Evangelische Armut und Kirche: Thomes von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts 9783050047973, 3050022485, 9783050022482


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German Pages 229 [225] Year 1995

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Evangelische Armut und Kirche: Thomes von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts
 9783050047973, 3050022485, 9783050022482

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Ulrich Horst

EVANGELISCHE ARMUT UND KIRCHE

Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens.

Im

Neue Folge Band 1

Auftrag der Dominikanerprovinz Teutonia

herausgegeben von Isnard W. Frank OP (Federführender Herausgeber) Kaspar Elm Ulrich Horst OP Walter Senner OP

Ulrich Horst

EVANGELISCHE ARMUT UND KIRCHE Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts

VTWnj/ Akademie

Verlag

Professor Dr. Ulrich Horst Grabmann-Institut der Universität München Geschwister-Scholl-Platz 1 8000 München 22

Bundesrepublik Deutschland

Gedruckt mit

Unterstützung der Dominikanerprovinz Teutonia

CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Bibliothek -

Horst, Ulrich :

Evangelische Armut und Kirche : Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts / Ulrich Horst. Berlin : Akad. Verl., 1992 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens N.F., Bd. 1) ISBN 3-05-002248-5 NE:GT -

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1992 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH

;

Verlagsgruppe.

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Phooder anderes Verfahren oder in eine von reproduziert tokopie, Mikroverfilmung irgendein Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -

-

All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form by photoprinting, microfilm, or any other means nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. -

-

Satz, Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, O-5820 Bad Printed in the Federal Republic of Germany

Langensalza

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des

Herausgebers

Vorwort des Autors

.

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen 2. Gedruckte Quellen 3. Literaturverzeichnis

.

.

.

.

7 9 11 11 11 15

Erster Teil

Aquin und die evangelische Armut Zur Einführung I. Kapitel: Die Anfänge 1. Der Liber contra impugnantes Thomas

von

.

.

.

.

2. Die Summa contra Gentes

.

II. Kapitel: Auf dem Weg zur Lösung. Die Folgen des zweiten Pariser Mendikantenstreits

1. 2. 3. 4. 5. 6. III.

Gerhard von Abbeville Thomas von Aquin: Quodlibet I, q. 7, a. 2 De perfectione spiritualis vitae Die Lectura super evangelium S. Matthaei Die Lectura super evangelium S. Iohannis Der Liber contra doctrinam retrahentium a

.

.

.

Kapitel:

1. 2. 3. 4.

.

Die

.

.

religione

Synthese der Summa Theologiae

Die Lehre von den Ständen Der Ordensstand Orden und Kirche Die Verschiedenheit der Orden

.

.

.

.

.

.

29

29 35 35 46

55

55 61 63 77 81 83 93 93 106 113 119 5

Zweiter Teil

Die Diskussion I.

Kapitel:

um

Armut und Kirche im Minoritenorden

.

135

ekklesiologische und theologische Grundlegung des Problems 1. Minoritenorden und Apostolischer Stuhl 135 Die

.

2. Armut und Kirche nach dem hl. Bonaventura

.

a) Die Quaestiones disputatae de perfectione evangélica b) Die Epistola de tribus quaestionibus c) Die Apologia pauperum contra calumniatorem

.

.

.

II. Kapitel: Minoritentheologen in der Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin

.

1. Johannes Pecham 2. Johannis Petrus Olivi 3. Der Korrektorienstreit Exkurs: Die Bulle Exiit

.

.

.

qui seminat

.

144 144 154 156

168 168 171 177 189

Schluß

Dominikanertheologen in den Armutskontroversen des beginnenden 14. Jahrhunderts 1. 2. 3. 4.

.

Petrus de Palude und Nicolaus Trivet Hervaeus Natalis Durandus de S. Porciano Johannes von Neapel

.

.

.

.

Nachwort Namensverzeichnis

.

6

.

197 198 201 207 213 217 225

Vorwort des Herausgebers

Methoden und Fragestellungen ist in den letzten Jahrzehnten die Erforder Geschichte der Bettelorden vorangetrieben und ihre über die engere schung Ordens- und Kirchengeschichte hinausgehende Bedeutung für Politik-, Wirtschafts- und Sozial-, für Bildungs- und Geistesgeschichte herausgearbeitet worden. Zur Intensivierung und Koordinierung der sie berührenden Forschungen gibt die deutsche Dominikanerprovinz Teutonia die Reihe „Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens" heraus. Sie knüpft damit an die durch widrige Zeitumstände unterbrochene Tradition der „Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland" an, in deren 40 Heften wichtige Quellen und grundlegende Monographien zur Personen- und Institutionengeschichte der deutschen Dominikaner und Dominikanerinnen publiziert worden sind. Die „Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens" sind als deren „Neue Folge" gedacht. Der Reihentitel ist mit Absicht geändert. Auch in der neuen Folge wird die Geschichte der Dominikaner im deutschen Sprachraum den Schwerpunkt bilden. Die weitere Fassung des Titels nimmt jedoch bewußt Rücksicht darauf, daß der geographische den politischen Untersuchungsraum erheblich überschreitet. Denn bis zur beginnenden Neuzeit erstreckte sich die Zuständigkeit der zwei großen Ordensprovinzen Teutonia und Saxonia von Flandern über das Elsaß bis in die Schweiz und nach Slowenien hinein, von den Niederlanden bis zum Baltikum. Auch vom Inhalt her liegt die Neufassung des Reihentitels nahe. Es sollen auch wichtige Untersuchungen zur Ordensverfassung und Frömmigkeit, zur Philosophie und Theologie aufgenommen werden, die für den Dominikanerorden im Untersuchungsraum Verbindlichkeit oder Bedeutsamkeit hatten, selbst wenn die untersuchte Thematik ihrer Entstehung nach nicht speziell mit den deutschen Dominikanern und Dominikanerinnen zu tun hatte. Der Begriff Dominikanerorden im Reihentitel ist in einem weiten Sinn zu verstehen. Alle Gemeinschaften, die nach rechtlicher Verfassung oder geistlicher Ausrichtung mit den Dominikanern zu tun hatten, werden ihm subsumiert: der Predigerorden, die dominikanischen Frauenklöster und -gemeinschaften mit ihren unterschiedlichen Verfassungen, die losen Verbände der Dritten Orden sowie die verschiedenen Bruderschaften. Dem Zeitraum nach ist Forschungsgegenstand die Geschichte des Dominikanerordens von den Anfängen bis in die unmittelbare VerMit

neuen

7

Dabei ist auch gedacht an die Aufarbeitung von Entstehen und Geschichte der verschiedenen dominikanischen Frauengemeinschaften des 19. Jahrhunderts, die mit ihren religiösen und sozialen Aktivitäten in der sich rasch wandelnden Gesellschaft eine bedeutende, bisher meist unterschätzte Rolle spiel-

gangenheit.

ten.

Die Reihe, deren einzelne Bände in loser Folge erscheinen, wird eröffnet mit dem Beitrag von Ulrich Horst über „Kirche und Armut bei Thomas von Aquin". Zwar steht in der Untersuchung das Kirchenverständnis im Vordergrund, doch die Armutsauffassung der beiden ersten Bettelorden bildet den Hintergrund dafür. Die unterschiedlichen Konzeptionen franziskanischer und dominikanischer Armutstheorie und -praxis werden herausgearbeitet. Die umsichtige Position des Aquinaten spiegelt in bezug auf die Dominikaner deren Verhältnis zur Armut. Sie rechtfertigt in die Zukunft hinein die aufwendigen Großbauten der Stadtklöster der Dominikaner mit ihrer kostenintensiven Studien- und Bildungsorganisation. Daß hinter der nicht viel anderen Praxis der Minoriten, deren Bauten in den spätmittelalterlichen Städten unter Umständen noch aufwendiger sein konnten, eine ganz andere Armutskonzeption stand, ist dabei von besonderer Brisanz. I. W. Frank OP

8

Vorwort des Autors

Die hier vorgelegte Studie ist aus dem Wunsch entstanden, die Armutskonzeption des hl. Thomas von Aquin seit ihren Ansätzen im ersten Pariser Mendikantenstreit darzustellen und in die jeweiligen Situationen einzuordnen. Daß eine Untersuchung neueren Datums fehlt, ist angesichts der dem Gegenstand innewohnenden Bedeutung erstaunlich genug, zumal sich Thomas mit ihm in den entscheidenden Etappen seiner akademischen Laufbahn ausführlich befaßt hat. Noch merkwürdiger ist freilich dies: Selbst Arbeiten, die der Ekklesiologie des Aquinaten gewidmet sind, erörtern das Thema allenfalls am Rande. Eine Ausnahme macht lediglich das frühe Opusculum Contra impugnantes, dessen Hintergründe und Nachwirkungen seit langem namentlich durch die Untersuchungen Y. Congars erhellt sind. Daß das Jahr 1269 mit De perfectione spiritualis vitae eine vertiefte Sicht der evangelischen Armut einleitet, die erhebliche Konsequenzen für eine Theologie des kirchlichen Amtes hat, ist nie im größeren Kontext gewürdigt worden. Der Umstand, daß die hier greifbar werdende Umorientierung mit ihren Folgen für Episkopat und Ordensstand nur mit Hilfe eines aus Augustinus abgeleiteten Prinzips möglich war, mag das Gewicht der zur Debatte stehenden Probleme und der sich am Horizont abzeichnenden Gefahren illustrieren. Das Ringen um einen Ausgleich zwischen den strengen Forderungen des Evangeliums, die keine Distinktionen zuzulassen scheinen, und der kirchlichen Realität seit dem Ende der apostolischen Zeit weist dramatische Züge auf. Eine genetische Darstellung der Armutsauffassung des Aquinaten und deren ekklesiologischen Implikationen war die eine Seite meines Vorhabens, die andere ist die These des Buches, das historische Profil und der sachliche Rang der in der Summa gebotenen Antworten zeigten sich erst, würdigt man sie im Blick auf die von Minoritentheologen entwickelten Positionen und die inzwischen erfolgten päpstlichen Stellungnahmen. Die Reaktionen der Betroffenen verraten hinlänglich, wer und was gemeint war. Wie immer man die von mir vorgebrachten Argumente beurteilen mag, ist dies sicher: Die beiden Mendikantenorden, in Kontroversen mit gemeinsamen Gegnern von ehedem geeint, waren nun unter dem Eindruck einer dezidierten Armutskonzeption an eine Wegscheide gelangt, die in eine konfliktreiche Zukunft wies. Da alle zu wissen meinten, was die Armutsforderung des Evangeliums besagte und wer ihr am besten entsprach, ließ sich trefflich strei-

-

ten.

9

Die Anregung, diese Studie abzufassen, geht auf ein Seminar über den Ordensstand bei Thomas zurück. Sehr bald zeigte sich, daß hinter den scheinbar selbstverständlich klingenden Argumenten der Summa Theologiae Auseinandersetzungen verborgen waren, die auf eine anhaltend gespannte Atmosphäre mit einer komplexen Vorgeschichte schließen ließen. Die dem Buch zugrundeliegenden zentralen Texte wurden sodann in mehreren Oberseminaren gelesen und interpretiert. Den lebhaft und zuweilen kontrovers geführten Diskussionen weiß ich mich sehr verpflichtet. Es scheint, daß die Sache damals wie heute die Geister scheidet. Das heißt: Auch eine historische Untersuchung weist, da Vergangenheit oft zu Gegenwart wird, über sich hinaus. Den Damen und Herren des Grabmann-Instituts sei deshalb dieses Buch als Zeichen des Dankes und der Verbundenheit zuge-

-

eignet. München, den 24. Mai 1992

10

Ulrich Horst OP

Quellen- und Literaturverzeichnis

1.

Ungedruckte Quellen

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2. Gedruckte

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Alle

Abkür-

25

Erster Teil

Thomas

von

Aquin und die evangelische Armut

Zur Einführung

Aquin hat in allen entscheidenden Etappen seines wissenschaftlichen Lebenswegs Fragen behandelt, die sich aus dem Ideal der evangelischen Armut und der Nachfolge des Herrn und der Apostel ergaben. Die Anlässe, in die Diskussion eines Problems, dessen wahre Implikationen erst Jahrzehnte später sichtbar wurden, einzutreten, hat er nicht selbst gesucht. Eine gewisse Ausnahme macht die Summa contra Gentes, aber auch deren einschlägige Kapitel lassen sich nicht gänzlich von den Reflexionen und Erfahrungen des vorausgegangenen Bettelordensstreits lösen, die hier jedoch dem Charakter des Werks entsprechend in einem eher abstrakten Rahmen vorgetragen werden. Die eigentlichen Beweggründe, dem Thema große Aufmerksamkeit zu schenken, liegen in den zu Paris geführten Debatten, die den Aquinaten zwangen, ab 1269 in zwei Opuscula und im Kommentar zum Mathäusevangelium Stellung zu nehmen. Den Ertrag dieser Kontroversen mit Gerhard von Abbeville hat er auf dem Hintergrund der „minoritischen Frage", deren historischer Ort und deren theologische Bedeutung ihm wenigstens in den Grundzügen bekannt gewesen sind, in einer Synthese in der Ständelehre der Secunda Secundae der Summa Theologiae vorgetragen. Ihr Inhalt fand bald nach Erscheinen des Werks in anderen Schulen Beachtung und provozierte schon früh Widerstand. Die Reaktion spricht für die Originalität des Entwurfs und für die Brisanz der in ihm enthaltenen Thesen, deren Rang und Tragweite Theologen aus dem Minoritenorden als erste erkannt und scharf abgelehnt haben. Thomas schien, so meinte man überrascht, die bisher gemeinsam verfochtene Mendikantenlinie verlassen und sich ins gegnerische Lager begeben

Thomas

von

-

-

haben. Und in der Tat: Welche Mühen es dem Aquinaten gemacht hat, seine Synthese zu finden, und welche Motive im einzelnen dahinter stehen, kann man nur ermessen, sieht man sie auf der Folie der zeitgenössischen Auseinandersetzungen um den Ort der neuen Orden in der Kirche und um die Konsequenzen, die aus dem Anspruch resultieren, den sie erhoben. Daß ein solcher Denkweg nicht immer geradlinig verläuft, wird kaum verwundern. Die ekklesiologischen Implikationen eines zunächst als Nebenthema der Theologie zu wertenden Gegenstands werden zu

Thomas schließlich vorgeschlagenen Lösungen trotz wichtiger Konstanten, die sich seit seiner Jugendschrift Contra impugnantes nachweisen lassen -keineswegs einhellig und widerspruchsfrei sind, ist nicht nur ein Indiz für die sich mit den Jahren verschiebenden Schwerpunkte uns

allenthalben

begegnen.

Daß die

von

-

29

der Diskussion, sondern auch der Reflex eines persönlichen Ringens um die Realisierung eines Ideals, das ihn als Theologen und Religiösen gleichermaßen betraf. Manches spricht dafür, daß sich in ihm die Erinnerung früher Jahre spiegelt, als er sich in Neapel gegen die Familie und das benediktinische Monasterium entschloß, in die Nachfolge des armen Herrn zu treten. Der Umstand, daß sich Unausgeglichenheiten finden werden, mag andeuten, was für Thomas selbst auf dem Spiel stand. Im Vordergrund des Interesses stehen in unserer Untersuchung die ekklesiologischen Voraussetzungen und Folgen, die im Anspruch der evangelischen Vollkommenheit grundgelegt sind. Thomas hat deren Gewicht, seit er in die Mendikantenkontroverse verwickelt wurde, hellsichtiger als die Zeitgenossen erkannt und versucht, diese klösterliche Lebensform theologisch so in die Strukturen der Kirche mit ihren festen Ämtern zu integrieren, daß die buchstäbliche Nachfolge Jesu ohne Gefahren für die Hierarchie möglich bleibt und das Wesentliche der biblischen Forderung beibehalten werden kann. Ein Ausgleich, aber kein Kompromiß war geboten. Ließen sich Entwürfe, Distinktionen und Schlüsselbegriffe finden, die den klaren neutestamentlichen Weisungen und Beispielen gerecht wurden und gleichzeitig mit dem obersten Amt und der kirchlichen Praxis, von deren partieller historischer Bedingtheit man auch damals genügend wußte, in Einklang standen? Gab es einen den Mendikanten akzeptablen Weg zwischen biblischer Radikalität, die eine pragmatische Relativierung nicht zuzulassen schien, und der mittelalterlichen Wirklichkeit, wie sie etwa im Episkopat mit seiner Bindung an Besitz zum Ausdruck kam? Was konstituiert den Stand der Vollkommenheit? Und vor allem: Wer gehört auf grundlegende oder abgeleitete Form zu ihm? Die Frage führt auf eher unvermutete Weise ins Zentrum. Wollte man die Bischöfe, weil sie als Folge einer geschichtlichen Entwicklung offenbar einer Bedingung, der vollkommenen Armut, nicht genügten, von ihm ausschließen, mußten gewisse Mendikanten deren Platz als die eigentlichen Apostelnachfolger einnehmen und somit einen höheren Rang im Gefüge der Kirche haben als jene. Daß hier schwere Probleme zur Debatte stehen, zeigt bereits der äußere Umstand, daß Thomas ihnen eine Reihe von gewichtigen Quästionen der Secunda Secundae gewidmet hat, die seltsamerweise von der Forschung in ihrer ekklesiologischen Bedeutung nicht gebührend gewürdigt wurden, obwohl er sie als integralen Teil seiner Lehre von der Kirche gewertet wissen wollte. Die Sprengkraft der evangelischen Armutsbewegung, seit langem erfolgreich von den Mendikanten aufgefangen, schien sich erneut zu entladen, doch diesmal im Schoß einer amtlich approbierten Lebensweise. Zwar wußte damals noch niemand, zu welchen Explosionen das führen würde, klarsehenden Geistern indessen blieb nicht verborgen, daß sich in radikalen Kreisen Dynamit 30

ansammelte und daß eine Krise nicht mehr auszuschließen war. Thomas war gewiß kein zu Düsternis neigender Prophet, aber er muß, wie zu zeigen sein wird, zu einem ziemlich genau bestimmbaren Zeitpunkt der Gefahr inne geworden sein, die der Hierarchie aus einer einseitig verstandenen perfectio evangélica drohte. Die Hellsicht und die daraus gezogenen Konsequenzen werden nicht durch den Umstand gemindert, daß ihm solche Eventualitäten durch die den Mendikanten aufgezwungenen Kontroversen bewußt wurden, denn schließlich gelang ihm eine Lösung, die mit breiter Zustimmung rechnen durfte, weil sie am ehesten geeignet war, der vielschichtigen mittelalterlichen Realität theologisch gerecht zu werden. Thomas hatte auf den durch Wilhelm von Saint Amour ausgelösten Bettelordensstreit mit seinen fundamentalen Verfassungsproblemen schnell und mit scharfem Blick für das Wesentliche reagiert. Seine in Contra impugnantes entfalteten Prinzipien zur Lösung eines neuartigen ekklesiologischen Problems, in dem sich die Opposition einer langen monastischen und hierarchischen Tradition vereinigte, sind in erstaunlich kurzer Zeit allgemein akzeptiert worden. Während der folgenden Jahre stießen sie auf keinen ernsten Widerstand. Das spricht ebenso für die Qualität des Entwurfs wie für die seelsorglichen und kirchenpolitischen Notwendigkeiten, denen damals entsprochen werden konnte. Bezeichnenderweise haben Dominikaner und Franziskaner in ähnlicher Weise argumentiert man denke an die Funktion des Primats auch wenn, wie sich in der Nachgeschichte enthüllen sollte, die unterschiedlich gesetzten Akzente Folgen haben werden, die zu jenem Zeitpunkt nicht voraussehbar waren. Gedacht ist an das Verhältnis zwischen Papst und Interpretation einer konkreten Ordensweise gemäß der Franziskusregel. Daß sich dahinter nicht nur eine andere Vbrgehensweise, sondern eine neue konsequenzenreiche Einschätzung der Rolle der obersten Leitungs- und Lehrvollmacht ankündigt, ahnten damals wohl wenige. In den mit der Armut und deren Realisierung verknüpften Fragen wird die ehemals gemeinsam verfochtene Linie allmählich verlassen, so daß die beiden Orden, zunächst tatsächlich, dann aber auch theoretisch, zusehends getrennte Wege gehen. In diesem Prozeß markiert Thomas in mancher Hinsicht eine Wegscheide, so daß man sich in den bald nach seinem Tod einsetzenden Diskussionen zustimmend und ablehnend auf seine Thesen berufen wird. Wie die Dinge lagen, mußte das zu einer Bildung von Schulen eigener Art führen, wobei Konflikte programmiert waren. Der erste Schritt ist nicht minder interessant als dieser zweite. Thomas ist zu seiner Antwort nur allmählich gelangt. Tasten, Zögern und ein gewisses Zurückschrecken vor der eigenen Kühnheit sind zu konstatieren. Er hatte Widerstände zu überwinden, die namentlich in den strengen, keine Vorbehalte duldenden Weisungen Jesu gründen, doch dürften auch, wie schon angedeutet, persönliche Motive mitschwingen: Die Entscheidung für die private und gemeinschaftliche Armut in Gestalt des Predigerordens. Über diese Seite seines -

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Denkens sind freilich nur Vermutungen gestattet. Das liegt an der Art, wie Thomas argumentiert und schreibt. Anders als Bonaventura, dessen Armutskonzeption ganz durch den Eindruck geprägt ist, den Person und Werk des hl. Franz hinterlassen haben, nennt er nirgendwo den Namen seines Ordensvaters. Das entspricht gewiß seiner Methode und der Absicht, eine Lebensform theologisch so zu legitimieren, daß sie auch unabhängig von diesem oder jenem Ordensgründer Geltung beanspruchen kann, doch mag hier noch ein anderes Motiv anklingen. Thomas weiß, daß die Generalkapitel seines Ordens als Sachwalter des Stifters einen schwierigen Anpassungsprozeß vollzogen und rechtlich verbindlich gemacht hatten, der begreiflicherweise mit der Gründungsphase nicht unbedingt

deckungsgleich war.

Bemerkenswert und im Gegensatz zu parallelen Überlegungen im Minoritenorden ist der Umstand, daß Thomas von den konkreten Reatypisch lisierungsweisen der Armut, von ihrem Alltag also, mit den mannigfaltigen juristischen und ökonomischen Problemen nur gelegentlich und wie nebenbei spricht. Daß theologische Interpretation und Praxis in einer engen Beziehung stehen, weiß er. Er berücksichtigt dies etwa, wenn er vom episkopalen Stand der Vollkommenheit mit seinen Verflechtungen in den Besitz man denke an Armenfürsorge, Erbschaften, Testamente handelt. Die den Bischöfen kanonisch konzedierte Befugnis, Eigentum zu vermachen, veranlaßt ihn, daraus grundsätzliche Konsequenzen zu ziehen. Ähnlich konkrete Erwägungen in bezug auf die Ordensarmut fehlen indessen, obschon ihm geläufig war, daß die Generalkapitel längst bedeutsame Regelungen hinsichtlich des konventualen Eigentums hatten treffen müssen. Nirgendwo erwähnt er die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Religiose Bücher und Hilfsmittel für seine gelehrte Arbeit haben darf. Daß das Studium mit erheblichen Kosten verbunden war, dürfte wenigen so bekannt gewesen sein wie ihm, doch hält er es nicht für angebracht, das Thema zu erörtern. Daß er diesbezügliche Einwände übersehen haben sollte, ist höchst unwahrscheinlich. Vermutlich liegt die Antwort auf dieses befremdlich scheinende Schweigen in der Absicht, lediglich Prinzipien bieten zu wollen und den voraussehbaren Wandlungen in der Sache gemäß bieten zu können. Die Präzisierungen für die Praxis sind dann eine Angelegenheit der gesetzgebenden Organe. Gleichwohl bleibt eine gewisse Spannung bestehen, eine Unausgeglichenheit zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die wohl auch deshalb nicht aufgehoben werden soll, weil Thomas nur zu gut weiß, daß eine kasuistische Armutsauffassung stets neue und nie befriedigend zu lösende Probleme aufwirft. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß ihn die in minoritischen Kreisen äußerst intensiv geführte Diskussion über Bücher, Utensilien, Geld und Immobilien gewarnt hat, derartiges zu versuchen. Einiges wird er zwar in der Summa Theologiae bedenken so das Verhältnis von Geld und Naturalien sowie eine -

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bescheidene Vorratshaltung des Konvents -, doch bestätigt sich selbst hier, daß ihm an einer Kasuistik nicht gelegen ist. Daß dieses Schweigen seinem Orden förderlich war, ist sicher. Von endlosen Auseinandersetzungen über Details blieb er weithin verschont. Bedeutsam ist ferner dies: Anders als im ersten Mendikantenstreit und vor allem anders als bei den Minoritentheologen, die schon in den Anfängen den Papst als Interpreten der Regel in Anspruch nahmen und ihn so in künftigen Meinungsverschiedenheiten zum Schiedsrichter, Garanten und schließlich zum Gegenstand von Angriffen machten, geht Thomas in unserem Zusammenhang auf ihn als den höchsten Repräsentanten des status perfectionis nicht näher ein und untersucht auch nicht, wie sich der Apostolische Stuhl zu den Orden verhalten soll. Das Schweigen fällt auf und ist nicht leicht zu deuten. Unerörtert bleibt, ob und wie die Spitze der Hierarchie die Bischöfe in ihrer das Volk zur Vollkommenheit führenden Funktion, die ihren Stand über den der Religiösen erhebt, zu legitimieren und zu bestärken hat. Berücksichtigte man allein die entsprechenden Quästionen der Secunda Secundae müßte man den Eindruck gewinnen, der Episkopat als Nachfolgeinstitution des Apostolats ruhe in sich selbst und bedürfe keines perficiens. Daß dies freilich nicht die ganze Wahrheit sein kann, beweisen zahlreiche anderslautende Texte seit Contra impugnantes. Daß das von den Minoriten auf neue Art in Anspruch genommene Amt mit den daraus resultierenden Gefahren für dieses selbst in unserem Kontext keine Erwähnung findet, mag sich partiell aus der Verfassung des Predigerordens ableiten, der normalerweise solche Interventionen nicht brauchte, doch erklärt das wohl nicht hinreichend die Absenz des Papstes in den Quästionen über die Bischöfe, die sonst in Verbindung mit dem Haupt der Hierarchie gesehen werden. Thomas hat die Worte Jesu über die Nachfolge sehr ernst genommen das belegt namentlich Contra retrahentes aus der Spätphase seines Schaffens -, aber nicht minder deutlich wird ihm im Verlauf seiner durch die Attacke Gerhards von Abbeville herausgeforderten Überlegungen, daß sich der von Gott intendierte Sinn der Schrift erst dann in allen seinen Konsequenzen erschließt, wenn man sie im Licht der Heilsökonomie liest, d. h. im Kontext der Väterlehre und der Praxis der Alten Kirche, die der Theologe als Auslegungshilfe mitzubedenken hat. Die Tradition, deren Bedeutung für unsere Frage ihm durch seinen Widersacher aus dem Weltklerus eindringlich vor Augen geführt worden war, gibt dem Aquinaten schließlich den entscheidenden Fingerzeig, der ihm half, den biblischen Anspruch mit Aspekten der historisch gewordenen kirchlichen Wirklichkeit in Einklang zu -

bringen, die ebenfalls gottgewirkt war. Die Exegese des Mathäusevangeliums, das Thomas seiner Methode getreu parallel zu ihn bewegenden systematischen Themen in dieser letzten Etappe kommentierte, bestätigt, wie sehr er um einen Ausgleich gerungen hat. -

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Dem

Rang, den das Ideal der evangelischen Armut in der Mendikantenbewegung

einnimmt, korrespondiert die Tatsache, daß sich Thomas wiederholt mit der Armut befaßt hat, wobei die Summma contra Gentes eine Übergangsposition markiert, die weithin den Parteienhader hinter sich läßt, ehe 1269 in Paris mit dem Opusculum De perfectione die Wende anhebt. Es empfiehlt sich daher von selbst, den einzelnen Schritten nachzugehen und die Konstanten ebenso zu verzeichnen wie die Divergenzen bis hin zur Secunda Secundae, die dadurch ihre historische Tiefenschärfe erhält. Sie wird überraschende Nachwirkungen haben. Thomas hat seine Konzeption des status perfectionis sicher nicht zuerst als Gegenposition zu den Minoriten oder zu den Repräsentanten des Weltklerus entworfen. Eine Reihe von sich in allen Phasen durchhaltenden Schlüsselbegriffen zeigt das an. Aber ebenso gewiß ist, daß er sie auf einem Hintergrund vorgelegt hat, der sich von den Ansichten der Zeitgenossen nicht ablösen läßt, ja erst der Nachweis, worin sich die Theorien des Aquinaten von anderen Konzeptionen unterscheiden, kann ihre Eigenart deutlich und die Nachgeschichte verständlich machen. Nicht zu verkennen ist, daß namentlich die Quästionen der Summa Theologiae auch angesichts der „minoritischen Frage" abgefaßt worden sind, deren ekklesiologisch wichtigste Etappen einem Pariser Theologen bekannt waren und aus denen er seine Schlüsse ziehen mußte. Es legt sich deshalb nahe, die heute ziemlich klar vor Augen liegenden Entwicklungslinien nachzuzeichnen und die Interventionen des Apostolischen Stuhls in ihrer Bedeutung für unsere Probleme zu untersuchen. Das Schwergewicht der Arbeit, die ekklesiologischen Implikationen der evangelischen Armut, ergibt sich fast von selbst. Ekklesiologische Themen ziehen sich direkt und indirekt -, von der Summa contra Gentes abgesehen, durch alle Schichten der Diskussion und geben ihr ein unverwechselbares Profil. Im Gegensatz zum Rang des Gegenstands ist die enge Verknüpfung von Ekklesiologie und Armut bei Thomas nur mangelhaft gesehen und nie zusammenhängend gewürdigt worden'. Das ist um so verwunderlicher, als man sich seit langem mit solchen Aspekten der „minoritischen Frage" beschäftigt hat. Sollten unsere Interpretationen und Thesen Zustimmung finden, wäre zugleich erwiesen, daß eine Darstellung der Ekklesiologie des hl. Thomas, die von der hier diskutierten Problematik absieht, unvollständig bleibt. Wer sie ausklammert, bringt sich möglicherweise selbst um Überraschungen. -

1

Die Studie von A. Ott, Thomas von Aquin und das Mendikantentum, Freiburg 1908 ist überholt. H. C. Lambermond, Der Armutsgedanke des hl. Dominikus und seines Ordens, Zwolle 1926 hat eine zu schmale Basis. Der Kommentar von B. M. Dietsche, Stände und Standespflichten II-II 183-189 (Die Deutsche Thomas-Ausgabe, Bd. 24), HeidelbergGraz 1952 hat eine überwiegend systematische Zielsetzung.

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I. Kapitel: Die Anfänge

1. Der Liber contra

impugnantes

Über Anlaß, Inhalt und Bedeutung des Opusculums Contra impugnantes im mit der Verteidigung des Existenzrechts, der seelsorglichen und

Zusammenhang

wissenschaftlichen Aktivitäten der Mendikantenorden braucht hier nicht gehandelt zu werden2. Im Vordergrund unseres Interesses steht etwas anderes. Die Eigenart des Angriffs gegen die als revolutionär empfundenen Gemeinschaften macht es erforderlich, zunächst auf das Wesen des Ordensstands und dessen verschiedene Erscheinungsformen einzugehen, da nur mittels solcher Überlegungen die ihnen möglichen und kirchlich approbierten Tätigkeiten begründet werden konnten, die in diesem Streit zur Debatte standen. Thomas beginnt mit allseits akzeptierten Gedanken. In den Gelübden verpflichtet sich der Religiose zu bestimmten Werken der Liebe, in denen er unter Verzicht auf Weltliches Gott auf besondere Weise dient. Sie äußern sich in zweifacher Gestalt: im kontemplativen und im aktiven Leben. Auf dieser Unterscheidung basieren die monastischen und eremitischen Orden sowie diejenigen, die sich der Sorge um den Nächsten widmen. Die ihm zu erweisenden Taten der Barmherzigkeit sind derart vielfältiger Natur, daß man ihnen nur mit Hilfe verschiedener religiöser Gemeinschaften begegnen kann, woraus zu folgern ist, daß Neugründungen jederzeit möglich sind, will man den jeweiligen Erfordernissen in angemessener Weise entsprechen. Daß Thomas bereits mit diesem Satz die Mendikanten zu legitimieren versucht, wird spätestens deutlich, wenn er das docere einen actus misericordiae nennt3. Zunächst geht es freilich um Prinzipielleres. Wer kraft der Gelübde der Sünde und der Welt stirbt, macht sich frei für den Dienst gegenüber 2

s. die Einleitung von H.-F. Dondaine zur kritischen Edition, Opera Omnia, Editio Leonina, t. XLI, Rom 1970, bes. A6-A13. Y. M. -J. Congar, Aspects ecclésiologiques de

Dazu

la querelle entre mendiants et séculiers dans la seconde moitié du XIIIe siècle et le début du XIVe, in: AHDL 28(1961)35-151. M.-M. Dufeil, Guillaume de Saint Amour et la polémique universitaire Parisienne 1250-1259, Paris 1972; dens, Signification historique de la querelle des mendiants: ils sont le progrès au 13e siècle, in: Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (MM 10), Berlin 1976, 95-105. E. Faral, Les „Responsiones" de Guillaume de Saint-Amour, in: AHDL -

25-26( 1950-1951)337-394. 3

Contra

impugnantes, c. 1, A53f und c. 2, § 3, A58. 35

Gott und bringt ihm ein Ganzopfer dar. So widerspricht etwa die Armut als Verzicht auf Besitz dem biblischen Begriff des Besorgtseins (sollicitudo), in dem sich die negativen Aspekte der weltlichen Sorge zusammenfassen lassen. Daß Thomas das Wesen des Ordensstandes auf dieses Zentrum zurückführt, schließt eine wichtige Konsequenz ein: Alle sonstigen Verpflichtungen und Übungen sind nur „Hilfen" (adminicula), die negativ oder positiv, abwehrend oder unterstützend, zur Erreichung des Ziels beitragen. Solche Gedanken erlauben eine Antwort auf die Frage, welchen Rang die Orden untereinander einnehmen. Was auf den ersten Blick nebensächlich anmuten mag, wird sich im Verlauf der Überlegungen als außerordentlich folgenreich erweisen und wie ein Schlüssel sein, der Entscheidendes erschließt. Und worin besteht er? Die Vollkommenheit einer jeden Sache ergibt sich aus der Weise, wie ein bestimmter Zweck zu erreichen ist. Hier meint das: Ob ein Orden hervorragender ist als ein anderer, bemißt sich nach der Würdigkeit der Akte, denen er dient. Widmet er sich dem aktiven oder dem kontemplativen Leben? Thomas wird im Sinne einer langen Tradition darin das Kriterium für die Einteilung der beiden Lebensformen sehen. Nicht minder bedeutsam ist ein Zweites: Ein hohes Ziel, das man sich setzt, genügt für sich allein noch nicht, es müssen ihm auch die Mittel entsprechen, d. h. die klösterlichen Observanzen, um die im Wege stehenden Hindernisse auszuräumen. Oder mit einem Beispiel: Von zwei kontemplativen Orden ist der als vollkommener zu erachten, der den Religiösen freier macht, der Beschauung zu obliegen. Was das für unser Thema bedeutet, mag der dritte Maßstab anzeigen: der allen Orden gemeinsame Bußcharakter. Unter dem Aspekt der Buße hätte der als vollkommener zu gelten, der seinen Mitgliedern die größeren Strengheiten auferlegt etwa Fasten und Armut. Thomas akzeptiert dies, meint jedoch, das vorhin genannte Kriterium treffe das Wesentlichere und ermögliche eher ein Urteil über die Rangordnung klösterlicher Gemeinschaften. Und dies vor allem deshalb, weil die Vollkommenheit eines Lebens „mehr" in der „inneren Gerechtigkeit" zum Ausdruck kommt als in der „äußeren Enthaltsamkeit"4. Anders gesagt: Das Mittel kann sich nicht an die Stelle des Ziels setzen. Die Tragweite dieses von Thomas in allen Phasen seiner Theologie verteidigten Prinzips liegt auf der Hand, wie ein späterer Blick auf andere Positionen zeigen wird. zu den so relativierten Daß die Armut das Beispiel hat es angedeutet zu indessen sollte nicht der Ansicht wird, verleiten, sie sei Strengheiten gerechnet für Thomas ein adminiculum unter mehreren anderen. Das trifft gewiß nicht für diese frühe Etappe seines Denkweges zu. In kurzen, eindringlichen Sätzen betont er, wie sehr die Kenntnis der hl. Schrift gerade Sache der „Armen Christi" ist. Solches Wissen kann man nicht zusammen mit den „Reichtümern dieser Welt" -

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4

Contra

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impugnantes, c. 1, § 1, A54f.

