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German Pages 279 [280] Year 1986
BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT F Ü R R O M A N I S C H E PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG HERAUSGEGEBEN VON KURT BALDINGER
Band 211
Elisabeth Schmid
Familiengeschichten und Heilsmythologie Die Verwandtschaftsstrukturen in den französischen und deutschen Gralromanen des 12. und 13. Jahrhunderts
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1986
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät II der Universität Erlangen-Nürnberg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schmid, Elisabeth: Familiengeschichten und Heilsmythologie : d. Verwandtschaftsstrukturen in d. franz. u. dt. Gralromanen d. 12. u. 13. Jh. / Elisabeth Schmid. - Tübingen : Niemeyer, 1986. (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie ; Bd. 211) NE: Zeitschrift für romanische Philologie / Beihefte ISBN 3-484-52211-9
ISSN 0084-5396
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1986 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz: Walter, Tübingen Druck: Maisch und Queck, Gerlingen IV
Inhaltsverzeichnis
VORWORT
IX
EINLEITUNG D I E VERWANDTSCHAFTLICHE
ORGANISATION
IN D E R
GRALGE-
S C H I C H T E D E S R O B E R T D E B O R O N U N D IM < C O N T E D E L G R A A L > : W A S LÄSST SICH V E R G L E I C H E N ?
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ERSTES KAPITEL R O B E R T D E B O R O N , und im < Conte del Graal>: Was läßt sich vergleichen?
Es gibt zweifellos übereinstimmende Motive in Roberts und Chrestiens Gralgeschichte. In beiden Fällen ist derjenige, der zur Anschauung des Grals gelangen soll, mit dem Gralhüter verwandt, ohne jedoch dessen Sohn zu sein; bei beiden Autoren wird in ihn eine Heilserwartung gesetzt, und bei beiden ist die am Gral partizipierende Verwandtschaft der profanen Ordnung enthoben. Bei beiden trägt die Person, welche man als den zweiten Gralhüter identifizieren kann, den Namen Peschierre. Die Frage ist, welchen Status diese Übereinstimmungen in zwei Gestaltungen so verschiedener Ausprägung haben können. Für Kurt Ruh (Joachitische Spiritualität) und für Erich Köhler (Ideal und Wirklichkeit) sind die Gemeinsamkeiten so evident, daß eine direkte Abhängigkeit der beiden Werke gefolgert werden muß. Beide Philologen versuchen, die direkte Abhängigkeit zu erweisen, indem sie die genealogischen Muster miteinander vergleichen. Köhler zufolge benützte Chrestien Roberts Genealogie, um sie für seine Zwecke umzudeuten. Nach Ruh versuchte Robert, seine Gralhüterfolge mit Chrestiens Verwandtschaftsmodell in Einklang zu bringen. Für Köhler realisiert sich in Chrestiens Gralroman die Figur, welche bei Robert als tierz hons versprochen worden war. Für Ruh steht fest, daß Robert mit seinem tierz hon auf einen Helden namens Perceval abzielt. Gewiß wird es ein nach den von Robert «neu geschaffenen stofflichen und geistigen Voraussetzungen umgewandelter Perceval» (S. 195) sein, aber dennoch eine Figur, bei der die «genealogischen Grundgegebenheiten des » erhalten bleiben (S. 190). Den neuen Perceval sieht Ruh im sogenannten verwirklicht, wenn auch in verstümmelter Form. Es handelt sich dabei um einen Prosatext, der, in zwei Handschriften überliefert, beide Male einem Zyklus eingefügt ist. Der ist der dritte Teil einer Tetralogie, bestehend aus einer Prosaversion von Roberts Gralgeschichte, einem , dem und einer . Der stellt tatsächlich den Versuch dar, Chrestiens Percevalfigur mit Roberts tierz hon zu verschmelzen. Es wird sich jedoch zeigen (vgl. unten S.87ff.), daß der Verfasser des dabei auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Während nämlich Ruh und Köhler anhand der vom spezifischen Kontext abstrahierten Verwandtschaftsbeziehungen gefahrlos ausprobieren können, inwiefern sich das eine Muster ins andere übersetzen läßt, mußte sich der mittelalterliche Bearbeiter auf die Verwandtschaft Chrestiens und die Genealogie Roberts samt ihren inhaltlichen Implikationen einlassen. 1
Die genealogische Grundgegebenheit der Percevalfigur besteht für Ruh darin, daß dieser Held ohne Vater aufwächst und daß er nicht der Sohn des reichen Fischers sein darf. Die erste Bedingung halten weder der noch auch der ein. Auch die zweite darf keine absolute Geltung beanspruchen, wenn wir die allerdings widersprüchlichen Aussagen im Vulgatazyklus1 der Gralromane in die Betrachtung einbeziehen. Davon abgesehen trifft sie jedoch auf die Erlöserfiguren der Gralromane zu, ob sie nun Perceval, Gawein oder Galahad heißen. Bei Chrestien finden wir einen alten Gralkönig, dessen Sohn der gelähmte Fischerkönig (Ii rois Peschierre, 3520) ist. Seine Geschwister sind die veve dame, Percevals Mutter, und der Eremit, Percevals Mutterbruder; sein Sohn, der Fischerkönig, ist folglich Percevals Cousin, doch diese Verwandtschaftsbeziehung wird nicht benannt. Perceval ist mit zwei Mutterbrüdern ausgestattet und einem Cousin, ferner einer Cousine, deren Eltern nicht erwähnt werden und die ausschließlich als Percevals germainne cosine in Erscheinung tritt. Bei Robert de Boron artikuliert die verwandtschaftliche Organisation drei Generationen und drei Gralhüter, die jedoch dem Kontinuum der Generationen nicht entsprechen: 1. Joseph von Arimathia, dem Gott zuerst den Gral anvertraute. 2. Sein Schwager Bron, der Gatte von Josephs Schwester Enygeus. Ihm wird der Gral auf Gottes Befehl weitervererbt. Bron hat zwölf Söhne, aus ihrer Reihe herausgehoben ist der letztgeborene namens Alain. 3. Der tierz hons, er soll aus Alain hervorgehen und ist dazu bestimmt, als dritter Gralhüter die von Gott gesetzten Zeichen zu bewahrheiten. Erwähnt wird außerdem ein nicht verwandtes Mitglied von Josephs Gemeinde, Petrus. Er wird vom Heiligen Geist namentlich mit einer besonderen Aufgabe betraut. Kurt Ruh parallelisiert nun Roberts drei Gralhüter mit Chrestiens Personal: Joseph (erster Gralhüter) = alter Gralkönig; Bron (zweiter Gralhüter, Riehes Peschierres) = rois Peschierre; tierz hons (dritter Gralhüter) = Perceval. Dem entsprechend läßt sich Enygeus, die Schwester des ersten Gralhüters, mit der veve dame, Schwester des alten Gralkönigs, identifizieren. Die Gleichung Petrus = Eremitenonkel ergibt sich nicht ganz so zwangsläufig, sie ist indessen auch nicht problematisch. Erklärungsbedürftig hingegen ist der Umstand, daß Alain, der Schwestersohn Josephs, aus der Erbfolge der Gralshüter ausgeschlossen wird. Ruh zufolge würde die familiäre Position Alains zweifach der
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Der Beginn des (Sommer III, S.29, Micha VII, S.59) überliefert Perceval, Sohn des Rai Mehaignie, als den Erfüller der Gralqueste (vgl. unten S. 229). Dem sogenannten ist eine spätere Überarbeitung der Merlinbranche des Vulgatazyklus. In beiden zitierten Fällen handelt es sich nicht um die Ausgestaltung der Erlösung, sondern um deren Prophezeiung. Zu Percevals genealogischer Einbettung in den die Vulgatafassung überarbeitenden Texten vgl. Fanni Bogdanow, The transformation of the role of Perceval, S. 55ff., und Lenora D. Wolfgang, Perceval's Father, S. 41ff.
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Grundgegebenheit der Percevalfigur widersprechen, denn er ist sowohl des zweiten Gralhüters Sohn als auch bei Vater und Mutter aufgewachsen. Die genealogische Distanz, die Robert zwischen den zweiten und den dritten Gralhüter legt, indem er den dritten zum Enkel des zweiten macht, erweist für Kurt Ruh, daß sich Robert gezwungen sah, sein Gralhütergeschlecht der Vorlage, d. h. den Gegebenheiten Chrestiens anzupassen. Es ist gewiß ein Charakteristikum der Gralromane, daß derjenige, in den die Heilserwartung gesetzt wird, niemals der Sohn desjenigen ist, den er erlösen oder aber ablösen soll. Bietet jedoch die Begründung durch den Zwang der Vorlage wirklich eine hinreichende Erklärung für das von Robert getroffene Arrangement, und ist es richtig, daß Robert, wie Ruh meint, das Entscheidende von Chrestiens Konzeption beibehält? Schließlich ist Chrestiens Perceval wesentlich als Sohn einer Mutter und Schwester definiert, während der tierz kons genau so eindeutig als Sohn eines Vaters und Enkel eines Großvaters bestimmt ist. Das allein schon scheint mir dagegen zu sprechen, daß im Denken dieses Autors, wie Ruh annimmt, der Sohn der Schwester und der Sohn des Sohnes (Perceval / tierz hons) Signifikanten derselben Kategorie und deshalb gegeneinander austauschbar gewesen sein sollen. Trifft man das Wesentliche von Chrestiens verwandtschaftlicher Organisation, wenn man sie sich als Linie vorstellt, an deren Endpunkt Perceval, der Erbe zu situieren wäre? Ist die Erbfolge in diesem allerdings Fragment gebliebenen Werk überhaupt ein Thema 2 ? Es muß zu denken geben, daß Perceval im den Fischerkönig zwar heilen sollte, daß aber niemals davon die Rede ist, er werde ihn ersetzen. Kurt Ruh hat, wie er selbst erklärt (vgl. S. 194), die Argumente umgekehrt, durch welche Erich Köhler die Abhängigkeit Chrestiens von Robert erweisen wollte. Daß die Darlegung der umgekehrten Abhängigkeit weniger Schwierigkeiten bietet, nimmt Ruh als zusätzliches Argument für die von ihm vertretene Chronologie in Anspruch. Für Ruhs Sicht der zeitlichen Abfolge spricht vor allem der Niederschlag joachitischen Denkens in der Gralgeschichte Roberts de Boron. Diesen Einfluß macht Ruh sichtbar, indem er Roberts Trinitätsbegriff im Licht der geschichtstheologischen Konstruktion des von der Kirche als Häretiker verurteilten Joachim von Fiore darstellt. Dessen Lehre wurde aber aller Wahrscheinlichkeit nach in Frankreich nicht vor 1190 bekannt, einem Zeitpunkt, der jenseits der Zeitspanne liegt, die wiederum für Chrestiens Arbeit am wahrscheinlich gemacht werden kann. Wenn man sich Robert de Boron im Gefolge seines Herrn Gautier de Montbéliard auf Zypern vorstellt (1205-1210; vgl. Bertau, Deutsche Literatur I, S. 649f.), an dessen Hof ihn ein Strom joachitischer Gedanken und Spekulationen erreichen konnte, darf man sich Roberts Gralgeschichte noch später entstanden denken. Obwohl Köhlers Argumente für die Abhängigkeit Chrestiens von Robert de Boron in meinen Augen im Dienste einer unwahrscheinlichen Datierung 2
Ähnliche Vorbehalte und Argumente formuliert René Pérennec in seinem neuerdings erschienenen Buch. Vgl. Recherches sur le román arthurien en vers en Allemagne, Bd. 2, S. 112 und Anmerkungsteil S. 416-422, bes. S. 420. 3
stehen, möchte ich sie dennoch anführen, weil sein Versuch die angenommene Konvertibilität der Verwandtschaftsmuster als grundsätzliches Problem deutlich macht. Für Köhler ist nicht Joseph der erste Gralhüter, sondern Bron. Vor ihm haben es eine Reihe älterer Forscher schon so gehalten, darunter auch der Herausgeber von Roberts Versroman W. A. Nitze (vgl. Einleitung S.X). Das ist gewiß falsch, wenn man den überlieferten Text beim Wort nimmt. Die Gralhüterfolge bei Robert de Boron ist nach Köhler aus Bron, Alain und dem tierz hon gebildet. Die Figur des Bron spaltet Chrestien, so Köhler, in zwei Personen auf, in den alten Gralkönig und den reichen Fischerkönig. Der rois Peschierre, selber erlösungsbedürftig, darf jedoch nicht der eigentliche Inhaber des Grals sein (Ideal und Wirklichkeit S.214). Die Generationenfolge Großvater, Vater, Enkel kann Chrestien nicht übernehmen, weil sonst Perceval den reichen Fischerkönig zum Vater bekäme (S.215). Chrestiens Held muß aber in Unkenntnis Schuld auf sich laden und in völliger Unwissenheit über das Wesen des Grals und der (bei Robert fehlenden) Lanze zum ersten Mal auf die Gralburg gelangen. Chrestien macht sich die von Robert de Boron zwischen Joseph und Bron eingerichtete Schwägerschaft zunutze, indem er Perceval von der Schwester des alten Gralshüters abstammen läßt. Die Relation MutterbruderSchwestersohn erlaubt es, Percevals Aufwachsen fern von der Gralfamilie zu motivieren und außerdem auf natürlichem Wege einen Vater einzuführen, der die Verwandtschaft mütterlicherseits nicht stört. Der rätselhafte Umstand, daß sowohl Percevals Cousin, der Fischerkönig, als auch Percevals Vater durch eine Verletzung zwischen den Beinen stigmatisiert sind, verrät für Köhler als nicht getilgte Spur die ehemalige Abfolge Großvater-Vater-Enkel (S. 214)3. Ruh und Köhler stimmen darin überein, daß Perceval nicht der Sohn des reichen Fischerkönigs sein darf. Aus Ruhs Sicht verbietet sich dieses Verwandtschaftsverhältnis für den tierz hon = Didot-Perceval, weil es Chrestien widerspricht. Köhler begründet diesen Umstand aus den immanenten Erfordernissen von Chrestiens Konzeption: Perceval darf nicht der Sohn des reichen Fischerkönigs sein, weil er zugleich unwissend und schuldig sein muß. Das heißt aber, umgekehrt ausgedrückt: Wäre Perceval ein Sohn des Vaters, wäre er weder unwissend noch schuldig. Man kann nicht genug darauf hinweisen, daß in Chrestiens Gestaltung das Defizit des Helden der abwesende Vater ist und daß zugleich Percevals Verhältnis zu den Verwandten mütterlicherseits defizitär bestimmt ist. Haben wir aber Anlaß anzunehmen, daß Robert de Boron den in die Zukunft projizierten dritten Menschen mit einem Mangel behaften wollte? Sowohl das Wissen als auch die Sünde spielen in Roberts Versroman eine große Rolle, doch den tierz hon kennzeichnet das Wissen, und die Sünde hat an ihm keinen Anteil. Die Darlegungen Köhlers scheinen mir besonders deutlich zu zeigen, daß man über die Filiationszusammenhänge der beiden wirkungsmächtigen Entwürfe des Gralromans nicht sprechen kann, ohne zu fragen, welche 3
Auf dieses Problem komme ich im Kapitel über Chrestiens Gralroman zu sprechen vgl. unten S. 56.
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Vorstellungsinhalte durch sie kodiert werden. Ich werde zu zeigen versuchen, daß die jeweils spezifische Art des Verwandtschaftsmusters der Botschaft der Gedichte in die Wolle gefärbt ist. Chrestiens ist wahrscheinlich der älteste überlieferte Gralroman. Wie nahe Roberts Gralgeschichte auf ihn folgt, ist wohl nicht mit Sicherheit auszumachen. Doch auch Roberts Werk markiert insofern einen Anfang, als die im 13. Jahrhundert entstehenden Prosa-Zyklen auf seine Konzeption zurückgehen. In der Entwicklung des Gralromans ist Roberts Entwurf konstitutiv für die vorherrschende Artikulation des Gralmythos, deshalb stelle ich sein Werk an den Beginn meiner Betrachtungen.
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ERSTES KAPITEL
Robert de Boron, seines Josephromans legt Thomas Mann dar, daß es sich bei dieser, den Gesetzen der Arithmetik widersprechenden Betrachtungsweise, um ein Phänomen der langen Dauer handelt. Sie gilt ihm als Ausdruck des mythischen Denkens, das im Äon Jacobs Geltung hatte, aber auch noch viel später: Viel später zum Beispiel hatte ein Nachkomme J u d a s . . . ein Mann namens Isai sieben Söhne und einen Jüngsten, der die Schafe hütete und über den das Salbhorn erhoben wurde. Was meint dieses «Und»? War er in die Siebenzahl als Jüngster eingeschlossen oder hatte Isai acht Söhne? Jenes ist das Wahrscheinlichere, denn es ist viel schöner und richtiger sieben Söhne zu haben als acht. Mehr als wahrscheinlich aber, nämlich gewiß ist, daß die Siebenzahl von Isais Söhnen sich nicht änderte, wenn etwa der Jüngste noch zu ihr hinzukam, und daß es diesem gelang, in sie eingeschlossen zu bleiben, auch wenn er über sie hinausging. (S. 1284)
So wie David (I Sam. 16) in die Siebenzahl einbegriffen ist und zugleich außerhalb der Reihe steht, ist auch Joseph zugleich in die Dreizahl eingeschlossen und aus ihr herausgesetzt. Die den beiden Beispielen zugrundeliegende Denkstruktur ist homolog. Diese Betrachtungsweise erlaubt es, bei der Zählung zugleich den Standpunkt des Vaters und des Sohnes einzunehmen. Vom Vater aus gesehen ist es in der Ordnung, eine volle, womöglich heilige Zahl von Söhnen zu haben. Vom Standpunkt des Sohnes aus betrachtet, geht es darum, der Reihung zu entgehen, in der er einer unter vielen und jedem vergleichbar ist. Mir scheint, daß sowohl in Thomas Manns Beispiel als auch in unserem Fall der Akzent auf das zu setzen ist. Angesichts des von den anderen dissoziierten Joseph (Du, Joseph, und die drei Personen) erscheint Gott als der mit einer runden Zahl von Söhnen ausgestattete Vater. Joseph aber erscheint als der über die Zahl hinausgehende Sohn, wie des Vaters Jüngster, dem es bestimmt ist, Stammvater des Hauses David zu werden. Joseph wird aus der Reihe der für den Gral Designierten herausgehoben, indem er aus der Position des Beschenkten in die Position des Verleihers erhoben wird, an die Stelle des göttlichen Vaters: . . . tu ne le doiz Commander Qu'a trois persones qui l'arunt.
Genau genommen ist im Diex dist die Einzahl Gottes genau so aus den göttlichen drei Personen herausgesetzt wie Joseph aus den drei Gralhütern. Der aber spricht, der den Part Gottes dichtet und den von dessen erwähltem Freund Joseph, der es sich zutraut, die Dreifaltigkeit auf die Menschheitsgeschichte zu projizieren, um sie im Dritten Menschen zu vollenden, ist der Autor Robert de Boron. Er ist die göttliche Autorität und zugleich ihrer teilhaftig wie der erwählte Joseph. Was hier am demütigen Joseph agiert wird, verrät das Verlan8
gen des Autoren-Ich nach Allmacht und Erwähltheit. Robert de Boron ist in dem Beispiel zugleich der Vater und dessen Jüngster, über den das Salböl erhoben wurde. Robert de Boron spricht und verfügt über die Handlung aus der Rolle Gottes und seines Erwählten heraus. Es ist leicht einzusehen, daß ein solches Sprechen sich auf die literarische Gestaltung nachteilig auswirken muß; als erzählerische Unbeholfenheit macht es geradezu das Gegenteil der auktorialen Souveränität aus. Doch diese Rede verrät den Wunsch, Handlungen und Ereignisse direkt aus dem allmächtigen Wort folgen zu lassen. Joseph, als Vermittler zwischen Gott und den Menschen eingesetzt, stellt dennoch keine Vermittlungsstufe dar, er ist vielmehr die Verlängerung Gottes, durch welche die anderen Erwählten ins Verhältnis der Gottesunmittelbarkeit gesetzt werden. In dieses Arrangement kann sich keine beschränkte menschliche Erfahrung einmischen, kein fehlbares Verständnis kann die Rezeption der göttlichen Wahrheit trüben. Indem Robert de Boron das auserwählte Personal, das Instrument der Heilsgeschichte, direkt an die Quelle versetzt, hebt er den Abstand zwischen der Quelle und seiner Rede auf. Alles, was sie trüben, komplizieren und korrumpieren könnte, ist aus ihr ausgeschlossen, die Rede des Autors ist von der Quelle, sie ist jungfräulich rein und keusch.
Die Genealogie des Bösen und der leere Sitz Indem Robert die zukünftigen Gralhüter der Dreizahl derTrinität nachbildete, hat er einen Modus der Teilhabe am Gral definiert, aus dem kein zeitliches Nacheinander ableitbar ist. Die Geschichte der Menschen spielt sich aber in der Zeit ab, und wenn die göttliche Dreizahl auf die Zukunft projiziert werden soll, muß die außerzeitliche Partizipation in eine Sukzession umgewandelt werden, welche die natürliche Bildung von menschlichen Generationen voraussetzt, und in eine Erbfolge, in welcher ein Nachfolger den Vorgänger ersetzt. Im dritten Teil des Werkes, der Exilgeschichte, geht es um die Disposition des zukünftigen Geschehens jenseits der frühchristlichen Ära und jenseits dessen, was in der hier erzählten Geschichte eingelöst werden kann. Der Ablauf der zukünftigen Zeit kann episch nicht erfahrbar gemacht werden. Die Zukunft muß ihre Dynamik aus sakralen Gegenständen empfangen: aus dem Gral, dessen Weitervererbung geregelt werden muß, und aus dem Abendmahlstisch, an dem eine Leerstelle dokumentiert, daß die Erfüllung der Geschichte noch aussteht. Drei Personen wird der Besitz des Grals versprochen. Für die Besetzung des leeren Sitzes werden merkwürdiger Weise ebenfalls drei Personen verheißen. Die designierten Gralhüter stimmen indessen mit der zweiten Dreizahl nicht ganz überein. Der Gral als die Verlängerung der Präsenz Gottes auf Erden leistet für die Konzeption der zukünftigen Geschichte nicht das Gleiche wie der Abendmahlstisch. Der Anblick des Blutgefäßes gewährt den Erwählten emplissement de 9
euer et joie pardurablement (vgl. 919f.). Während der Gral somit die Glückserfüllung in der Gegenwart bezeichnet, dokumentiert der leere Sitz2 die immer noch ein bißchen mißlungene Geschichte. Judas hat Jesus verraten. Er wurde zwar von seinem Sitz an der Abendmahlstafel verstoßen, doch sein Platz blieb leer. Robert de Borons Denken ist fixiert auf die Ausrottung des Bösen. Angefangen mit der Vertreibung der Engel, über den Sündenfall der Menschen bis hin zu Judas' Verrat, lehrt die von Robert erzählte Geschichte vor allem, daß das Böse immer wieder auftaucht. Indem Unser Herr Judas von der Abendmahlstafel verbannte, hat auch er das Böse nur nach draußen verbannt. Der Allmachtsphantasie, Gottes im Gefäß des Grals habhaft zu sein, scheint mir die Angst des Autors vor der Ohnmacht Gottes gegenüber dem Bösen komplementär zu sein. Das Problem ist, wie es gelingen kann, die Lücke zu schließen, welche das Ausreißen des Bösen immer wieder hinterläßt. Seine naturwüchsige Kraft fordert den Autor zu Gegenmaßnahmen heraus. Es ist deswegen nicht zufällig, daß der Entwurf des in Joseph wurzelnden lignage, die Verheißung des Remediums, im Kontext des Problems mit dem leeren Sitz angelegt wird. Der vom Aussatz wunderbar geheilte römische Kaisersohn Vespasian hat Joseph aus dem Kerker befreit und die renitenten Juden bestraft. Die Ungläubigen werden vom festen Land verstoßen und nach draußen aufs Meer verbannt. Joseph ist mit seiner Gemeinde der Gläubigen in ferne Länder gezogen, ins Exil. Wir erfahren, daß Joseph einen verwandtschaftlichen Anhang hat, eine Schwester namens Enygeus und einen Schwager, Bron oder Hebron genannt, die sich ihm anschließen. Joseph hält sein Volk zu einem arbeitsamen und gottgefälligen Lebenswandel an. Eine Weile geht alles gut, doch dann bricht eine Hungersnot herein. Der Autor sagt auch gleich, warum: C'iertpour lepechie de luxure (2383). Auf einmal hat sich die Sünde in den inneren Kreis der Erwählten eingeschlichen. Es sei daran erinnert, daß sowohl beim Sündenfall der Engel als auch bei dem der ersten Menschen das Böse durch die Sünde des Fleisches materialisiert wird. Den Engeln wird envie, couvoitise, luxure, gloutenie (209294, 2130) unterstellt. Adam hat zwar durch Ungehorsam gesündigt, aber dieser Sünde wird eine zweite nachgeschaltet, aus der erst das Übel zu entspringen scheint, welches nicht nur das erste Menschenpaar, sondern auch seine Frucht verdirbt: Sa fame nue veüe ha, A luxure s'abandonna. (121f.)
