: Die Wissenschaftsfreiheit sei in internationalen Übereinkommen so anerkannt, dass „in Konturen“ eine Grundrechtsanalogie zu verwandten Gemeinschaftsgrundrechten möglich sei. 128 Jedenfalls unterliegen auch Bildung und Forschung einer erheblichen Europäisierung im Rahmen der Europäischen Union. 129 In Artikel II-73 der bisher noch nicht in Kraft getretenen EU-Verfassung heißt es: „Kunst und Forschung sind frei. Die akademische Freiheit wird geachtet.“ 130 Während hier mit Satz 1 ein Abwehrrecht für Jedermann gewährt wird, wird in Satz 2 die Autonomie der Universitäten und ihrer Mitglieder geschützt.
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F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 279; vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 186; BVerfGE 58, 300 (335) – Nassauskiesung: „Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muß aus der Verfassung selbst gewonnen werden.“ Gleiches gilt für die Wissenschaftsfreiheit. 126 Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 43; siehe auch H. Wagner, DÖV 1999, 129 (130 ff.); R. Dreier, DVBl. 1980, 471. Lediglich die Verfassungen Griechenlands, Italiens, Österreichs, Portugals, Spaniens und Deutschlands erwähnen ein solches Grundrecht explizit. Zur Wissenschaftsfreiheit in der portugiesischen Verfassung und weiteren Verfassungstexten, auch der Bundesländer, Häberle, AöR 1985, 327 (334 ff.). Teil der Meinungsfreiheit ist die Wissenschaftsfreiheit auch in Japan, vgl. Moriya, Rg 2005, 74 (79 ff.). 127 Mit ausführlicher Analyse: Häberle, AöR 1985, 329 (337 ff.). 128 H. Wagner, DÖV 1999, 129 (135); Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AKGG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 72. 129 Hierzu ausführlich Badura, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), 465 ff.; Zacher, in: Martinek/Schmidt, FS Jahr (1993), S. 199 (209 ff.) sowie zum Verhältnis von Forschungsförderung und Wissenschaftsfreiheit auf europäischer Ebene Classen, WissR 1995, 97 ff. 130 Vertrag über eine Verfassung für Europa vom 16. 12. 2004, Abl. 2004/C 310/01.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
C. Das „Isolationsmodell“: Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG durch isolierende Betrachtung universitärer Forschung und Lehre Die historische Entwicklung spiegelt sich letztlich in einer isolierenden rechtswissenschaftlichen Betrachtung wider. 131 Die wissenschaftliche Forschung außerhalb der staatlichen Universitäten wird weitgehend ausgeblendet, denn die meisten Berührungspunkte der Forschung mit dem Staat ergeben sich in der universitären Forschung, da diese staatlich organisiert und finanziert wird und werden muss. 132 Der Analyse von Art. 5 Abs. 3 GG werden deshalb die Kennzeichen universitärer Wissenschaft zugrunde gelegt. Bereits der Begriff „außeruniversitäre Forschung“ suggeriert, es handle sich hier um ein Randgebiet der Forschung, deren Schwerpunkt noch immer bei den Universitäten liege. Darin findet auch ein Ideal von staatlich alimentierter und deshalb ökonomisch (sorgen-)freier Forschung seine Entsprechung. Typisch für diese universitätszentrierte Betrachtungsweise, bei der außeruniversitäre Entwicklungen von Wissenschaft und Forschung zwar zur Kenntnis genommen werden, sich jedoch nicht grundrechtsdogmatisch niederschlagen, ist nicht nur das Hochschulurteil des BVerfG. Eine solche Wahrnehmung ergibt sich auch aus den einschlägigen Kommentierungen. Zum Beispiel widmet sich die umfangreiche Kommentierung von Scholz aus dem Jahre 1977 fast ausschließlich dem Zusammenhang zwischen Hochschulen und Wissenschaftsfreiheit. 133 Auch Kommentierungen, die neuere Entwicklungen berücksichtigen, legen den Schwerpunkt noch immer auf die universitäre Forschung und Lehre. 134
I. Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 Abs. 3 GG 1. Das Hochschulurteil Die Leitentscheidung des BVerfG zur Wissenschaftsfreiheit ist bis heute das Hochschulurteil von 1973. 135 Es hat vielfache Reaktionen im Schrifttum her131
So auch die Analyse von Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 8 ff. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 8. 133 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 81 ff. Gleiches gilt auch für Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 200 ff. sowie Starck, in: Mangoldt/ Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 322 ff. 134 So z. B. Denninger in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 21 ff. Eine Ausnahme ist insoweit Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 1 ff., der sich am stärksten innerhalb der Kommentarliteratur prinzipiellen Fragen stellt und ebenfalls einen Bedeutungsverlust der universitären Wissenschaft feststellt (ders., a. a. O., Rdnr. 21). 132
C. Das „Isolationsmodell“
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vorgerufen, wobei in erster Linie die hochschulrechtlichen Auswirkungen im Vordergrund standen. So hieß es seinerzeit, es sei als „‚Fibel‘ für den Hochschulgesetzgeber“ zu verstehen. 136 Darüber hinaus ist das Urteil jedoch in vielerlei Hinsicht interpretationsoffen. 137 Anlass für das Hochschulurteil war die Frage nach der Vereinbarkeit paritätisch besetzter Selbstverwaltungsorgane der Hochschulen mit Art. 5 Abs. 3 GG. 138 Die Zulässigkeit der Gruppenuniversität bejahte das BVerfG grundsätzlich, verlangte jedoch, dass der Gruppe der Hochschullehrer in allen Fragen, die Forschung und Lehre unmittelbar betreffen, der maßgebende Einfluss verbleiben muss. 139 Die Wissenschaftsfreiheit weise den Hochschullehrern eine herausgehobene Stellung innerhalb der Universität zu, da sie nach der derzeitigen Struktur die Inhaber der Schlüsselfunktion wissenschaftlichen Lebens seien. 140 Was wissenschaftliche Tätigkeit ist, lässt das BVerfG dabei weitgehend offen: Es sei alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. Im Verhältnis zu „Forschung und Lehre“ sei „Wissenschaft“ der Oberbegriff. Forschung sei „geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“. 141 Forschungsfreiheit umfasse insbesondere die Fragestellung und die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung. 142 Bei der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Gehalts von Art. 5 Abs. 3 GG erarbeitet das BVerfG mehrere Dimensionen des Grundrechts:
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BVerfGE 35, 79 ff. – Hochschulurteil. So Oppermann, JZ 1973, 433. 137 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 168 f. auf der einen, Kamp, Kommerz (2004), S. 59 auf der anderen Seite. 138 Siehe z. B. die Zusammensetzung der Kollegialorgane nach dem Vorschaltgesetz für ein Niedersächsisches Gesamthochschulgesetz (vom 26. 10. 1971), vgl. BVerfGE 35, 79 (82 ff.). 139 BVerfGE 35, 79 ff. (Leitsätze Nr. 5 u. 8). Das Niedersächsische Vorschaltgesetz ermöglichte es grundsätzlich, die Hochschullehrer zu überstimmen. 140 BVerfGE 35, 79 (126 f.); erneut in E 95, 193 (210). 141 Diese Definition übernahm das BVerfG aus dem Bundesbericht Forschung III (BTDrs. V/4335 S. 4). Da hier von „geistiger Tätigkeit“ gesprochen wird, ist diese Definition nicht hilfreich, wenn es um die Frage geht, welche (geistig motivierten) Handlungen Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG sind. 142 BVerfGE 35, 79 (112 f.). Vgl. hierzu § 4 Abs. 2 Satz 1 HRG; a. A., was die Verbreitung (d. h. Veröffentlichung) der Forschungsergebnisse anbelangt, Oppermann, in: Isensee/ Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 38 (widersprüchlich jedoch zu Rdnr. 28, wonach Inhalt der Forschungsfreiheit die Veröffentlichung sei); Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 90 f., der sie von der Lehrfreiheit geschützt sehen will (allerdings gelte dies nicht für Werturteile, ders., a. a. O., S. 97 f.); siehe hierzu Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). 136
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Erstens schütze Art. 5 Abs. 3 GG als Abwehrrecht jeden vor staatlicher Ingerenz, der wissenschaftlich tätig sei oder tätig werden wolle. Wissenschaft sei durch das Grundgesetz zu einem von staatlicher Fremdbestimmung freien Bereich persönlicher Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers erklärt worden. 143 Zweitens verkörpert Art. 5 Abs. 3 eine objektive Wertentscheidung. Freie Wissenschaft habe nicht nur eine Schlüsselfunktion für die Selbstverwirklichung des Einzelnen, sondern auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. 144 Ein Kulturstaat wie die Bundesrepublik sei verpflicht, für die Idee einer freien Wissenschaft einzustehen und ihrer Aushöhlung vorzubeugen. 145 Dies sei in der Gegenwart von besonderer Bedeutung, da sonst in weiten Bereichen der Wissenschaften, insbesondere in den Naturwissenschaften, keine unabhängige Forschung mehr betrieben werden könne. Der Staat habe deshalb funktionsfähige Institutionen für einen freien Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen und besitze hier ein faktisches Monopol. 146 Drittens ist deshalb Art. 5 Abs. 3 GG ein Teilhaberecht, das Voraussetzung für die Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit ist. 147 Hochschulorganisation, so folgert das Gericht, müsse so organisiert sein, dass mit ihr „freie“ Wissenschaft möglich sei. 148 Ausgehend vom verfassungsgeschichtlichen Hintergrund bezieht sich das BVerfG insbesondere auf Humboldt und Smend. Eine ganz bestimmte Struktur der Hochschulen (wie etwa die Ordinarienuniversität) erfordere die Wissenschaftsfreiheit aber nicht. Der Gesetzgeber habe einen breiten Raum zur Verwirklichung seiner Auffassungen. Sie seien verfassungsrechtlich danach zu beurteilen, inwieweit sie die individuelle Forschungs- und Lehrfreiheit ermöglichten und die Funktionsfähigkeit der Institution „freie Wissenschaft“ als solche begünstigten oder behinderten. 149 Viertens wird zur Funktion der Forschungsfreiheit als individuellem Abwehrrecht angemerkt, dass zwar ein Kernbereich stets unantastbar bleibe, sich diese Freiheit jedoch nicht schrankenlos durchsetzen dürfe, wenn ihr Rechte Dritter oder andere gewichtige Gemeinschaftsinteressen entgegenstehen. Dies betreffe insbesondere die Organisation von Wissenschaft in der Hochschule. Andererseits setzten wissenschaftsrelevante Angelegenheiten wie die Planung und Durchführung von Forschungsvorhaben der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Grenzen. Der Gesetzgeber müsse organisatorische Regelungen so ausgestalten, dass soviel 143 144 145 146 147 148 149
BVerfGE 35, 79 (111). Ähnlich auch BVerwGE 102, 304 (308). BVerfGE 35, 79 (114). BVerfGE 35, 79 (114). BVerfGE 35, 79 (115). BVerfGE 35, 79 (117). BVerfGE 35, 79 (120).
C. Das „Isolationsmodell“
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Freiheit wie möglich und nicht mehr Beeinträchtigung des Freiheitsraumes als nötig die Folge sei. 150 Hieraus lässt sich die Dimension der Wissenschaftsfreiheit als Organisationsgrundrecht folgern. 151 2. Weitere Entscheidungen a) Zum Normbereich Vor und nach dem Hochschulurteil hat das BVerfG in einer Reihe weiterer Entscheidungen zur Wissenschaftsfreiheit Stellung genommen. 152 Bereits 1963 war festgestellt worden, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG jedem Einzelnen ein Grundrecht auf wissenschaftliche Betätigung gewähre. 153 Offen ließ hier das BVerfG, wie auch in allen anderen Entscheidungen zur Wissenschaftsfreiheit, ob Art. 5 Abs. 3 GG eine institutionelle Garantie der Universitäten oder gar das „Grundrecht der deutschen Universität“ 154 sei. Das Hochschulurteil konkretisierte das BVerfG 1994 dahingehend, dass nicht eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie geschützt seien. Auch Mindermeinungen, irrige und fehlerhafte Forschungsansätze und -ergebnisse sowie „unorthodoxes oder intuitives Vorgehen“ fielen unter Art. 5 Abs. 3 GG, solange es „nach Inhalt und Form als ernsthafter
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BVerfGE 35, 79 (122 – 124). Siehe zum Organisationsgrundrecht Schmidt-Aßmann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697 ff.; ausführlich: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 201 ff. Zum Teil wird das Organisationsgrundrecht auch als (organisationsrechtliche) „institutionelle Garantie“ bezeichnet (vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I [2003], Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 132), das BVerfG ist jedoch zurückhaltender und verwendet diesen Begriff nicht. 152 BVerfGE 3, 58 (140 ff.) – Beamtenverhältnisse; 5, 85 (Ls. 1, 145 f.) – KPD-Verbot; 21, 362 (373 f.) – Sozialversicherungsträger. Nicht ganz eindeutig ergibt sich hieraus eine unmittelbare Grundrechtsfähigkeit der Universitäten und Fakultäten nach Art. 5 Abs. 3 GG. In BVerfGE 15, 256 (262, 264) – Universitäre Selbstverwaltung – wird zwar die Geltendmachung im Rahmen der Zulässigkeit anerkannt, in der Begründetheit jedoch offen gelassen; vgl. im Übrigen zu Art. 19 Abs. 3 GG Fünftes Kapitel, C. II. 3. Zu weiteren hochschulrechtlich relevanten Entscheidungen des BVerfG siehe Sterzel/Perels, Hochschulmodernisierung (2003), S. 65 – 84. 153 BVerfGE 15, 256 (263 f.) – Universitäre Selbstverwaltung. 154 Vgl. hierzu BVerfGE 35, 79 (119); Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 (57, 73), der freilich hierin ein klassisches Freiheitsrecht sah, keine institutionelle Garantie; zuletzt ebenfalls offen geblieben in BVerfG 1 BvR 653/97 vom 08. 08. 2000 und 1 BvR 911/00 vom 26. 10. 2004 ( = BVerfGE 111, 333 ff.), Rdnr. 153 ff.; dafür: Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 210; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 370; zu Recht zweifelnd hinsichtlich des „proteushaften, instrumentalisierbaren Charakters dieser ‚Rechtsfigur‘“ Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 10, 21; differenzierend Trute, Forschung (1994), S. 366, für den jedenfalls die Grundrechtssubjektivität der Universitäten „auf der Hand liegt“. 151
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist“. 155 Der Wissenschaftsbegriff des GG gehe von der Offenheit und Wandelbarkeit der Wissenschaft aus. Ein wissenschaftliches Werk sei erst dann dem Bereich der Wissenschaft entzogen, wenn es nicht systematisch auf Wahrheitserkenntnis gerichtet ist, sondern vorgefassten Meinungen oder Ergebnissen lediglich wissenschaftlichen Anschein verleiht. 156 In seiner Entscheidung zu § 6 Hessisches Universitätsgesetz (HUG) von 1978 verdeutlicht das BVerfG erneut ein scheinbar weites und offenes Tatbestandsverständnis. 157 Das Gericht zieht hierbei die Leitlinien des Hochschulurteils nach und betont die Funktion von Art. 5 Abs. 3 GG als individuellem Abwehrrecht, das jeden, der im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig sei, vor staatlichen Eingriffen schützt, und zwar auch im Bereich der Teilhabe am öffentlichen Wissenschaftsbetrieb der Universitäten. Geschützt sei jede wissenschaftliche Tätigkeit. 158 Obwohl diese Formulierungen nach einer Einbeziehung außeruniversitärer Forschung klingen, wurde kurz darauf die Schutzbereichseröffnung von Art. 5 Abs. 3 GG bei Tierversuchen in außeruniversitären Einrichtungen nicht diskutiert. 159 In seiner Entscheidung zur Auflösung der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR lässt das BVerfG den Umfang von Art. 5 Abs. 3 GG offen, insbesondere, ob sich das dortige Zentralinstitut für physikalische Chemie darauf berufen könne. Zwar dürfe eine staatliche Forschungsinstitution grundsätzlich Eingriffe in ihre Autonomie abwehren, nicht vom Schutzbereich umfasst sei aber 155
BVerfGE 90, 1 (12) – Jugendgefährdende Schriften. BVerfGE 90, 1 (12) – Jugendgefährdende Schriften; ebenso BVerfG 1 BvR 484/ 99 vom 17. 02. 2000 Rdnr. 5 f. mit dem Hinweis, dass von Art. 5 Abs. 3 GG nicht Äußerungen erfasst seien, die vom wissenschaftlichen Werk trennbar und nicht für sich auf Wahrheitserkenntnis gerichtet seien. Dies sei bei der Darstellung eines – vermeintlich objektiven – Sachverhalts der Fall. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, was ein „objektiver“ Sachverhalt ist und ob nicht bereits die Ermittlung und Darstellung eines Sachverhalts Teil des Erkenntnisprozesses und mithin „Wahrheit“ ist. Eine solche, wie vom BVerfG vorgenommene Aufsplittung zwischen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit bei (wie vorliegend) rechtswissenschaftlichen Werken ist deshalb bedenklich. Die Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse wäre dann ebenfalls nur eine Meinungsäußerung (so auch Classen, Wissenschaftsfreiheit [1994], S. 97 f.). In wertenden Wissenschaften wäre ergo eine Abgrenzung kaum noch durchführbar. Das BVerfG postuliert zwar einen offenen Wissenschaftsbegriff, maßt sich (aus eigener Sachkunde?) bei rechtswissenschaftlichen Werken aber durchaus die Position eines Wissenschaftsrichters an. 157 BVerfGE 47, 327 ff. – Hess. Universitätsgesetz. Der Wortlaut des § 6 HUG ist in Anm. zu Viertes Kapitel, C. I. 1. abgedruckt; krit. zur Zulässigkeit des § 6 HUG (noch in anderer Fassung) Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (113 ff.). 158 BVerfGE 47, 327 (367) – Hess. Universitätsgesetz. 159 BVerfGE 48, 376 (388 f.) – Tierversuche; siehe jedoch Nichtannahmeentscheidung des BVerfG, NVwZ 2000, 909 (910), wonach die Durchführung von Tierversuchen zu Ausbildungszwecken von der Lehrfreiheit umfasst sei (so in der angegriffenen Entscheidung das BVerwG, NVwZ 1998, 853 [856]). 156
C. Das „Isolationsmodell“
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deren Fortbestand. Die Autonomie einer staatlichen wissenschaftlichen Einrichtung werde ihr im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben verliehen. Das Recht auf Autonomie könne nicht die Aufrechterhaltung der Aufgabenzuweisung (d. h. die Aufgabe, wissenschaftlich tätig zu sein) selbst sichern. 160 Interessant ist hier, dass das BVerfG für eine Einbeziehung des betroffenen Zentralinstituts in Art. 5 Abs. 3 GG nicht auf dessen wissenschaftliche Tätigkeit, sondern auf dessen Autonomie abstellt, die dieser Forschungseinrichtung noch zu Ende der DDR gewährt worden war. 161 Staatlich gewährte Autonomie scheint also bei staatlichen Einrichtungen überhaupt erst die Voraussetzung für einen Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG zu sein. Das Grundrecht schützt sodann (und erst dann) den Umfang dieser zugewiesene Autonomie. Das ist nicht sehr überzeugend. Ist Wissenschaftsfreiheit dergestalt von staatlicher Leistung abhängig, wäre sie ein Privileg, das einer Einrichtung jederzeit nach Belieben wieder entzogen werden kann. Dann müsste der Staat als minus auch den Umfang organisatorischer Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers nach Belieben bestimmen können. 162 In objektivrechtlicher Hinsicht stellt sich allerdings die Frage, ob nicht bei nichtstaatlichen Einrichtungen Gleiches gelten müsste, d. h. Autonomie die Voraussetzung für die Einbeziehung in den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG wäre. 163 Bekam das vom BVerfG nie zugestandene „Grundrecht der Universität“ als Recht auf Selbstverwaltung bereits mit dieser Entscheidung deutliche Risse, weil Art. 5 Abs. 3 GG auch nicht vor der Schließung von Universitäten und Fakultäten schützt, verstärkten sich die Auflösungserscheinungen in den Entscheidungen des BVerfG zum Universitätsgesetz NRW 164 und zum Hochschulgesetz Brandenburg. 165 Hier wurde über die Vereinbarkeit aktueller Hochschulreformen der Länder mit Art. 5 Abs. 3 GG entschieden. Dies betraf insbesondere die Einrichtung und Stärkung monokratischer Leitungsorgane sowie die Evaluation von Leistungen der Hochschullehrer.
160 BVerfGE 85, 360 (370, 384) – Akademie der Wissenschaften. Dies ist vielleicht ein Grund für die Ablehnung einer institutionellen Garantie durch das BVerfG. 161 BVerfGE 85, 360 (370) – Akademie der Wissenschaften. 162 Nicht vergleichbar ist dies mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG (ähnlich auch Rupp, Stellung der Studenten [1968], S. 6 f.: Forschung und Lehre ließen sich allenfalls mit dem Selbstverständnis der Kirchen vergleichen). Zwar hat auch hier die einzelne Gemeinde kein Recht auf Fortbestand. Existiert jedoch eine kommunale Gebietskörperschaft i. S. d. Art. 28 Abs. 2 GG, muss ihr der Schutz der Selbstverwaltungsgarantie zukommen. Eine vorher eingeräumte Autonomie ist eben nicht Voraussetzung für die Einbeziehung in diesen Schutz. 163 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) dd). 164 BVerfGE 93, 85 ff. – Universitätsgesetz NRW. 165 BVerfGE 111, 333 ff. – Hochschulgesetz Brandenburg; krit. hierzu Gärditz, NVwZ 2005, 407 ff. sowie Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1077 f.).
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Das BVerfG bezieht sich hierbei auf die im Hochschulurteil entwickelten organisationsrechtlichen Grundsätze, wonach Art. 5 Abs. 3 GG nicht vor Beschränkungen schütze, die unvermeidbar sind, wenn Grundrechtsträger im Wissenschaftsbetrieb zusammenwirken. Auch in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten sei eine Entscheidungskompetenz monokratischer Leitungsorgane zulässig, solange deren Tätigkeit inhaltlich begrenzt und organisatorisch so abgesichert sei, dass eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit ausscheide. 166 Das BVerfG betont dabei den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, die akademische Selbstverwaltung nach seinem Ermessen zu ordnen, solange der Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung der Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers vorbehalten bleibe. Der Gesetzgeber könne die Rechte der wissenschaftlich Tätigen regeln, je nachdem, welche organisatorischen Strukturen ihm für eine funktionsfähige Wissenschaftsverwaltung geeignet erschienen. 167 Die gebotene Teilhabe müsse nicht im Sinne der herkömmlichen Selbstverwaltung erfolgen. Auch hochschulexterne Institutionen könnten dazu beitragen, einerseits staatliche Steuerung wissenschaftsfreiheitssichernd zu begrenzen und andererseits der Gefahr der Verfestigung von status quo-Interessen bei reiner Selbstverwaltung zu begegnen. 168 Diese Einschätzung verwundert insofern, als nun gerade die Schwächung der Kollegialorgane zulässig ist, in denen nach dem Hochschulurteil die Hochschullehrer auf Grund der Wissenschaftsfreiheit die Mehrheit haben müssen. Der Gesetzgeber darf also über die Kompetenzen der Kollegialorgane bestimmen, nicht jedoch über deren Zusammensetzung. Zur Evaluation stellt das BVerfG fest: Ein Verbot der Bewertung wissenschaftlicher Qualität oder ein Verbot, an die Bewertung Folgen bei der Ressourcenverteilung zu knüpfen, lasse sich Art. 5 Abs. 3 GG nicht entnehmen. Forschungsleistungen und Forschungsvorhaben würden seit jeher nicht nur in Prüfungen und Qualifikationsverfahren, sondern auch in Berufungsverfahren und bei der Vergabe von Drittmitteln bewertet. Ebenso zulässig sei die Berücksichtigung der Bewertung im Rahmen hochschulinterner Ressourcenverteilung. 169 166 BVerfGE 111, 333 (356 f.). Zum Begriff der „Wissenschaftsrelevanz“ und seiner Relativierung vgl. Görisch, DÖV 2003, 583 (584, insb. Anm. 13). 167 BVerfGE 111, 333 (355 f.); 93, 85 (95). Offen bleibt freilich, wann dieser Kernbereich betroffen ist, was vom Inhalt der „Funktionsfähigkeit“ der Wissenschaftsverwaltung umfasst ist und wie weit der Gesetzgeber gehen darf, bis die Wissenschaftsfreiheit „strukturell gefährdet ist“. Dieser Kernbereich wurde auch in BVerfGE 35, 79 (111 f.) abstrakt nur unzureichend bestimmt, erscheint jedoch mit dem Erfordernis der Mehrheit der Hochschullehrer in den Selbstverwaltungsorganen denkbar weit. Zur Frage, ob der Landesgesetzgeber im Hochschulgesetz Brandenburg die Auflösung von Hochschulen und Hochschuleinrichtungen dem Verordnungsgeber anheim stellen darf (vgl. Art. 80 GG): Rademacher/Janz, LKV 2001, 148 ff. 168 BVerfGE 111, 333 (356) – Hochschulgesetz Brdb.
C. Das „Isolationsmodell“
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b) Zu den Schranken Bei der Bestimmung der Schranken der Wissenschaftsfreiheit anlässlich des § 6 HUG stützt sich das BVerfG auf seine Mephisto-Entscheidung. 170 Für die Wissenschaftsfreiheit sollen die gleichen Beschränkungen wie für die Kunstfreiheit gelten. Die Übertragung der Schranken der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 2 GG wird abgelehnt, da Art. 5 Abs. 3 GG gegenüber Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die speziellere Norm sei. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG scheide aus, da dieser subsidiär sei. Somit sei die Wissenschaftsfreiheit gleich der Kunstfreiheit zwar vorbehaltlos, nicht jedoch schrankenlos gewährt. Die Grenzen seien aus der Verfassung selbst zu bestimmen. Wissenschaftsfreiheit sei nicht grenzenlos und dürfe sich nicht über Rechte Dritter auf Leben, Gesundheit oder Eigentum „hinwegsetzen“. 171 Weiter führt das BVerfG aus: „Die Konflikte zwischen der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit und dem Schutz anderer verfassungsrechtlich garantierter Rechtsgüter müssen daher nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses Wertesystems durch Verfassungsauslegung gelöst werden. In diesem Spannungsverhältnis kommt der Wissenschaftsfreiheit gegenüber den mit ihr kollidierenden, gleichfalls verfassungsrechtlich geschützten Werten nicht schlechthin Vorrang zu.“ 172
Vorbehaltlos gewährte Grundrechte müssten im Rahmen gemeinschaftsgebundener Verantwortung gesehen werden, weshalb die Grenzziehung bzw. Inhaltsbestimmung durch den Gesetzgeber im Einzelfall durch Güterabwägung vorgenommen werden könne. Dabei müsse die Abwägung den Wertprinzipien der Verfassung, insbesondere der Bedeutung der miteinander kollidierenden Grundrechte, und dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Wahrung der Einheit des Grundgesetzes Rechnung tragen. Weiter heißt es: „Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist stets der diesem Freiheitsrecht zugrundeliegende Gedanke mit zu berücksichtigen, daß gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeitsund politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient.“ 173
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BVerfGE 111, 333 (358 f.) – Hochschulgesetz Brdb. BVerfGE 30, 173 (191 f.) – Mephisto. 171 BVerfGE 47, 327 (368 f.) – Hess. Universitätsgesetz; vgl. hierzu Classen, WissR 1989, 235 (237); vgl. dazu auch BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294) – „Sprayer von Zürich“. 172 BVerfGE 47, 327 (369) – Hess. Universitätsgesetz. 173 BVerfGE 47, 327 (369 f.) – Hess. Universitätsgesetz; 111, 333 (354) – Hochschulgesetz Brdb. –, jedoch schon deutlich relativiert a. a. O., 358: Der Universitätsbereich dürfe nicht durch bloße gesellschaftliche Nützlichkeits- und politische Zweckmäßigkeiterwägungen geprägt sein. 170
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Im konkreten Fall nimmt das BVerfG die verlangte Güterabwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, an deren Ende eine verfassungskonforme Auslegung des § 6 HUG steht. 174 c) Zur außeruniversitären Forschung Von besonderem Interesse im Zusammenhang mit der Frage, ob sich die Gewährleistung der Forschungsfreiheit auch auf außeruniversitäre Forschung erstreckt, ist eine Entscheidung des BVerfG zum Tierschutzgesetz. Das Gericht hielt es für mit Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass das Tierschutzgesetz seinerzeit Tierversuche mit operativen Eingriffen an nichtstaatlichen wissenschaftlichen Einrichtungen nicht gestattete. 175 Art. 5 Abs. 3 GG wurde als Maßstab nicht herangezogen. 176 Jedoch wurde in einer späteren Kammerentscheidung zu den Grundrechtspositionen der Arzneimittelhersteller ohne weitere Auseinandersetzung davon ausgegangen, dass deren Forschungstätigkeit von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sei. 177 In einem Nichtannahmebeschluss zum Versuchsprivileg des § 11 Nr. 2 PatG, 178 das ein Arzneimittelhersteller für eine klinische Prüfung in Anspruch nahm, wird zwar eine Beziehung zur Forschung (und Lehre) hergestellt, jedoch weder der Begriff „Forschungsfreiheit“, noch Art. 5 Abs. 3 GG erwähnt, so dass eine Einbeziehung von klinischen Versuchen in die Forschungsfreiheit zumindest offen geblieben ist. 179 Sofern in einer Entscheidung zum Werk eines privaten Autors Art. 5 Abs. 3 GG geprüft wird, greift hier das BVerfG auf das 174 BVerfGE 47, 327 (Ls. 1, 380, 383) – Hess. Universitätsgesetz. Nur bei erheblichen und schwer erkennbaren Missbrauchsgefahren von Forschungsergebnissen muss der Hochschulforscher hierüber gem. § 6 Satz 2 HUG informieren. 175 BVerfGE 48, 376 ff. – Tierversuche. 176 Es ist natürlich auch möglich, dass das BVerfG seinerzeit vor der Neufassung des Art. 20a GG eine Entscheidung im Konflikt Forschungsfreiheit contra Tierschutz vermeiden wollte, da es hier Probleme gegeben hätte, verfassungsimmanente Schranken zu konstruieren (so auch Waechter, Der Staat 1991, 19 [33] sowie R. Dreier, DVBl. 1980, 471 [473]). Dass das BVerfG sich aufdrängenden (vorbehaltlos gewährten) Grundrechten aus dem Weg geht, ist auch bei der Entscheidung zum religiös motivierten Schächten (BVerfGE 104, 337 [345 ff.]) ersichtlich, wo zur Urteilsbegründung nicht auf die Religionsfreiheit, sondern auf die Berufsfreiheit in Form der allgemeinen Handlungsfreiheit zurückgegriffen wurde, freilich unter Berücksichtigung von Art. 4 GG in der Verhältnismäßigkeit; so auch die Analyse von Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 238; siehe ebenfalls (krit.): Hain/Unruh, DÖV 2003, 147. 177 BVerfG, 1. Senat 3. Kammer, Beschluss vom 20. 09. 1991, 1 BvR 1621/89 (unveröffentlicht). Grundlegende Bedeutung kann dieser Äußerung jedoch nicht beigemessen werden. 178 § 11 Nr. 2 PatG (neugefasst durch Bek. vom 16. 12. 1980; 1981 BGBl. I 1, zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz vom 21. 1. 2005 BGBl. I 146): „Die Wirkung des Patents erstreckt sich nicht auf ( . . . ) Handlungen zu Versuchszwecken, die sich auf den Gegenstand der patentierten Erfindung beziehen.“ Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. II. 1.
C. Das „Isolationsmodell“
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klassische Abwehrrecht zurück, das auch historisch dem Privatgelehrten, der nicht der Universität angehörte, zukommen sollte. 180 3. Reaktion der Literatur auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung Die Rechtsprechung des BVerfG, die sich im weitgehenden Einklang mit der überwiegenden verfassungsrechtlichen Literatur entwickelte, 181 ist kaum auf grundsätzliche Kritik gestoßen. Neu am Hochschulurteil war allerdings das Verständnis des BVerfG von Grundrechten als Teilhaberechten. 182 Die überwiegende Meinung im Schrifttum orientiert sich an den Prämissen des BVerfG zu Inhalt und Grenzen des Art. 5 Abs. 3 GG, auch wenn die konkreten Schlussfolgerungen des Hochschulurteils als Richterverfassungsrecht bezeichnet wurden und vor den Risiken eines Bundesverfassungsgerichtspositivismus gewarnt wurde. 183 Mit ähnlichen Argumenten wurde das Ergebnis dieser Entscheidung bereits im Minderheitenvotum kritisiert: Zuerst werde die Freiheit des Gesetzgebers für die Hochschulorganisation postuliert, sodann aber ins Gegenteil verkehrt, indem die Mehrheit des Senats diesem detaillierte Vorgaben bis hin zu Zweckmäßigkeitserwägungen mache. Diese habe jedoch allein der Gesetzgeber bei seiner Willensbildung anzustellen, sie seien aber nicht unabdingbare, mit einer Ver-
179 Vgl. BVerfG vom 10. 05. 2000 (1 BvR 1864/95), Abs. 23, auch wenn hier scheinbar ein Bezug zu wissenschaftlicher Forschung und Lehre sowie zu Art. 5 Abs. 3 GG vermieden wird und stattdessen im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf Gemeinwohlerwägungen zurückgegriffen wird. Zu einem anderen Ergebnis, was die Rspr. des BVerfG anbelangt, kommt Kamp, Kommerz (2004), S. 47 (wenig überzeugend, soweit hierfür auf BVerfGE 85, 360 [370, 384] – Akademie der Wissenschaften – zurückgegriffen wird). Auch Kamps These, das BVerfG entscheide im Hochschulurteil nicht zwischen „reiner“ und zweckgebundener Wissenschaft, geht fehl, da das BVerfG sehr wohl eine Unterscheidung zwischen freier und „unfreier“ (also zweckgebundener) Wissenschaft erkennen lässt: Das faktische Monopol des Staates besteht gerade für freie Wissenschaft. Deshalb stellt auch BVerfGE 85, 360 (370) bei der Zuordnung des Schutzes von Art. 5 Abs. 3 GG auf die Autonomie der außeruniversitären staatlichen Einrichtung ab. Siehe hierzu auch unten Fünftes Kapitel, C. II. 3. 180 BVerfGE 90, 1 (11 ff.). Die Eröffnung des Schutzbereichs wird im konkreten Fall abgelehnt, da das Buch vom Willen zur Propagierung einer bestimmten historisch-politischen Auffassung und nicht vom Bestreben nach Wahrheitssuche geprägt sei (BVerfG, a. a. O., 14). 181 Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1076). 182 So Schlink, DÖV 1973, 541 (544). Vom „Grundrecht der Universität“ als institutioneller Garantie habe sich das BVerfG jedoch eindeutig verabschiedet, ders., a. a. O., 541. 183 Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 14; zustimmend dagegen z. B. Oppermann, JZ 1973, 433 ff.; zum BVerfG als „Oligarchie“: Brohm, NJW 2001, 1 ff.; vgl. zur Gefahr des verfassungsgerichtlichen Juristdiktionsstaats Viertes Kapitel, B. II. 1. c).
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
fassungsbeschwerde durchsetzbare Postulate. 184 Die Prüfung des BVerfG müsse sich darauf beschränken, ob mit der Ausgestaltung der Hochschulorganisation ein unantastbarer Kernbereich betroffen sei. Die eine oder andere Gestaltung könne sicher mehr oder weniger für den Wissenschaftsbetrieb sinnvoll sein, es sei aber befremdlich, hiervon sogleich auf die Verfassungsmäßigkeit oder -widrigkeit zu schließen. 185 Mittlerweile – die Zeiten ändern sich – wird die Rechtsprechung des BVerfG im Hochschulurteil sogar als „ein Höhepunkt seiner Funktion [des BVerfG] als ‚aristokratischer Gegenpol‘ zur Politik“ begriffen. 186 Die grundsätzliche Sichtweise des BVerfG hat sich jedenfalls durchgesetzt und wurde nur im Detail modifiziert oder weiterentwickelt. Der Schwerpunkt der literarischen Stellungnahmen zu Art. 5 Abs. 3 GG liegt dabei – wie auch schon in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung – im Bereich der Hochschulen. Einzelprobleme zur Forschungsfreiheit tauchen nahezu ausschließlich in diesem Zusammenhang auf. 187 In dieser Weise ist die Entscheidung bis heute die wesentliche Quelle für die Kommentierung des Art. 5 Abs. 3 GG, wobei zumeist verkannt wird, dass sie vorrangig auf die Hochschulen zugeschnitten ist. 188 Auch wenn gemeint wird, dass sich das BVerfG in einer Entscheidung aus dem Jahre 1987 189 vom Weg immanenter Schranken abgewandt und sich stattdessen einer Spezifizierung des Schutzbereichs zugewandt habe, 190 so hat sich hieraus kein grundrechtsdogmatischer Wandel in der Rechtsprechung zu den vorbehaltlosen Grundrechten ergeben. 191 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die grundlegend andere Konzeption von Hailbronner. 192 Er meint, ein Staatsbediensteter könne sich grundsätzlich bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht auf Freiheitsrechte berufen. 193 Hiervon mache Art. 5 Abs. 3 GG jedoch eine Ausnahme, da Hochschullehrer unabhängig sein sollten, vergleichbar einem (quasi ebenfalls verbeamteten) Richter. 194 In universitärer Forschung und Lehre komme ihnen deshalb ein eigenes Grund184 Sondervotum Simon/Rupp-v. Brünneck in BVerfGE 35, 79 (150); siehe unten Viertes Kapitel, B. II. 1. c). 185 So bereits im Vorfeld der Entscheidung die richtige Warnung von Schlink, Der Staat 1971, 244 (268). 186 Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1076). 187 Vgl. nur die Aufzählung problematischer Einzelfälle aus dem Hochschulbereich in Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 105. 188 A. A. ausdrücklich Kamp, Kommerz (2004), S. 56 ff. (59). 189 BVerfGE 77, 170 (221) – Lagerung chemischer Waffen. 190 Waechter, Der Staat 1991, 19 (35); siehe hierzu jedoch Möllers, NJW 2005, 1973 ff. 191 Vgl. zuletzt BVerfGE 108, 282 (297) – Kopftuch. 192 Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 9 ff., 26 ff., 74 f. und 148 ff.; vgl. hierzu auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 162 ff. 193 Vgl. aber BVerfGE 108, 282 (298, 300) – Kopftuch.
C. Das „Isolationsmodell“
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recht zu, während die wissenschaftliche Betätigung Jedermanns der allgemeinen Wissenschaftsfreiheit unterfalle. Hailbronner führt aus: „Die allgemeine Wissenschaftsfreiheit für jedermann ist von der Freiheit der Forschung und Lehre zu trennen. Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht nur eine Betätigungsmodalität der Wissenschaftsfreiheit, sondern regelt eigenständige Normbereiche.“ Die Besonderheit universitärer Forschung ergebe sich aus ihrer Verbindung mit der Lehre („und“), was typischerweise nur auf Hochschullehrer bzw. Lehrpersonal hinweise. 195 „Forschung und Lehre“ bezögen sich deshalb allein auf den staatlichen Wissenschaftsbetrieb (d. h. die Universitäten) und stünden den dortigen Funktionsträgern als „Funktionsgrundrecht“ zu. 196 Die Funktionsträger seien aber im Gegensatz zum privaten Wissenschaftler einem besonderen Gemeinwohlgebot unterworfen, das ihnen besondere Rechte und Pflichten auferlege. 197 Dieser – semantisch sicherlich möglichen – Auslegung, die „Wissenschaft“ von „Forschung und Lehre“ trennt, steht jedoch die historische Entwicklung entgegen, die Wissenschaft, Forschung und Lehre als Einheit verstand (s. o.), sondern auch das wenig überzeugende Ergebnis, dass dadurch Hochschullehrer wesentlich stärkeren Restriktionen unterworfen wären als außeruniversitär tätige Forscher, insbesondere in der Privatwirtschaft. 198 Zu einem völlig entgegengesetzten Ergebnis kommt deshalb Classen, der durch Art. 5 Abs. 3 GG gerade den Hochschullehrer im Gegensatz zum privat tätigen Forscher besonders geschützt sieht. 199 Als weiteres Argument lässt sich Hailbronner entgegenhalten, dass seine Analyse, staatliche Forschungsförderung entscheide in beträchtlichem Maße über die Ziele und Schwerpunkte anwendungsbezogener Forschung, 200 jedenfalls heute so nicht mehr zu halten ist. Hier hat eindeutig eine Umkehrung stattgefunden. 201
194 Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 11; Jellinek, VVDStRL 4 (1928), 84 (Aussprache). 195 Heilbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 74. 196 Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 74. 197 Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 77; auch ders., WissR 1980, 212 (217). 198 Hailbronner, WissR 1980, 212 (217) spricht sogar vom „Charakteristikum privater Beliebigkeit“. 199 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 360 f. Auf die Organisation bezogen genießt nach Classen jedoch private (Industrie-)Forschung „private Beliebigkeit“ (siehe ders., a. a. O., S. 142 ff.). 200 Hailbronner, WissR 1980, 212 (213). 201 Siehe unten Drittes Kapitel, A. IV. 4. Einwände gegen das Funktionsgrundrecht, d. h. die Trennung zwischen einem Grundrecht für Jedermann und einem Sondergrundrecht für Hochschullehrer, bei Trute, Forschung (1994), S. 395 ff.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
II. Kritische Darstellung der Weiterentwicklung des Art. 5 Abs. 3 GG durch die überwiegende Meinung Im Schrifttum wurden die Prämissen des BVerfG weiterentwickelt und hierbei das weite verfassungsgerichtliche Wissenschaftsverständnis im Grundsatz noch einmal zusätzlich erweitert. An eine kritische Darstellung der überwiegenden Meinung sollen sich deshalb eigene vorläufige Folgerungen aus der Rechtsprechung des BVerfG anschließen. 202 1. Normbereich in sachlicher Hinsicht a) Wissenschaftsbegriff Elementar für die Bestimmung des Normbereichs ist die Frage, was Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist. Ist sie der Oberbegriff für Forschung und Lehre und ist diesen jeweils das Attribut „wissenschaftlich“ voranzustellen, 203 entscheidet der verfassungsrechtliche Wissenschaftsbegriff vollständig und abschließend, welche Arten der Erkenntnisgewinnung und -vermittlung durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sind. Ausgangspunkt für die Eingrenzung von Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist dabei überwiegend ein offener und modaler 204 Wissenschaftsbegriff. aa) Prinzipielle Offenheit des Wissenschaftsbegriffs In der Literatur wird vom Hochschulurteil ausgehend einem weiten Tatbestandsverständnis gefolgt. Dessen Suggestivität sei nachzugeben. 205 Der Wissenschafts-
202
Siehe unten Zweites Kapitel, C. III. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 24; so zu verstehen auch Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 10, der auf die „wissenschaftliche Tätigkeit“ abstellt; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 5 Rdnr. 95; K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 402; Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (108, 111); Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 100; krit. bzw. a. A.: A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (70); Hailbronner, Funktionsgrundrecht (1979), S. 74 ff.; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 14; mit eigenständigem Ansatz Trute, Forschung (1994), S. 110 ff., 121, der die Forschungsfreiheit als eigene Grundrechtsgewährleistung sieht und einem „Oberbegriff“ ablehnend gegenübersteht (ders., a. a. O., S. 132 f.). 204 Diesen Wissenschaftsbegriff kann man auch als „kognitiven“ (d. h. auf die Tätigkeit des Wissenschaftlers bezogenen) bezeichnen, so Häberle, AöR 1985, 329 (352, m. w. N. in Anm. 47). Er ließe sich auch als „formal“, oder besser „methodologisch“ bezeichnen, da er an eine bestimmte Form einer Tätigkeit anknüpft. Vgl. auch A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (38), der ihm einen „sozialen“ Wissenschaftsbegriff gegenüberstellt, der den gesellschaftlichen Bereich der Wissenschaft zu umschreiben versucht; vgl. hierzu (krit.) Trute, Forschung (1994), S. 72 f. 203
C. Das „Isolationsmodell“
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begriff des BVerfG sei wie der Kunstbegriff offen, auch wenn die Wissenschaft im Vergleich zur Kunst spezialisierter, stilisierter und abgehobener sei. 206 Angesichts der Anforderungen an wissenschaftliche Arbeitsweise ist diese Offenheit im Gegensatz zur Kunst natürlich zu relativieren. Offen ist dieser Wissenschaftsbegriff demnach in zweierlei Hinsicht: Zum einen gilt der verfassungsrechtliche Wissenschaftsbegriff als neutral, pluralistisch, 207 irrtumsoffen und im Kern autonom. Konkretisiert werde er von der Intention und dem Selbstverständnis der beteiligten Wissenschaftler und dem sozialen System Wissenschaft. 208 Er sei damit in starkem Maße sozial geprägt. Die prinzipielle Unabgeschlossenheit jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis, d. h. das Bemühen um wissenschaftliche Wahrheit als „etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“ 209 sei zu berücksichtigen. Folglich ist Wesenselement der Wissenschaft auch eine gewisse Unbestimmbarkeit ihrer Ergebnisse und ihres Fortschritts. Der Wissenschaftsbegriff dürfe deshalb nicht auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Betätigung abstellen. 210 Wissenschaft könne ihre Ergebnisse immer nur mit der Klausel „Irrtum vorbehalten“ liefern. 211 Zum anderen ergibt sich die Offenheit des Wissenschaftsbegriffs zwangsläufig aus seiner Unbestimmtheit in sozialer und organisatorischer Hinsicht, nämlich dann, wenn ein modaler Wissenschaftsbegriff verwendet wird. Denn mit diesem wird „Wissenschaft“ als eine besondere Methode des Vorgehens zur Gewinnung von Erkenntnissen, als eine besondere Methode der Suche nach Wahrheit umschrieben. Es sind äußere Merkmale, die eine Tätigkeit als „wissenschaftlich“ erscheinen lassen. 212 Art. 5 Abs. 3 GG schützt nach dieser Begriffsbestimmung mit Wissenschaft nicht ein soziales Funktionssystem oder Phänomen, auch nicht ausschließlich die Universität oder akademische Tätigkeiten, sondern per se die 205
So Trute, Forschung (1994), S. 151. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), S. 153, Rdnr. 624. 207 Im Sondervotum Simon/Rupp-v. Brünneck in BVerfGE 35, 79 (157) wird von Wissenschaftspluralismus gesprochen; vgl. auch Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 25; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 16, 32 f. 208 Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 25; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 2. 209 Wilhelm v. Humboldt, zit. nach BVerfGE 35, 79 (113) – Hochschulurteil. 210 Zur privaten Finanzierung von Forschung: Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 30; a. A. ausdrücklich Waechter, Der Staat 1991, 19 (25): Methode und Ergebnis ließen sich nicht mehr trennen. 211 Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (503). Zur „Freiheit des Irrtums“ siehe auch Heldrich, Freiheit zum Irrtum? (1987), S. 40 f.: Bei lege artis gewonnenen Erkenntnissen bestehe unabhängig von ihrer Richtigkeit eine (zivilrechtliche) Haftungsfreiheit. Allerdings bestehe eine Pflicht zur Berichtigung des Irrtums (ders., a. a. O., S. 45 f.). 212 Vgl. BVerfGE 35, 79 (112 f.). 206
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Wissenschaftlichkeit einer bestimmten Tätigkeit. Diese gilt als wissenschaftlich, wenn sie – verkürzt – planmäßig und ernsthaft objektives Wissen mit Geltungsanspruch ermitteln will; unabhängig von Ort, Anlass und Erkenntnisverwertung. Diese Reduktion von Wissenschaft hat den Vorteil, dass Wissenschaftlichkeit nun leichter bestimmbar ist. Wissenschaftliche Methodik ist in nahezu allen sozialen Bereichen anzutreffen, die dem Lebensbereich Wissenschaft und/oder Forschung zugerechnet werden. Damit wird der verfassungsrechtliche Wissenschaftsbegriff unabhängig von den organisatorischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Wissenschaft existieren kann. Vielmehr werden die Rahmenbedingungen vorausgesetzt, die dem Forscher die notwendige Freiheit gewähren, wissenschaftlich tätig zu sein. Das alleinige Abstellen auf eine bestimmte Methode führt zwangsläufig dazu, dass über die Universität hinaus alle Bereiche als Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG eingeordnet werden können, innerhalb derer diese Methode angewendet wird. Wissenschaft und ihr Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG enden damit nicht an den Toren der Universität, sondern reichen weit darüber hinaus, beispielsweise in die Wirtschaft, die Staatsverwaltung oder in die Politik hinein. Diese Grenzenlosigkeit ist – so paradox es klingt – die logische Folge einer Betrachtungsweise, die sich immer auf die Universität konzentriert hat und deshalb eine soziale und organisatorische Abgrenzung nicht für notwendig erachtet hatte, da Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG der Wissenschaft der Universitäten entsprach. Das „Isolationsmodell“ versucht allein den Problemen staatlicher Universitäten verfassungsrechtlich gerecht zu werden. 213 Eine genauere Differenzierung scheint unnötig, ebenfalls eine institutionelle Begrenzung. Ist die „Wissenschaftlichkeit“ eines Tuns entscheidend, erübrigt sich auch die Abgrenzung zwischen Forschung und Lehre. 214 bb) Entscheidend: die Methodik der Forschung Zur Ermittlung der Methode, die nun wissenschaftliches Arbeiten auszeichnen soll, lehnt sich das BVerfG an die wenig hilfreiche Definition von Smend an: 215 Wissenschaft sei alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmä213
Siehe hierzu unten Zweites Kapitel, C. Siehe hierzu unten Zweites Kapitel, C. II. 1. c). 215 Smend, VVDStRL 4 (1928), 44, (67): „Was sich als ernsthafter Versuch zur Ermittelung ( . . . ) der wissenschaftlichen Wahrheit darstellt, ist Forschung . . . .“ Da Smend „Forschung“ und „wissenschaftliche Tätigkeit“ gleichsetzt (wie auch das BVerfG, als es im Hochschulurteil auf diese Formel zurückgreift), ist Wissenschaft der Versuch der Ermittlung wissenschaftlicher Wahrheit. Deutlicher und weniger tautologisch wird diese Formel, wenn Smend mit ihr das „Kriterium der Intention der wissenschaftlichen Arbeit“ bestimmen will. Letztlich geht es um den Schutz wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit, 214
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ßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen sei. 216 Wird versucht, dies zu präzisieren, ist wenig gewonnen, wenn es zum Beispiel heißt, Wissenschaft sei „wahrheitsbezogene Erkenntnissuche zum Zweck der Erkenntniserweiterung, charakterisiert durch Ernsthaftigkeit, Planmäßigkeit, Methodik, Systematik und Überprüfbarkeit“. 217 Unter diese Definition kann nämlich auch die planmäßige Beobachtung von Lokomotiveinsätzen der Deutschen Bahn und der Austausch der Ergebnisse mit Gleichgesinnten fallen. 218 Im Übrigen verträgt sich ein „Plan“ wenig mit dem der Wissenschaft wesenseigenen Raum für Irrtümer, Kreativität und Abweichungen. Die Merkmale „planmäßig“ und „ernsthaft“ als Ersatz für die tautologische Definition von Smend können also nur im Ansatz wissenschaftliches Arbeiten beschreiben, denn sonst würden auch investigativer Journalismus, private Ahnenforschung, die Arbeit des Kriminalbeamten oder gar die Astrologie wissenschaftlich sein. Näher liegend gilt Gleiches auch für schulischen Oberstufenunterricht. Letztlich ist der modale Wissenschaftsbegriff wenig hilfreich, wenn es gilt, kritische Grenzfälle zu bewältigen. Diese Probleme entstehen aber überhaupt erst dann, wenn der modale Wissenschaftsbegriff, wie es die überwiegende Meinung tut, auf alle Forschungsbereiche angewendet wird. 219 Hinzu muss deshalb treten, dass diese Methode auch durch die scientific community als wissenschaftlich anerkannt ist. cc) Kennzeichen der Wissenschaftlichkeit: Wahrheitssuche Ergiebiger als „Ernsthaftigkeit“ und „Planmäßigkeit“ ist deshalb das Kennzeichen der Suche nach „Wahrheit“. Vertreter unterschiedlicher Wissenschaftstheorien sind sich einig, dass die Wissenschaft das „Streben nach wahrer Erkenntnis“ auszeichnet, also der Wunsch, zu „richtigen“ Aussagen oder gültigen Schlüssen
nicht, wie Smend (a. a. O.) ausdrücklich zu Protokoll gibt, um „die amtliche Tätigkeit in Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten“. 216 BVerfGE 35, 79 (113); vgl. auch Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 100. 217 So der Versuch von Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 104 f. Die Merkmale der „Ernsthaftigkeit“ und „Planmäßigkeit“ sollen hierbei sachliche Qualifikationsmerkmale sein, die den Erkenntnisgewinn vorbereiten oder tragen, nicht jedoch ersetzen oder hemmen (S. 105). 218 So das (Gegen-)Beispiel von A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (47). Ähnliches gilt auch für den Schüler, der Sprengstoff mischt, den Spiritisten oder Rassentheoretiker (Beispiele von R. Dreier, DVBl. 1980, 471 [472], der jedoch der Vagheit einer modalen Formel mehr Vorteile als Nachteile zugestehen will). 219 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 14, mit Beispielen, bei denen der modale Wissenschaftsbegriff erfüllt ist, die aber nicht schutzwürdig seien.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
zu gelangen. 220 Ergebnis ist ein Wissen, das als Herausbildung und Etablierung kognitiver Erwartungen verstanden werden kann, die bis zu einem gewissen Maß auch Ahnungen und Vermutungen mit einbeziehen. 221 Dabei ist für den Erkenntnisfortschritt eine „falsche“, d. h. widerlegte wissenschaftliche Theorie genauso bedeutend wie eine bisher unwiderlegte. Wissenschaftliches Wissen unterscheidet sich von „Glauben“ und „Meinen“ insoweit, als es sich nicht um subjektiv gewisse Überzeugungen, sondern um objektivierte Aussagen handelt, die zumindest falsifizierbar, also widerlegbar sind. 222 Die Falsifikation einer alten Theorie mündet nach kritischer Diskussion und Prüfung in die Suche nach einer neuen Theorie, die die entstandenen Probleme zumindest zum Teil klärt. Jede Theorie und jede wissenschaftliche Erkenntnis ist nur eine denkbare Lösung, ein Schritt auf der Suche nach Wahrheit und mithin immer zugleich der letzte Stand des möglichen Irrtums. 223 Erst hieraus ergibt sich die Unabgeschlossenheit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Was „wahr“ und was „unwahr“ ist, muss überprüfbar sein und überprüft werden. Das ist ein entscheidender Aspekt von Wissenschaft, der sie von religiösen oder ideologischen Überzeugungen unterscheidet. Subjektiv gewonnene Erkenntnisse müssen einer objektiven Nachvollziehbarkeit zugänglich gemacht werden. Die dafür erforderliche Kontrolle ist keine staatliche, private oder gesellschaftliche, sondern eine systemimmanente. 224 Es ist die scientific community, die im Idealfall diese Kontrolle gewährleistet. 225 Zur Wissenschaft gehören deshalb auch methodisch begründete Zweifel und die Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen. 220
Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 219. Vgl. Luhmann, Wissenschaft (1990), S. 169 ff. 222 Der Gedanke der Falsifikation ist ein Grundgedanke des kritischen Rationalismus von Karl R. Popper, der für die empirischen Wissenschaften entwickelt wurde; vgl. Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 13, Rdnr. 15; Trute, Forschung (1994), S. 69 f. sowie ausführlich Popper, Logik der Forschung (1994), S. 14 ff.; ders., Gesellschaft–Universum (1983), S. 30 f. Popper weist hier darauf hin, dass auch jede technische Erfindung eine Theorie falsifizieren kann. Da der Falsifikationsgedanke aus den Naturwissenschaften stammt, stößt er jedoch auf seine Grenzen, wenn es um geisteswissenschaftliche Ideen geht. In diesem Zusammenhang hat Hans Albert das „Münchhausen-Trilemma“ genannte Theorem entwickelt: Das klassische Problem, dass jede Behauptung eine weitere Behauptung zu ihrer Begründung braucht, zeigt, dass es keine endgültig verifizierbaren Sätze, keine Letztbegründungen geben kann. Entweder kommt man auf Zirkelschlüsse, verliert sich in endlosen Ursache-Wirkungs-Ketten oder bricht diese willkürlich ab. 223 Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 13, Rdnr. 15, Anm. 13; vgl. BVerfGE 49, 89 (143) – Kalkar: „Erfahrungswissen ( . . . ), selbst wenn es sich zur Form des naturwissenschaftlichen Gesetzes verdichtet hat, ist, solange menschliche Erfahrung nicht abgeschlossen ist, immer nur Annäherungswissen, das nicht volle Gewißheit vermittelt, sondern durch jede neue Erfahrung korrigierbar ist und sich insofern immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet.“ 224 Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 106. 225 Trute, Forschung (1994), S. 119. 221
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Wissenschaft ist ein umfassender kommunikativer Prozess. Weniger bestimmte Ergebnisse, vielmehr der rational nachvollziehbare und widerlegbare Prozess der Erkenntnissuche charakterisieren damit die wissenschaftliche Tätigkeit. Diese erweitert sich schon insofern um ein soziales und kommunikatives Element. Wissenschaft kann damit sozial als ein Funktionssystem gesehen werden, in dem der kommunikative Code auf Wahrheit ausgerichtet ist. „Wahr“ und „unwahr“ (bzw. „richtig“ und „falsch“) ist die sog. Leitdifferenz, an der sich die wissenschaftliche Kommunikation orientiert. 226 Das schließt beispielsweise die Astrologie aus. Während das Falsifikationsmodell in den Naturwissenschaften noch relativ einleuchtend ist, wird es beispielsweise in der Rechtswissenschaft dadurch erschwert, dass normative Sätze Wertungen enthalten, die rein rational schwer und empirisch kaum beweisbar sind. Ein hypothetischer Sachverhalt ist bereits ausreichend, um eine Norm oder Wertung zu korrigieren. 227 Um dogmatische Fächer wie Theologie oder Rechtswissenschaft als Wissenschaftsdisziplinen gelten zu lassen, soll es deshalb erforderlich sein, von nachvollziehbaren Prämissen auszugehen, innerhalb derer gearbeitet wird. 228 Gerade hier zeigt sich, dass ungebundene kommunikative Auseinandersetzung, Streit und Diskussion auf logischer oder wertender Grundlage elementar für die Wissenschaftlichkeit dieser Fächer ist. Kennzeichen wissenschaftlicher Tätigkeit ist nach wohl allgemeiner Ansicht nicht eine abgeschlossene wissenschaftliche Ausbildung, 229 jedoch ist ein me-
226 Luhmann, Wissenschaft (1990), S. 169 ff.; siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. III. 1. 227 Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 13 ff., Rdnr. 17. Die Brücke zu den Wissenschaften schlägt hierbei die Rechtstheorie. Mit ihr wird versucht, das Recht systematisch zu beobachten, darüber nachzudenken und so nachprüfbare (widerlegbare) Erkenntnisse zu gewinnen (Rüthers, a. a. O., S. 16, Rdnr. 21). 228 Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 10; zweifelnd Denninger, in Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 15; kritisch zur Übertragbarkeit des Kritischen Rationalismus auf die Geistes- und Sozialwissenschaften, insb. auf die Rechtswissenschaft F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 451 ff. (452 f.): Die Rechtswissenschaft habe eine einmalige Position innerhalb der Wissenschaften. Sie habe Entscheidungen zu konstruieren, nicht Entdeckungen zu machen. Sie gehe über bloßes „Verstehen“ und „Interpretieren“ hinaus. Bei ihr fielen „Finden“ und „Begründen“ zusammen. Dieses prätentiöse Verständnis Müllers verkennt aber, dass Entscheidungen immer Ideen für die Lösung von Problemen vorausgehen müssen. Ideen sind aber Entdeckungen. 229 Ist für wissenschaftliche Tätigkeit eine wissenschaftliche Ausbildung erforderlich, so liegt ein regressus ad infinitum vor, wie auch Smend ihn verwendet (s. o). Gleiches gilt für das Erfordernis einer „beruflichen Mindestqualifikation im entsprechenden Fachgebiet“. So ist auch Studenten die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Tätigkeit zuzusprechen (so zu Recht grundsätzlich, wenn auch im Weiteren differenzierend, BVerfGE 35, 79 [131, 141]; 55, 37 [67 f.]); so auch Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 34; vgl. hierzu ausführlich Stein, JA 2002, 253 ff. Sofern die methodischen Anforderungen der scientific
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
thodisch geordnetes Vorgehen und ein kritisches Infragestellen der gewonnenen Ergebnisse und damit die Anbindung an die scientific community erforderlich. 230 b) Umfang Damit stellt sich die Frage nach dem Umfang der geschützten Tätigkeiten. Wenn es in der Rechtsprechung des BVerfG heißt, in den Freiheitsraum der Wissenschaftsfreiheit fielen die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen beim Auffinden von Erkenntnissen, ihre Deutung und ihre Weitergabe, 231 dann spricht dies dafür, dass Wissenschaftsfreiheit in Form der Forschungsfreiheit jede Tätigkeit umfasst, die – jedenfalls primär – auf Erkenntnis von Wahrheit gerichtet ist. Als Beispiele werden genannt: Vorarbeiten und Materialsammlung, Ermittlungen über den Stand der Forschung, Zugang zu und Nutzung von Daten aus allgemein zugänglichen Quellen, Archiven und Datenbanken, das Experimentieren 232, die Bewertung und Publikation der Ergebnisse und die Erstellung von Gutachten für Dritte, kurzum, alles, was nach Ziel und Methode Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit ist. 233 Von der Lehrfreiheit sollen geschützt sein: die Vermittlung von eigenen und fremden Erkenntnissen; die Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten; Prüfungen und die freie Bestimmung über Inhalt und Ablauf von Lehrveranstaltungen, sofern nicht der Ausbildungszweck entgegensteht. 234 In institutioneller Hinsicht, also im Rahmen der universitären Autonomie, schützt und beeinflusst Art. 5 Abs. 3 GG insbesondere: die Mitwirkung des Hochschullehrers in der Hochschulselbstverwaltung; wissenschaftsrelevante Planungen,
community erfüllt sind, können auch Autodidakten mit einem gewissen Kenntnisstand ohne jegliche wissenschaftliche Ausbildung wissenschaftlich tätig sein. 230 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 621. 231 BVerfGE 35, 79 (112) – Hochschulurteil; 111, 333 (354) – Hochschulgesetz Brdb. 232 Trute, Forschung (1994), S. 124. 233 Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 30 ff. Pernice unterscheidet hinsichtlich der Frage, ob Veröffentlichungen noch Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit (und damit des Forschungsbegriffes des Art. 5 Abs. 3 GG) sind: Die Publikation von Forschungsergebnissen ist Bestandteil der Forschungsfreiheit (ders., a. a. O., Rdnr. 30), die Veröffentlichung von Lehrbüchern ist Teil der Lehrfreiheit (ders., a. a. O., Rdnr. 32). Dies wirkt reichlich konstruiert, denn gerade im Bereich der Geisteswissenschaften werden eigene neue Erkenntnisse auch bei der Abfassung eines Lehrbuches entwickelt und dargestellt. Das spricht dafür, die Veröffentlichung bereits als Bestandteil der Forschungsfreiheit im weiteren Sinne zu verstehen. 234 Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 32 f. Hier wird bereits eine gewisse schutzbereichsimmanente Begrenzung sichtbar, die sich aus den kollidierenden Grundrechten anderer Universitätsangehöriger und den Aufgaben der Hochschulen ergeben soll.
C. Das „Isolationsmodell“
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zu denen insbesondere die Forschungs- und Lehrprogrammplanung zählen; die Mittelvergabe für Vorhaben in Forschung und Lehre; Ausgestaltung und Einsatz wissenschaftlicher Einrichtungen und Arbeitsgruppen; Studien- und Prüfungsordnungen; Berufungsangelegenheiten. 235 Doch auch universitäre Forschung und Lehre wird durch allgemeine Vorschriften, etwa des Straf- und Gefahrenabwehrrechts, beschränkt. Ob die Rechtfertigung derartiger Regelungen an Art. 5 Abs. 3 GG zu messen ist, oder ob Handlungen, die durch diese Regelungen beschränkt werden, gar nicht in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit fallen, ist umstritten, 236 allerdings im Rahmen des Isolationsmodells nicht von sonderlich hoher Relevanz. Die herrschende Meinung bezieht sie jedenfalls in den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG mit ein. 237 c) Einheit von Forschung und Lehre Kein notwendiges Kennzeichen des Wissenschaftsbegriffs ist in der Literatur die Einheit von Forschung und Lehre als Verbundbegriff im Sinne einer konditionalen Verknüpfung, 238 wohl schon allein deshalb, weil damit die Wissenschaftlichkeit auf universitäre Wissenschaft beschränkt wäre und historisch die Lehre kein notwendiges Element von Wissenschaft war. 239 Stattdessen richtet sich der modale Wissenschaftsbegriff der herrschenden Meinung ausschließlich an der Forschung als Handlungsweise aus, weshalb die Begriffe häufig synonym verwendet werden. 240 Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist demnach mit Wissenschaft nahezu gleichzusetzen: Wissenschaft ist ohne Forschung und Forschung ohne Wissenschaft nicht denkbar. 241 Denkbar erscheint also eine Wissenschaft ohne Lehre, oder – konkreter – eine von Art. 5 Abs. 3 GG geschützte wissenschaftliche Forschung ohne Lehre. 242 Dabei sichert jedoch die Freiheit der Lehre ein Stück der Freiheit der Wissenschaft. 243 Wie die historische Entwicklung gezeigt 235 Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 60. Das verpflichtet gleichzeitig den Hochschullehrer, sich diesen Einschränkungen seiner individuellen Freiheiten auch zu fügen, vgl. Lorenz, JZ 1981, 113 (116). 236 Vgl. Viertes Kapitel, B. III. 1. c). 237 Siehe m. w. N. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 30, 38 ff.; Paul, Stammzellen (2004), S. 37 f.; Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 105; H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237 f.). 238 Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 132 f. 239 Vgl. Art. 142 WRV: „ . . . die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei“. 240 Der Wissenschaftsrat definiert „Forschung“ als ein Verfahren zur Formulierung und Lösung ausgewählter Probleme, das sich wissenschaftlicher Methoden bedient, um formulierbare Erkenntnisse zu erlangen, die den Wissensstand erweitern und zur Lösung gewählter und anderer Probleme beitragen (zit. nach Meusel, Außeruniversitäre Forschung [1999], S. 137, Rdnr. 152). 241 Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 100.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
hat, wies das Veröffentlichen wissenschaftlicher Meinungen und die Lehre an den Universitäten eine erhebliche politische Dimension auf, die sich auch in der ausdrücklichen Verpflichtung des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG wiederfindet. 244 Jedenfalls muss – wie bei der Forschung – Merkmal der Lehre ihre Wissenschaftlichkeit sein. 245 Da sich das BVerfG im Hochschulurteil hierzu nicht ganz klar ausdrückt, 246 sind drei Möglichkeiten denkbar: Zum einen heißt es, der enge Zusammenhang der Gewährleistung von Forschung und Lehre beschränke die Lehrfreiheit auf die auf der Grundlage eigener Forschung betriebene wissenschaftliche Lehre. 247 Das bedeutet, dass Lehre i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG nicht die Vermittlung aller gewonnenen Erkenntnisse, sondern nur solcher ist, die bereits auf Grund eigener ausgeübter Forschungsfreiheit erlangt wurde. Die „Äußerung von Lehrmeinungen“ umfasst dann nur eigene Meinungen, nicht fremde. Davon abgesehen, dass mit dieser Voraussetzung vermutlich die Lehrfreiheit eines Schullehrers ausgeschlossen werden sollte, 248 besteht jedoch zu erheblichen Teilen die Lehre eines Hochschullehrers in der kritischen, methodisch überprüfbaren Verarbeitung und Wiedergabe angeeigneter Erkenntnisse, die ursprünglich andere Forscher gewonnen haben. 249 Auf die Lehre als Vermittlung der Wissenschaft als solcher deutet auch Art. 142 S. 1 WRV hin, wo es ausdrücklich hieß: „die Wissenschaft und ihre Lehre“ sind frei. Eine Beschränkung auf die Vermittlung eigener Forschungsergebnisse würde auch dazu führen, dass das ganze Bündel an Einzelrechten, das mit der Lehrfreiheit verbunden sein soll, 250 242 Nach Trute, Forschung (1994), S. 132, sollten die Tatbestandselemente des Art. 5 Abs. 3 GG stärker entkoppelt werden. 243 So Trute, Forschung (1994), S. 130; siehe auch Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 8: „Die Rechtsordnung würde die Idee der Wissenschaftsfreiheit verfälschen, wollte sie Forschung von der Lehre ( . . . ) trennen.“ 244 Siehe oben Zweites Kapitel, A. 245 Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 339; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 29. 246 Die Forschungsfreiheit umfasse u. a. „die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung“; die Freiheit der Lehre u. a. „das Recht auf Äußerung von wissenschaftlichen Lehrmeinungen“, BVerfGE 35, 79 (112 f.). Dies kann so interpretiert werden, dass unter die Forschungsfreiheit die schriftliche Publikation fällt (so z. B. Hailbronner, WissR 1980, 212 [229]), während die Lehrfreiheit die mündliche Äußerung (nicht notwendigerweise eigener) Erkenntnisse schützt. 247 Rux, Freiheit des Lehrers (2002), S. 90; Köttgen, Grundrecht der Universität (1959), S. 29; Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 102; „auch die eigene und eigenverantwortlich gewonnene wissenschaftliche Erkenntnis der Lehrperson“ [Hervorh. d. Verf.], so Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 105; andeutungsweise Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 339. 248 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 107. 249 Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 29.
C. Das „Isolationsmodell“
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aber auch organisationsrechtliche Voraussetzungen für den Lehrbetrieb an den Universitäten ungeschützt wären. Zum anderen gibt es Meinungen, die auch die Publikation eigener Forschungsergebnisse (inner- und außeruniversitär) der Lehrfreiheit zurechnen wollen. 251 Ob man die Veröffentlichung von Erkenntnissen wissenschaftlicher Forschung in die Lehr- oder in die Forschungsfreiheit einordnet, hängt letztlich davon ab, welches Maß an Anforderung man an Wissenschaft als Verfassungsbegriff stellt. Je stärker das kommunikative Element der Wissenschaft betont wird, desto stärker ist bereits die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und die Äußerung eigener Lehrmeinungen Bestandteil der wissenschaftlichen Tätigkeit und damit der Forschungsfreiheit. 252 Für das BVerfG fällt daher unter die Forschungsfreiheit auch die Verbreitung der Forschungsergebnisse. 253 Dagegen schützt die Lehrfreiheit – und dies ist die dritte und überzeugendste Möglichkeit – die Vermittlung des gesamten wissenschaftlichen Wissens innerhalb und außerhalb der Hochschule zu Zwecken der wissenschaftlichen Ausbildung. 254 Wenn das BVerfG Lehre als „die wissenschaftlich fundierte Übermittlung der durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse“ definiert, 255 dann ist dies nicht auf eigene neue Erkenntnisse beschränkt. So wie die Forschungsfreiheit den Entstehungszusammenhang wissenschaftlicher Erkenntnisse schützt, gewährleistet die Lehrfreiheit das ungehinderte und unbeeinflusste Einbringen solcher Erkenntnisse in die Systeme wissenschaftsvermittelnder Kommunikation. Damit gehört zum Begriff der wissenschaftlichen Lehre unabdingbar eine spezifische wissenschaftliche Eigenverantwortung, die garantiert, dass die Lehre selbständig und frei von
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Vgl. hierzu im Einzelnen Th. Bauer, Wissenschaftsfreiheit (1980), S. 52; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 33 ff. (unter Bezug auf einfachgesetzliche Konkretisierungen der Lehrfreiheit z. B. in § 4 Abs. 3 Satz 1 HRG). Bei Rückgriff auf das HRG ist jedoch das Ausgestaltungsverbot zu beachten, vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 186. 251 Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 102; Starck, in: Mangoldt/ Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 328 (jedoch unter Einschluss der Mitteilung der Ergebnisse anderer Forscher); Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 38; Th. Bauer, Wissenschaftsfreiheit (1980), S. 78 ff.; undeutlich insoweit Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 108 (auch publizierende Vermittlung bzw. „Schriftlehre“). 252 So z. B. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 17. 253 BVerfGE 35, 79 (112). 254 So m. w. N. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 32. 255 Eindeutig BVerfGE 35, 79 (112): Forschung ist „die notwendige Voraussetzung, um den Charakter der Lehre als der wissenschaftlich fundierten Übermittlung der durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse zu gewährleisten. Andererseits befruchtet das in der Lehre stattfindende wissenschaftliche Gespräch wiederum die Forschungsarbeit.“
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Weisungen durchgeführt wird. 256 Auswahl und Darstellung des wissenschaftlichen Stoffs sollen eigener Verantwortung unterliegen und frei von Direktiven sein. Konsequenzen hat dies für die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie sie an den Schulen stattfindet. Denn es ist nicht unumstritten, ob Unterricht an Schulen unter diese Art von Lehre fällt. 257 Das bedeutet aber auch, dass ein „mehr oder weniger repetitoriumsartiger Unterricht“ oder vorbereitende und ergänzende Unterweisung auch an der Universität nicht an der Lehrfreiheit teilnehmen. 258 Wenn man annimmt, dass Wissenschaft ein gewisses Maß an Autonomie, Selbständigkeit, Transparenz und kritischem Diskurs erfordert, dann findet überall dort wissenschaftliche Lehre statt, wo auch Wissenschaft stattfindet. An die Bedeutung der Lehre für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sei in diesem Zusammenhang noch einmal erinnert. Wer wissenschaftlich qualifiziert ist und an wissenschaftlicher Kommunikation teilnimmt, muss grundsätzlich auch Träger der Lehrfreiheit sein können. Schulunterricht kann „verwissenschaftlicht“, die Wissensvermittlung an der Universität „verschult“ sein. 259 Wirklich trennbar sind Forschung und Lehre insofern nicht, als beide einen großen Zusammenhang kommunikativer Entfaltung bilden. In Anbetracht der Fülle wissenschaftlicher Publikationen kann in der Kompilation und Systematisierung wissenschaftlicher Ergebnisse eine eigenständige Forschungsleistung zu
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Vgl. Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 102. Dagegen die h. M., siehe Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 103 m. w. N.; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 32 m. w. N. (ders. auch gegen Lehre an Fachhochschulen; dem widersprechen jedoch §§ 1, 4 HRG, die die Wissenschaftsfreiheit nicht auf Universitäten beschränken; für eine Einbeziehung der Fachhochschulen auch Denninger in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG [2001], Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 30); Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 328; a. A. (unter ausführlicher historischer Bezugnahme) Laaser, Lehrfreiheit (1981), S. 29 ff.; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 31; ders. bejaht Lehrfreiheit in der Schule, wenn der Unterricht wissenschaftliche Kriterien erfüllt, was v. a. im geisteswissenschaftlichen Bereich vorstellbar sei. Rux ist gegen eine eigenständige Lehrfreiheit, da sie untrennbar mit der eigenen Forschung verbunden sein müsse (Rux, Freiheit des Lehrers [2002], S. 94). 258 Vgl. BVerfGE 35, 79 (139 f.); Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 28; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 32 (Anm. 139). 259 Zur Ausstellung „Körperwelten“ als (außeruniversitäre) wissenschaftliche Lehre: VGH München NJW 2003, 1618 (1620); Bremer, NVwZ 2001, 167 ff.; Finger/Müller, NJW 2004, 1073 (1075). Skeptisch, ob eine Verpflichtung, berufspraktische Aspekte zum beherrschenden Zug der Lehre zu machen mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar ist: Lorenz, JZ 1981, 113 (116). Damit würden rein theoretische Aspekte aus der Lehre verbannt werden und diese würde unwissenschaftlich. Der Unterricht an Fachhochschulen wäre unter diesem Aspekt zumeist keine Lehre i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG; ebenso ist die Akkreditierung von Studiengängen, die sogar Ansprüche des Arbeitsmarktes berücksichtigen soll (vgl. hierzu Lege, JZ 2005, 698 ff.), als wissenschaftsfeindlich zu betrachten. 257
C. Das „Isolationsmodell“
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erblicken sein. Sie bildet nicht den End-, sondern den Ausgangspunkt eigener Forschung. 260 Wissenschaftliche Forschung ist stark durch Wissensverbreitung und -vermittlung gekennzeichnet. 261 Dagegen bedeutet Wissenschaft als streng institutionelle Einheit von Forschung und Lehre die Reduktion der Wissenschaft auf die Universität. 262 Will man jedoch über die Universitäten hinaus eine Freiheit wissenschaftlicher Forschung als eigene Grundrechtsgewährleistung anerkennen, ohne die Lehre als notwendiges Element miteinzubeziehen, so muss sich die historische (und letztlich auch semantische) Verbindung von Forschung und Lehre mittelbar als strukturelles Kennzeichen von Wissenschaftlichkeit wiederfinden. 263 2. Normbereich in personeller Hinsicht a) Individuell Die Rechtsprechung des BVerfG wird dahingehend interpretiert, dass es sich bei Art. 5 Abs. 3 GG prinzipiell um ein „Jedermann“-Grundrecht handelt, das nicht nur den Hochschullehrern, sondern jedem zukommt, der in Forschung und Lehre beruflich tätig ist. 264 Da wissenschaftliche Tätigkeit durchweg von Berufs wegen ausgeübt wird, soll Art. 5 Abs. 3 GG den Hochschullehrern und den freiberuflich und in außeruniversitären Forschungsstätten tätigen Wissenschaftlern zukommen. Die herausragende Stellung universitärer Hochschullehrer wird dabei betont. 265 Nach Auffassung des BVerfG sind die Hochschullehrer diejenigen, die persönlich am längsten und intensivsten Forschung und Lehre an der Universität vertreten. In ihnen werde auf Grund der ihnen allein zustehenden Lehrbefugnis die Synthese 260 Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 97; Löwer, WissR 1999, 250 (255). 261 Vgl. Löwer, WissR 1999, 250 (255). 262 Sonst müsste es konsequenterweise heißen: „wissenschaftliche Forschung oder Lehre“. 263 So könnte Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 10, verstanden werden, für den die wissenschaftliche Tätigkeit durch den „rational nachvollziehbare Prozeß der Forschung und seine Weitergabe in der Lehre“ [Hervorh. d. Verf.] charakterisiert wird. Diese Einschränkung verfolgt Oppermann jedoch nicht weiter. 264 Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 34; Art. 5 Abs. 3 GG ist damit letztlich die Freiheit eines jeden Wissenschaftlers. 265 Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), 107 (117); ähnlich Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 11 mit der wenig überzeugenden Behauptung, Art. 5 Abs. 3 GG sei nur außerhalb der Hochschule ein Jedermann-Grundrecht, während sich innerhalb der Hochschule der Wissenschaftsbegriff auf die Einheit von Forschung und Lehre begrenze, wie sie im Wesentlichen von Hochschullehrern ausgeübt werde; differenzierter allerdings ders., a. a. O., Rdnr. 34.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
aus Forschung und Lehre sichtbar, die Wissenschaft ausmache. 266 Übertrieben ist es jedoch, wenn es heißt, sie seien „geborene Rechtssubjekte“ der Wissenschaftsfreiheit oder „gekorene“ Grundrechtsträger. 267 Im Kontext des Hochschulurteils spricht viel dafür, dass das BVerfG mit der Feststellung, Wissenschaftsfreiheit komme jedem zu, der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will, auch diejenigen universitären Gruppenmitglieder in den personellen Schutzbereich einschließen wollte, die neben den Hochschullehrern wissenschaftlich tätig sind oder dies sein wollen. Das BVerfG will damit verdeutlichen, dass Art. 5 Abs. 3 GG weder das Grundrecht der deutschen Universität noch der deutschen Professoren ist, sondern grundsätzlich auch Studenten 268 und wissenschaftlichen Mitarbeitern 269 zukommt. Auch wenn die Sonderstellung der Professoren hervorgehoben wird, können Personen, die nicht Hochschullehrer sind, Grundrechtsträger sein. Sie werden nicht von der Mitwirkung in der Selbstverwaltung der Hochschule ausgeschlossen. Sonst würde die Gruppenuniversität gegen Art. 5 Abs. 3 GG verstoßen. 266 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 105, 121, 158 f.; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 34. 267 Etwas prätentiös Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 206 und Rupp, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. I (1987), § 28, Rdnr. 32 in Anm. 82; denn auch wissenschaftliche Mitarbeiter partizipieren als grundrechtsgeschützte Rechtsträger am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess (Bethge, a. a. O., Rdnr. 208; ähnlich auch Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI [1989], § 145, Rdnr. 38; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I [2004], Art. 5 III, Rdnr. 33 f.). 268 Siehe auch BVerfGE 55, 37 (67 f.) bei Beteiligung an der wissenschaftlichen Lehre; str. in der Lit.: dagegen (Rechte nur aus Art. 12 Abs. 1 GG) Oppermann, in: Isensee/ Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 11 u. 40; dafür (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 5 Abs. 3 GG) W. Schmidt, NJW 1973, 585 (588); Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 34; Stein, JA 2002, 253 ff.; Denninger, in: Denninger/HoffmannRiem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 56. Nach Trute, Forschung (1994), S. 382 hat das BVerfG darauf verwiesen, dass die Wissenschaftsfreiheit kein ausschließliches Recht der Hochschullehrer ist, das eine Art gesamthänderische Verfügungsmacht über den Freiheitsstatus der übrigen Hochschulmitglieder gewährt. 269 So jedenfalls Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 208; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 30; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 33 (für die Lehrfreiheit, soweit eigenverantwortlich tätig). Der Zugang zur Promotion und Habilitation wird z. T. allein unter dem Aspekt des Art. 12 Abs. 1 GG betrachtet (vgl. W. Schmidt, NJW 1973, 585 m. w. N.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I [2003], Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 164). Das greift sicher zu kurz. Es müsste genauer untersucht werden, inwieweit die eigenen Forschungsleistungen wissenschaftlicher Mitarbeiter für wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten (Dissertation, Habilitation) hinsichtlich des Forschungsgegenstandes und der Methode durch den betreuenden Hochschullehrer zulässig beschränkt werden dürfen. Hier wird man insofern Forschungsfreiheit zuerkennen müssen, als sie die jeweils fachlich notwendigen und anerkannten Methoden einhalten. Nur wenn dies nicht der Fall ist oder ein Untersuchungsgegenstand keinen eigenen Erkenntnisgewinn in Form einer wissenschaftlichen Entdeckung (oder Idee) erwarten lässt, ist eine Beschränkung zulässig (so im Ergebnis auch Scholz, a. a. O., Rdnr. 164).
C. Das „Isolationsmodell“
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Selbstverständlich arbeiten auch andere Universitätsangehörige wissenschaftlich in Forschung und Lehre mit oder forschen selbständig. Will man Art. 5 Abs. 3 GG über die Universität hinaus erstrecken, erscheinen insbesondere die Unterschiede zwischen universitären wissenschaftlichen Mitarbeitern und Wissenschaftlern in außeruniversitären Einrichtungen nicht erkennbar. 270 Bleibt man nicht bei einer isolierten Betrachtung universitärer Wissenschaft stehen, scheinen im Übrigen die Voraussetzungen für die Person des „Wissenschaftlers“ nicht geklärt. Nach dem vorher Gesagten kann eine wissenschaftliche Ausbildung und die Tätigkeit in wissenschaftlicher Forschung und/oder Lehre ein Anhaltspunkt für die Grundrechtsträgerschaft sein, diese ist hiervon aber nicht ausschließlich abhängig. b) Institutionell-organisatorisch Wie dargestellt, reicht die Diskussion um das „Grundrecht der Universität“ bis 1927 zurück. Als institutionelle Garantie zum Teil bejaht 271, zum Teil verneint 272 kann jedoch heute gesagt werden, dass Art. 5 Abs. 3 GG über die subjektivrechtliche Dimension hinaus in gewissem Maße auch ein Grundrecht der Universitäten ist. Aufgrund der Gewährleistungen der Wissenschaftsfreiheit führt die objektivrechtliche Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG zwangsläufig dazu, dass sich auch die Universitäten originär auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen können. 273 Gleiches gilt für Fakultäten und Institute. 274 Ob und welche außeruniversitären Forschungseinrichtungen über den Umweg des Art. 19 Abs. 3 GG ebenfalls geschützt sind, bedarf später einer genaueren Analyse, da sich das Isolationsmodell dieser Frage kaum widmet. Zu klären wird hierbei sein, ob eine wesensmäßige Übertragbarkeit bei kommerziellen und zweckgebundenen Organisationen scheitert, während autonome Organisationen und entsprechend organisierte private Hochschulen Art. 5 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG in Anspruch nehmen können. 275 270 Sofern man auf die Selbständigkeit bei der Wahl von Untersuchungsgegenstand und Methode abstellt, besitzen in der Wirtschaft beschäftigte Wissenschaftler aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers sogar wesentlich geringere Freiräume, ein Bezug zur Lehre ist gar nicht vorhanden. Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. II. 2. 271 So z. B. von Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 51; Köttgen, Grundrecht der Universität (1959), S. 23 ff. 272 Siehe Roellecke, JZ 1969, 726 (729 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 124 ff., 131 ff. 273 BVerfGE 85, 360 (384) – Akademie der Wissenschaften; vgl. hierzu SchmidtAßmann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697 (698). 274 Vgl. hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 3. 275 So auch (ohne Erwähnung des Art. 19 Abs. 3 GG) A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (71 ff.); a. A. Battis/Grigoleit, ZRP 2002, 65 (69); siehe hierzu ausführlich unten Fünftes Kapitel, C. II. 3.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
3. Gewährleistungsdimensionen des Normbereichs Auch wenn es sich um Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG handelt, ist damit noch nicht geklärt, was mit der Rechtsfolge „ . . . ist frei“ verbunden ist. Gerade bei der Betrachtung von Forschung an den Hochschulen ist die Beziehung zwischen individueller und institutioneller Freiheit zu beachten. An den Hochschulen findet sich der Gegensatz – oder besser das komplexe Zusammenspiel – von subjektivrechtlicher und objektivrechtlicher Dimension des Grundrechts wieder, das letztlich einer normbereichsimmanenten Konkretisierung und Beschränkung entspricht. a) Subjektiv- und objektivrechtliche Funktion von Art. 5 Abs. 3 GG BVerfG wie Literatur betonen die verschiedenen Grundrechtsdimensionen des Art. 5 Abs. 3 GG (Abwehrrecht, institutionelle Garantie, Teilhaberecht und Organisationsgrundrecht). 276 Unterteilen lassen sich diese Funktionen in eine subjektivabwehrrechtliche Komponente sowie eine objektivrechtliche Wertentscheidung. 277 Dabei soll sich der Abwehranspruch gegen den Staat nicht nur gegen allgemeine (äußere) Beschränkungen der Forschungsfreiheit richten (zum Beispiel durch das Straf- oder Gentechnikrecht), sondern auch und überwiegend gegen innere, d. h. organisationsrechtliche Beschränkungen der Wissenschaftsfreiheit (zum Beispiel durch die Hochschulgesetzgebung, -verwaltung, -verfassung und -finanzierung). Zugleich ist der Staat jedoch verpflichtet, organisations- und teilhaberechtlich Institutionen vorzuhalten, innerhalb derer freie Wissenschaft ermöglicht wird. Mit den Hochschulen erfüllt der Staat diese Pflicht, zugleich weist er ihnen auch die Aufgabe der Ausbildung der Studierenden und des wissenschaftlichen Nachwuchses und damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu. 278 Der Staat ist also nicht nur verpflichtet, Forschungsfreiheit zu gewährleisten, sondern auch diese zu beschränken, um sie institutionell und organisatorisch wiederum zu ermöglichen. Diese Janusköpfigkeit 279 wird umso deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass die individuelle Freiheitsausübung in Organisationen 276 Siehe oben Zweites Kapitel, C. I. 1. Zu den vier Grundrechtsfunktionen: SchulzeFielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 6–8; Scholz, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 81 ff.; Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 229; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 17 ff.; Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (508 ff.). 277 Vgl. u. a. Bethge, in: Sachs GG, Art. 5, Rdnr. 201; Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 104. 278 Im Gegensatz zu anderen Aufgaben (wie dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt) ist die wissenschaftliche Ausbildung inhaltlich unlöslich mit der staatlichen Aufgabe zur Pflege der Wissenschaften verknüpft (vgl. Lorenz, JZ 1981, 113 f.). 279 Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 13.
C. Das „Isolationsmodell“
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schon deshalb beschränkbar sein muss, um eine größtmögliche Freiheitsgewährleistung für alle Mitglieder gleichermaßen zu gewährleisten. Individuelle Freiheit muss geteilt werden. Dies führt dazu, dass Freiheitsbeschränkungen nicht nur vom Staat, sondern auch von den anderen individuellen Grundrechtsträgern via Selbstverwaltungsorgane der Universität ausgehen. Damit kommt es zu sehr komplexen Gemengelagen und Wechselwirkungen von autonomer Freiheit einerseits und staatlicher Schrankenvorgabe andererseits. 280 Dort, wo der Staat wissenschaftliche Einrichtungen unterhält, wird der Abwehraspekt durch den Teilhabeaspekt mehr oder minder überlagert, weshalb dem Gesetzgeber ein relativ großer Einschätzungsspielraum einzuräumen sein soll. 281 Schranken findet die Forschungsfreiheit an der Universität also nicht erst in anderen verfassungsimmanenten Werten, sondern bereits subjektiv- und/oder objektivrechtlich in sich selbst auf der Stufe des Gewährleistungsbereichs. b) Die Forschungsfreiheit zwischen individueller Freiheit und institutioneller Garantie Faktum ist die Organisationsbezogenheit der Forschungsfreiheit. Sie gründet im Wesen der Wissenschaft selbst. 282 Damit stehen sich Individuum und Organisation gegenüber. Lange war es deshalb Gegenstand von Diskussionen, ob Art. 5 Abs. 3 GG im Wesentlichen eine institutionelle Garantie 283 (in Fortsetzung der herrschenden Meinung zum Ende der Weimarer Republik) oder vielmehr ein Individualgrundrecht ist. 284 Sieht man in Art. 5 Abs. 3 GG nur ein „Grundrecht der Universität“, d. h. ein institutionelles Grundrecht auf Autonomie, nicht jedoch auf individuelle Forschungs- und Lehrfreiheit, dann müsste sich der Einzelne der Institution unterordnen. 285 Gegen die Organisation der Selbstverwaltung und deren
280
Dies gelte erst recht, wenn Bindungen aus arbeits- und beamtenrechtlichen Verhältnissen hinzuträten, so Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 224. 281 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 5, Rdnr. 102; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 116 (Art. 5 Abs. 3 GG sei insb. kein soziales Grundrecht). 282 Vgl. Schmidt-Assmann, in: Becker/Bull, FS Thieme(1993), S. 697 f. 283 Siehe oben Zweites Kapitel, A. II. 3. 284 Siehe oben Zweites Kapitel, A. III. 2. sowie Moriya, Rg 2005, 74 ff.; für den Vorrang der institutionellen Komponente, da die individuelle Wissenschaftsfreiheit ausreichend über Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sei: Schlink, Der Staat 1971, 244 (249); a. A. Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 5 ff. sowie Roellecke, JZ 1969, 726 (729); krit. zum individuellen Teilhaberecht Hailbronner, WissR 1980, 212 (213), freilich mit der wenig nachvollziehbaren Argumentation, ein individuelles Teilhaberecht führe im Endeffekt dazu, dass zum einen Abhängigkeit vom „staatlichen Brotkorb“ entstünde und zum anderen „Freiräume für besonders qualifizierte Wissenschaftler“ nicht gesichert würden, da Mittel nach dem Gießkannenprinzip und nicht nach Kompetenz und Qualität verteilt würden.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Akte bestünde kein Abwehrrecht. Das Hochschulurteil hat aus beiden Komponenten eine Synthese entwickelt, wobei die Funktion des institutionellen Schutzes der Verwirklichung subjektiver Freiheit zu dienen hat. Spätestens seit der „Repersonalisierung“ wird wieder vorrangig von einem Verständnis des Art. 5 Abs. 3 GG als individuellem Grundrecht ausgegangen. Die Wissenschaftsfreiheit ist danach von einem personalen Freiheitsverständnis her zu entfalten. Deshalb gilt das Freiheitsrecht auch gegenüber den Entscheidungsgremien der Hochschulautonomie. 286 Die Hochschule darf nicht auf ein eigenes Recht aus Art. 5 Abs. 3 GG gestützt in die Wissenschaftsfreiheit der einzelnen Grundrechtsträger eingreifen. Die objektivrechtliche Garantie muss immer wieder auf das personale Grundkonzept zurückbezogen werden, wobei Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren zu erfolgen hat. 287 Wenn der Staat die Pflege der Wissenschaften institutionalisiert, steht sie also nicht in seinem Belieben. Wissenschaftliche Organisationsstrukturen sind ambivalent. Sie können sowohl grundrechtssichernde als auch grundrechtsgefährdende Wirkungen haben. 288 Die organisatorischen Maßnahmen sind deshalb so zu gestalten, dass die Funktionsfähigkeit der Institution unter gleichzeitiger Optimierung des individuellen Grundrechts gesichert ist. 289 Die Frage ist sodann, welche Rolle Art. 5 Abs. 3 GG für das Hochschulrecht im verwaltungsrechtlichen Sinn spielt. Hierbei ist zentral, wie unter Bedingungen der Abhängigkeit von staatlicher Planung und Finanzierung, technischer und wirtschaftlicher Großorganisation und permanentem Reformdruck die Möglichkeit von Autonomie und Selbstverwaltung zu erhalten ist. 290 Die Wahl des
285
Im Sinne von C. Schmitt, siehe oben Zweites Kapitel, A. II. 3.; dagegen Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 4 ff. und Roellecke, der – die Parallelen zu Smend und Kitzinger (ders. in: Nipperdey, WRV, Bd. II [1930], Art. 142, S. 449 [458]) sind unübersehbar – die Wissenschaftsfreiheit ausschließlich als Unterfall individueller Meinungsfreiheit für staatliche Bedienstete verstand (Roellecke, JZ 1969, 726 [insb. 729]). 286 Vgl. die Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 3 GG: Erörtert wurde allein die Wissenschaftsfreiheit als individuelles Freiheitsgrundrecht, BVerfGE 35, 79 (119 f.); ebenso Lorenz, JZ 1981, 113 f. und in Ansätzen Schlink, Der Staat 1971, 244 (259). 287 Geis, WissR 37 (2004), 2 (16); Detmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 605 (613). 288 Geis, WissR 37 (2004), 2 (16); Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 229; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 38; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 137. 289 So BVerfGE 35, 79 (122 f.); Geis, WissR 27 (2004), 2 (16); Denninger, in: Denninger/ Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 21, 62. 290 Schlink, Der Staat 1971, 244 (263) stellt mehrere Ideen vor, die über die klassische Selbstverwaltung hinausreichen und sich auch in heutigen Reformen wieder finden: Hierzu zählen Globalhaushalte (siehe Daxner, Die blockierte Universität [1999], S. 90 ff.) oder die Beschränkung der Staatsaufsicht auf eine Rechtsaufsicht.
C. Das „Isolationsmodell“
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Forschungsgegenstandes ist hierbei lediglich in negativer Hinsicht gewährleistet: Konkrete Vorhaben dürfen nicht verboten werden, es kann aber auch nicht verlangt werden, die Voraussetzungen für deren Verwirklichung zu schaffen. 291 Ein inhaltliches Weisungsrecht der Hochschule ist normalerweise ausgeschlossen, und der Hochschullehrer muss selbst über Inhalt und Ablauf von Lehrveranstaltungen bestimmen können. 292 Damit dürfte klar geworden sein, dass der entscheidende Anknüpfungspunkt zur Auflösung der geschilderten Ambivalenz die Frage der Beteiligung an der Selbstverwaltung ist. Auch wenn die staatliche Gestaltung der Autonomie der Hochschulen durch Organisationsrecht einen Eingriff in die Forschungs- und Lehrfreiheit als Abwehrrecht bedeutet, so soll sie doch Garant dafür sein, dass die konkreten Freiheitsgewährleistungen in einem möglichst ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen können. 293 Um einen Ausgleich herzustellen, muss es zu einer Transformation kommen, indem die Wissenschaftler maßgeblich in der Wissenschaftsverwaltung mitbestimmen können. Damit muss ein modifiziertes „demokratisches“ Prinzip bzw. ein „korporativ-genossenschaftliches Verwaltungsmodell“ 294 in der Universität eingeführt sein, das auf eine offen anerkannte Ungleichheit der verschiedenen Mitgliedergruppen gründet: Bei der Partizipation an Organisation, Verfahren und Entscheidungen muss jeweils nach den betroffenen grundrechtlich geschützten Interessen differenziert werden. 295 Mitbestimmungsrechte sind jedoch nur insoweit erforderlich, als wissenschaftsrelevante Verwaltungsaufgaben geregelt werden, die Forschung und Lehre unmittelbar berühren. Außerhalb dessen ist eine mittelbare staatliche Steuerung möglich. 296 4. Eingriffsrechtfertigung Außerhalb organisationsrechtlicher Fragen führt dagegen ein weites Tatbestandsverständnis dazu, dass jede staatliche Einflussnahme als Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit anzusehen ist. Dies gilt für die Fragestellung, Methode, Materialsammlung, Bewertung und Verbreitung der Ergebnisse der Forschung 291
Lorenz, JZ 1981, 113 (114). BVerfGE 55, 37 (68); 57, 70 (94 f.). 293 Vgl. Geis, WissR 37 (2004), 2 (16); Lorenz, JZ 1981, 113 f. 294 Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 17. 295 Dies ist der Ansatzpunkt des Hochschulurteils; vgl. Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 12 f., 17; W. Schmidt, NJW 1973, 585 (588). 296 Vgl. BVerfGE 111, 333 (354 f.) – Hochschulgesetz Brdb. Zwar verneint das BVerfG a. a. O. nicht die Gefahr mittelbarer Auswirkungen, eine „nur rein hypothetische Gefährdung“ des Kernbereichs wissenschaftlicher Betätigung sei jedoch für einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 GG noch nicht ausreichend. 292
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
sowie für jede Steuerung oder Kontrolle von Inhalt und Ablauf der Lehre. Ganz besonders gilt das bei einem Verbot bestimmter Forschungsgegenstände bzw. -handlungen und Lehrinhalte. 297 Beispiele hierfür sind die Strafnormen des Embryonenschutzgesetzes, die Verpflichtung zur Übernahme einer Folgenverantwortung mit Anzeigepflichten (vgl. § 6 HUG) 298 oder die Bindung klinischer Studien an das Votum von Ethik-Kommissionen (vgl. Art. 41 ff. AMG). a) Vorbehaltlosigkeit Ganz überwiegende Meinung ist, dass die Wissenschaftsfreiheit vorbehaltlos gewährt ist und weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die allgemeine Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen werden können. 299 Allerdings heißt es auch, die Vorbehaltlosigkeit der Wissenschaftsfreiheit stelle ein „Unding“ 300 dar und die Notwendigkeit von Begrenzungen sei schwer zu bestreiten. 301 Dass das Grundgesetz bei den vorbehaltlosen Grundrechten zu den Grenzen schweigt, sei ein „Geburts-“ oder „Konstruktionsfehler“. 302 Dennoch geht man mit der Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass die Wissenschaftsfreiheit wie alle vorbehaltlos gewährten Freiheiten nur im Hinblick auf andere, ebenfalls durch die Verfassung garantierte Rechte und Rechtsgüter Beschränkungen unterworfen werden kann. Ein fehlender Gesetzesvorbehalt bedeutet zwar nicht, dass ein Grundrecht schrankenlos gewährleistet ist. 303 Jedoch sollen damit Kollisionen und Kollisionslösung auf Verfassungsebene und damit oberhalb der Argumentations- und Gewichtungsskala liegen, die für Regelungseingriffe im Bereich der Gesetzesvorbehalte gilt. Gesetzgeberische Plausibilitätserwägungen seien nicht ausreichend, jede schrankensetzende Gesetzgebung im Bereich wissenschaftlicher Forschung sei nicht nur in der Regelungstiefe, sondern auch in der Regelungsdichte begrenzt. 304 297 Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 32; Ossenbühl, in: Dörr/ Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (511). 298 Siehe BVerfGE 47, 327 ff. – Hess. Unterrichtsgesetz. 299 Vgl. statt vieler m. w. N. Ossenbühl, in: FS Schiedermair (2001), S. 505 (515 f.). Zu Alternativen in der Beschränkung vorbehaltloser Grundrechte siehe Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 425 in Fn. 15 m. w. N. sowie unten Viertes Kapitel, B. III. 1. 300 So Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 152. 301 Schwierigkeiten ließen sich vermeiden, wenn man das Moment der Handlungsfreiheit ausklammert und die Gewährleistung auf einzelne Vorgaben des Gewährleistungsplans reduziert, so Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 152, Anm. 584. 302 Winkler, Schutznormkollisionen (2000), S. 20; siehe hierzu ausführlich unten Viertes Kapitel, B. III. 303 BVerfGE 47, 327 (368 ff.) – Hess. Universitätsgesetz. 304 Schmidt-Aßmann, JZ 1989, 205 (210).
C. Das „Isolationsmodell“
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b) Kollision und Abwägung Betrachtet man allerdings, welche Werte nach der Rechtsprechung des BVerfG „verfassungsimmanent“ sind, will kein rechter Unterschied zu den Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt erkennbar werden. 305 Was als Wert in Frage kommt, schwankt in einer Bandbreite von den Kompetenztiteln der Art. 70 ff. GG, wo aus der Erwähnung einer Materie bereits auf die Einschränkbarkeit des Grundrechtes, in dessen Schutzbereich die Materie liegt, geschlossen wird, 306 bis hin zu den in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätzen. 307 Konkret sind dies bei der Wissenschaftsfreiheit Grundrechte Dritter, aber auch, wie aus Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG bereits ersichtlich ist, der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Hier einordnen könnte man aber – will man konsequenter als das BVerfG sein – auch die objektivrechtliche Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG. Ein vorbehaltlos gewährtes Freiheitsrecht findet nach herrschender Meinung seine Grenzen erst in der Kollision mit den genannten Werten (Kollisionsmodell). 308 Das Kollisionsmodell wird für Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt in ständiger Rechtsprechung praktiziert: Jeweils im konkreten Fall muss ermittelt werden, welcher der beiden kollidierenden Verfassungsbestimmungen das größere Gewicht zukommt. Das Kollisionsmodell mündet in eine Abwägung, die sich als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darstellt. Je intensiver eine hoheitliche Maßnahme in den grundrechtlichen Schutzbereich eingreift, desto größer muss das Gewicht der sie legitimierenden Gründe sein. 309 Als Abwägungsmaßstäbe dienen hierbei: Die Einheit der Verfassung, die praktische Konkordanz 310 sowie die Umstände des Einzelfalles. Entscheidend bei der
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Siehe hierzu unten, Viertes Kapitel, B. III. 1. a). Vgl. BVerfGE 53, 30 (56) – Mühlheim-Kärlich; 69, 1 (21 f.) – Kriegsdienstverweigerung; krit. hierzu Sondervotum Mahrenholz/Böckenförde (a. a. O., 59 f.); krit. zur Rspr. des BVerfG in diesem Punkt auch Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 188; Pieroth/ Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 328 f. 307 Ausführlich zu den in Frage kommenden verfassungsimmanenten Werten: Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (516 ff.); Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 335. 308 Vgl. hierzu unten Viertes Kapitel, B. III. 1. a); a. A. z. B. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 332. 309 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 423 f.; Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (519 ff.); zum Abwägungsgesetz: Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 145 ff. 310 Wobei „praktische Konkordanz“, wie sie von K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 72, 318 geprägt und verstanden wurde, die gegenseitige Optimierung zweier Rechtsgüter verlangt. Mittel ist hierzu die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Praktische Konkordanz erschöpft sich jedoch nicht in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung oder Güterabwägung, so wie sie z. B. von H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1239 f.) dargestellt wird; siehe hierzu 306
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Verhältnismäßigkeitsprüfung ist vor allem die Beachtung des Übermaßverbots, für das Zweck und Mittel einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme einander gegenübergestellt und abgewogen werden muss. 311
III. Vorläufige Folgerungen aus der Rechtsprechung des BVerfG Mit dem Begriff „Isolationsmodell“ lässt sich neben der Kommentarliteratur auch die Rechtsprechung des BVerfG charakterisieren. Das Gericht hat sich bisher mit Art. 5 Abs. 3 GG nahezu ausschließlich in hochschulrechtlichen Fragen beschäftigt und damit wesentliche Fragen offen gelassen. 312 Dies gilt insbesondere für die objektivrechtliche Dimension der Wissenschaftsfreiheit über die Universitäten hinaus. 1. Keine generelle Einbeziehung der außeruniversitären Forschung Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung schweigt zu der Frage, ob alle Organisationen bzw. Personen des Lebensbereichs „Forschung“ die Forschungsfreiheit als Abwehrrecht für sich in Anspruch nehmen dürfen und/oder welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen. Nur auf den ersten Blick vertritt das BVerfG eine sachlich und personell denkbar weite Auffassung von Forschungsfreiheit, die der Kunstfreiheit ähnelt und demnach außeruniversitäre Forschung in allen Formen und Bereichen mit einbeziehen müsste. Doch auch die Tendenz der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, Schutzbereiche der Grundrechte möglichst weit auszulegen, bedeutet noch nicht, dass der Tatbestand jeder speziellen Grundrechtsgewährleistung weit verstanden werden muss. 313 Das gilt auch, wenn scheinbar jede Tätigkeit, die sich unter die Definition „Wissenschaft“ bzw. „Forschung“ subsumieren lässt, grundrechtlich geschützt ist und scheinbar jeder Art. 5 Abs. 3 GG für sich in Anspruch nehmen kann. insofern völlig richtig differenzierend Denninger, in: Stober, FS Roellecke (1997), S. 37 (40); siehe auch unten, Viertes Kapitel, B. III. 1. a). 311 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 465 f. 312 Jedenfalls gilt dies für den öffentlichen Wissenschaftsbetrieb, vgl. BVerfGE 85, 360 (370, 384). Hieraus ein positives Votum für die Industrieforschung zu ziehen, wie Kamp es tut (ders., Kommerz [2004], S. 47), geht jedoch zu weit. Dies lässt sich auch nicht BVerfGE 90, 1 (12 ff.) – Jugendgefährdende Schriften – entnehmen, einer Entscheidung, die eine (individuelle) wissenschaftliche Veröffentlichung betrifft. 313 Zumal nahezu jede staatliche Maßnahme zumindest an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist, vgl. BVerfGE 80, 137 (152 f.) – Reiten im Walde, eine Entwicklung, die dem Gericht Macht und viel Arbeit verschaffte und dementsprechend auch kritisiert wird, vgl. Brohm, NJW 2001 (6 f.); siehe zur „Gefahr des Jurisdiktionsstaats“ (Böckenförde) unten Viertes Kapitel, B. II. 1. c).
C. Das „Isolationsmodell“
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Isoliert betrachtet ist mit der herrschenden Meinung Forschungsfreiheit damit nicht auf eine bestimmte Institution oder bestimmte Personen beschränkt und damit die subjektivrechtliche Abwehrfunktion von Art. 5 Abs. 3 GG auf den gesamten sozialen Lebensbereich „Forschung“ zu erstrecken. 314 Allerdings ist dabei zu beachten, dass sich das BVerfG bei der Definition des verfassungsrechtlichen Gehalts von Art. 5 Abs. 3 GG auf den Bereich der Hochschulen konzentriert 315 und letztlich dieses Grundrecht lediglich in seiner institutionalisierten Dimension betrachtet. 316 Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass das BVerfG im Hochschulurteil besonderes Augenmerk auf die universitären Gruppen legt und neben der abwehrrechtlichen die objektivrechtliche Grundrechtsfunktion von Art. 5 Abs. 3 GG betont. Deutlich wird dies auch in der Entscheidung des BVerfG zum Hochschulgesetz Brandenburg, wo die Zulässigkeit neuer Hochschulstrukturen entpersonalisiert ausschließlich am Maßstab des Organisations- und Teilhaberechts geprüft wird. 317 Die individuelle freiheitsrechtliche Komponente des Art. 5 Abs. 3 GG findet sich hier nur in den allgemeinen Organisationsgrundsätzen wieder. 318
314 Angesichts dessen ist die Verwendung einer Definition, die auf Forschung als geistige Tätigkeit mit dem Ziel der Erkenntnisgewinnung abstellt, leicht irritierend. Gegen eine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit auf rein geistige Tätigkeiten spricht bereits, dass das BVerfG die tief greifenden Veränderungen in der Wissenschaft (vornehmlich im Bereich der Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik, die Maschinen, Instrumente und Einrichtungen benötigen und auf Ansprüche einer technologisch organisierten Industriegesellschaft stoßen) explizit anspricht (BVerfGE 35, 79 [109] – Hochschulurteil). Darüber hinaus ist bereits der Begriff verfehlt, da sich geistige Freiheiten immer in Handlungen ausdrücken müssen; siehe unten Zweites Kapitel, C. IV. 2. 315 So auch Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 170; a. A. Kamp, Kommerz (2004), S. 44 f. Kamp ist der Meinung, dass das BVerfG die Industrieforschung in seiner Rspr. nicht ausdrücklich ausschließt. Das ist richtig. Kamps systematischen Erwägungen hierzu (ders., a. a. O., S. 45) überzeugen jedoch wenig. Die Formulierungen des BVerfG wie: „jeder, der wissenschaftlich tätig werden will“ [Hervorh. d. Verf.] und „der gemeinsame Oberbegriff ‚Wissenschaft‘ bringt den engen Bezug von Forschung und Lehre zum Ausdruck“ (BVerfGE 35, 79 [112]) deuten auf die Ausbildungsfunktion der Hochschulen hin. Im Mittelpunkt des Hochschulurteils steht Wissenschaft in ihrer Einheit von Forschung und Lehre, d. h. an den universitären Hochschulen. 316 Es geht im Hochschulurteil nur um die Anforderungen, die Art. 5 Abs. 3 GG an die Organisation universitärer Selbstverwaltung stellt, allerdings trifft das BVerfG darüber hinaus auch Feststellungen über das Verhältnis der subjektiv- und objektivrechtlichen Wirkungsebenen von Art. 5 Abs. 3 GG zueinander, Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 170 f.; ähnlich auch die Feststellung von Oppermann, JZ 1973, 433 (435): Die Unterschiede zwischen der objektiven Wertentscheidung und der „institutionellen Garantie“ seien „herzlich gering“. Auf BVerfGE 90, 1 (12 f.) – Jugendgefährdende Schriften – sei in diesem Zusammenhang noch einmal hingewiesen. Aber auch dieser Entscheidung lässt sich keinesfalls entnehmen, dass außeruniversitäre Forschung in gesamter Breite in den Schutz einbezogen werden muss. 317 BVerfGE 111, 333 (353 f.) – Hochschulgesetz Brdb.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Unbeantwortet bleibt die (vom BVerfG auch nicht gestellte) Frage, wie Forschung, die ohne Bezug zur Lehre erfolgt, verfassungsrechtlich zu bewerten ist, obwohl das Gericht den engen Bezug von Forschung und Lehre hervorhebt. 319 Die fehlende Verbindung von Forschung und Lehre ist jedoch für außeruniversitäre Forschung charakteristisch. Außerhalb der Universität scheint allein der modale Wissenschaftsbegriff ausschlaggebend zu sein, zumindest was die individuelle wissenschaftliche Tätigkeit anbelangt. 320 Ob und wie dies auch für außeruniversitäre Organisationen gelten kann, bleibt völlig offen. Dabei fällt die Einordnung eines individuellen Teilhabeaspekts bei der organisierten Forschung immer besonders schwer. 2. Teilhabe an staatlicher Gewährleistung Der individuelle Teilhabeaspekt des Art. 5 Abs. 3 GG bei staatlich organisierter Wissenschaft wird zwar in der Rechtsprechung des BVerfG herausgehoben, im Ergebnis aber nur schwach geschützt. 321 Dabei verpflichtet die in Art. 5 Abs. 3 GG verkörperte objektive Wertordnung den Staat, für die Idee der freien Wissenschaft einzustehen und einer Aushöhlung dieser Freiheitsgarantie vorzubeugen. Dies hat er durch die Bereitstellung funktionsfähiger Institutionen zu gewährleisten, da sonst keine unabhängige Forschung und Lehre mehr gewährleistet werden kann. Eine Ausübung der Grundfreiheiten aus Art. 5 Abs. 3 GG ist notwendig mit einer Teilhabe an staatlichen Leistungen verbunden. 322 Würde man den Teilhabeaspekt bei Art. 5 Abs. 3 GG ausschließen, so würde die wertentscheidende Grundsatznorm ihrer Schutzwirkung weitgehend beraubt. 323 a) Außeruniversitäre Gewährleistungspflicht? Wird im staatlichen Bereich die subjektivrechtliche Dimension derart durch Teilhabe-, Leistungs- und Organisationsrechte überlagert, so muss eine objektivrechtliche Gewährleistung im nichtstaatlichen Bereich entweder erst neu entwickelt oder abgelehnt werden. Auch wenn das BVerfG zu außeruniversitären Einrichtungen keine endgültigen Aussagen trifft, impliziert die Aussage, Grundrechtsverwirklichung einer „freien“ Wissenschaft sei ohne Teilhabe an staatlicher Organisation nicht möglich, die Schlussfolgerung, dass Art. 5 Abs. 3 GG als indi318
BVerfGE 111, 333 (355 f.) – Hochschulgesetz Brdb. BVerfGE 35, 79 (113) – Hochschulurteil. 320 BVerfGE 90, 1 (12 f.) – Jugendgefährdende Schriften. 321 Vgl. Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1076). 322 BVerfGE 35, 79 (115 f.): Dies gelte insbesondere für die Naturwissenschaften. 323 BVerfGE 35, 79 (116); krit. hierzu (aber letztlich nicht überzeugend) Hailbronner, WissR 1980, 212 (215). 319
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viduelles Abwehrrecht nicht ohne Weiteres gegen den Staat bestehen kann, wenn die entsprechende wissenschaftliche Autonomie fehlt. 324 b) Relativierung der universitären Gewährleistungspflicht? Jedenfalls in staatlichen Einrichtungen sind Organisationsnormen danach zu beurteilen, ob und in welchem Grade sie das Grundrecht der einzelnen Wissenschaftler oder die Funktionsfähigkeit der Institution „freie Wissenschaft“ als solche begünstigen oder behindern, denn ein effektiver Grundrechtsschutz erfordert adäquate organisationsrechtliche Vorkehrungen. 325 Der Gesetzgeber verfügt jedoch innerhalb eines gewissen Rahmens über eine Einschätzungsprärogative und einen Prognosespielraum. Er ist auch nicht an überkommene Hochschulstrukturen gebunden, solange die von ihm geschaffenen Strukturen freie Lehre und Forschung hinreichend gewährleisten und von ihrer Wahrnehmung „keine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit“ ausgeht. 326 Während es jedoch 1973 im Hochschulurteil noch um die Bestimmung eines möglichst weiten Freiheitsbereichs im Sinne der Freiheitsermöglichung für alle Mitglieder der Hochschule ging (und insofern ein strenger Maßstab angesetzt wurde), wird 2004 in der Entscheidung zum Hochschulgesetz Brandenburg das Organisations- und Teilhaberecht, für das einst eine Optimierungspflicht 327 bestand, von einem Maximum 328 auf ein Minimum reduziert. Der individuelle Freiheitsaspekt wird insbesondere in seinem Bezug zur größtmöglichen Freiheitsgewährleistung vernachlässigt. Das Gericht unterscheidet nicht mehr zwischen externen Anforderungen an die Hochschulen und einem internen Freiheitsausgleich. Die Folge ist, dass Freiheitsbeschränkungen keinem Rechtfertigungszwang mehr unterliegen. Stattdessen wird die Funktionsfähigkeit der Hochschulen nicht an
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So auch die Gedanken von Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 247 ff. BVerfGE 35, 79, (117, 120, 121); in BVerfGE 111, 333 (355 f.) – Hochschulgesetz Brdb. – findet diese Differenzierung gerade nicht mehr statt. 326 So die nun negative Umschreibung in BVerfGE 111, 333 (Ls. 1 a. E., 355 f.) – Hochschulgesetz Brdb; vgl. auch BVerfG, a. a. O., 354: „Die Teilhabe der Grundrechtsträger an der Organisation des Wissenschaftsbetriebs ist ( . . . ) kein Selbstzweck. Vielmehr dient sie dem Schutz vor wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen und ist folglich nur im dafür erforderlichen Umfang grundrechtlich garantiert“ [Hervorh. d. Verf.]. 327 Vgl. BVerfGE 35, 79 (122 f.) – Hochschulurteil: „Zwar muß hiernach der Staat für die Organisation des Wissenschaftsbetriebs in seinen Hochschulen das irgend erreichbare Maß an Freiheit für die Forschungs- und Lehrtätigkeit jedes einzelnen Wissenschaftlers verwirklichen. Das bedeutet aber nicht, daß er die anderen schutzwürdigen Interessen und Bedürfnisse vernachlässigen dürfte, zu deren Befriedigung die Hochschule ebenfalls berufen ist.“ [Hervorh. d. Verf.]. Das Gericht nennt im Weiteren insbesondere die Ausbildungsaufgabe. 328 Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 62. 325
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
ihrer Freiheitsermöglichung, sondern an den fremdbestimmten utilitaristischen Anforderungen gemessen, deren Einschätzung allein dem Gesetzgeber obliegt. 329 Sind Organisationsnormen nicht mehr an den Maßstab individueller Freiheitsverwirklichung und der Funktionsfähigkeit der „freien Wissenschaft“ gebunden, dann existiert nur noch eine Rumpfautonomie und -freiheit, die bei einer Universität obsolet wird, die nach unternehmerischen Kriterien Wissenschaft veranstalten lässt. 330 Im Jahre 1973 wollte das Gericht die politisch gewollte Gruppenuniversität zwar nicht verhindern, den Einfluss der Professoren aber maßgeblich erhalten. Daher musste ein Höchstmaß individueller Freiheit gegenüber der institutionellen Garantie gewährleistet bleiben. 2004 hat das Gericht die politisch gewollte Ökonomisierung der Hochschulen nicht verhindern wollen und die organisationsrechtliche Gewährleistung auf ein Mindestmaß beschnitten. Einschnitte sind jeweils zulässig, solange sie ein gewisses Maß nicht überschreiten. Jede Verringerung des „Ist-Zustandes“ verringert jedoch zugleich den relevanten Maßstab. Wann insgesamt das Maß überschritten ist, bleibt deshalb verfassungsgerichtlich offen, Salamitaktik ist erlaubt. 331 Die Entindividualisierung der Wissenschaftsfreiheit hat begonnen, für sie gilt: „Die Verfassung hat abgedankt!“ 332 Paradoxerweise ist diese Schwächung individueller Freiheit nicht auf eine Schwächung des abwehrrechtlichen Verständnisses zurückzuführen, sondern auf die Schwächung der objektivrechtlichen Dimension der Wissenschaftsfreiheit. 333
329 BVerfGE 111, 333 (355 f.): Der Gesetzgeber dürfe die unterschiedlichen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und die Interessen aller daran Beteiligten in Wahrnehmung seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in angemessenen Ausgleich bringen sowie bisherige Organisationsformen kritisch beobachten und zeitgemäß reformieren. Folglich prüft das BVerfG weder das Ziel monokratischer Leitungsstrukturen noch das Ziel von Evaluationen. Für Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1077 f.) bedeutet die Entscheidung eine „Neuorientierung“, der ein utilitaristisches, an den jeweils gesellschaftlich vorherrschenden (politischen) Auffassungen ausgerichtetes Verständnis zugrunde liegt. 330 Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1078). 331 So geht über das Hochschulgesetz Brdb. das Hochschulgesetz Ba.-Wü. (Gesetz vom 01. 01. 2005, GVBl. 1) weit hinaus, hier kann der Grundsatz „Karlsruhe locuta, causa finita“ nicht gelten (Schenke, NVwZ 2005, 1000 [1001]). Die Effizienzideologie, die die Universitäten ins Mark trifft, ist nur in ihrer Summe, nicht in ihren Einzelteilen wissenschaftsfeindlich und deshalb ein Gegner ohne rechte Angriffsfläche, so Hartmer, in: Dürr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (478). 332 So mit deutlicher Kritik an dieser Entscheidung Gärditz, NVwZ 2005, 407 (409); verhaltener Ladeur, DÖV 2005, 753 (755, 758 ff.); noch zurückhaltender Schenke, NVwZ 2005, 1000 (1001): Die verfassungsrechtliche Judikatur sei in neuerer Zeit durch starkes „judicial self-restraint“ geprägt; so auch Jutzi, NJ 2005, 121 f. 333 Vgl. Ladeur, DÖV 2005, 753 (758).
C. Das „Isolationsmodell“
161
3. Grenzen und Schranken der Forschungsfreiheit Aus der Rechtsprechung des BVerfG wird bereits deutlich, dass aus der Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts nicht der Vorrang der Forschungsfreiheit gegenüber anderen Gütern hergeleitet werden darf. 334 Wenn sich Wissenschaftsfreiheit nicht über Rechte Dritter auf Leben, Gesundheit oder Eigentum „hinwegsetzen“ darf, 335 bleibt offen, ob eine Beeinträchtigung dieser Rechte schon begrifflich außerhalb des Normbereichs der Wissenschaftsfreiheit liegt, 336 denn die Inanspruchnahme von Rechten Dritter kann auch zulässig sein, sofern sie nicht eigenmächtig, sondern auf gesetzlicher Grundlage erfolgt. 337 Bei der gesetzlichen Ausgestaltung ist aber zu beachten, dass eine zweckungebundene Wissenschaft, also eine autonom agierende, der Gesellschaft am besten dient. 338 In diesem Hinweis des BVerfG klingt die heute sehr aktuelle Gefahr an, dass die Beschränkung des Abwägungsmaterials auf Nützlichkeitsaspekte dazu führen kann, Belange in der Abwägung falsch zu gewichten und einen Eingriff in kollidierende Verfassungsgüter zu leichtfertig zu rechtfertigen. Die konkrete Nützlichkeit bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Gesellschaft darf nicht dazu (ver-)führen, diesen Nutzen in die Abwägung gegen andere Grundrechte und Verfassungswerte einzuführen. Das BVerfG hätte es auch kürzer ausdrücken können: Der (wissenschaftsexterne) Zweck darf nicht die (wissenschaftlichen) Mittel heiligen. 339 4. Folgerung für die Stammzellenforschung So wenig das BVerfG klare Maßstäbe für außeruniversitäre Forschung vorgibt, so klar müsste die Folgerung der Rechtsprechung (und auch der herrschenden Meinung) für das Stammzellgesetz sein: Das Abwägungsergebnis, wie es sich im Stammzellgesetz zeigt, ist verfassungsrechtlich nicht tragbar. Art. 5 Abs. 3 GG schützt Wissenschaft vor der Fremddefinition wissenschaftlicher Standards und vor Wissenschaftsrichtertum. § 5 StZG privilegiert jedoch ausschließlich „hochrangige Forschungsziele“ im Rahmen der Grundlagenforschung oder Medizin (Nr. 1), nur solcher Forschung darf die Forschung an embryonalen Stammzellen erlaubt werden. Eine hoheitliche Überprüfung auf Hochrangigkeit trifft jedoch Art. 5 Abs. 3 GG im Kern. Der 334
Vgl. auch K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 316. BVerfGE 47, 327 (368 f.) – Hess. Universitätsgesetz. 336 So wie man es BVerfG, NJW 1984, 1293 – Sprayer von Zürich – entnehmen kann. Siehe hierzu unten Viertes Kapitel, B. III. 1. c) sowie Viertes Kapitel, B. IV. 3. 337 Vgl. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 34. 338 Vgl. BVerfGE 47, 327 (369 f.). 339 Dies gilt insbesondere unter dem historischen Aspekt einer „voraussetzungslosen“ Wissenschaft im Nationalsozialismus, siehe hierzu oben Zweites Kapitel, A. II. 3. 335
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Staat darf keinesfalls auf dem Verbotswege zwischen besserer oder schlechterer, wichtiger oder weniger wichtiger Wissenschaft differenzieren. Das darf nur die Wissenschaft selbst. 340 Dies gilt (gerade) auch, wenn Wissenschaft für andere Rechtsgüter „nützlich“ und eine Differenzierung das Ergebnis der Herstellung praktischer Konkordanz sein soll, 341 denn sonst wäre ein Verbot des Wissenschaftsrichtertums obsolet. Bereits aus diesem Grunde ist das Stammzellgesetz in seiner jetzigen Form nicht mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar. 342 Allerdings ist nicht jede Differenzierung des Staates hinsichtlich der Forschung verboten. Sie ist zulässig, wenn Anknüpfungspunkt der Schutz verfassungsimmanenter Schranken der Forschungsfreiheit ist. Dann kann auf Grund der Beeinträchtigungsintensität des Erkenntnisprozesses für andere Rechtsgüter ein Unterschied gemacht werden. Da das Stammzellgesetz dem Schutz von Menschenwürde und Leben sowie der Forschungsfreiheit dienen soll (§ 1 StZG), wäre das hier der zulässige Schutz von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG. 343 Im Stammzellgesetz wird jedoch gerade die (scheinbar) unmittelbar gesellschaftlich nützliche Forschung (mittelbar) ermächtigt, fremde Rechtsgüter (Embryonen) zu beeinträchtigen, weil man in die Abwägung eine besonders intensive Gewährleistung von Art. 5 Abs. 3 GG i. V. m. Grundrechten Dritter (der Kranken) einbringt und davon ausgeht, dass all dies unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu einer unterschiedlichen Gewichtung der Forschungsziele führen müsse. 344 Das Ergebnis ist auch für die Forschungsfreiheit nichts anderes als ein fragwürdiger Kompromiss: Entweder sind Menschenwürde und Lebensrecht durch die Forschung mit embryonalen Stammzellen beeinträchtigt (dann ist diese Forschung zu verbieten) oder nicht (dann hat eine völlige Freigabe zu erfolgen). Das Abwägungsergebnis, das sich im Stammzellgesetz konkretisiert, differenziert jedoch unzulässig, was die Forschung anbelangt, öffnet die Menschenwürde einer Abwägung mit „hochrangiger“ Forschung und lässt diese Forschung auch das
340 Vgl. BVerfGE 90, 1 (12) – Jugendgefährdende Schriften; so auch Enders, Jura 2003, 666 (673) sowie ders. in: Klein/Menke, Bioethik (2004), S. 239. Eine solche Differenzierung mag zwar hinsichtlich der Forschungsförderung noch möglich sein, nicht jedoch bei einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Es ist allerdings mit guten Gründen auch vertretbar, Subventionen als Grundrechtseingriffe zu betrachten, die ebenso wie ein Verbot zu bewerten wären. Dies gilt umso mehr für die Forschungsförderung, wo ohne staatliche Finanzierung die Grundrechtsverwirklichung vereitelt werden kann. 341 So z. B. Dederer, JZ 2003, 986 (991). 342 So im Ergebnis Enders, Jura 2003, 666 (674), der neben § 5 auch § 4 Abs. 3 StZG wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot für verfassungswidrig hält. 343 Höchst fragwürdig ist, ob das Stammzellgesetz auch Menschenwürde und Leben der Patienten schützen soll und darf. Hier wäre wohl angesichts der fern liegenden Therapiemöglichkeiten ein übermäßiger Schutz vorhanden, der unzulässig in Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG eingreift. 344 Vgl. Dederer, JZ 2003, 986 (990 f.).
C. Das „Isolationsmodell“
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Grundrecht auf Leben überwiegen. 345 Das ist ein Paradigmenwechsel in der juristischen Dogmatik, der sich damit auch in der Rechtsordnung niedergeschlagen hat. Die Gefahren dieses Wechsels – auch für die Forschungsfreiheit – können nicht hoch genug eingeschätzt werden. 346
IV. Grundlagen des Isolationsmodells Das Bild von Wissenschaft, das das Isolationsmodell prägt, ist die akademische Forschung und Lehre. Auch wenn immer wieder betont wird, wissenschaftliche Forschung und Lehre sei nicht auf die Universität beschränkt, 347 steht nach überkommenem Verständnis im Zentrum der Universität wissenschaftliche Forschung und Lehre. Damit verknüpft sind auch die Grundlagen und Funktionen der Forschungsfreiheit. Sie leiten sich vom idealistischen Universitätsmodell ab. 1. Legitimation der Forschungsfreiheit im Isolationsmodell Grundrechte gelten nicht nur als positives Recht, sondern ihnen wird auch eine anthropologische und moralische Dimension zugeschrieben. So kann man die Verfassung als ethischen Minimalkonsens einer Gesellschaft auffassen. 348 Die Geltung eines Prinzips der Wissenschaftsfreiheit ist also sowohl in philosophischer als auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht zu begründen. Sein Telos hat aber in der verfassungsrechtlichen Literatur bisher kaum Beachtung gefunden. 349 a) Philosophischer Hintergrund Es lassen sich drei wesentliche philosophische Argumente 350 für die Privilegierung von Wissenschaft in der Verfassung anführen: 345 Ob sich dieses gesetzgeberische „Hinwegwiegen“ des Grundrechts auf Leben mit dem Verbot des „Hinwegsetzens“ vereinbaren lässt, ist höchst fragwürdig. 346 Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung erscheint hier unwahrscheinlich. Lediglich nach Ablehnung von Anträgen auf Stammzellenforschung unter Verweis auf § 5 StZG wäre eine Verfassungsbeschwerde wegen einer Verletzung von Art. 5 Abs. 3 GG denkbar, nicht jedoch wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG. 347 Vgl. Rupp, Stellung des Studenten (1968), S. 3, 8 f. 348 Das Recht stellt nach einer von Georg Jellinek aufgestellten Formel insofern ein „ethisches Minimum“ dar, als es nur einen Teil elementarer, für das Zusammenleben unbedingt notwendiger ethischer Normen aufnimmt, vgl. Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 1967 (Reprog. Nachdr. d. Ausg. Wien 1878), S. 42. 349 Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1074). 350 Alle nach Bayertz, ARSP 2000, 303 (303 f.); vgl. hierzu auch Waechter, Der Staat 1991, 19 (35 ff.); Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1074 f.).
