Emotion und Expression: Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12. - 16. Jahrhunderts 9783110914061, 9783110185256

The forms of expression of the emotions in medieval literature are subject to different social, communicative and aesthe

183 81 12MB

German Pages 368 [372] Year 2006

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Emotion und Expression: Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12. - 16. Jahrhunderts
 9783110914061, 9783110185256

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Jutta Eming Emotion und Expression

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Werner Röcke

39 (273)

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Emotion und Expression Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12.-16. Jahrhunderts

von

Jutta Eming

W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gedruckt mit Unterstützung des Sonderforschungsbereichs ,Kulturen des Performativen'.

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN-13: 978-3-11-018525-6 ISBN-10: 3-11-018525-3 ISSN 0946-9419 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Copyright 2006 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2003/4 vom Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin als Habilitationsschrift angenommen. Für die Drucklegung wurde sie überarbeitet, neue Forschungsliteratur konnte dafür nur noch teilweise berücksichtigt werden. Für Unterstützung und Anregung schulde ich vielfaltigen Dank, den ich an dieser Stelle nur zu gerne entrichte: Ingrid Kasten hat die Untersuchung nicht nur in allen ihren Phasen mit äußerst hilfreicher Kritik gefördert, sie eröffnete mir auch die Möglichkeit, sie seit 1999 im Rahmen ihres Projekts „Emotionalität in der Literatur des Mittelalters" im damals neu gegründeten Berliner Sonderforschungsbereich Kulturen des Performativeη und damit in einer so anregenden wie angenehmen Arbeitsatmosphäre zu verfertigen. In Elke Koch hatte ich eine kompetente Kollegin und Freundin, die immer wieder emotionstheoretische Probleme mit mir erörtert und den Verlauf meiner Arbeit aufs Gründlichste begleitet hat. Durch Hans-Jürgen Bachorski bin ich auf die Gattung des Liebes- und Abenteuerromans aufmerksam geworden, mit ihm sowie mit meinem Freund Burghard Damerau, die beide während meiner Arbeit an der Habilitationsschrift verstorben sind, wird sie für mich immer verbunden sein. Werner Röcke hat als einer der besten Kenner der Gattung mein Vorhaben nicht nur mit Interesse verfolgt, sondern war auch so großzügig, manche abweichende Sicht gelten zu lassen. Martin Baisch und Maria E. Müller haben das Manuskript in seinen frühen Phasen Korrektur gelesen und dazu hilfreiche Kommentare gegeben. In Johannes Trauisen hatte ich eine zuverlässige und professionelle Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage. Ganz besonders danke ich meinem Mann Bill C. Ray und unserem Sohn Julian, deren unerschütterliche gute Laune auch in Phasen größter Belastung mich über den gesamten Zeitraum der Arbeit an diesem Projekt emotional stabilisiert hat. Berlin, im März 2006

Jutta Eming

Inhalt 1.

Einleitung

2. Emotionalität im Liebes- und Abenteuerroman als Problem der Forschung 2.1 Zusammenfassung des Forschungsüberblicks und Fragestellungen 2.2 Die Textauswahl 3. Emotion und Expression 3.1 Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik 3.2 Emotion und Expression in emotionstheoretischer Perspektive 3.3 Codierung von Emotionen 3.4 Zusammenfassung zum emotionstheoretischen Ansatz der Untersuchung 4.

Inszenierung, Ritualisierung, Performativität. Paradigmen für die Analyse des Liebes- und Abenteuerromans 4.1 Inszenierung 4.2 Ritualisierung 4.3 Performativität 4.4. Parameter der diachronen Romananalysen

1

8 23 26 31 32 53 64 75

78 80 92 112 120

5. Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FloreRomanen des Hochmittelalters 122 5.1 Forschungsüberblick 122 5.2 Die Inszenierung des Erzählens im Prolog des F.Join 126 5.3 Der Beginn der Kinderliebe und die Untrüglichkeit der Körperzeichen.... 130 5.4 Zorn und Kalkül 136 5.5 Die religiöse Überformung der ritualisierten Gefählskultur 141 5.6 Das Grabmal 144 5.7 Die Fahrt in den Orient oder die Unfähigkeit zur Verstellung 152 5.8 Die Täuschung des Turmwächters 156 5.9 Emotionale Affizierung als Kulturtransformation 161 5.10 Ergebnisse 166 6. Rückzug in den Körper-Raum. Die Modellierung des Gefühlsausdrucks in den Partonopier-Romwzn 169 6.1 Forschungsüberblick 170 6.2 Angsterzeugung und Angstbewältigung auf Partonopiers Weg zu Meliur. 176

Inhalt

VIII 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8

Die Inszenierung des Begehrens 184 Zur Codierung von Emotionen im familial-gesellschaftlichen Verband... 190 Das Scheitern der Inszenierung 201 Trauer und Melancholie 218 Irekel oder die Koordinierung von Öffentlichkeit und heimlichkeit 225 Ergebnisse 237

7. Dissimulation von Emotionen und Introjektion der Krise in Florio und Bianceffora 240 7.1 Forschungsüberblick 7.2 Ubiquität der Inszenierungen 7.3 Das Grabmal und die Rolle der Öffentlichkeit 7.4 Die Umcodierung von Emotion und Expression 7.5 Strukturmuster introjizierter Konfliktbewältigung 7.6 Durchschauen und Durchschaut werden 7.7 Geschlechtsspezifische Muster der Konfliktbewältigung 7.8 Liebe in Zeiten des Misstrauens 7.9 Die Obszönität der Öffentlichkeit 7.10 Gefährdete Körper 7.11 Ergebnisse

8. Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona 8.1 Forschungsüberblick 8.2 Aspekte protestantischer Gefühlsnormierung 8.3 Gerücht und Geheimnis 8.4 Außen und Innen bei der Entstehung der Liebe 8.5 Begehren und Versagen 8.6 Der Zwangsmechanismus der Verstellung 8.7 Die Logik des Verhängnisses 8.8 Die religiöse Überformung der ritualisierten Gefühlskultur 8.9 Christlich fundierte Emotionalität als Zielpunkt 8.10 Ergebnisse

9. Emotionsgeschichtliche Perspektiven

243 245 247 252 258 261 264 271 276 279 285

287 288 291 293 298 301 308 311 314 322 324

328

Literaturverzeichnis

335

1. 2.

335 337

Quellen Forschungsliteratur

Register

363

1. Einleitung Wenige Aspekte der mittelalterlichen Literatur erzeugen bei ihren heutigen Rezipienten stärkeres Befremden und größere Faszination als die konventionalisierten Formen, in denen geliebt, getrauert, gezürnt, Rache genommen und Freude bekundet wird. Um die Fragen, was Kriemhilds Rache motiviert, ob in der Lyrik ein Gefühl als Rolle inszeniert wird und warum die Twfo«-Minne mit dem Liebestrank eines äußeren Auslösers bedarf, ranken sich lange Forschungsdebatten. Ihr Ziel liegt darin, die Historizität der Darstellungsformen zu erklären.1 Denn ,Emotionen', wie Liebe und Hass, Trauer und Zorn, weichen ebenso wie .Expressionen', die Modalitäten, in denen sie kommuniziert werden,2 von Darstellungsmustern der modernen Literatur in signifikanter Weise ab. Figuren mittelalterlicher Literatur scheinen exzessiver zu trauern, derber zu lachen und konventioneller zu lieben als die Protagonisten der Moderne, ihre Emotionen wirken ,roher' und undifferenzierter und dennoch in hohem Maße normiert, standardisiert und objektiviert. Konventionen der Emotionsdarstellung gehören für die Mediävistik deshalb zu den wichtigsten Indikatoren der Alterität mittelalterlicher Literatur. Zugleich haben sie wie kaum ein anderer Gegenstand dazu geführt, dass Erkenntnisinteresse und literaturwissenschaftliche Methodik bei der Erforschung mittelalterlicher Literatur immer neu reflektiert werden. Untersuchungen zu Emotionalität in der mittelalterlichen Literatur gab es bis vor kurzem jedoch beinahe nur avant la lettre, als eigener mediävistischer Schwerpunkt ist Emotionalitätsforschung buchstäblich erst im Begriff, sich zu etablieren. Um literarische Darstellungen von Emotionen im weitesten Sinne zu analysieren, wurde in der Mediävistik in den letzten Jahrzehnten vielmehr auf die Fragestellungen einer Vielzahl benachbarter 1

2

Vgl. zum Nibehmgmitd die Einleitung von JAN-DIRK MÜLLER: Spiekegeln fur den Untergang. Die Welt des Nibe/rnigenluda, Tübingen 1998, S. Iff., zur Kontroverse um den Minnetrank CHRISTOPH HUBER: Gottfried von Straßburg. Tristan, Berlin 2001, S. 73-85, zur Minnelyrik KLAUS GRUBMÜLLER: Ich als Rolle. „Subjektivität" als höfische Kategorie im Minnesang? In: GERT KAISER, JAN-Dnuc MÜLLER (Hg.): Höfische Literatur - Hofgesellschaft: - höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, Düsseldorf 1986, S. 187-408; HARALD HAFERLAND: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone, Berlin 2000. Diese vorläufige Definition dessen, was der Begriff . E x p r e s s i o n ' umfasst, wird im 3. Kapitel differenziert.

2

Einleitung

Disziplinen rekurriert. Zu ihnen zählen Sozialgeschichte und Philosophie,3 Psychoanalyse und Zivilisationstheorie, Mentalitätengeschichte, Historische Anthropologie, Genderforschung und Historische Psychologie.4 Die Forschung, die in diesem Zusammenhang allein zum Komplex ,Liebe und Sexualität in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit' entstanden ist, lässt sich kaum noch überblicken. Allerdings haben auch eine Reihe theoretischer und methodischer Probleme Konturen gewonnen. Lassen die Emotionen von Menschen aus früheren Epochen sich überhaupt rekonstruieren? Diese schon seit längerem skeptisch beantwortete Frage5 hat in letzter Zeit durch Forschungen zur Medialität mittelalterlicher Literatur neue Impulse bekommen. Wird dabei unter einem Medium mit ROLAND POSNER ein ,System von Mitteln fur die Produktion, Distribution und Rezeption von Zeichen' verstanden,6 so

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4

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6

S o a r g u m e n t i e r e n P E T E R C Z E R W I N S K I u n d H U B E R T U S F I S C H E R f ü r mime

u n d ere m i t d e r g e -

schichtsphilosophischen Konzeption Hegels. Vgl. PETER CZERWINSKI: Das Nibelungenlied. Widersprüche höfischer Gewaltreglementierung. In: WINFRIED FREY u.a. (Hg.): Einfuhrung in die deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts. Bd. 1: Adel und Hof - 12./13. Jahrhundert, Opladen 1979, S. 49-87; HUBERTUS FISCHER: Ehre, Hof und Abenteuer in Hartmanns Jvein. Vorarbeiten zu einer historischen Poetik, München 1983. Vgl. dazu die Überblicksdarstellungen bei CHRISTIAN KLENING: Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur. Konzepte, Ansätze, Perspektiven. In: HANS-JOCHEN SCHIEWER (Hg.): Forschungsberichte zur Germanistischen Mediävistik 5/1, Bern u. a. 1996 (Jahrbuch für Internationale Germanistik C/5), S. 11-129; URSULA PETERS: Historische Anthropologie und mittelalterliche Literatur. Schwerpunkte einer interdisziplinären Forschungsdiskussion. In: JOHANNES JANOTA (Hg.): FS Walter Haug und Burghart Wachinger. Bd. 1, Tübingen 1992, S. 63-86; dies.: Zwischen New Historicism und Gender-Forschung. Neue Wege der älteren Germanistik. In: DVjs 1997 (71), S. 363-396. VgJ. etwa HANS-JÜRGEN BACHORSKI in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Bandes: Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Trier 1991 (LIR 1), S. 9-24, hier S. lOf. In zwei programmatischen Aufsätzen von LUCIEN FEB VRE und PETER DINZELBACHER wird zwischen den realen Emotionen von historischen Menschen und der Darstellung von Emotionen in der Literatur nicht hinreichend unterschieden. Vgl. LUCHEN FEB VRE: Sensibilität und Geschichte. Zugänge zum Gefühlsleben früherer Epochen. In: M. BLOCH U. a.: Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse. Hg. v. CLAUDIA HONEGGER, Frankfurt a. M. 1977, S. 313334; PETER DINZELBACHER: Gefühl und Gesellschaft im Mittelalter. Vorschläge zu einer emotionsgeschichtlichen Darstellung des hochmittelalterlichen Umbruchs. In: KAISER, MOLLER, S. 213-241. Vgl. ROLAND POSNER: Zur Systematik der Beschreibung verbaler und nonverbaler Kommunikation. Semiotik als Propädeutik der Medienanalyse. In: HANS-GEORG BOSSHARDT (Hg.): Perspektiven auf Sprache. Interdisziplinäre Beiträge zum Gedenken an Hans Hörmann, Berlin/New York 1968, S. 267-313, hier S. 293; HORST WENZEL: Medien- und Kommunikationstheotie/Altere deutsche Literatur. In: CLAUDIA BENTHIEN, HANS-RUDOLF VELTEN (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Hieoriekonzepte. Reinbek 2002, S. 125-151, hier S. 129. Es sei allerdings daraufhingewiesen, dass diese ältere Definition einigen Medientheoretikern insofern als Reduktion gilt, als sie den pragmatischen Kontext, den Medien-Gebrauch, ebenso außer acht lässt wie den ,Eigensinn' der Medien, ihre Beschaffenheit, welche die zu vermittelnde Information selbst prägt Vgl. zu diesen Aspekten PETER MATUSSEK:

Einleitung

3

lässt sich 2unächst festhalten, dass die Emotionen früherer Epochen ebenso wie heute nur vermittelt zugänglich sind, durch Körper-, Sprachund Schriftzeichen. Diese Zeichenhafügkeit stellt sich in unterschiedlichen Epochen unterschiedlich dar. Dass Emotionen in der mittelalterlichen Kultur in besonderem Maße an den Körper gebunden sind, schließen wir aus Schilderungen des körpersprachlichen Gefuhlsausdrucks in Sprache und Schrift, wie sie in Handschriften und Drucken überliefert sind und dabei eigenen, vom jeweiligen Zielpublikum abhängigen Konventionen unterliegen, welche durch Illustrationen ergänzt oder kontrastiert werden können. Die Emotionen des mittelalterlichen Menschen wie die historischer Individuen überhaupt treten dem modernen Rezipienten also nur in vielfältigen medialen Brechungen entgegen, die Emotionalität je unterschiedlich repräsentieren und stilisieren. Diese Tatsache, dass historische Emotionen nie anders als medial .greifbar' werden, ist methodisch nicht zu hintergehen. Literaturwissenschaftlich lässt sie sich jedoch produktiv wenden und in eine Analyse historischer Darstellungsmuster umsetzen. Dafür sind unterschiedliche Stilisierungstechniken wie — zum Beispiel — Gattungsmuster, körpersprachliche Konventionen, Diskursformen oder rhetorische Strategien zu differenzieren. Die Chancen und Aufgaben einer literaturgeschichtlichen Emotionsforschung sind damit nicht darin zu sehen, Belegstellen für historische Emotionen zu liefern, sondern historische Formen ihrer literarischen Codierung und Ästhetisierung herauszuarbeiten. Aus vielen mediävistischen Studien wird allerdings als weiteres Problem ersichtlich, dass weder für die differenziert dargestellten emotionalen Zustände, Prozesse oder Konflikte in literarischen Texten ein adäquates Analyse-Instrumentarium zur Verfügung steht, noch für die Ebene ihrer konventionalisierten literarischen Darstellung. Die Kategorie Effekt' lässt sich zwar durch historische Affektenlehren theoretisch fundieren, doch sie erfasst nur einen Teilbereich dessen, was der Begriff Emotionalität einschließt sowie davon - und dies ist der gewichtigere Vorbehalt - , was mittelalterliche Texte an emotionalen Zuständen schildern.7 Vielfach wird auf die Kategorien von ,Trieb' und ^Affekt' in der Prägung durch NORBERT ELIAS rekurriert, oder es wird, wo konfliktreiche Liebesbeziehungen

7

Mediale Praktiken. Ein Arbeitsfeld kulturwissenschaftlicher Forschung und Lehre. In: HARTMUT BÖHME, PETER MATUSSEK, LOTHAR MÜLLER: Orientierung Kulturwissenschaft. Reinbek bei Hamburg 2000, S. 179-202; SYBILLE KRÄMER: Sprache - Stimme - Schrift: Sieben Thesen über Performativität als Medialität. In: ERIKA FISCHER-LICHTE, DORIS KOLESCH (Hg.): Kulturen des Performariven (Paragrana 7/1 1998), S. 33-57 und den Oberblick im Artikel .Medien' von HELMUT SCHANZE. Ι α HELMUT SCHANZE, SUSANNE PÜTZ (Hg.): Metzler-Lexikon Medientheorie - Medienwissenschaft: Ansätze - Personen - Grundbegriffe, Stuttgart/Weimar 2002, S. 199-201. VgL dazu ausführlich das Kapitel .Emotion und Expression'.

4

Einleitung

im Mittelpunkt stehen, danach gefragt, ob sich ein amour passion im Sinne der systemtheoretischen Definition von NlKLAS LUHMANN abzeichnet.8 Wie unzureichend letztere Kategorien jedoch sind, zeigt sich in diachron angelegten Untersuchungen, die regelmäßig zu dem Ergebnis kommen, dass eine zunehmende ,Affektkontrolle' und sukzessive Ausbildung des amour passion zu beobachten sei.9 Dass über die wesentlichen Entwicklungen in der Darstellung von Emotionalität zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert nicht mehr und Genaueres zu sagen sein sollte, ist ein wenig befriedigendes und angesichts des Komplexitätsgrades der Texte nicht überzeugendes Ergebnis. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang auch, dass als implizites Telos der beschriebenen Veränderungen vielfach die Psychologie des bürgerlichen Individuums angesetzt wird, ein Zielpunkt, den auch ELIAS angenommen hatte, der die emotionalen Konzepte der mittelalterlichen Texte jedoch in die Perspektive eines ,noch nicht' rücken lässt. Es ist mithin zu fragen, wie sich ein mit verschiedenen psychischen Instanzen ausgestattetes Individuum in der Literatur der Moderne als Produkt einer historischen Entwicklung begreifen und zugleich ein in anderer Weise komplex handelndes und fühlendes Subjekt in der Literatur des Mittelalters als ein Ausgangspunkt konzeptualisieren lässt. Eine dritte Schwierigkeit resultiert schließlich aus dem hermeneutischen Problem, die Darstellung von Emotionalität in historischen Texten einerseits unter Absehung von modernen Codes zur Angemessenheit des Gefühlsausdrucks und andererseits von überkommenen Epochenkonzepten zu analysieren. Zwar wurde weitgehend Konsens darüber erzielt, dass Phänomene wie der formalisierte Liebesdiskurs der Lyrik, die Legitimität von Rache und Zorn in der Heldenepik oder der Konnex von Komik und Aggression in der Schwankdichtung nur in kritischer Distanz zu den Voraussetzungen des modernen Gefühlsdiskurses zu verstehen sind. Unter der Moderne wird jedoch noch viel zu häufig eine im 18. Jahrhundert einsetzende Epoche verstanden, zu deren wichtigsten Parametern Vorstellungen von der .Spontaneität' und »Authentizität' des Gefuhlsausdrucks und der .Psychologie' des Individuums gehören, Konzepten also, die an die (Selbst-) Konstituierung des neuzeitlichen Subjekts gebunden sind und auf literarische Gestalten des Mittelalters deshalb nicht bezogen werden sollten, weil diesen keine individuellen und subjektiven, sondern 8 9

Vgl. NORBERT ELLAS: Ober den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde, Frankfurt a. M. 1981»; NLKLAS LUHMANN: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. Μ. 19844. Vgl. zuletzt MANUEL BRAUN: Ehe, Liebe, Freundschaft Semantik der Vergesellschaftung im frühneuhochdeutschen Prosaroman, Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 60), der an frühere Forschungen anknüpft.

Einleitung

5

paradigmatische Emotionen zugeschrieben würden.10 Solchen Vorstellungen ist eine Grundprämisse der modernen Emotionsforschung entgegenzuhalten, der zufolge Emotionen gleich welcher Epoche zwar spontan, aber niemals rein ,privat' oder .subjektiv' und deshalb ,authentisch' sind, sondern gesellschaftlichen Modellen und Normen folgen. Es ist jedoch auch an neue Untersuchungen zur Rolle von Emotionalität in der politischen Kommunikation des Mittelalters zu erinnern sowie an Studien zu Körperinszenierungen in der höfischen Kultur, die Praktiken des kontrollierten, strategischen und simulierten Gefühlsausdrucks profilieren, welche mit der archaisierenden Vorstellung, wie sie vor allem in Anschluss an E L I A S vertreten wurde, nicht mehr zu vereinbaren ist, dass die mittelalterliche Literatur im Wesentlichen eine Reihe wenig ausdifferenzierter E f fekte' darstelle.11 Die vorliegende Untersuchung versteht sich als Versuch, mit der Analyse von Gefuhlsdarstellungen in der methodischen Verklammerung von .Emotion und Expression' den skizzierten Problemen zu begegnen. Ihren Gegenstand bilden hoch- und spätmittelalterliche Texte aus dem Bereich des Liebes- und Abenteuerromans, einer Gattung, in der Emotionen einen ubiquitären Status haben und in der sie zudem in einer Form stilisiert werden, die gegenüber modernen Konventionen des Gefühlsausdrucks als .theatralisch' erscheint. Um diese ,Theatralität' zu erfassen und die Relation von Emotion und Expression zugleich zu präzisieren, werden den Textanalysen die Begriffe der Inszenierung, Ritualisierung und Performativität zugrunde gelegt, die der Theaterwissenschaft und Theorien der Performativität entlehnt sind. Mit diesen Kategorien lassen sich nicht nur literarische Strategien der Codierung und Ästhetisierung von Emotionen erfassen. Sie machen zugleich produktive, handlungsrelevante und kommunikative Potentiale des Gefühlsausdrucks deutlich, welche für die Analyse literarischer, namentlich mittelalterlicher Texte, neue Perspektiven eröffnen. Aus Funktionsanalysen zu Liebes- und Abenteuerromanen geht zum Beispiel hervor, dass die Form, in der eine Figur ihre Emotionen ausdrückt, Indiz ist für ihren Stand, für ihr Alter, für ihr Geschlecht oder für ihr Verhältnis zur Gemeinschaft. Die Expression der Emotion kann je nach Situation Beziehungen stiften, bestätigen oder widerrufen, Krisen auslösen oder Konflikte beilegen und in interpersonalen ebenso wie in politischen Kontexten wirksam werden. Im Folgenden wird dies als das 10

11

Einen Überblick über die Entwicklung abendländischer Gefühlskonzepte gibt HARTMUT BÖHME: Gefühl. In: CHRISTOPH WULF (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997, S. 525-548; vgl. zur Erneuerung der Kritik an einer .Psychologisierung' MÜLLER, S. 201 ff. Dieser Zusammenhang wird im 3. Kapitel erläutert.

6

Einleitung

performative Potential des Gefühlsausdrucks begriffen. Dem Gefühlsausdruck eignet ein kommunikatives Vermögen, das wirklichkeitsverändernde oder: performative Leistungen übernimmt. Die Textanalysen dieser Untersuchung können davon nur einen begrenzten Einblick geben. Die methodische Verknüpfung von Performativität und Emotionalität lässt am Liebes- und Abenteuerroman jedoch exemplarisch Konventionen der Vergesellschaftung, der sozialen Interaktion und der Identitätskonstitution in der mittelalterlichen Kultur transparent werden. Mit der Gattung des Liebes- und Abenteuerromans verbindet sich ferner der Vorteil, dass sie Möglichkeiten der diachronen Textanalyse und damit Voraussetzungen dafür bietet, nach der Entwicklung von Emotionsdarstellungen zu fragen. Denn die Gattung basiert auf einem Erzählschema, das in unterschiedlichen Vertretern vom 12. bis 16. Jahrhundert immer wieder aufgegriffen wird, dabei für Abweichungen und Bearbeitungen aber offen ist. Gerade in Textreihen, in denen ein plot vom Hochbis zum Spätmittelalter wiederholt bearbeitet wird, ist das Verhältnis von Schema und Variation leicht zu identifizieren und schafft damit für emotionsgeschichtliche Fragestellungen Anschlussmöglichkeiten. Die verbreitete Vorstellung, dass Gefühle zunächst unmittelbar am Körper zum Vorschein kommen, um dann historisch allmählich kontrolliert und internalisiert zu werden,12 erweist sich angesichts der konstanten expressiven Gefuhlskultur der Romane dabei schon auf den ersten Blick als revisionsbedürftig. Emotionen werden in den Bearbeitungen des Hochmittelalters nicht grundsätzlich spontan und .authentisch' am Körper sichtbar gemacht, um im Spätmittelalter zunehmend als .Innerlichkeit' konzipiert zu werden. Emotionen sind in den Texten des 12. und 13. Jahrhunderts auch keine überindividuellen, an gesellschaftlichen Normen orientierte Größen, die dann in den Texten des 15. und 16. Jahrhunderts gegenüber den Anforderungen der Gesellschaft allmählich autonom gesetzt würden. Was sich jedoch beobachten lässt, sind Verschiebungen in den Konventionen, nach denen Emotionen am Körper lesbar gemacht oder mittels kultureller Techniken verborgen werden. Der Körper wird als Medium des Gefuhlsausdrucks auf dem Weg zur Neuzeit scheinbar marginalisiert, doch gleichzeitig wird er zum wichtigsten Instrument, um veränderte Konventionen emotionaler Expressivität zu regulieren. Schließlich ist den Texten eingeschrieben, dass diese Verschiebungen auf einen veränderten Geltungsanspruch der Öffentlichkeit zurückzuführen sind.

12

Diese Vorstellung erläutern CLAUDIA BENTHIEN, ANNE FLE1G und INGRID KASTEN in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Bandes: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, Köln/Weimar/Wien 2000 (Literatur - Kultur - Geschlecht 16), S. 7-20, hier S. llff.

Einleitung

Der Untersuchung liegt folgender Aufbau zugrunde: Im anschließenden 2. Kapitel wird die Forschungsgeschichte des Liebes- und Abenteuerromans erläutert, aus der sich die zentralen Fragestellungen der Arbeit ergeben. Darüber hinaus wird die Textauswahl begründet. Im 3. Kapitel werden die emotionstheoretischen Grundlagen der Arbeit geklärt, um im 4. Kapitel Inszenierung, Ritualisierung und Performatdvität als Paradigmen von Emotionalität des Liebes- und Abenteuerromans zu erläutern. Diese Paradigmen kennzeichnen die Gattung grundsätzlich, geben jedoch auch Fragestellungen für die diachrone Analyse vor. Es folgen vier Kapitel mit Interpretationen ausgewählter Romane. Trotz der notwendigen Eingrenzung des Gegenstandsbereiches verbindet sich mit der Untersuchung ein exemplarischer Anspruch. Sie versteht sich als Beitrag zu einer Geschichte der Emotionen in der europäischen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Dieser vor einiger Zeit neu konstituierte Forschungszweig unterscheidet sich von früheren Ansätzen durch seine explizit emotionstheoretische Perspektive, die im Rekurs auf differierende Theorien und Modelle von Emotionalität an unterschiedlichen Literaturen, Gattungen, Texten und systematischen Aspekten zu erproben ist.13 Sie verspricht, über Grenzen und Aporien der theoretischen Ansätze, die in der mediävistischen Literaturwissenschaft bislang zur Erforschung historischer Emotionalität herangezogen wurden, hinauszugehen.

13

VgL dazu insbesondere den Band von BENTHIEN, FLEIG, KASTEN; ferner INGRID KASTEN, GESA STEDMANN, MARGARETE ZIMMERMANN (Hg.): Kulturen der Gefühle in Mittelalter und

Früher Neuzeit, Stuttgart/Weimar 2002 (QUEREfJ.FJ 7); C. STEPHEN JAEGER, INGRID KASTEN (Hg.): Codierungen von Emotionen im Mittelalter/Emotions and Sensibilities in the Middle Ages. Redaktionelle Mitarbeit/Editorial Assistance HENDRIKJE HAUFE, ANDREA SIEBER, Berlin/New York 2003 (Trends in Medieval Philology 1); LiLi 138 (2005): Emotionen. Hg. von WOLFGANG HAUBRICHS.

2. Emotionalität im Liebes- und Abenteuerroman als Problem der Forschung Der mittelalterliche Liebes- und Abenteuerroman scheint vom „Interesse an literarischer Auseinandersetzung mit dem menschlichen Gefühlsleben"1 gleich in zweifacher Hinsicht geprägt. Zum einen ist einer verbreiteten Auffassung nach die „Welt der Gefühle [...] der eigentliche Handlungsraum dieser Romane",2 und bestimmt die in ihnen vertretenen Normen und Werthaltungen. Auf der Handlungsebene neigten die Figuren deshalb dazu, ,Ehe, Vernunft und Moral, Herkunft und Sozialstatus, selbst ihr Leben dem Gefühl'3 unterzuordnen. Zum anderen gilt der Ausdruck der Emotionen als Spezifikum der Gattung. Dabei wird den Romanen mal eine „süße, zierlich-sentimentale Leichtheit" der Darstellung attestiert,4 mal scheinen Emotionen auch „zu bloßen Gebärden" zu „verblassen"5, wirken „undifferenziert und stereotyp"6 und „auf ,sympathetische Identifikation' angelegt".7 Der ironische Kommentar zum Partonopeu de Blois, dass „selten mehr als 300 Verse [vergehen], ehe nicht erneut jemand traurig ist, seufzt, weint, vor Schmerz die Haare rauft oder gar mehrmals hintereinander in Ohnmacht fällt",8 entspricht der Sicht auf die Gattung generell. Beide Aspekte, das Primat von Emotionen und der 1

2

.Empfindsamkeit' in Mittelalter und früher Neuzeit als Forschungsproblem. Eine Bestandsaufnahme. In: J E F F R E Y ASHCROFT, DIETRICH HUSCHENBETT, W I L L I A M H E N R Y J A C K S O N (Hg.): Liebe in der deutschen Literatur des Mittelalters. St-Andrews-Colloquium 1985, Tübingen 1987, S. 221-242, hier S. 240. WERNER RÖCKE: Höfische und unhöfische Minne- und Abenteuerromane. In: VOLKER MERTENS, ULRICH MÜLLER (Hg.): Epische Stoffe des Mittelalters, Stuttgart 1984, S. 395-423, hier S. 419. JOACHIM KNAPE:

3

V g l . BRAUN, S. 2 3 3 .

4

MAX WEHRLI: Geschichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 19842 (Geschichte der Deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart Bd. 1), S. 255. H E L M U T DE B O O R : Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Aus klang, 1170-1250. 11. Aufl. bearbeitet von U R S U L A H E N N I G , München 1991 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfangen bis zur Gegenwart 2), S. 166. INGEBORG R A D M E H R : Typik der Gefühlsdarstellung in der frühneuhochdeutschen Erzählprosa, Göttingen 1980 (Gratia 8), S. 1. KNAPE, S. 8. W O L F G A N G O B S T : Der Partonopier-Roman und seine französische Vorlage, Diss. Würzburg 1976, S. 130.

5 6 7 8

Forschungsüberblick

9

Manierismus der Expressionen, gelten als wichtige Konstituenten der Romane, doch sie wurden bislang nicht ins Zentrum einer eigenen Untersuchung gerückt. Als Liebes- und Abenteuerroman wird eine Gattung des europäischen Romans bezeichnet, die nach Anfangen in der hellenistischen Antike in der Literatur des Hoch- bis Spätmittelalters breit rezipiert wurde und in einer Vielzahl von Textzeugen in unterschiedlichen Sprachen aus dem 12. bis 16. Jahrhundert überliefert ist.9 Der Handlungskern beschreibt eine konfliktbelastete ,Liebe', in der sich Partner aus unterschiedlichen Kulturen und von (vermeintlich) unterschiedlichem Stand kontinuierlich gegen Widerstände zu behaupten haben. Die Konflikte fuhren zu einer längeren Trennung, zu .Abenteuern' und ausführlichen Darstellungen der emotionalen Verfassung beider Liebenden. Auch die Entstehung der Beziehung, die Auseinandersetzung mit Eltern und anderen Autoritätsfiguren, die Reflexion über die eigenen Emotionen im Gespräch mit dem Geliebten, mit Freunden, Dienern oder Vertrauten dient zur Entfaltung eines ,Vokabulars' der Gefühle, das neben verbalen ausgeprägt körpersprachliche Darstellungsmuster umfasst und schon durch seine Frequenz den Eindruck von Stereotypie vermittelt. Zu immer neuen Gelegenheiten fließen Tränen gleich in Strömen, folgt eine Ohnmacht der nächsten, werden Hände gerungen, Haare gerissen und die Schläge des Schicksals beklagt. Typischerweise haben die Romane ein mediterranes Kolorit, das sich teils in Beschreibungen exotischer Länder niederschlägt, teils darauf beschränkt bleibt, dass der Schauplatz der Handlung geographisch im Mittelmeerraum angesiedelt wird, dass einer der beiden Partner — zunächst — nicht christlichen Glaubens ist und dass es einen von ihnen mittels einer Schifffahrt in die Ferne verschlägt. Die Zentrierung der Romanhandlung um die Pole .Liebe' und .Abenteuer' und die Strukturierung des Geschehens über das Schema von Trennung und Vereinigung sind die allgemeinsten Merkmale der Gattung. Einen Überblick über den Forschungsstand zu gewinnen ist aus dem Grunde nicht einfach, als die hochmittelalterlichen Versversionen vielfach unter dem Etikett des .empfindsamen Romans' behandelt werden, während Analysen spätmittelalterlicher Textfassungen mitunter in Untersuchungen zur Entwicklung des Prosaromans ,versteckt' sind.10 Die Dar9

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Das 12.-16. Jahrhundert bildet die Kernzeit der hier zu betrachtenden Gattungsentwicklung, die Rezeption der Romane reicht allerdings noch über das 16. Jahrhundert hinaus. Vgl. dazu etwa GÜNTER BERGER: Legitimation und Modell Die Aithtaptka als Prototyp des französischen heroisch-galanten Romans. In: Antike und Abendland 30 (1984), S. 177-189. Zu verweisen ist hier außerdem auf die Kategorie des »Minneromans*, die DIETRICH HUSCHENBETT entwickelt hat Vgl. Johann von Würzburg: Wilbtbn von Österreich. In: HORST BRUNNER (Hg.): Interpretationen. Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen, Stuttgart 1993, S. 412-433 und: Ehe statt Minne? Zur Tradition des Minne-Romans in Mittelalter und Neuzeit In: KURT

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Forschungsüberblick

stellungsmuster expressiver Emotionalität, die den Liebes- und Abenteuerroman kennzeichnen, sind auch in anderen Romantypen des Spätmittelalters vertreten, zu deren bekanntesten die drei höfischen Romane Jörg Wickrams gehören.11 Daneben liegen jedoch verschiedene Ansätze vor, die Texte als zusammenhängendes Corpus zu erfassen. Ein wichtiger Impuls ging von der Altphilologie aus, die gattungsgeschichtliche und systematische Aspekte der antiken Versionen erforscht hat,12 ohne sich dabei allerdings von einem Verdikt zu lösen, das wesentlich fur die allgemeine Vernachlässigung der Texte verantwortlich war: von dem Verdikt der ,Unterhaltungsliteratur'.13 Es verdankt sich zum einen dem simplen Erzählschema von Trennung und Wiedervereinigung, es geht zum anderen — vor allem was die griechischen Vorläufer betrifft — auf die kolportagehaft gestalteten Abenteuer der getrennten Partner zurück, zu denen regelmäßig schlimmste Intrigen übel wollender Nebenbuhler, der Verkauf der weiblichen Hauptfigur in den Orient oder in ein Bordell, versuchte Vergewaltigungen, Inzest, Scheintod und ähnlich extreme Vorfalle gehören. Eine zentrale Voraussetzung fur eine Neubewertung der Texte unter Gattungsaspekten war in der germanistischen Mediävistik mit der Rezeption der romantheoretischen Schriften MICHAIL BACHTINS gegeben. BACHTIN entwickelt Thesen zu Genese und Systematik des europäischen Romans am antiken Liebes- und Abenteuerroman. Ausgehend vom Begriff des ,Chronotopos', der die spezifische Verknüpfung von Zeit und GARTNER, INGRID KASTEN, FRANK SHAW (Hg.): Spannungen und Konflikte menschlichen Zu-

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sammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993, Tübingen 1996, S. 189-203. Als „Andere Großepen" behandelt ALFRED EBENBAUER eine Reihe der Texte. In: URSULA LJEBERTZ-GRÜN (Hg.): Aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit: Höfische und andere Literatur. Bd. 1: 750-1320, Frankfurt a. M. (Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte), S. 279-289. Vgl. Ritter Galmy (1539). In: Georg Wickram: Sämtliche Werke. Bd. 1. Hg. v. HANS-GERT ROLOFF, Berlin 1967, Gabriotto und Ranbart (1551). In: Georg Wickram: Sämtliche Werke. Bd. 2. Hg. v. HANS-GERT ROLOFF, Berlin 1967, Goldfaden (1557). In: Georg Wickram: Sämtliche Werke. Bd. 5. Hg. V. HANS-GERT ROLOFF, Berlin 1968. Die Verfasserschaft Wickrams wurde fur den Roman Galmy jetzt allerdings nachhaltig von DIETER KARTSCHOKE in Frage gestellt: Ritter Gatmy vß Schottland und Jörg Wickram aus Colmar. In: Daphnis 31 (2002), S. 469-489. Dazu zählen THOMAS HAGG: Eros und Tyche. Der Roman in der antiken Welt, Mainz am Rhein 1987; NKLAS HOLZBERG: Der antike Roman, München/Zürich 1986 (Artemis Einfuhrungen Band 25); HEINRICH KUCH u.a.: Der antike Roman. Untersuchungen zur literarischen Kommunikation und Gattungsgeschichte. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von HEINRICH KUCH, Berlin 1989; ISOLDE STARK: Zur Erzählperspektive im griechischen Liebes-

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roman. In: Philologus 128 (1984), S. 256-270 und bereits ΟΠΌ WEINREICH: Der griechische Liebesroman, Zürich 1962. Dies gilt insbesondere für HOLZBERG, der den Trivialitätsgrad der antiken Romane als „ziemlich genaue Entsprechung" der in den 80er Jahren populären amerikanischen Femsehserien Dallas und Dynasty bezeichnet, S. 7.

Forschungsüberblick

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Raum im Roman bezeichnet, 14 legt BACHTIN mit der Unterscheidung der »Abenteuer'- und der .biographischen' Zeit im Liebes- und Abenteuerroman und der Zuordnung dieses Romantyps zu .monologischen' Romangattungen die Grundlagen für eine Präzisierung der Gattungskonstituenten.15 In der germanistischen Mediävistik haben HANS-JÜRGEN BACHORSKI und WERNER RÖCKE die T h e s e n v o n BACHTIN aufgegriffen und zur Be-

schreibung von Gattungskonstituenten mittelalterlicher Liebes- und Abenteuerromane ausgearbeitet.16 BACHORSKI spricht vom .Liebes- und Reiseroman'; eine andere bekannte literaturgeschichtliche Bezeichnung lautet .Minne- und Aventiure-Roman'; RÖCKE legt die Kategorie .Höfische und unhöfische Minne- und Abenteuerromane' zugrunde.17 Die terminologischen Abweichungen sind mit Blick auf die literaturhistorische Situierung der Gattung nicht zufällig. So begründet RÖCKE den Begriff ,Minne- und Abenteuerroman' mit einer Abgrenzung von der Rolle von minne und äventiure im höfischen Roman. Die äventiure im höfischen Roman rufe [...] den Wunsch nach einer erneuten Bestätigung der eigenen Vollkommenheit [hervor]. D i e minne ist im höfischen Roman diesem Zweck der äventiure zugeord-

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Vgl. MICHAIL BACHTIN: Zeit und Raum im Roman. In: Kunst und Literatur 22 (1974), S. 11611191. Vgl. über den Aufsatz zu ,Zeit und Raum im Roman' hinaus vor allem den Abschnitt V.: Die beiden stilistischen Linien des europäischen Romans, im Aufsatz: Das Wort im Roman, in: M. BACHTIN: Die Ästhetik des Wortes. Herausgegeben und eingeleitet von RAINER GRÜBEL, Frankfurt a. M. 1979, S. 154-300, hier S. 251-300. BACHTIN spricht dort allerdings nicht vom Liebes- und Abenteuer-, sondern vom sophistischen Roman, im Aufsatz zu ,Zeit und Raum' verwendet er die Kategorie Abenteuer-Prüfungsroman'. HÄGG und HOLZBERG bezeichnen die betreffenden Texte als »ideale* (HAGG) bzw. idealisierende Romane' (HOLZBERG). Die fluktuierenden Bezeichnungen, unter denen die Texte firmieren, erschweren es auch hier, einen Oberblick über die historische Verbreitung der Gattung zu gewinnen. Einen - gegenüber BACHTIN kritischen - Überblick über die Entwicklung der Gattungssystematik in der Altphilologie gibt HEINRICH KUCH: Gattungstheoretische Überlegungen zum antiken Roman. In: Philologus 129 (1985), S. 3-19. HANS-JÜRGEN BACHORSKI: grosse mgeücke und msä> viderwertigkat und doch an guotts seliges ende. Narrative Strukturen und ideologische Probleme des Liebes- und Reiseromans in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. In: GÜNTER BERGER, STEPHAN KOHL (Hg.): Fremderfahrung in Texten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, Trier 1993 (LIR 7), S. 59-86 und RÖCKE. Vgl. auch INGRID KASTENS Versuch, BACHTINS Ansatz für andere mittelalterliche Romantypen zu nutzen: Bachtin und der höfische Roman. In: DOROTHEE LINDEMANN, BERNDT VOLKMANN, KLAUS PETER WEGERA (Hg.): bitkekmt und vi/diu man. FS für Eberhard Nellmann, Göppingen 1995 (GAG 618), S. 51-70. Einen wichtigen theoretischen Anknüpfungspunkt für die Studien von BACHORSKI bilden UMBERTO ECOS Überlegungen zur Ästhetik der Setialität im Mittelalter, vgl. UMBERTO ECO: Die Innovation im Seriellen. In: Ders.: Über Spiegel und andere Phänomene, München/Wien 19933, S. 155-180. Diese Ober-Kategorie wird von RÖCKE weiter in die Sub-Gruppen der heroisch-politischen Romane', .Legendenromane', .abenteuerlichen und erbaulichen Minneromane' und .empfindsamen Minneromane' unterteilt

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net. Im Minne- und Abenteuerroman hingegen meinen Minne und Liebe das persönliche Glück, die Trauer über die Trennung von der Geliebten, die Freude über die Vereinigung mit ihr; nicht die gesellschaftlichen Verpflichtungen stehen im Vordergrund, sondern die persönliche Bindung der liebenden.18 Die Auffassung, dass die Form der Verknüpfung von minne und äventiure als zentrale Gattungsdominante und differentia specifica zum höfischen Roman zu begreifen ist, wurde in gattungssystematischen Arbeiten von CHRISTIAN KIENING, KLAUS RIDDER und ARMIN SCHULZ aufgegriffen. 19 Auch die These, die Protagonisten der Romane würden eine im Gegensatz zum höfischen Roman persönlichere' oder .private' Bindung unterhalten, die DIETRICH HUSCHENBETT zur Basis für eine eigene Gattungssystematik machte (,Minneroman'), wurde weitgehend beibehalten.20 Das Kriterium der ,Privatheit' wird aus dem Umstand abgeleitet, dass die Paarbeziehung sich zunächst in einem Raum des Rückzugs oder während einer Trennung zu bewähren hat, bevor sie legitimiert wird und einen »öffentlichen' Status erhalten kann, mit dem zugleich die Kontinuität einer adligen Dynastie gesichert wird. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Funktion der minne verwiesen, welche zwar den entscheidenden Auslöser und den durchgängigen Antrieb für den Fortgang der Handlung bildet, die Figuren jedoch ,ergreife' (RIDDER) und auf einen Zustand relativer Passivität festlege.21 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann keiner der kursierenden Gattungstermini als verbindlich gelten. RlDDER plädiert dafür, in Bezug auf die Texte des 14. Jahrhunderts von Minne- und Aventiureromanen zu sprechen, weil sie eine größere Affinität zum höfischen Roman als zum

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RÖCKE, S. 398. Vgl. außerdem CHRISTIAN KIENING: Wer aigen mein die weit... Weltentwürfe und Sinnprobleme deutscher Minne- und Abenteuerromane des 14. Jahrhunderts. In: JOACHIM HEINZLE (Hg.): Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG-Symposion 1991, Stuttgart/Weimar 1993 (Germanistische Symposien, Berichtsbände XTV), S. 474-494; KLAUS RlDDER: Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane. Fiktion, Geschichte und literarische Tradition im späthöfischen Roman: Reinfiied von Braunschweig. Wilhelm von Österreich. Friedrich von Schwaben, Berlin/New York 1998 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 12), S. 4f.; ARMIN SCHULZ: Poetik des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minneund Aventiureepik, Berlin 2000 (Philologische Studien und Quellen 161), S. 15ff.

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KIENING geht auf diesen Punkt nicht ein. Das Erzählschema, das HUSCHENBETT für die Gattung .Minneroman' ansetzt, ist deshalb problematisch, weil es einerseits mit insgesamt sieben Erzählschritten kleinteilig angelegt ist, andererseits für die Zuordnung konkreter Texte immer wieder modifiziert werden muss. SCHULZ' Gattungssystematik greift einige Vorgaben von HUSCHENBETT auf.

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Vgl. die Hinweise von RlDDER, S. 19f., dass es jedoch Anstrengungen gäbe, das eigene Gefühl reflexiv zu durchdringen; von SCHULZ, S. 63ff., dass die .Passivität' angesichts der Liebeserfahrung von anderen Passagen der Texte konterkariert werde, in denen die Helden aktiv und kämpferisch agieren.

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Prosaroman des 15./16. Jahrhunderts aufweisen.22 SCHULZ argumentiert umgekehrt für eine Öffnung dieses Terminus bis zu den Texten des 16. Jahrhunderts, da das zugrunde liegende Erzählmodell in den wesentlichen Zügen beibehalten sei.23 Im Folgenden wird die Bezeichnung ^Liebes- und Abenteuerroman' als Kompromissformel verwendet, die ebenfalls den Unterschied zur Verknüpfung von minne und äventiure im höfischen Roman berücksichtigt, den Status des ^Abenteuers' gegenüber dem von BACHORSKI benutzten Pol der ,Reise' jedoch als bedeutenderen Modus von Erfahrung akzentuiert und einen Unterschied zu mittelalterlichen Reiseberichten und Reiseerzählungen markiert.24 In der Frage, welche Texte der Gattung zuzurechnen sind, besteht ebenfalls kein Konsens. Auf Grundlage des Stellenwerts von Liebe und Abenteuer und dem Schema von Trennung und Vereinigung schlägt BACHORSKI vor, folgende Textreihen zur Gattung zu zählen: die [...] verschiedenen Adaptionen a) der Aithiopiktr, b) des Apollonias; c) des Flore- und Blanscheßur-Romans; d) des Friedrich von Schwaben-, e) der Guten Frau; f) der Magelone; g) des Mai und Beaflor-Stoffes; h) des Wilhelm von Österreich; i) des Wilhelm von Wenden — alles Erzählungen von der plötzlichen Trennung des Liebespaars, seinen langen und gefahrlichen Irrfahrten und seiner schließlichen glücklichen Vereinigung.25

Die Liste BACHORSKIS hat den Vorzug, dass sie Textreihen wie die des F/öre-Romans einbegreift, die vom Hoch- bis zum Spätmittelalter verbreitet sind, ebenso wie die häufigen Hybridbildungen, Texte also, die vom Erzählschema des Liebes- und Abenteuerromans determiniert sind, doch weitere Gattungsmuster integrieren. Dazu gehören der anonyme Versroman Friedrich von Schwaben, der das Erzählschema der Feenliebe einbezieht, und die Mai und Beaßor-Reihe26, die legendenhafte Züge trägt.

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Vgl. RlDDER, S. 1, Anm. 1. Eine gewisse Sonderstellung unter den bislang erwähnten gattungssystematischen Studien hat die Untersuchung von CORA DIETL: Minnerede, Roman und historia. Der Wilhelm von Österreich Johanns von Würzburg, Tübingen 1999. DlETL nimmt auf das Schema des Minne- und Aventiureromans nur wenig Bezug und beschreibt den Wilhelm von Österreich stattdessen als Gattungsmischung aus Minnerede, (höfischem) Roman und historia. Vgl. SCHULZ, S. 21. Einen durchgehenden Erzähltyp sieht auch RlDDER, dies rechtfertigt es in seiner Sicht jedoch nicht, von einer konstanten Gattung zu sprechen. VgL ebd., S. 358. Vgl. zu letzterem Aspekt JAN-DIRK MÜLLER: Curiositas und trfarung der Welt im frühen deutschen Prosaroman. In: LUDGER GRENZMANN, KARL STACKMANN (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit Symposion Wolfenbüttel 1981, Stuttgart 1984 (Germanistische Symposien, Berichtsbände V), S. 252-273; JAN-DIRK MOLLER: Volksbuch/Prosaroman im 15./16. Jahrhundert — Perspektiven der Forschung. In: IASL, 1. Sonderheft. Tübingen 1985, S. 1-128, den Abschnitt a/riositas und eifamag, S. 88-92. BACHORSKI: grosse m&ücke, S. 61, Anm. 12. Auch über diese Zuordnung ließe sich diskutieren, in der Forschung wird dieser Typus auch als .Flucht vor dem inzestuösen Vater' beschrieben, vgl. ELIZABETH ARCHIBALD: Incest and the Medieval Imagination, New York 2001, S. 147ff.; CLAUDE ROUSSEL: Aspects du pere incestueux

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Gattungskriterien sind ferner so weit gefasst, dass sein Kernbestand leicht um andere Texte ergänzt werden kann. Dazu gehören die Prosahistorien des Spätmittelalters, die zum großen Teil in Sigmund Feyerabends Buch der Liebe publiziert wurden. KlENING und RlDDER machen plausibel, dass der Roman Reinfried von Braunschweig der Gattung zugerechnet werden kann. Die Partonopier-Romane, die in Fassungen vom Hoch- bis zum Spätmittelalter überliefert sind und eine Gattungsmischung von Liebes- und Abenteuerroman, Feenerzählung und Chansons de geste aufweisen, erfüllen ebenfalls die Kriterien, die der Liste BACHORSKIS zugrunde liegen.27 Andere Texte, die RÖCKE in seiner Systematik aufführt, bleiben hingegen ausgeschlossen, so die der ,Spielmannsepik' zugerechneten Romane,28 deren Brautwerbungsmotivik zwar Strukturanalogien zum Schema von Trennung und Vereinigung aufweist, die jedoch nicht in vergleichbarer Weise eine Paarbeziehung in den Mittelpunkt der Handlung rücken. Über die bereits genannte Struktur von Trennung und Vereinigung hinaus abstrahiert BACHORSKI folgende gattungshafte Dominanten des Liebes- und Abenteuerromans:291. eine spezifische Organisation von Zeit und Raum. Sie entspricht der Entgegensetzung einer relativ ereignisarmen .biographischen' Zeit in der Heimat, die Spuren im Leben der Protagonisten hinterlässt, und einer mitunter Jahre umfassenden, aber ,geschichtslosen' ,Abenteuerzeit' in der Fremde des Mittelmeerraums von BACHTIN. Für mittelalterliche Liebes- und Abenteuerromane ist die These der ,Geschichtslosigkeit' nicht unproblematisch.30 Denn obwohl Zeit und Raum in der Abenteuerzeit vielfach unspezifisch und entkonkretisiert erscheinen, liegt ihre erzähllogische Funktion darin, eine Veränderung von Held und Heldin zu bewirken. Diese Veränderung ist allerdings nicht mit Mitteln der Figurenpsychologie, sondern als rite de passage auf der Tiefenstruktur des Erzählens gestaltet.31 2. Die Erzählerrolle, mit der vielfaltig experimentiert wird. Verbreitet sind Formen des »Erzählens im Erzählen' und des retrospektiven Erzählens.32 Im 14. Jahrhundert entwickelt die BACHORSKIS

dans la litterature medieval. In: DANIELLE BUSCHINGER, ANDRÄ CREPIN (Hg.): Amour, maiiage et transgressions au Moyen Age, Göppingen 1984 (GAG 420), S. 47-62. 27

So auch von RlDDER, S. 3f. und von SCHULZ.

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Von RÖCKE werden sie den .heroisch-politischen Romanen' (S. 401 ff., König Rüther und Herzog Emst) bzw. den .Legendenromanen' (S. 410, Oswald, Ortndel, Salman und Moro/fi zugerechnet BACHORSKI: grosse vngelikke, bezeichnet diese Merkmale als .Struktur der Handlung' und .Zeit des Zufalls' (S. 64-71), als .Angst und Verzweiflung' (S. 71-73) und als Abenteuer des Erzählens' (S.

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73-79).

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Dieses Gattungsmerkmal wird von SCHULZ für die von ihm untersuchte Textgruppe modifiziert, vgL S. 74ff. VgL dazu in dieser Untersuchung das 4. Kapitel. Besonders eindrücklich im Roman von Tbeagtnes und CharikJeia, der etwa ein Drittel seines Gesamtumfangs erreicht hat, bis offenbar wird, dass die Erzählerrolle von einer der Figuren des

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Gattung, wie RlDDER zeigt, eigene, ausgeprägt selbstreflexive Züge des Erzählens. 33 3. Die Darstellung von Emotionen. Die Rolle der Emotionen, darauf wurde bereits hingewiesen, hat zwei Aspekte. Der erste betrifft den Raum, den die ,Welt der Gefühle' grundsätzlich einnimmt, die Ausführlichkeit und Detailliertheit, mit denen die Emotionen der Helden in den Stadien der Verliebtheit, des Glücks oder der Trennung beschrieben werden und das Ausmaß, in dem sie sich in ihren Handlungen von Emotionen leiten lassen. Der zweite Aspekt betrifft den Modus des Gefühlsausdrucks, die vielfach .übertrieben' oder .theatralisch' wirkende Manier, in der die Protagonisten durch Gesten, Klagemonologe, Weinen und körperliche Zusammenbrüche verschiedenster Form (Ohnmächten, Krankheiten, Selbstmordversuche) ihre ,Emotion' zur .Expression' bringen. An letzterem Punkt vor allem hat das Interesse der Forschung angesetzt und zu einer Reihe von Studien geführt, in denen versucht wird, die Historizität dieser Darstellungsmuster zu erfassen. Aus diesen Untersuchungen geht jedoch immer noch implizit hervor, dass die Form der Emotionsdarstellung modernen Vorstellungen von Authentizität und Angemessenheit nicht entspricht. Die Darstellung wird als hyperbolisch, klischeehaft oder stereotyp beurteilt und begrifflich entsprechend (ab-) qualifiziert, ohne die damit verbundene Gefahr einer anachronistischen Beurteilung ausreichend in den Blick zu nehmen. Während die viel verwendete Kategorie der .Empfindsamkeit' noch die Differenziertheit der Beschreibungen betont, 34 geben die Begriffe der .Sentimentalität'35 und der .Rührung' den Eindruck des .Übertriebenen' wieder. Das Stichwort der .Rührung', einer wirkungsästhetischen Kategorie des 18. Jahrhunderts,36 indiziert ferner, dass dem Gefühlsausdruck ein appellativer

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35 36

Romans übernommen wurde, die bislang nur eine Rückblende der Ereignisse gegeben hat, während die Romanhandlung längst an einem anderen Punkt angekommen ist. Vgl. dazu RlDDER, insbesondere S. 243-354. Vgl. THOMAS CRAMER: Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, München 1990, S. 83; MOLLER: Volksbuch/Prosaroman, hier S. 106. In RÖCKES Obersicht stellen .empfindsame Minneromane' einen eigenen Typus dar, vgl. S. 419ff. Vgl. die bereits in Anm. 4 und 5 nachgewiesenen Kommentare von WEHRLI und DE BOOR zum Fire-Roman. Vgl. CRAMER, S. 83 (zur Magekru)·, RÖCKE, S. 420 (zum FAm-Roman). Der Kategorie der .Rührung' haften die Konnotationen der Süßlichkeit und Oberflächlichkeit an, die durchaus in der Tradition des Begriffs liegen. So beschreibt Johann Georg Sulzer das ästhetisch Rührende als die gegenüber der Leidenschaft schwächere Empfindung, die zur .Weichlichkeit' neige: „Der Kuenstler, der bloß zu gefallen sucht, erreicht seinen Endzwek am sichersten durch einen mehrenden Stoff." Vg], Johann Georg Sulzer. Allgemeine Theorie der schönen Künste, in einzelnen, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter aufeinanderfolgenden Artikeln abgehandelt Bd IV, Hildesheim 1967 (reprogr. Nachdruck der 2. vermehrten Auflage Leipzig 1794).

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Charakter eignet, der moderne Rezipienten zwar erreicht, doch eine eher befremdende als affizierende Wirkung ausübt. Zunächst wurden die Bezeichnungen . E m p f i n d s a m k e i t ' , Sentimentalität' und .Rührung' nicht hinsichtlich der Fragen problematisiert, was sie je implizieren, was sie voneinander unterscheidet und inwiefern sie sich dazu eignen, historische Gefuhlskonzepte zu erfassen. Auch ILKA BÜSCHEN hat in ihrer Studie zur .Sentimentalität' in mittelalterlichen Romanen diese Desiderata nicht befriedigend aufgearbeitet. Im Zentrum von BÜSCHENS Untersuchung steht Schillers Begriff des .Sentimentalischen'. Problematisch ist daran zunächst, dass - wie mit dem Begriff der .Empfindsamkeit' - eine Gefühlskonzeption des 18. Jahrhunderts auf historisch frühere Texte rückprojiziert ist, ohne dass dieses Vorgehen hinsichtlich der Frage reflektiert würde, ob die Phänomene des 18., des 15./16. und teilweise des 13. Jahrhunderts als prinzipiell gleichwertig zu erachten oder als .Vorstufen' des anderen zu begreifen sind.37 Als ungewöhnlich muss darüber hinaus erscheinen, dass BÜSCHEN den Tristan Gottfrieds von Straßburg als Beispiel sentimentalischen Erzählens exponiert, der die beschriebenen Merkmale expressiver Emotionalität nicht in der Frequenz aufweist, wie sie für Liebes- und Abenteuerromane typisch wird. Unter Sentimentalität versteht BÜSCHEN kein konkretes Gefühl, sondern eine Grundhaltung, die aus der Spannung zwischen einer .emotionalen Orientierung an Idealen' und der Unmöglichkeit der Umsetzung dieser Ideale in Handlungen resultiere, eine Unmöglichkeit, mit welcher der sentimentale Charakter sich nicht abfindet: „Dieses Verharren am unerfüllbaren Ideal trägt zuweilen Züge des Übertriebenen, Willkürlich Inszenierten, die das Urteil der Unechtheit herausfordern."38 Mit dem Verweis auf ein .Festhalten am unerfüllbaren Ideal' ist auf den ersten Blick ein Erklärungsansatz für den Eindruck der .Theatralität' gegeben. Werden Gefühlsanlässe und Konfliktkonstellationen in Liebes- und Abenteuerromanen genauer betrachtet, stellt sich jedoch heraus, dass sie nicht aus einem Verharren an unerfüllbaren Wünschen bestehen, sondern konkret aus dem Schmerz über eine Trennung, dem vermeintlichen Verlust des oder der Geliebten oder aufgrund einer Situation der Ausweglosigkeit. Ein weiteres Problem der Arbeit resultiert aus der Relationierung von .Sentimentalität' mit anderen Begriffen. So führt BÜSCHEN für Konrads von Würzburg Partonopier den Terminus »Psychologisierung' ein und erklärt ihn zum Spezifikum der Gefuhlsdarstellung, versteht ihn jedoch als .Glaubwürdigkeit' nach modernen Maßstäben. Schließlich rekurriert BÜSCHEN zur Eingrenzung ihres Konzepts der .Sentimentalität' auf den 37 38

VgL dazu auch KNAPE, S. 225f. u. S. 233. ILKA BÜSCHEN: Sentimentalität. Überlegungen zur Theorie und Untersuchungen an mittelhochdeutschen Epen, Stuttgart u.a. 1974 (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur 38), S. 146.

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Begriff der Melancholie, ohne diesen im Rahmen der traditionsreichen Melancholie-Forschung zu situieren. Es wirkt verwirrend, dass BÜSCHENS Sentimentalitätsbegriff mit dem Charakteristikum des ,Festhaltens am Objekt' Züge vom Melancholiekonzept FREUDS aufweist, während ihr Melancholiebegriff mit dem Kriterium einer ,Realitätsprüfung' einhergeht, die an das FREUDSCHE Konzept der Trauer erinnert.39 Durch diese Konfusion verschiedener Begriffe, die nur scheinbar mit Blick auf den Gegenstandsbereich differenziert und historisiert werden, trägt BÜSCHENS Studie, über okkasionelle Beschreibungen an Einzeltexten hinaus, zur Analyse der Emotionsdarstellung wenig bei.40 Der Begriff der Sentimentalität konnte sich nicht durchsetzen, um die Typik der Emotionsdarstellung überzeugend zu qualifizieren.41 Ähnliches gilt für den Terminus .Empfindsamkeit', den JOACHIM KNAPE für mittelalterliche und frühneuzeitliche Texte mit der Begründung zurückweist, dass dieser für die Literatur des 18. Jahrhunderts geprägt wurde und ihr auch vorbehalten bleiben sollte.42 KNAPES Ausgangspunkt ist dabei nicht die .übertriebene' Ausdrucksweise, sondern er geht produktionsästhetisch von einem erhöhten Interesse an Emotionen aus, das in „einer Reihe von Prosaromanen des 15./16. Jahrhunderts bis hin zum 17. Jahrhundert [...] wie auch in einer Reihe mittelhochdeutscher Epen vor allem aus nachklassischer Zeit" zu beobachten sei.43 In seiner Sicht verfügen die Texte über Darstellungsstrategien, durch welche dieses Interesse auf die Rezipienten übergreifen solle: „Werke wie die 39

Vgl. dazu folgende Definition: „Melancholie hat sich in die Tatsache ergeben, dass die emotionale Orientierung an Idealen handlungsmäßig nicht zu erfüllen ist; Sentimentalität weiß zwar letztlich darum, will dieses Wissen jedoch nicht wahrhaben, die Trennung der Libido vom Objekt nicht vollziehen." BÜSCHEN, S. 138. Vgl. SIGMUND FREUD: Trauer und Melancholie. In: Ge-

sammelte Werke X, Frankfurt a. M. 1981«, S. 427-446. 40 41

Vgl. auch die Kritik an BÜSCHEN bei KNAPE, S. 226f. Auch WOLFGANG WAIUCZEK und ARMIN SCHULZ lassen ihn deshalb nur unter Anführungs-

zeichen für die Theatralisierung der Emotionen gelten: Heulende Helden. .Sentimentalität' im späthöfischen Roman am Beispiel von Mai und Beaflor, in: THOMAS BETZ, FRANZISKA MAYER:

42 43

Abweichende Lebensläufe, poetische Ordnungen. FS Volker Hoffmann, München 2005, S. 1748. Die Autoren schlagen vor, die Funktionen der Gefühlsausbrüche im narrativen Zusammenhang zu untersuchen, was fraglos einen sinnvollen Untersuchungsansatz darstellt Das Ergebnis, das sie erzielen, besagt allerdings, dass die emotionale Entladung eine Überforderung hinsichtlich der Möglichkeit indiziere, Konflikte durch Handlung oder Reflexion zu bewältigen. Dies überzeugt nicht als Analyse des in Frage stehenden Textes und lässt sich auch nicht für die Gattung generalisieren. Die Autoren vertreten ein traditionelles Verständnis des Emotionsausdrucks als Form von Maßlosigkeit' und als Zeichen einer Krise. Die emotionale .Entladung' lässt sich jedoch bereits als Ansatz zu einer - kulturell codierten - Krisenbewältigung begreifen, die narrativ ganz unterschiedliche Funktionen übernehmen kann. Vgl dazu ausführlich Kapitel 3 und 4. Zu den neueren Untersuchungen zu dieser Epoche gehören: NIKOLAUS WEGMANN: Diskurse der Empfindsamkeit Zur Geschichte eines Gefühls in der Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1988; KLAUS P. HANSEN (Hg.): Empfindsamkeiten, Passau 1990 (PINK 2). KNAPE, S. 240.

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,Magelone', ,Florio und Biancefora' oder Wickrams Ritterhistorien sind durchaus auf .sympathetische Identifikation' angelegt".44 Eine ,Typik der Gefühlsdarstellung' in Romanen des 15. und 16. Jahrhunderts erstellt INGEBORG RADMEHR auf der breiten Textbasis von 30 Prosaromanen, zu denen auch Liebes- und Abenteuerromane gehören.45 Der Preis solcher Materialfülle liegt allerdings in schematischen Interpretationen und Thesen zur Gefühlsdarstellung, die in problematischer Weise generalisieren. In Abgrenzung von der „modernen psychologischen Sehweise"46 erklärt RADMEHR, bei der zeitgenössischen „Anthropologie"47 ansetzen und zeigen zu wollen, dass die Dichter der Prosaromane Emotionen nach dem Vorbild der historischen Diskurse der Affekte einerseits, der Temperamente andererseits gestaltet hätten. Angesichts dieses erklärten Anspruchs einer Historisierung des Gegenstandsbereiches ist dann aber unverständlich, warum RADMEHR bei der Definition der Affekte nicht auf mittelalterliche Affektenlehren, sondern auf ein Lehrbuch der Psychiatrie von 1975 zurückgreift48 und Effekte' auf der Basis dieser Definition anschließend rein werkimmanent interpretiert.49 RADMEHR berücksichtigt mit der körperlichen Symptomatik der Affekte auch die Ebene der Expression und konstatiert, dass der Affekt stets „als eine extreme Gefühlslage abgebildet" werde, „dargestellten Seelenregungen [...] fehlt jede Abstufung und Differenzierung, so dass sie psychologisch unglaubwürdig wirken."50 Hinsichtlich der Ausdrucksvalenzen von Emotionen trifft in Bezug auf Liebes- und Abenteuerromane daran so viel zu, dass in ihnen, wie in anderen Romantypen auch, vielfach starke Emotionen wie Zorn, Angst, Neid, große Freude oder heftige Trauer dargestellt werden, die in modernen Theorien der Emotionalität entweder die Bezeichnung ^Affekt' - im Unterschied zu Emotion oder Stimmung - oder die Bezeichnung ,Basisemotion' tragen.51 Daneben werden jedoch, was 44

KNAPE (mit Verweis auf die bereits zitierte Ausführung von J.-D. MÜLLER), S. 240f.

45 46 47 48

Vgl. RADMEHR. RADMEHR, S. 14. RADMEHR, S. 12. Vgl. RADMEHR, S. 19.

49

Die Problematik generalisierender Aussagen zur Funktion einzelner .Affekte' zeigt sich etwa am Beispiel der Trauer .Allgemein geht von der Trauer eine lähmende Wirkung aus, die den Menschen zu positivem Handeln unfähig macht; er ist nicht in der Lage, eine Verbesserung seiner Situation herbeizuführen" (S. 36). Schon dieser These wäre mit einer Vielzahl von Beispielen aus Liebes- und Abenteuerromanen zu begegnen, in denen die Trauer der Figuren gerade zum Anlass wird, Lösungsstrategien zu finden. Vgl. zur handlungsauslösenden Funktion von Trauer in Texten des frühen 13. Jahrhunderts in Kürze ELKE KOCH: Trauer und Identität. Inszenierungen von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin/New York 2006 (Trends in Medieval Philology).

50

RADMEHR, s . 51.

51

Vgl. zu dieser Unterscheidung ausführlich das folgende Kapitel.

Forschungsüberblick

19

RADMEHR unberücksichtigt lässt, weiter ausdifferenzierte emotionale Zustände beschrieben.

An vielen Stellen von RADMEHRS Untersuchung wird deutlich, dass die zunächst als unangemessen zurückgewiesene psychologische Betrachtung in Wahrheit den Maßstab bildet, aufgrund dessen die Emotionsdarstellungen als stereotyp bewertet werden. Es seien ,feststehende', der Rhetorik entlehnte ,Formeln' verwandt,52 mit deren Hilfe es den Verfassern gelingen würde, „[...] Einblick in die Seelenlage der Figuren zu verschaffen, freilich wird diese in der Regel nicht psychologisch glaubwürdig und Realistisch' gekennzeichnet; fast allen Formeln ist vielmehr die Tendenz zur Übertreibung eigen."53 Auch RADMEHR vermutet, dass die Gefühlsdarstellung einen appellativen Charakter hat und auf eine Affizierung des Rezipienten zielt,54 dafür verweist sie auf Textpassagen, in denen eine ,Gefühlsansteckung' zwischen verschiedenen Figuren dargestellt wird oder in denen der Erzähler sein Publikum adressiert.55 Einige interessante Beobachtungen zur wechselseitigen Bedingtheit von Fühlen und Handeln werden kaum ausgewertet, sondern münden lediglich in die These einer weitgehenden Entsprechung von Innen und Außen. Im zweiten Ansatzpunkt der Untersuchung, dem Nachweis vom Einfluss der Temperamentenlehre auf die Gefühlsdarstellungen, ist der historisierende Anspruch der Studie insgesamt besser eingelöst, auch wenn RADMEHR die vier Konstitutionen nicht präzise genug voneinander abhebt.56 Sie nennt Beispiele von Texten, in denen diese prototypisch vertreten sind, wie der Choleriker in den Alexanderdichtungen. Für den Liebes- und Abenteuerroman hat der Typus des Melancholikers die größte Bedeutung, für den RADMEHR auf der spätmittelalterlichen synchronen Untersuchungsebene die Merkmale der Verzweiflung, Prophetie und Weisheit geltend macht.57 Auch BACHORSKI und RÖCKE verweisen in einer Reihe von Publikationen auf das Konzept der melancholischen Komplexion, das für die Figuren- und Emotionsdarstellung modellbildend sei. Eine zentrale Überlegung BACHORSKIS besagt, dass die »reflexive Vereinzelung' der Protago52

RADMEHR vetweist hier jedoch nur unspezifisch auf die Studien von ABY WARBURG und ERNST ROBERT CURTTUS.

53

RADMEHR, S. 6 6 .

54

„Die hyperbolisch intensivierende Wirkung der Gefühlsdarbietung ist oft so weit gesteigert, daß das Erzählte außer fur die fiktiven Figuren auch über den Werkkontext hinaus maßgeblich ist [...] die Empfindung ist so eindringlich, daß sich ihr niemand, auch nicht der Unbeteiligte, entziehen kann." RADMEHR, S. 67.

55

VgL RADMEHR, S. 6 6 f .

56

VGJ. auch die Kritik von JAN-DIRK MOLLER in seiner Rezension des Buches: Anzeiger FIIR deutsches Altertum und deutsche Literatur 93 (1982), S. 71-77, hier S. 73f.

57

V g l . RADMEHR, S. 1 0 0 .

20

Forschungsüberblick

nisten eine Affinität 2um Renaissance-Verständnis von Melancholie als einer genialischen „gesteigerten Selbstbejahung" aufweist, wie sie insbesondere von Marsilius Ficino elaboriert worden ist.58 Diese sei in historischer Perspektive als Schritt zur Entwicklung von Individualität zu begreifen, erscheine in den Romanen aus der Perspektive der Figuren allerdings als negativ. Aufgrund dieser Negativität der Figurenperspektive weist R Ö C K E umgekehrt für Florio und Bianceffora die Melancholie-Konzeption Ficinos zurück und macht stattdessen eine Melancholie-Variante für den Roman geltend, die F R E U D - in Abgrenzung zur Trauer - als spezifischen .Rückzug des Ich auf sich selbst' definiert.59 Zusammen gesehen entsteht aus diesen Argumentationen zum Melancholie-Konzept ein widersprüchliches und heterogenes Bild. Dies ist nicht das einzige Problem, das sich mit dem Rekurs auf den Melancholie-Begriff stellt. Aus B A C H O R S K I S ironischem Duktus geht hervor, dass die Darstellung in den .extremen Gefühlslagen' auch in seiner Sicht inadäquat ist.60 Im Kontext der Begriffsreflexion spricht er diese Unangemessenheit an: Man wird kaum bestreiten können, dass die Figuren jeweils hinreichend Grund für ihren schwermoit haben [...] Gleichwohl vermitteln die Texte insgesamt einen anderen Eindruck, scheint diese Melancholie in ihnen doch allgegenwärtig zu sein, ohne daß immer auch ein spezifischer tieferer Grund dafür zu fassen wäre. Wie ein Schleier zieht sich die melancholische Haltung über die Liebes- und 'Reiseromane, die damit an einer Stimmung teilhaben, die man wohl als Signum der E poche bezeichnen kann.61

Wenn den Figuren gleichzeitig ,hinreichend Grund' und ,kein spezifischer tieferer Grund' für ihre expressive Emotionalität attestiert wird, dient der Melancholie-Begriff nicht mehr dafür, eine Emotion oder Gefühlslage zu bezeichnen, sondern fungiert als missing Unk für ein Defizit an Glaubwürdigkeit in der Gefühlsexpression. 58

59

60

61

Vgl. dazu RAYMOND KLIBANSKY, ERWIN PANOFSKY, FRITZ SAXL: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt a. M. 1990, S. 358 etpassim, BACHORSKI: grosse mgelücke, S. 73. VgJ. WERNER RÖCKE: Liebe und Melancholie. Formen sozialer Kommunikation in der .Historie von Florio und Blanscheflur', Berlin 1995 (Öffentliche Antrittsvorlesungen Humboldt Universität zu Berlin 40). Vgl. auch ders.: Die Faszination der Traurigkeit. Inszenierung und Reglementierung von Trauer und Melancholie in der Literatur des Spätmittelalters. In: BENTHIEN, FLEIG, KASTEN, S. 100-118, wo die liebes- und Abenteuerromane nicht unter dem Paradigma der Melancholie, sondern unter dem der Trauer behandelt werden (S. llOff.). So etwa in folgender Beschreibung einer Krisensituation in Tbeagmes und CbaHkleur. „[...] Theagenes will sich gar angesichts der scheintoten Charikleia nach einem exzessiven elend jaemmerlUb gesebrtji in sein Schwert stürzen, dann, da er es - eine weitere Tücke des Unglücksl - nicht findet, den Kapff an den Felsen Verstössen tmd denn mit verwandtem Haupt auff meiner liebsten Cbarikkia ster wovor ihn dann nur ihre plötzliche Auferstehung bewahren kann." BACHORSKI: grosse Unglücke, S. 72. BACHORSKI: grosse vn&liitke, S. 72f.

Forschungsüberblick

21

Ein weiteres Problem stellt sich hinsichtlich der Generalisierbarkeit dieses Melancholie-Konzepts für die Gattung. Die Deutung der Emotionsdarstellung als „Signum der Epoche", die sich auf Ficino und Melancholie-Traktate der Renaissance beruft, wäre dort anachronistisch, wo sie auf die Romane des 13. Jahrhunderts bezogen würde, die B A C H O R S K I aber ebenfalls in sein Gattungscorpus integriert. Es ist unter phänomenologischen und funktionalen Aspekten deshalb gerade zu klären, ob Unterschiede zwischen den Gefühlskulturen in Liebes- und Abenteuerromanen des 12.-13. Jahrhunderts zu denen des 15.-16. Jahrhunderts bestehen und wo sie sich sinnvoll mit einem Begriff von Melancholie beschreiben lassen. Schließlich werden die Ebenen historischer Wirklichkeit und historischer Literatur von B A C H O R S K I nicht klar voneinander getrennt. Wenn er davon spricht, dass die Liebes- und Abenteuerromane im Zeichen eines .Zeitalters der Melancholie' stehen, ist damit nicht nur eine Aussage zum literarischen Diskurs getroffen. Außerdem ist die Ebene der historischen Realität angesprochen, ohne dass deutlich wird, wie ihre Verbindung zur Literatur zu denken wäre. Bislang hat sich keiner der begriffsgeschichtlichen Ansätze als befriedigend erwiesen; vielleicht bleibt das Problem der Emotionsdarstellung aus diesem Grund in neueren Arbeiten ausgeklammert oder wird in anderen Kontexten behandelt.62 Charakteristisch für das Forschungsinteresse insgesamt ist die Konzentration auf die Liebeskonzeption, die häufig mit dem - an LUHMANN angelehnten - modernen Liebeskonzept des amour passion in Verbindung gebracht wird.63 Dieses Konzept bindet LUHMANN an die bürgerliche Gesellschaft um 1800 und an eine Sphäre der Privatheit, die weder für die mittelalterliche Gesellschaft noch für die der Frühen Neuzeit in der gleichen Weise vorausgesetzt werden kann, womit die Paarbeziehung auf das Telos bürgerlicher Liebeskonzepte bezogen und in der Perspektive des ,schon, aber noch nicht' beurteilt wird. Das Problem stellt sich auch in umgekehrter Perspektive, wenn Liebeskonzeptionen nicht nur prospektiv auf die Diskurse der Moderne, sondern auch retrospektiv auf die hochmittelalterliche Literatur bezogen werden. Dies zeigt sich in M A N U E L B R A U N S Dissertation zur Semantik und wechselseitigen Verknüpfung der Komplexe ,Ehe', .Liebe' und

62 63

Dazu gehören die Arbeiten von RlDDER und SCHULZ. Vgl. NlKLAS LUHMANN: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimitat, Frankfurt a. Μ. 19844. Vgl. dazu JAN-DIRK MOLLER: Jötg Wickram zu Liebe und Ehe. In: HEIDE WUNDER, CHRISTINA VANJA (HG.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1991, S. 27-42; INGRID BENNEWITZ: Du bist mir Apollo / Du bist mir Heiena. .Figuren* der Liebe im frühneuhochdeutschen Prosaroman. In: BACHORSKI: Ordnung und Lust, S. 185210; BRAUN.

Forschungsüberblick

22

.Freundschaft' in Prosaromanen des 15./16. Jahrhunderts.64 Zu ihnen gehören auch die Liebes- und Abenteuerromane Florio und Bianceffora und Die schöne Magelona. In einem Kapitel zu Liebeskonzepten, in dem BRAUN in Anlehnung an ROLAND BARTHES' Fragmente einer Sprache der Liebfis eine Phänomenologie des frühneuhochdeutschen Liebescodes entwirft, werden eine Reihe auch mediengeschichtlich relevanter Merkmale herausgearbeitet. Zu ihnen gehören Kommunikationsformen der Liebe in Körper, Sprache und Schrift. Als Folie, vor deren Hintergrund BRAUN die Merkmale dieses frühneuzeitlichen Liebescodes profiliert, dient ihm allerdings ausschließlich ein als .Dienstminne' bezeichnetes Konzept, das der bereits erwähnten spezifischen Verknüpfung von minne und aventiure im höfischen Roman in etwa entspricht.66 Mit der knappen Erklärung, dass „die Arbeit keine genetischen Interessen [verfolgt] und [...] deshalb auf Vergleiche mit Vorlagen [verzichtet]",67 wird dem Rekurs auf mittelhochdeutsche Romane eine Absage erteilt. Bei einem Vergleich spätmittelalterlicher Romane mit ihren hochmittelalterlichen Vorlagen geht es aber nicht notwendig nur um Fragen der Entwicklung eines Handlungskerns. Eine Gegenüberstellung mit den hochmittelalterlichen Vorläufern von Florio und Bianceffora ergibt vielmehr, dass Formen der Liebeskommunikation, die BRAUN als Spezifika frühneuzeitlichen Erzählens wertet (Gebärden, somatische Reaktionen, Geschenke, Klagen, Gespräche),68 bereits in den älteren Texten vertreten sind. Um die Semantik von Liebescodes des Spätmittelalters zu ermitteln, sind also differenzierter angelegte vergleichende Analysen erforderlich als eine schematische Abgrenzung von ,der' Liebeskonzeption ,des' höfischen Romans. Weil die Figuren der Liebes- und Abenteuerromane oft so von ihren Gefühlen überwältigt werden, dass sie zunächst zu keiner Handlung in der Lage sind, sondern in ihrem Gefühl .verharren', wurde immer wieder von einer ,Passivität' insbesondere der männlichen Helden gesprochen. Dem amour passion wird damit eine genderspezifische Signatur zugeschrieben. 64

Vgl. BRAUN (wie A n m . 3). Vgl. auch ARMIN SCHULZ' A u s f ü h r u n g e n z u r Konzeption des Begeh-

rens in der jiddischen Fassung von Paris und Vienna, die grundsätzlich auch für weitere Liebesund Abenteuerromane von Relevanz sind, in der jedoch ebenfalls pauschal von „der höfischen Epik des Mittelalters" gesprochen wird. Vgl. ARMIN SCHULZ: Die Zeichen des Körpers und der Liebe. Paris und Vienna in der jiddischen Fassung des Elia Levita, Hamburg 2000 (Poetica 50), S. 66.

65 66

Vgl. ROLAND BARTHES: Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt a. Μ. 19844. Vgl. BRAUN, S. 192f.: „Die Liebeskonzeption des mittelalterlichen Romans verschränkt Abenteuer und Liebe, basiert also im Kern auf Handlung. Durch Taten mehrt der Ritter seine Ehre und erwirbt sich einen geradezu einklagbaren Anspruch auf Liebe."

67 68

BRAUN, S. 32. V g l BRAUN, S. 203FF.

Zusammenfassung des Forschungsüberblicks und Fragestellungen

23

Vor allem die weiblichen Figuren wären in Konfliktsituationen aktiv und würden Handlungsalternativen finden: „Es ist dies für den Liebes- und Reiseroman eine durchaus typische Geschlechterrollenverteilung: Der Mann versinkt in Verzweiflung und Ohnmacht, wo die Frau einen klaren Kopf behält."69 Auch in Bezug auf frühneuhochdeutsche Romane, deren Liebeskonzeption der des Liebes- und Abenteuerromans ähnelt, wurde eine Stilisierung der männlichen Hauptfiguren zu einem .weichen', passiven, gefühlsbetonten Typus konstatiert. So vertritt JAN-DIRK MÜLLER die Auffassung, dass in „Wickrams Ritterhistorien [...] von der Rolle des ritterlichen Helden nur noch die des Liebhabers übrig ist".70 An spätmittelalterlichen Vertretern der Gattung ebenso wie an hochmittelalterlichen Versionen ist die These der .Passivität' jedoch zu überprüfen. 2.1 Zusammenfassung des Forschungsüberblicks und Fragestellungen Der Stellenwert des ,Kults der Gefühle' für den Liebes- und Abenteuerroman ist erkannt, doch bislang nicht systematisch analysiert worden. Weil es einer verbreiteten Auffassung nach in den Romanen um „Liebe, Liebe und nochmals Liebe"71 geht, richtete sich das Interesse vielmehr vornehmlich auf die Liebeskonzeption. Andere Emotionen, die im Rahmen der Paarbeziehung virulent werden, und weitere soziale Bindungen und Konflikte, in welche Gefühle involviert sind, fallen aus dem Raster der Analysen heraus. Emotional besetzte Bindungen wie die Eltern-KindBeziehung, die Ehe, Beziehungen zu anderen Verwandten und Lehnsverhältnisse spielen in den Texten jedoch eine konstitutive Rolle. Sie versprechen Aufschlüsse über historische Modelle der Subjektkonstitution und Vergesellschaftung und werden deshalb in dieser Untersuchung in die Interpretationen der Romane einbezogen.72 Auch die Historizität der Darstellungsmuster von Emotionen ist nicht geklärt. Der Eindruck, der sich für moderne Rezipienten fast unweigerlich 69

HANS-JÜRGEN BACHORSKI: Posen der Liebe. Zur Entstehung von Individualität aus dem Gefühl im Roman Paris und Vienna. In: WERNER RÖCKE, URSULA SCHAEFER (Hg.): Mündlichkeit - Schriftlichkeit — WeltbildwandeL Literarische Kommunikation und Deutungsschemata von Wirklichkeit in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 1996 (ScriptOralia 71), S. 126.

70

MOLLER: Volksbuch/Prosaroman, S. 104. VgL außerdem BENNEWITZ.

71

In Anlehnung an eine Formulierung zu den Romanen Wickrams von CLEMENS LUGOWSKI: Die Form der Individualität im Roman. Mit einer Einleitung von HEINZ SCHLAFFER, Frankfurt a. M.

72

Eine Ausnahme bildet das Thema der Freundschaft, das in den letzten Jahren intensiver untersucht worden ist, so auch in der Arbeit von BRAUN, und hier nicht eigens berücksichtigt wird.

1976, S. 99.