Die Kinder Adams und Evas sind aus der sündigen Fleischeslust entstanden und deswegen mit ihren Eltern dem Teufel verfallen: 2
Zur Herkunft des Motivs des leeren Sitzes verweist A. Micha (RPh. 9, 173-177) auf den . Unter einem außerzeitlichen Aspekt wird also Joseph dazu bestimmt, Judas zu ersetzen: Der, welcher erwählt wurde, weil er Jesu Leib in sein eigenes Grab legte, soll die Stelle dessen einnehmen, qui le mien cors trahir devoit (2480). Die Pietät des zweiten kompensiert die Untat des ersten. Wie man sieht, geht es darum, das Loch zu stopfen, welches die Ausrottung des Unkrauts hinterließ. In der Fußwaschungsszene des ersten Abendmahls ließ Robert de Boron Jesus sagen, daß alle Menschen Sünder sein müssen, und wenn sie auch ein wenig schmutzig seien, so könnten sie doch als Diener der heiligen Kirche den Schmutz von den anderen abwaschen (vgl. 332-372). Die Konzeption der Sünde, die Robert de Boron im Innern seiner Gralgeschichte entwickelt, scheint mir aber gegen diese tröstliche Botschaft hermetisch abgeschlossen zu sein. Da die Sünde im Verrat des Judas das Prinzip des Bösen vertritt, verbietet sich die Vorstellung von vornherein, Gott könnte wegen seiner Güte oder wegen der guten Tat eines Menschen sich der Sünder erbarmen. Im Namen des Abendmahlstisches soll Joseph nun einen zweiten Tisch herstellen lassen. Bron, der gute Mensch, wird einen Fisch fangen, der auf diesen Usch zu liegen kommen soll. Sodann soll Joseph das Gefäß mitten auf den Usch stellen und das Volk herbeirufen: Adonc quant tu seras assis En cel endroit la ou je sis A la Cene, quant je i mengei O mes deciples qu'i menei, Bron assie a ta destre mein: Lors si verras trestout de plein Que Brons arriere se treira Tant comme uns hons de liu tenra. (2519-26)
An diesem neuen Usch soll Joseph auf dem Platz Jesu sitzen und Bron zu seiner Rechten Platz nehmen. Er wird aber soviel Raum frei lassen, wie ein Mensch einnimmt. Diese leere Stelle bedeutet den Sitz des Judas, und keiner der Gegenwärtigen darf ihn einnehmen. Das Personal am neuen Tisch wiederholt die Konstellation vom ersten, neu hinzugekommen ist einzig der Fisch. Aber auch er, ein uraltes Christus-Symbol, ist ein überschüssiges Zeichen der Präsenz Christi, denn diese wird ja schon durch den auf dem Platz Jesu sitzenden Joseph und das Gefäß mit Christi Blut symbolisiert. In diesem Augenblick ist zum ersten Mal von einer zukünftigen Generation die Rede: Cil lius estre empliz ne pourra Devant qu'Enygeus avera Un enfant de Bron sen man, Que tu et ta suer amez si. Et quant Ii enfes sera nez La sera ses lius assenez. (2531-36)
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Der, der für den leeren Sitz bestimmt ist, muß noch geboren werden. Der Erwartete soll einer legalen ehelichen Verbindung entspringen. Bemerkenswert ist allerdings der auf Brons Autorisierung als Vater folgende Nachsatz: Que tu et ta suer amez si. Joseph wird in die Konzeption des Kindes einbezogen, ganz als würde Bron durch die gemeinsame Liebe von Enygeus und Joseph befähigt, den Geschwistern ein Kind zu schenken. Nachdem Joseph, gemäß Gottes Befehl, das Volk zu sich berufen hat, nimmt ein Teil Platz am Usch, um die Tafel aufzufüllen, bis eben auf jenen Sitz, der leer bleiben muß. Der andere Teil aber bleibt außerhalb des Tisches stehen. Die Verworfenen sind daran zu erkennen, daß sie außerhalb stehen und an der Tafel bezeichnet eine leere Stelle den Judassitz. Zwar ist es gelungen, das Böse nach draußen zu verbannen, doch daß es nach draußen befördert werden mußte, beweist, daß es sich im Innern der erwählten Gemeinde fortpflanzen konnte. Und noch die Existenz des Bösen draußen macht sich im Innern als Mangel geltend. Der Mangel besteht nicht nur im Noch-nicht-eingetreten-sein der vollkommenen Ordnung, ausgedrückt durch die unvollständige Tischordnung: Im dargestellten Arrangement entspricht dem Bösen draußen eine Leere im Innern. Struktural gesehen bildet der leere Sitz das Negative ab, das in der hier entworfenen Gesellschaftsordnung unter keinen Umständen integriert werden darf; der leere Sitz ist die Öffnung, durch die sich das Böse jederzeit wieder einschleichen kann. Die Verworfenen, welche ces fauses genz (2687) genannt werden, haben sich entfernt. Einer von ihnen aber ist zurückgeblieben; es ist noch einer drinnen, der nach draußen gehört, ein Heuchler. Dieser Mann, mit Namen Moysé, erbettelt sich von Joseph die Zulassung zum Abendmahlstisch. Doch als er sich ihm nähert, findet er keinen einzigen freien Platz außer eben dem Judassitz. Als er sich anschickt, ihn einzunehmen, tut die Erde ihren Mund auf und verschlingt den Heuchler so vollständig mit Haut und Haar ne ne sembla que onques i eust esté3 (als wäre er niemals existent gewesen). Im Fall des Moysé wird der leere Sitz, das Loch, durch welches das Böse eindringen könnte, umfunktioniert zu einem Schlund, welcher das Böse verschluckt, um jedoch danach wiederum als Lücke zu klaffen. Über dieses Ereignis, welches das Volk mit Schrecken erfüllt, befragt, erklärt der Heilige Geist, nun habe sich die senefiance des Judassitzes erfüllt, dessen Bedeutung er schon dargelegt habe, als er Joseph die Errichtung des zweiten Abendmahlstisches befahl. Er erinnert auch an sein damaliges Projekt, nach dem Joseph den leeren Sitz einnehmen sollte: Et cil lius rempliz ne seroit Devant le jour dou Jugement, Qu'encor attendent toute gent; 3
Diese Stelle fehlt in der Versfassung, welche ab v. 2752 eine Lücke vom Umfang eines Doppelblattes hat. Nitze kompensiert sie durch die Prosaversion des von Weidner hergestellten Textes. 13
Et tu mei'smes l'empliroies Adonc quant tu raporteroies La souvenance de ta mort. (2782-87)
Daß es am Tag des Jüngsten Gerichtes geschehen sollte und daß Joseph die Erinnerung an seinen eigenen Tod berichten werde, sind neugekommene Präzisierungen 4 . Diesen früheren Heilsplan unterwirft der Heilige Geist nun einer Revision: Meis le te di pour ton confort, Que eist lius empliz ne sera Devant que Ii tierz hons venra Qui descendra de ten lignage Et istera de ten parage, Et Hebruns le doit engenrer Et Enygeus ta suer porter; Et eil qui de sen fil istra Cest liu mei'smes emplira. (2788-96)
Von Moyse aber soll nicht mehr die Rede sein, Devant ce que eil revenra Qui le liu vuit raemplira: Cil me'ismes le doit trouver. (2817-20)
Zwei Korrekturen bringt der Heilige Geist an: Nicht Joseph soll zuguterletzt die Lücke schließen, und zugleich wird die Erfüllung vom Jüngsten Gericht in die Menschheitsgeschichte zurückverlegt. Sie sind aber ungeschickt plaziert, denn die Änderung der Konzeption verrät ja schon die Stelle, die den Sohn von Enygeus und Bron für den leeren Sitz bestimmte. Die Korrektur jedoch, die Robert an dieser Stelle eigentlich vornimmt, ist nicht als solche kenntlich gemacht: Nicht auf den Sohn ist zu warten, sondern auf den Sohn des Sohnes, auf den dritten Menschen. Aber wovon ist der tierz hons der dritte? Ist er der dritte in der natürlichen Generationenfolge, die vom Vater Bron über dessen Sohn geht oder ist er der dritte aus der Reihe derjenigen, die für den leeren Sitz verheißen wurden? Die Prosaauflösungen ordnen den tierz hon einem dritten Sitz zu, d.h. dann wohl auch einem dritten Usch: In Weidners Text heißt es an der Stelle: et eil qui de sonfil istra, ramplira cest leu et un autre qui el non de cestui serafondez (1195f.). Den dritten Sitz kennt auch die Hs. E 5 . Doch diese Version stellt eine Eindeutigkeit anderer Art her: E hatte schon bei der ersten Erwähnung eines Nachkommen von Bron den Sohn durch den Sohn des Sohnes ersetzt (vgl. Cerquiglini, S. 55) und kann nun den tierz hon als dritten einer patrilinear konzipierten Genealogie definieren:
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E läßt diese beiden Momente weg, die Hss. D , H, F haben in ma mort gebessert. Es sei daran erinnert, daß E eine der beiden Hss. ist, welche die Prosaversion von Roberts Versroman (genannt < Joseph>) als erste Branche des Zyklus Merlin - Perceval - Mort Artu überliefert.
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or est venue la senefiance que je te dis . .. que li lius ne seroit raemplis dusqu'adont que la lignie Bron le raempliroit. Et li tiers hom qui del lignage Bron sera, raemplira le liu u un autre qui el non de cestui sera fondés. (Cerquiglini, S. 60f.) Es lassen sich also zwei Serien herstellen. Die Folge Vater, Sohn, Sohn des Sohnes bildet zugleich den natürlichen Verlauf der Zeit und die agnatische Filiation ab, welche das weltliche Bewußtsein der Zeit als das natürliche Prinzip der Abstammung begreift. Die Hs. E, welche das heilige Geschlecht nicht in Joseph begründet und aus ihrer Sicht ganz richtig vom lignage Bron spricht, stellt gewiß die lectio facilior dar. Die andere Serie steht im Zeichen des Entwurfes der Heilsgeschichte, deren Fortschreiten sie sichtbar machen will, auch wenn das nur durch das Ansetzen des immergleichen Katastrophenmusters geschehen kann. Drei Epochen werden bezeichnet und sie werden durch drei Verheißungen markiert. Diese antworten auf den natürlichen Ablauf, in dem sich die sündhafte Menschennatur immer identisch reproduziert. Die Sündentaten sind zwar als Ereignisse gedacht, insofern sie bezogen auf zwei verschiedene Abendmahlstafeln auftreten, sie beinhalten jedoch das Immergleiche, denn jedes der drei benannten Sündenereignisse ist als dieselbe leere Stelle im Innern der die reine Positivität anstrebenden Gesellschaft präsent. Der Leerstelle wird gegen jede erfolgte Sünde ein kompensatorisches Ereignis zugeordnet. Statt die Widersprüchlichkeit von Roberts Aussagen 6 hervorzuheben, möchte ich die Folgerichtigkeit des ihnen zugrunde liegenden Denkens darlegen: 1. Der Verrat des Judas wird
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Ruh schlägt vor, die Verheißung des Sohnes (Alain) zu übersehen. Ihm stellen sich die widerspruchsvollen Aussagen folgendermaßen dar: 1. Der leere Sitz wird erst am Tag des Jüngsten Gerichts besetzt werden. 2. Joseph wird ihn einnehmen, nämlich dann, wenn er die Erinnerung an seinen Tod (?) berichten wird. 3. Der tierz hons wird ihn einnehmen. Ich dagegen verstehe die Bestimmung des Zeitpunktes (Jüngstes Gericht) als Präzisierung der ersten, zeitlich nicht determinierten Verheißung (vgl. 2485f.). - Für A. Micha (Romania 75, S. 240-243) besteht das Hauptproblem darin, daß Robert de Boron im leeren Sitz den Sitz Jesu mit dem Sitz des Judas verwechselte: Einerseits sitzt Joseph bei der Eucharistiefeier auf dem Sitz Jesu (2520f.), andererseits soll er den Judassitz ausfüllen. Wenn man die Verse 2785ff. nach dem Vorschlag der Prosaversionen liest: , dann wäre darin eine Anspielung auf die Eucharistiefeier zu sehen. Mithin wäre der Platz, von dem aus Joseph sprechen wird, wiederum der Platz Jesu. Micha berücksichtigt nicht, daß der leere Sitz bei Robert de Boron den mangelhaften Weltzustand abbildet, denn im Unvollständigen fehlt etwas. Das Remedium wird in die Zukunft projiziert. In der von Robert de Boron artikulierten Logik ist Christus, was immer der Autor sonst behaupten mag, ein Vorläufer des tierz hon. Diejenigen Gralepen, welche durch den leeren Sitz den Platz Christi symbolisieren (Hs. E in der Merlin-Branche (vgl. Cerquiglini, S. 193), die des Prosazyklus (vgl. Sommer I, S. 247) und die (vgl. 75,2976,8)), vertreten zwar eine theologisch weniger anstößige Auffassung, sie haben jedoch die Dialektik des Bösen, die Robert de Boron zu quälen scheint, nicht rezipiert. Nicht von Verwechslung müßte man hinsichtlich der Problematik des leeren Sitzes sprechen, sondern von Verschiebung: denn der Sitz, der auf Erden leer geblieben ist, ist gewiß derjenige des in den Himmel aufgefahrenen Gottes. 15
durch die Pietät des Joseph von Arimathia pariert. 2. Gegen den pechie de luxure des Volkes wird eine neue Generation, das Kind der Schwester und des Schwagers versprochen. 3. Die Anmaßung des falschen Prätendenten Moyse, wird die Heraufkunft des richtigen, des tierz hon, wettmachen. In der von Robert de Boron vollzogenen Denkbewegung antwortet jede Verheißung zukünftiger Erfüllung als Gegenzug auf einen vorausgehenden Sündenfall, jeder Kompensation entspricht aber ein erneuter Fehltritt, der die Wiedergutmachung kompromittiert. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es folgerichtig, daß das Zeitalter des verheißenen Sohnes (Alain) durch die Untat des Moyse schon überholt ist. In der Bestrafung des Moyse reproduziert sich das Judasschicksal und wird die Bedeutung der Judastat sinnfällig in Szene gesetzt. Und auf die Elimination des Moyse folgt unmittelbar die Verheißung des Dritten Menschen. Wie verhalten sich nun diese beiden Serien zum Modell derTrinität und wie zueinander? Die Dreiheit ist nun in eine Folge gebracht, auf die Dimension der Zeit projiziert. In diesem Kontext scheint mir die heilige Dreizahl der Trinität als garde-fou zu funktionieren, als Sperre, welche verhindern soll, daß sich das Spiel von Sünde und Verheißung unendlich fortsetzt. Die beiden Dreierfolgen (Bron, Sohn, Sohn des Sohnes einerseits und Joseph, Alain, tierz hons andererseits) artikulieren den Begriff der natürlichweltlichen und den der kulturell-sakralen Deszendenz. Zwar bedient sich Gott in beiden Serien der natürlichen Generationenfolge, doch was die Natur von selbst besorgt, ist nicht Gegenstand der Verheißung. Bedenkt man die dem Problem des leeren Sitzes innewohnende Dialektik, so muß einleuchten, daß die sündige Natur sich nicht durch ein natürlich determiniertes Geschlecht ausrotten läßt. Die von Joseph abgeleitete Dreizahl artikuliert sich zwar auch als Abfolge der Generationen, denn auf sie kann eine Darstellung in der Zeit nicht verzichten. Doch die geschlechtliche Fortpflanzung ist nur das natürliche Substrat eines kulturell-sakral gebildeten Begriffs der Deszendenz. Bei der Verheißung von Alains Sohn wird Robert alle Rücksicht auf die Natur vergessen. Nicht die weltlich-natürliche Abstammung verleiht den drei Personen dieser Folge Realität, sondern das Wort Gottes, welches sie benennt, beruft, erwählt und die Nachkommenschaft Brons als lignage des Joseph von Arimathia definiert.
Die Auflösung des Hauses Bron: Die Entrealisierung der Familie Bekanntlich entspricht in Roberts Versroman die durch die Translatio des Grals geregelte Erbfolge weder der Reihe Großvater, Sohn, Enkel noch der Abfolge Mutterbruder, Schwestersohn, Sohn des Schwestersohns. Nachdem das epochale Konzept der Weltgeschichte in der sakralen Sphäre entworfen ist, muß gezeigt werden, auf welche Weise es sich in der zwar purifizierten Welt der auserwählten Menschen, aber immerhin der Menschenwesen, 16
realisieren kann. Es wird aber keine Lebenswelt entfaltet, die Dauer der gelebten Zeit wird durch wenige Verse abgegolten, und schon stehen wir vor vollendeten Tatsachen: Brons et sa femme lonc tens furent Ensemble tout ainsi con durent, Tant que il eurent douze fiuz Et biaus et genz et parcreüz. (2843-46)
Die Eltern lassen Gott durch Joseph fragen, was mit ihren erwachsenen Söhnen nun geschehen soll. Diesmal spricht der Heilige Geist nicht unmittelbar, sondern er sendet einen Engel zu Joseph (un angle qui Ii anunga, 2888). Gottes Wille ist, daß die Söhne Brons seine Jünger (deciple) sein sollen. Falls sie eine Frau haben wollen, sollen sie eine bekommen. Demjenigen aber, der keine Frau haben will, sollen die Verheirateten untergeordnet sein. - Einer von Brons Söhnen, Ii douzismes (2972), erklärt, daß er sich eher die Haut abziehen und in Stücke reißen ließe, bevor er eine Frau nehmen wolle: Quant Joseph l'o'i, si s'en rist. Joseph dist: «Cestui ci avoir Doi, si sera il miens pour voir; Se vous et ma sereur voulez, Entre vous deus le me donrez . . . » (2974-78)
Ich bemerke, daß Gott seinen Plan, nach dem der jungfräuliche Joseph ein sich der Jungfräulichkeit verschreibendes Kind bekommen soll (der Sohn wird bei der Übergabe l'enfant genannt, 2984), von einem Engel verkünden läßt. Nachdem der Sohn der Obhut Josephs anvertraut ist, spricht wieder die Stimme des Heiligen Geistes: Joseph soll den Neffen die Leidensgeschichte Christi lehren, sodann seine eigene Leidens- und Befreiungsgeschichte und wie er in den Besitz des Gefäßes gelangte. Dieses soll dem Neffen gezeigt werden, und er soll erfahren, was drin ist: Christi Blut 7 . Dieses Wissen unterscheidet die Eingeweihten von den andern, zu denen auch Petrus gehört. Der Neffe soll vor den Versuchungen des bösen Feindes gewarnt werden, insbesondere vor der Sünde der Fleischeslust, vor allem aber soll Joseph ihm mitteilen, . . . que de lui doit oissir Un oir malle, qui doit venir; Ce veissel ara a garder (3091ff.).
Das Gefäß wird dem Neffen Josephs und Sohn Brons nur gezeigt, nicht aber übergeben. Dafür wird er zum Herrn und Führer seiner Brüder gemacht; mit ihnen soll er, so weit er nur kann, nach Westen ziehen, um in den fernen Ländern das Wort Gottes zu verkünden. Petrus, der Vertreter des mit Joseph nicht verwandtschaftlich verbundenen Kollektivs, wird mit der übrigen Gemeinde nach Westen geschickt. Dort soll er auf den fil Alain8 warten. 7
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Vgl. aber E (Cerquiglini S. 64): Ii di que il lise gou que dedens est escrit de moi. Darauf komme ich noch zu sprechen, vgl. unten S.74f. An dieser Stelle wird der Name des aus der Reihe der Brüder herausgehobenen Sohns zuerst erwähnt.
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Alains Führerschaft über die Brüder ist doppelt determiniert. Die geistliche Autorität leitet sich von Joseph, dem Mutterbruder, Ziehvater und geistlichen Vater ab. Alain wird jedoch auch die Befehlsgewalt des weltlichen Vaters, die patria potestas, übertragen. Bron und seine 12 Söhne stehen ihrerseits in typologischen Bezügen: Zwölf sind die Söhne an der Zahl, wie die Jünger Jesu und wie die Söhne Jakobs. Ihr Vater heißt par droit non Hebrons (2309f.), wie Hebron, der Enkel Levis und wie der Ort, an dem David, der Stammvater Jesu, von den Stämmen Israels zum König gesalbt wurde. Wie die Leviten mit den auf die Arche zu legenden Utensilien betraut waren, so darf Bron den Fisch auf den zweiten Abendmahlstisch legen (vgl. Ruh, Joachitische Spiritualität, S. 176). Diese dichte Besetzung mit sakralen Zeichen entrückt Bron und seine 12 Söhne der konkreten, körperlichen Präsenz. Dort, wo Bron hingegen gemäß seinem gesellschaftlichen Status als pater familias auftritt, bildet er mit seiner Gattin ein Elternpaar, das von Söhnen (3184) und Töchtern (3236,3184) spricht. In diesem Kontext hat derjenige, welcher die väterliche Gewalt und den Vatersegen übertragen bekommt, auch Schwestern (3098, 3175). Eine Tendenz, die familiären Beziehungen zu entrealisieren, zeigt sich indessen auch hier: Entweder sind mit den erwähnten Frauen die leiblichen Schwestern gemeint: das hieße, daß die Ehefrauen der Brüder aus der heiligen Gemeinde ausgeschlossen wären. Oder aber es sind die Ehefrauen der Brüder gemeint, und das hieße, daß sie sich nur in die Gemeinde integrieren lassen, indem die angeheiratete Verwandtschaft (Allianz) in eine geistliche Tochter- oder Schwester-Beziehung9 übersetzt wird. Zweimal tritt Bron von seiner Vaterschaft zurück: Indem er Alain an Joseph abtritt und indem er die Gewalt über seine anderen Söhne Alain überträgt. Wenn wir Alain als Bezugspunkt wählen, heißt das, daß sowohl die Sohnesschaft als auch die Vaterschaft für seine Person eigens neu definiert wird. Die natürlichen Verhältnisse werden in spirituelle Relationen übersetzt: Alain wird zum geistlichen Sohn seines Mutterbruders und als solcher ist er wiederum als geistlicher Vater seiner Brüder autorisiert. Daß Bron die patria potestas an den zuvor von ihm dissoziierten Sohn abtritt, bedeutet, daß es darum geht, ihn von seiner leiblichen Vaterschaft zu reinigen. Die Logik der dargestellten Handlung drückt es deutlich genug aus: Erst als die Söhne aus ihr ausgeschieden sind, kann die Investitur Brons mit dem Gral Staffinden, und in diesem Augenblick ist auch die Gattin auf Nimmerwiedersehen aus der Geschichte verschwunden.
Die Genealogie der Gralhüter Wenn als Gralhüter der gelten darf, dem das heilige Gefäß verliehen oder versprochen wurde, lautet die Reihenfolge der Gralerben: Joseph, Bron (riches 9
So deutet der Prosa-Joseph die Verse La garde de ses freres eit / Et de ses sereurs ensemertt (3098f.): la garde de ses freres et de ses sereurs en loi (Weidner 1323). 18
Peschierres), tierz hons. Der Gral soll vom Schwager auf den Schwager und schließlich auf den Enkel übergehen. Einige Gelehrte ersetzen allerdings die extravagante Erbfolge durch die Reihe Bron (Vater), Alain (Sohn), tierz hons (Enkel), um sie zu einer ihnen geläufigen Sukzession zu normalisieren (vgl. oben S. 4). Der Abfolge der Gralhüter sind verschiedene genealogische Modelle unterlegt. Der Stammbaum des tierz hon läßt sich einerseits matrilinear lesen und andererseits patrilinear, und drittens darf für seinen Ursprung der menschliche Ableitungszusammenhang überhaupt nicht in Frage kommen. Die an seiner Entstehung beteiligten Personen bilden verschiedene Muster, je nachdem, ob der Kontext sie als Schwester oder Mutter, als Schwager oder Vater, als Schwestersohn oder als Sohn, als Sohn des Schwestersohns oder als Enkel definiert oder gar als Entsprechungen der Dreifaltigkeit. Aber wie man ein Schachbrett nicht gleichzeitig als weiße Quadrate auf schwarzem Grund und als schwarze Quadrate auf weißem Grund sehen kann, so muß auch hier immer eine Konstellation ausgelöscht werden, wenn eine andere Virtualität zu einer signifikanten Konfiguration zusammentreten soll. Begründer des auserwählten Geschlechts ist Joseph von Arimathia, ein Mutterbruder. Von ihm, dem Kinderlosen, leitet der Heilige Geist das Geschlecht ab, aus dem der tierz hons hervorgehen soll: Ii tierz hons ... descendra de ten lignage (2790f.). Die Kinder der Schwester gelten als Josephs Nachkommen, in ihm sind sie geheiligt und gerettet: Tu et ti oir et ta lignie, Tout ce qu'est ne et qui neistra De ta sereur, sauf estera. (3400ff.)
Joseph ist die Gründerfigur des Geschlechts; insofern ist die Abkunft des tierz hon mütterlicherseits die vornehmere. Die matrilineare Relation spiegelt eine Wertigkeit, die auch die höfischen Romane der Zeit betonen: Chrestiens Perceval, Wolframs Parzival, die Tristanfigur, der Lancelot des Prosazyklus (dessen Mutter de la haute lignie le roi David stammt, vgl. Micha VII, S. 23), die Mütter all dieser Helden sind von höherer Abkunft als die Väter. Die Söhne beziehen die Dignität ihres Adels aus der Deszendenz der Mutter. Weder bei Perceval noch bei Tristan ist die Abstammung väterlicherseits von Belang, und in Parzivals Fall entspricht der hervorragenden Bedeutung der avunkularen Relation eine matrilineare Erbfolge. Dort, wo hingegen Robert de Boron eine Filiation denkt, denkt er sie agnatisch, und die Erbfolge gehorcht, auch wenn ein Zwischenglied ausgelassen wird, dem patrilinearen Prinzip. Denn der dritte Mensch wird als Nachkomme Brons in direkter Linie dem Schwestersohn Josephs vorgezogen. Der glorreiche Ursprung des Geschlechts ist mütterlicherseits situiert, aber der rechte Erbe muß dennoch aus dem Vater hervorgehen. Das scheint mir der Distribution zu entsprechen, welche Familienchroniken im Frankreich des 12. Jahrhunderts artikulieren. Es ist nötig, die geistlich kodierte Genealogie dieser Gralgeschichte auch im Licht des laikalen Bewußtseins, des 19
weltlich ausgerichteten familiären Imaginären zu betrachten. Das soll in einem eigenen Abschnitt geschehen (vgl. unten S. 23ff.). Die drei Gralhüter sind miteinander verwandt. Dennoch hat weder der erste den zweiten noch der zweite den dritten gezeugt. Die sich fortpflanzende Linie, das profane dynastische Prinzip, wird negiert, und dennoch ist der Dritte Mensch wiederum der direkte Nachkomme in einer agnatisch definierten Filiation. Von Bron, dem Riehe Pescheeur (3345), heißt es: II atendra le fil sen fil (3363). Indem Robert de Boron eine Dreiheit von Gralhütern einsetzt, in der keine Person aus der anderen generiert ist, bildet er die Trinität als die Gleichursprünglichkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist nach. Denn «die Dreieinigkeit verbietet eine nur menschliche Abfolge von Vater, Sohn und Enkel», so formuliert es Lothar Struss (GRLMAIV, 1, S. 369). Aber nicht nur das hierarchische Gefälle zwischen dem Ursprung und dem nur Abgeleiteten widerspricht der Trinität. Es ist die Dreiheit von Vater, Sohn und Mutter, welche die Dreifaltigkeit mit familiären Vorstellungen zu belegen droht. Robert de Boron vermeidet das Geschlechtlich-Familiäre auffällig und vielfach: Reiht man die Voraussagen über den leeren Sitz und die Ernennungen der zukünftigen Gralerben untereinander, so erscheint jedesmal eine familiäre Position als aus dem Erwählungszusammenhang ausgeschlossen: Bei der Verheißung des erfüllten Sitzes wird ausdrücklich derjenige beiseite gelassen, der zunächst für die prokreative Funktion vorgesehen ist: Bron, der leibliche Vater. Bei der Erbfolge wird der Sohn übergangen, Alain, der aus natürlichen Eltern entsprungen ist. Bei der Planung des dritten Menschen wird die Empfängerin des männlichen Samens, die Mutter, vermieden. Von der Entstehung des dritten Menschen wird niemals etwas anderes gesagt, als daß er aus dem Vater hervorgehen muß: . . . de lui (Alain) doit oissir U n o i r malle (3091f.); Et eil qui de sen fil istra (2795); Et ques oirs de lui peut issir (3467).
Andererseits ordnet Robert de Boron dem tierz hon eine Frau zu. Die Fortsetzung dieses Versromans soll unter anderem berichten, queu femme le peut nourrir (3468). Es heißt aber nicht: queu femme l'enfantera oder gar: queu mere l'enfantera. Weder beim ersten Gralhüter noch beim zweiten müssen wir an einen weiblichen Schoß denken, der sie hervorbrachte, allerdings auch an keinen Erzeuger. Der erste und der zweite Gralhüter sind als Gründerfiguren fix und fertig in die Welt der Erzählung eingetreten, keiner von beiden verdankt dem anderen das Leben, und zudem gehören sie der gleichen Generation an. Der dritte aber muß erst noch auf die Welt gebracht werden. Die Person, deren Erwähnung im Zusammenhang der trinitarischen Bedeutung der Gralhüter einer Blasphemie gleichkäme, ist gewiß die Mutter; würde sie mit dem System dieser Entsprechungen in Berührung gebracht, wäre die Mutter ein ruinöser Signifikant. Im 20
Licht des trinitarischen Musters betrachtet, darf kein Gralhüter eine Mutter haben, und schon gar nicht der dritte. Nach Lothar Struss' (GRLMA IV, 1, S.369) und Kurt Ruhs Meinung (Joachitische Spiritualität S. 181, Anm. 61) hatte Robert vor, Alain in der Fortsetzung ein illegitimes Kind in Sünde zeugen zu lassen. Sie interpretieren die Verse, die ich mit Sandkühler (S. 71) als Warnung lese, als positive Voraussage: De la joie de char se gart (Alain), Qu'il ne se tiegne pour musart. La char tost l'ara engignie Et mis a duel et a pechie. (3077ff.)
Bekanntlich wird Galahad, die Erlöserfigur des Vulgata-Gralzyklus, außerehelich gezeugt, zwar in Sünde, jedoch dennoch gemäß Gottes Heilsplan. Läßt man die bekanntesten, durch ihre Geburt charakterisierten Helden der mittelalterlichen Literatur Revue passieren, zeigt es sich, daß die irreguläre Zeugung geradezu der Index ihrer exzeptionellen Bedeutung im Guten wie im Bösen 10 ist. Bemerkenswert ist aber, daß Robert de Boron bei seinem Entwurf des dritten Menschen das Gesetz der Natur überhaupt außer Kraft setzt. Auf die nicht nur irreguläre, sondern übernatürliche Geburt eines neuen Heilands verweist noch die Frau, in deren Obhut der tierz hons aufwachsen soll. Wenn er schon mit einer Frau in Berührung kommen muß, dann nur mit einer als Ziehmutter definierten Pflegeperson. Der tierz hons geht buchstäblich aus einer männlichen Jungfrau 11 hervor. Es liegt nahe, darin eine Kontrafaktur zur Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria zu sehen, zum göttlichen Sohn der Jungfrau, der einem weltlichen Zieh- und Pflegevater anvertraut wird. Aber Joseph, der Ziehvater Jesu, stammt aus dem Hause David (Luk. 1,28); er ist ein Abkömmling aus der Wurzel Jesse (vgl. Matth. 1,1-16), als deren letzten Sproß einige romanische Kirchenportale den Pflegesohn Josephs abbilden 12 . Die Frau, welche den tierz hon aufziehen soll, darf hingegen weder als natürliche Mutter noch durch den Adel ihrer eigenen hohen oder heiligen Abkunft die
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Vgl. dazu Gunhild und Uwe Pörksen, Die Geburt des Helden (Euphorion 74), welche die typischen Stationen der Kindheitsdarstellung in der mittelhochdeutschen Epik herausarbeiten. Eine eher lächerlich anmutende Variante des Phänomens der ungeschlechtlichen Zeugung bietet die wohl in der zweiten Hälfte des 13. Jhs. entstandene Perceval-Fortsetzung des Gerbert de Montreuil: Dort erkennt Perceval zuerst, daß er das Gralabenteuer auch zum zweiten Mal nicht bestand, weil er sein Eheversprechen gegenüber Blancheflur einzulösen versäumte. Die Heirat findet mit großem Gepränge statt, doch dann beschließen die beiden Neuvermählten noch in der Hochzeitsnacht, eine enthaltsame Ehe zu führen. Frühmorgens vernimmt Perceval eine Stimme, die ihn für seinen Entschluß lobt, um ihm zugleich seine Nachkommenschaft bis ins vierte Glied vorauszusagen: Or garde ta virginité / Et soies plains de caritè, / Et toute honors t'en avenra, / Et de ta lignie venra, / Ce saches tu, une pucele / Qui molt ert avenans et bele (6903-08)! Vgl. Mantes (um 1180) Mittelportal, Laon (1195-1205) Marienkrönungsportal, Amiens (um 1230) südliches Westportal, Senlis (1153-91) Marienportal.