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
1. Wissenschaft als Selbstzweck, weil der Mensch von Natur aus neugierig ist (Aristotelisches Argument – aa), 2. Wissenschaft als Aufklärung, weil der Mensch mit ihr den Irrtum überwindet (Kantisches Argument – bb), 3. Wissenschaft als Nutzenmaximierung, weil sich der Mensch mit ihr die Welt untertan macht (Baconsches Argument – cc). aa) Aristotelisches Argument Geht man davon aus, dass der Mensch von Natur aus neugierig 351 ist, heißt das allerdings noch nicht, dass er damit nach wissenschaftlichem Wissen strebt. Auch unterscheiden sich die Voraussetzungen und Folgen von Wissenschaft gravierend von natürlicher Neugier. Es wäre außerdem ein naturalistischer Fehlschluss, wenn vom natürlichen Erkenntnistrieb des Menschen die Norm der Wissenschaftsfreiheit abgeleitet werden würde. 352 Nur wenn als normative Prämisse hinzukommt, dass jeder Mensch seine natürlichen Bedürfnisse befriedigen dürfen soll, dann ist die Befriedigung ein legitimes Recht, solange und soweit dies mit den Rechten anderer vereinbar ist. Doch damit ist nicht zu begründen, warum der Erkenntnistrieb eine exponiertere Stellung gegenüber dem durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Spiel-, Sexual- oder Schlaftrieb haben sollte. Auch wenn man die Betätigung der ratio mit Aristoteles als höchste und edelste Form menschlichen Wirkens ansieht, 353 stellt sich wieder die Frage, warum dies nicht objektiv auch für Kunst, Kindererziehung oder Politik gelten sollte. 354 Dies ist auch zu berücksichtigen, wenn die Freiheit der Forschung auf die Menschenwürde zurückgeführt wird. 355 Die Neugier des Menschen kann daher die Wissenschaftsfreiheit nur teilweise legitimieren. bb) Kantisches Argument Das BVerfG stellt dagegen in seinem Hochschulurteil nicht auf die Erkenntnistätigkeit an sich, sondern auf den Wert ihrer Resultate ab. Ist die Wissenschaftsfreiheit eine „objektive Wertentscheidung“, muss Wissenschaft einen objektiven Wert haben, den das BVerfG jedoch nicht genauer darlegt. Möglicherweise kann bereits hier an einen Zusammenhang mit dem Kulturstaatsauftrag angeknüpft werden, 351 Über die Neugier i. S. v. Epikur: Mainberger, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 89 ff. 352 Bayertz, ARSP 2000, 303 (304 ff.). 353 Der sie freilich als Erkennen des Ewigen, Unveränderlichen und Göttlichen und frei von jedem Nutzen sah, Bayertz, ARSP 2000, 303 (307). 354 Grundrechtlich findet das Berücksichtigung durch die Kunstfreiheit. 355 Siehe unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) cc).
C. Das „Isolationsmodell“
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zumal Art. 5 Abs. 3 GG Kunst und Wissenschaft in einem Atemzug nennt. 356 Die besondere Privilegierung der Wissenschaft gegenüber anderen kulturellen Betätigungen lässt sich jedoch philosophisch nur dann rechtfertigen, wenn der Beitrag der Wissenschaft zur Kultur in einer Orientierungs- und Sinnstiftungsfunktion besteht. 357 Damit kommt es zur Verknüpfung von Aufklärung und Wissenschaft. 358 Es ist die kritische Dimension der Wissenschaft in der Epoche der Aufklärung, die geeignet ist, den Menschen von Irrtümern, Illusionen und Ideologien zu befreien. In der Überwindung des Irrtums liegt der Schlüssel zum Glück. Der Mut zum Wissen ist das entscheidende Merkmal der Aufklärung und die Freiheit der Erkenntnisgewinnung deren Voraussetzung. 359 Kritische Wissenschaft ist im Gegensatz zum mittelalterlichen Wissenschaftsverständnis antiautoritär. Aufgabe wissenschaftlicher Kritik ist es, die Möglichkeiten und Maßstäbe menschlichen Handelns immer wieder neu zu überdenken. Wissenschaft ist deshalb der Verfolgung ausgesetzt und bedarf eines besonderen Schutzes, der sich etwa auch 1848 in der Paulskirchenverfassung manifestiert hat. Auch wenn dagegen eingewendet werden könnte, dass der Prozess der Aufklärung durch Wissenschaft nie ein Ende finden wird, da diese immer unabgeschlossen ist und ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Glück nicht feststellbar ist, 360 ist das Kantische Argument nicht nur verfassungsgeschichtlich betrachtet die entscheidende philosophische Begründung für die Wissenschaftsfreiheit als Teil der Geistes-, Gewissens- und Kommunikationsfreiheiten. Hieran ändert auch die Zwiespältigkeit des bis heute erfolgten Wissenszuwachses nichts. Diese Ambivalenz findet sich nicht nur in den Bündnissen von Wissenschaft und totalitären Ideologien wieder, sondern auch in der Feststellung, Wissenschaft und Technik seien die „Religion“ oder gar „Ideologie“ unserer Zeit. 361 Die Kritische Theorie weist zu Recht auf die „Dialektik der 356 Zum Kulturstaat und seinem Zusammenhang mit der Wissenschaft insb. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 7 f.; siehe hierzu auch unten Viertes Kapitel, A. I. 2. 357 Bayertz, ARSP 2000, 303 (310); Waechter, Der Staat 1991, 19 (37): „Menschenbildung durch Vernunftbildung“. 358 Vgl. auch Zwirner, AöR 1973, 313 (317). 359 Vgl. Bayertz, ARSP 2000, 303 (311); siehe Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784), in: Werke, Bd VI (1998), A 481 ff. (S. 53 ff.). Der Kontrapunkt dazu stammt aus der 247. Predigt von Augustinus: „Wo das Wissen aufhört, fängt der Glaube an.“ Das lässt sich freilich auch anders wenden: soweit das Wissen reicht, soweit ist man vom Glauben emanzipiert. 360 Vgl. Bayertz, ARSP 2000, 303 (311 f.). 361 Vgl. Häberle, AöR 1985, 327 (354); auch Jürgen Habermas, Wissenschaft und Technik als Ideologie (1968) sowie Marcuse, Eindimensionaler Mensch (1964/1998); siehe auch unten Drittes Kapitel, A. IV. 1.
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Aufklärung“ hin. 362 Gerade diese Entwicklung erfordert jedoch umso mehr die freie wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Wissenschaft und die Bedeutung ihrer Resultate. Aufklärung wie Wissenschaft müssen konsequent und umfassend betrieben werden. Eine kulturstaatliche Wissenschaft ist eine aufgeklärte und aufklärerische Wissenschaft, die weit über die technische Rationalität hinausreicht. cc) Baconsches Argument Seit Francis Bacons (1561–1626) „Nova Atlantis“ erscheint die Technik als wesentlicher Bestandteil aller utopischen Entwürfe. Mit der Vision von Bacon, die Naturwissenschaften würden zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen, verband sich auch die Einsicht „Wissen ist Macht“ 363. Geschichtsphilosophisch findet sich hier die Idee von der Vervollkommnung der menschlichen Verhältnisse durch die Herrschaft über die Natur. 364 Voraussetzung hierfür ist eine mit wissenschaftlichen Methoden betriebene Technik und die Vorstellung, dass die physische Welt ein beliebig verfügbares Objekt des technischen Veränderungswillens ist. Die Verbindung aus Industrialisierung, Technisierung und kapitalistischer Effizienz hat dazu geführt, dass das Baconsche Argument wohl nicht philosophisch, aber die in der Gegenwart beherrschende Legitimation der Forschungsfreiheit darstellt. 365 b) Die Sonderstellung der Universität Drei Aspekte heben die Universität im Gegensatz zu anderen Forschungsund Bildungseinrichtungen hervor: Erstens ist es die Aufgabe der Universitäten, wissenschaftliche Ausbildung zu vermitteln. Dabei gilt es, sowohl eine hochqualifizierte berufliche Ausbildung zu gewährleisten als auch den wissenschaftlichen 362 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung (1947/1989), S. 15: „Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge, insofern er sie machen kann.“ 363 „Scientia potentia est“ schrieb Bacon 1597. Spanier und Venezianer hatten gerade in der Seeschlacht bei Lepanto mit neuartigen Schiffen und Kanonen die jahrhundertelange Vorherrschaft des Islams im Mittelmeer beendet. Die korrekte Übersetzung müsste „Wissen ist Fähigkeit“ lauten. Das bedeutet auch, dass die Natur nur beherrscht werden kann, wenn man ihre Gesetze befolgt (nach: Stehr, Wissenspolitik [2003], S. 31). 364 Rapp, in: Lenk/Ropohl, Technik und Ethik (1993), S. 31 (39); man denke auch an den biblischen Auftrag der Schöpfungsgeschichte: „füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel“ (1. Mose 1, 28). 365 Siehe hierzu unten Drittes Kapitel, A. I.
C. Das „Isolationsmodell“
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Nachwuchs heranzubilden. 366 Hierbei ist die Einheit und Freiheit von Forschung und Lehre das wesentliche Kennzeichen, das die Universitäten von den Schulen unterscheidet. Zweitens ergibt sich der institutionelle Schutz der Universitäten aus dem Umstand, dass Wissenschaft im Kern ein System ist, das nur seine eigenen Gesetze kennt. 367 Von einer sich frei entfaltenden Wissenschaft erwartet der Staat den größten Nutzen für das Gemeinwohl. 368 Damit die Wissenschaft ihrer kritischen Funktion in der Gesellschaft gerecht werden kann, soll ihr durch Abschirmung gegen die Einflüsse der Gesellschaft ein besonderer Freiheitsraum gewährt werden. 369 Worin der Gemeinwohlnutzen konkret besteht, ist dadurch nicht festgelegt. Er kann in der kritischen Begleitung politischer und gesellschaftlicher Vorgänge liegen, er kann die Steigerung technischer Effizienz bedeuten oder der wirtschaftlichen Prosperität dienen. Letztlich ist es die gesamte Breite und Tiefe frei gewonnener wissenschaftlicher Erkenntnisse, die ihre besondere Bedeutung kennzeichnet und insgesamt dem gesellschaftlichen Fortschritt dient. Wie bereits dargestellt, ging man dabei im 19. Jahrhundert davon aus, dass der Wissenschaftsbetrieb an den Universitäten kaum in Konflikt mit der Umwelt geraten würde. Denkfreiheit, wie sie beispielsweise Fichte forderte, sollte zum einen zum Fortschritt und Wohle des Staates beitragen, zum anderen ging Fichte davon aus, dass die universitäre Denkfreiheit in Bezug auf die Außenwelt sowohl politisch als auch naturwissenschaftlich-technisch störungsfrei sei. Wissenschaftliche Meinung könne zurückgewiesen werden, damit habe es seine Bewandtnis. 370 Drittens lebt Forschung vom wissenschaftlichen Diskurs innerhalb der scientific community. Die Suche nach wissenschaftlicher Erkenntnis ist kein isolierter, ausschließlich individualzentrierter gedanklicher Vorgang, auch wenn neben der Freiheit die Einsamkeit ein Merkmal des Humboldtschen Bildungsideals ist. Die institutionelle Kraft der Universität besteht im lebendigen und engen Zusammenhang und Austausch der Fächer. Bildung geht über das beruflich notwendige und nützliche Wissen einer Ausbildung hinaus. Umfassend freie wissenschaftliche Kommunikation ist nur in einer breiten Wissenschaftsorganisation möglich. 371
366
Vgl. die Aufzählung bei Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477. Die wissenschaftliche Berufsausbildung ist inhaltlich unlösbar mit dem staatlichen Auftrag zur Pflege der Wissenschaften verknüpft (Lorenz, JZ 1981, 113 f.). 367 Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 7. 368 So auch BVerfGE 47, 327 (370). 369 Schlink, Der Staat 1971, 244 (250). 370 Zit. nach Waechter, Der Staat 1991, 19 (38). 371 Vgl. Geis, WissR 37 (2004), 2 (13).
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
2. Forschungsfreiheit als geistige Freiheit Es wurde schon darauf hingewiesen, dass das BVerfG Forschung als „geistige Tätigkeit“ bezeichnet. Auch sonst fällt auf, wie häufig die Forschungsfreiheit als Teil der Geistesfreiheiten gesehen wird, ebenso wie sie häufig im Zusammenhang mit den Kommunikationsgrundrechten genannt wird, was sich aus der systematischen Position innerhalb des Art. 5 GG geradezu aufdrängt. 372 Als Beispiel mag Scholz dienen, für den Wissenschaft ein Lebenssachverhalt ist, der sich auf eine „Fülle geistig-autonomer sowie kommunikativer Erkenntnis- und Vermittlungsprozesse“ gründet. 373 Dagegen wird der Schutz von nichtkommunikativen Handlungen, die im Zusammenhang mit der Erkenntnissuche stehen, kaum konkreter thematisiert. Auch wenn das Experiment als nichtkommunikative Handlung scheinbar selbstverständlich durch die Forschungsfreiheit geschützt ist, 374 ist das Verständnis des Isolationsmodells von der Freiheit des Denkens und Redens der Forscher geprägt. a) Forschungsfreiheit als Teil der Geistes- und Kommunikationsfreiheiten Wie die historische Betrachtung gezeigt hat, wurde die Wissenschaftsfreiheit als Teil der Freiheit des Denkens betrachtet. Davon ausgehend, dass Gedanken immer frei sein können (die Beeinflussung und Manipulation durch Ideologie, Erziehung, Desinformation und Propaganda einmal hinweggedacht), ist die notwendig nächste Stufe einer solchen Freiheit die Freiheit, die Ergebnisse der so geschützten Denkvorgänge zu äußern und anderen mitteilen zu dürfen. 375 Bereits Fichte verstand unter „Denkfreiheit“ die Mitteilungsfreiheit in allen Bereichen – aber auch die Untersuchungsfreiheit mit Gegenstands- und Methodenwahl 376. Freilich 372
Vgl. Waechter, Der Staat 1991, 19 (37 ff.); siehe hierzu z. B. auch Art. 10 Verf. Sachs.Anh.; hier ist die Forschungsfreiheit in Abs. 3 unter der Überschrift „Meinungsfreiheit“ gewährleistet. 373 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 87 [Hervorh. im Original]. Der Kontext der Wissenschaftsfreiheit mit den Gewährleistungen der Geistes-, Gewissens- und Kommunikationsfreiheit wird auch von dems., a. a. O., Rdnr. 1, hervorgehoben. 374 Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 78; für ihn ist der Tatbestand der Wissenschaftsfreiheit vorrangig ein Teil geistiger Freiheit, er spricht sich im Folgenden jedoch dafür aus, die Methodenwahl in den Tatbestand miteinzubeziehen, da Beschränkungen der Freiheit der Methodenwahl auf die Freiheit der Fragestellung durchschlagen würden (ders., a. a. O., S. 84 f.). 375 So im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I. (2003), Art. 4, Rdnr. 6 f. 376 Die Wahl von Forschungsgegenstand und -methode wird auch heute als Bestandteil der Forschungsfreiheit betrachtet, vgl. nur § 4 Abs. 2 Satz 1 HRG.
C. Das „Isolationsmodell“
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lag sein Schwerpunkt historisch bedingt auf der Mitteilungsfreiheit. 377 Deutlicher wird das Verständnis von Geistesfreiheit zusätzlich, wenn man Äußerungen von 1848 hinzuzieht: Mit der Wissenschaftsfreiheit solle es künftig keinem Galilei mehr geboten werden, die Umdrehung der Erde zu leugnen, und kein Ministerium solle sich in die Lehrsätze der theologischen Wissenschaft einmischen. 378 Damit ist jedoch noch nicht geklärt, inwieweit Geistesfreiheit über freie Kommunikation hinaus reichen kann und darf. Zur Verdeutlichung des Problems bietet sich als Parallele die Glaubensfreiheit an. Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Glaubensfreiheit, kann also als klassische Geistesfreiheit betrachtet werden. Art. 4 Abs. 2 GG schützt die Ausübung der Religion, das deutet auf eine besondere Form der Handlungsfreiheit hin. Während die Freiheit des (Denkens und) Redens ein wesentlich geringeres Konfliktpotential im Bezug auf die Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Dritter besitzt, ist dies bei religiöser Handlungsfreiheit anders. Hier kann das Konfliktpotential je nach Glaubensrichtung theoretisch verhältnismäßig groß sein. 379 Das BVerfG ist der Meinung, die Religionsausübungsfreiheit sei bereits in Art. 4 Abs. 1 GG enthalten, Abs. 2 GG sei rein deklaratorisch. 380 R. Herzog dagegen schlägt die Freiheit des Redens der Glaubensfreiheit des Abs. 1 zu, die damit eine Mitteilungsfreiheit ist, während Abs. 2 die Freiheit gewährleistet, (bereits artikulierte) Überzeugungen auch in die Tat umzusetzen, d. h. daraus die praktischen Konsequenzen zu ziehen. 381 Das ist dogmatisch wesentlich plausibler. Überträgt man diese Differenzierung auf die Wissenschaftsfreiheit, könnte das Ergebnis vielleicht wie folgt lauten: Die Freiheit des Redens, der „Verkündung“, unterfällt der Lehrfreiheit. 382 Für die wissenschaftliche Handlungsfreiheit ist dagegen die Forschungsfreiheit der richtige Ansatzpunkt. 383 Ohne bereits hier auf den Umfang der Forschungsfreiheit genauer einzugehen, soll verdeutlicht werden, dass Wissenschaftsfreiheit und damit auch Forschung über rein geistige Vorgänge 377
Waechter, Der Staat 1991, 19 (37 f., in Anm. 74, 81). Nach Zwirner, AöR 1973, 313 (325). 379 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 4, Rdnr. 111; vgl. hierzu BVerfGE 93, 1 (13 ff.) – Kruzifix; 105, 279 (292 ff.) – Osho. 380 BVerfGE 24, 236 (245) – Rumpelkammer; 32, 98 (106 f.) – Gesundbeter; siehe zur Religionsfreiheit im Zusammenhang mit kommerzieller Zielsetzung auch Fünftes Kapitel, C. I. 4. a). 381 R. Herzog, in: Maunz/Dürig GG, Bd. I (2003), Art. 4, Rdnr. 7 f., der im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 2 GG völlig zu Recht von einer „privilegierten Handlungsfreiheit“ spricht (ders., a. a. O., Rdnr. 8). 382 So z. B. vertreten von Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 90 f.; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 328 (für Vorlesungen, Seminare und Lehrbücher). 383 So z. B. vertreten von Trute, Forschung (1994), S. 110 ff., 121 ff. 378
170
2. Kap.: Die Idee von Forschung
hinausgeht und hinausgehen muss. Solange die Universitäten isoliert betrachtet werden, wird dies kaum problematisiert, da erkenntnisrelevante Handlungen von Geisteswissenschaftlern zumeist im Lesen und Schreiben bestehen, hier die Methode der Untersuchung also lediglich den Informationszugang und die Mitteilung umfasst. Zwar ist das Experiment auch eine Form des Informationszugangs, hat jedoch eine andere Konfliktqualität. Interessant ist in dieser Hinsicht noch eine Abgrenzung, die das BVerfG in seinem KPD-Urteil zur Frage der Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus vorgenommen hat: „Die eindeutig bestimmbare Grenze zwischen wissenschaftlicher Theorie und politischem Ziel liegt dort, wo die betrachtend gewonnenen Erkenntnisse von einer politischen Partei ( . . . ) in ihren Willen aufgenommen, zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht werden.“ 384
Gleiches kann auch für wirtschaftliches Handeln gelten. Werden mit Wissenschaft wirtschaftliche Ziele verfolgt, beispielsweise, wenn wissenschaftliche Erkenntnis in Patente umgesetzt werden soll, ist Art. 5 Abs. 3 GG nicht berührt. Auf diese Weise kann man zum Beispiel Forschung von Entwicklung abgrenzen. Sind die maßgeblichen Naturgesetze bekannt und werden diese lediglich umgesetzt, kommen nur andere Grundrechte in Betracht. 385 Dieser Gedanke bedarf später genauerer Untersuchung. 386 b) Leitwissenschaft: die Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften Im Neuhumanismus des beginnenden 19. Jahrhunderts beanspruchten die Altertumswissenschaften eine Führungsposition, da nur sie „Bildung“ versprachen, also die Vermittlung von Fähigkeiten, ohne die ein schöpferischer Interpret nicht
384
BVerfGE 5, 85 (146) – KPD. Ob der Marxismus-Leninismus eine Wissenschaft ist, lässt das BVerfG (a. a. O., 145) zu Recht offen, da der Staat hierüber nicht richten darf; vgl. auch ausführlich hierzu Denninger, AK-GG (2001), Art. 5 III, Rdnr. 19; zur Abgrenzung von Wissenschaft und Politik Trute, Forschung (1994), S. 118. Trute stellt hier auf die Trennung von Theorie und Praxis ab, was angesichts des weiten Forschungsbegriffes, den er vertritt (ders., a. a. O., S. 121), nicht ganz stimmig ist. Dies führt zur Frage, inwieweit Wissenschaft politisch ist, sein muss und darf. Die Auswirkungen der Wissenschaft auf die Politik sind unbestreitbar. Insofern ist es höchst fragwürdig, wenn juristisch zwischen Wissenschaft und Politik scharf abgegrenzt wird, eine solche Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft jedoch nicht möglich sein soll (vgl. hierzu Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre [1981], S. 115, der auf die notwendige Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik hinweist), siehe auch unten Drittes Kapitel, A. II.; sowie Fünftes Kapitel, A. II. 3. 385 So Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 98 f.; dies können z. B. Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG sein. 386 Siehe unten Fünftes Kapitel, B.
C. Das „Isolationsmodell“
171
auskommen konnte. Damit bestand eine enge Verbindung zur „modernen Hermeneutik“, wie sie Savigny begründet hat. Sie betont die schöpferische, produktive Rolle des Interpreten. 387 Die humanistischen Geisteswissenschaften sind idealerweise an der Richtigkeit des Verstehens orientiert und daher in ihren Aussagen theoretischer Natur, 388 was praktische Auswirkungen nicht ausschließt. Sie repräsentieren die akademische Trennung von Theorie und Praxis und damit auch das Humboldtsche Programm. Folglich konzentrierten sich die Überlegungen zur Wissenschaftsfreiheit in erster Linie auf die geistes- und später sozialwissenschaftlichen Disziplinen, denen ein nicht unerheblicher Einfluss auf das Gemeinwesen zukommt: Forschung und Lehre enthalten gesellschaftspolitische Elemente. Die Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften können staatlich instrumentalisiert werden und sind deshalb mit Hilfe des Grundrechts auf Wissenschaftsfreiheit besonders gegen bestimmte politische, religiöse und ökonomische Programme abzuschirmen. 389 Der früher enge Bezug der Geisteswissenschaften zum christlichen Glauben führte beispielsweise dazu, dass Mitte des 19. Jahrhunderts Juden nur zu naturwissenschaftlichen und medizinischen Lehrämtern zugelassen wurden. 390 Die genannten Wissenschaften widmen sich der Bewertung von Kultur und Gemeinwesen und erstellen Regeln, wie man innerhalb der Kulturgemeinschaft und der politischen Verbände handeln soll. Das jeweilige Vorverständnis des Wissenschaftlers beeinflusst die Auswahl der untersuchten Sachverhalte und noch mehr die Formulierung der Hypothesen. 391 Befunde können unterschiedlich sein, Wertungen sind elementarer Bestandteil wissenschaftlicher Meinungsäußerungen. Untersuchungen richten sich an Kriterien wie Billigkeit, Zweckmäßigkeit, Rechtssicherheit, Gleichheit und Gemeinwohl aus. 392 Dagegen werden die naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen nicht als Teil des bürgerlichen Bildungsideals des 19. Jahrhunderts verstanden, sondern eher als profanes Handwerk, das dem technischen Fortschritt zu dienen hat. 393 Probleme naturwissenschaftlich-technischer Entwicklung werden nicht der Wis-
387
Vgl. Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 42 ff. Vgl. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 16. 389 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 194 f.; Waechter, Der Staat 1991, 19 (46). 390 Zwirner, AöR 1973, 313 (319). 391 Vgl. Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 f. 392 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 192 f.; C. Schmitt hat vorgeführt, dass auch Fachterminologie ausgeprägtesten politischen Charakter haben kann. Bei Juristen ist dies häufig der Fall, z. B. beim Souveränitätsbegriff, wie überhaupt bei Grundlagenbegriffen (Waechter, Der Staat 1991, 19 [39, Anm. 86]). 393 Siehe hierzu Fischer, Die andere Bildung (2002), S. 10. 388
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
senschaft selbst (diese soll ja theoretisch und wertfrei sein) angelastet, sondern erst der konkreten Anwendung durch Staat und Wirtschaft. Die Naturwissenschaften, sofern sie sich idealtypisch an der empirisch-analytischen Wahrheit von Aussagen orientieren, sind deshalb für die Wissenschaftsfreiheit des Isolationsmodells ohne große Bedeutung 394 – sei es, weil für die Naturwissenschaften Forschungsfreiheit nicht mehr erkämpft werden musste, sondern im Prinzip seit Anfang des 19. Jahrhunderts existiert hat, 395 sei es, weil diese Wissenschaftsdisziplinen schon immer einen besonderen Status (politischer) Wertfreiheit für sich in Anspruch nahmen. 396 Die angenommene Trennung und Trennbarkeit von Wissenschaft und Technik machte die Kontrolle technischer Einrichtungen unproblematisch, da die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht durch die Wissenschaftsfreiheit zu schützen war. 397 c) Die institutionelle Trennung von Theorie und Praxis Wenn im 19. Jahrhundert scharf zwischen Theorie und Praxis und damit zwischen Wissenschaft und Technik unterschieden werden konnte, schlug sich dies auch entsprechend institutionell nieder. Während Technik die Umsetzung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist („die Gesamtheit der Verfahren, die dazu dienen, naturwissenschaftliche Erkenntnisse praktisch nutzbar zu machen“), 398 geht es in der Wissenschaft idealerweise um die theoretischen Grundlagen. Das Humboldtsche Ideal der Universität geht davon aus, dass die Frage nach der praktischen Anwendbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse nicht gestellt werden dürfe. Wissenschaft soll allein um ihrer selbst willen als reine Theorie betrieben werden, der Wissenschaftsprozess soll, auch zu seinem eigenen Schutz, 394
Vgl. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 16. Selbst für Waechter, Der Staat 1991, 19 (46) droht (erst jetzt) eine ernsthafte Gefährdung der Freiheit der Naturwissenschaften. Die Forschungsfreiheit wird jedoch in der öffentlichen Diskussion fast ausschließlich mit Beschränkungen der Naturwissenschaften in Verbindung gebracht. Bedeutung für das Isolationsmodell hat der „Kritische Rationalismus“ Poppers, der anhand der Methodik in den Naturwissenschaften entwickelt wurde, siehe Popper, Logik der Forschung (1994). Er hatte großen Einfluss auf die gesamten Wissenschaften, auch auf die wertenden, siehe Rüthers, Rechtstheorie (2005), S. 13, Rdnr. 15 ff. 395 Vgl. Zwirner, AöR 1973, 313 (323); die Geisteswissenschaften hätten sich dagegen „bestimmten Normen unter[zu]ordnen“. 396 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 190, 194; gegen ein Postulat der „Wert(urteils)freiheit“: Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 9 ff. 397 Vgl. Waechter, Der Staat 1991, 19 (37). 398 Vgl. Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 67. Trute, Forschung (1994), S. 127 versteht unter „Technik“ Artefakte, die für bestimmte Verwendungszusammenhänge erzeugt werden; vgl. ausführlicher zur Entwicklung der Begriffe „Technik“, „Technologie“ und ihrer Beziehung zur Wissenschaft in philosophischer Hinsicht: Irrgang, Philosophie der Technik (2001), S. 30 ff., 79 ff.
C. Das „Isolationsmodell“
173
gegen direkte Wechselwirkungen mit der Gesellschaft einerseits im politischen, andererseits im technisch-naturwissenschaftlichen Sinne isoliert werden. 399 Dieses akademisch-wissenschaftliche Verständnis spiegelt sich auch in der Hochschullandschaft mit ihrer Differenzierung zwischen Universitäten und Technischen Hochschulen wider. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bildeten sich die naturwissenschaftlichen Fakultäten (die bis dahin ein Bestandteil der Philosophie waren) an den Universitäten heraus. Es expandierte auch die wissenschaftliche Medizin. Aus den polytechnischen Schulen gingen die Technischen Hochschulen mit Universitätsverfassung hervor. Diese sollten die für die Industrialisierung Deutschlands bedeutsame Lücke zur Praxis schließen, um den Bedarf an naturund ingenieurswissenschaftlichen Erkenntnissen zu befriedigen. Im Anschluss an diese Umgestaltungen und Neugründungen 400 erfolgte eine Akademisierung und Theoretisierung an den Technischen Hochschulen, die in eine „Verwissenschaftlichung der Technik“ mündete. 401 Um 1900 erhielten die Technischen Hochschulen das Promotionsrecht, dem später das Habilitationsrecht folgte. Die „Technische Universität“ war geboren. 402 Trotz dieser Entwicklung wurde bis zum Beginn der 1980er Jahre nahezu einhellig (und danach vorwiegend) davon ausgegangen, dass die Wissenschaft von der Technik abgrenzbar sei. 403 Unvermeidbare Überschneidungen wurden durch die Unterscheidung der Forschungsarten und -bereiche berücksichtigt, um die Selbständigkeit der Wissenschaft zu betonen. 404 Überraschend ist dies insofern, als die Idee wissenschaftlich-technischen Fortschritts und enge Verbindungen zwischen Wissenschaft und Technik bereits seit dem 17. Jahrhundert existierten, dann jedoch von der Idee Humboldts überlagert wurden. 405 Eine andere Differenzierung zwischen Wissenschaft und Technik findet sich im Patentrecht, das ebenfalls im 19. Jahrhundert entstand, 406 wieder: Voraussetzung für die Patentierung ist eine Erfindung. Sie enthält eine Lehre zum technischen 399
Vgl. Waechter, Der Staat 1991, 19 (37). Z. B. München 1868, Aachen 1870, Charlottenburg/Berlin 1879 (nach Roellecke, in: Flämig/Kimminich HdBWissR (1996), S. 3 [27]). 401 Trute, Forschung (1994), S. 127. 402 Vgl. Roellecke, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 3 (27). 403 Erst danach wurde das Problem der Forschungsfreiheit in den Naturwissenschaften diskutiert; siehe Dickert Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991) sowie die Benda-Kommission (Benda, NJW 1985, 1730 ff. m. w. N. [1734]). 404 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 53. 405 Vgl. hierzu Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 54 ff. Überraschend ist dieser Befund, da bereits die Offenheit des modalen Wissenschaftsbegriffes zwangsläufig zur Einbeziehung technologischer Vorgänge in die Wissenschaft(-sfreiheit) führen müsste, sofern mit ihnen ein Erkenntnisgewinn verbunden ist. Eine Abgrenzung versucht dennoch z. B. Trute, Forschung (1994), S. 126 ff. 400
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2. Kap.: Die Idee von Forschung
Handeln. 407 Dagegen ist eine Entdeckung oder wissenschaftliche Theorie nicht patentierbar. 408 Wissenschaft ist somit zwar der Grundstock für technologische Entwicklung, aber keine Technik. Technik ist keine Wissenschaft. Auch hier ist ein scheinbar allgemein anerkannter Unterschied zwischen Theorie und Praxis vorausgesetzt, der sich jedoch weniger an der Technik selbst, als an deren Gebrauch zu gewerblichen Zwecken festmacht. 409 Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts war der Unterschied zwischen Wissenschaft und Technik lediglich theoretischer Natur, wie sich am Entwurf des Herrenchiemseer Konvents zeigt, der einen Gesetzesvorbehalt für die „Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen“ vorsah. 410 Kamp meint, diese Formulierung spreche sogar dafür, dass derartige Benutzungen in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit fallen müssten, da man sie sonst nicht ausdrücklich im Rahmen des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit (§ 15 Abs. 1 des Entwurfs) erwähnt hätte. 411 Sie deutet jedenfalls darauf hin, dass man sich in den Beratungen des Problems einer Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Technik bewusst war. Jedoch ist dieser Gesetzesvorbehalt auch im Zusammenhang damit zu sehen, dass dem Verfassungsgeber als Schranke für vorbehaltlose Grundrechte die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG vorgeschwebt haben dürfte. 412 Der Entwurf wurde nicht Beratungsgrundlage im Parlamentarischen Rat – möglicherweise wegen der fragwürdigen Formulierung „wissenschaftliche Erfindung“, die ausgehend von der Terminologie des 19. Jahrhunderts einen Widerspruch in sich darstellt. Obwohl nach 1945 die Frage nach der individuellen Verantwortung von Wissenschaftlern für die Folgen ihrer Praxis durch die Beiträge der theoretischen und praktischen Physik zur Atombombe ins Zentrum ethisch-politischer Fragen gerückt war, blieb die Vorstellung von einer im Kern wertfreien, objektiven Wissenschaft, die lediglich in der „Anwendung“, vor allem als so genannter „Missbrauch“ 406
Vgl. zur Geschichte Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (221 ff.) sowie ausführlich Seckelmann, Industrialisierung, Internationalisierung und Patentrecht im Deutschen Reich, 1871 – 1914 (2006). 407 Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 85, Rdnr. 210. 408 § 1 Abs. 1 und 3 PatG. In der Bio- und Gentechnik existiert diese Unterscheidbarkeit gerade nicht mehr; vgl. hierzu u. a. Sellnick, Erfindung, Entdeckung und die Auseinandersetzung um die Umsetzung der Biopatentrichtlinie, GRUR 2002, 122 sowie Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) dd) (1). 409 Siehe § 1 Abs. 1 PatG: Erfindungen müssen gewerblich anwendbar sein, um patentiert werden zu können. 410 Siehe auch oben Zweites Kapitel, A. III. 1. 411 Kamp, Kommerz (2004), S. 259 f. argumentiert: Dass sich diese Einschränkung nicht mehr in Art. 5 Abs. 3 GG wiederfindet, weil diese Norm des Entwurfes nicht zum Beratungsgegenstand gemacht worden sei, spreche außerdem dafür, dass dieser Gesetzesvorbehalt auch entfallen sollte. 412 Zur Schrankenübertragung siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 1. b).
D. Resümee
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ethische und rechtliche Relevanz und Brisanz entfaltet. Anwendung als Technik bleibt dabei von der prinzipiell politisch und ethisch neutralen wissenschaftlichen (Grundlagen-)Forschung getrennt. 413 Gleiches galt und gilt (bis heute zu Unrecht) für die Trennung von Wissenschaft und Politik. 3. Ergebnis Das Isolationsmodell geht von folgenden Prämissen aus: Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist Bestandteil universitärer Wissenschaft. Als solche ist sie in ihren Auswirkungen isoliert, da wissenschaftliche Forschung die Erarbeitung wissenschaftlicher Theorien zum Ziel hat. Dies gilt insbesondere für die Geisteswissenschaften, die untrennbar mit dem Prozess der Aufklärung verbunden sind. Deshalb sind diese Wissenschaftsdisziplinen aber auch in besonderer Weise staatlicher Einflussnahme ausgesetzt und grundrechtlich zu schützen.
D. Resümee Die Idee von Forschung ist geprägt durch die Humboldtsche Universität und ihre Symbiose von Wissenschaft, Aufklärung, Freiheit und Erziehung. Die verfassungsrechtliche Interpretation des Art. 5 Abs. 3 GG orientiert sich an dieser Idee. Noch immer wird sie beschworen und für jede Art von Forschung in Anspruch genommen. Die Realität von Forschung weicht jedoch erheblich davon ab. Wie alle Ideale konnte das Humboldtsche Bildungsideal nur annäherungsweise umgesetzt werden, und es ist wohl auch kaum vollständig umsetzbar. Das galt bereits für die Zeit Humboldts und gilt noch mehr für die Zeit der Massenuniversitäten, in denen die Ausbildung und nicht mehr die Forschung im Vordergrund steht. Wie viele Ideen war die Humboldtsche Universität aber Antrieb für eine Entwicklung, die Deutschland einen Ruf als Forschungs- und Bildungsnation sicherte. Die richtungsgebende Dynamik von freier Forschung als notwendige Voraussetzung für wissenschaftliche Bildung ist jedoch im Schwinden begriffen. In gleichem Maße schwindet das Recht auf Teilhabe an dieser Idee, in gleichem Maße schwindet die Freiheit, die mit dieser Idee verbunden ist und die sie notwendig voraussetzt. Sie weicht einer anderen Idee: Der umfassenden Freiheit der Ökonomie auch in der Wissenschaft.
413
Potthast, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 52 (58 f.).
Drittes Kapitel
Die Realität von Forschung A. Die Gegenwart der Forschung Das, was man unter dem Lebensbereich „Wissenschaft“ oder „Forschung“ versteht, hat sich seit der Paulskirchenverfassung insbesondere in den Natur- und Ingenieurswissenschaften grundlegend gewandelt. 1 Bereits im Hochschulurteil von 1973 weist das BVerfG auf die tiefgreifenden Veränderungen hin, die sich seit dem Neuhumanismus Humboldtscher Prägung im 19. und 20. Jahrhundert vollzogen hätten: „Die sprunghafte Expansion der Forschung namentlich in den Bereichen der Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik erforderte einen kostspieligen Apparat mit Maschinen, Instrumenten und Einrichtungen besonderer Art, damit aber auch die Fachkräfte zu ihrer Bedienung. Die Vermehrung des wissenschaftlichen Stoffes und die fortschreitende Spezialisierung auf allen Gebieten, die dem Einzelnen den Überblick schon über sein eigenes Fachgebiet erschwerte, erzwang Arbeitsteilung und Zusammenarbeit in Gruppen. ( . . . ) Die Selbstbeschränkung der Universität auf eine Stätte der reinen und zweckfreien Wissenschaft geriet in ein Spannungsverhältnis zu den Ansprüchen der zunehmend technologisch organisierten Industriegesellschaft.“ 2
War diese Analyse noch auf die Universitäten bezogen, gilt sie heute umso mehr, wenn der gesamte Lebensbereich Wissenschaft betrachtet wird. Die Realität von Forschung und das, was man sich idealerweise unter ihr vorstellt, divergieren teilweise sehr. 3 Die Abweichungen sind so evident, dass sich dies in der Interpretation des Grundrechts auf Forschungsfreiheit widerspiegeln muss. Größtenteils werden jedoch die dadurch entstehenden Konflikte auf die Abwägungsebene verlagert, dadurch auf konkrete Fälle heruntergebrochen und verengt.
1 Vgl. Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 ff.; Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 19 ff. 2 BVerfGE 35, 79 (108 f.). 3 Siehe auch Schulte, VVDStRL 65 (2006), 110 (117).
A. Die Gegenwart der Forschung
177
I. Legitimation von Forschung heute Gewandelt hat sich die Legitimation von Forschung und ihrer grundrechtlichen Freiheit. Während im 18. und 19. Jahrhundert für die Begründung eines Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit die Aufklärung mit ihrem Anspruch auf Emanzipation der Wissenschaft von religiösen Dogmen entscheidend war, ist es heute ein ganz anderes Argument, das vorgebracht wird, wenn die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit betont wird: nämlich der praktische und ökonomische Nutzen, der mit dem Erwerb von Wissen verbunden ist. Denn es ist das technische Potential wissenschaftlicher Forschung, das insbesondere durch höhere Produktivität zu Wirtschaftswachstum führt. 4 Parallel zur kritischen und antiautoritären Wissenschaftsauffassung entwickelte sich bereits in der Neuzeit ein Wissenschaftsverständnis, das auf die Beschäftigung mit ideologisch und politisch relevanten Problemen verzichtet und deshalb anfangs auch weniger konfliktreich war. Freiraum für die Erweiterung dieses damals noch „ungefährlichen“ Wissens und die Lösung technischer Probleme forderte neben Francis Bacon (1561–1626) auch Robert Hooke im Entwurf für die Statuten der „Royal Society“ (1663). 5 In der Bundestagsdebatte zum Stammzellgesetz war dieses Argument ebenfalls anzutreffen, hier garniert mit einem religiösen Einschlag: „Der christliche [sic!] Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, erwartet vom Menschen, die ihm gegebene Vernunft und das aus ihr resultierende Wissen zur Erkenntnis und Nutzung der Natur einzusetzen.“ 6
Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass sich die Forschung im Bereich der Naturwissenschaften und Technik spätestens mit der beginnenden Industrialisierung etablierte, die industrielle Entwicklung vorantrieb und sich in die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung des 19. Jahrhunderts einpasste. 7 Dabei blieb diese Forschung vom Staat weitgehend unbehelligt. Der Grund für die Freiheit der naturwissenschaftlich-technischen Forschung von staatlicher Ingerenz liegt weniger in der persönlich zu wahrenden Freiheit und Selbstbestimmung des Forschers oder dem Humboldtschen Ideal (das lediglich für die Universitäten gelten sollte), sondern in der Vorstellung von Wissenschaft als einer ökonomischen und militärischen Produktivkraft, die staatlichen Interessen entgegenkam. Bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus ist hierbei die Überzeugung verbreitet, dass Forschung zwangsläufig auch zu gesellschaftlichem Fortschritt
4 Bayertz, ARSP 2000, 303 (317); Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1075); vgl. auch Marcuse, Eindimensionaler Mensch (1964/1998), S. 161. 5 Bayertz, ARSP 2000, 303 (317). 6 Abg. Katherina Reiche, Plenarprotokoll vom 30. 01. 2002, Nr. 14/214, 2120 [Hervorh. d. Verf.]. 7 Siehe oben Zweites Kapitel, A. I. 2.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
führt, in dem der materielle Wohlstand wächst und sich die Lebensbedingungen verbessern. 8 Diese Forschung war aber auch von direkten Wechselwirkungen mit der Gesellschaft, einerseits im politischen, andererseits im naturwissenschaftlichen-technisch Sinne, isoliert. Ihre Erkenntnisse schienen, so wie die der Technik, politisch neutral und beliebig instrumentalisierbar zu sein. 9 Hinzu kam die relative Abgeschlossenheit des „Elfenbeinturms“ Wissenschaft, dessen potentiell negative Folgen kaum über den Laborraum hinaus reichten. 10 Heute zeigt sich wesentlich deutlicher, dass hinter der Institution Wissenschaft Interessen stehen, deren Ziel die „Vernutzung“ von Wissen ist. Die Suche nach Wahrheit um ihrer selbst willen ist zwar ebenso wenig verschwunden wie das Streben nach Aufklärung durch kritisches Nachdenken. Betrachtet man jedoch die Forschung in ihrer Gesamtheit, so dominieren private Forschungsausgaben und es zeigt sich, dass heute das Baconsche Programm die soziale Realität des Lebensbereichs Forschung prägt. Mit der Vision von Bacon, die Naturwissenschaften würden zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen, 11 legitimiert auch der Staat seine Forschungsförderung. Er betrachtet sogar als „Blütezeit“ der Forschung ausschließlich die naturwissenschaftlich-technische Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts. 12 Hinzu kommt heute ein weiteres Argument: Forschung und technische Innovation sind im Zeitalter der Globalisierung 13 unverzichtbar für den jeweiligen nationalen oder regionalen Wirtschaftsstandort, der einer verschärften Konkur8 Nicht sehr erstaunlich ist, dass trotz des Postulats einer „Wissensgesellschaft“ diese Heilsvorstellung von Wissenschaft heute so nicht mehr existent ist. Stattdessen steht die Bewältigung der Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklung im Fokus der Aufmerksamkeit. Man hat sich an die Anforderungen eben jener „Wissensgesellschaft“ bzw. „Wissensökonomie“ anzupassen, um nicht die Wohlfahrtsverluste zu erleiden, die diese Entwicklung nun z. B. durch den Abbau von Arbeitsplätzen verursacht. Im Übrigen spricht gerade der Begriff „Fortschrittsglaube“ für sich, indem er verdeutlicht, dass Gewissheit in Sachen Fortschritt nicht besteht. Für Waechter, Der Staat 1991, 19 (46 ff.), ist denn auch eine wesentliche Voraussetzung für die Privilegierung der Wissenschaftsfreiheit weggefallen: der automatische Glücksgewinn durch technischen Fortschritt. 9 Waechter, Der Staat 1991, 19 (36). 10 Waechter, Der Staat 1991, 19 (37); siehe zum Klischee des Elfenbeinturms: Gruss, GRURInt. 2003, 289. 11 Zur Baconschen Wissenschafts- und Fortschrittsutopie, die frappierend den heutigen Möglichkeiten der Biotechnik ähnelt, siehe H. Hesse, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 7 (14). 12 Bundesbericht Forschung 2000 (S. 36). Weder die theoretische Physik (Einstein) noch die Philosophie (Kant, Hegel, Marx, Nietzsche) und Soziologie (Weber, Adorno) scheinen Teil dieser „Blütezeit“ zu sein; vgl. auch die Präambel des Bundesberichts Forschung 2004, S. III. Den Aufschwung der Wissenschaften in staatlichen Institutionen im 19. Jahrhundert führt Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 56 f., auf die Selbstbescheidung des Staates bei der Ausübung seiner Eingriffs- und Kontrollrechte zurück.
A. Die Gegenwart der Forschung
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renz zu anderen Standorten unterworfen ist. 14 Tiefgreifende Reflexionen über den gesellschaftlichen Nutzen von Forschung scheinen angesichts ökonomischer Sachzwänge obsolet. Ihr entscheidender Nutzen ergibt sich bereits aus den Zwängen des Marktes. 15 Wollen die entwickelten kapitalistischen Gesellschaften der Gegenwart ihren Wohlstand bewahren, so müssen sie sich diesen ökonomischen Sachzwängen beugen. Hierzu gehört zum einen beständige wissensbasierte Innovation, um Wettbewerbsvorteile zu sichern oder zu erringen, zum anderen das Bedürfnis nach wissenschaftlich qualifizierten Arbeitnehmern. Forschungsfreiheit lässt sich heute – sowohl als Abwehrrecht des Bürgers als auch als Schutzpflicht des Staates – allein mit diesem ökonomischen Nutzen legitimieren und wandelt sich zugleich zum Hilfsmittel primärer gesellschaftlicher Zwecke. Ob jedoch bei allem unbestreitbaren konkreten Nutzen angesichts gleichzeitiger Kosten und Risiken die Forschung als solche einen gesellschaftlichen Gesamtnutzen hat, kann zumindest nicht offensichtlich positiv beantwortet werden. 16 Die Vorstellung garantierten Fortschritts durch wissenschaftliche Erkenntnis ist bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts ins Wanken geraten. Die von ihr vorausgesetzte Automatik einer Verbindung von wissenschaftlich-technischem Fortschritt mit der Erzeugung von Glück und Freiheit erwies sich als Illusion. Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts glaubte Ernst Bloch in seinem Buch „Das Prinzip Hoffnung“: „Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie ( . . . ) in der blauen Atmosphäre des Friedens aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln.“ 17
Doch die hier euphorisch gefeierte Moderne produzierte nicht nur Wohlstand, der auf technischer und sozialer Entwicklung beruhte, sondern auch Totalitarismus, industrielle Menschenvernichtung, atomare Bedrohung und globale Umweltzerstörung.
13 Siehe zu den Auswirkungen eines globalen Markts: Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management (2001), S. 35. 14 Vgl. Hopfenbeck/Müller/Peisl, S. 53; Wissenschaft ist „Überlebensbedingung des Staates im globalen Wettbewerb“, so Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 22. 15 Vgl. Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 197 f., 137 ff. 16 So z. B. Bayertz, ARSP 2000, 303 (319); Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1075). Siehe hierzu auch die unbeantwortete Frage nach der Innovationsfähigkeit des Patentrechts; Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (215 ff.). 17 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung (1959), S. 765; zit. nach Potthast, in: Becker/ Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 52 (57).
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
Zwei scheinbar unvereinbare Positionen stehen sich damit gegenüber: Die eine Seite geht davon aus, dass Wissenschaft und Technik in modernen Gesellschaften unverzichtbare und vorrangige Quelle für Problemlösungen sind, und dass neue Erkenntnisse und Techniken – verantwortliche Anwendung vorausgesetzt – grundsätzlich immer ein Gewinn sind. Auf der anderen Seite gelten Wissenschaft und Technik gerade nicht als Lösung, sondern als Teil des Problems. Verantwortliche Anwendung und Nutzenmaximierung schließen einander aus. Soziale und ökologische Probleme (wie die Arbeitslosigkeit oder der Klimawandel) sind nicht zuletzt der technologischen und ökonomischen Dynamik unserer Gesellschaft zuzuschreiben. 18 Gerade das Programm der (ökonomischen) Nutzenmaximierung führt dazu, dass der organisatorische Rahmen, innerhalb dessen Wissenschaft und Forschung stattfinden, immer größere Bedeutung einnimmt. Zumindest dies spiegelt sich auch in der grundrechtsdogmatischen Diskussion wider. 19
II. Wissenschaft und Technik in der Gegenwart Untrennbar mit dem heutigen ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzen von Wissenschaft verknüpft ist die Symbiose von Wissenschaft und Technik. Diese findet sich nicht nur im Recht wieder, das etwa als Rechtsbegriff „den neuesten wissenschaftlichen und technischen Kenntnisstand“ (§ 6 Abs. 1 b GenTG) verwendet und im Technikrecht ein einheitliches Verständnis von Wissenschaft und Technik erkennen lässt. 20
18 So auch hinsichtlich des Problems der Technikfolgenabschätzung: Daele/Pühler, Grüne Gentechnik im Widerstreit (1996), S. 55; vgl. auch Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 197, 137 ff.: Welchen Nutzen eine Technik oder wissenschaftliche Erkenntnis habe, werde nicht mehr durch die Bedürfnisse der Gesellschaft, sondern durch die Verwertungsstrategien der Ökonomie bestimmt; Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 f. sieht ebenfalls eine von vorhandenen Bedürfnissen losgelöste technische Entwicklung, die nur die Bedürfnisse weckt, die sie auch befriedigen kann. 19 Vgl. insbesondere Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 259 f. 20 Im Technikrecht finden sich als unbestimmte Rechtsbegriffe: „Stand der Wissenschaft“ (vgl. z. B. § 7 Abs. 1 S. 1; § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG); „Stand der Technik“ (vgl. z. B. § 23 GenTG, sowie hierzu auch eine Legaldefinition in § 3 Abs. 6 BImSchG) und „Stand von Wissenschaft und Technik“ (vgl. z. B. § 6 Abs. 2 S. 1; § 7 Abs. 2 S. 2; § 11 Abs. 1 Nr. 4 GenTG; § 5 Nr. 2 StZG, wo vom „anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik“ die Rede ist). Vgl. hierzu ebenfalls § 5 ChemG und § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG (hierzu BVerfGE 49, 89 [135 ff.] – Kalkar). Zu den technischen Standards, die sich aus der Wahl der jeweiligen Begriffe ergeben: Schulze-Fielitz, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 443 (452 ff.). Angesichts der Unabgeschlossenheit des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses und angesichts widerstreitender Erkenntnisse und deren Bewertung erscheint der „Stand der Wissenschaft“ als fragwürdiger Rechtsbegriff. Dies gilt erst recht, wenn der Stand der Wissenschaft – wie in § 5 Nr. 2 StZG – „anerkannt“ sein soll.
A. Die Gegenwart der Forschung
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Der genannte Zusammenhang gilt vielmehr auch außerhalb des Rechts. So wird festgestellt, dass das rasch zunehmende Bewusstsein der gesellschaftlichen Risiken wissenschaftlicher Forschung und die damit zusammenhängende Politisierung des Expertentums dazu führt, dass sich das öffentliche Misstrauen nicht nur auf Technologien, sondern auf die Wissenschaft selbst bezieht. 21 Die Wissenschaft hat sich in die Technik verstrickt. 22 Je stärker sich Technik und Wissenschaft verbinden, desto stärker wird Forschung von dem Phänomen der oft kritiklosen Verbundenheit des Technikers mit seiner Aufgabe bestimmt. Die scheinbar moralische Neutralität der Technik lässt die Besinnung auf das eigene Tun gar nicht erst aufkommen. Je technischer Aufgaben werden, desto gefährlicher wirkt sich dieses Phänomen aus, das dem Techniker keine direkte Beziehung zu den Folgen seines anonymen Tuns vermittelt. 23 Je technischer Wissenschaft also wird, desto weniger findet kritische Reflexion und moralische Überprüfung statt. 24 Eine Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Technik anhand einer organisatorischen oder institutionellen Abgrenzung, die im 19. Jahrhunderts noch anhand der Zweck- und Voraussetzungslosigkeit von wissenschaftlicher Forschung in den Universitäten konstruierbar war, 25 ist jedenfalls in den Naturwissenschaften durch die technologische Entwicklung, aber auch durch den Wandel der Hochschulen unmöglich geworden. Kennzeichen moderner Forschung wie in der Bio- und Gentechnik, auch wenn sie akademisch betrieben wird, ist gerade die Allianz von Wissenschaft und Technik. Hier sollen Grundlagenforschung und anwendungsbezogene Produktentwicklung gelegentlich kaum weiter als einen Wimpernschlag voneinander entfernt sein und lassen sich nur schwer oder gar nicht voneinander abgrenzen. 26 So wie die Unterscheidungsmerkmale des 19. Jahrhunderts für Wissenschaft und Technik verschwimmen, werden auch Unterscheidungsmerkmale des Patentrechts untauglich, die ebenfalls auf das 19. Jahrhundert zurückgehen. 27 Gleiches gilt für die traditionelle Einteilung der Forschungsbereiche.
21
Luhmann, Soziologische Aufklärung 4 (1994), S. 206. Huber, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 31, 36 ff. 23 So treffend für die Rüstungsorganisation im Dritten Reich – und wohl auch für die eigene Rolle: Albert Speer, Erinnerungen, Berlin 2005, S. 226; ähnlich auch Marcuse, Eindimensionaler Mensch (1964/1998), S. 169. 24 So auch Wolters, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 199 (200). 25 Siehe Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 58 ff., 68 ff. 26 Vitzthum, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 341 (346); M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 69. 27 Siehe hierzu unten Viertes Kapitel, A. I. 3. sowie Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) dd). 22
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
III. Forschungsbereiche Vereinfacht lässt sich Forschung zunächst nach Organisationsform und Finanzierung unterteilen. Hier sind insbesondere die staatlich finanzierten (universitären) Hochschulen und Forschungseinrichtungen (Max-Planck-Institute, FraunhoferGesellschaft) von privaten, zumeist durch die Wirtschaft finanzierten Forschungseinrichtungen trennbar. Im außerstaatlichen Bereich kann es durchaus eigenständige Forschungseinrichtungen geben, zumeist handelt es sich aber um Abteilungen von Unternehmen, die Forschung vornehmen. Ein Sonderfall ist die sog. Ressortforschung, die im Bereich der Exekutive angesiedelt und zu deren Unterstützung tätig ist. 28 So wird zum Beispiel zwischen Universitäts-, Ressort-, Groß- und Industrieforschung unterschieden. 29 Industrieforschung wird dabei durch ihre betriebsmäßige Bindung an ein industrielles Wirtschaftsunternehmen charakterisiert und als auf Gewinnerzielung gerichtete Forschungstätigkeit definiert. 30 Strukturell der Industrieforschung sehr nahe stehen soll die Fraunhofer-Gesellschaft, die sich der privaten und staatlichen Auftragsforschung widmet, aber auch die Groß- und Ressortforschung, die als institutionelle Entscheidungshilfe für Politik, Gesetzgebung und Verwaltung dient. 31 Daran zeigt sich, dass als weiteres Unterscheidungsmerkmal Forschungsziele und -methoden herangezogen werden können: Traditionell wird hierbei die Grundlagenforschung von anwendungsorientierter Forschung unterschieden. 32 Beide Kriterien überschneiden sich selbstverständlich in ihrem jeweiligen organisatorischen 28 Die Ressortforschung (Bundes- und Landeseinrichtungen mit Forschungsaufgaben) ist einer der größten Sektoren staatlicher Forschung und übertrifft an Personal und Finanzaufwand die Max-Planck-Gesellschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft bei weitem (Meusel, Außeruniversitäre Forschung [1999], S. 105, Rdnr. 122; siehe auch Trute, Forschung [1994], S. 99). Sie dient zur Vorbereitung administrativer Entscheidungen (vgl. hierzu Meusel, a. a. O., S. 105 ff., Rdnr. 122 ff.). Die Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 GG sei für sie „marginal“ (Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I [2004], Art. 5 III, Rdnr. 30); a. A. SchulzeFielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 39. 29 Kamp, Kommerz (2004), S. 39; ähnlich auch Trute, Forschung (1994), S. 96 ff., der die Bereiche akademisch-disziplinäre Forschung, Ressort-, Industrie und Großforschung unterscheidet. 30 Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 104. Ihr Kennzeichen ist also die ökonomische Orientierung. 31 Kamp, Kommerz (2004), S. 38 f. 32 Grundlagenforschung dient der Gewinnung neuer wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse ohne Ausrichtung auf spezifische Verwendungsmöglichkeiten; angewandte Forschung hat einen direkten Bezug zu spezifischen Einsatzmöglichkeiten. Die systematische Nutzung bekannter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Herstellung neuer Materialien, Produkte und Verfahren sowie deren wesentliche Verbesserung wird experimentelle Entwicklung genannt, vgl. Technologiebericht der Bundesregierung, BT-Drs. 15/5300, S. 39.
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Rahmen. So kann es privat organisierte und finanzierte Grundlagenforschung geben wie auch staatlich finanzierte Zweck- und Anwendungsforschung. Zumeist ist jedoch die Grundlagenforschung klassische Domäne der Universitäten, während die angewandte Forschung überwiegend in der Industrieforschung zu finden ist, in der auch der überwiegende Teil der Forscher beschäftigt ist. 33 Eine hybride Stellung hat insoweit die Auftragsforschung in staatlichen Einrichtungen. 34 Schließlich kann man noch theoretische Forschung von empirisch-analytischer Forschung unterscheiden. Während der Bundesbericht Forschung nach Grundlagenforschung, angewandter Forschung und experimenteller Entwicklung unterscheidet, 35 differenziert die EU-Kommission zwischen fünf Arten von Forschung: Grundlagenforschung, angewandte Forschung, industrielle Grundlagenforschung, industrielle (angewandte) Forschung und vorwettbewerbliche Entwicklung. 36 Die Erkenntnisformen selbst sind jedoch je nach Disziplin oder Bereich im Fluss: Der Weg von der Grundlagenforschung zur angewandten Forschung und zur kommerziellen Anwendung ist beispielsweise in der Medizin oder Molekularbiologie besonders kurz und direkt. Es wird bereits von einer „produktorientierten Grundlagenforschung“ gesprochen. 37 Betont wird auch der enge Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis, der sich ebenso wenig trennen ließe wie Grundlagenforschung und Anwendung. 38 Die Unterscheidung zwischen angewandter und Grundlagenforschung wird deswegen bereits prinzipiell für fragwürdig gehalten. 39 Daraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass alle Forschungsbereiche in den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG einbezogen werden müssen, wie es das Ergebnis der herrschenden Meinung ist. 40
IV. Wandel der Forschung Seit Mitte der 1980er Jahre befindet sich insbesondere die akademische Forschung in einem grundlegenden Wandel. Veränderte ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen sowie die öffentliche Debatte über die Bio- und Gentechnik führen dazu, dass die scientific community auf Grund politisch-ökonomischen Drucks ihren akademischen Selbstbezug sukzessive aufgeben muss. Sie 33
Kamp, Kommerz (2004), S. 87. Vgl. Lieske, Forschung als Geschäft (2000), S. 24 ff. 35 Bundesbericht Forschung 2004, S. 31. 36 Zit. nach Kamp, Kommerz (2004), S. 48. 37 Stehr, Wissenspolitik (2003), S. 107. 38 Kamp, Kommerz (2004), S. 249; ebenso Wolters, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 199 (200 f.). 39 So Denninger, in: Stober, FS Roellecke (1997), S. 37 (52). Das gilt auch außerhalb der Naturwissenschaften, man denke nur an die Rechtswissenschaft. 40 Siehe oben Erstes Kapitel, A. IV. m. w. N. 34
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
gerät zunehmend in den Einflussbereich ökonomischer Interessen und politischer Strategien, die auf einen verstärkten „Wissens- und Technologietransfer“ und eine engere kommerzielle Anbindung des öffentlichen Forschungssystems abzielen. 41 1. Der Wandel zur „Wissensgesellschaft“ und zur „Wissensökonomie“ Beständiger Wandel liegt im Wesen einer Industriegesellschaft. Doch das Ende des Ost-West-Konflikts 1989/90 hat zu einer gesteigerten Dynamik im Tempo des sozialen, kulturellen, technischen und ökonomischen Wandels geführt. Neben den digitalen Technologien sind es die globalen Weltmärkte, die immer neue Anforderungen stellen. Es heißt, die Umgestaltung von Gesellschaft und Alltagswelt werde immer weniger vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber als vielmehr von den Investitions- und Forschungsentscheidungen privater, oft multinationaler Unternehmen und Konzerne initiiert. 42 Wirtschaftliche Macht drohe sich zu unkontrollierbarer politischer Macht zusammenzuballen. 43 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts propagieren Politik, Wirtschaft und Wissenschaft eine „Wissensgesellschaft“, in der Wissen als vierte Produktivkraft wichtiger als Boden, Kapital und (körperliche) Arbeit sein soll. Mehr als 50% der Wertschöpfung seien auf den Produktionsfaktor Wissen zurückzuführen. 44 In der Politik wird diesem Umstand große Bedeutung beigemessen. So verlautbart die Bundesregierung: „Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung hängen entscheidend davon ab, in welchem Maße und in welchem Tempo es einer Volkswirtschaft gelingt, neues Wissen zu akkumulieren und dieses Wissen in Innovationen und wirtschaftliche Wertschöpfung umzusetzen. Insbesondere ( . . . ) können wirtschaftliche Prosperität sowie die Sicherung der Lebensqualität und der Lebensgrundlagen nur über Investitionen in Wissen, Forschung und Bildung erreicht werden. Deshalb sind Forschungs-, Bildungs- und Innovationspolitik zentrale Handlungsfelder der Zukunftsgestaltung.“ 45
Doch schon 1973 wurde für die Entwicklung moderner (nachindustrieller) Gesellschaften der Begriff „Wissensgesellschaft“ geprägt. Begründet wurde dieser Begriff, „(1) weil Neuerungen mehr und mehr von Forschung und Entwicklung getragen werden (oder unmittelbarer gesagt, weil sich aufgrund der zentralen Stellung des theoretischen Wissens eine neue Beziehung zwischen Wissenschaft und Technologie herangebildet
41
Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 184, 187 ff. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 13. 43 Häberle, in: Maurer, FS Dürig (1990), S. 3 (9). 44 Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management (2001), S. 208. 45 Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung vom 31. 01. 2005, BT-Drs. 15/4793, S. 3. 42
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hat), (2) weil die Gesellschaft ( . . . ) immer mehr Gewicht auf das Gebiet des Wissens legt.“ 46
Hier kommt nicht nur erneut die enge Verbindung von Wissenschaft und Technik zum Ausdruck, sondern der Begriff „Wissensgesellschaft“ demonstriert auch einen epochalen Einschnitt: Es sind nicht mehr industrielle Strukturen, die Ökonomie und Gesellschaft charakterisieren, sondern die Produktion und Distribution von „Wissen“. 47 Über das Verhältnis von Wissen und Herrschaft wurde bereits Mitte des 20. Jahrhunderts diskutiert, insbesondere von Vertretern der sog. Kritischen Theorie. 48 Heute steht die strategische Bedeutung des Faktors Wissen für ökonomische Wertschöpfungsprozesse im Vordergrund. Er muss „bewirtschaftet“ werden. 49 Weil es die digitalen Technologien prinzipiell ermöglichen, dass jeder Mensch an jedem Ort zu jeder Zeit auf Informationen (d. h. auf gespeichertes Wissen) zugreifen kann, werden Informationen technisch und rechtlich monopolisiert. 50 Das ist die Kehrseite einer behaupteten Entwicklung von der Industrie- zur sog. Wissensgesellschaft. In der öffentlichen Diskussion wird daneben der Begriff „Wissensgesellschaft“ ähnlich trivial und inflationär verwendet, wie früher vom „Atomzeitalter“ oder der „Dienstleistungsgesellschaft“ gesprochen wurde. Unternehmen müssen etwa ein „Knowledge-Management“ betreiben, um „Brainware“ als herausragenden Faktor für ihre Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln. 51 „Wissensmanagement“ soll dazu 46 Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, 1973, zit. nach Stehr, Wissenspolitik (2003), S. 24. 47 Vgl. Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 f. 48 Marcuse, Eindimensionaler Mensch (1964/1998). 1964 erstmals in den USA erschienen (dt. Erstausgabe 1967), kritisiert die Studie von Marcuse an der „fortgeschrittenen Industriegesellschaft“ den „rationalen Charakter ihrer Irrationalität“ (a. a. O., S. 29), der sich aus dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt ergibt. Insbesondere die Wissenschaft flüchtet sich aus Furcht vor Werturteilen oder politischer Einmischung in die Empirie und quantitatives Denken. Grundsätzliche, qualitative Reflexion der gesellschaftlichen Probleme und Aufgabenstellungen findet in dieser technokratischen Herrschaftswissenschaft nicht statt. Wissenschaftlichkeit hat zwar die Produktivität erhöht und den Lebensstandard gesteigert, aber genauso Grausamkeiten und Zerstörungen gerechtfertigt (a. a. O., S. 161). (Natur-)Wissenschaft ist „a priori Technologie ( . . . ) und das Apriori einer spezifischen Technologie – nämlich Technologie als Form sozialer Kontrolle und Herrschaft“ (a. a. O., S. 172 [Hervorh. im Original]). Statt praktischer Vernunft i. S. Kants dominiert theoretische Vernunft. Die Aufklärung bleibt nach Marcuse deshalb auf halbem Wege stecken, denn: „Die befreiende Kraft der Technologie – die Instrumentalisierung der Dinge – verkehrt sich in eine Fessel der Befreiung, sie wird zur Instrumentalisierung des Menschen“ (a. a. O., S. 174). 49 Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management (2001), S. 206. 50 Siehe unten Drittes Kapitel, A. IV. 4. b) c). 51 Vgl. Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management (2001), S. 206, 235.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
dienen, Patente zu nutzen, spezifische Fähigkeiten von Mitarbeitern in Anspruch zu nehmen bzw. weiterzuentwickeln und die Beherrschung hoch entwickelter Technologien in Wettbewerbsvorteile umzusetzen. 52 In der postindustriellen Gesellschaft muss der Unternehmer mit steigender Produktivität und Technisierung die moderne Informationsflut so selbstverständlich managen wie früher Maschinen und Untergebene. 53 Gleiches gilt auch für den Staatsbürger, Arbeitnehmer und Verbraucher. Konkrete Folge der „Wissensgesellschaft“ ist auch: „ohne (Aus-) Bildung kein Job“ oder „ohne Wissen keine Chance im globalen Wettbewerb“. 54 Die „Wissensgesellschaft“ ist also eine Gesellschaft, in der Wissen nicht als öffentliches Gut betrachtet wird, das dem Nutzen aller und der Emanzipation des Individuums zu dienen hat, sondern in der Wissen ein marktfähiges Gut ist, das als Standortfaktor im globalisierten Wettbewerb möglichst flexibel eingesetzt werden kann. Bacons Satz „Wissen ist Macht“ 55 ist abzuändern: „Wissen ist ökonomische Macht“. Kriege zwischen Demokratien finden heute auf den Weltmärkten statt. 56 Nach dem Ende des Kalten Krieges steht die ökonomische Dimension des Wissens im globalisierten Wettbewerb im Vordergrund. Die Wissensgesellschaft ist vorrangig eine Wissensökonomie, denn Wissen ist Kapital. 57 2. Eine neue Leitwissenschaft: die Biowissenschaften Der damalige Präsident der DFG, Markl, rief das Jahr 2001 zum Jahr der „Lebenswissenschaften“ aus und erläuterte: „Selten haben Biologen und Mediziner so viel Neues über die Grundlagen des Lebens und über unsere Möglichkeiten, solches Wissen anzuwenden, gelernt.“ 58 Die breite Öffentlichkeit habe Notiz davon genommen, „dass so viel Neues und Unverstandenes die ureigensten Pri-
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Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management (2001), S. 206, 228. Siehe den Titel von Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management, Ansätze und Strategien zur Unternehmensführung in der Internet-Ökonomie (2001). 54 Vgl. Bundesbericht Forschung 2004, S. III: „Wissenschaft ( . . . ) bildet die hoch qualifizierten Arbeitskräfte der Wissensgesellschaft aus. Die Studierenden von heute sind die Fachkräfte von morgen. Nur Länder, die ausreichend Hochqualifizierte ausbilden und für ausländische Fachkräfte attraktiv sind, können im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen.“ 55 Siehe oben Zweites Kapitel, C. IV. 1. a) cc). 56 Empirische Untersuchungen sollen ergeben haben, dass Demokratien seit 1816 noch nie Krieg miteinander geführt hätten, was die Thesen Immanuel Kants in „Zum ewigen Frieden“ (1795), in: Werke, Bd. VI, (1998), BA 3, 4 ff. (S. 195 ff.) stützen würde; gegen solche oder andere Pauschalisierungen und stattdessen auf weitere komplexe Faktoren hinweisend: Kley, Der Friede unter den Demokratien (1999), insb. S. 13 ff., 159 ff. 57 Siehe hierzu Sursock, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/2004, 41 ff. 58 Markl, in: Geyer, Biopolitik (2001), S. 177 (178) mit dem Hinweis, dass der Begriff „Lebenswissenschaften“ aus der Übersetzung des englischen „Life sciences“ entstand. 53
A. Die Gegenwart der Forschung
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vatentscheidungen, von Essenswahl bis Kinderwunsch, von Lebensversicherung bis Arbeitsplatz betrifft“. Biologie und Biotechnologie gäben dem Menschen Werkzeuge an die Hand, mit denen eine praktisch unbegrenzte Kontrolle über Lebensprozesse gewonnen werden könne. 59 Deshalb sprechen manche biotechnologischen Forscher vom „Jahrhundert des Gens“ 60 oder gar vom „Zeitalter biologischer Kontrolle“, das die nächsten 500 Jahre prägen werde. 61 Auch von der „Diktatur der Gene“ ist die Rede. 62 In der Politik wird den „Biowissenschaften“ 63 höchste Priorität eingeräumt: „Die Biowissenschaften bieten die Chance, zur Lösung zahlreicher globaler Probleme im Zusammenhang mit Gesundheit, Alter, Ernährung und Umwelt sowie nachhaltiger Entwicklung beizutragen. Die Bio- und Gentechnologie ist eine Leittechnologie der nächsten Jahrzehnte mit sehr breiten Anwendungsmöglichkeiten in der Genom- und Proteomforschung, Bioinformatik, Pharmazie und Medizin, in Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung und Umweltschutz.“ 64
Während früher die Theologie und später die Philosophie Antworten auf die Sinnfragen des Menschen zu finden versuchten, sind es heute neben der Physik die moderne Biologie, Chemie, Biochemie, Neurologie, Neuropathologie, Molekularbiologie und Psychologie, die das „Woher“ und das „Wohin“ des Menschen scheinbar erklären können. Die alte Einteilung der Welt in objektiven Ablauf von Raum und Zeit auf der einen und menschlicher Seele auf der anderen Seite, in der sich dieser Ablauf spiegelt, scheint obsolet geworden zu sein. 65 Die Identität des Menschen ist von seinen Genen abhängig, seine Gefühle und sein soziales Verhalten werden auf neurologische Abläufe des menschlichen Gehirns und Vegetativsystems reduziert. 66 Je genauer das Verständnis der Abläufe durch (bildgebende) Analysemöglichkeiten und Gerätemedizin fortschreitet, desto größer sind auch die Möglichkeiten, in diese Abläufe einzugreifen. Ob genetisch gesunde Kinder, geklonte Ersatzorgane, krankheitsresistentes Nutzvieh, Artenschutz, Abbau von Schadstoffen, „Antimatschtomaten“ oder die Gentherapie
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Markl, in: Geyer, Biopolitik (2001), S. 177 (178). Vgl. Keller, Das Jahrhundert des Gens (2001). 61 Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly (2001), S. 327. 62 Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (61). 63 Zum Begriff siehe Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60. 64 Aus einem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 11. 02. 2003, BT-Drs. 15/ 423, S. 1 [Hervorh. d. Verf.]. 65 Vgl. hierzu Marcuse, Eindimensionaler Mensch (1964/1998), S. 167. 66 So erklären Neurowissenschaftler, sie könnten Freiheit und Verantwortung in menschlichen Gehirnen nicht auffinden. Soziobiologische Erklärungen menschlichen Verhaltens gewinnen eine erstaunliche Popularität, so Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 205 f. 60
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
gegen Schizophrenie – für viele Probleme des menschlichen Daseins scheinen die Biowissenschaften eine Lösung oder zumindest eine Antwort parat zu haben. 67 Zwei wesentliche Kennzeichen der Biowissenschaften sind hierbei von Interesse: Zum einen ihre Verzahnung mit der Technik und die daraus entstehenden Risiken; zum anderen führt, wie schon gezeigt, die Technologisierung dieser Wissenschaften zu hohen Investitionen. Verschärft durch kostenintensive technische Absicherungen, häufig aufgrund von Sicherheitsvorschriften, resultieren hieraus hohe kommerzielle Gewinnerwartungen und Risiken, die diese Wissenschaften in starkem Maße ökonomisieren. 68 Es scheint keinen Lebensbereich zu geben, der nicht von den neuen Erkenntnissen berührt wird. Ebenso ist das Recht vor die Aufgabe gestellt, diesen Veränderungen Rechnung zu tragen. Ob im Arbeits- und Versicherungsrecht, im Medizinrecht oder im Gefahrenabwehrrecht, das Recht hinkt hier ebenso der technologischen Entwicklung hinterher, wie es im Bereich digitaler Technologien der Fall ist. 69 Wenn hier mit der These einer neuen Leitwissenschaft der Eindruck erweckt wird, es gebe mit der Biologie nur eine neue Leitwissenschaft, 70 dann ist das nicht ganz richtig. Die Bio- (oder Lebens-)wissenschaften sind eine der drei Leitwissenschaften der neuen „Wissensgesellschaft“. Untrennbar mit den Biowissenschaften verbunden ist die Ingenieurswissenschaft, was bereits im Begriff „Bio- und Gentechnik“ erkennbar wird. Die Biowissenschaften sind nicht nur von technischen Gerätschaften abhängig, sondern zugleich werden ihre Erkenntnisse ingenieurswissenschaftlich zu anwendbarer Technik verarbeitet. Darüber hinaus kommen insbesondere digitale Technologien in allen anderen – auch geisteswis-
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Siehe Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly (2001), S. 301 ff.; als „Retortenträume“ von Geisler, in: Schell/Seltz, Inszenierungen (2000), S. 132 (133 f.) bezeichnet. 68 Vgl. Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 189 ff.; in Technology Review, 04/2005, 42 wird von einem Fall berichtet, der typisch für die Sozialisierung von Kosten und die Privatisierung von Gewinnen ist: Ein Hochschulforscher erforscht mit staatlichen Mitteln eine bestimmte DNA-Eigenschaft, die er patentieren lässt [vgl. § 42 ArbEG a. F., siehe unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) cc)]. Das Patent veräußert er an ein Unternehmen, das es für Gentests nutzt. Es schließt mit dem Forscher einen hochdotierten Beratervertrag. Das Unternehmen wirbt massiv für seine Gentests und erhält vom Bundesministerium für Bildung und Forschung Fördergelder. 69 Bereits 1978 und 1980 gab es erste Gesetzentwürfe für eine Regulierung der Gentechnik, die jedoch unter dem Druck von Industrie und Wissenschaftsverbänden wieder zurückgezogen wurden. Das jetzt geltende GenTG wurde erst 1990 auf Grund einer EG-Richtlinie (und nach der umstrittenen Entscheidung des VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff. = NVwZ 1990, 276 ff.) erlassen; zur Entwicklung bis 1996 siehe: Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 164 ff.; zur Entwicklung bis 2003: Lege, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 669 (683 ff.). Zur letzten Novellierung (Gesetz vom 21. 12. 2004, BGBl. I 186) siehe Palme, UPR 2005, 164 ff. 70 Vgl. Waechter, Der Staat 1991, 19 (21).
A. Die Gegenwart der Forschung
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senschaftlichen – Wissenschaftsbereichen zum Einsatz und revolutionieren dort die Methoden zum Teil erheblich. 71 Komplementär zum Lebensbereich Forschung hinzutretend ist als weitere Leitwissenschaft die Wirtschaftswissenschaft, vor allem in Form der Betriebswirtschaftswissenschaft, zu nennen. Ausgehend von der Knappheit der meisten Güter, die daher von den Akteuren bewirtschaftet werden müssen, beschreibt sie die ökonomischen Funktionen eines Betriebes innerhalb gegebener Rahmenbedingungen. Dazu gehört vor allem die optimale Organisation der Produktionsfaktoren. Jede Organisation und jeder Haushalt, ja sogar der Staat, kann als Betrieb gesehen werden, der seine Effizienz zu maximieren hat, wobei der Maßstab für Effizienz ökonomischer Erfolg ist. Die Betriebswirtschaftslehre ist daher eine Disziplin, der mittlerweile nicht nur ein Alleinvertretungsanspruch in Sachen „erklären, was Sache ist“ zuzukommen scheint, 72 sondern die auch das gesellschaftliche Menschenbild prägt. 73 Betriebswirtschaftliche Grundsätze prägen das „Management“ von Organisationen jeder Art. Dies gilt nicht nur für die Organisation staatlicher Aufgaben, sondern auch für die Organisation und den Betrieb von Wissenschaft. 74 Ökonomische Regulative und Leitbilder dominieren auch die gesellschaftliche Regulierung der Bio- und Gentechnik. 75 Darüber hinaus finden die Prinzipien von Kostenminimierung und Gewinnmaximierung mittlerweile auch in der Rechtswissenschaft als „Ökonomische Analyse des Rechts“ Anwendung. 76 3. Die Janusköpfigkeit wissenschaftlich-technischer Entwicklung a) Die Ambivalenz von Forschung Jede Anwendung von Forschungsergebnissen kann Nutzen wie Probleme mit sich bringen und hat ambivalenten Charakter, 77 auch wenn dieser zum Zeitpunkt seiner Entstehung nicht erkennbar ist. Obwohl jede technische Erfindung und 71 Zur Bedeutung der Computerwissenschaften und zu den von ihnen verursachten Bewusstseinsänderungen vgl. Geisler, in: Schell/Seltz, Inszenierungen (2000), S. 132 (137). 72 Vgl. Vossenkuhl, Forschung & Lehre 4/2005, 190 (191). 73 So etwa, wenn der Mensch in seiner Beziehung zu seiner Umwelt als eigennutzenmaximierender Homo oeconomicus beurteilt wird, vgl. Engländer, JuS 2002, 535 (536 f.). 74 Siehe unten Viertes Kapitel, A. II. 2. 75 Vgl. Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 189 ff. 76 Vgl. Salje, Technikrecht und Ökonomische Analyse, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 74 ff. m. w. N. in Anm. 7; siehe hierzu auch den Tagungsband „Recht und Ökonomik“ der 44. Assistententagung Öffentliches Recht (München 2004). 77 Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 100; Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 129 ff.; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 21 ff.;
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
jeder wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt seit jeher von kontroversen Reaktionen begleitet war, 78 ist heute bei der Bewertung der gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlich-technologischer Entwicklung eine Akzentverschiebung fort von der Lösung existierender Probleme hin zur möglichen Reduktion oder Prävention nicht gewollter Folgen zu beobachten. 79 Denn die Geschichte der Forschung ist zugleich eine Geschichte ihrer Irrtümer. Aber in einer technisierten Welt kann sich das Schadenspotential, das aus falschem Vertrauen in eine in Wirklichkeit fehlbare Wissenschaft erwächst, in ungeahnte Höhen steigern. 80 Forschung bedeutet heute „Handeln mit Drittbetroffenheit“, 81 wissenschaftlicher Irrtum kann teuer werden. aa) Forschung und Risikogesellschaft Die beschleunigte Zunahme des Wissens in der Bio- und Gentechnik führt zu einer Beschleunigung der Handlungsmöglichkeiten und -optionen, da Wissen Handlungskapazitäten oder Modelle für die Wirklichkeit repräsentiert. 82 Je größer hierbei die technischen Möglichkeiten sind, desto bedeutender und aufwändiger wird der Erkenntnisgewinn durch experimentelle Forschung. Die Herrschaft des Menschen über die Natur führt zu systematischen experimentellen Eingriffen in spontan ablaufende Naturprozesse, die dann durch mathematische Theorien beschrieben und in der technischen Praxis für menschliche Zwecke nutzbar gemacht werden können. 83 Dabei wird die Vorstellung von der Neutralität der Naturwissenschaften auch auf die Technik ausgedehnt. Die Maschine ist in der Tat indifferent gegenüber den gesellschaftlichen Anwendungen. 84 Andererseits werden Mensch, Gesellschaft und Natur durch sie in gewisser Weise zum Labor. Zugleich wird damit einhergehend die „freiheitsbedrohende Tendenz des technischen Fortschritts“ beklagt. 85
Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 1 ff., mit Beispielsfällen ders., a. a. O., auf S. 5 ff. 78 So waren im 19. Jh. die Risiken der Dampfkesseltechnologie noch nicht in vollem Umfang bekannt (Nicklisch, NJW 1986, 2287 f.), ebenso wie im 20. Jh. die Risiken radioaktiver Strahlung; siehe auch die Beispiele bei Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 130 ff. Man denke in diesem Zusammenhang z. B. an die Einführung der Eisenbahn ab 1835. Es wurde befürchtet, die „hohen“ Geschwindigkeiten von max. 40 km/h machten Passagiere und das Vieh an den Strecken krank oder verrückt. 79 Stehr, Wissenspolitik (2003), S. 109. 80 Vgl. mit Beispielen: Heldrich, Freiheit zum Irrtum? (1987), S. 11 ff. 81 Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 3. 82 So die Definition für „Wissen“ von Stehr, Wissenspolitik (2003), S. 31 ff. 83 Rapp, in: Lenk/Ropohl, Technik und Ethik (1993), S. 31 (39). 84 Marcuse, Eindimensionaler Mensch (1964/1998), S. 169. 85 So z. B. von Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 ff.
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Im Gegensatz zur klassischen Industriegesellschaft erweisen sich Forschung und Technik heute als Produzenten von Gefahren – und machen diese erst sichtbar. 86 Hochtechnologien wie die Atomtechnik sind mit einem hohen Katastrophenpotential belastet. Gleiches soll auch für die Bio- und Gentechnik gelten. 87 Bei Störfällen und unbeabsichtigten Ereignissen stehen Schäden in keinem Verhältnis zum Nutzen. Die Struktur solcher Technologien weist eine derart hohe Komplexität auf, dass Unglücksfälle nur noch unwahrscheinlich gemacht, aber nicht mehr ausgeschlossen werden können. 88 Hinzu kommt eine spezifische Gefahr von Hochtechnologien: Je größer der Aufwand für Forschung, Anwendung und Vermarktung ist, desto größer ist die Gefahr der Bagatellisierung der Risiken und der Überzeichnung der segensreichen Wirkungen des Erkenntnisfortschritts. 89 Angesichts von Missbrauchsgefahren und negativen Folgelasten für die Gesellschaft können diese „segensreichen Wirkungen“ daher nicht mehr umstandslos mit technisch-wissenschaftlichem Fortschritt, jedenfalls nicht immer mit sozialem und ökonomischem Fortschritt gleichgesetzt werden. Ulrich Beck hat hierfür Mitte der 1980er Jahre den Begriff der „Risikogesellschaft“ geprägt, 90 in der die Unumkehrbarkeit technologischer Entwicklung häufig erst zeitversetzt zu erkennbaren oder eintretenden Risiken für Mensch und Umwelt führt. Deren Bewältigung ist dann entweder irreversibel, oder die Abwehr und Beseitigung hat Kosten zur Folge, die den gewonnenen Fortschritt nicht mehr als offensichtlich erscheinen lassen. Über gestiegene Laborrisiken hinaus kann der Forschungsprozess selbst zur Gefahr für Rechtsgüter wie Leib und Leben werden. Die Sorge, neues Wissen könne der Gesellschaft schaden, indem Vorteile und Chancen ungleich verteilt und neue Ungewissheiten geschaffen werden, ist hierbei keineswegs unbegründet. 91 Es heißt, die Forschungs- und Technikentwicklung werde mehr und mehr zu einem von gesellschaftlichen Bedarfslagen und Nützlichkeiten tendenziell abgekoppelten Selbstläufer der internationalen Konkurrenz. 92 Auch weniger skeptische Stimmen stellen fest, dass dem raschen Voranschreiten von Wissenschaft und Technik „unzweifelhaft“ eine Zunahme der Risiken beiwohne. Der Einfluss von Wissenschaft und Forschung auf Wirtschaft und Gesellschaft habe sich ex86
Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 134, 136. Was freilich bestritten wird, vgl. Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (181 f.). 88 Stehr, Wissenspolitik (2003), S. 268. 89 Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 187. 90 Beck, Risikogesellschaft: auf dem Weg in eine andere Moderne (1986). 91 Siehe die Beispiele bei Stehr, Wissenspolitik (2003), S. 119 f.; ebenfalls ausführlich zu diesem Komplex: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 129 ff. 92 So – hinsichtlich der Entwicklung der Bio- und Gentechnik – die These von Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 197. 87
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ponentiell verstärkt. Inhalt, Folgen und Grenzen von Wissenschaft und Technik seien daher auch unter rechtlichen, speziell unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (neu) zu bewerten. 93 Vierhundert Jahre nach Bacon bröckelt das einstige Vertrauen in die Macht des Wissens. bb) Gefahr und Risiko Während im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich „Risiko“ als das mathematische Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß betrachtet wird, bedeutet genau dies im Gefahrenabwehrrecht „Gefahr“, 94 während „Risiko“ ein aliud oder minus zur Gefahr ist. Nach überwiegender Ansicht erfasst Risiko den Bereich unterhalb der Gefahrenschwelle, nämlich die Gefahr einer Fehleinschätzung der Gefahr. 95 Nun bringt Forschung, die sich der Technik bedient, ebenso Risiken mit sich wie die Nutzung der Technik selbst. Angesichts neuer Technologien ergeben sich neue Risiken aus der Erkenntnis, dass ein bestimmtes Handeln im Hinblick auf die Gefahren, die es mit sich bringt oder mit sich bringen kann, neu bewertet werden muss. 96 So ist die Gefahr (d. h. „Risiko“), beim Klonen von Menschen oder Tieren erfolglos zu bleiben oder Missbildungen hervorzurufen, durchaus bestimmbar. 97 Nicht mehr bestimmbar ist aber das Risiko, das eine Gesellschaft erwartet, die das reproduktive Klonen von Menschen zulässt. Bei der Atomtechnik hat das BVerfG eine Dreiteilung vorgenommen: Gefahr, Risiko, Restrisiko. 98 Während die Gefahr den Staat im Rahmen seiner Schutzpflicht zur Vermeidung von Grundrechtsverletzungen verpflichtet, reicht für Risiken
93 H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1241 f.) unter Betonung der Chancen, die ebenfalls zugenommen hätten. Die anfangs (a. a. O., 1235) selbst geforderte verfassungsrechtliche Neubewertung unterlässt Wagner jedoch im Folgenden, sondern verleiht seiner Überzeugung Ausdruck, man müsse auf die Selbstkontrolle des wissenschaftlichen Marktes vertrauen. 94 Vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 1 SOG M-V: Gefahr ist eine Sachlage, bei der ein schädigendes Ereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten wird. 95 Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (174 f.). 96 Vgl. Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (176 f.) m. w. N.; Lege selbst definiert Risiko als „Wert einer Handlung angesichts einer Gefahr“. 97 „Dolly“ war der einzige Erfolg unter 277 rekonstruierten Embryonen. Nach der Geburt sterben geklonte Nachkommen dreimal so oft wie Jungtiere, und das Risiko von Missbildungen ist hoch. Hinzu kommt eine Reihe noch ungeklärter Probleme. Übertragen auf den Menschen ist ein ähnliches Risiko zu erwarten (Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly [2001], S. 358 ff.). Zu den Risiken in der Gentechnik aus naturwissenschaftlicher Sicht siehe Weisshaar, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23 – 24/2004, 3 ff. 98 So Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (179) m. w. N.; vgl. hierzu BVerfGE 49, 89 (124 ff., 140 ff.) – Kalkar.
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eine Vorsorge aus. Verbleibt trotz aller Risikovorsorge ein „Restrisiko“, d. h. die Wahrscheinlichkeit eines Schadens, der trotz aller denkbaren Vorsorgemaßnahmen nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist, ist dies als sozialadäquate Last von der Gesellschaft zu tragen (die gleichzeitig auch die Vorteile des technischen Fortschritts genießt). 99 Bei der Gentechnik umfasst dagegen die Gefahrenabwehr auch die Risikovorsorge (vgl. § 1 GenTG, § 8 GenTG). 100 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Gentechnik ein technikspezifisches „Basisrisiko“ zukommt. Das ist zwar naturwissenschaftlich nicht unumstritten, das zusätzliche Risiko dieses Nichtwissens bzw. unzureichenden Wissens, ob gentechnisch veränderte Organismen überhaupt Schäden verursachen können, betrachtet das Recht aber als Gefahr. Gerade weil es der Gesellschaft an nachvollziehbarem Wissen über gentechnische Risiken vor allem außerhalb geschützter Räume fehlt, rechnet das Gentechnikgesetz dieses „Basisrisiko“ demjenigen zu, der trotz Nichtwissens gentechnisch handelt. 101 cc) Das Problem des Nichtwissens Eine Steigerung nicht nur in quantitativer, sondern auch qualitativer Hinsicht gegenüber dem (Rest-)Risiko stellt das Nichtwissen dar. Die Dynamik der Wissensgesellschaft führt nicht nur zu einer Explosion des Wissens bei den gesellschaftlichen Akteuren, sondern zugleich zu einer Explosion des Nichtwissens als 99 BVerfGE 49, 89 (137 f., 141 f., 143) – Kalkar; siehe auch Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (519 f.); Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (91) nennt es „Gebrauchsrisiko“ und weist a. a. O. in Anm. 17 auf die kaum noch überschaubare Literatur zur Problematik des Restrisikos und der Risikoabschätzung hin. Für Grunwald, in: Winkler, FS Meusel (1997), S. 47 (49) ist spätestens mit Tschernobyl deutlich geworden, dass das atomare Restrisiko rational nicht zu fassen ist und dass das Recht mit der Aufgabe überfordert ist, das Restrisiko in abstrakte juristische Formeln zu fassen und damit beherrschbar zu machen. 100 Vgl. zum Vorsorgegrundsatz Schröder, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 203 ff.; zum Vorsorgegrundsatz im Atomrecht ders., a. a. O., S. 196 ff.; zum Gentechnikrecht a. a. O., S. 200 ff., im Immissionsschutzrecht (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) a. a. O., S. 203 ff.; ebenfalls zum Immissionsschutzrecht Nicklisch, NJW 1986, 2287 (2290). 101 Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (181 f.). H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1241) hält die Regelungen im GenTG für einen unzulässigen Eingriff in die Forschungsfreiheit, da sich in der Gentechnik die Annahme eines Basisrisikos nicht bestätigt habe. Dies gelte insb. für Anlagen nach Sicherheitsstufe 1 (§ 8 Abs. 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 GenTG). Da ein Risiko bei derartigen Anlagen „nach dem Stand der Wissenschaft“ nicht bestünde, sei eine Anmeldepflicht unverhältnismäßig. Dieses Argument Wagners geht aber schon deshalb fehl, da die Behörde prüfen können muss, ob es sich überhaupt um eine Anlage der Sicherheitsstufe 1 handelt, d. h. ob bei den konkreten dort durchgeführten gentechnischen Arbeiten „nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist“ (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 GenTG).
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negativem Spiegel des positiven Wissens. Dies gilt nicht nur für Politik und Staat, sondern auch für die Wissenschaft. 102 Beim Nichtwissen noch unbekannter und ungeahnter Risiken handelt es sich positiv gesehen – im Sinne Poppers 103 – um eine Hypothese über die Nicht-Existenz negativer Folgen, also um eine Hypothese, deren Falsifizierbarkeit schon am Aufmerksamkeits- oder Zeithorizont scheitert und die sich sich rationaler Entscheidung daher entzieht. Resultat ist das Problem, dass derart ungeahnte Folgen nicht mehr oder nicht vollständig korrigiert werden können. 104 Als Beispiel mag die Verwendung von FCKW dienen, eine Chemikalie, die jahrzehntelang als völlig „sicher“ galt – niemand kam auch nur auf die Idee, dass sie irgendeine Wirkung auf die Stratosphäre haben könnte. 105 Besonders stark ist die Auseinandersetzung um die grüne Gentechnik von der Frage nach dem Umgang mit dem Nichtwissen geprägt. Zwar sind wesentliche Risikodimensionen (zum Beispiel Auskreuzungen, unerwünschte Resistenzen, toxische Wirkungen) durchaus bekannt, der Forschungsstand zu den jeweiligen Risikopotentialen, d. h. dem Maß des Risikos von Risiken, wird jedoch kontrovers beurteilt. 106 Der erfahrungsbasierte Vorsorgegrundsatz, nach dem die Vorsorge proportional „nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotential“ entsprechen muss, hilft bei ungewissen Risiken nicht weiter. Hier versucht man auf rechtlicher Ebene durch eine „ungewissheitsbasierte Vorsorge“ mit Nachzulassungsund Nach-Inverkehrbringungs-Monitoring „Schritt-für-Schritt“ zu Prognosen und Hypothesen über etwaige negative Effekte zu kommen. 107 Man kann diese Art der Vorsorge – will man solche Technologien nicht vollständig verbieten – auch „Versuch und Irrtum“ auf Kosten der Allgemeinheit nennen. So wird denn auch kritisiert, dass das Programm einer gezielten Suche nach dem Unbekannten und Ungeahnten komplex und lückenhaft ist und es letztlich paradox bleibt, wenn sich Gesellschaften mit der grünen Gentechnik auf ein Real-Experiment unter Nichtwissens-Bedingungen einlassen, um den Fortschritt von Wissenschaft und Technik nicht (entscheidend) zu behindern und wirtschaftliche Macht nicht zu beschränken. 108
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Wehling, in: Collin/Horstmann, Wissen des Staates (2004), S. 311. Siehe zu Popper m. w. N. Zweites Kapitel, C. II. 1. a) cc). 104 Ganz im Sinne der Wissenschaft als Stand des letztmöglichen Irrtums; vgl. hierzu Wehling, in: Collin/Horstmann, Wissen des Staates (2004), S. 321 f. 105 Vgl. Prause/Randow, Der Teufel in der Wissenschaft (1989), S. 291 ff. 106 Damit versagt auch eine mittelbare Prävention durch Haftung, weil das Verschulden fehlt und Kausalität nicht nachweisbar ist, vgl. Nicklisch, NJW 1986, 2287 (2288 f., 2290). 107 Vgl. §§ 6; 19 S. 3; 21; 28 ff. GenTG (i. d. F. vom 16. 12. 1993 BGBl. I 2066; zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. 12. 2004, BGBl. I 186). 108 So völlig zu Recht Wehling, in: Collin/Horstmann, Wissen des Staates (2004), S. 326 ff.; vgl. auch Nicklisch, NJW 1986, 2287 (2289). 103
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dd) Das Risiko der Macht des Geldes Forschungsergebnisse und ihre technologische Umsetzung führen zu einer ökonomischen Eigendynamik von Verwertungsinteressen, die nicht nur die jeweilige Forschungsstruktur ändern, sondern auch zu zusätzlichen Risiken führen. Laufs spricht von „naturwissenschaftlich-merkantilen Prozessen“, denen der Staat ohnmächtig gegenüberstehe. 109 Ursache hierfür ist wirtschaftliche Macht. Risiken entstehen nicht nur, indem aus wirtschaftlichen Gründen in risikoträchtigen Bereichen geforscht wird, sondern auch, indem Gefahren und Risiken verschleiert oder durch falsche oder unterlassene Angaben geschaffen werden. 110 Im Pharmabereich können beispielsweise aus Kostengründen kaum noch unabhängige klinische Arzneimittelstudien durchgeführt werden, die „gesponserte“ Studien nachprüfen. 111 Es wird von führenden Gesundheitsforschern in Deutschland berichtet, die sich von der Tabakindustrie mit hohen Summen unter der inoffiziellen Auflage finanzieren ließen, bei ihren Studien die Gefahren des Tabakkonsums herunterzuspielen. 112 Die Europäische Kommission soll vor der Währungsunion mit Wissenschaftlern Verträge abgeschlossen haben, die diese daran hindern sollten, negative Erkenntnisse über den Euro zu publizieren. 113 Nicht zuletzt haben im Jahr 2005 die umfassend gefälschten Stammzellforschungserfolge des Südkoreaners Hwang international für Aufsehen gesorgt. 114 In der Biomedizin sollen Manipulationen sogar besonders häufig vorkommen, da Forschungsergebnisse sehr spezifisch seien und deshalb nur sehr schwer nachzuprüfen sein sollen. 115 Eine 2005 erschiene Studie des Fachblattes „Nature“ in den USA hat ergeben, dass 15 Prozent der befragten Wissenschaftler den Aufbau, die Methodologie oder die Ergebnisse einer Studie verändert hätten, weil sie von ihren Geldgebern unter Druck gesetzt worden seien. Ursache dafür ist, so „Nature“, der harte Wettbewerb 109
Laufs, Fortpflanzungsmedizingesetz (2003), S. 12. Vgl. Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 187. Innovationen unterliegen weitgehend den Eigendynamiken internationaler Konkurrenz und unternehmerischer Verwertungsstrategien. Angesichts des hohen Risikopotentials der Bio- und Gentechnik ist dies bedenklich (ders., a. a. O., S. 197 f.); siehe auch H. Hesse, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 7, 13; Schulte, VVDStRL 65 (2006), 110 (137 f.). 111 Hingegen ist mit der 12. Novelle des AMG in §§ 40 ff. AMG statt des ärztlichen Leiters einer Arzneimittelstudie der „Sponsor“ („Person, Unternehmen, Institution oder Organisation, die bzw. das die Verantwortung für die Einleitung, das Management und/ oder die Finanzierung einer klinischen Prüfung übernimmt“) in den Vordergrund gerückt worden; siehe hierzu kritisch Laufs, MedR 2004, 583 (586 f.). 112 Der Spiegel 49/2005, S. 48 ff. Hier kann man nicht mehr von wissenschaftlicher Forschung sprechen, da die Ergebnisoffenheit fehlt. 113 Nach Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (508). 114 Süddeutsche Zeitung vom 24. 12. 2005, S. 1; Die Zeit vom 21. 12. 2005, S. 31 f. 115 Die Zeit vom 21. 12. 2005, S. 31 f. 110
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und die strenge Regulierung, der Wissenschaftler heutzutage ausgesetzt sind. Hinzu kommen gesellschaftlicher Druck und immer höhere Anforderungen aus den Chefetagen von Unternehmen. 116 Man geht beispielsweise davon aus, dass die weltweiten Umsätze für Biopharmazeutika von 43 Mrd. US-Dollar im Jahr 2002 auf 95 Mrd. US-Dollar im Jahr 2007 ansteigen werden. 117 Entfalten Marktkräfte derart ihre Wirkung, können auch Verbote gefährliche und riskante Forschung nicht verhindern, sofern diese nur kommerziell attraktiv genug ist. Für manche Forscher ist deshalb die reproduktive Klonierung eines Menschen nur noch eine Frage der Zeit. 118 b) Ambivalenz der Forschungsfreiheit Die Ambivalenz der Forschung führt zur Ambivalenz der Forschungsfreiheit als Grundrecht. Denn an die Stelle des Glaubens, dass Wissenschaft aufgrund ihrer eigengesetzlichen Entwicklung immer weitere Erkenntnishorizonte erschließen werde und dem Fortschritt der Menschheit diene, tritt Skepsis gegenüber der Freiheit einer kommerziell ausgerichteten Forschung, die sich unbeschränkt technischer Mittel bedient. Hieraus resultiert das Bestreben nach einer intensiveren Begrenzung und Steuerung der technischen Forschung. 119 Grundsätzlich ist jede Ausübung eines Freiheitsrechts ambivalent und führt immer zu Konflikten mit der Freiheit Anderer. Denn Freiheit kann immer mit der Freiheit des Anderen kollidieren, d. h. kann den Anderen in seiner Freiheit beeinträchtigen. Kant definiert „Recht“ folglich als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür 120 des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ 121. Somit muss rechtlich gewährleistete Freiheitsausübung dort enden, wo Rechte Anderer stärker sind. Aufgabe der gesetzlichen Begrenzungen von Grundrechten ist es nun, die durch die Freiheitsrechte gewährleisteten Lebensbereiche einander zuzuordnen. Dies führt zum Problem mehrdimensionaler Freiheitskonflikte, die der Staat durch seine Regelungen einer Lösung zuführen muss. Die grundrechtliche Be-
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Nature, Vol 435, 9 June 2005, S. 718 f.; Schulte, VVDStRL 65 (2006), 110 (137). Insgesamt gab rund ein Drittel der Forscher zu, schon einmal Forschungsergebnisse manipuliert zu haben. 117 Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung in Deutschland vom 31. 01. 2005, BT-Drs. 15/4793, S. 95. 118 Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly (2001), S. 360, 363. 119 Hailbronner, WissR 1980, 212. 120 „Willkür“ bedeutet hier „Handlungsfreiheit“ – d. Verf. 121 Kant, Einleitung in die Rechtslehre, § B; zit. nach Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (186, Anm. 32).
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wältigung mehrdimensionaler Freiheitsprobleme wird deshalb noch Gegenstand einer ausführlichen Erörterung im Vierten Kapitel sein. 122 c) Folge: Gesellschaftliches Kontrollbedürfnis Bereits in den 1960er und 1970er Jahren kehrte sich der bis dahin existierende Fortschrittsglaube um. 123 Wissenschaftsphilosophisch setzte Jonas Ende der 1970er Jahre gegen das „Prinzip Hoffnung“ Blochs 124 „Das Prinzip Verantwortung“. Mit ihm wendet sich Jonas gegen jede „quasi-utopische“ Heilsgewissheit der Technologie. Er will die Spaltung zwischen wertfreier Beschreibung (hier durch die Naturwissenschaft) und Handlungsanweisung (durch die Ethik) aufgehoben wissen. Jonas nimmt hierzu einen (natur-)metaphysischen Ausgangspunkt ein, der darin besteht, dass in allen Lebewesen eine achtenswerte Freiheit angelegt sein soll. 125 Jonas Position ist zwar für die meisten Naturwissenschaftler und Wissenschaftsphilosophen inakzeptabel, diese Ablehnung ändert jedoch nichts an der schon seit längerem „viel beschworenen Vertrauenskrise der Wissenschaft“. 126 Es heißt, die technische Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse vernichte Arbeitsplätze, bedrohe die Umwelt und mache den Menschen zum Objekt von Apparaturen: „Die Wissenschaft erscheint – teils in kommerzialisierten Sachzwängen gebunden, teils in Glasperlenspiele ihres Elfenbeinturms verstrickt – als den eigentlichen Menschheitsbedürfnissen entfremdet.“ 127 Forschung findet zumeist nicht mehr „wertfrei“ im freien Meinungsaustausch einsamer, neugieriger und wahrheitssuchender Forscher statt, sondern in einem von rivalisierenden Gruppen extrem polarisierten wirtschaftlichen Umfeld, das durch Geldmittel für finanziell immer aufwändigere Forschung Ziele vorgibt und aus Effizienz- und Steuerungsgründen eine Sicht auf das gerade Vorliegende und Kurzfristige verordnen kann. Gefragt ist der „erfinderische Zwerg“, 128 nicht die Erweiterung des Horizonts auf verantwortungsvolle Forschung, die ethische Konflikte zulässt und nicht versucht, ihnen aus dem Weg zu gehen. 129 122
Siehe hierzu ausführlich unten Viertes Kapitel, B. I. So auch die Beobachtung von Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 f., der hierin allerdings eine deutsche Besonderheit zu sehen glaubt. Man denke in diesem Zusammenhang an Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ (1962). 124 Bloch, Das Prinzip Hoffnung (1959); siehe auch Drittes Kapitel, A. I. 125 Zur Auffassung von Jonas vgl. Potthast, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 52 (60 f.). 126 So schon 1980 Hailbronner (ders., WissR 1980, 212). 127 Hailbronner, WissR 1980, 212. 128 Dürr, Hans-Peter, in: Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. IV (Vorwort). 123
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Unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Freiheit soll Kontrolle zuallererst durch die scientific community selbst erfolgen, sei es durch deren Methoden und ethische Grundsätze, mit denen an den Forscher appelliert und bestimmte Verhaltensweisen als unwissenschaftlich oder unethisch qualifiziert werden, sei es institutionell, etwa durch Ethik-Kommissionen und wissenschaftsinterne Überwachungsorganisationen („peer review“). 130 Hierfür sind jedoch Selbstkontrolle, Selbstbeschränkung und ein offener Diskurs erforderlich, doch all dies wird durch kommerzielle Sachzwänge oftmals verhindert. Versagt die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit, weil durch Ökonomisierung und Vernutzung die hierzu erforderliche Freiheit fehlt, ist die Forderung nach staatlicher Steuerung und Kontrolle die Konsequenz. Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten: Eine Steuerung, insbesondere die Stärkung oder Schwächung bestimmter Forschungsbereiche ist durch staatliche Forschungsförderung und -finanzierung möglich, auch private Investitionen können gefördert oder behindert werden. Die Veränderung von Verwertungsbedingungen, insbesondere im Patentrecht, kann ebenfalls eine Steuerung ermöglichen. 131 Eine präventive und repressive Regulierung kann vornehmlich im Technikrecht erfolgen, von Sicherheitsbestimmungen und Genehmigungsvoraussetzungen im Gentechnik- oder Arzneimittelrecht bis hin zum strafrechtlichen Verbot wie im Embryonenschutzgesetz. 132 Trotz staatlicher Regulierungsmacht führt freilich die technologische Entwicklung zusammen mit wirtschaftlicher Macht zu einem gewissen staatlichen Souveränitätsverlust, der sich in „Reparaturgesetzgebung“ manifestiert. 133 Forschung und Kommerz bilden anscheinend eine Phalanx, die dem Bedürfnis nach Schutz und Kontrolle nicht sehr aufgeschlossen gegenübersteht und den Chancen wissenschaftlich-technischer Entwicklung den Vorrang eingeräumt wissen will. 134
129 Vgl. Dürr, Hans-Peter, in: Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. IV (Vorwort). 130 Zu den verschiedenen möglichen Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten und deren Eingriffsintensität vgl. A. Blankenagel, in: Däubler-Gmelin/Adlerstein, Menschengerecht (1986), S. 122 (139). 131 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) dd) (3). 132 Vgl. Hailbronner WissR 1980, 212 (213). 133 So Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (93): Die politische Ordnungs- und Gestaltungsmacht des Staates habe zugunsten der Träger und Promotoren des technischen Fortschritts abgedankt. 134 Siehe Laufs, MedR 2004, 583 (586): Dem europäischen Richtlinienrecht liegen mit dem Binnenmarkt überindividuelle, utilitaristische Regelungskonzepte zugrunde, in denen subjektive Rechte nur als Reflex dieser Ziele bestehen.
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4. Forschung und Kommerz a) Forschungsfinanzierung Wenn es heißt, die Finanzierung von Wissenschaft habe hohe Steuerungsrelevanz, 135 lässt sich dies auch weniger dezent ausdrücken: „Wer zahlt, schafft an.“ 136 Die Bedeutung des „goldenen Zügels“ für die Forschung und ihre Ziele liegt auf der Hand. aa) Zahlen Betrachtet man die gesamten Wissenschaftsausgaben in der Bundesrepublik, die im Jahre 2002 rund 68 Mrd. € betrugen, so ist ein sinkender Anteil der Finanzierung durch die öffentlichen Haushalte und sonstigen Organisationen ohne Erwerbszweck (etwa DFG oder Max-Planck-Gesellschaft) zu erkennen. 137 Bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre machte sie noch über 50% der gesamten Wissenschaftsausgaben aus. Seitdem kehrt sich das Verhältnis um. Der Anteil des öffentlichen Sektors lag 2002 bei knapp 47%, der der Wirtschaft bei gut 53%. 138 Noch deutlicher ist die Entwicklung bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE), 139 die 2002 insgesamt 52 Mrd. € betrugen: Hier lag der Anteil der Wirtschaft mit 34,5 Mrd. € bei 68,5%. Er ist damit seit Mitte der 1990er Jahre stetig angestiegen (1996: 60,6%). Der Anteil des Hochschulsektors im Bereich FuE ist dagegen im gleichen Zeitraum deutlich gesunken (1996: 18,6%; 2002: 16,9%). Die Forschungsförderung des Bundes für die Wirtschaft erstreckte sich 2002 auf 2,3 Mrd. €. 140 Für die Forschungs- und Technologieförderung in den 135
Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 439; R. Dreier, DVBl. 1980, 471 weist auf die neuen Bedrohungen hin, die (bereits 1980) der Forschungsfreiheit durch die zunehmende Finanzabhängigkeit wissenschaftlicher Forschung entstanden seien. Zum damals noch restriktiv empfundenen „goldenen Zügel“ bei der Vergabe staatlicher Forschungsmittel vor Erlass des GenTG Hofmann, JZ 1986, 253 (256). 136 Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (120). 137 Die Wissenschaftsausgaben umfassen hier die Ausgaben für Forschung und (experimentelle) Entwicklung (FuE) sowie Ausgaben für wissenschaftliche Lehre und Ausbildung und sonstige verwandte wissenschaftliche und technologische Tätigkeiten (Bundesbericht Forschung 2004, S. 170). 138 Bundesbericht Forschung 2004, S. 173 f. 139 Aktivitäten in FuE umfassen nach internationalen Konventionen Forschungsarbeiten zur Gewinnung neuer wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse ohne Ausrichtung auf spezifische Verwendungsmöglichkeiten (Grundlagenforschung), Forschungsarbeiten mit direktem Bezug zu spezifischen Einsatzmöglichkeiten (angewandte Forschung) sowie die systematische Nutzung bekannter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Herstellung neuer Materialien, Produkte und Verfahren sowie deren wesentliche Verbesserung (experimentelle Entwicklung), so der Technologiebericht der Bundesregierung, BT-Drs. 15/5300, S. 39.
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„Lebenswissenschaften“ gibt der Bund jährlich (2004) rund 760 Mio. € aus, 141 das 2001 verabschiedete Rahmenprogramm „Biotechnologie“ sah bis zum Jahre 2005 770 Mio. € an Forschungsgeldern vor. 142 Die FuE-Ausgaben Deutschlands für die Biotechnologie lagen 2002 insgesamt bei 241,8 Mio. €. 143 Im Bereich des Hochschulsektors splitten sich die Ausgaben für FuE folgendermaßen auf: Naturwissenschaften 29,2 %, Medizin 25,1%, Ingenieurwissenschaften 19,7 %, Geistes- und Sozialwissenschaften 20,7% (2001). 144 Die öffentlichen Ausgaben der Länder für FuE (7,7 Mrd. € in 2001) hatten 2001 einen Anteil von 14,9% an den gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben Deutschlands. 1999 betrug er noch 15,9%. 145 Betrachtet man die längerfristige Entwicklung zwischen 1975 und 2002, so fällt gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) eine deutliche Schwächung der Finanzierung der Hochschulen und der Forschung auf: Zwar ist gemessen am Gesamtetat der Anteil der Ausgaben der öffentlichen Haushalte für Bildung, Wissenschaft und Forschung mit annähernd 19% gleich geblieben. 146 Der Anteil der Ausgaben der öffentlichen Haushalte für Bildung, Wissenschaft und Forschung 147 sank jedoch bis 2002 von 5,7% auf 4,5% des BIP. Der Anteil der öffentlichen Ausgaben für die Hochschulen sank von 1,08% (1975) auf 0,89% (2002) des BIP und die öffentlichen Ausgaben für Wissenschaft und Forschung außerhalb der Hochschulen von 0,50% (1975) auf 0,45% (2002) des BIP. 148 bb) Der Trend Bei der öffentlichen Forschungsfinanzierung geht der Trend weg von den Universitäten hin zu privater Forschung und weg von der Grundlagenforschung hin zur Zweckforschung. Die Forschungspolitik des Bundes ist darauf gerichtet, „zum 140 Bundesbericht Forschung 2004, S. 174 ff. In 2003 betrugen die Gesamtausgaben für FuE 53,3 Mrd. € (Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung vom 31. 01. 2005, BT-Drs. 15/4793, S. 4). 141 Bundesbericht Forschung 2004, S. 284. 142 Bundesbericht Forschung 2004, S. 283. 143 Bundesbericht Forschung 2004, S. 283. Zum Vergleich: Die FuE-Ausgaben für den gesamten Bereich der Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften betrugen 2002 nur wenig mehr: 264,6 Mio. €. 144 Bundesbericht Forschung 2004, S. 198. 145 Bundesbericht Forschung 2004, S. 193. 146 Bildungsfinanzbericht der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) 2002/03, Stand: Juli 2004, Heft 116 II, S. 44. 147 Dieser Posten enthält auch Ausgaben für Schulen und Jugendeinrichtungen, siehe BLK-Bildungsfinanzbericht 2002/03, Stand: Juli 2004, Heft 116 II, S. 42. 148 BLK-Bildungsfinanzbericht 2002/03, Stand: Juli 2004, Heft 116 II, S. 41 f.
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Erhalt und Ausbau der technologischen Leistungsfähigkeit der Wirtschaft beizutragen und ihre Profilbildung im globalen Wettbewerb zu unterstützen“ 149 und „eine Fokussierung der FuE-Förderung hat ( . . . ) vorrangig auf solche Technologieentwicklungen und Prozesse zu erfolgen, die eine besondere Hebelwirkung auf Wachstum und Beschäftigung entfalten.“ 150 Der Anteil der öffentlichen und privaten Ausgaben für FuE ist mit 2,5% des BIP zwar leicht gestiegen, jedoch im internationalen Vergleich zu niedrig. 3% werden von der OECD empfohlen und von der Bundesregierung angestrebt. 151 Biowissenschaften und -technologien werden hierbei besonders hervorgehoben. Die Bundesregierung brachte ein „Nationales Genomforschungsnetz“ auf den Weg und meinte hierzu: „Die enge Verzahnung von Medizin und Biotechnologie weist den Weg in die Zukunft.“ In der Förderung von Forschungsprojekten haben neue Verwaltungsrichtlinien hinsichtlich der Verwertung von geförderten Projektergebnissen einen Paradigmenwechsel vollzogen. Dem Empfänger von Forschungsförderungszuwendungen steht nun ein ausschließliches Nutzungsrecht an den Ergebnissen zu, der wirtschaftliche Gewinn aus der Verwertung verbleibt ihm in vollem Umfang. Die wirtschaftliche Verwertung muss er aber nach den neuen Förderrichtlinien nun auch vornehmen. 152 Am Rande aufschlussreich ist, wenn an den Hochschulen zwischen 2000 und 2003 entgegen dem allgemeinen Trend das Lehr- und Forschungspersonal in den technischen Fächern um 8 % (Drittmittelpersonal um 3%) gestiegen ist. 153 Bei der Aufteilung der Forschungsleistungen zwischen der Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen hat sich das Gewicht seit Mitte der 1990er Jahre – wie auch bereits zuvor in den 1980er Jahren – deutlich zugunsten der Wirtschaft verlagert. Während die Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen zwischen 1993 und 2002 keinen Personalzuwachs mehr erlebt haben, stieg die Beschäftigung in der Wirtschaft an. Mit dieser Verschiebung der Gewichte vom staatlichen Sektor hin zur Wirtschaft verlagert sich die Forschung von der Grundlagenforschung hin zur angewandten Forschung und experimentellen Entwicklung. Denn in der Wirtschaft werden 51% der Forschungsmittel für angewandte Forschung und gut 44% für experimentelle Entwicklung ausgegeben, hingegen nur 5% für Grundlagenforschung. 154 Seit Ende der 1980er Jahre passt sich die Wirtschaft auch immer stärker unter dem Gesichtspunkt kürzerfristiger Verwertung
149
Bundesbericht Forschung 2004, S. XIV. Bundesbericht Forschung 2004, S. XIV. 151 Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung vom 31. 01. 2005, BT-Drs. 15/ 4793, S. 4. 152 Bundesbericht Forschung 2004, S. 7; vgl. hierzu auch Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung vom 31. 01. 2005, BT-Drs. 15/4793, S. 87. 153 Technologiebericht der Bundesregierung vom 15. 04. 2005, BT-Drs. 15/5300, S. 78. 154 Bundesbericht Forschung 2004, S. 475. 150
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
den Markt- und Absatzerwartungen an, während antizyklische Zukunftsvorsorge, d. h. der Aufbau von Wissen auch in schlechten Zeiten, zurückgefahren wird. 155 Auch innerhalb der Wirtschaft gibt es einen Trend zu immer mehr „Outsourcing“: Forschungsaufträge werden an Dritte außerhalb der Unternehmen vergeben oder es wird mit diesen kooperiert. 156 Dies führt auch dazu, dass der „Wissensund Technologietransfer“ 157 (vgl. § 2 Abs. 7 HRG) zwischen Universitäten und Wirtschaft bzw. außeruniversitären Forschungseinrichtungen intensiviert wird, obwohl die Forschung an den Hochschulen mit einem Anteil von rund 17% an den gesamten FuE-Ausgaben nur untergeordnet vertreten ist. Mit Drittmitteln können staatliche Forschungsressourcen „angemietet“ werden, was sich auch in den Drittmitteleinnahmen der Universitäten widerspiegelt. 158 Im Übrigen ist Forschung, bei der noch individuell über Inhalt und Methoden bestimmt wird, bei den Geldgebern nicht gerne gesehen. Die Wissenschaftsförderung der Europäischen Union ist gänzlich auf Programmforschung ausgerichtet. Auch der DFG ist empfohlen worden, stärker als bisher auf strategische Planung zu setzen. Deren „Exzellenzprogramm“ folgt bereits dieser Maßgabe. 159 b) Ökonomisierung des Wissens Im Zeitalter der „Wissensgesellschaft“ bleibt paradoxerweise das „Wissen“ nicht mehr sich selbst oder freiem Zugang und Spiel überlassen, sondern es wird als Kapital und Ware 160 einer rigiden Ökonomie unterworfen, in der nur derjenige konkurrenzfähig bleibt, der Monopole auf spezifisches Wissen (genauer: auf die Nutzung und Vermarktung von zumeist technischem Wissen) sein Eigenen nennen kann. „Wissensgesellschaft“ ist also gerade nichts, was mit der Vorstellung einer „Autonomie“ des Wissens vereinbar wäre. Entscheidend sind vielmehr Postulate unmittelbarer Anwendbarkeit und Effizienz, deren Maßstäbe jedoch nicht vom Fortschritt des Wissens selbst gesteuert sind, sondern von den Anforderungen des Marktes. Nutzen und Nutzlosigkeit der Wissenschaften werden damit heteronom und nicht mehr autonom bestimmt. Dies schlägt sich in einer Marginalisierung der Philosophie und der Kunst nieder, während Biotechnik, Medizin, angewandte
155 Bundesbericht Forschung 2004, S. 476; vgl. auch Technologiebericht der Bundesregierung vom 15. 04. 2005, BT-Drs. 15/5300, S. 59 ff. 156 Bundesbericht Forschung 2004, S. 9. 157 Zum Begriff „Technologietransfer“: Püttner/Mittag, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 1611; Lux, Kooperation (2001), S. 77 ff. 158 Siehe hierzu unten Drittes Kapitel, A. IV. 5. c). 159 Langewiesche, FAZ vom 23. 06. 2005, S. 7. 160 Der Weg zum „geistigen Eigentum“ ist die Folge, siehe hierzu unten, Fünftes Kapitel, B. I.
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Chemie, Physik und Ingenieurswissenschaften als „Zukunfts-“ oder „Schlüsseltechnologien“ gehandelt und geadelt werden. 161 Zugleich erfolgt die Usurpation freier, zumeist staatlicher akademischer Forschung durch private Interessen. 162 Dies zeichnet sich auch im Diktat von Sprachregelungen der Bildungsbürokratien ab, die offensichtlich ökonomischen Kontexten entlehnt sind. Hier finden sich Begriffe wie „Kunden- und Produktorientierung“, „Wettbewerbsfähigkeit“, „Marketing“, „Positionierung im Markt des Wissens“, „Controlling“, „Profilierung“, „Effizienz“ und „Evaluierung“ – Begriffe, die dem althergebrachten Bild von Wissenschaft diametral zuwiderlaufen. So ist denn auch im Hochschulrecht das Recht durch die Ökonomie ersetzt worden. 163 c) Proprietarisierung des Wissens Schon seit Jahren ist in Teilen der Natur- und Ingenieurswissenschaften ein Monopolisierungstrend wissenschaftlicher Ergebnisse zu beobachten. 164 Besonders betriebswirtschaftliche Verwertungsinteressen sind hierfür ursächlich. Je größer der Markt durch neue Schutzrechte wird, desto größer werden auch Monopolisierungstendenzen, vor allem in den anwendungsorientierten Forschungsbereichen. 165 Wissen wird proprietarisiert. 166 Dabei genießen wissenschaftliche Erkenntnisse zunächst keinen einfachgesetzlichen Schutz. Theorien, Lehren und wissenschaftliche Ideen sind als solche weder urheberrechtlich geschützt noch patentfähig und somit gemeinfrei. 167 Diese
161 Vgl. Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung vom 31. 01. 2005, BTDrs. 15/4793, S. 46, 48. „Zukunftstechniken“ waren diese Wissenschaften sicher auch bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Heute ist damit jedoch im nationalen Standortwettbewerb die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation gemeint. Zum Begriff „Schlüsseltechnologie“ und zu dessen Voraussetzungen am Beispiel der Mikroelektronik: Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 38 f. 162 Die sich freilich – wenn auch nicht immer mit Begeisterung – den Forderungen nach einem stärkeren Anwendungs- und Verwertungsbezug ihrer Forschungstätigkeit öffnet, so Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 187 f. 163 Vgl. den Titel des Beitrags von Seidler, WissR 32 (1999), 261 ff. („Die Ersetzung des Rechts durch die Ökonomie“ in Bezug auf die Ende der 1990er Jahre novellierten Hochschulgesetze der Länder und des Bundes); eine Ökonomisierung stellt auch Kempen, DVBl. 2005, 1082 fest. 164 Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 105 f. 165 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 107 f. Weniger Relevanz nach 1989/90 dürften heute militärische Interessen haben. Hier ist eher davon auszugehen, dass nun ein weltweiter Markt für Rüstungsgüter besteht, der durch internationale Konzerne bedient wird. 166 D. h. „Vereigentumsrechtlichung“, vgl. Metschl, Forschung & Lehre 2002, 11. 167 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. a).