24

Forschungsüberblick

herstellt: dass der Emotionsausdruck ,übertrieben' wirkt, ist bislang durch die Konzepte der Sentimentalität und Melancholie eher tautologisch verdoppelt als theoretisch begründet worden. Diese Historizität muss in Absehung von modernen Auffassungen erarbeitet werden, denen zufolge Emotionalität einer Sphäre der Subjektivität und Innerlichkeit, des NichtSichtbaren und Vor-Symbolischen angehört, die sich sprachlicher und körperlicher Darstellung, es sei denn in Form einer Somatisierung, entzieht. Darüber hinaus ist die eigentümliche Starre, Stilisiertheit und ,Theatralität' des Emotionsausdrucks als Ebene der ästhetischen Stilisierung eigens zu konzeptualisieren. Bislang wurden die Ebenen von Emotion und Expression mitunter wechselseitig substituiert, so von BACHORSKI, der die Emotion (Melancholie) als Erklärung für die Expression (übertrieben) heranzieht, oder von Radmehr, die von der Expression (stereotyp) auf die Emotion (undifferenziertes Gefühl) zurückschließt. Auch der appellative Zug der Emotionsdarstellung wurde beobachtet, aber weder theoretisch begründet noch in seiner Funktion für die Texte untersucht. Um diese Desiderate aufzugreifen, werden sie in dieser Untersuchung in eine allgemeine emotionsgeschichtliche Perspektive integriert. Mit der Begriffsklammer .Emotion und Expression' schließe ich zwar an frühere Versuche an, Emotionsdarstellungen im Liebes- und Abenteuerroman phänomenologisch mit dem Schlagwort ,Welt der Gefühle' und ausdrucksbezogen mit Bezeichnungen wie ,Theatralik' zu erfassen. In den methodischen und thematischen Implikationen geht die Dichotomie ,Emotion und Expression' jedoch, wie in den folgenden Kapiteln ausgeführt wird, über frühere Ansätze hinaus. Allgemein gehören zum emotionsgeschichtlichen Ansatz in der Perspektive von Emotion und Expression Fragen nach dem Spektrum der Emotionen, das in den Texten differenziert wird, nach ihren Funktionen und Ausdruckskonventionen. Wird die emotions- mit der gattungsgeschichtlichen Perspektive verbunden, erweisen sich Zuschreibungen zu einzelnen Texten und Textgruppen als problematisch. Zum Beispiel wird anlässlich von Liebes- und Abenteuerromanen aus verschiedenen Epochen auf den ,neuen' Typus des empfindsamen Helden hingewiesen. Aber wenn dieser Typus bereits im 12. Jahrhundert ,neu' war, dann kann er es im 16. Jahrhundert nicht mehr sein, es sei denn, der Begriff würde jeweils anders definiert, was bisher noch nicht geschehen ist. In einer vergleichenden Untersuchung zu Jörg Wickrams Gabriotto und Reinhart und zu Camillo und Emilie (beide 16. Jh.) kommt INGRID BENNEWITZ zu dem Ergebnis, dass die .äußere Handlung' zugunsten einer Konzentration auf die Beziehung der Protagonisten, auf ihre Gefühle und auf Möglichkeiten ihrer Liebeskommunika-

Zusammenfassung des Forschungsüberblicks und Fragestellungen

25

tion zurücktrete.73 Dies entspricht weitgehend den Merkmalen, die RÖCKE schon für die .empfindsamen Minneromane' des frühen 13. Jahrhunderts geltend macht. In diachroner Perspektive ist deshalb genauer zu ermitteln, in welchem Maß die .äußere Handlung' zurücktritt und ein Raum der .Innerlichkeit' konstituiert wird. In einem Aufsatz zur niederdeutschen Fassung von Paris und Vienna (1488) spricht BACHORSKI von .Posen' als den diesem Text eigenen spezifischen Darbietungsformen von Emotionalität.74 Bei ihnen handelt es sich um Beschreibungen körperlicher Ausdrucksmuster, die wie zu einem Tableau sistiert scheinen und in der Forschung mehrfach mit dem Ausdruck .Verharren' charakterisiert wurden. So auch von BACHORSKI: „die Protagonisten verharren [...] wie eingefroren in einer Pose: eng umschlungen, in Kümmernis, aus Liebe."75 Als .Pose' ist der seltsam manieriert wirkende Gefühlsausdruck des Liebes- und Abenteuerromans fraglos gut getroffen. Doch für BACHORSKI liegt die .Logik der Pose'76 in einer körpersprachlichen, ostentativen Codierung von Emotionen im Kontext der zunehmend ausdifferenzierten städtischen Kultur des Spätmittelalters,77 eine These, die sich mit dem Umstand, dass diese Posen bereits in Romanen des beginnenden 13. Jahrhunderts zu beobachten sind, zumindest auf Anhieb nicht vereinbaren lässt. Aufgrund der Widersprüche, die daraus resultieren, dass Beobachtungen an Einzeltexten sei es des 12. oder des 16. Jahrhunderts einerseits scheinbar auf die gesamte Gattung ausgedehnt werden können, dass in der Forschung andererseits auf einer Spezifik sowohl hoch- als auch spätmittelalterlicher Darstellungsmuster insistiert wird, schließlich aufgrund der für emotionsgeschichtliche Fragestellungen grundlegenden These der Genese von .Innerlichkeit' ist es zwingend, das Desiderat einer eingehenden Untersuchung der Emotionsdarstellungen diachron anzugehen. An repräsentativen Vertretern der Gattung vom Hoch- bis Spätmittelalter werde ich deshalb exemplarisch verfolgen, welche Entwicklungen und Veränderungen sich in den genannten Bereichen beobachten und wie sie sich in emotionsgeschichtlicher Perspektive auswerten lassen.

73

Vgl. BENNEWITZ.

74 75 76 77

BACHORSKI: Posen der Liebe. BACHORSKI: Posen der Liebe, S. 135. BACHORSKI: Posen der liebe, S. 132. Vgl. BACHORSKI: Posen der Liebe, S. 135ff.

26

Forschungsüberblick

2.2 Die Textauswahl Aus dem großen Reservoir an Liebes- und Abenteuerromanen zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert wurden für diese Arbeit Texte ausgewählt, denen aus unterschiedlichen Gründen für die Gattung ein besonderer Stellenwert zukommt. Dazu gehören, dem spezifischen Verlauf des europäischen Gattungstransfers gemäß, auch französische Textfassungen. Obwohl die Entwicklung der Gattung und ihre wissenschaftliche Erforschung hier primär aus germanistischer Perspektive betrachtet wird,78 ist dieser Rekurs auf die altfranzösischen Romane unerlässlich. Folgende Romane werden der Untersuchung zugrunde gelegt: 1.) Der altfranzösische Roman Floire et Blancheflor und seine mittelhochdeutsche Bearbeitung durch Konrad Fleck. Diese Texte gehören, wenn vom Sonderfall des niederdeutschen Trierer Floyris (um 1170) abgesehen wird,79 zu den frühesten Vertretern der Gattung. Die Geschichte von Flore und Blanscheflur zählt darüber hinaus zu ihren beliebtesten überhaupt. Sie wurde bis zum Spätmittelalter in beinahe allen europäischen Sprachen zunächst in Versform, dann auch in Prosa bearbeitet und hat darüber hinaus Dramatisierungen erfahren.80 Die unterschiedlichen Variationen des plots lassen sich nach zwei Hauptlinien unterscheiden, die in Ermangelung anderer Begriffe nach wie vor als versions aristocratiques und versions popularisantes bezeichnet werden.81 Die mittelhochdeutsche Fassung82 Flore und Blanscheflur, die keine Autornennung im Text aufweist, 78

79 80

81

82

Aus diesem Grunde wurde die romanistische Forschung zum Liebes- und Abenteuerroman nicht eigens beschrieben, welche die hochmittelalterlichen Texte in besonderem Maße im Verhältnis zu den Werken Chretiens de Troyes betrachtet. Der Trierer Floyris ist nur in wenigen Bruchstücken überliefert. Sie wurden von ELLAS STEINMEYER publiziert: Trierer Bruchstücke. I: Floyris. In: ZfdA 21 (1877), S. 307-331. Einen ausfuhrlichen Überblick über die Überlieferung vermittelt die Studie von PATRICIA E. GRIEVE: Floht and Bbrubeflor and the European Romance, Cambridge University Press 1998. Allerdings berücksichtigt sie die deutsche Prosa Florio und Bianceffhra nicht. Dies folgt einem Vorschlag von D u M£RIL, der unter literarästhetischen Kriterien problematisch ist, da er auf der Unterscheidung qualitativ höherwertiger höfischer Varianten und ,populärer', volkstümlicher, breitere Bevölkerungsschichten adressierender Fassungen zumeist in Prosa beruht. Vgl. EDELSTAND DU MERIL: Floire et Blanceflor. Poemes du XEGie siede, Paris 1856. Mit dem Begriff der Fassung wird nicht auf die Fachdebatte zum Problem der Fassungen bzw. Parallelversionen in der höfischen Epik im 13. Jahrhundert Bezug genommen, die von JOACHIM BUMKE mit seinem Buch zur Nibehmgtnkiag angestoßen wurde. Vgl. JOACHIM BUMKE: Die vier Fassungen der Nibthmgmkhge. Untersuchungen zur Oberlieferungsgeschichte und Textkritik in der höfischen Epik im 13. Jahrhundert, Berlin 1996 (Quellen und Forschungen zur Literaturund Kulturgeschichte 8), sowie die Rezensionen von NIKOLAUS HENKEL: PBB 123 (2001), S. 137-144 und PETER STROHSCHNEIDER: ZfdA 127 (1998), S. 102-117. Der Begriff der Fassung bezieht sich hier auf die Übertragungen einer romanischen Vorlage ins Deutsche. Aufgrund der Überlieferungslage sind Aussagen über mögliche Parallelfassungen des deutschen Textes nicht möglich.

Die Textauswahl

27

aufgrund einer Erwähnung von Rudolf von Ems aber einem ansonsten unbekannten Konrad Fleck zugeschrieben wird, gehört wie der französische Conte zu den versions aristocratiques. Sie ist in zwei Handschriften und zwei Fragmenten überliefert und wird auf ungefähr 1220 datiert.83 Für die vorliegende Arbeit wird sie in der Edition von WOLFGANG GOLTHER herangezogen.84 Die genaue Vorlage von Flecks Text konnte nicht ermittelt werden,85 doch dürfte sie in wesentlichen Zügen einem der bekannten französischen Texte entsprechen. Die Fassung des Conte de F/oire et Blancheflor, welche dieser Untersuchung zugrunde gelegt wird, wurde von JEAN-LUC LACLANCHE ediert und folgt der Handschrift A, einer von drei vollständigen Handschriften, die neben einem Fragment überliefert sind.86 Sie wird auf etwa 1150 datiert. 2.) Der französische Roman Partonopeu de Blots und seine deutsche Bearbeitung Partonopier und Meüur durch Konrad von Würzburg. Für emotionsgeschichtliche Fragestellungen ist Konrads Bearbeitung von herausragendem Interesse, weil sie einer verbreiteten Meinung nach im Zeichen einer .Psychologisierung' des Erzählens steht. Der französische Roman ist in sieben Handschriften, zwei Fragmenten und einem Exzerpt vom 12.-14. Jahrhundert überliefert, die JOSEPH GLLDEA auf Grundlage der Handschrift MS 113 gemeinsam herausgegeben hat. GLLDEAS Ausgabe wird auch für die vorliegende Untersuchung verwendet.87 Die französische Variante, die Konrad von Würzburg vermutlich vorlag, wird auf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert.88 Damit liegen etwa 100 Jahre zwischen der Entstehung der französischen Version und der Übertragung des deutschen Dichters, die sich aufgrund der Angaben im Text auf 1277 datieren lässt. Partonopier und Meüur ist in einer Papierhandschrift und zwei Pergamentfragmenten überliefert.89 Allerdings hat auch die Pa83

84 85 86 87 88 89

Die Handschriften stammen aus dem 15. Jahrhundert, die Fragmente aus dem 13. Jahrhundert. Vgl. den Artikel zu Konrad Fleck von PETER GANZ, in: VL2, Berlin/New York 1980, Sp. 744747. Tristan und Isoide und Flore und bUnschtflur. Zweiter Teil. Hg. v. WOLFGANG GOLTHER. Berlin/ Stuttgart o. J. (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe. Hg. v. JOSEPH KÜRSCHNER. 4. Band. Dritte Abteilung. Tristan und Isolde und Flore und WanscbflurE). Ebenso wenig wie der von ihm genannte Autor Rnopnht von Orient (V. 142-146). Le Conte de Floire et Blancheflor. Ed. par JEAN-LUC LECLANCHE, Paris 1980 (CFMA 105). Partonopeu de Blots. A French Romance of the Twelfth Century. Ed. by JOSEPH GlLDEA. Volume I, Villanova, PA 1967. Fragen der Datierung diskutiert ausfuhrlich TRUDE EHLERT: In bominem novum oratio? Der Aufsteiger aus bürgerlicher und aus feudaler Sicht Zu Konrads von Würzburg Partonopier und Meüur und zum altfranzösischen Partmopeus. In: ZfdPh 99 (1980), S. 36-72. Vgl. den Artikel zu Konrad von Würzburg von HORST BRUNNER, VL2, Berlin/New York 1980, Sp. 272-304, hier Sp. 295. OBST bespricht die Abweichungen der französischen Handschriften und schließt sich der Meinung MORETS an, dass die HS Ρ (Paris, Bibliotheque Nationale, fonds fran^ais 368, Fol l-39a) der deutschen Fassung am nächsten steht Da sie aus dem 14. Jahrhundert stammt, kommt sie allerdings als Vorlage für Konrads Text nicht in Frage. Eine direkte Ab-

28

Forschungsüberblick

pierhandschrift - wie einige der französischen Versionen - insofern Fragmentcharakter, als die Handlung vor einem regelrechten Schluss abbricht. Partonopier und Metiur steht als Nachdruck der Ausgabe von KARL BARTSCH von 1871 zur Verfügung.90 3.) Der Prosaroman Florio und Bianceffora von 1499. Dieser lange Zeit kaum beachtete Text bietet eine Gelegenheit, die Entwicklung der FloreErzählung im Spätmittelalter im Überlieferungsstrang der versions popularisantes in einer Prosa-Variante zu verfolgen, welche eine nahe Übertragung von Boccaccios Frühwerk II Filocolo (1338/41) darstellt. Der Roman gibt darüber hinaus die Möglichkeit, die Anfange des spätmittelalterlichen Diskurses der Emotionalität, der Ende des 16. Jahrhunderts mit dem Buch der hiebe und den Romanen Wickrams einen regelrechten Boom erfahrt, in einem frühen Stadium zu verfolgen. Für die Untersuchung wird deshalb die erste Druckfassung (Metz 1500) herangezogen, die RENATE NOLLWlEMANN herausgegeben hat,91 nicht die gekürzte Version, welche 1587 im Buch der Liebe erscheint. 4.) Veit Warbecks Schöne Magelone im Augsburger Erstdruck von Heinrich Steyner (1535), der in der Bibliothek der Frühen Neuheit erschienen ist. Der Text repräsentiert einen vorläufigen Endpunkt der Gattung. Charakteristische Motive und Gattungskonstituenten wirken nur mehr anzitiert, dafür scheint die .Innerlichkeit' der Protagonisten in einem vorher nicht gekannten Maße erzählerisch vergegenwärtigt.92 Aufgrund seiner Emotionsdarstellung gilt Warbecks Text seit langem als einer der wichtigsten Romane des Spätmittelalters, vielleicht hat sie auch zu seinem großen Erfolg beigetragen.93 Der Stellenwert von .Innerlichkeit' ist auf Grundlage des Befunds der übrigen Textanalysen zu präzisieren und zu

90

hängigkeit der deutschen Fassung von einer der überlieferten französischen Versionen wird in der Forschung ausgeschlossen; OBST vermutet wie MORET eine verloren gegangene gemeinsame Vorlage für Ρ und für die Version Konrads. Diese Einschätzung ist bislang nicht in Frage gestellt worden. Konrads von Würzburg Partonopier und Metiur. Aus dem Nachlasse von FRANZ PFEIFFER. Hg. v. KAHL BARTSCH. Mit einem Nachwort von RAINER GRUENTER in Verbindung mit BRUNO JÖHNK, RAIMUND KEMPER und HANS-CHRISTIAN WUNDERLICH, Berlin 1970.

91 92

93

Florio und Biamrfora. Ein gar schont newt bystori der bocbtn beb des kumghcben/unten Florio vnnd von styntr Heben Bianctffora. Mit einem Nachwort von RENATE NOLL-WIEMANN, Hildesheim/New York 1975 (Deutsche Volksbücher in Faksimiledrücken Reihe A, Band 3). So begründet auch JAN-DIRK MOLLER die Entscheidung, die Magelone in seine Ausgabe repräsentativer Romane des Spätmittelalters aufgenommen zu haben. Vgl. JAN-DIRK MOLLER (Hg.): Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten, Frankfurt a. M. 1990 (Bibliothek der Frühen Neuzeit ]), S. 1002. Allein zwischen 1536 und 1545 wurde die Marione noch siebenmal von Steyner nachgedruckt Vgl. auch die übrigen Angaben bei MOLLER, S. 1 2 3 9 .

Die Textauswahl

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modifizieren. Warbecks Text folgt einer französischen Vorlage von 1453,94 die sporadisch in die Analyse einbezogen wird. Weil die Untersuchung keinen systematischen komparatistischen Ansatz verfolgt, werden die deutschen Romane nicht in gleichem Maße vor der Folie ihrer romanischen Vorlagen interpretiert. Der französische Conte de Floire et Blancheßor ebenso wie der französische Partonopeu de Blois haben als relativ frühe, bekannte und einflussreiche Romane 95 fur die Entwicklung der Gattung in ihrer höfischen Phase einen eigenständigen Rang, der es rechtfertigt, sie ausfuhrlicher zu analysieren. Die Autoren von Florio und Bianceffora und Die Schöne Magelone halten sich dagegen in größerem Umfang als Konrad Fleck und Konrad von Würzburg an ihre Vorlagen. Nur im Falle von Veit Warbecks Roman, der ein gewisses Interesse an einer Veränderung der Emotionsdarstellung bezeugt, wird deshalb die romanische Vorlage an ausgewählten Textpassagen in die Analyse einbezogen. Bei der Interpretation der Prosa Florio und Bianceffora, die eine Textreihe mit den hochmittelalterlichen Flore-Versionen bildet, soll vor allem die vorzügliche — und in Bezug auf diesen Text bisher nicht genutzte — Möglichkeit wahrgenommen werden, höfische und spätmittelalterliche Konventionen der Emotionsdarstellung am Beispiel der Entwicklung eines plots zu vergleichen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die F/W-Romane als Beginn der Gattung und Warbecks Magelone als ein gewisser Endpunkt gelten können. Mit den für diese Arbeit ausgewählten Romanen lassen sich ferner Text-Reihen bilden, die der weiten europäischen Verbreitung der Gattung ein Stück weit Rechnung tragen. Unter inhaltlichem Aspekt kommt schließlich hinzu, dass in allen Texten das Geschehen aus der Perspektive des männlichen Helden erzählt wird. Aufgrund all dieser Merkmale gewährleisten die ausgewählten Romane einen repräsentativen Einblick in die Gattungsentwicklung und ein hohes Maß an Vergleichbarkeit untereinander, wie es für diachrone Textanalysen unerlässlich ist. Es steht jedoch außer Frage, dass grundsätzlich eine Reihe weiterer wichtiger Texte aus dem Gattungskorpus für eine Analyse von Emotionsdarstellungen in Frage kommen. Dazu gehören die Minne- und Aventiure-Romane des 14. Jahrhunderts, die französischen und deutschen Romane der Mai und Beay&r-Reihe sowie die Apollonius-Kom&nt von Heinrich von Neustadt und Heinrich Steinhöwel, schließlich die Liebes- und Abenteuerromane des 15. und 16. Jahrhunderts, von denen einige im Buch der Liehe erschienen sind. 94

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LYstoin du vaiUant chevalier Pierrefify du ernte de Provence et de la beUt M/igueUonne. Texte du Manuscrit S IV 2 de la Landesbibliothek de Cobourg (XVeme siede). Ed. par R£GINE COLLIOT, Aix-enProvence/Paris 1977 (Senefiance N ' 4). Dieser Ginfluss manifestiert sich in der Zahl der Bearbeitungen, der überlieferten Handschriften und im Maße der Modellbildung auf andere Romane.

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Forschungsüberblick

Die Gründe, aus denen sie weniger gut in diese diachrone Untersuchung zu passen oder sich zu einer eigenen zusammenzufügen schienen, sind jeweils anderer Art. So bilden zentrale Romane des 14. Jahrhunderts, Reinfried von Braunschweig Wilhelm von Österreich und Friedrich von Schwaben, eine eigene Gruppe, deren Gattungspoetik von RlDDER ausfuhrlich analysiert wurde. In den Apollonius-Kom2j\en werden die Aspekte von Herrschaft und Fremderfahrung thematisch, und das ,Kern'-Paar wird zugunsten einer Pluralisierung von Paarkonstellationen erzählerisch ,gespalten'.96 In der Mai und Beaflor-Reihe — wie schon im Apollonius-Komin Steinhöwels — steht die weibliche Figur im Vordergrund.97 Aus diesen Gründen wurden die jeweiligen Texte nicht für diese Arbeit in Betracht gezogen. Weil im 15. und 16. Jahrhundert jedoch besonders viele Liebes- und Abenteuerromane - oder in der Emotionsdarstellung vergleichbare - Romane verfasst oder neu bearbeitet werden, scheint es gerechtfertigt, auf der synchronen Ebene weitere deutsche Texte zu untersuchen. Aus diesem Grund wird bei der Analyse von Florio und Bianceffora und der Schönen Magelona auf Parallelen zu den höfischen Romanen Jörg Wickrams und zur deutschen Bearbeitung von Heliodors Aithioptka, den Roman Theagenes und Charikleia, eingegangen. Der Gegenstand der Analyse, Emotionen, ist insbesondere in historischer Perspektive klärungsbedürftig. Die folgende Erörterung von Forschungsansätzen zu Theorie und Geschichte der Emotionen wird deshalb entlang der Frage verlaufen, wie die Relation von Emotion und Expression für historische Untersuchungen zu konzeptualisieren ist.

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VgL auch die kontrastive Lektüre des ReinfrieJ von Braunschweig und Heinrichs von Neustadt Apollonias von Tyrlani unter dem Aspekt der Heilsgeschichte durch WOLFGANG ACHNITZ: Babylon und Jerusalem. Sinnkonstituierung im Ranfried von Braunschweig und im Apollonius von Tjriand Heinrichs von Neustadt, Tübingen 2002 (Hermaea N.F. 98). VgJ. dazu JUTTA EMING: Inzestneigung und Inzestvollzug im Appollonius von Tyrus. In: JUTTA EMING, CLAUDIA JARZEBOWSKI, CLAUDIA ULBRICH (Hg.): Historische Inzestdiskurse. Interdis-

ziplinäre Zugänge, Königstein 2003, S. 21-45. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die Erzählungen vom König von Reußen und der Königstochter von Frankreich, vgl. dazu INGRID BENNEWITZ: Mädchen ohne Hände. Der Vater-Tochter-Inzest in der mittelhochdeutschen und frühneuhochdeutschen Erzählliteratur. In: GARTNER, KASTEN, SHAW, S. 157-172.

3. Emotion und Expression Die Auffassung, dass Emotion und Expression in der Moderne nicht kongruent sind und dass Gefühle im Mittelalter direkter und unverstellt zum Ausdruck kamen, gehört zu den verbreiteten kulturhistorischen Thesen über Konventionen des Gefühlsausdrucks, von denen diese Arbeit sich abgrenzt. Auf den ersten Blick greifen beide Annahmen ineinander. Sie haben in der Mediävistik jedoch methodische Aporien erzeugt, zu denen emotionstheoretische Fragestellungen eine Alternative bieten. In diesem Kapitel wird dieser Zusammenhang mit Blick auf die Leitkategorien der Untersuchung erläutert. Der Begriff der .Emotion' wird dabei in Relation zu affinen Ansätzen historischer Forschungen wie der Zivilisationstheorie und der Historischen Psychologie erörtert sowie in Rekurs auf Kategorien der neueren Emotionsforschung, der Begriff der ,Expression' mit Blick auf ausdrucksbezogene Aspekte aller genannten Ansätze sowie in Differenz zum Begriff des Codes. Erst durch die Verzahnung beider Kategorien im Begriffspaar ,Emotion und Expression' ist ein emotionsgeschichtlicher Ansatz für die Analyse der literarischen Texte gewonnen. Die Beispiele, die aus Liebes- und Abenteuerromanen und anderen mittelalterlichen Werken herangezogen werden, haben in diesem Teil der Arbeit eine illustrative Funktion.

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Emotion und Expression

3.1 Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik Nach wissenschaftlichen Wegbereitern im 18. und 19. Jahrhundert 1 und beeinflusst durch die literarischen Diskurse der Empfindsamkeit2 sowie durch die Institutionalisierung der FREUDSCHEN Psychoanalyse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt das menschliche Innere im Alltagsverständnis weitgehend als Terrain, das äußerlich nur indirekt, verstellt, ungenügend in Erscheinung tritt. Emotionen sind dem zufolge ein propnum des Menschen, das nie objektiv werden kann, schwer zu verallgemeinern ist und sich sprachlich nicht adäquat ausdrücken lässt.3 Emotionen werden deshalb auch als das ändere' der Rationalität angesehen, als schwer fassbar, diffus und amorph. In kaum einer Theorie der Emotionalität werden diese traditionsreichen Vorstellungen nicht wenigstens erwähnt.4 Die Emotion kann in der Expression, das heißt auf einer ersten Ebene: ihrem Ausdruck in den Medien von Sprache und Schrift und durch die körpersprachlichen Mittel der Mimik und Gestik, scheinbar nur ungenügend eingeholt werden. Für die Wahrnehmung und Konzeptualisierung menschlicher Emotionalität generell und für Fragen der Darstellung von Emotionalität in der Literatur hat diese Vorstellung kaum zu überschätzende Konsequenzen. Denn vor dem Hintergrund einer vermeintlichen Indirektheit, Subjektivität und Innerlichkeit von Gefühlen muss die expressive Emotionalität vieler literarischer Texte des Mittelalters mit gewisser Zwangsläufigkeit unkomplizierter, im Falle des Liebes- und Abenteuerromans sogar stereotyp und übertrieben wirken. Doch war es nicht zuletzt ein Körperausdruck, der Gefühle gleichsam an der Oberfläche sichtbar macht, der das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse anregte und die voraufklärerischen Jahrhunderte als Zeiten erscheinen ließ, in denen die Menschen zu ihren Emotionen ein un1

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Vgl. GERD JÜTTEMANN (Hg.): Wegbereiter der Psychologie. Der geisteswissenschaftliche Zugang. Von Leibniz bis Foucault, Weinheim 19952; MICHAEL SONNTAG: Vermessung der Seele. Zur Entstehung der Psychologie als Wissenschaft. In: RICHARD VAN DOLMEN (Hg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 361-383. Gemeint ist hier speziell die Genese der Psychologie als Wissenschaft; der Leib-Seele-Dualismus ist selbstverständlich älter. Vgl. dazu BÖHME. Die Empfindsamkeitsdiskurse sind dabei nach WEGMANN von der Diahren' Überzeugung geprägt, dass in der intimen (Brief-) Kommunikation Authentizität und Ursprünglichkeit des Gefühls zum Ausdruck kommen. Vgl. WEGMANN, S. 81fF. So noch RÜDIGER SCHNELL: Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung. In: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S. 173-276, hier S. 263. Vgl. dazu die Ausführungen von BÖHME, außerdem ROBERT C. SOLOMON: Emotionen und Anthropologie. Die Logik emotionaler Weltbilder. In: GERD KAHLE (Hg.): Logik des Herzens. Die soziale Dimension der Gefühle, Frankfurt a. M. 1981, S. 233-253.

Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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mittelbares Verhältnis hatten, Gefühle spontan und direkt zum Ausdruck brachten und Prozessen der Internalisierung und Kontrolle erst allmählich unterwarfen. Zentral für diese Beschreibung von Emotion und Emotionsausdruck und für Techniken ihrer Verinnerlichung war die Zivilisationstheorie von NORBERT ELIAS. Im Folgenden werden Grundzüge dieser Theorie mit Blick auf die Problematik erläutert, die sie für emotionsgeschichtliche Forschungen erzeugt hat. Norbert Elias und die Zivilisationstheorie Die Zivilisationstheorie lässt sich im Kern als materialistisch fundiertes Modell der historischen Veränderung von Emotionalität auffassen. Diesem Modell zufolge werden die aus der Psychoanalyse bekannten Instanzen von Es, Ich und Über-Ich während eines weitreichenden Prozesses gesellschaftlicher Umstrukturierung erst herausgebildet. Als wesentliches Stimulans für diesen Prozess gilt die Notwendigkeit, in der Interaktion grundsätzlich autarker Individuen an den großen Feudalhöfen des Hochmittelalters aggressive Impulse nicht mehr unmittelbar zum Ausdruck kommen zu lassen, Affekte, zum Beispiel Zorn, zu .dämpfen' und zu kontrollieren, langfristig ins Unbewusste zu delegieren und über den Erwerb neuer kultureller Standards die inneren Schwellen heraufzusetzen, welche Menschen Scham oder Peinlichkeit empfinden lassen. Im Zuge der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung werden diese Veränderungen, gemäß einer in soziologischen Theorien häufiger vertretenen Annahme,5 dass soziale Veränderungen hierarchisch verlaufen, von den unteren Schichten übernommen. Zusammengefasst in der Formel der .Verwandlung von Fremd- in Selbstzwänge' konstruiert ELIAS also eine Verbindung zwischen der Ökonomie von Emotionen und gesellschaftlicher Evolution. Er operiert dabei im Wesentlichen mit den Begriffen ,Trieb' und .Affekt', ohne sie klar voneinander abzugrenzen. Der Prozess der Triebkontrolle setzt bei ELIAS zwar nicht am Punkt Null an, stattdessen geht er für das Mittelalter von einem rudimentär ausgebildeten Über-Ich aus. Doch insgesamt erscheint sein Bild vom mittelalterlichen Menschen als vergleichsweise archaisch und primitiv. Adlige Männer des 12. Jahrhunderts gelten als ungehemmt, wenig kontrolliert und unmittelbar gewaltbereit. Nur Frauen wird ein ihrer Kultivierungsaufgabe, wie sie im Minnesang zum Ausdruck komme, entsprechender höherer Grad an Zivilisiertheit konzediert. 5

Einer der wichtigsten Vertreter dieser Vorstellung in der gegenwärtigen Kulturtheorie ist PIERRE BOURDIEU mit seinem Habitus-Konzept VgL dazu die Ausführungen im Abschnitt zur Performativität

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Emotion und Expression

In der mediävistischen Literaturwissenschaft wurde in Anschluss an ELIAS lange die These einer radikalen Alterität des Mittelalters vertreten. Literarische Texte dieser Epoche galten als das »Andere4, das von der Erfahrung des modernen Rezipienten abgeschnitten und nur aus sich selbst heraus rekonstruierbar ist. Das an der Psychoanalyse orientierte Modell des psychischen Apparates wurde als inadäquat erachtet, denn, wie PETER CZERWINSKI, der wichtigste Vertreter dieser Auffassung, formuliert: „Heroen haben kein Unbewußtes". 6 Diese Archaisierung des Mittelalters, die sich nicht nur auf ELIAS, sondern auch auf JOHAN HUIZINGAS in vielem vergleichbar argumentierendes Werk Herbst des Mittelalters beruft,7 wird bereits seit längerem als problematisch erachtet.8 Dabei wird auch die Relationierung von Emotion und Expression problematisiert. So machte LOTHAR MÜLLER schon vor einiger Zeit auf die Vernachlässigung der medialen Sphäre aufmerksam. ELLAS unterstelle zwischen Emotion und literarischem Text ein schlichtes Ausdrucksverhältnis, welches die Eigengesetzlichkeit und das Potential der literarischen Sphäre außer acht lasse. Die Affektmodellierung scheint auf der je ins Auge gefaßten Stufe im Prinzip als abgeschlossen, wenn sie sich in [...] einer bestimmten literarischen Form ein Artikulationsorgan sucht. Die als expressiv begriffene Form hat in dieser Sicht vor al6

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PETER CZERWINSKI: Heroen haben kein Unbewußtes - Kleine Psycho-Topologie des Mittelalters. In: GERDJÜTREMANN (Hg.): Die Geschichtlichkeit des Seelischen. Der historische Zugang zum Gegenstand der Psychologie, Weinheim 1986, S. 239-272. JOHAN HUIZINGA: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Hg. v. KURT KÖSTER, Stuttgart 1975". Vgl. auch CZERWINSKIS zweibändige .Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung', Bd.l: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter, Frankfurt a. M./New York 1989, Bd. Π: Gegenwärtigkeit. Simultane Räume und zyklische Zeiten, Formen von Regeneration und Genealogie im Mittelalter, Frankfurt a. M./New York 1993. Vgl. auch die Rezensionen von JAN-DIRK MOLLER, in: P B B 114 (1992), S. 509-515, und PETER STROHSCHNEIDER, in: IASL 20,2 (1995), S. 173-191, auf letztere auch die Replik von CZERWINSKI: Alterität oder historia non fiat saltus. Peter Czerwinski antwortet Peter Strohschneider. In: IASL 21 (1996), S. 166-180. Vgl. dazu die Forschungen von ALTHOFF, ferner WALTER HAUG: Kulturgeschichte und Literaturgeschichte. Einige grundsätzliche Überlegungen aus mediävistischer Sicht In: INGRID KASTEN, WERNER PARAVICINI, REN£ PILRENNEC (Hg.): Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter, Sigmaringen 1998 (Beihefte der Francia 43), S. 23-33. Eine unzureichende Reflexion der Thesen von ELIAS in der Altgermanistik kritisiert RODIGER BRANDT: Die Rezeption von Norbert Elias in der Altgermanistik. Ein Theoriedefizit und seine Folgen. In: KARL-SIEGBERT REHBERG (Hg.): Norbert Elias und die Menschenwissenschaften. Studien zur Entstehung und Wirkungsgeschichte seines Werke, Frankfurt a. M. 1996, S. 172-193. Vgl. im gleichen Band auch den Beitrag von HORST WENZEL zum Einfluss von ELIAS auf die Minnesang-Forschung: Zur Deutung des höfischen Minnesangs. Anregungen und Grenzen der Zivilisationstheorie von Elias, S. 213-239. Die ausfuhrlichste neuere Kritik an ELIAS stammt von RODIGER SCHNELL (Hg.): Zivilisationsprozesse. Zu Erziehungsschriften in der Votmoderne, Köln/Weimar/Wien 2004; vgl. insbesondere seinen eigenen Beitrag: Kritische Überlegungen zur Zivilisationstheorie von Norbert Elias, S. 21-83.

Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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lern dokumentarischen Charakter. Demgegenüber ließe sich fragen, ob, und wenn ja in welcher Weise die literarischen Formen Organe der Affektmodellierung selbst und nicht nur ihres Ausdrucks sein könnten.9

Genau diese Rolle des Mediums Literatur für die Modellierung des Gefüihlsausdrucks ist es, die in literaturwissenschaftliche Ansätze zur Geschichte der Emotionen einzubeziehen oder zumindest für sie vorauszusetzen ist. Auch URSULA PETERS hat schon vor einiger Zeit in anderem Sinne als LOTHAR MÜLLER die Abkehr von einer Ausdrucksebene' skizziert, die keine Rücksicht auf literarische Darstellungsstrategien nimmt, und sie forderte in diesem Zusammenhang: [...] eine Verlagerung der Interessen von der themarisch-ideologischen Ausdrucksebene auf die Darstellungsebene sinnhafter Bilder [...], die Choreographie von Personenfigurationen, die breit ausgefächerten Visualisierungsstrategien der Autoren, die vielfältigsten Möglichkeiten des Deutungspotentials, der Ausgestaltung und Problematisierung verbaler und nonverbaler Kommunikation. 10

Mit dem Aspekt der nonverbalen, an den Körper gebundenen Kommunikation, den PETERS nennt, ist ein weiteres Problem angesprochen, das aus den Prämissen der Zivilisationstheorie resultiert. ELIAS setzt ein Verhältnis des mittelalterlichen Menschen zu seinem Körper voraus, das ebenfalls Ausweis seiner Archaik, ja Naturverfallenheit wäre. HANS PETER DUERR unternahm dem gegenüber schon vor längerem den Versuch, in umfangreichen ethnologischen Studien den Nachweis zu fuhren, dass Scham angesichts der eigenen Nacktheit zu den universalen menschlichen Emotionen gehört.11 Der Stand dieser inzwischen als „Duerr-EliasKontroverse" bekannten Forschungsdebatte muss hier nicht vertieft werden.12 Denn über die speziellere Frage hinaus, in welchem Maße mittelalterliche Individuen Scham empfanden, war es die von ELIAS unterstellte Unmittelbarkeit im Verhältnis zum Körper, die für emotionsgeschichtliche Untersuchungen problematisch wurde.13

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Vgl. LOTHAR MÜLLER: Literaturgeschichte und Historische Psychologie. In: MICHAEL SONN-

TAG, GERD JOTTEMANN (Hg.): Individuum und Geschichte. Beiträge zur Diskussion um eine „Historische Psychologie", Heidelberg 1993, S. 125-138, bes. S. 129f. URSULA PETERS: Zwischen New Historicism und Gender-Forschung. Neue Wege der älteren Germanistik. In: DVjs 1997 (71), S. 363-396, hier S. 368. Vgl. HANS PETER DUERR: Nacktheit und Scham, Frankfurt a. Μ. 19924 p e r Mythos vom Zivilisationsprozeß 1). Vgl dazu etwa die Darstellungen bei RÜDIGER BRANDT: Enklaven - Exklaven. Zur literarischen Darstellung von Öffentlichkeit und NichtÖffentlichkeit im Mittelalter. Interpretationen, Motivund Terminologiestudien, München 1993 (Forschungen zur Geschichte der Alteren Deutschen Literatur 15), S. 117-125; HlLGE LANDWEER: Scham und Macht Phänomenologische Untersuchungen zur Sozialität eines Gefühls, Tübingen 1999 (Philosophische Untersuchungen 7), S. 162ff. Unter dem Aspekt der Visualisierung wird die Vorstellung einer ,,reine[n] Präsenz" des Körpers — ebenso wie die entgegengesetzte seiner grundsätzlichen Zeichenhaftigkeit — kritisiert von JAN-

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Emotion und Expression

Innen und Außen In ihrer radikalen Formulierung besagt die Auffassung von der Unmittelbarkeit des Gefuhlsausdrucks, dass Emotion und Expression gän2lich zusammenfallen14 oder zumindest, dass zwischen einer Emotion und ihrem Ausdruck nur eine minimale - qualitative oder temporale - Verschiebung besteht.15 Dies wird mitunter auch als Handlungscharakter von Emotionen begriffen: Eine Emotion kommt in ihrem Ausdruck, und nur dort, zur Geltung, ohne dass ein Innenraum vorausgesetzt werden müsste." Gegen die Annahme eines reinen ,Außen' spricht zum Beispiel, dass die mittelalterliche Literatur sehr wohl Diskurse des Inneren und der Seele kennt.17 Diese Konzepte entwerfen Modelle von Innenräumen, in denen, wie in den bis zum 13. Jahrhundert immer feiner gestuften Affektenlehren, Emotionen bzw. Affekte situiert werden.18 Obwohl dabei vielfach Interrelationen zwischen Innen und Außen angenommen werden, ist insgesamt — vor allem im Kontext der mystischen Literatur - von einer Höherschätzung des Innenraums auszugehen.19 Eine Konsequenz aus diesem Befund könnte lauten, literaturgeschichtliche Analysen entweder ganz auf das .Außen', also auf die konventionalisierten körpersprachlichen Darstellungsmuster von Emotionen, oder auf Diskursivierungen des Inneren oder der Seele zu beschränken. Doch gibt es daneben eine weitere Möglichkeit, auf die sich das Augenmerk der vorliegenden Arbeit in besonderer Weise richtet. Diese Möglichkeit besteht darin, Diskurse und Situationen des Erzählens zu fokussieren, in denen die Relationierung von Emotion und Expression eigens reflektiert wird. Dazu gehören zum Beispiel Bedingungen des me-

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Dnuc MÜLLER: Visualität, Geste, Schrift Zu einem neuen Untersuchungsfeld der Mediävistik. In: ZfdPh 1/133 (2003), S. 118-132, hier S. 119. Vgl. dazu (im Anschluss an CZEKWINSKO SILKE [KATHARINA] PHIUPOWSKI: Körper-Räume und räumliche Körper. Gesten in der höfischen Epik um 1200. In: MARGRETH EGIDI u.a. (Hg.): Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild, Tübingen 2000 (Literatur und Anthropologie 8), S. 53-69, hier S. 56f. Vgl. ausfuhrlicher dies.: Geste und Inszenierung. Wahrheit und Lesbarkeit von Körpern im höfischen Epos. In: PBB 122 (2000), S. 455-477. Vgl. auch die Auseinandersetzung mit PHUJPOWSKI bei MÜLLER: Visualität, Geste, Schrift. So, in etwas anderer Begrifflichkeit, MÜLLER: Spielregeln, S. 212ff. Vgl SCHNELL, Historische Emotionsforschung, S. 183ff. Wie im nächsten Kapitel erläutert wird, lässt sich der Handlungscharakter von Emotionen auch anders, nämlich im Rekurs auf Konzepte von Performativität, bestimmen. Eine der neuesten Publikationen haben KATHARINA PHILIPOWSKI und ANNE PRIOR herausgegeben: anima und sllt. Darstellungen und Systematisierungen von Seele im Mittelalter, Berlin 2006 (Philologische Studien und Quellen 197). Vgl. dazu unten, zum Affektbegriff. Diese Relation von Innen und Außen akzentuiert NKLAUS LARGER: Inner Senses - Outer Senses. The Practice of Emotions in Medieval Mysticism. In: JAEGER, KASTEN, S. 3-15

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dialen und situativen .Hervorbringens' von Emotionen. Anhaltspunkte dafür, dass in der mittelalterlichen Literatur ein Interesse an solcher Relationierung bestanden hat, gibt es genug. So hat die mediävistische Forschung in den letzten Jahren zunehmend Beispiele aus der höfischen Lyrik und Epik diskutiert, in denen eine Disjunktion von Emotion und Emotionsausdruck problematisiert wird. Das Maß, in dem die Möglichkeit eines solchen Auseinandertretens konzediert und erzählerisch produktiv gemacht wird, scheint in hohem Maß von Gattung und Textsorte abzuhängen.20 Aus mittelalterlichen Reflexionen über Gesten, Gesichtsausdruck und das Verhältnis von innerer und äußerer Tugend geht hervor, dass eine Kongruenz von Innen und Außen zwar angestrebt, aber nicht selbstverständlich unterstellt wurde.21 Auch Studien zur Rolle des Körpers in der höfischen Kultur offenbaren diesbezüglich ein komplexes Bild. Der Körper gilt als zentraler Zeichenträger im Netz der symbolischen Kommunikation am Hof, dessen verschiedene Ausdrucksmittel — Sprache, Mimik und Gestik, Bewegung, Kleidung — einzusetzen eines hohen Grades an innerer und äußerer Disziplinierung bedarf.22 Der Welsche Gast des Thomasin von Zerclaere oder das hofkritische Schrifttum problematisieren Schmeichelei und Verstellung bei Hof, die beide einen hohen Grad an Bewusstheit über die Wirkung des Körpers, der Möglichkeiten seiner Beherrschung und seiner Inszenierung voraussetzen.23 Aus Gottfrieds von 20

Vgl. zur Lyrik, mit Blick auf Aspekte von Performanz und Fiktionalität, PETER STROHSCHNEIDER: „nu sehent, wie der singed" Vom Hervortreten des Sängers im Minnesang. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): .Aufführung' und .Schrift' in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart/Weimar 1996 (Germanistische Symposien XVII), S. 7-30, zur unterschiedlichen Bewertung der Dissoziation von Innen und Außen in der Lyrik und im Nibelungenlied JAN-DIRK MÜLLER: Spielregeln, S. 214f. Vgl. zur Lyrik außerdem HAFERLAND: Hohe Minne, S. 189ff., zur Ausdrucksproblematik in narrativen Texten ders.: Höfische Interaktion. Interpretationen zur höfischen Epik und Didaktik um 1200, München 1988, das Kapitel „Ausdruck", S. 207-301; SANDRA LINDEN: Kundschafter der Kommunikation. Modelle höfischer Kommunikation im .Frauendienst' Ulrichs von Liechtenstein, Tübingen/Basel 2004, S. 56ff., KLAUS RlDDER: Kampfzorn: Affektivität und Gewalt in mittelalterlicher Epik. In: CHRISTA BERTELSMEIER-KlERST, CHRISTOPHER YOUNG

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(Hg.): Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachliche Literaütät 1200-1300. Cambridger Symposion 2001. Unter Mitarbeit von BETTINA BILDHAUER, Tübingen 2003, S. 221 -248, S. 238 et passim. Vgl. C. STEPHEN JAEGER: The Envy of Angels. Cathedral Schools and Social Ideals in Medieval Europe, 950-1200, Philadelphia 1994; HORST WENZEL: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995. Höfische Repräsentation als Erziehungsprogramm beschreibt WENZEL: Hören und Sehen. Die reiche Forschungsliteratur zur Geschichte des Körpers kann hier nicht annähernd vollständig aufgeführt werden. Verwiesen sei deshalb nur auf einige neuere Studien, die bisherige Forschungen resümieren und systematische Fragestellungen entwickeln: MARGARET LOCK: Cultivating the Body. Anthropology and Epistemologies of Bodily Practice and Knowledge. In: Annual Review of Anthropology 22 (1993), S. 133-155; WOLFGANG HAUBRICHS: Bilder, Körper und Konstrukte. Ansätze einer kulturellen Epochensemantik in der philologischen Mediävistik. In: LiLi 25 (1995), S. 28-57; PETERS: Historische Anthropologie; MAREN LORENZ: Leibhaftige Vergangenheit Einführung in die Körpergeschichte, Tübingen 2000 (Historische Einführungen

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Emotion und Expression

Straßburg Tristan geht hervor, dass ein Emotionsausdruck instrumentalisiert werden kann, um dem anderen zu schmeicheln und ihn zu täuschen. So heißt es über Isoldes Verhalten gegenüber Marke: Sus gie s'ir herren lösende an, biz daz si'm aber an gewan, daz er den zwivel aber lie und aber von dem wane gie ir muotes und ir minne.24

Nur ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine Archaisierung des mittelalterlichen Menschen, wie die Zivilisationstheorie sie impliziert, mit Konzepten von Subjektivität, Individualität und Fiktdonalität, die für die mittelalterliche Literatur gerade wieder neu geltend gemacht werden, nicht vereinbar ist.25 Mit der Möglichkeit des Auseinandertretens von Emotion und Expression, die den ,Heroen' mittelalterlicher Texte lange abgesprochen 4). Wichtige Beiträge finden sich außerdem in den Sammelbänden von KLAUS SCHREINER, NORBERT SCHNITZLER (Hg.): Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992; LINDA LOMPERIS, SARAH STANBURY (Hg.): Feminist Approaches to the Body in Medieval Literature, Philadelphia 1993; SARAH KAY, MIRI RUBIN (Hg.): Framing Medieval Bodies, Manchester/New York 1994; KLAUS RIDDER, OTTO LANGER (Hg.): Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur, Ber-

lin 2002 (Körper, Zeichen, Kultur 11); KARINA KELLERMANN: Der Körper. Realpräsenz und symbolische Ordnung (Das Mittelalter Bd. 8, Heft 1/2003). Eine interessante neuere Forschungsrichtung beschäftigt sich mit dem fragmentierten Körper, vgl. JONATHAN SAWDAY: The Body Emblazoned. Dissection and the Human Body in Renaissance Culture, London/New York 1995; DAVID HLLLMAN, CARLA MAZZIO (Hg.): The Body in Parts. Fantasies of Corporeality in Early Modern Europe, N e w Y o r k / L o n d o n 1997; CLAUDIA BENTMEN, CHRISTOPH WULF

(Hg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Reinbek 2001. 24

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Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von FRIEDRICH RANKE neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von RÜDIGER KROHN, Stuttgart 19843, V. 14221-14225. Zur Fiktdonalität kann hier summarisch auf die von WALTER HAUG mit seinem Buch: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfangen bis zum 13. Jahrhundert, Darmstadt 1985, angestoßene Debatte verwiesen werden. Vgl. zu den übrigen Paradigmen MICHEL ZINK: La subjectmte litteraire. Autor du siede de Saint Louis, Paris 1985; SARAH KAY: Subjectivity in Troubador Poetry, Cambridge 1990; JAN A. AERTSEN, ANDREAS SPEER (Hg.): Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin/New York 1996 (Miscellanea Mediaevalia 24), die den Schweipunkt auf philosophische und theologische Konzeptionen legen; PETER VON MOOS (Hg.): Unverwechselbarkeit Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, 23), K ö l n / W e i m a r / W i e n 2 0 0 4 ; M A R T I N BAISCH, J U T T A E M I N G , H E N D R I K J E H A U F E , A N D R E A SLE-

BER (Hg.): Inszenierungen von Subjektivität in der Literatur des Mittelalters, Königstein 2005. Weitgehend skeptisch gegenüber Ansätzen, für die mittelalterliche Literatur Tendenzen der Individualisierung geltend zu machen, äußert sich DIETER KARTSCHOKE. In seiner Sicht wird zwar das Individuum — als der Einzelmensch - , nicht aber Subjektivität oder Individualität als Form des Bewusstseins der eigenen Besonderheit thematisch. Vgl. DIETER KARTSCHOKE: IchDarstellung in der volkssprachigen Literatur. In: VAN DÜLMEN (Hg.), S. 61-78. Vgl. auch die übrigen Beiträge des Bandes.

Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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wurde, ist grundsätzlich zu rechnen. Emotionen können sich unmittelbar im Ausdruck niederschlagen, doch sie können dem Ausdruck auch vorausgehen, durch ihn verborgen oder simuliert werden. Im Folgenden wird diese Prämisse an zwei Traditionen der Darstellung von Emotionen in mittelalterlicher Literatur erörtert, die in jüngster Zeit verstärkt zur Diskussion standen und die sich auf den ersten Blick widersprechen. Die erste von ihnen ist die in mittelalterlichen Texten verbreitete Darstellungskonvention der .Affektüberwältigung'. Dabei wirkt es so, als ob eine Emotion den gesamten Körper ergreife. Gerade diese Darstellungsstrategie schien ELIAS' These der mangelnden Affektkontrolle in der mittelalterlichen Kultur recht zu geben. Doch umgekehrt, dies ist vor allem durch die Forschungen des Historikers GERD ALTHOFF deutlich geworden, ist in mittelalterlichen Texten unterschiedlicher Genres und Textsorten auch der strategische Einsatz von Emotionen zu beobachten, was eine weitgehende Kontrolle des Ausdrucks über die Emotion voraussetzt. Wenn aber beide Extreme, Affektentladung und Emotionskontrolle, nebeneinander bestehen, ergeben sich daraus Konsequenzen für die Voraussetzungen der Untersuchung von Emotionalität allgemein und speziell für das Verhältnis von Emotion und Expression.

Affektentladung und strategischer Gebrauch von Emotionen An vielen höfischen und heldenepischen Texten ließe sich zeigen, dass die emotionale .Entladung' eine zentrale Darstellungsstrategie der mittelalterlichen Literatur repräsentiert. Auch in Liebes- und Abenteuerromanen wirken die Figuren von .starken' Emotionen wie Zorn oder Verzweiflung ergriffen und überwältigt. Wie die folgende Passage aus Flecks FloreRoman illustriert, scheint die Emotion sich der Figur regelrecht zu bemächtigen: nü sehent, wie rehte kume der künic daz gelobete, wan er von zorne tobete. der was so grimme und so starc. (V. 1526-1529)

Diesen Darstellungsmustern liegt ein .hydraulisches Modell' des menschlichen Emotionsausdrucks zugrunde, das die Historikerin BARBARA H. ROSENWEIN kritisch beschrieben hat: „the emotions are like great liquids within each person, heaving and frothing, eager to be let out."26 Das hydraulische Modell geht, wie ROSENWEIN hervorhebt, auf die antike und 26

BARBARA H. ROSENWEIN: Worrying about Emotions in History. In: The American Historical Review 107/3 (2002), S. 821-845, hier S. 834.

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mittelalterliche Säftelehre zurück und repräsentiert ein kulturhistorisch und wissenschaftsgeschichtlich weit verbreitetes Denkmuster über das Entstehen und die Expression von Emotionen.27 So basieren nicht nur die Zivilisationstheorie nach ELIAS, sondern auch die Psychoanalyse, mentalitätsgeschichtliche Ansätze oder die Evolutionstheorie nach CHARLES DARWIN auf der Vorstellung, dass menschliche Emotionen im Sinne einer .Entladung' zum Ausdruck drängen. ROSENWEIN betont, dass dieses Modell durch die Erkenntnisse der neurologischen und sozialkonstruktivistischen Emotionsforschung zu den kreativen und kulturell codierten Komponenten des Gefühlsausdrucks nicht länger aufrechtzuerhalten ist: „There can be no ,untrammeled' emotional expression in this nonhydraulic view of the emotions because emotions are not pressing to be set free; they are created by each society, each culture, each community."28 In ROSENWEINS Sicht hat das hydraulische Modell außerdem die Sicht eines .kindlichen' Mittelalters unterstützt und emotionsgeschichtliche Forschungen auf das zentrale Paradigma der (Selbst-) Kontrolle eingeschränkt. Wird dieses Modell aufgegeben, ist der Weg frei für Forschungen zu historischen Emotionen und Expressionen, zu den kommunikativen Funktionen von Gefühlen und Stilen körpersprachlicher Ausdrucksmuster sowie zu den verschiedenen ,emotionalen Gemeinschaften', welche Gesellschaften ausbilden.29 Dieser Sicht ist prinzipiell beizupflichten. Sie hat zur Konsequenz, dass die beschriebenen Darstellungsmuster nicht phänomenologisch auf eine emotionale .Hydraulik' bezogen und dadurch naturalisiert, also als Indiz für ein unmittelbares Verhältnis mittelalterlicher Individuen zu ihren Emotionen gewertet werden können. Als Bezeichnung für eine Form der Stilisierung von Emotionen in literarischen Texten des Mittelalters bleibt der Begriff der .Affektentladung' dennoch sinnvoll. Dafür ist allerdings vorausgesetzt, dass die Affektentladung in den Texten zwar als spontan geschildert wird, grundsätzlich jedoch einer kulturell codierten Form des Gefühlsausdrucks folgt.30 Eine Affektendadung wäre dann nicht, wie es 27

Vgl. zur Temperamentenlehre als Hinteigrund fur Figurenkonzeption, Handlungsführung und Emotionsausdruck im frühneuhochdeutschen Roman die Untersuchung yon RADMEHR.

28

ROSENWEIN, S. 837.

29

Vgl. zu ROSENWEINS Vorschlag, „emotional communities" als Forschungsparadigma zu etablieren, ebd., S. 842ff. Vgl zur Affektentladung als Stilisierungsform in Kürze ausführlicher JUTTA EMING: Affektüberwältigung als Körperstil im höfischen Roman. In: PHHIPOWSKI, PRIOR, S. 251-265. Vgl außerdem RLDDER: Kampfzorn, S. 242ff., der für mittelalterliche Texte eine .Dramaturgie der Affekte* auf einer zweifachen Ebene ansetzt als ästhetische Darstellungsstrategie der Dichter und auf der Ebene einer kulturellen Tiefenschicht. Erstere, die literarische Asthetisierung, gehe dabei auf Letztere, die kulturelle Formung zurück. Im nächsten Kapitel wird das Verhältnis von kultureller und literarischer Tradition des Emotionssausdrucks am Beispiel von Gestik und ritualisierter Gefuhlskultur diskutiert.

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Zentrale Hiemen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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auch in der jüngeren Forschungsliteratur mitunter vertreten wird, als unkontrollierte Eruption ,roher' Emotionen zu erachten.31 Wie aus den mittelalterlichen Dichtungen immer wieder hervorgeht, kann dieser Gefühlsausdruck auch strategisch eingesetzt oder vorbereitet werden, ohne dass die Glaubwürdigkeit der Emotionen dadurch in irgendeiner Weise in Frage gestellt würde. Ein Beispiel findet sich etwa in den Partonopier-Romanen, in denen Partonopiers Mutter den König von Frankreich aufsucht, um ihn zur Einflussnahme auf ihren Sohn zu bewegen, und ihm dafür ihre Emotionen offenbart: da vant si von Korlingen den künec biderb unde wert, für den si nider üf den hert viel dräte viel enkriuzestal. ir herze üf ungemüete swal so vaste bi der stunde, daz si mit dem munde diu wort vil küme brähte für. (V. 6804-6811)

Die Erwähnung des überquellenden Herzens und der Fußfall mit ausgebreiteten Armen unterstreichen, dass Lucrete von heftigen Emotionen erfüllt ist. Zugleich wird der Gefühlausbruch aber von ihr dafür eingesetzt, um vom König eine Hilfszusage zu bekommen. Der Historiker ALTHOFF, dessen Forschungen zur ritualisierten politischen Kommunikation des Mittelalters der mediävistischen Emotionalitätsforschung wichtige Impulse gegeben haben, diskutiert viele vergleichbare Fälle eines kalkulierten Einsatzes von Emotionen im allgemeinen Rahmen der Herrschaftsrepräsentation und in Spezialfällen von Konfliktregelung und Friedensschlüssen. Aus historischen Quellen geht nach ALTHOFF hervor, dass der Emotionsausdruck in vielen Fällen

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So BEATE KELLNER in einem der Zivilisationstheorie verpflichteten Kommentar zur Darstellung von Gewalt im Ha/trüb von Kempten, der wohl über die Erzählung hinaus auch auf zivilisatorische Standards im 13. Jahrhundert zielt: „Stets geht es darum, im entscheidenden Moment ohne lange Vorüberlegung einfach loszuschlagen, Affekt und Ausdruck bilden solchermaßen im Handeln eine Einheit, durch die Kräfte der ratio werden die Impulse der Affekte nicht gebremst: Umstandslose und unkontrollierte Anwendung von Gewalt, sozusagen nackte Gewalt ist das besondere Kennzeichen dieses Handelns, welches die Rolle des Ritters in Richtung des Heros überschreitet" BEATE KELLNER: Der Ritter und die nackte Gewalt. Rollenentwürfe in Konrads von Würzburg .Heinrich von Kempten'. In: MATTHIAS MEYER, HANS-JOCHEN SCHIEWER

(Hg.): Literarisches Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. FS für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, Tübingen 2002, S. 361-384, hier S. 380. Eine so strikte Entgegensetzung von Affekt und Ratio, wie KELLNER sie hier voraussetzt, wird zumindest in der theoretischen Reflexion bereits im Mittelalter nicht angenommen (s.u.).

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Emotion und Expression

,auf Verabredung', in seiner Sicht:,zweckrational'32 erfolgte. Er stellt dabei allerdings die Frage, ob .hinter' dem Ausdruck ein ,echtes' Gefühl gestanden habe. Abgesehen davon, dass diese Frage sich nicht beantworten lässt, ist sie, da sie auf einen außertextuellen Sachverhalt zielt, für fiktdonale Texte nicht sinnvoll. Für fiktionale Texte kann die Frage, ob eine Emotion als simuliert oder als authentisch zu verstehen ist, aber aus dem Kontext erschlossen werden. Damit wird auch die Möglichkeit eröffnet, Einblicke in das Verhältnis von Authentisierung und Stilisierung des Emotionsausdrucks zu erhalten. Im Fall von Partonopiers Mutter besteht zum Beispiel kein Grund, daran zu zweifeln, dass ihre Emotionen als authentisch zu gelten haben, obwohl - oder gerade weil - sie durch den gestisch-körperlichen Ausdruck hochgradig stilisiert wirken. Nur dann, wenn eine Affektentladung grundsätzlich mit dem Paradigma mangelnder Affektkontrolle im Sinne von ELIAS in Verbindung gebracht wird, entsteht ein Widerspruch zum strategischen Einsatz von Emotionen. In dieser Arbeit wird eine Affektentladung nicht als ,unmittelbarer' Gefühlsausdruck verstanden, sondern als eine Darstellungsstrategie — und dies auch aus dem Grund, als sie, wie noch erläutert wird, in Liebes- und Abenteuerromanen zu den ritualisierten Ausdrucksmustern von Emotionen gehört.33 Der Begriff Affekt ist darüber hinaus der traditionsreichste aller Emotionsausdrücke. Er wurzelt in Affektenlehren, die zu den „Selbstbeschreibungsmodellen"34 der mittelalterlichen Kultur gehören. Mit ihm stellt sich die methodische Frage, unter welchen Bedingungen für die mittelalterliche Literatur zeitgenössische historische Modelle von Emotionalität und historische Emotionswörter herangezogen werden sollten. Auch das produktionsästhetische Argument ist zu bedenken, dass die klerikal ausgebildeten Dichter des Hochmittelalters vermutlich von diesen Konzepten Kenntnis hatten.35 Auf die Relevanz des Affekt-Begriffs und mittelalterlicher Gefühlskonzepte ist deshalb gesondert einzugehen.

Der Affekt-Begriff und historische Emotionswörter Der Begriff des Affekts hat seine wesentliche Prägung in der Antike durch die aufeinander aufbauenden Systematiken von Piaton, Aristoteles und der 32 33 34 35

Vgl. GERD ALTHOFF: Empörung, Tränen, Zerknirschung. Emotionen in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters. In: Ders.: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, S. 258-281, passim. Vg}. dazu ausführlich das nächste Kapitel. Den Begriff verwende ich in Anlehnung an BEATE KELLNER: Ursprung und Kontinuität Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004. Vgl. BUMKE: Emotion und Körperzeichen. Beobachtungen zum Willebalm Wolframs von Eschenbach. In: KELLERMANN, S. 13-32..

Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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Philosophen der Stoa, im Mittelalter durch Augustinus und Thomas von Aquin erhalten. 36 Affektenlehren bilden seit der Antike auch ein Teilgebiet der Rhetorik und werden erst im Laufe des 17. Jahrhunderts allmählich aus dieser ausgelagert, um in andere, teils neu entstehende Wissenschaften und Diskurse integriert und in ihrem Bedeutungsgehalt transformiert zu werden. 37 Ein zentrales Merkmal der Affektenlehren ist die Vorstellung, dass ein A f f e k t der Seele ,zustößt', auf sie ,einwirkt' und von ihr .erlitten' werden muss, was die Affinität zum Begriff der passio erhellt, der in mittelalterlichen Affektenlehren vorherrscht. 38 Dem stehen rationale und aktive Seelenbewegungen gegenüber, welche die Affekte kontrollieren und ersetzen können. 39 Die mittelalterlichen Affektenlehren sind deshalb - wie ihre antiken Vorbilder - systematisch und hierarchisch angelegt. Ihre Grundlage bildet eine Unterscheidung zwischen rationalen und emotionalen Seelenkräften. Repräsentativ für Affektenlehren des 12. Jahrhunderts ist der Gedanke, dass alle nicht-rationalen Seelenkräfte auf die Liebe zurückgehen. 40 Darüber hinaus behandeln die Affektenlehren auch Techniken der Affektkontrolle und beschreiben Verfahren der Ersetzung des einen A f fekts durch einen anderen. 41

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Grundzüge dieser Entwicklung sind dargestellt bei J. HENGELBROCK: Affekt. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Darmstadt 1971, Sp. 89-93 und bei JAMES GARDINER: Feeling and Emotion. A History of Theories, Westport, Connecticut 1970 [zuerst 1937], S. 89-118. Ausschließlich antike, fnihneuzeitliche und moderne Affektenlehren behandelt der Band von STEFAN HÜBSCH, DOMINIC KAEGI (Hg.): Affekte. Philosophische Beiträge zur Theorie der Emotionen, Heidelberg 1999. Vgl. grundlegend zu diesem Prozess RÜDIGER CAMPE: Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1990, ferner den kurzen Überblick bei ANJA KÜHNE: Vom Affekt zum Gefühl. Konvergenzen von Theorie und Literatur im Mittelalter am Beispiel von Konrads von Würzburg „Partonopier und Meliur", Göppingen 2004 (GAG 713), S. 307ff. sowie SUSAN JAMES: Passion and Action. The Emotions in SeventeenthCentury Philosophy, Oxford 1997. Vgl dazu insbesondere den Artikel von HENGELBROCK. Neben die Bedeutung von passio als .Erleiden' tritt schon im Mittelalter die Bedeutung von .Leidenschaft* als »heftiger Empfindung', aus der sich in der Frühen Neuzeit schließlich der Begriff der ,Passion' entwickelt Vgl. dazu ERICH AUERBACH: Passio als Leidenschaft. In: PMLA 1941 (LVI), S. 1179-1196. Die Relationierung von Passivität und Aktivität in Affektenlehren bis zum 17. Jahrhundert erläutert JAMES. Diese frühe rationale Qualität herauszuarbeiten, ist das besondere Anliegen der Studie von DDCON. Er macht plausibel, dass in modernen Emotionstheorien, insbesondere von SOLOMON, gerne die historische .Strohpuppe' („straw man", S. 243) der .überwältigenden', irrationalen Affekte herangezogen weide, um den modernen Erkenntnisfortschritt zu markieren. Dies unterschlägt die lange Tradition des Elaborierens aktiver, rationaler, kontrollierender Seelenkräfte. Vgl. auch die Studie von JAMES, ferner KLAUS RLDDER: Rationalität und Emotionalität. In: JAEGER, KASTEN, S. 203-221.

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Dies erläutert auch BUMKE: Emotion und Körperzeichen. Vgl. GARDIMER, zu Thomas von Aquin, S. 106ff., CHRISTOPH HUBER: Geistliche Psychagogie. Zur Theorie der Affekte im .Benjamin Minor' des Richard von St Viktor. In: JAEGER, KASTEN, S. 16-30.

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Emotion und Expression

Darstellungskonventionen von Emotionalität in fiktionalen Texten des Mittelalters orientieren sich, wie in Einzelstudien gezeigt wurde,42 auch an diesen Lehren über menschliche Affekte. Wenn die Autoren mittelalterlicher Dichtungen zeitgenössische Affektenlehren kannten, bedeutet dies jedoch noch nicht, dass sie sich bei der Darstellung von Emotionen bewusst und ausschließlich an ihnen orientierten. Denn sie greifen auch auf Erzählmuster und Diskursregeln zurück, zu denen Gattungskonventionen, intertextuelle Bezüge und tradierte Formen der Stilisierung und Ästhetisierung von Gefühlen gehören. Schließlich ist davon auszugehen, dass kulturell geprägte Erfahrungswerte des Erlebens von Gefühlen in sie eingegangen sind. Grundlegend für die Entscheidung, in dieser Untersuchung mit modernen Konzeptualisierungen von Emotionen zu arbeiten, ist - wie noch ausführlich erläutert wird - jedoch in erster Linie die Beobachtung, dass diese andere Valenzen der Darstellungsmuster von Emotionen erfasst als der Begriff des Affekts. Grundsätzlich ist eine Nähe zwischen dem antiken und mittelalterlichen und dem modernen Affektbegriff festzustellen.43 Dies gilt zum einen für die Phänomenologie der Affekte. Aristoteles' einflussreiche Affektenlehre im 2. Buch seiner Rhetorik behandelt mit Zorn, Freude und Angst eine Reihe von Emotionen, die noch heute, abhängig vom jeweiligen Ansatz, als Basisemotion oder als Affekt eingestuft werden. Aber auch die Qualität des emotionalen Erlebens wird in historischen und modernen Konzeptionen ähnlich eingestuft. In beiden Fällen werden unter Affekten heftige, spontane Zustände des Fühlens von relativ kurzer Dauer verstanden. Wichtig ist außerdem, dass sie im Unterschied etwa zur Stimmung für das Subjekt zumeist identifizierbar sind: Zorn und Ekel werden, zumindest vorübergehend, auch als solche erlebt. Der Affekt-Begriff wird in dieser Untersuchung auch aus dem Grund vornehmlich für die Darstellungsform der ,Endadung* gebraucht, als mit ihr einem solchen heftigen, vorübergehenden und relativ eindeutigen Fühlen Ausdruck verliehen wird. In allen übrigen Fällen wird ,Emotion' als allgemeine Kategorie verwendet, nur gelegentlich wird in allgemeinem Sinne von ,Gefühl' oder,Fühlen' gesprochen. 42

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Vgl. BUMKE: Emotion und Körperzeichen, für die in dieser Arbeit untersuchten Romane vor allem SUSANNE RHCL: Erzählen im Kontext von Affekt und Ratio. Studien zu Konrads von Würzburg ,Partonopier und Meliür', Frankfurt a. M. u.a. 1996 (Mikrokosmos 46), außerdem die Arbeit von KÜHNE. Vgl. auch SCHNELL: Historische Emotionalität, S. 208. URSULA SCHULZE: Emotionalität im Geistlichen Spiel. Die Vermittlung von Schmerz und Trauer in der ,Bordesholmer Marienklage' und verwandten Szenen. In: HANS-JOACHIM ZlEGF.T.F.R (Hg.): Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen 2004, S. 177-193, hier S. 178, setzt für die Analyse des mittelalterlichen Affektausdrucks im Geistlichen Spiel einen modernen Begriff von Affekt bzw. Basisemotion an.

Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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Ein anderer Zugang zu historischen Emotionskonzepten orientiert sich an ihrer sprachlichen Bezeichnung.44 Ein Ansatz beim EmotionsVokabular gilt nicht nur als eine der wichtigsten Methoden, um Erkenntnisse über kulturspezifische und/oder universale Emotionen unterschiedlicher Gesellschaften zu gewinnen,45 er gehört auch zu den anerkannten philologischen Methoden der Mediävistik. Aus Untersuchungen zur Lexik und zu Zentralbegriffen der höfischen Kultur ist Mediävisten insbesondere die Verbindung emotionaler und rationaler Elemente vertraut. Denn in der Semantik vieler mittelhochdeutscher Begriffe ist in eins gesetzt, was der spätere Sprachgebrauch dissoziiert hat. Das Wort muot zum Beispiel bezeichnet eine heftige Erregung oder Stimmung, aber auch eine Absicht oder einen Entschluss. Eine Wendung wie der in mittelhochdeutscher Literatur häufige Ausdruck vom vesten muot beschreibt die Bündelung rationaler Erwägungen und emotionaler Energien zu dem Zweck, eine Handlung erfolgreich durchzuführen. Eine entsprechende neuhochdeutsche Wendung steht nicht zur Verfügung. Auch der mittelhochdeutsche Begriff tugent bezieht sich auf ein Bündel von Qualitäten, zu denen die vorbildliche äußere Erscheinung ebenso gehört wie ein angenehmer Charakter, das Betragen oder allgemein das - im ethischen Sinne - richtige Handeln, das auch sexuelle Zurückhaltung einschließt. Während seines historischen Bedeutungswandels ist tugent auf einen Moralbegriff eingeschränkt worden, während ,äußere' und .innere' Qualitäten mit je anderen Bezeichnungen belehnt werden. Bislang fehlen systematische Untersuchungen zu Bestand und Semantik der Emotionswörter in mittelhochdeutscher und frühneuhochdeutscher Sprache und der an sie geknüpften ethischen und handlungstheoretischen Konzepte. Die Ermitdung einer solchen historischen Semantik der Emotionalität erfordert umfangreiche vergleichende Studien zu Wortkonstruktionen, Textsorten und Sprachen, die in einer Untersuchung wie dieser, die einen anderen systematischen Fokus hat, nicht zu leisten ist.46 Auf die Ebene der Wortsemantik wird in dieser Untersuchung 44

45



Eine solche Auffassung vertritt selbst PAUL ΕΚΜΛΝ, der Theoretiker der Basisemotionen (s.u.): „Not having a word for an emotional state, or as many words, may well influence emotional experience. Without being able to name feelings, it is harder to distinguish them, etc." PAUL EKMAN: Facial Expressions. In: TIM DALGEISH, MICK J . POWER (Hg.): Handbook of Cognition and Emotion, Chichester u.a. 1999, S. 301-320, hier S. 317. Zu deren exponiertesten Vertretern gehört die Linguistin ANNA WlERZBICKA. Vgl. ANNA WlERZBICKA: Human Emotions. Universal or Culture-Specific?. In: American Anthropologist 88/3 (1986), S. 584-594. In diesem Artikel wendet sich WlERZBICKA in einer Art von Summe ihrer bisherigen Forschungen gegen eine Annahme universaler Emotionen, welche die kulturspezifischen Bezeichnungen für Gefühle unberücksichtigt lässt. Vgl. WOLFGANG HAUBRICHS: Emotionen vor dem Tode und ihre Ritualisierung. In: JAEGER, KASTEN, S . 7 0 - 9 7 .

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nur dann eingegangen, wenn sich damit die Funktion von Emotionen im Handlungskontext klären lässt. Historische Psychologie und Psychoanalyse Eine ältere Kontroverse und ein größerer Gegensatz zu ELIAS' Zivilisationstheorie als derjenige, den die Forschungen ALTHOFFS bezeichnen, besteht in der Mediävistik mit Blick auf die Frage, ob Konventionen des Emotionsausdrucks im Rekurs auf psychologische und psychoanalytische Kategorien beschrieben werden können. In diesem Falle würde - unter anderem — davon ausgegangen, dass in mittelalterlichen Texten psychische Prozesse beschrieben sind, die einer unbewussten Dynamik des Verstellens folgen. Dieses Problem tangiert das Gebiet der Historischen Psychologie und ihre Forschungsprämisse, dass Methoden und Erkenntnisse der Psychoanalyse historisiert werden können. Weil die Fragestellungen und Ansätze der Historischen Psychologie auch Fragen historischer Emotionalität betreffen,47 müssen sie hier thematisiert werden. Antiken und mittelalterlichen Affektenlehren nicht ganz unähnlich, in denen die Seele als Feld widerstrebender Kräfte beschrieben wird, betrachtet die Psychoanalyse das menschliche Innere als Schlachtfeld,48 auf dem die widersprüchlichen psychischen Instanzen von Es, Ich und Überich erbitterte Kämpfe miteinander austragen. Weil diese Kämpfe zugleich vom Bewusstsein zensiert werden, kommen sie in der menschlichen Physis vornehmlich in Form von Indizien zum Ausdruck, in pathologischen Symptomen, in Träumen oder sprachlichen Fehlleistungen. Die Sprache steht dieser Auffassung zufolge im Dienste des Scheins. Denn so viel sie ausdrückt, hält sie auch verborgen, entstellt, sagt das, was gerade nicht gemeint ist. Schlagworte wie „Geheimnis", „Selbstverrat", „Heuchelei" nehmen, wie ein Blick in das Hauptregister der Gesammelten Werke von SIGMUND FREUD zeigt, in der psychoanalytischen Theorie und Praxis deshalb einen zentralen Stellenwert ein 49 Die Psychoanalyse ist aufgrund

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Vgl. zu diesem Zusammenhang EMING: Mediävistik und Psychoanalyse. In: JAEGER, KASTEN, S. 31-44. Die Kampfmetaphorik in der Psychoanalyse und der - durch sie beeinflussten - deutschen Literatur vor dem ersten Weltkrieg beschreibt THOMAS ΑΝΖ: Die Seele als Kriegsschauplatz. Psychoanalytische und literarische Beschreibungen eines Kampfes. In: THOMAS ANZ, CHRISTINE KANZ (Hg.): Psychoanalyse in der modernen Literatur. Kooperation und Konkurrenz, Würzburg 1999, S. 97-108. Vgl. SIGMUND FREUD: Gesammelte Werke XVHI: Gesamtregister. Zusammengestellt von ULLA VESZY-WAGNER, 4. korrigierte Auflage Frankfurt a. M. 1968.

Zentrale Themen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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ihrer Suche nach dem ,verborgenen Sinn' auch als .Übersetzungswissenschaft' bezeichnet worden.50 Ob diese Theorie der menschlichen Seele von einem bürgerlichen Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, der von medizinischen und psychologischen Diskursen seiner Zeit beeinflusst war, für das Mittelalter Gültigkeit hat, wird in der Mediävistik von vielen Seiten bezweifelt.51 Die damit verbundene Frage, ob psychologische oder psychoanalytische Kategorien auch für die Interpretation literarischer Texte des Mittelalters geeignet wären,52 wird um so kritischer beurteilt, als dies bereits für die Literatur der Moderne umstritten ist.53 Grundsätzlich ist jedoch eine .Psychologisierung' literarischer Figuren von der Psychoanalyse als Methode der Interpretation zu unterscheiden. Unter einer Psychologisierung lassen sich Versuche verstehen, Motivationen und Konflikte einer literarischen Figur aus ihrem ,Charakter' abzuleiten - dessen fiktionaler Status damit nicht hinreichend reflektiert wird - , statt sie in literarischen Funktionszusammenhängen zu situieren.54 Wenn, wie M Ü L L E R in polemischer Zuspitzung formuliert, „sich auch dann noch kein schlüssiges Bild ergibt [...], kann man psychologische Stimmigkeit im Sinne moderner Erwartungen [...] herzustellen versuchen." 55 So betrachtet bezeichnete die Psychologisierung eine Tendenz, Darstellungen von Emotionen nicht zu historisieren, sondern mit modernen Gefühlskonzepten kurzzuschließen. Eine Psychologisierung von Figuren aus literarischen Texten des Mittelalters hat sich vielfach als 50

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Vgl. MANFRED GEIER; Methoden der Sprach- und Literaturwissenschaft. Darstellung und Kritik, München 1983, S. 74ff. Auf der anderen Seite wird der Sprache ein hohes Ausdruckspotential zugeschrieben, denn auf der Möglichkeit, Emotionen und innere Zustände verbalisieren zu können, beruht der therapeutische Prozess. Dies akzentuiert NANCY J. CHODOROW: Die Macht der Gefühle. Subjekt und Bedeutung in Psychoanalyse, Geschlecht und Kultur, Stuttgart/Berlin/Köln 2001. Am nachdrücklichsten von CZERWINSKI. Zu den Verteidigern der Psychoanalyse in der germanistischen Mediävistik gehört KARL BERTAU: Wolfram von Eschenbach. Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte, München 1983. Vgl. auch den Oberblick bei EMING: Mediävistik und Psychoanalyse. Vgl. außerdem die aktuelle Debatte in den USA um PAUL STROHM: Theory and the Premodem Text, Minneapolis 2000 (Medieval Cultures 26), dazu LEE PATTERSON: Chaucer's Pardoner on the Couch: Psyche and Clio in Medieval Literary Studies. In: Speculum 76 (2001), S. 638-680 und die Reaktion von CYNTHIA MARSHALL: Psychoanalyzing the prepsychoanalytical Subject In: PMLA 117.5 (2002), S. 1207-1216. Dies zeigen nicht zuletzt die Klärungsversuche von THOMAS ΑΝΖ: Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen, München 2002, TERRY EAGLETON: Einführung in die Literaturtheorie, Stuttgart 1998 (Sammlung Metzler 246), S. 138-168 und WALTER SCHÖNAU: Einfuhrung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft, Stuttgart 1991 (Sammlung Metzler 259). VgL dazu auch MATTHIAS MEYER: Der Weg des Individuums. Der epische Held und (s)ein Ich. In: URSULA PETERS (Hg.): Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450, Stuttgart/Weimar 2001, S. 529-545. MOLLER: Spielregeln, S. 201.

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problematisch erwiesen und wird gegenwärtig kaum noch verfolgt. Die Produktivität psychoanalytischer Kategorien wird trotz der Kritik, der sie in der Mediävistik traditionell ausgesetzt waren, dagegen nach wie vor diskutiert. Mit Einschränkungen lässt sich sagen, dass der gleiche Prozess, den ELIAS auf einer diachronen Ebene verortet, von FREUD auf einer synchronen Ebene angesiedelt wird. FREUD geht allerdings genau wie ELIAS — und anders als das verbreitete Vorurteil es besagt — davon aus, dass die menschliche Psyche sich in Auseinandersetzung mit Kultur und Gesellschaft entwickelt und sich historisch verändert, ferner, dass Fremdzwänge sowohl onto- als auch phylogenetisch in Selbstzwänge verwandelt werden.56 Es hat in dieser Hinsicht durchaus eine Berechtigung, sowohl FREUD als auch ELLAS als Vorläufer der Historischen Psychologie zu begreifen.57 Anders als ELIAS setzt FREUD allerdings keine dauerhafte Umstrukturierung der Triebstruktur oder des ,Es' voraus. Gleichsam direkt unter der Oberfläche lauern FREUD zufolge aggressive, als primitiv gedachte Impulse, die sich in extremen Situationen, wie denen des Krieges, wieder ,endaden' können.58 Deshalb ist es in seiner Sicht jedem einzelnen Menschen im Zuge seiner Entwicklung zum Erwachsenen neu aufgegeben, Triebe und Affekte zu kontrollieren und in anderen Tätigkeiten zu sublimieren. Die Psychoanalyse erforscht in erster Linie die Emotionen realer Menschen. Die Bedingungen eines Transfers ihrer Kategorien auf literarische Texte bereiten ihr jedoch insofern keine Probleme, als sie Texte ebenso wie Träume oder sprachliche Fehlleistungen als Material behandelt, dessen Verschlüsselungen unbewussten Regeln folgen.59 Historische Forschungen, die sich an FREUDs Modell der Psyche orientieren, schließen deshalb mitunter aus schriftlichen Quellen auf außertextuelle Konflikte. Dies gilt etwa für die Forschungen der Historikerin LYNDAL ROPER, die in der Darstellung familialer und sozialer Konfliktkonstellationen in frühneuzeitlichen Quellen eine ödipale Problematik identifiziert.60 Die Frage, ob den von FREUD angesetzten Komponenten der Psyche damit ein universaler Status zukommt, die viele Kritiker FREUDs beschäftigt, ist speku56 57

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Vgl. NORBERT RATH: Innere Natur als sedimentierte Geschichte? Freuds Stellung zum Gedanken einer Historizität des Psychischen. In: JÜTTEMANN, S. 224-229. Vgl. RATH, ferner PETER REINHART GLEICHMANN: Zur Historisch-Soziologischen Psychologie

von Norbert Elias. In: JÜTTEMANN, S. 451-462. Vgl. die Ausführungen, die Freud aus Anlass des Ausbruchs des ersten Weltkriegs publizierte, SIGMUND FREUD: Zeitgemäßes über Krieg und Tod. In: Gesammelte Werke X, Frankfurt a. M. 71981, S. 324-355, hier S. 354. Vgl. dazu insbesondere EAGLETON, S. 138-168. Vgl· LYNDAL ROPER: ödipus und der Teufel. Körper und Psyche in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1995, S. llff.

Zentrale Themen und Ansitze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

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lativ und kann wohl nur auf der Basis sehr breiter Forschungen beantwortet werden. In der literaturwissenschaftlichen Mediävistik hat es sich jedoch vielfach als produktiv erwiesen, für innertextuelle Themen wie Komik, Obszönität, Sexualität und Gewalt - und fur Verschränkungen dieser Bereiche - auf FREUDs Kategorien zu rekurrieren.61 Auch die Unterscheidung, die FREUD zwischen Melancholie und Trauer trifft, war fur mediävistische Untersuchungen immer wieder anregend.62 Selbst Darstellungen von Träumen, die in der Mediävistik traditionell als Vorausdeutungen gelesen werden, lassen sich, wie HANS-JÜRGEN BACHORSKI und CHRISTINE PFAU gezeigt haben, in unterschiedlicher Weise mit den FREUDSCHEN Kategorien von Verdichtung und Verschiebung deuten.63 Ähnliches gilt für den Poststrukturalismus. In ihm reicht die eingangs skizzierte Vorstellung, dass die Psyche nur in defizitärer Weise sprachlich repräsentiert werden kann, noch einen Schritt weiter. Sein Ausgangspunkt liegt in der Psychoanalyse FREUDSCHER Prägung, die JACQUES LACAN im

Rekurs auf die strukturale Linguistik FERDINAND DE SAUSSURES weiter entwickelte. DE SAUSSURES' Beschreibung der Sprache als eines Systems von Operationen, die durch die Produktion von Differenzen Bedeutung nicht repräsentieren, sondern konstituieren, revidiert LACAN in einem entscheidenden Punkt: Die Produktion von Bedeutung resultiert nach LACAN nicht aus der Verbindung von Signifikant und Signifikat, sondern aus einer Verknüpfung von Signifikanten, als deren Produkt das Signifikat — zum Beispiel das kulturelle Geschlecht64 — erst entsteht.65 In poststrukturalistischen Lektüren wird deshalb der ^latente' Sinn gegenüber dem

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Vgl. dazu die Beispiele bei EMING: Mediävistik und Psychoanalyse. So fur RÖCKE: Liebe und Melancholie, und ders.: Die Faszination der Traurigkeit Vgl. auch ANDREA SIEBER: Lancelot und Galahot Melancholische Helden? In: MARTIN BAISCH u.a. (Hg.): Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts, Göttingen 2003 (Aventiuren 1), S. 209-232, und dies.: Zwischen phantasey und vmtunffi. Strategien der Selbstthematisierung in Hans Sachs' lyrischen Streitgesprächen. In: BAISCH, EMING, HAUFE,

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Vgl. HANS-JÜRGEN BACHORSKI: Träume, die überhaupt niemals geträumt Zur Deutung von Träumen in mittelalterlicher Literatur. Unveröffentlichtes Manuskript; CHRISTINE PFAU: Drei Arten, von Liebe zu träumen. Zur Traumsemantik in zwei Prosaromanen Jörg Wickrams. In: ZfG 8 (1998), S. 282-301. Während PFAU diese Verfahren im Anschluss an EAGLETON als innertextuelle Strategie beschreibt, in der sich das Erzählen in einen Text und einen Subtext spaltet, stellt BACHORSKI eine Verbindung zwischen dem dargestellten Unbewussten der Figuren und dem Unbewussten des Erzählers und impliziten Autors her. Vgl. EAGLETON, S. 169ff. Vgl. auch die Ausführungen zum .Unbewussten des Textes' bei STROHM, S. 165ff. Diesen Zusammenhang erläutert RENATE HOF: Die Grammatik der Geschlechter. Gender als Analysekategorie der Literaturwissenschaft, Frankfurt/New York 1995, S. 115ff. Vgl. die konzise Darstellung bei HELGA GALLAS: Das Textbegehren des .Michael Kohlhaas'. Die Sprache des Unbewußten und der Sinn der Literatur, Reinbek 1981.

SIEBER, S. 309-323.

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.wörtlichen* Sinn der Sprache privilegiert.66 Sprache fungiert als Repräsentant des gesellschaftlichen ,Gesetzes', dem gegenüber das Subjekt sich bestenfalls indirekt, auf der Ebene der Strukturen und Signifikantenketten, zum Ausdruck bringen kann. Im Poststrukturalismus und in vergleichbar argumentierenden dekonstruktivistischen Kulturtheorien scheint die moderne Vorstellung von der Differenz zwischen kultureller Repräsentation und Psyche radikalisiert.67 In der literaturwissenschaftlichen Mediävistik sind die Ansätze des Poststrukturalismus insgesamt weniger als die der .orthodoxen' FREUDschen Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie nach C. G. JUNG verfolgt worden, vielleicht aus dem Grund, weil sie - anders als der Ansatz von FREUD - zunächst keine Möglichkeiten der Historisierung bieten. Vor allem in der romanistischen und angloamerikanischen Mediävistik wurden poststrukturalistische Lektüren mittelalterlicher Texte entwickelt, die unterhalb der konventionellen Ausdrucksebene von Sprache, dem ,Wortsinn', Strukturen beschreiben, in denen sich Begehren artikuliert.68 Gerade weil hinsichtlich der psychischen Instanzen und Dynamiken, mit denen die Psychoanalyse argumentiert, ebenso wenig von Entitäten ausgegangen werden kann wie mit Blick auf Emotionen, sollten ihre Prämissen heuristisch verwendet werden. Es gibt keinen Grund, diesen Ansatz gerade für emotionstheoretische Fragestellungen vorab zu verwerfen. Die Methoden der Psychoanalyse sind in Bezug auf mediävistische und emotionsgeschichtliche Fragestellungen vielmehr gerade für die Analyse von Konflikten und ambivalenten Konstellationen fruchtbar.69 Denn die Psychoanalyse ist wesentlich eine Disziplin, die sich mit emotionalen Kon66

67 68

In Analogie zur FREUDSCHEN Unterscheidung zwischen latentem und manifestem Trauminhalt, vgl. GALLAS, S. 100: „Der literarische Text hat eine Mitteilungs- und Informationsfunktion, diese ist aber nicht die einzige, nicht einmal die wichtigste. Über den .normalen' Wortsinn des Textes hinaus wird ein anderer, ein latenter Sinn im Text entfaltet." Vgl. ELISABETH BRONFEN: Weiblichkeit und Repräsentation - aus der Perspektive von Semiotik, Ästhetik und Psychoanalyse. In: HADUMOD BUßMANN, RENATE HOF (Hg.): Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995, S. 408-445. Vgl· zur Rezeption der Psychoanalyse in der französischen und angloamerikanischen Literaturwissenschaft generell SCHÖNAU; vgl. außerdem den Überblick von FRIEDRICH WOLFZETTEL, der auchtiefenpsychologischeArbeiten einbezieht: Mediävistik und Psychoanalyse. Eine Bestandsaufnahme. In: ERNSTPETER RUHE, RUDOLF BEHRENS (Hg.): Mittelalterbilder aus neuer

Perspektive. Diskussionsanstöße zu amour amrtois, Subjektivität in der Dichtung und Strategien des Erzählens, München 1985, S. 210-239. Einen Einblick in die amerikanische Forschung geben PATTERSON und MARSHALL. ZU neuen, an LAGAN orientierten Studien zählen WALBURGA

HÜLK: Schrift-Spuren von Subjektivität Lektüren literarischer Texte desfranzösischenMittelalters, Tübingen 1999 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 297), sowie SARAH KAY: Courtly Contradictions. Hie Emergence of the Literary Object in the Twelfth Century, Stanford 2001; KATHRYN STARKEY: Thomasins Spiegelphase. (Selbst) Reflexion und Bildfunktion bei der Formierung des höfischen Subjekts. In: BAISCH, EMING, HAUFE, SLEBER, S. 230-248.