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Identität des durch den Vater definierten Sohnes beeinträchtigen. Es ist Roberts manifeste Absicht, die Dreiheit der Gralhüter der Dreifaltigkeit nachzubilden. Wenn wir uns daran halten, erscheint sowohl der Ausschluß der Frau aus dem Stammbaum und dem Heilszusammenhang als auch der asexuelle Charakter der auserwählten Männer durch dieses Anliegen motiviert. Wir haben andererseits gesehen, daß Robert de Boron den Wunsch hat, das Gesellschaftliche als reine Positivität herzustellen, daß er deshalb das Unreine immer wieder ausrotten muß, und daß der Schmutz, mit dem man nicht zu Rande kommen kann, durch die Fleischeslust ausgedrückt ist (vgl. oben S. 10f.). Robert ist besessen vom Problem: Wie kann ich den Helden, den ich meine - und wohl auch: wie kann ich mich selber, - vollkommen rein erschaffen. Sein Begriff der Reinheit muß den geschlechtlichen Ursprung des Menschen aus zweien, die sexuelle Begierde des Mannes nach der Frau und schließlich die Frau überhaupt negieren. Die erste Frau, Enygeus, verschwindet sangund klanglos aus der Geschichte, die zweite darf die Entstehung des tierz hon nicht affizieren. Die weibliche Identität scheint so eminent durch die Geschlechtlichkeit bestimmt, daß die Frau aus der heilsgeschichtlichen Mission des Gralsgeschlechts ausgeschlossen werden muß. Die Männer hingegen, welche die Armatur des auserwählten lignage bilden, können von ihrer Geschlechtlichkeit gereinigt werden. Dreifach evoziert Robert die Idee des jungfräulichen Vaters: Joseph, der Ehelose, darf als Stammvater des Geschlechts gelten, denn von ihm wird es abgeleitet. Auch läßt Gott ihm, dem Jungfräulichen, durch seinen Engel ein Kind verkündigen. Der, welcher der leibliche Vater von zwölf Söhnen ist, wird von seiner Gatten- und Vaterschaft gereinigt, bevor er mit dem Gral investiert wird. Als Riehes Peschierres hat Bron weder Frau noch Kinder, er ist entsexualisiert, in den Stand der Jungfräulichkeit zurückgeführt. Der, welcher sich lieber die Haut abziehen lassen will, als eine Frau zu nehmen, wird dazu bestimmt, einen Sohn aus sich herauszusetzen. In der Figur des Alain wird die jungfräuliche Vaterschaft als Paradoxon formuliert. Robert beschwört das Außerordentliche durch die Umkehrung des Natürlichen und Gewohnten. Nicht nur ist die wahre Fruchtbarkeit die sexuelle Unberührtheit, sondern auch die Vorstellung der Jungfräulichkeit, welche die Sprache am weiblichen Geschlecht bildete, muß ins männliche Geschlecht übersetzt werden. Die drei göttlichen Personen der Trinität sind grammatikalisch männlichen Geschlechts; die erste heißt Vater, die zweite heißt Sohn, und dennoch ist die Natur oder Substanz der Dreifaltigkeit ungeschlechtlich. So gesehen ist die Nachbildung der für Robert de Boron so bedeutungsvollen Trinität nicht der letztendliche Zweck all der paradoxalen genealogischen Bemühungen auf der Ebene der Menschenwesen, sondern das trinitarische Modell bietet vielmehr dem männlichen Phantasma vom ungeschlechtlichen Vater eine Form und erlaubt es, die jungfräuliche Reinheit männlich zu determinieren.
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Schluß der immanenten Betrachtung und Ausblicke Im Schlußteil von Roberts Grallegende kommt wenig Erzählung, dafür umsomehr Lehre und Rede vor. Die auserwählten Personen sind ausschließlich «von hinten motiviert» (Lugowski); was sie wollen und was Gott mit ihnen vor hat, ist identisch: Nachdem die göttliche Stimme es prophezeite, entscheidet sich Alain für die Jungfräulichkeit, weiß Petrus, daß er aufbrechen will und auch wohin er sich wenden wird (vgl.2959ff. und 3215ff.). Heilsgeschichte und Geschehen in der Welt stehen im Einklang, weil die Welt nicht vorkommt, weil die Agenten der Geschichte bis ins letzte durch den göttlichen Heilsplan determiniert sind. Als epische Konzeption ist ein solches Arrangement aporetisch. Wenn wir uns die Realisierung des Verheißenen in einer Forsetzung gemäß der in diesem Versroman angelegten Bedingungen vorstellen, müßte der Weg des tierz hon eher einem Itinerar, einem Abschreiten festgelegter Stationen entsprechen, als einer Suche. Die Gralromane, in denen die heilsgeschichtliche Konstruktion des Robert de Boron das Grundmuster der Darstellung bildet (der , der und die ), müssen sich an diesem Problem abarbeiten. Sie können nur Welt entfalten, indem sie den Helden aus der unmittelbaren Gottbezogenheit in eine minimale Selbständigkeit entlassen (wie der ) oder indem sie ihm (wie die ) der Unwissenheit und der Fehlbarkeit unterworfene Freunde zugesellen, die eo ipso befähigt sind, in der Welt Erfahrungen zu machen. Die verwandtschaftliche Organisation in Roberts Gralgeschichte scheint mir eine Funktion der von diesem Autor gewählten Darstellungsform zu sein. In ihr kann die Verwandtschaft keine eigenständige Dynamik entfalten. Sie erscheint als vertikale Ordnung und kann nur als von Gott geplante Abstammung ein Thema sein. Die innerfamiliären oder lateralen Verwandtschaftsbeziehungen finden wie alles, was Raum entfalten, was die Horizontale artikulieren würde, in diesem Diskurs keinen Platz. So wie die Rede des Autors direkt aus dem göttlichen Mund fließt, so entspringt das Gralgeschlecht aus dem Wort Gottes.
Das laikale Familienbewußtsein und das genealogische Imaginäre Roberts de Boron In seinem einsetzen, zeigt sich, daß an diesem Ort genau die Bedingung erfüllt ist, unter der die Erlösung des Roi Pescheor gelungen wäre. Hat Perceval aus der Frage der Verwandten seinen Namen erraten, so hätte er aus der Präsenz der Verwandten die richtige Frage erraten sollen 13 . Die Frage der germainne cosine wirkt in zwei Richtungen: Perceval errät seinen Namen, und weiß die Verwandte den Namen, weiß sie genug. Die Cousine und der Mutterbruder identifizieren Perceval auf Grund des Namens. Ihr Erkennen vollzieht sich wörtlich gemäß der von Percevals Mutter geprägten Formel: N'aiiez longuemant conpeignon Que vos ne demandiez son non; Le non sachiez a la parsome14, Car par le non conoist l'an l'ome. (559-62) So wenig Voraussetzungen das Fragen nach dem, was man wissen will, erfordert, so voraussetzungsreich ist das Ableiten der Identität aus dem Namen. Es 13
Ganz anders deutet R. Howard Bloch, Etymologies and Genealogies, diese Stelle. Ihm zufolge ist Percevals Queste durch den Verlust des Vaters motiviert, die Begegnungen mit den Verwandten mütterlicherseits repräsentieren Stadien auf dem Weg der Vatersuche, das Wiederfinden der Gralburg würde die Wiederherstellung der Integrität des lignage bedeuten, zugleich jedoch die Erlangung der väterlicherseits determinierten Identität (vgl. S.206). Deswegen deutet Bloch das Erraten des Namens als Werk von Percevals Unterbewußtem, in dem die Erinnerung an die väterliche Linie aufbewahrt wäre: «Perceval remembers his own name which, merely repressed, inhered in his all along» (S. 206). Bloch kommt der Unterschied zwischen jenen Gralromanen, welche die Identität des Helden in einer patrilinearen Genalogie zu verankern suchen, und dem nicht in den Blick. In diesem Zusammenhang ist Wolframs Zeugnis interessant, denn im leitet die Cousine den Zunamen von der Mutter ab: und sag dir sunder valschen list / die rehten wârheit, wer du bist. / din vater was ein Anschevtn: / ein Wâleis von der muoter dtn / bistu geborn von Kanvoleiz (140, 23ff.).
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Das Chrestien-Wörterbuch übersetzt parsome mit , setzt aber über die Herkunft des Wortes ein Fragezeichen. Die Hss. F, Q, P, S haben persone. Statt non (y. 561) verzeichnen H und BQ sornon. V. 562 steht sornon in BHT und Q. - Roger Dragonetti, La vie de la lettre au moyen âge, besteht auf dem Unterschied, der in der Dichtung zwischen Namen und Beinamen gilt. Der Dichter, der sornons setzt, suggeriert, daß ein befragter Ritter vielleicht nicht seine gesellschaftliche Identität preisgibt, sondern einen Namen sagt, der seinem Wunsch entspricht (répondrait par le surnom dicté par son désir, S. 24). Der Autor betrachtet die Namen in der Dichtung, insofern sie signifikante Virtualitäten sind, die in jedem Augenblick der Dichtung widerrufen werden können, so in unserer Stelle: «Tes nons est changiez, biaus amis. » / «Cornant?» - «Percevaus li cheitis!» (3581f., vgl. Dragonetti S. 28). Zwar ist es richtig, daß die germainne cosine Percevals Identität durch den Beinamen Ii cheitis neu definiert, aber sie tut es auf der Ebene des Signifikates; Chrestien spielt in diesem Fall nicht mit der äquivoken Bedeutung der Schriftzeichen. Im Kontext Percevals zeigt Chrestien den Namen als Garanten der wahren Identität. Anders verhält es sich mit der etymologisierenden Deutung, wie sie Chrestien bei Gauvains Namen vornimmt; im folgenden Beispiel handelt es sich allerdings eher um einen Kalauer: Et (Guinganbresil) dist trois paroles an vain: / «Sire Gauvain, sire Gauvain.» (6139f.), vgl. Dragonetti S. 29. 68
funktioniert nur, wenn der befragte Ritter so berühmt ist wie etwa Gauvain, der auch niemals seinen Namen verschweigt, wenn er danach gefragt wird. Die Namensnennung löst Erkennen aus, nicht nur weil Gauvain selber ein Renommee hat, sondern auch weil seine Gesprächspartner ihn in einer Verwandtschaftsbeziehung lokalisieren können: In der Unterhaltung Gauvain - Guiromelant spielt sich das so ab: «Je sui Gauvains.» - «Gauvains ies tu?» «Voire, Ii niés le roi Artu». (8833f.)
Perceval wiederum erkennt Gauvain am Namen, weil er schon von ihm gehört hat: «Sire, sachiez veraiement Que je oi non an baptestire Gauvains.» - «Gauvains?» - «Voire, biaus sire.» Percevaus mout s'an esjo'i Et dist: «Sire, bien ai oï D e vos parler an plusors leus . . . » (4484-89)
Im Milieu der Artusritter erkennt man den Fremden selten an seiner Physiognomie, die Mitritter erkennen ihn auf Grund seines Namens, weil er sich einen Namen gemacht hat in einem Kosmos, in den sie selber initiiert wurden. Und man erkennt den Fremden nur dann am Namen, wenn er seine Taten mit seinem Namen firmiert hat. Die Rüstung aber gewährleistet einerseits das Inkognito, andererseits bietet sie dem Helden die Möglichkeit, sich in den Augen der anderen zu vervielfachen. Er braucht nur in eine fremde Rüstung zu schlüpfen, und schon ist die Artuswelt um einen geheimnisvollen roten, weißen, grünen Ritter bereichert. Perceval besaß bei seinem ersten Besuch beim Artushof weder eine Rüstung noch hatte er einen Namen. Beim zweiten Besuch wird er vom Mitritter Gauvain denn auch nicht auf Grund seines Namens identifiziert, sondern weil er sich als der Völlbringer berühmter Taten zu erkennen gibt: Aus dem Blutstropfentraum aufgewacht, erfährt Perceval, daß die von ihm Besiegten Ritter des Königs Artus waren, und er verrät seine Identität, indem er fragt, ob Keu darunter war, dem er ehemals Rache geschworen hatte. Es handelt sich um eine Geschichte, die Gauvain bestens bekannt ist, und über sie vollzieht sich das Erkennen. Die mütterlichen Verwandten aber erkennen den Verwandten am Namen, den ihm weder Vater noch Mutter gab. Sie lesen nicht aus den Silben des Namens die den Namensträger charakterisierenden Eigenschaften (wie etwa Soredamors im ), sondern sie erkennen aus dem Namen die konkrete, bestimmte Geschichte der Person: «Ha! biaus amis,» fet Ii prodon, «Or me di cornant tu as non.» Et il Ii dist: «Percevaus, sire.» A cest mot Ii prodon sospire, Qui a le non reconeü, Et dit: «Freie, mout t'a neü Uns pechiez don tu ne sez mot . . . » (6387-93)
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Zwar soll versucht werden, die Bedeutung von reconoistre in unserem Kontext näher zu bestimmen. Doch d a ß die mütterlichen Verwandten Perceval auf Grund des Namens erkennen, ist ein Mysterium, das die möglichen Bedeutungsnuancen des Verbs nicht aufheben können 15 . Das Erkennen ereignet sich bei den mütterlichen Verwandten, nicht anders als bei Perceval, nach dem Modus des Erratens. Perceval wird vom Eremiten nach seinem Namen gefragt. Wie bei der germainne cosine wirkt die Frage nach zwei Richtungen, und wie dort ist die Antwort vor allem für den Gefragten von Bedeutung. In der Begegnung mit der Cousine ist die Bedeutung der Frage radikal zugespitzt: Perceval wird nach seinem Namen gefragt, und augenblicklich weiß er, wie er heißt. Die Frage ist hier buchstäblich die Bedingung der Erkenntnis. Indem der Eremitenonkel Perceval seine Verwandtschaft enthüllt, sagt er ihm, wer er ist. Auch hier residiert die Erkenntnis des Subjekts in der Frage des andern. Wenn wir diese Dialektik von Frage und Erkenntnis auf die beim Gral herrschenden Bedingungen anwenden, hieße das: Perceval früge nach dem Namen dessen, den man mit dem Gral bedient, und die Verwandten mütterlicherseits würden erkennen, wer sie sind. Perceval wird vom Eremitenonkel, der ihn auf Grund seines Namens erkennt (qui a le non reconeü), als Verwandter anerkannt 16 . Doch wie ist das Verbum reconoistre in unserem Passus zu verstehen? Ist das Präfix re ein Bedeutungsträger, dient es vielleicht der Verstärkung oder ist es etwa lediglich ein bedeutungsloser Vorschlag17? Dabei sollten wir berücksichtigen, daß die Frage nach dem Namen unmittelbar an Percevals Sündenbekenntnis anschließt, das zwar das Versagen beim Fischerkönig enthält (vgl. 6372ff.), nicht aber die Sünde gegen die Mutter, welche ihm die germainne cosine vorgehalten hatte (vgl. 3595f.). Wenn wir den Bedeutungshof der Beichte auf das Folgende ausdehnen, hätte Perceval durch die Nennung seines - von der Cousine mit Unglück behafteten - Namens schon seinerseits diejenige Sünde einbekannt (reconeü)18, die in der vorausgehenden Beichte nicht vorkommt. Daraufhin
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Es ist wohl kein Zufall, daß weder das afrz. Wörterbuch Tobler-Lommatzsch noch Max Meinickes Studie über das Präfix Re- im Französischen die fragliche Stelle aufgenommen haben. Sie taugt offensichtlich nicht als prägnanter Beleg einer gängigen Bedeutung.
Perceval wird auf seiner Suche auch weiterhin geleitet. Es stehen aber keine verwandten Ratgeber mehr am Ende der Etappen, sondern wunderbare Erscheinungen winken, welche ihm die nahe Vollendung seiner Mühen anzeigen oder aber Gründe für die Verzögerung seiner Ankunft angeben. Die Erzählung greift nun auf ein Motiv zurück, welches die Stimme, die bei der Erprobung des leeren Sitzes erscholl, in die Erzählung eingebracht hatte, Ii encantement de Bretagne: lors quant il ara çou demandé si sera li Rois Peschiere garis, et sera li piere rasoldee del liu de le Table Reonde, et charont li encantement qui hui cest jor sont en le terre de Bretagne. (E 218-21, D 189-93)
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Ob man sich nun vorstellen muß, daß Percevais voreilige Besitznahme vom leeren Platz die Verzauberung hervorrief 11 oder ob ihr Beginn schon in der Zeit von Artus' Krönung einsetzte 12 , ist für unsere Betrachtungsweise gleichgültig: Innerhalb dieser Trilogie bildet das Ende der encantement einen Bestandteil des von Merlin vorausgewußten Heilsgeschehens. Die Stimme am Artushof wiederholt, was Merlin am Ende der nach ihm benannten Branche prophezeite: Et cil cevaliers ara le sanc Jhesucrist en garde. Et lors charront Ii encantement par le terre de Bretagne, et adont si sera la prophesie toute paracomplie. (E, Cerquiglini S. 194f., Roach, Appendix A: E 329-31, D 496-98)
Der von der Stimme angekündigte Zauber motiviert einerseits die aventures und merveilles, die Perceval in den auf den Verwandtenbesuch folgenden vier Episoden begegnen, andererseits schlägt er eine Brücke zu Merlin, der in diesem Zusammenhang zum ersten Mal im Perceval-Teil des Zyklus auftritt. Die Zeugung Merlins war bekanntlich vom Teufel als Revanche für Christi Geburt aus der Jungfrau gedacht. Der Teufel vererbt seinem Sohn keinen notorischen Hang zum Bösen, sondern verleiht ihm das Wissen um die Geschehnisse der Vergangenheit. Doch der Sohn des Teufels und einer bis auf dieses eine Vorkommnis unbescholtenen und frommen Jungfrau schlägt zum Guten aus, weil das untadelige Leben der Mutter auf die Konstitution des Ungeborenen einwirkte. Merlin verwendet die vom Teufel stammende Eigenschaft nicht zur VerÜbung von Teufeleien, sondern um die Wahrheit zu enthüllen. Indem er die Machenschaften der Bösen an die Öffentlichkeit bringt und deren Intriganten entlarvt, bringt er diese immerhin in eine verteufelte Lage. Vor allem aber hat Gott von vornherein die Einseitigkeit von Merlins Hellsicht kompensiert, indem er ihm das Wissen über die Zukunft verlieh. Wer alles weiß, kann sich nicht mehr dem Bösen verpflichten (vgl. Cerquiglini S. 103). Obwohl vom Teufel gezeugt, ist Merlin, den die Menschen auch als l'enfant qui est nés sans pere (E, Cerquiglini S. 114) bezeichnen, eine gottesunmittelbare Figur. Im vorarthurianischen Zeitalter und für den Geltungsbereich des Königs Artus üben sein Wissen und seine Weisungen die Funktion aus, welche in Roberts Gralgedicht, das heißt in frühchristlicher Zeit, die Offenbarung Gottes selbst wahrnahm.
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Nach Roach hat Percevais verfrühte Erprobung des leeren Sitzes die Verzauberung ausgelöst. Ihm zufolge führte Robert de Boron dieses Motiv ein, um die Perceval auf seiner Gralsuche begegnenden merveilles und aventures zu motivieren (vgl. Einl. S.44ff. bes. Anm. 1). Roach nimmt an, daß Roberts weder eine Sünde noch eine dem Fischerkönig zu stellende Frage enthielt (vgl. ib. S. 54 und S. 57). Dem kann ich nur zustimmen. Nur stellt sich dann die Frage, worin Roberts überhaupt bestanden haben kann. So meint Fanni Bogdanow: «il est évident, . . . que si l'on enlève au les soi-disant interpolations, il en reste si peu de chose que l'on conçoit mal ce qu'aurait pu contenir le hypothétique de Robert de Boron» (GRMLAIV, S. 517). So meint Brugger (ZfSL 53, S. 419), der sich auf einen dem alten zuzurechnenden Passus beruft; zu Bruggers Argumenten vgl. Roach, Einl. S. 45f., Anm. 1.
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Ob die Einmündung der Merlin-Branche in eine Perceval-Erzählung Roberts Werk war oder nicht, der Merlin des setzt die Funktion derTitelfigur der zweiten Branche getreulich fort. Aber von welchem Nutzen kann eine solche Figur sein in einer Erzählung, deren Held Perceval ist? Anders als im Vulgatazyklus muß die Zeit zwischen der frühchristlichen Ära Josephs und der des Artus nicht durch eine lange Kette von Generationen überbrückt werden. Ein Augenzeuge, der ein Vaterbruder ist, lebt noch. Nach dem Besuch bei der Schwester und dem Vaterbruder ist Perceval eingeweiht in die Geschichte des Grals, in seine Abstammung und Erwählung. Die Abkömmlinge des Fischerkönigs selbst bürgen für die ungebrochene Überlieferung des Heilsplans sowie für die Richtigkeit der in ihm niedergelegten Handlungsanweisungen. Merlin ist kein Verwandter Percevals. Doch seine Funktion im dritten Teil des Zyklus scheint mir noch einmal ein Licht zu werfen auf die Implikationen der patrilinear gedachten Verwandtschaft: die Verwandtschaft der dem Gral Zugeordneten meint bei Robert de Boron keine interpersonale Relation, sondern die Beziehung zum Ursprung, und genau darum geht es auch bei der Merlinfigur, und zwar in doppelter Hinsicht: einerseits enthält die außer- oder unternatürliche Entstehung Merlins und seine augenblickliche Verwandlung in ein unfehlbares Werkzeug Gottes die Idee der Gleichursprünglichkeit von Gut und Böse. Merlin, der Sohn des Teufels, kennt den göttlichen Heilsplan und hilft durch seine Interventionen, ihn zu verwirklichen. Andererseits ist er der Urheber der schriftlichen Überlieferung dieser für die Ritterkaste bestimmten Heilsgeschichte. Merlin tritt in der Erzählung auf als der Redaktor der uns in dieser Trilogie überlieferten Geschichte: Immer wenn sich eine Etappe des Heilsplans realisiert hat, begibt sich Merlin zu seinem Schreiber Blaise, dem ehemaligen Beichtvater seiner Mutter, um ihm das neue Kapitel zu diktieren. Er läßt das Geschehen aufschreiben, por ramembrer as preudomes qui volentiers l'oroient. (E 1477, D 1255f.) Joseph von Arimathia war auf die göttlichen Verlautbarungen von Fall zu Fall angewiesen, Merlin besitzt das Wissen als unverlierbare Eigenschaft. Er ist nicht Zeuge für Gottes Wirken, sondern Gottes Mitwisser und als in die Handlung Eingreifender der Koautor der Heilsgeschichte. Seine Instruktion an den Schreiber Blaise lautet: Ne Ii apostle ne misent onques rien en escrit de nostre Segnor que il n'eüssent veü ne o'i, et tu n'i mes rien que tu aies veü et oi, se gou non que je te di. (Merlin E, Cerquiglini S. 105)
In dieser Figur ist die Frage der wahrheitsgetreuen Überlieferung um das Problem der Vermittlung gekürzt, Merlin ist nicht der natürlichen Lebensdauer unterworfen: Et (Merlin) veoit et savoit les aventures qui a Perceval avenoient cascun jor, et les faisoit escrire [a] Blayse (E 1475-77, D 1253ff.).
Er ist nicht nur ein Exponent des Dispositivs, das mit Joseph und dem von ihm begründeten Geschlecht der Augenzeugen angelegt wurde, er bedeutet dessen 104
Radikalisierung: Hinsichtlich der Organisation der ritterlichen Welt- und Heilsgeschichte ist die handelnde Merlinfigur, was Gott in der Gralvorgeschichte für die Inkarnation des auserwählten Geschlechts war: er ist ihr Erzeuger. Hinsichtlich der Überlieferung der Geschichte wirkt Merlins Rede wie die Rede der göttlichen Stimme, welche die Abfolge der Gralhüter festsetzte: Merlin dokumentiert die Erschaffung des Bedeutenden und Bedeutsamen aus dem Wort: tu n'i m e s rien . . s e gou n o n que je te di.
In Roberts Gralgedicht war der tierz kons einerseits als der dritte einer von Mann zu Mann fortgezeugten Linie verheißen. Andererseits waren die drei Gralhüter dem trinitarischen Modell nachgebildet, keiner der drei verdankt seine Entstehung dem andern, sie sind gleichursprünglich. Ich habe schon zu zeigen versucht, wie beide Modelle die Vorstellung von der Identität der Substanz auszudrücken vermögen, und wie beide dazu dienen, die Legitimität des Gewordenen durch seine Identität mit dem Ursprung zu erweisen (vgl. oben S. 33f.). In Roberts Gralgedicht sind die Agenten der Heilsgeschichte als eine Genealogie erzeugt, deren Glieder in der fortschreitenden Zeit der Erzählung als lebendige Zeugen die Wahrheit des Heilsgeschehens erweisen sollen. In diesem Sinn setzt auch der den Vater und den Vaterbruder Percevals ein; insofern ist Merlin hier eine redundante Figur. Er ist es jedoch keineswegs für das Problem der Überlieferung: nicht nur tritt mit ihm einer auf den Plan, der Percevals Abenteuer, die in der Jetztzeit der Erzählung stattfinden, weiß und berichten kann; die mündliche Tradierung, und sei es der Bericht der Ohrenzeugen, bedarf noch einer Beglaubigung darüber hinaus. Die den Naturgesetzen enthobene Zeugung und die Erhebung zum Mitwisser Gottes setzt die Merlinfigur aus dem Zusammenhang des Abgeleiteten heraus. Die wahre Geschichte ist die durch die Schrift transportierte, und Merlin, der den Status der Quelle und des Autors innehat, ist eine neue Konfiguration der göttlichen Ursprünglichkeit. Der Gedanke der Gleichursprünglichkeit der Gralhüter fehlt in der Merlin-Branche wie im . An seine Stelle scheint mir die Idee der Gleichursprünglichkeit des Autors Merlin mit Gott getreten zu sein. Außerdem ist Merlin selbst eine trinitarische Figur: Vereinigt er in seiner Substanz nicht die Dreiheit von Gott, Mensch und Teufel?
FANTHOSMES
ODER
ENSACNEMENT
Eine der interessantesten Leistungen des besteht darin, daß er den Helden Erfahrungen aussetzt, die über den Vollzug der elementaren Opposition fols /sages hinausgehen. Bei Chrestien kennzeichnet die Unverständigkeit des jungen Perceval, daß er die Bedeutung der Rede im übertragenen Sinn nicht begreift. Der Held des hingegen muß eingeweiht werden in den Unterschied zwischen Schein und Wahrheit. In diesem Initiationsprozeß tritt Merlin als der Inhaber der wahren Bedeutungen auf. 105
Zuerst erfährt Perceval, daß die Wirklichkeit mindestens zwei Dimensionen hat, eine von außen sichtbare und eine innere: Zunächst begegnet ihm ein Ritter in der Begleitung eines Fräuleins, dieses ist so abgrundtief häßlich, daß Perceval sich bekreuzigt, denn er weiß nicht se çou est diables u ferne (E 842, D 802f.). Perceval beleidigt das Fräulein mit rüden Worten, doch sein Beschützer widerspricht: nicht nur sei seine Gefährtin das höfischste Fräulein, das man sich vorzustellen vermöge, sondern über alle ihm innewohnenden Schönheiten hinaus besitze es Güte (debuenaireté). Er fordert Perceval zum Zweikampf heraus und kämpft so vorzüglich, daß sich Perceval ob der langen Dauer des Gemenges schämt. Schließlich muß der besiegte Gegner seinen Namen nennen: Et Ii cevaliers respondi que il avoit non Ii Biaus Mauvais, et Percevaus respondi: «Par mon cief, dans cevaliers, en vostre non a voir et si i a mençogne, car biaus mauvais n'estes vous mie, mais buens et biaus, se Dex m'ait» (E 872-76, D 836-39).
Der Ritter und das Fräulein mit dem Namen Rosete la Blonde werden zum Artushof geschickt, wo man sich zuerst ausgiebig über das Paar lustig macht. Aber die Episode endet folgendermaßen: Ensi com vos avés oï demoura Ii demisele a le cort le rice roi Artu, et bien saciés que Ii demisele fu puis la plus bele que on seüst. (E 963-65, D 901f.)
