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German Pages 243 [246] Year 2018
Bernd Zinn (Hg.)
Inklusion und Umgang mit Heterogenität in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung Eine Bestandsaufnahme im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung
Pädagogik Franz Steiner Verlag
Bernd Zinn (Hg.) Inklusion und Umgang mit Heterogenität in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung
Bernd Zinn (Hg.)
Inklusion und Umgang mit Heterogenität in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung Eine Bestandsaufnahme im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung
Franz Steiner Verlag
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INHALT
Editorial ................................................................................................................... 7
TEIL 1: STAND DER INKLUSION AN BERUFLICHEN SCHULEN AUS DER PERSPEKTIVE VON LEHRKRÄFTEN Andrea Burda-Zoyke / Janine Joost Inklusionsbezogene Handlungsfelder und Kompetenzen des pädagogischen Personals an beruflichen Schulen – Ergebnisse einer leitfadengestützten Interviewstudie....................................................................................................... 13 Alexandra Bach / Christian Schaub Anspruch und Realität In Bezug auf den Umgang mit Heterogenität und Inklusion in der beruflichen Bildung im Bauwesen. Ansätze erster theoretischer und empirischer Analysen. ....................................... 39
TEIL 2: HETEROGENITÄT VON LERNENDEN UND IHRE IMPLIKATIONEN FÜR UNTERRICHT Bernd Zinn / Matthias Wyrwal / Sunita Ariali Die Vielfalt bei Auszubildenden im gewerblich-technischen Bereich – am Beispiel der beiden Berufsfelder Elektro- und Metalltechnik ..................... 75 Reinhold Nickolaus / Svitlana Mokhonko / Stefan Behrendt / Dinah Vetter / Kim Méliani Die fachliche Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen im Übergangssystem – ausgewählte Ergebnisse empirischer Untersuchungen und ihre Implikationen für das pädagogische Handeln .............. 95
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Inhalt
TEIL 3: ÜBERZEUGUNGEN UND DAS FACHWISSEN VON LEHRKRÄFTEN ALS AUSGANGSPUNKT FÜR EINEN INKLUSIVEN UNTERRICHT Ursula Bylinski / Nora Austermann / Michaela Sindermann Inklusion und Heterogenität als Gegenstand der beruflichen Lehramtsausbildung ............................................................................................ 115 Christiane Döbler / Bernd Zinn Theoretische Modellierung von Kompetenzfacetten – im Bereich Inklusion und Heterogenität – von angehenden Lehrkräften an berufsbildenden Schulen ................................................................................. 143
TEIL 4: ANSÄTZE DER LEHRERBILDUNG ZU INKLUSION UND ZUM UMGANG MIT HETEROGENITÄT Manuela Niethammer / Marcel Schweder Ansätze einer inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen .......................... 165 Bernd Zinn / Christiane Döbler Ansatzpunkte zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Studierenden im Lehramt an berufsbildenden Schulen zu Inklusion und Heterogenität ........................................................................... 195 Karin Heinrichs / Hannes Reinke / Simone Ziegler Soziale, emotionale und motivationale Problemlagen von Schülerinnen und Schülern als pädagogische Herausforderung für Lehrkräfte in beruflichen Schulen – Entwicklung von Fallvignetten für die evidenzbasierte Lehrerbildung zum Umgang mit Heterogenität ............. 221 Autorinnen und Autoren ...................................................................................... 241
EDITORIAL Bernd Zinn, Stuttgart Das vorliegende Themenheft liefert dem Leser einen Überblick über aktuelle Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität in der beruflichen Lehrerbildung. Ein zentraler Fokus des Themenheftes liegt hierbei auf den mit der inklusiven Bildung verbundenen Herausforderungen an die Professionalisierung im Lehramt an berufsbildenden Schulen. Expertinnen und Experten, der im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung geförderten Projekte der beruflichen Bildung, geben einen Überblick über bedeutsame Herausforderungen Ziele und beschreiben gleichfalls weitergehende Forschungsdesiderate der Lehrerbildung im Kontext der Inklusion und dem Umgang mit Heterogenität in der beruflichen Bildung. Die Beiträge sind inhaltlich vielfältig gelagert und skizzieren, in welchen Feldern Aktivitäten für eine Qualitätsverbesserung in der Lehrerbildung im Kontext der Inklusion in der Berufsbildung stattfinden und darüber hinaus als notwendig erachtet werden. Damit zeigen die sowohl theoretisch als auch empirisch angelegten Beiträge aktuelle Handlungsfelder der Professionalisierung auf und liefern Ansatzpunkte für die weitere Inklusionsforschung zur Lehramtsausbildung im berufsbildenden Bereich. Die neun Beiträge des Themenheftes können sowohl für die Inklusionsforschung im allgemeinbildenden Bereich, im Besonderen durch ihre spezifischen theoretischen Ansatzpunkte, als auch aufgrund der speziellen empirischen Befunde zur Ausgangsthematik in der beruflichen Bildung, für die Lehrerbildung in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, fruchtbare Impulse setzen. Das Themenheft ist in vier Teile gegliedert. Teil 1 des Themenheftes umfasst zwei empirisch angelegte Beiträge zum Stand der Inklusion an beruflichen Schulen aus der Perspektive von Lehrkräften. Im Beitrag mit dem Titel Inklusionsbezogene Handlungsfelder und Kompetenzen des pädagogischen Personals an beruflichen Schulen werden Ergebnisse einer leitfadengestützten Interviewstudie von Andrea Burda-Zoyke und Janine Joost zu den Einstellungsmuster von Lehrkräften zu Inklusion und zentrale Handlungsfelder zu Diagnostik und Förderung dargestellt. Demnach sind die befragten Lehrkräfte an beruflichen Schulen gegenüber der Inklusion tendenziell positiv eingestellt, wobei sich Unterschiede in Abhängigkeit von den Förderschwerpunkten und den Bildungsgängen abzeichnen. Gleichzeitig zeigen sich begrenzte Kompetenzen und hohe Belastungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Verzahnung von Diagnostik und Förderung. Auf der Basis ihrer Studienbefunde stellen Andrea
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Burda-Zoyke und Janine Joost einen zentralen Ausbildungs- und Professionalisierungsbedarf fest und zeigen verschiedene Optionen zur stärkeren Verankerung der Ausgangsthematik im Lehramtsstudium für berufliche Schulen auf. Alexandra Bach und Christian Schaub berichten in ihrem Beitrag mit dem Titel Anspruch und Realität in Bezug auf den Umgang mit Heterogenität und Inklusion in der beruflichen Bildung im Bauwesen. Ansätze erster theoretischer und empirischer Analysen von einer qualitativen Befragung von bautechnischen Lehrkräften. In der Studie werden die spezifischen Rahmenbedingungen im Bauwesen und die damit verbunden zentrale Ausgangsbedingungen einer inklusiven bautechnischen Berufsbildung umrissen. Auf der Basis ihrer Analysen leiten sie Forschungsdesiderate für eine inklusionsbezogene berufliche Lehrerbildung ab und konstatieren ebenfalls einen grundlegenden Professionalisierungsbedarf. Teil 2 des vorliegenden Themenheftes fokussiert die Heterogenität von Lernenden und ihre Implikationen für Unterricht. Der Beitrag von Bernd Zinn, Matthias Wyrwal und Sunita Ariali mit dem Titel Die Vielfalt bei Auszubildenden im gewerblich-technischen Bereich – am Beispiel der beiden Berufsfelder Elektro- und Metalltechnik betrachtet die deskriptive Bedeutungsdimension von Heterogenität von Lernenden. In einer empirischen Studie wird analysiert, welche zentralen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ausgewählten Lernermerkmalen und soziodemographischen Merkmalen von Jugendlichen in den Berufsfeldern Elektro- und Metalltechnik zu Beginn der Ausbildung vorliegen und mit welchem Spektrum in den mathematischen Kompetenzen und kognitiven Grundfähigkeiten Lehrkräfte bei den Auszubildenden rechnen müssen. Der Beitrag belegt eine merkmalsvariante ausgeprägte Heterogenität bei den Lernenden. Die im Beitrag berichteten Befunde belegen, dass gemessen an der kognitiven Grundfähigkeit, für einen substanziellen Anteil der befragten Auszubildenden Hinweise auf eine Lernbeeinträchtigung vorliegen. Zudem bestätigen die Ergebnisse erwartungskonforme berufsfeld- und geschlechtsspezifische Selektionsprozesse an der ersten Schwelle. Mit dem Titel Die fachliche Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen im Übergangssystem – Ausgewählte Ergebnisse empirischer Untersuchungen und ihre Implikationen für pädagogisches Handeln berichten Reinhold Nickolaus, Svitlana Mokhonko, Stefan Behrendt, Dinah Vetter und Kim Méliani von den Ergebnissen einer Evaluationsstudie zu den zwei Schulmodellversuchen Berufsfachschule Pädagogische Erprobung (BFPE) und Ausbildungsvorbereitung dual (AVdual) im Übergangssystem von Baden-Württemberg. Die Modellversuche sind als integrierte, auf die individuelle Förderung ausgerichtete Schulformen angelegt. Die Befunde der Evaluation zeigen die Fachkompetenzentwicklung und Entwicklung in den Basiskompetenzen in den einzelnen Schulformen des Modellversuchs vergleichend auf. Entgegen den Erwartungen zeigen sich in den Modellversuchsschulen besonders stark ausgeprägte Matthäuseffekte. Die Forschergruppe diskutiert Implikationen der Ergebnisse im Hinblick auf die Bildungspolitik und die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften.
Editorial
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Teil 3 des vorliegenden Themenheftes greift die Überzeugungen und das Fachwissen von Lehrkräften als Ausgangspunkt für einen inklusiven Unterricht auf. Ursula Bylinski, Nora Austermann und Michaela Sindermann berichten in ihrem Beitrag mit dem Titel Inklusion und Heterogenität als Gegenstand der beruflichen Lehramtsausbildung von einer Studie zu den Überzeugungen zu Inklusion mit Hochschullehrenden und Studierenden. Ausgangspunkt für die Studie bildet die Annahme, dass eine inklusionsbejahende Überzeugung der Lehrenden grundlegend förderlich für das pädagogische Handeln in inklusiven Lernsettings ist. Auf der Basis des geschilderten theoretischen Hintergrunds zur Bedeutung der Überzeugungen der Lehrkräfte zum Lehren und Lernen (teacher beliefs) und im Rückgriff auf die generierten empirischen Befunde werden im Beitrag abschließend Implikationen für die hochschulische Ausbildung skizziert. Bedeutend scheint, den Studierenden Lernräume und Lerngelegenheiten anzubieten, die es ihnen ermöglichen, zum einen grundlegende Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten in Bezug auf inklusionsbezogene Fragestellungen aufzubauen und zum anderen eine reflexive Perspektive einzunehmen. Darüber hinaus sollte eine theoriegestützte Reflexion durch Praxiserfahrung weiterentwickelt werden. In dem theoretischen Beitrag von Christiane Döbler und Bernd Zinn mit dem Titel theoretische Modellierung von Kompetenzfacetten – im Bereich Inklusion und Heterogenität – von angehenden Lehrkräften an berufsbildenden Schulen gehen die Autoren der Frage nach, welches spezifische Professionswissen für Lehrkräfte von zentraler Bedeutung scheint, um einen Unterricht gestalten zu können, der den Anforderungen einer heterogenen Schülerschaft sowie den Forderungen der Umsetzung eines inklusiven Unterrichts gerecht werden kann. Auf der Basis des Forschungsstands entwickeln sie ein normatives Modell zum im Bezugsfeld als relevant erachteten Professionswissen mit den Dimensionen: Allgemeines Wissen zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität, Wissen zur Diagnostik, Wissen zur Beratung und Wissen zur Förderung. In Teil 4 des Themenheftes werden Ansätze der Lehrerbildung zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität vorgestellt. Im Beitrag von Manuela Niethammer und Marcel Schweder mit dem Titel Ansätze einer inklusiven Didaktik beruflicher Fachrichtungen geht es um den Ansatz einer inklusiven Didaktik beruflicher Fachrichtungen, der auf der Basis einer Reflexion der beruflichen Arbeitsaufgaben „Planen und Umsetzen inklusiver LehrLernsettings“ entwickelt wurde. Der Ansatz verbindet dabei systemisch die Ausbildungsphasen der universitären Lehre und schulpraktischen Studien. Der Beitrag von Bernd Zinn und Christiane Döbler mit dem Titel Ansatzpunkte zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Studierenden im Lehramt an berufsbildenden Schulen zu Inklusion und Heterogenität beschäftigt sich mit der Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung zu Inklusion und Heterogenität bei Lehramtsstudierenden im Rahmen des zweiten Schulpraktikums. Innerhalb des Schulpraktikums bearbeiten die Studierenden zwei themenbezogene Studienaufgaben. Der konzeptionelle Ansatz zielt insgesamt auf die
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Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung ab und umfasst die Durchführung eines leitfadengestützten Interviews mit einer Lehrkraft und die Bearbeitung einer unterrichtlichen Beobachtungsaufgabe zur Ausgangsthematik. Die Studierenden sollen hierdurch die Ausgangsthematik im Kontext der schulischen Praxis perzipieren (noticing) und für die eigene Professionalisierung im Kontext des Dialoges mit dem hochschulischen Dozenten und der schulischen Praxis zu angemessenen Schlussfolgerungen (reasoning) kommen. Die ersten Erfahrungen zur Umsetzung der Studienaufgaben deuten darauf hin, dass es insgesamt förderlich scheint, inklusive Bildung und den Umgang mit Heterogenität als Gegenstand der Lehramtsausbildung durch einen phasenübergreifenden Ansatz zu unterstützen. Im Beitrag von Karin Heinrichs, Hannes Reinke und Simone Ziegler mit dem Titel Soziale, emotionale und motivationale Problemlagen von Schülerinnen und Schülern als pädagogische Herausforderung für Lehrkräfte in beruflichen Schulen – Entwicklung von Fallvignetten für die evidenzbasierte Lehrerbildung zum Umgang mit Heterogenität wird ein Ansatz zum fall- und forschungsbasierten Lernen in der ersten Lehrerbildungsphase begründet. Lehrpersonen sind in ihrem „Kerngeschäft“, dem Fachunterricht, gefordert, Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer individuellen Voraussetzungen, mit Blick auf die Klassenzusammensetzung und die Ziele des Bildungsgangs, adäquat zu fördern. Dafür benötigen sie nicht nur fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kenntnisse, sondern insbesondere für den erfolgreichen Umgang mit individuellen Problemlagen auch Kompetenzen zur Diagnostik, Beratung und individuellen Förderung. Das im Beitrag vorgestellte Seminarkonzept, in dessen Mittelpunkt die Arbeit mit textbasierten Fällen zu soziale, emotionale und motivationale Problemlagen von Lernenden in kaufmännischen (Fach-)Klassen steht. Diese Problemlagen werden in der Diskussion um Leistungsdiagnostik häufig trotz ihrer Relevanz in der Praxis vernachlässigt. Die im Seminar bearbeiteten Fälle sind für Studierende der Wirtschaftspädagogik aufbereitet und damit in den Kontext des Unterrichts in kaufmännischen (Fach-)Klassen eingebettet. Neben der Vorstellung der Potenziale von textbasierter Fallarbeit in der Lehrerbildung stellt dieser Beitrag Ergebnisse einer Befragung von Lehrpersonen in beruflichen Schulen vor, die die entwickelten Fallvignetten hinsichtlich ihrer Relevanz und Validität einschätzten. Mit Abschluss des Editorials bedanke ich mich bei allen Autorinnen und Autoren für die vorliegenden Beiträge und die sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit in der im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung entstandenen Arbeitsgruppe „Inklusion und Umgang mit Heterogenität in der beruflichen Lehrerbildung“. Mein besonderer Dank gilt Frau Christiane Döbler, die bei der Erstellung des Themenheftes sehr kompetent mitgearbeitet hat.
TEIL 1 STAND DER INKLUSION AN BERUFLICHEN SCHULEN AUS DER PERSPEKTIVE VON LEHRKRÄFTEN
INKLUSIONSBEZOGENE HANDLUNGSFELDER UND KOMPETENZEN DES PÄDAGOGISCHEN PERSONALS AN BERUFLICHEN SCHULEN – ERGEBNISSE EINER LEITFADENGESTÜTZTEN INTERVIEWSTUDIE Andrea Burda-Zoyke, Kiel / Janine Joost, Kiel 1 ANNÄHERUNG UND HINFÜHRUNG Mit dem Stichwort ‚Inklusion‘ wird das Recht bzw. die Forderung verbunden, allen Menschen Zugangsmöglichkeiten zu qualitativ hochwertiger Bildung allgemein sowie zu entsprechender Berufsbildung im Speziellen einzuräumen (vgl. DUK 2014, S. 9; VN-BRK 2008; KMK 2011). Dies bedeutet, allen Jugendlichen möglichst in Settings gemeinsamen Lernens auch im Berufsbildungssystem gleiche Chancen auf die Entwicklung ihrer individuellen Potenziale und ihrer Persönlichkeit zu ermöglichen, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen und -voraussetzungen, wie beispielsweise Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen, Migrationshintergrund, sonderpädagogischen Förderbedarfen etc. Es wird ein Perspektivenwechsel gefordert, weg von einer Defizitorientierung mit anschließenden Reparaturabsichten in Bezug auf das Individuum, hin zu einer Anpassung und Flexibilisierung der Strukturen und Prozesse des Berufsbildungssystems (z. B. Curricula, Unterrichtsmethoden). Ziel der inklusiven Leitidee ist, das Berufsbildungssystem im Allgemeinen und das Lernen in heterogenen Lerngruppen in beruflichen Schulen im Speziellen so zu verändern, dass es den Bedürfnissen aller Schüler/-innen bestmöglich gerecht wird und eine Teilnahme an Arbeit und Beschäftigung sowie an der Gesellschaft ermöglicht (vgl. DUK 2014, S. 9; KMK 2011, S. 3 f.; Werning 2014; Buchmann 2016, S. 237; Rützel 2016). Vor diesem Hintergrund sind international wie national eine Reihe von Aktivitäten auszumachen, die diese inklusive Zielsetzung unterstützen (z. B. EADSNE 2011; WHO 2011; Muskens 2009). In Deutschland sind neben dem nationalen Aktionsplan der Bundesregierung 2011 zahlreiche weitere Empfehlungen (siehe beispielsweise zur inklusiven Bildung in der Schule KMK 2011 und die überarbeiteten Standards für die Lehrerbildung KMK 2014 sowie die gemeinsame Empfehlung von HRK & KMK 2015 zur Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt), Gesetzesreformen (z. B. Schulgesetze und Lehrerbildungsgesetze der Länder) sowie Programme und Maßnahmen zur Umsetzung von inklusiver Bildung auf vielfältigen Handlungsebenen und insbesondere im Schulsystem zu verzeichnen, die sich auch auf die Berufsbildung beziehen (vgl. Biermann 2015, S. 25–28; Rützel 2016; zur Verankerung von Inklusion in der Lehrer/-innen Bildung allgemein sowie im Lehramt für berufliche Schulen
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Andrea Burda-Zoyke / Janine Joost
siehe Zoyke 2016a; 2016b). Mit diesen Reformen stellen sich ebenfalls veränderte Aufgaben bzw. Handlungsfelder für die Lehrer/-innen in den allgemeinbildenden und den beruflichen Schulen, für die wiederum eine adäquate Aus- und Weiterbildung gefordert wird (vgl. Artikel 24, Abs. 4 VN-BRK 2008; DUK 2014, S. 9, 24; EADSNE 2011; KMK 2011; Werning & Baumert 2013; Bylinski 2014, 2015; Melzer et al. 2015; Amrhein 2015, Buchmann 2016; Zoyke 2016a, 2016b). In diesem Beitrag stehen die Lehrer/-innen an beruflichen Schulen im Zentrum der Betrachtung. Vor dem oben skizzierten Hintergrund wurde an der Universität Kiel das Projekt ‚Heterogenität und Inklusion im Lehramt für berufsbildende Schulen‘ initiiert. Es ist ein Teilprojekt des Programms ‚LeaP@CAU – Lehramt mit Perspektive an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel‘. LeaP@CAU wird im Rahmen der gemeinsamen ‚Qualitätsoffensive Lehrerbildung‘ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Das Teilprojekt hat eine Laufzeit von Januar 2017 bis Juni 2019. Sein Ziel ist die kohärente Verankerung der Themen Heterogenität und Inklusion im Bachelor- und Masterstudium im Profil Handelslehrer, welches auf ein Lehramt an beruflichen Schulen vorbereitet. Im Zentrum der Betrachtung stehen die berufs- und wirtschaftspädagogischen Anteile (Bildungswissenschaften sowie die Didaktik der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung). Dies erfolgt über zwei Zugänge: Zum einen wird das Curriculum hinsichtlich der Berücksichtigung inklusions- und heterogenitätsbezogener Themen geprüft und weiterentwickelt. Zum anderen wird ein curricular verankertes innovatives Lehrangebot für das Masterstudium entwickelt, implementiert und evaluiert. Darin werden ausgewählte Fragenkomplexe zu Inklusion und Heterogenität unter besonderer Berücksichtigung der berufs- und wirtschaftspädagogischen Perspektive bzw. des Kontextes der beruflichen Schulen vertiefend behandelt. Dies erfordert eine vertiefende Analyse und Rekonstruktion von möglichen Handlungsfeldern bzw. Aufgaben sowie den dafür erforderlichen Kompetenzen einschließlich der Einstellungen von Lehrer/-innen an beruflichen Schulen. Hierzu liegen bisher lediglich punktuell wissenschaftliche Erkenntnisse vor (vgl. Heinrich, Urban & Werning 2013, S. 114 f.; Zoyke 2016a, 2016b). Einerseits sind diese teilweise aus dem allgemeinbildenden Lehramt oder aus außerschulischen Kontexten der beruflichen Bildung stammenden Ergebnisse in Bezug auf die Lehrer/-innen an beruflichen Schulen mit ihren diversen Bildungsgängen und Zielgruppen zu präzisieren. Andererseits stellt sich mit Blick auf die Ausbildung der Lehrer/-innen die Frage, in welchem Bereich ein besonderer Qualifizierungsbedarf bzw. besondere Qualifizierungspotenziale bestehen. Ziel des Aufsatzes ist, mit der Darstellung und Diskussion wesentlicher Ergebnisse einer qualitativen Studie zur Präzisierung der inklusionsbezogenen Handlungsfelder und Kompetenzen der Lehrer/-innen an beruflichen Schulen sowie zur Identifizierung der Entwicklungsbedarfe und -potenziale beizutragen. Diese sollen in die Weiterentwicklung des Studienangebots an der Universität Kiel einfließen und können auch anderen Standorten als Orientierung dienen. Das Kapitel 2 führt zunächst in den Forschungsstand zu inklusionsbezogenen Handlungsfeldern und Kompetenzen sowie in die Anlage der Studie ein, bevor in Kapitel 3 und 4 ausgewählte Ergebnisse
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dieser Studie dargestellt und diskutiert werden. Der Beitrag endet mit einem abschließenden Fazit und einem Ausblick auf die Weiterentwicklung des Studiums für die erste Phase der Lehrer/-innen Bildung für die beruflichen Schulen an der Universität Kiel. 2 FORSCHUNGSSTAND UND ANLAGE DER STUDIE 2.1 Forschungsstand zu inklusionsbezogenen Handlungsfeldern und Kompetenzen Zur Analyse des Forschungsstandes zu inklusionsbezogenen Handlungsfeldern und zu den dafür erforderlichen Kompetenzen wurde zunächst ein Literatur-Review durchgeführt. Dieser umfasst wesentliche bildungspolitische und administrative Empfehlungen und Ordnungsgrundlagen für die Aus- und Weiterbildung von Lehrer/-innen an allgemeinbildenden Schulen (vgl. DUK 2014; VN-BRK 2008; das Profil für inklusive Lehrerbildung in Europa der EADSNE 2012; die Standards für die Bildungswissenschaften der KMK 2014; die gemeinsame Empfehlung zur Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt der HRK & KMK 2015) sowie zur Spezifizierung von Lehrkräften an beruflichen Schulen (vgl. die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die beruflichen Fächer der Sekundarstufe II der KMK 2013; die inhaltlichen Anforderungen an die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung der KMK 2015; das Basiscurriculum der Sektion BWP 2014). Darüber hinaus wurden bereits vorliegende wissenschaftliche Studien einbezogen. Hierzu gehören sowohl Studien aus dem Kontext der allgemeinbildenden Schulen (vgl. Donnelly & Watkins 2011; EADSNE 2011; Demmer-Dieckmann 2012; Heinrich, Urban & Werning 2013; Werning & Baumert 2013; Werning 2014; Schuppener 2014; Hillenbrand, Melzer & Sung 2014; Melzer et al. 2015; Bertelsmann-Stiftung et al. 2015) als auch aus der beruflichen Bildung. Zu Letzterem liegen insbesondere Arbeiten aus den Kontexten der (ehemaligen) Benachteiligtenförderung, dem Übergangssystem bzw. der Ausbildungsvorbereitung und der beruflichen Rehabilitation vor, die auch das außerschulische pädagogische Personal betrachten (vgl. beispielsweise Buchmann & Bylinski 2013; Bylinski 2014, 2015; Zoyke 2012a, 2014; Kremer & Zoyke 2013; Kremer & Kückmann 2016; Amrhein & Badstieber 2013). Aus diesem Review können in einer ersten Annäherung folgende Handlungsfelder identifiziert werden: Im Kern geht es um didaktische (curriculare und methodische) Aufgaben, d. h. zum einen um die Förderung der einzelnen Schüler/-innen allein (z. B. individuelle Begleitung und Beratung) und in heterogenen Gruppen (z. B. gemeinsames Lernen und Binnendifferenzierung). Um die Förderung speziell auf die Schüler/-innen abzustimmen, bedarf es zum anderen einer adäquaten Diagnose, die sowohl als Grundlage für die Förderung (z. B. um Ausgangslagen, Entwicklungsmöglichkeiten und Ziele zu erfassen) als auch zur sukzessiven Überprüfung der Entwicklung und zur Revision der Förderangebote dient. Dabei erhalten Lernprozessanalysen und Eingangsdiagnosen sowie Fragen zur Zieldifferenzierung und zur Gewährung von Nachteilsausgleich eine besondere Bedeutung. (vgl. Kunze
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Andrea Burda-Zoyke / Janine Joost
& Solzbacher 2010; Zoyke 2012a; Buchmann & Bylinski 2013; Bylinski 2014, 2015). Das veränderte Aufgabenspektrum erfordert i. d. R. eine multiprofessionelle Kooperation in schulinternen (Bildungsgang-)Teams sowie in regionalen Netzwerken mit externen Akteuren (z. B. Jugendsozialarbeit, Förderzentren). Der Begriff ,multiprofessionell‘ betont dabei die Beteiligung von mehr als zwei Professionsgruppen (vgl. Speck, Olk & Stimpel 2011, S. 185). Ihr wird teils eine besondere Bedeutung für die Förderung und Entwicklung der Schüler/-innen in inklusiven und individualisierten Settings beigemessen. Teils wird sie – insbesondere in elaborierter Form, wie sie unter dem international eingeführten Begriff der „professionellen Lerngemeinschaft“ (Heinrich, Urban & Werning 2013, S. 90) gefasst wird – als für die Professionalisierung und Weiterbildung des pädagogischen Personals bedeutsam geschätzt, stellt jedoch besondere Anforderungen an die Beteiligten (vgl. Scruggs, Mastropieri, & McDuffie 2007, S. 401; Friend et al. 2010, S. 10; Heinrich, Urban & Werning 2013, S. 89–91; Werning & Baumert 2013, S. 43 f.; Zoyke 2014, S. 186; Melzer et al. 2015; Bylinski 2015; Kremer & Kückmann 2016; Bender & Heinrich 2016, S. 91). Als das inklusionsbezogene Handeln regulierender und die Wahrnehmung beeinflussender Faktor wird den inklusionsbezogenen Einstellungen eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Diese werden in der inklusionsbezogenen Forschung als Bereitschaften zur Mitwirkung an gelingender Inklusion bzw. genauer als komplexe, mehrdimensionale Konstrukte kognitiver (wertender) und diesbezüglicher affektiver (emotionaler) Überzeugungen konzeptualisiert, auch wenn kein präziseres einheitliches Verständnis vorliegt (vgl. Kunz, Luder & Moretti 2010, S. 84; EADSNE 2011; Werning 2014, S. 616 f.; Przibilla et al. 2016, S. 38). Die Abbildung 1 fasst die inklusionsbezogenen Einstellungen und Handlungsfelder zusammen (in Anlehnung an Zoyke 2016a).
Abb. 1: Inklusionsbezogene Einstellungen und Handlungsfelder (Eigene Darstellung in Anlehnung an Zoyke 2016a, S. 217).
Inklusionsbezogene Handlungsfelder und Kompetenzen
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2.2 Methodische Konzeption und Durchführung der qualitativen Interviewstudie Wie bereits im vorausgehenden Textabschnitt angemerkt, liegen erst wenige Studien zu inklusionsbezogenen Einstellungen und Handlungsfeldern der Lehrer/-innen an beruflichen Schulen vor. Zudem sind diese im Wesentlichen im Bereich der Berufsausbildungsvorbereitung sowie im außerschulischen Kontext angesiedelt. Ziel der Studie ist daher, die bisherigen Erkenntnisse zu den Einstellungen sowie die formulierten Handlungsfelder näherungsweise hinsichtlich ihrer Gültigkeit für die beruflichen Schulen mit ihrer Breite an Bildungsgängen zu prüfen und weiter auszudifferenzieren. Zu diesem Zweck wurden leitfadengestützte Einzelinterviews (vgl. Flick 2016, S. 203–210) mit Lehrer/-innen, die an beruflichen Schulen in Schleswig-Holstein in diversen Schulformen bzw. Bildungsgängen (Ausbildungsvorbereitung, berufliche Grundbildung, duale und schulische Berufsausbildung, berufliches Gymnasium, Berufsoberschule und Fachoberschule) und beruflichen Fachrichtungen (Wirtschaft und Verwaltung, Technik, Soziales und Gesundheit, Agrarwirtschaft) tätig sind, geführt. Die Gruppe der Proband/-innen umfasst insgesamt 26 Lehrer/-innen mit und ohne Leitungsfunktion (wie z. B. Bildungsgang- und Abteilungsleiter/-innen). Vier der Lehrer/-innen sind gleichzeitig sogenannte ‚Inklusionsbeauftragte‘ in ihrer Schule. Drei der Proband/-innen sind als Sonderpädagog/-innen in einer beruflichen Schule tätig. Zwecks Fokussierung und Vertiefung wurden drei Erhebungsschwerpunkte gebildet, welche jeweils mit eigenen Interviewleitfäden bearbeitet wurden, ohne die anderen Aspekte jedoch vollständig auszublenden (s. u.). In diesem Beitrag werden die Teilstudien zu den Erhebungsschwerpunkten (1) und (2), d. h. zu den Einstellungen sowie zur Diagnostik und Förderung dargestellt. Erste Ergebnisse zum Erhebungsschwerpunkt (3) multiprofessionelle Team- und Netzwerkarbeit wurden bereits an anderer Stelle publiziert (vgl. Zoyke & Joost 2017) und werden hier aus Kürzungsgründen vernachlässigt. Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Proband/-innen mit ihren Funktionen in den beruflichen Schulen getrennt nach den beiden in diesem Aufsatz berücksichtigten Untersuchungsschwerpunkten, zu denen sie jeweils vordergründig befragt wurden. In den nachfolgenden Ergebnisdarstellungen werden als Quellenbelege aus Kürzungsgründen lediglich die Ziffern des jeweiligen Interviews angegeben. Alle Interviewpartner/-innen haben sich freiwillig zur Befragung bereit erklärt. Selektionskriterium für die Ansprache von potenziellen Proband/-innen war, dass sie jeweils über (erste) Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Thema Inklusion verfügen und dass eine möglichst breite Streuung über die oben skizzierten Bereiche der beruflichen Schulen erreicht werden kann. Die Interviews haben eine Länge von i. d. R. ca. 30–65 Minuten. Die Auswertung erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2015) und insbesondere an die Analysetechniken der Strukturierung und Zusammenfassung. Dabei wurden deduktiv aus dem Forschungsstand formulierte Kategorien (siehe Abbildung 1) an das Material herangetragen und induktiv weiter ausdifferenziert.
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Andrea Burda-Zoyke / Janine Joost
Im Folgenden werden wesentliche Eckpunkte und Ergebnisse zu den inklusionsbezogenen Einstellungen (Kapitel 3) und zu den Kern-Handlungsfeldern Diagnostik und individuelle Förderung (Kapitel 4) skizziert. Tab. 1: Interviewpartner/-innen nach Untersuchungsschwerpunkt und Funktion in der Schule Untersuchungsschwerpunkt Einstellungen (1)
Funktion in der Schule
Sonderpädagog/-in (So) Inklusionsbeauftragte/-r (Ink) (schließt ‚Lehrer/-in‘ mit ein)
Diagnostik und Förderung (2) 2.1_So_TS_B1HA**
1
2.3_Leit_Ink_WTS_V*
1
Abteilungs-/ Bildungsgangleiter/-in (Leit) (schließt ‚Lehrer/-in‘ mit ein)
1.1_Leit_W_B1 1.2_Leit_W_HAB1
2.2_Leit_WTS_V 2.3_Leit_Ink_WTS_V* 2.4_Leit_T_V 2.5_Leit_W_B1
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Lehrer/-innen (Le)
1.3_Le_W_AH 1.4_Le_W_AHV 1.5_Le_W_AHV 1.6_Le_W_B1H 1.7_Le_T_AV 1.8_Le_W_VAB1
2.6_Le_TS_BHA 2.7_Le_W_B1 2.8_Le_T_AH 2.9_Le_W_VB3H 2.10_Le_W_B1AH
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Summe Interviews (ohne Mehrfachzählungen) 8 10 18 * Interviewte Person hat in Schule zwei Funktionen inne (Inklusionsbeauftragte/-r und Leiter/-in) ** Interviewte Person hat sonder- und sozialpädagogische Qualifizierung Legende zum Interview-Code: Untersuchungsschwerpunkt, Interviews-Nr._Funktion in Schule_ Unterricht in der/den beruflichen Fachrichtung/-en_Bildungsgang/Bildungsgänge Berufliche Fachrichtungen: W = Wirtschaft und Verwaltung; T = Technik; S = Soziales und Gesundheit Bildungsgänge, in denen die Proband/-innen hauptsächlich unterrichten: V = Berufsausbildungsvorbereitung; B1 = Berufsfachschule I, d. h. berufliche Grundbildung; A = duale Berufsausbildung; B3 = Berufsfachschule III, d. h. schulische Berufsausbildung; H = Berufliches Gymnasium, Fachoberschule, Berufsoberschule, d. h. Bildungsgänge zur Erlangung der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschul-/Fachhochschulreife * Interviewte Person hat in Schule zwei Funktionen inne (Inklusionsbeauftragte/-r und Leiter/-in) Quelle: Eigene Darstellung.
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3 ERHEBUNG, DARSTELLUNG UND DISKUSSION WESENTLICHER ERGEBNISSE ZU DEN INKLUSIONSBEZOGENEN EINSTELLUNGEN VON LEHRER/-INNEN Vorliegende Studien weisen darauf hin, dass Lehrer/-innen tendenziell positive Einstellungen gegenüber Inklusion aufweisen (vgl. zusammenfassend Przibilla et al. 2016, S. 38; Kunz et al. 2010, S. 93). Weiter werden folgende wesentliche Einflussfaktoren auf die inklusionsbezogenen Einstellungen ausgemacht: Kontakterfahrungen mit Menschen mit Behinderungen innerhalb und außerhalb des beruflichen Kontextes, subjektive Wahrnehmung unterschiedlicher Beeinträchtigungsformen, Berufserfahrung, wahrgenommene (administrative) Unterstützung, normative Einflüsse sowie das Selbstwirksamkeitserleben der Lehrer/-innen bzw. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (vgl. Przibilla et al. 2016, S. 38; Feyerer et al. 2014, S. 181). Dabei variieren die Einstellungen deutlich in Bezug auf unterschiedliche Beeinträchtigungen bzw. Förderschwerpunkte (vgl. Avramidis & Norwich 2002; Przibilla et al. 2016, S. 39). In Vorgesprächen fiel ebenfalls auf, dass im Kontext beruflicher Bildung immer wieder die Bedeutung und die Konsequenzen unterschiedlicher Beeinträchtigungsformen mit Blick auf berufliche Tätigkeitsfelder diskutiert werden, sodass diese in dieser Erhebung besonders berücksichtigt werden. Zur differenzierten Erfassung der Einstellungen werden fall- bzw. klassenbezogene Vignetten empfohlen (vgl. Przibilla et al. 2016, S. 38 f.). In der vorliegenden Studie wurden die Interviewproband/-innen daher u. a. mit vier fiktiven Fällen in Schriftform konfrontiert. Diese kurzen Fälle stellen Unterricht in beruflichen Schulen unter besonderer Berücksichtigung von Heterogenität allgemein sowie der Förderbereiche Lernen und Emotionale-soziale Entwicklung, Körperliche Entwicklung und Geistige Entwicklung dar. Die acht befragten Lehrer/-innen sollten diese Fälle auf unterschiedliche Bildungsgänge beziehen, ihre diesbezüglichen Wahrnehmungen schildern und die Fälle bewerten. Leitende Frage ist, welche Einstellungen bei Lehrer/-innen an beruflichen Schulen in der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung bezüglich Heterogenität und unterschiedlicher Förderschwerpunkte sowie in Bezug auf unterschiedliche Bildungsgänge vorliegen. Daneben wurden weitere Einflussfaktoren auf die inklusionsbezogenen Einstellungen erfasst. Zwecks Fokussierung stehen in dieser Teilstudie die Lehrer/-innen ohne sonderpädagogischen Qualifizierungshintergrund und ohne besondere Aufgaben als Inklusionsbeauftragte/-r o. ä. im Zentrum der Betrachtung. Zudem sind die befragten Lehrer/-innen, abgesehen von einer Ausnahme, hauptsächlich in der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung tätig, um weitere Variationen aufgrund unterschiedlicher Berufsbezüge zunächst auszuschließen.
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3.1 Inklusion und Umgang mit Heterogenität allgemein Die Befragten bewerten Inklusion im Sinne einer Integration von Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf und im Sinne des Umgangs mit Heterogenität grundsätzlich überwiegend positiv. Sowohl in Bezug auf die (beeinträchtigten) Schüler/-innen (z. B. Lernerfolge, Chancen zur Integration auf dem Arbeitsmarkt, Vorbereitung auf selbstständige Lebensführung) als auch in Bezug auf alle und die Gesellschaft (z. B. Förderung der Sozialkompetenz wie Umgang mit Andersartigkeit und Anbieten von Hilfe, Verbesserung des Klassenklimas, interkultureller Austausch) (1.2; 1.4; 1.7; 1.8). Zudem wird vereinzelt angeführt, dass die beruflichen Schulen grundsätzlich aufgrund der vielfältigen Bildungsgänge über eine heterogene Schülerschaft verfügen und der Umgang damit keine Sonder- sondern eine Alltagssituation sei (1.2). Mit den tendenziell positiven Einstellungen sind Parallelen zu Ergebnissen aus Studien zum allgemeinbildenden Lehramt erkennbar. Diese können mit der als alltäglich empfundenen Heterogenität der Schüler/-innen und den damit verbundenen Erfahrungen der Lehrer/-innen an den beruflichen Schulen zusammenhängen. Andererseits führen manche Probanden auch hohe Belastungen (z. B. zeitlich aufwendigere Unterrichtsvorbereitung, Individualisierung und Differenzierung, nicht ausreichende Vorbildung ausgleichen müssen) an, die mit der Umsetzung von Inklusion einhergingen (1.3; 1.7; 1.8). Grenzen der Umsetzbarkeit von Inklusion werden zudem in der Klassengröße und dem zu hohen Betreuungsschlüssel gesehen (1.8). Weiterhin wird teilweise eine Schwierigkeit darin gesehen, dass die vorgesehenen Lerninhalte bzw. -ziele bei unterschiedlichen Lerntempi nicht für alle erreicht werden könnten (1.3). Ähnlich klagen auch Lehrer/-innen an allgemeinbildenden Schulen in vorliegenden Studien über eine Zusatzbelastung, die ohne Unterstützung als Erschwernis zur Umsetzung von Inklusion angesehen wird (vgl. Przibilla et al. 2016). Die Einstellungen variieren jedoch, wenn sie auf Heterogenität allgemein oder auf unterschiedliche Förderschwerpunkte und Bildungsgänge bezogen werden. So wird eine allgemeine Heterogenität, die nicht Schüler/-innen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in das Zentrum der Betrachtungen rückt, in der Berufsausbildungsvorbereitung von den Befragten weitgehend als Regelfall wahrgenommen und als unproblematisch bewertet. Hier würden die notwendigen Freiräume bestehen, wenn kein Schulabschluss angestrebt werde (1.8). Für die Berufsausbildung und die Bildungsgänge mit Erwerb einer (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung wird dies uneinheitlicher bewertet, vereinzelt als bereichernd (1.3), von anderen aber auch als kritisch. Als Bedenken werden insbesondere Prüfungs- und Zeitdruck angeführt (1.4; 1.6; 1.8). 3.2 Förderschwerpunkte Lernen und Emotionale-soziale Entwicklung Hinsichtlich der Förderschwerpunkte Lernen und Emotionale-soziale Entwicklung bewerten die Befragten die verschiedenen Förderbedarfe der Schüler/-innen, die zu
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einer differenzierteren Betrachtung führen, unterschiedlich. So werden die ungleichen Lerntempi der Schüler/-innen zwar als Herausforderung innerhalb des Unterrichts empfunden (1.2), jedoch scheint der Umgang mit kognitiv schwächeren Schüler/-innen zumindest für manche Lehrer/-innen weniger belastend zu sein als der Umgang mit aggressivem Verhalten (1.8), was in der Studie von Gebhardt et al. (2011) ebenfalls aufgeführt wird. Die Einbindung von Schüler/-innen mit einer Lernschwäche bzw. mit einem aggressiven Verhalten wird überwiegend als Herausforderung wahrgenommen, da die Lehrkraft beispielsweise allen gerecht werden möchte, was jedoch erschwert würde (1.3). Andererseits wird die Entwicklung eines gegenseitigen Verständnisses füreinander als förderlich für die soziale Interaktion der Schüler/-innen untereinander gesehen (1.6; 1.7). Weiterhin bestünde die Chance, den Schüler/-innen die Möglichkeit zu geben, andere bzw. individuelle Fähigkeiten und Stärken (beispielweise im Sportunterricht) zeigen zu können (1.6). Insgesamt sehen sich die Lehrer/-innen bei den Förderbedarfen Lernen und Emotionale-soziale Entwicklung insbesondere durch die curricularen Vorgaben in einem Spannungsfeld, da die Erreichung der fachlichen Ziele erschwert werde (1.4). Diese Förderbedarfe sehen die Befragten in besonderer Weise in der Berufsausbildungsvorbereitung, wo sie diesbezüglich jedoch relativ gute Chancen sehen, da die Lehrer/-innen dort die Möglichkeit hätten, Lücken aufzuarbeiten (1.1; 1.4; 1.5). In Bezug auf die Berufsausbildung liegen sowohl positive als auch negative Einstellungen zum Umgang mit den Förderschwerpunkten Lernen und Emotionalesoziale Entwicklung vor. Positive Einstellungen werden damit begründet, dass der Betrieb für die Schüler/-innen verantwortlich sei und Inklusion beispielsweise durch berufsbegleitende Fördermaßnahmen gelingen könne (1.6; 1.1; 1.5). Weiterhin könnten die Auszubildenden im Betrieb die hierarchischen Strukturen kennenlernen, was sich positiv auf den Unterricht auswirke, da es ihnen dann leichter falle, sich in den Unterricht zu integrieren (1.5). In Bezug auf die Bildungsgänge berufliches Gymnasium (BG) sowie der Berufs- und Fachoberschule (BOS, FOS) zum Erwerb der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschul-/Fachhochschulreife sind Differenzen zwischen den Förderschwerpunkten Lernen und Emotionale-soziale Entwicklung auszumachen. Während die Inklusion im Bereich der Lernschwächen eher negativ bewertet wird (1.3), halten die Befragten diese bei Schüler/-innen mit Förderbedarfen in der emotionalen-sozialen Entwicklung bzw. mit Verhaltensauffälligkeiten für möglich, da diese Schüler/-innen (hauptsächlich in den Bildungsgängen der FOS und BOS) schon etwas älter und gefestigter in ihrer Lebenssituation seien (1.6). 3.3 Förderschwerpunkte Körperlich-motorische Entwicklung, Hören und Sehen Im Bereich der Förderschwerpunkte Körperlich-motorische Entwicklung, Hören und Sehen unterscheiden sich die Einstellungen der Befragten hinsichtlich der Beeinträchtigungsformen. Der Umgang mit und die Beschulung von Jugendlichen im
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Rollstuhl wird von den Lehrer/-innen beispielsweise überwiegend als unproblematisch und höchstens als bauliche Herausforderung beschrieben. Diese erfordere manchmal etwas mehr Zeit und auf Barrierefreiheit sei bei Ausflügen zu achten. Hingegen äußern einige befragte Lehrer/-innen tendenziell Schwierigkeiten mit taubstummen und hörgeschädigten Schüler/-innen, da sie die Gebärdensprache nicht beherrschten und nicht wüssten, wie genau sie den Unterricht in diesen Fällen gestalten sollten (1.4; 1.8). Andere Lehrer/-innen bewerten auch dies als relativ unproblematisch, solange gehörlose Schüler/-innen beispielweise von den Lippen der Lehrer/-in ablesen und selbst antworten könnten. Dann gebe es im Unterricht wenige Probleme, wenn man bei seiner Positionierung im Raum darauf achten würde, dass dies möglich sei (1.3): „Und ich habe auch eine Schülerin, die ist zwar nicht taubstumm, hat aber eben Schwierigkeiten mit dem Hören. Also so lange diese Schüler ablesen können vom Mund und antworten können, also sprechen können, die können das ja auch erlernen, sehe ich da gar kein Problem. Also ich muss natürlich aufpassen. Ich habe ja auch manchmal die Tendenz, ich stehe an der Tafel und schreibe, aber dann brüllen die Schüler schon von hinten: ‚Frau I, umdrehen!‘ “ (1.3, Abs. 71)
Gerade in der Berufsausbildungsvorbereitung werden diese Behinderungen überwiegend als unproblematisch angenommen (1.3; 1.7). Auch in der Berufsausbildung werden überwiegend positive Einstellungen erkennbar, solange sich die Schüler/-innen in einem Ausbildungsberuf befinden, der dem kaufmännischen Bereich zugeordnet werden kann (1.1). Im beruflichen Gymnasium sowie in der Fach- und Berufsoberschule spielen diese Behinderungsformen eine untergeordnete Rolle. Die Integration von Schüler/-innen mit diesen Förderschwerpunkten wird von einer Person in diesem Bereich sogar als leichter als in den anderen Bildungsgängen bewertet (1.5). Bei den Aussagen der Probanden ist zu berücksichtigen, dass sie die Beeinträchtigungen in der körperlich-motorischen Entwicklung sowie in den Bereichen Hören und Sehen lediglich hinsichtlich der Schulzeit und insbesondere im Unterricht bewerten. Zudem ist zu beachten, dass die Einstellungen lediglich von Lehrer/-innen erhoben wurden, die in der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung tätig sind, sodass in diesem Bereich der Anteil körperlicher Arbeit als verhältnismäßig gering eingeordnet werde kann. In anderen beruflichen Fachrichtungen, in denen die körperliche Arbeit eine höhere Bedeutung erhält, könnte diese Einschätzung anders ausfallen. 3.4 Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung Die Beschulung von Schüler/-innen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung empfinden viele Lehrer/-innen als schwierig, wohingegen die soziale Interaktion in der Schüler/-innengruppe für beide Seiten als positiv angesehen wird, da der Umgang der Schüler/-innen miteinander die soziale Entwicklung stärke (1.6; 1.5). Erneut werden unter anderem die vorgegebenen curricularen Ziele als Einschrän-
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kung für die Förderung und Inklusion angeführt, da die Lehrer/-innen nicht gleichzeitig den Bedürfnissen einer Person mit Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung und denen der übrigen Lerngruppe gerecht werden könnten. Das heißt, die Betreuung dieser Schüler/-innen durch lediglich eine Lehrperson wird als nicht durchführbar empfunden, vielmehr wird eine Doppelbesetzung gefordert: „Also geistige Behinderung ist auf jeden Fall nicht alleine zu bewältigen. Also da würde ich auf jeden Fall sagen Doppelbesetzung, weil das sonst auch die Klasse insgesamt vom Lernstoff zurückwirft. Wir haben immer noch einen Lehrplan, der uns immer im Nacken hängt. Und wir die Schüler auf ihren Abschluss vorbereiten müssen. Also bei Geistiger Entwicklung ist es ganz oft so, dass dann da die Doppelbesetzung als Herausforderung genommen wird. Und dass man sich dann auch unter den Kollegen untereinander unterstützt und dass dieser Schüler dann trotzdem die Chance hat, an diesem Unterricht teilzunehmen und einigen Unterrichtsinhalt mitzunehmen.“ (1.5, Abs. 95)
Das Vorliegen einer geistigen Behinderung in der Berufsausbildungsvorbereitung wird überwiegend als nicht problematisch seitens der Lehrer/-innen bewertet. Förderlich sei hier die Möglichkeit, sich mehr Zeit für die entsprechenden Schüler/-innen nehmen zu können, da in anderen Bildungsgängen ein höheres Lerntempo herrsche (1.8). Im Rahmen der Berufsausbildung im dualen System äußern die Befragten Bedenken hinsichtlich der Vergabe eines Abschlusses unter der Auflage von Standards, da die Schüler/-innen diese nie erfüllen könnten und somit ohne Abschluss die Schule verließen, was eine frustrierende Erfahrung darstelle (1.4). Die Möglichkeit der gesondert geregelten Ausbildung gemäß § 66 BBiG/42m HwO wird als sinnvolle Alternative empfunden (1.6). Auch die inklusionsbezogenen Einstellungen von Schüler/-innen mit einer geistigen Behinderung in den Bildungsgängen berufliches Gymnasium sowie Fach- und Berufsoberschule sind überwiegend negativ. Viele Lehrer/-innen geben an, dass die geistigen Voraussetzungen in diesen Fällen zur Erreichung eines so hohen Bildungsabschlusses nicht ausreichten und die Inklusion dieser Schülerinnen und Schüler somit nicht möglich sei (1.3; 1.6). Allerdings berichtet eine interviewte Person, dass sie sich den gemeinsamen Unterricht in diesem Bildungsgang gut vorstellen könne, da die Regelschüler/-innen die Schüler/-innen mit Förderbedarf unterstützen könnten und den Umgang mit diesen lernten, was als eine Bereicherung empfunden werde (1.7). 3.5 Weitere Einflussfaktoren und zusammenfassende Diskussion Hinsichtlich der weiteren Einflussfaktoren auf inklusionsbezogene Einstellungen gibt gut die Hälfte der Befragten Vorerfahrungen mit Menschen mit Behinderungen im beruflichen Kontext an (1.2; 1.3; 1.5; 1.7). Während sie im Studium nicht hierauf vorbereitet worden wären, verweisen manche von ihnen auf besuchte Weiterbildungen zu diesem Themengebiet und Erfahrungen während des Referendariats (1.6; 1.7). Einige Proband/-innen wünschen sich zur besseren Umsetzung von Inklusion mehr Austausch und Hospitationen zwischen Kolleg/-innen, mit sonderpädagogischen Expert/-innen und Betrieben sowie weitere Fortbildungen und Schulentwicklungstage (1.2; 1.4; 1.6; 1.8). Als wichtigste Bedingungen wurden jedoch mehr Zeit
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(z. B. zur Kompensation des erhöhten Aufwands sowie zum Ausprobieren) und finanzielle Ressourcen (z. B. für kleinere Betreuungsschlüssel, Doppelbesetzungen und Schulbegleiter/-innen) (1.3; 1.4; 1.5; 1.6; 1.7; 1.8) empfunden. Die Befragung zeigt, dass die Einstellungen der Lehrer/-innen gegenüber Inklusion zwar tendenziell positiv sind, diese jedoch insbesondere in Abhängigkeit von Förderschwerpunkten sowie Bildungsgängen variieren. Die Bewertung hängt vordergründig von der wahrgenommenen Erreichbarkeit des im jeweiligen Bildungsgang vorgesehenen zentralen Abschlusses sowie den kognitiven Voraussetzungen der Schüler/-innen ab. Daher wird insbesondere der Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung mit Verweis auf zentrale Abschlüsse als größte Herausforderung für die Lehrer/-innen an beruflichen Schulen angesehen. Daneben werden vereinzelt weitere Effekte (z. B. Entwicklung sozialer Kompetenzen der gesamten Gruppe) betrachtet. Während die Variation in Abhängigkeit von Förderschwerpunkten bzw. Beeinträchtigungsformen dem Forschungsstand im allgemeinbildenden Bereich wie oben skizziert weitgehend entspricht, stellt die Variation in Abhängigkeit von den Bildungsgängen eine Besonderheit dar, die sich mit der besonderen Organisation der beruflichen Schulen erklären lässt. Die Forderung nach mehr zeitlichen und finanziellen/personellen Ressourcen, die im Vergleich zu entsprechenden Weiterbildungen besonders deutlich betont werden, findet sich ähnlich auch in den Studien mit allgemeinbildenden Lehrer/-innen wieder (vgl. Przibilla et al. 2016, S. 46). 4 ERHEBUNG, DARSTELLUNG UND DISKUSSION WESENTLICHER ERGEBNISSE ZUR DIAGNOSTIK UND ZUR INDIVIDUELLEN FÖRDERUNG Im zweiten Teil der Studie wird der Frage nachgegangen, wie Lehrer/-innen an beruflichen Schulen mit inklusionsbezogenen Herausforderungen in den Kern-Handlungsbereichen Diagnostik und individuelle Förderung umgehen und welche Kompetenzen hierfür ihrer Ansicht nach erforderlich und noch weiter zu entwickeln sind. Von den zehn interviewten Lehrer/-innen, die in unterschiedlichen beruflichen Fachrichtungen und in diversen Bildungsgängen unterrichten, hat eine Person die Funktion als Inklusionsbeauftragte/-r und eine weitere hat eine sonder- sowie sozialpädagogische Qualifizierung. Die Interviewleitfäden lehnen sich inhaltlich und strukturell an den in Abschnitt 2.1 skizzierten Forschungsstand zur Diagnostik und individuellen Förderung zur Umsetzung von Inklusion an. Dabei wurden einem weiten Inklusionsverständnis folgend keine spezifischen Heterogenitätsdimensionen und/oder Behinderungsbzw. Beeinträchtigungsformen vorgegeben. Die Proband/-innen beziehen sich in ihren Antworten auf ein breites Spektrum an Heterogenitätsdimensionen. Viele Lehrer/-innen geben an, dass zu den üblichen Herausforderungen der Umgang mit Beeinträchtigungen und Behinderungen im Bereich Lernen, Emotionale-soziale Entwicklung und Sprache allgemein sowie mit Lese- und Rechtschreibschwächen, Legasthenie, Dyskalkulie, Autismus und insbesondere Asperger-Syndrom sowie
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ADHS im Speziellen gehörten. In diesem Zusammenhang wird auch auf Migrationshintergründe verwiesen. Weiterhin berichten die Proband/-innen über Krankheiten wie Depressionen oder Epilepsie (2.1; 2.2; 2.3; 2.4; 2.5; 2.6; 2.8; 2.9; 2.10). Einige Lehrer/-innen beziehen sich auch auf körperlich-motorische Behinderungen und Beeinträchtigungen sowie auf solche im Bereich Sehen und Hören (2.1; 2.3; 2.5; 2.6; 2.7; 2.10) und manche auf geistige Behinderungen (2.1; 2.3; 2.4). 4.1 Aufgaben und Kompetenzen im Bereich Diagnostik 4.1.1 Diagnostik von Lernvoraussetzungen In den Daten zeigt sich, dass gerade in den ausbildungsvorbereitenden Bildungsgängen die Diagnose von Lernvoraussetzungen eine besondere Bedeutung hat. Die Befragten geben an, dass dort häufig im Rahmen der Bewerbung oder zu Beginn des Bildungsganges Aufnahmegespräche und Tests (z. B. in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch) bzw. Kompetenzfeststellungswochen sowie Profilings (z. B. zur Aufdeckung von besonderen Förderbedarfen) stattfinden würden. Vereinzelt würden mit Einverständnis der Schüler/-innen Informationen von den vorangegangenen Bildungsinstitutionen übermittelt. Insgesamt solle damit geprüft werden, ob der vorgesehene Schulabschluss potenziell erreicht werden könne und in welchem Bereich bzw. wie die jeweiligen Schüler/-innen gefördert werden sollten (2.1; 2.2; 2.4). „Wir machen in den Klassen in den ersten Wochen eine Art Profiling. Teilweise gibt es [eine, Autoren] Kompetenzfeststellungswoche, wie zum Beispiel in der Fördermaßnahme bei den U25-Jährigen oder aber wir holen einen Kollegen aus dem Förderzentrum in die Schule, der macht Eingangstests. […] Es finden immer intensive Aufnahmegespräche statt. [...] Und aus diesen Maßnahmen heraus ergibt sich ein Bild der Leistungsfähigkeit und wo wir bei den Schülern ansetzen müssen.“ (2.2, Abs. 48)
Dabei zeichnet sich ab, dass sich die Lehrer/-innen selbst nicht hinreichend qualifiziert fühlen, besondere Förderbedarfe festzustellen, sie jedoch Unterstützung durch Dritte, wie Beratungslehrer/-innen, Coaches, schulpsychologische Dienste und Förderzentren erhalten (2.4; 2.5; 2.10). Ähnlich wie in der vorliegenden Befragung werden auch in anderen beruflichen Schulen in ausbildungsvorbereitenden Bildungsgängen umfangreiche Eingangsdiagnosen durchgeführt (vgl. Zoyke & Hensing 2011), während dies in anderen Bildungsgängen keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung zu haben scheint. Unter Inklusionsgesichtspunkten können sich damit u. E. auch Aufgaben zur Entwicklung von diagnostischen Konzepten stellen, die die Schüler/-innen ganzheitlich, über fachliche Kompetenzen hinaus und insbesondere mit ihren Potenzialen und Stärken in den Blick nehmen. Zudem kann sich daraus der Bedarf ergeben, nach Ursachen für Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten in der Person-Umwelt-Relation zu suchen und bei Bedarf Expert/-innen für die Bestimmung spezifischer Förderbedarfe einzubinden.
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4.1.2 Diagnostik und Dokumentation von Lernprozessen sowie Förderplanung Die Befragungen zeichnen ein sehr heterogenes Bild hinsichtlich der Diagnostik und Dokumentation der Lernprozesse und -schritte aller Schüler/-innen im Verlauf der Bildungsgänge. Dies reicht von keiner Dokumentation (2.2; 2.4; 2.9) über die üblichen regelmäßigen Notizen zur mündlichen Mitarbeit (2.1; 2.10) oder das regelmäßige Kennenlernen im Schuljahresverlauf ohne schriftliche Dokumentation (2.6) bis hin zur Arbeit mit Kompetenzrastern und standardisierten Tabellen, die teilweise von den Schüler/-innen selbst geführt werden sollten (z. B. im Lernportfolio) (2.5). In einer Schule übernähme ein Schulcoach die regelmäßige Diagnoseund Dokumentationsaufgabe, die mit der Arbeit mit Förderplänen (Förderplanung) vergleichbar sei (2.2). Den aus der Sonderpädagogik stammenden Förderplänen wird in der wissenschaftlichen Literatur ein besonderes Potenzial zur lernprozessbegleitenden Dokumentation und zur Verbindung und Abstimmung von Diagnose und Förderung für einzelne Schüler/-innen zugeschrieben, wobei sich in ersten Studien zeigte, dass Regellehrer/-innen häufig kaum Erfahrungen damit haben (vgl. Lippegaus-Grünau & Voigt 2013, S. 53; Koch & Kortenbusch 2007; Zoyke 2012b; Zoyke 2017). In der vorliegenden Studie finden sich Hinweise darauf, dass an manchen Schulen für Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf Förderpläne oder vergleichbare Schüler/-innenakten durch einen Schulcoach oder sonderpädagogisches Personal geführt oder von der vorangegangenen Schule mit Einverständnis der Schüler/-innen übermittelt werden. Darin würden sowohl Lernvoraussetzungen als auch Ziele und Förderbedarfe sowie – im Falle der Fortschreibung – Lernfortschritte dokumentiert (2.2; 2.3; 2.7). Ein/-e Proband/-in berichtet, dass die Regellehrer/-innen durch engen Austausch mit dem Schulcoach für den Unterricht relevante Informationen erhalten könnten. Überdies würden diese Pläne teilweise mit den Schüler/-innen besprochen und überarbeitet (2.2). Die Regellehrer/-innen hingegen sähen sich häufig nicht ausreichend qualifiziert bzw. verweisen auf zu hohen zeitlichen Aufwand für die Dokumentation, weshalb sie solche Förderpläne oder ähnliche Dokumentationen nicht führen würden (2.1). Zudem wird deutlich, dass der Einsatz von Förderplänen auf i. d. R. Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf begrenzt bleibt, während eine vergleichbare individuelle Dokumentation und Abstimmung für bzw. mit den anderen Schüler/-innen nicht erfolgt. Dabei zeigen sich in anderen Studien im Bereich der Berufsausbildungsvorbereitung durchaus positive Potenziale im weiter verbreiteten Einsatz vergleichbarer, aber bildungsgangspezifisch adaptierter Instrumente auch durch Lehrer/-innen sowie als Bereicherung des partizipativen Austausches zwischen Regellehrer/-innen und Schüler/-innen (vgl. Zoyke 2012b, Zoyke 2017). Da immer wieder sowohl auf zeitliche Restriktionen als auch auf begrenzte Qualifizierungen verwiesen wird, erscheint es überlegenswert, Aus- und Weiterbildungen in Verbindung mit der Entwicklung alltagstauglicher Instrumente zu konzipieren und zu erproben und ebenfalls die Entwicklung entsprechender Konzepte selbst unter Berücksichtigung von standortspezifischen Bedarfslagen sowie verfügbarer und aktivierbarer Ressourcen als Gegenstand der Weiterbildungen aufzunehmen.
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4.1.3 Gewährung von Nachteilsausgleich Hinsichtlich eines Nachteilsausgleichs berichten die meisten Befragten von Erfahrungen im Rahmen von Prüfungen und Klassenarbeiten, in denen bei i. d. R. unveränderten Inhalten bzw. Anspruchsniveaus vielfältige Formen des Nachteilsausgleichs gewährt werden (z. B. in Form von Arbeitshilfen, längerer Schreibdauer, mehr Pausen, besonderen Sitzplätzen oder separaten Räumen, Vorlesen der Aufgaben, Textvorentlastungen, zugelassenen Fragen an das Aufsichtspersonal o. ä.) (2.1; 2.3; 2.5; 2.6; 2.7; 2.9; 2.10). Der Nachteilsausgleich werde i. d. R. bei Vorlage entsprechender Bescheinigungen auf Initiative der Schüler/-innen oder deren Eltern gewährt. Teilweise würden die Lehrer/-innen bei Auffälligkeiten vorsichtig bei den Schüler/-innen nachfragen, um bei vorliegendem Nachweis den Nachteilsausgleich gewähren zu können (2.2; 2.3; 2.5; 2.7). Die Art und Weise bzw. der Umfang des Nachteilsausgleichs würden insbesondere in der Klassenkonferenz, d. h. von den im Bildungsgang unterrichtenden Lehrer/-innen sowie im Gespräch mit den Schüler/-innen und entsprechenden Expert/-innen häufig nach intensiver Diskussion der Voraussetzungen der Schüler/-innen und unter Berücksichtigung der organisatorischen Rahmenbedingungen festgelegt. Zudem werde auf die Dokumentation im Förderplan auch der abgebenden Schule zurückgegriffen, sofern dieser vorliege (2.5; 2.6; 2.7; 2.10). Die Gewährung von Nachteilsausgleichen erstreckt sich grundsätzlich über alle Bildungsgänge. Allerdings fällt auf, dass gerade Lehrer/-innen in der Berufsausbildungsvorbereitung neben dem offiziellen Nachteilsausgleich scheinbar aufgrund fehlender Abschlussprüfungen weitere Spielräume wahrnehmen und für alle Schüler/-innen nutzen, d. h. nicht nur für die mit formalen Berechtigungen (z. B. alternative Formen der Prüfungsleistungspräsentation, großzügige Zeitkalkulation für alle Schüler/-innen, Wortverständnishilfen bei Klassenarbeiten insbesondere für Schüler/-innen mit Migrationshintergrund) (2.2; 2.4). Ein/-e Teilnehmer/-in, die überwiegend in der Berufsausbildung im dualen System und im beruflichen Gymnasium unterrichtet, gibt an, dass kein Nachteilsausgleich gewährt werde (2.8). Dies könnte darauf hindeuten, dass nicht in allen Bildungsgängen entsprechende Berechtigungen vorgelegt oder diese nicht im gesamten Klassenverband diskutiert werden. Daneben vermutet ein anderer Proband, dass nicht alle Lehrer/-innen ohne weiteres Nachteilsausgleich gewähren würden. Er sehe mögliche Hemmungen insbesondere bei manchen Lehrer/-innen, die sich eher als Fachvertreter als als Pädagoge/-in verstehen würden (2.10). Diese Vermutung lässt sich über das vorliegende Datenmaterial allerdings nicht belegen. Darüber hinaus zeichnet sich auf Grundlage der Daten die Forderung ab, dass der organisatorische Aufwand für den Nachteilsausgleich für die Lehrer/-innen im Rahmen bleiben müsse. Die meisten Befragten halten den gebotenen Nachteilsausgleich grundsätzlich für zu leisten (2.1; 2.3; 2.5; 2.6). Insgesamt scheint die Gewährung von Nachteilsausgleich für Lehrer/-innen ein durchaus relevantes Thema für nahezu alle Lehrer/-innen zu sein, welches über formale Regularien hinaus eine pädagogische Herangehensweise erfordert, in der eine intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Schüler/-innen unter Berücksichtigung der gestaltbaren Rahmenbedingungen stattfindet.
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4.1.4 Zieldifferenzierung Zur vielfach im Zusammenhang mit Inklusion diskutierten Zieldifferenzierung verweisen die meisten Befragten darauf, dass der angestrebte allgemeinbildende und/oder berufsbildende Abschluss grundsätzlich für alle Schüler/-innen derselbe und das oberste Ziel sei. In den Fällen von zentralen Abschlussprüfungen/-arbeiten (z. B. BFS I berufliche Grundbildung, BFS III vollschulische Berufsausbildung, berufliches Gymnasium, Berufsausbildung im dualen System) sei keine Differenzierung in der Zielsetzung bzw. in dem Anforderungsniveau möglich (2.5; 2.6; 2.7; 2.8; 2.9; 2.10). Grundsätzlich werde zielgleicher Unterricht angestrebt, damit die Schüler/-innen den formalen Bildungsabschluss erreichen könnten (2.9). Das Erreichen möglichst anerkannter Abschlüsse wird zwecks Anschlussfähigkeit auch im Inklusionsdiskurs präferiert (vgl. DUK 2014 S. 26; Euler & Severing 2014, S. 24). In der Berufsausbildungsvorbereitung, in der es keine offiziellen Abschlussprüfungen gibt, gelte der Stoffverteilungsplan der Fächer zur Erlangung des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses für alle. Auch in Klassenarbeiten und in schulintern eingeführten Abschlussprüfungen werde grundsätzlich nicht differenziert. Es obliege jedoch den einzelnen Lehrer/-innen, ob sie beispielsweise alternative Formen der Leistungserbringung im Unterricht akzeptierten (z. B. wenn ein/-e Schüler/-in nicht präsentieren möchte) (2.2; 2.4). Andererseits finden sich weitere Hinweise in den Aussagen der Proband/-innen, dass in der Berufsausbildungsvorbereitung gute Noten auch ein Stück weit über Leistungen, die nicht näher gekennzeichnet werden, und regelmäßige Anwesenheit im Unterricht etc. erworben werden könnten (2.4). Mit Blick auf das gemeinsame Ziel führt ein/-e Lehrer/-in in leitender Funktion an, dass der erste allgemeinbildende Schulabschluss in der Berufsausbildungsvorbereitung nicht von allen Schüler/-innen erreicht werden könne. Daher würden nur für einen Teil der Schüler/-innen Kurse mit diesem Ziel angeboten (2.2). Welche Anschlussperspektiven den anderen geboten würden, bleibt in dem Interview offen. Auch eine Person aus der beruflichen Grundbildung (BFS I) führt an, dass nach alternativen Anschlussperspektiven geschaut werde, wenn das Erreichen des mittleren Schulabschlusses nicht möglich erscheine (2.5). Eine Besonderheit bilden Schüler/-innen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung, die in einer beruflichen Schule inklusiv beschult werden. Diese nehmen nach dem phasenweisen gemeinsamen Unterricht nicht an den üblicherweise in den Klassen (BFS I, BFS III) vorgesehenen Prüfungen teil (2.3). Ein/-e Teilnehmer/-in aus dem Bereich der Berufsausbildung gibt an, den Begriff der Zieldifferenzierung noch nie gehört zu haben (2.10). Damit deutet sich an, dass eine Zieldifferenzierung in der Berufsausbildungsvorbereitung und den Bildungsgängen auf niedrigerer Qualifikationsstufe eine höhere Bedeutung hat als in den Bildungsgängen auf höherer Qualifikationsstufe. Allerdings bleibt relativ offen, welches alternative Ziel seitens der Schüler/-innen angestrebt und welche Anschlussmöglichkeiten sich ihnen damit bieten. Lehrer/-innen müssen entsprechend verantwortlich gegenüber der Gesellschaft und den Individuen damit umgehen, womit eine klassische Antinomie des Handelns von Lehrer/-innen angesprochen wird, die eine entsprechende pädagogische Professionalität erfordert (vgl. Helsper 2000).
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4.2 Aufgaben und Kompetenzen im Bereich individuelle Förderung 4.2.1 Individuelle Begleitung und Beratung Die befragten Lehrer/-innen sehen sich grundsätzlich mit der Aufgabe der individuellen Begleitung und Beratung konfrontiert, d. h., sich auf alle Schüler/-innen als einzigartige Individuen einzulassen (2.3). Dafür sei es erforderlich, die Schüler/-innen mit ihren Bedürfnissen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen überhaupt richtig kennenzulernen und das eigene Verhalten darauf abzustimmen (2.7): „Aber man kann nicht mit jemandem, der einfach am Tisch sitzt und sich nicht bewegen kann, Unterricht machen, sondern man muss zusätzlich erstmal herausfinden, wie groß muss etwas gedruckt sein, damit er es überhaupt lesen kann. Wo muss ich im Raum stehen, damit er mich hören kann? Wo muss ich stehen, dass ich ihn hören kann? Dann hat er halt Spastiken auch noch, dass er vor sich hin zuckt. Dann weiß man nicht, meldet er sich, meldet er sich nicht? Also man muss halt erstmal diesen Schüler kennenlernen. Das ist die erste Aufgabe.“ (2.7, Abs. 14)
Des Weiteren wird betont, dass es keine pauschalen Lösungen gebe, sondern dass es immer wieder um die Analyse von Einzelfällen gehe, auf die man sich auch nicht immer vorbereiten könne, sondern für die in den jeweiligen Situationen adäquate Lösungen gefunden werden müssten (2.7; 2.10). In der Ausbildungsvorbereitung und -grundbildung seien neben fachlichen in besonderem Maße erzieherische Aufgaben zu leisten (2.7) und Sozialkompetenzen zu fördern sowie persönliche Probleme zu berücksichtigen (2.1; 2.5; 2.6). Für das Ziel, den Übergang in eine Berufsausbildung zu bewältigen, gehöre zudem die Betreuung und Organisation von Praktika und individuelle Berufsberatung durch bspw. die Agentur für Arbeit dazu (2.2; 2.4). Damit werden typische Schwerpunkte der Benachteiligtenförderung bzw. der Förderung im Übergangssystem benannt. Manche Lehrer/-innen führen die notwendige formale/mediale sowie inhaltliche Anpassung von Arbeitsblättern auf die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Individuen an (2.5; 2.10). Für Schüler/-innen mit Förderbedarf in der geistigen Entwicklung seien die Inhalte in den Fachklassen in ihrem Anspruch zu vereinfachen, praktischer sowie ansprechender zu veranschaulichen und es sei in kleineren Schritten vorzugehen (2.3). Eine Person führt an, dass über alternative, je individuell passende Zugänge zu einem Lerngegenstand nachgedacht werden müsse (2.9). In manchen Fällen erfahren die Lehrer/-innen von einer Behinderung bzw. einem besonderen Förderbedarf bereits mit der Anmeldung der Jugendlichen zum Bildungsgang, sodass sie entsprechende Vorkehrungen treffen könnten (z. B. Prüfung oder Erprobung der Räumlichkeiten für Rollstuhlfahrer; Klärung der Akzeptanz seitens der Lehrer/-innen; Organisation von Schulbegleiter/-innen; Bereitstellung der erforderlichen Hard- und Software). In anderen Fällen stellten sich diese Bedarfe erst nach einiger Zeit im Bildungsgang heraus (2.5; 2.6). Die Lehrer/-innen bereiten sich häufig einzeln und/oder in ihren Klassenteams auf je aktuell vorliegende, spezifische Bedarfslagen vor. Dabei beziehen sie häufig externe Expert/-innen im Rahmen von schulinternen und -externen Fortbildungen ein bzw.