69

Vgl. zu diesem Aspekt EMING: Mediävistik und Psychoanalyse.

Zentrale Hiemen und Ansätze der emotionsgeschichtlich orientierten Mediävistik

51

flikten beschäftigt, wenn sie auch, wie nun gezeigt wird, an die Spannbreite potentieller emotionstheoretischer Fragestellungen nicht heranreicht. Potentiale der Emotionsforschung Aus der bisherigen Darstellung geht hervor, dass keines der bekannteren Modelle von Emotion und Expression - Affektendadung und Affektkontrolle, Simulation und strategischer Einsatz von Emotionen, Verstellung und Verdrängung - prinzipiell für die Untersuchung mittelalterlicher Texte irrelevant ist. In dem Moment jedoch, in dem diese Modelle absolut gesetzt werden, implizieren sie ihre wechselseitige Ausschließung. Wenn zum Beispiel davon ausgegangen wird, dass Emotionen in mittelalterlichen Texten grundsätzlich als Affekt gestaltet sind und dass die mittelalterliche Literatur das Problem der Affektkontrolle behandelt, dann ist ein Ansatz wie derjenige von ALTHOFF, dem zufolge Emotionen strategisch ausgedrückt werden, kaum zu integrieren. In der Möglichkeit, bestehende Paradigmen wie Affektendadung und Verdrängung integrieren und Hypothesen zur Kontrolle und Simulation von Emotionen bilden zu können, ohne auf sie beschränkt zu bleiben, sondern grundsätzlich eine Diversität von Emotionen und ihrer Ausdrucksmuster anzunehmen, liegt nun aber eine der Stärken und Chancen des emotionsgeschichtlichen Ansatzes für die mediävistische Literaturwissenschaft.70 Mit emotionstheoretischen Fragestellungen können nicht nur Konzepte des Seelischen71 und Interrelationen von Außen und Innen, sondern, im Extremfall, sogar reine Ausdrucksformen von Emotionen untersucht werden, die gar kein Innen voraussetzen.72 Wenn Emotion und Expression ferner nicht α priori mit einer so oder anders entwickelten Seele, historischen Psyche oder Triebstruktur und Prozessen ihrer historischen Veränderung in Verbindung gebracht werden, geraten ihre Funktionen in einer Vielfalt von sozialen Kontexten in den Blick. Der Gefühlsausdruck lässt sich so - zum Beispiel - auf sein Potential für die Erzeugung und Lösung von Konflikten, die Inklusion in und Exklusion 70

71

72

Der Terminus Emotion ist nur dann ,over-inclusive', wie T H O M A S D L X O N in einer wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung zur Genese des Emotions-Begriffs in der englischen Philosophie und Psychologie kritisiert, wenn auf solche Spezifizierungen verzichtet wird. Vgl. D L X O N , S.244ff. Im bereits mehrfach zitierten Band zu .Codierungen von Emotionen' von J A E G E R , K A S T E N konnten deshalb auch Beiträge zu Affektenlehren und Konzepten des Seelischen erscheinen, vgl. die Aufsätze von H U B E R und L Ä R G I E R . Vgl. zu diesem Fall, zusammengefasst unter dem Schlagwort .Emotion als Handlung', die Diskussion bei S C H N E L L : Historische Emotionsforschung, außerdem M O L L E R : Spielregeln, und P H H I P O W S K I : Körper-Räume; Geste und Inszenierung.

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Emoäon und Expression

aus Gemeinschaften, für die Individualisierung und Subjektivierung73 oder die genderspezifische Zuschreibung einer Figur befragen. Der Zugriff auf historische Emotionalität, der mit solchen Fragestellungen möglich wird, bleibt der Feinanalyse literarischer Texte verhaftet. Obwohl prinzipiell davon auszugehen ist, dass diese Texte - wie literarische Werke generell — paradigmatische Situationen durchspielen und zugleich codieren,74 richtet sich im Folgenden das Erkenntnisinteresse nicht primär auf die Frage nach den lebensweltlichen Bezügen der dargestellten Emotionen. Dies unterscheidet den emotionstheoretischen Ansatz dieser Untersuchung von verwandten Fragestellungen, mit denen Emotionen in Texten in erster Linie als Indizien für übergreifende, außertextuelle Einstellungen und Verfasstheiten analysiert werden.75 Dies gilt für die Historische Psychologie, die Diskursivierungen der Psyche ermittelt,76 ebenso wie für die Historische Anthropologie und die Mentalitätengeschichte, insofern diese versuchen, eine »Geschichte der affektiven Dispositionen' (PETERS) ZU rekonstruieren77 oder Aussagen über Grundgegebenheiten menschlichen Lebens zu treffen, zu denen das Fühlen fraglos gehört.78 Auch wenn das Verhältnis zwischen Literatur und Wirklichkeit dabei als vielfach vermitteltes gedacht wird, um literarische Texte etwa daraufhin zu befragen, unter welchen Bedingungen sie „zum Verständigungs- und Reflexionsmedium über als anthropologisch gedachte Sachverhalte in jeweils spezifischen Gruppen werden konnten",79 zielt die Historische Anthropologie auf in höherem Maße verallgemeinerungsfahigere Ergebnisse als solche, wie Detailanalysen einzelner Text sie gewährleisten können. Der emotionsgeschichtliche Ansatz, den diese Untersuchung verfolgt, richtet sich also nicht auf Modelle einer historischen Psyche oder Affektstruktur, sondern dezidiert auf Konzeptualisierungen, Funktionen und Ausdrucksmuster von Emotionen in literarischen Texten. Dafür gilt es 73

Vgl. dazu JUTTA EMING: .Trauern Helfen'. Subjektivität und historische Emotionalität in der

74 75

Vgl dazu weiter unten den Punkt „Modellierung, Codierung und Normierung". Dass die Emotionalitätsforschung - wie viele andere Ansätze - Fragestellungen und Anregungen von benachbarten Forschungsrichtungen aufnimmt, ist selbstverständlich und nicht Beweis fur die Tatsache, dass sie als Disziplin gar nicht existiere, wie SCHNELL: Historische Emotionsforschung, konstatiert. Vgl. LOTHAR MOLLER, S. 126: „In der Rekonstruktion vergangener Formen des Wissens von der Seele, im Nachzeichnen der Geschichte ihrer Versprachlichung und Verbildlichung, ist die historische Psychologie' auf der Suche nach der Prvduktionsgtschichte da Psychischen." (Hervorheb. im Original)

Episode um Gahmurets Zelt. In: BAISCH, EMING, HAUFE, SLEBER, S. 107-121.

76

77

VgL URSULA PETERS, Historische Anthropologie, S. 64.

78

Aus diesem Grund erscheint BÖHMES Aufsatz „Gefühl" im „Handbuch Historische Anthropologie". KLENING: Anthropologische Zugänge, S. 92.

79

Emotion und Expression in emotionstheoretischer Perspektive

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nun, die Dichotomie von Emotion und Expression emotionstheoretisch zu präzisieren. In der Mediävistik wird vielfach unspezifisch von Affekten und Trieben gesprochen. Wie im folgenden erläutert wird, stellt die Emotionsforschung Kategorien bereit, mit denen sich die Terminologie mit Blick auf die Darstellungsmuster in literarischen Texten schärfer fassen lässt.

3.2 Emotion und Expression in emotionstheoretischer Perspektive In wissenschaftlichen Theorien der Emotionalität, in so unterschiedlichen Disziplinen sie im Einzelnen vertreten werden, zeichnet sich generell die gegenläufige Tendenz zu der traditionsreichen Auffassung von der mangelnden Vermittelbarkeit des Gefühls ab, die zu Beginn dieses Kapitels skizziert wurde. Statt einer tendenziell scheiternden Kommunizierbarkeit von Emotionen wird ihre Wahrnehmbarkeit und intersubjektive Verständlichkeit, ihre Objektivierbarkeit und, wie in der Phänomenologie der Gefühle von HERMANN SCHMITZ, ihre Ausbreitung im Raum konstatiert.80 HARTMUT BÖHME fordert deshalb, die historische Dichotomie von Emotion und Expression in Frage zu stellen: Wie, wenn es gar nichts zu übersetzen gäbe? Wenn Seele und Leib, Bedeutung und Zeichen, Innen und Außen sich überhaupt nicht als zwei Imperien am Menschen zeigten, die miteinander mühselig durch Begriffs-Diplomatie in Beziehung und Austausch gebracht werden müssten? Wenn dieser Dualismus ein historisches Konstrukt wäre, dessen kulturelle Selbstverständlichkeit erklärt und überwunden werden kann?81

Um Formen und Funktionen einer Relationierung von Emotion und Expression zu untersuchen, stehen in der Mediävistik nicht genügend methodische Ansätze zu Verfügung. In anderen Wissenschaften haben Fragen nach den Bedingungen und Ausdrucksformen menschlichen Fühlens dagegen seit einigen Jahrzehnten Konjunktur. Ausschlaggebend dafür war die allmähliche Erkenntnis, dass die traditionelle Entgegensetzung

80

Vgl. HERMANN SCHMITZ: Die Verwaltung der Gefühle in Theorie, Macht und Phantasie. In: BENTHIEN, FLEIG, KASTEN (Hg.), S. 42-59; dieser Aufsatz kann als Einfuhrung in SCHMITZ' funfbändiges Werk zur Phänomenologie der Gefühle gelten. HERMANN SCHMITZ: System der Philosophie. 5 Bde, Bonn 1964-1980. Vgl zur interaktiven Konzeptualisierung von Emotionen REINHARD FLEHLER: Kommunikation und Emotion: theoretische und empirische Untersuchungen zur Rolle von Emotionen in der verbalen Interaktion, Berlin/New York 1990 (Grundlagen der Kommunikation und Kognition).

81

BÖHME, S. 530.

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Emotion und Expression

von Rationalität und Gefühl nicht aufrechtzuerhalten ist.82 Im Zusammenhang damit verlor die über Jahrhunderte in den Wissenschaften hegemoniale These ihre Gültigkeit, dass Emotionalität sich den Verfahren .objektiver' Analyse entzieht. Das Paradigma des vernunftbestimmten Menschen und die Dichotomien von Subjekt-Objekt oder Körper-Geist wurden zugunsten integrativer Modelle aufgegeben, die den Einfluss der Emotionen auf menschliches Erleben, Handeln und Urteilen geltend machen. Das Feld der Emotionalitätsforschung wird von unterschiedlichen Disziplinen vermessen. Zu den wichtigsten zählen Psychologie und Philosophie, Soziologie, Ethnologie und Neurophysiologie. Als Hauptströmungen lassen sich jedoch die biologische Grundlagenforschung auf der einen, der Sozialkonstruktivismus auf der anderen Seite unterscheiden. Sie bilden keine harten Gegensätze, sondern bezeichnen je andere Gewichtungen, die grundsätzlich keine wechselseitige Ausschließung implizieren. Ebenso, wie kaum strittig ist, dass Emotionen eine neurophysiologische Basis haben, wird der Auffassung nicht widersprochen, dass sie kulturellen Einflüssen unterliegen. Abweichungen bestehen in den Methoden und in der Frage, wie hoch die konstanten und Varianten Anteile des menschlichen Gefühlshaushaltes jeweils zu veranschlagen sind.83 Durch manche Befunde, wie demjenigen, dass zentrale Operationen des Gehirns daraus bestehen, Wahrnehmung zu konstruieren,84 schließt sich zwischen Biologie und Konstruktivismus gewissermaßen wieder ein Kreis. Von den meisten Forschern werden Emotionen als komplexe Gefüge aus verschiedenen Komponenten definiert. Zu diesen Komponenten gehören Kognition, physiologische Regulation, Motivation, motorischer Ausdruck und Gefühl, wobei unter ,Gefühl' hier die subjektive Erlebens82

83

84

Eine Darstellung der wichtigsten Stationen solchen Umdenkens seit dem 17. Jahrhundert gibt CAROLA MEIER-SEETHALER: Gefühl und Urteilskraft. Ein Plädoyer für die emotionale Vernunft, München 20013. VgL außerdem MARTHA C. NUSSBAUM: Upheavals of Thought The Intelligence of Emotions, Cambridge u.a. 2001. Vgl. dazu bereits den ausfuhrlichen, allerdings nur bis in die Mitte der 80er Jahre reichenden Forschungsüberblick von CATHERINE LUTZ und GEOFFREY Μ. WHITE: Hie Anthropology of Emotions. In: Annual Review of Anthropology 15 (1986), S. 405-436, ferner HANNELORE WEBER: Sozial-konstruktivistische Ansätze. In: JÜRGEN H. OTTO, HARALD H. EULER, HEINZ MANDL (Hg.): Emotionspsychologie. Ein Handbuch, Weinheim 2000, S. 139-150. Dies erläutert auch ROSENWEIN. Vgl. außerdem GERHARD ROTH: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, Frankfurt a. M. 2001. Als Pointe in der Umbewertung des Verhältnisses von Rationalität und Gefühl erscheinen neue "niesen aus der Neurophysiologie, die an Erfahrungen mit Synästhetikern gewonnen wurden. Sie besagen, dass das Fühlen zentrale verknüpfende Funktionen im Gehirn übernimmt und damit die entscheidende einheitsstiftende Instanz menschlichen Wahmehmens bildet Diese U e s e n wurde in einer Forschergruppe um den Neurowissenschaftler und Psychiater HLNDERK M. EMRICH entwickelt, vgL HLNDERK M. EMRICH, UDO SCHNEIDER, MARKUS ZEDLER: Welche Farbe hat der Montag? Synästhesie: Das Leben mit verknüpften Sinnen, Stuttgart/Leipzig 2002.

Emotion und Expression in emotionstheoretischer Perspektive

55

seite einet Emotion zu verstehen ist.85 Ein wichtiger Aspekt ist die Intentionalität der Emotionen, ihre Bezogenheit auf Sachverhalte in der Welt. Im Sinne der älteren These vom ,Gefühl als Urteilskraft' wird außerdem die Auffassung vertreten, dass Emotionen moralische Maßstäbe transportieren und Handlungsorientierungen geben.86 Theorien der Emotionalität operieren aufgrund ihrer unterschiedlichen wissenschaftlichen Provenienz auch mit unterschiedlichen Begriffen, die im Einzelnen nicht immer kompatibel sind. Aus dieser terminologischen Vielfalt resultiert nicht zwangsläufig der Schluss, dass keine brauchbaren Kategorien zur Verfugung stünden oder dass diese willkürlich verwendet würden.87 Die Pluralität der Ansätze macht es jedoch erforderlich, Implikationen einzelner Begriffe zu reflektieren und für den eigenen Untersuchungsgegenstand zu prüfen. Die meisten Theorien der Emotionalität setzen zum Beispiel eine hierarchische Struktur des menschlichen Gefuhlshaushaltes an. Demnach werden einfache oder basale Formen emotionalen Erlebens von solchen unterschieden, die sozial erworben und durch kulturelle Modelle stilisiert werden. Ein literaturwissenschaftliches Erkenntnisinteresse kann sich zwar nicht phänomenologisch auf das Problem einlassen, ob solche Hierarchien die ,realen' Emotionen erfassen oder nicht. Es kann und muss sich allerdings auf die Frage richten, ob aus solchen Hierarchisierungen Anregungen für die Analyse literarischer Texte zu gewinnen sind. Die Frage, welcher Begriff einer Emotion im Einzelnen adäquat ist, fällt dabei weniger ins Gewicht als seine Distinktionseigenschaft gegenüber einem anderen Begriff. Im Folgenden werden deshalb zentrale Klassifizierungen der Emotionsforschung mit Blick auf die Frage erläutert, ob sich mit ihnen eine Beschreibungsebene für Darstellungsmuster von Emotionalität in literarischen Texten konstituieren lässt.

Basisemotion, soziale Emotion, Stimmung Gerade die am wenigsten strittige und folglich in den meisten Richtungen der Emotionalitätsforschung akzeptierte Klasse von Emotionen setzt bei der Relation zur Expression an und bietet für die Analyse literarischer Texte des Mittelalters dennoch kaum Anschlussmöglichkeiten. Es handelt sich um die sogenannten Bastsemotionen. Als Basisemotionen gelten elementare, entweder angeborene oder ontogenetisch früh erworbene Emotionen, die in einem universalen mimischen Repertoire zum Ausdruck 85

Vgl. JÜRGEN H. OTTO, HARALD H. EULER, HEINZ MANDL: Begriffsbestimmungen. In: OTTO, EULER, MANDL, S. 11-18,hier S. 14-17.

86 87

Vgl den Überblick bei MEIER-SEErHALER, S. 168ff., ferner NUSSBAUM. So SCHNEI I.τ Historische Emotionsforschung, S. 202ff.

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Emotion und Expression

kommen. Das Studium des menschlichen Gesichtsausdrucks gehört deshalb zu den wichtigsten Methoden der Emotionsforschung. Es geht auf DARWIN zurück, der auf der Grundlage vergleichender Studien von Mensch und Tier und einer mehrjährigen Beobachtung des eigenen Sohnes in seiner Schrift The Expression of the Emotions in Man and Animals (1872) eine Theorie der angeborenen Emotionen erstellte.88 Das Ausdrucksrepertoire wird heute durch die Methoden der differenzierten Beobachtung und der EMG-Registrierung erfasst, welche die Muskelaktivität misst.89 Die Bezeichnung Basisemotionen rekurriert sowohl auf den frühen Zeitpunkt des Erwerbs der Emotionen und ihre universalen expressiven Muster als auch auf die These, dass sie elementare menschliche Anliegen organisieren.90 Die Skala wird unterschiedlich weit gefasst, im allgemeinen werden jedoch Freude, Furcht, Kummer/Traurigkeit, Ärger/Zorn, Geringschätzung und Ekel hinzugezählt, vielfach auch Interesse/Erregung.91 Aufgrund der Universalitätshypothese lässt sich die Theorie der Basisemotionen für eine Untersuchung historischer Ausdrucksmuster von Emotionen kaum nutzen. Dies ist auch darin begründet, dass mimische Expressionen als basale Merkmale ausgewertet werden, und diese, zum Beispiel hochgezogene Brauen, sind in literarischen Texten selten erwähnt. Literaturhistorische Analysen können Basisemotionen zwar zur Grundlage einer Differenzierung von Emotionen heranziehen.92 ,Zorn' oder ,Freude' müssen dann jedoch als komplexe Konzepte beschrieben werden, zu deren Expression einerseits Varianten in den sprachlichen und gestischen Mitteln gehören (Lachen, Weinen, Schreien, Händeringen, Tränen, Ohnmacht), andererseits Abweichungen in der Situationsadäquatheit, in den Funktionen und im handlungsauslösenden Potential. Der Begriff der Expression, der in dieser Untersuchung verwendet wird, geht in diesem Sinne über den Aspekt der verbalen und körper-

88 89

Vgl. die Darstellung bei JOSEPH LEDOUX: Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen, München 2001, S. 116-121. Eine Übersicht geben PAUL PAULI und NIELS BLERBAUMER: Psychophysiologische Ansätze. In: OTTO, EULER, MANDL, S. 75-84. Z u den \nchtigsten Theoretikern der Basisemotionen zählen PAUL EKMAN, CARROLL IZARD u n d SYLVAN TOMKINS.

90 91

Dies erläutert EKMAN im Rahmen seines Artikels ,Basic Emotions'. In: DALGEISH, POWER, S. 45-60. EKMAN gibt dabei auch einen Überblick über die Entwicklungen und Veränderungen innerhalb seiner eigenen Theorie. Vgl. EKMAN: Basic Emotions, S. 55, ferner CARROL Ε. IZARD: Die Emotionen des Menschen. Eine Einfuhrung in die Grundlagen der Emotionspsychologie, 4., neu ausgestattete Auflage W e i n h e i m 1999, S. 106ff.

92

So lautet ein Vorschlag von INGRID KASTEN: Emotionalität und der Prozeß männlicher Sozialisation. Auf den Spuren der Psycho-Logik eines mittelalterlichen Texts. In: KASTEN, STEDMANN, ZIMMERMANN, S. 52-71, hier S. 54.

Emotion und Expression in emotionstheoretischer Perspektive

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sprachlichen Kommunikation hinaus93 und fragt auch nach der sozialen Kontextualisierung eines Gefühlsausdrucks im Horizont des literarischen Textes. Diesem Ansatz liegt die in der Emotionalitätsforschung vielfach vertretene These zugrunde,94 dass Emotionen nie situationsunabhängig zum Ausdruck kommen, sondern auf Vorgänge in der sozialen Umgebung reagieren, die zumindest in Teilen kulturell und historisch unterschieden und in diesem Sinne codiert sind. Anregend ist ferner der von E K M A N und F R I E S E N eingeführte Begriff der display rules,95 der kulturelle Regeln bezeichnet, nach denen die expressiven Muster von Basisemotionen zu regulieren sind. Diese Regeln werden in der Kindheit erworben und habitualisiert, so dass ihre Anwendung sich nicht mehr bewusst vollzieht.96 Zu ihnen zählen Simulation {simulation), Unterdrückung (iinhibition), Intensivierung (intensification), De-Intensivierung (,deintensification), Maskierung (masking. Da ein zentrales Merkmal von Liebes- und Abenteuerromanen in Verstellungen von Figuren liegt,97 lässt sich verfolgen, ob solche Strategien der Modellierung der Expression beschrieben werden - nicht, um eine Ubiquität von Basisemotionen zu bestätigen, sondern um Situationen und soziale Anlässe zu ermitteln, in denen diese Verfahren behandelt und reflektiert werden. Sekundäre und tertiäre Emotionen bezeichnen Ebenen des Fühlens, die über Basisemotionen hinausgehen und sozial erworben sind. Einer verbreiteten, doch nicht unumstrittenen Auffassung zufolge gehen sie auf Kombinationen aus primären Emotionen zurück. Die Abgrenzung von sekundären zu tertiären Emotionen ist noch weitgehend ungeklärt.98 Sociale Emotionen betreffen das Empfinden des Selbst innerhalb eines sozialen Kontextes. Weil soziale Emotionen die Entwicklung eines rudimentären 93 94 95 96

97 98

Damit geht er zugleich über den Geltungsbereich des Terminus .Expression' hinaus, den SCHNELL: Historische Emotionsforschung, S. 177ff., vorschlägt. Vgl. dazu besonders AARON ΒΕΝ-ΖΕΈν: The Subtlety of Emotions, Cambridge, MA/London 2000. In einer Untersuchung von 1975, vgl. P. EKMAN, W. V. FRIESEN: Unmasking the face: A guide to recognizing emotions from facial clues, Englewood Cliffs, N.J. Vgl. die Darstellung bei PETER Α. ANDERSEN und LAURA K. GUERRERO: Principles of Communication and Emotion in Social Interaction. In: Dies.: Handbook of Communication and Emotion. Research, Theory, Applications, and Contexts, San Diego u.a. 1998, S. 49-96, hier S. 54ff. Dies wird im nächsten Kapitel im Abschnitt .Inszenierungen' erläutert. Der Emotionalitätsforscher AARON ΒΕΝ-ΖΕΈν hat diese Annahme in leichter Oberzeichnung wie folgt beschrieben: „[...] any emotion is a simple irreducible emotion, or it can be analyzed as a simple emotion plus x, where χ is either another emotion or some unemotional element Hence, embarrassment might be analyzed as fear plus anger or, alternatively, fear plus the selfevaluation of being the object of unwanted attention." ΒΕΝ-ΖΕΈν, S. 104. Vgl. auch HARALD A. EULER: Evolutionstheoretische Ansätze. In: OTTO, EULER, MANDL, S. 45-63, S. 50f. Bezüglich einer Zusammensetzung von Basisemotionen äußert EKMAN sich skeptisch. IZARD dagegen vertritt die Vorstellung solcher .Kombinationen'.

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Emotion und Exptession

Selbst-Kon2eptes voraussetzen, gelten sie nicht als angeboren. Beispiele für soziale Emotionen sind Verlegenheit und Scham, Schuld, Angst, Stolz, Neid oder Bewunderung." Als Hintergrundemotionen lassen sich nach ANTONIO DAMASIO Gefühle wie Anspannung, Erschöpfung oder Wohlergehen verstehen,100 die das Erleben zwar beeinflussen, doch nicht in seinem Vordergrund stehen.101 Stimmung (mood) hat sich aus einem ähnlichen Grund wie Hintergrundemotion als wichtiger Begriff erwiesen. Stimmungen sind länger dauernde, unspezifische Gefuhlszustände im .Hintergrund' des Erlebens. 102 Die Unterscheidung Erlebnis oder Disposition differenziert ein und dieselbe Emotion nach den Kriterien der (In-) Stabilität, Intensität, Partialität und Dauer. So kann ,Angst' ein aktuelles Erleben sein, aber auch eine charakterliche Disposition.103 Abgesehen vom Spezialfall der Ausbildung von Emotionen an Medien (s.u.), für den die Kategorie der sekundären Emotionen relevant wird, lassen sich vor allem die Begriffe der socialen Emotion und der Stimmung, im Einzelfall auch die Unterscheidung zwischen Erlebnis oder Disposition für Interpretationen literarischer Texte nutzen. Sie werden auch für die Liebes- und Abenteuerromane angesetzt. Die Kategorie der socialen Emotion impliziert eine Analyse von Konstellationen, in denen literarischen Figuren Verlegenheit, Schuld oder Stolz zugeschrieben werden sowie der Form, in der sie sich äußern. In der Mediävistik sind solche Studien bislang vor allem zur Scham-Emotion erstellt worden. 104 Bei der Analyse einer Stimmung ist

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Vgl. ANTONIO R. DAMASIO: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins, München 20002, S. 68; ΒΕΝ-ΖΕΈν, S. 107ff. Vgl. DAMASIO, S. 69f. und 342ff. VgJ. DAMASIO, S. 343. Damasio weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Begriff der Hintergrundgefühle von ihm erstmals in seiner Untersuchung Descartes' Irrtum verwandt worden sei. Doch bereits AGNES HELLER erläutert die Figur-oder-Hintetgrund-Relaüon des emotionalen Involviertseins im Anschluss an KURT GOLDSTEIN. Vgl. AGNES HELLER: Theorie der Gefühle. Hamburg 1981, S.25ff. „Moods are longer lasting feeling states that need not be about anything in particular [...]. They are relatively mild, mundane affective expreriences that are neither distracting nor disruptive, but do influence a variety of behaviors." LAURA K. GUERRERO, PETER A. ANDERSEN, MELANIE R. TROST: Communication and Emotion. Basic Concepts and Approaches. In: ANDERSEN, GUERRERO, S. 3-27, hier S. 7. Vgl. auch OTTO, EULER, MANDL, S. 12. In diesem Zusammenhang wird z.B. von einem ängstlichen Menschen' gesprochen. Vgl. zu diesem Aspekt insbesondere die Arbeit von ΒΕΝ-ΖΕΈν, Kapitel 4: The Affective Realm, S. 79ff. Dies gilt für die Forschung zum höfischen Roman, insbesondere zum Panjval. Vgl JAMES W. MARCHAND: Honor and Shame in Wolfram's VarsjvaL In: W. C. MCDONALD (Hg.): Spectrum Medii Aevi: Essays in Early German Literature in Honor of G. F. Jones, Göppingen 1983 (GAG 362), S. 283-298; HAFERLAND: Höfische Interaktion, S. 237-249; MARTINA GEMELING: schäme. Das ,Schloß' höfischer Lebensart. In: OTFRIED EHRISMANN (Hg.): Ehre und Mut, Aventiure und Minne. Höfische Wortgeschichten aus dem Mittelalter, München 1995, S. 185-188; DAVID N. YEANDLE: The Concept of,shame' in Wolfram's PanjvaL In: Euphorion 88 (1994), S. 302338; Ders.: schäme im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen bis um 1210. Eine sprach-

Emotion und Expression in emotionstheoretischer Perspektive

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zwischen einer unspezifischen Gefuhlslage einer Figur und einer erzählerisch kreierten Atmosphäre zu unterscheiden.105 Ein Begriff wie Stimmung und Unterscheidungen wie diejenige zwischen Erkbnis und Disposition machen deutlich, dass eine der größten Herausforderungen der Emotionsforschung darin liegt, die Qualität unterschiedlicher Gefuhlszustände zu erfassen. Durch den Umstand, dass konkretes emotionales Erleben höchst komplex, prozesshaft und transitorisch ist, wird dies zusätzlich erschwert. Diese Einsichten sind in literaturwissenschaftlicher Perspektive von größter Relevanz. Denn die Prämissen und Kategorien der Emotionsforschung ermöglichen es, Darstellungen von Emotionen in literarischen Texten des Mittelalters differenzierter zu analysieren als bisher. Diese Möglichkeit wird in der Mediävistik bislang wenig erörtert.106 Emotionsbegriffe, die in der Mediävistik gängig sind, vor allem Trieb, Affekt, Gefühl und Begehren, haben in emotionstheoretischer Sicht dagegen nur eingeschränkt Gültigkeit. Traditionelle Emotionskategorien: Trieb, Begehren, Affekt, Gefühl Der Begriff Trieb wurde von FREUD geprägt und bezeichnet einen Erregungszustand des Organismus.107 FREUD hat nach mehrfacher Überarbeitung seiner Triebkonzeption schließlich den Sexual- oder Selbsterhaltungstrieb vom Aggressions- oder Todestrieb unterschieden.108 Ein Trieb stellt die basalste aller menschlichen Regungen dar, tritt im Bewusstsein aber nicht als solcher in Erscheinung und kann infolgedessen auch nicht ,gefühlt' werden. Der Aggressionstrieb zum Beispiel ist nicht gleichbedeutend mit Aggression, der Sexualtrieb nicht mit einem Verlangen nach Geschlechtsverkehr.109 Triebe stimulieren FREUD zufolge vielmehr eine psychische Energie - im Falle des Sexualtriebes die Libido - , die sich an

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und literaturgeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Herausbildung einer ethischen Bedeutung, Heidelberg 2001. Vgl. zu Inszenierungen von Angst in mittelalterlicher Literatur vor allem FRANCIS DUBOST: Aspects fantasäques de la litterature narrative medievale (XUeme-XHIe siedes). L'Autre, l'Ailleurs, l'Autrefois, Geneve 1991 (Nouvelle bibliotheque du moyen äge 15); ferner HARTMUT BÖHME: Himmel und Hölle als Gefiihlstäume. In: BENTHIEN, FLEIG, KASTEN, S. 60-81; JUTTA EMING: Das Spiel mit der Angst In: ERIKA FISCHER-LICHTE, GERTRUD LEHNERT (Hg.): [(v)er]SPIEL[ei>]. Felder - Figuren - Regeln, Berlin 2002 (Paragrana 1/11), S. 123-144. Eine Ausnahme bilden das Forschungsreferat von SCHNELL: Historische Emotionsforschung und, wenn sie diese Möglichkeit auch verneint, KÜHNE. Diese Annahme konnte bis heute nicht gesichert bestätigt werden. Vgl. dazu OTTO KRUSE: Psychoanalytische Ansätze. In: OTTO, EULER, MANDL, S. 64-74. Vgl dazu die Darstellung von CHARLES BRENNER: Grundzüge der Psychoanalyse, Erweit Neuaufl. Frankfurt a. M. 1974», S. 32ff. Dieses Beispiel gibt BRENNER, S. 38.

60

Emotion und Expression

physische .Repräsentanzen' Rieftet', und zwar an Vorstellungen einerseits, an Affekte andererseits.110 Diese Auffassung wird in Theorien der Emotionalität weitgehend geteilt.111 Weil ein Trieb demnach erst über Vorstellungen und Emotionen greifbar wird, liegt es nahe, vor allem diese zu beschreiben. Die Kategorie Begehren hat für Theorien der Emotionalität kaum einen Stellenwert. Obwohl sie im F R E U D S C H E N Konzept der Libido wurzelt, wurde sie erst durch L A C A N zu einem zentralen Begriff der Psychoanalyse.112 Bei L A C A N bezeichnet Begehren eine spezifische Differenz zur Sprache. Sie hat ihren Ursprung im Verlust des mütterlichen LiebesObjekts und im Eintritt in die kulturelle Ordnung, die durch Sprache repräsentiert wird. Ein entscheidender Unterschied zu F R E U D besteht darin, dass die Libido an unterschiedlichen Objekten befriedigt werden kann, während das Begehren nach L A C A N grundsätzlich nicht einzuholen ist, sondern sich metonymisch von einem Signifikanten zum nächsten verschiebt. Begehren ist deshalb immer unerfülltes Begehren.113 Es scheint sinnvoll, am Begriff des Begehrens festzuhalten, der sich nicht nur in poststrukturalistdschen Studien, sondern auch in der mediävistischen Literaturwissenschaft als produktiv erwiesen hat.114 Geßhl ist erst seit dem 17. Jahrhundert als Begriff belegt115 und wird entweder für das menschliche Empfinden allgemein oder für die subjektive oder Erlebens-Seite einer Emotion verwandt.116 Für literaturwissenschaftliche Arbeiten lässt sich ,Gefühl' ebenso wie ,Emotion' als allgemeine Kategorie ansetzen.

110 Vgl. dazu auch die Ausführungen von HELLER zum Sexualaffekt, S. lOOff. 111 Vgl. KRUSE. 112 Dies erläutert SAMUEL M. WEBER: Rückkehr zu Freud. Jacques Lacans Ent stellung der Psychoanalyse, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1978, S. 104ff. 113 Vgl. auch den Hinweis von ANZ, dass diese Vorstellung an eine ältere Uterariscbt Tradition anknüpft: „Die andauernde Suche, die unendliche Sehnsucht, das unstillbare Begehren nach etwas Abwesendem und Unerreichbarem ist ein romantisches Motiv, das, vermittelt über die Psychoanalyse Lacans, in gegenwärtigen Sprach- und Literaturtheorien fortlebt" ANZ: Literatur und Lust, S. 208. 114 Vgl dazu JUTTA EMING mit CONSTANZE BAUSCH u.a.: Begehrende Körper und verkörpertes Begehren. Interdisziplinäre Studien zu Performaüvität und genier. In: ERIKA FLSCHER-LLCHTE, CHRISTOPH WULF (Hg.): Praktiken des Peribrmadven, Berlin 2004 (Paragrana 1/13), S. 251-319, JUDITH KUNGER: Gender-Theorien, Altere Deutsche Literatur. In: CLAUDIA BENTHIEN, HANS RUDOLF VELTEN (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft Eine Einfuhrung in neue Theotiekonzepte, Reinbek 2002, S. 267-296. 115 Einen Überblick über die Begri£fsgeschichtc gibt O. EWERT: Gefühl. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Darmstadt 1974, Sp. 82-96. 116 Dies ist mit Rekurs auf die Forschung in der Untersuchung von Ameiie VON GRIESSENBECK erläutert: Kulturfaktor Emotion. Zur Bedeutung von Emotion fur das Verhältnis von Individuum, Gesellschaft und Kultur, München 1997, S. 45ff.

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Zum Begriff Affekt ist in historischer Perspektive schon einiges gesagt worden. Systematisch wird er vielfach vom Begriff der Emotion abgegrenzt. In entwicklungspsychologischer Sicht haben Affekte einen anderen genetischen Status als Emotionen.117 Ein Effekt' bezeichnet entweder ein allgemeineres Erleben, das auf Empfindungen wie positiv/negativ, ja/nein, Lust/Unlust beruht.118 Oder der Begriff des Affekts wird für heftige Gefühle wie Zorn, Scham oder Ekel verwandt. Von einer Emotion wird mit Blick auf ein Fühlen gesprochen, das weiter ausdifferenziert ist, wie Liebe, Eifersucht, Zuwendung, oder das spezifischer ist als positiv/negativ.119 Doch sind die einzelnen Theorien in wichtigen Punkten nicht kompatibel. Was gerade als »Affekt' (Zorn, Scham, Ekel) bezeichnet wurde, ist einem anderen Ansatz zufolge eine Basisemotion, was gerade .Emotion' genannt wurde (Angst), gilt in anderen Theorien als ,Affekt'. Gegen eine Reihe psychologischer oder soziologischer Emotionstheorien lässt sich einwenden, dass sie einen Affekt-Begriff vertreten, der auf dem .hydraulischen Modell' basiert. Dies gilt zum Beispiel für die Theorie der Gefiihle der Philosophin AGNES HELLER, welche die viel zitierte Formel „Fühlen heißt, in etwas involviert sein" prägte.120 In HELLERS Sicht wird der Ausdruck von Affekten mittels unterschiedlicher Techniken reguliert, zu deren wichtigsten die ,Kanalisierung' und ,Sublimierung' gehören: Ob der sexuelle Affekt zur Zuneigung oder Liebe, zur Kameradschaftlichkeit oder zur Habgier kanalisiert oder sublimiert wird, das hängt schon von dem Normensystem der gegebenen Gesellschaft ab. Die Kanalisierung des sexuellen Affektes kann den verschiedensten Emotionen fuhren, irgendeiner Emotion fuhrt sie aber immer.121

Transitorik und Komplexität von Emotionen Während eine Tendenz, Emotionen als komplexe, schwer durchschaubare Gebilde regelrecht zu erforschen, als Spezifik von Diskursen der Empfindsamkeit aus der Literatur des 18. Jahrhunderts und später seit langem bekannt ist, gilt als vorherrschendes emotionales Paradigma für literarische Texte des Mittelalters nach wie vor der Affekt - und damit eine heftige, eindeutige Emotion von kurzer Dauer. In mittelalterlichen Texten werden 117 118 119 120

Vgl. GUERRERO, ANDERSEN, TROST, S. 5. So zum Beispiel HEULER. Vgl GUERRERO, ANDERSEN, TROST, S. 5ff. Sie kehrt in vielen Varianten in weiteren Untersuchungen zur Emotionalität wieder, vgl. etwa DIETER UlJCH: Das Gefühl. Eine Einführung in die Emotionspsychologie, Weinheim 19953, S. 34f. 121 HELLER, S. 127, Hervorheb. im Original.

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Emotionen durchaus als entsprechend eindeutig und heftig beschrieben. Die sprachliche Gestaltung kann sich dann auf eine knappe Darstellung beschränken. Dies ist zum Beispiel in schwankhaften Mären zu beobachten, etwa in der Erzählung von der Halben Bime, in welcher der Ritter Arndt öffentlich beschämt wird: dar u m b e wart er schamerot vor allen, die da wären, er enwuste, w i e er solte gebären, vor zorne er wider heim fuor. 1 2 2

Emotion und Emotionsausdruck sind unzweideutig, der Anlass ist - aus dem Kontext der Erzählung - evident. Eine genauere Analyse des Umschlags von Scham in Zorn, der in vielen Dichtungen aufschlussreiche Sprach-, Handlungs- und Gefühlsdynamiken erzeugt,123 würde nicht weiterführen. In literarischen Texten des Mittelalters werden jedoch nicht nur diskrete Emotionen dargestellt, sondern emotionale Prozesse, die den Umschlag von einer Emotion in eine andere oder diffuse „Gefuhlszustände"124 beschreiben. Dabei interessieren bereits die ,Subtilität'125 und Komplexität, die Prozesshaftigkeit und Transitorik von Emotionen. Poetische Sprache scheint sich gerade dort zu bewähren, wo emotionale Zustände vergegenwärtigt werden sollen. Für die mittelalterliche Lyrik ist das seit langem bekannt.126 Doch auch in narrativen Texten, zum Beispiel im höfischen Roman, sind selbst relativ eindeutig zu identifizierende Emotionen wie Zorn oder Angst vielfach in komplexe Prozesse ihrer Bewältigung und Stilisierung integriert. Furcht kann in Handlungen umgesetzt, in andere Emotionen überführt, durch rationale Erwägungen beruhigt, durch den Einfluss einer anderen Figur gemildert oder verstärkt werden. Dies illustriert schon eine hinsichtlich der Darstellung der Emotionen wenig ausgearbeitete Textstelle wie der Beginn des Askalon-Kampfes in Hartmanns Iweitr.

122 Die halbe Birne. In: Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von KLAUS GRUBMÜLLER, Frankfurt a. M. 1996 (Bibliothek des Mittelalters 23), S. 178-207, V. 118-121. 123 Vgl. dazu ausführlich das Pdrtwqftar-Kapitel. 124 Vgl· zu dieser Bezeichnung die ,Begriffsbestimmungen' von OTTO, EULER, MANDL, S. 11-18, hierS. 12. 125 Vgl. ΒΕΝ-ΖΕΈν. 126 Vgl· die Analysen bei INGRID KASTEN: Frauendienst bei Trobadors und Minnesängern im 12. Jahrhundert. Zur Entwicklung und Adaption eines literarischen Konzepts, Heidelberg 1986, außerdem HAFERLAND: Hohe Minne, S. 201.

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[...] er entriute niemer genesen. Do daz weter ende nam, do horter daz geriten kam des selben waldes herre. Der gruozt in harte verre als vient sinen vient sol: ouch verstuont sich her Iwein wol daz er sich weren solde, ob er niht dulden wolde beide laster unde leit. ir ietweder war gereit üf des anderen schaden: si hete beide überladen groz ernest unde zorn.127

In dieser kurzen Passage werden der Wechsel von Angst zu Zorn, die Dynamik zwischen der aktiven Bearbeitung und dem passiven ErgriffenSein von Emotionen und die Verknüpfung rationaler Erwägungen mit emotionalen Vorstellungsinhalten geschildert. Iweins unmittelbare Reaktion auf den Brunnenguss und das Unwetter besteht aus Furcht, aus der er sich zunächst nicht lösen kann. In dem Maße, in dem das Wetter sich beruhigt, Askalon heranreitet und ihn herausfordert, kann Iwein sich jedoch auf den bevorstehenden Kampf ,einstimmen'. Ein zentrales Mittel dafür ist die innere Antizipation des öffentlichen Ehrverlusts, welche die Scham-Emotion impliziert. Durch diese Antizipation kann Iwein schließlich %orn empfinden, die spezifische Kraft, die er für den Kampf benötigt. Die Affizierung durch Zorn ist einerseits mit dem Verb überladen als Prozess ausgewiesen, in welchem der Held überwältigt wird, für die andererseits in einer Verknüpfung rationaler Erwägungen und antizipierter Emotionen {leit) jedoch zunächst eine Disposition geschaffen werden muss. An der Textstelle wird exemplarisch deutlich, dass die Affektentladung nur einen Aspekt des Spektrums an Darstellungsmustern von Emotionen und Expressionen erfasst. Mittelalterliche Dichter beschreiben emotionales Erleben in seiner Heterogenität und Widerspriichlichkeit. Dies kommt in der mediävistischen Emotionsforschung bislang zu kurz. Über den Rekurs auf den Affektbegriff hinaus könnte ein Grund dafür darin liegen, dass viele Analysen sich auf einzelne Emotionen richten, wie Zorn oder Scham.128 Welche widerstrebenden Kräfte jedoch das - in emotionstheoretischer Perspektive leicht zu identifizierende - Scham-Erleben konstituieren kön127 Hartmann von Aue: Ivan. Text der siebenten Atisgabe von G. F. BENECKE, K. LACHMANN u. L. WOLFF. Übersetzung u. Anmerkungen von THOMAS CRAMER. Dritte, durchgesehene und ergänzte Auflage, Berlin/New York 1981, V. 998-1011. 128 VgL auch SCHNELL: Historische Emotionsforschung, S. 248.

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nen, demonstriert etwa der Tristan Gottfrieds von Straßburg im Kontext der Beschreibung, wie der Minnetrank seine Wirkung auf Isolde entfaltet: diu schäm diu jagete ir ougen hin, diu minne zöch ir herze dar. diu widerwertige schar maget unde man, minne unde schäm, diu was an ir sere irresam. diu schäm diu wolte minnen und brahte es nieman innen. (V. 11822-11830)

Phänomenologisch geht das Erleben von Scham beinahe augenblicklich und vielfach unmerklich in heftige Versuche einer Scham-Abwehr über.129 Dies zeigt der Dichter des Tristan, wenn er beschreibt, dass die Scham die Augen vom Anblick des Geliebten fort ,jagt', um dann mit Subjekt und Objekt des Fühlens {maget unde man) und der entgegengesetzten Emotion, der Liebe, ein schwer zu entwirrendes Konglomerat widerstrebender, zentrifugaler Kräfte zu bilden (widerwertige schai), in dem in einer paradoxen Konstellation schließlich eine Emotion der konträren zustrebt {diu schäm diu wolte minneri). Aufbauend auf solchen Beobachtungen zur Transitorik und Komplexität von Emotionen ist fur diese Untersuchung die Annahme grundlegend, dass Gefühle in der mittelalterlichen Literatur in einer Vielschichtigkeit erkannt und dargestellt worden sind, die erst durch Theorien der Emotionalität analytisch und begrifflich aufbereitet wurde.130

3.3 Codierung von Emotionen Abgesehen von der Semantik von Emotionswörtern muss im Kontext mittelalterlicher Literatur in verschiedenen Hinsichten von einem Zeichencharakter von Emotionen ausgegangen werden. Dazu gehören verschiedene kommunikative Funktionen des Ausdrucks, der Inszenierung und der Repräsentanz von Emotionen. Mit der Erörterung dieses Zusammenhangs wird nun zum letzten Teil des Kapitels übergegangen, in dem verschiedene Aspekte der Codierung und Normierung von Emotionen zum Thema werden. 129 Dies wird im Kapitel zu den Partontfuer-Romunen ausführlich erörtert. 130 Damit bildet diese Untersuchung auch einen Kontrapunkt zur Dissertation von KÜHNE. KÜHNES Ergebnis, dass Emotionen in einer diffusen, unscharfen und subtilen Qualität erst in der Literatur der Neuzeit auftreten, während die Emotionsdarstellung im deutschen Partoiupur-Romaa dem Affektmodell folge (vgl S. 340 et passim), beruht auf äußerst schematischen Interpretationen des Textes. Vgl. dazu ausführlich das 6. Kapitel.

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Zeichencharakter von Emotionen An Texten können keine Emotionen, sondern nur sprachliche und schriftliche Zeichen fur Emotionen analysiert werden. Das ist selbstverständlich, auf Grund verschiedentlich geäußerter Unklarheiten über den Erkenntniswert, den die literarische Emotionsforschung für sich in Anspruch nimmt, jedoch wichtig zu betonen.131 Die Rede vom ^Ausdruck' einer Emotion kann sich - in einer im Deutschen im Laufe des 17. Jahrhunderts begründeten Begriffstradition — sowohl auf den Ausdrucks des ,Inneren' am Körper (und in anderen Medien) beziehen, wie auf die Fragen der grammatischen Konstruktion.132 Um diese Bedeutungstradition des Ausdrucksbegriffs auszuklammern, können Sprach- und Schriftzeichen als ,Repräsentanzen' für Emotionen aufgefasst werden. SCHNELL hat kürzlich vorgeschlagen, zwischen einer solchen medialen Repräsentanz und der körperlichen Expression von Emotionalität zu differenzieren.133 Dies ist im Rahmen dieser Untersuchung, für welche der Begriff der Expression anders definiert wurde, nicht erforderlich. Auch eine Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Zeichen in Anlehnung an die mittelalterliche Zeichentheorie, die, wie MÜLLER erörtert, für den CodeBegriff relevant werden kann (s.u.), tangiert die Fragestellungen dieser Arbeit nicht. Ein literarischer Emotionsausdruck lässt sich darüber hinaus jedoch in pragmatischer und funktionaler Hinsicht als zeichenhaft auffassen. Dies gilt gerade für die Analyse mittelalterlicher Texte, die symbolische und nonverbale Kommunikationsmuster in besonderem Maße akzentuieren. Die Studien ALTHOFFS haben zum Verständnis für solche Valenzen eines Emotionsausdrucks in mittelalterlichen Texten entscheidend beigetragen. ALTHOFF zeigt, dass Zorn oder Trauer eines Herrschers nicht einfach emotionale Verfasstheiten ausdrücken, sondern, abhängig vom jeweiligen Kontext, politische Krisen in unterschiedlicher Weise regulieren. Schon früher wurde darauf hingewiesen, dass zum Beispiel die Emotion der vröude, die Angehörigen des Hofes während des Festes zugeschrieben wird, nicht nur eine allgemeine Hochstimmung bezeichnet, sondern einen komplexen Zustand gesellschaftlichen Ausgleichs,134 der entsprechend störan131 VgL generell SCHNELL: Historische Emotionsforschung, ferner ANDREAS KRAB: Neidische Narren. Diskurse der Mißgunst im Jwein' Hartmanns von Aue und im .NarrenschifP Sebastian Brants. In: LiLi 138 (2005): Emotionen, S. 92-109, hier S. 106. 132 Vgl. CAMPE, S.54ff. 133 VgL SCHNELL: Historische Emotionsforschung, S. 177ff. 134 Dieser Zustand bildet, -wie WERNER RÖCKE: Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik des deutschen Schwankromans im Spätmittelalter, München 1987 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, Bd. 6), passim, ausfuhrt, eine ideale Kontrastfolie für das destruktive Wirken der spätmittelalterlichen Schwankhelden.

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fällig ist und dessen Umschlag zum Beispiel in Trauer eine soziale und politische Krise indizieren kann, der die ganze Gemeinschaft involviert.135 Mit dem pragmatisch-funktionalen Aspekt der Zeichenhaftigkeit von Emotionen wird ersichtlich, dass ein Gefühlsausdruck sich nicht darin erschöpft, den »inneren' Zustand einer Person nach ,außen' treten zu lassen. Ein Gefüihlsausdruck übernimmt auch soziale Funktionen und wirkt in Zeit und Raum. Im Rahmen dieser Arbeit werden diese Aspekte des Gefühlsausdrucks nicht als zeichenhaft, sondern als performativ aufgefasst.136 Der Begriff der Performativität besitzt den Vorzug, pragmatische Funktionen von Emotionen auf unterschiedlichen Ebenen konzeptualisieren zu können. Zu diesen pragmatischen Funktionen zählen auch die Modellierung, Codierung und Normierung von Emotionen. Modellierung, Codierung und Normierung Dafür sei ein letztes Mal auf die Forschungen von ELIAS verwiesen. Zu den Anregungen, die für die Mediävistik von ELIAS' Zivilisationstheorie ausgingen, gehört sein Konzept der ,Modellierung' von Emotionen. Der Begriff fallt in seinem zweibändigen Werk über den ,Prozess der Zivilisation' mehrfach explizit und bezieht sich auf die These, dass Triebe und Affekte historisch zunehmend Kontrollmechanismen unterworfen werden und sich dabei in Struktur und Substanz verändern.137 Die Modellierung von Emotionen ist jedoch auch ein zentrales Thema von sozialkonstruktivistischen und entwicklungspsychologischen Theorien der Emotionalität. ,Modellierung' wird dabei einerseits — wie von ELIAS, doch auf synchroner Ebene - als Begriff für die Kontrolle von Emotionen aufgefasst, andererseits als Bezeichnung für die Ausrichtung von Emotionen an sozialen Modellen. In beiden Varianten wird unter der Modellierung eine Formung verstanden, im ersten Fall als Bearbeitung, im zweiten als Bildung. Ein großer Teil der menschlichen Emotionen wird demnach in kommunikativen sozialen Prozessen geformt. In enger Verbindung mit dem Konzept einer Modellierung von Emotionen steht der Begriff des Codes. Die Formulierung, dass Emotionen .codiert' werden, kann vielerlei bedeuten;138 sie muss deshalb geklärt werden. Der Code-Begriff stammt aus der Informationstheorie, auf dieser Basis wurde er jedoch schon früh auch für die Darstellung der Wahrneh135 Dies ist, wie im 6. Kapitel erläutert wird, auch in den Partonopier-Romancn zu beobachten. 136 Im 4. Kapitel wird dieser Ansatz ausfuhrlich erläutert 137 Vgl. besonders den Abschnitt: Die Dämpfung der Triebe. Psychologisierung und Rationalisierung, S. 369ff., im zweiten Band. 138 VgJ. SCHNELL: Historische Emotionsforschung, S. 177ff.

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mung und Interpretation von Kunstwerken ausgewertet.139 Für ein Gefühlskonzept wurde der Code-Begriff erstmals von LUHMANN in der Studie Liebe als Passion verwendet.140 Emotionstheoretisch kann sich der Begriff des Codes ferner auf den Umstand beziehen, dass konkretes, als subjektiv und privat erlebtes Fühlen kulturellen Standards folgt. Diese Variante des Code-Begriffs ist für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse. Der Emotionssoziologe HEINZ-GÜNTER VESTER erläutert dazu: „Die Art und Weise, wie Menschen in einer Situation fühlen, ist nicht einfach .natürlich', sondern in vielfältiger Weise kulturell codiert. Diese Codierung wird in konkreten Szenen sozialer Interaktion deutlich."141 Die Codierung erfolgt teils bewusst, teils unbewusst.142 Literaturwissenschaftlich lässt sich eine kulturelle Codierung von Emotionen zum Beispiel in epochen- und gattungsspezifischen Längsschnitten ermitteln, wie SIMONE WlNKO dies in methodischem Rekurs auf VESTER für poetologische und lyrische Texte um 1900 getan hat.143 ANDREAS KRAß setzt den Code-Begriff in diesem Sinne sogar bereits für einzelne Texte an: „Im Iweitt Hartmanns von Aue und im NamnschiffSeb^snun Brants erfahren wir [...] viel darüber, wie man in bestimmten literaturgeschichtlichen Konstellationen Neid als Habitus oder soziales Handlungsmuster codierte, diskursivierte, poetisch instrumentalisierte."144 In der vorliegenden Arbeit wird der Code-Begriff dagegen auf einer dritten Stufe zwischen Einzeltextanalyse und umfassender Gattungs- und Epochenanalyse als Bezeichnung für Konventionen situationsangemessenen Fühlens im Liebes- und Abenteuerroman und in anderen literarischen Texten des Mittelalters verwendet.145 Dabei wird besonders darauf geachtet, ob diese Konventionen diachron einem Wandel unterliegen. Übergreifende, die gesamte Gattung umfassende Aussagen lassen sich aufgrund der eingeschränkten Textauswahl jedoch nur tentativ treffen.

139 Ein bekanntes Beispiel dafür ist UMBERTO ECO: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a. Μ 1977. 140 Vgl. LUHMANN, femer HEINZ-GÜNTER VESTER: Emotion, Gesellschaft und Kultur. Grundzüge einer soziologischen Theorie der Emotionen, Opladen 1991, S. 74ff. 141 VESTER, S. 111. 142 Ich teile insofern nicht die Auffassung von MOLLER — die allerdings auf Probleme der Visualisierung bezogen ist - , dass von einem Code nur in bezug auf bewusst eingesetzte Elemente der Kultur gesprochen sollte, vgl MOLLER: Visualität, S. 132. 143 Vgl. SIMONE WlNKO: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, Berlin 2003 (Allgemeine Literaturwissenschaft 7), S. 84ff. 144 KRAß, S. 106. 145 „Emotionen in ihrer Gesamtheit als einen Code oder ein System von Subcodes zu konzipieren, ist [...] eine Möglichkeit, den Code-Begriff auf Emotionen anzuwenden. In einem weiteren Sinne von Codierung stellen sich die Emotionen selbst als codiert dar, als ein von Codes geregeltes System. Emotionen sind dann zum einen ein Code in einem umfassenderen Informationsverarbeitungsprozeß und zum anderen sind sie selbst verschlüsselt oder codiert" VESTER, S. 76.

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Auf die Bedingungen, unter denen ein Code des Fühlens konstituiert wird, richtet sich das Erkenntnisinteresse vieler Emotionsforscher. Nach HELLER ist der Gefühlserwerb ein kognitiv fundierter Pro2ess, der sich über das ganze Leben erstreckt. Er verläuft zunächst nonverbal, dann zunehmend sprachlich und ist an konkrete soziale Situationen und ihre Bewertung gebunden. HELLER trifft eine Reihe prägnanter Aussagen über die Rolle der Kognition für die soziale Konstruktion und Normierung von Emotionen. So bezeichnet sie es als „elementare Bedingung des Sich-inder-Welt-Bewegen-Könnens, der gesellschaftlichen Selbsterhaltung, daß wir viel mehr Emotionen (Emotionstypen) kennen, als wir selbst empfinden.';'146 Dieses Kennenlernen der Gefühle vollzieht sich zunächst vornehmlich rational: „praktisch jedes Kind weiß, daß es Liebe gibt, ehe es jemals verliebt gewesen ist; die Existenz dieser emotionellen Disposition und ihre, je nach Zeitalter veränderte Bedeutung wird quasi vor die Augen der Kinder .geschoben'."147 Heller spricht von ,Koordinierung', wenn das theoretisch erfasste Gefühl mit dem konkreten Gefühlserlebnis verglichen wird.148 RONALD DE SOUSA, der sich in einer philosophischen Untersuchung zur Rationalität der Emotionen mit Fragen der Ausbildung von Emotionalität beschäftigt, entwickelt mit dem Begriff des paradigm scenarios einen Ansatz, der auch literaturwissenschaftlich relevant ist: My hypothesis is this: We are made familiar with the vocabulary of emotion by association with paradigm scenarios. These are drawn first from our daily life as small children and later reinforced by the stories, art and culture to which we are exposed. Later still, in literate cultures, they are supplemented and refined by literature. Paradigm scenarios involve two aspects: first, a situation type providing the characteristic objects of the specific emotion-type [...], and second, a set of characteristic or .normal' responses to the situation, where normality is first a biological matter and then very quickly becomes a cultural one.149

Unter .Objekten' versteht DE SOUSA Anlässe, die eine emotionale Reaktion erfordern, unter ,response' die Art dieser Reaktion. Seine These, dass Anlässe und Antworten einem Standard von Formalität' folgen, der erst biologisch und dann kulturell determiniert ist, entspricht den Ausführungen von HELLER und nimmt Ergebnisse der Kleinkindforschung auf. Normalität und Normierung sind mit DE SOUSA als relationale Begriffe aufzufassen, die sich auf die kulturell variable Angemessenheit einer Reaktion beziehen. DE SOUSA belässt es zur Erläuterung des paradigm scenarios bei wenigen Andeutungen, obwohl es in seiner Darstellung der Rationali-

TY

HELLER, S. 167.

147 HEULER, S. 168. 148

VgL HELLER, s . 168.

149

D E SOUSA, S . 1 8 2 .

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tät der Emotionen eine zentrale Rolle einnimmt.150 Ein paradigm scenario hat de Sousa zufolge eine ,dramatische' Struktur,151 es ist eine Szene, eine Handlung, eine Situation. Wie das Zitat deutlich macht, übernehmen in DE SOUSAS Sicht die Medien, und unter ihnen im Besonderen die Literatur, eine zentrale Rolle für die Codierung und Normierung von Emotionen. Die Rolle der Medien, vor allem der Literatur, wird auch von VESTER und HELLER hoch veranschlagt. Für die Moderne ist VESTER zufolge über „intensive Gefühle sowie über die Ereignisse und Szenen, in denen diese auftreten, [...] einiges aus Literatur, Musik, Kunst, Theater, Film und Fernsehen zu erfahren, wo Emotionen in oft prototypischer Form präsentiert werden."152 Das unspezifische, an den Feuilletonjargon über Gefühlsdiskurse erinnernde Kriterium der intensiven Gefühle' wird an anderer Stelle präzisiert. In VESTERS Sicht sind es sekundäre oder soziale Emotionen, „im Falle der Ausgestaltung durch komplexe Symbolsysteme (Religion, Literatur, Kunst, Musik) - gar als tertiäre Emotionen"153 zu bezeichnende Schichten des Gefühlshaushaltes, welche in sozialen Prozessen und durch kulturelle Medien codiert werden. Auch HELLER verweist mehrfach auf die wichtige Funktion der Literatur für die Vermittlung von Emotionen: Die Kunst ist nämlich dazu fähig - in erster Linie die Wortkunst — uns sämtliche Emotionen dunhieben ap lassen, die wir überhaupt kennen. Das nämlich, was wir verstehen können, können wir auch durchleben [...] Wir müssen nicht tödlich verliebt gewesen sein, um von Tod Tristans und Isoldes zu Tränen gerührt zu werden (...]154

Für Zugänge zu Emotionen in historischen Gesellschaften ist der skizzierte Zusammenhang von größter Bedeutung. Wenn literarische Texte Codes und Normen vermitteln, an denen das Fühlen ihrer Rezipienten sich orientiert, dann folgt umgekehrt, dass aus den Texten etwas über die Modelle zu erfahren ist, an denen historische Rezipienten ihre Emotionen bildeten. Mit DE SOUSAS Begriff des paradigm scenarios lassen sich HandlungsKonstellationen in literarischen Texten als prototypisch oder paradigma150 Das einzige konkretere Beispiel, das DE SOUSA abgesehen von verschiedenen Reaktionen von Kleinkindern nennt, ist der klischeehafte Fall, eine geliebte Person mit einer anderen in flagranti zu ervischen, was in unserer Kultur - anders als in polygamen Gesellschaften - die paradigmatische Situation darstelle, welche .Eifersucht* als ,antwortende Emotion' hervorrufe, vgl. ebd., S. 185f. 151 Vgl DE SOUSA, S.184f. 152 VESTER, S. 94. 153 VESTER, S. 33. Es ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, ob medial konstituierte Emotionen sekundären oder tertiären Schichten des Fühlens angehören. Diese Begriffe sind, wie schon angemerkt wurde, noch nicht geklärt Es bietet sich an, zumindest von sekundärtn Emotionell zu sprechen, um den Umstand der Ausformung dieser Emotionen durch Medien im Unterschied zu Bamemotionen einerseits, zu socialen Emotionen andererseits zu markieren. 154 HELLER, S. 169, Hervorheb. im Original.

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tisch für emotionale Codes des Mittelalters auffassen.155 Literatur ist insofern eine soziale Praktik zum Erwerb emotionaler Kompetenzen. Unter dieser Voraussetzung und mit aller gebotenen Vorsicht wäre es also möglich, Hypothesen über Emotionen in historischen Epochen zu bilden. Auf einer anderen Ebene lässt sich verfolgen, ob in den Dichtungen über die Rolle von Literatur, bildender Kunst, Musik oder des Körpers für den Erwerb von Emotionen eigens reflektiert wird. In der vorliegenden Untersuchung gilt diesen medialen Bedingungen des Gefühlsausdrucks ein besonderes Augenmerk. Auch sie werden als Aspekte der Expression einer Emotion begriffen. Denn in Liebes- und Abenteuerromanen gibt es viele Hinweise darauf, dass die medialen Bedingungen des Gefühlsausdrucks, die Formen etwa, in denen Bilder und Objekte Emotionen stimulieren können, für die Dichter von besonderem Interesse waren. Eine Passage aus den F/ore-Romanen lässt sich zum Beispiel als Anhaltspunkt dafür lesen, dass der Literatur ein hohes Potential für die Konstitution von Emotionen zugeschrieben wurde. In dieser Passage wird geschildert, wie Kinder ihre Emotionen an der Lektüre von Büchern über die Liebe ausrichten. Cius lires les fist molt haster en autre sens d'aus entramer que de l'amor de noureture qui lor avoit este a cure. Ensamle lisent et aprendent, a la joie d'amor entendent. (V. 235-240)15«

Die bislang erläuterten Thesen zur Erzeugung von Emotionen durch Literatur waren in erster Linie soziologisch fundiert und bleiben, was konkrete literarische Verfahren betrifft, mit gewisser Zwangsläufigkeit allgemein. Denn eine Analyse der Strategien, durch die auf Seiten der Literaturrezipienten Emotionen konstituiert werden, fallt in die Zuständigkeit anderer Disziplinen. Traditionell waren dies die Disziplinen der Poetik und der Rhetorik, inzwischen gehört eine solche Aufgabenstellung zum Bereich der Literaturwissenschaft. Es ist deshalb abschließend zu 155 Es mag an der mangelnden Präzision des Begriffs bei DE SOUSA liegen, dass im Vorwort zum Band .Representations of Emotions', der von JORGEN SCHLAEGER und GESA STEDMAN he-

rausgegeben wurde und philosophischen und literarischen Gefühlsdiskursen seit dem 17. Jahrhundert vornehmlich im angelsächsischen Raum gewidmet ist, zwar programmatisch auf DE SOUSAS Begriff Bezug genommen, mit Ausnahme des vom Herausgeber selbst verfassten Beitrags aber nicht mit diesem Begriff gearbeitet wird. Vgl SCHLAEGER The Politics of Taste. In: SCHLAEGER, STEDMAN, S. 77-85.

156 Übersetzung: Diese Lektüre brachte sie sehr schnell dazu, / sich in einem anderen Sinne zu lieben / als mit der Liebe, die sie zuvor beim Heranwachsen geschätzt hatten. / Gemeinsam lesen und lernen sie / und richten ihre Gedanken auf das Glück der Liebe.

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skizzieren, welche Ansätze auf diesen Gebieten für die Frage entwickelt worden sind, wie Emotionen durch Literatur konstituiert werden. Literarische Konstitution von Emotionalität Die Auffassung, dass Sprache, ob gesprochen, rezitiert oder stumm gelesen, Emotionen erzeugt, geht auf die Antike zurück. Aristoteles hat in der Poetik mit den Begriffen der Mimesis, der Katharsis und der Metapher sowie mit gattungssystematischen Unterscheidungen Grundsätze zur emotionalen Rezeption der Künste aufgestellt,157 die Maßstäbe für alle nachfolgenden Ästhetiken setzten und in einigen Punkten bis heute Gültigkeit beanspruchen können.158 Die Frage, auf welche Weise Emotionen durch die Dichtung oder Rede erzeugt werden, hat er dabei jedoch nicht einheitlich beantwortet. Vom Spezialfall des Mideidens abgesehen159 setzt Aristoteles keine unmittelbare Identifikation mit der Gefühlsexpression einer fiktionalen Figur voraus. Das Gefühl, das beim Rezipienten entsteht, denkt er nicht als rAnsteckung', sondern als ,Reaktion'. Exemplarisch wird dies im Begriff der Katharsis, der einen Prozess bezeichnet, in dem „Jammer und Schaudern"160 im Zuschauer evoziert werden, um dann aus ihm gleichsam .abgeleitet' werden und einen Zustand der Erleichterung konstituieren zu können,161 der im Gegensatz zum Unglück des fiktionalen Charakters steht. Auch in Aristoteles' Rhetorik finden sich Ausführungen zur emotionalen Affizierung des Hörers. In ihnen geht es jedoch nicht darum, ein Gefühl so auszudrücken, dass es den Zuhörer ,ansteckt', sondern um Erfahrungen und Erlebensweisen auf Hörerseite, die mit einiger Verlässlichkeit bestimmte Emotionen erzeugen.162 Aristoteles' Affekten157 Ausgeführt im Schlussabschnitt der Poetik, vgl. Aristoteles: Poetik. Griechisch/deutsch. Übersetzt und herausgegeben von MANFRED FUHRMANN, Stuttgart 1982, S. 94-99.

158 Dazu gehört zum Beispiel der von GUNTER GEBAUER und CHRISTOPH WULF weiter entwickelte Mimesis-Begriff, den sie in verschiedenen Publikationen erläutert haben. Vgl. dazu das 4. Kapitel. 159 Vgl. Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt, mit einer Bibliographie, Erläuterungen und einem Nachwort von FRANZ G. SlEVEKE, München 1980, hier S. 109ff. Aristoteles' Ausführungen zum Mitleiden in der Kunst sind LANDWEER zufolge nicht verallgemeinerungsfähig fur eine Theorie der Gefühle generell, sondern nur für sogenannte Sympathiegefühle. Vgl. LANDWEER, S. 133. 160 Aristoteles: Poetik, S. 19. Die griechischen Begriffe werden nicht einheitlich übersetzt Eine bekannte Alternative zu Jammer und Schaudern' aus der Ausgabe von FUHRMANN lautet .Furcht und Mideid*. 161 Vgl. Aristoteles: Poetik, S. 19. VgL auch VALENTINE CUNNINGHAM: Readers Beside Themselves: Particular Pleasures and Genetic Controls. In: SCHLAEGER, STEDMAN, S. 43-56, hier S. 50ff. 162 Diese sind von ROLAND BARTHES als .projizierte Psychologie' bezeichnet worden, weil sie, so JOACHIM KNAPE, nicht auf die Logik der Emotionen Jbinter' den Erscheinungen, sondern auf die Stimulation gemeinsamer Erfahrungsweite zielen. VgL JOACHIM KNAPE: Allgemeine Rheto-

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Emotion und Expression

lehre bildet eine Art Proto-Psychologie und wird daher bis heute als Basis für die Analyse einzelner Emotionen herangezogen.163 Für Fragen nach der Gefuhlskonstitution durch Literatur - und Sprache - ist sie nicht detailliert genug. Ähnliches gilt für die Schriften von Cicero und Quintiiianus, die im Mittelalter den zentralen Lehrstoff für das Fach Rhetorik bereitstellen. Aspekte der Stimulierung von Emotionen, die in diesen Lehren behandelt werden, haben auf die Dichtung des Mittelalters nachweislich Einfluss genommen.164 Als originelle Leistung Quintilians gelten seine Ausführungen zur ,Erregung der Gefühlswirkungen', in denen er anders als Aristoteles von einer Gefühlsansteckung des Zuschauers durch eine möglichst getreue Gefühlssimulation durch den Redner ausgeht.165 Von Interesse für die literaturgeschichtliche Theoriebildung ist in diesem Zusammenhang, dass Quintilian empfiehlt, die Imagination zu mobilisieren, um möglichst ,echte' Gefühle zu produzieren.166 Es ist auffällig, dass die gegenwärtigen Debatten in den Literaturwissenschaften zu der Frage, wie Texte auf Rezipientenseite Emotionen konstituieren, immer noch auf den genannten Rhetoriken sowie auf den später entwickelten Theorietraditionen der Wirkungs- und der Rezeptionsästhetik aufbauen. Damit behandeln sie das Thema in einer großen Bandbreite und nehmen darüber hinaus den wichtigen Aspekt der medialen Vermitdung in den Blick. Auch hier werden jedoch weniger konkrete poetische und sprachliche Strategien untersucht als Probleme der MetaEbene erörtert. COLIN RADFORDS 1975 erschienener Aufsatz „How Can We Be Moved by the Fate of Anna Karenina?"167 löste vor allem in den anglo-amerikanischen Literaturwissenschaften eine intensive Debatte aus. Von ROBERT J. YANAL wurde die Problematik, die dabei im Zentrum steht, als .Paradox von Emotion und Fiktion' bezeichnet: „The paradox of rik. Stationen der Theoriegeschichte, Stuttgart 2000, S. 45. Vgl. auch ebd., S. 47: „Wenn man zum Beispiel Zorn erregen will, dann ist der Gegner in einer Rede als solcher Dinge schuldig darzustellen, worüber alle gewöhnlich Zorn empfinden [...]". 163 Vgl. etwa LANDWEER zur Scham. 164 Einen der neuesten Beiträge verfasste CHRISTINA LECHTERMANN: Affekterregung und höfische Literatur im Welschen Gast. In: HORST WENZEL, CHRISTINA LECHTERMANN (Hg.): Beweglich-

keit der Bilder. Text und Imagination in den illustrierten Handschriften des Welschen Gastes von Thomasin von Zerdaere, Köln/Weimar/Wien 2002 (Pictura et poesis 15), S. 143-155. Vgl. zur Stellung in der Rhetorikgeschichte KNAPE: Allgemeine Rhetorik, zur Verbreitung speziell von Quintilian außerdem PAUL LEHMANN: Die Institutio Oratoria des Quintiiianus im Mittelalter. In: Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze Bd. Π, Stuttgart 1959, S. 1-28. 165 Vgl. KNAPE: Allgemeine Rhetorik, S. 133-173, bes. S. 153ff. 166 VGJ. Marcus Fabius Quintiiianus: Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Herausgegeben und übersetzt von HELMUT RAHN. Erster Teil. Buch I-VI, Darmstadt 19953, S. 697FF.

167 COLIN RADFORD: How Can We Be Moved by the Fate of Anna Karenina?. In: Proceedings of the Aristotelian Society, SuppL Bd. 49 (1975), S. 67-80.

Codierung τοη Emotionen

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emotion and fiction arises because we do not believe in the real existence of fictional Charakters, yet we respond to them as if they really existed."168 Das Interesse von YANALS Monographie liegt darin, dass er sich ebenso ausfuhrlich mit der modernen Kontroverse wie mit älteren Thesen auseinander gesetzt hat, die über poetologische Reflexionen des 18. Jahrhunderts bis zu Plato und Aristoteles zurückführen. Sie versammelt damit einige der wichtigsten Fragen, die historisch je zur Problematik der Konstitution von Emotionalität durch Literatur erörtert wurden. Dazu gehören Überlegungen, ob der Rezipient sich mit den fiktionalen Charakteren identifiziert, ob die Emotionen, die er empfindet, analog denen des fiktionalen Charakters der dargestellten Welt ihrerseits simuliert sind,169 ob es die ,Lebensechtheit' oder die .expressiven', insbesondere onamatopoetischen Qualitäten eines literarischen Textes sind, welche die emotionale Reaktion stimulieren,170 warum .negative Emotionen' wie Angst und Ekel, so häufig - zum Beispiel in Horrorgeschichten - gesucht werden.171 ,Genuss' oder ,Lust' ist der Aspekt der emotionalen Rezeption von Literatur, der in der Literaturästhetik am ausfuhrlichsten behandelt wurde. Am bekanntesten ist ROLAND BARTHES' Essay Die Lust am Text (Leplaisir du texte], in dem zwischen einem Text der ,Lust' {plaisir), der konventionelle Lesererwartungen erfüllt, und einem Text der ,Wollust' (jouissance), der diese Erwartungen subversiv durchbricht, unterschieden wird.172 Die Rezeptionserlebnisse, die BARTHES als Erfahrung der jouissance an einem Text beschreibt (Unbehagen, Langeweile, Bruch mit kulturellen und psychologischen Gewohnheiten) und die sich herkömmlichen Vorstellungen einer ,spannenden' Lektüre entziehen, dürften in einigen Punkten denen entsprechen, die moderne Leser mit älterer Literatur haben. Die von BARTHES beschriebenen Erlebnisse der jouissance ließen sich als Indizien für die historische Alterität der Texte nutzen und für methodische Fragestellungen auswerten. So wäre zu untersuchen, welche Elemente der Texte 168 ROBERT J. YANAL: Paradoxes of Emotion and Fiction, University Park, PA 1999, S. 159. Einen kürzeren Überblick mit eigenem Lösungsvorschlag' gibt MARGIT SUTROP: Sympathy, Imagination, and the Reader's Emotional Response to Fiction. In: SCHLAEGER, STEDMAN, S. 29-42. 169 Vgl. YANAL, S. 62ff. 170 Vgl. YANAL, S. llOff.

171 YANAL behandelt in diesem Zusammenhang auch den Film, vgl S. 143ff. In YANALS Sicht sind es die Detailliertheit von Beschreibungen, die temporäre Suspendierung gewöhnlicher Oberzeugungen zur .Wahrheit' und ,Wahrscheinlichkeit' von Ereignissen sowie ein grundlegendes ästhetisches Vergnügen, die negative Emotionen nicht nur ,erträglich' machen, sondern sie gerade zu einem besonderen Genuss werden lassen. Vgl. dazu YANAL, S. 157: „When the pleasant elements outweigh the painful passions there is enjoyment on the whole." Vgl. auch die Zusammenfassung S. 159f. 172 V g l ROLAND BARTHES: Die Lust am Text. Aus dem Französischen von TRAUGOTT KÖNIG,

Frankfurt a. Μ. 19826, S. 21. .Lust' und .Wollust' sind Übertragungen des deutschen Übersetzers fur BARTHES' Begriffspaar.

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Emotion und Expression

jeweils Unbehagen, Langeweile und ähnliche Emotionen evozieren, welche kulturellen Normen durch sie nicht erfüllt, welche alltagsweltlichen Erfahrungen nicht bestätigt und welche Lektüreerwartungen frustriert werden.173 Wie THOMAS ANZ darlegt, stellen Lust, Vergnügen oder Genuss zentrale Elemente der Rezeption von Literatur dar, «die in Ästhetik und Sozialtheorie der Moderne auf vielfältige Weise behandelt wurden. Zu den wichtigsten Aspekten der Konstitution von Emotionen durch Literatur gehören ANZ zufolge die Komik, die hinsichtlich älterer Texte vor besondere Probleme stellt, da sie die Frage nach historischen Anlässen des Lachens aufwirft,174 die Angst oder Angst-Lust, die auch in Untersuchungen zur Literatur der Jenseitsvisionen und zur Theorie des Phantastischen in mittelalterlichen Texten erörtert wird, sowie verschiedene Varianten des Verhältnisses von Literatur und Erotik. Die Frage, mittels welcher Techniken die Literatur auf Seiten des Lesers Emotionen evoziert, bedarf also dann, wenn sie über grundsätzliche Erörterungen auf der Meta-Ebene hinausgehen soll, vielfacher Differenzierungen, Präzisierungen und eingehender Detailanalysen. Diese betreffen Gattungen und Textsorten, historische und zeitgenössische Leser, affizierende, distanzierende und identifikatorische Wirkungen. Kontextbezogene und mediale Aspekte der Rezeption durch Lektüre, Vortrag oder Aufführung sind ebenso zu berücksichtigen wie Prozesse längerfristiger Normierung. WLNKO schlägt für eine Untersuchung der Codierung von Gefühlen in deutschsprachiger Lyrik um 1900 ein Modell für die Analyse literarischer Emotionen vor, das von der Ebene der Phonetik über die der Metrik, Syntax, Lexik, Bildlichkeit, Rhetorik und der (an der Narratologie GERARD GENETTES orientierten) Narrativik potentiell alle semantischen Ebenen des Sprachkunstwerks umgreift und detaillierte Einzelanalysen erfordert.175 Gerade für die versifizierten Romane des Mittelalters ist a priori keine dieser Ebenen auszuschließen, auch wenn grundsätzlich solche Analyseelemente von größerer Relevanz sind, die WLNKO als „textinterne Zuordnung" von Emotionen an Figuren und Erzählinstanzen auf der 173 Vgl. auch die Beiträge in: METTE HjORT, SUE LAVER (Hg.): Emotion and the Arts, New York/Oxford 1997. 174 Das .Vergnügen' am literatischen Helden kann sich, wie HANS ROBERT jAUß in einem bekannten Aufsatz erörtert, zum Beispiel als .Lachen über' aus einem Gefühl der Überlegenheit, einem .Lachen mit' aus einem Gefühl der Befreiung herleiten, es kann - wie FREUD gezeigt hat - Aggressionen freisetzen oder, in der Spielart des humour, zur Heiterkeit über bürgerliche Durchschnittlichkeit führen. VgL HANS ROBERT JAUß: Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden. In: WOLFGANG PREISEND ANZ, RAINER WARNING (Hg.): Das Komische,

München 1976 (P.u.H. VII), S. 103-132; SIGMUND FREUD: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (Gesammelte Werke Bd. VI), Frankfurt a. M. 1978. 175 WINKO.S. 129ff.

Zusammenfassung zum emotionstheoretischen Ansatz der Untersuchung

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Ebene der Narrativik bezeichnet.176 In der vorliegenden Arbeit wird ebenfalls primär die textinterne Zuordnung von Emotionen untersucht. Fragen der (potentiellen) Erzeugung von Emotionen werden insbesondere unter den Aspekten der Ritualisierung und Performatdvität in den Blick genommen.177

3.4 Zusammenfassving zum emotionstheoretischen Ansatz der Untersuchung Die „Geschichte der Gefühle und ihrer Ausdrucksweisen" (FEBVRE),178 dieser gemeinsame Gegenstand verschiedener Disziplinen von der Historischen Anthropologie bis zur Literaturwissenschaft, ist bislang nur in Anfängen geschrieben. Ein Grund dafür könnte sein, dass für die teils differenziert dargestellten emotionalen Zustände, Prozesse oder Konflikte der literarischen Texte des Mittelalters über den Begriff des Affekts hinaus kein ausreichendes Analyse-Instrumentarium zur Verfügung steht. Um diesem Mangel zu begegnen, schlage ich für den mittelalterlichen Liebesund Abenteuerroman vor, zwischen Emotion und Expression weder ein weitgehendes Entsprechungsverhältnis wie in der Zivilisationstheorie, noch ein Entfremdungsverhältnis wie in der Psychoanalyse vorauszusetzen, sondern im Einzelnen zu untersuchen, wie beide Pole relatdoniert und damit Formen und Bedingungen des Gefühlsausdrucks je dargestellt werden. Theorien der Emotionalität stellen dafür ein Beschreibungsinstrumentarium zur Verfügung, das sich heuristisch auf literarische Darstellungsmuster beziehen lässt. Für die Zwecke dieser Untersuchung ist es ausreichend, als allgemeinen Begriff den der Emotion zugrunde zu legen und im Einzelfall die Begriffe der Bastsemotion, der socialen Emotion, des Begebrens, der sekundären Emotion und der Stimmung zu verwenden. Von Affekt wird vor allem dann gesprochen, wenn eine Darstellungsstrategie zu akzentuieren ist, in der eine Figur von ihren Emotionen ,überwältigt' und die Emotion zum Ausdruck zu .drängen' scheint. Eine leitende Rolle spielt für die Untersuchung die Erkenntnis der Emotionsforschung, dass Emotionen prozesshaft und vielfach widersprüchlich sind und einander oft unmittelbar wechselseitig substituieren. Um solche emotionalen Dynamiken beschreiben zu können, werden für die Interpretation auch Ansätze der Psychoanalyse hinzugezo-

176 Vgl. WlNKO, S. 137ff. 177 Dieser Aspekt wird im 4. Kapitel erörtert 178 FEBVRE, S. 331.

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Emotion und Expression

gen, die ambivalente und konfliktträchtige emotionale Konstellationen in besonderer Weise fokussiert. Aus Theorien der Emotionalität geht hervor, dass die Frage nach Emotion und Expression nicht nur phänomenologische und ausdrucksbezogene Aspekte des Fühlens betrifft, sondern auch soziale Konstellationen und situative Bezogenheiten. Emotion und Expression gleichermaßen zu berücksichtigen heißt dann, historische display rules als die Techniken und kulturellen Muster zu ermitteln, in denen Emotionen gezeigt, unterdrückt, maskiert oder simuliert werden. Display rules, wie die Theoretiker der Basisemotionen sie verstehen, erfassen jedoch nur einen kleineren Bereich der kommunikativen und pragmatischen Kontextualisierung von Emotionen, die für diese Untersuchung von Interesse ist In Anlehnung an den Begriff des paradigm scenarios und zugleich in dessen Differenzierung wird daher gefragt, welche Emotionen wie, wann, gegenüber wem und in welchen Situationen zum Ausdruck kommen. Die Untersuchung von Emotion und Expression im Liebes- und Abenteuerroman wird sich exemplarisch auf situative Kontexte richten (politisch, familial, öffentlich oder im Raum des Rückzugs), Anlässe (Abschied, Trennung und Wiedersehen, Bitten um Hilfe, Zurückweisung), Figuren (liebende, Eltern, Verwandte) und Objekte (Dinge, die den Geliebten gehörten, Bilder), in denen Emotionen in einer bestimmten Form (verbal oder körperbezogen, durch Gesten, Weinen, Ohnmacht, Blässe des Gesichts) zum Ausdruck gebracht werden. Auch gender spezifische Zuschreibungen des Gefühlsausdrucks werden kontinuierlich in die Analyse einbezogen. Display rules, paradigm scenarios und andere Formen der Bildung und .Programmierung' von Emotionen, Fragen, in welchen Situationen sie adäquat sind und auf welche Objekte sie sich zu richten haben, lassen sich als Elemente eines gattungs- und epochenspezifischen emotionalen Codes auswerten. Unter der Prämisse, dass konkretes Fühlen auch aus der Orientierung an kulturellen Codes entsteht und dass Literatur ein Medium ist, das kulturelle Codes repräsentiert, können ausgehend von der Ebene der literarischen Darstellungsmuster Thesen über emotionale Standards gebildet werden. Liebes- und Abenteuerromane werden dafür als Teil eines Spektrums sozialer Praktiken aufgefasst, durch welche Emotionen gelernt werden. Mit Ansätzen der Emotionsforschung allein sind allerdings keine ausreichenden Paradigmen für die Untersuchung von Emotion und Expression im Liebes- und Abenteuerroman - und in weiteren mittelalterlichen Texten - zu gewinnen. So wird in Theorien der Emotionalität zwar allgemein auf handlungsauslösende Valenzen von Emotionen verwiesen, dass Emotionen selbst Handlungen darstellen, wird jedoch wenig reflektiert. Der gesamte Bereich der genuin literarischen Strategien, die zu Ausdruck

Zusammenfassung zum emotionstheoretischen Ansatz der Untersuchung

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und Darstellung von Emotionen in literarischen Texten gehören, spielt in der Emotionsforschung kaum eine Rolle. Um die skizzierten Aspekte einzugrenzen, werden mit Blick auf die Fragestellungen zum Liebes- und Abenteuerroman im Folgenden die Paradigmen der Inszenierung, Ritualisierung und Performativität entwickelt.

4. Inszenierung, Ritualisierung, Performativität. Paradigmen für die Analyse des Liebes- und Abenteuerromans Um Emotion und Expression im Liebes- und Abenteuerroman analysieren zu können, ist ein emotionstheoretischer Ansatz erforderlich, der den transitorischen, .subtilen' Charakter vieler Gefuhlsdarstellungen und ihr kommunikatives Potential konzeptualisieren kann. Dies hat das letzte Kapitel ergeben und dabei zugleich die Grenzen dieses Ansatzes für den hier gewählten Untersuchungsgegenstand sichtbar gemacht. Denn ausdrucksbezogene Richtungen der Emotionstheorie behandeln Formen medialer Stimulierung von Emotionen nur in allgemeiner Hinsicht, und Aspekte der körperlichen Stilisierung werden — abgesehen von einem als universal konzipierten Ausdrucksrepertoire von Basisemotionen, das aber gerade nicht als stilisiert gedacht ist - nicht berücksichtigt. Für eine literarhistorische Spezifik des Gefühlausdrucks, wie sie im Liebes- und Abenteuerroman gegeben ist, sind zusätzliche, feinteiligere Beschreibungsraster zu entwickeln. In einer Szene aus dem Roman Flore und Blanscheßur blickt der Held zum Beispiel auf einen Schreibgriffel in seiner Hand, den die Geliebte ihm überlassen hat. Er wird daraufhin von seinen Erinnerungen überwältigt. heize weinende er sprach „owe griffet here, η ΰ hän ich niht mere von miner lieben ftiundin wan herzeleides unde din."

(V. 2364-2368) Seine Trauer gipfelt in einem Selbstmordversuch: Flore versucht, sich mit dem Schreibgerät zu erstechen.1 Signifikant ist an dieser Szene, dass die Emotion - die Trauer um die Geliebte2 - in einer autoaggressiven, ,theat1

2

FRITZ P E T E R K N A P P : Der Selbstmord in der abendländischen Epik des Hochmittelalters, Heidelberg 1979, S. 163ff., nennt als mögliche Vorbilder dieser Szene Beispiele für den Selbstmord mit einem Schwert aus der antiken und antikisierenden Dichtung (Eneasroman, Pmmus und Tisbe). Unter Trauer lässt sich hier in Anlehnung an die Definition von F R E U D eine Verlusterfahrung verstehen. Sie mündet allerdings nicht - vie in der Definition F R E U D S - in eine Bewältigung, sondern in einen Versuch der Selbstauslöschung.