Ob die Schönheit des Fräuleins durch eine eventuelle Entzauberung offenbar wurde oder ob der Artushof die Güte als Schönheit zu sehen lernte, ist nicht auszumachen. Jedenfalls artikuliert die Episode die Doppelheit von Außen und Innen, Wahrheit und Schein. Perceval lernt die Geschiedenheit von schön und gut, häßlich und schlecht kennen. Er lernt, daß die natürlichen Sinne der Täuschung unterworfen sind. Diese Lehre bieten ihm der Ritter und seine Gefährtin dar, indem sie die Begriffspaare schön-gut, häßlich-böse durchtrennen und als Liebespaar die Elemente über Kreuz kombinieren: Die Güte der ritterlichen Qualität tritt auf unter der irreführenden Etikette : Ii Biaus Mauvais. Die Güte als wahre Schönheit erscheint in Gestalt teuflischer Häßlichkeit. Als nächstes begegnet Perceval einem auf der Strecke gebliebenen Artusritter: Ihm hatte eine des Zaubers mächtige Dame vorgegaukelt, es sei möglich, chevalerie und déduit (, E 1028) miteinander zu vereinbaren. Seine Geliebte läßt ihn nicht fort, doch sie weiß als Zauberin für den Geliebten, der zugleich der beste Ritter der Welt werden möchte, einen Ausweg. An einer engen Furt, welche alle Ritter passieren müssen, plaziert sie ein unsichtbares Schloß, so daß der Geliebte sozusagen nur aus der Haustür zu treten braucht, wenn er chevalerie ausüben möchte. Perceval besiegt auch diesen Ritter und schickt ihn an den Artushof. Doch als der Ritter sich dazu anschickt, si oï une si grant tumulte que il li ( = Perceval) sambla que toute li forés fondist en abisme. (E 1045f., D 957f.)
Die Erscheinung ist derjenigen vom Artushof zum Verwechseln ähnlich (vgl. E 193-97, D 166-71): Rauch und Schwärze vernebeln die Sicht, eine Stimme 106
ertönt, die Perceval verflucht, ihm für die Zukunft die schrecklichsten Strafen androht und den Ritter zur schleunigen Rückkehr auffordert. Et quant Ii ce valiers a oie le vois se pasma, et Percevaus fu tous esbahis et le regarda a mervelles. (E 1068, D 972)
Plötzlich schwirren Vögel durch die Luft und greifen Perceval an; ob diesem Beistand ermannt sich der Ritter, Perceval aber erschlägt einen der Vögel, der alsbald als tote Frau zu seinen Füßen sinkt (devint une ferne morte, E 1085f.). Der zum zweiten Mal besiegte Ritter muß nun Perceval erklären, quele mervelle çou est que jo ai veüe (E 1092): Nicht nur waren die Wesen, die in samblances d'oisiaus (E 1097f.) auftraten, in Wahrheit die Geliebte des Gegners und ihre Gefährtinnen; Perceval konnte der Dame auch nichts anhaben, sie war nur scheinbar tot, in Wirklichkeit befindet sie sich bereits in Avalon. Nachdem Perceval den Ritter entlassen hat, wird dieser im Nu seinen Augen entrückt. Perceval kommt das alles höchst wunderbar vor: si le tint a grant mervelle, et s'en retorna arriéré et dist que folie Ii feroit porsiuir (E 1113f., D 1007).
In tiefes Nachdenken versunken reitet er weiter si com aventure le menoit (E 1119f.). Eines Tages erblickt er an einer Weggabelung ein Kreuz und daneben einen wunderschönen Baum. Als er ihn näher betrachtet, sieht er, wie zwei nackte Kinder im Alter von etwa sechs Jahren einander im Spiel umarmen und von Ast zu Ast turnen. Perceval beschwört die Kinder im Namen der Dreifaltigkeit, ihm zu sagen, ob sie von Gott sind. Darauf hält eines der Kinder inne und spricht zu ihm: Cevaliers qui nous as conjurés, saces que de par Diu vivons nous. (E 1134f., D 1017f.)
Sie erklären, sie seien aus dem irdischen Paradies gekommen (cel paradis terrestre dont Adans fu jetés, E 1135f., D 1018f.), um mit der Erlaubnis des Heiligen Geistes zu Perceval zu sprechen. Sie wissen, daß er in die Queste nach dem von seinem Großvater gehüteten Gral eingetreten ist: et tu t'en iras ceste voie a destre par devant toi, et saces que ançois que tu en isses verras tel cose par quoi tu afineras ton traval se tu es teus que venir i doies. (E 1138-41, D 1021-24)
Perceval meditiert über das Gehörte und als er aufblickt, ist der Baum verschwunden, und auch die beiden Kinder und sogar das Kreuz, alles, was er vorhin mit eigenen Augen erblickt hatte: Si Ii vint a la gregnor mervelle del monde et se pensa molt en son euer, et se pensa et douta que ce ne fust fanthosmes. (E 1143-45, fehlt D)
Nun ist Perceval in große Verwirrung gestürzt, und er weiß nicht, ob er der Anweisung der Kinder Folge leisten soll. Perceval weiß inzwischen, daß die Wirklichkeit doppelt ist, daß es Wunder gibt, die lügen, täuschenden Zauber, der das Ritterleben korrumpiert, andererseits aber Wunderzeichen, die von Gott kommen. Aber wie soll man die beiden Gattungen unterscheiden? An 107
diesem Punkt tritt Merlin auf, er erscheint in Gestalt eines Schattens und spricht: Perceval, Merlins dont tu as tant oi parier te fait savoir que tu n'aies mie en despit ?ou que Ii doi enfant t'ont ensagnie, car saces que eil ensagnemens vient de par Jhesucrist, nostre Sauveor (E 1153-55, D 1031, doch in D spricht eine namenlose ).
In Chrestiens waren die wunderbaren Vorgänge auf der Gralburg nicht Gegenstand des Glaubens, das Gralgeschehen ist das Bedeutungsvolle schlechthin. In der Welt, in der wir uns hier befinden, sind dagegen die wunderbaren Erscheinungen gespalten in leere Phantome und bedeutungsvolle Zeichen. Die Phänomene, die Außenseite der Erfahrungen, bedürfen hier wie dort der Deutung. Auch im ist die Fähigkeit dazu nicht erlernbar, doch es handelt sich dabei auch nicht um eine Qualität, wie sie Chrestiens Verwandte mütterlicherseits aus sich selbst besitzen, auf Grund ihrer geheimnisvollen Verbundenheit. Nicht die Verwandten mütterlicherseits wissen im mehr über denVerwandten als dieser über sich selbst, sondern dem Helden müssen seine Erfahrungen undurchschaubar bleiben, wenn er nicht der geistlichen Autorität glaubt, die ihm in Vertretung der göttlichen die einzig wahre Lesart offenbart.
Versatzstücke Merlin bekräftigt die Weissagung der Kinder vom Baum im Konditionalis: Bevor der eingeschlagene Weg zur Rechten ende, werde Perceval die Prophezeiung erfüllen, die Gott Joseph von Arimathia kund tat: se tu espreudom (E 1156) oder se tu es teux que venir y doies13 (D 1033). Perceval ist es nicht, vielmehr, noch nicht. Er gelangt zum Haus des Fischerkönigs, sieht Gral und Lanze und fragt nicht, obwohl er doch die Erlösungsformel von vornherein gesagt bekam und obwohl der Fischerkönig versucht, ihm auf die Sprünge zu helfen: et Ii sire le metoit en maintes manieres de paroles por 50U que il Ten demandast (E 1229f., D 1088f.).
Bei Chrestien ist die Unverwechselbarkeit der Perceval-Figur dadurch bestimmt, daß er im entscheidenden Moment nicht fragt. Die Hemmung zu fragen, ist zugleich ein konstitutives Merkmal der mythischen Organisation: sie verdankt sich dem Bruch mit der mütterlichen Sphäre, der wiederum das Verkennen der Verwandten mütterlicherseits mit Bedeutung auflädt. In unserer Erzählung gewinnt die Fragehemmung keinerlei Evidenz aus dem Erzählgefüge selber. Doch hier scheinen die Erfordernisse von Chrestiens Erzählstruktur 13
Zu dieser Formel, durch welche schon einige Hss. des den Vorbehalt ausdrücken und so die Vergeblichkeit des ersten Gralbesuches im vorzubereiten scheinen, vgl. Fanni Bogdanow, GRLMAIV, S. 522 und 533, Anm. 116.
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schwerer zu wiegen als die Unmöglichkeit, Percevals Versagen aus der neu organisierten Erzählung zu motivieren. Von Chrestiens Muster bleibt die zwingende Notwendigkeit der Fragehemmung übrig, doch sie kann dem Helden nur angeheftet werden als Identitätsmerkmal von punktueller Geltung. Zwar werden Begründungen für das Versagen versucht: Perceval hatte zwei Nächte nicht geschlafen, und vor Müdigkeit wäre er während des heiligen Geschehens beinahe auf den Tisch gesunken. Außerdem erinnert er sich an den prodome,
seinen Beichtvater, der ihm erklärt habe, überflüssige Reden (paroles
oiseuses) seien Gott gar nicht wohlgefällig ( D 1075-88). Die Fassung E gibt eine Erklärung, die zwar aus der Sicht von Chrestiens Konzeption eine Absurdität ist, dafür aber noch einmal von der beharrlichen Absicht zeugt, die positiven Signifikanten von der mütterlichen Verwandtschaft abzuziehen: Verdankte es bei Chrestien Perceval den Gebeten der Mutter, daß er nicht ins Verderben stürzte, so bewirken im Vater und Großvater seine Rettung. Fühlte sich bei Chrestien Perceval auf der Gralburg den Lehren seines ritterlichen Erziehers Gornemant verpflichtet, wird er in der Fassung E unter dem Einfluß der Mutter stehend gezeigt: E molt i pensa toute le nuit, mais il Ii sovint de se mere qui Ii dist que il ne fust mie trop parlans ne trop demandans coses. ( E 1226-28)
Es ist, als hätte der Urheber der Fassung E, verärgert über die Nöte, in die ihn die Übersetzung der mütterlich kodierten Verwandtschaft ins patrilineare Muster stürzte, sich zuletzt durch eine kleine Agression gegen die Mutter Luft gemacht. Unverrichteter Dinge verläßt Perceval das Haus des Fischerkönigs. Im Wald findet er ein Fräulein, das innig weint und große Trauer an den Tag legt. Wie die germainne cosine bei Chrestien verflucht diese Jungfrau den Helden wegen der unterlassenen Frage und nennt ihn Perceval Ii caitis ( E 1277). Wie diese weiß auch sie über das Gralgeschehen Bescheid; sie weiß, was sich erfüllt hätte, hätte Perceval gefragt, und sie kennt auch den Grund des Versagens: mais je sai bien por quoi tu l'as perdu. Saces que tu l'as perdu par gou que tu n'es mie si sages ne si preus ne n'as tant fait d'armes ne de proeces ne de biens que tu aies en garde le precieus vaissel. ( E 1295-98, D 1126-29)
Im weiß die Verwandte, daß die Mutter tot ist, daß Perceval ihren Tod verschuldete und daß diese Sünde der Grund seines Versagens ist. « H a ! cosine», fet Percevaus, « S e ce est voirs que dit m'avez, Dites moi comant le savez.» (3612ff.)
Die Antwort zeigt, daß Percevals Frage sich nur auf den im letzten Teil der Rede behaupteten Tod der Mutter bezog: «Je le sai» fet la dameisele, «Si veraiemant come cele Qui an terre metre la v i . » (3615ff.)
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Die Cousine weiß es, weil sie an der Beerdigung der Ziehmutter teilnahm, oder aber sie weiß es so sicher, als hätte sie die Bestattung mit ihren leiblichen Augen gesehen. Im ist jedoch das Problem des mütterlichen Todes längst aufgehoben und die Inhaberin des Wissens ist auch keine Verwandte. Perceval fragt auch nicht, wie sie zu ihrem Wissen kommt, sondern er bittet um Deutung: Ii pria por Diu qu'ele Ii desist le voir de 50U que il avoit veü. (E 1284f., D 1207f.)
Das Fräulein weiß die Wahrheit, aber ihr Wissen ist weder patrilinear noch matrilateral geortet. Genau wie die Fragehemmung des Helden sind auch das weinende Fräulein und ihr Wissen um den Grund von Percevals Versagen aus dem inneren Zusammenhang dieser Erzählung nicht zu motivieren. Entleert von der verwandtschaftlichen Semantik erscheinen beide Momente als Versatzstücke. Es ist indessen bemerkenswert, daß der für den Mangel des Helden an Verwandten mütterlicherseits einen Ausgleich schafft: Perceval war schon einmal einem weinenden Fräulein begegnet, das Züge von Chrestiens germainne cosine trug (vgl. obenS. 93f.). Auch in jenem Fräulein war Perceval nicht seiner eigenen Verwandten, dafür aber der Cousine Gauvains begegnet. Unmittelbar anschließend an die Begegnung mit dem zweiten weinenden Fräulein bringt Perceval das Hirschkopf-Abenteuer zu Ende und beendet damit seine Liebesaffaire mit dem Schachbrettfräulein. Dieses muß auf Percevals fleischliche Liebe verzichten: Percevaus riavoit eure de faire pecie (E 1446f.). Dafür stellt es sich nun heraus, daß das Schachbrettfräulein beim Abenteuer, das es Perceval auferlegte, weniger die Erprobung des Verliebten als die Rache an ihren Verwandten im Sinne hatte: Die Fee, die ihren Geliebten an sich kettete und das Schachbrettfräulein sind nämlich rivalisierende Schwestern und Perceval war von seiner Dame in den Kampf geschickt worden, weil der Geliebte der Schwester an der engen Furt sämtliche Ritter abfing und besiegte, so daß zum Schachbrettfräulein entweder keine oder aber nur der Schande verfallene Ritter gelangen konnten. Perceval, der enthaltsame Held, hat die unterbrochene Verbindung zwischen dem Schachbrettfräulein und deren ritterlichen Liebhabern oder potentiellen Ehemännern wieder hergestellt, indem er den Geliebten der Schwester außer Gefecht setzte. Zweimal ist Perceval einem weinenden Fräulein begegnet, das mit Zügen der germainne cosine aus Chrestiens Versroman ausgestattet ist, ohne jedoch seine eigene Verwandte zu sein. Beide Male wird diese Leerstelle durch die Artikulation einer lateralen Verwandtschaftsbeziehung in einer anderen Position kompensiert.
Angois que tu fusses nes, seug je ton non Nachdem Perceval das Schachbrettfräulein verlassen hat, irrt er sieben Jahre umher. Über die vielen Wunder, die ihm begegnen, und weil er das Haus seines Großvaters, des rice Roi Pescheor nicht finden kann, 110
devint il si derves et si fors del sens, et si en perdi sen memoire que en ces set ans ne Ii sovint onques de Diu, n'en sainte yglyse ne en mostier n'entra. (E 1454-57, D 123236)
Schließlich führt ihn Gott an einem Karfreitag zum Haus des Eremitenonkels, der ihm die Beichte abnimmt und ihm den Tod der Schwester mitteilt. Am achten Tag nach Pfingsten begegnet ihm ein Ritter, der ihm von einem Turnier beim Blanc Castel erzählt, an dem alle Artusritter teilnehmen. Es gilt, die Tochter des Schloßherrn zu gewinnen, Melian de Lis ist der favorisierte Prätendent der Erbin. Perceval übernachtet bei einem vavassor und nimmt am ersten Tag des Turniers als Zuschauer teil. Entgegen seinem Gelübde übernachtet er ein zweites Mal bei seinem Gastgeber, um am nächsten Tag zu Ehren von dessen Tochter zu turnieren, deren Ärmel er mit sich führt. Gauvain, dessen Part Perceval hier spielt, kämpft in der Gegenpartei und erleidet eine schmähliche Niederlage. In der Rüstung des Gastgebers hebt Perceval alle Artusritter aus dem Sattel und erweist sich als der Beste: Mais sacies que sor tous autres cevaliers le fist bien Percevaus (E 1738f., D 1447f.).
Auf dem Rückweg zum Haus des Gastgebers hält ihn ein alter, bärtiger Mann auf, der aussieht wie ein Falkner. Der Alte wirft Perceval mit rüden Worten seine Teilnahme am Turnier vor: «Musart, tu es fols, et pas ne deüsses aler a tornoi.» (E 1774f., D 1472f.) Aber anders als in der Begegnung mit dem weinenden Fräulein, das ihn nach seiner vergeblichen Einkehr beim Fischerkönig verflucht hatte, läßt sich hier Perceval die Brüskierung nicht gefallen: «Viellars, qu'en gist il sor vous» (Was geht's dich an)? Der Alte ist niemand anderer als Merlin, und er antwortet: «Si fait, et a moi et a autrui en monte il, car sages que il en monte sor toi et sor moi, et bien te di que sor moi en monte plus que sor autrui.» (E 1777-79)14
Diese Anspielung hat nur für Perceval rätselhaften Charakter, für den Kenner der Trilogie offenbart sich hier nur einmal mehr die vertikal gerichtete Strategie, welche das Geschehen in dieser Erzählung regiert: Percevals Angelegenheit betrifft nicht nur ihn selbst, sondern auch die den encantement de Bretagne unterworfene Artuswelt und den seiner Erlösung harrenden Fischerkönig. Indem Merlin seine Zuständigkeit für dieses einzelne weltlich-ritterliche Abenteuer beim Blanc Castel erklärt, enthebt er Percevals Angelegenheiten ihrer Partikularität. Nicht nur dieses eine Abenteuer, sondern alle Dinge, die sich in der Welt ereignen, erscheinen in dieser kurzen Anspielung als der Vordergrund der Heilsgeschichte, als deren Prophet und Organisator wir Merlin kennen. «Qui es tu?», fragt Perceval. Entsprechend seiner Konzeption aus dem Teufel und einer Menschenfrau artikuliert Merlin seine Identität zweifach: 14
D ist viel lakonischer, Merlin macht keine hintergründigen Anspielungen über seine Herkunft, er gibt sich sogleich zu erkennen. Er kommt von sich aus auf den Gral zu sprechen und schreibt Percevals bevorstehende Erwählung zum Gralhüter den Fürbitten des Eremitenonkels zu (vgl. D 1472ff.).
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«Je sui fius a un home que tu counois mauvaisement, et il te counoist miels que tu lui. Et saces que de sa counissance ne puet a nului biens venir, et dolans puet estre cui il counoist.» (E 1780-83)
Auf Percevais wiederholte Frage antwortet er: «Je sui uns faukiere, ce poés veoir» (E 1792). Während Merlin sein Wissen über die Vergangenheit für Perceval allerdings unverständlich durch seine Abstammung vom Teufel begründet, erklärt er an dieser Stelle nicht, wem er seine Kenntnis des Zukünftigen verdankt. «Qui t'a dont dit tant de mon afairef», fragt Perceval, und die Antwort lautet: «Ançois que tu fusses nés, seuç je ton non» (E 1794). Wer aber dürfte so etwas von sich behaupten, außer Gott? Der Gestus ist biblisch und erinnert an die Worte des Psalmisten, der von Gott sagt: Imperfectum meum viderunt oculi tui, et in libro tuo omnes scribentur (Ps. 138, 16). Merlins Rede {et il te counoist miels que tu lui)15 erinnert jedoch auch an die Worte der germainne cosine in Chrestiens Versroman, die ja ebenfalls eine spontane Erkenntnis über Percevais Vergangenheit besitzt und wie Merlin die Zukunft vorhersieht: Je te conois miauz que tu moi; Que tu ne sez qui je me sui: Ansanble o toi norrie fui Chiés ta mere mout lonc termine. Je sui ta germainne cosine, Et tu es mes cosins germains (Hilka 3596-3601, vgl. auch 3591f.).
Wir müssen nicht annehmen, daß der Urheber des diese Worte im Ohr hatte, um festzustellen, daß in beiden Passagen ein außerordentliches Wissen begründet wird, und zwar beide Male im Kontext einer allerdings signifikant verschiedenen und unterschiedlich bestimmten Verwandtschaftsrelation. Während Merlin sein Wissen durch eine vertikale Beziehung, durch die Abstammung, begründet, drückt es die germainne cosine durch die Nähe aus, welche die Verwandtschaft mit der Mutterschwester und die von ihr empfangene nourriture schafft. Diese beiden Momente siedeln die germainne cosine mit Perceval auf derselben horizontalen Linie an: sie ist eine laterale Verwandte, Percevais Parallelcousine, und sie wurde mit ihm gemeinsam erzogen. Der Raum, über den sich ihr Wissen erstreckt, ist jedoch begrenzt, und ihr Wissen ist spezifisch. So wenig die Verwandtschaft bei Chrestien in einem Ursprung begründet ist und einen Endpunkt anvisiert, so wenig umfaßt das Wissen der Verwandten Anfang und Ende. In Chrestiens Gralroman sind das spontane Wissen der Cousine und des Mutterbruders, Percevais Erkenntnisdefizit und das Wesen des Grals im Mysterium der weiblich-mütterlicherseits determinierten Verwandtschaft geborgen. 15
In der Hs. E des wird durch eine ähnliche Formel die Allwissenheit Gottes charakterisiert: Joseph von Arimathia antwortet auf Petrus' Erstaunen über das von Gott in ihn gesetzte Vertrauen: Miels vous counoist il que vous meismes ne vous conissies (Cerquiglini S. 66).
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Die von Robert de Boron angelegte Gralgeschichte verheißt, Gott werde noch einmal einen Sohn in die Welt senden, durch ihn erst werde sich Christi Willen erfüllen: Dou tierz, ce te di ge pour voir, Fera Jhesu Criz sen vouloir (Nitze 3375f.).
Der derTrilogie folgt dieser Auffassung, die Merlin-Branche führt die Titelfigur als Wissende des vergangenen und zukünftigen Geschehens ein. Die Perceval-Branche versucht, die Gegebenheiten des Percevalromans auf Roberts Vorgeschichte des Grals zu projizieren. Der Prozeß dieser Übertragung ist lange vor der zweiten Merlin-Begegnung abgeschlossen. Perceval-ft'erz kons wiederholt die Ankunft des Gottessohns auf Erden, doch auch Merlin trägt göttliche Züge. Die Genesis definiert das Wesen Gottes durch die Allwissenheit: et eritis sicut dii scientes bonum et malum (Gen. 3,5). Gott weiß alles, und ist das Gute und das Böse. Im aus dem Ende des 12. Jahrhunderts stammenden
Die Abstammung Galahads mütterlicherseits und väterlicherseits Die bildet den vierten Teil einer Romanfolge, bestehend aus der , dem , dem dreiteiligen Buch von Lancelot, der und der . Diesen zuerst von O. Sommer edierten Prosazyklus nennt man gemeinhin den Lancelot-Gral oder den Vulgatazyklus der Gralromane 1 . Der Held der 2, der erwartete vollkommene Mensch, ist bekanntlich Galahad, der Sohn von Lancelot und - hier fangen die Schwierigkeiten schon an, denn die präsentiert uns als Galahads Großvater mütterlicherseits einerseits den König Pelles und andererseits den Roi Pescheor3, die jedoch gleich zu Beginn des Romans als zwei distinkte Personen ausgewiesen werden: Galahad verabschiedet sich von dem preudom, der ihn dem Artushof zuführte mit den Worten: Et saluez moi toz cels dou saint hostel e mon oncle le roi Pellés et mon aiol le Riehe Roi Pescheor, et lor dites de par moi que je les iré veoir au plus tost que je porrai et que je en aurai loisir. (Pa. 8,18ff., Kl. 10, 13f. mynen öhem . .. und mynen aneden) 1
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Allgemein stützt man sich auf die von Frappier vorgeschlagene Datierung: Dieser Philologe setzt die Entstehung der Folge zwischen 1215 und 1235 an und denkt sich die zwischen 1225 und 1230 entstanden (vgl. Etudes sur la Mort le Roi Artu, S. 138 und GRMLAIV, S. 538, S. 503ff.). Zur Abhängigkeit der Manessier-Fortsetzung von der vgl. Hilmar Wrede, S. 151-58. Zur zyklischen Überlieferung der und zum Problem der relativen Chronologie von , und Manessier-Fortsetzung, vgl. zuletzt Emanuelle Baumgartner, L'arbre et le pain, S. 11-21. Ich benütze die Ausgabe von A. Pauphilet, die auf der Überlieferungsgruppe KRZ beruht und deren Textgrundlage die Hs. K = Ms. 77 Lyon, Palais des Arts, bildet. R. Kluge, der Herausgeber des deutschen , nennt diese Hs. G und bezeichnet in seinem Text durch diese Sigle die Seitenanfänge von Pauphilets Ausgabe. Zwar bieten die Lesarten des Ms. Lyon dem deutschen Queste-Teil kaum eine Stütze, so Kluge (Vorwort zu Bd. III, S. VIII), dennoch überliefert uns die Heidelberger Handschrift P unter dem Gesichtspunkt des Inhalts keine signifikant unterschiedliche Fassung der . Für die von mir zitierten Stellen findet sich in fast allen Fällen eine genaue Entsprechung in der deutschen Übersetzung (vgl. unten Konkordanz der Stellen Pa. = Ed. Pauphilet, Kl. = Kluge). Der Name tritt in der stets im Kasus obliquus auf. Die Rectusform Rots Peschierres übernehme ich aus dem . 226
Galahad stammt mütterlicherseits von den Gralkönigen ab, doch das Gralkönigtum wird durch drei Könige repräsentiert: den König Pelles, den Roi Pescheor und den Roi Mehaignie. Darüber, wie sich diese drei Personen zueinander verhalten, weiß die keine Auskunft. Auch Perceval ist verwandtschaftlich mit der Gralsphäre liiert, doch auch der Status seiner Verwandtschaft läßt sich nicht genau ausmachen. 1. Li Rois Pelles - in seinem Auftrag soll Lancelot Galahad zum Ritter schlagen: Pa. 1,11, Kl. 1,9. - Galahad ist der Sohn Lancelots und der Tochter des Königs Pelles: Pa. 20,4, Kl. 24,21f.; Pa. 138,12, Kl. 187,20 (Konig Vißchers); Pa. 259,13-24, Kl. 354,18-355,8. - Pelles ist der Herr des Gralschlosses (Schloß Corbenic): Pa. 266,8-16, Kl. 364,2-12. - Pelles ist vom eigentlichen Gralmysterium ausgeschlossen: Pa.268,13f., Kl. 367,5. - Pelles hat einen Sohn namens Elyezer: Pa. 143,20, Kl. 195,6f. (Elias); Pa. 266,17-268,14, Kl. 364,8-367,5. - Pelles ist der oncles von Galahad: Pa. 8,20, Kl. 10,13f. (öhem). - Galahad ist neveu von Pelles: Pa. 266,14, Kl. 364,20 (fehlt). - Pelles ist ein parent von Perceval: Pa. 81,7, Kl. 107,6f. {mag). 2. Li Riehes Rois Peschierres - Galahad ist der Sohn Lancelots und der Tochter des Fischerkönigs: Pa. 3,29, Kl. 4,13; Pa. 9,26, Kl. 12,5; Pa. 10,25, Kl. 13,9; Pa. 137,21, Kl. 186,17. - Galahad nennt den Fischerkönig seinen aiol: Pa. 8,20, Kl. 10,14 (aneden). - Bei ihm hat Lancelot einst das heilige Gralgefäß gesehen: Pa. 59,4, Kl. 75,15f. Diese Stelle bezieht sich auf Lancelots ersten Aufenthalt auf Corbenic, wo er mit der Tochter des Königs, zugleich der Gralsträgerin, Galahad zeugte (vgl. Micha Bd. IV, S. 205-13, Kl. Bd. II, S. 293-99). 3. Li Rois Mehaigniez - Es gehört zu Galahads Aufgaben, ihn zu heilen: Pa. 10,16, Kl. 12, 20-13,2. - Gauvain weiß: die wunderbare Speisung durch den Gral ereignet sich beim Roi Mehaignie, doch erschien der Gral noch nie unverhüllt: Pa. 16,16, Kl. 20,13-16. - Perceval wird von seiner Tante zum Roi Mehaignie geschickt, der sich im Schloß Corbenic aufhält: Pa.79,17f., Kl. 105,1. - Sein Vater war der König Lambar. Auf dessen Ermordung geht die Unfruchtbarkeit des Landes Logres zurück und der Name Terre Gaste-, Pa.204,7f., Kl. 279,6f. (Lambral). 227
- Er heißt König Parlan. Einst wurde er auf wunderbare Weise zwischen den Schenkeln verletzt, er erwartet seine Heilung von Galahad: Pa. 209,9f., Kl. 286,4 (Barlans). - Galahad wird von einem sterbenden König zu ihm gesandt: Pa.233,32, Kl. 320,13f. - Percevals Schwester sagt den drei erwählten Rittern Bohort, Perceval und Galahad voraus, daß sie einander beim Roi Mehaignie wiederfinden werden: Pa. 241,28f., Kl. 331,7-9. - Galahad reitet in Begleitung von Perceval fünf Jahre, bis er zum Haus des Roi Mehaignie gelangt: Pa. 265,15, Kl. 362,19f. - Er wird auf einem Bett hereingetragen, trägt eine Krone auf dem Kopf: Pa. 267,32-268,2, Kl. 366,11-15. - Galahad salbt ihm mit dem Blut der Lanze die Beine, wodurch er geheilt wird: Pa. 271,15-272,7, Kl. 371,13-372,14. - Die Hss. KRZ, welche die Grundlage von Pauphilets Text bilden, definieren auch den Roi Mehaignie als Galahads Großvater. Pauphilet hat diese Aussage in den Anmerkungsteil verwiesen, vgl. Anm. zu 210,1: KRZ: Et il est vostre aiex. Die dreifache Besetzung des Gralkönigtums und die widersprüchliche Überlieferung der Abstammungsverhältnisse in der verweisen zweifellos als Narben auf den Entstehungsprozeß des Prosazyklus, in den mehrere konkurrierende Konzepte eingegangen sein müssen. Oskar Sommer, der erste Herausgeber des Vulgata-Zyklus, versuchte auf Grund der Namensspuren und der unterschiedlichen Filiationen, welche die arthurischen Prosaromane bieten, die dem vollendeten Zyklus zugrunde liegenden Vorstufen zu rekonstruieren. Er setzt dem zwei selbständige Romanfolgen voraus, die beide eine Gralqueste enthielten: 1. EineTrilogie, bestehend aus der , einer leicht modifizierten Fassung von Roberts , einer auf dem Archetypus der Galahad-Queste beruhenden Gralqueste und einer (vgl. Einleitung Bd. I, S. X und Modern Philology 5, S. 291-341). 2. Ein Gebilde, in dem eine Perceval-Queste (und zwar nicht der ) mit der Lancelot-Handlung verbunden war, eine Version also, welche die Vollendung der Gralabenteuer der Perceval-Figur vorbehielt (vgl. Einleitung Bd. I, S. XII). Die Widersprüche des Vulgata-Zyklus erklären sich Sommer zufolge daraus, daß der Bearbeiter, statt die Perceval-Queste durch die Galahad-Queste zu ersetzen, aus beiden unvereinbaren Versionen eine inkonsistente Galahad-Lancelot-Queste schuf (vgl. Modern Philology 5, S. 307). Der heftigste Gegner von Sommers EntstehungsHypothese ist Ferdinand Lot, der als erster eine Einschätzung des gesamten Zyklus wagte. In seiner 1918 erschienenen versucht er zu beweisen, daß, abgesehen vom und seinen Folgen, das Korpus des das Werk eines einzigen Autors ist. Doch die Widersprüche, deren Ursprung Sommer zu rekonstruieren suchte, vermag auch dieser Forscher nicht überzeugend zu erklären. Sommers Sicht der Dinge hat 228
sich in der Forschung nicht durchgesetzt, doch soweit ich sehe, wurde der Versuch, die Überlieferungsverhältnisse dieses «dédale inextricable» (vgl. Modern Philology 5, S. 308) - wie der alte Gaston Paris die arthurischen Prosaromane nannte - zu durchdringen, nicht mehr unternommen. Die Überlieferung bezeugt zu Beginn des tatsächlich eine Unsicherheit hinsichtlich der Identität des auserwählten Helden. Die überwiegende Anzahl der Hss. überliefert an der Stelle Sommer 111,29 (Micha VII, S.59) Perceval, Sohn des Roi Mehaignié namens Pelles, als den Helden der Gral-Queste (vgl. Micha, Appendix von Bd. VII, Abdruck sämtlicher hsl. Versionen zu dieser Stelle). Die ursprüngliche Lesart bietet nach Sommer die Hs. Roy. 19. C. XIII (British Museum), welche den Roi Mehaignié mit Namen Pelles als Onkel Percevais ausweist, den Namen Percevau jedoch durchstreicht, um ihn durch Galahad zu ersetzen 4 . Lot zufolge (vgl. Etude, S. 122) erklären sich dieser und andere Widersprüche daraus, daß sich der Plan des Autors erst nach und nach im Prozeß des Schreibens fixierte und daß er sich über die Rolle, die Perceval im zukommen sollte, lange Zeit nicht im Klaren war. Andererseits belehren uns schon die ersten Zeilen des darüber, daß der Held in der Taufe den Namen Galahad erhielt, sein Rufname (sournon) aber Lancelot sein sollte. Der ist deutlich auf Galahad hin angelegt (vgl. Micha IV, S. 202; V, S. 127; VII, S. 192, S. 270; II, S. 32, S. 35ff.); die Verbindung - ist, wie die Erfüllung des im Präfigurierten zeigt, solide etabliert (vgl. dazu Frappier, GRLMA IV, bes. S. 536-40). Von der sind zwar drei unterschiedliche Versionen überliefert, doch bearbeiten alle drei Versionen ein Überlieferungsmaterial, in dem die Zyklisierung schon vollzogen war (vgl. Pauphilet, Introduction S. V). «Il est illusoire», bemerkt der Herausgeber der , «d'y chercher, avec certains érudits, les traces d'une prétendue version archaïque» (ib.). Die enthält auch die verwandtschaftliche Verbindung Percevais mit dem Gralkönig in Spurenelementen. Doch für seine Assoziation mit der Gralfamilie gilt das gleiche wie für Galahad: sie ist diffus und inkonsistent. Für unseren Gegenstand ist signifikant, daß die wohl an der genealogischen Vermittlung des erwählten Helden mit dem Gral festhält, aber für die innerfamiliären Beziehungen der weltlichen Verwandtschaft nicht mehr genügend Interesse aufbringt, um die Verbindung zwischen Gralkönig und Gralheld zu einer realistischen Genealogie auszuarbeiten. Mütterlicherseits sind Galahad drei Großväter zugeordnet, doch von der Frau, die wir als seine Mutter identifizieren müssen, wird an keiner Stelle gesagt, daß sie ihn gebar, noch wird sie je Mutter genannt. Auch dort, wo die von Galahads Abkunft mütterlicherseits spricht, definiert sie ihn väterlicherseits: Die bezeichnet Galahad ausnahmslos als den Sohn, den 4
Zur Beurteilung der Qualität der entsprechenden Hss. vgl. J. N. Carman, Romance Philology 6, S. 179-86.