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klären mit diesen (z. B. Beratungslehrer/-innen von Förderschulen; Beratung seitens des Landesseminars; psychologische Beratungsstellen; Integrationsfachdienste; Rehabilitationsdienste der Bundesagentur für Arbeit) offene Fragen (2.4; 2.5; 2.6; 2.7; 2.10). Dadurch kristallisieren sich auch innerhalb der Schule Expert/innen und Ansprechpartner/-innen für spezifische Fragen heraus (2.5). Innerhalb der Schulen spielten die Teamsitzungen und der Austausch mit Klassenlehrer/-innen und Abteilungsleiter/-innen eine besondere Rolle (2.5; 2.10), stellenweise würden auch vorliegende Gutachten einbezogen (2.6). Allerdings bemängeln manche Lehrer/-innen auch eine fehlende Vorbereitung der breiten Masse der Lehrer/-innen und wünschen sich eine systematischere und automatische sowie schulintern stattfindende Beratung durch Expert/-innen sowie eine bessere Kommunikation zwischen abgebender Förderschule und aufnehmender beruflicher Schule (2.6; 2.7; 2.10). Gerade bei psychologischen Themen wünschen sich einzelne Lehrer/-innen mehr Fortbildungen. Hinzukommend merkt ein/-e Lehrer/-in an, dass es schwerfalle, den Fortbildungsbedarf genau zu benennen, da man teilweise nicht genau wisse, was erforderlich sei (2.10). Auch im Prozess der individuellen Begleitung stoßen Lehrer/-innen manchmal an ihre Grenzen. Gerade für körperliche und medizinische Betreuungsbedarfe aber auch im Bereich von Lernbehinderungen und bei persönlichen Problemlagen der Jugendlichen sei teilweise die Unterstützung durch entsprechend ausgebildete Schulbegleiter/-innen und sozialpädagogische Coaches sowohl aus fachlichen als auch aus rechtlichen Gründen erforderlich. Kurze schriftliche Anweisungen, was bei medizinischen Notfällen zu tun bzw. wann welche Hilfe zu holen sei, würden den Lehrer/-innen außerdem etwas Sicherheit geben (2.2; 2.4; 2.5; 2.6; 2.7; 2.10). Weiterhin führen sie an, dass sie in Anbetracht der Klassengrößen Grenzen darin sehen, sich auf die Bedarfslagen einzelner Schüler/-innen im Detail einzulassen (z. B. Gebärdensprache lernen) und die für die Betreuung wünschenswerten Absprachen mit den zahlreichen Beratungsstellen und potenziellen Kooperationspartnern leisten zu können (2.6; 2.7; 2.9; 2.10). Neben fachlichen Kompetenzen heben die Proband/-innen Verständnis, Wertschätzung der Jugendlichen und Empathie sowie Flexibilität hervor, um sich auf die einzelnen Schüler/-innen einzulassen (2.1; 2.2; 2.3; 2.6; 2.10). In der Berufsausbildungsvorbereitung spricht eine Testperson von einer mitzubringenden persönlichen Veranlagung, die nicht in Studium oder Fortbildung gelernt werden könne (2.4). Zudem werden hier die notwendige psychische und persönliche Stabilität der Lehrer/-innen angeführt (2.2). Lehrer/-innen sollten das richtige Verhältnis zwischen persönlicher Nähe und regulärem Unterricht finden (2.2). Weiterhin sei ein gewisses Maß an sonderpädagogischem Wissen im Umgang mit spezifischen Förderbedarfen erforderlich, dessen eindeutige Bestimmung jedoch schwerfällt, sowie ein breites allgemeines didaktisch-pädagogisches und diagnostisches Wissen (2.1; 2.6; 2.9; 2.10). Für das erforderliche Einholen von Unterstützung sei es notwendig, dass die Lehrer/-innen wüssten, wen sie um Unterstützung bitten könnten (2.4), was nicht immer der Fall sei (2.6).
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4.2.2 Gemeinsames Lernen und Binnendifferenzierung Durch das gemeinsame Lernen der Schüler/-innen kommen weitere Aufgaben für die Lehrer/-innen hinzu. Zur Umsetzung wird in der Literatur insbesondere auf Binnendifferenzierung verwiesen. Diesbezüglich geben die befragten Lehrer/-innen insbesondere Differenzierungen über die Anzahl der zu bearbeitenden Aufgaben (u. a. Zusatzmaterial), über den inhaltlichen Anspruch und/oder über die Sprache der Aufgabenstellungen (2.1; 2.2; 2.3; 2.4; 2.5; 2.6; 2.7; 2.8; 2.9). Stellenweise nehmen sie auch Differenzierungen über die Methoden vor (2.4; 2.7; 2.9) und geben individuelle Erläuterungen für einzelne Schüler/-innen, während die anderen arbeiten, was eine gute Unterrichtsstrukturierung erfordere (2.8). Damit sieht die befragte Lehrer/-innengruppe grundsätzlich in dem breiten Spektrum der Binnendifferenzierung über curriculare und Prozessdifferenzierung (vgl. Klafki & Stöcker 1976) Möglichkeiten zur individuellen Förderung zur Umsetzung von Inklusion. Für die Differenzierung über Aufgaben nach Lernfortschritt sei ein differenzierter Aufgabenpool erforderlich, den viele Lehrer/-innen besitzen würden (2.1; 2.2; 2.3), wobei einzelne dies auch verneinen (2.8). Eine Person fordert, dass im Rahmen des gemeinsamen Unterrichts individuelle Zugänge und Arbeitsaufträge zu einem übergeordneten gemeinsamen Lerngegenstand erkannt und geschaffen werden sollten: „Und natürlich, möglicherweise, auch die Anpassung von bestimmten Lerngegenständen oder bestimmten Zugängen zur Erschließung von Thematiken, beispielsweise bei Schülern mit Asperger-Syndrom, dass man gegebenenfalls im Deutschunterricht, wo es um, nicht um Analyseleistungen geht, wo die ja sehr stark sind, sondern um interpretative Leistungen, dass man andere Materialien, Mittel, Wege schafft, um sich auch literarischen Werken zu, zu nähern und sich damit auseinanderzusetzen, aber dann vielleicht eher auf einer analytischen-interpretativen Ebene. Und da gibt es sicherlich Möglichkeiten, dass man am gleichen Werk arbeitet, so ist ja auch der Inklusionsansatz, dass man gemeinsam lernt, und tatsächlich aber andere Zugänge hat. Und dann eben vielleicht Aufgaben oder Arbeitsaufträge schafft, die tatsächlich eher das analytische Zugreifen auf Faust ermöglichen und dann eher das interpretativ-hermeneutische.“ (2.9, Abs. 20).
In dieser Forderung, die sich in jedoch in keinem anderen Interview findet, zeigen sich Anknüpfungspunkte an das Konzept des Gemeinsamen Lerngegenstands von Feuser (2011). Zwar erfährt Binnendifferenzierung grundsätzlich Zuspruch, es wird aber auch auf zeitliche Grenzen und unter Verweis auf die Klassengrößen auf zu wenig Lehrpersonal verwiesen (2.7; 2.10). Einzelne Lehrer/-innen geben zudem fehlende eigene Erfahrungen an (2.7): „Differenzierung. Finde ich ganz toll, aber die Umsetzung ist eine Vollkatastrophe. Also gerade im Referendariat probiert man das natürlich alles aus, aber die Zeit hat man einfach irgendwann nicht mehr, auf jeden Schüler einzugehen, auch gruppenweise zu differenzieren. Es zerreißt einen einfach.“ (2.7, Abs. 32)
Darüber hinaus werde durch die Einteilung in Bildungsgänge bereits eine Homogenisierung angestrebt, sodass Binnendifferenzierung kaum stattfinden müsse (2.4; 2.9).
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Neben dem Unterricht im Klassenverband erwähnen manche Lehrer/-innen, dass phasenweise Schüler/-innen mit besonderem Förderbedarf einzeln, mit Partner/-innen oder in Kleingruppen räumlich getrennt unterrichtet würden (z. B. in Förderkursen oder in einem Learn Center) (2.1; 2.2; 2.5; 2.7). Problematisch dabei sei jedoch, dass diese Schüler/-innen ebenso die zentrale Abschlussprüfung ablegen müssten, um den Abschluss zu erreichen. Da sie im zieldifferenten Förderunterricht nach anderen Kriterien bewertet würden als in der Abschlussprüfung, würde dies zu Enttäuschungen führen (2.5). Im gemeinsamen Unterricht würden alle gleich bewertet (2.9). Hier zeigt sich die enge Verbindung zu Aufgaben im Bereich der Diagnostik. Zur Umsetzung von Binnendifferenzierung wird u. a. – anknüpfend an die Ausführungen zur individuellen Begleitung – ein erhöhter Personalschlüssel gefordert (z. B. zur Betreuung von Jugendlichen mit geistiger Behinderung im Fachpraxisunterricht) (2.3) sowie auf die Bedeutung der Schulbegleiter/-innen verwiesen (s. o.). In kleinen Gruppen gelingt es den Lehrer/-innen nach eigener Einschätzung gut, auf individuelle Bedarfslagen einzugehen (2.4). In der empirischen Forschung liegen derzeit keine eindeutigen Ergebnisse zum Einfluss der Klassengröße auf die Schulleistungen der Schüler/-innen vor. Zudem kann bisher kaum empirisch belegt werden, dass mit kleineren Klassengrößen automatisch ein veränderter Unterricht einhergeht. Daher erscheint es bedeutsam, Lehrer/-innen darin auszubilden, mögliche Potenziale kleiner Lerngruppen zu nutzen (vgl. Brahm 2006; Altrichter et al. 2009, S. 351–353). 5 FAZIT UND AUSBLICK Aus dieser Studie lässt sich erkennen, dass die Lehrer/-innen an beruflichen Schulen Inklusion gegenüber tendenziell positiv eingestellt sind, wobei diese Einstellung in Abhängigkeit von Bildungsgängen und Behinderungsformen bzw. Heterogenitätsdimensionen variiert. Überdies werden die über die Literaturanalyse herausgearbeiteten zentralen Handlungsfelder der Diagnostik und der individuellen Förderung (Kapitel 2.1) grundsätzlich als bedeutsam wahrgenommen, wobei in der Ausübung durchaus Unterschiede zwischen Personen und Bildungsgängen erkennbar sind. Sowohl im Zusammenhang mit der Erhebung der Einstellungen als auch mit der Erhebung zu den Handlungsfeldern zeigen sich jedoch sehr deutlich wahrgenommene Belastungen und begrenzte Kompetenzen seitens der Lehrer/-innen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Befunde können folgende Anregungen formuliert werden, welche auch in die Weiterentwicklung des Studiums im Profil Handelslehrer an der Universität Kiel aufgenommen werden: Die Bedeutsamkeit des Themas in Verbindung mit den wahrgenommenen Belastungen und erkennbaren weiteren Ausbildungs- und Professionalisierungsbedarfen der Lehrer/-innen spricht für das Vorhaben, diesen Themenkomplex deutlicher im Studium aufzunehmen. Der Umgang mit einem gewissen Maß an Heterogenität wird als alltäglich wahrgenommen. Zudem wird auf allgemeine pädagogische und (fach-)didaktische Aufgaben und Kompetenzen verwiesen (z. B. Binnendifferenzierung, pädagogische
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Diagnostik), auf die aufgebaut werden kann. Daher ist zu prüfen und daran zu arbeiten, die Förderung von Basiskompetenzen für diesen Themenkomplex im gesamten Bachelor- und Masterstudium für das Lehramt an beruflichen Schulen zu verankern. Beispielsweise wird an der Universität Kiel daran gearbeitet, die berufsund wirtschaftspädagogischen und insbesondere die (fach-)didaktischen Lehrveranstaltungen um Fragen der Erfassung und des Umgangs mit Heterogenität und der Binnendifferenzierung, der Subjektorientierung sowie der Diagnose und Dokumentation von Lernprozessen intensiver zu behandeln. In Anbetracht der vielfach benannten insbesondere zeitlichen und personellen Restriktionen sind stets Fragen der Umsetzbarkeit in der Praxis zu berücksichtigen bzw. die angehenden Lehrer/-innen sind darauf vorzubereiten, Konzepte und Instrumente in Wechselwirkung mit gegebenen und/oder veränderlichen Rahmenbedingungen zu adaptieren. Es könnte weiterführend sein, in bildungs- und institutionstheoretischen Studienanteilen die Inklusionsidee im Zusammenhang mit (zentralen) Abschlussprüfungen und Vergleichsarbeiten sowie mit den damit verbundenen Abschlüssen zu diskutieren, da diese häufig zur Benennung von Grenzen der Umsetzbarkeit von Inklusion herangezogen werden. In Ergänzung zu der integrativen Verankerung soll an der Universität Kiel eine ergänzende Lehrveranstaltung im Masterstudium entwickelt werden, in der vertiefende Fragen zur Inklusion behandelt werden, indem diagnostische Kompetenzen unter besonderer Berücksichtigung der pädagogischen Psychologie und Kompetenzen zur fachübergreifenden Sprachbildung besonders gefördert werden sollen. In der Studie wird darüber hinaus deutlich, dass eine vertiefte Spezialausbildung in der Breite der möglicherweise auftretenden und kaum antizipierbaren Ausprägungen der Heterogenität bzw. besonderer Förderbedarfe kaum zu leisten ist. Vielmehr geht es darum, die angehenden Lehrer/-innen darauf vorzubereiten, immer wieder Fälle zu analysieren und Einzelfalllösungen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und deren Veränderungsmöglichkeiten zu entwickeln, was auch konzeptionelle Entwicklungs- und Adaptionsaufgaben impliziert. Daher soll die inklusionsbezogene Fallarbeit im Rahmen eines fachdidaktischen Seminars eine besondere Berücksichtigung erfahren. Für diesen Zweck wird die Entwicklung und Implementation von Videovignetten geprüft. Zudem sollen die angehenden Lehrer/-innen eine Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln, sich bedarfsspezifisch fortzubilden und/oder Beratung und Unterstützung durch Expert/-innen einzubinden (siehe zur Team- und Netzwerkarbeit auch Zoyke & Joost 2017). Da bisherige Befunde ferner darauf hindeuten, dass die Praxiserfahrungen einen wesentlichen Einflussfaktor auf die inklusionsbezogenen Einstellungen ausmachen, soll eine Anbindung dieses ergänzenden Lehrangebots an das Praxissemester erfolgen. Darüber hinaus wird die Integration entsprechender Erfahrungsmöglichkeiten in weiteren Veranstaltungen geprüft bzw. ausgebaut (z. B. Einbindung der Bildungsfachkräfte mit Behinderungen des Instituts für Inklusive Bildung).
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ANSPRUCH UND REALITÄT IN BEZUG AUF DEN UMGANG MIT HETEROGENITÄT UND INKLUSION IN DER BERUFLICHEN BILDUNG IM BAUWESEN – ANSÄTZE ERSTER THEORETISCHER UND EMPIRISCHER ANALYSEN Alexandra Bach, Kassel / Christian Schaub, Kassel 1 EINLEITUNG Die aktuelle Politik in Deutschland zielt auf die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft und dazu gehört die Ausgestaltung eines inklusiven (Berufs-)Bildungssystems. Der bildungspolitische Stellenwert diesbezüglich ist seit der Ratifizierung der UN-BRK (UN-Behindertenrechtskonvention) durch Deutschland im Jahr 2009 sehr hoch einzuschätzen. Vielfältige Entwicklungen, das Schulsystem und den Arbeitsmarkt betreffend, wurden dadurch angestoßen, unter anderem auch Maßnahmen zur inklusiven Qualifizierung des (Berufs-)Bildungspersonals im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung. So hat auch das Bundeskabinett im Juni 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (NAP) beschlossen, dessen Ziel die Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft ist. „Im Rahmen des NAP wurden insbesondere mit der „Initiative Inklusion“ sowie der „Inklusionsinitiative für Ausbildung und Beschäftigung“ auch Aktivitäten auf den Weg gebracht, die das Ziel verfolgen, dass sich der Anteil der betrieblichen bzw. möglichst betriebsnahen Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderungen erhöht“ (vgl. BMBF 2017, S. 79).
In den letzten Jahren waren die Realisierungsbestrebungen von Inklusion vorwiegend auf das allgemeinbildende Schulsystem beschränkt. In das berufliche Bildungssystem wirken zwar „die angestoßenen Entwicklungen bereits in das Ausbildungssystem insofern hinein, dass sich auf der Grundlage der inklusiven Schulbildung die Absolventenschaft und damit auch das Bewerberklientel für duale Ausbildungsgänge veränder[n], das alleine reicht jedoch noch nicht aus, um „das berufsbildende Schulsystem hin zu inklusiver (Aus-)Bildung weiterentwickeln“ (Zöller 2016, S. 8).
Notwendig ist es, in die Rahmenbedingungen des Berufsbildungssystems und in die berufliche Lehrerbildung – inklusive ihrer Fachdidaktiken – stärker als bisher zu investieren. Ziel hierbei ist es, ein möglichst flexibilisiertes Berufsbildungssystem zu gestalten, das weitestgehend allen Bürgern ungeachtet ihrer besonderen Merkmale eine Chance auf eine qualifizierende Berufsausbildung im Regelsystem eröffnet (vgl. Euler 2016, S. 34). Aktuell wird dieser Anspruch (siehe Kapitel 2) – zumindest was eine Inklusion im engeren Sinne betrifft – kaum realisiert und es stellt
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sich die Frage, wie in Zukunft eine erfolgreiche Inklusion (im engeren und weiteren Sinne) in der dual-betrieblichen Berufsbildung in gewerblich-technischen Ausbildungsberufen in einem höheren Maß als bisher realisiert werden kann, ohne die Qualität der dual-betrieblichen Ausbildung zu mindern und die beteiligten Berufsbildner/-innen hoffnungslos zu überfordern (vgl. Bach 2017). Als grundlegend eingestuft wird in diesem Zusammenhang u. a. eine geeignete inklusionsbezogene Kompetenzförderung des schulischen, betrieblichen und überbetrieblichen Berufsbildungspersonals (vgl. Enggruber & Ulrich 2016, S. 62 f.). Diese soll möglichst „aus der Sicht der pädagogischen Praxis entwickelt und nicht als normative Bestimmung im Sinne eines Maßstabes an die Praxis gelegt werden“ (Langner 2015, S. 8). Diesem plausiblen Grundsatz folgt auch das Projekt Diversity VET – M.E.B.: Lehrerprofessionalisierung unter Berücksichtigung von Diversität in beruflichen Bildungsgängen der Metall-, Elektro- & Bautechnik – initiieren, begleiten und reflektieren. Es wird im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung und damit vom BMBF gefördert und an der Universität Kassel im Fachgebiet Berufspädagogik mit gewerblich-technischem Schwerpunkt des Instituts für Berufsbildung umgesetzt (vgl. Bach 2017). Innerhalb der Projektlaufzeit (Oktober 2015 – Oktober 2018) wird der Frage nachgegangen, mit welchen inklusionsbezogenen Anforderungen und Rahmenbedingungen insbesondere gewerblich-technische Lehrkräfte in der dualen Ausbildung konfrontiert sind, welche Erfahrungen und Einstellungen sie im Umgang mit Heterogenität und Inklusion gewonnen haben. Hierzu sollen empirische Erhebungen und theoretische Analysen Aufschluss geben. Basierend darauf, werden im Projekt Rückschlüsse auf die Ausgestaltung von kompetenzfördernden und realitätsnahen Seminaren gezogen. In diesem Beitrag werden in Kapitel 4 erste empirische Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Lehrkräften in der beruflichen Bildung im Bauwesen des Projekts Diversity VET – M.E.B. vorgestellt und in Kapitel 5 als Fazit Rückschlüsse auf die inklusionsbezogene berufliche Lehrerbildung gezogen. Damit die Aussagen der Lehrkräfte adäquat interpretiert werden können und die Ausgangsbedingungen einer inklusiven Berufsbildung im Bauwesen verdeutlicht werden, wird zuvor in Kapitel 3 eine Analyse der Rahmenbedingungen in der Berufsbildung im Bauwesen und in der korrespondierenden Lehrerbildung im Überblick vorgenommen, da die Befragung zunächst mit beruflichen Lehrkräften in bautechnischen Berufen erfolgte. Ferner werden in einem ersten Schritt in Kapitel 2 die grundlegenden Begriffe und Interpretationen zur Inklusion in der beruflichen Bildung dargestellt, analysiert und diskutiert. 2 BEGRIFFSKLÄRUNG UND INTERPRETATIONEN ZUR INKLUSION IN DER BERUFLICHEN BILDUNG Mit der Umsetzung eines inklusiven Berufsbildungssystems sind Ziele verbunden, wie eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung/Benachteiligung an einer qualitativ hochwertigen Berufsausbildung, die Teilhabe am Arbeits-
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markt und der Abbau von gesellschaftlich verursachten, benachteiligenden Reaktionen für Menschen mit einer anerkannten (körperlichen, geistigen, psychischen, usw.) Behinderung (= enges Inklusionsverständnis) oder anderen ggf. zu Benachteiligung führenden Heterogenitätsmerkmalen, wie Herkunft, Sprache, Geschlecht, sozioökonomischem oder familiärem Status (= weites Inklusionsverständnis). Inklusion in der beruflichen Bildung bedeutet folglich, dass eine Ausgrenzung (Exklusion) bestimmter Personengruppen aus einer Regelberufsausbildung und ebenso eine Aussonderung oder separate Beschulung in isolierten Fördereinrichtungen (Werkstätten für behinderte Menschen, ausschließliche Ausbildung im Berufsbildungswerk) vermieden werden sollen (vgl. Bach 2017, S. 6). Grundsätzlich gilt für alle anerkannten Ausbildungsberufe im Dualen System, dass Inklusion im engeren Sinne, d. h. Inklusion von Menschen mit einer anerkannten Behinderung, nur im Ansatz stattfindet. Dies hat vielfältige Ursachen, denn die Realisierungschancen von Inklusion werden im Dualen System auch durch die betrieblichen Selektionsmechanismen (vgl. Karl et al. 2017), die komplexen Rahmenbedingungen, wie z. B. Teilzeitberufsschule, Mischklassen und heterogene Lernorte, und die Anforderungen des Ausbildungsberufs bedingt. Ebenso entscheiden auch die Art und Schwere der Behinderung einer Person, ob die Ausübung oder das Erlernen eines bestimmten Berufes möglich ist, ohne dabei z. B. Personenschäden (z. B. Gefährdung des Auszubildenden) oder Sachschäden in Kauf nehmen zu müssen (vgl. Bach 2017, S. 6). Im Folgenden werden die zentralen Begrifflichkeiten zur Inklusion vor dem Hintergrund der Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen definiert: Inklusion, Integration, Separation und Exklusion. Inklusion bedeutet, alle Menschen ungeachtet ihrer Voraussetzungen ins Berufsbildungssystem aufzunehmen und ggf. das System so zu verändern, dass es den individuellen Voraussetzungen der Auszubildenden gerecht wird. Menschen mit Behinderung soll es laut § 64 BBiG/§ 42k HwO weitestgehend ermöglicht werden, einen anerkannten Ausbildungsberuf gemeinsam mit Menschen ohne Behinderung erlernen zu können (vgl. Euler 2016, S. 29). Aktuell wird dieser Anspruch kaum umgesetzt. Euler & Severing berechneten, dass von jährlich ca. 50.000 Schulabgängern mit Behinderung – welche die allgemeinbildenden Schulen und Förderschulen verlassen – lediglich 3.500 eine anerkannte Ausbildung im Dualen System (vgl. Euler 2016, S. 34) und etwa 10.000 Personen eine theoriegeminderte Fachpraktikerausbildung nach §§ 66 BBiG/42 HwO an Berufsbildungswerken und Regelberufsschulen beginnen (vgl. Euler & Severing 2014b, S. 116). Darüber hinaus können Menschen mit Behinderung an Berufsbildungswerken auch eine reguläre Berufsausbildung absolvieren (vgl. Bach 2017). Bei einer Regelausbildung in der dual-betrieblichen Ausbildung stehen unterstützende Instrumente, wie „Nachteilsausgleich in Ausbildung und Prüfung nach § 65 BBiG bzw. § 42l HwO, wie z. B. die Zulassung von Hilfsmitteln oder die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen Dritter, zur Verfügung“ (Zöller 2016, S. 9).
Ein vielversprechender Weg, Inklusion im Dualen System stärker als bisher umzusetzen – dies gilt es jedoch noch angemessen zu evaluieren – erscheint darüber hinaus die Assistierte Ausbildung, die seit 2015 im Sozialgesetzbuch III gesetzlich
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verankert ist. „Bei der Assistierten Ausbildung wird eine reguläre betriebliche Berufsausbildung durch umfassende Vorbereitungs- und Unterstützungsangebote seitens der Jugendberufshilfe flankiert. (...) [Zielsetzung dabei ist es] „auch chancenarmen jungen Menschen eine normale betriebliche Berufsausbildung zu ermöglichen“ (Nulgisch 2015, S. 24). Im Dezember 2015 befanden sich insgesamt 1.313.130 Personen in einer Ausbildung zu einem anerkannten Ausbildungsberuf ohne Berücksichtigung der Auszubildenden in nach § 66 BBiG/ § 42m HwO Berufen für Menschen mit Behinderung. Wie viele Auszubildende hierbei eine anerkannte Behinderung haben, kann nicht festgestellt werden, da in der Berufsbildungsstatistik keine personenbezogenen Daten zum Merkmalen der Behinderungen erfasst werden und so der Grad der Inklusion in der beruflichen Bildung nicht im notwendigen Maß erfasst werden kann (BMBF 2017, S. 78). Diese Unklarheit behindert jedoch die Entwicklung einer inklusiven Berufsbildung, da adäquate Unterstützungsmaßnahmen nicht initiiert werden können. Integration bedeutet, dass Menschen mit Behinderung zwar ins System eingebunden werden, jedoch einen Sonderweg beschreiten. Maßgeblich ist hier die Ausbildung von Menschen mit Behinderung nach §§ 66 BBiG/42 HwO (z. B. Fachpraktiker-/Werkerberufe). Denn wenn es für behinderte Menschen aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung nicht möglich ist, eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf zu absolvieren, sind die zuständigen Stellen nach § 66 BBiG dazu aufgefordert, Ausbildungsregelungen auf Basis der Ausbildungsordnungen anerkannter Ausbildungsberufe zu treffen, die theorie-gemindert sind (vgl. Bach 2017). Die Ausbildungsinhalte für diese Fachpraktikerberufe werden auf der Basis der Ordnungsmittel der anerkannten Ausbildungsberufe und auf Basis der Rahmenregelung für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen gemäß § 66 BBiG/§ 42m HwO des BIBB erstellt (vgl. Zöller 2016, S. 9). Die Ausbildung in Fachpraktikerberufen kann sowohl dual-betrieblich als auch ausschließlich in Berufsbildungswerken erfolgen. Seit 2010 werden bundeseinheitliche, berufspezifische Musterregelungen für Fachpraktikerberufe vom BIBB veröffentlicht. Aktuell gibt es bundeseinheitliche Beschlüsse für 11 berufsspezifische Fachpraktikerberufe (vgl. BIBB 2017, S. 6), Tendenz steigend (z. B. Fachpraktiker/in für Holzverarbeitung), und 267 Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG/§ 42m HwO, die durch die jeweils zuständigen Stellen in den unterschiedlichen Kammerbezirken in Deutschland erlassen wurden (vgl. BIBB 2015, S. 249–281). Im Dezember 2015 befanden sich insgesamt 23.877 Personen in einer Ausbildung zu einem Beruf für Menschen mit Behinderung nach (§ 66 BBiG, § 42m HwO) (vgl. BIBB 2016), dies entspricht einer Quote von 1,8 Prozent aller Auszubildenden. Die Statistik zeigt, dass zunehmend Berufsausbildungsabschlüsse nach bundeseinheitlicher Regelung getätigt werden, dass die Abschlüsse nach individueller Kammerregelung dementsprechend zurückgehen und von den Kammern die Einführung weiterer bundeseinheitlicher Regelungen begrüßt wird (vgl. Zöller 2016, S. 4).
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Abb. 1: Vermittlungsquote in ausgewählten Ausbildungsberufen zum/zur Fachpraktiker/in (vgl. BAG BBW 2016, S. 64.)
Statistiken der Arbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (siehe Abbildung 1) verweisen auf eine relativ gute Vermittlungsquote (Angaben in %) der Absolventen der dort angebotenen Fachpraktikerausbildung in gewerblich-technischen Berufen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob lediglich eine Ausbildung von Menschen mit Behinderung in einem anerkannten Ausbildungsberuf dem Inklusionsanspruch gerecht wird oder ob die Ausbildung in einem sogenannten theoriegeminderten Fachpraktikerberuf diesen Anspruch ebenso durch eine spätere erfolgreiche Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt einlöst. Die Berufsbildungswerke sind zudem bestrebt, sich dem Anspruch zur inklusiven Berufsbildung stärker anzunähern. „So werden im Rahmen von verzahnten, modularisierten Ausbildungen und Formen der Verbundausbildung flexible Modelle praktiziert, in denen außerbetriebliche und betriebliche Ausbildungsphasen mit organisatorischer und didaktischer Unterstützung des BBW zu einem anerkannten Ausbildungsabschluss geführt werden. Diese Entwicklungen lassen sich als Konturen für eine inklusive Berufsbildung aufnehmen und weiterentwickeln“ (Euler & Severing 2014, S. 120).
In diesem Zusammenhang wird auch von einer „umgekehrten Inklusion“ gesprochen, d. h. dass nicht die Berufsbildungswerke ihre Auszubildenden mit Behinderung an die Regelberufsschulen abgeben, sondern nicht behinderte Auszubildende ins Berufsbildungswerk aufnehmen und so eine gemeinsame Beschulung aller erreichen. Inwieweit Berufsbildungswerke zukünftig ihre Expertise dazu nutzen, um bei der Assistierten Ausbildung mitwirken und diese zu unterstützen, bleibt abzuwarten. Auch wenn die Anzahl der Auszubildenden mit Behinderung mit 1,8%,
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gemessen an der Gesamtzahl der Auszubildenden, verschwindend gering erscheint, zeigt sich hier an dieser Stelle doch, dass die Strategie der phasenweise durchgeführten Praxis der Integration von Auszubildenden mit Behinderung in theoriegeminderte Sonderberufe gute Übergangsquoten in den regulären Arbeitsmarkt zeigt und damit zur Entwicklung eines inklusiven Arbeitsmarktes beiträgt (vgl. Bach 2017). Separation bedeutet, dass Menschen, die von der Norm abweichen, ausgesondert werden, indem sie beispielsweise in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt werden und keine Möglichkeit zur Berufsausbildung erhalten. 2015 wurden im Jahresdurchschnitt etwa 23.000 Menschen mit Behinderung hier beschäftigt. „Es handelte sich hierbei um Personen mit Behinderungen, die aufgrund ihres Leistungsvermögens nicht bzw. noch nicht für eine Tätigkeit unter den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in Frage kommen“ (BMBF 2017, S. 78).
Weitere 38.000 Personen befinden sich in berufsfördernden Maßnahmen, die zwar häufig auch einen Berufsabschluss bezwecken, sich jedoch nicht immer als besonders chancenreich erweisen und damit in die Grauzone zwischen Separation und Integration einzuordnen sind (vgl. ebenda). Exklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderung keinerlei Ausbildungsbzw. Beschäftigungsmöglichkeiten geboten werden (vgl. Bach 2017). Es gilt, Exklusion weitestgehend zu vermeiden. Zukünftig gilt es zu klären, bis zu welchem Grad, unter welchen Rahmenbedingungen und mit welchen Limitationen der normative Anspruch von Inklusion in der gewerblich-technischen Berufsbildung realisiert werden kann (vgl. Rützel 2016, S. 27 f.). 3 RAHMENBEDINGUNGEN EINER INKLUSIVEN BERUFSBILDUNG UND LEHRERBILDUNG IM BAUWESEN Um sich ersten Antworten auf diese Frage für die Berufsbildung im Bauwesen anzunähern, werden im Folgenden die grundlegenden Strukturen und Rahmenbedingungen und Besonderheiten einer inklusiven Berufsbildung und beruflichen Lehrerbildung im Bauwesen dargestellt und analysiert. Denn für eine Analyse zur Inklusion im Dualen System gilt es, sowohl die schul- und arbeitsmarkt- als auch die hochschulpolitischen Entwicklungen zu berücksichtigen (vgl. Zöller et al. 2016, S. 8). Zudem erscheint die Analyse notwendig, da in Kapitel 4 die Ergebnisse einer qualitativen Vorstudie zur Inklusion in der gewerblich-technischen Berufsbildung im Bauwesen – durchgeführt im Rahmen des Projekts Diversity VET – M.E.B. – vorgestellt werden. Die vorläufigen Ergebnisse können durch die hier enthaltenen strukturellen Informationen besser nachvollzogen werden und dienen als Grundlage für die weiterführende Forschung. Ebenso wird im Überblick auf den Zustand der inklusionsbezogenen fachdidaktischen Lehrerbildung verwiesen, da diese Frage
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eng mit der Frage der zielgruppenadäquaten beruflichen Praxis in der beruflichen Bildung im Bauwesen verknüpft ist. Aus diesem Grund wird in diesem Kapitel zunächst in 3.1. die Bedeutung des Konstrukts der beruflichen Fachrichtung und Fachdidaktik für eine inklusive Lehrerbildung am Beispiel der Berufsbildung im Bauwesen diskutiert. Danach folgt in 3.2 eine kurze Analyse zur Stufenausbildung und zu den Ausbildungsberufen der Bauwirtschaft. Und Kapitel 3.3 skizziert abschließend die strukturellen inklusiven Rahmenbedingungen der Berufsbildung im Bauwesen, wie z. B. Klientel, Arbeitsanforderungen, um diese vor dem Hintergrund einer inklusiven Berufsbildung zu diskutieren. 3.1 Bedeutung des Konstrukts der beruflichen Fachrichtung und Fachdidaktik für eine inklusive Lehrerbildung Die inklusive Berufsbildung und die Lehrerbildung für berufsbildende Schulen im komplexen Umfeld der Berufsbildung im Bauwesen müssen aktuell noch entwickelt und gestaltet werden. Der Kompetenzentwicklung des Berufsbildungspersonals wird eine hohe Bedeutung für die Realisierung eines inklusiven Berufsbildungssystems beigemessen (vgl. Zöller 2016, S. 8). Die Lehrerbildung gestaltet sich jedoch für das Lehramt an berufsbildenden Schulen nicht ideal und wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Sie wird u. a. durch die Rahmenvereinbarung über die Ausbildung und Prüfung für ein Lehramt der Sekundarstufe II (berufliche Fächer) oder für die beruflichen Schulen geregelt (Lehramtstyp 5). Hier wird festgelegt, dass ein Lehramtsstudium für die beruflichen Schulen u. a. neben den Bildungswissenschaften mit Schwerpunkt Berufs- oder Wirtschaftspädagogik, dem zweiten Unterrichtsfach auch Fachdidaktiken für die berufliche Fachrichtung umfasst (vgl. KMK 2016, S. 2). „Differenzierung, Integration und Förderung im Kontext der Diversität und Heterogenität als Bedingungen von Schule und Unterricht“ sind als inhaltliche Schwerpunkte der Lehramtsausbildung den Bildungswissenschaften zugeordnet, die alle „wissenschaftlichen Disziplinen [umfasst], die sich mit Bildungs- und Erziehungsprozessen, mit Bildungssystemen sowie mit deren Rahmenbedingungen auseinandersetzen“ (KMK 2014, S. 4).
Somit sind auch die beruflichen und allgemeinen Fachdidaktiken den Bildungswissenschaften zuzuordnen und haben sich um eine fachbezogene inklusive Lehrerbildung zu bemühen. Sie übernehmen eine Brückenfunktion zwischen der beruflichen Fachrichtung und den erziehungswissenschaftlichen Anteilen der beruflichen Lehrerbildung (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 376). Bekräftigt wird dieser inklusive Bildungsauftrag zudem durch den 2008 erstmals veröffentlichten und 2017 aktualisierten Beschluss der KMK über die „Ländergemeinsame[n] inhaltliche[n] Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“. Hier wird auch der jeweiligen beruflichen Fachdidaktik der Studieninhalt „Umgang
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mit Heterogenität und Inklusion“ eindeutig zugeordnet (vgl. KMK 2017, S. 77). Generell ist für die „Didaktik der beruflichen Fachrichtungen, die auf berufliche Handlungen bezogene Integration fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Inhalte und die Ausrichtung auf Lehr- und Lernprozesse an berufsbildenden Schulen [charakteristisch]. Hinzu kommt ein doppelter Gegenstandsbezug, d. h. ein Bezug sowohl auf die korrespondierenden wissenschaftlichen Disziplinen [berufliche Fachrichtung] als auch auf die zielgruppenadäquate berufliche Praxis [d. h. Praxis in den zugehörigen Ausbildungsberufen/Berufsfeld]“ (KMK 2017, S. 6).
Dabei sollen Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen u. a. durch ihre fachdidaktische universitäre Bildung dazu zu befähigt werden, alle Auszubildenden dabei zu unterstützen, die adäquaten beruflichen Handlungskompetenzen im Rahmen ihres Ausbildungsberufs zu erwerben (vgl. Kuhlmeier 2003, S. 155). Problematisch in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass es bisher misslang, eine zweifelsfreie Zuordnung der Ausbildungsberufe zu einer bestimmten beruflichen Fachrichtung vorzunehmen. Sie ist die zentrale Bezugsdisziplin der korrespondierenden beruflichen Fachdidaktik (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 376). Ebenso ist der Begriff berufliche Fachrichtung etwas irreführend. Der Begriff „Fach“ taugt laut Kuhlmeier nicht als Bestimmungsmerkmal, da „Berufe keine „Fächer“ sind oder bilden“ (Kuhlmeier 2003, S. 154). Bei einer beruflichen Fachdidaktik handelt es sich vielmehr um eine Bereichsdidaktik. Sie muss u. a. den Bereich der beruflichen Tätigkeitsfelder und Ausbildungsberufe, die Bildungsgänge beruflicher Schulen, die betriebliche Aus- und Weiterbildung sowie die Kompetenzentwicklung des schulischen und betrieblichen Berufsbildungspersonals berücksichtigen (vgl. Riedl & Schelten 2013, S. 86). Aktuell werden in der Rahmenvereinbarung über die Ausbildung und Prüfung für ein Lehramt der Sekundarstufe II (berufliche Fächer) von der KMK 16 berufliche Fachrichtungen benannt, jedoch nicht konkret beschrieben. Eine Zuordnung der beruflichen Tätigkeitsfelder und Ausbildungsberufen gilt es folglich zu leisten. Wie oben schon erwähnt, ist solch eine zweifelsfreie Zuordnung auch für die berufliche Fachrichtung Bautechnik bzw. für eine Didaktik der Berufsbildung im Bauwesen schwer zu leisten. Auch für die berufliche Fachrichtung Bautechnik ergeben sich Definitionsprobleme und es bleibt teilweise unscharf, welche Ausbildungsberufe zuzuordnen sind (vgl. Kuhlmeier 2003, S. 180). Das folgende Kapitel bezweckt dennoch, weitestgehend zu klären, welche Berufe einer Fachdidaktik Bautechnik respektive einer Didaktik der beruflichen Bildung im Bauwesen zuzuordnen sind. Dadurch soll herausgefunden werden, welche Rahmenbedingungen einer inklusiven Berufsbildung in diesem Berufsfeld und der zugehörigen beruflichen Lehrerbildung gegeben sind.
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3.2 Relevante Ausbildungsberufen der Bauwirtschaft und Ausbildungszahlen „Die beruflichen Fachdidaktiken beziehen sich in ihrer Arbeit auf die berufliche Bildung in einem speziellen, fachlich-inhaltlich bestimmten Segment. Im Idealfall wäre dieses Segment der einzelne Ausbildungsberuf, was jedoch zur Konsequenz hätte, dass für jeden Beruf eine spezifische Fachdidaktik zu konzipieren wäre“ (Kuhlmeier 2003, S. 91).
Da dies bei aktuell 330 Ausbildungsberufen (vgl. BMBF 2017, S. 12) ökonomisch und organisatorisch nicht realisierbar ist, gilt es, eine übergeordnete Einheit zu finden. Im Falle der beruflichen Fachrichtungen ist diese übergeordnete Einheit das Berufsfeld/der Berufsbereich. In Berufsfeldern bzw. Berufsbereichen werden, wie es in der KldB 10 heißt, (Ausbildungs-)Berufe zusammengefasst, „die sich durch ähnliche Tätigkeiten und Ausbildungsinhalte auszeichnen oder vergleichbare Fähigkeiten und Interessen voraussetzen“ (BA 2016, S. 8). Für die Berufsbildung im Bauwesen greifen vorwiegend die berufliche Fachrichtung Bautechnik und darüber hinaus auch die beruflichen Fachrichtungen Holztechnik sowie die Farbtechnik, Raumgestaltung und Oberflächentechnik (vgl. Kuhlmeier 2003, S. 131). Dabei werden hier in diesem Beitrag als Zuordnungskriterien für bautechnische Berufe die Planung, Vermessung, Errichtung, Ausstattung und Gestaltung von Bauwerken und Bearbeitung und der Transport der dazu notwendigen Rohstoffe definiert (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 376). Mit diesem Fokus werden auch die Berufe, welche traditionell den beruflichen Fachrichtungen Holztechnik (z. B. Tischler/-in) oder der beruflichen Fachrichtung Farbtechnik und Raumgestaltung (Maler/-in- und Lackierer/-in) zugeordnet sind, erfasst. Die zweifelsfreie Bestimmung, welche Ausbildungsberufe diesen beruflichen Fachrichtungen angehören, gestaltete sich in der Vergangenheit auch deshalb schwierig, da die verfügbaren Klassifikationen der Berufe, z. B. die des Statistischen Bundesamts oder die der Bundesagentur für Arbeit, nach unterschiedlichen Ordnungskriterien erstellt wurden (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 375). Etwas mehr Klarheit und Transparenz entstanden dadurch, dass seit dem Jahr 2011 die Klassifikation der Berufe (KldB) der Bundesagentur für Arbeit von 2010 deutschlandweit für die amtliche Statistik eingeführt wurde (vgl. BA 2011, S. 16). Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung bedient sich der KldB 10 z. B. für die Erstellung des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe vom 19. Juni 2015 (vgl. BIBB 2015, S. 8) und den jährlichen Berufsbildungsbericht. Aus diesem Grund wird die KldB 2010 im Rahmen dieses Beitrags für die Zuordnung der Berufe für die Berufsbildung im Bauwesen herangezogen. Hier werden 10 übergeordnete Berufsbereiche definiert, die auf Basis von Berufsfeldanalysen durchgeführt wurden (vgl. BA 2011, S. 44). Die relevanten anerkannten Ausbildungsberufe im Bauwesen (siehe Abbildung 2 und 3) finden sich überwiegend in den Berufsbereichen “2 Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung” und “ 3 Bau, Architektur, Vermessung und Gebäudetechnik” wieder (vgl. BA 2016, S. 8; BA 2011, S. 17). Die Berufsbereiche werden zudem in Berufshauptgruppen unterteilt. Der Berufsbereich 3 würde z. B. in 4 Berufshauptgruppen (BHG) untergliedert, d. h. in BHG 31: Bauplanungs-, Architektur- und Vermessungsberufe, in BHG 32: Hoch- und Tiefbauberufe, in BHG 33:
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(Innen-)Ausbauberufe, in BHG 34: Gebäude- und versorgungstechnische Berufe (siehe Abbildung 2).
Abb. 2: Systematik der Klassifikation der Berufe der Bundesagentur für Arbeit 2010 (Eigene Darstellung).
Weiterhin erfolgt eine Unterteilung in Berufsgruppen, Berufsuntergruppen und Berufsgattungen (vgl. BA 2011, S. 66), auf die hier an dieser Stelle aber nicht weiter eingegangen wird. Die Entscheidung, welche anerkannten Ausbildungsberufe der Bauwirtschaft zuzuordnen sind, erfolgt hier in diesem Beitrag auf Basis der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft, auf Basis des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe des BiBB, auf Basis des Lexikons der Ausbildungsberufe der Bundesanstalt für Arbeit und auf Basis der Analysen von Kuhlmeier und Uhe (vgl. Kuhlmeier 2003, Kuhlmeier & Uhe 2010). Sie erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, identifiziert jedoch die relevanten Berufe weitestgehend. Auf die BGJ-Anrechnungsverordnung von 1978 wird nicht mehr rekurriert, da diese seit Juni 2006 außer Kraft gesetzt ist. Zunächst werden die Berufe der Stufenausbildung in der Bauwirtschaft vorgestellt (vgl. Abbildung 2), da hier die Berufe zweifelsfrei festgelegt sind. Diese wird durch die Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft (BauWiAusbV) von 1999, zuletzt geändert 2009, geregelt und umfasst 19 Ausbildungsberufe (siehe Abbildung 3), wobei die erste Stufe mit einem der drei Berufe Hochbaufacharbeiter/-in, Ausbaufacharbeiter/-in oder Tiefbaufacharbeiter/-in abschließt (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 377). Die zweite Stufe schließt dann in Abhängigkeit von dem gewählten Bereich mit einem von 16 möglichen dreijährigen Facharbeiterberufen ab, z. B. Maurer/-in (Bereich Hochbau), Zimmer/-in (Bereich Ausbau) oder Straßenbauer/in (Bereich Tiefbau) (vgl. BA 2016, S. 12).
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Wird die Statistik zur Stufenausbildung herangezogen, kann bilanziert werden, dass sich im Jahr 2015 insgesamt 24.153 Personen in einem Ausbildungsberuf der Stufenausbildung in der Bauwirtschaft befanden (vgl. BiBB Datensystem Auszubildende (DAZUBI), eigene Berechnung).
Abb. 3: Ausbildungsberufe der Bauwirtschaft innerhalb der Stufenausbildung mit Auszubildendenzahlen (Stand 2015)(Ergänzte Darstellung, vgl. BA 2016, S. 13).
Differenziert betrachtet, befinden sich dabei insgesamt 5.172 Personen in der zweijährigen Ausbildung zum/zur Hochbaufacharbeiter/in, Ausbaufacharbeiter/in oder Tiefbaufacharbeiter/in, wohingegen insgesamt 18.981 Auszubildende sich in einer dreijährigen Berufsausbildung befinden. Werden nun die Berufe außerhalb der Stufenausbildung in den Blick genommen, zeigt sich, dass sich hier im Jahr 2015 ca. 60.081 Personen in einer anerkannten Ausbildung befanden (vgl. Abbildung 4). Die Tabelle berücksichtigt z. B. nicht die für die Bauwirtschaft wesentlichen Berufe, wie den Ausbildungsberuf zur/zum Anlagenmechaniker/in für Sanitär-, Heizungsund Klimatechnik mit 31.986 Auszubildenden (Berufsnummer 34212) und den Ausbildungsberuf zum/zur Elektroniker/in (Handwerk) – Fachrichtung: Energieund Gebäudetechnik mit 32.784 Auszubildenden (Berufsnummer 26212). Diese Berufe werden traditionell den beruflichen Fachrichtungen Metall- bzw. Elektrotechnik zugeordnet (vgl. Schütte 2010, S. 450; Jenewein 2010, S. 426). Die gegebene Deskription der relevanten Ausbildungsberufe und Ausbildungszahlen der
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Bauwirtschaft liefert schon Hinweise darauf, dass es sich um ein komplexes Unterfangen handelt, eine berufliche (inklusionsbezogene) Fachdidaktik für dieses breite Spektrum an doch auch sehr unterschiedlichen Ausbildungsberufen in universitärer Forschung und Lehre umfassend zu entwickeln. Hinzu kommt, dass der Status der Fachdidaktiken an den Universitäten als „prekär“ zu bezeichnen ist (vgl. Kuhlmeier 2003, S. 29).
Abb. 4: Ausbildungsberufe der Bauwirtschaft außerhalb der Stufenausbildung mit Auszubildendenzahlen (Stand 2015) (Eigene Darstellung).
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Dies ist u. a. an dem Sachverhalt erkennbar, dass an den Universitäten entweder keine fachdidaktischen Professuren zur jeweiligen Fachrichtung eingerichtet werden, sondern lediglich wissenschaftliche Mitarbeiter/ Lehrkräfte für besondere Aufgaben die Lehre hier leisten, oder eine allgemeine Technikdidaktik angeboten wird, unter der mehrere Fachdidaktiken zusammengefasst werden. Im besten Falle hat eine Professur mindestens zwei berufliche Fachdidaktiken in Lehre und Forschung zu vertreten, was für die allgemeinbildenden Fachdidaktiken undenkbar wäre. Begründet wird dies häufig mit den geringen Studierendenzahlen. Gerne stellen Universitäten die berufliche Lehrerbildung aus Gründen der Rentabilität dann ganz ein, wenn sich eine Gelegenheit dazu findet (vgl. Becker et al. 2012, S. 202 f.) Dieser Sachstand führt dazu, dass z. B. das Inklusionsthema von Fachvertretern der Fachdidaktik Bautechnik bisher nur in geringem Maß aufgegriffen wurde und bisher wenige empirische Untersuchungen im Bezugsfeld vorliegen (vgl. Keimes & Rexing 2016, S. 8). Doch ungeachtet dieser Missstände, mit denen alle Vertreter beruflicher Lehrerbildung im gewerblich-technischen Bereich zu kämpfen haben, wird nun im Überblick dargestellt, welche heterogenen Rahmenbedingungen sich für die Realisierung einer inklusiven Berufsbildung im Bauwesen abzeichnen, z. B. aufgrund der Struktur der Ausbildungsberufe und der individuellen Ausgangslage der dort befindlichen Auszubildenden. 3.3 Strukturmerkmale und Anforderungen in der beruflichen Ausbildung im Bauwesen und Resümee Insgesamt verdeutlichen die Abbildungen 3 und 4, dass eine Vielzahl an Ausbildungsberufen der Berufsbildung im Bauwesen und damit auch der Fachdidaktik Bautechnik (respektive Holztechnik & Farbtechnik und Raumgestaltung) zugeordnet werden kann. Dabei unterscheiden sich die Ausbildungszahlen erheblich, d. h. Ausbildungsberufe mit mehreren Tausend Auszubildenden stehen Ausbildungsberufen mit sehr geringen Auszubildendenzahlen gegenüber. Berufe außerhalb der Stufenausbildung sind entweder Monoberufe oder Berufe mit unterschiedlichen Fachrichtungen. Ein geringerer Anteil verfügt über Schwerpunkte (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 377). Es zeigt sich, dass es, abgesehen von den Berufen der Stufenausbildung (Ausbau-, Tiefbau- und Hochbaufacharbeiter/in), kaum solche zweijährigen Berufe gibt, die Personen mit Benachteiligung/Behinderung ggf. mit Ausbildungszeitverlängerung erlernen könnten. Aufgrund dieser Gemengelage wird der Unterricht in der Berufsschule in Bauberufen auch in Mischklassen durchgeführt. „Als Mischklasse werden Klassen bezeichnet, in denen Berufsschülerinnen und -schüler des gleichen Ausbildungsjahrs in unterschiedlichen anerkannten Ausbildungsberufen eines Berufsbereichs/einer Berufsgruppe, für die ein identischer KMK-Rahmenlehrplan gilt [– wie z. B. in der Grundstufe der Stufenausbildung –], oder aus einem anerkannten Ausbildungsberuf mit differenzierten Schwerpunkten oder Fachrichtungen ohne oder mit zusätzlichen Wahlqualifikationen gemeinsam beschult werden“ (Laag & Müller 2010, S. 21).
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Es kann jedoch auch die jahrgangsübergreifende Beschulung oder die Beschulung von unterschiedlichen Ausbildungsberufen in einer Klasse als Mischklassenbeschulung bezeichnet werden. Mischklassenbeschulung zielt auf eine möglichst wohnortnahe Beschulung von Auszubildenden in Berufen mit geringen Auszubildendenzahlen. Die Alternative ist sonst die Bildung von Landesfachklassen bzw. Bundesfachklassen, welche für die Auszubildenden ggf. weite Fahrtwege bzw. eine Unterbringungsnotwendigkeit am Standort der Berufsschule bedeutet. Aufgrund der geringen Ausbildendenzahlen in bestimmten Bauberufen lässt sich hier Mischklassenbeschulung nicht gänzlich vermeiden. Dieser Sachverhalt führt zu einer hohen inhaltlichen Heterogenität, da in einer Klasse dementsprechend auch unterschiedliche Lernfelder, z. B. in unterschiedlichen Schwerpunkten, zeitgleich unterrichtet werden müssen, dies erfordert hohe didaktische und fachliche Kompetenzen seitens der Lehrkräfte. Werden keine Mischklassen installiert, wird in der Regel die Bildung von Bundes- oder Fachklassen praktiziert, um Schüler(innen)zahlen in entsprechender Höhe zu erzielen. Dies hat wieder weite Fahrtwege der Schülerinnen zur Folge. Weiterhin sind vor allem in der Stufenausbildung die Anteile der überbetrieblichen Ausbildung im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen sehr hoch. Sie beträgt im ersten Ausbildungsjahr 17 bis 20 Wochen, 2. im zweiten Ausbildungsjahr 11 bis 13 Wochen, 3. im dritten Ausbildungsjahr: 4 Wochen (vgl. BauWiAusbV 1999, §4 AbS. 1) und insgesamt in Abhängigkeit von dem Ausbildungsberuf 32 bis 37 Wochen innerhalb der dreijährigen Ausbildungszeit. Dies bedeutet, dass nicht nur die Lehrkräfte und Ausbilder/innen adäquat für eine inklusive Berufsbildung qualifiziert werden müssen, sondern auch die überbetrieblichen Ausbilder/innen entsprechende Kompetenzen und Hilfsmittel benötigen. Ebenso gestalten sich Lernortkooperation und multiprofessionelle Teamarbeit von Lehrkräften, Ausbilder(inne)n und überbetrieblichen Ausbilder(inne)n mit förderpädagogischen Fachkräften aufgrund des erweiterten Personenkreises entsprechend komplex. Eine sonderpädagogische Expertise ist beim betrieblichen Ausbildungspersonal in der Regel nicht zu erwarten, da lediglich die Betriebe, die in theoriegeminderten Ausbildungsberufen (Behindertenberufe) nach § 66 BBiG/§ 42m HwO ausbilden, hier für die Ausbildungsverantwortlichen eine entsprechende Fortbildung – „Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder (ReZA)“ – nachweisen müssen. Diese Qualifikation fehlt in der Regel in den Betrieben und ist vielen Ausbildungsbetrieben nicht einmal bekannt (vgl. Zöller 2016, S. 5). Ebenfalls als Hemmnis für eine gelingende Inklusion können sich die weiten Wege zwischen den einzelnen Lernorten herausstellen. Generell ist Mobilität ein wichtiger Faktor in der beruflichen Facharbeit im Bauwesen. Kuhlmeier und Uhe beschreiben Baustellen als „mobile Fabriken (...), die an ständig wechselnden Orten neu geplant und eingerichtet werden müssen“ (Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 379). Eine entsprechende Mobilität und auch körperliche Fitness müssen demnach auch die dort beschäftigten Auszubildenden nachweisen. Die Arbeit auf Baustellen ist wenig ergonomisch, häufig mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden und die Arbeiter(innen) sind oft der Witterung (Hitze, Regen, Kälte) ausgesetzt. Eine hohe
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Belastbarkeit diesbezüglich ist folglich Grundvoraussetzung für die Berufsausübung in vielen Bauberufen. Aus diesem Grund erscheint es weniger Erfolg versprechend bzw. teilweise auch nicht möglich, Personen mit (schweren) körperlichen Behinderungen oder Krankheiten in bestimmten Bauberufen auszubilden. Die hohen körperlichen Anforderungen sind auch eine Ursache dafür, dass der Frauenanteil in Bauberufen eklatant gering ausfällt (vgl. Keimes & Rexing 2016, S. 7). Da im Bauprozess in der Regel sehr viele unterschiedliche Gewerke mitwirken, ist die Notwendigkeit einer gewerkübergreifenden Abstimmung sehr groß. Ebenso spielt die Kommunikation der Mitarbeiter(innen) mit dem Kunden, vor allem in Kleinbetrieben aufgrund der flachen Hierarchien, eine wichtige Rolle. Da in Bauberufen zu drei Viertel in handwerklichen Ausbildungsbetrieben, d. h. überwiegend in Kleinst- und Kleinbetrieben, ausgebildet wird und lediglich zu einem Viertel in industriellen Betrieben, hat diese Anforderung eine hohe Bedeutung (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 377). Aus diesem Grunde gilt es für Auszubildende, Kenntnisse über die zusammenhängenden Handlungsprozesse auch der andere Gewerke sowie Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit zu erwerben (vgl. Kuhlmeier & Uhe 2010, S. 379). Da die Migrationsrate bei Auszubildenden im Bauwesen auffallend hoch ausfällt (vgl. Keimes & Rexing 2016, S. 8), gilt hier die inklusive Anforderung an das Berufsbildungspersonal bzw. die Berufsschule, zum Abbau von Sprachbarrieren bei den Auszubildenden beizutragen und sich überhaupt erst einmal mit ihnen zu verständigen. Den Umgang mit den kulturellen Unterschieden gilt es ebenfalls zu beachten. Generell entscheiden sich notgedrungen häufig leistungsschwache Personen mit einem eher niedrigeren Bildungsniveau für eine Ausbildung in Bauberufen (vgl. Nickolaus et al. 2014, S. 170). Diese Auszubildenden weisen dann überdurchschnittlich hohe mathematische, sprachliche und auch motivationale Defizite auf, ebenso mangelt es ihnen mitunter an Problemlösestrategien und (meta-)kognitiven Lernstrategien und berufsfachlichem Vorwissen (vgl. Keimes & Rexing 2016, S. 6). „Aufgrund der ergonomisch häufig unbefriedigenden Arbeitsverhältnisse und wegen der instabilen Jahreseinkommensverhältnisse ist eine Berufsausbildung in Bauberufen für viele und vor allem für leistungsstarke Schulabgänger unattraktiv.“ (Kuhlmeier 2003, S. 112). Kurz zusammengefasst, kann konstatiert werden, dass zum einen an den Universitäten aufgrund der schlechten Ausstattungssituation mit forschungsfähigen Einheiten für die einzelnen gewerblich-technischen Fachdidaktiken keine gute Ausgangsbasis zur Entwicklung einer inklusionsbezogenen Fachdidaktik zur Verfügung steht und dass zum anderen die Ausführungen einen Überblick über die Rahmenbedingungen einer inklusiven Berufsbildung im Bauwesen vermitteln. Diese wirken wiederum auch auf die Anforderungen zur Inklusion an Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen in bautechnischen Berufen. Vor diesem theoretischen Hintergrund können die Forschungsergebnisse aus dem Projekt Diversity VET – M.E.B. besser eingeordnet werden.
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4 PROJEKT DIVERSITY VET – M.E.B. 4.1 Ausgangspunkte Das Projekt: Lehrerprofessionalisierung unter Berücksichtigung von Diversität in beruflichen Bildungsgängen der Metall-, Elektro- & Bautechnik – initiieren, begleiten und reflektieren wird im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an der Universität Kassel realisiert. Es zielt darauf ab, kompetenzorientierte Lehrveranstaltungen zu entwickeln, welche es angehenden gewerblich-technischen Lehrkräften ermöglicht, grundlegende Kompetenzen zur Bewältigung der Anforderungen bei der Umsetzung von inklusiven Berufsbildungsgängen zu erwerben (vgl. Bach, Schmidt & Schaub 2016, S. 1). Von Interesse ist hierbei, wie universitäre Lernumgebungen zur inklusionsbezogenen professionellen Kompetenzentwicklung von Lehrkräften in der ersten Phase der Lehrerbildung inhaltlich und methodisch zu konzeptionieren sind, damit dieses Ziel erreicht wird. Dabei liegt der Forschungsschwerpunkt zunächst auf der inhaltlich-curricularen Ausgestaltung. Die Entwicklung inklusionsbezogener Lehrveranstaltungen im Projekt sollen jedoch auf den realen Anforderungen und Gegebenheiten der inklusiven berufspädagogischen Praxis beruhen und nicht nur auf normativen Setzungen. In diesem Sinne wird im Rahmen von Diversity VET – M.E.B. auch empirische Forschung durchgeführt. Im Fokus der folgenden Darstellung steht eine qualitative Vorstudie, welche noch nicht abgeschlossen ist und in deren Rahmen bisher Lehrkräfte an bautechnischen Berufsschulen befragt wurden. Das Erkenntnisinteresse ist darauf ausgerichtet, herauszufinden, mit welchen inklusionsbezogenen Aufgaben und Anforderungen berufliche Lehrkräfte in gewerblich-technischen Schulen aktuell konfrontiert sind und von welchen Erfahrungen, Fällen und Handlungsstrategien sie berichten. 4.2 Zusammenfassung des Forschungsstands Vor dem Hintergrund dieser Forschungsfragen soll die universitäre Lehrveranstaltung im Rahmen von Diversity VET – M.E.B. auf empirischer Basis erfolgen. Unter dieser Prämisse wird zunächst eine Erhebung des Stands der Forschung zur Professionalisierung von Lehrkräften für eine inklusive (Berufs-)Bildung vorgenommen, um, darauf basierend, einen Leitfaden für die qualitativen Interviews zu entwerfen. Da es bei der Forschungsfrage insbesondere um die Annäherung an die Frage geht, welche Anforderungen mit der Umsetzung einer inklusiven (Berufs-)Bildung verbunden sind, empfiehlt es sich, die synoptischen & empirischen Arbeiten von Bylinski, Zoyke, Melzer und Hillenbrand sowie Langner (vgl. Bylinski 2016, S. 225; Langner 2015; Melzer & Hillenbrand 2013; Melzer et. al. 2015; Zoyke 2016) zu rezipieren, diese basieren sowohl auf gründlichen theoretischen als auch auf empirischen Zugängen. Bylinski und Zoyke fokussieren hierbei insbesondere auch die Anforderungssituation in der beruflichen Bildung und Langner befragte
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im Jahr 2010 Lehrkräfte aus allen Schulformen in Nordrhein-Westfalen quantitativ (n=2050) und eine Auswahl davon auch qualitativ (n=7) (vgl. Langner 2015, S. 9, 197). Die Erarbeitung des Kompetenztableaus von Bylinski erfolgt ebenfalls auf Basis einer qualitativen Befragung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Lehrkräften, Ausbilderinnen und Ausbildern sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, die im regionalen Übergangsmanagement arbeiten (vgl. Bylinski 2016, S. 225). Eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Stands der Empirie und Theorie zur Frage, welche Inhalte und Kompetenzbereiche für eine inklusive Qualifizierung des Berufs (-bildungspersonals) relevant sind, ergibt vier Themenfelder (vgl. Abb. 5), welche auch die Bereiche der überarbeiteten Standards für die Lehrerbildung abbilden (vgl. KMK 2014).
Abb. 5: Handlungsfelder von Lehrkräften an beruflichen Schulen zur inklusiven Berufsbildung (Bach 2017b, S. 16).
Als wesentlich kristallisieren sich folgende Kompetenz-/Anforderungsbereiche heraus (vgl. Bach 2017b, S. 16): 1. Kompetenz zur Umsetzung individueller Förderung der Einzelnen in und außerhalb des Unterrichts. 2. Wissen über gesetzliche Grundlagen, Funktionen und Strukturen beruflicher Förderpädagogik und die Kompetenz, verfügbare Hilfsmittel, strukturelle Möglichkeiten und unterstützende Personen in Anspruch zu nehmen. 3. Das Vermögen, schulinterne Team- und Schul-
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entwicklungsarbeit sowie regionale Netzwerkarbeit zu leisten und dabei 4. förderliche Einstellungen, Haltungen und Zielperspektiven hinsichtlich einer inklusiven Berufsbildung zu entwickeln. Empirische Daten zu den Kompetenz- & Anforderungsbereichen einer inklusiven Lehrerbildung im gewerblich-technischen Bereich liegen nicht vor. Hier kann ein klares Forschungsdesiderat konstatiert werden. Auf dem Stand der Forschung aufbauend, wurde ein erster qualitativer Interviewleitfaden entwickelt, der im weiteren Projektverlauf angepasst und modifiziert wird (siehe Abbildung 6).
Abb. 6: Zentrale Schwerpunkte des Interviewleitfadens (Eigene Darstellung).
4.3 Durchführung, Transkription und Auswertung der Datenerhebung Die Datenerhebung im Feld erfolgt dazu mittels halbstandardisierten leitfadengestützten Interviews. Um den explorativen Charakter der Forschung zu gewährleisten, sind hierbei Teile des Leitfadens als offene Fragen konzipiert, die Narrationen unterstützen sollen. Für die Interviews wurden aktive Lehrkräfte aus der Bautechnik in der dualen Ausbildung im Raum Nordhessen und Südniedersachsen herangezogen, die u. a. durch Gatekeeper (Schulleitungen) rekrutiert wurden. Bisher wurden vier Interviews als Vorstudie in der Bautechnik durchgeführt, um den Leitfaden, die Stimuli und den Grad der Offenheit für weitere Interviews zu konkretisieren bzw. gegebenenfalls anzupassen. Weitere Interviews (Zielzahl n=20) werden in 2017 und 2018 stattfinden. Diese werden mit Lehrkräften in der dualen Berufsausbildung im gewerblich-technischen Bereich durchgeführt, da hier die Umsetzung von Inklusion aufgrund der andersartigen Rahmenbedingungen im Vergleich zu vollzeitschulischen Bildungsgängen besonders herausfordernd er-
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scheint (z. B. andere Anforderungen an die Auszubildenden, körperliche Tätigkeiten etc.). Ebenso werden die Daten sukzessive durch weitere quantitative und qualitative empirische Ergebnisse ergänzt, die aktuell in Lehrforschungsprojekten erhoben werden. Die Interviews wurden mit den Lehrkräften an ihrer jeweiligen Schule geführt, digital aufgezeichnet, wörtlich transkribiert, leicht sprachlich geglättet und anonymisiert. Zum aktuellen Zeitpunkt erfolgt eine erste zusammenfassende Analyse der Interviews. Dies ist als Vorstudie zu werten. Die Auswertung und die Führung der Interviews sind noch nicht abgeschlossen. Die hier dargestellten ersten Ergebnisse sind nicht repräsentativ und stellen eine Auswahl dar, welche dem Umfang des Beitrags entspricht. Sie dienen zur Weiterentwicklung und Ergänzung der Leitfragen, als Diskussionsgrundlage und ggf. zu einem späteren Zeitpunkt zur Entwicklung eines quantitativen Erhebungsinstruments und empirisch fundierter Typenbildung. Eine grundlegende Hypothese im Vorfeld lautete, dass nicht alle Lehrkräfte an den Schulen den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs zur Inklusion verfolgen und deshalb zentrale Begriffe und Sachverhalte während des Interviews geklärt werden müssen, damit Fragen dazu möglich werden, wie z. B. die Unterscheidung enger und weiter Inklusionsbegriff. Alle Leitfragen und Begriffsdefinitionen (z. B. Inklusionsbegriff eng/weit) wurden während des Interviews mit einer PowerPoint Präsentation am Laptop präsentiert, sodass diese mitgelesen werden konnten. Alle befragten Lehrkräfte unterrichten an gewerblich-technischen Berufsschulen in bautechnischen Ausbildungsberufen, haben sich freiwillig zum Interview zur Verfügung gestellt und haben ohne erkennbare Vorbehalte über ihre Wahrnehmung zu den gestellten Fragen offen berichtet. Das Verhalten des Interviewers im Gespräch war neutral-weich. Aufgrund der hohen Mitteilungsbereitschaft und der eigenen Schwerpunktsetzungen der Lehrkräfte dauerten die Interviews zwischen 90 und 120 Minuten. 5 ZUSAMMENFASSENDE DARSTELLUNG ERSTER ERGEBNISSE DER VORSTUDIE UND IMPLIKATIONEN FÜR DIE LEHRERBILDUNG Nachfolgend werden die ersten Ergebnisse der Vorstudie auf Grundlage der dargestellten vier Kategorien (vgl. Abb. 5 und 6) anhand von geeigneten Zitaten vorgestellt. Diese werden anschließend interpretiert und in Zusammenhang mit dem Stand der Forschung gebracht. Abschließend stellt sich jeweils die Frage, welche Implikationen die bisher gewonnenen Erkenntnisse für die erste Phase der Lehrerbildung und die Generierung der Lernumgebung mit sich bringen.
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5.1 Themenfeld 1: Kompetenz zur Umsetzung individueller Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler in und außerhalb des Unterrichts. Hier nimmt Bylinski zum einen die individuelle Förderung des Einzelnen und zum anderen den kompetenten Umgang mit heterogenen Gruppen in den Blick (vgl. Bylinski 2016, S. 226). Dieses Thema ist für Lehrkräfte aller Schultypen zeitlos aktuell (vgl. Helmke 2014, S. 248). Dazu gehören Aufgaben, wie z. B. die Diagnostik der Leistungsfähigkeit, Lerneinschränkungen und Behinderungen von Schülerinnen und Schülern, die Umsetzung von Unterricht in heterogenen Klassen, der Förderunterricht, die Förderplanarbeit sowie die individuelle Beratung (vgl. Bylinski 2016, S. 226; Melzer & Hillenbrand 2013, S. 197 f.). Individuelle Förderung wird im Zusammenhang mit der Diagnostik als Kernkompetenz innerhalb einer inklusiven Leitidee qualifiziert (vgl. Zoyke 2016, S. 9). Insbesondere die diagnostische Kompetenz von Lehrkräften manifestiert sich hierbei als ein zentraler Bestandteil inklusiven didaktischen Lehrerhandelns. Außerdem geht „eine gezielte individuelle Förderung der Lernenden [...] einher mit Formen der inneren Differenzierung, die sich sowohl an dem Individuum orientiert als auch an der heterogenen Lerngruppe“ (Bylinski 2016, 10 f.).