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
allgemeine Zugänglichkeit ist angesichts der prinzipiellen Offenheit des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses sogar ein Wesensmerkmal wissenschaftlichen Arbeitens. Eine scientific community lebt vom Austausch der Erkenntnisse, und der Code wissenschaftlichen Arbeitens, nämlich „wahr/unwahr“, benötigt die Kontrolle durch die wissenschaftliche Gemeinschaft. 168 Die Gemeinfreiheit wissenschaftlichen Wissens 169 endet jedoch, wenn zur wissenschaftlichen Erkenntnis eine gewerblich anwendbare Lehre zum technischen Handeln hinzutritt. Dann handelt es sich um eine Erfindung i. S. v. § 1 PatG. Forschungsergebnisse, die gewerblich verwertbare technische Anwendungen zum Inhalt haben, sind damit patentierbar. Der Patentinhaber kann jeden Dritten von der gewerblichen Verwertung der Erfindung ausschließen, durch Lizenzerteilung einen Vergütungsanspruch geltend machen oder das Patent entgeltlich übertragen. 170 Wissen wird damit zum wertvollen marktfähigen Gut. Allein das weltweite Zahlungsvolumen für Patente und Lizenzen summierte sich im Jahr 2000 auf mehr als 130 Mrd. US-Dollar. Zum Vergleich: Im Jahr 1990 waren es 50 Mrd. US-Dollar. 171 Der Schutz von Patenten wird nicht nur damit legitimiert, dass demjenigen, der zuerst einen für die Allgemeinheit wertvollen Gedanken veröffentlicht, als Lohn für seine Leistung ein ausschließliches wirtschaftliches Verwertungsrecht an dem geistigen Gut gewährt werden soll. Sondern Patente sollen auch die technische Innovation fördern und die Allgemeinheit an den Forschungsergebnissen teilhaben lassen. Dieser Wissenstransfer soll den Patentschutz rechtfertigen, 172 denn sonst würden Unternehmen ihr Wissen geheim halten. 173 Andererseits konstituieren Patente ein rechtliches und ökonomisches Monopol, das die Nutzung von Wissen behindert. Das Patentrecht wird deshalb als ein Paradox gesehen, dessen wirklicher Nutzen für die Innovation nicht nachprüfbar ist. 174
168
Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. III. 2. und Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 165; vgl. auch Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 325, 328. 170 Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 330. 171 Bundesbericht Forschung 2004, S. 486. 172 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 68. 173 Dennoch verzichten viele Unternehmen aus Geheimhaltungsgründen auf den Patentschutz, vgl. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 68; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 114, Anm. 53. Man denke an das „geheime“ Rezept für Coca Cola. 174 Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (215 ff.); ders. in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 135. 169
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Ordnet man Forschung als einen privatwirtschaftlichen Markt ein, 175 bei dem nicht Reputation für eine abstrakte Suche nach Wahrheit, sondern die Nachfrage nach ökonomisch verwertbaren Erkenntnissen entscheidend für das Angebot, d. h. die Intensität von Forschung ist, dann kann jedenfalls mit dem Patentrecht eine nicht uneffektive Marktsteuerung erfolgen. Entscheidend für wissenschaftlichen Fortschritt ist in manchen Bereichen der Schutz der Erkenntnisse durch das Recht. Tritt hoher finanzieller Forschungsaufwand und damit finanzielle Abhängigkeit hinzu, verstärkt sich dieser Effekt. Bei der Bio- und Gentechnik wird dieser Zusammenhang bei der Auseinandersetzung um die Verabschiedung eines nationalen Biopatentgesetzes deutlich. 176 Die Proprietarisierung von Wissen kollidiert jedoch mit dem grundsätzlichen Veröffentlichungserfordernis, dem – nach freilich nicht unbestrittener Meinung – der Wissenschaftler nachkommen muss, um die Tatbestandsvoraussetzungen für wissenschaftliche Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG zu erfüllen. 177 Es heißt hierzu, grundsätzlich solle die Forschungsfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht Vorrang vor der Eigentumsfreiheit haben, da sie den stärkeren grundrechtlichen Schutz gewähre. 178 Es mehren sich jedoch die Stimmen, die entweder auf das Veröffentlichungserfordernis verzichten oder es durch eine ökonomische Verwertung als erfüllt ansehen wollen. 179 Grundrechtlich würde damit die Forschungsfreiheit nicht die Forschung vor Kommerzialisierung, sondern die Kommerzialisierung der Forschung schützen. 5. Der grundlegende Wandel akademischer Forschung a) Die Hochschulen im 21. Jahrhundert Noch weniger ist die überwiegende Interpretation des Art. 5 Abs. 3 GG geeignet, verfassungsrechtlich adäquat auf die massiven Veränderungen zu reagieren, die die deutschen Hochschulen mittlerweile ereilen. Die Unklarheiten im Hochschulurteil des BVerfG über die verfassungsrechtliche Intensität der objektiven Wertentscheidung „Wissenschaftsfreiheit“ haben nicht nur zur Folge, dass das Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 GG der Gefahr der Relativierung wenn nicht gar Marginalisierung ausgesetzt ist. 180 Gut 30 Jahre nach dem Hochschulurteil hat das Gericht zudem selbst große Abstriche hieran vorgenommen. 181
175
Siehe hierzu unten Viertes Kapitel, A. II. 1. Siehe unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) dd). 177 Vgl. m. w. N. bereits Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 270 ff. sowie unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). 178 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 295. 179 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). 176
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
Die Hochschulen haben sich seit ihrem Bestehen in einem immerwährenden Zustand der Veränderung befunden. Diskussionen um Aufgaben, Funktionen und Rollen der Universitäten in der Gesellschaft sind nicht neu. 182 Dennoch können die Entwicklungen der letzten Jahre – noch mehr aber die parteiübergreifenden Vorstellungen von Politik und Wirtschaft, in welche Richtung diese Entwicklungen voranschreiten sollen – ohne Übertreibung als „revolutionär“ 183, als „historischer Kulturbruch“ 184 oder „als Angriff auf die Fundamente“ 185 der angeblich „blockierten Universität“, 186 die nun „entfesselt“ werden soll, 187 bezeichnet werden. Stand der erste Reformschub der 1960er und 1970er Jahre unter dem Zeichen der Partizipation breiter Bevölkerungsschichten am Wissenschaftsbetrieb, der zur sog. Massenuniversität führte, 188 findet nun in einer zweiten großen Reformwelle die Ökonomisierung der Hochschulen statt. 189 Das neue Leitbild wissenschaftlicher Leistung ist der Markt, die Leitwährung das Geld. Universitäten müssen zu Unternehmen werden, die auf Basis betriebswirtschaftlicher Instrumente gesteuert werden. 190 Früher dem Ziel wissenschaftlicher Wahrheit und der Einheit von 180 Sondervotum Simon/Rupp-v. Brünneck, in: BVerfGE 35, 79 (149); so auch Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1076 f.); Kempen, DVBl. 2005, 1082 (1089); siehe hierzu auch unten Viertes Kapitel, B. II. 1. b). 181 Siehe BVerfGE 111, 333 ff. – Hochschulgesetz Brdb. 182 Siehe z. B. oben Zweites Kapitel, A. III. 3.; siehe auch BVerfGE 43, 242 (279 ff.) – Universitätsgesetz Hbg. 183 Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 ff. spricht konsequent und durchgängig von einer „Hochschulrevolution“. 184 Vgl. Geis, WissR 37 (2004), 2 (17). 185 Langewiesche, FAZ vom 23. 06. 2005, S. 7. 186 So Daxner, Die blockierte Universität (1999). 187 Vgl. Schenke, NVwZ 2005, 1000. 188 So stieg der Zahl der Studenten an den Hochschulen von ca. 20.000 im Jahre 1900 auf ca. 1,9 Mio. im Jahre 1994/95 (Schiedermair, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR [1996], S. 35 [38]). Erstmals über 2 Mio. waren es 2003/04 (17. Sozialerhebung des DSW, Kurzbericht, S. 1). Die Kultusministerkonferenz (KMK) rechnet bis 2010 mit 2,5 Mio. und bis 2014 mit 2,7 Mio. Studenten (Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz, Dokumentation Nr. 176, S. 6); vgl. zur Hochschulentwicklung auch BVerfGE 35, 79 (109) – Hochschulurteil. 189 Vgl. den Beratungsgegenstand der Staatsrechtslehrertagung 2005: „Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung“; hierzu Hendler und Mager, VVDStRL 65 (2006), 110 ff. 190 Vgl. Schenke, NVwZ 2005, 1000 ff.; Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), „Universitäten als Unternehmen“, S. 83 ff; Püttner, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 557 (561); Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (483). Dementsprechend wird in § 15 Abs. 1 HSchG Ba-Wü (GBl. 2005, S. 1, novelliert durch das 2. HRÄG vom 01. 01. 2005) nach dem Vorbild einer Aktiengesellschaft die Hochschulleitung als „Vorstand“ und „Aufsichtsrat“ bezeichnet, die Dekanate als „Abteilungsvorstand“. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das HSchG Ba-Wü hat Schenke, a. a. O., 1000 (1003 ff.); siehe zum Aufsichtsratsmodell auch Kahl, AöR 2005, 225 ff. Auf-
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Forschung und Lehre verpflichtet, haben die Hochschulen heute ein vielfältiges „Zielewirrwarr“ zu bewältigen. 191 Ging es bei der ersten Reform noch um eine Neujustierung der Beziehung von Forschung und Lehre, die genügend innere Bezüge zu den typusbestimmenden Aufgaben der wissenschaftlichen Hochschule aufwies, 192 sind an die Stelle grundrechtlicher Determinanten ökonomische Zielsetzungen und Methoden getreten, die nun die wesentlichen Kennzeichen staatlicher Wissenschafts- und Bildungspolitik darstellen. Deregulierung und Wettbewerb der Hochschulen untereinander sind die Grundideen, die Eingang in das Hochschulrecht gefunden haben, staatliche Leistungen sollen sich an einem evaluierbaren, auf quantitativen Grundlagen beruhenden „Output“ orientieren. 193 Das können Absolventenzahlen, Drittmitteleinwerbungen, Patentanmeldungen, Publikationszahlen oder Zitatraten sein. 194 Folge ist, dass zum einen das (Aus-)Bildungsangebot verknappt und verteuert wird, 195 obwohl der zukünftige Bedarf an hochqualifizierten akademischen Arbeitskräften außer Frage steht. 196 Hinter den Reformen stehen deshalb nicht vorrangig bildungspolitische Erwägungen, sondern die massiven Finanzprobleme der öffentlichen Haushalte 197 und ein nahezu ideologisch zu nennendes Vertrauen in die Effizienz des ökonomischen Marktes und betriebswirtschaftlicher Instrumente. schlussreich ist diesem Zusammenhang auch die Diktion im Antrag der SPD-Bundestagsfraktion „Zur Schaffung wettbewerbsfähiger Strukturen in Wissenschaft und Forschung“, BT-Drs. 15/4519, S. 2. In Niedersachsen müssen die Hochschulen gem. § 49 Abs. 1 NHG nach kaufmännischen Grundsätzen geführt werden und einen Jahresabschluss nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) erstellen, „der einen Wirtschaftsplan (mit Erfolgs- und Finanzplan als Ausweis des Periodenerfolgs und der Vermögenslage) sowie einen Lagebericht“ umfasst (Ziegele, Beiträge zur Hochschulforschung 2002, 106 [118]). 191 Ladeur, DÖV 2005 (753 (756 f.); siehe hierzu nur § 2 HRG (Fass. der Bekanntmachung v. 19. 01. 1999 [BGBl. I S. 18], zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz v. 27. 12. 2004 [BGBl. I S. 3835]). 192 Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 87. 193 Vgl. Ziegele, Beiträge zur Hochschulforschung 2002, 106 (107 ff.); Schenke, NVwZ 2005, 1000 (1001 ff.). 194 Vgl. Seidler, WissR 1999, 261 ff.; Müller-Böling, Die Zeit vom 20. 02. 2003, S. 71 f.; siehe zudem den Technologiebericht der Bundesregierung vom 15. 04. 2005, BT-Drs. 15/ 5300, S. 78, 80. Ob von der Quantität auch auf Qualität geschlossen werden kann, hängt davon ab, inwieweit damit an die Reputationsgewinne, die der wissenschaftliche Kommunikationsprozess der scientific community hervorbringt, angedockt werden kann. Ob hierbei so grobe Maßstäbe wie Publikationszahlen und Zitatraten hinreichende Aussagekraft haben, darf bezweifelt werden. 195 Das zeigt sich an der Einführung von Bachelor und Master sowie den Studienkonten und -gebühren, vgl. Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (486) sowie unten Drittes Kapitel, A. IV. 5. d). 196 Siehe Bundesbericht Forschung 2004, S. X. 197 Alle Reformen sollen entweder mit Einsparungen verbunden oder wenigstens kostenneutral sein, wie es z. B. bei der Einführung der W-Besoldung der Fall ist (vgl. Hering,
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Druckvoller als der unzureichende Einfluss der Interessengruppen aus dem Bildungsbereich auf die Politik sind die Forderungen, die die Hochschulforschung als Standortfaktor für ökonomische Investitionsentscheidungen gefördert und gefordert sehen wollen. 198 Zielvereinbarungen, Drittmitteleinwerbung, Ausgründungen und Evaluationen in Forschung und Lehre, einhergehend mit leistungsabhängiger Besoldung, dienen diesen Zielen und privatisieren zugleich die Finanzierung der Hochschulen. Im Gegenzug werden auch die Leistungen der Hochschulen privatisiert, vermarktet und kommerzialisiert. Studenten und Industrie werden zu Kunden, Professoren zu Dienstleistern. 199 Ziel ist nach pointierter Ansicht gar die „Verwischung der ‚scientific community‘ zu einem wissenschaftlich-industriellen Komplex“. 200 Dem zugrunde liegt eine „Krise der Universitäten“, die in Wirklichkeit durch jahrzehntelange Unterfinanzierung der von der Politik gewollten und volkswirtschaftlich notwendigen Massenuniversitäten verursacht worden ist. 201 Für die angeblich noch immer im 19. Jahrhundert verhaftete Universität wird dennoch gefordert:
in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen [2005], S. 83 [91 f.]). Ersichtlich ist das auch aus dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, BT-Drs. 15/4519, S. 2. 198 Siehe nur Daxner, Die blockierte Universität (1999), S. 52 ff.; so auch Kamp, Kommerz (2004), S. 39 mit dem Ergebnis, dass diese Ökonomisierung der Universitäten nicht dazu führt, dass ihnen der Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG nicht mehr zukommt. So untersucht der Forschungsbeirat in Baden-Württemberg, „die Gewichtung der verschiedenen Teildisziplinen im Land auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Entwicklung der ( . . . ) Wirtschaft“, zit. nach Kamp, Kommerz (2004), S. 39. Noch deutlicher ist der „Zukunftspakt für Qualität und Innovation“, der im Jahre 2002 zwischen den Hamburger Hochschulen und der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen wurde. In dessen § 1 ist zu lesen: „Im Zuge der Globalisierung und des Wandels von der Industrie- zur Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts kommt den Hochschulen eine zentrale Bedeutung bei der Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Standortes Hamburg zu.“ Diese Formulierung entspricht nahezu wortwörtlich den Ausführungen betriebswirtschaftlicher Lehrbücher zur Bedeutung der Bildung, siehe z. B. Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management (2001), S. 206. 199 Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (87). Seit 1998 erfolgten über 1500 Ausgründungen aus staatlichen Forschungseinrichtungen, insb. der Helmholtz-, Fraunhofer- und Max-Planck-Institute, was vom Bund durch eine „Ausgründungsoffensive“ und dem Programm „Wissen schafft Märkte“ gefördert wird. Ausgründungen an Hochschulen sollen mit 50 Mio. € gefördert werden (Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung vom 31. 01. 2005, BT-Drs. 15/4793, S. 53 ff, 56 f.). 200 Was „trotz aller Bemühungen“ noch nicht gelungen sei, so Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 161 f.; Daxner fordert dementsprechend die Mitgliedschaft von Universitäten in den Industrie- und Handelskammern, ders., Die blockierte Universität (1999), S. 52. 201 Sie sei das „Krebsübel“ der Universitäten, so Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (480 f.).
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„Rechte und Eigenschaften einer Hochschule leiten sich nicht mehr aus übergreifenden Idealen ab, sondern müssen errungen und im Wettbewerb mit anderen verteidigt werden. Sie sind nicht mehr dauerhaft und einer Institution inhärent, sondern das Ergebnis konkreter Handlungen und Manifestationen, das heißt, Resultat der institutionellen ‚Performance‘“ 202
Der 48. Hochschulverbandstag stellte seine Jahrestagung 1998 gar unter den Titel „Wozu noch Universitäten?“ 203 Gleichzeitig wird festgestellt, dass der deutsche Hochschullehrer, dessen Amt früher einmal mit dem eines Richters oder Pfarrers verglichen wurde, 204 nun zum „Professor Knecht“ degradiert werde. 205 Zugleich seien die Hochschullehrer jedoch zur Unterordnung bereit: Die Bereitschaft zur „freiwilligen Integration in das Stechschrittkollektiv“ sei aus der jüngeren Geschichte bekannt: „Mal war es die Rasse gewesen, mal die Klasse. Zur Zeit ist es die Kasse.“ 206 Geht man von der Annahme aus, dass sich bereits in den 1960er und 1970er Jahren die Universität ideologischer Instrumentalisierungen zu erwehren hatte, 207 so ist die neue Ideologie, der sie sich nun erwehren müsste, die von oben verordnete ökonomische Effizienz, die die Universitäten bis ins Mark trifft. 208 Es wird vermutet, dahinter stehe die Zerstörung der deutschen Universität Humboldtscher Prägung durch Angloamerikanisierung 209 und Nivellierung sowie die politische und wirtschaftliche Einflussnahme auf Forschung und Lehre. 210 Dem Staat geht
202
Müller-Böling, zit. nach Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477
(483). 203 So auch Hartmer, Wozu Universitäten?, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 ff., der kritisch hervorhebt, dass diese Frage seinerzeit noch nicht einmal provokativ gemeint gewesen sei (ders., a. a. O., S. 477). 204 Siehe Smends Vergleich mit dem Amt des Pfarrers, ders., VVDStRL 4 (1927), 44 (64). 205 Schmoll, in: FAZ vom 15. 01. 2005, S. 1. 206 Slaje, zit. nach Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (103); auch Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (692) stellt – wenn auch in anderem Zusammenhang – fest: „Verteidiger der Universitätswissenschaft sind kaum noch auszumachen.“ 207 Vgl. Hering, in Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (85). 208 Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (478); Gärditz, NVwZ 2005, 407 (407), spricht von „einer hoffnungslos übersteigerten Wettbewerbsgläubigkeit“. Dagegen wird inkonsequenterweise eine Bindung der Hochschulaufgaben an „humanitäre, ökologische und soziale Grundsätze“ schwer für vereinbar mit Art. 5 Abs. 3 GG gehalten, so Denninger, in: Stober, FS Roellecke (1997), S. 37 (49, 53 ff.); gleiches soll für eine „Zivilklausel“ (Ausschluss von Rüstungsforschung) gelten, so Oppermann, in: Becker/ Bull, FS Thieme (1993), S. 671 (673 ff.). 209 Eine Amerikanisierung der Universität „in sehr wichtigen Punkten“ stellte freilich bereits Max Weber im Jahre 1917 fest (ders., Wissenschaft als Beruf [1919/1995], S. 6). 210 So Hering, in Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (89).
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
es um möglichst rationale „Allokationsentscheidungen“ und die „Effektivierung der Ressourcenverwendung“. 211 Zwar wird ein grundrechtlicher Anspruch auf eine Grundausstattung des universitären Hochschullehrers befürwortet, 212 jedoch ist der staatliche Einschätzungsspielraum so groß, dass vor allem auf zukünftige Teilhabe gerichtete Ansprüche nicht geltend gemacht werden können. Das BVerfG erklärt zwar, dass es auch im modernen Wissenschaftsbetrieb zu den Voraussetzungen einer sinnvollen Forschungsarbeit gehöre, dass der einzelne Forscher über Einsatz, Benutzung und Verwendung sachlicher und personeller Mittel in einem gewissen Umfang allein entscheiden können müsse. 213 Aber nur bereits bestehende Berufungszusagen sollen von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sein und selbst diese können in bestimmten Fällen entzogen werden. Ebenfalls kann nach allgemeiner Meinung nicht aus Art. 5 Abs. 3 GG geschlossen werden, dass ein Land oder der Bund bestimmte Arten von Forschung in bestimmter Quantität vorhalten muss. Das subjektiv-individuelle Teilhaberecht des Hochschulforschers in seiner bestehenden Gestalt gewährt weder das Recht auf zukünftige Forschungsmittel noch eine Bestandsgarantie für Fächer, Fakultäten oder Universitäten. 214 Die überwiegende Dogmatik zu Art. 5 Abs. 3 GG nimmt die Ökonomisierung der Universitäten entweder lediglich zur Kenntnis oder reagiert hierauf anscheinend mit Willfährigkeit, wenn – teils unter erheblichem subtilen Begründungsaufwand – diese Entwicklungen für mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar erklärt werden. 215 Die Maßnahmen der Hochschulreform scheinen die Wissenschaftsfreiheit in Abwägung mit anderen „legitimen Aufgaben“ der Hochschulen 216 nicht zu verletzen. Das althergebrachte Verständnis von Wissenschaftsfreiheit schützt heute in den Universitäten nurmehr die wissenschaftliche Methode, 217 nicht jedoch die Wissenschaft als soziales Gefüge und als Funktionssystem. 218 Individueller Schutz kommt letztlich dem Hochschulforscher nur noch beschränkt zu: Zum einen ist Wissenschaftsfreiheit eine Meinungsfreiheit für Beamte 211 So BVerfGE 111, 333 (359) – Hochschulgesetz Brandenburg; vgl. auch Ladeur, DÖV 2005, 753 (759). 212 Vgl. u. a. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 177; Lorenz, JZ 1981, 113 (114); Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 161, Rdnr. 178; Detmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 605 (608). 213 BVerfGE 43, 242 (282) – Universitätsgesetz Hbg. 214 Vgl. hierzu BVerfGE 85, 360 (384) – Akademie der Wissenschaften. 215 Siehe hierzu Kamp, Kommerz (2004), S. 39. 216 BVerfGE 35, 79 (114) – Hochschulurteil. 217 Wissenschaftliche Methodik als Arbeitsweise kann aber kein Wert an sich sein, dem größerer grundrechtlicher Schutz zukommen sollte als z. B. dem Reiten im Walde, das lt. BVerfGE 80, 137 (154 f.) in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG fällt. 218 Siehe unten Fünftes Kapitel, B. III. 1.
A. Die Gegenwart der Forschung
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und öffentlich Bedienstete und zum anderen ein einschränkbares Organisationsgrundrecht. Letzteres begründet die Pflicht des Staates, seine in Form der Universitäten vorgehaltene Wissenschaft so zu organisieren, dass dieser eine gewisse Autonomie zukommt und die beteiligten Gruppen an den Entscheidungsprozessen partizipieren können. Die Ausgestaltung unterliegt jedoch zu einem Großteil der politischen Opportunität. Eine Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit besteht heute kaum noch in direkten inhaltlichen Vorgaben, sondern in der mittelbaren Einflussnahme durch gesteuerte Finanzausstattung und die Konstruktion der Binnenstrukturen. 219 Den staatlichen Universitäten wird bereits die Umwandlung in von privatrechtlichen Stiftungen getragene Organisationen empfohlen. Dies hätte den „Vorteil“, dass korporative Selbstverwaltungsrechte nicht gelten würden, weil der Forscher seine Forschungsfreiheit privat delegieren müsste. Somit bestünde ein „weiterer Spielraum“, wenn nicht gar „erheblicher Entscheidungsspielraum“, wie die innere Organisation zu erfolgen hat. 220 Die Wissenschaftsfreiheit für Hochschulangehörige befindet sich mit solchen Modellen auf dem Weg zu einem „ius nudum“. Die Universität droht verfassungsrechtlich „ins Leere“ zu fallen. 221 Das BVerfG folgt den politischen Vorstellungen und kommt zu dem Ergebnis, dass der Verlust von Selbstverwaltungsrechten durch monokratische Leitungsstrukturen 222 im Hochschulgesetz Brandenburgs mit Art. 5 Abs. 3 GG ebenso vereinbar sei wie eine grundsätzliche Verknüpfung von Evaluationsergebnissen und Mittelverteilung. 223 Schwer zu begreifen ist es, wenn das Gericht zudem 219
Geis, WissR 37 (2004), 2 (17). So Battis/Grigoleit, ZRP 2005, 65 (69), die dies als „Modell einer glaubhaft staatsfernen Hochschule“ preisen. Allerdings dürften – was beruhigt – auch in einer Stiftungsuniversität inhaltliche Weisungsrechte „allenfalls sehr begrenzt zulässig sein“ (dies., a. a. O., 69). Diese Ansicht ähnelt insofern der von Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 142 ff. Die Umwandlung von Hochschulen in öffentlich-rechtliche Stiftungen ermöglicht bereits das Niedersächs. Hochschulgesetz (§§ 55 ff. NHG); vgl. hierzu ausführlich Sterzel/Perels, Hochschulmodernisierung (2003), S. 236 ff. 221 So Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 13: Die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit der Universität bestehe nur, solange deren Verschulung nicht voranschreite und diese nicht in die Rolle einer Produktions- und Verteilerstelle beruflicher Chancen und Fertigkeiten gedrängt werde. 222 Geis, Forschung & Lehre 4/2005, 188. Die „Neuordnung der Gremienstrukturen“ soll nach Willen der Konferenz der Kultusminister (KMK) zu einer am „Leitbild Dienstleistungsunternehmen“ orientierten „Professionalisierung der Leitungsstrukturen auf Hochschulund Fachbereichs-/Fakultätsebene“ führen, so Görisch, DÖV 2003, 583 (584 f.), für den der „Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung“ dennoch unangetastet bleibt. Lassen monokratische Leitungsstrukturen das Selbstverwaltungsrecht der Universität als institutionelle Garantie auch unberührt, so übersieht Görisch, dass eine solche Umgestaltung für die individuelle Forschungsfreiheit keineswegs irrelevant ist (so jedoch ders., a. a. O., 585); a. A. hinsichtlich monokratischer Leitungsstrukturen bereits Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 143 ff. sowie Gärditz, NVwZ 2005, 407. 220
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das alleinige Vorschlagsrecht für die Hochschulleitung durch einen mit externen Mitgliedern besetzten Landeshochschulrat für mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar hält und dies damit begründet, dass den Kollegialorganen das volle Wahl- und Abwahlrecht erhalten bleibe. 224 Diese massive Einschränkung der Selbstverwaltungsrechte wird nicht einmal mehr ernsthaft an Art. 5 Abs. 3 GG gemessen, geschweige denn so detailliert geprüft, wie dies im Hochschulurteil 1973 der Fall war. Insofern ist das BVerfG in seiner Rechtsprechung inkonsequent und setzt sich dem Vorwurf des Opportunismus aus. 225 Hinzu kommt, dass der massive Machtzuwachs der vom Landeshochschulrat vorgeschlagenen und vom Senat gewählten Leitungsorgane dazu führt, dass sich die Rechte der Fakultäten und Professoren (sowie anderer Berechtigter aus Art. 5 Abs. 3 GG) zu verflüchtigen scheinen. 226 Angesichts solcher Regelungen hätte es eines verstärkten Schutzes der individuellen Wissenschaftsfreiheit im Binnenbereich der Hochschulen bedurft. 227 Hierauf ist das BVerfG nicht eingegangen. Zu Recht wird deshalb gefragt, was individuelle Wissenschaftsfreiheit noch wert ist, wenn sie es zwar verbietet, den Hochschullehrer zur Einwerbung von Drittmitteln zu nötigen, indem man ihm bei Unterlassen Personal- und Sachmittel entzieht, es aber jederzeit zulässt, den Anteil der Belohnungen für Drittmitteleinwerbungen zu Lasten der Grundausstattung umzuschichten. 228 In seiner Bedeutung noch genauer untersucht werden muss der verfassungsgerichtliche Hinweis, dass Drittelmittel nicht nur nicht allein als Leistungskriterium für die Mittelverteilung herangezogen werden dürfen. Sie dürfen auch nicht als Bewertungskriterium dienen, wenn sie Anreize zu auftrags- und ergebnisorientierter Forschung (namentlich mit der Industrie als Drittmittelgeber) setzen. 229 Hier zeigt sich, dass Drittmittel zukünftig hochschulrechtlich differenzierter gesehen werden müssen, als das bisher der Fall ist. 230
223 BVerfGE 111, 333 (356 ff.) – Hochschulgesetz Brdb. – in weiten Teilen inhaltlich mit der Argumentation von Görisch, DÖV 2003, 583 ff., identisch. Die W-Besoldung hat nun auch Auswirkungen auf das persönliche Einkommen, siehe hierzu Drittes Kapitel, B. I. 4. b). 224 BVerfGE 111, 333 (363 ff.) – Hochschulgesetz Brdb. 225 So Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (86). 226 Müller-Böling, Die Zeit vom 20. 02. 2003, S. 71 f., ist dagegen der Meinung, mit der Stärkung der Dekane und Rektoren würden Aufgaben den „verantwortungslosen Gremien“ entzogen und damit die „Weichen für eine an wissenschaftsbezogenen Maßstäben ausgerichtete Entscheidungsfähigkeit der Fakultät oder Hochschule gestellt“. 227 Geis, Forschung & Lehre 4/2005, 188. 228 Geis, Forschung & Lehre 4/2005, 188. Weiter werden solche Hochschullehrer nach der W-Besoldung „bestraft“, indem sie ggf. keine Zulagen erhalten. 229 BVerfGE 111, 333 (359) – Hochschulgesetz Brdb.; skeptisch hinsichtlich solcher „trivialen Vorbehalte“ jedoch Gärditz, NVwZ 2005, 407 (409). 230 Siehe zur Drittmittelforschung auch unten Drittes Kapitel, B. I. 4. b).
A. Die Gegenwart der Forschung
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b) Stärkung oder Schwächung der Autonomie? Von Seiten der Politik wird geltend gemacht, die Umgestaltung der Hochschullandschaft sei mit einer Stärkung der Hochschulautonomie verbunden. Globalhaushalte, Zielvereinbarungen und die Stärkung der Hochschulleitungen sowie die Möglichkeit, sich Studenten selbst auszusuchen, sollen ebenso eine Stärkung der Autonomie (d. h. Selbst-Gesetzgebung) sein wie die Akkreditierung von Studiengängen. 231 Doch diese „neue Autonomie“ folgt den Leitbildern von ökonomischem Wettbewerb sowie betriebswirtschaftlicher Markt- bzw. Kundenorientierung, und sie wird den Hochschulen aufoktroyiert. 232 Kann von mehr Autonomie im Grunde schon dann nicht gesprochen werden, wenn die Verteilung immer knapper werdender finanzieller Ressourcen oder der Abbau von Personalstellen und Einrichtungen in den Verantwortungsbereich der Hochschulen übertragen wird, so ist die neue Autonomie darüber hinaus nur die unternehmerische Freiheit, Wissenschaft als Management 233 zu betreiben und marktgerechte Produkte herzustellen. Vorbild ist die Privatautonomie. Der Staat verordnet den Hochschulen „Weniger Staat, mehr Markt!“, nicht jedoch mehr Freiheit. Das Autonomieverständnis wandelt sich. Hochschulautonomie ist nicht mehr ein Mittel, das individuelle Freiheit ermöglichen soll, 234 sondern sie hat dem unternehmerischen Erfolg zu dienen. Das ist die Folge der Forderung, Universitäten müssten zu Unternehmen werden, um wirklich autonom sein zu können. 235 Doch „der marktförmige Transfer von innovationsrelevanten Wissensbeständen“ führt zur „enge[n] Rückbindung der Wissensproduktion an den Faktor Geld auf Kosten der Freiheit des Geistes“. 236
231 Vgl. hierzu z. B. § 28 Abs. 4 S. 2 LHG M-V (vom 05. 07. 2002, GVOBl. S. 398/ GS M.-V. Gl. Nr. 221–11, geänd. durch 1. ÄndG vom 05. 06. 2003, GVOBl. S. 331). Die Akkreditierung sei „eine entscheidende Steigerung der Hochschulautonomie“ (siehe hierzu LT-Drs. M-V 3/2311, S. 96). Die Kosten müssen freilich die Hochschulen tragen. Zur Rechtswidrigkeit des Akkreditierungswesens, insbesondere wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 3 GG, Lege, JZ 2005, 698 ff. 232 Geis, WissR 37 (2004), 2 (4 f.). 233 Siehe BVerfGE 111, 333 (356) unter Verweis auf BVerfGE 47, 327 (404); Püttner, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 557 (561); Seidler, WissR 1999, 261 (264 f.). Mittlerweile gibt es an den Hochschulen Studiengänge für „Hochschul- und Wissenschaftsmanagement“ (FH Osnabrück) und Professuren für „Forschungsmanagement und Technologietransfer“ (Universität Greifswald). Das politische Programm der Ökonomisierung wird bereits verwissenschaftlicht. Keinen Widerspruch zwischen Wissenschaftsfreiheit und „Hochschulmanagement“ sieht Görisch, DÖV 2003, 583 ff. Die Einführung u. a. von Hochschulräten sei auf Grund des großen Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers unbedenklich; a. A. Püttner, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 557 (565 ff.); Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1078). 234 Siehe hierzu auch oben Zweites Kapitel, C. II. 3. b). 235 So Daxner, Die blockierte Universität (1999), S. 154, der im Kapitel „Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie“ die Verknüpfungen von individueller und institutioneller Autonomie nicht so recht aufzulösen vermag.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
Die Unterwerfung der Freiheit von Forschung und Lehre unter die Gesetze von Wettbewerb und Effizienz bringt die Gefahr mit sich, in eine babylonische Gefangenschaft der Ökonomie zu geraten. 237 Für Fächer, die durch wertende Erkenntnis und geringe ökonomische Verwertbarkeit geprägt sind, ist dies eine existentielle Bedrohung. Eine fachweise Ausdünnung der Universitäten ist die Folge. Dieser Aderlass trifft die Hochschulen in ihrem Wesen, das auf wissenschaftlicher Universalität beruht. 238 Die neuen Strukturen führen auch zu einem Verlust an Transparenz bei den Entscheidungsprozessen, die nun nach Managementprinzipien eines „Academic Leadership“ 239 und nicht mehr vom Kollegialitätsprinzip und der Betroffenenpartizipation geprägt sind. 240 Mit der Funktion der Hochschulautonomie, die der optimalen Verwirklichung eines Individualgrundrechts dienen und zu größtmöglicher Freiheit führen soll, 241 hat solches Autonomieverständnis wenig zu tun. Ist schon zweifelhaft, ob die neue Autonomie einen Gewinn für die Organisation bedeutet, so geht sie jedenfalls zu Lasten der individuellen Autonomie. 242 Im Ergebnis verkünden die neuen Gesetze zwar Autonomie, doch sie öffnen Universität und Wissenschaft programmatisch der Fremd- und Außensteuerung. Das ist auch keine ungeplante Nebenfolge der Reformen, sondern deren Ziel. 243 Nebeneffekt der neuen Autonomie ist im Übrigen eine weitere Bürokratisierung, die zum Beispiel bei Evaluationen oder der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge schon fast groteske Züge annimmt. 244
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Trischler, Forschung & Lehre 1/2002, 8 (9). Vgl. Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (480). 238 Geis, WissR 37 (2004), 2 (8 f.). Im Übrigen sind die Steuerungskräfte von Markt und Wettbewerb wissenschaftlich schwer zu beurteilen, da selbst die Wirtschaftswissenschaften über keine konsistenten Markt- und Wettbewerbstheorien verfügen (Trischler, Forschung & Lehre 1/2002, 8 [10]). 239 Siehe hierzu Daxner, Die blockierte Universität (1999), S. 81 ff. 240 Geis, WissR 37 (2004), 2 (10 f.); ähnlich auch die Analyse von Ladeur, DÖV 2005, 753 (754). 241 Vgl. BVerfGE 35, 79 (120, 123): „Negativ gesehen verbietet Art. 5 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber einen Wissenschaftsbetrieb organisatorisch so zu gestalten, daß die Gefahr der Funktionsunfähigkeit oder der Beeinträchtigung des für die wissenschaftliche Betätigung der Mitglieder erforderlichen Freiheitsraumes herbeigeführt wird“ (S. 123). 242 Geis, WissR 37 (2004), 2 (7, 16 f.); Detmer, Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 605 (612 f.): „Es steht der Institution Universität nicht an, über den Wirkungsgrad der Freiheit von Forschung und Lehre dem Zeitgeist entsprechend Beschlüsse zu fassen, die ihren Mitgliedern die statusrechtliche Freiheit nehmen.“ 243 So zu Recht die Vermutung von Langewiesche, FAZ vom 23. 06. 2005, S. 7; zum Hochschulrat und dessen Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 3 GG (zweifelnd) Püttner, in: Dörr/ Fink, FS Schiedermair (2001), S. 557 (565 ff.); siehe hierzu auch Ladeur, DÖV 2005, 753 (754 f.). 237
A. Die Gegenwart der Forschung
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c) Drittmittelabhängigkeit der Hochschulen Drittmittel sind solche Mittel, die zur Förderung von Forschung und Entwicklung sowie zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Lehre zusätzlich zum regulären Hochschulhaushalt von öffentlichen und privaten Stellen eingeworben werden. 245 Drittmittel sind zweckgebunden, d. h. für ein konkretes Forschungsprojekt bestimmt und zumeist zeitlich befristet. 246 Im Jahr 2002 warben alle Hochschulen (Universitäten und Fachhochschulen) in Deutschland 3,3 Mrd. € an Drittmitteln ein; das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 7,1% und gegenüber 1997 um 38,1% (damals 2,39 Mrd. €). Von der Gesamtsumme entfielen auf die Universitäten (ohne medizinische Einrichtungen) 2,4 Mrd. €, die medizinischen Einrichtungen erreichten nochmals knapp 0,8 Mrd. €. Durchschnittlich konnten 2002 die eingeworbenen Drittmittel 10,9% (1997: 9,2%) der Hochschulausgaben (Universitäten ohne medizinische Einrichtungen: 18,4 %) abdecken (sog. Deckungsgrad). 247 Im Vergleich der Bundesländer schwankt dieser Durchschnitt zwischen 20,5% in Bremen und 6,0% in Mecklenburg-Vorpommern, was damit erklärt wird, dass ein großer Teil der Mittelvergabe auf wenige Hochschulen konzentriert ist. 248 Nach Fachbereichen differenziert erhielt die Humanmedizin 28,5% der Mittel, gefolgt von mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern (26,9%) sowie den Ingenieurswissenschaften (22,7%). Sprach- und Kulturwissenschaften konnten 7,6 % und die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 5,6 % der Mittel einwerben. Bei letzteren entfielen wiederum 47,9% auf die Wirtschaftswissenschaften. 249 Die eingeworbene Durchschnittssumme an Drittmitteln pro Universitätsprofessor lag 2002 bei rund 132.400 €. 250
244 Gleiches gilt für Akkreditierung von Studiengängen, die Erarbeitung von Zielvereinbarungen und eine Vervielfachung von Prüfungen, die jeder „Effizienz“ Hohn sprechen; siehe hierzu Lege, JZ 2005, 698 (705). 245 Umkehrschluss aus § 25 HRG. 246 Dies ergibt sich aus ihrer Gebundenheit an ein bestimmtes Forschungsprojekt. 247 Stat. Bundesamt, Drittmitteleinnahmen der Hochschulen in 2002, August 2004, S. 4, 12. 248 Stat. Bundesamt, Drittmitteleinnahmen der Hochschulen in 2002, August 2004, S. 4, 9. 249 Stat. Bundesamt, Drittmitteleinnahmen der Hochschulen in 2002, August 2004, S. 11 f. 250 Stat. Bundesamt, Drittmitteleinnahmen der Hochschulen in 2002, August 2004, S. 4; im Jahre 2002 entfielen beispielsweise auf die RWTH Aachen 390.700 € und auf die TU Dresden 154.500 € Drittelmittel je Professorenstelle (Pressemitteilung des Stat. Bundesamtes vom 31. 08. 2004, S. 3).
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
Als Drittmittelgeber nehmen drei Gruppen eine herausragende Stellung ein, da sie 2002 allein 81,4% aller Mittel verteilten: An erster Stelle steht die DFG, 251 die rund 1 Mrd. €, also 30,7% aller Mittel, bereitgestellt hat. Die Unternehmen der Wirtschaft bewilligten 854 Mio. € (25,8%.). Ähnlich hoch, bei 822 Mio. € (24,9%), lag der Anteil der Bundesmittel, die überwiegend durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung vergeben wurden. Stiftungsmittel beliefen sich auf 220 Mio. € (6,7%), in gleicher Höhe die Mittel internationaler Organisationen (z. B. EU, OECD). Der Anteil der privaten Drittmittelgeber (v. a. Wirtschaftsunternehmen) an der Gesamtsumme beträgt ca. 32%. 252 Die Entwicklung der Drittmittel weist zum Teil große Steigerungsraten auf, insbesondere auch in den sog. Buchwissenschaften, deren Deckungsgrad trotz geringer Forschungskosten noch immer relativ gering ist. So steigerten sich die Drittmittel in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften seit 1997 um 83,5% und in den Sprach- und Kulturwissenschaften um 63,2%, so dass letztere mittlerweile einen Deckungsgrad von 14,9% (1997: noch 10,4%) erreichen. Damit sind sie jedoch von den Ingenieurswissenschaften mit einem Deckungsgrad von 25,5 % (1997: 22,7 %) oder den Naturwissenschaften mit 24,7% (1997: 21,4 %) noch weit entfernt. Der Anteil der Drittmittel an den Aufwendungen der Hochschulen für Forschung und Entwicklung (also ohne Lehre) betrug 2001 sogar 36,5 % (gegenüber 29,6% im Jahr 1992). 253 Die Bedeutung von Drittmitteln für die Universitäten dürfte damit hinreichend dargelegt sein. Die Dynamik im Drittmittelbereich geht insbesondere auch auf entsprechenden politischen und finanziellen Druck zurück. In den Ländern werden Drittmittel bei der Zuweisung von Haushaltsmitteln berücksichtigt, damit sich die Universitäten verstärkt um die Einwerbung von Drittmitteln bemühen. Bayerns Universitäten konnten somit die Drittmitteleinwerbungen seit 1995 um insgesamt ca. 50 Prozent steigern. 254 Mittlerweile ist in einigen Landesgesetzen nicht nur das Recht zur Einwerbung von Drittmitteln verankert, sondern die universitären Forscher werden auch „aufgefordert“ 255 oder gar verpflichtet, Drittmittel einzuwerben. 256
251 Die DFG als Forschungsförderungsorganisation, die autonom organisiert ist, genießt den Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG (Trute, Forschung [1994], S. 690 ff. m. w. N.), so dass die Drittmittelvergabe mit der Hochschulautonomie konform geht, vgl. Trute, a. a. O., S. 661 ff., 667 ff. 252 Stat. Bundesamt, Drittmitteleinnahmen der Hochschulen in 2002, August 2004, S. 13; anders noch Denninger, in: ders./Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 25, der meint, die Mittel stammten „zum geringsten Teil“ von privaten Geldgebern (wobei er evtl. die Wirtschaftsunternehmen ausklammert – d. Verf.). 253 Bundesbericht Forschung 2004, S. 199. 254 Bundesbericht Forschung 2004, S. 391. 255 § 47 LHG M-V.
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In Nordrhein-Westfalen soll allein anhand der Drittmitteleinwerbung die Forschungsleistung gemessen werden. 257 Diese Forschungskennzahl mag in anwendungsorientierten Disziplinen ein gewisses Indiz für Erfolg und Effizienz sein, in der Grundlagenforschung, die für die Universitäten zentral sein sollte, ist sie untauglich. Zwar darf nach der Entscheidung des BVerfG zum Hochschulgesetz Brandenburg die staatliche Ressourcenverteilung nur eingeschränkt von Drittmitteln abhängig gemacht werden, 258 aber die Forschungswirklichkeit an den Hochschulen wird durch sie in einigen Bereichen mittlerweile geprägt. 259 d) Bedeutungsverlust universitärer Forschung Nicht nur die finanzielle Aushungerung der Universitäten, sondern auch ihre Ökonomisierung führt zum Bedeutungsverlust akademischer Forschung. 260 Universitäten sind (noch) an der Grundlagenforschung orientiert und gehen mit ihrer Struktur und Autonomie (noch) auf die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Forschers ein. Die meisten Erscheinungsformen außeruniversitärer Forschung prägt jedoch nicht das Bild geistiger Kreativität des einzelnen Individuums. Um die gewünschten marktrelevanten Prozesse und Erfolge hervorzubringen, muss eine Vielzahl von Personen, Institutionen und Sachmitteln in schlagkräftigen Organisationseinheiten zusammenwirken. 261 Mit einer solchen Entpersonalisierung des Forschungsprozesses, die sich allein am wirtschaftlich relevanten Output orientiert, kann universitäre Forschung prinzipiell nicht mithalten. Sie muss dies auch nicht, geht man von einem dualen System und der Existenzberechtigung und kulturellen Bedeutung spezifischer akademischer Forschung aus, die nicht wirtschaftlich output-orientiert ist, sondern von individueller Forschungsfreiheit lebt.
256 Baden-Württemberg: „gehört zu den Dienstaufgaben der in der Forschung tätigen Mitglieder der Universität.“ (§ 59 Abs. 1 S. 1 UG Ba-Wü [Hervorh. d. Verf.]). 257 Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (101). 258 BVerfGE 111, 333 (359) – Hochschulgesetz Brdb.; skeptisch zu dieser Einschränkung, da sie ohne konkretisierende Vorgaben bleibt, Gärditz, NVwZ 2005, 407 (409). 259 Vgl. die RWTH Aachen, die nicht nur jährlich 142 Mio. € an Drittmitteln einwirbt (bei einem Gesamthaushalt von 536 Mio. €), sondern sich explizit um Wirtschaftsnähe bemüht und Wirtschaftskontakte institutionalisiert. Folgerichtig betrachtet man sich auch als „Marke“ und lobt seine Industrienähe (Imagebroschüre der RWTH Aachen, http://www.rwthaachen.de/zentral/dez3_ibd_ibd.htm [19. 11. 2006]). 260 So auch Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 21. 261 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 17. Man denke hier an die (computergestützte) Entschlüsselung des menschlichen Genoms durch eine Forschergruppe.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
Im Umbau der Hochschulen zu Unternehmen sieht man diese individuelle Ausrichtung jedoch als Hindernis im Konkurrenzkampf der Forschungseinrichtungen. Ausgehend vom Zerrbild eines selbstherrlichen und faulen Professors, der niemandem Rechenschaft schuldig ist und in feudaler Manier über seinen Lehrstuhl und sein Wissensgebiet herrscht, 262 sollen sich Hochschulforscher Rankings und Evaluationen 263 unterwerfen und „Teamspieler“ werden. Ihnen soll mit neuen monokratischen Leitungsstrukturen, die sich vom Kollegialitätsprinzip verabschieden, Beine gemacht werden. In den Leitungen steht nicht mehr die ehrenvolle Ausübung eines Amtes im Vordergrund, sondern als Legitimation dient nun das Leitbild eines professionellen Managers, der Führungsstärke zu beweisen hat. Einher gehen damit auch Veränderungen in der Lehre, die auf die Forschung zurückwirken. Die 1999 in Bologna vereinbarte Harmonisierung der europäischen Hochschulsysteme 264 zielt nicht nur auf eine (nominelle) Vereinheitlichung der Abschlüsse (die Umstellung aller Studiengänge auf Bachelor und Master 265 soll nach dem Willen der Politik bis 2010 erfolgt sein), sondern de facto auch auf ein sechssemestriges berufsqualifizierendes Regelstudium. 266 Dahinter steht in Deutschland die finanz- und sozialpolitisch motivierte Verwandlung der Universitäten in „Massenausbildungsanstalten für Angestellte des mittleren und niederen Managements“ 267 unter endgültiger Beseitigung der in humanistischer Tradition überlieferten Bildungs- und Erziehungskonzepte. Der Leiter des einflussreichen „Centrums für Hochschulentwicklung“ (CHE) stellt klar: „Der alte Gedanke, dass nur der ein guter Lehrer ist, der auch ein guter Forscher ist, muss als überholt angesehen werden.“ 268 Die sog. Bologna-Erklärung geht von einem ökonomisch
262 Vgl. nur Müller-Böling, Die Zeit vom 20. 02. 2003, S. 71 f.; ders., Frankfurter Rundschau vom 03. 02. 2004, S. 31. 263 Vgl. hierzu BVerfGE 111, 333 ff. – Hochschulgesetz Brdb. 264 Wobei es sich lediglich um unverbindliche Absichtserklärungen der beteiligten Staaten handelt (Lege, JZ 2005, 698 [699]). 265 Siehe § 19 HRG (vom 08. 08. 2002 BGBl. I 3138). 266 Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (95, 98). Der „Aufbruch nach Europa“ führt entgegen der (zu optimistischen) Erwartung von Schiedermair, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 34 (78 ff., 85) zur Gefahr einer europäischen „Einheitsuniversität“. Der sog. Bologna-Prozess steht auch nicht im Zeichen einer europäischen Kulturpolitik, sondern im Zeichen von Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Wissenschaftsverbund und Arbeitsmarkt (vgl. Schiedermair, a. a. O., S. 82, 86). 267 Süddeutsche Zeitung, 22. 11. 2004, S. 11. 268 Nach Müller-Böling (Frankfurter Rundschau vom 03. 02. 2004, S. 31) legt ein Studium von drei oder vier Jahren im Bachelor „die Grundlagen für die meisten Jobs“. Das habe auch Auswirkungen auf die Hochschullehrer: „Eigene Spitzenforschung ist dafür ( . . . ) keineswegs erforderlich. Es ist völlig hinreichend, wenn die Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnisgewinnung grundsätzlich erfahren und erlebt wurden.“ Damit erwache Humboldt zu neuem Leben, so Müller-Böling. Das nahezu vollständig von der Bertelsmann-Stiftung
A. Die Gegenwart der Forschung
219
funktionalisierten Menschenbild aus, in dem Mitwirkung im Hochschulraum nur denjenigen gestattet ist, die sich „unternehmerisch verhalten“. 269 Damit findet jedoch nicht nur eine Isolierung der Lehre von der Forschung statt, sondern auch der Untergang der individuellen Vermittlung universitärer Forschung in der Lehre. Wandert aber die Forschung aus dem universitären Lehrbetrieb aus, ist die offene Transmission komplexen Wissens und die prinzipielle Partizipation aller an der wissenschaftlichen Forschung nicht mehr gewährleistet. 270 Die ökonomisierte Vorstellung von Lehre, Bildung und Erziehung hat auch Auswirkungen auf die Forschung. Diese isoliert sich entweder von einer verschulten Lehre oder versucht sich in Anpassung, indem intensiver nur auf denjenigen Gebieten geforscht wird, die zu den neuen Anforderungen kompatibel sind. 271 Wie auch immer, der Bedeutungsverlust universitärer Forschung resultiert schon allein daraus, dass zukünftig die bisher bestehenden Synergieeffekte zwischen wissenschaftlicher Forschung und wissenschaftlicher Lehre vermindert werden. Parolen wie „Brain Up!“ 272 werden hieran nichts ändern, sondern diese Entwicklung noch verstärken. Zudem führt der Abbau und das „Outsourcing“ von Forschungsabteilungen in den Industrieunternehmen dazu, dass eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen akademischer Grundlagenforschung und Wirtschaft verlangt wird. 273 Die Umgestaltung von Grundlagenforschung zu zweckund anwendungsorientierter Forschung ist damit impliziert. Das Spezifische universitärer Forschung, ihre Unterscheidbarkeit von anderen Forschungseinrichtungen, ihre symbiotische Verbindung mit einem Bildungs- und Erziehungsauftrag und damit auch ihre spezifische Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklung und Demokratie gehen verloren. 274 finanzierte CHE gehört zu den Hauptkritikern der Universität in ihrer überkommenen Form, vgl. Hartmer, a. a. O. (Fußn. 237), S. 481. 269 Vgl. FAZ vom 16. 03. 2005, S. N3. Fragwürdig ist es, dass für die einzurichtenden Bachelor- und Master-Studiengänge eine „Akkreditierung“ erforderlich ist (vgl. z. B. § 28 Abs. 5 S. 2, 3 HSchG M-V), obwohl die entsprechenden Kriterien auf europäischer Ebene noch gar nicht festgelegt sind. Somit kann auf diese Akkreditierung entsprechender politischer Einfluss genommen werden (Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen [2005], S. 83 [98]; Lege, JZ 2005, 669 [705]). Optimistisch zum sog. Bologna-Prozess dagegen: N. Reich/Vanistendael, ZRP 2002, 268 ff.: Die Umstrukturierung würde Juristen in Europa (wieder) wettbewerbsfähig machen. Hinsichtlich der noch immer weit überwiegend nationalen Prägung von Rechtssystemen stellt sich jedoch die Frage, inwieweit (alle) Juristen überhaupt international wettbewerbsfähig sein können und müssen. 270 Süddeutsche Zeitung, 22. 11. 2004, S. 11. 271 Nach Dahlmann (siehe oben Zweites Kapitel, A. I. 3.) ist die Wissenschaft als solche nicht an die Universität gebunden und versteht es zu wandern (Zwirner, AöR 1973, 313 [323 f.]). Die Frage, wohin (d. h. in welche Institution) die Wissenschaft denn auswandern könnte, stellt jedoch zu Recht Püttner, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 557 (567). 272 Vgl. Hering, in: Keuper/Schaefer, Öffentliche Unternehmen (2005), S. 83 (103). 273 Vgl. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 96.
220
3. Kap.: Die Realität von Forschung
Damit stellt sich die Frage, welche spezifische Bedeutung das Recht den Universitäten beizumessen hat und wie sich ihre grundrechtliche Sonderbehandlung durch Art. 5 Abs. 3 GG rechtfertigt. Muss eine Universität dann nicht auch grundrechtlich gleich einem Unternehmen behandelt werden?
V. Ergebnis: Technisierung und Ökonomisierung der Forschung Zwei Elemente kennzeichnen den Wandel der Forschung: Technisierung und Ökonomisierung. 275 Beide bedingen einander, wobei jedoch die Ökonomisierung – die privat organisierter Forschung seit jeher zu Eigen war – im Bereich der staatlichen Forschung Programm geworden ist. Es gibt einen „innigen IdeenInteressen-Verbund“ und eine „vorgängige Zweckbindung des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts“, was dazu führt, dass kommerziell orientierte Interessenforschung im Lebensbereich Forschung der Regelfall ist. 276 Am deutlichsten wird diese Entwicklung an den Hochschulen, weil ihre Forschung bisher von den Marktgesetzen der Ökonomie ausgenommen war. Die Unterschiede zwischen kommerzieller und akademischer Forschung sind im Schwinden, so sehr noch immer nach Fachgebieten zu differenzieren ist. Die Fremdsteuerung universitärer Forschung nimmt zu. 277 Im Bereich der Auftrags- und Drittmittelforschung ist eine „freiwillig-unfreiwillige Selbstprogrammierung“ 278 der Wissenschaftler im Hinblick auf die Vorgaben und Interessen des fördernden Geldgebers zu befürchten. Forschung ist geprägt von der Suche nach Nützlichkeit und Machbarkeit, nicht mehr von der Suche nach der Wahrheit, die über das Nützliche und Machbare hinausreicht.
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung Betrachtet man die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Forschung, wie sie sich insbesondere in der Bio- und Gentechnik in typischer Weise darstellt,
274 So im Ergebnis auch Sursock, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/2004, 41 (46) sowie Seidler, WissR 1999, 261 (266 ff.). 275 So auch Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 f. 276 H. Hesse, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 7 (19) unter Bezugnahme auf Helmut F. Spinner. 277 So auch H. Wagner, NVwZ 1998, 1235, wenngleich mit anderen Schlussfolgerungen. Die Widerstände und Aversionen des öffentlichen Forschungssystems gegen Kooperationen mit der Industrie seien ein Mentalitätsproblem, das gebrochen werden müsse (Dolata, Ökonomie der Gentechnik [1996], S. 163). 278 Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 18; vgl. auch Trischler, Forschung & Lehre 1/2002, 8 (9).
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
221
ist eine gewisse Blindheit des Isolationsmodells feststellbar. Deshalb sind die Grundannahmen des Isolationsmodells nur zu einem geringen Teil geeignet, bei der verfassungsrechtlichen Einordnung der Stammzellenforschung adäquate Ergebnisse zu liefern. Begründet ist dies in der unterschiedslosen Einbeziehung der Stammzellenforschung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG qua modalem Wissenschaftsbegriff. Sollen nun die Beschränkungen der Stammzellenforschung, wie sie mit dem Stammzellgesetz existieren, gerechtfertigt werden, führt die Kollision der Forschungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern zu einer Abwägung, bei der Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte entscheidend sind. Insofern erscheint hier der Gedanke einer Abstufung nach dem Wert von Forschung für das Allgemeinwohl (zum Beispiel für die volkswirtschaftliche Entwicklung) oder den zu erwartenden Nutzen für einzelne Rechtsgüter (etwa Art. 2 Abs. 2 GG bei medizinischer Forschung) nicht unangebracht. Wie jedoch beim Stammzellgesetz nachgewiesen, 279 verbietet es Art. 5 Abs. 3 GG bereits nach den Grundsätzen der herrschenden Interpretation, Wissenschaft hoheitlich zu bewerten und somit Importgenehmigungen von der „Hochrangigkeit“ (d. h. Nützlichkeit) der Forschungsvorhaben abhängig zu machen. Der spezifische Wert freier Forschung liegt darin, dass sie dann den größten Nutzen für die Gesellschaft hat, wenn sie frei von konkreten gesellschaftlichen oder ökonomischen Zweck- und Nützlichkeitserwägungen erfolgt. 280 Also darf eine staatliche Abwägung gerade nicht durch solche Erwägungen geprägt sein. Dürfte sie es nämlich, wäre „Wissenschaftsrichtertum“ die Folge. Das führt unabhängig von der Unabwägbarkeit der Menschenwürde zum Problem des „ganz oder gar nicht“. Unterschiedslos müsste in der Stammzellenforschung jede Forschung zulässig sein, beispielsweise auch jene in der Kosmetikindustrie. Ähnliche Probleme einer Forschungsbegrenzung gibt es auch bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, bei Tierversuchen oder der Arzneimittelprüfung mit Kindern oder Nichteinwilligungsfähigen. Nützlichkeitserwägungen oder Allgemeinwohlgründe dürften hier (außerhalb der Forschungsförderung) eigentlich nicht berücksichtigt werden. Das Verständnis des Isolationsmodells ist nicht wirklich in der Lage, konsistent die rechtlichen Grenzen für die Forschung zu bestimmen. Denn das Isolationsmodell übersieht ein wesentliches Kennzeichen moderner Wissenschaft: Deren Freiheit bezieht sich uneingeschränkt lediglich noch auf die Methodik der Forschung. Bei der Auswahl der Fragestellungen ist die Freiheit jedoch beschränkt – entweder, weil sich hieran besondere Erwartungen des Forschers 279
Siehe oben Zweites Kapitel, C. III. 4. BVerfGE 47, 327 (370) – Hess. Universitätsgesetz; hierzu krit. (mit dem häufg vorgebrachten Argument, sonst wäre private eigennützige Forschung nicht mehr von Art. 5 Abs. 3 GG gedeckt) Krüger, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 261 (300). 280
222
3. Kap.: Die Realität von Forschung
hinsichtlich seiner Finanzausstattung knüpfen 281 oder weil er arbeitsvertraglich auf die Bearbeitung bestimmter Fragestellungen verpflichtet ist.
I. Die Ausdünnung der Forschungsfreiheit Wie eingangs gezeigt, weist bereits das BVerfG auf die massiven Veränderungen in der Forschungs- und Hochschullandschaft hin, 282 und spätestens seit dem Ende der 1980er Jahre werden in der Kommentarliteratur neben dem Schwerpunkt der Hochschulreformen der 1960er und 1970er Jahre die Probleme biound gentechnologischer Forschung mehr oder weniger ausführlich angesprochen und erörtert. 283 Dennoch bleibt die grundrechtliche Einordnung von Forschung durch die universitäre Vergangenheit geprägt. So wie die Universitäten seit Anfang des 19. Jahrhunderts vom Humboldtschen Ideal geprägt waren, so liest sich die grundrechtliche Funktion der Forschungsfreiheit als idealistisches Wunschbild. Freie Forschung scheint ein hohes kulturelles Gut zu sein, dessen Nähe zur Kunstfreiheit nicht zufällig ist. Sie scheint prinzipiell selbstlos, unabhängig und ungefährlich und deshalb grundrechtlich so schützenswert zu sein. Gleichzeitig soll jedoch – zumeist ohne Abstriche – auch diejenige Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sein, der diese Eigenschaften fern liegen. Der verfassungsrechtlichen Dogmatik fällt es schwer, die Wandlung der Forschung überzeugend zu verarbeiten. 284 Die Diskrepanz zwischen tatsächlicher wissenschaftlich-technischer Entwicklung einerseits und den geistesgeschichtlichen Grundlagen des Wissenschaftsbildes andererseits führt dazu, dass die Verfassungsrechtsdogmatik Gefahr läuft, ein Theoriedefizit zu ihrer Grundlage zu machen: Die organisatorischen und historischen Prämissen, die den wesentlichen Diskussionen zur Wissenschaftsfreiheit (insbesondere 1927 und 1968) zugrunde lagen, werden auf den gesamten Lebensbereich Forschung erstreckt. Die Grundlagen des modernen Wissenschaftsverständnisses (reale wissenschaftlich-technische Entwicklung und ideale geistesgeschichtliche Grundlage universitärer Wissenschaft) werden zu einem theoretischen Missverständnis zusammen gefügt, in dem die Differenzen zwischen den einzelnen Forschungsbereichen ignoriert werden. Dieses Missverständnis wird sodann zur Grundlage grundrechtlich gewährleisteter Freiheit gemacht. 285 Das führt im Ergebnis zu einer postmodern bezeichneten rechtswissenschaftlichen Haltung, die 281
Vgl. Denninger, in: Stober, FS Roellecke (1997), S. 37 (53). BVerfGE 35, 79 (108 f.) – Hochschulurteil. 283 Siehe z. B. Schulze-Fielitz, in: Benda/Vogel, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 12 ff., 29 ff.; Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 19a. 284 Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1074). 285 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 83. 282
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
223
dem „Anything goes“ 286 anhängt und damit im Ergebnis zur Ausdünnung des Grundrechts auf freie Forschung führt. 287 1. Illusion selbstlose Forschung a) Idealistische Forschung Theodor Adorno sagte 1953 in einer Rede zum Thema „Technik und Humanismus“: „In unserer Arbeit sind wir, jeder von uns, in weitem Maße nicht wir selber, sondern Träger von Funktionen, die uns vorgezeichnet sind. Nur in Schundromanen werde große medizinische Erfindungen aus Liebe zu den Menschen gemacht oder große kriegstechnische aus Patriotismus.“ 288
Mit der Liebe zu den Menschen als ausschlaggebendem Motiv für die Forcierung der Stammzellenforschung ist man jedoch immer wieder konfrontiert. Der hippokratische Eid, d. h. das Ideal der Verbesserung der Heilkunst, ist die moralische Rechtfertigung für ethisch problematische Forschung: So soll das mutmaßliche therapeutische Anwendungspotential embryonaler Stammzellen für an schweren Krankheiten leidende Menschen möglichst schnell dienstbar gemacht werden, weil dies eine ethische Verpflichtung sei. In der Bundestagsdebatte zum Stammzellgesetz war folglich auch zu hören, die Forschung mit embryonalen Stammzellen sei moralisch geboten, weil der Wille zu heilen ein humanitärer Auftrag sei. 289 Auch findet sich trotz aller evidenten Bestrebungen in diesem Forschungsbereich, die gewonnenen Erkenntnisse in gewerbliche Schutzrechte umzumünzen, 290 das doppelbödige Argument, Forschungsergebnisse seien ein 286
Das Schlagwort „Anything goes.“ geht in der Wissenschaftstheorie auf Paul Feyerabend zurück, der es als Antithese zu Poppers „Kritischen Rationalismus“ in seiner sogenannten „anarchistischen Erkenntnistheorie“ aufgestellt hat (Feyerabend, Wider den Methodenzwang [2001], im Orginal „Against Method: Outline of an anarchistic theory of knowledge“ von 1975). Feyerabend versucht den Nachweis, dass Wissenschaftler je nach Situation den etablierten methodologischen Regeln folgen oder sie verletzen. Die Übersetzungen differieren: „Mach, was Du willst.“, „Alles ist möglich.“, „Alles ist okay.“, vgl. Trute, Forschung (1994), S. 59. Im vorliegenden Zusammenhang ist damit bezüglich der Forschungsfreiheit das Prinzip eines weiten Schutzbereichsverständnisses gemeint, dass zunächst Prämissen aufstellt, um sie sodann wieder zu relativieren; siehe hierzu die Kritik von A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (105). Die Haltung eines „Anything goes.“ findet sich auch in der Entscheidung des BVerfG zum Hochschulgesetz Brandenburg wieder. 287 So im Ergebnis Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (492 f.) sowie Gärditz, NVwZ 2005, 407 (409). 288 Adorno, in: Lenk/Ropohl (Hrsg.), Technik und Ethik (1993), S. 22 (28). 289 BT-Plenarprotokoll 14/214, 21197; vgl. hierzu auch Viertes Kapitel, C. I. 1. 290 Als Argument kann sicherlich vorgebracht werden, dass ohne Patente die hohen Kosten biotechnologischer Forschung nicht finanzierbar seien und der medizinische Fort-
224
3. Kap.: Die Realität von Forschung
öffentliches Gut, das im Interesse aller Menschen liege, und alle Menschen hätten einen Anspruch, in den Genuss dieses Gutes zu kommen. 291 Diese – im Grundsatz durchaus richtige – Feststellung findet sich auch in Art. 27 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 292 wieder: Es sei das Recht eines jeden Menschen, am wissenschaftlichen Fortschritt und an dessen Wohltaten teilzuhaben. Die neuen medizinischen Möglichkeiten würden auch ein neues Maß an Freiheit, insbesondere Gewissensfreiheit und Selbstverantwortung eröffnen, wie der damalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Markl, hervorhebt. 293 Dem Idealismus und dem Wohl der Menschheit dienen soll denn auch die Forschungsfreiheit. So wird betont, dass sie „idealistisch zweckfrei“ für die Selbstverwirklichung des Wissenschaftlers gewährleistet werde und eine zentrale Bedeutung als Strukturmerkmal des Verfassungsauftrags Kulturstaat habe. 294 Forschung hat also eine persönlichkeitsrechtliche Seite: Sie sei ein höchstpersönliches Grundrecht der Privatheit, das im Gefährdungsfall machtgeschützte Innerlichkeit garantiere. 295 Noch weiter geht das Argument, die Freiheit der Wissenschaft müsse als „wirklicher integraler Ausdruck unserer Menschenwürde“ begriffen werden. 296 Gleichzeitig wird eine „utilitaristische Komponente“ nicht verschwiegen: Forschungsfreiheit hat auch eine Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung des Staates. Denn fruchtbare Wissenschaftstätigkeit ist unter den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft eine notwendige Komponente wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. 297 Es heißt, die meisten Forscher wünschten sich, dass ihre Erkenntnisse zum Nutzen des Individuums, der Gesellschaft und der Umwelt wirken, 298 und es wird das Moment der Motivation, der Begeisterung und der emotionalen Bindung
schritt nicht möglich wäre. Dieses Argument ist jedoch empirisch nicht nachprüfbar, vgl. Drittes Kapitel, A. IV. 4. c). 291 Kritisch zu diesem Argument aufgrund der Attraktivität von Patenten: Kettner, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23 – 24/2004, S. 14 (15 f.). 292 Verabschiedet von der UN-Vollversammlung per Resolution 217 A (III) am 10. 12. 1948. 293 Markl, in Geyer: Biopolitik (2001), S. 177 (186 f.). Über das Maß dieser Freiheit und sich daraus ergebender Unfreiheiten soll hier nicht spekuliert werden. 294 Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 20, 23. Auf das Verhältnis zwischen Utilitarismus, Idealismus und Kulturstaat wird noch zurückzukommen sein (Viertes Kapitel, A. I.). Ausführlich zum Kulturstaatsauftrag im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 GG: Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 7 f. 295 Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 21. Hier wird die Nähe zur Kunstfreiheit deutlich; siehe hierzu auch Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 256–259. 296 Losch/Radau, NVwZ 2003, 390 (391). 297 Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 20. 298 Markl, in Geyer: Biopolitik (2001), S. 177 (192).
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
225
des Forschers an seinen Forschungsgegenstand hervorgehoben. 299 Idealistische Vorstellungen sind in der Wissenschaft wie in anderen Berufen sicherlich nicht unangebracht. 300 Sie können aber auch nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden. So werden beispielsweise die Träume und Visionen der Biowissenschaftler polemisch als „monokuläre Ich-Jagd“ kritisiert, die vorrangig dem eigenen Vorteil diene. 301 b) Reputation als Belohnungssystem Den doch sehr idealistischen Vorstellungen von Forschung widerspricht bereits die idealistisch geprägte Wissenschaftssoziologie Mertons. 302 Merton geht davon aus, dass Wissenschaft ohne Belohnungssystem gar nicht funktioniert. Idealiter ist dies Reputation in Form von Anerkennung durch die Fachkollegen. 303 Doch auch die „Währung“ Reputation führt wie Kapital nicht nur zu einer Form von „Reputationshierarchie“, sondern auch zu einer „Klassenstruktur“ der Wissenschaft. 304 Dies läuft folgendermaßen ab: Reputation führt zur Verbesserung der Forschungsbedingungen durch Zuweisung wissenschaftlicher Ressourcen und akkumuliert sich dabei. Im Ergebnis kommt es damit zu einem Selektionsprozess, an dessen Ende eine Konzentration auf wenige Personen oder wissenschaftliche Einrichtungen steht. Entscheidend für Reputation ist proportional zu ihrer Akkumulation dann nicht mehr die Qualität der Forschungsergebnisse, sondern der Zugang zu Wissenschaftsressourcen und Veröffentlichungsmöglichkeiten. Das Belohnungssystem der Reputation ist jedoch – solange keine Überakkumulation stattfindet – zugleich Kontrolle und Selbststeuerung durch die scientific community. Es kann daher als wissenschaftsimmanent angesehen werden. Dieses spezifische Belohnungssystem ist schlechthin ein Kennzeichen der Wissenschaft als soziales System und unterscheidet es von anderen Systemen. 305 Doch schon das Reputationsmodell zeigt, dass der Glaube an den selbstlosen Forscher, den 299
Vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 67. Siehe hierzu auch Mertons Beobachtung eines „Kommunismus“ in der Wissenschaft (siehe unten Fünftes Kapitel, B. III. 2.). 301 So Geisler, in: Schell/Seltz, Inszenierungen (2000), S. 132 (134). Weiter führt Geisler aus: „Exzess ist das Brandzeichen der Visionen, denen sich die neuen Wilden unter den Wissenschaftlern ungestraft hingeben, Ökonomie und Karriere stets fest im Visier. Aus diesen Visionen entspringt der quasi-religiöse Fundamentalismus der modernen Wissenschaften. Ihre Visionen werden zur Bürgerpflicht, ihre Diktion zur verbindlichen Terminologie.“ 302 Siehe hierzu insbesondere Fünftes Kapitel, B. III. 2. 303 Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 147 f. Die Reputation erfüllt eine ungemein wichtige Steuerungsaufgabe, so auch A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (58). 304 Zum Folgenden Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 150 f., 169 f. 305 Vgl. Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (497 f.). 300
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
reines Erkenntnisstreben leitet, getrost als Illusion bezeichnet werden kann. 306 Stattdessen findet auch in der idealistisch geprägten Wissenschaft ein Kampf um Reputation und damit um Ressourcen statt. c) Belohnungssysteme und Organisationszweck Es ist nach Sachverhalt und Person jeweils höchst unterschiedlich, ob Neugier um ihrer selbst willen primär Anstoß des konkreten Forschungsprozesses oder sekundäre Folge anderer forschungsfremder Einflüsse ist. 307 Denn Motivation ist steuerbar, und sie wird gerade nicht immer durch die Suche nach Wahrheit um ihrer selbst willen gesteuert, sie lässt sich vielmehr – zugespitzt – auf zwei Steuerungsprinzipien zurückführen: Reputation und Geld. 308 Beider Allokation ist entscheidend für die Produktion, Beurteilung und Vermehrung von Wissen. Beide führen zur Akquise von Forschungsressourcen. Attraktiv wird eine wissenschaftliche Tätigkeit dann, wenn dem Forscher optimale Forschungsbedingungen geboten werden. Dies befriedigt seine persönliche Neugier und seinen Ehrgeiz. Wenn möglich, möchte er darüber hinaus Reputation erringen. Dies gelingt jedoch nur, wenn er seine Erkenntnisse der scientific community zur Verfügung stellt. Liegt es hingegen im Interesse desjenigen, der die Forschung organisiert, dass Erkenntnisse ökonomisch genutzt werden, dann bestehen nur eingeschränkte Publikations- und Reputationsmöglichkeiten. Sehr viel entscheidender für die Beurteilung von „Selbstlosigkeit“ als die persönliche Motivation ist daher der Zweck einer Forschungsorganisation. Gerade im Bereich der Industrieforschung, der angewandten Forschung und der nicht autonom organisierten Forschung wird davon auszugehen sein, dass hier das GeldMoment besonders ausgeprägt ist. Reputation wird in diesem Bereich als Organisationszweck kaum oder nur als sekundäres Ziel angestrebt, auch wenn sich in Einzelfällen der einzelne Forscher dort mit seiner Neugier besonders verwirklichen kann oder zu können glaubt. Neugier darf sich nur innerhalb eines eng gesteckten Rahmens entwickeln und muss zweckorientiert bleiben. Polemisch, aber nicht unzutreffend lässt sich im Zusammenhang mit patentbezogener Forschung in der Bio- und Gentechnik sogar von einem Trend zur Gier sprechen. 309
306
So auch Wolters, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 199 (201). Vgl. H. Hesse, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 7 (19). 308 Ähnlich (mit den „Antriebskonzepten“ Wissbegierde, Investitionen, Professionalität, Routine und Ehrgeiz) Gutscher, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 79 ff.; siehe auch Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (64). 309 Diese Gier müsse durch das Recht gesteuert werden, so Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002) S. 67 (88). Gerade bei der Patentierung von DNA-Sequenzen beim Menschen fand zur Jahrtausendwende ein richtiggehender „Run“ statt, bei dem „Claims abgesteckt“ wurden. Auch Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (500), 307
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
227
Selbstlosigkeit als Merkmal der Forschung ist ein Mythos. Nur bestimmte organisatorische Rahmenbedingungen können Forschung (nicht nur in finanzieller Hinsicht) unabhängig von Fremdsteuerung, d. h. von äußeren, nicht wissenschaftsimmanenten Faktoren machen. Der Ort hierfür ist idealerweise die Universität, mit der der Staat seiner Verpflichtung nachkommen sollte, freie Wissenschaft zu gewährleisten. 310 Die kommerzielle Forschung muss dagegen ökonomischen Zwecken dienen und ist diesen untergeordnet. Es geht um Wettbewerb, um Konkurrenz, um Marktmacht und Profit. Betrachtet man die Forschung in der Bio- und Gentechnik, so wird diese von Unternehmen aus dem Pharmabereich, von privatrechtlichen Ausgründungen staatlicher Forschungseinrichtungen und von Auftragsarbeiten dominiert. 311 Mehr denn je gilt hier, dass die Motivation des einzelnen Forschers von seiner Eingebundenheit in solche Organisationen bestimmt wird. Selbstverwirklichung und Höchstpersönlichkeit werden nur innerhalb eines fremdgesteckten Rahmens akzeptiert, Freiräume für ein Prinzip wie „Einsamkeit und Freiheit“ sind hier unwahrscheinlich, da der Nutzen von Erkenntnissen einer solch idealistisch geprägten Forschungstätigkeit kaum privaten Zwecken dienen können wird. Es würde sich zumeist um Grundlagenforschung handeln, einen Forschungsbereich also, der nicht ohne Grund in der Industrie verschwindend gering vertreten ist. 312 2. Eindimensionale Erstreckung des Art. 5 Abs. 3 GG auf alle Forschungsbereiche Das oben angesprochene verfassungsrechtliche Theoriedefizit wird deutlich, wenn in den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG eindimensional 313 und undifferenziert alle Forschungsbereiche einbezogen werden sollen. Denn es ist lediglich die abwehrrechtliche Dimension der Forschungsfreiheit, die für alle Forschungsbereiche gelten soll. 314 Dagegen werden die für die universitäre Wissenschaft entwickelten hält es für wahrscheinlicher, dass Macht und Reichtum die Wissenschaft korrumpieren, als dass umgekehrt die Wissenschaft die sittlichen Verhältnisse verbessert. 310 BVerfGE 35, 79 (114) – Hochschulurteil. 311 Siehe oben Erstes Kapitel, A. II. 312 Im Bereich der chemischen Industrie hat der Anteil 1985 6,3% betragen, so Kamp, Kommerz (2004), S. 63. Im Jahre 2002 betrugen die Ausgaben in der Wirtschaft für Grundlagenforschung 5% (Bundesbericht Forschung 2004, S. 475). Dagegen beträgt beispielsweise der Anteil der Ausgaben der Max-Planck-Gesellschaft für die Grundlagenforschung 90 % (Bundesbericht Forschung 2004, S. V). 313 Im Gegensatz zur Mehrdimensionalität, wie sie z. B. im Hochschulurteil des BVerfG entwickelt wurde, siehe Häberle, AöR 1985, 327 (357 ff.). 314 So eindeutig das Verständnis für private Forschung von Kamp, Kommerz (2004), S. 38 ff. und Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 111 f., 142 ff. Unentschieden insoweit Trute, Forschung (1994), der anhand seines Handlungsbegriffes zwar eine Unterscheidung
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
objektivrechtlichen Dimensionen entweder gar nicht oder nicht entschieden genug übertragen. Ein Teil der Literatur nimmt ohne weitere Begründung an, dass dementsprechend auch alle Forschungseinrichtungen den Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG beanspruchen können. 315 Demgegenüber wird von einem anderen Teil zwar ein gewisses Maß an Autonomie oder Freiheit verlangt (zumeist im Zusammenhang mit einer wesensmäßigen Übertragung gemäß Art. 19 Abs. 3 GG), jedoch ohne dass dies weiter ausgeführt wird. 316 So entsteht unweigerlich der Eindruck, die überwiegende Meinung vertritt zumeist ohne weitere Begründung unter Anwendung des modalen Wissenschaftsbegriffes, dass auch Ressort-, Zweck- und Auftragsforschung wissenschaftliche Forschung und als solche durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt ist. 317 Ausgangspunkt ist dabei die angenommene Eigenschaft von Art. 5 Abs. 3 GG als subjektives Abwehrrecht für „jedermann“. Forschungsanliegen spielen keine Rolle. Es sei für den Grundrechtsschutz gleichgültig, wessen Interessen die Forschung diene, solange nur eigenständige Erkenntnisoperationen und Methodenwahl gesichert seien. 318 Bedenkenswert ist hierbei sicher das Argument, dass das Motiv eines
in Forschungsbereiche für hinfällig hält (ders., a. a. O., S. 125), andererseits durchaus Industrieforschung als nicht vom Normbereich der Forschungsfreiheit umfasst sieht (a. a. O., S. 106). 315 Z. B. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 5; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 35 (wobei ders. a. a. O. Rdnr. 60 einen „Status freiheitlich autonomer Wissenschaft“ verlangt); ebenfalls mit gleicher Formulierung Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 123, 125 (via Art. 19 Abs. 3 GG, ausdrücklich nur für „andere Wissenschaftsorganisationen, wie beispielsweise die Max-Planck-Gesellschaft“; jedoch für die Einbeziehung jeder Forschung ders., a. a. O., Rdnr. 98). 316 Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 35; Münch, Staatsrecht (2002), Rdnr. 428; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 5, Rdnr. 99; angedeutet auch bei Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 60; ausführlich hierzu Kleindiek, Risikogesellschaft (1998) S. 261 ff., 331. 317 Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 78; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 325; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 98; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 3, 5.; die fehlende Begründung für die h. M. will Kamp, Kommerz (2004), S. 43 (m. w. N. in Anm. 29), liefern; a. A. Trute, Forschung (1994), S. 97 ff., für den wohl Ressortund Industrieforschung nicht von Art. 5 Abs. 3 GG umfasst sind; ebenso M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 104 ff., sofern wiss. Wissen geheim gehalten wird; Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 261 ff., soweit die Forschungsorganisation nicht autonom ist. 318 Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 325; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 14 (die Übertragung einer institutionellen Komponente via Art. 19 Abs. 3 GG wird jedoch in Rdnr. 60 vom Status freiheitlich autonomer Wissenschaft abhängig gemacht); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 98; Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 75, 78 ff. (insb. S. 83).
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
229
Verhaltens nicht entscheidend für die Frage sein könne, ob es in den Schutzbereich eines Grundrechts falle. 319 Zieht man jedoch andere Grundrechte heran, sind die Motive grundrechtsrelevanter Handlungen nicht immer irrelevant. Hierauf wird noch ausführlicher zurückzukommen sein. 320 Vorweg: Bei der Religionsfreiheit müssen Handlungen sehr wohl religiös motiviert sein, um in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1, 2 GG einbezogen zu werden. Gleiches gilt für Versammlungen nach Art. 8 GG, die nur dann dem Grundrechtsschutz unterfallen, wenn sie der politischen Meinungsbildung dienen sollen. 321 Entsprechend schwer fällt es, mit dem modalen Wissenschaftsbegriff eine Abgrenzung zur nichtwissenschaftlichen Forschung vorzunehmen. Während Industrieforschung zumeist als wissenschaftliche Forschung gilt, ist es weniger einfach, ein mit wissenschaftlichen Methoden erstelltes Gutachten eines Rechtsanwalts für seinen Mandanten dem Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG zuzurechnen. 322 Bereits hieran zeigt sich, wie unzureichend das alleinige Abstellen auf einen modalen Wissenschaftsbegriff ist. Ob eine wissenschaftliche Tätigkeit vorliegt, richtet sich deshalb zusätzlich nach den sozialen Kriterien der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Hier kommt die konkrete Funktion des Grundrechtsschutzes durch Art. 5 Abs. 3 GG zum Tragen. 3. Schutz gefährlicher (risikobehafteter) Forschung? Wissenschaft und Forschung sind nie per se ungefährlich. Als Beispiel außerhalb technischer Forschungsbereiche mag die Evolutionstheorie von Darwin dienen. Deren Erkenntnisse waren am Ende des 19. Jahrhunderts Legitimation und Grundlage für „sozialdarwinistische“ Theorien, die eigentlich biologische Prinzipien wie „survival of the fittest“ und „struggle for life“ auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik übertrugen und später der (pseudo-)wissenschaftlichen Untermauerung von Faschismus und Rassismus dienten. 323 Gleiches kann auch
319
Kamp, Kommerz (2004), S. 95 f. Siehe unten zur Kunstfreiheit Viertes Kapitel, C. IV. 1. sowie zur Religions- und Versammlungsfreiheit Fünftes Kapitel, C. I. 4. 321 So die – allerdings nicht unbestrittene – h. M.; siehe m. w. N. unten Fünftes Kapitel, C. I. 4. b) . 322 Ähnlich M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 177, verkompliziert durch die Frage, ob der Arbeitgeber eines angestellten Rechtsanwalts ihm eine Veröffentlichung verbieten kann; siehe hierzu und zu anderen Fällen Fünftes Kapitel, A. II. 1. 323 Als Vertreter sozialdarwinistischer Ideen werden Herbert Spencer (1820–1903) und Ernst Haeckel (1834–1919) angesehen. Auch im Zusammenhang mit den Biowissenschaften wird die Gefahr des Sozialdarwinismus gesehen: „Wer das Bild des Übermenschen 320
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
für die Theorien von Marx und Engels behauptet werden, unter deren Ägide sich eine Stalinistische Gewaltherrschaft etablierte. Die theoretischen Erkenntnisse aus Einsteins spezieller Relativitätstheorie von 1905 lieferten die Grundlage für die erste Atomspaltung 1938 durch Otto Hahn, die geradewegs zum Bau und zum Abwurf der Atombombe führte. Dennoch wird man beiden Physikern kaum dieses Resultat rechtlich oder moralisch zurechnen und zum Beispiel die theoretische Physik Einsteins unmittelbar als gefährlich oder risikobelastet ansehen können. 324 Anders ist dies jedoch bei Forschung, die zwar im Labor stattfindet, aber im Falle des Versagens von Sicherheitseinrichtungen unmittelbar Schäden an anderen Rechtsgütern herbeiführen kann, oder bei Forschung, die sich direkt der Umwelt als „Labor“ bedient, wie es beispielsweise bei Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen zu Forschungszwecken der Fall ist. Häufig besteht zusätzlich das Problem, dass zum Zeitpunkt des Forschungshandelns noch gar nicht erkennbar ist, ob dieses gefährlich ist oder nicht. Hier kommt die bereits beschriebene spezifische Form von Risiko als Nichtwissen hinzu. 325 Auch solche Forschung entspricht am Ende nicht dem idealistischen Bild, das von Forschung gemalt wird. Zu schmal ist der Grat zwischen dem Forscher, der das Heil der Welt im Blick hat, und dem Größenwahn, 326 zu schmal der Grat zwischen Verantwortung und Verantwortungslosigkeit und zu unübersehbar die Folgen, die erst in ferner Zukunft eintreten können.
entwirft, entwirft zugleich unentrinnbar auch das Bild vom Untermenschen, vom genetischen underdog . . . “, so Geisler, in: Schell/Seltz, Inszenierungen (2000), S. 132 (138). Zur NS-Rasselehre und ihrer Unterstützung durch die Wissenschaft vgl. Heldrich, Freiheit zum Irrtum? (1987), S. 14 ff. sowie Prause/Randow, Teufel in der Wissenschaft (1989), S. 97 ff. 324 Dennoch wurde ein Verhaltenscodex für (Atom-)Physiker gefordert, vgl. Potthast, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 52 (58). Dies ist vielleicht darin begründet, dass Albert Einstein neben anderen Wissenschaftlern den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt aufgefordert hatte, die Atombombe zu entwickeln, um zu vermeiden, dass Adolf Hitler in den alleinigen Besitz dieser Waffe käme. Dies war jedoch politisches Engagement, kein wissenschaftliches. Anders sieht dies bei Robert Oppenheimer und mehreren tausend weiteren Wissenschaftlern und Technikern aus, die am Bau der Atombombe direkt beteiligt waren. Hier handelte es sich um militärische Forschung. 325 Vgl. Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 198; siehe auch oben Drittes Kapitel, A. IV. 3. a) cc). 326 Man denke hier an die immer wieder über die Medien verbreitete Nachricht, ein geklonter Mensch sei geboren worden (vgl. Der Spiegel 1/2003 vom 30. 12. 2002, S. 113 sowie 2/2003 vom 06. 01. 2003, S. 88 ff.). Technologische Allmachtsphantasien wirft den Biowissenschaftlern auch Geisler, in: Schell/Seltz, Inszenierungen (2000), S. 132 (133 ff.) vor.
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
231
4. Schutz freier Wissenschaft durch die Wissenschaftsfreiheit? So häufig der gesamte Lebensbereich Forschung in den Schutz- und Gewährleistungsbereich von Art. 5 Abs. 3 GG einbezogen wird, so selten wird diese vermeintlich freiheitsfreundliche Interpretation daraufhin überprüft, inwieweit sie wirklich geeignet ist, freie Forschung zu schützen. Dem muss nämlich die Klärung der Frage vorausgehen, was „freie Forschung“ überhaupt kennzeichnet. Freie Forschung kann (ausschließlich) solche sein, die frei von staatlicher (oder privater) Ingerenz ist. Im Bereich staatlich organisierter – vornehmlich universitärer – Wissenschaft reicht jedoch ein solches Merkmal nicht aus, um Grundrechtsverletzungen feststellen zu können. Folglich muss dort freie Forschung darüber hinausgehende Merkmale aufweisen. Damit muss die Rechtsfolge des Art. 5 Abs. 3 GG („ist frei“) nicht nur die Freiheit von staatlicher Beeinflussung bzw. Kontrolle bedeuten, sondern darüber hinausgehend einen normativen Gehalt haben, der sich in Organisations- und Teilhaberechten entäußert. Wird jedoch dieser normative Gehalt auf den gesamten Lebensbereich Forschung angewendet, kommt es zwangsläufig zu Konflikten mit anderen Interessen, insbesondere wirtschaftlicher Art. Dies zwingt sodann zur Reduktion der Merkmale freier Forschung und damit der allgemeinen Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit von Forschung, was auf Kosten der Schutzintensität des Art. 5 Abs. 3 GG geht. Der Schutz des gesamten Lebensbereichs Forschung und der Schutz freier Forschung durch die Forschungsfreiheit schließen sich gegenseitig aus, denn die ebenfalls geschützte Verwertungsfreiheit beeinträchtigt die eigentlich zu schützende Erkenntnisfreiheit. 327 a) Notwendige Voraussetzungen freier Forschung Geht man davon aus, dass Art. 5 Abs. 3 GG letztlich dem Individuum freie Forschung ermöglichen soll, die nicht nur in abwehrrechtlicher Hinsicht frei gegenüber dem Staat, sondern auch frei gegenüber den Vorgaben der jeweiligen Organisatoren und Geldgeber von Forschung – gleich ob privat oder öffentlich – ist, dann sind mehrere Voraussetzungen notwendig, um idealtypische Freiheit in einem möglichst umfassenden Sinne zu schaffen. Der Forscher wird durch seine Forschungsleistungen versuchen, alle oder einzelne dieser tatsächlichen Voraussetzungen möglichst umfassend erringen zu können; die Nähe zur idealistischen universitären Wissenschaft ist hierbei nicht zufällig:
327
Vgl. Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (64).
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
− Alimentierung ohne Zweckgebundenheit Der Forscher muss seinen Lebensunterhalt bestreiten können und eine gewisse soziale Sicherheit genießen, ohne dass dies an einen bestimmten Forschungszweck, -erfolg und/oder -gegenstand gebunden wäre. − Forschungsressourcen ohne Zweckgebundenheit Der Forscher hat ein Recht auf eine (fach-)angemessene Grundausstattung, die es ihm ermöglicht, Forschungsgegenstände und -methoden zu wählen. 328 Darüber hinaus sind Eingriff bzw. Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit umso stärker, je stärker die Verteilung von (zusätzlichen) Forschungsressourcen an bestimmte Zwecke gekoppelt ist. − Publikationsfreiheit Um die spezifische Belohnung des Wissenschaftssystems, nämlich Reputation, erringen zu können, muss es dem Forscher möglich sein, seine Erkenntnisse frei zu veröffentlichen. − Funktionsgerechte Organisationsstruktur unter Beteiligung der Grundrechtsträger Wie bereits dargestellt, ist ein Ausgleich zu finden zwischen der Notwendigkeit, sich zum Zwecke der Forschung zu organisieren bzw. organisiert zu werden und dem Recht auf Wahl von Forschungsziel, -gegenstand und -methode. Das kann nur durch die Mitbestimmung der Forscher erreicht werden. Diese kann zum Beispiel wie an den Universitäten durch ein Repräsentationsprinzip umgesetzt werden und erfordert die Autonomie bzw. Selbstverwaltung der Organisation. Bei der Entscheidungsfindung sind neben dem Mehrheitsprinzip auch ein gewisser Minderheitsschutz, sonstige Beteiligungsrechte und ein interner Interessenausgleich zu beachten. 329
328 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 100, 177; Lorenz, JZ 1981, 113 (114). Auf die Bedeutung der Grundausstattung der Institution für den Aktionsraum des Wissenschaftlers in seinem realen freiheitlichen Gehalt weist SchulzPrießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 92 hin. Dieser Anspruch umfasst zwar nicht schlechthin das Recht, jeden gewünschten Forschungsgegenstand zu wählen, muss aber andererseits noch Möglichkeiten zur Wahl offen lassen. 329 Zur Autonomie: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 261 ff. Dies kann man auch als demokratische Strukturen bezeichnen, siehe hierzu auch Daxner, Die blockierte Universität (1999), S. 10 ff., S. 98. Gegen eine Pflicht zur Demokratisierung: Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 153. Jedenfalls sind demokratische Elemente als formales Verfahrensprinzip zur Ausgestaltung autonomer Organisationsformen erforderlich (Kleindiek, Risikogesellschaft [1998], S. 271 ff.). Zu den Anforderungen des Demokratieprinzips an die Hochschulverfassung siehe Schenke, NVwZ 2005, 1000 (1005 f.).
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
233
b) Konträr: Beispiel Drittmittelforschung und neue Professorenbesoldung Die grundsätzliche Eigengesetzlichkeit wissenschaftlicher Forschung wird oft genug betont, äußere, insbesondere nichtstaatliche Einflüsse spielen jedoch anscheinend in der Dogmatik keine Rolle. Dies gilt auch für universitäre Forschung, die nach allgemeiner Meinung der Ort für freie Forschung sein soll. Im Rahmen der Zweck- und Auftragsforschung 330 wird mehr oder minder selbstverständlich die sog. Drittmittelforschung an den Hochschulen „in vollem Umfang“ in den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG einbezogen. 331 Dabei handelt es sich hier um einen besonders sensiblen und problematischen Bereich, da die Hochschulen Bestandteil der staatlichen Verpflichtung sind, freie Forschung zu ermöglichen und in dieser Hinsicht ein staatliches Monopol besteht. 332 Unzulässig wäre es, § 25 HRG, der Drittmitteleinwerbung lediglich einfachgesetzlich zulässt, als Begründung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit heranzuziehen. Es muss originär aus Art. 5 Abs. 3 GG ein (Grund-)Recht des Hochschullehrers auf Drittmittelforschung abgeleitet werden. Da Art. 5 Abs. 3 GG kein originäres Leistungsrecht beinhaltet, wird argumentiert, Drittelmittelforschung bringe immer einen individuellen Freiheitszuwachs mit sich. 333 Auch wenn, abhängig von Qualität und Quantität des Einflusses, in drittmittelabhängiger Forschung durchaus ein Problem für die wissenschaftliche Unabhängigkeit gesehen wird, 334 wird die Vereinbarkeit von § 25 HRG mit Art. 5 Abs. 3 GG jedoch in diesem Zusammenhang kaum thematisiert. 335
330 Siehe oben m. w. N. Erstes Kapitel, A. IV. 2.; ausführlich zur Auftragsforschung aus wissenschaftshistorischer Sicht: Lieske, Forschung als Geschäft (2000), S. 10 ff., 224 ff. 331 Vgl. Oppermann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 671 (675 f.); ders. m. w. N. in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 15; Denninger, in: Denninger/ Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 25; einbezogen wird die Drittmittelforschung auch von Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 30; krit. hinsichtlich der Abhängigkeit von Drittmitteln jedoch ders., a. a. O., Rdnr. 60. 332 Vgl. BVerfGE 35, 79 (114) – Hochschulurteil. An diesem grundsätzlichen Monopol ändert auch die Existenz weniger privater Hochschulen (z. B. der Universität WittenHerdecke) nichts. Auch sind diese privaten Einrichtungen weniger offen als die staatlichen Hochschulen, da sie z. B. die Entrichtung von hohen Studiengebühren voraussetzen. 333 Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 25; Oppermann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 671 (674, 675 f.); Lux, Kooperation (2001), S. 23, 37 m. w. N. 334 Vgl. BVerfGE 111, 333 (359); Lux, Kooperation (2001), S. 36; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 91 f. hinsichtlich privater Drittmittelfinanzierung. 335 Geis, Forschung & Lehre 4/2005, 188 weist jedoch darauf hin, dass jedenfalls eine Pflicht zur Drittmitteleinwerbung gegen Art. 5 Abs. 3 GG verstoßen würde; gegen eine Verpflichtung, ein bestimmtes Drittmittelprojekt durchzuführen A. Reich, HRG (2002), § 25, Rdnr. 2. Eine abstrakte Pflicht findet sich in § 59 Abs. 1 S. 1 UniversitätsG Ba-Wü.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
Mit Drittmittelforschung wird zwar weder die Autonomie der Hochschule in organisationsrechtlicher Hinsicht noch die Freiheit der Wahl des Forschungsgegenstandes durch die Hochschulforscher beschnitten, da diese sich grundsätzlich frei entscheiden können, ob sie Drittmittelprojekte durchführen. Tatsächlich ist aber der Einfluss durch die Drittmittelgeber, egal ob öffentlich oder privat, auf Forschungsrichtung, -ziel und -methodik von einigem Gewicht, zumal nach § 25 Abs. 4 S. 2 HRG die Mittel für Forschungsvorhaben für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften sind. Drittmittel sind also kein Mäzenatentum zur Förderung (zweckungebundener) Forschung, 336 sondern sind an die Durchführung bestimmter Forschungsprojekte gekoppelt. Den Interessen der Drittmittelgeber, die die gewonnenen Forschungsergebnisse verwerten wollen, kommt auch § 25 Abs. 2 a. E. HRG in besonderer Weise entgegen: „Forschungsergebnisse sollen in der Regel in absehbarer Zeit veröffentlicht werden.“ 337 Hier kumulieren drei Fragen: 1. Gibt es Ausnahmen zu dieser Sollbestimmung, 338 2. welchen Zeitrahmen umfasst der Begriff „in absehbarer Zeit“, und 3. gibt es wiederum Ausnahmen zur Regelbestimmung? § 25 Abs. 2 a. E. HRG kann somit nicht einmal explizit ein Verbot entnommen werden, dass der Drittmittelgeber eine Veröffentlichung der Erkenntnisse vollständig ausschließt, denn eine solche Drittmittelvereinbarung kann gerade eine der Ausnahmen sein, die die Norm einräumt. 339 Jedenfalls bleibt angesichts der Unbestimmtheit der Vorschrift reichlich Raum für Drittmittelvereinbarungen, die sich zumindest zeitund teilweise Geheimhaltung vorbehalten, um dem Drittmittelgeber Verwertungs336 Einnahmen aus Sponsoring, Fundraising oder Unterstützung aus dem Alumnibereich zählen nicht zu Drittmitteln, da sie nicht zur Durchführung von konkreten Forschungsprojekten bestimmt sind (vgl. Stat. Bundesamt, Drittmitteleinnahmen 2002, S. 5 f.). 337 Hervorh. d. Verf. Man kann natürlich in diesem bedingten Publikationsgebot auch eine besondere Belastung des Hochschulforschers sehen, wenn man davon ausgeht, dass Art. 5 Abs. 3 GG kein Publikationserfordernis beinhaltet (so A. Reich, HRG [2002], § 25, Rdnr. 6). Nach dem hier vertretenen Ergebnis (siehe unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb) (1) erfordert die Einbeziehung in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG die unbeschränkte Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs, sobald wissenschaftliche Veröffentlichungsreife vorliegt. 338 Maurer, Allg. Verwaltungsrecht (2004), § 7, Rdnr. 11. 339 Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 330 f. hält eine „Schweigeklausel“ jedenfalls bei Drittmittelprojekten der öffentlichen Hand (z. B. der DFG oder des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) für unzulässig, da diese unmittelbar Art. 5 Abs. 3 GG verpflichtet seien. Ein ausdrückliches Verbot zum Abschluss einer solcher Vereinbarungen enthielt früher § 27 Abs. 3 HSchG Niedersachsen (NHG) a. F. (zit. nach Deiseroth, a. a. O., S. 331, 398). Dieses Verbot ist jedoch (vgl. §§ 22, 24 NHG n. F.), im neuen NHG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Juni 2002, Art. 1 des Gesetzes zur Hochschulreform in Niedersachsen, Nds. GVBl., S. 286, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Januar 2004, Nds. GVBl., S. 33) entfallen. Das neue NHG enthält im Übrigen nicht einmal mehr den Begriff „Forschungsfreiheit“. Ausführlich zum NHG n. F. Sterzel/Perels, Hochschulmodernisierung (2003), S. 155 ff.
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
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möglichkeiten (wie Patentanmeldungen) zu ermöglichen. § 25 Abs. 2 a. E. HRG ist deshalb für den Drittmittelgeber nicht mehr als ein Willkürverbot. 340 Um die Verwertungsinteressen von Geldgebern zu schützen, sieht demzufolge eine wachsende Meinung in der Literatur auch die Publizität nicht als Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG an, 341 auch wenn § 25 Abs. 2 a. E. HRG gerade eine Ausnahme von einer prinzipiell bestehenden, aber nicht einfachrechtlich normierten Veröffentlichungspflicht des Hochschulforschers zu machen scheint. 342 Zwar muss erneut angemerkt werden, dass über die Hälfte der Drittmittel letztlich solche der öffentlichen Hand sind, die zum Beispiel über die autonom organisierte DFG gewährt werden. Doch Verfassungsdogmatik und Gesetzgebung machen keinen Unterschied, aus welchen Quellen die Mittel stammen. Dabei drängt sich das verfassungsrechtliche Erfordernis einer solchen Unterscheidung geradezu auf: Mit öffentlichen Drittmitteln kommt der Staat seinem Recht und seiner Pflicht nach, Forschungsförderung zu betreiben. Private Drittmittel bedeuten dagegen zumeist die entgeltliche Inanspruchnahme staatlicher Einrichtungen. An die Sonderstellung von Drittmitteln für zweck- und anwendungsorientierte Hochschulforschung sei noch einmal erinnert. Auf das strafrechtliche Problem der Vorteilsannahme durch Drittmittel (vgl. §§ 331 ff. StGB) soll nur am Rande hingewiesen werden. 343 Den drohenden freiheitsbeschränkenden Auswirkungen von Drittmitteln kann, wie bereits erwähnt, das zutreffende Argument entgegen gehalten werden, Drittmittel seien oftmals überhaupt erst die Voraussetzung für wissenschaftliche Tätigkeit
340
Vgl. Lux, Kooperation (2001), S. 24: Ein Publikationsverbot sei zulässig, solange gerechtfertigte Interessen des Drittmittelgebers entgegenstünden und das Verbot nicht willkürlich sei. Somit ließe sich § 25 Abs. 2 a. E. HRG nicht einmal derart auslegen, dass ein absolutes Veröffentlichungsverbot, sofern es aus wirtschaftlichen Interessen gerechtfertigt ist, gegen Art. 5 Abs. 3 GG verstoße. Die Norm wird damit zum „Papiertiger“; vgl. m. w. N. A. Reich, HRG (2002), § 25, Rdnr. 6. 341 So z. B. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 179 (m. w. N.); Kamp, Kommerz (2004), S. 79 f.; Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 516, Rdnr. 572c. 342 BVerfGE 47, 327 (383) – Hess. Universitätsgesetz: Hochschulforschern „steht bei ihrer Tätigkeit ( . . . ) ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf vollständiges Schweigen nicht zu“, und: „Grundsätzlich ist ( . . . ) die Forschung an den öffentlichen Universitäten aufgrund der engen Verbindung von Forschung und Lehre auf Publizität und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse hin angelegt. In der Rechtsprechung wird dementsprechend die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen zu den Dienstpflichten eines Universitätsprofessors gerechnet“ (BVerfG, a. a. O., 375 f.). 343 Vgl. BGH vom 23. 05. 2002 - 2 StR 372/01 = NJW 2002, 2801; hierzu: Kindhäuser/ Goy, NStZ 2003, 291 ff.; allg. zu relevanten Straftatbeständen Fenger/Göben, Sponsoring im Gesundheitswesen (2004), S. 13 ff., 101 ff. An den sog. Herzklappenskandal sei in diesem Zusammenhang erinnert.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
und freie Methodenwahl. Bestimmte Arten der Forschung, insbesondere geräteund kostenintensive, seien an den Hochschulen sonst gar nicht durchführbar. 344 Dann ist das Ergebnis, ein generelles Verbot der Drittmitteleinwerbung sei nicht mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar, gut vertretbar. 345 Zu fragen ist aber dennoch, ob eine generelle und unbeschränkte Erlaubnis der Drittmittelforschung mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar ist, oder ob nicht die Annahme von Drittmitteln an bestimmte Voraussetzungen gebunden sein muss. Selbst wenn man im Einzelfall von Drittmittelvereinbarungen ausgeht, die die Wissenschaftsfreiheit wahren, so ist insgesamt in einer Gesamtschau die steigende Drittmittelabhängigkeit universitärer Forschung ebenso bedenklich wie der steigende Druck durch Politik und Gesetzgebung, sich von Drittmitteln noch abhängiger zu machen. 346 Diesen Trend verdeutlicht und verstärkt die neue beamtenrechtliche W-Besoldung 347 der Hochschullehrer, die ab dem Jahre 2005 an die Stelle der alten C-Besoldung getreten ist: Gem. § 35 Abs. 1 S. 1 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) 348 kann nun das Landesrecht vorsehen, dass aus Drittmitteln dem Hochschullehrer, der diese einwirbt, eine Zulage zur Besoldung gewährt wird. D. h. Drittmittel kommen nicht (wie bisher) ausschließlich nur dem Forschungsvorhaben zu Gute, sondern (nun) auch der privaten Lebensführung des Einwerbers. Damit verwischt die bisher bestehende Trennung zwischen Nebentätigkeiten und Drittmitteln. 349 § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 BBesG sieht zusätzlich sog. Leistungsbezüge vor, wenn Hochschullehrer besondere Leistungen in der Forschung erbringen. Hierzu gehören: Auszeichnungen und Forschungsevaluationen, Publikationen, aber auch Gutachter- und Vortragstätigkeiten außerhalb der Hochschule, Erfindungen und Patente und – selbstverständlich – die Einwerbung von Drittmitteln. 350 Für
344
Kamp, Kommerz (2004), S. 254. Ebenso vertretbar wäre es aber auch, ein Verbot der Drittmittelforschung damit zu begründen, dass kosten- und geräteintensive Forschung eben nicht mit freier Forschung, wie sie an den Hochschulen ihren Platz hat, vereinbar ist, wenn und weil sie auf Fremdmittel angewiesen ist, mit denen sie sich finanzieller Abhängigkeit ausliefert. 346 Es drohe ein als „goldene Halskette“ erscheinender „Strick“, so Detmer, in: Dörr/ Fink, FS Schiedermair (2001), S. 605 (615). 347 Vgl. hierzu Thieme, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 595 ff. 348 Neugefasst durch Bek. vom 06. 08. 2002 BGBl. I 3020; zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 10 Gesetz vom 07. 07. 2005 BGBl. I 1970. Die Besoldungsreform geht auf Vorschläge der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zurück, Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (486 f.). 349 Vgl. A. Reich, HRG (2002), § 25, Rdnr. 1. Zur Nebentätigkeit von Hochschulforschern, auf die hier nicht genauer eingegangen werden kann, siehe die umfangreichen (deskriptiven) Ausführungen von Lux, Kooperation (2001), S. 214 ff. 350 Vgl. z. B. § 4 Abs. 3 der Niedersächsischen Verordnung über Leistungsbezüge sowie Forschungs- und Lehrzulagen für Hochschulbedienstete (Hochschul-Leistungsbezügeverordnung [NHLeistBVO] vom 16. 12. 2002 [Nds. GVBl. Nr. 36/2002 S. 791]). 345
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
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Hochschulangestellte sollen vergleichbare „wissenschaftsspezifische“ Regelungen geschaffen werden. 351 Auch hier tritt ein sog. Qualitätsmanagement, das auf den ökonomischen Markt konzentriert, mit den Mitteln der Betriebswirtschaft arbeitet, an die Stelle einer autonom sachgesteuerten Präferenzenwahl freier Wissenschaftler. 352 „Muße als Forschungsressource“ 353 und Forschungsqualität müssen hinter quantitativ evaluierbaren Parametern zurückstehen. Auch wenn man hier dem Gesetzgeber einen großen Einschätzungsspielraum zugestehen will, 354 so wird man doch zu dem Ergebnis kommen müssen, dass hierdurch die Forschungs- und Lehrfreiheit eingeschränkt statt optimiert wird. Verliert aber die Universität ihren freiheitlichen Charakter, dann verliert sie auch die Legitimation für ihren spezifischen institutionellen Schutz. „Eine Lehranstalt mit Kommandostrukturen kann die institutionsrechtliche Garantie des Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz für sich nicht in Anspruch nehmen.“ 355 Umso mehr wundert man sich, dass die Vereinbarkeit der W-Besoldung mit Art. 5 Abs. 3 GG – soweit ersichtlich – im einschlägigen Schrifttum kaum problematisiert worden ist. 356 Denn angesichts solcher Entwicklungen im Bereich der freien Forschung muss man sich fragen, ob die Ausweitung des Normbereichs der Forschungsfreiheit überhaupt geeignet ist, die Freiheit der Forschung sicherzustellen. Forschungsfreiheit wird insgesamt vielleicht im Umfang erweitert, in der Tiefe jedoch deutlich verringert. c) Außeruniversitäre Forschung Noch fragwürdiger werden die gezeigten Grundsätze, wenn man die außeruniversitäre, insbesondere privatwirtschaftliche Forschung in die Betrachtung mit einbezieht und berücksichtigt, was die Forschungslandschaft in diesem Bereich kennzeichnet. Denn der privat angestellte Forscher kann jedenfalls in zweckgebun-
351 Vgl. Antrag der SPD-Fraktion an die Bundesregierung vom 15. 12. 2004, BT-Drs. 15/ 4519, S. 2. 352 Vgl. Thieme, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 595 (598). 353 So anschaulich R. Herzog, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 459 ff. 354 Vgl. BVerfGE 35, 79 (132). 355 So deutlich [Hervorh. im Original] Detmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 605 (613); ebenso im Kern auch Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1078). Gesetzliche Maßnahmen, die solche Ziele zum Gegenstand haben, sind auf Grund der Schutzverpflichtung des Staates für freie Wissenschaft verfassungswidrig. 356 Nur leichte Bedenken z. B. bei Thieme, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 595 (603), der eher praktische Probleme bei der Umsetzung sieht; Bedenken (allerdings nur bzgl. Art. 33 Abs. 5 GG) bei der Ausgestaltung leistungsabhängiger Besoldung „im Detail“ bei Kempen, DVBl. 2005, 1082 (1088).
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
dener, insbesondere kommerzieller Forschung kaum ein individuelles Grundrecht auf Forschungsfreiheit in Anspruch nehmen und verwirklichen, da er dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterworfen ist. 357 Bejaht man in objektivrechtlicher Hinsicht eine (mittelbare) Drittwirkung von Art. 5 Abs. 3 GG auch in privatrechtlichen Verhältnissen, so kollidiert diese Drittwirkung mit Art. 12 und 14 GG, d. h. mit den Grundrechten des Organisators und Geldgebers außeruniversitärer Forschung. Nur sehr unverbindlich wird in diesem Zusammenhang eine „gewisse Drittwirkung“ des Art. 5 Abs. 3 GG bejaht 358 und ein „gewisses Maß an Autonomie“ oder „innerer Freiheit“ gefordert 359, teils auf Gewährleistungsebene als Ausfluss der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte, teils bereits auf Tatbestandsebene als Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG, so dass bei fehlender Autonomie der Normbereich gar nicht eröffnet wäre. 360 Wird stattdessen die Organisation, die den Forscher beschäftigt, zwar zum Grundrechtsträger, aber nicht zugleich auch grundrechtsverpflichtet, 361 so ergeben sich in zweifacher Hinsicht Bedenken: Zum einen zwingen die Prämissen zweckgebundener oder kommerziell orientierter Organisationen zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen und zur Monopolisierung der gewonnenen Erkenntnisse. So werden von tausenden klinischen Prüfungen, die jährlich in der Bundesrepublik durchgeführt werden, nur etwa 50% öffentlich bekannt, da es weder ein öffentliches Register, noch eine gesetzliche Pflicht zur Publikation der Ergebnisse gibt. 362 Der offenen medizinischen Wissenschaft werden so wichtige gesundheitsrelevante Erkenntnisse zur Wirkung von Arzneimitteln und Medizinprodukten vorenthalten. Damit wird die Offenheit und Kontrolle eines freien wissenschaftlichen Diskurses und hierdurch der Code des wissenschaftlichen Funktionssystems – „wahr/ unwahr“ – irritiert oder gar außer Kraft gesetzt. 363 Zu denken ist hierbei nicht nur an zweifelhafte bzw. gefälschte Forschungsergebnisse, 364 sondern auch an Folge357
Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 157. So Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 260, gefolgt von Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 23; für Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 155 f., Rdnr. 173 bleibt in Privatunternehmen für eine Drittwirkung des Art. 5 Abs. 3 GG „angesichts des vertraglich gesicherten Direktionsrechts kaum Raum“. 359 Münch, Staatsrecht (2002), Rdnr. 428; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 318, 320; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 5, Rdnr. 99; a. A. ausdrücklich Kamp, Kommerz (2004), S. 310 ff. 360 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) dd). 361 Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 150 ff. 362 Nach BT-Drs. 15/5728, S. 6 f. 363 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). 364 Siehe hierzu oben Drittes Kapitel, A. IV. 3. a) dd). 358
B. Der Widerspruch in der überwiegenden Meinung
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kosten und Folgerisiken wissenschaftlicher Entdeckungen bzw. Erfindungen. Das Versagen der Kontrolle des wissenschaftlichen Kommunikationsprozesses und der eigenen Verantwortung führt zwangsläufig zu verstärkter Eingriffstätigkeit des Staates, der entsprechende Nachweise und Absicherungen, zum Beispiel im Technikrecht fordern muss, um andere Rechtsgüter zu schützen. Diese sind jedoch nach herrschender Meinung wiederum Eingriffe in den Abwehrbereich von Art. 5 Abs. 3 GG. Zum anderen ist es Organisationen, die nicht wissenschaftsimmanenten Zwecken dienen, durch die Verminderung der Anforderungen an wissenschaftliches Handeln möglich, sich bei der Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter auf den Schutz eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts zu stützen. Damit ist Forschungsfreiheit im Bereich außeruniversitärer Forschung ein Grundrecht, das nahezu grenzenlos jedem gewährt wird, der solche Forschung betreibt oder betreiben lässt.
II. Ergebnis: Exzessiver statt intensiver Schutz Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Forschungszwecken unberücksichtigt bleiben, wenn der Anwendungsbereich der Forschungsfreiheit undifferenziert auf alle Forschungsarten und -organisationen erweitert wird. Die ökonomische Umgestaltung der Hochschulen scheint verfassungsrechtlich unproblematisch zu werden, wenn auch kommerzieller Forschung das Recht auf Art. 5 Abs. 3 GG zugesprochen wird. Je exzessiver man das tut, desto weniger ist umgekehrt Art. 5 Abs. 3 GG geeignet, die Universitäten zu schützen. Denn wenn die „Freiheit“, die Art. 5 Abs. 3 GG gewähren soll, in erster Linie „Staatsferne“ ist, 365 dann ist auch die staatsgelenkte Umgestaltung der Universitäten zu staatsfernen Unternehmen mit den entsprechenden Führungs- und Managementstrukturen unter Verlust individueller Forschungsfreiheit zulässig. Mit welchem Recht sollte eine staatsferne, „autonome“ Hochschule noch anders organisiert sein müssen als ein privatwirtschaftlich handelndes Unternehmen? Lediglich die objektivrechtliche Dimension, die den Staat verpflichtet, sein faktisches Monopol an unabhängiger Wissenschaft sicherzustellen, 366 spricht gegen diese Entwicklung. Angesichts der jüngsten Entscheidung des BVerfG 367 unterliegt jedoch die objektivrechtliche Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG politischer Opportunität. 368 Der Staat darf offenbar sein Monopol an freier Forschung (und Lehre) aufgeben, wenn er sich davon keinen Gewinn mehr verspricht. Damit unter365 366 367 368
So das Plädoyer von Wissenschaftspreisträgern in Forschung & Lehre 4/2005, 197 f. Vgl. BVerfGE 35, 79 (114) – Hochschulurteil. BVerfGE 111, 333 ff. – Hochschulgesetz Brdb. Vgl. Ladeur, DÖV 2005, 753 (758).
240
3. Kap.: Die Realität von Forschung
liegt individuelle abwehrrechtliche Forschungsfreiheit in staatlichen Bindungen ebenfalls dem staatlichen Ermessen. Geht es um den Schutz individueller Forschungsfreiheit, ist die Kraft dieses Grundrechts im Schwinden. Das, was notwendige Elemente freier Wissenschaft schützen sollte, wird eindimensional als Abwehrrecht einer Unternehmung gegen den Staat betrachtet. Unternehmensziele bestimmen jedoch nicht die beteiligten Forscher, sondern die Unternehmensführung, die dem wirtschaftlichen, nicht jedoch dem wissenschaftlichen Erfolg verpflichtet ist. Wissenschaftsfreiheit darf nur noch innerhalb des vom Management gesetzten Rahmens ausgeübt werden. 369
C. Das „Integrationsmodell“: Integration aller Felder des Lebensbereichs „Forschung“ in die abwehrrechtliche Dimension der Forschungsfreiheit Die gesellschaftliche Skepsis und die Risiken moderner Forschung führten und führen zu einem Kontrollbedürfnis, dessen Folge staatliche Regulierung insbesondere im Bereich der Bio- und Gentechnik, aber auch beispielsweise im Arzneimittelrecht, ist. Angesichts dieser scheinbar freiheitsbedrohenden Entwicklung scheint die Einbeziehung des gesamten Lebensbereichs Forschung in den Normbereich der Forschungsfreiheit die logische Konsequenz zu sein. Bei differenzierter Betrachtung ergeben sich jedoch eine Reihe von Folgeproblemen, die vor allem die Binnenorganisation von Forschung betreffen. Gegenüber den Universitäten befindet sich der Staat seit jeher in einer janusköpfigen Situation, er ist zugleich deren Förderer und Störer. Damit musste es zu einer relativ komplexen Ausdifferenzierung der objektivrechtlichen Grundrechtsgehalte kommen. Dagegen ist der Staat gegenüber nichtstaatlicher Forschung vorrangig nur Störer (sieht man von der Forschungsförderung ab). Kommt Art. 5 Abs. 3 GG nur in abwehrrechtlicher Dimension zum Tragen, rückt die Schrankenproblematik in den Vordergrund. Doch auch die bloße Erweiterung des Normbereichs zwingt in der Folge zu einer modifizierten Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG. Zum einen muss der Tatbestand offener werden, denn manche in der akademischen Wissenschaft entwickelten Grundsätze, die Wissenschaftlichkeit typischerweise kennzeichnen, scheinen nicht so recht auf alle Bereiche des Lebensbereichs Forschung zu passen. 370 Um den gesamten Lebensbereich Forschung in Art. 5 Abs. 3 GG integrieren zu können,
369 370
Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1078). Vgl. A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (91 ff.).
C. Das „Integrationsmodell“
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muss das Grundrecht adaptiert werden, indem „Schnitte vorgenommen“ oder zusätzliche Anforderungen entwickelt werden. Hinsichtlich der Rechtsfolge, d. h. des Gewährleistungsbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG, müssen die zur Forschungsfreiheit in den Universitäten entwickelten Organisationsprinzipien sowie die objektivrechtliche Dimensionen der Wissenschaftsfreiheit angepasst werden. Das jeweilige Organisationsinteresse und die individuelle Freiheitsausübung sind in Übereinstimmung zu bringen.
I. Der Lebensbereich Forschung, das soziale System Wissenschaft und der Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG Wie die Analyse des Isolationsmodells gezeigt hat, war universitäre Wissenschaft mit ihrer Verbindung aus Forschung und Lehre der klassische Bereich, den die Wissenschaftsfreiheit schützen sollte. Solange es keine Konfliktlinien zwischen staatlicher Macht oder gesellschaftlichen Bedürfnissen auf der einen und Forschung außerhalb der Universitäten auf der anderen Seite gab, war der durch Grundrechtsinterpretation ermittelte Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG einer, der nicht den gesamten Lebensbereich Forschung abdeckte und dies auch nicht musste. Hierbei deckt sich der Lebensbereich Forschung in erster Linie mit den Anforderungen des modalen Wissenschaftsbegriffs und reicht damit weit über die Universitäten hinaus. Dieser Bereich wird alltags- und umgangssprachlich als „Forschung“ und/oder „Wissenschaft“ bezeichnet. 371 Davon zu unterscheiden ist die Wissenschaft als ein soziales System, das nach der Systemtheorie nicht aus einer Vielzahl von Individuen besteht, sondern durch eine besondere Kommunikationsform gekennzeichnet ist. 372 Beide Bereiche können, müssen aber nicht notwendig deckungsgleich mit dem Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG sein. Es drängt sich nicht grundsätzlich auf, warum ein gesamter Lebensbereich oder ein gesamtes soziales System vom grundrechtlichen Schutz eines bestimmten (vorbehaltlos gewährten) Grundrechts umfasst sein muss, wenn man von einem lückenlosen Grundrechtsschutz durch alle Grundrechte ausgeht. Ästhetische Gründe, wonach eine spezielle Freiheitsverbürgung möglichst deckungsgleich mit einem Lebensbereich sein müsste, rechtfertigen dies nicht. Speziell geschützt können auch lediglich Schnittmengen sein, insbesondere, wenn die Vorbehaltlosigkeit und der spezifische Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 GG in der Abwägung zu einer Privilegierung wissenschaftlicher Tätigkeit beispielsweise gegenüber unternehmerischer Tätigkeit führt.
371 372
Siehe oben Erstes Kapitel, B. III. 2. Siehe unten Fünftes Kapitel, B. III. 1.
242
3. Kap.: Die Realität von Forschung
II. Adaption von Art. 5 Abs. 3 GG durch neuere Ansätze in der Literatur Auf die veränderten Rahmenbedingungen von Forschung ist die rechtswissenschaftliche Literatur seit den 1980er Jahren eingegangen und hat sich dabei immer stärker von den vorher beherrschenden hochschulrechtlichen Fragestellungen entfernt. Zumeist wurde Art. 5 Abs. 3 GG in verschiedener Hinsicht angepasst, um den Lebensbereich Forschung in den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG einbeziehen zu können. 1. Die Verantwortung des Forschers Wie bereits erwähnt, war die Verantwortung des Forschers Gegenstand der Rechtsprechung des BVerfG, das grundsätzlich meinte: „Auch ohne Vorbehalt gewährte Freiheitsrechte müssen im Rahmen gemeinschaftsgebundener Verantwortung gesehen werden.“ 373 Das Mitbedenken von Folgen ihres Tuns sei von Hochschulforschern vernünftigerweise zu erwarten. 374 Allerdings wertete es eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung hierzu durchaus als gerechtfertigten Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG. 375 Auch wenn das BVerfG damit „bedenkenlose“ Forschung grundsätzlich in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG miteinbezieht, gibt es Ansätze in der Literatur, „verantwortungslose“ Forschung, die ohne Rücksicht auf andere Rechtsgüter handelt, bereits vom Normbereich auszuschließen oder jedenfalls besonderen Schranken zu unterwerfen, zumal der Topos „Wissenschaft und Verantwortung“ bzw. „Ethik“ vielfach angesprochen wird. 376 Ausgangspunkt ist dabei immer ein weites abwehrrechtliches Verständnis. 377 a) Ethische Limitierung Dickert betrachtet zwar eine Übertragung des Normbereichs des Art. 5 Abs. 3 GG auf Forscher in außeruniversitären Einrichtungen grundsätzlich als erforderlich, 378 er erarbeitet aber Ansätze einer tatbestandlichen Begrenzung. 379 So solle der Grundrechtsschutz außeruniversitärer Organisationen von der Beach373
BVerfGE 47, 327 (369) – Hess. Universitätsgesetz. BVerfGE 47, 327 (384) – Hess. Universitätsgesetz. 375 BVerfGE 47, 327 (381) – Hess. Universitätsgesetz. 376 Siehe Becker/Engelen u. a., Ethisierung – Ethikferne. Wie viel Ethik braucht die Wissenschaft? (2003). 377 Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 306; Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 104 ff.; Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 80 ff.; Flämig, Genetische Manipulation (1985), S. 59 ff. 374
C. Das „Integrationsmodell“
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tung von Mindeststandards an wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit abhängig gemacht werden. 380 Art. 5 Abs. 3 GG sei auch so auszulegen, dass der verfassungsrechtliche Forschungsbegriff „ethisch limitiert“ und die Verantwortlichkeit des Forschers negatives Tatbestandsmerkmal der Forschungsfreiheit sei. Unverantwortliche oder gemeinschädliche Forschungsaktivitäten liegen nach Dickert nicht nur außerhalb des Normbereichs des Art. 5 Abs. 3 GG, sondern auch aller anderen Grundrechte. 381 Ansonsten ergäben sich die Grenzen der Forschungsfreiheit aus der Kollision mit anderen Grundrechten, im Einzelfall habe eine Abwägung zu erfolgen. Dickert versucht, Konkurrenzlösungen und Abwägungsmaßstäbe so zu differenzieren, dass er prima-facie-Präferenzen für Einzelfälle entwickeln kann. 382 Einen prinzipiellen Vorrang der Forschungsfreiheit gegenüber anderen Rechtsgütern lehnt er ab, 383 weshalb er bei der Embryonenforschung einen restriktiven Ansatz vertritt. 384 Die Begründung einer „ethischen Limitierung“ ist jedoch schwierig und zu sehr vom Ergebnis her konstruiert, da „Unverantwortlichkeit“ oder „Gemeinschädlichkeit“ von Forschungshandlungen letztlich auch erst in abwägender Wertung oder mit zeitlichem Abstand in der Zukunft bestimmt werden können. Im Vergleich zur Kollisionslösung ergeben sich bei den Ergebnissen kaum Abweichungen. 385 b) Sozialbindung der Forschungsfreiheit Auf Schrankenebene nimmt Losch einen ähnlichen Weg. 386 Dabei vertritt er ein weites Normbereichsverständnis, 387 er hält aber die bestehenden Schranken378 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 304 f. Aufgrund ihrer umfassenden Analysen kann diese Arbeit auch heute noch als Standardwerk bezeichnet werden; Rez. v. Classen, DÖV 1992, 459; Karpen, JZ 1992, 1076; A. Reich, BayVBl. 1992, 384. 379 Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 232 ff. 380 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 316 f. Er nähert sich damit teilweise der hier vertretenen Lösung. 381 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 509, 410. 382 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 423 ff. 383 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 471 ff. 384 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 438 ff., 442, 479 f. 385 So die Kritik von Trute, Forschung (1994), S. 159. 386 Losch, Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung. Zugleich ein Beitrag zur Kollision von Wissenschaftsfreiheit und Lebensschutz am Lebensbeginn (1993); vgl. hierzu auch Rez. v. Karpen, DVBl. 1994, 126; Krüger, WissR 1994, 103; Heuermann, MedR 1995, 109; Thieme, DÖV 1995, 82; Würkner, NVwZ 1994, 569; A. Blankenagel, AöR 2000, 89 ff.; Losch, NVwZ 1993, 632 ff.; Losch/Radau, NVwZ 2003, 390 ff. 387 Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 104 ff.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
konstruktionen 388 für unzulänglich und erweitert sie: Wissenschaft habe (wie das Eigentum) eine „Sozialbindung“ 389. Deshalb sei eine neue Grundrechtsschranke der Verantwortung und Ethik des Wissenschaftlers zu entwickeln, 390 die im Ergebnis den Wissenschaftler nicht nur beschränke, sondern ihm auch bei Wahrung dieser ethischen Verantwortung neue Freiräume erschließe. Diese Verantwortungsschranke ist für Losch im bestehenden Wissenschaftssystem ausreichend gewährleistet. 391 c) Schrankenkonkretisierung Ausgehend von einem weiten abwehrrechtlichen Verständnis sieht Illiadou die Schranken der Forschungsfreiheit in der „allgemeinen Rechtsordnung“ angelegt, wobei diese Begrenzung in einem materiellen Sinne zu bestimmen sei: 392 Nur Rechtsnormen, die höherrangige Werte und Rechtsgüter der Verfassung schützen, können das vorbehaltlose Grundrecht wirksam begrenzen. Sofern fremde Rechtsgüter verletzt oder bedroht werden, kann die Rechtsordnung wirksam Schranken setzen. 393 Letztlich wird damit der Versuch unternommen, die verfassungsimmanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 GG zu konkretisieren. Doch die Frage, welche Rechtsgüter im konkreten Fall höherrangig sind, bleibt trotzdem einer wertenden Abwägung vorbehalten. 2. Einbeziehung objektivrechtlicher Grundrechtsgehalte Von individueller Verantwortung entfernt man sich, wenn man sich auf die objektivrechtlichen Grundrechtsgehalte und das Problem der Einrichtungsgarantien konzentriert. 394 Dies führt zu Modellen, die stärker die organisationsrechtliche Seite der Forschungsfreiheit in den Vordergrund stellen.
388
Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 170 ff. In diesem Zusammenhang krit. zum Sozialstaatsprinzip: Trute, Forschung (1994), S. 401 ff. 390 Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 254 ff., 260, 267, 282; in Ansätzen bereits bei Flämig, Genetische Manipulation (1985), S. 63 ff. 391 Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 341 ff. 392 Iliadou, Forschungsfreiheit und Embryonenschutz – Eine verfassungs- und europarechtliche Untersuchung der Forschung an Embryonen (1999), insb. S. 80 ff. (105). Rez. v. Laufs, MedR 2001, 434; Müller-Terpitz, WissR 2002, 309 ff. 393 Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 105 f. 394 Vgl. Löwer, WissR 1999, 250 (251). 389
C. Das „Integrationsmodell“
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a) Staatlich organisierte außeruniversitäre Forschung Trute begreift das Wissenschaftssystem systemtheoretisch bzw. als verselbständigtes gesellschaftliches Teilsystem. 395 Auch in staatlich organisierter Forschung ist grundsätzlich Staatsferne geboten. Entscheidend ist das Funktionieren des Netzwerks der scientific community; 396 der Staat, der im Wesentlichen potentieller Störer ist, hat Distanz zu wahren. Gleichzeitig ist er jedoch verpflichtet, Infrastruktur und Mittel zur Verfügung zu stellen. Das dadurch entstehende Spannungsverhältnis ist durch ein Konzept der Selbstverwaltung zu lösen, 397 denn die Grundrechtsträger müssen in die Entscheidungszusammenhänge einbezogen werden. 398 Für unterschiedliche Organisationsformen (staatlich oder privat) müssen – auch um den verfassungsrechtlichen Ausgleich zwischen den Rechten der Organisationen und denen ihrer Mitglieder zu gewährleisten – jeweils unterschiedliche Konzepte erarbeitet werden, da eine einheitliche Struktur von Wissenschaft fehlt. 399 Trute widmet sich deshalb auch dem Problem der Grundrechtsberechtigung (öffentlicher) juristischer Personen im Wissenschaftsbereich. Seiner Auffassung nach ist im Hinblick auf die herrschende, individualistische Wissenschaftskonzeption der Grundrechtskonflikt zwischen Organisationsmitglied (dem Forscher) und der Organisation unterbelichtet, vor allem was die Abhängigkeit des Individuums von der Organisation anbelangt. 400 Die Statusverhältnisse der Forscher sind der Aufgabe ihrer Forschungseinrichtung und deren spezifischem Forschungstyp untergeordnet. 401 Unter den Bedingungen der modernen Wissenschaft besteht die Leistungsverpflichtung des Staates für die Verwirklichung der Forschungsfreiheit in der Schaffung von Infrastrukturen und Ressourcen. Der einzelne Wissenschaftler kann hieraus jedoch nur ein Teilhabe- und kein direktes Leistungsrecht beanspruchen. 402
395 Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung. Das Wissenschaftsrecht als Recht kooperativer Verwaltungsvorgänge (1994), S. 80 ff.; vgl. hierzu Rez. v. Bethge, DÖV 1995, 1011; Karpen, DVBl. 1995, 113; Thieme, JZ 1995, 823 f.; Löwer, WissR 1999, 250 ff.; A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (75 ff.). 396 Trute, Forschung (1994), S. 68. 397 Trute, Forschung (1994), S. 179, 280 ff.; vgl. Löwer, WissR 1999, 250 (258), der krit. anmerkt, dass ebenso ein Spannungsverhältnis zwischen der sich selbst steuernden „scientific community“ und dem Forscher als Individuum bestehe. 398 Trute, Forschung (1994), S. 211 f., 231, 238. 399 Trute, Forschung (1994), S. 238 ff., 257. 400 Trute, Forschung (1994), S. 358 ff. 401 Trute, Forschung (1994), S. 400. 402 Trute, Forschung (1994), S. 425; krit. hierzu: Löwer, WissR 1999, 250 (255).