Inszenierung

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ralischen' Geste ausagiert wird und dass ein metonymisch eingesetztes Objekt - der Griffel, der Blanscheflur gehörte und der auf die Freundin und auf den gemeinsamen Schulunterricht verweist3 - als Medium diese Emotionen hervorruft. Die Passage zeigt exemplarisch, dass die Frage nach der Expression einer Emotion nicht nur die Form betrifft, in der sie mittels des Körpers ausgedrückt wird, sondern auch die Anlässe und Objekte, zu denen und durch die sie zum Vorschein gebracht wird. Die autoaggressive Geste gehört zu einem gattungstypischen formelhaften Repertoire körpersprachlicher Ausdrucksmuster für Emotionen, während die Reaktion auf den Schreibgriffel ein Beispiel für eine genrehafte Tendenz darstellt, Emotionen in Relation zu unterschiedlichen Objekten hervortreten zu lassen. Auf Grundlage dieser und weiterer Beobachtungen ließen sich übergreifende Aspekte der Relationierung von Emotion und Expression ermitteln. Sie werden in diesem Kapitel in Rekurs auf die Begriffe der Inszenierung, Ritualisierung und Performativität erläutert. Weil diese Begriffe in den Geistes- und Kulturwissenschaften gegenwärtig hoch besetzt sind, ist es erforderlich, sie ausführlicher zu situieren. Die Paradigmen Inszenierung, Ritualisierung und Performativität sollen bestehende gattungssystematische Ansätze für den Gegenstandsbereich modifizieren und ergänzen.4 Um dies zeigen zu können, werden die Romane, die dieser Arbeit zugrunde liegen, mit Blick auf ihre gattungstypischen Gemeinsamkeiten betrachtet Aus dieser synchronen Beschreibungsebene werden anschließend Fragen für die folgenden diachronen Interpretationen abgeleitet. Inszenierung, Ritualisierung und Performativität sind affine Kategorien, die in vielen ihrer Dimensionen aufeinander verweisen. Denn Rituale werden inszeniert und realisieren sich als Performances, Rituale und In3

4

Der Begriff der Metonymie wird in Anlehnung an die rhetorische Figur für ein poetisches Verfahren verwandt, in dem ein Objekt für ein anderes aufgrund einer Beziehung der Kontiguität ersetzt wird. Dies tangiert nicht die Problematik um die präzise Abgrenzung von Metapher, Metonymie und Synekdoche. Vgl. zu dieser Problematik etwa GERARD GENETTE: Die restringierte Rhetorik. In: ANSELM HAVERKAMP (Hg.): Theorie der Metapher, Darmstadt 19962, S. 229-252, dort auch NICOLAS RUWET: Synekdochen und Metonymien, S. 253-282. In jüngeren gattungssystematischen Untersuchungen zum liebes- und Abenteuerroman hat es sich bewährt, eingeführte Gattungsdominanten für Sub-Gruppen der Gattung zu konkretisieren und zu variieren. KlENING: Wer aigm mein die weh..., verweist für Texte des 14. Jahrhunderts auf die Ebene der Sinnentwürfe und Werthaltungen. RlDDER: Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane, ergänzt ebenfalls für diesen Zeitraum die Kriterien der intertextuellen Auseinandersetzung mit dem höfischen Roman, der Historisierung des fiktiven Geschehens bei gleichzeitiger Fiktionalisierung der Geschichte und der Sprachreflexion. SCHULZ: Poetik des Hybriden, erarbeitet mit einem strukturalistischen Ansatz das Erzählmodell .Minneroman', dessen Gattungsgeschichte über eine Textreihe beginnend mit Rudolfs von Ems WiUebalm von Orlens unter anderem über Konrads von Würzburg Parionopier und Mciur bis zu Veit Warbecks Sebent Magtkme verlaufe.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativitat

szenierungen sind aufgrund ihres Auffiihrungscharakters performativ, und eine Wirkweise von Performativität besteht aus Inszenierungen. Die Begriffe bezeichnen jedoch unterschiedliche Ebenen von Emotion und Expression im Liebes- und Abenteuerroman und können deshalb analytisch getrennt und je eigens erläutert werden.

4.1 Inszenierung Die Helden von Liebes- und Abenteuerromanen agieren in Szenarien des Scheins. Verstellungen, Lügen, Verkleidungen, Zauber und Identitätswechsel gehören zum festen Motivbestand der Gattung. Immer sind Emotionen in diese Vorgänge involviert. Es geht darum, Angst, Trauer oder Liebe zu stimulieren oder zu unterdrücken, Begehren zu wecken oder es zu sublimieren, eine Emotion durch eine andere zu ersetzen. So lassen sich die Handlungskerne aller Texte mit Blick auf die Als-Ob-Verhältnisse erläutern, die jeweils in ihnen konstituiert werden: 1. Flores Eltern sind gegen eine Verbindung ihres Sohnes mit Blanscheflur, weil sie annehmen, dass diese von niederer Herkunft ist. Sie schicken ihren Sohn unter einem Vorwand fort und verkaufen Blanscheflur in den Orient. Anschließend lassen sie ein kostbares Grabmal errichten, um Flore glauben zu machen, dass Blanscheflur gestorben sei. Flore jedoch erfährt die Wahrheit und reist als Kaufmann verkleidet in den Orient, um Blanscheflur zu suchen. Um Blanscheflur aus einem Turm zu befreien, in dem sie gefangen ist, erlangt er das Vertrauen des Turmwächters, den er mittels einer List für die Befreiung instrumentalisiert. 2. Der junge Partonopier verläuft sich während einer Jagd in den Ardennen und gelangt scheinbar zufällig, tatsächlich jedoch von Ferne gelenkt durch die magiekundige Meliur in deren Land. Meliur hat ihren gesamten Hofstaat verzaubert und bereitet Partonopier damit die Illusion, dass er sich in einem menschenleeren Reich befinde. Partonopier verliebt sich in Meliur und kehrt nur noch sporadisch in seine französische Heimat zurück. Seine Mutter furchtet, dass ihr Sohn in die Fänge des Teufels geraten ist, doch dies offenbart sie ihm gegenüber nicht. Stattdessen wendet sie zunächst eine Zauberlist an und lässt Partonopier dann durch den Erzbischof von Paris in Angst versetzen, dass er sein Seelenheil riskiere. Partonopier lässt bei Meliur den Eindruck entstehen, ihr nach wie vor ergeben zu sein, um ihr dann umso leichter ihr Geheimnis entreißen zu können. Enttäuscht und zornig über Partonopiers Verrat, besiegelt Meliur den Bruch. Um das Paar wieder zusammenzubringen, täuscht Meliurs Schwester vor, dass Partonopier dem Tod nahe sei. In mehreren Dialogen zwischen den Schwestern gibt Meliur sich zunächst den Anschein, nach

Inszenierung

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wie vor zornig auf Partonopier zu sein, doch dann lässt sie sich von ihrer Schwester das Eingeständnis entlocken, Partonopier immer noch zu lieben. An einem Turnier, das veranstaltet wird, um einen Ehemann für Meliur zu ermitteln, nimmt Partonopier incognito teil und erwirbt trotz starker Konkurrenz schließlich das Anrecht auf ihre Hand. 3. Der Grafensohn Peter wirbt um die Königstochter Magelone, ohne seine adlige Herkunft preiszugeben. Er überredet sie unter einem Vorwand, mit ihm zu fliehen. Nachdem sie unterwegs getrennt worden sind, gibt Magelone sich als Pilgerin aus und eröffnet ein Spital. Während dieser Zeit lebt Peter incognito als Höfling bei einem Sultan. Nach einiger Zeit erhält er vom Sultan die Erlaubnis, sich für eine Weile vom Hof zu entfernen. Er gelangt zu Magelones Spital, doch die beiden erkennen einander zunächst nicht. Sie heiraten, nachdem sie ihre wahren Identitäten offenbart haben. Als gattungsspezifische Merkmale des Liebes- und Abenteuerromans wurden Illusionen, Verstellungen und Als-Ob-Situationen bisher noch nicht behandelt. Folglich gab es keine Versuche, sie auf einen zusammenfassenden Begriff zu bringen.5 Um Verfahren wie Lügen, Listen oder Zauber, die in unterschiedlichem Grade mit sprachlichen, körperlichen und räumlichen Mitteln operieren, für die synchrone und diachrone Analyse kompatibel zu machen, wird im Folgenden der Begriff der Inszenierung verwendet. Weil der Inszenierungsbegriff in der Mediävistik — wie in den Geistes- und Kulturwissenschaften generell - inzwischen allgegenwärtig ist, wobei er insbesondere Erzählerrollen und Körperbilder bezeichnet,6 wird zunächst erläutert, welche Begriffsverwendungen aus der Vielfalt der Konzepte dafür relevant werden. Zwischen drei Ebenen einer Inszenierung wird unterschieden: 1. Inszenierung als Illusion und Täuschung. Allgemein stammt der Inszenierungsbegriff aus der Theaterwissenschaft, wo er ähnlich dem frz. mise en scene (= in Szene setzen) in einer engeren Begriffstradition die Gesamtheit der Mittel szenischer Interpretation, wie Dekoration, Beleuch5

INGRID KASTEN und ARMIN SCHULZ sprechen mit Blick auf einzelne Romane von Täuschun-

gen und Verstellungen. Vgl. INGRID KASTEN: Vorstellungen und Verstellungen. Zum Problem der Subjektivität im höfischen Roman. In: CARLA DAUVEN-VAN KNIPPENBERG, HELMUT

6

BIRKHAN (Hg.): St void ich in fröiitn angn. Festschrift für Anthonius H. Touber, Amsterdam/Atlanta, GA 1995, S. 273-284. Nach SCHULZ: Die Zeichen des Körpers, S. 46f., werden Täuschungen und Verstellungen in Prosahistorien unter wahrnehmungstheoretischem Aspekt thematisch. Er grenzt diese Tendenz allerdings etwas apodiktisch vom Postulat einer angeblichen „stete[n] Kongruenz von moius animi und motus corporis' ab. Ebd., S. 49. Für Erzählerrollen ist für den Bereich des Liebes- und Abenteuerromans zu verweisen auf KLAUS RJDDER: Die Inszenierung des Autors im Reiitftüd von Bnauucbvdg. Intertextualität im späthöfischen Roman. In: ELIZABETH ANDERSEN, JENS HAUSTEIN, ANNE SIMON, PETER

STROHSCHNEIDER (Hg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995, Tübingen 1998, S. 239-254, außerdem auf SCHULZ: Die Zeichen des Körpers.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

tung, Musik, Schauspielkunst bezeichnet, in einer erweiterten Definition die Art der Umsetzung eines dramatischen Werks in Zeit und Raum.7 Neben dieser produktionsästhetischen hat der Begriff eine rezeptionsästhetische Seite, welche die intendierte Rolle des Zuschauers und seine Wahrnehmung des Inszenierungscharakters betrifft. Obwohl dieser Inszenierungsbegriff für theatrale performances oder Auffuhrungen entwickelt wurde, denen gegenüber der narrative Text ein anders verfasstes Medium darstellt,8 kann die Kerndefinition zentrale formale Merkmale der beschriebenen Vorgänge in Liebes- und Abenteuerromanen erfassen. Denn zu ihren allgemeinen Charakteristika gehören, dass die Figuren souverän über Körper und Sprache, Zeit und Raum verfügen sowie Dinge und andere Figuren instrumentalisieren, um Illusionen zu erzeugen oder um andere zu täuschen. 2. Inszenierung als Produktivität. Wie MARTIN SEEL hervorhebt, sind Inszenierungen das Ergebnis von Prozessen oder bringen solche in Gang.9 Sie werden stets einem Publikum dargeboten, das auch nur aus einem einzigen Zuschauer bestehen kann. SEEL betont die Intentionalität von Inszenierungen und führt dafür eine Unterscheidung zwischen Inszenierungen als Resultaten eines intentionalen Prozesses ein und der Intentionalität der Inszenierungen selbst.10 Damit wird SEELS Definition der Langfristigkeit adäquat, welche viele Operationen in Liebes- und Abenteuerromanen kennzeichnet; unter dem Aspekt der Intentionalität erlaubt sie es ferner, Motive und Effekte einer Inszenierung differenzieren. Die Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Ebene von Inszenierungen bezieht sich, wenn es um eine Analyse von literarischen Texten gehen soll, mitunter nicht auf verschiedene Handlungen, sondern auf verschiedene Dimensionen ein und desselben Vorgangs. Auf einer ersten Ebene liegt zum Beispiel die Intentionalität von Meliurs Inszenierung darin, eine Schein-Welt für Partonopier zu konstituieren. In diesem Sinne ist ihre Inszenierung eine Täuschung oder Illusion. Auf einer zweiten Ebene aber ist es Meliurs Intention, Partonopier an ihren Hof zu leiten, seine Gefühle zu wecken und eine Beziehung zu begründen. Darin liegt die produktive Seite ihrer Inszenierung. Schließlich ist es auf einer 7

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Vgl. PATRICE PA-VIS: Inszenierung. In: MANFRED BRAUNECK, G£RARD SCHNEILIN (Hg.):

Theatetlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, Reinbek 1986, S. 423-425. Vom theaterwissenschaftlichen Begriff unterschieden ist das für den liebes- und Abenteuerroman vorgeschlagene Paradigma von Inszenierung insbesondere in den Dimensionen von Zeit und Raum. Wie das Beispiel der Partonefner-Komaae zeigt, können die Wege der Figuren ganze Länder durchmessen und Tage, Wochen, selbst Jahre dafür beanspruchen. Vgl. MARTIN SKR!.: Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs. In: JOSEF FRÜCHTL, JÖRG ZIMMERMANN (Hg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a. Μ 2001, S. 48-62. Vgl. SEEL, S. 49.

Inszenierung

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dritten Ebene die Intention des Autors/Erzählers, im narrativen Prozess die Emotionen einer Figur darzustellen. Dies repräsentiert eine dritte Ebene von Inszenierungen, die jetzt erläutert wird. 3. Inszenierung als Narration. Deutlich unterschieden von den beiden bereits vorgestellten Ebenen des Inszenierungsbegriffs ist eine dritte, die sich an die genuin literaturwissenschaftliche Definition von WOLFGANG ISER anlehnt. Mit dieser Definition lässt sich die erzählerische Relationierung von Inszenierung und Emotion analysieren. ISERS Interesse gilt der Inszenierung als einem „anthropologischen Modus",11 einem in seiner Sicht universalen menschlichen Bedürfnis nach Selbstauslegung im Medium der Literatur. In einem Grundwiderspruch, der nach ISER zugleich die besondere Leistung von Literatur ausmacht, wird durch ,Akte des Fingierens' ein nicht materialisierbares Imaginäres doch zur Darstellung gebracht. Genau diese Form des ,zum Ausdruck-', bei ISER: ,zum Erscheinen-' Bringens bezeichnet in seinem theoretischen Ansatz der Begriff der Inszenierung. Eine Inszenierung bringt, so ISER, „das zur Erscheinung [...], was seiner Natur nach nicht gegenständlich zu werden vermag."12 Zu den Phänomenen, die in der skizzierten Weise zur Erscheinung gebracht werden, zählt ISER insbesondere die „Liebe", ein „zentrale^] Sachverhalt literarischer Inszenierung".13 Aufgrund ihres nicht gegenständlichen Charakters gilt dies jedoch genauso für alle anderen Emotionen. Das Paradigma der Inszenierung akzentuiert in dieser Begriffsvariante, dass Emotionen durch den Akt des Erzählens selbst ,zur Erscheinung' gebracht werden.14 Im Zusammenhang von Textanalysen ist es nicht in jedem Falle notwendig, zwischen den drei Ebenen zu differenzieren. Es führt zum Beispiel nicht weiter, darauf hinzuweisen, dass eine produktive Seite von Meliurs Inszenierung - das Entstehen der Liebe Partonopiers - dem Akt der Narration und Meliurs Intention entspricht. Doch lassen sich die ambivalenten Emotionen, die der junge Held angesichts der Szenarien in Meliurs menschenleerer, prächtiger Stadt empfindet, nicht auf die Intention Meliurs zurückführen. In diesem Fall ist die Intention des Autors zu akzentuieren, wie an folgender Textstelle im Partonopeu de Bloir. 11 WOLFGANG ISER: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. M. 1991, S. 508. 12 ISER, S. 504. 13

ISER, S. 509.

14

Hierin liegt eine Parallele zur Definition von Performativität. In einer relationalen Begriffsverwendung meint Performativität „die Inszenierung, den Vollzug, die Vergegenwärtigung von etwas [...]. Inszenieren oder vergegenwärtigen kann man auch Gefühle, Zustände, Ansprüche, etc., und diese Entitäten können fingiert sein." ULRIKE BOHLE, EKKEHARD KÖNIG: Zum Begriff des Performativen in der Sprachwissenschaft. In: ERIKA FISCHER LICHTE, CHRISTOPH WULF (Hg.):

Theorien des Performativen, Berlin 2001 (Paragtana 1/10), S. 13-24, hier S. 24.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativität Tant a Ii enfes regarde En paradis quide estre entre; Auques a joie, auques dolor, Car ο sa joie a grant paor. (V. 873-876)15

In anderen Fällen werden mit einer Differenzierung zwischen den Ebenen und Intentionen einer Inszenierung spezifische Konfliktkonstellationen und Darstellungsinteressen einsichtig. Flore soll sich zum Beispiel mit Hilfe eines Grabmals, das den Tod Blanscheflurs vortäuscht, von der Geliebten lösen. Dafür wurde das Grabmal mit Vögeln ausgestattet, deren Gesang die emotionale Verfassung des Zuhörers beeinflusst: in maneger wise was ir clanc dem grabe ze beiden siten so süeze ze allen ziten daz ein fröudeloser man, der nie fröude gewan, siner swaere vergseze, ob er da stüende od saeze. (V. 2088-2094)

Hier liegt die produktive Seite der Inszenierung in dem Vermögen, einen emotionalen Zustand verändern zu können. Flores Eltern verfolgen die Absicht, ihren Sohn mit Hilfe des süßen Gesangs der Vögel seine Trauer um Blanscheflur vergessen zu lassen. Doch bringt der Autor/Erzähler, als Flore tatsächlich vor dem Grabmal steht, im Akt der Narration einen Sturm von Emotionen zum Vorschein, die sich in keiner Weise mehr beruhigen lassen und im Wunsch nach Selbsttötung gipfeln. Die verschiedenen Ebenen der Inszenierung machen damit ein erzählerisches Interesse an der Frage transparent, inwiefern Emotionen sich medial steuern lassen oder aber sich verselbstständigen, und sie legen den Grund für einen zentralen Konflikt des Romans, des Zerwürfnisses von Flore mit seinen Eltern. Um verschiedene Ebenen der Inszenierung von Emotionen auch erzähltheoretisch zu unterscheiden, wird im Folgenden auf die Terminologie von GERARD GENETTE zurückgegriffen, die in der Mediävistik inzwischen eingeführt ist.16 GENETTE unterscheidet die Geschichte oder Diegese als den narratdven Inhalt eines Textes von der Erzählung als dem mündli15 16

Übersetzung: So viel hat das Kind sich angesehen, / dass es glaubt, im Paradies zu sein. / Es ist etwas froh und etwas bekümmert / Denn trotz seiner Freude hat es große Angst. So auch in der Forschung zum Liebes- und Abenteuerroman, vgl. die Untersuchungen von SCHULZ: Poetik des Hybriden, und von CHRISTOPH HUBER: Brüchige Figur. Zur literarischen Konstruktion der Partonopier-Gestalt bei Konrad von Würzburg. In: MEYER, ScmEWER, S. 283-308. VgL grundlegend zu narratologischen Konzepten fur die mittelalterliche Literatur GERT HÜBNER: Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im Eneat, im Iva» und im Tristan, Tübingen/Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 44).

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chen oder schriftlichen Diskurs, der den Inhalt transportiert und der Narration als dem produzierenden Akt des Erzählens selbst.17 Die Mittel, durch die Emotionen in den genannten Beispielen inszeniert werden, liegen einerseits auf der Ebene der Geschichte, da sie auf Handlungen von Figuren des Textes zurückgehen: Meliur leitet Partonopier durch verschiedene Räume. Andererseits liegen diese Mittel auf der Ebene der Narration und werden vom extradiegetischen Erzähler verwendet,18 um die erzeugten Emotionen anschaulich werden zu lassen.19 Inszenierung und Authentizität Obwohl der Überblick über die Handlungskerne der Romane keine Täuschungsmanöver auf Mikro-Ebenen aufführt, wird ersichtlich, dass die Inszenierungen in Häufigkeit und Komplexitätsgrad voneinander abweichen. In den F/bre-Romanen kommen im Wesentlichen zwei relativ aufwendige Täuschungen zum Tragen (der .Verkauf Blanscheflurs und Flores Verkleidung als Kaufmann); in den später verfassten PartonopierTexten vervielfältigen sich die Als-Ob-Situationen und werden komplizierter; in den spätmittelalterlichen MageJone-Texten werden die Verstellungen wieder einfacher und gehen im Grad der Häufigkeit zurück. Anschließend an diese Beobachtungen lässt sich die Hypothese formulieren, dass an den Figuren sowohl innertextuell als auch auf Gattungsebene zunehmend eine Fähigkeit zur Unterscheidung von Schein und Sein exemplarisch wird, welche die Ausdrucksmuster von Emotionalität tangiert. Wenn zu erwarten ist, dass andere nicht meinen, was sie sagen, etwas anderes tun, als was sie vorgeben, und ihre wahren Absichten hinter vorgetäuschten verbergen, kann die Darstellung kommunikativer Prozesse auf der Handlungsebene sich dahingehend verändern, dass Misstrauen, Zweifel und die Fähigkeit, Emotionen zu erkennen, als Probleme virulent und als Kompetenzen positiviert werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach Veränderungen im Verhältnis von Inszenierung und Authentizität. 17

18 19

Vgl. GäRARD GENETTE: Die Erzählung, München 19982, S. ISf. Vgl. zur Bedeutung narratologischer Kategorien für die literarische Emotionsforschung auch SCHNELL: Historische Emotionsforschung, S. 239. GENETTE: Die Erzählung, S. 162ff. Es ist für die Zwecke dieser Untersuchung nicht erforderlich, zusätzlich mit der erzähltheoretischen Kategorie der Fokalisierung zu arbeiten, die HÜBNER so überzeugend für hochmittelalterliche Romane angesetzt hat Denn es geht hier nicht primär um die .Innenwelten* literarischer Figuren, sondern um Formen und Bedingungen des Ausdrucks von Emotionen. Ich stimme HÜBNER jedoch zu, wenn er (S. 104) feststellt, dass gerade Partorupier und MeUur sich für eine Analyse unter dem Aspekt der Fokalisierung eignen würde.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performarivität

In der disziplinenübergreifenden Forschung zum Begriff der Inszenierung, der in den letzten Jahren ähnlich wie ,Theatralität' und .Performativität' den Rang eines neuen kulturellen Paradigmas erhalten hat, spielt die Auseinandersetzung mit den Bedeutungsebenen der Künstlichkeit und des Scheins grundsätzlich eine wichtige Rolle. Besonders historische Ansätze zeigen, dass Schein, Als-Ob-Effekten oder Simulationen regelmäßig .authentische' Verhältnisse entgegengesetzt werden, die als echt, wahr oder natürlich konnotiert sind.20 ALTHOFF nutzt den Begriff der Inszenierung, um, ähnlich wie PETER BURKE,21 historische Praktiken der Repräsentation und Performanz von Macht zu beschreiben. Eine Unterscheidung zwischen öffentlicher Inszenierung und wirklichen Absichten wäre mit Blick auf diese Repräsentanzen von Macht fruchdos. Und wie der viel genannte Fall des englischen Landschaftsgartens zeigt, kann selbst Natürlichkeit der Effekt einer Inszenierung sein.22 Nicht zuletzt unter dem Einfluss von JUDITH BUTLERS Theorie der performatdven Geschlechtsidentität, der Konstitution von Gender durch Diskurse, soziales Handeln und Formen der Selbstinszenierung, wird die Entgegensetzung von .Inszenierung' und Authentizität' inzwischen neu reflektiert.23 Als .Inszenierung von Authentizität' wird dadurch auch eine literarische Strategie verständlich, die Figurenkonzeption und Gefuhlsausdruck

20

Vgl. in literaturhistorischer Perspektive JUTTA SCHLICH: Literarische Authentizität Prinzip und Geschichte, Tübingen 2002. SCHLICH behandelt Authentizität im Verbund mit den modernen Konzepten der Individualität und Subjektivität. Gegenstand ihrer Untersuchung sind philosophische und literarische Diskurse über Authentizität seit dem 18. Jahrhundert. Obwohl sie sehr polemisch argumentiert, ist ihre Untersuchung auch unter emotionstheoretischem Aspekt von Interesse, da sie in dekonstruktivistischen Lektüren die ,Gefuhlsprogrammatik' (vgl. S. 56) von Empfindsamkeits- und weiteren Gefuhls-Diskursen kritisiert und Authentizität nicht als produktionsästhetische, sondern als Stil-Kategorie begreift, als einen literarischen Effekt SCHLICH macht auch die Unschärfe, in ihrer Sicht .Eindimensionalität' (vgl. S. 65) des Begriffe der Rührung plausibel: „Vom stark standardisierten Inventar empfindsamer Rede wird regelmäßig lediglich ein Gefühl, nämlich das der Rührung' entbunden" (S. 64, Hervorheb. im Original).

21

Obwohl ALTHOFF einen Begriff von Inszenierung in vielen seiner Publikationen verwendet, sei hier besonders verwiesen auf: Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit In: ALTHOFF: Spielregeln, S. 229-257; Inszenierung verpflicht e t Welche Erinnerungen fixieren politische Rituale des Mittelalters? In: ERIKA FLSCHERLICHTE, GERTRUD LEHNERT (Hg.): Inszenierungen des Erinnems, Berlin 2000 (Paragrana 2/9), S. 45-60. Ein besonderes Interesse von PETER BURKES Studie zur .Propagandamaschinerie' um Ludwig X I V . liegt in der Akzentuierung medialer Inszenierungsstrategien. Vgl. PETER BUKKE: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Berlin 1993. Vgl dazu etwa HERMANN BAUER: Idee und Entstehung des Landschaftsgartens in England. In: BARBARA BAUMÜLLER, ULRICH KUDER, THOMAS ZOGLAUER (Hg.): Inszenierte Natur. Landschaftskunst im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, S. 18-37; HANS VON TROTHA: Der englische Garten. Eine Reise durch seine Geschichte, Berlin 1999. Vgl. JUDITH BUTLER: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York/ London 1990, d t : Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. Μ. 1991.

22

23

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beglaubigt.24 So wird Flore im Akt der Narration durch den extradiegetischen Erzählers als Liebender - und authentischer Adliger - ausgewiesen, der sich trotz seiner Verkleidung als Kaufmann durch eine charakteristische Körpersprache zu erkennen gibt: L'ostesse l'a bien regarde, du keute a son signor boute: „Site, fait ele, aves veü com cius enfes s'a contenu? Son mangier laist por le penser, sovent le voi molt souspirer. Par mon cief, n'est pas marceans, gentix hom est, el va querans." (V. 1281-1288)«

In der Tradition von ELIAS wäre eine solche Textstelle als Hinweis darauf gewertet worden, dass sich die Unmittelbarkeit des adligen Gefuhlsausdrucks in der höfischen Literatur stets durchsetzt. Auf der Ebene der Narration betrachtet, wird in der Episode jedoch eine erzählerische Strategie manifest, mit der Flores Authentizität behauptet wird. Der Rekurs auf die Termini aus GENETTES Narratologie ist hilfreich, um hinsichtlich der Kongruenz von Emotion und Expression die Ebenen zu unterscheiden. Die Frage, ob solche Inszenierungen von Authentizität durchgängig vorliegen oder ob Simulationen und Verstellungen von Emotionen positiviert werden, gehört zu den wichtigsten, die auf der diachronen Analyseebene an Liebes- und Abenteuerromane zu richten sind. Inszenierung und Öffentlichkeit Die Forschungen von ALTHOFF haben den Blick dafür geschärft, dass die Ebene der öffentlichen Inszenierung mittelalterlicher Herrschaft eine Ebene der heimlichkeit, des Geheimnisses und des Innen impliziert. Für die Untersuchung von Liebes- und Abenteuerromanen ist dies deshalb von Relevanz, weil der Gegensatz von Öffentlichkeit und Privatheit als eine ihrer wichtigsten Gattungskonstituenten gilt. An dieser Stelle sei noch einmal ein Blick auf den Stand der gattungstheoretischen Forschung geworfen. Das Konfliktpotential von Liebes24

25

Vgl. ERIKA FISCHER-LICHTE, ISABEL PFLUG (Hg.) unter Mitarbeit von CHRISTIAN HORN u n d

MATTHIAS WARSTAT: Inszenierung von Authentizität, Tübingen/Basel 2000 (Theatralität Bd. 1), insbesondere die Einleitung von FISCHER-LICHTE: Theatralität und Inszenierung, S. 11-27. Übersetzung: Die Wirtin hat ihn aufmerksam betrachtet / und hat ihren Mann mit dem Ellbogen angestoßen: / „Herr, sagt sie, habt Ihr gesehen, / wie dieses Kind sich verhalten hat? / Er ist so in Gedanken versunken, dass er das Essen vergisst, / und oft sehe ich ihn seufzen. / Wirklich, das ist kein Kaufmann. / Das ist ein Edelmann auf Abenteuersuche."

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

und Abenteuerromanen resultiert einer verbreiteten Ansicht zufolge aus einem vermeintlichen sozialen Gefalle zwischen den Protagonisten und der Notwendigkeit, ihre ,private' Liebe mit .öffentlichem' (Herrschafts-) Handeln zu koordinieren.26 In enger Verbindung mit der Frage der Privatheit werden Merkmale einer beginnenden Individualisierung im Liebes- und Abenteuerroman gesehen. Das Verständnis von ,Privatheit' unterscheidet sich allerdings - ebenso wie das der Öffentlichkeit - in literarischen Texten des 13. und des 16. Jahrhunderts. Anstatt die Dichotomie als Gattungsmerkmal festzuschreiben, sind deshalb ihre Ausprägungen in einzelnen Texten und auf diachroner Ebene zu untersuchen. Aspekte des emotionalen Codes geben für die Relationierung von Öffentlichkeit und Privatheit dabei entscheidende Hinweise. Der Begriff der Öffentlichkeit bezieht sich nach J Ü R G E N HABERMAS auf einen eigenen, von einer privaten Sphäre geschiedenen Bereich der Gesellschaft, der in verschiedenen Institutionen soziologisch manifest werde und im Feudalismus noch nicht nachzuweisen sei.27 Das Konzept .repräsentativer' mittelalterlicher Öffentlichkeit, das HABERMAS entwickelt,28 ist aus mediävistischer Perspektive jedoch ungenügend.29 Durch den Einfluss der Forschungen O T T O BRUNNERS wurden die Begriffe .öffentlich' und .privat' sogar für einen längeren Zeitraum „als verpönte Relikte liberaler Begrifflichkeit zu mediävistischen Unworten".30 Doch lassen sie sich im Sinne eines .kontrollierten Anachronismus'31 für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit neu prüfen. Denn für die mittelalterliche Kultur ist grundsätzlich ein Begriff von repräsentativer Öffentlichkeit unverzichtbar,32 der sich auf die situationsgebundene und okkasionelle, an die sinnliche Wahrnehmung appellierende, körperbezogene und ritualisierte politische Kommunikation und Handlung bezieht.33

26 27 28 29

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31 32 33

Diese exponieren RIDDER: Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane, S. 23ff., SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 73f. Vgl. JORGEN HABERMAS: Strukturwandel der Öffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990, S. 60. Vgl. HABERMAS, S. 58ff. Wichtige Stationen dieser Debatte werden nachgezeichnet von RODIGER BRANDT: Enklaven Exklaven, S. 24ff. Die Kritik an HABERMAS bezieht sich insbesondere auf seine Unterscheidung von repräsentativer Öffentlichkeit als Status, welcher der Person wie eine Aura anhafte, von Öffentlichkeit als Sphäre, die es im Mittelalter nicht gegeben habe. VgL HABERMAS, S. 60ff. PETER VON MOOS: Das Öffentliche und das Private im Mittelalter. Für einen kontrollierten Anachronismus. In: GERT MELVILLE, PETER VON MOOS (Hg.): Das öffentliche und Private in der Vormoderne, Köln/Weimar/Wien 1998 (Norm und Struktur 10), S. 3-83, hier S. 12. VON MOOS: Das Öffentliche und das Private, passim. Vgl. zu den Präzisiemngen, die dieser Begriff seit HABERMAS von mediävistischer Seite erfahren hat, VON MOOS: Das Öffentliche und das Private, S. 44f. mit Literaturangaben. Vgl. ALTHOFF: Demonstration und Inszenierung, außerdem BERND THUM: Literatur als politisches Handeln. Beispiele aus dem Umkreis der letzten Babenberger. In: ALFRED EBENBAUER,

Inszenierung

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Offener und in höherem Maße klärungsbedürftig sind dem gegenüber das begriffliche Komplement der ,Privatheit', der historische Bereich all dessen, was nicht zur Sphäre der Öffentlichkeit gehört und die Relation dieser Sphäre zu derjenigen der Öffentlichkeit. Zum nicht-öffentlichen Bereich zählen die vielfältigen Formen der Vereinzelung, Vertraulichkeit und des Rückzugs von der Welt, sowie Formen des - seit einiger Zeit so bezeichneten - .Hinterbühnen-Verhaltens',34 das unterschiedliche Varianten versteckten Agierens in Bezug auf die mittelalterliche Öffentlichkeit bezeichnet. ALTHOFF spricht von einer Tradition der mittelalterlichen ,Vertraulichkeit', die nicht auf Transparenz angelegt war.35 Um diesen Bereich zu adäquat zu bezeichnen, wird vielfach für ein historisch abgestuftes Begriffsinstrumentarium plädiert. HORST WENZEL schlägt vor, in Bezug auf das Hochmittelalter von heimlichkeit statt von ,Privatheit' zu sprechen, was „an den mittelalterlichen Sprachgebrauch anschließt" und als „Bezeichnung der Nähe, des Verborgenen und des Vertrauten, mit der Sphäre öffentlichen Herrschaftshandelns grundsätzlich verbunden [bleibt]."36 Denn im Vergleich zur bürgerlichen Gesellschaft, deren Bereiche von Privatheit und Öffentlichkeit als autonom gelten, sind die analogen Sphären im Mittelalter in höherem Maße voneinander abhängig konzipiert. Eine ähnliche Semantik wie heim/nlich weist das mittelhochdeutsche Wort tougen auf, und auch die Verben für etwas verstecken oder geheim halten, verhelen und verbergen, stehen einander semantisch nahe.37 Das Funktionieren der mittelalterlichen Öffentlichkeit beruht jedoch nicht nur darauf, dass bestimmte Vorgänge in den Bereich der heimlichkeit FRITZ PETER KNAPP, INGRID STRASSER (Hg.): Österreichische Literatur zur Zeit der Babenber-

34 35 36

ger. Vorträge der Lilienfelder Tagung 1976, Wien 1977, S. 256-277. Vgl. VON MOOS: Das Öffentliche und das Private, S. 4, mit ausfuhrlichen Literaturangaben. Vgl. ALTHOFF, Demonstration und Inszenierung, S. 256, außerdem ders.: Colloquium familiare - colloquium secretum - colloquium publicum. Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters. In: Ders.: Spielregeln, S. 157-184. HORST WENZEL: öffentliches und nichtöffentliches Herrschaftshandeln im Em Hartmanns von Aue. In: MELVILLE, VON MOOS, S. 213-238, hier S. 238.

37

Vgl. WENZEL: Öffentliches und nichtöffentliches Herrschaftshandeln, S. 221 f.; ausfuhrlicher ders.: Öffentlichkeit und Heimlichkeit in Gottfrieds Tristan. In: ZfdPh 107 (1988), S. 335-361. Ein neuerer Vorschlag zur historischen Differenzierung besteht daraus, weitere Begriffspaare zu ergänzen. VON MOOS spricht sich fur die antiken Begriffe pHbliau und privat,tu aus, um den „Scharfsinn und die pragmatische Ausgewogenheit, mit der die vielfaltigen begrifflichen Verästelungen des öffentlichen und Privaten in [...] theoretischen Unterscheidungen geklärt wurden", d.h. vor allem in theologischen und juridischen Diskursen, zu erfassen. VON MOOS: Das öffentliche und das Private, S. 46. Um der Komplexität der Beziehungenstypen gerecht zu werden, die religiöse und ehepragmatische Texte des Mittelalters entwerfen, sollten nach Auffassung von RODIGER SCHNELL zusätzlich die Parameter ,Offenbarkeit' und .Heimlichkeit' herangezogen werden. RÜDIGER SCHNELL: Die ,Offenbarmachung* der Geheimnisse Gottes und die .Verheimlichung' der Geheimnisse der Menschen. Zum prozesshaften Charakter des Öffentlichen und Privaten. In: MELVILLE, VON MOOS, S. 359-410, S. 369 etpassim.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

delegiert werden. Mittelalterliche Öffentlichkeit beruht auch auf Verstellungen. Sie erhält „mit der Dimension der Inszenierung auch immer eine Dimension des Scheins, der Äußerlichkeit, des Dekorums und des bloßen Pompes".38 Ein wichtiger Grund dafür ist in den Konstitutionsbedingungen und Funktionsweisen der höfischen Kultur zu sehen, die auf Repräsentatdvität und Konventionalität des Umgangs beruht und das Verhalten von Herrscher wie Höfling codiert. Körperinszenierungen kommt, wie C. STEPHEN JAEGER betont hat, dabei große Bedeutung zu: „Words, gestures, Intonation, and facial expression all bear meanings, express policy no act or gesture is random. [...] Conduct becomes so highly structured that life approaches art: the courtier is himself a work of art, his appearance a portrait, his experience a narrative."39 SUSAN CRANE zufolge lässt sich diese Form der höfischen Selbst-Inszenierung nur mit den Begriffen des Rituals und der performance adäquat erfassen: „Living in the externally oriented honor ethic, secular elites understand themselves to be constandy on display, subject to the judgment of others, and continually reinvented in performance."40 CRANE erachtet es als ein Missverständnis, eine solche performance mit Vorstellungen von Heuchelei und Verstellung zu assoziieren, weil das höfische Selbst sich in solcher Darbietung tatsächlich erst konstituiere und kein ,eigentliches' Inneres zurückhalte.41 Sie wendet sich damit zu Recht auch gegen ein protestantisch beeinflusstes Verständnis von Ritualen als einem bloßen Dekorum.42 Dennoch ist bereits hier festzuhalten — obwohl es im Kontext dieser Untersuchung im Zusammenhang mit Emotionsausdruck, Gestik und Ritualen noch mehrfach erörtert wird - , dass jeder konventionalisierten Handlung eine Tendenz zum reinen Formalismus inhärent ist. Vom bewussten zum strategischen Einsatz des Körpers oder von der Selbstkontrolle zur Verstellung ist es nur ein kleiner Schritt. In Untersuchungen zur hochmittelalterlichen Hofkritik wird dieser Umstand betont: Höfischer Glanz und höfischer Schein gehen ineinander über 43 Aus hofkritischen Texten ersteht das Bild eines Höf38

HORST WENZEL: Das höfische Geheimnis. Herrschaft, Liebe, Texte. In: ALEIDA und JAN ASSMANN (Hg.) in V e r b i n d u n g m i t ALOIS HAHN u n d HANS-JÜRGEN LOSEBRINK: Schleier u n d

39 40 41

42 43

Schwelle. Archäologie der literarischen Kommunikation V, Bd. 1: Geheimnis und Öffentlichkeit, München 1997, S. 53-69, hier S. 55. C. STEPHEN JAEGER: The Origins of Courtliness. Qvilizing Trends and the Formation of Courtly Ideals. 939-1210, Philadelphia 1985, S. 258. SUSAN CRANE: The Performance of Self. Ritual, Clothing, and Identity during the Hundred Years War, Philadelphia 2002, S. 4. Vgl. CRANE, S. 4f. VgL zur Diskussion um die .Ernsthaftigkeit' von Perfonnanz auch UWE WLRTH: Der Perförmanzbegriff im Spannungsfeld von Hlokution, Iteration und Indexikalität In: Ders. (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002, S. 9-60. Vgl. dazu weiter unten, zu Aspekten von Ritual und Ritualisierung. Vgl. HAFERLAND: Höfische Interaktion, S. 265.

Inszenierung

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lings, dem sublime Techniken der Selbstins2enierung und Täuschung selbstverständlich sind.44 Auch in literarischen Texten werden Aspekte von Schein und Sein thematisch.45 Wenn der inszenierten Öffentlichkeit des Mittelalters somit die Dimension des Scheinhaften inhärent ist, lässt sich fragen, ob der Bereich der Nicht-Öffentlichkeit in literarischen Texten als privilegierter Raum für den Ausdruck authentischer Emotionen konzipiert ist oder ob er sich zu einem solchen Raum entwickelt. RÜDIGER SCHNELL setzt eine entsprechende Entwicklung zum Beispiel früh an. Er sieht zwischen der Aufwertung der „privaten Zweierbeziehung", die von der Kirche seit dem 12. Jahrhundert gefördert worden sei, und der sozialgeschichtlichen Entwicklung von Scheinverhältnissen einen Zusammenhang: „Die private Zweier-

44

45

Die Anfange literarischer Kritik am schönen Schein bei Hofe wurden lange Zeit im Europa der Frühen Neuzeit angesiedelt und mit Baldessar Castigliones 1528 erstmals erschienenem Hofmann (Ii Librv dti Cortegano) verknüpft. Vgl. (in ausgewählten Passagen) Baidassare Castiglione: Der Hofmann. Lebensart in der Renaissance. Aus dem Italienischen von ALBERT WESSELSKI. Mit einem Vorwort von ANDREAS BEYER, Berlin 1996. Nach Vorläufern im 11. Jahrhundert treten hofkritische Schriften jedoch bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts vermehrt auf. Als erster wichtiger Text, der Kritik an der zeitgenössischen Hofkultur Englands und Frankreichs formuliert und damit eine fortan topisch geführte Tradition der Hofkritik zunächst im nordfranzösisch-englischen Raum begründete, gilt der Policraticus von JOHANNES VON SALISBURY. Vgl. zu den Topoi der Hofkritik JAEGER: Origins of Courtliness, S. 56ff. Seit dem 13. Jahrhundert sind entsprechende Stimmen auch im deutschsprachigen Raum zu verzeichnen. Zu den wichtigsten geistlichen und geistlich-didaktischen Texten werden über Thomasins von Zerklaere Der Welsche Gast hinaus die Schriften Bernhards von der Geist, Hugos von Trimberg und die Predigten Bertholds von Regensburg gezählt Vgl. dazu THOMAS SZAB0: Der mittelalterliche Hof zwischen Kritik und Idealisierung. In: JOSEF FLECKENSTEIN (Hg.): Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, Göttingen 1990, S. 350-391; JOACHIM BUMKE: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 2 Bde, München 1986, Bd. 2, S. 587f. Unterschiede in der Hofkritik des Hoch- und Spätmittelalters betont jetzt JAN-DIRK MOT Τ .RR: Kleine Katastrophen. In: PETER VON MOOS (Hg.): Der Fehltritt Vergehen und Versehen in der Vormoderne, Köln/Weimar/Wien 2001 (Norm und Struktur 15), S. 317-342. An wichtigen Texten sind etwa zu nennen: Reinhart Fuchs, die Spruchdichtung Walthers von der Vogelweide, der Helmbrtcbt von Wemher dem Gartenaere und das Märe Die halbe Birne sowie das Nibelungenlied. Vgl. dazu BUMKE: Höfische Kultur, Bd. 2, S. 593; EDWARD R. HAYMES: Das Nibelungenlied. Geschichte und Interpretation, München 1999, Kapitel 9: ,Sein und Schein', S. 125-137, JAN-DIRK MÜLLER; Spielregeln für den Untergang,passim, außerdem ders.: Die boveqvbt und ihr Preis. Zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads .Halber Birne'. In: JOWG 3 (1984/85), S. 281-3Π. Ein zentraler Text fur diesen Zusammenhang ist Gottfrieds Tristan, vgl. HAFERLAND: Höfische Interaktion; RÜDIGER SCHNELL: Suche nach Wahrheit. Gottfrieds Tristan und Isold als erkenntniskritischer Roman (Hermea 67), Tübingen 1992. Vgl. jetzt auch CORINNA LAUDE, ELLEN SCHINDLER-HORST (Hg.): List, Lüge, Täuschung, Bielefeld 2005 (Mittteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 3/2005). Eine spezifisch spätmittelalterliche Semiotik der Täuschung macht DONALD MADDOX auf Basis von Intertextualitätskonzepten für das französische Spiel Mastre Pierre Patbetin geltend: Semiotics of Deceit The PatheEn Era. With a new English Prose translation of Maistre Pierre PatbeSn by ALAN E. KNIGHT, London/Toronto 1984. Ob dem Text wirklich eine epochale Bedeutung zugeschrieben werden kann, ist jedoch fraglich, vgl dazu KLENING: Anthropologische Zugänge, S. 88f.

92

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beziehung löst hinsichtlich ihres Wahrheitsanspruchs die Welt des Offenbaren ab. Diese wird nun mit Schein, Täuschung, dissimulatio und simulatio gleichgesetzt, das Heimliche in der Privatheit von Freundschaft und Ehe dagegen mit Sein, Offenheit, Wahrheit, Tatsächlichkeit."46 Für Liebes- und Abenteuerromane ist die Frage nach dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Heimlichkeit von größter Relevanz. Denn über Verfahren der Inszenierung setzen sie sich ständig mit der Divergenz oder Koinzidenz von Schein und Sein, von Innen und Außen auseinander. Das besondere Interesse der Texte liegt dabei allerdings darin, dass eine Inszenierung ebenso wenig grundsätzlich in den Bereich der Öffentlichkeit gehört, wie im Bereich der Heimlichkeit mit Authentizität zu rechnen ist. In den Partonopier-Romanen zum Beispiel ist der Raum der Intimität, den Meliurs Inszenierung für die nächtlichen Zusammenkünfte mit dem Geliebten vorsieht, gerade kein Raum der Authentizität, da sie ihre Identität nicht preisgibt. Es ist deshalb zu prüfen, wie Liebes- und Abenteuerromane an einem Diskurs über die Dissoziierung von Bereichen des Heimlichen und Öffentlichen beteiligt sind, der sich im Hochmittelalter neu konstituiert, und wie sie diese Bereiche jeweils gewichten. Im Kontext der Frage nach Emotion und Expression ist außerdem zu ermitteln, ob Emotionen in den spätmittelalterlichen Fassungen im Innen eines Raums oder des Körpers situiert, statt umgekehrt am Körper sichtbar und/oder öffentlich gemacht zu werden.

4.2 Ritualisierung Neben Inszenierungen auf Handlungs- und Erzählebene, mit denen Emotionen zur Erscheinung gebracht werden, gehört ein formelhafter, ausgeprägt körpersprachlicher Gefühlsausdruck zu den wichtigsten Merkmalen des Liebes- und Abenteuerromans. Wie der Forschungsüberblick gezeigt hat, gilt er traditionell als übertrieben, stereotyp oder theatralisch. Der Eindruck von Theatralik resultiert aus einer körperlichen Stilisierung von Emotionen, die moderne Rezipienten zwar befremdet, doch in der Kultur des Mittelalters zentrale kommunikative Funktionen übernimmt. Im Folgenden wird diese Ebene der Expression von Emotion mit dem Paradigma der Ritualisierung beschrieben. Wird der ritualisierte Gefuhlsausdruck 46

SCHNELL: Die .Offenbarmachung', S. 395f. In einer späteren Publikation erklärt SCHNELL allerdings: „Die Gegenüberstellung von privatem Ausleben von Affekten einerseits und öffentlicher Demonstration kontrollierter Empfindungen andererseits kann kaum als adäquate Beschreibung der abendländischen Geschichte der Gefühle gelten, weil diese Gegenüberstellung selbst das diskursive Produkt bestimmter soziokultureller Prozesse ist." SCHNELL: Historische Emotionsforschung, S. 181.

Ritualisierung

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systematisch in diachrone Textanalysen einbezogen, lassen sich historische Transformationen in den Auffassungen darüber beschreiben, wie eine Emotion adäquat zum Ausdruck gebracht werden soll. Dafür dürfen die Ausdrucksmuster allerdings nicht vorab als übertrieben erachtet werden, sondern sind in ihren einzelnen Elementen zu beschreiben und mit Blick auf die Historizität von Gesten und Ritualen zu reflektieren.47 Die Gefuhlskultur des Liebes- und Abenteuerromans Die Protagonisten von Liebes- und Abenteuerromanen weinen ständig allein oder gemeinsam, aus Schmerz, vor Glück und durchaus mehrfach nacheinander (II s'estpasmes

en moltpoi

d'eure /.III. fois; quant revint,

foment

pleure, V. 701 f., Floire).48 Heftige Emotionen gleichen pathologischen Symptomen. Die Figuren schreien, beklagen ihren Schmerz, zittern, haben Schweißausbrüche und leiden unter Appetidosigkeit: do begunde er äne schäm sich clagen unde schrien nach siner ämien, daz er slief, tranc noch enaz.

{Flore und Blanscheflur, V. 1428-1431)

Ein typisches Ausdrucksmuster besteht aus Absencen und Sinnestrübungen bis zur Ohnmacht: do enhorter noch ensprach: er kam von leide in unmaht; er enwiste ob ez naht solte sin oder tac.

{Flore und Blanscheflur, V. 1058-1060)

Neben Körperexpressionen wie Erröten, Erbleichen oder Ohnmächten, die in den Texten zu spontanen Regungen des Organismus stilisiert werden, spielen Gesten, zum Beispiel das Ringen der Hände, eine wichtige Rolle. Häufig sind autoaggressive Reaktionen, in denen die Figuren ihren Zorn oder Schmerz am eigenen Körper ausagieren. Dies kann verbale 47

48

MICHAEL MECKLENBURG stellt fur den im Darstellungsmodus ähnlichen Gefuhlsausdruck der historischen Dietrichepik Bezüge zu den Paradigmen der Inszenierung und Ritualisierung her, bringt den Gefuhlsausdruck jedoch insgesamt auf den Begriff des Pathos und versteht ihn als ein Phänomen der Heldenepikrezeption, was zur Ubiquität der Darstellungsmuster auch in anderen Gattungen in Relation gesetzt werden müsste. In MECKLENBURGS Vorgehen, die Funktion des Gefiihlsausdrucks im Erzählzusammenhang zu analysieren, liegt hingegen eine Parallele zu dem in dieser Arbeit vorgeschlagenen Ansatz. Vgl. MICHAEL MECKLENBURG: Parodie und Pathos. Heldensagenrezeption in der historischen Dietrichepik, München 2002. Obersetzung: In kurzer Zeit ist er dreimal ohnmächtig geworden. / Als er wieder zu sich kam, weinte er heftig (eigentlich: weint).

94

Inszenierung, Ritualisiening, Petformativität

Formen annehmen und zu Selbstvorwürfen führen, aber auch zur konkreten Schwächung und Misshandlung des Körpers. Die Figuren lassen sich verwahrlosen, schlagen sich, zerkratzen ihr Gesicht oder werden krank. Die Form, in der im Liebes- und Abenteuerroman Emotionen ausgedrückt werden, zeigt dadurch Überschneidungen mit der Symptomatik der ,Liebeskrankheit', die in der Antike von Galen beschrieben und wohl durch die Kommentare zum Viaticum von Constantinus Africanus gegen Ende des 12. Jahrhunderts in Europa rezipiert wurde.49 Fortan nimmt diese Pathologie der Liebe ebenso auf höfische Liebeskonzepte Einfluss wie auf Theorien der Melancholie. Als Ursache der Liebeskrankheit gilt ein „Übermaß an unerfüllter oder für unerfüllbar gehaltener Liebesleidenschaft, [...] das auch im Körper Unordnung stiftet."50 Zu den Symptomen zählt Gerard de Berry (Ende 12. Jh.) eine sorgenvolle, schwermütige Haltung, Absencen in Gegenwart von anderen, die plötzlich in Lebhaftigkeit umschlagen können, wenn von der geliebten Person die Rede ist, und eine allgemeine ,Austrocknung' des Körpers, zu der ein Mangel an Tränen gehört. Dieser Zustand kann ebenfalls sofort in das Gegenteil wechseln, wenn vom geliebten Partner die Rede ist — dann fließen die Tränen. Vielfach führt eine allgemeine Schwäche, Appetit- und Schlaflosigkeit dazu, dass die Betroffenen sich ins Bett legen müssen; weitere verbreitete Symptome sind Erröten und Erbleichen.51 In Liebes- und Abenteuerromanen wird ein Liebeskummer teils explizit als .Krankheit' diagnostiziert. So heißt es über Magelone, sie wurde sehr kranck [...] vonn grosser liebe die sie hette ψ dem Rätter / vnnd lag also yü bethe / Dann sie mochte ahn keynnem ende m habenn (618, 3-5). Häufiger wird die Symptomatik der Liebeskrankheit jedoch in andere Darstellungen integriert, in denen die Abwesenheit des Partners betrauert wird. Wie das folgende Beispiel zeigt, finden die Darstellungsmuster nicht nur für Krisen in Liebesbeziehungen Verwendung, sondern auch im Rahmen von Freundschaften. So zeigt Anshelm, der Knappe und Freund Partonopiers, nachdem er von diesem allein im Wald zurückgelassen wurde, seine Verzweiflung in den Extremformen körperlicher Expressivität: mit wizen und mit frechen

henden roufte er uz sin har. von sinem antlitze klar 49

50

51

Vgl grundlegend MARY FRANCES WACK: Lovesickness in the Middle Ages. The Viatuum and its Commentaries, Philadelphia 1990, zu Liebeskonzeptionen in der höfischen Literatur RÜDIGER SCHNF.I.T.: Causa Amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bem/München 1985. BERNHARD DIETRICH HAAGE: Liebe als Krankheit in der medizinischen Fachliteratur der Antike und des Mittelalters. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 5 (1987), S. 173207, hier S. 181. Vgl. HAAGE, S. 181.

Ritualisierung

95

vel unde fleisch er zarte, sin kleit ei niht ensparte, wand erz von siner hiute reiz, er lie manegen trahen heiz ύζ liehten ougen wallen, fur got begunde er vallen vil ofte nider unde lac. (V. 17512-17521)

Im Kontext von Situationen der Trauer oder Trennung kulminiert die destruktive Neigung gegenüber der eigenen Person fast immer in einem Todeswunsch. Die Figuren versuchen, Hand an sich zu legen, flehen Gott an, sie von ihrem Leid zu erlösen, oder richten sich an das Schicksal als personifizierter Instanz. Dies gibt, wie im folgenden Textbeispiel aus Florio und Btanceffora, auch Anlass zu Klagemonologen: Ο we mir. Ο du vermaladites vngluck was dir nit genügen an meiner bittern trubsall do du mich schidest von dem der meinn trost vnd hoffnung was / vnd du mich ytzo von newem wilt schmehen vnuerdient / do du ye willen hettest mir schedlich zesein Warumm gäbest mir nit den tod. Ο we mir du vnseligs gluck (XXX').

Im Ensemble konstituieren verbale und nonverbale Ausdrucksmittel eine eigene Gefuhlskultur des Liebes- und Abenteuerromans. Von den Konventionen der Emotionsdarstellung in anderen Gattungen der mittelalterlichen Literatur unterscheidet sie sich durch ihre Frequenz und durch die vielen verschiedenen Anlässe, an denen sie zur Geltung kommt. Dies zeigt ein Vergleich mit Darstellungen von Trauer. JEAN CLAUDE SCHMITT erläutert in seiner Untersuchung zu Gesten in der mittelalterlichen Kultur die Abbildung einer trauernden Frau während eines Begräbnisses im Sakramentar des Bischofs Warmundus von Ivrea (11. Jh.), zu der ein „rituelle[s] Repertoire an Trauergebärden"52 gehört, nämlich Haarereißen und Händeringen. Auf den Abbildungen ist außerdem zu erkennen, dass eine weibliche Figur klagt, dass sie sich auf die Brust schlägt, zu Boden wirft und vielleicht auch, dass sie in Tränen ausgebrochen ist.53 Aus höfischen Romanen und aus der Heldenepik sind in Situationen der Trauer und des Abschieds ähnliche Ausdrucksmuster bekannt Dazu gehört Enites Reaktion auf Erecs (Schein-) Tod in Hartmanns Ε rer. von jämer huop diu guote ein klage vil barmecliche, herzeriuwecliche. 52

JEAN CLAUDE SCHMITT: Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter, Stuttgart 1992, S.

53

VgJ. die Reproduktion der Abbildungen bei SCHMITT, S. 202-211. Weinen geben die Kommentare als Inhalt der Illustrationen an, dies ist mit Blick auf den Kontext zwar nahe liegend, geht aber aus den Bildern nicht eindeutig hervor.

213.

Inszenierung, Ritualisierung, Peiformativität

96

ir wuof gap alsolhen schal daζ it der wait widerhal.54 diu guote, nü viel si über in unde kusten. dar nach sluoc si sich zen brüsten und kuste in aber unde schre. ir ander wort was ,we ouwe.' daz här si vaste uz brach, an ir übe si sich räch nach wiplichem site, wan hie rechent si sich mite. (V. 5755-5763)

Alle Gesten, die Schmitt aufführt, sind in dieser Textpassage versammelt. Enite stimmt eine laute Klage an, sie wirft sich über den bewegungslosen Erec, schlägt sich auf die Brust und reißt sich die Haare aus. Anschließend an diese Beschreibung körpersprachlicher Ausdrucksformen von Trauer folgt ein langer Monolog, in dem Enite mit sich und ihrem Schicksal hadert und, wie es auch für Liebes- und Abenteuerromane typisch ist, den eigenen Tod herbeiwünscht. Schließlich versucht sie, sich nacheinander mittels zweier Verfahren das Leben zu nehmen, die in Liebes- und Abenteuerromanen nahezu obligatorisch sind: Sie hofft, von den wilden Tieren des Waldes gefressen zu werden — wird jedoch verschont — und macht anschließend Anstalten, sich in Erecs Schwert zu stürzen. Im Erec - dem sich Beispiele aus Hartmanns Iwein (Laudines Trauer um Askalon) oder dem Parsgval (Sigune) hinzufügen ließen - , ist Enites Trauer an strukturell und handlungslogisch exponierter Stelle situiert. Die Gefühlsausbrüche in Liebes- und Abenteuerromanen hingegen sind ubiquitär. Sie bleiben zwar ebenfalls Extremsituationen vorbehalten, doch treten diese nun gleichsam in Serie auf. Dabei geht es jedoch nicht mehr nur um eine Trauer im Rahmen einer Totenklage, sondern um das Leid über eine Trennung, die eigene Einsamkeit oder die aussichtslose Lage, in die man geraten ist. Die Spezifik dieser Emotionsdarstellung erschließt sich über den Begriff der Ritualisierung. Wie im Folgenden ausgeführt wird, ist die Beziehung zwischen Emotion und Ritual reziprok. Einerseits verweisen formale und funktionale Charakteristika des Gefühlsausdrucks auf typische Merkmale von Ritualen. Andererseits wird Ritualen eine genuine Nähe zu Emotionen attestiert. Dieser Zusammenhang wird zunächst am Begriff des Rituals entwickelt, um anschließend den Begriff der Ritualisierung abzuleiten. Diese Verschiebung in der Begrifflichkeit wird für den litera54

Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung von THOMAS CRAMER, Frankfurt a. M. 1984, V. 5743-5747.

Ritualisierung

97

turästhetischen Gegenstandsbereich erforderlich. Außerdem werden Fragen der Historizität von Gesten erörtert. Zum Ritualbegriff Der Begriff des Rituals wurde lange erstrangig mit kultischen Praktiken in »ursprünglichen' oder historischen Gesellschaften assoziiert. Dieser älteren Auffassung zufolge gehören Rituale zum Mythos, sie stellen eine Form der primitiven, vor-aufklärerischen Weltaneignung dar. Oder sie werden, gerade für das Mittelalter, in den Formen von Liturgie und Zeremonie an die Ausübung der christlichen Religion und an die adlige Herrschaftsrepräsentation geknüpft. Rituale gelten deshalb als bevorzugter Gegenstand von Religionswissenschaft und Ethnologie. Den Ritual-Begriff auf säkulare Kontexte, auf .zivilisierte' Gesellschaften oder auf Literatur zu beziehen, bedeutet, wie eine intensive neuere Forschungsdiskussion bezeugt, ein zwar nicht mehr ganz ungewohntes, doch nach wie vor umstrittenes methodisches Experiment. Ein Grundgedanke der neueren Ritualforschung besagt, dass alle Gesellschaften sich über die gemeinschaftsstiftende Funktion von Ritualen reproduzieren. Dies widerspricht der Annahme von bürgerlichen Sozialtheoretikern wie MAX WEBER, dass Rituale mit der Entstehung moderner europäischer Gesellschaften an Bedeutung eingebüßt haben.55 Der Grundgedanke bildet zugleich das zentrale Argument dafür, dass der Ritualbegriff nicht der religiösen Sphäre vorbehalten bleiben sollte.56 Beispiele für säkulare Rituale sind etwa die von ERVING GOFFMAN untersuchten ,Interaktionsrituale', die alltägliche Kommunikationsformen und Umgangsweisen in .komplexen Massengesellschaften' regulieren,57 oder .Rituale des Anti-Ritualismus', die HANS GEORG SOEFFNER an Jugend-

bewegungen des 20. Jahrhunderts analysiert.58 GUNTER GEBAUER und CHRISTOPH WULF erstellen eine Typologie zeitgenössischer Rituale, die

55

Vgl. EDWARD Munt Ritual in Early Modern Europe, Cambridge/New York/Melboume 1997, S. 269.

56

Vgl. Munt, S. 3; GUNTER GEBAUER, CHRISTOPH WULF: Spiel - Ritual - Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt, Reinbek 1998, S. 129. Vgl. dagegen den Beitrag von AXEL MICHAELS: ritutlpour k ritmt oder wie sinnlos sind Rituale? In: CORINNA CADUFF, JOANNA PFAFF-CZARNECKA (Hg.): Rituale heute. Theorien - Kontroversen - Entwürfe, Berlin 1999, S. 23-47 sowie den Überblick über den religionswissenschaftlichen Ansatz ebd. 57 VgL ERVING GOFFMAN: Interaktionsrituale. Ober Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt a. M. 1971 (engl. 1967). 58 Vgl. HANS GEORG SOEFFNER: Stil und Stilisierung. In: Ders.: Die Ordnung der Rituale. Die Auslegung des Alltags 2, Frankfurt a. Μ. 19952, S. 76-101.

98

Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

bei sozialen Anlässen greifen.59 Durch diese Öffnung des Ritualbegriffs für eine Vielzahl säkularer Kontexte, an der auch Kritik geübt wurde,60 ist es jedoch nicht einfacher geworden, ein Ritual zu definieren. Die meisten Ritualforscher sind sich dieser Schwierigkeit bewusst und reflektieren die eigenen methodischen Prämissen explizit. Für die Mediävistik scheint sich die Frage einer Öffnung des Ritualbegriffs zunächst nicht zu stellen, da die Bedeutung von Ritualen für die mittelalterliche Kultur auch für säkulare Kontexte unstrittig ist. A L T H O F F zeigt dies für den Bereich der mittelalterlichen Politik und des mittelalterlichen Herrschaftshandelns. Seine Analyse historischer Quellentexte richtet sich auf Formen der Kommunikation, die sich als historische Rituale der Begrüßung, Unterwerfung oder allgemein der Konfliktbewältigung auffassen lassen. Wie eine Studie von C O R I N N A D Ö R R I C H zu ritualisierten Handlungskonstellationen in verschiedenen Texten, unter anderem im Pangval und im Willehalm, zeigt, lässt sich dieser Ansatz in literaturwissenschaftlicher Perspektive aufgreifen. D Ö R R I C H versteht mittelalterliche Rituale „als eine primär nicht-sprachliche und nicht-diskursive Praxis", die allerdings „in schriftlichen Texten vermittelt" sei,61 und erarbeitet eine um die Elemente Form, Substanz, Funktion zentrierte Ritual-Definition, die speziell auf die mittelalterliche Kultur zugeschnitten ist.62

59

Dazu gehören Übergangsrituale (bei Geburt und Kindheit, Initiation und Adoleszenz, Ehe, Tod); Rituale der Institution oder Amtseinführung (Übernahme neuer Aufgaben und Positionen); jahreszeitlich bedingte Rituale (Weihnachten, Geburtstage, Erinnerungstage, Nationalfeiertage); Rituale der Intensivierung (Feiern, Liebe, Sexualität); Rituale der Rebellion (Friedens- und ökobewegung, Jugendrituale); Interaktionsrituale (Begrüßungen, Verabschiedungen, Konflikte). Vgl. GEBAUER, WULF, S. 130. Viele dieser Ritualtypen könnten auch für das Mittelalter veranschlagt werden (vgl. auch die Aufstellung bei Mum, S. 19ff.), dies stützt die These, dass sich eine Entgegensetzung von historischen und modernen Gesellschaften hinsichtlich der allgemeinen Verbreitung von Ritualen nicht aufrechterhalten lässt.

60

VgL z u m Beispiel die Beiträge i m B a n d : FLORIAN UHL, ARTUR R . BOELDERL (Hg.): Rituale.

61 62

Zugänge zu einem Phänomen, Düsseldorf/Bonn 1999 (Schriften der Österreichischen Gesellschaft für Religionsphilosophie Bd. 1). CORINNA DÖRRICH: Poetik des Rituals. Konstruktion und Funktion politischen Handelns in mittelalterlicher Literatur, Darmstadt 2002, S. 5. Es ist in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, warum sie Ritualtheorien, die an modernen Kulturen orientiert sind, apriorisch mit dem Argument zurückweist, dass diese für die mittelalterliche Gesellschaft nicht zuträfen - was erst zu zeigen wäre (S. 11). Davon abgesehen bezieht sich DÖRRICH wiederholt auf die Ansätze von SOEFFNER und BELL, die sich mit Ritualen in modernen Gesellschaften beschäftigen.

Ritualisierung

99

Rites de passage Als produktiver Ansatz, um Erzählstrukturen und Handlungsfiihrung mittelalterlicher Texte auf Rituale zu beziehen, hat sich der Terminus des Übergangsrituals (rite de passage) und der eng an ihn gebundene des Schwellenzustands (Liminalität) erwiesen, die VICTOR TURNER im Anschluss an ARNOLD VAN GENNEP elabotiert hat.63 Rites de passage organisieren in den meisten Gesellschaften zentrale Lebenseinschnitte wie Geburt, Ehe, Tod sowie Alters- oder Statuswechsel. Auch Prozesse des Erwachsenwerdens, Bewährungsproben und einschneidende Erfahrungen lassen sich in ihrer Phasenhaftigkeit als Übergangsrituale beschreiben. Für die Liebes- und Abenteuerromane dieser Untersuchung ist dies deshalb von Relevanz, weil in ihnen stets ein Prozess der Ablösung des männlichen Protagonisten - teils auch der Heldin - aus dem familialgesellschaftlichen Verband gestaltet wird. Dies steht mit der Herrschaftsthematik in Zusammenhang, auf die RLDDER und SCHULZ für ihre Textcorpora besonders hingewiesen haben. Denn es ist eine bedrohte herrscherliche Kontinuität - welche durch die vermeintlich nicht standesgemäße Herkunft der Protagonistin nicht gewährleistet wäre - , die den Widerstand der Eltern gegen die Verbindung hervorruft. Die Lösung des Helden aus dem Herkunftsverband vollzieht sich in dem Maße, in dem die Beziehung zur Partnerin gefestigt wird, und sie ist häufig durch eine Schwellensymbolik oder durch raum-zeitliche Veränderungen markiert. So verläuft Flores Weg zur Befreiung Blanscheflurs über vier Stationen, an denen er Flüsse von einem Ufer zum anderen überqueren muss. Damit wird deutlich, dass er sich in einem transitorischen Zustand befindet, der liminalen oder Schwellen-Phase nach TURNER, welcher in eine Veränderung mündet. Die Merkmale, die TURNER auf der Basis von Stammesritualen in traditionellen Gesellschaften über den Franziskanerorden bis hin zu modernen Millenniumsbewegungen für die Schwellenphase oder Phase der Liminalität ermittelt hat, sind vielfaltig. Typische Kennzeichen der Schwellenphase sind Homogenität, Gleichheit, Anonymität, Besitzlosigkeit [...], Herabsetzung aller auf das gleiche Statusniveau, das Tragen gleicher Kleidung [...], sexuelle Enthaltsamkeit [...], Minimierung der Geschlechtsunterschiede [...], Abschaffung von Rangunterschieden, Demut, Gleichgültigkeit gegenüber der äußeren Erscheinung, Selbstlosigkeit, totaler Gehorsam gegenüber dem Propheten oder Führer, sakrale Einweisung, extreme Betonung religiöser im Gegensatz zu weltlichen Einstellun63

Vgl. V i c t o r TURNER: Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt a. M./New York 2000 (engl. 1969). Vgl. für die mittelalterliche Literatur bereits MARIA E. MÜLLER; Liminale Ästhetik. Versuch über Heinrich Wittenwilers Ring. In: JOWG 8 (1994/95), S. 221-237.

Inszenierung, Ritualisierung, Peiformativität

100

gen und Verhaltensweisen, Aufhebung verwandtschaftlicher Rechte und Pflichten [...], Einfachheit der Rede und des Auftretens, heilige Torheit, Akzeptieren von Schmerz und Leiden.64

In den Textinterpretationen dieser Arbeit wird untersucht, ob Held oder Heldin während der Abenteuerzeit Veränderungen durchlaufen, die sich mit den Phasen des rite des passage korrelieren lassen. So müssen eine Reihe von den zitierten Merkmalen in den Romanen festzustellen sein, um sinnvoll von einer Phase der Liminalität sprechen zu können. Wenn die Lösung der Helden aus dem familialen Verband als Struktur nach dem Vorbild der rites de passage beschrieben werden kann, hat dies jedoch einen entscheidenden Vorzug: Es muss, anders als im Falle eines psychologischen oder psychoanalytischen Modells, nicht automatisch ein Prozess der inneren Bindung und Trennung unterstellt werden. Vielmehr lässt es sich gerade als besondere emotionale Besetzung der Struktur markieren, wenn solche inneren Prozesse gestaltet werden - wie das Beispiel von Florio und Bianceffora zeigen wird — und für die diachrone Situierung der Romane auswerten. Wenn sich solchermaßen schließlich plausibel machen lässt, dass die ,Abenteuerzeit' rites de passage und Veränderungen gestaltet, sind die Gattungsbestimmungen von BACHTIN und im Anschluss an ihn von BACHORSKI in einem wichtigen Punkt zu revidieren. Die These der ,Geschichtslosigkeit' der Abenteuerzeit, der zufolge diese Zeit keine Spuren im Leben der Protagonisten hinterlässt, weil sie ihre Identität gerade allen Herausforderungen zum Trotz rekonstituieren, ist dann nicht aufrechtzuerhalten. Abgesehen vom Sonderfall der Übergangsrituale lässt sich eine Ritualisierung von sozialem Handeln und insbesondere von Emotionen in literarischen Texten beschreiben, die ihrer Form und Funktion nach offener ist. Einen Hinweise darauf geben ALTHOFFS Forschungen zum exaltierten' Gefiihlsausdruck in mittelalterlichen Ritualen.65 Sein Kommentar zu mittelalterlichen Quellen könnte nahtlos auf Liebes- und Abenteuerromane transferiert werden: [...] Geschehen scheint außer Kontrolle zu geraten, Schmerz scheint die Sinne zu rauben; Zerknirschung über eigene Untaten fuhrt zu Tränenströmen. Die Palette diesbezüglicher Verhaltensmuster reicht vom Ausdruck höchster Freude bis zur tiefsten Verzweiflung, vom hemmungslosen Schmerz bis zu überschäumender Wut. 66

64

TURNER, S. 110.

65

VgL neben dem Aufsatz „Empörung, Tränen, Zerknirschung" auch: Gefühle in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters. In: BENTHIEN, FLEIG, KASTEN, S. 82-99, und: Der König weint In: MÜLLER: Aufführung' und .Schrift', S. 239-252. ALTHOFF: Empörung, Tränen, Zerknirschung, S. 258.

66

Ritualisierung

101

ALTHOFF beschreibt Emotionen als Teil von Ritualen. In Bezug auf den Liebes- und Abenteuerroman geht es hingegen darum, den Gefuhlsausdruck selbst als ritualisierte soziale Praxis zu beschreiben und dabei zu reflektieren, dass diese Praxis literarisch vermittelt wird. Ein systematischer Zusammenhang von Ritual und Literatur wurde bislang nur von WOLFGANG BRAUNGART in einer Untersuchung zur Literatur der Moderne thematisiert.67 Die mediävistische Forschung zum Verhältnis von Ritual und Literatur konzentriert sich auf das Verhältnis von Ritual, Theater und geistlichem Spiel.68 Dies hat nahe liegende Gründe: Theater und Spiel weisen in formaler Hinsicht so viele Affinitäten zum Ritual auf, dass eine Klärung des Verhältnisses notwendig ist. Die christliche Liturgie wird im Kontext dieser Diskussion als frühere Form behandelt, aus der heraus oder neben der das geistliche Spiel sich entwickelt.69 .Ritual', ,Spiel' und .Theater' werden also nicht als unterschiedliche Typen von performance auf synchroner Ebene definiert. Die Kategorien der ITieatralität und Ritualisierung sind bislang noch wenig als Modi kultureller Kommunikation in den Blick genommen, die sich auch in literarischen Texten analysieren lassen; sie werden vielfach unspezifisch oder metaphorisch verwendet.70 67

68

Vgl. WOLFGANG BRAUNGART: Ritual und Literatur, Tübingen 1996 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 53). BRAUNGARTS Studie verfolgt den Leitgedanken, dass Literatur im Leben der Menschen einen Status einnimmt, der dem von Ritualen vergleichbar ist. Um diese These zu begründen, geht BRAUNGART vor allem auf die moderne Lyrik ein, die in seiner Sicht die Nähe zum Ritual paradigmatisch zeigt Darüber hinaus verfolgt er jedoch sozialgeschichtliche Phänomene des Literaturbetriebs, vom individuellen Umgang mit Literatur über Dichterkult und Lesung bis hin zur Buchherstellung. Insgesamt richtet sich BRAUNGARTS Erkenntnisinteresse damit auf einen Spezialfall des Verhältnisses von Ritual und Literatur, der für Untersuchungen, die konkrete Phänomene auf der Handlungsebene narrativer Texte auf den Ritualbegriff beziehen wollen, nicht einschlägig ist Einen Überblick über die Forschung zu Ritual und Theater, in Teilen auch zum Spiel, gibt MICHAEL OTT: Ritualität und Theatralität In: GERHARD NEUMANN, CAROLINE PROSSE,

GERALD WILDGRUBER (Hg.): Szenographien. Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft, Freiburg i. Br. 2000, S. 309-342. - Aus der Diskussion um Ritual und geistliches Spiel sind hervorzuheben RAINER WARNING: Funktion und Struktur, München 1974; ANDREAS KOTTE: Theatralität im Mittelalter. Das Halberstädter Adamsspiel, Basel 1994 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater 10); GERHARD WOLF: Inszenierte Wirklichkeit und literarische Aufführung. Bedingungen und Funktion der,performance' in Spiel- und Chroniktexten des späten Mittelalters. In: MOLLER: .AUFFÜHRUNG' und .Schrift', S. 381-401; JAN DIRK MÜLLER: Mime-

69

70

sis und Ritual. Zum geistlichen Spiel des Mittelalters. In: ANDREAS KABUTZ, GERHARD NEUMANN (Hg.): Mimesis und Simulation, Freiburg 1998 (Rombach Litterae 52), S. 541-571. Wie MÜLLER: Mimesis und Ritual, hervorhebt, besteht das geistliche Spiel von Anfang an neben der Liturgie und entwickelt sich nicht aus ihr. Letzteres gilt nur für das Osterspiel. Vgl. dazu CHRISTOPH PETERSEN: Ritual und Theater. Meßallcgorese, Osterfeier und Osterspiel im Mittelalter, Tübingen 2004 (MTU 125). Dies kritisiert OTT, S. 338ff. Ausnahmen sind FISCHER-LICHTE: Theatralität und Inszenierung, und der Versuch von INGRID KASTEN, die Kategorie der Ritualisierung für das geistliche Spiel zu verwenden: Ritual und Emotionalität: Zum Geistlichen Spiel des Mittelalters. In: MEYER, SCHIEWER, S. 335-360.

102

Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

Tatsächlich bieten Ritualtheorien präzise Kriterien, um zentrale Merkmale der Gefuhlskultur im Liebes- und Abenteuerroman zu beschreiben.71 Diese Theorien versammelt zum großen Teil ein von ANDREA BELLIGER und DAVID J . KRIEGER herausgegebener Band, der

sich durch seinen repräsentativen Charakter von einer Vielzahl in den letzten Jahren veröffentlichter Sammel- und Tagungsbände zur Ritualtheorie abhebt.72 Auf ein gründliches Referat der Ritualforschung kann angesichts vieler bereits vorliegender Überblicksdarstellungen verzichtet werden.73 Merkmale des ritualisierten Gefiühlsausdrucks im Liebes- und Abenteuerroman Repetition und Variants^ Handlungen, die in Ritualen vollzogen werden, sind repetitiv. Dadurch wirken sie stereotyp74 und redundant.75 Auch in Liebesund Abenteuerromanen ist das Ausdrucksrepertoire für Emotionen begrenzt. Gesten und Rhetoriken des Klagens werden ständig wiederholt, dadurch entsteht der viel genannte Eindruck der Stereotypie. Reihende Wiederholungen (drei aufeinander folgende Ohnmächten) tragen zu diesem Eindruck von Stereotypie bei. In narrativer Hinsicht können solche Reihungen die Funktion haben, eine Situation emotionaler Krisis dramatisch zu steigern. Entscheidend für das Verständnis dieser Repetition ist in kulturanthropologischer Hinsicht jedoch eine Funktion, die in der Emotionsforschung im Blick auf Wiederholungen ermittelt wurde: „Repetition reduces excitement and may have a relaxing function; no new activity is required, thereby resulting in an ab71

72 73 74

75

Es ist möglich und in einigen Kontexten sinnvoll, aus der Fülle der Ritualkonzepte eine MinimalDefinition zu erarbeiten, die bei der - einzigen - unstrittigen Bestimmung ansetzen würde, dass ein Ritual eine Handlung ist. Dies unterstreicht auch OTT, S. 319. In einer Vorstudie zur vorliegenden Untersuchung wurde bereits eine vereinfachte Begriffsbestimmung erstellt Vgl. JUTTA EMING, INGRID KASTEN, ELKE KOCH, ANDREA SLEBER: Emotionalität und Performativität in erzählenden Texten des Mittelalters. In: Encomia-deutsch. Sonderheft der Deutschen Sektion der International Courtly Literature Society, Tübingen 2000, S. 42-60. Unter dem Titel „Emotionalität und Performativität in der Literatur des Mittelalters" wieder in: FISCHER-LICHTE, WULF: Theorien des Perform» tiven, S. 215-233. Vgl. ANDREA BELLIGER, DAVID J. KRIEGER (Hg.): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Opladen/Wiesbaden 1998. Dafür sei hier auf die Darstellungen von BRAUNGART; DÖRRICH; GEBAUER, WULF; MUIR und OTT verwiesen. Vgl. STANLEY J. TAMBIAH: Eine performative Theorie des Rituals. In: BELLIGER, KRIEGER, S. 227-250, hier S. 230; JAN PLATVOET: Das Ritual in pluralistischen Gesellschaften. In: BELLIGER, KRIEGER, S. 173-190, hier S. 175f. TAMBIAH, S. 242fr.

Ritualisierung

103

sence of consciousness."76 Der immer neue Rekurs auf die gleichen körpersprachlichen Ausdrucksmuster lässt sich damit als Versuch begreifen, einerseits Emotionen Geltung zu verleihen und sie andererseits unter Kontrolle zu behalten. Ein ritualisierter Gefühlsausdruck stellt also niemals nur eine einfache .Entladung' von Emotionen, sondern zugleich auch den Versuch der Bewältigung einer Krise dar. Diese kann durchaus nicht nur die .ausführende' Person, sondern auch involvierte Dritte betreffen. Paradigmatisch für solche Versuche der Bewältigung einer Krise sind Situationen kollektiver Trauer, wie einer gemeinschaftlichen Totentrauer.77 Ritualen wird andererseits ein Potential für Varianz und Kreativität zugeschrieben. Rituale haben eine ludische Seite.78 Im Verbund betrachtet machen beide Aspekte die Ambivalenz von Ritualen ersichtlich, die in vielen Ritualtheorien hervorgehoben wird. Rituale haben ebenso konservative wie innovative Elemente. Mit Blick auf den Liebes- und Abenteuerroman ist festzuhalten, dass in einer zur Stereotypie der Darstellungsformen gegenläufigen Tendenz die einzelnen Elemente narrativ immer neu kombiniert, unterschiedlich situiert, ausgeschmückt oder verknappt, oder, wie das Element .Selbstmordversuch', unterschiedlich ausgestaltet werden.79 Gemeinschaftlichkeit®* Der gemeinschaftliche Charakter von Ritualen, der in der Forschung ähnlich unstrittig ist wie ihr Handlungscharakter, betrifft mehrere Aspekte. Er bedeutet sowohl, dass Rituale von Gemeinschaften, wie dass sie für Gemeinschaften aufgeführt werden, ferner, dass sie .Gemeinschaft' mit jeder neuen Aufführung re-konstituieren. Rituale sind, um realisiert werden zu können, an ein Publikum gebunden, das jedoch auch aus den am Ritual Beteiligten selbst bestehen kann.81 Auch im 76

BEN-ZE'EV, S. 14f.

77

Dies gilt auch noch für moderne Begräbnisse, während die Inszenierungsformen von Trauer sich historisch verändern. Dazu sei ausnahmsweise auf ein Beispiel einer kollektiven Trauer aus der jüngeren Geschichte hingewiesen. NIGEL HAMILTON, ein Biograph John F. Kennedys, zitiert aus Anlass des Staatsbegräbnisses fur den ermordeten Präsidenten und des .Theaters', das dabei inszeniert worden sei, den Historiker ARTHUR SCHLESINGER: „Ich hatte bis dahin niemals die Funktion eines Begräbnisses verstanden [...] Nun wurde mir klar, dass das Zeremoniell den Leuten helfen soll, die Fassung zu bewahren." NIGEL HAMILTON: John F. Kennedy. Wilde Jugend, Frankfurt a. M. 1993, S. 22.

78

VgL THEODORE W . JENNINGS JR.: Rituelles Wissen. In: BELLIGER, KRIEGER, S. 157-172, hier S. 160; GEBAUER, WULF, S. 131.

79

Auf diesen Aspekt verweist auch BACHORSKJ mit dem Begriff der Serialität, vgl. gmsst tmgelückt, passim.

80

Vgl. ALBERT BERGESEN: Die rituelle Ordnung. In: BELUGER, KRIEGER, S. 49-76, S. 59 et passier, PLATVOET, S. 175 u. 182; GEBAUER, WULF, S. 150; MUIR, S. 3f., S. 6; BERGESEN, S. 51.

81

Das Moment der gemeinschaftlichen Ritual-Rezeption ist fur Definitionen von Ritualen so unverzichtbar, dass der von FREUD beschriebene Zwangsneurotiker, der .Privatrituale' ausbildet und für sich selbst auffuhrt', in die meisten Definitionsansätze nicht einbegriffen wird. VgL GEBAUER, WULF, S. 130; JENNINGS, S. 164.

104

Inszenierung, Ritualisierung Performativität

Liebes- und Abenteuerroman wird über den ritualisierten Gefuhlsausdruck die Gemeinschaft konstituiert. Die Figuren artikulieren ihre Emotionen gemeinsam oder werden von den Emotionen einer anderen Figur affiziert. Diese Affizierung gilt potentiell auch für die Rezipienten der Texte.82 Die Gemeinschaft umfasst damit intradiegetische Akteure, intradiegetdsche Zuschauer und extradiegetische Textrezipienten.83 Der affizierende Charakter des Emotionsausdrucks lässt ferner seinen ModellCharakter für soziale Situationen hervortreten. In paradigm scenarios präsentiert die ritualisierte Gefühlskultur verbindliche Muster und Anlässe der Artikulation von Emotionen. Körperlichkeit und Mimesis. In der neueren Ritualforschung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Rituale nicht in erster Linie intellektuell rezipiert werden. Doch wird Ritualen durchaus eine kognitive Dimension zugesprochen. In Frage steht, um welche Form von Kognition oder um welche Form des Wissens es sich handelt, und ob dieses Wissen intelligibel ist. An dieser Stelle wird einsichtig, warum in vielen Ritualtheorien dem Handeln, der Praxis und dem Körper ein hoher Stellenwert beigemessen werden.84 Rituale sind nicht nur an den Körper gebunden und inszenieren den Körper,85 auch die kognitive Dimension von Ritualen, die Form, in der sie Wissen vermitteln,86 wird auf den Körper zurückgeführt.87 GEBAUER und WULF haben für diese Form der Wissensaneignung im Ritual den Begriff der Mimesis entwickelt.88 Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten der Religionswissenschafiderin CATHERINE BELL.89 Ausgehend von der These, dass der Ritualforscher seinen Gegenstand aus einer heterogenen kulturellen Vielfalt selbst konstituiert, unterzieht BELL die Ritualforschung seit EMILE DÜRKHEIM

einer dekonstruktivistischen Kritik und stellt die Ontologie von Ritualen in Frage. Durch ihre Thesen wurde eine intensiv geführte Forschungskontroverse ausgelöst. Sie betrifft, kurz gefasst, die Frage, ob Rituale als Texte einer ihnen vorausliegenden Bedeutung zu entziffern oder vielmehr als 82

Dieser Aspekt wird im Abschnitt zur Performativität näher erläutert.

83

VgJ. GENETTE: D i e Erzählung, S. 163.

84

Vgl. MUIR, S. 31; GEBAUER, WULF, S. 153.

85 86 87

V g l . GEBAUER, WULF, S. 137; PLATVOET, S. 179f. V g l . JENNINGS, S. 158. V g l . JENNINGS, pasHm.

88

Vgl. CHRISTOPH WULF: Mimesis und Performatives Handeln. Gunter Gebauers und Christoph Wulfs Konzeption mimetischen Handelns in der sozialen Welt In: CHRISTOPH WULF, MICHAEL GÖHLICH, JÖRG ZNTFAS (Hg.): Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim/München 2001, S. 253-272. BELLIGER, KRIEGER bezeichnen sie in ihrer Einleitung, S. 7-33, hier S. 27, als .bahnbrechend*. VgL CATHERINE BELL: Ritual Theory. Ritual Practice, New York/Oxford 1992. Ein Auszug

89

dieser Arbeit ist (in deutscher Ü b e r s e t z u n g ) i m H a n d b u c h v o n BELLIGER, KRIEGER, S. 3 7 - 4 7 ,

erschienen.

