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German Pages [576] Year 2004
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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Carsten Nicolaisen und Harald Schultze
Reihe B: Darstellungen Band 39
Vandenhoeck & Ruprecht
Georg Wilhelm
Die Diktaturen und die evangelische Kirche Totaler Machtanspruch und kirchliche Antwort am Beispiel Leipzigs 1933–1958
Vandenhoeck & Ruprecht
Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Carsten Nicolaisen
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-55739-6
© 2004 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen / Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Vorwort Vorwort
Vorwort
Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel: „Evangelische Kirche in Leipzig 1933 bis 1958. Kirchenpolitik moderner Diktaturen und ihre Auswirkungen im regionalen Kontext“ im Wintersemester 2002/2003 von der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig angenommen wurde. Bis aus einer vagen Idee ein fertiges Manuskript wurde, vergingen Jahre des Forschens und Schreibens. Es ist mir eine angenehme Pflicht, all denjenigen zu danken, die mich auf diesem Weg unterstützt haben. In erster Linie ist mein Doktorvater Prof. Dr. Günther Heydemann zu nennen, der die Arbeit betreut und mit Kritik und mit vielfältigen Anregungen, besonders hinsichtlich des Diktaturenvergleichs, begleitet hat. Zu besonderem Dank bin ich auch Prof. Dr. Ulrich von Hehl verpflichtet. Er hat nicht nur das Koreferat übernommen, sondern auch mein Interesse an der kirchlichen Zeitgeschichte geweckt und mich über das Studium hinaus entscheidend gefördert. Für das auswärtige Gutachten danke ich Prof. Dr. Detlef Pollack (Frankfurt/Oder). Die VW-Stiftung hat die vorliegende Studie, die als Teil des Forschungsverbundes „Sachsen unter totalitärer Herrschaft. Diktaturdurchsetzung, Diktaturformen, Diktaturerfahrung 1933–1961“ an der Universität Leipzig und am Hannah-Arendt-Institut Dresden (1998–2002) entstand, großzügig gefördert. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Freundlichkeit und Unterstützung, die mir bei meinen Recherchen in den verschiedenen Archiven und anderen Forschungseinrichtungen entgegengebracht wurden. Zuallererst ist hier die mir gewährte Unterstützung in der Superintendentur Leipzig durch Superintendent i. R. D. D. Johannes Richter und Cornelia Dietze zu nennen, deren Hilfestellung weit über das übliche Maß hinausging. In der Außenstelle Leipzig der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR haben Marga Erb und Tobias Hollitzer mir bei der Recherche und Interpretation der ganz eigenen Sprache geheimdienstlicher Akten sehr geholfen. Ich habe sehr davon profitiert, Probleme meiner Arbeit mit meinen Kollegen am Lehrstuhl besprechen zu können. Dafür möchte ich mich bei Dr. Francesca Weil, Christopher Beckmann M. A. und Dr. Oliver Werner, besonders aber bei Dr. habil. Thomas Schaarschmidt ganz herzlich bedan-
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Vorwort
ken. Cornelia Liebold M. A. und Marlis Mauersberger M. A. gewährten mir während der ausgedehnten Archivaufenthalte ihre Gastfreundschaft und machten mich darauf aufmerksam, dass es auch noch eine Welt jenseits der kirchlichen Zeitgeschichte gibt. Ganz besonderer Dank gebührt meinem Freund Dr. Wolfgang Tischner, der mir mit seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit nicht nur an entscheidenden Stellen half, motivationshemmende Hürden zu überspringen, sondern mir auch in allen Phasen der Arbeit mit seinem Rat zur Seite stand. Wesentliche Teile der Dissertation entstanden in der Kommission für Zeitgeschichte (Bonn), die mir ideale Arbeitsmöglichkeiten bot. Dafür möchte ich mich bei allen Mitarbeitern bedanken, vor allem bei ihrem Direktor Dr. Karl-Joseph Hummel und Dr. Christoph Kösters. Für äußerste Sorgfalt bei den Korrekturen sage ich Annette Huth Dank. Die verbliebenen Fehler gehen selbstverständlich zu meinen Lasten. Ich danke der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte für die Aufnahme der Dissertation in die Reihe der „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“. Für die äußerst sorgfältige redaktionelle Betreuung danke ich besonders Prof. Dr. Carsten Nicolaisen. Meine Frau Ulrike Winterstein M. A. hat mir während der ganzen Dauer der Dissertation den Rücken frei gehalten und mit großem persönlichen Einsatz entscheidend zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen. Ohne diese Unterstützung wäre die Arbeit nicht entstanden. Dieses Buch ist meiner Großmutter Marie Doffek gewidmet, die schon früh mein Interesse für Geschichte geweckt und mit großem Interesse den Fortgang meiner Arbeit begleitet hat. Leider hat sie das Ende des Promotionsverfahrens nicht mehr erlebt.