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
Den Inhalt der verfassungsrechtlichen Begriffe Wissenschaft, Forschung und Lehre versucht Trute neu zu justieren: Hinsichtlich des Normbereichs ist die Interpretation von Forschung und Lehre als erschöpfende Unterbegriffe des Oberbegriffs Wissenschaft aufzugeben. Stattdessen soll der Begriff „Forschung“ einen eigenen grundrechtlichen Gehalt bekommen. „Forschung“ ist das Handeln mit der Absicht der Produktion neuen Wissens, das insbesondere außerhalb der Universitäten zum Tragen kommt; 403 dem Tatbestandsmerkmal „Wissenschaft“ sollen all diejenigen Handlungen zugewiesen werden, die über Forschung und Lehre hinausgehen. 404 Die Wissenschaftsfreiheit ist nach Trute als Freiheit eines Handlungs- und Kommunikationszusammenhangs zu entfalten. Wissenschaftliches Arbeiten ist auf Kritik angewiesen, denn dies setze die Struktur des wissenschaftlichen Prozesses zwingend voraus. 405 Deshalb sind autonome Binnenstrukturen die Voraussetzung für den Schutz von Organisationen durch Art. 5 Abs. 3 GG. 406 In der Industrieforschung fehle beispielsweise diese Voraussetzung wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit. 407 Andererseits erweitert Trute mit seinem neukonstruierten Tatbestandsmerkmal „Forschung“ den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG nicht unerheblich und verzichtet auf die Voraussetzungen der Veröffentlichung und der Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs. 408 Damit bleibt Trute im Ergebnis widersprüchlich, auch wenn er beachtliche konstruktive Ansätze erarbeitet. b) Privat organisierte außeruniversitäre Forschung Classen widmet sich den verfassungsrechtlichen Grundlagen außeruniversitärer Wissenschaft. 409 Forschung unterfällt nach Classen durch einheitliche Interpretation des Tatbestandes immer Art. 5 Abs. 3 GG, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Verwertungsabsicht betrieben wird. Differenzierungen in der staatlichen 403
Trute, Forschung (1994), S. 134. Trute, Forschung (1994), S. 111 ff., insb. S. 111. Eine Ähnlichkeit mit Hailbronners Interpretation (siehe ders., Funktionsgrundrecht [1979], S. 9 ff., 26 ff., 74 f. und 148 ff.) ist erkennbar, allerdings lehnt Trute zu Recht dessen Lehre vom Funktionsgrundrecht und damit eine Unterscheidung zwischen Jedermann-Recht und Sonderrecht ab (Trute, Forschung [1994], S. 396). 405 Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 64 ff. 406 Trute, Forschung (1994), S. 362 f. 407 Trute, Forschung (1994), S. 106 f. 408 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb) (3). 409 Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der Hochschule. Zur Bedeutung von Art. 5 Absatz 3 GG für außeruniversitäre Forschung und Forschungsförderung (1994); vgl. hierzu Rez. v. Karpen, DVBl. 1995, 113; Krüger, JZ 1995, 38; Würkner, NVwZ 1995, 1195; Thieme, DÖV 1996, 304; Meusel, WissR 1996, 300 ff.; A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (83 ff.). 404
C. Das „Integrationsmodell“
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Behandlung sind jedoch möglich. 410 Dabei kollidiert der verfassungsrechtliche Wissenschaftsbegriff, der durch die Selbstbestimmung des Wissenschaftlers gekennzeichnet ist, mit fremdbestimmter, weisungsabhängiger Arbeit. 411 Die ausschließliche Gewalt über Forschungsergebnisse und den Ausschluss Anderer von wissenschaftlichen Entdeckungen in der privaten Forschung versucht Classen nicht sehr überzeugend mit dem klassischen kommunikativen Bild der Wissenschaft 412 des Art. 5 Abs. 3 GG in Übereinstimmung zu bringen. 413 Classen modifiziert hierfür nicht unbeträchtlich den sachlichen und personellen Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG. Letztlich führt er den Kurs der herrschenden Meinung damit konsequent weiter. Die Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs soll als eine der Voraussetzungen des verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriffs entfallen. Sofern ein Veröffentlichungswille vorliegt, soll dieser über die Lehrfreiheit geschützt sein. 414 Der Forscher, der sich in die Dienste einer privaten wissenschaftsbetreibenden Organisation begibt, überträgt auf diese seine Grundrechtsträgerschaft; sein eigenes Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG tritt demgegenüber weit zurück. Während die private Einrichtung als solche in ihrer Tätigkeit durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt und damit in der Ausgestaltung ihrer Forschungspolitik frei ist, kommt dem einzelnen Wissenschaftler, der an einer solchen Einrichtung tätig ist oder von ihr gefördert wird, nur ein eingeschränkter Freiraum zu. 415 In privaten Forschungsorganisationen unterliegt der wissenschaftlich arbeitende Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Arbeitgebers und darf nur mit dessen Einverständnis publizieren. 416 Für staatliche Forschung folgt Classen dagegen den Grundsätzen des Isolationsmodells: Im Gegensatz zum privat beschäftigten Forscher hat der beim Staat (insbesondere den Hochschulen) beschäftigte Forscher das Recht, sich voll und ganz auf seine individuelle Wissenschaftsfreiheit zu berufen. Er kann deshalb auch einen Anspruch auf entsprechende finanzielle Ausstattung geltend machen. Hier 410
Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 135. Siehe Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 142 ff. 412 Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 77: „Ein gewisses Maß an geistiger Freiheit ist ( . . . ) für wissenschaftliche Tätigkeit unentbehrlich“ [Hervorh. d. Verf.]. 413 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 139 ff. Die grundrechtsdogmatischen Erwägungen Classens sind im Folgenden zu sehr durch dieses Ziel geprägt. 414 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 89 ff. Fraglich ist aber, inwieweit sich Forschung und Lehre überhaupt trennen lassen. Jede Veröffentlichung, d. h. jede Idee, die den Partnern der scientific community zur Diskussion gestellt wird, führt zugleich mit deren Reaktion(-en) zu einem Erkenntnisgewinn und ist erneut auch Forschung. Die Veröffentlichung ist Teil des Forschungsprozesses und lässt sich von diesem nicht trennen. 415 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 111 ff., 114 ff., 119, 143 f. 416 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 154 f., 184. 411
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
ist primär der einzelne Forscher maßgeblicher Grundrechtsträger, während die staatliche Institution eine dienende Funktion einnimmt und forschungsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen hat. 417 Classen lehnt jedoch eine Sonderstellung der Hochschulen gegenüber anderen staatlichen Forschungsorganisationen ab, ein „Grundrecht der Universität“ kann als Einrichtungsgarantie nicht akzeptiert werden, da Forschung und Lehre, Dienstleistung und Politikberatung im Kern identische Aufgaben von Hochschule und außeruniversitärer staatlicher Forschung sind, die auch zu identischem verfassungsrechtlichen Schutz führen müssen. 418 Ausnahmen gelten für die Ressortforschung. 419 c) Schutz kommerzieller außeruniversitärer Forschung aa) „Pecunia non olet“ Eine konsequent liberale Linie wird von Kamp vertreten. 420 Da er zu Recht erkennt, dass eine hinreichende Begründung für die von der herrschenden Meinung angenommene Unschädlichkeit wirtschaftlicher Verwertungsabsicht bei der Erkenntnissuche fehlt, will er eine Beweisführung erarbeiten. 421 Mit ihm als konsequentem Vertreter der herrschenden Meinung soll eine eingehendere Auseinandersetzung erfolgen: Kamp, der auf Grund seines abwehrrechtlichen Verständnisses Organisationsfragen konsequent ausblendet, geht von folgenden grundlegenden Merkmalen für Wissenschaft aus: 1) Erkenntnissuche, 2) offene, eigenständige Themenwahl, 3) Unvoreingenommenheit und 4) Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. 422 Diese Tatbestandsvoraussetzungen, die auf den ersten Blick kaum mit der Tätigkeit eines Forschers in der pharmazeutischen Industrie in Übereinstimmung zu bringen sind, sieht Kamp dennoch dort als erfüllt an. Freie Erkenntnissuche ist nicht per se unmöglich, auch wenn der Forschungsprozess mit dem Zweck wirtschaftlicher Verwertung durchgeführt wird, eine Veröffentlichung ist nicht zwingend. 423
417
Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 254 f. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 117 f., 254 f. 419 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 306 f., 351 ff., da es sich um Staatstätigkeit handle (ihm folgend Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I [2004], Art. 5 III, Rdnr. 30). 420 Kamp, Forschungsfreiheit und Kommerz. Der grundrechtliche Schutz mit wirtschaftlicher Zielsetzung betriebener Forschung und ihrer Verwertung, beispielhaft anhand der Arzneimittelzulassung (2004). 421 Kamp, Kommerz (2004), S. 40, 43 ff. m. w. N. 422 Kamp, Kommerz (2004), S. 50. 423 Kamp, Kommerz (2004), S. 85. 418
C. Das „Integrationsmodell“
249
Die Verfassungsinterpretation muss nach Kamp für Wandlungsprozesse offen sein, um größtmögliche Freiheit zu gewährleisten. Veränderte Wirklichkeit und Rechtsanwendung müssen in Zusammenhang gesetzt werden, wobei der Grundsatz „in dubio pro libertate“ angewendet werden muss. 424 Die Verschiebung der Bedeutung von der universitären hin zur an wirtschaftlicher Verwertung orientierten industriellen Forschung soll deshalb nicht an der Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG hindern. Den Grundrechten ist auch kein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, dass ein Ausschluss aus dem Schutzbereich erfolgen muss, wenn mit der Grundrechtsausübung eine Gewinnerzielung bezweckt ist. 425 Ferner gibt es kein Tatbestandsmerkmal, das eine altruistische Ausrichtung auf das Gemeinwohl erfordert, denn weder aus der abwehrrechtlichen noch aus der objektivrechtlichen Dimension von Art. 5 Abs. 3 GG lässt sich ein solches Merkmal folgern. Staatliche Regeln, die dies voraussetzen, sind für Kamp „Wissenschaftsrichtertum“. 426
424 Kamp, Kommerz (2004), S. 88, 93 f.: Auch gelte ein Grundsatz der größtmöglichen Grundrechtseffektivität. Auf den Konflikt zwischen normativer und tatsächlicher Freiheit kommt Kamp aber nur unzureichend zu sprechen. Stattdessen verweist er auf den engen Zusammenhang zwischen traditioneller Wissenschaft und Industrieforschung. 425 Kamp, Kommerz (2004), S. 95. Jedoch ist der Grundsatz „pecunia non olet“ nicht bei allen Grundrechten zu beobachten: Bei Art. 4 Abs. 1, 2 und Art. 8 Abs. 1 GG ist eine ökonomische Zielsetzung des tatbestandlich geschützten Verhaltens durchaus von Belang (ders., a. a. O., S. 99 ff., 105 ff.). 426 Kamp, Kommerz (2004), S. 155, 192, hinsichtlich der Entscheidungen von EthikKommissionen nach § 40 AMG. Er verkennt jedoch, dass dort moralische Wertungen überhaupt keine Rolle spielen dürfen. Ethik-Kommissionen dürfen (trotz ihres Namens) lediglich die gesetzlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 8 AMG prüfen. Sog. ethische Fragen sind hierbei „nur“ Rechtsfragen, insb. die der ärztlichen Vertretbarkeit der klinischen Prüfung nach § 40 Abs. 1 S. Nr. 1 AMG. Prägend für die Entscheidung ist die Frage, ob die Prüfung der ärztlichen Kunst entspricht. Alles andere wäre rechtswidrig, da der Vorbehalt des Gesetzes verletzt wäre. Ein „ethischer Teil des Votums“ (ders. a. a. O., S. 203) kann lediglich als berufsrechtliche Beratung existieren (vgl. zur Doppelfunktion von Ethik-Kommissionen [seinerzeit – vor der Novelle des AMG – noch mit a. A.]: Dähne, MedR 2003, 164 ff.); vgl. die a. A. von Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 48 sowie Gramm, in WissR 32 (1999), 209 (220 ff.), der zu Recht hevorhebt, mit „Ethik“ sei im Einzelfall ein Ausgleich zwischen Art. 5 Abs. 3 GG auf der einen und Art. 2 Abs. 2 GG auf der anderen Seite (in Gestalt des individuellen und kollektiven therapeutischen Nutzens) gemeint. Gramm (a. a. O., 223) verlangt auch aus Gründen der Beschränkung der Forschungsfreiheit eine stärkere Verrechtlichung des Patientenschutzes (diese Anforderungen erfüllt spätestens das AMG n. F. nach der 12. AMG-Novelle); siehe zum Wandel der Ethik Kommissionen vom Instrument der Selbstkontrolle zu einem Instrument der Fremdkontrolle Classen, MedR 1995, 148; allg. zur Tätigkeit von EthikKommissionen im Arzneimittelrecht und ihrer Beziehung zur Forschungsfreiheit: Deutsch, VersR 1999, 1 ff.; Deutsch/Spickhoff , Medizinrecht (2003), S. 485 ff., Rdnr. 716 ff.; Doppelfeld, Funktion und Arbeitsweise der Ethikkommission, in: Deutsch, Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin (2000), S. 342.
250
3. Kap.: Die Realität von Forschung
Schließlich wird der grundrechtliche Schutz von der Erkenntnissuche nachgelagerten Verwertungshandlungen untersucht. Zwar kommt Kamp hier – soweit noch im Einklang mit der herrschenden Meinung – zu dem Ergebnis, dass die Verwertung von Ergebnissen der Forschungstätigkeit nicht in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG fällt. 427 Werden jedoch wirtschaftliche Verwertungshandlungen eingeschränkt, bejaht er in bestimmten Fällen einen sog. Vorwirkungszusammenhang mit der Forschungsfreiheit. 428 Ob die Einschränkungen im konkreten Fall mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar sind, soll durch Abwägung mit kollidierenden Verfassungsgütern zu klären sein, wobei die jeweilige Schutzbedürftigkeit der kollidierenden Rechte maßgeblich ist. 429 Bei Verwertungshandlungen, die zugleich in den Schutzbereich von Art. 12 und 14 GG fallen, besteht dann Idealkonkurrenz, d. h. die Beeinträchtigungen müssen sich immer auch an den Schranken von Art. 5 Abs. 3 GG messen lassen. Eine Lösung, die zum Beispiel nach Schwerpunkten der Tätigkeit unterscheidet, lehnt Kamp ab. 430 Im Ergebnis bezieht er damit die wirtschaftliche Verwertung in den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG mit ein. bb) Kritik Aus Kamps Arbeit spricht stark die Überzeugung, dass Forschung am besten funktioniert und gedeiht, wenn sich der Staat der Einmischung in die Forschung enthält, d. h. insbesondere von gesetzlichen Regelungen der Forschungstätigkeiten absieht. 431 Als Prämissen dienen – insoweit zu Recht – die Merkmale wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit. Die teilweise subtile und letztlich „erfolgreiche“ Subsumtion forschender Tätigkeit in der Industrie unter diese Merkmale 432, ist
427
Kamp, Kommerz (2004), S. 245; so auch Fenger/Göben, Sponsoring im Gesundheitswesen (2004), Rdnr. 292; Böhringer, NJW 2002, 952 (953); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 18, 84. 428 Kamp, Kommerz (2004), S. 272, wenn die Finanzierung die Grundlage für die Forschungsarbeit ist und Einschränkungen, die die Verwertungsphase betreffen, die Refinanzierbarkeit verhindern. Bei Übertragung dieser These auf die öffentliche Universitätsforschung würden jedoch staatliche Haushaltskürzungen ebenfalls die Forschungsarbeit beeinträchtigen und somit in Art. 5 Abs. 3 GG eingreifen. Gegen Vorwirkungen grundsätzlich Classen (ders., Wissenschaftsfreiheit [1994], S. 99 f.) mit dem Argument, dass dann das gesamte technische Sicherheitsrecht an Art. 5 Abs. 3 GG zu messen sei und sich der offene Wissenschaftsbegriff nicht mehr aufrecht erhalten ließe. 429 Kamp, Kommerz (2004), S. 293, 298. Überzeugender wäre es aber, in der Angemessenheit bei Prüfung des jeweils primär betroffenen Grundrechts Art. 5 Abs. 3 GG mit einfließen zu lassen (so z. B. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit [1991], S. 419 ff.), anstatt die gleichen Anforderungen zu stellen, wie sie sich bei Art. 5 Abs. 3 GG als primärem Grundrecht ergeben würden. 430 Kamp, Kommerz (2004), S. 324 f. 431 So (ablehnend) Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (507). 432 Kamp, Kommerz (2004), S. 49 ff.
C. Das „Integrationsmodell“
251
indes bedenklich. Zwar gibt es zum Beispiel Grundlagenforschung auch in der Industrie 433, ebenso wie mehr oder weniger intensive Kontakte zur scientific community. 434 Auf Grund dieser eher untypischen Ausnahmeerscheinungen die Merkmale wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit für erfüllt zu halten, 435 ist jedoch konstruiert. Die genannten Merkmale sind gerade nicht die typischen Kennzeichen kommerziell geprägter Forschungsbereiche. Der Kunstgriff, den Kamp anwendet, liegt darin, die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft von ihrem Kontext konkreter Verwirklichung zu isolieren, indem Art. 5 Abs. 3 GG ausschließlich als subjektives Abwehrrecht „Jedermanns“ untersucht wird. 436 Entscheidend müsste stattdessen sein, ob die Realisierbarkeit wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit im untersuchten Bereich der Forschung nachweisbar ist. Dieser Nachweis gelingt Kamp nicht. 3. Ergebnis Grundsätzlich können nach diesen neueren Ansätzen alle Organisationen in den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG einbezogen werden. 437 Das Grundrecht ist nicht auf die Hochschulen und auch nicht auf staatliche Forschungseinrichtungen beschränkt. Teilweise wird als Voraussetzung ein bestimmtes Maß an Beachtung wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit gefordert, das jedoch – folgt man Classen und Kamp – zumindest im nichtstaatlichen Bereich nicht besonders hoch angesetzt wird. Die wesensmäßige Anwendung des Grundrechts auf private juristische Personen via Art. 19 Abs. 3 GG wird in diesem Zusammenhang kaum ausführlicher problematisiert. Der Staat hat dagegen in seinen Forschungsorganisationen eine genauere Ausdifferenzierung vorzunehmen, allerdings kann dies – folgt man Trute – variabel zum Forschungszweck erfolgen. Je nachdem hat der Forscher individuell größere oder
433 Kamp, Kommerz (2004), S. 63 f.: In der chemischen Industrie betrage der Anteil der Grundlagenforschung (für 1985) 6,3 %. 434 Kamp, Kommerz (2004), S. 75 ff. 435 Kamp, Kommerz (2004), S. 62 ff: „Wettbewerblicher Zwang zur offenen Themenwahl“. 436 So auch die Kritik Kleindieks, Risikogesellschaft (1998), S. 204 an Scholz, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 98, wonach Industrieforschung erst dann den Rahmen verfassungsgeschützter Wissenschaft verlässt, „wenn sie die Gesetze wissenschaftlich-methodischer Reflexion oder erkenntnistheoretisch-unabhängiger Untersuchung missachte[t].“ 437 Dickert stellt hierfür allerdings hohe Hürden auf. Uneindeutig ist Trute, dessen Verständnis von Wissenschaftsfreiheit gebundene Forschung zwar ausschließt, dessen Verständnis von Forschungsfreiheit als Handlungsfreiheit aber nicht auf Autonomie und Publizität abstellt und somit auf alle Forschungsbereiche anwendbar ist.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
kleinere Freiheitsräume. Insofern dient der Forschungszweck als normimmanente Beschränkung. Kleiner werden diese individuellen Freiheitsräume in privatrechtlichen Verhältnissen. Hier dominieren die Interessen des Arbeitgebers, die die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit kaum stören sollen. Eine Integration der objektivrechtlichen Dimension von Art. 5 Abs. 3 GG findet in diesem Bereich nicht statt. 438 Diese Unterbelichtung kritisieren andere Ansätze und versuchen sie auszugleichen. 4. Autonomie und Transparenz als Voraussetzung für Wissenschaftlichkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG Nicht oder nur teilweise in das Integrationsmodell einzuordnen sind Lösungsansätze, die die Verwirklichung individueller Wissenschaftsfreiheit in den Vordergrund stellen. Sie erarbeiten als wesentliche Elemente der Eigengesetzlichkeit wissenschaftlicher Forschung die Autonomie wissenschaftlicher Organisationen und die Transparenz wissenschaftlichen Handelns und sind Anregung für das hier noch zu entwickelnde Differenzierungsmodell 439, das zu ähnlichen Ergebnissen kommen wird. Diese Konzepte sollen im vorliegenden Kontext als Alternative zur Adaption des Art. 5 Abs. 3 GG kurz dargestellt werden. a) Voraussetzung der Autonomie von wissenschaftlichen Organisationen Die vorrangige Funktion von Art. 5 Abs. 3 GG als Organisationsgrundrecht und nicht als individuelles Abwehrrecht für Jedermann erarbeitet Kleindiek. 440 Wissenschaft kann nur innerhalb staatlicher Organisationen frei funktionieren, deshalb handelt es sich notwendig um eine staatlich organisierte Freiheit. 441
438
A. A. Enders, in: Klein/Menke, Bioethik (2004), S. 238. Siehe unten Fünftes Kapitel, A. 440 Kleindiek, Wissenschaft und Freiheit in der Risikogesellschaft. Eine grundrechtsdogmatische Untersuchung zum Normbereich von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (1998); Rez. v. Karpen, JZ 1999, 613 f.; Classen, GA 2000, 505 f.; mit dem Gedanken, dass die Anforderungen, die an die Organisation staatlicher Wissenschaftseinrichtungen gestellt werden, ebenfalls auf jede, d. h. auch private, Forschungseinrichtung wegen Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG zu übertragen seien: Schmidt-Aßmann, in: Becker/Bull, FS-Thieme (1993), S. 697 (706 ff.), freilich ohne zu den weitgehenden Konsequenzen von Kleindiek (ders., a. a. O., S. 306 f.) zu kommen. Für private Universitäten wird dies u. a. gefordert von Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 8; Schlink, Der Staat 1971, 244 (264 f.); A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (71). 441 Die ähnlich normgeprägt ist wie das Eigentum durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen. 439
C. Das „Integrationsmodell“
253
Für Kleindiek kann deshalb in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG nur „freie“, d. h. autonome Wissenschaft fallen. 442 Denn die Wissenschaftsfreiheit ist zwar auf individuelle Freiheitsentfaltung ausgerichtet, dies ist aber nur möglich, wenn das Grundrecht in seiner Doppelfunktion als Leistungs- und Abwehrrecht gesehen wird. 443 Ist ein Grundrecht gleichzeitig ein Leistungsrecht, so schafft erst staatliches Handeln die Freiheit, autonom wissenschaftlich tätig zu werden. Art. 5 Abs. 3 GG soll als Organisationsgrundrecht der Auftrag an den Staat sein, „freie“ Wissenschaft zu gewährleisten, indem sie staatlich geschaffen wird. 444 Ein Grundrechtsverständnis, das die Wissenschaftsfreiheit als Recht individueller Beliebigkeit und vorrangiges Abwehrrecht versteht, wird dem nach Kleindiek nicht gerecht. Schon historisch ist dies nicht ableitbar. 445 Mit Art. 5 Abs. 3 GG sollten Humboldtsche Vorstellungen verwirklicht werden. 446 Dem widerspricht jedoch eine pauschale Übertragung von Art. 5 Abs. 3 GG auf den außeruniversitären Bereich. Gestützt wird diese Interpretation von der Rechtsprechung des BVerfG, die sich nur auf die Hochschule bezieht. 447 Sofern Wissenschaft und Forschung außerhalb der Universitäten vom Staat geschützt und gefördert werden, ist dies nicht Bestandteil des Auftrags aus Art. 5 Abs. 3 GG, sondern Wirtschaftsförderung. 448 Von der Legitimation der Wissenschaftsfreiheit ausgehend, löst Kleindiek das Problem des Schutzes der Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter: Die Grenze dessen, was als Eingriff in die Forschungsfreiheit zulässig ist, muss nicht zwingend mit dem identisch sein, was wegen der Rechte Dritter gerade noch erlaubt (Art. 5 Abs. 3 GG als Abwehrrecht) oder gar gefordert (Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG) ist. 449 Ein Abwägung erübrigt sich jedoch, wenn eine derart schwerwiegende Beeinträchtigung widerstreitender Verfassungsgüter vorliegt, dass ein Güteraus-
442
In Ansätzen auch: Münch, Staatsrecht (2002), Rdnr. 428; Trute, Forschung (1994), S. 102 f.; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 260; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 23; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 318, 320. Mit Betonung der Autonomie auch Denninger, in: ders./Hoffmann-Riem, AK-GG, Bd. I (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 14. 443 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 210 ff., 261 ff. 444 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 239 ff. 445 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 144 ff.; vgl. auch Zwirner, AöR 1973, 313 ff. Bei der Diskussion um Art. 142 WRV Ende der 1920er Jahre ging es nicht um ein Grundrecht der Professoren (so aber im Erg. Bethge, in: Sachs, GG [2003], Art. 5, Rdnr. 207, 214), sondern um das Grundrecht der Universität (Kleindiek, Risikogesellschaft [1998], S. 152 ff.); a. A. insofern Zwirner, a. a. O., der in der historischen Entwicklung die individualrechtlich-nichtorganisatorische Seite der Wissenschaftsfreiheit als Gedankenfreiheit betont. 446 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 162 ff. 447 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 168 ff. 448 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 318 ff.
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3. Kap.: Die Realität von Forschung
gleich von vorneherein nicht möglich ist. Dies ist bei der Menschenwürde der Fall. 450 Folgt man wie Kleindiek einem konzentrierten Verständnis von Wissenschaftsfreiheit, dann werden bestimmte Bereiche des Lebensbereichs „Wissenschaft“ nicht durch Art. 5 Abs. 3 GG privilegiert. Dadurch werden Kollisionen verhindert. Für die Bio- und Gentechnik ergibt sich dann das Ergebnis, dass es sich bei ihr um Forschung an oder mit fremden Rechtsgütern handelt, da fremde Rechtsgüter bereits durch den wissenschaftlich-technischen Erkenntnisprozess selbst (und nicht erst durch die technische Umsetzung und Anwendung) gefährdet werden. 451 Die Folge ist, dass derartige Forschung nicht durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt wird. b) Voraussetzung der Transparenz von Wissenschaft Einen „blinden Fleck“ in den Lehren zu Art. 5 Abs. 3 GG will M. Blankenagel entdeckt haben: Die Bedeutung der Information und der Geheimhaltung für den Wissenschaftsbegriff werden in der herrschenden Dogmatik verkannt. 452 Wissenschaftliches Handeln erfordert die Offenbarung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Geheimhaltungspflichten sind mit Art. 5 Abs. 3 GG nicht vereinbar und führen deshalb zwar nicht zur Verfassungswidrigkeit, aber zum Ausschluss der jeweiligen Handlung aus dem Normbereich der Forschungsfreiheit. Im staatlichen Bereich ist der Staat daher umfassend verpflichtet, die Publikationsfreiheit zu achten. 453 Die objektivrechtliche Dimension von Art. 5 Abs. 3 GG verpflichtet den Staat im Übrigen, ausreichend Betätigungsfelder bereit zu stellen, in denen offene, informierende Wissenschaft betrieben werden kann. 454 Ist dies nicht mehr der Fall, ist der Staat auf Grund seiner Schutzpflicht gehalten, sich auch im privaten Bereich schützend vor die Wissenschaft zu stellen. 455
449 So auch Classen WissR 1989, 235 (237); Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 96. 450 Vgl. auch Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I (2002), Art. 5, Rdnr. 98 zu den Schranken der Kunstfreiheit. 451 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 351. 452 M. Blankenagel, Wissenschaft zwischen Information und Geheimhaltung. Über einen blinden Fleck in den Lehren zu Art. 5 Abs. 3 GG (2001), S. 75 ff. 453 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 195 ff; ihr nunmehr folgend Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 28. 454 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 81 ff., 104 ff., 164 ff. 455 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 164 ff.; zur Kritik an dieser These siehe unten Viertes Kapitel, C. III.
D. Resümee
255
5. Problemlösungspotential der neueren Ansätze Die Konzepte des Integrationsmodells können letztlich keine Antwort auf das Problem der Grenzen von Forschung geben. Ihr grundlegender Ausgangspunkt ist ein abwehrrechtliches Verständnis, die objektivrechtlichen Gewährleistungen, die die staatliche Forschung betreffen, wirken sich im Bereich privat organisierter Forschung nicht aus. Gerade die Eindimensionalität des Integrationsmodells ist es, die auch die objektivrechtlichen Dimensionen des Art. 5 Abs. 3 GG mehr und mehr ins Leere laufen lässt. Ein größeres Potential haben insoweit die Ansätze, die Autonomie und Publizität und damit Elemente wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit in den Vordergrund stellen. Es ist jedoch zu fragen, ob solche Überlegungen mit den aktuellen ökonomisch orientierten gesellschaftlichen Anforderungen an die Forschung und damit mit der Realität in Übereinstimmung zu bringen sind. Tatbestandsbeschränkenden Ansätzen steht auch die herrschende allgemeine Grundrechtsdogmatik entgegen, die mit dem Argument der Erreichung größtmöglicher Freiheit ein weites Tatbestandsverständnis bevorzugt.
D. Resümee Die im Dritten Kapitel dargestellte Realität von Forschung zeigt, dass die Veränderungen der Rahmenbedingungen von Forschung an den Hochschulen besonders signifikant ausfallen. Während Forschung außerhalb staatlicher Bindungen schon immer überwiegend der Fremdsteuerung durch ökonomisch geprägte Determinanten ausgesetzt war, findet nun eine Übertragung dieser wissenschaftsfremden Grundsätze auf die Hochschulforschung statt. Eine vollständige Integration der im Isolationsmodell für die Universitäten entwickelten Grundsätze auf alle Forschungsbereiche scheitert bereits an der Unvereinbarkeit der objektivrechtlichen Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG mit den Anforderungen privat organisierter, zumeist kommerzieller Forschung. Überzeugender sind hier Ansätze, die die individuelle Forschungsfreiheit in den Vordergrund stellen, zugleich aber den Normbereich der Forschungsfreiheit wesentlich enger fassen, als es die herrschende Meinung tut. Ob jedoch eine tatbestandliche Präzisierung der überzeugende Weg ist, hängt davon ab, welche Funktion den Grundrechten allgemein und insbesondere der Forschungsfreiheit im Grundgesetz zukommt. Hierbei sind die subjektiv- und objektivrechtlichen Dimensionen der Grundrechte, die Vorbehaltlosigkeit bestimmter Grundrechte und ein Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber zu berücksichtigen. Zudem lässt sich die Funktion des Art. 5 Abs. 3 GG angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht ohne Überlegungen zur Zukunft der Forschung bestimmen.
Viertes Kapitel
Die Zukunft der Forschung und die Gefährdung ihrer Freiheit Wenn es um die Zukunft wissenschaftlicher Forschung geht, geht es nicht um Entdeckungen, Erfindungen und Innovationen, sondern es geht darum, wie und unter welchen Rahmenbedingungen sich Forschung entwickelt, nach welchen Anreizen und Strukturprinzipien geforscht und wie die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ausgestaltet wird. Eine tragende Rolle kommt hierbei dem Staat und damit dem grundrechtlichen Schutz der Forschung zu. Wenn sich Forschung mehr und mehr zur unmittelbar zweckgebundenen Forschung entwickelt und in der herrschenden Grundrechtsdogmatik nur noch die Elemente der Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft anerkannt werden, die zugleich einem konkreten ökonomisch definierten Zweck nützen können, dann wird die Wissenschaft, die sich einst von ihrer Stellung als „Magd der Theologie“ emanzipierte, zur Magd der Ökonomie. 1 Diese am Ende antiaufklärerische Entwicklung ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, nicht mit der kulturstaatlichen Konzeption des Grundgesetzes vereinbar. Angesichts solcher Analysen muss bei der Bestimmung des Umfangs eines Grundrechts auf Forschungsfreiheit die Funktion von Wissenschaft in der modernen Gesellschaft bestimmt werden. Da sich Funktionen gesellschaftlicher Subsysteme verändern können, ist die Frage nach der Zukunft der Forschung eigentlich eine Frage nach dem Wert der Wissenschaft für die Gesellschaft. Oder anders gewendet: Was ist der Gesellschaft die Wissenschaft, oder konkreter, eine freie wissenschaftliche Forschung wert? Wie muss diese Forschung ausgestaltet und finanziert werden, um diese Funktion erfüllen zu können? 2 Geht man davon aus, dass die Resultate des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses öffentliche Güter 3 sind (bzw. sein sollen), die in ihrer Verwendung unaufteilbar sind und allen offen stehen, so besteht wenig Aussicht, aus der Bereitstellung
1
Polemisch ist gar vom „Terror der Ökonomie“ (Viviane Forrester, 1998) die Rede. Vgl. Hetschl, Forschung & Lehre 1/2002, 11 (12). 3 Vgl. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 85 f.; siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. III. 2. 2
A. Gesellschaftspolitische Anforderungen
257
dieses öffentlichen Guts Profit zu schlagen. Hier versagt der Markt. Damit keine Unterversorgung mit unabhängiger wissenschaftlicher Erkenntnis entsteht, ist staatliches Engagement notwendig. Werden hingegen Forschungsergebnisse privatisiert, etwa indem auf sie Patente erteilt werden, so ist eine mikroökonomische Unterteilung in rentable und unrentable Forschungsbereiche einfach. Ihr gesamtgesellschaftlicher und makroökonomischer Nutzen bleibt jedoch schwer bestimmbar. Noch schwerer ist es für staatliche Hochschulfinanzierung und Forschungsförderung, zwischen gesellschaftlich „rentabler“ und „unrentabler“ Forschung zu unterscheiden. 4
A. Gesellschaftspolitische Anforderungen an wissenschaftliche Forschung und Lehre In der modernen Wissenschaftssoziologie werden sowohl die internen Determinanten des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses als auch die externen Bedingungen von Wissenschaft in eine Gesamtbetrachtung einbezogen, die die Beziehung zwischen kognitiven und sozialen Strukturen nicht außer Acht lässt. 5 Nicht nur die Eigendynamik eines internen erkenntnisgeleiteten Prozesses, wie er sich in der idealistischen Wissenschaftsauffassung Humboldts wiederfindet, ist entscheidend für die Wissenschaftsentwicklung, sondern es sind genauso externe gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren, die die wissenschaftliche Tätigkeit und ihre Ergebnisse prägen. 6 Dabei kann, wie gezeigt, eine vorrangig ökonomische Finalisierung der Wissenschaft beobachte werden: Externe Zwecksetzungen sind Leitfaden wissenschaftlicher Theorie. Der Praxis geht nicht mehr die Theorie voraus, sondern theoretische Erklärungen folgen praktischen Anwendungen. 7 Die Beachtung solcher externer Determinanten führt dazu, dass die Frage nach der Zukunft von Forschung mit der Frage nach den externen Faktoren einhergeht, die auf die Eigengesetzlichkeit wissenschaftlicher Forschung einwirken und einwirken dürfen. Dabei sind die gesellschaftspolitischen Erwartungen an die Wissenschaft auf zwei Positionen zuspitzbar: Utilitarismus und Kultur. 4 Hierbei hilft auch § 5 HRG nicht weiter, wonach sich die staatliche Finanzierung der Hochschulen u. a. an deren Leistung in der Forschung zu orientieren habe. Denn was ist und wer bemisst diese Leistung? 5 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 254. 6 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 254 f.; vgl. den Unterschied zwischen Externalismus und Internalismus (ders., a. a. O., in Anm. 206). 7 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 255 f. mit dem Hinweis, dass in den Bereichen der Gen- oder Kernenergieforschung theoretische Erkenntnisse erst in einem Prozess praktischer Erfahrungen angepasst werden müssen und angewandte Forschung erst Bedingung eines theoretischen Unterbaus ist (S. 125 ff.); vgl. zur Finalisierung auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 64 ff.
258
4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
I. Forschung zwischen Utilitarismus und Kulturstaat Auf das Spannungsfeld zwischen Utilitarismus und Kulturstaat, in dem sich Wissenschaft schon immer befunden habe, weist Oppermann hin. 8 Einerseits solle die Wissenschaftsfreiheit Ausprägung eines kulturstaatlichen Verfassungsverständnisses sein, andererseits habe ihr Schutz „unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtung“ zu erfolgen. 9 Hierzu zählt sicherlich auch die Frage des „Cui bono?“ Soll das Leitbild von Wissenschaft und Bildung technisch-ökonomisch oder (neu-)humanistisch-demokratisch geprägt sein? Wie ist die „Freiheit der Forschung“ unter den Bedingungen einer zunehmend (durch-)organisierten Wissenschaft zu konzipieren? Bezogen auf die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich der Wissenschaft sind jedenfalls zwei Alternativen denkbar: 1. Erste Alternative: Eine utilitaristisch-ökonomisierte Forschung Der Hauptsatz des Utilitarismus lautet: „Handle nach dem größten Nutzen für die größte Anzahl.“ 10 Was nützlich ist, ist durch gesellschaftliche Wertvorstellungen geprägt. Heute gilt vor allem als nützlich, was wirtschaftlich verwertbar und konsumierbar ist. Wissenschaft wird ge- und vernutzt, und der größtmögliche Nutzen der Wissenschaft für möglichst viele Menschen wird über privatwirtschaftliche Marktmechanismen bestimmt und gesteuert. 11 Der größtmögliche Nutzen bezieht sich damit auf eine möglichst große Zahl an zahlungskräftigen Marktteilnehmern bzw. Kunden. 8 Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 24; ders. JZ 1973, 433 (435) unter Hinweis auf die doppelte Schlüsselfunktion, die das BVerfG der Wissenschaftsfreiheit einerseits als „Selbstverwirklichung des einzelnen“ und andererseits als einer eher utilitaristisch-sozialen Komponente für die „gesamtgesellschaftliche Entwicklung“ zuweist; deutlicher Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 22, der unter der Überschrift „Wissenschaftsfreiheit und Kulturstaat“ auf die Bedürfnisse der Industriegesellschaft und den globalen Wettbewerb hinweist. 9 BVerfGE 35, 79 (112 f.). Zu diesen Aufgaben können freilich angesichts der vorbehaltlosen Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG nur verfassungsrechtlich legitimierbare gehören, nicht politische oder ökonomische Nützlichkeitserwägungen, denn sonst unterläge die Freiheit des Hochschulforschers vollständig der Disposition des einfachen Gesetzgebers. 10 Eine Handlung ist dann als sittlich gut zu beurteilen, wenn sie nützlich ist. Diese Ethik geht auf Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873) zurück; siehe ders., Der Utilitarismus, m. Anm. v. Dieter Birnbacher, Stuttgart (1871/1985/2004). 11 Vgl. Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 f. Eine utilitaristische Grundstimmung in der Biound Gentechnik, insb. in der Embryonenfrage, stellt auch Starck, JZ 2002, 1065 (1072) fest: Hierzu gehöre ein eugenisches Klima und der Egoismus der Lebenden. Ethik müsse sich nach den technischen Möglichkeiten richten. Utilitaristischen Erwägungen folgt auch die Richtlinienpolitik der EU, so z. B. in Gestalt der Arzneimittelrichtlinie (Laufs, MedR 2004, 583 ff.).
A. Gesellschaftspolitische Anforderungen
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Als Beispiel mag der unmittelbare Nutzen der Hochschulforschung dienen: Er bestand einmal vornehmlich im Zweck der (Aus-)Bildung, die nicht nur dem Bedürfnis einer zunehmend technologisch orientierten Gesellschaft nach qualifiziertem Personal dienen sollte, sondern auch der gesellschaftlichen Emanzipation des Einzelnen. 12 Daneben war Hochschulforschung eine kulturelle Veranstaltung. Heute hat Hochschulforschung dem „Wissens- und Technologietransfer“ (vgl. § 2 Abs. 7 HRG), der „Wettbewerbsfähigkeit“ und ihrer Bedeutung als „Standortfaktor“ gerecht zu werden. 13 Hinter der Institution universitärer Wissenschaft stehen nun Interessen, die vornehmlich technischer und wirtschaftlicher Natur sind. Zugleich führte die Entwicklung der Hochschulen zu sog. Massenuniversitäten zu hohen Folge„kosten“, die nun nicht mehr als Investition in die Zukunft, sondern politisch und haushaltsrechtlich als Kosten interpretiert werden. Trotz allen Konsenses, dass die neu entstehende Wissensgesellschaft hochqualifiziertes Personal benötigt, versucht sich der Staat aus der Finanzierung zurückzuziehen. 14 Dies führt in der Konsequenz dazu, dass die Hochschulen gezwungen sind, andere Einnahmequellen zu erschließen. Zwar ist inner- wie außeruniversitär die Suche nach Wahrheit um ihrer selbst willen ebenso wenig verschwunden wie das Streben nach Aufklärung. Betrachtet man jedoch über die Hochschulen hinaus den gesamten realexistierenden Forschungsbetrieb, so dominiert nicht nur die private Forschungsfinanzierung, 15 sondern es dominieren auch zweckrationale Intentionen, die zeigen, dass das Baconsche Programm die soziale Realität der Wissenschaft prägt. 16 Menschen erwarten Lösungen ihrer individuellen Probleme (Krankheit, Umwelt, Arbeitslosigkeit), Politik und Wirtschaft die Lösung finanzpolitischer und ökonomischer Herausforderungen. Forschungsfreiheit lässt sich sicherlich vordergründig – sowohl als Abwehrrecht als auch als Förderungspflicht des Staates – durch ihren konkreten und kurzfristigen 12 BVerfGE 35, 79 (120); vgl. hierzu z. B. auch Art. 2 Abs. 1 BayHSchG: „Das Hochschulwesen dient der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Die Hochschulen bereiten auf eine berufliche Tätigkeit vor, welche die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden ( . . . ) erfordert. ( . . . ) Die Hochschulen fördern die Urteilsfähigkeit ihrer Mitglieder im Sinn der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und der Verfassung.“ 13 So sind die Leitlinien der staatlichen Biotechnologiepolitik die Standortsicherung und Weltmarktorientierung (Dolata, Ökonomie der Gentechnik [1996], S. 137 ff.). 14 Vgl. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 18. Nach Prognosen der KMK soll die Anzahl der Studenten bis zum Jahre 2014 auf bis zu 2,7 Mio. ansteigen (Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz, Dokumentation Nr. 176, S. 6). 15 Siehe oben Drittes Kapitel, A. IV. 4. a). 16 Siehe hierzu oben Drittes Kapitel, A. I.
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gesellschaftlichen Nutzen legitimieren. Ob jedoch angesichts gleichzeitiger Kosten und Risiken die Forschung als solche (wie auch der technologische Fortschritt) auf lange Sicht wirklich einen Gesamtnutzen hat, ist zumindest nicht offensichtlich positiv zu beantworten. 17 Auf der einen Seite erwartet man von Forschung und technischer Entwicklung die Lösung dringlicher Probleme, auf der anderen Seite hält man die durch Forschung forcierte technische Entwicklung gerade für das Problem. Man denke hier an den ökologischen Ressourcenverbrauch oder die durch Rationalisierung verursachte Arbeitslosigkeit. Während früher in den Naturwissenschaften die Mittel den Zweck heiligten, heiligt heute der Zweck die Mittel. 18 Je konkreter der Nutzen bestimmter Forschungsaktivitäten ist, desto stärker müssen im Konfliktfalle abstrakte Güter wie Freiheit, Leben, körperliche Unversehrtheit und Würde zurücktreten, die den gleichen Nutzen-Kosten-Relationen wie die Forschung unterworfen werden. Dies zeigt eindrucksvoll die Diskussion um den verfassungsrechtlichen Status des Embryos. Wenn ein utilitaristisches Programm der Nutzenmaximierung für Forschung bestimmend ist, führt dies dazu, dass der organisatorische Rahmen, innerhalb dessen Wissenschaft stattfindet, immer größere Bedeutung einnimmt. Denn gesellschaftlich relevante oder privat gewünschte Forschungserkenntnisse sind zumeist technisch geprägt und nur unter hohem Kostenaufwand realisierbar. Forschung, die nicht unmittelbaren Anwendungen oder Zielen verpflichtet ist, steht in Deutschland heute vor einem fundamentalen, wenn nicht gar existenzbedrohenden Problem: Sie ist grundsätzlich von staatlicher Alimentierung abhängig. Die Finanzsituation der öffentlichen Haushalte hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschlechtert. Dies führt zu Verteilungskämpfen, in denen nicht selten konstatiert werden muss: Kultur und Bildung haben eine schlechte Lobby. Globalisierung, Digitalisierung und verschärfter nationaler und internationaler Wettbewerb führen zu einer Konkurrenzgesellschaft, 19 in der die Ausgaben für zweckungebundene Forschung, die keinen absehbaren konkreten (und monetär verwertbaren) Nutzen hat, als überflüssiger Luxus erscheinen. „Zweckfreie“ Forschung erscheint zwecklos. Dies erhöht den Druck auf alle Forschungsbereiche, ihre jeweilige
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So z. B. Bayertz, ARSP 2000, 303 (319). Vgl. Forman, S. 186: „In postmodern science, as in war ( . . . ) all is fair: ‚the ends justify the means‘. Anathematized by liberals in modernity, this maxim is the impicit credo of postmodernity. Nowhere was the modernist rejection of this maxim clearer than in the conventional view of scientific knowledge, ( . . . ) namely that all the distinctive and desirable qualities of scientific knowledge were already immanent in the method by which it was attained, i. e., that the means sanctified the end, rather than the end justifying the means“ [Hervorh. d. Verf.]. 19 Einhergehend mit einer „Verkürzung der Halbwertszeit des Humankapitals“, vgl. hierzu Hopfenbeck/Müller/Peisl, Wissensbasiertes Management (2001), S. 35. 18
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Existenzberechtigung möglichst mit ökonomischen Kosten-Nutzen-Analysen zu rechtfertigen. Da der Markt als effektivstes System zur Allokation von Gütern gilt, werden Marktmechanismen auch auf wissenschaftliches Wissen angewendet. Wissen gilt als Rohstoff und als Ware, die wie Sachen rivalisierend verbraucht wird und sich auf dem ökonomischen Markt durchsetzen muss. Nicht nur unterschiedliche Verdienstmöglichkeiten, Aufstiegschancen und Ressourcenausstattungen winken dem Forscher, der derart nachgefragtes Wissen produziert, sondern Marktmechanismen werden auch auf die staatliche Finanzierung und Förderung angewendet. Auch auf diesem Markt ist das Buhlen um Aufmerksamkeit und die Hegemonie bei der Besetzung von Themen grundlegend für die Akquisition von finanziellen Ressourcen und die Beseitigung rechtlicher Hemmnisse geworden. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit sind unverzichtbar. Dies gilt für die embryonale Stammzellenforschung, die als Schlüsseltechnologie euphorisch ferne Heilungschancen als bereits existierende Realität darstellt, denen nur noch das Embryonenschutzgesetz im Wege steht, ebenso wie für die Klimaforschung, die einen heißen Sommer als Vorboten einer zukünftigen Klimakatastrophe artikuliert. Die Forschung gerät jedoch spätestens dann in eine Vertrauenskrise, wenn ihre öffentlichen Akteure sich auf dem hart umkämpften Markt der Themen und Ressourcen durchsetzen wollen, indem sie diese „überverkaufen“. 20 Dem ist die Gefahr inhärent, dass die jeweilige Konjunktur der Moden die Wissenschaften so selektiert und ausdünnt, dass es zu einer instabilen Konjunktur der Wissenschaften mit ungebremstem Aufund-Ab in der Finanzierung der einzelnen Disziplinen kommt. Ändern sich dann die Probleme, sind keine präventiven Lösungen vorhanden. 21 Die Versprechungen der Forschung haben dann nicht mehr Wert als Waschmittelwerbung, ihre Erkenntnisse nicht mehr Wert als andere Handelsware, die die Menschheit zwar kurzfristig beglückt, existenzielle Probleme jedoch nicht löst. 2. Zweite Alternative: Eine kulturstaatliche Wissenschaft Die Forschungsfreiheit gilt nicht ohne Grund als Teil der „Kulturverfassung“ des Grundgesetzes, 22 nicht der „Wirtschaftsverfassung“. 23 Die Kulturverfassung setzt Rahmenbedingungen für die Entfaltung kulturellen Lebens und entspricht der Konzeption einer „offenen Gesellschaft“. Die Forschungsförderung ist Teil der 20
Storch/Stehr, Der Spiegel vom 26. 01. 2005, S. 160. Vossenkuhl, Forschung & Lehre 4/2005, 190 (192). 22 So z. B. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 22 (zugleich sei Wissenschaft „Konstituens der Industriegesellschaft“); Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 23. Die Kulturstaatlichkeit ist eines der Staatsziele des Grundgesetzes, vgl. m. w. N. Schmidt-Aßmann, JZ 1989, 205 (209). 23 Vgl. Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 305. 21
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Kulturförderung. 24 Je technischer jedoch Wissenschaft wird, desto stärker ist nach der kulturellen Funktion ihrer Rationalität zu fragen 25 – und nach der kulturellen Funktion ökonomisch orientierter Zweckforschung und ihrer Förderung. Zugleich kann ökonomische Übermacht die „Freiheit der Kultur“ und die „Kultur der Freiheit“ gefährden. 26 Wesentlich für ein kulturelles Verständnis ist der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Forschung und Bildung. 27 Das Humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre vereint in der Institution Universität zwei Spezialisierungen: zum einen das Auffinden wissenschaftlicher Wahrheit, zum anderen die Erziehung. Forschung wird mit dem Erziehungswert wissenschaftlicher Wahrheit kombiniert. Zugleich ist damit im klassischen Sinne ein wesentliches Element der Belohnung für forschendes Handeln verbunden: Prestige und Reputation der lehrenden Forscher, die durch ihre Wissensvermittlung wieder einen Nährboden für die Aufnahme neuer Erkenntnisse und deren Verbreitung schaffen. 28 Wesen und Wert der Bildung im Kulturstaat ist dabei folgender: In dem Maße, in dem die Masse des gespeicherten Wissens steigt, wird die Funktion eines jeden Subjekts gesteigert, das zwischen den gespeicherten Informationen und dritten Subjekten interagiert. Der schriftliche Bezug zu den Quellen wird dabei gebrochen. Gerade wenn es soviel Informationen gibt, dass niemand mehr von allen Kenntnis nehmen kann, ist Bildung gefragt. 29 Bildung muss Erkenntnisse finden, verstehen, differenzieren, gewichten und aufbereiten. Sie überbrückt das grundsätzlich spätestens seit der Erfindung des Buchdrucks bestehende Problem der Diskrepanz zwischen Informationsüberfluss und Anwendungsproblem. Diese Diskrepanz wird in zunehmendem Maße auch ein Problem moderner Berufe. Deshalb wird spätestens seit der Einführung der Massenuniversitäten ein Spagat zwischen wissenschaftlicher Bildung als Selbstzweck und beruflicher Ausbildung als Existenzsicherung und volkswirtschaftlicher Notwendigkeit versucht. 24 Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 310. Fraglich ist, wo die Grenze zur Wirtschaftsförderung zu ziehen ist. 25 Wissenschaft und Technik schaffen durchaus eine neue Kultur (vgl. nur Marcuse, Eindimensionaler Mensch [1964/1998], hierzu oben Drittes Kapitel, A. IV. 1.), die jedoch an die Stelle traditioneller Erkenntnis-, Verständigungs- und Gestaltungsnormen tritt, die sich einst auf Kultur, Mythos, Moral und Tugend bezogen (Reuhl, WissR 1980, 236 [237]). 26 Häberle, in: Maurer, FS Dürig (1990), S. 3 (9). 27 Die Frage nach dem Stellenwert der Universität im Forschungsganzen sowie nach ihrer Funktion bei der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses stellt A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (53 ff.). Kamp weist darauf hin, dass der Staat in der wissenschaftlichen Ausbildung noch immer ein Monopol innehat (ders., Kommerz [2004], S. 46). 28 Vgl. Luhmann, Soziologische Aufklärung 4 (1994), S. 206. 29 Luhmann, Soziologische Aufklärung 4 (1994), S. 207. Anders formuliert: „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn alles Gelernte vergessen ist.“ Diese Einsicht wird Eduard Halifax (1633 – 1695) zugeschrieben.
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Einerseits sollen Universitäten zu wissenschaftlicher Arbeit befähigte Menschen erziehen, die, in kreativem und kritischem Denken geschult, verantwortungsvolle Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen. 30 Andererseits befähigt im Idealfall eine solche (Aus-)Bildung ebenfalls zur Erfüllung der Anforderungen einer Vielzahl von Berufsbildern. Doch entscheidend sollte dabei nicht der ökonomische Nutzen der Universitäten als Produktionsstätte von „Humankapital“ sein. Wissenschaft entwickelt sich vielmehr bereits über ihr weitervermitteltes Wissen zu einer Schatztruhe menschlicher Erkenntnis, aus der sich jeder, auch die Wirtschaft, frei bedienen kann. Gerade das macht einen „Nutzen“, von Wissenschaft aus, der weiter reicht, der langfristiger und intensiver wirkt, der jedoch nur schwer mikro- oder makroökonomisch messbar ist und für den allenfalls historische, wenn nicht gar uranthropologische Erfahrungswerte existieren. Darüber hinaus ist die Frage nach der Nützlichkeit von Wissenschaft eigentlich wissenschaftsfremd. 31 Es ist jedenfalls nicht ein ökonomisch-kommerzieller Nutzen entscheidend, der individuelle oder gesellschaftliche Probleme löst, sondern eine mittelbare Nützlichkeit, die im Sinne der Aufklärung den Menschen aus seiner Unmündigkeit hinausführen soll. 32 Die hier vertretene These ist, dass diese mittelbare Nützlichkeit für das „Ganze“ nur in einer neuen Einheit, einem neuen Universalismus der Wissenschaften zu erreichen ist. Statt einen Gegensatz zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften herzustellen, der sich insbesondere bei den Verteilungskämpfen um Ressourcen zu Lasten der Geisteswissenschaften niederschlägt, müssen diese als Schicksalsgemeinschaft betrachtet werden, in der die einen ohne die anderen nicht existieren können. Die Geisteswissenschaften artikulieren dabei das humane Interesse an einem ganzheitlichen Verständnis von Wirklichkeit, während in den Naturwissenschaften ein unartikuliertes Bedürfnis nach einem einheitlichen Verständnis von menschlicher Erkenntnis vorhanden ist. Naturwissenschaften vermitteln zugleich den Geisteswissenschaften den Bezug ihrer Ideen zur Realität. 33 30
Siehe z. B. Art. 2 Abs. 1 BayHSchG. Vgl. Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (494 f.). Nützlichkeit ist systemtheoretisch betrachtet eine von anderen Systemen an die Wissenschaft herangetragene Erwartung. 32 Nach Immanuel Kant ist die Aufklärung „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. ( . . . ) Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung“ (Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? [1784], in: Werke, Bd VI [1998], A 481 ff. [S. 53 ff.]). Erkennbar wird bei Kant auch der enge Zusammenhang zwischen der Aufklärung und dem Schutz der Würde des Menschen: „Wenn denn die Natur ( . . . ) den Hang und Beruf zum freien Denken ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählig zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird) und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln“ [Hervorh. d. Verf.]. 31
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Gerade dies zeigt die Notwendigkeit, dass es einen Ort geben muss, an dem Wissenschaft in ihrer Vielfalt ganzheitlich verwirklicht ist: die Universität. 34 Dessen unbenommen können auch andere Organisationen wie die Max-PlanckGesellschaft sich partiell einem solchen Wissenschaftsverständnis widmen. Wissenschaft schafft also nicht nur Wissen, sondern durch Aufklärung auch Freiheit. In der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft des Grundgesetzes ist von der Kulturtheorie Bourdieus ausgehend 35 die vorrangige Aufgabe des intellektuellen Feldes die Generierung von kulturellem Kapital (durch Forschung) und dessen Vermittlung (durch Lehre). Die Funktionslogik von wissenschaftlichen Hochschulen liegt also in der Produktion von kulturellem Kapital. Erst in der Folge wird durch die Individuen kulturelles Kapital in ökonomisches Kapital transformiert. Diese Transformation ist jedoch nicht die Aufgabe der Hochschulen, sondern der Wirtschaft. Wissenschaft als Kultur muss sich der Tatsache stellen, dass selbst die „Natur(-gesetze)“ der Naturwissenschaften nicht wertfrei sind. Die technischen Möglichkeiten, die Natur mit Technik zu verstehen und zu manipulieren, produzieren eine Wirklichkeit, die zwingend wertender Erkenntnis unterzogen werden muss. Jeder Sinn – auch ein scheinbar bloß technischer – ist nur Teilsinn in einem unendlichen Sinnzusammenhang und ruft dort unübersehbare Wirkungen hervor. 36 Diese Wirkungen möglichst vollständig zu erfassen, kann nicht Aufgabe der Naturwissenschaften allein sein, das ist Aufgabe der Wissenschaft insgesamt. Die klassische Universität präsentiert sich im Rückblick wie ein großes Laboratorium, in dem die Forscher in einem evolutionärem Prozess Neues erkundeten und ihre Ergebnisse zur Diskussion stellten. Die Folge war eine erfolgreiche Forschungsuniversität, 37 die zugleich als Nebeneffekt, nicht jedoch als Zweck, die wirtschaftliche Entwicklung beförderte. Das Verhältnis von Wissenschaft, Staat 33 Vgl. Vosskuhl, Forschung & Lehre 4/2005, 190 f. Ausgangspunkt des idealistischen Universitätsverständnisses war die systematische Durchdringung aller Wissenschaften durch die Philosophie, vgl. Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 43 f. 34 Von lat. universitas = Gesamtheit, d. h. der Ort, an dem die Wissenschaften vollständig und in systematischer Ordnung gelehrt werden. 35 Nach Pierre Bourdieu (1930–2002) besitzen Individuen Potentiale, die sie einsetzen und transformieren können: ökonomisches Kapital, soziales Kapital, symbolisches Kapital und kulturelles Kapital bzw. Bildungskapital. Der Erwerb kulturellen Kapitals kann z. B. zur Erhöhung des ökonomischen Kapitals eingesetzt werden. Siehe hierzu ders., Die verborgenen Mechanismen der Macht, Schriften zu Politik und Kultur 3, Bd. 1, Hrsg. von Margareta Steinrücke, Hamburg 1992, S. 49 – 80. 36 Vgl. zum Recht als Kulturbegriff und den Rechtswissenschaften als Kulturwissenschaften Radbruch, Rechtsphilosophie (1932), S. 29 ff. Man denke auch an die Erkenntnisse aus der Chaostheorie: beliebig kleine Änderungen in den Anfangsbedingungen führen zu einer qualitativ veränderten Dynamik des Systems. 37 Vgl. Langewiesche, FAZ vom 23. 06. 2005, S. 7.
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und Öffentlichkeit zeigt Kant 1798 in seiner Schrift vom „Streit der Fakultäten“: 38 Die Universität kann ihren Platz nur finden, wenn sie die Suche nach Wahrheit und nach nützlichem Wissen innerhalb ihrer Mauern zusammenführt. Ausschließlich selbstbestimmt hat sie keine Verankerung in der Gesellschaft mehr, vorrangig fremdbestimmt ist sie keine Universität mehr. Der Ausgleich muss in eigener Verantwortung durch freie wissenschaftliche Diskussion gefunden werden. 39 Wissenschaft im Kulturstaat benötigt Freiheit. Das bedeutet Offenheit des Erkenntnisprozesses. Akzeptiert man nicht die Abweichung der Ergebnisse vom Erhofften, ist die Gefahr nicht fern, die Ergebnisse zu manipulieren. Achtung vor der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft muss auch anderen gesellschaftlichen Subsystemen abverlangt werden. Dies gilt vor allem für die Politik und die Wirtschaft. Gebrauchen sie Wissenschaft nur noch als Mittel und nicht als Wert an sich selbst, dann verletzen sie den Sinn und missachten den Nutzen von Wissenschaft. Utilitarismus und Kulturstaat sind kein Gegensatz. Denn eine kulturstaatliche Wissenschaft garantiert am Ende allem und allen auch den größten Nutzen. 40 Nach alledem lässt sich folgern: Die Eigengesetzlichkeit und Freiheit von Wissenschaft ist in einem Kulturstaat nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ zu verstehen. Dann aber wird die Folgerung zur Forderung: Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG, die diesen Namen verdient, muss auch hinreichend frei sein. 41 3. Eine Parallele: Softwarepatente oder Open Source Ähnlich umstritten wie die Biopatentrichtlinie 42 war auch ein Richtlinienentwurf der EU-Kommission zur Patentierung von Software. 43 Bisher sind Computerprogramme nur urheberrechtlich geschützt (vgl. §§ 69a ff. UrhG, Art. 52 Abs. 2c EPÜ), aber nicht patentierbar. 44
38 Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten (1798), Werke, Bd. VI (1998), A V ff. (S. 267 ff.). 39 Nach Langewiesche, FAZ vom 23. 06. 2005, S. 8. 40 Siehe den Hinweis des BVerfG in E 47, 327 (370) – Hess. Universitätsgesetz. 41 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 204 f. 42 Siehe unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) dd). 43 Vorschlag für eine Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen, Kom (2002) 92 endg.; 2002/0047 (COD) vom 20. 02. 2002. 44 Richtlinie 91/250/EWG. Manche Stimmen nehmen an, Patentschutz für Software gewähre schon jetzt Art. 10, 27 TRIPS (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights vom 15. 12. 1993). Dem hat jedoch BPatGE 43, 35 ff. (dort m. w. N. für die a. A.) eine Absage erteilt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann allerdings das PatG einem Computerprogramm Patentfähigkeit zubilligen, siehe Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (236).
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Der damalige EU-Binnenmarktkommissar Bolkestein bezeichnet die Richtlinie als „großen Schritt“ hin zur stärkeren Wettbewerbsfähigkeit Europas: „Wir müssen Investitionen in Innovationen belohnen, damit eine wissensbasierte Wirtschaft in Europa floriert.“ 45 Vor allem kleinere Software-Unternehmen befürchteten jedoch, dass ihnen damit aufgrund der hohen Lizenzkosten der Aufbau eigener Software, speziell für enge Anwendungsbereiche, nicht mehr möglich ist. 46 Der Bundestag kritisierte zudem, dass der Technikbegriff der Richtlinie unscharf bleibt. 47 Das Europäische Patentamt musste in diesem Zusammenhang eingestehen, dass es bei Softwarepatenten daran gescheitert ist, überhaupt den Begriff des Technischen zu definieren. 48 Im Kern stellt sich die Frage, ob Software Mathematik (bzw. Logik) und damit eine Entdeckung ist oder ob sich ihre Einordnung als Erfindung bereits aus ihrer technischen Anwendbarkeit ergeben kann. Dann wäre jedoch auch der „Satz des Pythagoras“ grundsätzlich patentfähig gewesen. Das Europäische Parlament hat deshalb in seinen Abänderungen zu Art. 2 b) des Richtlinienvorschlages empfohlen, dass eine Nutzung der Naturkräfte zur Beherrschung von physikalischen Wirkungen nur dann zum Gebiet der patentierbaren Technik gehört, wenn sie über die numerische Darstellung von Informationen hinausgeht. Die Darstellung, Bearbeitung und Verarbeitung von Informationen selbst soll nach dem Parlamentsentwurf daher keinen technischen Beitrag darstellen, selbst wenn dafür technische Vorrichtungen verwendet werden. 49 Sonst bestünde die Gefahr von „Trivialpatenten“, wie sie in den USA existieren (etwa auf den Fortschrittsbalken einer Anwendung oder den Warenkauf im Internet mit einem Mausklick). Nachdem diese Vorschläge des Europäischen Parlaments keinen Eingang in die Richtlinie fanden, hat das Parlament im Juli 2005 zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Gesetz endgültig abgelehnt. 50 Demgegenüber steht eine Bewegung, die auf Patente verzichtet. Programmierer erstellen – häufig ohne kommerzielles Interesse – Programme, deren Quellcode offen ist („open source“) und verbreiten diese „free“, d. h. kostenlos und zum freien Gebrauch unter der Bedingung weiter, dass Weiterentwicklungen wieder zur beliebigen Vervielfältigung, Verbreitung und Bearbeitung preiszugeben sind. Der offene Quellcode erlaubt es einer unbestimmten Vielzahl von Programmierern und Nutzern, sich an der Weiterentwicklung zu beteiligen. Der jeweilige Stand der
45 c’t 12/2004, S. 60; http://www.silicon.de/enid/wirtschaft_und_politik/9329 [18. 12. 2006]. 46 Vgl. c’t 12/2004, S. 60. 47 Beschluss des Bundestages vom 01. 12. 2004 (BT-Drs. 15/4403). 48 Technology Review 11/2004 vom 23. 11. 2004. 49 Vgl. BT-Drs. 15/4403, S. 2; siehe hierzu auch Fünftes Kapitel, B. I. 3. a). 50 Europäisches Parlament vom 06. 07. 2005, Dok.: A6–0207/2005.
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Entwicklung ist offen zugänglich und kann von Jedermann auf seine Funktionsfähigkeit und auf Fehler („bugs“) getestet werden. Der vielfältige Austausch und die große Zahl der Entwickler und Tester sorgt dafür, dass diese Programme hinsichtlich ihres Funktionsumfangs und ihrer Sicherheit kommerziellen Lösungen ebenbürtig oder gar überlegen sind (das gilt etwa für das „freie“ Betriebssystem „Linux“ oder die Internet-Anwendung „Firefox“). Urheberrechtlich sind diese Programme zwar geschützt, jedoch mit einer „General Public License“ (GPL) versehen, die den Bearbeiter nur verpflichtet, sein Werk wieder Jedermann offen zugänglich, veränderbar und verwertbar zu machen. Diese Lizenz erlaubt es auch, Programme oder Teile davon kommerziell zu nutzen. Unternehmen dürfen beispielsweise die Software kostenlos einsetzen. Es gibt auch kostenpflichtige Linux-Versionen, bei denen Unternehmen die kostenlose Software mit Zusatzprogrammen sowie kostenpflichtiger technischer Unterstützung und Betreuung anbieten. 51 Es fällt nicht schwer, hierin eine Parallele zu einer Wissenschaft zu sehen, die ihre Erkenntnisse Jedermann frei zur Verfügung stellt. Selbstbestimmt finden sich Fachleute zusammen, die in losen Verbünden in ihrer Freizeit zusammenarbeiten (oder von Software-Firmen, die kommerzielle Interessen an einer Weiterentwicklung von Open-Source-Software haben, zu diesem Zweck beschäftigt werden), die sich Ziele stecken („Milestones“) und dabei nach dem Prinzip von „trial-anderror“ Problemlösungen vorantreiben. Ähnlich – auch urheberrechtlich – funktionieren erfolgreich Online-Enzyklopädien, 52 die nicht nur Jedermann die Möglichkeit geben, mit seinem Wissen Artikel zu verfassen und weiterzubearbeiten, sondern auch die freie Verwendung und Verbreitung der Texte und graphischen Darstellungen gestatten. Urheberrechtlich sind sie insoweit geschützt, als die Nutzung dieser Informationen nie zum Bestandteil geistigen Eigentums gemacht und damit monopolisiert werden darf. Deutlich wird hier Mertons idealistischer Wissenschaftskommunismus erkennbar. 53 Zwar ist auch die Open-Source-Idee nicht völlig idealistisch und kommerziellen Ideen nicht unaufgeschlossen, das Prinzip ist jedoch, dass die Nutzung des digitalisierten Wissens immer frei sein muss. Sie führt damit – wie die Vielzahl an Programmen zeigt – zu Anwendungen und Lösungen, die im Bereich des Massenmarktes erfolgreich mit vielen patentierten Produkten konkurrieren und diese nahezu als verzichtbar erscheinen lassen. So bleibt denn auch als Argument für Softwarepatente nicht der technologische 51 Hierzu Metzger/Jaeger, GRURInt 1999, 839 ff., insb. S. 839 f. Das GPL-Modell scheint sich reibungslos in die Kategorien des deutschen Urheberrechts einzufügen (a. a. O., 848). 52 Vgl. die deutschsprachige „Wikipedia“ mit über 500.000 Artikeln (http://de.wikipedia. org [18. 12. 2006]); siehe hierzu auch Technology Review, 5/2005, S. 76. Die englischsprachige „Wikipedia“ soll sich durchaus mit der „Encyclopaedia Britannica“ messen lassen können (siehe Nature 438 [15. 12. 2005], 900 f.). 53 Siehe unten Fünftes Kapitel, B. III. 2.
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Fortschritt als solcher, sondern das zweifelhafte Versprechen, damit würden mehr „Jobs“ und höhere wirtschaftliche Prosperität geschaffen. Dieses Argument verliert jedoch an Zugkraft, wenn kleine und mittlere Softwarebetriebe Patente auf Software als existenzbedrohend ansehen.
II. Wissenschaft als Markt und als Betrieb Unhabhängig davon, ob Wissenschaft nun als Kultur oder als Geschäft betrieben wird, können Marktmechanismen und betriebliche Organisation zur Charakterisierung moderner Wissenschaft herangezogen werden. Daran ist zunächst nichts auszusetzen. Der Markt hat sich als das effektivste System zur Allokation von Gütern erwiesen, der Betrieb als effektivste Allokation von Ressourcenverbrauch und Nutzen. 54 1. Wissenschaft als Markt Der Markt ist der Ort, an dem Waren angeboten und nachgefragt werden. Ökonomisch betrachtet ist er zunächst ein virtueller Ort. Ist dieser nur sich selbst überlassen, soll sich idealerweise ein Gleichgewicht einstellen, das eine effiziente Allokation der Ressourcen herbeiführt. Man spricht vom vollkommenen Markt. 55 In der Realität sind Märkte jedoch selten vollkommen. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass sie versagen, d. h. es gelingt ihnen nicht, die jeweiligen Ressourcen (u. a. Arbeit, Kapital) effizient zuzuteilen. 56 Märkte können zum Beispiel versagen, wenn keine gleichen Chancen auf Zugang gewährt werden oder die Marktteilnehmer nicht frei entscheiden können, was sie anbieten und nachfragen. 57 Ein Marktveranstalter ist notwendig, der Regeln aufstellt und auf deren Einhaltung achtet. 58 Ein Versagen eines Marktes liegt auch dann vor, wenn ein freier Markt nicht ohne das Zutun einer übergeordneten Instanz Güter bereitstellen würde, für die zwar generell eine hinreichende Nachfrage vorhanden wäre, an deren Kosten man sich jedoch individuell mangels Zahlungsbereitschaft und konkretem, unmittelbaren Nutzen nicht beteiligen möchte. Dies trifft vor allem auf öffentliche Güter zu, 54
Vgl. Streit, Wirtschaftspolitik (2005), S. 4 f. Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 14. Aufl., Bd. III (1997), S. 2548; Koch/Czogalla, Wirtschaftspolitik (2004), S. 48. 56 Vgl. Koch/Czogalla, Wirtschaftspolitik (2004), S. 48 f.; Streit, Wirtschaftspolitik (2005), S. 13 ff. 57 Vgl. Koch/Czogalla, Wirtschaftspolitik (2004), S. 60. 58 D. h. es ist eine Wirtschaftsordnungspolitik notwendig, die den Rahmen für privatwirtschaftliche und staatliche Aktivitäten festlegt und anpasst, vgl. Koch/Czogalla, Wirtschaftspolitik (2004), S. 31 ff. 55
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die der Befriedigung von Kollektivbedürfnissen dienen (Bildung, Gesundheit, öffentliche Infrastruktur). Die Bereitstellung solcher Güter muss gesellschaftlich organisiert werden. Dies übernimmt der Staat. 59 Wissenschaft ist prinzipiell darauf angelegt, ein öffentliches Gut anzubieten, nämlich wissenschaftliche Erkenntnis. Organisator oder Financier hierfür ist zumeist der Staat. Allerdings sind Wissenschaftler auf dem wissenschaftlichen Markt sowohl Anbieter als auch Nachfrager von Erkenntnis. Sie sind damit sowohl Konkurrenten als auch Schicksalsgemeinschaft. In ihrer Gesamtheit bestimmen sie über den Preis und damit den Wert einer Leistung. 60 Der Handel mit der Erkenntnis wird hierbei über das Belohnungssystem der Reputation gesteuert. 61 Wissenschaft kann aber auch in Relation zu anderen Marktformen gesetzt werden. Zum einen gibt es neben den Kollegen auch die Gesellschaft als Nachfrager wissenschaftlicher Erkenntnisse, von denen Problemlösungen und Fortschritt erwartet werden. Zum anderen gibt es die Wirtschaft. Beiden bietet die Wissenschaft gesellschaftlich oder ökonomisch relevante Erkenntnis an, und je besser, d. h. nützlicher oder profitabler diese ist, desto mehr Kapital wird die Gesellschaft oder die Wirtschaft in sie investieren. Dies eröffnet vielfältige Steuerungsmöglichkeiten für die Gesellschaft (über den Staat) und die Wirtschaft. Alle drei Nachfrager sehen in der Wissenschaft nicht nur einen Markt, sondern zugleich einen Betrieb, der Wissen produziert. An dieses Gut stellen sie jedoch jeweils unterschiedliche Anforderungen. 2. Wissenschaft als Betrieb Es heißt, Wissenschaft findet betrieblich statt. 62 Das BVerfG spricht davon, dass nach der Konzeption des Grundgesetzes dem Interesse des Gemeinwesens an einem funktionierenden Wissenschaftsbetrieb am ehesten gedient ist, wenn sich die wissenschaftlich tätige Einzelpersönlichkeit schöpferisch entfalten kann. 63 Unter „Betrieb“ versteht hier das BVerfG die staatliche Wissenschaftsorganisation. Ein
59
Vgl. Koch/Czogalla, Wirtschaftspolitik (2004), S. 38 f., 243. Vgl. Lege, in: Bohnert/Gramm, FS Hollerbach (2001), S. 385 (400 f.); zu verschiedenen Marktmodellen siehe auch A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (59 f.). 61 Nach Merton sind sie Konkurrenten, was die Reputation anbelangt, und solidarisch agierende Kollegen, was in der Gesamtheit die Generierung von Erkenntnis anbelangt. Die Frage von Lege, in: Bohnert/Gramm, FS Hollerbach (2001), S. 385 (400 f.) lässt sich somit beantworten. 62 Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 35; vgl. auch die häufige Verwendung des Begriffs „Wissenschaftsbetrieb“ in BVerfGE 35, 79 (108 ff., Ls. 2, 4). 63 BVerfGE 35, 79 (115); von „Forschungsbetrieb“ und „Lehrbetrieb“ spricht auch § 4 Abs. 2 und 3 HRG. 60
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
anderer (treffenderer) Begriff hierfür wäre scientific community. Davon unabhängig trägt jedenfalls die Ausdifferenzierung der Wissenschaft in ihren einzelnen Disziplinen und Wissenschaftsbereichen betriebliche Züge. Wirtschaftswissenschaftlich betrachtet ist ein Betrieb eine Kombination von Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden, Kapital), die nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip zu organisieren sind. Mikroökonomisch gesehen ist ein Betrieb dann wirtschaftlich, wenn er sich im finanziellen Gleichgewicht befindet, d. h. seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Alternativ bietet sich eine prozessorientierte Sicht an: Ein Betrieb ist ein Prozess, in dem nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip ein Input (Sach- und Dienstleistungen, Information) zu einem Output (Sach- und Dienstleistungen, Information) transformiert wird. 64 Mit der besonderen Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft ist so ein Wirtschaftlichkeits- bzw. Input-Output-Denken eigentlich nicht kompatibel. Der „Wissenschaftsbetrieb“ ist kein Wirtschaftsunternehmen. Werden jedoch auf staatlich organisierte Wissenschaft privatwirtschaftliche Betriebsprinzipien übertragen, so stellt sich die Frage, wie der „Wissenschaftsbetrieb“ finanziell möglichst effizient gestaltet werden kann. Welcher Output ist für die Effizienz maßgeblich? Hierbei ist davon auszugehen, dass ein finanzielles Gleichgewicht im öffentlichen Wissenschaftsbetrieb kaum herstellbar ist, ohne Grundsätze des Art. 5 Abs. 3 GG zu verletzen. Wäre Wissenschaft durch die Suche nach Wahrheit gekennzeichnet, müsste ein besonders effizienter Wissenschaftsbetrieb einen besonders großen Output an Wahrheit bei möglichst geringem Input an Kapital haben. Die Offenheit und Unabgeschlossenheit des Forschungsprozesses bringt jedoch das Problem mit sich, dass die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis in gewisser Weise ein „Glückspiel“ 65 ist, das sich nicht allein und nicht wirklich mit betriebswirtschaftlichen Inputs steuern lässt. In manchen kapitalintensiven Forschungsbereichen, wie sie insbesondere in den Natur- und Ingenieurswissenschaften zu finden sind, mag je nach Fragestellung der Erkenntnis-Output häufig eine Frage des entsprechenden Kapital-Inputs sein. Sehr viel schwieriger ist jedoch die Evaluation des Outputs, d. h. der forscherischen Leistung in qualitativer Hinsicht, in den Geisteswissenschaften ist ohnehin eine Input-Steuerung ohne feste Maßstäbe für das Output nicht möglich. Letztlich kann den Output eines Wissenschaftsbetriebes nur ein Markt bewerten. Der wissenschaftsinterne Markt ist, wie oben gezeigt, der Markt der Erkenntnis, in dem allein die Wissenschaftler Marktteilnehmer sind. Der Wert der „Ware“, Erkenntnis, wird allein durch deren Urteil gebildet. Der wissenschaftsexterne
64 65
Siehe zum Ganzen: Gabler Wirtschaftslexikon, 14. Aufl., Bd. 1, 1997, S. 523 f. Vgl. Lege, in: Bohnert/Gramm, FS Hollerbach (2001), S. 385 (400 f.).
A. Gesellschaftspolitische Anforderungen
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Markt ist ein ökonomischer Markt. Hier bildet sich für Erkenntnis ein Marktpreis, der sich letztlich im Wert geistigen Eigentums niederschlägt. Die Gesellschaft, die ebenfalls den Output eines Wissenschaftsbetriebes bewertet haben möchte, hat die geringsten Möglichkeiten, den Output zu messen. Sie kann via Staat den Wissenschaftsbetrieb nur so gestalten, dass er die Möglichkeit zur schöpferischen Entfaltung bietet. Nur dann, so die Sicht des BVerfG, ist der Betrieb für die Gesellschaft effizient. 66 3. Nachfrage- und angebotsorientierte Wissenschaftspolitik Eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik geht davon aus, dass die Wirtschaftssteuerung vorrangig dadurch stattfindet, dass wirtschaftspolitischer Einfluss auf die Marktnachfrage ausgeübt wird. Dies kann beispielsweise eine Erhöhung der Massenkaufkraft durch staatliche Investitionen sein, die sodann zu einem konjunkturellen Aufschwung führt. 67 Betrachtet man die Wissenschafts-, Bildungs- und Forschungsförderungspolitik als Marktsteuerung, so herrscht (im Gegensatz zur Wirtschaftspolitik) derzeit eine nachfrageorientierte 68 Wissenschaftspolitik. Deren Bezugspunkt ist derzeit der ökonomische Markt. 69 Es werden vom System Wissenschaft ökonomisch verwertbare Ergebnisse erwartet, sei es in Form von Absolventen mit bestimmten Fähigkeiten und Leistungen, sei es in Form von „innovativen“ Forschungsergebnissen, die als geistiges Eigentum Investoren und Unternehmern und damit dem jeweiligen Wirtschaftsstandort Wettbewerbsvorteile verschaffen sollen. 70 Diese Nachfrage gibt den Maßstab für die Zielvorgaben und Schwerpunktbildungen an den Hochschulen vor, nicht das gesellschaftliche, demokratisch legitimierte Bedürfnis nach Wissen in einem aufklärerischen und emanzipatorischen Sinne. Bezogen auf den wissenschaftlichen Produktionsbetrieb kann man somit auch von einer Output-orientierten Steuerung sprechen. 71 Eine angebotsorientierte 72 Wissenschaftspolitik versucht hingegen primär die Angebotsbedingungen für die Wissenschaft zu verbessern. Die ökonomisch motivierte Nachfrage nach Wissen wird dabei nicht unbeachtet gelassen, ist jedoch 66
Vgl. BVerfGE 35, 79 (114 f.) – Hochschulurteil. So die Lehre des englischen Nationalökonomen John M. Keynes, vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 14. Aufl., Bd. II (1997), S. 2123, 2129 f.; siehe hierzu auch Tichy, Konjunkturpolitik (1999), S. 76 ff. 68 Hier natürlich im nicht-keynesianischen Sinne gemeint. 69 Vgl. Vossenkuhl, Forschung & Lehre 4/2005, 190 (192). 70 So war es Mitte der 1990er Jahre erklärtes Ziel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Deutschland zur Nummer Eins in der Bio- und Gentechnik in Europa zu machen (nach Dolata, Ökonomie der Gentechnik [1996], S. 138). 71 Vgl. Ziegele, Beiträge zur Hochschulforschung 2002, 106 (107 ff.). 67
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
nur sekundärer Bezugspunkt neben anderen Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnis. Hier mag wieder die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik Pate stehen, in der versucht wird, wirtschaftliche Aktivitäten mit Hilfe von Leistungsanreizen, Steuersenkungen, Subventionen, dem Abbau von Sozialleistungen u. a. anzukurbeln. 73 Eine erfolgreiche angebotsorientierte Wissenschaftspolitik muss sich also der Frage stellen, unter welchen Bedingungen Wissenschaft am besten gedeiht und somit einer möglichst breit gefächerten Nachfrage entsprechen kann. Dies kann durch finanzielle Zuwendungen geschehen, die einen möglichst weiten Rahmen abdecken. Wenn hierbei das „Gießkannenprinzip“ einen schlechten Ruf genießt, sollte doch bedacht werden, dass dieses Prinzip gerade auch die Entwicklung von „Exoten“ und „Orchideenfächern“ begünstigt, welche die Wissenschaft immer wieder bereichern und Informationen vorhalten, die ggf. erst zu einem ganz anderen Zeitpunkt oder in einem ganz anderen Zusammenhang benötigt werden. 74 4. Ergebnis Betrachtet man die klassische Wissenschaftspolitik, so war diese eine angebotsund nachfrageorientierte Mischung: Während mit den Universitäten ein Angebot an Erkenntnis durch zweckungebundene Forschung gewährleistet wurde, das durchaus auch als Grundlage konkreter Anwendungen zur Verfügung stand, wurden industrielle und staatspolitische Interessen (Nachfrage) mit eigenen Forschungseinrichtungen wie der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft, der Großforschung und der Ressortforschung bedient. Nach hier vertetener Ansicht benötigen sowohl der Wissenschaftsmarkt als auch der Wissenschaftsbetrieb Freiheit von ökonomischen Zwängen, um im umfassenden Sinne gesellschaftlich und kulturstaatlich effizient sein zu können. Diese Freiheit muss nicht nur Freiheit vor staatlicher Ingerenz sein, sondern auch Freiheit vor der Ingerenz wissenschaftsfremder Dritter. Im Folgenden ist nun zu zeigen, dass Art. 5 Abs. 3 GG in Zukunft dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit in diesem doppelten Sinn dienen muss. Allerdings scheint dem die herrschende Grundrechtsdogmatik, wie sie insbesondere vom BVerfG entwickelt wurde, entgegenzustehen.
72 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 14. Aufl., Bd. I (1997), S. 138, 137 („Angebotsökonomik“); ähnlich Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 24, für den Wissenschaftspolitik Angebotspolitik durch Wissenschaftsförderung ist. 73 Vgl. Tichy, Konjunkturpolitik (1999), S. 200 ff. 74 Vgl. Vossenkuhl, Forschung & Lehre 4/2005, 190 (192). So wurde die Vernachlässigung der Arabistik und der Islamwissenschaften nach dem 11. 09. 2001 angesichts internationalen islamistischen Terrors als höchst bedauerlich empfunden.
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik: grenzen- und wirkungslose Grundrechte? Eng verknüpft mit der Frage nach der Zukunft der Forschung ist die Frage nach der Zukunft der Grundrechte. Zwei Probleme ergeben sich im Zusammenhang mit dem nach überwiegender Meinung weit zu verstehenden Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG: Erstens die Frage nach den Dimensionen 75 dieses Grundrechts und zwar a) hinsichtlich seiner Ausgestaltung als Abwehrrecht und b) seines objektivrechtlichen Gehalts. Zweitens führt die vorbehaltlose Gewährleistung zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Grenzen des Freiheitsgrundrechts. Sowohl eine differenzierte Bestimmung des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG als auch die Bestimmung der Grenzen der Forschungsfreiheit erfordern eine allgemeine Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Dimensionen der Freiheitsrechte. Wie bereits dargestellt, 76 hat sich die Forschungsfreiheit hin zu einem Abwehrrecht für Jedermann entwickelt, während die objektivrechtliche Dimension nur innerhalb der Hochschulen Geltung erlangte und hier einem Schrumpfungsprozess unterliegt. Dies wird der Problematik mehrdimensionaler Freiheitsprobleme nicht gerecht. Grundrechte beinhalten nicht nur Abwehrrechte, sondern auch aus objektiven Schutzpflichten resultierende subjektive Schutzrechte. Werden jedoch in den grundrechtlichen Schutzpflichten Werte bzw. Prinzipien gesehen, verlagert sich die Problemlösung konkreter gesellschaftlicher Konflikte immer auf die Abwägungsebene. Je stärker der Staat befugt und verpflichtet ist, Grundrechtskonflikte auszugestalten, umso mehr liegen bei einem weiten Normbereichsverständnis Eingriffe in Abwehrrechte vor, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen, die notwendig wieder auf Abwägungsebene erfolgen muss. Es besteht die Gefahr eines Jurisdiktionsstaats, in dem die konkreten Abwägungsergebnisse verfassungsrechtlicher Rechtsprechung nicht mehr vorhersehbar sind. Zu bevorzugen ist daher, dass Verfassungsdogmatik und -rechtsprechung das „Profil“ des jeweiligen Einzelgrundrechts genauer herausarbeiten und hierbei jeweils eine spezifische Synthese aus abwehrrechtlicher Dimension und Schutzpflicht entwickeln. Das Ergebnis dieser Synthese wird hier Normbereich genannt. 77
75 Die Begriffe sind uneinheitlich. Teilweise ist von Grundrechtsdimensionen die Rede, zum Teil von Gewährleistungen oder Funktionen. Da hier mit der Funktion von Art. 5 Abs. 3 GG dessen spezifische Normbereichsbestimmung verbunden ist, wird stattdessen der Begriff Dimension gewählt. 76 Siehe oben Drittes Kapitel, B. I. 2. 77 Siehe ausführlich unten Viertes Kapitel, C. IV. 2. b).
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Er ist stets mit Blick auf die realen Verwirklichungsbedingungen der Freiheit zu entwickeln.
I. Eingriff und Beeinträchtigung bei mehrdimensionalen Freiheitsproblemen Vordergründig betreffen Grundrechte die Freiheit des Bürgers vom Staat. Die Ausübung von Grundrechten stößt jedoch in zweierlei Gestalt auf Widerstand: Einmal greift der Staat in den Normbereich eines Grundrechts ein, d. h. eine staatliche Maßnahme beeinträchtigt ein in den Normbereich fallendes Verhalten oder macht es gar unmöglich. Hierbei handelt es sich nach der klassischen Eingriffsdogmatik um einen Grundrechtseingriff. Andererseits kann ein Schutzgut auch durch das Verhalten eines privaten Dritten nachteilig betroffen sein. Der Staat ist daran insoweit beteiligt, als er seinen Bürger hiervor nicht schützt. Dafür bietet sich in Abgrenzung zum Eingriff der Begriff der Grundrechtsbeeinträchtigung an, ohne dass hier weiter auf die vielfältigen dogmatischen Konzepte zum Eingriffsbegriff einzugehen ist. 78 In der Stammzell- und Embryonenforschung, bei klinischen Studien mit Kindern und Nichteinwilligungsfähigen oder in der Beziehung zwischen Forscher und außeruniversitärer Forschungseinrichtung sind Dreiecksverhältnisse besonders interessant: Hier steht der Staat zwischen den kollidierenden Grundrechten und deren Trägern. Die Grundrechte treffen in zweierlei Gestalt aufeinander: als Abwehrrecht und als Schutzpflicht. Der Staat hat bei diesen mehrdimensionalen Freiheitsproblemen 79 die Freiheit des Aktiven zu achten und die Freiheit des Passiven zu schützen. Der einen Seite kann aber nur etwas gegeben werden, indem der anderen Seite etwas genommen wird. 80 Einmal davon abgesehen, ob überhaupt eine Schutzpflicht besteht, sind die Anforderungen an sie grundsätzlich niedriger als die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs. Der Staat darf ein bestimmtes Maß an Schutz nicht unterschreiten (Untermaßverbot) und ein gewisses Maß an Eingriffsintensität nicht überschreiten (Übermaßverbot). Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers soll bei der Achtung der Schutzpflicht größer sein als hinsichtlich seiner Eingriffsbefugnis, weil sonst für den Gesetzgeber der Korridor zwischen Übermaß- und Untermaßverbot zu eng werde. 81
78
Statt vieler: Eckhoff, Grundrechtseingriff (1992), S. 8, 287 ff. Auch das BVerfG spricht gelegentlich davon, dass private Dritte in Grundrechtsgüter „eingreifen“ (z. B. BVerfGE 39, 1 [42]). Die Literatur zum Eingriffsbegriff ist mittlerweile unübersehbar. 79 Auch Dreiecksverhältnisse genannt, vgl. Wahl/Masing, JZ 1990, 553 ff. 80 Vgl. Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556 ff.). 81 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 90; Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 163 f. Dies führt jedoch im Ergebnis dazu, dass immer derjenige, der Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit in Anspruch nimmt, umfassend geschützt ist, während der Schutz
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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Diese Asymmetrie der grundrechtlichen Erfassung eines Konflikts ist mindestens begründungsbedürftig, wenn nicht gar ungerechtfertigt. 82 Zur Begründung wird vorgebracht, eine Gleichrangigkeit der Schutzintensität würde zu Grundrechtskollisionen führen, die entweder im Einzelfall der politischen Gestaltung überlassen bleiben müssten oder gar sollten 83 oder die letztlich immer konkret verfassungsrechtlich und -gerichtlich entschieden werden müssten. Andererseits kann das Problem der Asymmetrie auch nicht gelöst werden, indem das Untermaßverbot abgelehnt wird, weil es dazu tendiert, die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers bei der Lösung mehrdimensionaler Freiheitsprobleme einzuschränken. 84 Stattdessen muss die strenge Eingriffsprüfung gelockert werden, wenn mit einem Eingriff Rechte Dritter geschützt werden sollen. Dies richtet sich gegen die Forschungsfreiheit, wenn es um den Schutz von Würde, Leben und Gesundheit geht. Es verstärkt die Forschungsfreiheit aber auch, wenn sie vor Beeinträchtigungen von Seiten Dritter geschützt werden soll.
II. Dimensionen und Inhalt der Grundrechte 1. Der Stand der grundrechtsdogmatischen Diskussion In der komplexen und kaum überschaubaren grundrechtsdogmatischen Diskussion lassen sich – wie bereits angesprochen – grundsätzlich zwei Strömungen ausmachen (die zugleich auch die zwei grundlegenden Dimensionen der Grundrechte verdeutlichen): Einerseits soll die individuelle Freiheit mit Hilfe der Grundrechte vor dem Staat geschützt werden, andererseits soll der Staat durch die Grundrechte zur Schaffung von individueller Freiheit verpflichtet werden. 85 Es geht also um die Gestalt (und den Gehalt) von Grundrechten als Abwehrrechte oder als Schutzpflichten.
hiervor auf ein Mindestmaß beschränkt ist, vgl. zur Umweltverschmutzung Murswiek, DVBl. 1994, 77 (82 f.); differenzierend Schlink, in: Badura/Dreier, FS BVerfG (2001), Bd. II, S. 445 (462 ff.). 82 Vgl. Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 89 ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (558) machen eine „fundamentale Differenz zwischen Eingriffsabwehrrechten und positiven Handlungspflichten“ geltend. Die Schutzpflicht sei gesetzlich (durch Eingriffsgesetze) vom Gesetzgeber umzusetzen, berechtige jedoch nicht die anderen Gewalten, hieraus einen Eingriffstitel abzuleiten (dies., a. a. O., 559). 83 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 92 f. 84 Vgl. m. w. N. Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 163 f. 85 Vgl. Eckhoff, Grundrechtseingriff (1992), S. 287 m. w. N.
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
a) Grundrechte als Abwehrrechte Zum einen gibt es die klassische abwehrrechtliche Tradition, die die Abwehrdimension eines Grundrechts in den Vordergrund stellt (den status negativus 86). Sie gründet sich insbesondere auf das im 19. Jahrhundert entwickelte tradierte Grundrechtsverständnis und den Wortlaut der meisten Grundrechte. Demnach ist Ausgangspunkt jeder Grundrechtsgewährleistung der subjektive Abwehranspruch des Individuums auf Freiheit vom Staat. Objektivrechtliche Dimensionen dienen lediglich der Unterstützung dieser subjektiven Abwehrrechte und sind besonders rechtfertigungsbedürftig. 87 So elementar diese Sicht noch immer für unser Grundrechtsverständnis ist, so stark ist sie – wenn darin die ausschließliche oder wesentliche Dimension von Grundrechten gesehen wird – von einem Vorurteil geprägt, was das Verhältnis von staatlicher (Zwangs-)Sphäre und gesellschaftlicher (Freiheits-)Sphäre anbelangt. Überzeichnet erscheint der Staat als Bedrohung der Freiheit schlechthin, als Instanz der Unterwerfung des Individuums und der Gesellschaft unter einen autoritären Befehlsmechanismus. Die von staatlicher Autorität befreite Gesellschaft erscheint demgegenüber als der harmonische Ort einer Gesellschaft im Naturzustand. 88 Ein solches Verständnis führt jedoch in die Eindimensionalität. Der Staat sichert nämlich erst die Freiheit des Einzelnen, indem er ihn gegen den Missbrauch 89 der Freiheit durch einen Anderen in Schutz nimmt. Liberale Freiheitsgarantien sind für Individuen nur in dem Maße etwas wert, wie sie die Chancen enthalten, realen Gebrauch von der Freiheit machen zu können. Nachdem ein Teil notwendiger Freiheit, nämlich die vor staatlicher Repression, verwirklicht war, wurde deutlich, dass die reale Freiheitsverwirklichung auch von der Freiheit des Bürgers vor Beeinträchtigungen durch seine Mitmenschen abhängig ist. Der moderne Sozialstaat 86
Nach der Statuslehre von Georg Jellinek, vgl. m. w. N. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 57. Vgl. hierzu auch Hellermann, Die sog. negative Seite der Freiheitsrechte (1993), [Hervorh. d. Verf.]. Im Unterschied zur positiven Seite, d. h. das Recht zu einem bestimmten Tun, ist die negative Seite (z. B. die negative Meinungs- oder Religionsfreiheit) das Recht auf ein Unterlassen. Negative und positive Seite der Abwehrrechte sind beide Teil des status negativus im Jellinekschen Sinne (Hellermann, a. a. O., S. 15 ff.). Hinsichtlich des Art. 5 Abs. 3 GG sei eine negative Seite kaum vorstellbar (ders., a. a. O., S. 31., ebenso Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I [2004], Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 31). Das ist jedoch nicht richtig. Forscher können auf ihre Forschungsfreiheit verzichten, indem sie sich in Abhängigkeitsverhältnisse begeben, siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. 2., Fünftes Kapitel, D. I. 5. 87 Vgl. m. w. N. BVerfGE 7, 198 (Ls. 1, 203 ff.) – Lüth. 88 Schmidt-Eriksen, DTZ 1990, 108 (111); krit. hierzu Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (102). 89 Fraglich ist natürlich, wann „Missbrauch“ vorliegt. Es ist letztlich Aufgabe des Gesetzgebers, in grundrechtsgemäßer Weise zu bestimmen, welche Freiheit rechtlich gewährt wird.
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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kann es sich nicht leisten, dies zu ignorieren. Er muss in seiner rechtsstaatlichen Ordnung darauf bedacht sein, den Grundrechten zum Durchbruch zu verhelfen, und zwar in dem Sinne, dass seine Bürger gleichermaßen Chancen zur Realisierung der ihnen versprochenen grundrechtlichen Freiheiten haben. 90 Sonst gilt nur das Freiheitsrecht des Stärkeren. Der Erfolg des Abwehrrechts im Konstitutionalismus und die historische Entwicklung im 20. Jahrhundert verwandelten den Staat vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat, und je stärker die Grundrechte Geltung beanspruchten, desto stärker wurde diese Entwicklung befördert. 91 Nach der hier vertretenen Auffassung verpflichtet das Grundgesetz durch Art. 1 Abs. 3 GG den Staat (auch) auf die Lösung mehrdimensionaler Freiheitsprobleme, in denen er die Funktion des „Schiedsrichters“ einnehmen muss. 92 Mit Betonung der abwehrrechtlichen Komponente kann die Unabhängigkeit des Individuums gegenüber staatlichen Vereinnahmungsbestrebungen und Nivellierungstendenzen verdeutlicht werden. Diese Einsicht ändert indes nichts daran, dass der Staat in mehrdimensionalen Freiheitsproblemen gleichwohl immer in die individuelle Freiheit eingreifen muss, nämlich in die Freiheit dessen, vor dem Schutz gewährt wird. Es bedarf einer Kontrolle der staatlichen Maßnahme, denn auch der Schutz des einen Menschen gegen andere kann sich als unzulässig erweisen. 93 Die Bedeutung des Abwehrrechts liegt also primär in seiner Funktion als direktes subjektives Recht. Weil Abwehrrechte aber nur einen Teil dessen abdecken, was Recht ausmacht, 94 sind sie gewissermaßen nur die eine Seite der Medaille und den staatlichen Schutz- und Leistungspflichten gegenüberzustellen. Die Bedeutung von Grundrechten ist weit über diejenige individueller Abwehrrechte hinausgewachsen, was sich an der Entwicklung der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte zeigt. 95 b) Die sog. objektivrechtliche Dimension der Grundrechte Auf die Differenz zwischen verfassungsrechtlich verbürgter und tatsächlich realisierbarer Freiheit hat das BVerfG schon früh reagiert. Grundsätzlich ist nach
90 Vgl. Schmidt-Eriksen, DTZ 1990, 108 (111); Eckhoff, Grundrechtseingriff (1992), S. 287; in diesem Sinne auch Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 229 f. sowie Enders, in: Mellinghoff/Trute, Leistungsfähigkeit des Rechts (1988), S. 157 (164). 91 Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 77. 92 Eine Beschränkung auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte wäre unter den heutigen Bedingungen nur möglich, wenn der klassische Eingriffsbegriff modifiziert wird und Beeinträchtigungen der Grundrechte durch Dritte dem Staat als Eingriff zugerechnet würden, siehe hierzu Eckhoff, Grundrechtseingriff (1992), S. 287 ff. 93 Arnauld, Freiheitsrechte (1999), S. 27. 94 Zur Formel Kants siehe oben Drittes Kapitel, A. IV. 3. b). 95 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 230.
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
seiner Rechtsprechung allen Grundrechten neben der subjektiven abwehrrechtlichen Komponente ein Bündel von objektivrechtlichen Dimensionen zugeordnet. Die objektivrechtliche Seite der Grundrechte enthält Schutz-, Leistungs- und Organisationspflichten sowie Institutsgarantien, institutionelle Garantien und objektive Wertentscheidungen. Je nach Grundrecht ergeben sich erhebliche Unterschiede. 96 Mit objektiven Pflichten können im Einzelfall sogar subjektive Rechte korrespondieren. Die Nichtbeachtung einer objektiven Ausstrahlungswirkung durch die staatliche Gewalt kann in eine subjektive Rechtsverletzung umschlagen. 97 Die subjektivrechtliche Folge objektiver Grundrechtsdimensionen kann dabei sowohl eine subjektiv-abwehrrechtliche als auch eine subjektiv-leistungsrechtliche sein. 98 Die wichtigsten objektivrechtlichen Dimensionen sollen im Folgenden herausgegriffen werden: aa) Grundrechte als objektiv wertentscheidende Normen Wegweisend für eine objektive Dimension der Grundrechte war das Lüth-Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1958. 99 Hier hebt das BVerfG zum einen die Dimension der Grundrechte als Abwehrrechte hervor, die sie in „erster Linie“ seien. 100 Zum anderen führt es jedoch aus: „Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz ( . . . ) auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat.“ 101 Grundrechte strahlen auch ins Privatrecht aus und binden den Staat in Gestalt des Richters, der das Zivilrecht (insbesondere dessen Generalklauseln) auslegt, an den in einem Grundrecht verkörperten Wert. 102 Die erste Ausprägung einer zusätzlichen objektivrechtlichen Grundrechtsdimension war damit die sog. mittelbare 103 Drittwirkung von Grundrechten. Die Doppelgestalt der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte gegen 96
Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 72. Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 44 f. 98 Vgl. Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 83; Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 235. 99 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 212; Brohm, NJW 2001, 1 (5 f.): Das Lüth-Urteil zeigt deutliche Einflüsse der „Integrationslehre“ Smends. Gleiches gilt für die Interpretation der Wissenschaftsfreiheit, vgl. Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 58 f. 100 BVerfGE 7, 198 (Ls. 1, 204 f.) – Lüth. Freilich sah das BVerfG selbst keinen Anlass, „die Streitfrage der sogenannten ‚Drittwirkung‘ der Grundrechte in vollem Umfang zu erörtern“ (BVerfGE 7, 198 [204]). 101 BVerfGE 7, 198 (Ls. 1, 205) – Lüth; ebenso in BVerfGE 35, 79 (114) – Hochschulurteil; siehe oben Zweites Kapitel, C. I. 1. 102 BVerfGE 7, 198 (206) – Lüth. 103 Es spricht viel dafür, dass es auf die Begriffe „mittelbar“ oder „unmittelbar“ nicht ankommt, sondern Grundrechte einfach eine Drittwirkung haben und haben müssen (so auch Böckenförde, Grundrechtsdogmatik [1990], S. 37). Entscheidender ist deren Intensität. Der Streit, ob Grundrechten im Privatrecht eine unmittelbare (Dritt-)Wirkung zukommen 97
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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staatliche Ingerenz und gleichzeitig als objektive Wertmaßstäbe für staatliches Handeln war auf diese Weise etabliert. 104 Hinsichtlich des einzelnen Grundrechts war damit aber noch nicht gesagt, welchen Wertgehalt es nun jeweils in objektivrechtlicher Hinsicht hatte. Dies musste vielmehr für jede einzelne Grundrechtsnorm untersucht und ermittelt werden und führte zu einer Vielzahl zusätzlicher Dimensionen. 105 Damit entwickelte sich ein neues Grundrechtsverständnis. 106 Es fußte auf der Erkenntnis, dass die Grundrechte elementare Ordnungsprinzipien für das soziale Leben sein müssen. Sie sind von vornherein zur Geltung in der Gemeinschaft, also zur Allseitigkeit und nicht nur zur Zweiseitigkeit (zwischen Bürger und Staat), bestimmt. Böckenförde bezeichnet treffend die Grundrechte als „Grund-Recht“, das mit seiner umgreifenden normativen Kraft unmittelbar in alle spezialrechtlichen Bereiche eindringt. 107 bb) Die Schutzpflicht Von der objektiven Wertordnung führte die Entwicklung direkt zur staatlichen Schutzpflicht. Grundrechte verpflichten nicht nur den Staat zur Achtung der Grundrechte in der Rechtsprechung, sondern auch die gesetzgebende Gewalt durch Schaffung entsprechender Normen den Grundrechtsträger vor Beeinträchtigungen durch private Dritte zu schützen. Ungeachtet ihrer relativ späten begrifflichen Ausprägung 108 spricht, wie Enders herausgearbeitet hat, viel dafür, dass die Schutzpflicht systematisch gesehen den zentralen Begriff der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte darstellt und damit sowohl die mittelbare Drittwirkung als auch Institutsgarantien oder Leistungs- und Organisationspflichten vollständig einbindet. 109
kann (was nach Unruh, Schutzpflichten [1996], S. 67 bzw. Dietlein, Schutzpflichten [1992], S. 74 f. nahezu einhellig abgelehnt wird), ist ohne großen Wert. 104 BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth. 105 Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 26. 106 Gegner eines solchen Verständnisses war u. a. Dürig. Für ihn blieben die Grundrechte immer Freiheitsrechte gegen den Staat, während er der Ausstrahlung der Menschenwürde als objektivem Prinzip elementare Bedeutung beimaß. Sein Achtungsgebot erlangt nach Dürigs Auffassung auch in den Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander Geltung, weshalb mittelbar Einzelgrundrechte insoweit Anknüpfungspunkte für eine Ausstrahlungswirkung sein können, als sich in ihnen ein Gehalt aus Art. 1 Abs. 1 GG verkörpert; vgl. Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 35; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (1958), Art. 1, Rdn. 11, 96, 130, 131. 107 Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 31. 108 BVerfGE 39, 1 (Ls. 1, 42) – Schwangerschaftsabbruch. 109 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 68; so auch Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 72 f.; ähnlich lässt sich auch Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 38 verstehen.
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Beim Grundrecht auf Leben gebietet diese Schutzpflicht dem Staat, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen, d. h. vor allem, es vor rechtswidrigen 110 Beeinträchtigungen von Seiten Anderer zu bewahren. 111 Mit weiteren Entscheidungen des BVerfG festigte sich die Figur der grundrechtlichen Schutzpflicht in der Grundrechtsdogmatik. 112 Neben Abwehrrechten enthalten demnach Grundrechte auch Schutzpflichten des Staates, die auf tatsächliche Freiheitsverwirklichung angelegt sind und wie die Abwehrrechte gegenüber allen staatlichen Gewalten Verbindlichkeit beanspruchen. Zur Bestimmung der Intensität der Schutzpflicht wurde vom BVerfG mit dem Untermaßverbot versucht, ein Verhältnismäßigkeitskriterium zu entwickeln, das dem Übermaßverbot bei der Beschränkung der Abwehrrechte entspricht. 113 Diese Figur verpflichtet Staat und Gesetzgeber, ein gewisses Mindestmaß des Grundrechtsschutzes bei der Ausgestaltung oder Anwendung der einfachen Rechtsordnung nicht zu unterschreiten. 114 Doch damit fällt die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte geringer als bei den Abwehrrechten aus. Mithin eröffnet sich damit die oben angesprochene Asymmetrie, die eigentlich der Intention der Schutzpflichten als subjektive Schutzrechte zuwiderlaufen soll. 115 Die Schutzpflicht erlaubt es jedenfalls dogmatisch, den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen grundrechtlicher Freiheitsverwirklichung und ihrer Bedrohung durch gesellschaftliche Akteure Rechnung zu tragen. Durch sie wird berücksichtigt, was verfassungstheoretisch gegen das Abwehrrecht in Stellung gebracht werden kann: die reale Freiheit, d. h. die Möglichkeit, Grundrechte auch tatsächlich verwirklichen zu können. 116 Die Schutzpflicht hebt die kritisierte Verkürzung der grundrechtlichen Perspektive auf die negative Freiheit des Abwehrrechts auf; Grundrechte gebieten auch den Schutz der realen Bedingungen der Freiheit. 117 Frei-
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Das BVerfG meint hier „verfassungswidrigen“. BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch. 112 BVerfGE 46, 160 (164) – Schleyer; 49, 89 (Ls. 6; 140 ff.) – Kalkar I; 53, 30 (Ls. 6; 57 ff.) – Mühlheim-Kärlich; ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG: Szczekalla, Schutzpflichten (2002), S. 92 ff.; zur Schutzpflicht aus Art. 5 Abs. 3 GG ders., a. a. O., S. 126 f.; vgl. auch Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 29 ff. 113 In der Zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch, BVerfGE 88, 203 (Ls. 6 S. 1 sowie Ls. 8, 254 ff.). Demnach hat der Gesetzgeber für einen angemessenen, als solchen wirksamen und ausreichenden Schutz zu sorgen; ausführlich hierzu m. w. N.: Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 133. 114 BVerfGE 88, 203 (254). Eine Verletzung einer Schutzpflicht liegt jedoch erst dann vor, wenn der Staat entweder gänzlich untätig geblieben ist oder seine Maßnahmen evident unzureichend sind; siehe hierzu auch Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 66. 115 Szczekalla, Schutzpflichten (2002), S. 231 f., 236 f.; krit. zum Begriff „Schutzrecht“: Schlink, in: Badura/Dreier, FS BVerfG (2001), Bd. II, S. 445 (463 f.); gegen eine Überbewertung Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 87. 116 Vgl. ausführlich Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 37 ff. 111
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lich müssen private Grundrechtsträger grundrechtliche Normen nicht unmittelbar gegen sich gelten lassen, sondern der Adressat der grundrechtlichen Schutzpflicht bleibt nach wie vor der Staat. Dieser soll den einen Bürger vor der überlegenen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Macht eines anderen in Schutz nehmen. 118 Gerade angesichts der technischen Entwicklung und der durch sie bewirkten höheren Risiken reagiert eine solche Sichtweise auf eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft. 119 Neben die Schutzpflicht traten in begrifflicher Hinsicht je nach Grundrecht weitere objektivrechtliche Dimensionen, die eigentlich nur neue Unterbegriffe zur Schutzpflicht und der aus ihr resultierenden Schutzrechte sind. So wurden Institutsgarantien, institutionelle Garantien, Organisations- und Verfahrensgrundrechte entwickelt, die sich mit Teilhaberechten überschneiden, da sie die Chance auf gleichmäßigen Freiheitsgebrauch sichern sollen. 120 Im Hochschulurteil leitete beispielsweise das BVerfG die Teilnahme- und Stimmrechte der Hochschullehrer aus Art. 5 Abs. 3 GG her. 121 Im Numerus-clausus-Urteil stellt das Gericht die Frage, ob ein objektiver sozialstaatlicher Verfassungsauftrag zur Bereitstellung von Ausbildungskapazitäten besteht, 122 verneint jedoch in einer späteren Entscheidung – trotz Bejahung eines objektiven Auftrags zur Förderung freiheitlicher Kunst – einen subjektiven Anspruch auf Kunstförderung. 123 Es zeigt sich also, dass eine Schutzpflicht nicht ohne weiteres zu einem Schutzrecht führt, hierfür jedoch die Quelle ist. Breitet sich der Anwendungsbereich der Grundrechte durch die Schutzpflicht prinzipiell aus, so ist die Schutzpflicht doch zugleich potentielle Eingriffsrechtfertigung und spiegelbildlich grundrechtsbeschränkend. 124 Nehmen mehrere Grundrechtsträger ein Schutzgut gegeneinander in Anspruch, dann führt die Schutzpflicht
117 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 67. Negative Freiheit darf hier nicht mit negativen Freiheitsrechten verwechselt werden. Vielmehr ist der status negativus gemeint. 118 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 267. Sonst befände man sich wieder in einem Zustand, in dem trotz Staat und Verfassung das Prinzip „homo homini lupus est“ (Hobbes) gelten würde. 119 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 85 f. 120 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 71. 121 BVerfGE 35, 79 (127 ff.) – Hochschulurteil. 122 BVerfGE 33, 303 (333) – Numerus Clausus – lässt diese Frage jedoch unbeantwortet. 123 BVerfGE 36, 321 (331 f.) – Schallplatte. Die Pflicht zur Kunstförderung betrifft nur freiheitliche Kunstausübung, ein Anspruch entfällt auch, weil ein Recht auf Förderung den staatlichen Auftrag zur Sicherung der Kunstfreiheit verfehlen würde, indem sie auf der einen Seite zur Steigerung der künstlerischen Produktion nach Qualität und Umfang kaum etwas beiträgt, auf der anderen Seite die – stets nur beschränkt verfügbaren – staatlichen Mittel der wirksamen Förderung wirklich förderungsbedürftiger künstlerischer Leistungen entzieht. Unbeantwortet lässt das BVerfG hierbei allerdings die Frage, ob es ein Recht auf Förderung bei Bedürftigkeit gibt.
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
sogar zu einer verfassungsimmanenten Beschränkung des Abwehrrechts. Typisch zeigt sich dies an Art. 5 Abs. 3 GG in seiner Gestalt als Organisationsgrundrecht: Um überhaupt in Organisationen individuelle Freiheitsausübung zu ermöglichen (und zu schützen), müssen Organisationsnormen geschaffen werden, die zugleich die individuelle Freiheitsausübung beschränken. 125 cc) Grundrechte als Prinzipien Das Gebot, die Geltungskraft der Grundrechte zu optimieren, führt dazu, dass Schutzpflichten subjektiviert werden müssen. Dabei soll nach wohl allgemeiner Meinung im Kollisionsfall mit anderen (Abwehr-)Rechten letztlich ein Optimum an grundrechtlicher Freiheit für alle Beteiligten erreicht werden. 126 Insofern erscheint die generelle Unterscheidung in „subjektive“ und „objektive“ Dimensionen von Grundrechten schon jetzt begrifflich und dogmatisch fragwürdig, da jede objektive Geltungskraft mit einer subjektiven korrespondiert, auch wenn Art und Maß unterschiedlich sind. 127 Die sog. Prinzipientheorie, die auf einer Analyse der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung fußt, hebt folgerichtig die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Dimension auf. 128 Nach ihr ist den Grundrechten die Doppelnatur als Regeln und Prinzipien zu Eigen. Regeln haben ein geringes Maß an Abstraktion und erlauben es, konkret Sachverhalte zu subsumieren. Insofern sind Abwehrrechte, die staatliche Eingriffe eindeutig verbieten, Regeln (so beispielsweise Art. 13 Abs. 1 GG). Der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte als Optimierungsgebote bzw. Werte, wie er der Rechtsprechung des BVerfG zu entnehmen ist, soll dagegen den Charakter der Grundrechte als Prinzipien erkennen lassen, der neben 124
Man denke in diesem Zusammenhang auch an den Beschluss des VGH Kassel vom 06. 11. 1989, NJW 1990, 336 ff. ( = NVwZ 1990, 276 ff.) oder den polizeilichen Rettungsschuss, der jedoch eine gesetzliche Grundlage hat (im Gegensatz zum Verbot des VGH Kassel). 125 Zu dieser Janusköpfigkeit des Wissenschaftsrechts: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 240, 314; BVerfGE 35, 79 (Ls. 7; 119 ff.). 126 Vgl. auch die praktische Konkordanz K. Hesses, die auf ein ähnliches Ergebnis hinausläuft; siehe hierzu K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 72, 320; ähnlich auch BVerfGE 35, 79 (120): Der Staat müsse für die Organisation des Wissenschaftsbetriebs in seinen Hochschulen das irgend erreichbare Maß an Freiheit für die Forschungs- und Lehrtätigkeit jedes einzelnen Wissenschaftlers verwirklichen. 127 Vgl. Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 58; Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 414. 128 Vorrangig entwickelt von Alexy, Theorie der Grundrechte (1986); Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 62 sieht in den Schutzpflichten trotz ihrer Subjektivierung durch das BVerfG Prinzipien, d. h. Optimierungsgebote; ähnlich Böckenförde (Grundrechtsdogmatik [1990], S. 55 f.), der ebenfalls in der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechte Prinzipien sieht.
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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den Regelcharakter tritt. Prinzipien verlangen im Gegensatz zu Regeln den Eintritt ihrer Rechtsfolge nur prima facie. 129 Treffen unterschiedliche Prinzipien aufeinander, so ergibt sich die anwendbare Rechtsfolge erst aus einer Abwägung im Einzelfall, wobei der Abwägungsvorgang je nach Bedarf genauer ausdifferenziert werden kann. 130 Unter Abwandlung einer Formulierung von Alexy 131 müsste deshalb die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Alt. 2 GG nach der Prinzipientheorie wie folgt verstanden werden: „Eingriffe des Staates in Betätigungen, die zum Wissenschaftsbereich gehören, sind verboten, wenn sie nicht zur Erfüllung solcher gegenläufiger Prinzipien von Verfassungsrang (die entweder Grundrechten Dritter oder kollektiven Gütern gelten können) erforderlich sind, die unter den Umständen des Falles dem Prinzip der Wissenschaftsfreiheit vorgehen.“ 132
Dabei darf der „Wissenschaftsbereich“ weit verstanden werden, denn besondere Anstrengungen zur Bestimmung von Normbereichen sind bei Prinzipien nicht notwendig. Die konkrete Grenzziehung erfolgt jeweils auf Abwägungsebene, wobei nach Alexy die dogmatische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien konstituierend sein soll. 133 Um den Konflikt aufzulösen, hat man nach der Prinzipientheorie die genannten Prinzipien mit ihrem jeweiligen Gewicht einzustellen und ins Verhältnis zueinander zu setzen, um eine Vorrangentscheidung treffen zu können. Das jeweilige Prinzipiengewicht ergibt sich hierbei aus dem normspezifischen Gehalt der grundrechtlichen Positionen, der situationsspezifischen Bedeutung der Verfassungsnormen und der normspezifischen Bedeutung der jeweiligen Rechtsfolgen. 134 Prinzipien sind in abgestufter Weise erfüllbar, kollidieren zwangsläufig miteinander und müssen deshalb immer abwägbar sein, um letztlich die konkret gültige Norm für die jeweilige Kollision formulieren zu können. 135 Gleiches soll bei konsequenter Weiterentwicklung auch für die Gesetzesbindung, den Gesetzesvorbehalt und den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gelten, die als Prinzipien mit den anderen Prinzipien (Grundrechten, Staatszielbestimmungen usw.) abgewogen werden können. 136 129
Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 122 ff. So die Darstellung von Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 69 f. 131 Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 123 anhand der Kunstfreiheit, hier für die Wissenschaftsfreiheit entsprechend abgewandelt [Hervorh. d. Verf.]. 132 In Alexys Formulierung fließen die verfassungsimmanenten Werte, die Art. 5 Abs. 3 GG beschränken, mit ein. Erkennbar wird auch die Differenzierung zwischen Regel („verboten“) und Prinzip („vorgehen“). 133 Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 75 f. 134 Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 160. 135 Zu den vom BVerfG häufig verwendeten „Werten“: Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 93 f. sowie Anm. 386; Dietlein, Schutzpflichten (1992), S. 57. 130
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c) Kritik: Die Gefahr des Jurisdiktionsstaats Nur vordergründig erscheint diese Abwägung mit Grund und Gegengrund 137 als die „gerechteste“ und nachprüfbarste Variante eines Ausgleichs. In Wirklichkeit führt sie dazu, dass das Grundgesetz letztlich eine Ansammlung von mehreren dutzend Werten (bzw. Prinzipien) ist, über die nicht viel mehr zu sagen wäre, als dass sie gegeneinander abzuwägen seien. Aus einer Ansammlung von Werten lässt sich jedoch keine Dogmatik entwickeln. 138 Die Kritik gegen die Prinzipiendefinition gleicht deshalb der Kritik, wie sie auch gegen die verfassungsgerichtliche Wertordnungs- und Schutzpflichtenrechtsprechung vorgebracht werden kann. 139 „Wert“ lässt sich mit „Prinzip“ gleichsetzen. In beiden Ansätzen offenbart sich das unbefriedigende Resultat, dass mit der Vorstellung von miteinander kollidierenden Prinzipien zwar das Ergebnis einer Kollision immer offen bleibt, verfassungsgerichtlich jedoch immer nachprüfbar ist. 140 Weil wirkliche Differenzierungsmerkmale außer dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht entwickelt werden, gerät die Sichtweise von Grundrechten als Prinzipien in den Verdacht einer gewissen Beliebigkeit und offenbart eine Strukturarmut, die die Konzentration auf die Abwägung nicht wettmachen kann. 141 Letztlich kollabiert sie in einer beliebigen Abwägung aller relevanten Aspekte eines Einzelfalls, die rationaler und verbindlicher Maßstäbe entbehrt. 142 Das sog. Optimierungsgebot 143, nach dem die Auflösung der Grundrechtskollisionen im Sinne „praktischer Konkordanz“ möglichst harmonisch erfolgen soll, stößt auf das Problem, dass die 136
Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 146. Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 280 ff. 138 Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1077); ähnlich auch Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 178 ff. 139 Vgl. Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 93 m. w. N. in Anm. 383 und S. 94, Anm. 386. 140 Selbst zugegeben von Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 143. Deutliche Kritik auch von Forsthoff, zit. in Brohm, NJW 2001, 1 (5 f.): Selbst ein anerkannter Verfassungsrechtler habe in einer Verfassungsfrage weder eine interpretativ deduzierbare Sicherheit noch auch nur eine rational begründbare Vermutung dafür, wie das Gericht entscheiden werde. 141 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 76. Im Grunde entscheiden sich Kollisionsfälle immer erst auf der Angemessenheitsebene. Hier spielen jedoch Einschätzungsprärogative und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nur eine untergeordnete Rolle, zumal das BVerfG zusätzlich Normen des einfachen Rechts auf fragwürdige Weise verfassungskonform „auslegt“. 142 Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 293; gegen eine Abwägung deshalb Schlink, in: Badura/Dreier, FS BVerfG (2001), Bd. II, 445 (455 ff.); verhaltener in seiner Kritik ist Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 81 (einziger Maßstab seien die Standards rationaler juristischer Argumentation); zu den angeblich möglichen rationalen Methoden der Abwägung Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 143. 143 Vgl. Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 163 ff. 137
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Güter der einen Seite immer nur auf Kosten der anderen Seite geschützt, verwirklicht oder gefördert werden können. 144 Entscheidend ist dann immer die konkrete Situation, eine generelle Normbereichspräzisierung wird nicht vorgenommen. 145 Die Eigenart der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte, sieht man sie als Werte bzw. Prinzipien, liegt dabei darin, dass ihre Wirkung nach Intensität und Umfang aus sich heraus unbestimmt ist. Das Optimierungsgebot gestattet es dem Verfassungsinterpreten, je nach Fallgestaltung dem in einem Prinzip liegenden normativen Gehalt auch Geltung zu verschaffen. Die Konkretisierungs- und Abwägungsentscheidungen, die daraus folgen, ergehen als Verfassungsinterpretation und haben Verfassungsrang. Dies führt jedoch zu einer Konkurrenz zwischen dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber und einer dann notwendig politisch agierenden Verfassungsgerichtsbarkeit. 146 Diese Gefahr machten bereits im Hochschulurteil die überstimmten Richter Simon und Rupp-v. Brünneck in ihrem Sondervotum deutlich: „Mit dieser Entscheidung setzt sich das Bundesverfassungsgericht unter Überschreitung seiner Funktion an die Stelle des Gesetzgebers. Die scheinbar übereinstimmend anerkannte Gestaltungsfreiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers für die Organisation der Wissenschaftsverwaltung wird von der Senatsmehrheit in einem anfangs unmerklichen, schließlich aber unverkennbaren Erosionsprozeß weitgehend ins Gegenteil verkehrt; sie erhebt Zweckmäßigkeitserwägungen, die der Gesetzgeber bei seiner Willensbildung anzustellen hat, ( . . . ) unzulässig zu unabdingbaren ( . . . ) Postulaten. Ihre Begründung leidet zudem an Unklarheiten über die verfassungsrechtliche Bedeutung objektiver Wertentscheidungen mit der Folge, daß das vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 GG einerseits der Gefahr der Relativierung ausgesetzt, andererseits sinnwidrig in ein ständisches Gruppenprivileg und Herrschaftsrecht umgemünzt wird.“ [Hervorh. d. Verf.] 147
Die Prinzipientheorie zementiert mithin theoretisch das durch die Verfassungsrechtsprechung verursachte praktische Elend des Gesetzgebers zwischen Übermaßverbot und Untermaßverbot, wie es sich etwa in der zweiten Entscheidung des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch manifestiert. Dort wurden dem Ge144
Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 159 in Anm. 616. Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 160. Dies zeigt sich auch an Alexys Formulierung des Art. 5 Abs. 3 GG: Sie lässt offen, was denn der „Wissenschaftsbereich“ ist. Poschers Einordnung der Prinzipientheorie als Teil der „anderen“ (objektivrechtlichen) Strömung erscheint insofern konstruiert. Eine detaillierte Kritik der Prinzipientheorie findet sich in ders., Abwehrrechte (2003), S. 75 ff. 146 Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 69 f.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556 f.). Auch K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 320, 73 mahnt an, dass der Richter bei unterschiedlicher Beantwortbarkeit der Verhältnismäßigkeit nicht seine Auffassung an die Stelle der Auffassung der demokratisch legitimierten parlamentarischen Mehrheit setzen darf. Da dies das BVerfG dennoch hin und wieder tut, ist es nicht verwunderlich, dass sich „gesicherte Maßstäbe bislang nur bedingt erkennen lassen“ (ders., a. a. O., Rdnr. 320). 147 Sondervotum Simon/Rupp-v. Brünneck, in: BVerfGE 35, 79 (149). 145
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setzgeber detaillierte Vorgaben gemacht, wie nach Ansicht des BVerfG die einzig verfassungsmäßige Lösung auszusehen hat, obwohl die dogmatischen Widersprüche der Entscheidung unübersehbar sind. 148 Der Gesetzgeber wurde von der Verfassungsrechtsprechung entmündigt. 149 Die immer stärkere Fixierung auf Verhältnismäßigkeitsprinzip und Abwägung lässt für den Gesetzgeber keine Gestaltungsspielräume, sondern knüpft das Netz verfassungsrechtlicher Vorgaben immer enger. Wie bereits dargestellt, ist es jedoch gerade diese „Flexibilität“, die in der Praxis zu großen Entscheidungsunsicherheiten führt. Das BVerfG beschränkt die Güterabwägung zudem grundsätzlich auf den jeweiligen Einzelfall, was Vergleiche erschwert und zu einer Immunisierungsstrategie führt. 150 Zugleich ergibt sich ein Bedeutungsverlust für die einfache Rechtsordnung und ein Gestaltungsverlust für den einfachen Gesetzgeber. 151 Wirkungslos werden damit auch die speziellen Freiheitsverbürgungen. Sie gehen auf im großen Miteinander abzuwägender Prinzipien bzw. Werte und werden offen für die politische Opportunität des jeweiligen Verfassungsinterpreten. Die Verfassungsrechtsprechung entwickelt sich damit von der Interpretation von Normen hin zur Konkretisierung von Werten nach einer Art case law. 152 Dem BVerfG lässt sich dabei nicht vorwerfen, dass es in vielen konkreten Fällen keine sachgerechten Lösungen finden würde. Aber unter mehreren möglichen sachgerechten Lösungen wählt es eine aus und erklärt sie zur einzig verfassungsgemäßen. Ja, das BVerfG wird sogar verfassungsändernd tätig. 153 In Verbindung mit einer denkbar weiten Bestimmung der grundrechtlichen Schutzbereiche ist die Entwicklung hin zu einem verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat unvermeidlich, in dem es dem Gesetzgeber im Konfliktfalle kaum noch möglich ist, zu prognostizieren, ob seine konkrete Entscheidung verfassungsrechtlich unbedenklich ist. 154 Welche Unsicherheiten bestehen können, zeigt exemplarisch die 148
So zur Beratung: BVerfGE 88, 203 (270 ff.). Das gilt auch für die für die nichtverfassungsrechtliche Rspr., vgl. Brohm, NJW 2001, 1 (8 f.) mit Beispielen aus dem Vertragsrecht. 150 Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (682). 151 Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 162 ff. 152 Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 57. Das Prinzipiendenken Alexys ist vom angelsächsischen Verständnis des case law inspiriert, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 79. 153 Zwar außerhalb der Grundrechtsrechtsprechung, aber umso deutlicher erkennbar in der Entscheidung zu den AWACS-Einsätzen der Bundeswehr (BVerfGE 90, 286 [355f.]); von Isensee zustimmend mit den Worten kommentiert, „besser hätte eine Verfassungsänderung nicht erfolgen können“ (JZ 1996, 1085 [1088]). Eine verfassungsändernde Mehrheit in Bundestag und -rat war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht in Sicht. Krit. zu BVerfGE 90, 286 ff. in methodischer Hinsicht: Wiegandt, NJ 1996, 113 (115 f.). 154 Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 62; Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 54; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556 f.); zum BVerfG als „Oligarchie in der Demokratie“, 149
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Diskussion um das Stammzellgesetz und die Bemühung des Gesetzgebers, alle Werte (Forschungsfreiheit, Leben und Gesundheit, Würde des Embryos) zu berücksichtigen. d) Renaissance des Abwehrrechts? Weil man im Konfliktfall so vor die Alternative gestellt zu sein scheint, entweder dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber oder dem BVerfG die wesentliche Funktion der Rechtsetzung zu überlassen, wird eine Rückkehr zum „klassischen“ Abwehrrecht empfohlen. 155 Es wird vermutet, dass sich überhaupt das plurale Verständnis der Grundrechtsdimensionen aus einer Ideologiekritik des liberalen Grundrechtsverständnisses nähre, 156 zumal die historische Tradition der Menschenrechte von ihrer Konstruktion als Abwehrrechte ausgehe. 157 Anstatt für jedes neue Grundrechtsproblem eine neue Grundrechtsdimension zu entwickeln, soll stattdessen gefragt werden, ob das Abwehrrecht nicht ausreichend konstruktiv entfaltet worden ist. Bei der Fülle der Grundrechtsdimensionen gelingt es kaum noch, auch nur annähernd den Raum zu beschreiben, der dem Gesetzgeber zur Gestaltung und den Fachgerichten zur eigenständigen Auslegung und Anwendung der einfachen Rechtsnormen verbleibt. 158 Soll die Verfassung nur einen Rahmen bilden, über dessen Grenzen zwar das BVerfG wacht, dessen Ausfüllung jedoch allein dem Gesetzgeber obliegt, dann darf man in Grundrechten „nur“ subjektive Freiheitsrechte gegen den Staat sehen. Wenn man dagegen will, dass die Verfassung eine rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens ist, die in alle Bereiche des Rechts hineinwirkt, dann muss man dem
Brohm, NJW 2001, 1 (3); positiver („aristokratischer Gegenpol“) Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1076). 155 Z. B. von Poscher, Abwehrrechte (2003). In diesen Bereich gehören nicht Ansichten (siehe z. B. Lübbe-Wolff , Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte [1988], S. 69 ff., speziell zu Art. 5 Abs. 3 GG auch Mayen, Informationsanspruch [1992], S. 119 ff.), die zur subjektivrechtlichen Erfassung der objektivrechtlichen Dimension das Eingriffsverständnis so ausweiten, dass jede Grundrechtsbeeinträchtigung durch Dritte ein staatlicher Eingriff durch Unterlassen von staatlichem Schutz (bzw. Auferlegung einer Duldungspflicht gegen Beeinträchtigungen von Dritten) ist, gegen den (bzw. die) ein Abwehrrecht zur Verfügung steht. Indem eine solche abwehrrechtliche Sichtweise dem Staat die schädigende Handlung eines Privaten als Eingriff zurechnet, setzt sie die Existenz der Schutzpflicht voraus (vgl. Unruh, Schutzpflichten [1996], S. 47). Da grundrechtsverletzendem Unterlassen keine bestimmte Handlung, sondern nur Handlungsalternativen zugeordnet werden können, besteht ein größerer Spielraum des Gesetzgebers, hierzu Lübbe-Wolff , Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte (1988), S. 37 ff. Diff. hierzu Schlink, EuGRZ 1984, 457 (463 ff.). 156 Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 88. 157 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 139. 158 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 141 f.