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Lancelot in der Tochter des Gralkönigs zeugte: er ist derjenige, que messire Lancelot engendra en la fille le Riche Roi Pescheor, bzw. en la fille le Roi Pellés (vgl. oben S. 227f., Rubrik Rois Peschierres, Rois Pelles). Dem zufolge hat Gott dem Teufel die Sünder entrissen, indem er Vout en terre neistre de mere, / Sanz nule semence depere (vgl. Vers-Merlin, v. 85f. ). Dem ersehnten Ritter Galahad erklärt ein Eremit, seine Heraufkunft habe die Macht des Teufels gebrochen: Ii deables, qui vos savoit a virge et a net de toz pechiez si come hons terriens puet estre, n'osa atendre vostre compaignie, ainz s'en ala et perdi tot son pooir par vostre venue. (39,29ff.)
Bekanntlich ist Galahad nicht einer ehelichen Verbindung entsprungen, sondern em pechié et en avoutire et contre Deu et encontre Sainte Eglyse (vgl. Micha IV, S. 210ff., Kl. II, S. 296ff.). Doch die unordentliche Entstehung Galahads gilt schon im als Zeichen des Außerordentlichen; durch sie demonstriert Gott, daß er für die Erfüllung des Heilsplans nicht an seine eigenen Gesetze gebunden ist (vgl. ib.). So gesehen könnte die dreifältige Abkunft Galahads von den Gralhütern in der ebenso wie seine unordentliche Zeugung im auf die Menschwerdung des Erlösers außerhalb der gewöhnlichen Ordnung verweisen. Gemeinsam ist den beiden Menschwerdungen, daß sie nicht vom sexuellen Begehren initiiert wurden 5 : Der Gottessohn wurde gezeugt und empfangen Sanz délit d'omme ne de femme (Vers-Merlin v. 89, vgl. auch 21-30). Der allerdings prekären Kasuistik des zufolge begehrt die Tochter des Königs Pelles Lancelot nicht por la biauté de celui ne por luxure ne por eschaufement de char, sondern vielmehr por le fruit recevoir dont toz li païs doit venir a sa premiere biauté (vgl. Micha IV, S. 210). Auch Lancelot begehrt die Tochter des Gralkönigs nicht: car por sa biauté ne la couvoitoit il pas, mais il cuida que ce fust sa dame la roine (ib.). In der sind die Zeichen, die auf Christi Menschwerdung verweisen, invertiert. Denn während dem zufolge bei der Empfängnis des Gottessohns der Verzicht auf die semence de pere entscheidend ist, kennzeichnet die sprachliche Intention der den jungfräulich reinen Galahad wesentlich als genitum, non natum. Dementsprechend situiert sich das Geschlecht, von dem Galahad abgeleitet ist, väterlicherseits. Wenn die Galahad väterlicherseits definiert, meint sie stets den Abstammungszusammenhang, die erzeugte Linie. Nur in drei Fällen steht dafür parentez (7,27, 10,20, 134,11), sonst ist stets der Ausdruck lignage verwendet. Dabei wird oft die Vorstellung der Extraktion aus der Wurzel gebildet. Sein Vater Lancelot, weiß die Königin Guenievre, . . . est estrez de toutes parz de rois et de reines et dou plus haut lignage que len sache (Pa. 20,10f., Kl. 25,5ff.).
Es ist immerhin auffällig, daß wir im Zusammenhang von Perceval und seiner Schwester niemals die Bezeichnung lignage, sondern stets den Ausdruck pa5
Ähnlich argumentiert E. Baumgartner, L'arbre et le pain, S. 104, Anm. 17.
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rentez bzw. parenz antreffen (vgl. Pa. 73,3, 240,6, 242,23 und 74,1, 81,7). Die deutsche Fassung wechselt zwischen den Bezeichnungen geschlecht (95,16), eitern (332,14), und mag / mögen (107,7, 97,4). Die Filiation, die über Lancelot in Galahad mündet, bildet eine lange Kette; Galahads Abstammung väterlicherseits ist alt, königlich, heilsgeschichtlich und sakral kodiert: Roi Artus, je t'ameign le Chevalier Desirré, celui qui est estraiz dou haut lignage le Roi David e del parenté Joseph d'Arimacie (Pa. 7,25ff., Kl. 9,12ff.).
Er ist der letzte Ritter aus dem lignage des Königs Salomon (Pa. 225,31, Kl. 309,llff.) und der neunte einer Linie, die aus dem König Celidoine von Schottland entspringt. Celidoine ist seinerseits der Sohn von Nasciens, Schwestersohn von Mordrains; er stammt mütterlicherseits und väterlicherseits von den beiden Königen ab, die Joseph von Arimathia nach seiner Befreiung aus dem Kerker, auf seiner nach Westen führenden Missionsreise, zuerst christianisierte (vgl. Pa. 135,18ff., Kl. 184,6ff., vgl. auch oben S. 33f.). Daß Lancelot vom König David abstammt, weiß schon der , der dessen Mutter Elaine aus dem lignage le Roi David ableitet (vgl. Micha Bd. VII, S. 23). Einer späteren Stelle des zufolge, wird allerdings Lancelots Großvater väterlicherseits, Lancelot I., statt dem lignage von Celidoine, der lingnie Joseph d'Arimacie zugeschlagen (vgl. Micha V. S. 123). Die Linie, welche von Joseph von Arimathia zu Galahad führt, ist in der nicht ausdrücklich gedacht 6 . Die in dieser Branche vorliegende Assoziation des lignage le Roi David mit Joseph von Arimathia findet sich indessen schon im , der Galahads Vater Lancelot von diesem hehren Ursprung ableitet: car il est estraiz de si haute lignie comme Ii rois David et de si haut chevaliers comme Joseph d'Arimatie (Micha IV, S. 27).
Wir dürfen somit annehmen, daß die alle Namen, die den Ursprung Galahads heilsgeschichtlich determinieren, väterlicherseits situiert. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß die sich um die minutiöse Ausarbeitung der Linien bemüht. Die Vorgeschichte des Grals, die in ihrer Vulgataform nach der entstanden sein dürfte (vgl. Frappier GRMLAIV, S. 539), rekonstruiert nicht nur die Genealogie Galahads, sondern sie gliedert ihr auch Filiationen an, die in Gauvain und Yvain, dem Sohn des Königs Urien münden. 6
Valerie M. Lagorio, The Vita of a Grail Saint (ZRPh 91) beobachtet, daß in der hagiographischen Tradition und in den apokryphen Evangelien Joseph von Arimathia gern mit seinem Namensvetter Joseph von Nazareth (Sproß aus dem Haus David) assoziiert wurde. Z. B. werden die beiden Figuren in einer Predigt des Hl. Ambrosius miteinander verglichen (AS VIII,503): So wie Gott seinen Sohn zuerst der Obhut Josephs von Nazareth anvertraute, so überließ er ihn nach dem Kreuzestod Joseph von Arimathia (alterius Joseph; vgl. Lagorio S. 65). Die von der praktizierte Assoziation Josephs von Arimathia mit dem Haus David erklärt sich Lagorio zufolge aus der Identifikation der Namensvettern (S. 66).
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In der (Sommer Bd. I) führt entsprechend der eine direkte Linie von den ersten christianisierten Königen über Lancelot zu Galahad. Die von Joseph von Arimathia abstammenden Gralhüter aber bilden Galahads Stammbaum mütterlicherseits: Nachfolger Josephs von Arimathia und erster Bischof wird dessen jungfräulicher Sohn Josephes (I, 35,29). Ein Engel verwundet Josephes während des Graldienstes mit einer Lanze am Schenkel (I, 77,17). Josephes vererbt den Gral an den 12. Sohn seines Verwandten Bron (parent, I, 211,22; vgl. auch I, 286,13ff.) mit Namen Alain. Gott wirkt Alain zu Ehren ein Fischwunder, weswegen dieser Gralhüter von nun an Riehe Pescheor genannt wird und alle Gralhüter nach ihm (I, 252,8). Alains Lieblingsbruder Josué heiratet die Tochter des Königs Alsphasem (I, 288,9f.) und begründet eine Linie von Königen, die alle Riehe Pescheor heißen (I, 289,36). Die drei letzten der Linie heißen Lambar, Pelleham und schließlich Pelles, mit dessen Tochter Lancelot einst Galahad zeugen soll (I, 290,28-36). Zum einen tragen die Exponenten dieser Linie den Namen Fischerkönig, zum andern sind sie mehrfach durch eine Verletzung gekennzeichnet: Der König Alphasem, Josués Schwiegervater, wird ebenso zwischen den Schenkeln verletzt wie vor ihm Josephes, der Sohn Josephs von Arimathia. Der Rois Mehaigniez, der in der auf seine Heilung durch Galahad wartet, ist Pelles' Vater Pelleham. Wie der Fischerkönig in Chrestiens (vgl. 3509-15) zieht er sich eine Verletzung de .ij. cuisses en vne bataille zu (vgl. I, 290,29).
Genealogie als Abbreviatur der Heilsgeschichte, weltlicher Geburtsadel und geistliche Verdienstethik Bevor der Eremit Lancelot seinen Ursprung aus den ersten christlichen Königen erzählt und deutet, sagt er: Or m'escoute se tu vels, et je te dirai le comencement de ton parenté. Mes je le prendrai mout loign, car einsi le covient a fere. (134,9-12)
Doch der Ursprung der Linie, als deren Ziel Galahad gedacht ist, bildet das Haus David, und dieses wiederum kommuniziert durch den Baum, den die Stammutter Eva pflanzte, mit dem allerersten Anfang: das Schiff, das König Salomon für den letzten seines Geschlechts vorbereitet, ist mit dem dreifarbigen Holz des Lebensbaumes ausgestattet. In den drei Farben sind die drei Stadien der Entstehungsgeschichte des Menschengeschlechts materialisiert: weiß für den Stand der ersten Menschen vor dem Sündenfall, grün für die erfolgte Fruchtbarkeit des ersten Menschenpaares, rot für den Zustand nach Kains Brudermord. Die spannt nicht nur den Bogen vom allerersten Ursprung zum Punkt der Völlendung, sondern sie vollzieht auch die umgekehrte Bewegung vom Ende zurück zum Ursprung: Der Gral, der zu Beginn der am 232
Artushof erscheint, wendet sich von Westen nach Osten zurück 7 . Er wird in die Stadt Sarras überführt, an den Ort, von dem Josephs von Arimathia Reise übers Meer nach Westen, die Christianisierung des Okzidents, ausgegangen war. Die Rückkehr Galahads und des Grals in den Osten bildet den Endpunkt einer Spiralbewegung. Durch die Rückführung des Grals wie des vollkommenen Ritters auf den Ursprung des abendländischen Christentums symbolisiert die die Abstammung der chevalerie celestielle. Von ihr darf sich nicht eine bestimmte weltliche Dynastie ableiten, auch nicht jeder getaufte Christenritter, sondern nur die Elite der Frommen. Doch so spirituell das alles gedacht ist, es läßt sich dennoch nicht übersehen, daß die großen Wert auf den hohen sozialen Rang des vollkommenen Ritters legt. Schließlich sind auch Perceval und Bohort und alle neun Ritter, die im Schloß Corbenic in die Geheimnisse des Grals eingeweiht werden, Königssöhne und assez gentil home et de haut lignage (Pa. 272,23f., Kl. 373,9f.). Die königliche Abstammung gilt zwar gerade in der nicht als hinreichende Bedingung der Erwählung, doch erscheint sie immerhin als deren notwendige Voraussetzung. Die Erniedrigung von Galahads Vater Lancelot in der demonstriert paradigmatisch, daß dem Sünder vor dem Angesicht Gottes weder seine Verwandten noch die Tugend seiner Vorfahren helfen können. Dennoch setzt die die väterlicherseits konzipierte Genealogie ein, um die soziale Dignität und die heilsgeschichtliche Bedeutung des geistlichen Ritters Galahad zu versinnbildlichen. Das Gralkönigtum hingegen dankt im Zeichen der Spiritualisierung der Gralsuche ab. Bevor der Gral den erfolgreichen Rittern erscheint, verschwindet der König Pelles aus dem Saal und zugleich aus dem Text. Der Rois Mehaigrtiez schließt sich nach seiner Heilung den weißen Mönchen 8 (272,5) an, der Gral entschwindet nach Osten. Ziel der Gralsuche ist nicht mehr, die Würde des Gralkönigtums zu erlangen, sondern die mystische Teilhabe an der göttlichen Offenbarung. Im Kontext des Grals, d.h. im Bereich, den zu Beginn der Galahads Verwandte über die Mutter repräsentieren, sind Abstammung und Erwählung völlig voneinander dissoziiert. Die vermeidet es sorgfältig, zwischen Galahads Abstammung mütterlicherseits aus dem Haus der Gralhüter und seiner Rolle als Vollender der Gralabenteuer eine Beziehung herzustellen. Um die Erwählung Galahads zu bezeichnen, bildet sie vielmehr Vorstellungen anderer Ordnungen: Gott hat Galahad vor allen anderen Rittern auserwählt, um nach dem Modus der similitude (Pa. 38,13) die Ankunft seines Sohnes auf Erden zu erneuern. Dem entspricht, daß Galahads Weg keine Irrfahrt abbildet, sondern ein Itinerar, und daß er als das Signifikat der Queste für die andern Artusritter ebenso das Ziel der Suche ist wie der Gral 9 . Als Christusfigur ist Galahad von Gott gemeint, als 7 8
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Diese Rückkehrbewegung deutet E. Baumgartner, L'arbre et le pain, S. 6f. Nach A. Pauphilet, Etudes sur la Queste del Saint Graal, S. 55, sind damit die Zisterzienser gemeint. Galahad, li Bons Chevaliers, wird gesucht von Perceval (79,5f., 89,19f.), von Gauvain (51,26ff.), von Lancelot (138,15f.), von Baudemagus und Yvain Ii Avoltres
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dieser und kein anderer; es bedarf seine Auserwählung keiner Begründung. Andererseits wird uns Galahad als Ritter präsentiert, der sich zusammen mit den übrigen Artusrittern auf die Gralsuche begibt. Die erfolgreichen Ritter partizipieren am Mysterium des Grals nach Maßgabe ihres Gnadenstandes. Determinante der Erwählung ist nicht die Abstammung, sondern die Begnadung. Und Galahad, der vollkommene Ritter, wird allein der vollkommenen Offenbarung teilhaftig (vgl. Pa. 278,2ff.). Galahads Vollkommenheit bildet den Schnittpunkt der beiden skizzierten Vorstellungsinhalte: Einerseits verkörpert er als Abgesandter Gottes die Gnade, die Gott den Menschen zuteil werden lassen will. Andererseits ist der Gnade in der unmißverständlich eine Verdienstethik unterlegt. Wie die Karrieren von Perceval, Bohort und Lancelot zeigen, bemißt sich der Gnadenstand genau nach den geistlichen Verdiensten eines jeden. Dennoch, ob wir die Erwählung Galahads durch die Irreduktibilität der Gnade oder durch die geistlichen Meriten motiviert sehen, es zeigt sich, daß der diffuse Status der Gralhüter, die Unleserlichkeit von Galahads lignage mütterlicherseits, den von der ins Werk gesetzten Strategien der Erwählung entsprechen.
Spiritualisierung der Ritterschaft und geistliches Verwandtschaftssystem Das Hauptanliegen der ist es, die queste de terriennes choses (19,19f.) durch die choses esperituex (vgl. 161,6), die chevalerie terrienne durch die chevalerie celestielle zu ersetzen. Durch welche Inhalte versucht sie, diesen Paradigmawechsel durchzuführen? Die sondert von vornherein die nicht bußfertigen Ritter von den bußfertigen ab. Die erste Sorte fährt fort, die Ritterschaft als Kriegshandwerk zu verstehen, und deswegen finden ihre Vertreter Gauvain und Hestor auch fast keine Abenteuer mehr, et par ce lor ennuia plus la Queste (147,5f.). Wenn sie aber eines finden, widerfährt es ihnen nicht als Prüfung, sondern als Verhängnis. Um zu demonstrieren, daß der Inhalt der weltlichen Ritterschaft Mord ist, verwickelt die Gauvain in einen Zweikampf mit seinem Gefährten von der Tafelrunde, Yvain Ii Avoltre. Gauvain bringt seinen Mitritter um, und somit offenbaren ihm die eigenen Taten die Schändlichkeit seines Berufes und seine persönliche Verworfenheit. Es ist auch gleich ein Eremit zur Hand, der Gauvain die senefiance dieses Abenteuers im Rahmen der Gralsuche deutet: Si ne devez mié cuidier que ees aventures qui ore avienent soient d'omes tuer ne de Chevaliers ocirre; ainz sont des choses esperituex, qui sont graindres et mielz vaillanz assez. (161,3ff.) (27,5). Diese Ausrichtung aller auf den erwählten Helden regelt zugleich die Beziehung der Nebenfiguren zum Protagonisten in der epischen Organisation. Darin entspricht die genau dem (vgl. oben S. 146), nur daß die die Suche der andern nicht ausmalt, sondern lediglich das logische Gerüst bietet.
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Ich schicke hier voraus, daß der Autor der kein anderer Wolfram ist. Für ihn besteht kein Zweifel, daß sich die geistlichen Ritter durchaus als Werkzeug Gottes zur Ausrottung der Bösen verstehen dürfen, jener, die poior que Sarrazin (231,31) sind (vgl. S. 230-33). Davon wird noch zu reden sein (vgl. unten S. 252f.). Die bußfertigen Ritter Perceval und Bohort hingegen unterzieht die einer Prüfung ihrer geistlichen Ethik. Die Versuchung begegnet ihnen in Gestalt der affektiven Haltungen und Verbindlichkeiten, wie sie in der weltlichen Sozietät und in der profanen Ethik Geltung haben. Die Verhaftung im Irdischen, welche die geistlichen Ritter von Gott trennen würde, wird nicht durch ein Inventar der Laster repräsentiert, sondern durch die Bindungen, welche die Verwandtschaft begründet. Die Verpflichtungen und Ansprüche, denen es abzuschwören gilt, nennt die naturel amor (187,3). Sie sind zu ersetzen durch die Gottesliebe, die Treue zur Kirche, die Solidarität mit den Gefährten der Gottessuche. Aber alle diese Inhalte, welche an die Stelle der defizienten Natur der profanen Gefühle und Werte treten sollen, können auch nicht anders gedacht werden denn als Beziehungen. Und so rekurriert die auf das geistliche System der Verwandtschaft, das die Kirche im Lauf der Zeiten ausbildete. Gott ist unser Vater, die Kirche die Mutter, in der Taufe empfangen wir die Gotteskindschaft, in Christo sind wir Brüder und Schwestern, schließlich kennen wir die auf die christliche Deutung des Hohelieds zurückgehende Vorstellung der mystischen Unio Christi mit der Kirche. Nach diesem Modell dekliniert die die weltlichen Beziehungen Vater-Sohn, Mutter-Sohn, Bruder-Bruder durch; das heißt, sie thematisiert vornehmlich die Relation der Abstammung und die Konsanguinität der Gleichgeschlechtlichen. Die Beziehung Bruder-Schwester ist hingegen von vornherein im geistlichen Sinn von Bedeutung und die mystische Unio Christi mit der Kirche in der Beziehung zwischen Galahad und Percevals Schwester nur diskret angedeutet. Angesichts dessen, daß es die sonst keineswegs an explikativer Deutlichkeit fehlen läßt, scheint mir ihre Zurückhaltung hinsichtlich der Ehe im geistlichen Sinn bemerkenswert. Daß die avunkulare Relation unterdeterminiert ist und schon gar keine problematische Beziehung bildet, ist keineswegs als Indiz einer veränderten historischen Situation zu lesen10. Dieses Faktum erklärt sich leicht daraus, daß die nur diejenigen Beziehungen ins Auge faßt, die durch das geistliche Verwandtschaftssystem transzendierbar sind.
10
Vgl. dazu A. Guerreau-Jalabert, Annales 36, S. 7038: der kirchliche Diskurs präsentierte schon immer ein anderes Bild der Verwandtschaft als der weltliche. Schon in den Heiligenviten der Merovingerzeit fehlt die avunkulare Relation, diese geistlichen Erzählungen bilden weder die Breite noch diellefe der Verwandtschaftsbeziehungen ab.
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PERCEVAL
Die Abkehr von der leiblichen Mutter, der gute Hirte und der Begriff des Vaters Zu Beginn ihrer Gralsuche reiten Perceval und Lancelot gemeinsam. Eines Tages stürmt ihnen ein unbekannter Ritter entgegen, hebt den einen wie den anderen aus dem Sattel und entschwindet. Sie befinden sich vor einer Einsiedelei, und während der Unbekannte (der Leser weiß, daß es Galahad ist) davonreitet, ertönt aus dem Innern des Hauses die Stimme der Klausnerin: Ore alez a Dieu qui vos conduie! Certes, se il vos conneussent aussi bien corne je vos conois, il n'eussent ja tant de hardement que il a vos se preissent. (56,16ff.)
Während Lancelot dem Ritter in den Wald hinein folgt, um ihn zum Zweikampf herauszufordern, beschließt Perceval, sich zunächst an die Reclusa zu wenden, die ja dem Anschein nach den Ritter gut kennt. Als ihr Perceval seinen eigenen Namen nennt, weiß die Einsiedlerin auch sofort, wer er ist: Je le sai bien, fet ele, et bien le doi savoir: car je sui vostre ante et vos mes niez.(73,22ff.)
Die Tante ist über Percevais familiäre Verhältnisse informiert, und sie kennt zugleich die Bedeutungen, deren Träger Galahad ist. Dieses doppelte Wissen bildet den Angelpunkt der Belehrungen, die Perceval in der Begegnung mit der Tante erhält. Anders als Gauvain wird Perceval davor bewahrt, sich an seinem Mitritter zu versündigen. Der Ritter, den er zum Zweikampf herausfordern möchte, belehrt ihn die Klausnerin, ist einer der drei Ritter, welche die vollenden werden. Andererseits bietet die Vertrautheit der Tante mit Percevais Familiengeschichte die Gelegenheit, das Thema der Mutter zu artikulieren. Perceval ist auch in dieser Fassung der Sohn, der seine Mutter verließ, aber im Gegensatz zu allen anderen Versionen ist hier der Tod der Mutter Gegenstand der Befürchtung des Sohnes, bevor er sich als Tatsache erweist: je ne sai s'ele est morte ou vive. Mes maintes foiz m'est ja venue dire en mon dormant que ele se devoit mout mielz plaindre de moi que loer, car je l'avoie presque maubaillie. (74,3ff.)