Inhalt
Inhalt
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Thema und Fragestellung . . . . . . Diktaturenvergleich . . . . . . . . Forschungsstand . . . . . . . . . . Quellenlage und Archivsituation . . .
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13 20 25 28
I. „Drittes Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des Kirchenstreites . . 31 1.1 Die Stadt Leipzig in der Weimarer Republik . . . . . . . . . 1.2 Die Sächsische Landeskirche 1918–1933: Verfassung, Struktur, Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Evangelisch-lutherische Kirche in der Stadt Leipzig . . . . 1.3.1 Strukturen und Arbeitsfelder . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Theologische Strömungen und parteipolitische Tätigkeit der Leipziger Pfarrerschaft . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Das kirchenpolitische Umfeld in Leipzig in der Zeit der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Der Aufstieg der NSDAP in Leipzig . . . . . . . . . . . . 1.6 Die kirchliche Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus Anfang der 30er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 31 . 32 . 34 . 34 . 38 . 43 . 50 . 52
2. Nationalsozialistischer Angriff und protestantische Selbstpreisgabe 1933 bis 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.1 Das NS-Regime und die Kirchen . . . . . . . . . . . 2.2 Nationalsozialistische „Hilfestellung“ bei der Neuordnung der sächsischen Landeskirche 1933 . . . . . . . . . . . . 2.3 Die evangelische Kirche in Leipzig im Umbruch . . . . . 2.3.1 Die Leipziger Pfarrerschaft zwischen Selbstumformung und Gegenwehr . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Deutschen Christen . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Der Pfarrernotbund . . . . . . . . . . . . . .
. . . 60 . . . 61 . . . 65 . . . 65 . . . 71 . . . 75
8
Inhalt 2.4 Die kirchenpolitischen Entwicklungen in Sachsen von Herbst 1933 bis Frühjahr 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Der „Kirchenstreit“ in Leipzig . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Stadt und Partei als neutrale „Beobachter“ des Kirchenstreits? . .
82 88 96
3. Die Bekennende Kirche in Leipzig im Zangengriff von deutschchristlichem Kirchenregiment, Polizei und Staat 1933–1935 . . 103 3.1 Das Polizeipräsidium Leipzig und die evangelische Kirche 1934 . 3.2 Die Sächsische Landeskirche aus der Sicht des Sicherheitsdienstes der SS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Leipziger Notbundpfarrer in Schutzhaft . . . . . . . . . . .
4 Verstärkte Entkonfessionalisierung in Zeiten kirchenpolitischer Beruhigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der kirchenpolitische Kurs des NS-Regimes . . . . . . . . 4.2 Die Bildung des sächsischen Landeskirchenausschusses . . . . 4.3 Das evangelische Leipzig zwischen kirchenpolitischer Beruhigung und religionspolitischem Zugriff . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Ein Mann der „Mitte“: Der neue Superintendent Heinrich Schumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Verdrängung der Kirche aus der Öffentlichkeit . . . 4.4 Die „Kirchenwahlen“ von 1937 . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die Auflösung des Landeskirchenausschusses . . . . . . . .
103 111 114
124
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124 127
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133
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133 138 149 154
5. Kirchenpolitik im Abseits: 1937 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157
Kirchenpolitische Entwicklungen auf Landesebene . . . . . Gestapo und SD als kirchenpolitische Akteure . . . . . . Die Pfarrer und die NSDAP . . . . . . . . . . . . . Kirchenpolitische Konflikte in Leipzig . . . . . . . . . 5.4.1 Die Auseinandersetzung um die Treueidkampagne im Frühjahr 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Das Verbot der „Waldgottesdienste“ . . . . . . . . 5.4.3 Kirchliches Selbstverständnis auf dem Prüfstand: Der Umgang der Leipziger Pfarrer mit ihrem „nichtarischen“ Amtsbruder Ernst Lewek . . . . . . . . . . . . 5.5 Die evangelische Kirche im Krieg . . . . . . . . . . . 5.1 5.2 5.3 5.4
6. Zusammenfassung
. . . .
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157 164 171 174
. . . .
174 178
. . . .