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haben. Das führt ihn zu dem Schluß, daß namentlich die Religiösen, die sich der Armut verschreiben, das theologische Lehramt ausüben sollen5. Die enge Beziehung zwischen den von irdischen Sorgen befreienden Gelübden und der Kontemplation sowie dem Studium legitimiert die bisher unüblichen Aktivitäten der Bettelorden. Auch für den Aquinaten gilt: Die Armut wird zu einer wesentlichen Voraussetzung des geistlich-intellektuellen Lebens und der Seelsorge6. Daß in dieser Sicht das alte Problem des klösterlichen Lebensunterhalts in neuer Gestalt erscheint, bezeugen die intensiven Debatten um die Handarbeit. Sie sind ein wichtiges Indiz für eine tiefgreifend veränderte kirchlich-gesellschaftliche Situation mit nicht geringen Folgen für unser Thema7. Auf Einzelheiten braucht hier nicht eingegangen zu werden, es genüge der Hinweis auf einige prinzipielle Äußerungen. Eine generelle Verpflichtung aller Religiösen zur manuellen Arbeit läßt sich nicht statuieren, sonst wären besitzende Laien und Kleriker im „Stand der Verdammnis". Es gibt Ordensleute, die sie nicht zu praktizieren brauchen, weil sie erlaubterweise aus anderen Ressourcen leben können. Sie verfügen entweder über feste Besitztümer, die ihnen einmal von den Gläubigen übertragen wurden, oder über Einkünfte aus dem ihnen anvertrauten Predigtdienst. Letztere sind ihrer Natur nach unregelmäßig, sie hängen von einer erbrachten Leistung ab8. So stellt sich in einer kurzen Formel die ökonomische Differenz zwischen monasterium und conventus dar.

impugnantes, c. 2, § 3, A58. Item, pauperibus Christi maxime competit notitiam Scripturarum habere. Eis autem competit docere qui notitiam habent Scripturarum; ergo religiosis qui paupertatem profitentur maxime competit docere. Contra impugnantes, c. 2,§ 3, A57. Praeterea, illi maxime sunt idonei ad docendum qui maxime divina per contemplationem capere possunt. Sed religiosi per triplex votum reliquerunt illa quibus animus maxime inquietatur. Zum allgemeinen Hintergrund s. D. Berg, Armut und Wissenschaft. Beiträge zur Geschichte des Studienwesens der Bettelorden im 13. Jahrhundert, Düsseldorf 1977. G. Barone, La legislazione sugli „Studia" dei Predicatori e dei Minori, in: Le Scuole degli Ordini Mendicanti (secoli XIII -XIV)(Convegni del Centro di studi sulla spiritualità médiévale XVII), Todi 1978, Contra

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207-247. S. die später (Anm. 251) zu nennende Literatur. Contra impugnantes, c. 5, § 3, A89. Sed aliqui religiosi sunt, qui habent alias unde licite vivant quam de labore manuum, quia habent possessiones quae ad eorum vitam sustentandam a fidelibus collatae sunt; vel habent ministerium praedicationis sibi commissum de quo vivere possunt. Welche sozialen Veränderungen hier vorauszusetzen sind, braucht nicht im einzelnen dargestellt zu werden. Es genüge der Hinweis auf folgende Literatur: K. Elm (Hrg.), Stellung und Wirksamkeit der Bettelorden in der städtischen Gesellschaft (Berliner Historische Studien 3/Ordensstudien II), Berlin 1981. E. Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, Stuttgart 1988, 219-224 (Literatur: 226-230). N. Hecker, Bettelorden und Bürgertum. Konflikt und Kooperation -

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Diese These und die sich ihr anschließenden Erläuterungen enthalten im Kern die in Contra impugnantes entwickelte Konzeption, die den neuen Orden Seelsorge, Predigt und Studium ermöglichen und den Unterhalt sichern soll. Das „vom Evangelium leben", argumentiert Thomas, bezieht sich nicht nur auf die Prälaten, die kraft ihrer ordentlichen Autorität der Verkündigung zu obliegen haben, es betrifft vielmehr alle, die in deren Auftrag dieses Amt ausüben. Darin liegt die ihnen gemäße materielle Basis9. Dasselbe gilt für alle, die der Kirche durch das öffentliche Gebet dienen, und für die, die das Studium der Theologie betreiben. Auch sie haben das Recht, den Unterhalt aus solchen Aktivitäten zu bestreiten, so daß sie sich nicht der Handarbeit zu widmen brauchen. Um den öffentlichen Charakter der den Religiösen eigenen Tätigkeiten zu unterstreichen, zieht Thomas Parallelen in deutschen Städten des Spätmittelalters, Frankfurt 1981, bes. 48-132. M. Wehrli-Johns, Geschichte des Zürcher Predigerkonvents (1230-1524). Mendikantentum zwischen Kirche, Adel und Stadt, Zürich 1980. J. B. Freed, The Friars and German Society in the Thirteenth Century, Cambridge (Mass. ), 1977. B. Neidiger, Mendikanten zwischen Ordensideal und städtischer Realität. Untersuchungen zum wirtschaftlichen Verhalten der Bettelorden in Basel (Berliner Historische Studien 5/ Ordensstudien III), Berlin 1981. B. E. J. Stüdeli, Minoritenniederlassungen und mittelalterliche Stadt ( FrFor 21), Werl 1969. W. Simons, Stad en apostolaat. De vestiging van de bedelorden in het graafschap Viaanderen (ca. 1225-ca. 1350). (Verhandelingen van de Koninklijke Académie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Künsten van België, Klasse der Letteren, 49/121), Brüssel 1987, bes. 45-50 (neuere Literatur). E. Guidoni, Città e ordini mendicanti. II ruolo dei conventi nella crescita e nella progettazione urbana del XIII e XIV secólo, in: Quaderni Medievali 4(1977)69-106. L. K. Little, Religious Poverty and the Profit Economy in Medieval Europe, London 1978. Zu den Begriffen possessio, proprietas, dominium s. J. Hallebeek, Quia natura nichil privatum. Aspecten van de eigendomsvraag in het werk van Thomas van Aquino (1225-1274), Nijmegen 1986,26-28,43^16,56-95. C. Splcq, Notes de lexicographie philosophique médiévale. Dominium, possessio, proprietas chez S. Thomas et chez les juristes romains, in: RSPhTh 18(1929)269-281. D. Willowelt, Dominium und Proprietas. Zur Entwicklung des Eigentumsbegriffs in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechtswissenschaft, in: HJ 94(1974)131-156. Contra impugnantes, aaO. Thomas beruft sich für das de evangelio vivere auf IKor 9,14 und die Glosse hierzu. Er fährt dann fort: Unde non potest dici quod hoc intelligendum sit solum de praelatis quibus ex auctoritate ordinaria praedicare incumbit, quia tam ipsos quam alios quoscumque qui ex eorum commissione praedicant oportet expeditos esse ad praedicandum verbum Dei, inter quos possunt esse religiosi. Dazu s. vor allem Y. M.-J. Congar, Aspects ecclésiologiques (Anm. 2), bes. 88-114. Zur Vorgeschichte s. M. Peuchmaurd, Le prêtre ministre de la parole dans la théologie du XIIe siècle (Canonistes, moines et chanoines), in: RThAM 29(1962)52-76; dens., Mission canonique et prédication. Le prêtre ministre de la parole dans la querelle entre Mendiants et Séculiers au XIIIe siècle, in: RThAM 30(1963)122-144, 251-276. -

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weltlichen Bereich, in dem die, die für das Wohl der Gemeinschaft wirken, von den Gemeinwesen entlohnt werden"1. Wiederum wird deutlich: Thomas möchte die Orden von einer festen ökonomischen Basis mit regelmäßig fließenden Einkünften lösen, um an deren Stelle eine „Bezahlung" zu setzen, die aus einer jeweils zu erbringenden seelsorglich-theologischen Arbeit resultiert. Eine Kommunität ist dann in der Lage, auf Handarbeit ebenso zu verzichten wie auf Grundbesitz oder Gewinn aus sonstigen Kapitalien, die einen kontinuierlichen Ertrag abwerfen. Umgekehrt heißt das: Die Gläubigen haben unmittelbar Predigt und Studium zu finanzieren und nicht mittels einmaliger Schenkungen, so daß die Religiösen von der Last befreit werden, feste Vermögen zu verwalten. Daß sich aus dieser Umverteilung der Rechte und Pflichten, die den Laien eine indirekte Teilhabe an der Seelsorge gewährt und den Religiösen besondere Verantwortung auferlegt, Probleme ergeben, wird von Thomas in diesem der Verteidigung dienenden Kontext verständlicherweise nicht näher erörtert. Der Aquinate weiß, daß seine Auffassung mit dem öffentlichen Charakter von Studium und Predigt steht und fällt. Gelegentlich eines im Frühjahr 1256 disputierten Quodlibets über die Handarbeit weist er auf einen folgenschweren Funktionswandel hin, den beide durchlaufen haben. Das Studium hat nicht mehr wie im Monasterium die persönliche Tröstung des Mönches zum Ziel, sondern die Unterweisung anderer. Es erfüllt seine Aufgabe zum Wohl der Gläubigen. An die Stelle der klösterlichen lectio ist die wissenschaftliche Theologie getreten, an der alle Anteil haben sollen. Dasselbe gilt für die Predigt, die in communi, in der Gemeinde, vorgetragen wird. Nicht erbauliche Worte hat sie zum Ziel, sondern die offizielle Verkündigung der Kirche. Beide Aktivitäten sind mit der traditionellen Handarbeit unvereinbar". Die These der Mendikantengegner, man dürfe in einen Orden ohne Besitz und gesicherte Einkünfte nur unter der Bedingung der Handarbeit eintreten, gibt Thomas Gelegenheit, über einige Aspekte der Armut zu handeln. In der Nachfolge Jesu das Exempel des reichen Jünglings zeigt es geht es nicht nur um die Gesinnung der Armut, zu der alle Christen verpflichtet sind, sondern um eine tatsächlich geübte Form, die durch Preisgabe des Besitzes gekennzeichnet ist12. zum

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Contra impugnantes, c. 5, § 3, A89... ergo multo fortius qui in spiritualibus utilitati communi deserviunt vel praedicando vel studio sacrae Scripturae insistendo vel ecclesiae deserviendo in qua fiunt orationes pro salute totius Ecclesiae, possunt licite accipere a fidelibus unde sustententur: non ergo tenentur manibus operari. Quodlibet VII, q. 7, a. 2 ad 2. Zur Datierung s. J. A. Weisheipl, Thomas von Aquin. Sein Leben und seine Theologie, Graz 1980, 328. Zum Problem s. J. Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters, Düsseldorf 1966, bes. 171-259. Contra impugnantes, c. 6, §§ 1-3, A94—A99. -

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Sie muß ohne die Möglichkeit realisiert werden, aus einem gemeinsamen Besitz zu leben, wie das im Mönchtum der Fall ist. Das monastische Vorbild soll durch einen gänzlichen Verzicht überboten werden. Christus, die Apostel und die Jerusalemer Urgemeinde bezeugen diese vollkommene Gestalt der Armut, die zu erneuern sich die Mendikanten vorgenommen haben. Die frühen Formen des Ordenswesens werden von Thomas nicht getadelt, er betont lediglich, es sei „besser" und „lobenswerter", ohne gemeinsames Eigentum zu sein, weil dessen Erwerb und Erhalt stets Sorgen mit sich bringen, so daß sich der Rat, arm zu sein, in den Monasterien nur unvollkommen beobachten läßt13. Schrift und Väter lehren zudem, daß das Leben auf der Basis gemeinsamen Besitzes eine geringere Form der evangelischen Armut darstellt. Der Verzicht auf ihn muß deshalb nicht nur erlaubt, sondern empfehlenswert sein. In den Antworten auf Einwände werden Einzelheiten geboten, denen wir auch in späteren Schriften begegnen werden. Um einem irrealen Radikalismus zu wehren, heißt es, daß die Preisgabe des Zeitlichen niemals total sein könne. Das Leben fordert sein Recht, so daß Essen, Trinken und Kleidung nötig sind14. Bemerkenswert ist die Aussage, daß es nicht verboten ist, Geld aufzubewahren. Wohl aber gibt es den Rat, das nicht zu tun. Auch unser Herr hatte einen „Beutel", doch nicht so, als hätte nicht anderweitig für ihn gesorgt werden können. Vielmehr wollte er wie ein „Schwacher" unter den Menschen sein und ihnen zeigen, wozu auch sie befugt sind. Schließlich hat er aus dem „Beutel" die Armen unterstützt und die, die mit ihm waren. In ihm symbolisiert sich die Fürsorge der Kirche. Gesagt wird ferner, daß der Herr das Geld nicht aus Besitzungen hatte, sondern von den Gaben der Gläubigen15. Es bleibt demnach erlaubt, Geld für gewisse Bedürfnisse zu haben, wofern es von anderen gespendet ist. Dasselbe trifft für die Apostel zu. Sie bewahrten Geld auf und sammelten es, um den „heiligen Armen", die alles um Christi willen verkauft hatten, beizustehen. Wiederum heißt es mit Nachdruck, daß sie das Geld nicht etwa aus Eigentum hatten, vielmehr stammte es aus Almosen16. Das Verbot, die Apostel sollten nichts bei sich tragen, hat Christus beim Abendmahl nicht gänzlich widerrufen, er hat ihnen lediglich gestattet, in Verfolgungszeiten das Nowendige zu haben17. Auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Autoren werden wir andernorts einzugehen haben, doch dürfte schon hier klar geworden sein, daß der Frage nach der Funktion des „Beutels" Jesu eine wichtige Rolle zukommen wird, an der 13

Contra impugnantes,

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Contra

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c. 6, § 4 ad 6, A99-A100. impugnantes, c. 6, § 6, ad 6, A101. Contra impugnantes, c. 6, § 6 ad 6 und ad 8, AlOlf. So auch ad 14, A103. Contra impugnantes, c. 6, § 6 ad 15, A103. Contra impugnantes, c. 6, § 6, ad 16, A103f ,

sich in einer nicht sehr fernen Zukunft die Geister scheiden werden. Thomas beschließt seine Erwägungen über den Verzicht auf gemeinsamen Besitz mit einem Gedanken, den er in abgewandelter Form öfter erörtern wird. Auf dem Hintergrund zeitgenössischer Interpretationen heilsgeschichtlicher Etappen, wie sie etwa von Bonaventura vorgeschlagen werden, erhält er einen zentralen Rang. Der Aquinate weiß, daß die von ihm verteidigte Mendikantenexistenz für die Kirche seiner Tage etwas Neues darstellt, das es als Institution so noch nicht gegeben hat. Gleichwohl liegt ihm viel daran, die Bettelorden in einer gewissen historischen Kontinuität zu sehen. Zwar haben Augustinus, Benedikt, Basilius und viele andere Väter die traditionelle Besitzform approbiert, doch darf man daraus nicht schließen, sie hätten die Preisgabe des gemeinsamen Eigentums verwerfen wollen. Allein aus diesem Grund sollte man es nicht für anmaßend halten, wenn sie jetzt praktiziert wird, denn sonst könnte man in der Kirche nie etwas Neues einführen. Obschon die Mendikanten keine direkten Vorläufer haben, wurde ihr spezieller modus vivendi in der Urkirche und im Altertum von vielen heiligen Männern beobachtet18. Thomas sagt allerdings nicht, warum und wie es zu einer gewissen Unterbrechung einer Tradition gekommen ist, deren Anfänge jetzt aufgenommen worden sind, um einen wesentlichen Aspekt des Evangeliums auf die ursprünglich vom Herrn intendierte Weise zu realisieren. Der Umstand, daß er mehrfach auf das Problem der Kontinuität zurückkommt, verrät, wie sehr ihn der Vorwurf beschäftigt hat, die Bettelordensbewegung verkörpere eher einen Bruch mit der monastischen Geschichte als deren konsequente Weiterentwicklung. Daß Thomas seine Antwort an das Ende des Abschnitts über den Verzicht auf die bisher praktizierte Existenzgrundlage setzt, ist kein Zufall, wie die sich anschließenden Argumente zugunsten der Almosen und des Bettels zeigen, denn hier hat er sich erst recht des Vorwurfs zu erwehren, eine Übung gutzuheißen, für die es keine historische Parallele zu geben scheint. Handelt es sich also um eine positio novellal Das ist nicht der Fall, denn es läßt sich belegen, daß sie sich in Wahrheit gegen einen Irrtum wendet, der schon in der frühen Kirche auf Ablehnung gestoßen ist. Die Mendikanten befinden sich daher durchaus in Kontinuität mit dem Anfang. Gregor d. Gr. etwa weiß zu berichten, daß der hl. Benedikt in seiner Höhle drei Jahre von einem römischen Mönch versorgt wurde. Auch Augustinus schreibt, Mönche brauchten nicht zu arbeiten, weil sie ihren Unterhalt von anderen empfingen". Es ist ferner eine Tatsache, daß die Liebe 18

"

impugnantes, c. 6, § 1, arg. 22, A96 und ad 22, c. 6, § 6, A105... quamvis sancti patres illum modum approbaverint, non tarnen istum modum reprobaverunt; et ideo non est praesumptuosum hunc modum sequi, alias nihil de novo posset instituí quod non

Contra

fuerit antiquitus observatum. Nihilominus tarnen iste modus vivendi sanctis patribus observâtes fuit et etiam in Ecclesia primitiva. Contra impugnantes, c. 7, §§ 5 u. 6, AI lOf.

antiquitus a multis

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Christi viele dazu drängt, denen materiell zu helfen, die der Kontemplation obliegen. Auch hat man zu bedenken, daß manche Weltkleriker, die keine Seelsorge ausüben, von Almosen leben, die aus dem Kirchenbesitz genommen werden. Warum sollte man dies Religiösen verwehren, namentlich wenn ihnen die Gläubigen Almosen spenden, die der Armenfürsorge nicht entzogen werden?20 Daß das Almosengeben dem kirchlichen Herkommen und der theologischen Reflexion entspricht und daher legitim ist, darf somit als erwiesen gelten, aber der entscheidende Grund liegt nicht hier, sondern in einer neuen ekklesiologischen Situation, die es in dieser Gestalt bisher nicht gab. Inzwischen haben die „Prediger" ihren Ort in der Kirche gefunden. Sie sind zwar keine „Prälaten", doch üben sie ihr Amt rechtmäßig aus, wofür sie von den Zuhörern „Brot" zum Unterhalt empfangen können21. Thomas verwendet für solche Einkünfte mit Vorliebe „bescheidene Worte", um schon sprachlich anzudeuten, daß es den Predigern nur um victus, pañis, parva geht, doch läßt er keinen Zweifel aufkommen, daß sie darauf einen Anspruch haben. Ihren seelsorglichen Aktivitäten wird „gleichsam ein Lohn" geschuldet, der es ihnen ermöglicht, „vom Evangelium zu leben". Gewiß betont er hier wie anderswo, daß die Mendikanten nur kraft bischöflicher Delegation das Wort verkünden, aber er sagt ebenso unmißverständlich, daß das Tun zählt und daß deshalb der, der einen Auftrag ausführt, an den Früchten beteiligt werden muß22. Thomas glaubt, mit hinlänglicher Klarheit dargelegt zu haben, daß aus der veränderten Umwelt und der daraus resultierenden ekklesiologischen Umorientierung neue Predigt- und Seelsorgsformen nötig geworden sind, die den Unterhalt der Religiösen durch Almosen gestatten, die den Charakter einer Quasiremuneration haben. Studium, Kontemplation, Gebet sind in sie eingeschlossen, da ihr Nutzen für die Gemeinschaft nicht geringer einzuschätzen ist. Daß es sich um eine wirkliche Schuld (debitum) seitens der Gläubigen handelt, Contra Contra

impugnantes, c. 7, § 6, AI 1 lf. cum ergo in evangelio laborem habeant impugnantes, c. 7, §7, AI 12. non solum sed etiam praedicando praelati quicumque alii licite praedicant, utrique ab his Dazu possunt quibus praedicant panem accipere unde sustententur. s. J.-P. Tenard, La formation et la désignation des prédicateurs au début de l'Ordre des Prêcheurs (1215-1237), Fribourg/S. 1977. Zur formalen und inhaltlichen Seite s. D. L. d'Avray, The Preaching of the Friars. Sermons diffused from Paris before 1300, Oxford .

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1985. Contra impugnantes, aaO Al 13. Item, ille qui impendit aliquid gratis ad quod non tenetur, non minus potest recipere vicem quam ille qui impendit hoc ad quod tenetur; sed praelati obligad sunt plebibus ad hoc quod eis spiritualia ministrent. ergo non minus possunt accipere temporalia ab his quibus praedicant licite illi qui non sunt praelati nec in .

aliquo plebibus 42

tenentur.

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wird mehrfach gesagt. Wie groß jene Pflicht genau ist, umschreibt Thomas absichtlich mit allgemeinen Worten, doch gibt er wiederholt zu erkennen, daß sie sich an einer unteren Grenze zu bewegen hat. Er spricht von victus und vestitus sowie von der corporis sustentation. Die Religiösen sind modicis contend, ihren Bedürfnissen kann parvibus sumptibus entsprochen werden, so daß den Armen nichts entzogen zu werden braucht24. Die Gefahr der Habsucht ist nicht gegeben, da sie lediglich um die necessaria victus et vestitus bitten25. Vorräte, die ihnen über längere Zeit zur Verfügung stehen und wirtschaftliche Sicherheit geben, haben sie nicht, so daß sie wie die Apostel und der Herr selbst den „Schwankungen", die das Leben mit sich bringt, unterworfen sind26. Geld wird nicht erwähnt, so daß man den Eindruck gewinnt, es handele sich allein um Naturalien, doch haben wir an einer Stelle gehört, daß Geld nicht schlechthin verboten wird. Es wird nur der Rat gegeben, es nicht aufzubewahren. Thomas läßt es bezeichnenderweise bei solchen allgemeinen Formulierungen bewenden, kasuistische Erörterungen, wie naheliegend sie sein mögen, sind ihm fremd. Auch dürfte er längst gesehen haben, daß man sie besser vermeidet, da sie erfahrungsgemäß kein Ende nehmen und schließlich mehr Probleme aufwerfen, als sie zu lösen versprechen. Das Opusculum Contra impugnantes bezeugt eindringlich, wie sehr sich Thomas in der kurzen Zeit, die ihm die gespannte Situation in Paris ließ, mit den biblischen, historischen und ekklesiologischen Fragen befaßt hat, weil die Sorge um die Weiterexistenz der neuen Orden nicht zuletzt von einer überzeugenden theologischen Antwort abhing. Es versteht sich, daß die von ihm entwickelte Konzeption entscheidende Impulse aus dem Neuen Testament empfangen hat, welches berichtet, daß Jesus und die Apostel ohne Sicherung durch Gemeinbesitz, unterhalten allein durch Almosen, gepredigt und gewirkt haben. In diesem Sinn werden auch die loculi gedeutet, von deren Funktion wir später mehr hören werden. Das Ideal der ohne materiellen Rückhalt im Vertrauen auf Gottes Vorsehung lebenden Jüngergemeinde hat sich, so ist der Aquinate überzeugt, vereinzelt in der Kirchengeschichte durchgehalten, doch hat es das Mönchtum insgesamt nicht konsequent praktiziert, insofern es seine ökonomische Basis im Gemeinbesitz suchte. Dieser wird hier nicht prinzipiell abgelehnt, aber doch als weniger vollkommen bewertet. Der völlige Verzicht auf possessiones communes, auf Immobilien und Kapitalien aller Art, die beständige Einkünfte garantieren, ist

Contra Contra Contra Contra

impugnantes, c. 7, § 10, ad

1 und ad

2, AI 17 und ad 11, AI 19.

impugnantes, aaO ad 4, AI 17. impugnantes, aaO, § 11, ad 2, AI 19 und § 12, ad 2, A121. impugnantes, aaO, § 12, ad 1, A121. 43

der Kernpunkt der von Thomas gebotenen Lösung27. Diese Form des Besitzes macht die Mönche nicht nur unabhängig von den Risiken und Schwankungen des Lebens, sie enthebt sie und das ist noch entscheidender der alltäglichen Pflicht, den Unterhalt mit seelsorglichen Aktivitäten zu erwerben. Außerdem erfordert die Verwaltung eine sollicitudo, die vom Wesentlichen ablenkt. So wenig die persönliche Armut des Mönches geleugnet werden soll, impliziert diese Lebensweise doch genau jene Faktoren, die Kontemplation, Studium und Predigt eher behindern. Auch drückt sie Zuversicht und Vertrauen auf die göttliche Vorsehung undeutlicher aus. Andernorts wird er sich zu den mit den „Vorräten" verbundenen Problemen äußern, in denen sich menschliches Verlangen nach Zukunftssicherung manifestiert. Wer demgegenüber allein auf Almosen angewiesen ist, die jeweils neu durch Seelsorge legitimiert werden, kommt dem evangelischen Ideal näher. Daß solche Aktivitäten ortsunabhängiger Personalverbände von weitreichenden Modifizierungen der Kirchenstrukturen abhängen, braucht nicht mehr gesagt zu werden, wohl aber sei darauf verwiesen, daß dies ein verändertes Bewußtsein bei den Gläubigen voraussetzt. Sie haben inzwischen gelernt, daß neben die „milden Gaben" für die Randgruppen der Gesellschaft ein „Almosen" für die Seelsorge getreten ist, das als merces und debitum verstanden werden will. Aus der geschlossenen monastischen Gemeinschaft mit ihrer der eigenen Erbauung dienenden lectio und ihrer privaten praedicatio ist der Stadtkonvent geworden, der sich seinerseits an der utilitas communis orientiert. Thomas liegt sehr viel daran, dem Studium, der wissenschaftlichen Arbeit, ebenfalls einen öffentlichen Charakter zu geben, weil es die Predigt so verlangt, aber auch weil es, losgelöst von einem unmittelbar praktischen Zweck, eine Aufgabe in Hinsicht auf die Kontemplation hat, die wiederum der Seelsorge zugutekommt28. Bettel und Almosen sollen die sustentado corporis ermöglichen und einen bescheidenen Unterhalt gewährleisten. Thomas erwähnt nichts, was über die alltäglichen Bedürfnisse hinausgeht. Insbesondere fällt auf, daß eine elementare Voraussetzung des Studiums, die Bücher, nicht genannt werden, obwohl sie einen -

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entspricht der Vorschrift der ältesten Konstitutionen. Dist. II, c. 26: Possessiones seu redditus nullo modo recipiantur, ed. A. H. Thomas, De oudste constituties van de Dominicanen. Voorgeschiedenis, tekst, bronnen, ontstaan en ontwikkeling (1215-1237)(BRHE 42), Löwen 1965, 360. Vgl. auch die Konstitutionen von 1241. Dist. II, c. II, ed. R. Creytens, Les Constitutions des Frères Prêcheurs dans la rédaction de s. Raymond de Peñafort (1241), in: AFP 18(1948)5-68, hier: 48. Eine Bestimmung des Generalkapitels von Valenciennes 1259, an dem Albert und Thomas teilgenommen haben, setzt voraus, daß im Konventsstudium publiée gelesen wird. Vgl. MOPH III, 95. Dazu: /. W. Frank, Hausstudium und Universitätsstudium der Wiener Dominikaner bis 1500 (AÖG 127), Wien 1968, 53f. Das

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erheblichen materiellen Wert darstellen und obwohl sich die Generalkapitel des Ordens häufig mit dieser Frage befaßt haben2". Die finanziellen Aufwendungen der einzelnen Provinzen für das Generalstudium in Paris beispielsweise sind beträchtlich gewesen30. Der Orden hatte Konvente und Kirchen, die, wie bescheiden sie um 1256 gewesen sein mögen, von Thomas mit keinem Wort erwähnt werden31. Ebenfalls unerörtert bleiben im Kontrast zu andernorts geführten Diskussionen die rechtlichen Aspekte, vor allem die der Immobilien, sowie die konkrete Armutspraxis32. Das uns in Contra impugnantes vermittelte Bild ist in dieser Hinsicht blaß und einseitig, so daß, verfügten wir allein über die dort gemachten Aussagen, unsere Kenntnis der alltäglichen Mendikantenrealität höchst begrenzt wäre. Das ist um so bemerkenswerter, als der Aquinate in anderen Punkten eine Fülle von interessanten Einzelheiten zu berichten weiß. Wir erfahren viel über das Universitätsstudium, über Probleme der Seelsorge, Bildung des Klerus und die religiösen Bedürfnisse des Volkes, obschon es ihm auch hier weniger um Beschreibungen als um Prinzipien geht. Taktische Erwägungen in einem polemischen Kontext, wo es galt, unangenehmen Einwänden tunlichst auszuweichen, mögen mitgespielt haben, erklären jedoch nicht alles. Gleichwohl könnte ein Ver-

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Dazu s. /. W. Frank, Die Spannung zwischen Ordensleben und wissenschaftlicher Arbeit im frühen Dominikanerorden, in: AKG 40(1967)164-207, hier: 170, Anm. 19. Nur einige Bestimmungen von Generalkapiteln seien zitiert, die frühe Mißbräuche bezeugen. So Bologna 1235 (MOPH III, 5): Ne biblia fratri a fratre vendatur carius quam emerit, et idem de aliis scriptis servetur. Paris 1236 (MOPH III, 9): Fratres nostri non faciant negociaciones librorum. Trier 1249 (MOPH III, 45): Libri ordinis seu fratrum non vendantur nisi precium eorum in libros alios seu scripta convertatur. Vgl. ferner A. Walz, Vom Buchwesen im Predigerorden bis zum Jahre 1280, in: Aus der Geisteswelt des Mittelalters (BGPhMA. S III, 1), Münster 1935, 111-127. S. Axters, Boekenbezit en boekengebruik bij de Dominikanen in de dertiende eeuw, in: Studia Mediaevalia in honorem R. J. Martin, Brügge 1948, 475-497. So mahnt das Generalkapitel zu Paris 1264 (MOPH III, 36): rogemus affectuose fratres de omnibus provinciis, ut ipsi de testamentis et aliis helemosinis sint solliciti quantumcumque poterunt aliquod auxilium predicte domui procurare. Vgl. /. W. Frank, Die Spannung (Anm. 29), 171-173. Vgl. G. Meersseman, L'architecture dominicaine au XIHe siècle. Législation et pratique, in: AFP 16(1946)136-190. V. Alce, Documenti sul convento di San Domenico in Bologna dal 1221 al 1251, in: AFP 42(1972)5^15. M.-H. Vicaire, Le financement des Jacobins de Toulouse. Conditions spirituelles et sociales des constructions (1229-ca 1340), in: Cahiers de Fanjeaux 9, Toulouse 1974, 209-253. W. Schenkluhn, Ordines Studentes. Aspekte zur Kirchenarchitektur der Dominikaner und Franziskaner im 13. Jahrhundert, Berlin 1985, über St. Jacques in Paris 55-62. Dazu s. den Überblick bei W. A. Hinnebusch, The History of the Dominican Order. Origins and Growth to 1500, Bd. 1, New York 1966, 157-168. -

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machen, in diese Richtung weisen. Thomas fühlte sich im Grundsätzlichen mit den Minoritentheologen eins; beide Orden such, das Schweigen verständlich

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bedurften derselben ekklesiologischen und pastoralen Legitimation, sie waren gleichermaßen in ihrer Existenz bedroht. Dennoch war die Lage der Minoriten bei weitem komplizierter, da sie mit internen Schwierigkeiten der Regelinterpretation zu rechnen hatten. Die Einheitsfront wies eine Schwäche gerade in jenen Aspekten der Armutsfrage auf, die Thomas mit der vorhin konstatierten Zurückhaltung behandelt hat. Bücher, Immobilien, Geld und die Probleme des Ordenseigentums waren die neuralgischen Punkte, die in den eigenen Reihen so kontrovers waren, daß man sie in den Auseinandersetzungen mit dem gemeinsamen Gegner besser überging. Wie immer die Dinge liegen mögen, scheint es sicher zu sein, daß es für Thomas und seinen Orden kein rechtes Motiv gab, solche Themen zu behandeln. Im weiteren Verlauf der Diskussion wird er allerdings diese Zurückhaltung nicht mehr strikt beobachten und dezidiert Position beziehen, die die Minoriten als ein Verlassen jener Einheitsfront betrachteten.