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BVerfG und der Staatsrechtslehre die maßgebliche Funktion bei der Ausgestaltung überlassen. 159 2. Stellungnahme: Doppelcharakter der Grundrechte Es ist ein Trugschluss zu glauben, Abwehrrechte könnten eine präzisere Überprüfung staatlicher Maßnahmen ermöglichen. Grundsätzlich wären bei einem abwehrrechtlichen Ansatz alle Grundrechtskonflikte auf der Rechtfertigungsebene eines Eingriffs zu lösen. Dies klärt jedoch nicht das prinzipielle Problem, dass der Ausgleich von Grundrechtskonflikten dann ebenfalls wieder auf der Abwägungsebene erfolgen würde. Grundrechtskonflikte ließen sich nur dann vermeiden, indem man sie ignoriert. 160 Solche Ansichten setzen sich damit wieder dem Einwand der Ausblendung tatsächlicher Freiheitsbeziehungen aus, einem Einwand, der zur Entwicklung der Schutzpflichten geführt hat. Das Problem des fehlenden Spielraums des Gesetzgebers ist weniger in der Entwicklung zusätzlicher Grundrechtsdimensionen als vielmehr in der Kontrolldichte zu sehen, die das BVerfG seinen Entscheidungen zugrunde legt. Auch angesichts der Komplexität moderner Gesellschaften und daraus resultierender Gefahren für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter erscheint es nicht opportun, grundrechtsdogmatisch „den Dingen ihren Lauf“ zu lassen. Der Unterschied zwischen einem Verständnis von Freiheit als etwas prinzipiell Unabgegrenztem und einem Verständnis von Freiheit als voraussetzungsreiche Gewährleistung, die dem Individuum nur ein prinzipiell begrenztes Maß sozialer Entfaltungschancen eröffnet, ist evident. 161 Gegen eine Rückkehr zum reinen Abwehrrecht spricht auch der Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes, der den Staat verpflichtet, die relative Blindheit der bürgerlich-liberalen Staats- und Grundrechtsauffassung gegenüber den sozialen Voraussetzungen der Realisierung grundrechtlicher Freiheit zu überwinden. 162 159
Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 71 f. So z. B. Szczekalla, Schutzpflichten (2002), S. 435 ff.; Arnauld, Freiheitsrechte (1999) S. 27 ff.; Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 387 ff. mit dem Ansatz einer reflexiven Funktion der Grundrechte (indem die Grundrechte das Verhalten der staatlichen Gewalt regeln, regeln sie weitgehend ein regelndes Verhalten, ders., a. a. O., S. 415), die keine konkrete Lösung gesellschaftlicher Konflikte liefern, sondern lediglich der Kontrolle gesetzgeberischer und fachgerichtlicher Konfliktregelung dienen (ders., a. a. O., S. 408); im Ergebnis zu Recht gegen eine „abwehrrechtliche Lösung“, jedoch nicht mit wirklich überzeugenden Argumenten: Unruh, Schutzpflichten (1996), S. 44 ff. 161 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998); S. 249. Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (102) bezeichnet eine abwehrrechtliche Grundrechtsdogmatik in Verbindung mit einem weiten Schutzbereichsverständnis als Ausfluss „radikalliberalistischen Denkens aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts“. Sie sei treffend als „Instrumentalisierung des Verfassungsrechts im Dienst wirtschaftlicher Privatinteressen“ bezeichnet worden. 160
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Die staatliche Aufgabe des Schutzes der Bürger steht folglich mit der Pflicht des Staates, die grundrechtlichen Freiräume zu achten, nicht im Widerspruch, sondern intendiert im Gegenteil die reale Gewährleistung der gegenüber dem (aber auch vom) Staat garantierten Güter und Freiheiten. 163 Während es häufig bei der Lösung eines juristischen Problems zwei gut vertretbare Meinungen gibt, scheint man sich hier „zwischen Skylla und Charybdis“ zu befinden: Eine immer komplexer werdende Gesellschaft wird entweder durch eine kleine Gruppe von Verfassungsrichtern oder durch einen häufig überforderten Gesetzgeber 164 gesteuert, der klare Lösungen im staatsorganisationsrechtlichen Gefüge des Grundgesetzes nur schwer entwickeln kann. 165 Dieser scheinbar ausweglosen Lage kann nur entronnen werden, wenn entweder Verhältnismäßigkeitsund Abwägungsrechtsprechung neue Wege einschlagen, 166 oder wenn bereits auf Tatbestandsebene beide Grundrechtsdimensionen verbunden und in ihrer Bedeutung für das jeweilige Grundrecht entwickelt werden. Vorab: Das Verständnis der Grundrechte und die Entflechtung ihrer Wirkungsfunktionen kann nicht mit dem Zugriff auf die „richtige“ Grundrechtstheorie gelöst werden, weil schon allein das Profil des jeweiligen Einzelgrundrechts zu unterschiedlich ist. 167 Festzuhalten ist der Doppelcharakter der Grundrechte als Abwehrrecht und als – wie auch immer im Einzelfall ausgestaltete – Schutzpflicht. Die scheinbar auseinanderflutenden Dimensionen von Grundrechten kann man wieder zusammenführen, wenn man sie auf ihren Ausgangspunkt zurückführt: Die Vielfalt an Dimensionen ist lediglich ein Folgeproblem der Weichenstellung von reinen Abwehrrechten hin zu sog. objektivrechtlichen Normen. 168 Jede tatsächliche Freiheitsausübung benötigt staatlichen Schutz und staatliche Ausgestaltung. Ein Staat, der durch Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden ist, muss die Voraussetzungen schaffen, die die Freiheitsausübung für jeden gleichermaßen möglich werden lässt. Die Schutzdimension wächst sich damit – hält man an einem abwehrrechtlichen Ausgangspunkt fest – zur Eingriffs162
Dietlein, Schutzpflichten (1992), S. 60. Dietlein, Schutzpflichten (1992), S. 69. 164 Vgl. Ellwein/Hesse, Der überforderte Staat (1997), insb. S. 67 ff., die von der These eines Qualitätsverfalls der deutschen Politik seit 1989 ausgehen. 165 Vgl. die Föderalismusreform vom 28. 08. 2006 (BGBl. I. 2034) und weitergehende Forderungen nach der Umgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens oder des Wahlrechts. Eine generelle Kritik an der Gesetzgebungstätigkeit findet sich auch bei Laufs, MedR 2004, 583 f. 166 Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 70. Ob das „Schächturteil“ des BVerfG (E 104, 337 [345 ff.]) ein richtiger Schritt in eine solche Richtung ist, bedürfte genauerer Überprüfung. 167 Dietlein, Schutzpflichten (1992), S. 59. 168 Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 31. 163
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
ermächtigung aus, weil der Schutzverpflichtung eine unmittelbare Befugnis zum Eingriff in die kollidierende Freiheitsposition des Störers entsprechen muss. 169 Die Unterscheidung zwischen Abwehrrecht und Schutzpflicht beruht lediglich auf dem Eingriffsbegriff, wenn man darunter einen „echten, adressierten hoheitlichen Eingriff im zweiseitigen Staat-Bürger-Verhältnis“ versteht. 170 Bei der Lösung mehrdimensionaler Freiheitsprobleme ist dieser Eingriffsbegriff jedoch sekundär. Es muss stattdessen spezifisch für jedes Grundrecht die Synthese aus abwehrrechtlicher und schutzrechtlicher Dimension entwickelt und die Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Gutes durch Dritte bei der Bestimmung des Normbereichs berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die Forschungsfreiheit, die auf Grund ihrer Organisationsabhängigkeit mehrdimensionale Grundrechtskonflikte provoziert. 3. Die Forschungsfreiheit und die Schutzpflicht des Staates Bisher wurde die Schutzpflicht im Zusammenhang mit der embryonalen Stammzellenforschung lediglich als kollidierender und daher mit der Forschungsfreiheit abzuwägender Verfassungswert thematisiert. Hier drängten sich insbesondere die Schutzdimension der Grundrechte auf Leben und körperlichen Unversehrtheit sowie die Menschenwürde (als objektives Prinzip oder als subjektives Recht) auf, die mit dem Abwehrrecht der Forschungsfreiheit kollidierten. Angesprochen wurde auch bereits, dass das Verhältnis zwischen subjektivrechtlicher (Abwehr-) Dimension und objektivrechtlicher (Schutz-)Dimension von Art. 5 Abs. 3 GG in außeruniversitären Organisationen durchaus ungeklärt ist. Wie gezeigt, ist eine objektivrechtliche Dimension der Wissenschaftsfreiheit (u. a. als „wertentscheidende Grundsatznorm“) 171 und damit eine Schutzpflicht für die Wissenschaftsfreiheit anerkannt. 172 Diese bezieht sich jedoch nur auf die Hochschulen. Das Hochschulurteil lässt sich dahingehend verstehen, dass der Staat seiner Schutzpflicht bereits ausreichend nachkommt, wenn er die Universitäten so
169 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 87 ff.; vgl. auch Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (101 ff.). 170 Szczekalla, Schutzpflichten (2002), S. 94 ff., 406 f. 171 BVerfGE 35, 79 (111, 113) – Hochschulurteil: Die objektive Wertordnung schließt das Einstehen des Staates für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirklichung ein und verpflichtet ihn, sein Handeln positiv danach einzurichten, d. h. schützend und fördernd einer Aushöhlung dieser Freiheitsgarantie vorzubeugen. Dies führt das BVerfG zu den bereits dargestellten Folgerungen für die organisatorische Gestaltung im Hochschulbereich (a. a. O., 123 ff.) und die Bereitstellung personeller, sachlicher und finanzieller Mittel und Einrichtungen (a. a. O., 115 f.). 172 Von der objektivrechtlichen Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG als „Schutznorm“ spricht Ladeur, DÖV 2005, 753 (758).
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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unterhält und ausgestaltet, dass dort freie Forschung und Lehre ermöglicht werden. Hier hat der Staat ein faktisches Monopol (d. h. außerhalb der Universitäten muss freie Wissenschaft nicht gefördert werden und findet nach Ansicht des BVerfG auch kaum statt). Hieraus leitet das BVerfG weitere Pflichten ab. 173 Damit ist die Schutzpflicht jedoch noch unterbelichtet. Eine verfassungsgerichtliche Konkretisierung, die über die organisationsrechtlichen Anforderungen an die Universitätsverfassung hinausgeht, fehlt. Der schutzrechtliche Gehalt von Art. 5 Abs. 3 GG ist deshalb so zu konkretisieren, dass seine Wirkung über die Hochschulen hinaus bestimmbar ist. Bei der Forschungsfreiheit muss für die Bestimmung ihres schutzrechtlichen Gehalts an die im Grundrecht abwehrrechtlich gewährleistete Freiheit angeknüpft und diese verobjektiviert werden. Das bedeutet zugleich eine Modifikation der subjektivrechtlichen Freiheit. Sie wird zu einem Rechtsgut, das geschützt, und zu einem objektiven Freiheitsprinzip, das verwirklicht werden soll. Forschungsfreiheit ist damit nicht nur ein Recht, sondern wird zum normativen Ziel, das näher bestimmt und eingegrenzt, mit anderen Rechtsgütern in Beziehung gesetzt und gegen sie abgewogen werden muss. 174 Damit kann die grundrechtliche Freiheit als objektives Institut angesehen werden, das es zu schützen gilt. Die individuelle subjektive Freiheit wird somit zu einem objektiven Richtmaß der Normbereichsanalyse. 175 Das BVerfG führt hierzu hinsichtlich der Hochschulen aus: „Dem einzelnen Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG erwächst aus der Wertentscheidung ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums unerläßlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen.“ 176
Die Schutzpflicht für die Verwirklichung der Forschungsfreiheit führt nicht nur zu einer Ausdehnung (gegenüber anderen Grundrechtsträgern bzw. gegenüber dem Staat), sondern auch gleichzeitig zu einer immanenten Beschränkung des Grundrechts in seinem abwehrrechtlichen Gehalt. Die Schutzfunktion von Art. 5 Abs. 3 GG enthält also die Rechtfertigung für Eingriffe in das Abwehrrecht des Art. 5 Abs. 3 GG zur Verwirklichung größtmöglicher Freiheit. Konkret: der Schutz der Freiheit der Hochschullehrer rechtfertigt zugleich Eingriffe in ihre Freiheit; der Schutz eines angestellten Forschers rechtfertigt Eingriffe in die Abwehrrechte des Unternehmens. 177
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BVerfGE 35, 79 (113 ff.). Böckenförde, Grundrechtsdogmatik (1990), S. 49. 175 So für die Hochschule BVerfGE 35, 79 (112, 114 ff., 123 f.) – Hochschulurteil. 176 BVerfGE 35, 79 (116) – Hochschulurteil. Siehe zum Folgenden auch oben Zweites Kapitel, C. II. 3. a). 174
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Deshalb muss durch diese hinzutretende Schutzpflicht der Normbereich des Grundrechts in seinen abwehrrechtlichen Bezügen auch über die Hochschulen hinaus ausdifferenziert werden. Ist mit der Freiheit der Wissenschaft eine Wertordnung geschaffen, die alle Bereiche des Rechts durchdringt, so muss dies auch für die Interpretation des Normbereichs im außeruniversitären Bereich gelten. Hier ist es gerade nicht so, dass ein weites Normbereichsverständnis wie das der herrschenden Meinung, das sich lediglich auf einen modalen Wissenschaftsbegriff bezieht, der Freiheit der Forschung am besten dient. Denn ein wesentliches Element für die Konstruktion des Normbereichs ist der funktionale Zweck der Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit. 178 Aus der Zweckbestimmung eines Grundrechts leitet sich die Notwendigkeit seines umfassenden Schutzes her, mithin das verfassungsrechtliche Gebot einer realen Verwirklichung der jeweiligen Freiheit. 179 Wenn Art. 5 Abs. 3 GG in seinem Kern die sensiblen und höchstindividuellen Vorgänge forscherischer Individualität schützen will, 180 dann muss klar gestellt werden, worin diese Freiheit besteht und wie sie realisiert werden kann. Wie gezeigt, sind in der Forschung Freiheitsräume bedroht und auf dem Rückzug. 4. Ergebnis Ein liberaler und sozialer Rechtsstaat kann nicht ignorieren, dass in einer Risikogesellschaft 181 Gefahren für die individuelle Freiheit gleichrangig von staatlicher und nichtstaatlicher Seite drohen. Angesichts der Folgen wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist eine Umorientierung der Staatstätigkeit von der Ordnungsbewahrung zur Ordnungsgestaltung erforderlich. 182 Jedes Grundrecht schützt den Bürger gegen staatliche Eingriffe und verpflichtet den Staat gleichrangig, den Bürger auch vor Beeinträchtigungen durch nichtstaatliche Dritte zu schützen. Erkennt man diese Zweidimensionalität von Grundrechten an, lassen sich jedenfalls für die Normbereichsbestimmung zwei Dinge feststellen: Ein Abwehrrecht mit möglichst weitem Schutzbereich kommt nur auf den ersten Blick dem Bedürf177 So könnte aus BVerfGE 35, 79 (115, 119 ff.) – Hochschulurteil – für außeruniversitäre Forschung gefolgert werden; zu diesem Problemkreis s. u. Fünftes Kapitel, B. II. 2. 178 Dies soll auch in der neueren Rspr. des BVerfG erkennbar werden, in der Schutzbereiche der Grundrechte (insb. Art. 8, 12 und 13 GG) präzisiert und verengt werden, indem sie unter einen Funktionsvorbehalt gestellt werden, so Möllers, NJW 2005, 1973 (1976). 179 Dietlein, Schutzpflichten (1992), S. 59. 180 Schmidt-Aßmann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697. 181 Vgl. die Analyse von Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 28 ff., dem die Gedanken der „Risikogesellschaft – auf dem Weg in eine andere Moderne“ von Ulrich Beck (1986) zugrunde liegen. 182 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 230.
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nis eines möglichst intensiven und umfassenden Grundrechtsschutzes entgegen. Geht es jedoch um staatliche Schutzpflichten, die in einem Dreiecksverhältnis ja immer spiegelbildlich in einem Reflex zu einer Freiheitsbeschränkung auf der anderen (abwehrrechtlichen) Seite führen, ist eine ausdifferenzierte Bestimmung des Normbereichs des Grundrechts unverzichtbar. So verbinden sich Schutzpflicht und Abwehrrecht in der Forschungsfreiheit zu einem Normbereich, der dem Schutz wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit dient. Ist wie in der organisierten Forschung staatliche oder private Leistung Voraussetzung der Verwirklichung grundrechtlicher Freiheit, dann kann ein Abwehranspruch entweder nur innerhalb der durch den Staat erzeugten Freiheit geltend gemacht werden 183 oder außerhalb, wenn ein vergleichbares Maß an Freiheit privat erzeugt worden ist. Entscheidend ist also, welche Funktion den einzelnen Grundrechten zukommt. Während beispielsweise die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht lückenlosen Grundrechtsschutz gewährleisten soll (aber auch leichter durch die Schrankentrias eingeschränkt werden kann), führt bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten ein ähnlich weites Schutzbereichsverständnis unvermeidbar zu Konflikten. Erster Ansatz zur Normbereichsdifferenzierung ist also die Vorbehaltlosigkeit des Art. 5 Abs. 3 GG.
III. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte und Grundrechte Dritter 1. Das Problem vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte Problematisch ist an vorbehaltlosen Grundrechten, dass sie keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt enthalten. 184 Ihrem Wortlaut nach scheinen sie schrankenlos zu sein. Da die Freiheit des Einen dort enden muss, wo die Freiheit des Anderen beginnt, entnimmt man dem Grundgesetz für vorbehaltlose Grundrechte verfassungsimmanente Schranken, deren Konkretisierung dem Gesetzgeber aufgetragen ist, der dabei wiederum an die Verfassung gebunden ist. Die Grenzen vorbehaltloser Grundrechte ergeben sich also erst aus der Kollision mit anderen Verfassungsgütern. 185
183
Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 211. Poscher, Abwehrrechte (2003), S. 378. 185 In Abgrenzung zu den „Immanenztheorien“ kann man dies „Kollisionstheorie“ nennen (so Bumke, Grundrechtsvorbehalt [2004], S. 42). Dies ist insofern nicht ganz treffend, als auch die Immanenzlösungen Kollisionen lösen, allerdings bereits bei der Ermittlung des Normbereichs des betreffenden Grundrechts. 184
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
a) Kollisions- und Abwägungslösung Ausgehend von einem weiten undifferenzierten Normbereich bietet es sich an, die jeweils konkrete Kollision auf der Rechtfertigungsebene in einer Abwägung zu lösen. Dieses Modell entspricht einem zweistufigen Prüfungsmodell und basiert auf der Unterscheidung zwischen dem ursprünglichen Schutzbereich des Grundrechts und dem Bereich der effektiven Grundrechtsgewährleistung, der nach Berücksichtigung der verfassungsmäßigen Eingriffe in den Schutzbereich verbleibt. Dieser Bereich ist derjenige, der die tatsächlichen Dimensionen der Freiheit ausdrückt. 186 Zu prüfen ist jeweils, ob der Gesetzgeber im konkreten Konfliktfall bei der einfachgesetzlichen Bestimmung der Schranken die Beziehung zwischen Abwehrrecht und Schutzgut verhältnismäßig ausgestaltet hat. In der Folge ist dabei der Unterschied zwischen einer Beschränkung durch einen Gesetzesvorbehalt und durch gesetzlich konkretisierte verfassungsimmanente Schranken marginal. Letzten Endes läuft alles auf einen ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt hinaus. 187 In beiden Fällen entscheidet eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, ob ein legitimes Ziel mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln erreicht wurde. 188 Das legitime Ziel muss sich lediglich aus kollidierenden verfassungsrechtlichen Gütern ergeben. 189 Nicht marginal ist dagegen die Prüfungskompetenz des BVerfG, die sich durch die Konstruktion verfassungsimmanenter Schranken erheblich ausweitet. Unabhängig von der Schrankenkonstruktion eines Grundrechts ist bei der Konfliktlösung das Prinzip der „praktischen Konkordanz“ zu beachten, wie es von K. Hesse ausgeprägt wurde: Praktische Konkordanz erfordert die „verhältnismäßige“ Zuordnung von Grundrechten und grundrechtsbegrenzenden Rechtsgütern, weil die Verfassung die Zuordnung von Freiheitsrechten und anderen Rechtsgütern nur zu einem geringen Teil selbst vornimmt. Bei der Interpretation verfassungsmäßiger Begrenzungen geht es darum, beide Güter zu optimaler Wirksamkeit gelangen zu lassen. 190 Bei Kollisionen darf nicht in „vorschneller ‚Güterabwägung‘ oder gar abstrakter ‚Wertabwägung‘ eines auf Kosten des anderen realisiert werden“. 186 Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 85 f.; so auch Lübbe-Wolff , Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte (1988), S. 26. 187 Vgl. Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107/177 (183). 188 So auch Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 10: Der Gedanke der Verhältnismäßigkeit ebne konzeptionelle Unterschiede praktisch ein. 189 Vgl. K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 72, 317: Bei einem einfachen Gesetzesvorbehalt könne lediglich die politische Auffassung über die Bedeutung eines Rechtsguts differieren (ders., a. a. O., Rdnr. 320). Angesichts der verfassungsrechtlichen Bindung aller öffentlichen Gewalt muss sich ein „verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt“ ohnehin immer finden lassen (gleicher Ansicht wie hier deshalb W. Schmidt, NJW 1973, 585 [586] sowie Heun, JZ 2002, 517 [523]).
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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Stattdessen ist eine Optimierung erforderlich: beiden Gütern müssen Grenzen gezogen werden, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können. Diese Grenzziehung muss verhältnismäßig sein, um die Konkordanz beider Rechtsgüter herzustellen. Zu Recht weist K. Hesse daraufhin, dass eine „Güterabwägung“ für ihre Wertungen eine solche Direktive gerade nicht beachtet. Gleiches gilt, wenn bei der Kollision von Verfassungsgütern das Verhältnis von verfassungsrechtlichen Freiheitsgewährungen und -beschränkungen im Sinne einer Ausgangsvermutung zugunsten der Freiheit (in dubio pro libertate) bestimmt würde. Es ist deshalb nicht möglich, in dieser Vermutung ein Prinzip der Verfassungsinterpretation zu erblicken. 191 „Verhältnismäßigkeit“ (i. e. S.) bezeichnet vielmehr in diesem Zusammenhang eine Relation zweier variabler Größen und zwar diejenige Relation, die der Optimierungsaufgabe am besten gerecht wird, nicht eine Relation zwischen einem konstanten „Zweck“ und einem oder mehreren variablen „Mitteln“. 192 Trotz häufiger Bezugnahme wird aber gerade dieses Prinzip nicht ausreichend beachtet. 193 Durch die Vorbehaltlosigkeit scheint stattdessen ein besonders hoher verfassungsrechtlicher Wert zum Ausdruck zu kommen, der bei der Abwägung berücksichtigt werden müsse. 194 Somit kann sich ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht mit dreifacher Wirkung gegenüber kollidierenden Werten durchsetzen: 1. ist es vorrangig Abwehrrecht, 195 2. nur durch verfassungsrechtliche Güter beschränkbar, und 3. kommt in der Vorbehaltlosigkeit eine besondere Wertigkeit 190
Hierzu und im Folgenden K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 317; ähnlich BVerfGE 93, 1 (21) – Kruzifix; E 78, 38 (56) – Familienname (Sondervotum Henschel, der zwischen der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs bei der Kollision zwischen Individualgrundrecht und staatlichen Interessen und einem Ausgleich zwischen widerstreitenden, einander begrenzenden Grundrechten unterscheidet); vgl. auch BVerfGE 47, 327 (381) – HUG. 191 Prinzipielle Bedenken auch bei Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation (1987), S. 147 m. w. N. 192 K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 72. 193 Siehe nur Oppermann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 671 (675): Die Begrenzung der Forschungsfreiheit sei nur bei Berührung von im Vergleich zur Forschungsfreiheit höherwertigen anderen Verfassungsgütern denkbar. 194 Oppermann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 671 (675); so auch Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 117; im Ansatz selbst K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 316; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 375. Es widerspricht jedoch BVerfGE 47, 327 (369), aus der Schrankenkonstruktion des Art. 5 Abs. 3 GG eine generell höhere Wertigkeit für die Forschung zu entnehmen, wie dies auch H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1238) annimmt („normative Besserstellung gegenüber anderen Grundrechten“ mit anderer Schrankenkonstruktion). Erst recht kann hierin keine Pflicht gesehen werden, Forschungsvorhaben von bestimmten Genehmigungspflichten freizustellen (so jedoch ders., DÖV 1999, 129 [136]). 195 D. h. Organisations- und Verfahrensvorschriften, die der Freiheitssicherung dienen, sind an Art. 5 Abs. 3 GG als Abwehrrecht zu messen; so Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 121; auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 152.
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zum Ausdruck, die dem Grundrecht in der Abwägung unter dem Motto in dubio pro libertate besonderes Gewicht verleiht. 196 Tritt nun zur Abwägungslösung ein weites Normbereichsverständnis hinzu, endet der Normbereich des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts erst dort, wo die kollidierenden verfassungsrechtlichen Güter beginnen. 197 Haben, wie bei den Freiheitsgrundrechten üblich, diese kollidierenden Güter ebenfalls einen entsprechend weiten Normbereich, so entsteht unvermeidlich eine Vielzahl von Kollisionen. Die Freiheit wissenschaftlicher Betätigung dehnt sich also erst einmal ins scheinbar Uferlose aus und findet erst dort Halt, wo ihr andere Verfassungswerte eine Grenze setzen. Kaum bestimmbar bleibt dabei der Bereich zwischen der bloßen Berührung mit anderen Verfassungswerten und den absoluten Grenzen. Über den Wert eines kollidierenden Wertes ist damit noch nichts gesagt, nur: Je stärker er durch Vorbehalte einschränkbar ist, desto leichter lässt er sich begrenzen. Dabei sind für die dogmatische Behandlung vorbehaltloser Grundrechte im Wesentlichen zwei weitere Konzeptionen denkbar: b) Schrankenübertragung Gedacht werden kann an eine Übertragung von Schranken anderer Grundrechte auf vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte; 198 es wird auch versucht, allgemeine Grundrechtsgrenzen zu konstruieren, die auf die vorbehaltlosen Grundrechte übertragen werden, so etwa eine allgemeine Nichtstörungsschranke. 199 Von den Schrankenübertragungsmodellen ist eine Schwerpunktlösung auf Schrankenebene zu unterscheiden, wie sie z. B. Hailbronner vorschlägt: Wo Forschungstätigkeit im Schwerpunkt zugleich als Betätigung eines nicht vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts angesehen werden muss, kann man Forschung den Schranken der allgemeinen Gesetze unterwerfen. 200 Das gilt im Ergebnis insbesondere für Forschung, die kommerziellen Zwecken dient. Dann ist jedoch zu fragen, warum derartige Forschungstätigkeiten überhaupt noch in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG einbezogen werden. Solche Ansätze haben sich nicht durchgesetzt, müssen jedoch im Zusammenhang mit der Forschungsfreiheit Anlass geben, über die Funktion vorbehaltlo196
Z. B. H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1238) oder Kamp, Kommerz (2004), S. 93. Dazu Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 157 ff. 198 Dagegen das BVerfG, das Übertragungsmodelle ablehnt und ein Kollisionsmodell bevorzugt, vgl. E 30, 173 (191 ff.) – Mephisto; ebenso R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (472). 199 Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 155; so auch Lorenz, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 267 (270 ff.). 200 Hailbronner, WissR 1980, 212 (221); ähnlich auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 509, 419 ff. 197
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ser Grundrechte nachzudenken. Wenn diesen Lehren entgegengehalten wird, sie missachten den besonderen Schutz, den die vorbehaltlos gewährten Grundrechte genießen würden, 201 so ist zu fragen, ob die vorbehaltlose Gewährleistung eines Grundrechts bereits darauf schließen lassen darf, dass dem betreffenden Freiheitsrecht in der Abwägung ein besonders Gewicht zukommen darf oder gar soll. Denn die Forschungsfreiheit kann im Vergleich zu anderen Grundrechten keine abstrakt höhere Geltung beanspruchen. 202 So darf dem mit einem Gesetzesvorbehalt versehenen Grundrecht auf Leben 203 wohl kaum eine geringere Wertigkeit zugesprochen werden als beispielsweise der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstoder Religionsfreiheit, und es dürfte kaum Widerspruch geben, dass ein religiöser „Ritualmord“ durch das Strafgesetzbuch in zulässiger Weise beschränkt wird. 204 Je existentieller Grundrechte für den Einzelnen sind, desto intensiver muss ihr Schutz sein. 205 Bei Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist beispielsweise die Sensibilität des geschützten Gutes („Leben“) für seinen „Wert“ entscheidend. Hier sind Grundrechtsverletzungen irreversibel, 206 während etwa eine Restitution bei Verletzungen des Eigentums relativ leicht möglich ist. Einer abstrakt höheren Wertigkeit auf Grund der Schrankenkonstruktion widerspricht auch die Entstehungsgeschichte der Grundrechte. Hiernach kam es bei der Ausgestaltung der Schranken dem Verfassungsgeber auf eine möglichst konkrete Schrankenausgestaltung an, die jedoch weder „abgestuft“ sein noch Rückschlüsse auf die Wertigkeit der einzelnen Grundrechte zulassen sollte. 207 Vielmehr spricht 201 So z. B. Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 86; das BVerfG dagegen lehnt die Schrankenübertragung eher aus formalen Gründen ab (BVerfGE 30, 173 [192 f.] – Mephisto). 202 Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 83 f. m. w. N.; Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (682). 203 Vgl. hierzu auch Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 45; BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch; 46, 160 (164) – Schleyer: Dem Leben kommt ein Höchstwert zu, da es vitale Basis der Menschenwürde und Voraussetzung für alle anderen Grundrechte ist. Erstaunlich ist deshalb, dass über den einfachen Gesetzesvorbehalt von Art. 2 Abs. 2 GG im Parlamentarischen Rat ebenso wenig diskutiert wurde, wie über die vorbehaltlose Gewährleistung von Art. 5 Abs. 3 GG (vgl. Bumke, Grundrechtsvorbehalt [2004], S. 128, 132). 204 Vgl. Arnauld, Freiheitsrechte (1999), S. 116, 117 in Anm. 47, ohne die Frage zufriedenstellend zu beantworten. Nach Zippelius, Methodenlehre (2003), S. 51 fallen „Menschenopfer“ z. B. gar nicht in den Schutzbereich der Religionsfreiheit; weitere Beispiele bei Marcus Winkler, Schutznormkollisionen (2000), S. 21. 205 Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 164. 206 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 98. 207 Vgl. Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 140. So zeigt auch die Entstehungsgeschichte der vorbehaltlos gewährten Religionsfreiheit, dass man auf den Vorbehalt verzichtete, weil man davon ausging, dass sich die erforderlichen Schranken aus Art. 2 Abs. 1 GG ergäben. Gleichzeit herrschte aber Einigkeit darüber, dass Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG unabhängig von seiner konkreten Schrankengestaltung jedenfalls vor gezielten Grundrechtseingriffen
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historisch viel dafür, dass der Grundgesetzgeber bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten von der Geltung allgemeiner Schranken ausging, wie sie sich auch in Art. 2 Abs. 1 GG finden. 208 Der Herrenchiemsee-Entwurf sah ausdrücklich zwei Schrankentypen vor, die auch dem Parlamentarischen Rat als Grundformen der Freiheitsbeschränkung vor Augen standen: Zum einen war dies der prinzipielle „selbstverständliche“ Vorbehalt der allgemeinen verfassungsgemäßen Rechtsordnung, zum anderen musste der Gesetzgeber mit besonderen Rechten ausgestattet werden, um auch gezielt in die Freiheit seiner Bürger eingreifen zu dürfen. Dass daraufhin einzelne Bestimmungen grenzenlose Freiheit zu garantieren schienen, wird als Konstruktionsfehler bezeichnet. 209 Eine Schrankenübertragung widerspricht nicht so offensichtlich der Vorbehaltlosigkeit, wie es auf den ersten Blick erscheint. Historisch durchaus zutreffend wurde deshalb in den ersten Jahren von der herrschenden Lehre der Weg über den zum allgemeinen Grundsatz erklärten Art. 2 Abs. 1 GG beschritten (Schrankentrias). 210 Nach der Elfes-Entscheidung des BVerfG, die Art. 2 Abs. 1 GG zum Auffanggrundrecht machte, 211 war dieser Weg jedoch versperrt, obwohl die Schrankentrias auch bei einer Beschränkung des Persönlichkeitskerns gilt. 212 Auch ein modifizierter Vorbehalt der allgemeinen Gesetze wird vertreten. Diese müssten jedoch im Hinblick auf das jeweils betroffene Grundrecht verfassungsrechtlich gleich oder höherwertig eingeordnete Güter schützen. 213 Auch dies führt zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Abwägung.
schützen solle (Bumke, Grundrechtsvorbehalt [2004], S. 130 f., Anm. 494). Vgl. hierzu auch die Dogmatik zu Art. 12 GG (siehe Anm. in Viertes Kapitel, B. III. 1. c). 208 So auch die früher h. L., vgl. Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 43 in Anm. 82 sowie ders., a. a. O., S. 148 m. w. N.; so noch für die Wissenschaftsfreiheit (wie für alle Grundrechte) Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 186. 209 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 114. Im Parlamentarischen Rat wurde nicht – wie oft behauptet – ein Modell abgestufter Vorbehalte verfolgt, sondern ein Konzept der Schrankenkonkretisierung versucht (Bumke, Grundrechtsvorbehalt [2004], S. 140). 210 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 116; R. Herzog vertritt z. B. bei Art. 4 GG – soweit eine besondere Handlungsfreiheit geschützt sei – eine dem hohen Rang der Glaubensfreiheit gemäß modifizierte Anwendung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG (R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I. [2003], Art. 4, Rdnr. 114); ähnlich auch Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I. (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 186. 211 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36, 40 f.) – Elfes. 212 So BVerfGE 30, 173 (192) – Mephisto. 213 So Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 (51 f.) zu Art. 118, 142 WRV mit Hinweis auf allgemeine Schranken aller Grundrechte: u. a. die Freiheit der Anderen, Sittlichkeit, öffentliche Ordnung, Staatsicherheit; Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 96 unter Hinweis in Anm. 404, dass damit nicht die Grundrechte unter einem allgemeinen Gemeinwohlvorbehalt stehen, sondern nur konkret bestimmbare Verfassungsgüter gemeint sind.
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Letztlich sind im Ergebnis die Unterschiede gering, ob ein Grundrecht einem Gesetzesvorbehalt unterliegt oder vorbehaltlos gewährleistet ist. Legitime Zwecke jedweder Beschränkung können immer nur aus der Verfassung selbst abgeleitet werden. Jeder Eingriff in ein Grundrecht, egal ob mit Vorbehalt oder ohne, benötigt eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Es ist keine zulässige Grundrechtsbeschränkung denkbar, die nicht prinzipiell verfassungsgemäße Zwecke verfolgt. So wurde zum Beispiel bei der umstrittenen Entscheidung des BVerfG zum „Reiten im Walde“ als legitimes Gemeinwohlziel die Gefahrenvermeidung für Fußgänger und Radfahrer erkannt, was, so das BVerfG, auch in dem Hinweis auf die Rechte Anderer in Art. 2 Abs. 1 GG vorgezeichnet sei. 214 Auch wenn die historische Konzeption für das heutige Verständnis vorbehaltloser Grundrechte nicht ausschließlich entscheidend sein kann, ist die überkommene Vorstellung eines unterschiedlichen Gewichts der Grundrechte aufgrund ihrer unterschiedlichen Schrankenkonstruktion nicht schlüssig. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte für eine Auslegung vorbehaltloser Grundrechte im Sinne „größtmöglicher Liberalität“. 215 c) Immanente Kollisionslösung Statt mit einem besonderen Gewicht in der Abwägung ist mit der grundrechtlichen Erfassung bestimmter Lebensbereiche oder Verhaltensweisen ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt ein anderer besonderer Schutz oder eine Bevorzugung verbunden. 216 Dieser besondere Schutz ist bei der Normbereichsbestimmung und nicht erst bei der Schrankenziehung zu berücksichtigen, denn die Kombination aus einem weiten Schutzbereichsverständnis und der Kollisionstheorie ist – wie bereits gezeigt – höchst problematisch. Vorbehaltlose Grundrechte können pragmatischen Anforderungen zugänglich gemacht werden, wenn man – wie in der vorliegenden Untersuchung – versucht, die jeweilige Freiheit auf der Normbereichsebene möglichst präzise zu erfassen (sog. Normbereichsanalyse oder Immanenztheorie) 217. 214
BVerfGE 80, 137 (159) – Reiten im Walde. So jedoch Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 84; Oppermann, in: Isensee/ Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 27; dagegen ausdrücklich K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 72 sowie Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 140. 216 Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 420 ff. zum Gebot der finanziellen Förderung von Forschung und Lehre aus Art. 5 Abs. 3 GG; siehe auch Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 155 in Anm. 600. 217 Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 88; Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 42; Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (118 f.); ähnlich neuerdings bei der Menschenwürde Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1 GG, Rdnr. 44: Die Bestimmung einer Menschenwürdeverletzung habe nicht modal zu erfolgen, sondern auch unter Berücksichtigung der mit einem Eingriff verfolgten Finalität; siehe hierzu oben Erstes Kapitel, A. V. 1. c). 215
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Dies basiert – soweit noch entsprechend dem Gedanken der Kollisionstheorie – auf der Annahme, dass eine Begrenzung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte nur von der Verfassung selbst vorgenommen werden könne und es darüber hinaus für den Gesetzgeber keine Befugnisse zu einer weiteren Grundrechtsbegrenzung gebe. 218 Allerdings findet die Grenzziehung nicht erst auf der Rechtfertigungsebene unter Einbeziehung des konkreten Sachverhalts, sondern bereits vorher abstrakt bei der Bestimmung des Normbereichs statt. Man geht davon aus, dass die Verfassung einen Normbereich konturiert, in dem sich die geschützte Aktivität frei entfalten kann. Dieser Normbereich könne nur grundrechtssachspezifische bzw. grundrechtstypische Aktivitäten umfassen, die einen sachlichen Zusammenhang mit der Struktur des Normbereichs aufweisen. 219 Das hat zur Folge, dass nicht schon jede staatliche Beschränkung einer Handlung, die mit der Ausübung eines vorbehaltlosen Grundrechts verbundenen ist, ein Eingriff in dieses ist. Die Kunstfreiheit ist nicht schon dadurch berührt, dass die Straßenverkehrsordnung ihre Ausübung auf einer Straßenkreuzung untersagt, 220 ebensowenig wie in die Forschungsfreiheit durch sicherheitstechnische Anforderungen für ein Labor eingegriffen wird. 221 Dem gleicht schon die Ansicht von Smend, der zwar eine Schrankenübertragung ablehnt, Sicherheitsvorschriften u. Ä. jedoch nicht als Eingriffe in die Forschungsfreiheit ansieht, da sie sich nicht gegen die Tätigkeit des Forschers richten. 222 Vergleichen lässt sich diese Lösung mit der nach herrschender Meinung erforderlichen Berufsbezogenheit eines Eingriffs bei Art. 12 Abs. 1 GG (sog. berufsregelnde Tendenz). Sie verhindert, dass nicht jede Regelung, die ein beruflich
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Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 88; K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 71, 312. 219 Krit. hierzu Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 89, allerdings überzeugt hier weder das Argument einer Freiheitsverkürzung noch die behauptete Gefahr subjektiver Manipulierbarkeit, die bei der Abwägungslösung (modifiziert von Iliadou, a. a. O., S. 105) gleichfalls gegeben ist. 220 Ähnlich Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 189, wonach Art. 8 GG keine Versammlung auf einer baufälligen Brücke schütze. 221 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 114, 351. 222 Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 (66.); siehe auch oben Zweites Kapitel, A. II. 2.; ähnlich Enders, Jura 2003, 666 (673): Art. 5 Abs. 3 GG verleihe keine Privilegien, die den Wissenschaftler von der Geltung der für jedermann verbindlichen Rechtsordnung ausnehme. Art. 5 Abs. 3 GG schütze aber die Wissenschaft vor der Fremddefinition wissenschaftlicher Standards; ähnlich auch Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 376, der Akzidenzien von Forschung und Lehre der allgemeinen Rechtsordnung unterwirft, da insoweit Forschung und Lehre nicht „als solche“ betroffen seien; ähnlich (Verrichtungen, die lediglich „bei Gelegenheit“ einer Grundrechtsausübung vorgenommen werden) auch Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (118).
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motiviertes Verhalten beschränkt, bereits einen Eingriff in eine beruflich ausgeübte Tätigkeit mit sich bringt. 223 Die Wissenschaftsbezogenheit eines Eingriffs wäre eine Möglichkeit, sachgerecht die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft zu schützen und Kollisionsprobleme zu vermeiden. 2. Ergebnis Heute ist überwiegend ein weites Verständnis der Normbereiche aller, auch der vorbehaltlosen Grundrechte herrschend. Es heißt, mit ihm könnten verfassungsrechtliche Konfliktlagen am besten aufgelöst und die innere Einheit der Verfassung am besten ausgedrückt werden. 224 Jede Verkürzung einer vorbehaltlos gewährleisteten Freiheit wird als legitimationsbedürftige Beschränkung betrachtet. Damit ist auch das Zugreifen auf die Rechtsgüter Dritter prinzipiell als vom Freiheitsrecht gedeckt anzusehen, 225 es kann jedoch durch einen legitimierbaren staatlichen Eingriff beschränkt werden. Ist eine Schutzpflicht betroffen, muss dieser Eingriff sogar erfolgen, wenn ein Unterlassen durch das Nichtbeachten des Untermaßverbots verfassungswidrig wäre.
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Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 823, hier jedoch bereits im Rahmen des Schutzbereichs als Beschränkung des Schutzes auf berufs- und ausbildungsspezifische Handlungen. Der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG richtet sich nicht gegen jede, auch nur mittelbar wirkende, Beeinträchtigung des Berufs: „Das Grundrecht würde sonst angesichts des Umstandes, dass nahezu jede Norm oder deren Anwendung unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit haben kann, konturlos werden. Art. 12 Abs. 1 GG entfaltet seine Schutzwirkung vielmehr nur gegenüber solchen Normen oder Akten, die sich entweder unmittelbar auf die Berufstätigkeit beziehen oder die zumindest eine objektiv berufsregelnde Tendenz haben.“ [Hervorh. d. Verf.]; so auch das BVerfG: Ist nicht nur der Berufstätige Adressat der Vorschrift, haben Normen nur dann eine berufsregelnde Tendenz, wenn sie nach Entstehungsgeschichte und Inhalt im Schwerpunkt Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden (BVerfGE 97, 228 [254] – Kurzberichterstattung) oder eine berufliche Tätigkeit nennenswert behindern (BVerfGE 81, 108 [121 f.]). Fehlt es an einem solchen Berufsbezug, liegt nur ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG „in ihrer Ausgestaltung als wirtschaftliche Betätigungsfreiheit“ vor (BVerfGE 37, 1 [18] – Weinwirtschaftsabgabe; vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG [2002], Art. 12, Rdnr. 12). 224 So z. B. Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 157 m. w. N.; zum Prinzip der Einheit der Verfassung siehe K. Hesse, Verfassungsrecht (1991), Rdnr. 71.; krit. hierzu Brohm, NJW 2001, 1 (4 ff.). 225 So stellt sich im Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 1 GG die Frage, ob eine verbotene Tätigkeit (noch) von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist. Jedenfalls das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG schützt grundrechtlich immer auch eine nicht erlaubte Tätigkeit; man denke hierzu an die Voraussetzung der Berufsbezogenheit eines Eingriffs. Neuerdings soll sich jedoch in der Rspr. des BVerfG die Tendenz feststellen lassen, den Schutzbereich von Grundrechten enger zu fassen, siehe m. w. N. Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 182.
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Wie gezeigt, führt dieses Modell zu einer Vielzahl von Kollisionen, die immer nur konkret gelöst und verfassungsgerichtlich entschieden werden können. Der Weg in den Jurisdiktionsstaat ist unvermeidlich. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass das BVerfG weite Tatbestände bevorzugt, um in jedem Einzelfall entscheiden zu können, ob und wie es ihn entscheiden will. 226 Nach hier vertretener Auffassung sind hingegen Immanenzlösungen zu bevorzugen, denn hier wird über Umfang und Grenzen bereits auf Normbereichsebene abstrakt und abgrenzbar entschieden. Dies gilt insbesondere für die Forschungsfreiheit.
IV. Die Forschungsfreiheit als vorbehaltlos gewährtes Grundrecht Ein weites Normbereichsverständnis wird bei der Forschungsfreiheit zum Problem. Denn die Suche nach der Wahrheit hat grundsätzlich keine immanenten Schranken oder Bremsen. Da tendenziell alles zum Instrument oder Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung gemacht werden kann, ist vom Standpunkt der Wissenschaft aus gesehen jede Begrenzung der Forschungsfreiheit befremdlich und kann nicht systemimmanent durch die Wissenschaft selbst erfolgen. 227 1. Die Vorbehaltlosigkeit konfliktträchtiger Forschung Je stärker die Forschung mit anderen Verfassungsgütern in Konflikt gerät, desto stärker stellt sich die Frage nach ihren Grenzen. Wenn in der Literatur schon auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen werden muss, dass das Fehlen eines Gesetzesvorbehaltes in Art. 5 Abs. 3 GG nicht eine von der Gesellschaft isolierte Entwicklung des Forschungsprozesses bedeute und das Risikopotential moderner, nicht rein theoretischer Forschung nicht verneint werden dürfe, 228 dann zeigt dies die Folgen des oben beschriebenen grenzenlos gewährleisteten Schutzes, der auch tatsächlich eine grenzenlose Freiheit des in der Forschung Machbaren suggeriert. Ob bei der embryonalen Stammzellenforschung oder bei der experimentellen Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (vgl. § 16a GenTG n. F.) 229, die Kollision und der Ausgleich mit anderen Rechtsgütern (Art. 2 Abs. 2, 14 Abs. 1 226
Brohm, NJW 2001, 1 (4). Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (683). 228 Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 82; deutlicher Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 27 ff., der zwischen Laborrisiken, Missbrauchsgefahren und Folgelasten unterscheidet. 229 GenTG i. d. F. vom 16. 12. 1993 (BGBl. I 2066), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. 12. 2004 (BGBl. I 186). Siehe zur Novellierung Palme, UPR 2005, 164 ff.; Dolde, ZRP 2005, 25 ff. Hier sind insbesondere die Haftungsvorschriften in §§ 32 ff. GenTG von Interesse. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass auch die genehmigte (rechtmäßige) 227
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S. 1, 20a GG, zur Sonderstellung des Art. 1 Abs. 1 GG s. o. Erstes Kapitel, A. V.) ist unvermeidlich. Deshalb liegt der Schwerpunkt der juristischen Diskussion auf den Grenzen der Forschung. Wie bei allen anderen vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten gilt eine dogmatische Begründung von Beschränkungen im Einzelnen als schwierig. 230 Denn wie in der allgemeinen Grundrechtsdogmatik überwiegt auch bei der Forschungsfreiheit ein weites Normbereichsverständnis. 231 Zwar wird auch hier irgendwo eine Grenze gezogen. Nach dem herrschenden modalen Wissenschaftsbegriff 232 wird Handeln dort „unwissenschaftlich“, wo es der „wissenschaftlichen Methode“ nicht mehr entspricht. Aber damit wird größtenteils die Definitionsmacht 233 darüber, was wissenschaftliches Handeln ist, den Selbstzuschreibungen der scientific community überlassen. Sie entwickelt für die verschiedenen Disziplinen ihre eigenen Maßstäbe für das jeweilige wissenschaftliche Arbeiten, so dass rechtlich gesehen letztlich für die abstrakte Normbereichsbestimmung das kleinste gemeinsame Vielfache ermittelt werden müsste, statt methodisch die Grundstrukturen des Sachbereichs herauszuarbeiten. 234 Mit dem Abstellen auf die Methodik wird die Grenze des Normbereichs stattdessen denkbar weit gezogen. Forschung genießt damit das Privileg, dass jede wissenschaftliche Tätigkeit ohne Berücksichtigung ihrer Mittel, Modalitäten und Ziele als legitim erscheint. Nicht der Forscher hat die Berechtigung seines Tuns darzulegen, sondern dem beeinträchtigten Dritten obliegt die Darlegungslast für den Vorrang seiner Rechtsposition und deren Tragfähigkeit für eine Einschränkung des Art. 5 Abs. 3 GG. 235 Nutzung gentechnisch veränderter Organismen zu Schäden führen kann. Dolde, a. a. O., 28 f., hält dies für einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 GG. 230 Für Waechter, Der Staat 1991, 19 (25) können die notwendigen Schranken der Forschungsfreiheit aus verfassungsimmanenten Schranken nur in geringem Maße abgeleitet werden. 231 BVerfGE 90, 1 (13); Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 62 ff.; Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 206; Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 72 ff.; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 10, 28; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 3; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 98 (jedoch gegen einen „weiten“ oder „engen“ Wissenschaftsbegriff ders., a. a. O., Rdnr. 90, 88); mit Einschränkungen Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 30. 232 Siehe oben Zweites Kapitel, C. II. 1. a) bb). 233 Siehe ausführlich zur privaten Konkretisierungskompetenz bei der Grundrechtsauslegung: Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation (1987); Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium (1993). 234 Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 61, Anm. 32; siehe zu den Kennzeichen der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b). 235 Auch im Falle der embryonalen Stammzellenforschung wird die Darlegungslast umgekehrt: Genießt der Embryo im Zweifel von Anfang an und unteilbar Menschenwür-
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Hat man es mit konfliktträchtiger Forschung zu tun, wird häufig festgestellt, dass ein staatlicher Eingriff nur durch verfassungsimmanente Werte – vorliegend zumeist in Form einer Schutzpflicht für Grundrechte Dritter – gerechtfertigt werden kann. 236 Die Grenzziehung wird somit allein dem Inhalt der kollidierenden Werte überlassen, während vermeintlich in dubio pro scientia auf die konsequente (und im Einzelnen auch komplexe) Bestimmung des Normbereichs des Art. 5 Abs. 3 GG verzichtet wird und man sich stattdessen der Abwägung zuwendet. 237 Je schwerer solche Konflikte dadurch lösbar sind, desto intensiver werden angesichts des weiten Forschungsbegriffes die kollidierenden Grundrechte Dritter in ihrem Schutzgehalt analysiert, um ihre Grenzen zu bestimmen. Je „nützlicher“ eine konkrete Forschungstätigkeit erscheint, desto größer ist die Gefahr, dass über den bestehenden Konflikt hinaus die kollidierenden Verfassungsgüter zurückgedrängt werden. Sie werden schleichend entwertet. Während es früher ganz herrschende Meinung war, dass Menschenwürde und Leben durch eine Abwägung mit der Forschungsfreiheit nicht relativiert werden dürfen, 238 werden Zweifel an diesem Verständnis in dem Maße lauter geäußert, wie Verfassungswerte konkreten Forschungsvorhaben im Wege stehen. Dahinter wird die Vorstellung erkennbar, ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht enthalte ein Recht auf die Inanspruchnahme von Gütern anderer. Jedes Verbot einer solchen Inanspruchnahme müsse am Grundrecht zu messen sein. 239 de, dann müsste die Forschung darlegen, warum sie Embryonen zu Forschungszwecken verbrauchen darf. Werden aber die Forschungsfreiheit und das Lebens- und Würderecht des Embryos als zwei gleichrangige Rechte betrachtet, dann muss der Embryo „beweisen“, warum es verfassungswidrig wäre, ihn zu töten. Weitere Rechte (Art. 12, 14 für die Forscher, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 für die Patienten, die sich „Hoffnung“ auf Heilung machen) kommen hinzu, die ebenfalls zu Lasten des Embryos in die Abwägung mit eingeführt werden können. 236 BVerfGE 47, 327 (369 f.) – Hess. Universitätsgesetz; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 374 ff., so z. B. Eingriffe durch straf-, haftungs-, polizei- und ordnungsrechtliche Normen; zum Prinzip der Polizeifestigkeit der Wissenschaftsfreiheit: Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 191 sowie Hailbronner, WissR 1980, 212 (228), beide allerdings nur, soweit polizeiliche Maßnahmen auf die öffentliche Ordnung gestützt werden. Bei Scholz ist dies insofern inkonsequent, als er die Wissenschaftsfreiheit der „ethisch-immanenten Schranke“ des „Sittengesetzes“ entsprechend Art. 2 Abs. 1 GG unterwerfen will (ders., a. a. O., Rdnr. 186). 237 Ausdrücklich für diesen Grundsatz Kamp, Kommerz (2004), S. 93; ausdrücklich dagegen Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 90; vgl. hierzu Trute, Forschung (1994), S. 144; als Beispiel für die Verschiebung der Probleme auf Schrankenebene kann dienen: Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 102. 238 So m. w. N. Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 378; a. A. z. B. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 43 ff. 239 So z. B. auch Bundesjustizministerin Zypries in einer Rede am 29. 10. 2003: „Und ein Wissenschaftler kann sich auf die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit berufen, die ein wesentlicher Bestandteil unserer demokratischen Rechtsordnung ist. Nur der
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Dieser allgemeine Trend in der juristischen Diskussion, wenn es um Reichweite und Grenzen von Forschung geht, führt dazu, dass sich die einmal sehr intensive Diskussion über den grundrechtlichen Schutz von Forschung im Bereich der Biound Gentechnik nicht wirklich weiter entwickelt hat. Der Gegensatz zwischen engen und weiten Tatbestandstheorien in der Grundrechtsdogmatik 240 spielt hier kaum eine Rolle. Dabei gab es ab Mitte der 1980er Jahre durchaus Versuche, das weite Tatbestandsverständnis von Forschung zugunsten der Rechte Dritter einzugrenzen. 241 Hierauf wird zurückzukommen sein. Eine normbereichsimmanente Kollisionslösung, wie sie hier vertreten wird, muss dabei nach dem besonderen Schutz vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte fragen. 2. Ein besonderer Schutz vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte Gerade wegen der Intention des historischen Verfassungsgebers spricht viel dafür, dass mit vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten ein besonders intensiver Schutz eines engeren Bereichs in die Tiefe erfolgen sollte, nicht in die Breite (wo letztlich der einfache Gesetzesvorbehalt gilt). 242 Der Grundgesetzgeber wollte mit seinen unterschiedlichen Schrankenkonstruktionen eine unterschiedliche Vorgehensweise bei der Bestimmung der Grenzen der einzelnen Grundrechte verdeutlichen. Grenzen können hierbei auf Tatbestands- oder auf Kollisionsebene bestimmt werden. Ob einem Grundrecht kein, ein einfacher oder ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt beigefügt ist, führt zwar zu unterschiedlichen Anforderungen an den Gebrauch der durch einen Vorbehalt eröffneten Entscheidungs- und Gestaltungsmacht, doch beschränken sich diese Auswirkungen auf die Ebene der Vorbehalte. Qualitative Unterscheidungen zwischen den Gewährleistungen werden durch sie nicht begründet. Die Stärke einer Gewährleistung bemisst sich allein nach ihren gewährleistungsspezifischen Vorgaben, nicht nach der Ausgestaltung ihrer Schranke. 243 Die Abwägung vollzieht sich nicht auf der internormativen Ebene (Kollision) der vorbehaltlosen Grundrechte mit anderen Verfassungswer-
Eingriff in Rechte Dritter rechtfertigt es, ( . . . ) der Forschungsfreiheit Schranken zu ziehen. Meiner Meinung nach dürfen wir die Gewinnung embryonaler Stammzellen [d. h. den Verbrauch von Embryonen – d. Verf.] nicht von vornherein vom Schutz der Forschungsfreiheit ausnehmen, denn sie ist Teil des Forschungsprozesses und erst sie ermöglicht es, bestimmten wissenschaftlichen Fragen nachzugehen. Eine Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten bleibt uns nicht erspart.“ 240 Vgl. m. w. N. Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 181 f. 241 Flämig, Genetische Manipulation (1985), S. 75 ff.; Benda, NJW 1986, 1978; Waechter, Der Staat 1991, 19 (44 ff.); Schlink, EuGRZ 1984, 457 (464). 242 W. Schmidt, NJW 1973, 585 (587). 243 Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 239; unter Ablehnung von Rangstufen innerhalb des Grundgesetzes auch: Markus Winkler, Schutznormkollisionen (2000), S. 252 ff.
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ten, sondern bereits „normimmanent“ bei der Konkretisierung des geschützten Lebenssachverhaltes. 244 Enders plädiert deshalb für eine präzise (und entsprechend enge) Bestimmung des Normbereichs vorbehaltloser Grundrechte. Sie sollen einen absoluten Ingerenzschutz gewähren. Dies bedeutet, dass gezielte Eingriffe in diese grundrechtlich gewährte Freiheit ausnahmslos verboten, d. h. auch keiner Abwägung zugänglich sind. Der Umfang der Gewährleistung kennzeichnet hier zugleich ihren Wesensgehalt. 245 Darüber hinausgehende Handlungen sind dann anderen, nicht vorbehaltlosen Grundrechten zuzuordnen. Deshalb spricht u. a. mit Hellermann viel dafür, dass Art. 5 Abs. 3 GG den Lebensbereich Wissenschaft in seiner Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit schützt. Hiervon leitet sich die individuelle Grundrechtsposition derer ab, die in diesen Bereichen tätig werden. Ihre Partizipation am Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 3 GG ist jedoch nicht einfach ein (Handlungs-)Recht auf freie wissenschaftliche Betätigung, sondern lediglich ein Schutz vor solchen gezielten hoheitlichen Eingriffen, die diese spezifische Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft missachten. Die Begrenzung des Normbereichs auf die Abwehr solcher spezifischer Eingriffe ergibt sich bereits aus der Vorbehaltlosigkeit. 246 In eine ähnlich Richtung geht der Vorschlag von Schlink, der dem Erfordernis der Berufsbezogenheit bei Art. 12 Abs. 1 GG gleicht. Er sieht in Art. 5 Abs. 3 GG ein „Sonderrecht ( . . . ) wissenschaftlicher Meinungsäußerungsfreiheit“, 247 das zugleich ein „Verbot staatlicher ( . . . ) Wissenschaftsdefinitionen“ ist, und er schlägt vor, „über eine Differenzierung der verschiedenen Bereiche wissenschaft244 So der Gedanke von Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 1, Rdnr. 44 zur Menschenwürde, deren Beurteilung seiner Meinung nach nicht nur modal zu erfolgen hat, sondern unter Berücksichtigung der Ziele eines Eingriffs. Während dieser Gedanke für die Menschenwürde höchst kritisch zu sehen ist, kann er für vorbehaltlos gewährte Grundrechte durchaus fruchtbar gemacht werden. 245 Enders, in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 146; ders. in: Klein/Menke, Bioethik (2004), S. 238 mit dem Argument, vorbehaltlose Grundrechte wie Art. 5 Abs. 3 GG verpflichteten den Gesetzgeber, die in ihnen verkörperte spezifische Schutzrichtung zu respektieren. Dies sei bei Art. 5 Abs. 3 GG die Selbstdefinition wissenschaftlicher Standards, nicht jedoch ein Recht auf all das, was die Freiheitsausübung befördern könne (ders. auch in Jura 2003, 666 [673]); wohl noch a. A. ders., in: Mellinghoff/ Trute, Leistungsfähigkeit des Rechts (1988), S. 157 (192 ff.). R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (474) weist darauf hin, dass der Vorgang der Formulierung und Diskussion von Hypothesen und Theorien in der Regel mit anderen Rechtsgütern nicht kollidieren kann und daher Eingriffe in diesen Bereich nicht gerechtfertigt werden können. 246 Hellermann, Negative Seite der Freiheitsrechte (1993), S. 144 f.; ebenso Pieroth/ Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 332; BVerfG, NJW 1984, 1293. 247 Schlink, EuGRZ 1984, 457 (464); so auch Roellecke, JZ 1969, 726 (729); mit einer „Selbstkorrektur“ jedoch ders. in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 ff. Gestützt wird die Auffassung Schlinks durch die historische Entwicklung.
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lichen ( . . . ) Werkens und Wirkens 248 herauszuarbeiten, was jeweils echt ( . . . ) wissenschaftsspezifisch und damit freigesetzt ist und was bloß bei Gelegenheit und im Zusammenhang mit der ( . . . ) wissenschaftlichen Betätigung steht und beschränkt werden kann“. 249 Der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG gilt nur der spezifischen wissenschaftlichen Betätigung erlaubten Verhaltens. 250 Damit wird letztlich die Wissenschaftsfreiheit auf ihre historische Funktion, nämlich den Schutz ihrer Eigengesetzlichkeit begegrenzt, nicht jedoch werden die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG auf Abs. 3 übertragen. Auch eine Zwischenlösung aus Schrankenübertragung und Immanenzlösung ist möglich. Man kann mit Hilfe des modalen Wissenschaftsbegriffes sowohl wissenschaftsspezifische als auch allgemeine Handlungen anlässlich wissenschaftlicher Tätigkeit in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG einbeziehen. Sodann differenziert man und unterwirft nichtwissenschaftsspezifische Handlungen den „selbstverständlichen Schranken“ der allgemeinen Rechtsordnung. Nichtwissenschaftsspezifische Handlungen im Lebensbereich Forschung genießen dann nur den selben Schutz wie Handlungen im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG. Gezielte Eingriffe des Gesetzgebers, die „nichtselbstverständliche“ Schranken gesetzlich konkretisieren, sind dagegen mit entsprechend strengeren Anforderungen an Art. 5 Abs. 3 GG zu messen. Es ist jedenfalls zu differenzieren, ob eine Handlung nur anlässlich wissenschaftlicher Arbeit vorgenommen wird oder ob sie einem wie auch immer gearteten besonders intensiv geschützten wissenschaftlichen Bereich zugeordnet wird. Dieser Bereich ist tangiert, wenn die Äußerung wissenschaftlicher Meinungen beschränkt wird oder der Staat der scientific community vorschreiben wollte, was Wissenschaft zu sein hat. Im Fünften Kapitel soll deshalb auf die Elemente der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft genauer eingegangen werden. 251 3. Forschung und die Bedeutung der Rechte Anderer Nach dem weiten Tatbestandsverständnis zu Art. 5 Abs. 3 GG umfasst der vorbehaltlose Schutz der Forschungsfreiheit auch die Inanspruchnahme der Rechte Dritter. Vergegenwärtigt man sich, dass sich Forschung nicht allein auf geistige Erkenntnisprozesse und Wirkungsvorgänge bezieht, sondern mit der gegenständlichen Umwelt in Beziehung tritt und diese dafür instrumentalisiert, dann bedeutet
248 Vgl. zum Werk- und Wirkbereich Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 187 ff.; Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 8. 249 Schlink, EuGRZ 1984, 457 (464 f.); Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 617 f., 626. 250 Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 626. 251 Siehe unten Fünftes Kapitel, C. I. 1.
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jedes Verbot der Inanspruchnahme von Rechten Dritter bereits einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Forschungsfreiheit. Demgegenüber steht eine Reihe von Ansätzen, die Forschung, die andere Rechtsgüter beeinträchtigt oder beansprucht, vom Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG ausschließen wollen. 252 Sie stellen einen ersten Schritt zur Bestimmung des Normbereiches dar. Zugleich verdeutlicht das Problem der Inanspruchnahme der Rechte Dritter, dass die weit gefasste Forschungsfreiheit mit einem Abwägungsmodell kaum dogmatisch konsistent beschränkbar ist. Eine differenzierende Lösung versucht Trute, der auf den jeweiligen Zusammenhang mit erkenntnisrelevanten Handlungen abstellt. Dem Diebstahl von Forschungsmitteln fehlt es beispielsweise an der Erkenntnisrelevanz in konkreten experimentellen Zusammenhängen, die überhaupt erst Forschungshandlungen von anderen Handlungen unterscheidbar machen. Dagegen ist ein Verbot, bestimmte Forschungsgegenstände zu wählen, an Art. 5 Abs. 3 GG zu messen. 253 Auch wenn damit noch kein Recht auf den Zugriff von Erkenntnisquellen verbunden ist, 254 genießt die Embryonenforschung nach Trutes Auffassung genauso die Forschungsfreiheit wie klinische Forschung am Menschen ohne dessen Einwilligung, da es sich hier um forschungsspezifische Tätigkeiten handelt. a) Erlaubte Inanspruchnahme der Rechte Dritter Die gegen einfaches Recht verstoßende Inanspruchnahme solcher Güter ist jedenfalls vom Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG ausgeschlossen. 255 Als Inanspruchnahme bezeichnet man dabei jede Tätigkeit, durch die Rechtsgüter anderer zum Objekt eigener Bestimmung gemacht werden. Der Handelnde geriert sich also so, als sei er nicht Dritter, sondern selbst Inhaber des betreffenden Rechts. 256 Werden fremde Rechte instrumentalisiert, so kann es sich bei diesen fremden Rechten um Beherrschungsrechte wie das Eigentum handeln. Der Gebrauch fremden Eigentums durch Dritte ist nicht per se zulässige Grundrechtsausübung, sondern 252 Siehe m. w. N. unten Viertes Kapitel, B. IV. 3. c) sowie m. w. N. (selbst diesen Ansätzen gegenüber zurückhaltend und eine Schrankenlösung bevorzugend) Ossenbühl, in: Dörr/ Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (513 ff.); vgl. auch die Darstellung bei Mayen, Informationsanspruch (1992), S. 161, der ebenfalls solchen Überlegungen ablehnend gegenüber steht (ders., a. a. O., S. 166 ff.). 253 Trute, Forschung (1994), S. 152. Der Unterschied zum sog. Nägeli-Beschluss des BVerfG (NJW 1984, 1293) ist hierbei, dass das Besprayen fremder Wände durchaus eine kunstrelevante Handlung ist (Trute, Forschung [1994], S. 152 in Anm. 65). 254 Trute, Forschung (1994), S. 153 ff.; siehe auch unten Viertes Kapitel, B. IV. 3. c). 255 So im Ergebnis auch Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 105 f., jedoch mit einer Begrenzung erst auf Schrankenebene. 256 Vgl. hierzu und zum Folgenden Lorenz, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 267 (273).
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ist nur nach Maßgabe einer gesetzlichen Zulassungsentscheidung als berechtigt anzusehen. Ähnlich ist es bei Rechtsgütern der menschlichen Person wie Leben, Körper und Freiheit, deren Unverletzlichkeit zwar grundrechtlich garantiert ist, die aber durch Dritte in gerechtfertigter Weise in Anspruch genommen werden können. 257 Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn der Dritte einwilligt. 258 Gesetzlich erlaubt kann die Inanspruchnahme nach der herrschenden Meinung auch sein, wenn sie dem Schutz anderer Rechtsgüter oder der Allgemeinheit dient, so wie dies wohl in der „Hochrangigkeit“ der Forschung bei § 5 Nr. 1 StZG zum Ausdruck kommen soll. 259 Nun kann jedoch unter dem Vorwand des allgemeinen Rechtsgüterschutzes zwischen „guter“ und „schlechter“ bzw. „nützlicher“ und „unnützer“ Forschung differenziert werden, was nicht nur fragwürdigen utilitaristischen Erwägungen Vorschub leisten, sondern auch in den Kernbereich der Forschungsfreiheit eingreifen würde. 260 Zur Veranschaulichung soll hier die humanmedizinische Forschung, wie sie etwa in klinischen Studien stattfindet, herangezogen werden. Auch Forschung am Menschen soll nach herrschender Meinung durch die Forschungsfreiheit geschützt sein. 261 Wenn es daher heißt, dass sie in Menschenwürde, Leben, Gesundheit und Freiheit des Menschen ihre Grenzen finde, bedeutet das nichts anderes, als dass im Sinne der Kollisionstheorie lediglich eine potentielle Kollisionslage und Abwägungsnotwendigkeit besteht. Wenn man diesen Rechtsgütern auch in der Forschung eine unterschiedliche Wertigkeit zuerkennt, dann können Würde, Leben, Gesundheit und Freiheit gegenüber („hochrangiger“) Forschung nachrangig erscheinen. Die anfangs so klare Wertrelation ändert sich. Die Beurteilung „wichtiger“ humanmedizinischer Experimente hängt dann von den zugrunde gelegten Wertmaßstäben ab. 262
257
Am deutlichsten ist dies wohl bei der strafrechtlichen Notwehr, die es dem Angegriffenen erlaubt, auch Leib und Leben des Angreifers zu schädigen, sofern die Abwehr des Angriffs anders nicht möglich ist. 258 Wissenschaftliche Experimente mit Menschen kann nur deren Einwilligung rechtfertigen. Droht durch ein Experiment die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung, ist eine Einwilligung selbst nach Aufklärung sittenwidrig und nichtig. Eine Einwilligung kann im Übrigen jederzeit widerrufen werden; vgl. hierzu Deutsch/Spickhoff , Medizinrecht (2003), S. 468 f., Rdnr. 683. Bei klinischen Studien ist die Einwilligung der Teilnehmer nach vorheriger Aufklärung zwingend erforderlich, vgl. § 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3, Abs. 2, 2a AMG, eine Ausnahme hiervon sieht jedoch § 41 Abs. 1 Satz 2 AMG in Notfällen, in Abs. 2 bei Minderjährigen und in Abs. 3 bei Nichteinwilligungsfähigen vor; nach Sobota, in: Ziemske/Langheit, FS Kriele (1997), S. 367 (370 ff.) ist die Einwilligung als alleiniges Rechtfertigungsmerkmal problematisch; siehe hierzu auch Taupitz, JZ 2003, 109 (117 f.). 259 Zum Problem der tatbestandlichen Eingrenzung im StZG auf „hochrangige“ Forschung siehe oben Zweites Kapitel, C. III. 4. 260 Enders, Jura 2003, 666 (673). 261 Lorenz, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 267 (268 f.).
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
So findet sich nach der 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) 263 zur klinischen Prüfung in § 41 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 AMG die Möglichkeit, auch Kinder im Rahmen fremdnütziger Versuche heranzuziehen, selbst wenn diese ohne konkreten therapeutischen Nutzen für die Versuchspersonen sind (vgl. Nr. 1). Voraussetzung dafür ist ein Gruppennutzen, eine geringfügige Belastung und eine unbedingte Erforderlichkeit der Forschung. Bis zur 12. Novellierung des Arzneimittelgesetzes waren solche Prüfungen nur im Rahmen von Heilversuchen, in denen die therapeutische Behandlung im Vordergrund stand, erlaubt. 264 Gerechtfertigt wird die neue Rechtslage nicht nur (aber auch) mit der Forschungsfreiheit, die dem „Pharmastandort Deutschland“ zu Gute kommen soll, 265 sondern auch mit den Grundrechten Dritter, die in den Genuss der Ergebnisse solcher Forschung kommen sollen. 266 Einerseits begegnet man hier einer bedenklichen Quantifizierung von Gesundheit und Leben, die selbst nach der Abwägungslösung 267 nur dadurch gerade noch gerechtfertigt sein kann, dass es sich mit der Prüfung um eine Belastung unterhalb der Zumutbarkeitsgrenze handeln muss (vgl. Nr. 2 d). Andererseits kann man in der Voraussetzung der unbedingten Erforderlichkeit der Forschung (Nr. 2 b) bereits eine Verletzung der Forschungsfreiheit sehen. Diese Erforderlichkeit muss dargelegt werden und ist behördlich (u. a. durch die zuständige Ethik-Kommission) zu prüfen. Damit unterliegen forschungsspezifische Fragen staatlicher Kontrolle und Entscheidung.
262
Vgl. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 427 ff. § 41 AMG, zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 27 Gesetz vom 30. 07. 2004, BGBl. I 2031 vom 06. 08. 2004; erlassen aufgrund der Richtlinie 2001/20/EG vom 04. 04. 2001. 264 Laufs, MedR 2004, 583 (588). An Nichteinwilligungsfähigen (§ 41 Abs. 3 AMG) darf keine fremdnützige Forschung vorgenommen werden, hier muss mit der klinischen Prüfung ein konkreter individueller Nutzen verbunden sein, vgl. Begründung des Gesetzentwurfes in BT-Drs. 15/2109, S. 32. 265 Abg. Marlies Volkmer, BT-Prot. 15/103, 9366. 266 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drs. 15/2109, S. 31 f. mit Hinweis auf die Langzeitsicherheit bei der Anwendung von Arzneimitteln an Kindern. Im Übrigen wird beklagt, dass zu wenige Arzneimittel ausdrücklich für Kinder zugelassen sind (vgl. Fegert/ Kölch/Lippert, ZRP 2003, 446 ff., die Langzeitstudien und einen höheren Patientenschutz fordern, sowie BT-Drs. 14/9544, insb. S. 4 f.); zu den verfassungsrechtlichen Bedenken siehe Taupitz, JZ 2003, 109 (114). 267 Die (rein beratende) Zentrale Ethik-Kommission der Bundesärztekammer führt hierzu in ihrer Stellungnahme zur Forschung mit Minderjährigen (Nr. 3. Rechtliche Situation) aus: „Eine Abwägung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG), der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 GG) und der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit potentiell von der Forschung begünstigter Patienten ist grundsätzlich möglich. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fordert auch in solchen Fällen ein angemessenes Verhältnis von Risiko und Nutzen.“ (http://www.zentrale-ethikkommission.de/ 10/25Minderjaehrige/30Recht.html [28. 03.2006]). 263
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b) Inanspruchnahme von Gütern der Allgemeinheit Neben dem Leben, der Gesundheit und dem Eigentum kann die Forschung auch Güter der Allgemeinheit in Anspruch nehmen, die im Gegensatz zu Leben, Gesundheit oder Eigentum privater Bestimmungsbefugnis entzogen sind. Dies können zum Beispiel neben Umweltressourcen wie Luft, Boden und Wasser auch der Tierschutz oder der Schutz vor gentechnisch veränderten Organismen sein. 268 Nach dem weiten Tatbestandsverständnis sind Tierversuche oder gentechnische Experimente zu Forschungszwecken durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. Werden solche Versuche eingeschränkt, gibt es jedoch Schwierigkeiten, wie dies mit verfassungsimmanenten Schranken gerechtfertigt werden könnte. Dies galt insbesondere für Tierversuche vor der Verankerung des Tierschutzes in Art. 20a GG, 269 es lässt sich aber auch auf andere Fälle übertragen. Wird beispielsweise die Wasserbenutzung der Eigentumsordnung entzogen (§ 1a Abs. 4 WHG) und einem staatlichen Bewirtschaftungsermessen unterworfen (§§ 2 bis 4 WHG), ist dies durch Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG gerechtfertigt. 270 Wasserbenutzungen können aus Allgemeinwohlgründen versagt werden (§ 6 WHG). Soll jedoch Wasser im Rahmen von Forschungsaktivitäten benutzt werden, ist fraglich, wie eine Beschränkung von Art. 5 Abs. 3 GG zu rechtfertigen wäre, wenn man sich Art. 20a GG hinweg denken würde. Auch sind im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannte Gemeinwohlbelange denkbar. Lorenz schlägt folgende Lösung vor: Naturressourcen oder Tiere (von einer eigentumsrechtlichen Zuordnung einmal abgesehen), die bei einem weiten Tat268 Vgl. hierzu Murswiek, DVBl. 1994, 77 (79), der ein Grundrecht auf freie Umweltbelastung ablehnt; ähnlich Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (102 ff.), unter Bezug auf die Idee und das Ideal humanistischer Freiheit. Nach Einführung des Art. 20a GG als Staatsziel lassen sich hier Eingriffe in die Forschungsfreiheit mit einer verfassungsimmanenten Schranke rechtfertigen; zur Natur als Grenze der Forschungsfreiheit: Huber, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 31 (41); mit einer Unterscheidung in „Schutz persönlicher Rechtsgüter“, „Schutz von Gemeinschaftswerten“ und „Verwirklichung politischer Ziele“ Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1080 f.). 269 Vom 01. 08. 2002 (Art. 1 Gesetz vom 26. 07. 2002 BGBl. I 2862); vgl. noch zur alten Rechtslage Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 184 ff.: Die Regelungen des Tierschutzgesetzes ließen sich bei Anwendung des herrschenden weiten Verständnisses von Art. 5 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen (ders., a. a. O., S. 189). Für R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (473) gibt es jedoch zu Recht ein legitimes Bedürfnis, Tierversuche zu regeln, er hält jedoch eine Anknüpfung an die Kompetenzregeln des Art. 74 GG für verfassungsdogmatisch unbefriedigend, da „unbeschränkt gewährleistete“ [sic!] Grundrechte sonst einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterfielen; gleicher Ansicht ist Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 45. Hieran zeigt sich bereits die Untauglichkeit der herrschenden Dogmatik; siehe hierzu im Übrigen auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 511; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 383. 270 BVerfGE 58, 300 (328 ff.) – Nassauskiesung.
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bestandsverständnis grundsätzlich zur freien Verfügung des Forschers stünden, werden durch die einfachrechtlichen Normen des Umweltrechts dessen Herrschaftsbereich entzogen. Nimmt er sie in Anspruch, so beeinträchtigt er in gleicher Weise fremde Rechtsgüter wie bei der Inanspruchnahme von Rechtsgütern privater Dritter. Werden also gesetzlich Rechtsbereiche ausgegrenzt und individueller Nutzung entzogen, dann kann deren Inanspruchnahme auch nicht mehr allein kraft Grundrechtsgebrauchs legitimiert werden. 271 So schafft das Tierschutzgesetz einen gegenständlichen Bereich, der durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen der privatrechtlichen Eigentumsordnung entzogen ist. Dadurch entsteht einfachrechtlich ein Eigenwert des Tieres als Sachkategorie und eine eigene rechtliche Ordnung, die zwar rechtsstaatlichen Anforderungen genügen muss, nicht jedoch spezifischen Grundrechtsbeschränkungen unterworfen ist. Eine Benutzung ist auch im Einzelfall nicht als konkrete Grundrechtsausübung zugelassen. 272 Es soll nach Lorenz allein darauf ankommen, ob hinreichend gewichtige Gründe des Allgemeinwohls es rechtfertigten, bestimmte Gegenstände dem privaten Freiheitsgebrauch zu entziehen. Dies hindert den Gesetzgeber aber nicht, über die Einräumung von Nutzungsbefugnissen zu befinden und deren Reichweite festzulegen. 273 Deshalb ermächtigt nach dieser Lösung weder die Forschungsfreiheit noch die Religionsfreiheit zur freien Inanspruchnahme eines durch ein solches Gesetz geschützten Tieres. Wie erwähnt, gewährt nach Enders Art. 5 Abs. 3 GG allein den Schutz wissenschaftlicher Standards. 274 Entscheidet sich der Gesetzgeber, den Embryo weitestgehend vor Schädigung zu bewahren und erklärt er einfachrechtlich mit dem Embryonenschutzgesetz embryonales Leben zu einem Rechtsgut, das vor dem Zugriff Dritter geschützt ist, so ist auch die Wissenschaft von diesem allgemeinen Zugriffsverbot nicht kraft ihrer besonderen Zielsetzungen und Methoden entbunden. 275
271 Lorenz, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 267 (277 f.); vgl. auch BVerfGE 58, 300 (328 ff.) – Nassauskiesung. 272 Lorenz, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 267 (278). 273 Siehe zur Eigenschaft spaltbaren Materials als öffentliche Sache: BVerfGE 49, 89 (146). 274 Enders, Jura, 2003, 666 (673); ders. in: Friauf/Höfling, BK-GG, Bd. I (2003), Vorb. Art. 1, Rdnr. 146; ders. in: Klein/Menke, Bioethik (2004), S. 238. 275 Enders, Jura 2003, 666 (673). Da im ESchG wissenschaftliche Zwecke keinen zusätzlichen Restriktionen unterliegen, erfolgt auch kein Eingriff in die wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit. Der Embryo wird vor jedem Zugriff geschützt, unabhängig, ob er aus Gründen einer PID, der Forschung oder kommerzieller Gründe wegen erfolgt; im Ergebnis so auch Heun, JZ 2002, 517 (523): Der Schutz von Embryonen als Grundlage oder Vorstufe späteren Lebens ist mit Art. 5 Abs. 3 GG auch dann vereinbar, wenn Embryonen selbst keine Grundrechtsträger sind. Lediglich eine Schutzpflicht besteht nicht, das Recht des Staates zum Schutz sehr wohl.
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Gleiches gilt für alle anderen Rechtsgüter und würde dann auch im Wasserhaushalts- oder Gentechnikgesetz gelten. Da die Wasserbenutzung oder die Arbeit mit gentechnisch veränderten Organismen Umweltressourcen in Anspruch nimmt, gestalten diese Gesetze über Art. 14 Abs. 1 GG hinaus die Benutzung positiv aus. Im Umkehrschluss wären solche Benutzungen, solange eine gesetzliche Regelung nicht existiert, aber auch nicht per se unzulässig, außer der Gesetzgeber verletzt durch sein Unterlassen eine Schutzpflicht. 276 Ähnlich wäre auch die Konzeption von Murswiek einzuordnen, der ein Recht auf Umweltverschmutzung generell ablehnt und stattdessen lediglich einen Anspruch auf Teilhabe an knappen Umweltressourcen einräumt: Wo Rechtsgüter gegen Eingriffe Dritter geschützt werden, kann der Wesensgehalt einer grundrechtlich geschützten Freiheit gar nicht berührt sein. Ein Verbot des Zugriffs auf fremde Güter kann nie in spezielle Freiheitsrechte, sondern nur in die allgemeine Handlungsfreiheit eingreifen. 277 c) Eigenmächtige und rechtswidrige Inanspruchnahme Für eine Tatbestandsreduzierung, ggf. auch auf Gewährleistungsebene, sprechen sich Ansichten aus, für die Forschungsfreiheit und pauschale Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter nicht vereinbar sind. Die Schutzpflicht für diese Rechtsgüter bewirkt eo ipso eine Einschränkung der Grundrechte anderer und wirkt damit unmittelbar. 278 Vielmehr ist beispielsweise Forschung am Menschen nur 276 Siehe hierzu VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff. ( = NVwZ 1990, 276 ff.). Ein Verbot für gentechnische Arbeiten ergab sich für den VGH aus der Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 GG, da es 1989 keine gesetzliche Regelung gab, die diese Tätigkeiten ausdrücklich erlaubt hätte. Es hätte einer besonderen gesetzlichen Zulassung bedurft. Der VGH Kassel münzte damit den klassischen liberalen Satz „Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt“ für besonders gefährliche Tätigkeiten in ein „Alles, was nicht erlaubt ist, ist verboten“ um; vgl. hierzu (teilweise krit.) Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556): Der Vorbehalt des Gesetzes werde dadurch unterlaufen, der VGH hätte gem. Art. 100 GG eine Richtervorlage zum BVerfG vornehmen müssen; ablehnend auch Scholz, in: Franßen/Redeker, FS Sendler (1991), S. 93 (96 ff.). 277 Murswiek, DVBl. 1994, 77 (80); der Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG führe aber lediglich zum Vorbehalt des Gesetzes, der Verursacher von Umweltbelastungen könne sich nicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berufen, eine Abwägung entfalle (ders., a. a. O., S. 84); vgl. hierzu auch Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (186). 278 Vgl. Benda, NJW 1986, 1978; VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff. ( = NVwZ 1990, 276 ff.); Hailbronner, WissR 1980, 212 (224); Lerche, in: Lukes/Scholz, Rechtsfragen der Gentechnologie (1986), S. 88 (91); Lorenz, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 267 ff. Nach Hofmann, JZ 1986, 253 (256) bedarf der Wissenschaftler eines „besonderen Rechtfertigungsgrundes“. Fraglich ist jedoch, ob die Eigenmacht entfällt, wenn sie gesetzlich erlaubt ist, z. B. bei klinischen Prüfungen mit Nichteinwilligungsfähigen. Doch auch die Abhängigkeit des Schutzes von einer Eigenmächtigkeit führt zu einer wesentlichen Änderung des Ausgangspunktes: Werden Forscher berechtigt, Grundrechte zu beeinträchtigen, dann ist es der Staat, der durch diese Ermächtigung in die Rechte Dritter eingreift. Ist dieser Eingriff
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insoweit legitim, als dies von der allgemeinen Rechtsordnung erlaubt ist. Eine eigenmächtige Inanspruchnahme ist nicht vom Normbereich umfasst. 279 Dagegen kann nun eingewendet werden, dass die Abhängigkeit des Normbereichs von der allgemeinen Rechtsordnung zu einem Zirkelschluss bzw. zur Schrankenübertragung der Trias aus Art. 2 Abs. 1 GG führen würde. Auch heißt es, die Möglichkeit eines Missbrauchs grundrechtlich gewährleisteter Freiheit könne lediglich rechtfertigender Grund für Eingriffe sein, nicht jedoch für Schutzbereichsbeschränkungen. 280 Bei genauerer Betrachtung verfängt diese Argumentation jedoch nicht, denn bei Art. 2 Abs. 1 GG reicht der Schutz nur so weit, wie Rechte anderer nicht verletzt werden oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung nicht verstoßen wird. Die Verletzung eines Rechts ist dann gegeben, wenn Rechtsgüter in Anspruch genommen werden, die rechtlich ausschließlich einem anderen zustehen (Leben, Freiheit, Persönlichkeit, Eigentum). 281 Die verfassungsmäßige Rechtsordnung kann jedoch Art. 5 Abs. 3 GG nur insoweit beschränken, als sie Belange Dritter schützt. 282 Davon zu unterscheiden ist eine „echte“ Grundrechtskollision, bei der eine grundrechtlich geschützte Rechtsausübung vorliegt, die jedoch zur Konfliktlösung Einschränkungen hinnehmen muss. So genießt Kunst, die das Persönlichkeitsrecht anderer (Ehrschutz) beeinträchtigt, Grundrechtsschutz und ist deshalb nur nach Maßgabe einer Abwägung unzulässig. 283 Anderes gilt, wenn die ausschließlich einem anderen Träger zustehende Rechtsmacht in Anspruch genommen wird. Dann wird der grundrechtliche Schutzbereich immer verlassen. Das ist verfassungsrechtlich anerkannt für die Kunstfreiheit bei Verletzung des Jugendschutzes, 284 für die Inanspruchnahme fremden Eigentums
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, erfolgt das beeinträchtigende Handeln durch die Forschung eigenmächtig und befindet sich damit außerhalb des Gewährleistungsbereichs der Forschungsfreiheit. In diesem Fall hat nicht der Staat die Darlegungslast, sondern der Forscher muss darlegen, dass er nicht ungerechtfertigt Rechte Dritter beeinträchtigt. 279 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 624 ff. Pate hierfür ist die sog. Nägeli-Entscheidung des BVerfG (NJW 1984, 1293 f. – Sprayer von Zürich), ähnlich sind auch die Immanenzlösungen einzuordnen; für die Übertragung auf alle Grundrechte auch Möllers, NJW 2005, 1973 (1978). Forschung ist soweit von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt, als sie die Rechtsordnung einhält. Dies gilt aber nur, soweit der erlaubte Bereich nicht verlassen wird. 280 Markus Winkler, Schutznormkollisionen (2000), S. 240 ff.; vgl. auch die Darstellung bei Trute, Forschung (1994), S. 151. 281 Lorenz, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 267 (273). 282 Hailbronner, WissR 1980, 212 (224 f.), der im Einzelfall dennoch immer eine Abwägung verlangt. 283 BVerfGE 30, 173 (193) – Mephisto. 284 BVerfGE 83, 130 (139 f.) – Josephine Mutzenbacher.
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durch Graffiti-Kunst 285 und für die Meinungs- und Pressefreiheit (Beschaffung von Informationen unter Verletzung der Verfügungsbefugnis des Berechtigten). 286 Wenn nun in solchen Fällen die allgemeine Rechtsordnung als Begrenzung wirkt, heißt das nicht, dass unzulässig die allgemeinen Schranken auf spezielle Grundrechte übertragen werden. 287 Denn nicht schon jeder Verstoß gegen die allgemeine Rechtsordnung liegt außerhalb des Normbereichs eines Grundrechts. 288 Der Normbereich wird erst dann verlassen, wenn die Nichtachtung allgemeiner Vorschriften (und insbesondere die hierin verwirklichten Rechte anderer) eine Benutzung fremder Rechte und Rechtsgüter darstellt. Die Kritik am Sprayer-Beschluss des BVerfG, die darin eine Beschränkung der Kunstfreiheit durch die allgemeine Rechtsordnung sieht, 289 verfängt deshalb nicht. Besteht also ein enger und deutlicher Zusammenhang zwischen entgegenstehenden Rechtsvorschriften und den durch die betreffenden Normen geschützten Rechtsgütern anderer, dann wird der Normbereich verlassen. Fehlt dieser Zusammenhang, dann begrenzen die allgemeinen Vorschriften den Normbereich nicht. Sie beschränken zwar noch immer das spezielle Grundrecht, verbotenes Verhalten muss sich dann spezifisch an ihm messen lassen. 290 Mit anderen Worten: Die allgemeine Rechtsordnung wirkt nur normbereichsbegrenzend, soweit sie unmittelbar dem Schutz von Rechten Dritter zu dienen bestimmt ist. Somit würden etwa das Embryonenschutzoder das Gentechnikgesetz erst gar nicht den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG beschränken, da es primär nicht um Forschungsverhinderung zur Vermeidung unerwünschter Erkenntnisse, sondern um den Rechtsgüterschutz bei der Erkenntnissuche geht. 291 Man kann solche Vorschriften auch als „wissenschaftsneutral“ bezeichnen. 292
285
BVerfG, NJW 1984, 1293 – Sprayer von Zürich (zust. Wendt, in: Münch/Kunig, GG, Bd. I [2002], Art. 5 Rdnr. 93). 286 BVerfGE 66, 116 (137) – Springer/Wallraff; 103, 44 (60) – Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal. 287 Vgl. Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 96. 288 So jedoch – und damit enger – Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 626. Das erinnert an die Frage, ob die Berufsfreiheit auch verbotene Berufe umfasst. Die Lösung wäre folgende: Der Berufskiller könnte sich nicht auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen, der Rechtsberater, der gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt, dagegen schon. 289 Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 151. 290 Ein Zusammenhang lässt sich z. B. zwischen der StVO und der Versammlungsfreiheit herstellen (vgl. hierzu auch Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht [2005], S. 189), während ein Zusammenhang zwischen der Kunstfreiheit und dem sog. Verunstaltungsverbot (z. B. in Art. 11 BayBauO) zu verneinen wäre (a. A. das BVerwG, NVwZ 1991, 983 f., wonach verunstaltende Bauwerke trotz Art. 5 Abs. 3 GG verboten werden können, da und soweit dies im Interesse des Eigentums oder anderer Grundrechte der Nachbarn geschehe). 291 A. A. Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 105 f., für eine Begrenzung bei der Inanspruchnahme der Rechte Dritter erst auf Schrankenebene.
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d) Risiko einer Inanspruchnahme aa) Erlaubte, gefährliche und riskante Handlungen Darüber hinaus gibt es gerade im Bereich der Bio- und Gentechnik Forschungsaktivitäten, die durch erlaubte Tätigkeit Rechte anderer beeinträchtigen und verletzen können. Dies kann in den Abstufungen Gefahr, Risiko, Restrisiko drohen. 293 Zur Gefahrvermeidung besteht eine konkrete Schutzpflicht, hinsichtlich des Risikos muss das Gesetz, das die Tätigkeit erlaubt, eine Vorsorge vorsehen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG, ebenfalls § 1 GenTG). 294 So kann der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eine Erlaubnis erteilen, die zwar rechtmäßig ist, die aber ein Risiko rechtswidriger Verletzungen der Grundrechte Dritter enthält. Als Beispiel mag hier die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen dienen. Die Erlaubnis zur Freisetzung enthält zugleich das Risiko, dass die vom Gesetzgeber gesetzten Grenzen überschritten werden (vgl. § 16a GenTG n. F.). Nach H. Wagner sollen jedoch die Risiken von Wissenschaft und Forschung für andere Grundrechte in angemessenem Umfang als „sozialadäquate“ Last zu tragen sein. Da Forschungsaktivitäten – wie jede freiheitliche Grundrechtsausübung – mit Risiken verbunden seien, schließe das Grundrecht der Forschungsfreiheit diese Risiken begriffsnotwendig mit ein. 295 D. h., hier sei ebenso ein Restrisiko zu tragen wie bei der Kernkraft. 296 Demgegenüber ist Waechter der Meinung, eine hinsichtlich des Nutzens ihrer Ergebnisse und in ihrer Durchführung gefährliche Tätigkeit dürfe nicht durch Art. 5 Abs. 3 gegenüber Art. 12 Abs. 1 GG privilegiert werden. 297 Für eine Forschung, die der Gemeinschaft ein „Restrisiko“ aufnötigt, könne es eine solche Privilegierung nicht geben. Wie bereits erwähnt, meint Murswiek darüber hinaus, dass es im Umweltrecht nicht um die Freiheit desjenigen geht, der Umweltressourcen benutzt, sondern um Teilhabe an diesen (knappen) Ressourcen. So könne sich zum Schutz dieser Ressourcen der Staat ein Bewirtschaftungsermessen einräumen oder die Nutzung ganz verbieten. 298 Eine Grundrechtsausübung liegt dann also gar nicht vor, weil 292
Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 505 (512). BVerfGE 49, 89 (124 ff., 140 ff.); vgl. hierzu Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (179 f., insb. Anm. 18). 294 Vgl. Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (180 f.). Ein Restrisiko technischen Fortschritts muss dagegen nach Auffassung des BVerfG getragen werden (BVerfGE 49, 89 [143] – Kalkar). 295 H. Wagner, NVwZ 1998 1235 (1238). Wagner verweist auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit, die auch Risiken mit sich bringe. Seine Ausführungen hierzu („Angriffe gegen Gesundheit, Leben und Eigentum Dritter“) überzeugen aber bereits deshalb nicht, weil Art. 8 Abs. 1 GG die tatbestandsimmanente Einschränkung „friedlich“ enthält. 296 Vgl. BVerfGE 49, 89 (143) – Kalkar. 297 Waechter, Der Staat 1991, 19 (46 f.). 293
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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der Ressourcenverbrauch gar nicht von der Freiheitsverbürgung umfasst sei. 299 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die oben bereits besprochene Ansicht von Lorenz, die letztlich auf dem allgemeinen Prinzip einer Nichtstörungsschranke beruht, wie es dem Polizeirecht zugrunde liegt. Derjenige, der durch riskantes Handeln eine Gefahr für andere oder für die Allgemeinheit verursacht, verlässt seinen eigenen Rechtskreis und stört die Rechtskreise anderer. Wird ihm nun aufgegeben, sein riskantes Handeln zu unterlassen oder Störungen zu beseitigen, so wird er wieder in seine „Schranken“ verwiesen. 300 Kleindiek und Lerche wollen ebenfalls für Forschung, bei der sich der Prozess der Erkenntnisgewinnung nicht als „konsequenzfreies Probehandeln“ beurteilen lässt, sondern das Risiko einer Einwirkung auf andere Rechtsgüter besteht, aus dem Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 GG ausschließen. 301 Das gilt dann generell für jede Art von gefährlicher oder risikobehafteter Forschung. bb) Fragwürdige Inanspruchnahme Ist nun – wie bei der Stammzellen- oder Embryonenforschung – fraglich, ob einem bestimmten Subjekt überhaupt ein Grundrechtsschutz zukommen kann, scheiden auch Gefahr und Risiko wie oben beschrieben als Kriterium aus. Unsicherheiten in der Beurteilung bio- und gentechnologischer Sachverhalte können zwar unter Verweis auf die Menschenwürde als objektive Kategorie überwunden werden. 302 Die Fragwürdigkeit eines verfassungsrechtlichen Status kann aber auch als eigene Kategorie, als „fragwürdige Inanspruchnahme“ eingeordnet werden,
298 Murswiek, DVBl. 1994, 77 ff.; hierzu auch Lege, in Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (186 f.); ablehnend H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1237 f.): Die „Eingrenzung des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit mit ‚unbestimmten Rechtskniffen‘ liefe letztlich darauf hinaus, jede ‚gefahrgeneigte‘ Forschung auszugrenzen“. Eine solche Vorgehensweise gefährde auch andere Grundrechte. 299 Wenn Murswiek, DVBl. 1994, 77 (83) deswegen jedoch nicht einmal eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für notwendig hält, weil kein Anspruch auf grundrechtliche Freiheit bestehe, dann geht dies angesichts des unabhängig hiervon geltenden Rechtsstaatsprinzips zu weit. Deshalb ist zu vermuten, dass Murswiek a. a. O. die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) meint, bei der die Abwägung mit einem Freiheitsrecht entfällt. Stattdessen muss sehr wohl geprüft werden, ob ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Teilhabe besteht und nicht das Willkürverbot verletzt wird. 300 Als Schranke für vorbehaltlose Grundrechte, Bumke, Grundrechtsvorbehalt (2004), S. 155. 301 Lerche, in: Lukes/Scholz, Rechtsfragen der Gentechnologie (1986), S. 88 (91 ff.); vgl. hierzu auch Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 351. Er nimmt die gesamte gentechnische Forschung aus dem Schutzbereich der Forschungsfreiheit heraus, weil hier eine normbereichsimmanente Nichtstörungsschranke zur Anwendung komme. 302 Enders, in: Mellinghoff/Trute, Leistungsfähigkeit des Rechts (1988), S. 157 (190). Siehe hierzu auch oben Erstes Kapitel, A. V. 1. a).
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
für die die gleichen Maßstäbe wie für die Inanspruchnahme von Gütern oder Interessen der Allgemeinheit gelten können. 303 4. Ergebnis Rechte Dritter können nicht nur, sondern müssen als Begrenzung der Grundrechtsausübung herangezogen werden. Mindestens insoweit ist Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG nur als erlaubte Tätigkeit geschützt. Dieser erste Schritt der Normbereichskonkretisierung wird nicht nur durch die historische Grundrechtsentwicklung gestützt. 304 Dem Forscher, der sich risikobelasteter Technologien bedient, um seinen Erkenntnisstand zu erweitern, sind von ihm verursachte Risiken dergestalt zuzurechnen, dass die risikoverursachende Handlung nicht von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt ist. Dafür kann er aufgrund dieser Risikozurechnung auch die Früchte des Technikeinsatzes genießen, indem er Reputation gewinnt oder Eigentumsrechte für die dadurch gewonnenen technischen Erkenntnisse begründet. 305 Der Ausschluss riskanter Forschung kann bei der Bestimmung des Normbereichs erfolgen, indem entweder bereits auf der Tatbestandsebene Forschung, die (rechtswidrig) Güter anderer in Anspruch nimmt, nicht als Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG eingeordnet wird. Oder man setzt auf der Gewährleistungsebene an und schließt derartige Forschung von der Forschungsfreiheit aus. In beiden Fällen ist es jedoch notwendig, forschungsspezifische Handlungen von anderen zu unterscheiden, da sonst ein besonderer Schutz des vorbehaltlosen Grundrechts nicht möglich ist. Die besondere Eigengesetzlichkeit wissenschaftlichen Handelns muss deshalb noch zusätzlich herausgearbeitet werden. 306 Untauglich ist jedenfalls eine Abwägung erst auf der Rechtfertigungsebene, hierdurch ist es kaum möglich, ohne Verletzung des zuvor postulierten weiten Verständnisses von Forschungsfreiheit Rechte Dritter wirksam zu schützen. Hierzu ist der Gesetzgeber jedoch im Rahmen seiner Schutzpflichten angehalten, damit 303 Anlass für eine derartige Überlegung kann BVerfG, NJW 1984, 1293 geben, da der „Sinn“ der Kunstfreiheit nicht die Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter ist und darüber hinaus der allseitige gesetzliche Schutz nicht nur Rechten Dritter zuteil werden kann (so Enders, in: Mellinghoff/Trute, Leistungsfähigkeit des Rechts [1988], S. 157 [194 f.]); skeptisch aber ders., a. a. O., S. 202. 304 Der Verfassungsgeber ging 1949 ganz selbstverständlich davon aus. Da das BVerfG der historischen Auslegung in seinen methodentheoretischen Grundsatzaussagen geringen Stellenwert zumisst (was nicht der tatsächlichen verfassungsrechtsprechenden Praxis entspricht; siehe m. w. N. Rüthers, Rechtstheorie [2005], S. 507 f., Rdnr. 799 f.) scheint diese Selbstverständlichkeit erst langsam wieder grundrechtsdogmatisch durchdrungen werden zu müssen. 305 Ähnlich auch Lege, in: Kaufmann/Renzikowski, Zurechnung (2004), S. 173 (187). 306 Siehe unten Fünftes Kapitel, A.
B. Das Versagen der Grundrechtsdogmatik
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nicht diese wiederum verletzt werden. Erneut wird das Elend des Gesetzgebers zwischen Über- und Untermaßverbot erkennbar.
V. Konsequenz der herrschenden Grundrechtsdogmatik Die Fixierung der Konfliktlösung mehrdimensionaler Freiheitsprobleme auf die Abwägungsebene führt letztlich zu einem Bedeutungsverlust der speziellen Freiheitsgewährleistungen. Die Abwägung flexibilisiert zwar konkrete Konfliktlösungen, eröffnet jedoch kurzfristig motivierten Zweck-Mittel-Relationen Tür und Tor. Grundrechtlicher Schutz ist nur noch ein Abwägungsfaktor neben vielen anderen. Diesen Bedeutungsverlust kann auch ein weites Tatbestandsverständnis nicht wettmachen. Die häufig interessengeleitete „Aufblähung“ von Tatbeständen führt im Gegenteil zu einer Ausdünnung des grundrechtlichen Schutzes von Lebensbereichen. Politisch gewünschte direkte Beschränkungen vor allem vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte können kaum gerechtfertigt werden, andererseits findet eine Differenzierung hinsichtlich der Schutzintensität eines Grundrechts kaum noch statt. Letztlich trifft damit auch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ein Bedeutungsverlust. Einst dazu gedacht, Universitätsprofessoren freie Rede, qualifizierte Mitbestimmung und eine Grundausstattung zu gewährleisten, wird sie (ähnlich wie die Menschenwürde auf der anderen Seite) zur Einschüchterung verwendet, um gesellschaftliche und ethische Konflikte im eigenen Interesse zu lösen. Dabei wird verkannt, dass die Inanspruchnahme von Forschungsfreiheit in den meisten umstrittenen Fällen nicht mehr als Wert an sich betrachtet wird, sondern dass die Suche nach Wahrheit ganz bestimmten Interessen dient. Entweder geht es um konkrete gesamtgesellschaftliche Interessen (etwa im Falle des Arzneimittelgesetzes um die Arzneimittelsicherheit oder den Pharmastandort Deutschland) oder um kommerzielle Interessen (etwa im Falle bestimmter Industriezweige, die wesentlich in Forschung und Entwicklung investieren und entsprechenden Gewinn erwarten). Die Suche nach Wahrheit als Selbstzweck ist kaum noch abwägungsrelevant. Abwehrrechtlich trifft dies vorrangig auf den individuellen Forscher zu. Das Grundrecht, das individueller Freiheit dienen soll, gewährleistet diese nicht. Der Forscher muss sich den Restriktionen der jeweiligen Organisation unterordnen, der er angehört. Ist er außeruniversitär lohnabhängig beschäftigt, so ist – wie noch zu zeigen ist – seine Forschungsfreiheit mit den Rechten des Arbeitgebers abzuwägen. 307 Hier können nur kleinste Freiheitsräume verbleiben, während der Arbeitgeber die Forschungsfreiheit als Mittel zur Erreichung wirtschaftlicher Zwecke einsetzen kann. 307
Siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. 2.
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Wie schon dargelegt, ist der Forscher innerhalb der Universitäten ebenfalls immer stärkeren Einschränkungen unterworfen, denen Art. 5 Abs. 3 GG keine wesentlichen Grenzen setzt. Weder ist das Recht auf Grundausstattung bezifferbar, 308 noch wird er vor dem „goldenen Strick“ oder dem Verlust an Mitbestimmung bewahrt. Lediglich ein Mindestmaß an organisatorischer Freiheit ist zu gewährleisten, wobei der Bereich, der den Hochschulforscher noch aufgrund der unmittelbaren Geltung des Art. 5 Abs. 3 GG als Abwehrrecht vom Beschäftigten in der Industrie unterscheidet, im Schmelzen begriffen ist. Letztlich ist damit auch die objektivrechtliche Dimension der Wissenschaftsfreiheit einem schleichenden Verfall preisgegeben, zumal sie nur für die Organisationen gelten soll, denen sie vom Staat „verliehen“ worden ist. 309 Forschungsfreiheit ist als interessendurchsetzendes Argument lediglich für solche Organisationen bedeutsam, die wissenschaftlichen Sachverstand mieten können und durch gesetzliche Regelungen in der Gewinnung und ökonomischen Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse behindert werden. Forschungsfreiheit dient damit nicht mehr primär der Schaffung von individuellen Freiräumen, sondern der Konzentration ökonomischer Macht. Art. 5 Abs. 3 GG wird zur vorbehaltlos gewährleisteten Berufs- und Eigentumsfreiheit profitorientierter Forschung. Hierbei besteht jedoch die Gefahr, dass angesichts der politischen Bedeutung der Ökonomie beeinträchtigte Güter Dritter und Allgemeingüter vernachlässigt werden. Nicht nur die Forschung unterliegt einer Utilitarisierung. Dieser Entwicklung stellt die herrschende Grundrechtsdogmatik nichts entgegen, sondern sie passt sich ihr an oder verstärkt sie gar noch. Der Funktionsverlust freier Forschung findet im generellen Funktionsverlust des Grundrechts sein Pendant.
C. Lösungsmöglichkeiten I. Versagen des Rechts – Konjunktur der Ethik? Eine in Richtung Beliebigkeit driftende Grundrechtsdogmatik und ein überforderter Gesetzgeber sind zwei der Ursachen der Krise des Rechts, die Juristen angesichts des technischen Fortschritts hilflos und überfordert erscheinen lässt. 310 Im Zuge der Europäisierung kommt es zwar zu einer massiven Verrechtlichung, die sich aber häufig nicht als problembewältigende Gestaltung, sondern als Verbürokratisierung darstellt. 311 Andererseits zieht sich der Staat aus wichtigen gesellschaftlichen Bereichen zurück und überlässt sie sich selbst. Der gleichzeitige 308 Es gibt „keine fixative Grundausstattung“ (Detmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair [2001], S. 605 [608]). 309 Vgl. BVerfGE 85, 360 (384) – Akademie der Wissenschaften. 310 Vgl. Laufs, Fortpflanzungsmedizingesetz (2003), S. 12, 14. 311 Vgl. Ellwein/Hesse, Der überforderte Staat (1997), S. 38 ff., 80 ff.
C. Lösungsmöglichkeiten
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Ruf nach freierer und verantwortungsvollerer Forschung führt zum Ruf nach mehr Ethik. 312 1. Der Ruf nach mehr Ethik Kant forderte in seinen Vorlesungen: „Die Moral muss mit der Erkenntnis der Menschheit verbunden werden.“ 313 Er erkennt damit zwar ohne Vorbehalt die Eroberung der Welt durch die objektivierende Wissenschaft an, in Bezug auf den Menschen (und die Umwelt) sind es jedoch moralische Maximen und nicht das theoretische Wissen, die als Maßstab für das Handeln dienen sollen. Deshalb trennt er die theoretische von der praktischen Vernunft. 314 Heute scheint seine Aussage umgekehrt zu gelten: Die Erkenntnis der Menschheit muss (wieder) mit der Moral 315 verbunden werden. In seiner Entscheidung zu § 6 HUG 316 meint das BVerfG im Jahre 1978, in Anbetracht der schweren Gefahren, welche die Entwicklung der modernen Wissenschaften in sich berge, sei das Mitbedenken der gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlichen Handelns und wissenschaftlicher Erkenntnis vernünftigerweise ohnehin von jedem Wissenschaftler zu erwarten. 317 Kurz darauf wurde die Forderung nach einer neuen Berufsethik in der Forschung gerade angesichts der 312 Zum Verhältnis von Wissenschaft und Moral: Schulte, VVDStRL 65 (2006), 110 (134 ff.); siehe auch Ruffert, VVDStRL 65 (2006), 146 (193 ff.). 313 Immanuel Kant, in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.), Kant‘s [sic!] gesammelte Schriften, Vorlesungen, Band XXV, Berlin 1966, S. 471, (Winter 1775/1776). 314 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 50. 315 In Übereinstimmung mit dem wohl herrschenden Sprachgebrauch werden die Termini „Moral“ und „Ethik“ synonym verwendet; zu den Begriffen „Ethik“ und „Verantwortung“ vgl. Huber, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 31 (ff.); ebenfalls zum Begriff „Ethik“ (als „Theorie der Moral“) Wolters, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 202 ff. 316 § 6 des Hessischen Unterrichtsgesetzes (HUG) lautete: „Alle an Forschung und Lehre beteiligten Mitglieder und Angehörigen der Universitäten haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis mitzubedenken. Werden ihnen Ergebnisse der Forschung, vor allem in ihrem Fachgebiet, bekannt, die bei verantwortungsloser Verwendung erhebliche Gefahr für die Gesundheit, das Leben oder das friedliche Zusammenleben der Menschen herbeiführen können, so sollen sie den zuständigen Fachbereichsrat oder ein zentrales Organ der Universität davon unterrichten.“ Die Norm ist auch heute noch gleichlautend in Kraft (§ 7 Abs. 2 Hessisches Hochschulgesetz [HHG] in der Fassung vom 31. 07. 2000, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. 03. 2005 [GVBl. I S. 218]). Satz 2 ist verfassungskonform so auszulegen, dass nur bei erheblichen und schwer erkennbaren Missbrauchsgefahren von Forschungsergebnissen eine Informationspflicht besteht (BVerfGE 47, 327 [Ls. 1, 380, 383]). 317 BVerfGE 47, 325 (384) – eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung der Hochschullehrer verstößt deshalb nicht gegen Art. 5 Abs. 3 GG.
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Entwicklungen in der Bio- und Gentechnologie erneut laut, und sie wird seitdem immer wieder neu erhoben. Weil Forschung heute tief in die Lebensbedingungen der Menschen eingreifen könne, müsse sie sich ihrer Verantwortung stellen. 318 Zusätzlich heißt es, der wirtschaftliche Wettbewerb, in dem sich Forschung heute verstärkt befindet, könne dazu verführen, Umsicht und Vorsicht beiseite zu lassen und deren Notwendigkeit und Nützlichkeit in Frage zu stellen. Das Anlegen von „Scheuklappen“, die die Sicht auf das gerade vor dem Forscher Liegende und Kurzfristige einengen, werde empfohlen, gefördert und sogar ausschließlich gefordert. Die Verantwortung reduziere sich auf ein Verständnis von „Berufsethos“, das in der Forschung primär die gewissenhafte und fehlerfreie Einhaltung wissenschaftlicher Standards und Methoden verlange. 319 Damit bestehe grundsätzlich eine sich destabilisierende Situation. 320 Das hat auch die hier vorliegende Untersuchung bestätigt. Je unklarer rechtliche Determinanten sind und je stärker auf eine Selbstregulierung von Forschung in gesellschaftlich umstrittenen Gebieten gebaut wird, desto mehr rückt die Ethisierung der Forschung und Technik in den Mittelpunkt juristischer, (rechts-)philosophischer, soziologischer und wissenschaftstheoretischer Überlegungen. Ethik hat in den Wissenschaften Konjunktur. 321 Man darf schon von einem naiven Vertrauen in die geballte Lösungskompetenz der Bio- und Technikethik bei der Suche nach „richtigen“ Handlungsweisen sprechen. Ethik ist hauptsächlich das Argument, das gegen die Stammzellenforschung vorgebracht wird. Und Ethik ist ein Argument, das für sie sprechen soll. Eine Senatskommission der DFG erklärt zur Bio- und Gentechnik: „Derjenige, der diese Forschung zu behindern versucht, handelt angesichts vieler schwerkranker Menschen unethisch.“ 322 Wie auch immer, Ethik gilt als der Schlüssel zur Problemlösung, kann es 318
So Bayertz, ARSP 2000, 303 (324 f.). So zu Recht H. Hesse, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 7 (17). 320 Dürr, Hans-Peter, in: Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. VI (Vorwort); ebenso Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 197 f. 321 So auch Beyer, GRUR 1994, 541; Wolter, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 199 spricht von „Hochkonjunktur“; Adorno meint hingegen, Ethik sei zur traurigen Wissenschaft regrediert, weil sie bestenfalls zerstreute, in aphoristischer Form festgehaltene „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“ erlaube (ders., zit. nach Habermas, Zukunft [2001], S. 11). 322 DFG, Pressemitteilung Nr. 9 vom 16. 05. 1995, S. 1; vgl. auch die Äußerungen der Abg. Ulrike Flach in der Stammzelldebatte am 30. 01. 2002 (BT-Protokoll 214/21197 f.): „Diejenigen ( . . . ), die alles verbieten wollen, müssen auch bereit sein, den Patienten zu sagen, dass wir nicht jede Chance nutzen, Gewebe zu schaffen, obwohl in Deutschland Tausende Menschen auf eine solche Chance warten. Wer den Import ablehnt, verzichtet bewusst auf durchaus vorhandene Chancen, Therapien für schwere, lebensbedrohende Krankheiten zu entwickeln. Wer den Import ablehnt, muss konsequenterweise auch die irgendwann aus der Stammzellenforschung gewonnenen Medikamente unseren Patienten vorenthalten. Ich halte diese Position auch aus ethischen Gründen nicht für richtig, denn auch 319
C. Lösungsmöglichkeiten
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aber, wie das Beispiel der Stammzellen zeigt, nicht sein. Denn der Ruf nach Ethik wird von der falschen Vorstellung geleitet, dass es auf viele Probleme jeweils eine einzige „richtige“ ethische Antwort gibt. 323 Doch derer gibt es viele, Ethik kann von mehreren vertretbaren Handlungen ausgehen. Dennoch soll ethische Selbstkontrolle an die Stelle des Rechts treten – oder von diesem angeordnet werden. Damit verbindet sich die Hoffnung auf mehr Autonomie und Eigenverantwortung der Forscher und auf größere Flexibilität und Sensibilität im Einzelfall. 324 2. Ethische Normen im Recht Wenn nun vom Recht verlangt wird, es solle ethischen Normen Geltung verschaffen, ist im Rechtsstaat eine prinzipielle Differenz zwischen ethischen und rechtlichen Normen zu beachten. Sie sind hinsichtlich ihres Ursprungs, ihrer Wirkungsweise und ihrer Durchsetzbarkeit voneinander zu unterscheiden. 325 Das bedeutet jedoch noch nicht, dass ethische Normen nicht in das Recht einfließen könnten. Der Regelungsgehalt moralischer Gebote findet sich auch in positiven Rechtsnormen wieder. 326 Die Grundrechte werden vom BVerfG als „Wertordnung“ bezeichnet, und die Verfassung weist entschieden mehr Bedeutungsgehalt auf als ein „ethisches Minimum“. 327 Hier existiert ein wechselseitiges Spannungsverhältnis zwischen Ethik und Recht. 328 Als verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt dient vor allem die Menschenwürde, die damit gleichzeitig Gefahr läuft, „in kleiner Münze“ (Dürig) eingesetzt und in ihrer Bedeutung banalisiert zu werden, so wie dies zum Beispiel Mitleid, Barmherzigkeit und Hilfe für die Kranken sind Grundwerte unserer Gesellschaft“ [Hervorh. d. Verf.]. 323 Vgl. Blanke, KJ 2002, 346 (350): Hinzu komme, dass die biologisch-medizinischen Fakten zu sehr im Fluss seien. Genau von diesen lässt sich jedoch z. B. Merkel, Forschungsobjekt Embryo (2002), S. 247 ff., 254 ff. in seiner ethischen Argumentation leiten. Hierbei werden Risiken bagatellisiert und bloße Zukunftshoffnungen überzeichnet. 324 Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 (198). 325 So zu Recht J. Ipsen, DVBl. 2004, 1381 (1382); auch Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 f.; hierzu auch Lege, in: Atienza/Pattaro, FS Krawietz (2003), S. 217 (218): Recht sei ein eigenes autopoietisches Funktionssystem, was bei der Moral nicht der Fall sei. 326 Wolters, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 199 (203); siehe hierzu die Zehn Gebote (2. Buch Mose 20,2–17): „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“ (8. Gebot) oder „Du sollst nicht töten“ (5. Gebot) und die §§ 186 ff., 211 ff. StGB; dagegen ist „Du sollst nicht ehebrechen“ (6. Gebot) seit 1969 (1. StrRG vom 25. 06. 1969, BGBl. I 645) nicht mehr strafbar. 327 Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe (1967, Nachdr. d. Ausg. Wien 1878), S. 42; siehe hierzu auch die wenig überzeugenden Ausführungen der DFG, S. 34 f. 328 Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 (203).
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beim Tierschutz vor dessen Verankerung in Art. 20a GG der Fall war. 329 Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG wird wiederum dem Wortlaut nach durch das „Sittengesetz“ beschränkt, womit sich die Rechtsordnung der Moral öffnen müsste. Ethische Anschauungen können auch über die Generalnormen des Gefahrenabwehrrechts in das Recht einfließen. Grundrechtsbeschränkende Maßnahmen sollen bei Gefahren für die „öffentliche Ordnung“ erlaubt sein. Dieser Begriff verweist nach dem BVerfG auf die ungeschriebenen Regeln, „deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird“. 330 Bereits an dieser Formulierung zeigt sich die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit, wenn sich die Rechtsordnung der Moral und damit sich wandelnden gesellschaftlichen Anschauungen auf Kosten des positiven Rechts öffnet und diese Maßstab ethischer Vertretbarkeit werden. 331 Problematisch ist dabei weniger der moralische Wandel selbst als vielmehr die Offenheit der Norm für den jeweiligen Interpreten, seine subjektiven Anschauungen als ausschlaggebend und einzig vertretbar anzusehen. Forschungsbeschränkungen werden aber auch unabhängig vom menschlichen Zusammenleben vorgenommen, wie sich in § 7 Abs. 3 S. 1 Tierschutzgesetz zeigt: 332 Tierversuche an Wirbeltieren sind nur dann genehmigungsfähig, wenn sie ethisch vertretbar sind. 333 Wenn das Recht derart vom Forscher verlangt, ethisch
329 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 187; gegen eine Ableitung des Tierschutzes aus Art. 1 Abs. 1 GG auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 511; a. A. Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 383. 330 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 2814 (2815); E 69, 315 (352) – Brokdorf. Die öffentliche Ordnung erlebt derzeit eine Renaissance als Schutzgut bei rechtsextremistischen Versammlungen und wird vom BVerfG als Grundlage für Auflagen i. S. v. § 15 Abs. 1 VersG anerkannt; siehe hierzu Lembke, JuS 2005, 984 ff., 1081 ff. 331 Vgl. hierzu auch BVerwGE 64, 274 (275) – Peep-Show. Das BVerfG geht deshalb mit dem Begriff der öffentlichen Ordnung relativ zurückhaltend um. 332 In BVerfGE 48, 376 ff. – Tierversuche – wurde Art. 5 Abs. 3 GG nicht als Maßstab herangezogen; siehe hierzu oben Zweites Kapitel, C. I. 2. a). 333 Vgl. hierzu Kluge, NVwZ 1994, 869 (871); Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 184 ff.; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 447 ff.; ablehnend Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 172 f., Rdnr. 187, da hier eine Beweislastumkehr zu Lasten des Forschers vorliege (Darlegungspflicht und Glaubhaftmachung der Erforderlichkeit von Tierversuchen nach § 8 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 i. V. m. § 7 Abs. 3 TierSchG), die gegen das Übermaßverbot verstoße; im Ergebnis auch Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 45, 47. Auf die Problematik, ob der Tierschutz (v. a. vor der Ergänzung des Art. 20a GG zum 01. 08. 2002 [Art. 1 Gesetz vom 26. 07. 2002 BGBl. I 2862]) als Verfassungswert zur Einschränkung der Forschungsfreiheit berechtigt, kann hier nicht näher eingegangen werden. Zur Situation nach Änderung des Art. 20a GG insb.
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zu handeln, dann kann es ihn jedoch nur zwingen, seine Überlegungen in dieser Hinsicht darzulegen. Das Ergebnis der ethischen Entscheidung darf nicht rechtlich überprüft werden und ist letztlich immer zu akzeptieren. 334 Ethisches Handeln lässt sich rechtlich nicht erzwingen. 335 Als nicht forschungsbeschränkend einzuordnen ist auch § 6 S. 1 HUG, der mit seiner Verpflichtung, gesellschaftliche Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis mitzubedenken, keine Beschränkung des wissenschaftlichen Denkens und Handelns zur Folge hat, sondern verlangt, die gefundenen Ergebnisse im Hinblick auf mögliche Folgen zu bewerten, d. h. zusätzliche Aspekte mitzubedenken. 336 Im Bereich der Stammzellenforschung kommt hinzu, dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung gerade darin begründet ist, dass es hier einen Konsens über deren ethische Vertretbarkeit nicht gibt. In einer pluralistischen Gesellschaft existiert eine Vielzahl verschiedener höchstpersönlicher moralischer Normen. Damit besteht jedoch auch die Gefahr, dass Ethik die Relativität verschleiert, mit der unterschiedlichen Wertungen oder Interessen um Anerkennung im Recht kämpfen. Verweise auf Ethik sind kein Einbruch der Moral ins Rechtssystem, sondern es handelt sich rechtlich betrachtet bei den genannten Vorschriften um den Versuch der Lösung von Interessen- und Wertungskonflikten, die primär mit Moral oder Ethik nichts zu tun haben. 337 Auch wenn rechtstatsächlich in rechtliche Wertungen indirekt ethische Anschauungen mit einfließen, gibt es hier kein Primat der höchstpersönlichen Ethik.
hinsichtlich der Auslegung von § 8 Abs. 3 Nr. 1 a i. V. m. § 7 Abs. 2 u. 3 TierSchG siehe Spranger, Forschung & Lehre 2002, 596 ff. sowie Lange, KritV 2004, 171 ff. Tierversuche fallen nach Lange (ohne Problematisierung) in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG, obwohl er selbst feststellt, dass die herausragende Stellung des Art. 5 Abs. 3 GG gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG eine möglichst ungehinderte geistige Kommunikation gewährleisten soll (S. 172, 173, auch 176). Im Übrigen hält Lange einen staatlichen Beurteilungsspielraum, ob ein Tierversuch unerlässlich i. S. v. § 7 Abs. 2 TierSchG und ethisch vertretbar i. S. d. § 7 Abs. 3 S. 1 TierSchG ist, für unvereinbar mit Art. 5 Abs. 3 GG. Gerade mit der ethischen Vertretbarkeit werde Forschung als gut oder schlecht, wichtig oder weniger wichtig bewertet (ders., a. a. O., S. 180); im Ergebnis so auch Spranger, Forschung & Lehre 2002, 596 (598); a. A. Pernice, a. a. O., Rdnr. 45 gerade wegen der Änderung des Art. 20a GG. Auch nach der Änderung des Art. 20a GG zeigt der Tierschutz damit das Dilemma eines weiten Normbereichverständnisses, das sich einer differenzierten Analyse der Forschungsfreiheit verschließt. 334 Anderes gilt selbstverständlich, wenn es um den Schutz der Rechte Dritter geht, wie dieser z. B. in der medizinischen Forschung durch Ethik-Kommissionen wahrgenommen wird. 335 H. Hesse, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 7 (18). 336 Trute, Forschung (1994), S. 160 f.; BVerfGE 47, 327 (377) spricht dagegen von einer „verhältnismäßig geringfügigen Beeinträchtigung“. Anderes gilt für die Unterrichtungspflicht des § 6 S. 2 HUG (siehe oben Fußn. 303). 337 Lege, in: Atienza/Pattaro, FS Krawietz (2003), S. 217 (219). Dies gilt insbesondere für die §§ 40 ff. AMG.
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Die Schaffung diverser Ethik-Kommissionen (wie auch in §§ 8, 9 StZG) ist deshalb entweder Kosmetik, da diese lediglich wie eine Behörde rechtliche Voraussetzungen überprüfen können, 338 oder verfassungsrechtlich bedenklich, wenn sich wirklich die Gewissensentscheidung der Mehrheit der Kommissionsmitglieder an die Stelle der Gewissensentscheidung des Forschers setzen dürfte. Letztlich ist eine Pflicht zu ethischem Handeln als rechtliche Kategorie für Entscheidungen untauglich. 339 Nach mancher Ansicht soll auch eine rechtliche Bindung des Forschers an einen „hippokratischen Eid“ zur Beliebigkeit des Staates im Umgang mit der Forschungsfreiheit führen und daher abzulehnen sein. 340 Im Übrigen: Nicht das Recht kann entscheiden, welche ethischen Normen Inhalt des Rechts werden, sondern das kann nur der demokratisch legitimierte Gesetzgeber. Der kann zwar gesetzlich ethisches Handeln verlangen, aber nicht durchsetzen. Gesetzgeberische Entscheidungen sind deshalb nicht auf die Ethik abwälzbar. 341 Ethische Fragen sind Fragen, die in die öffentliche politische Auseinandersetzung im Vorfeld der Gesetzgebung gehören. Je mehr man der Forschung ethische Selbststeuerung zubilligt, desto mehr Fragen werden diesem politischen Forum entzogen. 342 Dies kann gewünscht sein – oder auch nicht. 338 Der „Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung“ kann durchaus ein „Deckmäntelchen“-Vorwurf gemacht werden. Sie hat lediglich beratende Befugnisse. Es ist die genehmigende Behörde, die über die „ethische Vertretbarkeit“ i. S. v. § 5 StZG abschließend entscheidet (vgl. § 6 Abs. 3 bis 5 StZG). Die Zentrale Ethik-Kommission darf bei ihrer Stellungnahme lediglich prüfen, ob die Voraussetzungen des § 5 StZG erfüllt sind (d. h. insbesondere die „Hochrangigkeit“ des Forschungsvorhabens) „und das Forschungsvorhaben in diesem Sinne ethisch vertretbar ist“ (§ 9 StZG); siehe hierzu auch Dederer, JZ 2003, 986 (990 f.). Es handelt sich also lediglich um ein Sachverständigengutachten oder eine unverbindliche Vorprüfung. Mit optimistischerer Sicht auf die Rolle dieser Kommission Schulz, ZRP 2003, 363 (366): Mit der Zentralen Ethik-Kommission seien erste Strukturen einer „rationalen Prozeduralisierung“ der Reprogenetik zu erkennen. Als Ordnungsmodell sei sie am ehesten geeignet, Schutzlücken zeitnah zu schließen und gleichzeitig verantwortbare Handlungsspielräume zu eröffnen. Zu den Beobachtungen aus der Tätigkeit einer Ethik-Kommission siehe Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 (198); allg. zur Tätigkeit von Ethik-Kommissionen im Arzneimittelrecht: Deutsch/ Spickhoff , Medizinrecht (2003), S. 485 ff., Rdnr. 716 ff. Es wäre sinnvoller, von „Gutachterkommissionen“ zu sprechen, die z. B. nach §§ 40 ff. AMG eine Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung der Gefährdung von Rechtsgütern der Patienten vornehmen (wie auch beim Heilversuch der Arzt, siehe hierzu Keller, MedR 1991, 11 [14]). Eine zustimmende Bewertung darf nur nach Maßgabe des § 42 Abs. 1 Nr. 3 AMG versagt werden, wenn die in § 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 bis 9, Abs. 4 und § 41 geregelten Anforderungen nicht erfüllt sind. 339 Ähnlich auch Trute, Forschung (1994), S. 159. 340 Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 164 f., Rdnr. 180. 341 „Ethisch“ ist eine solche Entscheidung damit noch nicht, denn eine Mehrheitsentscheidung ist keineswegs Garant für die Richtigkeit einer Entscheidung (Saueressig, JuS 2005, 105 [106 f.]). 342 Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 (202).
C. Lösungsmöglichkeiten
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3. Mehr Verantwortung in der Forschung durch mehr Forschungsfreiheit Die Gefahr einer verantwortungslosen Forschung kann nie ausgeschlossen werden. Das ist ein Preis, den man für die Freiheit der Forschung zu bezahlen hat. So sehr ethisch denkende und verantwortungsvoll handelnde Forscher gefordert werden, so sehr sprechen viele äußere Bedingungen im Lebensbereich Forschung gegen Forscher mit solchen Eigenschaften. Auf diese äußeren Bedingungen kann sehr wohl Einfluss genommen werden. Verhaltensnormen müssen auf subjektiver Anschauung, Intersubjektivität, Abstimmung bzw. einem bestimmten Verfahren beruhen. 343 Forschungsbereiche und -organisationen, die Freiheit für verantwortungsvolles Handeln gewähren, können gefördert werden. Damit zeigt sich ein elementarer Zusammenhang zwischen individueller Forschungsfreiheit und Ethik. Die Effektivität ethischer Selbstkontrolle hängt zum einen von der inneren Motivation der handelnden Personen ab. Gute moralische Gründe und Einsichten allein garantieren jedoch noch kein entsprechendes Handeln. Es muss zum anderen auch Normbefolgungsanreize geben. Im Wissenschaftssystem kommt klassisch die Furcht vor Reputationsverlust in der scientific community oder der Öffentlichkeit in Betracht. 344 Findet Forschung jedoch individuell oder in einer Organisation außerhalb des Wissenschaftssystems und dessen Öffentlichkeit, also als ökonomisches Handeln statt, zielt sie bestenfalls indirekt auf das Sozialwesen Mensch, sie kalkuliert die Menschen zwar ein, aber nur in Funktionen: als Größe in der Produktion, als Konsumenten oder als Anbieter von Arbeitskraft. 345 Damit ist nicht gesagt, dass sich ökonomisches und verantwortungsvolles Handeln ausschließen. Hier sind jedoch ethische Normbefolgungsanreize wesentlich schwächer ausgeprägt, umgekehrt können ethisch motivierte Entscheidungen durchaus wirtschaftlich und arbeitsrechtlich negative Folgen nach sich ziehen. 346 Dies sind äußere Bedingungen, die die überwiegende Meinung zu Art. 5 Abs. 3 GG entweder ignoriert oder implementiert. Damit greift die Forderung nach Ethik gerade nicht, um Verantwortung im gleichen Maße zu etablieren, wie die Risikopotentiale steigen. Das Bedenken der Folgen ist eben nicht Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Art. 5 Abs. 3 GG, ebensowenig eine Organisation (-sstruktur), die die hierfür notwendige Freiheit einräumt.