Ritualisierung

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Praxis, Handlung oder performance aus sich selbst zu verstehen sind. Letztere Position vertritt BELL, ersterer Position ließe sich ALTHOFF zurechnen, der Ritualen einen semiotischen und kommunikativen Charakter zuschreibt. In historischer Perspektive ist nun von Interesse, dass sich die Kontroverse um die Frage, wie Rituale rezipiert werden, auch im Gegensatz zwischen einem traditionellen und einem modernen Ritualverständnis abbilden lässt. Auf diesen Zusammenhang wird im Folgenden etwas ausführlicher eingegangen. Der Historiker EDWARD MUIR sieht den Wandel des Ritualverständnisses in der Frühen Neuzeit als Übergang ,νοη der Präsenz zur Repräsentation' und nennt als seinen wichtigsten Impuls die veränderte Haltung zur Liturgie im Protestantismus.90 Die protestantische Kritik an der Eucharistielehre zielte zwar nicht darauf, Rituale grundsätzlich abzuschaffen oder auch nur einen Versuch in diese Richtung zu unternehmen. 91 Im Gegenteil, wie MUIR hervorhebt, vollzieht sich die Negation von Ritualen regelmäßig über die Ausbildung neuer Rituale. Doch im Protestantismus wandelte sich die Gotteserfahrung von einem sinnlichen, visuell und taktil vermittelten Erlebnis - paradigmatisch in der Eucharistie und im Reliquienkult - zur Interpretation des Wortes und damit zur Interpretation von Schrift. MUIR spricht von einem ,hermeneutischen Anschlag' auf Rituale, durch den Rituale zu einem jbnkommensurablen Diskurs' wurden. „We insist on translating experience into words. The core question about a ritual has become ,what does it mean?' rather than ,what emotions does it evoke?'"92 Diese Frage nach der Bedeutung sei es, die für den Wandel ,νοη der Präsenz zur Repräsentation' den Ausschlag gab und mit der sich ein nachhaltiges Missverständnis über Rituale etablieren konnte. 93 Seither seien Rituale dem Verdacht ausgesetzt, ihre Rezipienten emotional zu manipulieren.

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Auch ALTHOFF äußert die Vermutung, dass die moderne Entgegensetzung von .echten' und .rituell geäußerten' oder zeichenhaft eingesetzten Emotionen das Produkt eines historischen Wandlungsprozesses ist, zu dessen wichtigsten Auslösern die Aufklärung und die Reformation zählen. VgJ. „Gefühle in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters", S. 96. Vg}. MUIR, S. 149f. M u m weist durchaus darauf hin, dass das protestantische Lager in diesen Fragen gespalten war, vgl. S. 174. Bekanntlich hielt Luther im Unterschied zu anderen Reformern, insbesondere zu Calvin, auch an der Vorstellung der Realpräsenz in der Hostie fest. Vgl. zu den unterschiedlichen protestantischen Positionen zur Reformation der Messe auch SUSAN C. KARANT-NUNN: The reformation of ritual. An interpretation of early modern Germany, London/New York 1997, S. 91-137. MuiR,S. 150. Vgl. Mure, S. 151.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

Gegen MUIRS Argumentation ist zwar einzuwenden,94 dass sie holzschnittartig und monokausal verfahrt. Um den Wandel des Ritualverständnisses zu erklären, sind die von ihm geschilderten Prozesse um weitere historische Authenüsierungs-Diskurse zu ergänzen, wie um rhetorikkritische Tendenzen und die Empfindsamkeits-Bewegungen des 18. Jahrhunderts mit ihrer Aufwertung von Subjektivität und Individualität.95 Auch das von MUIR vermittelte Bild von der Durchschlagskraft der protestantischen Reformen und der Verlaufsformen der Prozesse sozialmentaler Transformation bedarf der Korrektur.96 Zumindest die Performanz von Emotionen im Liebes- und Abenteuerroman ist mit MUIR und BELL jedoch angemessener zu beschreiben als durch einen semiotischen Ansatz. Denn Emotionen werden in den Texten zwar zum Ausdruck gebracht, doch nicht illustriert oder repräsentiert. Über ein Set unterschiedlicher Emotionen hinaus (Verzweiflung, Trauer, Einsamkeit, Freude oder Glück) kommunizieren die Darstellungs formen keine zweite,,hinter' ihnen liegende Bedeutung.97 Die paradigm scenarios, in denen Emotionen zum Ausdruck kommen, können deshalb angeeignet und übernommen, aber nicht gedeutet oder interpretiert werden. Multimedialität und Asthetisierung. Die Begriffe der (Multi-) Medialität98 und Asthetisierung99 bezeichnen summarisch die vielfältigen Mittel und 94 95

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Weiteren Anlass zur Kritik geben etwa MUIRS Material, dessen Quellenstatus er zum Beispiel bei literarischen Texten nicht reflektiert, oder eine unkritische Übernahme von BACHTINS Karnevals-Konzeption. MUIR nennt neben Reformation und Gegenreformation auch die .Entwicklung der Manieren' und verschiedene sozialdisziplinatorische Maßnahmen, die in seiner Sicht in der Frühen Neuzeit einen Kausalnexus bilden. Vgl. zu den anderen Diskursen BRAUNGART, KNAPE: Empfindsamkeit; SCHLICH und URSULA GEITNER: Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1992 (Communicatio 1). BRAUNGART zufolge sind Rituale sogar erst seit dem 18. Jahrhundert durch neue Forderungen nach Authentizität .verdächtig' geworden (S. 227). So hat KARANT-NUNN gezeigt, dass die Durchsetzung des protestantischen Ritus - wie bereits des katholischen und seiner Reformen - in den Ritualen der Eheschließung, der Taufe, der Messe oder der Begräbnisse in den ländlichen Regionen Deutschlands anders als in den Städten auf erheblichen Widerstand oder mangelnde Kenntnisnahme sowohl auf Seiten der Bevölkerung als auch der zuständigen katholischen Priester gestoßen ist Um Missverständnissen vorzubeugen, wurde die These, dass die Handlungen im Ritual .symbolisch' seien, deshalb für den Gegenstandsbereich der Liebes- und Abenteuerromane nicht berücksichtigt. Vgl. zur Symbolik der Handlungen TAMBIAH, S. 230; GEBAUER, WULF, S. 137, S.

147; PLATVOET, S. 178f.; BERGESEN, S. 51; JENNINGS, S. 157. Obwohl einzelne Darstellungsformen, vor allem Gesten (ausgebreitete Anne, Kniefälle), insofern symbolisch genannt werden können, als sie zum Beispiel .Unterwerfung' signalisieren, wäre es falsch, die ritualisierte Gefuhlskultur als symbolisch im skizzierten Sinne: als verweisend, un-eigentlich und interpretationsbedürftig, aufzufassen. 98

TAMBIAH, S. 180, S. 248; PLATVOET, S. 179. Dies bezeichnet BRAUNGART, S. 117 et passim, als

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Kriterium der ,Expressivität'. Es meine die .besonderen Gestaltungsmittel' des Rituals. PLATVOET, S. 181, mit allem Nachdruck BRAUNGART, S. 27 etpassim.

Ritualisierung

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Strategien, mittels derer die Wahrnehmung, die Sinnlichkeit und die Emotionen der Teilnehmer oder Zuschauer angesprochen werden und die Rituale als besondere oder außeralltägliche soziale Handlungen erfahren lassen. Das zentrale Medium der Gefuhlskultur im Liebes- und Abenteuerroman ist neben der Sprache der Körper mit seinen unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Die Gefuhlsausbrüche wirken dabei auch in den Extremformen wie Haareraufen und Gesichtreißen hochgradig ästhetisiert. Diese Ästhetisierung verweist auf einen generellen Aspekt, der den Emotionsausdruck durch Gesten betrifft. Anders als mit den umfassenden Begriffen der Gebärde und des .Gebarens', die sich an die mittelalterlichen Worte gebärde und gebären anlehnen und deshalb von RUTH SCHMIDTW l E G A N D und MARTIN SCHUBERT für Untersuchungen zur mittelalterlichen Kultur vorgeschlagen werden,100 lässt sich dabei mit VlLEM FLUSSER eine Geste als eine stilisierte Körperbewegung verstehen: Wenn mir jemand in den Arm sticht, werde ich ihn bewegen, und diese Reaktion wird einem Beobachter die Aussage erlauben, daß die Bewegung meines Arms einen Schmerz ,ausdrückt' oder .artikuliert', den ich verspürt habe. Es wird eine kausale Verkettung zwischen Schmerz und Bewegung geben und eine physiologische Theorie, um diese Verkettung zu erklären [...]. Eine derartige Bewegung wird [...] keine .Geste' sein, denn der Beobachter wird sie in zufriedenstellender Weise erklärt haben. Aber ich kann meinen Arm auch auf spezifische Weise emporwerfen, wenn mir jemand hineinsticht, und auch diese Handlung erlaubt dem Beobachter die Aussage, daß die Bewegung meines Arms einen Schmerz .ausdrückt' oder .artikuliert', den ich verspürt habe.101

versteht eine Geste als aktive, symbolische und mit Bedeutung aufgeladene Handlung, als Stilisierung, nicht als Reaktion. Seine Unterscheidung zwischen ,den Arm bewegen' und ihn ,auf spezifische Weise emporwerfen' mündet in der These, dass im zweiten Fall der Gefuhlsausdruck nicht physiologisch, sondern kulturspezifisch determiniert ist. In diesem Fall, so FLUSSER weiter, „[gilt] sie für diejenigen, die den Code kennen, als angemessen [...], um die »Bedeutung' von Schmerz mitzuteilen."102 Diese Unterscheidung zeigt Anklänge an die Trennung zwischen ikonischen und symbolischen Gesten in der Kinesik, die sich auf ihre FLUSSER

100 SCHUBERT versteht unter „Gebiren die Summe aller einzelnen Ausdrucksbewegungen und Ausdruckshaltungen eines Menschen [...] die nicht sprachlich vollzogen wird". MARTIN SCHUBERT: Zur Theorie des Gebarens im Mittelalter. Analyse von nichtsprachlicher Äußerung in mittelhochdeutscher Epik. Relamlilied, Eneairoman, Trittau, Köln/Wien 1991 (Kölner Germanistische Studien 31), S. 6. SCHMIDT-WIEGAND bezieht zusätzlich .Sprachgebärden' mit ein, wie sie in mittelalterlichen Rechtsquellen überliefert sind. Vgl. RUTH SCHMIDT-WlEGAND: Gebärdensprache im mittelalterlichen Recht In: Frühmittelalterliche Studien 16 (1982), S. 363-379. 101 VnjfeM FLUSSER: Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Frankfurt a. M. 1994, S. 11. 102 FLUSSER, S. 11.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performatmtät

interkulturelle und kulturspezifische Deutbarkeit bezieht.103 Eine sozialhistorische Codierung kann grundsätzlich auch für Gesten in der mittelalterlichen Literatur angenommen werden, darauf weisen - bei unterschiedlichen Argumentationen im Einzelnen— HELMUT BLRKHAN und JAN-DIRK MÜLLER hin.104 Der Umstand, dass FLUSSER seine Gestendefinition weit fasst, wirft eine Reihe von Problemen auf, die hier nicht erörtert werden müssen.105 Seine Ausführungen machen deutlich, dass Gesten eine produktive und gestaltende Seite haben, die Emotionen — FLUSSER spricht von Stimmungen - kommuniziert.106 Zu dieser kommunikativen Seite von Gesten gehört auch, dass sie Emotionen lenken und verändern, indem sie zum Beispiel Emotionen bei anderen erzeugen oder bei ihnen zu Reaktionen führen, die auf die eigenen Emotionen zurückwirken.107 Für die traditionelle These, dass Emotionen in literarischen Texten des Mittelalters unmittelbar am Körper zum Ausdruck kommen, hat die Auffassung, dass Gesten Emotionen nach Maßgabe kultureller Codes stilisieren und ästhetisieren, wichtige Konsequenzen. Der Umstand, dass Emotionen an Gesten lesbar sind, bezeugt dann nämlich keine ,natürliche' Spontaneität oder Kongruenz von Innen und Außen,108 sondern die Stabilität des herrschenden Codes über den gestischen Gefühlsausdruck. Diese Stabilität des Codes wird auch als „soziale Koinzidenz von Geste und Gefühl" bezeichnet.109 Die Darstellungskonvention der Überwältigung durch den Affekt, die bereits mehrfach angesprochen wurde, ist auch unter dieser Voraussetzung differenziert zu betrachten. Am Beispiel des schon früher zitierten Auftritts von Partonopiers Mutter vor dem französischen König lässt sich beobachten, dass die Überwältigung durch eine Emotion beinahe unmerklich in die gestische Stilisierung übergeht: 103 VgL CHRISTOPH WULF: Geste. In: Ders. (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997, S. 516-524. Vgl. auch das Kapitel .Gesten' in: GEBAUER, WULF, S. 80-113. 104 Vgl. HELMUT BIRKHAN: Der babylonischen Verwirrung entgangen? Mittelalterliche Gebärdensprache als Schlüssel zum Verständnis bildlicher Darstellungen. In: PETER K. STEIN, ANDREAS WEISS, GEROLD HAYER (Hg.): FS Ingo Reiffenstein, Göppingen 1988 (GAG 478), S. 443-462; JAN-DIRK MÜLLER: Visualität, Geste, Schrift Ein wichtiges Aigumcnt des Aufsatzes von MÜLLER besagt jedoch, dass nicht alle Körperzeichen codiert sind. 105 Vgl. dazu KAI LUEHRS-KAISER: Exponiertheit als Kriterium von Gesten. In: EGIDI u.a., S. 4352, vor allem S. 48f. 106 VgL FLUSSER, S. 12f. WULF: Geste, spricht von .Gefühlen und Stimmungen', vgl ebd., S. 521. 107 Vgl. HANS GERTH, C. WRIGHT MILLS: Gefühl und Emotion. In: KAHLE, S. 120-232, hier S. 12: „Wenn unsere Gefühle [...] unbestimmt sind und gerade erst aufkommen, können uns die Reaktionen anderer auf unsere Gesten helfen, uns darüber klar zu werden, was wir wirklich fijhlen." 108 Vg}. PHHIPOWSKI: Körper-Räume und räumliche Körper; Geste und Inszenierung, dazu die Kritik von MÜLLER: Visualität, Geste, Schrift. 109 GERTH, MILLS, S. 128.

Ritualisierung

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da vant si von Kärlingen den künec biderb unde wert, fur den si nider üf den hert viel dräte viel enkriuzestal. ir herze üf ungemüete swal so vaste bi der stunde, daz si mit dem munde diu wort vil kurne brühte für. (V. 6804-6811)

Die Erwähnung des überquellenden Herzens unterstreicht, dass Lucrete von heftigen Gefühlen bewegt wird. Auch der Fußfall mit ausgebreiteten Armen zeigt, dass Verzweiflung sich ihrer bemächtigt. Zugleich fungiert diese Geste jedoch als ein Rahmen, der die Emotion auffängt, bildet und kommuniziert. Die Textstelle illustriert paradigmatisch die paradoxen Konstitutionsbedingungen eines gestischen Gefühlsausbruchs. Lucretes Emotionen wirken eruptiv, nicht beherrschbar und sind zugleich ästhetisch überformt. Der Liebes- und Abenteuerroman macht auf diese Weise nicht nur die Macht des Affekts erzählerisch kenntlich, sondern auch den kommunikativen und ästhetischen Stellenwert seiner gestischen Bewältigung. Weil die Relation zwischen einer Geste und der auszudrückenden Emotion kulturell codiert ist, kann sie sich historisch wandeln, die ,soziale Koinzidenz von Geste und Gefühl' tritt dann auseinander.110 Der Umstand, dass die Gefühlskultur des Liebes- und Abenteuerromans in der Forschung als übertrieben gilt, bezeugt in dieser Hinsicht gewandelte Konventionen im Verhältnis von Emotion und Geste.111 Intentionalität. Die Frage, ob Ritualen eine Intentionalität zugesprochen werden kann, ist umstritten. Ein überzeugendes Argument besagt, dass ein Ritual nicht auf die subjektiven Intentionen der Teilnehmer angewiesen ist, sondern, wie in der Geburtstagsfeier, der Eheschließung oder der Taufe, über sinnvolle Verlaufsformen verfugt. Wenn nicht mehr von einer »feststehenden Intentionalität', sondern von einer ,vorausliegenden Ontologie' gesprochen wird,112 bekommen Rituale allerdings den Status von Texten zugesprochen, die mit Blick auf ihre Bedeutung übersetzt werden müssen. Im Kontext von Emotion und Expression wird die Frage der Intentionalität mit Blick auf Aspekte von Verstellungen brisant Sind Trauerfeiern zum Beispiel nicht auf die subjektiven Trauerempfindungen ihrer Teilnehmer angewiesen, um zu funktionieren? Nach Auffassung von STANLEY J. TAMBIAH ist diese Frage zu verneinen. TAMBIAH zufolge beruht ein Ritual grundsätzlich auf einer „Distanzierung", welche „die

110 Vgl. GERTH, MHJLS, S. 127.

111 Vgl· dazu auch EMING: Affektüberwältigung als Körperstil. 112 Dies wurde am Beispiel des Ansatzes von B E L L erläutert.

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Inszenierung, Ritualisierung, Periörmativität

privaten Gefühle der Akteure von ihrer Verpflichtung einer öffentlichen Moral gegenüber [trennt]" und zum Motor für „Heuchelei und Untergrabung transparenter Wahrhaftigkeit" wird.113 Was im Ritual artikuliert werde, seien Emotionen im Sinne einer Einstellung: „Das Ritual ist nicht ein ,freier Ausdruck von Gefühlen', sondern eine disziplinierte Wiederholung der .richtigen Einstellung'."114 T A M B I A H rückt also den Gegensatz von Authentizität und Inszenierung ins Zentrum seiner Überlegungen. Mit dem Begriff der Einstellung Esst er dann jedoch genau das Stichwort fallen, mit dem diese Dichotomie kollabiert. Als .Einstellung' nämlich lässt sich eine Form von Emotionalität verstehen, die durch das Ritual erzeugt wird. Tatsächlich bilden Rituale einen Ilahmen für die Artikulation und die Erfahrung von Emotionen; sie stimulieren, strukturieren und sublimieren Emotionen. Allerdings ist die Möglichkeit, Emotionen zu simulieren, durch die konventionalisierten Formen der Expression in ihnen als Tendenz angelegt: Trauer während eines Begräbnisses lässt sich auch vortäuschen. Gesten erscheinen dann als »emotionale Masken'.115 Dies gibt eine Anregung für die Analysen von Liebes- und Abenteuerromanen. So lässt sich untersuchen, ob die konventionalisierten Intentionen rituellen Handelns und die subjektiven Intentionen der handelnden Figuren grundsätzlich als kongruent ausgewiesen sind oder ob Diskrepanzen zwischen Emotion und Expression zum Thema werden. Ritualisierung. Ritual und Ritualisierung unterscheiden sich nicht substantiell, sondern im Grad ihrer Institutionalisierung oder sozialen Verfestigung voneinander sowie in ihrer Eigenschaft, als Rituale identifizierbar zu sein. Als ritualisiert lassen soziale Praktiken sich dann beschreiben, wenn sie rituelle Elemente wie Formalisierung und Wiederholung aufweisen.116 Eine Ritualisierung kann auch bedeuten, dass eingeführte Handlungsmuster aus Ritualen als Paradigmen für Handlungen in bislang nicht-rituellen Situationen dienen oder in neue Kontexte überführt werden.117 Möglicherweise haben sich solche kulturellen Transfers von Handlungsmustern aus Trauerritualen in literarische Texte des Mittelalters vollzogen, um zunächst ebenfalls Formen der Trauer, dann andere Emotionen abzubilden und in der Gattung des Liebes- und Abenteuerromans schließlich zu Darstellungsmustern für ein ganzes Spektrum von Emotionen zu werden, ritualtheoretisch gesprochen: um zu Paradigmen eines im weltlichen Rahmen bedeutsamen Handelns zu werden. 113 TAMBIAH, S. 234, vgl. a u c h PLATVOET.

114 TAMBIAH, S. 234. 115 Vgl. GERTH, MILLS, S. 127.

116 Vgl. auch GEBAUER, WULF, S. 150. 117 VgL JENNINGS, S. 163 u . S . 166.

Ritualisierung

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Einen Anhaltspunkt fur solche Transfers gibt die .Migration'118 expressiver Gesten, die zu den zentralen Komponenten der ritualisierten Gefuhlskultur im Liebes- und Abenteuerroman gehören. Aus kulturhistorischen Studien geht hervor, dass die Kontexte für diese Gesten wechselten und dass ihre Ästhetik und Situationsadäquatheit unterschiedlich bewertet wurde. So untersucht MOSHE BARASH in einer kunstgeschichtlichen Studie das Beispiel der autoaggressiven Gesten (gestures of se/f-in/ury), mit denen dem Körper durch Haarereißen oder Gesichtkratzen Verletzungen zugefügt werden. Diese Gesten wurden zwischen dem 6. und dem 12. Jahrhundert vor allem Sündern zugeschrieben oder selbst als Sünde aufgefasst,119 doch im Spätmittelalter werden sie positiver beurteilt. Sie sind nun, obwohl in ihrer gewalttätigen (violent) Ausdrucksintensität noch verstärkt, zunehmend Heiligen zugeordnet und dienen dazu, Emotionen zum Ausdruck zu bringen.120 Kunstgeschichtlich wird diese Tendenz deshalb als „new emotionalism" bezeichnet.121 Eine Fluktuation von Gesten auf der synchronen Ebene beschreibt SCHMITT. In seiner Sicht ist generell zwischen Trauer- und Gebetsgebärden keine scharfe Trennung möglich. Rituelles Auf-die-Brust-Schlagen gehört als Bußübung oder Ausdruck der Reue ebenso in den Bereich des Gebets wie in den der Totenklage.122 Die Angemessenheit von Gesten, die in die Nähe des Exaltierten und Verzerrten treten,123 war für die Bereiche von Trauer und Gebet aber auch Gegenstand einer kontinuierlichen moraltheologischen Reflexion. Dies bezeugen die Abhandlungen Hugos von St. Victor und, auf diesen aufbauend, Thomas' von Aquin124 über Gesten wie das Auf-die-BrustSchlagen125 oder Sich-auf-den-Boden-Werfen126 im Gebet. Ähnliche Fragen wurden in Bezug auf (lautes) Weinen und Klagen erörtert.127 Ein wichtiger Aspekt betrifft schließlich die Frage von Transfers des ritualisierten Gefuhlsausdrucks zwischen den Geschlechtern. In verschiedenen Kontexten werden exzessive Ausdrucksformen Frauen zugeordnet. 118 Vgl. MOSHE BARASCH: Gestures of Despair in Medieval and Early Renaissance Art, New York 119 120 121 122

1976, S. 124. BARASCH, S. 34ff. V g l BARASCH, S. 39ff. BARASCH, S. 87. V g l SCHMITT, S. 279.

123 Daraus erklärt sich auch die Ablehnung der Bewegungen von Spielleuten und allgemein des Tanzes. Vgl. dazu JULIA ZIMMERMANN: gtitus histrionici. Zur Darstellung gauklerischer Tanzformen in Texten und Bildern des Mittelalters. In: EGIDI u.a., S. 71-85. VgL auch SCHUBERT, S. 68f. 124 VgL zu Hugos von St Viktor Gestenkonzeption in De institutione nomtiorum SCHMITT, S. 164ff., zu Thomas' von Aquin De regno ebd., S. 219ff. 125 VgL die frühen Zeugnisse bei SCHMITT, S. 278f. Vgl. auch die Ausführungen zu Petrus Cantor bei SCHUBERT, S. 84ff. 126 Die sog. Prostration, vgL SCHMITT. 127 VgL SCHUBERT, S. 93f.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

SCHMITT spricht am Beispiel des Sakramentars eine standes- und geschlechtsspezifische Differenzierung von Gesten an: „Den Geistlichen kommen die sakralen Gebärden (segnen, kommunizieren, singen) zu, den männlichen Laien die technischen (den Toten waschen, bedecken, tragen und begraben) und den Frauen (der Ehefrau bzw. den berufsmäßigen Klageweibern) der heftige Ausdruck von Schmerz."128 JOHN GREENFIELD konstatiert im Anschluss an URBAN KÜSTERS einen Transfer des Trauerrepertoires aus der Heldenepik in den höfischen Roman und in Verbindung damit eine Übernahme der Trauergesten der männlichen durch weibliche Figuren.129 Solche Normen geschlechtsspezifischen Gefühlsausdrucks lassen sich durch die Texte jedoch nicht durchgängig belegen. Auch im höfischen Roman wird männliche Trauer gezeigt, doch folgt sie eigenen Darstellungskonventionen.130 Im Liebes- und Abenteuerroman wird der ritualisierte Gefühlausdruck grundsätzlich beiden Geschlechtern zugeschrieben.

4.3 Performativität Die Funktion eines Gefühlsausdrucks erschöpft sich nicht darin, den inneren Zustand einer Figur zum Vorschein zu bringen. Emotion und Expression haben in literarischen und außerliterarischen Kontexten darüber hinaus eine pragmatische Funktion, die sich als ihr Handlungscharakter begreifen lässt. Im Liebes- und Abenteuerroman bestehen diese Handlungen zum einen konkret aus Gesten und anderen Bewegungen des Körpers in Zeit und Raum. Zum anderen stellt die Expression einer Emotion eine Handlung dar, indem sie bildend und verändernd in die soziale Wirklichkeit eingreift.131 Der Emotionsausdruck kann zum Beispiel beim Gegenüber an eine Reaktion appellieren oder eine Reaktion hervorrufen. Er kann Konflikte lösen oder herbeiführen, Bindungen stiften oder bekräftigen. 128 SCHMITT, S. 213. 129 Vgl. URBAN KÜSTERS: Klagefiguren. Vom höfischen Umgang mit der Trauer. In: GERT KAISER (Hg.): An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters, München 1991, S. 9-75 und JOHN GREENFIELD: Frau, Tod und Trauer im Nibelungnketl·. Überlegungen zu Kriemhilt In: Ders. (Hg.): Das Nibelungenlied. Actas do Simpöso Internacional, 27 de Outubro de 2000, Porto 2001, S. 95-114. 130 Vgl. dazu ELKE KOCH: Inszenierungen von Trauer, Körper und Geschlecht im Par^tpui Wolframs von Eschenbach. In: JAEGER, KASTEN, S. 143-158; JUTTA EMING: .Trauern Helfen*. Subjektivität und historische Emotionalität in der Episode um Gahmurets Zelt. In: BAISCH, EMING, HAUFE, SIEBER, S. 107-121, ferner KOCH: Trauer und Identität 131 Dieses Verständnis von Emotionen als Handlungen unterscheidet sich von den Ansätzen, die SCHNELL: Historische Emotionsforschung, S. 183ff. bespricht

Performativität

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In den Partonopier-Romanen ersucht zum Beispiel der jugendliche Held den König von Frankreich um die Erlaubnis, in einem Stellvertreterkampf über den Ausgang eines Krieges zu entscheiden. Der König gibt seine Zustimmung nur widerstrebend, weil Partonopier in seinen Augen zu jung für einen solchen Kampf ist. Dies unterstreicht er durch den Einsatz von Tränen: Nu daz der künic lobesam an der rede sin vernam, daz er niht wolte lan den strit, do wart im an der selben zit so rehte we ze muote, daz der hövesche guote weinte sam ein kindelin. er sprach ,getriuwer neve min, ich muoz, swie küme ich joch ez tuo, dich vehten läzen, sit da zuo din muot so vesticlichen stät.' (V. 4977-4987)

Trotz dieser Zustimmung wird der König in der Folge regelrecht krank vor Sorge um Partonopier (V. 5008-5013). Sein Verhalten ist als Ausdruck von Schwächlichkeit interpretiert worden,132 doch durch den Text ist diese Sicht nicht zu stützen. Durch die emotionalen Ausbrüche des Königs wird sowohl im französischen als auch im deutschen Text vielmehr auf die Gefahr hingewiesen, in die Partonopier sich durch seine Bereitschaft zum Kampf begibt (frz. V. 3527ff., dt. 6237ff.). Die Gefühlsausbrüche sind nicht nur Ausdruck einer Sorge um den Verwandten. Im mindestens gleichen Maße wird durch die Reaktion des Königs auch eine objektive Konfliktkonstellation transparent gemacht. Wie ALTHOFF an einer Vielzahl von Quellen zeigt, können die Tränen eines Herrschers politischen Handlungen Nachdruck verleihen oder selbst solche Handlungen darstellen. Auch am Tränenausbruch des Königs in den Partonopier-Konaneii wird diese Komponente greifbar. Die Auswahl eines geeigneten Ritters für den Stellvertreterkampf ist ein Akt von erheblicher politischer Brisanz, der Konsequenzen für das Machtgefüge in Frankreich haben wird. Sollte Partonopier den Kampf verlieren, würde die Grafschaft Blois an die nicht-christlichen Gegner fallen, ein Resultat, für welches der König, da er sich für den Falschen entschieden hätte, unmittelbar verantwortlich wäre. Die Bedenken des Königs, dass Partonopier für den Kampf zu unerfahren sein könnte, haben also machtpolitische Dimensionen. Das Weinen ist auch Indiz einer politischen Krise sowie ein 132 Vgl. SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 105; ANNE WAWER: Tabuisierte Liebe. Mythische Erzählschemata in Konrads von Würzburg Partorwpier und Meliur und im Friedrich von Schwaben, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 84ff.

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Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

Appell an Partonopier, sich der Schwere seiner Aufgabe gewachsen zu zeigen. Mit dem Begriff des Appellcharakters133 lassen sich diese Dimensionen der ,Affektentladung' des Königs nur vorläufig erfassen. Einen präziseren Ansatz, um den Handlungscharakter von Emotionen zu analysieren, bieten Konzepte des Performatdven. Die zentrale Grundlage für Theorien des Performativen bildet die von JOHN L. AUSTIN in seiner „Theorie der Sprechakte" entwickelte Definition performativer Verben.134 AUSTIN machte die Beobachtung, dass durch einige sprachliche Äußerungen Handlungen vollzogen werden und dass in manchen Fällen - wie im Akt des Sich-Entschuldigens durch die Bekundung „Ich entschuldige mich" - Handlungen überhaupt nur sprachlich zu vollziehen sind. Letztere Äußerungen fasste AUSTIN zunächst zur speziellen Gruppe der performativen Äußerungen zusammen. Im Anschluss weitete er seinen Befund jedoch zu der These aus, dass durch Sprache grundsätzlich Handlungen vollzogen werden. Jede Äußerung ist ein ,Sprechakt', der mit Blick auf eine lokutionäre - die Ebene der Aussage - , illokutionäre — die Ebene der Handlung — und perlokutionäre Dimension - die Ebene der pragmatischen Folge - analysiert werden kann. Der Philosoph EIKE VON SAVIGNY erläutert diese Ebenen an dem einfachen Aussagesatz Paul sagt, der Hund sei bissig. Daß Paul sagt, der Hund sei bissig, nennt Austin einen lokutionären Akt; daß Paul mit der Äußerung warnt (erklärt, empfiehlt, aussagt), nennt Austin einen illokutionären Akt ([...] ,ein Akt, der im Sprechen vollzogen wird"); daß Paul durch die Äußerung jemanden zurückhält (erleuchtet, beeinflußt, überzeugt), nennt

133 Unter dem Begriff der Apptllfimklioncti selbst lassen sich mit JORGEN SCHUTTE Textmerkmale verstehen, welche „den Leser zu einer bestimmten Rezeptionshaltung zu veranlassen suchen oder Deutungen und Wertungen des Dargestellten suggerieren." JORGEN SCHUTTE: Einführung in die Literaturinterpretation, Stuttgart 1985, S. 51. Dazu gehören auch direkte Anreden des Lesers durch den Erzähler. Dieser Begriff weist Bezüge zu einer bekannten Kategorie von ISER auf, der sogenannten Appellstruklur, ist jedoch nicht mit dieser identisch. Die ApptUstniklur bezieht sich auf die unterschiedlichen .Leerstellen' in literatischen Texten, deren Füllung' im Akt des Lesens die Bedeutung eines Werks generiert Vgl. WOLFGANG ISER: Die Appellstruktur der Texte. In: RAINER WARNING (Hg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München 19792, S. 228252.

134 Vgl. JOHN LANGSHAW AUSTIN: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words). Deutsche Bearbeitung von EKE VON SAVIGNY, Stuttgart 19792. Vgl zum gegenwärtigen Verständnis des Performativen in der Linguistik ULRIKE BOHLE, EKKEHARD KÖNIG: Z u m Begriff des Performativen in der Sprachwissenschaft In: FISCHER LICHTE, WULF: Theorien des Per-

formativen, S. 13-34. Grundlagen und Implikationen von Konzepten der Performativität für die Altere deutsche Literatur beschreibt HANS RUDOLF VELTEN: Performativität. In: CLAUDIA BENTHIEN, HANS RUDOLF VELTEN (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft Eine Einführung in neue Theoriekonzepte, Reinbek 2002, S. 217-242. Zentrale Texte der TheorieEntwicklung versammelt der Band von WLRTH.

Performativität

115

Austin einen petlokutionären A k t Paul vollzieht alle drei Akte mit ein und derselben Äußerung. 135

Der Umstand, dass Äußerungen sowohl Handlungen darstellen als auch Handlungen nach sich ziehen, hat die wichtige Konsequenz, dass Wirklichkeit durch Sprache nicht nur ausgedrückt oder abgebildet, sondern selbst erzeugt wird. Diese Einsicht haben PIERRE BOURDIEU, JUDITH BUTLER und SLAVOJ ZIZEK aufgegriffen und mit je anderen Akzenten

kulturtheoretisch ausgearbeitet,136 wobei sie Sprache jeweils als die wichtigste dieser sozialen Praktiken erachten. Dies gilt in etwas anderer Perspektive auch fur JACQUES DERRIDA und MICHEL FOUCAULT.137

Obwohl zwischen allen genannten Positionen wichtige Unterschiede bestehen, lassen sie sich zusammengefasst als Versuche charakterisieren, den Konstruktionscharakter biologisch oder phänomenologisch scheinbar gegebener Größen wie Geschlecht, Rasse oder Verwandtschaft und eine entsprechende .Naturalisierung' sozialer Distinktionen zu beschreiben. Der Konstruktionscharakter unterstellt dabei nicht die Irrealität der Phänomene, sondern ihr kulturelles und historisches .Gemachtsein'. Für die mittelalterliche Literatur wurde ein solches Verständnis von Performanz und Performativität zum Beispiel von CRANE produktiv gemacht. Gesten, Kleidung, Heraldik und höfische Rituale allgemein beschreibt sie als iterierbare Zeichen, mit denen adlige Identität konstituiert wird. Mittelalterliche Konzepte des Inneren werden in ihrer Sicht zumindest im höfischen Kontext durch diese Form der Identitätskonstitution konterkariert: The radically performed identity of secular rituals contrasts in some respects with Christian emphases on hidden desires and on examining the soul [...] my cases begin to suggest that the history of the self is a more intricate, nonlinear, even contradictory story than its scholarship has yet recognized.138

Von besonderem Interesse fur Interpretationen mittelalterlicher Literatur sind Aspekte der Performativität von Verwandtschaft.139 Sie wurden 135

EIKE VON SAVIGNY: Die Philosophie der normalen Sprache. Eine kritische Einführung in die ortknary language philosophy. Völlig neu bearbeitete Auflage Frankfurt a. Μ. 19802, S. 127-166, hier S. 129. 136 Einen Oberblick über die kulturwissenschaftlichen Aspekte ihrer Theorien geben SYBILLE KRAMER, MARCO STAHLHUT: Das „Performative" als Thema der Sprach und Kulturphilosophie. In: FISCHER-LICHTE, WULF: T h e o r i e n d e s P e r f o t m a t i v e n , S. 35-64. V g l . a u ß e r d e m d i e B e i träge i m B a n d v o n WULF, GÖHLICH, ZLRFAS.

137 Vgl zu DERRIDA und FOUCAULT als Theoretikern des Performattven die Beiträge von JORG ZlRFAS: Dem Anderen gerecht werden. Das Performative und die Dekonstrukäon bei Jacques Demda, und von BIRGIT ALTHANS: Transformationen des Individuums. Michel Foucault als Performer seines Diskurses und die Pädagogik der Selbstsorge. In: WULF, GÖHLICH, ZlRFAS, S. 7 5 - 1 0 0 u n d S. 129-155. 138

CRANE, S. 177.

139 VgL dazu grundlegend KOCH: Trauer und Identität

116

Inszenierung, Ritualisierung, Performatnrität

von BUTLER am Beispiel der antiken Figur der Antigone thematisiert.140 Verwandtschaft - so BUTLER - ist nicht nur als eine Struktur zu sehen, die bestimmte Verhaltensformen zwischen den Mitgliedern einer Familie gleichsam .natürlich' generiert, sondern auch als das Resultat sozialer Praktiken, die verbindliche Beziehungen zwischen Individuen stiften. Der performative Charakter von Verwandtschaft liegt darin, dass diese Beziehungen mittels verschiedener Handlungen stets re-konstituiert werden müssen. Verwandtschaft muss sich, anders gesagt, praktisch realisieren, um als verlässliche Bindung funktionieren zu können. Damit lässt sich Partonopiers erklärte Bereitschaft zum Stellvertreterkampf als performativer Akt begreifen, durch welchen er die familiale Bindung an den König von Frankreich festigt, was von diesem mit einem performativen Akt ,beantwortet' wird, der diese Bindung ebenfalls festigt: mit Weinen. Expressionen von Emotionen sind hier also nicht nur Ausdruck der Stabilität einer Bindung, sondern auch Mittel, um diese Stabilität zu erneuern. Mit einem Ansatz von Performativität, der auf der Frage gründet, welche Handlungen durch einen Gefuhlsausdruck vollzogen werden und welche er nach sich zieht, lassen sich die Funktionen von Emotion und Expression im Liebes- und Abenteuerroman — wie in anderen literarischen Texten — gänzlich neu erschließen. Die Textanalysen dieser Untersuchung können davon nur einen Eindruck vermitteln. Die vielen Fälle, in denen ein Emotionsausdruck affiziert, manipuliert, Gemeinschaft stiftet, Normen bestätigt oder durchbricht, um nur einige Möglichkeiten zu nennen, lassen sich nur an einigen Beispielen aufzeigen. Ein Spezialfall ist hier jedoch noch eigens zu erläutern. Er betrifft den viel genannten Appellcharakter von Emotionen im Liebes- und Abenteuerroman. Dafür werden zunächst begriffliche Differenzierungen erforderlich. Der Begriff der Performanz, der auf den maßgeblich von MLLTON SINGER, VICTOR TURNER u n d RICHARD SCHECHNER geprägten Begriff

der culturalperformance zurückgeht,141 bezieht sich auf Situationen der Auffuhrung, wie sie die Kultur des Mittelalters in vielfaltigen Formen kennt: im Liedvortrag, in der Aufführung eines geistlichen Spiels, in der Inszenierung des Körpers durch Handlungen, Gesten, Sprache oder Kleidung, aber auch im Vorlesen aus einer Handschrift. Der Begriff der Performativität bezieht sich demgegenüber auf die Ebene der theoretischen Konzeptionalisierung.

140 Vgl JUDITH BUTLER: Antigone's Claim. Kinship between Life and Death, New York/Chichester 2000 (dt: Antigenes Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod, Frankfurt a. M. 2001), S. 57f.: „Kinship is not simply a situation she is in but a set of practices that she also performs, relations that are reinstituted in time precisely through the practice of their repetition." 141 Diesen Zusammenhang erläutert auch VELTEN.

Performativität

117

In der Relation von Performativität zu Textualität lassen sich vier Ebenen unterscheiden, die im Folgenden speziell an Emotionsdarstellungen erläutert werden:142 1. Darstellung von Performan^. Dieser Aspekt bezieht sich allgemein auf die literarische Darstellung von Emotionen und auf die Formen, in denen sie auf der Handlungsebene durch den Körper zum Ausdruck gebracht werden. Ein Beispiel sind die Tränen des Königs von Frankreich. 2. Material für Peiforman^. Dazu gehören Ausrufe, Fragen, direkte Adressierungen der Zuhörer während des mündlichen Vortrags, die sich als Appelle an die Emotionen der Rezipienten auswerten lassen. 3. Funktionale Performativität. Im Rekurs auf die Hypothese, dass Emotionen durch Literatur nicht nur dargestellt, sondern durch sie auch konstituiert werden, lässt sich eine Ebene der intradiegetischen Konstitution beschreiben, auf der emotionale Affizierungen der Figuren beschrieben werden, und diese lässt sich von einer Ebene der extradiegetischen Konstitution analytisch unterscheiden, auf der diese Affizierungen potentiell auf den Rezipienten übergreifen. Diese Funktionen des Gefuhlsausdrucks entsprechen „letztlich [...] dem, was in der Sprechakttheorie als Illokution oder Perlokution bezeichnet wird."143 Indem der Gefühlsausdruck appelliert, ist er illokutionär und vollzieht eine Handlung, indem er affiziert, ist er perlokutionär und zieht eine Handlung nach sich. Aufgrund dieser Funktionen lässt sich allgemein davon sprechen, dass literarische Emotionsdarstellungen ebenso wie Sprache und Texte ein wirklichkeitskonstituierendes Potential besitzen. In der Performanz-Forschung wird der Umstand, dass illokutionäre und perlokutionäre Funktionen von Sprache nur begrenzt zu steuern und abzusehen sind, viel diskutiert.144 Dies betrifft auch die emotionale Wirkung von literarischen Texten oder anderen Medien. An einem Textbeispiel war bereits zu beobachten, dass die sprechakttheoretisch gesprochen - illokutionäre und perlokutionäre Nicht-Vorhersehbarkeit eines Mediums narrativ produktiv gemacht werden kann: in der Dissoziation der Wirkungen des Grabmals, die Flores Elten sich erhofften, und jenen, die es tatsächlich auf Flore ausgeübt hat. In engem Verbund mit dieser Dimension stehen 4. performative Strategen. Eine Analyse der Konstitution von Emotionen ist untrennbar mit der Frage verbunden, mittels welcher narrativer Mittel sie sich vollzieht. Ein relativ schlichtes Mittel ist die Anrede des Rezipienten. Darstellungsmuster von Liebe zum Beispiel sind dann als performativ zu bezeichnen, wenn sich die These vertreten lässt, dass sie bei den Rezipienten die Form ihres 142 Sie wurden von einer projektübergreifenden Gruppe von Mitgliedern des Sonderforschungsbereichs KultHrtn des Performative» entwickelt, die in unterschiedlichen historischen Teilprojekten tätig waren. Die Systematik von VELTEN, S. 227ff., schließt, mit einer Abweichung, daran an. 143 BOHLE, KÖNIG, S. 25. 144 Vgl. WlRTH, S. 29f.

118

Inszenierung, Ritualisierung, Performstivität

Fühlens modellieren sollen. Diese Form der Emotionalitätskonstitution ist nicht mit einer didaktischen Wirkungsabsicht zu verwechseln, wie sie sich in Prolog, Epilog und in Erzählerkommentaren mittelalterlicher Texte niederschlägt. Die Emotionalitätskonstitution wirkt stattdessen normierend, indem sie auf den Habitus der Rezipienten zielt. Der Habitus-Begriff wurde in seiner soziologisch gegenwärtig wichtigsten Prägung von PIERRE BOURDIEU entwickelt. Eine frühe Fassung legte er in seiner Schrift über die Symbolischen Formen vor, am bekanntesten wurde der Begriff durch die Untersuchung Die feinen Unterschiede.145 Der Habitus ist einerseits als System von Dispositionen, andererseits als generatives Prinzip oder modus operandi konzipiert, das die Angehörigen einer sozialen Klasse von denen anderer Klassen abgrenzt.146 Der Habitus prägt Bewegungen des Körpers, Wahrnehmungen, Denkmuster und Handlungsschemata bis in die scheinbar privaten und subjektiven Bereiche der Einstellungen, Empfindungen und des Geschmacks hinein. Besonders wichtig am Habitus-Begriff - und anschlussfähig für Konzepte der Ritualisierung und Performativität - ist der Umstand, dass der Habitus zwar sozial erworben, den Angehörigen der gesellschaftlichen Klassen als solcher aber nicht bewusst ist. Der Habitus hat den Status einer ,zweiten Natur'. Dies macht ihn für Versuche, den sozialen Charakter von scheinbar persönlichen Angelegenheiten wie Einstellungen und Meinungen, Vorlieben und Bedürfnissen und, wie hinzugefügt werden muss, Emotionen zu konzeptualisieren, zu einer zentralen Kategorie. Auf den Liebesund Abenteuerroman bezogen ist dabei die Stilisierung der Emotionen von besonderem Interesse. BOURDIEU hebt hervor, dass der Wille zur Stilisierung als einem Mittel sozialer Distinktion umso stärker ist, je höher auf der sozialen Stufenleiter eine gesellschaftliche Gruppe angesiedelt ist.147 Der ästhetisierte Gefühlsausdruck des Liebes- und Abenteuerromans lässt sich damit auch als Stilisierung begreifen, mittels derer sich der Adel als Gemeinschaft reproduziert. Darstellung von Performanz, performative Strategien und funktionale Performativität lassen sich analytisch trennen, um das .Funktionieren' des Textes zu zeigen. In einer Szene aus Flecks Flore und Blanscheflur zum Beispiel droht dem Paar der gemeinsame Tod auf dem Scheiterhaufen. Die Unschuld der beiden ist jedoch für die Menge der anwesenden Angehörigen des Hofes offensichtlich:

145 Vgl. P I E R R E BOUKDIEU: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a. Μ . 19832; Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. Μ. 19843, S. 279. 1 4 6 Vgl. fur diese Ausführungen auch M A R K U S S C H W I N G E L : Pierre Bourdieu zur Einführung, Hamburg 1 9 9 8 2 . 147 VgL B O U R D I E U : Die feinen Unterschiede, S. 283.

Performativität

119

dö sach man die gelieben stän edelen kinden wol gelich; frümic unde waetlich wärens an allen ir gebären. (V. 6966-6969)

Die schönen adligen Körper, das züchtige Verhalten und ihre Jugend verbürgen die Unschuld von Flore und Blanscheflur. Wieder wird Authentizität erzählerisch inszeniert. Zu den performativen Strategien auf der intradiegetischen Ebene gehört, dass die Umstehenden daraufhin ihre Tränen nicht zurückhalten können: Dö diz geschach und ergie, daz begunde ouch alle die erbarmen, die ez sähen; und möht ez iht vervähen, so wart dä viel geweinet. (V. 6973-6977)

Die Zuschauer appellieren an das Mitgefühl des betrogenen Monarchen, der das Schicksal von Flore und Blanscheflur in seinen Händen hält. Über diese innertextuellen Appelle hinaus werden jedoch auch performative Strategien manifest, die sich auf die extradiegetischen Rezipienten richten und einen Erzähler in ideologischer Funktion148 repräsentieren: Wer waere nü so ungemuot, den daz möhte dunken guot, swaz in leides geschehe, swenn er stüende unde sxhe, daz man sie wolte tceten. (V. 6943-6947)

Wenn die Textrezipienten nun in der avisierten Weise vom Schicksal des Paars affiziert werden, ist die Ebene der funktionalen Performativität konstituiert. Mit den Aspekten der funktionalen Performativität und der performativen Strategien lässt sich eine Beschreibungsebene für die appellativen Züge der Emotionsdarstellung im Liebes- und Abenteuerroman bilden, die für die diachronen Romananalysen im Folgenden zwar nur dort genutzt wird, wo signifikante Veränderungen zu verzeichnen sind. Mit ihnen ist jedoch ein neuer Zugang zur literaturtheoretischen Diskussion über das Verhältnis von Literatur und Emotionalität zu gewinnen.149 Schließlich lassen sich die auffalligen Wiederholungen emotionaler Ausdrucksmuster in Liebes- und Abenteuerromanen, die den Eindruck von Stereotypie und 148 VgL zu den Funkäonen des Erzählers GENETTE: Die Erzählung, S. 183ff., zum Typ des ideologischen Erzählers' ebd., S. 184. 149 VgL im dritten Kapitel den Abschnitt zur literarischen Konstitution von Emotionalität

120

Inszenierung, Ritualisierung, Performativität

Redundanz erwecken und im vorausgegangenen Abschnitt als Konstituenten einerritualisiertenGefiihlskultur analysiert wurden, auch als performative Strategien begreifen, auf Rezipientenseite Emotionen zu bestimmten Anlässen gleichsam einzuüben. Wird diese modellhafte Emotionalität immer wiederholt, dann ist damit zu rechnen, dass sie sich ,sedimentiert< und konventionalisiert, und dies nicht nur auf einer intellektuellen Ebene, sondern auch auf der Ebene des Habitus.150 4.4. Parameter der diachronen Romananalysen In diesem Kapitel wurden drei Paradigmen vorgestellt, mit denen sich Emotion und Expression im Liebes- und Abenteuerroman differenziert beschreiben lassen. Aus der Ebene der synchronen Darstellung dieser Paradigmen an einzelnen Romanen wurden dabei Fragen für die diachrone Textanalyse abgeleitet. Der Begriff der Inszenierung bezeichnet Verfahren auf den Ebenen der Diegese und der Narration, mit denen Illusionen und Täuschungen erzeugt, doch auch Emotionen geweckt oder zur Erscheinung gebracht werden. In den anschließenden diachronen Textanalysen werden der Komplexitätsgrad und die Funktion der Inszenierungen in Relation zur Emotionsdarstellung systematisch untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, wie Emotion und Expression mit Öffentlichkeit und heimlichkeit, Inszenierung und Authentizität relationiert werden. Erzählstrategien zur Authentisierung des Gefiihlsausdrucks werden daraufhin betrachtet, wie sie sich zu Verfahren seiner Simulation verhalten. Darstellungsmuster expressiver Emotionalität, die bislang als übertrieben und theatralisch galten, werden in dieser Untersuchung als Elemente einer ritualisierten Gefiihlskultur aufgefasst. Zu ihren Wirkweisen gehört zwar wesentlich, wiederholt, eben: ritualisiert zu werden. Dennoch ist im Rahmen der diachronen Textanalysen nach Entwicklungen und Verände150 Für Aspekte der Wirkweise von Wiederholungen finden sich wichtige Ausführungen in BUTLERS Studie: Excitable Speech. A Politics of the Performative, New York/London 1997, dt: Haß spricht Zur Politik des Performativen. Mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe, Frankfurt a. M. 2006. BUTLER verwendet, ohne weitergehenden theoretischen Anspruch, den Begriff der Ritualisierung für Sprechakte, die ,das tun, was sie sagen', kraft der in ihnen kondensierten, sedimentiertcn Geschichte. Die Wiederholung ist notwendig, damit das ,Tun' funktioniert, für das BUTLER den Ausdruck Ritualisiert' verwendet. Sie bezeichnet diese Sprechakte auch als zitational Es ist zentral fur BUTLERS Überlegungen, dass die wirklichkeitskonstituierende Kraft nicht aus diskreten Sprechakten, sondern aus einer Kette von Re-Signifikationen resultiert. Anfang und Ende dieser Kette sind nicht fixiert und nicht fixierbar. Die Macht des Sprechakts ist daher keine souveräne Macht, wenn er gelingt, dann aufgrund akkumulierter Autorität, die er zitiert und wiederholt und damit fortschreibt

Parameter der diachronen Romananalysen

121

rungen innerhalb dieser Gefühlskultur fragen. Diese Veränderungen betreffen die Funktionen des ritualisierten Gefühlsausdrucks in verschiedenen Handlungskontexten, die sozialen Beziehungen, die über die Liebesbindung hinaus mit dem ritualisierten Ausdrucksrepertoire ausgestattet werden, sowie die Frage, ob sich trotz der .Verteilung' des Gefühlsvokabulars auf beide Geschlechter genderspezifische Unterschiede beobachten lassen. Als rites de passage lassen sich Formen der Lösung der Protagonisten aus ihrem familial-gesellschaftlichen Verband beschreiben, die in diachroner Sicht daraufhin zu befragen sind, ob sie mit emotionalen Prozessen einhergehen. Mit dem Ansatz der Performativität werden Veränderungen in den handlungsrelevanten und wirklichkeitskonstituierenden Funktionen des Gefühlsausdrucks untersucht. Ein Aspekt betrifft dabei die performative Konstitution von Rezipientenpositionen, deren Anlässe und Modalitäten ebenfalls Veränderungen unterliegen. In der diachronen Analyse werden schließlich medientheoretische Aspekte relevant. Körper, Sprache, Schrift, ferner bildliche Darstellungen, Kunstwerke, Dingsymbole dienen in den Romanen in unterschiedlichem Maße dazu, Emotionen zur Erscheinung zu bringen. Auch im Rahmen der ritualisierten Gefühlskultur sind sprachliche und körpergebundene Ausdrucksmuster in unterschiedlichem Maße vertreten. An den Texten wird nun untersucht, ob sich Entwicklungslinien abzeichnen, die auf einen Schwund körpergebundener Kommunikation in der Kultur des Spätmittelalters zurückzuführen sind. Hier werden insbesondere die Fragen relevant, ob die Lesbarkeit der Emotionen am Körper oder in anderen Medien a la longue erhalten bleibt, ob Emotionen zunehmend in einen Innenraum delegiert werden und ob ein Rückgang in den performativen Funktionen des Gefühlsausdrucks zu beobachten ist.

5. Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den F/ore-Romanen des Hochmittelalters Der französische und der deutsche F^re-Roman des Hochmittelalters gehören zu den ersten Texten, denen das Merkmal der .Empfindsamkeit' zugeschrieben wurde.1 Mit Rekurs auf die Paradigmen der Inszenierung und Ritualisierung, die im letzten Kapitel vorgestellt wurden, lässt sich nun präziser von Formen körperlicher Authentisierung und medialer Stimulierung von Emotionen sprechen. Auf dieser Grundlage wird im Folgenden untersucht, wie Formen der Authentisierung und Stilisierung von Emotionen im Romanganzen situiert sind, welche Funktionen sie darin übernehmen und welche Darstellungsmuster von Emotionalität sich darüber hinaus beobachten lassen. Ein weiteres Ziel des Kapitels liegt darin, am Beispiel der F/W-Romane genrehafte Strukturen herauszuarbeiten, die für den Vergleich mit den anschließend behandelten Texten eine Grundlage bilden.

5.1 Forschungsüberblick Der literaturgeschichtliche und gattungssystematische Stellenwert der FiW-Romane wurde immer wieder mit der Rolle von Emotionen begründet So konstatiert etwa CHRISTIAN KlENING, dass Flecks Roman an psychologischer Motivierung „von kaum einem anderen mhd. Text erreicht wird."2 Dennoch bildeten die Emotionsdarstellungen der Texte bislang noch nicht den Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Eingehend wurde nur die Liebesbeziehung analysiert und als Konzept einer

1

2

Im Folgenden werden in den Fällen, in denen gemeinsame Züge der beiden Texte besprochen werden, die Protagonistennamen .Flore' und .Blanscheflur' verwandt, ansonsten jedoch die jeweiligen französischen und deutschen Schreibweisen, zusammenfassend fur alle Textversionen wird von FW-Romanen gesprochen. CHRISTIAN KlENING: Fleck, Konrad. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. V. WALTHER ΚΠΧΥ. Bd. 3, Gütersloh/München 1989, S. 410f.

Forschungsüberblick

123

absolut gesetzten Minne beschrieben.3 In jüngster Zeit wurde die Forschung ferner auf das eigentümliche Spannungsverhältnis aufmerksam, in das die Liebesbeziehung in diesen Texten zur Dingsymbolik, zur Rolle des Geldes und zur merkantilen Logik tritt So lässt sich Blanscheflurs Wert, wie E L I S A B E T H S C H M I D zeigt, mühelos in Geld und guot ausdrücken,4 und Flore erweist sich J A N E B U R N S zufolge trotz seiner Rolle als verträumter Ritter auf der Queste als tüchtig, wenn es darum geht, Informationen über den Verbleib der Geliebten zu erkaufen.5 K A T H A R I N A A L T P E T E R - J O N E S ist dem Zusammenhang von Liebe und Tauschhandel in einer Dissertation eigens nachgegangen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass in den Textpartien um die Befreiung Blanscheflurs die Register des Adligen und des Kaufmanns motivisch und erzählstrategisch so überblendet werden, dass die literarische Figur des Kaufmanns und eine kaufmännische Logik des Tausches eine nachhaltige Aufwertung erfahren.6 Eine gemeinsame These vieler Untersuchungen besagt, dass die Romane keinen Konflikt aufweisen — noch nicht einmal einen psychologischen. So macht PETER HAIDU für Floire et Blancbeßor einen gegenüber den Romanen Chretiens statischen Charakter geltend. Der Held müsse die Frau nicht durch äventiuren (zurück) erobern, er durchlaufe keine Krise und erfahre keine psychologische Wandlung.7 Auch der christlich-heidnische Gegensatz, der am Protagonistenpaar exemplifiziert wird, generiert TIMOTHY JACKSON zufolge nur vordergründig die zentrale Konfliktkonstellation des Textes.8 Vielmehr diskutiere der Roman tugent und minne als absolute Werte. Die Blumensymbolik in Floire et Blancheflor indiziert, beginnend mit den Namen des Protagonistenpaars, nach WILLIAM C. CALIN eine konfliktlose Idylle.9 Auch semantische Oppositionen wie christlichheidnisch, Eigenes-Fremdes, weiblich-männlich werden in den Texten 3

Vgl. KLAUS RlDDER: Asthetisierte Erinnerung - erzählte Kunstwerke. Tristans Lieder, Blanscheflurs Scheingrab, Lancelots Wandgemälde. In: LiLi 105: Memoria in der Literatur (1997), S. 62-85.

4

ELISABETH SCHMID erläutert, dass diese Tendenz in der französischen Fassung bereits angelegt ist, von Konrad Fleck jedoch weiter ausgearbeitet wird. V g l ELISABETH SCHMID: Über Liebe und Geld. Zu den Fiwi-Romanen. In: SILVIA BOVENSCHEN, WINFRIED FREY, STEPHAN FUCHS, WALTER RAITZ (Hg.): Der fremdgewordene Text. FS Helmut Bracken, Berlin/New

5 6 7 8 9

York 1997, S. 42-57. So E. JANE BURNS zum Contr. Courtly Love Undressed. Reading Through Clothes in Medieval French Culture, Philadelphia 2002, S. 211-229, vor allem S. 216ff. KATHARINA ALTPETER-JONES: Trafficking in Goods and Women: Love and Economics in Konrad Fleck's Ftort HndWaucbefltr, Dissertation Duke University 2003 (masch.). P. HAIDU: Narrative Structure in Floire et blancbtjlor. A Comparison with two Romances of Chretien de Troyes. In: Romance Notes 14 (1972), S. 383-386. T. R. JACKSON: Religion and Love in Flore und blanscbeflur. In: Oxford German Studies 4 (1969), S. 12-25. WILLIAM C. CALIN: Flower Imagery in Floire et bltuubeflor. In: French Studies XVm (1964), S. 103-111.

124

Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den F/brr-Romanen

nach Auffassung einer Reihe von Interpreten motivisch und erzählstrategisch so organisiert, dass sie weniger Differenzen als Identitäten produzierten.10 Am entschiedensten wurde die These einer Statik der Romanhandlung in letzter Zeit von MARGRETH EGIDI vertreten11 Am Beispiel des F/ore-Romans von Fleck versucht sie, die Möglichkeiten eines Erzählens zu ermitteln, das durchgängig auf Ungeschiedenheit und Unveränderlichkeit der zentralen Charaktere setzt und auf den ersten Blick deshalb nicht sujethaft im Sinne der strukturalistischen Definition JURIJ M. LOTMANS werden kann. So interessant diese Fragestellung ist, geht sie an der Poetik von Flore und Blanscheßur dennoch vorbei. EGIDI begründet ihre These, dass die Protagonisten ^mmergleich' blieben und sich in einer gänzlich statischen erzählerischen Welt bewegten, mit dem Verweis auf das Konzept eines sich „im neuzeitlichen Sinne entwickelndefn], [...] einen Lern- oder Erkenntnisprozeß durchlaufenden Liebendefn]"12 und übersieht damit Formen der Veränderung, die an die Codierung von Emotionen und die erzählerische Tiefenstruktur des rite de passage gebunden sind. Die Spiegelung des christlichen im heidnischen Kulturraum oder der Herkunft in der Fremde ist für Liebes- und Abenteuerromane typisch. Die Fremde wird nicht erfaren oder in irgend einer Weise ,angeeignet', sondern als exotisches Dekorum inszeniert und gibt in vielen Fällen in erster Linie den Anlass dafür, dass die Protagonisten sich eilende fühlen. Es ist in Bezug auf die Flore-Texte jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die Protagonisten in der Fremde in Phasen der Trennung und Todesnähe geraten und dass sie ihre Liebe erst dann gefahrlos leben können, als der Widerstand der Eltern und der Zorn des orientalischen Herrschers, der Blanscheflur zur Frau begehrt, überwunden sind. Schon mit Blick auf die Diegese und noch ohne Rücksicht auf die Ebene der emotionalen Auseinandersetzung scheint die These der Konflikdosigkeit deshalb nicht gerechtfertigt. In einer anderen Forschungsrichtung werden deshalb unterschiedliche Dimensionen von Entwicklungen und verschiedene Problematiken untersucht, welche die Romane thematisieren. HUGUETTE 10

Nach Auffassung von PHILLIP MCCAFFREY: Sexual Identity in Fbire et blancbefkr and Ami et Amik. In: KAREN J. TAYLOR (Hg.): Gender Transgressions. Crossing the Normative Border in Old French literature, New York/London 1998, S. 129-151, verlaufen Grenzziehungen zwischen den Protagonisten im Conte gerade nicht, wie es erwartbar wäre, entlang der Unterschiede zwischen Gender und Religion. MICHAEL WALTENBERGER: Diversität und Konversion. Kulturkonstruktionen im französischen und im deutschen Florisroman. In: WOLFGANG HARMS, C. STEPHEN JAEGER, HORST WENZEL (Hg.), in Verbindung mit KATHRIN STEGBAUER: Ordnung

11

und Unordnung in der Literatur des Mittelalters, Stuttgart 2003, S. 25-43, liest Flecks Version in kultursemiotischer Perspektive als Versuch, gegenüber der Vorlage in höherem Maße Differenz zu setzen. Vgl. MAÄGRETH EGIDI: Der Immergleiche. Erzählen ohne Sujet: Differenz und Identität in

12

.Flore u n d Blanscheflur'. In: MEYER, SCHIEWER, S. 133-158. EGIDI, S. 157.

Forschungsüberblick

125

sieht den Roman Floire et Blancheßor von einem Diskurs der Herrschaftsübertragung bestimmt.13 Floire durchlaufe einen stufenhaften Weg, der ihn zur Übernahme der Herrschaft befähige. LEGROS akzentuiert darüber hinaus die Bedeutung von Sprache und Schrift und vertritt die These, dass Sprache die eigentliche Waffe von Floire darstellt.14 Für den deutschen Roman Flore und Blanscheflur untersucht WERNER RÖCKE die Veränderungen, welche die Liebesbeziehung der Protagonisten durch den Einfluss von Schrift und Literatur erfährt.15 Damit wird auf die Rolle dieser Medien für den Liebesdiskurs und für Strategien der Konfliktbewältigung aufmerksam gemacht. Konstellationen mündlichen Erzählens in den Texten lassen sich, wie MICHAEL WALTENBERGER und LUDGER LIEB mit STEPHAN MÜLLER zeigen, dabei auch als Bewältigungsansätze für genuin erzähltheoretische Probleme verstehen, wie der Situativität und Legitimität romanhaften Erzählens.16 Für einige Interpreten ist der christlich-heidnische Gegensatz, der durch das Protagonistenpaar repräsentiert wird, das dominierende Thema der Romane. ELIANE KOLMERSCHLAG sieht dafür einen wichtigen politischen Hintergrund in den Kreuzzügen und im Ausbau der höfischen Machtzentren in Frankreich.17 Die Parallelen, die der religiöse Gegensatz in ihrer Sicht zu vielen zeitgenössischen Texten hat, bestehen jedoch aus dem zu allgemein gefassten Kriterium einer ,Überlegenheit der christlichen Kultur*.18 Auch PATRICIA E. GRIEVE stellt in ihrer Untersuchung zu den europäischen F/W-Dichtungen - in der die deutsche Prosa Florio und Bianceffora allerdings nicht berücksichtigt wird - die religiöse Thematik in den Mittelpunkt, behandelt sie jedoch als Strukturmuster, das in den DichLEGROS

13 Vgl. HUGUETTE LEGROS: La Rose et le Lys. Etude Litteraire du Conte Je Floire et Manchtfor. Senefiance n° 31, 1992 (Publications du Centre Universitaire d'Etudes et de Recherches Medievales d'Aix). 14

Vgl. LEGROS, S. 128.

15 Vgl. WERNER RÖCKE: Liebe und Schrift: Deutungsmuster sozialer und literarischer Kommunikation im deutschen Liebes- und Reiseroman des 13. Jahrhunderts. (Konrad Fleck: Florio und Blanscheflur, Johann von Würzburg: Wilhelm von östemüh). In: WERNER RÖCKE, URSULA SCHAEFER (Hg.): Mündlichkeit - Schriftlichkeit - Weltbildwandel. Literarische Kommunikation und Deutungsschemata von Wirklichkeit in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 1996 (ScriptOralia 71), S. 85-108. 16

Vgl. WALTENBERGER; ferner LUDGER LIEB, STEPHAN MÜLLER: Situationen literarischen

Erzählens. Systematische Skizzen am Beispiel von .Kaiserchronik' und Konrad Flecks .Flore und Blanscheflur'. In: WOLFGANG HAUBRICHS, ECKART CONRAD LUTZ, KLAUS RlDDER (Hg.):

Wolfram-Studien XVHI: Erzähltechnik und Erzählstrategien der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002, Berlin 2004, S. 33-57. 17 Vgl. ELIANE KOLMERSCHLAG: Interpretation und Übersetzung des Conte Je Floire et blanchier. Poetische Herrschaftslegitimation im höfischen Roman, Frankfurt a. M. u.a. 1995 (Werkstruktur und Hintergrund 4), S. 16f. 18 Ein bedeutender Teil von KOLMERSCHLAGS Untersuchung besteht aus der bislang einzigen deutschen Übersetzung des französischen Romans.

126

Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FAw»-Romanen

tungen auch symbolisch besetzt werde.19 So spricht sie in Bezug auf die hochmittelalterlichen Versionen von einem love pilgrimage des männlichen Helden. Daneben akzentuiert sie, wie die jüngere Forschung zu den FloreDichtungen generell, Erzähltechniken, Subtexte und selbstreflexive Tendenzen der Texte. Da GRIEVES Untersuchung insgesamt die zentralen Aspekte der Romane unter ausfuhrlichem Rekurs auf frühere Arbeiten behandelt, kann sie hier auch stellvertretend für Studien zur europäischen Verbreitung und zu den Abhängigkeitsverhältnissen der Flore-Texte voneinander genannt werden, die einen eigenen Schwerpunkt der Forschung bilden.20 Es bleibt festzuhalten, dass die F/W-Romane ein Konfliktpotential transportieren, das unter anderem durch den religiösen Gegensatz der Hauptfiguren generiert wird. Flecks Adaption ist gegenüber dem französischen Conte ungefähr doppelt lang, seine Amplifikationen werden im Allgemeinen resümierend als größere ,Sentimentalisierung' des Geschehens betrachtet.21 Die folgenden Textanalysen werden Flecks Zusätze dort, wo sie für die Darstellung von Emotionen von Bedeutung sind, eingehender betrachten. Grundsätzlich wird die Rolle von Emotionen, ob der Liebenden oder weiterer Figuren, jedoch in beiden Texten untersucht.

5.2 Die Inszenierung des Erzählens im Prolog des Floire Der Prolog des französischen Floire wurde von LEGROS als „jeu du masque" bezeichnet,22 also als Spiel mit einer Form der Täuschung und Verstellung. Bei der betreffenden Textpassage handelt es sich um eine szenisch ausgestaltete Quellenfiktion. Nach einer genealogischen Einordnung des Protagonistenpaars, die einmal die Großeltern Karls des Großen sein werden, und einer kurzen Erläuterung ihrer Herkunft aus den gegen-

19

20 21

22

E. GRIEVE: Flein and biancheßor and the European Romance, Cambridge 1 9 9 7 . Der Schwerpunkt von GRIEVES Untersuchung liegt in einem Vergleich zwischen Boccaccios Filocolo und der neu entdeckten spanischen Prosa Firnsy Biancaflor (14. Jh.), der in ihrer Sicht den ersten Beleg fur eine These von GASTON PARIS darstellt, dass neben den versions aristocratiqius und den versionspopularisantes ein dritter Überlieferungsstrang der F/im-Dichtungen existierte. Vgl S. 4FF. Vg}. dazu auch den Artikel von GANZ im Verfasserlexikon. Vgl. GRIEVE, S. 140. Vgl. zu Flecks Zusätzen unter rhetorischen Aspekten auch KAREN PRATT: The Rhetoric of Adaption: The Middle Dutch and Middle High German Versions of Floire et blancbeflor. In: ΚΕΓΓΗ BUSBY, ERIK KOOPER (Hg.): Courtly literature: Culture and Context. Selected papers from the 5Λ Triennial Congress of the International Courtly literature Society, Dalfsen, The Netherlands, 9-16 August, 1986, Amsterdam/Philadelphia 1990 (Utrecht Publications in General and Comparative literature 25), S. 483-497. PATRICIA

LEGROS, S. 34.

Die Inszenierung des Erzählens im Prolog des Floire

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sätzlichen christlichen und heidnischen Kulturräumen beschreibt ein Erzähler-Ich, wie es von der Geschichte des Paares Kenntnis erhalten habe: En une cambre entrai l'autrier un venredi apres mangier, por deporter as damoiseles dont en la cambre avoit de beles. [•··] Illoec m'assis por escouter .II. dames que j'oi parier. Eies estoient .II. serours; ensamble parloient d'amors. Les dames erent de parage, cascune estoit et bele et sage. L'aisnee d'une amor parloit a sa seror, que molt amoit, qui fu ja entre .II. enfans, bien avoit passe .II. cens ans, mais uns boins clers Ii avoit dit, qui l'avoit leü en escrit.23 (V. 33-54)

In dieser .Quellenberufung' werden verschiedene Erzählinstanzen, Erzählsituationen und Medien in einer kreisförmigen Textbewegung miteinander verknüpft. Einen Vorgang, in dem wie hier ein Akt der Narration — die intradiegetische Erzählung von Flore und Blanscheflur - mit einem weiteren Akt - einer metadiegetischen Erzählung - in einem „unmittelbaren Kausalverhältnis" verknüpft wird, bezeichnet GENETTE als Metalepse.24 Der Erzähler wird durch eine Metalepse kurzfristig zum „Star" seiner Erzählung.25 Im vorliegenden Textbeispiel beruft er sich zunächst auf eine mündliche Quelle, die Erzählung der älteren von zwei Schwestern, deren Gespräch er mitgehört habe. Diese Erzählung gehe ihrerseits auf eine mündliche Überlieferung zurück, auf einen Gelehrten, der dieser Frau die Geschichte erzählte. Letztlich steht hinter allem eine schriftliche Herkunft: Der Kleriker habe die Geschichte seinerseits in einem Buch gelesen. Der Roman wird also schließlich reflexiv und verweist auf seine eigene mate23

24 25

Übersetzung: Neulich, am Freitag nach dem Essen, / bin ich in ein Zimmer eingetreten, / um meine Zeit mit den jungen Damen zu vertreiben, / schöne waren darunter in dem Zimmer. / [...] Dort setzte ich mich hin, um zwei Damen zu lauschen, / die ich reden hörte. / Es waren zwei Schwestern, / die miteinander über die Liebe sprachen. / Die Damen waren von vornehmer Herkunft, / jede von ihnen war sowohl schön als auch klug. / Die ältere von beiden erzählte ihrer Schwester, / die sie sehr liebte, / die Geschichte von einer Liebe, / die einst zwischen zwei Kindern bestand, / wohl vor über zweihundert Jahren, / aber ein kluger Gelehrter, der sie vorher in Schriftform gelesen hatte, / hatte sie ihr erzählt GeneitE: Die Erzählung, S. 166. GENETTE: Die Erzählung, S. 176. GENETIB spricht in diesem Fall von einem autodiegetischen Erzähler.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den Fjbrt-Romanen

rielle Gestalt als Handschrift sowie auf seine Medialität, die ebenfalls aus der Form der Handschrift, potentiell auch aus der (vorlesenden) Stimme besteht. In der Passage werden nicht nur mündliche und schriftliche Formen der Literaturvermittlung miteinander konfrontiert, sie werden auch einem Prozess des gendering unterzogen. Scheinen zunächst in einer Kette von Verweisen alle mündlichen Transfers auf eine schriftliche Quelle und ihren männlichen Leser hinauszulaufen und diesem damit die letzte Autorität einzuräumen, wird sie durch die geschilderte Face-to-faceKommunikation zwischen Frauen wieder konterkariert: Ein - fraglos männliches - Erzähler-Subjekt sucht die Gesellschaft von Frauen und betritt in solcher Erwartung die weiblichen Räume. LEGROS hat anlässlich dieser szenischen Ausgestaltung die Originalität des Prologs hervorgehoben. Dabei bezieht sie sich in erster Linie auf die Travestie der Erzählinstanz durch verschiedene Erzählerrollen, auf das bereits erwähnte ,Spiel mit Masken':26 Ne pouvons-nous, alors, voir dans la maniere meme de rediger ce prologue un jeu de masque, l'auteur-narrateur anonyme de la premiere partie du prologue se masquant derriere le second narrateur non moins anonyme qu'est la dame? [...] Dans ce cas nous pouvons admettre que Je et Elk ne font qu'un et que l'auteurnarrateur se masque derriere une locutrice qui n'est qu'un ,φτοο,οπι", un pretenom. 27

Das Spiel mit Erzählinstanzen gehört zur Gattungstradition des Liebesund Abenteuerromans und ist aus diesem Grunde weniger originell als von LEGROS angenommen.28 Doch ist die Form, in welcher der Autor das für mittelalterliche Dichter obligatorische Thema der Quellenberufung für sein Publikum umsetzt, unter dem Aspekt der Inszenierung von Interesse. Wie im theaterwissenschaftlichen Verständnis einer Inszenierung werden für den Leser oder Zuhörer die Figuren wie auf einer Bühne situativ arrangiert und in ihrer Interaktion dramatisiert. Indem die weiblichen Figuren beieinander auf dem Bett sitzen und in ein vertrauliches Gespräch vertieft sind, entsteht ein Eindruck von Intimität und körperlicher Nähe. Die Szene wirkt auf den männlichen Erzähler/Betrachter so anziehend, dass sie den Wunsch in ihm weckt, sich zu den Frauen zu setzen. Diese Fafi-Zö^^ Kommunikation erzeugt Begehren, und zwar potentiell nicht nur dasjenige des Erzählers. Die geschilderte Konstellation lässt sich darüber hinaus als performative Strategie begreifen, mit der das Begehren der

26 27

28

Vgl. l e g r o s , s. 35. LEGROS, S. 34.

Das bekannteste Beispiel ist Thesaus und Cbariklta. Vgl. dazu BACHORSKI: grosse tmgeiiitkt, für die Texte seit der Mitte des 13. Jahrhunderts auch RlDDER: Minne- und Aventiureromane.

Die Inszenierung des Erzählens im Prolog des Flein

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extradiegetischen Rezipienten nach der Geschichte von Floire und Blancheflor geweckt werden soll. Mündlichkeit und Schriftlichkeit als zwei Formen der Literaturvermitdung, die sich zum Zeitpunkt des Entstehens von Floire et ΒΙαηώφοΓ bereits in einem Prozess der wechselseitigen Beeinflussung und Stimulation befinden, sind hier über je andere Assoziationen zueinander in Kontrast gerückt. Mit der schriftlichen Vermittlung verbindet sich in den Figuren des Erzählers und des Gelehrten eine Vorstellung von Distanz der Kleriker und sein Buch sind in der Kette der Vermitdung am anderen Ende situiert - , während der mündliche Vortrag als Situation körperlicher Nähe und latenter Erotik imaginiert ist. Der Autorität der Quellenberufung, die bei der schriftlichen Vermitdung einsetzt und bei ihr endet, wird die Attraktivität der konkreten mündlichen Erzählsituation entgegengesetzt. Beides, wenn auch grundsätzlich nicht kompatibel, steht gleichberechtigt nebeneinander.29 Unter dem Aspekt der Inszenierung ist der Prolog des französischen Floire deshalb über die Maskierung der Quellenberufung hinaus durch die szenische Ausgestaltung einer attraktiven F^ri-Zo;/««-Kommunikation relevant, einer Erzählsituation,30 die einer als intellektuell und männlich imaginierten Sphäre des Schriftmediums entgegengehalten wird. In der deutschen Romanfassung von Konrad Fleck ist der Prolog auf den ersten Blick ähnlich angelegt. Doch wird dort von einer großen Hofgesellschaft erzählt, die sich im Garten die Zeit mit Gesprächen über die Minne vertreibt, bis eine von zwei Schwestern schließlich die Geschichte von Flore und Blanscheflur erzählt (V. 147-272).31 Vorher hat Fleck eine französische Dichtung von Ruprecht von Orbent als seine Quelle benannt (V. 142-146). Dem Prolog des deutschen Romans fehlt so die Vertraulichkeit der beschriebenen Erzählsituation und der ineinander verschlungene Wechsel zwischen schriftlichen und mündlichen Quellen.32 Ob ein Grund für diese Veränderung in einem höheren Stellenwert zu sehen ist, den Fleck der Schriftkommunikation beimisst, ist an dieser Stelle nicht abzusehen. Mit Blick auf den Medienwechsel, der sich langfristig zwischen den Formen körpergebundener, mündlicher Kommunikation einerseits sowie 29 30

31

32

V g l dagegen WALTENBERGER, S. 34, der die Gegensätze .diffundieren' sieht. In Anlehnung an LIEB und MOLLER, die aus Anlass der Fleckschen Version darauf hinweisen, dass Rahmenbedingungen mittelalterlicher Erzählsituationen weniger etabliert und verfestigt waren, als es aus heutiger Perspektive zunächst erscheinen mag. LIEB und MOLLER lesen dieses Arrangement als fiktionalen Lösungsentwurf eines ,Grundproblems' romanhaften Erzählens, „wie nämlich das romanhafte literarische Erzählen sich zu geselligen Erzählen verhalte. Konrad Fleck imaginiert ein quasi bruchloses Auseinanderhervorgehen: Zunächst reden alle untereinander und dann sind alle einverstanden, derjenigen zuzuhören, die am besten erzählen kann" (S. 54). V g l zu den Unterschieden auch WALTENBERGER, S. 34f.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den F/tro-Romanen

Schrift und Literatur andererseits vollzogen hat, ist im Weiteren jedoch auf mögliche Verschiebungen in der Relation von Körper und Schrift zu achten.

5.3 Der Beginn der Kinderliebe und die Untrüglichkeit der Körperzeichen Der christlich-heidnische Gegensatz bestimmt die Vorgeschichte der Romane. Am Beginn des französischen Floire - dem im Weiteren jeweils so lange gefolgt wird, bis signifikante Unterschiede zur Version von Fleck zu erörtern sind - steht der Angriff von König Felix von Spanien auf Galizien und daselbst auf christliche Pilger. Zu diesen Pilgern gehören auch Blancheflors Mutter und Großvater.33 Felix wird damit als eine Figur in den Text eingeführt, die nicht nur deshalb eindeutig unrechtmäßig handelt, weil er der falschen Religion angehört, sondern auch, weil er raubend und brandschatzend in christliche Länder einfallt. Ohne größere Umstände tötet er einen französischen Grafen, der seine Tochter gegen die Aggressoren verteidigt. Diese Frau selbst, der er die vornehme Herkunft ansieht, verschont er nur, weil er sie seiner Gattin zum ,Geschenk' machen möchte. An Felix' Hof freunden die Frauen sich an; sie stellen fest, dass sie am gleichen Tag schwanger geworden sind, und bringen beide am Palmsonntag ihr Kind zur Welt. Als der König erfährt, dass seine Gefangene dem christlichen Fest zu Ehren für ihre Tochter den Namen Blancheflor ausgesucht hat, nennt er seinen Sohn Floire. Floire und Blancheflor sind vom Tag ihrer Geburt an unzertrennlich, was noch dadurch gefördert wird, dass Blancheflors Mutter sie zunächst gemeinsam erzieht. Im französischen Text wird die exzeptionelle Schönheit der Kinder, die sie keinem anderen ebenbürtig macht, zum Ausdrucksmodus ihrer inneren Verbundenheit: Quant .v. ans orent Ii enfant, molt furent bei et gent et grant. De lor ae en nule terre plus biax enfans n'esteüst queue. 34 (V. 197-200)

Die Adelsattribute des großen Wuchses und des angenehmen Wesens zeigen, dass die Kinder der vorgeblich niederen Herkunft Blancheflors 33 34

Blancheflors Vater ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot, es ist offen gelassen, ob er ebenfalls durch den Oberfall der Pilger gestorben ist Obersetzung: Als die Kinder fünf Jahre alt waren, / waren sie sehr schön, liebenswürdig und groß gewachsen. / Nirgendwo auf der Erde / hätte man schönere Kinder / in ihrem Alter finden können.

Der Beginn der Kinderliebe und die Untrüglichkeit der Körperzeichen

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zum Trotz in Wirklichkeit auch dem Stand nach zueinander gehören.35 Um zu bekräftigen, dass sie einander als Liebespaar bestimmt sind, beschreibt der deutsche Dichter, dass sie noch in der Wiege liegend Emotionen füreinander zeigen: hei wie frö die jungelinge ungescheiden aller dinge friuntschefte pflägen, do se in den wagen lägen! ichn weiz waz ez machete daz iewederez lachete, so ez daz ander ane sach. ir gebaerde des verjach, daz se ein ander minneten und sich niht versinneten, waz minne waer und ir gebot. (V. 599-609)

Die Kommunikation der Körper ist in dieser frühen Phase der Liebe, in der die Kinder weder schreiben noch sprechen können, für ihre Beziehung von eminenter Bedeutung. Die Körperkommunikation vertritt eine Zeit der vor-bewussten Gefühle. Ihre gebärden, also Aussehen und Verhalten der Kinder, fungieren als natürliche Zeichen, die sich decodieren lassen, ohne schon kulturell encodiert worden zu sein.36 Doch die extradiegetischen Rezipienten kennen den Code und erschließen, dass es sich um Minne handelt. Der intradiegetische Erzähler vermittelt deshalb beide Ebenen der Decodierung der Körperzeichen durch den Kommentar, dass die Kinder einander lieben, ohne sich darüber klar zu sein, was Liebe sei. Im Unterschied zu vielen Liebes- und Abenteuerromanen, in denen die Liebenden sich erst als Erwachsene oder Jugendliche begegnen, wird die Genese der Emotionen von Flore und Blanscheflur so auf eine gemeinsam verbrachte Kindheit zurückgeführt und mit Natürlichkeit, Vertrautheit und Unschuld assoziiert. In den Grundzügen folgt dies einem Modell, auf das ELISABETH SCHMID am Beispiel von Ehepaaren in der höfischen Literatur hingewiesen hat, die wie Geschwister gemeinsam aufgewachsen sind. Die Logik dieser Begründung einer Ehe durch ein geschwisterähnliches Verhältnis sieht sie darin, dass „Beziehungen zwischen potentiellen Allianzpartnern mit familiaren Affekten ausstaffiert werden."37 SCHMID erläutert:

35 36 37

Ahnlich WALTENBERGER, S. 27. Diesen Fall erläutert MOLLER: Visualität, Geste, Schrift, S. 122f. ELISABETH SCHMID: Ober Verwandtschaft und Blutsverwandtschaft im Mittelalter. In: Acta Germanica 13 (1980), S. 31-46, hier S. 45.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FZwr-Romanen Vorläufig scheint es mit, als ob der Schutz, welchen erwachsene Personen einem Kind gewähren, und die geschwisterliche Vertrautheit das affektive Muster abgäben für die ansonsten unbestimmbare Gefuhlsbeziehung zwischen Allianzpartnern. Wenn im Pargval liebende so oft wie Geschwister unter der Obhut gemeinsamer Eltern aufwachsen, scheint mir das eine familiäre Phantasie zu sein, die viel von der Not der exogamen Heirat, dem Zwang zum Bündnis mit einem fremden Partner verrät. 38

Die F/W-Romane erwähnt SCHMID in diesem Zusammenhang nicht. Indem Flore und Blanscheflur einander bereits in der Kindheit zugetan sind und darin von der Elterngeneration zunächst unterstützt werden, ist die spätere exogame Heirat jedoch narrativ vorbereitet. Ganz unproblematisch erscheint die frühe Nähe zwischen den Kindern zwar nicht, da sie sich zumindest im Conte auf der extradiegetischen Ebene einem latenten Inzest-Verdacht ausgesetzt sehen. Blancheflors Mutter werden die Kinder nämlich mit der Einschränkung in die Obhut gegeben, dass sie Floire nicht stillen darf. Die Begründung, dass stattdessen eine Heidin den Jungen stillen sollte, beruft sich auf ein Gesetz (Une paiienne l'alaitoit, / car lor lois l'autre refusoit, V. 183f.).39 Einem Hinweis von LEGROS zufolge bezieht sich dieses Gesetz auf das Tabu der sogenannten ,Milchverwandtschaft':40 Floires und Blancheflors Verbindung wäre für den Fall, dass beide von der gleichen Amme gestillt worden wären, als Inzest zu werten. Doch von diesem einen Vorbehalt abgesehen herrscht zwischen dem heidnischen Königspaar und seiner christlichen Gefangenen Eintracht. Als Floires Eltern beschließen, dass ihr Sohn ab dem fünften Lebensjahr von einem Kleriker ausgebildet werden soll, bittet er seinen Vater unter Tränen (en plourant, V. 210), Blancheflor mit unterrichten zu lassen. In der nun folgenden Lebensphase werden sie sich ihrer Gefühle füreinander bewusst und transformieren diese Gefühle zugleich. Dafür spielt der gemeinsame Unterricht eine entscheidende Rolle. Die Textstelle aus dem Conte, die auf eine solche Transformation hinweist, wurde bereits zitiert:41 Cius lires les fist molt haster en autre sens d'aus entramer que de l'amor de noureture qui lor avoit este a cure. Ensamle lisent et aprendent, a la joie d'amor entendent 42 (V. 235-240) 38 39 40 41 42

SCHMID, S. 45. Übersetzung: Eine Heidin stillte es, / denn ihr Gesetz lehnte die andere ab. Vgl. LEGROS, S. 73. Im 3. Kapitel Übersetzung: Diese Lektüre brachte sie sehr schnell dazu, / sich in einem anderen Sinne zu lieben / als mit der Liebe, die sie zuvor beim Heranwachsen geschätzt hatten. / Gemeinsam lesen und lernen sie / und richten ihre Gedanken auf das Glück der Liebe.