2. Die Summa contra Gentes

erörternden Gründen darf als sicher gelten, daß die Lectura in S. Matthaei während des zweiten Pariser Aufenthalts entstanden ist. evangelium Die chronologisch nächste Behandlung der Armutsproblematik haben wir somit im dritten Buch der Summa contra Gentes, das Thomas um 1261 geschrieben hat33. Die aktuellen Kontroversen sind unterdessen abgeflaut, und die Eigenart der Bettelorden hat eine vorläufige Anerkennung gefunden. Dies heißt freilich nicht, daß das theologische Interesse an der Armut nachgelassen hätte, zumal die praktischen Probleme angesichts der Expansion der Orden größer geworden sind und die Debatten um die Regelinterpretation bei den Minoriten andauerten. Da sich in der Armut auch das nie ein für allemal zu fixierende Verhältnis des Frommen zur Welt manifestiert, ist zu vermuten, daß sich Thomas dem Charakter seiner Summa entsprechend eher diesem Aspekt zuwenden wird, nachdem die Polemik der Pariser Jahre in den Hintergrund getreten ist. Als ein Indiz für den Situationswandel mag der Umstand gelten, daß ekklesiologische Aus

später

zu

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Zu den literarkritischen Fragen s. vor allem A. Gauthier, Saint Thomas d'Aquin. Contra Gentiles, Livre premier. Traduction de R. Bernier et M. Corvez, Paris 1961, 7-123. Ferner: F. Q. Turiel, La intención de Santo Tomás en la „Summa contra Gentiles", in: Studium 14(1974)371^-01. Die von P. Marc, Liber de Veritate Catholicae Fidei contra errores Infidelium qui dicitur Summa contra Gentiles, vol. I, Introductio, Turin 1967, 312-382 vorgeschlagene Spätdatierung hat keine Gefolgschaft gefunden. S. auch J. A. Weisheipl, Thomas von Aquin (Anm. 11), 323f.

einschlußweise und am Rand besprochen werden. Gleichwohl hat man anzunehmen, daß die seinerzeit so scharf geführte Diskussion selbst hier gegenwärtig bleibt und weiterhin das Für und Wider einer nunmehr zusehends abstrakter gewordenen Behandlung leitet. Die klösterlichen Gelübde stehen in enger Zuordnung zum Wesen des Menschen, dem es eigen ist, auf Gott als sein Ziel verwiesen zu sein. Wenn es sich so verhält, muß alles, was zur Gottesliebe und -erkenntnis hinführt, von Natur aus recht, und alles, was davon ablenkt, böse sein34. Das ist der Einstieg in unser Thema. Wer Gott und göttlichen Dingen anhängen möchte, kann nicht gleichzeitig „angestrengt" mit verschiedenen Dingen befaßt sein. Um ihn in seiner Bewegung auf Gott hin freier zu machen, wurden ihm im göttlichen Gesetz Räte gegeben, die ihn von Belastungen des gegenwärtigen Lebens fernhalten. Zwar kann es ohne deren Befolgung Gerechtigkeit geben sie wird nicht genommen, wenn er Irdisches und vernunftgemäß Körperliches gebraucht -, doch helfen sie dem das Menschen, richtige Verhältnis zu ihnen zu haben. Sie heißen deshalb „Ermahnungen" und „Räte" und nicht „Vorschriften". Ihrer Dreizahl korrespondieren die drei Lebensbereiche, in denen er für gewöhnlich durch „Sorge" in Beschlag genommen wird. Sie sind so zu umschreiben: In bezug auf sich selbst, was er tut und wo er sich aufhält; in Hinsicht auf die ihm verbundenen Personen Frau und Kinder; und schließlich im Blick auf den Erwerb der zum Leben notwendigen Dinge. Auf sie konzentrieren sich die vom Eigentlichen ablenkenden „Sorgen" und von ihnen machen Gehorsam, Jungfräulichkeit und Armut frei. Sie bewirken die Disposition für die höchste Vollkommenheit, das vacare Deo, und gehören deshalb zum „Stand der Vollkommenheit". Die drei Gelübde erfüllen eine wichtige Funktion, sie ordnen auf die Vollkommenheit hin, sind sie aber nicht selbst35. In den durch die Offenbarung bekannt gewordenen „Räten" werden somit Folgerungen aus der allgemeinen Verfassung des Menschen gezogen, damit er möglichst ungehindert seinem Ziel, dem Freisein für Gott, zu leben vermag. Durch Hinweise auf neutestamentliche Texte und auf Realisierungsweisen der Gelübde in der Alten Kirche und im Mittelalter möchte Thomas dem Eindruck wehren, es handele sich hier um einfache Deduktionen aus der zum Versagen neigenden menschlichen Natur. Wie sehr er sich bemüht, seine Folgerungen in die Geschichte einzubinden, zeigt sich auch daran, daß er den Erscheinungsformen des christlichen Armutsideals breiten Raum widmet. Themen

nur

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Wir benutzen die Edition von C. Pera, P. Marc und P. Caramello, Liber de Veritate Catholicae Fidei contra errores Infidelium seu „Summa contra Gentiles", vol. II u. III, Turin 1961. Hier vol. III. III, c. 129. C. 130, nr. 3022. non quasi ipsae sint perfectiones, sed quia (consilia) sunt dispositiones quaedam ad perfectionem, quae consistit in hoc quod Deo vacetur. -

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In vierfacher Gestalt hat man dem Rat, arm zu sein, bisher nachzukommen versucht. 1. Die Apostel berichten uns von einem frühchristlichen Beispiel: In Jerusalem haben Gläubige ihren Besitz verkauft, um von dessen Erlös den gemeinsamen Unterhalt zu bestreiten36. 2. In den meisten Klöstern haben die Mönche gemeinsamen Besitz, aus dem jedem Einzelnen eine seinen Bedürfnissen entsprechende Fürsorge zuteil wird37. 3. Die freiwillige Armut gründet auf Handarbeit. Für diese Lebensweise hat Paulus das Vorbild gegeben und zur Nachahmung empfohlen38. 4. Religiösen leben von den Gaben derer, die der aus der Armut resultierenden Vollkommenheit dienen und zu diesem Zweck Hilfe bereitstellen möchten. Wie Lk 8,2 berichtet, hat der Herr mit seinen Jüngern eine solche Lebensweise gepflegt, indem ihnen Frauen mit ihrem Vermögen zur Seite standen39. Jeder dieser Formen ist eine Reihe von Einwänden angefügt, deren Widerlegung die jeweilige Eigenart deutlicher machen soll. Ehe das geschieht, äußert sich Thomas zu den eingangs vorgetragenen Argumenten gegen die Erlaubtheit der Armut an sich. Unter einem bestimmten Aspekt ist sie gut. Die Tugend bedarf jedoch des Materiellen, denn nur so können wir unseren Leib am Leben erhalten und Bedürftigen helfen. Reichtum ist also insofern gut, als er zur Tugendübung beiträgt, und schlecht, insofern er sie behindert. Das geschieht durch übertriebene Sorge, zu große Anhänglichkeit an Irdisches oder durch Überheblichkeit40. Die Verwiesenheit auf Materielles kennt Stufen. In den auf die Kontemplation bezogenen Tugenden braucht man nur das zum Erhalt der Natur Nötige, während das Tätigsein darüber hinaus nach Mitteln verlangt, um andere, mit denen man zusammenlebt, zu unterstützen. Schon daraus erhellt die größere Vollkommenheit der Beschauung, die mit geringen materiellen Dingen auskommt. Das heißt: Eine Armut, die den Menschen aus den widrigen Implikationen des Besitzes löst, ist als lobenswert zu erachten. Insofern sie die ängstliche Sorge nimmt, gereicht sie denen zum Wohl, die eine Anlage auf das „Bessere" haben und sich deshalb auf das „Bessere" einlassen möchten. Armut wäre jedoch schädlich, sollte sich jemand, nachdem er alles aufgegeben hat, schlechteren Beschäftigungen zuwenden. Armut hat also ein ambivalentes Gesicht. Sie hätte sogar schlechthin als Übel zu gelten, wenn sie das aus dem Besitz resultierende Gute nimmt, d. h. wenn sie nicht die Unterstützung anderer und den Erhalt des eigenen Lebens zum Ziel hat41. Armut hat demnach keinen Wert in sich, sondern 36 37 38 w 40 41

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C. 132,

3035. 3039. AaO, AaO, nr. 3042. AaO, nr. 3050. C. 133, nr. 3064. AaO, nr. 3066. Inquantum vero paupertas aufert bonum quod ex divitiis provenit, scilicet subventionem aliorum et sustentationem propriam, simpliciter malum est. nr.

nr.

allein im Hinblick auf Höheres. So etwa wenn sie freier macht, göttlichen Dingen zu obliegen. Das ist die Rechtfertigung der Armut. Ihre gleichsam untere Grenze hat sie in der Notwendigkeit, das eigene Leben zu erhalten42. Oder positiv: Lobenswert ist jene Armut, die es dem von ängstlicher Sorge um Irdisches befreiten Menschen gestattet sich ungehinderter höheren Werten zuzuwenden, aber doch so, daß ihm die Möglichkeit bleibt, sich selbst mit dem Nötigsten zu versorgen43. Auch hier sagt Thomas, wohl um jegliche Kasuistik zu vermeiden, nicht, nach welchen Kriterien solche Bedürfnisse konkret zu bemessen sind. Die Vielfalt der Umstände und Situationen erlaubt nur eine allgemeine Regel: Je geringere Sorgen ein Leben in Armut mit sich bringt, um so empfehlenswerter ist sie. Das bedeutet: Den einzigen Maßstab stellt die Bindung an Zeitliches dar und nicht etwa die größere Armut selbst. Sie kann deshalb auch nie Ziel sein, sondern lediglich Mittel, leichter zu ihm zu gelangen. Ein anderes Kriterium gibt es nicht. Obschon Anspielungen auf zeitgenössische Kontroversen fehlen, schimmert doch deutlich das Bemühen durch, die Armut nicht als in sich erstrebenswert zu betrachten. Oder anders: Thomas möchte keine konkreten Kennzeichen eines armen Lebens aufzählen, denn das mehrfach hervorgehobene liberius bezieht sich auf Personen, die ein unterschiedlich intensives Verhältnis zum Besitz haben können44. Relativität ist somit ein wesentliches Merkmal der Armut. Nach diesen Erörterungen, die den Weg zum rechten Verständnis der Armut in ihren vier historischen Realisierungsformen ebnen wollten, wendet sich Thomas dieser selbst zu und verläßt den Bereich der deduktiven Argumentation. Daß die frühen Christen vom Verkauf ihres Besitzes gemeinsam gelebt haben, ist zwar als eine Möglichkeit, die den vorhin genannten Voraussetzungen und Folgerungen gerecht wird, zu bewerten, doch hat sie keinen dauerhaften Charakter gehabt. Praktikabel war sie nur für kurze Zeit. Die Apostel haben diese Lebensweise in Jerusalem eingeführt, weil sie, durch den hl. Geist geleitet, voraussahen, daß die Gläubigen nicht lange dort bleiben würden. Sie wußten auch, daß die Zerstörung der Stadt und Verfolgungen bevorstanden, so daß man nur für einen kleinen Zeitraum Vorsorge treffen mußte. Nach dem Übergang der Kirche zu den Heiden griff man daher nicht mehr auf dieses Modell zurück45. ,

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AaO,... nullius enim boni obtentu débet homo sibi sustentationem vitae subtrahere. AaO, nr. 3067. Paupertas igitur talis laudabilis est cum homo, per earn a sollicitudinibus terrenis liberates, liberius divinis et spiritualibus vacat: ita tarnen quod cum ea remaneat

facultas homini per licitum modum sustentandi seipsum, ad quod non multa requiruntur. AaO. Et quanto modus vivendi in paupertate minorem sollicitudinem exigit, tanto paupertas est laudabilior: non autem quanto paupertas fuerit maior. Non enim paupertas secundum se bona est: sed inquantum libérât ab illis quibus homo impeditur quominus spiritualibus intendat. Unde secundum modum quo homo per earn liberatur ab impedimentls praedictis, est mensura bonitatis ipsius. C. 135, nr. 3077.

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Zustimmung findet die Armutspraxis der Monasterien, deren wirtschaftliche Grundlage im gemeinsamen Besitz liegt. Diese Lebensform ist durch eine lange kirchliche Tradition legitimiert. Gleichwohl überrascht das positive Urteil und noch erstaunlicher ist der Satz, daß den Mönchen „nichts von der Vollkommenheit verloren geht, nach der sie streben"46. Das heißt: Die monastische Praxis erfreut sich derselben Vollkommenheit wie die, die auf eben diesen Gemeinbesitz verzichtet. Thomas hatte, wie erinnerlich, in Contra impugnantes der Mendikantenarmut nachdrücklich die größere Vollkommenheit zugesprochen, während er hier das nicht mehr tut47. Die Aussage ist um so bemerkenswerter, als er später wieder die rigorose These vertreten wird, um sie schließlich in der letzten Etappe seiner Konzeption aufzugeben48. Die mit der monastischen Besitzweise verbundene Sorge und Mühe kann von einem oder mehreren übernommen werden, so daß die Kommunität als ganze frei für Höheres wird. Aber auch die Mönche, die mit der Administration betraut sind, verlieren nichts. Was sie an „Ruhe" aufgeben, gewinnen sie durch ihren Liebesdienst zugunsten anderer, in dem die „Vollkommenheit des Lebens" besteht49. Handarbeit ist ebenfalls dem Armutsideal angemessen. Man muß sich nicht viel sorgen, will man durch sie den Lebensunterhalt sichern. Sollte sie nicht genug einbringen, bliebe immer noch die Möglichkeit, daß andere Glieder der klösterlichen Gemeinschaft oder Personen aus deren Umfeld das Fehlende ergänzen. Die Ansicht, Arbeit vertreibe Müßiggang und Begierde, läßt Thomas gelten, doch glaubt er, dies wäre auch durch andere Mittel erreichbar. Der einzige Grund, der wirklich für sie spricht, ist die nécessitas victus50. 46

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nr. 3079. Est autem et secundus modus vivendi conveniens paupertatem voluntariam assumentibus: ut scilicet de possessionibus communibus vivant. Und (nr. 3080): Nec per hunc modum aliquid deperit perfectioni ad quam tendunt paupertatem voluntariam assumentes. Contra impugnantes, c. 6, § 4, A99. ergo maioris perfectionis est paupertas ilia sine ex quo in communi illa quae in communi possessiones habet. possessionibus quam securitatis communibus carere et est maioris possessionibus perfectionis patet quod communieas est habere. in laudabile religionibus possessionibus ergo magis quam bus carere quam eas habere... ergo magis expedit religiosis redditibus et possessionibus carere quam eas habere. P. Marc hat in seiner Introductio (Anm. 33), 312-315, n. 289 (Anm. 33) die Lehrdifferenz richtig konstatiert und u. a. mit ihr die Spätdatierung beweisen wollen, doch setzt er voraus, was er hätte zeigen müssen: daß nämlich Thomas in der Zwischenzeit seine Meinung nicht erneut geändert hat. Wie wir sehen werden, hat er genau dies getan. AaO, nr. 3080. Nec etiam illis deperit aliquid de perfectione vitae, qui hanc sollicitudinem pro aliis assumunt: quod enim amittere videntur in defectu quietis, récupérant in obsequio caritatis, in quo etiam perfectio vitae consistit. AaO, nr. 3082-3088.

AaO,

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Und schließlich die Gestalt der Mendikantenarmut, die hier allerdings nicht so genannt wird, wohl um den generellen Charakter dieser Lebensform besser zum Ausdruck zu bringen. Sie wird dann praktiziert, wenn andere den Unterhalt gewährleisten. Sie legitimiert sich grundsätzlich durch ihre auf die menschliche Gesellschaft bezogene Funktion. Wer etwas für sie tut, darf auf ihre Hilfe zählen, denn sonst gäbe es kein soziales Miteinander. Soldaten und Staatslenker bieten das beste Beispiel. Wer die freiwillige Armut in der Nachfolge Christi auf sich nimmt und anderen zu Diensten ist, indem er mit Weisheit, Gelehrsamkeit, Gebet und Vorbild das Volk erleuchtet, erfüllt eine von allen zu honorierende Aufgabe. Die Applikation auf unser Problem fällt nicht schwer: Die Bettelorden führen, wenn sie ihren Unterhalt mit Gaben der Gläubigen bestreiten, eine im Grunde vertraute Praxis ein, die deshalb nichts Verwerfliches an sich haben kann. Ihre Existenz macht auf die nachteiligen Folgen des Reichtums aufmerksam und regt zur Tugend an. Thomas weist den Vorwurf, Mitglieder eines solchen Ordens würden dadurch in Abhängigkeit geraten und ihre Freiheit verlieren, zurück. Man hat davon auszugehen, daß sie vollkommen sind und ihre Bedürfnisse in einem bescheidenen Rahmen liegen. Er gibt sich weiterhin überzeugt, daß ihre Kommunitäten keine Not leiden werden, da es aufgrund ihrer Aktivitäten an der Bereitschaft, ihnen zu helfen, nicht fehlen wird. Die ihnen entgegengebrachte Wertschätzung garantiert den Unterhalt, so daß man eine Abhängigkeit von den Wohlhabenden nicht zu befürchten braucht51. Auch der Bettel hat seine Legitimation, wie das Beispiel der Apostel zeigt, zumal nicht zuletzt die Almosen für die Armen erbeten werden. Wer ihn mit Maß und im Hinblick auf das wirklich Notwendige übt, verfällt nicht der Verachtung. Daß eine Geringschätzung mit ihm verbunden ist, braucht nicht geleugnet zu werden, sie muß demütig ertragen werden, weil sie zur Nachfolge des Herrn gehört52. Die ganze Argumentation, wie sie Thomas entwickelt hat, setzt voraus, daß es sich bei den Almosen nicht einfach um „milde Gaben" handelt, die aus Barmherzigkeit gespendet werden, sondern vielmehr um eine recompensatio aufgrund einer der Gemeinschaft erwiesenen Tätigkeit. Sie wird hier in allgemeineren Worten umschrieben als in Contra impugnantes, doch sind die Hinweise auf sapientia und eruditio, die der Allgemeinheit zu Nutzen sind, deutlich genug, um darunter Predigt und Theologie zu verstehen. In dieser Sicht der Dinge müssen Religiösen sehr wohl „Sorge um Zeitliches" haben, denn bei geistiger Untätigkeit fiele eine 51

AaO, nr. 3089-3094. Non enim dependet ex volúntate unius, sed ex volúntate multorum. Non est autem probabile quod in multitudine fidelis populi non sint multi qui prompte animo subveniant necessitatibus eorum quos in reverentia habent propter perfectionem virtutis (nr. 3094).

52

AaO, nr. 3095-3097. 51

wesentliche Voraussetzung für den seitens der Gläubigen zu gewährenden Unterhalt weg. Daß es Leute gibt, die meinen, jegliche Sorge sei von Gott untersagt, fordert Thomas zu einem scharfen Urteil heraus: Das ist ganz und gar unvernünftig! Offenbar hat er spiritualisierende Kreise im Auge, die sich aus angeblich religiösen Gründen nicht um den elementaren Bedarf kümmern wollen. Um wen es sich handelt, wird leider nicht gesagt. Kurz heißt es: Wenn es tatsächlich so wäre, dürfte man nichts Körperliches tun. Das aber verstößt gegen die Natur des Menschen53. Thomas bleibt bei der Zurückweisung eines absurden Radikalismus nicht stehen, er benutzt vielmehr die Gelegenheit, um ein Problem zu erörtern, das in gewissen Bettelordensgruppen virulent gewesen zu sein schein. Gemeint ist die Frage nach der Erlaubtheit menschlicher Vorsorge über einen längeren Zeitraum, um so künftigen Unsicherheiten zu begegnen. Oder anders: Darf man Vorräte anlegen? Und wenn ja welche? In Contra impugnantes hatte er von den módica, parva und necessaria gesprochen, die wohl kaum mehr als den dringenden täglichen Bedarf bezeichnen sollen. Auch hier dürfen wir nicht hoffen, Thomas werde konkrete Maße und Daten angeben. Ihm wird es vielmehr um Prinzipien zu tun sein, die dem Ideal ebenso gerecht werden wie den konventualen Realitäten. Es hieße, Gott versuchen, wollte man von ihm Hilfe erwarten, wo wir uns helfen könnten, aber untätig bleiben, während es doch Gottes Eigenart enspricht, nichts unmittelbar zu wirken. Uns obliegt es deshalb, diesem Grundsatz gemäß zu handeln, doch steht es wegen möglicherweise auftretender Hindernisse nicht in unserer Macht, daß das von uns intendierte Ziel tatsächlich erreicht wird. Ein Erfolg unterliegt allein der göttlichen Disposition. Gott gebietet deshalb, wir sollten uns nicht in Hinsicht auf das, was ihn betrifft, den Ausgang menschlicher Handlungen, besorgt zeigen, wohl aber in bezug auf unsere Werke54. Das schließt ein jenseits menschlicher Möglichkeiten liegendes Vertrauen ein, den Glauben an die Vorsehung, die für die Zukunft hoffen läßt. Der aber verstößt gegen Gottes Anordnung, der sich um das sorgt, was durch ihn zu geschehen hat. Das tut nur der, der ängstlich ist im Blick auf das, was entstehen kann, auch wenn er die eigenen Handlungen ausführt, so daß er das von ihm geschuldete Handeln unterläßt, um solchen Ereignissen zu begegnen. Ihnen gegenüber hat die Hoffnung auf Gottes Vorsehung ihren Platz55. -

53 54

55

AaO, nr. 3098. AaO, nr. 3099. Praecipit ergo Dominus

nos non deberé esse sollicites de eo quod ad Deum pertinet, scilicet de eventibus nostrarum actionum: non autem prohibuit nos esse sollicites de eo quod ad nos pertinet, scilicet de nostro opere. AaO. Non igitur contra praeceptum Domini agit qui de iis quae ab ipso agenda sunt sollicitudinem habet: sed ille qui sollicites est de his quae possunt emergeré etiam si ipse proprias actiones exequatur, ita quod debitas actiones praetermittat ad obviandum huiusmodi eventibus, contra quos debemus in Dei providentia sperare. talem enim sollicitudinem habere, videtur pertinere ad errorem gentilium, qui divinam providentiam .

negant. 52

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Die Reflexionen über das Zusammenwirken von Gott und Mensch ermöglichen die Interpretation des Schriftwortes „bekümmert euch nicht um das Morgen" (Mt 6,34). Es verbietet nicht, daß wir das morgen Nötige „zu seiner Zeit" aufbewahren, sondern daß wir in bezug auf künftige Ereignisse ängstlich besorgt sind und an der beständig waltenden Hilfe Gottes verzweifeln56. Gemeint ist offenbar ein gewisser Vorrat, den man anlegen darf, weil nicht alles stets verfügbar sein kann. Der Text kann ferner bedeuten: Heute soll uns nicht die Sorge bedrücken, die wir morgen haben werden. Anders gesagt: Nach Thomas schließt die Armut, wie sie bisher verstanden wurde, menschliches Bemühen nicht aus, den Unterhalt zu sichern. Auch eine Vorsorge „zur rechten Zeit", die sich auf einen überschaubaren Zeitraum erstreckt, ist erlaubt. Gedacht ist sehr wahrscheinlich an Produkte der jeweiligen Jahreszeit, die man später nicht mehr haben wird. Eine kasuistische Festlegung nach Maß und Gewicht vermeidet er hier wie andernorts. Zusammenfassend schreibt Thomas: Die genannten Lebensformen mit ihrem entsprechenden Armutsideal haben einen legitimen Platz in der Kirche. Das heißt freilich nicht, daß Vergleich und Wertung unmöglich wären. Vielmehr gilt das bekannte Kriterium: Je mehr eine bestimmte Weise von der Sorge um Zeitliches frei macht, desto lobenswerter ist sie57. Wie wir gesehen haben, gibt nun nicht mehr der Verzicht auf Gemeinbesitz den Maßstab für die größere Vollkommenheit, sondern die institutionalisierte Realisierung des Freiseins für das „Bessere", die das Monasterium ebenso bieten kann wie der Mendikantenkonvent. Der Umstand, daß hier wie in Contra impugnantes die Armut konsequent als variables Mittel vorgestellt wird, das in je verschiedenen Situationen dem eigentlichen Ziel zu dienen hat, soll allen Tendenzen wehren, sie als einen Wert in sich zu betrachten. Die abstrakte Argumentation der Summa contra Gentes, die es unternimmt, aus der Verfassung des Menschen und den biblischen Räten Lebensweisen abzuleiten, AaO.

Propter quod Dominus concludit quod non simus solliciti in crastinum. Per quod prohibuit quin conservemus ea quae sunt nobis in crastinum necessaria suo tempore, sed ne de futuris eventibus sollicitaremur, cum quadam desperatione divini auxilii. Der Begriff suo tempore wird hier nicht erläutert. Er meint wohl Nahrungsmittel, die nur in einzelnen Jahreszeiten verfügbar sind, also auf Vorrat gehalten werden müssen. Vgl. ScG III, c. 131, nr. 3027: Homines autem ad suae vitae conservationem multis indigent quae non omni tempore inveniri possunt. Inest igitur naturaliter homini quod congreget et conservet ea quae sibi sunt necessaria. So entschied das Generalkapitel zu Paris 1239 sed nec vinum nec bladum nisi ad presentís anni necessitatem (MOPH III, 12):. accumulent. So auch Bologna 1240 (MOPH III, 15). AaO, nr. 3100. Sie igitur patet quod diversis modis convenientibus vivere possunt qui voluntariam paupertatem seetantur. Inter quos tanto aliquis laudabilior est, quanto magis a sollicitudine temporalium et oecupatione circa ea, hominis animum reddit immunem. non

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53

macht es schwer, den historischen Hintergrund und die Motive zu ermitteln, die Thomas veranlaßt haben, das Armutsgelübde so zu behandeln, wie das hier geschieht. Da rechtliche, ekklesiologische und pastorale Aspekte nur indirekt erörtert werden, bleibt das Bild in dieser Hinsicht unscharf. Vieles wird eher vorausgesetzt als exakt entwickelt, weil es weithin nicht mehr kontrovers zu sein scheint. So etwa Predigt und Studium, die unterdessen amtliche Anerkennung gefunden haben. Läßt sich mehr erschließen? Der Eindruck ist nicht von der Hand unter Wahrung der spezifischen Mendikantenarmut zu weisen, daß Thomas auf einen Ausgleich hin argumentiert, der sich möglicherweise gegen spiritualisierende Tendenzen richtet. Ihnen wird gesagt: Armut ist nur ein Mittel, das Aktivitäten fordert und Vorsorge nicht ausschließt. Ganz im Gegenteil! Gott wirkt nicht unmittelbar, sondern überläßt es auch den Religiösen, das „zu seiner Zeit" Nötige zu beschaffen, so daß ein bescheidener Vorrat, ein gewisser Besitz also, durchaus auf der Linie liegt, die die göttliche Providenz weist. Diese fordert geradezu Aktivitäten de victu quaerendo und widerstreitet jeglicher Passivität, die nur entgegennimmt und auf einem falsch verstandenen Vertrauen gründet. Sollte unsere Vermutung richtig sein, daß Thomas auch in einem eher abstrakten Kontext gegen einen wachsenden Radikalismus und gegen Überheblichkeit in Bettelordenszirkeln geschrieben hat, wird er wohl geahnt haben, daß seine Abhandlung nicht das letzte Wort in einer viele Gemüter bewegenden Frage sein würde. -

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II. Kapitel: Auf dem Weg zur Lösung. Die Folgen des zweiten Pariser Mendikantenstreits

1. Gerhard

von

Abbeville

Im November 1268 gab der Generalmagister Johannes von Vercelli Thomas von Aquin den Befehl, nach Paris zu gehen und dort einen theologischen Lehrstuhl zu übernehmen58. Von den Gründen, die ihn dazu bewogen haben, braucht uns nur dies zu interessieren: Unter Führung Gerhards von Abbeville war der Streit um die theologischen und ekklesiologischen Voraussetzungen der Mendikantenorden in eine neue Phase getreten59. Als Thomas zu Beginn des Jahres 1269 in der Seinemetropole ankam, lagen bereits mehrere Äußerungen des Professors aus dem Weltklerus vor, die für erhebliche Unruhe sorgten und nach einer Antwort seitens der so heftig Attackierten verlangten. Sie ließ jedoch noch einige Monate auf sich warten. Gerhards Angriff erfolgte in zwei Quodlibeta und in einer in der Minoritenkirche gehaltenen Predigt vom 1. Januar 126960. Die Frage des Quodlibets XVI, q. 1 Queritur utrum Xhristus docuerit ad apicem summe perfectionis apostólos etprelatos nichil omnino habere in proprio vel in communi bezieht sich auf Aussagen, die der Franziskaner Thomas von York im Sommer

Vgl. P. Mandonnet, Thomas d'Aquin lecteur à la Curie Romaine. Chronologie du séjour (1259-1268), in:

Xenia Thomistica, ed. S. Szabó, t. Ill, Rom 1925, 9^1, hier: 26-38. Ferner: A. Walz, Saint Thomas d'Aquin. Adaptation française par P. Novarina (PhMed V), Löwen-Paris 1962, 149-151. J. A. Weisheipl, Thomas von Aquin (Anm. 11), 219-221. Dazu s. P. Glorieux, Les polémiques „Contra Geraldinos". Les pièces du dossier, in: RThAM 6(1934)5-41; dens, „Contra Geraldinos". L'enchaînement des polémiques, in: RThAM 7(1935)129-155. Grundlegend die der Edition vorausgehende Einleitung von A. Teetaert, Quatre questions inédites de Gérard d'Abbeville pour la défense de la supériorité du clergé séculier, in: AISP 1(1951)85-127. L. Bonglanlno, Questioni quodlibetali di Gerardo di Abbeville, in: CFr 32(1962)5-55. H.-F. Dondalne in der Préface zu De perfectione spiritualis vitae, Ed. Leonina t. XLI, Rom 1970, B6-B9. Ph. Grand, Le Quodlibet XIV de Gérard d' Abbeville. La vie de Gérard d'Abbeville, in: AHDL 39(1964)207-269. LeMA IV, 1314f (J. Decorte). Das Quodlibet XVI, qq. 1 u. 2 bei A. Teetaert, Quatre Questions (Anm. 59), 168-178. Der sermo Postquam consummati bei M. Bierbaum, Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris. Texte und Untersuchungen zum literarischen Armuts- und Exemtionsstreit des 13. Jahrhunderts (1255-1272) (FS. B 2), Münster 1920, 208-219. Zur Datierung s. A. Teetaert, Quatre questions (Anm. 59), 116-119.

55

1256 in seiner Schrift Manus quae contra Omnipotentem vertreten hatte61. Die für unser Vorhaben wichtigsten Thesen lassen sich so zusammenfassen. Der von Christus gelehrte Gipfel der Vollkommenheit besteht in der Verachtung der zeitlichen Dinge, wobei dies nicht so sehr „geistig" wie „leiblich" zu verstehen ist. Daraus folgt, daß die vollkommene Verachtung bedeutet, nichts persönlich und nichts gemeinsam zu besitzen62. Daß solche Sätze nicht nur auf eine strenge Praxis der Mendikanten zielen, sondern weitreichende Konsequenzen haben, denkt man den in ihnen enthaltenen Anspruch zu Ende, zeigt sich wenig später, wenn Thomas von York schreibt, daß der Stand derer, die auf die Welt verzichten und gar nichts für sich haben, vollkommener ist als jeder andere Stand, der etwas Zeitliches zu eigen hat63. Es liegt auf der Hand, daß nunmehr das Verhältnis des Ordensstandes, der diesen Vorrang für sich reklamiert, zu Episkopat und Primat zur Diskussion steht und der Klärung bedarf. Der in der These ausgesprochene Radikalismus mußte nicht nur den Widerspruch derer provozieren, die eine andere Lebensweise praktizierten, er war außerdem dazu angetan, das Amt in der Kirche zu gefährden und letzten Endes zu einer zweitrangigen Institution von minderer Vollkommenheit zu machen. Daß sich Protest gegen derartige Konsequenzen zuerst im Weltklerus regte, versteht sich, es wird sich indessen zeigen, daß auch der Aquinate schon bald erkannte, was tatsächlich auf dem Spiel stand und daß es nicht genügte, allein über den Stand der Religiösen nachzudenken. Weder die in Contra impugnantes vorgetragene Ekklesiologie noch die Prinzipien der Summa contra Gentes reichten aus, um dem Zweifrontenangriff zu begegnen. Er hatte jedoch das Gute, daß sich Thomas gezwungen sehen wird, sowohl die Probleme der evangelischen Armut wie die des Episkopats im Licht dieser Kontroversen zu betrachten. Für die These des Thomas von York, Apostel und Bischöfe hätten in jeder Hinsicht besitzlos zu sein, um zum Gipfel der Vollkommenheit aufzusteigen, schien Ediert bei M. Bierbaum, Bettelorden und Weltgeistlichkeit (Anm. 60), 37-207. Zum Autor F. Pelster, Thomas von York O. F. M„ als Verfasser des Traktates Manus quae contra Omnipotentem tenditur, in: AFH 15(1922)3-22. E. Longpré, Thomas de York O. F. M. La première somme métaphysique du XIIIe siècle, in: AFH 19(1926)875-930, bes. 881-886. M.-M. Dufeil, Guillaume de Saint-Amour (Anm. 2), 242-246. C. II, ed. cit. (Anm. 60), 45. Patet igitur, quod intenditur, videlicet apicem perfectionis, quem Christus docuit, esse in contemptu temporalium, non tarn mentali, quam corporali. Secunda propositionum est, quod contemptus perfectissimus, quem Christus docuit, nichil habet in proprio aut communi. C. III, ed. cit. (Anm. 60), 48. Adducam post hec probationes manifestas, quod status talium non tantum non sit vituperabilis, sed quod status iste, videlicet mundo renuntiantium et nichil omnino retinentium, sit perfectior omni statu, qui aliquod temporale sibi retinuit, paribus aliis conditionibus.