In der Praxis stößt die Realisierung von differenziertem und individualisiertem Unterricht jedoch auf Schwierigkeiten. So verweist beispielsweise Helmke darauf, dass sich Lehrkräfte nicht selten an einer/einem Durchschnittsschüler/in orientieren und ein bewusstes Wahrnehmen und Umgehen mit individuellen Lern- und Leistungsunterschieden – z. B. durch das gezielte Schließen von lernrelevanten Wissenslücken, Lernstrategietraining, adaptiven Unterricht – unterbleiben. Terhart spricht in diesem Zusammenhang von einer „Überforderungsfalle“ (Terhart 2015, S. 75). Diese Einschätzung wird durch die Aussagen von den in Diversity VET – M.E.B. befragten Lehrkräften in der bautechnischen Ausbildung ebenfalls gestützt. Alleine schon im Themenfeld Diagnostik und der darauf aufbauenden Förderplanung offenbaren sich Überforderung und Unterstützungsbedarf durch externe Expertinnen und Experten. Zitat 1: „(...) die Diagnostik ist schwierig, wenn sie überhaupt möglich ist. Und was mache ich dann mit dem Ergebnis, was ich da rauskriege? (…) Also, ich kann ja eine Diagnose machen, aber was habe ich dann für Mittel?“ (I2, Z. 858–861). „Aber, wenn ich jetzt zur Lese-Rechtschreibschwäche gehe, da habe ich schon einige Vorträge (…) gehört, da hieß es, wir als normale Lehrkraft sind eigentlich gar nicht in der Lage, Förderpläne zu machen. Wir können das gar nicht differenziert, so eine Diagnostik. Und jetzt wird das von uns erwartet. Wie soll man das hinkriegen? Also, da müsste man doch im Prinzip diesen Schüler irgendwo hinschicken und ich weiß nicht zu wem, extern, und der analysiert das. Das kann ich nicht im normalen Unterricht machen. Das geht ja gar nicht“ (I2, Z. 1016–1023).
Notwendig bleibt es auch, die Leistungsgrenzen der Schülerinnen und Schüler realistisch einzuschätzen, ihnen zwar potenzialorientiert mehr zuzutrauen, als vielleicht zunächst möglich scheint, jedoch auch zieldifferentes Lernen für Leistungsschwächere zu ermöglichen. Aber auch hier ist ein professionelles und sensibles
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Vorgehen geboten. Langner weist darauf hin, dass innere Differenzierung im Klassenverband häufig mit einer Stigmatisierung verbunden ist und mitunter dem Gedanken der Inklusion, d. h. der gemeinsamen Beschulung aller, zuwiderläuft (vgl. Langner 2015, S. 318). Solche Erfahrungen konnten auch für die gewerblich-technische Berufsbildung festgestellt werden. Zitat 2: „Differenzierung, das ist immer ein bisschen schwierig. Also, ich beziehe das jetzt mal auf die Berufsfachschule, auf die zweijährige. Ich habe jetzt zum Beispiel mal in Mathe das so gemacht, dass ich einen Tisch, ohne, dass ich was gesagt habe, von Leuten, die 1er- und 2erSchüler/-innen sind, also, die das sehr schnell bearbeiten können, die sollten sich austauschen mit Aufgaben. Da habe ich zwei kleinere Tische gemacht. Hier konnten die Schüler/-innen auch selbstständig arbeiten, auch wenn sie langsamer waren (…). Und ich hatte eine Gruppe von Leuten, die gar nichts können, da habe ich mich reingesetzt. Da war schon: ‚Oh, du gehörst ja zu den Schlechten.‘ Habe ich so gedacht: ‚Oh, das habe ich mir ja gar nicht so vorgestellt‘, aber die haben (.) sich im Prinzip schon gemobbt. Ich mache das nicht mehr, weil ich das eigentlich total nachteilig finde“ (I2, Z. 709–718).
Allgemein werden die individuelle Förderung und die Diagnostik von den befragten Lehrkräften als herausforderndes Feld betrachtet, wobei die eigene Expertise als ausbaufähig und einige Facetten der operationellen Ebene als “defizitär” beschrieben werden. Zitat 3: „Total schwierig, Diagnostik. Also, dafür müsste man besser ausgebildet sein. Muss ich ganz ehrlich sagen.“ (I1, Z. 846)
Als Hemmnis werden auch die datenschutzrechtlich fehlenden Informationen der Zubringerschulen angeführt: Zitat 4: „Wir haben nämlich immer das große Problem, dass uns nie gesagt wird, welche Behinderungen die Personen mitbringen. Und das ist ein großes Manko, was wir haben“ (I3, Z. 219 f.). Zitat 5: „Und man diagnostiziert immer und man macht so Trial and Error viel und man verbraucht eigentlich viel Zeit erst einmal, bis man auf die Ursachen gekommen ist“ (I3, Z. 249 f.).
Im Bereich der Differenzierung werden nach Ansicht der Lehrkräfte unterschiedliche organisatorische und methodische Maßnahmen der inneren und äußeren Differenzierung sowie der Individualisierung im gewerblich-technischen Unterricht umgesetzt (z. B. Förderunterricht, SoL, Aufgabendifferenzierung, zeitliche Differenzierung, Lerntagebücher etc.). Welche Maßnahmen eingesetzt werden, unterscheidet sich je nach Klassenstruktur und Ausbildungsgang. Die Lehrkräfte erkennen bei dem Einsatz von Differenzierung im Unterricht aber auch, wie schon im Zitat 2 angeführt, Grenzen: Zitat 6: „Haben wir alles schon probiert. Da haben wir aber allerdings so den Eindruck, dass das wirklich halt, wenn man da so viel anbietet, letztendlich, die einfach auch überschwemmt sind. Die sind manchmal einfach froh, wenn sie alle die gleiche Aufgabe haben. Und, dass sie selber sich noch eine Aufgabe mit einem eigenen Schwierigkeitsgrad nehmen – sie nehmen meistens eh immer die, die, wo sie denken, dass sie am wenigsten zu tun haben“ (I3, Z. 970– 982).
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Außerdem wirft die Differenzierung besonders bei den Punkten der Individualisierung und Potenzialorientierung Fragen dahin gehend auf, inwieweit eine Zieldifferenzierung überhaupt in der beruflichen Bildung möglich und strukturell/wirtschaftlich gewollt ist (vgl. Karl et. al. 2017, S. 18 f.): Zitat 7: „Genau die Differenzierung. Ja gut, das ist ja alles schön, nur am Ende steht eine Prüfung“ (I4, Z. 1368).
Des Weiteren werden oft zeitliche Faktoren angesprochen, die eine differenzierte Ausarbeitung des Unterrichts erschweren. Besonders in Klassen mit hoher Leistungsheterogenität oder inhaltlicher Heterogenität sehen die Lehrkräfte Grenzen und Hemmnisse. Insbesondere werden hier die Mischklassen in der bautechnischen Grundstufe genannt, die grundständig durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Berufen, individuellen Werdegängen und Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schülern geprägt ist. Außerdem zeigen sich auch eine deutliche Überforderung und Zeichen von Unsicherheiten hinsichtlich der Rahmenbedingungen von Inklusion in der beruflichen Bildung. Zitat 8: „Wenn, dann muss ich das in meiner privaten Zeit machen, weil das ist ja gar nicht vorgesehen“ (I3, Z. 870). Zitat 9: „Vonseiten der Kultusverwaltung gibt es ja zusätzliche Entlastungsstunden für die Lehrkräfte, den so genannten Sozialindex. Dieser Sozialindex, der wird nach Schule, Einzugsbereich der Schule und Anzahl der Schüler festgelegt. Und da kommen Dinge bei heraus, die wir überhaupt nicht verstehen. Also unsere Schule mit 1.400 Schülern hat 2,7 Stunden Sozialindex und eine Schule wie das XY Gymnasium hat, glaube ich, eine Drittelstelle als Sozialindex. Das können wir nicht verstehen. Es hat uns auch noch niemand so erklären können oder wollen“ (I1, Z. 537–548).
Hier zeigt sich der Problematik, dass „der Schwerpunkt der Umsetzung von Inklusion im schulischen Bereich aktuell primär noch auf dem allgemeinbildenden Schulsystem liegt“ (Zöller 2016, S. 8) und deshalb aktuell (zu) wenige Ressourcen zur adäquaten Umsetzung von Inklusion an berufsbildenden Schulen zur Verfügung gestellt werden. 5.2 Themenfeld 2 & 3: Wissen über Strukturen beruflicher Förderpädagogik & Kompetenz zur Netzwerk- und Schulentwicklungsarbeit Die Themenfelder 2 (Wissen über gesetzliche Grundlagen, Funktionen und Strukturen beruflicher Förderpädagogik) und 3 (Schulinterne Team- und Schulentwicklungsarbeit sowie regionale Netzwerkarbeit) werden hier zusammen dargestellt, da sich in den Interviews eine starke Verbindung zu diesen Themengebieten herausstellte. Damit sich Lehrkräfte an beruflichen Schulen in der dual-betrieblichen Ausbildung dazu in der Lage sehen, mit beruflichen Förderpädagoginnen und Förderpädagogen zu kooperieren, mit Förderplänen zu arbeiten und sich selbst in Bezug auf Inklusion zu professionalisieren (vgl. Melzer et. al. 2015, S. 68), ist es unabdingbar,
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dass sie die gesetzlichen Grundlagen, Funktionen und Strukturen beruflicher Förderpädagogik kennen, um die Schülerinnen und den Schüler die individuell benötigten Hilfestellungen in Form von Nachteilsausgleich, assistierter Ausbildung, ausbildungsbegleitenden Hilfen, speziellen Medien, Übergangsberatung, etc. im Rahmen ihrer Ausbildung anbieten zu können. Ebenfalls deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es notwendig ist, Personen aus dem allgemeinbildenden Bereich, sei es aus der regionalen Bildungsverwaltung, den Förderpädagogen oder betrieblichen Ausbildern, über die inklusionsbezogenen Belange berufsbildender Schulen zu informieren, um eine effektive multiprofessionelle Teamarbeit in die Wege zu leiten und zu vermeiden, dass die Interessen der beruflichen Bildung im regionalen Bildungsdiskurs untergehen. Multiprofessionelle Teamarbeit kann jedoch auch als neue Variante von Lernortkooperation interpretiert werden. Hierzu muss kritisch angemerkt werden, dass die Lernortkooperation in der beruflichen Bildung schon seit Entstehung des Dualen Systems hinter den Anforderungen zurückbleibt (vgl. Berger 1999; Beicht et al. 2009; Eder & Rütters 2012). Inwieweit sich dies nun inklusionsbedingt ändert, bleibt abzuwarten. Anbei ein korrespondierender Interviewauszug dazu: Zitat 10: „Multiprofessionell also, dass wir verschiedene Fachleute hier zusammenkriegen, das ist halt schwierig. Es funktioniert nur im Rahmen von Klassenkonferenzen oder eben, dass wir dann die Leute, die wir hier an der Schule haben, zurate ziehen“ (I1, Z. 908–910).
Durch den im Kapitel 3 angesprochenen erweiterten Personenkreis, welcher bei einer bautechnischen Ausbildung zusammenarbeitet, wird der Aufwand, mit allen Beteiligten multiprofessionell zusammenzuarbeiten, erhöht. Der normative Anspruch, im Team mit anderen pädagogischen Fachkräften (vgl. Zoyke 2016, S. 210 f.) im Unterricht zusammenzuarbeiten, erscheint jedoch auch laut Langner für die Lehrkräfte eindeutig anschlussfähig. „Die Realisierung des Teamteachings wirkt sich positiv bei den interviewten Lehrerinnen und Lehrern auf die Herausforderung, heterogene Klassen zu unterrichten, aus. Die Lehrerinnen und Lehrer formulieren auch den Wunsch, dass ausreichend Unterrichtsstunden in Zweierbesetzung durchgeführt werden können“ (Langner 2015, S. 312).
Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den in Diversity VET – M.E.B. geführten Interviews wider: Zitat 11: „So, Teamteaching, wir sind ja doppelt gesteckt zum Beispiel bei den Maurern ab und zu mal, aber wir sind deshalb nur doppelt gesteckt, weil wir halt auch die dual Studierenden haben und die Stahlbetonbauer. Teamteaching soll dazu beitragen, das ein bisschen aufzulockern und für eine Lehrkraft erträglich zu machen. Dann muss diese nicht an drei Lernfeldern parallel arbeiten“ (I2., Z. 670–675).
Alle befragten Lehrkräfte betonen die Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit der Arbeit in inter- oder multiprofessionellen Teams, wie Kollegiale Fallberatung oder die Nutzung von „Ausbildertagen“ an Schulen. Jedoch scheitert die effektive multiprofessionelle Arbeit nach Aussagen der Lehrkräfte zumeist auf der Mesoebene: „an den zeitlichen Ressourcen“ und „an fehlenden strukturellen Rahmenbedingungen, wie
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der Implementierung von Kooperations- und Vernetzungsroutinen“. Auf der Mikroebene werden nur vereinzelt Hemmnisse dargestellt, erkannt oder sind nicht bewusst. Konsens herrscht über den positiven Nutzen und die Ausbaufähigkeit einer Kooperation mit „allen Beteiligten“. Hier stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die notwendige Zusammenarbeit unter den derzeitigen regionalen Strukturen überhaupt möglich ist: Zitat 12: „Es gibt jetzt (.) so eine virtuelle Förderschule, das sind entsprechende Lehrkräfte, und die werden von dort auf die ganzen Schulen verteilt, um dort inklusiv wirken zu können. Auf diesem Wege haben wir auch eine Lehrkraft bei uns an die Schule bekommen mit einer Stunde pro Woche (Gelächter)“ (I1, Z. 520–522).
Die genannte Förderschule ist in der Region des Befragten das Beratungs- und Förderzentrum (BFZ), welches mit 47 Sonderpädagogen die regionalen Schulen im inklusiven Unterricht unterstützt. Die Sonderpädagogen sind hier ambulant eingesetzt und werden nach einem Index auf die Schulen verteilt. Jedoch ist in diesem Zusammenhang fraglich, inwieweit 1h/Woche für eine ganze berufliche Schule adäquat ist, um eine effiziente Kooperation, Teamarbeit und Unterstützung bei der Inklusion überhaupt zu praktizieren. Hier stellt sich in der Praxis die Frage, was eine Lehrkraft im direkten Unterricht für Aufgaben übernehmen muss und welche Kompetenzen hierfür nötig sind, insbesondere deshalb, da die Lehrkräfte, wie im Themenfeld 1 beschrieben, fachlich keine Förderpläne erstellen können und sollen und zum Teil keine Informationen über Barrieren, bisherige Förderpläne, festgestellte Förderbedarfe etc. vorliegen. Die Arbeit in interprofessionellen Teams innerhalb der Schulen ist ausbildungsbereichsspezifisch unterschiedlich gestaltet und unterliegt aufgrund der Stufenausbildung in der Bautechnik einem hohen Aufwand in den ersten Phasen der Ausbildung. In einzelnen Ausbildungsbereichen funktioniert die Zusammenarbeit besonders auf der Unterrichtsplanungsebene hingegen gut: Zitat 13: „Wir Fliesenleger planen zusammen immer die 14 Tage, die Schüler sind in einem Block 14 Tage vor Ort. Dann wird der Lehrplan schon vorher, also das Lernfeld wird in Lernsituationen zerlegt, dann kriegen die schon ein vorbereitetes Raster, was in welcher Stunde drankommt. Mit Projektphasen und so weiter wird dann das Ganze vertieft und jeder Lehrer weiß, was zu welcher Stunde eigentlich auf dem Plan steht. Das hat halt zur Folge, dass, wenn ein Lehrer ausfällt in dem Team, kann der anderer sofort praktisch auch übernehmen“ (I3 695– 701).
Hingegen werden Instrumente, wie die Kollegiale Fallberatung eher weniger umgesetzt. Fallbesprechungen werden nach den befragten Lehrkräften eher in Klassenkonferenzen o. Ä. besprochen. Welche Hemmnisse (zeitliche, Einstellungen, strukturelle) hier bestehen, kann aus den bisherigen Interviews nicht eindeutig entnommen werden. Hierauf wird der Leitfaden weiter angepasst. Generell gibt es nur geringe Bestrebungen, eine multiprofessionelle Arbeit voranzutreiben. Auch gibt es kaum Kontakte zum Berufsbildungswerk, die aufgrund ihrer Ausrichtung eine spezielle Expertise mit behinderten Schülerinnen und Schülern haben. Außerdem wissen die Lehrkräfte nicht, welche Bereiche hier ausgebildet werden und welche Expertisen dort vorhanden sind. Des Weiteren sind auch
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Kenntnisse über Ausbildungsberufe, wie die Fachpraktikerausbildung, nur rudimentär vorhanden: Zitat 14: „Das habe ich jetzt nicht so präsent, was Paragraph 66 ist, das muss ich Ihnen ehrlich sagen“ (I2 Z. 278 f.).
Generell werden auch nur wenige Maßnahmen zur Flexibilisierung der Ausbildung auf zeitlicher Ebene genutzt. Hier zeigen sich zum einen ein geringer Bestand an Wissen über Möglichkeiten der Flexibilisierung und auch eine reservierte Einstellung dazu. Zitat 15: „Zeitliche Flexibilisierung, also wenn jemand durch die Prüfung gefallen ist, kann er ja verlängern. Das haben wir ganz oft. [...] Also nach meinen Kenntnissen wird immer die Prüfung geschrieben und dann hat man dieses negative Erlebnis, ja. Manche hoffen ja auch, dass sie durchkommen. Mit einer 4, die müssen erst die Zwischenprüfung erlebt haben und stellen bei der Zwischenprüfung fest, sie können nichts und erst dann fangen sie an zu arbeiten“ (I2, Z. 594–609).
5.3 Themenfeld 4: Einstellungen, Haltungen, Zielperspektiven einer inklusiven Berufsbildung Motivationstheorien im Allgemeinen und empirische Studien im Themenfeld Inklusionskompetenz von Lehrkräften im Besonderen betonen den Zusammenhang einer optimistischen Einstellung der Lehrkräfte mit ihrer Anstrengungsbereitschaft zur Umsetzung von Inklusion. Langner stellt hierzu fest, dass Lehrkräfte sich dann als kompetent für inklusiven Unterricht einschätzen, wenn sie sich bewusst dafür entschieden haben und sich dadurch zuständig und bereit fühlen (vgl. Langner 2015, S. 321). So ergaben die qualitativen Befragungen im Projekt Diversity VET – M.E.B bisher, dass sich drei der vier befragten Lehrkräfte dem weiten Inklusionsbegriff verpflichtet fühlen, mit dem Hinweis auf die schon seit Langem vorherrschende Heterogenität in der beruflichen Bildung. Dabei favorisiert eine Lehrkraft den engen Inklusionsbegriff deshalb, weil sie in „besonderen Bildungsgängen“ für Menschen mit Behinderung unterrichtet und deshalb diese Gruppe besonders fokussiert. Zitat 16: „Ich neige mehr dem weitergehenden Begriff (…) zu (…). Wir haben im Berufsschulsystem gerade bei den ganzen Menschen, die in dem regulären Schulsystem gescheitert sind, sehr viele Menschen mit sozialer Benachteiligung“ (I1 2017, Z. 72–74). Zitat 17: „Also, für unsere Schule kann das enge Inklusionsverständnis nicht gelten.“ (I2 2017, Z. 215) Zitat 18: „Ja, also ich habe bis jetzt in meinem Leben noch nie da irgendwie ein Problem gesehen. Ich hatte schon immer, mehr oder weniger, mit Menschen zu tun, die meiner Meinung nach benachteiligt waren. (…). Da müssten wir halt die Bedingungen auch so geschaltet haben, dass wir derer gerecht werden können. Und das sehe ich halt leider nicht. (...) Ich denke, es hat sich vielleicht schleichenderweise zu unserem gesunden Menschenverstand gemacht, dass wir niemandem sozusagen die Tür verschließen, weil er uns anders vorkommt.“ (I4 2017, Z. 159– 197)
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Diese Aussagen der Lehrkräfte liefern Hinweise darauf, dass die Lehrkräfte den Umgang mit einer sehr heterogenen Schülerschaft gewohnt sind und diese Aufgabe für sich angenommen haben. Die Interviews ergaben weiterhin, dass vielfältige persönliche Erfahrungen in der Beschulung von Menschen mit Behinderung im engeren Sinne an der jeweiligen Schule vorliegen. Benannt werden u. a. Erfahrungen mit Autismus, Lern-, Körper- und Sinnesbehinderung, sozial-emotionaler Behinderung, ADHS, Lese-Rechtschreibschwäche, Dyskalkulie, Hörschäden und Kranken. Im weiteren Inklusionsverständnis nennen die Lehrkräfte Beispiele, wie Migration, Transgender und Hochbegabte, die pädagogisch und fachlich besonders herausfordernd sind. Prinzipiell sehen die Lehrkräfte aber nicht jeden Fall als problematisch an: Zitat 19: „Die Fälle [,] mit denen ich zutun habe [,] sind z. B. Rollstuhlfahrer im Schwimmunterricht, eine transsexuelle Schülerin, eine stumme Person mit Gebärdendolmetscherin. Das ist für mich alles kein Problem. Meistens ergeben sich einfach Situationen, die gelöst werden müssen, die nicht direkt etwas mit Inklusion zu tun haben“ (I4, Z. 201–204).
Im Hinblick auf die Realisierbarkeit von Inklusion an der Schule bzw. in den unterrichteten Bildungsgängen wird ein differenziertes Bild gezeichnet. Die Bereitschaft der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler mit Behinderung zu unterrichten, variiert in Abhängigkeit von der Art und Schwere der Behinderung und den vorherrschenden Rahmenbedingungen. Einige Aussagen zeichnen ein optimistisches Bild: Zitat 20: „Ja und dann, was haben wir noch, dann haben wir die Autisten bei den Geomatikern. Die werden (…) gerne eingesetzt von den Arbeitgebern, weil die eine hohe Konzentrationsfähigkeit auf das Detail haben. (…) Gerade im Geomatik-Bereich, da geht es darum, Daten zwischen verschiedenen Systemen abzugleichen, und solche Sachen, die können die wirklich gut lösen“ (I1 2017, Z. 180–195). Zitat 21: „Ja, also ich habe bis jetzt in meinem Leben noch nie da irgendwie ein Problem gesehen. Ich hatte schon immer, mehr oder weniger, mit Menschen zu tun, die meiner Meinung nach benachteiligt waren“ (I4 2017, Z. 159–160).
Andere Aussagen deuten auf die Grenzen der Inklusion in der dual-betrieblichen Berufsbildung hin und auf die eingeschränkte Entscheidungsfreiheit der Berufsschulen im Dualen System, auf die limitierenden Rahmenbedingungen und Überforderung. Besonders bei den Grenzen und der Machbarkeit von Inklusion beziehen die befragten Lehrkräfte eine klare Stellung: Zitat 22: „Also, wir haben im Moment die glückliche Situation, dass wir, sage ich mal, im Schnitt über die ganze Schule maximal einen Schüler mit Behinderung pro Lerngruppe haben. Das können die Lehrer leisten. Wenn wir jetzt in eine Situation kommen sollten, wo wir bei gleichen Rahmenbedingungen vier oder fünf solche Schüler in der Klasse hätten, dann wäre es, glaube ich, für die Lehrer nicht mehr zu leisten. Dann wären sie hoffnungslos überfordert“ (I1, Z. 927–36). Zitat 23: „Sozial-emotional beeinträchtigte Jugendliche haben ganz wenig Chancen, weil sich die Ausbildungsbetriebe damit gar nicht auseinandersetzen wollen, weil die [Betriebe] sagen, wir müssen hier unser Geld verdienen. Unsere Aufgabe ist nicht, irgendwelche Leute zu erziehen. (…) Wir als Schule haben ja keinen Einfluss darauf, wer im dualen Bildungssystem zu
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uns kommt. Wir kriegen sie, die Betriebe schließen die Verträge ab und dann sind sie da. Und dann müssen wir damit umgehen“ (I1 2017, Z. 288–293). Zitat 24: „Und das soll mir erstmal einer vormachen, dass alle zum gleichen Ziel geführt werden. (…) Da war ich nicht nur gestresst, sondern wirklich am Ende jeglicher Kräfte. Da hat man eh schon eine ausgeprägte Heterogenität in einer Klasse, mit noch zusätzlicher attestierten bescheinigten geistigen Behinderung. Der Mensch braucht halt eine Rundumbetreuung. Der kommt nicht zurecht, dass ich mich da eine halbe Stunde mal nicht um ihn kümmere. Und hier in dem Fall war es eine geistige Behinderung, gepaart mit einer sozial-emotionalen Störung. Dieser Schüler hat Türen zerschlagen, da weiß ich nicht, wie da jemand unterschreiben möchte, wir brauchen Inklusion. Solche Leute sind nicht zu integrieren. Das heißt ja nicht, dass ich dem nicht helfen kann, dass er seine Ausbildung machen kann. Aber dann nicht in einem normalen Berufsschulunterricht, mit 26 bis 30 Leuten“ (I4, 2017, Z. 454–471). Zitat 25: „Da tue ich mich natürlich schwer, so jemandem am Bau auszubilden. Also, das ist klar, wenn ich einen Betrieb hätte, könnte ich so jemanden nicht ausbilden. Auf einem Dach kann kein Blinder oder Tauber, Gehbehinderter arbeiten, das geht ja halt einfach gar nicht“ (I2, 2017, Z. 127–130).
Diese Aussagen aus den qualitativen Interviews in Diversity VET – M.E.B. korrespondieren mit der quantitativen Untersuchung von Langner, welche feststellte, dass die befragten Lehrkräfte sich zwar beispielsweise dazu in der Lage sehen, Schülerinnen und Schüler mit dem Schwerpunkt Lernen und Hochbegabte zu unterrichten, jedoch eine inklusive Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit den Förderschwerpunkten, wie „sozial-emotionale Entwicklung“ und „geistige Entwicklung“, deutlich ablehnen. Die Unterrichtung von Menschen mit diesen Behinderungen wird von den Lehrkräften in Langners Studie eingestuft, als besonders schwer umzusetzen. Langner stellt zwischen diesen beiden Items Ablehnung der Unterrichtung und wahrgenommener Schwierigkeitsgrad der Unterrichtung einen signifikanten positiven Zusammenhang fest (r = -,54**) (vgl. Langner 2015, S. 100). Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den in den geführten Interviews getroffenen Aussagen. Zudem zeigen die Lehrkräfte fachspezifische Barrieren in Bezug auf die Arbeitssicherheit und die ökonomischen Ausrichtungen der Betriebe auf. 6 FAZIT UND IMPLIKATIONEN FÜR DIE LEHRERBILDUNG Die bisher erzielten nicht-repräsentativen Befunde, aber auch die Analyse des Forschungsstands begründen die Hypothese, dass noch ein deutlicher Professionalisierungsbedarf bei den gewerblich-technischen Lehrkräften hinsichtlich der Umsetzung und Entwicklung einer inklusiven Berufsbildung besteht. Die Lehrkräfte nehmen das Themengebiet Inklusion als einen komplexen Anforderungsbereich wahr, welcher durch vielschichtige (strukturelle und individuelle) Hemmnisse geprägt ist (vgl. Karl et. al. 2017, S. 22 f.). Die bisher befragten Lehrkräfte sehen sich eher dem weiten Inklusionsbegriff verpflichtet und haben in ihrer täglichen Arbeit an der Schule mit Schüler(innen) zu tun, die ein breites Spektrum an unterschiedlichsten Heterogenitätsfaktoren und Behinderungsformen aufweisen.
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Die Inklusion von Schüler(innen) mit bestimmten Behinderungsformen, z. B. geistiger Behinderung, erscheint den Lehrkräften schwerer zu realisieren als die Inklusion von Auszubildenden, z. B. mit Lernbehinderungen. Innerhalb der Berufsbildung im Bauwesen erscheinen zudem die Inklusion von Personen mit körperlicher Behinderung für die berufliche Erstausbildung im Dualen System weniger realistisch, da in diesen Berufen körperliche Fitness und Unfallschutz auf der Baustelle eine wesentliche Rolle spielen. In diesen Zusammenhang stellen die Identifikation, Analyse und Reflexion von Good-Practice-Fällen aus der Praxis – identifiziert z. B. durch Methoden, wie forschungsorientiertes Lernen der Studierenden (Befragungen, Videografie von Unterricht usw.) – eine gute Strategie dar. So kann eine Vorstellung darüber, wie und unter welchen Voraussetzungen Inklusion in der gewerblich-technischen Berufsausbildung im Dualen System gelingen kann, auf theoretischer und empirischer Basis gewonnen werden. Ergebnisse dazu könnten auch in die Lehrerfortbildung mit einfließen und die Entwicklung einer positiven Grundeinstellung zur Umsetzung einer inklusiven Berufsbildung begünstigen. Ebenso wichtig in diesem Kontext erscheint die Identifikation der Grenzen der Inklusion. Denn es gilt, die Frage zu klären, ob es „systematische und pragmatische Grenzen bei der Erfüllung des Anspruchs [gibt], jed[e] Schülerin und jede[n] Schüler auf [ihrem/]seinem individuellen Lern- und Bildungsweg auf individuelle Weise zu unterstützen“ (Terhart 2015, S. 69).
Das Hineintappen in eine Überforderungsfalle durch ein Hinaufschrauben der Ansprüche ohne Bereitstellung konkreter Realisierungsmöglichkeiten (vgl. ebenda) soll durch eine realistische Betrachtung auf empirischer Basis vermieden werden. Gerade in der gewerblich-technischen Lehrerbildung erscheint es darüber hinaus notwendig, Erkenntnisse, z. B. über die (über-)betriebliche und schulische Ausbildungspraxis in den unterschiedlichen beruflichen Fachrichtungen (z. B. Metall-, Elektro- und Bautechnik) und deren Kontextfaktoren, zu analysieren und mit einfließen zu lassen. Zu nennen wären hierbei z. B. die Struktur der Ausbildungsberufe, die individuelle Vorbildung/Voraussetzungen der Auszubildenden in bestimmten Berufen, schulische, (außer-)betriebliche und überbetriebliche Lernorte, Block-, Teil- und Mischklassenunterricht, Klassengröße, angebotene Ausbildungsberufe und korrespondierende Fachpraktiker(innen)berufe, berufliche Anforderungen, Fahrtwege, generell alle Aspekte, die sich förderlich bzw. hinderlich auf die Entwicklung einer inklusiven Berufsbildung auswirken. Statistiken zur Prozentzahl an Personen mit Behinderung im Dualen System liegen aktuell nicht vor, da die Berufsbildungsstatistik das personenbezogene Merkmal Behinderung nicht erfasst und so nur Fragmente an statistischen Daten zum aktuellen Stand der Inklusion im Dualen System vorliegen (vgl. Bach 2017a). Weiterhin lässt sich für die universitäre gewerblich-technische Lehrerbildung auf der bisherigen, nicht repräsentativen Datenbasis feststellen, dass aktuell die Aufgabenbereiche bzw. die Arbeitsteilung der einzelnen Professionen untereinander (z. B. Lehrkraft – (über-)betrieblicher Ausbilder/in – Sonder-Sozialpädagog/-in – etc.) im Rahmen einer inklusiven Berufsbildung unklar bleiben. Es stellt sich in
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diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit die beruflichen Lehrkräfte Diagnostik von Behinderungen/Krankheiten selbst leisten müssen, ob sie überhaupt dazu in die Lage versetzt werden können oder welche Strategien dazu beitragen, den Informationsfluss dazu zu optimieren. Erleichternd wäre es, wenn die schon vorliegenden Informationen von den Institutionen auch rechtzeitig entsprechend weitergegeben würden, sodass sich die Lehrkräfte frühzeitig auf die Bedürfnisse ihrer Schüler(innen) einstellen könnten. Die Vermittlung eines Basiswissens zu den einzelnen Behinderungsformen erscheint im universitären Studium jedoch angezeigt, und zwar auch dann, wenn langfristig die vertiefte Diagnose von Experten durchgeführt werden sollte. Dazu müssen jedoch auch erst einmal förderpädagogische Experten für eine multiprofessionelle Zusammenarbeit verfügbar sein, denn wenn für berufsbildende Schulen diese Ressource in Form von Personal und auch Zeit nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, kann auch nicht multiprofessionell zusammengearbeitet werden. Sie gilt jedoch nach Euler als ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Gelingen der inklusiven Schule (vgl. Euler 2014, S. 29). Wissen zu inklusionsförderlichen Maßnahmen (Nachteilsausgleich, Flexibilisierung, etc.) und Hilfsmitteln (Visualisierungshilfen, akustischen Hilfsmitteln etc.) und zur Flexibilisierung der Ausbildung, Fachpraktikerausbildung, zum Nachteilsausgleich, zur assistierten Ausbildung und über Vernetzungspartner etc. lässt sich bei den Interviewten ebenfalls nur vereinzelt feststellen. Deshalb muss ebenfalls Wissen über die verfügbaren Unterstützungsangebote, die unterschiedlichen Zuständigkeiten, die einzelnen Professionen und Kooperationsmöglichkeiten sowie den dadurch gewonnenen Nutzen erarbeitet, diskutiert und reflektiert werden. So kann eine Vorstellung darüber entwickelt werden, wie hier die Kommunikation zugunsten einer inklusiven Berufsbildung unter den regional vorliegenden Gegebenheiten umgesetzt und ggf. eingefordert werden kann, um tragfähige Kooperations- und Vernetzungsroutinen zu etablieren. Ein weiterer wichtiger Professionalisierungsbereich stellt bei Studierenden des Lehramts an berufsbildenden Schulen die Entwicklung von Kompetenzen zur Umsetzung individueller Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler in und außerhalb des Unterrichts dar. Eine Lehrkraft formuliert diesen Anspruch folgendermaßen: „Also in der ersten Phase Lehrerbildung, denke ich, müssten die Lehrkräfte mit der Situation konfrontiert werden, dass sie eine Gruppe von Schülern haben, die an unterschiedlichen Themen gleichzeitig arbeiten und dass sie trotzdem für die Gesamtgruppe mit einem vertretbaren Aufwand lernen umzugehen, also das zu steuern. Das ist eine Sache, die vielen Lehrern sehr schwerfällt. Das ist ja das, was wir bei der Inklusion eventuell oder eigentlich ziemlich sicher brauchen, weil jeder Schüler muss nach seinen individuellen Handicaps besonders gefördert werden, das heißt, ich muss eigentlich mit jedem etwas anderes machen. Und auf diese Situation, denke ich, werden die Lehrer nicht vorbereitet. Und wenn sie das können, quasi in einem Raum mit fünf Gruppen gleichzeitig arbeiten, dann können wir den ganzen Rest auch schaffen“ (I1, Z. 1030–1034).
Generell deuten die Aussagen der im Kapitel 5 vorgestellten Interviews auf einen Professionalisierungsbedarf hin, und zwar mit dem Fokus auf die Frage: Wie unterrichte ich differenziert und individualisiert in sehr heterogenen Klassen auf Basis
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einer validen Diagnostik, ohne den Anspruch von Inklusion zu konterkarieren, d. h. innere Differenzierung so zu betreiben, dass dieses Mal im Klassenverband eine Separation erfolgt. Damit eine so geartete Kompetenzentwicklung erfolgen kann, erscheint es zielführend, eine adäquate diagnostische Wissensbasis im Kontext von Heterogenität und Behinderungen aufzubauen, Wissen über die Umsetzung von individueller Förderplanarbeit und Fallmanagement zu erwerben und den effektiven Einsatz von Tests, deren Rückmeldung, Auswertung und die förderpädagogische Implementierung der Ergebnisse in den Unterricht einzuüben. Darüber hinaus gilt es, Studierende in den Praxisphasen mit der sehr hoch ausgeprägten Heterogenität der Schülerinnen und Schülern in ihrem zukünftigen Arbeitsbereich zu konfrontieren, um diese frühzeitig für die zu bewältigenden Anforderungen zu sensibilisieren und entsprechende Bewältigungsstrategien zu erörtern. Abschließend gilt es, die beruflichen Fachrichtungen an den Universitäten zu stärken, damit auch für die berufliche Bildung der Anspruch eingelöst werden kann, forschungsbasiertes berufsbezogenes inklusives Lehr-Lernmaterial zu entwickeln, welches von den Lehrkräften eingesetzt werden kann, um im Unterricht unter Rücksichtnahme der individuellen Bedürfnislage Einzelner zu differenzieren und auf die unterschiedlichen Leistungsniveaus einzugehen. Mit Lehrerprofessionalisierung alleine ist es jedoch nicht getan. Parallel dazu müssen ebenfalls der regionale Berufsbildungsdiskurs zur Inklusion in der beruflichen Bildung verstärkt werden und geeignete Struktur- und Schulentwicklungsmaßnahmen initiiert werden. Die empirische und die theoretische Fundierung einer adäquaten inklusionsbezogenen Professionalisierung von Lehrkräften in der gewerblich-technischen Berufsbildung stehen jedenfalls noch in den Anfängen. Die Maxime von Langner erweist sich dabei als zielführend. „Die Idee der Kompetenz für die Unterrichtung von heterogenen Klassen soll (.) aus der Sicht der pädagogischen Praxis entwickelt und nicht als normative Bestimmung im Sinne eines Maßstabes an die Praxis gelegt werden“ (Langner 2015, S. 8).
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist die Umsetzung empirisch qualitativer und quantitativer Forschung im Bezugsfeld der dual-betrieblichen Berufsbildung unerlässlich. Im Rahmen des Projekts Diversity VET – M.E.B. wird hier dazu ein kleiner Beitrag geleistet. Die qualitative Vorstudie ist jedoch noch nicht abgeschlossen (n=4 (aktueller Stand); n=20 (Zielzahl), weitere Interviews sind zu führen und die Auswertung noch zu systematisieren. Darüber hinaus ist eine quantitative Befragung von Lehrkräften in der gewerblich-technischen Berufsbildung geplant, die jedoch erst 2018 nach umfassender Auswertung der qualitativen Daten im Projekt und einer weiterführenden Analyse des Forschungsstands realisiert werden soll. Ebenso wird abschließend darauf hingewiesen, dass die erfolgreiche Entwicklung einer inklusiven Berufsbildung multifaktoriell bedingt ist. So verdeutlicht das Angebot-Nutzungs-Modell von Helmke sehr anschaulich, dass auch sehr professionelle und handlungskompetente Lehrkräfte hinsichtlich der Umsetzung eines qualitativ hochwertigen inklusiven und differenzierten Unterrichts darauf angewiesen sind, dass die Schülerinnen und Schüler dazu in der Lage sind oder durch Hilfen in die Lage versetzt werden, das unterrichtliche Angebot der Lehrkraft trotz möglicher
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Defizite beispielsweise in Bezug auf Vorwissen, Intelligenz, Sinnesbeeinträchtigung, Sprachbarrieren, sozial-emotionale Instabilitäten etc., wahrnehmen und in förderliche Lernaktivitäten umzusetzen (vgl. Helmke 2014, S. 71). BIBLIOGRAFIE BA (2011). Klassifikation der Berufe 2010 – Band 1:
Systematischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen. Bundesagenut für Arbeit. Nürnberg. https://statistik.arbeitsagentur.de/Statis cher-Content/Grundlagen/Klassifikation-der-Berufe/KldB2010/Printausgabe-KldB-2010/Gen erische-Publikationen/KldB2010-Printversion-Band1.pdf, Stand vom 13.08.2017. BA (2016). Beruf Aktuell. Lexikon der Ausbildungsberufe. Ausgabe 2016/2017. Bundesamt für Agentur. Plößnecke: W. Bertelsmann. https://www.arbeitsagentur.de/beruf-aktuell, Stand vom 31.07.2017. BAG BBW (Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke) (2016). Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. Fakten aus den Berufsbildungswerken 2013–2014. In: Berufliche Rehabilitation. Beiträge zur beruflichen und sozialen Teilhabe junger Menschen mit Behinderungen, 64–66. Bach, A. (2017a). Inklusive Didaktik und inklusionsbezogene Professionalisierung von Lehrkräften in der gewerblich-technischen Berufsbildung. In: T. Tramm, T. Schlömer & M. Casper (Hrsg.), Didaktik der beruflichen Bildung – Selbstverständnis, Zukunftsperspektiven und Innovationsschwerpunkte. Berichte zur beruflichen Bildung AG BFN. Bielefeld: wbv. (Im Druck) Bach, A. (2017b). Inklusion im Dualen System der gewerblich-technischen Berufsbildung. Empirische Vorstudie im Berufsfeld Bautechnik. In: Berufsbildung Zeitschrift für Theorie-Praxis-Dialog Heft 166, 15–17. Bach, A., Schmidt, C. & Schaub, C. (2016). Professionalisierung von Lehrkräften für eine inklusive gewerblich-technische Berufsbildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik-online, Ausgabe 30, (1–25). http://www.bwpat.de/ausgabe30/bach_schmidt_schaub_bwpat30.pdf, Stand vom 18.10.2016. Baethge, M. (2016). Berufsbildung für Menschen mit Behinderungen – Perspektiven des nationalen Bildungsberichts 2014. In: A. Zoyke & K. Vollmer (Hrsg.), Inklusion in der Berufsbildung: Befunde – Konzepte – Diskussionen (43–57). Bielefeld: Bertelsmann. BauWiAusbV (1999). Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 2. Juni 1999 (BGBl. I S. 1102), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 20. Februar 2009 (BGBl. I S. 399) geändert worden ist. http://www.gesetze-im-internet.de/bauwiausbv_1999, Stand vom 08.07.2017. Becker, M.; Spöttl, G. & Vollmer, T. (2012). Lehrerbildung in gewerblich-technischen Fachrichtungen. Bielefeld: W. Bertelsmann. Beicht, U. et. al. (2009). Viel Licht – Aber auch Schatten. BiBB Report, 9 (Juli 2009), 1–14. Berger, K. (1999). Lernortkooperation aus Sicht der Auszubildenden. In: G. Walden & G. Pätzold (Hrsg.), Lernortkooperation – Stand und Perspektiven (173–196). Bielefeld: Bertelsmann. BIBB (2015). Bekanntmachung des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe und des Verzeichnisses der zuständigen Stellen. Bonn. https://www.bibb.de/dokumente/pdf/Verzeichni s_anerk_AB_2015.pdf, Stand vom 10.08.2017. BIBB (2016). “Datenbank Auszubildende" des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) auf Basis der Daten der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Erhebung zum 31. Dezember 2015). https://www2.bibb.de/bibbtools/de/ssl/1865.php, Stand vom 05.08.2017. BIBB (2017). Verzeichnis Empfehlungen zur beruflichen Bildung. Bonn. https://www.bibb.de/doku mente/pdf/ha_beschluesseverzeichnis.pdf, Stand vom 10.08.2017.
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TEIL 2 HETEROGENITÄT VON LERNENDEN UND IHRE IMPLIKATIONEN FÜR UNTERRICHT
DIE VIELFALT BEI AUSZUBILDENDEN IM GEWERBLICH-TECHNISCHEN BEREICH – AM BEISPIEL DER BEIDEN BERUFSFELDER ELEKTRO- UND METALLTECHNIK Bernd Zinn, Stuttgart / Matthias Wyrwal, Stuttgart / Sunita Ariali, Stuttgart Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Vielfalt von Auszubildenden bzw. der deskriptiven Bedeutungsdimension von Heterogenität am Beispiel von Auszubildenden in elektro- und metalltechnischen Berufsfeldern. In einer empirischen Studie wird den Fragen nachgegangen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in zentralen Lernermerkmalen und soziodemografischen Merkmalen von Jugendlichen (n = 893) in den Berufsfeldern Elektro- und Metalltechnik zu Beginn der Ausbildung vorliegen und insbesondere, welches Spektrum in den mathematischen Kompetenzen und kognitiven Grundfähigkeiten seitens der Auszubildenden besteht. Betrachtet werden neben den beiden kognitiven Merkmalen der schulische Bildungsgrad, das Fähigkeitsselbstkonzept, die Motivation, das Fachinteresse und ausgewählte soziodemografische Merkmale. Die Studienergebnisse zeigen, dass bei den Lernenden im Intra- und Intergruppenvergleich eine ausgeprägte Varianz in der mathematischen Kompetenz und der kognitiven Grundfähigkeit vorliegt. Gemessen an der kognitiven Grundfähigkeit liegen für einen substanziellen Anteil der Auszubildenden Hinweise auf eine Lernbeeinträchtigung vor. Die Vielfalt schlägt sich auch in den verschiedenen Nationalitäten und im Altersspektrum nieder. Die Befunde belegen zudem erwartungskonforme Leistungsunterschiede zwischen den Auszubildenden im Berufsfeld Elektro- und Metalltechnik sowie eine deutliche Dominanz männlicher Auszubildender. Damit bestätigen die Ergebnisse auch bekannte berufsfeld- und geschlechtsspezifische Selektionsprozesse an der ersten Schwelle. 1 AUSGANGSLAGE Der erfolgreiche Umgang mit der Heterogenität von Lernenden gilt seit vielen Jahren als ein wesentliches Kriterium für Unterrichtsqualität und Schulerfolg. Spätestens seit Johann Friedrich Herbart am Anfang des 19. Jhd. feststellte, dass durch die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden pädagogische Probleme in die Schule „hineingetragen“ werden, entstand auch die Forderung nach einer inneren Differenzierung im Unterricht. Berufsschulische Lehrkräfte müssen ihren Unterricht binnendifferenziert gestalten, sodass alle Lernenden optimale Unterstützungs-
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möglichkeiten vorfinden und die Entwicklung der beruflichen Handlungskompetenz bedarfsbezogen gefördert werden kann. Auch speziell leistungsschwache und -stärkere Schülerschaften müssen im Unterricht individuell unterstützt und gefördert werden (vgl. Helmke 2007; vgl. Hüpping 2017). Um auf die Vielfalt der Jugendlichen adäquat eingehen zu können, sind damit gesicherte Kenntnisse über ihre Lernvoraussetzungen, ihr Leistungsvermögen, ihre Interessen und ihre Motivation eine zentrale Voraussetzung. Vor dem Hintergrund der Diskussion zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (vgl. VN-BRK 2008), der deutlichen Zunahme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Maßnahmen der beruflichen Bildung (vgl. BMBF 2017) oder der bestehenden Problematik hoher Vertragslösungsquoten für bestimmte Auszubildendengruppen (vgl. ebd.) erhält die Diskussion zum Umgang mit Heterogenität von Lernenden und die Individualisierung im Unterricht aktuell eine besondere Bedeutung. Individualisierung kann betrachtet werden als die Möglichkeit, gemeinsames systematisches Lernen mit individuell differenten Lernoptionen zu verbinden (vgl. von der Groeben & Kaiser 2011). Um Individualisierung im Unterricht grundsätzlich zu ermöglichen und Unterschiede innerhalb der Schulklassen beruflicher Bildungseinrichtungen ausbalancieren zu können sowie Jugendlichen eine chancengerechte Ausbildung zu gewährleisten, sind systematisch erhobene Kenntnisse über die tatsächlichen Lernausgangslagen der Lernenden grundlegend bedeutsam. Das lern- und entwicklungspsychologische Prinzip ist dabei das der Passung zwischen Lernvoraussetzungen und Lernangeboten. Um dieser Passung und der zentralen Forderung nach einer stärkeren individuellen Unterstützung nachkommen zu können, scheint neben der allgemein grundlegenden Verbesserung der individuellen Teilhabemöglichkeiten am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt eine belastbare Kenntnis zu den allgemeinen Voraussetzungen der Lernenden im gewerblich-technischen Bereich an der ersten Schwelle hilfreich. Die vorliegende Studie zielt darauf ab, die Lernausgangslagen von Jugendlichen zu Beginn der Ausbildung in den beiden gewerblich-technischen Berufsfeldern Elektrotechnik und Metalltechnik exemplarisch zu analysieren, um die Varianz, die Übereinstimmungen und Unterschiede in zentralen Lernermerkmalen und soziodemografischen Merkmalen systematisch darzustellen. Hierzu werden im folgenden theoretischen Teil (Abschnitt 2) die für die Analyse relevanten Aspekte zur Heterogenität und Lernbeeinträchtigung von Lernenden dargestellt. Die Anlage der empirischen Studie wird in Abschnitt 3 beschrieben. Anschließend werden zentrale Ergebnisse des generierten Beschreibungswissens und des synoptischen Vergleichs der Subgruppen in den beiden Berufsfeldern berichtet (Abschnitt 4) und abschließend die Befunde zusammenfassend (Abschnitt 5) dargestellt und diskutiert.
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2 THEORETISCHER HINTERGRUND In der schulischen Praxis werden die Begriffe Inklusion und Heterogenität oft als unspezifische Sammelbegriffe verstanden. Neben einer Reihe an Gemeinsamkeiten sind die beiden Begriffe aber durch wesentliche Unterschiede voneinander abzugrenzen. Wird der Inklusionsbegriff vor allem mit pädagogischen, diagnostischen und psychologischen Handlungen sowie der Realisierung der individuellen Teilhabe am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt (vgl. Wansing 2012) in Zusammenhang gebracht, ist Heterogenität als breiter Sammelbegriff zu verstehen, der keine spezifische Personengruppe anspricht und im jeweiligen Kontext konkretisiert werden muss. Inklusion fordert das Recht auf Gleichheit bzw. Gemeinsamkeit, wohingegen die Heterogenität meist die Anerkennung von konkretisierbaren Unterschieden meint (vgl. Budde 2015). Nach Stöger und Ziegler liegt Heterogenität in der Schulpädagogik „dann vor, wenn zur Erreichung identischer curricularer Ziele unterschiedliche schulpädagogische Maßnahmen erforderlich sind“ (Stöger & Ziegler 2013, S. 7). Walgenbach stellt vier Bedeutungsdimensionen zur Heterogenität heraus (vgl. Walgenbach 2014). Im Zusammenhang mit der deskriptiven Bedeutungsdimension von Heterogenität geht es um die Unterschiede in den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen. Vor dem Hintergrund der ungleichheitskritischen Bedeutungsdimension wird Heterogenität als grundlegendes gesellschaftliches Problem aufgefasst, was zum einen von außen in den schulischen Kontext und in ihre einzelnen Lernsituationen herangetragen wird, zugleich aber auch durch die individuelle Lernsituation selbst erzeugt wird. Des Weiteren werden die evaluative Bedeutungsdimension, mit der „Heterogenität als Chance“ versus „Heterogenität als Belastung und Herausforderung“ wertend diskutiert wird, und die didaktische Bedeutungsdimension, bei der es um die unterrichtspraktischen Konsequenzen geht, unterschieden. Im Rahmen von Schule wird die Heterogenität meist mit der schulischen Leistung verbunden, ohne dabei aber auf konkrete Determinanten einzugehen oder diese zu präzisieren (vgl. Helmke & Weinert 1997). So formuliert die Kultusministerkonferenz: „die Berufsschule [muss] ein differenziertes Bildungsangebot gewährleisten, das […] einen inklusiven Unterricht mit entsprechender individueller Förderung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erfahrungen, Fähigkeiten und Begabungen aller Schüler und Schülerinnen ermöglicht“ (KMK 2011, S. 13).
Eingebunden ist dieses differenzierte Bildungsangebot in Form der umfassenden Handlungskompetenz, wie sie von der Kultusministerkonferenz (KMK) mit der Fach-, Selbst- und Sozialkompetenz gefordert wird, um „sich in der beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situation sachgerecht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (KMK 2011, S. 14). Folgt man dem kognitionspsychologischen Verständnis, bei dem Heterogenität durch individuelle Dispositionen über zentrale Lernermerkmale bedingt ist (vgl. Stöger & Ziegler 2013; vgl. Trautmann & Wischer 2011, S. 42 f.), stellen sich die Fragen nach der Auswahl der
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Lernermerkmale, die bedeutsam für den Lernerfolg sind, ihren Ausprägungen und wie diese erhoben werden können. Als zentrale Determinanten für den Lernerfolg aufseiten der Lernenden werden u. a. angesehen: die kognitiven Determinanten (z. B. kognitive Grundfähigkeit, Vorwissen, Basiskompetenzen), die konativen Determinanten (z. B. Lernstile, Lernstrategien), die motivationalen und affektiven Determinanten (z. B. Interesse, Lernmotivation), die konstitutionellen Determinanten (z. B. Alter, Gesundheit) sowie weitere Personenmerkmale, z. B. der Bildungshintergrund. Die Determinanten sind über Koppelung und Kompensation miteinander verbunden und interagieren in komplexer Weise (für einen weiteren Überblick siehe z. B. Wang, Haertel & Walberg 1993; Helmke & Weinert 1997; Helmke & Schrader 1998). Die Ursachen für einen Lernerfolg und den Umgang mit Heterogenität sind vielschichtig und nicht auf den Lernenden begrenzt. Beim Umgang mit Heterogenität stellt sich u. a. die Frage, inwiefern das System Schule im Kontext einer institutionellen Diskriminierung (vgl. Gomolla & Radtke 2000) oder der systemischen Beschränkungen (vgl. Bourdieu & Passeron 1971) Inklusion begünstigt oder verhindert. Die Ursachen für eine gelingende Integration und einen adäquaten Umgang mit Heterogenität sind komplex und vielfältig. Der vorliegende Beitrag fokussiert nur die deskriptive Bedeutungsdimension von Heterogenität aufseiten der Auszubildenden. Diese können sich dabei beim Übergang in die berufliche Ausbildung u. a. im fachlichen Vorwissen, dem Arbeitsund Lerntempo, der Motivation, der kognitiven Grundfähigkeit und weiteren Persönlichkeitsmerkmalen unterscheiden. Die deskriptive Heterogenität lässt sich auf Altersunterschiede, die allgemeine Schulbildung oder kulturelle und soziale Faktoren wie die Muttersprache und den sozialen Status zurückführen (vgl. Weinert 1997; Trautmann & Wischer 2011). Die Unterschiede in den Ausgangsbedingungen lassen sich dabei allgemein über den Leistungsvergleich eines Auszubildenden mit einem anderen Jugendlichen der vergleichbaren Ausbildungsstufe, mit konkreten Bezugsnormen oder mit extern vorgegebenen Erwartungen feststellen (vgl. Sturm 2013). Allgemein wird unterstellt, dass die Heterogenität der Lernenden in der beruflichen Bildung zugenommen hat (vgl. Westhoff & Ernst 2016). Dabei wird davon ausgegangen, dass die Zunahme der Heterogenität unter anderem durch die höhere Durchlässigkeit zwischen schulischen, beruflichen und akademischen Bildungsoptionen (vgl. Zinn 2012; Severing & Teichler 2013), die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in die berufliche Bildung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2017) und weitere Ausgangspunkte vorangetrieben wird. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen und liegt auf Berechnungsbasis des Mikrozensus 2016 bei Personen im Alter von 15 bis unter 20 Jahren bei 28.5 % (vgl. ebd., S. 55). Die Gründe für die (zunehmende) Heterogenität der Auszubildenden sind vielfältig. Oftmals treten erhebliche Probleme beim Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die berufliche Ausbildung auf (vgl. BMBF 2017). Durchschnittlich wird über alle Berufssegmente und ohne Berücksichtigung regionaler und berufsspezifischer Disparitäten hinweg fast jede vierte Ausbildung (24.3 %) abgebrochen (vgl.
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BMBF 2017). Am häufigsten erfolgt ein Ausbildungsabbruch bereits nach der viermonatigen Probezeit, wobei die Initiative zur Vertragslösung mehrheitlich von den Auszubildenden ausgeht. Die Analyse der Ausbildungsverläufe belegt erhöhte Vertragsauflösungsquoten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die maximal einen Hauptschulabschluss aufweisen. Die aktuelle Bevölkerungsstruktur in Deutschland hat sich dahingehend entwickelt, dass jedes dritte Kind einen eigenen oder familiären Migrationshintergrund aufweist, wodurch zwischen den Auszubildenden vermehrt Ungleichheiten aufgrund ihrer sozialen Herkunft und der damit verbundenen Muttersprache auftreten (vgl. ebd.). Neben der Migrationsthematik können weitere soziodemografische Merkmale wie das Alter, das Geschlecht, die Familienstruktur, die Religion oder die schulische Vorbildung und die kognitive Grundfähigkeit Indikatoren für die Leistungsfähigkeit der Auszubildenden sein (vgl. Beicht & Ulrich 2008). Die Gründe für Vertragslösungen sind vielfältig und können auf schulischer, betrieblicher und individueller Ebene liegen. Der Übergang an der ersten Schwelle wird nicht selten von fehlenden mathematischen Kompetenzen aus der Sekundarstufe I begleitet. Bereits beim Übergang von der Grundschule in eine weiterführende Schulart sind oft erhebliche mathematische Defizite festzustellen, die sich im Laufe der weiteren Schulzeit ausprägen und die Ergebnisse Deutschlands im Rahmen der ländervergleichenden Schulleistungsstudien (vgl. OECD/PISA-Studien) im Mittelfeld stagnieren lassen (vgl. Moser Opitz 2007; vgl. Blum et al. 2004). In den neuesten PISA-Umfragen zeigt die deutsche Schülerschaft keine wesentliche Steigerung bzgl. ihrer mathematischen Kompetenz. Die Ergebnisse liegen im Jahr 2015 zwar signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten, haben sich seit 2003 aber nicht wesentlich verändert. In Deutschland erreichen 17 % nicht das Grundkompetenzniveau (Kompetenzstufe 2) und sind als besonders leistungsschwach einzuschätzen (vgl. OECD 2016). Die mathematische Kompetenz und die kognitive Leistungsfähigkeit erweisen sich in einschlägigen Studien – neben dem fachspezifischen Vorwissen – als bedeutendste Prädiktoren für die Entwicklung der domänenspezifischen Fachkompetenz (vgl. Nickolaus 2011; Zinn et al. 2015; Wyrwal & Zinn 2016). Insbesondere lernschwächere Jugendliche mit geringer schulischer Vorbildung laufen Gefahr, die Ausbildung vorzeitig ohne Abschluss zu beenden. Im Rahmen der vorliegenden Studie soll eine Häufigkeitsabschätzung zu Auszubildenden vorgenommen werden, bei denen mit einer allgemeinen Lernbeeinträchtigung bzw. Lernschwäche zu rechnen ist. Der Begriff Lernschwäche wird dabei in der Literatur vielfältig verwendet (vgl. Lauth 2014; Gerlach 2012; Ratschinski 2005). Im Bezugsfeld der Schulpädagogik definiert Zielinski den Begriff Lernschwäche wie folgt: „Wenn die Leistungen eines Schülers unterhalb der tolerierbaren Abweichungen von verbindlichen institutionellen, sozialen und individuellen Bezugsnormen (Standards, Anforderungen, Erwartungen) liegen oder wenn das Erreichen (bzw. Verfehlen) von Standards mit Belastungen verbunden ist, die zu unerwünschten Nebenwirkungen im Verhalten, Erleben oder in der Persönlichkeitsentwicklung des Lernenden führen“ (Zielinski 1995, S. 34).
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Im beruflichen Kontext ist es ein unspezifischer Sammelbegriff für eine Gruppe von Auszubildenden, die häufig aufgrund mangelnder Ausbildungsalternativen, zurückzuführen auf eine nicht ausreichende Schul- oder Allgemeinbildung aufgrund von Leistungsdefiziten, eine berufliche Vollzeitschule in Form eines Berufsvorbereitungsjahres oder einer Berufsfachschule besuchen (vgl. Ratschinski 2005; Jasper et al. 2009). In Anlehnung an die Forschungskriterien des ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) in Kategorie F81.3 liegt eine allgemeine Lernschwäche nach Lauth (2014) dann vor, wenn Minderleistungen in standardisierten Schulleistungstests um mindestens zwei Standardabweichungen gegenüber der Altersnorm oder der Leistungserwartung (Intelligenz) und ein Intelligenzquotient von unter 70 vorliegen, eine Lernbehinderung sowie Unzulänglichkeiten in der Erziehung und neurologische Erkrankungen jedoch ausgeschlossen werden können. In Anlehnung an die Kriterien der Intelligenzminderung lässt sich der Begriff Lernbehinderung „als ein in Beziehung zum Altersdurchschnitt allgemein erniedrigtes Leistungsvermögen im Sinne eines Kapazitätsdefizits oder einer allgemeinen Minderbegabung beschreiben. Der normative Bezug kommt in der Definition zum Ausdruck, dass die Lernbehinderung auf der IQRangskala zwischen dem Durchschnittsbereich (IQ 85-114) und dem Bereich der leichten geistigen Behinderung (IQ 50-70) anzusiedeln ist“ (Strobel & Warnke 2007, S. 67 f.).
3 ANLAGE DER STUDIE In der gewerblich-technischen Bildung haben die Berufsfelder Elektrotechnik und Metalltechnik neben dem Berufsfeld Bautechnik eine lange Tradition. In allen drei Berufsfeldern sind Berufe sowohl im handwerklichen als auch industriellen Berufssektor angesiedelt. In der vorliegenden Studie werden spezifisch Auszubildende zum/zur Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik des Berufsfeldes Elektrotechnik (Subgruppe 1) mit Auszubildenden zum/zur Metallbauer/-in und zum/zur Anlagenmechaniker/-in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (Subgruppe 2) im Hinblick auf ihre Lernausgangslagen untersucht. 3.1 Untersuchungsziele Das Hauptanliegen der empirischen Studie besteht in einer Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeiten in ausgewählten, allgemein als bedeutsam für den Lernerfolg erachteten Lernermerkmalen und soziodemografischen Merkmalen zwischen Jugendlichen in den Berufsfeldern Elektrotechnik und Metalltechnik zu Beginn der Ausbildung. Insbesondere interessieren das Varianzspektrum der mathematischen Kompetenzen und kognitiven Grundfähigkeiten sowie etwaige kognitive Lernbeeinträchtigungen der Auszubildenden.
Die Vielfalt bei Auszubildenden im gewerblich-technischen Bereich
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3.2 Stichprobe und Testumsetzung An der Studie nahmen insgesamt n = 893 Auszubildende teil, die zum Zeitpunkt der Erhebung am Beginn des ersten Ausbildungsjahres standen. Im Berufsfeld Metalltechnik wurden Daten von n = 462 Lernenden, aufgeteilt nach den Ausbildungsberufen Metallbauer/-in (n = 155, 8 berufliche Schulen mit 8 Klassen) und Anlagenmechaniker/-in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (n = 307, 7 berufliche Schulen mit 13 Klassen) betrachtet. Die Vergleichsgruppe umfasst n = 431 Lernende (11 berufliche Schulen mit 19 Klassen) im Beruf Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik der Grundstufe. Die Datenerhebungen wurden in beiden Berufsfeldern innerhalb der ersten 2 Monate nach Ausbildungsbeginn an beruflichen Schulen in Baden-Württemberg durchgeführt. Die Erhebungen erfolgten auf Basis der freiwilligen Teilnahme der Schulen sowie der Lernenden mithilfe geschulter Testleiter in zuvor festgelegter standardisierter Form während des regulären Berufsschulunterrichts. Aufkommende Fragen oder Unstimmigkeiten wurden protokolliert und bei allen Erhebungen kongruent behandelt. Jedem Probanden wurden alle Testitems vorgelegt (Ausschluss von „missing by design“), die mit ausreichend Testzeit zur Lösung der einzelnen Aufgaben versehen waren (Ausschluss von „missing by not reached“). In die Analyse sind lediglich die Datensätze der Teilnehmenden aufgenommen worden, deren Angaben und Antworten nicht durch zufälliges Ankreuzen oder Angaben von unsinnigen Antworten verfälscht wurden sowie durch früh- bzw. vorzeitigen Abbruch die Erhebungsmaßnahme verweigert haben. Darüber hinaus wurden Probanden, die weniger als 75 Prozent der Fragen beantworteten, aus der Analyse ausgeschlossen. 3.3 Instrumente Zur Beschreibung der Eingangsvoraussetzungen der Auszubildenden werden kognitive und motivationale Variablen erfasst. Dabei wurde, soweit vorhanden, auf bewährte Instrumente zurückgegriffen. Darüber hinaus wurden ein selbst entwickeltes Instrument zur Erfassung der allgemeinen soziodemografischen Voraussetzungen mit Schulabschluss, Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund und Ausbildungswunsch sowie jeweils ein validierter Test zur Erfassung des berufsfachlichen Vorwissens1 eingesetzt. Die kognitive Grundfähigkeit (IQ) der Probanden wurden über den CFT-20R operationalisiert, der unabhängig von Sprache, Kultur und Mathematik die fluide Intelligenz über die Subtests Reihenfortsetzen, Klassifikationen, Matrizen und Topologien mit bildhaften Items (101 Items) misst (Weiß 2006). Das eingesetzte Instrumentarium zur Messung der mathematischen Fähigkeiten umfasst bewährte Testaufgaben aus dem ULME-Repertoire SL-HAM 10/11 (Lehmann 1
Die Instrumente zur Erfassung des berufsfachlichen Vorwissens in der Elektrotechnik bzw. Metalltechnik werden an anderer Stelle ausführlicher beschrieben. Für die statistischen Kenndaten wird für die Metalltechnik auf Zinn et al. (2015) und für die Elektrotechnik auf Graf (2017) verwiesen.
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et al. 2005), basiert auf dem Curriculum der Hauptschule Klassenstufe 9 und stellt mittels geschlossener Items (39 Items) die mathematischen Fähigkeiten zum Ausbildungsbeginn dar. Alle eingesetzten Skalen haben akzeptable Reliabilitätswerte. Die zuverlässige Messung der mathematischen Fähigkeiten unterstreichen die Reliabilitätswerte mit Cronbachs Alpha = .88 (Subgruppe Elektrotechnik, ET) und Cronbachs Alpha = .85 (Subgruppe Metalltechnik, MT). Das fachspezifische Interesse (FSI) zum jeweiligen Ausbildungsberuf wurde über geschlossene Items in Form einer Likertskala (Ausprägungen 1 „Stimmt gar nicht“ – 6 „Stimmt ganz genau“) in Anlehnung an Schiefele et al. (1993) erhoben und umfasst die drei Dimensionen gefühlsbezogene Valenz (Cronbachs Alpha = .71 für ET; Cronbachs Alpha = .70 für MT), persönlich-wertbezogene Valenz (Cronbachs Alpha = .79 für ET; Cronbachs = .78 für MT) und intrinsischer Charakter (Cronbachs Alpha = .81 für ET; Cronbachs Alpha = .71 für MT). Das fachbezogene Fähigkeitsselbstkonzept (FSK) der Auszubildenden wurde ebenfalls über geschlossene Items in Form einer Likertskala (Ausprägungen 1 „Stimmt gar nicht“ – 6 „Stimmt ganz genau“) in beruflicher Adaption aus dem entsprechenden Erhebungsinstrument von PISA 2000 (Kunter et al. 2002) erhoben und weist mit einem Cronbachs Alpha = .93 (für ET) und Cronbachs Alpha = .87 (für MT) sehr gute Reliabilitäten auf. In Anlehnung an Prenzel et al. (1996) wurden die motivationalen Bedingungsfaktoren wahrgenommene Überforderung, wahrgenommenes Kompetenzerleben sowie Relevanzzuschreibung mit je drei geschlossenen Items in Form einer Likertskala (Ausprägungen 1 „Trifft nie zu“ – 6 „Trifft immer zu“) erfasst. Die Reliabilität der Skalen zeigen gute Werte (wahrgenommene Überforderung: Cronbachs Alpha = .87 für ET; Cronbachs Alpha = .85 für MT; wahrgenommenes Kompetenzerleben Cronbachs Alpha = .85 für ET, Cronbachs Alpha = .83 für MT und Relevanzzuschreibung Cronbachs Alpha = .87 für ET, Cronbachs Alpha = .86 für MT). 4 ERGEBNISSE Der synoptische Vergleich der Subgruppen erfolgt im ersten Unterabschnitt auf Basis des schulischen Bildungsgrades und der soziodemografischen Voraussetzungen, im zweiten Unterabschnitt im Hinblick auf die mathematische und kognitive Grundfähigkeit, im letzten Unterabschnitt wird das Augenmerk auf das Fähigkeitsselbstkonzept, die beobachteten Motivationsvarianten und das Fachinteresse der Auszubildenden gelegt. 4.1 Soziodemografischen Daten zu Ausbildungsbeginn Mit Blick auf die soziodemografischen Daten (siehe Tabelle 1) zeigt sich, dass die Auszubildenden in der elektrotechnischen Grundstufe im Mittel mit 18.63 Jahren signifikant älter sind (t(774) = 5.419, p < .001, d = 0.377) als die Auszubildenden der Metalltechnik (MW = 17.43) und eine höhere Varianz im Altersspektrum auf-
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weisen. Zurückgeführt werden kann das höhere durchschnittliche Alter auf den allgemein höheren Schulabschluss, der ebenfalls signifikante Unterschiede zu Gunsten der elektrotechnischen Kohorte aufweist (χ²(4) = 83.33, p < .001). Während 55.8 % der Schülerschaft in der Metalltechnik lediglich einen Hauptschulabschluss besitzen, ist dies bei den elektrotechnischen Auszubildenden nur rund ein Viertel (26.5 %), wohingegen 60.7 % der Jugendlichen in der Elektrotechnik über einen mittleren Bildungsabschluss verfügen. In der Subgruppe Metalltechnik besitzen 39.3 % einen mittleren Bildungsabschluss. Mit 10.2 % verfügen deutlich mehr Auszubildende in der elektrotechnischen Grundstufe über eine allgemeine Fachhochschulreife (FHR) bzw. eine allgemeine Hochschulreife als in der Metalltechnik (2.7 %). Tab. 1: Deskriptive Darstellung der soziodemografischen Merkmale der Kohorten Elektro- und Metalltechnik
Elektrotechnik (n = 431)
Metalltechnik (n = 462)
Alter
MW = 18.63 Jahre (Min = 15 Jahre; Max = 51 Jahre; SD = 3.95 Jahre)
MW = 17.43 Jahre (Min = 15 Jahre; Max = 30 Jahre; SD = 2.17 Jahre)
Geschlecht
w = 2.3 % m = 97.2 % k. A. = 0.5 %
w = 1.5 % m = 95.5 % k. A. = 3.0 %
Geburtsland
Deutschland = 80 % anderes Land = 15.5 % k. A. = 4.5 %
Deutschland = 81 % anderes Land = 9.5 % k. A. = 9.5 %
Muttersprache
Deutsch = 55.7 % andere = 22.0 % deutsch & andere = 21.0 % k. A. = 1.3 %
Deutsch = 55.8 % andere = 18.6 % deutsch & andere = 21.6 % k. A. = 4.0 %
Staatsangehörigkeit
Deutsch = 69.8 % andere = 29.7 % k. A. = 0.5 %
Deutsch = 72.7 % andere = 23.4 % k. A. = 3.9 %
Keinen Abschluss = 0.7 % Hauptschulabschluss = 26.5 % Mittlere Reife = 60.7 % FHR/Abitur = 10.2 % k. A. = 1.9 %
Keinen Abschluss = 0.4 % Hauptschulabschluss = 55.8 % Mittlere Reife = 39.3 % FHR/Abitur = 2.7 % k. A. = 1.8 %
Schulabschluss
Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung
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Neben dem Geschlecht sind das Geburtsland, die Muttersprache und die Staatsangehörigkeit in beiden Subgruppen weitestgehend vergleichbar verteilt. Die Aspekte der Migration wurden in den vorliegenden Daten über die Variablen Geburtsland, Muttersprache und Staatsangehörigkeit operationalisiert. Erwartungskonform zeigt sich mit über 95 % Anteil in beiden Subgruppen eine deutliche Dominanz des männlichen Geschlechts. Über 80 % der Probanden sind in Deutschland geboren und knapp 56 % haben Deutsch als Muttersprache gelernt. Rund jeder Fünfte hat neben der deutschen auch noch eine andere Muttersprache und ist mindestens zweisprachig aufgewachsen. 69.8 % der Jugendlichen in der elektrotechnischen Grundstufe geben an, die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen und unterscheiden sich hier von den Auszubildenden in der Metalltechnik (72.7 %) nur unwesentlich. Jeder dritte Jugendliche in der elektrotechnischen Grundstufe und jeder vierte Jugendliche in der Metalltechnik verfügt über eine andere als die deutsche Staatsbürgerschaft. Bei den n = 431 Probanden der Elektrotechnik liegen insgesamt 24 Nationalitäten vor, die n = 462 Probanden der Metalltechnik untergliedern sich in 27 unterschiedliche Nationalitäten. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die soziodemografischen Daten der Auszubildenden im Subgruppenvergleich unwesentlich voneinander unterscheiden. Lediglich die allgemeine Schulbildung lässt signifikante Unterschiede zu Gunsten der Auszubildenden im Berufsfeld Elektrotechnik zu, was auch mit einem höheren durchschnittlichen Alter der Gruppe einhergeht. Unabhängig vom Berufsfeld ist festzustellen, dass eine deutliche Varianz im Alter der Auszubildenden vorliegt, rund jeder fünfte Auszubildende Deutsch nicht als Muttersprache gelernt hat und die Befragten eine Vielzahl unterschiedlicher Nationalitäten vorweisen. 4.2 Mathematische Kompetenzen und kognitive Grundfähigkeiten Die mittlere Lösungsquote zum Mathematiktest ist mit 64 % bei Auszubildenden der elektrotechnischen Grundstufe signifikant höher (t(786) = 3.98, p < .001, d = 0.287), als die mittlere Lösungsquote von 57 % in der metalltechnischen Kohorte. Die Detailanalyse zu den Aufgabenlösungen zeigt, dass die mathematischen Inhalte der Klassenstufe 9 der Hauptschule einem großen Teil der Auszubildenden erhebliche Probleme bereiten. So wird beispielsweise eine einfache Aufgabe zum Umrechnen eines Bruches in eine Dezimalzahl nur von 41 % der Gesamtstichprobe gelöst. Allgemein steigt die Lösungsquote erwartungskonform mit der Zunahme des schulischen Bildungsgrades. Bezüglich des Schulabschlusses werden im Elektrobereich ebenso signifikante Unterschiede zwischen Jugendlichen mit mittlerer Reife und jenen mit (Fach)Hochschulreife (U(250.45) = -2.73, p < .001), wie zwischen Hauptschulabsolventen und jenen mit mittlerer Reife (U(114.250) = -7.54,
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p < .01) festgestellt2. Die kognitive Leistungsfähigkeit der Jugendlichen in der Elektrotechnik (MW = 96.2) gegenüber jenen der Metalltechnik (MW = 90.5) unterscheidet sich ebenfalls signifikant (t(755) = -4.77, p < .001, d = 0.348). Tab. 2: Mathematische Kompetenz und kognitive Grundfähigkeit
Elektrotechnik
Metalltechnik
Mathematik
n = 431 MW = 25.0 von 39 Punkten (Min = 5 Punkte; Max = 39 Punkte; SD = 7.7 Punkte)
n = 357 MW = 22.9 von 39 Punkten (Min = 6 Punkte; Max = 39 Punkte; SD = 6.7 Punkte)
Kognitive Grundfähigkeit (IQ)
n = 404 MW = 96.2 (Min = 56; Max = 143; SD = 16.2)
n = 353 MW = 90.53 (Min = 54; Max = 153; SD = 16.7)
Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung.