Nachdem ihm die Tante bestätigt hat, daß er wahr träumte, bedauert Perceval zuerst den Tod der Mutter, bricht aber dann dieses Thema abrupt ab, um sich nach dem geheimnisvollen Ritter zu erkundigen: Or ait Dieus merci de s'ame, fet il. Car certes ce poise moi mout; mes puis que einsint est avenu, a soffrir le me covient, car a ce repairerons nos tuit. Et certes je n'en oï onques mes noveles. Mes de cel chevalier que je quier, por Dieu, savez vos qui il est ne dont, ne se ce est cil qui vint en armes vermeilles a cort? (74,12ff.)
Perceval vollzieht hier im Dialog genau die Bewegung, welche ihm die Tante in der Ordnung der senefiances beschreiben wird: die Abwendung von der leiblichen Mutter hin zu einem geistlichen Schutzherrn, der sowohl mit väterlichen 236
als auch mit brüderlichen Zügen ausgestattet ist. In der Deutung der Tante erscheint Galahad einerseits als Christusfigur: Jhesucriz fu entre ses apostres pastres et mestres a la table de la Ceinne (78,7f.).
An Pfingsten erschien Unser Herr en semblance de feu (78,22), deshalb kam Galahad am Pfingstfest in einer roten Rüstung an den Artushof. Si m'est avis que en ceste semblance vos vint reconforter li Chevaliers que vos devez tenir a mestre et a pastor. (vgl. 78,19ff.)
Andererseits ist Galahad der dritte in der Reihe Jesus - Joseph von Arimathia; er darf den Platz einnehmen, den nach diesen beiden Vorläufern kein Mensch mehr besetzen durfte und der am Tisch, den Merlin nach dem Vorbild von Josephs Tafel schuf, Ii Sieges Redoutez heißt. Und dieser Tisch ist die Table Reonde des Königs Artus. Zwar bedeutet die runde Tafel die Welt, doch die von ihr begründete künstliche Bruderschaft ist jeder weltlichen Verwandtschaft überlegen: Et quant Diex lor en done tel grâce qu'il en sont compaignon, il s'en tienent a plus boneuré que s'il avoient tout le monde gangnié, et bien voit len que il en lessent lor peres et lor meres et lor famés et lor enfanz. (76,32ff.)
Es ist die Zugehörigkeit zur Klasse der Artusritter, welche das Tötungsverbot begründet. Perceval darf Galahad nicht angreifen, por ce que vos estes ses freres par la compaignie de la Table Reonde (78,33ff.).
Das Glück, welches die Zugehörigkeit zur künstlichen Verwandtschaft verleiht, legitimiert auch die Abwendung von der Mutter. Es zeigt sich, daß der Tod der Mutter, der sich in Percevais Träumen als Befürchtung äußerte, unter dem geistlichen Gesichtspunkt die Wunscherfüllung bedeutet: De vos meismes avez vos ce veu avenir. Car puis que vos partistes de vostre mere et len vos ot fet compaignon de la Table Reonde, n'eustes vos talent de revenir ça, ainz fustes maintenant sorpris de la douçor et de la fraternité qui doit estre entre cels qui en sont compaignon. (77,3ff.)
Perceval ist und bleibt in der der reine Tor (vgl. den Ausruf des geistlichen Führers: Ha! Perceval, ... toz jorz seras tu nices!, 112,25f.). Er besiegt die Versuchungen, ohne ihre Natur zu verstehen, indem er stets im entscheidenden Moment das Kreuzzeichen schlägt. Über Perceval lächeln sogar die heiligmäßigen Gefährten (vgl. 195,2f.: Et Boort comence a sorrire de ceste (= Percevais) parole). Die billigt diesem Helden durchaus eine kindliche Affektivität zu. Als der Erzähler Perceval auf einer einsamen Insel aussetzt, schickt er ihm einen allegorischen Löwen zum Streicheln (vgl. 95,2ff., 96,21ff.). Perceval selbst darf sich als hilfsbedürftiges Kind verstehen. Er ist derjenige unter den Artusrittern, der mehr Vertrauen hat in Gottes Hilfe als in sein Schwert (vgl. 93,27f.). In seiner Einsamkeit imaginiert er sich als verirrtes Lämmlein, als jenes hundertste Schaf, um dessentwillen der gute Hirt die neunundneunzig anderen auf dem Berge stehen läßt, um es wieder einzusammeln (Mt. 18,12-14): 237
la centieme oeille folle et chetive qui se départi des nonante nuef (96,14). Den Kontext dieses Gleichnisses bestimmt im Matthäusevangelium der Vers: Warlich ich sage euch / Es sey denn / das jr euch vmbkeret / vnd werdet wie die Kinder / so werdet jr nicht ins Himelreich komen. (Mt. 18,3)
Am auffälligsten ist jedoch, daß die dem schutzbedürftigen Kind kein Mutterbild vor Augen stellt, sondern einen nährenden, behütenden, mit hingebungsvoller Liebe begabten Vater, einen Begriff des Vaters, der lauter mütterliche Qualitäten beinhaltet: si prent euer en soi meismes et se reconforte en Nostre Seignor, et Ii prie qu'il le gart en tel maniéré qu'il ne chiee en temptacion ne par enging de deable ne par mauvese pense, mes einsi come li peres doit garder le filz, le gart et norrisse. (95,26ff.)
Biax douzperes, betet Perceval, um sich sodann auf Joh. 10,12-16 zu beziehen: Biax douz peres, qui deistes en l'evangile de vos meismes: «Je sui bons pastres, et li bons pastres met s'ame por ses oeilles . . . » ,
und Mt. 18,12-14 einleitend: Sire, vos me soiez pastres et deffenderres et conduisierres, si que je soie de vos oeilles. (vgl. 96,7-13)
Der Begriff des Vaters bestimmt sich in der nach dem Status im geistlichen Sinne, den die Gralhelden vertreten. Drei Ritter werden die vollenden: 5i en seront li dui virge et li tierz chastes (73,12). Perceval vertritt den Stand der natürlichen Unschuld. Er hat seine jungfräuliche Reinheit bewahrt, weil er nicht weiß, quex chose est chars ne assemblemenz11 (vgl. 80,1-18). Perceval verkörpert in der das Kindheitsalter, jedoch nicht als zu überwindende Entwicklungsstufe; er vertritt vielmehr den mentalen Zustand jener Arglosen, die nicht einmal im bösen Feind das Böse vermuten und deshalb ihr Leben lang unschuldige Kinder bleiben. Bohort vertritt den Stand derjenigen, welche die Geschlechtlichkeit kennen lernten, um sich sodann, en conaissance de cause, für die Enthaltsamkeit zu entscheiden. Für seine Belange bildet die den Begriff des Vaters als eines gütigen Ratgebers. Dieses Vaterbild antwortet auf die Bedürfnisse des auf Anleitung angewiesenen, jugendlichen Erwachsenen. Bohort findet diesen Vater in Gestalt von Gottes Stellvertreter auf Erden, dem Priester: Dont vos requier je, fet Boorz, ou nom de sainte charité, que vos me conseilliez com li peres doit conseillier le fil, ce est li pechierres qui vient a confession; car li prestres est en leu de Jhesucrist, qui est peres a toz çax qui en lui croient. (164,17ff.)
Doch das Gesicht, das der göttliche Vater in der den Menschenkindern zuwendet, antwortet auch auf das Verhalten der Söhne. Lancelot gegenüber zeigt das Antlitz von Gottvater völlig andere Züge (vgl. unten S.241ff.). Dennoch ist festzuhalten, daß die beharrlich danach strebt, die 11
Vgl. auch die Explikation des Unterschiedes zwischenpucelage und virginitez, 213,2432.
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Gefühlserfahrung ihrer Figuren auf den Vater zu fixieren. Das geschieht jedoch niemals am Beispiel einer weltlichen Vater-Sohn-Beziehung, sondern stets durch die Bildung des Begriffs. Inbegriff der Liebe ist der göttliche Vater. Die Liebe darf wohl auch durch die Zeugungskraft des Vaters begründet werden, jedoch unter der Voraussetzung, daß derjenige, der sich auf das natürliche Modell bezieht, gerade nicht der Vater secundum carnem ist. Deshalb heißt es von Artus, er liebe seine Ritter, insbesondere Gauvain und Lancelot, come s'il les eust de sa char engendrez (21,20f.), denn Artus ist ein Vater gemäß der Kultur: Car je les ai escreuz et alevez de tout mon pooir et les ai toz jors amez et encore les aim ausi com s'il fussent mi fil ou mi frere (17,7ff.).
Fels und Schlange. Die gute Mutter und das böse Weib Um Percevals Standhaftigkeit angesichts des peril terrien (vgl. 100,2) zu erproben, entrückt ihn die auf eine wüste, gebirgige Insel, auf der nur wilde Tiere hausen. Perceval wird in einen Raum außerhalb der Zivilisation entführt, und wie in den meisten Perceval-Kindheiten (vgl. oben S. 47ff.) wird er zu der tierischen Kreatur in Beziehung gesetzt. Die spielt auf das Material der Überlieferung an, doch treten hier Natur und Kultur unter umgekehrten Vorzeichen auf. Problematisch ist nicht die Akkulturation des Helden, seine soziale Einbindung, sondern erprobt wird seine Fähigkeit, die ihn umgebende sprachlose Natur zu ertragen und zu deuten. Perceval sieht, wie eine Schlange versucht, einem Löwen sein Junges zu entreißen. Im darauf entbrennenden Kampf zwischen Löwe und Schlange schlägt er sich auf die Seite des Löwen, weil es ihm scheint que plus est naturelx beste et de plus gentil ordre que Ii serpenz (94,12f.). Zum Dank für die Rettung leistet ihm der Löwe in seiner Einsamkeit Gesellschaft. Et Ii lyons Ii fet si grant joie come beste mue puetfere a home (95,5f.). Percevals eigentliche Prüfung ereignet sich - übrigens genau wie die Prüfung Bohorts - in drei Etappen: 1. Traumvision, 2. deren Deutung durch Gottes Stellvertreter, 3. die Probe aufs Exempel im Wachzustand. Im Schlaf wird Perceval von zwei Damen besucht, die eine ist jung, die andere alt, die eine reitet auf einem Löwen, die andere auf einer Schlange. Beide Damen formulieren ihre Forderungen an Perceval gemäß dem lehensrechtlichen Modell. Doch während sich die Dame auf dem Löwen als Abgesandte ihres Herrn vorstellt, ist die Dame auf der Schlange eine autonome Herrin, die für sich selbst spricht. Die Dame auf dem Löwen erscheint als Verkünderin des Auftrags ihres Herrn, des reichsten Mannes der Welt, und sie tritt als Warnerin auf: Perceval wird mit dem furchterregendsten Helden der Welt kämpfen müssen; falls er unterliegt, wird er nicht nur Schaden an seinem Körper nehmen, sondern auf immer geschändet sein (vgl. S. 97). Die Dame auf der Schlange kommt als Klägerin in eigener Sache: Perceval, je me plaign mout de vos: car vos avez meffet a moi et as miens, et si ne l'avoie mie deservi. (97,18)
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Die Schlange, die Perceval um des Löwen willen getötet hatte, war ihr Schützling gewesen und nun verlangt die Dame, daß Perceval ihr Mannschaft leistet. Auf Percevals Weigerung erklärt die Herrin, sie besitze ältere Rechte auf ihn als sein Herr, denn zuallererst habe er sich in ihrer Gewalt befunden: Ja le fustes vos ja; angois que vos receussiez l'omage de vostre seignor estiez vos a moi. Et por ce que vos fustes ainz miens que autrui ne vos claim je pas quite; ainz vos aseur que en quelque leu que je vos truisse sanz garde, que je vos prendrai come celui qui jadis fu miens. (98,15ff.)
Am nächsten Morgen sieht Perceval ein völlig weißes Schiff landen, darin befindet sich ein Mann en semblance de prestre (99,14). Von ihm empfängt Perceval die Deutung des Traumes: Die Dame auf dem Löwen bedeutet das Neue Testament, das sich auf Christus gründet, doch ist die Dame wiederum ihrerseits der Fels, auf dem Christus seine Kirche gründete: Cele dame est la pierre dure et ferme (101,30). Zu Gott verhält sich die Dame wie das Kind zum Vater (vgl. 102,lf.), doch Perceval soll in ihr seine Mutter erkennen: Icele vint a toi parier comme a son fil, car tuit Ii bon crestien sont si fil, et bien te mostra que ele ert ta mere: car ele avoit de toi si grant poor qu'ele te vint avant le cop noncier ce qui t'estoit a avenir. Cele te vint dire de par son seignor, ce est Jhesucrist, qu'il te covenoit combatre. Par la foi que je te doi, se ele ne t'amast, ele nel te venist pas dire, car il ne Ii chausist de toi se tu fusses vaincuz. (102,6ff.)
Die gute Mutter versteht sich als Abgesandte des Vaters, und sie stellt ihre Liebe unter Beweis, indem sie den Sohn auf das geistliche Leben vorbereitet; aus ihrer Besorgnis resultiert keine weibliche Schwäche, sondern sie bezieht aus ihr die Kraft, den Sohn im Kampf für die Sache des Vaters zu stärken. Der hier entworfene Begriff der guten Mutter ist denkbar ungeeignet, den regressiven Phantasien des erwachsenen Mannes Nahrung zu bieten. Daß die die Intimität der Mutter-Kind-Beziehung der geistlichen Sublimierung für unfähig erachtet, könnte sie nicht besser demonstrieren als durch dieses Mutterbild von steinerner Konsistenz. Während die erste Dame deutlich als Dienerin ihres Herrn auftritt, läßt sich die zweite nicht von ihrem Reittier, der Schlange, dissoziieren. Zwar wird die Dame mit der Synagoge identifiziert und die Schlange mit dem bösen Feind, der schon Adam und Eva ins Verderben stürzte. Doch die Behauptung der Dame, Perceval habe ihr gehört, bevor er einem anderen Herrn diente, bedeutet, daß er vor dem Empfang der Taufe in der Gewalt des Teufels war (vgl. 103,32ff.). Diese Dame ist doppelgesichtig: Zwar wird sie in der Versuchungsszene die Gestalt des verführerischen Weibes annehmen, doch in der Traumvision meldet sie einen Besitzanspruch an, der nicht nur am Modell des Lehnsherrn, sondern auch am Bild der leiblichen Mutter gebildet ist. In der sucht die leibliche Mutter den Sohn in seinen Träumen heim, um ihn mit Vorwürfen zu quälen; sie lehrt das Kind, sich ihr gegenüber schuldig zu fühlen: maintes foiz m'est ja venue dire en mon dormant que ele se devoit mout mielz plaindre de moi que loer, car je l'avoie presque maubaillie. (74,3ff.)
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Die Dame auf der Schlange, die zugleich das Alte Testament und den bösen Feind bedeutet, benützt eben diese mütterliche Strategie der Kulpabilisierung, dieses Schreckgespenst der Söhne, um Perceval zur Sünde zu verführen: Perceval, je me plaign mout de vos: car vos avez meffet a moi et as miens, et si ne l'avoie mie deservi. (97,18ff.) LIGNE
DE DROITURE
V E R S U S DROITE
ENGENDREURE:
DIE D E M O N T A G E LANCELOTS
Lancelot, den hingebungsvollsten Liebenden der Artusliteratur und zugleich den Inbegriff weltlichen Ritterruhms, zu demontieren, bedeutet für die die eigentliche Herausforderung. Soll der Übergang von der weltlichen Ritterschaft zur geistlichen epochale Bedeutung gewinnen, so muß er an Lancelot vorgeführt werden. Es handelt sich dabei um eine Operation, welche die am Nervenkostüm von Lancelots Seele vornimmt. Das Verfahren besteht in einer ersten Phase darin, Lancelots Identität jeglicher Würde zu entkleiden. Durch eine Prozedur grausamer Erniedrigungen wird das gedemütigte Opfer dazu gebracht, sich als den absoluten Unwert zu erkennen: Er ist noch härter und unergiebiger als der Fels, aus dem es Moses immerhin gelang, Wasser zu schlagen; er ist bitterer als das abgestorbene, faulige Holz, und er ist nackter und unbedarfter als der Feigenbaum, den Jesus wegen seiner Sterilität verfluchte: Lancelot, plus durs que pierre, plus amers que fuz, plus nus et plus despris que figuiers, va t'en de ci. (67,25f.)
In einer zweiten Phase wird dem Vernichteten, der sich bar jeglichen Verdienstes weiß, vorgeführt, daß vor Gott nur die Verdienste zählen. In diesem Stadium präsentiert die die Vorgeschichte des Grals und Lancelots Genealogie, jedoch um die heilsgeschichtliche Bedeutung der Linie von der Geltung des Sprosses zu dissoziieren. Lancelot darf sich weder auf die Würde seiner Abstammung berufen noch auf die Frucht, die aus ihm hervorging, sondern die arme Seele muß nackt und bloß vor Gott treten. Im Traum erscheint Lancelot ein König, umgeben von Sternen und in Begleitung von sieben Königen und zwei Rittern. Der erste König ist Lancelots Stammvater, die sieben folgenden Könige seine Vorfahren, die zwei Ritter bedeuten Lancelot und Galahad. Alle erheben gemeinsam die Hände zum Himmel und bitten Gott mit lauter Stimme um Einlaß in sein Haus. Daß sich Lancelot als Mitglied seines Geschlechts träumt, bedeutet nach den Worten des Eremiten, daß seine Ahnen vor Gott für ihn eintreten,por ce qu'il estoient comencement de toi et racine (137,5f.). Doch das Gebet der Ahnen ist ambivalent. Zwar bitten alle gemeinsam um Aufnahme, doch sie fügen ihrem Gebet hinzu: et rent a chascun selon ce qu'il avra deservi (131,4f.). Der göttliche Vater entspricht dem zweiten Teil des Gebets. Er verstößt den älteren der beiden Ritter mit den Worten: Fui t'en de ci! car je ai perdu quan que je avoie mis en toi. Tu ne m'as pas esté fil, mesfillastre (131,13f.).
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Dem Fliehenden ruft er nach: Se tu velz je t'amerai, se tu velz je te harrai. (131,18f.) Diese Vision wird von einem Eremiten gedeutet. Lancelot erfährt, daß sein ältester Vorfahr einst seine Nachkommenschaft im Traum als eine par droite engendreure (135,33, vgl. oben S. 34) gebildete Abfolge von neun Flüssen erblickte, in die Lancelot als einziger eine Verunreinigung einbringen sollte; er ist der trübe Ursprung des reinen Galahad. Dennoch hat Lancelot seine Lektion noch nicht gelernt. Wenn er sich schon selber nichts zugute halten darf, denkt er, so hat Gott immerhin zugelassen, daß Galahad aus ihm hervorging: Car il me semble, puis que Nostre Sires a soffert que tel fruit est issuz de moi, cil qui tant est preudons ne devroit pas soffrir que ses peres, quiex qu'il soit, alast a perdición, ainz devroit Nostre Seignor proier nuit et jor qu'il par sa douce pitié m'ostast de la maie vie ou j'ai tant demoré. (138,23ff.)
Lancelot setzt seine Hoffnung auf die Verbindlichkeit der Vater-Sohn-Beziehung. Daß douce pitié dieses Verwandtschaftsverhältnis bestimmen soll, leitet sich nicht aus den profanen Konventionen der Verwandtschaftssemantik ab, es handelt sich dabei vielmehr um einen am christlichen Gottesbegriff gebildeten Vorstellungsinhalt. Lancelots Auffassung zufolge liebt der Sohn den Vater so wie der Vater den Sohn. Galahad muß seinen irdischen Vater lieben, so wie er seinerseits von seinem göttlichen Vater geliebt wird. Nach allem was wir über den Lancelot Chrestiens und den des Prosazyklus wissen, besteht für ihn das Wesen der Liebe darin, daß sie dem Geliebten nichts abschlagen darf. Darauf gründet sich in der sein Vertrauen auf die vermittelnde Kraft seines Sohnes. Doch aus der Sicht der ist Lancelots Begriff der Liebe korrupt. Sie übersetzt die Vorstellung des seiner Liebe nachgebenden Vaters in die des bestechlichen Richters, um ihr den Begriff der droiture entgegenzusetzen, den Begriff der unparteilichen Gerechtigkeit: Droiture ne done a nului par amor ne ne toit par haine, ne ja n'espergnera ami ne parent, ainz s'en ira toz jorz selonc la ligne de droiture en tel maniere que ja ne changera fors de droite voie por aventure qui aviegne. (124,30ff.)
Das Prinzip der ligne de droiture soll den im genealogischen Prinzip der droite engendreure (vgl. 135,33) begründeten Rechtsanspruch aufheben. Diese Absage an unverdiente Privilegien enthält gewiß ein emanzipatorisches Moment. Doch indem die Gott auf die Rolle des unparteilichen Richters festlegt, spricht sie ihm zugleich das Vermögen ab, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Lancelot vertraut darauf, daß Gott sich der Fürbitte des von ihm geliebten Sohnes nicht verschließen wird, das heißt nach dem Maßstab der , auf einen ungerechten Richter. Es scheint mir bezeichnend, daß die Gottes Gerechtigkeit ex negativo, nämlich durch das Unrecht der Sippenhaft illustriert, und nicht etwa durch die parteiische Liebe: Je te dirai, fet Ii preudons, cornent il est. Des pechiez mortiex porte Ii peres son fes et Ii filz le suen; ne Ii filz ne partira ja as iniquitez au pere, ne li peres ne partira ja as iniquitez au filz; mes chascuns selonc ce qu'il avra deservi recevra loier. Por ce ne doiz tu pas avoir esperance en ton fil, mes solement en Dieu, car se tu de lui requiers aide, il t'aidera et secorra a toz besoinz. (138,28ff.)
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Gott erscheint als der unerbittliche Verwalter der Verdienstethik. Wenn er Galahad liebt, so läßt er ihm nur zuteil werden, was dieser persönlich verdient. Daß die Fürbitte für den Verwandten der Erschleichung eines Privilegs gleichkäme, ist auch Galahads Auffassung: Dem geläuterten Lancelot wird später die Begegnung mit seinem Sohn zuteil. Eineinhalb Jahre darf der Vater in der Gesellschaft des Sohnes verbringen, doch die weiß über die Abenteuer, die sie gemeinsam erleben, nichts zu berichten: Si n'en fet mie Ii contes del Saint Graal mencion, por ce que trop i covenist a demorer qui tout voldroit aconter qan qu'il lor avint. (251,28ff.)
Das Schweigen mag wohl seinen Grund darin haben, daß auf Grund der in der gestellten Weichen die Beziehung Lancelot-Galahad mangels Inhalt keiner Formung mehr zugänglich ist. Zwar freut sich Galahad über die Begegnung mit dem Vater: A non Dieu, vos desirroie je a veoir et a avoir a compaignon sor toz cels del monde. Et je le doi bien fere, car vos estes comencement de moi. (250,22ff.)
Doch als ihn Lancelot beim Abschied als seinen Sohn bittet, zu Gott für ihn zu beten, lautet die Antwort: Sire, nule proiere n'i vaut autant come la vostre. Et por ce vos soviegne de vos. (252,26f.)
Ein jeder sorge für sich selbst!
B O H O R T ET MEISTES
ARRIERE
DOS TOUTE
NATUREL
AMOR
Die Brüder Bohort und Lionel repräsentieren sowohl väterlicherseits als auch mütterlicherseits den lignage von Lancelot, denn ihr Vater, der König Bohort, Lancelots Vaterbruder, hatte die Königin Evaine, Lancelots Mutterschwester, zur Frau. Lionel und Bohort treten zuerst in der Lancelot-Kindheit des Prosazyklus auf; sie gelten als unzertrennliches Brüderpaar, jedoch wird Lionel schon dort durch einen signifikanten Charakterzug von seinem fügsamen Bruder unterschieden: er ist unfähig, eine erlittene Kränkung zu vergessen (vgl. z. B. Micha VII, S. 229ff.), und weil er maßlos ist in seiner Leidenschaft, wird er schon zu Beginn seiner Karriere cuers sans fraim / herze one zaum genannt (Micha VII, 108, Kl. I, 53,4). Die dividiert die unzertrennlichen Brüder auseinander, indem sie Bohort den Erwählten, Lionel hingegen dem Lager der Verworfenen zuordnet. Bohort zeichnet sich zu Beginn des ihm gewidmeten Abschnitts dadurch aus, daß er das Erbe eines jünger geborenen Fräuleins (der Kirche) gegen die Ansprüche von dessen älterer Schwester (des durch das Alte Testament bezeichneten Teufels) verteidigt. Einmal muß er auch seine sexuelle Enthaltsamkeit unter Beweis stellen. Doch die eigentliche Prüfung begegnet ihm in Gestalt der Bruderliebe, und zwar im doppelten Sinn. Erstens: Bohort muß beweisen, daß 243
er bereit ist, seinen Bruder im Augenblick der Not im Stich zu lassen. Zweitens: Bohort darf sich gegen den Haß seines Bruders nicht wehren, er darf sich der feindlichen Herausforderung des Bruders nicht stellen, denn damit liefe er Gefahr, einen Brudermord zu begehen. Lionel hingegen verkörpert das zum Brudermord wild entschlossene Monstrum. Wie mächtig das Tabu des Verwandtenmordes wirkt, ist daraus zu ersehen, daß - zumindest in der Tradition des Artusromans - der Kampf mit dem Freund oder Verwandten 12 in aller Regel ein gegenseitiges Verkennen voraussetzt. Nicht einmal dem blutrünstigen Perlesvaus wird es zugemutet, den bösen Mutterbruder eigenhändig umzubringen. Um die Bedeutung des Kampfes mit dem Blutsverwandten zu bezeichnen, rekurrieren z. B. Wolfram und der auf das Beispiel von Kain und Abel, doch der Brudermord mit Wissen und Willen scheint zur literarischen Darstellung nicht freigegeben zu sein. Die nimmt sich diesen Fall zum Zwecke der Demonstration vor. Damit verletzt sie wohl wissentlich und willentlich die Grenze des im laikalen Bewußtsein öffentlich Zulässigen. Die Szene, in welcher der durch den Verrat des geliebten Bruders tödlich gekränkte Lionel zu Pferd den Körper seines wehrlosen Bruders zertrampelt (le debrise, 190,3), markiert wohl den einzigen dramatischen Moment des Romans. Die Grausamkeit dieser Versuchsanordnung kann man nur fassungslos zur Kenntnis nehmen; sie manifestiert indessen so deutlich wie keine andere Szene den sadistischen Impetus der geistlichen Radikalität. Bohort ist allerdings für eine so schwere Prüfung gut geeignet; er hat anders als der unterweisungsbedürftige Perceval - das System der geistlichen Verwandtschaft schon zu Beginn seiner Gralsuche verinnerlicht. So zeigt er sich im Stande, den Eremiten zu widerlegen, der das Gleichnis von Baum und Frucht auf ihn anwendet: Car, si com Nostre Sires dit: «Li bons arbres fet le bon fruit», vos devez estre bons par droiture, car vos estes le fruit del tres bon arbre. Car vostre peres, Ii rois Boors, fu uns des meillors homes que je onques veisse, rois piteus et humbles; et vostre mere, la reine Eveine, fu une des meillors dames que je veisse piega...» (164,31ff.)
Dagegen macht Bohort geltend, daß jeder Mensch, wie schlecht auch seine Eltern sein mögen, durch die Taufe in eine andere Qualität verwandelt wird (vgl. 165,6-9): por ce m'est il avis qu'il ne vet pas as peres ne as meres qu'il soit bons ou mauves, mes au euer de l'ome. (165,9-llff.) 12
Vgl. dazu W. Harms, Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten, S. 102, S. 202ff. Aus Harms' Untersuchungen, welche das Problem des Verwandtenkampfes als Funktion der literarischen Gattung bestimmen, geht hervor, daß ein Verwandtenmord mit Wissen und Willen in der mhd. Literatur kaum je anzutreffen ist. In der , puis dans le ? A peine un peu plus qu'une simple utilité. Ce personnage sans relief, l'auteur de la l'a transfiguré; il ne s'est pas contenté de lui conférer une haute valeur spirituelle; il lui a donné aussi l'auréole de la poésie. L'union mystique de la soeur de Perceval avec Galaad pare d'une grâce d'idylle l'austérité de la chevalerie celestielle et permet peut-être de comparer la sublime héroïne à la Béatrice de la (Divine Comédie>.»
So äußert sich Jean Frappier ( G R M L A I V , 1, S. 560). Seine Sicht unterscheidet sich nicht wesentlich von der Auffassung, die Ferdinand Lot in seiner 1918 13
Bohort ißt nur trockenes Brot, trinkt nur Wasser, und wenn er nicht von Eremiten beherbergt wird, übernachtet er in der Regel bei Witwen (vgl. 175,1, 188,2).