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Schrifttexten unter ihnen namentlich das Wort an den reichen Jüngling zu sprechen. Es leuchtet ein, daß sie in der künftigen Debatte immer wieder zitiert werden, und daß sich auch der Aquinate mit ihnen befassen wird. eine Reihe

von

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Gerhard von Abbeville versucht, sie mit dem Hinweis auf die loculi, den „Beutel", den Christus hatte (Jo 12,6) zu entkräften, denn alles, was der Herr auf Erden tat, war vollkommen und nichts konnte davon wegführen. Die Folgerung scheint deshalb keinen Zweifel zu gestatten: Auch die Bischöfe dürfen Besitz haben, ohne daß ihre Vollkommenheit eine Minderung erfährt64. Daß es sich tatsächlich so verhält und dem Willen des Herrn entspricht, zeigen zahlreiche Argumente zugunsten der bona communia. (Vom persönlichen Eigentum spricht er vorsichtigerweise nicht oder nur indirekt). Gerhard nennt die Sicherstellung zukünftiger Bedürfnisse, denn der „Beutel" dient nach Augustinus der Vorsorge für die Jünger und die Armen. Nicht sie soll untersagt werden, verboten wird lediglich, daß man Gott um des Geldes willen verehrt und ihn bei eintretendem Mangel verläßt. Ausdrücklich gestattet wird, an den morgigen Tag zu denken65. Besitz ist ferner für den Unterhalt Notleidender bestimmt und für die Unterstützung derer, die im Auftrag der Kirche arbeiten. Er soll ein Trost in der gegenseitigen Liebe sein und die Frömmigkeit derer ermöglichen, die die Gaben austeilen. Und schließlich: Er stellt ein Vorbild für das himmlische Jerusalem dar, insofern alle alles gemeinsam haben66. Die zweite Quaestio führt diese Gedanken weiter. In vielfacher Hinsicht dient der kirchliche Besitz der Vollkommenheit. Er gibt dem kontemplativen Leben die zur Beschauung nötige Ruhe und nimmt dem aktiven die Versuchungen. Er fördert das Wohl der Kranken und verleiht den Bischöfen Autorität, insofern sie von zeitlichen Sorgen befreit werden. Mit weltlichen Beschäftigungen brauchen sie sich nicht abzugeben67. Schließlich gibt Gerhard zu bedenken, daß die Bischöfe lediglich als Verwalter kirchlichen Vermögens fungieren. Ihr privates Eigentum wird auch jetzt nicht erwähnt. Die Argumente enden bezeichnenderweise mit einem geschickten Hinweis auf den Papst. Er wie die Bischöfe und Pfarrer können in der vorhin genannten Weise ohne Minderung der Vollkommenheit Besitz haben. Mit einer deutlichen Spitze gegen Thomas von York heißt es, dies gelte namentlich im 64

Quodlibet XVI, q. 1, ed. cit. (Anm. 59), 169. Contra. Quicquid Xristus egit, perfectionis fuit. Sed lóculos habuit. Contra. Non potuit declinare a perfectione vite. Ergo, si lóculos habuit, lóculos habere non est declinare a perfectione. Ex quo sequitur, quod exemplo Xristi prelati et dispensatores ecclesie possunt lóculos habere sine perfectionis .

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65 66 67

diminucione. AaO, 170f. AaO, 170-173.

Quodlibet XVI, q. 2, éd. cit. (Anm. 59),

176f.

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Blick auf den Papst, der der „Gipfel der Vollkommenheit" ist68. Es mutet fast wie eine Ironie an, daß gerade der Professor aus dem Säkularklerus unter diesem Aspekt auf das Oberhaupt der Kirche hinweist, während der Minorit die in seiner radikalen These verborgene Gefahr entweder nicht bemerkt oder in Kauf genommen hat. Der von Gerhard von Abbeville in seinem Quodlibet bestimmt, aber eher beiläufig geäußerte Gedanke nimmt im Sermo vom 1. Januar 1269 den ihm gebührenden Platz ein. Den Gedenktag des hl. Sylvester, der eben gefeiert worden war, benutzt er zu der Bemerkung, daß dieser Papst auf eine Offenbarung der Apostelfürsten hin die Würde des Kaiserreichs empfing. Der pontificalis apex man beachte die Anspielung sollte mittels dieser Schenkung noch mehr hervorleuchten69. Bezeichnenderweise hat das kirchliche Vermögen zur Erhöhung des Sitzes Petri zu dienen, damit dessen Inhaber kaiserliche Ehre und Gewalt erlange. Wer sich den Vorzug vor dem Haupt gibt und sich hinsichtlich des Standes der Vollkommenheit mit ihm vergleichen möchte, trennt die Glieder von ihm ab. Und noch schärfer: Wer wegen seines Verzichts auf Eigentum oder gemeinsamen Besitz das Vollkommenheitsprivileg seinem eigenen Stand zuschreibt, zerstört die Vorrechte Roms und muß deshalb als Häretiker erachtet werden70. Die übrigen Argumente des Sermo zugunsten des kirchlichen Besitzes sind im wesentlichen dem Quodlibet entnommen. Als Folgerung ergibt sich: Gipfel und Kulminationspunkt der Vollkommenheit sind dem Vikar Christ zuzusprechen. Die Bischöfe befinden sich in einem ausgezeichneteren Stand der Vollkommenheit als die Religiösen, seien sie Mendikanten oder nicht, sei es, daß sie etwas auf Vorrat haben oder nicht, weil auch die Apostel „Beutel" hatten. Das Verbot, „nicht an den morgigen Tag zu denken" (Mt 6,34) meint folglich nicht, es dürfe kein Geld aufbewahrt werden, sondern nur, daß man Gott nicht um des Geldes willen zu dienen habe71. -

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AaO, 178. Et ita sine diminutione sue perfectionis summus pontifex, ecclesie princeps, vicarius Xristi et successor Petri, et alii prelati tenentes locum apostolorum, et presbiteri secundi ordinis, tenentes locum discipulorum, et etiam lévite hoc modo possunt sine

perfectionis possessiones et predia ecclesiastica optinere, precipue cum pontifex sit in apice perfectionis. Ed. cit. (Anm. 60), 209f. Zur Datierung des Sermo s. S. Ciasen, Bonaventuras Expositio diminutione

sue

summus

Regulam Fratrum Minorum, in: S. Bonaventura 1274—1974, Bd. II, Grottaferrata 1974, 531-570, hier: 533, Anm. 14. S. auch P. Glorieux, Répertoire des maîtres en théologie de Paris au XIIIe siècle, 1.1, Paris 1933, nr. 174e, 358. Ed. cit. (Anm. 60), 211. Ergo qui sibi arrogat excellentiorem statum statu ecclesie Romasuper

ne, censendus est hereticus. Ed. cit. (Anm. 60), 214.

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Die von Gerhard von Abbeville in seinem Sermo bezogene Position läßt also an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und niemand konnte im Unklaren sein, gegen wen sich der Stoß richtete. Wenn der Minorit behauptet, der Vorrang seines Ordens lasse sich durch den Hinweis auf die päpstlicherseits approbierte Heiligkeit und Stigmatisation des hl. Franz beweisen, dann hat er sich mit dem Einwand auseinanderzusetzen, daß der Stand dessen, der den Gründer kanonisiert hat, ausgezeichneter sein muß72. Welche Reaktion der geschickte Umkehrschluß in der Minoritenkirche hervorgerufen hat, wissen wir leider nicht, aber auch so mag er ein Indiz sein für die wachsenden Gereiztheiten. Gerhard beschließt seine Predigt mit der Feststellung, daß Gipfel und Höhepunkt kirchlicher Würde und Vollkommenheit im Stand der pastoralen Leitung liegen, und daß die Verwaltung zeitlicher Güter keine Minderung derselben bedeutet, ihr vielmehr förderlich ist73. Das heißt nun: Der Besitz der Kirche vom persönlichen Eigentum wird wiederum nicht geredet ist nicht nur als legitim erwiesen, vielmehr muß man sagen, daß die, die für ihn Verantwortung tragen, in einem vollkommeneren Stand sind als etwa die Mendikanten. Ebenso sind die Unterscheidungen in bezug auf die verschiedenen Formen des Besitzes als nebensächlich anzusehen. Wie werden die Theologen aus den Bettelorden auf diese Herausforderung mit weitreichenden ekklesiologischen Implikationen reagieren? Ehe wir uns der Antwort des hl. Thomas zuwenden, wollen wir auf die zweite Äußerung zum Thema eingehen, die im März 1269 erfolgte. Das Quodlibet V, qq. 5 und 6 behandelt unser Thema detaillierter, bietet aber in seinem Kern dieselben Lösungen. Erneut wird zur Diskussion gestellt, ob das Austeilen des gemeinsamen kirchlichen Vermögens die Vollkommenheit des Bischofs mindert. Die erste Antwort auf die Einwände ist auch jetzt die Aussage, daß Christus einen „Beutel" hatte und auch wollte, daß ihn die Apostel haben. Da nun der Knecht nicht über seinem Herrn steht, können auch die „vollkommenen Jünger" das für ihr Leben Nötige behalten. Selbst Geldbesitz gereicht ihnen nicht zum Nachteil74. Wiederum fehlt der Hinweis auf den Papst nicht, denn, wäre es anders, hätte er als Verwalter kirchlichen Gutes einen geringeren Grad der -

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Ed. cit. (Anm. 60), 217f. Hie semper caute considerare debuisti, quod excellentissimus est status, immo sine comparatione excellentior statu tuo, ipse status canonizantis, approbantis et bullantis. Über diese Argumente werden wir andernorts mehr hören. Ed. cit. (Anm. 60), 219. culmen et apicem ecclesiastice dignitatis et perfectionis consistere in officio vel in statu regiminis pastoralis, et quoniam de illa excellentissima perfectione nihil diminuit administrado temporalium, sed magis expedit ad eandem. Ed. cit. (Anm. 59), 128-132. Ergo, Dominus instituit apostolicis viris formam ecclesiastice peeunie absque detrimento sue perfectionis (132). -

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Oder: Der Stand derer, die gemeinsamen Besitz administrieren, ist vollkommener als der der Religiösen76. Es dient also der Sache, wenn man das Vermögen beibehält, d. h. aufbewahrt77. Unter Berufung auf die Weisung des Herrn an den reichen Jüngling betont Gerhard, daß die Absicht des Evangeliums nicht darin liegt, die gemeinsamen Güter aufzugeben, sondern auszuteilen. So wissen sich die Prälaten als dispensatores des ihnen Anvertrauten78 Die zweite Quaestio des Quodlibet möchte solche Überlegungen vertiefen, indem jetzt gefragt wird, ob es dem bischöflichen Stand angemessen ist, das Kirchenvermögen zu verwalten. Das scheint man verneinen zu müssen, da alles Handeln Christi auf Unterweisung zielte. In ihr wird nun aber die Verachtung des Zeitlichen im Geist und in der Tat gelehrt, womit Verwalten und Austeilen im Widerspruch stehen. Wichtiger als die uns schon bekannte Antwort Gerhards ist diesmal seine Argumentationsweise, die, wie sich später zeigen wird, ihren Eindruck nicht verfehlt hat. Auf Belege aus der Schrift verzichtet er, doch meint er, daß uns die Beispiele heiliger Väter mehr bewegen würden als bloße Worte79. Er zitiert Texte von Päpsten, Kirchenlehrern und Heiligen, die, so gibt er sich überzeugt, seine These bestätigen, so daß einer Widerrede keine Ausflüchte bleiben80. Wie wir bei Thomas sehen werden, kommt dem Argument größere Bedeutung zu, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Fassen wir zusammen! Angesichts gewisser überzogener Ansprüche aus Mendikantenkreisen hat Gerhard von Abbeville das Verdienst, das Augenmerk auf die ekklesiologischen Konsequenzen solcher Thesen gelenkt zu haben, deren

Heiligkeit75.

Ed. cit. (Anm. 59), 132. Minorem insuper in ecclesia Dei romani pontífices gradum obtinerent sanctitatis, quibus bonorum universalis ecclesie committitur cura, providentia et

dispensatio generalis.

Ed. cit. (Anm.

59), 133... immo status fideliter dispensancium et utiliter administranci-

ecclesie facultates perfectior est omni statu quorumcumque regularium, quia Dominus, sine diminutione perfectionis, voluit, et docuit, et exemplo confirmavit, prelates ecclesiasticos communes ecclesie dispensare facultates propter subditas radoum communes

nes.

Ed. cit. (Anm. 59), 138. Ex hiis rationibus concludo duo, sc. quod et prelati ecclesie sine detrimento perfectionis iusticie communes ecclesie facultates possunt dispensare, et quod expedit ecclesie communes facultates retiñere absque perfectionis diminuitione. Ed. cit. (Anm. 59), 140. Nichil habent enim prelati tanquam domini vel possessores, sed tanquam ministri, procuratores vel dispensatores. Quodlibet V, q. 6, éd. cit. (Anm. 59), 148. Item quia plus movent exempla quam verba, testimonia sanctorum Patrum in medium producamus. Ed. cit. (Anm. 69), 153. Isti omnes neque dampnabili proprietate facultates ecclesie usurparunt, neque habendi cupiditate ambiverunt, sed subveniendi pietate susceperunt. Tergiversator versipellis non restât tibi amplius exitus evasionis.

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Vertretern offenbar nicht bewußt war, daß sie geeignet waren, die Fundamente der Kirchenverfassung, Primat und Episkopat, zu unterminieren. Und dies trotz der gleichzeitigen starken Betonung der Autorität des Apostolischen Stuhls! Daß hier tatsächlich schwerwiegende Probleme zur Diskussion gestellt wurden, haben sehr bald nicht nur Repräsentanten des Weltklerus erkannt. Auch andere sahen sich genötigt, den Finger auf latente Gefahren zu legen. Der geschickte Hinweis auf den Papst als apex perfectionis und die mit dem römischen Stuhl seit der konstantinischen Schenkung verbundenen Privilegien sollten der Attacke höchste Aufmerksamkeit sichern, auch wenn schon hier der Umstand zu erwähnen ist, daß der zuletzt genannte Aspekt in der künftigen Diskussion keine Rolle spielen wird. In jedem Fall war nunmehr die Frage nach dem Verhältnis der evangelischen Vollkommenheit zur Kirche, verkörpert in Amt und Person der Bischöfe, in ein neues Licht getreten. Daß Gerhard von Abbeville vornehmlich zu beweisen suchte, daß das Bewahren, Verwalten und Verteilen des gemeinsamen Kirchenbesitzes die Vollkommenheit nicht mindert, sondern so fördert, daß die Bischöfe einen höheren Rang einnehmen als die Religiösen aller Ordensformen, ist aus der damaligen Situation begreiflich, aber nicht weniger deutlich mußte es anderen Theologen erscheinen, daß diese Sicht der Dinge für eine theologische Ortsbestimmung des Episkopats nicht ausreichen konnte.

2. Thomas

von

Aquin: Quodlibet I, q. 7, a. 2.

Schon bald nach seiner Ankunft in Paris sah sich Thomas veranlaßt, in die Debatten der Universität Paris einzugreifen. Das geschah in einem Quodlibet Ostern 1269. Der Titel, den es trägt, scheint auf den ersten Blick für unsere Problematik belanglos zu sein. Gleichwohl wird in ihm ein erster wichtiger Schritt auf eine Antwort hin gemacht, die Thomas gegen Ende desselben Jahres in einem großen Opusculum gegeben hat81. Sündigt jemand, der der Seelsorge obliegen kann, wenn er seine Zeit für Studien aufwendet? Eine Unterscheidung bereitet die Lösung vor: Etwas kann schlechthin besser sein, aber zuweilen etwa in einer Notlage hat man auch das Geringere zu wählen. So gibt man bei einer Hungersnot dem Brot den Vorzug vor einer Perle. -

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Quodlibet I, q. 7, a. 2. Utrum aliquis teneatur dimittere Studium theologiae, etiam si aptes ad alios docendum, ad hoc quod intendat saluti animarum. Zur Datierung s. /. T. Eschmann, A Catalogue of St. Thomas's Works. Bibliographical Notes, in: E. Gilson, The Christian Philosophy of St. Thomas Aquinas, New York 1956, 392. Nach L. Bongianlno, Questioni quodlibetali (Anm. 59), 49 besteht zu einem Quodlibet Gerhards von Abbeville mit ähnlichem Titel keine Beziehung. -

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Im Sinne der Frage heißt es weiter: Ein Architekt, der zu planen hat, ist schlechthin „besser" als ein Handwerker, der lediglich Anweisungen ausführt. Dieser einfache Vergleich läßt sich nun auf ein „geistliches Gebäude" anwenden, denn hier wirken ebenfalls „Quasihandwerker", nämlich solche, die Seelsorge nur particulariter ausüben. Sie tragen Verantwortung allein für einen kleinen Bereich, während die Bischöfe die Oberleitung innehaben (quasi principales artifices). Ihnen stellt Thomas bezeichnenderweise die Theologen zur Seite, weil sie forschen und lehren, wie andere für das Seelenheil zu sorgen haben82. Und nun die Konklusion: Es ist schlechthin besser und verdienstvoller, Theologie zu dozieren als sich seelsorglich um diesen oder jenen zu kümmern. Die so Unterwiesenen können dann selbst voranschreiten und andere an ihrem Wissen teilhaben lassen. Der Sache ist das dienlicher als die Unterrichtung der einfachen Gläubigen. Anders gesagt: Die Theologie hat eine universalere Aufgabe als eine „handwerklich" ausgeübte Seelsorge im kleinen Umkreis. Liegt indessen eine Notlage vor, müssen Bischöfe und Theologen ihre Arbeit unterbrechen, um die Tätigkeit eines Pfarrers zu übernehmen83. Aus der Argumentation folgt weiter: Die entscheidende Aufgabe der Bischöfe besteht in der nur ihnen obliegenden Leitung der Seelsorge in einem größeren Verband. Das Interesse des Aquinaten liegt nun allerdings weniger hier, sondern in der Antwort auf den zweiten Einwand, wo nach den Merkmalen eines „Vollkommenen" gefragt wird. Jemand ist vollkommen, wenn er in der Liebe mit Gott verbunden ist. Er ist es aber auch, wenn er sich im Stand der Vollkommenheit befindet, d. h. wenn er sich feierlich zu etwas verpflichtet, das der Vollkommenheit angefügt ist84. Was besagt das? Mit ihr kann etwas verknüpft sein wie ein praeambulum und ein praeparatorium, also auf vorbereitende Weise. Dazu zählen die Gelübde, die den Religiösen von der Sorge um weltliche Dinge fernhalten. Sie sind deshalb eher „Instrumente der Vollkommenheit" und nicht schon diese selbst. Damit ist ein Schlüsselbegriff in die aktuelle Debatte gebracht, der Gedanken aus Contra impugnantes und der Summa contra Gentes in eine bündige Form bringt, die in allen kommenden Phasen die Auseinandersetzung bestimmen wird. Und weiter: Unter Berufung auf Hieronymus geht es nicht so sehr um das „Verlassen" (Mt 19,27) als vielmehr um das „Nachfolgen". Wie wichtig diese Akzentuierung sein wird, läßt sich bereits ahnen. Dementsprechend fährt Thomas fort: Alle, die arm und keusch leben, haben das praeparatorium per et similiter theologiae doctores sunt quasi principales artifices, qui inquirunt et AaO. docent qualiter alii debeant salutem animarum procurare. AaO. AaO, ad 2. Statum autem perfectionis habere dicuntur qui solemniter obligantur ad ali.

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quid perfectioni annexum. 62

fectionis, doch bewirkt dies

allein noch nicht die Zugehörigkeit zum Stand der Vollkommenheit. Wer in ihm sein will, muß ein feierliches Versprechen ablegen. Beides, Feierlichkeit und Beständigkeit, begründet ihn85. Zum anderen verbindet sich etwas mit der Vollkommenheit wie eine Wirkung. So wenn jemand Seelsorge übernimmt und aus Liebe zu Gott die Wonne der Beschauung aufgibt. Ein solcher Akt versetzt ihn jedoch noch nicht in den Stand der Vollkommenheit. Wohl aber befindet sich der Bischof in ihm, insofern er in einer feierlichen Weihe seelsorgliche Verantwortung übernimmt86. Thomas will dies allein dem Bischof reserviert wissen. Archidiakone und Pfarrer gehören dem Stand nicht an, da sie ihr Amt lediglich einem Auftrag verdanken, der seiner Natur nach widerrufbar ist und daher keine dauerhafte Bindung konstituiert87. Wichtige, die Diskussion der kommenden Monate markierende Linien sind in diesem Quodlibet vorgezeichnet, Ansätze zu einem größeren Programm werden in Umrissen sichtbar. Daß sie Gerhard von Abbeville aufgreift und schroff zurückweist, steht zu erwarten. Sicher ist aber auch, daß Thomas erste Schritte getan hat, um eine neue Sicht der Dinge vorzubereiten. Halten wir fest! Bischöfe und Religiösen sind im Stand der Vollkommenheit, ohne daß genau geklärt wäre, wie sie sich zueinander verhalten und worin der wesentliche Vorrang der einen über die anderen bestehen könnte. Einstweilen ist eine feierlich eingegangene und auf Dauer angelegte Verpflichtung die beide Stände umgreifende Klammer.

3. De

perfectione spiritualis vitae

In der

Argumentation

gegen Schluß des

Quodlibets

finden sich deutliche

Hinweise, daß Thomas im Begriff steht, ein Problem anzugehen, das sich als recht verwickelt erweisen sollte, weil die Forderungen des Evangeliums, die

systematische Reflexion und die kirchliche Praxis nicht leicht auf einen Nenner zu bringen waren. Das Opusculum De perfectione spiritualis vitae markiert die entscheidende Etappe im Ringen um einen Ausgleich unterschiedlicher Positionen. Mit der Ausarbeitung seines Werkes wird er wohl spätestens nach Erscheinen von Gerhard von Abbevilles Contra adversarium perfectionis AaO. AaO.

Aliquid enim solemne et perpetuum dicitur habere statum. habet quidem aliquem perfectionis effectum, sed non habet perfectionis statum nisi episcopus, qui cum quadam solemni consecratione suscipit animarum curam. AaO. Archidiaconi vero et parochiales presbyteri magis habent commissa quaedam officia quam quod per hoc in aliquo perfectionis statu ponantur. Vgl. Y. M. J. Congar, ..

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Saint Thomas et les archidiacres, in: RThom 65(1957)657- 671.

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63

christianae begonnen haben, wahrscheinlich sogar füher, weil dessen Quodlibeta der Widerlegung harrten88. In die Öffentlichkeit gelangte De perfectione um Weihnachten 126989. Daß in dem Streit um das Wesen der evangelischen Vollkommenheit eine vertiefte Theologie der Gelübde gefordert war, hat Thomas anläßlich der Disputation des Quodlibets erkannt. Gleichzeitig wurde ihm bewußt, daß das Verhältnis des Religiosenstandes zu dem der Bischöfe einer Präzisierung bedurfte. Nach Behandlung der der seligen Schau eigenen Vollkommenheit und der von allen Menschen verlangten Gottesliebe wendet er sich der durch die Räte anzustrebenden perfectio zu. Sie besteht darin, daß wir, soweit das auf Erden möglich ist, dem Zustand nacheifern, den die Seligen in der Visio bereits erreicht haben. Das setzt voraus, daß sich das menschliche Herz auf das Eine richtet und sich vom Vielen abwendet. Je mehr dies gelingt, desto größer wird die Gottesliebe sein. Das heißt: Allen Räten, die uns zu ihr einladen, ist die Abkehr vom Irdischen gemeinsam90. Die so eingeleitete Bewegung zu Gott beginnt gleichsam an der Außenseite und endet im Innern, im Verzicht auf den eigenen Willen. An erster Stelle wird folglich die Armut besprochen, insofern sie hilft, daß man sich vom Zeitlichen löst. Um die dadurch zum Ausdruck kommende Haltung zu beschreiben, verweist Thomas auf eine klassische Schriftstelle, die Worte Jesu an den reichen Jüngling (Mt 19,21), deren Interpretation die jeweils verfolgte Tendenz charakterisieren wird. Die später zu würdigende Lectura zum ersten Evangelium wird uns mit den Einzelheiten vertraut machen und die Differenzen zu anderen Schulen vor Augen führen. Unter mehreren Aspekten erweist der dort gegebene Rat seine Nützlichkeit. Der Umstand, daß der Jüngling betrübt fortging, verrät, wie schwer es normalerweise dem Menschen fällt, sein Eigentum zu lassen, und in welchen Gefahren er aufgrund solcher Anhänglichkeit lebt. Ja, es wird sogar unmöglich, bleibt man auf ungeordnete Weise dem Besitz verhaftet, ins Himmelreich einzugehen. Dem Rat kommt also große Bedeutung zu. Gleichwohl bemüht sich Thomas trotz aller Entschiedenheit, mit der man jenen Text auszulegen pflegt, vorsichtig zu formulieren, um anderen Schriftaussagen gerecht zu werden und um sich nicht den Weg zur Lösung der gleich zu erörternden Probleme zu versperren. Das Beispiel Abrahams, der bis zu seinem Tod Der Tractatus Gerardi de Abbatisvilla „Contra adversarium perfectionis christianae" wurde von S. Ciasen ediert: AFH 31(1938)276-329; 32(1939)89-200. S. auch dens., Der hl. Bonaventura und das Mendikantentum. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Pariser Mendikantenstreites (1252-72)(FrFor 7), Werl 1940, 12-14. Vgl. die Préface zur Edition (Anm. 59), B8. De perfectione, cc. 5-7, B70-B72. 64

wohlhabend war und seinem Sohn ein Erbe hinterließ, enthält bedeutsame Elemente, auf die andernorts zurückzukommen sein wird91. Wichtig ist die weitere Feststellung Thomas hat sich schon früh zu ihr bekannt -, daß die Vollkommenheit nicht im Verzicht selbst liegt, denn daraus hätte zu folgen, daß ein Reicher nie vollkommen sein könnte, und jedweder Besitz von der Seligkeit ausschließen müßte. Betrachtet man nämlich die Worte Jesu genauer, zeigt sich, daß nicht schon das Lassen des Besitzes die Vollkommenheit ist, es ist vielmehr nur der Weg zu ihr. Bezeichnenderweise liegt der Nachdruck des dem Jüngling gegebenen Rates nicht im Verkaufen und im Verschenken des Erlöses an die Armen, sondern „gleichsam" in der Nachfolge des Herrn92. Nicht von ungefähr wird sich Thomas in jenen bewegten Jahren ausführlich mit der Perikope befassen und in ihr eine Bestätigung seiner These sehen. Ein Reicher kann also, hängt er mit vollkommener Liebe Gott an, sehr wohl zur perfectio gelangen. Auch dafür bietet Abraham das Beispiel, denn er verstrickte sich nicht in seinen Reichtum, sondern war Gott „gänzlich" verbunden, den er bis zur Verachtung der Seinen liebte, wie sich an der Bereitschaft ablesen läßt, seinen Sohn zu opfern. Gleichwohl sollte uns das nicht zu der Ansicht verleiten, die hier zu fordernde Harmonie sei leicht zu finden. Tatsächlich gehört sie zu den bewundernswerten Dingen, die die „Schwachen" eher bestaunen als nachahmen können. Die von der Schrift gebotene Distanz zum Zeitlichen und die Nähe zu Gott grenzen denn auch an Wunderhaftes. Anders gesagt: Thomas möchte zum Ausdruck bringen, daß ein Christ normalerweise der Faszination des Irdischen erliegt und daß deshalb der Weg zur Vollkommenheit über die Preisgabe des Reichtums führt, auch wenn er im Einzelfall anders gangbar bleibt93. Auf die Räte der Keuschheit und des Gehorsams brauchen wir hier nicht einzugehen. Es versteht sich von selbst, daß sie noch mehr als die „äußeren Güter" die menschliche Person betreffen, so daß der Verzicht auf eheliche Bindung und Selbstbestimmung durch freien Willen die letzten Schritte auf eine größere Freiheit von irdischen Sorgen darstellt94. Zu der so anzustrebenden Gottesliebe tritt die Nächstenliebe. Auch sie hat zwei Grade: Eine Form derselben ist für alle heilsnotwendig, so daß niemand von ihr ausgenommen ist. Eine zweite jedoch fällt genauso wie die Gelübde unter -

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De perfectione, c. 8, B72f. De perfectione, c. 8, B73. Sed si verba Domini diligenter considerentur, non in ipsa divitiarum dimissione perfectionem posuit; sed hoc ostendit esse quasi quandam perfecet tionis viam, ut ipse modus loquendi ostendit cum dicitur „Si vis perfectus esse. in Christi consistât dimissio divitiarum sit vero sequela perfectio, sequere me", quasi perfectionis via. De perfectione, c. 8, B73f. De perfectione, cc. 9-13, B74-B84. .

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65

einen Rat und ist deshalb eine ulterior perfectio superabundans*15. Eine Distinktion, die wir bisher noch nicht kennengelernt haben, wird im folgenden sorgfältig begründet, so daß man vermuten darf, daß sie in einer besonderen Absicht entwickelt wurde, die mit einer zentralen Intention des Opusculums zusammenhängt. Was will diese „überströmende Vollkommenheit" besagen? Sie ist so qualifiziert aufgrund der Ausdehnung, d. h. sie richtet sich nicht nur auf Menschen, die uns irgendwie, etwa durch Verwandtschaft oder wegen erwiesener Wohltaten, nahestehen, auch nicht einfach auf Freunde, sondern auf Feinde. Nun gehört es zwar zum Wesen der Nächstenliebe, daß der Feind nicht von ihr ausgeschlossen wird, doch hier soll ein Schritt über dieses Gebot hinaus getan werden in dem Sinn, daß der Feind selbst dann wirklich (actu) geliebt wird, wenn eine Nowendigkeit, dies zu tun, nicht vorliegt. Anders gesagt: Befindet er sich in einer bedrängten Lage, sind alle kraft eines Gebots gehalten, ihm zu helfen, aber außerhalb solcher Situationen sind wir nicht auf dieselbe Weise verpflichtet, ihm eine besondere Zuneigung zu schenken96. Eine so aufgefaßte Feindesliebe leitet sich im Unterschied zu allen Formen, bei denen uns irgendein Gut leitet allein aus der göttlichen Liebe ab. Zur Feindesliebe dieser Art bewegt uns Gott allein, einen irdischen Antrieb gibt es nicht97. Die Vollkommenheit der Gottesliebe bemißt sich zweitens nach der Intensität, mit der man jemand liebt. Ihre höchste Gestalt hat sie wenn man sich außerhalb von Notfällen um des Heiles anderer willen in Todesgefahr begibt98. So etwa wenn man jemand vor der Verführung durch Ungläubige um den Preis des eigenen Lebens bewahrt. Drittens schließlich läßt sich die vollkommene Bruderliebe an ihren Wirkungen erkennen. Die Größe der anderen gewährten Gaben bildet den Maßstab. Sie umfassen Geistliches und Leibliches, wofür die Armenfürsorge und die Unterweisung des Volkes stehen mögen. Beide überschreiten freilich noch nicht ohne weiteres menschliches Vermögen und sind deshalb allen aufgetragen. Über sie hinaus weisen nun geistliche und göttliche Güter: So die Kundgabe der -

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De perfectione, c. 14, B84. De perfectione, c. 15, B86f. Sed quod acte feratur mens hominis in dilectionem inimici etiam cum non adest nécessitas, pertinet ad perfectionem consilii. In casu enim alicuius necessitatis etiam in speciali acte inimicos diligere et eis benefacere tenemur ex necessitate praecepti. extra hos autem necessitatis artículos inimicis specialem affectum et effectum impenderé ex necessitate praecepti non tenemur, cum nec etiam teneamur ex necessitate praecepti hoc in speciali omnibus exhibere (B87). De perfectione, aaO, B87. Huiusmodi autem inimicorum dilectio directe ex sola divina dilectione derivatur. In aliis enim dilectionibus movet ad diligendum aliquod aliud bonum. Sed ad diligendum inimicos nihil moveré posset nisi solus Deus; diliguntur enim inquantum sunt Dei. De perfectione, c. 16, B87, 89. .