Die mittlere kognitive Grundfähigkeit liegt in beiden Subgruppen deutlich unter dem Populationsmittelwert von 100 Punkten. Die in den Abbildungen 1 und 2 dargestellten Dichtefunktionen geben weitere Aufschlüsse über die Varianz der kognitiven Grundfähigkeit der Auszubildenden. Die beiden Dichtefunktionen der Kohorte Elektrotechnik und der Kohorte Metalltechnik sind in der Verteilungsbreite vergleichbar. Zu erkennen ist an den Verteilungen, dass der Verteilungsschwerpunkt in der Kohorte Metalltechnik im Vergleich zur Kohorte Elektrotechnik bei deutlich geringeren Werten der kognitiven Grundfähigkeit liegt. Zudem liegen bei den Auszubildenden der Metalltechnik 35.7 % eine Standardabweichung und 11.3 % zwei Standardabweichungen unterhalb sowie 7.1 % eine Standardabweichung und 1.1 % zwei Standardabweichungen oberhalb des Populationsmittelwertes. Bei den Auszubildenden der Elektrotechnik liegen 23.5 % eine Standardabweichung und 4.7 % zwei Standardabweichungen unterhalb sowie 13.4 % eine Standardabweichung und 2.0 % zwei Standardabweichungen oberhalb des Populationsmittelwertes. 2
3
Hinsichtlich der unterschiedlichen Stichprobengrößen sind die gewonnenen signifikanten Unterschiede der nicht normalverteilten Daten nur als Trend zu betrachten. Im metalltechnischen Bereich konnten aufgrund der Stichprobengröße nur Unterschiede zwischen Jugendlichen mit Mittlerem Bildungsabschluss und jenen mit Hauptschulabschluss zuverlässig gerechnet (n. s.) werden. Der Intragruppenvergleich zwischen Auszubildenden der Anlagenmechanik (MW = 88.7) und des Metallbaus (MW = 93.0) belegt einen signifikanten Unterschied zu Gunsten der Auszubildenden im Metallbau, auf den hier nicht näher eingegangen wird (für einen weiteren Überblick siehe Zinn et. al. 2015).
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Abb. 1: Verteilung der kognitiven Grundfähigkeiten bei den Auszubildenden der Metalltechnik (Eigene Berechnung und Darstellung).
Abb. 2: Verteilung der kognitiven Grundfähigkeiten bei den Auszubildenden der Elektrotechnik (Eigene Berechnung und Darstellung).
Entsprechende Aufschlüsse über die breite Varianz der mathematischen Kompetenzen der Auszubildenden sind den Dichtefunktionen in den Abbildungen 3 und 4 zu entnehmen. Es liegen bei den Auszubildenden der Metalltechnik 17.9 % eine Standardabweichung und 0.8 % zwei Standardabweichungen unterhalb sowie 21.0 % eine Standardabweichung und 1.7 % zwei Standardabweichungen oberhalb
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des Kohortenmittelwertes. Bei den Auszubildenden der Elektrotechnik liegen 18.8 % eine Standardabweichung und 3.5 % zwei Standardabweichungen unterhalb sowie 16.9 % eine Standardabweichung und 0.0 % zwei Standardabweichungen oberhalb des spezifischen Kohortenmittelwertes.
Abb. 3: Verteilung der mathematischen Kompetenzen bei den Auszubildenden der Metalltechnik (Eigene Berechnung und Darstellung).
Abb. 4: Verteilung der mathematischen Kompetenzen bei den Auszubildenden der Elektrotechnik (Eigene Berechnung und Darstellung).
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Der in Abbildung 5 dargestellten Kompetenzverteilungen ist zu entnehmen, dass der Verteilungsschwerpunkt der Auszubildenden mit einem Hauptschulabschluss (n = 312) gegenüber den Auszubildenden mit mittlerer Reife (n = 382) bei einem deutlich geringeren mittleren Kompetenzniveau liegt. Bei beiden Verteilungen besteht ein deutlicher Überlappungsbereich. Demnach erreicht ein substanzieller Anteil der Auszubildenden mit einem Hauptschulabschluss das Kompetenzniveau von Auszubildenden mit mittlerer Reife bzw. erreicht ein substanzieller Anteil der Auszubildenden mit mittlerer Reife nur das Niveau der Auszubildenden mit einem Hauptschulabschluss.
Abb. 5: Verteilung der mathematischen Kompetenzen bei den Auszubildenden nach Schulform (Eigene Berechnung und Darstellung).
4.3 Motivationale Voraussetzungen, fachspezifisches Interesse und Fähigkeitsselbstkonzept Zum Vergleich der motivationalen Voraussetzungen der Auszubildenden in der elektrotechnischen Grundstufe mit jenen der Metalltechnik wurden die motivationalen Bedingungsfaktoren wahrgenommene Überforderung, wahrgenommenes Kompetenzerleben und die Relevanzzuschreibung gegenübergestellt. Betrachtet man vergleichend die Ergebnisse in Tabelle 3, so wird deutlich, dass sich die Auszubildenden der Metalltechnik in einem höheren Maß überfordert fühlen (t(795) = 4.05, p < .001, d = 0.287). Das wahrgenommene Kompetenzerleben (t(722) = 1.55, p = .122) und die Relevanzzuschreibung (t(790) = .57, p = .571) nehmen die Auszubildenden der beiden Kohorten vergleichbar wahr.
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Tab. 3: Motivationale Ausgangsbedingungen
Elektrotechnik
Metalltechnik
Wahrgenommene Überforderung
n = 362 MW = 2.1 SD = 1.0
n = 434 MW = 2.4 SD = 1.0
Wahrgenommenes Kompetenzerleben
n = 355 MW = 4.4 SD = 1.1
n = 430 MW = 4.6 SD = 1.0
Relevanzzuschreibung
n = 338 MW = 4.6 SD = 1.2
n = 431 MW = 4.7 SD = 1.1
Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung.
Zusätzlich liegen Datensätze über das fachspezifische Interesse mit den Dimensionen gefühlsbezogene Valenz, persönlich-wertbezogene Valenz und dem intrinsischen Charakter (siehe Tabelle 4) sowie zum fachbezogenen Fähigkeitsselbstkonzept vor. Die beiden Dimensionen persönlich-wertbezogene Valenz (t(568) = -1.02, p = .310) und gefühlsbezogene Valenz (t(557) = 0.29, p = .774) des fachspezifischen Interesses zeigen keine bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich der betrachteten Kohorten. Lediglich der intrinsische Charakter verweist auf einen signifikanten Unterschied zu Gunsten der Jugendlichen der Metalltechnik (t(702) = -2.79, p < .01, d = 0.121). Im fachbezogenen Fähigkeitsselbstkonzept sehen sich die Lernenden der Elektrotechnik (n = 302, MW = 4.6, SD = 1.0) im Vorteil und weisen ein signifikant besseres Fähigkeitsselbstkonzept (t(642) = -3.01, p < .01, d = 0.230) auf als die Auszubildenden in der Metalltechnik (n = 280, MW = 3.2, SD = 1.4). Tab. 4: Fachspezifisches Interesse
Elektrotechnik
Metalltechnik
Gefühlsbezogene Valenz
n = 252 MW = 3.8 SD = 0.8
n = 307 MW = 3.8 SD = 0.7
Persönlich-wertbezogene Valenz
n = 271 MW = 4.2 SD = 0.8
n = 299 MW = 4.1 SD = 0.7
Intrinsischer Charakter
n = 363 MW = 4.1 SD = 1.0
n = 341 MW = 4.3 SD = 1.0
Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung.
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Insgesamt deuten die subjektiven Einschätzungen der Auszubildenden zu Beginn der Ausbildung auf keine Überforderung hin und lassen mit mittleren bis hohen Mittelwerten in den erhobenen motivationalen Bedingungsfaktoren Kompetenzerleben und Relevanzzuschreibung auf eine leicht überdurchschnittliche Motivation schließen. Das fachspezifische Interesse weist mit Mittelwerten zwischen 3.8 und 4.3 in beiden Kohorten ebenfalls auf ein ausgeprägtes Fachinteresse hin. Die elektrotechnischen Auszubildenden schätzen dabei ihr fachbezogenes Fähigkeitsselbstkonzept signifikant höher ein als die Kohorte der Metallbauer und Anlagenmechaniker. Unterstrichen werden diese Befunde durch die Angaben zum jeweiligen Wunschberuf, wonach 72.1 % der Jugendlichen angeben, dass der gewählte Ausbildungsberuf im Elektrobereich ihr Wunschberuf4 ist. 5 ZUSAMMENFASSUNG Die Zielsetzung der vorliegenden Studie besteht in der Analyse von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu ausgewählten Lernermerkmalen und soziodemografischen Merkmalen bei Jugendlichen in den Berufsfeldern Elektro- und Metalltechnik, die am Beginn ihrer Ausbildung stehen. Insbesondere interessierte, welche Varianz in den mathematischen Kompetenzen und kognitiven Grundfähigkeiten bei den Auszubildenden vorliegt. Die ermittelte Varianz der mathematischen Kompetenzen der Auszubildenden zeigt, dass diese in beiden exemplarischen Subgruppen deutlich ausgeprägt ist und erwartungskonform mit dem schulischen Bildungsgrad korreliert. Wird bei der Interpretation der erzielten Lösungsquoten im mathematischen Test noch das niedrige Aufgabenniveau (Curriculum Hauptschule Klasse 9) berücksichtigt, so deuten die Ergebnisse bei vielen Auszubildenden auf mangelhafte mathematische Kompetenzen hin. Bezogen auf das mathematische Leistungsniveau liegt rund jeder sechste Auszubildende (17.9 % in der Metalltechnik und 18.8 % in der Elektrotechnik) eine Standardabweichung unterhalb des berufsfeldspezifischen Kohortenmittelwertes und deutet damit auf einen entsprechenden Förderbedarf hin. Die mittlere kognitive Grundfähigkeit ist bei beiden Kohorten (für Metalltechnik MW = 90.5; für Elektrotechnik: MW = 96.2) unter dem Populationsmittelwert. Bei den Auszubildenden der Metalltechnik liegt rund jeder dritte Auszubildende (35.7 %) und gut jeder fünfte Auszubildenden der Elektrotechnik (23.5 %) eine Standardabweichung (IQ < 85) unterhalb des Populationsmittelwertes. Gemessen an der kognitiven Grundfähigkeit ist damit bei einem substanziellen Anteil der Jugendlichen von einer Lernbeeinträchtigung auszugehen. Festzustellen ist, dass die Auszubildenden in der Grundstufe Elektrotechnik im Vergleich zu den 4
Rund jeder vierte Auszubildende in der elektrotechnischen Grundstufe und fast jeder dritte Auszubildende in der Metalltechnik hat einen anderen Wunschberuf als den Gewählten. Jene Lernenden geben zu über 90 % an, einen Wunschberuf in einem anderen Berufssegment zu besitzen und zeigen kein kongruentes Berufswahlverhalten. In beiden Segmenten des gewerblich-technischen Bereichs geben zudem 15 % der Jugendlichen an, bereits eine Ausbildung in einem anderen Ausbildungsberuf angefangen und abgebrochen zu haben.
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Auszubildenden der Metalltechnik auf der Ebene des Kohortenvergleichs mit günstigeren Ausgangsbedingungen zur mathematischen Kompetenz die Ausbildung beginnen und eine durchschnittlich höhere kognitive Grundfähigkeit besitzen. Auch schätzen die Auszubildenden der Elektrotechnik ihr fachbezogenes Fähigkeitsselbstkonzept signifikant höher ein als die Vergleichsgruppe. Diese Unterschiede sind erwartungskonform und können gut durch die mehrheitlich höheren Bildungsabschlüsse der Auszubildenden in der Elektrotechnik erklärt werden. Das berufsbezogene Fachinteresse ist gruppenübergreifend überdurchschnittlich ausgeprägt, es liegen keine signifikanten Unterschiede zwischen den betrachteten Subgruppen vor. Unverkennbar wird die hohe Vielfalt der Auszubildenden auch in den soziodemografischen Beschreibungsdaten. Verdeutlicht wird die Heterogenität dabei durch das breite Altersspektrum der Auszubildenden, der unterschiedlichen schulischen Bildungsabschlüsse und der mannigfachen Nationalitäten. So liegen bei den Auszubildenden der Elektrotechnik 24 und der Metalltechnik 27 verschiedene Nationalitäten vor. Übergeordnet intendierte der vorliegende Beitrag, ein systematisch erhobenes Beschreibungswissen zur deskriptiven Dimension der Heterogenität ausgewählter Merkmale von Jugendlichen am Beginn der Ausbildung zu generieren, um exemplarisch die Heterogenität von Auszubildenden in gewerblich-technischen Berufen mit aktuellen Daten zu beschreiben. Wenngleich die empirischen Befunde der Studie auf die Stichprobe begrenzt sind, so bestätigen sie insgesamt die allgemein angenommene hohe Heterogenität in den soziodemografischen Daten und Lernausgangslagen der Auszubildenden in den einbezogenen Berufen. Das generierte Beschreibungswissen bestätigt damit die in der Diskussion allgemein unterstellten vielfältigen Lernausgangslagen der Jugendlichen am Eingang in die berufliche Grundbildung und signalisiert Handlungsbedarfe. Um der (neuen) Heterogenität der Auszubildenden professionell zu begegnen, sind Anstrengungen in allen drei Phasen der Lehrerbildung von Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Professionalisierung. Lehrkräfte benötigen elaborierte diagnostische Kompetenzen, um die Schwächen und Stärken der Lernenden zu analysieren sowie hinreichende Kenntnisse und Fähigkeiten, um sowohl lernschwache als auch leistungsstarke Auszubildende adaptiv zu fördern. Die Lehrkräfte benötigen Beratungskompetenzen im Bezugsfeld und müssen dabei in der Lage sein, ihre Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützung professionsorientiert abzustecken. Lehrkräfte sollen letztlich die Heterogenität der Lernenden nicht als Belastung und Herausforderung, sondern als Chance für die berufliche Bildung wahrnehmen. BIBLIOGRAFIE Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2017). Bildung in Deutschland 2016. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Bielefeld: W. Bertelsmann. Beicht, U. & Ulrich, J. G. (2008). Welche Jugendlichen bleiben ohne Berufsausbildung? Analyse wichtiger Einflussfaktoren unter besonderer Berücksichtigung der Bildungsbiografie. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (Hrsg.), BIBB Report. 2. Jahrgang, Heft 6, Oktober 2008. Bielefeld: W. Bertelsmann.
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94
Bernd Zinn / Matthias Wyrwal / Sunita Ariali
Zinn, B. (2012). Ein ingenieurwissenschaftliches Studium von beruflich qualifizierten Studierenden – Chancen und Risiken. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW), 108(2), 273– 290. Zinn, B., Wyrwal. M., Sari, D. & Louis, A. (2015). Förderung von Auszubildenden im Berufsfeld Metalltechnik. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW), 111(1), 56–78.
DIE FACHLICHE KOMPETENZENTWICKLUNG UNTERSCHIEDLICHER LEISTUNGSGRUPPEN IM ÜBERGANGSSYSTEM. AUSGEWÄHLTE ERGEBNISSE EMPIRISCHER UNTERSUCHUNG UND IHRE IMPLIKATIONEN FÜR PÄDAGOGISCHES HANDELN Reinhold Nickolaus, Stuttgart / Svitlana Mokhonko, Stuttgart / Stefan Behrendt, Stuttgart / Dinah Vetter, Stuttgart / Kim Méliani, Stuttgart 1 ZUR RELEVANZ DER THEMATIK IM KONTEXT DER INKLUSIONSDEBATTEN Gelingende bzw. misslingende Einmündungen in eine vollqualifizierende Ausbildung sind in Deutschland zentrale Weichenstellungen für die eigene Entwicklung, die gesellschaftliche Teilhabe und damit für die Inklusion oder auch Exklusion in jenem zentralen Lebensbereich, der auch auf andere Bereiche in vielfältiger Weise ausstrahlt (vgl. Hoff, Lempert & Lappe 1991). Jugendliche, die in das Übergangssystem einmünden, wählen diesen Weg teilweise freiwillig, um ihre Chancen auf attraktive berufliche Ausbildungsgänge zu erhöhen oder münden auch mangels anderer Optionen „gezwungenermaßen“ in das Übergangssystem ein und erleben diese Weichenstellung z. T. bereits als (temporäre) Exklusion (im Überblick vgl. Nickolaus & Mokhonko 2017). Sichtet man die vorliegenden Studien zu den Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Übergangs in vollqualifizierende Ausbildungsgänge erhöhen, dann werden neben formalen Abschlüssen, dem Migrationshintergrund und regionalen Ausbildungsstellenmärkten auch die schulischen Leistungen bedeutsam (vgl. z. B. Friedrich 2009, S. 80). Zugleich erweisen sich die Basiskompetenzen in Mathematik und Lesen als starke Prädiktoren der berufsfachlichen Leistungsentwicklung und damit für den Ausbildungserfolg, der seinerseits die Inklusionswahrscheinlichkeit substantiell erhöht. Inklusion wird hier in einer weiteren Fassung genutzt, als dies bezogen auf den allgemeinbildenden Bereich in jenen Debattensträngen geschieht, in welchen die Frage der gemeinsamen Beschulung von Kindern unterschiedlicher Voraussetzungen im Mittelpunkt steht. Innerhalb der dualen Berufsausbildung wird über die Inklusion im Sinne einer gemeinsamen Ausbildung zunächst auf Basis privatrechtlicher Verträge entschieden und faktisch münden in einzelne Berufe wie z. B. bei den Malern traditionell relativ große Anteile von Jugendlichen ein, die zumindest gemessen an den kognitiven Grundfähigkeiten mit einem IQ0.75 in einem befriedigenden Bereich. Tab. 2: Ausgewählte Güte-Maße der IRT-Modellierungen
Maß
Anzahl Items davon verankert EAP/PV-Rel. SRMR
Metall (ET/AT)
9 / 22
Hauswirtschaft (ET/AT) 37 / 39
32
9
21
11
0.86 /0 .84
0.76 / 0.75
0.84 / 0.82
0.77 /0 .76
0.053
0.052
0.050
0.056
Mathematik (ET/AT)
Lesen (ET/AT)
36 / 36
19 / 16
Quelle: Nickolaus u. a. 2017b
6 ZENTRALE ERGEBNISSE ZUR ENTWICKLUNG DER KOMPETENZEN IN MATHEMATIK, LESEN UND DEN BERUFSFACHLICHEN KOMPETENZEN Zu erwarten waren vor dem Hintergrund der vorliegenden Forschungsergebnisse eher geringe Kompetenzzuwächse in Mathematik und Lesen und deutlich unterschiedliche Kompetenzzuwächse in den Schulformen im berufsfachlichen Bereich. Für die Modellversuchsschulen, in welchen ein individueller Förderansatz implementiert wurde, schien es plausibel, dass alle Leistungsgruppen gleichermaßen Fortschritte erzielen würden. Wir berichten im Folgenden die schulformspezifischen Kompetenzzuwächse, zunächst global und anschließend für die nach Terzilen aufgeteilten Leistungsgruppen und thematisieren abschließend, inwieweit die Schulformen bei Kontrolle des Vorwissens und des IQ entwicklungsrelevant werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fallzahlen in den einzelnen Schulformen (im Längsschnitt) relativ gering sind, weshalb wir ergänzend auch die Effektstärken berichten, die auf die Schulformen zurückzuführen sind. 6.1 Entwicklungen im Bereich der Mathematik Dargestellt sind in der folgenden Abbildung (Abb. 2) die Leistungsverteilungen in den verschiedenen Schulformen zum Eingangs- und Abschlusstest, ausgewiesen sind ergänzend die Mittelwertsdifferenzen (dm) und die Effektstärken (Hedges g). Die Mittelwerte für die Gesamtgruppe wurden auf 500, die Standardabweichungen auf 50 normiert, um Vergleiche zu erleichtern.
102
Reinhold Nickolaus et al.
Abb. 2: Entwicklung der mathematischen Kompetenzen in den Schulformen des Übergangssystems (Nickolaus u. a. 2017a, S. 87).
Im Vergleich zur IBIS Studie (vgl. Behrendt u. a. 2017) ergeben sich für die Gesamtgruppe deutlich höhere Effektstärken, die vor allem auf die überdurchschnittlichen Zuwächse in der 2BFS und den Reformschulen zurückzuführen sind, in welchen ähnliche Eingangskompetenzen dokumentiert werden. In VAB und BEJ, in welchen die Eingangskompetenzen deutlich niedriger liegen, fallen die Zuwächse deutlich schwächer aus. D. h., die ohnehin schon sehr großen Kompetenzunterschiede zwischen VAB und BEJ einerseits und den anderen Schulformen andererseits nehmen weiter zu, was in einer Inklusionsperspektive problematisch scheint. Analysen der Kompetenzzuwächse nach Leistungsgruppen wurden angesichts der relativ kleinen Teilstichproben für die Terzile vorgenommen. Die in Tabelle 3 dokumentierten Leistungszuwächse für die jeweiligen Leistungsterzile in den einzelnen Schulformen machen in den Modellversuchsschulen und der 2BFS leichte Matthäuseffekte deutlich, in VAB profitiert die mittlere und im BEJ die untere Leistungsgruppe etwas stärker. Bezogen auf die Frage nach der besseren Inklusionsleistung der Schulreformtypen zeigen Regressionsanalysen, dass bei Kontrolle des Vorwissens und des IQ die Entwicklungsbedingungen in der 2BFS signifikant günstiger sind als in BFPE und AVdual. D. h., der Ansatz der individuellen Förderung, der sehr stark auf die Förderung der Selbstlernkompetenzen ausgerichtet ist, vermag die Erwartungen (noch) nicht zu erfüllen.
Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen im Übergangssystem
103
Tab. 3: Mittelwertsunterschiede zwischen ET und AT sowie Effektstärken für die unterschiedlichen Leistungsgruppen (Mathematik)
N
dm
Hedges g
Terzil
1
2
3
1
2
3
1
2
3
BEJ
31
30
26
11.77
7.97
9.17
0.44
0.36
0.26
VAB/BVJ
34
41
35
6.90
11.18
7.24
0.23
0.52
0.20
2BFS
82
86
76
15.38
16.63
19.37
0.53
0.77
0.62
AVdual
43
51
50
13.77
14.25
17.81
0.44
0.67
0.55
BFPE
47
63
51
11.25
14.30
13.62
0.40
0.74
0.39
Quelle: Nickolaus u. a. 2017a, S. 87.
Ergänzende Analysen zur Bedeutung des Migrationshintergrunds für die Kompetenzentwicklung zeigen, dass die Leistungsunterschiede zu Ungunsten der Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu Beginn des Schuljahres zwar im Laufe des Schuljahres nicht kompensiert werden können, jedoch auch nicht signifikant größer werden (vgl. Nickolaus u. a. 2017b). Insgesamt ergibt sich bezogen auf die Leistungsentwicklung in den unterschiedlichen institutionellen Kontexten in einer Inklusionsperspektive ein durchwachsenes Bild. Die globalen Kompetenzzuwächse in der 2BFS, BFPE und AVdual bewegen sich in einer Größenordnung, die auch im allgemeinbildenden Schulsystem üblich ist. BEJ und VAB fallen dagegen deutlich ab, der ohnehin bereits große Leistungsunterschied zu den anderen Schulformen wird noch größer. Innerhalb der Schulformen zeigen sich moderate Entwicklungsunterschiede in den Leistungsgruppen, die auch in den Modellversuchsschulen der individuellen Förderung dokumentiert werden. Insgesamt gelingt es den Lehrkräften in den Modellversuchsschulen trotz der Implementation eines aufwändigen individuellen Förderkonzepts (noch) nicht, mit der 2BFS gleichzuziehen, die Effektunterschiede, die allein auf die Schulform zurückzuführen sind, sind jedoch relativ gering (d=0.06). Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund erfahren zumindest keine weitere Benachteiligung, die Kompetenzunterschiede können jedoch auch nicht ausgeglichen werden. 6.2 Entwicklungen im Lesen Im Lesen (vgl. Abb. 3) ergeben sich global sehr geringe Kompetenzzuwächse, die angesichts der relativ hohen prädiktiven Kraft der Lesekompetenz für die berufsfachliche Leistungsentwicklung im unteren Leistungssegment (z. B. Norwig, Petsch & Nickolaus 2017) nicht befriedigen können. Ähnliche Leistungszuwächse wie in der IBIS Studie werden lediglich in AVdual erreicht. Zu berücksichtigen ist im Vergleich mit der IBIS Studie allerdings, dass in der Evaluationsstudie ein anderes Testelement zum Einsatz kam und dadurch die Vergleichbarkeit der beiden
104
Reinhold Nickolaus et al.
Studien eingeschränkt ist. Weitere Leistungsspreizungen, wie sie in der Mathematik zwischen den Schulformen, in die die leistungsstärkeren Jugendlichen (2BFS, BFPE, AVdual) bzw. leistungsschwächeren Jugendlichen einmünden (VAB, BEJ) beobachtbar waren, bleiben im Lesen aus. Auffällig sind die etwas günstiger ausfallenden Entwicklungen in AVdual, die auch von besonders günstigen Motivations- und Selbstkonzeptentwicklungen begleitet werden (vgl. Nickolaus u. a. 2017a, S. 123, S. 131 f.).
Abb. 3: Entwicklung der Lesekompetenzen in den Schulformen des Übergangssystems (Nickolaus u. a. 2017a, S. 91).
Erhellend sind die Ergebnisse der Analysen zu den Leistungsentwicklungen in den unterschiedlichen Leistungsgruppen (vgl. Tabelle 4). Leistungszuwächse werden – abgesehen von AVdual – lediglich im unteren Leistungsterzil dokumentiert. Besonders große Kompetenzzuwächse ergeben sich im unteren Leistungsterzil des VAB, was den Gedanken nahelegt, dass dies vor allem auf die besonders hohen Migrantenanteile in dieser Schulform zurückzuführen ist. Ergänzende Analysen dokumentieren jedoch für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund unterdurchschnittliche Kompetenzzuwächse und ein signifikant geringeres Eingangsniveau. Für jene Gruppe, die nur eine andere Muttersprache als Deutsch angibt, wird der Entwicklungsunterschied auch signifikant. Mit anderen Worten, jene, deren Inklusion in besonderer Weise auf eine überdurchschnittliche Entwicklung im Lesen angewiesen sind, erfahren eine unterdurchschnittliche Entwicklung. Auch in den Modellversuchsschulen gelingt es nicht, diesen Effekt zu vermeiden (vgl. Nickolaus u. a. 2017b).
105
Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen im Übergangssystem
Tab. 4: Mittelwertsunterschiede zwischen ET und AT sowie Effektstärken für die unterschiedlichen Leistungsgruppen (Lesen)
N
dm
Hedges g
Terzil
1
2
3
1
2
3
1
2
3
BEJ
34
31
34
5.43
-3.17
-1.83
0.20
-0.12
-0.05
VAB/BVJ
35
37
31
14.57
-3.11
-0.77
0.60
-0.14
-0.02
2BFS
81
75
82
4.10
-0.08
0.95
0.13
0.00
0.03
AVdual
39
37
38
9.10
3.59
6.73
0.32
0.15
0.21
BFPE
51
54
55
7.47
1.04
0.89
0.27
0.04
0.03
Quelle: Nickolaus u. a. 2017a, S. 91.
Unterstellt man, dass der Lesekompetenz auch in einer übergreifenden Perspektive für die Inklusion besondere Bedeutung zukommt, da sie für alle Partizipationsprozesse relevant wird, zeigen diese Ergebnisse erheblichen Handlungsbedarf auf. 7 BERUFSFACHLICHE KOMPETENZENTWICKLUNGEN IN DEN UNTERSCHIEDLICHEN SCHULFORMEN Einbezogen wurden, wie eingangs angemerkt, die zwei beruflichen Fachrichtungen Hauswirtschaft und Metall, die insgesamt im Übergangssystem am stärksten besetzt und zugleich relativ stark geschlechtsspezifisch frequentiert sind. Durch die Aufteilung in die beiden berufsfachlichen Subgruppen ergeben sich im Vergleich zu den beiden Basiskompetenzen deutlich kleinere Teilstichproben. 7.1 Entwicklungen im Bereich der Hauswirtschaft Nach den vorliegenden Studien waren in der 2BFS höhere berufsfachliche Kompetenzzuwächse als in BEJ und VAB zu erwarten (vgl. Atik & Nickolaus 2017) und in den Modellversuchsschulen war die Implementation des individuellen Förderansatzes mit der Erwartung verbunden, eine ähnliche Leistungsentwicklung in den unterschiedlichen Leistungsgruppen zu ermöglichen. In Abbildung 4 sind die berufsfachlichen Kompetenzentwicklungen für die unterschiedlichen Schulformen dokumentiert. In einer globalen Perspektive ist zunächst der deutlich größere Kompetenzzuwachs als in den Basiskompetenzen auffällig (vgl. Abb. 4). Im Vergleich der Schulformen sind 2BFS und BFPE positiv auffällig, in AVdual werden in etwa gleiche Zuwächse erreicht wie in VAB und BEJ. Auffällig sind die deutlich geringeren Eingangskompetenzen in AVdual im Vergleich zur 2BFS und BFPE, die nach ergänzenden Analysen mit erheblichen Passungsproblemen von beruflichen Interessen der Jugendlichen und der Fachrichtung einhergehen (vgl. Nickolaus u. a. 2017a, S. 94).
106
Reinhold Nickolaus et al.
Abb. 4: Entwicklung der berufsfachlichen Kompetenzen (Hauswirtschaft) in den Schulformen des Übergangssystems (Nickolaus u. a. 2017a, S. 95).
Bemerkenswert sind in einer Inklusionsperspektive die hoch unterschiedlichen Kompetenzzuwächse innerhalb des Schuljahres in den Schulformen mit über- und unterdurchschnittlichen Eingangskompetenzen. Legt man den mittleren Zuwachs (g=0.42) zugrunde, so vergrößert sich der Abstand zwischen 2BFS und BFPE einerseits und den anderen Schulformen andererseits um ca. ein halbes Jahr. Sehr deutlich fallen zudem in allen Schulformen die Matthäuseffekte aus (vgl. Tabelle 5), besonders deutlich wird dieser Effekt in AVdual, VAB und BEJ. Entgegen den Erwartungen, dass in den Modellversuchsschulen noch am ehesten eine gleichermaßen gute Leistungsentwicklung in allen Leistungsgruppen stimuliert werden kann, fällt der Matthäuseffekt in diesen Schulformen besonders ausgeprägt aus, was vermutlich durch die starke Selbststeuerung der Lernprozesse, die im Förderkonzept der individuellen Förderung etabliert wurde, begünstigt wird. Auch bezogen auf die hauswirtschaftliche Kompetenz weisen die Jugendlichen mit Migrationshintergrund bereits zu Beginn signifikant niedrigere Kompetenzausprägungen auf (d= -1.13 für die 1. Generation; d= -0.76 für die 2. Generation), die sich im Laufe des Schuljahres weiter verstärken. Der Effekt des Migrationshintergrunds wird auch bei Kontrolle des Vorwissens und des IQ für die Jugendlichen der ersten Generation signifikant (d= -0.17) für die Jugendlichen der zweiten Generation, bzw. jene, die sowohl Deutsch als auch eine andere Sprache als Muttersprache angeben, wird der Effekt zwar nicht signifikant, ist mit d= -0.11 aber immer noch deutlich ausgeprägt. Diese negativen Effekte bestätigen sich auch in den Modelversuchsschulen. Gemessen an der Leistungsentwicklung scheitert der Anspruch der Inklusion durchgängig, sowohl bei einer integrierten als auch einer
Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen im Übergangssystem
107
differenzierten Unterrichtung. Am günstigsten stellt sich die Situation noch in der 2BFS dar, in der das unterste Terzil etwa jene Kompetenzzuwächse realisiert wie in VAB und BEJ das obere Terzil. Das Konzept der individuellen Förderung, das gemessen an den äußeren Merkmalen idealtypisch ausgeprägt ist, erweist sich erneut in der realisierten Form als ungeeignet für alle Leistungsgruppen eine ähnlich günstige Entwicklungsumgebung zu schaffen. Tab. 5: Mittelwertsunterschiede zwischen ET und AT sowie Effektstärken für die unterschiedlichen Leistungsgruppen (Hauswirtschaft)
N
dm
Hedges g
Terzil
1
2
3
1
2
3
1
2
3
BEJ
22
18
19
6.74
18.96
23.47
0.23
0.83
0.81
VAB/BVJ
20
18
19
5.19
16.47
21.32
0.17
0.69
0.74
2BFS
42
48
48
22.44
29.94
35.52
0.70
1.33
1.19
AVdual
10
12
9
-0.73
23.18
26.87
-0.02
1.01
0.89
BFPE
30
39
31
17.78
25.29
33.20
0.56
1.13
1.16
Quelle: Nickolaus u. a. 2017a, S. 95.
7.2 Entwicklungen im Bereich Metall Global ergeben sich im Metallbereich im Vergleich zur Hauswirtschaft deutlich geringere Leistungszuwächse (g=0.25). Problematisch ist die Kompetenzentwicklung vor allem im VAB, im BEJ ergeben sich gemessen an der Effektstärke die größten Zuwächse, der kleine Vorsprung gegenüber der 2BFS resultiert allerdings aus der großen Leistungshomogenität in dieser recht kleinen Teilstichprobe. Für das VAB gilt auch hier, dass sich der Leistungsabstand im Verlauf des Schuljahres um ca. ein halbes Jahr vergrößert. Wie im hauswirtschaftlichen Bereich zeigen auch die Analysen für die metalltechnischen Kompetenzen über alle Schulformen deutliche Matthäuseffekte, die in den Modellversuchsschulen und im VAB besonders deutlich ausfallen, besonders markant in AVdual (vgl. Tabelle 6). Für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund bestätigt sich das bereits für den hauswirtschaftlichen Bereich gezeichnete Bild, das dem Anspruch einer realisierten Inklusion entgegensteht. Die Unterschiede in den Eingangskompetenzen sind gegenüber den deutschen Jugendlichen signifikant (d= -0.65; -1.13) und die Entwicklungsunterschiede werden für die Jugendlichen der ersten Generation bei Kontrolle des Eingangswissens und des IQ ebenfalls signifikant (d= -0.26).
108
Reinhold Nickolaus et al.
Abb. 5: Entwicklung der berufsfachlichen Kompetenzen (Metall) in den Schulformen des Übergangssystems (Nickolaus u. a. 2017a, S. 99). Tab. 6: Mittelwertsunterschiede zwischen ET und AT sowie Effektstärken für die unterschiedlichen Leistungsgruppen (Metall)
N
dm
Hedges g
Terzil
1
2
3
1
2
3
1
2
3
BEJ
13
14
10
13.03
9.73
27.01
0.49
0.35
0.86
VAB/BVJ
14
18
14
0.51
8.53
10.22
0.02
0.30
0.37
2BFS
34
35
30
12.34
16.84
20.27
0.33
0.67
0.60
AVdual
19
22
19
0.50
13.92
25.36
0.01
0.51
0.63
BFPE
19
20
20
3.88
21.14
17.96
0.10
0.81
0.51
Quelle: Nickolaus u. a. 2017a, S. 99.
8. PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN DER ERGEBNISSE Die Ergebnisse signalisieren zunächst Handlungsbedarfe, vor allem im Hinblick auf die Förderung der Leistungsschwächeren, die abgesehen vom Lesen unterdurchschnittliche Entwicklungen aufweisen. Besonders stark sind diese Differenzen im Bereich der berufsfachlichen Kompetenzen, das implementierte Förderkonzept der individuellen Förderung scheint diesen Effekt eher zu verstärken als abzuschwächen, was vermutlich der Betonung der Selbststeuerung der Lernprozesse geschuldet ist. Im Anschluss an die Ergebnisse der ATI Forschung ist dieser Befund nicht
Kompetenzentwicklung unterschiedlicher Leistungsgruppen im Übergangssystem
109
überraschend (vgl. z. B. Flammer 1975). Ob die unerwünschten Effekte durch eine Optimierung innerhalb des Förderkonzepts behoben werden können, wäre zu erproben, auf jeden Fall scheint es lohnenswert, für die leistungsschwächeren Jugendlichen ein höheres Maß an angeleiteten Lernprozessen zu implementieren. Neben solchen Optimierungen auf der Mikroebene werfen die Ergebnisse auch die Frage auf, ob schulorganisatorische Veränderungen geeignet sind, die Leistungspotentiale der Jugendlichen besser zu entwickeln. Vor allem große Anteile der Jugendlichen des BEJ erreichen in den kognitiven Eingangsvoraussetzungen ähnliche Werte wie die Jugendlichen der 2BFS, entwickeln sich jedoch abgesehen vom metalltechnischen Bereich wesentlich ungünstiger. D. h., sie finden im BEJ eine wesentlich ungünstigere Entwicklungsbedingung als in der 2BFS (und BFPE) vor, scheinen jedoch im Hinblick auf die kognitiven Voraussetzungen durchaus in der Lage, auch die 2BFS erfolgreich zu durchlaufen, die wesentlich günstigere Entwicklungs- und Inklusionsperspektiven öffnet. Eine zentrale Herausforderung stellt die Förderung der Lesekompetenz dar, die einerseits für die Partizipation in allen gesellschaftlichen Kontexten relevant wird und andererseits hohe prädiktive Kraft für die berufsfachlichen Kompetenzen entfaltet. Die bisherigen Versuche der Lesekompetenzförderung mittels des Ansatzes des Reciprocal Teaching, der sich in anderen Kontexten als recht effektvoll zeigte (vgl. Hattie 2009; Gschwendtner 2012), waren bisher im Bereich des Übergangssystems nur bedingt effektrelevant zu implementieren (vgl. z. B. Gschwendtner 2012; Norwig u. a. 2013). Belastbare Aussagen zu effektvolleren Förderansätzen stehen leider aus. Damit kann gegenwärtig auch in der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte kein aussichtsreiches Förderprogramm für diesen Bereich gelehrt werden. Vielmehr besteht substantieller Entwicklungsbedarf. Möglicherweise bieten die in AVdual realisierten Unterrichtskonzepte, die im Hinblick auf die Lesekompetenzentwicklung zu positiv auffälligen Ergebnissen führen, zumindest Ansatzpunkte. Ähnlich groß stellen sich die Herausforderungen für die Förderung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund dar. Auch hier gibt es keine etablierten und als effektvoll erwiesenen Konzepte. Deutlich wird aus den Ergebnissen, dass vor allem die Jugendlichen der ersten Generation mit erheblichen Kompetenznachteilen starten und die Kompetenzabstände, abgesehen von Mathematik, im Verlaufe des Schuljahres größer werden. Denkbar wäre für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund begleitender zusätzlicher Deutschunterricht, der behilflich ist, die z. T. deutlichen Defizite zu mildern und günstigere Entwicklungsoptionen zu schaffen. Auch hier gilt, dass wir kaum aussagefähig sind, welche Förderansätze besonders vorteilhaft sind und in der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte lediglich allgemeine Förderansätze diskutiert werden können. Von zentraler Bedeutung scheint, die in den präsentierten Ergebnissen deutlich werdenden Problemlagen in der Lehrerbildung, aber auch in der Bildungspolitik zu thematisieren und zumindest für deren Bearbeitung zu sensibilisieren. Die Ergebnisse der Evaluationsstudie sprechen auch dafür, zunächst aussichtsreiche Handlungsprogramme in kontrollierten Settings zu erproben, statt massive Reformprogramme flächig zu implementieren, deren Wirkung nicht abschätzbar ist. Inklusion
110
Reinhold Nickolaus et al.
erweist sich in dieser Perspektive als Herausforderung, die nicht nur am fehlenden Willen, sondern an fehlenden Fähigkeiten zu scheitern droht. Programmatische Setzungen mögen zwar zunächst hilfreich scheinen, für die Problematiken zu sensibilisieren und da und dort positive Entwicklungsprozesse anzustoßen, angesichts der über Jahrzehnte dokumentierten sozialen Benachteiligungen im Bildungswesen, die zwischenzeitlich negiert und erst wieder durch die PISA Studien ins Bewusstsein rückten, geben allerdings Anlass, diese Aufgabe als Generationen übergreifende Aufgabe zu begreifen. BIBLIOGRAFIE Atik, D. & Nickolaus, R. (2017). Die Bedeutung institutioneller Kontexte für die Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen – ein Beitrag zur Funktionalität des Übergangssystems. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW), 113 (2), 202–227. BBiG: Berufsbildungsgesetz (BBiG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 2005 (BGBI I S 931). Behrendt, S., Nickolaus, R. & Seeber, S. (2017). Entwicklung der Basiskompetenzen im Übergangssystem. Unterrichtswissenschaft, 45, 51–66. Euler, R. (2016). Inklusion in der Berufsbildung. Bekenntnisse – Erkenntnisse – Herausforderungen – Konsequenzen. In: A. Zoyke & K. Vollmer (Hrsg.), Inklusion in der Berufsbildung. Befunde – Konzepte – Diskussionen (27–42). Bielefeld: W. Bertelsmann. Flammer, A. (1975). Wechselwirkungen zwischen Schülermerkmalen und Unterrichtsmethoden. In: R. Schwarzer & K. Steinhagen (Hrsg.), Adaptiver Unterricht. Zur Wechselwirkung von Schülermerkmalen und Unterrichtsmethoden (27–41). München: Kösel. Friedrich, M. (2009). Berufliche Pläne und realisierte Bildungs- und Berufswege nach Verlassen der Schule. Ergebnisse der BIBB-Schulabgängerbefragungen 2004 bis 2006. Bielefeld: Bertelsmann. Gschwendtner, T. (2012). Förderung des Leseverständnisses in Benachteiligtenklassen der beruflichen Bildung. Studien zur Implementation und Wirksamkeit von Reciprocal Teaching. Stuttgarter Beiträge zur Berufs- und Wirtschaftspädagogik 31. Aachen: Shaker Hattie, J.A.C. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London: Routledge. Hoff, E.-H., Lempert, W. & Lappe, L. (1991). Berufswege und Persönlichkeitsentwicklung junger Facharbeiter. Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Gewerkschaftliche Bildungspolitik, 3, 62–67. Hupka-Brunner, S., Meyer, T., Stalder, B. & Keller, A. (2011). PISA-Kompetenzen und Übergangswege. Ergebnisse aus der Schweizer Tree-Studie. In: E. M. Krekel & T. Lex (Hrsg.), Neue Jugend, neue Ausbildung? Beiträge aus der Jugend- und Bildungsforschung. Berichte zur beruflichen Bildung (173–188). Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung. Landesinstitut für Schulentwicklung (2017). Berufspädagogische Erprobung (BFPE)/Duale Ausbildungsvorbereitung (AVdual). Niveaudifferenziertes Lernen im Übergangsbereich an beruflichen Schulen. Die Schulversuche „Pädagogische Weiterentwicklung der Bildungsgänge VAB, BEJ, ein- und zweijährige BFS (BFPE)“ und „Duale Ausbildungsvorbereitung (AVdual)“. http://www.schule-bw.de/themen-und-impulse/individu-elles-lernen-und-individuelle-foerder ung/berufliche-schulen/individuelle-foerderung-bs-bw/massnahmen/BFPE-AVdual.html, St. vom 19.06.2017. Lehmann, R. H., Seeber, S. & Hunger, S. (2006). Untersuchung der Leistungen, Motivation und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern in den Abschlussklassen der teilqualifizierenden
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TEIL 3 ÜBERZEUGUNGEN UND DAS FACHWISSEN VON LEHRKRÄFTEN ALS AUSGANGSPUNKT FÜR EINEN INKLUSIVEN UNTERRICHT
INKLUSION UND HETEROGENITÄT ALS GEGENSTAND DER BERUFLICHEN LEHRAMTSAUSBILDUNG Ursula Bylinski, Münster / Nora Austermann, Münster / Michaela Sindermann, Münster Zur Ausgestaltung einer Schule der Vielfalt stellt die Verankerung von Inklusion und Heterogenität als Gegenstand der Lehramtsausbildung eine grundlegende Voraussetzung dar. Der Professionalität der Lehrkräfte an beruflichen Schulen kommt in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu. Ein verändertes Curriculum, die Konzipierung von inklusionsbezogenen Lehrangeboten und entsprechenden Lehrformaten werden deshalb in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) am Hochschulstandort Münster aufgegriffen und weiterentwickelt. Der folgende Beitrag nimmt Ergebnisse einer qualitativen Studie auf, die in diesem Kontext durchgeführt wurde: Ausgehend von der Annahme, dass für die Ausgestaltung inklusiver Lernsettings die eigenen Überzeugungen sowie eine inklusionsbejahende Einstellung und Haltung der Lehrenden sich als konstitutiv für die Aneignungsprozesse der Lernenden erweisen, sollten die Überzeugungen der Hochschullehrenden und der Studierenden in Bezug auf Inklusion expliziert werden. Intention war, daraus Hinweise zu generieren, wie im Rahmen hochschulischer Lehrerbildung Überzeugungen und die damit verbundenen Einstellungen und Haltungen in Aneignungsprozessen weiterentwickelt werden könnten. 1 PROFESSIONALISIERUNG FÜR INKLUSIVE (BERUFS-)BILDUNG Mit der UN-Behindertenrechtskonvention – die Deutschland 2009 unterzeichnete – ist das Thema Inklusion sowohl bildungspolitisch als auch fachwissenschaftlich in den Fokus gerückt. Als gesamtgesellschaftliche Thematik sind alle Systemebenen und Handlungsfelder des Bildungssystems angesprochen. Die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte wird zur Querschnittsaufgabe und zu einem wesentlichen Gelingensfaktor im Prozess der Ausgestaltung einer inklusiven (Berufs-) Bildung. 1.1 Inklusion als erweiterte Integration Ein zentraler Leitgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention ist, die negative Bewertung von Behinderung und eine individuelle Zuschreibung aufzuheben (vgl.
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Freie und Hansestadt Hamburg. Behörde für Arbeit 2013, S. 9). Dies bedeutet eine Abkehr vom medizinischen Modell von Behinderung: Nicht mehr das individuelle Defizit steht im Vordergrund, sondern Behinderung wird als soziales Konstrukt betrachtet und beinhaltet ein Verständnis, das sich ausdrücklich auf die Wechselbeziehungen zwischen den in der Person liegenden Bedingungen und jenen der Umwelt bezieht (vgl. Enggruber & Rützel 2014, S. 16). Der Blick ist somit auf Handlungssituationen und Kontextfaktoren gerichtet, die Menschen an einer gleichberechtigten Teilhabe in dieser Gesellschaft (be-)hindern (Lindmeier & Lindmeier 2012). Die aktuelle gesellschaftliche Diskussion um Inklusion im Bildungsbereich wurde zunächst weitgehend für den allgemeinbildenden Bereich geführt und bezieht sich vornehmlich auf den Einbezug von Schüler/-innen mit Behinderung bzw. mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Ebenso wurden bildungspolitische Initiativen und Programme entsprechend ausgerichtet (siehe dazu bspw. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011). Hingegen plädieren insbesondere für die berufliche Bildung viele Bildungsexpertinnen und -experten für einen so genannten weiten Inklusionsbegriff, der an die Leitlinien der UNESCO anknüpft (Enggruber et al. 2014). Das Programm der Deutschen UNESCO Kommission (2009) formuliert Bildung für alle als universellen Anspruch: Alle Jugendlichen und Erwachsenen sollen Lerngelegenheiten und die gleichen Zugänge zu qualitativ hochwertiger Bildung erhalten und ihre Potenziale entwickeln können – unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen. Gleichwohl ist mit Inklusion ein Perspektivenwechsel verbunden. Wird bei der Integration die Unterschiedlichkeit des Lernenden herausgestellt und diese als Herausforderung betrachtet, erweitert Inklusion die Perspektive darauf, Unterschiedlichkeit als Gewinn und Ressource für individuelles und wechselseitiges Lernen und Entwicklung aufzufassen (Sonntag & Veber 2014, S. 288). Entgegen einer dichotomen Vorstellung und der Aufteilung bspw. nach Behinderten und Nichtbehinderten, werden Individuen nicht entlang unterschiedlicher sozialer Differenzkategorien (wie Behinderung, Benachteiligung, Migrationshintergrund) betrachtet und ihre Verschiedenheit herausgestellt (Budde 2015, S. 119). Setzte Integration noch auf das „Leitbild der Normalisierung“ (Frühauf 2012, S. 16) und intendierte „Ein Leben so normal wie möglich“ (ebd.), stellt Inklusion diese Anpassung an eine „oft als fragwürdige Normalität unserer Gesellschaft an vorherrschende Durchschnittsnormen“ (ebd.) infrage. Wocken (2010, S. 3) markiert diesen Perspektivenwechsel mit der Formulierung „Man kann verschieden normal sein“ (ebd.) und begründet damit den Verzicht, Lernende „gleichschalten“ und „normalisieren“ zu wollen (ebd. S. 2), weil eine zugestandene Differenz zugleich auch Abwertung, Deklassierung und Marginalisierung bedeutet (vgl. ebd. S. 3).
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1.2 Eine Schule der Vielfalt braucht die Professionalität der Lehrkräfte Die Nationale Konferenz „Inklusion gestalten – gemeinsam. kompetent. professionell“, die im Juni 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) in Berlin einberufen wurde, stellte die Bedeutung der Professionalität der pädagogischen Fachkräfte für eine inklusive Bildung in Deutschland explizit heraus. Der Einschätzung folgend, dass sie den Schlüssel für notwendige Entwicklungs- und Veränderungsprozesse zur Ausgestaltung inklusiver Bildung darstellen, sollten Konzepte zur Professionalisierung verstärkt in den Fokus rücken. Fachexpertisen zu unterschiedlichen pädagogischen Handlungsfeldern (Döbert & Weishaupt 2013) unterstrichen, dass bildungsbereichsübergreifend eine Verknüpfung von Einstellung, Wissen und Handeln als konstitutiv und insbesondere eine „positive Einstellung gegenüber der Inklusion“ (ebd., S. 8) als Basis für eine erfolgreiche Professionalisierung anzusehen sind. Für die im Handlungsfeld der beruflichen Bildung tätigen pädagogischen Fachkräfte (bspw. Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen, Ausbilderinnen bzw. Ausbilder, Sonder- und Sozialpädagoginnen bzw. -pädagogen sowie Psychologinnen bzw. Psychologen) ergeben sich zwei grundlegende Anforderungsbereiche (Buchmann & Bylinski 2013, S. 188). Diese beziehen sich zum einen auf die subjektorientierte Intervention und zum anderen auf die Kooperation und Vernetzung (ausführlicher in: Bylinski 2014, 2016a). Zur Einleitung von Veränderungsprozessen wird dabei die Fähigkeit zur Selbstreflexion als zentrale Dimension von pädagogischer Professionalität herausgestellt. Die gemeinsame Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz (2015) zur „Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt“ unterstrich die benötigten professionellen Kompetenzen, „um besondere Begabungen oder etwaige Benachteiligungen, Beeinträchtigungen und andere Barrieren von und für Schülerinnen und Schüler zu erkennen und entsprechende pädagogische Präventions- und Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen“ (ebd., S. 2). Der Erwerb von Basiskompetenzen für den „Umgang mit Vielfalt“ (ebd.) bei der Gestaltung von inklusivem Unterricht und inklusiver Schule soll in die Curricula der Lehramtsausbildung entsprechend eingebunden werden und von Bildungswissenschaften, Fachdidaktik und der Fachwissenschaften als integraler Bestandteil aufgenommen werden. Empfohlen wird, neben dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auch „Einstellungen und Haltungen gegenüber Vielfalt“ (ebd., S. 3) aufzunehmen und theoriegestützte Reflexion durch Praxiserfahrung weiterzuentwickeln. In Nordrhein-Westfalen wurde mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz NRW (Art. 4 §1) (Landesregierung NRW 2013) eine Anpassung an die UN-Behindertenrechtskonvention vorgenommen. Das im April 2016 beschlossene Gesetz zu Änderungen des Lehrerausbildungsgesetzes sieht vor, „(...) die Befähigung zu einem professionellen Umgang mit Vielfalt (...) sowie die Befähigung zur Kooperation untereinander, mit den Eltern, mit anderen Berufsgruppen und Einrichtungen besonders zu berücksichtigen“.
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In der hochschulischen Ausbildung sollen zukünftige Lehrkräfte darin bestärkt werden, „die individuellen Potenziale und Fähigkeiten aller Schülerinnen und Schüler zu erkennen, zu fördern und zu entwickeln“ (ebd.). Somit soll der „Erwerb von Inklusionskompetenzen und sonderpädagogischen Basiskompetenzen“ (Pressestelle des Ministeriums für Schule und Weiterbildung 2016) sichergestellt werden. Die Lehramtszugangsverordnung (LZV) vom 06.05.2016 legt entsprechend fest, dass in den Fächern des Lehramtsstudiums „inklusionsorientierte Fragestellungen“ thematisiert werden (LZV § 1) und zusätzlich die Bildungswissenschaften „Leistungen zu spezifischen Fragen der Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf“ (LZV § 5) in Form eines Pflichtmoduls anbieten sollen. 1.3 Reflexive pädagogische Professionalisierung Basis einer inklusiven (Berufs-)Bildung stellt eine inklusive Grundhaltung dar, die eine Wertschätzung individueller Unterschiede beinhaltet und diese als Chance aufgreift (Bylinski & Rützel 2016). Insofern erhält die Professionalität der Lehrkräfte auf dem Weg zur Inklusion besondere Bedeutung. Empirische Studien bestätigen, dass nicht die Addition von Wissen und nicht die Handhabung von Instrumenten für die Ausgestaltung inklusiver Berufsbildung als ausreichend betrachtet werden können, sondern personale, soziale und emotionale Kompetenzen sowie die Einstellung und Haltung der Fachkräfte (Bylinski 2014; Moser et al. 2012) entscheidend pädagogisches Handeln determinieren. Für Aneignungs- und Entwicklungsprozesse bedeutet dies, neben der Vermittlung grundlegender Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten insbesondere auch die Einstellung und Haltung gegenüber Vielfalt zu entwickeln (Kultusministerkonferenz (KMK) und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) 2015, S. 3) und das Konzept einer reflexiven pädagogischen Professionalisierung (Arnold & Gómez Tutor 2007) auszugestalten, das die Auseinandersetzung mit der eigenen Person (Herausbildung von Selbstreflexivität) grundlegend aufnimmt. Reflexivität wird zur professionellen Haltung, die für Inklusion fruchtbar gemacht werden kann. Darum gilt es, eigene Denk- bzw. Handlungsweisen und Routinen zu hinterfragen. Die Dimensionen pädagogischer Professionalität (WISSEN–KÖNNEN–REFLEKTIEREN) nach Arnold und Gómez Tutor (2007) dienen dabei als Analysekategorien, die im pädagogischen Handeln nicht nebeneinander, sondern nur in Verknüpfung miteinander zu betrachten sind. REFLEKTIEREN scheint zur Kernkompetenz für kompetentes pädagogisches Handeln in heterogenen Lerngruppen und inklusiven Lernsettings zu werden. Somit kann nicht von „Inklusionskompetenz“ (bspw. Terhart 2015) als einem eigenen Kompetenzbereich gesprochen werden, sondern diese Kompetenz scheint als „Transferkompetenz“ (Bolten 2011, S. 64) Bedeutung zu erhalten, im Zusammenspiel von individuellem, sozialem, fachlichen und strategischem Handeln (Bolten 2011, S. 25).
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2 INKLUSION UND DER UMGANG MIT HETEROGENITÄT AM HOCHSCHULSTANDORT MÜNSTER Das berufliche Lehramtsstudium wird am Hochschulstandort Münster von der Fachhochschule und der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) gemeinsam verantwortet (siehe dazu: Harth, Kettschau & Stuber 2012). In das Projekt der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) der WWU (April 2016 bis Juni 2019) ist die Fachhochschule im Kontext der beruflichen Lehramtsausbildung in das Teilprojekt I Heterogenität als durchgängiges Thema im Curriculum miteinbezogen. 2.1 Kooperative Lehramtsausbildung in Münster Das kooperative Lehramtsstudium sieht vor, dass die beruflichen Fachrichtungen, wie bspw. Gesundheitswissenschaft/Pflege oder Bautechnik an der Fachhochschule und die allgemeinbildenden Fächer, wie bspw. Deutsch oder Mathematik an der Universität gelehrt werden. Die bildungswissenschaftlichen Anteile des Studiums werden kooperativ von beiden Hochschulen eingebracht, die jeweiligen Module gemeinsam konzipiert und angeboten. An der Fachhochschule ist die Lehramtsausbildung beim Institut für Berufliche Lehrerbildung (IBL) angesiedelt. Als zentrale Einrichtung übernimmt das IBL die Koordination und Zusammenführung der sechs für die Lehramtsausbildung relevanten Fachbereiche der Fachhochschule. Darüber hinaus ist die Fachdidaktik mit drei Professuren (Technikdidaktik, Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaft, Gesundheitswissenschaft/Pflege) vertreten. Am IBL besteht darüber hinaus seit dem Wintersemester 2016/2017 eine weitere Professur mit der Denomination „Berufliche Bildung mit dem Schwerpunkt Didaktik inklusiven Unterrichts“. Die dort angebotenen Lehrveranstaltungen sind curricular in den bildungswissenschaftlichen Modulen verortet. Sie sind darauf ausgerichtet, Inklusion zum einen in einem additiven Lehrangebot mit einer spezifischen Themenstellung aufzugreifen (bspw. Grundlagen inklusiver Berufsbildung) und zum anderen darauf aufbauende Inhalte anzubieten (bspw. Inklusive, prozessorientierte Diagnostik). Darüber hinaus werden integrative Seminare angeboten, die bspw. in berufspädagogischen Lehrangeboten (bspw. Einführung in die Berufspädagogik) inklusionsorientierte Fragestellungen zum integralen Bestandteil haben. 2.2 Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) am Hochschulstandort Münster Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutsamkeit, die der Professionalität der Lehrkräfte zukommt, zielt die Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) unter dem Titel Dealing with Diversity. Kompetenter Umgang mit Heterogenität durch reflektierte Praxiserfahrung (DwD) da-
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rauf, die Themenbereiche des professionellen Umgangs mit Heterogenität und Inklusion curricular zu verankern und durch reflektierte Praxiserfahrung in Schule und Unterricht zu ergänzen (vgl. Westfälische Wilhelms-Universität o. J., S. 2). Auf der einen Seite wird damit sowohl die Dimension des Wissenserwerbs, auf der anderen Seite die reflektierte praktische Erfahrung in den Fokus der Lehramtsausbildung gerückt, damit handlungsrelevantes Wissen hinsichtlich eines professionellen Umgangs mit Heterogenität und Inklusion bei Studierenden aufgebaut werden kann (vgl. ebd., S. 5). Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften verfolgen entsprechende Maßnahmen gemeinsam im Rahmen von vier Teilprojekten (vgl. ebd., S. 5–8). In Teilprojekt I Heterogenität als durchgängiges Thema im Curriculum liegt der Schwerpunkt auf der genauen Analyse der Ausgangssituation und darauf, die Themenbereiche Heterogenität und Inklusion durch die Entwicklung innovativer Lehrformate in der Lehramtsausbildung stärker zu verankern (curriculare Ebene). Hingegen zielen die Teilprojekte II bis IV darauf, reflektierte Praxiserfahrungen bei Lehramtsstudierenden nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht durch die Konzeption von Lehr-Lern-Laboren, videobasierten Lehrmodulen und Praxisprojekten in Kooperationsschulen zu ermöglichen (strukturelle Ebene) (ebd.).
Abb. 1: Curriculare und strukturelle Maßnahmen zur Verbesserung des Umgangs mit Heterogenität durch reflektierte Praxis in der Lehrbildung der WWU (WWU o. J., S. 5).
Intention des Teilprojekts I ist es, den professionellen Umgang mit Heterogenität und Inklusion sowie die Auseinandersetzungen mit dem Prinzip der individuellen Förderung verstärkt in Lehrveranstaltungen an der WWU und der FH Münster zu integrieren. So ist es das Ziel, Lehrveranstaltungen zu konzipieren, welche den „potenzialorientierten Umgang mit Heterogenität und Inklusion“ (ebd., S. 5) thematisieren. Dazu wurden folgende vier Arbeitspakete abgeleitet, welche an der WWU und am IBL für die berufliche Lehramtsausbildung umgesetzt werden.1
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Die Erhebung der Daten erfolgte bereits, die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen.
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Arbeitspaket I: Dokumentenanalyse der Modulbeschreibungen und Studienordnungen Zur Abbildung der Ausgangslage hinsichtlich des Einbezugs der Themenbereiche Diversität und Inklusion im Curriculum der lehramtsbezogenen Fächer (Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften) wurden die entsprechenden Curricula (Studienordnungen, Modulbeschreibungen, Vorlesungsverzeichnisse) der Studiengänge untersucht (Dokumentenanalyse)2 und auf der Grundlage eines deduktiv-induktiven Vorgehens kategorisierend ausgewertet. Die Ergebnisse der Analyse sollen in die Weiterentwicklung des Lehrangebots zu den Themenbereichen Diversität und Inklusion einfließen. Arbeitspaket II: Interviews mit Hochschullehrenden Ergänzend wurden Interviews mit den Hochschullehrenden der Fachdidaktiken am IBL durchgeführt. Sie dienten als Ergänzung zur Analyse der Curricula und sollten ein vertiefendes Verständnis der durchgeführten Dokumentenanalyse ermöglichen sowie die subjektiven Sichtweisen der Hochschullehrenden abbilden. Die Lehrenden waren zu diesem Zeitpunkt durch die Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes (2016) bereits in unterschiedlichem Maße mit der Thematik befasst. Arbeitspaket III: Befragungen von Studierenden in Lehrveranstaltungen Zur Evaluation auf der Ebene des Gesamtprojekts wurde ein Fragebogen für die Studierenden entwickelt, welcher erstmals im Wintersemester 2016/17 eingesetzt wurde. Mit der Erhebung ist beabsichtigt, fortlaufend pro Semester im Prä-postDesign die Selbstwirksamkeitserwartungen und Einstellungen Studierender zu erfassen (Westfälische Wilhelms-Universität Münster 2017, S. 5 f.), um Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Lehrkonzepte zu ermöglichen. Arbeitspaket IV: Entwicklung eines Lehrprojekts Auf der Grundlage der Curriculumanalyse wurden Lehrangebote entwickelt, um identifizierte Leerstellen zu schließen. Für das IBL ist daraus das Seminar Inklusive Lernsettings konkret: Entwicklung von Unterrichtsmaterial hervorgegangen, verbunden mit der Zielsetzung, die Leitlinien inklusiver Didaktik (Amrhein & Reich 2
Es wurden die Dokumente aus dem Sommersemester 2015 sowie aus dem Wintersemester 2015/2016 herangezogen. Die Professur „Berufliche Bildung mit dem Schwerpunkt Didaktik inklusiven Unterrichts“ wurde am IBL allerdings erst zum Wintersemester 2015/16 eingerichtet, so dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung keine Lehrveranstaltungen daraus einbezogen werden konnten.
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2014; Reich 2014) zu konkretisieren. Besonders herausgestellt wurden dabei die Aspekte inklusiver Lernsettings, die Individualisierung und Binnendifferenzierung in der heterogenen Lerngruppe verfolgen (Bylinski 2016b), unter dem Prinzip Jede/r arbeitet auf seinem Niveau und alle an einem gemeinsamen Gegenstand (bspw. Seitz & Scheidt 2012). 2.3 Synergien durch die Verschränkung beider Arbeitsansätze Die Schnittmenge des Arbeitsgebiets Berufliche Bildung mit dem Schwerpunkt Didaktik inklusiven Unterrichts und des Teilprojekts I der QLB besteht darin, Heterogenität und Inklusion als durchgängiges Thema in der beruflichen Lehramtsausbildung zu verankern.
Abb. 2: Verschränkung von Arbeitsschritten (eigene Darstellung).
Die im Rahmen der QLB durchgeführte Dokumentenanalyse konnte unmittelbar für die Weiterentwicklung des bisherigen Curriculums und des bestehenden Lehrangebots genutzt werden. Die qualitativen Interviews mit den Hochschullehrenden zum Stand der Verankerung der Themenbereiche Diversität und Inklusion in der Lehre nahmen durch erweiterte Aspekte (Überzeugungen der Hochschullehrenden) einen spezifischen Fokus auf, ebenso konkretisierten die qualitativen Interviews mit den Studierenden die im Rahmen der QLB durchgeführte Fragebogenerhebung. Die Entwicklung von Lehrprojekten setzte gezielt bei aufbauenden Themenstellungen an und knüpfte an die bisher entwickelten Lehrangebote an.
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3 (SUBJEKTIVE) ÜBERZEUGUNGEN ALS DETERMINANTEN PÄDAGOGISCHEN HANDELNS IN INKLUSIVEN LERNSETTINGS Im Zentrum des Beitrags steht die Frage nach den Überzeugungen der Hochschullehrenden und der Studierenden in Bezug auf Inklusion, die damit verbundenen – subjektiv wahrgenommenen bzw. angenommenen – Herausforderungen an pädagogisches Handeln und in Bezug auf ihre Rolle als (zukünftige) Lehrkraft. Ausgehend von der Annahme, dass für die Ausgestaltung inklusiver Lernsettings die eigenen Überzeugungen sowie eine inklusionsbejahende Einstellung und Haltung der Lehrenden sich als konstitutiv für die Aneignungsprozesse der Lernenden erweisen, ist es Ziel des qualitativen Designs, die subjektiven Deutungsstrukturen der Betroffenen zu erschließen (Lamnek & Krell 2016; Mayring 2015; Witzel 2000). Im Rahmen einer Methodenkombination (Triangulation) von qualitativem Interview, Gruppendiskussion, Online-Befragung und qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring 2015) stand die Konzeptgenerierung durch die Befragten im Vordergrund. Die auf empirischer Grundlage herausgearbeiteten Ergebnisse sollen Hinweise darauf geben, wie im Rahmen hochschulischer Lehramtsausbildung Überzeugungen und die damit verbundenen Einstellungen und Haltungen in Aneignungsprozessen weiterentwickelt werden können. 3.1 Theoretischer Zugang Aktuelle Theorien zur Entwicklung pädagogischer Professionalität für den Lehrberuf gehen von einem starken Einfluss persönlicher Merkmale der Person aus, die durch (berufs-)biografische Erfahrungen erwerb- und erlernbar werden (vgl. Kunter et al. 2011, S. 62). Das Handeln von Lehrkräften wird nicht allein über verschiedene Formen von Wissen erklärt, sondern folgt als mehrdimensionales Konstrukt den motivationalen Orientierungen, den selbstregulativen Fähigkeiten sowie einem komplexen Überzeugungssystem (Reusser & Pauli 2014, S. 478). Der Zusammenhang zwischen berufsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften und ihrem professionellen Handeln ist mehrfach erforscht (bspw. Fives & Buehl 2012; Pajares 1992; Philipp 2007). Die Erkenntnis, dass berufsbezogene Überzeugungen von Lehrkräften als besonders relevant für die Ausgestaltung inklusiver Lernsettings einzuschätzen sind, bestätigen erziehungswissenschaftliche Forschungsarbeiten. So wird der Zusammenhang zwischen berufsbezogenen Einstellungen, Haltungen und Überzeugungen und dem unterrichtlichen Handeln von Lehrkräften aufgezeigt und die bedeutende Rolle der Überzeugungen für den produktiven Umgang mit Heterogenität hervorgehoben (bspw. Hecht, Niedermair & Feyerer 2016; Moser et al. 2014). Die Analyse der epistemologischen Überzeugungen im Kontext der beruflichen Bildung wurde insbesondere von Seifried (2006, 2010) verfolgt; die epistemologischen Überzeugungen zu Wissen und Wissenserwerb wurden ergänzend durch
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Müller and Sulimma (2008) und durch Berding (2015) untersucht. Zinn (2011) richtet den Fokus auf die Auszubildenden und entwickelt ein Instrument zur Erhebung von epistemologischen Überzeugungen. Die Relevanz von berufsbezogenen Überzeugungen, scheint für den produktiven Umgang mit Heterogenität zentral und wird somit zum Untersuchungsgegenstand. Überzeugungen von Lehrkräften können durch folgende Merkmale gekennzeichnet werden (Reusser & Pauli 2014): – Sie weisen einen intentionalen Gegenstandsbezug und eine innere Ordnung auf und sind damit stets auf spezifische Objekte oder Phänomene gerichtet, wie beispielsweise auf gemeinsames Lernen und in theorie- und netzwerkähnlichen Strukturen organisiert sind (ebd. S. 644). – Sie spiegeln einen individuell verinnerlichten (kollektiven) Habitus wider, womit auf die berufsbiografische Genese von Überzeugungen und ihre Einlagerung in die beruflichen Handlungsroutinen verwiesen wird (vgl. ebd. S. 644 f.). – Sie sind theorieähnliche kognitive Strukturen mit einer emotionalen Färbung (affektive Aufladung und Wertbindung). Entsprechend repräsentieren Überzeugungen kognitive und quasi-logische Strukturen, die nicht zwangsläufig rational und konsistent sein müssen. Hingegen basieren diese auf „Anschauung, Weltbildern und Wertorientierungen“ (ebd. S. 644), sie werden subjektiv für richtig gehalten und bringen zum Ausdruck, worauf Lehrkräfte in ihrem pädagogischen Handeln vertrauen. – Sie erweisen sich als relativ stabil und resistent gegenüber Umstrukturierungen, was auf ihre handlungsleitende Funktion zurückzuführen ist (vgl. ebd. S. 645). Auf der Grundlage des Systems von (berufsbezogenen) Überzeugungen werden die Wahrnehmung und in der Folge pädagogische Handlungen strukturiert und gesteuert (Filterfunktion). – Sie sind nur schwer zugänglich, da gerade die handlungsleitenden Überzeugungen implizit, entsprechend teils unbewusst und in Handlungsroutinen eingelagert vorliegen. Daher gilt für die Überzeugungen von Lehrkräften, dass sie umso schwieriger zugänglich sind, je stärker sie in die automatisierten Deutungs- und Handlungsmuster verwoben sind (vgl. ebd. S. 646). Im Anschluss an Reusser und Pauli (2014) wird der eigenen Untersuchungsarbeit folgende Definition von Überzeugungen zugrunde gelegt: „In Anlehnung an eine breit gefächerte Literatur verstehen wir unter Überzeugungen von Lehrpersonen (teacher beliefs) affektiv aufgeladene, eine Bewertungskomponente beinhaltende Vorstellung über das Wesen und die Natur von Lehr-Lernprozessen, Lerninhalten, die Identität und die Rolle von Lernenden und Lehrenden (sich selbst) sowie den institutionellen und gesellschaftlichen Kontext von Bildung und Erziehung, welche für wahr oder wertvoll gehalten werden und welche ihrem berufsbezogenen Denken und Handeln Struktur, Halt und Orientierung geben“ (Reusser & Pauli 2014, S. 642 f.).