Der Beginn der Kinderliebe und die Untrüglichkeit der Körperzeichen

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Lernen, Lesen und Lieben erscheint als ein Zusammenhang. Die Verbundenheit der Kinder erhält durch die Freude an der gemeinsamen Lektüre und durch die emotionalen Erfahrungen, die sie dabei miteinander machen, eine neue Qualität. Die Ausbildung in Literatur erscheint als Schritt ins Erwachsenenleben und als Schritt in die Kultur. Die amor de noureture, die Liebe, in der sie aufgewachsen sind, lassen sie dabei hinter sich. Konrad Fleck beschreibt die Bildung von Emotionen durch die Rezeption von Literatur noch genauer. Alse do den kinden wart ze rehte kunt der Minnen art, do wart ir fröude merre; wan sie getäten verre nach liebe der sie häten. (V. 743-747)

Fleck akzentuiert mit der künde, der Kenntnis vom ,Wesen' der Liebe, die Bedeutung des intellektuellen Verständnisses von Emotionen. Ein solches intellektuelles Verständnis meint die Emotionsforscherin HELLER, wenn sie darauf hinweist, dass jedes Kind von der Emotion der Verliebtheit wisse, bevor es diese zuerst erfahre.43 Im deutschen Text gehen der Erwerb eines Wissens über die Liebe und die Erfahrung der Liebe beinahe unmerklich ineinander über.44 Sobald Flore und Blanscheflur durch die Lektüre verstehen, was das Wesen der Minne ist und dass sie zwischen ihnen besteht, können sie ihre Emotionen jedoch um so mehr genießen (do wart ir fröude merre). Fortan stilisieren sie ihre Kommunikation nach dem Vorbild von Minnetopoi, die sie in literarischen Texten vorfinden: Flore Blanscheflur kuste vil harte güetliche und sprach sö minnecliche: „genäde, frou künginne, wie kumet, daz iuwer minne mir tegelich ist so niuwe?" (V. 774-779) Blanscheflur da wider sprach „Flöre, süezer ämis, joch minne ich iuch ze gelicher wis und weiz got noch mere." (V. 786-798)

43

V g l . HELLER, S. 168.

44

VgJ. auch die Überlegungen von MLREELLE SCHNYDER zur schrittweisen Erzeugung von Liebe durch Sprache und Schrift im Eneamueaa, die schließlich aus zeichenhaften Bezügen gelöst und zur Minne-Instanz verabsolutiert werde: Imagination und Emotion. Emotionalisierung des sexuellen Begehrens über die Schrift. In: JAEGER, KASTEN, S. 237-250.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den Fimf-Romanen

Die Stilisierung der Mädchens zur Herrin und .Königin', die Anrede des Jungen als ,süßer Geliebter', die Betonung der Frische und Gegenseitigkeit der Liebe, die Rhetorik des Staunens und der Unaussprechlichkeit bilden zentrale Elemente des literarischen Diskurses über die Minne, den Flore und Blanscheflur spielerisch erproben. Das Gespräch im manierierten paradigm scenario des höfischen Minnegesprächs hat den Charakter eines kindlichen Spiels. Gerade die Form des Spiels, zu dessen wichtigen Funktionen in der Kulturtheorie gezählt wird, soziale Modelle einzuüben und antizipierend .durchzuspielen',45 macht jedoch deutlich, dass Flore und Blanscheflur ihre Beziehung entlang kultureller Konventionen entwickeln. Ihr Verhalten lässt sich mit HELLER als ,Koordinierung' bezeichnen, da sie ihre Gefühle mit kulturell vorgefundenen Paradigmen abstimmen. Das Beispiel zeigt auch, dass Emotionen performativ modelliert werden, durch die Handlungen des Lesens und Sprechens, durch Nachahmen und .Durchspielen' in Modellsituationen. Wenn EGIDI feststellt, dass Flore und Blanscheflur das „Wissen über die Liebe und ihr Gesetz [...] zuffallt], ohne ,erworben' zu sein",46 sind diese Aneignungsformen in den kulturellen Modi des Spiels und der intellektuellen und emotionalen Abstimmung von Emotionen übersehen. Auch der Auffassung RÖCKES, dass durch den gemeinsamen Unterricht ein .unmittelbares' Empfinden - wie es die Kommunikation der Körper kennzeichnete - durch die kulturell codierte Liebeskommunikation verformt werde, ist jedoch zu widersprechen. In RÖCKES Sicht wird die Unmittelbarkeit des Gefühls und des Liebesverlangens zur höchst kunstvollen, aber eben auch höchst topischen Sprechweise des Minnedienstes verschoben [...]. Somit treten die literarischen Stilisierungen an die Stelle des unmittelbaren Gefühls; die Helden gewinnen Distanz zu sich selbst [...].47

Minne erscheint in den FAw-Romanen zunächst als eine sociale Emotion, die noch vorsprachlich ist, doch der Wahrnehmung eines Selbst und eines anderen bedarf, und sie erscheint dann als sekundäre Emotion, die an medialen Vorbildern modelliert und in Prozessen der Interaktion stilisiert wird. Der Umstand, dass Flore und Blanscheflur einander bereits von frühester Kindheit an liebten, ohne sich dessen bewusst zu sein, bildet eine ideale Voraussetzung für diese Stilisierung, welche die Erlebnisqualität der Emotionen steigert und deshalb gerade keine Distanz von ihnen erwirkt.48 45

Vgl. GEBAUER, WULF, S. 187FF., außerdem ROGER CAILLOIS: Die Spiele und die Menschen.

Maske und Rausch, Stuttgart 1960. 46

EGIDI, S. 141.

47 48

RÖCKE: Liebe und Schrift, S. 93. VgL auch JUTTA EMING: Schrift und Bild als Medien des Gefiihlsausdrucks. In: PETER WIESINGER (Hg.): Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000, Bern u.a. 2002 (Jahrbuch für Internationale Germanistik A/57), S. 335-340.

Der Beginn der Kinderliebe und die Untrüglichkeit der Körperzeichen

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In der französischen Fassung gibt keine entsprechenden Textpassagen. Dort wird, wie dann auch in der deutschen Version, die Freude beschrieben, die Floire und Blancheflor daran haben, Latein zu lernen und einander mit ihren kostbaren Schreibgriffeln Briefe zu schreiben. Konrad Fleck, dies ist mit Blick auf den Stellenwert von Schrift festzuhalten, hat offensichtlich ein besonderes Interesse an der Modellierung der Liebeskommunikation durch literarische Muster. Die Habitualisierung des höfischen Minnecodes hat allerdings ihren Preis. Die Emotionen der Kinder werden nun auch für andere lesbar. Damit ist der Grundstein für den zentralen Konflikt des Romans gelegt. Durch die Expression von Emotionen ausgelöst, wird die Tragweite dieses Konflikts nun ebenfalls durch den Gefühlsausdruck markiert: durch den Zorn des Königs. Im französischen Text ist es König Felix, der an den Kindern als erster die Zeichen der Liebe bemerkt: Li wis aperfoit biert l'amour / que se fix α α Blanceßour (V. 273f.).49 Darüber gerät er in heftigen Zorn, der ihm sofort ins Gesicht geschrieben steht: La toüne voit son signor iriet, bien pert a sa coulor, car de sanc ot le -vis vermel.50 (V. 285-287)

Im französischen Floire sind körperliche Symptome auf der intradiegetischen Ebene als zuverlässige Indikatoren für Emotionen exponiert. Die Zeichen und die Möglichkeit ihrer Dechiffrierung werden hervorgehoben. In Flecks Roman sind Körperzeichen für die Erkenntnis von inneren Zuständen dagegen weniger akzentuiert. Der Umstand, dass den Kindern ihre Liebe anzumerken ist, wird zwar als Indiz dafür gewertet, dass sie von der Liebe schier überwältigt sind, doch dies wird als kindliche Unerfahrenheit bezeichnet: sie künden von tumpheite der Minnen niht widers tan; der muostens wesen undertan, wände si was ir gewaltic. sie wären leider einvaltic, sinne bloz, witze bar. daz liut begunde nemen war der grüeze und der ämür zwischen Floren unde Blanscheflür. (V. 848-856)

49 50

Übersetzung: Der König bemerkt sehr wohl die Liebe, / die sein Sohn für Blancheflor empfindet. Obersetzung: Die Königin sieht, vie ihr Ehemann / zornig wird, es ist offensichtlich an seiner Gesichtsfarbe, / denn durch das Blut schoss ihm die Röte ins Gesicht

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FiSnr-Romanen

Fleck beschreibt das Paar als zu unerfahren, um zu begreifen, dass seine grüe^e und der Stil seiner Minnekommunikation kulturellen Mustern folgen, die tendenziell von anderen gedeutet werden können. Im deutschen Text teilt sich mit, was nicht verborgen bleiben kann, weil das Paar nichts darüber weiß, dass es seine Liebe verstecken sollte und dass es von den Angehörigen des Hofes beobachtet wird. Das Konfliktpotential, das die untrüglichen Körperzeichen der Kinderliebe transportieren, hat sich damit vom französischen zum deutschen Text in einem entscheidenden Punkt verschoben. Dafür ist besonders aufschlussreich, wie der König von der Liebe der Kinder Kenntnis erhält: do der künic do vernam disiu leiden msere, do was ez im gar swsere, beidiu zorn und ungemach. (V. 860-863)

Der König erfahrt nicht aus eigener Anschauung etwas über die Gefühle der Kinder, sondern durch die Hut, die Angehörigen seines Hofstaates. Damit wird im Schritt von der französischen zur deutschen Textfassung ein Unterschied in den Wegen der Kommunikation bei Hofe ersichtlich. Bei Fleck spielen die Blicke von Dritten eine Rolle, die auf den Einfluss der höfischen Öffentlichkeit verweisen. In den nachfolgenden Liebes- und Abenteuerromanen, die in dieser Arbeit untersucht werden, wird dieser Einfluss der Öffentlichkeit an Bedeutung kontinuierlich zunehmen.

5.4 Zorn und Kalkül Nicht die Erfahrung ihrer Gefühle wird für die Kinder zum ersten Wendepunkt des Geschehens, sondern die Beobachtung dieser Gefühle durch Dritte. Sobald König Felix über die Liebe der Kinder Bescheid weiß, ist die Zeit der Krise eingeleitet. Die Tragweite dieser Krise und das Ausmaß, in welchem sie die Figuren involviert, werden durch den Emotionsausdruck ausagiert und kommuniziert. Zugleich greifen die Figuren erstmals zu Lösungsstrategien, die auf Simulationen und Täuschungen beruhen und dabei auch eine Manipulation von Emotionen einbegreifen. In einem Gespräch erörtert das Königspaar zunächst Strategien der Verstellung. Der Zorn über die Liebe der Kinder hatte König Felix ursprünglich den Vorsatz fassen lassen, Blancheflor ohne weitere Umstände zu enthaupten. Doch auf Bitten der Königin sieht er davon ab. Stattdessen nimmt er ihren Vorschlag auf, Floire zur weiteren Ausbildung nach Montoire an den Hof der Schwester der Königin zu schicken. Dafür werden Verstellungen von zwei weiteren Figuren eingeplant: Zum einen

Zorn und Kalkül

137

schützt der bisherige Lehrer der Kinder eine Krankheit vor und liefert damit einen Vorwand dafür, dass ein neuer Erzieher für Flore gebraucht wird. Zum anderen muss Blancheflors Mutter eine Krankheit simulieren, damit für ihre Tochter ein Grund gegeben ist, am Hof zurückzubleiben. Dass Blancheflor binnen fünfzehn Tagen nachgeschickt werden soll, ist nur ein Vorwand, der Floire den Abschied erleichtern soll. Zwei Formen der Krisenbewältigung - mittels Gewalt einerseits und mittels Planung und Überlistung andererseits - werden damit an den Figuren von König und Königin exemplarisch und treten zueinander in Kontrast. Auf den ersten Blick und in zivilisationsgeschichtlicher Deutungsperspektive ließe sich vermuten, dass eine ältere, ,spontane', unkontrolliertere Form - der Zorn - durch eine gleichsam zukunftsweisende, zweckrationale - das Kalkül - abgelöst werden solle. Tatsächlich handelt es sich jedoch in diesem Text ebenso wenig wie in anderen Liebes· und Abenteuerromanen nicht um ein klares Ablösungs-, sondern um ein Spannungsverhältnis, das nie ganz austariert sein wird. Schon als der König erfahrt, dass sich Floires Zustand in Montoire durch die Trennung von der Geliebten kontinuierlich verschlechtert, will er erneut voller Zorn befehlen, Blancheflor den Kopf abschlagen zu lassen. In diesem Kontext erhebt er gegen sie den Vorwurf, den Sohn verzaubert zu haben (sorcerie, V. 407, uberlisten, V. 1446) - ein Verdacht, der auch in anderen Liebesund Abenteuerromanen gegen die Frau aus der Fremde geäußert und durch den sie dämonisiert wird.51 Er markiert den Extrempunkt des Misstrauens gegen eine exogame Verbindung, eine Verbindung mit einer Frau, die aus einer unbekannten Familie stammt und einem anderen Kulturkreis angehört. Der Zorn des Königs gehorcht somit einer eigenen, wenn auch fraglos beschränkten Logik. Schon aus diesem Grund sollte er nicht als archaisches Relikt einer impulsiven Emotionalität, sondern als Ordnungsmuster betrachtet werden, das in der mittelalterlichen Kultur und Literatur kommunikative und performative Funktionen übernimmt und das trotz einer charakteristischen Ambiguität und Kritikwürdigkeit seine Legitimität nie vollständig einbüßt. Der Zorn der Königs ist ALTHOFF zufolge in mittelalterlichen Quellen seit dem 12. Jahrhundert doppelt codiert. Während Zorn in karolingischer Zeit noch als Todsünde und Zeichen der Unfähigkeit zur Herrschaftsausübung bewertet wird und zu den erforderlichen Tugenden der dementia und patientia im Widerspruch steht, tritt im Hochmittelalter die Vorstellung des gerechten königlichen Zorns hinzu, der kriegerische 51

Vgl. dazu das folgende Kapitel zu den Partonepier-Komaxxa, ferner, zum Roman Mai und Btaflor, JUTTA EMING: Zur Theorie des Inzests. In: INGRID BENNEWITZ, INGRID KASTEN (Hg.): Gcn-

derdiskurse und Körperbilder im Mittelalter. Eine Bilanzierung nach Butler und Laqueur, Münster/Hamburg/London 2002 (Bamberger Studien zum Mittelalter 1), S. 29-48, hier S. 41.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den Mro-Romanen

Handlungen legitimiert.52 Indem Zorn zum Beispiel ein erlittenes Unrecht anzeigen und die Funktion einer Kriegserklärung übernehmen kann, stellt er eine Handlung dar, zieht Handlungen nach sich und ist somit performativ, ein Begriff, den ALTHOFF nicht verwendet. Zur Performativität von Zorn in der mittelalterlichen Literatur gehört darüber hinaus - als Darstellung von Performanz - seine expressive Körperlichkeit. In den F/ore-Romanen erscheint der Zorn des Königs im Kontext der Diegese zwar als negativ, da er sich ungerechtfertigt gegen die unschuldige Heldin richtet. Doch werden zugleich erzählerische Strategien verwandt, welche die Macht des Zorns unterstreichen. Besonders Fleck malt den Zorn aus: nü sehent, wie rehte küme der künic daz gelobete, wan er von zorne tobete. der was so grimme und so starc, er haete goldes tüsent marc niht genomen für ir leben, möht ez mit eren sin begeben: also was er ir gehaz. (V. 1526-1533)

In der psychologischen Emotionsforschung gilt die Vorstellung, dass die Basisemotion Zorn sich zwangsläufig körperlich .endaden' muss, inzwischen als Klischee, das durch Kenntnisse über neurophysiologische Abläufe nicht zu stützen ist.53 Mittelalterliche Texte sind in dieser Frage jedoch eindeutig: Zorn ist eine Macht, die zum Ausdruck drängt. Der extradiegetische Erzähler des deutschen FiW-Romans inszeniert eine .authentische* Emotion und greift dafür zum Stilisierungsmuster der Affektüberwältigung.54 Unterstützt durch einen Appell an die Rezipienten {nü sehent) ersteht ein lebhaftes Bild des cholerischen Herrschers, in dem eine Gewalt wütet, die stärker ist als er selbst und die sogar durch die unvorstellbare Summe von tausend Goldmark nicht abgegolten werden

52

Vgl.

Prolegomena to a History of Royal Anger. In: B A R B A R A H. (Hg.): Anger's Past The Social Use of an Emotion in the Middle Ages, Ithaca u.a.

G E R D A L T H O F F : Ira RJGIF.

ROSENWEIN

1998, S. 59-74.

53 54

Einen ersten Einblick in diese Problematik gibt D A N I E L G O L E M A N : Emotionale Intelligenz. Aus dem Englischen von Friedrich Griese, München 200013, S.79ff. Vgl auch ebd., S. 89f.: „Die irrige Entladungshypothese". Die sinnliche Wahrnehmbarkeit von Zorn in der mittelalterlichen Literatur betont H I L D E G A R D ELISABETH KELLER; Zom gegen Gorio. Zeichenfunktion von font im althochdeutschen GmgsBti. In: J A E G E R , K A S T E N , S. 115-142. Vgl. jedoch auch den Hinweis von R A D M E H R , S. 58ff., dass die Zornsymptomatik sich von derjenigen anderer Affekte nicht signifikant unterscheide, sondern sekundärer Hinweise aus dem Erzählkontext bedarf.

Zorn und Kalkül

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kann.55 Zorn ist zugleich Ausdruck von Macht Der Zornesausbruch des Königs indiziert einen schweren Bruch mit der Standesnorm, und er kommuniziert - gerade weil er dem für die Rezipienten identifizierbaren Muster der Affektüberwältigung folgt — die ungeheuren Widerstände, die sich dem Glück des Liebespaars in den Weg stellen. Die Macht der Zorn-Emotion hebt sich indessen vom ironischen Kalkül des Erzählers ab, der schon einmal Blanscheflurs Geldwert überschlägt. Auch in der Fähigkeit der Königin, diesen Zorn besänftigen zu können, ist durchaus eine gegenläufige Tendenz zu sehen. Sie überredet ihren Gatten nämlich dazu, Blancheflor gegen Gold und Silber, wertvolle Textilien und einen kostbaren Pokal zu verkaufen,56 und damit geht genau die Rechnung von immateriellen Werten gegen materielle auf, die gerade noch undenkbar schien. Der .überwältigende' Zorn des Königs wird durch diese Ironie im Akt der Narration an Grenzen geführt. Auf der intradiegetischen Ebene arbeitet Fleck zusätzlich den mäßigenden Einfluss der Königin auf die Zorn-Emotion ihres Gatten heraus: [...] [er] wolte si hän verlorn; wan daζ sinen grozen zorn diu küniginne milte mit witzen gestilte, daz ir arges niht geschach. (V. 1495-1499)

Fleck, dessen Interesse an der Transformation von Emotionen sich schon bei der Genese der Kinderliebe zeigte, beschreibt an der Interaktion des Königspaars erneut eine emotionale Veränderung. Diese wird zugleich in einer Ökonomie der Geschlechterordnung abgebildet. Der über den Normverstoß rasende König und die Frau, die diesen Zorn umzulenken vermag, bilden zusammen ein handlungsfähiges Herrscherpaar. Damit werden am König und seiner Frau geschlechtsspezifische Muster von Emotion und Expression manifest. Auch nach dem Verkauf des Mädchens in den Orient wird an einem Dialog der Eheleute diese geschlechtsspezifische Verteilung von Emotionen sichtbar. Aus Anlass von Floires bevorstehender Heimkehr an den Hof, an dem er seine Freundin nicht mehr vorfinden wird, äußert die Königin Befürchtungen, dass der Sohn darüber in Verzweiflung geraten 55 56

RADMEHR, S. 96f. betont deshalb, dass sein Temperament den Choleriker zum Sklaven seiner selbst werden lasse. Vgl. zur Hyperbolik dieses Geldbetrages SCHMID: Über Liebe und Geld, S. 45. Vgl. zum Verhältnis von materiellen und immateriellen Werten in den Fhn-Taacn generell SCHMID: Über Liebe und Geld, zur Funktion des Pokals fur die Romanhandlung INGRID KASTEN: Der Pokal in Flore und Blanscheflur. In: HARALD HAFERLAND, MICHAEL

MECKLENBURG (Hg.): Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 19%, S. 189-198.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den RSw-Romanen

werde. Die Antwort, die sie daraufhin von ihrem Mann erhält, profiliert eine genderspezifische Zuständigkeit in emotionalen Konflikten: Quant il demandera sa drue que dirons nos qu'est dcvenue? Par foi, jou ai molt grant paor qu'il ne s'ocie por s'axnor. — Dame, fait il, or en penses. C'est vostre fius, sei confortes. (V. 537-542)57

Die Pointe dieser Entgegnung liegt in der Aufforderung, dem Sohn emotionalen Beistand zu spenden. Wie der weitere Verlauf der Handlung zeigt, heißt dies, einen Plan zu schmieden oder auf einen guten Einfall zu kommen. Damit ist die Initiative für die Regulierung der Emotionen durch eine Täuschungshandlung einer weiblichen Figur zugewiesen. Dieses Strukturmuster wird sich in anderen Liebes- und Abenteuerromanen wiederholen. Die Figur der Königin erweist sich über ihr Handeln in den drei Rollen als Herrscherin, Ehefrau und Mutter in beiden Texten als vielschichtig angelegt. Zwar ergreift sie die Initiative zu einem nicht gewalttätigen Verhalten. Dies wird jedoch zumindest bei Fleck nicht mit einem Mitgefühl mit Blanscheflur motiviert. Nur im französischen Text bittet die Königin darum, Gnade walten zu lassen (merchi, V. 414). Fleck schreibt der Königin andere Emotionen zu: nü wart der küngin swaere, daz sie si verkoufet häten; iedoch häte siz geraten, und tet aber daz mit witzen. si mohte zwene schaden entsitzen, der häte si beider wal: daz eine was der liute schal, den s! müeste hän vertragen, ob diu maget wacre erslagen; oder daz si wurde gesant gesunt in ein ander lant swederz si der zweier nseme, sie wären beidiu missezseme und wären beidiu schedelich. (V. 1872-1885)

57

Übersetzung: „Wenn er nach seiner Geliebten fragen wird, / was sollen wir sagen, was aus ihr geworden ist? / Wirklich, ich habe sehr große Angst, / dass er sich aus Liebe tötet" / „Herrin", antwortet er, „nun denkt darüber nach! / Er ist Euer Sohn, Ihr müsst ihn trösten." Vg). in der Fassung von Fleck entsprechend die Verse 1901-1925, wo die Königin an ihren Mann appelliert, einen Rat zu ersinnen, was er von sich weist

Die religiöse Überformung der ritualisierten Gefuhlskultur

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Am Problem der Königin, zwischen zwei Alternativen zu entscheiden, die in ihrer Perspektive gleichermaßen schlecht sind, fällt die Sorge um die Reaktionen der Öffentlichkeit - statt der Sorge um Blanscheflur - auf. Nicht die Ermordung des Mädchens erscheint als größte vorstellbare Belastung (sjvare), sondern die Möglichkeit, dass die liute dies erfahren und als Gerede verbreiten. Wieder im Unterschied zum Conte und ohne jede negative Wertung schiebt sich die Rolle der Öffentlichkeit in das Denken, Handeln und Fühlen. Die Königin sieht das Erfordernis, Probleme zu antizipieren, die sich mit Blick auf die Öffentlichkeit stellen werden. Auch in den anderen Romanen zeichnen sich in erster Linie weibliche Figuren durch diese Fähigkeit aus.

5.5 Die religiöse Überformung der ritualisierten Gefuhlskultur Nur im deutschen Text wird der Abschied der Liebenden und der Schmerz über ihre Trennung ausführlich geschildert. Flore fallt von lade in unmaht (V. 1059), Blanscheflur begunde sich roufen\ / irclage was erbermeclich (V. 1064f.). In einem langen Klagemonolog wendet sie in selbstdestruktiver Manier die Aggression gegen sich selbst: herre got, von des gebe mir ist gelazen daz ich lebe, wie groz wunder mich hat, sit niht dinges äne dich ergat und du kanst alle sache an missewende mache, waz dü mir hast gewizzen, sit ich ie was ungeflizzen ze beschuldenne dinen zorn. (V. 1145-1153)

Nach diesem Monolog, der sich noch über mehrere hundert Verse erstreckt, fallt sie zunächst in Ohnmacht, versucht dann, sich mit dem Griffel zu erstechen - was ein späterer Selbstmordversuch Flores motivisch spiegeln wird - , und tauscht zum Abschied mit dem Geliebten schließlich als Zeichen der Verbundenheit die Schreibgeräte aus. All dies erscheint nicht im französischen Text. Fleck nutzt hier und an weiteren Stellen des Romans die Gelegenheit, Konfliktsituationen mit Darstellungsmustern der ritualisierten Gefühlskultur anzureichern. Und während sich der Fokus des französischen Textes nach dem Verkauf von Blanscheflur ganz auf den männlichen Helden richtet, gibt der deutsche Dichter noch einen Einblick in ihren Zustand, nachdem sie an den Amirai verkauft wurde. Die Darstellungsmuster der ritualisierten Gefuhlskultur werden dafür zwar aufgenommen, aber durch Anklänge an den religiösen Diskurs neu

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FÄrr-Romanen

akzentuiert. Bereits im eingangs zitierten Klagemonolog wurde Blanscheflurs Identität als Christin profiliert. Fleck schildert nun, dass Blanscheflur sich in ihrem trüngen muote (V. 1732) auf ihren Glauben verlassen kann: ich wan nie klSsenare, / weder münch od nunne, / ie beigern muot genmnne (V. 1734-1736). Die unfreiwillige Klausur während der Gefangenschaft in Babylon wird zum Schauplatz einer Zwiesprache mit Gott, die sie über ihr Schicksal und ihre Beziehung zu Flore nachdenken lässt: er ist mir holt, als ich waene. waz dar umb, so bin ich cristxne und er ungetoufet? ouch bin ich durch in verkoufet. (V. 1783-1786)

Die Formulierung als ich wane ist nicht Ausdruck des Zweifels an Flores Liebe, sondern ihrer Verwunderung darüber, dass sie trotz ihrer gegensätzlichen Religionen und der Feindschaft, die sie durch seine Eltern erfahren hat, überhaupt zu einem Paar werden konnten. Die Gegensätzlichkeit betrifft auch den Standesunterschied, dessen Überwindung von ihr als wunder gedeutet und damit ebenfalls religiös konnotiert wird: wir sin geborn ungeliche; wan er ist eines küneges kint, so enweiz ich, wer min mage sint, biderbe oder smache. mich wundert wie mir geschsehe. (V. 1794-1798)

Obwohl Blanscheflurs Monolog immer wieder ihre Sehnsucht nach Flore zum Ausdruck bringt und sie sich sicher ist, da% ich durch bete noch durch dr6 / an iuch niemer wirde fro (V. 1858), unterscheidet sich der Ton ihres Monologs von ihrer autoaggressiven Neigung unmittelbar nach Ausbruch des Konflikts mit Flores Eltern. Blanscheflur wirkt relativ gefestigt.58 Ob dies schon einen Anhaltspunkt dafür bietet, dass die Heldinnen von Liebesund Abenteuerromanen in Zeiten der Krise eine größere Konfliktfähigkeit an den Tag legen, ist durchaus fraglich.59 Präziser müsste davon gesprochen werden, dass die ritualisierte Gefuhlskultur in den Liebes- und Abenteuerromanen des Mittelalters an vielen Stellen vom religiösen Diskurs überformt wird. Flecks F/bn?-Roman weist mit dieser Tendenz auf legen58

59

Auf diese Spezifik weiblicher Problembewältigung in Flecks Roman und auf Parallelen, die in diesem Punkt (neben anderen) zur weiblichen Hauptfigur in Mai und Βαφοτ bestehen, hat bereits ALFRED EBENBAUER aufmerksam gemache Beaflor - Blanscheflur. Zu zwei literarischen Frauengestalten des 13. Jahrhunderts. In: DANIELLE BUSCHINGER: Sammlung - Deutung - Wertung. Ergebnisse, Probleme, Tendenzen und Perspektiven philologischer Arbeit. Festschrift für Wolfgang Spiewok, Amiens 1988, S. 73-90. Vgl. dazu den Forschungsüberblick im 2. Kapitel. Diese Tendenz wurde bereits den griechischen Romanen zugeschrieben. VgL etwa HOLZBERG, S. 42.

Die religiöse Überformung der ritualisierten Gefühlskultur

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darische Muster in einigen später entstandenen Vertretern der Gattung, insbesondere auf Mai und Beaflor (1270/80),60 voraus. Der religiöse Diskurs fördert bestimmte Formen der Figurenmodellierung, wie eine Tendenz zur Introspektion in Monologen, aber auch Muster der ästhetischen Stilisierung zum Beispiel durch eine Büßerhaltung. Diese Darstellungstraditionen können weiblichen Figuren zugeschrieben sein - Blanscheflur, Beaflor oder Magelone - , sie sind ihnen jedoch keineswegs vorbehalten.61 An Blanscheflur wird ferner die Überlegenheit der christlichen Religion illustriert, die sie trotz ihrer hoffnungslosen Situation gerade nicht verzweifeln, sondern im Glauben neue Kraft finden lässt. Die Ausdrucksmuster der Liebeskrankheit - Schlaflosigkeit und Nahrungsverweigerung - werden ihr deshalb nicht zugeordnet; im Gegenteil, sie isst und trinkt und trägt dabei ihre Bürde: swenn ich trinke od izze, slafe oder wache, so trage ich ungemache sorge under miner brüst.

(V. 1850-1853) Im Anschluss an diese Passage wird die Zeit der Trennung bis zum Wiedersehen der Liebenden auch von Fleck nur aus der Perspektive Flores geschildert. Auf der Ebene extradiegetischen Erzählens ist Flore damit die Verantwortung dafür zugewiesen, dass es überhaupt zu diesem Wiedersehen kommt. Die Zeit der Trennung folgt damit der Logik der Bewährung, wie sie aus der höfischen Literatur bekannt ist. Zugleich ist der Weg der Bewährung als rite de passage gestaltet. Als Floire merkt, dass er vergeblich auf seine Freundin wartet, zeigt er Symptome der Liebeskrankheit. Atant laist le manger ester / et tot le rire et ie jüer, / le boire laist et le dormir (V. 397-399).62 Ganz im Unterschied zur Beschreibung von Blanscheflurs Zustand greift Fleck zur Symptomatik der Liebeskrankheit, um Flores Verfassung zu schildern. Beinahe unmerklich wird dabei erneut die Relation des Gefühlsausdrucks zur Öffentlichkeit virulent: dö begunde er äne schäm sich clagen unde schrien nach siner amien, daz er slief, tranc noch enaz. (V. 1428-1431) 60 61 62

Vgl dazu INGRID KASTEN: Ehekonsens und Liebesheirat in Mai und httrflor. In: Oxford German Studies 22 (1993), S. 1-20. Gegenbeispiele bilden, was die Büßerhaltung betrifft, die Partmtpier-Romane oder der Apollomus von Tyrui. VgL zu Letzterem EMING: Inzestneigung, S. 33f. Übersetzung: Hiermit lässt er das Essen bleiben / und alle Freude und alle Zerstreuung / er trinkt nicht mehr und schläft nicht mehr.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FÄm-Romanen

Mit der Erwähnung von Flores fehlender Scham ist darauf angespielt, dass sein Gefiihlsausbruch dem höfischen Code angemessenen Verhaltens nicht entspricht. Denn die Scham ist eine soziale Emotion, die das Verhältnis zu gesellschaftlichen Normen reguliert.63 Fleck stattet seinen Text nicht nur in höherem Maße als der Conte mit Darstellungen von Emotionen aus, er stellt auch ihren Normcharakter zur Diskussion. An der vorliegenden Stelle ist die Bewertung offen: Aus dem Kontext geht nicht hervor, ob es Flore als Mangel oder gerade als Tugend anzurechnen ist, dass er sich seiner Emotionen nicht schämt.

5.6 Das Grabmal Der Plan der Königin besteht aus der Errichtung eines Grabmals, das Flore glauben machen soll, Blanscheflur sei gestorben. Diese in beiden Romanen aufwendigste Inszenierung gehört zu ihren meist behandelten Textpassagen. In struktureller Hinsicht hat die Grabmalepisode eine Schlüsselfunktion, da sie für Flore den Anlass bildet, mit seinen Eltern zu brechen und in den Orient zu reisen, um nach Blanscheflur zu suchen. Die Ekphrasis ist in einen rein objektbezogenen Teil und einen weiteren unterteilt, in dem die Wirkung des Grabmals auf den Betrachter beschrieben wird.64 Der Betrachter oder intradiegetdsche narrative Adressat nach GENETTE ist Flore selbst. Als zweite Instanz ist das Grabmal auf den Betrachter zweiter Ordnung, den virtuellen Leser oder extradiegetischen narrativen Adressaten ausgerichtet, dessen Wahrnehmung GENETTE zufolge durch den intradiegetischen Adressaten im Text auf Distanz gehalten wird.65 Die Position des Lesers oder Zuhörers fallt dem zufolge nicht mit der von Flore zusammen, der Rezipient rückt Flore gegenüber vielmehr in die Position eines Beobachters. Dieser Umstand wird mit Blick auf die Emotionen, die durch das Grabmal erzeugt werden, von Bedeutung sein.

63 64

65

Dies wird ausführlich im Kapitel zu den Pdrfceqpar-Romanen erörtert. Im französischen Text umfasst der erste Teil insgesamt 115 Verse (V. 551-666), im deutschen 175 (V. 1947-2122), der zweite Teil, der Floires Reaktionen auf das Grabmal einschließlich mehrerer längerer Monologe von Floire und seiner Mutter beschreibt, ist im französischen Text 84 Verse lang (V. 708-792), im deutschen 246 (V. 2198-2444). Zwischen beiden Teilen liegt eine Passage, in der Flores Eltern ihn nach seiner Rückkehr aus Montoire über den angeblichen Tod der Freundin informieren. Vgl. GENETTE: Die Erzählung, S. 186ff.

Das Grabmal

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Intentionen Flores Eltern haben Steinmetze und Goldschmiede mit der Herstellung des Grabmals beauftragt. Es besteht aus einer Marmorplatte mit goldenen und silbernen Verzierungen, die Arabesken zeigen und alle Tiere, die es auf der Erde gibt. Ringsum ist es mit Email und Edelsteinen eingefasst, und oberhalb der Grabplatte sind Flore und Blanscheflur als goldene Figuren angebracht, die einander eine goldene Rose (Blanscheflur) und eine Lilie (Flore) reichen.66 Auf dem Kopf der Figur, die Flore darstellt, befindet sich ein Karfunkelstein,67 eine goldene Inschrift erinnert an Blanscheflur. Die Figuren spiegeln die physische Ähnlichkeit und Verbundenheit des Paars. Weil das luxuriöse Grabmal in seiner Gesamtheit allerdings Blancheflor repräsentiert, liegt es, wie B U R N S betont, auf der Linie einer genderspezifischen Symbolik des Romans, die das Aussehen des männlichen Helden über Naturzeichen wie Blumen, Sonnenschein, Schnee beschreibt, die Physis der Frau hingegen mit Schätzen wie Edelsteinen, Silber, Nerzen assoziiert.68 Dies unterläuft nicht nur die Gemeinsamkeit der Figuren, sondern lässt die Frau selbst wie einen kostbaren Besitz (des Mannes) erscheinen. Das Grabmal weist auch bewegliche Elemente auf, so verfugt es über mechanische Teile, die sich bei günstigen Winden69 in Gang setzen. Dann gehen die beiden Figuren aufeinander zu, reichen sich die Blumen, sprechen miteinander und küssen sich. Zur Inszenierung der Grabstätte auf der ersten Ebene gehören außerdem vier Bäume von exzeptioneller Schönheit und/oder mit wundertätigen Kräften, sowie Vögel, von deren Gesang auf den, der sie hört, eine beruhigende Wirkung ausgeht. Dies wirft - in Anlehnung an Aspekte der Produktivität und Intentionalität von Inszenierungen, die früher entwickelt worden sind —70 die Frage auf, welche Absichten Flores Eltern mit dem Grabmal verbunden haben und welche Emotionen es hervorrufen soll. Im französischen Text hat der Einsatz des Vogelzwitscherns den Charakter einer .Liebesprobe': Wer nicht liebt, schläft auf der Stelle ein.71 Ein 66

67

Die Episode um das Grabmal ist deshalb auch in Zusammenhang mit einer Traditionslinie der mittelalterlichen Literatur zu sehen, in der männliche Helden mit Automaten konfrontiert werden. Vgl. dazu JUTTA EMING: Schöne Maschinen, Versehrte Helden. Zur Konzeption des künstlichen Menschen in der Literatur des Mittelalters. In: EVA KORMANN, ANKE GTT.I.F.TR, ANGELIKA SCHLIMMER (Hg.): Textmaschinenkörper. Genderotientierte Lektüren des Androiden, Amsterdam/New York 2006 (ABNG 59), S. 35-46. Bei Fleck tragen außerdem beide Figuren eine Krone, eine Vorausdeutung auf ihr späteres Leben als Herrscheipaar, V. 2007f.

68

Vgl. BURNS, S. 224.

69 70 71

Im französischen Text werden diese Winde durch vier Rohre geleitet, vgl V. 593-596. VgL dazu im 4. Kapitel den Abschnitt zu Inszenierungen. Von .magischen Effekten' spricht LEGROS, vgl S. 77 u. S. 105.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FAw-Romanen

junger Mann und eine junge Frau hingegen, die einander lieben, werden, so bald sie diesen ,süßen Gesang' (dous cans, V. 639) hören, von der Liebe so ergriffen {d'amors si tresfort esprissent, V. 640), dass sie aufeinander zulaufen und sich küssen. Die Bewegungen der mechanischen Figuren auf dem Grabmal würden so von einem menschlichen Paar wiederholt. Wenn also die Figuren vom Wind in Gang gesetzt werden und die Vögel dazu singen, dann kann die Liebe von Floire und Blancheflor in einem anderen Liebespaar lebendig werden — eine tröstliche und versöhnliche Perspektive für eine scheinbar früh und unglücklich abgebrochene Beziehung. Fleck hat mit dem Vogelgesang eine andere Wirkung beabsichtigt. in maneger wise was ir clanc dem grabe ze beiden siten so süeze ze allen ziten, daz ein fröudelöser man, der nie fröude gewan, siner swaere vergseze, ob er da stüende od sxze. so er der vogele stimme hörte, wserliche er zerstörte sin leit, solt er wesen da, ob er joch von alter wxre gra. (V. 2088-2098)

Kein anonymes Liebespaar, dessen Liebe durch das artistische Spiel der mechanischen Figuren stimuliert wird, ist hier avisiert, sondern ein unglücklicher Mann, dessen Stimmung durch den Vogelgesang vertrieben werden soll. Die Ausstattung des Grabmals in Flecks Text ist ganz auf den intradiegetischen Adressaten Flore zugeschnitten. Sein Schmerz soll vertrieben werden. Das Spektrum der Effekte, die zu diesem Zweck durch die Grabmalsinszenierung potentiell erzeugt werden, ist allerdings weit gefasst. Aus dem Gesamtarrangement geht hervor, dass das Grabmal Flore die Geliebte nicht vergessen lassen soll, sondern dass es gerade dazu einlädt, sich ihrer zu erinnern und die Emotionen für sie wiederzubeleben. Es appelliert an einander widersprechende Emotionen und Stimmungen wie Freude und Schmerz, Erinnern und Vergessen, Verzweiflung und Hoffnung. In der Forschung ist von der Widersprüchlichkeit potentieller Empfindungen auf eine Paradoxic der Inszenierung selbst geschlossen worden. KOLMERSCHLAG zufolge ist das Grabmal ein „krasser Widerspruch zur gelebten Wirklichkeit Blancheflors",72 nach Auffassung von RÖCKE wird es in „seiner zierlichen Künstlichkeit und graziösen Zartheit [...] zum Sinnbild eben der Liebe, die Flores Eltern paradoxerweise mit Hilfe des 72

KOLMERSCHLAG, S. 126.

Das Grabmal

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Grabmals unterbinden wollen."73 Diese Widersprüche lösen sich jedoch auf, wenn berücksichtigt wird, dass durch die ästhetische Programmatik des Grabmals Emotionen nicht simultan, sondern sukzessive konstituiert werden sollen. Die Intention, die Flores Eltern mit dem Grabmal verbinden, liegt nämlich darin, einen Prozess der psychischen Gesundung auszulösen, in dem der Held seine Emotionen aktualisiert, um sie bewältigen zu können. Für eine solche intendierte Heilwirkung spricht, dass typische .Therapeutika' für die Liebeskrankheit verwendet werden, wie ein anregendes, das Blut belebende Figurenspiel und Musik.74 Mit dem Grabmal verbindet sich die Hoffnung, dass mittels unterschiedlicher visueller und auditiver Stimuli bei Flore ein emotionaler Prozess entsteht, durch den zwischen Erinnerung, Freude und Trauer schließlich eine Balance geschaffen wird. Im Verhältnis zu dem ihm zugedachten Zweck stellt es sich als Problem dar, dass das Grabmal den gewünschten Effekt bei Flore nicht erzielt. Eine solche Entwicklung ist der Definition von SEEL gemäß in jeder Inszenierung angelegt, da die Intentionalität ihrer .Regisseure' mit der Intentionalität der Inszenierung selbst, über die im literarischen Text der extradiegetische Erzähler entscheidet, nicht zwangsläufig identisch ist.75 Auch für die Untersuchung performativer Prozesse spielt die Erkenntnis, dass Praktiken und ihre Wirkungen, genauer: illokutionäre und perlokutionäre Funktionen, sich nur begrenzt steuern und antizipieren lassen, eine entscheidende Rolle. Wirkungen In der französischen Version wird der Umstand, dass Intentionen und Effekte der Grabmal-Inszenierung sich dissoziieren, nur kurz zu einem Thema. Die Darstellung der Wirkung des Grabmals bleibt auf folgende Passage beschränkt:

73 74

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RÖCKE: Höfische und unhöfische Minne- und Abenteuerromane, S. 420. VgL zur Tradition der Behandlung von Melancholie JEAN STAROBINKSI: Geschichte der Melancholiebehandlung von den Anfängen bis 1900, Basel 1960; MARIA G. MOLLER; Der andere Faust Melancholie und Individualität in der Historie von D. Johann Faulen. In: DVjs 60 (1986), S. 572-608; femer KlJBANSKY u.a. VgL zur Definition von SF.F.l, das Kapitel 4.1 zum Begriff der Inszenierung.

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Li rois76 a la tombe l'en maine. Flores i va a molt grant paine et vit l'escrit de Blanceflor a cui Flores ot grant amor. .III. fois le list, lors s'a pasme ains c'un seul mot eüst parle. Apres s'assist Ii damoisel desor la piere del tomblel. Durement commence a plorer et Blanceflor a regreter.77 (V. 707-716)

Auf eine lange Klage um Blancheflor (V. 717-792) folgt die Darstellung von Floires fortgesetzter Trauer am Hof (V. 793-804), die schließlich dadurch beendet werden soll, dass ein Zauberer an den Hof geholt wird, um Floire abzulenken. Zerstreut wird durch den Auftritt des Zauberers allerdings in erster Linie der extradiegetische Adressat. Die Textpassage folgt implizit erneut dem emotionalen Code der ,Liebeskrankheit', denn die Funktion des Zauberers und seiner Kunststücke erschließt sich über die Emotionen, die er zur Heilung von der Liebeskrankheit einerseits stimulieren und andererseits vertreiben soll. Der Zauberer kann die phantasievollsten Kunststücke vorführen: Er lässt Ochsen durch die Luft fliegen, Esel auf der Harfe spielen und Mönche durch Nonnen mit Messern bedrohen. Zuerst tritt Rauch aus seinen Nasenlöchern, dann steckt er scheinbar den gesamten Hof in Brand. Spiele sind verbreitete Therapeutika sowohl gegen die Melancholie wie gegen die ihr verwandte Liebeskrankheit.78 Die Kunst des Zauberers muss als Inszenierung auf der ersten und zweiten Ebene beschrieben werden. Denn er schafft Illusionen, um emotionale Wirkungen zu erzeugen. Er will Floire unterhalten, ihn von seiner Schwermut befreien und seine Konstitution beleben. Doch der anregende Wechsel aus Vergnügen und Furcht, auf den die Zauberkunststücke zielen, entsteht auf der intradiegetdschen Textebene nur bei den Mitgliedern des Hofes. Floire lässt sich nicht in den Bann der Zerstreuung ziehen: [...] 76

77

78

Nur in HS Α ist es der König, der Floire begleitet, zum Kontext hätte sa mm (vie in HS B) besser gepasst. Die Abweichung führte zu weitreichenden Hypothesen über die Vorlagen für die beiden ältesten Handschriften des Conte und ihre Adaptionen, lässt sich jedoch plausibler mit einem Schreibfehler erklären. Dies erläutert ROLAND LANE: A critical review of the major studies of the relationship between the Old French Floire et Blancheflor and its Germanic adaptations. In: Nottingham Medieval Studies XXX (1986), S. 1-19, hier S. 3ff. Übersetzung: Der König fuhrt ihn zum Grabmal. / Floire geht in sehr großem Leid dorthin / und las die Inschrift über Blancheflor, / die von Floire sehr geliebt wurde. / Dreimal hat er es gelesen, dann ist er in Ohnmacht gefallen, / bevor er ein einziges Wort hätte sprechen können. / Danach setzte sich der junge Herr / auf den Grabstein. / Er beginnt heftig zu weinen / und um Blancheflor zu trauern. Vgl. WACK.

Das Grabmal

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por Blanctflor / lejunepooit esgarder (V. 876f.).79 Obwohl auch die Textrezipienten potentiell durch die lange Textpassage unterhalten werden und auf der intradiegetischen Ebene schließlich alle Mitglieder des Hofes in Schlaf versenkt sind, verharrt Floire in dem wachen Zustand, der für eine Liebeskrankheit typisch ist (Endormi sont desous un trank, / fors seul Flores qui s'en isst; / sacies que pas ne s'endormi V. 890-892).80 Wie schon im Falle des Grabmals zeigt er nicht die emotionalen Reaktionen, die seine Eltern sich von der Inszenierung erhofften. Diese Resistenz seiner Emotionen und ihre Autonomie gegenüber Versuchen der Manipulation sind Indizien dafür, dass Floire beginnt, sich der Einflusssphäre seiner Eltern zu entziehen, und dass er in die Trennungsphase des rite de passage eintritt. Im deutschen Text werden Flores Emotionen weniger eindeutig nach dem Modell der Liebeskrankheit gestaltet. Wohl aus diesem Grund fehlt die Episode um den Zauberer. Stattdessen wird äußerst differenziert beschrieben, wie Flore auf das Grabmal reagiert.81 Die erste Wirkung geht nicht von der Inschrift aus, sondern von den beiden Figuren: vil Wunders groz an im geschach: wan als er diu bilde gesach, diu die wercmeister macheten, wie sie zein ander lacheten (der bilde einz was ir gelich von golde clär unde rieh, und im gelich daz ander), sä ze stunt bekander, daz sie nach in gemachet wären; wan er sach sie gebären, als er mit ir gewon was. (V. 2207-2217)

Anders als bei der resümierenden Darstellung im französischen Text wird der Wahrnehmungsvorgang detailliert geschildert. Flore sieht das Lachen der Figuren, dann bemerkt er, dass sie ihm und Blancheflur nachgebildet sind und sich genau so verhalten, wie er und seine Freundin es getan haben. Erst danach kommt die Rede auf die Inschrift, wobei inhaltlich und stilistisch nachvollziehbar wird, dass Flore durch das Grabmal angeregt wird und dass es ihn neugierig macht: 79 80 81

Übersetzung: Wegen Blancheflor / konnte er dem Spiel nicht zusehen. Übersetzung: Alle sind unter einer Espe eingeschlafen / außer Floire, der fortgegangen ist / Ihr sollt wissen, dass er nicht eingeschlafen ist. Die Unterschiede zwischen beiden Romanen sind also in verschiedenen Darstellungsinteressen in Bezug auf Emotionen begründet und nicht in einem generellen Versuch des deutschen Dichters, .psychologisch* zu motivieren. Vgl dazu auch JUTTA EMING: Reiz, Rausch, Remedium. Zur emotionalen Wirkung von Zauberkraft in höfischen Romanen des 12. und 13. Jahrhunderts. In: FRIEDRICH WOLFZETTEL (Hg.): Das Wunderbare in der arthurischen Literatur. Probleme und Perspektiven, Tübingen 2003, S. 141-157.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den FjSm-Romanen hei wie flizeclfche er las die guldinen buochstaben, die da stuonden ergraben al umbe des grabes ort! weinde sprach er disiu wort: „hie lit Blanscheflür diu guote, die Flore minte in sinem muote, und si in ze gelicher wis. si was sin friunt, er ir ämis." da von wart das kint ermant also ver, daz im geswant da stunt von der angesiht, e dan er wurde verriht. und als er kam ze gerechen, daz er mohte sprechen, sä ze stunt er sich verlie fur diu kint üf diu knie, den begunde er warten mit rede vaste zarten und dar nach heize weinen, sin herzeleit erscheinen, daz im an der megede geschach. (V. 2218-2239)

Während sich im französischen Text Floires Trauer angesichts des Grabmals verstärkt, wird im deutschen Roman ein Prozess einander ablösender Emotionen gestaltet. Fleck lässt Flores herzeleit durch einen Sturm widerstreitender Emotionen erscheinen. Flore ist verwundert, neugierig und fasziniert {hei adefli^ecliche),dann verzweifelt und schließlich vom Schmerz über den Verlust der Freundin überwältigt. Anders als der französische Dichter verwendet Fleck typische Darstellungsmuster der ritualisierten Gefuhlskultur wie mehrfaches Weinen und wiederholte Ohnmächten. Dadurch werden die Temporalität und Prozessualität der Trauer unterstrichen. Der extradiegetische Erzähler hat am .Erscheinen' der Emotionen in Relation zu verschiedenen medialen Stimuli - kostbare Steine, bewegliche Figuren (deren Lebensechtheit dadurch noch unterstrichen wird, dass sie wie wirkliche Personen apostrophiert werden: diu kint)?2 Schrift - und an der sinnlichen Wahrnehmung durch Auge und Ohr ein besonderes Interesse. In einem langen Klagemonolog erinnert sich Flore an den gemeinsamen Unterricht {ach wie wir tougen / samet retten in latine, / und ich iu an mime teveline / brievelt von minnen schreip, V. 2286-2289) und unternimmt schließlich mit 82

WALTENBERGER spricht von „Präsenzeffekten", vgl S. 31. Nach Auffassung von JOHANNA BELKIN: Das mechanische Menschenbild in der Floredichtung Konrad Flecks. In: ZfdA 100 (1971), S. 325-346, hier S. 328, wird die Künstlichkeit der Inszenierung jedoch stets präsent gehalten. Vgl. auch ebd. zum Hintergrund der Episode in den mittelalterlichen artet mecbamcae

ebd., pasnm.

Das Grabmal

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dem Griffel, den Blanscheflur ihn zum Abschied gegeben hat,83 einen Selbstmordversuch - mit einem Instrument also, das auf Schrift und im Kontext des Romans zusätzlich auf den gemeinsamen Unterricht verweist. Die Inszenierung der Grabstätte bringt wie die Lektüre der Bücher über die Liebe im Akt der Narration Emotionen ,zur Erscheinung'. Während es im Zusammenhang des Unterrichts jedoch darum ging, wie Emotionen entstehen oder transformiert werden, liegt in der Grabmalepisode der Akzent darauf, Emotionen, die (noch) nicht sichtbar und (für die Figuren) nicht bewusst abzurufen sind, zum Vorschein zu bringen. Schrift, Literatur, das metonymisch auf sie verweisende Schreibinstrument, doch auch das Kunstwerk ,Grabmal' selbst werden so in unterschiedlicher Form zu Medien des Gefühlsausdrucks. In dem Umstand, dass es gerade ein Kunstwerk ist, welches Emotionen konstituiert, könnte ferner ein Hinweis darauf liegen, dass Flecks Text selbstreflexiv wird und auf die literarische Konstitution von Emotionen durch seinen Roman anspielt. Im Bearbeitungsschritt vom französischen zum deutschen Text nimmt insgesamt das Interesse des extradiegetischen Erzählers zu, im Akt der Narration Emotionen zur Erscheinung zu bringen. Während es im Conte genügt, auf das Aussehen des Grabmals zu verweisen, auf den Helden, der davor steht und die Inschrift liest, schließlich auf seine Ohnmacht und seine Tränen, wird bei Fleck das sukzessive Auftreten der Emotionen in ihrer körperlichen Expressivität detailliert beschrieben. R l D D E R vermerkt mit Blick auf die so entstehenden Emotionen die Diskrepanz zwischen der Intentionalität der Inszenierung und ihrer Wirkung auf Flore. Den Grund dafür, dass die Inszenierung schließlich fehlschlägt, vermutet er darin, dass sie eine Täuschung darstellt. Das Grabkunstwerk soll Flore täuschen, die Geliebte als tot und die Liebesbindung als vergangen vorspiegeln. D o c h die unbedingte Liebe, die den Interessen der Gesellschaft (der Eltern) entgegensteht, läßt sich nicht im memorialen G e denken - so ist die Aussage des Textes zu verstehen - domestizieren. 84

Bei der Kontrastierung der »unbedingten Liebe' mit dem Gedenken berücksichtigt R l D D E R nicht, dass Flores Emotionen gerade durch die Anschauung des Grabmals wiederbelebt werden. Die Erfahrung .unbedingter Liebe' ist damit direkt an das Grabmal gebunden. Dies geht zwar auf den täuschend echten Charakter der mechanischen Figuren und ihres Spiels 83

Im Contt will Floire im Anschluss an die Episode mit dem Zauberer Selbstmord begehen, indem er sich in die Löwengrube begibt (V. 909ff.). Zu seinem Kummer verschonen die Tiere ihn jedoch und knien vor ihm nieder. Erst dann erfolgt der Selbstmordversuch mit dem Griffel (V. 999), erscheint also losgelöst von der Anschauung des Grabmals. Auch die Episode um die Löwengrube wurde - wie die um den Zauberer - in die meisten Bearbeitungen nicht übernommen, vgL LANE, S. 3ff.

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RlDDER: Asthetisierte Erinnerung, S. 73.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den F/Swt-Romanen

zurück, den auch RlDDER hervorhebt.85 Wie im Falle des französischen Romans zeigen Flores Emotionen, dass er sich dem Zugriff seiner Eltern allmählich entzieht. Dies berechtigt jedoch nicht dazu, die Authentizität der Emotionen in einen Kontrast zum Inszenierungscharakter des Grabmals zu rücken. Das Interesse der Episode liegt im Gegenteil darin, dass Emotionen und die Inszenierung, durch welche sie zur Erscheinung gebracht werden, nicht im Gegensatz von Täuschung und Wahrheit abgebildet werden können. Die im ,Innen' situierten Emotionen werden auch nicht, wie RÖCKE formuliert, „zur rührenden Geste veräußerlicht".86 Indem das Medium ,Grabmal' durch seine Materialität dazu beiträgt, dass Flore Emotionen für Blanscheflur vergegenwärtigt, stellt es ein Beispiel für die performative Konstitution von Emotionen dar.

5.7 Die Fahrt in den Orient oder die Unfähigkeit zur Verstellung Um einen Selbstmord Flores zu verhindern, klärt seine Mutter ihn darüber auf, dass das Grabmal den Tod Blanscheflurs nur vortäuschen sollte. Flore entscheidet daraufhin, die Geliebte zu suchen.87 Das paradigm scenario des Abschieds von den Eltern ist Anlass intensiver Gefuhlsbekundungen: Atant a congie demande. Li rois en plorant l'a done A sa mere ra pris congie et eile l'a .c. fois baisie. La les vei'ssies molt plorer, lor puins tordre, lor crins tirer, et tel duel faire au departir com sei vei'ssent dont morir. 88 (V. 1221-1228)

Die Szene illustriert, dass Darstellungsmuster der ritualisierten Gefühlskultur nicht der Liebesbeziehung vorbehalten sind. Die Gesten und die Anrufung der extradiegetischen Adressaten unterstreichen vielmehr, dass der 85 86 87 88

Vgl. ebd., S. 72. RÖCKE: Höfische und unhöfische Minne- und Abenteuerromane, S. 420. Es trifft nicht zu, dass „die Naturähnlichkeit der Bildwerke den Wunsch [verstärkt], den Dingen auf den Grund zu gehen." RlDDER: Ästhetisierte Erinnerung, S. 73. Übersetzung: Dann hat er um Erlaubnis für die Reise gebeten. / Der König hat sie ihm unter Tränen gegeben, / von seiner Mutter hat er die Erlaubnis ebenfalls erbeten, / und sie hat ihn wohl einhundert Mal geküsst / Dort hättet ihr sehen können, wie sehr sie weinten, / die Fäuste rangen, die Haare tauften, / und beim Abschied derart trauerten, / als ob sie ihn sterben sehen wurden.

Die Fahit in den Orient oder die Unfähigkeit zur Verstellung

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Emotionsausdruck unter Verwandten ebenfalls in hohem Maße konventionalisiert und als solcher vorbildlich ist. Eltern und Kind verabschieden sich so voneinander, wie es dem Anlass und ihrer Beziehung angemessen ist. Der Emotionsausdruck hat Handlungscharakter (duel faire), der ihre Bindung bekräftigen und in der gegebenen Situation darüber hinaus bezeugen soll, dass diese Bindung durch ihren aktuellen Konflikt nicht aufgehoben wurde. Die Eltern statten Flore deshalb auch großzügig mit einer Ausrüstung aus, zu welcher der Pokal gehört, für den Blanscheflur verkauft: wurde. Denn Flore greift nun erstmals selbst zum Mittel der Verstellung. Um nach Blanscheflur suchen zu können, will er sich als Kaufmann ausgeben. Der Weg des Helden in den Orient verläuft so als Spurensuche nach Blanscheflur. Der Abschied von den Eltern markiert den Übergang von der Trennungsphase in die Schwellenphase des rite de passage. Neben diesem ersten erzählerischen Hinweis liegen weitere Indizien der Transgression in Flores Fahrt über das Meer89 sowie darin, dass er seine soziale Identität temporär abstreift. Flore hat seinen gesellschaftlichen Verband, der wie jede Gesellschaft „als strukturiertes, differenziertes und oft hierarchisch gegliedertes System politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Positionen mit vielen Arten der Bewertung"90 zu verstehen ist, verlassen. Er verbirgt seine Identität als Angehöriger des Hochadels und tritt fortan in einer Gruppe von Kaufleuten auf. Damit ist er durch Anonymität und Einfachheit des Redens und Auftretens gekennzeichnet, Merkmalen, die nach TURNER für den Schwellenzustand charakteristisch sind. Flore kehrt während seiner Reise bei verschiedenen Wirtsleuten ein, die vorher bereits Blanscheflur beherbergten. Nach einem wiederkehrenden Muster bemerken die Wirtsleute allmählich, dass Flore seinem Aussehen und Verhalten nach tatsächlich kein Kaufmann sein kann. Appetitlosigkeit, Seufzer und charakteristische Absencen in einer geselligen Runde mehrerer Händler im Gasthaus geben seine Emotionen — wie früher am Hof des Vaters - zu erkennen. Eine der Textstellen wurde bereits zitiert,91 um auf die Inszenierung von Authentizität hinzuweisen, die in diesem Zusammenhang zu beobachten ist: L'ostesse l'a bien regarde, du keute a son signor boute: „Sire, fait ele, aves veü

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Wenn EGIDI konstatiert, dass die Meerfahrt nur anzitiert werde und dass damit die Möglichkeit erzählerisch .versande', eine Grenzüberschreitung sujethaft werden zu lassen (S. 148), geht sie über die genannten Signale hinweg. Sie macht femer nicht deutlich, wie eine solche Sujethafogkeit auszusehen hätte. TURNER; Das Ritual, S. 96. Vgl. das 4. Kapitel.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den fvWRomanen com cius enfes s'a contenu? Son mangier laist por le penser, sovent le voi molt souspirer. Par mon cief, n'est pas marceans, gentix hom est, el va querans."92 (V. 1281-1288)

Die Wirtin dechiffriert einen emotionalen Code. Wer aussieht wie Flore und in dieser Form seine Emotionen zeigt, ist ein Adliger, der nach Abenteuern und/oder nach der Geliebten sucht. An dieser Stelle wird ersichtlich, wie unzulänglich es wäre, eine fehlende ^Affektkontrolle' grundsätzlich auf einen niedrigen Grad an Zivilisierung zurückzuführen ist. Flores Unfähigkeit zur Körperkontrolle ist gerade kein Ausdruck seiner mangelnden Kultiviertheit. Es ist nicht der unzivilisierte, triebgeleitete Körper, der sich durch seine Verkleidung Bahn bricht, sondern ein Körper, der im kulturellen Umfeld des Hofes konditioniert wurde und dort ein körpersprachliches Vokabular erworben hat, das die Wirtsleute erkennen. Aus einem Kommentar von Konrad Fleck geht hervor, dass eine solche Kongruenz von Emotion und Expression sich nur dem verständigen Betrachter mitteilt: Nü merkent wunder, daz ein man niemer mit nihte kan verbergen ze langer ftist, waz sines herzen kumber ist, der in müejet tougen: wan wises mannes ougen kiesent fremdes mannes rät, ob er groze fröude hat oder groze beswaerde; wan diu üzer gebserde zeiget den inneren willen. (V. 3027-3037)

Emotionen werden nicht in Form eines Automatismus an der Oberfläche des Körpers erkennbar, sondern nur für den, der den Code versteht und, dies ist hinzuzufügen, im günstigsten Fall selber teilt. Denn die Anrede des intradiegetischen Erzählers (nü merkmt wunder) ist auch eine performative Strategie, die sein höfisches Publikum an die Bedeutung von Emotion und Expression für soziale Distinktionen erinnert. Die Textpassage bestätigt auf den ersten Blick die These von BACHORSia, dass die Abenteuerzeit dazu dient, die angestammte Identität 92

Übersetzung: Die Wirtin hat ihn aufmerksam betrachtet / und hat ihren Mann mit dem Ellbogen angestoßen: / „Herr, sagt sie, habt Dir gesehen, / vie dieses Kind sich verhalten hat? / Er ist so in Gedanken versunken, dass er das Essen vergisst, / und oft sehe ich ihn seufzen. / Wirklich, das ist kein Kaufmann. / Das ist ein Edelmann auf Abenteuersuche."

Die Fahrt in den Orient oder die Unfähigkeit zur Verstellung

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des Helden zu re-konstituieren. Dies gilt ERIKA und DIETER KARTSCHOKE zufolge auch und gerade dann, wenn Rollenspiele thematisiert werden. Im 12. und 13. Jahrhundert steigert ihrer Auffassung nach „der Identitätsverlust in den Erzählungen von Trennung, Flucht, Irrweg, Wiederfinden, Wiedervereinigung und Heimkehr nach dem Muster des spätantiken Liebes- und Abenteuerromans die angestammte, ,eigentliche' Identität."93 An Flore wird ersichtlich, in welchem Maße diese Bestätigung der angestammten Identität an das Konzept des adligen Körpers und an Ausdruckskonventionen von Emotionen gebunden ist. Um seine Rolle überzeugend verkörpern zu können, wäre es nötig gewesen, neben Kleidung und Ausstattung auch den Habitus eines Kaufmanns anzulegen. Doch dazu ist Flore, anders als etwa Salman im ,Spielmannsepos' Salman und MoroJf, nicht in der Lage. Seine Körpersprache ist dem merkantilen Ausdrucksrepertoire nicht anzupassen.94 Flore beherrscht die Techniken der Verstellung mithin kaum; sein Versuch, sich als Kaufmann zu inszenieren, ist alles andere als erfolgreich. Unfähig, mit Hilfe seines Körpers einen Schein zu erzeugen und eine geliehene soziale Identität zu habitualisieren, verrät er sich durch verschiedene, für Eingeweihte leicht zu entziffernde Zeichen. Auch das Motiv der physischen Ähnlichkeit der Liebenden, die ihre innere Verbundenheit spiegelt, verweist auf Flores angestammte Identität. Es erscheint nur im französischen Text: el vos resanle, en moie foi, / bien poes estre d'un eage, / ή vos resank du visage (V. 1298-1300).95 Der Umstand, dass die körperliche Ähnlichkeit nun wieder zu einem Thema wird, lässt sich als ein weiteres Indiz für die liminale Phase lesen, die nach TURNER auch durch Geschlechtsindifferenz gekennzeichnet ist. Die Auffassung, dass die innere und die äußere Identität des Adligen idealiter zusammenfallen, wird in den höfischen F/ons-Romanen jedoch an ihre Grenzen geführt. Zwar sichert das Unvermögen zum konsequenten Rollenspiel Flore den Erfolg seines Unternehmens. Er wird im doppelten Sinne, als Adliger und als Freund Blanscheflurs, erkannt und findet so den Weg zu ihr. Doch die Nachrichten von Blanscheflur fallen Flore nicht einfach zu. Er schenkt den Wirtsleuten für ihre Informationen vielmehr Geld und kostbare Güter aus seinem Kaufmanns-Fundus. Damit erweist

93

94 95

ERIKA und DIETER KARTSCHOKE: Rollenspiele. In: MEYER, SCHIEWER, S. 309-333, hier S. 323.

Vgl. auch bereits BACHORSKI: grosse mgsliicke. VgL ähnlich, aber unspezifischer LEGROS, S. 139: „[...] dans cette sodete Floire sc distingue des autres par son comportement et par une certaine noblesse qui semble emaner de sa personne." Übersetzung: Sie sieht Euch ähnlich, bei Gott / Ihr könnt wohl gleichen Alters sein. / Ihr Gesicht ähnelt dem Euren.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den Fiw-Romanen

er sich, wie BURNS beobachtet, als bemerkenswert erfolgreicher Kaufmann.96 Wie der weitere Verlauf der Handlung zeigt, kann Flore auch auf Techniken der Verstellung nicht verzichten. Es macht das Interesse der F/on?-Romane aus, dass die männlichen Helden lernen müssen, zum Schauspieler zu werden. Dass dies als Verlust eines Zustande der Unreife, Unerfahrenheit und Unschuld zu verstehen ist, wird daran ersichtlich, dass die Protagonisten im Verlaufe dieser Entwicklung immer seltener als .Kinder' apostrophiert werden. Flores rite de passage ist auch als Prozess des Erwachsenwerdens entworfen, zu dem gehört, dass Kompetenzen in Täuschungen und Verstellungen erworben werden.

5.8 Die Täuschung des Turmwächters Flores Weg an den Ort, an dem Blanscheflur gefangen gehalten wird, verläuft über vier Stationen, die symbolisch auf seinen transitotischen Zustand verweisen. Zu wiederholten Malen muss er Flüsse von einem Ufer zum anderen überqueren — der dritte Wirt ist selbst ein Fährmann —, bis der vierte Wirt, Daries, ihn mit den Umständen von Blanscheflurs Gefangenschaft und den schier unüberwindlichen Schwierigkeiten vertraut macht, sie daraus zu befreien. Blanscheflur lebt bei einem Fürsten, der sie zusammen mit anderen jungen Frauen in seinen hermetisch verschlossenen Jungfrauenturm' gesperrt hat. Dieser uneinnehmbare, prächtige Turm, Symbol für die Machtfülle und den Reichtum des Emirs, wird wie die anliegenden Gärten in beiden Textversionen ausführlich beschrieben. Die detaillierten Darstellungen der Kostbarkeiten und exquisiten Gegenstände dienen als Metonymien einer Figur, die orientalische Pracht, Exotik, aber auch Archaik und Grausamkeit repräsentiert. Im Zeichen eines archaischen Regelsystems, dessen Ausschlusslogik auf ein mythisches Substrat verweist, steht auch der Brauch, der Blanscheflurs Leben akut bedroht. Der Emir wählt jedes Jahr aus seinem Turm eine Frau, die er für die Dauer eines Jahres heiratet. Die Auswahl findet in dem paradiesähnlichen Garten statt. Zunächst erfolgt eine Jungfrauenprobe': Alle Frauen müssen eine Quelle überschreiten. Wenn sich dabei das Wasser der Quelle verfärbt, wird dies als Zeichen dafür gelesen, dass die Frau keine Jungfrau mehr ist und deshalb als Gattin für den Emir nicht in Frage kommt. Sie wird daraufhin getötet. Die Frauen, welche die Jungfrauenprobe unbeschadet überstehen, versammeln sich unter einem Zauberbaum, von dem 96

BURNS, S. 218F.

Die Täuschung des Turmwächters

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ein Blatt auf diejenige fallt, welche die nächste Gattin des Emirs werden soll. Sie wird gekrönt und lebt ein Jahr lang in Ehren und Würden an der Seite des Emirs als seine Ehefrau. In der französischen Fassung wird sie nach Ablauf dieser Frist jedoch getötet Wie Danes berichtet, soll das Regelsystem in diesem Jahr durchbrochen werden. Der Emir kann zwar den Baum durch Zauberkraft (par encantement V. 2091) so manipulieren,97 dass ein Blatt auf seine Favoritin fällt, doch will er diesmal nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Denn er hat sich bereits individuell für Blanscheflur entschieden und wird seinen Rat um Zustimmung dafür bitten, sie vorzeitig heiraten zu dürfen. Der Diskurs über Emotionen wird so mit einem Diskurs über kulturelle Differenzen und Hegemonien verbunden. Die in religiöser und kultureller Hinsicht überlegene Blanscheflur erzeugt im .barbarischen' Emir Emotionen, die ihn einen archaischen Kult zumindest temporär aussetzen lassen. Handlungslogisch setzt diese Entscheidung Flore unter Zeitdruck. Er muss Blanscheflur aus dem hermetisch abgeriegelten Turm befreien. Weil der Weg der kämpferischen Eroberung für ihn aussichtslos wäre,98 müssen andere Mittel gefunden werden. Daries gibt Flore den entscheidenden Hinweis darauf, wie eine Befreiung zu bewerkstelligen wäre, und entwickelt einen Plan. Der Turmwächter, der als überaus loyal gegenüber dem Emir, gewalttätig und geldgierig bekannt ist, spielt leidenschaftlich gerne Schach. Daries' Plan sieht vor, den Turmwächter dadurch gewogen zu machen, dass er im Schachspiel um Gold die gesamte Gewinnsumme geschenkt bekommt. Als kostbarstes Gut soll Flore zum richtigen Zeitpunkt den Pokal einsetzen, der auf den Turmwächter unwiderstehlich wirken wird. Wie SCHMID anlässlich dieser Konfliktlösungsstrategie hervorgehoben hat, [...] traut die Erzählung den Gesinnungswandel des Torhüters nicht dem Geld als Tauschwert zu, sondern dem spekulativen Einsatz der Gabe. Es ist Floren milte, diese Säule des feudalen Gesellschaftsvertrags, diese eigentümliche Mischung aus Berechnung und Ethik, die auf die absolute Bestechlichkeit wie auf die absolute Verläßlichkeit von seinesgleichen vertraut [...].99

Milte bezeichnet die adlige Freigebigkeit, und auch das Profil des Mannes, den Flore spielen soll, verweist auf einen Adligen. Flore soll sich als rei97 98

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Nur im französischen Text trägt der Emir dadurch Züge eines Magiers. In Flecks Fassung möchte der Amirai sich gerade nicht von der Magie des Zauberbaums abhängig machen, sondern selbst eine Frau wählen, vgl. V. 4511. Daries rät Flores aufgrund der starken huote deshalb auch zunächst von dem Unternehmen ab, vgl. &z. V. 1749f., dt V. 4117ff. Die These von LEGROS, dass Flore gar nicht in der Lage wäre, Blancheflor durch einen Kampf zu befreien, da er eine ausschließlich intellektuelle Ausbildung genossen habe, ist gegenüber dieser objektiven Konstellation nicht stichhaltig. Vgl. LEGROS, S. 132ff. SCHMID: Über Liebe und Geld, S. 51.

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den Fim-Romanen

eher und gebildeter Mann ausgeben, als erfolgreicher Architekt (engigneor, V. 2120, wise man, V. 4616) ), der sich deshalb für den Turm interessiert, weil er ihn in seinem eigenen Land nachbauen lassen möchte, und der dafür offensichtlich über unermessliche Geldquellen verfügt. Flore agiert gegenüber dem Turmwächter somit einerseits in seiner angestammten Identität als Adliger, ohne andererseits seine wahre Herkunft und seine wirklichen Absichten preisgeben zu dürfen. Eine Schlüsselrolle in Daries' Plan nimmt das Kalkül mit den Emotionen des sozial und kulturell Unterlegenen ein. Die .niedere* Gier und Spielleidenschaft des Turmwächters sind Ausweis des sozialen Gefalles zum feinfühligen Flore. Erneut dient die Differenzierung emotionaler und expressiver Register zur Profilierung sozialer Distinktionen. Daries erklärt die Emotionen des anderen nämlich als Psychogramm eines Spielers, das Flore sich zunutze machen soll: Der gedanc verteeret in unde nimet im den sin, da2 er niht spiln kan, und im aber gewinnent an, swaz er mac gesetzen. ix sulnt in ergetzen sines schaden also e. siner fröuden wart nie me, so er tüsent unze enpfähet. da von so nähet, daz ir im werdent heimlich, iedoch so dunket er sich niht vollen saelic da mite nach gl tiger liute site; wan er gerne siehe, daz ir den köpf als wxhe an daz spil saztent, [...] sin glust beginnet starken von so herzeclicher gir. (V. 4809-4829)

Wenn es Gründe gibt, bei der Analyse der Emotionsdarstellung im FlonRoman auf den Affekt-Begriff zu rekurrieren, dann fraglos anlässlich dieses von seiner Sucht nach Geld und Glücksspiel besessenen Kontrahenten. Den Turmwächter treiben wenige, eindeutige Emotionen an: Die fröude am Spiel, die gir nach Gold und der wahnhafte Zustand, in den er gerät, wenn er nicht spielen kann oder zu verlieren droht.100 Die einfache Logik seiner Emotionen macht ihn durchschaubar und manipulierbar. Als 100 Al.TPETER-JONES weist darauf hin, dass in den Szenen konsequent die gir des Turmwächters mit der mitte Flores kontrastiert werde.

Die Täuschung des Turmwächters

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Flore den Plan in die Tat umsetzt und ein Schachspiel mit dem Wächter beginnt, zeigt dieser daher die erwartete unersättliche Gier und den abzusehenden Wechsel der Affekte. Ergriffen von der Passion für das Schachspiel und für das Gold, voll %orn (V. 5104) darüber, dass er eine Partie verliert, dann wieder fro unde geil (V. 5187), reich beschenkt zu werden, ist er schließlich vom Anblick des Pokals überwältigt und begehrt ihn wie kein anderes Gut. Diesmal bleibt Flore der Regisseur der Inszenierung: Er kann sich auf der ersten Ebene mit Hilfe verschiedener Requisiten erfolgreich verstellen, bringt im Sinne der zweiten Ebene, der produktiven Seite von Inszenierungen, die Emotionen des Turmwächters zur Erscheinung und verbirgt zugleich seine eigenen Emotionen. Obwohl Flore als Adliger und nicht als Kaufmann auftritt, muss er den körperlichen Gefühlsausdruck kontrollieren. Fleck schildert, dass Flore von Beginn an seine Körpersprache einsetzt und seine Gefühle verbirgt: den turn besach er unde maz, do er in umbe gie, nü dort und aber hie an iegelicher site, die heehe und die wite, die breite und die lenge. [...] ouch künde er wol gebären sime herzen ungeliche: er maz so ernestliche dicke hin dicke her dem geliche also er, durch niht wxre komen dar, wan des turnes ze nemene war: doch warten im die sinne an Blanscheflur dar inne. (V. 4936-4952)

Mit dieser Diskrepanz zwischen äußerem Anschein und innerem Empfinden ist die Entsprechung von Emotion und Expression aufgebrochen, die Flores Verhalten in der Kaufmannsverkleidung bestimmte. Während ihres Spiels geht Flore auf die Bitten des Turmwächters, ihm den Pokal zu verkaufen, allerdings nicht ein. Nun kommt eine neue Dynamik zum Tragen, auf die Danes mit seinem Plan ebenfalls spekuliert hatte: von des heiles saelekeit wirdet er so gemeit, und wirt sin fxöude so gröz (wan er nie so viel genoz von keines mannes güete),

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den F^rr-Romanen und ist siner armüete so genzliche worden rat, daz er niemer verlat, er envalle iu zen fuezen: er sprichtet: „nü müezen mine sinne iu iemer mere ze fördernd iuwer ere sin mit triuwen dienesthaft," und biutet sine manschaft iu ze liebe unde ze eren. (V. 4859-4873)

Danes' List rechnet einerseits mit der Logik der Gabe, dem in der Anthropologie als universell erachteten Prinzip der Gegenseitigkeit von Schenkungen.101 Andererseits baut die List auf den Lehnsvertrag in seiner klassischen Kombination aus dinglichen und persönlichen Elementen. Denn im Lehnsvertrag der klassischen Feudalität stellte zwar „die Treuepflicht und die Dienstpflicht des Vasallen den Gegenstand einer Verpflichtung dar, die aus einem Vertrag hervorgegangen war, der seinem Wesen nach jeder dinglichen Grundlage entbehrte.102 Doch erst der Austausch der Gefolgschaftspflicht gegen ein sachenrechtliches Lehen hat die hochmittelalterliche Feudalität begründet. Es ist genau dieser Übergang von einer dinglichen zu einer personenrechtlichen Begründung, zu dem Flores List den Turmhüter zwingen soll (Lors vos tenra il a amor / com Ii hom liges son signer.; V. 2183f.;103 so enpfähent in man, V. 48769). Flore will ihm den Pokal nur unter der Bedingung überlassen, dass dieser ihm seine Hilfe in Aussicht stellt. Ohne zu zögern macht der Turmwächter daraufhin das erhoffte Angebot: Lieber herre und ouch gespil, nü enpfähent mich ze man, unde kiesent dar an, daz ich nimer gescheide mit liebe noch mit leide von iu, die wile ich lebe. (V. 5288-5293)

Mit dem Bekenntnis zur Gefolgschaft ist das Ziel der Inszenierung erreicht. Flore hat den Turmwächter erfolgreich für seine Ziele instrumentalisiert. Obwohl diese Form der Konfliktlösung auf den Funktionsweisen der klassischen Feudalität beruht, weicht sie von denen anderer mittelalterlicher Texte ab. Im höfischen Roman wie in der Heldenepik stellen 101 Vgl. MARCEL MAUSS: Die Gabe. Form und Funktion des Austausche in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1968. 102 FRANCOIS Louis GANSHOF: Was ist das Lehnswesen?, Darmstadt 1977, S. 164. 103 Obersetzung: Dann wird er Euch in Liebe zugetan sein, / wie ein Lehnsmann seinem Herrn.

Emotionale Affigierung als Kulturtransformation

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Kampf und Krieg anerkannte Mittel der Konflikdösung dar, auch wenn sie vielfach von Reflexionen begleitet sind, in welchen Grenzen der Einsatz von Gewalt gerechtfertigt und unter welchen Bedingungen der Gegner zu schonen ist.104 Der Turmwächterepisode liegt ein Problem zugrunde, das mit der Gefangennahme Blanscheflurs zwar auf einem Akt der Gewalt beruht, dem jedoch nicht mit einem reziproken Akt der Vergeltung begegnet werden kann. Deshalb wird eine Lösungsstrategie gefunden, die auf sublimeren Methoden beruht - auf List und Verstellung, dem Kalkül auf die Emotionen des Gegners und der bindenden Logik sozialer Übereinkünfte. Inszenierungen der ersten Ebene sind damit nicht nur mit negativ konnotierten Kulturtechniken wie Täuschung, Verstellung und Betrug verbunden, sondern stellen auch Modelle für Formen der Bewältigung von sozial und emotional determinierten Konflikten bereit. Indem Flore den Turmwächter überlistet und erstmals die Kulturtechnik der Verstellung gemeistert hat, ist ein entscheidender Schritt der Initiation in die Welt der Erwachsenen vollzogen.105 Und mehr als das: Von seinem Verhalten geht eine bezwingende Wirkung auf die Affekte des anderen aus: Cil sot parier tant ricement, et eil le vit tant bei et gent, por ςοα k'en lui vit tel biaute, tote entrelaist sa cruaute et dist: „Ne sanies pas espie."106 (V. 2205-2209)

In dieser mäßigenden Wirkung auf die Affekte kommt ein kulturstiftendes Potential zum Tragen, das die Romane in ihrem letzten Teil bestimmt und den zentralen Konflikt löst. 5.9 Emotionale Affizierung als Kulturtransformation Es kommt zu einer letzten Täuschung, als Flore sich mit Hilfe des Turmwächters in einem Rosenkorb verstecken kann, der in den Turm gelassen wird. Das Paar ist wieder vereint und lebt für einige Wochen in der heimlichkeit von Blanscheflurs Turmzimmer zusammen. Aus dem französi104 Vgl. zum höfischen Roman etwa CHRISTOPH HUBER: Ritterideologie und Gegnertötung. Überlegungen zu den Erw-Romanen Chretiens und Hartmanns und zum Prosa-Lancelot. In: GARTNER, KASTEN, SHAW, S. 59-73.

105 LEGROS sieht nach der Episode mit Daries den ritt de passage vollendet, bleibt inhaltlich aber unspczifisch, vgl LEGROS, S. 59. 106 Übersetzung: Dieser konnte so vornehm sprechen, / und jener fand ihn so liebenswürdig und freundlich, /und weil er in ihm eine solche Schönheit erblickte, / unterlässt er seine Grausamkeit / und sagt: ,Jhr seht nicht aus wie ein Spion."

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Lesbarkeit und mediale Stimulierung von Emotionen in den F/W-Romanen

sehen Text geht nichts darüber hervor, dass es in dieser Zeit auch zu sexuellen Handlungen kommt. Doch nur Konrad Fleck betont die Enthaltsamkeit: keiner fröude sie vergazen, diu ze minnen treffen mac, des liep mit liebe je gepflac, an daz einige spil, daz llhte ein törper haben wil für daz beste an der minne, daz er von siner fiiundinne immer eht gewinnet, und durch niht enminnet wan durch ein biligen. (V. 6094-6103)

An Flecks Text ist an dieser Stelle eine Differenzierung im Diskurs über den körperlichen Gefühlsausdruck zu verzeichnen. Der Körper wird, insofern er Begehren artikuliert, als törper denunziert, als Chiffre für unhöfisches Benehmen, dem das kultivierte minne spil, das hier körperliche Nähe ohne Sexualität impliziert, entgegensteht. Während Emotionen die Figuren ganz erfüllen, bis sie sich im gestischen und mimischen Ausdruck zur Geltung bringen, scheint der törper leichter beherrschbar. Diese Beherrschung des törpers ist doppelt determiniert: Sie entspricht der religiösen Forderung nach sexueller Abstinenz vor der Ehe und ist Ausdruck der Kultiviertheit der Liebenden. Darüber hinaus macht sie deutlich, dass das Paar sich noch im Zustand der Liminalität befindet, für den sexuelle Enthaltsamkeit nach TURNER eines der wichtigsten Merkmale darstellt. Allerdings bringen Flore und Blanscheflur sich durch die Hingabe an ihr Beisammensein langfristig in Gefahr und nehmen immer weniger Rücksicht auf die Situation, in der sie sich befinden. Der Emir/Amirai lässt mehrfach nach Blanscheflur rufen und wird jedes Mal, vermittelt über ihre Dienerin, mit einem Vorwand hingehalten, bis er schließlich misstrauisch wird (frz. V. 2552ff., dt. V. 6196ff.). Als ein Bote des Emir Flore schlafend neben Blanscheflur in ihrem Bett vorfindet, wird die Geschlechtsindifferenz des Helden wieder besonders vermerkt: do kund er mit nihte des erkennen noch entstan, ob er Floren möhte hän für wip oder für man; wan er enhäte bart noch gran,

Emotionale Affizierung als Kulturtransformation

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gelich einer jungen maget. (V. 6338-6343)in?-Fassungen wird Florio von Bianceffora eine Weile im Turm versteckt. Als neues Element tritt hinzu, dass sie einander diesmal vor einer Cupido-Skulptur in Biancefforas Zimmer das Ehegelöbnis geben. Danach leben sie jedoch um so züchtiger miteinander.63 Die .private' Übereinkunft ist kein Zielpunkt des rite de passage,M ihre Keuschheit verweist vielmehr auf den Zustand der Liminalität und die Vorläufigkeit ihres Beisammenseins. Wie in den älteren Romanen wird das Paar schließlich gefunden und den Menschen präsentiert, die sich vor dem Turm in einer Menge versammeln. In dieser bezeichnenden Szene unterstreicht der intradiegetdsche Erzähler schon in der Fassung von Konrad Fleck, dass die Situation für die Protagonisten beängstigend ist. do komen die gevangen mitten üf den hof gegangen under al die menegin. wie mohte in do ze muote sin, do sie nieman erkanden und da warn gestanden vor ir vienden allen!

(V. 6791-6797) Die Formulierung wie mohte in d6 ^e muote sin ist eine performative Strategie, mit der an das Mitgefühl der extradiegetischen narrativen Adressaten appelliert und die Affizierung auf der intradiegetischen Ebene antizipiert wird. Der Erzähler der Prosa zielt dagegen nicht auf eine innertextuelle Gefuhlskonstitution. Er schildert eine entwürdigende Situation: Mit großer eyll das boß volck alls die vnglucks fro ware. Florio vn bianceffora in ire schlaff also nacket vff hüben / ir bayder große schon nicht verwundern mochten / doch darum ir kain erbarmung hetten / Mit iren hertten groben henden / bayd liebhabende person / auß irem schlaff namen vn cleglichen bunden / des sie so ser erschracken [...] mit diemutiger claglicher stim sprachen. Nun was ist das / das ir also vns schentlich bindent / Des inen durch unzuchtige 63

Die Überschrift des entsprechenden Abschnitts, cij': Wie Florio von ersten bianceffora beschaffet / der gSlicben ee den vtg geben, ist insofern missverständlich. 64 Insofern ist auch nicht, wie BRAUN konstatiert, „die narrative Bewegung darauf gerichtet, die Liebenden endgültig zu vereinen, was eben nur in der Ehe zu erreichen ist" BRAUN, S. 122.

Die Obszönität der Öffentlichkeit

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wort geantwurt ward. Ir vm ewer boß gewirckten Werck willen sterben must / Des Bianceffora erbermblich waynet [...] (ciijr).

Die adlige Gesellschaft, die in den hochmittelalterlichen Fassungen vor den Turm tritt, ist in der Prosa zum boeß volck transformiert, zu einer gewöhnlichen, sensationslüsternen Menge. Der Erzählerkommentar setzt auf entsprechend grelle Kontraste. Florio und Bianceffora sind als schlafende Schönheiten geschildert, die brutal aus dem Schlaf gerissen werden, nach deren unschuldigen nackten Körpern grobe Hände greifen und deren demütige Fragen eine höhnische Antwort bekommen. Die Brutalität des volcks gegenüber den verängstigten Protagonisten tritt noch deutlicher hervor, als die anderen Frauen des Turms hinzukommen und in ihren Reaktionen sofort ihre adlige Herkunft offenbaren. Denn obwohl sie gerade von Florio kein Auge lassen können, zeigen sie angemessenes, taktvolles Verhalten: Gloricia ν ή die andern iunckfrawen alle geloffen kamen [...] alle biß in den tod betrübt waren / allain mit clegliche waynen alle gott für sie batten / ir kain schäm het / den nackenten iungling anzesechen / vnd dz vm seiner onaußsprechlichen schön willen / Also dz herren gebott zeuolbringen / die zway liebhabende nacket gebunden vber den thurn auß ab zu der erd an aine sayle gelassen wurden / doch ain wenig enbor hägen beliben / domit sie von yederman also schentlich gesehen weren / Ain sollichs bald aller meniglich zewissen kam / alle geloffen / das vnzuchüg schentlich ding zesechen / vö großem gewappente volck behut waren / do durch sich yemant zu in nachen mocht (ciijv).