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Offenbarung,

die Führung zu Gott und die Spendung der Sakramente. Sie verbinden den Menschen mit seinem letzten Ziel, in dem die höchste Vollendung besteht. Richtet sich nun dieses Mitteilen auf alle ohne Ausnahme, erhält die daraus resultierende Vollkommenheit eine eigene Qualität. Das erläuternde Zitat aus dem Epheserbrief (4,11), das den Dienst der Hirten und Lehrer zum Gegenstand hat, macht vollends deutlich, in welcher Absicht Thomas seine auf der vollkommenen Nächstenliebe basierende Rätetheologie entwickelt hat. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er die in ihr dargelegten Verpflichtungen über die allen Christen gebotenen Vorschriften hinaus als die Charakteristika des bischöflichen Amtes verstanden wissen will, das sich einer speziellen Vollkommenheit erfreut, die das Verhältnis zum Ordensstand zu klären geeignet ist99. Der Episkopat wäre dann, ließen sich die gleich zu erörternden Schwierigkeiten überzeugend aus dem Weg räumen, von prinzipiell höherer Qualität. Daß in dieser Sicht der Dinge, deren eigentliche Motive immer deutlicher zu Tage treten, die Armut eine besondere Rolle spielen wird, dürfte nicht mehr zu übersehen sein. Das Ergebnis vorwegnehmend darf man sagen: Die Armutsproblematik war der Anlaß, wichtige Aspekte des Episkopats zu

konzipieren. Ein Vergleich zwischen Bischöfen und Religiösen hat zunächst das ihnen Gemeinsame in den Blick zu nehmen, die Zugehörigkeit zu einem Stand. Was begründet

ihn? Wie wir bereits aus dem Quodlibet wissen, muß man Vollkommenes nicht nur tun, sondern es auch geloben. Ein in solcher Absicht gemachtes Gelübde ändert den Stand, so wie Freiheit und Knechtschaft Stände konstituieren. Wer sich gänzlich und für immer an Gott bindet, gehört einem Stand an™. Über die subjektive Seite sagt ein solcher Wechsel freilich nichts aus, denn eine neue Existenzweise bewirkt noch keine persönliche Vollkommenheit, wohl aber hat er gewisse Konsequenzen in Hinsicht auf eine dauerhafte Ordnung und feste Strukturen in der Kirche. Und wie läßt sich der Kreis derer umschreiben, die im Stand der Vollkommenheit sind? Daß ihm die Religiösen aufgrund der drei Gelübde zuzurechnen sind, bedarf nicht vieler Worte"". Deutlich geworden ist unterdessen jedoch auch, daß die Bischöfe zu ihm gezählt werden müssen. Und wodurch? Es sind jene drei Formen der Bruderliebe, von denen vorhin gesprochen 99

100

De perfectione, c. 17, B89. De perfectione, c. 18, B89f. Perfectio autem quae est ex voto conditionem mutat et statum, secundum quod libertas et servitus diversae conditiones vel status esse dicuntur si vero totam vitam suam voto Deo obligavit ut in operibus perfectionis ei deserviat, iam simpliciter conditionem vel statum perfectionis assumpsit. De perfectione, c. 19, B90. Qui ergo ad haec perfectionis opera totam vitam suam voto obligant Deo, manifestem est eos perfectionis statum assumere; et quia in omni religione haec tria vota voventur, manifestem est omnem religionem perfectionis statum esse. ...

""

67

wurde: Daß man die Feinde liebt und ihnen dient; daß man sein Leben für die Brüder gibt, und daß man sein Leben „gänzlich" auf das Wohl des Nächsten ordnet. Die Bischöfe sind nun gehalten, dies zu beobachten102. Wie das im einzelnen zu geschehen hat, beschreibt Thomas folgendermaßen: 1. Die Bischöfe übernehmen die Sorge für die ganze Kirche. In ihr gibt es immer Personen, die die Vorsteher hassen, lästern und verfolgen. Ihnen muß man Liebe erweisen und Gutes tun gemäß dem Beispiel der Apostel, die inmitten der Verfolger um deren Heil besorgt waren. 2. Die Bischöfe verpflichten sich, ihr Leben für die ihnen Anvertrauten hinzugeben, wie es das Evangelium vom guten Hirten (Jo 10,11) erwartet. Aus diesem Wort und der Deutung Gregors folgt, daß es im Wesen des pastoralen Amtes liegt, bei der Herde zu bleiben und sie selbst in Todesgefahr nicht zu verlassen. 3. Als Mittler zwischen Gott und Menschen hat der Bischof als Stellvertreter Christi „geistliche Gaben" zu spenden und Gott in Hinsicht auf sein Volk zu repräsentieren103. Anläßlich ihrer Weihe verpflichten sich die Bischöfe wie die Religiösen in den Gelübden auf die eben genannten Weisen vollkommenen Handelns, so daß beide Gruppen den status perfectionis haben104. Wenn Thomas in der Summa Theologiae erneut über den Episkopat handelt, wird sich zeigen, ob er die zwei Formen der Räte, die hier die Statusthese begründen, tatsächlich für ausreichend hält, das episkopale Amt adäquat zu beschreiben. Die Schwierigkeiten systematischer und historischer Art, die sie aufwirft, sind ihm freilich schon in De perfectione bewußt geworden. Sie artikulieren sich im ersten Einwand, der direkt auf die zeitgenössische Debatte anspielt. Es könnte, heißt es, einem weniger Besonnenen scheinen, daß der einem Orden zukommende Stand der Vollkommenheit erhabener ist als der der Bischöfe105. Sollte sich das so verhalten, wäre genau das Gegenteil des Beabsichtigten erreicht. Der Episkopat wäre dann in eine mindere Stufe versetzt, so daß die Strukturen der klassischen Ekklesiologie in Gefahr gerieten. Muß nicht aus der der These zugrundeliegenden Verschiedenheit des Objekts der Schluß gezogen werden, daß der Ordensstand, der sich auf Gott bezieht, einen höheren Rang einnimmt als der Episkopat, dem es -

-

AaO. Ad haec autem tria manifestem est teneri episcopos. AaO, B90f. J. Lécuyer, Les étapes de l'enseignement thomiste sur l'épiscopat, in: RThom 57(1957)29-52 betont, daß De perfectione einen entscheidenden Schritt in der Theologie des Episkopats darstellt, doch verkennt er den historischen Ort des Problems

(40-45). AaO, B91. Ad huiusmodi perfectionem episcopi in

sua

ordinatione

se

obligant, sicut et

perfectionis habent, sicut et reli-

professione. episcopi religiosi giosi. De perfectione, c. 20, B91. Posset autem alicui minus circumspecto videri quod status perfectionis religionis esset sublimior quam status pontificalis perfectionis. Die Vermutung des Editors hier sei „forte" auf Thomas von York angespielt, dürfte zutreffen. in

Et ideo

sua

.

,

68

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statum

um dem Nächsten geht? Und folgt nicht dasselbe aus dem Umstand, daß sich offenbar die Bischöfe der geringeren Lebensweise, der vita activa, widmen? Thomas kann naturgemäß die Argumente nicht akzeptieren. Er meint, hinlänglich gezeigt zu haben, daß sich die vollkommene Nächstenliebe aus der Liebe zu Gott ableitet, die in einigen so stark ist, daß sie nicht nur Gott genießen und ihm dienen möchten, sondern auch dem Mitmenschen um Gottes willen. Ihm zufolge ist es ein Zeichen einer größeren Liebe, wenn jemand seines Freundes wegen einem anderen helfen will, als wenn er dem Freund allein Wohlwollen erweist106. Den Einwand, das Mönchtum sei aus dem vorhin genannten Grund höher einzuschätzen, widerlegt Thomas zweifach. In der Ekklesiologie des Areopagiten macht es das Wesen des bischöflichen Amtes aus, die Gläubigen zur Vollkommenheit zu führen. Diese aktive Rolle hat nun einen eindeutigen Vorrang gegenüber jener Vollkommenheit, in der der Religiose ist107. Auch in der Kontemplation gebührt dem Bischof der Primat. Ein etwaiger Verzicht auf sie aus seelsorglichen Motiven bezeugt gerade die vollkommene Liebe zu Gott, insofern man etwas Wertvolles zugunsten eines anderen zeitweilig hergibt108. Und schließlich: Größer und schwieriger ist es, sein Leben einzusetzen, als die Gelübde zu beobachten, zu denen auch in gewisser Weise die Bischöfe verpflichtet sind109. So erhellend solche Argumente sein mögen, die eigentliche Bewährungsprobe für die Statuslehre liegt nicht hier, sondern in der Armutsfrage, wie sie von Gerhard von Abbeville auf der einen und von Minoritentheologen auf der anderen Seite in das Zentrum der Diskussion gerückt worden war. Das ekklesiologisch scharf zugespitzte Problem und die Kühnheit der schließlich gefundenen Lösung, die Thomas in der Summa Theologiae mit allen Konsequenzen ausfalten wird, lassen vermuten, daß er an diesem Kapitel des Opusculums mit großer Intensität gearbeitet hat. Der Einwand, „von einigen erhoben", entspricht genau der historischen Situation. Wie kann der Prälatenstand vollkommen sein, wenn es ihm gegen das Wort Jesu an den reichen Jüngling gestattet ist, Besitz zu haben110 ? Die Erwiderung ist kurz: Die Bischöfe haben den Kirchenbesitz nicht als Eigentum, sie teilen nur aus, -

-

De perfectione, c. 20, B92 u. c. 21, B93. Perfectio enim dilectionis proximi. ex perfectione divinae dilectionis derivatur; quae quidem tantum in cordibus aliquorum praevalet, ut non solum Deo frui velint et ei serviré, sed etiam proximis propter Deum. De perfectione, c. 20, B92. Manifestem est autem maiorem perfectionem requiri ad hoc quod aliquis perfectionem aliis tribuat, quam ad hoc quod aliquis in se ipso perfectus sit. Zu Ps. Dionys vgl. R. Roques, L'univers dionysien. Structure hiérarchique du monde selon Pseudo-Denys, Paris 1983, 186-199. De perfectione, c. 21, B93. De perfectione, c. 20, B92. De perfectione, c. 20, B92. .

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69

alle gemeinsam haben. Dies mindert, wie das geltende Kirchenrecht sagt, nicht ihre evangelische Vollkommenheit1". Die Formulierung enthält bereits die nötigen Vorbehalte. Einfaches Verteilen ohne Absicht, Gewinn zu haben, gereicht ihnen nicht zum Nachteil. Wäre das nicht so, würden Äbte und Klostervorsteher gegen das Armutsgelübde verstoßen und von der Ordensvollkommenheit abweichen. Das trifft allein für den Fall zu, daß sich jemand den gemeinsamen Besitz aneignet"2. Thomas weiß freilich, daß das Problem nicht so sehr hier liegt, sondern in der Beurteilung eines etwaigen Privatvermögens, das wie erinnerlich Gerhard von Abbeville nicht zum Thema gemacht hatte, um mit seiner Argumentation eine größere Wirkung zu erzielen, denn die bloße dispensado hatte eine lange und selbstverständlich geübte Tradition hinter sich. Wie wird Thomas reagieren? Die Bischöfe haben, räumt er ohne Zögern ein, über das Kirchengut hinaus ihr „väterliches Erbe" (patrimonialia bona) und können darüber testamentarisch verfügen"3. Aber wie läßt sich das etwa mit den Worten des Herrn an den reichen Jüngling vereinbaren? Der Aquinate scheint in diesem Widerspruch keine besondere Schwierigkeit zu sehen und meint, das Bedenken ließe sich leicht zerstreuen. Gleichwohl sollte der Optimismus den Leser nicht zu der Ansicht verleiten, die Lösung habe sich fast von selbst ergeben. Tatsächlich hat er sie mittels eines Gedankens gefunden, der eine längere Geschichte hinter sich hat und hier erstmals zur Diskussion gestellt wird. Vorbereitet ist die Antwort durch die schon mehrfach vorgetragene Überlegung, daß der Verzicht auf Eigentum (abdicatio propriarum divitiarum) nicht schon die Vollkommenheit selbst ist, sondern nur ein Instrument, sie zu erreichen. Das heißt: Jemand kann zu ihr gelangen, ohne seinem Besitz wirklich zu entsagen"4. Aber wie soll man diese Aussage mit den scheinbar eindeutigen Schrifttexten zum Ausgleich bringen? Man wird also eine Interpretation zu suchen haben, die sich nicht an dieses oder jenes Wort klammert, sondern die zwischen ihnen existierenden Spannungen in den Blick nimmt. Thomas möchte das an einem Beispiel erläutern, das der Herr selbst gegeben hat. Seine Weisung „schlägt dich jemand auf die rechte Wange, halwas

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-

'"

De perfectione, c. 21, B93.Tertiae vero obiectioni dupliciter respondetur. Primo quidem quia episcopi divitias ecclesiae quas habent non quasi suas possident, sed quasi com-

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AaO, B93.

113

De perfectione, c. 21, B94. Vgl. C. 12, q. 5,1. p. : Decretum Gratiani, ed. Ae. Friedberg, t. I, Leipzig 1879 (Nachdruck Graz 1959), 715. So hat auch Albertus Magnus 1279 Testament gemacht. Vgl. Albertus Magnus. Ausstellung zum 700. Todestag. Historisches Archiv der Stadt Köln, Köln 1981, 1 lOf. AaO, B94. Dictum est enim supra quod abdicatio propriarum divitiarum non est perfec-

munes

114

dispensant: quod evangelicae perfectioni non derogat.

tio, sed quoddam perfectionis instrumentent; possibile autem est aliquem perfectionem

acquirere sine propriarum divitiarum abiectione actuali. 70

(Mt 5,39) scheint nur eine absolute strikt verbindliche Deutung zu dulden. Nun haben aber auch Vollkommene diesen Befehl nicht immer durch die Tat befolgt, ja es sieht sogar so aus, daß der Herr selbst eines Verstoßes gegen ihn zu zeihen ist, als er sich vor dem Hohenpriester zur Wehr setzte (Jo 18,23). Nicht anders hat Paulus reagiert, als er Ananias entgegnete (Apg 23,2): "Dich soll Gott schlagen, du getünchte Wand"115. Aus dem schlechthin vorbildhaften Verhalten Christi und des Apostels, das aber unter gewissen Umständen nicht streng wörtlich zu fassen ist, zieht Thomas den Schluß: Es gehört nicht notwendigerweise zur Vollkommenheit, daß solche Weisungen durch die Tat erfüllt werden, man muß sie vielmehr secundum animi praeparadonem verstehen, wie Augustinus in De sermone domini in monte schreibt116. Der Verweis auf diese Texte hat, wie A. Sanchis erstmals nachgewiesen hat, eine interessante Vorgeschichte, aus der schließlich jene Formel erwachsen ist"7. Daß ihr herausragende Bedeutung zukommt, ist offenkundig. Entscheidende Ansätze zu ihr finden sich in der Catena áurea, wo auch Augustins Sermo über die Bergpredigt erwähnt wird, der Thomas wohl um 1264 bekannt geworden ist118. Wenn es dort heißt, es komme vor allem auf die praeparado cordis und nicht auf die ostensio operis an, so ist dies eine frühe Form unseres Gedankens. Anders gesagt: Thomas greift in De perfectione eine ihm durch Augustinus vermittelte und seit der Catena áurea geläufige Anregung auf und wendet sie jetzt auf das spezielle Problem des bischöflichen Eigentums an. Es ist demnach nicht ganz zutreffend, wenn A. Sanchis meint, „el hallazgo de la formula de San Agustín" sei an diesem Punkt der Kontroverse erfolgt, doch muß te ihm auch die andere hin"

115

116

117 118

,

AaO. Vgl. Augustinus, De mendacio, c. 15, nr. 27, PL 40, 506f. AaO. Non est ergo de necessitate perfectionis quod haec opere compleantur, sed haec intelligenda sunt secundum animi praeparadonem... Vgl. De sermone Domini in monte, ed. A. Mutzenbecher (CChr. XXXV), Turnhout 1967, 1.1 19, 58: in ipso corde esse ad omnia praeparatum (p. 68); 19, 59: ad praeparadonem cordis (p. 69); 19, 61: ut animo sis paratus (p. 70); 20, 66: paratus sit animus plura perpeti (p. 75); 20, 66: ad plura perferenda paradssimum animum (p. 76). A. Sanchis, Escritos espirituales de Santo Tomás, in: TE 6(1962)277-315, bes. 305-307. Catena áurea in Matthaeum, ed. A. Guarienti, 1.1, Turin 1953, 92 (zu Mt 5, 20):.. ubi ostendit illam praeparationem alterius maxillae in corde faciendam... Paratus enim fuit Dominus. et hoc etiam ad praeparationem cordis, non ad ostensionem operis praerecte intelligitur (93). Und zu 5, 40 (94): Et hoc utique monet non tam ut pediceptum bus agas quam ut animo sis paratus. Oder: Dominus docet animum christianum esse patiendssimum et ad plura perferenda paratem. Die gedanklichen und sprachlichen Elemente der Formel sind also Thomas seit der Catena áurea geläufig. Daß ihm Augustins Schrift seit ca. 1264 bekannt war, zeigt R. Gulndon, Le „De Sermone Domini in monte" de S. Augustin dans l'oeuvre de S. Thomas, in: RUO 28(1958)57*-85*. .

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71

man ihm zustimmen, daß sie Thomas in De perfectione sehr gelegen kam und sich als hilfreich erwies, um ein aktuelles Problem einer Lösung näherzubringen"9. Richtig ist schließlich, daß von jetzt ab die Formel secundum animi praeparationem an einer Reihe von theologisch bedeutsamen Stellen erscheint und jeweils eine Schlüsselfunktion einnimmt120. Ergänzend sei vermerkt, daß Thomas auch in seiner Lectura zum Mathäusevangelium mehrfach auf das Prinzip rekurriert, das in derselben Gestalt und mit derselben Bedeutung erscheint wie in De perfectione™. Die Identität der Schriftzitate, der Worte und der Thesen verraten wir werdaß er in zwei Werken, die offenbar chroden darauf zurückzukommen haben nologisch nicht weit auseinanderliegen, seine Ansichten entwickelt, deren Kern ihm seit der Catena áurea vertraut war, auch wenn sie ihre eigentliche Applikation im theologischen und ekklesiologischen Zusammenhang erst Jahre später erfuhren. Zurück zu unserem Text! Die Vollkommenheit eines Menschen besteht dem Gesagten zufolge darin, daß er einen „bereiten Geist" hat, um all das zu tun, sooft es nötig ist'22. Und wiederum stützt Thomas die Aussage mit einem im Dekret Gratians überlieferten Augustinuszitat, wonach die Gerechtigkeit weder im Sichenthalten noch im Essen liegt, sondern im Gleichmut beim Ertragen des Mangels. Oder mit einem Pauluswort (Phil 4, 12): „Ich kenne beides: wie man in -

,

-

119 120

121

Sanchis, Escritos espirituales (Anm. 117), 306. Vgl. A. Sanchis, Escritos espirituales (Anm. 117), 307f. Auf die Folgen für die Kompo-

A.

sition von De perfectione brauchen wir hier nicht einzugehen. Vgl. J.-P. Renard, La Lectura super Matthaeum V, 20-48 de Thomas d'Aquin. (Edition d'après le ms. Bale, Uni v. Bibl. B. V. 12), in: RThAM 50(1983)145-190. So heißt es zu 5, 39: Set Augustinus dicit quod istud non résistât etc. intelligendum est secundum preparationem animi, quia homo pro utilitate proximi débet esse paratus omnia mala sustinere vel sufferre. Und :.. sicut prelatus qui custodit gregem débet esse paratus in animo sustinere omnia dampna antequam dimittat ea ad que tenetur ( 179). Und ( 179f):Quomodo ista (Mt 5,39) debeant intelligi, considerandum est ex gestis sanctorum. Dominus enim qui cepit faceré et docere, hoc non adimplevit (Jo 18,23)... et Apostolus (Act 23, 3). Et ex hoc Augustinus argumentatur quod nos per gesta sanctorum scimus qualiter intelligenda est scriptura; unde dicit esse intelligendum in preparatione animi. Und zu 5,40 ( 180): Et hoc etiam in preparatione animi... Omnia ista tarnen intelligenda sunt in preparatione animi. De perfectione, aaO, B94... in hoc enim perfectio hominis consistit ut homo habeat animum paratum ad haec facienda quotiescumque fuerit opus. Dazu vgl. E. Schockenhoff, Bonum hominis. Die anthropologischen und theologischen Grundlagen der Tugendethik des Thomas von Aquin (TTS 28), Mainz 1987, 552-554, der allerdings auf den historischen Ort des Prinzips nicht eingeht. .

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tiefer Armut und im Überfluß lebt"123. Zu dieser Einstellung gegenüber den Dingen der Welt gelangen die Mitglieder der beiden Stände auf je verschiedenen Wegen. Die Religiösen kommen zu ihr, indem sie sich im Nichtshaben üben, während sie sich die Bischöfe in zweifacher Weise zu eigen machen: Durch ihre Sorge für die Kirche und durch die Bruderliebe, kraft deren sie bereit sein müssen, den Eigenbesitz und sogar das Leben zum Wohl anderer hinzugeben oder gering zu erachten, wann immer es angebracht erscheint124. Thomas weiß offensichtlich, daß seine These von einer „vergeistigten Armut" kühn ist und Widerspruch provozieren wird. Genügt ein Verzicht der Bischöfe, wenn dieser „nur" in jener inneren Bereitschaft besteht? Muß nicht die zur Vollkommenheit führende Armut in der tatsächlichen Praktizierung des Mangels und der Bedürfnislosigkeit liegen? Werden nicht strikt lautende Schriftworte unzulässig abgemildert oder gar übergangen? Wo bleibt etwa die Entschiedenheit, mit der der Herr seinen Jüngern untersagte (Mt 10,9f), Geld, Gold, Silber, Beutel und Stab bei sich zu haben ? Gilt das nicht ebenso für deren Nachfolger, die Bischöfe? Mit Nachdruck versichert Thomas, ein derartiger Schluß entbehre jeglichen Fundaments. Man könnte meinen, er werde ihm mit dem Verweis auf andere Schriftworte zu entgehen versuchen. Daß dies weder möglich noch nötig ist, hat er freilich längst zu erkennen gegeben. Er verweist vielmehr auf die historische Praxis der Kirche, die hier angerufen wird, um als Interpretationshilfe für ein sonst nicht zu lösendes Problem zu fungieren. Es gab, schreibt er, Bischöfe, deren Heiligkeit niemand anzweifeln kann genannt werden Athanasius, Hilarius „und sehr viele andere" -, die dem vorhin formulierten Prinzip gemäß gelebt und gewirkt haben125. Mit Augustinus teilt er die Ansicht, man habe nicht nur Gottes -

AaO, B94. Vgl. Quaestiones evangeliorum, 1. II, q. 11, PL 35, 1337. Decretum Gradani D. 41, c. 4, ed. cit. (Anm. 113), I, 149. Später, in der Christologie, wird Thomas (S Th III 40, 2) ganz in diesem Sinn sagen, daß Christus während seines Erdenwandels ein -

Beispiel der Vollkommenheit nur in jenen Dingen gab, die per se pertinent ad salutem. Das Sichenthalten von Speise und Trank gehört nicht dazu, weil mit Augustinus das Reich Gottes nicht in esca et potu (est), sed in aequanimitate tolerandi (ad 1). Die Bischöfe stehen also, folgen sie dem Grundsatz, in der unmittelbaren Nachfolge des Herrn. AaO. Ad hanc autem aequanimitatem inopiam tolerandi religiosi perveniunt per exercitium nihil habendi; sed episcopi ad earn perduci possunt per exercitium circa curam Ecclesiae et dilectionem fraternam, ex qua non solum proprias divitias pro salute proximorum exponere vel contemnere debent esse parati, quando fuerit opportunum, sed etiam propria corpora. AaO. Sed manifestem est id quod concluditur verum non esse. Fuerunt enim multi in Ecclesia episcopi, de quorum sanctitate dubitari non potest, qui hoc non observaverunt, sicut Athanasius, Hilarius et alii plurimi. -

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Gebote zu beobachten, sondern auch das Leben und das Tun der Heiligen nachzuahmen. Und er fährt fort: Vieles in der Schrift vermögen wir nicht zu verstehen, so daß wir am Leben der Heiligen ablesen müssen, wie sie zu deuten ist. Zwischen beiden besteht nämlich eine durch den hl. Geist bewirkte Gemeinsamkeit, so daß die kirchliche Praxis eine hermeneutische Funktion beanspruchen darf. Schließlich ist es der hl. Geist, der die Heiligen zum Handeln bewegt und so verhindert, daß sie gegen göttliches Gebot verstoßen126. Man wird sich erinnern, daß Gerhard von Abbeville eine ganz ähnliche Begründung ins Feld geführt hatte, als er lang und breit auf die Väter hinwies, um seine Ansicht zu rechtfertigen. Daß seine Argumentation ihren Eindruck nicht verfehlt hat, bestätigt überraschenderweise niemand besser als ein großer Widersacher aus einem Mendikantenorden. Anders gesagt: Der Umstand, daß Thomas zu Beginn seiner Überlegungen das kanonische Recht zitiert, das den Bischöfen die Befugnis einräumt, über ihren Besitz testamentarisch zu verfügen, ist ein beredtes Indiz für seine Bereitschaft, eine kirchliche Praxis zu akzeptieren, die tiefe historische Wurzeln in der Patristik hat und deshalb nicht mit dem Evangelium in Widerspruch stehen kann, so problematisch ihm das zunächst gewesen sein mag. Daß Thomas seine Sache hier und andernorts dezidiert vorträgt, darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, er habe sie leichten Herzens und ohne sonderlichen Respekt vor gewichtigen Stellen des Evangeliums entwickelt. Daß das mehr als eine Vermutung ist, werden wir später sehen. Noch einmal zurück zu einigen exegetischen Schwierigkeiten! Ist den Jüngern nicht jeglicher Besitz verboten worden? Wiederum mit Augustinus meint Thomas, die Weisung des Herrn, nichts auf den Weg zu nehmen, werde erst verständlich, wenn man den Zusatz „der Arbeiter hat Anspruch auf seinen Lohn" (Lk 10,7) beachtet. Er zeigt hinreichend, daß es sich um eine Erlaubnis und nicht um einen Befehl handelt. Das bedeutet: Wer von ihr keinen Gebrauch machen will, wer also nicht möchte, daß er seinen Unterhalt von anderen empfängt, sondern ihn aus der eigenen Tasche bestreitet, verstößt nicht gegen das Wort des AaO. Vgl. Augustinus, De mendacio, c. 15, nr. 26 u. 30, PL 40,506 u. 508... itaque plura in verbis intelligere non valentes, in factis sanctorum colligimus quemadmodum oportet accipi. Nach diesem Zitat fährt Thomas fort: Et huius ratio est quia idem Spiritus qui loquitur in Scripturis, movet sanctos ad operandum... et ideo non est credendum id quod a sanctis viris communiter agiter, contra divinum praeceptum esse. Schon in der Catena áurea (ed. cit. I, 92) hatte Thomas den Augustinustext zitiert: Ea vero quae in novo testamento a sanctis facta sunt, valent ad exempla intelligendarum Scripturarum, quae in praeceptis digesta sunt. -Vgl. Gerhard von Abbeville, Quodlibet V, q. ed. cit. der den 6, (Anm. 59), 153, Augustinustext ebenfalls zitiert. -

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Herrn127. Möglich ist freilich auch eine andere Interpretation. Christus hat den Befehl (Mt 10,9) im Blick auf die erste Aussendung der Jünger zu den Juden gegeben, bei denen es üblich war, daß die Schüler für die Lehrer sorgten. Sie brauchten daher nichts bei sich zu tragen. Ferner sollte der Eindruck vermieden werden, sie predigten um des Geldes willen. Auch hatten sie so Gelegenheit, die Erfahrung zu machen, daß der Herr ihnen mit dem Nötigsten beistehen würde. In einer neuen Situation, als die Passion bevorstand und die Heidenmission in den Blick kam, hat er ihnen größere Freiheit gelassen (Lk 22,35). Das Ergebnis ist ebenso klar wie ekklesiologisch bedeutsam: Exegese, systematische und nicht zuletzt historische Argumente rechtfertigen den Besitz der Bischöfe, ohne deren herausragenden Platz in der Ständehierarchie zu mindern oder gar zu gefährden128. Der erste Eindruck, Thomas interpretiere gewisse, ihm unbequem erscheinende Texte mit einer spiritualisierenden Tendenz, um ihre Radikalität so zu entschärfen, daß sie schließlich zu einer aus systematischen Erwägungen notwendig gewordenen Konzeption passen, läßt sich nicht ganz von der Hand weisen. Die zeitgenössische Kritik wird denn auch hier ansetzen, überzeugt, ein vergleichsweise leichtes Spiel zu haben. Daß scholastische Dialektik gelegentlich zu schwer nachvollziehbaren Subtilitäten führt, braucht nicht geleugnet zu werden, doch hieße es den Rang des erst nach komplizierten Argumentationen gefundenen Prinzips der praeparatio animi verkennen, wollte man es in diese Kategorie einordnen. Tatsächlich reicht seine Bedeutung viel tiefer und weiter. Wie wir aus Andeutungen wissen, überschreitet es den unmittelbar zur Debatte stehenden ekklesiologischen Kontext, auch wenn Thomas hier deutlicher als anderswo erkannt haben dürfte, welche Folgerungen sich aus ihm ergeben. Die nicht lange nach De perfectione abgefaßte Prima Secundae liefert ein deutliches und konkretes Indiz, wie sehr ihm die Thematik in einem theologisch höchst belangvollen Traktat, dessen Originalität allgemein anerkannt ist, beschäftigt hat. Anläßlich des Vergleichs zwischen Altem und Neuem Bund kommt er auf die Frage zu sprechen, ob das Neue Testament ausreichend das äußere Tun ordnet129. Auf den Einwand, im Neuen Gesetz gebe es ebenso wie im AaO, B94f.

satis ipse significavit cum addidit „Dignus est operarius mercede sua"; ubi satis ostendit permissum hoc esse, non iussum: unde qui permissione uti non vult ut ab aliis accipiat unde vivat, sed sua defert ad vivendum, non contra Domini praeceptum facit (B95). AaO, B95. Unde ad hoc non tenentur episcopi, qui sunt apostolorum successores, ut nihil possideant neque aliqua secum in via déférant. S Th I-II 108, 2. Zum Kontext s. U. Kühn, Via caritads. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin (KiKonf 9), Göttingen 1965, bes. 191-218. Grundlegend O. H. Pesch, Das Gesetz. I-II 90-105 (Die Deutsche Thomas Ausgabe, Bd. 13), Heidelberg-Graz 1977. .

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gewisse Observanzen für

die Diener Gottes, wie etwa Mt 10,9 bezeugt, Thomas mit einer Distinktion, derzufolge der uns vertraute zentrale Text nolite possidere zweifach zu verstehen ist. Einmal mit Augustinus daß es sich hierbei nicht um Gebote, sondern um Zugeständnisse handelt. Den Aposteln war es demnach gestattet, ohne Stab und Tasche und dergleichen zur Predigt zu gehen, weil sie bevollmächtigt waren, von ihren Zuhörern den Unterhalt zu empfangen. Wer diesen jedoch selbst mitbringt und darum nichts entgegenzunehmen braucht, sündigt nicht, sondern handelt wie Paulus über Gebühr130. Von noch größerer Tragweite ist freilich die zweite Interpretation, wonach jene Worte Thomas beruft sich, ohne Namen zu nennen, auf die expositio sanctorum „gewisse zeitweilige Satzungen" (quaedam statuta temporada) meinen, die den Aposteln vor dem Leiden Jesu für die Predigt unter den Juden gegeben worden waren. Und darauf die aufschlußreiche Begründung: Die Jünger waren zu jenem Zeitpunkt gleichsam als Unmündige unter der Obhut des Herrn zu erachten, die seiner besonderen Anordnungen bedürftig waren. Sie mußten sich einüben, allmählich die Sorgen um Zeitliches abzulegen, um so zur universalen Predigt fähig zu werden. In diesem Stadium waren feste Lebensregeln erforderlich, da sie sich noch nicht der vollen Freiheit des Geistes erfreuten111. Kurz vor der Passion schaffte der Herr eben diese Vorschriften ab, da die Jünger nunmehr hinreichend gerüstet waren. Und daraus die Folgerung für die anbrechende Heilsepoche: „Denn schon stand die Zeit der vollkommenen Freiheit unmittelbar bevor, so daß alles, was nicht in sich notwendig zur Tugend gehört, völlig ihrem freien Ermessen überlassen werden konnte"132 Das bedeutet: Ein Streit über Gestalt und Grenze jener Weisungen, wie sie für eine dem Buchstaben verhaftete Exegese typisch sind, ist nach Ostern überflüssig geworden, denn die „vollkommene Freiheit" ist auch in der Armutsproblematik Maß und Regel für die Apostel und Bischöfe, die Gesetzlichkeit ebenso wie Willkür ausschließt. Gewiß hat diese Lösung ihren nächsten Grund nicht in unserer speziellen Thematik, sondern in der Reflexion über die Gnade und die Heilsökonomie, aber der Umstand, daß sich Thomas so prononciert gelegentlich eines oft verhandelten Textes äußert, zeigt an, daß er die Armut der Apostel für ein vielsagendes Paradigma gehalten hat. Alten

antwortet

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AaO, ad 3. Vgl. Augustinus, De consensu evangelistarum,

c. 30, PL 34, 1114. mirum si adhuc durante statu veteris legis, et nondum perfectam libertatem Spiritus consecutis, quosdam determinates modos vivendi instituit. AaO. Iam enim imminebat tempus perfectae libertatis, ut totaliter suo dimitterentur arbitrio in his, quae secundum se non pertinent ad necessitatem virtutis.