Davon ausgehend beschreiben epistemologische Überzeugungen die Vorstellungen über die Struktur, Genese und Validierung von Wissen sowie darüber, wie Lernende sich dieses aneignen. Annahmen über die Funktion und Aufgabe von Schule
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ebenso wie über die gesellschaftliche Bedeutung von Bildungsprozessen für die Gesellschaft gelten als das Koordinatensystem beruflicher Werte und Normen von Lehrpersonen und bilden die kontextbezogenen Überzeugungen ab (vgl. ebd., S. 651). Tab. 1: Personenbezogene Überzeugungen Personenbezogene Überzeugungen zu Lehrenden und Lernenden Professionsbezogene Selbstwahrnehmung von Lehrpersonen Wahrnehmung der Rolle als Lehrkraft Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Überzeugungen zur Lehrer/-innenbildung Wertbindungen und Berufsethos Schülerbezogene Überzeugungen
Implizite Persönlichkeitstheorien (Stereotype und Kategorisierungen) Erwartungseffekte
Quelle: angelehnt an Reusser & Pauli (2014, S. 650 f.).
3.2 Konkretisierung der Fragestellung für die eigene Forschungsarbeit Die eigene Forschungsarbeit fokussiert primär die professionsbezogene Selbstwahrnehmung von Hochschullehrenden und Studierenden. Davon ausgehend konkretisieren sich die folgenden erkenntnisleitenden Fragestellungen im Kontext von unterschiedlichen Bereichen: Zur Wahrnehmung der eigenen Rolle als Hochschullehrende/r bzw. Erwartungen an die eigene Rolle als zukünftige Lehrkraft am Berufskolleg: – Wird der Umgang mit Vielfalt und Heterogenität als integraler Bestandteil der eigenen Rolle als (zukünftige) Lehrkraft aufgefasst? – Sehen die Lehrenden/Lernenden dies subjektiv als Chance und Herausforderung oder nehmen sie es für sich selbst als Belastung wahr? – Sehen sie sich in der Lage, die mit der Umsetzung von Inklusion verbundenen Anforderungen, kompetent umsetzen zu können (Selbstwirksamkeitserwartung)? Zu (beruflichen) Wertbindungen: – Zeigen sich (subjektiv) sinnstiftende Orientierungen und Werte im Hinblick auf Inklusion? – Kommen spezifische Wertorientierungen in der eigenen Wahrnehmung sowie Interpretation und somit in der Bewertung sowohl von Handlungssituationen als auch von Individuen zum Ausdruck? – Werden Unterschiede in den Wertbindungen zwischen Lehrenden und Lernenden deutlich?
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Zu Überzeugungen zur Lehramtsausbildung: – Werden in Bezug auf die eigene Lehre (Hochschuldidaktik) bzw. die zukünftige Unterrichtspraxis Veränderungsnotwendigkeiten gesehen (Individualisierung, positive Konnotation von Vielfalt in heterogenen Lerngruppen) und welche? – Werden in Bezug auf konkrete Lerninhalte, -formate und Aneignungsprozesse (WISSEN, KÖNNEN, REFLEKTIEREN) oder auch in Bezug auf Rahmenbedingungen (zur Verfügung stehende Ressourcen) Veränderungsnotwendigkeiten gesehen und welche? 3.3 Forschungsmethodisches Vorgehen und Auswertungskonstitution Das forschungsmethodische Vorgehen ist an qualitativen Verfahren der empirischen Sozialforschung ausgerichtet um die subjektiven Deutungsstrukturen der Befragten zu erschließen. Die Methodentriangulation (Flick 2004) beinhaltet sowohl qualitative Interviews (Lamnek & Krell 2016) mit den Hochschullehrenden (N=6) der Fachdidaktiken3 als auch eine Gruppendiskussion (ebd.) mit Masterstudierenden (N=4) des beruflichen Lehramtsstudiums aus unterschiedlichen beruflichen Fachrichtungen.4 Darüber hinaus wurden im Rahmen einer Online-Befragung Studierende (N=94)5 aus dem Bachelor- und Masterstudiengang für das Lehramt am Berufskolleg zu ihrem Interesse an einem Zertifikat „Inklusion in der Beruflichen Bildung“ befragt. Die Teilergebnisse werden ergänzend zu Erkenntnissen aus der durchgeführten Gruppendiskussion herangezogen. Die problemzentrierten (Witzel 2000) und leitfadengestützten Interviews (Lamnek & Krell 2016) mit den Hochschullehrenden beinhalteten offene Fragestellungen, die sich an folgenden Themenbereichen orientierten: – Diversität und Inklusion als Themen im Allgemeinen, – die inhaltliche Ausrichtung der Lehre und – die damit verbundene didaktische Herausforderung in der Lehre. Die Gruppendiskussion als „Instrument zur Einstellungserhebung“ (Lamnek & Krell 2016, S. 389) schien deshalb als geeignet, weil „die individuelle Meinung durch die gegenseitige Stimulierung deutlicher zum Vorschein kommt als bei standardisierten Interviews“ (ebd.). Als Gesprächsstimuli dienten zwei Fallbeispiele (Peter und Ajda) die die Gesprächsteilnehmenden mit ihrer späteren Rolle als Lehrkraft konfrontieren sollten. Folgende Themenbereiche wurden aufgegriffen: 3 4
5
Gesundheitswissenschaft/Pflege (N=3), Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaft (N=2) und Technikdidaktik (N=1). An dem Interview nahmen je eine Person der beruflichen Fachrichtung Mediendesign und Designtechnik, Maschinenbau, Gesundheitswissenschaft/Pflege sowie eine Person mit zwei allgemeinbildenden Fächern teil. Alle der ausgewählten Studierenden haben bereits mindestens ein Seminar zum Thema der Inklusion besucht. Gesamtpopulation: 422 Personen aus dem Bachelor- und 235 Personen aus dem Masterstudiengang.
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Haltung und Einstellung, Umgang mit Heterogenität, benötigte Kompetenzen für inklusive Lernsettings sowie notwendige Strukturveränderungen. Fall 1: Ajda, 18 Jahre, Migrationshintergrund, ist in Deutschland aufgewachsen. Sie hat die Förderschule besucht und keinen Hauptschulabschluss erworben. Derzeit macht sie eine Ausbildung zur Fachpraktikerin Küche bei Lernen fördern; ihr Berufswunsch ist es, Modeschneiderin zu werden. Da sie in ihrem Ausbildungsberuf viele „Hilfstätigkeiten“ übernehmen muss, zweifelt sie bald daran, ob sie die Ausbildung fortführen soll. Als Konflikte mit den Eltern auftreten, kommt sie nicht mehr in die Ausbildungswerkstatt. Sie haben im Unterricht des Berufskollegs eine Vertrauensbasis zu ihr aufbauen können und sie kommt auf Sie zu, um Ihren Rat einzuholen.
Fall 2: Peter, 17 Jahre, wohnt in Münster-Kinderhaus. Er hat die Realschule besucht und ein „mittelprächtiges“ Abschusszeugnis erworben. Peter hat eine körperliche Behinderung, seit seiner Kindheit ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Seine Ausbildungssuche gestaltet sich schwierig: Er möchte gerne Bankkaufmann werden und mit Kunden Kontakt haben. Bisher hat er schon zwanzig Bewerbungen geschrieben, aber er ist noch nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden. Da er noch nicht in eine Ausbildung einmünden konnte, besucht er derzeit die Ausbildungsvorbereitung am Berufskolleg. Er ist enttäuscht und fühlt sich ausgeschlossen. In letzter Zeit zeigt er gegenüber seinen Mitschülerinnen und Mitschülern aggressives Verhalten und isoliert sich in der Gruppe immer mehr. Sie haben im Unterricht des Berufskollegs eine Vertrauensbasis zu ihm aufbauen können, aber er verschließt sich auch Ihnen gegenüber. Die Online-Befragung der Studierenden des beruflichen Lehramtsstudiums enthielt geschlossene und offene Fragestellungen, wie etwa „Schätzen Sie den Erwerb eines solchen Zertifikats als gewinnbringend für Ihren weiteren beruflichen Lebensweg ein?“ und „In welcher Hinsicht?“ (Bylinski & Austermann 2017, S. 3). Bei der Auswertung des Datenmaterials wurde nach der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2015) vorgegangen, um Rückschlüsse von sprachlichem Material ausgehend auf nichtsprachliche Phänomene zu ziehen (vgl. Lamnek & Krell 2016, S. 447). Die Tonbandaufnahmen der Einzelinterviews und der Gruppendiskussion wurden im Anschluss transkribiert und mit Hilfe des Textanalyseprogramms MAXQDA weiterbearbeitet. Die Kategorienbildung erfolgte durch eine Kombination von Induktion und Deduktion (Bos & Tarnai 1989, S. 8), wobei die Oberkategorien deduktiv und die Unterkategorien induktiv, aus dem vorliegenden Material
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heraus, gebildet wurden. So konnten Aussagen verdichtet und in Themenbereiche gebündelt werden. Tab. 2: Erhebungs- und Auswertungskonstitution Überzeugungen (teacher beliefs) als konstitutives Element inklusiver Lernsettings
Qualitatives Design
Population
Hochschullehrende
Studierende
Forschungsmethode
Qualitative Interviews (Nov. 2016 bis Jan. 2017)
Gruppendiskussion (13. Juni 2017)
Stichprobe
Hochschullehrende der Masterstudierende mit Fachdidaktiken (N=6) unterschiedlichen beruflichen Fachrichtungen (N=4)
Bachelor- und Masterstudierende (N=95) des Lehramts an Berufskollegs
Kategorienbildung
Induktiv-deduktives Vorgehen
Induktiv erschlossene Kategorien bei den offenen Fragen
Auswertungskonstitution
Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015)
Induktiv-deduktives Vorgehen
Online-Befragung (Mai bis Juni 2017)
Quelle: eigene Darstellung.
4 ERGEBNISSE 4.1 Überzeugungen der Hochschullehrenden Die professionsbezogene Selbstwahrnehmung der befragten Hochschullehrenden soll im Folgenden anhand der forschungsleitenden Fragstellungen skizziert werden. Im Zentrum stehen die Überzeugungen als wichtiger Bereich der pädagogischen und fachlichen Kompetenz und Expertise sowie der Persönlichkeit der Lehrenden. Dabei spiegelt sich nicht nur gesichertes Wissen wider, sondern „vor allem die gewordene Identität und das Berufsethos von Lehrpersonen: dafür, wovon diese berufsbiografisch geprägt sind und was sie von ihrem Wert- und Glaubenshorizont her bezüglich aller Facetten des berufsbezogenen Sehens, Denkens und Handelns antreibt“ (Reusser & Pauli 2014, S. 654 f.).
Inklusion und Heterogenität als Gegenstand der beruflichen Lehramtsausbildung
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4.1.1 Wahrnehmung der eigenen Rolle als Hochschullehrende/r Die befragten Hochschullehrenden stellen insbesondere strukturelle Einflussfaktoren und begrenzte Ressourcen heraus, die sich auf die Umsetzung von inklusionsorientierten Fragestellungen in ihrer Lehre auswirken. Einerseits betonen sie, dass sie als Lehrende für die Aufgabe fachlich ungenügend vorbereitet seien, andererseits weisen sie auf fehlende zeitliche Ressourcen hin, um die bildungspolitischen Vorgaben bewältigen zu können. Ergänzend werden Begründungszusammenhänge herausgestellt, die sich aus der eigenen Fachdisziplin ableiten: „Technisch orientierte Menschen tun sich mit dieser Heterogenität nicht einfach […] Für einen Techniker sind ja sozialwissenschaftliche Themen immer eher so eine kleine Hürde. Weil wir natürlich sehr gerne in kausalen Zusammenhängen denken […]“ (HL_F_65).6
Damit wird jene Argumentation herausgestellt, die unmittelbar mit der jeweiligen Fachdisziplin korrespondiert: die Naturwissenschaft, die mit kausalen Erklärungszusammenhängen operiere, in Abgrenzung zu einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive, die vielfältige und nicht lineare Wege des Lernens und der Entwicklung Jugendlicher differenziert nachzuvollziehen versucht. Es liegt die Einschätzung vor, dass das Einnehmen einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive einen Zugang biete, auch inklusionsorientierte Fragestellungen in die Lehre zu integrieren. Die Befragten aus den Berufen der personenbezogenen Dienstleistungen verdeutlichen dies mit einem anderen Verständnis: „Wir bilden erst die Lehrenden aus, aber die Lehrenden bilden dann später Menschen aus […]. Und da hat diese Unterschiedlichkeit, Heterogenität oder was auch immer, auch Inklusion, ja einen ganz, ganz hohen Stellenwert. Es wird da zum inhaltlichen Gegenstand gemacht, in den Ausbildungen […]“ (HL_E_58).
Gemäß den programmatischen Erwartungen der Behindertenrechtskonvention, sehen sich viele der Befragten in der normativen Pflicht, künftige Lehrkräfte für einen produktiven Umgang mit Vielfalt an berufsbildenden Schulen auszubilden und sie für eine individuelle Förderung der Schüler/-innen zu sensibilisieren. Anknüpfungspunkte zur Vermittlung inklusionsorientierter Fragestellungen werden in den Rahmenlehrplänen gesehen und die Einschätzung vertreten, dass dies gerade mit dem Lernfeldkonzept inhaltlich passend umzusetzen sei. Ebenso wird die Einbeziehung inklusionsorientierter Fragestellungen auch als eine Weiterentwicklung bisheriger Lehrangebote betrachtet, um die Studierenden auf eine ohnehin veränderte Praxis entsprechend vorzubereiten: „Im Grunde von den Ordnungsmitteln her, also von den Rahmenlehrplänen und den Bildungsplänen ist in NRW genug Spielräume, um inklusiv zu unterrichten. […] Und die Klientel in den Klassen, also die Schülerinnen und Schüler, sind ja auch schon heterogen. Das heißt eigentlich liegt es auf der Hand, dass man mit denen auch inklusiv Unterricht gestaltet […]“ (HL_A_40).
6
Die Zitation folgt dem Schema, zuerst die Befragtengruppe (Hochschullehrende (HL) oder Studierende (S)) zu kennzeichnen, dann die jeweilige interviewte Person (A–F) und anschließend die jeweilige Absatznummer in MAXQDA.
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4.1.2 (Berufliche) Wertbindungen In den Interviews zeigen sich zwei unterschiedliche Perspektiven, aus denen heraus die Studierenden betrachtet werden. Eine Perspektive der befragten Hochschullehrenden richtet sich auf einzelne Studierendengruppen und deren notwendige Unterstützung – dies kann mit dem Begriff der integrativen Inklusion gefasst werden. Hier findet sich eine Orientierung an einer Mehrheit der Studierenden, die zur Norm erhoben wird und reduzierte Anforderungen, die jenen einräumt werden, die dieser Norm aufgrund individueller Voraussetzungen nicht entsprechen können. Diese Sichtweise begünstigt, dass eine individuelle Unterstützung damit einer ausgewählten Gruppe vorbehalten bleibt: den Studierenden, deren Teilhabe an Bildung durch ein physisches – sichtbares – Handicap eingeschränkt ist. Der Anspruch auf besondere Unterstützung wird damit begründet, dass der bestehende Nachteil nicht durch das Individuum selbst kompensiert werden könne. „Und ich würde den Unterschied darin sehen, dass inklusive Bildung denjenigen vorbehalten sein sollte, die einen echten Nachteil gegenüber anderen haben. Das kann eine körperliche Behinderung sein. Das kann auch […] in der Berufsausbildung kann das auch eine Lernbehinderung sein. Es können psychische Behinderungen sein, die können natürlich auch bei Studierenden auftreten […] Also diese Studierende mit Migrationshintergrund, mit diesen sprachlichen Defiziten. Das würde ich ins Grobe hineingesprochen als nicht echten Nachteil bezeichnen, denn sie könnte ja etwas daran tun“ (HL_D_20–24).
Die Unterscheidung zwischen einem echten und falschen Nachteil bedeutet in der Folge, dass an die Anstrengungsbereitschaft derjenigen Lernenden appelliert wird, deren Handicap aufgrund individueller Faktoren besteht. Demzufolge sollte im Fokus der Lehramtsausbildung die Vorbereitung auf die speziellen Herausforderungen in heterogenen Klassen stehen, wobei gegebenenfalls Differenzierungen verschiedener Schüler/-innengruppen vorgenommen werden müssten: „Weil ich finde das A und O ist wirklich die Ausbildung der Lehrenden. Und die nicht irgendwie ausgebildet sein sollen, sondern eben auf die tatsächlich vorhandenen Schwierigkeiten in heterogenen Klassen bezogen. Und die Unterscheidung, was ist tatsächlich Indikation dafür, dass man sagt, jawohl, das ist ein inklusiver Schüler oder Studierender. Und das andere das ist ein Individuum mit ganz großen Unterschieden zu anderen, aber es ist eben kein inklusiver Schüler“ (HL_D_68).
Nennen die Hochschullehrenden als ihr Motiv, Inklusion im Bildungsbereich umsetzen zu wollen, um damit mehr Bildungsgerechtigkeit herzustellen, impliziert dies eine Perspektiverweiterung mit Blick auf die individuellen Lernwege der Studierenden. Zwei bedeutsame Diskurse werden angesprochen: Zum einen impliziert Bildungsgerechtigkeit, dass bspw. die soziale Herkunft der Lernenden nicht bestimmend dafür sein sollte, dass ihre Bildungspotenziale ausgeschöpft werden. Zum anderen soll Chancengerechtigkeit auch auf der Ebene des beruflichen Bildungssystems hergestellt werden. Die Befragten stellen Inklusion auch in den Kontext, dass junge Menschen gleiche Zugänge zu einer qualifizierenden Berufsausbildung erhalten sollen. Bezogen auf ein Verständnis von Inklusion wird über die verschiedenen Textpassagen hinweg eine Spannbreite deutlich: einerseits werden bestimmte Gruppen
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entlang von Differenzkategorien fokussiert; andererseits wird Inklusion als wichtiger Schritt zur Realisierung von Bildungsgerechtigkeit betrachtet; hierbei wird die Vielfalt der Studierenden als Chance wahrgenommen. 4.1.3 Überzeugungen zur Lehramtsausbildung Mit Blick auf die individuelle Unterstützung im Rahmen der Hochschullehre wird von den Befragten insbesondere an die Selbstverantwortung und Autonomiefähigkeit der Studierenden appelliert und die Verantwortung für den eigenen (akademischen) Lernprozess herausgestellt: „Im Unterschied zu der Berufsausbildung […] kann man von den Studierenden durchaus erwarten, dass sie aus eigener Motivation versuchen, entweder ihre Ziele anzupassen an ihre Möglichkeiten oder aber an ihren Möglichkeiten etwas zu tun, indem sie eben zum Beispiel mehr Zeit investieren […] Aber da erwarte ich trotzdem, gerade von Studierenden, eine Eigeninitiative. Nicht ich habe eine Bringschuld, sondern die haben eine Holschuld. Das heißt die kommen zu mir, schildern das Problem, das sie haben und ich mache ein Angebot zur Unterstützung. Und das können sie entweder ablehnen oder eben annehmen“ (HL_D_12).
Mit dem Aspekt der „Holschuld“ von Studierenden wird an dieser Stelle besonders auf die Eigeninitiative der Studierenden als Voraussetzung für erfolgreiches Lernen und für die Überwindung von ungleichen Startbedingungen abgehoben. So wird die Selbststeuerung von studentischen Lernprozessen betont und ihnen die Entscheidung über die Art und Weise ihrer Lernorganisation im Studium selbst übergeben. Bei einigen Befragten steht die Individualisierung im Vordergrund, die auf Wertschätzung des Individuums, auf seinen Potenzialen und Ressourcen beruht sowie auf der Orientierung an deren Bildungsbiografie ausgerichtet ist: „Ja, das ist dann so der Blickwinkel, zu gucken, was sind die Potenziale, die trotzdem noch vorhanden sind, trotz der schlechten erstmal rein statistischen Bildungsvoraussetzung“ (HL_A_4).
Erst aufgrund dieser Ressourcenorientierung sei es möglich, einzelnen Personen individuelle Lernwege zu eröffnen. Der Annahme folgend, dass die Umsetzung von Inklusion in der Lehre eng mit der Hinwendung zur Individualität verbunden ist, wird die Einsicht geäußert, dass es künftig keine Orientierung an durchschnittlichen Lern- und Bildungsverläufen geben sollte: „Ich sag mal so, [wir müssten] die Unterschiede herausstellen und den Lernenden anbieten, mit ihren Stärken und mit ihren Ressourcen zu arbeiten oder auch an ihren Defiziten. Und das ist ja von Aufgabe zu Aufgabe unterschiedlich und das ist ja von Studierendem zu Studierendem unterschiedlich und in dem Kontext ist es schon eine Art von Differenzierung, weil sie […] ihren individuellen Stand vielleicht berücksichtigen können oder auch mal daran arbeiten können“ (HL_E_8).
Mehrere Befragte sind daher der Meinung, dass die auf der jeweils eigenen Biografie basierenden Potenziale der Individuen im Zentrum der Aufmerksamkeit der Lehrenden stehen sollten,
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Ursula Bylinski / Nora Austermann / Michaela Sindermann „[…] dass man diesen biografischen Ansatz eben auch auf Studierende übertragen kann. Damit arbeite [ich] auch, wenn ich einsteige in ein Seminar in die Fachdidaktik. Also mit dem biografischen Hintergrund. Also das finde ich einen ganz zentralen Aspekt“ (HL_C_4).
So würden Studierende stärker in die Regulierung ihrer eigenen Bildungsbiografie einbezogen und zu teilhabefähigen Produzenten, die an der Ausgestaltung ihres Entwicklungs- und Lernweges (im Sinne von Partizipation) mitwirken. 4.2 Überzeugungen der Studierenden Die folgende Darstellung nimmt die Ergebnisse sowohl aus der Gruppendiskussion mit den Studierenden als auch aus der Online-Befragung auf. 4.2.1 Erwartungen an ihre zukünftige Rolle als Lehrkraft Die subjektive Sichtweise der Studierenden im Hinblick auf ihre spätere Rolle als Lehrkraft drückt sich auf drei Ebenen aus: in ihrer Beziehung den Schüler/-innen gegenüber, auf der Ebene der Ausgestaltung der Unterrichtssituation und in der Zusammenarbeit mit anderen Lehrkräften bzw. anderen Professionen. In Bezug auf die Beziehungsgestaltung sehen sie sich als Unterstützer ihrer Schüler/-innen. Sie stellen ihre eigene Initiative heraus, bspw. den im Rollstuhl sitzenden Peter bei seinen Bewerbungsbemühungen durch eine persönliche Kontaktaufnahme zu Unternehmen unterstützen zu wollen: „Also wenn man den Peter kennt und dem das als Lehrkraft auch zutraut, dass er das schafft, dass man da vielleicht die eigenen Verbindungen zu diesen Unternehmen auch mal spielen lässt“ (S_B_16).
Auch auf einer emotionalen Ebene sehen sich die Studierenden als Ermutiger ihrer Schüler/-innen: Sie möchten ihnen Alternativen zu ihrem bisherigen Verhalten aufzeigen und ihre Stärken hervorheben. Die Integration in die Klassengemeinschaft wird als bedeutend hervorgehoben, um Ausgrenzung entgegenzuwirken und individuelle Wertschätzung zu vermitteln. Dies kommt auch im Stellenwert, den sie der Klassenführung einräumen, zum Ausdruck: Die Studierenden vermuten, dass Peters Aggressionen gegenüber seinen Mitschüler/-innen auf Ausgrenzungserfahrungen innerhalb der Klasse zurückzuführen sind. Sie sehen sich dabei in der Verantwortung, ein wertschätzendes Klassenklima herzustellen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen (Kompensation). Eine weitere Facette, die die Studierenden in Bezug auf ihre zukünftige Rolle als Lehrkraft als wichtig erachten, ist die eines Teamplayers, der sich einerseits auf die Unterstützung durch das Kollegium bezieht und andererseits auf die Inanspruchnahme der Expertise bspw. von Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeitern sowie den Kontakt zu den Eltern. Die Zusammenarbeit im Kollegium wird als entlastend dargestellt, beispielsweise auch in Bezug auf die gemeinsame Erstellung von Unterrichtsmaterialien.
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Insgesamt äußern die Studierenden von ihrer jetzigen Situation ausgehend noch deutliche Bedenken, produktiv mit Heterogenität umgehen zu können. „A: Wobei ich mich dennoch nicht gewachsen fühle dem jetzt in der Schule irgendwie zu begegnen. C: Ja oder gerecht zu werden. A: Gerecht zu werden auf jeden Fall. Also begegnen erfüllt ja noch nicht mal den Anspruch. C: Genau“ (S_AC_57–60).
Wenngleich sie ihre eigenen Fähigkeiten bislang als noch nicht ausreichend betrachten, sehen sie die Herausforderungen des künftigen Schulalltags nicht ausschließlich an die Umsetzung von Inklusion gekoppelt, sondern darin, einer individuellen Förderung aller Schüler/-innen in einer Klasse nachzukommen. „Und mittlerweile wird ja selbst für nicht-inklusive Klassen eine individuelle Förderung gefordert, sodass ich immer unterstützen muss. Also sei es mit Tipp-Karten, mit Hilfestellungen, mit einem Erweiterungsauftrag. Selbst das muss ich eigentlich jetzt immer schon leisten. Die Frage ist dann, ob der Schritt dann zur Inklusivität nicht mehr ganz so groß ist, wenn ich das sowieso schon mache“ (S_A_67).
4.2.2 (Berufliche) Wertbindungen Die Umsetzung von Inklusion im Schulalltag wird als zusätzliche Herausforderung betrachtet, bei der zu inkludierende Zielgruppen in den Blick genommen werden: „Wenn dann noch die ganzen Fälle, diese individuellen Sachen mit der Inklusion. Dann hat jemand eine Lernbehinderung, der nächste sitzt im Rollstuhl, wenn man da anfangen muss zu differenzieren ohne irgendeine Erfahrung, ich glaube ich stelle mir das sehr, sehr schwer vor“ (S_D_66).
Die Studierenden stellen nicht die Institution Schule infrage oder benennen mögliche Veränderungsnotwendigkeiten, sondern fokussieren auf das Individuum, die Unterschiedlichkeiten bzw. auch Differenzkategorien und setzen diese in Bezug zu einer nicht genauer bestimmten, gesellschaftlichen Norm. Über alle Textpassagen hinweg werden körperliche Behinderung, Migrationshintergrund und Lernbeeinträchtigung als Aspekte vorgebracht, die als behindernd gelten. Dennoch betonen die Studierenden auch die individuellen Ressourcen und heben hervor, inwiefern sie persönliche Fähigkeiten und Interessen unterstützen könnten. (zu Peter): „Noch mal so seine Stärken hervorzuheben und nicht sich auf diese körperliche Behinderung zu beschränken oder sie vielleicht als Chance auch ein bisschen darzustellen. Ok, ich habe zwar diese Behinderung, aber meine Stärken sind in dem Bereich, mein Schulabschluss ist super, ich kann eigentlich damit umgehen und es gefährdet sozusagen nicht meine Leistung. Dass man das ein bisschen hervorhebt“ (S_C_14).
Insgesamt lässt sich durch die Dynamik der Gruppendiskussion erkennen, dass die Studierenden im Verlauf durchaus Reflexionsprozesse durchlaufen und vermehrt Ressourcen in den Blick nehmen.
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Für das pädagogische Handeln im Klassenverband scheint den Studierenden besonders wichtig zu sein, die Schüler/-innen auch in einer heterogenen Gruppe fördern zu wollen. Hierbei stehen für sie vor allem Aspekte sozialen Lernens im Vordergrund, ebenso die Auseinandersetzung mit Unterschiedlichkeit als Gewinn. „Ja genau, da muss ich eben als Lehrkraft auch gucken, dass ich jetzt nicht großartig die Gruppe trenne und sage, ok das sind die mit der Lernbehinderung, ihr kriegt jetzt die und die Aufgaben. Und das sind die Schüler, die vielleicht in Anführungszeichen nur körperlich behindert sind, die kriegen jetzt die und die Aufgaben. Also dass man das zwar schon differenziert, aber nicht so einen krassen Spalt in die Klasse zieht, sondern mehr auf die Klassengemeinschaft guckt“ (S_C_44).
Dennoch bringen sie auch eine gewisse Skepsis in Bezug auf die Umsetzung im Schulalltag vor. Hier stehen Anforderungen im Vordergrund, die ihres Erachtens aus spezifischen Behinderungsarten resultieren. „Dass der, der sehr leistungsstark aber körperlich beeinträchtigt ist, seine volle Leistung bringen kann oder seine Bildung auf dem Niveau halten kann. Und gleichzeitig dann aber jemand, der dann geistig beeinträchtigt ist, dann noch mit durchgezogen wird, sag ich mal. Aber da kann man dann natürlich dann das Niveau niemals so hochhalten, wie bei den anderen“ (S_D_53).
Das Inklusionsverständnis der Studierenden drückt Empathie und ein ausgeprägtes Engagement für diejenigen Schüler/-innen aus, die in besonderer Weise einer Förderung bedürfen. Dies kann als Motivator dafür betrachtet werden, auf Inklusion im Schulalltag offen zuzugehen. Gleichwohl antizipieren die Studierenden eine zusätzliche Belastung, die mit der Umsetzung von Inklusion auf sie zukommt. Sie sehen sich aber in der Verantwortung, jede Schülerin und jeden Schüler individuell zu fördern, und messen auch dem gemeinsamen Lernen in heterogenen Lerngruppen eine hohe Bedeutung zu. 4.2.3 Überzeugungen zur Lehramtsausbildung Ausgehend davon, dass sich die Studierenden noch unvorbereitet fühlen, mit Vielfalt und Heterogenität in ihrem späteren Berufsalltag kompetent umgehen zu können, liegen einige positive wie negative Einschätzungen sowohl zur hochschulischen Lehramtsausbildung als auch zum Referendariat vor. „Also auf jeden Fall als positiv zu nennen ist, dass es überhaupt ein Modul gibt, in dem sich mit inklusiv lernen oder Inklusion beschäftigt wird. Dass man überhaupt erstmal dafür sensibilisiert wird und nicht so, diese Begriffsschärfe zwischen Integration und Inklusion erstmal so für sich auch klarmacht. Und was heißt das überhaupt im Schulalltag. Natürlich kann man im Rahmen eines Seminars oder eines Moduls nur beschränkt auf konkrete Unterrichtsideen eingehen, aber das ist auf jeden Fall schon mal gut, dass der Weg offenbar in die richtige Richtung geht“ (S_A_55).
Dies verdeutlicht, dass die Studierenden die Lerngelegenheiten im Rahmen ihrer hochschulischen Ausbildung als gewinnbringend und sensibilisierend betrachten. Ihre Intention ist es, sich Wissen anzueignen und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, um eine eigene Positionierung und Haltung zur Inklusion zu entwickeln.
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Weniger vorbereitet fühlen sich die Studierenden hinsichtlich konkreter Methoden oder dem praktischen Umgang mit Inklusion. Praxiserfahrungen erhoffen sie sich mit dem Referendariat und wünschen sich, ihr erworbenes Wissen dort einbringen zu können. Hier ist zu erkennen, dass Inklusion auch als etwas Zusätzliches betrachtet wird, das zu den ohnehin schon bestehenden Herausforderungen hinzukommt: „Ich glaube da ist auch noch die Schwierigkeit in der Lehrerausbildung. Da mal, wenn man aus dem Studium kommt und ins Referendariat geht überhaupt erstmal mit diesen, ich sag jetzt wirklich mal, homogenen, leistungsstarken Klassen umzugehen. Selbst da hat man ja schon Schwierigkeiten. Man kann überhaupt nicht einschätzen, wie man Unterricht gestalten muss, wie man Klassenarbeiten, Klausuren stellt. Und wenn dann noch das spezielle Feld dazu kommt, dann ist das glaube ich eine akute Überforderung von Referendaren oder so“ (S_D_64).
Hierbei wird in den Aussagen ein Spannungsverhältnis ersichtlich: Sie erkennen Inklusion auf der einen Seite als ein relevantes Thema des Lehrerberufs an und nehmen gleichzeitig für sich selbst eine zusätzliche Belastung wahr. Eine Entlastung erwarten sie sich den Aussagen zufolge durch die Zusammenarbeit mit anderen (pädagogischen) Fachkräften. 4.3 Zusammenführung beider Perspektiven Entlang der forschungsleitenden Fragestellungen werden im Folgenden die zentralen Ergebnisse aus den qualitativen Interviews, der Gruppendiskussion und der Online-Befragung zusammengeführt. 4.3.1 Erwartungen an die Rolle als Lehrkraft/Wahrnehmung der Rolle als Hochschullehrende/r Der Umgang mit Heterogenität ist für die Hochschullehrenden wie für die Studierenden ein Bestandteil ihres Selbstverständnisses als (zukünftige) Lehrpersonen. Unterschiede zeigen sich darin, dass die Studierenden die gesellschaftliche Relevanz und Aktualität des Themas betonen, während die Hochschullehrenden eher die rechtlichen Regelungen und gesetzlichen Erlasse hervorheben. Eine normative Verpflichtung, sich dem Thema zu stellen und produktiv mit ihm umzugehen, wird bei beiden Befragtengruppen deutlich. Die Studierenden sehen sich in ihrer Rolle als zukünftige Lehrkraft mit mehreren Herausforderungen konfrontiert, dabei stellt der Umgang mit Inklusion und Heterogenität für sie eine weitere und zusätzliche Anforderung dar. Deutlich wird, dass sie sich damit eine große Verantwortung hinsichtlich der individuellen Förderung innerhalb der heterogenen Lerngruppe zuschreiben. Sie möchten ein Klassenklima ausgestalten, in dem beides hergestellt werden kann. Diese Rollenzuschreibungen äußern sich bei den Studierenden aus ihrer eigenen biografischen Perspektive heraus, während die Hochschullehrenden stark auf Grundlage ihrer jeweiligen Fachdisziplin argumentieren. Entsprechend variieren
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die einzelnen Begründungsmuster. Für beide Gruppen gilt, dass sie den produktiven Umgang mit Heterogenität als Herausforderung empfinden. Die Studierenden wünschen sich deshalb während des Studiums entsprechende Kompetenzen erwerben zu können, um einer gelebter Inklusion im Schulalltag gerecht werden zu können. Demgegenüber formulieren die Hochschullehrenden weniger die Erwartungen, dieser Aufgabe nicht nachkommen zu können. Vielmehr beziehen sie sich auf strukturelle Einflussfaktoren, die ihr Handeln bestimmen bzw. auch einschränken. 4.3.2 (Berufliche) Wertbindungen (Berufliche) Orientierungen und Werte bringen Hochschullehrende und Studierende auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck. Auffällig ist, dass beide Befragtengruppen die Heterogenität der Lerngruppen anhand spezifischer Differenzkategorien definieren. Sie bleiben damit bei einem Verständnis von Inklusion, das sich auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bezieht und ein Handicap im Sinne eines individuellen Merkmals versteht. Weitgehend beziehen sich die Befragten in ihren Äußerungen auf Behinderte, gleichwohl wird bspw. aber auch der Migrationshintergrund der Lernenden einbezogen. Gesellschaftliche (Handlungs-)Situationen, die zur Aussonderung führen, werden in diesem Kontext nicht genannt. Auch die Hochschullehrenden unterscheiden nach Differenzkategorien. Sehen sich die Studierenden eher als Unterstützer und Ermutiger den Schüler/-innen gegenüber und äußern den Wunsch, deren Ressourcen aufgreifen zu wollen, appellieren die Hochschullehrenden stärker an die Selbstverantwortlichkeit ihrer Lernenden. Gleichwohl zeigen sich auch Ambivalenzen in ihrer Argumentation. Die Studierenden sehen in einem gemeinsamen Lernen aller Schüler/-innen ein großes Potenzial, wobei die Umsetzung dessen insgesamt noch als eine große Herausforderung im Schulalltag betrachtet wird. Unsicherheiten werden in Bezug auf bestimmte Behinderungsarten geäußert und diese in heterogenen Lerngruppen entsprechend zu berücksichtigen. 4.3.3 Überzeugungen zur Lehramtsausbildung Die Aussagen zur Lehramtsausbildung spiegeln zwei unterschiedliche Perspektiven wider: die Betrachtung aus Sicht der Hochschullehrenden auf ihre Lehrveranstaltungen und die Sichtweise der Studierenden auf das bestehende Lehrangebot mit ihren Wünschen in Bezug auf dessen Weiterentwicklung. Mit Blick auf ihr späteres Lehrerhandeln möchten die Studierenden entsprechende Kompetenzen erwerben, um den Anforderungen gerecht werden zu können. Sie setzen dabei zunächst auf die Aneignung von Wissen, aber auch auf die Reflexion ihrer eigenen Einstellung. In der Gruppendiskussion fiel auf, dass sich das Einnehmen einer ressourcenorientierten Perspektive erst in der gemeinsamen Auseinandersetzung entwickelte. Dies spricht dafür, dass (Selbst-)Reflexionsprozesse über die gemeinsame Auseinandersetzung mit Inklusion im Lehramtsstudium angestoßen werden können.
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Auch deshalb, weil sie dies für sich persönlich als gewinnbringend einschätzen. Die reale Konfrontation mit Inklusion sehen die Studierenden erst im Referendariat auf sich zukommen – für sie ein Ausbildungsabschnitt der ohnehin eine Herausforderung darstellt. Die Hochschullehrenden appellieren einerseits an die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden, nennen andererseits aber auch, dass sie in ihrer Lehre die Individualität der Studierenden berücksichtigen möchten. Veränderungsnotwendigkeiten sehen sie insbesondere auf der strukturellen Ebene. Beide Befragungsgruppen nehmen den kompetenten Umgang mit Inklusion und Heterogenität überwiegend als eine zusätzliche Anforderung wahr. Gleichwohl äußern die Studierenden, dass die Berücksichtigung von Individualität und der Umgang mit Vielfalt ohnehin professionelles Lehrerhandeln ausmachen. 5 DISKUSSION UND AUSBLICK Mit der vorliegenden Studie konnte die hohe Bedeutung pädagogischer Professionalität für die Umsetzung einer Schule der Vielfalt herausgestellt werden. Der Fokus lag dabei auf den Überzeugungen (teacher beliefs) und insbesondere auf der professionsbezogenen Selbstwahrnehmung, die als ein konstitutives Element professioneller Kompetenz expliziert werden konnte. Deutlich wurde – sowohl seitens der Hochschullehrenden als auch seitens der Studierenden – dass subjektive Überzeugungen pädagogisches Handeln determinieren. Für die Ausgestaltung inklusiver Lernsettings ist entscheidend, mit welcher Haltung und Einstellung die Lehrenden Herausforderungen annehmen, die durch Inklusion an sie herangetragen werden. Die „wahrnehmungslenkende Funktion“ (Wilde & Kunter 2016, S. 299) von Überzeugungen scheint weitergehend von Bedeutung zu sein: für die Interpretation von pädagogischen Handlungssituationen und dafür, die eigenen Handlungsoptionen im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion ausloten zu können (Bylinski 2016a). Die Bedeutung kognitiver Wissensbestände sei an dieser Stelle nicht außer Frage gestellt. Studien belegen auch Veränderungen in den Einstellungen aufgrund eines Zuwachses durch inklusionsbezogenes Fachwissen (de Boer, Pijl, & Minnaert 2011). Gerade die von den Studierenden wahrgenommenen Barrieren des Schulalltags zur Umsetzung und Ausgestaltung einer inklusiven Pädagogik verweisen jedoch deutlich darauf, dass als entscheidend anzusehen ist, ob sich die Lehrenden in der Lage sehen, in den Anforderungssituationen kompetent handeln zu können. Damit erhält das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartungen (Bandura 1997) besondere Bedeutung. Diese Erkenntnis kann durch aktuelle Studien belegt werden, welche Selbstwirksamkeitserwartungen als Prädikatoren für Einstellungen und Haltungen zur Umsetzung inklusiver Bildung herausstellen konnten (bspw. Hecht et al. 2016). Werden inklusionsbejahende Überzeugungen – sowohl von den Hochschullehrenden als auch von den Studierenden – formuliert, bleiben diese zumeist auf der normativen Ebene und sind von Vorgaben geleitet: einem veränderten Lehrerausbildungsgesetz, der UN-Behindertenrechtskonvention oder durch entsprechende
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Anforderungen des Schulalltags. Die positive Konnotation, Vielfalt in unserer Gesellschaft als Ressource in Schule und im Unterricht aufnehmen zu wollen, ist vor allem bei den Studierenden mit Empathie besetzt, von persönlichem Engagement geleitet und von ihren biografischen Erfahrungen geprägt. Die von ihnen formulierten Wünsche in Bezug auf die hochschulische Lehramtsausbildung, entsprechend auf die Anforderungen einer Schule der Vielfalt vorbereitet zu werden, sind gleichwohl mit dem Wunsch nach zusätzlichem Wissenserwerb verbunden. Insbesondere stehen dabei bestimmte Behinderungsarten und ein professioneller Umgang mit Handicaps im Vordergrund. Gleichzeitig deuten sich Veränderungsprozesse bei den Studierenden im reflexiven Diskurs an. Auf Grundlage der Ergebnisse der eigenen Untersuchung kann mit Blick auf die Hochschullehrenden angenommen werden, dass deren (subjektive) Überzeugungen ebenso die Aneignungs- und Reflexionsprozesse der Studierenden determinieren. Hier sind spezifische Professionalisierungsstrategien denkbar, bspw. der kollegiale Austausch unter den Lehrenden, die gemeinsame Entwicklung inklusionsbezogener Lerneinheiten oder Workshops zu spezifischen Fragestellungen, die sich aus den jeweiligen Lehrangeboten ergeben. Eine Veränderung der Haltung und Einstellung genauer zu fassen, bleibt weiteren Studien vorbehalten, deren Fokus auf der Explikation von inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen liegen sollte. Anzumerken ist, dass die hier getroffenen Aussagen auf Grund der geringen Größe der Stichprobe durch ergänzende qualitative und quantitative Befragungen fundiert werden müssen. Die vorliegenden empirischen Daten sollten einen ersten Einblick geben. Auf der Grundlage der in diesem Beitrag generierten Hinweise lassen sich erste Implikationen für hochschulische Ausbildungskonzepte ableiten: Additive und integrative Lehrangebote zu inklusionsbezogenen Fragestellungen sollten im Bachelor- und Masterstudium aufgenommen werden. Bedeutend ist, Lernräume und Lerngelegenheiten anzubieten, die es den Studierenden ermöglichen, zum einen grundlegende Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten in Bezug auf inklusionsbezogene Fragestellungen aufzubauen, und zum anderen eine reflexive inklusive Perspektive (vgl. Dannenbeck & Dorrance 2009, S. 2) einzunehmen. Darüber hinaus sollte eine theoriegestützte Reflexion durch Praxiserfahrung weiterentwickelt werden. Das Praxissemester mit dem Ansatz des Forschenden Lernens (Schüssler et al. 2016) stellt dazu eine wertvolle Ergänzung dar, reflektierte Praxiserfahrung erlebbar zu machen und damit Erfahrungsräume herzustellen, in denen inklusionsbezogene Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufgebaut werden können (Hecht et al. 2016, S. 99).
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THEORETISCHE MODELLIERUNG VON KOMPETENZFACETTEN – IM BEREICH INKLUSION UND HETEROGENITÄT – VON ANGEHENDEN LEHRKRÄFTEN AN BERUFSBILDENDEN SCHULEN Christiane Döbler, Stuttgart / Bernd Zinn, Stuttgart ZUSAMMENFASSUNG Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, welche spezifischen professionellen Kompetenzen für Lehrkräfte in der beruflichen Bildung von zentraler Bedeutung sind, um einen Unterricht gestalten zu können, der den Anforderungen einer heterogenen Schülerschaft sowie den Forderungen der Umsetzung eines inklusiven Unterrichts gerecht werden kann. Der Fokus liegt hierbei auf dem Fachwissen. Auf der Basis des Forschungsstands ergibt sich bei der theoretischen Modellierung ein vierdimensionales Modell für das Fachwissen zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität von Lehrkräften mit den Subdimensionen: (1.) Allgemeines Wissen zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität, (2.) Wissen zur Diagnostik, (3.) Wissen zur Beratung und (4.) Wissen zur Förderung. Neben der Begründung des normativen Modells und der Darstellung der als zentral erachteten Inhalte der einzelnen Subdimensionen wird ein Ausblick auf die empirische Prüfung des Modells gegeben und mit weitergehenden Forschungsdesideraten verbunden. 1 AUSGANGSSITUATION In Unterrichtsklassen – egal, welcher Schulart oder Schulform, ob im allgemein bildenden oder berufsbildenden Bereich, ob in der beruflichen Aus- oder Weiterbildung – kann prinzipiell nicht von „Gleichheit“ gesprochen werden. Lerngruppen sind offensichtlich immer heterogen. Sowohl an allgemein bildenden als auch an berufsbildenden Schulen stehen Lehrkräfte vor der Herausforderung, einen Unterricht gestalten zu müssen, der einer heterogenen Lerngruppe gerecht wird (vgl. Pahl 2007; Rauner & Piening 2010). Für den berufsbildenden Bereich und insbesondere für die Berufsschule besteht – im Vergleich zu den allgemein bildenden Schulformen – die nicht zu unterschätzende Schwierigkeit darin, dass sich die Schüler/-innen in ihren Lernausgangslagen und Unterstützungsbedarfen erheblich unterscheiden können (vgl. Rauner & Piening 2010; Zinn, Wyrwal & Ariali 2018). Berufsschulklassen setzen sich strukturell bedingt aus Jugendlichen mit verschiedenen allgemein bildenden Schulabschlüssen, differentem Alter sowie einem
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unterschiedlichen Vorwissensstand zusammen. Hinzu kommen Schüler/-innen auch ohne allgemein bildenden Schulabschluss. In der postsekundären Berufsbildung (z. B. Fachschule) werden Klassen durch Lernende erweitert, die aufgrund einer Berufsunfähigkeit ihren ursprünglich erlernten Beruf nicht mehr ausüben können oder aufgrund einer andauernden Arbeitslosigkeit umgeschult werden müssen. Die Fachschüler/-innen zeichnen sich durch deutlich heterogene berufliche Qualifikationen aus (vgl. Zinn & Wyrwal 2014). Erweitert wird das skizzierte Spektrum der Heterogenität in der beruflichen Bildung dadurch, dass vielerorts Berufsschulklassen verwandter Berufe aus bildungsökonomischen Aspekten (u. a. geringe Schüler/-innenzahlen im Beruf bzw. Region) zusammengelegt werden (vgl. Pahl 2007). Die berufsbildende Schule ist ein differenziertes Aus- und Weiterbildungssystem, das ein breites Spektrum an verschiedenen Schulformen umfasst, an dem allgemein bildende, berufsbildende sowie sekundäre und postsekundäre Abschlüsse in Voll- und Teilzeit erworben werden können. Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen müssen daher mit vielfältigen intra- und intergruppenspezifisch heterogenen Lernausgangslagen der Schüler/-innen rechnen. Folgt man nun der in der Behindertenrechtkonvention verankerten Forderung eines inklusiven Unterrichts (vgl. VN-BRK 2008) in Verbindung mit dem Recht auf Ausbildung des Artikels 26 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung „Fachund Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden“, so ist davon auszugehen, dass die derzeitige Vielfalt im berufsbildenden System weiterhin zunimmt – insbesondere um Lernende mit körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen. Es verwundert demnach nicht, dass die Thematik Inklusion inzwischen zu einem zentralen Diskurs der beruflichen Bildung geworden ist (z. B. Zoyke 2016a; Zoyke 2016b; Bylinski 2016; Rützel 2016; Buchmann 2016). Aufgrund der strukturellen Selektivität unseres Bildungssystems (Keller 2014), die Jugendliche bis zur Einmündung in eine Ausbildung durchlaufen müssen, treten bisher selten Menschen mit Behinderung eine reguläre duale Berufsausbildung an. In den gewerblich-technischen Berufsfeldern sind Auszubildende mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen wenig vertreten. Zunehmend beginnen lernschwächere Jugendliche mit z. T. prekären Lernausgangslagen ein reguläres Ausbildungsverhältnis, bei denen ungewiss scheint, ob sie die Ausbildung erfolgreich abschließen können (vgl. Norwig, Petsch & Nickolaus 2010; Zinn et al. 2015; Zinn, Wyrwal & Ariali 2018). Die Forderung eines inklusiven Unterrichts und die besondere Bedeutung des Umgangs mit der Heterogenität von Schüler/-innen bedingen neben bildungspolitischen und schulpraktischen Veränderungen auch in der Lehrerbildung einen veränderten Umgang mit der Ausgangsthematik. Neben den in den berufsbildenden Schulen eingesetzten sonderpädagogischen Lehrkräften benötigen auch Fachlehrkräfte entsprechende professionsorientierte Kompetenzen (vgl. Moser & Kropp 2014). Der professionellen Kompetenz von Lehrkräften kommt allgemein eine große Bedeutung zu (vgl. Baumert et al. 2010; Kunter et al. 2013). Für einige schulische Fächer (u. a. Mathematik, Physik) hat sich die Befundlage zu Struktur, Genese und Bedeutung in den letzten Jahren deutlich verbessert. Für die spezifischen Kompe-
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tenzen von Lehrkräften im Bereich Inklusion und Umgang mit Heterogenität hingegen sind bislang kaum empirische Studien (vgl. Moser & Kropp 2014) vorzufinden. Dies gilt auch für die Lehramtsausbildung im berufsbildenden Bereich. Es stellt sich die Frage, über welche spezifischen professionsorientierten Kompetenzen Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen verfügen müssen, damit diese befähigt sind, den individuellen Lernausgangslagen der Schüler/-innen angemessen gerecht zu werden und die Zielsetzungen der Inklusion innerhalb der beruflichen Bildung abzusichern. 2 AUSGANGSPUNKTE ZUR KONZEPTION DES THEORETISCHEN MODELLS 2.1 Inklusion in der beruflichen Bildung Der Inklusionsbegriff wird an vielen Stellen unterschiedlich diskutiert. Seine inhaltliche Bestimmung vollzieht sich letztlich im Zusammenhang eines offenen Interpretationsprozesses (vgl. Wansing 2012a). Zur Inklusion liegt keine einheitliche Definition vor, auch in der Behindertenrechtskonvention (BRK) bleibt der Begriff Inklusion vage (vgl. VN-BRK 2008). Im Laufe des Diskurses zum Inklusionsbegriff entwickelte sich immer mehr eine begriffliche Unschärfe, da dieser stark von der Internationalität geprägt ist (vgl. Hinz 2002; Liesen & Felder 2004). Wansing stellt hierzu fest: „Inklusion als universal gültiges Prinzip des Einbeziehens der Gesamtbevölkerung in die Errungenschaften der modernen, demokratischen Gesellschaft ist kein normativer Begriff per se. Weder definiert er ein greifbares Ziel noch lassen sich in seinen Bezügen allein unmittelbar Handlungen ableiten. Mit Blick auf die Gegenwart eröffnet Inklusion als rechtlich gesicherter Erwartungshorizont eine kritische Analyse bestehender sozialer Verhältnisse. Ereignisse von Behinderungen (sozialer Teilhabe) können aus dieser Perspektive als Widerspruch gegen die Menschenrechte wahrgenommen und Bedingungen hierfür identifiziert werden. Mit Blick auf die Zukunft verweist der Inklusionsbegriff auf einen humanen gesellschaftlichen Wandel ausschließlich in der untrennbaren Verknüpfung mit der Maßgabe der vollen, gleichberechtigten und wirksamen Teilhabe sowie den weiteren Grundsätzen der BRK.“ (Wansing 2012a, S. 10 f.)
Wansing verknüpft in ihrem Beitrag mit dem Titel „Inklusion in einer exklusiven Gesellschaft. Oder: Wie der Arbeitsmarkt Teilhabe behindert“ die differenzierungstheoretische Perspektive der Inklusion mit einer ungleichheitstheoretischen Perspektive der Teilhabe und kommt dabei im Kontext der Strukturen des Beschäftigungssystems zu der folgenden ergänzenden Aussage: „Menschen (mit Beeinträchtigungen) ‚auf der gleichen Basis mit anderen‘ (BRK) in den Arbeitsmarkt einzubeziehen (Inklusion), bedeutet unter diesen Bedingungen eben auch, sie den gleichen marktgesteuerten Selektionen, Zumutungen und (Neben-)Wirkungen von Erwerbsarbeit auszusetzen. Der Vollzug von Inklusion schlägt in dem Moment in Erfahrungen der Behinderung und Ausgrenzung um, wo Leistungsanforderungen und individuelle Voraussetzungen eine negative Passung ergeben.“ (Wansing 2012b, S. 14)
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Im Bereich der dualen Ausbildung wird die Entscheidung, behinderte Menschen in die Regelausbildung aufzunehmen, auf privatrechtlicher Ebene durch den Abschluss eines Ausbildungsvertrages zwischen Unternehmen und Auszubildenden getroffen. Speziell für behinderte Menschen, die im Rahmen der Erstausbildung in einen Fachpraktikerberuf einmünden, müssen spezielle Ausbildungsregelungen mit der für den Beruf zuständigen Kammer vereinbart werden (vgl. § 66 BBiG und § 42m HwO). Die Ausbildungen in Fachpraktikerberufen können in normalen Betrieben oder in speziellen Ausbildungsstätten, Sonderberufsschulen durchgeführt werden. Wenn der Leistungsstand und die Behinderung es erlauben, kann, während oder nach einer Fachpraktikerausbildung, in die Regelausbildung gewechselt und der entsprechend höhere Berufsabschluss angestrebt werden. Inklusion in der beruflichen Bildung betont damit, die Vielfalt von Auszubildenden in den Mittelpunkt zu stellen, verbunden mit dem Anspruch, allen Jugendlichen die volle und gleichberechtigte Teilhabe am beruflichen Aus- und Weiterbildungsbereich zu ermöglichen. Inwiefern Inklusion im Einzelnen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung umzusetzen ist, hängt von den tatsächlichen anforderungsrelevanten Arbeits- und Ausbildungsbedingungen ab, die in Wechselwirkung mit den persönlichen Voraussetzungen des Auszubildenden treten. Der Inklusionsbegriff ist dabei nicht auf die Vielfaltsdimension Behinderung beschränkt (vgl. Booth 2008). Im beruflichen Ausbildungsbereich bedeutet Teilhabe vor allem, dass eine Einmündung in eine adäquate Ausbildung gelingt und die Ausbildung von den Auszubildenden (mit und ohne Beeinträchtigungen) erfolgreich absolviert werden kann. Berufsschulische Lehrkräfte müssen damit in der Lage sein, sowohl Behinderte als auch in quantitativer Hinsicht – lernschwächere Schüler/-innen in den unterschiedlichen Schulformen (u. a. Berufsschule, Berufsfachschule, Berufsgrundbildungsjahr, Berufliches Gymnasium, Reha-Vorbereitungslehrgang) des differenzierten beruflichen Schulsystems (u. a. Berufsschulen, Sonderberufsschulen, Berufsbildungswerken) – zu unterrichten. Es liegen unterschiedliche Aufgabenfelder sowie differente Handlungsfelder von Lehrkräften im beruflichen Aus- und Weiterbildungsbereich vor. Damit stellt sich die Frage nach den übergreifenden Kompetenzen der Lehrkräfte im Bereich der beruflichen Bildung. Im Kontext der Definition des Inklusionsbegriffs in der Behindertenrechtskonvention schreibt Wansing: „Ein Unterricht, der individuellen Lernvoraussetzungen gerecht wird, erhöht den Bildungserfolg jedes einzelnen Kindes und das Bildungspotenzial für die Gesellschaft insgesamt, und ein Arbeitsmarkt, der auch jenen Personen Teilhabe über Erwerbsarbeit ermöglicht, die nicht zu jeder Zeit leistungsfähig, mobil und flexibel sind, erweitert das Spektrum an Fertigkeiten und Fähigkeiten und unterstützt zugleich die Humanisierung des Arbeitslebens insgesamt.“ (Wansing 2012a, S. 8)
Um den individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler/-innen gerecht werden zu können, scheint es sinnvoll, den Schwerpunkt auf die professionellen Kompetenzen zum Umgang mit Heterogenität im Allgemeinen zu legen und damit eine Basis für die Inklusion in der beruflichen Bildung zu entfalten. Dementsprechend wird im Folgenden das basale Fachwissen zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität
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in den Mittelpunkt der weiteren Überlegungen gerückt, das seine Anwendung in den aktuellen Forschungsvorhaben der Autorengruppe findet. 2.2 Kompetenzen von Lehrkräften Kompetenz umfasst die persönlichen Voraussetzungen zur erfolgreichen Bewältigung spezifischer situationaler Anforderungen und gilt im Gegensatz zum Intelligenzkonstrukt prinzipiell als erlern- und vermittelbar (ebd.; Weinert 2001). Zur Modellierung der professionsorientierten Kompetenzen von Lehrkräften liegen mittlerweile mehrere theoretische Ansätze und empirische Studien vor (vgl. Shulman 1998; Hoyle 2001; Bromme 1997; Baumert & Kunter 2011). Kompetenzen werden in der von Weinert vielfach zitierten Begriffsbestimmung als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, S. 27 f.)
beschrieben. Klieme & Leutner beschreiben Kompetenzen in einer engen Bedeutung „als kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen.“ (Klieme & Leutner 2006, S. 879)
Weit gehender Konsens kann trotz unterschiedlicher Modellierungsvorschläge von professionellen Kompetenzen – auch bezogen auf die Topologie der zentralen Subdimensionen der Lehrkompetenz – unterstellt werden. In den gängigen Modellen zur professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften werden die vier Aspekte professioneller Kompetenz – Professionswissen, Überzeugungen/Werthaltungen/Ziele, Motivationale Orientierungen und Selbstregulation – ausgewiesen (vgl. Baumert & Kunter 2011, S. 32). Das Professionswissen gliedert sich in die Kompetenzbereiche Fachwissen (content knowledge), fachdidaktisches Wissen (pedagogical content knowledge) und pädagogisches Wissen (pedagogical knowledge) sowie Organisations- und Beratungswissen. Das fachinhaltliche, fachdidaktische und (fachunabhängige) pädagogische Wissen zählt dabei zum Kern der professionellen Kompetenz von Lehrkräften (ebd.; Voss & Kunter 2011). Einschlägige Studien bestätigen enge Zusammenhänge zwischen dem Fachwissen (in der spezifischen Domäne, z. B. Mathematik) und dem fachdidaktischen Wissen, wobei lehramtsspezifische und fachspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen sind (für einen Überblick siehe Terhart 2015). In mehreren Studien konnte nachgewiesen werden, dass das professionelle Wissen von Lehrkräften eine entscheidende Rolle für die Qualität des Unterrichts und für den Lernerfolg von Schüler/-innen spielt (vgl. Lipowsky et al. 2009; Kunter et al. 2013; Wagner et al. 2016). Folgt man den allgemein didaktischen Modellen im Kontext von Inklusion und des Umgangs mit Heterogenität, die davon ausgehen, dass Individualisierung und Differenzierung maßgebend für die Wirksamkeit von inklusivem Unterricht bzw. fachlichem Lernen in heterogenen Gruppen seien (vgl. Feuser 2011; Amrhein & Reich
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2014; Ziemen 2014), so sind Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen grundlegend, um individualisierten und binnendifferenzierten Unterricht gestalten zu können. Wir gehen daher davon aus, dass das erforderliche Wissen zu Kompetenzen im Bereich Inklusion und Umgang mit Heterogenität – modelliert in die Dimensionen Fachwissen und Handlungswissen – verschiedene Teilfacetten des Professionswissens tangiert und nicht einem der oben genannten Kompetenzbereiche singulär zugeordnet werden kann. Zudem gehen wir bei der Modellierung generisch davon aus, dass mehrere professionsbezogene Merkmale – neben dem spezifischen Wissen wie Überzeugungen/Einstellungen sowie den motivationalen und selbstregulativen Merkmalen – die entscheidenden Voraussetzungen für effektives Handeln von Lehrkräften (vgl. Baumert & Kunter 2011) und den erfolgreichen Umgang mit Inklusion und Heterogenität bilden. 2.3 Überblick zum Forschungsstand Zur Erfassung des professionsbezogenen Wissens von Lehrkräften im Kontext von Inklusion und des Umgangs mit Heterogenität im Bereich der Lehrerbildung für berufsbildende Schulen liegt bislang kein adaptives Instrumentarium vor. Lediglich erste Versuche einer Testentwicklung für zentrale, übergreifende didaktische Kompetenzen sind zu verzeichnen (vgl. Voss et al. 2014). Möglichkeiten für Anknüpfungen bieten sich im Bereich der Lehrerbildung für allgemein bildende Schulen (vgl. Voss, Kunter & Baumert 2011; Voss et al. 2014). Für die Entwicklungsarbeiten zur Erstellung und Erprobung eines sensitiven Tests zur Erfassung des professionsbezogenen Wissens zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität von angehenden Lehrkräften sind u. a. auch die Ergebnisse zu Effekten adaptiver Lehrkompetenz auf die Lernergebnisse der Schüler/-innen (vgl. Brühwiler 2014) relevant. Diese verdeutlichen, dass Ausbildungsaktivitäten, die auf die Kompetenzentwicklung in den Subdimensionen adaptiver Lehrkompetenz und deren integrative Verarbeitung zielen, aussichtsreich sind, um den Umgang mit Inklusion und Heterogenität zu verbessern. Der bislang überwiegend theoretisch geführte Diskurs zur Ausgangsthematik bietet weitere einzelne Anknüpfungspunkte für die Generierung von zentralen Inhalten eines Fachwissens zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität von Lehrkräften in der beruflichen Bildung. Spiegel und Walter beschreiben für die Mathematik aus dem allgemein bildenden Bereich, dass Lehrkräfte eine so genannte „Heterogenitätskompetenz“ benötigen. Diese sei die Voraussetzung für eine Unterrichtsgestaltung, in der die individuellen Fähigkeiten der Schüler/-innen berücksichtigt werden sowie den Schüler/-innen die Möglichkeit geboten werde, eigene Denk- und Lösungswege gehen zu können (vgl. Spiegel & Walter 2005). Terhart greift den Begriff der „Heterogenitätskompetenz“ von Spiegel und Walter auf, führt jedoch kritisch an, dass aufgrund der formulierten Ansprüche an die Kompetenzen von Lehrkräften – gemeint sind hier die KMK-Richtlinien – der Begriff Heterogenitätskompetenz nicht ausreichend sei und man von einer so genannten „Inklusionskompetenz“ sprechen müsste (vgl. Terhart 2015).
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Moser und Kropp (2014) verweisen darauf, dass Kompetenzbereiche wie bspw. „Kooperation“, „Beratung“ und „Diagnostik“ nicht mehr als Alleinstellungsmerkmale der Lehrkräfte aus dem Bereich der Sonderpädagogik gelten können. Die auf Fachliteratur basierenden Kompetenzbereiche „Beratung“, „Diagnostik“, „Förderung“, „Kooperation“ und „Unterricht“ (vgl. Moser, Schäfer & Jakob 2010) sind aufgrund der KMK 2004 mittlerweile Themen aller lehrerbildenden Studiengänge (vgl. Moser & Kropp 2014) und müssen damit auch als schulformübergreifende Kernkompetenzbereiche angesehen werden. In der KMK (2011b) „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in der Schule“ wird explizit aufgeführt, dass „Tätigkeitsfelder im inklusiven Unterricht – wie Diagnostik, Beratung, Entwicklung und Durchführung von Unterstützungsmaßnahmen […]“ (Kultusministerkonferenz 2011b, S. 21) notwendig sind. In den Standards für die Lehrerbildung (KMK 2014) wird weiter differenziert und folgende Aspekte, bspw. als curriculare Schwerpunkte im Bereich der Bildungswissenschaften für die Ausbildung von Lehrkräften, werden benannt: – „Differenzierung, Integration und Förderung Heterogenität und Vielfalt als Bedingung von Schule und Unterricht, – Diagnostik, Beurteilung und Beratung Diagnose und Förderung individueller Lernprozesse; Leistungsmessungen und Leistungsbeurteilungen.“ (KMK 2014, S. 5)
Im Modell von Zoyke werden ebenfalls die beiden Bereiche „Beratung“ und „Diagnostik“ als bedeutsame Handlungsfelder von Lehrkräften an beruflichen Schulen zur inklusiven Berufsbildung angesehen. Zudem werden in diesem Modell die „multiprofessionelle Kooperation“ und „inklusionsbezogenen Einstellungen und Haltungen“ als relevant erachtet (vgl. Zoyke 2016a, Zoyke 2016b, Burda-Zoyke & Joost im Druck). 3 MODELLANNAHMEN Aufbauend auf dem dargestellten Forschungsstand – im Kern in Anlehnung an den Beschluss der KMK 2011b und 2014 – stellen Diagnostik, Beratung und Förderung zentrale Handlungsfelder von Lehrkräften zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität dar. Wir gehen davon aus, dass die Kompetenz zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität in zwei übergeordneten Dimensionen modelliert werden kann: (1.) dem einschlägigen Fachwissen und (2.) dem Handlungswissen zum Umgang mit Inklusion und Heterogenität. Beim Fachwissen zur Inklusionskompetenz unterstellen wir vier Subdimensionen: (1.) allgemeines Wissen zur Inklusion und Heterogenität, (2.) Wissen zur (Förder-)Diagnostik, (3.) Wissen zur Beratung und (4.) Wissen zur Förderung. Im Folgenden gehen wir von dem in Abbildung 1 dargestellten normativen Modell der Kompetenz zu Inklusion und Heterogenität aus, in dem die mit den o. a. Handlungsfeldern korrespondierenden Kompetenzbereiche Diagnostik, Beratung und Förderung dargestellt sind. Die drei Kreisausschnitte verdeutlichen, dass die
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Handlungsfelder Diagnostik, Beratung und Förderung im unterrichtlichen Alltag eng miteinander verbunden sind und ineinander übergehen. Mit dem pädagogischen Handeln einer Lehrkraft geht – beginnend mit einem diagnostischen Prozess über eine beratende Tätigkeit – im optimalen Fall eine adaptive Förderung der Schüler/innen einher. Neben diesen drei Fachwissensbereichen erachten wir weiter ein allgemeines Wissen zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität – das insbesondere den Inklusionsbegriff, rechtliche Grundlagen und empirische Ergebnisse zu den Einstellungen von Lehrkräften zum Thema Inklusion thematisiert – für die unterrichtliche Umsetzung des Inklusionsgedankens als bedeutsam. Im Folgenden werden die einzelnen Fachwissensbereiche Allgemeines Wissen zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität (Abschnitt 4.1), Diagnostik (Abschnitt 4.2), Beratung (Abschnitt 4.3) und Förderung (Abschnitt 4.4) mit ihren wesentlichen Inhalten dargestellt.
Abb. 1: Modell „Kompetenzen zu Inklusion und Heterogenität“ (eigene Darstellung in Anlehnung an Wasmann (2016)).