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Nach Habermas, so Saueressig, JuS 2005, 105. Günther, in: Becker/Engelen, Ethisierung – Ethikferne (2003), S. 196 (199). 345 So wie es sich im ökonomischen Verhaltensmodell des eigennutzenmaximierenden Homo oeconomicus widerspiegelt, vgl. Engländer, JuS 2002, 535 ( 536 f.). 346 Vgl. Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1074); siehe hierzu auch unten Fünftes Kapitel, B. II. 2. 344
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Dennoch müssen Konflikte, die sich in ethischen Debatten entladen, zu einer Reaktion des Rechts führen. Durch eine gesetzgeberische Entscheidung müssen die Rahmenbedingungen geschützt werden, die individuell verantwortliches Verhalten ermöglichen. Elementar für ein Mehr an wissenschaftlicher Ethik ist also nicht die rechtliche Verpflichtung zu ethischem Handeln, sondern die Schaffung äußerer Bedingungen, die ein solches Handeln sichern und fördern. In der Forschung ist das eine wissenschaftliche Freiheit, wie sie sich in der individuellen Freiheit des Forschers und im öffentlichen Diskurs der scientific community widerspiegelt. Freiheit bedingt Verantwortung. Verantwortung bedingt aber auch Freiheit. Die Risiken und Chancen wissenschaftlicher Erkenntnis – und dies trifft insbesondere auf die Bio- und Gentechnik zu – sind nur durch eine autonome Wissenschaft zu bewältigen. 347
II. Anwendung des historischen Wissenschaftsverständnisses Die historischen Funktionen 348 der Forschungsfreiheit werden auf wenig erstaunliche Weise wieder aktuell, wenn sich Forschungsfreiheit von einer privilegierten Wirtschaftsfreiheit unterscheiden soll. Will man Schutz des freien wissenschaftlichen Diskurses, Schutz vor Beeinträchtigungen durch Dritte und eine staatliche Schutzpflicht für einen Raum mit freier Forschung, drängt sich eine Rückbesinnung auf das auf, was ursprünglich unter Wissenschaft und demzufolge auch unter Wissenschaftsfreiheit verstanden wurde. Damit könnte Art. 5 Abs. 3 GG wieder mehr Prägnanz verliehen werden und zugleich die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern erleichtert werden. Zwei Alternativen bieten sich hierfür an: Einmal eine Eingrenzung auf die historisch geschützte Organisation, innerhalb derer wissenschaftliche Forschung betrieben wird – mit anderen Worten: die Universität; zum anderen eine Eingrenzung auf die historisch geschützte Art des wissenschaftlichen Handelns. Konkret könnte das Ergebnis einer solchen von der Tradition inspirierten Norminterpretation die Exklusion außeruniversitärer (insbesondere privater) Forschung und die Exklusion des wissenschaftlichen Experiments bedeuten. 1. Art. 5 Abs. 3 GG ausschließlich für universitäre Forschung? Ein radikaler Schritt (und Schnitt) wäre es, unter Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG nur die Suche nach Erkenntnis zu verstehen, die als notwendige Einheit
347 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 84 ff., 129 ff.; siehe hierzu auch Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1074), für den der Ruf nach stärkeren ethischen Bindungen der Wissenschaft die logische Folge von deren Ökonomisierung und Vernutzung ist. 348 Siehe oben Zweites Kapitel, A. IV. 2.
C. Lösungsmöglichkeiten
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von Forschung und Lehre stattfindet. Art. 5 Abs. 3 GG bietet dafür durchaus die semantische Offenheit. Abgesehen davon, dass bereits mit den Unterbegriffen „Forschung und Lehre“ allein die Universität gemeint sein könnte, ließen sich diese Begriffe auch als notwendige und abschließende Bedingungen von Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG verstehen, womit größtenteils der universitäre Bereich dem Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG zuzuordnen wäre. Dafür können der spezifische Satzbau der Norm, 349 die Humboldtsche Tradition und die größere Flexibilität im Hinblick auf Forschungsförderungsorganisationen sprechen. 350 Darüber hinaus könnte man die Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG auch auf einige außeruniversitäre Bereiche ausdehnen, 351 die – jenseits der Tradition liegend – Forschung und Lehre zumindest in erheblichem Umfang als Einheit betreiben. 352 Noch radikaler wäre es sodann, in einem weiteren Schritt auf die Interpretation Smends zurückzugreifen und Art. 5 Abs. 3 GG auf eine Mitteilungs- bzw. Meinungsfreiheit für Beamte und Angestellte an Hochschulen zu beschränken. 353 Forschungsfreiheit i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG wäre damit wieder ein reines Kommunikationsgrundrecht, ein spezieller Fall der Meinungsfreiheit für die Hochschulen, womit denn auch das „Grundrecht der Universität“ in seinem ursprünglich nichtinstitutionellen Sinne wieder zu beleben wäre. Bereits jetzt sprechen gegen die letzte der beiden Varianten mehrere Argumente: Zum einen gibt es keine „besonderen Gewaltverhältnisse“ mehr, die dem Beamten nur eingeschränkten Grundrechtsschutz zukommen lassen. Meinungsfreiheit können auch die Hochschullehrer in Anspruch nehmen, insbesondere weil Wissenschaft in der Einheit von Forschung und Lehre Teil ihrer Dienstaufgaben ist (vgl. §§ 4 Abs. 2, 3; 22 HRG). Die Wiederbelebung des Smendschen Verständnisses ist also nicht nur relativ nutzlos, 354 sondern bietet auch keinerlei Schutz gegen die aktuellen Freiheitsbedrohungen, insbesondere an den Universitäten. Inhaltliche
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A. A. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 302 f. So andeutend A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (103); gegen eine Grundrechtsberechtigung von Forschungsförderorganisationen Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 34; für eine Einbeziehung in den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG: Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 112 f. 351 Zu denken wäre hier z. B. an die Forscher der Max-Planck-Institute, die auch Lehraufgaben an Hochschulen übernehmen. 352 Ablehnend hierzu Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 299 ff. 353 Siehe hierzu oben Zweites Kapitel, A. II. 2. 354 Es erfolgte in Reaktion auf die schleichende interpretatorische Entwertung der Grundrechte durch die Verfassungslehre und -praxis der Weimarer Republik, so Trute, Forschung (1994), S. 302. Mit der damaligen grundrechtsdogmatischen Situation ist die heutige nicht vergleichbar. 350
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Beschränkungen in Form eines Verbots, eine bestimmte Lehrmeinung zu äußern, drohen heute nicht mehr. Abgesehen davon, dass längst auch der Beamtenstatus von Professoren in Frage gestellt wird, 355 droht angesichts der Privatisierung und Ökonomisierung staatlicher Forschung die Reduktion des Abwehrrechts auf ein Verständnis als spezielle Meinungsfreiheit zur Marginalisierung der Forschungsfreiheit zu führen. Es ist daher abzulehnen und wird heute auch nicht mehr vertreten. 356 2. Wissenschaftsfreiheit als reine Kommunikationsfreiheit? Noch interessanter am Gedanken einer strengen Anwendung des historischen Verständnisses ist die Folge, damit auch das Experiment aus dem Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 GG verbannen zu können. Ein Großteil umstrittener und ethisch problematischer Forschung würde vom Schutz ausgeklammert. Forschungsfreiheit wäre auf eine reine Kommunikationsfreiheit reduziert. a) Kommunikation und Experiment Kommunikation nimmt schon immer in der Wissenschaft einen zentralen Stellenwert ein. Sie dient der Validierung von Forschungsergebnissen und vermittelt Wissen innerhalb des Systems Wissenschaft und darüber hinaus in die anderen gesellschaftlichen Subsysteme. Sie gibt der Wissenschaft Inhalte und Orientierungen und ermöglicht Kontrolle und Evaluation. 357 Das Abstellen der Wissenschaftstheo-
355 Gegen den Beamtenstatus z. B. Daxner, Die blockierte Universität (1999), S. 21, 157 f.; krit. auch Trute, Forschung (1994), S. 409 ff.; a. A. hierzu Löwer, WissR 1999, 250 (252 ff.). Trute begründet seine Auffassung mit der „Dysfunktionalität“ von Beamtenstatus und Wissenschaft. Der Beamtenstatus sei funktional auf die Erfüllung staatlicher Aufgaben bezogen, nicht auf die Ermöglichung grundrechtlicher Freiheit. Dieser sehr theoretischen Argumentation Trutes muss jedoch entgegengehalten werden, dass die Hochschullehrer einen beamtenrechtlichen Sonderstatus haben, der auch der Freiheitsverwirklichung dient. Zudem führt ein Angestelltenverhältnis in einer Zeit, in der lebenslange Anstellung zum Privileg geworden ist, eher zu einem Weniger denn einem Mehr an Freiheitsausübung. Die Beamtenpflichten fallen dagegen relativ marginal ins Gewicht, da sie mit Art. 5 Abs. 3 GG abgewogen werden müssen; außerdem lässt Art. 5 Abs. 3 GG für die Ermächtigungsnorm des Art. 33 Abs. 4 und 5 GG überhaupt keinen Raum (W. Schmidt, NJW 1973, 585 [586]); vgl. im Übrigen zu Art. 33 Abs. 5 GG unten Fünftes Kapitel, D. II. 2. b) aa). 356 Die grundsätzlich andere Situation Ende der 1960er Jahre verdeutlicht Roellecke, JZ 1969, 726 (729), der die Ansicht vertritt, Art. 5 Abs. 3 GG beinhalte lediglich eine Meinungsfreiheit für Hochschullehrer, was zu einem größeren Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Universitätsverfassung geführt habe. Mittlerweile ist Roellecke selbst von dieser Auffassung abgerückt und hat eine ausdrückliche, wenn auch etwas fatalistisch klingende „Selbstkorrektur“ vorgenommen, vgl. Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 ff.
C. Lösungsmöglichkeiten
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rien auf Erkenntnis und Theorie sowie die grundrechtsdogmatische Betrachtung zeigen, dass Wissenschaftsfreiheit zuallererst als „Denkfreiheit“, „Geistesfreiheit“ oder „Mitteilungsfreiheit“ verstanden wurde und wird. 358 Natürlich ist eine solche Freiheit, wie auch die Glaubens- oder Gewissensfreiheit, nicht auf rein psychische bzw. neuro-biochemische Abläufe beschränkbar, weil ihr dann kein Wert zukäme, sondern sie muss auch in realem Handeln ihren Ausdruck finden. 359 Insofern ist „Kommunikationsfreiheit“ der treffendste Begriff. Denn ausgehend vom Idealismus kennzeichnet wissenschaftliches Handeln die Beteiligung an wissenschaftlicher Kommunikation, d. h. die Gewinnung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch kommunikative Handlungen, einhergehend mit der Bedeutung des wissenschaftlichen Diskurses für die Erkenntnisgewinnung. 360 Heute lässt sich dieses klassische Verständnis von Wissenschaft am ehesten noch in den Geisteswissenschaften beobachten. Anders hat sich dagegen seit der Renaissance die Methodik in den modernen Naturwissenschaften entwickelt. 361 Hier ist Kommunikation zwar ebenso bedeutend wie in den Geisteswissenschaften, die Erkenntnisgewinnung benötigt jedoch experimentelle Methoden, die bewusst die Manipulation der Mitwelt voraussetzen. Das Experiment ist der Versuch, durch eine Anordnung von steuerbaren natürlichen Faktoren einen beobachtbaren Effekt zu erzeugen. 362 Experimentelle Forschung ist damit zugleich auch praktisches Handeln und somit praktischer Umgang mit ihrem Gegenstand, worin sich ein spezifisches Verhältnis zu diesem Gegenstand repräsentiert. 363 Bacon bezeichnete dies als „der Natur ihre Geheimnisse wie auf der Folterbank abpressen“. 364 Die Einführung der experimentellen Methode zur Erkenntnisgewinnung erschöpft sich also nicht nur in ihrer erkenntnisreproduzierenden Funktion. Ein experimentierender Forscher „denkt“ und „kommuniziert“ nicht nur, indem er eine Versuchsanordnung aufbaut und ihre Variablen ändert, sondern er greift auch materiell in die entsprechenden Naturprozesse ein und handelt in einer Form, 357
Trute, Forschung (1994), S. 112. Siehe hierzu oben Zweites Kapitel, C. IV. 2. 359 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 101 m. w. N. Geschützt ist nicht nur die innere Gewissensfreiheit (forum internum), sondern auch die Gewissensbetätigungsfreiheit (forum externum); siehe hierzu auch Trute, Forschung (1994), S. 112 ff., der wissenschaftliche Kommunikations- und Handlungszusammenhänge unterscheidet. 360 Siehe unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). 361 Zur damit notwendigen Verbindung von Wissenschaft und Technik bereits in der Neuzeit: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 52 ff., 61. 362 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 41; Wolters, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 199 (201). 363 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 51. 364 Nach Dürr, Hans-Peter, in: Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. IV (Vorwort). 358
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
die über kommunikative Betätigung hinausgeht. Er beobachtet und beschreibt nicht nur die Realität der Natur, wie sie ihm unverändert zur Verfügung steht, sondern manipuliert sie, um diese Realität konkreter beobachten und beschreiben zu können. Während durch bloßes Denken keine fremden Rechtsgüter tangiert werden und durch Kommunikation nur ein bestimmter Rechtskreis betroffen sein kann, können auf das Experiment die moralischen Kategorien „gut“ und „böse“ angewendet werden. Das Experiment hat Auswirkungen auf die Umwelt, die über die Kategorien wissenschaftlichen Denkens („wahr/unwahr“) hinausgehen. Die moralische Entlastung von Wissenschaft, die ihr aus der Separierung vom Handeln, also von der Anwendung des Wissens, erwuchs, ist damit obsolet. 365 b) Exklusion des Experiments Es ist daher daran zu denken, ob sich nicht bei der Bestimmung der Forschungsfreiheit folgende Differenz wieder finden müsste: Die Freiheit, einen bestimmten Gegenstand zum Objekt des Beobachtens, Denkens und Beschreibens zu machen, ist von der Freiheit, einen bestimmten Gegenstand zum Objekt des Handelns zu machen, zu unterscheiden. Mit der Legitimität des einen ist über die Legitimität des anderen noch nichts ausgesagt. Deshalb wird auch bestritten, dass Art. 5 Abs. 3 GG nicht nur die Wahl der Forschungsmethode, sondern auch deren Durchführung schützt. 366 Die ideellen Konsequenzen von Wissenschaft als Theorie sind andere als die materiellen Konsequenzen, die mit dem Forschungshandeln verbunden sind. 367 Derartige Handlungen könnten nur durch andere Grundrechte (Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt sein. 368 Stützen lässt sich diese These sicher durch ein gewichtiges Argument: Während im 19. Jahrhundert experimentelles Handeln innerhalb kleinerer Räume (Labor usw.) stattfand und Risiken in erster Linie nur beteiligte Personen treffen konnten, ist im Laufe des 20. Jahrhunderts dieser „Werkbereich“ 369 verlassen worden. Die 365
Bayertz, ARSP 2000, 303 (321). So für die Arbeit „mit gefährlichen technischen Mitteln“ m. w. N.: Waechter, Der Staat 1991, 19 (44 f.). 367 Bayertz, ARSP 2000, 303 (322); so auch Arnold Köttgen, Deutsches Universitätsrecht (1933), S. 114: Es sei darauf abzustellen, ob „objektiv ( . . . ) Veränderungen der Außenwelt ausgelöst“ werden (ders., zit. nach Mayen, Informationsanspruch [1992], S. 90, Anm. 45). 368 So zum Schächten BVerfGE 104, 337 (345 f.). In dieser Entscheidung wurde vom BVerfG nicht die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit geprüft, sondern die Berufsfreiheit (bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit). Die Religionsfreiheit wurde sodann erst in der Angemessenheit mit einbezogen (a. a. O., 352); ähnlich auch die Konkurrenzlösung von Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 419 f. (sog. Additionsprinzip). 369 Die für die Kunst vorgenommene Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich (vgl. BVerfGE 30, 173 [189]) wird für die Forschungsfreiheit gemeinhin abgelehnt (vgl. 366
C. Lösungsmöglichkeiten
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Art der Fragestellung ebenso wie die Größe der involvierten Technologien machen es heute in bestimmten Forschungsbereichen unmöglich, das angestrebte Wissen innerhalb der herkömmlichen Grenzen der sozialen Institution Wissenschaft zu erzeugen. Die Idee von Wissenschaft als Institution für folgenlose Irrtümer ist anachronistisch. 370 Die Poppersche Wissenschaft, die Fehler begehen darf und muss, um Erkenntnis zu erlangen, wird gefährlich. 371 „Wissen“-schaft ist zur „Machen“schaft geworden. 372 Das „Postulat der Wert(urteils)freiheit der Wissenschaft“ hat ausgedient. 373 Stattdessen rückt eine Wissenschaft in den Vordergrund, die Fehler vermeiden muss. Dieses Dilemma zeigte sich bereits in der Atomtechnik und zeigt sich heute vor allem in der Bio- und Gentechnik. Wissenschaft ist nicht mehr folgenlos. Sie stellt nicht mehr (neutral) Optionen bereit, deren Nutzung in positiver oder negativer Hinsicht anderen überlassen bleibt. Die Naturwissenschaften verkörpern einen Typus von Rationalität, der allgemeine Geltung in allen Lebensbereichen beansprucht. 374 Derartige Wissenschaft hat eine problemkonstituierende und problemdefinierende Autorität gewonnen. Der entscheidende Konflikt verläuft nicht mehr dort, wo wissenschaftlich-technische Innovationen ein etabliertes Weltbild in Frage stellen, sondern dort, wo Wissenschaft in die Lebensweise und die Lebensbedingungen der Menschen eingreift. Diese Entwicklung könnte sich rechtlich in folgender Unterscheidung widerspiegeln: Handlungen können dem Denken, Schreiben und Reden (und damit der wissenschaftlichen Kommunikation) oder der Manipulation der Natur und des Menschen (und damit dem technischen Handeln) zugeordnet werden. Man würde damit zwischen einer Kommunikationsfreiheit und einer wissenschaftlichen Handlungsfreiheit unterscheiden. 375 Nur Erstere ist durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. Wird wissenschaftliche Erkenntnis in die Tat umgesetzt – und sei es auch nur, um neue Erkenntnisse zu gewinnen – dann tritt lediglich der Schutz durch Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG in Kraft. Dann müssten sich Sicherheitsvorschriften lediglich an allgemeinen Verhältnismäßigkeitskriterien messen lassen. 376 Der
Waechter, Der Staat 1991, 19 [33 f.]; Kleindiek, Risikogesellschaft [1998], S. 193 f., 198; Kirchhof, Verfaßte Freiheit [1986], S. 8). 370 Vgl. Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 7 ff.; Bayertz, ARSP 2000, 303 (323); Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 198. 371 Siehe oben Drittes Kapitel, A. IV. 3. a). 372 Dürr, Hans-Peter, Das Netz des Physikers (1988), S. 10 f., zit. nach Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 17. 373 Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 7 f. 374 Dies gilt aber ebenso für die Wirtschaftswissenschaften, insbesondere für die Betriebswirtschaft. 375 Siehe hierzu die Gedanken von R. Herzog (in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I [2003], Art. 4, Rdnr. 7 f.) zur religiösen Handlungsfreiheit; siehe oben in Zweites Kapitel, C. IV. 2. a).
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Zweck der Handlungen, hier aus wissenschaftlichen Gründen, könnte dann eventuell im Rahmen der Angemessenheit in der Abwägung berücksichtigt werden. 377 Damit wäre es möglich (aber nicht notwendig), wissenschaftliches Handeln in gesetzlichen Vorschriften zu privilegieren. Dieser Gedanke ließe sich auch auf Experimente beschränken, die Rechte Dritter beeinträchtigen, gefährden oder das Risiko einer Beeinträchtigung mit sich bringen. Damit wäre man jedoch im Ergebnis wieder im Bereich der bereits dargestellten Immanenzlösungen, die die Inanspruchnahme anderer Rechte aus dem Normbereich ausschließen, 378 nicht im Bereich einer tatbestandlichen Abgrenzung zwischen Kommunikation und Experiment. Gleiches gilt, wenn überlegt wird, ob nicht die technische Forschung bereits de lege lata mit einem Gesetzesvorbehalt versehen ist – oder de lege ferenda versehen werden müsste. 379 Dies zeigt bereits, dass es differenzierendere Lösungen als den generellen Ausschluss des Experiments gibt, der die Forschungsfreiheit übermäßig begrenzen würde. 3. Einwände gegen die Exklusion außeruniversitärer und experimenteller Forschung Gegen die erste Möglichkeit, die Beschränkung auf Forschung, die in Einheit mit Lehre betrieben wird, sprechen weniger die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung und die herrschende Grundrechtsdogmatik zu Art. 5 Abs. 3 GG. Es sind vielmehr die Veränderungen, denen Universitäten, Wissenschafts-, Forschungsund Lehrbedingungen insbesondere seit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 unterworfen sind. Der politische Status der Universitäten hat sich von der Ordinarienüber die Gruppen- zur Managementuniversität vielfach geändert. Eine Intensivierung des ausgedünnten Grundrechtsschutzes ist mit einer Reduzierung auf die Universitäten nicht verbunden. Umgekehrt provoziert die ökonomische Effizienz, die heute von den Universitäten erwartet wird, geradezu Forschungsaktivitäten, die gesellschaftlich genauso konfliktreich sein können wie in der außeruniversitären 376 Vgl. Waechter, Der Staat 1991, 19 (44 ff.); nach R. Dreier, DVBl. 1980, 471 (474), ist hier die Schutzintensität durch Art. 5 Abs. 3 GG bereits geringer, so dass sich hier in einer Einzelanalyse mit den verfassungsimmanenten Schranken gut arbeiten ließe. 377 So das BVerfG in E 104, 337 (346, 353 f.) – Schächten. Dort wurde zwar das Verbot des Schächtens an Art. 2 Abs. 1 GG geprüft, dieser wurde jedoch durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG „verstärkt“, d. h. in die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit einbezogen. Siehe hierzu Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (2005), S. 238; krit. zu E 104, 337 ff.: Hain/Unruh, DÖV 2003, 147. 378 Siehe oben Viertes Kapitel, B. IV. 3. 379 Vgl. Waechter, Der Staat 1991, 19 (45); so auch der Gedanke von Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 42, der allerdings unentschieden bleibt (eine Unterscheidung von grundlagentheoretischer und angewandter Wissenschaft sei als Gewichtungskriterium für ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz vorstellbar).
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Forschung. 380 Aber auch eine zweckungebundene Wissenschaft im Humboldtschen Sinne könnte sich zu konfliktreicher Forschung hinreißen lassen, ja, dies gar in stärkerem Maße, je losgelöster sie von praktischen Nutzungserwägungen ist. 381 Gegen die zweite Möglichkeit, die Exklusion des Experiments, spricht wissenschaftstheoretisch bereits der „Kritische Rationalismus“ Poppers: „Jede Erfindung, jede wirklich neue technische Erfindung falsifiziert eine bis dahin verifizierte Theorie, nämlich die Theorie, daß es so etwas nicht gibt, nicht geben kann.“ 382 Grundlage aller wissenschaftlichen Prozesse ist der Informationszugang. 383 Wissenschaftliches Denken beginnt mit der Beobachtung, der sodann eine Idee folgt. Insofern kann man das Experiment als besondere Form der Beobachtung betrachten, d. h. einer Art des Informationszugangs, die sich nicht vom Griff ins Bücherregal unterscheidet. Damit ist es als elementare Voraussetzung jeglicher wissenschaftlicher Betätigung einzuordnen, zumal es immer der Erkenntniserweiterung dient. Auch wenn bei diesem Typus der handlungsbasierten Forschung Denken und Handeln zusammenfallen und auf diese Weise mit dem Experiment die klassische idealistische Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis zumindest partiell aufgehoben wird und werden muss, können experimentell orientierte Wissenschaften ohne diese Kombination nicht existieren. Auch würde mit der Exklusion des Experiments ein elementarer Bestandteil freier und risikoarmer Wissenschaft aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG gedrängt. Neuzeitliche Wissenschaft, wie sie sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelt hat, ist durch die Strukturmerkmale Experiment, Gesetz und Fortschritt gekennzeichnet. Der experimentelle Zugang zur Natur ist Voraussetzung, um deren Gesetzmäßigkeiten mit dem Ziel eines fortschreitenden Erkenntnisstandes zu entdecken. Das Experiment dient der empirischen Überprüfung naturwissenschaftlicher Hypothesen, ohne experimentelle Handlungen wäre naturwissenschaftliche Theorie nicht möglich. Technik ist dabei die notwendige Voraussetzung wis380 Die Nivellierung zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung (in den Naturwissenschaften) betont bereits Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 305. 381 Weniger überzeugend die Argumentation von Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 305 f., die auf die Chancen und Möglichkeiten individueller wissenschaftlicher Entfaltung und den gesellschaftlichen und kulturellen Nutzen der Forschungsarbeit abstellt. Entscheidender ist die Schutzbedürftigkeit, sind die Bedrohungen individueller wissenschaftlicher Freiheit, die unabhängig von der Organisationsform bestehen. 382 Popper, Gesellschaft–Universum (1983), S. 30. 383 Siehe hierzu Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat (1992); zum Datenschutz als (gesetzliche) Grenze der Forschungsfreiheit in staatlichen Einrichtungen Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 167 ff., Rdnr. 182 ff.
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senschaftlicher Erkenntnisoperationen. 384 Wissenschaft und Technik lassen sich deshalb ebenso wenig trennen wie Beobachtung und Experiment. Denn auch die Beobachtung kann bereits Auswirkungen auf die Natur haben, man denke an Satelliten, Sonden oder Bohrungen. Experimentelles Handeln als nicht mehr von der Forschungsfreiheit umfasst zu sehen, wäre zwar revolutionär, aber wenig überzeugend. Denn damit wäre der Schutz der Wissenschaft als nur rein geistig-schöpferischer Akt des forum internum auf wenige Segmente der Erforschung der Wirklichkeit beschränkt. 385 Ein solches Ergebnis findet auch in der historischen Entwicklung der Forschungsfreiheit keine Grundlage. 386 Damit würde genau der Fehler, der der überwiegenden Meinung vorzuwerfen ist, nämlich ein bestimmtes verfassungsrechtliches Wissenschaftsverständnis für allgemeinverbindlich zu erklären, das nur auf einen Bereich des Lebensbereichs Wissenschaft zugeschnitten ist, 387 in die entgegengesetzte Richtung begangen. So wie der Grundrechtsschutz nicht auf den gesamten Lebensbereich Forschung erstreckt werden darf, so darf er nicht auf ein mittlerweile sehr kleines Segment beschränkt werden. Nicht jede wissenschaftliche Erkenntnisoperation muss von der Forschungsfreiheit umfasst sein, es kann aber auch nicht jedes Experiment hiervon ausgeschlossen werden. Die Durchführung eines Experiments ist daher grundsätzlich von der Forschungsfreiheit umfasst, 388 sofern damit nicht Rechte Dritter oder Rechtsgüter der Allgemeinheit in Anspruch genommen oder gefährdet werden. 389
III. Schutzpflicht des Staates für die Freiheit außeruniversitärer Forschung Eine weitere denkbare Möglichkeit ist es, eine umfassende staatliche Schutzpflicht für die Freiheit der Forschung anzunehmen, die über die staatliche Verantwortung für die Hochschulen hinausreicht. 390 Ist mit der Wissenschaftsfreiheit ein objektiver Wert konstituiert, könnte man annehmen, dass der Staat diese in ganzer Breite schützen und fördern muss. Die Reichweite der Schutzpflicht wäre
384 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 50 f; vgl. auch Trute, Forschung (1994), S. 128; Mayen, Informationsanspruch (1992), S. 90 f. 385 Vgl. Mayen, Informationsanspruch (1992), S. 91. 386 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 82. 387 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 83. 388 Trute, Forschung (1994), S. 128, zu Recht für den Ausschluss der Entwicklung und den Bau eines Instruments, mit dem neues Wissen erzeugt werden soll, in welchem aber lediglich bekanntes Wissen in Technik umgesetzt wird. Experimentelle Entwicklung, wie sie für Industrieforschung typisch ist, fällt daher nicht in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG. 389 Siehe oben Viertes Kapitel, B. IV. 4.
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hierbei mit Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts einerseits und der mit ihm kollidierenden Rechtsgüter andererseits zu bestimmen. 391 Kollidierende Güter sind im Bereich privat organisierter Forschung zumeist Art. 12, 14 sowie Art. 2 Abs. 1 GG. Dabei wäre fraglich, ob sich Vorschriften, mit denen sich der Staat schützend und fördernd vor eine zweckungebundene Forschung stellt oder diese ermöglicht, mit den genannten Grundrechten vereinbaren ließen. Denn grundsätzlich kommt der Staat seiner Verpflichtung zur Schaffung und Erhaltung einer zweckungebundenen Forschung mit dem Unterhalt der Hochschulen nach. Er ist nicht verpflichtet, diese in allen Bereichen, in denen Forschung stattfindet, auch zu verwirklichen. Während ein umfassender Schutz beim Grundrecht auf Leben 392 gerechtfertigt werden kann, wird dies bei der Forschungsfreiheit kaum möglich und letztlich kontraproduktiv sein. Eine Schutzpflicht für zweckungebundene Forschung führt nicht zur Unzulässigkeit von zweckgebundener, angewandter und kommerzieller Forschung. Auch wenn sich in zweckgebundener Forschung organisationsrechtliche Bestimmungen wie Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechte für Forscher sowie eine gesetzliche Veröffentlichungspflicht grundsätzlich mit der Wirtschaftsfreiheit vereinbaren ließen, 393 so wird eine derart weit ausgreifende Schutzpflicht letztlich doch unangemessen sein, da viele Forschungsfelder außerhalb der Hochschulen für Private unattraktiv würden. Eine sog. bedingte Schutzpflicht nimmt M. Blankenagel für den Fall an, dass aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung die Räume für freie Wissenschaft immer geringer werden. Werde die Bedeutung einer freien und offenen Wissenschaft immer mehr verkannt und die Nivellierung zwischen Universitäten und privater, kommerziell ausgerichteter Forschung verstärkt, dann habe der Staat die Verpflichtung, auch offener (freier) wissenschaftlicher Betätigung außerhalb staatlicher Einrichtungen mehr Raum zu verschaffen. 394 Zugespitzt hätte nach dieser Lösung der Staat ein Wahlrecht: Will er Universitäten zu Unternehmen machen, muss er Unternehmen dazu anhalten, freiere Forschung zu gewährleisten. Eine solche Schutzpflicht führt jedoch ins Leere. Es ist ohne Sinn, eine derartige sekundäre Schutzpflicht des Staates anzunehmen, gerade weil er seiner primären Pflicht, nämlich dem Schutz der Universitäten
390 So auch M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 164 ff. Bei der Auslegung von Normen und Verträgen hätte der Richter sodann diese Dimension von Art. 5 Abs. 3 GG zu berücksichtigen, insbesondere bei der Anwendung von Generalklauseln. 391 Vgl. BVerfGE 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II. 392 Vgl. BVerfGE 39, 1 (36 f.); 88, 203 (251 ff.) – Schwangerschaftsabbruch I und II. 393 Vgl. BVerfGE 50, 290 (322, 338, 340) – Mitbestimmung. 394 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 169 ff., 243, mit konkreten Folgerungen für das PatG und ArbEG (dies., a. a. O., S. 173 ff.).
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und anderer freier Forschungseinrichtungen, nicht nachkommt. Der Verstoß gegen eine verfassungsrechtliche Pflicht kann nicht dadurch geheilt werden, dass eine neue Pflicht konstruiert wird.
IV. Ausweg: Die Verdichtung der Forschungsfreiheit Im Ergebnis reduziert sich die Frage nach der „Zukunft“ der Forschung auf zwei Alternativen: Entweder bedeutet „Zukunft“ weitestgehend eine grundrechtliche Privilegierung der Forschung wirtschaftlich orientierter Organisationen mit einem Rumpf an individueller Forschungsfreiheit im Rahmen einer engen Zweckbestimmung. Oder „Zukunft“ bedeutet das Maß individueller Freiheit in der Forschung, ohne das freie wissenschaftliche Erkenntnissuche nicht möglich ist. Der freie wissenschaftliche Erkenntnisprozess ist das Element des Lebensbereichs Forschung, das der Gesellschaft am meisten nützt, und nur dieser Prozess legitimiert den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG. Die grundrechtsdogmatische Diskussion um die Grundrechtsdimensionen zeigt, dass die Diskrepanz zwischen einem in der Verfassung verbrieften Abwehrrecht und tatsächlich realisierbarer Freiheit bei der Grundrechtsinterpretation zwingend berücksichtigt werden muss. Ein weiter verfassungsrechtlicher Forschungsbegriff ist hierbei kontraproduktiv. Der Schwerpunkt der Forschung ist in der Realität immer weiter in den außeruniversitären Bereich gerückt, und Forschung ist eine Erkenntnissuche, die zum einen sehr stark von kommerziellen Interessen und zum anderen von einem hohen Risiko für Mensch und Umwelt und gewichtigen ethischen Problemen geprägt ist. Die Entwicklung der Forschung und die Entwicklung der Forschungsfreiheit haben bisher fast nichts miteinander zu tun und haben zu keiner konsistenten Verbindung gefunden. 395 Als Argument für die Offenheit des Wissenschaftsbegriffes kann auch weder das „Parallelgrundrecht“ der Kunstfreiheit noch das Postulat einer „Selbsterzeugtheit“ des Wissenschaftsbegriffs, der die Grundrechtsinterpretation zu folgen habe, herangezogen werden. 396 1. Keine Parallele: Kunst und Kommerz Der Forderung nach einer Intensivierung des Schutzes der wissenschaftlichen Forschung aus Art. 5 Abs. 3 GG kann nicht die Bewertung der Kunst und ihrer Vermarktung entgegengehalten werden, obwohl es sich systematisch anbieten würde. 397 Auch wenn beide Grundrechte die gleiche Schrankenkonstruktion haben, 398 Auftragskunst unstreitig unter den Kunstbegriff fällt und dies gar auch für
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Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (695). Vgl. Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (493): Eine Analogie zu anderen Grundrechten sei prinzipiell nicht möglich. 396
C. Lösungsmöglichkeiten
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Werbung gelten kann, 399 kann der hier geltende Grundsatz „pecunia non olet“ 400 nicht ohne Weiteres auf die Forschung übertragen werden. 401 Ein „freies Spiel der (kommerziellen) Kräfte“ unter Beibehaltung eines sehr offenen Normbereichs hat in der Kunst andere Auswirkungen als in der Wissenschaft. Bei der Kunst handelt es sich um ein grundlegend anderes gesellschaftliches System, das nach anderen Mechanismen funktioniert. 402 Das gilt auch, wenn manche Elemente – vor allem in persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht – gleich oder vergleichbar sind. 403 Auch Kunst hat eine Eigengesetzlichkeit, auch Kunst beruht in starkem Maße auf individueller Freiheit. Aber hier gibt es keine Notwendigkeit, bei der Bestimmung des Normbereichs die Möglichkeit der Vermarktung der Ergebnisse grundrechtlichen Handelns zu berücksichtigen. Nur kurz sollen die wesentlichen Argumente skizziert werden: 1. Kunst ist in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft wesentlich freier von utilitaristischen Erwägungen. Kunst unterscheidet sich von anderem menschlichem Tun gerade darin, dass ein schöpferischer Akt im Vordergrund steht. Kunst kennzeichnet Emotionalität, nicht Rationalität. Somit kann Kunst kein unmittelbarer Nutzen zugesprochen werden, wie er v. a die technische Forschung im Rahmen des Fortschritts kennzeichnet. Von Kunst wird zwar die Reflexion, nicht jedoch die Lösung gesellschaftlicher oder technischer Probleme erwartet.
397 Vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 236; für die Kunstfreiheit als Auslegungshilfe der Forschungsfreiheit: H. Wagner, NVwZ 1998, 1235 (1239). 398 BVerfGE 47, 327 (368) – Hess. Universitätsgesetz – unter Bezug auf E 30, 173 (188 ff.) – Mephisto. 399 Zur Werbung für ein Kunstwerk BVerfGE 77, 240 (251) – Herrnburger Bericht; auch Tonträger sind von der Kunstfreiheit umfasst, E 36, 321 (330) – Schallplatte; zur Auftragskunst Kamp, Kommerz (2004), S. 120 m. w. N.; zur Werbung als Meinungsfreiheit BVerfGE 102, 347 (359 ff.) sowie 107, 275 (280 ff.) – Benetton. Den Bereich der Kunstfreiheit hat das BVerfG hier offen gelassen (E 102, 347 [369]), obwohl diese in E 47, 327 (368) als lex specialis zu Meinungsfreiheit eingeordnet wird und daher in E 102, 347 hätte geprüft werden müssen. 400 Vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 238 ff. m. w. N. 401 Für eine grundsätzlich unterschiedliche Interpretation von Kunst- und Forschungsfreiheit: Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 140; für die Presse- und die Rundfunkfreiheit als Referenzgrundrechte: A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (98 f.); gegen eine Übertragbarkeit der Rundfunkfreiheit auf Art. 5 Abs. 3 GG: Roellecke, JZ 1969, 726 (730) sowie Ladeur, DÖV 2005, 753 (757) mit dem richtigen Einwand, dass die Rundfunkfreiheit nicht der Verwirklichung individueller Freiheit diene (sondern der Kontrolle gesellschaftlicher und politischer Macht). 402 Siehe auch Weber, Wissenschaft als Beruf (1919/1995), S. 16 f.: Im Gegensatz zur Wissenschaft kenne die Kunst keinen Fortschritt. 403 Die grundsätzlichen Ausführungen zur Wissenschaftsfreiheit im Hochschulurteil (BVerfGE 35, 79 [112 ff.]) ähneln frappierend den in E 30, 173 (188, 190) – Mephisto – gemachten Ausführungen zur Kunstfreiheit.
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2. Kunst ist individueller. Auch wenn bestimmte Felder der Kunst von Ressourcen, Organisation oder Ausbildung abhängig sind, ist sie insgesamt davon deutlich weniger als die Forschung geprägt. Die tatsächliche Voraussetzung freier wissenschaftlicher Tätigkeit ist hingegen die Teilhabe an den Ressourcen einer wissenschaftlichen Einrichtung, wie sie zumeist nur in Gestalt der Hochschulen zur Verfügung steht. Das gilt auch für die wissenschaftliche Ausbildung. Kunst ist dagegen Jedermann möglich. 404 Deshalb hat die Kunstfreiheit einen nahezu ausschließlich abwehrrechtlichen Charakter, eine Schutzpflicht im Sinne von Instituts-, Organisations- und Leistungsrechten existiert nicht. 405 Wenn das BVerfG von einer „verfassungsrechtlichen Pflicht, die Freiheit des Lebensbereichs Kunst zu schützen“ spricht, 406 ist damit die abwehrrechtliche Dimension der Kunstfreiheit gemeint, keine Schutzpflicht. Wissenschaftliche Forschung und Lehre werden im Gegensatz zur Kunst durch die Notwendigkeit einer bestimmten Methodik, das Erfordernis einer Vorbildung und das Angewiesensein auf ein spezifisch wissenschaftliches Publikum so aus den allgemeinen Lebenszusammenhängen herausgehoben, dass hier eine institutionelle Absicherung vonnöten ist. 407 3. Kunst ist offen. Kunst ist im Gegensatz zur Wissenschaft von formalen Kriterien losgelöst. Da Kunst keine Unterscheidung zwischen „wahr“ und „unwahr“ zum Gegenstand hat, ist sie nicht der Nachprüfbarkeit verpflichtet. Schöpferischer Gestaltungsakt und Interpretationsmöglichkeit multiplizieren die Offenheit des geschützten Bereichs. 408 Während die scientific community für die jeweiligen Forschungsdisziplinen und -bereiche strenge Anforderungen an Methoden und Darstellung hat, existieren solche Maßstäbe für die Kunst nicht in gleicher Weise. 4. Kunst ist freier von wirtschaftlicher Fremdsteuerung. Zwar gibt es im Unterhaltungsbereich, vor allem in der Musik und im Film, auf kommerziellen Erfolg ausgerichtete Kunst, gleiches gilt für Auftragskunst. Ob jedoch ein Kunstwerk den Publikumsgeschmack trifft und ökonomische Nützlichkeitserwartungen erfüllt, ist kaum konkret anhand der Gestalt des Werkes bestimmbar. Es bleibt zu häufig Zufall und Zeitgeist überlassen, welche künstlerische Leistung erfolgreich ist. Noch viel stärker als in der Wissenschaft sind die Ergebnisse der Kunst nicht planbar, ist 404 Joseph Beuys merkt hierzu an: „Jeder freie Mensch ist kreativ. Da Kreativität einen Künstler ausmacht, folgt: nur wer Künstler ist, ist Mensch . . . Jeder Mensch ist ein Künstler“; vgl. hierzu Bodemann-Ritter, Claudia (Hrsg.), Joseph Beuys, Jeder Mensch ein Künstler, Gespräche, 6. Aufl., Berlin 1997; auf die „gewaltigen“ Unterschiede zwischen dem Subsystem Kunst und dem Subsystem Wissenschaft weist auch A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (97 f.) hin; vgl. auch Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (493). 405 Insbesondere besteht kein Anspruch auf Kunstförderung, vgl. BVerfGE 36, 321 (331) – Schallplatte. 406 BVerfGE 67, 213 (225) – Anachronistischer Zug. 407 Schlink, Der Staat 1971, 244 (249). 408 Vgl. zum offenen Kunstbegriff BVerfGE 67, 213 (224 ff.) – Anachronistischer Zug.
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der Entstehungsprozess der Kreativität der Künstler und der Verwertungsprozess der Interpretation und dem Geschmack der Konsumenten unterworfen. Kunst ist häufiger „erfolglos“, wenn sie anhand quantitativer oder qualitativer Reaktionen des Publikums gemessen wird. 5. Kunst, die vielfältige Verflechtungen mit kommerziellen Zwecken hat, wird seltener in Konflikte mit Grundrechten Dritter oder natürlichen Ressourcen kommen. Zwar gibt es auch hier Berührungspunkte, zu denken ist beispielsweise an das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder den Jugendschutz. 409 Das der Forschung innewohnende typische Konflikt- und Risikopotential durch die Verbindung mit der Technik fehlt jedoch. 410 Deshalb sind auch Vorschriften, die die Kunst verfassungsgemäß beschränken, im konkreten Fall wieder einschränkend im Licht des Art. 5 Abs. 3 Alt. 1 GG auszulegen. 411 2. Präzisierung des Normbereichs unter Beachtung der Eigengesetzlichkeiten der Wissenschaft Der bislang verfolgte Ansatz einer Berücksichtigung des Verhältnisses der Forschungsfreiheit zu Rechten Dritter genügt noch nicht, um den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG präziser zu bestimmen. Um die Forschungsfreiheit nicht nur einzuschränken, sondern auch im Gegensatz zur heute überwiegenden Auffassung zu verdichten, ist als Ausgangspunkt die Entstehungsgeschichte der Wissenschaftsfreiheit heranzuziehen. Sie konturiert die vom Grundgesetz adressierten Gefährdungslagen. 412 Dabei ist von folgenden Prämissen auszugehen: Art. 5 Abs. 3 GG dient nur dem Schutz freier Wissenschaft, denn nur diese ist in der Lage, den divergierenden Anforderungen gesellschaftlicher Interessen gerecht zu werden. Nur freie Wissenschaft ist im interessen- und gruppenübergreifenden Sinn wirklich gesellschaftlich nützlich. Als solche ist sie zusammen mit der Bildung Teil der Kultur, nicht der Ökonomie. Nur hieraus kann sich die Legitimität eines besonderen Schutzes durch ein vorbehaltloses Grundrecht ergeben. Die Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG muss die Eigengesetzlichkeiten wissenschaftlichen Handelns bei der Zuordnung grundrechtlicher Freiheiten berücksichtigen. 413 Oder als Frage formuliert: Wie muss Wissenschaft bzw. Forschung als alltagssprachlicher Lebensbereich 409
Vgl. BVerfGE 30, 173 (193) – Mephisto; E 83, 130 (139) – Josephine Mutzenbacher. Zumindest in Bayern erregte eine Auseinandersetzung Aufsehen, in der es um die historische Aufarbeitung einer angeblichen homosexuellen Beziehung Ludwigs II. zu Graf Holnstein ging, siehe hierzu Süddeutsche Zeitung vom 29. 09. 2005. 410 Auf die wesentlich stärkere Konfliktträchtigkeit der Forschungsfreiheit weist auch Hailbronner, WissR 1980, 212 (223 f.) hin. 411 BVerfGE 81, 278 (297) – Bundesflagge. 412 Vgl. Möllers, NJW 2005, 1973 (1978).
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beschaffen sein, um Wissenschaft bzw. Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG sein zu dürfen? 414 a) Primat des Rechts Das Recht entscheidet nicht, was der Lebensbereich Forschung ist und wie weit er reicht. Umgekehrt ist es nicht so eindeutig, ob der Lebensbereich Forschung über die rechtliche Reichweite der Forschungsfreiheit entscheiden kann. 415 Einer präziseren Normbereichsbestimmung wird jedenfalls entgegengehalten, Wissenschaft sei eine im Kern rechtsexogene Seinsgegebenheit, die nur ihre eigenen Gesetze kenne. 416 Daher habe der verfassungsrechtliche Wissenschaftsbegriff dem Wissenschafts- und Selbstverständnis der scientific community zu folgen. 417 Daraus kann man den Schluss ziehen, Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG müsse identisch mit dem Lebensbereich Forschung sein. Resultat ist jedoch dann letztlich das bereits beschriebene Problem grenzenloser Forschung(-sfreiheit). Roellecke sieht nun verschiedene Wege, dieses Problem zu lösen: Der bequemste und breiteste Weg sei: schlicht ignorieren; der plausibelste: historisch erklären; der ehrlichste Weg: einfach entscheiden. 418 Will man also ehrlich sein, muss zuerst einmal festgestellt werden, dass immer das Primat des Rechts zu gelten hat. 419 Hierzu noch einmal Roellecke: „Dem Recht kann in der Tat nur das Recht sagen, was Wissenschaft ist.“ 420 Man möchte es 413
Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 238; auch A. Blankenagel, AöR 1980, 35
(48). 414 A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (48 f.) ist zu Recht der Meinung, die Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG dürfe nicht die Eigengesetzlichkeit des Bereichs Wissenschaft im Dunkeln lassen. Der Funktionsmodus der Wissenschaft sei mit Hilfe der Wissenschaftssoziologie zu bestimmen. Eine Definition des Wissenschaftsbegriffs müsse primär sozialbezogen und erst in zweiter Linie kognitiv (d. h. modal) definiert werden. Es müsse der funktionale Bezug hergestellt werden. Ziel A. Blankenagels ist am Ende aber auch ein formaler Wissenschaftsbegriff (siehe ders., a. a. O., S. 70); krit. hierzu Trute, Forschung (1994), S. 72 ff. 415 Vgl. Losch, Wissenschaftsverantwortung (1993), S. 107 f; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 168 ff. (unter Befürwortung eines beschränkten staatlichen Definitionsgebotes, ders., a. a. O., S. 176 ff.); siehe hierzu auch ausführlich Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation (1987); Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium (1993). 416 Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 7; nach Schlink, Der Staat 1971, 244 (255, 256 f.) wolle Rupp mit seinem „anarchischen“ Wissenschaftsverständnis die subjektive Autonomie des Wissenschaftlers betonen. 417 Siehe nur Trute, Forschung (1994), S. 59; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 2 f. 418 Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (683); so auch Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 26: Der Abgrenzung des Schutzbereichs bedürfe es hic et nunc.
C. Lösungsmöglichkeiten
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deutlicher ausdrücken: Nur das Recht kann dem Recht sagen, was Freiheit der Wissenschaft sein kann und darf. Deshalb ist es nicht nur legitim, sondern notwendig, die dogmatischen Probleme der Wissenschaftsfreiheit über eine rechtliche Definition des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG zu lösen. Der Annahme, dass das Recht gerade nicht definieren dürfe, was Wissenschaft sei, und damit der Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 GG ausschließlich „sachgeprägt“ und nicht „rechtserzeugt“ sei, 421 ist nur insoweit richtig, als damit ein inhaltliches Definitionsverbot gemeint ist, d. h., dass der Staat kein Recht hat, „richtige“ oder „unrichtige“ oder gar „gute“ oder „böse“ Wissenschaft zu differenzieren. Folglich verbietet sich das auch bei der Grundrechtsinterpretation. Falsch ist es jedoch, bei der Bestimmung der Tatbestände „Forschung“ und „Lehre“ allein auf ein außerrechtliches Verständnis zurückzugreifen. 422 Art. 5 Abs. 3 GG ist eine Norm, die nicht nur einen Tatbestand hat, sondern auch eine Rechtsfolge. So ist die Rechtsfolge bei der Interpretation des Tatbestandes zu berücksichtigen – und umgekehrt. Bei der Forschungsfreiheit kann dies zu verschiedenen Lösungsansätzen führen, was sich bereits bei der Schrankenproblematik anhand des Gegensatzes zwischen Immanenz- und Abwägungslösungen gezeigt hat. b) Vom Lebensbereich Forschung zum Normbereich Forschung Ausgehend von F. Müller ist es ein Irrtum, Norm und Normtext gleichzusetzen und der Wirklichkeit unverbunden entgegenzusetzen. Umgekehrt irrt genauso, wer die Wirklichkeit unverbunden der Norm entgegensetzt. 423 Stattdessen ist eine Norm immer in einen sog. (sachgeprägten) Normbereich und ein sog. (rechtserzeugtes) Normprogramm zu differenzieren. Aus dem Normtext ist ein Normprogramm zu entwickeln, mit seiner Hilfe aus dem Lebenssachverhalt (dem sog. Lebensbereich) der Normbereich. Nicht der Normbereich prägt das Normprogramm, sondern umgekehrt. Erst recht prägt nicht der Lebensbereich den Normbereich. 424 419 Vgl. nur BVerfGE 67, 213 (225) – Anachronistischer Zug: Bei der konkreten Rechtsanwendung müsse immer entschieden werden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. 420 Roellecke, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 681 (695); ebenso für eine Tatbestandsreduktion: Waechter, Der Staat 1991, 46 ff. 421 Vgl. Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 69 zum Tatbestand „Forschung“. Schlink, Der Staat 1971, 244 (255 f.) verweist zu Recht darauf, dass auch Wirtschaft, Politik, Ehe und Familie wie jedes System sozialen Handelns rechtsexogene Seinsgegebenheiten seien, die nach eigenen Gesetzen lebten. Art. 5 Abs. 3 GG habe die Funktion, [nur] solches Recht als verfassungswidrig auszuschließen, dass die Bedingungen für die Selbststeuerung der Wissenschaft beseitigen wolle. 422 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 175 f. 423 Vgl. F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 124 f., 147 f.; krit. zu diesem Band und zur sog. Strukturierenden Rechtslehre Lege, AöR 2004, 466 ff.
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Allerdings ist bei der Bestimmung des Normprogramms der soziale Lebensbereich „Wissenschaft“ bzw. „Forschung“, d. h. die soziale Bezogenheit dieser Begriffe, durchaus zu berücksichtigen. 425 Dies führt zu einer gewissen „Doppelbödigkeit“, da ein solches „sachgeprägtes Ordnungsmodell“ 426 zwar eine strukturelle Analyse erfordert, 427 dies jedoch nicht die Deckungsgleiche zwischen Lebensbereich und Normbereich bedeutet. Wie sehr bei der Norminterpretation, d. h. bei der Bestimmung von Normprogramm und Normbereich, auf soziale Gegebenheiten zurückgegriffen wird, ist wiederum davon abhängig, wie sich diese mit dem konkreten Normprogramm vereinbaren lassen. Hierbei ist nicht automatisch davon auszugehen, dass es innerhalb der Wissenschaft nur eine Definition von Wissenschaft gibt. Wissenschaftstheorie, -geschichte oder -soziologie bieten divergierende Modelle an. Dass sich bestimmte Forschungsbereiche in ihrem jeweiligen Selbstverständnis als „wissenschaftlich“ betrachten, ist noch nicht ausreichend, ihnen auch „Wissenschaftlichkeit“ zuzusprechen. Elemente eines disziplinübergreifenden Konsenses sind hilfreich, jedoch nicht allein ausschlaggebend, da das Verständnis der scientific community einem Wandel unterliegen kann und unterliegt. 428 Auch können die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Wissenschaftlichkeit nicht auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner beschränkt sein. Unter Anwendung von F. Müllers Begrifflichkeiten muss also unterschieden werden: Erstens der Lebensbereich, d. h. „die Wissenschaft“ bzw. „die (wissenschaftliche) Forschung“ nach dem konsensualen Verständnis der scientific community. Zweitens, ausgehend von den Grundrechtsdimensionen, das Normprogramm des Art. 5 Abs. 3 GG, das ist die „Gewährleistung und Förderung der Freiheit der Wissenschaft“. Damit ist Impetus dieser Norm der Schutz eines Systems, das sich durch einen besonderen gesellschaftlichen und kulturellen Nutzen auszeichnet. 429 Dessen spezifische Besonderheiten und Eigengesetzlichkeiten wirken zurück auf die Interpretation dessen, was drittens der Normbereich ist, nicht ist oder sein 424 Vgl. F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 125, zum Normbereich dies., a. a. O., S. 201 ff., 400 ff.; vgl. hierzu auch Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 20; Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 71; Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 107 (117 ff.). 425 So auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 500. 426 F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I (2002), S. 202. 427 Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 69, 71. 428 So unterscheidet sich das idealistische Wissenschaftsverständnis Humboldts mit seinem engen Bezug zur Bildung, seiner Zweckfreiheit und theoretischen Ausrichtung deutlich vom Verständnis der Neuzeit oder der Gegenwart, vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 61, 78, 118. An Hexenwahn und Rassetheorie sei nur nebenbei erinnert, vgl. hierzu mit weiteren Beispielen z. B. Heldrich, Freiheit zum Irrtum? (1987), S. 11 ff.; Prause/ Randow, Der Teufel in der Wissenschaft (1989). 429 Siehe unten Fünftes Kapitel, B. III. 1.
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muss, d. h. „Wissenschaft (bzw. wissenschaftliche Forschung) i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG“. Der soziale oder disziplinäre Bedeutungsgehalt von „Wissenschaft“ ist nur ein Anhaltspunkt und kann nicht eins-zu-eins auf den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG übertragen werden. Er setzt die äußersten Grenzen des Lebensbereichs und zugleich des denkbar möglichen Normbereichs, dessen genauer Umfang sich jedoch erst in Verschränkung mit dem Normprogramm ergibt. Wenn nach der Definition des BVerfG die „Suche nach Wahrheit“ ernsthaft und planmäßig betrieben werden muss, so ist dies nur der Rahmen, außerhalb dessen jedenfalls planlose und unernsthafte Suche nach der Wahrheit (oder etwas anderem) nicht in den Tatbestand von Art. 5 Abs. 3 GG fallen kann. Außerhalb der modalen bzw. kognitiven Wissenschaftsdefinition kann es jedenfalls keine Wissenschaft und Wissenschaftsfreiheit geben. Innerhalb dieses Rahmens ist jedoch eine weitere Differenzierung notwendig: Letztlich fällt (nur) die Wissenschaft unter Art. 5 Abs. 3 GG, die von den Elementen (zweck-)freier Wissenschaft geprägt ist. Das Programm dieses Grundrechts ist dabei der Schutz individueller freier wissenschaftlicher Betätigung gerade auch in ihren Bezügen zum gesellschaftlichen, organisatorischen und letztlich auch technologischen Wandel. Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG soll nicht nur den Fortschritt vorantreiben, sondern ihn zugleich kritisch begleiten. Sie soll nicht nur Grundlage einer beruflichen Ausbildung sein, sondern Menschen zu selbständigem und verantwortungsvollem Handeln befähigen. Das Programm der Wissenschaftsfreiheit dient nicht vorrangig der Privatwirtschaft, sondern ist wie diese (vgl. auch Art. 14 Abs. 2 GG) so zu optimieren, dass sie (auch) dem Allgemeinwohl dient. 430 Diesem Programm dient eine individuelle Freiheit der Wissenschaft am besten. Ihre konkrete Funktion ist in Relation zu ihrer Rechtsfolge, d. h. zu ihrer vorbehaltlosen Gewährleistung, zu setzen, die einen besonders konzentrierten Schutz enthält. c) Konkrete Ansatzpunkte einer Normbereichspräzisierung Eine präzisere Bestimmung des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG hat zwei Ansatzpunkte, die nun im Weiteren verfolgt werden sollen: − die tatsächliche und beabsichtigte Verwertung von Erkenntnissen, die zwar im Lebensbereich Forschung gewonnen werden, deren Verwertung jedoch nur begrenzt mit wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit vereinbar ist; − die Präzisierung dieser Eigengesetzlichkeit als Autonomie und Teilnahme an wissenschaftlicher Kommunikation.
430
Siehe zur Idee einer Sozialgebundenheit der Forschungsfreiheit oben Drittes Kapitel, C. II. 1. b).
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4. Kap.: Zukunft der Forschung und Gefährdung ihrer Freiheit
Es wird sich zeigen, dass entgegen der überwiegenden Auffassung der Forschungszweck entscheidend für die Bestimmung des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG ist. Ob Forschung „frei“ ist, hängt nämlich wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen und in welchem rechtlichen Rahmen ihre Erkenntnisse verwertet werden sollen. Soll das Ergebnis wissenschaftlicher Tätigkeit in möglichst vielen Patentanmeldungen bzw. kommerziell erfolgreichen Produkten bestehen, wird Forschung unter anderen Rahmenbedingungen stattfinden, als wenn das Ergebnis (lediglich) die Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs sein soll. Es manifestiert sich in diesen Bedingungen, ob Forschung sich „lohnen“ soll, 431 oder ob Wissenschaft als Kultureinrichtung betrieben wird. Hierzu ist festzustellen, dass die Berücksichtigung von Funktionen eines Grundrechts für das Gemeinwesen plausiblere und stimmigere dogmatische Ergebnisse ermöglicht. Die Frage nach dem „Sinn“ und der „Bedeutung“ von Wissenschaftsfreiheit hat dabei für die konkrete rechtliche Ausgestaltung eine erhebliche Bedeutung. Sie erfordert eine Vorstellung davon, welche Bedürfnisse und Interessen, Güter und Werte geschützt werden sollen. 432 Betrachtet man Art. 5 Abs. 3 GG als Ausprägung eines Kulturstaatsgedankens, 433 wird etwas anderes geschützt sein, als wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland geschützt sein soll. Wird über die Forschungsfreiheit diskutiert, müsste nicht um Schrankenübertragungen und kollidierende Verfassungswerte, sondern um die soziale Funktion und die philosophische Legitimation von freier Wissenschaft in unserer Gesellschaft gestritten werden. Hierbei darf die Differenz zwischen hehrer wissenschaftlicher Selbstbeschreibung und der Realität nicht ignoriert werden. 434 Wenn die Forschungsfreiheit auf alle Forschungsbereiche, insbesondere auf privatwirtschaftliche Forschung, ausgeweitet wird, und gleichzeitig Universitäten zu Unternehmen werden dürfen, ohne dass dem Art. 5 Abs. 3 GG entgegensteht, dann muss wieder der reale Schutz individueller Forschungsfreiheit in den Mittelpunkt rücken. Wenn das nicht erreicht wird, wird die Freiheit der Wissenschaft bald genauso anachronistisch sein wie Humboldts Bildungsideal. Smend wies sehr vorausschauend 1927 darauf hin, dass akademische Freiheit keine Selbstverständlichkeit sei und es sie vielleicht in absehbarer Zeit nicht mehr gebe. Die 431 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 30; Kamp, Kommerz (2004), S. 55: „Ohne Ausweitung des Erkenntnisstandes ist kein Gewinn zu erzielen“; hierzu Dolata, Ökonomie der Gentechnik (1996), S. 197: Die Prozeduren der Zukunftsgestaltung unterstünden damit in ganz entscheidendem Maße dem gesellschaftlich wenig zugänglichen Bereich privatwirtschaftlicher Rationalitätskonzepte. 432 Bayertz, ARSP 2000, 303 (304). 433 Vgl. Pernice, in: Dreier H., GG, Art. 5 III, Rdnr. 22; Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 23; siehe auch oben Zweites Kapitel, C. IV. 1. a). 434 Siehe zur vermeintlichen Selbstlosigkeit von Forschung oben Drittes Kapitel, B. I. 1.
D. Resümee
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Ereignisse ab 1933 bestätigten diese Vorahnung. Aber auch heute gilt noch (oder wieder): Akademische Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb gibt es Art. 5 Abs. 3 GG.
D. Resümee Das Vierte Kapitel widmete sich der Zukunft von Forschung und den verschiedenen allgemeinen grundrechtsdogmatischen Ansätzen zu ihrer Erfassung. Die Bedeutung der Forschung für die Gesellschaft kann utilitaristischen und ökonomischen Determinanten folgen – oder kulturstaatlichen. Werden dergestalt gesellschaftliche Relevanzansprüche an die Forschung gestellt, spiegelt sich das in der grundrechtlichen Interpretation wider. Dabei zeigt sich, dass die herrschende Grundrechtsdogmatik dazu neigt, sowohl die Forschungsfreiheit als auch mit ihr kollidierende Güter als Werte unter vielen zu betrachten, die je nach Konfliktlage mit weiteren Werten aufgeladen werden können. Je nach Lage des Falles überwiegt dieser Wert andere Werte oder nicht. Damit hängt die „Zukunft“ der Forschungsfreiheit davon ab, was der jeweilige Verfassungsinterpret für opportun hält. Steht die Forschungsfreiheit anerkannten gesellschaftlichen oder politischen Zielen im Weg, wird sie entwertet, dient sie bestimmten erwünschten Zielen, steigt ihr Kurs. Das ist nur möglich, weil ein weites Normbereichverständnis mit einer umfassenden vorbehaltlosen Gewährleistung kombiniert wird. Dadurch wird jedoch ein Mehr an Freiheit nicht gewährleistet, sondern die Abwägung widerstreitender Werte nach den jeweiligen Angemessenheitsvorstellungen ermöglicht. Das entwertet jedoch die Grundrechte und damit auch die Forschungsfreiheit. Sie benötigt intensiveren Schutz und deutlichere Grenzen. Beides soll im nächsten Kapitel erarbeitet werden, in dem die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft bestimmt wird.
Fünftes Kapitel
Das „Differenzierungsmodell“ – Rekonstruktion des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 1 GG A. Grundgedanken des „Differenzierungsmodells“ I. Ergebnis der Differenzierung: Die Spiegelbildlösung Wie gezeigt, ist der Lebensbereich Wissenschaft radikalen Wandlungen unterzogen. Vor allem die Verbindung von Wissenschaft und Technik hat dazu geführt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem bedeutenden wirtschaftlichen und politischen Faktor geworden sind. Es ist nicht mehr entscheidend, ob wissenschaftliche Erkenntnis „wahr“ oder „unwahr“ ist, sondern welcher kommerzielle und politische Nutzen diesen Erkenntnissen zukommt. Zugleich bezieht der wissenschaftliche Erkenntnisprozess die Umwelt in bisher unbekanntem und kaum abschätzbarem Maße in die Gewinnung von Erkenntnissen und die Schaffung von Risiken mit ein. 1 Wie im 4. Kapitel dargestellt, reagiert die Grundrechtsdogmatik hierauf entweder gar nicht oder mit Lösungen, die der Problematik nur unzureichend gerecht werden. Insbesondere die weiten Tatbestandstheorien mit ihrer Fixierung auf die Abwägungsebene öffnen bei Konflikten einer gewissen Beliebigkeit und Interessendurchsetzung Tür und Tor. Der Interpretation von Art. 5 Abs. 3 GG als einem klassischen individuellen Abwehrrecht 2 liegt die sicher richtige Annahme zugrunde, dass eine individuell gewährleistete Wissenschaftsfreiheit der Gesellschaft am besten dient. 3 Diese Interpretation ist jedoch angesichts der Veränderungen im Wissenschaftsbereich, die diese Freiheit bedrohen, obsolet. Stattdessen ist eine Funktionalisierung notwendig, die Art und Maß der Fremdbestimmung von Forschungshandlungen berücksichtigt. 4 1
Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 137. Vgl. Flitsch, Funktionalisierung (1998), S. 79, der auf den Gegensatz zur Meinungsäußerungsfreiheit hinweist, die nach der Rspr. des BVerfG an Zweck, öffentliche Aufgabe und Funktion gebunden sei (S. 83, 87 ff.). 3 Vgl. BVerfGE 47, 327 (369 f.). 2
A. Grundgedanken des „Differenzierungsmodells“
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Demnach muss die Frage lauten: Welche Wissenschaft und welcher Forscher haben Anspruch auf den besonderen Schutz der Forschungsfreiheit? Nach der hier vertretenen Lösung der Differenzierung zwischen wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Handeln ist die Ziehung klarer Trennlinien zwischen ungebundenen wissenschaftlichen und gewinnorientierten Bereichen mit zweckgebundener Forschung möglich. 5 Zugleich kann eine Rekonstruktion des verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriffs erfolgen, 6 die berücksichtigt, dass Wissenschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu „unterschiedlichen Galaxien“ gehören. 7 Folge ist, dass der Grundrechtsschutz durch Art. 5 Abs. 3 GG verdichtet wird. 8 Art. 5 Abs. 3 GG gilt im Binnenverhältnis einer Organisation nicht, sofern diese die Forschungsfreiheit nicht als Abwehrrecht in Anspruch nimmt. Möchte sie dies, muss sie intern und extern die Abwehrrechte der individuellen Forscher gegen sich gelten lassen und – vergleichbar staatlichen Hochschulen – einen noch näher zu bestimmenden Raum für die Entfaltung freier Wissenschaft zulassen. D. h. die objektivrechtliche Dimension von Art. 5 Abs. 3 GG kommt spiegelbildlich über den Hochschulbereich hinaus zum Tragen. Umgekehrt gilt bei Vorliegen der Voraussetzungen das Recht zur Inanspruchnahme des Abwehrrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG. Eine solche Lösung wird von einer Reihe von Autoren angedeutet, wenn auch zumeist nicht weiter ausgeführt. 9
4 Einen Trend zur Funktionalisierung in der Rspr. des BVerfG stellt auch Möllers, NJW 2005, 1973 ff. fest; zur Funktionalisierung der Kommunikationsgrundrechte (hierzu zählt auch Art. 5 Abs. 3 GG): Flitsch, Funktionalisierung (1998), S. 41 ff.; Flitsch erarbeitet anhand der Rspr. des BVerfG drei Stufen möglicher Funktionalisierungen, die sich wie folgt darstellen: Bei der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit werde der Grundrechtsschutz für „funktionsdienliche“ Grundrechtsausübungen verstärkt (ders., a. a. O., S. 87 ff.); bei der Versammlungsfreiheit werde der Grundrechtsschutz auf „funktionsdienliche“ Freiheitsausübungen beschränkt (a. a. O., S. 118 ff.), während in der Rundfunkfreiheit für „Funktionsträger“ exklusiver Grundrechtsschutz staatlich verliehen werde (a. a. O., S. 132 ff.). Gegen eine Funktionalisierung der Wissenschaftsfreiheit ausdrücklich Schmidt-Aßmann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697 (704 f.); zur funktionalen Dimension der Lehrfreiheit Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 33 ff. 5 So gefordert von Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), 85 (97 f.); angedeutet bereits von Arnold Köttgen, zit. nach Waechter, Der Staat, 1991, 19 (40 f.). 6 Vgl. die Forderung von Kempen, DVBl. 2005, 1082 (1089). 7 Hartmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 477 (490); eine Rekonstruktion mit ähnlichen Leitlinien versucht auch A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (90 ff.). 8 Zur Verdichtung des Grundrechtsschutzes vgl. Möllers, NJW 2005, 1973 (1978). 9 Vgl. hierzu auch die in eine ähnliche Richtung gehenden Gedanken von Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 8 f.; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 37 (freilich nur mit der Voraussetzung, dass die Einrichtung eine mittelbare Drittwirkung des Art. 5 Abs. 3 GG zu Gunsten des Forschers beachten müsse); Schulze-Fielitz, in: Benda/ Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 33 (für außeruniversitäre Forschungsorganisationen unter staatlichem Einfluss nach dem Vorbild der DFG); Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 214 (Frage nach der potentiellen Grundrechtsträgerschaft von
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Kürzer: Organisationen als Grundrechtsträger des Art. 5 Abs. 3 GG sind ihren Mitgliedern gegenüber auch als Private grundrechtsverpflichtet. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, entfällt ihre Position als Grundrechtsträger. Externe Forschungsfreiheit bedingt interne Forschungsfreiheit – und umgekehrt. Mit dieser Spiegelbildlösung ist keine klassische Schutzpflicht im engeren Sinne, 10 die staatlicher Ausgestaltung bedarf, verbunden; ebensowenig eine Grundpflicht Privater. Deren Entscheidungsfreiheit bleibt unangetastet. Die Spiegelbildlösung ergibt sich vielmehr originär aus der Funktion 11 des Art. 5 Abs. 3 GG und der Überzeugung, dass im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes jene speziellen Lebensbereiche genannt werden, deren freie Verwirklichung besonders schutzbedürftig ist bzw. die für den Einzelnen oder die Gesellschaft besonders bedeutungsvoll sind. 12 Insofern handelt es sich um eine tatbestandliche Präzisierung, nicht um eine Ausgestaltung der Schranken.
II. Ausgangspunkte der Differenzierung 1. Die Funktion des Art. 5 Abs. 3 GG Besonders schutzbedürftig ist unter den gegenwärtigen Entwicklungen zum einen die freie, nicht interessengeleitete Wissenschaft, zum anderen sind Grundrechte Dritter und Güter der Allgemeinheit durch den Forschungsprozess besonders gefährdet. Dies muss berücksichtigt werden. Hingegen führen die auf das Abwehrrecht reduzierte Dimension, ein weites Tatbestandsverständnis und das Abwägungsmodell dazu, dass bei der Forschungsfreiheit dieser Schutz sich geradezu in sein Gegenteil verkehren kann. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich auf dieses Grundrecht diejenigen Individuen oder Organisationen berufen dürfen, in deren Interesse es gerade nicht liegt, Freiheit der Forschung zu ermöglichen und zu nützen, sondern diese entweder gar nicht oder nur in einem eng gesteckten Rahmen zulassen. Für sie führt eine weite abwehrrechtliche Interpretation des Art. 5 Abs. 3 GG zu einem grundrechtlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen richtet sich nach dem Intensitätsgrad ihrer Affinität zu den primären Grundrechtsträgern [d. h. Universitäten]); Schmidt-Aßmann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697 (701, 708); Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 365, zurückhaltender jedoch ders., a. a. O., Rdnr. 373; Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1078), der allerdings die Umgestaltung der Universitäten in Unternehmen nicht für verfassungswidrig hält; Heldrich, Freiheit zum Irrtum? (1987), S. 22 ff. 10 Zur Schutzpflicht allgemein siehe oben Viertes Kapitel, B. II. 1. b) bb), zur möglichen Schutzpflicht für außeruniversitäre Forschung siehe Viertes Kapitel, C. III. 11 Zur (speziellen) Funktionalität von (speziellen) Grundrechten als Element der Grundrechtstheorie vgl. A. Blankenagel, AöR 1980, S. 35 (48 ff.). 12 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 138.
A. Grundgedanken des „Differenzierungsmodells“
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Anspruch auf eine privilegierte ökonomische Handlungsfreiheit (ggf. auf Kosten anderer Rechtsgüter), die zwar mit wissenschaftlichen Methoden, nicht aber der Wissenschaft selbst wegen vorgenommen wird. Gleichzeitig ist die (akademische) Wissenschaft bedroht, die um ihrer selbst willen auf die Suche nach Wahrheit als etwas noch nicht Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes geht. Mit ihr konkurrierende Zwecke wie der Anspruch auf berufliche Ausbildung oder der Wissensund Technologietransfer zugunsten der Industrie sowie die finanzielle Aushungerung akademischer Grundlagenforschung führen dazu, dass die Freiheitsräume innerhalb des staatlichen Monopols für freie Forschung enger werden. Staatliche Wissenschaftspolitik ist mittlerweile vorrangig Wirtschaftsförderungspolitik, und das unterscheidet sie von den grundlegenden Bildungsreformen der 1960er und 1970er Jahre. Damals stand die wissenschaftliche (Aus-)Bildung im Zentrum der Umgestaltungen. 13 Dies führte zwar zu Einschränkungen der Forschungsfreiheit der Hochschullehrer, ließ sich jedoch durch den Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Postulat der Einheit von Forschung und Lehre rechtfertigen. 14 Dieser verfassungsrechtliche Zusammenhang fehlt hingegen zwischen Wissenschaft und Standortpolitik. Eine differenzierte Interpretation des Tatbestandes von Art. 5 Abs. 3 GG muss deshalb berücksichtigen, dass dieses Grundrecht vorrangig die Eigengesetzlichkeit des Funktionssystems Wissenschaft schützen soll. 15 Diese Eigengesetzlichkeit ist es, die den Menschen, der Gesellschaft und letztlich auch der Wirtschaft zugute kommt. Ihre Verkörperung in der Universität war es, die Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert führend in vielen Forschungsbereichen werden ließ. Der Freiheitsraum des Wissenschaftlers beinhaltet die auf „wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihre[r] Deutung und Weitergabe.“ 16 Freiheit der Forschung umfasst insbesondere die Fragestellung und die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung. 17
13 Vgl. BVerfGE 35, 79 (108 ff.) – Hochschulurteil – sowie Schiedermair, in Flämig/ Kimminich, HdBWissR (1996), S. 39 ff., allerdings mit der Feststellung, bereits die „Reformuniversität“ der 1960er und 1970er Jahre habe den „Abschied von Humboldt“ eingeleitet, indem sie sozialpolitischen Anliegen wie der gesellschaftlichen Emanzipation unterworfen worden sei. Bereits der Universität von 1959 attestierte Köttgen, Grundrecht der Universität (1959), S. 28: „Das Leitbild der Humboldtschen Reform ‚Einsamkeit und Freiheit‘ ist weithin außer Kraft gesetzt“. 14 So auch Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 87. 15 So auch A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (42); Schmidt-Aßmann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697 (699). 16 BVerfGE 35, 79 (Ls. 1, 111) – Hochschulurteil. 17 BVerfGE 35, 79 (113) – Hochschulurteil.
352
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Diese Feststellungen des BVerfG erfordern nun eine Differenzierung dahingehend, inwieweit Forschung jeweils selbst- und fremdbezogen agiert. Zwei Funktionssysteme, die für Wissenschaft Fremdbezug generieren, geraten damit ins Blickfeld: Politik und Wirtschaft. Während das Verhältnis inner- und außeruniversitärer Forschung zum Staat schon lange Gegenstand von genaueren Betrachtungen ist, ist die wichtigste rechtliche Ausprägung des Verhältnisses von Wissenschaft, Wirtschaft und Recht das geistige Eigentum. Systemtheoretisch im Sinne Luhmanns handelt es sich hier um eine „strukturelle Kopplung“ 18 zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Recht, so wie das Eigentum als typische strukturelle Kopplung zwischen den Systemen Wirtschaft und Recht betrachtet wird. 19 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 5 Abs. 3 GG einen besonders intensiven Schutz für besonders gefährdete Forschung gewährt. Besonders gefährdet ist heute die Forschung, deren Erkenntnisse nicht in kommerziell verwertbarem geistigen Eigentum resultieren, die Forschung also, die dieser strukturellen Kopplung nicht zugänglich ist oder sich ihr verweigert. Im Ergebnis kann nur kommunikativ und organisatorisch autonome Wissenschaft Freiheit von staatlicher Ingerenz beanspruchen. Die hier vorgestellte Lösung formuliert damit nicht einfach nur ein enges Tatbestandsverständnis, sondern ist als Zusammenspiel von schutzrechtlicher und abwehrrechtlicher Dimension konzipiert. Daher ist der Normbereichsumfang differenzierend zu bestimmen. 20 Die Erkenntnisverwertung ist bei der Einordnung der Erkenntnisgewinnung in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG zu berücksichtigen. 21 Hieraus folgt, wie die Problemfälle 22 zu entscheiden sind, die erst durch den weiten modalen Wissenschaftsbegriff entstehen: so der Rechtsanwalt, der für seinen Mandanten zur Prozessvorbereitung ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten verfasst; der Historiker, der die Vergangenheit eines Unternehmens im Dritten Reich erforschen soll; der wissenschaftlich ausgebildete Journalist, der investigativen Journalismus betreibt und hierfür eine Archivrecherche ausübt, oder der Lehrer, der im Rahmen des Oberstufenunterrichts ein wissenschaftliches Projekt durchführt. Es sind viele beruflich ausgeübte Tätigkeiten vorstellbar, die Tätigkeitsformen enthalten, die mehr als eine gewisse Ähnlichkeit mit jener me-
18 Mit diesem Begriff wird das Verhältnis eines Systems zu den Umweltvoraussetzungen bezeichnet, die gegeben sein müssen, um die Autopoiesis fortsetzen zu können (Baraldi/ Corsi, GLU [1999], S. 186). 19 Vgl. Lege, unter Verweis auf Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1993), S. 440 ff. (Lege, in: Schulte, HdBTechR [2003], S. 669 [793, Anm. 644]); zur systemtheoretischen Sicht siehe im Übrigen Fünftes Kapitel, B. III. 1. 20 Vgl. den Gedanken von Trute, Forschung (1994), S. 151. 21 So auch die Forderung von Burmeister, in: Ziemske/Langheid, FS Kriele (1997), S. 85 (97 ff.). 22 Siehe oben Erstes Kapitel, B. I. 1.
A. Grundgedanken des „Differenzierungsmodells“
353
thodischen Suche nach Wahrheit aufweisen, die man alltagssprachlich Forschung oder Wissenschaft nennt. 23 2. Unterscheidung: Erkenntnisgewinnung und Erkenntnisverwertung Wissenschaftliche Erkenntnis ist als solche moralisch und ökonomisch „wertneutral“. Erst ihre Anwendung und Verwertung zeitigt praktische Folgen. Wissenschaftliche Erkenntnis ist jedoch die conditio sine qua non bestimmter Verwertungsarten. 24 Will man zur Differenzierung des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG eine Beziehung zwischen Erkenntnisgewinnung und -verwertung herstellen, ist grundrechtsdogmatisch entscheidend, ob die Verwertung innerhalb des Funktionssystems Wissenschaft oder innerhalb des Funktionssystems Wirtschaft erfolgt. 25 Dabei ist nach herrschender Meinung die Veröffentlichung oder die Lehre von Erkenntnissen, die mit wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurden, ausdrücklich Art. 5 Abs. 3 GG zuzuordnen, 26 während die wirtschaftliche Verwertung außerhalb des Normbereichs stattfindet. 27 Mündet die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse in technische Mittel und Methoden, wird erkennbar, dass dagegen für eine Normbereichsdifferenzierung die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Technik untauglich ist. 3. Tatsächliche und rechtliche Untrennbarkeit von Wissenschaft und Technik Die „Patente auf Leben“ verdeutlichen, dass sich die Lebensbereiche Wissenschaft und Technik nicht mehr trennen lassen. Entdeckungen werden zu Erfindungen, wissenschaftliches Wissen zu technischem (patentierbaren) Wissen. 28 Theoretisch denkbar wäre es, anhand des Merkmals „Unabgeschlossenheit und Offenheit“ des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses durchaus eine Abgrenzung von Wissenschaft und Technik vorzunehmen: Während die wissenschaftliche 23
Vgl. A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (94). Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 100. 25 Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 98. 26 Vgl. Thieme, DÖV 1994, 150 (153). 27 Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 330; vgl. auch Thieme, DÖV 1994, 150 (153); Lux, Kooperation (2001), S. 29 f. m. w. N.; ähnlich auch Kamp, der jedoch einen „Vorwirkungszusammenhang“ annimmt (ders., Kommerz [2004], S. 246 f.); a. A. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 28, wonach auch die Verwertung des geistigen Eigentums „grundsätzlich in der Freiheitssphäre des Forschers“ liege und damit von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sei; so auch ders., in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 671 (674 f.), wonach die Nutzung von Forschungsergebnissen an Hochschulen im Rahmen von Kooperationsverträgen mit Dritten von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sei. 28 Siehe unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. b). 24
354
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Erkenntnissuche kein klar definiertes Ziel hat und auf die Zukunft gerichtet ist, betrifft Technik als ein Mittel zur Lösung definierter Ziele die Gegenwart. Auch lässt sich durchaus, wie dies Trute vertritt, die Erzeugung von Wissen durch geistige Aktivitäten von der Produktion von Artefakten abgrenzen. 29 Doch auch die Denkübung Wissenschaft ist auf Technik angewiesen, weil der Forscher nicht nur über die wirkliche Welt nachdenken will, sondern auch herausfinden möchte und muss, wie sie funktioniert. Die Technik ermöglicht hierbei nicht nur eine bessere Beobachtung der Natur durch Hilfsmittel, die „die Sinne schärfen“. Der Gebrauch von Technik – ob in oder außerhalb der Wissenschaft – provoziert darüber hinaus neue Hypothesen, ob ein System oder eine Technik in einer gewissen Weise funktioniert oder einen bestimmten Effekt auf die Abläufe der Natur hervorruft. 30 Und schließlich kann auch eine technische Erfindung eine wissenschaftliche Theorie falsifizieren. 31 Wissenschaftliche Ideen und technische Methoden befinden sich also im Dialog miteinander und treiben sich wechselseitig voran: Eine bestimmte wissenschaftliche Hypothese legt eine Technik nahe, beispielsweise eine Untersuchungsmethode. Deren Anwendung liefert neue Beobachtungen, die neue Hypothesen entstehen lassen, die wieder neue Untersuchungsmethoden erforderlich machen. 32 Eine Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Technik im Zuge der Erkenntnisgewinnung kann daher nicht zum Ausgangspunkt einer Differenzierung gemacht werden. Als Ausgangspunkt kann jedoch die Erkenntnisverwertung dienen, wenn man hierbei zwischen wissenschaftlichem und technischem Wissen unterscheidet. Die jeweiligen Erkenntnisse selbst lassen sich nicht differenzieren, aber die Art ihrer Verwertung: Sie können gewerblich oder nichtgewerblich verwertet werden. Sie können geistiges Eigentum werden oder der Allgemeinheit frei zur Verfügung gestellt werden. 4. Wechselwirkungszusammenhänge Wissenschaft, Technik und Ökonomie stellen ein nicht mehr aufkündbares Verbundsystem dar, das den technischen Fortschritt in Gang hält und zu einer „Kaskade von Sachzwängen“ führt. 33 Technische Mittel wirken, ebenso wie die Finanzierung von Forschung, auf den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess ein.
29 Trute, Forschung (1994), S. 127 mit einem eigenen Forschungsbegriff; vgl. auch Kamp, Kommerz (2004), S. 221; im Ergebnis ähnlich auch Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly (2001), S. 321. 30 Huber, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 31 (36 f.). 31 Siehe oben Viertes Kapitel, C. II. 3. 32 Wilmut/Campbell/Tudge, Dolly (2001), S. 321 f. 33 Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (61 f.).
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Werden wissenschaftliche Erkenntnisse in technische Mittel und Methoden umgemünzt, entstehen neue Verwertungsmöglichkeiten, deren ökonomische Attraktivität die Erkenntnisgewinnung erneut steuert. Wenn sodann neue Erkenntnisse neue Verwertungsmöglichkeiten schaffen, schaukeln sich in bestimmten Bereichen wie der Medizin die Möglichkeiten von Erkenntnisgewinnung und Erkenntnisverwertung gegenseitig hoch. Revolutionäre wissenschaftliche Erkenntnisse sind oft kein Zufall, zumindest dann, wenn sie mit technischen Mitteln erreicht werden können oder wirtschaftlich attraktiv sind. Rechtlich entscheidend sind also nicht die technischen Mittel oder Ergebnisse wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse, sondern entscheidend ist die Zuordnung der Erkenntnisverwertung zum Funktionssystem Wissenschaft.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft 34 Gruss erklärte 2003 anlässlich eines Max-Planck-Forums mit dem treffenden Titel „Geistiges Eigentum – Kapital oder Falle? Auswirkungen des Patentschutzes auf Wissenschaft und Wirtschaft“: „Wissenschaft aber ist kein Selbstzweck. Zahlreiche makroökonomische Studien haben inzwischen die herausragende Bedeutung von Investitionen in Forschung und Entwicklung auf die Gesamtbeschäftigung hinreichend belegt.“ 35 Das gelte auch für die Grundlagenforschung. So seien alleine aus der Max-Planck-Gesellschaft heraus in den letzten 10 Jahren über 50 Unternehmen gegründet worden. 36 Zum Abschluss zitierte Gruss als Aufforderung für die Forschung einen ehemaligen Präsidenten des Deutschen Patentamtes, der gesagt haben soll: „Wer nicht patentiert, verliert“. 37 So sind denn auch im Jahr 2001 mehr als 125 000 Patente beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldet worden. Gegenüber dem Jahr 2000 steigerte sich die Anzahl um 15%. 38 Zwischen 1991 und 2001 hat sich die Zahl der Patentanmeldungen nahezu verdoppelt. 39 Dieser Zunahme steht jedoch die im internationalen Vergleich niedrige Investitionsrate Deutschlands im Bereich Forschung und Entwicklung gegenüber (2,5% des BIP). 40
34 Zur Max-Planck-Gesellschaft als Forschungsorganisation: Trute, Forschung (1994), S. 515 ff. 35 Gruss, GRUR Int. 2003, 289 [Hervorh. d. Verf.]. 36 Gruss, GRUR Int. 2003, 289. 37 Gruss, GRUR Int. 2003, 289 (290); vgl. hierzu den bisher der Wissenschaft zugeschriebenen Grundsatz „Publish or Perish“ (= veröffentliche oder gehe unter), der an Bedeutung zu verlieren scheint (krit. hierzu Kamp, Kommerz [2004], S. 74). 38 Vgl. Handelsblatt vom 13. 03. 2002, S. 12; 2002 betrug die Zahl der Anmeldungen knapp 135 000, Pressemitteilung des DPMA vom 14. 03. 2003 (http://www.dpma.de/infos/ pressedienst/pm030314.html [23. 03. 2006]). 39 Vortrag von Bundesjustizministerin Zypries vom 17. 09. 2004.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Die geschichtliche Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit hat gezeigt, dass dieses Grundrecht in der Vergangenheit die Wissenschaft von ihrer Abhängigkeit von der Religion befreien sollte, die über eine autoritäre Staatsgewalt auf „wahre“ Wissenschaft bestimmend Einfluss nahm. 41 Wahres Wissen sollte der Mensch um seiner selbst willen erlangen. Nach über zweihundert Jahren Wissenschaftsfreiheit drohen jedoch nun die gegenwärtigen Entwicklungen vor allem im Bereich der Hochschulen, aber auch in der privaten Forschung, die Wissenschaft unter die neue „Herrschaft der Ökonomie“ zu zwingen. Dabei kommt den Verwertungsmöglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnisse eine zentrale Bedeutung zu. Falls nämlich sowohl die Erkenntnissuche als auch die Erkenntnisverwertung grundrechtlichen Schutz genießen, dann besteht damit eine Doppelprivilegierung. 42 Die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse lässt sich grundsätzlich zwei Bereichen zuordnen: der Wissenschaftsfreiheit und der Wirtschaftsfreiheit. Während wissenschaftliche Betätigung unproblematisch – sofern sie als Beruf ausgeübt wird – dem Schutz des Art. 12 GG unterfällt, 43 birgt das Verhältnis zu Art. 14 GG wesentlich mehr Konfliktpotential – nicht nur, weil hier die Kommunikationsfreiheit des Forschers mit der Eigentumsgewährleistung kollidiert, sondern auch, weil der Schutz des Eigentums in Form „geistigen Eigentums“ intensiviert wird. Es ist in diesem Zusammenhang sogar von einer „Hypertrophie der Schutzrechte“ die Rede. 44 Auch hier sei noch einmal Gruss zitiert: „Zwischen den Interessen des Erfinders an der exklusiven Nutzung seiner Erfindung und dem Interesse der Öffentlichkeit, die Forschung auf einem Gebiet weiter voranzutreiben, besteht ein zum Teil nur schwer auflösbares Spannungsfeld.“ Als besonders kritisch stufte er hierbei die Patentierung von DNA-Sequenzen ein. 45 Der Intensivierung des Schutzes geistigen Eigentums 46 soll die These entgegengestellt werden, dass Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG keine gewerblich verwertbaren Erfindungen, sondern nur gemeinfreie Entdeckungen macht, die 40 Der Spiegel 11/2004, S. 57; von Seiten der Forschungspolitik werden – bisher erfolglos – 3 % angestrebt. 41 An die ernsten Probleme Nikolaus Kopernikus, Giordano Brunos, Galileo Galileis oder Johannes Keplers mit Kirche und Staat sei hier nur erinnert. 42 Dieser Einwand verfängt nicht bei der Kunst, die zum einen nur urheberrechtlich und damit vorrangig persönlichkeitsrechtlich geschützt ist [vgl. hierzu unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. a) aa)] und die sich in ihrer Beziehung zur Ökonomie grundlegend von der Wissenschaft unterscheidet (siehe hierzu oben Viertes Kapitel, C. IV. 1.). 43 Siehe nur Kamp, Kommerz (2004), S. 209 ff. 44 So der ursprüngliche Themenvorschlag für den am 17. 09. 2004 gehaltenen Vortrag der Bundesjustizministerin Zypries. 45 Gruss, GRUR Int. 2003, 289 (290). Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) dd) (2). 46 So auch in der letzten Novelle des Urhebergesetzes zu beobachten (§§ 95 ff., 108b UrhG, zul. geändert durch Art. 1 Gesetz vom 10. 09. 2003, BGBl. I 1774; 2004, 312).
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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kommuniziert werden dürfen und müssen. Soweit Erfindungen gemacht werden oder gemacht werden sollen, kommt allein der Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG in Betracht. Im Rahmen des Patentrechts entfaltet sich dieses Grundrecht im Schutz von Erfindungen (§§ 1 Abs. 1 PatG; 52 Abs. 1 EPÜ). Umgekehrt werden den Erfindungen zugrunde liegende Entdeckungen und wissenschaftliche Theorien vom Patentschutz nicht umfasst (§§ 1 Abs. 2 PatG; 52 Abs. 2 EPÜ). 47 Wissenschaft, die sich Erfindungen widmet, genießt nicht den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG. Dies gilt nicht deshalb, weil Technik angewendet wird und theoretische Erkenntnisse in Technik resultieren, sondern weil es sich hier um gewerbliche Erkenntnissuche handelt, die nur von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist.
I. Schutz des geistigen Eigentums Wie bereits erwähnt, betrifft geistiges Eigentum die Frage nach dem Schutz der Verwertung von Erkenntnissen. Obwohl sich dieser Begriff mittlerweile (wieder) etabliert hat, ist noch immer umstritten, ob es überhaupt zulässig ist, von „geistigem Eigentum“ zu sprechen. 1. Das Problem der Verwendung des Begriffs „geistiges Eigentum“ Gegen eine Verwendung des Begriffs „geistiges Eigentum“ wird eingewendet, dass er ein „ideologischer Kampfbegriff“ sei, der an überholte naturrechtliche Doktrinen anknüpfe und damit das Verwertungsrecht für geistige Erzeugnisse dem Sacheigentum als Vermögensrecht gleichsetze. Mit der Verwendung des Begriffs sei die rechtspolitische Absicht verbunden, das „geistige Eigentum“ einer Begrenzung durch den Gesetzgeber zu entziehen und Schutzrechte, auf die eigentlich kein grundrechtlicher Anspruch bestünde, auszuweiten. 48 In den letzten Jahren wird der Begriff geistiges Eigentum wieder häufiger verwendet, wobei auch der englische Begriff „intellectual property law“ als Oberbegriff für das Urheber-, Marken- und Patentrecht Pate steht. 49 Unzweifelhaft gewährt das Immaterialgüterrecht, d. h. das Urheber-, Markenund Patentrecht, vermögenswerte Rechte, die dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallen. Zum Teil wird auch zwischen dem Urheberrecht und dem gewerblichen Rechtsschutz (Patent-, Marken-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster47
Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 99. Rehbinder, Urheberrecht (2004), Rdnr. 79; diese Befürchtung ist nicht unzutreffend, wie z. B. die auf Art. 14 GG gestützten verfassungsrechtlichen Erwägungen von Wolfrum/ Stoll/Franck, Genforschung (2002), S. 89 f. zeigen. 49 Ohly, JZ 2003, 545 (546) mit weiteren Beispielen; vgl. auch Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, 1999. Allerdings kann „property“ auch mit „Besitz“ oder „Gut“ übersetzt werden, es ist damit nicht notwendig „Eigentum“ i. S. v. § 903 BGB. 48
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
und Sortenschutzrecht) unterschieden. 50 Auch wenn diese Bereiche ineinander übergehen, ist bei den gewerblichen Schutzrechten der vermögensrechtliche Anteil wesentlich stärker ausgeprägt als im Urheberrecht. Entscheidend für die richtige Verwendung des Begriffs ist dessen verfassungsrechtliche Einordnung. 51 Wenn man in verfassungsrechtlicher Sicht unter „Eigentum“ eine vermögensrechtliche Güterdefinition i. S. v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG versteht, 52 ist es in rechtsdogmatischer Hinsicht mehr als legitim, diesen Begriff zu verwenden. Keinesfalls darf jedoch eine Gleichsetzung zwischen dem Eigentum an Sachen und dem geistigen Eigentum erfolgen, denn hierbei handelt es sich einfachrechtlich um grundlegend verschiedene Rechtsinstitute. 53 Sonst wäre es konsequenter, von „geistigen Gütern“ zu sprechen. Historisch wurde der Begriff bereits in der Paulskirchenverfassung von 1849 im Zusammenhang mit dem Eigentumsschutz verwendet, 54 was wohl in der naturrechtlichen Arbeitstheorie begründet war, die dem Menschen, der eine naturgegebene Sache neu- oder umgestaltet, das Ergebnis seiner Arbeit als Eigentum zuordnet. 55 In der Folge verschwand jedoch der Begriff. Systematisch eher der Arbeit zugeordnet ist der Schutz der „geistigen Arbeit“ in der Weimarer Verfassung in Art. 158 S. 1, der unmittelbar dem Artikel über die Arbeitskraft folgte. 56 Auch im Grundgesetz, dessen Art. 14 GG lediglich das Eigentum erwähnt, findet sich das geistige Eigentum nicht wieder. 57 Stattdessen hat man in der Lehre lange von „Immaterialgütern“ gesprochen. Zwar ist trotz des Unterschieds zum gewerblichen Rechtsschutz auch im eher persönlichkeitsrechtlich orientierten 50 Vgl. Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 1 ff.; so auch Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (224 ff.); dagegen: Ohly, JZ 2003, 545 (550). 51 Nicht die Einordnung als Rechtsbegriff des Privatrechts oder als Begriff für ein einheitliches Rechtsgebiet; so jedoch Ohly, JZ 2003, 545 (546), der zu lapidar annimmt, dass der Begriff im Verfassungsrecht unproblematisch sei. 52 Der Begriff „Güterdefinition“ für die Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG wurde von Lege geprägt, siehe ders., Zwangskontrakt und Güterdefinition (1995), insb. S. 88 ff. 53 Grob irreführend sind daher interessengesteuerte Begriffe wie „Raubkopie“, „Diebstahl geistigen Eigentums“ oder „Produktpiraterie“. 54 In Abs. 3 des § 164 FRV, der die Unverletzlichkeit des Eigentums statuierte: „Das geistige Eigenthum soll durch die Reichsgesetzgebung geschützt werden.“ 55 Ohly, JZ 2003, 545 (548). Dieser Gedanke geht auf John Locke zurück, der ihn allerdings nur für den gedachten vorstaatlichen Zustand gelten lassen wollte, vgl. Lege, NJ 2004, 385 (388). 56 „Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und Künstler genießt den Schutz und die Fürsorge des Reiches“ (§ 158 S. 1 WRV), während sich der Schutz des Eigentums in Art. 153 WRV wiederfindet. 57 Siehe jedoch z. B. Art. 162 BayVerf. (1946): „Das geistige Eigentum, das Recht der Urheber, der Erfinder und Künstler genießen den Schutz und die Obsorge des Staates.“
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Urheberrecht die wirtschaftliche Verkehrsfähigkeit der Rechte an geistigen Werken nicht ausgeschlossen. Das Urheberrecht kann jedoch nur teilweise dem „geistigen Eigentum“ zugeordnet werden, 58 auch wenn hier geistige Güter geschützt werden. Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes ist im Übrigen ein Rückgriff auf naturrechtliche Vorstellungen durch ein streng positivistisches Verständnis des numerus clausus der Schutzrechte verhindert. 59 Hier wird in der Verleihung durch einen staatlichen Akt deutlich, dass gewerbliche Schutzrechte ihren Ursprung im Privilegienwesen und nicht im Sacheigentum haben. 60 2. Schutz und Ausgestaltung Das BVerfG sieht zu Recht den Schutzbereich des Art. 14 GG immer als eröffnet an, wenn eine geistige Leistung wirtschaftlich verwertet wird. Art. 14 GG gewährleiste einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich. Deshalb sei das Urheberrecht als Nutzungsrecht „Eigentum“ i. S. v. Art. 14 Abs. 1 GG. 61 Diese Beurteilung für das Urheberrecht hat das BVerfG später auch für das Patentrecht 62 und das Markenrecht 63 bestätigt. Angesichts der eigentumsrechtlichen Dogmatik, wie sie das BVerfG später im Nassauskiesungsbeschluss entwickelt hat, ist dies erst einmal nur konsequent. Der Gesetzgeber ist gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG berechtigt und verpflichtet, Inhalt und Schranken des Eigentums auszugestalten. 64 Gewährt nun der Gesetzgeber zum Beispiel im Urheberrecht vermögenswerte Rechte, 65 so hat er dies positiv als „Eigentum“ i. S. v. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG definiert. 66 Das hat jedoch noch nicht zur Folge, dass damit ein absolutes Recht im zivilrechtlichen Sinne verbunden sein muss, wie dies in §§ 90, 903 BGB für das Sacheigentum postuliert wird. 67 Im Gegenteil, auch das Sacheigentum unterliegt als vermögenswertes Recht der 58 Vgl. Rehbinder, Urheberrecht (2004), Rdnr. 79, der von „Werkherrschaft“ spricht; a. A. Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 256 ff. 59 Vgl. Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 4 ff., Rdnr. 8 ff.; S. 19, Rdnr. 51. 60 Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (221 f.). 61 St. Rspr., vgl. BVerfGE 31, 229 (239 f.) – Schulbuchprivileg. 62 BVerfGE 36, 281 (290) – Patentanmeldungen; zuletzt BVerfG vom 10. 05. 2000 (1 BvR 1864/95). 63 BVerfGE 51, 193 (Ls. 3) – Schlossberg. 64 Die Schranken bestimmen also gleichzeitig den Inhalt des Eigentums. Das BVerfG spricht dementsprechend in E 58, 300 (330 f.) nur von „Inhaltsbestimmung“; a. A. z. B. Leisner, DVBl. 1992, 1065 (1067 f.). 65 Z. B. das Recht auf angemessene Vergütung bei Nutzungseinräumung (§ 32 UrhG). 66 St. Rspr. des BVerfG, E 58, 300 (336) – Nassauskiesung m. w. N. 67 A. A. Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 15 ff., Rdnr. 39 ff. mit dem Argument, die Monopoleinräumung, d. h. das alleinige Nutzungsrecht, sei ein Ausschließlichkeitsrecht und damit absolute Rechtsposition.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Definition durch alle einfachrechtlichen Normen. Ein Vorrang der Privatrechtsordnung besteht nicht. 68 Die gleiche Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers besteht für immaterielle vermögenswerte Rechte. 69 Weniger einsichtig ist es deshalb, wenn das BVerfG dem grundgesetzlich geschützten Kern 70 des Eigentums auch das persönlichkeitsrechtsgeprägte Urheberrecht zuordnet. 71 Dieser Kern (vgl. Art. 19 Abs. 2 GG) ist im Wesentlichen durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis über das Eigentumsobjekt gekennzeichnet. Es heißt, Eigentum könne nur sein, was diesen Namen verdiene. 72 Das BVerfG folgert hinsichtlich des Urheberrechts, dass auch das vermögenswerte Ergebnis einer schöpferischen Leistung dem Urheber zugeordnet sein und er darüber frei verfügen können müsse. 73 Allerdings gebiete die Eigentumsgarantie es nicht, dass dem Urheber jede nur denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit zukommen muss. 74 Ob und welche vermögenswerten
68 § 903 BGB ist nicht etwa „Inhalt“, während z. B. das öffentliche Baurecht eine bloße „Schranke“ darstellt. Das BVerfG führt in E 58, 300 (336) aus: „ . . . bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Rechtsstellung des Eigentümers [wirken] bürgerliches Recht und öffentlich-rechtliche Gesetze gleichrangig zusammen. Die bürgerlich-rechtliche Eigentumsordnung ist keine abschließende Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Den privatrechtlichen Eigentumsvorschriften kommt im Rahmen des Art. 14 GG auch kein Vorrang vor den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu, die eigentumsrechtliche Regelungen treffen“; a. A. z. B. Leisner, DVBl. 1992, 1065 (1067 f.); siehe hierzu auch Dähne, Jura 2003, 455 (457); Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition (1995), S. 30, 88 ff. 69 Zum öffentlich-rechtlichen Charakter des Patentrechts: Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (229). 70 Eine Abweichung oder gar Abkehr von der Dogmatik des Nassauskiesungsbeschlusses wird in einem unveröffentlichten Nichtannahmebeschluss des BVerfG zum „Versuchsprivileg“ vom 10. 05. 2000 (1 BvR 1864/95, zit. nach http://www.bverfg.de, Abs. 13) deutlich: „Geistiges Eigentum“ sei Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zugeordnet. Nach Satz 2 sei es dem Gesetzgeber aufgegeben, sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die der Natur und sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen. Zu den konstituierenden Merkmalen des Patentrechts gehöre die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Patentinhaber im Wege privatrechtlicher [sic!] Normierung. Dies sei der durch Art. 14 Abs. 1 GG grundgesetzlich geschützte Kern des Patentrechts (BVerfG, a. a. O., Abs. 20). Dieser Grundbestand sei in den §§ 9, 10 PatG zu finden, während in § 11 PatG Schranken gezogen würden, die der Sozialbindung des Eigentums im Interesse der Allgemeinheit gerecht würden (BVerfG, a. a. O., Abs. 22 f.). Da nach dieser Entscheidung die einfachrechtliche Güterdefinition zugleich einen grundrechtlich geschützten Kern definiert, der wieder die Güterdefinition beschränkt, liegt eine Zirkelargumentation des BVerfG vor. Hinter dieser steht wohl letztlich die Vorstellung einer ursprünglichen (naturrechtlichen) Gestalt der Immaterialgüter, die dem Gesetzgeber vorgegeben sei. 71 BVerfGE 31, 229 (240 f.) – Schulbuchprivileg. 72 Siehe Leisner, DVBl. 1992, 1065 (1068) sowie Dähne, Jura 2003, 455 (457, Anm. 35). 73 BVerfGE 31, 229 (240 f.) – Schulbuchprivileg. 74 BVerfGE 31, 248 (252) – Bibliotheksgroschen.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Befugnisse dem Urheber zugeordnet werden, unterliegt bereits der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, also kann das Wie der Ausgestaltung hier nicht dem Kern des Art. 14 Abs. 1 GG angehören. Mit geistigem Eigentum sind jedenfalls alle vermögenswerten Rechte gemeint, die immaterielle Güter definieren. 75 Damit befinden sie sich wie das Sacheigentum im Spannungsfeld zwischen Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit, d. h. die Ausgestaltung muss durch den Gesetzgeber unter Abwägung zwischen Individualund Allgemeininteresse stattfinden, so wie es Teil jeder eigentumsrechtlichen Regelung ist. 76 Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG mag die völlige Abschaffung von Immaterialgüterrechten verhindern, nicht jedoch eine neue Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Dabei sind eigentumsrechtliche Positionen nur zu beachten, soweit sie in der Vergangenheit entstanden sind. Könnten sie – zum Beispiel auf Grund neuer technologischer Möglichkeiten – neu begründet werden, können sie je nach Abwägungsergebnis schwächer (oder stärker) ausgestaltet werden. 77 Nicht verbunden werden darf deshalb mit dem Begriff geistiges Eigentum eine naturrechtliche Vorstellung, die a priori die betreffenden Rechte dem politischen Diskurs und dem demokratischen Rechtsetzungsverfahren zu entziehen versucht. 78 In den letzten Jahren ist es parallel zur technologischen Entwicklung zu einer steten Ausweitung der Schutzrechte gekommen, und es hat den Anschein, als hätten die Interessen derjenigen, die für ein noch höheres Schutzniveau plädieren, die erheblich bessere Lobby als das Allgemeininteresse. 79 Dies geht einher mit dem Anschein, dass naturrechtliche Vorstellungen wie die Arbeitstheorie Lockes bei der Definition des Eigentums im Vormarsch begriffen sind. 80 Sie finden sich letztlich auch in der neueren Rechtsprechung des BVerfG wieder. 81
75 So fällt das Urheberrecht nur mit seinen vermögenswerten Elementen in den Bereich des Geistigen Eigentums; so auch BVerfGE 31, 229 (339); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 14, Rdnr. 9. 76 Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 131; ders., in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (217 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 14, Rdnr. 1. 77 Im Grundsatz so auch BVerfG vom 10. 05. 2000 (1 BvR 1864/95, Abs. 19 ff.), in der Zuordnung zum Kernbereich von Art. 14 Abs. 1 GG jedoch zu eng. 78 Noch deutlich gegen naturrechtliche Vorstellungen: BVerfGE 58, 300 (339); missverständlich deshalb Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (224), der meint, mit dem Begriff des „geistigen Eigentums“ würde eine anschauliche Parallele zum Eigentumsrecht an Sachen gezogen. Dabei erstreckt sich der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff auch auf Forderungen u. Ä. (vgl. die Aufzählung bei Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG [2002], Art. 14, Rdnr. 8 f.). Allerdings weist Götting zu Recht darauf hin, dass eine naturrechtliche Begründung nicht sehr tragfähig ist (ders., a. a. O., S. 217); differenzierter ders. in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 131 mit Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. 79 Ohly, JZ 2003, 545 (548). 80 Vgl. den Streit um die Enteignungen während der Bodenreform in der damaligen SBZ zwischen 1945 – 49: Lege, NJ 2004, 385 ff.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Gegen einen naturrechtlich geprägten Kern des geistigen Eigentums spricht auch der numerus clausus der Schutzrechte, die nur ausnahmsweise den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit durchbrechen. Alle nicht vom Gesetzgeber tatbestandlich anerkannten, genau festgelegten Kategorien geistiger Arbeit bleiben schutzlos und dürfen von Dritten frei und ungehindert übernommen werden. Im Patentrecht soll zum Beispiel dem Erfinder eine Belohnung für seine erfinderische Tätigkeit zukommen, indem er vor Nachahmern geschützt wird, bis er für seinen Erfindungsaufwand belohnt wurde. Letztlich soll dies zu verstärkter erfinderischer Anstrengung führen, die der allgemeinen technologischen Entwicklung und damit dem Gemeinwohl zu Gute kommt. 82 Damit rechtfertigt sich etwa auch die beschränkte Schutzfrist von 20 Jahren (§ 16 PatG). Über den jeweils gewährten Schutzumfang sollen gemeinwohlbezogene Effektivitätserwägungen entscheiden. 83 Bereits hieraus wird ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Sacheigentum und dem geistigen Eigentum deutlich. Immateriale Monopolrechte sind staatlich gewährte Exklusivrechte, die nur zeitweise und partiell Schutz gewähren. Sie schützen keine Idee als solche, sondern zumeist deren gewerbliche Nutzung und Vermarktung in einer entäußerten bzw. verkörperten Form. Nach Zeitablauf geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine angemessene wirtschaftliche Belohnung erfolgt ist, und entzieht den gewährten Schutz. Ab diesem Zeitpunkt wird ein öffentliches Gut begründet. 3. Das Patentrecht als wesentliche Ausprägung des geistigen Eigentums Geistiges Eigentum wird im Bereich der Forschung als Urheber- und als Patentrecht relevant. Während Patente auch dort eine kaum zu überschätzende wirtschaftliche Bedeutung haben, 84 ist die ökonomische Bedeutung des Urheberrechts in der Forschung eher gering. 81 So z. B. neben BVerfG vom 10. 05. 2000 (1 BvR 1864/95) die Entscheidung BVerfGE 93, 121 (136 ff.) zur Vermögensteuer, der offenbar eine naturrechtliche Vorstellung konsolidierten Vermögens zugrunde liegt; mit Recht dagegen Sondervotum Böckenförde, a. a. O., 149 (153 ff.); Lege, NJ 2004, 385 (388) bezeichnet diese Entscheidung zu Recht als „Skandal“; siehe zur Rspr. des BVerfG auch Köppe, Neoliberale Steuerrechtslehre und Bundesverfassungsgericht, KritJ 1999, 15 ff.; mittlerweile hat das BVerfG die Entscheidung zur Vermögensteuer relativiert (2 BvR 2194/99 vom 19. 03. 2006). 82 Lege, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 669 (794); Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (215); zum Paradoxon der Wettbewerbsförderung durch Wettbewerbsbeschränkung Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 129. 83 Vgl. Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 131. Die stärker persönlichkeitsorientierte Tendenz des UrhG zeigt sich auch an der vergleichsweisen langen Frist von 70 Jahren nach dem Tod des Schöpfers. Dies rechtfertigt sich im Gegensatz zum PatG (20 Jahre Patentschutz) damit, dass beim Urheberschutz Dritte nicht von der Informationsverwertung ausgeschlossen sind. 84 Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (220).
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Für das Selbstverständnis des Patentrechts – auch in Abgrenzung zum Urheberrecht – war lange Zeit die Unterscheidung zwischen Erfindung und Entdeckung grundlegend. 85 Erfindungen und Entdeckungen lassen sich unter dem Oberbegriff „Wissen“ zusammenfassen. Dabei kann „wissenschaftliches Wissen“ von „technischem Wissen“ unterschieden werden. 86 Die Nutzung technischen Wissens kann durch Patente monopolisiert werden. Die Nutzung wissenschaftlichen Wissens genießt dagegen üblicherweise nur Schutz in seiner verkörperten Form als Werk. 87 Ansonsten ist es gemeinfrei. 88 Dahinter steht die Idee, dass sich das Wissen vermehrt, das man teilt. Es unterscheidet sich grundlegend von Sachen, die nur begrenzt vorhanden und nicht beliebig reproduzierbar sind. 89 Im Gegensatz zu technischem Wissen ist jedoch bei wissenschaftlichem Wissen die ökonomische Partizipation allen eröffnet. 90 a) Wissenschaftliches Wissen aa) Schutz durch das Urheberrecht Ideen, die sich nicht in einer Erfindung oder einem urheberrechtlich geschützten Werk verkörpern, sind und bleiben frei. Sie werden entdeckt und nicht erfunden. Wissenschaftliche Theorien als solche erfahren allenfalls akademische Anerkennung, nicht aber rechtliche Absicherung. 91 D. h. die im Werk verkörperten wissenschaftlichen Entdeckungen und Ideen dürfen von jedermann frei benutzt werden (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG). Das schließt auch kommerzielle Verwertung mit ein. Das Urheberrecht schützt lediglich „persönliche geistige Schöpfungen“ (§ 2 Abs. 2 UrhG) in ihrer konkret verkörperten Form, d. h. insbesondere Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst (§ 1 UrhG). Traditionell bezog sich der Schutz des Urheberrechts auf ästhetische Leistungen. 92 Es schützt vorrangig nur vor Entstellung und unbefugter Vervielfältigung eines Werkes (§§ 14, 16 UrhG). Auch wenn mittlerweile Computerprogramme und Datenbanken in den Kreis schutzfä85
Sellnick, GRUR 2002, 121; Albers, JZ 2003, 275 (277). So die Differenzierung von Lege, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 669 (793). 87 Vgl. zum Werk Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 149; Rdnr. 367 sowie zum wissenschaftlichen Werk Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 18 ff., 74 ff. 88 Vgl. Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 328 ff. 89 Dies gilt in besonderem Maße für das Grundeigentum. 90 Man denke z. B. an Generika, d. h. pharmazeutische Nachahmungsprodukte, die nach Ablauf des Patentschutzes erheblich billiger als Orginalpräparate angeboten werden. Von den forschenden Arzneimittelherstellern wird jedoch eingewendet, dass Generika Forschungsanstrengungen verhindern. 91 Ohly, JZ 2003, 545 (548); vgl. auch Götting, in: Loewenheim, FS Nordemann (2004), S. 7 ff.; Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 325 ff. 86
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
higer Werke aufgenommen wurden, so bleibt die Konzeption des Urheberrechts persönlichkeitsrechtsorientiert, 93 während das Patentrecht wirtschaftlich orientiert objektiv auf die Erkenntnis einer „technischen Lehre“ abstellt und deshalb die gewerbliche Anwendbarkeit eine der Patentvoraussetzungen ist (§ 1 Abs. 1, § 5 PatG). 94 Daher stellt das Urheberrecht nicht die im Werk 95 verkörperten abstrakten Informationen unter Schutz (deren Nutzung steht jedermann frei), sondern beschränkt sich auf deren konkrete Verkörperung, die sich in der Werkschöpfung entäußert hat und über deren Vervielfältigung, Verbreitung oder Wiedergabe nur der Schöpfer allein bestimmen darf. Auf eine kurze Formel gebracht: Geschützt wird mit dem Urheberrecht nicht der Inhalt, sondern die Form. 96 bb) Bedeutung des Urheberrechts für die Wissenschaft Im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten ist die Beachtung der Urheberschaft eines Textes, genauer die Unterscheidbarkeit der Quellen, nicht nur aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen, 97 sondern auch für die Einhaltung wissenschaftlicher Methodik relevant. Eine wissenschaftliche Arbeit muss erkennen lassen, wann der Autor selbst zum Leser spricht und wann er Äußerungen Dritter wiedergibt. 92 Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (227); a. A. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 71: Die Idee des „geistigen Eigentums“ sei prägend für das Urheberrecht gewesen. 93 Vgl. Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 263–266; siehe z. B. § 11 UrhG. Der Schutz von Computerprogrammen umfasst im Übrigen gem. § 69a Abs. 2 S. 2 UrhG nicht die Ideen und Grundsätze, die einem Element eines Programms zugrunde liegen. Der persönlichkeitsrechtliche Aspekt, der das UrhG kennzeichnet, tritt dagegen in Abs. 3 S. 1 deutlich hervor: Programme werden geschützt, wenn sie individuelle Werke darstellen, die Ergebnis einer eigenen geistigen Schöpfung sind. Datenbanken werden gem. § 4 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 UrhG geschützt, sofern die Auswahl und Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung ist. Davon unbenommen bleibt die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Urheberschutzes, siehe Rehbinder, Urheberrecht (2004), Rdnr. 4. 94 Letztlich ist die gewerbliche Anwendbarkeit Hauptgrund des Patentschutzes, da patentfähige Erfindungen auch vor der Patentanmeldung bereits urheberrechtlich geschützt sind (vgl. § 9 PatG sowie § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG; hierzu auch Götting, in: Schulte, HdBTechR [2003], S. 209 [227 f.]). 95 Hierzu, sowie zu den verschiedenen Werkgattungen: Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 8 ff., 13 ff. 96 Götting, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 209 (227); zum Problem der Abgrenzung zwischen Inhalt und Form bei wissenschaftlichen Werken: Götting, in: Loewenheim, FS Nordemann (2004), S. 7 ff.; krit. Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 40 ff.: Moltke unterscheidet eine „äußere Form“ (konkrete Art der Formulierung, sprachliche Darstellung), eine „innere Form“ (innere Ordnung, Aufbau, Gliederung, Gedankenfolge) sowie den „Inhalt“ (wissenschaftliche Aussage, mitgeteilte Lehre, Theorie), ders., a. a. O., S. 85. 97 Das Persönlichkeitsrecht des wissenschaftlichen Urhebers sei in Art. 5 Abs. 3 GG verankert, so Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 258 f.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Hier verläuft auch die Grenze zwischen Plagiat und wissenschaftlichem Zitat. 98 Das Zitat verweist durch Quellenangaben auf den ursprünglichen Urheber eines verwendeten Textes oder Gedankens und ist nur von begrenztem Umfang (vgl. §§ 51 Nr. 1, 63 UrhG). Wird dadurch ein neues selbständiges Werk hervorgebracht, ist die Benutzung einer urheberrechtlich geschützten Quelle zulässig, da deren Gedanken mit ihrem Erscheinen frei geworden sind. 99 Diese Freiheit des Gedankenguts und die freie geistige Auseinandersetzung bilden den Nährboden der Wissenschaft, die von Streit, Kontroverse, Disput, Rede und Gegenrede lebt. Wissenschaft ist ein „free market place of ideas“. 100 Das neu geschaffene Werk muss aber selbst alle Voraussetzungen eines eigenen geistigen Werkes aufweisen. Es muss eine schöpferische Leistung sein, die die des benutzten Werkes zumindest in einem gewissen Maße überwiegt (vgl. § 3 S. 1 UrhG). Zugleich dient die Quellenangabe der Nachprüfung und Kritikfähigkeit wissenschaftlicher Texte. In ökonomischer Hinsicht ist dagegen das Urheberrecht in der Wissenschaft eher von geringem Wert. Seine vermögensrechtlichen Bestandteile beeinträchtigen die Wissenschaft nicht, Urheberrechtsstreitigkeiten zwischen Wissenschaftlern sollen in der Praxis auch absolut unüblich sein. 101 Zumeist werden die Verwertungs- und Nutzungsrechte (§§ 15 ff., 31 ff. UrhG) bei der Veröffentlichung an die Verlage abgetreten, die finanzielle Gegenleistung ist gering. 102 Nach der hier vorgenommenen verfassungsrechtlichen Zuordnung zur Eigentumsgewährleistung kann das Urheberrecht nur insoweit Teil des geistigen Eigentums sein, als ihm eine vermögensrechtliche Komponente zukommt. Diese ist jedoch im Bereich der Wissenschaft nicht nur quantitativ vernachlässigbar, sondern auch eine Folge der Publizität. 103 Die Entdeckungen und Ideen der Wissenschaft sind damit nicht monopolisierbar, sondern frei verfügbar. 104 Entgelte für 98
Vgl. Theisen, Wissenschaftliches Arbeiten (2000), S. 139 ff. Vgl. Götting, in: Loewenheim, FS Nordemann (2004), S. 7 (11); Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 98 ff. 100 So völlig zu Recht Götting, in: Loewenheim, FS Nordemann (2004), S. 7 (9): Das Interesse wissenschaftlicher Urheber ziele vornehmlich auf den Schutz der Lehre und der Erkenntnis; so auch Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 83; die Ideenfreiheit wissenschaftlicher Werke sei Ausdruck der allgemeinen Gedankenfreiheit, ders., a. a. O., S. 57 f. 101 Götting, in: Loewenheim, FS Nordemann (2004), S. 7. 102 Sie soll bei einer Publikation stillschweigend vereinbart sein. Zu Nutzungs- und Verlagsverträgen siehe Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 155 f., Rdnr. 381 f.; zu aktuellen urheberrechtlichen Problemen bei wissenschaftlichen Werken: Hansen, GRUR Int 2005, 378 ff. 103 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb). Das Urheberrecht an Werken der Wissenschaft als „wissenschaftliches Eigentum“ zu bezeichnen, ist daher verfehlt, hierzu Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 5. 99
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Veröffentlichungen werden nicht für die Forschungstätigkeit oder die Forschungsergebnisse gewährt, sondern allein für die Einräumung der Nutzungsrechte am konkreten Werk. Veröffentlichungen sind also immer vom Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG umfasst, sofern nicht die wirtschaftliche Verwertung der Forschungsergebnisse betroffen ist. 105 b) Technisches Wissen aa) Schutz durch das Patentrecht Das Patentrecht schützt eine Erfindung, die neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und gewerblich anwendbar ist (§ 1 Abs. 1 PatG). Entscheidend für die Neuheit ist der Stand der Technik, der sich aus allen öffentlichen Kenntnissen ergibt (§ 3 Abs. 1 PatG). Eine Veröffentlichung patentfähiger Erkenntnisse vor einer Anmeldung vernichtet daher die Patentfähigkeit (sog. Neuheitserfordernis des Patents). Nach Erteilung schließt ein Patent alle Dritten von der Nutzung der geschützten Erfindung aus (§§ 9, 10, 11 PatG). Patente sind vererbbar und übertragbar, was insbesondere in beschränkter Form durch eine Lizenzerteilung möglich ist (§ 15 PatG), mit der Dritten die Nutzung der Erfindung gestattet werden kann. bb) Bedeutung des Patentschutzes in der Forschung Während das Urheberrecht das Werk schützt und lediglich einen Vergütungsanspruch für dessen Nutzung einräumt, sind Patente durch ihre Übertragbarkeit und die Möglichkeit der Lizenzerteilung im privatwirtschaftlichen Bereich wesentlich attraktiver. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Industrieforschung. Es kann behauptet werden, dass die Forschungsabteilungen in der Industrie dem Zweck der Patentanmeldung dienen. 106 Doch auch für die Universitäten ist die Attraktivität von Patenten gestiegen – ebenso der Druck, Forschung in patentfähige Erfindungen münden zu lassen.