AaO. Nec

76

est

4. Die Lectura super evangelium S. Matthaei

Gegner wie Anhänger einer strikt verstandenen Armut beriefen sich auf Texte des Evangeliums, wobei die Befürworter eine Reihe von Herrenworten ins Feld führen konnten, die unmißverständlich zugunsten der völligen Besitzlosigkeit Jesu und seiner Jünger und zwar vor wie nach Ostern zu sprechen schienen. Wie Thomas einige von ihnen interpretiert, wissen wir bereits. Auch haben wir gehört, daß ihm die spätere Geschichte als wegweisende Auslegungshilfe dient. Nicht minder deutlich war indessen dies: Es gelingt ihm nur mittels damals nicht allgemein akzeptierter Distinktionen rigoros und absolut klingende Aussagen seiner Sicht der Dinge einzufügen. Da zwei besonders kontroverse Perikopen dem ersten Evangelium entstammen, legt es sich nahe, nunmehr den Mathäuskommentar zu befragen, nachdem wir die systematische Antwort auf Probleme kennen, die ihn in jenen Jahren bewegt haben. Möglicherweise trägt der inhaltliche Vergleich der hier wie dort vertretenen Positionen einiges dazu bei, die Lectura chronologisch einzuordnen. Man darf hoffen, daß die seinerzeit heftig umstrittenen Passagen einen historischen Hintergrund zu erkennen geben, der eine einigermaßen exakte Datierung gestattet133. Ein erstes Indiz für die Abfassung nach 1263 hat uns bereits beschäftigt. Gemeint ist die Problematik der praeparatio animi, die zwar sprachlich und sachlich in der Catena áurea vorgeformt worden ist, die jedoch ihre endgültige Gestalt und systematische Anwendung in der Lectura findet. Der Umstand, daß die Formel hier in demselben theologisch hochbedeutsamen und dichten Sinn gebraucht wird wie in De perfectione, wo man -

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den Eindruck hat, Thomas habe sie erst im Verlauf seiner Arbeit an diesem Opusculum entwickelt, erlaubt den Schluß, daß beide Werke ungefähr zur selben Zeit entstanden sind, wobei die Reihenfolge noch offen bleibt. Daß es sich 133

Zu den Überlieferungsproblemen s. H. -V. Shooner, La Lectura in Matthaeum de S. Thomas (Deux fragments inédits et la Reportado de Pierre d'Andria), in: Ang. 33(1956)121-142. /. T. Eschmann, The Quotations of Aristotle's Politics in St. Thomas' Lectura Super Matthaeum, in: MS 18(1956)232-240 hatte gezeigt, daß Thomas die „Politik" des Aristoteles zitiert, die erst während seines Aufenthalts in Italien bekannt wurde. Dazu s. die Rezension von H.-V. Shooner, in: BThom 10(1957- 1959)1, Nr. 269, 153-157, derauf die Nähe der Lectura zur Catena áurea verweist (154). Zu den Beziehungen zu den Collationes in Pater Noster s. L.-J. Bataillon, in: RSPhTh 44(1960)146. Das hieße: Die Lectura ist sicher nach 1263 und sehr wahrscheinlich während des zweiten Pariser Aufenthalts abgefaßt worden. So H.-V. Shooner.... on sera tenté de situer le Commentaire de Matthieu vers la fin du second enseignement parisien plutôt qu' au début (157). M. Arges, New Evidence Concerning the Date of Thomas Aquinas' Lectura on Matthew, in: MS 49(1987)517- 523 plädiert für etwa 1263. So auch P. Marc, Introductio (Anm. 33), 603-605. -

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verhält, wird freilich, da äußere Kriterien einstweilen nicht beizubringen sind, allein die innere Analyse zeigen können. Sie wird die

tatsächlich

so

Spätdatierung bestätigen. Wie ist das Wort des Herrn (10,9) zu verstehen, die Jünger sollten nichts Wertvolles in ihren Gürteln mit sich tragen? Mit Sicherheit ist es ein Befehl und nicht bloß ein Rat, doch dann stellt sich ein Problem mit erheblichen ekklesiologischen Konsequenzen für die Zukunft. Waren sie als Gläubige angeredet oder als Apostel? Sollte ersteres zutreffen, wären alle gehalten, das Gebot zu befolgen. Dies liefe allerdings auf eine Häresie hinaus, weil dann niemand, der etwas besitzt, gerettet werden könnte134. Bezieht man die Weisung auf die Jünger in ihrer Eigenschaft als Apostel, hieße dies, daß die Bischöfe als ihre Nachfolger ebenfalls verpflichtet wären, sich strikt an sie zu halten. Wie man sieht, ist das genau die Schwierigkeit, vor der Thomas in De perfectione stand, und hier wie dort hält er die Folgerung für unannehmbar. Auch die exegetische der Wechsel von der Juden- zur Heidenpredigt und die Meinung Antwort es Augustins, handele sich um eine Erlaubnis kennen wir l35. Die Apostel hatten, da „der Arbeiter seines Lohnes wert ist", die Vollmacht, etwas von anderen anzunehmen. Taten sie es nicht, war dies ein Werk der Übergebühr. Und schließlich die dritte Deutung des Besitzverbots, die am weitesten geht. Unter „Geld" hat man die weltliche Wissenschaft, unter „Silber" die weltliche Beredsamkeit, unter der „Tasche" die ängstliche Sorge und unter den „Schuhen" die Neigung zum Irdischen zu verstehen. Das Verbot ist also im übertragenen Sinn zu interpretieren und darum entschärft136. Die drei Erklärungsweisen werden einfach angeführt, ohne daß gesagt würde, welcher der Vorzug gebührt, doch läßt der Umstand, daß die „freieste" an letzter Stelle steht, wohl die Präferenz durchschimmern. Die Bischöfe werden in dieser Perikope zwar nur am Anfang in die Exegese einbezogen, doch sieht es so aus, als bildete ihr Verhältnis zum Besitz das eigentliche Problem, denn eine rigoros gedeutete Weisung an die Apostel hätte den Schluß provozieren müssen, daß auch deren Nachfolger zur strikten Observanz verpflichtet sind. In jedem Fall entspricht die hier verhandelte ekklesiologische Implikation genau der Situation von De perfectione, die für eine frühere Zeit etwa während des ersten Pariser Aufenthalts oder bald danach so nicht zu belegen ist. -

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Super Evangelium S. Matthaei lectura, ed. R. Cai, Turin 1951, nr. 821, 130. Nr. 822 u. 825, 130f. Nr. 826, 131. Wer die Deutung vertritt, wird hier nicht gesagt, wohl aber S Th II-II 185, 6 ad 2, wo sie an erster Stelle steht und wo Hieronymus genannt wird. Vgl. In Matthaeum,

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1. I, PL 26, 65BC.

Wichtige Aufschlüsse sind von den Worten an den reichen Jüngling zu erwarten, die uns an allen entscheidenden Punkten begegnet sind. Auch jetzt betont Thomas, daß das „wenn du vollkommen sein willst... einen Anfang meint, insofern man, des Besitzes ledig, leichter Himmlisches beschauen kann. Entscheidend ist folglich nicht das „Verkaufen", sondern das „Nachfolgen", so wie die klösterlichen Übungen als Instrumente der Vollkommenheit gelten137. Die Gottesliebe allein ist die perfectio, während der Verzicht nur der Weg zu ihr ist138. "

Da sich der Mensch fast immer durch das Irdische affizieren läßt, stellt die Distanzierung von ihm das wirksamste Mittel dar, Fortschritte im Wesentlichen zu machen. Hier liegt die Aufgabe des Standes der Vollkomenheit139. Damit ist das Stichwort gefallen, um das, worum es Thomas an dieser Stelle eigentlich geht, näher zu umschreiben. Ein solcher Stand ist zweifach: einer der Prälaten und einer der Religiösen. Letzterer hat zum Ziel, die Vollkommenheit zu erwerben, während sie der Episkopat schon hat und an andere vermittelt. Schriftworte markieren die Unterschiede. Zu Petrus hat der Herr nicht gesagt „wenn du vollkommen sein willst. ", sondern „wenn du mich liebst, weide meine Schafe", während der den Religiösen aufgetragene Rat diese auffordert, zu ihrem Stand „zu kommen"140. Anders gesagt: Adressat der Worte an den Jüngling sind nicht zuerst die Bischöfe, die deshalb auch nicht direkt mit den Forderungen konfrontiert sind. Es mag auffallen, daß Thomas hier anders als in De perfectione den Episkopat nicht mit einer speziellen Rätetheologie begründet, sondern mit einem Auftrag zur Seelsorge. Ob er inzwischen von seinem einstigen Entwurf abgerückt ist? .

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Zu 19, 21, nr. 1592,244. Alia responsio est 57 vis perfectus esse, non quod statim sis perfectus, sed quoddam principium habebis perfectionis, quia exonerates istis, poteris facilius contemplari caelestia. Augustinus dicit, quod vigiliae et huiusmodi sunt instrumenta perfectionis, sed in hoc quod sequitur est perfectio: Et sequere me. Nr. 1593, 244. Unde dilectio Dei est perfectio, sed dimissio rerum est via ad perfectionem.

AaO. Ille ergo perfectus est in caritate, qui diligit Deum usque ad contemptum sui et suorum. Unde difficile et quasi impossibile est quod aliquis possideat divitias, quin eis alliciatur. Ideo nihil est, quod animum tarn liberum faciat sicut quod non occupetur circa divitias: et haec est via perfectionis. Unde aliud est esse perfectum et habere sta.

tum

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perfectionis.

Nr. 1594, 244. Status

perfectionis duplex est, praelatorum et religiosorum; sed aequiquia status religiosorum est ad acquirendum perfectionem. Unde isti dictum est: Si vis esse perfectus, et si vis ad perfectionis statum venire. Status autem praelationis non est ad acquirendum sibi, sed ad habitam communicandam, unde Dominus (Jo 21,17) dixit Petro: Petre, si diligis me, pasee oves meas; et non dixit: Si vis perfectus voce

,

esse.

79

Für unseren Zusammenhang ebenso bedeutsam ist, daß beide Stände scharf voneinander geschieden werden, wie ein aufschlußreicher Vergleich zeigt: Sie verhalten sich wie Schüler und Lehrer, denn wie der eine die Schule zu besuchen hat, so hat der andere zu „lesen" und vollkommen zu machen. Das schließt freilich ein, daß etwaige Unwissenheit dem Religiösen nicht so zuzurechnen wäre wie dem Prälaten, aber selbst unter der Voraussetzung, daß beide ihre Pflichten tun und ihres Amtes recht walten, lassen sie sich nicht eigentlich vergleichen. Sie bleiben Lehrer und Schüler. Und noch akzentuierter: Der Bischof ist prinzipiell in einem vollkommeneren Stand etiam si des Eliam vel quemcumque141. Ist es Zufall, daß Thomas nicht einmal „Elias" gelten lassen will? Verbirgt sich dahinter eine Anspielung, die damals sogleich verstanden wurde? Sollte tatsächlich der hl. Franz gemeint sein, wäre die Polemik gegen minoritische Kreise offenkundig. Wie dem auch sei, eines ist sicher: Der Episkopat nimmt in der Kirche eine Sonderstellung ein, der keine Konkurrenz, gleich welcher Herkunft und welchen Anspruchs, duldet. Ihm obliegt deshalb nicht die Pflicht, „alles zu verkaufen", denn dies ist lediglich via et praeambulum zur Vollkommenheit142. Erneut betont Thomas, daß das zu erstrebende Ziel die Nachahmung des Lebens Christi ist, und diese realisiert sich in Predigt, Lehre und Seelsorge143. Auch jetzt heißt es, daß die Zugehörigkeit zu einem Stand Feierlichkeit voraussetzt, in der man die dauerhafte Bindung an die Existenzweise besiegelt. Der Weltklerus, die Pfarrer und Leutpriester, können ihm daher nicht zugerechnet werden, denn ihr Amt fordert keine Beständigkeit, es kann jederzeit aufgegeben oder genommen werden144. -

141

142

AaO. Unde in statu perfectiori est praelatus, etiam si des Eliam vel quemcumque. Sollte sich hinter „Elias" eine Anspielung auf den hl. Franz verbergen? Vgl. J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, München 1959, 32-34. Zu Franz als Elias s. Franziskus. Engel des sechsten Siegels. Sein Leben nach den Schriften des heiligen Bonaventura. Einführung, Übersetzung, Anmerkungen von S. Ciasen (FQS 7), Werl 1962, 594 (Register). Nr. 1595,244. Sed est quaestio: Si praelatus est perfectus, nonne tenetur omnia venderé? Dico quod istud sequeretur, si in hoc quod est Vade, et vende omnia quae habes, esset perfectio; sed non est, sed est via et praeambulum ad acquirendum perfectionem; ideo non oportet quod vendat ea quae habet. Thomas fährt dann fort: Weil es aber für gewöhnlich schwer ist, mit Besitz vollkommen zu sein, soll dieser ab eo qui vend ad perfectionem abgelegt werden, also von dem, der in den Ordensstand eintreten möchte. Darauf: Unde si praelatus esset idoneus et curam bene ministraret, dico quod esset

perfectior.

143

Nr. 1598, 244. Et veni, sequere me. Hic est finis perfectionis. Et sequere me, id est imitare vitam Christi. Imitatio enim est In solllcltudlne praedlcandi, docendi, curam habendi. Petrus hat dies exemplarisch befolgt, als er „Boot und Netze" verließ und .

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nachfolgte (nr. 1607, 246).

144

80

Nr.

1596,244.

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Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Thomas deutet die Perikope so, daß der bischöfliche status perfectionis mit seinem hierarchischen Vorrang im Vordergrund steht. Sekundär geht es um eine Weisung Jesu für Religiösen, die sich auf einen besonderen Weg der Nachfolge begeben möchten und dabei dem Amt untergeordnet sind. Daß die Lectura genau die Pariser Situation um 1269 und danach widerspiegelt, dürfte unbestreitbar sein, wobei Das

offen bleibt, ob sie nicht noch näher

an

die Secunda Secundae

zu

rücken ist145.

5. Die Lectura super evangelium S. Iohannis

Wir wissen bereits, daß die loculi Jesu in der damaligen Diskussion eine große Rolle gespielt haben. Daß sie von beiden Parteien zur Rechtfertigung der jeweiligen Position herangezogen wurden, liegt in der Natur der Sache. Schon die Kontrahenten der ersten Phase des Pariser Mendikantenstreits haben von der Existenz des „Beutels" ausgiebig Gebrauch gemacht, wie wir bei Bonaventura sehen werden, der die in Kreisen der Minoriten klassisch gewordene Deutung formuliert hat. Auch Thomas war in Contra impugnantes auf die loculi eingegangen, doch fiel auf, daß er der Frage vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit schenkte. Mit der dem Herrn und seinen Jüngern gemeinsamen Kasse verbanden sich zwei Stichworte „Besitz" und „Geld". Jeder, der die biblischen Texte kommentierte, wußte, welche Implikationen sie hatten und mit welchen Konnotationen zu rechnen war. Das gilt namentlich für die Minoriten. In ihren Augen mußte Geld von vornherein suspekt sein. Auch wenn sich Thomas zum Problem eher beiläufig äußert, verdient seine Exegese der einschlägigen Stellen Beachtung, zumal ihm bewußt war, daß seine Auslegung nicht nur an der Universität aufmerksam gelesen werden würde. Daß der Kommentar zum Johannesevangelium während des zweiten Pariser Aufenthalts geschrieben wurde, gilt als sicher146. Die dem Judas anvertraute „Börse" enthielt die von den Gläubigen zum Gebrauch Jesu und der Armen gespendeten Almosen. Daraus folgen zwei Einsichten: Jesus lebte als Armer von milden Gaben, und der Umstand, daß diese in einem „Beutel" aufbewahrt wurden, mindert die Vollkommenheit nicht. Das Wort „seid nicht besorgt um den morgigen Tag" (Mt 6,34) darf deshalb nicht so gedeutet werden, als sei das Aufbewahren untersagt, denn der Herr, das höchst vollkommene Alberts Kommentar zum ersten Evangelium bietet in unserer Sache nichts von Belang. Die ekklesiologische Thematik fehlt. Super Matthaeum, ed. B. Schmidt (Alberti Magni Opera Omnia, t. XXI, pp. I u. II), Münster 1987, 324-326,494^196. Vgl. /. T. Eschmann, A Catalogue (Anm. 81), 398.

81

Vorbild, hat es selbst getan 147. Oder positiv: Ein Vorrat ist erlaubt, wobei offen bleibt, ob für einen kurzen oder einen längeren Zeitraum und in welcher Menge. Daß der „Beutel" gerade einem „Dieb" übertragen wurde, hat direkt nichts mit der Anrüchigkeit des Geldes zu tun, vielmehr sollte gezeigt werden, daß die Kirche selbst Schlechte zu ertragen hat. Auch wollte Jesus ihm die Gelegenheit nehmen, des Heiles verlustig zu gehen, da der „Beutel" geeignet war, seine Begierde zu mäßigen. Und schließlich meinen manche Autoren, dies sei ein Beispiel dafür, daß Geistliches dem „Höheren", Irdisches den „Geringeren" anzuvertrauen ist148. An der zweiten Stelle (13,29) heißt es, daß Jesus einen „Beutel" hatte, nicht als besäße er Irdisches, sondern um die Gaben der Gläubigen aufzubewahren. So konnte er seinen Bedürfnissen und denen der Armen abhelfen. Mit Augustinus hat man darin ein Beispiel zu erblicken, daß die Kirche Geld haben und für Notlagen zurücklegen darf. Auch sollte uns so gezeigt werden, daß das Geld der Kirche nur in zwei Fällen auszugeben ist: für den Gottesdienst und für den Unterhalt der Armen149. Wie aber ist das mit der in einem Wort Jesu verbotenen Sorge für den kommenden Tag (Mt 6,34) zu vereinbaren? Wiederum mit Augustinus schreibt Thomas: Es wurde nicht untersagt, Geld und andere Dinge „eines Tages" aufzubewahren, vielmehr geht es um die Weisung, Seelsorge ohne Gewinnstreben im Blick auf die Zukunft zu betreiben. Oder auch: Aus Sorge für morgen darf man das heute zu Vollbringende nicht unterlassen. Oder: Die künftige Sorge soll man nicht auf heute vorverlegen, da nach Chrysostomus jeder Tag seine eigene „Bosheit" hat150. Das heißt Thomas hält Vorräte für erlaubt, doch vermeidet er wiederum, Fristen und Quantitäten zu erörtern. Und ein letzter Einwand. Widerspricht der „Beutel" nicht dem Befehl (Lk 10,4), auf dem Weg keine Habe mit sich zu führen? Daß der Herr ihn bei sich hatte, ist als Dienst für die Bedürftigen aufzufassen. Die Anordnung läßt sich ferner so verstehen, daß sie an einzelne Prediger oder Apostel gerichtet ist, die bei ihren Reisen ohne Besitz sein sollen, doch bezieht sie sich nicht auf das ganze collegium, die Kommunität. Das collegium muß etwas haben und zwar für seine Mitglieder und für die Armen151. Der Umstand, daß Thomas diese Interpretation aus der wohl die Situation eines Predigerkonvents spricht, an letzter Stelle bietet, -

,

147 148

149

C. 12, lect. I, nr. 1603f, 300. Nr. 1605, 300. Zu 13, 29, Lectio V, nr. 1819, 340.

150

AaO, nr. 1820,340.

151

AaO,

nr.

1821, 340. Vel dicendum quod hoc dicit Nihil tulerltls In via

etc.

referendum

singulares praedicatores et apostólos, qui nihil portare debent quando ad praedicandum vadunt. Non autem referendum est ad totum collegium, quod oportet aliquid habere et pro seipsis et pro egenis. est ad

82

legt es mehr als nahe, daß er sie sich zu eigen macht. Sie wäre dann ein biblisches Exempel für die in seinem Orden praktizierte Armut, die weder Geld noch Vorräte ausschließt.

6. Der Liber contra doctrinam retrahentium

a

religione

Im Opusculum Contra retrahentes findet sich die letzte Stellungnahme des hl. Thomas zum Armutsproblem in einem unmittelbar durch die Polemik gegen die Mendikanten bestimmten Kontext. Die Tatsache, daß ihn die durch Gerhard von Abbeville aufgeworfene Frage nach dem Ordenseintritt Jugendlicher veranlaßt hat, den Gegenstand mehrfach zu behandeln und sogar über ihn zu predigen, bezeugt zur Genüge, welchen Rang er ihm beigemessen hat152. Allem Anschein nach ging es dem Aquinaten hier direkter als in De perfectione nicht nur um die Sache der neuen Orden, sondern auch um die eigene Person und die Erinnerungen an die Jugendzeit in Montecassino sowie um den Entschluß, sich in Neapel den Predigerbrüdern gegen den Widerstand der Familie anzuschließen153. Es ist mehr als eine Vermutung, wenn man, gestützt auf Texte unseres Opusculums, sagt, daß dieser Schritt nicht zuletzt durch den Wunsch motiviert war, dem Herrn in Armut nachzufolgen. Sollte sich unsere Deutung bestätigen Sprache und wären dafür dann nicht und Wissenschaft nur Predigt -, Argumentation sprechen die Ideale des Studenten gewesen, sondern auch die paupertas evangélica, der er sich verschreiben wollte154. Daß Thomas dieses Verlangens anläßlich der speziellen Kontroverse erneut inne wurde und eine Schrift im Geist der -

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Zum historischen Kontext s. die Einleitung zur Edition (Anm. 59), C6f. Die Quaestio duplex Gerhards von Abbeville wurde von S. Ciasen ediert: Die „duplex quaestio" des Gerhard von Abbeville über den Ordenseintritt Jugendlicher, in: Ant. 22(1947)177-200 (Text: 194-200). Thomas hat darauf Quodlibet III, q. 5, aa. 1 u. 2 Ostern 1270 geantwortet. In der Fastenzeit 1271 folgten De ingressu puerorum (Quodlibet IV, q. 12, aa. 1 u. 2) sowie der Sermo in Sexagésima, ed. Th. Käppeli, Una raccolta di prediche attribute a S. Tommaso d'Aquino, in: AFP 13(1943)75-88. A. Sanchis, Escritos espirituales (Anm. 117), 309-314 zeigt, daß De ingressu puerorum vor Contra retrahentes liegt. Das würde heißen, daß unser Opusculum verfaßt wurde „peut-être dès Pâques 1271, ou pas plus tard que les vacances 1271" (Einleitung C7). Thomas hat abschließend S Th II- II 189 darüber gehandelt. Zu seinem Aufenthalt in Montecassino und zu seiner rechtlichen Stellung als Oblat s. D. T. Leccisotti, S. Tommaso d'Aquino e Montecassino (MCass 32), Badia di Montecassino 1965. Der präzisen Charakterisierung dieses persönlichen Aspekts der Armutsfrage, wie sie H.-F. Dondaine (C8, 3) bietet, ist nichts hinzuzufügen. -

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Erinnerung verfaßte, erklärt wohl am ehesten die zwischen ihr und den vorhin gewürdigten Äußerungen zu konstatierenden Spannungen. Worin sie genauer bestehen und welches Gewicht sie haben, läßt sich verhältnismäßig leicht sagen, liest man sie auf dem Hintergrund der in De perfectione und in den beiden Schriftkommentaren vorgelegten Thesen, die in sich kohärent sind. Schwieriger wird es möglicherweise sein, die Differenzen zu interpretieren und die Entwicklung zur Secunda Secundae verständlich zu machen, die nur wenig später abgefaßt wurde. Contra retrahentes beginnt mit Aussagen über die Armut, die die rechte Einstellung zu den Dingen der Welt geben sollen. So ist Christus Mensch geworden, um durch Wort und Tat Verachtung des Zeitlichen vorzuleben und den Weg zur Vollkommenheit zu zeigen, den seine Jünger, mit Nahrung und Kleidung zufrieden, gegangen sind155. Thomas möchte, wie es scheint, von vornherein den Angriff auf die Lebensweise der Mendikanten so präsentieren, daß er in Wahrheit auf das Evangelium selbst zielt. Das erweist sich, beachtet man den genauen Fragepunkt, leichter als sonst, denn es geht vor allem um die „gemeinsamen Güter", die, den gegnerischen Einwänden zufolge, Jesus und seine Jünger gehabt haben sollen. Wie die im Verlauf der Antwort gemachten Präzisierungen verraten, handelt es sich dabei nicht um irgendwelchen bescheidenen „Besitz", sondern um einen solchen, der geeignet ist, feste Erträge abzuwerfen. Thomas nimmt nun, ehe er auf das Problem bei Jesus, den Jüngern und der Kirche zu sprechen kommt, die Gelegenheit wahr, sich in einem vergleichsweise langen Kapitel über die gänzliche Armut des Herrn zu äußern. Das Leben Jesu in Beispiel und Wort bezeugt eindringlich, daß die Polemik Gerhards von Abbeville gegen die Mendikanten dem Evangelium selbst zuwiderläuft. Daß der Herr sich eine arme Mutter erwählte und daß er in einem fremden Haus geboren wurde, sagt mehr als viele Beweise, daß die Preisgabe des Irdischen aufs tiefste mit wahrem Christsein verbunden ist, also nicht nur mit der Existenz der Religiösen156. Die Geschichte vom Steuerzahlen (Mt 17,24-27) etwa belegt, daß er nichts bei sich hatte. Der Einwand, Judas habe die Kasse verwaltet, verfängt nicht, denn das in ihr aufbewahrte Geld durfte nur für die Armen verwendet werden157. (Von den Differenzierungen, die Thomas im Johanneskommentar vorgetragen hatte, hören Contra retrahentes, c. I, C39. Contra retrahentes, c. 15, C68. Haec autem paupertas ad perfectionem pertinet quam Dominus et verbo docuit, et per opera demonstravit. Pertinet igitur ad perfectionem christianae vitae terrenis possessionibus omnino carere. Contra retrahentes, c. 15, C68f. Thomas antwortet auf den Einwand nur mit einem Hieronymuszitat (In Matthaeum, PL 26, 127D-128A): Respondebimus rem pauperum in usus suos convertere nefas putavit, nobisque idem exemplum reliquit. 84

wir bezeichnenderweise nichts). Ein Zweifel an der durch den Herrn vorgelebten höchsten Vollkommenheit ist folglich nicht möglich. In der Forderung an den reichen Jüngling, alles zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben und ihm nachzugehen, hat man die summa perfectionis zu sehen. Wiederum: Auf dem sequere me als dem eigentlichen Ziel der Weisung liegt kein Nachdruck. Die Distinktionen, wie wir sie andernorts kennengelernt haben, fehlen. Der Hinweis darauf, daß die Armut nur Weg und Werkzeug ist, bleibt ebenfalls unerwähnt, desgleichen etwaige ekklesiologische Implikationen in bezug auf die Bischöfe als

Apostelnachfolger158. Die völlige Entäußerung des Herrn gelangt in der Passion zu ihrem Höhepunkt. Absolute Armut und Nacktheit sind die sichtbaren Zeichen eines totalen Verzichts. In freiwilliger Armut folgen Menschen dieser Entblößung vor allem dann nach, wenn sie der aus Besitzungen resultierenden Einkünfte entbehren159. Wohl mit Bedacht hat Thomas Begriffe (possessionum redditus) gewählt, die sich in den Konstitutionen seines Ordens finden. Oder allgemeiner: Gemeint sind Religiösen, die in Gemeinschaft leben, aber keine materielle Sicherung haben, die ihnen einen regelmäßigen Unterhalt gewährte, wobei die Weise, wie sie das für ihre Existenz Nötige erwerben, nicht erörtert wird. Aus der in der Passion des Herrn offenbar gewordenen Erniedrigung folgert Thomas, daß diejenigen, die meinen, irdischer Besitz gehöre zur Vollkommenheit, in Wahrheit als „Feinde des Kreuzes Christi" zu gelten haben. Das Urteil über Gerhard von Abbeville und seine Pariser Gefolgsleute kann nicht schärfer formuliert werden, woraus wiederum erhellt, für wie gefährlich die Mendikanten den Angriff auf ihre im Evangelium und in der Christologie grundgelegte Konzeption gehalten haben. Was sich an allen Phasen des Lebens Jesu ablesen läßt, findet seine Bestätigung in der Seligpreisung der Armen im Geiste. Christus selbst hat dies vorbildlich realisiert, denn nirgendwo heißt es von ihm, er habe Besitz (possessiones) gehabt. Die Armut derer, die ebenfalls auf ihn verzichten, muß deshalb eine Mehrung der Seligkeit sein160. Contra retrahentes, c. 15, C69. Haec est igitur summa paupertatis perfectio, ut ad exemplum Christi aliqui homines possessionibus careant. Contra retrahentes, c. 15, C69. Hanc autem crucis nuditatem per voluntariam paupertaten homines sequuntur, et praecipue qui possessionum redditibus carent. Dem Motiv, dem gänzlich entblößten Herrn nachzufolgen, wird bei Bonaventura größte Bedeutung zukommen. Zum Thema s. J. Chätillon, Nudum Christum nudus sequere. Note sur les origines et la signification du thème de la nudité spirituelle dans les écrits de Saint Bonaventure, in: S. Bonaventura 1274-1974, Bd. IV, Grottaferrata 1974, 719-772. Contra retrahentes, c. 15, C69. Die Seligpreisung der Armen im Geist ist nach einem Zitat aus Ambrosius die erste der Ordnung nach, sie ist: parens quaedam generatrixque virtutum. .

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Sprache und christologische Argumentation geben eindringlich zu erkennen, daß es Thomas in dieser Kontroverse nicht zuerst um die Legitimierung eines bestimmten Ordensideals ging, sondern um wesentliche Positionen des Evangeliums selbst, in deren Mitte die corporis nuditas Christi steht, die ihn auch in seiner persönlichen Frömmigkeit ergriffen haben muß, als er sich in seiner Jugend in Neapel der Armutsbewegung angeschlossen hat. Freilich weiß er spätestens seit De perfectione, daß die eigentlichen Schwierigkeiten sachlicher und historischer Art nicht so sehr hier als in der apostolischen Zeit und später liegen, auch wenn nicht übersehen werden soll, daß er die exegetischen Probleme in den früheren Schriften schärfer gesehen und entsprechende Konsequenzen aus ihnen gezogen hat. Wie wurden Vorbildlichkeit und Weisungen des Herrn nach Ostern und in der Geschichte der Kirche verwirklicht? Bei der Aussendung der Apostel gebot er ihnen, nichts bei sich zu tragen (Mt 10,9). Wie Thomas die Stelle in der Lectura gedeutet hat und mit welchen Möglichkeiten er dort rechnet, haben wir gesehen. Hier fällt auf, daß er zunächst andere Vätertexte zitiert, die eine strengere Auffassung zu favorisieren scheinen und keine Zugeständnisse machen. Von einer geistlich zu verstehenden Auslegung ist keine Rede, das Wort behält seinen buchstäblichen Sinn. Gleichwohl liegt der Nachdruck auf dem letzten Teil. Hätten die Apostel, heißt es, Besitz angenommen, wäre der Verdacht, sie predigten um des Gewinnes willen, viel größer gewesen, als wenn sie Gold und Silber zu eigen gehabt hätten, wobei unter „Besitz" Äcker und Weinberge zu fassen sind. Die mit Grundstücken verbundenen Sorgen und administrativen Aufgaben hätten sie weit mehr beansprucht als bewegliche Güter161. Daß diese Erläuterungen für das konkrete Armutsverständnis wichtig sind, bedarf keiner Worte. In erster Linie betrifft das Besitzrecht demnach Immobilien, näherhin Grundstücke, die kontinuierlich gepflegt werden müssen und deshalb mehr belasten als bona mobilia. Thomas fährt deshalb fort: Offensichtlich soll in den vorhin genannten Vätertexten gesagt sein, daß den Aposteln verboten wurde, Immobilien zu besitzen162. Und im Blick auf die aktuelle Kontroverse: Nur ein Häretiker kann behaupten, daß die ursprünglich vom Herrn den Jüngern gegebene Unterweisung die evangelische Vollkommenheit beeinträchtige. Und weiter: Alle, die die These vertreten, der Verzicht auf gemeinsame Besitzungen sei eine 161

162

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c. 15, C69f. Manifestem est autem quod si apostoli possessionem suscepissent, non minus, sed multo magis suspecti fuissent quod propter quaestum praedicarent, quam si aurum vel argentum possiderent. Multo etiam maiori sollicitudine circa agrorum culturam occuparentur; multoque maius est saeculare adminiculum ex agris vel vineis possessis, quam si bona mobilia habeantur (C70). Contra retrahentes, c. 15, C70. Manifestem est igitur secundum expositiones praemissas apostolis interdictum fuisse ne agros, vel vineas, vel alia huiusmodi bona immobilia possiderent.

Contra retrahentes,

geringere Stufe

der Vollkommenheit, lügen in bezug auf die Glaubenslehre163. Das aber bedeutet: Den Mendikanten muß es gestattet sein entsprechend dem an die Apostel ergangenen Befehl -, ihre Lebensweise unter Verzicht auf Immobilien der genannten Art zu praktzieren, auch wenn dies, wie der Widerstand namhafter kirchlicher Kreise verrät, als provozierende Neuheit verstanden wird. Die Preisgabe der possessiones communes mit ihren regelmäßigen Einkünften ist prinzipiell die Realisierung der vom Herrn vorgelebten und den Jüngern aufgetragenen Armut, da so alle materiellen Sicherungen hinfällig werden. Diese stehen einer authentischen apostolischen Nachfolge im Wege. Wer sich solcher Garantien freiwillig begibt, dem bleibt allein der tägliche victus übrig, den sich der Religiose, wie wir andernorts gehört haben, durch Seelsorge und Bettel zu verschaffen hat. Wie ist nun die eindeutige Anordnung des Herrn von den Aposteln in die Tat umgesetzt worden? Daß Thomas der Frage erhebliches Gewicht beimißt, zeigt der Umstand, daß er ein uns bekanntes Augustinuswort zitiert, demzufolge auch das Verhalten der Gerechten eine Auslegungsregel darstellt164. Mittels dieses Gedanken und des Verweises auf die kirchliche Praxis hatte er seinerzeit den Besitz der Bischöfe zu legitimieren versucht. Die Schrift bezeugt (Lk 22,35), daß die Apostel nichts Zeitliches besessen haben und daß sie bei ihrer Mission vor der Passion nichts bei sich trugen. Aber besagt nicht die Fortsetzung des Zitats (36), daß später der Befehl gemildert wurde? Das ist angesichts der drohenden Verfolgung einzuräumen, doch eben nur in dieser außerordentlichen Situation, wo sie das Nötige mit sich nehmen durften. Die Konzession bestätigt also indirekt, daß die ursprünglich strenge Anordnung den Verzicht auf den gesamten irdischen Besitz meint165. Situationsbedingte Ausnahmen setzen ein Gebot nicht außer Kraft, sie unterstreichen vielmehr dessen Verbindlichkeit. Daß die Apostel nach Ostern Jesu Worte befolgten und weitergaben, wissen wir aus der Apostelgeschichte (4,32). Was die Urgemeinde zum Leben brauchte, hatte sie gemeinsam, nachdem sie Äcker und Weinberge verkauft und auf Besitztümer verzichtet hatte166. Ließ sich der so beschriebene Zustand durchhalten? Thomas weiß, daß die Geschichte ihn in mancher Hinsicht überholt hat167. Papsttexte aus dem -

Contra retrahentes,

c.