3.1 Dimension Allgemeines Wissen zu Inklusion und Heterogenität Für das Inklusionsverständnis und die Realisierung inklusiven Unterrichts ist es u. E. nach für die Lehrkraft von basaler Bedeutung, die Begrifflichkeiten Exklusion, Separation, Integration sowie Inklusion zu kennen und semantisch voneinander unterscheiden zu können. Auch wenn die Begriffe Integration und Inklusion oft synonym verwendet werden, ist integrativer Unterricht nicht gleichzusetzen mit inklu-
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sivem Unterricht. Während die Perspektive beim Integrationsgedanken auf das Individuum gerichtet ist, steht beim Inklusionsgedanken das gesamte (Bildungs-)System im Mittelpunkt (s. o.). Der Grundgedanke einer Zwei-Gruppen-Theorie wird durch das Menschenbild einer einzigen heterogenen Gruppe ersetzt. Dies bedingt Veränderungen auf der Ebene der Zuständigkeiten (vgl. Hinz 2002; Hinz 2009; Hinz 2015a; Feuser 2013; Textor 2015). Während Integration eine traditionelle Aufgabe der Sonderpädagogik (mit Ausdehnung auf die Schulpädagogik) ist, ist Inklusion inzwischen Aufgabe der Schulpädagogik und der Fachdidaktiken (vgl. Hinz 2002; Moser & Kropp 2014). Neben der historischen Entwicklung der Begrifflichkeiten Exklusion, Separation, Integration und Inklusion scheint auch eine Erläuterung von Heterogenität und ihrer allgemeinen Bedeutung für Lehrkräfte bedeutsam. Die unterrichtliche Auseinandersetzung mit der Heterogenität der Schüler/-innen hat eine lange Tradition, spätestens mit den einschlägigen Veröffentlichungen von J. F. Herbart Anfang des 19. Jahrhunderts zur Forderung nach mehr Binnendifferenzierung im Unterricht, und gehört daher schon lange zum Kern der Professionalisierung von Lehrkräften. Im Kontext der Inklusionsdebatte und insbesondere auch bedingt durch die Ergebnisse verschiedener Schulleistungsstudien (z. B. PISA, TIMSS) zur Vielfalt der Lernausgangslagen der Schüler/-innen hat die Diskussion zur Heterogenität der Schüler/-innen eine erweiterte Konnotation erfahren. Zur allgemeinen Bedeutung der Heterogenität findet man Listendefinitionen (z. B. Gröhlich, Scharenberg & Bos 2009, S. 87; Prengel 2014), implizite Definitionen (z. B. KMK 2011a, S. 13) und explizite Definitionen (z. B. Wenning 2007, S. 24), die für die wissenschaftliche Auseinandersetzung relevant scheinen, jedoch für den Bereich der Schulpädagogik zu allgemein formuliert sind (vgl. Stöger & Ziegler 2013). Stöger und Ziegler definieren für die Schulpädagogik Heterogenität wie folgt: „In der Schulpädagogik liegt Heterogenität dann vor, wenn zur Erreichung identischer curricularer Ziele unterschiedliche schulpädagogische Maßnahmen erforderlich sind.“ (Stöger & Ziegler 2013, S. 7)
Ist von Heterogenität im Bereich Schule die Rede, so wird meistens die Unterschiedlichkeit der Schüler verstanden, oftmals reduziert in Hinblick auf ihre Leistung (vgl. Sturm 2013). Dieses singuläre Verständnis von Heterogenität greift u. E. nach deutlich zu kurz. Um auf Heterogenität professionsorientiert reagieren zu können, müssen Lehrkräfte zentrale Determinanten von Heterogenität kennen und deren unterrichtliche Bedeutung bewerten. Leistungsrelevante Unterschiede können bei Schüler/-innen durch eine Vielzahl an persönlichen Merkmalen beeinflusst sein. Dies bedeutet, dass Lehramtsstudierende auch ein fundiertes Wissen darüber entwickeln müssen, welche zentralen Merkmale es gibt (u. a. kognitive, motivationale, affektive, konstitutionelle, konative Determinanten) und wie sie auf die individuelle Zusammensetzung der Klasse vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Lernausgangslagen adaptiv reagieren können (vgl. Weinert 1997). Hinz schreibt: „Das Herz von Inklusion ist der Umgang mit Heterogenität“ (Hinz 2015b, S. 103). Der allgemeine Forschungsstand zur Bedeutung der Lehrkräftekompetenzen lässt kein Zwei-
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fel an der Relevanz dieser Tatsache für die Entwicklung der Lernenden (vgl. Zlatkin-Troitschanskaia et. al. 2009; Terhart, Bennewitz & Rothland 2011). Wenngleich die empirische Befundlage zu den professionsorientierten Kompetenzen von Lehrkräften im Bereich inklusiven Unterrichts noch dünn ist (s. o.), so liegen einzelne empirische Studien u. a. zur Einstellung und Selbstwirksamkeit von Lehrkräften vor (vgl. Stöger & Ziegler 2013; Bosse & Spörer 2014). Entsprechende Kenntnisse über empirische Befunde sind u. E. in der Lehrerbildung ebenfalls belangreich und daher in dieser Dimension verortet. 3.2 Dimension Diagnostik Unter diagnostischer Kompetenz subsumiert man allgemein die Fähigkeit eines Urteilers, Personen zutreffend zu beurteilen. Für Lehrkräfte sind im alltäglichen Unterrichtsgeschehen insbesondere informelle Diagnoseleistungen bedeutungsvoll. In Abgrenzung zu formellen Diagnosen, die mithilfe wissenschaftlich erprobter Methoden gezielt und systematisch erstellt werden, handelt es sich bei informellen Diagnosen von Lehrkräften im schulischen Alltag vielfach um implizit subjektive Bewertungen, Einschätzungen und Erwartungen (vgl. Schrader & Helmke 2001). Lehrkräfte wirken darüber hinaus an formellen Diagnosen mit, beispielsweise im Rahmen von Schulleistungsstudien. Unterstellt man, dass erfolgreiches unterrichtliches Handeln von der Güte diagnostischer Urteile abhängt – und davon ist offensichtlich auszugehen –, scheint es bedeutsam, dass Lehrkräfte die funktionale Bedeutung von Diagnosen und diagnostischer Kompetenz verinnerlichen und Kenntnisse und Fähigkeiten zur Einschätzung der klassischen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität) und Beobachtungseffekten besitzen (vgl. Schrader & Helmke 1990). Weiter relevant ist im Kontext von Inklusion und des Umgangs mit Heterogenität ein Fachwissen zu Verhaltensauffälligkeiten, -störungen (vgl. Seitz 2006) und insbesondere Lernschwächen und Lernbehinderungen (vgl. Eser, Ziegler & Ziegler 2016). Lehrkräfte müssen fundierte Kenntnisse über die Diagnostik leistungsrelevanter Lernermerkmale (z. B. kognitive Leistungsfähigkeit, Basiskompetenzen) besitzen sowie die Möglichkeiten und Grenzen diagnostischer Verfahren (z. B. Differenzialdiagnostik, pädagogisch-therapeutische Diagnostik, inklusive Diagnostik) und medizinischer Klassifikationssysteme (z. B. ICD-10) kennen. Darüber hinaus müssen sie Wissen zu einschlägigen Präkonzepten – die im gewerblichtechnischen Bereich oftmals für das basale Verständnis technischer Fragestellungen essenziell sind – bezüglich ihres unterrichtlichen Handelns einordnen können. 3.3 Dimension Beratung Das berufliche Bildungssystem in Deutschland beinhaltet mit seinen unterschiedlichen Bildungswegen ein vielseitiges Angebot an beruflichen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, woraus sich ein erhöhter Beratungsbedarf ergibt (vgl. Ingen-
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kamp & Lismann 2008). Beratungsanlässe, die Schüler/-innen, Eltern und Lehrkräfte betreffen, sind beispielsweise neben der Schullaufbahnberatung die Beratung bei Lern- und Leistungsproblemen oder schulischen Verhaltensauffälligkeiten. Die kontextbezogenen individuellen Beratungsanlässe können dabei in Informationsberatung, Entscheidungsberatung und Realisierungsberatung differenziert werden (vgl. Ingenkamp & Lismann 2008). „Beratung im Bildungswesen ist ein sozialer Prozess, in dem ein an relevante Fachkenntnisse oder psychologischer Einsicht überlegener Ratgeber einem Ratsuchenden zu Information und/oder Einsichten verhilft, die der Ratsuchende zu für seinen Bildungsweg wichtigen Entscheidungen benötigt.“ (Ingenkamp & Lismann 2008, S. 316)
Dies zeigt, wie vielseitig die beratenden Tätigkeiten und erforderlichen Kompetenzen sind, die mit der Forderung eines inklusiven Unterrichts zusätzlich verstärkt werden. Die Anforderungen an die Kompetenzen der Lehrkräfte bei unterschiedlichen Beratungsanlässen sind keineswegs ähnlich, sondern vielmehr unterschiedlich. Während bei einigen Beratungsformen die Ausbildung und Lebenserfahrung einer Lehrkraft genügt, sind bei anderen Formen Zusatzqualifikationen unumgänglich, wie bspw. bei Beratungslehrkräften an berufsbildenden Schulen in BadenWürttemberg. Wenn Beratungsangelegenheiten eine individual-diagnostische Bemühung oder eine fundierte Gesprächsführung erfordern, sind erweiterte psychologische Kenntnisse für den Beratungsprozess unabdingbar (vgl. Ingenkamp & Lismann 2008). Mit einem Beratungsvorgang verbunden ist generell ein vorangegangener diagnostischer Prozess. Wichtiger bzw. wichtige Ansprechpartner/-in ist eine Lehrkraft bei Beratungsanlässen der Laufbahnberatung, bei Lern- und Leistungsproblemen, aber auch bei Verhaltensproblemen, da der Unterricht eine gute Beobachtungsmöglichkeit bietet. Zudem sind sowohl Schüler/-innen als auch Eltern mit der Lehrkraft vertraut. Dies wirkt sich allgemein förderlich auf eine Beratungssituation aus. Ist eine Lehrkraft jedoch nicht ausreichend über alternative Beschulungsmöglichkeiten und mögliche bedarfsgerechte Unterstützungsoptionen informiert oder mangelt es generell an diagnostischen Kompetenzen (z. B. zur Feststellung einer Lese-Rechtschreib-Schwäche, Rechenstörung), so ist in jedem Fall eine Fachkraft einzubeziehen. In den Richtlinien für die Bildungsberatung des Landesrechts Baden-Württemberg sind Aufgaben des schulpsychologischen Dienstes sowie der Beratungslehrkräfte aufgelistet. Jeder beruflichen Schule ist eine Beratungslehrkraft zugeteilt, die ihr Amt als Hauptamt neben einer Unterrichtstätigkeit ausführt und für besondere Beratungsaufgaben – oftmals auch an mehreren Schulen – zuständig ist (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden Württemberg 2000). Die Schullaufbahnberatung gehört dabei insbesondere zu den Tätigkeiten einer Beratungslehrkraft. Im Vergleich zu Lehrkräften steht Beratungslehrkräften ein Testkatalog vom Kultusministerium zur Verfügung, der für den diagnostischen Prozess herangezogen werden kann. Darin enthalten sind ausgewählte Begabungs- und Leistungstests, Verfahren zum Schuleingang, Konzentrationstests, Fragebogen und Beobachtungsbogen sowie Interessenverfahren und Tests zur beruflichen Orientie-
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rung. Darüber hinausgehende psychotherapeutische Maßnahmen fallen in den Zuständigkeitsbereich des schulpsychologischen Dienstes (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2000). Im Laufe der Zeit haben sich zahlreiche weitere Beratungsdienste wie bspw. Erziehungsberatungsstellen, Jugendämter oder Drogenberatung etabliert. Eine nicht zu unterschätzende Problematik, die den Schulalltag betrifft, ist jedoch, dass Lehrkräfte zu wenige Beratungsmöglichkeiten kennen und sie entsprechend selten nutzen (vgl. Ingenkamp & Lismann 2008). Vor dem Hintergrund der individualen Problemlagen von Schüler/innen u. a. im psychosozialen Bereich sowie des Lernens allgemein erscheint es für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen von Bedeutung, die eigenen Möglichkeiten der Beratung zu kennen und entsprechende ergänzende Anlaufstellen sowie deren Leistungsspektrum zu kennen. 3.4 Dimension Förderung Eine Einheitlichkeit im Hinblick auf eine Definition von individueller Förderung gibt es weder in der schulischen Praxis noch in der wissenschaftlichen Forschung. Da die individuelle Förderung auf eine optimale Gestaltung der individuellen Lernprozesse abzielt, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Lernen und Fördern (vgl. Fischer 2014). Lernen aus schulpädagogischer Perspektive wird „als zielgerichtete Tätigkeit, die auf den Erwerb von Kompetenzen und Wissen ausgerichtet ist“ (Fischer 2014, S. 26), verstanden. Der Lernerfolg kann dabei beispielsweise mithilfe von Lern- und Problemlösestrategien verbessert werden. Diese dienen im inklusiven Unterricht auch als Voraussetzung für selbst gesteuertes und lebenslanges Lernen (vgl. Fischer 2014; Petsch, Norwig & Nickolaus 2014; Zinn et al. 2015). Das Begriffsverständnis des „Forum(s) Bildung“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2001, S. 7) fokussiert sowohl Benachteiligung als auch Begabung als Gegenstand der individuellen Förderung. Dieser Ansatz deckt sich weitestgehend mit aktuellen Auffassungen. Dort wird eine gezielte Anpassung zwischen schulischem Lernangebot und den individuellen Lernbedürfnissen der Schüler/-innen gefordert (vgl. Fischer 2014). So definiert Kunze (2009): „Unter individueller Förderung werden alle Handlungen von Lehrerinnen und Lehrern und von Schülerinnen und Schülern verstanden, die mit der Intention erfolgen, bzw. die Wirkung haben, das Lernen der eigenen Schülerin/des einzelnen Schülers unter Berücksichtigung ihrer/seiner spezifischen Lernvoraussetzungen, -bedürfnisse, -wege, -ziele und -möglichkeiten zu unterstützen.“
Wie oben bereits erwähnt, wird in den ersten allgemein didaktischen Modellen zu Inklusion (vgl. Feuser 2011; Amrhein & Reich 2014; Ziemen 2014) davon ausgegangen, dass Individualisierung und Differenzierung maßgebend für die Wirksamkeit von inklusivem Unterricht bzw. fachlichem Lernen in heterogenen Lerngruppen sind. Klieme und Warwas (2011) differenzieren hierzu drei Varianten eines pädagogischen Verständnisses von individueller Förderung: kompensatorische Trainings- und Zusatzangebote, vielfältige Lernwege durch offenen Unterricht und
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Binnendifferenzierung durch adaptiven Unterricht. Speziell in der beruflichen Bildung sind vielfältige Modellprojekte und Trainingsprogramme zur beruflichen Integration und individuellen Förderung benachteiligter Jugendlicher entwickelt und erprobt worden (vgl. Straßer 2005; Lippegaus 2005; Buchholz 2005; Petsch, Norwig & Nickolaus 2014; Beutner et al. 2012; Linten & Prüstel 2017; Zinn et al. 2015). Ein Überblick zu den Studien zur beruflichen Benachteiligtenförderung bis 2005 ist bei Bojanowski, Ratschinski und Straßer (2005) zu finden. Die diversen Projekte und Programme zeichnen sich durch unterschiedliche konzeptuelle (Förder)Ansätze aus und wurden in verschiedenen berufsbildenden Maßnahmen und Schulformen (z. B. Reha-Vorbereitungslehrgang, Berufsausbildungsvorbereitung, Berufsausbildung) und mit unterschiedlichen Untersuchungsschwerpunkten durchgeführt. In aktuellen Studien zur Förderung von lernschwächeren Schüler/-innen in gewerblich-technischen Berufen (vgl. Petsch, Norwig & Nickolaus 2014; Zinn et al. 2015) und im Übergang zwischen dem allgemein bildenden und berufsbildenden Bereich (vgl. Wyrwal & Zinn 2016) wird auf die Förderung kognitiver und metakognitiver Strategien (vgl. Hasselhorn 1992; Funke & Zumbach 2006) unter Einbindung des Cognitive Apprenticeship Ansatzes (vgl. Collins, Brown & Newman 1989) gesetzt. Für einen inklusiven Unterricht und zur Förderung lernschwächerer Schüler/-innen scheinen einschlägige Kenntnisse zu den Förderansätzen offensichtlich. Auszubildende erlernen im Rahmen der dualen Ausbildung ihre berufliche Handlungskompetenz i. d. R. an zwei Standorten (Schule und Betrieb), die unterschiedliche Ausgangsbedingungen für die Realisierung von individueller Förderung mit sich bringen. Dabei dient ein Förder- und Entwicklungsplan in der beruflichen Bildung als wichtiges Medium, um individuelle Förderung zwischen dem betrieblichen und berufsschulischen Lernort gewährleisten zu können (vgl. Hahn 2013). Dabei erscheint es notwendig, dass Lehrkräfte neben dem elementaren Wissen über die Intentionen und Erstellung von Förderplänen auch Kenntnisse im Bereich des Nachteilsausgleichs besitzen. 4 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Im Fokus des Beitrags lagen die professionellen Kompetenzen von Lehrkräften in der beruflichen Bildung, die es ermöglichen sollen, einen Unterricht gestalten zu können, der den Anforderungen einer heterogenen Schülerschaft sowie den Forderungen der Umsetzung eines inklusiven Unterrichts gerecht werden kann. Im Anschluss an den Forschungsstand wurde bei der theoretischen Modellierung davon ausgegangen, dass das spezifische Wissen von (angehenden) Lehrkräften zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität in zwei übergeordnete Dimensionen modelliert werden kann: (1.) dem einschlägigen Fachwissen und (2.) dem Handlungswissen zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität. Beim Fachwissen zur Heterogenitätskompetenz wurde von vier unterstellten Subdimensionen: (1.) allgemeines Wissen zur Inklusion und Heterogenität (u. a. Inklusionsbegriff), (2.) Wissen
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zur (Förder-)Diagnostik (u. a. Gütekriterien der Diagnostik), (3.) Wissen zur Beratung (u. a. Lernberatung, Laufbahnberatung) und (4.) Wissen zur Förderung (u. a. Förderansätze) berichtet. Im Ausblick und anknüpfend an die Forschungs- und Entwicklungsprojekte LEBUS1 und InKom2 besteht nun das Interesse, mit der vorgestellten Konzeption des theoretisch begründeten normativen Modells, das professionsorientierte Wissen von (angehenden) Lehrkräften zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität in den als relevant erachteten Wissensbereichen empirisch zu analysieren. Zur Erfassung des professionsorientierten Fachwissens wurden bereits entsprechende Testitems zu den vier unterstellten Subdimensionen entwickelt und mittels Paper-Pencil-Test erfolgreich pilotiert. Die Erfassung des Handlungswissens soll mit (authentischen) Fällen anhand von Videovignetten erfolgen, da sich der Einsatz von Videovignetten zur Erhebung von Kompetenzen bei Lehrkräften in mehreren Studien als vorteilhaft erwiesen hat (vgl. Oser & Düggeli 2007). Videofälle aus dem berufsschulischen Unterricht bieten ein realistisches Abbild komplexer schulischer Praxissituationen und damit eine gute Voraussetzung, um Handlungswissen im Kontext von Inklusion und des Umgangs mit Heterogenität zu erheben. Im Fokus stehen an dieser Stelle die praxisbezogenen Handlungsfelder von Lehrkräften an gewerblich-technischen Schulen zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität. Mit einem validierten Instrumentarium verbinden sich mehrere Forschungsdesiderate. Zum einen ist die Generierung eines systematisch erhobenen Beschreibungswissens zum Stand und der Entwicklung der Kompetenzen von angehenden Lehrkräften zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität zu nennen. Zum anderen kann – mit Blick auf die normativ vorgenommene Modellierung – die Frage, inwieweit sich die unterstellten vier Fachwissensbereiche tatsächlich abbilden und empirisch belegen lassen, angeführt werden. Bei Einbezug der zwei Dimensionen einschließlich ihrer einzelnen Subdimensionen wären zugleich deren gegenseitige Abhängigkeit und unter Umständen deren integratives Zusammenspiel analysierbar, wie es auch in realen unterrichtlichen Anforderungssituationen im Kontext von Inklusion und des Umgangs mit Heterogenität bedeutsam werden dürfte. Aktuell werden im Rahmen der Qualitätsoffensive an mehreren Standorten curriculare Schwerpunktsetzungen in der ersten Phase und/oder eine stärkere systematische Verknüpfung der ersten und zweiten Phase zur Förderung der professionsorientierten Kompetenzen zu Inklusion von angehenden Lehrkräften durchgeführt. Im Kontext dessen könnte weiter ein validiertes Testinstrument zur Abschätzung von Wirkungseffekten der einzelnen Studienprogramme im Sinne der Verbesserung der Lehrerbildung dienlich sein. 1 2
LEBUS [Lehrerbildung an beruflichen Schulen, FKz.: 01JA1602] wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung gefördert. InKom [Inklusionskompetenz von Lehrkräften an beruflichen Schulen] wird durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (Baden-Württemberg) gefördert.
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TEIL 4 ANSÄTZE DER LEHRERBILDUNG ZU INKLUSION UND ZUM UMGANG MIT HETEROGENITÄT
ANSÄTZE EINER INKLUSIVEN DIDAKTIK BERUFLICHER FACHRICHTUNGEN* Manuela Niethammer, Dresden / Marcel Schweder, Dresden 1 INKLUSION UND UNIVERSITÄRE LEHRER/-INNENBILDUNG Bereits 1994 wurde in der Salamanca-Erklärung der UNESCO – wenngleich nicht wörtlich – das inklusive Bildungssystem als Ziel formuliert: „The guiding principle […] is that schools should accommodate all children“ (UNESCO 1994, S. 6, Hervorheb. i. Orig.). Dennoch scheint der Diskurs in Deutschland erst seit der 2009 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und den im gleichen Jahr erstaufgelegten Leitlinien für die Bildungspolitik der Deutschen Unesco-Kommission e.V. (DUK) in seiner vollen Bedeutung aufgegriffen zu werden. Zumindest wird seither spürbar und in allen Bereichen und Ebenen des Bildungssystems darüber diskutiert, wie die Forderungen der UN-BRK sowie der DUK adäquat umgesetzt werden können. Offensichtlich ist, dass mit dem Konstrukt „Inklusion“, verstanden als die Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen, unabhängig von ihren individuellen Dispositionen (vgl. DUK 2009), Implikationen für die Gestaltung des Bildungssystems (Bylinski 2016) verbunden sind. Damit werden Veränderungen im Bildungssystem explizit voraussetzt. Ein bedeutender, von diesen Veränderungen betroffener, Teilbereich ist die Lehrer/-innenbildung. Hier sind zeitnah Konzepte zu etablieren, welche die Lehrenden in die Lage versetzen, Lehr-Lern-Settings zu entwickeln und umzusetzen, die von Beginn an die Partizipation aller Lernenden mitdenken. Vor diesem Hintergrund werden an den Hochschulstandorten, auf Basis der vorhandenen Rahmenbedingungen, verschiedene Ansätze verfolgt, Konzepte inklusiver Lehrer/-innenbildung zu erarbeiten. An der TU Dresden war hiermit eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe (u. a. Erziehungswissenschaftler/-innen mit dem Schwerpunkt der inklusiven Bildung, Fach- und Berufsdidaktiker/-innen, Psychologen/-innen) beauftragt. Auf Basis einer Iststandsanalyse zu den bereits bestehenden inklusionsbezogenen Aspekten (Inhalte und Methoden) in der „Dresdner Lehrer/-innenbildung“ sowie der hieraus abgeleiteten offenen Handlungsfelder und -erfordernisse wurden *
Mit dem hier vorgestellten Theorieansatz sollen keinesfalls Subsumierungsbestrebungen befördert oder gestützt werden, welche die Spezifika der einzelnen Beruflichen Fachrichtungen verkennen. Intendiert ist ein Theoriemodell, welches die domänenspezifische Gestaltung inklusiver beruflicher Lehr- und Lernprozesse strukturiert und unterstützt.
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Manuela Niethammer / Marcel Schweder
mögliche Umsetzungen eines Konzepts „Inklusiver Lehrer/-innenbildung“ geplant, wobei explizit unterschiedliche Verfahrenswege anvisiert wurden. Die Handlungsfelder und -erfordernisse wurden über den Index für Inklusion (Sichern inklusiver Kulturen, Strukturen und Praktiken) abgeleitet (vgl. Boban & Hinz 2003) und an den tradierten Handlungsfeldern der universitären Wirklichkeit, Lehre, Forschung und Verwaltung, gespiegelt. Dementsprechend lässt sich eine Handlungsmatrix ableiten (vgl. Tab. 1). Tab. 1: Handlungsfelder und -erfordernisse inklusiver Lehrer/-innenbildung am Standort Dresden Verwaltung Inklusive Kulturen
Lehre
Forschung
Förderung von inklusiven Haltungen, genereller Wertschätzung und Reflexion eigener differenzbildender Praktiken Sensibilisierung Aller (Werte, Begriffe, gesetzliche Grundlagen)
Inklusive Strukturen
Inklusionsbezogene Organisationsentwicklung, d. h. die Organisation gewährleistet, dass alle Wege, Zugänge und/oder Übergänge offen sind
Inklusive Praktiken
Die Tätigkeitsfelder/Situationen, die in der jeweils betrachteten Wirklichkeit bedeutsam sind, werden so umgesetzt, dass alle Beteiligten teilhaben können
z. B. nutzerbezogene Stu- z. B. (multimediale) Bedienorganisation (online) reitstellung der Lehrinhalte
z. B. Feedbacksysteme, z. B. kompetenzorientierte, die Teilhabe aller erlauben individualisierte Lehre
z. B. Unterstützung bei Antragsstellung
z.B. im Studium forschendes Lernen
Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis der Iststandsanalyse der Arbeitsgruppe.
Im Überblick wird zum einen die grundlegende Bedeutung der Sensibilisierung aller Beteiligten, d. h. nicht nur der Lehrenden und Studierenden, deutlich. Insofern ist eine Auseinandersetzung mit den begrifflichen Grundlagen, den Werten und Haltungen, die Inklusion einerseits impliziert und die andererseits durch das tägliche Handeln gelebt werden, zwingend erforderlich. Dieser Diskurs sollte alle Tätigkeitsfelder der Hochschule umfassen und muss reflexiv umgesetzt werden. Zum anderen tritt das Problem des doppelten Inhaltsbezugs zu Tage: Einerseits geht es darum, Inklusion umzusetzen und eine inklusive Universität als Subsystem des Bildungssystems zu gestalten. Das heißt, die universitäre Lehre, Forschung und Verwaltung ist darauf hin zu prüfen, ob sie die Teilhabe aller ermöglicht und entsprechend barrierefreie Zugänge bietet. Andererseits ist inklusive Bildung selbst Gegenstand der Lehre und Forschung. Dieser Aspekt wird im Folgenden aufgegriffen und am Beispiel der Lehramtsausbildung für berufsbildende Schulen konkretisiert. Unter dem Gesichtspunkt, dass die inklusive (Berufs)Bildung Gegenstand der Lehre sein muss, ist zu klären, welche zusätzlichen Kompetenzen die Studierenden in ihren zukünftigen Tätigkeitsbereichen benötigen und wie eine entsprechende Kompetenzentwicklung in der Lehreraus- und -fortbildung umgesetzt werden kann.
Ansätze einer inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen
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Inhaltsbereiche, die im Lehramtsstudium zu bearbeiten sind, wurden im Basiscurriculum der Berufs- und Wirtschaftspädagogik fixiert, womit ein verbindlicher Bezugsrahmen für die Lehrer/-innenbildung gegeben ist (Sektion BWP 2014). Die Gestaltung der konkreten, auch inklusiven, Lehr-Lern-Settings findet sich darin ebenso wieder, wie die Auseinandersetzung mit übergeordneten Bezugssystemen (vgl. Abb. 1). „Das Studium der Berufs- und Wirtschaftspädagogik soll wesentlich zum Erwerb grundlegender Kompetenzen (inkl. Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen, Haltungen) beitragen, die für eine erfolgreiche Tätigkeit in den genannten Tätigkeitsfeldern konstitutiv sind, vor allem mit Blick auf – Strukturen, Institutionen, Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung und deren Paradigmen, Theorien und Modellierungen sowie auf berufliche Schul- und Organisationsentwicklung, Lernortkooperation, berufliche Ordnungsmittel, Zertifizierungs- und Prüfungswesen […], – Ziele und Inhalte von Bildungsgängen (berufsbezogene Curriculumentwicklung), – Unterricht und Unterweisung sowie Lern- und Bildungsprozesse in schulischen und außerschulischen Feldern, auch unter Berücksichtigung der Anforderungen, die sich im Umgang mit Heterogenität und Inklusion stellen (Lehren/Lernen/Entwickeln im beruflichen Bereich), – personale Lern- und Bildungsvoraussetzungen und individuelle Lernergebnisse (Diagnose) sowie die damit zusammenhängende Berufs- und Bildungsberatung (u. a. Coaching, Mentoring) […], – die Rolle als Lehrende/Ausbildende in den vielfältigen Tätigkeitsfeldern […] sowie eigene Entwicklungsschwerpunkte, eine forschend-distanzierte und zugleich zugewandt-engagierte Haltung zum Berufsfeld und eine Selbstregulation des eigenen beruflichen Handelns […], – methodisch reflektierte Untersuchungen im Bereich der beruflichen Bildung sowie aktuelle Forschungsergebnisse für die Gestaltung und Bewertung beruflicher Bildung […] sowie – ausgewählte und profilgebende […] Problemstellungen und aktuelle Herausforderungen (u. a. Heterogenität, Inklusion, Interkulturalität, Entrepreneurship, Übergangssystem, Geschichte der Berufsbildung)“ (Sektion BWP 2014, S. 7; fettgedruckte Hervorhebungen M. N./M. S.).
Der Umgang mit Heterogenität und Inklusion wird explizit unter dem Aspekt des Unterrichtens bzw. Unterweisens genannt. Die ausgewiesenen Tätigkeitsfelder, die auf die verschiedenen Ebenen der Bildungsgestaltung (Makro-, Meso-, Mikroebene) verweisen, können jedoch nicht losgelöst voreinander verwirklicht werden. Sie durchdringen und bedingen einander, sodass Inklusion nicht nur unter dem Aspekt der Gestaltung von Lehr-Lern-Settings betrachtet werden kann. Die Gestaltung inklusiver Lehr-Lern-Settings kann de facto nicht losgelöst von den übergeordneten Systemzusammenhängen geklärt werden (vgl. Abb. 1). Bylinski (2016) stellt die konkreten Lehr-Lern-Settings demzufolge als Subsystem betrieblicher und schulischer Organisationsformen, übergeordneter Ausbildungskonzepte, regionale Bildungsstrukturen sowie des Bildungssystems im Allgemeinen dar.
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Manuela Niethammer / Marcel Schweder
Abb. 1: Gestaltungsanforderungen in Abhängigkeit der Ebenen des Berufsbildungssystems (Bylinski 2016, S. 6).
Hierüber ergeben sich Anforderungen für die universitäre Lehrer/-innenbildung. So ist an den Standorten der Lehrer/-innenbildung zu klären, in welchen Lehrkontexten (Berufspädagogik, Psychologie, Politische Bildung, Didaktik Beruflicher Fachrichtungen) die jeweiligen Perspektiven aufgegriffen und untersetzt werden sollen. Gegenstand der Didaktik Beruflicher Fachrichtungen ist die Mikroebene der Bildungsgestaltung, also das komplexe Tätigkeitsfeld, das sich um die Gestaltung beruflicher Lehr-Lern-Settings, einschließlich der prozessbegleitenden Diagnostik (Prengel 2016) rankt. Die folgenden Erläuterungen orientieren daher auf diesen Ausschnitt der Bildungsgestaltung, ungeachtet der unauflösbaren Abhängigkeiten zwischen den in Abbildung 1 dargestellten Systemebenen. Es wird der Frage nachgegangen, ob es einer spezifischen inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen bedarf oder ob eine Erneuerung/Erweiterung der tradierten Ansätze notwendig ist. Wie bereits angeführt wird mit den Standards im Basiscurriculum der Sektion BWP (2014) sowie in den „Ländergemeinsame[n] inhaltliche[n] Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrer[/-innen]bildung“ (KMK 2017) das Tätigkeitsfeld des Unterrichtens bzw. Unterweisens bereits unter Berücksichtigung der Heterogenität bzw. Inklusion benannt. Offen bleibt in diesem Rahmen allerdings, welche konkreten handlungsleitenden Potenziale bestehende fachdidaktische Theorien und Modellierungen (und damit Ansätze einer Didaktik Beruflicher Fachrichtungen) für die Gestaltung inklusiver beruflicher Lehr- und Lernprozesse bieten und welche Veränderungen im Sinne der inklusiven Bildung nötig und möglich sind. Da es aufgrund der Domänenspezifik der verschiedenen Beruflichen Fachrichtungen keinen einheitlichen, verbindlichen Theorieansatz einer Didaktik Beruflicher Fachrichtungen gibt, werden die folgenden Ausführungen
Ansätze einer inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen
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exemplarisch für die Berufliche Fachrichtung Bautechnik abgeleitet. Grundlage ist die Lehrkonzeption der Professur für Bautechnik, Holztechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung/Berufliche Didaktik an der TU Dresden (vgl. zum Theorieansatz auch Glatzel & Bloy 1988; Storz & Wirsing 1987; Niethammer 2006). 2 ZUGÄNGE ZU EINER INKLUSIVEN DIDAKTIK BERUFLICHER FACHRICHTUNGEN Für die Entwicklung einer inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen können zwei methodische Ansätze gewählt und aufeinander bezogen werden: der empirische Zugang über die Praxiserfahrungen der Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen sowie die theoriegeleitete Auseinandersetzung mit den Potenzialen und Grenzen einer Didaktik Beruflicher Fachrichtungen (vgl. hierzu den Abschnitt „Handlungsund fachbezogenes Wissen“). Dieses Vorgehen wird am Standort Dresden im Rahmen eines Entwicklungsvorhabens innerhalb des Verbundprojektes Sylber (Synergetische Lehrer/-innenbildung im exzellenten Rahmen) umgesetzt. Ziel des Teilvorhabens „Stärkung von Studierenden im beruflichen Lehramt im Umgang mit Heterogenität und Vielfalt“ ist die Entwicklung und Erprobung von Ausbildungsmodulen für die erste Phase der Lehrer/-innenbildung, in denen die Studierenden mit fachdidaktischen Ansätzen konfrontiert werden, die ihnen die Planung und Umsetzung inklusionsbezogener Lehr-Lern-Settings ermöglichen. Beteiligt sind die Professur Didaktik der politischen Bildung sowie die Professur für Bautechnik, Holztechnik sowie Farbtechnik und Raumgestaltung/Berufliche Didaktik. 2.1 Praxiserfahrungen von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen als Basis didaktischer Theorieentwicklung Über teilstrukturierte, leitfadengestützte Interviews werden sowohl Bedarfe und Herausforderungen aus Sicht der Lehrkräfte als auch Lösungsansätze, die von ihnen bereits entwickelt und erprobt wurden, erhoben. Hierfür wurden zunächst über die Analyse der Arbeitsfelder der Lehrkräfte (vgl. Besand 2014; Langner 2015), relevante Erhebungskategorien abgeleitet (z. B. Sichtweise auf eigene Tätigkeit, Zielgruppen der eigenen Tätigkeit, Herausfordernde Momente). Für diese wurden im Weiteren konkrete Impulsfragen formuliert. So ist die Kategorie „Sichtweise auf eigene Tätigkeit“ mit den Fragen „Wie werden Schülerinnen und Schüler wahrgenommen und beschrieben?“ und „Wie genau schauen sich die Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler überhaupt an?“ untersetzt worden. Über die Konkretisierung konnte ein Instrumentarium mit entsprechend zugeordneten Impulsfragen (z. B. „Können Sie uns zum Einstieg ein bisschen was über ihre Schülerinnen und Schüler erzählen?“) generiert und anschließend eingesetzt werden. Mittels der transkribierten Interviews soll geklärt werden, welche Ausprägungen die einzelnen Kategorien aufweisen.
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Manuela Niethammer / Marcel Schweder
Aufgrund des gewählten Forschungsdesigns können nur Einzelfälle erfasst werden. Die Exemplarik der Einzelfälle wird im ersten Auswahlschritt über äußere Merkmale gewährleistet. Dem qualitativen Stichprobenplan werden die Merkmale, welche die zu Interviewenden in unterschiedlicher Ausprägung aufweisen sollten, zugrunde gelegt (Geschlecht, Alter, Bundesland, Lehrperson im Berufsfeld Bautechnik und/oder dem Fach Politische Bildung). Das aus arbeitsökonomischen Gründen notwendige selektive Sampling der Erhebung1 wird in einer zweiten Erhebungsrunde gezielt ergänzt, wenn wesentliche Fälle im zuerst angedachten Sample fehlen. Zudem können für Einzelfälle nochmalige themenzentrierte Interviews angeschlossen werden, um Ursachen bzw. Bedingungen für bestimmte Ausprägungen sowie Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Kategorien zu untersuchen (zweiter Auswahlschritt). Hierüber lassen sich dann auch Konsequenzen für die Lehrer/-innenbildung ableiten. Die Interviews werden gegenwärtig transkribiert und können erst im Anschluss qualitativ ausgewertet werden. Die Diskussion der Ergebnisse muss daher an dieser Stelle ausgespart werden. 2.2 Potenziale berufs-/fachdidaktischer sowie sonderpädagogischer Theorien Neben der empirischen Erhebung der Bedarfe und Herausforderungen, die Lehrkräfte formulieren, erfolgt eine theoriegeleitete Auseinandersetzung mit den Anforderungen inklusiven berufsbezogenen Lehren und Lernens. Ausgehend von der Hypothese, dass die didaktischen Handlungsfelder der Lehrenden auch unter dem Anspruch der Inklusion ihre grundsätzliche handlungsleitende Funktion beibehalten, werden theoretische Anknüpfungspunkte, die fachdidaktische Ansätze für die Umsetzung der Handlungsfelder bereits bieten, untersucht und ggf. nötige Adaptionen/Modifikationen für die inklusive Berufsbildung deduktiv abgeleitet. Bezugspunkte für den Professionalisierungsprozess bzw. die Kompetenzentwicklung der Lehramtsstudierenden – und damit auch für eine Didaktik Beruflicher Fachrichtungen – sind die zukünftigen Tätigkeitsfelder bzw. die berufstypischen Arbeitsaufgaben (vgl. Sektion BWP 2014). Mit der Didaktik Beruflicher Fachrichtungen werden die Aufgaben der Planung und Umsetzung beruflicher Lehr-LernSettings „in schulischen und außerschulischen Feldern, auch unter Berücksichtigung der Anforderungen, die sich im Umgang mit Heterogenität und Inklusion stellen“ (vgl. Sektion BWP 2014, S. 7)
adressiert. Das schließt die Diagnose personaler Lern- und Bildungsvoraussetzungen und individueller Lernergebnisse, die den Lehr-Lernprozess begleiten muss, ein (vgl. Sektion BWP 2014, S. 7). 1
Bislang wurden 49 Lehrer_inneninterviews (30 % weibliche/70 % männliche Teilnemer_innen mit einer Altersspanne von 30–63 Jahren), an 25 berufsbildenden Schulen, verteilt auf 12 Bundesländern durchgeführt. Die Beschäftigungzeiten der Befragten variieren von 2–34 Berufsjahren. Die durchschnittliche Länge der Interviews beträgt 55 Minuten.
Ansätze einer inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen
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Die Analyse der Potenziale, die die berufs- und fachdidaktische Theorie für die Gestaltung inklusiver Lehr-Lern-Settings bietet, basiert insofern auf dem zugrundeliegenden Verständnis von den Lehr-Lern-Prozessen. Dementsprechend wird dieses vorab skizziert. Die didaktische Grundbeziehung wird u. a. nach Klingberg (1996) so charakterisiert, dass eine unmittelbare Beziehung zwischen dem/der Lernenden und dem Aneignungsgegenstand/Inhalt gegeben sein muss. Diese Interaktion kann von außen lediglich initiiert, gefördert, unterstützt oder eben auch gehemmt werden. Die Gestaltung optimaler Bedingungen für diesen Lernprozess ist eine Funktion des Lehrenden. Lehren und Lernen bedingen insofern einander; es handelt sich um ein konditionales, nicht um ein kausales Verhältnis. Dieses Verständnis der didaktischen Grundbeziehung spiegelt sich im Ansatz der entwicklungslogischen Didaktik von Feuser (1989; 2011) wider, der sich aus Sicht der Behindertenpädagogik dem Lernen und Lehren zuwendet (vgl. Abb. 2). Feusers Ansatz ist für die (Fach)Didaktik interessant, da hierüber die Spezifik der sonderpädagogischen Perspektive herausgestellt und aufgegriffen werden kann. So wurden bspw. Konzepte inklusiven Fachunterrichts explizit auf dieser Basis entwickelt und publiziert (vgl. Riegert & Musenberg 2015). In Abbildung 2 werden zwei Dimensionen der Auseinandersetzung des Subjektes veranschaulicht. Es kann eine horizontale Dimension ausgemacht werden, die den unmittelbaren Lernprozess charakterisiert über den das Individuum „auf der Basis seiner Sensibilität gegenüber der Umwelt […] über die Brücke der Wahrnehmung‘ Informationen aus der Außenwelt aufnimmt, speichert und integriert und durch Rekombination des Erfahrenen selbst neue Information im System schafft und nach dieser Erfahrung handelt“ (Feuser 1989, S. 21).
Der Mensch generiert hierüber interne Repräsentationen vom jeweils betrachteten Ausschnitt der Welt und schafft sich damit neue innere Strukturen, Denk- und Handlungsmöglichkeiten (vgl. Hascher & Astleitner 2007, S. 26). Diese innere Repräsentation „ermöglicht die vorgreifende Widerspiegelung in Bezug auf die umgebende Welt, d. h. es [das Lernen, M. N., M. S.] ermöglicht die Antizipation des Kommenden und damit eine stabile Orientierung des Individuums auf und in seine Lebenswelt“ (Feuser 1989, S. 22).
Über die innere Repräsentation wird folglich die Sensibilität gegenüber der Umwelt und darüber die Wahrnehmung bzw. in der Folge die Erkenntnis maßgeblich beeinflusst. Durch die wechselseitigen Abhängigkeiten der verschiedenen Lernphasen ist der Lernprozess eher als schleifenförmiger denn als ein linearer Prozess zu verstehen, welcher kognitive, emotionale und motivationale Operationen impliziert (vgl. Hascher & Astleitner 2007, S. 26) (vgl. Abb. 3).
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Abb. 2: Dreidimensionale didaktische Struktur einer Allgemeinen Pädagogik (Feuser 2011, S. 94).
Abb. 3: Vereinfachtes Schema zum Lernprozess als horizontale Dimension menschlicher Auseinandersetzung (Eigene Darstellung auf Basis von Rubinstein 1958; Vollmer 2002; Feuser 1989; Renkl 2009; Schnotz & Bannert 2003).
Nach dem hier skizzierten Grundverständnis, erfolgt das Lernen aus einer sinnstiftenden Tätigkeit heraus und ermöglicht dem/der Lernenden entsprechende Rückbezüge. Darüber werden Entwicklungsprozesse angeregt, die sich in neuen Handlungskompetenzen manifestieren. Die Zonen der jeweils nächsten Entwicklung markieren die zweite, vertikale Dimension des Entwicklungsprozesses.
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Mit der Darstellung (vgl. Abb. 3) wird ausschließlich der individuelle Lernprozess modelliert, ungeachtet der Tatsache, dass Lernen in der Regel in einen sozialen Interaktionsprozess eingebunden ist. Diese Interaktion kann wesentliche Impulse für alle Phasen des Lernprozesses geben, wodurch diese unterstützt oder auch erst generiert werden. Über die Interaktion zwischen den Lernenden sowie zwischen Lernenden und Lehrenden wird die Wirklichkeit als Aneignungsgegenstand konkretisiert, weshalb der Interaktionsprozess mitzudenken ist. Das Lehren steht nach diesem Ansatz außerhalb der Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt. Es unterstützt die Auseinandersetzung des/der Lernenden mit dem Aneignungsgegenstand/Inhalt und sichert so optimale Bedingungen für die handelnde Aneignung – ganz im Sinne von Klingberg (1996). Die Planung und Umsetzung von Lehr-Lern-Settings fokussiert damit dezidiert auf die Gestaltung von Lernumgebungen, die Lernanlässe inszenieren und darüber zum Lernen anregen. Das schließt die Ermöglichung verschiedener Zugänge zur Auseinandersetzung mit den Aneignungsgegenständen explizit ein (z. B. verschiedene Repräsentationen der Wirklichkeit, lernstrukturelle Hilfen usw.). Ausgehend von der didaktischen Grundstruktur können die Objektseite und die Subjektseite, als die beiden wesentlichen, einander bedingenden Bezugspunkte für die Planung und Umsetzung von Lehr-Lern-Settings ausgemacht werden. Offen ist, welches Wissen hinsichtlich Subjekt- und Objektseite hierfür handlungsleitend ist. 3 HANDLUNGS- UND SACHWISSEN ALS VORAUSSETZUNGEN KOMPETENTEN DIDAKTISCHEN HANDELNS Das Wissen, das der kompetenten Planung und Umsetzung von Lehr-Lern-Settings bzw. -Prozessen zugrunde liegt, ist komplex und interdisziplinär verankert. Über den Kontext der Arbeitsaufgaben (Planen und Umsetzen von Lehr-Lern-Settings) lässt sich dieses, in unterschiedlichen Wissensdisziplinen verortete, Wissen aufeinander beziehen und strukturieren. Hierfür wird der Ansatz der Kompetenzforschung aufgegriffen, nach dem das aufgabenrelevante Wissen in handlungs- und fachbezogenes Wissen unterteilt wird. Etabliert haben sich in diesem Kontext die Begriffe Handlungs- und Sachwissen (vgl. Franke 2001). Handlungswissen steht dabei für Wissen über zieladäquate, einander z. T. bedingende Handlungen (Denk- und Handlungsschritte) hinsichtlich einer Arbeitsaufgabe (vgl. Franke 2001). Die Begründung oder situationsgebundene Generierung dieser Denk- und Handlungsschritte erfordert Sachwissen. Über dieses werden bedingungsabhängige Gestaltungsspielräume für die Umsetzung der Handlungen abgebildet. Über die didaktische Grundbeziehung können erste grundlegende Handlungsschritte und damit auch Handlungswissen definiert werden, welche/s dem Lehrenden im Rahmen der Planung und Umsetzung von Lehr-Lern-Settings abgefordert werden/wird: die Auseinandersetzung mit der Objektseite erfolgt über die Sachstrukturanalyse (bzw. Sachanalyse bei Klafki 1985 bzw. Sachlogische Strukturierung bei Storz & Wirsing 1987). Die Auseinandersetzung mit der Subjektseite wird
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durch die Tätigkeitsanalyse realisiert (bzw. vgl. hierzu die Schnittstellen zur Bedingungsanalyse gemäß der lehr-lerntheoretischen Didaktik nach Heimann, Otto & Schultz 1966). Die Handlungsstrukturanalyse (vgl. Abb. 2) – als dritten Handlungsschritt – grenzt Feuser (1989; 2011) auf die Analyse des Interiorisationsprozesses (Verinnerlichung) ein. Dadurch würde der Komplexität des Lernprozesses, der hier im Mittelpunkt steht, jedoch nicht vollumfänglich entsprochen werden. Die Handlungsstrukturanalyse muss vielmehr die Antizipation hypothetischer Lernprozesse in ihrer Komplexität umfassen. Über diese Handlungsschritte, die aufgrund ihrer Komplexität zunehmend in multiprofessionellen Teams realisiert werden sollten, wird eine grundlegende Orientierung gesichert. Auf deren Basis werden die nächsten Handlungsschritte theoriegeleitet möglich: das Entwerfen konkreter Lehr-Lern-Settings einschließlich des Entscheidens. Das didaktische Entwerfen wird über Ziel-Inhalts-Methoden-Relationen operationalisiert (vgl. die Entscheidungsfelder im Sinne der lehr-lerntheoretischen Didaktik nach Heimann, Otto & Schultz 1966). Das schließt Entscheidungen für die Auswahl und Inszenierung von Lernaufgaben sowie lernstruktureller und medialer Unterstützungsangebote ein. Die genannten Handlungsschritte, die der Planung und Umsetzung von LehrLern-Settings zugrunde liegen können, spiegeln die Komponenten einer komplexen vollständigen Handlung im Sinne der Handlungsregulation (vgl. Hacker 1986) wider (vgl. zusammenfassend Tab. 2). Nach dieser Modellierung werden einerseits die Planung, welche die Phasen der Zielanalyse, der Orientierung, des Entwerfens und Entscheidens umfasst, sowie andererseits die Umsetzung als zwei Aspekte einer komplexen Handlung aufgefasst. Die Umsetzung meint die konkrete Durchführung des Unterrichts, die dann auch die prozessbegleitende Diagnostik einschließt. Beide Teilaufgaben – Planung und Umsetzung – sind für sich äußerst komplex und können auf untergeordneten Ebenen auch als eigenständige, vollständige Teilhandlungen charakterisiert werden. In der nachfolgenden Diskussion wird der Blick vor allem auf die Planung von Lehr-Lern-Settings gerichtet. Den Handlungsschritten bzw. dem Handlungswissen kann das jeweils handlungsleitende und -begründende Wissen – also das Sachwissen – zugeordnet werden. Dieses Wissen steht im besonderen Fokus der Forschung zur Lehrerkompetenz, konkret zur Forschung um das Fachwissen sowie das fachdidaktische Wissen als Komponente des Professionswissens (vgl. Seifried & Wuttke 2016). Für das fachdidaktische Wissen werden bislang verschiedene Facetten klassifiziert, wie z. B. Wissen über Schülerkognitionen, über Lernpotenziale der Lerninhalte, fachbezogene Instruktionsstrategien usw. (vgl. Bromme 1992; Schmelzing 2010; von Aufschnaiter & Blömeke 2010; Gramzow, Riese & Reinhold 2013). Durch Zuordnung des Sachwissens entlang der Handlungsstruktur, werden diese Facetten in übergeordnete, arbeitsaufgabenbezogene Zusammenhänge eingebunden, so dass eine Wissensstruktur abgebildet werden kann. Tabelle 2 veranschaulicht die wissensbezogene Systematisierung, wobei aus Gründen der Übersichtlichkeit, nur einzelne Elemente des sachbezogenen Wissens dem handlungsbezogenen Wissen zugeordnet wurden.
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Tab. 2: Strukturierung berufsdidaktischen Wissens für die Planung und Umsetzung von LehrLern-Settings
Entwerfen der Lehr-Lern-Settings sowie Entscheiden
Orientieren/Situationsanalyse
Richten/ Zielanalyse
Handlungsbezogenes Wissen Relevante Denk- und Handlungsschritte
2 3
Sachstrukturanalyse: Welcher Ausschnitt der Wirklichkeit wird warum betrachtet?3 Welche Lernpotenziale bieten die Inhalte? Welche Zugänge ermöglichen bzw. unterstützen die Erschließung der Inhalte (= Methodenpotenzial der Inhalte)? Handlungsstrukturanalyse: Vorwegnahme hypothetischer Lernprozesse, einschließlich der Antizipation von Lernhürden. Tätigkeitsstrukturanalyse: Analyse des biografischen Prozesses der Persönlichkeitsentwicklung, einschließlich individueller Interessen u. Lernausgangslagen mit dem Ziel, mögliche Zonen der nächsten Entwicklung vorwegzunehmen. Im Kontext der Berufsbildung ist im Besonderen auf die individuelle berufliche Kompetenzentwicklung zu fokussieren. Entwurf adressatengerechter Lehr-LernSettings operationalisiert über Ziel-InhaltsMethoden-Relationen Inszenierung von Lernanlässen u. -unterstützungen, indem Impulse für die Initiierung und Unterstützung individueller Wahrnehmungs-, Erkenntnis-, Interiorisationsund Anwendungsprozesse (lernerbezogen) entworfen werden. Entwerfen und Entscheiden bedingen einander, da jede Entscheidung Implikationen für weitere Entwurfshandlungen enthält (z. B. methodisches Konzept und Repräsentation der Inhalte).
Fachbezogenes Wissen2 Handlungsbegründendes/-ableitendes Wissen Fachwissen in Korrespondenz zur studierten Beruflichen Fachrichtung u. den Ordnungsmitteln Metawissen zu den domänenspezifischen Fachwissensstrukturen und deren Anwendung als Instrumentarien der Analyse und Sachlogischen Strukturierung der Inhalte Lern- u. Entwicklungstheorien, Lernpsychologie, Theorien multimodalen Lernens
Biografieforschung Psychologie Sonderpädagogik Motivationsforschung
Didaktik; Ordnungsmittel, Erkenntnis-, Motivations-, Testtheorien Lehr- und Lernschritte (Handlungsregulation, Erkenntniswege und didaktische Funktionen) Sozial- bzw. Organisationsformen Medieneinsatz (u. a. Repräsentationsformen, Theorien zur Gestaltung von erkenntnisunterstützenden Mitteln)
Die genannten Wissenselemente sind exemplarisch sowie unterschiedlichen Bezugssystemen entnommen und folgen daher keiner einheitlichen Begriffssystematik. Dieser Frage ordnet sich in der Berufsbildung die didaktisch induzierte Arbeitsanalyse unter, d. h.: Welche Arbeits- und Bildungsanforderungen sind mit einem kompetenten beruflichen Handeln verbunden? Welche Inhalte (handlungs- und fachbezogenes Wissen) fundieren das sachgerechte Handeln im Arbeitskontext?
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Kontrollieren
Durchführen u. prozessbegl. Diagnose
Handlungsbezogenes Wissen Relevante Denk- und Handlungsschritte
Fachbezogenes Wissen Handlungsbegründendes/-ableitendes Wissen
Entspricht der realen Umsetzung der Entwicklungs- und Lernpsychologie Lehr-Lern-Settings und schließt das adap- Fehlkonzepte der Lernenden tive Vorgehen auf Basis der prozessbe- Kommunikationstheorien gleitenden Diagnose der Lernstände der Lernenden ein. Die Evaluation der eigenen Planung und Reflexionsstrategien, Theorien des ErkenUmsetzung der Lehr-Lern-Settings. nen und Bewertens eigener Handlungen, Erhebungsmethoden
Quelle: Eigene Darstellung.
Die kontinuierliche Erschließung der Bedarfe an Handlungs- und Sachwissen für das Planen und Umsetzen von Lehr-Lern-Settings, die den jeweils gegeben gesellschaftlichen und beruflichen Herausforderungen gerecht werden, ist Aufgabe der Didaktiken Beruflicher Fachrichtungen. Hier knüpft die oben genannte Fragestellung nach den Potenzialen der Didaktiken und ihren nötigen Veränderungen unter dem Anspruch inklusiver Berufsbildung an. Folglich sind Ansatzpunkte, die das bereits gegebene und didaktisch thematisierte Handlungs- und Sachwissen bietet, sowie die Wissenslücken, herauszustellen. Dieser, eine inklusive Didaktik Beruflicher Fachrichtungen konstituierende, Reflexionsprozess wird im Folgenden entlang der Komponenten der vollständigen Handlung (vgl. Hacker 1986 sowie Tab. 2) geführt. 3.1 Richten/Zielanalyse Die Zielanalyse bezieht sich auf das Ziel der Lehrenden, ein Lehr-Lern-Setting zu gestalten. In Abhängigkeit der Haltungen und Überzeugungen sowie der subjektiven Theorien (vgl. Mietzel 2007) zur didaktischen Grundbeziehung und zu den Lehr-Lern-Prozessen werden bewusst oder unbewusst Kriterien für die Gestaltung der Lehr-Lern-Settings gesetzt. Die fachdidaktische Ausbildung zielt darauf ab, durch entsprechende LehrLern-Settings die Auseinandersetzung der Studierenden mit den ethischen Grundlagen und den theoretisch-fundierten Modellen und Konzepten zum fachbezogenen Lehren und Lernen zu initiieren und zu unterstützen, um hierüber die Kompetenzentwicklung zu ermöglichen und Haltungen sowie Überzeugungen mit zu prägen.4 4
Die Forschung zur Kompetenzentwicklung von Lehrenden stellt seit ca. 2 Dekaden ein komplexes und weiter expandierendes Handlungsfeld dar (z. B. Bromme 1992; Meyer 2002; Baumert & Kunter 2006; Krauss et al. 2008; Riese 2009; Schmelzing 2010; von Aufschnaiter & Blömeke 2010; Gramzow, Riese & Reinhold 2011 und 2013, Stender, Brückmann & Neumann
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3.2 Orientierung/Situationsanalyse Wie bereits erörtert, bedarf es im Vorfeld des unmittelbaren Entwerfens von LehrLern-Settings umfassender Analysen zu den Eckpunkten der didaktischen Grundbeziehung. Hierüber wird das Fundament für das Erkennen und Bewerten der didaktischen Gestaltungsspielräume gelegt. 3.2.1 Sachstrukturanalyse bzw. sachlogische Strukturierung der Inhalte, einschließlich der Analyse der Inhalte der Arbeit Feuser formuliert: „Eine entwicklungslogische Didaktik hätte […] die Frage zu beantworten, welche sachstrukturellen Momente sich ein Kind in der handelnden Auseinandersetzung mit diesen sinnbildend aneignen und im Sinne der Ausdifferenzierung interner Repräsentationen ein qualitativ neues und höheres Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsniveau anbahnen und absichern kann. Damit ,dienen‘ die Sachverhalte, Inhalte und Gegenstände der Auseinandersetzung […] der Persönlichkeit“ (Feuser 2011, S. 93).
Er verweist damit auf den grundlegenden Zusammenhang, dass über die Inhalte bzw. Aneignungsgegenstände auch die Lernpotenziale determiniert werden, die eine Auseinandersetzung mit denselben in sich birgt. Durch die Sachstrukturanalyse werden diese Potenziale durch die Lehrenden offen gelegt. Die Aufarbeitung der Inhalte als Aneignungsgegenstand der Lernenden setzt voraus, dass die sachstrukturelle Seite zunächst in ihrer innewohnenden Logik – unabhängig vom Subjekt – analysiert wird. Hierfür ist ein vertieftes Verständnis der Fachinhalte notwendig (vgl. sachlogische Strukturierung der Inhalte bei Storz & Wirsing (1987), bzgl. des specialized content knowledge siehe Ball (2000)), welches durch das Wissen über die zentralen domänenspezifischen Konzepte (Begriffe) und deren Relationen charakterisiert ist. Erst dieses vertiefte Verständnis befähigt dazu, die Potentiale eines Inhaltes hinsichtlich der Ermöglichung individualisierter Lernwege und lernförderlicher Bedingungen zu erkennen (vgl. Hill, Ball & Shilling 2008). Im Kontext der beruflichen Bildung sind die Inhalte der Arbeit zudem auch danach zu bewerten, inwiefern sie die Anforderungen der jeweils angestrebten beruflichen Kompetenzprofile abbilden. Es ist stets zu klären, welche Inhalte für die sachgerechte und nachhaltige Realisierung der domänenspezifischen Arbeitsaufgabe(n) bzw. Arbeitssituation(en) relevant sind. Diese Frage ist noch einmal zu differenzieren in die Teilfragen: –
Welche Inhalte sind elementar und ermöglichen regelgeleitetes Handeln? (Mindestanforderung) 2014). Die Forschungsergebnisse müssen für die inhaltliche und methodische Entwicklung der didaktischen Lehre reflektiert werden. Diese Diskussion muss an dieser Stelle leider ausgespart werden.
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Welche Inhalte ermöglichen bedingungsabhängiges, variables Handeln? (erweiterte Anforderung)? (vgl. Niethammer & Geisler 2017)
Für diese Aufarbeitung der Inhalte als Aneignungsgegenstand der Lernenden sind von den Fachdidaktiken bzw. Didaktiken der Beruflichen Fachrichtungen Instrumentarien zur Verfügung zu stellen, wie z. B. allgemeine Schemata, die die zentralen domänenspezifischen Inhalte (berufsbezogenes Handlungs- und Sachwissen) und deren Relationen zueinander herausstellen. Solche Operationalisierungen der domänenspezifischen Inhaltsstrukturen oberhalb der Beispielebene sollen das vertiefte Inhaltsverständnis fördern und systematische Zugänge zu den konkreten Bildungsinhalten unterstützen. Studien im universitären Setting bestätigen positive Effekte für die Planung kognitiv aktivierenden Unterrichts, wenn Studierende mit diesen Fachwissensstrukturen vertraut gemacht werden (vgl. Frank 2016). Bezugspunkte für diese allgemeinen Schemata domänenspezifischer Inhalte in der Berufsausbildung sind wiederum die beruflichen Arbeitsaufgaben bzw. Arbeitssituationen5, welche für das jeweils anvisierte domänenspezifische Kompetenzprofil bis hin zur Facharbeiterqualifikation oder darüber hinaus (berufliche Fortbildung) als exemplarisch gelten. Da die konkrete Auslegung der Arbeitsaufgaben und die damit verbundenen Handlungs- und Gestaltungsspielräume durch übergeordnete Systemebenen bedingt werden, sind diese Systemebenen im Rahmen der Inhaltsanalyse ebenso zu beachten. So können z. B. die Leitbilder eines Unternehmens, sein Engagement für eine familiengerechte Arbeitsgestaltung, eine inklusive Gesellschaft oder die nachhaltige Entwicklung unmittelbar auf die Inhalte der Arbeit wirken. Sie können sich sowohl in veränderten Aufgabenprofilen wie auch in anderen Inhalten der Arbeitsaufgaben widerspiegeln. Ebenso korrelieren die Inhalte der Arbeit mit den unternehmensspezifischen Konzepten der Arbeitsorganisation (z. B. strenge vs. flache Hierarchien). Hierüber werden vor allem Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Facharbeiter/-innen konstituiert. Des Weiteren sind die konkreten Initiierungskontexte der Aufgaben, wie Arbeitsauftrag, Arbeitssituation, Rechercheauftrag, mitzudenken, da auch diese, relevantes arbeitsaufgabenbezogenes Wissen determinieren (vgl. Niethammer 2006, S. 86). In der Abbildung 4 werden die Ebenen und ihr systemischer Zusammenhang veranschaulicht. In Abhängigkeit der Unternehmen oder Institutionen können Arbeitsaufgabe und Arbeitsauftrag identisch sein, z. B. wenn ein kompletter Kundenauftrag einem/r Facharbeiter/-in übertragen wird. Je nach Berufsfeld kann dies z. B. das Bauen eines Carports, das Herstellen von Lebensmittelprodukten wie Brötchen oder die Pflege eines Patienten sein. Diese genannten Fälle sind eher für kleine Unternehmen oder Institutionen bzw. im Kontext flacher Hierarchien charakteristisch. Aus didaktischer Sicht bieten diese Fälle aufgrund der größeren Handlungs- und Gestaltungsspielräume und den damit verbundenen Lernpotenzialen bzw. Ansprüchen an
5
Hier liegt das gleiche Prinzip zugrunde wie es bereits bei der Analyse des für Lehrende relevanten Wissens für die Planung und Umsetzung inklusiver Lehr-Lern-Settings erläutert wurde.
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das Know-how der Facharbeiter/-innen besonders nachhaltige Bezugspunkte für das berufliche Lehren und Lernen.
Abb. 4: Konstituenten der Inhalte im Arbeitsaufgabenkontext (Eigene Darstellung).
In Abhängigkeit des jeweils erforderlichen Wissens können die Aufträge/Arbeitsaufgaben „graduiert“ werden in: – „Routineaufgaben […] die regelgeleitet zu bewältigen sind, sodass in diesem Fall das Handlungswissen eine ausreichende Basis für die sachgerechte Bewältigung der Aufgabe bietet. – Problemhaltige Aufgaben […] bei denen unvollständig definierte Ausgangslage[n] oder äußere Einflüsse dazu führen, dass eine routinemäßige Ausführung nicht möglich ist, z. B. durch Sonderwünsche der Kunden oder besondere tektonische, klimatische oder technologische Rahmenbedingungen auf der Baustelle. In diesem Fall muss der bedingungsabhängige sachgerechte Handlungsablauf erst generiert werden. Grundlage hierfür ist sowohl Handlungs- als auch Sachwissen. – Optimierungs- bzw. Entwicklungsaufgaben, die gemeinhin im Team zu bewältigen sind. Bei diesen Aufgaben sind gewohnte Handlungsabläufe grundsätzlich in Frage zu stellen und neu zu gestalten. Diese Aufgaben erfordern sowohl Handlungs- als auch Sachwissen (vgl. z. B. Eberhardt & Schlegel 2011)“ (Niethammer & Langner 2017, S. 69).
Berufstypische Aufträge/Arbeitsaufgaben in der Bautechnik6, sind z. B. der Neubau oder das Bauen im Bestand (Herstellen einer Konstruktion), die Bausanierung (Analyse von Bauschäden und Optimierung von Konstruktionen) oder Abriss/Recycling (Rückbau einer Konstruktion). Durch den Grundtyp der Arbeitsaufgaben 6
Wie bereits weiter oben ausgeführt, bezieht sich der folgende Diskurs exemplarisch auf das Berufsfeld der Bautechnik.
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wird zunächst das Handlungswissen7 determiniert. So macht es einen erheblichen Unterschied, ob im Rahmen einer Bausanierung Folgen und Ursachen eines vorliegenden Bauschadens oder im Rahmen der planmäßigen Herstellung einer Konstruktion die Bedingungen vor Ort analysiert werden müssen. Die einzelnen Handlungsschritte können im Kontext der bautechnischen Berufsarbeit als Prozesseinheiten aufgefasst werden, welche durch eine definierte Änderung am Arbeitsgegenstand gekennzeichnet sind. Diese Prozesseinheiten bilden die kleinste Bezugsgröße für die Zuordnung des Sachwissens, über das das Handlungswissen generiert oder begründet werden kann. Sachwissen im bautechnischen Kontext umfasst Fakten, Sachverhalte und Zusammenhänge zu mindestens folgenden Aspekten von Prozesseinheiten8: „Charakterisierung der Arbeitsgegenstände (z. B. Funktion und Konstruktion der zu bauenden Elemente, Baustoffe in ihren Struktur-Eigenschafts-Zusammenhängen), Charakterisierung der natürlichen und technologischen Prozesse, die zu erwünschten (z. B. Lastabtrag oder Aushärten von Beton) oder unerwünschten (Carbonatisierung von Beton oder Korrosion) Änderungen am Arbeitsgegenstand führen, einschließlich der förderlichen und hemmenden Prozessbedingungen (z. B. Temperatur, Druck, Feuchte) sowie Charakterisierung der Arbeitsmittel (handgeführte Geräte oder Baumaschinen) hinsichtlich der Funktionsweise und Handhabung, inklusive der nötigen Hilfsmedien, Energie etc. sowie des Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutzes“ (Niethammer & Geisler 2017, S. 485).
Ein allgemeiner Strukturierungsansatz bildungsrelevanter Inhalte im Kontext einer bautechnischen Instandsetzung wird in Abbildung 5 skizziert (vgl. Niethammer 2006; ähnliche Strukturierungsansätze bei Becker 2010; Knutzen, Howe & Hägele 2010). Alle in der Abbildung 5 allgemein genannten inhaltlichen Aspekte und Relationen sind im Rahmen der Analyse und sachlogischen Strukturierung der aufgabenspezifischen Inhalte zu konkretisieren. Diese Analyse erfordert neben einem vertieften Fachwissen, welches im Lehramtsstudium über fachwissenschaftliche Studieninhalte erworben wird, auch die Auseinandersetzung mit der realen und sich stetig wandelnden Arbeitswelt. Diese didaktisch induzierte Analyse ist Gegenstand der Didaktik Beruflicher Fachrichtungen (vgl. KMK 2017). Unter dem Inklusionsaspekt muss über die Analyse der Arbeit auch geprüft werden, welche Arbeitsbereiche welche Formen der beruflichen Teilhabe, ggf. auch unterhalb der Facharbeiterqualifikation, ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Ausführungen ist zu betonen, dass die Sachstruktur eben nicht ungeachtet der Lernenden erfolgt, wie das Feuser (1989, S. 9) kritisch mit Blick auf die Fachdidaktiken anmerkt. Die jeweiligen Inhalte sind vielmehr als Aneignungsgegenstände für die Lernenden zu reflektieren. Bezugspunkte sind diejenigen Inhalte, die im Arbeits- (oder Lebens)kontext der Lernenden bedeutsam werden können, nicht die Inhalte gemäß dem Stand der Wissenschaft. Über diese 7 8
Das aufgabenrelevante Wissen kann – wie weiter oben bereits ausgeführt – in handlungs- und fachbezogenes Wissen unterteilt werden. Unabhängig davon kann das im Rahmen der konkreten Arbeitsaufgabe relevante Sachwissen Gegenstand verschiedener Fachwissenschaften (Bauchemie, Konstruktionslehre, Baubetrieb etc.) sein und entsprechend unterschiedlich fachsystematisch strukturiert vorliegen.
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Fokussierung auf den/die Lernende/n sind Schnittstellen zur Tätigkeitsstrukturanalyse und zur Handlungsstrukturanalyse gegeben.
Abb. 5: Allgemeines Schema zur sachlogischen Strukturierung bildungsrelevanter Inhalte im Kontext einer beruflichen Arbeitsaufgabe zur Instandsetzung am Gebäude (Niethammer & Langner 2017, S. 70).
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3.2.2 Tätigkeitsstrukturanalyse, einschließlich der Analyse der Lernausgangslagen Durch die Tätigkeitsstrukturanalyse nach Feuser (1989; 2011) wird der biografische Prozess der Persönlichkeitsentwicklung adressiert, wobei dies im Sinne der Inklusion eine differenzierte Charakterisierung für jede/n einzelne/n Lernende/n erfordert. Durch die Analyse der individuellen Interessen und Lernausgangslagen im Sinne der jeweiligen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenz werden mögliche Zonen der nächsten Entwicklung antizipierbar. Hier ist eine Schnittstelle zur Sachstrukturanalyse gegeben, da diese die, dem Wirklichkeitsausschnitt innewohnenden, Möglichkeiten der Kompetenzentwicklung aufdeckt. Da die Kompetenzentwicklung in Abhängigkeit der betrachteten Wirklichkeitsausschnitte, die Gegenstand der Auseinandersetzung sind, variiert, ist neben der lernerspezifischen auch eine lernprozessbezogene und -begleitende Tätigkeitsstrukturanalyse ergänzend zur summativen Erfassung von Lernständen notwendig. Die lerner- wie auch die lernprozessspezifische Bedingungsanalyse stellen Erweiterungen des Aufgabenportfolios der Lehrkräfte dar. Für die Umsetzung der Tätigkeitsstrukturanalyse in diesem Sinne sind bestehende Diagnoseinstrumentarien für die lehr-lernprozessbegleitende Diagnose durch die Lehrenden anwendbar zu machen, was Kooperationen zwischen der Didaktik Beruflicher Fachrichtungen und der Sonder- bzw. Inklusionspädagogik erfordert. 3.2.3 Handlungsstrukturanalyse Über die Handlungsstrukturanalyse werden hypothetische Lernprozesse in ihrer Komplexität antizipiert. Das heißt, es sind die prinzipiellen Herausforderungen, die das Erschließen der jeweiligen domänenspezifisch relevanten Lerninhalte und Inhaltsrelationen mit sich bringen kann, vorwegzunehmen. Diese Herausforderungen können anhand der mit dem Lernprozess verbundenen potenziellen Wahrnehmungs-, Erkenntnis-, Interiorisations- und Anwendungsprozesse differenziert werden. Diese Analyse basiert gleichermaßen auf den Ergebnissen der sachlogischen Strukturierung der Inhalte sowie der Diagnose der Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsfähigkeiten der Lernenden. Hierüber sind Anforderungen hinsichtlich der didaktischen Gestaltung (inklusiver) Lehr-Lern-Settings ableitbar, welche in konkrete Entscheidungen für (Fein)Ziele, Inhalte und Methoden überführt werden müssen. 3.3 Entwerfen und Entscheiden für konkrete Ziel-Inhalts-Methoden-Relationen Die didaktische Planung und Umsetzung von Lehr-Lern-Settings wird über die lerneradäquate Gestaltung
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„von Ziel-Inhalts-Methoden-Relationen operationalisiert, womit auch für den inklusionsbezogenen Unterricht eben diese Entscheidungsfelder zu bedienen sind. Die veränderten Herausforderungen für inklusionsbezogene Lehr-Lern-Settings resultieren aus der Forderung, jede/n einzelne/n Lernende/n in ihren/seinen individuellen Lernausgangslagen und Lernprozessen wahrzunehmen, individuell zu fördern und zu unterstützen, um eine optimale Teilhabe an beruflicher Bildung und darüber am gesellschaftlichen Leben zu sichern“ (Niethammer & Geisler 2017, S. 480 f.).
Damit sind einerseits Lehr-Lern-Settings zu entwerfen, in denen ein gemeinsamer, domänenspezifischer Wirklichkeitsausschnitt aufgegriffen wird (z. B. eine berufliche Arbeitsaufgabe oder daraus abgeleitete Inhalte). Andererseits sind für den exemplarischen Wirklichkeitsausschnitt (vgl. hierzu und mit Bezug auf das Paradigma der Handlungsorientierung Niethammer & Schweder 2016a) verschiedene Zugänge aufzubereiten und bereitzustellen. Die Differenzierung der Zugänge erfolgt zum einen über die verschiedenen Dimensionen des methodischen Handelns von Lehrenden und Lernenden (vgl. Meyer 1987; Niethammer 2006), wie bspw. Sequenzierung möglicher Lehr-Lern-Schritte (didaktische Funktionen, Phasen der Erkenntnisgewinnung, Phasen der Problemlösung), Konzipierung verschiedener Handlungsmuster (z. B. Experimentieren, Recherchieren) oder Sozial- und Organisationsformen (vgl. Niethammer & Langner 2017, S. 73). Zum anderen werden Zugänge über die Inhaltsrepräsentation variiert, d. h. über die inhalts- und lernerbezogene Auswahl/Entwicklung/Erstellung der erkenntnisunterstützenden Mittel (vgl. hierzu Niethammer & Schweder 2016b). Aufgrund der individualisierten Zugänge divergieren die von den Lernenden erschlossene Inhalte in ihrer Komplexität und Vernetzung sowie in ihrem Abstraktionsgrad, was wiederum verschiedene Lernergebnisse impliziert. Diese wechselseitige Bedingtheit von Zielen (i. S. der Vorwegnahme von Lernergebnissen), Inhalten und Methoden der Auseinandersetzung ist im Rahmen des Entwerfens und Entscheidens zu berücksichtigen, weshalb konsequenterweise von Ziel-Inhalts-Methoden-Relation gesprochen werden muss (vgl. Abb. 6). Die beschriebenen komplexen Interdependenzen erfordern von Seiten der Lehrenden ein iteratives Vorgehen bei der Planung von Unterricht.9 Die Initiierung der oben angesprochenen, adressatenbezogenen Zugänge erfolgt zum einen über die konkrete Inszenierung von Lernanlässen mittels Lernaufgaben bzw. Problemstellungen. Zum anderen bedarf es zusätzlicher Impulse und ggf. lernstruktureller und medialer Hilfestellungen, um die kontextbezogenen Wahrnehmungs-, Erkenntnis-, Interiorisations- und Anwendungsprozesse anzuregen und zu unterstützen. Optionen und Wirkungen solcher Inszenierungen und Hilfen werden durch verschiedene Wissenschaftsdisziplinen unter differenten Fragestellungen untersucht. Die jeweiligen Ergebnisse markieren wiederum handlungsleitendes Wissen (Sachwissen), das dem methodischen Entwerfen der Lehr-Lern-Settings zugrunde gelegt werden sollte (vgl. Tab. 3). Hieraus ergibt sich von Seiten der Didaktiken der Beruflichen Fachrichtungen der zwingende Bedarf die Forschungsergebnisse der jeweiligen Wissenschaften, wie z. B. 9
Hier zeigt sich ein wesentlicher Anspruch an die universitäre Lehrer/-innenbildung. Sie muss (hochschul)didaktische Konzepte bereitstellen, die es den Studierenden ermöglichen sich schrittweise an diese Komplexität anzunähern.
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Wahrnehmungs- und Lernpsychologie, Erkenntnistheorie, Sonderpädagogik, Sprachwissenschaften, aufzugreifen und im didaktischen Kontext anzuwenden.