104 Urheberrecht und Patentrecht gewähren Schutz gegen ganz unterschiedliche Arten von Handlungen, Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 61 f. Sinn der urheberrechtlichen Vorschriften ist es, die Monopolisierung wissenschaftlicher Ideen gerade zu verhindern (ders., a. a. O., S. 74 ff.). 105 Leuze, GRUR 2005, 27 (30); vgl. auch Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 330. 106 Kamp, Kommerz (2004), S. 79; Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 65 f.; vgl. hierzu die von Holzapfel vorgestellte Studie (ders., Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge [2004], S. 86 f.), wonach im Bereich Chemie/Pharmazie Versuchshandlungen an patentierten Erfindungen zu knapp 50% „häufig“ oder „manchmal“ dazu dienen, eine eigene gewerbliche Nutzung nach Schutzrechtsablauf vorzubereiten.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Vorbild sind die USA: So haben zum Beispiel 1997 die US-amerikanischen Universitäten etwa 6.000 Patentanmeldungen eingereicht, über 2.400 Patente wurden erteilt, und aus etwa 7.000 Lizenzverträgen wurden 611 Mio. US-Dollar eingenommen. Die Umsetzung von Ergebnissen der bio- und gentechnologischen Forschung hat dort die Entstehung akademisch-industrieller Komplexe zur Folge, deren Output weit über den Ergebnissen normaler industrieller Forschungslabors liegt. Die dadurch entstandene Goldfiebermentalität hat dazu geführt, dass die Lehre und weniger lukrative Forschungsbereiche vernachlässigt wurden. 107 Gleiches schwebt auch der deutschen Hochschul- und Wirtschaftspolitik vor. 108 Somit rückt die nichtindustrielle, insbesondere universitäre Forschung als potentielle Innovationsquelle der „Standortpolitik“ in den Mittelpunkt der Forschungspolitik. Die DFG, die Hochschulrektorenkonferenz und das Bundesministerium für Bildung und Forschung haben sich in Fragen der Patentierung von Ergebnissen der öffentlich geförderten Forschung neu positioniert. Die früher eher zurückhaltende Beurteilung von Patenten als Mittel des „Wissens- und Technologietransfers“ (vgl. § 2 Abs. 7 HRG) ist dem Primat der wirtschaftlichen Nutzbarkeit von Forschungsergebnissen gewichen. Die Hochschulen sollen in die Lage versetzt werden, eine Patentinfrastruktur aufzubauen und die Verwertung von Forschungsergebnissen gezielt zu betreiben. Patentrechte haben somit eine starke wirtschaftspolitische Komponente. Sie sollen es nicht nur dem Kreativen ermöglichen, die Produkte seiner Arbeit zur wirtschaftlichen Grundlage seiner schöpferischen Tätigkeit zu machen, sondern auch angesichts der Konkurrenz einer globalisierten Weltwirtschaft die nationale „Innovationsfähigkeit“ fördern und Investitionen in Forschung und Entwicklung sichern. 109 Da jedoch der markanten Steigerung der Patentanmeldungen eine Stagnation der Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung gegenübersteht, wird vermutet, Patente seien im Wirtschaftsleben mehr und mehr strategische Instrumente, mit denen Konkurrenten blockiert oder die als technologische „Tauschwährung“ bei Geschäftsverhandlungen oder Übernahmen eingesetzt werden. 110
107
Nach Ohly, GRUR Int. 1994, 886; siehe auch Schulte, VVDStRL 65 (2006), 110
(131). 108 So für die Bio- und Gentechnik auch Dolata, Ökonomie der Forschung (1996), S. 158 ff., 180 ff. 109 Bundesbericht Forschung 2004, S. 503; so auch BVerfGE 81, 108 (121): Der Gesetzgeber dürfe davon ausgehen, „daß Erfindungen für die wirtschaftliche Entwicklung wesentliche Anstöße geben, die insbesondere im Interesse der nationalen Konkurrenzfähigkeit förderungswürdig sind.“ 110 Vgl. Bundesbericht Forschung 2004, S. 503, sowie Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 329 f.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Die Fokussierung der Diskussion auf das Patentrecht ist ein Zeichen dafür, dass die Produktion neuen Wissens in der Biologie, Chemie und Genforschung immer stärker aus dem System „Wissenschaft“ herausgelöst und, in Gestalt von Bio- und Gentechnologie, an das System „Wirtschaft“ angekoppelt wird. 111 Die Forschungsfreiheit spielt dabei nicht nur eine untergeordnete Rolle, sondern ihre Verletzung wird auch in Kauf genommen. Besonders deutlich wird das an § 42 ArbEG, den man geradezu als wissenschaftsfeindlich bezeichnen kann. 112 cc) Erstes Beispiel: das Arbeitnehmererfindungsgesetz Das Ziel der Reform des Arbeitnehmererfindungsgesetzes (ArbEG) 113 2002 war es, den „Wissenschafts- und Technologietransfer“ an Hochschulen zu fördern und damit zu mehr Innovation beizutragen. 114 Das Arbeitnehmererfindungsgesetz schließt eine Lücke zwischen dem Patentgesetz, das vom Erfinderprinzip ausgeht (dem Erfinder stehen die Früchte seiner Leistung zu), und dem Arbeitsrecht, in dem Leistungen des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber zustehen. Grundsätzlich muss nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über eine Erfindung informieren und sie diesem anbieten. Im Gegenzug wird der Arbeitnehmer an den Einnahmen beteiligt. Hiervon wurde und wird im Bereich der Hochschulen eine Ausnahme gemacht. Bis zum Jahr 2002 existierte mit § 42 ArbEG a. F. 115 ein weites sog. „Hochschullehrerprivileg“, mit dem bis dahin seit 1957 116 Professoren, Assistenten und 111 Lege, in: Schulte, HdBTechR (2003), S. 669 (793). Der Wert vieler Unternehmen aus dem Bio- und Gentechnikbereich besteht gerade nur aus „Know-How“, d. h. aus Patenten. 112 Vgl. Hübner, WissR 2005, 34 (39). 113 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen vom 18. 01. 2002, BGBl. I 414; vgl. hierzu auch Lux, Kooperation (2001), S. 147 ff. 114 Vgl. die Entwurfsbegründung zum ArbEG in BT-Drs. 14/5975, S. 6. 115 § 42 ArbEG in seiner bis 06. 02. 2002 gültigen Fassung lautete: (1) In Abweichung von den Vorschriften der §§ 40 und 41 sind Erfindungen von Professoren, Dozenten und wissenschaftlichen Assistenten bei den wissenschaftlichen Hochschulen, die von ihnen in dieser Eigenschaft gemacht werden, freie Erfindungen. Die Bestimmungen der §§ 18, 19 und 22 sind nicht anzuwenden. (2) Hat der Dienstherr für Forschungsarbeiten, die zu der Erfindung geführt haben, besondere Mittel aufgewendet, so sind die in Absatz 1 genannten Personen verpflichtet, die Verwertung der Erfindung dem Dienstherrn schriftlich mitzuteilen und ihm auf Verlangen die Art der Verwertung und die Höhe des erzielten Entgelts anzugeben. Der Dienstherr ist berechtigt, innerhalb von drei Monaten nach Eingang der schriftlichen Mitteilung eine angemessene Beteiligung am Ertrage der Erfindung zu beanspruchen. Der Ertrag aus dieser Beteiligung darf die Höhe der aufgewendeten Mittel nicht übersteigen. 116 Die Tradition des Hochschullehrerprivilegs reicht freilich bis ins 19. Jahrhundert zurück. 1957 wurde diese Praxis auch gesetzlich in § 42 ArbEG festgeschrieben, vgl. Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Dozenten wissenschaftlicher Hochschulen die freie Verfügungsbefugnis über ihre Erfindungen eingeräumt wurde. D. h., sie konnten frei über die wirtschaftliche Nutzung ihrer naturwissenschaftlichen oder technischen Forschungsergebnisse entscheiden. 117 Diese Sonderregelung für Hochschulangehörige, die nicht für andere Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (beispielsweise an zweckgebundenen öffentlichen Forschungseinrichtungen) galt, 118 wurde mit der Einheit von Forschung und Lehre begründet. 119 Hochschulangehörige hätten nicht die Aufgabe, erwerbswirtschaftlich mit Schutzrechten zu handeln, und die Verfügung über die durch Hochschulforschung gewonnenen Erkenntnisse sei der Forschungsund Lehrfreiheit zuzuordnen. Somit stand für viele Forscher an den Hochschulen im Bemühen um Reputation 120 die frühestmögliche Publikation im Vordergrund ihres Interesses, nicht jedoch eine Patentierung. 121 Damit, so meint man, sei eine „Verwertungslücke“ entstanden und seien Möglichkeiten zur Schaffung wirtschaftlicher Werte und zur Sicherung von Arbeitsplätzen unwiederbringlich verloren gegangen, genauso wie „progressives Innovationsverhalten“ der universitären Forscher. 122 Außerdem verpflichte Art. 5 Abs. 3 GG nicht zur Belassung der Schutzrechte beim Erfinder. 123 Nach der Neuregelung ist der Hochschulforscher nun nicht mehr „Herr seiner Forschungsergebnisse“, 124 sondern hat nur folgende Alternative: Entweder kann er die Erfindung der Hochschule anzeigen, und diese ist sodann verpflichtet, die Erfindung auf ihre Patentfähigkeit zu prüfen und die Patentanmeldung vorzunehmen (§ 40 i. V. m. §§ 5, 13 Abs. 1 S. 1 ArbEG). Oder er kann, wie es heißt, „aufgrund seiner Lehr- und Forschungsfreiheit“ diese für sich behalten, darf sie jedoch dann nicht mehr „offenbaren“(§ 42 Nrn. 2 und 1 ArbEG). Im ersten Fall muss er vor 117
Vgl. Fleuchhaus/Braitmayer, GRUR 2002, 653; Böhringer, NJW 2002, 952 f. Und auch noch immer nicht gilt, vgl. den unverändert gebliebenen § 40 ArbEG. 119 Vgl. Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 332; für die Abschaffung von § 42 ArbEG a. F. wegen der Ungleichbehandlung von Forschern in staatlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen auch Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 517, Rdnr. 575. 120 Siehe oben Drittes Kapitel, B. I. 1. b). 121 Fleuchhaus/Braitmayer, GRUR 2002, 653 (654). Siehe auch eine entsprechende Pressemitteilung der Universität Heidelberg vom 21. 08. 1997 (http://www.uni-heidelberg.de/ uni/presse/BioRegio/patent.htm [30. 11. 2005]). 122 So die Kritik von Fleuchhaus/Braitmayer, GRUR 2002, 653 (654). 123 Fleuchhaus/Braitmayer, GRUR 2002, 653 (654); ähnlich Böhringer, NJW 2002, 952 f.; siehe hierzu M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 124 ff. mit dem Vorschlag, das Neuheitserfordernis bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu modifizieren und eine „Neuheitsschonfrist“ einzuführen. Gleiches befürwortet auch eine Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Als aussichtslos angesichts der internationalen Prägung des Patentrechts betrachtet dies jedoch Lux, Kooperation (2001), S. 157. 124 Leuze, GRUR 2005, 27 (28). 118
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
einer Offenbarung, z. B. einer Veröffentlichung, die Erfindung der Hochschule „rechtzeitig, in der Regel zwei Monate zuvor“ anzeigen und schweigen (§ 42 Nr. 1 ArbEG), bis diese die Erfindung angemeldet hat oder sich entschieden hat, ob die Erkenntnis entweder nicht patentfähig oder -würdig ist oder ob sie dem Forscher zur alleinigen Nutzung überlassen werden soll. 125 Im Ergebnis führt das dazu, dass an einer schutzrechtsfähigen Erfindung zwingend ein Patent begründet wird, wenn dies die Hochschule will. Damit ist ein „Wechsel von der Hochschullehrer-Erfindung zur Hochschulerfindung“ erfolgt. 126 Alle Erfindungen sind nun Diensterfindungen (vgl. § 4 Abs. 2 ArbEG), für die die Hochschule grundsätzlich ein Verwertungsrecht hat. Dadurch soll es ihr möglich gemacht werden, alle wirtschaftlich nutzbaren Erfindungen in ihrem Bereich schützen zu lassen und einer industriellen Verwertung zuzuführen. 127 Ziel ist der Aufbau eines aus Verwertungserlösen finanzierten Patent- und Verwertungswesens. 128 Nach Meinung des Gesetzgebers ist diese Regelung mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar, da die Forschungsfreiheit kein Recht auf kommerzielle Nutzung von Wissenschaftserfindungen einräume. 129 Die Art. 5 Abs. 3 GG zugerechnete Publikationsfreiheit sei durch die Wahlmöglichkeit des Forschers (Anzeige und Offenbarung zu einem späteren Zeitpunkt oder Nichtoffenbarung) gewahrt. 130 Dies ist aber nur insoweit gegeben, als der Forscher frei ist, ob er sein Wissen dem Dienstherrn anzeigt oder ob er schweigt. 131 Damit ist nur eine negative Publikationsfreiheit gewahrt, jedoch keine positive. Denn der Forscher ist nicht frei, ob, wann und wem er sein Wissen offenbart. Bis zur Anmeldung des Patents durch die Hochschule bzw. während der Prüfung in der Zeit der ZweiMonats-Regelvermutung 132 des § 42 Nr. 1 ArbEG unterliegt der Forscher der Ge-
125
Fleuchhaus/Braitmayer, GRUR 2002, 653 (655). Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743. 127 Vgl. Bericht des BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/7573, S. 2; Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743 (744). 128 Bericht des BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/7573, S. 5; Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743 (744). 129 Böhringer, NJW 2002, 952 f.; so im Ergebnis auch Kamp, Kommerz (2004), S. 245, der Einschränkungen von Verwertungshandlungen durchaus eine mittelbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch einen „Vorwirkungszusammenhang“ beimisst (ders., a. a. O., S. 246 f); ebenfalls zust. Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743 (744 f., 749 ff.); a. A. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 28. 130 Vgl. BT-Drs. 14/5975, S. 6; Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743 (750); „unproblematisch“ nach Fenger/Göben, Sponsoring im Gesundheitswesen (2004), S. 94. 131 Die Schweigeoption soll nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem bei wissenschaftlich-ethischen Fragen relevant sein, so Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743 (753). 132 Die Zeit bis zur Prüfung oder Anmeldung eines Schutzrechts durch die Hochschule kann auch länger oder kürzer sein. In der Regel sind bei einer Patentanmeldung mehrere 126
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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heimhaltungspflicht des § 24 ArbEG. Damit soll die Neuheitsschädlichkeit einer vorherigen Veröffentlichung vermieden werden. 133 Mit der Einführung des § 42 ArbEG haben sich die Patentanmeldungen der Hochschulen nahezu verdoppelt. 134 Dabei ist schon faktisch zweifelhaft, ob angesichts der zu erwartenden hohen Kosten eine Gegenfinanzierung durch das erst noch an den Hochschulen zu etablierende Schutzrechts- und Verwertungswesen möglich ist. 135 Rechtlich ist die gesetzliche Beschränkung auf eine negative Publikationsfreiheit, wie noch zu zeigen ist, ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 GG. 136 dd) Zweites Beispiel: die Biopatentrichtlinie und ihre Umsetzung in nationales Recht Das Vordringen des geistigen Eigentums in die Wissenschaft zeigt sich qualitativ auch am Streit um die die EG-Biopatentrichtlinie 137 und deren Umsetzung in nationales Recht, die Anfang 2005 im Patentgesetz n. F. erfolgte. 138 Ziel der Vorschriften ist der Schutz biotechnologischer Erfindungen, denen grundlegende Bedeutung für die industrielle Entwicklung zugesprochen wird. Die hohen Investitionen, die auf diesem Gebiet getätigt werden, sollten rentabel gestaltet werden, und es sollen gleichzeitig ethische Grenzen durch ausdrückliche Patentierungsverbote aufgestellt werden. 139
Monate zu veranschlagen, so Leuze, GRUR 2005, 27 (32); von sechs Monaten geht M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 97 aus. 133 Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743 (750). 134 Von 249 (2001) auf 572 (2003); siehe hierzu BT-Drs. 15/4793 (Bericht der Bundesregierung zur Lage der Forschung in Deutschland vom 31. 01. 2005), S. 59 f. 135 Bartenbach/Hellebrand, MDP 2002, 165 (170). Der Bund unterstützt die Hochschulen beim Aufbau eines professionellen Patent- und Verwertungswesens durch 20 Patentund Verwertungsagenturen (Bundesbericht Forschung 2004, S. 366). 136 Siehe hierzu unten Fünftes Kapitel, D. II. 2. b) aa). 137 Richtlinie 98/44/EG (ABl. EG Nr. L 213 S. 13); siehe hierzu u. a.: Rogge, GRUR 1998, 303 ff.; Feuerlein, GRUR 2001, 561 ff.; Zintler, Biotechnologierichtlinie (2002); Sellnick, GRUR 2002, 121 ff.; Köster, GRUR 2002, 833 ff.; Schrell, Funktionsgebundener Stoffschutz für biotechnologische Erfindungen?, GRUR 2001, 782 ff.; Raden/Renesse, GRUR 2002, 393 ff.; Spranger, GRUR 2002, 399 ff.; Albers, JZ 2003, 275 ff.; Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 262 ff.; Wolfrum/Stoll/Franck, Genforschung (2002); Erster Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht zu dem Thema „Schutz des Geistigen Eigentums in der Biotechnologie“, BT-Drs. 14/5157. 138 Mit dem PatG n. F. (neugefasst durch Bek. vom 16. 12. 1980; 1981 BGBl. I 1, zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz vom 21. 01. 2005 BGBl. I 146) erfolgte die Umsetzung mit fast fünfjähriger Verspätung und erst nach Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG-Vertrag. 139 Vgl. BT-Drs. 15/1709, S. 8.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Gerade die Patentierung von biotechnologischen Erfindungen bezeugt in rechtsdogmatischer Hinsicht das Übergreifen von Monopolrechten auf bisher gemeinfreie wissenschaftliche Entdeckungen. Auf dem Gebiet der Bio- und Gentechnologie wird eine Abgrenzung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und patentfähiger Erfindung schwierig. Bereits im Prozess der Erkenntnisgewinnung gibt es kein Nacheinander der Forschungsstadien von der Grundlagenforschung bis hin zur industriellen Anwendung mehr, da sich die Arbeitsschritte ständig überlagern oder gar synthetisieren. 140 Die (vermeintliche) Grenze zwischen Wissenschaft und Technik, wie sie sich im Patentrecht wiederfindet, verwischt, 141 während sich zugleich ein typischer, enger Zusammenhang zwischen Ökonomie und Wissenschaft in diesem Forschungs- und Entwicklungsbereich zeigt. Einem Patent geht hier immer wissenschaftlich-methodologische Forschung voraus, die auch, folgt man dem weiten Normbereichsverständnis, Art. 5 Abs. 3 GG unterfiele. (1) Das grundsätzliche Problem Unter dem Schlagwort „Patente auf Leben“ gerieten die Biopatentrichtlinie und ihre Umsetzung in ein nationales Biopatentgesetz seit 1998 in die breite öffentliche Diskussion. Die neuen Normen sehen vor, dass biologisches Material auch dann Gegenstand einer Erfindung sein kann, wenn es in der Natur schon vorhanden ist, 142 weil das bis dato geltende traditionelle Patentrecht die wirtschaftliche Verwertung biotechnischer Erkenntnisse verhinderte. Weder die Begrifflichkeiten des Patentrechts, das seine Grundlegung während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erfuhr, als es um Innovationsschutz für die technische Verwendung unbelebter Materie ging, noch seine grundlegenden Vorstellungen von dem, was eine Erfindung ist, sind in Übereinstimmung mit biotechnischen Verfahren zu bringen. 143 Grundsätzlich wird ein Patent für ein gewerblich anwendbares technisches Verfahren, d. h. eine Lehre zum technischen Handeln, die den Stand der Technik erweitert (Erfindung), erteilt. 144 Eine Entdeckung ist dagegen etwas, das zwar bisher unbekannt, in der Natur aber bereits vorhanden ist. 145 Grundlage biotechnischer Forschung sind natürliche lebende Strukturen: Organe, Gewebe, Zellen und 140
Vgl. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 69; Vitzthum, in: FS Lerche (1993), S. 341 (346). 141 Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, A. II. 3. 142 Nun umgesetzt in § 1 Abs. 2 PatG. 143 Krit. hierzu: Zwischenbericht Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT-Drs. 14/5157, S. 12. 144 Vgl. BT-Drs. 15/1709, S. 10; Chrocziel, Gewerblicher Rechtsschutz (2002), S. 85, Rdnr. 210. Stärker abstrahiert kann man auch sagen, die Erfindung ist die Lösung eines Problems mittels technischer Überlegungen (so Albers, JZ 2003, 275 [277]). 145 Albers, JZ 2003, 275 (277) unter Bezugnahme auf Art. 52 Abs. 2 a EPÜ.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Gene. Sie existieren bereits. 146 Wenn ein Forscher für Elemente wie Sauerstoff, Chlor oder Zink kein geistiges Eigentum reklamieren darf, ist erst einmal nicht eingängig, dass für biologische Stoffe anderes gelten soll, insbesondere wenn es sich um biochemische Verbindungen handelt, aus denen menschliche Gene, Gensequenzen oder Teilsequenzen bestehen. 147 Es handelt sich hier nicht um „neue Stoffe“ mit bestimmten physikalischen oder chemischen Eigenschaften, sondern um eine Beschreibung der Abfolge von bekannten Nukleotiden, aus denen sie aufgebaut sind. Gensequenzen gleichen damit Informationen. 148 Da jedoch ohne Erfindung kein Patent möglich ist, muss zur Integration derartiger Erkenntnisse in den Patentschutz der Begriff der Erfindung angepasst werden. 149 Dies scheint erst recht zu gelten, wenn von Seiten der Industrie mit dem Schlagwort „no patent, no cure“ argumentiert wird. 150 Zur Begründung kann vorgebracht werden, es seien (neue) technische Verfahren, mit denen biologische Stoffe isoliert oder gewonnen würden. Technische Verfahren waren schon immer patentfähig (sog. Verfahrenspatent, § 9 S. 2 Nr. 2 PatG), und solche Verfahren dürfen sich nach der Rechtsprechung auch auf belebte Materie beziehen. 151 Auch technische Erzeugnisse können als Erfindung geschützt werden (vgl. § 9 S. 2 Nr. 1 PatG). Zusätzlich ist unabhängig vom Verfahren die Patentierung eines (unbelebten) Stoffes seit Ende der 1960er Jahre anerkannt, sofern damit eine technische Innovation verbunden ist (sog. Stoffpatent, erwähnt in § 5 Abs. 2 S. 2 PatG). 152 Dies ist zum Beispiel für pharmazeutische Produkte bedeutsam, da eine Beschränkung auf das Verfahren keinen ausreichenden Schutz vor Nachahmung durch andere Herstellungsverfahren gewährleisten und der Patentschutz leer laufen würde. 153 Doch spätestens, seitdem Patente nicht nur für Erzeugnisse, sondern auch für bereits in der (unbelebten) Natur vorkommende Stoffe erteilt werden, ist die Grenze zwischen Erfindung und Entdeckung überschritten, auch wenn es letztlich nach wie vor die technische Herstellung oder Isolation eines natürlichen Stoffes ist, die geschützt wird. Ein Stoffpatent bedeutet nicht, dass der Stoff als solcher 146
Renesse/Tanner/Renesse, MDP 2001, 1 (3). Vgl. Albers, JZ 2003, 275 (277). 148 Wolfrum/Stoll/Franck, Genforschung (2002), S. 39 f. 149 Vgl. Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (63). 150 Zwischenbericht Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT-Drs. 14/5157, S. 11. 151 BGHZ 52, 74 ff. – Rote Taube; zur Entwicklung der Rspr. siehe Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 139 ff. sowie Albers, JZ 2003, 275 (278 f.). 152 Vgl. zur Entwicklung BT-Drs. 15/1709, S. 10. Das Stoffpatent sei jahrzehntelang eine „Glaubensfrage“ gewesen, so mit ausführlicher Darstellung Bruchhausen, in: Beier/ Kraft, FS Gewerblicher Rechtsschutz (1991), Bd. I, S. 323 (328 f.). 153 Im Pharmabereich sind dies z. B. die Generika. 147
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Eigentum des Erfinders wird. 154 Es geht aber über den Schutz eines bestimmten Verfahrens weit hinaus. Biopatentrichtlinie und Biopatentgesetz sahen nun angesichts dieser Entwicklung – unter bestimmten Voraussetzungen – auch die Erteilung von Stoffpatenten auf biologisches Material vor (vgl. § 2a Abs. 3 Nr. 1 PatG), selbst wenn dieses mit einem bereits in der Natur vorkommenden Stoff identisch ist (§ 1 Abs. 2 PatG). Dagegen wurde eingewendet, der Rückgriff auf das Paradigma des absoluten Stoffpatents sei insbesondere für die Patentierung von Gen-Sequenzen nicht tragfähig. Damit könne eine „Überbelohnung“ und könnten schwerwiegende Einschränkungen für die Forschung verbunden sein, da gerade im Bereich der Biotechnologie zu viele Erkenntnisse der Grundlagenforschung patentiert worden seien. 155 Andererseits hieß es, zu hohe Anforderungen an ein Stoffpatent verstießen gegen internationales Recht und die Biopatentrichtlinie, zumal ein freizügiger Stoffschutz unerlässlich sei, damit die hohen Investitionen vor allem im Pharmabereich wirtschaftlich erfolgreich sein könnten. 156 Stoffpatente sollen nach dem Biopatentgesetz grundsätzlich auch für im Menschen (und nur dort) vorkommende Stoffe gelten. Ethische Grenzen sollen Patentierungsverbote ziehen. Derartige Verbote können im nationalen Patentrecht (vgl. § 2 PatG) wie auch nach der Biopatentrichtlinie und dem EPÜ nur dann ausgesprochen werden, wenn die gewerbliche Verwertung einer Erfindung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt. Für einen Verstoß ist ein gesetzliches Verbot der Verwendung einer Erfindung noch nicht ausreichend (§ 2 Abs. 1 a. E. PatG). Somit kann nicht nur der Gegenstand der Erfindung selbst gegen § 2 Abs. 1 PatG verstoßen, sondern auch die Verwertung in der Hand eines Patentinhabers und die damit einhergehende Kommerzialisierung des Gegenstandes, wie es etwa gem. § 2 Abs. 2 Nr. 3 PatG bei der Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken der Fall ist. 157 (2) Insbesondere: Patentierung von menschlichen Gensequenzen In den letzten Jahren setzte ein Wettrennen um die Patentierung von humanen Gensequenzen ein. Es wurde von einer „Goldgräberzeit“ gesprochen, in der „Claims“ abgesteckt wurden. 158 So sollen nur drei Firmen weltweit den Anspruch
154
Renesse/Tanner/Renesse, MDP 2001, 1 (2). FAZ vom 17. 11. 2004; vgl. auch Raden/Renesse, „Überbelohnung“ – Anmerkungen zum Stoffschutz für biotechnologische Erfindungen, GRUR 2002, 393 ff., sowie Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 264 f.; a. A. Köster, GRUR 2002, 833 (838): Eine Beschränkung des Stoffschutzes auf bestimmte Funktionen sei ein patentrechtlicher „Rückschritt“. 156 Zu den ökonomischen Gesichtspunkten: Köster, GRUR 2002, 833 (840). 157 Vgl. Fuchs, JZ 1999, 597 (604), insb. zu den besonderen Patentierungsverboten. 155
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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auf 50% des menschlichen Genoms erheben. 159 Dahinter steckte die Erwartung, dass Genen für die Arzneimittelentwicklung und Diagnostik eine Schlüsselposition zukommt. Die Biopatentrichtlinie legt fest, dass Erfindungen, deren Gegenstand der menschliche Körper oder ein Bestandteil davon ist, grundsätzlich patentierbar sind und denselben Patentierbarkeitsvoraussetzungen unterliegen wie andere stoffgebundene Erfindungen. Das gilt auch für die Sequenz (Teilsequenz) eines Gens. Zentraler Begriff in der Biopatentrichtlinie ist hierbei im Zusammenhang mit der gewerblichen Anwendbarkeit die „Funktion“ des Stoffes, d. h. Gens, das patentiert werden soll. 160 Mit ihm wurde eine neue (und unscharfe) Voraussetzung eines Stoffpatents geschaffen. Fraglich war, ob es für eine Erfindung ausreicht, eine Gensequenz und deren wie auch immer geartete biologische Funktion zu beschreiben (was mehr einer patentierbaren Entdeckung entspräche), oder ob eine technische Funktion (d. h. die gewerbliche Anwendbarkeit) angegeben werden muss und der Patentschutz hierauf beschränkt wird. 161 Besonders umstritten bei der Umsetzung in nationales Recht war folglich, ob Genpatenten nach der Richtlinie ein absoluter Stoffschutz (vgl. § 14 PatG) zukommen darf oder gar muss – oder lediglich ein auf eine technische Funktion begrenzter. Mit dem Biopatentgesetz hat sich der Gesetzgeber für die restriktive Alternative entschieden: § 1a Abs. 2 bis 4 PatG n. F. lässt die Patentierbarkeit menschlicher Gensequenzen grundsätzlich zu, worüber das lediglich deklaratorische Verbot der Patentierbarkeit des menschlichen Körpers oder seiner Bestandteile und Keimzellen, sofern sie lediglich entdeckt werden (§ 1a Abs. 1 PatG), nicht hinwegtäuschen darf. 162 Voraussetzung ist allerdings, dass der Bestandteil oder die Gensequenz durch ein technisches Verfahren isoliert wurden (Abs. 2) und die gewerbliche Anwendbarkeit konkret unter Angabe von deren Funktion beschrieben wird (Abs. 3). Stoffschutz für eine menschliche Gensequenz besteht sodann nur im Rahmen der beschriebenen Verwendung, was Abs. 4 noch einmal klarstellt. Einem absoluten Stoffschutz für (Teil-)Sequenzen eines menschlichen Gens ist damit nach dem Willen des Gesetzgebers ein Riegel vorgeschoben. 163 Ebenso soll nurmehr in seltenen Fällen zu erwarten sein, dass bei einer bereits patentgeschützten Gensequenz Lizenzgebühren verlangt werden, wenn ihr eine weitere (neue) patentfähige Funktion zugeordnet wird. 164 Damit existiert ein beschränkter Stoffschutz auf menschliche 158
FAZ vom 17. 11. 2004, S. 34; Sellnick, GRUR 2002, 121. Abg. Wolfgang Wodarg, BT-Prot. 14/167, 16400. 160 Vgl. Schrell, GRUR 2002, 782 ff. 161 Zwischenbericht Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT-Drs. 14/5157, S. 12. 162 Vgl. die Begründung zu § 1a Abs. 1 PatG in BT-Drs. 15/1709, S. 10; vgl. hierzu auch Lege, in Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 67 (84). 163 Vgl. die Begründung zu § 1a Abs. 4 PatG in BT-Drs. 15/4417, S. 9. 159
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Gene und Gensequenzen, für alle anderen biotechnologischen Erfindungen, d. h. auch bei menschlichen Stoffen, gilt diese Beschränkung jedoch nicht (vgl. aber § 2a Abs. 2 PatG). Hier existiert ein absoluter Stoffschutz, mit dem die Grenze zwischen Erfindung und Entdeckung in der belebten Materie überschritten wird. (3) Wirkungen des Biopatentrechts auf Wissenschaft und Gesellschaft Gegen Kritik an den „Patenten auf Leben“ wird eingewendet, dass die Wirkung des Patentrechts überschätzt werde. Es sei nicht der richtige Adressat für die Forschungs- und Techniksteuerung in der Bio- und Gentechnik. Denn nach überwiegender Auffassung rechtfertigt eine Patenterteilung weder die vorangegangenen Versuche, noch verleiht sie das Recht, die gefundenen Ergebnisse ohne Rücksicht auf die allgemeine Rechtsordnung anzuwenden. Rechtsfolge ist lediglich der Ausschluss Dritter von einer (fiktiven) gewerblichen Verwertung. 165 Andererseits kann die Patentierbarkeit verbotener Verwendungen als rechtliche Billigung der patentrechtlich geschützten Handlung (miss-)verstanden werden und erheblich auf bestehende Rechts- und Sittenvorstellungen zurückwirken. 166 Die Sorge erscheint nicht unbegründet, dass sich aus einer erfolgten Patentierung der Druck entwickeln kann, das Patentierte in der Folge auch zuzulassen. 167 Eine wenn auch beschränkte Patentierbarkeit von Stoffen des menschlichen Körpers beeinflusst den Umgang der Rechtsordnung mit dem Menschen, wenn sie eine Verzweckung von Bestandteilen des Menschen für schützenswert erachtet. 168 Zudem führt der erweiterte Patentschutz zu erneuten und erweiterten Forschungsanstrengungen, insbesondere bei denjenigen, die bereits erteilte Patente innehaben. Darin soll ja gerade die Anreizfunktion des Patentschutzes bestehen, die diesen rechtfertigt. 169 Damit einher geht jedoch auch die Gefahr von Monopolen in der Hand weniger wirtschaftlich Mächtiger. 170
164
BT-Drs. 15/1709, S. 10 f. Vgl. § 2 Abs. 1 a. E. PatG; Haedicke, JuS 2002, 113 (115 f.); zum Patentrecht als Mittel der Techniksteuerung Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 125 ff. 166 Rogge, GRUR 1998, 303. 167 So die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT-Drs. 14/ 5157, S. 11, die auch Probleme bei der Kontrolle sieht. 168 Insoweit kann dem Biopatentgesetz wie in der Diskussion um das Stammzellgesetz das „Dammbruch-Argument“ entgegengehalten werden. Die Vereinbarkeit mit einem objektiven Menschenwürdeprinzip stellt sich durchaus. Von den Niederlanden wurde die Biopatentrichtlinie wegen Verstoßes gegen die Menschwürde vor dem EuGH angegriffen, dieser hielt sie jedoch mit EU-Recht für vereinbar, ohne sie am Maßstab der Menschenwürde wirklich gemessen zu haben (hierzu Frahm/Gebauer, EuR 2002, 78 ff.); verhalten kritisch gegenüber der These von der ethischen Neutralität des Patentrechts: Albers, JZ 2003, 275 (280), die „ganz neue Konzeptionen“ verlangt, der die Biopatentrichtlinie nicht gerecht werde (dies., a. a. O., 284). 165
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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Das bestehende Patentrecht ist deshalb entgegen der herrschenden Meinung nicht „wertneutral“ 171 und kann auch nicht so konzipiert sein. Es muss das Ergebnis einer Abwägung zwischen der Privatnützigkeit und der Sozialpflichtigkeit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG) vermögenswerter Güter sein, mithin müssen im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) geistigen Eigentums sowohl das Moment der Forschungs- und Techniksteuerung als auch negative Wirkungen auf Wissenschaft und Gesellschaft berücksichtigt werden. Nebenbei muss auch gefragt werden dürfen, warum der Entdecker lediglich mit Ruhm, der Erfinder jedoch mit geldwerten Patenten belohnt wird. 172 Unklar bleibt, inwieweit sich die Forschungsfreiheit auf die einfachrechtliche Gestaltung des Schutzes des geistigen Eigentums auswirken muss. Eine Begrenzung des Art. 14 Abs. 1 GG durch das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 GG wird nur unzureichend oder gar nicht in Erwägung gezogen, obwohl jede Ausweitung von immateriellen Schutzrechten im Patentrecht zugleich die Forschungsfreiheit berührt.
II. Beschränkung der Forschungsfreiheit durch den Schutz geistigen Eigentums Geistiges Eigentum steuert nicht nur die Erkenntnisgewinnung, sondern es beschränkt sie auch. Dies wurde bereits an § 42 ArbEG deutlich. Darüber hinaus gibt es weitere Problemfelder. In den USA gaben bei einer Umfrage 40% der befragten Forscher an, durch Patente in ihren Forschungsarbeiten behindert zu werden. Industriebezogene Forschung sei davon stärker betroffen als akademische. Im industriellen Umfeld der Biotechnologie sei es mit 76 Prozent besonders häufig zu Behinderungen im Zusammenhang mit der Lizenzierung patentierter Technologien gekommen. 173 1. Das patentrechtliche Versuchsprivileg und „research tools“ Oftmals scheint in der Öffentlichkeit die Ansicht vorzuherrschen, universitäre Grundlagenforschung sei wie selbstverständlich von Beschränkungen durch den 169 Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 130; krit. zu den Möglichkeiten, Techniksteuerung durch das Patentrecht zu erreichen, ders., a. a. O., S. 142. 170 Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 134; auch Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 67 (85). 171 Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt „wertneutrale“ rechtliche Konzeptionen gibt. Jede rechtliche Regelung, auch wenn sie „wertneutral“ konzipiert ist, wirkt sich in ihrem Kontext auf gesellschaftliche Werte aus. 172 Vgl. Abg. Wolfgang Wodarg, BT-Prot. 14/167, 16399. 173 Die Umfrage erfolgte unter den Mitgliedern der „American Association for the Advancement of Science“ (AAAS), die auch das Magazin „Science“ herausgibt; siehe hierzu: http://sippi.aaas.org/survey/AAAS_IP_Survey_Report.pdf [30. 11. 2005].
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Patentschutz für Erfindungen ausgenommen, da für sie ein „Forscherprivileg“ 174 gelte. Man meint offensichtlich, es komme nur zum Konflikt, wenn kommerzielle Absichten der Forschung bestehen, sie mithin zur Konkurrenz für den Patentinhaber wird. 175 Dem widerspricht jedoch die Reichweite des sog. patentrechtlichen Versuchsprivilegs. Gem. § 11 Nr. 2 PatG erstreckt sich die Wirkung des Patents nicht auf „Handlungen zu Versuchszwecken, die sich auf den Gegenstand der patentierten Erfindung beziehen“. 176 Eine patentierte Erfindung darf deshalb nach § 11 Nr. 2 PatG auch gewerbsmäßig verifiziert und ggf. weiterentwickelt werden. 177 Darunter fallen zum Beispiel auch Versuche mit fremden patentgeschützten Arzneimitteln in klinischen Studien, selbst wenn durch die Erprobung eigene Verwendungspatente angestrebt werden. 178 Es heißt, das „Versuchsprivileg“ solle einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen von Forschung und technischem Fortschritt auf der einen und dem Schutz des geistigen Eigentums auf der anderen Seite im Sinne des Allgemeinwohls herstellen. Forschung und Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik seien nur mittels Versuchen möglich, die jeweils auf den neuesten Forschungsergebnissen aufbauen. 179 Dieser Ausgleich ist jedoch auf den zweiten Blick für die Wissenschaft nur eine unzureichende Freistellung vom umfassenden Patentschutz. Und von einem „Forschungs“- bzw. „Forscherprivileg“ kann keinesfalls gesprochen werden, weil damit suggeriert wird, die Forschung als solche sei von der Beachtung des Patentschutzes ausgenommen. 180 Stattdessen ist die Forschung darauf beschränkt, lediglich Erkenntnisse hinsichtlich der patentierten Erfindung (und ihrer Verwen-
174
Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 338. So die FAZ vom 17. 11. 2004, S. 34; ähnlich lässt sich die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates vom 06. 10. 2004 auf S. 16 interpretieren. 176 Hervorh. d. Verf. Im Grundsatz ist allein der Patentinhaber befugt, die patentierte Erfindung zu benutzen, vgl. §§ 9, 10 PatG. 177 Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 73 f. 178 Den durch ein Stoffpatent geschützten Medikamenten tritt ein Verwendungspatent zur Seite. Beide befinden sich in gegenseitiger Abhängigkeit, die Vermarktung erfordert die Zustimmung beider Rechteinhaber; vgl. den Sachverhalt in BVerfG vom 10. 05. 2000, Abs. 2 ff. sowie Abs. 29 (zur Entscheidung des BVerfG a. a. O. vgl. Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge [2004], S. 65 ff.). 179 So – jedoch ohne Erwähnung von Art. 5 Abs. 3 GG – BVerfG vom 10. 05. 2000 (1 BvR 1864/95, Abs. 23) mit dem Ergebnis, dass § 11 Nr. 2 PatG mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist; bereits mit gleichem Ergebnis: Hieber, GRUR 1996, 439 (446 f.). 180 A. A. Holzapfel, der die Bezeichnung „Forschungsprivileg“ durchaus für gerechtfertigt hält. Allerdings erfolgt bei ihm die Subsumtion aller Versuche unter den Forschungsbegriff zu oberflächlich und ohne genauere Differenzierung, was wissenschaftliche Forschung kennzeichnet (ders., Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge [2004], S. 205 m. w. N. in Anm. 108). 175
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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dung) selbst zu erstreben. Das Versuchsprivileg berechtigt also nur zu Versuchen an, aber nicht zu Versuchen mit der Erfindung. Bei letzteren handelt es sich um lizenzierungspflichtige Nutzungen, bei denen die §§ 9, 10 PatG ihr Auschließlichkeitsrecht entfalten. Auch kommt es für die Inanspruchnahme des Versuchsprivilegs nicht darauf an, ob die Versuche, die an der patentierten Erfindung vorgenommen werden, wissenschaftliche oder gewerblich verwertbare Ergebnisse liefern sollen. Im Umkehrschluss zu § 11 Nr. 2 PatG spielt es ebenfalls keine Rolle, ob Forschung mit der Erfindung wissenschaftlich oder gewerblich veranlasst ist. Das Patentrecht differenziert hier nicht. „Gewerblich“ scheint lediglich den Gegensatz zur privaten Nutzung zu bezeichnen (vgl. § 11 Nr. 1 PatG). Wissenschaftliche Forschung genießt also kein zusätzliches Privileg. 181 Hat der Versuch selbst keinen finalen Bezug zur Erfindung, sondern bedient er sich ihrer nur, so liegen keine Versuchshandlungen i. S. d. § 11 Nr. 2 PatG vor. 182 Hält man sich vor Augen, dass das klassische Patentrecht von der Trennbarkeit zwischen (freier) Wissenschaft und (gewerblicher) Technik ausgeht, dann ist dies durchaus konsequent. Eine Verletzung geistigen Eigentums bei Versuchen an oder mit einer Erfindung durch wissenschaftliche Forschung schien von vorneherein ausgeschlossen, da die akademische Wissenschaft nicht als gewerblicher Konkurrent in Erscheinung treten konnte und die vermögensrechtliche Belohnung des Erfinders dadurch nicht tangiert werden konnte. 183 Drängt nun auch universitäre Forschung auf den Markt des geistigen Eigentums und macht bei eigenen Erfindungen von ihrem Recht auf Patentschutz Gebrauch, ist zur Verhinderung eines Missbrauchs des Versuchsprivilegs eine Differenzierung von gewerblichen und akademischen Versuchszwecken hinfällig. 184 Eine Behinderung der Grundlagen181 BGHZ 130, 259 (265 ff.); 135, 217 (226); Hieber, GRUR 1996, 439 (440 ff.) teilt die Ansicht des BGH und hält eine Abgrenzung zwischen wissenschaftlich und gewerblich veranlasstem Versuch kaum für möglich (ders., a. a. O., 445) und im Ergebnis für irrelevant (ders., a. a. O., 446). Gegen eine Ungleichbehandlung spreche auch die Gesetzgebungsgeschichte, so Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 207 f. 182 BGHZ 130, 259 (265 f.); 135, 217 (231). 183 Nach früherem Recht war unter dem Gesichtspunkt der Gewerbsmäßigkeit einer Benutzungshandlung die Abgrenzung zwischen akademischer Wissenschaft und Gewerbe erforderlich (Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge [2004], S. 35). Eine Sonderbehandlung nicht-kommerzieller Forschung wurde deshalb immer wieder gefordert. Dies wurde mit der Unvergleichbarkeit von öffentlicher (zweckungebundener) Forschung und Industrieforschung sowie der Sozialpflichtigkeit des Eigentums begründet; vgl. hierzu die Darstellung der Literatur in Holzapfel, a. a. O., S. 83 f. m. w. N., die jedoch mehrheitlich die verfassungsrechtliche Position des Patentinhabers (d. h. Art. 14 Abs. 1 GG) überwiegen lässt; ebenso argumentiert auch Holzapfel selbst (ders., a. a. O., S. 205 f.). 184 So letztlich auch das entscheidende Argument von Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 207: Die Trennung zwischen akademischer Grundlagenforschung und industriell-anwendungsbezogener Forschung verschwimme zunehmend.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
forschung ist jedoch dann unausweichlich. So ist es zum Beispiel bei embryonalen Stammzellen oder Gensequenzen der Fall. Sind diese stofflich patentgeschützt, dann entfallen sie in vielen Bereichen als Mittel für die Forschung bzw. verursachen hohe Kosten, die wieder mit neuen Monopolrechten gedeckt werden müssen. Dies führt zur Problematik der sog. research tools bzw. Forschungswerkzeuge. Der Begriff bezeichnet Stoffe oder Verfahren, die in der Forschung eingesetzt werden. 185 Sie sind genauso patentfähig wie andere vermarktungsfähige Endprodukte. Ein Beispiel sind etwa „expressed sequence tags“. 186 Research tools sind wie andere technische Verfahren und Stoffe patentierbar. Entgegen einer auch unter Wissenschaftlern weit verbreiteten Meinung dürfen sie selbst in der Grundlagenforschung nicht frei verwendet werden (vgl. § 11 Nr. 2 PatG). Gerade in der Bio- und Gentechnik ist die wissenschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung biotechnologischer research tools enorm. 187 Das Verbot, eine biotechnologische Erfindung ohne Lizenz als research tool zu verwenden, eröffnet dem Patentinhaber theoretisch die Möglichkeit, Hochschulforschung und Forschung der Konkurrenz weitgehend lahm zu legen. 188 Es wird deshalb über das heute existierende Versuchsprivileg hinaus eine weit gefasste Forschungsausnahme gefordert, die evtl. mit einer gesetzlichen Vergütungspflicht gekoppelt sein soll. 189 Um den Patentschutz nicht leerlaufen zu lassen, müsste dann eine Unterscheidung zwischen gewerblicher Anwendung und wissenschaftlichen Zwecken vorgenommen werden. Das gestattet jedoch der heute herrschende weite modale Wissenschaftsbegriff nicht, mit dem gewerbliche von ungebundener Forschung nicht abgegrenzt werden kann. Auf das Versuchsprivileg wird deshalb noch einmal zurückzukommen sein.
185
Vgl. Wolfrum/Stoll/Franck, Genforschung (2002), S. 43. Das sind Sequenzen eines (oft kurzen) Abschnitts einer DNA. Sie werden hergestellt, um Gene zu identifizieren (Wolfrum/Stoll/Franck, Genforschung [2002], S. 36); siehe hierzu ausführlich auch Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 239 ff. 187 Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge (2004), S. 251 f.; bei manchen Pharmaunternehmen beziehen sich über 50% der Patentanträge auf research tools (Wolfrum/Stoll/Franck, Genforschung [2002], S. 43, 45 f.). 188 Siehe hierzu auch Wolfrum/Stoll/Franck, Genforschung (2002), S. 44 ff. 189 Nach Ohly, GRUR Int. 1994, 887. Dieser Vorschlag ähnelt der Erteilung von Zwangslizenzen (vgl. § 24 PatG, hierzu auch Holzapfel, Versuchsprivileg und Forschungswerkzeuge [2004], S. 230 ff.). Allerdings ist die Bedeutung der Zwangslizenzen gering, bisher sind im Bereich der Bio- und Gentechnik noch keine erteilt worden (ders., a. a. O., S. 234). Es wird auch grundsätzlich eingewendet, dass der Zugang zu patentierten Forschungswerkzeugen weder von Pharma- und Biotechnologieunternehmen noch von gemeinnützigen Forschungseinrichtungen als besonders problematisch empfunden werde (ders., a. a. O., S. 268, 86 ff.). 186
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
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2. Vermietete Forschungsfreiheit Bereits bei § 42 ArbEG zeigt sich das Problem der Einschränkung der Forschungsfreiheit im Innenverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Man kann hier vom Problem der „internen Forschungsfreiheit“ sprechen. 190 Während der Hochschullehrer unstrittig Art. 5 Abs. 3 GG als Abwehrrecht gegen den Staat in Anspruch nehmen kann, ist dies in privaten Arbeitsverhältnissen nicht mit der gleichen Intensität der Fall. Dies gilt nach überwiegender Meinung auch für Arbeitnehmer in öffentlichen Forschungsorganisationen. 191 Solche Organisationen sollen sogar entgegen der herrschenden Dogmatik Träger des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 sein dürfen. 192 a) Direktionsrecht und Betriebsgeheimnis Mit der Eingehung eines privaten Arbeitsvertrages unterwirft sich ein Forscher dem Direktionsrecht des Arbeitgebers (vgl. § 315 BGB). Zusätzlich enthalten die meisten arbeitsrechtlichen Verträge für Forscher entweder konkrete Schweigeklauseln, die es dem Forscher verbieten, seine Erkenntnisse zu veröffentlichen, 193 oder allgemeine Verschwiegenheitspflichten mit dem Inhalt, über Betriebsinterna Stillschweigen zu bewahren. 194 Verletzt der Arbeitnehmer diese Pflichten, so liegt darin ein Kündigungsgrund. 195 Der Forscher gibt also mit dem Eintritt in das private Arbeitsverhältnis seinen umfassenden grundrechtlichen Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG auf, damit der Arbeitgeber seine wirtschaftlichen Interessen wahrnehmen kann. Insgesamt wird in der Literatur zu Recht davon ausgegangen, dass dieser Verzicht bzw. diese privatautonome Grundrechtsdisposition 196 grundsätzlich möglich ist. 197
190 Analog zum Problem der internen Pressefreiheit, siehe m. w. N. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 570. 191 Vgl. m. w. N. Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 500 ff., Rdnr. 555 ff. 192 So Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 502, Rdnr. 557; Lux, Kooperation (2001), S. 156 f.; vgl. dagegen m. w. N. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 14, Rdnr. 28: Nur Kirchen sollen sich als juristische Personen des öffentlichen Rechts auf Art. 14 GG berufen können. 193 Siehe das Beispiel einer solchen Formulierung bei M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 125 f. 194 Zur Problematik der allgemeinen arbeitsrechtlichen Zulässigkeit solcher Pflichten: Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 368 f.; gegen ein Veröffentlichungsrecht Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 220. 195 Konkrete Fälle bei Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 326 f. 196 Vom „Verzicht“ auf Grundrechte spricht man üblicherweise im Verhältnis Bürger– Staat, vgl. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 158 ff.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Eine Beschränkung eines solchen Verzichts soll jedoch insofern gelten, als man eine mittelbare Drittwirkung 198 von Art. 5 Abs. 3 GG auch im arbeitsrechtlichen Verhältnis annimmt. 199 Die Forschungsfreiheit muss sich dann bei der Auslegung der Generalnormen des Bürgerlichen Rechts (§§ 138, 242, 315, 826 BGB) niederschlagen. Im Einzelnen kommt man sodann – wieder nach Abwägung zwischen der Wirtschaftsfreiheit des Arbeitgebers, der Forschungsfreiheit des Arbeitnehmers, den Grundsätzen der Privatautonomie und unter Berücksichtigung der grundsätzlich schwächeren Position des Arbeitnehmers – je nach Fallgestaltung zu unterschiedlichen Ergebnissen. 200 So heißt es beispielsweise, ein arbeitsvertraglicher Verzicht auf das Veröffentlichungsrecht sei nur dann mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar, wenn „berechtigte Geheimhaltungsinteressen“ bestehen. 201 Geht man darüber hinaus mit Stimmen aus der Literatur davon aus, dass die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen nicht zu den Essentialia des Wissenschaftsbegriffs zählt, 202 ist auch Geheimforschung wissenschaftlich und eine Abwägung gar nicht notwendig, da das Publikationsrecht gar nicht von Art. 5 Abs. 3 GG umfasst wäre. Die zivilrechtliche Disposition über Art. 5 Abs. 3 GG soll zudem nach Classen zur Übertragung des individuellen subjektiven Abwehrrechts auf die private Forschungsorganisation oder deren Träger führen, die nun ihrerseits Art. 5 Abs. 3 GG gegen den Staat geltend machen können, ohne selbst 197
Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 162; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 345 f.; Thieme, DÖV 1994, 150 (153); M. Blankenagel kritisiert die unterschiedlichen Formulierungen und die fehlenden Begründungen in der Literatur (dies., Information und Geheimhaltung [2001], S. 150 ff.). 198 Siehe oben Viertes Kapitel, B. II. 1. b) aa); zum hier vorliegenden Problem ausführlich: M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 152 ff. 199 Vgl. Fechner, Geistiges Eigentum (1999), S. 335; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 37, jedoch nur für den Fall, dass sich die Einrichtung selbst auf Art. 5 Abs. 3 GG beruft. Ein eigenes Grundrecht der Einrichtung gegenüber dem Forscher folge hieraus jedoch nicht. Beachte jene jedoch nicht diese mittelbare Drittwirkung, verliere sie die Grundrechtsträgerschaft hinsichtlich Art. 5 Abs. 3 GG; ähnlich auch Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 373. 200 Z. B. Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 373; Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 501, Rdnr. 555 m. w. N. in Anm. 11. So sei z. B. von einem „Übermaßverbot“ auszugehen; vgl. im Einzelnen hierzu, insbesondere zum vergleichbaren Problem der Meinungsfreiheit, Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 336 ff.; zur Forschungsfreiheit M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 155 ff. 201 So Thieme, DÖV 1994, 150 (153). Art. 5 Abs. 3 GG würde in diesem Zusammenhang also lediglich zu einer Art „Willkürverbot“ führen. In der Praxis ist es unwahrscheinlich, dass solche „berechtigten Interessen“ fehlen; ebenso Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 220 f.; Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 502 f., Rdnr. 557 ff.; im Ergebnis wohl auch Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 373 (Mindestmaß an Freiraum, der Voraussetzung für die wissenschaftliche Betätigung sei). 202 Siehe unten Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) bb).
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grundrechtsverpflichtet zu sein und ohne eine objektivrechtliche Dimension in ihrem Innenverhältnis beachten zu müssen. 203 Im Ergebnis vermietet der Forscher seine Freiheit an den Arbeitgeber. 204 Eine Grenze des Direktionsrechtes lässt sich aus Art. 5 Abs. 3 GG ebenfalls nicht ableiten. Art. 5 Abs. 3 GG bewahrt den Forscher nicht vor arbeitsrechtlichen Sanktionen. Produziert er Forschungsergebnisse, die zwar den Anweisungen seines Arbeitgebers entsprechen, nicht jedoch seinen wissenschaftlichen Überzeugungen, so soll es sich zwar nicht mehr um eine wissenschaftliche Tätigkeit handeln. Verweigert er sich jedoch diesem Ansinnen, verstößt er gegen seine arbeitsrechtlichen Pflichten. 205 Auch hier bietet sich konsequenterweise bestenfalls wieder eine Abwägung an, 206 die im Ergebnis zu einem kaum wahrnehmbaren Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG führen würde. Im Zusammenhang mit Forschungstätigkeiten soll eher die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG zum Zuge kommen, die weniger leicht disponibel sein soll. Sie berechtigt in bestimmten Fällen den Arbeitnehmer, „nein“ zu sagen. 207 Die notwendige Intensität eines Gewissenskonfliktes soll jedoch erst erreicht sein, wenn auf „vermeintlich unwissenschaftlicher Grundlage“ 208 Maßnahmen getroffen werden, die aus subjektiver Sicht erhebliche Gefahren für Dritte heraufbeschwören. 209 Diese insgesamt unbefriedigende grundrechtsdogmatische Situation versucht man dadurch zu lösen, dass gefordert wird, der Arbeitgeber müsse im Innenverhältnis dem Arbeitnehmer „ein gewisses Maß an Autonomie“ einräumen. 210
203 Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 111 f., 143 f.; Kamp, Kommerz (2004), S. 310 ff. 204 Folgerichtig nimmt Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 221 an, dass eine Abwägung zwischen Veröffentlichungs- und Geheimhaltungsinteresse kaum zugunsten des Forschers ausfallen könne, wenn dieser bereits bei Abschluss seines Arbeitsvertrages weiß, dass er mit der Geheimhaltung seiner Forschungsergebnisse rechnen muss; ebenso Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 502, Rdnr. 558. 205 Ohne überzeugende Lösung: Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 158. Die Frage nach einem „weisungsfreien Eigenbereich“, in dem Wissenschaftler ihrer berufsethischen Verantwortung gerecht werden dürfen, stellt zu Recht Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 296. 206 Die jedoch lediglich wieder in ein Willkürverbot münden würde. 207 Beispielsfälle bei Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 377 ff. 208 Insoweit inkonsequent Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 159. Gleiches müsste nämlich auch gelten, wenn auf wissenschaftlicher Grundlage erhebliche Gefahren heraufbeschworen werden. 209 Die Folge wäre lediglich wieder eine Abwägung mit den Interessen des Arbeitgebers im Rahmen des „billigen Ermessens“ des § 315 BGB; vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 159 in Anm. 99 m. w. N. sowie Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 293 ff., 391 ff. 210 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 157.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Auf diese Voraussetzung wird aber schon deshalb wieder verzichtet, weil der Arbeitgeber dem Forscher bereits faktisch gewisse Freiräume gewähren muss, um verlässliche Forschungsergebnisse zu bekommen. 211 Die mittelbare Drittwirkung des Art. 5 Abs. 3 GG ist im Ergebnis so schwach ausgeprägt, dass sie kaum noch Wirksamkeit entfaltet. Mit dem Schutz der Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft hat sie kaum Berührungspunkte. b) Forschungsfinanzierung und die vertragliche Bindung unabhängiger Forschungseinrichtungen Eine ähnliche Konfliktlage ergibt sich auch, wenn sich grundsätzlich unabhängige Forschungseinrichtungen wie Universitäten durch Drittmittel oder Kooperationen verpflichten, bestimmte Forschungsvorhaben durchzuführen und gewonnene Erkenntnisse zu verschweigen. Auf das Problem des § 25 HRG (Drittmittelfinanzierung und Veröffentlichungspflicht), der Drittmittel- und Auftragsforschung gestattet, wurde bereits eingegangen. 212 Hierzu heißt es, jedenfalls für kürzere Zeit sei eine Verpflichtung zur Nichtveröffentlichung zulässig. Sind „berechtigte Interessen“ gegeben, könne dieser Zeitraum auch länger sein. 213 Letztlich ist es hier wieder die Abwägung, die die Forschungsfreiheit hinter die Interessen des Drittmittelgebers zurücktreten lässt und ihre Schutzintensität lediglich auf ein Willkürverbot beschränkt. Dabei ist Forschung schon dann nicht mehr unabhängig, wenn sie sich zu entsprechenden Vereinbarungen verpflichtet. Für öffentliche Drittmittelgeber muss es deshalb unzulässig sein, entsprechende Vereinbarungen zu verlangen. 214 Auch hierauf wird zurückzukommen sein.
III. Inkompatibilität des geistigen Eigentums mit dem System Wissenschaft Voraussetzung für die Erteilung eines Patents ist die gewerbliche Anwendbarkeit einer Erfindung. Sie ist gegeben, wenn der Gegenstand der Erfindung „auf irgendeinem gewerblichen Gebiet ( . . . ) hergestellt oder benutzt werden kann“ (§ 5 Abs. 1 PatG). Gewerbliche Anwendung ist jedoch der Gegensatz zu wissenschaftlicher Forschung (vgl. § 1 PatG). Wie gezeigt, ging sowohl die frühere Dogmatik 211
Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 157 f.; im Ergebnis auch Kamp, Kommerz (2004), S. 59 ff., der jedoch die Weisungsgebundenheit des Forschers nicht weiter problematisiert. 212 Siehe oben Drittes Kapitel, B. I. 4. b). 213 Vgl. Püttner/Mittag, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 1611 (1616). 214 Zum Problem der Vereinbarkeit von § 42 ArbEG mit Drittmittelvereinbarungen, die dem Drittmittelgeber die entsprechende patentbezogene Verwertung zukommen lassen sollen, Leuze, GRUR 2005, 27 (31 f.).
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
385
zu Art. 5 Abs. 3 GG als auch das klassische Patentrecht von einer Trennbarkeit von zweckungebundener Wissenschaft und gewerblicher Technik aus. Idee und Schutz geistigen Eigentums sind in der Tat nicht mit dem Funktionssystem Wissenschaft kompatibel, das prinzipiell auf kommunikative Offenheit angelegt ist. 215 Das Monopol, das der Erfinder für die Nutzung seiner Erfindung bekommt, verträgt sich nicht mit dem Wesen eines wissenschaftlichen Werkes. 216 1. Wissenschaft als soziales System Ohne eine detaillierte Darstellung versuchen zu wollen, sollen Leitlinien der Systemtheorie Niklas Luhmanns für eine Beschreibung des sozialen Systems Wissenschaft fruchtbar gemacht werden. 217 Hierbei zeigt sich, dass das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nicht eine bestimmte Arbeitsmethode schützt (wovon ein modaler Wissenschaftsbegriff ausgeht), sondern das gesellschaftliche Funktionssystem Wissenschaft und dessen spezifische Kommunikation. Ein zentrales Merkmal moderner Gesellschaften stellt für Luhmann deren strukturelle Differenzierung in Funktionssysteme dar. Funktionale Differenzierung bedeutet die Ausbildung von gesellschaftlichen Teilsystemen, die sich auf die Bewältigung bestimmter gesellschaftlich relevanter Probleme „spezialisiert“ haben und damit eine Funktion für die Gesellschaft erbringen. 218 Als funktional differenziertes Teilsystem gilt ein Subsystem der Gesellschaft dann, wenn es sich autonom und exklusiv mit der Lösung eines spezifischen gesellschaftlichen Problems befasst. Hierbei bilden nicht Individuen soziale Systeme, sondern spezifische Kommunikationen und deren Zurechnung als Handlung. 219
215
Vgl. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 62, der zwar den Konflikt zwischen Publizität und Patentschutz erkennt, sich jedoch gleichzeitig von Patenten größere finanzielle Spielräume für (unabhängige) Forschung erhofft. 216 Vgl. zum wissenschaftlichen Werk Moltke, Urheberrecht an wiss. Werken (1992), S. 18 ff., 74 ff. 217 Zum Nutzen der Systemtheorie für die Rechtsdogmatik siehe Lege, in: Gröschner/ Morlok, Rechtsphilosophie (1997), S. 83 (99 f.); ausführlich zu Luhmanns Rechtstheorie: Th. Huber, Systemtheorie des Rechts (2007); systemtheoretische Analysen der Wissenschaft bzw. Forschung finden sich bei Trute, Forschung (1994), S. 76 ff.; Schlink, Der Staat 1971, 244 (255 f.) sowie Häberle, AöR 1985, 327 (352 ff.); für Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (496 f.), bedeutet der systemtheoretische Wissenschaftsbegriff sogar „eine Revolution“. 218 Vgl. Baraldi/Corsi, GLU (1999), S. 68; Th. Huber, Systemtheorie des Rechts (2007), S. 40. 219 Luhmann, Soziale Systeme (1984), S. 22, 240; vgl. hierzu auch Lege, in: Gröschner/ Morlok, Rechtsphilosophie (1997), S. 83 (85 f.) sowie Trute, Forschung (1994), S. 78 f.; ungenau insofern Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 17.
386
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Dabei ist die Wissenschaft als soziales System ein Funktionssystem wie die Wirtschaft, die Kunst, die Politik oder das Recht. Diese sozialen Systeme sind sowohl offen als auch geschlossen und erzeugen alle Elemente, aus denen sie bestehen, selbst (sog. Autopoiesis). 220 Das Vorbild für autopoietische Systeme sind lebende Organismen. Ihr Mittel ist die Kommunikation, und sie machen in jeder Kommunikation einen Unterschied zwischen Selbstbezug und Fremdbezug, da sie prinzipiell umweltoffen sind. 221 Soziale Funktionssysteme erzeugen Kommunikationen als Ereignisse, die sich aufeinander beziehen und operativ gehandhabt werden. Elementar für die jeweilige Kommunikation ist dabei der spezifische Code, der auch die Unterscheidung in selbstbezogene und fremdbezogene Kommunikation erlaubt. Die Betrachtung der Welt findet in der Wissenschaft, wie auch in den anderen Subsystemen, nur durch und über diesen speziellen Code statt. 222 Die Verständigung mit anderen Systemen kann nur über strukturelle Kopplungen stattfinden. So ist eine strukturelle Kopplung zwischen Wirtschaft und Recht das Eigentum oder zwischen Recht und Politik die Verfassung. 223 Der Code, der allein für das System Wissenschaft gilt und es von anderen unterscheidet, ist durch die Suche nach Wahrheit geprägt. Dieser Code ist es, der das System „Wissenschaft“ funktional ausdifferenziert hat. „Wahr“ und „unwahr“ ist die „Leitdifferenz“, an der sich die wissenschaftliche Kommunikation orientiert. 224 Alle Wahrnehmungen und Bewertungen werden ausschließlich nach diesen exklusiven Kriterien erzeugt, die sich das System selbst gegeben hat. So wird im System Wirtschaft die Orientierung an der wissenschaftlichen Wahrheit verworfen, auch wenn die Relevanz der Wissenschaft für die Gesellschaft akzeptiert wird. 225 Wirtschaft funktioniert nach dem Code „haben/nicht haben“ bzw. „zahlen/nicht zahlen“ und das Recht nach dem Code „recht/unrecht“. 226 Einfacher: „Wissenschaft ist überall dort, wo zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterschieden wird.“ 227 Da hierfür jedoch bestimmte Methoden erforderlich sind, 220 Luhmann, Soziale Systeme (1984), S. 60 ff.; vgl. zum Begriff Th. Huber, Systemtheorie des Rechts (2007), S. 44 f. 221 Lege, in: Gröschner/Morlok, Rechtsphilosophie (1997), S. 83 (85); vgl. hierzu auch Luhmann, Soziale Systeme (1984), S. 63, 244; Th. Huber, Systemtheorie des Rechts (2007), S. 61 ff. sowie Trute, Forschung (1994), S. 79 mit dem Hinweis: Zahlungen könnten nicht an die wissenschaftliche Kommunikation angeschlossen werden, wohl kann aber die Wissenschaft auf Zahlungen reagieren. 222 Vgl. Baraldi/Corsi, GLU (1999), S. 68, 33 f. 223 Vgl. Lege, unter Verweis auf Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1993), S. 440 ff. (Lege, in: Schulte, HdBTechR [2003], S. 669 [793, Anm. 644]). 224 Luhmann, Wissenschaft (1990), S. 169 ff.; ders., Soziale Systeme (1984), S. 286 ff.; vgl. auch Th. Huber, Systemtheorie des Rechts (2007), S. 130 ff. 225 Baraldi/Corsi, GLU (1999), S. 68. 226 Luhmann, Wissenschaft (1990), S. 292 f.; vgl. auch Lege, in: Gröschner/Morlok, Rechtsphilosophie (1997), S. 83 (87).
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
387
folgt aus dem systemtheoretischen Wissenschaftsbegriff ungefähr jener unendliche wissenschaftliche Diskurs, den Humboldt beschrieben hat. 228 Wenn Luhmann als Funktion des Wissenschaftssystems die Gewinnung neuer (wahrer) Erkenntnis beschreibt, hat dieser Funktionsbegriff allerdings nichts mit dem konkreten Zweck von Handlungen oder Einrichtungen zu tun. Die in der Regel in der industriellen Forschung vorzufindende explizite Primärorientierung an ökonomischen Kriterien (d. h. Zweck und Ziel ist die Entwicklung profitabel vermarktbarer Anwendungen) sagt nichts darüber aus, ob es sich dabei um Wissenschaft oder Wirtschaft handelt. Erst die funktionale Analyse 229 von gesellschaftlichen Systemen auf Bezugsprobleme von (gesamt-)gesellschaftlicher Relevanz ermöglicht die Differenzierung. Es geht folglich bei der Funktion „Suche nach Wahrheit“ um die Beschreibung der (gesamt-)gesellschaftlichen Aufgabe von Wissenschaft und nicht etwa um die Funktion von Wissenschaft für einzelne Individuen, Institutionen oder Organisationen (wie Unternehmen). Erst im Bezug zur Funktion des Art. 5 Abs. 3 GG wird deutlich, dass es gerade diese gesamtgesellschaftliche Relevanz ist, die den spezifischen Grundrechtsschutz rechtfertigt. 230 Denn nach Luhmann erfüllen Grundrechte nicht für den Bürger, sondern für den Staat eine wesentliche Funktion. 231 Zwischen Staat und Gesellschaft besteht dabei kein Gegensatz, sondern der Staat wird zugleich durch gesellschaftliche Systeme gebildet. Luhmann löst sich damit vom liberalen abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnis. Der überkommenen Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft verdankten zwar die Grundrechte ihre Prägung, nicht aber ihre heutige Funktion. Mit der Trennung von Staat und Gesellschaft könne diese grundrechtliche Funktion nicht erfasst werden. 232 Die „Garantie von Freiheiten“ stelle sich vielmehr als eine Garantie von Kommunikationschancen dar, die notwendig sei, damit die problemlösende Differenzierung der Gesellschaft erhalten bliebe. 233 Besteht also die gesamtgesellschaftliche Funktion des Wissenschaftssystems in der Suche nach Wahrheit, so besteht die Funktion der Wissenschaftsfreiheit darin, die Ermöglichung des spezifischen Codes „wahr/unwahr“ und damit die Ausdifferenzierung der Wissenschaft als gesellschaftliches Teilsystem zu schützen. 234 227
Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (496). Roellecke, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 491 (497). 229 Zum Begriff siehe Baraldi/Corsi, GLU (1999), S. 61. 230 Vgl. Flitsch, Funktionalisierung (1998), S. 44 ff. 231 Luhmann, Grundrechte (1965/1986), S. 12 f. 232 Luhmann, Grundrechte (1965/1986), S. 27. 233 Luhmann, Grundrechte (1965/1986), S. 23, 186 ff.; vgl. auch Trute, Forschung (1994), S. 76. 234 Vgl. Schlink, Der Staat 1971, 244 (256). 228
388
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Nicht geschützt ist eine bestimmte Arbeitsmethode, wie sie sich im modalen Wissenschaftsbegriff widerspiegelt. Die Ausprägung des Codes „wahr/unwahr“ ist abhängig von der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft, die sich als freie Kommunikation ohne Fremdbezug entfalten können muss, damit die Funktionalität des Systems erhalten bleibt. Der Zugriff auf wissenschaftliches Wissen und die Verbreitung dieses Wissens ist die Voraussetzung für die Chance zur Teilnahme an wissenschaftlicher Kommunikation. Wissenschaftliches Wissen muss deshalb ein öffentliches Gut sein. Die Einbeziehung wissenschaftlichen Wissens in den Bereich des patentierbaren technischen Wissens, d. h. des geistigen Eigentums, erschwert bzw. verhindert diese Kommunikation und stört damit die gesellschaftliche Funktionsfähigkeit des Wissenschaftssystems. Daran ändert sich auch nichts, wenn man das systemtheoretische Wissenschaftssystem in zwei Forschungssubsysteme differenziert: das Subsystem der angewandten, auf wirtschaftliche Entwicklung zielenden Forschung und das Subsystem der zweckungebundenen Grundlagenforschung. Doch die Entscheidung, nur Kommunikationen als Elemente eines Systems anzusehen, führt zu einer scharfen Abgrenzung des Systems von seiner Umwelt, des einen Systems von anderen Systemen und einer starken Formulierung seiner Autonomie. 235 Anders gewendet: Entweder ist eine Kommunikation Wissenschaft oder sie ist es nicht. Schnittmengen sind nicht möglich. Aufgabe der Wissenschaftsfreiheit ist es, solches Recht auszuschließen, das die Bedingungen für die Selbststeuerung der Wissenschaft beeinträchtigen würde. 236 Das Recht des geistigen Eigentums wie auch die Wirtschaftsfreiheit kollidieren also mit der Wissenschaftsfreiheit. 2. „Kommunismus“ der Wissenschaft Dass wissenschaftliches Wissen ein öffentliches Gut ist, 237 ist auch in wissenschaftsphilosophischer und -theoretischer Hinsicht bereits früh erkannt worden und findet sich letztlich im Humboldtschen Bildungsideal wieder. Das institutionelle Ziel von Wissenschaft ist die Erweiterung abgesicherten Wissens. Dieses Wissen besteht aus empirisch bestätigten und logisch schlüssigen Aussagen über Regelmäßigkeiten (die zugleich auch Voraussagen sind). Die Verhaltensmaßregeln der scientific community leiten sich wegen ihrer prozeduralen Effizienz aus diesem Ziel ab. 238 Wissenschaftliches Wissen muss deshalb öffentliches Wissen sein; es muss intersubjektiv kritisierbar und nachvollziehbar sein. Damit die „Suche nach Wahrheit“ zu Überzeugungen führen kann, 239 muss die (wissenschaftliche)
235 236 237 238
Vgl. Trute, Forschung (1994), S. 79; Baraldi/Corsi, GLU (1999), S. 68. Schlink, Der Staat 1971, 244 (256). Vgl. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 85 f. Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 89 f.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
389
Öffentlichkeit daran umfassend und möglichst lückenlos partizipieren können. Denn wissenschaftliche Beobachtungen sind „indexikal“ (d. h. sie sind lediglich Zeichen, die mit einem Objekt verbunden sind und eine Folgerelation zwischen Ursache und Wirkung kennzeichnen) und können in einem bestimmten Kontext „sinnlos“ erscheinen, in einem anderen Kontext aber durchaus „sinnvoll“ sein, um eine bestimmte Tatsache behaupten zu können. 240 Wissenschaftliche Beobachtungen müssen also erst interpretiert werden und ergeben sich erst aus dem Zusammenspiel verschiedener Wissensarten: zum Beispiel philosophisch-metaphysischen Wissens, positiven Wissens der Mathematik, des Wissens der Naturund Geisteswissenschaften sowie technischen Wissens. 241 Deshalb gehört es seit Jahrhunderten zum Wesen der Universität, dass das von ihr erzeugte Wissen ohne den Schutz von Urheberrechten bzw. Patenten frei zirkulieren können muss. Ausgehend vom Programm der Aufklärung wurde im 19. Jahrhundert eine Wissenschaftsverfassung entworfen, die auf der Freiheit von Forschung und Lehre beruhte und die im 20. Jahrhundert weiterentwickelt wurde. 242 Akademische Forschung unterschied sich damit grundlegend von geschlossenen oder gar geheimen Forschungsstellen der Staaten 243 oder industriellen Unternehmungen. Konstitutiv für diese Wissenschaftsgesellschaft sind dabei vier große Kennzeichen des wissenschaftlichen Ethos, die Robert K. Merton als Universalismus, 244 „Kommunismus“ 245 (auch politisch weniger verfänglich „Kommunalismus“ oder „Kommunalität“ genannt), 246 Uneigennützigkeit 247 und organisierter Skeptizis239 Nach Peirce ist einziger Zweck des Denkens die Festlegung einer Überzeugung. Die Wissenschaft ist hierbei die einzige Methode, die eine Unterscheidung zwischen wahren und falschen Schlüssen ermöglicht (vgl. Lege, Pragmatismus [1999], S. 28 f.). 240 Stehr, in: Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 14; zur Beziehung zwischen Zeichen und Objekt nach Peirce siehe Lege, Pragmatismus (1999), S. 232 f. 241 Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 236. 242 Z. B. von Max Weber (ders., Wissenschaft als Beruf [1919/1995]); Karl Popper (ders., Logik der Forschung [1994]); Robert K. Merton (siehe im Folgenden) oder Helmut F. Spinner. 243 Man denke hier an die Alchimisten der absolutistischen Fürsten wie Johann Friedrich Böttger, der im Dienste August des Starken von Sachsen auf der Suche nach Gold 1709 das europäische Porzellan erfunden haben soll. 244 Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 90: Wahrheitsansprüche müssen vorab aufgestellten, unpersönlichen Kriterien unterworfen werden, auch als „Desinteressiertheit“ oder „Objektivität“ bezeichnet. 245 Merton meint damit nicht „Kommunismus“ im politischen Sinne, sondern in einer umfassenden Bedeutung einen gemeinsamen Besitz von Gütern (ders., Forschungsinteressen [1985], S. 93.); vgl. – den Sinn verkürzt wiedergebend und dadurch nicht vollständig erfassend – Kamp, Kommerz (2004), S. 72. Um derartige Missverständnisse zu vermeiden, wurden deshalb die alternativen Begriffe gewählt, weitere könnten auch „Sozialismus“ oder „Sozialisierung“ sein.
390
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
mus 248 bezeichnet und die Schlüsselbegriffe eines wissenschaftstheoretischen (aber auch rechtswissenschaftlichen) Wissenschaftsbegriffs geworden sind. 249 Ihr Ausgangspunkt ist die akademische Wissenschaft, und sie wurden insbesondere anhand des idealistischen Universitätssystems in Deutschland entwickelt. 250 „Kommunismus“ bedeutet hierbei die Trennung von Erkenntnis und Eigentum. Als Folge sind Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, um sie überprüfen, replizieren, kritisieren und fortschreiben zu können. Diese Anforderungen gehen einher mit der Wissenschaftstheorie Poppers, nach der es die Aufgabe des Wissenschaftlers ist, nach eigenen und fremden Fehlern zu suchen. Wissenschaftliche Erkenntnis muss deshalb offenbart werden. Nur so ist Fehleranalyse und die Weiterentwicklung objektiven Wissens möglich. 251 Wissenschaft beruht deshalb wesentlich auf Autonomie und freiem Diskurs. Wissenschaftliche Ideen und konkrete Interessen sind ebenso zu trennen wie Theorie und Praxis. Grundlegend ist die Wissenschaftsfreiheit für die Trennung von Wissenschaft und Staat: Lehre und Forschung dürfen keinen externen Anweisungen folgen, was jedoch nicht ein Verbot der Wissenschaftsförderung und -organisation durch den Staat bedeutet, da nur dieser eine nach diesen Grundsätzen funktionierende Wissenschaft sicherstellen kann. 252 Diese Kennzeichen wissenschaftlicher Ethik lassen sich für Merton nicht mit der Definition von Technik als „Privateigentum“ innerhalb einer kapitalistischen Ökonomie vereinbaren. Wissenschaft werde behindert, wenn Patente ausschließliche Nutzungsrechte beanspruchen, was auch das Recht umfasst, bestimmte Erfindungen ungenutzt zu lassen. 253 Vielmehr werde die Belohnung auf dem Gebiet der Wissenschaft in der Währung der Anerkennung von Fachkollegen für geleistete Arbeit gezahlt. 254
246 Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 24 f.; Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 250 in Anm. 189. 247 Ziel muss der Erkenntnisgewinn als solcher sein, nicht dessen wirtschaftliche Verwertung. 248 Erkenntnisse anderer sind kritisch zu überprüfen, eigene Erkenntnisse müssen der Überprüfung durch andere Wissenschaftler zugeführt werden. 249 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 249 f., 251; Vitzthum, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 341 (347); Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 26; A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (61 ff.); ders., in: Däubler-Gmelin/Adlerstein, Menschengerecht (1986), S. 122 (145 f.); siehe auch Kamp, Kommerz (2004), S. 50. 250 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 252. 251 Für die empirischen Wissenschaften: Popper, Logik der Forschung (1994), S. 15, 47 ff. 252 Vgl. BVerfGE 35, 79 (113 f.). 253 Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 95; auf den Zweck des § 42 ArbEG, der gerade das verhindern soll, ist hier hinzuweisen.
B. Die wirtschaftliche Verwertung von Wissen
391
Diesen wissenschaftstheoretischen Grundsätzen wird nun entgegengehalten, sie würden zur Schwerfälligkeit führen und seien nicht objektivierbar. 255 Genau diesen Postulaten läuft jedoch fremdgesteuerte und auf die Schaffung geistigen Eigentums gerichtete Forschung diametral zuwider. Kommunismus und Uneigennützigkeit führen dagegen zu einer strengen Überwachung der Aktivitäten von Wissenschaftlern, wie man sie in keinem anderen gesellschaftlichen Handlungsbereich findet und die maßgeblich zur Integrität der Wissenschaftler und zum Vertrauen auf ihre Tätigkeit beigetragen hat. 256 Die öffentliche, wissenschaftlich nachprüfbare Methode ist in gewisser Weise erst die Folge wissenschaftlichen Ethos. Schwerer wiegt dagegen der Einwand, dass „Sollen und Sein“ nicht übereinstimmen. Zwischen dem Anspruch auf Geltung der Normen Mertons und ihrer Erfüllung im Lebensbereich Wissenschaft herrscht eine große Diskrepanz, da sie jedenfalls auf Forschung in nichtakademischen staatlichen Zusammenhängen und auf die Industrieforschung nicht zutreffen. 257 Dies hat auch die hier vorliegende Untersuchung ergeben. 258 Wenn jedoch vorgebracht wird, diese Normen seien verkürzt aus der akademischen Forschung abgeleitet und könnten schon deshalb nicht zum Charakteristikum von Wissenschaft schlechthin gemacht werden, 259 so werden die Normen Mertons als Seinsgesetze missverstanden. Sie stellen jedoch trotz ihrer empirischen Begründung in der akademischen Wissenschaft grundsätzlich Imperative dar, die nicht nur dem Aufbau eines wissenschaftlichen Verhaltenskodex, sondern auch der Erweiterung des gesicherten Wissens dienen sollen. Dieser Anspruch wird noch deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Normen vor allem dem Schutz der Wissenschaft vor konkreten staatlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen dienen sollen. 260
254
Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 147; zur Reputation als „Geld“ der Wissenschaft siehe oben Drittes Kapitel, B. I. 1. b); von der Steuerung der Wissenschaft durch den Code „Ehre“ spricht Lege, in: Kloepfer, Technikumsteuerung (2002), S. 67 (86). 255 Vgl. die Darstellung von Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 25 f. 256 Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 97; ebenfalls zit. von Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 251. 257 So der Einwand von Vitzthum, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 341 (347 f.) und Classen (Wissenschaftsfreiheit [1994], S. 89) hinsichtlich der kommerziellen Forschung. Trute sieht in den Mertonschen Regeln lediglich die Funktionsweise einer fiktiven Idealwissenschaft, die „in einem erheblichen Spannungsverhältnis zur Realität der heutigen Wissenschaft“ steht (Trute, Forschung [1994], S. 74). 258 Siehe oben Drittes Kapitel, B. 259 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 252. 260 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 252 f.; siehe auch Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 91, der als Beispiel die nationalistische Vereinnahmung deutscher Wissenschaft im 1. Weltkrieg anführt, die „in Hingabe“ erfolgt sei.
392
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Gerade deshalb sind sie im Zusammenhang mit der Frage, welche Forschung durch ein Grundrecht der Forschungsfreiheit geschützt werden soll, zielführend und bei der Interpretation des Art. 5 Abs. 3 GG zwingend zu beachten. Die Bedeutung der wissenschaftstheoretischen Befunde wird auch in der verfassungsrechtlichen Diskussion nicht bezweifelt, sondern immer wieder herangezogen. 261 Schließlich ist die Einhaltung der Mertonschen Normen unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der Wissenschaft. 262 Nur eine fortwährende intensive Zirkulation von Wissen führt zur wissenschaftlichen Prosperität, die das Ziel der propagierten „Wissensgesellschaft“ sein sollte. Eine Monopolisierung bzw. Verknappung von Wissen steigert zwar unter Umständen kurzfristig die ökonomische Prosperität, zweifelhaft ist jedoch – hier ist auf das Patentrecht, insbesondere auf die Patenttheorien zu verweisen 263 – ob ein wissenschaftlicher Fortschritt im umfassenden kulturellen Sinne, d. h. über technischen Fortschritt und Wirtschaftswachstum hinaus stattfinden kann. Ob geistiges Eigentum auch den technischen und ökonomischen Fortschritt hemmt oder beschleunigt, ist mangels Referenzsystems nicht überprüfbar und deshalb in der ökonomischen Theorie umstritten. 264
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG Wie bereits zu Beginn dieser Untersuchung dargelegt, gibt es Forschung, die über den Bereich der Wissenschaft hinausgeht. Genauso, wie nicht jede Form der Vermittlung von Wissen an der Universität auch von der Lehrfreiheit umfasst sein muss, 265 ist nicht notwendig jede Form der Generierung von Wissen von der Forschungsfreiheit umfasst. Dies ist Forschung sogar dann nicht, wenn dieses Wissen mit „wissenschaftlichen Methoden“, d. h. planmäßig, ernsthaft und nachprüfbar erstrebt und erlangt wird. Vielmehr muss diese Arbeitsmethode in ihrem Zusammenhang mit der Wissenschaft als sozialem System gesehen werden. Weil dieses System primär auf freie, für jedermann in der scientific community zugängliche Kommunikation ausgerichtet ist, ist ihm geistiges Eigentum fremd. Forschung, die einfachrechtliche Institute des geistigen Eigentums für sich in Anspruch nimmt und damit die Nutzung ihres Wissens monopolisiert, entzieht sich wissenschaftlicher Kommunikation, wählt den Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG 261
Siehe nur Kamp, Kommerz (2004), S. 50. M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 85. 263 Zu den verschiedenen Patenttheorien: Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 131 ff. 264 Götting, in: Vieweg, Techniksteuerung (2000), S. 135. 265 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG, Bd. I (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 29 f. 262
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
393
und entscheidet sich damit gegen den grundrechtlichen Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG. Damit sich dies in grundrechtsdogmatischer Hinsicht bei der Interpretation des Art. 5 Abs. 3 GG widerspiegelt, muss dessen Normbereich so interpretiert werden, dass Forschung, die ihre Erkenntnisse kommerzialisieren will, keine wissenschaftliche Forschung ist und mithin nicht dem Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG unterfällt.
I. Konsequenz: Recht auf Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG ist abhängig von der Wissenschaftlichkeit der Forschung 1. Wissenschaftsadäquate und wissenschaftsfremde Zwecke Die Wissenschaftsfreiheit schützt nur – wie eingangs festgestellt – wissenschaftliche Forschung. Diese Feststellung klingt zwar nach einer Tautologie im Smendschen Sinne, unterscheidet sich aber von ihr durch ihre weitere Differenzierung: Wissenschaftlichkeit ist nicht nur durch die Ernsthaftigkeit und Planmäßigkeit ihrer Methoden gekennzeichnet, wie sie im sozialen System Wissenschaft je nach Disziplin Standard sind. Gekennzeichnet ist sie auch nicht durch ihr Ziel, die Suche nach Erkenntnissen. Entscheidend ist vielmehr der Zweck. Mag das primäre Ziel jeder menschlichen Erkenntnisgewinnung dem entsprechen, was mit wissenschaftlicher Erkenntnissuche verbunden wird, so ist doch entscheidend, was mit dieser wissenschaftlichen Erkenntnis bezweckt ist, wie also deren Verwertung erfolgen soll. Davon ist abhängig, ob Erkenntnissuche Wahrheitssuche ist. Hierbei ist – sozial betrachtet – zwischen wissenschaftsadäquaten und wissenschaftsfremden Zwecken zu differenzieren. Streng genommen ist Forschung nie zweckfrei. 266 Sie dient in der Universität der Bildung und Ausbildung, in der Industrie der Profitmaximierung und in der Ressortforschung der Erweiterung staatlichen Wissens. 267 Doch bestimmte Zwecke sind mit wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit vereinbar – oder laufen ihr grundsätzlich zuwider. Diese Handlungszusammenhänge wissenschaftlicher Erkenntnis dürfen für eine verfassungsrechtliche Beurteilung nicht außer Acht gelassen werden. 268 Entscheidend sind zum einen die sozialen Normen freier Forschung und ist zum anderen die Abgrenzung von anderen grundrechtlich geschützten Lebensbereichen.
266
Weswegen vorliegend von „zweckungebundener“ Forschung gesprochen wird. Zum Wissen des Staates siehe Collin/Horstmann, in: dies., Wissen des Staates (2004), S. 9 ff. 268 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 258 f.; genau dies unterlässt BVerfGE 111, 333 ff. – Hochschulgesetz Brdb. –, so zu Recht Gärditz, NVwZ 2005, 407. 267
394
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Die Gewinnung von Erkenntnissen, d. h. die Wahl von Forschungsziel und -methode unterliegt der Steuerung durch die jeweilige Forschungsorganisation, die auf einen bestimmten Zweck hin angelegt ist. Entscheidend für die Zweckbeurteilung ist, ob und wie gewonnene Erkenntnisse in das soziale System Wissenschaft eingebracht werden, um überprüft und kritisiert zu werden. Kommuniziert Wissenschaft derart selbstbezogen, kann man von „zweckfreier“ Wissenschaft sprechen, da kein Zweck mit Fremdbezug vorliegt. Bei Beachtung dieser sozialen Komponente, die Wissenschaft zu eigen ist und die ihren Kern darstellt, ergeben sich in grundrechtsdogmatischer Hinsicht sowohl für die Universitäten als auch für außeruniversitäre Organisationen Konsequenzen. 2. Die Schutzintensität der Forschungsfreiheit Ein solcher Ansatz, der sich nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner wissenschaftlicher Methodik zufrieden gibt, ist nur auf den ersten Blick restriktiver. Denn er ist intensiver, was den Schutz wissenschaftlicher Forschung anbelangt. Er unterscheidet sich damit grundlegend von Ansätzen, die der geänderten gesellschaftlichen Realität 269 dadurch Rechnung zu tragen versuchen, dass der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG auf alle Forschungsbereiche erweitert wird, weil beispielsweise der Ausschluss von Industrieforschung dazu führe, „dass Art. 5 Abs. 3 GG in praxi weitgehend leer liefe, würde der Schutzbereich für solcherart motiviertes Handeln verschlossen bleiben“ 270 und damit nur einen geringen Teil der Forschungstätigkeit erfassen. 271 Diese Ansätze, die sich einer differenzierenden Konstruktion des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG verschließen, versuchen die nicht zu übersehende Differenz zwischen Sein und Sollen dadurch auszugleichen, dass sie die Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff vermindern. Die Inflation von Grundrechtsträgern, vor allem von Organisationen der Privatwirtschaft, führt jedoch dazu, dass im Ergebnis individuelle Forschungsfreiheit beschnitten und die unterschiedlichen Dimensionen von Freiheitsverwirklichung, insbesondere die tatsächlichen Möglichkeiten hierzu, ignoriert werden. 272 Eine Grundrechts269
Siehe hierzu oben Zweites Kapitel, A. IV. 2. Kamp, Kommerz (2004), S. 86. 271 Kamp, Kommerz (2004), S. 88; ähnlich Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 89; Vitzthum, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 341 (347 f.) unter Verweis auf Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 90, S. 249 ff.; Krüger, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 261 (300); krit. hierzu Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 258 und A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (90 f.). Es stellt nämlich einen naturalistischen Fehlschluss dar, wenn z. B. Classen das Erfordernis der Publizität ablehnt, weil damit die Forschung im privaten Rahmen weitestgehend aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit ausgeschlossen würde, was nicht sein könne (ders., a. a. O., S. 89); ähnlich auch die Argumentation von Krüger, a. a. O. 270
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
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auslegung, die größtmögliche Freiheit postuliert, 273 aber ausblendet, in welchen sozialen Zusammenhängen diese Freiheit verwirklicht werden soll und kann, erreicht das Gegenteil des von ihr propagierten Ziels. Sie ist entweder an realer Freiheitsverwirklichung uninteressiert oder setzt sich dem Verdacht einer interessengeleiteten Haltung aus. 274 Sie hat nicht wirklich die Grundrechtseffektivität des Art. 5 Abs. 3 GG im Blick, die auf die Entfaltung individueller Freiheit ausgerichtet ist, sondern das Privileg eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts für das Handeln profitorientierter Organisationen, denen sonst nur der Schutz anderer Grundrechte zukäme. Dies unterscheidet die Erweiterung des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG von anderen Fällen, in denen Normbereiche auf Grund neuer Freiheitsbedrohungen erweitert oder spezifiziert worden sind. Ob zum Beispiel ein Internetnachrichtendienst „Presse“ ist oder ob ein „Allgemeines Persönlichkeitsrecht“ bis hin zum „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ konstruiert wird 275 – in allen Fällen, in denen solche erweiternden Grundrechtsinterpretationen vorgenommen wurden, sollten im Ergebnis Freiheitseinschränkungen von Seiten des Staates oder von Seiten Dritter entgegen getreten werden. Als Freiheitsbedrohung für die Forschung werden jedoch anscheinend nur reglementierende staatliche Vorschriften wahrgenommen. Entwicklungen, die die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft als solche bedrohen, werden ignoriert. Geändert hat sich der ökonomische Druck auf die Wissenschaft, nicht deren Funktionsmechanismen, die nach wie vor auf einer spezifischen Kommunikationskultur beruhen. 276 Ein Ansatz, der auf die Erkenntnisverwertung innerhalb wissenschaftlicher Kommunikationszusammenhänge abstellt, schützt dagegen diese und damit die gesamte scientific community vor Grundrechtseingriffen und -beeinträchtigungen. Da die aktuellen Freiheitsbedrohungen in diesem Bereich mit erfasst werden, ist mit einem engeren Tatbestandsverständnis zugleich ein stärkerer Schutz verbunden. Das entspricht der Stellung eines vorbehaltlosen Grundrechts im Gefüge der grundrechtlichen Schrankenkonstruktion. 3. Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG nur für zweckungebundene Forschung Grundrechte sind auf die Entfaltung individueller Freiheit ausgerichtet. Dies hat zur Folge, dass durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete grundrechtliche Freiheit
272 Siehe oben Drittes Kapitel, B. II. Die Schwäche eines auf den Grundsatz „in dubio pro libertate“ reduzierten Grundrechtsverständnisses wurde bereits dargestellt. 273 Vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 88 ff. 274 So auch die Kritik von A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (95 f.). 275 Vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 91. 276 Vgl. A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (92 f.).
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
nur dort verwirklicht werden kann, wo entsprechende freiheitsadäquate Organisationsstrukturen vorhanden sind. Dies korrespondiert mit der Funktion von Art. 5 Abs. 3 GG, der solches Recht als verfassungswidrig ausschließt, das die Bedingungen für die Selbststeuerung der Wissenschaft, für die Orientierung dieses sozialen Systems am Medium Wahrheit, nicht gewährleistet. Das bedeutet nicht, dass diese Funktion darin besteht, verfahrens- und verwaltungsmäßige Bindungen und gesellschaftliche Einflüsse vollständig auszuschließen. 277 Vielmehr schützen und gestatten erst wissenschaftsrechtliche Vorschriften die Orientierung an der wissenschaftlichen Wahrheit. 278 Wie gezeigt, fließen jedoch mehr und mehr ökonomische Systemprämissen in die Wissenschaft und das wissenschaftsrelevante Organisationsrecht ein. Wie das Patentrecht gezeigt hat, ist eine Unterscheidung zwischen Entdeckung und Erfindung nur noch möglich, wenn der Zweck des Handelns, nämlich die gewerbliche Anwendbarkeit, mit einbezogen wird. 279 Kamp als Vertreter eines weiten Wissenschaftsbegriffes geht zu Recht von „anerkannten“ Prämissen aus, die die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft kennzeichnen; sie sollen hier ebenfalls als Maßstab dienen, da sie in materieller Hinsicht nahezu deckungsgleich mit den Mertonschen Normen sind: − − − −
Suche nach Erkenntnis, offene, eigenständige Themenwahl, Unvoreingenommenheit, Distanz zum Forschungsgegenstand, Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. 280
Doch während von Kamp (im Ergebnis mit der herrschenden Meinung) vertreten wird, auch mit kommerzieller Verwertungsabsicht betriebene Forschung lasse sich unter diese grundlegenden Merkmale subsumieren, 281 hat die hier vorgenommene Untersuchung gezeigt, dass ein solches grundrechtsdogmatisches Freiheitsverständnis auf aktuelle Freiheitsbedrohungen falsch reagiert oder gar ein grundlegend anderes Freiheitsverständnis ist. Bestimmte Forschungszweige und -richtungen dürfen nicht isoliert mit den Mertonschen Merkmalen in Übereinstimmung gebracht werden, ohne die wesentlichen sozialen Grundlagen und Verwirklichungsbedingungen dieser Merkmale außer Acht zu lassen. 282 277
Schlink, Der Staat 1971, 224 (256). Zu den drei Wirkungsrichtungen des Rechts in der Wissenschaft siehe SchmidtAßmann, in: Müller-Graff/Roth, Recht (2002), S. 371 f. 279 Siehe oben Fünftes Kapitel, B. I. 3. b) dd). 280 Kamp, Kommerz (2004), S. 50. 281 Kamp, Kommerz (2004), S. 85. 282 Dies tut Kamp im Gleichklang mit der h. M. gerade nicht, was das Ergebnis seiner Untersuchung angesichts dieser Ausgangsprämissen erstaunlich erscheinen lässt. Er kann daher auch nur feststellen, dass die Mertonschen Normen nicht per se unmöglich sind 278
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
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Die Forschungsfreiheit schützt die Grundstrukturen, d. h. die typische Freiheit von Forschung, sie schützt derart unabhängige Forschung, deren Merkmale jenen anerkannten Prämissen in typischer Weise entsprechen. Forschungsfreiheit ist nicht primär die Freiheit desjenigen, der wissenschaftlichen Sachverstand organisiert, um damit wirtschaftlich oder zu sonstigen wissenschaftsfremden Zwecken erfolgreich zu sein. Forschung muss keine Erkenntnis um ihrer selbst willen betreiben und ist auch nicht verpflichtet, lediglich gesellschaftlich nützliche Erkenntnisse zu erlangen. 283 Allerdings tritt zum Beispiel in der Industrieforschung, wie von Trute treffend beschrieben, die Eigengesetzlichkeit marktvermittelter Operationen an die Stelle der Eigengesetzlichkeit der Wissenserzeugung. 284 Gleiches kann auch (in bestimmten Fällen) die Drittmittelforschung oder Kooperationsverträge mit der Industrie an Universitäten kennzeichnen. Wo jedoch ökonomische Imperative die Tätigkeit regulieren, ist nicht mehr die Forschungsfreiheit, die auf besondere Sachstrukturen und Schutzanforderungen ausgerichtet ist, einschlägig, sondern es sind die dogmatisch auf wirtschaftliche Tätigkeiten zugeschnittenen Art. 12, Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 GG. Hier wird nicht Wissen erzeugt und validiert, sondern die Herstellung von Produkten optimiert. Freie Wissenschaft ist damit nur solche, deren Zweck nicht die Inanspruchnahme von Schutzrechten für geistiges Eigentum ist. 4. Andere Grundrechte, deren Normbereichseröffnung vom Zweck des Handelns abhängt Auch wenn sich aus den Grundrechten kein allgemeiner Grundsatz des Ausschlusses bei kommerzieller Verwertungsabsicht der grundrechtlich ausgeübten Freiheit ergibt, 285 kann daraus nicht geschlossen werden, dass ein solcher Grundsatz auf Art. 5 Abs. 3 GG nicht anwendbar ist. Eine Abhängigkeit der Grundrechtsausübung von einem bestimmten Zweck ist zwar nicht allen, aber manchen anderen Grundrechten nicht fremd. Auch hier kann ein und dieselbe Handlung dem einen oder dem anderen Grundrecht zugeordnet werden. Am deutlichsten wird dies bei dem vorbehaltlos gewährleisteten Recht der Religionsfreiheit, deutlich wird es aber auch bei der Versammlungsfreiheit. Hier geht es darum, dass
(ders., a. a. O., S. 85) und muss folglich den Grundsatz in dubio pro libertate zu Hilfe nehmen (ders., a. a. O., S. 93, 95). 283 So im Ergebnis zu Recht Kamp, Kommerz (2004), S. 134 ff. 284 Zum Folgenden Trute, Forschung (1994), S. 106 f. Diese Feststellung wird jedoch von Trute im Fortgang durch deutliche Schnitte am Publizitätserfordernis entwertet (ders., a. a. O., S. 106); siehe auch A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (94) mit deutlicher Kritik an Trute. 285 Ausführlich hierzu Kamp, Kommerz (2004), S. 95 ff., 131.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Fälle von „Etikettenschwindel“ zur Erlangung von rechtlichen Privilegierungen ausgeschlossen werden. 286 a) Die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) Ein aussagekräftiges Parallelproblem ist die wirtschaftliche Betätigung von Religionsgemeinschaften. Hierbei sind zwei Komplexe zu unterscheiden: Zum einen die Frage, ob es sich überhaupt um eine Religionsgemeinschaft handelt, zum anderen, ob konkrete Handlungen einer anerkannten Religionsgemeinschaft Religionsausübung oder wirtschaftliches Handeln sind. Bei der Einordnung einer Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft bestimmt sich die Abgrenzung danach, wie das „Selbstverständnis“ und das „äußere Erscheinungsbild“ einzuordnen sind. Auch kann auf den „Schwerpunkt“ der Tätigkeiten der Gemeinschaft abgestellt werden. Die grundrechtliche Privilegierung als Religionsgemeinschaft wird zu Recht dann verneint, wenn die religiöse Betätigung ausschließlich Mittel zum Zweck der Erreichung wirtschaftlicher, außerreligiöser Ziele ist. 287 Werden wirtschaftliche Handlungen zu religiösen Zwecken vorgenommen, beispielsweise um die Religionsausübung zu ermöglichen, ist unter bestimmten Voraussetzungen Art. 4 Abs. 1, 2 GG eröffnet, werden dagegen Religionshandlungen zu wirtschaftlichen Zwecken vorgenommen, ist die Religionsfreiheit ausgeschlossen. 288 b) Die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) Art. 8 Abs. 1 GG ist ebenfalls ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, 289 während Aufzüge unter freiem Himmel (Art. 8 Abs. 2 GG) einem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Angesichts des Streits um die „Love-Parade“ ist die Frage, ob Zusammenkünfte von Personen einen bestimmten Zweck (und bejahendenfalls welchen) verfolgen müssen, wieder diskutiert worden. Hier ist das Meinungsbild uneinheitlich:
286 Zur Kunstfreiheit, deren Ausübung nicht davon abhängig ist, ob mit ihr wirtschaftliche Zwecke verfolgt werden, siehe bereits oben Viertes Kapitel, C. IV. 1. 287 Andererseits nimmt wirtschaftliche Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft noch nicht ihren Status (vgl. BVerfGE 24, 236 [247 ff.] – Rumpelkammer); krit. hierzu R. Herzog, in: Maunz/Dürig GG, Bd. I (2003), Art. 4, Rdnr. 102, 104; vgl. zum Schwerpunkt von Tätigkeiten im Rahmen der Grundrechtskonkurrenzen: Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 419 ff. 288 Vgl. BVerfGE 24, 236 (249) – Rumpelkammer. 289 Mit dem Beispiel des Art. 8 GG auch A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (92).
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
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Einigkeit besteht insoweit, als unter einer Versammlung das von einer inneren Verbindung getragene Zusammenkommen einer Mehrzahl von Personen zu verstehen ist. Der gemeinsame „Konsum“ eines Ereignisses sei hierfür nicht ausreichend. Auf der anderen Seite könne ein gemeinsamer Anlass schon ausreichen, wenn es gerade auf die Gemeinsamkeit ankommt. 290 Anhänger eines engeren Versammlungsbegriffes 291 fordern als verfolgten Zweck die gemeinsame Erörterung oder Kundgebung in öffentlichen Angelegenheiten. Für das BVerfG sind Versammlungen örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. 292 Die Beschränkung auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung wird mit der geschichtlichen Funktion des Art. 8 GG als politisches Grundrecht begründet, das insbesondere politische Versammlungen schützen soll. 293 Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden vom BVerfG als „unentbehrliche und grundlegende Funktionselemente des demokratischen Gemeinwesens“ bezeichnet, 294 was eine Beschränkung auf politische Versammlungen nahe legt. Daran wird es bei Zusammenkünften fehlen, die kommerzielle Interessen als Hintergrund haben. Volksbelustigungen oder Ansammlungen sind beispielsweise nicht von Art. 8 GG umfasst. 295 Diese enge Zwecksetzung wurde bisher überwiegend abgelehnt. Man wollte die Versammlungsfreiheit lediglich an die Funktion der Meinungsfreiheit gekoppelt sehen und verlangte wie bei Art. 5 Abs. 1 GG unabhängig vom konkreten Zweck als Kriterium eine gemeinsame Meinungsbetätigung, jedoch nicht notwendigerweise in öffentlichen Angelegenheiten. 296 Es hieß, der vom BVerfG beschworene innere Zusammenhang zu Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG könne sich nicht auf Meinungen in öffentlichen Angelegenheiten beschränken. Art. 8 GG stelle das Komplementärgrundrecht für alle gemeinschaftlichen Meinungsbekundungen dar. Aber auch nach diesem Kriterium lassen sich etwa Zusammenkünfte zu kommerziellen Zwecken nicht unter Art. 8 GG subsumieren. 297
290
Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 781. So die Rspr., neben dem BVerfG (NJW 2001, 2459 ff.; DVBl. 2002, 256 ff.) auch das BVerwG, siehe E 26, 135 (137). 292 Siehe BVerfG, NJW 2001, 2459 ff. („Fuck- und Love-Parade“) und DVBl. 2002, 256 ff.; siehe dazu auch die Besprechung von Tschentscher, NVwZ 2001, 1243 ff., sowie Möllers, NJW 2005, 1973 (1974); zu Art. 8 siehe m. w. N. Lembke, JuS 2005, 984 f. 293 Vgl. BVerfGE 69, 315 (345 f.) – Brokdorf. 294 BVerfGE 69, 315 (Ls. 1; 347) – Brokdorf. 295 BVerfGE 69, 315 (343) – Brokdorf. 296 Vgl. im Folgenden Kamp, Kommerz (2004), S. 107, m. w. N. in Anm. 336; Pieroth/ Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 693. 297 Vgl. OVG Berlin, NJW 2001, 1740. 291
400
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Schließlich genügt nach einer noch weitergehenden Meinung zur Unterscheidung der Versammlung von der bloßen Ansammlung die Zusammenkunft mehrerer Personen, zwischen denen eine innere Verbindung besteht und die einen beliebigen gemeinsamen Zweck verfolgen. Wortlaut und Systematik des Art. 8 GG ließen die behauptete Komplementärfunktion zu Art. 5 Abs. 1 GG nicht erkennen. 298 Doch auch diesen weitesten Versammlungsbegriff zugrunde gelegt, dient Art. 8 GG immer noch dem Schutz von Versammlungen „als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“. 299 Für den engen Versammlungsbegriff der Rechtsprechung, der Art. 8 GG auf Versammlungen mit politischem Zweck beschränkt, spricht jedenfalls die historische Auslegung. 300 In die Formulierung des Art. 8 GG flossen die Erfahrungen aus der Weimarer Republik ein: So wurde Art. 8 Abs. 1 GG gegenüber der Regelung in Art. 123 Abs. 1 WRV um das Friedlichkeitsgebot und das Waffenverbot erweitert. Dagegen ist im Grundgesetz die Anmeldepflicht für Aufzüge unter freiem Himmel entfallen, die Art. 123 Abs. 2 WRV noch vorsah. 301 Schließlich ergibt sich die besondere politische Bedeutung für das demokratische Gemeinwesen auch aus der Vorbehaltlosigkeit, mit der Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG geschützt sind. Im Übrigen gilt hier, was auch für die Wissenschaftsfreiheit gilt: Es gibt keinerlei Notwendigkeit, Art. 8 GG „aufzublähen“. 302 Versammlungen, die nicht in seinen Schutzbereich fallen, werden durch Art. 9, Art. 12 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. So bietet etwa Art. 2 Abs. 1 GG für Versammlungen von Nichtdeutschen einen nicht uneffektiven Schutz. 303 c) Ergebnis Bei der Religionsfreiheit wird deutlich, dass der Zweck des jeweiligen Handelns fundamental für die Einordnung in den Normbereich ist. Nicht jede Handlung einer Religionsgemeinschaft ist auch religiös i. S. v. Art. 4 Abs. 1, 2 GG. Erfolgt sie zu wirtschaftlichen Zwecken, ist lediglich die Wirtschaftsfreiheit einschlägig. Übertragen auf Forschungsorganisationen, bedeutet dies: Handelt die Organisation wirtschaftlich, um primär unabhängige Forschung zu ermöglichen (beispiels-
298
Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte (2003), Rdnr. 780. BVerfGE 69, 315 (343) – Brokdorf. 300 Zur Bedeutung der historischen Auslegung bei der Norminterpretation siehe oben Zweites Kapitel, A. IV. 1. 301 Vgl. hierzu BVerfGE 69, 315 (348) – Brokdorf. Freilich ist die Anmeldepflicht einfachgesetzlich in § 14 VersG festgeschrieben; zur verfassungskonformen Auslegung BVerfGE 85, 69 (72 ff.) – Eilversammlungen. 302 Zu den Folgen siehe Tschentscher, NVwZ 2001, 1243. 303 Vgl. m. w. N. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 2, Rdnr. 10. 299
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weise um notwendige Forschungsressourcen zu erwirtschaften), kann Art. 5 Abs. 3 GG eröffnet sein. Keinesfalls ist Art. 5 Abs. 3 GG anwendbar, wenn Forschung betrieben wird, um primär wirtschaftlich zu handeln (wie es etwa typisch für Industrieforschung ist). Im Ergebnis ist dies bei Art. 8 GG nicht anders: Der verfassungsrechtliche Versammlungsbegriff erfasst nur diejenigen Veranstaltungen, die entweder mit Blick auf deren demokratiefunktionale Aufgaben als besonders schutzwürdig erscheinen oder deren Zweck eine gemeinsame Meinungsäußerung ist. 304 5. Problem: Einordnung grundrechtlich relevanter Handlungen Geht es um die Einordnung eines Handelns in einen grundrechtlich geschützten Bereich, sind gewisse objektive Anhaltspunkte notwendig. Während sich bei Art. 4 Abs. 1 oder Art. 8 GG der Zweck der Grundrechtsausübung relativ klar aus der jeweiligen Handlung selbst ablesen lässt, bereitet forschendes Handeln Probleme, wie es sich auch bei der manchmal schwierigen Abgrenzung von Forschungsbereichen zeigt. 305 Im offenen und unabgeschlossenen Prozess der Erkenntnisgewinnung ist die nachfolgende Erkenntnisverwertung nicht immer klar bestimmbar. Die Frage der Verwertbarkeit lässt sich oft erst ex post entscheiden, 306 die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse folgt ihrer Gewinnung zeitlich nach. 307 Ex ante lassen sich jedoch objektiv die Rahmenbedingungen und Freiräume feststellen, innerhalb derer Forschung organisatorisch ermöglicht wird. Dickert will zum Beispiel nur solche Forschungsaktivitäten unter den Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG stellen, bei denen der Forscher „prinzipiell bereit und in der Lage ist“, die Ergebnisse seiner Arbeit der fachlichen und allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 308 Objektiv bestimmbar ist damit die prinzipielle Freiheit des Forschers, an der Kommunikation der scientific community teilzunehmen, genauso wie seine Autonomie, über die Wahl von Forschungsziel und -methode selbst entscheiden zu können.
304
Mit anderem Ergebnis Kamp, Kommerz (2004), S. 109. Siehe oben Drittes Kapitel, A. III. 306 Kamp, Kommerz (2004), S. 62. 307 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 89. Falsch ist jedoch, wenn behauptet wird, dass dies „daher jedenfalls logisch keine Auswirkungen auf sie haben“ könne [Hervorh. d. Verf.], denn es beeinflusst Forschungsziel und -methode sehr wohl, ob die angestrebten Erkenntnisse veröffentlicht oder aber patentiert werden sollen. 308 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 287 f.; ihm folgend Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 28; M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 80. 305
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
II. Objektive Maßstäbe der Wissenschaftlichkeit 1. Voraussetzungen für die Einbeziehung in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG a) Ergänzung und Begrenzung des methodologischen Forschungsbegriffes durch soziale Maßstäbe Wissenschaft kann ihre kognitiven Leistungen nur als soziales System erbringen. Die prinzipielle Isolation, Zweckgebundenheit und die Effizienzanforderungen gebundener Forschung können dies nicht leisten. Ausgehend vom Schutzzweck des Art. 5 Abs. 3 GG müssen deshalb soziale Normen der Wissenschaft in den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit von Forschung Berücksichtigung finden. Wird dagegen nur auf einen Vorgang „wissenschaftlich-methodischer Reflexion“ abgestellt, ist es unerheblich, wo und wie Forschung betrieben wird. 309 Zwischen freier und gebundener Forschung wäre dann verfassungsrechtlich kein Unterschied zu machen. 310 Dabei unterscheiden sich zweckungebundene und zweckgebundene Forschung in erheblicher Hinsicht. Der Unterschied ist hierbei nicht, dass gebundene Forschung technologische Innovationen verfolgt, während Wissenschaft die Verbreiterung und Vertiefung von Wissen zum Gegenstand hat und den Boden für die verschiedensten Ideen und Erfindungen bereiten kann. Vielmehr ist gebundene Forschung final nicht auf (technologischen) Fortschritt, sondern auf einen Marktvorteil aus. Nicht Innovation, sondern ein Vorsprung gegenüber der jeweiligen Konkurrenz ist ihr Ziel. 311 b) Der Maßstab: die Eigengesetzlichkeit freier Wissenschaft aa) Offenheit und Unabgeschlossenheit von Wissenschaft Wissenschaftliche Erkenntnis hat etwas Vorläufiges, ist ein Versuch der Annäherung an die Wahrheit und damit immer „der letztmögliche Stand wissenschaftlichen Irrtums“ (Popper). Wissenschaft ist durch Offenheit und Unabgeschlossen-
309 Mit der Folge, dass es unerheblich ist, ob Anwendungs- oder Grundlagenforschung betrieben wird; vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 98; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 325. 310 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 90. 311 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 91 f.; gleiches gilt für die Hochschulen, die sich im Wettbewerb miteinander befinden sollen, siehe oben Drittes Kapitel, A. IV. 5.
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heit gekennzeichnet. Hieraus folgt, dass Fehler in der Wissenschaft unvermeidbar sind und jede Falsifizierung eine neue wissenschaftliche Entdeckung ist. Steht bereits zu Beginn der Forschung ein klar umrissener Zweck fest, etwa ein bestimmtes Ergebnis in Form einer Anwendung oder eines Patents, ist dementsprechend die freie Wahl des Forschungsgegenstandes stark eingeschränkt. Grundlagenprobleme für Gesellschaft und Umwelt bleiben so außer Betracht. Reduziert man Wissenschaft auf die Hervorbringung technologischer Innovationen mit wirtschaftlichem Nutzen, würden sich zwingend Forschungslücken in den Bereichen ergeben, in denen kommerzielle Attraktivität nicht gegeben ist und die damit außerhalb des Erwartungshorizonts des Financiers liegen. bb) Bedeutung der Publizität in der Wissenschaft (1) Unabdingbarkeit des Publizitätserfordernisses für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess Ohne freien Diskurs ist Wissenschaft nicht möglich. Wissenschaft ist eine kollektive Suche. Art. 5 Abs. 3 GG schützt deshalb jedes Verhalten, das den Erkenntnisprozess der scientific community fördert oder fördern soll. Erst die Einbettung in den wissenschaftlichen Kommunikationsprozess führt zur Qualifikation von Handlungen als wissenschaftlich. 312 Wissenschaftliche Forschung hat deshalb ein Publizitätserfordernis zu erfüllen. Die hieraus resultierende Publikationspflicht des Forschers ist die Voraussetzung für den grundrechtlichen Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG, jedoch keine „Grundpflicht“. 313 Erfüllt Forschung das Publikationserfordernis nicht, fehlt es an der Wissenschaftlichkeit der Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG. Die öffentlichen Universitäten sind aufgrund der engen Verbindung von Forschung und Lehre grundsätzlich auf Kommunikation und Publikation hin angelegt. 314 Die Forschungsfreiheit umfasst auch das Verbreiten der Forschungsergebnisse. 315 312 Vgl. Hübner, WissR 2005, 35 (40); ähnlich auch Trute, Forschung (1994), S. 256; Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 17, 28; Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1079). 313 So jedoch Kamp, Kommerz (2004), S. 81, der hierin sogar eine „an das Dritte Reich erinnernde Inpflichtnahme der Menschen“ sieht. Es kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug betont werden, dass für derartige Forschungsaktivitäten der Schutz aus Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG und damit eine allgemeine Forschungsfreiheit bestehen bleibt. 314 BVerfGE 47, 325 (375 f., 379). Diese alleinige Bezugnahme auf die universitäre Forschung ist für Kamp, Kommerz (2004), S. 74 f. Argument dafür, dass dies nicht für industrielle (außeruniversitäre) Forschung gelten müsse. Wie oben unter Zweites Kapitel, C. III. dargestellt, ist dies jedoch einer hochschulzentrierten Sichtweise der Verfassungsrechtsprechung geschuldet, die keine zwingenden Rückschlüsse auf außerhalb der Hochschulen liegende Forschungsaktivitäten zulässt. Die Argumentation des BVerfG lässt sich unmit-
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Wissenschaftliche Forschung setzt die ständige, für alle Gegenargumente offene kritische Überprüfung ihrer Thesen, Behauptungen und Schlussfolgerungen voraus. Je größer die mit der Entwicklung und Anwendung von wissenschaftlichen und technologischen Forschungsergebnissen verbundenen Risikopotentiale sind, desto größer ist auch die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontrolle. Solche Forschung ist auf spezifische und kritische wissenschaftliche Zuarbeit und Validierung angewiesen. Gerade das in naturwissenschaftlichtechnischen Forschungseinrichtungen erarbeitete Sachwissen ist – zumal wenn die Einrichtungen unter wirtschaftlichen Verwertungszwängen agieren müssen – nicht nur interessengebunden und -geleitet, sondern zwangsläufig auch unvollständig. 316 Popper fordert hierzu in seinem Vorschlag für eine neue wissenschaftliche Berufsethik: „Wir müssen ( . . . ) unsere Einstellung zu unseren Fehlern ändern. ( . . . ) Denn die alte berufsethische Einstellung führt dazu, unsere Fehler zu vertuschen, zu verheimlichen und so schnell wie möglich zu vergessen. ( . . . ) Wir müssen uns klarwerden, daß wir andere Menschen zur Entdeckung und zur Korrektur von Fehlern brauchen (und sie uns); insbesondere Menschen, die mit anderen Ideen in einer anderen Atmosphäre aufgewachsen sind. ( . . . ) Kritik durch andere [ist] eine Notwendigkeit.“ 317
Dagegen wird nun eingewendet, die Publizität und Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sei als Kriterium für wissenschaftliches Handeln nicht notwendig, da die Konkurrenzsituation des Marktes dazu führe, dass exakt gearbeitet würde und Erkenntnisse erfolgreich umgesetzt werden müssten. 318 Der Wahrheitssuchprozess verlaufe unabhängig von einer etwaigen Publizierung. 319 Wolle man auf das Kriterium dennoch nicht verzichten, reiche es aus, dass überhaupt ein (wie auch immer gearteter) Kontakt zur scientific community besteht. 320
telbar weder für noch gegen eine Übertragung verwenden. Mittelbar wird jedoch deutlich, dass das BVerfG jedenfalls für freie Wissenschaft, wie sie an den Universitäten stattfinden sollte, eine Publikationspflicht annimmt. 315 Vgl. BVerfGE 35, 79 (112) – Hochschulurteil, sowie § 4 Abs. 2 Satz 1 HRG. 316 Vgl. hierzu die detaillierten Vorschläge de lege ferenda, die Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 500 ff. zur Stärkung der wissenschaftlichen Kommunikation in den Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen macht. 317 Popper, Gesellschaft–Universum (1983), S. 115 f. 318 Kamp, Kommerz (2004), S. 72; ähnlich Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 88 f.; evtl. missverständlich Trute, Forschung (1994), S. 106 (mit dem Ergebnis, dass Industrieforschung zwar Forschung sei, jedoch nicht in den Normbereich der Forschungsfreiheitsgarantie falle – ein Hinweis, den Kamp a. a. O. bei seinem Verweis auf Trute unterlässt). 319 Kamp, Kommerz (2004), S. 73; Classen Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 89 f. 320 So im Ergebnis Kamp, Kommerz (2004), S. 77, der damit das Kriterium der Publizität völlig unterbewertet.
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Jedoch zeigt sich gerade im Bereich der Arzneimittelprüfung, dass gerne Erkenntnisse unterschlagen werden, die die Zulassung oder das Marketing eines Medikaments negativ beeinflussen könnten. Als Hauptgrund für die Fälschung von Forschungsergebnissen geben beispielsweise Forscher in den USA den Druck durch ihre Geldgeber an. 321 Die Behauptung, man könne sich in der industriellen Forschung Fehler nicht leisten und Manipulationen seien ausgeschlossen, 322 geht daher fehl. Sicherlich ist universitäre Forschung hiervor ebenso wenig gefeit. Motivation für forscherisches Fehlverhalten kann sowohl das Streben nach Reputation als auch ein ökonomischer Zwang oder Anreiz sein. 323 Entscheidender als das Fehlverhalten als solches ist jedoch, ob wissenschaftliche Fehler überhaupt aufgedeckt werden können und welche Sanktionen folgen. Eine solche Fehlerkorrektur ist jedoch nur dann möglich, wenn wissenschaftliche Erkenntnis umfassend zugänglich gemacht wird. 324 Das Unterlassen oder die Beschränkung von Publizität schadet deshalb dem System Wissenschaft als Ganzes. Zwar obliegt es auch in zweckungebundener Forschung dem Forscher, ob er es für wert erachtet, seine Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Doch er wird seine Entscheidung zumeist aus wissenschaftlichen Gründen und nicht aus vertraglichen oder ökonomischen Zwängen heraus treffen. Er kann seine Ergebnisse für nicht veröffentlichungswert halten, da sie zu unbedeutend oder noch nicht wirklich abgeschlossen sind und das Stadium der Vorarbeit noch nicht verlassen haben. Also ist auch hier der Zweck des Unterlassens entscheidend. Wird fehlende Publizität erzwungen oder gar ökonomisch honoriert, dann wird letztlich Innovation nur punktuell und unter dem Primat kommerzieller Verwertungsabsichten gefördert. Hieraus entspringt kein Nutzen für die Innovationsfähigkeit des wissenschaftlichen Systems an sich, da der scientific community die dafür notwendigen Informationen vorenthalten werden oder sie nur teilweise und zeitversetzt erreichen. Ein vollständiger Wissenstransfer ist auf freien Diskurs angewiesen. Freie Erkenntnissuche ist nur möglich, wenn der Forscher auch über die hierzu notwendigen Informationen verfügt. 325 Die Publizität dient nicht nur dazu, 321
Siehe oben Drittes Kapitel, A. IV. 3. a) dd). So Kamp, Kommerz (2004), S. 72. 323 Vgl. Nature 2001, 751: Diese naturwissenschaftliche Zeitschrift verlangt seit Oktober 2001, dass finanzielle Interessen des Autors offen gelegt und mitveröffentlicht werden, damit der Leser die Objektivität der Veröffentlichung bewerten kann. 324 Wohl auch deshalb, d. h. aus (berufs-)ethischen Erwägungen, fordert der Nationale Ethikrat in seiner Stellungnahme zum Import embryonaler Stammzellen, dass bei der Zulassung der Stammzellenforschung die Forschungsergebnisse veröffentlicht werden müssen (Nat. Ethikrat, Stellungnahme vom 20. 12. 2001, Nr. 7, Option A und B, S. 51 ff.); vgl. ebenfalls den Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT-Drs. 14/7546, S. 56. Der Gesetzgeber ist diesem Ansinnen (leider) nicht gefolgt. 322
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
dass der Forscher i. S. Poppers individuell sein Forschungsprojekt überprüfen und kritisieren lässt, sondern er ist umgekehrt auch darauf angewiesen, auf den Informationsstand zu kommen, der ihn überhaupt erst befähigt, ein Forschungsprojekt auszuwählen und durchzuführen. Neue Entdeckungen können erst gemacht werden, wenn man umfassend auf bereits gemachte Entdeckungen anderer zurückgreifen kann. Wissenschaft ist ein Prozess des gegenseitigen Gebens und Nehmens. Würde man auf das Merkmal der Publizität verzichten, bestünde die Gefahr, dass Forschung zum bloßen Stückwerk wird, in dem Vernetzungen unzureichend und unter Ausblendung anderer Disziplinen und Sichtweisen stattfinden. Fehlende Publizität führt zur Abschottung von Forschungsbereichen und -disziplinen, oder zugespitzter: zu neuen Elfenbeintürmen, in denen die Räder immer wieder von Neuem erfunden werden müssen. So ist zum Beispiel die Rechtswissenschaft darauf angewiesen, Lösungen für praktische Probleme zu entwickeln, die der wissenschaftlich-technische Fortschritt mit sich bringt. 326 Umgekehrt ist auch der naturwissenschaftliche Forscher darauf angewiesen, über rechtliche Probleme informiert zu sein, die angesichts einer neuen technologischen Entwicklung entstehen können. Aber auch andere Wissenschaftsbereiche sind auf den interdisziplinären Informationsfluss angewiesen. Zudem steht vor der Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse die Begutachtung der Arbeit durch Redaktionen der Publikationsorgane bzw. durch interne oder externe Gutachter. Das führt zu einem „peer review“, welches der Qualitätskontrolle, aber auch je nach Grad des Ansehens von Zeitschrift und Autor der Mehrung der Reputation aller Beteiligten dient. 327 (2) Publizität durch Patentierung? Die wohl herrschende Meinung meint freilich, durch die Patentierung würde dem Publizitätselement der Wissenschaft ausreichend Rechnung getragen und die verzögerte zeitliche Bekanntgabe sei „unstreitig unproblematisch“. 328 Im Bereich der bio- und gentechnischen Forschung sei das wirtschaftliche Interesse an der Verwertung der Erkenntnisse so eng mit deren Exklusivität verbunden, dass diese
325 Ausführlich zum Informationsanspruch des Forschers gegen den Staat als eigene Gewährleistungsdimension: Mayen, Informationsanspruch (1992), insb. S. 80 ff. 326 Das Recht kann u. a. deshalb nicht mit der technologischen Entwicklung Schritt halten, da neue Erfindungen und Entdeckungen erst mit Patentierung bzw. Marktreife publik werden und vorab kein gesellschaftlicher Diskurs stattgefunden hat. 327 Merton, Forschungsinteressen (1985), S. 172 f., 151 ff. 328 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 179 (m. w. N.); Kamp, Kommerz (2004), S. 79 f.; Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 516, Rdnr. 572c (kurzfristige Beeinträchtigung des Veröffentlichungsrechts sei zumutbar und rechtlich zulässig). Angesichts der krit. Stimmen zu § 42 ArbEG kann dies heute nicht mehr so einfach behauptet werden [siehe unten m. w. N. Fünftes Kapitel, D. II. 2. b) aa)].
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
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Verzögerung in Kauf genommen werden müsse. Sobald ein technisches Verfahren zur Verwertungsreife gediehen sei, stehe auch einer Publikation nichts mehr im Wege. 329 Allerdings stehen innerwissenschaftlicher Diskurs der scientific community und öffentliche Kontrolle zu diesem Zeitpunkt bereits vor vollendeten Tatsachen, der Informationseffekt des Patentschutzes ist zudem in wissenschaftlicher Hinsicht unvollständig. Dies trifft vor allem auf die Bio- und Gentechnik zu. 330 Grundlagenerkenntnisse, die bei der Entwicklung des patentierten Verfahrens erlangt worden sind, werden häufig (zunächst oder auf Dauer) geheim gehalten, um den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz nicht zu verlieren. 331 Mit der Patentschrift (§§ 32, 34 PatG i. V. m. §§ 10, 11 PatV) wird lediglich eine Lehre zum technischen Handeln veröffentlicht, nicht eine wissenschaftliche Theorie oder Erkenntnis erläutert, da diese gerade nicht patentfähig ist. Zwar kann eine wissenschaftliche Erkenntnis zusätzlich außerhalb der Patentanmeldung veröffentlicht und der Kritik geöffnet werden. Da die Patentfähigkeit aber auch die Neuheit erfinderischer Erkenntnisse zur Voraussetzung hat, kann bei mit Verwertungsabsicht betriebener Forschung fehlende Patentfähigkeit dazu führen, dass Erkenntnisse, die sich in Erfindungen umsetzen lassen, nicht offenbart werden. 332 Eine Verzögerung tritt damit auf jeden Fall ein, die unvollständige Publizität ist in vielen Fällen anzunehmen. Die Verzögerung der Publizität ist auch nicht ohne Belang, wie Kamp mit dem Argument vorbringt, eine Pflicht zur (schnellstmöglichen) Veröffentlichung verstoße gegen die Freiheit des Forschers, über die Publikationsreife selbst zu entscheiden. 333 Denn die Publikationspflicht trifft den Forscher immer erst dann, wenn wissenschaftliche Publikationsreife erreicht ist. Und über diesen Zeitpunkt entscheidet ein wissenschaftlicher Forscher noch immer unbeschränkt und alleine. 334 Das ist der höchstpersönliche Kern seiner Forschungsfreiheit. Entscheidend ist nicht die Dauer der Verzögerung, sondern deren Ursache. Ist jene darin begründet, dass es der Arbeit zumindest nach Auffassung des jeweiligen Forschers
329
So Vitzthum, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 341 (348). Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 114 f., 287. 331 So der richtige Einwand – wenn auch mit gegenläufigem Ergebnis – von Vitzthum, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 341 (348). 332 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 120. 333 Kamp, Kommerz (2004), S. 81 f. 334 Vgl. BVerfGE 47, 327 (383) – Hess. Universitätsgesetz: Hochschulforschern „steht bei ihrer Tätigkeit ( . . . ) ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf vollständiges Schweigen nicht zu. Andererseits ist die Suche nach der Wahrheit aber grundsätzlich nie abgeschlossen. Den Beschwerdeführern wird man daher aufgrund des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zubilligen müssen, daß sie selbst den Zeitpunkt bestimmen können, wann sie ein bestimmtes Forschungsergebnis oder eine bestimmte Lehrmeinung veröffentlichen.“ 330
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
an wissenschaftlicher Qualität mangelt, so schadet dies wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhängen nicht, sondern erhöht deren Qualität und fördert damit den wissenschaftlichen Fortschritt. 335 Resultiert die Verzögerung jedoch aus kommerziellen Verwertungsabsichten, was dann der Fall ist, wenn eine Erfindung patentiert oder eine Entdeckung geheim gehalten werden soll, so ist nicht die Entscheidungsfreiheit über die Publikationsreife betroffen, sondern (betriebs-)wirtschaftliches Kalkül. Wäre nach der individuellen Überzeugung des Forschers Publikationsreife gegeben und wird allein wegen der Begründung geistigen Eigentums auf Publizität verzichtet, liegt eine normbereichsrelevante Verzögerung vor, die zur Exklusion aus Art. 5 Abs. 3 GG führt. Des Weiteren ist – wie bereits angesprochen – patentierbares Wissen von wissenschaftlichem Wissen abzugrenzen. Zwischen wissenschaftlicher Publikationsreife und technischer Patentreife existiert ein qualitativer und quantitativer Unterschied. Ziele und Voraussetzungen des Patentrechts und der Wissenschaft sind nicht deckungsgleich. 336 So geht es bei der patentrechtlichen Offenlegung gerade nicht um die Veröffentlichung der dabei unter Umständen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Theorien, sondern um die Offenbarung einer Erfindung, d. h. einer technischen Lehre. Die patentrechtliche Offenlegungspflicht fordert weder die Offenlegung von Erkenntnissen, die über die konkrete gewerblich anwendbare technische Lehre hinausgehen, noch ist dies in der Praxis aus Wettbewerbsgründen empfehlenswert. Vorgelagerte wissenschaftlichen Theorien können Grundlage weiterer patentfähiger Erfindungen sein. Geheimhaltungsvorschriften betreffen deshalb regelmäßig den gesamten Prozess des Zustandekommens der Erfindung. Auch kann die Publikation der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Theorien zukünftige Patentierungen verhindern, da diese dann dem Neuheitsgebot nicht genügen. 337
335 So im Ergebnis auch M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 97 f. sowie Lux, Kooperation (2001), S. 21; nach Lux muss bei Drittmittelprojekten die Publikationsfreiheit in Kollision mit Art. 14 Abs. 1, 12 GG zurücktreten, wenn ein legitimes Interesse des Drittmittelgebers besteht, wobei ein völliges Verbot angesichts des § 25 HRG gegen Art. 5 Abs. 3 GG verstoßen würde. Angesichts der Tatsache, dass Lux die Publikationsfreiheit als formales Kriterium wissenschaftlicher Tätigkeit einordnet (siehe dies., a. a. O., S. 15), ist diese normative Beschränkung des Tatbestandes durch Abwägung bereits auf der Tatbestandsebene inkonsequent (siehe hierzu auch dies., a. a. O., S. 60). 336 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 123. 337 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 125 f.; so auch Kamp, Kommerz (2004), S. 82 ff. mit dem Argument, eine frühzeitige Veröffentlichung würde eine erhebliche Minderung der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten bedeuten (S. 83). Für M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 127 ff. ergibt sich daraus die Forderung, das Neuheitserfordernis der §§ 1 Abs. 1; 3 PatG so auszulegen, dass eine vorherige wissenschaftliche Veröffentlichung nicht schadet.
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
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Erst wenn Entdeckungen technisch und ökonomisch „auserfunden“ sind, kann eine Veröffentlichung erfolgen, die sich an das wissenschaftliche Publikum wendet. Erst eine solche Publikation dockt wieder an das Kommunikationssystem der scientific community an, mit ihr ist im Fortgang Reputation verbunden, und die Wissenschaft kann nun (und erst jetzt) auf die der patentgeschützten Erfindung zugrunde liegenden Entdeckungen und wissenschaftlichen Theorien reagieren, sie kritisieren und falsifizieren. Der Bereich des Art. 5 Abs. 3 GG ist in diesem Falle ex nunc wieder eröffnet. (3) Validierung durch technische Umsetzung, „Innovation“ und „Implementation“? Gleiches gilt, wenn sich die kommerziellen Verwertungsabsichten nicht patentrechtlich niederschlagen. Den öffentlichen Diskurs in Wissenschaft und Gesellschaft kann auch nicht die Validierung durch eine erfolgreiche (technische) Umsetzung, durch „Implementation“ 338 oder „Innovation“ 339 zweckgebundener Forschung (insbesondere Industrie- und Ressortforschung) ersetzen, auch wenn in der sozialen Wirklichkeit die Entwicklung so verläuft. 340 Bei diesen Forschungsarten ist nicht die Erweiterung öffentlichen Wissens das Ziel, 341 sondern die Erreichung anderer öffentlicher oder privatnütziger Zwecke. Auch wenn sich solche Forschung selbstverständlich nicht immer vollständig von allgemeinen wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhängen abschottet (sie benötigt diese ja auch als Grundlage für Informationen), so ist doch zu berücksichtigen, dass Kommunikation nie eine Einbahnstraße sein kann. Die Heranziehung von akademisch-disziplinär generiertem Wissen bei Forschung, die auf Geheimhaltung oder geistiges Eigentum angelegt ist, ist noch keine Teilnahme am öffentlichen Diskurs. 342 Genausowenig wird dem Ziel der Publizität, nämlich sich der Kritik der Kollegen zu stellen, ausreichend gedient, wenn man sich einem kleinen Personenkreis, etwa den Mitarbeitern einer Forschungsabteilung, stellt. 343
338
Trute, Forschung (1994), S. 103 f. Trute, Forschung (1994), S. 106: „Die erfolgreiche Umsetzung und Innovation kann die [diskursive – d. Verf.] Validierung ersetzen.“ Diese Aussage ist allerdings nicht ganz konsequent, da Trute im Übrigen der diskursiven Validierung wie auch der individuellen und organisatorischen Autonomie erhebliche Bedeutung beimisst, vgl. ders., a. a. O., S. 103, 105. Im Übrigen kann Trute zumindest missverständlich verstanden werden, da er bei der Industrieforschung zutreffend die fehlende Eigengesetzlichkeit der Forschung feststellt (ders., a. a. O., S. 106 f.). 340 Im Kern ähnlich Kamp, Kommerz (2004), S. 72 ff. 341 Was auch Trute, Forschung (1994), S. 104 zugibt. 342 So jedoch Kamp, Kommerz (2004), S. 75 f. 343 So jedoch Kamp, Kommerz (2004), S. 74. 339
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Je nach Verwertungsziel divergiert der Verlauf (wenn auch nicht immer die Methodik) des Erkenntnisprozesses. Soll Wissen konkreten Funktionszusammenhängen dienen und werden wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse erwartet, sind die grundsätzlichen Prämissen andere als wenn Reputation in der akademischen Grundlagenforschung erlangt werden soll. Dies wird übersehen, wenn festgestellt wird, der Wahrheitssuchprozess verlaufe unabhängig von einer etwaigen Publizierung. 344 Dies wäre nur richtig, wenn man den einzelnen Forschungsprozess isoliert betrachtet und von den Auswirkungen auf die Offenheit und Unabgeschlossenheit des Systems Wissenschaft isoliert. Wissenschaft als Ganzes ist aber mehr als die Summe individueller Forschungsprozesse. Die Verwirklichungsbedingungen von Forschungsfreiheit lassen sich nicht von der Motivation des einzelnen Forschers her begreifen. Die Freiheit des Art. 5 Abs. 3 GG ist von bestimmten Voraussetzungen abhängig. 345 (4) Normative Kraft des Faktischen? Wer auf die Publizität als Merkmal der Eigengesetzlichkeit wissenschaftlicher Forschung verzichtet und den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG derart umgestaltet, der beugt sich der „normativen Kraft des Faktischen“. 346 Die „Normativität der Tatsachen“ ist jedoch ein Paradox: Aus einem Sein allein kann nie ein Sollen entspringen. Ein Faktum, wie die Anschauung einer bestimmten Zeitepoche, gesellschaftliche Machtverhältnisse oder konkret der Umgang von Forschern und Forschungsorganisationen mit dem Publikationserfordernis, kann nur dann normativ werden, wenn eine Norm dieser Tatsache auch Normativität beigelegt hat. Eine solche Norm ihrerseits kann aber wieder nur durch Anerkennung als Rechtsnorm entstehen. 347 Art. 5 Abs. 3 GG spricht der faktischen Realität diese Normativität aber gerade nicht zu, sondern soll wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit in Form 344
Kamp, Kommerz (2004), S. 73; Classen. Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 88. Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 248. 346 Dieser Begriff wurde von Georg Jellinek in seiner „Allgemeinen Staatslehre“ aus dem Jahr 1900 geprägt, der darunter den Einfluss natürlicher und sozialer Tatsachen auf das Recht verstand (Jellinek, Allgemeine Staatsrechtslehre, 2. Aufl. Berlin 1905, S. 329 ff. [330]); zur „normativen Kraft des Fiktiven“ siehe Mieth, in: Haf, Wissenschaftsethik (2003), S. 60 (62 f.). 347 So Radbruch, Rechtsphilosophie (1932), S. 182, 76; vgl. auch Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 333. Jellinek bemängelte im Übrigen bereits im Jahre 1900 (und es wäre heute mindestens ebenso zutreffend), dass es der „modernen“ Rechtswissenschaft an Tiefe mangelt, wenn es um die Frage geht, welche Mächte überhaupt Recht setzen (S. 342). Nahezu wortgleich kritisiert A. Blankenagel die Arbeiten von Trute und Classen, die er als „Vertreter moderner Rechtswissenschaft“ bezeichnet, die von „normativer Gleichgültigkeit“ geprägt seien und unter Aufgabe des Steuerungsanspruches von Recht vor der Macht des Faktischen kapituliert hätten: „Wenn die Dinge denn so sind, wie sie sind, dann wird das [Grund-]Gesetz die Dinge wohl auch so geregelt haben wollen“ (ders., AöR 2000, 70 [104]). 345
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
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des Publizitätserfordernisses und der Publikationsfreiheit vor realen Zwängen schützen. Eine reine Behauptung ist es deshalb, wenn Trute die These, Forschung könne ihre Funktion für die Gesellschaft nur dann erfüllen, wenn sie prinzipiell öffentlich sei, durch die tatsächliche Entwicklung der Forschung für „falsifiziert“ hält. 348 Wie sehr Forschung ihrer Aufgabe, der Gesellschaft zu dienen, wirklich gerecht wird, kann je nach den gesellschaftlichen Erwartungen an die Gesamtheit aller Forschungserkenntnisse mehr oder weniger bezweifelt werden. 349 Gerade die Ambivalenz moderner Forschung, die Ängste in der Gesellschaft und eine verminderte Akzeptanz neuer Technologien sind auch in fehlender Transparenz und Öffentlichkeit sowie in ökonomischen Sachzwängen und vermuteter Profitgier begründet. 350 Die Abschottung kommerziell agierender Forschung kann auch dazu führen, dass gesellschaftliche Entwicklungen dann negiert werden, wenn sie sich konkreter ökonomischer Verwertbar- und Messbarkeit entziehen. Ebenso können die Erkenntnisse anderer Forschungsdisziplinen und -felder (man denke an Technikfolgenabschätzung, Ökologie, Gesundheitsmedizin usw.) ignoriert werden. Im Bereich der Embryonalforschung ist es den Grundlagenwissenschaften häufig erst dann möglich, auf neue „Trends“ zu reagieren, wenn diese bereits „implementiert“ wurden. cc) Kreativität und Interdisziplinarität Kreativität als weiterer Faktor wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit ergibt sich zum einen aus der Verbundenheit von Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, wie sie in der Formulierung des Art. 5 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. Schon allein die Innovationsfähigkeit der Wissenschaft, ihre Offenheit und Eigengesetzlichkeit beruht auf der Verwertung intuitiver Momente, spontaner Assoziationen und unterschiedlicher Interpretationen. 351 Zum anderen findet sich hier auch die persönlichkeitsrechtliche Seite und der beschworene Zusammenhang mit der Menschenwürde wieder. 352 Im Ergebnis bedeutet die Voraussetzung der Kreativität ein Mindestmaß an schöpferischer Gestaltbarkeit und Zeit, auch um Ergebnisse auf Fehler überprüfen zu können. Ist jedoch der Leistungs- und Produktivitätsdruck, der auf dem individuellen Forscher lastet, zu groß, dann wird seine Kreativität 348 Trute, Forschung (1994), S. 138, Anm. 129; krit. hierzu M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 89. 349 Vgl. Bayertz, ARSP 2000, 303 (319). 350 Vgl. Nettesheim, DVBl. 2005, 1072 (1074). 351 Schulz-Prießnitz, Einheit von Forschung und Lehre (1981), S. 93, mit dem Hinweis, dass sich Wissenschaft vom Herstellungsprozess von Gegenständen nach festgelegten Regeln grundlegend unterscheide. 352 Vgl. Losch/Radau, NVwZ 2003 390 (391); siehe oben Drittes Kapitel, B. I. 1. a).