15, C70. Mentiuntur ergo in doctrina fidei, dicentes minoris esse

perfectionis eos qui communibus possessionibus carent. Contra retrahentes, c. 15, C70. Vgl. Augustinus, De mendacio, c. 15, nr. 26, PL 40, 506. Contra retrahentes, c. 15, C70. Ex quo etiam apparet ad rigorem evangelicae disciplinae pertinere, quod aliquis careat omni possessione terrena. Contra retrahentes, c. 15, C70f. Ex quo patet hanc esse evangelicae vitae observantiam ab apostolis observatam, ut ea quae ad nécessitaient vitae pertinent, possideantur communiter, possessionibus omnino abdicatis. Thomas zitiert an solchen Stellen mit Vorliebe Papsttexte. 87

Kirchenrecht scheinen zu belegen, daß es im Laufe der Zeit, einsetzend mit Konstantin, zu einer tiefgreifenden Veränderung der kirchlichen Vermögensverhältnisse kam, aus der die Einsicht resultierte, es sei besser, Gemeinbesitz zu haben als bewegliche Güter für den Unterhalt168. Auch hat die Urkirche die Grundstücke nicht verkauft, weil das angemessener gewesen wäre, sondern weil man vorausgesehen hat, daß die Kirche unter den Juden nicht von langer Dauer sein würde169. Thomas erkennt also an, daß die historische Entwicklung tatsächlich diese Wege gegangen ist, meint aber, zwischen ihr und dem vorhin Dargelegten bestehe kein eigentlicher Widerspruch, wenn man die Texte richtig interpretiere. Die Urkirche befand sich in all ihren Gliedern in einem so vollendeten Zustand, wie er später „kaum" bei den Vollkommenen gefunden werden sollte. Diesem Status entsprachen die Apostel, als sie eine ihm angemessene Lebensordnung verfügten. Nach Hieronymus waren die Gläubigen damals so, wie die Mönche heute sein möchten. Keiner hatte etwas zu eigen, niemand war reich oder arm, und alle oblagen dem Gebet, der Lehre und der Enthaltsamkeit. Diese Harmonie gab es auch in Ägypten unter dem Evangelisten Markus170. Eine einschneidende Änderung trat allerdings ein, als viele in die Kirche aufgenommen wurden, die dem ursprünglichen Ideal nicht mehr gerecht wurden. Jetzt hielten es die Bischöfe für geraten, die Kirche mit Grundbesitz und zwar als Konzession an die Schwächeren, die außerstande auszustatten waren, die alten Forderungen zu realisieren171. Der Übergang zum kirchlichen Gemeinbesitz ist also nach Thomas auf ein Nachlassen der urchristlichen Frömmigkeit zurückzuführen, die sich in der aus Heidenchristen zusammengesetzten Großkirche nicht mehr verwirklichen ließ. Der daraus resultierende Zustand deckt sich folglich nicht mehr mit der Lehre Jesu und der apostolischen Praxis, er hat jedoch die Approbation seitens der Bischöfe gefunden. Ein gewisser „Bruch" mit der frühen Lebensweise ist demnach nicht zu bestreiten. -

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Gerhard von Abbeville zitiert ebenfalls zwei von Thomas angeführte Texte: Quodlibet V, q. 6, ed. cit. (Anm. 59), 149 u. 157. Contra retrahentes, c. 15, C71. Contra retrahentes, c. 15, C71. Sed si quis recte consideret, haec praemissis non contrariantur. Ecclesia enim in sui primordio in omnibus suis membris talis fuit, qualis postmodum vix apud perfectos quoscumque invenitur. Sicut enim natura, sic et gratia debuit a perfectis initium sumere; et ideo apostoli secundum illum statum fidelium vitam ordinaverunt perfectioni convenientem. Contra retrahentes, c. 15, C71. Processu vero temporis, multi in Ecclesia erant intraturi Quod postquam contigit, utile iudicaverunt qui ab hac perfectione deficerent. ecclesiarum praelati ut praedia et agri ecclesiis conferrentur, non propter perfectiores quosque, sed propter infirmiores qui ad primorum fidelium perfectionem pertingere non valerent. .

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Die neue Vermögenssituation ist so von der Schrift nicht vorausgesehen worden. Einen harmonischen Übergang von der einen Armutskonzeption zur anderen gibt es also nicht. Thomas reflektiert diesen Sachverhalt hier nicht weiter, wohl weil er meint, das Augustinuszitat reiche zur Erklärung aus. Ein gleich zu erörternder Gedanke wird allerdings zeigen, daß er sich der Probleme durchaus bewußt war. Daß er sie mit erstaunlicher Klarheit gesehen hat, wissen wir aus De perfectione und der Lectura zum Mathäusevangelium, wo er sich, um jenen „Bruch" in der Entwicklung zu vermeiden, bemüht hatte, die spätere Praxis in der Schrift grundzulegen. Daß er dies hier nicht tut, hängt gewiß mit dem speziellen Kontext von Contra retrahentes und der verschärften polemischen Situation in Paris zusammen. Er sieht sich nun stärker als einige Monate zuvor genötigt, die Strenge des apostolischen Ideals zu wahren, um den Opponenten die Basis für den Widerspruch zu entziehen. Gleichwohl verschweigt er die Probleme nicht. Daß nach dem Entstehen der Großkirche die ursprüngliche Lebensform nicht gänzlich in Vergessenheit geraten ist und und eine gewisse Kontinuität erhalten blieb, bezeugen Gemeinschaften ohne Gemeinbesitz. So etwa zahlreiche Mönchskommunitäten in Ägypten. Auch haben die lateinischen Kirchenväter an der alten Armutsidee festgehalten und sie nachdrücklich verteidigt, so daß der Kontakt zur Urkirche nie gänzlich abgerissen ist172. Daß Thomas solche Gedanken zur Diskussion stellt, geschieht nicht zufällig, sondern, wie man im Blick auf Bonaventuras Konzeption wohl sagen muß, mit Bedacht, um gewissen Geschichtsspekulationen den Boden zu entziehen. In den Antworten auf die Einwände sind interessante Präzisierungen zu erwarten. Wenn man behauptet, Gemeinbesitz der vorauszusetzenden Art sei notwendig, so trifft das in der Tat für jene zu, die zur höchsten Vollkommenheit nicht fähig sind. Den Schwachen mußten angemessene Konzessionen gemacht werden. Daraus folgt jedoch: Gibt es Gemeinschaften, in der alle Glieder nach der größeren Vollkommenheit streben, bedarf es dieser Besitzform nicht. Das wiederum heißt: Die Mendikanten dürfen sich für geeignet halten, das ursprüngliche Ideal zu realisieren. Daß der hl. Benedikt umfangreiche Schenkungen angenommen hat, widerspricht dem Gesagten nicht, weil es zeigt, daß Gemeinbesitz nicht „gänzlich" die monastische Vollkommenheit, wie sie in Geschichte und Gegenwart praktiziert wurde, ausschließt173. Dies und die folgende Bemerkung lassen es als möglich erscheinen, daß wir hier eine persönliche Distanzierung von der eigenen Vergangenheit vor uns haben. Wahrscheinlich spielt Thomas auf die 172

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Contra retrahentes, c. 15, C71f. Contra retrahentes, c. 16, ad 1, C73. Unde si quae sit congregado in qua omnes ad maiorem perfectionem tendant, expedit eis communes possessiones non habere. 89

Benediktregel an174. Der Umstand verdient Aufmerksamkeit, da er erneut belegt, wie er in seinem Urteil über das Mönchtum schwankt. In der Secunda Secundae wird er es revidieren. Im übrigen kann man Benedikt nicht gegen die Mendikanten ausspielen, denn er sagt selbst, er habe die Strenge monastischen Lebens gemildert, um sie den Schwächen der damaligen Mönche anzupassen175. Dasselbe gilt für die durch Papst Gregor in demselben Geist erbauten Klöster. Das will sagen: Das abendländische Mönchtum, das sich auf Grundbesitz und darum auf weniger strenge Realisierungsformen des ursprünglichen Ideals stützt, erweist sich als ungeeignet, den Angriff auf die neuen Orden zu legitimieren. Diese befinden sich vielmehr in Kontinuität zu anderen gemeinschaftlichen Existenzweisen. Der Einwand, der Herr habe zur Zeit der Verfolgung den Aposteln erlaubt, Beutel und Sack mitzunehmen, fällt auf seine Urheber zurück, denn eine gelegentliche Milderung der Strenge bestätigt, daß vorher anderes in Geltung war. Auch heißt es nirgendwo, sie hätten in der Zwischenzeit Gemeinbesitz erworben176. Von erheblichem Gewicht ist die Antwort auf das Argument, Christus habe nicht einen Orden ohne Besitz eingesetzt, sondern die Ordnung der Prälaten, die diesen haben. Den ersten Teil des Einwurfs qualifiziert Thomas schlicht als Lüge, denn aus dem Befehl an die Jünger, weder Geld noch Grundstücke zu haben, ergibt sich, daß die, die der Weisung nachkommen, einem Auftrag des Herrn entsprechen. Wer ihm folgt, hält sich daher nicht an die Ordensstifter, sondern an Christus und die Schrift. Was den zweiten Teil anbelangt, handelt es sich um einen Trugschluß, der von einem Akzidenz auf das Wesen schließt (fallada accidentis). Richtig ist, daß Christus die Ordnung der Bischöfe und der anderen Kleriker, die Gemein- und Eigenbesitz haben, eingesetzt hat, aber eben dies hat er in ihnen nicht grundgelegt, er hat nämlich „eher" ihre Ordnung in vollkommener Armut konstituiert, wie sich aus dem Gesagten ergibt. So war es am Anfang, aber im Verlauf der Zeit hat man in der Kirche den Gemeinbesitz dispensative akzeptiert177. Das heißt: Gemäß der ursprünglichen Intention sollte das kirchliche Amt so geartet sein wie zur Zeit der Apostel und der frühen Kirche bis zu Konstantin, doch dann lief die Geschichte in Contra retrahentes, c. 16, ad 2, C73... hoc sufficit ad ostendendum quod communes possessiones non totaliter monasticam perfectionem excludunt. Vgl. Prol. 46f, ed. F. Garcia M. Colombas, La Regla de San Benito, Madrid 1979, 70f. Contra retrahentes, c. 16, ad 2, C73. Contra retrahentes, c. 16, ad 3, C73. Contra retrahentes, c. 16, ad 4, C73. Instituit enim Christus episcoporum ordinem et aliorum clericorum, qui possessiones communes habent vel proprias; sed hoc Christus in eis non instituit, sed magis instituit eorum ordinem in perfecta paupertate. Postmodum vero dispensative sunt in Ecclesia communes possessiones acceptae propter rationem praedictam. .

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eine andere Richtung, die durch Zugeständnisse an menschliche Schwäche charakterisiert ist, die aber insofern legitimiert wurde, als die Kirche von der Strenge des Evangeliums dispensierte, weil sie sich außerstande sah, ohne Grundbesitz und ohne regelmäßige Einkünfte ihre Mission zu erfüllen. Daß man in dieser Situation so verfügte, deckt sich offenbar nicht unmittelbar mit dem Stiftungswillen des Herrn, in dessen Absicht „eher" (magis) die perfecta paupertas lag. Wie die vorsichtige Formulierung verrät, ist sich Thomas auch hier der Konsequenzen seiner Argumentation bewußt gewesen. Das „eher" sollte wohl dem Schluß wehren, es handele sich um einen wirklichen Bruch in der Tradition. Wie sehr er daraus resultierende Gefahren vor Augen gehabt hat, wissen wir bereits, denn namentlich in De perfectione war es ihm gerade um den Nachweis gegangen, daß die Praxis der Kirche den Intentionen des Stifters entspricht. Während er dort unter exegetischen und systematischen Aspekten bemüht war, zu zeigen, daß der Übergang von den Aposteln zu den Bischöfen nahtlos und in Übereinstimmung mit den Anordnungen Jesu erfolgt war, ist man geneigt, in Contra retrahentes eher eine gewisse Diskontinuität anzunehmen. Der Wandel in der Armutskonzeption vollzieht sich jetzt in einer relativ späten Phase und ohne direkten Bezug zur Schrift, der freilich insofern gewahrt werden soll, als Leben und Verhalten der Heiligen eine Interpretationshilfe darstellen und die dispensado folglich legitimiert ist. Noch auffallender mag sein, daß die ungefähr zur selben Zeit von Thomas in der Prima Secundae (108,2) vorgelegte „große Lösung" in Contra retrahentes keine Erwähnung findet, so daß man sich nur schwer des Eindrucks erwehren kann, er sei vor seiner eigenen Kühnheit

zurückgeschreckt. Wie sehr den Aquinaten das Problem eines möglichen Traditionsbruchs beschäftig hat, geht auch aus der folgenden Überlegung hervor. Hat das Ideal der christlichen Vollkommenheit seit den nachapostolischen Zeiten bis heute „geschlafen"? Wie die Beispiele eines solchen Lebens in Ägypten und anderen Regionen illustrieren, entbehrt der Einwand der historischen Begründung. Tatsächlich hat sich die evangelische Praxis, wenngleich vereinzelt, in sämtlichen Epochen durchgehalten, so daß der Kontakt mit den Ursprüngen niemals völlig abgerissen ist. Konzediert wird, daß es verschiedene Phasen der Intensität gab, denn niemand kann Gott vorschreiben, wie, wo und wann er die Menschen an sich ziehen möchte, vielmehr hat er in den einzelnen Zeitaltern die jeweils angemessenen Hilfen gewährt. Er verbürgt sich also auch für das, was in der Kirche aus zwingenden Gründen einmal dispensadve geschah. Wer möchte etwa sagen, fährt Thomas fort, die Theologie habe seit den Tagen der Väter „geschlafen", nur weil sich heute die Menschen „mehr" in dieser Disziplin üben? Nähme man das an, wäre es unerlaubt, den Martyrertod zu sterben und Wunder zu wirken, nur weil es 91

solche außergewöhnlichen Dinge nicht gegeben hat178. Anders realisiert seine Absichten in der Kirche auf je neue Weise und paßt Gott gesagt: sie dem Zustand der Menschen und der Kirche an, wobei man mit Schwankungen und Unterbrechungen durchaus zu rechnen hat. Niemand braucht es zu verwundern, daß die Mendikanten jetzt das durch historische Wechselfälle verschüttete Ideal der evangelischen Vollkommenheit erneut zu realisieren trachten, so wie auch die Theologie im Begriff steht, an die großen Vorbilder der Patristik anzuknüpfen. Daß zwischen De perfectione und den Schriftkommentaren auf der einen von der Prima Secundae ganz abgesehen und Contra retrahentes auf der anderen Seite Differenzen und Unstimmigkeiten bestehen, haben wir mehrmals zu vermerken Gelegenheit gehabt. Lassen sie sich durch die unterschiedlichen Situationen verständlich machen, in denen die beiden Opuscula entstanden sind? In beiden Fällen handelt es sich um ein und denselben Widersacher. Auch gestattet die Chronologie nicht, eine gedankliche Entwicklung in Erwägung zu ziehen, zumal die wenig später abgeschlossene Secunda Secundae sich deutlich von Contra retrahentes distanziert. Daß ekklesiologische Kernfragen, die ehedem Thomas vor Augen geführt hatten, was bei der Armut auf dem Spiel steht, hier nur beiläufig behandelt werden, mag zur Erklärung einiges beitragen, ist aber nicht entscheidend, da eine Reihe von markanten Aussagen vorliegt, die eine solche Deutung eher rätselhafter machen, wie im einzelnen dargelegt wurde. Am einsichtigsten dürfte es sein, persönliche Motive heranzuziehen, die Erinnerung an die Jugend, den Ordenseintritt, der vermutlich durch den Wunsch, dem Christus pauper buchstäblich nachzufolgen, stärker bestimmt war, als man für gewöhnlich meint. In jedem Fall bleibt Contra retrahentes auch ein Dokument, das vom Ringen eines Theologen um einen Ausgleich zwischen evangelischer Armut und kirchlicher Wirklichkeit Zeugnis ablegt, denn die problematische Größe ist wenigstens hier nicht so sehr der Anspruch des Evangeliums als das Auf und Ab seiner Geschichte.

eine

Zeitlang

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Contra retrahentes, c. 16, C73f.

III. Kapitel : Die Synthese der Summa Theologiae

1. Die Lehre

von

den Ständen

dem Thomas in der Summa contra Gentes die verschiedenen historischen Formen der Ordensarmut behandelt, und die Art, wie er es tut, lassen nicht erkennen, welche ekklesiologischen Konsequenzen sie möglicherweise hat oder welche schon gezogen worden sind. Er erörtert die Probleme, ohne auf die noch nicht lange zurückliegenden Kontroversen einzugehen. Sie sind allenfalls indirekt zu erschließen. Gewiß zielt seine Argumentation auf das von seinem Orden in Anspruch genommene Ideal, doch geschieht das gleichsam zeitlos, insofern äußere und innere Bedingungen einer Lebensform beschrieben werden, gleichgültig, ob sie historisch existiert oder nicht. Wie die sich so zu realisierende evangelische Vollkommenheit zu anderen Ständen etwa zu dem der Bischöfe verhält, wird nicht gesagt. Dasselbe triff für die dem Weihesakrament gewidmeten Kapitel zu, in denen sich keine Hinweise auf die später so lebhaft diskutierten Themen finden179. Dieser Umstand unterstreicht den mit De perfectione in Erscheinung getretenen Wandel. Thomas hat die Einwände und Vorhaltungen gewisser Mendikantenkreise so ernst genommen, daß er sich genötigt sah, den Episkopat im Rahmen einer neu konzipierten Ständelehre zu begründen und dessen Sonderstellung zu sichern. Die Tatsache, daß privater und gemeinsamer Besitz mit ihm seit dem Altertum verbunden war und daß die Prälaten einer wörtlich verstandenen apostolischen Nachfolge erklärtermaßen weder nachlebten noch aufgrund der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung nachleben konnten, machte dies in den Augen des Aquinaten erforderlich. Wie wirkungsvoll die Attacke Gerhards von Abbeville gewesen sein muß, zeigt sich womöglich noch deutlicher an der Mühe, die Thomas bei der näheren Entfaltung seiner Position hatte. Dafür sprechen auch gewisse Unausgeglichenheiten zwischen den beiden Opuscula, die wir vorhin erwähnt haben, und die dezidierte Stellungnahme, von der zu reden sein wird. Es liegt auf der Hand, daß ein seitens der Bischöfe zu realisierendes Leben secundum praeparationem animi ein spannungsgeladenes Verhältnis zwischen Besitz und Armut bedingt, das sich erst auflöst, wenn sie auf rigorose Weise ihre pastoralen Aufgaben wahrnehmen. Nur so können sie das culmen perfectionis erreichen, ohne dem Herrn in gänzlicher Armut nachzueifern. Der Ort,

an

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179

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ScG IV, 74-76.

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Dieses Prinzip sichert ihnen den höchsten Rang im Stand der Vollkommenheit. Daß es eher dem Geist als dem Buchstaben verpflichtet ist und eine dialektische Praxis gebietet, die deshalb nicht ein für allemal feststeht oder objektiv meßbar ist, macht das Ideal ebenso schwierig wie im Einzelfall kritisierbar. Auf den Nachweis, daß es durch das Neue Testament selbst gedeckt war, mußte es daher entscheidend ankommen. Ihm sollte die Exegese der beiden klassischen Perikopen aus dem Mathäusevangelium dienen. Daß die wichtigsten Thesen aus der Lectura in der Summa wiederkehren, zeigt nicht nur die enge chronologische Beziehung der beiden Werke zueinander, sondern auch die große sachliche Bedeutung, die Thomas der Bibelauslegung beimißt. Der Aquinate hat die unterschiedlichen Aspekte des Armutsproblems als Angehöriger des Predigerordens entwickelt, ohne je exklusiv für diesen zu argumentieren. Das entspricht seiner Art, eine Sache prinzipiell zu begründen, um ihr so breite Zustimmung zu sichern, aber auch der Notwendigkeit, den Gegnern von einer Basis her zu antworten, die das den Mendikanten Gemeinsame in den Vordergrund rücken sollte. Er konnte deshalb kein unmittelbares Interesse daran haben, diese Front aufzubrechen und sich auf direkte Auseinandersetzungen mit minoritischen Kreisen einzulassen. Gleichwohl läßt er keinen Zweifel daran aufkommen, daß er erhebliche Vorbehalte hat und darum Grundsätze favorisiert, die denkbare oder tatsächlich vorhandene ekklesiologische Fehlansätze vermeiden sollen, die nicht nur das Bettelordensideal diskreditierten, sondern auch an die Fundamente des apostolischen Amtes rührten. Die damit einhergehende Distanzierung, die bald nach seinem Tod zur Bildung von Schulen mit polemischen Akzenten führte, hat sich, noch ehe die Differenzen deutlich in den Blick treten, vorbereitet, als Thomas schon in den Anfängen die Gelübde und somit auch die Armut lediglich als Instrumente und Weg zur Vollkommenheit betrachtet hat. Daß dieses Prinzip wie kein anderes dazu beitragen würde, die Armutskonzeption der beiden Orden zu profilieren, woraus langanhaltende Gegnerschaft resultierte, hat er in jener frühen Phase gewiß nicht voraussehen können. Der werkzeugliche Charakter der Armut ist auch der Grund für das Fehlen einer Kasuistik, wie sie etwa in den Debatten um den Bücherbesitz kultiviert zu werden pflegte. In eine ähnliche Richtung weist, daß Thomas die juristische Distinktion zwischen Eigentum und Gebrauch nicht praktiziert. Nicht anders verhält es sich mit pecunia und denarius, um zwei typische Begriffe zu nennen. Daß das Haben und Aufbewahren von Geld eher indirekt behandelt wird, spricht eine deutliche Sprache. Das Schweigen über solche Details, die anderswo die Diskussion beherrschten, wäre dann sehr beredt und vielleicht Ausdruck des Wunsches, den bei aller Verschiedenheit der Auffassungen noch vorhandenen Konsens im Lager der Mendikanten nicht zu gefährden. Daß Thomas dies alles übergeht, deutet gewiß auch eine Distanzierung von anderen Entwürfen an, die in seinem letzten Werk recht klare Züge annehmen wird. 94

Thomas hat, als er im Winter oder Frühjahr 1272 mit der Arbeit an den letzten Quästionen der Secunda Secundae begann, eine Fülle von Problemen vor Augen gehabt. Es galt, die meist polemisch verhandelten Fragen in eine Synthese zu bringen. Daß sie sachlich gefordert war, hatten die Kontroversen seit den ersten Pariser Magisterjahren hinlänglich gezeigt. Zu deutlich waren schwerwiegende ekklesiologische Implikationen der Armut zum Vorschein gekommen, als daß sie eine Summa Theologiae hätte ignorieren können, und neue, noch heftigere Auseinandersetzungen kündigten sich an, denen rechtzeitig begegnet werden mußte. Wichtiger als die Aktualität war wohl der Wunsch, den Ertrag einer langjährigen theologischen Reflexion in ein Werk dieser Zielsetzung einzubringen, in dem die Realisierungsweisen christlicher Vollkommenheit nicht fehlen durften. Immerhin mag auffallen, daß Thomas der einzige Theologe seiner Epoche war, der dieses Bedürfnis verspürte. Aber wo sollten solche Themen in einer theologischen Zusammenschau sinnvoll erörtert werden? Wäre nicht, da wichtige Aspekte der Kirche zur Debatte standen, die Ekklesiologie der rechte Ort gewesen? Nun hat Thomas aus Gründen, die hier nicht zu wiederholen sind, eine solche nicht verfaßt, weil er überzeugt war, sie müsse an allen entscheidenden Punkten berücksichtigt werden180. Das bestätigt sich eindrücklich in unserem Fall, insofern nach mittelalterlicher Anschauung der Stand der Vollkommenheit einen integrierenden Teil der Kirche ausmacht. Nachdem Thomas die für alle verbindliche Tugendlehre vorgetragen hat, wendet er sich Fragen zu, die nur einige betreffen. An dritter Stelle nach den frei Gnaden und den zwei menschlichen Lebens werden Ämter gewährten Wegen und Stände genannt181. Die Funktion der gratiae gratis datae bei der reductio des Menschen zu Gott sowie das Schriftzitat (Eph 4,11) markieren den ekklesiologischen Rahmen des Traktats182. Daß wir hier Überlegungen hinsichtlich des status begegnen, versteht sich von selbst, denn es wird um die dauerhafte Bindung von Personen aufgrund eigenen oder fremden Rechts gehen. -

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Zum Problem s. insbesondere Y. Congar, L'idée de l'Eglise chez saint Thomas d'Aquin, in: RSPhTh 29(1940)31-58; dens., Vision de l'église chez Thomas d'Aquin, in: RSPhTh 62(1978)523-541. A Osuna, La doctrina de los Estadios de la Iglesia en Santo Tomás, in: CTom 88(1961)77-135, 215-266. M. Seckler, Das Heil in der Geschichte. Geschichtstheologisches Denken bei Thomas von Aquin, München 1964, bes. 217-260. G. Sabra, Thomas Aquinas' Vision of the Church. Fundamentals of an Ecumenical Ecclesiology (TTS 27), Mainz 1987, bes. 19-33. S Th II-II 171, prooemium. S Th I-II 111, 4: gratia gratis data ordinatur ad hoc quod homo alteri cooperetur, ut reducatur ad Deum. Vgl. H. U. v. Balthasar, Besondere Gnadengaben und die zwei Wege menschlichen Lebens (Die Deutsche Thomas-Ausgabe, Bd. 23), Heidelberg Graz 1954, 253f. -

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Die Unterschiede sind der Freiheit und Knechtschaft in der sozialen Ordnung vergleichbar, die nur überschritten werden kann, wenn die jeweils eingegangene Verpflichtung aufgelöst würde183. Daß Thomas die Stände so scharf voneinander abhebt, ist gewiß, wie die Erläuterungen verraten, ein Reflex der gesellschaftlichen Umwelt mit ihren für selbstverständlich gehaltenen Schranken, aber auch, wie erneut betont wird, eine Eigenart der hier zu würdigenden Vollkommenheitsstände, die klare Eingrenzungen fordern, weil sie nur einem fest umrissenen Personenkreis offenstehen. Eine Vielfalt der Stände und Ämter ist erwünscht, um die Vollkommenheit der Kirche zu realisieren, denn die in Christus als Haupt vereinigte Gnadenfülle soll auf mannigfaltige Weise in die Glieder einströmen. Nur so wird der Leib der Kirche wahrhaft vollkommen184. Verschiedenartiges Handeln setzt jeweils andere Personen voraus mit einem ihnen eigenen Auftrag. Würde und Schönheit der Kirche kommen endlich durch eine gewisse Ordnung zum Vorschein, sie schließen Uniformität aus185. Solche Vielgestaltigkeit gereicht der Einheit nicht zum Nachteil, da sie sich in dem einen Glauben, in der Liebe und im gegenseitigen Dienst verwirklicht186. Diese diversitas, in sich geordnet und gestuft, begründet die Einteilung. Unter den Gläubigen differenzieren sich die Stände gemäß dem Vollkommenheitsgrad. Daß sich hierin eine wichtige ekklesiologische Distinktion ausdrückt, wurde bereits früher gesagt187. In bezug auf das Handeln ergeben sich die Ämter mit ihren jeweils anderen Aufgabe188. Der Schönheit und kirchlichen Ordnung schließlich entspricht, daß in ein und denselben Ämtern oder Ständen einige höher sind als die übrigen189. Während die Erörterung der mit den Ämtern verknüpften Akte den Kanonisten überlassen bleibt, sind die auf das Weihesakrament zu beziehenden im dritten Teil der Summa zu besprechen. Im Folgenden soll es um den Stand der Vollkommenheit gehen. 183 184

S Th II-II 183, 1. S Th II-II 183, 2. ita etiam plenitudo gratiae, quae in Christo sicut in capite adunatur, ad membra eius diversimode redundat, ad hoc quod corpus Ecclesiae sit perfectum. Verwiesen wird auf Eph 4,11. Vgl. S Th III 8, 1 ad 1, wo das dare gratiam auch seiner humanitas als instrumentum divinitatis zugeschrieben wird. S Th II-II 183, 2. S Th II-II 183, 2adl,2u. 3. S Th II-II 183, 3. Una (distinctio) quidem per respectum ad perfectionem. Et secundum hoc accipitur differentia statuum, prout quidam sunt aliis perfectiores. Gemeint sind Bischöfe und Religiösen. AaO. Alia vero distinctio accipitur per respectum ad actionem. Et haec distinctio dicitur officiorum; dicuntur enim in diversis officiis esse qui sunt ad diversas actiones deputati. AaO. Alia autem per respectum ad ordinem pulchritudinis ecclesiasticae. Et secundum hoc accipitur differentia graduum, prout scilicet in eodem statu vel officio, unus est alio .

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superior. 96

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Was kennzeichnet die Vollkommenheit? Die Antwort lautet: Die Liebe, die die Seele mit Gott verbindet. Alle sonstigen Tugenden tun dies nur in gewisser Hinsicht190. In ihrer Ganzheit ist sie freilich weder von Seiten des Liebenden noch von Seiten des Geliebten erreichbar. Niemand liebt Gott so, wie er in sich liebenswert ist. In einer absoluten Totalität kann keiner das Verlangen nach Gott gemäß seinem ganzen Sehnen im Vollzug auf Gott richten. Erst im Endzustand wird das so sein. In einer weiteren Hinsicht besteht die Vollkommenheit darin, daß man das ausschließt, was der Bewegung auf Gott hin widerstreitet. Das ist möglich auf zweifache Weise: Einmal in bezug auf die Todsünde als Gegensatz zur Liebe und zum anderen, insofern auch das aus dem Weg geräumt wird, was das Verlangen des Geistes hindert, sich gänzlich auf Gott zu beziehen191. Dem Menschen steht also neben der Vermeidung einer völligen Abkehr von Gott ein anspruchsvollerer Weg offen, der es ihm erlaubt, unbeschwerter auf sein Ziel hin zu schreiten, weil die gewöhnlichen Hindernisse überwunden worden sind. Die Unterscheidung gestattet es Thomas, in einem weiteren Schritt die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe von den Räten abzuheben. Ähnlich wie vorhin heißt es nun: Es gibt Gebote mit dem Ziel, das der Liebe Entgegenstehende zu beseitigen, also das mit ihr schlechthin im Widerspruch Befindliche zu eliminieren. Die Räte hingegen haben einen werkzeuglichen Charakter, insofern sie jene Hindernisse entfernen, die nur belasten, nicht aber den eigentlichen Akt der Liebe unmöglich machen. Ehe und weltliche Angelegenheiten bieten hierfür die klassischen Beispiele192. Diese Distinktion gibt Thomas erneut Gelegenheit, den instrumentalen Charakter der Räte hervorzuheben, dessen Konsequenzen für unseren Gegenstand auf der Hand liegen. Mit Bedacht zitiert er Abt Moses aus den Collationes Cassians, demzufolge die monastischen Übungen wie Fasten, Meditation und Verzicht nicht die Vollkommenheit selbst sind, sondern nur -

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S Th II-II 184, 1. Vita autem Christiana specialiter in caritate consistit, per quam anima Deo coniungitur. Et ideo secundum caritatem attenditur simpliciter perfectio christianae vitae, sed secundum alias virtutes secundum quid. S Th II-II 184, 2. Uno modo, inquantum ab affecte hominis excluditur omne illud quod contrariatur caritati, sicut est peccatum mortale. Et sine tali perfectione caritas esse non potest. Unde est de necessitate salutis. Alio modo, inquantum ab effectu hominis excluditur non solum illud quod est caritati contrarium, sed etiam omne illud quod impedit ne affectus mentis totaliter dirigatur ad Deum. S Th II-II 184, 3. Secundario autem et instrumentaliter perfectio consistit in consiliis. Quae omnia, sicut et praecepta, ordinantur ad caritatem sed aliter et aliter. Nam praecepta alia a praeceptis caritatis ordinantur ad removendum ea quae sunt caritati contraria, cum quibus scilicet caritas esse non potest; consilia autem ordinantur ad removendum impedimenta actus caritatis, quae tarnen caritati non contrariantur, sicut est matrimonium, occupatio negotiorum saecularium et alia huiusmodi. .

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Werkzeuge, die behilflich sind, sie zu erreichen193. Bemerkenswert und auf Künftiges hinweisend ist in diesem Zusammenhang die dem Wort an den reichen Jüngling gegebene Deutung, wonach das „geh' und verkaufe, was du hast und gib es den Armen" (Mt 19,27) „gleichsam" der Weg zur Vollkommenheit ist, während diese selbst in dem „und folge mir nach" ausgedrückt ist. Die biblische Sprechweise so Thomas macht deutlich, daß die Räte als Instrumente aufzufassen sind, um mit ihrer Hilfe zur Vollkommenheit zu gelangen194. Nachdem so die Prinzipien geklärt sind, lassen sich die Einzelheiten konsequent entwickeln. Wer gehört zum Stand der Vollkommenheit? Daß diese Frage großes Gewicht hat, wissen wir bereits, und die weiteren Überlegungen werden es bestätigen. Der Status bezeichnet die Befindlichkeit der Freiheit oder der Knechtschaft, er gründet in der Gliederung der mittelalterlichen Gesellschaft, in Freien und Unfreien195. Geistliche Freiheit oder Knechtschaft lassen sich unter einem zweifachen Aspekt -

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betrachten: Einmal, insofern man die innere Seite in den Blick nimmt, die Verfassung eines Menschen im göttlichen Urteil, also seinen Stand vor Gott, zum anderen in einer äußeren Hinsicht, in bezug auf die Kirche, in seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe in ihr, die zusammen mit anderen zur Schönheit der Kirche beiträgt196. Daß es hier allein um die sichtbare, rechtlich greifbare Gestalt gehen wird, leuchtet ein. Zugehörigkeit zu einem Stand verlangt deshalb eine VerpflichAaO.