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erschienenen vertrat. Appendice VI stammt von Frau Lot-Borodine und befaßt sich mit der Rolle von Percevais Schwester. In Lot-Borodines Deutung ist diese Figur nicht nur Galahads mystische Gemahlin (S.436, 441), sondern so wie Galahad der zweite Christus, ist Percevais Schwester «une réincarnation de la Vierge Marie» (S. 432). Das Percevais Schwester gewidmete Kapitel ist zugleich das letzte dieser Studie, deren Abschluß ein liturgisches Mariengebet bildet: Ave virgo virginum (S. 442). Etienne Gilson definierte die in seinem Aufsatz über die Mystik der Gnade (Rom. 51) als ein Werk zisterziensischer Provenienz, «oeuvre que tout désigne comme soumise à l'influence de saint Bernard» (S. 347). Aus Friedrich Ohlys Hohelied-Studien geht hervor, daß Bernhard von Clairvaux, der doctor Marianus, in keiner seiner 86 Predigten über das Hohe Lied Maria mit dem Hoheliedtext in Verbindung bringt (vgl. S. 137). Daß Bernhard die mariologische Auslegung des Rupert von Deutz nicht in seine Auslegung übernahm, hatte zur Folge, daß die mariologische Deutung in der Hoheliedexegese bei den Zisterziensern nicht heimisch wurde (S. 150f.). Zu diesem Befund stimmt, daß Etienne Gilson in seiner Deutung der wohl von Bernhards HoheliedExegese spricht, aber weder von einer mariologischen Bedeutung von Percevais Schwester noch von ihrer mystischen Brautschaft mit Galahad; er verliert vielmehr überhaupt kein Wort über diese Figur. Zweifellos ist die Jungfräulichkeit das markanteste Kennzeichen von Percevais Schwester. Sie wird definiert als diejenige qui fust virge en volenté et en oevre (239,21f., vgl. auch 247,23ff.). Das trifft auf die Jungfrau Maria zu und ist zugleich eine Bedingung der mystischen Brautschaft. Percevais Schwester ersetzt das schlechte Gehänge, mit dem Salomons Gattin das für Galahad bestimmte Schwert ausstattete, durch ein aus ihren abgeschnittenen Haaren verfertigtes Gebilde. Wie die Überwindung der Eva-Natur durch Maria, so wird auch die Ankunft von Percevais Schwester zu Salomos Zeit vorhergesagt. Wie einst die Königin Guenièvre Lancelot die Ritterschaft verlieh (vgl. Micha VII, S. 298), so schlägt Percevais Schwester Galahad zum Ritter Gottes, indem sie ihm das Davidsschwert umgürtet: Et quant ele Ii ot pendue au costé, si Ii dist: «Certes, sire, ore ne me chaut il mes quant je muire; car je me tiegn orendroit a la plus beneuree pucele dou monde, qui ai fet le plus preudome dou siecle chevalier. Car bien sachiez que vos ne Testiez pas a droit quant vos n'estiez garniz de l'espee qui por vos fu aportee en ceste terre.» - «Damoisele, fet Galaad, vos en avez tant fet que je en seré vostre chevaliers a toz jorz mes. Et moutes merciz de tant com vos en dites.» (228,19ff.)
Daß diese Szene als Gegenbild zur Lancelot-Ginevra-Beziehung gedacht ist, kann schwerlich bestritten werden, ebensowenig, daß die die weltliche Passion der Lancelot-Liebe in der geistlichen Liebe aufheben will. Aber es fällt mir auf, daß der Autor der nicht halb so viel Liebe in die Figur von Percevais Schwester investiert wie die beiden oben zitierten Interpreten, deren hymnische Begeisterung für die gestalterische Leistung der mir in diesem Punkt schwer nachvollziehbar ist. 247
Die sanfte Misogynie der Ist Percevais Schwester in der wirklich etwas anderes als «une simple utilité»? Worauf kann sich die Auffassung stützen, hier sei eine Figur von traditionell sekundärer Bedeutung zu einem sublimen Frauenbild gesteigert? Um dieses Deutungsmuster in Frage zu stellen, versuche ich, die Konturen der Figur auf Grund der ihr zugewiesenen Funktionen herauszuarbeiten. Wenn wir die eigentliche Galahad-Handlung mit der Gralsuche Percevais und Bohorts vergleichen, ersetzt der Auftritt von Percevais Schwester struktural gesehen die Prüfung, welche bei den zwei Gefährten ihre Aufnahme ins weiße Schiff motiviert. Die Jungfrau erscheint aus dem Nichts, weckt Galahad auf, fordert ihn auf, ihr zu folgen, und Galahad vertraut sich ihrer Führung an. Der Hs. Q (Ed. Sommer) zufolge spricht er sie dabei mit Bele suer an. Ihre Aufgabe besteht darin, Galahads Ankunft auf dem weißen Schiff, wo die Gefährten seiner harren, zu begründen: Par foi, fet Galaad, ceste part ne fusse je ja venuz, a mon escient, se ele ne m'i eust amené. D o n t len puet dire que g'i sui plus venuz par lui que par moi. (200,14ff.)
Die Jungfrau gibt sich als Percevais Schwester und als die Tochter des Königs Pellehen zu erkennen, Por ce que vos me creez mielz de ce que je vos dirai. (201,25)
An Perceval wendet sie sich com a la riens que je plus aim (201,26f.), jedoch um genau wie die gute Mutter die Authentizität der Liebe durch eine Warnung zu erweisen: Falls Perceval nicht vollkommen ist im Glauben an Jesus Christus, wird er auf Salomons Schiff augenblicklich zu Tode kommen. Auf der Reise erfüllt die Schwester die Funktion, die in Galahad kulminierende Erfüllung der Heilsgeschichte zu erweisen, indem sie die Geschichten zu erzählen weiß, die aus der Tiefe der Vergangenheit auf die Erfüllung in der Gegenwart verweisen. Sie kennt die Herkunft des Davidschwertes und die Geschichte der Verletzungen, die es drei Königen zufügte: Es tötete König Lambar, Vater des Roi Mehaignié, es verletzte den König Mordrain, Schwager von Galahads Stammvater Nasciens, und schließlich schlug es auch die Wunde, welcher der König Parlan den Namen Rois Mehaigniez verdankt. Die beiden letzteren Könige harren immer noch ihrer Heilung durch Galahad. Zwar kennt Percevais Schwester die Bestimmung des Davidschwerts; um die Bedeutung des von Salomon vorbereiteten Schiffes darzulegen, schaltet die aber eine auktoriale Erzählung ein. Im Kontext dieser Geschichte fungiert Percevais Schwester nicht als Deuterin, sondern als göttliches Werkzeug, durch welches sich die auktoriale Erzählung bewahrheitet: Durch Percevais Schwester erfüllt sich die an Salomo ergangene Weissagung, einst werde eine Jungfrau (pucele) dem Davidschwert ein würdiges Gehänge verleihen (vgl. 223,26ff.), und Galahad empfängt das Schwert aus ihrer Hand. Gewiß, diese Jungfrau ist mit bedeutungsvollen Zeichen investiert. Sie bestimmt das Itinerar der drei auserwählten Helden, sie steht im Geruch der 248
Heiligkeit (saintepucele vgl. 249,1), und schließlich ist es ihre Bestimmung, zwischen Perceval und Galahad im palés esperitel (279,19) begraben zu werden. Ihre Funktion besteht wesentlich darin, die Bedeutung Galahads zur Erscheinung zu bringen. Damit ist sie dem Chevalier Desirré zwar zugeordnet, doch ihr Verhältnis zu ihm ist sowohl heilsgeschichtlich als auch erzähltechnisch durch ihre Nützlichkeit gekennzeichnet. Von einer mystischen Kommunikation der beiden Figuren, von einer innigen, das Herz erhebenden Liebe zwischen Braut und Bräutigam kann in der Gestaltung dieser Beziehung auch spiritualiter keine Rede sein. Percevals Schwester erscheint auch dort, wo ihr ein eigenes Abenteuer zugewiesen wird, nicht als ein Gefäß, in das sich die mystische Liebe der erwählten Gefährten ergießt, sondern als Gefäß, das sich seines Inhaltes entleeren muß. Diese vollkommene Jungfrau erklärt sich bereit, das Leben einer ihr unbekannten Königin zu retten (une dame d'estrangepaís, 242,33), indem sie zur Heilung der von der Lepra Befallenen ihr eigenes Blut vergießt. Geschwächt vom Blutverlust haucht sie daraufhin ihr Leben aus. Zwar wird die Lepröse durch das Blut der reinen Jungfrau geheilt, doch am nächsten Tag vernichtet Gott durch ein schreckliches Ungewitter die wieder hergestellte Dame samt allen Insassen des Schlosses, weil sie es wagten, für die Heilung einer desloial pecheresse (245,2) ein Blutopfer zu fordern. Wozu stirbt Percevals Schwester, wenn nicht um dem Erzähler Gelegenheit zu geben, Gottes Strafgericht auf die Ungerechten herabzurufen? Auch eine der geistlichen Intention verpflichtete Deutung müßte sich wohl fragen, worin denn die Dignität des von Percevals Schwester erlittenen Todes bestehen soll, wenn dieser zugleich der Demonstration dienstbar gemacht wird, daß Gott die Annahme eines solchen Opfers verweigert. D a ß die für Percevals Schwester die Todesart des Verblutens wählt, erscheint mir in hohem Maß signifikant. Das Blut ist der Sitz der Vitalität, und die vollkommene Jungfräulichkeit wird durch die von diesem Leben entleerte Körperhülle bezeichnet. Als Leiche befährt Percevals Schwester sodann die Meere, versehen mit einem Brief, der ihre Herkunft und ihre Taten kündet. Sie bleibt der Erzählung erhalten, jedoch in der Gestalt einer Reliquie. Gewiß müssen auch die beiden der Fehlbarkeit unterworfenen Helden Perceval und Bohort die Vitalität in sich abtöten, denn das Leben ist der sündhaften Begierde unterworfen, so lange das Blut in den Adern pocht. Doch dieses Begehren wird stellvertretend im Leben der weiblichen Kreatur abgetötet. Daß sich das Ideal der makellosen Jungfräulichkeit in der blutleeren Leiche erfüllt, drückt genau wie das steinerne Bild von der Mutter die Misogynie der aus. Sie ist nicht von der blutrünstigen Gewalttätigkeit des , sie bevorzugt vielmehr das sanfte Verbluten. Das ist der Modus, nach dem der Autor der - darin von der leidenschaftslosen Grausamkeit des Tierquälers - dem Mann den Gedanken an das weibliche Leben der Frau austreibt.
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Aber wenige sind auserwählt Die Forderungen der an die auserwählten Helden begründen sich aus der evangelischen Definition der Nachfolge Christi: Vnd wer verlesset Heuser / oder Brüder / oder Schwester / oder Vater / oder Mutter / oder Weib / oder Kinder / oder Ecker /vmb meines Namens willen / Der wirds hunderfeltig nemen / vnd das ewige Leben ererben. (Mt.19,29)
Im Matthäus-Evangelium wird die Schwierigkeit der Nachfolge durch den reichen Jüngling illustriert, der davor zurückschreckt, um Christi Willen seine irdischen Güter aufzugeben. Das Problem der Erwählung wird durch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg des Herrn dargelegt, jenes Hausvaters, der den zuletzt Angekommenen denselben Lohn gibt wie denen, die den ganzen Tag gearbeitet hatten. Die dagegen symbolisiert den Verzicht auf irdische Privilegien und die Überwindung der profanen Ethik wesentlich durch die Negation der weltlichen Verwandtschaft. Daß die die Nachfolge Christi als die geistliche Formulierung des Exogamiegebots versteht (vgl. 76,32ff.), erweist sich daran, daß sie den Zusammenhang von Abstammung und Erwählung kappt und die affektive Verbindlichkeit der weltlichen Verwandtschaft entwertet. Zwar ist diese Branche durch eine Vielzahl von Verweisungen im Gefüge des Lancelot-Gral-Zyklus verankert, und die heilsgeschichtliche Begründung der Genealogie ist dabei ein konstitutives Moment der epischen Kohäsion. Doch diese Funktion ist mit der Ebene, auf der sich die Lehre artikuliert, nicht mehr zur Deckung gebracht. Es kommt auf das Herz des Menschen an und nicht auf den Baum, aus dem die Frucht hervorgeht, sagt Bohort. Und das Herz wird in der Taufe in eine neue Qualität verwandelt ( e s t . . . muez d'amertume en dolçor si tost corne il reçoit le saint cresme, la sainte onction, 165,8f.). Dabei ist nicht nur an die moralische Qualität der Eltern oder der Vorfahren gedacht, sondern, wie besonders die Demontage Lancelots zeigt, geht es durchaus darum, den genealogisch begründeten sozialen Rang von der personalen Qualität des Einzelnen zu dissoziieren. Dem Begriff nach impliziert diese Unterscheidung gewiß die Aufhebung des Privilegiums der Geburt vor Gott und insofern auch eine Kritik an der naturwüchsigen Faktizität der gesellschaftlichen Einrichtungen. Doch die Frage ist, welcher Art die von der Frömmigkeit dieses Werks hervorgebrachten neuen Qualitäten sind. Die ersetzt nicht nur die weltlichen Bindungen durch das System der spirituellen Verwandtschaftsbeziehungen, sondern sie unterzieht die strebsamen Gralsucher einer Reihe von schmerzhaften Operationen, um ihre der Welt gewidmeten Gefühle abzutöten. Besonders Bohort wird einer Extremsituation unterworfen, die an die Fälle erinnert, welche Militärausschüsse den Kriegsdienstverweigerern vorzulegen pflegen. Étienne Gilson deutete die im Zeichen der «Mystique de la Grâce». Strukturbildend für dieses Werk scheint mir indessen vielmehr die 250
rigoros durchorganisierte Administration der Gnade zu sein. Ihre Verwalter, die Eremiten und Priester, wissen stets exakt abzulesen, welchen Pegelstand die Gnade Gottes bei den sie je besuchenden Rittern augenblicklich erreicht hat. Mehr noch: Auch dort, wo Geistliche nicht präsent sind, ist der Mangel an Gnade so sichtbar wie sonst der Verlust der weltlichen Ehre. Deshalb ist z. B. Lancelots Schande jedem dahergelaufenen Knappen offensichtlich, und jedes seines Wegs reitende Fräulein darf sein Urteil über Lancelots Gnadenstand abgeben (vgl. 117,17ff. und 129,27ff.). Den Eremiten ist nicht nur die Seele der Lebenden durchsichtig, sie verstehen es auch, sich Gewißheit über das Leben der Seele nach dem Tode zu verschaffen. Bezeichnend für ihre Macht ist die Passage, in der ein Eremit sogar den Teufel dazu zwingen kann, ihm Auskunft über das Schicksal seines eben verstorbenen Bruders in Christo zu geben (vgl. 119,14ff.). Die Eremiten deuten und erklären, sie unterscheiden und urteilen; unentwegt bearbeiten sie die Seelen ihrer Schützlinge. Daß der bußfertige Lancelot die Auflage erhält, sich einmal wöchentlich der Beichte zu unterziehen, ist vielleicht ein interessantes Detail (vgl. 129,24). Zwar wird uns Lancelots initiale Beichte mitgeteilt (vgl. 66,8-18), doch in der von der organisierten Rede ist das Geständnis für die betreute Seele noch nicht von vitaler Bedeutung. Es ist noch nichts zu spüren von der seelsorgerlichen Anleitung zur Gewissenserforschung welche die Kirche Michel Foucault zufolge erst im 17. Jahrhundert zu intensivieren begann und durch welche die katholische Seelsorge einen wesentlichen Beitrag zur Sexualisierung der Seele leistete (vgl. Histoire de la sexualite, S. 27ff.). Das Subjekt wird in der noch nicht gezwungen, so oft und so genau wie möglich seine sexuellen Sünden in Gedanken, Worten und Werken auszusprechen; dafür ist es der unaufhaltsamen Rede der geistlichen Meister ausgeliefert 14 . Noch erfolgt der Zugriff auf die Seele vom Mund des Priesters über das Ohr des Gläubigen. Noch gilt das überwachende Interesse weniger den Regungen der Seele, sondern diese wird vielmehr als Block einer rigorosen Bearbeitung unterworfen, durch detaillierte Belehrung und Ermahnung, durch die quantifizierende, wägende und messende Rede der andern. Lancelots Seele soll mürbe gemacht werden, das führt zu ihrer Sensibilisierung; freilich wird sie davon auch wund. Wie kaum ein Werk der bis zum Ende des 13. Jahrhunderts entstandenen Literatur dürfte deshalb die darüber Aufschluß geben, wie die kirchlich-monastischen Anstrengungen zur Modellierung der abendländischen Seele beitrugen. Doch wenn wir die gedanklichen Anstrengungen mittelalterlicher Autoren ernst nehmen, dürfen wir auch fragen, was sie für die Humanisierung der abendländischen Zivilisation leisteten. D a ß die Frucht nicht von der Qualität des Baumes abhängig sei, aus dem sie hervorging, die Revision des alten Gleichnisses (vgl. Mt. 12,33), ergeht von 14
Vgl. dazu A. Pauphilets Analyse der von ihm und genannten Passagen (62,20-71,27 und 122,31-129,28), Etudes sur la , S. 177ff.
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denjenigen, welche freiwillig auf ihr weltliches Geburtsrecht verzichteten, und sie richtet sich an die Inhaber geburtsrechtlicher Privilegien. Zwar wird dem weltlichen Adel die in der Taufe empfangene Gotteskindschaft entgegengesetzt, doch nichts deutet darauf hin, daß die dabei auch die Klasse derjenigen ins Auge faßt, die auf kein weltliches Geburtsrecht zu verzichten haben. Die prominenteste der von der artikulierten Verwandtschaftsbeziehungen ist zweifellos die geistliche Vater-Sohn-Beziehung. Darin erinnert sie an Wolframs Frömmigkeit, der ja besonders im Willehalm-Prolog die Gotteskindschaft der Christen emphatisch auf das in der Welt lebende Subjekt anwendet, auf sich selbst: dîn mennischeit mir sippe gît dîner gotheit mich âne strît der pâter noster nennet zeinem kinde erkennet (Wh 1,19).
Die ist mit Wolfram insofern vergleichbar als beide sich mit dem in der Welt geltenden, konventionellen Begriff der Verwandtschaft nicht zufrieden geben. Beide entwickeln ein Konzept der Verwandtschaft, um es den in der Welt herrschenden schlechten Verhältnissen entgegenzuhalten. Doch die kann ihrem Begriff von der geistlichen Gotteskindschaft nur Relief verleihen, indem sie den Bruch mit der weltlichen Verwandtschaft inszeniert. Wolfram hingegen bindet die weltliche Verwandtschaft (von demAdâmes rippe, Pz. 82,2) an die durch Gottes Menschwerdung erfolgte Verwandtschaft Gottes mit den Menschen zurück. Der Held von Wolframs ist ein laikaler Ritter, der sich in seiner Auseinandersetzung mit der Welt unweigerlich mit sündehaften dingen (Wh. 2,29) behaften mußte. Auch wenn wir die monastisch-zölibatäre Inspiration der berücksichtigen, zeigen die in diesem Werk entwickelten Gedanken doch deutlich genug, daß es um die Regelung der Zuständigkeit für die weltlichen Dinge geht. Allenthalben manifestiert die geistliche Instanz in der ihren Willen zur Macht. Was die Legitimation des Tötens betrifft, so markiert die z . B . gegenüber dem frz. Rolandslied kein geschärftes Problembewußtsein. Dort heißt es: Paien unt tort et crestiëns unt dreit (RL 1015). In der wird zwar das Töten als Inhalt der weltlichen Ritterschaft gebrandmarkt. Doch das Töten ist unzweifelhaft dann ein gutes Werk, wenn Gott die ihm geweihten Ritter zum Werkzeug der Rache gebrauchen will. Im Unterschied zum Rolandslied darf sich jedoch die militia Christi nicht von sich aus auf Gott berufen. Es geht darum zu demonstrieren, daß niemand anders als die geistliche Instanz befugt ist, die den Totschlag rechtfertigenden Bedingungen zu beurteilen: Eines Tages gelangen Bohort, Perceval und Galahad zu einem Schloß, dessen Herren ihnen den Einlaß verwehren, als sie sich als Artusritter zu erkennen geben. Sie betreten es dennoch und schlagen alle Ritter tot, die sich ihnen in den Weg stellen. Angesichts der vor ihnen liegenden Leichen fragen sie sich allerdings, ob sie recht taten. Bohort ist der Meinung, der schmähliche Tod dieser Ritter beweise, daß es sich um Gottes Widersacher handelte. Doch Galahad widerspricht: 252
Vos ne dites mie assez, fet Galaad. Se il meffirent a Nostre Seignor, la venjance n'en ert pas nostre a prendre, mes a Celui qui atent tant que li pechierres se conoisse. (230,33ff.)
Darauf tritt ein Priester in den Saal. . . . si dist: «Sire, sachiez que vos avez fet la meillor oevre que chevaliers feissent onques mes . . . Si sai bien que Nostre Sires vos i envoia por ceste oevre. Car il n'avoit gent ou monde qui tant haïssent Nostre Seignor come li troi frere qui cest chastel tenoient. Et por lor grant desloiauté avoient il cels de cest chastel si atornez qu'il estoient poior que Sarazin . . ,(231,23ff.)
Töten darf man diejenigen, denen die Zugehörigkeit zur Christenheit abgesprochen werden darf (car il n'estoientpas crestien, 232,4). Die Verbrechen, welche dieses Urteil rechtfertigen, sind Sünden gegen die Verwandtschaft: Die drei Brüder vergewaltigten ihre Schwester, um sie sodann zu ermorden. Den Vater, welcher diese Verbrechen bestrafen wollte, setzten sie gefangen. Es scheint mir bemerkenswert, daß den drei auserwählten Helden die Legitimität ihrer Tat vom leiblichen Vater der getöteten Söhne selbst bestätigt wird. Dieser hatte seinem getreuen Priester eine Vision mitgeteilt: Ne vos chaille; ma honte et la vostre sera vengiee par trois serjanz Jhesucrist: car einsi le m'a mandé li Haulz Mestres. (232,31ff.)
Die ist im Besitz einer Metaphysik, die es ihr erlaubt, vermittels der auftretenden Eremiten und Priester, den Standpunkt Gottes darzustellen. Damit reiht sie sich in die von Robert de Boron begründete Tradition der Gralromane ein. Neu hingegen scheint mir zu sein, daß die den Anspruch erhebt, den Standpunkt Gottes im Detail begründen zu können. Ihm zufolge ist die Gotteskindschaft ganz bestimmten Bedingungen unterworfen. Zu Lancelot spricht Gottes Stimme: Tu ne m'as pas esté fil, mes fillastre (131,14). Und die Eremiten tun die Kriterien kund, aufgrund deren Gott seine Vaterschaft anerkennt oder aber leugnet (vgl. 126,12ff.). Ganz abgesehen davon, ob die durch das geistliche Geburtsrecht auch die niedrig Geborenen zu adeln gedenkt oder nicht, der von ihr ausgearbeitete Maßstab dient in jedem Fall der Herausbildung einer neuen Elite. Der geht es darum, das Bild eines gerechten, der Emotionalität nicht unterworfenen Gottes zu schaffen: Droiture ne done a nului par amor ne ne toit par haine (124,30f.). Zum Beweis von Gottes Unparteilichkeit hebt sie die ungerechte Bevorteilung aufgrund des Abstammungsprinzips und aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen auf. Wolfram kritisiert die Ungerechtigkeit des in der Abstammung begründeten Privilegs, indem er sich gegen die prinzipielle Benachteiligung der Heiden vor Gott aufgrund ihrer heidnischen Geburt wehrt. wir wârn doch alle heidnisch ê. dem saeldehaften tuot vil wê, ob von dem vater sîniu kint hin zer flust benennet sint: er mac sih erbarmen über sie, der rehte erbarmekeit truoc ie. (Wh. 307,25ff.)
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Diese Worte mögen sich im unmittelbaren Kontext auf das Schicksal der ungetauften Kindpr beziehen. Doch genau so wahr ist, daß sich Gyburc in ihrer ganzen Rede um das Schicksal ihrer ungetauften Verwandtschaft sorgt. Schon der Vergleich zwischen dem Baruch- und dem Papstamt im zeigt, daß Wolfram in der Lage ist, die Vorstellung einer andersgearteten Sitte zu bilden (vgl. Pz. 13,25ff.). Im bildet er die Vorstellung einer andersgläubigen Ethnie, die dennoch von Gottes Hand geschaffen ist15. Das Beispiel der ungetauften Kinder verweist auf jene anderen Ungetauften, deren Bedingung eine Bekehrung zum Christentum nicht ohne weiteres zuläßt. Doch der entscheidende Unterschied zwischen Wolframs Frömmigkeit und der Haltung der besteht wohl darin, daß es dem Laien Wolfram nicht in den Sinn kommt, sich an die Stelle Gottes zu setzen. Wolfram wagt zu denken, daß Gottes Urteil möglicherweise dem Maßstab seiner bestallten Stellvertreter auf Erden nicht kommensurabel ist, und er hofft, daß Gottes Erbarmen größer ist als alles, was die rechtgläubigen Christen für denkbar halten. Wolframs Denken ist verwandtschaftlich bestimmt, und es ist konkret: Willehalm ist mit Gyburgs ungetauften Verwandten verwandt, wir sind Adämes künne, und die Verwandtschaft des menschgewordenen Gottes mit uns ist irrevokabel: sit er uns sippe lougent niht (vgl. Pz. 464,28ff.). Dieses sich am konkreten Vorstellungsinhalt abarbeitende Denken bringt kein Allgemeines hervor. Gerade weil Wolfram konkret denkt, dürfen wir vermuten, daß ihm die Überwindung der ständischen Schranke nicht in den Blick kommt. Wohl aber gelingt es diesem Denken, die Schranke zu transzendieren, welche die Andersgläubigen eo ipso ins Abseits der Verdammnis verbannt. Die über eine scharfe geistliche Begrifflichkeit verfügende ist hingegen der Verallgemeinerung fähig. Sie hebt ein altes Diskriminierungssystem auf, jedoch nur, um es durch ein anderes zu ersetzen. Aus der Verallgemeinerung resultiert nur eine neue Grenzziehung, diejenige zwischen den Verworfenen und den Auserwählten.
15
Vgl. dazu Karl Bertau, Das Recht des Andern, bes. S.252ff. In der Erörterung der oben zitierten Stelle arbeitet Bertau heraus, daß Wolframs verwandtschaftlich bestimmtes Denken die feste Grenze zwischen Gottesgeschöpflichkeit (hantgetät) und durch die Taufe erworbener Gotteskindschaft aufweicht (vgl. S. 255f.).