Abb. 6: Ziel-Inhalts-Methoden-Relation einschließlich des zu betrachtenden Bedingungsfeldes (Eigene Darstellung). Tab. 3: Methodische Entwurfs- und Entscheidungsspielräume in Reflexion der Wahrnehmungs-, Erkenntnis-, Interiorisations- und Anwendungsprozesse Wahrnehmung
– – – –
Erkenntnis
– – – –
Interiorisation
Anwenden
–
Lerneradäquate Gestaltung der Inhaltsrepräsentation (Sprache, Bild, Modell, Experiment) Unterstützung der Wahrnehmung/Aufmerksamkeit Kompensation fehlender Sinneswahrnehmungen, Wahrnehmungsschulung Kognitive Aktivierung durch Einbindung in Kontexte (Aufgaben-, Situationsbezug; Narration) Effektverstärkung/störende Effekte vermeiden Regeln empirischen Vorgehens und logischen Schließens (z. B. experimentelle Methode, Arbeit mit Modellen, Simulationen), (Kognitiv und emotional) aktivierende Aufgaben einschließlich deren sprachlichen Gestaltung (s. oben) Einsatz erkenntnisunterstützender Mittel Techniken des intuitiven Vorgehen (Kreativtechniken, assoziatives Lernen)
–
Lerntechniken (Wiederholung mittels Zetteltechnik, Memory, Bankrücken usw., Durchdenken durch Übertragung der Inhalte in andere Repräsentationsformen) Lernzeiten
– –
Aufgabenfolgen mit gestuften Schwierigkeitsgraden, Aufgaben mit Problemlösungen
Quelle: Eigene Darstellung.
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Die skizzierten Gestaltungsspielräume fundieren die Ableitung der Kompetenzanforderungen, mit denen die Lehrkräfte im Kontext der Planung und Umsetzung von Lehr-Lern-Settings konfrontiert sind. Eine (inklusive) Didaktik Beruflicher Fachrichtungen muss folglich die Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Ziele, Inhalte und Methoden und deren bedingungsabhängige Wirkungen für das Lernen untersuchen (vgl. Niethammer & Langner 2017, S. 72 f.). Hierfür sind sonder- bzw. inklusionspädagogische und lernpsychologische Ansätze zu berücksichtigen. Es wird zudem angenommen, dass durch die theoriebewusste Auseinandersetzung mit optionalen Ziel-Inhalts-Methoden-Relationen und deren Verankerung in Lehr-Lern-Settings, Grundlagen für ein flexibles zielgruppen- und bedingungsabhängiges Agieren der Lehrkräfte geschaffen werden und dadurch die Adaptivität der Lehr-Lern-Prozesse gefördert wird. Der Nachweis dieser Wirkungen steht jedoch aus, womit ein Forschungsdesiderat im Kontext der inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen benannt ist. 3.4 Durchführen im Sinne der Umsetzung der Lehr-Lern-Settings Die Durchführung des Unterrichts stellt einen eigenen Handlungskomplex dar, der neben der fachdidaktischen durch weitere Handlungslogiken konstituiert wird. So machen z. B. situative Einflüsse ein Reagieren erforderlich, die z. T. über das fachdidaktische Know-how und alle in der Planung antizipierten Gestaltungsoptionen hinausgehen (vgl. z. B. Helsper 2004). Wie bereits oben genannt kann dieser Handlungsschritt an dieser Stelle aufgrund der Komplexität und der interdisziplinären Verknüpfungen nicht ausgeführt werden. In Abbildung 7 wird der Lernprozess als Kernelement von Unterricht dargestellt, welcher (auch) durch die didaktischen Entscheidungen des Lehrenden konstituiert wird. Exemplarisch werden Relationen zum Lehren lediglich am Beispiel der didaktischen Funktionen dargestellt. Zudem wird veranschaulicht, dass das lernprozessbegleitende Diagnostizieren in unmittelbarer Beziehung zum Lernprozess stattfindet. Das lernprozessbegleitende Diagnostizieren korrespondiert wie auch der Lehrprozess mit den Ergebnissen der Planungsphase. Durch die Analyse und sachlogische Strukturierung der Inhalte werden die Lernpotenziale herausgestellt, deren Erschließung durch das konkrete Lernszenarium unterstützt werden soll. Über die prozessbegleitende Diagnostik sollen dann die realen Lernstände hinsichtlich der jeweiligen Inhalte erfasst werden, wobei dies eine Interpretation des beobachtbaren Verhaltens (Handlungen, Fragen, Anmerkungen, Gestik, Mimik) voraussetzt. Über die Diskrepanzen zwischen Lernpotenzialen und aktuellem Lernstand können ggf. weitere Lernbarrieren spezifiziert bzw. geeignete Lernhilfen generiert werden. Die prozessbegleitende Diagnostik ist insofern relevanter Gegenstand der Didaktik Beruflicher Fachrichtungen, wobei die Entwicklung praxistauglicher Ansätze der Diagnostik und deren Integration in die Lehre noch aussteht. Sie stellt vielmehr ein wichtiges Forschungs- oder Entwicklungsdesiderat dar.
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Abb. 7: Korrelationen zwischen Lehren, Lernprozess und dem lernprozessbegleitenden Diagnostizieren (Niethammer & Langner 2017, S. 73).
Darüber hinaus und zugleich zusammenfassend ist festzuhalten, dass Abhängigkeiten und Divergenzen zwischen der zuvor erläuterten didaktischen Planung von Unterricht und seiner Umsetzung einen weiteren Forschungsbereich für die Lehrerkompetenzforschung markiert. Im Besonderen wird durch die Öffnung der Gestaltungsvielfalt für inklusive Lehr-Lern-Settings die Analyse der „Reichweite“ bzw. der Wirksamkeit fachdidaktischer Planung sowie ihre Bedeutung für differenzierte Lehr-Lern-Settings, die nicht der Beliebigkeit anheimfallen, dringlicher. Eben dies verweist dann auf ein didaktisch reflektiertes Verhältnis von summativer und formativer Evaluation des Unterrichts. 3.5 Kontrolle im Sinne der Evaluation der Planung und Umsetzung der entwickelten Lehr-Lern-Settings Die Evaluation der eigenen Planung und Umsetzung der Lehr-Lern-Settings basiert ebenso auf einem Soll-Ist-Vergleich von anvisierten Entwicklungspotenzialen und den erreichten Zonen der Entwicklung. Die Bewertungskriterien für die Entwicklungspotenziale, die ein Wirklichkeitsausschnitt bietet, resultieren aus den eigenen Ansprüchen hinsichtlich der Gestaltung von Lehr-Lern-Settings (vgl. die vorangegangenen Handlungsschritte). Der jeweilige Ist-Stand wird über die Ergebnisse der
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prozessbegleitenden Diagnostik (i. S. der formativen Evalution) sowie den summativ erhoben Lernergebnissen abgeleitet. Hervorzuheben ist, dass die Ergebnisse der (formativen und summativen) Evaluation nur dann sinnvoll zu interpretieren sind, wenn dies auf der Basis des weiter oben erläuterten Verständnisses zum Lernprozess geschieht. Eminent wird damit das Erkennen und Bewerten sowie der Umgang mit den Differenzen zwischen der Planung und der Umsetzung. Immerhin stellt eine Unterrichtsplanung kein dogmatisches Skript dar, sondern „eine geistige Übung, die das Risiko für den realen Unterricht dämpft, da sie kognitive Möglichkeiten – und damit verschiedene Handlungsmöglichkeiten – erschlossen hat und […] [so, M.N./M.S.] wahrscheinlicher zu einer stabilen Unterrichtssituation und zu einem attraktiven Lehrangebot (das evtl. durch Schüler rezipiert wird)“ (Scheunpflug 2001, S. 123)
beiträgt. Mit Blick auf vorstehende Ausführungen zur Planung und Umsetzung von Lehr-Lern-Settings als Arbeitsaufgabe der Lehrkräfte ist demzufolge hervorzuheben: „Was der Lehrer [… können muss, M.N./M.S.] ist, […] von bestimmten Schemata ausgehen, seinen Situationseindruck danach formen und dann sehen, ob er sein Skript durchziehen oder es der Situation anpassen und modifizieren sollte. Dafür gibt es dann keine weiteren Richtlinien – es sei denn die Reichhaltigkeit der verfügbaren Schemata, die sich wechselseitig ablösen, ergänzen, modifizieren können“ (Luhmann 2002, S. 45 f.).
4 KONSEQUENZEN FÜR EINE DIDAKTIK BERUFLICHER FACHRICHTUNGEN/LEHRER/-INNENBILDUNG Eine kompetenzorientierte Ausrichtung der Lehre setzt voraus, dass die Bezüge zu den Tätigkeitsbereichen bzw. Aufgaben der Lehrenden direkt thematisiert bzw. zumindest rückwirkend für die Studierenden herstellbar sind. Dementsprechend ist es zielführend die didaktischen Inhalte gemäß den Denk- und Handlungsschritten, die der Planung und Umsetzung inklusiver Lehr-Lern-Settings zugrunde liegen, zu systematisieren und am handlungsbezogenen/-leitenden fachbezogenen Wissen auszurichten. Mit den vorangegangenen Erörterungen wurden demnach wesentliche Inhalte der fachdidaktischen Lehrerausbildung skizziert und um Aspekte, die aus dem Anspruch der inklusiven Berufsausbildung resultieren, erweitert. Offene Fragen, die durch die didaktische Forschung in Kooperation mit anderen Professionen zu bearbeiten sind, wurden herausgearbeitet. Ungeachtet der gegebenen inhaltlichen Lücken und der resultierenden Unschärfe der Inhalte, ist zu klären, welche hochschuldidaktischen Konzepte tauglich sind, um den Anforderungen der kompetenzorientierten Ausbildung entsprechen zu können. Dieses Thema gewinnt durch die Debatte um die inklusive Schule/Berufsausbildung/Hochschule an Aufmerksamkeit, ist aber auch unabhängig davon ein dringliches Handlungsfeld in der Lehrer/-innenbildung (vgl. Qualitätsoffensive Lehrer/-innenbildung).
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Probleme in der nachhaltigen Umsetzung der fachdidaktischen Lehre ergeben sich nicht zuletzt aufgrund der Komplexität, die die fokussierten Tätigkeitsbereiche/Arbeitsaufgaben prägen. Dies führt zur Frage, wie Studierende zum theoriebewussten Erschließen der skizzierten fachdidaktisch relevanten Inhalte in ihren komplexen Verknüpfungen angeregt und wie sie unterstützt werden können. Das impliziert die Auseinandersetzung mit der didaktischen Grundbeziehung und einem Verständnis des Lehr-Lern-Prozesses, wonach alle Aktivitäten des Lehrenden an vorweggenommenen hypothetischen Lernprozessen bzw. am realen Handeln der Lernenden und dessen Interpretation auf die zugrundeliegenden Lernprozesse hin zu spiegeln sind. Studien belegen, dass Studierende didaktische Auseinandersetzungen häufig führen, ohne die bereits verfügbaren subjektiven Theorien über das Lernen und Lehren, welche über die eigene Bildungsbiografie erfahrungsgeleitet entwickelt wurden, (reflexiv) zu adaptieren (Mietzel 2007). Obwohl diese subjektiven Theorien lediglich auf die Oberflächenmerkmale der Lehr-Lern-Prozesse fokussieren, sind sie stärker handlungsleitend als theoretische Konzepte, deren Praxiswirksamkeit von den Studierenden noch nicht erfahren wurde. Lehren wird somit anhand äußerlich sichtbarer Merkmale charakterisiert, was zu einem vereinfachten Modell der „Inhaltsvermittlung“ durch die Lehrenden führt. Der eigentliche Lernprozess wird nicht bzw. zu wenig reflektiert. Dieses vereinfachte Modell wird (mindestens) solange als gültig erachtet, bis die erlebte Wirklichkeit mit dem Modell nicht mehr erklärbar oder gestaltbar ist – wobei unbestimmt ist, ob aus dem kognitiven Konflikt Motivation für die Theorieerschließung oder Frustration erwächst. Die fachdidaktische Lehre steht insofern zwei Anforderungen gegenüber: zum einen müssen Motivationen für die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Facetten des Lehr-Lern-Prozesses geschaffen werden und zum anderen müssen Konzepte gefunden werden, die eine schrittweise Annäherung an die Komplexität ermöglichen, ohne dass der Bezug zu den beruflichen (Teil)Aufgaben im Rahmen des Planens und Umsetzens von Lehr-Lern-Settings verloren geht. Grundsätzlich bzw. aus einem didaktischen Impetus heraus erscheint eine schrittweise Annäherung an die Komplexität vom Allgemeinen zum Besonderen/Einzelnen oder die Fokussierung auf Teilaspekte (vgl. Hering 1958) zielführend. Um den Bezug zu den beruflichen Aufgaben im Kontext des Unterrichts von Beginn an zu sichern und aufrecht zu halten, werden diese im (hochschul)didaktischen Konzept der Professur für Bautechnik, Holztechnik sowie Farbtechnik und Raumgestaltung/Berufliche Didaktik am Standort Dresden von Beginn an adressiert. Die Komplexität wird stufenweise erhöht, indem zunächst eine Fokussierung auf ein inhaltlich begrenztes, bereits entwickeltes, nicht adaptives Lehr-Lern-Setting erfolgt. Das Setting wird hinsichtlich der optionalen Lernprozesse analysiert, indem die Studierenden die impliziten Lernpotenziale und Gestaltungsspielräume für die Lernenden, mögliche Lernbarrieren und geeignete Lernhilfen in Abhängigkeit individueller Dispositionen erschließen (Zugang zur Handlungs- sowie Tätigkeitsstrukturanalyse). Die Lernpotenziale und Gestaltungsspielräume werden an-
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hand der implizit gesetzten Ziel-Inhalts-Methoden-(Bedingungs)-Relationen charakterisiert, wodurch die Aufmerksamkeit auf die Entscheidungsfelder des Lehrenden gerichtet wird. Dies erfordert die reflexive Analyse und sachlogischen Strukturierung der Inhalte, wodurch die Bedeutung der Sachstrukturanalyse für die lernhaltige, subjektorientierte Gestaltung des Lehr-Lern-Setting herausgestellt wird. Iterativ hierzu werden die verschiedenen Schemata zur Strukturierung der Inhalte (Stoffe, natürliche Prozesse, Konstruktionen) vorgestellt und deren Anwendung geübt. Dieses Know-how wird nachfolgend auf andere, kompliziertere Inhaltsbereiche (technologische Prozesse, Geräte/Maschinen/Anlagen) übertragen, wodurch die Ansätze der sachlogischen Strukturierung und das Methodenrepertoire erweitert werden. Die Komplexität der jeweils betrachteten Inhaltsbereiche und der methodischen Konzepte wird somit schrittweise, d. h. in konzentrischen Kreisen, durch das Hinzufügen weiterer Bausteine, erhöht und zugleich erweitert bis hin zur Auseinandersetzung mit umfassenden beruflichen Arbeitsaufgaben/Arbeitssituationen i. S. des arbeitsaufgabenbasierten und damit selbstorganisierten sowie handlungsorientierten Lehrens und Lernens (vgl. zusammenfassend Abb. 8).
Abb. 8: Konzept der schrittweisen und in konzentrischen Kreisen verlaufenden Erarbeitung der Komplexität von Ziel-Inhalts-Methoden-(Bedingungs)-Relationen (Eigene Darstellung).
Dieses Konzepts ist unter dem Anspruch der inklusiven Berufsausbildung um die vorn diskutierten inhaltlichen Aspekte und Erweiterungen der didaktischen Handlungsspielräume zu ergänzen. Darüber hinaus sind die hochschulmethodischen Konzepte zu prüfen. Das heißt u. a., auf welche Weise können die Schnittstellen zu den Fachwissenschaften und den Bildungswissenschaften, im Besonderen der Inklusionspädagogik verdeutlicht
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und erfahrbar gemacht werden? Dies erscheint gerade im Hinblick auf die bisher eher additiv ausgerichteten Module des Lehramtsstudiums von Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind die Studienkonzepte auf vorhandene Lücken und Redundanzen hin kritisch zu reflektieren und zwar gleichermaßen unter dem Anspruch der Ganzheitlichkeit wie in Hinblick auf die Chancen der Verinnerlichung der Aneignungsgegenstände. Der vorgestellte Ansatz einer inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen wurde über die Reflexion der beruflichen Arbeitsaufgaben „Planen und Umsetzen inklusiver Lehr-Lern-Settings“ abgeleitet. In der Lehrer/-innenausbildung steht die Planung der Lehr-Lern-Settings zunächst im Vordergrund, da im universitären Kontext die Umsetzung nur simuliert werden kann. Die reale Umsetzung von LehrLern-Settings, die deren Planung voraussetzt, wird erstmals über die Schulpraktischen Studien ermöglicht. Kritisch reflektiert, ist zu konstatieren, dass dieser systemische Zusammenhang der beiden Ausbildungsphasen, universitäre Lehre und schulpraktische Studien, noch zu wenig herausgestellt und für Studierende transparent gemacht wird. Diese „Lernhaltigkeit“ der Schulpraxis muss im Rahmen der (Neu)Ausrichtung der universitäreren Lehrerbildung hin zum inklusiven Bildungssystem ebenso ausführlich und ggf. auch neu gedacht werden wie die theoretischen Ansätze einer Didaktik Beruflicher Fachrichtungen. So ist u. a. zu klären, wie das (berufs)didaktische Können erfasst, bewertet und reflexiv bearbeitet werden kann und wie es sich zeitlich (Dauer und Zeitpunkt) sowie methodisch/erkenntnistheoretisch sinnvoll in den Studienprozess einordnen lässt. Immerhin sind die Studierenden in den Schulpraktischen Studien nicht nur damit konfrontiert, den Perspektivwechsel vom Lernenden zum Lehrenden zu vollziehen, sondern mit einem (noch) unvollständigen (berufs)didaktischen Wissen „guten Unterricht“ umzusetzen. Dass beide Aspekte nicht zu unterschätzende Herausforderungen darstellen, bestätigen nicht zuletzt die Auswertungsgespräche und Praktikumsbelege. Insofern sind ganzheitliche Konzepte zu entwickeln, die es ermöglichen, die Schulpraktischen Studien organisatorisch sinnvoll sowie lern- und motivationsfördernd in das schrittweise Erschließen von Lehren und Lernen einzubinden. Eben dies ist auch Aufgabe einer inklusiven Didaktik Beruflicher Fachrichtungen. BIBLIOGRAFIE Ball, D. L. (2000). Bridging practices – Intertwining concent and pedagogy in teaching and learning to teach. Journal of Teacher Education, 51(3), 241–247. Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520. Becker M. (2010). Wie lässt sich das in Domänen verborgene „Facharbeiterwissen“ erschließen? In M. Becker, M. Fischer & G. Spöttl (Hrsg.), Von der Arbeitsanalyse zur Diagnose beruflicher Kompetenzen. Berufliche Bildung in Forschung, Schule und Arbeitswelt Bd. 5 (54–66). Frankfurt am Main: Peter Lang. Besand, A. (2014). Monitor politische Bildung an beruflichen Schulen – Probleme und Perspektiven. Schwalbach: Wochenschau.
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ANSATZPUNKTE ZUR FÖRDERUNG DER PROFESSIONELLEN UNTERRICHTSWAHRNEHMUNG VON STUDIERENDEN IM LEHRAMT AN BERUFSBILDENDEN SCHULEN ZU INKLUSION UND HETEROGENITÄT Bernd Zinn, Stuttgart / Christiane Döbler, Stuttgart ZUSAMMENFASSUNG Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Studierenden im Lehramt an berufsbildenden Schulen zu Inklusion und Heterogenität im Kontext des Schulpraktikums. Dabei wird von einem Ansatz berichtet, mit dem Lehramtsstudierende zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung im Rahmen ihres zweiten Schulpraktikums an gewerblichtechnischen Schulen leitfadengestützte Interviews mit Lehrkräften (1. Studienaufgabe) und strukturgeleitete Unterrichtsbeobachtungen zur Ausgangsthematik (2. Studienaufgabe) durchführen. Die ersten Erfahrungen zur Umsetzung der Studienaufgaben im Rahmen des Schulpraktikums deuten darauf hin, dass diese geeignet sind, vielfältige Anknüpfungspunkte zur Ausgangsthematik bereitzustellen, um die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität in der hochschulischen Lehrkräfteausbildung zu unterstützen. 1 AUSGANGSSITUATION Innerhalb der hochschulischen Lehrkräfteausbildung stellt sich die grundsätzliche Frage, ob das Studium bewusst distanziert zur schulischen Praxis erfolgen sollte – um nicht Gefahr zu laufen, dass von den Studierenden Sicherheit im Tradierten und scheinbar Bewährten gesucht wird – oder umgekehrt, ob sich das Lehramtsstudium bereits möglichst frühzeitig und eng an den situationalen Anforderungen der schulischen Praxis orientieren sollte, um ein kumulatives Lernen in komplexen, authentischen Handlungs- und Problemzusammenhängen zu ermöglichen. Die Frage stellt ein elementares Spannungsfeld zwischen Wissenschafts- und Praxisbezug in der Lehrerbildung dar. In der Lehrerbildungsforschung wird lehramtsübergreifend allgemein davon ausgegangen, dass der Einbezug schulpraktischer Studien in der ersten Phase grundlegend bedeutsam für die Professionalisierung in der Lehrkräfteausbildung ist (vgl. Denner 2010; Weyland 2010; Nölle 2011). Befunde zu den Erträ-
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gen der Schulpraktika im Lehramtsstudium stellen sich im Hinblick auf eine berufsorientierende Wirksamkeit und auf einen Zuwachs im Kompetenzerleben, insbesondere bei spezifischen Lehrerkompetenzen wie Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung, als heterogen dar (für einen weiteren Überblick hierzu siehe z. B. Hascher 2006; Cramer, Horn & Schweitzer 2009; Arnold, Gröschner & Hascher 2014; Schubarth, Gottmann & Maud 2014). Befunde zu den Effekten von Schulpraktika zeigen grosso modo, dass der tatsächliche Kompetenzzuwachs von der Qualität der Betreuung und Beratung durch die Mentoren, der Vor- und Nachbereitung des Praktikums, der Selbstwirksamkeitserwartung der Studierenden und weiteren Randbedingungen abhängt (Hascher 2006). Innerhalb der ersten Lehrerbildungsphase stellen Schulpraktika zentrale Lernorte für einen möglichen kumulativen und systematischen Kompetenzaufbau der Studierenden dar, da sie die Lernmöglichkeit bieten, theoretische Ausbildungsinhalte mit schulpraktischen Erfahrungen professionsorientiert zu verknüpfen (vgl. Fraefel & Haunberger 2012; Schüssler & Keuffer 2012). Lehramtsstudierende werden im schulpraktischen Studium im Unterricht an Ausbildungsschulen oftmals mit komplexen Lehr-Lern- Situationen konfrontiert. Für die Studierenden geht es darum, das komplexe Unterrichtsgeschehen mit seinen vielschichtigen Intentionen, Interventionen sowie methodischen Variationen wahrzunehmen, zu reflektieren und hinsichtlich der eigenen Entwicklung professionsorientiert zu bewerten. Zentrale Zielsetzung innerhalb der Unterrichtshospitationen ist es, die professionelle Wahrnehmung zu fördern, die allgemein beschreibt, wie Individuen Ereignisse und Situationen, bezogen auf ihre Profession, beobachten und interpretieren (Goodwin 1994). Bei der professionellen Unterrichtswahrnehmung sind zwei Prozesse bedeutsam – zum einen die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf Situationen zu lenken, die für Lehren und Lernen relevant sind (noticing), und zum anderen die Fähigkeit, das Wissen über Lehren und Lernen anzuwenden und zu angemessenen Schlussfolgerungen zu gelangen (reasoning) (van Es & Sherin 2002). Beide Fähigkeiten werden als zentrale Voraussetzung für professionelles Handeln im Unterricht angesehen (vgl. Bromme & Haag 2004; Seidel, Schwindt, Kobarg & Prenzel 2008). Vor dem Hintergrund der Übersetzung des international diskutierten Konzepts der „Professional Vision“ (Sherin 2007) haben Seidel, Blomberg und Stürmer den Begriff der professionellen Unterrichtswahrnehmung geprägt (Seidel, Blomberg und Stürmer 2010). Die zentrale Bedeutung der professionellen Unterrichtswahrnehmung wird durch Forschungsbefunde unterstützt, die zeigen, dass eine professionelle Unterrichtswahrnehmung von Lehrkräften positiv mit Leistungen der Lernenden zusammenhängt (vgl. Kersting et al. 2010; Roth et al. 2011). Angesichts der hohen Relevanz professioneller Unterrichtswahrnehmung für die Professionalisierung von Lehramtsstudierenden stellt sich in der Ausgangssituation des vorliegenden Beitrags die Frage, wie die Entwicklung professioneller Wahrnehmung von Lehramtsstudierenden spezifisch zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität in der berufsschulischen Praxis unterstützt werden kann. Mit anderen Worten: Wie können Studierende im Schulpraktikum systematisch unterstützt werden, um lernrelevante Ereignisse zu Inklusion und zum Umgang mit
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Heterogenität in der Komplexität des Unterrichts sowie den vielfältigen Bedingungen der berufsschulischen Praxis selektiv zu erkennen und diese persönlich als lernrelevante Erfahrungen wahrzunehmen? Bislang ist wenig darüber bekannt, wie Lehramtsstudierende die Heterogenität in der berufsschulischen Praxis wahrnehmen und wie sie diese im Hinblick auf ihre eigene Professionalisierung bewerten. Entsprechende Kenntnisse darüber, wie die Heterogenität im berufsschulischen Unterricht innerhalb des Schulpraktikums wahrgenommen und im Kontext der eigenen Entwicklung reflektiert wird, scheinen anschlussfähig, um Ansätze für Verbesserungsmöglichkeiten der hochschulischen Lehramtsbildung empirisch gestützt ableiten zu können. In die vorliegende Studie wurden im Bereich der professionellen Unterrichtswahrnehmung zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität für Lehramtsstudierende an berufsbildenden Schulen im Rahmen des Schulpraktikums II zwei Studienaufgaben eingebunden. Zum einen führen die Lehramtsstudierenden ein leitfadengestütztes Interview mit einer Lehrkraft zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität im berufsschulischen Unterricht durch (1. Studienaufgabe). In der Interviewstudie gehen die Studierenden der Frage nach, wie Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen aus ihrer Perspektive die Heterogenität der Schülerschaft wahrnehmen und welche Konsequenzen sich hieraus – aus der Perspektive der Lehramtsstudierenden – bezüglich der eigenen Professionalisierung zum Umgang mit Heterogenität in der beruflichen Bildung ergeben. Zum anderen bearbeiten die Studierenden eine strukturierte Beobachtungsaufgabe (2. Studienaufgabe), bei der sie ein Unterrichtsgeschehen hinsichtlich auftretender Merkmale von Heterogenität schriftlich beschreiben und reflektieren müssen. Beide Studienaufgaben sollen es ermöglichen, dass sich die Studierenden im Schulpraktikum strukturiert im Kontext der theoretischen (hochschulischen) Grundlagen verbindlich mit der Ausgangsthematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität im berufsschulischen Unterricht beschäftigen. 2 THEORETISCHER HINTERGRUND In diesem Abschnitt werden ausgewählte theoretische Aspekte zur Begriffsbestimmung von Heterogenität und der Besonderheiten der Heterogenität in der beruflichen Bildung beschrieben sowie darauf aufbauend die spezifisch zu entwickelnden Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften im Bereich von Inklusion und Heterogenität an berufsbildenden Schulen thematisiert. 2.1 Die Vielfältigkeit des Begriffs Heterogenität Begriffsbestimmungen zu Heterogenität orientieren sich im Allgemeinen an einem sozial-konstruktivistischen Verständnis, bei dem sich die Differenzen nicht aufgrund von persönlichen Dispositionen entwickeln, sondern in sozialen Interaktio-
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nen (vgl. Trautmann & Wischer 2011, S. 42 f.; Wenning 2007), oder an einem kognitionspsychologischen Verständnis, bei dem Heterogenität durch individuelle Dispositionen entsteht, die sich in Lernermerkmalen verdichten (vgl. Stöger & Ziegler 2013). Heterogenität wird in der Literatur dabei im Hinblick auf ihr Bedeutungsspektrum differenziert. Walgenbach stellt die nachfolgenden vier Bedeutungsdimensionen der Heterogenität heraus (Walgenbach 2014). Bei der (1.) deskriptiven Bedeutungsdimension geht es um Unterschiede in den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. kognitive Leistungsfähigkeit und Interesse). Heterogenität wird in dieser Bedeutungsdimension als allgemeine Ungleichartigkeit beschrieben und bezeichnet vereinfacht Unterschiede. Heterogenität kann dabei allgemein bestimmt werden, wenn Homogenität beziehungsweise Gleichartigkeit auf einer abstrakten Ebene vorhanden ist oder – mit anderen Worten – wenn eine Vergleichsgrundlage oder ein Maßstab herangezogen werden kann. Im schulischen Kontext wird hierzu üblicherweise die Schülerschaft in gleichen Klassenstufen und Schulformen in ihren individuellen Persönlichkeitsmerkmalen miteinander verglichen bzw. in Relation gesetzt. Da es keine absolute schulische Gleichartigkeit geben kann, wird Homogenität als Streuung um eine Norm verstanden (Gomolla 2009). Die Vergleiche finden hierbei immer in sozialen und kulturellen Rahmungen statt und sind nicht statisch. In der (2.) ungleichheitskritischen Bedeutungsdimension wird Heterogenität als ein grundlegendes gesellschaftliches Problem aufgefasst, das zum einen von außen in den schulischen Kontext und seine einzelnen Lernsituationen herangetragen wird, zum anderen aber auch durch die individuelle Lernsituation selbst erzeugt wird (Budde 2012). Budde schreibt hierzu: „Erstaunlich ist, dass im gesamten Diskursgefilde das Phänomen der Heterogenität selbst kaum hinterfragt, in Zweifel gezogen oder einer kritischen Perspektive unterworfen wird. Es werden zwar zahllose Aussagen im Kontext von Heterogenität getroffen, über Heterogenität als Relation zwischen Differentem mit Bezug zu Gleichem wird (von wenigen Aussagen abgesehen) nicht gesprochen. Der Diskurs schweigt von seinem Gegenstand. Möglicherweise schimmert hier eine spezifische Vorstellung auf, nämlich die Vorstellung einer ‚eigentlichen‘, unhintergehbaren Heterogenität. Die Differenz wird damit zum Wesenskern von Individuen erklärt. Bleibt dies bei der reinen Attestierung von Unterschieden stehen, dann könnte damit das Ende der Pädagogik als absichtsvolles Handeln markiert sein, denn das Leitbild der kontextlosen Verinselung verunmöglicht eine normative Perspektive sowohl im Sinne gemeinschaftlicher (z. B. pädagogischer, didaktischer) Ziele als auch in Bezug auf Gerechtigkeitsideale (im Sinne von Gleichheit), welche an die Position des konstitutiven Außen anknüpft.“ (Budde 2012, siehe Absatz 63)
In einer (3.) evaluativen Bedeutungsdimension wird Heterogenität mit den Polen Heterogenität als Chance versus Heterogenität als Belastung und Herausforderung wertend betrachtet. Während in älteren Diskursen zur Heterogenität die Pluralität der Schülerschaft als ein nicht zu umgehendes permanentes Grundproblem verortet wurde, dem man durch verschiedene Sortierungs- und Homogenisierungsmaßnahmen zu begegnen versuchte, so wird heute „Heterogenität in der schulpädagogischen Fachdiskussion durchweg als positive Chance, als produktive Herausforderung, als pädagogisch wertvolle Lern- und Sozialisationserfahrung beurteilt.“ (Terhart 2015, S. 70)
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Letztlich geht aus der Diskussion um den Begriff Heterogenität auch eine (4.) didaktische Bedeutungsdimension hervor, bei der die unterrichtspraktischen Konsequenzen zur Organisation und Gestaltung von Unterricht im Fokus der Betrachtung stehen. Insgesamt zeigt sich damit, dass der Begriff der Heterogenität mehrdimensional ist und vielschichtige Implikationen sowohl für die theoretische Auseinandersetzung als auch für die berufsschulische und betriebliche Praxis beinhaltet. Zur weiteren Schärfung des Begriffs im Kontext der beruflichen Bildung werden im nachstehenden Abschnitt ausgewählte Besonderheiten der Heterogenität in der beruflichen Bildung beschrieben. 2.2 Bedeutung von Heterogenität in der beruflichen Bildung Heterogenität hat – wie gerade beschrieben wurde – mehrere Bedeutungsdimensionen. Speziell in der beruflichen Bildung wird Heterogenität dabei aufseiten der Auszubildenden nicht nur von außen in die berufliche Schule hineingetragen, sondern auch durch die berufsschulischen, betrieblichen und überbetrieblichen Lernorte sowie durch bildungspolitische und gesellschaftliche Entscheidungen selbst teils verstärkt, teils reduziert und damit beeinflusst. Heterogenität ist damit das Resultat der Wechselwirkung von extern und intern erzeugter Vielfalt. Die Aus- und Weiterbildung an beruflichen Schulen ist traditionell von einer strukturellen Heterogenität der Schülerschaft geprägt. In berufsschulischen Klassen ist im Regelfall davon auszugehen, dass die Auszubildenden über unterschiedliche schulische Bildungsgrade sowie ein ungleiches berufsfachliches Vorwissen verfügen. Mit dem differenten schulischen Bildungshintergrund der Auszubildenden einer Berufsschulklasse ist eine Varianz im Alter der Schülerschaft vorzufinden, die deutlich ausgeprägter ist als im allgemeinen Bildungssektor. Durch die Beschäftigung der Auszubildenden einer Berufsschulklasse an verschiedenen betrieblichen Lernorten werden den Auszubildenden verschiedene Lernoptionen ermöglicht. Im Bereich der postsekundären Berufsbildung ist mit einer grundlegenden Heterogenität sowohl in den motivationalen und kognitiven als auch in den soziodemografischen Merkmalen der Schülerschaft zu rechnen (für die Fachschule Technik vgl. Zinn & Wyrwal 2014). Aufgrund der strukturellen Heterogenität der in das Berufsbildungssystem Einmündenden und den voneinander abweichenden beruflichen Anforderungsniveaus stehen im beruflichen Bildungssystem, speziell für Menschen mit Lernbehinderung und Lernbeeinträchtigung – durch die verschiedenen Varianten der äußeren Differenzierung – seit langer Zeit optionale Qualifizierungswege offen. Das berufliche Bildungssystem ist in hohem Maße differenziert und fokussiert unterschiedliche Bildungsbereiche, Qualifikationsniveaus und institutionelle Bildungsträger (vgl. Bonz & Gidion 2008). Spätestens mit der Einführung der Berufe nach §66 BBiG und §42 HwO, den so genannten Fachpraktiker- und Werkerberufen nach dem Berufsbildungsgesetz bzw. nach der Handwerksordnung wurden die Berufsschulen und Berufsbildungswerke flächendeckend zu institutionellen Strukturen der sonderpädagogischen Förderung (vgl. Stein & Ortmann-Bless 2009). Mit den
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Maßnahmen wie den ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH)1, der außerbetrieblichen Ausbildung oder dem Instrument der assistierten Ausbildung2 (beides nach dem Sozialgesetzbuch III) entwickelten sich weitere Optionen hinsichtlich der äußeren Differenzierung (vgl. Bojanowski & Ratschinski 2011). Ausgehend von den Leitgedanken zur Inklusion entsprechen die so genannten Helferberufe vor dem Hintergrund der intendierten (exklusiven) äußeren Differenzierung nur bedingt dem Inklusionsgedanken und stehen diesem in einer engen Auslegung des Begriffs sogar gegenüber. Die Abschlüsse in den Fachpraktiker- und Werkerberufen sind demnach exklusiv und im Gegensatz zu den regulären Ausbildungsberufen bundesweit auch nicht anerkannt. Geht man in einer vergleichenden Betrachtung von äußerer und innerer Differenzierung im Kontext der Inklusionsthematik aber nicht von diametralen Perspektiven aus, sondern erkennt die beiderseitigen Vorteile der äußeren und inneren Differenzierungsoptionen, ergeben sich u. E. erweiterte multiple und adaptive Fördermöglichkeiten. In beiden Differenzierungsoptionen können allgemein günstige Entwicklungen stattfinden. Es ist daher eher die Frage zu stellen, welche Wege und welche individuelle Förderung für den Einzelnen bei den multiplen äußeren und inneren Differenzierungsoptionen in der beruflichen Bildung tatsächlich zielführend sind. Neben der traditionellen strukturellen Heterogenität ist in den letzten Jahren, verursacht durch verschiedene gesellschaftliche, soziale und individuelle Bedingungsfaktoren, die Heterogenität der Schülerschaft in der beruflichen Aus- und Weiterbildung angestiegen. Zentrale Bedingungsfaktoren, die zu einer erweiterten strukturellen Heterogenität an berufsbildenden Schulen geführt haben, sind: – Inklusionsforderung: Mit der UN-Behindertenrechtskonvention (VN-BRK 2008) kommt der individuellen Teilhabe am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt eine besondere Bedeutung zu (vgl. KMK 2011; Wansing 2012). Verschiedene bildungspolitische Aktivitäten sind hierzu auf den Weg gebracht worden, die die Intention haben, den Anteil der betrieblichen bzw. möglichst betriebsnahen Ausbildung von behinderten Menschen zu erhöhen (vgl. Autorengruppe Berufsbildungsbericht 2017). –
Migrationsthematik: Die aktuelle Zuwanderungssituation führt zu einer vermehrten Einbindung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (vgl. Autorengruppe Berufsbildungsbericht 2017). Damit verbunden ist auch ein Anwachsen kultureller Unterschiede (z. B. Religion, Mehrsprachigkeit u. a.) festzustellen.
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Die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH) bieten Auszubildenden während einer betrieblichen Ausbildung Unterstützung durch den Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten, durch Förderung in der Fachtheorie sowie durch sozialpädagogische Begleitung. Prägend für das Instrument der assistierten Ausbildung ist, dass Betriebe administrative und organisatorische Unterstützung erhalten können und die Auszubildenden damit auch im Betrieb individuell und kontinuierlich unterstützt und sozialpädagogisch begleitet werden.
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–
Effekte des demografischen Wandels: Im Zusammenhang mit den Effekten des demografischen Wandels, dem Academic Drift und der Absicherung des Fachkräftebedarfs sind die Unternehmen und Handwerksbetriebe gefordert, neue Zielgruppen für eine Ausbildung zu gewinnen (vgl. Troltsch 2017; Ebbinghaus 2017).
–
Rückbau der äußeren Differenzierungsmaßnahmen: Zunehmend werden bislang getrennt unterrichtete Klassen berufsfeldübergreifend bzw. in integrierten Schulformen des Übergangssystems gemeinsam beschult. Insbesondere in strukturschwachen Gebieten werden die Auszubildenden in neuen Schulformen mit heterogenen beruflichen Schwerpunkten und/oder Varianten des Übergangssystems (BVJ, BEJ und BFS) gemeinsam unterrichtet (vgl. Nickolaus et al. 2017).
–
Akademisierung der Berufsbildung: Mit der zunehmenden Akademisierung der beruflichen Bildung ergeben sich verstärkt heterogene Berufsschulklassen, die von traditionellen Auszubildenden aus dem klassischen dualen Ausbildungssystem und von Auszubildenden, die gleichzeitig einen beruflichen und akademischen Abschluss im Rahmen eines dualen Studiums anstreben, besucht werden (vgl. Elsholz 2016; Meyer 2015; Severing & Teichler 2013).
–
Prekäre Lernausgangslagen: Jugendliche münden mit partiell prekären Lernausgangslagen im kognitiven Bereich in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ein (für die gewerblich-technische Ausbildung vgl. Norwig, Petsch & Nickolaus 2010; Zinn et al. 2015; für die postsekundäre Berufsbildung vgl. Zinn & Wyrwal 2014).
–
Zunahme diskontinuierlicher Erwerbsverläufe: Es ist eine deutliche Zunahme von diskontinuierlichen Erwerbsverläufen zu konstatieren (vgl. Barteczko, Köhler & Schröder 2013).
Verbunden mit der erweiterten strukturellen Heterogenität an berufsbildenden Schulen und den hier skizzierten sieben zentralen Bedingungsfaktoren stellt sich damit auch die grundlegende Frage nach den spezifischen Kompetenzen der (angehenden) Lehrkräfte an beruflichen Schulen, um mit der (veränderten) Ausgangssituation im berufsschulischen Unterricht kompetent umzugehen. Die besonderen Verhältnisse (lern-)behinderter und lernbeeinträchtigter Menschen sind von den (angehenden) Lehrkräften zunehmend zu berücksichtigen. 2.3 Kompetenzen zu Inklusion und Heterogenität Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der individuellen Teilhabe am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt spätestens mit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (VN-BRK 2008) eine zentrale Bedeutung zukommt (vgl. Wansing 2012), erhält die Ausgangsthematik auch in der Lehrerbildung einen besonderen Stellenwert. Phasenübergreifend hat die Kompetenzentwicklung zum Umgang
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mit Inklusion und Heterogenität eine hohe Relevanz (vgl. Autorengruppe Sektion BWP 2009; Buchmann & Bylinski 2013; Zoyke 2016). Übergreifend stellt sich dabei die Frage, wie die in der UN-Behindertenrechtskonvention geforderte Inklusion von Lernenden vor allem mit Behinderungen und Benachteiligungen, bezogen auf die Lehrerbildung für den beruflichen Bereich, zu einem integrativen Bestandteil werden kann. Trotz der besonderen Bedeutung der Ausgangsthematik sind bisher die Aussagemöglichkeiten zum spezifischen Kompetenzzuschnitt von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen und den relevant werdenden Faktoren, insbesondere auch der Wahrnehmung von Heterogenität im schulischen Alltag, begrenzt. Die Frage nach den spezifisch zu entwickelnden Kompetenzen von Lehrkräften im Bereich von Inklusion und Heterogenität an berufsbildenden Schulen ist bislang erstaunlich wenig behandelt worden, obgleich die berufspädagogische Forschung – im Kontext der wissenschaftlichen Begleitforschungen der 1980er- und 1990erJahre – hierzu hätte relevante Informationen vorlegen können. Bereits 1980 wurde von der Bundesregierung nach Auswertung mehrerer Berufsvorbereitungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit das Programm zur Förderung Benachteiligter aufgelegt, um die Zahl der nicht formal ausgebildeten Jugendlichen zu reduzieren. In der Folgezeit sind vielfältige Modellprojekte und Trainingsprogramme zur beruflichen Integration und individuellen Förderung benachteiligter Jugendlicher entwickelt und erprobt worden (vgl. Straßer 2005; Lippegaus 2005; Bucholz 2005; Petsch, Norwig & Nickolaus 2012; Beutner et al. 2012; Linten & Prüstel 2015; Zinn et al. 2015). Ein Überblick zu den Studien zur beruflichen Benachteiligtenförderung bis 2005 ist bei Bojanowski, Ratschinski und Straßer (2005) zu finden. Die Projekte und Programme zeichnen sich durch differente, konzeptuelle (Förder-)Ansätze aus, die in verschiedenen berufsbildenden Maßnahmen und Schulformen (z. B. RehaVorbereitungslehrgang, Berufsausbildungsvorbereitung, Berufsausbildung) sowie mit unterschiedlichen Untersuchungsschwerpunkten durchgeführt wurden. Im Hinblick auf ihre empirische Belastbarkeit liegen deutliche Varianzen vor. Viele der Ansätze sind betont pragmatisch, deskriptiv oder bewusst theoretisch ausgerichtet (Ratschinski 2005). Die entwickelten Konzepte weisen Unterschiede auf, die darauf hindeuten, dass das zu Grunde liegende Verständnis von individueller Förderung und des Umgangs mit Heterogenität bei (angehenden) Lehrkräften unterschiedlich und teilweise unscharf ausfällt. Angepasste Fördermaßnahmen stehen (berufsschulischen) Lehrenden nicht immer zur Verfügung und sind nur selten in ganzheitliche Umsetzungskonzepte eingebunden (vgl. Kunze 2009; Zoyke 2013). In den Modellprojekten und im Zusammenhang mit den Trainingsprogrammen im Bereich der beruflichen Bildung wurden nach unserem Kenntnisstand keine empirischen Analysen zu Lehrerkompetenzen im Kontext von Inklusion und Umgang mit Heterogenität an berufsbildenden Schulen vorgenommen. Die im Bezugsfeld des Umgangs mit Inklusion und Heterogenität vielschichtigen Anforderungen an Lehrkräfte sind bislang in den entsprechenden gesetzlichen und administrativen Dokumenten zu Standards und Kompetenzen verankert und benannt. In den „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ ist der Inklusionsgedanke ein zentraler Bestandteil (KMK 2014). Demnach sollen die an-
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gehenden Lehrkräfte nach der ersten Ausbildungsphase beispielsweise im Kompetenzbereich Beurteilen „Begriff und Merkmale von Heterogenität bzw. Diversität“ kennen, „wissen, wie unterschiedliche Lernvoraussetzungen Lehren und Lernen beeinflussen und wie sie im Unterricht in heterogenen Lerngruppen positiv nutzbar gemacht werden können“ oder „Formen von Hoch- und Sonderbegabung“ kennen (KMK 2014, S. 11). In einschlägigen Veröffentlichungen zu Heterogenität und Inklusion im allgemein bildenden und berufsbildenden Bereich werden übergreifend Kompetenzen der Lehrkräfte zur Diagnostik, Förderung und Beratung als bedeutsam angesehen, um den sich veränderten Bedarfen zu Inklusion und Heterogenität gerecht zu werden (vgl. Moser & Kropp 2014; KMK 2014; KMK 2011; Terhart 2015). Daher scheint es von Bedeutung, die professionelle Unterrichtswahrnehmung der Studierenden im Schulpraktikum insbesondere in den Bereichen Diagnostik, Beratung und Förderung auszubilden. 3 AUFBAU DES SCHULPRAKTIKUMS UND EMPIRISCHE BEFUNDE Anschließend an die theoretische Verortung zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität in der beruflichen Bildung wird im Folgenden auf den Aufbau des Schulpraktikums II, die Intentionen und Durchführung der Studienaufgaben, die Stichprobe der Studierenden sowie der befragten Lehrkräfte und auf die Auswertung der Interviewstudie eingegangen. 3.1 Aufbau des Schulpraktikums II Das Modul Schulpraktikum II richtet sich an Studierende im Masterstudiengang Technikpädagogik der Universität Stuttgart, der den Zugang zum Lehramt an beruflichen Schulen in Deutschland ermöglicht und mit insgesamt 9 Leistungspunkten curricular im zweiten Fachsemester verankert ist. Im Rahmen dieses Moduls absolvieren die Studierenden das zweite Praktikum an der Ausbildungsschule, das in enger Kooperation vom Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Berufliche Schulen) Stuttgart und der Universität Stuttgart gemeinsam vor- und nachbereitet wird. Der universitäre Teil des Schulpraktikums II besteht aus vorbereitenden Übungen in Form eines Seminars von 2 Semesterwochenstunden (SWS) während des Semesters, einem vierwöchigen Praktikum an der Ausbildungsschule in der vorlesungsfreien Zeit sowie den nachbereitenden Übungen (siehe Abbildung 1). Die nachbereitenden Übungen finden als einmalige Blockveranstaltung mit Seminarcharakter im unmittelbaren Anschluss an das absolvierte Praktikum statt. Die Intention der nachbereitenden Übungen besteht darin, einen Austausch über die gemachten Erfahrungen der Hospitation, der Unterrichtsvorbereitung und Unterrichtsdurchführung im Plenum unter den Studierenden anzuregen und gemeinsam für das berufliche Handlungsfeld zu reflektieren.
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Abb. 1: Aufbau des Moduls Schulpraktikum II (eigene Darstellung).
3.2 Intention und Durchführung der Studienaufgaben Um die professionelle Wahrnehmung zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität angehender Lehrkräfte bereits im Studium für die berufspädagogische Praxis und den damit einhergehenden zukünftigen Herausforderungen in diesem Bereich zu sensibilisieren, wurden zwei spezifisch darauf ausgerichtete Studienaufgaben – neben der Dokumentation der Unterrichtsvorbereitungen und -durchführungen – in das Schulpraktikum II integriert. Gemeint sind die Durchführung eines leitfadengestützten Interviews (1. Studienaufgabe) sowie die Beobachtungsaufgabe zu auftretenden Merkmalen von Heterogenität im Unterricht (2. Studienaufgabe).
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Bezüglich der professionellen Unterrichtswahrnehmung der Studierenden gilt es festzustellen, welche speziellen Faktoren der Inklusion und des Umgangs mit Heterogenität von den Lehramtsstudierenden durch das Interview und die Beobachtungsaufgabe in der schulischen Praxis perzipiert (noticing) werden, und ob die Studierenden für die eigene Professionalisierung zu angemessenen Schlussfolgerungen (reasoning) kommen. 1. Studienaufgabe – teilstrukturierte Interviews mit Lehrkräften Die Durchführung des leitfadengestützten Interviews soll dazu dienen, dass sich die angehenden Lehrkräfte neben ihren gemachten Erfahrungen und Beobachtungen während der Hospitation in der Ausbildungsschule mit erfahrenen Lehrkräften zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität theoriegeleitet austauschen. Der den Studierenden des Schulpraktikums II zur Verfügung gestellte Interviewleitfaden zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität (Wasmann 2016) umfasst sowohl geschlossene als auch offene Fragen, wobei der Anteil der offenen Fragestellungen deutlich überwiegt. Insgesamt weißt der Leitfaden eine Grobgliederung in drei Fragenblöcke zu den Bereichen (1) Diagnostik, (2) Beratung und (3) Förderung auf. Als zentrale Inhalte aller drei Bereiche können benannt werden: Bedeutung, Methoden und Konzepte, Schwierigkeiten, Personal/Ansprechpartner, Grenzen, Erfahrungswerte und Optimierungsbedarf. Folgende Leitfragen können hierzu exemplarisch aufgeführt werden (ebd.): Zu (1) Diagnostik: „Diagnostizieren Sie auch außerhalb des Unterrichts?“ oder „Wie gehen Sie dabei vor?“ Zu (2) Beratung: „Sehen Sie die Beratung von Schülern als ihre Aufgabe?“ und „Warum?“ Zu (3) Förderung: „Stehen Ihnen andere Personen in diesem Bereich [gemeint ist die individuelle Förderung von Lernenden] zur Verfügung?“ oder „Wo sehen Sie Ihre Grenzen bei der individuellen Förderung von Schülern?“ 2. Studienaufgabe – unterrichtliche Beobachtung Die unterrichtliche Beobachtungsaufgabe zu auftretenden Merkmalen von Heterogenität während der Hospitation in der Ausbildungsschule wird von den Studierenden in einer verbindlich strukturierten Form (Beobachtungsprotokolle) erbracht. Diese soll die Studierenden veranlassen eine unterrichtliche Situation anhand von theoretisch begründeten Fragestellungen und Ansatzpunkten schriftlich zu dokumentieren und prozessbegleitend zu reflektieren. Der Aufbau der Beobachtungsprotokolle ist vorgegeben und besteht aus zwei Teilen: neutrale Beschreibung des Unterrichtsgeschehens und Reflexion des Unterrichtsgeschehens. In beiden Bereichen werden den Studierenden exemplarische Gliederungen samt Fragestellungen und Hinweisen zur Verfügung gestellt, um die Beobachtungen gezielt zu lenken und reflexive Prozesse theoriegeleitet anzuregen. Die Darstellung des Unterrichtsgeschehens umfasst u. a. – neben der Nennung der beobachteten Merkmale von Heterogenität im Unterricht – eine Beschreibung, wie die Lehrkraft auf entsprechende
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Merkmale reagiert und interveniert. Die Reflexion des Unterrichtsgeschehens erfolgt in mehreren Schritten. So müssen die Studierenden einerseits Stellung dazu beziehen, was die Beobachtungen für ihr eigenes Lehrerdasein bedeutet, wie sie damit umgehen würden und welche schulpraktischen Herausforderungen damit einhergehen. Andererseits gilt es anhand des Beobachtungsgegenstandes die Reaktion und Intervention der Lehrkraft kritisch zu hinterfragen, Handlungsalternativen zu erörtern und begründete Handlungsmaßnahmen abzuleiten. 3.3 Stichprobe Die Stichprobe umfasst N= 6 Studierende (N=5 männlich; N=1 weiblich) des Lehramts für berufliche Schulen sowie N=11 Lehrkräfte (N=4 männlich; N=7 weiblich) gewerblich-technischer Schulen in Baden-Württemberg. Zum Datenerhebungszeitpunkt befanden sich je N=1 Studierender im 1. sowie 4. Fachsemester und N=2 Studierende im 2. sowie 3. Fachsemester des Masterstudiengangs Technikpädagogik (Maschinenbau: N=3; Bautechnik: N=2; Elektrotechnik: N=1). Die befragten Lehrkräfte unterrichten in unterschiedlichen Schulformen (Berufsschule, Technisches Gymnasium, Berufskolleg und Technikerschule). 3.4 Auswertung der Interviews Um einen systematischen Einblick in die Bearbeitung der ersten Studienaufgabe, die zentralen Gesprächsinhalte der Interviews, zu erhalten, wurden die von den Studierenden generierten qualitativen Daten inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Texterschließung der Interviews erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2007). Die transkribierten Tonbandaufnahmen der Studierenden wurden mithilfe der Software für qualitative Daten- und Textanalysen MAXQDA ausgewertet. Bei der Erstellung des Kategoriensystems wurde sowohl deduktiv als auch induktiv vorgegangen. Während die Ober- und Unterkategorien deduktiv aus dem Interviewleitfaden gebildet wurden, entstanden die Ausprägungen der Unterkategorien überwiegend induktiv auf Grundlage der vorliegenden Transkripte sowie im Codierungsprozess. Das Kategoriensystem beinhaltet n=429 Codes in den vier Oberkategorien: Diagnostik (149 Codes; Cohens Kappa =.57), Beratung (104 Codes; Cohens Kappa =.58), Förderung (113 Codes; Cohens Kappa =.69) und Allgemeines zu Inklusion und Umgang mit Heterogenität (63 Codes; Cohens Kappa =.56). Die erzielte Interrater-Reliabilität bei zwei Beobachtern ist in den Oberkategorien Diagnostik, Beratung und Allgemeines zu Inklusion und Umgang mit Heterogenität nach Wirtz und Caspar3 insgesamt als mäßig und in der Oberkategorie Förderung als gut zu bezeichnen (siehe Tabelle 1). 3
Nach Wirtz und Caspar (2002) gilt Cohens Kappa: .0 bis .4 = schwache Übereinstimmung, .40 bis 0.59 = mäßige Übereinstimmung, .60 bis .74 = gute Übereinstimmung, .75 bis 1 = sehr gute Übereinstimmung.
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Tab. 1: Ober- und Unterkategorien mit Anzahl der Codes in den Oberkategorien Diagnostik, Beratung und Förderung Diagnostik im Schulalltag (n=149)
Beratung im Schulalltag (n=104)
Förderung im Schulalltag (n=113)
Bedeutung (26)
Bedeutung (21)
Bedeutung (17)
Einsatz (9)
Beratung Aufgabe des Lehrers (6)
Methoden und Konzepte (32)
Diagnostik außerhalb des Unterrichts (7)
Elternberatung (8)
Schwierigkeiten und Probleme (20)
Vorgehensweise (32)
Schülerberatung (17)
Personal für Förderung (7)
Personal für Diagnostik (14)
Wissen und Erfahrungen (11)
Grenzen individueller Förderung (18)
Wissenserwerb Diagnostik (8)
Erwerb Beratungskompetenz (9)
Kenntnis Förderkonzepte (8)
Diagnosen (8)
Optimierungsbedarf (9)
Studieninhalt Förderung (11)
Inhalt der Diagnosen (23)
Personal für Beratung (16)
Grenzen der Diagnostik im Unterricht (14)
Schwierigkeiten Beratung (7)
Probleme und Optimierungsbedarf (8) Anmerkungen: Die Oberkategorie Allgemeines zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität (63 Codes), die in der Tabelle nicht dargestellt ist, beinhaltet die Unterkategorien Wahrnehmung Heterogenität (13 Codes), Inklusionsverständnis (14 Codes), Erforderliches Wissen/Studieninhalte (25 Codes) und Weiterbildungsbedarf (11 Codes). Quelle: Eigene Darstellung.
4 EINBLICK IN DIE BEARBEITUNG DER STUDIENSAUFGABEN Um einen Einblick in die Bearbeitungsergebnisse der beiden Studienaufgaben zu ermöglichen, werden im Folgenden zuerst zentrale Inhalte der Interviewstudie als thematische Ansatzpunkte zur Unterstützung der professionellen Unterrichtswahrnehmung – differenziert in die Oberkategorien Diagnostik, Beratung und Förderung im Schulalltag – dargestellt (Abschnitt 4.1). Anschließend wird exemplarisch ein unterrichtliches Beobachtungsprotokoll beschrieben (Abschnitt 4.2).
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4.1 Inhalte der Interviews Im Rahmen der Ergebnisdarstellung der Interviews finden ausgewählte Zitate Verwendung, um der Leserschaft die unterschiedlichen Positionen der befragten Lehrkräfte zu illustrieren. Bei den Interviewzitaten werden folgende weiterführende Informationen als Erläuterung zu den Interviewten angegeben: Geschlecht (m = männlich, w = weiblich) und Status (S = Studierende, L = Lehrkräfte). 4.1.1 Diagnostik im Schulalltag Auf die Frage nach der Bedeutung von Diagnostik für den eigenen Unterricht überwiegen die Aussagen der interviewten Lehrkräfte, dass dies für sie wichtig sei, wobei sich das „wichtig“ fast ausschließlich auf die Diagnostik des Lernstandes der der Klasse bezieht: „Diagnostik im Unterricht hat eine grundlegende Bedeutung, weil ich versuche meinen Unterricht an das Schülerklientel anzupassen, das heißt, die Schüler dort abzuholen, wo sie stehen, das heißt erst einmal sehen, wo sie stehen. Entsprechend muss ich erstmal diagnostizieren, welche Fähigkeiten und Kompetenzen die Schüler aufweisen oder mitbringen, wenn sie bei uns starten.“ (Interview6, L, w)
Medizinische Diagnosen wie die Erkennung von Krankheiten hingegen nehmen bei den interviewten Lehrkräften eine geringe Bedeutung ein: „Wenn man Diagnostik in dem Sinne versteht, dass man wirklich diagnostizieren möchte, ob ein Schüler wirklich eine Beeinträchtigung hat, eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder sowas ähnliches, dann ist das ja gar nicht meine Aufgabe. Dafür haben wir ja die Sonderschullehrer, die Sonderschulpädagogen an der Schule.“ (Interview5, L, w)
Eine Minderheit gibt an, dass eine gezielte Diagnostik im Unterricht nicht stattfindet: „Aber ich […] mache jetzt keine grundlegende Diagnostik“ (Interview7, L, w) oder „Für mich hat sie aktuell, also auf Inklusion bezogen, […] keine Bedeutung, weil ich aktuell keinen Inklusionsschüler bei mir im Unterricht drin habe, also keinen der jetzt mit einem inklusiven Förderbedarf sag ich mal angemeldet bei mir im Unterricht ist.“ (Interview4, L, m)
Die diagnostischen Prozesse der Lehrkräfte beruhen dabei stark auf Beobachtungen, die laufend sowie bewusst und teilweise auch außerhalb des Unterrichts erfolgen. Neben den Beobachtungen werden schriftliche sowie mündliche Prüfungen und Elterngespräche als Diagnoseinstrumente angewandt. Während nur eine Lehrkraft angibt, ihre Diagnosen ausschließlich im fachlichen Bereich zu stellen, so diagnostizieren N=7 Lehrkräfte neben den fachlichen Inhalten auch überfachliche Inhalte, denn „als Erstes fallen die Defizite im Fachlichen auf, aber sie haben oftmals auch überfachliche Hintergründe“ (Interview4, L, m). Diese umfassen häufig soziale Aspekte – wie Verhaltensprobleme und private Sorgen –, aber auch Alkoholmissbrauch, Überforderung oder affektive Störungen. Im fachlichen Bereich führen die Lehrkräfte insbesondere erhebliche Mängel im Bereich der Lese-Rechtschreib-
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Kompetenzen an sowie mangelhaftes Textverständnis: „Und wenn sie Lesen können, dann verstehen sie nicht, was sie lesen“ (Interview3, L, w). Des Weiteren kommen auch generelle Lernschwierigkeiten zur Sprache, die auf mangelnde Lern- und Arbeitstechniken zurückzuführen sind: „bei 80% derjenigen die Lernschwierigkeiten haben, ist es der Mangel an Lern- und Arbeitstechniken. Da herrscht ein außerordentlich großes Defizit und zwar nicht in der Kenntnis der Lern- und Arbeitstechnik sondern in der Anwendung der Lern- und Arbeitstechniken.“ (Interview1, L, m)
Die Kompetenzen zur Diagnostik haben N=2 Lehrkräfte im Studium und N=8 Lehrkräfte durch „learning by doing“, Lehrkräftefortbildungen, Austausch mit anderen Lehrkräften sowie „auf Eigeninitiative hin bzw. dass man den gesunden Menschenverstand nimmt“ (Interview1, L, m) erworben. Auf die Frage nach den Grenzen von Diagnostik im Unterricht kann eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte aufgeführt werden, die auch darauf beruhen, dass die Kompetenz zur Diagnostik größtenteils durch langjährige Berufserfahrungen erlangt wird. So können folgende Aspekte aus unterrichtspraktischer Perspektive als Grenzen von Diagnostik im schulischen Alltag benannt werden: mangelhafte diagnostische Ausbildung, Zeitprobleme, Blockunterricht, häufige Fehlzeiten (weshalb kein intensiver Kontakt zwischen Lehrkraft und Schülerschaft aufgebaut werden kann) starke gesundheitliche Einschränkungen, organisatorischer Aufwand sowie Kooperationsschwierigkeiten zwischen Eltern und Lehrkräften, zu wenig regelmäßiger Austausch mit anderen Lehrkräften und damit einhergehende subjektive Ausprägungen von Diagnosen. Die befragten Lehrkräfte geben an, dass ein Optimierungsbedarf darin besteht, dass bereits im Lehramtsstudium gezielter auf die Vermittlung diagnostischer Inhalte eingegangen wird, konkrete Hilfsmittel für verschiedene Fachbereiche entwickelt werden sowie rechtliche Aspekte und die Anforderungen an die Lehrkräfte transparent gemacht werden müssen. 4.1.2 Beratung im Schulalltag Eine Beratung im Schulalltag ist generell mit einem diagnostischen Prozess verbunden. Insbesondere vor dem Hintergrund einer ausgeprägten heterogenen Schülerschaft ist anzunehmen, dass beratende Tätigkeiten vonseiten der Lehrkräfte immer wichtiger werden. Aus diesem Grund, wurden die Lehrkräfte dazu befragt, welche Bedeutung Beratung für ihren eigenen Unterricht hat. Es herrscht ein einheitlicher Konsens darüber, dass eine Beratung der Schülerschaft wichtig ist und zu den Kernaufgaben einer Lehrkraft gehört, wobei eine Lehrkraft darauf verweist, dass sie die Beratung hauptsächlich außerhalb des Unterrichts durchführt. Die Lehrkräfte geben an, dass Beratung im Unterricht für sie bedeutet, die Schülerschaft bei der Bewältigung von Aufgaben (Lernberatung) oder bei Entscheidungen über die schulische Laufbahn (Laufbahnberatung) zu unterstützen, aber auch die Eltern in
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den Beratungsprozess einzubeziehen. Alle befragten Lehrkräfte haben bereits beratende Tätigkeiten in diesen Bereichen durchgeführt. So kann exemplarisch aufgeführt werden: „Ich [habe] einen Schüler, der mal zu mir gekommen ist, […] beraten. Also der hat sehr mit seiner Ausbildung gehadert und dann habe ich ihn beraten und habe ihm zum einen Alternativen aufgezeigt, die er jetzt hat, was er anders machen kann und wie er die Situation innerhalb seines Ausbildungsverhältnisses verändern kann, um so Fortschritte zu machen und mit seiner Situation glücklicher zu werden.“ (Interview10, L, m) „Ich habe jetzt einen Syrer in einer TG Klasse, der sich noch ein bisschen schwer in Deutsch tut, und der hat sich jetzt zwei, ja, dem haben wir jetzt zwei Schüler an die Seite gestellt, die ihm auch mal während des Unterrichts eben mal kurz übersetzen oder erläutern. Ja, eben einfach Lernberatung mache ich natürlich.“ (Interview5, L, w)
Neben der Lern- und Laufbahnberatung berichten Lehrkräfte auch von Beratungsbedarfen, die im sozialen Bereich der Schülerschaft auftreten: „Wir [haben] auch ein Schüler bei dem wir merken, dass der ein bisschen auf die schiefe Bahn gerät. Hat Attestpflicht bekommen, weil er ganz viele Fehlzeiten hatte und dann habe ich mich mit meiner Kollegin hingesetzt und gesagt, wir müssen mal mit dem reden. Was ist mit dem? Was will der überhaupt? Warum fehlt er so oft? Warum ist der so unkonzentriert? Es gab auch ein Beratungsgespräch, da meinte er, er wäre einfach ein bisschen überarbeitet, die familiäre Situation wäre derzeit ein bisschen schwierig. Da haben wir ihm Beratung gegeben, wie er da rauskommen kann und wo er sich Hilfe holen kann. Also diesen Bereich gibt es auch.“ (Interview9, L, w)
Die Kompetenzen, um diesen beratenden Aufgaben in heterogenen Klassen gerecht zu werden, haben die interviewten Lehrkräfte nach deren Angaben in einer Minderheit im Studium erworben, die Mehrheit im Referendariat oder über Berufserfahrung und Weiterbildungen. Klar zur Ansprache kommt, dass sich die befragten Lehrkräfte überfordert fühlen und die Beratungskompetenzen zu wenig ausgeprägt sind: „Wir haben auch im Kollegium gesammelt gesagt, wir sind als Lehrer überfordert, wir würden gerne eine Ansprechperson haben, sei es einen Schulpsychologen oder irgendwas in der Art, weil wirklich niemand sich da kompetent genug fühlt, mit diesem Schüler umzugehen. Wir sind Lehrer, wir können nicht zwischen den Zeilen sehen, wir haben zwei Beratungslehrer hier und die eine hat gemeint, der Schüler so und so sei suizidgefährdet und wir sollen im Unterricht darauf achten. Ich habe im Unterricht 28 Schüler sitzen, wenn der jetzt sagt, ich habe kein Bock mehr, heißt das jetzt, dass er sich nach dem Unterricht von der Brücke stürzt? Das ist wirklich schwierig für uns.“ (Interview9, L, w)
So stoßen die Lehrkräfte mit beratenden Tätigkeiten im Schulalltag auf Schwierigkeiten. Es wird davon berichtet, dass es schwer sei, im Schulalltag eine angemessene Zeit für intensive Beratungsgespräche zu finden: „Das Problem an der Sache ist, dass man im normalen Lehralltag zwischen den Schuleinheiten 10 Minuten Pause hat und die 10 Minuten Pause einfach nicht ausreichen und über das normale Deputat heraus hat man dann auch keine Zeit im Prinzip, um intensiver zu beraten.“ (Interview1, L, m)
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Darüber hinaus fehlt aber auch Zeit, um entsprechende Fortbildungen zu besuchen: „Also ich finde, dass man so generell auch da zu wenig Zeit hat, und zwar auch zu wenig Zeit für Fortbildungen. Ich würde gerne auf mehr Fortbildungen gehen, aber kann mir das fast gar nicht leisten, weil dann mein Unterricht ausfällt. Und diese 12 Wochen so komprimiert sind, dass ich das auch meiner Kollegin nicht zumuten kann, jetzt die ganze Klasse zu nehmen. Sodass man sich diese paar Fortbildungen sich wirklich aus den Rippen schneiden muss. Mit schlechtem Gewissen und überhaupt oder jetzt nehme ich mir mal diese Zeit und im Prinzip ist viel zu wenig Zeit dazu.“ (Interview3, L, w)
Entsprechend verwundern die Ergebnisse der Interviewstudie nicht, dass die befragten Lehrkräfte der Meinung sind, dass ein Optimierungsbedarf hinsichtlich der Lehrkräfteaus- und Weiterbildung im Bereich Beratung im Schulalltag besteht und zwar konkret hinsichtlich einer inklusiven Beratung und des Umgangs mit Heterogenität: „Also die Problematik mit der Inklusion oder allgemein mit Lernschwachen, Heterogenität die bleibt ja und die wird wahrscheinlich auch noch schwieriger werden und entsprechend muss der Lehrer diesen Herausforderungen gegenüberstehen können und meiner Ansicht nach ist das häufig noch nicht der Fall. Deshalb sollte da in der Lehrerbildung mehr Platz sein für dieses Thema.“ (Interview7, L, w)
4.1.3 Förderung im Schulalltag Individuelle Förderung „das hängt natürlich sehr stark mit der Diagnose und auch mit der Lernberatung […] [zusammen]. Das ist ja Grundlage […] d. h., wir wollen versuchen, die Schüler, jeden einzelnen, dort abzuholen, wo er steht und ein Stück weiterzubringen.“ (Interview6, L, w)
Welche Bedeutung nimmt individuelle Förderung seitens der interviewten Lehrkräfte ein? Fast alle Lehrkräfte (N=8) geben an, dass individuelle Förderung für ihren Unterricht von großer Bedeutung ist. Eine Lehrkraft gibt an, dass Förderung prinzipiell eine entscheidende Bedeutung habe, aber nicht zwingend sei. Eine andere Lehrkraft sagt aus, dass individuelle Förderung nicht von Bedeutung sei, da der Vorbereitungsauswand hierzu von ihrer Seite nicht geleistet werden könne: „Also wenn man sich das so vorstellt, dass man wirklich so binnendifferenziert und zwar für wirklich unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Aufgaben stellt, das kann ich nicht leisten.“ (Interview8, L, w)
Betrachtet man die Aussagen der Lehrkräfte, welche Methoden und Konzepte sie in ihrem Unterricht für die individuelle Förderung verwenden, so zeigt sich ein klares Bild: Es kommt die thematische und methodische Differenzierung (Binnendifferenzierung) zum Einsatz. Vonseiten der Lehrkräfte wird insbesondere der Methodenwechsel zwischen Frontalunterricht und selbstorganisiertem Lernen, das Kompetenzraster, angesprochen. Erwähnung findet auch die Tatsache, dass Lernstärkere Lernschwächere unterstützen.