"Ieiunia, vigiliae, meditado Scripturarum, nuditas ac privatio omnium facultatum,

perfectio,

sed perfectionis instrumenta sunt, quia non in ipsis consistit disciplinae illius finis, sed per illa pervenitur ad finem". Jean Cassien, Conférences I-VIII, ed. E. Pichery (SC 42), Paris 1952, I, VII, 84f. Zu Bedeutung und Einfluß Cassians s. K. Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. 1, Die Grundlegung durch die Kirchenväter und die Mönchstheologie des 12. Jahrhunderts, München 1990, 118-133. AaO, ad 1... quasi via ad perfectionem... Et ideo ex ipso modo loquendi apparet, quod consilia sunt quaedam instrumenta perveniendi ad perfectionem. Es versteht sich, daß die Kanonistik den rechtlichen Konsequenzen dieser Scheidung große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Vgl. M. M. Sheehan, Theory and Practice: Marriage of the Unfree and the Poor in Medieval Society, in: MS 50(1988)457^187. P. Landau, Hadrians IV. Dekretale „Dignum est" (X. 4. 9. 1) und die Eheschließung Unfreier in der Diskussion von Kanonisten und Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: StGra 12(1967)511-533. J. Gilchrist, The Medieval Canon Law on Unfree Persons: Gradan and the Decretist Theories c. 1141-1234, in: StGra 19(1976)273-301; dens., St. Raymond of Peñafort and the Decretalist Doctrine of Serfdom, in: Escritos del Vedat 7(1977)299-327. W. Pakter, Medieval Canon Law and the Jews (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, Bd. 68), Ebelsbach 1988. S Th II-II 184, 4. status proprie pertinet ad conditionem libertatis vel servituds. Spiritualis autem libertas vel servîtes potest in homine attendi dupliciter: uno modo, secundum id quod interius agiter; alio modo, secundum id quod agitur exterius. secundum interiorem hominis dispositionem accipitur condido spiritualis status in non

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Befreiung von derselben, denn aus dem bloßen Dienen kann noch nicht auf den Stand des Dieners geschlossen werden. Auch Freie dienen, und Unfreie fliehen und verleugnen ihre Bindung. Knecht im strikten Sinn ist deshalb auch nur der, der dazu verpflichtet ist, wie auch der allein ein Freier ist, der von der Knechtschaft befreit ist. Zur Bindung muß allerdings eine Feierlichkeit hinzutreten, wie das unter Menschen üblich ist, die einem Engagement Festigkeit verleihen wollen. Die Folgerungen für die Mitglieder des Vollkommenheitsstandes sind offenkundig. Der innere Grund der Zugehörigkeit zu ihm liegt nicht in einem vollkommenen Liebesakt, sondern in einer mit Feierlichkeit eingegangenen dauerhaften Bindung, dem zu entsprechen, wobei das Erfüllen oder Nichterfüllen nicht konstitutiv sind197. Mit der in der Definition enthaltenen Einschränkung soll alten und neuen Versuchen gewehrt werden, die persönliche Heiligkeit eines Menschen zu einem Kriterium für dessen rechtliche Stellung in der Kirche zu machen, um so gegebenenfalls seine Autorität in Zweifel zu ziehen oder anzufechten198. Daß Prälaten und Religiösen unbestreitbar im Stand der Vollkommenheit sind, hat Thomas in De perfectione ausführlich dargetan. Wir haben dort eine auf der vollkommenen Bruderliebe aufbauende Konzeption der Räte kennengelernt, zu der sich die Bischöfe anläßlich ihrer Weihe bekennen. Interessanterweise steht dieser Gedanke in der Summa nicht im Vordergrund, wohl weil Thomas unterdessen Bedenken an dessen Stringenz empfunden hat. Die eigentliche Begründung des episkopalen Standes erfolgt nunmehr mittels des klassischen dionysianischen Schemas, wonach den Bischöfen die Vollmacht in ihrer Eigenschaft als „Vollender" zukommt, insofern sie andere zu ihrem Ziel führen. Die Mönche sind demgegenüber die „Vollkommenen"199. Die Bischöfe üben also in der Vermittlung des Heils eine aktive Rolle aus sie ist für ihre Stellung in der Kirche konstitutiv und sichert ihnen einen absoluten Vorrang vor allen anderen. tung oder eine

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comparationem ad iudicium divinum; secundum autem quae exterius aguntur, accipitur spiritualis Status in homine per comparationem ad ecclesiam. Et sie nunc de statibus loquimur, prout scilicet ex diversitate statuum quaedam ecclesiae pulchritudo consurgit. S Th II-II 184, 4. Sie ergo et in statu perfectionis proprie dicitur aliquis esse, non ex hoc quod habet actum dilectionis perfeetae, sed ex hoc quod obligat se perpetuo cum aliqua solemnitate ad ea quae sunt perfectionis. homine per

197

198 m

S Th II-II 184, 4 ad 1. S Th II-II 184, 5. Vgl. R. Roques, L'univers dionysien (Anm. 107), 176-199. Daß dem Papst eine wichtige Rolle zukommt, steht für Thomas außer Frage. Vgl. dazu S.-Th. Bonino, La place du pape dans l'Eglise selon saint Thomas d'Aquin, in: RThom

86(1986)392-422.

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Es mag auffallen, daß Thomas in diesem Zusanmmenhang das Verhältnis zwischen Bischöfen und Papst nicht erörtert und deshalb nicht fragt, ob sie über sich einen supremus perficiens haben, der ihre Aktivitäten bestärkt und vollendet. Nähme man die Texte isoliert, legte sich der Eindruck nahe, daß die Apostelnachfolger die ihnen gemäßen Akte kraft eigener Vollmacht wahrnehmen könnten. Daß dies nicht der Ekklesiologie des Aquinaten entspricht, braucht nicht gesagt zu werden, doch bleibt das Schweigen merkwürdig. Auch die weiteren Argumente im Anschluß an das Gesagte ergeben sich von selbst. Bischöfe und Religiösen übernehmen gleichermaßen eine feierliche, ewige Verpflichtung in Hinsicht auf die Vollkommenheit, wobei letztere in einem Gelübde versprechen, sich zeitlicher Dinge zu enthalten, um freier für Gott sein zu können. Darin besteht die Vollkommenheit des gegenwärtigen Lebens200. Die Prälaten gehen eine Bindung mit ihr ein, wenn ihnen das Hirtenamt anvertraut wird, denn dies impliziert die Bereitschaft, das Leben für die Gläubigen hinzugeben, womit Thomas einen Gedanken einfügt, den wir aus der episkopalen Rätetheologie von De perfectione kennen. Auch die Feierlichkeit anläßlich der Weihe fehlt nicht. Wiederum wird das Argument durch einen gewichtigen Dionysiustext bekräftigt, demzufolge der Bischof „Anteil an der gesamten hierarchischen Gewalt" hat, er ist in „alle geheiligten Worte und Handlungen" eingeführt und übermittelt sie an andere201. Ehe Thomas auf das Verhältnis zwischen Religiösen und Prälaten in einem eigenen Artikel eingeht, in dem ein wichtiger Aspekt aus früheren Debatten abschließend behandelt werden soll, betont er erneut, daß der Säkularklerus dem Stand der Vollkommenheit nicht zugerechnet werden kann, denn ihm fehlt die dauerhafte Verpflichtung auf die mit dem vollkommenen Weg verbundenen Forderungen. Die Weihe verleiht ihm zwar die Vollmacht zu gewissen heiligen Handlungen, doch schließt sie eben jene Bindung nicht ein, auch wenn in der Westkirche das „Gelübde der Enthaltsamkeit" wenigstens ein für die Religiösen typisches Merkmal aufweist. Das Seelsorgsamt ist nicht auf Dauer angelegt, so daß es der Inhaber jederzeit aufgeben kann, im Fall des Ordenseintritts sogar ohne Einwilligung des Oberhirten. Ganz anders ist die Situation des Bischofs, der dazu die Erlaubnis des Papstes braucht202. Trotz des heftigen Widerspruchs seitens der Repräsentanten des Weltklerus ist Thomas auch hier nicht zu Konzessionen bereit, 200 201 202

S Th II-II 184,5. AaO. S Th II-II 184, 6. Thomas erwähnt nicht die Translation von Bischöfen, obwohl sie doch in Spannung zu der dauerhaften Bindung an die Herde steht. Zum Problem s. K. Pennington, Pope and Bishops. The Papal Monarchy in the Twelfth and Thirteenth Centuries, University of Pennsylvania Press 1984, bes. 75-114.

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ja seine These gibt ihm Gelegenheit, Pfarrer und Archidiakone erneut scharf von den Bischöfen abzugrenzen. Von diesen sagt er, sie hätten principaliter die Seelsorge in ihrer Diözese, während die ihnen unterstellten Priester lediglich gewisse „Hilfsdienste" ausübten203. Oder: Den Priestern kommt eher ein zur Vollkommenheit gehöriges Amt zu, als daß sie den Stand derselben erlangten204. Wiederum ist dies deutlich: Thomas möchte einen Statusbegriff konzipieren, der eine klare Scheidung zwischen den Religiösen und dem Säkularklerus sowie den Gläubigen garantiert und Stabilität gewährleistet. Ein Wechsel von „unten" nach „oben" ist zwar möglich, aber doch stets so, daß Abgeschlossenheit gewahrt bleibt und die rechtlich faßbare Einordnung nicht tangiert wird. Feierlichkeit und Dauer markieren die Schranken. Obschon wesentliche Vorentscheidungen gefallen sind, erhebt sich nunmehr die Frage, wie sich der Stand der Religiösen zu dem der Prälaten genau verhält. Thomas hatte auf sie erstmals in De perfectione geantwortet. Er hatte aus diesem Anlaß eine These von erheblicher Tragweite in die theologische Diskussion gebracht, deren Elemente auch jetzt die Lösung charakterisieren. Die polemische Situation von einst schimmert zwar nur gelegentlich durch, doch lassen später zu würdigende Probleme ahnen, daß die Sache unterdessen keineswegs ihre Bedeutung verloren hat. Im Sed contra knüpft er an seinen Standesbegriff an und meint, aus dem Umstand, daß ein Religiose in den Episkopat aufsteigen könne, während der umgekehrte Schritt als Abstieg zu gelten hätte, folge schon die größere Vollkommenheit der Prälaten205. Den eigentlichen Beweis liefert freilich nicht so sehr die juristische Praxis, sondern das hier nach Augustinus und nicht nach Aristoteles zitierte Prinzip, wonach das „Tätige" immer vornehmer ist als das „Erleidende". Dem schließt sich der Gedanke an, daß die Bischöfe die „Vollender", die Religiösen hingegen die „Vollkommenen" sind, daß sich also beide wie Aktion und Passion verhalten. Daß daraus auf ein potior für den episkopalen Stand zu schließen ist, bedarf keiner Beweise206. Nun weiß Thomas, daß mögliche Widersacher trotz der Berufung auf Augustinus nicht überzeugt sind und daß sie ihre Einrede mit der Schrift selbst stützen werden, an deren Eindeutigkeit kein Zweifel erlaubt zu sein scheint. Muß nicht die systematische Konklusion an der einfachen Tatsache scheitern, daß sie mit dem Wort des Herrn -

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S Th II-II 184, 6 ad 2. Dicendum quod episcopi principaliter habent curam ovium suae dioecesis; presbyteri autem curati et archidiaconi habent aliquas subministrationes sub

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AaO, ad 3... ita etiam ad eos non pertinet principaliter pastorale officium, nec obligatio

episcopis.

205 206

ponendi animam pro ovibus, sed inquantum participant de cura. Unde magis habent quoddam officium ad perfectionem pertinens, quam obtineant perfectionis statum.

S Th II-II 184, 7 s. S Th II-II 184,7.

c.

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den reichen Jüngling nicht in Einklang gebracht werden kann? Erzwingt nicht die Weisung Jesu, die so nur von den Religiösen erfüllt wird, eine Revision der herkömmlichen Standesvorstellungen und damit in letzter Konsequenz einen Umsturz der Kirchenverfassung? Auch die von Thomas verteidigte Ordenskonzeption mit ihren Wertungen und Stufen wäre als unvertretbar erwiesen. Wo so viel auf dem Spiel steht, wird Thomas präzise und dezidiert antworten und ein Zögern, wie wir es in Contra retrahentes bemerkten, ist trotz der zeitlichen Nähe der beiden Werke nicht zu erwarten. Verzicht auf eigenes Vermögen, heißt es im Sinne eines bekannten Prinzips, kann zunächst dergestalt verstanden werden, daß man ihn tatsächlich leistet, aber dann muß man sagen, daß in ihm nicht wesentlich die Vollkommenheit besteht, er ist vielmehr nur ein Instrument, das uns hilft, sie zu erreichen. Der Stand der Vollkommenheit kann deshalb gegeben sein, ohne daß man wirklich sein Eigentum ablegt, ja die Besitzlosigkeit wird unter diesem Aspekt genauso gewertet wie die körperlichen Observanzen, von denen andernorts bereits mehrfach im Anschluß an die Collationes die Rede war207. Gleichwohl begnügt sich Thomas angesichts des Ernstes der biblischen Weisung nicht mit dieser Aussage, deren Konsequenzen offenkundig sind. Mit einem seit De perfectione bekannten Gedanken argumentiert er weiter, daß man den Verzicht secundum animi praeparationem zu betrachten hat, also mit der Bereitschaft, alles hinzugeben oder auszuteilen, wann immer dies geboten erscheint. Diese innere Einstellung darf niemals fehlen, da sie direkt die Vollkommenheit betrifft208. Die Bischöfe sind zu ihr in ganz besonderer Weise verpflichtet. Sie haben alles, was ihnen eigen ist, aus Ehre zu Gott und zum Wohl ihrer Herde gering zu schätzen, falls es nötig ist, sei es, daß sie für die Armen sorgen, sei es, daß sie, einer Mahnung des Hebräerbriefs folgend (10,34), den Raub ihrer Güter mit Freude ertragen209. Schon früher hatten wir festzustellen, daß es Thomas nicht darum zu tun ist, den Bischöfen Verantwortung zu nehmen. Ganz im Gegenteil: Es soll an ihre Freiheit appelliert werden, die, wenn es sein muß, ohne Maß zu sein hat und über bloß materiellen Verzicht weit hinausgeht. Auch an

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2,17

S Th II-II 184, 7 ad 1. Dicendum quod abrenundatio propriarum facultatum dupliciter considérait potest: Uno modo, secundum quod est in actu. Et sie in ea non consistit essentialiter perfectio, sed est quoddam perfectionis instrumentum. Et ideo nihil statum perfectionis prohibet esse sine abrenundadone propriorum. Sicut etiam dicendum est de aliis exterioribus observantiis. AaO. Alio modo, potest considerari secundum praeparationem animi, ut scilicet homo sit paratus, si fuerit opus, omnia dimittere vel distribuere. Et hoc pertinet directe ad .

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perfectionem. 209

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der Hinweis auf die überströmende Gottesliebe als Grund der Nächstenliebe fehlt nicht210. Es fällt allerdings auf, daß Thomas hier anders als in De perfectione solche Erwägungen nicht mehr zur Basis einer bischöflichen Rätetheologie als Äquivalent zu der der Religiösen macht, wohl weil er den episkopalen Vollkommenheitsstand für bereits so gut begründet hält, daß er nunmehr ohne sie -

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auskommt. Daß der Säkularklerus niedriger einzustufen ist, haben wir gehört. Wie sehr Thomas die Problematik am Herzen lag, zeigt eine erneute Behandlung mit einem exakten Vergleich zwischen Stand, Weihe und Amt, bei dem es ihm um das für die Religiösen und Bischöfe Typische und Unverwechselbare zu tun ist, um die „Gutheit". Macht man sie zum Kriterium, so hat der Ordensstand den Vorrang vor dem der Pfarrer und Archidiakone, weil ihm die Pflicht obliegt, nach der Vollkommenheit zu streben, während jene anders als der Bischof eine lebenslange Bindung nicht eingehen. Sie haben nicht die cura principalis über die ihnen Anvertrauten, sondern nur gewisse Teilaufgaben. Beide Lebensformen verhalten sich deshalb wie universal und partikulär oder wie das Ganzopfer zum Opfer. Dies gilt wenigstens in Hinordnung auf das genus operis, denn es ist möglich, daß sich ein Werk aufgrund der Liebe, mit der es getan wird, als verdienstvoller erweist. Thomas möchte also den objektiven Einsatz eines Seelsorgers würdigen, doch an der prinzipiellen Qualifizierung der Stände ändert das nichts211. Anläßlich der Frage, ob man den Episkopat anstreben darf, werden noch einmal die Unterschiede zwischen den Ständen beschrieben. Das principale et finale dieses Amtes, die Sorge für das Wohl des Nächsten, setzt voraus, daß dessen Inhaber bereits ein Leben der Vollkommenheit führt, wohingegen der Status der Religiösen nur ein Weg auf sie hin ist. Oder anders: Während die einen einem Gedanken des Dionysius folgend führen, werden die anderen geführt212. Aus der für ein ganzes Leben eingegangenen Verpflichtung folgt, daß diese solange Bestand hat, wie ein Bischof dem Seelenheil seiner Diözesanen dienlich sein -

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S Th II-II 184, 7 ad 2. Dicendum quod hoc ipsum quod episcopi intendunt his quae pertinent ad proximorum dilectionem, provenit ex abundantia dilectionis divinae. Hoc autem est maioris dilectionis signum, ut homo propter amicum etiam alii serviat, quam etiam si soli amico velit serviré. S Th II-II 184,8. S Th II-II 185, 1. Quorum unum est principale et finale, scilicet episcopalis operatio, per Und ad 2:. quam utilitati proximorum intenditur. quia ad statum episcopalem vitae Sed statum ad non praeexigitur perfectio. religionis praeexigitur perfectio, sed est via in perfectionem... Requiritur autem quod sit perfectus aliquis ad hoc quod possit alios ad perfectionem adducere; quod non praeexigitur ab eo qui débet ad perfectionem adduci. .

2,1 212

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kann. Aus ihr wird er nie entlassen, nicht einmal, wenn er wünscht, sich der Kontemplation zu widmen213. Die persönliche Präsenz in der Gemeinde hat auch bei Gefahr solange zu währen, wie sie den Gläubigen förderlich ist214. Die genannten Merkmale genügen für das in unserem Zusammenhang Entscheidende. In allen wichtigen Punkten nimmt die Secunda Secundae Gedanken auf, die Thomas in De perfectione entwickelt hatte, um das episkopale Amt in seiner Einmaligkeit gegen alle Einreden seitens spiritualisierender Gruppen zu sichern, wobei hier nicht ausgeführt zu werden braucht, inwieweit die damalige kirchliche Realität diesem außerordentlich hoch gesteckten Ideal entsprochen hat. Daß es Thomas so angesetzt hat, folgt gewiß aus den Dionysius entlehnten Prinzipien, doch dürfte unterdessen deutlich geworden sein, daß er sämtlichen gegnerischen Argumenten, die ihre Kraft aus biblischen Weisungen zu schöpfen schienen, von vornherein die Spitze abbrechen wollte. Diese Sicht der Dinge gestattet es Thomas, in der Armutsfrage eine Position zu beziehen, die Extreme vermied und der historischen Situation wenigstens unter diesem Aspekt gerecht wurde. Seine Überlegungen nehmen bezeichnenderweise ihren Ausgang vom geltenden Kirchenrecht, das dem Bischof einräumt, seinen Besitz vererben zu dürfen. Als Begründung heißt es weiter, zu Werken der Übergebühr sei niemand gehalten. Ohne Eigentum zu leben, fällt nun nicht unter ein Gebot, sondern unter einen Rat, wie die Antwort des Herrn an den reichen Jüngling zeigt215. Außerdem: Bei ihrer Weihe verpflichten sich die Bischöfe nicht, ohne Besitz zu sein. Ein Verzicht darauf ist nicht notwendigerweise mit ihrem Hirtenamt verbunden216. Die Widerlegung der Einwände präzisiert früher Gesagtes. Wiederum wird betont, daß die Vollkommenheit nicht wesentlich in der freiwilligen Armut liegt, sondern daß diese wie ein Instrument wirkt, das zu ihr beiträgt. Armut und Vollkommenheit stehen deshalb auch nicht in einer strikten Relation zueinander, denn jemand kann wie das Beispiel Abrahams lehrt gleichzeitig wohlhabend und vollkommen sein217. Auch das Verbot, Gold und Geld bei sich zu haben (Mt 10,9) wird in einem weiten Sinn gedeutet. Es läßt sich -

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2,7

S S S S

Th II-II Th II-II Th II-II Th II-II

185, 4. 185,5. 185,6. 185, 6. Non autem episcopi in sua ordinatione ad hoc se obligant, ut absque proprio vivant, neque etiam vivere absque proprio ex necessitate requiritur ad pastorale officium, ad quod se obligant. Et ideo non tenentur episcopi ad hoc quod sine proprio

vivant. S Th II-II 185, 6 ad 1. perfectio christianae vitae non consistit essentialiter In voluntarla paupertate, sed voluntarla paupertas instrumentaliter operatur ad perfectionem vitae. Unde non oportet quod ubi maior paupertas est, ibi sit maior perfectio. Quinimmo potest esse summa perfectio cum magna opulentia. .

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mit Hieronymus mystice verstehen und meint dann, die Prediger sollen sich nicht principaliter auf weltliche Weisheit und Beredsamkeit verlassen218. Möglich ist ferner, das Wort mit Augustinus eher als eine Erlaubnis denn als eine Weisung aufzufassen, so daß sein Sinn wäre: Der Herr hat den Jüngern gestattet, ohne Geld und Unterhalt zur Predigt auszuziehen, wobei sie das zum Leben Nötige von den Gläubigen empfangen. Wenn sich jemand aus eigenen Mitteln versorgt, hätte dies als ein Werk der Übergebühr zu gelten219. Eine dritte Interpretation gibt Chrysostomus, der den Befehl auf die Judenmission bezogen wissen wollte. Die Jünger sollten angeregt werden, das Vertrauen auf den zu setzen, der für seine Boten sorgt. Das Wort spräche dann für eine zeitliche Begrenzung und wäre nur in einer bestimmten Situation gültig gewesen, so daß, wie Thomas hervorhebt, weder für sie noch für ihre Nachfolger die strenge Pflicht bestanden hat, ohne Mittel zum Unterhalt zu verkündigen220. Auch ein direktes biblisches Vorbild fehlt nicht: Paulus hat von anderen Gemeinden Unterstützung erhalten, um den Korinthern zu predigen, woraus hervorgeht, daß er etwas besessen hat, das man ihm gegeben hatte. Und schließlich ein Argument Gerhards von Abbeville, das Thomas seinerzeit zu weitgehenden hermeneutischen Überlegungen veranlaßt hatte: Töricht wäre die Annahme, so viele heilige Bischöfe des Altertums wie Athanasius, Ambrosius und Augustinus hätten gegen die Gebote des Herrn verstoßen221. Deutlich geworden ist dies: Thomas hat zahlreiche Elemente aus der Diskussion seit De perfectione und aus dem Kommentar zum Mathäusevangelium in unserem Artikel zusammengefaßt und zum Abschluß gebracht. Eine hohe Einschätzung des bischöflichen Vbllkommenheitsstandes mit seinen ihm wesentlichen Pflichten, die durch die Väter legitimierte Praxis der Kirche sowie die vom Buchstaben gelöste, vergeistigte Armutsidee Jesu fügen sich zu einem Ganzen, in dem der praeparatio animi die Funktion eines Prinzips und Kriteriums zufällt. In einer wichtigen Hinsicht wurde die Synthese durch den Grundsatz ermöglicht, daß die Armut wie alle sonstigen Observanzen lediglich einen instrumentalen Charakter hat. Es versteht sich, daß die Lösung eines hochkontroversen Problems nicht als Erleichterung oder als Befreiung von einem Ideal mißverstanden werden -

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S Th II-II 185, 6 ad 2.

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praedicatores non innitantur principaliter sapientiae et eloquentiae temporali. Vgl. Hieronymus, In Matthaeum 1.1, c. X, Pl 26, 64C u. 65BC. AaO. Permisit enim eis ut absque auro et argento et aliis sumptibus ad praedicandum irent, accepturi sumptus vitae ab his quibus praedicabunt. Ita tarnen quod si aliquis propriis sumptibus uteretur in praedicatione Evangelii, ad supererogationem pertineret .

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219

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(Vgl. 220

u.

15). Augustinus, De

consensu

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evangelistarum, 1. II, c. 30, Pl 34,

1114. AaO. AaO. .

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IKor 9, 12

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darf, sie verlagert vielmehr die Pflicht zur Nachfolge in die

stets neu zu fällende

Gewissensentscheidung, die vor Gesetzlichkeit bewahren soll. Daß die so interpretierte apostolische Armut auch Konsequenzen für die Religiösen hat und eine Reihe von Konklusionen in bezug auf deren Vollkommenheitsstatus impliziert, liegt auf der Hand. Ehe sich Thomas ihnen zuwendet, fragt er, wie man die aus dem Ordensstand erwählten Bischöfe zu beurteilen hat. Der Umstand, daß sie sich gleichsam in einer mittleren Position zwischen den Ständen befinden, ist geeignet, einiges Licht auf beide zu werfen. Religiösen verhalten sich zu Bischöfen wie Schüler zu Lehrern oder wie die Disposition zur Vollkommenheit. Der Übergang vom Niederen zum Höheren hebt nun die Voraussetzungen nicht auf, sie gehen vielmehr in die neue Existenzweise ein. Das heißt: Die Disposition verschwindet nicht, wenn jemand in den episkopalen Stand versetzt wird, woraus weiter folgt, daß die Gelübde ihren verpflichtenden Charakter nicht einfach verlieren, sondern als Dispositionen fortbestehen. Um das Gemeinte zu illustrieren, verweist Thomas auf den Schüler, der Lehrer geworden ist. In seiner neuen Funktion ist er zwar nicht mehr Hörer, doch endet mit ihr nicht die Notwendigkeit, Studium und Meditation zu pflegen. Ganz im Gegenteil! Sie wird noch größer222. Die Praxis der Gelübde hat sich zwar dem Amt anzupassen, aber virtualiter bleiben sie verbindlich. In bezug auf die Armut bedeutet das: Eigentum darf ein solcher Bischof nicht haben, sein väterliches Erbteil gehört der Kirche. Die Befugnis, Testament zu machen, wird ihm nicht konzediert. Sollte der Papst sie ihm zugestehen, wird sie nicht aus eigener, sondern aus apostolischer Vollmacht wirksam223.

2. Der Ordensstand Wir haben gesehen, aus welchen theologischen Gründen der Aquinate den Episkopat als den Stand versteht, der die Vollkommenheit bereits erreicht hat, während die Religiösen nach ihm streben. Daß alle übrigen, der Säkularklerus eingeschlossen, nicht zum ihm gehören, sichert ihm einen festen Platz in der Kirche. Der seinen Mitgliedern vorbehaltene Name Religiösen bringt das zum Ausdruck. Sie dürfen sich so nennen, weil sie dem ungeteilten Dienst für Gott obliegen und ihm ein Ganzopfer (holocaustum) darbringen. Jemand, der Gott so -

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S Th II-II 185, 8 ad 2. S Th II-II 185, 8 ad 3. Vgl. P. R. Ollger, Les évêques réguliers. Recherches sur leur condition juridique depuis les origines du monachisme jusqu'à la fin du moyen âge, Paris-Louvain 1958, bes. 156-159.

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anhängen möchte, wird zur Vollendung gelangen224. Die totaliter zu erfolgende Hingabe macht das den Religiösen Eigene aus ebenso wie der Wunsch, sie ein Leben lang zu realisieren225. Das heißt freilich nicht, wie kaum gesagt zu werden braucht, als sei mit der bloßen Zugehörigkeit zu einem Orden bereits die Vollkommenheit erreicht. Beansprucht wird allein, daß man auf sie tendiert226. Der Stand charakterisiert sich folglich durch das Streben nach ihr mittels „gewisser Übungen", die die ihr entgegenstehenden Hindernisse aus dem Weg räumen sollen. Tut man dies, so sind alle Gelegenheiten fortgenommen, die zum Verlust der Liebe führen. Es versteht sich, daß der auf die „Übungen" gelegte Nachdruck Konsequenzen für die Interpretation der einzelnen Gelübde hat, insofern ein exercitium stets von seinem finis abhängt. Thomas wird darum nicht müde, deren instrumentale Eigenart zu betonen, um Fehldeutungen vorzubeugen, in ihnen liege radikal

die Vollkommenheit selbst. Der Gedanke wird so erläutert, daß etwas auf dreifache Weise zur Vollkommenheit gehört. Zunächst „wesentlich", insofern die Liebesgebote strikt beobachtet werden, sodann „der Folge nach", wenn man das sich aus ihnen Ergebende tut. Thomas illustriert dies mit einem seit De perfectione vertrauten Beispiel: Wenn jemand den segnet, der ihn verwünscht. Der praeparatio animi nach sind solche Akte geboten, wenn Notwendigkeit vorliegt; werden sie jedoch außerhalb derselben aus überströmender Liebe getan, dann gehören sie zur Vollkommenheit „der Folge nach" (consequenter). Und schließlich, worauf es nunmehr ankommt: Etwas bezieht sich instrumentaliter und dispositive auf sie, eben die religiösen Übungen, zu denen an erster Stelle die Armut gerechnet wird227. Die Bedeutung der Dispositionen für Theorie und Praxis des Ordenslebens sind offenkundig. Der Stand der Religiösen ist dann Schulung (disciplina) und Übung, um das vor ihm liegende Ziel zu erreichen. Daraus folgt zweierlei: Die Vielfalt der Mittel, die mit den einem Arzt zu Gebote stehenden Therapiemöglichkeiten verglichen werden, und die Forderung, sich auf den Weg zu begeben, der die Verheißung, zum erstrebten Ende zu gelangen, in sich trägt. Niemand ist daher gehalten, die vollkommene Liebe schon zu haben, es genügt, auf sie hin zu tendieren228. -

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S Th II-II 186, 1. In hoc autem perfectio hominis consistit quod totaliter Deo inhaereat Et secundum hoc religio perfectionis statum nominat. S Th II-II 186, 1 ad 1. sed quod aliquis se totaliter et sua divino cultui deputet, ad perfectionem pertinet. Und ad 2: Et secundum hoc si aliquis totam vitam suam divino servitio deputet, tota vita sua ad religionem pertinebit. S Th II-II 186, 1 ad 3. sed quod ad perfectionem tendat. S Th II-II 186, 2. Tertio modo pertinet aliquid ad perfectionem instrumentaliter et dispositive, sicut paupertas, continentia, abstinentia et alia huiusmodi. AaO. sed requiritur quod per aliquam viam tendat ad finem. non tenetur habere perfectam caritatem, sed tenetur ad hoc tendere et operam dare, ut habeat caritatem ...

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perfectam.

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Solche Erwägungen gestatten es Thomas, die einzelnen Gelübde konsequent als Mittel und Werkzeuge aufzufassen, unter denen, wie gesagt, die Armut den ersten Platz beanspruchen darf. Wenn Ordensstand Schulung und Übung meint, ist notwendigerweise ein Abstandnehmen von allen Neigungen zu weltlichen Dingen gefordert, da Vollkommenheit nach Augustinus Begierde ausschließt. Das Exempel des reichen Jünglings bestätigt das. Besitz hat nämlich die Eigenart, den Geist anzulocken, daß man ihn liebt und immer mehr liebt. Das Begehren kommt an kein Ende. Die freiwillige Armut setzt der sich steigernden Unruhe Widerstand

entgegen229. Der Aquinate

kennt allerdings die in seiner These verborgene Spannung, die es ihm verbietet, Reichtum schlechthin zu verwerfen. Das soll die Besinnung auf die doppelte Seligkeit, die jetzige und die künftige, zeigen. Die in unserer Weltzeit mögliche Seligkeit hat wiederum zwei Weisen, die den beiden Lebensformen, der aktiven und der kontemplativen, entspricht. Die der Aktion zuzuordnende Seligkeit besteht in den äußeren Handlungen, die, damit sie sich zu realisieren vermögen, des Besitzes bedürfen, insofern dieser in einen werkzeuglichen Dienst genommen wird. Hier hat er seine Funktion zu erfüllen. Für die aus der Kontemplation resultierende Seligkeit haben äußere Güter hingegen eine geringe Bedeutung, ja sie sind eher hinderlich, insofern die mit ihnen verbundene Sorge die Ruhe des Geistes beeinträchtigt230. Anders verhält es sich in Hinsicht auf die künftige Seligkeit, auf die uns die Liebe hinordnet. Hier ist freiwillige Armut eine „wirksame Übung", die viel zur Erreichung des höchsten Ziels beiträgt, denn Besitz hat es an sich, die vollkommene Liebe zu behindern, indem er uns anlockt und ablenkt. Oder anders: Nur mit Mühe lassen sich Liebe und Reichtum vereinbaren, so daß ein Wohlhabender nur für den Fall „selig" genannt werden kann, daß er „dem Gold nicht nachgelaufen ist" (Eccl 31,8). Thomas weiß und akzeptiert also, daß in einem großen Bereich des täglichen Lebens Güter und Geld eine unverzichtbare Rolle spielen, so daß selbst die Bischöfe ihrer bedürfen, wenn sie für das Wohl ihrer Gläubigen verantwortlich sein sollen, aber außerhalb dieses karitativen Rahmens lauern erhebliche Gefahren, die den Umgang mit dem Materiellen zu einem beträchtlichen Heilsrisiko machen231. Der Grund für das Gelübde der Enthaltsamkeit liegt auf derselben Linie, insofern es eine abstractio von allen Dingen zum Inhalt hat, die den Menschen hindern,

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