Der Blick der jungen Adligen auf den schönen Mann erinnert an die Hofdamen in den Partonopier-Romanen, die von der erotischen Ausstrahlung des jungen Helden affiziert waren. In der vorliegenden Szene gibt es aber weder Signale der Erotik noch der Ironie. Eine größere Beschämung, als nackt an einem Seil baumelnd einer Menge dargeboten zu werden, lässt sich in Bezug auf einen Angehörigen der höfischen Kultur kaum denken. Die Szene der Entdeckung des Paars, die in der Romanfassung von 1499 von einer Illustration begleitet wird, zeigt exemplarisch die kolportagehaften Züge, welche vor allem antike und spätmittelalterliche Vertreter des liebes- und Abenteuerromans annehmen können. Fraglos sind es diese Züge, die zur Charakterisierung der Prosaversion als .popularisierend' in besonderem Maße beigetragen haben. Entblößt und hilflos in ihrer hängenden Position werden Florio und Bianceffora den Augen einer Öffentlichkeit preisgegeben, die hier, anders als in den Szenen an Felicies Hof, Züge eines primitiven, triebhaften Mobs bekommt. Dass bewaffnete Männer das Paar vor dem Zugriff der Menge schützen sollen, evoziert die Vorstellung, dass diese sich andernfalls auf die beiden stürzen würde. Die Atmosphäre wirkt aufgeheizt und bedrohlich. Die Kontrastierung des Geschehens im Turmzimmer mit den Vorgängen auf dem öffentlichen Platz macht deutlich, dass nicht schon die Nacktheit Florios und Biancef-

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Dissimulation von Emotionen und Intiojektion der Krise in Florio und Bianaffora

foras obszön ist, sondern die Form ihrer Präsentation. In der Abgeschlossenheit des Turmzimmers wirken die entblößten Körper unschuldig und schön. Durch den Zugriff der Öffentlichkeit, die gleichsam ans Licht zerrt, was besser verborgen geblieben wäre, und die nackten Körper der öffentlichen Beschämung aussetzt, erscheinen sie jedoch als obszön. Die Öffentlichkeit wirkt obszön im Sinne der Etymologie des Begriffs, indem sie ausstellt, was ob scaenum ist, was also außerhalb der Szene liegt und nicht dazu intendiert war, einem Publikum gezeigt zu werden. In diesem Kontext verwundert es nicht, dass die Zuschauer vom Unglück des Paars nicht, wie in den älteren Fassungen, so affiziert werden, dass sie um Gnade für die Liebenden bitten. Allerdings bringen die Protagonisten nun auch nicht mehr öffentlich ihre Liebe zum Ausdruck. Im Gegenteil - Florio/Philocolo weiß seine Emotionen zu beherrschen: Un die weyl die zway eilenden in den lufften hiengen / Bianceffbra claglich waynte. Aberr Philocolo mit vestem gemüt sein groß pein in sein hertz versperret / Mit vnuerkertm angesicht vn vnbenetzten zachem seiner äugen / den gachen vnzuchtigen ansprang deßs vngluckes mitt vestem gemut vertrug vn layd (ciijv).

Florio hat im Zuge des rite de passage Verhaltensregister seiner beiden ,Väter', König Felicies und Ascheions, übernommen. Er versperret seinen Schmerz im Inneren und ist nach außen scheinbar gleichgültig. Sogar Bianceffora sich ser befremdet (ciiij1) angesichts dieser Veränderung von Emotion und Expression. Flore clagt sich (ciiij1), doch davon dringt nichts nach außen. Nur der extradiegetische narrative Adressat erfährt, wie unglücklich Florio ist - und dass ihn nach wie vor Gedanken an die Eltern bewegen: Ο du herter vater mein vn mutter / Jr wolten mich nicht in find bey euch haben hewt wird ir mein ain witteb seyn / vn mir mein auge nicht schliessen noch meinem leyb begrebnys geben / hewt wert ir an ewer feindin Biäceffora aller widerdrieß gerochn / doch nicht on ewern großen schaden vn trawngkayt / auch vm meinet willen on biäceffora ewer zacher nit vergiessen werd / dan v f f ainen tag / in ainer stund ains todes tode empfachen sullen / vn dz nicht vnbillichen / dan wol billich ist / wer mit find guttigkayt nit besitzen will / der sie mit trubßal one die liebe besitzen. Darum stond ir bayd mit ewiger vnrwe / dan sollicher sund die got an euch rechn werden (ciijT).

Der innere Monolog Florios variiert die immer gleichen Grundgedanken nach einem inzwischen bekannten Muster. In einem Rache-Impuls gegen die Eltern wird das unendliche Leid ausgemalt, das sie seinetwegen werden erdulden müssen. Der Monolog ist signifikant, weil er zeigt, in welchem Ausmaß Florio nach wie vor in eine Auseinandersetzung mit den Eltern involviert ist, die er nur in seinem Inneren fuhrt. Es zeigt sich auch, welche unterschiedlichen Funktionen die ritualisierte Gefuhlskultur im Liebes- und Abenteuerroman übernehmen kann. Die bekannten Elemente - das Kreisen um das eigene Schicksal, die Klagen, das immer neue Be-

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schwören des eigenen Leids - werden hier nicht mehr in einen melancholischen Diskurs, sondern in eine innere Auseinandersetzung mit der Elterninstanz überfuhrt. Erst als Bianceffora zu Selbstbezichtungen übergeht, ist Florio zu Tränen gerührt (ciiij1). Das Verhalten, das er angesichts einer denkbar beschämenden Situation zeigt, verbindet somit zwei verschiedene Modelle: Unterdrückung von Emotionen gegenüber einer — feindlichen — Umgebung und Empathie gegenüber der Geliebten. Der extradiegetische Erzähler konfrontiert beide Modelle in einer ambivalenten Konstellation und illustriert damit die Schwierigkeit, unterschiedliche Register von Emotion und Expression mit sozialen Situationen zu koordinieren. Es sind schließlich die Götter selbst, die sich vom Schicksal Florios und Biancefforas erbarmen lassen und das Wunder bewirken, dass der brennende Scheiterhaufen die beiden unangetastet lässt: Der %n>ayer erbermlich clagen / die zornigen got in barmher^tigkait bewegß / ir waynen vh eilend erhörten mit gantyem fleys in bilff bereiten. Venere fur allgottgieng / die iren vnderthon retten den gantsgn hymel mit irem bitten bewegt (ciiijv). Erst dann können auch Ascheion und Florios Gefolgschaft eingreifen. Der Umstand, dass die Affizierung nur noch bei den Götterinstanzen eine Wirkung zeigt, bestätigt, dass ein Modell, nach dem die Performanz von Emotionen ein Mittel der sozialen Konfliktbewältigung darstellt, erheblich an Bedeutung eingebüßt hat. Durch die Rolle der Öffentlichkeit in diesem Szenario wird eine kulturhistorische Problematik transparent. Indem der Zugriff auf die intime Beziehung zweier Individuen zu einem monströsen Akt der Entwürdigung ausphantasiert wird, ist der wachsende Einfluss der Öffentlichkeit auf die Liebesbeziehung perhorresziert. Es wird deutlich, dass sich die Rolle der Öffentlichkeit im Transfer von den hoch- zu den spätmittelalterlichen Liebes- und Abenteuerromanen verschoben hat. In den älteren Romanen ist die höfische Gesellschaft eine normsetzende Instanz, deren Anforderungen nur über heimliches Handeln zu genügen war und die in zunehmendem Maße Verstellungen nötig macht, deren Techniken am Körper zu habitualisieren sind. Im Roman von Florio und Bianceffora erscheint die Öffentlichkeit als eine umfassende soziale Kontrolle, die sich bis in die intimsten Bereiche ausdehnt und die Integrität des Körpers beschädigt.

7.10 Gefährdete Körper In den älteren Liebes- und Abenteuerromanen ist der Körper ein zentrales Kommunikationsmedium für Emotionen. Körperliche Performanz und gestische Stilisierung haben die Funktion, Emotionen für andere und für

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Dissimulation von Emotionen und Introjektion der Krise in Fhrie und Rianaffora

die eigene Person erfahrbar zu machen. Nach ersten Tendenzen, die sich in den FÄn?-Romanen abzeichnen, wird in den Partonopier-Romznen der körperliche Gefühlsausdruck Kontrollmechanismen unterzogen, die sich im Sinne von display rules als Unterdrückung und Maskierung bezeichnen lassen. Emotionen sind in einen ,Innenraum' zu delegieren, der für ihre körperliche Performanz allerdings nicht kompensiert. Der Monolog Meliurs, in dem sie beklagt, dass sie ihre Emotionen im Körper verschließen muss, hat dieses Problem in aller Klarheit formuliert. Das Konzept des Körpers in Florio und Bianceffora erscheint demgegenüber als höchst widersprüchlich konstituiert. Einerseits eignet dem Körper eine Evidenz, die sich jeder Versprachlichung entzieht und unmittelbar heftige Emotionen auslöst. Andererseits hat der Körper bereits Züge der ,äußeren Hülle' angenommen, die für das Körperbild der Neuzeit charakteristisch ist. Er ist ein Instrument, das dazu dient, Emotionen zu verbergen. Diese Dissimulation der Emotion ist insofern ökonomisch, als sie eine doppelte Funktion erfüllt: ,Wahre' Emotionen werden zum eigenen Schutz in das Körper-Innere verbannt, und gleichzeitig wird eine emotionale Maske angelegt. Hier zeigen sich Anzeichen der descartesianischen Körper-,Maschine', die für Intentionen des Geistes instrumentalisiert werden kann.65 Die Konstituierung eines Innenraums verläuft jedoch weder nach außen noch nach innen konfliktlos. Die Figuren sehen sich immer wieder genötigt, auf der »inneren Bühne' ihre Emotionen mit ihren Handlungen zu konfrontieren, was sie Selbstzweifel oder Reue empfinden lässt. Auch die äußere Marginalisierung des Körpers als Medium des Gefühlsausdrucks vollzieht sich nicht widerspruchsfrei. Einer für eine Literaturgeschichte der Körperwahrnehmung interessantesten Aspekte von Florio und Bianceffora betrifft die Form, in der ein krisenhafter Körper in Szene gesetzt wird. Mit ihm offenbart der Text eine Nähe zu humanistischen Diskursen, die den Körper „als jenes Medium [etablieren], das nur punktuell zum Verstummen, kaum aber grundsätzlich zum Verschwinden gebracht werden kann."66 Es handelt sich um einen Körper, dessen der Einzelne sich nicht mehr gewiss ist, der kontrolliert und dessen Ausdruckspotential unterdrückt werden muss und der sich deshalb gegen die eigene Person kehren kann.

65

66

VgL zum Körper-Konzept von DESCARTES und seinem Einfluß auf die Moderne den Beitrag von RICHARD TOELLNER: Der Körper des Menschen in der philosophischen und theologischen Anthropologie des Spätmittelalters und in der frühen Neuzeit In: SCHREINER, SCHNTTZLER, S. 131-146. So - mit Fokus auf JCrankheitsjournalen' prominenter Humanisten - CHRISTIAN KlENING: Der Körper der Humanisten. In: ZfG 7 (1998), S. 302-316, hier S. 314.

Gefährdete Körper

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Buchstäblich aufgelöst wird der Körper von Phileno, dem Höfling König Felicies, der in unglücklicher Liebe zu Bianceffora entbrannt ist. Phileno weiß sich in seinem Kummer nicht besser als dadurch zu helfen, dass er sich in den Wald zurückzieht, den topischen Ort des Rückzugs und der Todesnähe nicht nur im Liebes- und Abenteuerroman. Phileno fasst, anders als viele seiner literarischen Vorgänger, allerdings nicht den Vorsatz, sich den wilden Tieren zum Fraß vorzuwerfen, er verwildert und verwahrlost nicht, er wird nicht wahnsinnig. Aber Phileno kann, abseits des Hofes und nicht mehr gezwungen, seine Emotionen zu verbergen, nicht aufhören zu weinen. Als er die Götter anfleht, ihm den Tod zu schenken, schreitet Venus ein und verwandelt ihn in einen gurgelnden Brunnen. Dieses ungewöhnliche Bild, das auf Ovid zurückgeht, wird hier zur poetischen Chiffre für den Wunsch, sich im Zustand des Liebesleids aufzulösen,67 und verweist darüber hinaus auf eine mangelnde Verfügungsgewalt über den eigenen Körper. Phileno schildert in eindrücklicher Detailliertheit, in welchen Stufen die einzelnen Teile seines Körpers ohne sein Zutun zerfließen. Zunächst hat Phileno in vielen Gebeten die Götter um den Tod angefleht, dz mir nit muglich was den zehaben / doch nach langem bitten ich die heyligen gött vberwand mit meine gebet / In dem ich mir an dißem end ain großn schwais zu gen sach / der mich aller betrübt. Nach dem ward der selbig schwayß beruret / das alles in schwais vnd wasser bekeret / des ich mich mit meyn henden zedrucknen maynet / die sich zehand auch in waßer verketten / Also ich alle mein glider sache zu wasser werden / ain glid das ander treyben / alls der wid dz wasser thüt / mit mein selbs schwerung / ich diße waßer vnd gruben gemacht hon (brixr).

In einer Verbindung aus wunder und experience wird das phantastische Geschehen,68 die monströse Verwandlung des menschlichen Körpers in einen naturhaften Zustand, mit beinahe naturwissenschaftlicher Präzision geschildert. Nur sein Geist {dy alten erkantnyß) und die Gabe der Sprache {das gotlich reden) (bdxr) sind Phileno belassen worden, das, was früher seine weinenden Augen waren, sprudelt jetzt als Quelle im Brunnen, und das Seidentuch, das Bianceffora ihm geschenkt hat, verwandelt sich in Moos. Trotz der ästhetisierten Beschreibung erscheint die Auflösung in Wasser bei wachem Geist nicht nur als Rettungsaktion, sondern auch als Bestrafung. Florio (Philocolo) wird von dieser Erzählung zu Tränen gerührt: Alles das Phileno gesagt het / Philocolo des warname vnnd laydes halben Mechern 67

68

Vgl - auch für die weiteren Beispiele - Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Lateinisch deutsch. In deutsche Hexameter übertragen von ERICH RÖSCH. Herausgegeben von NlKLAS HOLZBERG, Zürich/Düsseldorf 1996, insbesondere das fünfte Buch, zur Verwandlung der Cyade in Wasser ebd., S. 184. VgL auch EMING: Geschlechterkonstruktionen, S. 173. VgL zum Begriff des Phantastischen DUBOST, außerdem EMING: Das Spiel mit der Angst

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Dissimulation τοπ Emotionen und Introjektion der Krise in Florio und Biatuffim

nit verhalten mocht (brix1^). Weil Phileno der sozialen Anforderung nicht genügen kann, Gefühl und Gefühlsausdruck zu beherrschen, wird er seines Körpers beraubt. Phileno ist Sprache und Geist, eingesperrt in einen Brunnen. Erst als Florio in Begleitung von Bianceffora bei der Rückkehr aus Alexandria noch einmal auf den Brunnen trifft, erhält Phileno seine menschliche Gestalt zurück. Weder die Eheschließung, noch die Rettung des Paars durch die Götter, noch der Herrschaftsantritt in Spanien leitet die Phase der Wiederangliederung der Protagonisten in den gesellschaftlichen Verband ein. Florio und Bianceffora reisen vielmehr nach Rom, wo Bianceffora ihre Verwandtschaft trifft, wo Florio sich taufen lässt und damit von Biancefforas Familie anerkannt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt behält er das Pseudonym ,Philocolo' bei. Er ist noch nicht derjenige, zu dem er durch den rite de passage werden soll. Auf dem Weg nach Rom treffen Florio und Bianceffora im Wald von Parthenope auf Zeugnisse weiterer Metamorphosen. Zunächst sehen sie einen Hirsch, den Florio jagen möchte. Sein Pfeil verfehlt das davonspringende Tier jedoch und landet stattdessen in einem Baum. Florio und seine Begleitung erschrocken stunden / nicht westen was sie thun oder sprechen selten (cxr), als menschliches Blut aus der Einschussstelle rinnt und eine Stimme zu klagen beginnt: Ο ich eilender ich hab ainn sollichs nie vmb dich verschult / das ich vonn scharffen todlichen spitzen» solle betrübt / vnd von dir todlichen verwundt sein. Ο wie seliglich der sprechen mag / dem der tod wurt (cxr). In einem Gespräch stellt sich heraus, dass der Baum die verzauberte Gestalt des jungen Idalgo ist, der sich aus unglücklicher Liebe zu einer Frau das Leben nehmen wollte, von Venus aber dadurch daran gehindert wurde, dass sie ihn in einen Baum verwandelte. Wieder wird mit nachgerade naturkundlicher Präzision die Transformation des Körpers beschrieben: Bald mein fuß / 3» wurt^el / vnd dem leib in ain stam / die arm in este / mein schön har in grün bletter / des tanen bawms bekeret / mit gvben rinden vmbgeben / alls ir wol sechen mügt (cxjr). Die Feuer-Metaphorik, mit der die Verliebtheit Idalgos beschrieben wird (ich anhand in vberflusnge Heb entzündet, cxT), kehrt als materiale Beschaffenheit des Baumes wieder: vnd gleych wie das holt^J lieber dan kain ander holt% brinnet (cxj'). Aber auch die junge Frau, in die Idalgo verliebt war, erfahrt eine Metamorphose. Sie wird in einen Stein verwandelt, Ausdruck ihrer Hartherzigkeit gegenüber dem Mann. Allerdings war dies nicht ihr einziges Vergehen, wie Florio und Bianceffora erfahren, als sie auf Idalgos Bitte den Ort der Verwandlung aufsuchen. Das Paar vernimmt dort, dass Idalgos Geliebte zusammen mit drei Gefährtinnen verwandelt worden war. Sie hatten nicht nur durch ihre überheblichen Worte die Göttin Diana

Gefährdete Körper

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provoziert, sondern sich im Wald auch allen erdenklichen Sinnesfreuden hingegeben, darunter derjenigen der gleichgeschlechtlichen Liebe: Nun ains tags sich begab das etlich edel schon frawen von Partenoppe her komen in lust zenemen / in essen mncke vn sich in allen vnzuchtigen vnkeuschen wercken mit ainander gaben / alle schand pflagen / alle zucht von inn gelegtt hetten / ain suntlich schentlich lebn fürten (cxijr).

Der Wald ist nicht mehr nur als Ort der Angst imaginiert, der Todesnähe, des Rückzugs und der zeitweilig außer Kraft gesetzten Rationalität. Die Semantik des Anti-Kulturellen ist um eine Enthemmung aller Sinne bei einem gleichzeitigen Verlust der gesellschaftlichen Standards des Handelns und Fühlens erweitert. Das Phantasma einer lesbischen Orgie im Wald erscheint, indem .harmlose' Sinnesfreuden wie Essen und Trinken in .pervertierte' Sexualität übergehen können, als Chiffre einer Angst vor der entdifferenzierten und kaum beherrschbaren Natur des eigenen Körpers. Anders als bei den männlichen Figuren erfolgt die Verzauberung der Frauen deshalb explizit als Bestrafung, wenn es auch in allen Fällen die unkontrollierte Sinnlichkeit ist - Emotionen und Begehren - aufgrund derer die Figuren ihres menschlichen Körpers beraubt werden: Der vnzuchtigen frawen aller red vn gesprech der gothayt schnei zewissen kam / die alle wider die schentlichn frawen in groß zorn fiellen / des v5 erst Eleriana vö Venere in weyssen stayn bekert ward / die aller ir gesprech vernomen hett / D o Irrana dz sach sie fliechen maynet / zu hand ir fuße zu wurtzeln vn inn den bäum bekert ward. Die drit großen schreckken empfieng / alls die in der mit gesessen was / zu de dornroßen ward bekeret. Die wiert genant Ananoy durch diana zorn zu ainer blumen ward (cxijr).

Die Körperbilder im Wald von Parthenope bilden das Pendant zur Marginalisierung des Körpers im übrigen Roman. Sie machen, was seinen Status als Medium des Gefühlsausdrucks betrifft, eine gegenläufige Bewegung in Florio und Bianceffora ersichtlich. Auf der einen Seite geht die Bedeutung des Körpers für die Expression der Emotion in zunehmendem Maße zurück. Gesten, Ohnmächten oder andere körperliche Ausdrucksmuster werden im Vergleich zu den früheren Texten nur noch kurz beschrieben. Das wichtigste Medium für den Ausdruck der Emotionen bildet die Sprache. Zusätzlich dazu gewinnt der Körper als Hülle und Maske an Bedeutung sowie als Raum, in den .authentische' Emotionen verschlossen werden, und der sie gerade nicht zu erkennen gibt, sondern dafür instrumentalisiert wird, andere Emotionen vorzuspielen. Auf der anderen Seite erscheint der Körper als das nicht Kontrollierbare, in seinen Ausdrucksmodalitäten Unberechenbare. Dieses Körperbild wird deshalb über vielfaltige Chiffren aus dem Reservoir des Naturhaften konstituiert. Dazu zählen Triebhaftigkeit, mangelnde Beherrschbarkeit, die überschießende Körperflüssigkeit (Weinen), die Affinität zu Wald und

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Dissimulation von Emotionen und Introjektion der Krise in Florio und Bianceffora

Wildnis und nicht zuletzt die elementarischen, vegetabilischen und mineralischen Gestalten von Wasser, Pflanze und Stein, in die er sich verwandeln kann. Im Punkt der Verfügbarkeit über den eigenen Leib als Medium des Gefüihlsausdrucks schlägt das eine Körperbild in das andere um. Was auf der einen Seite, der Marginalisierung und Instrumentalisierung des Körpers, scheinbar .funktioniert', zeigt eine Kehrseite in Bildern von entfremdeten Körpern, die mit Gewalt auf die Seite der Natur, das Synonym für Authentizität, festgelegt werden. Der Preis der Habitualisierung des Körpers für Techniken der Verstellung und für das Verschließen der Emotionen erscheint in Florio und Bianceffora im Bild einer beherrschten Natur, die neue Körper-Performanzen hervorbringt, welche sich gegen die Personen richten. Die verwandelten Körper Philenos und der Menschen aus dem Wald von Parthenope sind entfremdete, rebellische Körper, die sich ihrer Domestizierung widersetzen. Florio begegnet diesen verfremdeten Körper wie Mahnmalen. Während eines Prozesses, in dem es ihm immer besser gelingt, seine Emotionen zu verbergen, andere zu durchschauen und nach außen eine Maske der Gelassenheit zu tragen, erinnern sie an den Preis, der für den Erwerb solcher Kulturtechniken zu zahlen ist. Denn Florios rite de passage besteht nicht nur aus einem langen Prozess der inneren Lösung von den Eltern und der zunehmenden Bindung an Bianceffora, er wird zugleich seinem Vater emotional immer ähnlicher und bereitet sich damit darauf vor, an dessen Stelle zu treten. Die Phase der Wiederangliederung des rite de passage entspricht allerdings nicht der Übernahme der Herrschaft in der Heimat, sondern dem Eintritt in die christliche Glaubensgemeinschaft. Ganz anders als in den älteren Romanen sucht und findet Florio Anschluss an Biancefforas verwandtschaftlichen Verband und an ihre Religion. Erst nachdem sein alter Mentor Ascheion gestorben ist, hat er den Wunsch, seinen vatter %esecbn (cxxjv). Gerade der Umstand, dass Florio anders als die Helden der älteren Romane noch einmal mit seinen Eltern zusammentrifft, bezeugt, dass der Akzent auf der inneren Trennung liegt. Durch seine spirituelle Wende hat er sogar die Voraussetzung dafür geschaffen, dem Vater gegenüber eine überlegene Position zu beziehen. Weil er vom Papst einen Auftrag für die Missionierung seiner Heimat erhalten hat, überredet er Felicie, die christliche Religion anzunehmen und in seinem Reich einzuführen.

Ergebnisse

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7.11 Ergebnisse Wenn einem frühen deutschen Roman das Prädikat »Innerlichkeit' attestiert werden kann, dann ist es Florio und Bianceffora — und nicht erst die später entstandene Schöne Magelona.69 In Florio und Bianceffora werden Emotionen als innerer Erlebnisraum gestaltet, der nur noch partiell in Expressionen vermittelt wird und zur äußeren Wirklichkeit in Widerspruch tritt. Profiliertestes Beispiel dafür ist die innere Auseinandersetzung des Protagonisten Florio mit seinen Eltern. Florio schließt den Konflikt mit den Eltern nicht mehr, wie die Helden der älteren Romane, mit seinem Aufbruch in die Fremde ab, sondern trägt ihn mit sich und führt ihn weiter, indem er in Krisensituationen die Eltern imaginär adressiert. Wie in keinem der hochmittelalterlichen Romane ist in der Prosa die Diskrepanz von Handeln und Fühlen, Emotion und Expression ein beinahe allgegenwärtiges Phänomen. Die ritualisierte Gefühlskultur ist an vielen Stellen auf eine innere Bühne' transponiert, auf der Handeln mit Fühlen verglichen wird. Angst, Reue und Mitgefühl sind die beherrschenden Emotionen, mit denen Handlungen innerlich antizipiert oder nachträglich korrigiert werden. Inszenierungen richten sich nicht mehr auf das ,Erscheinen', sondern auf den ,Schein' von Emotionen. Dissimulation und Simulation sind die beherrschenden Techniken ihrer Ökonomisierung. Emotionen werden zwar beständig künstlich erzeugt, doch tritt die Performativität von Emotionen zurück, da sie an handlungskonstituierendem und handlungsauslösendem Potential einbüßen. Das Interesse von Florio und Bianceffora — wie bereits der vorher analysierten Romane — liegt darin, dass zugleich transparent wird, auf welche sozialen Verhältnisse die Techniken des Verbergens und der Inszenierung von Emotionen zurückzuführen sind. Die Interaktion bei Hof verlangt vom Herrscher .Gelassenheit' und Nachvollziehbarkeit, von den Angehörigen des Hofes eine Haltung der Affirmation. Um diese zu gewährleisten, werden Emotionen beständig unterdrückt und durch simulierte Emotionen ersetzt Im Vergleich mit den älteren Texten fällt auf, dass immer mehr Situationen emotional besetzt und zugleich immer mehr Expressionen kontrolliert werden. Dadurch entstehen überall Ambivalenzen und Unsicherheit über die wahren Absichten des anderen - ein Klima des Misstrauens. Die Figuren haben sich im Schein der Emotionen aber keineswegs eingerichtet, sondern suchen nach Authentizität. Für die Liebesbeziehung erweist sich dies als schwere Hypothek. Sie ist - wie auch die DecameroneSequenz zeigte - kein Ort der Authentizität, auch wenn die Protagonisten ständig nach dieser suchen. Gerade Zeiten der Trennung führen zu Zwei69

Vgl. dazu die Diskussion im nächsten Kapitel.

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fein am anderen. Und vor allem bei den männlichen Figuren konstituiert sich eine melancholische Krisenerfahrung, die sich auf eine genderspezifische Zuspitzung transparent machen lässt. Die männlichen Figuren ertragen ihr Leiden dadurch, dass sie sich zum Opfer des Gattungswesens Frau stilisieren. Der Körper wird von einem Medium, das Emotionen veranschaulicht und kommuniziert, zu einem Instrument, das Emotionen kontrolliert und unterdrückt. Die Figuren können sich deshalb nicht mehr ihres Körpers als eines Mittels der Erkenntnis bedienen. Der Körper besitzt nur noch für das Gegenüber Aussagekraft für die Authentizität und Exorbitanz von Emotionen. Gerade in diesem Körperbild zeigt der seinem italienischen Entstehungshintergrund über das Motiv der disämulatio verpflichtete Text Querbezüge auf der synchronen Ebene. Wie in den höfischen Romanen Wickrams wird der Körper immer wieder mit einer Unmittelbarkeit und Direktheit ausgestattet, die sich als Kehrseite der vermittelten und scheinhaften Kommunikation am Hof begreifen lässt. Der Körper wird zum Garanten einer Wahrheit, die in der höfischen Interaktion vergeblich gesucht wird. Degradiert zu einem Instrument der Gefühlskontrolle, befindet der Körper sich dennoch in einem Zustand der Krise. In Florio und Bianceffora erscheinen deshalb verstörende Bilder von aufgelösten, transformierten, gerade nicht beherrschbaren Körpern, die den gegenläufigen Zug zu seiner Marginalisierung bilden.

8. Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona Im 16. Jahrhundert treffen Prosaromane, in deren Zentrum Liebesgeschichten stehen, auf ein großes Interesse. Vielfach ungenannte Autoren verfertigen Übersetzungen und Bearbeitungen älterer Vorlagen, die schließlich 1587 in Sigmund Feyerabends berühmter Kompilation Das Buch der Liebe publiziert werden.1 Ein herausragendes Beispiel für die Entwicklung des Liebes- und Abenteuerromans ist Theagenes und Charikleia, die deutsche Übertragung von Heliodors Aithiopika. In diesem Text werden genrespezifische Merkmale weiter entfaltet, die bereits für die PartonopierRomane und für Florio und Bianceffora konstitutiv waren. Dazu gehören Experimente mit Erzählperspektiven und Erzähltechniken wie Anachronien,2 aber auch die Dissoziation der Handlung in mäandernde Nebenstränge und die Einführung einer ganzen Reihe von Nebenfiguren. Schon das griechische Original gilt als „Klassiker",3 und die deutsche Übertragung Theagenes und Charikleia wurde als „Spitze der Gattung" bezeichnet.4 Doch was die Popularität des Liebes- und Abenteuerromans zumindest im 16. Jahrhundert angeht, lässt die Schöne Magelona den Roman von Theagenes und Charikleia weit hinter sich. Die Dichtung ist ein Bestseller ihrer Zeit, und dies, obwohl sie in einer charakteristischen ,Handlungsarmut' gerade umgekehrt zu Theagenes und Charikleia Grenzen sichtbar werden lässt, an die das Erzählen im Liebes- und Abenteuerroman gekommen ist. Einer verbreiteten Auffassung zufolge wird durch diese Handlungsarmut verstärkt „der Blick auf die inneren Vorgänge gelenkt", auf „die im ganzen konflikdose, dennoch wechselvolle Liebe".5 Vor der Folie der bisherigen Befunde lässt sich diese Einschätzung nun überprüfen. Denn 1

Einen Oberblick über den Inhalt und die Druckgeschichte des Buchs der Liebe gibt JOHN L. FLOOD: Sigmund Feyerabends .Buch der Liebe' (1587). In: ASHCROFT, HUSCHENBETT, JACKSON, S. 204-220.

2

Unter Anachronien sind mit GENETTE Dissonanzen zwischen der Ordnung der Geschichte (Diegese) und der Ordnung der Erzählung (Narration) zu verstehen, vgl. GENETTE: Die Erzählung, S. 22ff.

3

HAGG, S. 95. Vgl. zur Rezeption im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts GÜNTER BERGER:

4 5

Legitimation und Modell. Die .Aithiopika' als Prototyp desfranzösischenheroisch-galanten Romans. In: Antike und Abendland 30 (1984), S. 177-189. MOLLER: Kommentar, S. 1234. MÜLLER: Kommentar, S. 1002.

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

schon in den Partonopier-Romanen und in FJorio und Bianceffora wird ein ,Innenraum' der Emotionen konstituiert. Es ist deshalb zu fragen, wie sich solche Entwürfe von .Innenräumen' zur körperlichen Performanz von Emotionen verhalten, wie sie den Status des Körpers als Statthalter für Authentizität und als Medium für die Kommunizierbarkeit des Gefühls tangieren, und wie sich die Relationierung des Gefuhlsausdrucks mit den Bereichen von Öffentlichkeit und Privatheit darstellt. Dafür werden auch Seitenblicke auf Theagenes und Charikleia und auf die höfischen Liebesromane Wickrams geworfen.

8.1 Forschungsüberblick In der Forschung herrscht über Fragen der literaturhistorischen Situierung der Magelona weitgehend Konsens. Die Gattungszugehötigkeit zum Liebes· und Abenteuerroman steht, wie schon im Fall von Florio und Bianceffora, ebenfalls nicht in Frage.6 Hybridbildungen7 und Einflüsse anderer Gattungen und Werke sind jedoch auch hier festgestellt worden. Zu diesen Einflüssen gehören der Ursprung der Geschichte in einer aitiologischen Gründungssage der Kirche St. Pierre et Paul auf der Insel Maguelonne vor Montpellier, die Affinität zum Märe Der Büsant, eine an Erzählungen aus Tausendundeine Nacht erinnernde Motivik und legendenhafte Züge.8 Anders als im Falle von Florio und Bianceffora wurde der Magelona jedoch bereits in frühen Arbeiten, die sich mit der Überlieferung der ,Volksbücher' befassten,9 eine Wertschätzung zuteil, die nicht zum wenigsten auf die Darstellungsmuster von Emotionalität zurückzuführen ist: Die Liebesgeschichte ist klar und fast frei von verwirrender Wunder- und Abenteuer-Fülle durchgeführt. Diese relative Einfachheit läßt eine liebevolle Kleinmalerei zu. Das Seelische ist vertieft und liebenswürdig gestaltet [...]. Man kann die ^Magelona' als dasjenige der Volksbücher bezeichnen, das an künstlerischer Durchbildung und Geschlossenheit den ersten Platz einnimmt·'0

So unbestimmt das Kriterium der ,künsderischen Durchbildung' auch ist, wird dennoch deutlich, dass der Magelona im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Romanen eine Präferenz der Darstellung von Emotionen gegenüber der Handlung zugeschrieben wird. Der Hinweis auf eine 6 7 8 9 10

Vgl. BACHORSKI: posu mgilücke. Vgl. dazu in erster Linie die Untersuchung von SCHULZ. Vgl. MÜLLER: Kommentar, S. 1232ff.; Schulz, S. 153ff. Zur Problematik des Volksbuch-Begriffe vgl. MOLLER; Volksbuch/Prosaroman, S. Iff. RUTH WESTERMANN: Die niederdeutschen und dänischen Übertragungen von Veit Warbecks „Schöner Magelona". In: ZfdPh 57 (1932), S. 261-313.

Forschungsüberblick

289

»liebevolle Kleinmalerei des Seelischen' lässt zudem eine differenzierte Schilderung von Emotionen erwarten. Nach übereinstimmender Auffassung der Forschung - bei unterschiedlichen Begründungen im Einzelnen — hat die Liebesbeziehung nun einen ,privaten' Charakter. Als wichtigstes Indiz für diese Privatheit gilt JAN-DIRK MÜLLER, dass die Liebesbeziehung nicht mehr für „das Ganze, das Land, den Herrschaftsverband Bedeutung" hat und gesellschaftliche Normen nur noch dadurch reflektiert, dass sie selbstverständlich auf die Eheschließung ausgerichtet ist.11 RÖCKE bewertet den Umstand, dass die Protagonisten unabhängig von ihrer ,offiziellen' Kommunikation eine heimliche Beziehung bei Hofe unterhalten, als ,privat',12 und in der Sicht von VOLKER MERTENS propagiert der Roman „grundsätzlich [...] das Recht auf Privatheit in der Liebe, wenn die ständischen und religiösmoralischen Bedingungen soweit internalisiert sind, dass sie eingehalten werden."13 Eine ebenso große Rolle wie das Streben nach .privatem Glück' spielt einer verbreiteten Meinung zufolge die Kontrolle der Sexualität. In diesem Zusammenhang wird auch von ,Affektbeherrschung' gesprochen.14 Unter einer ,Affektkontrolle' wird jedoch auch die Bewältigung von Emotionen wie Angst und Trauer verstanden.15 Hier zeigt sich eine an der Zivilisationstheorie bereits problematisierte Tendenz, unter ,Affektkontrolle' Prozesse der Bearbeitung von Emotionen zu subsumieren, die auf verschiedenen Ebenen liegen. Nach Auffassung von WINFRIED THEIß und WERNER RÖCKE werden in der Magelona Normen und Konventionen rechter Lebensführung vermittelt. Die Beherrschung der Sexualität akzentuiert THEIß als exemplarische Fürstentugend.16 RÖCKE legt für die Konzeptualisierung der Normvermitdung einen erweiterten Wissensbegriff zugrunde, zu dem auch „Deutungs- und Sinngebungsmodelle" gehören, die „nicht objektiv, 11 12

13

14 15 16

MÜLLER; Kommentar, S. 1241, vgl. auch BRAUN, S. 201. Minne, Weltflucht und Herrschaftslegitimation. Wandlungen des späthöfischen Romans am Beispiel der ,Guten Frau' und Veit Warbecks .Magelona'. In: G E O R G S T Ö L Z E L (Hg.): Germanistik - Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984. 2. Teil: Altere Deutsche Literatur / Neuere Deutsche Literatur, Berlin/New York 1985, S. 144-159, hier S. 157. VOLKER MERTENS: „Aspekte der Liebe". Ihre Semantik in den Prosaromanen Tristrant, Melusine und Goldfaden. In: HELMUT BRAUL, BARBARA HAUPT, URBAN KOSTERS: Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur, Düsseldorf 1994 (Studia humaniora 25), S. 109-134, hier S. 125. Vgl. etwa WINFRIED THEIß: Die Schöne Magelona und ihre Leser. - Erzählstratcgie und Publikumswechsel im 16. Jh. In: Euphorion 73 (1979), S. 132-148, hier S. 137. So SCHULZ, S. 200 u. S. 207, SCHULZ spricht von Affektkontrolle'. Vgl· THEIß, S. 138f.; WERNER RÖCKE: Erzähltes Wissen. „Loci communes" und „RomanenFreyheit" im ,Magelona'-Roman des Spätmittelalters. In: HORST BRUNNER, NORBERT RICHARD WOLF (Hg.): Wissenslitcratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit Bedingungen, Typen, Publikum, Sprache, Wiesbaden 1993 (Wissensliteratur im Mittelalter 13), S. 209-226. WERNER ROCKE:

290

Emotion und Kommunikation in der Schönen Magiern

sondern moralisch organisiert [sind], d.h. im Hinblick auf richtiges oder falsches Handeln."17 In dieser handlungstheoretisch fundierten Vermittlung von Normen liegt eine Nähe zum Begriff des paradigm scenarios, auch wenn dieser sich auf das exemplarische Verhalten in emotional besetzten Konstellationen beziehen. Auf die Dominanz der inneren Vorgänge' sind nicht zuletzt Inkonsistenzen in der Handlungsfiihrung sowie Lücken und Widersprüche in der Motivierung einzelner Erzählabschnitte zurückgeführt worden.18 Mit Nachdruck weist JAN-DIRK MÜLLER darauf hin, dass Strukturmuster der Gattung nur noch zitiert würden und die Handlung durch die ,rigorose Bearbeitung der in der Erzählkonstellation angelegten Konflikte' nicht ausreichend begründet erscheine.19 Insbesondere die .Gegenkräfte',20 die sich einer Verbindung der Protagonisten in Gestalt der Eltern, Nebenbuhler und Intriganten traditionell widersetzen, wirkten nicht überzeugend motiviert.21 Als ein Beispiel für die ,Handlungsarmut' des Textes gilt außerdem der Umstand, dass der Held seine Gewaltfahigkeit nur noch im Turnier unter Beweis stellt. In einem der vielen Versuche seit den siebziger Jahren, die frühneuhochdeutsche Erzählprosa nicht mehr als .Reduktion' gegenüber der Literatur des Hochmittelalters aufzufassen, sondern im Kontext der Herausbildung der frühbürgerlichen Gesellschaft zu würdigen, hat HELMUT SCHEUER diese Verdrängung der „ritterliche[n] Heldentaten" wie die Darstellung der Liebesbeziehung selbst als Ausdruck einer bereits .bürgerlichen Verinnerlichung' bewertet.22 Sie bestehe in einer Abkehr vom mittelalterlichen „Statusdenken" und einer Ethisierung des .inneren Adels'23 Dass solche Bezugnahmen auf eine frühbürgerliche Mentalität auf unsicherem Fundament stehen, zeigt der Gegensatz zur These von THEIß, der zufolge im Text eine neue .adlige Gesinnung' vertreten ist, die eine Nähe zu humanistischem Gedankengut, insbesondere 17 18

19 20 21 22

23

RÖCKE: Erzähltes Wissen, S. 212. fuhrt Brüche in der Handlungslogik auf die Oberblendung zweier konträrer .motivischer Modelle' zurück, zu denen er einerseits den ,Erwerb der Dame im Turnier' und andererseits die .Behinderung der Liebe des Paares durch den Vater' zählt. Dieser Erklärungsansatz kann die Handlungsfiihrung der Schönen Magelona nicht hinreichend beschreiben. N O R B E R T T H O M A S : Handlungsstruktur und dominante Motivik im deutschen Prosaroman des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, Nürnberg 1971 (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 37), S. m S . , hier S. 204. Vgl. M Ü L L E R : Kommentar, S. 1244. VgL MOLLER: Kommentar, S. 1242. VgL auch SCHEUER, S. 146: „einzelne Episoden [werden] ohne Motivierung und auch ohne erzählerische Steigerung miteinander verknüpft." H E L M U T S C H E U E R : Trivialisierung und Redukdon? Individualität in der Erzählprosa des 16. Jahrhunderts als zeit- und wirkungsgeschichtliches Phänomen. In: C H R I S T A B O R G E R , P E T E R B O R G E R , J O C H E N S C H U L T E - S A S S E (Hg.): Zur Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur, Frankfurt a. M. 1982, S. 145-171, S. 155. Vgl. SCHEUER, S. 156. NORBERT THOMAS

Aspekte protestantischer Gefuhlsnormierung

291

zur Institutio Princtpis Christiani von Erasmus von Rotterdam zeige.24 Beide Einschätzungen sehen indessen davon ab, dass adlige tugent bereits in der höfischen Literatur als ein Ineinander von äußeren und inneren Werten konzipiert ist. Zu fragen ist vielmehr, welche Darstellungsmodi die innere Welt' in der Schönen Magelona kennzeichnen und ob körperliche Expression und sprachliche Kommunikation von Emotionen demgegenüber zurücktreten. BRAUN zufolge sind von den Gebärden der Liebe nur .heimliche Blicke' geblieben, mit denen die soziale Kontrolle durch den Hof umgangen werden soll, und das nach wie vor nicht zu unterdrückende ,Erröten'. Stattdessen erhielten Geschenke eine zentrale Funktion für die Liebeskommunikation.25 Die ausführlichste neuere Deutung der Schönen Magelona wurde von ARMIN SCHULZ vorgelegt. Wie SCHULZ nachweist, kann der Text als ein

Beispiel für die ,hybride Poetik' des Erzählmodells ,Minneroman' gelten. Allerdings bewertet SCHULZ vielfach als ,völlig neu'26 für frühneuhochdeutsches Erzählen, was im Liebes- und Abenteuerroman in einer Engeren Tradition steht, wie die ritterliche Bewährung im Turnier,27 die schon in den Partonopier-Romanen einen zentralen Stellenwert hat, und der Konflikt mit der ,Elterngeneration', der alle Romane bestimmt. Seine Studie ist gerade in vielen Detailbeobachtungen, etwa zur Rolle der ,Elterngeneration', zur Funktion der Amme als einer Vertreterin der Eltern und zur Dingsymbolik aufschlussreich.

8.2 Aspekte protestantischer Gefuhlsnormierung Auch die Schöne Magelona steht im Zeichen des mediengeschichtlichen Umbruchs von der Handschriftenproduktion zum Druck. In ihrer Entstehungszeit haben sich hinsichtlich Herstellungsbedingungen und Publikum die Verhältnisse auf dem literarischen Markt bereits hin zur Literaturproduktion auf größerem Maßstab und zur Öffnung auf sozial weiter ausdifferenzierte Leserschichten verschoben. Die Magelona bietet dabei den interessanten Fall eines Romans, der diese Veränderungen in Überlieferung und Textgestalt selbst dokumentiert Entstanden als Handschrift, und zwar übersetzt aus dem Französischen wohl aus Anlass der Vermählung des kursächsischen Prinzen Johann Friedrich mit der Prin-

24 25

Vgl. THEIß, S.139f. Vgl. BRAUN, S. 205.

26 27

V g l SCHULZ, S. 155. V g l . SCHULZ, S. 155.

292

Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

Zessin Sibylle von Cleve durch seinen Hofmeister Veit Warbeck,28 wird sie 1535, ein Jahr nach Warbecks Tod, von seinem Freund Georg Spalatin als Druck herausgegeben. Solchermaßen partizipiert sie an dem sich konstituierenden neuen Buchmarkt,29 in dem sie gleich eine prominente Rolle spielt. Auch inhaltlich ist der Publikumswechsel gespiegelt. Denn Georg Spalatin, wie sein Freund Warbeck der Lehre Luthers verpflichtet, hat den Text mit einem ,Sendbrief versehen, der ein protestantisches Zielpublikum adressiert und dafür Erzählelemente des Textes entschuldigt, die auf die alte Kirche verweisen. Er verspricht, dass Wieml nu inn disem buchlein von der meß / walfarten / ablaß / anmffung der lieben heyligen steet / So will ich doch in kein ^weyffel stellen / ein jeder der ψ sgmlichem verstand gotes wort kommen ist / werd sich darein wol [...] richten [...] (S. 590,16-20). Nach Ansicht der Forschung finden sich auch in der Romanhandlung selbst Themen und Motive, die für einen protestantischen Rezipientenkreis, wie er für den kursächsischen Hof wohl vorauszusetzen ist,30 von Interesse waren. Zu entsprechenden Bearbeitungsstrategien der französischen Vorlage wird gezählt, dass die legendarische Stilisierung des Geschehens weitgehend getilgt ist31 und dass an der weiblichen Hauptfigur modellhaft der Dienst am Nächsten, am Liebespaar eine in Techniken der Kontrolle von Affekten und Begierden fundierte „Schule des Verzichts" propagiert werde.32 In einer exemplarischen Kontrolle des Begehrens ist fraglos ein zentrales Identifikationsangebot für ein protestantisches Zielpublikum zu sehen. Luther hat sich mit Fragen der Selbstdisziplinierung und der Kontrolle von Sexualität ebenso wie mit Aspekten der Emotionalität in Ehe und Familie befasst und sozialdisziplinatorische Wirkungsabsichten mit seinen Schriften verbunden.33 Die Öffnung der früher exklusiven Adelsliteratur auf den sich entwickelnden Buchmarkt und namentlich auf ein protestantisches Zielpublikum hin könnte so über eine neue Form der Normierung von Emotionalität Aufschluss geben, die im Spätmittelalter von vorn herein an breite Bevölkerungsschichten gerichtet ist. Spalatins 28

Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass das Datum der Hochzeit, der 2. 6. 1527, dagegen spricht, dass die Handschrift dem Fürstenpaar als regelrechte Hochzeitsgabe überreicht wurde, da diese erst auf den 6.11.1527 datiert ist. Vgl. THEIß, S. 133f., außerdem MERTENS, S. 122.

29

Vgl. dazu MÜLLER: Volksbuch/Prosaroman, S. 41 ff.

30

Die auf die beiden unterschiedlichen Rezeptionshorizonte ausgerichteten Erzählstrategien untersucht THEIß. Vgl außerdem den Kommentar von MOLLER sowie RÖCKE: Minne, Weltflucht, S. 158.

31 32

Vgl. THEIß, S. 135. RÖCKE: Minne, Weltflucht, S. 158.

33

Dies bezeugt insbesondere Luthers Ehetraktat Vgl Martin Luther Vom ehelichen Leben und andere Schriften über die Ehe. Hg. v. DAGMAR C. G. LORENZ, Stuttgart 1978.

Gerücht und Geheimnis

293

Sendbrief legt von dieser Intention an einer Stelle Zeugnis ab, an der er über die Konsequenzen der Magelona-Lektüre für junge Mädchen reflektiert. Denn der Roman birgt gerade durch die Konzeption der weiblichen Hauptfigur einen nicht unerheblichen sozialen Zündstoff: Dann wiewol es je rein vnnd Richtig gehet / so würt die doch dennoch entßrtt / vnnd folget dem Ritter mit den silberin schlüsseln in Gottes vnnd jrer eitern vngehorsam wider das vierdte gepott Gottes (S. 591, 9-12).34 Diese Adresse an junge Mädchen wird üblicherweise als Warnung vor der Übertretung des vierten Gebots gelesen. Sie ist jedoch auch Teil jener Versuche zur Normierung des Lebens, die sich in der Frühen Neuzeit in einer Vielzahl von moraldidaktischen Traktaten niederschlagen.35 Die Reformatoren haben dabei auch die Erziehung der Mädchen im Blick, doch schränken sie weibliche Bildung zugleich weitgehend auf eine Unterweisung in das Evangelium ein.36 Die zitierte Textstelle legt davon insofern Zeugnis ab, als sie die Liebesthematik der Magelona auf ihre Übereinstimmung mit der christlichen Lebenslehre verkürzt. Doch finden sich auch im Roman selbst viele Beispiele für solche Reduktionen des Diskurses über Emotionen. Im Folgenden wird der Frage, wie solche Reduktionen sich zu der These verhalten, dass in der Magelona auf Grund einer eher schwach ausgebildeten Handlung die Emotionen besonders hervortreten, ein besonderes Augenmerk gelten.

8.3 Gerücht und Geheimnis Die Umstände, unter denen die Protagonisten Peter und Magelona zueinander finden, sind nach dem älteren Motiv der Fernliebe gestaltet, sie verdanken sich jedoch auch den entwickelten Kommunikationswegen im höfischen Raum. Peter, Sohn des Grafen der Provence, hat vorn der schöne Mageion des Künigs ψ Nappies tochter derenn gltychenn nit solt gefundenn werdenn / 34 35

36

Spaladn hat den Text außerdem mit einer neuen Oberschrift versehen, welche nicht mehr die männliche, sondern die weibliche Hauptfigur an erster Stelle nennt, vgl. zu diesem Komplex insgesamt Theiß, S. 142ff. Vgl. außerdem MARIA E. MOLLER: Eheglück und Liebesjoch; BACHORSKI: Ordnung und Lust sowie die neue Untersuchung von SCHNELL: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe. Es ist dabei allerdings stets zu berücksichtigen - und geht aus vielen Beiträgen der genannten Bände auch hervor - , dass der protestantisch beeinflussten Eheliteratur schon seit dem 15. Jahrhundert eine vergleichbar breite Strömung im katholischen Lager vorausging, die in vielen Bereichen ähnliche Akzente setzt. Vgl. auch ERIKA KARTSCHOKE: Einübung in bürgerliche Alltagspnuris. In: RÖCKE, MÜNKLER, S. 446-462. Nach Auffassung von BARBARA BECKER-CANTARIO „blieben Luther und die Reformation [...], was die Mädchenbildung anbetraf, weit hinter dem Bildungsprogramm der Humanisten zurück." BARBARA BECKER-CANTARIO: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frauen und Literatur in Deutschland von 1500 bis 1800, München 1989, S. 152.

294

Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

vorn sebönhayt vnnd tugent (S. 595, 10-12) bereits gehört, als er sich im Turnier auszeichnet, sein Ruf (gerückte, S. 595, 7) sich verbreitet und andere Adlige ihm daraufhin den Rat geben, in die Welt zu ziehen und eine Frau zu finden. Er fasst den Entschluss, die Heimat zu verlassen und nach Neapel zu reisen, um sich am Hof von Magelonas Vater im Turnier auszuzeichnen. Bislang war der offizielle Auszug des männlichen Helden vom heimatlichen Hof im Widerstand seiner Eltern oder eines Elternteils gegen eine von ihm gewünschte Bindung begründet.37 Sie wurde von der .Empörung' gegen den Vater und/oder die Mutter begleitet und in Emotionen wie Trauer und Zorn kommuniziert. Die Liebesbeziehung stellt zwar auch hier den Grund für den Auszug dar, doch sie ist auf der Ebene der Virtualität angesiedelt und wird von Peter gegenüber den Eltern auch nicht genannt; der Auszug ist nun als Wunsch nach erfarung begründet: hierumb bitt ich so es eücb nitt entgegenn / mir gnedigküch ψ erlaubenn der weit lauff spetfarenn (S. 596, 21-23) Μ Im Strukturmuster zum Aufbruch des Helden aus dem familialgesellschaftlichen Verband hat sich somit die Motivation verschoben. In der Handlungs- und Dialogführung der Passage, in der Peter sich darüber mit seinen Eltern auseinandersetzt, werden viele der aus früheren Romanen bekannten Muster nur mehr anzitiert und erhalten dadurch neue Akzente. Wie in den anderen Romanen begründen die Eltern zum Beispiel die Vorbehalte, die sie gegenüber dem Auszug des Sohnes haben, nicht nur politisch mit der Sorge um Land und Erbfolge, sondern auch emotional. Dieser Part ist hier der Mutter zugeschrieben: Sich ann deynes Vatters auch meyti alter / vnnd betrachte wie wir kayn annderJreude noch trost habennd dann alleyn von dir [...] hierumb bitt ich dich liebster son / als vil ein mutterjr kindt bitten kan / du wollest deines hinwegspehensfördert geschweygen (S. 597,16-22). Weil ein Grund für eine Trennung fehlt (zumindest nicht offen thematisiert wird), tritt ihre Problematik unter emotionalen Aspekten hervor. Mehr noch: Der Aufbruch des Helden führt den Konflikt erst herbei. Der Schreck, den Peter aufgrund der Reaktion seiner Eltern empfindet, ist ebenso Indiz seiner Furcht, dieser Wunsch werde ihm verwehrt, wie seines Kummers, den Eltern Sorge zu bereiten. Als Peter solchen willen seines vatters vnd muter vermerckt / Jst er seer erschrocken / yedoch hat er mit vndergeschlagnen äugen auff ein newes angefangen (S. 597, 22-24). Das paradigm scenario »Abschied von den Eltern' ist damit neu codiert. Es beschreibt nicht mehr den Konflikt zwi37 38

Oder, wie im Falle von Partonopier zu sagen wäre, der willentliche. Vgl zum Stellenwert von amoätas und erfarung im frühen deutschen Prosaroman JAN-DIRK MOLLER: Curiontas und erfarung der Welt im frühen deutschen Prosaroman. In: UJDGER GRENZMANN, KARL STACKMANN (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit Symposion Wolfenbüttel 1981, Stuttgart 1984, S. 252-271.

Geiücht und Geheimnis

295

sehen Eltern und Kind aufgrund einer nicht standesgemäßen oder fremden Partnerin, sondern - auf einer allgemeineren Ebene - den Konflikt der Emotionen, die auf beiden Seiten entstehen, wenn ein Sohn aus dem Wunsch nach Unabhängigkeit heraus seine Eltern verlassen möchte. Im französischen Text werden diese Emotionen genauer benannt. Pierre ist erstaunt, doch auch zornig über die Reaktion seiner Eltern (esbahy et courrouce, S. 3, 6-7). Die Geste der niedergeschlagenen Augen, die er demütig (humblement) vollzieht, zeigt eindeutiger als im deutschen Roman die Funktion, diese Emotionen zu unterdrücken und die Konventionen zuvorkommenden Verhaltens gegenüber den Eltern zu bewahren. Wird beim Abschied von den Eltern ein Funktionswandel von zentralen Motiven der Gattung erkennbar, ist ein solcher Wandel an weiteren Stellen der Schönen Magelona weniger einsichtig. Dies gilt für die Umstände, unter denen Peter und Magelona zusammen kommen. Während in den früheren Liebes- und Abenteuerromanen die Liebenden von (vermeintlich) unterschiedlichem Stand oder, wie im Fall von Partonopier und Meliur, aus so entgegengesetzten Welten sind, dass eine Verbindung den Eltern oder einem Elternteil nicht adäquat scheint, wären Peter und Magelona, was die Standeszugehörigkeit angeht, füreinander eigentlich ideale Heiratsanwärter. Das Hindernis wird deshalb .künstlich' eingeführt.39 Peter setzt seinen Plan, an einem Turnier teilzunehmen und dabei Magelonas ansichtig zu werden, zwar um, doch er gibt sich als ein armer Edelman auß Frankreich aus (S. 602, 13f.). Eine Deutung dieser Verstellung liegt scheinbar nahe: Peter ist als „Privatperson" an den Hof gekommen, „nicht als jemand, der aufgrund seines Namens, seiner Herkunft und seiner Macht Ehre einlegt, sondern aufgrund seines individuellen Könnens und seiner persönlichen Tugend."40 Aber andererseits, daran hat J A N - D I R K MÜLLER erinnert, ist das „Inkognito [...] Erbe des höfischen Romans: nicht seiner Herkunft und seinem Stand, sondern allein seinen Taten will der Ritter [...] Ehre verdanken."41 Eine Logik erhält Peters Verstellung zunächst, wenn sie auf die liminale Phase des rite de passage bezogen wird. Zu den Zielpunkten von Peters ,Übergangsritus' gehört — wie in den anderen Romanen — die Übernahme des Herrscheramtes und damit eine Statuserhöhung. TURNER zufolge haben Rituale der Statuserhöhung aber eine Phase der Degradierung zur Voraussetzung, die mit der Schwellenphase zusammenfällt: „Das Schwellendasein derjenigen, die befördert werden, umfasst als wesentlichen kulturellen Bestandteil die Herabsetzung oder Demütigung."42 Ein Zeichen 39 40 41 42

Vgl. dazu die Untersuchung von SCHULZ: Poetik des Hybriden. RÖCKE: Erzähltes Wissen, S. 221f. MÜLLER; Kommentar, S. 1251. TURNER, S. 160.

Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

296

solcher Demütigung ist auch die Herabstufung des sozialen Rangs.43 Der Umstand, dass Peter seinen Status herabsetzt, wäre auf der Ebene des rite de passage also als Voraussetzung für seine spätere Statuserhöhung zu betrachten. Scheinbar widersprüchlich, macht gerade die Degradierung seine Aspirationen - die Hand der Dame und die Übernahme eines Herrscheramts - kenntlich. Für die Diegese erweist sich Peters Verstellung als ähnlich ambivalent wie Flores Verkleidung als Kaufmann. Während Flore allerdings unfreiwillig, durch den körperlichen Gefühlsausdruck, seine adlige Herkunft verrät, gibt Peter durch die Wahl seiner Verkleidung schon entscheidende Mittel an die Hand, die Verstellung zu decodieren. Das Motiv des Erkennens und Verkennens in der Rüstung erscheint dabei in einer neuen Variante: Ließ jm machen %wen Silbern schlüssel auff seynen heim / darbey er mocht erkant werdenn (S. 600, 7-9). Schlüssel sind das bekannteste Attribut seines Namenspatrons Petrus.44 Der Held wählt also ein incognito, das einen Hinweis auf seinen wahren Namen enthält. Noch im Attribut selbst ist diese Verschränkung von Verhüllen und Offenbaren, von Ver- und Entschlüsseln' codiert. Immer jedoch erfüllt sein incognito die Funktion, die Aufmerksamkeit des Hofes auf sich zu ziehen. Damit bestätigt es eine Tendenz zur ,Selbst-Dramatisierung', die CRANE in der Literatur seit dem 12. Jahrhundert beobachtet: „in most cases chivalric incognito [...] amounts to a peculiar kind of self-dramatization that invites rather than resists public scrutiny."45 Peters Inszenierung als unbekannter Ritter ,mit den Schlüsseln' bleibt ein zentrales, die Handlung vorantreibendes Element des Romans, dessen Funktionen wechseln und dessen Semantik changiert. Die Verstellung fuhrt den Kontakt zu Magelona herbei, aber auch die folgenden Konflikte, sie ist Chiffre für eine personale Qualität der Liebesbeziehung ebenso wie Signifikant all dessen, was ein vertrauliches Beisammensein gerade verhindert. Dadurch macht sie verschiedene Problemkonstellationen des Textes transparent. Immer ist die Inszenierung jedoch produktiv, um Emotionen zur .Erscheinung' zu bringen. Denn nicht nur der König hette [·..] gern gewüßt so vil jhm möglich wer er were gewesenn / deßgleychen auch alle vmbstender / Das geruchte gieng auch vnder den junckfrawen vnnd frawen von diesem Ritter mit den silberin schlüsseln / auch hette die schöne Magelona grosse acht auff den Peter vnd kund sein nit vergessen (S. 602, 25-603,

1)·

43

44

Sie außen sich in klassischen Übergangsritualen in einer regelrechten Auslöschung von Rang, Position oder Status. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Erzählstruktur des Liebes- und Abenteuerromans Anklänge an rites de passage zeigt, aber strenggenommen keine institutionalisierten Rituale darstellt Vgl· MOLLER; Kommentar, S. 1250.

45

CRANE, S. 125.

Gerücht und Geheimnis

297

Peter weckt - durchaus absichtsvoll - am gesamten Hof „Aufmerksamkeit, Neugierde und Faszination"46 und damit basale Emotionen, deren Ausdifferenzierung wie bereits in den Partonopier-Romanen zum Gegenstand des literarischen Darstellungsinteresses wird.47 Der König erkundigt sich über einen Herold nach seinem Namen. Peters gibt eine Antwort, die weiterhin mit der Ambivalenz von Entdecken und Verhüllen spielt: sage dem Küttig also / Jch sey ein armer Edelman auß Frankreich / mnd such die weit von junckfrawen vnnd frawen preyß mnd lob erlangen (S. 602, 13-15). Die Antwort besteht teils aus einer Lüge, denn Peter ist mitnichten ein armer Edelmann. Teils gibt sie aber auch Peters erotisches Interesse preis, denn er will ja am Turnier teilnehmen, um in Kontakt zu Magelona zu treten. Ähnlich wie in den Partonopier-Romanen erscheint die gattungsspezifische Tendenz zu Inszenierungen als Versuch, ein Geheimnis zu produzieren. Das Geheimnis als „Prinzip des vorenthaltenen Wissens"48 weckt Neugierde, erregt Aufsehen und zieht den Wunsch nach sich, gelöst zu werden. Während Partonopier jedoch auf eine abwechslungsreiche Fahrt in ein geheimnisvolles Reich geleitet wird, das ihn ängstigt und fasziniert, bis er auf die ebenso rätselhafte Meliur trifft, ist das Geheimnis in der Magelona subjektiviert. Es ist von vornherein nur Peters Person, welche Rätsel aufgibt. Beim König trifft seine Antwort auf Sympathie, und er zieht aus ihr seine eigenen Schlüsse: Da solliches der Künig verstundt / ward er ψ früdenn vnnd yuaignet solliche antwort einer hofflichatt / dieweyl ehr nitt wollte bemmbt seyn (S. 602, 17-19). Magelonas Vater schreibt das incognito einer Bescheidenheit zu, die zwar das genaue Gegenteil von Peters Absicht darstellt, unbedingt die Aufmerksamkeit des Hofes auf sich zu ziehen, die aber seine StatusHerabsetzung reflektiert. Tatsächlich geht der König gar nicht davon aus, dass Peter von niederem Adel ist: für war diser Ritter wärt nit eins klein geschlechts seyn / Dann all sein wesen nichs anders an^aigt (S. 603, 17-604, 1). Das Strukturmuster der Authentisierung des Adligen über seine Körpersprache, welche die Möglichkeit der Dechiffrierung impliziert, ist damit immer noch wirksam: „Peter ist sein Adel körperlich eingeschrieben. Die Zeichen und Signaturen dieser Schrift, die er an sich trägt und die sich in seinem Habitus darbietet, sind in einer Umgebung lesbar, die - wie der feudale Hof - auf Sichtbarkeit und prinzipielle Öffentlichkeit angelegt ist" 49 In 46 47

IZARD, S. 108. SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 166, spricht von einer .Strategie, in die Nähe der Dame zu kommen*.

48

ALEIDA und JAN ASSMANN in Verbindung mit ALOIS HAHN und HANS-JÜRGEN LÜSEBRINK

49

(Hg.): Schleier und Schwelle. Archäologie der literarischen Kommunikation V, München 1997, S. 7-16, hier S. 8. RÖCKE: Minne, Weltflucht, S. 156.

298

Emotion und Kommunikation in der Schonen Magelona

der Überkreuzung von Durchschauen und Durchschautwerden, tatsächlichem und vermeintlichem Verstehen sowie von Verbergen und Enthüllen unterscheidet sich die Kommunikation in der Schönen Magelona jedoch von den frühen Flore- und den Partonopier-Romanen und erweist sich als ähnlich schwer zu entwirren wie in Florio und Bianceffora. Bei Magelone hat Peters geheimnisvolles Auftreten allerdings sein Ziel erreicht. Ihre Neugier entwickelt sich zu .erotischem Interesse',50 und sie bittet ihren Vater, noch weitere Turniere zu veranstalten, auß liebe die sie ψ dem Ritter trüg mit den silberin schlüsseln doch verborgen (S. 603,12f.).

8.4 Außen und Innen bei der Entstehung der Liebe Der Umstand, dass eine Liebesbeziehung unter den Augen der Öffentlichkeit entsteht, ist für die mittelalterliche Literatur alles andere als neu. JAN-DIRK MÜLLER zeigt am Beispiel des Nibelungenlieds, wie sich die Annäherung von Siegfried und Kriemhild „im Lichte allgemeiner Aufmerksamkeit" herstellt, von der eine Ebene der heimlichen Kommunikation — aus der sich sogar der Erzähler ostentativ zurückzieht — abgehoben wird.51 In der Magelona hat sich gegenüber früheren Konstellationen — auch im Liebes- und Abenteuerroman — jedoch die Konfliktlage verschoben. Es geht nicht mehr darum, dass die Liebe offenbar wird und auf Widerstand treffen könnte, sondern um das Problem, wie unter den Bedingungen einer stets wachsamen Öffentlichkeit des Hofes Liebe entstehen, zum Ausdruck kommen und gelebt werden kann.52 Der Unterschied wird deutlich, wenn die Form der Prozesshaftigkeit der beginnenden Liebe zwischen Peter und Magelona53 mit jener Prozesshaftigkeit verglichen wird, die das Entstehen der Emotionen aus kindlicher Vertrautheit und Lektüre herleitet (FÄ/u-Romane) oder aus der Relationierung von Nähe und Distanz, Einschüchterung und Verfuhrung (Partonopier-Romane). Peter und Magelona treffen von vornherein nur im öffentlichen Raum aufeinander. Und im Gegensatz auch zum Nibelungenlied werden den Protagonisten heimliche Begegnungen nicht zugestanden. Als Peter vom König zum Essen eingeladen wird, ist er auf dem Weg der Eroberung Magelonas einen großen Schritt vorangekommen. Das 50 51

Vgl. SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 166. Vgl. JAN-DIRK MÜLLER: Öffentlichkeit und Heimlichkeit im Nibelungenlied. Wahrnehmung

52

Vergleichbar ist sie in dieser Hinsicht noch am ehesten dem Beginn der Liebe zwischen Riwalin und Blanscheflur in Gottfrieds Tristan, auch wenn die Widerstände - und ihre ebenfalls wenig überzeugende intradiegetische Motivierung - dort noch anders angelegt sind.

53

Vgl. BRAUN, S. 224.

und Wahrnehmungsstörung im Heldenepos. In: MELVILLE, VON MOOS, S. 239-259, hier S. 247.

Außen und Innen bei der Entstehung der Liebe

299

erste persönliche Zusammentreffen beim gemeinsamen Mahl erweist sich als völlig ausreichend, um bei beiden Emotionen entstehen zu lassen. [Peter] gedacht inn seinem hertzen es were kein schönere auff erden dann dise schöne Magelona / also ward er entzündet in jrer lieb / vnd gedaucht selig sein der jr liebe vberkommen mocht / doch schätzt er sich nit den selben dem es widerferen mocht / vnd hielt jms selber für vnmüglich / das jm solch glück begegnen solt / nichts dester weniger / wie jm ward gesagt auch der schonen Magelona inn jrem hertzen von dem ritter (S. 604, 21-28).

Auch das Motiv, dass der Ritter sich der Frau nicht für würdig hält, ist nicht neu. So fragt sich Siegfried, als er Kriemhild zum ersten Mal sieht: wie künde da^ ergän / da^ ich dich minnen solde? da% ist ein tumber man. / sol aber ich dich vremeden so ware ich sanfter tot.54 An Peter fällt auf, dass sein Gefühl von Inferiorität der äußeren Selbst-Herabsetzung zum armen Ritter korrespondiert. Ähnlich wie in Florio und Bianceffora ist ein rite de passage psychologisiert. Der Zustand der Liminalität wird von Gefühlen des Ungenügens begleitet. Peters Inneres erweist sich damit als ähnlich ambivalent wie die Zeichen, die er nach außen vermittelt. Er ist selbstbewusst genug, zu einem Turnier aufzubrechen, auf dem er den gesamten Hof beeindrucken möchte, und zugleich unsicher in der Frage, ob er an das Ziel seiner Wünsche gelangen wird. Wie im Fall von Florio erweist sich der männliche Innenraum, in den der extradiegetische Erzähler Einblicke gibt, als fragil. Und wieder hebt sich eine weibliche Figur, die sich ihrer Emotionen gewiss ist, von dieser zweifelnden männlichen Figur ab. Denn Magelona wird nicht von vergleichbaren Sorgen gequält, Peters nicht wert zu sein. Sie tritt offensiv an ihn heran und ermuntert ihn dazu, sich noch des öfteren bei ihr und ihren Eltern einzufinden. In welchem Maße sie diese Annäherung mit den Erfordernissen der Konvention synchronisieren muss, wird deutlich, als sie zunächst von ihrem Vater die Erlaubnis zu diesem Gespräch einholen (S. 605, lf.) und dann ihrer Mutter folgen muss, als diese den Raum verlässt und damit erzwingt, dass Magelona ihr nachgeht und das Gespräch beendet.55 Magelona gehorcht nur vngern und richtet am abscheyden ein noch deutlicheres Wort an Peter (S. 605, 30f.), indem sie andeutet, an einem heimlichen Austausch Interesse zu haben: ich kette woll etwas mit eüch in gehaim reden vorn ritterspilen vnd andern so inn ewrn heimmatgeschehen (S. 605, 33-606,1).

54 55

Das Nibelungenlied. 1. Teil. Hg., übersetzt u. mit einem Anhang versehen von HELMUT BRACKERT, 9. Aua Frankfurt a. M. 1981,285. VgL auch SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 168, der die .Erlaubnis' des Vaters als .Aufforderung' liest. Während es in Warbecks Fassung dazu nur heiße Nach diesen Worten geng die Kümgtn inn jr hammer vnd die uböne Magehiu miljr(S. 605,29f.), macht die französische Version den Zwang, der fur Magelona aus den Bewegungen der Mutter resultiert, explizit: sus cespamUts !a royne t'en entra en sa cbambre etjutfont que Maguelonne se despartist de Piem (S. 8,18-19).

300

Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

Die subtilen Formen eines vertraulichen Austausche im Rahmen der offiziellen Kommunikation am Hof, die in der Szene bis in die Ebene der ritualisierten Bewegungsabläufe hinein illustriert werden, laufen genau nach dem von Meliurs Schwester in den Partonopier-Romanen vermittelten .Programm' ab, dem gemäß heimlichkeit situativ und gleichsam unter den Augen der Öffentlichkeit herzustellen ist. Zugleich wird der Gegensatz von Innen und Außen auch darin deutlich, dass die Protagonisten sich räumlich zurückziehen. Wie König Felicie in Florio und Bianceffora sind sie auf die Räume des Rückzugs angewiesen, um ihre Emotionen zu .verarbeiten'. Indem in der Magelona beide Modelle der Konstitution von heimHchkeit aufgegriffen werden, ein situatives und ein räumliches, sind Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Kommunikation jedoch gleichsam potenziert. Das entspricht Verhältnissen, wie sie in den höfischen Romanen Wickrams geschildert werden.56 Nach dem ersten Zusammentreffen ziehen die beiden Protagonisten sich zurück: DA nun der Peter inn sein herberg vom Künig kam / gieng er an einen heymlich verborgen ort / vnd fieng an zu betrachten vnd zü hertzen füren / die freüntliche red vnnd gnedigs ansehen auch vbertrefliche schone des Künigs tochter der schonenn Magelona [...] als bald die schön Magelona inn jr kamer war kommen thet sie nit vil weniger von dem ritter zü gedenckenn (S. 607, 2-9).

Die Formulierung ψο hertzen füren spitzt die Rolle des Inneren als Klärungsinstanz für Emotionen zu. Sie offenbart zugleich, dass Außen und Innen als solche Klärungsinstanzen des Körpers im Vergleich zu den älteren Romanen die Positionen getauscht haben. Während zum Zeitpunkt von Konrads von Würzburg Partonopier-Fassung die weibliche Figur noch darüber klagt, dass sie ihre Emotionen nicht sprachlich-gestisch entäußern und dadurch besser verstehen kann, während Florio seine Emotionen mühsam ins Innere versperret, schlägt Peter den beinahe umgekehrten Weg ein. Peter zieht sich ebenso wie Magelona auf sein Inneres zurück, um die eigenen Emotionen verstehen zu können. Der Umstand, dass dieser Blick ins Innere von einem konkreten räumlichen Rückzug begleitet ist und dynamisch, als Gang ins Herz, gedacht wird, zeigt die Historizität dieser Konzeption. Der Innenraum des Körpers wird nicht, wie in der Moderne, metaphorisch gefasst, sondern er wird aufgesucht wie eine Kammer und durch äußere, räumliche Techniken des Rückzugs habituell-körperlich unterstützt. In der Möglichkeit, die Räume des Rückzugs tatsächlich als Orte der Einkehr und Selbstvergewisserung zu nutzen, zeigen sich bei den Figuren genderspezifisch allerdings signifikante Unterschiede. Während Peter kein rast noch rä mehr hette (S. 607, 7), ist Magelona, die sich immer wieder fragt, 56

V g l . EMING, KOCH, S. 204FF.

Begehren und Versagen

301

wer er wen (S. 607, 10), letztlich so selbstbewusst wie kompetent, die Zeichen richtig zu deuten: gedaucht sie wol / er wer nit also geringe / als er sich schätzte auß anspigung seines Richtigen vnd adelichem wesens (S. 607, 13-15). Magelone interpretiert Peters Habitus - vor allem das Adelsattribut des zurückhaltenden Wesen - als Indiz für eine hohe Abstammung. Die Formulierung als er ach schätze lässt sich sogar als Hinweis darauf lesen, dass sie versteht, dass seine Selbst-Herabsetzung subjektiv begründet ist. Jedenfalls entfaltet sie in der Folge eine erstaunliche Zielsicherheit und Aktivität, um ihn von diesen Zweifeln zu befreien. Sie beschließt, ihre Amme in ihre Gefühle einzuweihen, und eröffnet dieser ohne größere Umschweife: so ich auch erfüre / das er eins giten herkommens wer / wolt ich all mein hoffnung inn jn setzen / vndjn ψ meynemgemahel nemen (S. 608,15-18). Magelonas Entschlossenheit illustriert im Vergleich zu Peter Zweifeln, dass der Wunsch nach einer .privaten' Durchsetzung des .Liebesbegehrens', die RÖCKE hervorgehoben hat, geschlechtsspezifisch codiert ist. Der männliche Part wählt gerade nicht den .privaten', sondern den offiziellen Weg, indem er sich durch ritterliche Bewährung als Bewerber empfiehlt und dann abwartet, welche Gunstbeweise ihm zuteil werden. Die weibliche Figur dagegen setzt alles daran, inoffiziell die Voraussetzungen für eine Ehe zu schaffen. Magelonas Motive ähneln auf den ersten Blick denen der weiblichen Hauptfigur aus den Partonopier-Romanen. Sie möchte, wie bereits Meliur, sicherstellen, dass der Geliebte den Normen des Hofes entspricht, bevor sie ihn .offiziell' als ihren Heiratsanwärter präsentiert. Die Vorkehrungen, die nun im Bereich der heimkchkeit getroffen werden, unterscheiden sich jedoch in entscheidenden Punkten. Genau die Möglichkeit, die Meliur zugestanden ist: im Verborgenen eine sexuelle Beziehung zum Geliebten zu unterhalten, wenn dies gegenüber der Öffentlichkeit nur hinreichend versteckt wird, bleibt Magelona verwehrt. Und mehr als das: Sie muss erkennen, dass eine sexuelle Beziehung vor der Ehe genau das ist, was unter allen Umständen vermieden werden muss. Vermittlerin der entsprechenden Normativität ist Magelonas Amme.

8.5 Begehren und Versagen Analog der Figur des Ascheion in Florio und Bianceffora vertritt Magelonas Amme eine Position der Erfahrung. Die Amme ist eine Mutterfigur, wie Ascheion eine Vaterfigur darstellt. Sie „[substituiert] die realen Eltern [...] und [hält] ihre Normen und Werte präsent."57 Diese Normen beziehen 57

SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 170.

302

Emotion und Kommunikation in der Schönen Mageloni

sich auf die Codierung von Emotion und Expression in Relation zu Innen und Außen, Öffentlichkeit und heimtichkeit. In dieser erzähllogischen Funktion liegen - wie im Fall von Ascheion - Parallelen zur Figur der Uraque/Irekel aus den Partonopier-Romanen. Während Meliurs Schwester allerdings eindeutig der Schwellenphase des Paars zugeordnet war, finden sich für Magelona - anders als für Peter - noch keine Indizien für einen Zustand der Liminalität. Einschneidend in emotionsgeschichtlicher Perspektive ist ferner der Umstand, dass der Diskurs über die Liebe und über andere Emotionen nun zu einem Diskurs über Begehren und Sexualität vereindeutigt wird. Gleich in mehreren Gesprächen erklärt die Amme die entsprechenden Normen, denen Magelona ihr Begehren unterordnen muss. Denn die Amme erschrack [...] nit wenig (S. 608, 20) über Magelonas stürmisches Bekenntnis zu Peter, und sie gibt zu bedenken: Jr set^t etvr hert\ vnd lieb inn einenjungen Jrembden Htter der euch tysampt den seinen unbekannt / villeicht begert er widerumb nit rner dann ewr schwach vnd schand / vnd verließ euch nachmals so er solch wegen gebracht het (S. 608, 24-28). Peters unbekannte Herkunft wird im Diskurs über Sexualität und Ehre nun zu einem Signifikanten für potentiell unehrenhafte Motive. Magelona wird im Gegenzug mit dem Weiblichkeitsmodell der ,verführten Unschuld' in Verbindung gebracht. In dieser Hinsicht ergeben sich Parallelen zu dem ansonsten in vielen Aspekten anders angelegten Liebes- und Abenteuerroman Theagenes und Charikleia. Zu den Ratschlägen, die Charikleias Mutter ihrer Tochter auf einer Tafel hinterlassen hat, gehört die Empfehlung, als Vorbereitung auf die Ehe unbedingt die Jungfräulichkeit zu erhalten: vor allen dingen so bewar deine Jung/hiuwliche Keuschheit / denn solches ist allein der thwerest Schaff der Jungfrawen / vnd ein unbefleckte Ehe den Frauwen eine Kron.ss Charikleia nimmt sich diesen Ratschlag so zu Herzen, dass sie mit Theagenes (durch dessen Gegenwart sie gerade erst von der Liebeskrankheit genesen ist), nicht allein bleiben will. Sie fleht ihren Ziehvater Calasiris an, bei ihr zu bleiben: dann du soltest wolgedencken / solt ich allein bey im seyn / wie neidig vnnd vntrew ein Buler ist / der Verhütung deren ding / so er lieb hat / vnd sonderlich wann er sihet/ daß er allein gewalt darvber hat / schleußt auß alle Scham vnnd Zucht (197T). Charikleia entwirft das Psychogramm eines triebbestimmten Mannes, der kaum anders kann als bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Abhängigkeit der Frau auszunutzen. Das Modell der Affektüberwältigung, das in der ritualisierten Gefuhlskultur des Liebes- und Abenteuerromans Funkti58

Ein schöne vnd liebliche Histori / von einem großmütigen Helden auß Griechenland / vnd einer vberschönen Jungfrawen / eines Königs Tochter der Schwänzen Moren (der Jüngling Theagenes / vnd die Jungfraw Chariclia / genannt) darinn Zucht / Ehrbarkeit / Gluck / vnd Unglück / Frewd vnd Leyd / zu sampt viele guter Lehren / beschrieben werden. In: Das Buch der Liebe. Hg. von Siegmund Feyerabend, Frankfurt a. M. 1587,196·.

Begehren und Versagen

303

onen in unterschiedlichen paradigm scenarios übernimmt, wird hier zum Muster der Überwältigung durch den Geschlechtstrieb transformiert. Das Misstrauen, das Florio und Bianceffora nur bei Abwesenheit des anderen gegeneinander hegten, bestimmt bei Theagenes und Charikleia bereits das Beisammensein. Theagenes weist die Verdächtigungen zurück und leistet einen Eid, Charikleia unberührt zu lassen (1981). Auf der Ebene extradiegetischen Erzählens wird jedoch später eine Situation ungestörten Beisammenseins entworfen, in der Charikleias Befürchtungen beinahe bestätigt werden, bevor Theagenes sich der Kontrolle seines Begehrens als fähig erweist. Theagenes und Charikleia verbringen auf ihrer Fahrt durch den Mittelmeerraum eine Zeit allein in einer Höhle: Sie waren da vngehindert allein / redeten aller handt mit einander / vergassen ires leyds / vmbfiengen einander mit lieblichen Armen vnnd freundtlichen küssen / lag eins dem andern ein gute weil in Armen / daß sie sich in züchtigem vmbfahen vnnd küssen wol mochten ersittigen / vnnd so Theagenes etwas weiters / dann züchtig / mit der Chariclia wolt furnemmen / wehret ihm Chariclia / ermahnet ihn seines Eydts (199 r ).

Das Stereotyp der Zügellosigkeit in der Sexualität, das im Mittelalter in Abhängigkeit vom diskursiven Kontext sowohl dem Mann wie der Frau zugeschrieben wird - obwohl die Zuschreibung an Frauen insgesamt zu überwiegen scheint -, 59 ist im Liebes- und Abenteuerroman der Frühen Neuzeit auf den Mann verschoben. Auch die Vorstellung, dass die Frau das Begehren des ,Naturwesens Mann' zu kontrollieren hat, gehört grundsätzlich zu den Konstanten abendländischen Denkens über das Geschlechterverhältnis, wird in der Frühen Neuzeit jedoch höchst populär.60 Im Umstand, dass die Themen der Ehe und der Jungfräulichkeit - als ihrer Voraussetzung - an Bedeutung gewinnen, ist fraglos, wie in der Forschung mehrfach gezeigt, ein Einfluss der frühneuzeitlichen Aufwertung der Ehe zu sehen.61 Angesichts der Komplexität, mit der im Liebes- und Abenteuerroman seit dem Hochmittelalter Geschlechterverhältnisse entworfen werden, ist die Entwicklung, „daß der Diskurs über Liebe umcodiert wird zu einem Diskurs über Ehe",62 allerdings als Verlustgeschichte zu betrachten. Die Liebesbeziehung, die als Bereich der gemeinsamen emotionalen und, in den Partonopier-Romanen, der sexuellen Erfahrung 59 60

61 62

Vgl dazu den Abschnitt ,Wer kann sich sexuell besser beherrschen?' bei SCHNELL: Sexualität und Emotionalität, S. 350-366. MARIA E. MÜLLER: Naturwesen Mann. Zur Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft in Ehelehren der Frühen Neuzeit In: WUNDER, VANJA, S. 43-68. SCHNELL: Sexualität und Emotionalität, S. 362ff., bespricht eine Argumentation bei Hiomas von Aquin, die sich präzise auf Anweisungen zur weiblichen .Erziehungsarbeit' im Ehebett bezieht Vgl. MOLLER: Jörg Wickram zu Liebe und Ehe, sowie die von BACHORSKI und MARIA E. MOLLER herausgegebenen Sammelbände. MÜLLER: Jörg Wickram zu Liebe und Ehe, S. 40.

304

Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

konzipiert und nicht grundsätzlich authentisch', aber von vertraulicher Kommunikation bestimmt ist, scheint in den Texten der Frühen Neuzeit von der Forderung nach der Kontrolle des männlichen Begehrens und damit von Misstrauen in hohem Maße beeinträchtigt.63 Auf der extradiegetischen Ebene werden die vielfaltigen Darstellungsmuster von Emotionen und körpersprachlicher Expressionen von moralischen Belehrungen überlagert. Im Folgenden werden mehrere geheime Zusammenkünfte zwischen der Amme und Peter einerseits, Magelona und der Amme andererseits geschildert, in denen letztere als Informantin dient. Diese Zusammenkünfte sind Inszenierungen der ersten Ebene, sie haben .privaten' Charakter, insofern sie sich außerhalb der offiziellen Kommunikation bei Hof vollziehen und vor dem Königspaar und anderen Angehörigen des Hofes geheimgehalten werden. Sie finden dennoch in öffentlichen Räumen statt, zunächst in der Kirche, in welcher man sich dann mitunter den Anschein gibt, ins Gebet vertieft zu sein,64 schließlich in Magelonas kamer, die Peter durch einen geheimen Zugang über den Garten betritt.65 Obwohl die Amme auch die huote-\nst&ra vertritt, geht ihre Funktion über die der .Aufpasserin' weit hinaus. Die Amme zeigt durch ihr Verhalten exemplarisch, dass gegenüber dem Mann ein hohes Maß an Vorsicht walten muss. In allen Gesprächen, die sie mit Peter führt, geht es um die Frage seines Standes und seiner Identität, die mit der Frage nach seiner Integrität in sexueller Hinsicht verknüpft ist. Die Amme stellt diesen Zusammenhang in aller erforderlichen Klarheit heraus: Dieweyl aberjhryet^under mir anvpigt / jbr mit sie liebenn auß Richtiger getrewer Hebe / warumb verberget jhr dann ewrn namen vnndgeschlechte von jhr (S. 616, 17-20). Jedes Mal versichert Peter die Amme seiner ehrenhaften Absichten ebenso wie seines hohen Standes, besteht allerdings darauf, die genaue Auskunft nur Magelona persönlich geben zu wollen. Wieder zeigt sich, dass die Funktion seiner Verstellung nicht nur darin liegt, die Kontaktaufnahme zu Magelona zu behindern, sondern sie auch zu befördern. Die .vorenthaltene Information' perpetuiert die geheimnisvolle Aura, die seine Person seit seinem ersten Auftritt am Hof umgibt und die das allgemeine Interesse geweckt hat. Peter will sein .Geheimnis' nur der Geliebten selbst mitteilen. Um seine Glaubhaftigkeit zu bekräftigen, übergibt Peter der Amme bei

63 64 65

Die .moralisierende Tendenz', „jegliche Form von Sexualität vorderhand auszusparen", weitet auch SCHULZ als Novum gegenüber der Erzähltradition (des .Minneromans'), vgl. S. 172. Vgl. S. 610,3-5: DAmacb gengdie amme in die kinbenn den Ritter tf sieben / mdfandjn allein bettend / vnnd tbet auch glefch als betet sie. Bezeichnenderweise stellt die Illustration zu diesem Treffen das Zusammensein nicht im Raum, sondern im Garten dar, dem Raum mit einem höheren Grad an .Öffentlichkeit', vgl. S. 622.

Begehren und Versagen

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zwei Treffen je einen der Ringe, die seine Mutter ihm zum Abschied gegeben hat, als Geschenk für Magelona. Magelona ist bereits nach dem ersten Treffen, von dem die Amme ihr berichtet, dazu bereit, alle Bedenken über Peters Herkunft und seine Motive zu vergessen: Meyn liebste amme habe ich dir nit vormals gesagt / ehr wurde seyn eynsgrossen geschlechts / dann meyn hert% sag mirs [...] derhalbenn ich dich bitte mein liebste amme / du wollestjhm mein gmüt vnnd willenn ψ erkennenn gebenn (S. 612, 9-11 u. 25-27). Der extradiegetische Erzähler schreibt der weiblichen Figur das Verlangen zu, ihre Emotionen spontan zu äußern, dadurch wird sie - wie früher Flore - als authentisch handelnde Figur konzipiert. Doch dies ist genau der Punkt, an dem der Prozess der Modellierung ihrer Emotionen einsetzt. Dazu gehört, dass sie ihr Vertrauen zu Peter unterdrückt und ihren Gefühlsausdruck kontrolliert. Als sollichs die amme vonn der schonenn Magelona vermercket / das sie jhr hertz vnnd gemut also bald wolte entdecken / wurd sie traurig vnd sprach zu jhr / Meyn edelstes frewlein vnnd tochter / auch aller freünntüchstes hertz / ich bitt euch vleyssig jhr wollet sollichenn fursatz inn ewrem edlenn hertzenn keyn furgangk gebenn (S. 612, 30-613, 2).