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Bernd Zinn / Christiane Döbler „Ja, also ganz klassisch im Matheunterricht, dass ich z. B. die Aufgabenstellungen variiere, leichtere [und] schwierigere Aufgaben [und] […] die zusätzlichen Aufgaben […]. Ansonsten arbeite ich gerne mit so einem Helfersystem, dass starke Schüler, die vielleicht auch eher fertig sind, den schwachen Schülern helfen.“ (Interview7, L, w)
Im Verlauf der kooperativen Unterrichtsphasen gelingt es den Lehrkräften, auf einzelne Lernende einzugehen, die Unterstützung benötigen. Eine Lehrkraft berichtet zudem von personeller Unterstützung bei der Realisierung von individueller Förderung im Unterricht: „Gerade in der VAB Klasse, in der Flüchtlingsklasse, ist es sehr schön, […] um da gerade mit der Heterogenität […] umzugehen, nimmt der Sonderpädagoge […] auch mal vier oder sechs Schüler […] mit aus dem Unterricht und macht mit denen nochmal Extraaufgaben.“ (Interview5, L, w)
Mit dem folgenden Zitat kann die große Bedeutung der individuellen Förderung vonseiten der interviewten Lehrkräfte noch einmal untermauert werden: „Das große Ziel, das wir haben, ist, dass unsere Schüler das Schulhaus verlassen und irgendwann selbstständig in der Lage sind zu arbeiten. Dazu muss ich sie bringen und dazu muss ich sie trainieren und wir wechseln also sehr stark im Unterricht individuelle Phasen ab mit natürlich auch mal frontalen Phasen, Inputphasen und dann wird wieder in kooperativen Phasen gearbeitet. Ja so Dinge, es steht binnendifferenziertes Lernmaterial zur Verfügung, insofern haben wir da wirklich Möglichkeiten, die Schüler individuell zu fördern.“ (Interview6, L, w)
Dennoch berichten die Lehrkräfte auch von Grenzen individueller Förderung im Schulalltag. Diese beruhen überwiegend auf einem Mangel an zeitlichen, personellen und fachlichen Ressourcen. Aufgrund der enormen Klassengrößen ist es sehr schwierig, auf alle Lernenden eingehen zu können. Besonders angesichts der geringen Zeit, die den Lehrkräften mit den Lernenden in einer dualen Berufsausbildung bleibt, wird es erschwert, dass Maßnahmen der individuellen Förderung greifen können. Ziehen nicht alle Lehrkräfte am gleichen Strang, so bleiben Erfolge oftmals aus. Die Lehrkräfte sprechen davon, dass sie für die Realisierung deutlich mehr Zeit für die Unterrichtsvorbereitungen benötigen und dabei an ihre eigenen Grenzen stoßen, insbesondere, wenn sich nicht bei allen Lernenden eine Verbesserung erzielen lässt. „Ganz allgemein die Rahmenbedingungen, individuelle Förderung im Unterricht durchzuführen, das braucht natürlich Zeit in der Vorbereitung auch in der Nachbereitung. Das braucht durchaus auch die passenden räumlichen Gegebenheiten. Ich finde es ist nicht förderlich, in einem kleinen Raum zu sitzen der mit 25 Schülern gefüllt ist, wo man sich mehr oder weniger durch die Bankreihen durchdrängeln muss. Manchmal auch das Material, wenn ich jetzt Themengebiete anschaue, dann muss ich mir viel Material selber erstellen. Das kostet Zeit. Ich muss natürlich auch herausfinden, welche Fördermöglichkeiten denn meine Schüler brauchen. Dann große Klassen, also wirklich individuell auf jeden Schüler einzugehen, ist bei den Rahmenbedingungen einfach unglaublich schwierig.“ (Interview7, L, w)
Im Umgang mit Krankheiten fehlen notwendige Kompetenzen, um entsprechend handeln und Situationen richtig einschätzen zu können. Es kommt des Weiteren zur Ansprache, dass die grundlegende Situation der starken Leistungsunterschiede für die Lehrkräfte im Bereich der individuellen Förderung Schwierigkeiten darstellt:
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„Aber es ist halt so, die schneller sind, die werden dann immer weiter, sind immer weiter voran und die, die langsamer sind, die hängen eigentlich immer weiter ab. Das ist schwierig. Ich finde es auch schwierig, den Spagat zu schaffen. Die, die wirklich fit sind, die voranzubringen und die wirklich nicht fit sind, da einen Anschluss zu schaffen, das ist wirklich sehr schwierig.“ (Interview8, L, w)
4.2 Inhalte zur unterrichtlichen Beobachtungsaufgabe Die Beobachtungsaufgabe der Seminarteilnehmenden bezog sich auf einen frei ausgewählten Unterricht, in dem sie im Rahmen des Schulpraktikums II hospitierten und fokussiert eine detaillierte Beschreibung der beobachteten Situation bzw. der Heterogenität der Klasse vornahmen und darüber eine Reflexion, u. a. zum Lehrerverhalten, zu alternativen Verhaltensweisen und allgemeinen und persönlichen Herausforderungen, erstellten. Zur Illustration der von den Studierenden vielfältig wahrgenommenen Heterogenitätsthematik werden exemplarisch einzelne Passagen aus einem Beobachtungsprotokoll einer Studentin zitiert. Die Beobachtung bezieht sich auf einen von der Studentin beobachteten 90-minütigen Unterricht an einem Technischen Gymnasium der 10. Klassenstufe mit einer Schülerin mit ausgeprägter Sehbehinderung. Zur Beschreibung der Intervention der Lehrkraft schreibt sie einleitend: „Die Schülerin [mit der Sehbehinderung] wurde von der Lehrerin, die gleichzeitig Klassenlehrerin ist, in der ersten Reihe platziert, nachdem die Eltern auf den besonderen Interventionsbedarf hinwiesen. Außerdem wurden für die Schülerin größere Kopien angefertigt als für den Rest der Klasse; aus dem üblichen Din A4 Format wurden für die Sehbehinderte Din A3-Abzüge erstellt. Ich habe beobachtet, dass die Lehrerin der besagten Schülerin bis auf die genannte Intervention keine zusätzliche Beachtung schenkte. Sie wurde im Verlauf des Unterrichts auch nicht gefragt, ob sie die im Unterrichtsverlauf entwickelten Tafelanschriebe oder die Eintragungen auf den OH-Folien lesen kann.“ [S, w]
Zu dieser Beobachtung reflektiert die Lehramtsstudierende: „Meiner Auffassung nach wäre es zumindest notwendig gewesen, auch einen größeren Abzug vom Tafelbild und den OH-Folien vorab für die Schülerin zu erstellen. Die Lehrerin berichtete auch von Auseinandersetzungen mit den Eltern, die sich wegen der unzureichenden individuellen Förderung für ihre Tochter beschwerten. Aussagen der Lehrerin zufolge könne sie mangels Zeit keine weiteren Interventionen leisten. Ich habe auch nicht beobachten können, dass die Lehrerin (z. B. während die anderen Schüler eine Aufgabe lösen) die Schülerin fragt, ob sie alles an der Tafel oder OH-Projektor stehende lesen konnte. Die Sitznachbarin hat der Schülerin hier Hilfestellungen gegeben, was meiner Meinung nach keine akzeptable Lösung ist. Inklusionskompetenz darf nicht in die Verantwortung von Mitschülern gegeben werden; diese müssen sich schließlich selbst auf den Lernstoff konzentrieren. Es wurde für mich deutlich, dass hier noch einiges provisorisch gelöst wird und Handlungsbedarf bei der Inklusionskompetenz bzw. der inklusionsgerechten Ressourcenausstattung (Zeitkontingent, Material, wie hier z. B. Lupe) besteht. Ich fände es als Lehrerin an dieser Stelle zumindest wichtig und erforderlich, Gelegenheiten im Unterricht zu schaffen, in den ich die Schülerin frage, ob sie alles lesen kann.“ [S, w]
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Darüber hinaus resümiert die Studentin: „Herausfordernd erweisen sich natürlich die besonderen erforderlichen Kompetenzen und auch Ressourcen der jeweiligen Lehrkraft, die in der Regel für „Inklusionssituationen“ nicht ausgebildet ist. Der Zeitaufwand, der auf die besonderen Interventionen fällt, wird nicht separat bereitgestellt. Darüber hinaus sind psychologische und physiologische Aufgeklärtheit und spezielle integrations- und inklusionsspezifische Kompetenzen hinsichtlich Beratung und individueller Förderung erforderlich, damit individuelle Interventionen förderlich gestaltet werden und gelingen. Ich würde mir von meiner Schule eine gute Ausstattung mit Beratungslehrern und Sonderpädagogen wünschen, damit individuellen Fällen in Kooperation angemessen und vorbereitet begegnet werden kann.“ [S, w]
Als Zwischenfazit zu den Interviewgesprächen mit den Lehrkräften und den unterrichtlichen Beobachtungen können vielfältige Aspekte zu den fokussierten Bereichen Diagnostik, Beratung und Förderung benannt werden. Im Bereich der Diagnostik sind es: u. a. Diagnoseprozesse, Diagnosebereiche, adaptive Diagnose, Grenzen der Diagnostik, rechtliche Aspekte der Diagnose und Diagnosekompetenz. Im Bereich der Beratung sind es: u. a. Lernberatung, Laufbahnberatung, Beratungskompetenzen und Beratungsschwierigkeiten. Genannte Aspekte zur Förderung sind: u. a. thematische Differenzierung, methodische Differenzierung, Förderansätze, Umsetzungsschwierigkeiten der Förderung und Umgang mit Lernschwachen. Darüber hinaus erlauben die Inhalte der Interviews vielfältige Einblicke in das zukünftige Arbeitsfeld der Studierenden und belegen verschiedene Facetten des unterrichtspraktischen Umgangs mit Inklusion und Heterogenität an berufsbildenden Schulen. In den Interviews liegen Ansatzpunkte zur deskriptiven, ungleichheitskritischen, evaluativen und insbesondere zur didaktischen Bedeutungsdimension von Heterogenität vor. In den individuellen Beobachtungsprotokollen berichten die Lehramtsstudierenden ebenfalls von vielschichtigen Perspektiven zu Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität. Heterogenität kann sich aus der wahrgenommenen Perspektive der Studierenden demnach in unterschiedlicher Gestalt in der Schülerschaft zeigen: leistungs- und motivationsbezogen oder bezüglich Behinderungen körperlicher, geistiger sowie seelischer Art. Die beteiligten Studierenden berichten, wenn auch mit unterschiedlicher Qualität und Quantität der Protokolle, von ihren unterrichtlichen Beobachtungen und reflektieren das Geschehen konsekutiv im Hinblick auf die eigene Professionalisierung. 5 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Im vorliegenden Beitrag wurde von einem Ansatz zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Studierenden im Lehramt an berufsbildenden Schulen zur Thematik Inklusion und Umgang mit Heterogenität berichtet. Dabei führten die Lehramtsstudierenden im Rahmen des Schulpraktikums verpflichtend ein leitfadengestütztes Interview mit einer Lehrkraft durch und beobachteten Unterrichtssituationen zur Ausgangsthematik. Im Beitrag wurden explorative Erkenntnisse zu den zentralen Inhalten der durchgeführten Interviews und einer Beobach-
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tungsaufgabe dargestellt. Die Umsetzungserfahrungen zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung mithilfe der beschriebenen Studienaufgaben deuten darauf hin, dass diese grundsätzlich geeignet sind, um vielschichtige zentrale Anknüpfungspunkte für die hochschulische Ausbildung bereitzustellen. Die Ergebnisse zu den Interviews der Studierenden mit den Lehrkräften (1. Studienaufgabe) zeigen, dass die Ausgangsthematik mit verschiedenen Bedeutungsdimensionen der Heterogenität (siehe Abschnitt 2.1) analysiert wurde. Ausgewählte Aspekte der erweiterten strukturellen Heterogenität (siehe Abschnitt 2.2) wurden im Zusammenhang mit der unmittelbaren berufsschulischen Praxis unter den Studierenden und Lehrkräften diskutiert. Die exemplarisch dargestellten Inhalte zur bearbeiteten Beobachtungsaufgabe zeigen, dass die zweite Studienaufgabe ebenfalls das Potenzial hat, die Heterogenität strukturgeleitet im Unterricht wahrzunehmen (noticing) und es den Studierenden ermöglichen kann, für die eigene Professionalisierung zu angemessenen Schlussfolgerungen (reasoning) zu kommen. Unterstützt wird die positive Erfahrung zur Integration der beiden Studienaufgaben in das Schulpraktikum II durch den Austausch über die Erfahrungen zur Ausgangsthematik und die weiterführenden Diskussionen der Studierenden in den nachbereitenden Übungen zum Schulpraktikum II. Die vorgestellten empirischen Ergebnisse zu den beiden Studienaufgaben und die Durchführung des Schulpraktikums hinterlassen eine Vielzahl empirisch relevanter Fragen. Auch wenn die vorliegenden Umsetzungserfahrungen und qualitativen Befunde daraufhin deuten, dass der Ansatz mit den Studienaufgaben grundlegend geeignet ist, die professionelle Unterrichtswahrnehmung zur Ausgangsthematik zu fördern, so stehen empirische Studien zu den tatsächlichen Wirkungseffekten des Schulpraktikums II aus und beschreiben damit ein Forschungsdesiderat für die Professionsforschung im Lehramt an berufsbildenden Schulen. BIBLIOGRAFIE Albrecht, G., Ernst, H., Westhoff, G. & Zauritz, M. (2014). Bildungskonzepte für heterogene Gruppen – Anregungen zum Umgang mit Vielfalt und Heterogenität in der beruflichen Bildung. Kompendium. Bonn: BiBB. Arnold, K.-H., Gröschner, A. & Hascher, T. (Hrsg.) (2014). Schulpraktika in der Lehrerbildung. Theoretische Grundlagen, Konzeptionen, Prozesse und Effekte. Münster: Waxmann. Autorengruppe Berufsbildungsbericht (2017). Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg.). Berufsbildungsbericht 2017. Bonn, Berlin. Autorengruppe Sektion BWP – [Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft] (2009). Memorandum zur Professionalisierung des pädagogischen Personals in der Integrationsförderung aus berufsbildungswissenschaftlicher Sicht. Bonn. Barteczko, S., Köhler, C., Schröder, S. (Hrsg.) (2013). Erwerbsorientierungen zwischen Arbeitsmarkt und Betrieb. Hintergründe und Motive für diskontinuierliche Erwerbsverläufe. In: Jenaer Beiträge zur Soziologie 23. http://www.soziologie.uni-jena.de/soziologie_multimedia/Bilder/ LSKoehler/Jenaer+Beitr%C3%A4ge+23+2013.pdf, Stand vom 04.09.2017. Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520.
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SOZIALE, EMOTIONALE UND MOTIVATIONALE PROBLEMLAGEN VON SCHÜLERINNEN UND SCHÜLERN ALS PÄDAGOGISCHE HERAUSFORDERUNG FÜR LEHRKRÄFTE IN BERUFLICHEN SCHULEN – ENTWICKLUNG VON FALLVIGNETTEN FÜR DIE EVIDENZBASIERTE LEHRERBILDUNG ZUM UMGANG MIT HETEROGENITÄT Karin Heinrichs, Bamberg / Hannes Reinke, Bamberg / Simone Ziegler, Bamberg 1 HETEROGENITÄT UND INKLUSION ALS HERAUSFORDERUNG DER BERUFLICHEN BILDUNG UND DER LEHRERBILDUNG „Moritz ist 20 Jahre alt und ein aufgeweckter resoluter junger Mann, der von Lehrern und Mitschülern gleichermaßen geachtet wird. Nach seinem Realschulabschluss hat er bei einem regionalen Speditions‐ und Logistikunternehmen eine Lehre zum Kaufmann im Groß‐ und Außenhandel aufgenommen. Mittlerweile ist er im dritten Lehrjahr. Wegen seiner guten Auffassungsgabe und dem Verständnis der Geschäftsprozesse hat er bereits im kompletten Verlauf der Ausbildung verantwortungsvolle Aufgaben übernommen. Von Moritz und seinem Ausbilder wissen Sie, dass sich die Wirtschaftslage des Unternehmens seit einigen Monaten stark verschlechtert. Es wurden bereits einige Mitarbeiter entlassen. (...) Ihnen fällt auf, dass Moritz seit einiger Zeit sehr unkonzentriert in der Berufsschule ist. Er klagt häufiger über Kopf- sowie Bauchschmerzen und fehlt zudem gelegentlich im Unterricht. Ihnen und anderen Lehrern ist darüber hinaus aufgefallen, dass sich seine Leistungen (...) verschlechtert haben.“
Die in der Fallvignette dargestellte Situation von Moritz ist keine Ausnahme. Viele Schülerinnen und Schüler aller Schulformen und Jahrgangsstufen klagen über psychosomatische Beschwerden aufgrund von Stress und Belastung. Aus verschiedenen Studien ist bekannt, dass Dauerstress bei mangelnden Copingstrategien oder mangelnder sozialer Unterstützung zu verminderter Arbeits- und Lernleistung führt (dazu genauer Kärner 2015) und für den Einzelnen Benachteiligungen bedingen können oder die berufliche Integration und Teilhabe an der Gesellschaft gefährden kann. Um den Lernerfolg von Schülern zu fördern und sie im Erreichen des Ausbildungsziels zu unterstützen, müssen Lehrkräfte die individuellen Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler ebenso kennen wie den Umgang mit heterogenen Bedingungen in der Klasse. Neben allgemeinen und vielfach betrachteten Facetten von Heterogenität, wie Vorwissen oder Leistungsheterogenität, gilt es damit auch sozialen, emotionalen oder motivationalen Problemlagen von Schülerinnen und Schülern begegnen zu können. In der oben aufgezeigten Situation können Problemlagen bspw. auf Dauerbelastung zurückgeführt werden. In der aktuellen Betrachtung von Heterogenität und Inklusion sind insbesondere die letztgenannten Lernvoraussetzungen und -bedingungen jedoch noch wenig berücksichtigt.
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Karin Heinrichs / Hannes Reinke / Simone Ziegler
Vielmehr scheint Heterogenität häufig noch als Überbegriff zu fungieren und konzeptionell noch nicht abschließend eingegrenzt zu sein (Terhart 2015, S. 71–73). Es zeigen sich disziplinspezifisch unterschiedliche Definitionen und Begriffsanforderungen, aus denen mannigfaltige Forderungen, Lösungsansätze und Strategien zum Umgang mit Heterogenität und Inklusion in Bezug auf die jeweiligen Schulformen und qualifizierenden Lehrerbildungsstudiengänge resultieren (dazu bspw. Riedl & Schelten 2013, S. 118–119; Hillenbrand, Melzer & Hagen 2013, S. 33; Rützel 2016, S. 29–30; Enggruber & Ulrich 2016, S. 128). Für die Diskussion im Umgang mit Heterogenität und Inklusion in der beruflichen Bildung in diesem Beitrag wird ein weites Begriffsverständnis gewählt, welches sich am Inklusionsbegriff der KMK & HRK (2015, S. 2) orientiert. Neben Behinderungen sind weitere Kriterien einzubeziehen, die die Vielfalt der Lernbedingungen von Schülerinnen und Schülern bestimmen, wie z. B. Alter, Vorwissen, sprachliche Kompetenzen oder Fähigkeitsselbstkonzept. Um zudem möglichst allen Schülerinnen und Schülern den Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung zu ermöglichen (Zoyke 2016, S. 58–59; Enggruber & Ulrich 2016, S. 128), sind zudem auch mögliche Beeinträchtigungen, z. B. bezogen auf die vorherige schulische Sozialisation oder sozialen Lebensbedingungen zu bedenken. Da die Heterogenität von Lernvoraussetzungen die Bildungschancen von Individuen beeinflusst, wird in diesem Beitrag ein breiter Begriff von Inklusion verwenden, der die Unterschiedlichkeit zwischen Schülerinnen und Schülern zu adressieren vermag. Mit diesem breiten Verständnis wird der Weg dafür geöffnet, dass das Individuum eine angemessene Förderung erhält und institutionelle Diskriminierung abgebaut bzw. vermieden wird. Die Vielfalt individueller Charakteristika sowie von Bildungsgelegenheiten und -voraussetzungen in einer Gesellschaft als Realität im (beruflichen) Bildungssystem gilt es wahrzunehmen. Eine Herausforderung ist es nun, zentrale Ziele beruflicher Bildung (Baethge, Buss & Lanfer 2003) vor dem Hintergrund der Heterogenität zu balancieren: Dies beinhaltet eine individuelle (selbstbestimmte) Regulationsfähigkeit, die Sicherung der Humanressourcen einer Gesellschaft sowie Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe. Sollen neben Vielfalt von Alter, Leistung, Lernschwierigkeiten und sprachlicher, kultureller oder ethnischer Heterogenität (Dubs 2009, S. 72–75; Wenning 2007, S. 21; HRK & KMK 2015, S. 3) auch individuelle soziale, motivationale sowie emotionale Problemlagen beachtet werden, sind diese zunächst zu identifizieren und als Ursache für mögliches auffälliges oder problematisches Schülerverhalten zu verstehen. Maßnahmen der Diagnostik, Beratung und individuellen Förderung spielen hier eine besondere Rolle (Schnebel 2007, S. 66–71; Kärner & Warwas 2016; Kärner, Warwas & Golyszny 2015). Die Herausforderung für Lehrpersonen in ihrem „Kerngeschäft“, dem Fachunterricht, besteht insbesondere darin, Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer individuellen Voraussetzungen, mit Blick auf die Klassenzusammensetzung und die Ziele des Bildungsgangs, adäquat zu fördern (HRK & KMK 2015, S. 2–3). Zur Bewältigung dieser Aufgaben fordern die KMK & HRK (2015, S. 2), dass Lehrkräfte über professionelle Kompetenzen im Bereich der Klassenführung, insbesondere i. S. innerer Differenzierung und individueller Förderung, aber auch Diagnostik, Beratung und Kooperation verfügen
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sollen (dazu auch Baumert & Kunter 2006; Trautmann & Wischer 2011). Die erste Phase der Lehrerbildung kann hierbei wichtige Grundlagen für eine angemessene Kompetenzentwicklung der (zukünftigen) Lehrkräfte auch an beruflichen Schulen legen (Gold, Förster & Holodynski 2013, S. 141–142). An der Universität Bamberg wird im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung ein Modul zu Diagnostik und Beratung in der ersten Phase Lehrerbildung entwickelt und evaluiert. Mittels eines Settings problem- bzw. fallorientierten Lernens soll eine evidenzbasierte, forschungsgeleitete Herangehensweise an pädagogische Problemstellungen im Unterricht gefördert werden (Syring 2016, S. 89; Steiner 2005, S. 27–29). Im Zentrum des Moduls stehen textbasierte Fallvignetten, die Schülerinnen und Schüler in sozial, motivational oder emotional schwierigen Problemlagen beschreiben (wie oben auszugsweise dargestellt). Die Fallvignetten dienen (angehenden) Lehrpersonen als Impuls, um eine forschungs- und fallbasierte Auseinandersetzung mit verschiedenen möglichen Phänomenen, deren Entstehungsbedingungen und erfolgversprechenden Handlungsoptionen, was insbesondere zur Sensibilisierung, zum Erwerb handlungsrelevanten Wissens sowie zur Reflexion subjektiver Theorien und der eigenen professionellen pädagogischen Haltung beitragen soll. Innerhalb passender Settings, einer geeigneten Aufbereitung und entsprechender Relevanz können die Fälle auch weiterhin in der (ersten, zweiten oder dritten Phase der) Lehrerbildung sowie in Forschungs- und Entwicklungsprojekten genutzt werden. In diesem Beitrag sollen erste Ergebnisse der Fallevaluation zur Prüfung der ökologischen Validität aus einer Lehrerbefragung an beruflichen Schulen präsentiert werden. 2 HETEROGENITÄT UND INKLUSION AN BERUFLICHEN SCHULEN 2.1 Ausgangslage Die Themen Heterogenität und Inklusion gewinnen auch in der beruflichen Bildung – ein Bereich, in dem Heterogenität strukturbedingt nicht erst seit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention (VN-BRK) im Jahr 2009 zum schulischen Alltag gehört – besondere Bedeutung (Hofer 2009, S. 147). Daher ist es relevant, den unterschiedlichen Facetten von Heterogenität, die sich im Bereich der beruflichen Schulen innerhalb von Klassen, aber auch zwischen verschiedenen Bildungsgängen zeigen, z. B. zwischen Klassen mit Jugendlichen ohne Schul- und Ausbildungsabschluss, Jugendlichen in Maßnahmen des Übergangssystems oder, vor dem Hintergrund des starken Zustroms von Geflüchteten bzw. Jugendlichen mit Fluchterfahrung, konstruktiv und lösungsorientiert zu begegnen (Heinrichs et al. 2016, S. 232, 235–237; Schnebel 2007, S. 9–10). Bei der Gestaltung von Bildungsgängen und -einrichtungen sowie deren entsprechender inhaltlicher Profilierung zum Umgang mit Heterogenität und Inklusion gilt es jedoch, Tempo, Umfang und inhaltliche Ausrichtung von Reformbestrebungen zu verbessern (Zoyke 2016, S. 59; Euler 2016, S. 27; Schnebel 207, S. 9–11) und insbesondere im Sinne der Ausrichtung auf das Individuum stärker zielgruppenspezifische Bedarfe zu berücksichtigen. Die
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Lehrkraft steht zudem im Alltag vor der Herausforderung, eine gute Balance zwischen fachlicher und sozialer Unterstützung, zwischen fachdidaktischen und erzieherischen Herausforderungen, zwischen Fürsorge für die Schülerinnen und Schüler und professioneller Distanz zu finden (Helsper 2004). Somit zeigt sich der Umgang mit Heterogenität in der beruflichen Bildung als strukturbedingte „Normalität”. Weiterhin tritt Heterogenität in verschiedenen Erscheinungsformen auf. Wenning (2007, S. 25–26) und Dubs (2009, S. 69–83) verweisen auf Unterschiede zwischen den Lernenden in der beruflichen Bildung und differenzieren schulartunabhängig zwischen leistungs-, alters- und entwicklungsbedingter, soziokultureller und migrationsspezifischer Heterogenität sowie Heterogenität im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale und psychosoziale Bedingungen. Trautmann und Wischer (2011, S. 119–121) begründen hieraus die Notwendigkeit didaktisch-methodischer Kompetenzen bei Lehrkräften. Insbesondere um die individuellen Lernvoraussetzungen bei der Unterrichtsgestaltung angemessen berücksichtigen zu können, genügt nicht die Kenntnis von eher strukturell beschriebenen Bildungsbiografien oder sprachlichen und kulturellen Hintergründen. Vielmehr ist es notwendig, die pädagogisch relevanten, psychologischen Voraussetzungen differenziert einschätzen zu können, wie z. B. Vorwissen, Intelligenz, Motivation und Meta-Kognition (ebd.; Kärner 2015; Kärner & Warwas 2015; Kögler 2015; Warwas, Kärner & Geck 2016; Wellenreuther 2008, S. 437). Die Lehrperson braucht also neben didaktischen Kompetenzen auch (pädagogisch-psychologisch fundierte) diagnostische und Beratungskompetenz (Hesse & Latzko 2011, S. 25–28). Dies wird besonders deutlich, werden psychosoziale Problemlagen von Schülerinnen und Schülern betrachtet z. B. Schul- und Prüfungsangst, Schulabsentismus oder Stress und Belastung (Schnebel 2007, S. 66–71). Die Lehrkraft ist die Person, die in der Schule am intensivsten mit den Lernenden in Kontakt kommt und die als erste dafür zuständig ist, zu erkennen, ob die Lernenden vor Herausforderungen stehen, die sich allein über didaktische Optionen der Unterrichtsgestaltung nicht lösen lassen oder ob es für deren Bewältigung – auch im Kontext beruflicher Schulen – erzieherischer, beratender oder gar therapeutischer Maßnahmen bedarf. Lehrpersonen benötigen also die Kompetenz, Unterricht professionell wahrzunehmen und dabei nicht nur fachdidaktische Herausforderungen zu erfassen, sondern auch mit den Schülern adäquat und wertschätzend in Beziehung zu treten, ein lernförderliches Unterrichtsklima herzustellen oder die individuellen Bedarfslagen der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen. Soziale, emotionale, motivationale oder gar sozialpädagogisch relevante Problemlagen bei Schülerinnen und Schülern zu erkennen, ist allerdings eine Herausforderung und unter den strukturellen Rahmenbedingungen, insbesondere im beruflichen Schulsystem, schwierig. Vielmehr wird die Möglichkeit für Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler systematisch zu beobachten und individuelle Problemlagen adäquat einzuschätzen, zumindest teilweise von der Struktur und Organisation des Bildungsgangs eingeschränkt. Während Lehrkräfte in FOS/BOS, beruflichen Gymnasien oder im beruflichen Übergangssystem kontinuierlich mit den Schülerinnen und Schülern zusammenarbeiten und die Chance haben, diese über einen längeren Zeitraum zu beobachten, ist es im dualen System für Lehrkräfte
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schwieriger, da die Schülerinnen und Schüler durch Block- und Praxisphasen häufig längere Zeit nicht in der Schule sind (dazu auch Schanz 2010). 2.2 Implikationen für die Lehrerbildung Der Umgang mit Heterogenität als Herausforderung und Chance im schulischen Unterricht wurde lange Zeit mit der Homogenitätsannahme von Klassen durch Selektion im Bildungssystem vernachlässigt (Bönsch 2016, S. 208). Vielfalt wird heute weniger als Hindernis, denn vielmehr als Chance und Bereicherung für den Unterricht betrachtet (ebd.). Diese Perspektive ist gleichermaßen Grundlage für das Erreichen inklusiver Bildungsziele, da Menschen mit anderen Lernvoraussetzungen oder Benachteiligungen nicht länger durch eigene Lernsettings separiert, sondern gemeinsam mit anderen gemäß ihrer Fähigkeiten gefördert werden und gemeinsam lernen sollen (ebd.; Riedl & Schelten 2013, S. 118–119). Um dieses Lernen zu unterstützen, werden in der neueren Diskussion zur Heterogenität in Schulklassen bekannte Methoden des Klassenmanagements sowie der Binnendifferenzierung hervorgehoben (Trautmann & Wischer 2011, S. 120–123). Diese Methoden werden als wichtig erachtet, um einen reflexiven und produktiven Umgang mit Heterogenität und allen Individuen, die von einer für gut befundenen ‚Norm‘ abzuweichen scheinen, (inklusiv) zu unterstützen (ebd.; Wenning 2007, S. 28). Als ‚normal‘ wird angesehen, was häufig auftritt, einer Normalverteilung entspricht oder die vorgegebenen Anforderungen erfüllt (Brügelmann 2002, S. 31). Der kritische Umgang mit der ‚Norm‘ und mit aus ihr herausfallenden Schülerinnen und Schülern stellt Lehrkräfte nicht selten vor Herausforderungen, in denen sie nicht restlos zu lösenden Antinomien gegenüberstehen, wie die Nähe-, Differenzierungs- und Organisationsantinomie (Helsper 2004, S. 76–80). Gezielte Maßnahmen zum Umgang mit individuellen oder auch zielgruppenspezifischen Bedarfs- und Problemlagen der Schülerinnen und Schüler bedürfen so einer differenzierten Betrachtung und Reflexion sowie genauen Abstimmung auf die jeweilige Schulform, Klassenstufe und die jeweiligen Bedürfnisse der betroffenen Schüler, was gleichermaßen fachliches und fachdidaktisches wie auch allgemeines pädagogisches Wissen sowie Beratungsund Organisationswissen beinhaltet (Baumert & Kunter 2006, S. 482). Der erste notwendige Schritt liegt dabei in einer adäquaten Diagnose der Bedarfslagen von Schülerinnen und Schülern als Voraussetzung für differenzierende Maßnahmen oder Beratungsangebote (Klug et al. 2012, S. 3). Eine valide Diagnose sowie auf Diagnostik bezogenes und pädagogisches Wissen scheinen zudem eine zentrale Determinante für die Beratung und den Beratungserfolg zu sein (ebd. S. 8; Bruder et al. 2010, S. 281–282). Ziel der pädagogisch-psychologischen Diagnostik ist es, Urteile zu den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler mit möglichst großer Genauigkeit und Güte hervorzubringen. Dafür bedarf es prozeduralen und methodischen Wissens zur Einschätzung von Schülern sowie der Selbstdiagnose, aber auch konzeptuelles Wissen zu Phänomenen und Konstrukten (Hesse & Latzko 2011, S. 25). Bei der Diagnose ist zu beachten, dass Beobachtungen und Urteile von Lehrkräften
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durchaus zu kurz greifen oder fehlerhaft sein können (Spinath 2005). Dies ist auf Mängel an Wissen sowie auf unreflektierte subjektive Theorien zurückzuführen (bspw. Blomberg et al. 2013). Ferner fehlt es häufig an einer Sensibilisierung für die verschiedenen (sozialen, familiären, beruflichen und entwicklungspsychologischen) Problemlagen der Schülerinnen und Schüler, die für ein gezeigtes Verhalten verantwortlich sein können (bspw. Kärner 2015; Warwas, Kärner & Golyszny 2015). Ziel in der Lehrerbildung – auch für Lehrkräfte an beruflichen Schulen – sollte es demnach sein, für einen professionellen Umgang mit typischen Problemlagen von Schülerinnen und Schülern an beruflichen Schulen zu sensibilisieren, Diskrepanz erfahrungen und Selbstreflexion der Lehrpersonen zu initiieren und idealerweise vorhandene Stereotype aufzubrechen. Ebenso wichtig erscheint es, den Wissenserwerb zu relevanten, den Lernprozess (mit-)bestimmenden individuellen Problemlagen der Schülerinnen und Schüler, deren Entstehungshintergründen sowie geeignete Handlungsweisen zu fördern. Dass die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften in diesen Bereichen möglich und erfolgversprechend ist, zeigt sich in wissenschaftlichen Untersuchungen zu Handlungskompetenzen von Lehrkräften. So fanden Bruder et al. (2010, S. 281–282) heraus, dass insbesondere Wissen und Selbstwirksamkeitserwartungen signifikant positiv auf die Beratungs-, Kooperations- und Diagnosekompetenz wirken, Berufserfahrung jedoch negative Einflüsse habe. Somit erhält die erste Phase der Lehrerbildung nicht nur als Ort theoretischer Ausbildung einen hohen Stellenwert, sondern auch für die professionsbezogene Reflexion von Rollen und Handlungsmustern. Die (angehenden) Lehrpersonen sollen typische Rollen als professionell handelnde Lehrkraft reflektieren: vom Unterrichtenden bis zur diagnostizierenden und beratenden Lehrperson (KMK 2004). Auch die zweite und dritte Phase scheinen vor dem Hintergrund der Ergebnisse Klugs et al. (2012) von Bedeutung, um mittels geeigneter Weiterbildungsmaßnahmen die Kompetenz- und Expertiseentwicklung zu unterstützen und dem ‚Negativeffekt‘ der Berufserfahrung, entgegenzuwirken. 2.3 Textbasierte Fallarbeit als (hochschul-)didaktischer Ansatz zur TheoriePraxis-Verzahnung in der Lehrerbildung Um den professionellen Umgang mit Heterogenität zu fördern, werden in der universitären Lehrerbildung fallorientierte Methoden als hochschuldidaktische Variation des problemorientierten und -basierten Lernens etabliert. Problembasierte Seminare unterstützen dabei eine „diskursive Auseinandersetzung mit dem Unterricht, indem die Teilnehmenden aufgefordert werden, Lösungen für beobachtete Situationen zu erarbeiten und die Lösungsvorschläge kritisch zu prüfen“ (Kleinknecht, Schneider & Syring 2014, S. 212). Ziel ist es, fachliches, fachdidaktisches und allgemein pädagogisches Wissen und tätigkeitsspezifische Fähigkeiten zu verknüpfen, den Aufbau trägen Wissens zu vermeiden und implizites Wissen zu reflektieren. Somit kann auch eine professionelle Wahrnehmung lernförderlicher und -hinderlicher Aspekte im Unterrichtsprozess unterstützt werden, die im Bereich der Klassenführung, aber auch der pädagogischen Diagnostik die Anwendung situativ
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und problemangemessener Handlungen ermöglicht. Fallbezogenen Methoden wird eine hohe Bedeutung in der Lehrerbildung beigemessen, da sie eine Anbahnung professioneller Handlungskompetenzen sowie Theorieanwendung und eigene Theoriebildung begünstige. „Praxis“ wird nicht nur als wissenschaftliche Reflexionsfläche genutzt, sondern bildet auch wissenschaftliche Lerngelegenheiten und Ausgangspunkte für die Expertiseentwicklung. (Syring et al. 2016, S. 89; Gold, Förster & Holodynski 2013, S. 141–143; Sherin & van Es 2009, S. 22; Schneider 2010, S. 72–73) Für den pädagogischen Kontext konstruierte oder aufbereitete Fälle in Form von Text- oder Videovignetten mit fokussiertem Problembezug lassen sich gut in Lernumgebungen einsetzen, die i. S. problembasierten Lernens durch hohe Selbstständigkeit im Lernprozess und diskursive Auseinandersetzung mit dem Problem resp. Fall gekennzeichnet sind. Die Fälle können analysiert, Lösungsvorschläge erarbeitet und das neu erlangte Wissen vernetzt und angewendet werden. So soll eine Verzahnung von Theorie und Praxis des Lehrens erreicht werden. Angehende Lehrpersonen setzen sich inhaltlich-fachlich mit dem beschriebenen Problem oder Phänomen auseinander und durchdringen dies theorie-, forschungs- und evidenzbasiert (deduktiv). Gleichzeitig ermöglicht die Fallarbeit die induktive Theoriebildung „aus dem Fall heraus“ und baut somit handlungswirksame Schemata auf. Fallorientierte Settings unterstützen somit die Konstruktion reflektierter Theorien über Lernen, Lehren und Diagnose sowie epistemischer Überzeugungen angehender Lehrkräfte. (Syring et al. 2016, S. 89; Dietrich 2016, S. 50–52; Steiner 2005, S. 60– 64) U. a. aufgrund der beschriebenen Relevanz und des Facettenreichtums von Heterogenität und Inklusion erscheint es wichtig, dass Studierende die Wichtigkeit diagnostischen Wissens erkennen. Einerseits ist damit das deklarative Wissen um Phänomene und Verhaltensweisen, deren Entstehungszusammenhänge sowie diagnostische Methoden und Beobachtungs- und Urteilsfehler angesprochen. Andererseits soll das prozedurale Wissen um die situative Anwendung des Wissens und der Methoden erweitert werden. In der fallorientierten Arbeit soll deutlich werden, dass dieses Wissen situativ angewandt werden muss, um probate diagnostische Hypothesen und Urteile sowie Interventionen abzuleiten. (Hesse & Latzko 2011, S. 25, 63, 94–96) An dieser Stelle soll das im Mittelpunkt des Beitrags stehende Seminarkonzept ansetzen und Diagnostik sowie Beratung als Grundlage für individuelle Förderung sowie für einen professionellen Umgang mit Heterogenität, insbesondere mit (allgemein-pädagogisch, weniger rein fachdidaktisch) schwierigen Problemlagen von Schülerinnen und Schülern, sensibilisieren.
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3 MODUL FALLORIENTIERTEN LERNENS IM STUDIENGANG WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG 3.1 Ziele und Aufbau des Moduls Die Umsetzung eines fallbasierten Seminars im bestehenden Modul „Lehrprofessionalität“ im Masterstudiengang Wirtschaftspädagogik wurde 2016 angestoßen. Im Rahmen des am Standort Bamberg ansässigen Projektes „WegE“ in der BMBFgeförderten Qualitätsoffensive Lehrerbildung wurde ein fallbasiertes Seminar konzeptioniert und umgesetzt. Ausgangspunkt des Seminars bildet die steigende Heterogenität von Schülerinnen und Schülern an beruflichen Schulen und die damit steigende Zahl an Anlässen und Themen, die professioneller Diagnostik, Maßnahmen der Binnendifferenzierung und Beratung bedürfen (Tutscher & Haasler 2012, S. 102–104; Schnebel 2007, S. 9–11). Die Studierenden sollen sich dem in den Fällen beschriebenen allgemein-pädagogischen, schwierigen Verhalten der Schülerinnen und Schüler zunächst literaturbasiert annähern und anschließend fallbezogen Entstehungszusammenhänge explorieren und Hypothesen zur individuellen Problemlage formulieren. Die Hypothesen wiederum sollen mittels der im Fall gegebenen Informationen, mit Bezug zu Recherchen zum Stand der Forschung sowie unter Angabe geeigneter diagnostischer Methoden verdichtet werden. Darauffolgend entwickeln die Studierenden geeignete Interventionen und Handlungsoptionen für den Umgang mit dem Fall und reflektieren diese kritisch. Durch diese Arbeit an Fällen sollen den angehenden Lehrkräften Einblicke in die Heterogenität der Schülerschaft an beruflichen Schulen ermöglicht und Gelegenheiten zur pädagogisch reflektierten Vorbereitung auf die Praxis geboten werden. Ziel des Seminars ist es, Studierende für den Umgang mit Heterogenität an beruflichen Schulen und zur kritischen Reflexion von Lehrerhandeln zu sensibilisieren sowie diagnostische Hypothesen über Schülerverhalten sowie geeignete Handlungsoptionen situativ abzuleiten. Dabei setzen sich die Studierenden auch mit wissenschaftlichen Gütekriterien und wissenschaftlichen Haltungen in alltäglichen diagnostischen Fragestellungen und pädagogischem Handeln auseinander, um Beobachtungsfehler und Urteilstendenzen zu vermeiden und subjektive Theorien zu erkennen und zu reflektieren. 3.2 Auswahl und Aufbereitung der Fälle Das entworfene Seminar ist i. S. d. problemorientierten Lernens aufbereitet und nutzt die Fallarbeit als Methode für eine evidenzbasierte, forschungsgeleitete Herangehensweise an pädagogische Problemstellungen im Unterricht (Syring et al. 2016, S. 89; Steiner 2005, S. 27–29). Über mehrere Projektschritte hinweg wurden auf Literaturbasis textbasierte Fallvignetten zu Schülerinnen und Schülern in sozialen, emotionalen und motivationalen Problemlagen an beruflichen Schulen mit dem Ziel entwickelt, authentische Fälle zu generieren (Weber & Achtenhagen 2003). In einem fallbasierten Seminar im Wintersemester 2016/17 wurden acht
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Fälle zu den in Tabelle 1 genannten Phänomenen, die in beruflichen Schulen relevant und teilweise inhaltlich miteinander verbunden sind, erprobt. Tab. 1: Begründung der ausgewählten Phänomene Fall/Phänomen
Relevanz
Schulische Langeweile
Verschiedene Studien, u. a. von Götz, Frenzel & Pekrun (2007) oder Kögler & Wuttke (2012) zeigen auf, dass sich Schüler in beruflichen Schulen regelmäßig bis zu 50 % der Unterrichtszeit langweilen und dies negative Auswirkungen auf den Lernerfolg habe.
Schulabsentismus (inter- und intraindividuelle Bedingung)
Das Fernbleiben von der Schule ist ein weit verbreitetes Phänomen. Die Gründe hierfür sind vielfältig (Fahrenholz 2015). Schulabsentismus kann als eine Verlaufsgeschichte betrachtet werden, von der besonders Hauptund Sonderschüler betroffen wären, die häufig in das berufliche Übergangssystem einmünden und dort weiterhin absentes Verhalten zeigten. Dies führe bis zum Schulabbruch, woraus schlechtere Ausbildungs- und Beschäftigungsperspektiven resultieren können. (Schreiber-Kittl & Schöpfer 2002, S. 133; BMBF 2017, S. 84)
Stress und Belastung
Nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in der Ausbildung in der Schule werden erhöhtes Stresserleben und Stresssymptome bei Schülerinnen und Schülern beschrieben. Dies wirke sich nicht nur auf die Gesundheit aus, sondern habe auch negative Auswirkungen auf den Lernerfolg und die Leistungsfähigkeit (Kärner 2015, S. 107–116). Besondere Stressoren dabei seien u. a. die Angst vor Fehlern und Arbeitsplatzverlust (Besener 2011, S. 142–143).
Underachievement
Erwartungswidrige Minderleistung ist gerade durch die verschiedenen Bildungsbiografien und die daraus folgende leistungs- und wissensbezogene Heterogenität an beruflichen Schulen relevant. Ferner scheinen berufliche Schulen ein Ausweg für Underachiever, um noch Leistungssteigerungen gegenüber allgemeinbildenden Schulen und weiterführenden Bildungsgängen erreichen zu können. (Stamm & Stutz 2009; Kärner 2015)
Prüfungsangst
Prüfungsangst ist ein schulartübergreifendes und weit verbreitetes Phänomen, welches auch aufgrund höher werdender Leistungsanforderungen und Belastungen in der Schule und am Arbeitsplatz in der beruflichen Bildung präsent bleibt (Besener 2011, S. 142–143; Weiß 1997, S. 9). Eine Indikation erfolgt häufig über Schülerleistung und Verhalten (Suhr-Dachs & Döpfner 2015, S. 107–108) und ist so von der gezielten Beobachtung der Lehrkraft abhängig (Fehm & Fydrich 2011, S. 7). Zudem kann Prüfungsangst durch verbale und psychische Gewalt wie Mobbing bedingt werden.
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Fall/Phänomen
Unterrichtsstörung
Gewalt/Mobbing
Relevanz Unterrichtsstörungen gelten als gravierende Stressoren für Lehrkräfte und binden wertvolle Lernzeit im Unterricht. Diese ließen sich nicht nur auf deviantes Schülerverhalten, sondern auch auf problematische Abläufe in Schule und Unterricht zurückführen (Keller 2014, S. 7–8; Lohmann 2003, S. 16; Steyer 2005, S. 85). Zudem weisen Störungen einer Synopse von Steyer (2005, S. 73–74) zufolge auch an beruflichen Schulen häufig eine aggressive Valenz auf. Gewalt in beruflichen Schulen ist in Form von verbaler Gewalt stark vertreten, hinsichtlich körperlicher und psychischer Gewalt, aber auch Gewalt gegen Sachen gäbe es kaum Unterschiede zu anderen Schulformen. Innerhalb der beruflichen Schulen seien Klassen des beruflichen Übergangssystems besonders stark betroffen. (Baier 2010; Fuchs et al. 2009)
Quelle: Eigene Darstellung.
Es wird angenommen, dass das Wissen um die genannten Phänomene im Unterricht für Lehrpersonen relevant ist, die Phänomene im Unterrichtsalltag und vor allem der Unterrichtswahrnehmung der Lehrpersonen gegenüber fachdidaktischen Herausforderungen der Unterrichtsgestaltung und Binnendifferenzierung eher in den Hintergrund rücken. Dennoch ist evident, dass die genannten Phänomene sehr wohl Auswirkungen auf den Lernerfolg sowie das Klassenklima haben und bei Nichtbeachtung oder nicht rechtzeitiger Reaktion zu gravierenden Problemlagen anwachsen können, bis hin zum Dropout und Schul- oder Ausbildungsabbruch (Underachievement, Absentismus). Zudem wird vermutet, dass die genannten Phänomene insofern im beruflichen Schulwesen besonderer Behandlung bedürfen, als die Entstehungshintergründe bei Schülerinnen und Schülern in beruflichen Schulen sich von den Entstehungshintergründen ähnlicher Phänomene bei Schülerinnen und Schülern in anderen Schultypen (bspw. der Primarstufe) deutlich unterscheiden können. Alle Fälle wurden – wie auch der oben skizzierte Fall „Moritz“ zu Stress und Belastung – für den Einsatz in der Ausbildung für Wirtschaftspädagogen in den Kontext kaufmännischer Fachklassen eingebettet. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Phänomene auch in Klassen anderer beruflicher Fachrichtungen gültig sind. 4 EVALUATION DER FÄLLE – EINE EMPIRISCHE STUDIE 4.1 Ziele und Design Bevor die entwickelten Fälle über die Seminarpilotierung hinaus in der Lehrerbildung und gegebenenfalls in weiteren Forschungs- oder Entwicklungsprojekten einbezogen werden, soll zunächst die ökologische Validität der Fälle geprüft werden. Lehrpersonen schätzten ein, ob die Fälle praktisch bedeutsam und bekannt sind, ob
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sie bewertet werden und inwieweit sie zukünftig um weitere Fälle ergänzt werden sollten. 4.2 Stichprobe An der Erhebung an mehreren Berufsschulen in Ober- und Mittelfranken nahmen insgesamt 63 Lehrpersonen (m = 30, w = 19, keine Angabe = 14) im Alter von 30–60 Jahren (MW = 46.25, S = 9.43) teil. Unter den Lehrpersonen befinden sich zwei Referendare im zweiten Ausbildungsjahr und 49 ausgebildete Lehrkräfte mit durchschnittlich 17.27 Jahren Berufserfahrung (Spanne 2–37 Jahre, S = 9.52). Die befragten Lehrpersonen verteilen sich auf verschiedene berufliche Fachrichtungen wie folgt: 22 Wirtschaft und Verwaltung, 2 Gesundheit und Pflege, 17 gewerblichtechnische Berufe, 6 Ernährung und Hauswirtschaft sowie 16 ohne Angabe. 4.3 Methode Die Lehrkräfte wurden gebeten, im Rahmen einer online-Befragung mittels eines teilstandardisierten Fragebogens die Phänomene und Fälle hinsichtlich der Relevanz, Häufigkeit, Realitätsnähe und Authentizität auf einer fünfstufigen LikertSkala zu bewerten (z. B. „Wie groß schätzen Sie die unterrichtliche Relevanz schulischer Langeweile in beruflichen Schulen ein?“; Antwortmöglichkeiten von 1 = „sehr gering“ bis 5 = „sehr hoch“). Durch Skalenbildung sollen die aggregierte Fallbewertung sowie die Konsistenz der Falleinschätzung über die verschiedenen Items hinweg erfasst werden. Die Cronbachs Alpha-Werte zeigen durchweg angemessene Werte (siehe Tabelle 3). Am Ende der Befragung wurden die Lehrkräfte zudem gebeten, weitere Herausforderungen im Umgang mit einer heterogenen Schülerschaft an beruflichen Schulen zu benennen, die zukünftig aufbereitet und in der (universitären) Lehrerbildung eingesetzt werden könnten. Diese offenen Angaben wurden inhaltsanalytisch nach Mayring (2015) ausgewertet. 4.4 Ergebnisse Für die Ermittlung der Qualität der Fälle wurden zunächst die Einzelitems betrachtet. Tabelle 2 zeigt die Spanne der Mittelwerte in Bezug auf die Einschätzungen auf Fallebene. Die beschriebenen Phänomene in den Fällen wurden von den befragten Personen hinsichtlich der Einzelitems in mittleren Ausprägungen eingeschätzt. Tabelle 2 zeigt die Mittelwerte und in Klammern die Standardabweichungen.
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Tab. 2: Mittelwerte und Standardabweichungen (in Klammern) der Einzelitems auf Fallebene (N = 32–35) Fall
Relevanz
Häufigkeit
Authentizität
Realitätsnähe
3.55 (.971)
3.24 (.936)
3.67 (.924)
3.73 (.839)
Absentismus 1
3.62 (1.015)
2.64 (.962)
3.26 (.864)
3.32 (.8069
Absentismus 2
3.46 (.980)
2.94 (1.110)
3.34 (.906)
3.31 (.963)
Stress & Belastung
3.68 (.727)
3.15 (1.077)
3.59 (.892)
3.64 (.859)
Underachievement
3.34 (.827)
3.31 (.998)
3.75 (.842)
3.69 (.821)
Gewalt
3.18 (.936)
2.53 (.896)
3.50 (.826)
3.44 (.824)
Prüfungsangst
2.77 (.731)
2.40 (.695)
3.00 (.840)
3.15 (.857)
Unterrichtsstörung
3.85 (.925)
3.26 (.994)
3.59 (.957)
3.59 (.957)
schul. Langeweile
Quelle: Eigene Berechnung.
In einem folgenden Schritt wurden die Einzelitems zu einer Variable zusammengefasst, um die ökologische Validität der Fälle abzubilden. Die Messung der internen Konsistenz zwischen den geschlossenen Fragen zu den Fällen ergab durchweg eine hohe Reliabilität (siehe folgende Tabelle), die eine Skalenbildung erlaubt, auf deren Basis weitere Untersuchungen zu den Fällen möglich sind. Tab. 3: Deskription und zu den Fällen (N = 31–35) Fall Langeweile Absentismus 1 Absentismus 2 Stress & Belastung Underachievement Gewalt Prüfungsangst Unterrichtsstörung
Cronbachs α α = .89 α = .83 α = .86 α = .87 α = .93 α = .82 α = .76 α = .83
Skalen-MW 3.54 3.22 3.26 3.52 3.52 3.16 2.82 3.58
Min 2.0 1.75 1.5 2.25 1.75 1.5 1.25 2.25
Max 5.0 5.0 5.0 5.0 5.0 4.5 4.0 5.0
S .81 .75 .84 .76 .80 .70 .60 .74
Quelle: Eigene Berechnung.
Die Skalenmittelwerte aller Fälle liegen auf einem mittleren Niveau. Es deuten sich aber auch Unterschiede zwischen den Fällen an. Die Fälle „Prüfungsangst“, „Gewalt” sowie „Absentismus 1 und 2” weisen die geringsten, „Stress & Belastung“, „Underachievement“ und „Unterrichtsstörung“ deutlich höhere Werte auf. Dies
Soziale, emotionale und motivationale Problemlagen von Schülerinnen und Schülern
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deutet sich bereits in der Darstellung der Mittelwerte der Einzelitems an, in der die besagten Fälle durch niedrige Mittelwertausprägungen in der „Häufigkeit” auffallen. Die Antworten auf die Frage, ob und wo die Lehrpersonen bereits in Kontakt mit einem solchen oder ähnlichen Verhalten gekommen sind, stützen diese Befunde. Folgender Aufstellung ist zu entnehmen, dass die Lehrpersonen bereits über jeweils verschiedene Kanäle mit den Phänomenen in Berührung kamen. Tab. 4: Kontakt der Lehrpersonen zu (ähnlichen) Fällen (Mehrfachnennung möglich, absolute Werte) Fall
Langeweile Absentismus 1 Absentismus 2 Stress & Belastung Underachievement Gewalt Prüfungsangst Unterrichtsstörungen
Eigener Unterricht
Gespräche mit Kollegen
Schülergespräch
Sonstiges
Summe
Unbekannte Situation
31
11
6
5
53
1
17
13
7
3
40
9
14
12
3
6
35
10
21
10
13
5
49
5
24
12
8
0
44
6
18
14
6
4
42
11
18
9
5
3
35
8
24
12
5
10
51
8
Quelle: Eigene Berechnung.
Die Kategorie „Sonstiges“ setzt sich unter anderem aus Nennungen „kollegiale Beratung“, „Unterrichtshospitationen“ und „Lehrerkonferenzen“ zusammen. In der Aufstellung fällt eine besonders häufige Nennung von „Langeweile“, „Unterrichtsstörungen“ und „Stress & Belastung“ auf. Zudem zeigt sich, dass die meisten Erfahrungen aus dem eigenen Unterricht stammen. Dies korrespondiert wiederum mit den Ausprägungen der Skalenmittelwerte. In der folgenden offenen Frage am Ende des Fragebogens sollte erfasst werden, welche weiteren Problemlagen die befragten Lehrkräfte für berufliche Schulen als relevant erachten. Hierbei gaben die Lehrkräfte weitere sehr verschiedene Phänomene an, die inhaltlich wie folgt zusammengefasst wurden: Mangel an sozialen Kompetenzen sowie Suchprobleme (je N = 6), Leistungsheterogenität, Disziplinund Motivationsprobleme (je N = 5), Lernschwierigkeiten (N = 4), (Cyber-) Mobbing und mangelndes Durchhaltevermögen (je N = 3), Folgen falscher Berufswahl, kulturelle und sprachliche Heterogenität sowie schwierige Familienverhältnisse
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(je N = 2) und Depression, Epilepsie, politisches Desinteresse, Überschätzung eigener Fähigkeiten, Hygiene- und sexuelle Identitätsprobleme (je N = 1). Auffällig erscheint, dass bei den weiteren von den Lehrpersonen genannten Problemlagen insbesondere solche mit allgemein-pädagogischem Handlungsbezug, nicht aber fachdidaktische Problemlagen thematisiert wurden. 5 DISKUSSION UND AUSBLICK 5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse und Limitationen Bisher wurden im Projekt WegE an der Universität Bamberg vor allem Fälle zu sozialen, emotionalen und motivationalen Problemlagen von Schülerinnen und Schülern im Kontext kaufmännischer (Fach-)Klassen in Kooperation mit dem Studienseminar entwickelt. Die Befragung von Lehrkräften an beruflichen Schulen gibt positive Hinweise auf die ökologische Validität, insbesondere auf die mittlere Einschätzung Relevanz, Häufigkeit, Realitätsnähe und authentische Aufbereitung der Fälle. So wird den Fällen zwar nicht höchste alltägliche Relevanz oder Brisanz im Unterrichtsalltag zugeschrieben. Sie sind den Lehrpersonen aber dennoch bekannt und auch als wichtig eingestuft. Insgesamt verbleiben die Mittelwerte alle im mittleren Bereich. Die bisherigen Einschätzungen der Fälle durch Lehrpersonen ermutigen, in weiteren Lehrveranstaltungen und Studien mit diesen Fällen zu arbeiten. Aufgrund der kleinen Stichprobe sind die Ratings der Lehrkräfte jedoch als erste Einblicke bzw. Hinweise zu werten. Welche Qualität die Urteile der Befragten haben, bleibt insofern unklar, als dass nicht erfasst wurde, inwiefern die Befragten über Wissen zu den jeweiligen Phänomenen, zugehörigen wissenschaftlichen Konstrukten und Befunden oder möglichen Entstehungshintergründen verfügen. Auch wurden die Lehrkräfte nicht um eine Einschätzung ihrer Kompetenzen im förderlichen Umgang mit Problemen der Schülerinnen und Schüler gebeten. Unklar ist auch, ob sich die Lehrpersonen bei ihren Einschätzungen auf Wissen stützen, das eher implizit und erfahrungsbasiert erworben oder das anhand von Forschungsergebnissen und Evidenzen reflektiert wurde und mit der Forschungslage konsistent ist. Zudem ist unbekannt, inwiefern die befragten Lehrpersonen darüber hinaus Diagnose-, Beratungs- oder Handlungskompetenzen zur individuellen Förderung und Binnendifferenzierung besitzen und inwiefern z. B. Experten im Bereich der Diagnostik diesen Einschätzungen der Lehrpersonen zustimmen würden. Die Fälle sind zudem jeweils in den Kontext kaufmännischer Berufsausbildung eingebettet. Dies war durch den Einsatz der Fälle in der universitären Ausbildung im Studiengang Wirtschaftspädagogik begründet. Ob die Fälle auch in anderen beruflichen Fachrichtungen relevant und gültig sind, wird zwar theoretisch angenommen, wäre jedoch noch empirisch zu prüfen. Die bisherige Fallvalidierung bleibt daher auf die ökologische Validität beschränkt. Bei der Fallaufbereitung wurde vor allem darauf geachtet, die Sprache und Begrifflichkeiten so zu wählen, dass der Text eher an die Alltags- als die Fachsprache
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anknüpft, um in der Fallarbeit das Problem der Alltagswahrnehmung und -beobachtung sowie subjektiver Theorien zu verdeutlichen. Für eine Anwendung der Fälle z. B. in der Kompetenzmessung müssten hier gegebenenfalls noch Präzisierungen vorgenommen werden. Die Ergebnisse der Befragung der Lehrkräfte ermutigen zudem, die Sammlung der Fälle um weitere soziale, emotionale und motivationale Problemlagen zu erweitern. 5.2 Perspektive zur Evaluation des Seminars und Implikation für den Einsatz textbasierter Fälle in der Lehrerbildung Die skizzierten Fälle wurden als Ausgangspunkt für fall- und forschungsorientiertes Lernen in der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte an beruflichen Schulen an der Universität Bamberg erprobt. Inwieweit es gelungen ist, die Studierenden für diese Problemlagen zu sensibilisieren, den Erwerb relevanten Wissens über Verdachtsmomente, die Konstrukte, Entstehungshintergründe und potenzielle Handlungsoptionen zu fördern, wird die noch ausstehende Seminarevaluation zeigen. Zunächst ist neben einer Evaluation auf Level eins nach Kirkpatrick (1998) – der Wahrnehmung des Seminars durch die Teilnehmer – angedacht, die zugehörigen Seminararbeiten der Studierenden zu nutzen, um eine erste Einschätzung der Lerneffekte zu gewinnen. Möglicherweise bieten auch aktuell in Entwicklung befindliche Instrumente, z. B. zur Inklusionskompetenz von Döbler und Zinn (in diesem Band), gute Optionen, die Effekte des Seminars in Prä-Post-Designs zu evaluieren (Evaluationsebene 2 nach Kirkpatrick 1998). Um einen phasenübergreifenden Beitrag in der Lehrerbildung zur Theorie-Praxis-Verzahnung und reflexiven forschenden Haltung zu leisten, sollen die Ergebnisse der Seminarpilotierung darüber hinaus in eine bayernweite Seminarlehrerfortbildung eingehen und somit gleichsam in der dritten und, durch Multiplikatoren und Seminarlehrkräfte, in der zweiten Phase wirksam werden. Somit sollen die Impulse wirksamer Fallarbeit zur Verbesserung der pädagogischen Diagnostik und Beratungskompetenz auch erfahrenen Lehrpersonen zugutekommen. Dass es, z. B. mit Blick auf das Klassenmanagement, herausfordernd sein kann, den Unterricht in heterogenen Klassen nicht ausschließlich mit Fokus auf fachdidaktische Herausforderungen zu gestalten, sondern zugleich vielfältige emotional und motivational schwierige Problemlagen von Schülerinnen und Schülern an beruflichen Schulen zu betrachten, zeigen u. a. Befunde zu Belastungen von Lehrkräften oder die Forschung zu Klassenmanagement (Lipowski 2006, S. 59–63; Schumacher, Paulus & Sieland 2009, S. 626; Warner & Schwarzer 2009, S. 632–633). Insbesondere Lehrkräfte, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, die Lernenden fachlich gut auszubilden und sich selbst stärker als Fachexperte definieren, mögen hier an ihre Grenzen geraten (Schaarschmidt 2009, S 608–610). Erzieherische Aufgaben und die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung scheinen auch im Zuge von der intensiven Forschung zu Fachdidaktik im letzten Jahrzehnt, insbesondere im Kontext berufsschulischer Ausbildung (im Unterschied zu Maßnahmen des Übergangssystems), weniger präsent gewesen zu sein. Eine Studie von Harder (2015) aber
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zeigt, dass die Berufsethoi von Lehrpersonen an beruflichen Schulen sehr wohl verschiedene Foki aufzeigen. Es gibt Lehrkräfte, die im Rahmen ihrer Aufgaben besonderen Wert auf die fachliche Ausbildung der Lernenden legen, und andere, deren Ziele stärker erzieherisch auf den Aufbau guter Lehrer-Schüler-Beziehungen oder eines lernförderlichen Klassenmanagements ausgerichtet sind. Auch Benner (2015) mahnt an, dass erzieherische und beratende Aufgaben wieder stärker diskutiert werden sollten. Dass die erzieherischen Aufgaben und der Umgang mit den individuellen psychosozialen Situationen der Schülerinnen und Schüler als Lehrkraft aber nicht als Mehrbelastung, sondern der Umgang mit Individuen für die Lehrkraft vielmehr bereichernd und sinnstiftend sein kann, bestätigt die folgende Aussage einer der befragten Lehrkräfte: „Gottseidank haben wir nicht nur mit Problemfällen zu tun, sondern auch mit VIELEN Schülerinnen und Schülern, mit denen es SPASS macht zu unterrichten und die mich auch in meinem Leben und Arbeiten als Lehrkraft bereichern und mir Grund geben, Stereotype zu hinterfragen.“ (P.105)
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Soziale, emotionale und motivationale Problemlagen von Schülerinnen und Schülern
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Motivation und Emotionen bei der Arbeit mit Unterrichtsfällen. Zeitschrift für Pädagogik, 1/2016, 86–108. Terhart, E. (2015). Umgang mit Heterogenität: Anforderungen an Professionalisierungsprozesse. In C. Fischer (Hrsg.). (Keine) Angst vor Inklusion (63–83). Münster: Waxmann. Trautmann, M. & Wischer, B. (2011): Heterogenität in der Schule. Eine kritische Einführung. Wiesbaden: Springer. Tutschner, R. & Haasler, S. (2012): Meister der Methode – Zum Wandel des Rollenverständnisses von Lehrern und Ausbildern in der beruflichen Bildung. In: P. Ulmer, R. Weiß & A. Zöller (Hrsg.). Berufliches Bildungspersonal – Forschungsfragen und Qualifizierungskonzepte, 2012 (97–116). Bielefeld: Bertelsmann. VN–BRK (Vereinte Nationen) (2008). Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Bundesgesetzblatt II Nr. 35, S. 1419 vom 21. Dezember 2008. Warner, L. & Schwarzer, R. (2009). Selbstwirksamkeit bei Lehrkräften. In: O. Zlatkin-Troitschanskaia u. a. (Hrsg.). Lehrprofessionalität: Bedingungen, Genese, Wirkungen und ihre Messung (629–640). Weinheim: Beltz. Warwas, J., Kärner, T. & Geck, A.-L. (2016). Individuelle und kontextuelle Prädiktoren intrinsischer Lernmotivation von Auszubildenden an beruflichen Schulen. Zeitschrift für Bildungsforschung, 6(3), 285–306. Warwas, J., Kärner, T. & Golyszny, K. (2015). Diagnostische Sensibilität von Lehrpersonen im Berufsschulunterricht: Explorative Prozessanalysen mittels Continuous-State-Sampling. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 111 (3), 437–454. Weber, S. & Achtenhagen, F. (2003). „Authentizität” in der Gestaltung beruflicher Lernumgebungen. In: A. Bredow, R. Dobischat & J. Rottmann (Hrsg.). Berufs- und Wirtschaftspädagogik von A – Z. Grundlagen, Kernfragen und Perspektiven. Festschrift für Günther Kutscha (185– 199). Baltmannsweiler: Schneider. Weiß, H.-J. (1997): Prüfungsangst: Wie entsteht sie? Was richtet sie an? Wie begegne ich ihr? Würzburg: Lexika. Wellenreuther, M. (2008): Lehren und Lernen – aber wie? Empirisch-experimentelle Forschungen zum Lehren. Baltmannsweiler: Schneider. Wenning, N. (2007): Heterogenität als Dilemma für Bildungseinrichtungen. In: S. Boller/E. Rosowski/T. Stroot (Hrsg.). Heterogenität in Schule und Unterricht (21–31). Zoyke, A. (2016). Inklusion und Umgang mit Heterogenität im Lehramtsstudium für berufliche Schulen. ZFHE Jg.11/Nr.1 (Januar 2016), 57–78.
AUTORINNEN UND AUTOREN Ariali, Sunita, Dipl.-Psych. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik E-Mail: [email protected] Austermann, Nora, M. A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin FH Münster, Institut für Berufliche Lehrerbildung, Berufliche Bildung mit dem Schwerpunkt Didaktik inklusiven Unterrichts E-Mail: [email protected] Bach, Alexandra, Prof. Dr. Universitätsprofessur für Berufspädagogik Universität Kassel, Institut für Berufsbildung, Fachgebiet Berufspädagogik (gewerblich-technischer Schwerpunkt) E-Mail: [email protected] Behrendt, Stefan, B. Eng. M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufs-, Wirtschafts- und Technikpädagogik E-Mail: [email protected] Burda-Zoyke, Andrea, Prof. Dr. Universitätsprofessur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Abteilung für Berufs- und Wirtschaftspädagogik E-Mail: [email protected] Bylinski, Ursula, Prof. Dr. Professorin an der FH Münster Institut für Berufliche Lehrerbildung, mit dem Schwerpunkt „Berufliche Bildung, Didaktik inklusiven Unterrichts“ E-Mail: [email protected]
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Autorinnen und Autoren
Döbler (geb. Wasmann), Christiane, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik E-Mail: [email protected] Heinrichs, Karin, Prof. Dr. Universitätsprofessorin für Wirtschaftspädagogik Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften E-Mail: [email protected] Joost, Janine, Dipl.-Hdl. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Abteilung für Berufs- und Wirtschaftspädagogik E-Mail: [email protected] Méliani, Kim, B. A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufs-, Wirtschafts- und Technikpädagogik Mail: [email protected] Mokhonko, Svitlana, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufs-, Wirtschafts- und Technikpädagogik Mail: [email protected] Nickolaus, Reinhold, Prof. Dr. Universitätsprofessor für Berufspädagogik Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufs-, Wirtschafts- und Technikpädagogik E-Mail: [email protected] Niethammer, Manuela, Prof. Dr. Universitätsprofessorin für Bautechnik, Holztechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung/Berufliche Bildung, Technische Universität Dresden, Institut für Berufspädagogik und Berufliche Didaktiken E-Mail: [email protected] Reinke, Hannes, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Wirtschaftspädagogik und dem Projekt WegE in der QLB, Otto-Friedrich-Universität Bamberg E-Mail: [email protected]
Autorinnen und Autoren
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Schaub, Christian, Dipl.-Hdl. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Universität Kassel, Institut für Berufsbildung, Fachgebiet Berufspädagogik (gewerblich-technischer Schwerpunkt) E-Mail: [email protected] Schweder, Marcel, Dipl.-Berufspäd. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Technische Universität Dresden, Fakultät Erziehungswissenschaften, Institut für Berufspädagogik und Berufliche Didaktiken, Berufliche Fachrichtung Bautechnik, Holztechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung/Berufliche Didaktik E-Mail: [email protected] Sindermann, Michaela, M. A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin FH Münster, Institut für Berufliche Lehrerbildung, Berufliche Bildung mit dem Schwerpunkt Didaktik inklusiven Unterrichts Vetter, Dinah Vivianne, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufs-, Wirtschafts- und Technikpädagogik Wyrwal, Matthias, Dipl.-Gwl. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik E-Mail: [email protected] Ziegler, Simone, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften E-Mail: [email protected] Zinn, Bernd, Prof. Dr. Universitätsprofessor für Berufspädagogik Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Lehrstuhl Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik E-Mail: [email protected]
Bernd Zinn / Ralf Tenberg / Daniel Pittich (Hg.)
Technikdidaktik Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme
die herausgeber Bernd Zinn ist Professor für Berufspädagogik mit Schwerpunkt Technikdidaktik am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Stuttgart. Ralf Tenberg ist Professor für Technikdidaktik an der TU Darmstadt, zuvor war er an den Universitäten Hannover, Gießen und der TU München tätig. Daniel Pittich ist Juniorprofessor für Didaktik der Technik an der Universität Siegen.
2018 334 Seiten mit 7 Tabellen und 27 s/w-Abbildungen 978-3-515-11941-2 kart. 978-3-515-11942-9 e-book
Die Technikdidaktik hat sich in den zurückliegenden Jahren in allen Bildungsbereichen etabliert. Auf der allgemeinbildenden Ebene ist dies eine Folge des anhaltenden technologisch-digitalen Wandels und dessen sukzessiver Implementierung in den „klassischen“ Bildungskanon. Demgegenüber steht ein anhaltendes wissenschaftliches Defizit in den beruflichen Fachdidaktiken. Die Frage, was „Technikdidaktik“ zum jetzigen Entwicklungsund Wahrnehmungsstand eigentlich ist und was sie leisten soll, stellt sich insbesondere für jene, die unmittelbar in diesem interdisziplinären wissenschaftlichen und praktischen Handlungsfeld tätig sind, aber auch für angrenzende Disziplinen. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes leisten eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme. In ihren Beiträgen thematisieren sie die zentralen Bezugspunkte der Technikdidaktik, deren verschiedene disziplinäre Perspektiven sowie einige Spezifika verschiedener Anwendungsfelder. Dies umfasst Ansätze und Befunde technikdidaktischer Forschung, aber auch Felder und Ausprägungen technikdidaktischer Bildungspraxis – nicht zuletzt in internationaler Perspektive. mit beiträgen von Friedhelm Schütte, Petra Gehring & Philipp Richter, Uwe Pfenning, Anette Weisbecker & Helmut Zaiser & Jürgen Wilke, Bernd Zinn, Alfred Riedl, Claudius Terkowsky & Silke Frye & Tobias Haertel & Dominik May & Uwe Wilkesmann & Isa Jahnke, Daniel Pittich, Ralf Tenberg, Alexandra Bach, Uwe Faßhauer & Josef Rützel, Reinhold Nickolaus, Ingelore Mammes, Bernd Geißel, Britta Bergmann, Marc J. de Vries, Jürgen Wilke & Karin Hamann & Helmut Zaiser, Joachim Walther & Nicola W. Sochacka
Hier bestellen: www.steiner-verlag.de
Die Umsetzung von Inklusion und der Umgang mit Heterogenität stellen besondere Anforderungen an die Lehrkräfte. Dieser Band thematisiert die mit der inklusiven Bildung verbundenen Herausforderungen an die Professionalisierung im Lehramt an berufsbildenden Schulen und liefert einen Überblick über die aktuellen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Die Autorinnen und Autoren skizzieren, in welchen Feldern Aktivitäten für eine Qualitätsverbesserung der Lehrerbildung in der Berufsbildung bereits stattfinden und wo sie darüber hinaus als notwendig erachtet werden. Die sowohl theoretisch als auch empirisch angelegten Beiträge greifen damit aktuelle Handlungsfelder auf: Sie setzen sowohl im allgemeinbildenden, durch ihre spezifischen theoretischen Ansätze aber auch im besonderen Bereich fruchtbare Impulse für die Inklusionsforschung und geben mit ihren empirischen Befunden Anstöße für die Lehrerbildung in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik.
ISBN 978-3-515-11873-6