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Zusammenfassung
Die Heilsbotschaften, welche uns die verschiedenen Versionen des Gralmythos vermitteln, sind in hohem Maße unterschiedlich. Unterschiedlich sind auch die in ihnen präsentierten Verwandtschaftskonstellationen. Schon die beiden frühesten Entwürfe, Roberts Gralgeschichte und Chrestiens Percevalroman, artikulieren verschieden geartete Verwandschaftsmuster: Robert de Boron stellt das Prinzip der Abstammung dar: ihm zufolge ist der über den Vater vom Gral abstammende Held als Ziel einer vertikalen Linie gedacht und gilt als der Vollender seines Geschlechts. Bei Chrestien erscheint der über die Mutter mit dem Gral verbundene Held als Mitglied eines horizontal konzipierten Verwandtschaftsverbandes, dessen Angehörige zusammenhängen und von einander abhängen. Diese durch die Verwandtschaftskonzeption transportierte Zuordnung findet sich in allen späteren Fassungen wieder. In allen mir bekannten Gralromanen ist mit der Verwandtschaft das Thema der Erkenntnis und der Sünde assoziiert (entweder die Sünde des Verwandten oder aber die Makellosigkeit der Erlöserfigur im Gegensatz zur Sündhaftigkeit seines Geschlechts, im weitesten Sinne des Rittergeschlechts). Ich habe herausgearbeitet, daß die Ideenverbindung Verwandtschaft - Sünde - Erkenntnis sich signifikant unterschiedlich artikuliert, je nachdem, ob der Held über den Vater vom Gral abgeleitet wird oder ob er über die Mutter mit ihm verwandt ist. Während die väterlich lineare Abstammung das Recht auf die Erwählung und den Besitz der Erkenntnis begründet, wird durch die Verwandtschaft über die Mutter ein affektives Problem und der Mangel an Erkenntnis gestaltet. Es ist die These dieser Arbeit, daß der Unterscheidung väterlicherseits / mütterlicherseits deutlich verschiedene mentale Konzepte zugrundeliegen, und daß die Gralromane im Medium ihrer Verwandtschaftskonzeptionen konträre Erlösungsvorstellungen ausdrücken. Die Art der Verwandtschaft des erwarteten Heilsbringers mit dem Hüter des Grals in den je unterschiedlichen Ausformungen des Gralmythos ist als Träger der jeweiligen Heilsbotschaft anzusehen. Robert de Boron konzipiert eine Dreizahl von Gralhütern im Namen der gleichursprünglichen Personen derTrinität. Zugleich schafft er durch die Generationenfolge Großvater - Sohn - Enkel ein genealogisches Kontinuum. Der Gral, Medium der Präsenz Gottes auf Erden, ist zugleich ein Erbe, dessen Translatio nach dem Modus der patrilinearen Erbfolge geregelt ist. Der dritte Mensch, der Vollender der Heilsgeschichte, ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß er «aus dem Vater» hervorgehen soll. 255
Robert de Boron strukturiert die Endphase der Menschheitsgeschichte im Einzelnen durch verschiedene, stets verwandtschaftlich bestimmte Dreierfolgen: Drei Personen werden für die Wiederbesetzung des Judassitzes (leerer Sitz) verheißep: Joseph von Arimathia, sein Schwestersohn Alain und dessen Sohn, der tierz kons. Diese dreifache Besetzung folgt aus dem Prinzip, das in dieser Gralgeschichte die Handlung vorwärts treibt: dem Sündenfall. Das Böse ist eine naturwüchsige Kraft, der Sündenfall tritt stets von neuem ein. Die drei Prophezeiungen antworten je als verheißenes Remedium auf drei vorausgegangene Sündenereignisse: den Verrat des Judas, die Promiskuität in Josephs Gemeinde, die Anmaßung des Heuchlers Moyse. Drei verwandte Personen, die jedoch nicht durch Zeugung auseinander hervorgegangen sind, werden als Gralhüter definiert: Joseph, sein Schwager Brons und Brons Enkel, der tierz hons. Diese Einrichtung bildet eine Analogie zum nicht geschlechtlichen Wesen der göttlichen drei Personen. Die Völlendung der Heilsgeschichte vollzieht sich in drei Generationen, die lediglich durch die Männer des Geschlechts repräsentiert werden: Bron, sein Sohn, der Sohn seines Sohnes. Diese patrilinear gedachte Filiation entspricht dem /ignage-Bewußtsein, das sich, wie ich zu zeigen versuche, auch in Zeugnissen der nicht fiktionalen genealogischen Literatur Ausdruck verschafft. Ich arbeite die diesen Verwandtschaftsmustern zugeordneten Ideen Verbindungen heraus: wesentliche Momente sind dabei die Sünde (des Fleisches), an welcher die Mitglieder des auserwählten Geschlechts keinen Anteil haben dürfen, und die Initation der Auserwählten in die einzelnen Schritte des göttlichen Heilsplans, ein Wissen, das sie der Fehlbarkeit enthebt. Im Percevalroman bildet die Gralfamilie des Helden Verwandtschaft mütterlicherseits, sie tritt nicht als genealogisches Kontinuum in Erscheinung, sondern als fragmentarischer Verwandtschaftszusammenhang. Aus welchem Blickwinkel konnte sich die mütterliche Hälfte von des Helden Abstammung dergestalt darstellen? Ein Vergleich mit der Genealogie, die der Canonicus Lambert von Watterlos um 1150 von seinen Ahnen väterlicherseits und mütterlicherseits aus dem Gedächtnis rekonstruiert, zeigt, daß der väterliche lignage der Standort ist, von wo aus man die Verwandtschaft mütterlicherseits als Gemeinschaft des Geblüts erblickt. Weder die Linienbildung noch die eingeheirateten Frauen werden registriert; erinnert wird vielmehr die nobilitas des Ursprungs mütterlicherseits, betont wird der gesellschaftliche Rang des im übrigen summarisch und lückenhaft erinnerten Verwandtschaftsverbands. Percevals Verwandtschaft mütterlicherseits ist zwar die vornehmere, doch nicht das Schicksal ihrer eigenen Angehörigen überliefert die Mutter ihrem Sohn. Sie erzählt ihm vielmehr die Lebensgeschichte des Vaters und der Brüder. Das Familiengedächtnis der karolingischen Aristokratin Dhuoda, die in der Mitte des 9. Jahrhunderts ihrem fern von ihr lebenden Sohn ausschließlich die Namen seiner Vorfahren väterlicherseits überliefert, soll ein Licht auf die Situation der in die Familie des Gatten eingeheirateten Frau werfen. Chrestiens Gralheld ist als Sohn einer Mutter definiert. Die Beziehung Per256
cevals zur Mutter und den Verwandten mütterlicherseits ist nicht durch die Erbfolge, sondern durch ein affektives Problem ausgedrückt (Zerreißen der Mutterbindung, Fragehemmung). Der Sohn der Mutter ist mit einem Mangel behaftet, mit einem Sozialisationsdefizit aus der Sicht der Ritter, mit der Schuld am Tod der Mutter aus der Sicht der mütterlichen Verwandten. Deren Ansprüche an den Helden lassen sich nicht mit dem Sozialisationsprinzip vermitteln, das die Ritter und Väter im Namen der Kultur vertreten. Was ihnen Erlösung brächte, kann nicht von vorneherein gelehrt werden: Perceval hätte angesichts der mütterlichen Verwandten auf der Gralburg die richtige Frage erraten müssen, so wie er in der Begegnung mit der germainne cosine seinen Namen erriet. Als vorläufiges Ergebnis stelle ich Chrestiens und Roberts Werk auf Grund der Determinanten Sünde, Wissen, Art der Verwandtschaft einander als antagonistische Konzeptionen gegenüber: Robert de Boron: Betonung der Vertikalen, Marginalisierung der Frauen (Mütter), Sündenlosigkeit des erwählten Helden, Verfügen aller Eingeweihten über die zum Heil führende Erkenntnis; das Verhältnis des Heilsbringers zum Gralhüter ist das des Erben zum Erblasser, ein Verhältnis der Ersetzung. Chrestien deTroyes: Betonung der Horizontalen, der Konsanguinität, Marginalisierung des Vaters und der Abstammung väterlicherseits, Sündhaftigkeit, intellektuelles und soziales Defizit des Gralhelden; das Verhältnis zum Gralhüter ist ein Problem der affektiven Kommunikation, ein Beziehungsproblem. In einem Exkurs befasse ich mich mit der Datierung der Chrestien-Fortsetzungen in Versen, zunächst mit der Beweiskraft des Datengebäudes (Bei Inconnu, Wigalois), danach mit den motivgeschichtlichen Argumenten, welche dafür sprechen sollen, daß die Auffassung Roberts de Boron vom Wesen des Grals am Ende einer Reihe von Vorstellungen stehen soll, die in der Gauvainund Percevalfortsetzung gebildet wurden. Es zeigt sich jedoch, daß durch die Annahme von Motivabhängigkeiten die Verhältnisse nicht zu klären sind. Der motivgeschichtlichen Betrachtungsweise ist indessen vor allem anzulasten, daß sie die syntaktische Position, welche die konstanten und variierenden Motive innerhalb der einzelnen Romangefüge einnehmen, nicht berücksichtigt. In der Perceval-Fortsetzung ist der Eremitenonkel des Helden ein Vaterbruder. Doch die sonst einheitliche handschriftliche Überlieferung zeigt ausgerechnet an dieser Stelle Divergenzen: Für P ist der Eremit ein Vaterbruder und zugleich identisch mit dem Onkel aus Chrestiens Version. E läßt das Problem in der Schwebe. KLMQTU wissen, daß der Eremit, den Perceval bei Chrestien besuchte, ein anderer Onkel war. Wir begegnen hier einer Schwester Percevals, die höchstwahrscheinlich eine Erfindung dieser Fortsetzung ist. Doch weder die Schwester noch der Eremitenonkel scheinen etwas über den Gral zu wissen, und diese Version gibt auch keine Auskunft darüber, ob Perceval mütterlicherseits oder über den Vater mit dem Gralkönig verwandt ist. Zwar verrät eine Affektsemantik in Spurenelementen, daß Percevals Wunsch und Schwierigkeit 257
den Gral zu finden, mütterlicherseits orientiert sind, doch die Verwandtschaftsverhältnisse werden in diesem Text nur punktuell aktualisiert; sie treten wie ohne das Bewußtsein ihrer strukturierenden Möglichkeiten auf, so daß von einer Verwandtschaftskonzeption keine Rede sein kann. Der ist ein Gralroman in Prosa und einer der allerfrühesten Prosaromane überhaupt. Er wird in zwei Bearbeitungen (D und E) überliefert. Sein Herausgeber Roach hielt ihn für ein Werk Roberts de Boron, andere haben dem entschieden widersprochen. Der versucht, die inhaltlichen Implikationen von Roberts und Chrestiens Konzeptionen miteinander zu vermitteln. Anhand der signifikant unterschiedlichen Anfänge der beiden Fassungen stelle ich die Schwierigkeiten und Widersprüche dar. Dabei zeigt es sich, daß die Verwandtschaftssemantik der beiden Vorlagen im ihre Eigendynamik geltend macht: Sündhaftigkeit und Wissensdefizit, wo der Held als Sohn der Mutter definiert wird; Sündlosigkeit und Wissen um Abstammung wie Erwähltsein, wo das väterliche Geschlecht in Erscheinung tritt. Die Brüchigkeit des Harmonisierungsversuchs zeigt besonders deutlich die Rolle, die Percevals Schwester zugedacht ist: Als einem Abkömmling des väterlichen lignage kommt es ihr zu, Perceval über sein Recht auf das Gralerbe aufzuklären und ihn in seiner ritterlichen Gralsuche zu bestärken. Als Fortsetzerin der mütterlichen Rolle weiß sie, daß das Verlassen der Mutter Sünde war, daß Ritterschaft zur Sünde des Rittermordes führt, und verlangt sie, daß der Bruder bei ihr bleibe. Indem der oder die Autoren des die lignage-Struktur (Bron-Alain-Perceval) ausgestalten, schließen sie sich zwar der Richtung an, die Robert de Boron eingeschlagen hatte. Vielleicht kann mein Befund dennoch als Argument gegen die Verfasserschaft Roberts angesehen werden. Sollte jedoch Robert de Boron selbst so unsicher verfahren sein,müßte er sich in seinen eigenen Strukturen nicht mehr zurecht gefunden haben. Durch die Einführung des außenstehenden Weisen Merlin bekommt das Erkenntnisdefizit Percevals eine neue Dimension: die Welt ist für den Helden undurchschaubar, Merlin allein kennt die wahre Bedeutung der Erscheinungen. In ihrer Allwissenheit ist diese Figur zugleich der Organisator dieser ritterlichen Heilsgeschichte und der Autor der erzählten Geschichte. Unter dem Einfluß dieser gottgleichen Figur verändert sich auch das Verhältnis von Erwählung und Leistung: bevor Perceval geboren wurde, kannte Merlin schon seinen Namen. Die Perceval abverlangte Leistung besteht nicht mehr in einer Herausforderung, bei der man versagen kann, sondern in einer Reihe von zu bewältigenden Hürden, an deren Ende ihn Merlin erwartet, um ihm den Weg zum Gralkönig freizugeben. Auch der ist einer der frühen Prosaromane, zeitlich ist er wohl vor der (1225/30) anzusiedeln. Hier ist die Gralfamilie als matrilinearer Abstammungszusammenhang organisiert (Joseph von Arimathia, sein Neffe der Fischerkönig, dessen Schwestersohn Perlesvaus). Zum ersten Mal im Gange unserer Betrachtungen sehen wir die mütterliche Hälfte von des Helden Abstammung als Geschlecht gestaltet. Der über den Onkel vermittelte lignage 258
ist jedoch exakt nach dem Muster der patrilinearen Filiation gedacht. Umgekehrt wird die väterliche Seite nicht als Linien bildendes Geschlecht dargestellt, sondern als undifferenziertes Brüderkollektiv - ähnlich wie im Familiengedächtnis des Lambert von Watterlos die mütterliche Seite. Der teilt jedoch eine wichtige Gemeinsamkeit mit jenen Versionen (Chrestien, Wolfram), die den Gralhelden mütterlicherseits zum Gral in Beziehung setzen: auch hier bricht das die Gralherrschaft bedrohende Unheil nicht von außen herein, sondern es handelt sich dabei um eine innerfamiliäre Störung. Einer von Perlesvaus' Mutterbrüdern ist aus der Art geschlagen: der Rois du Chastel Mörtel überfällt seinen Bruder, den Fischerkönig, um ihm sein Erbe zu entreißen. Ein Mutterbrudersohn des Helden ermordet seine Mutter, weil sie ihn zugunsten seines jüngergeborenen Bruders enterbte. Während die entscheidenden Rivalitäten auf der Mutterseite angesiedelt sind, wird auf der väterlichen Seite die Hilfsbedürftigkeit und die verwandtschaftliche Solidarität gestaltet; ihr Inhalt allerdings ist ausschließlich die Rache. Perlesvaus heißt als Ausdeutung von des Vaters Schicksal < Verlust derTäler>, doch der Name wird umgedeutet in Par-luifet (aus sich selbst gemacht). Insofern verdankt er sich weder der Heiligkeit des lignage mütterlicherseits noch hat er Anteil am Mangel, der die Verwandtschaft väterlicherseits charakterisiert, sondern der Einzigartige ist aus dem Abstammungszusammenhang überhaupt herausgesetzt. Nicht anders als bei der Organisation der Verwandtschaftsverhältnisse praktiziert der auch eine systematische Verkehrung der überlieferten inhaltlichen Aspekte: Der Held ist nicht schuld am Tod der Mutter, denn diese bleibt am Leben; es stirbt indessen ein altersschwacher Vater. Das Problem der Sünde (Muttermord, Sünde des Fleisches) und des Erkennens wird vom erwählten Helden abgezogen und auf dessen Verwandte (Cousin, Schwester), sowie auf deren aktive ritterliche Exponenten (Gauvain und Lancelot) übertragen. Perlesvaus ist nicht Suchender, sondern Ziel der Suche der andern; nicht er verkennt seine Verwandten, sondern sie verkennen ihn. Er, der sich ständig inkognito hält, nicht der Gral wird das Hauptmysterium dieser Handlung. Schließlich wird er den Gralhüter nicht erlösen, sondern die Gralburg erobern. Zum Vergleich werden die Verhältnisse im vorgreifend exponiert. Wie im findet sich im ein groß angelegtes Verwandt1 schaftsgeflecht, denn auch die Feinde stehen in Verwandtschaftsbeziehungen. Hier wie dort ist das Verhältnis des Helden zu seinen Verwandten väterlicherseits und mütterlicherseits signifikant unterschiedlich gestaltet. Doch im heiratet man nicht. Die Verwandtschaftsbeziehung der Allianz macht in der epischen Ökonomie diese Romans eine systematische Leerstelle aus. Im bilden die gestifteten Ehen Knotenpunkte der epischen Organisation. Beziehungsstiftend ist im der Feindeshaß zwischen den verschiedenen Verwandtschaftsverbänden. Wolframs ist wahrscheinlich etwas älter als der . Wir finden in diesem Werk ein elaboriertes Verwandtschaftsgeflecht; eine Vielzahl der Verwandtschaftsbeziehungen ist nicht nur erwähnt, sondern auch gestal259
tet. Entsprechend den Gepflogenheiten des Mittelhochdeutschen unterscheidet Wolfram die Verwandten väterlicherseits und mütterlicherseits auch terminologisch; die Haltungen, welche die Figuren einander entgegenbringen, sind im Medium der Verwandtschaft ausgedrückt, und die matrilaterale Verwandtschaft, insbesondere die Beziehung Mutterbruder-Schwestersohn spielt in diesem Roman eine bedeutende Rolle. Der von Lévi-Strauss begründeten strukturalen Anthropologie zufolge bilden die Relationen Vater-Sohn, Mutterbruder-Schwestersohn, Gatte-Gattin, Bruder-Schwester ein Bündel von elementaren Beziehungen. Es ist die grundlegende Entdeckung von Lévi-Strauss, daß das Avunkulat nicht von außen zur Eltern-Kind-Relation hinzutritt, sondern daß der Mutterbruder als Frauengeber ein notwendiges Glied der elementaren Verwandtschaftsstruktur bildet. Der , der alle Typen der Verwandtschaftsbeziehung in einer prägnanten Semantik artikuliert, schien mir wie kein anderes Werk geeignet, im Lichte der strukturalen Verwandtschaftsforschung betrachtet zu werden. Anders als in den vorausgehenden Kapiteln, entfalte ich hier nicht die Romanhandlung, sondern betrachte die zur Sprache kommenden Verwandtschaftsbeziehungen synchron. Zunächst setze ich die Glieder der elementaren Verwandtschaftsstruktur zueinander in Beziehung, danach werden die für die Verwandtschaft mütterlicherseits und väterlicherseits verwendeten Termini dargestellt und die Haltungen, die deren Träger einander entgegenbringen. Es stellt sich heraus, daß die matrilateralen Verwandten der Figuren, deren Gesichtspunkt der Autor je einnimmt, der Karriere dieser Figuren förderlich sind, besonders deren Heiratschancen. Die Allianz stellt im die nächstliegende Maßnahme zur Konsolidierung der Ordnung dar und der Weg zur Gattin führt oft über die matrilateralen Verwandten. Man neigt in dieser Welt dazu, schon bestehenden Blutsverwandtschaften eine Allianzverwandtschaft zu überlagern. Dieses Phänomen versuche ich im Kontext der von Lévi-Strauss und Françoise Héritier entwickelten Systematik der Heiratsregeln zu erklären. In diesem Zusammenhang untersuche ich auch, wie die dargestellten Kinderlieben sich zur Gattenwahl der Helden verhalten. Die Heiratspraxis des zeigt, daß man weniger bedacht ist, durch Heirat neue Gruppen in den Verwandtschaftszusammenhang einzugliedern als schon bestehende Beziehungen durch die Stiftung von Allianzen zu festigen. Das macht diese Welt überschaubar, jedoch auch eng und abgeschlossen. Mit dieser Enge hängt auch die gefährdete Reproduktion des Gralgeschlechts zusammen. Dem Gralkönig wird in diesem Versroman die Gattin vom Gral vorgeschrieben. Indem Wolfram den Gralhüter einer extrem restriktiven Heiratsvorschrift unterwirft, schildert er die Heiratsregelungen der Gralsippe als prekäres System. Die , diese an merkwürdigen Episoden reiche Aventiuren-Montage, dürfte gegen 1230 entstanden sein. Einer der von ihrem Helden Gawein vollbrachten Abenteuerstränge ist wohl eher an Chrestiens Gauvainhandlung als an Wolframs Gawanbüchern orientiert. Auch der Dichter der , Heinrich von dem Türltn, unterlegt seinem Werk einen genealogischen Zusammenhang. 260
Eine integrative Funktion ist vor allem dem Zauberer Gansguoter zugedacht, der in diesem Versroman als der Geliebte von Artus' Mutter und zugleich als der Mutterbruder von Gaweins Gattin auftritt. Ihm, der drittens als Bruder der Gralträgerin erwähnt wird, kommt es zu, Artushof und Gralsphäre miteinander zu vermitteln. Gawein soll zwar seinerseits dem Gralgeschlecht entstammen, doch die Art der Verwandtschaft wird im Vagen belassen und auch dem Gralkönig kein präziser genealogischer Ort zugewiesen. Auch das Unglück des Gralhüters ist verwandtschaftlich bestimmt, doch so weit man die Andeutungen verstehen kann, hängt es mit einer Untat zusammen, die ein Verwandter Parzivals beging; Parzival hat als Held abgewirtschaftet. Die entscheidende Stellungnahme des -Dichters zum sakralen Gralmysterium besteht in der Verabschiedung des Grals auf Nimmerwiedersehen: Gawein erlöst das an diesen gebundene Personal zum Tode. Die Verwandtschaft unserer Erlöserfigur mit dem Gralhüter erscheint unterdeterminiert; dafür ist Gawein der Lebensnerv des Artushofes. Der Autor der benutzt die ihm bekannten Artusromane als Inventar von Motiven, ohne der systematischen Position Beachtung zu schenken, welche die von ihm verwendeten Themen in den vorausliegenden Gestaltungen inne hatten. Dementsprechend transportieren die von ihm geknüpften Verwandtschaftsverbindungen keine den thematischen Zusammenhang differenzierende Problematik. Die integrative Kraft des Verwandtschaftsnetzes beruht lediglich darauf, daß Verwandtschaft eben eine wesentlich relationale Kategorie ist. Zum Beispiel hat Heinrich die formalen Bedingungen von Chrestiens Symbolstruktur gekappt: nicht nur spielt Gawein alle attraktiven Rollen, somit auch Parzivals Part, er wird auch von vornherein belehrt, daß sein Abenteuer auf Schastel Mervillos darin besteht, die Frauen seiner Verwandtschaft mütterlicherseits kennenzulernen. Es zeigt sich, daß die Entleerung der Verwandtschaft von problematischem Gehalt die ästhetische Gestalt und die logische Konsistenz der von diesem Autor erzählten Geschichten affiziert. Das Thema der Passivität des Helden angesichts der Gralverwandten wird in einer Szene bearbeitet, die in keinem manifesten Zusammenhang mit dem Gralthema steht: Gaweins Passivität verdankt sich hier dem Identitätsverlust, den ein von der Geliebten verabreichter Zaubertrank bewirkte. Der Held wird mit einem Gefäß konfrontiert, das mit den Attributen des Grals ausgestattet ist, doch zugleich ist darauf Gaweins Sieg über den Vater der Geliebten abgebildet. Das säkularisierte Gralritual ist wiederum verwandtschaftlich determiniert, doch Gawein versagt nicht vor einem Verwandten, sondern angesichts seiner auf dem Gefäß eingravierten Heldentat erlangt er das Bewußtsein seiner selbst. In der erscheinen die Beziehungen der Blutsverwandtschaft ständig in sexuellen Bezügen und die erotischen in denen der Verwandtschaft: der Onkel ist ein Liebhaber, die als Großmutter und Mutterschwester in Erscheinung tretende Mutter des Königs Artus eine Geliebte, die Geliebte des Helden könnte ebenso gut deren Schwester oder gar die eigene Schwester sein. Dort wo Heinrich das Minne-Thema ausbildet, bedarf die amouröse Beziehung der 261
Stimulierung durch den familiären Raum; umgekehrt lebt die Beziehung des Helden zu den Frauen seiner Verwandtschaft davon, daß swester, muoter, muome, ane, geswie allesamt als Decknamen für amie gelten können. Die steht als Prosaroman in einem gewaltig umfangreichen Gefüge aus mehreren Prosaromanen. Fragmente einer Übersetzung des Lancelot-Teiles ins Deutsche liegen schon im 13. Jahrhundert vor. Vielleicht ist der deutsche Prosa-Lancelot (bestehend aus Lancelot, Queste und Mort Artu), überliefert in Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts, ein Übersetzungswerk aus der Zeit der staufischen Klassik. Ich zitiere, besonders dort, wo es um Verwandtschaftsbezeichnungen geht, auch die deutschen Textstücke, doch wird die Problematik am französischen Original verhandelt. Held dieser Branche des Vulgatazyklus ist Galahad, der Sohn Lancelots. Galahads Abstammung mütterlicherseits, die Verwandtschaft mit den Gralhütern, ist widersprüchlich und diffus, denn das Gralkönigtum wird durch drei Personen, den König Pelles, den Roi Pescheor und den Roí Mehaignié repräsentiert. Wie sich die drei zueinander verhalten, weiß die nicht. Auch Perceval gehört der Gralverwandtschaft an, doch auch seine Beziehung zu den Gralhütern läßt sich nicht exakt bestimmen. Väterlicherseits wird Galahad vom König David und den ersten durch Joseph von Arimathia christianisierten Königen abgeleitet. Auch seine Abstammung von Joseph von Arimathia wird erwähnt, doch nicht expliziert. Der allem Anschein nach später entstandenen zufolge ist Joseph von Arimathia der Begründer von Galahads mütterlicher Linie. Doch der deutlich auf die hin angelegte leitet schon Lancelots Vorfahren väterlicherseits von ihm ab. Wir dürfen somit annehmen, daß die alle Namen, die den Ursprung Galahads heilsgeschichtlich determinieren, väterlicherseits situiert. Die Vagheiten und Widersprüche hinsichtlich der Verwandtschaftsverhältnisse hängen gewiß mit der Entstehungsgeschichte des Vulgatazyklus zusammen. Doch ihnen entspricht, daß die zwar an der genealogischen Vermittlung des auserwählten Helden mit den heiligen Ursprüngen (Haus David, Gralhüter) festhält, daß sie jedoch für die weltlichen Verwandtschaftsbeziehungen nicht mehr genügend Interesse aufbringt, um die Beziehung zwischen Gralkönig und Gralheld zu einer realistischen Genealogie auszuarbeiten. Denn die hebt die Verbindlichkeit der weltlichen Verwandtschaft zugunsten eines geistlichen Verwandtschaftssystems auf. Der ritterliche Gralroman ist hier völlig zur geistlichen Allegorese geworden. Es geht um eine himmlische Ritterschaft, um eine Elite innerhalb der Getauften. An die Stelle des weltlichen Geburtsadels tritt eine geistliche Verdienstmoral. Den Verzicht der geistlichen Ritter auf weltliche Annehmlichkeiten in der Nachfolge Christi drückt die durch die Negation der Verwandtschaft secundum carnem aus. Drei Ritter sind dazu ausersehen, die Suche nach dem Gral zu vollenden: der erste, Perceval, erwirbt diese Gnade, indem er seine Mutter verläßt, um in Gott, dem guten Hirten, den mütterlichen Vater und in der heiligen Kirche seine geistliche Mutter zu finden. Der zweite, Bohort, muß um Gottes willen seinen leiblichen Bruder in Lebensgefahr im 262
Stich lassen. Der dritte Ritter ist Galahad, der neue, ritterliche «Christus»; aber das Interesse liegt auf Lancelot, der einmal der berühmteste Ritter und der am hingebungsvollsten Liebende der ganzen Artusliteratur war. Er muß erfahren, daß der Glanz seiner chevalerie terrienne vor Gott nichts gilt, daß er sich gegenüber dem himmlischen Vater nicht als Sohn, sondern als Stiefsohn (fillastre) betragen hat, und vor allem, daß Gott als unbestechlicher Richter es ihm keineswegs zugute hält, daß er der Vater des begnadeten Galahad ist. Eingeführt ist auch eine Schwester Percevals. Sie ist indessen Galahad zugeordnet und diese Beziehung wird in einer Szene als geistliches Gegenbild zur LancelotGinevra-Begegnung im gestaltet. Als Figur der Jungfräulichkeit wird diese Gestalt hoch gelobt, als weibliche Kreatur jedoch in sadistischer, blind bleibender Motivik zu Tode gebracht. Während die Beziehung zu Mutter, Vater, Bruder ohne weiteres durch die geistliche Verwandtschaft (Kirche, Gott, Gefährte in Christo) ersetzt werden kann, bleibt die Spiritualisierung der Schwesterrelation seltsam unprägnant. Zum Schluß vergleiche ich die von der praktizierte Kritik am Abstammungsprivileg mit dem emphatischen Verwandtschaftsbegriff, der sich in Wolframs Ausdruck verschafft. Die verurteilt die Bevorteilung auf Grund der Geburt im Namen der Gerechtigkeit: unrecht wäre es, wenn der Sohn für die Verbrechen des Vaters zur Rechenschaft gezogen würde. Ein Gott, der umgekehrt auf Grund einer Verwandtschaftsbeziehung Gnade vor Recht ergehen ließe, wäre ein bestechlicher Richter. Auch Wolfram kritisiert das Abstammungsprivileg, jedoch aus der Sicht der von der Verwandtschaft Ausgeschlossenen, und im Namen der Liebe: Es schmerzt den Christen, wenn diejenigen, welche der durch die Taufe verliehenen Gotteskindschaft nicht teilhaftig sind, deswegen zum ewigen Tod verdammt sein sollen. Die Aufhebung des Privilegiums der Geburt, die Kritik am sich selbst evidenten Verwandtschaftsbegriff, enthält gewiß ein emanzipatorisches Moment. Es bedeutet, daß sich die bessere Wahrheit begründen muß und daß das Subjekt sich frei für sie entscheiden kann. Doch die Fortschrittlichkeit der birgt einen Teufelsfuß: sie weiß sich im Besitz einer Metaphysik, die es ihr erlaubt, vermittels der auftretenden Priester und Eremiten den Standpunkt Gottes darzulegen. Von ihm aus kann begründet werden, warum diejenigen, welche immer noch am überwundenen Zustand festhalten, getötet und verdammt werden dürfen. Formal bedeutet die von der vertretene Eigenverantwortlichkeit des Subjekts einen Fortschritt, inhaltlich fällt dieses Werk auf die Ethik des Rolandslieds zurück.
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