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
schwinden. 353 Deshalb soll Wissenschaft als Staatsaufgabe die Schaffung und Beachtung von Rahmenbedingungen der Kreativität in allen Forschungseinrichtungen umfassen. 354 Die Option zur Interdisziplinarität ist ein weiteres Merkmal wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit. 355 Fachwissenschaftliche Fragestellungen und Erkenntnisse, vor allem in den Natur- und Ingenieurswissenschaften, müssen ins „Sozialwissenschaftliche“ und letztlich in „Lebensverhältnisse“ übersetzt werden können. Zu erforschen, ob eine fachspezifische Innovation auch gesellschaftspolitisch er- und gewünscht ist, ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich die Öffentlichkeit, aber auch die beteiligten Wissenschaftler ein Urteil über die Akzeptabilität der Innovationen machen können. 356 Max Weber weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Philosophie hin: Es gehe darum, „den Einzelnen [zu] nötigen, oder wenigstens ihm dabei zu helfen, sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns“. 357 dd) Autonomie Der Kern wissenschaftlicher Autonomie lässt sich mit Knemeyer anhand der Universitäten wie folgt beschreiben: „Im Ergebnis sind Forschung und Lehre so frei, wie die Hochschulen selbst frei und ihrerseits gewillt sind, dem einzelnen Forscher und Lehrer den notwendigen Freiraum zu gewährleisten.“ 358 Diese Feststellung lässt sich auf jede außeruniversitär organisierte Forschung übertragen. Angesichts der finanziellen und organisatorischen Abhängigkeit moderner Forschung ergibt sich eine besondere Schutzbedürftigkeit für die externe Autonomie wissenschaftlicher Organisationen und die intern gewährleistete individuelle Frei353
Stärker noch A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (72); zu den Bedingungen, die für Kreativität erwünscht und nötig sind ders., a. a. O., S. 66 ff.; ebenfalls Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 317 (dort im Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 3 GG). 354 Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 55. Dies gilt nach der Spiegelbildlösung nur für Einrichtungen, die sich auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen wollen (oder müssen). 355 Vgl. Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 24; hierzu auch Popper, Gesellschaft–Universum (1983), S. 116: Das Prinzip der Falsifikation benötige Menschen, die mit anderen Ideen in einer anderen Atmosphäre aufgewachsen sind; kürzer: Wissenschaft benötigt Interdisziplinarität und Internationalität. 356 Siehe Weber, Wissenschaft als Beruf (1919/1995), S. 25 ff., mit der Frage nach dem jeweiligen Wert bzw. Sinn von Erkenntnissen. Einer davon sei Klarheit (ders., a. a. O., S. 37 [Hervorh. im Original]). 357 Weber, Wissenschaft als Beruf (1919/1995), S. 39. 358 Knemeyer, BayVBl. 1982, 517 (zit. nach Kimminich, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR [1996], S. 121 [134 f.]).
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heit, der die Ausgestaltung der jeweiligen Forschungsorganisation gerecht werden muss. Die Interessen der Einrichtung dürfen sich nicht gegenüber denjenigen der in ihr tätigen Wissenschaftler verselbständigen. 359 Autonomie ist keine institutionelle Garantie im Sinne C. Schmitts, in der sich der Einzelne den Interessen des Ganzen unterzuordnen hat. Da sich Wissenschaft typischerweise in organisierter Form entfaltet, sind die freiheitsadäquaten Bedingungen in Forschungseinrichtungen entscheidend dafür, ob das Handeln des einzelnen Forschers den Eigengesetzlichkeiten der Wissenschaft folgen kann und somit Forschungsfreiheit auch tatsächlich realisiert werden kann. 360 Die Einordnung von Forschung in den Bereich von Art. 5 Abs. 3 GG ist davon abhängig, so auch Trute, ob hinreichend eigenständige Forschungsbereiche für eigenständige Erkenntnisoperationen ausdifferenziert sind. Nur dort, wo andere, etwa administrative oder ökonomische Funktionskontexte die Autonomie der Wissenserzeugung nicht überdeterminieren, wird Forschung im Sinne der Forschungsfreiheit betrieben. 361 Kennzeichnend für die Einordnung ist also neben der Aufgabenstellung und der Ausprägung wissenschaftsspezifischer Handlungen der Grad der institutionellen und der gewährten persönlichen Autonomie. 362 In der Industrieforschung kann dies nur dort der Fall sein, wo Distanz zum Entwicklungs- und Produktionsprozess herrscht und wo autonome Spielräume zur Erzeugung von wissenschaftlichem Wissen gegeben sind. Dies spiegelt sich in der Forschungsorganisation wider. 363
359 Geis, WissR 37 (2004), 2 (17); Detmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 605 (612 f.). 360 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 247 f. 361 Trute, Forschung (1994), S. 102 f. für die Ressortforschung; zu großzügig jedoch im Folgenden bei (staatlichen) anwendungsbezogen orientierten Forschungseinrichtungen sowie der Ressortforschung, bei denen wissenschaftsadäquate Organisation keine Mitentscheidungsrechte, sondern lediglich Beratungen erfordere, „um eine sachgerechte Aufgabenerfüllung zu ermöglichen.“ Eine solche Abstufung der Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 GG im Hinblick auf den Zweck der jeweiligen Einrichtung führt jedoch zur Auflösung schutzrechtlicher Anforderungen. Hier darf es im Sinne der geforderten Präzisierung nur ein „ganz oder gar nicht“ geben. 362 Trute, Forschung (1994), S. 103 für die Ressortforschung; in Ansätzen auch Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 260; Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer, HdBdVerfR, Bd. II (1994), § 27, Rdnr. 23; Münch, Staatsrecht (2002), Rdnr. 428; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 318, 320. 363 Trute, Forschung (1994), S. 105 für die Industrieforschung; andeutungsweise auch Münch, Staatsrecht (2002), Rdnr. 428. Wie groß der Grad an Autonomie und Distanz sein muss, ist jedoch eine andere Frage. Es fällt schwer, hierfür konkrete Beispiele in der Praxis der Industrieforschung zu finden; zur Autonomie außeruniversitärer staatlicher Einrichtungen in Form der Selbstverwaltung: Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 217 ff., Rdnr. 236 ff. Meusel weist a. a. O. für verschiedene Forschungseinrichtungen verschiedene Formen und Grade von Selbstverwaltung nach, die jeweils vom Zweck der
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Tendenziell sind hierbei demokratische Strukturen zu fordern, 364 die Mitwirkung und Mitbestimmung ermöglichen. Autonomie wird somit zum organisatorischen Maßstab, 365 ob bei forschender Tätigkeit von einer hinreichend garantierten internen Forschungsfreiheit ausgegangen werden kann. Kleindiek hat diese Autonomie neben den Universitäten auch der Max-Planck-Gesellschaft und als Forschungsförderorganisation der DFG 366 zugesprochen. Dagegen sind die Fraunhofer-Institute, die staatliche Ressort- und die nicht grundlagenorientierte Großforschung nicht ausreichend autonom organisiert, um diese Voraussetzung zu erfüllen. Erst recht gilt dies für die Industrieforschung. 367 Wenn der unternehmerischen Praxis attestiert wird, es herrsche für den Arbeitgeber immer ein gewisser Sachzwang, dem bei ihm tätigen Forscher die für erfolgreiche „wissenschaftliche“ Betätigung erforderliche Freiheit zu gewähren, weshalb ein gewisses Maß an Eigenverantwortlichkeit immer vorauszusetzen sei, 368 dann wird dabei Folgendes vergessen: Erfolgreich ist Forschung für den Arbeitgeber nur, wenn sie seine betriebswirtschaftlich vorgegebenen Erwartungen erfüllt. Ein Erfolg für die scientific community ist hiervon grundsätzlich zu unterscheiden. Im Übrigen dient dieser Freiraum nur als Mittel zur Selbstoptimierung im Sinne des jeweils vorgegebenen ökonomischen Zwecks, von dem nicht abgewichen werden darf. Dies erinnert an Maßnahmen des Hierachieabbaus in Unternehmen („lean management“), die keinesfalls der individuellen Freiheitsverwirklichung, sondern betriebswirtschaftlicher Optimierung zu dienen bestimmt sind. Solche nur für den betriebswirtschaftlichen Prozess unabdingbaren Freiheitsräume sind für wissenschaftsadäquate Autonomie nicht ausreichend. Einrichtung abhängig sind. Eine Abstufung der Anforderungen an die Autonomie je nach Zweck ist jedoch abzulehnen. 364 Angedeutet für die Universitäten von Schlink, Der Staat 1971, 244 (260 f.). 365 So auch die These von Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 247, 261 ff. 366 Die Satzungen der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und der DFG wie auch anderer Organisationen sind abgedruckt in: Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), Anhang II, S. 547 ff. 367 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 306 ff.; für die Eigenschaft der MPG als Grundrechtsträger und -verplichteter (Art. 19 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 5 Abs. 3 GG) auch Sterzel, Wissenschaftsfreiheit des angestellten Forschers (2002), S. 43 ff., 71 ff. Der grundsätzliche Ausschluss der Industrieforschung schließt jedoch nicht aus, dass es autonom organisierte Bereiche in der Industrieforschung gibt, diese müssen jedoch die Erfüllung autonomer Maßstäbe darlegen; umfassender für staatlich organisierte außeruniversitäre Wissenschaft Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 148 ff., Rdnr. 163 ff.; die Grundrechtsträgerschaft und -verpflichtung der Ressortforschungseinrichtungen entfällt nach Meusel wegen deren fehlender Teilrechtsfähigkeit (ders., a. a. O., S. 150, Rdnr. 165), wohl aber auch wegen deren fehlender Selbstverwaltung, die nach Meusel Voraussetzung für eine Anwendung des Art. 5 Abs. 3 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG ist. 368 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 158, 101 f.
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ee) Verbot einer „Tendenzwissenschaft“ Allerdings dürfen sich Forschungsorganisationen nicht kraft ihrer externen Autonomie den organisatorischen und individuellen Voraussetzungen für Publizität und Kreativität entziehen. So gewährt das Selbstbestimmungsrecht der Universität kein schrankenloses Vorgehen im Binnenbereich. 369 Nach herrschender Meinung bewegt sich eine „Tendenzuniversität“, die sich autonom in die Dienste bestimmter Interessen stellt, außerhalb von Art. 5 Abs. 3 GG. 370 Da Universitäten im Unterschied zu privaten Organisationen jedoch wegen Art. 5 Abs. 3 GG immer grundrechtsverpflichtet sind und Binnenforschungsfreiheit gewährleisten müssen, wäre eine „Tendenzwissenschaft“ ebenfalls verfassungswidrig. Heute begegnet einem die „Tendenzuniversität“, eigentlich ein Phänomen der 1970er Jahre, in neuem Gewande wieder. Universitäten bemühen sich erklärtermaßen um eine enge Anbindung an industrielle Interessen. 371 Es ist aber nicht einzusehen, dass zwar eine Bindung der Hochschulen an „humanitäre, ökologische und soziale Grundsätze“ unzulässig sein soll, 372 zulässig jedoch die politisch gewollte oder gesetzlich verordnete Bindung an ökonomische Grundsätze und Wirtschaftsinteressen. Freilich entspricht eine solche Tendenz in vielerlei Hinsicht dem gegenwärtigen (partei-)politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Mainstream. 373 Nur damit lässt sich erklären, dass die Hochschulen – im Gegensatz zu den 1960er und 1970er Jahren – dem Druck, unternehmerisch zu handeln, evaluierbare Leistungen zu erbringen und dem sog. Wissens- und Technologietransfer in die Wirtschaft einen hohen Stellenwert einzuräumen, nicht wirklich widerstehen können oder wollen.
369 Vgl. Geis, WissR 37 (2004), 2 ( 21); Detmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), S. 605 (612 f.). 370 Der Verfassungsverstoß sei „evident“, so Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 97; vgl. auch Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem, AK-GG (2001), Art. 5 Abs. 3 I, Rdnr. 24; krit. hinsichtlich eines Verfassungsverstoßes Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 203. Das Problem der „Tendenzuniversität“ scheint mit den unruhigen Zeiten an den Hochschulen in den 1960er und 1970er Jahren wieder von der Bildfläche verschwunden zu sein, sollte jedoch mit dem umgekehrten Vorzeichen der Ökonomisierung einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Classen geht davon aus, eine „Tendenzwissenschaft“ sei keine Wissenschaft, ders., Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 158. 371 Siehe das bereits genannte Beispiel der RHTW Aachen; ähnlich auch die TU Dresden, die ihre „konsequente Wettbewerbsorientierung“ hervorhebt: „Dazu gehören selbstverständlich wirtschaftsnahes Denken und Handeln sowie der Ausbau funktionierender Partnerschaften der Wissenschaft mit Industrie und Wirtschaft“ (http://tu-dresden.de/ die_tu_dresden/portrait vom 13. 07. 2005 [20. 08. 2005]). 372 Denninger, in: Stober, FS Roellecke (1997), S. 37 (49, 53 ff.). 373 Nach Schenke, NVwZ 2005, 1000 kommen die neuen Hochschulgesetze einer weit verbreiteten Stimmung in der Bevölkerung entgegen.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Es ist jedoch gerade die Aufgabe von Wissenschaft, sich auch Autonomie gegenüber Moden, Trends und Tendenzen zu bewahren und bewahren zu können. Fortschritt kann auch in der Bewahrung des Bewährten liegen. Wissenschaft ist gerade nicht an eine bestimmte Tendenz gebunden, „Tendenzwissenschaft“ ist keine Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG. 374 Es ist daher geradezu die Pflicht des Staates zu verhindern, dass öffentliche autonome Forschungsorganisationen unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine Entscheidung zur Tendenz fassen. Private autonome Forschungsorganisationen sind nicht an ein Tendenzverbot gebunden, sie verlieren allerdings als Tendenzverpflichtete das Recht auf den Schutz ihrer Forschungsfreiheit durch Art. 5 Abs. 3 GG. ff) Ergebnisse Da die Wissenschaft ein selbstreferentielles Funktionssystem ist, kommt es bei der Einordnung einer Forschungshandlung darauf an, ob alle Tätigkeiten, die fraglos die Suche nach wissenschaftlich relevanten Erkenntnissen bezwecken und mit wissenschaftlichen Methoden erfolgen, die Teilnahme am Funktionssystem Wissenschaft bezwecken oder nicht. Ein konkreter Zweck im Sinne eines Forschungsziels (beispielsweise ob anwendungs- oder grundlagenorientiert) ist hierbei nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Teilnahme an der Kommunikation der scientific community beabsichtigt ist oder stattfindet. Denn nur Beiträgen, die zur Einspeisung in den wissenschaftlichen Kommunikationsprozess bestimmt sind, kommt Wissenschaftlichkeit im engeren Sinne zu. Da – wie gezeigt – eine Einschätzung häufig nur ex post möglich ist, ist ex ante die individuelle bzw. organisatorische Autonomie der handelnden Personen entscheidend. Bezogen auf die oben dargestellten klassischen Problemfälle 375, ergeben sich damit folgende Lösungen: Erfolgt die Erstellung eines wissenschaftlichen Gutachtens durch den Anwalt oder Historiker oder die methodologisch in wissenschaftlicher Weise vor sich gehende Recherche eines Journalisten nicht autonom, d. h. ist durch den Mandanten oder den Chefredakteur zwingend ein bestimmtes Forschungsthema oder gar -ziel vorgegeben, dann ist die Tätigkeit Art. 12 oder Art. 5 Abs. 1 GG zuzuordnen, nicht jedoch Art. 5 Abs. 3 GG. Dies gilt erst recht,
374
So in anderem Zusammenhang Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 158 gegen eine Pflicht zum „tendenzkonformen“ Verhalten, obwohl seiner Meinung nach privat organisierte Forschungseinrichtungen „Tendenzbetriebe“ i. S. v. § 118 BetrVG seien; allg. krit. zur Beschränkung von Grundrechten in wissenschaftlichen „Tendenzbetrieben“ Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 363. 375 Siehe oben Fünftes Kapitel, A. II. 1.; die Beispielsfälle des Ersten Kapitels (Erstes Kapitel, B. I.) werden zum Abschluss in Fünftes Kapitel, D. II. 2. a) noch einmal thematisiert.
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
417
wenn eine nachfolgende wissenschaftliche Publikation von der Zustimmung des Auftraggebers abhängig ist. Zusätzlich ist darauf abzustellen, ob Äußerungen in der Rolle als Wissenschaftler getätigt werden. Handelt es sich beispielsweise um ein wissenschaftliches Publikationsorgan, ergibt sich hieraus ein gewisser „Indizwert“. 376 Zur Verdeutlichung soll in diesem Zusammenhang die Erstellung eines Rechtsgutachtens durch einen Anwalt herangezogen werden. Es ist ein Unterschied, ob es der Verbesserung des eigenen (Er-)Kenntnisstands – z. B. der Einarbeitung in eine unbekannte Rechtsmaterie oder zur Prozessvorbereitung – dient oder ob damit (auch) die Suche nach Entdeckungen, d. h. neuen Ideen, Widersprüchen oder Lösungen, verbunden ist. Nur wenn neue, für die Rechtswissenschaft interessante Thesen gefunden werden, wird eine Veröffentlichung in Frage kommen. Grundsätzlich anders ist dagegen die Begutachtung eines Rechtsproblems durch einen Hochschulforscher zu beurteilen. Er kann auf Grund seiner staatlichen Alimentierung autonom entscheiden, ob er einen solchen Auftrag im Rahmen einer Nebentätigkeit annimmt. Verpflichtet er sich jedoch vertraglich, die gewonnenen Erkenntnisse nur dem Auftraggeber zugänglich zu machen, wird er dem Publizitätserfordernis nicht gerecht. Entscheidet er dagegen autonom über die Publikationsreife, so schadet es nicht, wenn er nach Abschluss der Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass keine publikationsfähigen neuen Erkenntnisse gewonnen wurden. Anhand einer isolierten Betrachtung des Erkenntnisprozesses lassen sich solche Fragen dagegen nicht klären. Sie zeigen, wie sehr eine Einordnung von Forschung in den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG von der Erkenntnisverwertung her konstruiert werden muss, wenn die objektiven Maßstäbe ex ante keine Beurteilung der Wissenschaftlichkeit zulassen. 2. „Verbrauchende Forschung“ Prima facie darf wissenschaftliche Forschung – unabhängig davon, ob einfachgesetzlich ermächtigt oder nicht – andere Verfassungswerte (vgl. Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG) oder Rechte Dritter nicht beeinträchtigen. „Verbrauchende Forschung“ ist nicht wissenschaftliche Forschung. Hier ist auf entsprechende Immanenzlösungen zurückzugreifen. 377 Werden Experimente verboten, weil Grundrechte Dritter oder Güter der Allgemeinheit geschützt werden, so ist dieses Verbot kein Eingriff in den Normbereich. Umgekehrt führt eine gesetzliche Erlaubnis oder ein fehlendes Verbot noch nicht 376 377
Trute, Forschung (1994), S. 116 f. Siehe oben Viertes Kapitel, B. IV. 4.
418
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
automatisch zur Einbeziehung der entsprechenden erkenntnisrelevanten Handlung in den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG. 378 Wissenschaftlichkeit ist nicht von der Inanspruchnahme der Rechte Dritter abhängig, für die Funktionsfähigkeit wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit ist solche Forschung nicht zwingend notwendig. Selbst wenn sie gesellschaftlich (und politisch) erwünscht ist, weil man nützliche Ergebnisse erwartet, ist dies ohne Belang, weil sonst die Beeinträchtigungsbefugnis von Forschung auf der Abwägungsseite von staatlichem „Wissenschaftsrichtertum“ abhängig wäre, das nach „hochrangiger“ und „weniger hochrangiger“ Forschung unterscheidet. 379 Eine Evidenzregel, zum Beispiel für „schlechthin menschenunwürdige Forschung“, 380 ist zu unscharf und auch nicht notwendig. Forschung, die Rechte Dritter oder Güter der Allgemeinheit in Anspruch nimmt, ist per se nicht von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. 3. Übertragbarkeit von Art. 5 Abs. 3 GG auf außeruniversitäre Organisationen Geht es um die Grundrechtsträgerschaft von Organisationen, wird erneut deutlich, dass die Frage nach dem Wesen der Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit und ihrer Anwendung auf Organisationen nur im hier dargestellten Sinn entschieden werden kann. Die Frage der Grundrechtsträgerschaft wissenschaftlicher Organisationen ist im Rahmen von Art. 19 Abs. 3 GG zu erörtern, da es sich in der Praxis zumeist um juristische Personen handelt. 381 Trute nimmt zusätzlich – nicht unzutreffend – eine Grundrechtssubjektivität über Art. 19 Abs. 3 GG auch für Forschergruppen an, sofern die Gruppe im Einzelfall „rechtlich hinreichend formalisierte, eigenständige Willensbildungsund Handlungsstrukturen ausgebildet hat und als solche handeln kann.“ 382 Das kann zum Beispiel bei Sonderforschungsbereichen der Fall sein. Genau genommen handelt es sich bei den im Rahmen von Art. 19 Abs. 3 GG diskutierten Fragen nicht ausschließlich um solche der Grundrechtsträgerschaft von Wissenschaftsorganisationen, da auf Tatbestandsebene in die Bestimmung des (sachlichen) Normbereichs soziale Elemente wie die Autonomie organisierter Wissenschaft bereits eingeflossen sind. 383 Sofern jetzt deren Eigenschaft als Grundrechtsträger erneut erörtert wird, kann hierbei auf die gewonnenen Ergeb-
378
Siehe hierzu oben das Ergebnis aus Viertes Kapitel, B. IV. 3. Siehe hierzu oben Zweites Kapitel, C. III. 4. 380 Siehe hierzu oben Drittes Kapitel, C. II. 1. a). 381 Wie z. B. Unternehmen, vgl. Kamp, Kommerz (2004), S. 306 ff. 382 Trute, Forschung (1994), S. 363. 383 So im Ergebnis auch Trute, Forschung (1994), S. 362 f.: Die Grenzen der Zuerkennung von Grundrechtssubjektivität an Organisationen lägen dort, wo Forschungsfreiheit 379
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
419
nisse zurückgegriffen werden, diese werden dadurch bestätigt. Gleichzeitig dient jedoch die Diskussion im Rahmen von Art. 19 Abs. 3 GG noch einmal als zusätzlicher Anknüpfungspunkt für das Erfordernis der Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft und damit für das Wesen des Art. 5 Abs. 3 GG, wenn entschieden werden muss, ob Organisationen lediglich die Grundrechtsausübung der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen ermöglichen sollen („Durchgriffstheorie“) oder ob ihnen eine verselbständigte Freiheit zukommt. Hinsichtlich juristischer Personen des öffentlichen Rechts geht das BVerfG von einer „Sachwalterschaft“ aus: Sie sind nur dann grundrechtsfähig, wenn die ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind. Sie müssen als eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen bestehen und den Bürgern auch zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte dienen. 384 Universitäten und Fakultäten können deshalb Art. 5 Abs. 3 GG in Anspruch nehmen und sind grundrechtsfähig. 385 Gleiches gilt außerhalb der Forschung für Rundfunkanstalten. Kirchen sollen bereits kraft ihrer Eigenart dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1, 2 GG von vorneherein zugehören. 386 Ob diesen öffentlich-rechtlichen Körperschaften der Schutz direkt oder über Art. 19 Abs. 3 GG zukommen soll, ist der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht immer deutlich zu entnehmen, 387 es lässt sich sicher gut vertreten, Art. 19 Abs. 3
mangels autonomer Spielräume im Binnenraum nicht mehr hinreichend umgesetzt werden kann. 384 BVerfGE 75, 192 (196); 61, 82 (103); zum Meinungsstand zur unmittelbaren Anwendung von Art. 5 Abs. 3 GG auf Universitäten als juristische Personen des öffentlichen Rechts siehe Iliadou, Embryonenforschung (1999), S. 66, Anm. 188 m. w. N. 385 Vgl. BVerfGE 111, 333 (354 f.).; implizit auch aus BVerfGE 15, 256 (262 f.). Dies könnte auch für öffentlich-rechtliche außeruniversitäre Einrichtungen gelten. Dafür bietet BVerfGE 85, 360 (384) – Akademie der Wissenschaften – aber lediglich einen schwachen Anhaltspunkt. Keinesfalls kann dieser Entscheidung entnommen werden, dass per se außeruniversitären Forschungseinrichtungen der Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG zukommt (M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung [2002], S. 57); a. A. Dickert zur unmittelbaren Grundrechtsträgerschaft von Hochschulen und Fakultäten mit dem Argument, der Grundrechtskatalog sei ausschließlich individuell ausgerichtet (ders., Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit [1991], S. 309, 311); ähnlich auch Bethge, in: Sachs, GG (2003), Art. 5, Rdnr. 210 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 124 (direkter Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG als Institution, abwehrrechtliche Grundrechtsträgerschaft jedoch nur über Art. 19 Abs. 3 GG); Kimminich, in: Flämig/Kimminich, HdBWissR (1996), S. 121 (133 f.); krit. zu Kimminich a. a. O. wieder Trute, Forschung (1994), S. 367, Anm. 170. 386 BVerfGE 18, 385 (386 f.) – Kirchen. 387 Da Art. 19 Abs. 3 GG in der Rspr. des BVerfG zumeist nicht ausdrücklich erwähnt wird, wird dies bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht immer deutlich (siehe BVerfGE 15, 256 [262]; 18, 385 [386 f.]; 19, 1 [5]; 21, 362 [373 f.]; 31, 314 [322]; 42, 312 [321 f.]; 45, 63 [79]; 53, 366 [387]).
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
GG bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts gar nicht für anwendbar zu halten. 388 Die Anforderungen an einen unmittelbaren Grundrechtsschutz können jedoch nicht geringer sein als bei Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG. Jedenfalls juristische Personen des Privatrechts sowie außeruniversitäre öffentliche Forschungseinrichtungen haben die „Klippe“ des Art. 19 Abs. 3 GG zu bewältigen. 389 Bei der Frage, ob und wieweit die Wissenschaftsfreiheit in diesen Fällen „ihrem Wesen nach“ anwendbar ist, sind unterschiedliche Ansätze möglich: Einmal sollen juristische Personen nur dann geschützt sein, wenn ihre Bildung und Betätigung als Ausdruck der freien Entfaltung von natürlichen Personen anzusehen ist oder dieser dient, insbesondere wenn der „Durchgriff“ auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen dies als sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt. 390 Dagegen argumentiert der überwiegende Teil des Schrifttums, Art. 19 Abs. 3 GG sei zu entnehmen, die juristische Person solle um ihrer selbst willen geschützt werden und sei nicht lediglich eine Träuhänderin der sie bildenden natürlichen Personen. Das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile. 391 Entscheidend soll nach dieser Ansicht vielmehr sein, ob sich die juristische Person in einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage“ gegenüber dem Staat befindet, die mit einer Gefährdungslage im Verhältnis einer natürlichen Person zum Staat vergleichbar ist. 392
388 So ließe sich BVerfGE 61, 82 (103) im Gegensatz zur o. g. Rspr. des BVerfG interpretieren; ausschließlich für den Weg über Art. 19 Abs. 3 GG dagegen Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 309; ähnlich Kimminich, in: Flämig/ Kimminich, HdBWissR (1996), S. 121 (134); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 124. 389 So auch Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 122 f.; vgl. zu den Organisationsformen Kamp, Kommerz (2004), S. 306. 390 Vgl. die Darstellung von Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 115, der den Begriff „Durchblick“ empfiehlt (den das BVerfG bereits in E 61, 82 [101] verwendet hat). BVerfGE 21, 362 (369) spricht unter Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 3 GG von „Durchgriff“, ähnlich BVerfGE 75, 192 (196); M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 55, 57 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Becker/Bull, FS Thieme (1993), S. 697 (706 ff.); krit. zum Individualbezug Trute, Forschung (1994), S. 359. 391 Trute, Forschung (1994), S. 359 f. m. w. N.; auch Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 148, Rdnr. 164; vgl. hierzu auch Luhmann, Soziale Systeme (1984), S. 20 f.: Nicht geklärt sei damit, wie das Ganze auf der Ebene seiner Teile als Einheit zur Geltung gebracht werden könne. Die klassische Systemtheorie ersetzt die Differenz von „Ganzem und Teil“ durch die Differenz von „System und Umwelt“, die Systemtheorie von Luhmann durch die Differenz von „Identität und Differenz“ (ders., Soziale Systeme [1984], S. 26). 392 Vgl. die Darstellung von Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 116 m. w. N.; Meusel stellt völlig richtig auf die konkrete Schutzbedürftigkeit der betroffenen Forschungseinrichtung ab (Meusel, Außeruniversitäre Forschung [1999], S. 148, Rdnr. 163) und bejaht
C. Der Schutz wissenschaftlicher Forschung durch Art. 5 Abs. 3 GG
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Bei beiden Ansätzen ist der jeweilige Maßstab die Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG, dessen Normbereich heranzuziehen ist. Die zweite Ansicht zugrunde gelegt, kann diese grundrechtstypische Gefährdungslage bei zweckgebundener oder kommerziell orientierter Forschung (außeruniversitäre Forschungseinrichtungen oder -organisationen mit Erwerbszweck, aber auch öffentliche Forschung, die wissenschaftsfremden Zielen dient, wie beispielsweise die Rüstungsforschung) bereits ausgeschlossen werden. Die grundrechtsbezogene Situation solcher Forschungseinrichtungen bzw. juristischer Personen ist nicht mit der eines individuellen Forschers vergleichbar. 393 In formaler Hinsicht ergibt sich dies bereits dann, wenn die Forschungseinrichtung nur ein unselbständiger und untergeordneter Teil einer juristischen Person ist, die Erwerbszwecke verfolgt und es sich nicht um eine selbständige Forschergruppe (s. o.) handelt. Wird hier Forschung beschränkt, ergibt sich eine Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit, nicht der Forschungsfreiheit. Es fehlt an der typischen Gefährdungslage. 394 Doch auch nach der ersten Ansicht ist eine zweckgebundene Forschungseinrichtung oder -organisation jedenfalls dann nicht Ausdruck der Forschungsfreiheit dort tätiger Personen, wenn die Organisation gerade aus Gründen der ökonomischen oder beruflichen Betätigung erfolgt, die Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG zuzuordnen ist. 395 Die wesensmäßige Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 3 GG verlangt also prinzipiell, dass die natürlichen Personen, auf die das Grundrecht angewendet werden soll, Wissenschaftler sind. 396 Dies bedeutet nicht automatisch, dass die Organisationsleitung aus Wissenschaftlern bestehen muss, die oben gemachten Anforderungen an die Autonomie sind jedoch immer zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich, dass der Grundrechtsschutz für private juristische Personen nach Art. 5 Abs. 3 GG nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. 397 Es gelten jedoch „für die meisten außeruniversitären [staatlichen] Forschungseinrichtungen“ auch allgemein ein Schutzbedürfnis für die Wissenschaftsfreiheit (ders., a. a. O., S. 148, Rdnr. 164). 393 Insofern verbirgt sich hinter den Stellungnahmen, die eine wesensmäßige Anwendbarkeit verneinen bzw. an das Innenverhältnis koppeln, nicht – wie Kamp, Kommerz (2004), S. 308 vermutet – der Gedanke des „Durchgriffs“. 394 So im Ergebnis auch Trute, Forschung (1994), S. 364 f., 366 (hier insb. Anm. 166) sowie A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (100 f.). 395 Ob private Kapitalgesellschaften außer diesen Grundrechten sowie Art. 3 und Art. 9 GG noch weitere in Anspruch nehmen können, darf bezweifelt werden. 396 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 316. Nicht gefolgt werden kann dagegen Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 116, 111 f., wenn er dem Arbeitgeber, aufgrund seiner „organisatorischen Bindung“ an den Wissenschaftler, Wissenschaftsfreiheit „zurechnet“ und dieser „Zurechnung“ keine „prinzipiellen Bedenken“ entgegenstehen sieht. Während jedoch Art. 12 GG Teil des typischen grundrechtlichen Schutzes für (Groß-)Unternehmen ist, kann dies von Art. 5 Abs. 3 GG nicht ohne weiteres behauptet werden (so aber Classen, a. a. O., S. 112, Fn. 197). 397 Die wesensmäßige Anwendung ist jedoch nicht unterschiedslos bei jeder privatrechtlichen juristischen Person möglich, die Erkenntnissuchtätigkeit betreibt; so jedoch, ohne
422
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
die oben erarbeiteten Anforderungen an Publizität und Autonomie, die objektiv darauf hindeuten, dass wissenschaftliche Eigengesetzlichkeit ermöglicht wird. 398 Damit kann, ähnlich wie bei bestimmten juristischen Personen des öffentlichen Rechts, eine Art „Sachwalterschaft“ auch in Gestalt privater juristischer Personen angenommen werden. Aus welchen Gründen diese erfolgt (ob zur Forschungsförderung, als reines Mäzenatentum oder als Teil eines Unternehmens) kann dahingestellt bleiben, wenn die Organisation eine „dienende Funktion“ übernimmt, was die Forschungsfreiheit ihrer Mitglieder anbelangt. 399 Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ohne Erwerbszweck müssen für eine Grundrechtsberechtigung ein gewisses Maß individueller Freiheit gewähren und autonome Strukturen aufweisen. 400 Bei Industrieunternehmen ist dies typischerweise nicht der Fall. 401 Die „dienende Funktion“ kommerzieller Forschungseinrichtungen ist nicht auf die Ermöglichung freier Forschung gerichtet, sondern auf betriebswirtschaftlichen Erfolg. Der Umweg über Art. 19 Abs. 3 GG ist für Wissenschaftsorganisationen angebracht, die außerhalb der Hochschulen freiheitlich autonome Wissenschaft gewährleisten, zum Beispiel für die Max-Planck-Gesellschaft, 402 die DFG oder private Wissenschaftsstiftungen. 403 Ein Zweifelsfall ist die Fraunhofer-Gesellschaft. 404 weitere Begründung, Kamp, Kommerz (2004), S. 312. Kamp trifft auch keinerlei Aussagen zur wesensmäßigen Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 GG auf Unternehmen. 398 Insbesondere von Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 261 ff. gefordert und ausführlich begründet; knapper, aber im Ergebnis ebenso Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG (2002), Art. 5 Rdnr. 99. 399 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 190; gegen die Einbeziehung von Forschungsförderorganisationen: Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 34. 400 M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 57; ähnlich kann Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 125 verstanden werden; Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 316; mit Einschränkungen (v. a. hinsichtlich der Veröffentlichungsfreiheit) Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 151, Rdnr. 166: „allein maßgeblich ist es, ob eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung in Selbstverwaltung Wissenschaft betreibt“. 401 Vgl. Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 336 f.; M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 60; A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (101); ähnlich auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 316, 321; im Kern auch Trute, Forschung (1994), S. 106 f. 402 Insb. zur Forschungsfreiheit eines in der Max-Planck-Gesellschaft angestellten Forschers: Sterzel, Wissenschaftsfreiheit des angestellten Forschers (2002), S. 71 ff., 139 ff. Ausgehend von der Frage, ob die Forschungsfreiheit Auswirkungen auf den arbeitsrechtlichen Bestandsschutz hat, vertritt Sterzel die Meinung, die Max-Planck-Gesellschaft sei so „janusköpfig“ grundrechtsverpflichtet und grundrechtsberechtigt wie eine Universität. Die Autonomie der Organisation, die individuelle Forschungsfreiheit und eine institutionelle Garantie seien zu wahren. Bei der Kündigung von Mitarbeitern sei deshalb eine optimale Abwägung unter Beachtung von Art. 5 Abs. 3 GG durchzuführen.
D. Ergebnisse
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Privaten Universitäten, die die Freiheit und Einheit von Forschung und Lehre ermöglichen und die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft achten, käme der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG ohne Weiteres zu, 405 während reine Wissensvermittlung zu Erwerbszwecken als ökonomisches Handeln einzuordnen ist.
D. Ergebnisse I. Rechtsfolge: Bei Nichterfüllung der Maßstäbe Exklusion aus Art. 5 Abs. 3 GG 1. Modifizierte Drittwirkung von Art. 5 Abs. 3 GG Will man die rechtlichen Folgen der Spiegelbildlösung 406 zusammenfassen, kann man feststellen, dass Art. 5 Abs. 3 GG zu den Grundrechten gehört, denen ausnahmsweise eine spezifische Art unmittelbarer Drittwirkung mit besonderer Rechtsfolge zukommt. Die grundrechtlich geschützte Freiheit der Forschung als rechtliche Freiheit kann nur dort gelten, wo wissenschaftliche Forschung betrieben wird. Sie gilt nicht nur für öffentlich-rechtliche Einrichtungen. 407 Bei einer derart modifiziert unmittelbaren Drittwirkung von Art. 5 Abs. 3 GG geht es nicht darum, Freiheitsrechte gegenüber der staatlichen Gewalt geltend zu machen, sondern um die Wirkung des Art. 5 Abs. 3 GG in gesellschaftlichen „Gewalt“-verhältnissen. Die hier vorgenommene Präzisierung, was Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG ist, gibt den Maßstab dafür an, wann im Einzelnen eine beschränkt unmittelbare Drittwirkung von Art. 5 Abs. 3 GG geboten ist. 408
403
Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI (1989), § 145, Rdnr. 60; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 125; a. A. Pernice, in: H. Dreier, GG, Bd. I (2004), Art. 5 III, Rdnr. 35. 404 Kleindiek (Risikogesellschaft [1998], S. 285 f.) spricht ihr das notwendige Maß an Autonomie ab. Zudem liegt die Fraunhofer-Gesellschaft 2005 mit 384 Patentanmeldungen beim DPMA auf Platz 10 der größten deutschen Patentanmelder (http://www.dpma.de/ infos/pressedienst/blick.pdf [28. 03. 2006]). 405 So auch Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 8; Schlink, Der Staat 1971, 244 (264 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I (2003), Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 147; A. Blankenagel, AöR 1980, 35 (71); a. A. Battis/Grigoleit, ZRP 2002, 65 (69): Eine private Universität habe einen weiteren Spielraum als eine staatliche Hochschule, weil der Hochschulträger (privatrechtliche Stiftung) keine korporativen Selbstverwaltungs- bzw. -ergänzungsrechte zu beachten habe. Der Wissenschaftler müsse [!] seine individuelle Forschungsfreiheit privatrechtlich delegieren. Doch eine solche Universität kann nicht Grundrechtsträger sein, da sie zwar als Einheit von Forschung und Lehre existieren mag, diese jedoch dann nicht frei und damit nicht wissenschaftlich ist. 406 Siehe oben Fünftes Kapitel, A. I. 407 Rupp, Stellung der Studenten (1968), S. 8 f.
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Von einer unbeschränkt unmittelbaren Drittwirkung unterscheidet sich das Ergebnis der Spiegelbildlösung insofern, als Forschungsorganisationen und Forscher ein Wahlrecht haben, ob sie die externe und interne Wirkung des Art. 5 Abs. 3 GG für und gegen sich gelten lassen. Ein Verstoß gegen die Maßstäbe wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit ist in Privatrechtsverhältnissen nicht verfassungsrechtlich unzulässig, er führt jedoch zur Exklusion aus dem Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG. 2. Darlegungslast a) Darlegungslast bei nichtpublizierender, nichtautonomer oder rechtsgüterbeeinträchtigender Forschung Fehlen die soeben dargelegten Voraussetzungen an die Wissenschaftlichkeit, ist prima facie der Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht gegeben. Soweit Forschungsorganisationen oder Forscher dennoch meinen, den Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG beanspruchen zu können, haben sie die Darlegungslast, dass ihre Organisation oder ihre Tätigkeit im oben dargelegten Sinne individuelle Forschungsfreiheit ermöglicht. Dann kann in Ausnahmefällen der Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG gegeben sein. Damit findet keine „Beweislastumkehr“ zu Lasten des Forschers statt. Sind nämlich die hier gezeigten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen wissenschaftlicher Forschung erfüllt, kann er sich in jedem Fall auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen. Damit unterscheidet sich die Forschungsfreiheit nicht von anderen Grundrechten, deren Schutz von der Tatbestandserfüllung abhängig ist. Die Forschung hat ebenfalls eine Darlegungslast, wenn ihr nachgewiesen wird, dass sie eine Gefahr oder ein Risiko für die Rechte Dritter bzw. Güter der Allgemeinheit darstellt. 409 Sie muss die Erforderlichkeit und Angemessenheit ihrer Forschungshandlungen im Verhältnis zu den erhofften Erkenntnissen darlegen, um in den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG einbezogen zu werden. Dies gilt insbesondere für experimentelle Forschung, die sich der Umwelt bedient, d. h. zum Beispiel für Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen. Da hier nicht ein wie auch immer gearteter Grundsatz eines in dubio pro libertate auf Seiten der Forschung ins Feld geführt werden kann, ist stattdessen zu Gunsten potentiell gefährdeter Verfassungsgüter ein in dubio pro securitate 410 bzw. ein in dubio pro libertate für beeinträchtigte Grundrechte Dritter zu veranschlagen. Ob der Schutz im Wege des
408 Eine spezifische unmittelbare Drittwirkung aus Art. 5 Abs. 3 GG hält auch Schlink, Der Staat 1971, 244 (253) für möglich, er steht einer solchen Lösung jedoch eher kritisch gegenüber. 409 So z. B. gefordert von Huber, in: Holzhey/Jauch, Forschungsfreiheit (1991), S. 31 (43), für den Fall eines ethisch relevanten Gefährdungspotentials. 410 Vgl. Scheu, Gefahrenvorsorge (2003).
D. Ergebnisse
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Verbots, eines Genehmigungsvorbehalts (wie im GenTG, AtomG, TierschutzG) oder anderer rechtlicher Mittel geschehen soll, ist vom Einzelfall abhängig. b) Entkräftung grundsätzlicher Gegenargumente Dagegen wird eingewendet, eine wissenschaftstheoretische Reduktion des Normbereichs verlagere die Definitionskompetenz für „Wissenschaft“ unzulässigerweise auf den Staat. Der Forscher habe jedoch gerade nicht das Vorhandensein der Voraussetzungen seiner Privilegierung zu beweisen. Nicht die grundrechtliche Ausübung, sondern die Einschränkung bedürfe der Legitimation. 411 Dieses Argument geht wieder davon aus, dass allein die Wissenschaft die Definitionshoheit darüber habe, was Recht zu schützen hat – eine Sonderstellung, die auf kein anderes Grundrecht zutrifft. Damit stellt sich erneut die bereits entschiedene Frage, ob unter den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG alle Betätigungsfelder fallen müssen, die vom System Wissenschaft als „Wissenschaft“ bezeichnet werden. Dies führt wieder zu dem Problem, wer die Definitionsmacht über diesen Begriff hat. 412 Classen weist zutreffend darauf hin, dass die Wissenschaftsfreiheit wie jede in der Verfassung garantierte Freiheit unmittelbar nur durch das Recht selbst bestimmt wird. 413 Die Forderung nach einem staatlichen Definitionsverbot von Wissenschaft und des Rechts des Wissenschaftlers auf eigene Definition des Grundrechtstatbestands greift daher nicht. Eine Berücksichtigung außerrechtlicher sozialer Elemente steht dem zwar nicht entgegen (und wird beim hier dargelegten Lösungsansatz auch praktiziert), welche Elemente hierfür herangezogen werden, liegt jedoch nicht im Belieben der scientific community 414 und ist nicht von der normativen Kraft der Umgangssprache oder von einer Selbstzuschreibung abhängig. 415 Davon ab411
Vitzthum, in: Badura/Scholz, FS Lerche (1993), S. 341 (348). Ausführlich zum Problembereich der Verfassungsinterpretation Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation (1987); ders. (a. a. O., S. 145 ff.) bezieht beispielsweise das private künstlerische Selbstverständnis in die Grundrechtsinterpretation mit ein. BVerfGE 90, 1 (12 f.) – Jugendgefährdende Schriften – erteilt jedoch dem individuellen Selbstverständnis bei der Beurteilung, ob eine Schrift wissenschaftlich ist oder nicht, eine Absage. Entscheidend sei vielmehr, ob sie auf Wahrheitserkenntnis gerichtet sei und nicht den Anspruch von Wissenschaftlichkeit systematisch verfehle, indem vorgefassten Meinungen lediglich der Anschein von Wissenschaftlichkeit verschafft werden soll. 413 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 72. 414 Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 72 f. Weniger überzeugend ist jedoch, wenn er in der Folge lediglich auf ein letztlich rudimentäres Verständnis von wissenschaftlicher Methodik (vgl. ders., a. a. O., S. 78 ff.) abstellt und für ihn z. B. Publizität keine Voraussetzung für die Einhaltung „wissenschaftlicher Standards“ ist (a. a. O., S. 90), obwohl gerade zu prüfen wäre, ob diese Standards nicht Publizität voraussetzen. Ebenso sieht Classen aus diesem Grund Einrichtungen mit Verwertungsabsicht und den Arbeitgeber durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt (a. a. O., S. 111 f., 136 f., 143 f.). 412
426
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
gesehen ist auch nicht ohne Weiteres eindeutig zu entscheiden, welche Maßstäbe die scientific community selbst anlegt. Wissenschaftlichkeit nach der Selbstzuschreibung der scientific community kann wie der modale Wissenschaftsbegriff lediglich einen Anhaltspunkt für Wissenschaftlichkeit bieten. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass Art. 5 Abs. 3 GG auch irrige und falsche Forschungsansätze sowie Mindermeinungen schützt. 416 Wie gezeigt, ist innerhalb dieser äußeren Grenze weder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art von Forschungsorganisation, noch die Methodik der Erkenntnissuche entscheidend. Entscheidend ist vielmehr die Struktur des Erkenntnisprozesses. Ist dieser auf Autonomie und Publizität gegründet, ohne geistiges Eigentum für sich in Anspruch zu nehmen, kommt die Eigengesetzlichkeit des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses voll zum Tragen. Dieser Bereich – und nur dieser – soll durch Art. 5 Abs. 3 GG besonders geschützt werden. 3. Gewährleistungsbereich externer und interner Forschungsfreiheit Art. 5 Abs. 3 GG mit dem hier entwickelten Normbereich führt kurz zusammengefasst zu folgenden Gewährleistungsdimensionen: In abwehrrechtlicher Hinsicht schützt Art. 5 Abs. 3 GG vor staatlichen Eingriffen in die Eigengesetzlichkeiten von Wissenschaft. So sind staatliche Eingriffe in die Publikationsfreiheit nicht zu rechtfertigen und unterliegen keiner Abwägung. Im Rahmen der Schutzpflicht muss Autonomie bei Forschung in staatlichen Bindungen gewährleistet werden und unterliegt der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Bei der Bestimmung des jeweiligen Rahmens der Autonomie der Einrichtung können neben der Optimierung der Verwirklichungsbedingungen individueller Forschungsfreiheit nur weitere wissenschaftsadäquate Zwecke der Wissenschaftseinrichtung berücksichtigt werden. Hierzu zählt der Ausbildungsauftrag aus Art. 12 GG. Entfällt dieser Auftrag bei einer außeruniversitären staatlichen Forschungseinrichtung, kann nur sehr beschränkt zu Lasten der Autonomie gestaltet werden. Allerdings kann der Staat entscheiden, ob er diesen Forschungseinrichtungen Autonomie zukommen lassen will, hierzu ist er – im Gegensatz zu den Hochschulen – nicht verpflichtet. Im Übrigen ist er darauf beschränkt, Forschungssteuerung durch gezielte Forschungsförderung zu betreiben. Handelt es sich um eine private, autonom organisierte Forschungseinrichtung, die in den Genuss der Forschungsfreiheit als Abwehrrecht kommen will, kann der Financier zwar einen bestimmten Forschungsbereich vorgeben, ansonsten kann er nur durch Auswahl der jeweiligen Forscher versuchen, diese Ausrichtung sicherzustellen. Direktiven des Arbeitgebers i. S. v. § 315 BGB schaden nur dann nicht, 415 416
Siehe Trute, Forschung (1994), S. 59. BVerfGE 90, 1 (12) – Jugendgefährdende Schriften.
D. Ergebnisse
427
solange und soweit sie die organisatorischen Rahmenbedingungen sicherstellen sollen. Inhaltliche, auf den Forschungsprozess direkt einwirkende Anweisungen haben die Exklusion aus dem Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG zur Folge. 4. Schutzpflicht des Staates für die Wahrung freier Forschung a) Allgemein Wie dargelegt, umfasst die sog. objektivrechtliche Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG auch eine staatliche Schutzpflicht. Da die Dimension der Schutzpflicht bereits bei der Normbereichspräzisierung in Gestalt der „Spiegelbildlösung“ mit eingeflossen ist, gibt es darüber hinaus nur noch eine schwach ausgeprägte Schutzpflicht. Der Staat hat freie Forschung zu schützen, nicht nur vor Beeinträchtigungen von Seiten Dritter, sondern auch und vor allem in den von ihm selbst organisierten Forschungsbereichen. Mit den Paradigmen der Hochschulreformen wird diese Schutzpflicht tendenziell verletzt. Die Ökonomisierung der Hochschulen ist nicht wissenschaftsadäquat und unterscheidet sich fundamental von bisherigen Universitätsreformen. Soll die Unterwerfung unter betriebswirtschaftliche Prinzipien und privatwirtschaftliche Interessen verfassungsgemäß sein, muss hier eine differenzierte Abwägung mit den Organisationsanforderungen vorgenommen werden, die freie Wissenschaft ermöglichen und sichern. Finden zusätzlich „andere legitime Aufgaben“ der Forschungseinrichtung Berücksichtigung, 417 ist zu beachten, dass die Legitimität derartiger Aufgaben nur gegeben ist, wenn zwischen ihnen und Art. 5 Abs. 3 GG ein Zusammenhang hergestellt werden kann. Denn sonst steht die Freiheit der Hochschulforschung zur Disposition des einfachen Gesetzgebers. Es darf sich also ausschließlich um wissenschaftsadäquate bzw. -immanente Aufgaben handeln. Für Hochschulen ist das insbesondere der Ausbildungsauftrag. Die Bedenken gegen den Vorschlag von M. Blankenagel, den Staat auch außerhalb staatlicher Organisationen unmittelbar zum Schutz wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit zu verpflichten, wurden bereits dargelegt. 418
417
BVerfGE 35, 79 (115); 85, 360 (384); 93, 85 (95): „Im Bereich des mit öffentlichen Mitteln eingerichteten und unterhaltenen Wissenschaftsbetriebes hat der Staat durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß das Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung so weit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist“ [Hervorh. d. Verf.], (E 85, 360 [384]). 418 So M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 164 ff., 172; zur Kritik siehe oben Viertes Kapitel, C. III.; bei Deiseroth, Berufsethische Verantwortung (1997), S. 394 ff. finden sich konkrete Vorschläge für einfachgesetzliche Regelungen, die insbesondere die Publikationsfreiheit stärken.
428
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
b) Ein Privilegierungs- bzw. Abstandsgebot für die Wissenschaft? Eine Reihe von Normen (sog. Forschungsklauseln) privilegieren „wissenschaftliche Forschung“. Hierzu zählen beispielsweise § 12c Abs. 3 Satz 1 AtomG, § 5 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 BArchG und § 29 BAKG. 419 Zumeist beziehen sie sich auf die Datenverarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken. Existieren solche Normen, so hat sich ihre Auslegung, also die Frage, was „wissenschaftliche Forschung“ ist, an den hier entwickelten Grundsätzen zu Art. 5 Abs. 3 GG zu orientieren. Anhand des hier analysierten Normbereichs ist auch zu klären, ob der Gesetzgeber zu einem weitgehenden Schutz der Freiheit von Wissenschaft und Forschung zum Beispiel durch eine Freistellung von Forschungsvorhaben von bestimmten Genehmigungserfordernissen verpflichtet ist und prinzipiell ein „Abstandsgebot“ zu nichtwissenschaftlichen Handlungen einzuhalten hat. 420 Grundsätzlich beschränken sicherheitstechnische Anforderungen die Forschungsfreiheit nicht, da es hier an einer entsprechenden „Forschungsbezogenheit“ des Eingriffs fehlt und Gefahrenabwehrrecht nicht in Art. 5 Abs. 3 GG eingreift. Soweit Genehmigungspflichten andere Rechtsgüter schützen, ist eine Forschungsklausel nicht nur verfassungsrechtlich nicht geboten, sondern kann sogar verboten sein. So gibt es auf Grund eines höheren Gefährdungspotentials medizinischer Forschungsversuche am Menschen besondere Genehmigungserfordernisse, während eine Heilbehandlung zu therapeutischen Zwecken genehmigungsfrei ist. 421 Umgekehrt kann Forschung durchaus privilegiert werden, wenn beispielsweise erkenntnisrelevante Handlungen zu einem geringeren Gefahrenoder Risikopotential als nichtwissenschaftliche Nutzungsarten führen. 422 So konnte eine Forschungsklausel, wie sie im Gentechnikgesetz a. F. noch bestand, damit gerechtfertigt werden, dass gentechnische Experimente im Rahmen eines Forschungsprojekts im Vergleich zum produzierenden gewerblichen „Dauerbetrieb“ ein geringeres Gefahrenpotential haben. 423 Gleiches kann für Privilegierungen 419 Andere Normen wie z. B. § 32 Abs. 1 StasiUG beziehen sich lediglich auf „Forschung“ („zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung“). 420 So z. B. H. Wagner, DÖV 1999, 129 (136): Die schrankenmäßige Privilegierung von Art. 5 Abs. 3 GG gegenüber anderen Grundrechten führe dazu, dass das diesen grundrechtlichen Schutz konkretisierende einfache Recht die Wissenschaft privilegieren müsse. Der Schutz der Freiheit von Wissenschaft und Forschung verpflichte – auch EU-gemeinschaftsrechtlich – zur Freistellung von Forschungsvorhaben von bestimmten Genehmigungspflichten. 421 Siehe zum Problem der Anwendung von Arzneimitteln (insb. Betäubungsmitteln) zu wissenschaftlichen Zwecken: Dähne, MedR 2003, 547 ff. 422 Das übersieht Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 135 f., wenn er eine Privilegierung des öffentlichen Wissenschaftsbetriebes gegenüber Einrichtungen mit Verwertungsabsicht für unzulässig hält.
D. Ergebnisse
429
gelten, die den Datenzugang betreffen (wie im Bundesarchiv- oder Stasiunterlagengesetz). Hier ist in der Regel davon auszugehen, dass der Wissenschaftler, der zweckungebunden forscht, verantwortungsvoll mit persönlichkeitsrechtlich relevanten Daten umgeht. Wissenschaftlichen Zwecken stehen hier zumeist auch die Anonymisierung und persönlichkeitsrechtsgemäße Aufbereitung der Daten nicht im Wege. Bei journalistischer oder gewerblicher Verwendung ist dies typischerweise nicht der Fall. Alle diese Regelungen haben keinen Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Gewicht der Forschungsfreiheit, sondern nur mit einer geringeren Gefahr der Rechtsgüterbeeinträchtigung. Die „Privilegierung“ der Forschungstätigkeit ist also lediglich sekundäre Folge. Eine finale Privilegierung von Forschung, insbesondere von öffentlicher Forschung gegenüber gewerblichen Anwendungen, ist zwar möglich, aber verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Gleiches gilt für sog. „Forschungsförderungsklauseln“, wie sie sich auch in § 1 StZG finden. 424 Zwingend ist eine Privilegierung allerdings dort, wo es um die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft im oben dargelegten Sinne geht, beispielsweise, wie sie im Urheberrecht mit den §§ 3 S. 1, 51 Nr. 1, 63 UrhG existiert. 5. Auswirkungen auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse: Wahlrecht der Forschungsorganisation und des Forschers Organisationen können dann nicht Grundrechtsträger der Forschungsfreiheit sein, wenn sie sich gegenüber dem angestellten Forscher nicht als Grundrechtsverpflichtete an die Erfordernisse interner Forschungsfreiheit binden lassen wollen. 425 Es obliegt der jeweiligen Organisation (bzw. ihrem Träger), ob sie die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft achtet und Wissenschaft i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG betreibt oder nicht. Damit hat jede Forschungsorganisation als Ausdruck negativer Wissenschaftsfreiheit 426 ein verfassungsrechtliches Wahlrecht, ob und wie sie ihre Binnenfreiheit ausgestaltet, um wissenschaftliche Forschung im Sinne des Differenzierungsmodells zu gewährleisten. Dies ist das Ergebnis der Spiegelbildlösung.
423
Vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit (1994), S. 157. A. A. Ossenbühl, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair, 505 (510 f.). 425 Umkehrschluss aus Thieme, DÖV 1994, 150: Industrieunternehmen seien gegenüber den Forschern jedenfalls dann nicht an Art. 5 Abs. 3 GG gebunden, wenn sie sich gegenüber dem Staat auf dieses Grundrecht nicht beriefen; so auch M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 108 sowie A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (97). 426 Siehe hierzu Hellermann, Die sog. negative Seite der Freiheitsrechte (1993), der sich eine negative Forschungsfreiheit jedoch nicht vorstellen kann (ders., a. a. O., S. 31). 424
430
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Der einzelne Forscher hat nur insofern ein Wahlrecht, als er sich individuell frei entscheiden kann, ob er sich den Restriktionen der freien Wirtschaft unterwirft und Forschung lediglich als Beruf ausübt, oder ob er innerhalb eines Systems freier wissenschaftlicher Forschung tätig wird. 427 Auch dies ist die negative Seite der Wissenschaftsfreiheit. Dieses Wahlrecht kann aber nur in dem Maße umgesetzt werden, in dem der Staat auch seiner Schutzpflicht nachkommt und freie wissenschaftliche Forschung in seinen staatlichen Organisationen ermöglicht.
II. Weitere Ergebnisse 1. Schutz exkludierter Bereiche des Lebensbereichs Forschung durch andere Grundrechte Erkenntnisrelevante Handlungszusammenhänge, die nach dem Differenzierungsmodell nicht in den Normbereich der Wissenschafts- bzw. Forschungsfreiheit eingeordnet werden können, sind selbstverständlich grundrechtlich geschützt. Man kann hier von einer allgemeinen Forschungsfreiheit sprechen. Forschende Tätigkeiten sind zumeist – sofern nicht ein Hobbywissenschaftler handelt – ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. 428 Gleiches gilt für Industrieunternehmen als Organisationen, die sich auf Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG als Abwehrrecht berufen können. 429 Hinzu tritt Art. 14 Abs. 1 GG und als Auffanggrundrecht Art. 2 Abs. 1 GG. Diese Grundrechte haben sich beim Schutz „normaler“ erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit bewährt. Eines besonderen Schutzes durch Art. 5 Abs. 3 GG bedarf es auch aus rein praktischen Erwägungen nicht. 430 Erst recht ist ein solcher Schutz abzulehnen, wenn es darum geht, sich mit dem Heiligenschein der Selbstlosigkeit und Gemeinwohlorientierung zu umgeben. 2. Weitere konkrete Folgen der Normbereichsbestimmung Nur skizziert werden können die weiteren Auswirkungen des Differenzierungsmodells auf das einfache Recht. Hier muss je nach Fragestellung eine konkrete Differenzierung vorgenommen werden, die den oben entwickelten Maßstäben entspricht.
427
Im Ergebnis so auch Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1991), S. 355. Die Möglichkeit des Verlassens oder Nichtbetretens des Schutzbereichs sei durch die negative Freiheitsseite des Art. 5 Abs. 3 GG vorausgesetzt. Dickert nimmt jedoch im Folgenden eine mögliche konkludente privatautonome Vereinbarung über die Gewährung von Wissenschaftsfreiheit an (ders., a. a. O., S. 357 ff.). 428 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 339; Waechter, Der Staat 1991, 19 (49). 429 Kleindiek, Risikogesellschaft (1998), S. 338. 430 A. Blankenagel, AöR 2000, 70 (95).
D. Ergebnisse
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a) Lösung der Beispielsfälle aus dem Ersten Kapitel Als Ergebnis der hier vertretenen Lösung lassen sich die einführenden Fälle aus dem Ersten Kapitel 431 wie folgt entscheiden: In den Fällen 1 und 2 handelt es sich um gewerbliche/kommerzielle und damit um nicht-wissenschaftliche Forschung, auch wenn sie an der Universität und damit alltagssprachlich im Lebensbereich „Wissenschaft“ stattfindet. Dies ergibt sich prima facie insbesondere in Fall 2 aus der Geheimhaltungsvereinbarung und der Patentanmeldungsabsicht. Sofern diese im Fall 1 noch nicht von Anfang an besteht und daher den Prozess der Erkenntnisgewinnung noch nicht vorrangig kennzeichnet, kann es sich um wissenschaftliche Tätigkeit handeln. Allerdings werden hierfür Rechtsgüter der Allgemeinheit bzw. Dritter in Anspruch genommen. 432 Derart „verbrauchende“ Forschung ist (unabhängig von kommerziellen Verwertungsabsichten) nicht vom Gewährleistungsbereich der Forschungsfreiheit umfasst. Deshalb kann sich auch im Fall 3 die TU nicht auf eine verfassungsrechtlich gebotene Besserstellung berufen, obwohl sie bei ihrem Vorhaben keine kommerziellen Absichten hegt. Fall 4 dient als Beispiel für eine „Tendenzuniversität“, die sich in den Dienst bestimmter Interessen stellt. Sie kann sich daher gegenüber dem Ministerium nicht nur nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen, sondern ihr Beschluss ist unzulässig, da der Staat verpflichtet ist, zweckungebundene Forschung zu gewährleisten. 433 Dagegen ist das Institut des Z im Fall 5 eine (private) wissenschaftliche Einrichtung, die sich via Art. 19 Abs. 3 GG auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann. Das Forschungsvorhaben des H ist daher wissenschaftlich. Er hat sich autonom für das Vorhaben entschieden und möchte die Ergebnisse veröffentlichen. Diese Voraussetzungen fehlen im Fall 6. Der Rechtsanwalt erstellt das Gutachten vorrangig im Interesse seines Mandanten, nicht aus freiem wissenschaftlichen Interesse. Er ist in der Wahl des Forschungsgegenstandes nicht frei, sondern dieser ist ihm im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit vorgegeben. Erst, wenn er später sein Gutachten (frei) veröffentlichen will (bzw. darf), kann er sich insoweit auf die Forschungsfreiheit berufen, die lex specialis zur Meinungsfreiheit ist. 434 Dagegen veröffentlicht im Fall 7 der Journalist seine Erkenntnisse, auch wenn er sie durch wissenschaftliche Methoden erlangt haben sollte, nicht für den wissenschaftlichen Kommunikationsprozess der scientific community, sondern für das allgemeine lesende Publikum. Zum Teil wird er seine Quellen nicht offen legen, seine Erkenntnisse sind nicht wissenschaftlich nachprüfbar und kritisierbar. Da die Beteiligung am wissenschaftlichen Kommunikationsprozess Voraussetzung für
431 432 433 434
Siehe oben Erstes Kapitel, B. I. 1. Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 2. Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) ee). Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) ff).
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
den Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG ist, kann der Journalist sich vorliegend lediglich auf die Presse- und die Meinungsfreiheit berufen. 435 Im Fall 8 hat der Forscher mit dem Abschluss seines Arbeitsvertrages auf sein individuelles Recht auf Forschungsfreiheit verfassungsrechtlich zulässig verzichtet. Art. 5 Abs. 3 GG rechtfertigt nicht seinen Verstoß gegen den Arbeitsvertrag. 436 Allerdings kann auch das Pharmaunternehmen die Forschungsfreiheit nicht für sich in Anspruch nehmen, da eine wesensmäßige Übertragbarkeit nach Art. 19 Abs. 3 GG ausscheidet. 437 Das Unternehmen gewährleistet – wie die Verpflichtung des Forschers zeigt – nicht die notwendige Autonomie und Publizität bei dessen Forschung. Hier findet keine Wissenschaft i. S. d. Art. 5 Abs. 3 GG statt. Die Forschungsfreiheit kann daher auch im Fall 9 nicht als Abwehrrecht gegen die genannten gesetzlichen Bestimmungen in Anspruch genommen werden. Das Unternehmen kann sich lediglich auf die allgemeine Wirtschaftsfreiheit berufen. b) Verfassungswidrigkeit von Maßnahmen der Hochschulreform aa) § 42 Arbeitnehmererfindungsgesetz Durch § 42 ArbEG wird in die Forschungsfreiheit in Form der positiven Publikationsfreiheit des Forschers an Hochschulen eingegriffen, ohne dass verfassungsimmanente Schranken zur Eingriffsrechtfertigung ersichtlich sind. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 42 ArbEG ist nicht möglich. 438 Die Hochschulen können sich als juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht auf Art. 12 oder 14 GG berufen, 439 und die Aufgabe der Hochschulen, „Wissenschafts- und Technologietransfer“ zu betreiben, fällt nicht in den Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG. Vielmehr wird die positive Publikationsfreiheit beschränkt und zugleich von der wirtschaftlichen Verwertbarkeit isoliert. Es ist einem Hochschulforscher nicht mehr möglich, frei darüber zu entscheiden, ob seine Erkenntnisse, d. h. hier das technische Wissen über eine Erfindung, aber auch deren wissenschaftliche Grundlagen (d. h. Entdeckungen) der scientific community bzw. der Allgemeinheit als gemeinfreies öffentliches Gut zur Verfügung gestellt werden. 440
435
Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 1. b) ff). Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, D. I. 5. 437 Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. 438 A. A. OLG Braunschweig, MDP 2006, 41 sowie Lichti, MDP 2006, 33 f. 439 A. A. Lux, Kooperation (2001), S. 156 f., ohne nähere Problematisierung der Frage, ob sich juristische Personen des öffentlichen Rechts entgegen der h. M. auf Art. 14 Abs. 1 GG überhaupt berufen können; nach Hübner, WissR 2005, 34 (47) kann sich der Schutz des Art. 14 GG auch nicht gegen Art. 5 Abs. 3 GG durchsetzen. 436
D. Ergebnisse
433
Ist sich der Forscher nicht sicher, ob es sich überhaupt um eine schutzrechtsfähige Erkenntnis handelt, muss er im Zweifel bis zum Abschluss der Prüfung durch die Hochschule oder die Patentbehörde warten, bevor er sein Wissen offenbaren darf. 441 Dies wird zu Recht als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 GG gewertet. 442 Es ist jedoch zu erwarten, dass eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG keinen Erfolg haben wird. 443 Sollten im Zusammenhang mit § 42 ArbEG als Schranken der Wissenschaftsfreiheit tatsächlich die Aufgabe der Hochschulen, Wissens- und Technologietransfer zu betreiben (§ 2 Abs. 7 HRG) und die Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) in Betracht kommen, so können diese jedenfalls den Eingriff in die Forschungs- und Lehrfreiheit nicht rechtfertigen. 444 Sofern der Rechtsprechung des BVerfG entnommen wird, dass neben verfassungsimmanenten Werten auch „andere legitime Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen“ Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit rechtfertigen können, 445 so müssen diese zumindest verfassungsrechtlich legitimiert sein (zum Beispiel durch den Ausbildungsauftrag aus Art. 12 GG). Bei § 2 Abs. 7 HRG ist dies keineswegs der Fall. 446 Das Abstellen auf die beamtenrechtliche Stellung des Hochschullehrers verkehrt nicht nur die Schutzrichtung des Art. 5 Abs. 3 GG (dem gerade nicht beamtenrechtliche Vorschriften 440
Die Einführung von Software-Patenten in der EU hätte das Problem noch radikal verschärft: An Hochschulen entwickelte „Open-Source“-Technologie hätte dann nicht mehr frei zur Verfügung gestellt werden dürfen. Siehe hierzu oben Viertes Kapitel, A. I. 3. 441 Bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von sechs Monaten wird die Regelzeit des § 42 Nr. 2 ArbEG kaum realistisch sein; vgl. Leuze, GRUR 2005, 27 (32) sowie M. Blankenagel, Information und Geheimhaltung (2001), S. 97. 442 A. A. Lux, Kooperation (2001), S. 161, mit dem höchst zweifelhaften Argument, die Hochschulen könnten sich auf Art. 14 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG berufen; Beyerlein, MDP 2004, 75 f.; Lichti, MDP 2006, 33 f.; für die Verfassungswidrigkeit des § 42 ArbEG: Leuze, GRUR 2005, 27 ff.; Ruffert, VVDStRL 65 (2006), 146 (191 ff.) und Hübner, WissR 2005, 34 (47); krit. auch (im Zusammenhang mit einer urheberrechtlichen „Anbietungspflicht“): Hansen, GRURInt 2005, 378 (381). 443 Eine Richtervorlage des LG Braunschweig an das BVerfG (LG Braunschweig, MDP 2004, 74 mit Anm. Beyerlein; NdsVBl. 2004, 110) ging ebenfalls von der Verfassungswidrigkeit des § 42 Nr. 1 Satz 1 2. HS ArbEG aus, da gegen das Veröffentlichungsrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG verstoßen wird. Das BVerfG hat diese Vorlage als unzulässig verworfen (BVerfG, NVwZ 2004, 974): Das LG hätte eine verfassungskonforme Auslegung der ZweiMonats-Regel und die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit (u. a. Funktionsfähigkeit der Hochschulen, Beamtenpflichten) prüfen müssen. Weniger pessimistisch, was den möglichen Erfolg einer Verfassungsbeschwerde anbelangt, ist Hübner, WissR 2005, 34 (35); zur abschließenden Entscheidung des OLG Braunschweig, MDP 2006, 41, das § 42 ArbEG als verfassungskonform einstuft: siehe (zustimmend) Lichti, MDP 2006, 33 f. 444 A. A. Beyerlein, MDP 2004, 75 f., der genau aus diesen Gründen den Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt sieht; dagegen Leuze, GRUR 2005, 27 ff. und Hübner, WissR 2005, 34 (47). 445 BVerfGE 35, 79 (115); 85, 360 (384); 93, 85 (95). 446 So im Ergebnis auch Hübner, WissR 2005, 34 (45 f.).
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
vorgehen sollen), sondern es verkennt auch die Sonderstellung der Hochschullehrer in der Beamtenschaft, die sich u. a. in § 42 ArbEG a. F. verdeutlichte. Dass sich die Sonderstellung des Hochschullehrers nunmehr nur noch rein monetär ausdrückt (vgl. § 42 Nr. 4 ArbEG), kann den Verlust an „Meinungsfreiheit“ im Smendschen Sinne nicht ausgleichen. 447 Bei der Publikationsfreiheit handelt es sich um ein konstituierendes Element der Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft, die in den Hochschulen mit ihrer typischen Einheit aus Forschung und Lehre nur in engsten Grenzen (vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG) einer Relativierung zugänglich sein darf. Gemessen am Ethos des wissenschaftlichen „Kommunismus“ mutet § 42 ArbEG dem Wissenschaftler etwas zu, was er nach den eigenen Gesetzen der Wissenschaft nicht darf: Er muss interessante Informationen für sich behalten. 448 Es ist jedoch gerade Aufgabe der Hochschulen, der Wissenschaft zu dienen (vgl. auch § 2 Abs. 1 Satz 1 HRG). 449 Ein anderes Ergebnis würde nur wieder das Elend der Wissenschaftsfreiheit verdeutlichen: Art. 5 Abs. 3 GG würde nach überwiegender Interpretation keinen ernstzunehmenden Schutz mehr für individuelle Forschungsfreiheit in staatlich organisierter Forschung entfalten können. Nach der hier vertretenen Lösung müsste die alte Regelung sogar auf Forscher in weiteren autonomen staatlichen Forschungseinrichtungen erweitert werden. 450
447
Ähnlich, mit deutlicher Kritik an Beyerlein, MDP 2004, 75 f., Hübner, WissR 2005, 34 (49 f.); ebenso Leuze, GRUR 2005, 27 (28). Dem Hochschullehrer steht ein Anteil an der Nutzung der Erfindung in Höhe von 30% zu (§ 42 Nr. 4 ArbEG). Dadurch wird jedoch auch deutlich, dass hinter der Kritik an § 42 ArbEG handfeste kommerzielle Interessen stehen können. Nach alter Regelung konnte der Hochschullehrer eine von ihm geschützte Erfindung zu 100% nutzen (vgl. hierzu z. B. den Sachverhalt, der der Richtervorlage des LG Braunschweig [MDP 2004, 74] zugrunde lag). 448 Der freie Meinungsaustausch auf Tagungen soll sich seit 2002 deutlich verschlechtert haben (so Hübner, WissR 2005, 34 [41]). Ein öffentlicher Vortrag mit Darstellung der Erfindung ist als solcher neuheitsschädlich, vgl. Bartenbach/Volz, GRUR 2002, 743 (750). 449 Vgl. Hübner, WissR 2005, 34 (47); BVerfGE 47, 327 (375 f., 379) – Hess. Universitätsgesetz. 450 Fleuchhaus/Braitmayer, GRUR 2002, 653 (657) sprechen von einer „Zweiklassengesellschaft“ und kritisieren, dass § 42 ArbEG nur auf Hochschulbeschäftigte, nicht jedoch auf andere Angestellte in staatlichen Forschungseinrichtungen anwendbar ist. Da die Privilegierung des § 42 ArbEG gegenüber anderen Forschern im öffentlichen Dienst nicht auf universitäre Hochschulen beschränkt ist (die sich wie nach der alten Rechtslage auf eine Sonderstellung aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen konnten), ergeben sich hieraus durchaus Bedenken, was die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG anbelangt.
D. Ergebnisse
435
bb) § 25 HRG und Drittmitteleinwerbung § 25 HRG ist in seiner bestehenden Form verfassungswidrig. 451 Durch ihn wird die verfassungsrechtliche Pflicht des Hochschullehrers zur Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse unzulässig unterlaufen. Das Interesse des Staates oder des Hochschulforschers an der Einwerbung von Drittmitteln kann eine Beeinträchtigung der Publikationsfreiheit nicht rechtfertigen. Publikationsrecht und -pflicht sind nicht disponibel. Soweit landesrechtliche Vorschriften die Hochschulwissenschaftler undifferenziert verpflichten oder „auffordern“, Drittmittel auch nicht-öffentlicher Financiers einzuwerben, 452 müssen sie ebenfalls erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Zudem dürfen nicht ausschließlich Drittmittel zur Evaluierung von Forschungsleistungen herangezogen werden. Ergebnis- und anwendungsbezogene Drittmittel dürfen gar nicht berücksichtigt werden, wenn hiervon die staatliche Ressourcenverteilung mitbestimmt wird. 453 Sofern die W-Besoldung und entsprechende landesrechtliche Ausführungsbestimmungen keine Differenzierung bei den Drittmittelarten und -zwecken vornehmen, sind diese Vorschriften mit Art. 5 Abs. 3 GG unvereinbar. Auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt auch § 5 i. V. m. § 6 HRG. Der Gesetzgeber hätte, will er die Hochschulen leistungsorientiert finanzieren, hierfür auch die Maßstäbe klarstellen müssen. 454 Denn anhand dieser wäre es möglich zu prüfen, ob der Gesetzgeber noch ausreichend seiner Pflicht nachkommt, gesetzliche Vorkehrungen für eine wissenschaftsadäquate Ausgestaltung der Hochschulen zu schaffen. 455 cc) Weitere Maßnahmen der Hochschulreform Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auf landesrechtlicher Ebene bezüglich monokratischer Leitungsstrukturen, Entscheidungs- und Vorschlagsrechte von Hochschulräten, die mit externen Mitgliedern besetzt sind sowie hinsichtlich der Pflicht zur Akkreditierung von Studiengängen. In allen diesen Fällen werden die verfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte der Hochschulforscher, die diese 451
Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 4. b). Siehe § 59 Abs. 1 S. 1 UG Ba-Wü; § 47 LHG M-V. 453 BVerfGE 111, 333 (359) – Hochschulgesetz Brdb. 454 Dafür hätte der Bund jedoch keine Rahmenkompetenz, da allein die Länder zur Hochschulfinanzierung verpflichtet sind und – theoretisch – statt einer leistungsorientierten eine bedarfsorientierte Finanzierung vornehmen dürfen (Reich, HRG [2002], § 5, Rdnr. 1). 455 So Detmer, in: Dörr/Fink, FS Schiedermair (2001), 605 (619) wie auch bereits Köttgen, Grundrecht der Universität (1959), S. 50 f. Zu den Problemen bei Evaluationen und Rankings m. w. N. Reich, HRG (2002), § 6, Rdnr. 1. 452
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
über die Kollegialorgane ausüben, geschwächt oder gar aufgehoben. Hier muss den Hochschulforschern 456 – wie im Hochschulurteil verlangt – der maßgebende Einfluss in allen Fragen verbleiben, die Forschung und Lehre unmittelbar betreffen. 457 Selbst wenn die jeweilige Einzelmaßnahme noch mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar sein sollte, 458 so darf die kumulative Wirkung aller Eingriffe nicht außer Betracht bleiben. Die Schließung von Studiengängen, Fakultäten und Universitäten durch die Staatsverwaltung oder durch Kollegialorgane ist ebenfalls nach den entwickelten Grundsätzen zu beurteilen. Das Selbstbestimmungsrecht der Universität gewährt kein schrankenloses Vorgehen im Binnenbereich. Zwar verstößt die autonome oder staatlich angeordnete Entscheidung über eine Schließung nicht per se gegen die Wissenschaftsfreiheit, denn wissenschaftliche Einrichtungen genießen keine Bestandsgarantie. 459 Bei derart wissenschaftsrelevanten Entscheidungen muss jedoch eine sachgerechte und willkürfreie Abwägung erfolgen. 460 Im Sinne des Willkürverbotes können insoweit analog die verfahrensrechtlichen Sicherungen und Abwägungsvorgaben bei kommunalen Neugliederungsmaßnahmen Beachtung finden. 461 c) Erweiterung des § 11 Nr. 2 PatG Das „Versuchsprivileg“ des § 11 Nr. 2 PatG muss über die Forschung an der Erfindung auf wissenschaftliche Forschung mit der Erfindung hinaus erweitert werden. Wissenschaftliche Forschung nach dem Differenzierungsmodell agiert nicht patentbezogen und nimmt selbst keinen Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG 456
Der Verlust von Beteiligungsrechten, die bisher über die Kollegialorgane ausgeübt wurden, trifft nicht nur die Professoren, sondern auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Studenten, die ebenfalls am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess partizipieren [siehe oben Zweites Kapitel, C. II. 2. a)]. 457 BVerfGE 35, 79 ff. (Leitsätze Nr. 5 u. 8). 458 Wovon offensichtlich BVerfGE 111, 333 ff. – Hochschulgesetz Brdb. – ausgeht. 459 BVerfG 85, 360 (384 f.) – Akademie der Wissenschaften. 460 Vgl. Geis, WissR 37 (2004), 2 (21 f.), unter Bezugnahme auf die 2003 erfolgte handstreichartige Entscheidung der Kollegialorgane der TU Dresden, die dortige juristische Fakultät zu schließen. Geis schlägt a. a. O. vor, auf derartige Fälle die im Planungsrecht typischen Beschränkungen anzuwenden; zur Abwägung bei der Schließung von Studiengängen: BerlVerfGH, NVwZ 1997, 790 f.: Träger des Art. 5 Abs. 3 GG seien dahingehend einzubeziehen, dass ihnen die Möglichkeit eröffnet werde, ihre Belange in einer der Sache nach angemessenen Weise vorzubringen. Nur so könne der Komplexität des mit der Wissenschaftsfreiheit geschützten Bereichs angemessen Rechnung getragen und eine unzulässige staatliche Einflussnahme auf Wissenschaftsinhalte vermieden werden (BerlVerfGH, a. a. O., 791); krit. hierzu Haug, NVwZ 1997, 754 ff. 461 Vgl. Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Bd. I (1999), Wissenschaftsfreiheit, Rdnr. 345 (zumindest für ein Recht auf Anhörung).
D. Ergebnisse
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in Anspruch. Deshalb können die Rechte des Erfinders aus Art. 14 Abs. 1 GG insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 5 Abs. 3 GG nicht überwiegen. Aus Verhältnismäßigkeitsgründen kann für eine derartige Inhalts- und Schrankenbestimmung an eine Ausgleichspflicht, beispielsweise über eine Zwangslizenzierung gedacht werden. d) Folgen für die Forschungsförderung Die durch das Differenzierungsmodell vorgenommene Abgrenzung zwischen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten erlaubt auch eine Differenzierung zwischen Forschungs- und Wirtschaftsförderung. Gezielte Förderung freier Forschung ist nicht nur Wissenschaftsförderung, sondern unterfällt ihrerseits – sofern sie privat vorgenommen wird – dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG). Allerdings darf in diesem Fall der Geldgeber keine engen Vorgaben hinsichtlich des Forschungszwecks machen, er muss den beteiligten Forschern völlige Publikationsfreiheit und der geförderten Forschungsorganisation Autonomie gewähren. Hinsichtlich der Universitäten kann ein Beispiel hierfür die Einrichtung eines Stiftungslehrstuhls sein, als Exempel einer freien privaten Forschungseinrichtung kann etwa das „Hamburger Institut für Sozialforschung“ dienen, eine Stiftung bürgerlichen Rechts. 462 Öffentliche autonom organisierte Forschungsförderungsorganisationen wie die DFG dürfen dagegen Forschungsorganisationen für die Förderung durch Drittmittelprojekte engere Vorgaben machen, da sie bereits auf vorgeschalteter Ebene autonom über die Mittelverteilung bestimmt haben. 463 Dies ist freier Wissenschaft nicht wesensfremd und keine Fremdsteuerung. Anderes gilt für staatliche Mittel, zum Beispiel des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BMFB) oder Mittel der EU bzw. OECD. Würden hier bei der Forschungsförderung zu enge Vorgaben gemacht, wäre unabhängige Forschung mit der Ressortforschung vergleichbar, die nicht den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 GG entspricht. Alle anderen Arten der öffentlichen Forschungsförderung – insbesondere für kommerzielle Forschung – fördern keine wissenschaftliche Forschung, sondern binden diese an außerwissenschaftliche Zwecke. Hier handelt es sich zumeist um Wirtschaftsförderung, die den Anforderungen an das Subventionsrecht unterliegt.
462
Siehe http://www.his-online.de [24. 03. 2006]. Vgl. Meusel, Außeruniversitäre Forschung (1999), S. 151, Rdnr. 168: Die Forschungsförderung finde dort „in einer kaum noch überbietbaren Autonomie“ statt und werde vom „Prinzip des demokratisch ermittelten Sachverstandes in einer hierarchisch gestuften Wissenschaftler-Autonomie“ geleitet. 463
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5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
e) Folgen für die Abgrenzung zwischen Entdeckung und Erfindung im PatG Umgekehrt führt die grundrechtliche Abgrenzung zwischen Forschungsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit dazu, dass nun auch die höchst umstrittene Frage, wann eine Erfindung und wann eine Entdeckung vorliegt, entschieden werden kann: Wissenschaftliche Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG führt ausschließlich zu Entdeckungen, forschende Tätigkeiten, die auf technische Erkenntnisse mit gewerblicher Anwendbarkeit ausgerichtet sind (auch wenn sie mit „wissenschaftlichen“ Methoden betrieben werden) führen zu Erfindungen, die dementsprechend patentierbar sind. Sofern Hochschulen oder Hochschullehrer wissenschaftliche Erkenntnisse unter Patentschutz stellen wollen, ist diese Verwertungsart – wie schon bisher nach herrschender Meinung – nicht durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. Zusätzlich ist vor allem hinsichtlich eines eingeschränkten oder absoluten Stoffschutzes zu prüfen, ob es sich um Verbindungen handelt, die bereits in der belebten oder unbelebten Natur vorkommen. Liegt eine derartige „patentierbare Entdeckung“ vor, könnte erwogen werden, es den Hochschulen nicht zu gestatten, Patente anzumelden, denn ihnen sind in diesem Bereich nur (wissenschaftliche) Entdeckungen erlaubt. Dies kann mit der objektivrechtliche Dimension von Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt werden. Anderes gilt für technische Verfahren. Verfahrenspatente können Hochschulen erteilt werden. In Bezug auf Art. 5 Abs. 3 GG ist jedoch zu prüfen, ob sich die Forschungstätigkeit der Einrichtung nicht zu sehr von den Anforderungen des Differenzierungsmodells an die Wissenschaftlichkeit entfernt. Dienen Patente zur Verbesserung der finanziellen Grundlage unabhängiger Forschung, sind sie für autonome staatliche Forschungseinrichtungen zulässig. Eine zu starke „Tendenz“ hin zu privatwirtschaftlich orientierter Verwertung löst aber die staatliche Schutzpflicht aus, gegen eine offen postulierte oder offensichtlich erkennbare Tendenz muss aufsichtlich vorgegangen werden. Indiz für eine unzulässige Tendenz ist die finanzielle Abhängigkeit von Drittmitteln und Lizenzeinnahmen, sofern diese einen bestimmten Rahmen übersteigen, der anhand des jeweiligen Forschungsbereichs (anwendungs- oder grundlagenorientiert) genauer ausgestaltet werden müsste. f) Folgen für das Ausgangsproblem der Embryonenforschung Die anfangs aufgeworfene Frage, ob Stammzellen- oder Embryonenforschung zulässig ist, kann auch durch das Differenzierungsmodell nicht endgültig geklärt werden. Ob man sich auf Art. 5 Abs. 3 GG wird berufen können, hängt jedenfalls davon ab, um welche Art Forschung es sich im Sinne des Differenzierungsmodells
E. Resümee
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handelt. Da nur freie, zweckungebundene Forschung vom Normbereich umfasst ist, wird es sich typischerweise um autonom organisierte Grundlagenforschung handeln, die auf Publizität und nicht auf den Erwerb geistigen Eigentums ausgerichtet ist. Wie Enders und Heun überzeugend darlegen, 464 entzieht jedoch das Embryonenschutzgesetz auch solcher Wissenschaft den Embryo als Untersuchungsgegenstand, indem es ihn als Grundlage oder Vorstufe späteren Lebens verfassungsrechtlich zulässig zu einem schützenswerten Rechtsgut erklärt. Die Folge ist, dass der einfache Gesetzgeber de facto Untersuchungsgegenstände der Forschung entziehen kann, ohne dass dies an Art. 5 Abs. 3 GG zu messen wäre. Rechnet man dagegen die freie Wahl des Untersuchungsgegenstandes dem Kernbereich wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit zu und berücksichtigt man die strengen Anforderungen des Differenzierungsmodells an den Tatbestand „wissenschaftliche Forschung“, so kann man, wenn man zugleich – ausdrücklich entgegen der hier vertretenen Ansicht – Lebensrecht und Menschenwürde einer Abwägbarkeit oder Abstufung preisgibt, ein Verbot für wissenschaftliche Forschung unter o. g. Voraussetzungen für unangemessen halten.
E. Resümee Das Differenzierungsmodell zeigt letztlich, dass für die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Technik nicht der Gebrauch der Technik als solcher ausschlaggebend ist, sondern der Zweck des Gebrauchs von Technik. Wird Technik mit dem Ziel wirtschaftlicher Verwertung verwendet, scheidet sie als Mittel der Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG aus. Zentral ist als Abgrenzungskriterium die Wahrung wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit, die anhand objektiver Maßstäbe zu bestimmen ist. Wissenschaft ohne Offenheit und Unabgeschlossenheit, ohne Kreativität, Publizität und Autonomie ist keine Wissenschaft. Für die Forschung in der Bio- und Gentechnik bedeutet dieses Ergebnis, dass sich weite Bereiche nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen können, da die hohen Forschungsinvestitionen den Erwerb geistigen Eigentums und daraus entspringender Einnahmen erforderlich machen oder die Forschung dieser Einnahmen wegen überhaupt nur betrieben wird. Derartige Forschung ist jedoch ausreichend über die allgemeine Wirtschaftsund Berufsfreiheit geschützt. Sie mag eine „allgemeine Forschungsfreiheit“ im Rahmen wirtschaftlicher Betätigung in Anspruch nehmen können, nicht jedoch die spezielle „wissenschaftliche Forschungsfreiheit“. Denn es handelt sich hier nicht um Wissenschaft oder Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG.
464
Hierzu und zum Folgenden Viertes Kapitel, B. IV. 3. b) sowie Enders, Jura 2003, 666 (673); Heun, JZ 2002, 517 (523).
440
5. Kap.: Das „Differenzierungsmodell“
Für die Embryonenforschung wie auch für die Bio- und Gentechnik hat das zur Folge, dass das Vertrauen in die Selbstkontrolle der Wissenschaft wesentlich gestärkt werden kann. Das Recht beachtet dann die Interessen, die hinter dieser Forschung jeweils stehen. Die Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG ermöglicht nicht die Durchsetzung kommerzieller Interessen, sondern schützt ausschließlich die Elemente wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit, wie sie von Kirchhof so treffend beschrieben werden: „Wissenschaft braucht für ihr Forschen und Lehren die Stille, das feinsinnige Hinhören, die Distanz zum Interessenten, die Ferne zur täglichen Aufgeregtheit, die Offenheit für Argumente, Begründungen, Beweise. Erkenntnis setzt Unbefangenheit voraus ( . . . ): die Freiheit in Geist und Gehabe.“ 465
465
Kirchhof, Verfaßte Freiheit (1986), S. 16 f. [Hervorh. im Original].
Zusammenfassende Thesen Zum Ersten Kapitel Der Streit um die Menschenwürde in der Bio- und Gentechnik befindet sich in einem Stellungskrieg. 1 Es besteht die Gefahr, dass die Menschenwürde entweder in unverantwortlicher Weise relativiert oder dass sie in kleiner Münze eingesetzt und hierdurch entwertet wird. 2 Davon unabhängig ist die Menschenwürde auf Grund ihrer exponierten Stellung jedenfalls auch ein objektives Prinzip, der subjektive verfassungsrechtliche Status des Embryos in vivo ist zweitrangig. 3 Kaum problematisiert wird hingegen, ob sich die Embryonenforschung auf die Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann. 4 Geprüft werden muss deshalb, ob allen Forschungsbereichen Forschungsfreiheit i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG zukommen kann. Hierbei muss nicht notwendig Deckungsgleichheit zwischen dem Lebensbereich Forschung und dem Normbereich des Art. 5 Abs. 3 GG herrschen. Entscheidend für die Abgrenzung ist die Wissenschaftlichkeit der forschenden Handlungen. 5 Zum Zweiten Kapitel Die historische Analyse ergibt, dass die Funktion der Wissenschaftsfreiheit im 19. Jahrhundert die einer Mitteilungsfreiheit für Hochschullehrer und Privatgelehrte war. Die Freiheit der Erkenntnisgewinnung spielte keine Rolle. 6 Die schwache Position der Grundrechte in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik führte zum „Grundrecht der Universität“, das entgegen seiner ursprünglichen Intention als individuelle Meinungsfreiheit für Beamte zu einer institutionellen Garantie der Hochschulautonomie weiterentwickelt wurde. 7
1 2 3 4 5 6 7
Siehe Erstes Kapitel, A. III. 1., V. Siehe Erstes Kapitel, A. V. 1. Siehe Erstes Kapitel, A. V. 2. Siehe Erstes Kapitel, A. VI., B. Siehe Erstes Kapitel, B. III. 3. Siehe Zweites Kapitel, A. I. Siehe Zweites Kapitel, A. II.
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Zusammenfassende Thesen
Rechtsprechung und Lehre zu Art. 5 Abs. 3 GG sind angesichts der Geschichte der Wissenschaftsfreiheit bis Mitte der 1980er Jahre universitätszentriert. Organisationsfragen und ihr Verhältnis zur individuellen Freiheitsgewährleistung stehen im Mittelpunkt. 8 Außerhalb hochschulspezifischer Probleme wird der Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 GG weit verstanden, geschützt ist als Forschungsfreiheit die wissenschaftliche Methodik. 9 Begrenzt werden kann die Forschungsfreiheit als Abwehrrecht nur durch verfassungsimmanente Werte. 10 Unmittelbare Rückschlüsse auf Fragen der Bio- und Gentechnik lassen sich aus diesem Verständnis kaum ziehen, lediglich die Privilegierung „hochrangiger Forschung“ durch den Gesetzgeber ist unzulässig. 11 Zum Dritten Kapitel Die heutigen Rahmenbedingungen der Forschung entsprechen nicht mehr dem idealistischen Bild, das mit Wissenschaft und Forschung nach wie vor verbunden wird. Stattdessen befindet sich die Forschung gegenwärtig in weiten Bereichen unter massivem ökonomischen Verwertungsdruck. Kommerz, Technik und ein hohes Gefahrenpotential kennzeichnen die Forschung. 12 Auch die Organisationen, mit denen der Staat freie Wissenschaft sicherstellen soll, befinden sich massiv unter Druck. Die Universitäten werden nach (mikro-) ökonomischen Gesichtspunkten umgestaltet, die Ermöglichung individueller Freiheit gerät ins Hintertreffen. 13 Die überwiegende Meinung reagiert hierauf mit einer Ausweitung des abwehrrechtlichen Schutzes durch Art. 5 Abs. 3 GG auf alle Forschungsbereiche. Zugleich wird die objektivrechtliche Dimension der Wissenschaftsfreiheit geschwächt und die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft als Schutzgut unterbewertet. 14 Nur vereinzelt wird in der Literatur versucht, dieser Eigengesetzlichkeit und ihrem Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG schärfere Konturen zu verleihen. 15 Ergebnis ist eine Entindividualisierung der Forschungsfreiheit. Zugleich werden Unternehmen privilegiert, die mit wissenschaftlichen Methoden wirtschaftlich tätig sind. 16 8
Siehe Zweites Kapitel, A. III., C. I. Siehe Zweites Kapitel, C. II. 1. a). 10 Siehe Zweites Kapitel, C. II. 4., III. 3. 11 Siehe Zweites Kapitel, C. III. 4. 12 Siehe Drittes Kapitel, A. I. bis V. 13 Siehe Drittes Kapitel, A. IV. 5. 14 Siehe Drittes Kapitel, B. I. 2., II. 15 Siehe Drittes Kapitel, C. II. 4. 9
Zusammenfassende Thesen
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Zum Vierten Kapitel Die verfassungsrechtliche Funktion des Art. 5 Abs. 3 GG hängt davon ab, welche Aufgabe Wissenschaft im Gemeinwesen einnehmen soll: 1. Wissenschaft kann durch das Grundgesetz besonders geschützt sein, weil sie (ökonomisch) nützlich ist und dem (technischen) Fortschritt dient. 2. Wissenschaft genießt als Bestandteil des Kulturstaats einen besonderen Schutz, weil sie als solcher zu allen Zeiten besonders gefährdet ist. 17 Die allgemeine Grundrechtsdogmatik versagt nicht nur bei der Bestimmung der Grenzen der Forschungsfreiheit, sondern offenbart auch, dass die Verfassung verlangt, die Diskrepanz zwischen verbriefter und realisierbarer Freiheit zu überbrücken. Stattdessen zieht sich die überwiegende Meinung auf unwägbare Abwägungslösungen zurück, die der (politischen) Opportunität des jeweiligen Interpreten offen stehen. 18 Da Grundrechte für Starke und Schwache die Möglichkeit schützen, Freiheit zu realisieren, muss das Verhältnis zwischen der Inanspruchnahme von Freiheit und der Inanspruchnahme von Rechten Anderer neu bestimmt werden. 19 Für jedes einzelne Grundrecht muss deshalb der Normbereich ausdifferenziert werden. Hierbei gilt das Primat des Rechts. Der Begriff der Forschung i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG kann deshalb nur verfassungsrechtlich bestimmt werden. 20 Zum Fünften Kapitel Bei der Bestimmung des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG kommt der Verwertung von Wissen eine entscheidende Funktion zu. Dabei ist zwischen wissenschaftlichem und technischem Wissen zu unterscheiden. Technisches Wissen kann zu geistigem Eigentum werden, wissenschaftliches Wissen ist gemeinfrei. 21 Geistiges Eigentum ist durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt, Inhalt und Schranken legt der Gesetzgeber fest. Relevanteste Ausprägung im Zusammenhang mit forschenden Aktivitäten ist das Patentrecht. 22 Die Ausweitung des Patentschutzes im Bereich der Bio- und Gentechnik sowie die Verpflichtung von Hochschullehrern, patentfähige Erfindungen zu verschweigen, demonstrieren die Beschränkung freier
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Siehe Drittes Kapitel, B. II., C. II. Siehe Viertes Kapitel, A. I. Siehe Viertes Kapitel, B. II. 1., III. 1. Siehe Viertes Kapitel, B. IV. 3. Siehe Viertes Kapitel, C. IV. 2. Siehe Fünftes Kapitel, A. II. Siehe Fünftes Kapitel, B. I. 3.
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Zusammenfassende Thesen
Wissenschaft durch das Rechtsinstitut des geistigen Eigentums. Dieses dominiert auch die Forschungsfreiheit in privaten Arbeitsverhältnissen. 23 Wissenschaft als selbstreferentielles Kommunikationssystem ist jedoch auf ungestörten Informationsaustausch angewiesen, da sie sonst ihrer Aufgabe, der Wahrheitssuche im Dienste aller, nicht nachkommen kann. 24 Dies kennzeichnet wissenschaftliche Forschung, nur zweckungebundene Forschung kann deshalb wissenschaftlich sein. 25 Objektive Kennzeichen für die Wissenschaftlichkeit eines Erkenntnisprozesses sind deshalb neben seiner Offenheit und Unabgeschlossenheit vor allem Publizität und eine autonome Organisationsstruktur zur Gewährleistung individueller Forschungsfreiheit. 26 Wissenschaftliche Forschung nimmt auch nicht Rechte Dritter in Anspruch. 27 Folge der Einbeziehung in den Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG ist die Gewährleistung einer internen Forschungsfreiheit, die die objektiven Kennzeichen von Wissenschaftlichkeit erfüllt. Umgekehrt geht der Grundrechtsschutz verloren (oder entsteht erst gar nicht), wenn diese Freiheit nicht mehr gewährleistet ist oder wird. Insofern entfaltet Art. 5 Abs. 3 GG die Wirkung einer unmittelbaren, aber frei wählbaren Drittwirkung. 28 Den Staat trifft Pflicht, innerhalb der von ihm geschaffenen Forschungsorganisationen wissenschaftliche Forschung zu gewährleisten. Dies trifft jedenfalls auf die Hochschulen mit ihrer Synthese aus Forschung und Lehre zu. 29
23 24 25 26 27 28 29
Siehe Fünftes Kapitel, B. II. Siehe Fünftes Kapitel, B. III. Siehe Fünftes Kapitel, C. I. Siehe Fünftes Kapitel, C. II. Siehe Fünftes Kapitel, C. II. 2. Siehe Fünftes Kapitel, D. I. 1., 5. Siehe Fünftes Kapitel, D. I. 4., II.
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Sachwortverzeichnis Abstandsgebot 428 Abtreibung Siehe Schwangerschaftsabbruch Abwägung – Arbeitsrecht 382 – der Forschungsfreiheit mit anderen Verfassungsgütern 42, 86, 131, 221, 297 – der Menschenwürde 45 – Drittmittelforschung 384 – von Verfassungsgütern 283, 294, 318 Ahnenforschung 80 Akademie der Wissenschaften der DDR 128 Akkreditierung 213, 219, 435 Alimentierung 231, 260 Ambivalenz – der Forschung 67, 165, 189, 411 – der Forschungsfreiheit 196 – der Rolle des Staates 84, 150 Anreiz 79, 226 Arbeitnehmererfindungsgesetz 368, 432 Arbeitslosigkeit 260 Arbeitstheorie 361 Arbeitsverhältnis 70, 85, 368, 381 ff., 432 f. Archivforschung 70 Astrologie 77, 83 Atombombe 22, 230 Atomenergie 22 f., 179, 316 Aufklärung 99, 165 Ausbildung 262, 345, 351 Ausbildungsfunktion der Hochschulen 166, 426 Ausdifferenzierung 292, 341, 349 – des Normbereichs von Art. 5 Abs. 3 GG 292, 349
– von Stammzellen 32 Ausgründung 208 Auslegung, historische und genetische 116 Autonomie 71 – als objektiver Maßstab der Wissenschaftlichkeit 402, 414 – als Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit 93, 252, 390, 396, 422 – der Hochschulen Siehe Selbstverwaltung, universitäre – der Wissenschaft 75, 85, 108, 306, 412 – wissenschaftlicher Einrichtungen 128 f., 213 ff., 412 ff. Autopoiesis 386 Bachelor und Master 218 Banalisierung der Menschenwürde 24 Beamtenrecht Siehe Hochschullehrer (Stellung) Bedeutungswandel 117 Befruchtung 32, 47 Belohnungssystem 79, 225, 269 Beobachtung, wissenschaftliche 335 Beratungslösung Siehe Fristenlösung Beruf, Wissenschaft als 147, 352, 356 Berufsbezogenheit eines Eingriffs 300 Berufsethik Siehe Ethik Berufsfreiheit 30, 300, 430 Berufungszusage Siehe Hochschullehrer (Berufungszusage) Bestand wissenschaftlicher Einrichtungen 129, 210, 436 Betrieb 270 Betriebsgeheimnis Siehe Geheimhaltungspflicht Betriebswirtschaft 189 Bevormundung 119
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Sachwortverzeichnis
Bewirtschaftungsermessen bei Umweltressourcen 311, 316 Bildung 170, 262 Bio- und Gentechnik – als Querschnittsdisziplin 26 – Begriff 72 – Entdeckung und Erfindung 372 – Förderung 91 – Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen 72, 194, 221, 302, 424 – Gefahr und Risiko 191 – grüne Gentechnik 194 – Normbereich von Art. 5 Abs. 3 GG 42, 220, 254 – ökonomische Bedeutung 35 – Publizitätserfordernis 406 Biopatente Siehe Patentschutz Biotechnologie (Begriff) 72 Biowissenschaften 72, 186 Bologna-Prozess 218 Bruttoinlandsprodukt 200 Case Law 286 Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) 218 Code (Systemtheorie) 79, 141, 386 Dammbruch-Argument 36, 58, 376 Darlegungslast, ob Wissenschaftlichkeit gegeben ist 424 Definitionsverbot der Wissenschaft 78, 342, 425 Demokratie 114, 153, 414 Desinteressiertheit, wissenschaftliche 79, 389 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 24, 235, 414 Differenzierungsmodell 97, 348, 429 Differenzierungsverbot 162, 309, 428 f. Digitalisierung 185, 188 Direktionsrecht des Arbeitgebers 238, 247 Dolly 33, 192 Doppelmoral 40 Dritte
– Drittwirkung der Wissenschaftsfreiheit 85, 238, 423 f. – Drittwirkung, mittelbare 85, 238, 274, 381 f. – Inanspruchnahme von Rechten Dritter 307 – Rechte Dritter 44, 46, 71, 131, 161, 307 ff., 417 Drittmittel 69, 215 ff. – -einwerbung 208, 212, 215, 435 – -forschung 233 – -geber 216, 234 Durchgriffstheorie (Art. 19 Abs. 3 GG) 419 Eigengesetzlichkeit Siehe Autonomie Eigentum – Eigentumsgewährleistung 89, 359 ff., 430 – geistiges Siehe Geistiges Eigentum – Sacheigentum 90, 357 ff. – verfassungsrechtlicher Begriff 358, 360 Eindimensionalität der Grundrechte als alleinige Abwehrrechte 227, 255, 276 Eingriff Siehe auch Grundrechte (Eingriff) – in die Wissenschaftsfreiheit 153 Einheit von Forschung und Lehre 100, 143, 167, 262, 329 Elfenbeinturm 178, 406 Emanzipation – der Wissenschaft 177, 256 – des Individuums 114, 186 Embryonenforschung, verbrauchende 41, 438 Embryonenschutzgesetz 36, 56, 64, 439 Empirie 74 Enquete-Kommission 39, 65, 376, 405 Entdeckung 357, 363, 406 – Begriff 372 – Gemeinfreiheit 372 – Software 266 Erfindung 89, 204, 357, 363 – Begriff 372
Sachwortverzeichnis – biotechnologische 371 – gewerbliche Anwendbarkeit 384 – humane Gen-Sequenzen 375 – Software 266 Erkenntnis 76, 80, 353 – als öffentliches Gut 224, 388 – Gewinnung von 80, 352 ff., 387 – Verwertung von 88 ff., 345, 352 ff., 401, 417 Erkenntnissuche Siehe Forschung Ethik 45, 66 f., 95, 197, 320 – als Grenze der Forschungsfreiheit 242 – als Rechtfertigung der Forschungsfreiheit 223 – Bedingungen für ethisches Handeln 327 – Berufsethik 321, 404 – und Recht 323 – wissenschaftliche 389 Ethik-Kommissionen 249 Ethikrat, Nationaler 38–39 Eugenik 55 Europäische Union 123 Europäisches Parlament 266 Euthanasie 66 Evaluation 129, 208 Evolutionstheorie 102, 229 Experiment 142, 311, 330, 417 Fakultäten als Grundrechtsträger 149, 419 Fälschung von Forschungsergebnissen 195, 405 Falsifizierung 94, 140, 390, 402 f. FCKW 194 Finalisierung der Wissenschaft 257 Folter 53, 56, 65 Forscher (Beruf) 147 Forschergruppen als Grundrechtsträger 418 Forschung Siehe auch Wissenschaft – als geistige Tätigkeit 104, 111, 168 ff., 331 – als Markt 205, 261, 268 ff.
– – – –
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angewandte 26, 43, 182, 226 außeruniversitäre 29, 124, 237, 246 Begriff 28, 73, 80 Grenzen Siehe Grenzen der Forschungsund Wissenschaftsfreiheit – hochrangige 39, 41, 47, 161 ff. – industrielle 29, 182, 226, 366, 387, 397, 422 – kommerzielle 248 – Legitimation 163, 177 – Methodik 138 – mit Stammzellen 32, 161, 221 – nicht-wissenschaftliche 75, 392 – Selbst- und Fremdbezug 352 – Steuerung, der 91 f., 198, 205 – universitäre 29, 328 – verbrauchende 41, 254, 307 f., 311, 431 – Wandel 176, 183 – zweckgebundene 27, 43, 82 ff. – zweckungebundene 27, 29, 71, 82, 345, 393, 395 Forschung und Entwicklung 183, 199, 367 Forschungsbereiche 29, 182 Forschungsergebnisse Siehe auch Erkenntnis – als öffentliches Gut 203, 256, 269, 363 – Fälschung von 195, 405 – Monopolisierung 203, 362 Forschungsfinanzierung 92, 96, 199 ff., 384 Forschungsförderung 96, 200 f., 235, 261, 437 Forschungs(förderungs)klauseln 428 Forschungsfreiheit Siehe auch Wissenschaftsfreiheit – als Geistesfreiheit 168, 331 – als Handlungsfreiheit 74, 246, 351 – als Mitteilungsfreiheit 330, 431 – Begriff 29, 74 – im Arbeitsverhältnis 381 – Normbereich 95, 241, 303, 351, 410 Forschungsklonen Siehe Klonen Forschungspolitik 200
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Sachwortverzeichnis
Forschungsprivileg 377 ff., 428 Forschungswerkzeuge (Patentschutz) 380 Fortpflanzungsmedizingesetz 64 Fortschritt, wissenschaftlicher und technologischer 166, 177 f., 335, 345, 354, 392 Fraunhofer-Gesellschaft 182, 414, 422 Freiheit als Wesensmerkmal von Wissenschaftlichkeit 82, 252, 349, 412 Freiheitskonflikte, mehrdimensionale Siehe Grundrechte Freisetzung Siehe Bio- und Gentechnik Fristenlösung 47 Funktion eines Gens (Patentrecht) 375 Funktionsfähigkeit der Wissenschaft 159 Funktionssystem 29, 92, 141, 323, 352, 385, 416 Garantie, institutionelle 110, 113, 151, 413 Geburt als Beginn des Würdeschutzes 50 Gefahr 192, 316 – für die öffentliche Ordnung 324 Gefährdungslage, grundrechtstypische 420 Geheimhaltungspflicht 204, 238, 371, 381 Geisteswissenschaften 263 Geistiges Eigentum 352, 385 – Begriff 357 ff. – Schutz 89, 94, 357 ff. Geld 226 Gemeinfreiheit Siehe Forschungsergebnisse als öffentliches Gut Generalklauseln im Zivil- und Arbeitsrecht 85, 382 Gesetzesvorbehalt, ungeschriebener 294 Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 55, 130, 237 – Grundrechte 274 Gewährleistungspflicht des Staates 93 Gewaltverhältnisse, besondere 329 Gewissensfreiheit 383 Giftgas 22 Glaubensfreiheit Siehe Religionsfreiheit Globalisierung 34, 65, 178, 184 Grenzen der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit 68, 86 ff., 138, 302 ff., 342
Grundausstattung Siehe Hochschullehrer Grundlagenforschung 182 f., 355, 410 – Begriff 29 – Finanzierung 200 – in der Industrie 251 Grundrechte – als Abwehrrechte 85, 276 f., 287 – als Prinzipen 282 ff. – als Schutzpflichten 279 ff. – Bedeutungsverlust 319 – Beeinträchtigung 274 – Dimensionen 150, 273, 352 – Doppelcharakter als Abwehrrecht und Schutzpflicht 288 – Eingriff 274 – Funktionalisierung 348 – Funktionen 94, 273, 346, 387 – Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 286 – mehrdimensionale Freiheitsprobleme 196 f., 274 f., 290 – Motivation der Grundrechtsausübung Siehe Zweckabhängigkeit – objektivrechtliche Dimension 239, 277 – vorbehaltlose 44, 71, 94, 131, 154, 293, 305 Grundsatznorm, wertentscheidende 43, 84 Gruppenuniversität 114, 125, 148 Handlungsfreiheit, allgemeine 30, 293, 298, 430 Haushalte, öffentliche 200, 207, 216, 260 Heilauftrag 41, 45, 223 Herrenchiemseer Konvent 112, 174, 298 Hiroshima 22 Hochschulautonomie Siehe Selbstverwaltung Hochschulen – als Stiftung 211 – als Unternehmen 206, 218 – Begriff 30 – Bürokratisierung 214 – Fachhochschulen 30
Sachwortverzeichnis – Fremdsteuerung 214 – private 211, 233, 423 – Technische Hochschulen 173 – Tendenzuniversität 415, 431 – Verwertungslücke 369 – Wandel, der 205 Hochschullehrer – Anzeigepflicht 369 – Beamtenrecht 433 – Berufungszusage 210 – Besoldung 208, 236 – Grundausstattung 210 – Gutachter- und Vortragstätigkeit 236, 417 – Nebentätigkeit 236 – Stellung 105, 107 ff., 125, 134, 147 f., 209 ff., 330, 433 f. Hochschulrat 212, 435 Hochschulurteil des BVerfG 116, 124 ff., 212, 285, 290 f., 436 Humanismus 99 Ideal von Forschung 98, 223 Idealismus 100, 108, 224, 331 Idee Siehe Entdeckung Ideologie 79 Immaterialgüterrecht Siehe Geistiges Eigentum Import von Stammzellen Siehe Stammzellen Inanspruchnahme von Rechtsgütern 304, 418 Industrialisierung 106, 173, 177 Industrie und Großforschung Siehe Forschung (industrielle) Informationszugang 335 Ingenieurswissenschaft als Leitwissenschaft 188 Ingerenz 83 Inhalts- und Schrankenbestimmungen 90, 312, 359, 377 Institute als Grundrechtsträger 128, 149 Intellectual Property Siehe Geistiges Eigentum
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Interdisziplinarität 406, 412 Invitrofertilisation 32, 34, 41, 51 Irrtum 137, 190, 333 Journalist 70, 80, 352, 416, 431 Karlsbader Beschlüsse 101 Kernenergie Siehe Atomenergie Kirchen 419 Klonen 33 – reproduktives 41, 51, 55, 57, 192 – therapeutisches 41, 51, 54, 57, 64 Kollegialorgane 125, 130, 212, 436 Kollision von Verfassungsgütern 155, 294, 299 Kommerzialisierung der Forschung 202 ff. Kommunalismus Siehe Kommunismus Kommunikation – Systemtheorie 79, 92, 385 – Versammlungsbegriff 400 – wissenschaftliche 168 ff., 330, 392, 409, 416 Kommunismus, wissenschaftlicher 79, 83, 267, 388 ff., 434 Konflikt der Forschung mit anderen Verfassungswerten 302 Konkordanz, praktische 44, 87, 294 Kontrolle der Forschung 198 Kopplung, strukturelle 352 Kosmetikforschung 221 Kreativität 411 Kritische Theorie 185 Kulturstaat 84, 94, 164, 258, 346 Kulturtheorie 264 Kulturverfassung, des Grundgesetzes 261 Kunst 338 Kunstfreiheit 28, 42, 59, 85, 88, 156, 300, 315, 318, 339 f. Labor 230, 332 Landwirtschaft 72 Lauschangriff, großer 53 Lebensbereich 43, 73
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Sachwortverzeichnis
– Bedeutungswandel 118 – Begriff 28, 343 – der Forschung 28, 71, 94, 240 f. Lebensrecht – der Patienten 45 – des Embryos 47 – Dritter 297 Lebenswissenschaften Siehe Biowissenschaften Lehre – als Element der Wissenschaft 143 ff., 329 – Begriff 80 – Isolation von der Forschung 219 Lehrer 352 Lehrfreiheit 102, 144 Lernfreiheit der Studenten 104 Lizenzen, patentrechtliche 204, 366 Lokomotive 139 Macht 166, 195 Markt 61, 65, 91, 261, 268 – Forschung als 205 – Sachzwang des 179 – Versagen des 268 Marxismus 79, 170, 230 Massenuniversität 26, 115, 175, 208 Max-Planck-Gesellschaft 272, 355, 414, 422 Meinung, herrschende 42 Meinungsfreiheit 108, 210, 399 – Wissenschaftsfreiheit als 104, 108 ff., 306, 330 f. Menschenwürde – Abwägbarkeit 47, 49, 51, 56 – als Abwehrrecht 48, 51, 58 – als objektives Prinzip 48, 52, 58 – des Embryo in vitro 45, 49, 54, 58 – des Embryo in vivo 47 – des Wissenschaftlers 224 – Entwicklungsoffenheit 52 – Kern 51, 57 – von Stammzellen 37 Mitarbeiter, wissenschaftliche 148
Mitwirkung und -bestimmung 414 Monopol des Staates für freie Forschung 291 Moral Siehe Ethik Motivation des Forschers 226 Nachahmungsfreiheit 362 Nationalsozialismus 48, 111 Naturrecht 56, 89, 357, 361 Naturwissenschaften 71, 263 f. – als Bildung 171 – und Technik 71, 177 f. Neugier 164, 226 Neuheitserfordernis, patentrechtliches 91, 366, 407 Neuhumanismus 100, 170 Nichtwissen 193 Nidation 36, 47, 49 Norm 343 Normativität der Tatsachen 410 Normbereich 43 – Begriff 28, 343 – Präzisierung des 88, 299, 341, 345 – Rechtsprechung des BVerfG 127 Normprogramm 343 Normtext 343 Numerus Clausus – der Schutzrechte 362 – Urteil des BVerfG 281 Nützlichkeit – als Differenzierungskriterium 221, 309 – von Wissenschaft 178, 202, 258, 263 Objektformel 48 Objektivität, wissenschaftliche 389 Offenlegungspflicht, patentrechtliche 407 Ökonomisierung 121 – der Forschung 220 – der Hochschulen 206, 427 – des Wissens 202, 356, 367 Open-Source-Software 266 Optimierung kollidierender Grundrechte 295 Orchideenfächer 272
Sachwortverzeichnis Ordinarienuniversität 114, 126 Organisation 93 – als Grundrechtsträger 149, 238, 247, 251, 350, 418, 429 – Struktur 232, 396 – von Wissenschaft 84 f., 217 – Zweck der 226, 394 Organisationsbezogenheit der Forschungsfreiheit 151 Organisationspflicht, staatliche 85 Organtransplantation 60, 66 Output 217 Outsourcing 219 Paradigmenwechsel 65, 163 Parlamentarischer Rat 112, 174, 298 Patentierungsverbote 374 Patentschrift 407 Patentschutz 90, 204, 366 – Biopatente 90, 353, 371 ff. – Forschungsprivileg 378 – Forschungswerkzeuge 380 – für humane Gen-Sequenzen 374 – für Trivialpatente 266 – Publizitätserfordernis 406 – Schutzfrist 362 – Softwarepatente 92, 265, 363 – Verfahrens- und Stoffpatente 373, 438 – Wertneutralität 377 – Wirkung 376 – wirtschaftliche Bedeutung 355, 366 Paulskirchenverfassung 21, 102, 358 Persönlichkeitsschutz 53, 57, 59, 364 Philosophie 99, 163, 412 PID Siehe Präimplantationsdiagnostik Plagiat 365 Plastination von Leichen 59 Pluripotenz von Stammzellen 32 f., 36 Politik 352 Präimplantationsdiagnostik (PID) 55, 60, 63 f. Praxis Siehe Theorie und Praxis Preußen 102, 105 Privatgelehrter 103, 105
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Privatrechtsordnung 360 Prüfung, klinische 70, 87, 195, 238 – fremdnützige 310 Publikationsfreiheit 232, 254, 370, 382, 411, 434 Publikationspflicht 403, 407, 435 Publikationsreife 407 Publizität 71, 84, 93, 235, 365, 403, 409, 422 Publizitätserfordernis 205, 403 ff., 411 Quellenangabe 365 Rationalismus, kritischer 335 Rechtsanwalt 70, 352, 416, 431 Rechtsordnung, allgemeine 244, 298, 314 f. Rechtswissenschaft 77, 83, 141 Regulierung, staatliche 119, 198 Reichsverfassung – von 1871 105 – von Weimar 105, 358, 400 Religionsfreiheit 83, 87, 169, 397 Religionsgemeinschaft 398 Repersonalisierung der Wissenschaftsfreiheit 115 Reputation 225, 269, 369 Research Tool Siehe Forschungswerkzeuge Ressortforschung 182, 272 Ressourcen 84, 225, 232, 263 Restauration 101 Risiko 192, 316 – als sozialadäquate Last 316 – Basisrisiko 193 – Restrisiko 193, 316 – Risikovorsorge 193 – Vorsorgegrundsatz 194 Risikogesellschaft 191 Ritualmord 87 Rubikon 23 Rundfunkanstalten 419 Rüstungsforschung 421
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Sachwortverzeichnis
Sacheigentum Siehe Eigentum Sachwalterschaft 419 Sachzwang 65, 354 Schranken Siehe auch Grenzen – der Forschungsfreiheit nach h. M. 44 – Konkretisierung bei Art. 5 Abs. 3 GG 244 – Konstruktionen 294, 305 – Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 Abs. 3 GG 131 – Schrankentrias 86, 131, 298 – Übertragung 296 – verfassungsimmanente 293 Schule 102, 139, 146, 352 Schutzbereich Siehe auch Normbereich – Begriff 28 – der Forschungsfreiheit nach h. M. 42 f. Schutzgut der Forschungsfreiheit 83 Schutzintensität von Art. 5 Abs. 3 GG 222 f., 231, 239 f., 394 f. Schutzpflicht – für ausländische Embryonen 41 – für die Wissenschaft 106, 279, 290 ff., 336 ff., 350, 427, 438 Schwangerschaftsabbruch 46, 54, 62 f. – Indikation 63 – Konfliktlage 63 – Rechtsprechung des BVerfG 47, 53, 56, 62, 285 f. Schwangerschaftsverhütung 47, 54 Schweigen 235, 369, 432 Scientific community 78 f., 245 – Begriff 30 Selbst- und Fremdbezug 386 Selbstkontrolle 321, 327, 440 Selbstverständnis als Rechtskriterium 303, 342, 425 Selbstverwaltung, universitäre 110, 114, 129, 142, 151, 211, 213, 415, 435 Selbstverwaltungsgarantie, kommunale 129 Selbstverwaltungsorgane Siehe Kollegialorgane
Selbstverwirklichung des Wissenschaftlers 224 Skepsis, gesellschaftliche 196 Skeptizismus, wissenschaftlicher 79, 390 Softwarepatente Siehe Patentschutz (Softwarepatente) Sozialbindung – der Wissenschaft 244, 345 – des Eigentums 90, 361, 377 Sozialstaat 276, 288 Spätabtreibungen Siehe Schwangerschaftsabbruch Spiegelbildlösung 82, 348, 423 Staatsrechtslehrertagung (von 1927 und 1968) 107, 115 Stammzellen 31 – adulte 33 – als Grundrechtsträger 37, 40 – embryonale 31, 54 – Import 34, 36, 46 Stammzellgesetz 36, 38, 47 Sterbehilfe Siehe Euthanasie Stichtagsregelung im Stammzellgesetz 40 Stiftung 437 Stiftungslehrstuhl 437 Störer – der Staat als 240, 245 – im Umweltrecht 317 Strafrecht 62 f. Struktur des Erkenntnisprozesses 251, 402, 426 Studenten 115, 148 Studie, klinische Siehe Prüfung, klinische Systemtheorie 385 Tabakindustrie 195 Tabubruch 23 Tabuzone 51, 57 Technik 71, 90 – Begriff 72, 266 – Neutralität der 190 – Steuerung der 91 – und Wissenschaft 180
Sachwortverzeichnis – vermeintliche Neutralität der 181 Technisierung der Forschung 220 Tendenzwissenschaft 415, 438 Theologie 77, 83, 141 Theorie – Gemeinfreiheit 203 – und Praxis 100, 171 ff., 335 – wissenschaftliche 140, 357, 363 Theoriedefizit der Verfassungsrechtsdogmatik 222 Tierversuche 132, 311, 324 Totipotenz von Stammzellen 36 Transparenz als Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit 252 Tschernobyl 22, 72, 193 Über- und Untermaßverbot 87, 274, 280, 285 Überalterung 34 Umwelt 307 – Recht auf Umweltverschmutzung 313 – Ressourcenverbrauch 311, 317 Uneigennützigkeit, wissenschaftliche 389 Universalismus, wissenschaftlicher 79, 263, 389 Urheberschutz 357, 360, 363 Utilitarismus 258 Validierung 139, 409 Verantwortung Siehe Ethik Verfassung – der Bundesländer 121 – der EU 123 – der EU-Länder 123 Verhältnismäßigkeitsprinzip 131, 221, 284, 294 f. Vermögensrechte 357 Veröffentlichung von Forschungsergebnissen Siehe Publizität Versammlungsfreiheit 397 Verschwiegenheitspflicht Siehe Geheimhaltungspflicht
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Versuchsprivileg 91, 132, 360, 378, 436 Vervielfältigung 363 Verwertungs- und Nutzungsrecht, urheberrechtliches 365 Verwertungshandlungen, grundrechtlicher Schutz 250 Völkerrecht 52, 56 Vorarbeiten 142 Vorbehalt des Gesetzes 105 Vormärz 101 Wahlrecht einer Forschungsorganisation 429 Wahrheitssuche 139, 226, 319, 386, 388 Weltkrieg 21, 391 Werk (Urheberrecht) 363 Werk- und Wirkbereich 307, 332 Wertungswiderspruch 46 Wesensmäßigkeit 86, 418 Wirtschaft 71, 352 – Forschungsförderung 201 Wirtschaftsförderung 253, 351 Wirtschaftsfreiheit 30, 82, 328, 337, 356, 382, 400, 421, 430, 438 f. Wirtschaftspolitik 271 Wirtschaftsstandort 65, 178, 208, 310, 346 Wirtschaftswissenschaft 189 Wissen 76, 353, 363 – wirtschaftliche Verwertung 355 – wissenschaftliches 408 Wissens- und Technologietransfer 184, 202, 204, 213, 367, 433 Wissenschaft – als Funktionssystem 245 – als Oberbegriff von Forschung und Lehre 29, 74 f., 134, 246 – Begriff 28, 73, 76, 136 – Methode 137, 393, 402 – Offenheit und Unabgeschlossenheit 137, 402 – und Politik 175 – und Technik 172, 180, 185, 336, 353
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Sachwortverzeichnis
Wissenschaftler (Beruf) 147 Wissenschaftlichkeit 81, 86, 93, 125, 138, 364, 393, 402, 418 Wissenschaftsausgaben 199 Wissenschaftsbetrieb 30, 269 Wissenschaftsfreiheit – als Abwehrrecht 126, 348 – als Funktionsgrundrecht 134 – als Mitteilungsfreiheit 84, 104, 306, 329 – als Oberbegriff von Forschungs und Lehrfreiheit 29 – als objektive Wertentscheidung und -ordnung 126, 290, 336, 349 – als Organisationsgrundrecht 95, 127, 211, 252 – als Teilhaberecht 126, 158 – Begriff 74 – Funktion 119, 328, 350, 396 – Kernbereich 134, 306, 439 – negative 429
– Schranken Siehe Schranken – Schutzpflicht Siehe Schutzpflicht – Wertigkeit bei der Abwägung mit kollidierenden Verfassungswerten 297 f. Wissenschaftsmanagement 213, 218 Wissenschaftspolitik 271 Wissenschaftsrichtertum 162, 221, 249, 418 Wissenschaftstheorie 77, 127 Wissensgesellschaft 184, 193, 202, 392 Würdeschutz Siehe Menschenwürde bzw. Persönlichkeitsschutz Zielvereinbarung 208 Zitat 365 Zukunftstechnologie 65, 261 Zweckabhängigkeit der Grundrechtsausübung 393, 397, 400 Zweckforschung Siehe Forschung, zweckgebundene