Die .Traurigkeit' der Amme reflektiert auf der extradiegetischen Ebene Magelonas Spontaneität und stilisiert sie zum arglosen Kind, das vor den triebhaften Männern geschützt werden muss. Und als Magelona gegen diese Maßregelung aufbegehrt, wird sie von ihrer Amme noch einmal daran erinnert· Meyn lyebstes ßtwlein / was ich sage / thu ich von ewrent wegenn vnnd euch ψ ehrenn [...] ich lobe ehs wol / dasjhr jhn Heb habt / dann ehr ist es wol würdig / doch also das solchs von euch ehrlich vnnd süchtig geschehe / wie ehs sich dann gebürt (613,14-21). In der Forschung wird immer wieder konstatiert, dass die Schöne Magelona insgesamt konfliktfrei sei, da die internalisierten Normen eingehalten würden, das äußere Geschehen ,glatt' verlaufe und ohnehin ,eine Sittsamkeitsbeteuerung an die nächste gereiht'66 würde. In solcher Einschätzung wird verkannt, dass der Konflikt im Prozess der Internalisierung selbst liegt. Im Rückzugsraum ihrer kamer, einem Ort, der PETER STROHSCHNEIDER zufolge „der zivilisatorischen Zurichtung der Frauen selbst" dienen kann,67 wird Magelona einem Prozess der Normierung unterworfen. Dieser ist wie im Fall von Meliur auch ein Prozess der Ökonomisierung von Emotionen, indem er sich auf die Bedingungen richtet, unter welchen Gefühle gezeigt werden dürfen und unter welchen nicht, welche 66 67

Vgl. SCHULZ: Poetik des Hybriden. PETER STROHSCHNEIDER: Kemenate. Geheimnisse höfischer Frauenräume bei Ulrich von dem Türlin und Konrad von Würzburg. In: JANffiRSCHBIEGEL,WERNER PARAVICINI (Hg.): Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart 2000 (Residenzenforschung 11), S. 30-45, hier S. 43.

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

Emotionen zu unterdrücken und zugleich vorzutäuschen sind. Dass dieser Prozess konflikthaft ist, zeigt in der Schönen Magelona nicht zuletzt ein Rekurs auf Elemente der ritualisierten Gefuhlskultur. Diese wird auf Seiten Magelonas nun zum Darstellungsmodus ihrer Ungeduld, Peter zu sehen, ihrer Frustration darüber, dass die Amme immer wieder Misstrauen einfordert und der Anstrengungen, welche die Codierung von Emotion und Expression sie kosten. In der Auseinandersetzung mit der Amme wirken die Elemente der ritualisierten Gefühlskultur allerdings wie bereits in Florio und Bianceffora eher anzitiert: wa du mir aber nit volgest / soltu mich bald in kurt^er %eyt sehen vor deinen äugen / vor vnmät vnd schmerzen sterben / da die schon Magelona sollliches gereth fiel sie inn einer schweren onmacht auff jr beth (S. 609, 14-17). Für eine Weile liegt Magelona sehr kranck [...] vorn grosser liebe die sie hette ψ dem Ritter [...] ψ bethe / Dann sie mochte ahn keynnem ende m habenn (S. 618, 3-5). Wie traditionell der Anblick der oder des Geliebten zu einer Heilung von der Liebeskrankheit führt, verspricht die Amme Magelone hier in einem trewen rath, (S. 618, 9) dass sie den Geliebten sehen dürfe, woraufhin sich Magelonas Zustand sofort bessert: Da die schön Magelona solchs vonjr ammen hört / sprang sie vor grossen freuden jres hert^en auß dem bethe auff das erdtnch / halßet vnd küsset sie (S. 618, 15-17). Und als die Liebenden schließlich zusammentreffen, kann Magelona unter Beweis stellen, dass sie die von der Amme vermittelten Lektionen — beinahe — perfekt umsetzen kann: [...] als bald jn die schon Magelona ersach verwandelt sich alles jr geplut vnd wurde roth / an jrem angesicht als ein rosen / vnd hette gütten willen gehabt gegen jm auff zü steen / jn inn die arm zünemen vnd züküssen / dann die liebe sie dar zü thet reitzen / Yedoch die vemunfft / die da sol regiern des hertz eins jegklichen adelichen menschen / erzeigt jm jr eer / wiewol jr schönes angesicht auch jr lieplich vnd freüntlich äugen nit verbergenn mochten die liebe so sie inn jrem hertzen trüg gegen dem Ritter / vnd das hertz sprang ir auff imm leyb vor freuden (S. 622,16-623, 8).

An dieser Stelle zeigt sich, was die Liebeskommunikation in der Magelona von vergleichbaren Konstellationen in anderen Texten unterscheidet: Die Kontrolle des Gefuhlsausdrucks hält als durchgängiges Prinzip in den Bereich der heimlichkeit Einzug. Der extradiegetische Erzähler unterscheidet »innere' Emotionen (reitzen, das ,hüpfende' Herz) von zurückhaltenden Expressionen. Die .inneren' Emotionen werden allerdings mit großer Anschaulichkeit geschildert und kompensieren gleichsam den Verlust an Darstellungsmustern körpersprachlicher Performanz. Das .hüpfende' Herz, das sich unter Magelonas Gefasstheit verbirgt, findet dabei ein Pendant in Peters inneren Schwindeigefuhlen, die im Kontrast zu seinen kontrollierten Körperbewegungen stehen: er wüste nit ob er inn liifften oder auff erdtrich was [...] Doch kniet er nidergant^ schamhafftigfür sie (S. 623,13-16). Die Authentisierung der Figur der Magelona knüpft an einen Inszenierungstyp

Begehren und Versagen

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an, dem gemäß die Körpersprache Emotionen unfreiwillig zur .Erscheinung' bringt, bleibt dabei allerdings auf den mimischen Gefühlsausdruck beschränkt. Emotionen werden aber nicht mehr deshalb verborgen, weil es situativ notwendig, sondern weil es zur Regel der Liebeskommunikation vor der Ehe geworden ist. In keinem der bislang betrachteten Romane werden Emotion und Expression in vergleichbarer Weise kontrastiert. Die erste nächtliche Begegnung zwischen Partonopier und Meliur hat Parallelen in der Dynamik von gespieltem und empfundenem Gefühl, doch dies ist Teil eines erotischen Spiels, welches in der körperlichen Vereinigung mündet. In der Magelona wird sogar klar gesagt, welches organisierende Prinzip für die Unterdrückung der Emotionen verantwortlich ist: die Vernunft. Wie in Florio und Biancejfora deutet sich auch hier das Descartesianische Konzept des Körpers an. Nachdem Peter seine Herkunft offenbart hat {ich bin ein einiger sun / des Graffen ψ Ptvuincien / der da ist ein oben des künigs von Franckreych, S. 624, 1315), vollzieht sich die weitere Annäherung über mehrere Stufen, in denen sie einander ihre Liebe aussprechen, sich das Ehegelöbnis geben und Magelona schließlich von Peter einen der Ringe seiner Mutter erhält. Anders als bei Theagenes und Charikleia besteht keine Gefahr, dass Leidenschaften entfesselt werden. Stattdessen bekunden die beiden in auch körpersprachlich wohltemperierter Form ihre Emotionen: Also empfieng den ring die schon Magelona / gitwilligklich tmd wendt sich wider gegen jm / jn wider inn jre arm ψ nemen tmd küssen / nach dem rußt sie der ammen wider / da die vqvey nun lang mit einander allein hetten geredet (S. 626, 3-7). Magelona ist weit davon entfernt, über dem heimlichen Beisammensein mit dem Geliebten die Zeit zu vergessen - wie es den Protagonisten der F/W-Romane im Turmzimmer passiert - , sondern ruft selbst ihre Aufjpasserin herbei. Sie hat die Maßregeln ihrer Amme inzwischen erfolgreich internalisiert.68 Dies ist gerade keine „verstärkte Affektschilderung",69 sondern der verbliebene Rest eines in der Gattung des Liebes- und Abenteuerromans zunächst viel facettenreicher geschilderten körperlichen Gefühlsausdrucks. Aber auch der Begriff der Affektkontrolle' greift für diese Vorgänge zu kurz. Die Prozesse der Codierung von Emotion und Expression sind komplexer. Denn nicht nur die Emotion wird kontrolliert, sondern auch ihr Ausdruck, und im Gegenzug wird Misstrauen gegenüber dem anderen als neue Emotion konstituiert Emotionen sind dem .Inneren' zugeordnet, wo sie nun allerdings eine eigene Wirklichkeit gewinnen und für die ein eigenes metaphorisches Vokabular entwickelt wird. Geblieben ist vom 68

SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 181, zufolge betritt die Amme „unnötigerweise" sofort den Raum, da die Protagonisten sich ohnehin vorbildhaft verhielten. Es geht in der Szene aber gerade darum, an Magelona den Prozess der Interiorisierung von Normen als gelungen auszuweisen.

69

SCHEUER, S. 158.

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Emotion und Kommunikation in der Schonen Mtgelont

früheren Ausdrucksrepertoire der ritualisierten Gefühlskultur nur der zur unfreiwilligen körperlichen Reaktion stilisierte, nicht zu unterdrückende Gefühlsausdruck: Erröten, Erbleichen, Ohnmächten. Und der Mimik kommt nun die zentrale Funktion zu, innerhalb der verdeckten Kommunikation den Kontakt aufzunehmen und die Authentizität des Gefühls zu verbürgen. Bei allem Bestreben um die Kontrolle des Gefühlsausdrucks zeigt sich so eine gegenläufige Tendenz: Das Gefühl bleibt am Körper lesbar. Es ist als Ausdruck der ,Privatheit' ihrer Liebe bewertet worden, dass Peter und Magelona sich während ihres Treffens heimlich verloben.70 Doch auch in den anderen Romanen wurden die Liebenden sich einig, ohne die Erlaubnis ihrer Eltern oder des Hofes dafür einzuholen. Und wie in den anderen Romanen werden trotzdem im .privaten' Beisammensein Normen nicht grundsätzlich suspendiert, sondern im Gegenteil im hohen Maße respektiert.71 Die Liebe zwischen Peter und Magelona hat sich „den gesellschaftlichen Normen immer schon gefügt", deshalb ist sie gerade nicht „nur noch Privatsache".72 Diese Normen beziehen sich im Unterschied zu den anderen Romanen allerdings auf die Kontrolle des Gefühlsausdrucks in der Liebeskommunikation und auf den Ersatz von Vertrauen durch Argwohn, zu dem Zweck, voreheliche Sexualität unter allen Umständen zu vermeiden.73 Als Radikalisierung gegenüber den früheren Konfliktkonstellationen ist schließlich zu werten, dass das Paar den Widerstand der Eltern nicht abwartet, sondern ihn antizipiert.

8.6 Der Zwangsmechanismus der Verstellung Während der heimlichen Zusammenkunft hat Peter sein Versprechen eingelöst und seinen adligen Rang preisgegeben. Dies ist für ihn aber kein Grund, sich nun auch Magelonas Eltern zu offenbaren. Obwohl nichts ,gegen eine Heirat spricht',74 hält er sich zurück und versucht nicht, durch eine Klärung der Verhältnisse die persönliche Übereinkunft in die offizielle Eheverbindung zu überführen. Er setzt vielmehr das Spiel mit verdeckten Karten fort. Der König kann auch durch wiederholte Nachfragen nichs anders vonnjhm erfartn / Dann er wer ein armer edelmann auß Frankreich (S. 606, 12-16). Plausibel ist diese Verzögerung unter der Voraussetzung, dass seine Selbst-Herabsetzung einer inneren Unsicherheit gegenüber Magelo70 71 72 73 74

Vgl. MERTENS, S. 124. Vgl· auch SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 168. MÜLLER; Kommentar, S. 1241. VgL auch SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 171f. Vgl· MOLLER: Kommentar, S. 1244.

Der Zwangsmechanismus der Verstellung

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nas Eltern korrespondiert, ob er tatsächlich als angemessener Heiratsanwärter erachtet würde. Dafür spricht, dass er sich nach wie vor darum bemüht, sich im Turnier aus2uzeichnen - als müsse er zunächst noch mehr Ehre erwerben, bevor er offiziell um Magelonas Hand anhalten kann. Der Mechanismus des Geheimnisses funktioniert dabei weiter und stellt sicher, dass das Interesse an ihm nicht nachlässt. Doch nun entfaltet die Verstellung eine Eigendynamik, die von Peter nicht abzusehen war und durch die er sich zu Reaktionen gezwungen sieht, die der höfischen Öffentlichkeit vollkommen unverständlich bleiben müssen. Während eines neuen Turniers am Hof von Neapel - auch dieses wird offiziell um die Gunst Magelonas ausgetragen - erkennt Peter unter den Konkurrenten seinen Vetter Jacob aus der Provence, gegen den er nicht antreten möchte, weil dieser ihm früher einen Dienst erwiesen hat. Deshalb schickt er einen Herold mit folgender Botschaft zu Jacob: Jch wolte vngernjm ein verdrieß tbän / sagjm auch darbey / ich laßjn bitten er wölk mein verschonen so bin ich gutwilig öffentlich ψ bekennen / das er ein besserer Ritter sey dann ich (S. 631, 28-31). Aber nun kollidieren der Usus der heimlichen Vorabsprache und die Regeln des ritterlichen fairplay, nach denen öffentliches Ansehen über den Körpereinsatz erworben wird. Jacob weist das Ansinnen %ornig (S. 631, 33) von sich, spricht Peter von der Verpflichtung wegen des früheren Vorfalls frei und provoziert ihn mit den Worten, er würde ihn für einen Schwächling halten, falls er sich nicht dem Kampf stelle (fiir einen der klein krafft innjm hat, S. 632, 6f.) so sehr, dass Peter ebenfalls %ornig wird (S. 632, 9) und gegen den Vetter antritt. Peter geht erneut als Sieger aus dem Turnier hervor, doch dies ist nicht der Grund, aus dem die anderen Ritter ebenfalls wider heim [ziehen] doch ^omig / Dann sie mochtenn nit eifarennn wer der Ritter was / der das beste im stechen hettgethan vnder so vil Fürsten vnd herm (S. 635, 4-6). Der vielfache Rekurs auf die Zorn-Emotion indiziert, dass Peter mit seinem verdeckten Agieren an Grenzen sozialer Akzeptanz stößt und es deshalb an der Zeit wäre, sein geheimnisvolles Auftreten zu beenden. Peter klärt die Verstellung allerdings nicht auf, sondern potenziert sie noch. Diesmal geht es dabei jedoch um seine und Magelonas Emotionen. Weil er Magelona versuchen möchte (S. 635, 16), erklärt Peter, dass er in Kürze den Hof verlassen und nach seinen Eltern sehen müsse, die sich Sorgen um ihn machten. Auf den ersten Blick scheint dieses Motiv willkürlich verwendet, da Peter bislang keinerlei Anlass hat, an Magelona zu zweifeln. Doch basiert ihre Kommunikation nicht auf Vertrauen, sondern auf einer Spannung von Nähe und Distanz, Geborgenheit und Misstrauen. Peter hat bei seiner ,Eröffnung', fur einige Zeit den Hof zu verlassen, deshalb auf einen Liebesbeweis von Seiten Magelonas spekuliert: Solliches

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

tbet der Peter allein eifaren wie sie sich darinn wollte halten (S. 636, 4f.). In der französischen Vorlage wird an dieser Motivation ebenfalls kein Zweifel gelassen: Tout cecy disoit Pierre pour veoir la contenance de Maguelonne (S. 27). Der Liebesbeweis lässt auch nicht auf sich warten. Magelone ist über die Aussicht bestürzt, eine Weile von Peter getrennt zu werden. Zur Authentisierung ihrer Emotionen greift der extradiegeüsche Erzähler wieder auf körpersprachliche Ausdrucksmuster zurück. Es ständen jr als bald die äugen foller wassers / vnnd begmten die haissen lieberjhr das schön angesicht naß machen / vnnd verwandlet sich alljrefärbe / vnd wardgant^plaich / vnnd sprach mitt schwerem seüjffcgn vnnd weynen %Sm Peter (S. 636, 6-10). Auf ihren anschließend ausfuhrlich begründeten Entschluss, ihn lieber heimlich begleiten als allein bleiben zu wollen, war Peter jedoch nicht vorbereitet. Wie bei dem Vorfall mit seinem Vetter während des Turniers erhalten die Formen verdeckter Interaktion eine Eigendynamik und erzeugen Handlungszwang. Der Aufbruch vom Hof ist von einem Vorwand zur einzig möglichen Handlung geworden. Denn für Peter gibt es jetzt kein Zurück mehr. Obwohl jn gedaucht auch sein hertiζ woltjm inn seinem leyb vorspringen (S. 636, 28f.), kann er, um das Vertrauen Magelonas und seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, den Vorwand nicht als solchen aufdecken. Er muss deshalb nicht nur bei seiner einmal erklärten Absicht bleiben, die Eltern sehen zu wollen, sondern auch noch in die gemeinsame Flucht mit Magelona einwilligen. Magelona, wie um einen weiteren guten Grund dafür zu liefern, erklärt nun auch, dass sie sicher sei, ihr Vater wolle sie in Kürze verheiraten und dass sie eine Heirat mit einem anderen Mann nicht überleben würde (Es ist war das mein vatter mich willens hat inn kurt% qtuerheyraten vnd vergeben / darauß ich entpfindt das er mir würt den todt geben / dann ich will keinnem andern vertrawet sein dann euch, S. 637,12-15). Weder ist Magelonas Begründung auf der Ebene der Texdogik „ein ernstes Hindernis, wo doch auch Peter ein würdiger Bräutigam wäre",75 noch ist auf der Ebene der Figurenlogik überhaupt gesichert, dass sie mehr als eine Befürchtung, wenn nicht einen Vorwand ausspricht, mit dem sie Peter an sich binden möchte. Der genretypische Widerstand der Eltern, der sich in allen anderen Texten den Liebenden als objektives Hindernis entgegenstellte, gerinnt hier zur bloßen Vermutung. Und obwohl sich argumentieren ließe, dass die Einwände der Eltern internalisiert und von einem .äußeren' zu einem nicht weniger wirksamen inneren' Hindernis geworden seien, spricht der Kontext der Episode dafür, dass die Opposition der Eltern in der Magelona primär ein Vorwand ist, über den die Liebenden, die nun mehr als in allen anderen Texten dazu angehalten sind, einander vor der Ehe möglichst weitgehend zu misstrauen, 75

MOLLER; Kommentar, S. 1242.

Die Logik des Verhängnisses

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einander auf die Probe stellen.76 Der Konflikt ist subjeküviert, indem er aus den Zweifeln an den Emotionen des anderen hervorgeht. Der Beschluss zur gemeinsamen Flucht ist demnach nicht darauf zurückzufuhren, dass Peter und Magelona sich „aufgrund ihrer heftigen Liebe und Begierde [...] schließlich gezwungen [sehen], gemeinsam vom neapolitanischen Hof zu fliehen."77 Peter und Magelona setzen sich mit ihrer verdeckten Kommunikation vielmehr wechselseitig unter Handlungszwang. Das Mittel der Verstellung, das in den Liebes- und Abenteuerromanen bislang dazu diente, die Protagonisten einem anders nicht erreichbaren Ziel näher zu bringen, verselbstständigt sich und kehrt sich auf diese Weise gegen die Intentionen der Figuren. Wenn JAN-DIRK MÜLLER feststellt, dass am Leiden von Peter und Magelona nicht die anderen schuld sind,78 trifft dies zu, indem der Entschluss zur gemeinsamen Flucht und die folgende Verkettung unglücklicher Umstände ausschließlich auf eine Dynamik zurückgeht, die sich im Rahmen ihrer von wechselseitigen Zweifeln und Vorbehalten getragenen persönlichen Kommunikation entwickelt. Aber zugleich ist im Roman deutlich gemacht, dass die subjektiven Schwierigkeiten der Liebenden die normative Anforderung reflektieren, auch in intimen Verhältnissen Distanz und Misstrauen zu wahren. Diese Anforderungen werden zwar in erster Linie an die Frau gestellt und im Problem gebündelt, männliches Begehren zu kontrollieren. Der Mann, ohnehin weniger selbstbewusst als die Frau, ist dadurch jedoch gezwungen, seine Integrität stets aufs Neue unter Beweis zu stellen. So versichert Peter auch anlässlich des Fluchtplans: So jhr aber mitt mir wolt so seyt sieber das ich euch in aller speht vnd eer will firen vnd stet halten die yüsagung / so ich euchgethon vor diser %eyt (S. 637,1-3). In der Konsequenz werden, wie die Passage um den - angeblichen Wunsch, die Eltern zu sehen, und die - angebliche - Konkurrenz durch andere Bewerber illustriert, jedoch wechselseitig Gefühle der Unsicherheit und des Misstrauens konstituiert, welche die Liebeskommunikation im weitesten Sinne beeinträchtigen.

8.7 Die Logik des Verhängnisses Die Kritik an vorehelicher Sexualität gilt als das vielleicht auffalligste Merkmal des Liebesdiskurses der Schönen Magelona. Weit entfernt von den toleranten Ausführungen Irekels, dass adlige Frauen in der heimüchkeit des 76 77 78

SCHULZ: Poetik des Hybriden, spricht davon, dass sich sowohl Magelona als auch Peter der Strategien der tlissimulalio bedienen (S. 187,193). RÖCKE: Erzähltes Wissen, S. 217. Vgl. MOLLER: Kommentar, S. 1244.

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Emotion und Kommunikation in der Schöna Magelona

Hofes eine Beziehung zu einem Geliebten unterhalten können, wird nun die Auffassung vertreten, dass Begehren vor der Ehe unter allen Umständen zu kontrollieren sei. Der Kern des verhängnisvollen Vorfalls, der in der Schönen Magelona die Krise auslöst, steht nach übereinstimmender Auffassung der Forschung ebenfalls mit der Problematik der »fehlenden Triebkontrolle' in Verbindung. Der Vorfall ereignet sich, als Peter und Magelona vom Hof in den Wald fliehen und Magelone während einer Rast vor Erschöpfung einschläft. Dabei wird sie von Peter bewacht - und betrachtet: Er kunt sich auch nit ersettigen der schöne die er da vor jm sähe / vnnd da er sie gnüg besehen hette jren schonen roten mundt auch das angsicht da kunt er sich nit erhalten / schnüret jre brüst auff zu besichtigen / auch jhr schone weyssen brüst / die weysser was dann ein Cristal zusehen < / griff> an jr schone brüstlein / Als er nun solchs thet / ward er inn der liebe gantz entzindet / redt vnd gedaucht jn / er were imm hymel / gedacht auch vnglück mocht jhm nit schaden / Doch dieser lust blibe jm nit lange / dann er darnach vbertreffenlich pein erlit (S. 642, 6-16)

Die Passage scheint die berüchtigte männliche Triebhaftigkeit zu bestätigen. Schon bei der ersten Gelegenheit wird Peter von seinem offensichtlich nur mühsam in Schach gehaltenen Begehren überwältigt. Die Kontrastierung von lust und pein lässt sich so verstehen, dass pein die Bestrafung für Peters unstatthaftes Benehmen darstellt. Wie „stark zwanghaft" auch immer diese Vorstellung ist,79 der weitere Verlauf der Handlung scheint dieser Deutung recht zu geben. Durch das Öffnen des Mieders kommt eine unheilvolle Kette von Ereignissen in Gang: Peter sieht, dass Magelona ein Stück Taft auf der Haut trägt; neugierig geworden, holt er es hervor und findet die drei Ringe, die er ihr geschenkt hat; ein räuberischer Vogel stiehlt die Ringe im Flug, Peter eilt hinterher, findet den Vogel auf einem Felsen am Wasser sitzend, besteigt, um diesem näher zu kommen, ein am Ufer anliegendes Boot, das ihn anschließend aufs Meer hinaustreibt und scheinbar unwiederbringlich von Magelona trennt... Auch der Umstand, dass Magelona eingeschlafen ist und damit ihrer Aufgabe nicht gerecht werden kann, das männliche Begehren zu kontrollieren, stützt die Deutung, dass ein nicht beherrschtes und nicht beherrschbares sexuelles Begehren und seine unnachsichtige Sanktionierung das Thema dieser Passage sind. Mit expliziten Wertungen im Text lässt sich diese Deutung jedoch nicht belegen. Es ist im Gegenteil auffallig, dass diesem Roman, in dem immer wieder vor vnordentlicher Heb gewarnt wird, kein konkreter Hinweis auf ein entsprechendes Vergehen Peters zu entnehmen ist. Weder gibt es Kommentare des intradiegetischen Erzählers, noch verurteilt Peter in 79

MERTENS, S. 125.

Die Logik des Verhängnisses

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seinen nachfolgenden Monologen sein Verhalten entsprechend. Er richtet vielmehr deshalb Vorwürfe an sich, weil er Magelona auß dem hauß \gefiri\ (S. 645, 22) und allein im Wald zurückgelassen hat und seiner patriarchalen Schutzfunktion somit nicht gerecht wurde. Er fragt sich, warum er nicht die ring ligen lassen [hette\ an jrem ort da sie wol vnd sicher lagen (S. 644, 14f.), nicht aber, warum er für einen Moment seiner Lust nachgegeben hat. Im Gegenteil, er schwört in einem der vielen nun folgenden Gebete während seines Alleinseins: Du waist wol das %wischen ms beyden ist kein mordenliche liebe gewesen / darumb 0 Got aller betrübten menschen sgiflucht / ich bit dich du wollestjr helffen vnd sie nit verlassen (645, 31-34). In Rücksicht auf die Liebeskommunikation, die sich bis zu diesem Vorfall entwickelte, wird die Logik des Verhängnisses hingegen sinnfällig. Anders als bei den bislang betrachteten Paar-Konstellationen war es Peter und Magelona bis zum Zeitpunkt der Flucht nur unter äußerst komplizierten Bedingungen möglich, in Kontakt zueinander zu treten. Sie sind fast ausschließlich unter den Augen der Öffentlichkeit, im Weiteren durch Vermittlung der Amme und unter langen Vorbereitungen zusammengetroffen. Vertrauliche Gespräche waren von Misstrauen und Zugeständnissen an die Erfordernisse der Konvention gekennzeichnet. Gerade deshalb stellte Peter Magelones Gefühle für ihn auf die Probe, und aus diesem Grund wird auch im Moment des Alleinseins nicht das vertrauliche Gespräch gesucht. Stattdessen wird auf ein anderes Kommunikationsmittel rekurriert, das als Medium des Gefiihlsausdrucks zwar weitgehend in den Hintergrund getreten ist, aber Emotionen stets beglaubigt: auf den Körper. Einzig und allein die Sprache des Körpers - und zwar in erster Linie des weiblichen Körpers — schien bislang ein unwiderlegbarer Beweis emotionalen ,Involviertseins'.80 Auch Magelonas Erröten, ihre Blicke, ihr Seufzen und ihre Tränen konterkarierten ihre kontrollierte Sprache und galten Peter deshalb als Ausdruck ihrer Liebe. Wie in den höfischen Romanen Wickrams wird der Körper zur Bühne der Performanz von Emotionen und der unverstellten Kommunikation, die für die Figuren um so wichtiger ist, als sie in einer Atmosphäre der gesteigerten Vorsicht und Kontrolle, Zurückhaltung und Misstrauen agieren müssen. Die Berührung der Hand der Gräfin im Ritter Galmy, die augenblicklich heftige Empfindungen in Galmy freisetzt, Leufrieds Schnitt in die Brust im Goldfaden, der Angliana für ihn einnimmt und schließlich die weiße Haut Magelonas fungieren als Signifikanten von Authentizität81 Diesem Stellenwert des Körpers entspricht in der vorliegenden Szene wie in einer Reihe anschließender Episoden die Inszenierung von ,Natur'. 80 81

In leichter Abwandlung der Formulierung von HELLER: .Fühlen heißt, in etwas involviert sein*. VgL zu den Passagen in den Romanen Wickrams auch EMING, KOCH.

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

Wie in Florio und Bianceffora ist,Natur' mit einer Form von Körperlichkeit konnotiert, die sich Techniken der Verstellung und der Kontrolle entzieht. Nach Auffassung von SCHULZ steht die Natur in zeichenhafter Relation zu den Emotionen des Helden. Den räuberischen Vogel versteht er als Repräsentanten von Peters Begehren.82 Doch der Raubvogel hat als Symbol sexuellen Begehrens in der mittelalterlichen Literatur Tradition und lässt sich deshalb nicht als Indiz für eine ,neue' Darstellungsform von .Innerlichkeit' werten.83 Angesichts des Vorgangs ist gerade in Frage zu stellen, ob die Motivation des Mannes hier zeichenhaft erfasst wird. Denn der Blick auf die nackte Brust der Frau lässt an Direktheit wenig zu wünschen übrig. Der Körper bildet in seiner Konkretheit und Materialität gerade ein Pendant zur indirekten und zeichenhaft: vermittelten höfischen Interaktion. Peter sucht über Magelonas Körper einen Zugang zu ihrer Person, der in ihrer verbalen Kommunikation nicht möglich ist. 8.8 Die religiöse Überformung der ritualisierten Gefiiihlskultur In der zweiten Hälfte des Romans hat der Konflikt sich verschoben. Das Problem, wie Peter und Magelona zueinander in Kontakt treten können, stellt sich nicht unter kommunikativem Aspekt, sondern - wie in den F/W-Romanen - unter der Voraussetzung einer konkreten räumlichen Trennung, von der beide nicht wissen, wie sie zu überwinden wäre. Im Unterschied zu den anderen Romanen, in denen wenigstens der männliche Held nach einiger Zeit den Aufenthaltsort der Geliebten kennt und ihre Rückeroberung aktiv betreiben kann, haben Peter und Magelona über das Schicksal des anderen keine Kenntnis, müssen davon ausgehen, vielleicht für immer getrennt worden zu sein und sind dadurch auf eine Situation relativer Passivität festgelegt. Die Situation der Liebenden stellt dabei in gender- und genrespezifischer Hinsicht eine Umkehrung von Konstellationen in den älteren Texten dar. Während in den FÄn?-Romanen die weibliche Figur .verkauft' wurde, ist es nun Peter, der während seiner Irrfahrt auf dem Meer von Piraten ergriffen und an den Sultan von Ägypten .verschenkt' wird. Allerdings avanciert er zum Liebling des Sultans, also seer / als wer er sein einiger geborner sun gewesen (S. 646, 32f.) und lebt in dessen Reich fortan als eine Art gehobener Höfling. Auf diefreiwilligeDegradierung zum armen Adli82 83

Vgl. SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 196. VgL neben der Symbolik des Raubvogels im Minnesang etwa die Passage in Hartmanns Ertc über die Ungeduld der Protagonisten vor der Hochzeitsnacht: d6 »«ς «ίβς ander one tatb, / dS enmas in beiden mht ba% / dan einem babtcbe, der im t f o maz / von gescbitbte qngen bringst, / li in der hunger twingel, V. 1861-1865.

Die religiöse Übcrformung der ritualisierten Geföhlskultur

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gen folgt damit ein Dasein in der Fremde bei einem Ersatzvater, in dem Peter jedoch der Verfügungsgewalt über das eigene Leben beraubt ist. Die liminale Phase des rite de passage setzt sich damit fort. In den älteren Texten wurde nur wenig über das weitere Schicksal der Frauen berichtet, die in Gefangenschaft geraten waren. Auch hier richtet sich der Fokus des Erzählens nun auf den aktiven Part. Dieser Part wird in der Schönen Magelona jedoch nicht von der männlichen, sondern von der weiblichen Figur übernommen. Als Magelona allein im Wald erwacht und ihre Nodage erkennt, sucht sie dafür in ihrer mangelnden Zurückhaltung gegenüber Peter die Schuld: fiirwar ich hob mich ψ vil gegen euch entdeckt (S. 649, 19). Nachträglich gibt sie damit der Maxime ihrer Amme Recht, einem Mann kein Vertrauen zu schenken. Sie ist davon überzeugt, dass ihr die Rückkehr an den elterlichen Hof verwehrt ist Dann sie het jr inn jrem heitren vestigklich flirgsat^t / sie mit nit under heim stehen vater vnd mäter so sie sich mocht enthalten vor der weit / dann sie forchte den aprn jrs voters / vnd beschloß entlich bey jr selbs sie mit jren aller liebsten Peter suchen durch die gant^e welt (S. 651, 5-9). Auf diesen Verstoß gegen das Gehorsamkeitsgebot gegenüber den Eltern bezieht sich die Adressierung der weiblichen Leserschaft in Spalatins Sendbrief. Es bezeugt die protestantische Ausrichtung des Textes, dass Warbeck an dieser Stelle seiner Übersetzung die patriarchale Gewalt des Vaters stärkt. Denn im französischen Original fürchtet Magelona gleichermaßen lafureur de sonpere et de sa mere (S. 37, 94-95). Magelonas Weg führt zunächst nach Rom. Denn unterwegs hat sie sich einer Pilgerin angeschlossen und deren Habit übernommen. Magelone wird damit eine Inszenierung der ersten Ebene zugeschrieben, eine Verstellung mittels einer Verkleidung, wie sie auch in den fvW-Romanen vorkommt: die schon Magelona [...] beklaidet sich mit den klaidem der Pilgerin / also wol das manjr nit mil von dem angesichte mochte sehen / vnnd was sie nit verbergen mocht / da nam sie ein nasse spmchel vnd erdreich beschmtrt sich / damit sie nit erkannt wurde. (S. 652, 8-12). Mit dieser Körperinszenierung könnte, weil Magelona ihre soziale Identität verbirgt und eine Haltung religiöser Demut annimmt, die liminale Phase des rite de passage beginnen. Wie sich noch zeigen wird, vollzieht sie tatsächlich einen nicht nur äußerlichen, sondern auch einen inneren Identitätswechsel. Nach dem Aufenthalt in Rom, wo sie lange in der Peterskirche betet, gelangt Magelona nach Genua und schließlich in Peters Heimat, die Grafschaft Provence, wo sie hofft, etwas über seinen Verbleib zu erfahren. Da ihr Vater nach ihr suchen lässt, muss sie stets befürchten, erkannt zu werden. Sie bleibt deshalb in der Provence und gründet ein Spital: dieweyl der Peter nit heim kommenn were sie mit sich an ein ende wenden / da sie dem allmechtigen Got andechtigklich mochte dienen / damit siejrjunckjrawschaß dester bas möchte vnbefleckt behalten / vnd ob sie mochte etwas erfaren von jrem lieben Peter (S. 655, 6-10). Die Gründung einer religiösen

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

Gemeinschaft, um den Status der Jungfräulichkeit zu schützen, ist ein Motiv, das auch in anderen Liebes- und Abenteuerromanen verwendet wird. So tritt Cleopatra, die Gattin des Helden im Apollonius von Tjrus, in ein Kloster ein, nachdem sie auf einer fremden Insel gestrandet ist, und Charikleia weiht sogar ihr Leben dem Kult als Priesterin, bis sie sich Theagenes zuliebe eines anderen besinnt. In der Schönen Magelona wird der formale Schritt jedoch von inneren Prozessen begleitet. Die ritualisierte Gefuhlskultur wird dafür erneut - wie bereits in der deutschen F^n?-Fassung und in den Partonopier-Romanen religiös überformt. Während früher jedoch der Körper expressiv inszeniert wurde, wird die fromme Haltung nun vornehmlich durch innere Monologe beglaubigt. Die Sorge um den anderen und die Klage über die eigene Situation ist in Zwiesprachen mit Gott eingebettet, in denen Magelona versucht, ihre schwierige Lage reflexiv zu bewältigen. Auffällig an diesen Gebeten ist, dass sie eine Hingabe und ein Vertrauen ausdrücken, die gegenüber dem Partner zu bekunden nicht denkbar wäre. So betet Magelona in der Peterskirche: Ο Allmächtiger ewiger Got Jesu Christe / der mich hast auß deiner miltigkait gesetzt inn grosse lust / vnnd hast mich ψ gesellet dem edlesten dieser welt (S. 652, 21-23) [...] hilff das wirnit also verloren vmh stehen inn diser weit / hilff das vnser trewe Heb nit also verloren werd (S. 653,13-15). Obwohl lust allgemein Freude bezeichnet, ist es möglich, dass hier die semantische Ebene der sexuellen Lust assoziiert und, indem sie zur Gabe Gottes erklärt ist, legitimiert wird. Diese Spiritualisierung der Gefühlskultur vollzieht sich auch auf Seiten Peters. Die Vorgaben der französischen Vorlage lassen sich dafür leicht umformen. Wenn es im französischen Text etwa über Peter heißt: comme il estoit vray catholique, inconünant s'en alia reprendre et s'en retouma aux armes de vray confiance, c'est assavoir a Dieu et laglorieuse Vietge Marie (S. 32), kann Warbeck dies in allgemeinere Aussagen über die richtige Glaubenshaltung transformieren: Da kam der Peter wieder jm selber als ein rechter Christenlicher mensch vnd ruft an Got den allmachtigen (S. 645, 4-6). Das Leid an der Trennung und die Hoffnung auf ein Wiedersehen werden, indem sie sich im Rahmen des persönlichen Verhältnisses zu Gott artikulieren, nicht nur subjektiviert, sondern auch zum paradigm scenario einer vorbildlichen Frömmigkeit verallgemeinert. In Peters Reaktionen auf die Katastrophe, die er verursacht hat, erscheint zwar zunächst die melancholische Tendenz des .Kleinmachens' wieder (Ach wol boß bin ich, S. 645, 7). Sie wird jedoch zur Hingabe an den Willen Gottes transformiert und mündet in ein Sündenbekenntnis: warumb wolt ich mich selbs todten dieweyl ich dem todt also nahe bin der da zfi mir laufft mich zü fahen / ich darff jn nit sfichen / Ο allmächtiger ewiger gütiger Got / ich bitte dich / du wollest mir vergeben all mein sünd vnd was ich ye

Die religiöse Überformung der ritualisierten Gefühls kultur

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wider dich gehandlet habe / Ο allmechtiger Got hab ich gesündiget das ich wol eins ergern tods schuldig were dann dises gegenwertigen (S. 645, 7-13).

Eine aus der Krise geborene Hinwendung zu Gott vollzieht sich zwar auch in den Partonopier- und FÄn?-Fassungen. Während gerade die männlichen Helden - bei den weiblichen Figuren stellt es sich anders dar84 jedoch keinen emotionalen Trost finden, sondern zu ausgeprägten Selbstmordwünschen neigen,85 aus denen sie auch durch den Glauben nicht wieder herausfinden, überantwortet Peter sich in seinem Fühlen und Handeln ganz an die Gottesinstanz. So bittet er auch in seiner Verzweiflung und Sorge um die im Wald zurückgebliebene Magelona Gott um Hilfe: 0 allmachtiger ewiger gfittiger Gott / ich beuilch dir sie inn deynen schut^ vnd schirm (S. 645, 29f.). Nach Auffassung von RÖCKE wird das Liebesbegehren in der Schönen Magelona .moralisiert'. Grundlage sei „die Einsicht Peters und Magelonas in ihre Verfehlung, ihren Liebeswunsch als ,Privatsache', d.h. gegen alle religiösen und staatlichen Normen, realisieren zu wollen", welche „von Magelona als karitativer Dienst am Nächsten, von Peter als Dienst in der Fremde realisiert wird."86 An dieser Einschätzung scheint problematisch, dass den Figuren eine solche Einsicht in eine Verfehlung nicht zugeschrieben und mit den Prozessen der Internalisierung der Normen, die an Magelona noch während des Lebens am Hof zugeschrieben wurden, auch nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Im Zentrum des Geschehens bis zur Trennung der Liebenden steht nicht die Verwirklichung eines .privaten' Liebesbegehrens. Die Kommunikation zwischen Peter und Magelone steht dort ganz im Zeichen der Normierung des Begehrens. Magelonas Entführung resultiert nicht aus dem Verlangen, ungestört ihre Liebe zu leben, sondern aus Missverständnissen und einer gestörten Kommunikation. Allerdings scheinen Peter und Magelona ihre Emotionen in der Tat erfolgreich hinter ihren Handlungen verbergen zu können. Peter widmet sich dem Dienst beim Sultan mit gant^em fleyß (S. 647, 8) und er Heß [...] sich nichts mercken / wiewol sein hert£ allwegen betrübt war (S. 647, 15). Magelona stellt ihre eigenen Gefühle gegenüber der Trauer von Peters Eltern zurück: Die spittalerin tröstet sie beide auf das beste so sie vermochte [...] wiewol sie nottürfftiger yü tristen gewesen were (S. 665, 5-9). Zwar handelt Magelona augenscheinlich selbsdos, Peter eher zweckrational, doch setzt auch Peter seine Emotionen in ,gute Werke' um, indem er immer wieder Almosen spendet (S. 647, 21). Die Dissimulation von Emotionen, die in Florio und Bianceffora im Zeichen von Misstrauen und Intrigen bei Hof steht, die Lie84 85 86

Vgl. zu Blanscheflur in der Fassung Konrad Hecks das 5. Kapitel. Vgl. insbesondere die Diskussion der PartonopUr-Fassungen im 6. Kapitel RÖCKE: Erzähltes Wissen, S. 223.

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magtloni

besbeziehung belastet und schwere gedancken erzeugt, bekommt in der Schönen Magelona einen erstaunlich positiven Zug. Im Interesse der Nächsten von den eigenen belastenden Empfindungen absehen zu können, bedeutet eine Ökonomisierung von Emotion und Expression, die insofern auf protestantischer Linie liegt, als der Lehre Luthers gemäß im Protestantismus „individuelle Wünsche und Affekte [...] der sozialen, religiösen und habituellen Disziplinierung" bedürfen.87 Ebenso wichtig wie die innere Besinnung auf Gott ist für beide Protagonisten im Problemhorizont des Textes jedoch, dass ihre Frömmigkeit durch das objektive Geschehen auf der Ebene der Diegese beglaubigt wird. So wird es explizit als Gottes Wille bezeichnet (S. 644, 22ff.), dass der Kahn, den Peter am Meeresufer gefunden hat und mit dem er das Stück Taft aus dem Wasser fischen möchte, durch einen starken Wind auf das Meer hinaus getrieben wird. Die Zufälle des Schicksals, die sich in den älteren Texten entweder einfach ereignen oder wie in Florio und Bianceffora an Fortuna und andere Götterinstanzen delegiert sind, werden vom extradiegetischen Erzähler - ebenso wie von den Figuren - als Wirken Gottes interpretiert. Wie bereits im Roman von Florio und Bianceffora geht der Einfluss der Figuren auf das Geschehen dem gegenüber zurück. In dem Maße, in dem die Geschehnisse auf der Ebene der Diegese immer wieder als Zeichen der Providenz bestätigt werden, ziehen sie fromme, gottgefällige Handlungen nach sich. Dazu zählt, dass Magelona in Folge ihrer neuen Frömmigkeit ein Spital gründet und sich dem Dienst an den Armen widmet. Dazu gehört ebenso, dass Peter im Land des Sultans und Magelona in ihrem Spital Almosen verteilen. Außerdem ist die Initiative von Peters Eltern zu erwähnen, die aus Dankbarkeit, von Magelona getröstet worden zu sein, für ihr Spital Geld stiften. Schließlich stammen die Fässer, die eines Tages in Magelonas Spital ankommen, was Magelona nicht weiß, ursprünglich von Peter. Sie werden ihr vom Kapitän des Schiffes jedoch mit den Worten übergeben: sie solte Got fiir die seelen bitten (S. 664, 8). Als Magelona später eines der Fässer aufmacht und einen Goldschatz darin findet, mit dem sie ihr Spital erweitern kann (S. 664), versteht sie dieses Glück erneut als eine göttliche Fügung. Im Bauch eines Fisches, den Peters Eltern verzehren wollen, findet sich der Stoff mit den Ringen, die Peter ursprünglich von seiner Mutter bekommen hatte. Auch dieser Vorfall wird zum göttlichen Wunder stilisiert. Nicht nur ist der Fisch grundsätzlich ein christliches „Sinnbild der Gläubigen",88 darüber hinaus nimmt die Passage das legendarische Motiv aus dem Grtgorius auf, in dem der Schlüssel im Bauch eines Fisches die göttliche Bestimmung des 87 88

RÖCKE: Minne, Weltflucht, S. 159. LQ, Bd. 2, Rom u.a. 1970, Sp. 35.

Die religiöse Übeifoimung derritualisiertenGefühlskultur

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Helden bezeugt.89 Auch in der Schönen Magelona wird der Vorfall als göttliches Zeichen gedeutet, obwohl Peters Eltern und die Spitalerin Magelona, zu der sie inzwischen regen Kontakt pflegen, sich zunächst über die Semiose nicht sicher sind (S. 657ff.). Über den gesamten zweiten Handlungsteil werden solchermaßen Kausalketten geknüpft, in denen nach bekanntem protestantischen Muster90 rechter Glaube, gute Taten und das Wirken der Providenz einander nicht nur wechselseitig bedingen, sondern sich in ihren Folgen sogar potenzieren. Das allgemeine ideologische Programm, das ein höfisches und tendenziell protestantisch interessiertes Publikum somit aus den paradigm scenarios der Liebesgeschichte von Peter und Magelona abstrahieren kann, besteht aus der Interdependenz von Emotionen und guten Werken, unbedingtem Glauben und einer gottgefälligen Liebesbeziehung. Die strukturelle Anbindung des Wiedersehens an eine Phase, in der die Liebenden fern voneinander ihr Dasein fristen müssen, ist von R Ö C K E kausal-final als Lernprozess interpretiert worden, durch den die Voraussetzungen für die adlige Eheschließung geschaffen werden: „Erst diese Schule des Verzichts [...] befähigt Magelona und Peter zu Herrschaftsnachfolge und Fürstenamt. Sie fällt ihnen nicht zu, sondern muss verdient werden."91 Auf der Ebene der Diegese hat die Tätigkeit, der Magelona in ihrem Spital nachgeht, jedoch gerade in Warbecks Fassung den Charakter eines freiwilligen Dienstes am Nächsten. Während es im französischen Text noch heißt: Maguelonne demoura en l'ospital avec /es malades, faisant grant penitence (S. 42, 106-107), formuliert Warbeck: die spittakrin gieng hin md wardtet der armenn leütte wie sie denn gernnet ψ thän / vnnd firt eyn harttes lebenn (S. 657, 1-3). Die Erklärung für ihre Unterwerfung unter den Dienst am Nächsten gibt nicht ein Vergehen auf der Ebene der Diegese, sondern die Forderung nach Demut in der Phase der Liminalität. Peter und Magelona sind noch an der .Schwelle' zu ihren endgültigen sozialen Positionen. Die Rollen des idealen Höflings und der aufopferungsvollen Spitalerin sind geliehene soziale Identitäten, die allerdings in ihrem Inneren, in der Ausrichtung der Emotionen auf die Gottesinstanz, verfestigt werden. Diese Entwicklung bezeugt einen grundlegenden Funktionswandel der ritualisierten Gefuhlskultur. Während die Performanz des Gefühls früher durch die expressive Gestik eine emotionale .Tätigkeit' war, wird Emotionalität nun hinter der Tätigkeit verborgen. Peter hat sein hertζ der schönen Magelona (S. 660, 14f.), er ist also innerlich bei ihr, doch er wird 89

Vgl. Hartmann von Aue: Gngorim.

Hg. v. HERMANN PAUL, 13. neu bearb. Aufl. bes. v.

BURGHART WACHINGER, Tübingen 1984 (ATB 2): di vant der scbatogtre man I den slii^tl in strum magen (3294f.). 90 91

V g l MERTENS, S. 125f. RÖCKE: Minne, Weltflucht, S. 158.

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Emotion und Kommunikation in der Schimm Magelona

nach außen in seiner Tätigkeit bei dem Sultan davon so wenig beeinträchtigt, dass dieser höchst zufrieden mit ihm ist. Wieder erweist sich die Dissimulation von Emotionen als probates Mittel, um auch unter widrigen Umständen zu überleben. Der Sultan lässt Peter nur ungern ziehen, als er um die Erlaubnis bittet, abzureisen - unter dem Vorwand, seine Eltern Wiedersehen zu wollen. Von einer heimlichen Liebe zu Magelona ahnt der Sultan nichts. Auf der Heimreise rastet Peter mit der Schiffsmannschaft auf einer Insel. Dabei fällt sein Blick auf einige Blumen: Da fände er vndcr den blümenn eyne die was die schönste ob allenn vonn farbenn vnnd geschmack / ehr brache sie abe / Als bald fiele jhm zu die schone Magelona / da fienge ehr ahn zu sagenn / Wie diese schöne blüm vbertrifft alle andere blumen / also auch vbertrifft die schöne Magelona alle andere junckfrawen / vnnd frawen mit schöne / vnd fieng also an hertzlich zu weinen vnd zu empfinden grossen schmertzen innn seinem hertzen vnd gedachte wa sie hin wer kommen / in disem gedancke ward er schläfferig vnd legt sich schlaffen (S. 663,15-23).

Die Nähe zur Natur ist auf der intradiegetischen Ebene ein Indiz dafür, dass Emotionen wieder als ,Naturmacht' ins Spiel kommen. Folgerichtig wird die Erinnerung an Magelona, die durch den Anblick der Blumen ausgelöst wurde, nach dem Muster der Affektüberwältigung gestaltet und körperlich-habituell ausagiert. Die Erinnerung an die ferne Geliebte durch den Blick auf die Natur und eine anschließende Absence des Helden hat als paradigm scenario in der Literatur des Mittelalters Tradition. Das bekannteste Beispiel ist die Episode um Parzivals Blick auf die drei Blutstropfen im Schnee, die von JOACHIM BUMKE hinsichtlich ihrer wahrnehmungstheoretischen und epistemologischen Implikationen ausfuhrlich analysiert wurde.92 Eine größere Nähe als zur Episode im Parsgval, in der sich dem Held in einer konkreten Visualisierung aus den Naturzeichen plötzlich das Gesicht der Geliebten formt, 93 weist die Passage aus der Magelona allerdings zu einer Szene in Florio und Biancejfora auf, in der Florios Blick während des Aufenthalts in Montorio im Garten auf einen Rosenbusch fallt. Dort fallt ihm eine einzelne weiße Rose auf, gegen die alle anderen ihre Dornen in einer Weise gerichtet haben, durch die sie nicht mehr wachsen kann, ohne verletzt zu werden. Florio interpretiert dies als Zeichen der Gefährdung Biancefforas am Hof des Vaters: Ο we wie wol geyt ansgygung 92 93

Vgl. JOACHIM BUMKE: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im .Paraval' Wolframs von Eschenbach, Tübingen 2001 (Hermaea, N. F., Bd. 94). Diese Visualisierung vollzieht sich im Zuge eines komplexen Prozesses, den BUMKE im Rekurs auf zeitgenössische philosophische Theorien interpretiert Vgl S. 37: „Seine Augen spiegeln den Eindruck der Blutstropfen in die Seele. Dort formt die magnatio daraus das Bild einer abwesenden Person, die die memoria als die Königin von Belrapeire erkennt Diese Erkenntnis setzt die ratio in Gang, regt einen Denkprozeß an [...]."

Die religiöse Überformung derritualisiertenGefühlskultur

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diße schöne roße / meiner edle iunckfrautven Bianceffora stand/ leben im weßen / dah yglicher spitze der dornen / der schönen hlümen entgegen komen Sie %eschedigen das on SQveyffel / der groß haß meines vatters im mutter gegen der edelen iunckfrawen bedeuten ist{y&). Während der Held des Pargval an das Gesicht der Geliebten in seiner Materialität erinnert wird, deuten Florio und Peter als Allegoriker. Sie schließen von den Naturzeichen auf die Schönheit und die gefährdete Situation der Geliebten. Gerade in Bezug auf die Magelona ist zu fragen, ob diese Zeichenhaftigkeit als Indiz für eine zunehmende Autonomie des Inneren zu verstehen ist, der gegenüber die Dinge der materiellen Welt zu Signifikanten für Emotionen werden. Dafür sei daran erinnert, dass die ,Handlungsarmut' gegenüber der ^Darstellung innerer Zustände' als ein Merkmal des Romans gilt. SCHULZ liest die Naturszenerie in der Magelona - insbesondere die Wildnis des Waldes, den räuberischen Vogel, die Felsen am Meer — als Metaphern für Peters Inneres, für seine Emotionen, insbesondere für sein Begehren.94 Wenn dies zuträfe, wäre das Entscheidende an dieser Zeichenhaftigkeit wohl der Umstand, dass sie nicht auf den göttlichen ordo, sondern auf die Liebesbeziehung und auf die Emotionen Helden verweisen würde. Die Beispiele aus der Schönen Magelona und aus Florio und Bianceffora zu Allegorisierung der Naturzeichen lassen sich als Belege für eine solche ^Ausdehnung' des Innenraums werten. Doch gerade in der Magelona, dies hat sich in der Interdependenz von Frömmigkeit und Wundern gezeigt, werden die Dinge und Ereignisse der äußeren Welt in hohem Maße auf das Wirken der Providenz zurückgeführt. Den Emotionen der Protagonisten, ihrer Sehnsucht, ihrem Liebeskummer und ihrer Sorge ,antworten' die Geschehnisse in der äußeren Welt. Die Ausdehnung des Innenraums wird durch göttliches Handeln aufgefangen. Von einer Autonomie der Inneren lässt sich deshalb in Bezug auf die Magelona nicht sprechen. An Peters Reaktion auf die blühenden Blumen bestätigt sich auch, dass der Körper kaum noch ein Medium für die Performanz von Emotionen bildet. Wo in den älteren Romanen als Folge der Erinnerung an die Geliebte Serien von Ohnmächten, Weinen und autoaggressive Gesten das Leid an der Trennung zur Erscheinung bringen, flüchtet Peter in einen narkotisierenden Schlaf. Nur dort, wo Gott der Adressat des Emotionsausdrucks ist, gibt es Reminiszenzen an die Trauer-Arbeit in den älteren Texten. So betet Peter nach seinem Erwachen aus der Ohnmacht, als er realisiert, dass er allein auf der Insel zurück geblieben ist, mehrmals in der Form von Klagemonologen: Ο allmechüger ewiger güttiger Got werde ich nit eins mals meiner tag erlediget / kan ich nit sterben / wölcher mensch ist auff erdtrich den 94

Vgl. SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 186fF.

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magdom

das vnglück also veruolge als mich (S. 665, 30-666, 2). Die Monologe fallen allerdings insgesamt kürzer aus. Die Veränderungen zeigen den Funktionswandel der ritualisierten Gefuhlskultur, durch den die körpersprachliche Expression der Emotion an Bedeutung verliert, weil die innere Zwiesprache mit Gott an Bedeutung gewinnt. Der extradiegetische Erzähler beschreibt deshalb auch nicht mehr im Einzelnen, wie Peter seine Trauer körpersprachlich ausagiert, sondern erzählt sie nur noch resümierend, wodurch auf die gattungstypischen Motive nur mehr angespielt wird: Jnn solcher wüste weynet vnnd beklag sich der Peter die gant^e nacht biß an den morgen (S. 666, 14f.). Kulminationspunkt der Verzweiflung ist nicht mehr ein Selbstmordversuch, sondern die Hingabe an den Willen Gottes: Yedoch allmechtiger Got dieweyl du mir solchs ψ schickest / will ichs willigklich von dir annemen (S. 666, 10-12). Die Uberantwortung des Liebeskummers an die Gottesinstanz bleibt auch diesmal nicht ohne manifeste Wirkungen: da schicket Gott der allmechhge der die seinen nit verlast die sach also / das einfischer schifflein kam... (S. 666, 21-22).

8.9 Christlich fundierte Emotionalität als Zielpunkt Peter wird von den Fischern aufgelesen und erreicht auf diesem Wege Magelonas Spital. Doch die beiden erkennen einander nicht. Diese gattungstypische Konvention, die in vielen Texten das erste Wiedersehen nach der Trennung kennzeichnet, wird ähnlich wie in den PartonopierRomanen erzählerisch aufwendig inszeniert. Zu Recht ist darin ein Schlüssel für das Verhältnis der Liebenden zueinander gesehen worden. Während Magelona einen Schleier gewont was yä tragen / darauß man jhr nichts mocht sehen dann allein die äugen vnd die nasen (S. 671, 4f.) und Peter deshalb gewissermaßen bereits in einer Verkleidung begegnet, sollte Peter für Magelona eigentlich an seinem Aussehen zu erkennen sein. Anders als in der vergleichbaren Episode zwischen Partonopier und Irekel wird nichts darüber gesagt, dass Peters Äußeres entstellt sei. Doch erst dadurch, dass er seine Geschichte erzählt - ohne die Namen der beteiligten Personen zu nennen -, 9 5 in der Magelona ihre eigene gespiegelt sieht, realisiert sie, wen sie vor sich hat. Dies hat aber keineswegs zur Folge, dass sie sich spontan zu erkennen gäbe. Sie bedient sich zunächst erneut des ,Trosts' als einer emotionalen Maske und antwortet Peter auf seine Erzählung: ALler liebster freüntjr solt euch nit miß trösten sonder yu Got dem allmechtigenn wendenn / dann on

95

Eine ähnlich verdeckt erzählte Geschichte vermittelt auch das Wiedersehen zwischen Tarsia und ihrem Vater im Apollonias von Tjrus, was dort allerdings schlüssiger ist, weil die beiden einander als Erwachsene nie begegnet sind und sich deshalb nicht erkennen können.

Christlich fundierte Emoüonaütät als Zielpunkt

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allen tgveyffel so jr Gott werdet anrüffen weretjr nit verlassen (S. 670, 3-5). Dann rekurriert sie auf die Instanz, durch welche die Beziehung inzwischen explizit autorisiert ist: auf Gott. Pflichtschuldig stattet sie in der Kirche des Spitals ihren Dank ab, bevor sie das Wiedersehen in aller Sorgfalt inszeniert. Magelona legt kostbare Kleider an und trägt ihr langes goldenes Haar offen. Während der Habit der Spitalerin ihre sexuelle ebenso wie ihre Standes-Identität weitgehend verborgen hat, bringt diese Körperinszenierung beides wieder zur Geltung. Magelone bereitet jedoch einen zusätzlichen Effekt vor, indem sie sich mit ihrem Schleier bedeckt und, als sie Peter wieder gegenübertritt, zunächst erklärt, wer sie sei, bevor sie diese Aussage durch ihr Aussehen bekräftigt: Jn dem warff sie jren Schleyer von jrem haupt auff die erden / da fieljhr schönes har herab hangen als das gold (S. 671, 2225). Später arrangiert sie ein Wiedersehen mit Peters Eltern in ähnlicher Weise, indem sie auch ihnen gegenüber die soziale Identität als Spitalerin durch einen Wechsel der Kleider abstreift (S. 675,12-15). In diesen Handlungen wurde in der Magelona-Forschung vielfach der entscheidende Hinweis darauf gesehen, dass die Koordinierung von privater und öffentlicher Identität, die im ersten Romanteil vom Paar vernachlässigt worden sei, nun realisiert werden könne.96 Doch in der zitierten Textstelle, die Magelonas Aussehen beschreibt, wird nicht ihre öffentliche Identität, sondern ihre Physis akzentuiert. Obwohl mit dem goldenem Haar als dem klassischen weiblichen Adelsprädikat auch auf ihren Stand angespielt wird, ist es vor allem die körperliche Evidenz, welche die Wahrheit beglaubigt, nicht ihre künigklichenn kleyder (S. 671, 2f.). Peter erkennt Magelona auch nicht „an ihren Staatsgewändern",97 sondern als der Peter vonn Prouincia sähe die schone Magelona on schhyr / da erkannt er sie erst recht (672, 2f.). Hier dient die körperliche oder Natur-Seite der Frau, nicht ihre gesellschaftliche Identität, zu ihrer Authentisierung. Auch trägt die erste Kommunikation der Liebenden alles andere als einen betont offiziellen Charakter. Sie gehen vielmehr weitaus vertraulicher miteinander um als zu Beginn der Beziehung. [...] da erkannt er sie erst recht das sie die was die er so lang gesücht hatt / vnd stünde auff fiel jr vmb jren hals vnd thet sie freüntlich küssen in rechter gutter liebe / vnnd Sengen an beyde zu weynen vor frewden [...] Jch kan nit die helffte erzein der freuden so sie hetten / dann ich solchs gib einem yegklichem selber zü bedencken / sollich ding last sich auch bas bedencken dann schreyben (S. 672, 212).

Die Liebenden gestatten sich genau die spontane Gefuhlsexpression, die sich insbesondere Magelona am Hof ihres Vaters versagen musste. Doch 96 97

Vgl. SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 223; MERTENS, S. 126f. MERTENS, S. 127; ähnlich SCHULZ: Poetik des Hybriden, S. 222.

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

verrät die Unsagbarkeitsformel des Erzählers, welche die ebenfalls stockende Kommunikation des Paars verdoppelt (S. 672, 7f.), trotz ihres topischen Charakters im Kontext dieses Romans viel über die gewandelten Darstellungsmuster von Emotionalität im Liebes- und Abenteuerroman. Das, wovon sich erzählen lässt, betrifft die emotionale Hingabe des Einzelnen an seinen Glauben. Der Ort der Authentizität und der Expression der Emotion ist in der Schönen Magelona in erster Linie die Zwiesprache mit Gott. Die Phase der Wiedereingliederung in die Gesellschaft am Ende des rite de passage wird durch geschray angekündigt durch das gantry land Prouincia / wie das der Peter wider heim kommen wer (S. 676, 4f.), und von öffentlichen Bekundungen der Freude begleitet: Da sähe man edel vnd medel ψ roß vnd ßß kommen / md geschach also ein Turnier von dem adel des lands dem Peter ψ gefallen / die andern tantvgen vnd warn fivlich (676, 6-9). Sein Zielpunkt liegt jedoch in der Heirat der Protagonisten in der Kirche des Spitals, einem Akt, der die neu gewonnene Harmonie mit den Eltern und die Eheschließung unter dem Schirm des christlichen Glaubens zusammenbindet.

8.10 Ergebnisse ,Subjektivierung', ,Intro jektion', ,Reduktion' - diese Begriffe sind unverzichtbar, um die Veränderungen der Darstellung von Emotion und Expression in der Schönen Magelona gegenüber älteren Liebes- und Abenteuerromanen zu charakterisieren, und so oder ähnlich wurden diese Veränderungen auch bereits bezeichnet. Doch erst durch die Paradigmen der Inszenierung, Ritualisierung und Performativität von Emotionen wird deutlich, welche Transformationen sich damit in der Darstellung der ,Welt der Gefühle' vollzogen haben. Als Reduktion stellt sich das Erzählen in der Magelona insofern dar, als die ritualisierte Gefühlskultur des Liebes- und Abenteuerromans nur noch rudimentär vertreten ist. Die Beziehungen zu Eltern, Verwandtschaftsbeziehungen, Lehnsverhältnisse und Freundschaften spielen in der Magelona zwar noch eine Rolle, und ihre emotionalen Valenzen treten - wie bei Peters Abschied von den Eltern — mitunter zwar besonders hervor, doch werden sie insgesamt nur noch in wenigen paradigm scenarios gestaltet und haben dabei zentrale kommunikative Funktionen eingebüßt. Es reicht, Emotionen in den charakteristischen Situationen der ersten Begegnung, des Liebesgeständnisses, der Trennung und des Verlusts zu schildern. Sogar der Umstand, dass es zur Versöhnung mit Magelonas Vater kommt, ist selbstverständlich und kann deshalb mit dem einzigen Verweis, dass Peter künig Neaples md Graff Prouincien [ward\, angedeutet werden (S.

Ergebnisse

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677, 17). Dagegen wird die ritualisierte Gefühlskultur im zweiten Teil des Romans durch eine religiöse Überformung neu codiert. Während die körpersprachliche Expressivität auf ein Minimum reduziert ist, werden die Klagemonologe, die traditionell in unterschiedlichen Facetten das Leid an der Trennung artikulieren, in Gebete überfuhrt, in denen der Einzelne seine Glaubensfestigkeit unter Beweis stellt. Als besonderes Identifikationsangebot für ein protestantisches Publikum ist zu werten, dass diese Frömmigkeit sich einerseits als subjektive emotionale Hingabe an die Gottesinstanz darstellt, andererseits in ,guten Taten' manifestiert und durch das objektive Geschehen auf der Ebene der Diegese beglaubigt wird. Subjektiviert ist in der Schönen Magelona auch die Krise, die zur Trennung der Protagonisten führt. Doch ist sie trotzdem untrennbar mit Konventionen der Interaktion im höfischen Raum verknüpft, die sich, wie die diachronen Textanalysen zeigen, zunehmend in einer sozialen Kontrolle auf der intradiegetischen Ebene manifestieren und ein objektives Klimas des Misstrauens konstituieren. Im ersten Teil der Magelona wird das Problem entwickelt, wie unter den Blicken der Öffentlichkeit eine Liebesbeziehung entstehen kann. Es wird in erster Linie unter Aspekten der Kommunikation verhandelt. Gerüchte über die Schönheit der Frau erzeugen das Interesse an ihr, ein Geheimnis oder ,vorenthaltene Information' weckt das Interesse am Mann, und ist die Liebe erst einmal entstanden, geht alles darum, in Kontakt zueinander zu treten, ohne von den Emotionen zu viel preiszugeben. Magelona ist, wie bereits Meliur in den Parionojö/er-Romanen, eine weibliche Figur, die in der Beziehung die Initiative ergreift, um dann einem Prozess der Normierung unterworfen zu werden. Im Resultat hat Magelona ihr eigenes Begehren und das des Mannes zu kontrollieren. Dafür wird im Text gezeigt, dass sie Begehren durch Misstrauen unterbinden und den Gefühlsausdruck unterdrücken soll. Die Liebesbeziehung steht so von Beginn an unter der Spannung von Argwohn und Vertrauen, Zweifel und Gewissheit, aus der schließlich die Verstellungen resultieren, mit denen die Liebenden sich wechselseitig auf die Probe stellen, weil sie sich der Emotionen des anderen nicht sicher sind. Im Gegensatzpaar ,Schwäche/Passivität' auf Seiten des Mannes und .Stärke/Aktivität' auf Seiten der Frau sind diese genderspezifischen Gegensätze nicht zu erfassen. Allerdings erweist sich der männliche Innenraum in den spätmittelalterlichen Romanen durchgängig als fragiler als derjenige der Frau. Partonopier, Florio und Peter neigen dazu, an der liebe der Frau zu zweifeln. Während dies bei Partonopier allerdings in religiös begründeten Ängsten wurzelt und Florios Zweifel an der Treue Biancefforas mit einer inneren Lösung von den Eltern in Zusammenhang stehen, stellt Peter Magelona aus subjektiven Motiven auf die Probe.

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Emotion und Kommunikation in der Schönen Magelona

Als sukzessive Introjektion lässt sich jedoch nur eine Seite der Verschiebungen beschreiben, welchen die Darstellungskonventionen von Emotionen im Liebes- und Abenteuerroman unterliegen. In einer gegenläufigen Bewegung werden Emotion und Expression so ökonomisiert, dass ,authentische' Gefühle nach Innen verlagert und nach Außen unter simulierten Emotionen maskiert werden. In den Konventionen der Inszenierung von Emotionen vollzieht sich so seit den frühen F/on?-Romanen eine Transformation vom ,Erscheinen der Gefühle' zum ,Schein der Gefühle'. Während dieser .Schein' in Flono und Bianceffora jedoch noch negativ besetzt ist, wird er in der Magelona positiviert und mit der Rücksichtnahme auf andere motiviert. In der Schönen Magelona haben sich Emotion und Expression weitgehend dissoziiert. Dies beruht noch nicht auf der modernen Vorstellung einer grundsätzlichen ,Unübersetzbarkeit' inneren Erlebens in Sprache und Körperausdruck, obwohl es Zeichen eines subjektiven Empfindens der Figuren ist. Emotionen werden sprachlich - und körperlich, wenn Magelona sich eine Umarmung versagt — deshalb nicht zum Ausdruck gebracht, weil die Konvention es nicht erlaubt und weil, was die Befürchtungen der Amme deutlich machen, dies zu einer weitergehenden Entfesselung der Sinne, zur unkeuschen lieb und zur Entehrung der Frau führen könnte. Allerdings hat sich die Vorstellung der Authentizität und Lesbarkeit des mimischen Gefühlsausdrucks nicht nur durch alle Romane bis zur Magelona gehalten, sie gilt bis in die Gegenwart hinein als diejenige körpersprachliche Komponente, die sich gesellschaftlicher Konditionierung entzieht, und kann deshalb als kulturhistorische Konstante von Emotionskonzepten gelten.98 Als gegenläufige Tendenz zur Dynamik von Vertrauen, Misstrauen und Verstellung wird in der Magelona schließlich nicht nur auf den mimischen Gefühlsausdruck rekurriert, sondern, wie in den Romanen Wickrams, eine Evidenz des Körpers unterstellt, welcher Emotionen authentisiert. Bislang galt die Darstellung des ,Inneren' als herausragende literaturgeschichtliche Leistung des Romans. Wird die Magelona mit früheren Liebes- und Abenteuerromanen verglichen, ist diese Wertung jedoch nicht aufrechtzuerhalten. Gegenüber der Performanz und Ausdrucksvielfalt von Emotionen in den F/o/r-Romanen über die Partonopier-Fzssungpn bis zu Florio und Bianceffora wirkt die Magelona vielmehr wiederum reduziert. Ein reiches Spektrum der Darstellung körpersprachlicher Expressivität und der Stimulierung von Emotionen ist in den Innenraum verdrängt und zudem kontinuierlich auf die Frage der Kontrolle des Begehrens zurückgeschraubt ^Darstellung von Performanz' und .strukturelle Performativi98

Vgl. die Theorien der Basisemotionen, die auf der .Universalität der Mimik* beruhen.

Ergebnisse

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tät', Strategien also der expressiven Entäußerung und Erzeugung von Emotionen, haben gleichermaßen an Bedeutung verloren. Zwar kündigt sich fur den Innenraum nun eine eigene Bildsprache an — Magelonas »hüpfendes Herz' und Peters innerer Schwindel sind Beispiele dafür. Doch die viel beschriebene Handlungsarmut des Romans und die scheinbare Bedeutungslosigkeit äußerer Hindernisse geben noch keine Autonomie des Inneren zu erkennen, der gegenüber die Dinge der äußeren Welt zu bloßen Repräsentanzen oder Zeichen werden. Wie kein anderes der Paare vor ihnen sind Peter und Magelona als Figuren gezeichnet, die ihr .Inneres', ihre Emotionen, den Erfordernissen der gesellschaftlichen Konvention anpassen.

9. Emotionsgeschichtliche Perspektiven In dieser Untersuchung wurden ausgewählte Liebes- und Abenteuerromane des 12. bis 16. Jahrhunderts als Beispiele eines gattungsspezifischen diachronen Diskurses über Emotion und Expression, Aufrichtigkeit und Verstellung gelesen, an dem sie in unterschiedlicher Weise beteiligt sind. Wie sich zeigte, sind die Gefiihlskonzepte im mittelalterlichen Liebesund Abenteuerroman dabei - anders, als das verbreitete Klischee von der Unmittelbarkeit der Affekte es will - in der Differenz von Emotion und Expression fundiert. In den älteren Romanfassungen wird zwar die Vorstellung vertreten, dass Emotionen am Körper lesbar sind. Diese Vorstellung repräsentiert jedoch kein naives Bild eines Inneren, das sich »natürlich' im Äußeren spiegelt. Sie ist ein Element jener kulturellen Konzeption des vorbildlichen Adligen, die sich dadurch auszeichnet, dass Fühlen und Handeln kongruent sind. Die Fähigkeit, Emotionen weder zu verbergen noch zu verstellen, ist eine standesspezifische und damit eine soziale Kompetenz. Situationen, in denen kindliche und jugendliche Helden ihre Emotionen nicht verstecken können, fungieren auf der intradiegetischen Textebene als Mittel sozialer Distinktion. Dass höfische Interaktion von Lügen, Verstellungen und Täuschungen determiniert sein kann, ist dabei immer schon vorausgesetzt. Das Modell des falschen Höflings bildet deshalb den Prätext für den aufrichtigen Adligen. In der allmählichen Positivierung von ursprünglich negativ beurteilten Mustern sozialer Interaktion liegt die entscheidende Veränderung, die sich in den Romanen vollzieht und die sich direkt auf die Bewertung des Verstellens und Offenbarens von Gefühlen auswirkt. Wie die Authentizität der Emotionen das Adelsattribut der hochmittelalterlichen Texte bildet, wird die Fähigkeit,,wahre' Emotionen zu verbergen oder sogar zu simulieren, zum Adelsattribut im spätmittelalterlichen Roman. Überraschend im Vergleich zu modernen Vorstellungen von der Unsagbarkeit und Unvordenklichkeit des Gefühls ist das Zutrauen in das Potential verschiedener Medien, Emotionen ausdrücken zu können, ja der Enthusiasmus, mit dem mittelalterliche Dichter Emotionen in Dingen reflektieren, durch sie sichtbar machen und sprachlich vermitteln. Die Dichter der Liebes- und Abenteuerromane des 12. und 13. Jahrhunderts .entdecken' nicht die Innendimension. Doch sie wissen um den nicht gegenständlichen Charakter von Emotionen, und sie entdecken und nut-

Emotionsgeschichtliche Perspektiven

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zen differenzierte Strategien, Emotionen sprachlich zu vergegenwärtigen. Die Darstellung emotionaler Prozesse erreicht dabei immer wieder eine Subtilität und Vielschichtigkeit, die mit Begriff des Affekts, der ein vergleichsweise eindeutiges, heftiges und schnell vorübergehendes Empfinden bezeichnet und mit entsprechend intensiven Ausdrucksmodalitäten (,Affektentladung') versehen wird, nicht zu erfassen ist. In mediengeschichtlicher Perspektive ist der Prolog des französischen Floin, in dem eine erotische, weiblich konnotierte Face-to-faceS\tnMon des Erzählens inszeniert wird, nicht als Abgesang auf eine als weniger entfremdet empfundene Ära der mündlichen Dichtung zu werten. Denn aus dem Floire ebenso wie aus allen nachfolgenden Romanen spricht die Zuversicht, dass Sprache und Schrift Emotionen kommunizieren können. Beschränkungen in den Möglichkeiten, ein Gefühl adäquat im Ausdruck zu vermitteln, werden ausschließlich auf gesellschaftliche Normen zurückgeführt. In den Romanen erscheinen Emotionen durchgängig als gesellschaftlich determiniert. Die Erkenntnis, an welche die moderne Emotionsforschung unermüdlich erinnert und die sie mit so viel Nachdruck herausstellt: dass Emotionen nicht nur privat, subjektiv, individuell, sondern durch soziale Prozesse codiert und umcodiert sind, dass diese emotionalen Codes kulturhistorisch einen fluiden und flexiblen Status haben und unter anderem durch Literatur .ausgehandelt' werden, bildet eine Voraussetzung für die mittelalterlichen Dichtungen. In ihnen steht außer Frage, dass zwischenmenschliche Beziehungen emotional normiert sind. Diese Normen werden einerseits in Dialogen und Monologen der Figuren erörtert und andererseits in paradigm scenarios durchgespielt. Zu modernen Beziehungskonzepten zeigen sich dabei insbesondere Unterschiede in der Form, in der diese Emotionen, zum Beispiel die Liebe zwischen Eltern und Kind, begründet werden. Diese Liebe wird nicht einfach als ,naturgegeben' aufgefasst, sondern in Form eines Rechtsverhältnisses diskursiviert. Aus bestimmten familialen Positionen resultieren demzufolge bestimmte Ansprüche auf die Emotionen und den Ausdruck der Emotionen des anderen. Im Sinne eines Ausgleichdenkens gilt dies so lange, wie einer der Beteiligten die Fundamente der Beziehung nicht verletzt. Schließlich steht außer Frage, dass die mittelalterliche Literatur auch subjektive Motivationen und individuelle Emotionen von Figuren entwirft. Allerdings treten diese nirgendwo in einen radikalen Gegensatz zu gesellschaftlichen Normen. Die Figuren des Liebes- und Abenteuerromans werden in Bezug auf ihre Gefühle, um mit Bachtin zu sprechen, nicht ideologisch aktiv'.1 1

Vgl. MICHAIL BACHITN: Epos und Roman. Zur Methodologie der Romanforschung. In: MICHAEL WEGNER, BARBARA HILLER, PETER KEQLER, GERHARD SCHAUMANN: Disput über

den Roman. Beiträge zur Romantheorie aus der Sowjetunion 1917-1941, Berlin/Weimar 1988, S. 490-532, hier S. 529.

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Emotionsgeschichtliche Perspektiven

Die Normierung von Emotionen wird durch die Romane, die Prozesse der Textproduktion und Textrezeption, mit konstituiert. Literatur ist in diesem Sinne Teil einer sozialen Praxis. Diachrone Interpretationen können diese Prozesse der Normierung dort transparent machen, wo Veränderungen in Gattungskonstituenten erkennbar werden. Über den Umfang und die Form dieser Habitualisierung lässt sich zwar keine gesicherte Aussage treffen. Wird von modernen Prozessen der Aneignung kultureller und sozialer Modelle durch Literatur und andere Medien ausgegangen, ist diese Habitualisierung allerdings nicht als getreue Kopie eines Vorbilds zu denken. Es ist schwer vorstellbar, dass die Rezipienten der mittelalterlichen Liebes- und Abenteuerromane sich in Situationen des Abschieds und des Unglücks angewöhnt hätten, mehrfach in Ohnmacht zu fallen oder Selbstmordversuche mit einem Griffel zu unternehmen. Wahrscheinlicher ist, dass sie durch die Lektüre der Romane dazu angehalten wurden, Emotionen für Ehemann oder Ehefrau, für Eltern, Kinder und Mitglieder der Familie zu kultivieren.2 Dazu gehört auch die performative Bildung eines Innenraums, die zuerst in Florio und Bianceffora zu beobachten ist und sich in der Schönen Magelona fortsetzt. Der Innenraum wird - als spezieller Ort für die »Verwahrung' der Emotionen — durch die Romane mit konstituiert. Das zentrale Muster der Umcodierung des Gefühlsausdrucks von hoch- zu spätmittelalterlichen Romanen besteht aus seiner Ökonomisierung. Dafür wird ein authentisches Gefühl ins Innere delegiert und nach außen durch eine simuliertes Gefühl ersetzt. Das Ideal des Lesbarmachens von Emotionen am Körper wird dabei sukzessive von einem Paradigma abgelöst, das die Dissimulation und Simulation von Emotionen in verschiedenen sozialen Kontexten empfiehlt. Display rules, Techniken also des Maskierens, Unterdrückens oder Intensivierens von Gefühlen mag es, wie die moderne Emotionsforschung annimmt, zu allen Zeiten gegeben haben. In literaturhistorischer Perspektive zeigt sich aber, dass diese Techniken unter spezifischen Voraussetzungen und in speziellen kulturhistorischen Konstellationen thematisiert und positdviert werden. Von entscheidendem Einfluss darauf, dass display rules virulent werden, ist in den hier behandelten Texten der Geltungsanspruch der höfischen Öffentlichkeit, die kontrolliert, ob der Einzelne sich normgerecht verhält. Simuliert werden Emotionen allerdings nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in engsten familialen Konstellationen, in Familien- und Liebesbeziehungen. Einer der wichtigsten und wiederum überraschenden Unterschiede zu bürgerlichen Verhältnissen von Privatheit und Öffentlichkeit ist darin zu sehen, dass sich in diesen engen Beziehungen keine 2

HELLER, S. 184ff. spricht für diese Vorgänge von der .Pflege' der Gefühle und verwendet für die Prozesse der Entwicklung und Erhaltung von Emotionen die Metapher des Gärtners.

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Ebene der Vertraulichkeit, Ehrlichkeit und Authentizität etabliert, die vor der Sphäre der kontrollierenden Öffentlichkeit schützen würde. Die Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern und zwischen Liebenden sind in den spätmittelalterlichen Romanen vielmehr von der Rücksicht auf gesellschaftliche Normen sowie, in den späteren Texten, von Misstrauen und Techniken der Simulation und Kontrolle des Gefühls - wenigstens vor der Ehe - geprägt. In kulturhistorischer Perspektive ist deshalb festzuhalten, dass die bürgerliche Vorstellung einer ,Empfindsamkeit' im Privaten kein Telos für die Gefühlsökonomie der spätmittelalterlichen Adelsliteratur bildet. Nur eine einzige, der Anforderung nach einer Simulation und Dissimulation gegenläufige, Bewegung, die Vorstellung einer Lesbarkeit der Gefühle in der menschlichen Mimik nämlich, erweist sich als Konstante. So gehört es zu den Prämissen von Theorien der Basisemotionen, dass in der Mimik ein Gefühl zunächst unverstellt zum Ausdruck kommt, bevor die display rules greifen. Der von mir verfolgte Ansatz, Emotion und Expression im Verbund zu betrachten, ihre Funktionen in unterschiedlichen sozialen Konstellationen zu analysieren und Strategien der Ritualisierung, Inszenierung und Performativität ins Zentrum zu rücken, konnte diese Veränderungen an einer Gattung nachweisen, deren Emotionsdarstellungen immer schon als ihr besonderes Merkmal galten, ohne in ihrer Spezifik methodisch erfasst werden zu können. Es zeigte sich, dass ein inszeniertes Gefühl historisch zunächst kein simuliertes Gefühl ist, sich aber zu einem solchen entwickelt. Mit dem Paradigma der Ritualisierung wurde ein Begriff für die Historizität eines Gefühlsausdrucks erarbeitet, der traditionell und unter neuzeitlichen Gesichtspunkten als manieriert und theatralisch erachtet wurde. Dieser Begriff ist grundsätzlich für viele andere Texte anschlussfahig, in denen ähnliche Ausdrucksmuster vertreten sind. Am Paradigma der Ritualisierung ließ sich eine Entwicklung von einem körpergebundenen zu einem zunehmend sprachlich vermittelten und schließlich einem introjizierten Konzept des Gefühlsausdrucks verfolgen. Modelle der Performativität machten die handlungstheoretischen Aspekte des Gefühlsausdrucks sinnfällig, ferner die Formen und Funktionen der ^Aufführung' und des Ausagierens von Emotionen in Gestik und Bewegung, die im spätmittelalterlichen Roman immer weiter zurückgehen, bis die performative Dynamik schließlich auf die Konstitution einer .inneren Bühne' verlagert wird. Der methodologische Ansatz bei Emotion und Expression, Inszenierung, Ritualisierung und Performativität war ferner offen genug, um durch weitere, sowohl moderne als auch historische Theorie-Konzepte ergänzt zu werden. So wurde es möglich, eine medienhistorische Perspektive in die Analyse von Emotionsdarstellungen zu integrieren. Es zeigte sich, dass psychoanalytische Methoden für bestimmte Konfliktkonstellationen eben-

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Emotionsgeschichtliche Perspektiven

so einen Erklärungswert haben wie historische Modelle, zum Beispiel die Liebeskrankheit, für andere. Es hat sich sogar als sinnvoll erwiesen, dann von introjizierten Konflikten zu sprechen, wenn plausibel zu machen war, dass Konflikte in das Innere einer Figur verlagert werden. Ob diese Ansätze für weitere Forschungen produktiv gemacht werden können, ist in hohem Maße vom Gegenstand abhängig. Formen der Ritualisierung, Inszenierung und Performativität von Emotionen prägen jedoch eine Vielzahl von Gattungen der mittelalterlichen Literatur. Grundsätzlich ist außerdem davon auszugehen, dass die Analyse von Emotionen, ihrer Funktionen und Ausdrucksmodi die motivationalen Strukturen und Handlungsmuster auch weiterer mittelalterlicher Texte erschließen können. Von mittelalterlichen Emotionsdarstellungen führt kein direkter Weg zum modernen psychoanalytischen Modell der Psyche. Auf dem Weg in die Neuzeit muss das Innere nicht,entdeckt' werden, Emotionen werden nicht zunehmend .kontrolliert' und der Gefühlsausdruck nicht .zivilisiert'. Allerdings lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen davon sprechen, dass Emotionen historisch introjiziert werden. Eine dieser Voraussetzungen ist gegeben, wenn Emotionskonzepte im Verhältnis zur Sprache und zum Körper betrachtet werden. Ein zentraler Erkenntniswert des mittelalterlichen Liebes- und Abenteuerromans liegt in der Plastizität, mit der emotionale Prozesse, die in der Moderne metaphorisch aufgefasst werden, darstellungsstrategisch objektiviert und als konkretes Handeln von Körpern im Raum vergegenwärtigt sind. Nicht nur reißen die Figuren sich immer wieder tatsächlich vor Trauer und Zorn die Haare, anstatt das Gefühl, dass etwas ,zum Haareraufen' ist, nur noch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. In mittelalterlichen Liebes- und Abenteuerromanen werden Emotionen gestisch und rhetorisch buchstäblich am Körper .gezeigt'. Prozesse der Beschämung durch die soziale Gruppe vollziehen sich nicht nur in der Vorstellung, sondern finden - in den Texten - konkret statt. Aggressionen, deren Spur die Psychoanalyse mühsam durch die verschiedenen Masken des Ich verfolgt, wie einen Todeswunsch gegenüber dem Liebesobjekt, treten zwar nicht unverstellt zutage, aber wesentlich direkter als in vergleichbaren modernen Konstellationen. In spätmittelalterlichen Fassungen des Liebes- und Abenteuerromans werden Emotionen konkret im Raum des Körpers verschlossen, das Innere wird wie ein Ort begangen und aufgesucht. All dies sind Spuren eines mühevollen historischen Prozesses, im Zuge dessen die Bedeutung des Körpers als Medium des Gefühlsausdrucks modifiziert wird. Das in der Neuzeit so hoch geschätzte Innere erscheint historisch zunächst als Kerker, in den der Einzelne seine Emotionen einsperrt, um sie damit weder für andere sichtbar werden zu lassen, noch — was mehr ins Gewicht fallen dürfte — für sich selbst. In den

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beiden zuletzt behandelten Romanen, in Florio und Bianceffora und in der Schönen Magelona, erscheint erstmals die Vorstellung, dass der Rückzug auf sich selbst und die Hinwendung zum Inneren eine Form der Kraftquelle darstellt. Die emphatische Konzeptualisierung des Inneren als dem Ort des Eigenen und Authentischen, als der reichen, .wirklichen Welt' jedoch wird späteren Literaturen vorbehalten sein.

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71 44, 71,72 91

Boccaccio, Giovanni Decamerone 242,243,245,211,273,274,285 llFilocolo 28,126,240,242,243,249,258,274 F/orio und Βίαικφτα.ΛΆ, 20, 22, 28, 29, 30, 95, 100, 122-68, 240-86, 287, 288, 298, 299, 300, 301, 303, 306, 307, 314, 317, 318, 320, 321, 325, 326, 330, 333 Friedrich von Schwaben

13, 30

Konrad von Würzburg Partonopier und Meliur...U, 16, 27, 41, 79, 80, 82, 84, 85, 92, 113, 143, 169-239, 240, 245-47, 250, 252, 254, 255, 256, 258, 260, 269, 270, 271, 276, 277, 280, 287, 288, 291, 294, 295, 297, 298, 300, 301-3,307,316,317,322,325,326 Le Conte de Floin et Blanch