182 191
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199
9
Inhalt
II. SBZ/DDR
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
1. Kirchenpolitik in Leipzig nach dem Untergang des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
1.1 Das Verhalten der amerikanischen Besatzungsmacht gegenüber der evangelischen Kirche in Leipzig . . . . . . . . . . 1.2 Das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ in Leipzig . . . 1.3 Die Kirchenpolitik der KPD . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Kirchenpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht . . . 1.5 Das Verhältnis von Kirche und Stadtverwaltung . . . . . 1.6 Die CDU als Vertreterin evangelischer Interessen . . . . .
. . . . . .
204 206 208 211 215 218
2. Neuaufbau und „Selbstreinigung“ der evangelischen Kirche in Leipzig nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
2.1 Die Bildung und Tätigkeit des „Evangelisch-lutherischen Konsistoriums in Leipzig“ . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Auseinandersetzung um Superintendent Schumann . . . 2.3 Die „Selbstreinigung“ der Leipziger Pfarrerschaft . . . . . 2.3.1 Das Leipziger Konsistorium . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Übergangsphase Juli bis Oktober 1945 . . . . . 2.3.3 Der Runderlass Nr. 20 des Landeskirchenamtes . . . 2.3.4 Kritik an der „Selbstreinigung“ aus den eigenen Reihen 2.4 Zusammenfassende Analyse . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
225 232 233 233 236 240 248 254
3. Staatliche Vereinnahmungsversuche und kirchliche Abschottung 1945–1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262
Strukturen der Kirchenpolitik in Sachsen . . . . . . . . . Die kirchliche Handlungslinie . . . . . . . . . . . . . . Die Bodenreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Volksentscheid zur „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Wahlen im Jahr 1946 . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Die Volkskongressbewegung . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Die Kanzelabkündigung der sächsischen Landeskirche am 23. April 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Der „fortschrittliche“ Pfarrer Wolfgang Caffier zwischen SED und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Die Pfarrerkonferenzen in Dresden und Leipzig und die Wahlen vom Oktober 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10 Der Übergang zur Konfrontationspolitik . . . . . . . . . 3.1 3.2 3.3 3.4
. . .
262 266 267
. . .
272 278 283
.
286
.
289
. .
291 298
10
Inhalt
4. Der Konflikt um die „Junge Gemeinde“ in Leipzig bis zum 17. Juni 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verbotswelle im Sommer 1952 . . . . . . . . . . . . . Kirchenpolitik in Zeiten der administrativen Umstrukturierung . . Die CDU und die „Junge Gemeinde“ . . . . . . . . . . . . Neue Initiativen im Herbst 1952 . . . . . . . . . . . . . . Die Ausweitung der Maßnahmen gegen die „Junge Gemeinde“ . . Die kirchliche Handlungslinie . . . . . . . . . . . . . . . Der „Neue Kurs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der 17. Juni in Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.1 Das Verhalten der evangelischen Kirche . . . . . . . . 4.9.2 Die CDU und der 17. Juni . . . . . . . . . . . . . . 4.9.3 Die Umsetzung des Kommuniqués vom 10. Juni 1953 . . . 4.10 Exkurs: Die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit in den Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ . . . . . . . 4.10.1 Die evangelische Kirche in Leipzig unter Beobachtung . . 4.10.2 Die Kirchen in der Struktur des Ministeriums für Staatssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10.3 Die Verhaftung von Herbert Dost . . . . . . . . . . 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9
5. Die planvolle Beschneidung der gesellschaftlichen Wirkmöglichkeiten der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 „Die Politik der Partei in Kirchenfragen“ . . . . . . . . . . 5.2 Die „Sonderkonten Kirchenfragen“ – ein neues kirchenpolitisches Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 „Eine feste Basis unter den christlichen Menschen schaffen“: Kirchenpolitik der Massenorganisationen . . . . . . . . . . 5.4 Die CDU als kirchenpolitische Kraft nach dem 17. Juni 1953 . . 5.5 Kirchlicher Widerspruch gegen die innenpolitische Entwicklung in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Die Einführung der Jugendweihe im Bezirk Leipzig . . . . . . 5.7 Die CDU und die Jugendweihe . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Der Fall „Rausch“ – Ein „Schulbeispiel“ der Kirchenpolitik des Ministeriums für Staatssicherheit? . . . . . . . . . . . 6.1 Die Anwerbung des Probstheidaer Pfarrers Hans-Georg Rausch durch das SfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Ausweitung des Konflikts auf die Lukaskirchgemeinde in Leipzig-Volkmarsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . .
306 309 313 317 321 324 327 337 344 347 347 351 355 361 362 366 367
373 373 381 383 389 391 395 402 413
415 416 428
11
Inhalt 6.3 Rauschs Bemühungen zur Ausweitung des Konflikts und die kirchlichen Abwehrstrategien . . . . . . . . . . . . 6.4 Kirchliche versus staatliche Differenzierungsstrategie – Die Auseinandersetzung im ersten Halbjahr 1956 . . . . 6.5 Sondierungsgespräche . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . .
436
. . . . . . . . .
444 451 457
III. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
461
1. Zäsuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
461
2. Strukturen und Methodik der Kirchenpolitik
. . . . . . . .
466
3. Die evangelische Kirche und der Repressionsapparat . . . . .
469
4. Pfarrer zwischen Anpassung und Widerstand
. . . . . . . .
479
. . . . . . . . .
491
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
495
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . .
499
Personenregister/Biografische Angaben . . . . . . . . . . . .
537
5. Die Besonderheit der lokalen Entwicklung
Thema und Fragestellung Einleitung
Einleitung
Thema und Fragestellung Die vorliegende Arbeit untersucht die Kirchenpolitik zweier deutscher Diktaturen am regionalen bzw. lokalen Beispiel von Sachsen/Leipzig mit ihren Strukturen, Strategien und Methoden sowie die Reaktion der evangelischen Kirche darauf in vergleichender Hinsicht1. Es wird zum einen analysiert, welche Kräfte die Kirchenpolitik auf lokaler Ebene bestimmten. An welchen Stellen im Regime erfuhr sie Wandlungen, Verstärkungen oder Brechungen, und wer konnte sie durchsetzen? Damit ist auch die Frage nach dem Stellenwert von Kirchenpolitik im „Dritten Reich“ und der DDR und nach den regionalen Besonderheiten gestellt. Zum anderen gilt es zu eruieren, wie die Kirche auf den totalitären Machtanspruch, den beide Diktaturen erhoben, reagierte, welche Antworten sie auf ein neues historisches Phänomen fand, das eine auf die „gute Obrigkeit“ fixierte und in nationalen Denkmustern verankerte evangelische Kirche in ihren Grundfesten traf. Erst durch diese wechselseitige Sichtweise kann m. E. die „Dialektik von Herrschaft und Widerstand“2 aufgezeigt werden. Hierbei stellt sich in besonderer Weise die Frage nach den Lernprozessen und Kontinuitäten im Übergang vom „Dritten Reich“ zur SBZ/DDR3. Im letzten Schritt sollen die für jede Epoche erzielten Ergebnisse verglichen und durch Kontrastierung die Besonderheiten, aber auch die Gemeinsamkeiten von Kirchenpolitik und kirchlicher Reaktion in beiden Diktaturen herausgearbeitet werden. In der Forschung herrscht weitgehende Einigkeit darüber, sowohl „Drittes Reich“ als auch DDR aufgrund ihres politisch-ideologischen Selbstverständnisses als auch ihrer Herrschaftspraxis als Diktatur zu bezeichnen. 1 Die vorliegende Studie ist Teil des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsverbundes „Sachsen unter totalitärer Herrschaft. Diktaturdurchsetzung, Diktaturformen, Diktaturerfahrung 1933–1961“. Wesentliche Ergebnisse des Verbundes sind mittlerweile publiziert in G. HEYDEMANN/H. OBERREUTER, Diktaturen in Deutschland – Vergleichsaspekte. 2 G. PAUL, Traditionsbildung, S. 36. 3 Vgl. F. W. GRAF, Erfahrungen, S. 73: „Für eine methodisch disziplinierte Erforschung der DDR-Vergangenheit sind die möglichen Kontinuitäten und strukturellen Affinitäten zwischen erster und zweiter deutscher Diktatur das entscheidende Thema. Denn alles geschichtliche Individuelle lässt sich immer nur in Korrelation erschließen“.
14
Einleitung
Beide kannten weder Gewaltenteilung noch Rechtsstaat, verletzten Menschen- und Bürgerrechte systematisch und waren nicht durch freie Wahlen legitimiert4 Mit dieser lokal-regional angelegten Untersuchung soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass im Nationalsozialismus für die Ausprägung des „Kirchenkampfes“5 die theologischen Traditionen und Kräfteverhältnisse der innerkirchlichen Gruppen untereinander in den einzelnen Landeskirchen wie auch die Politik der einzelnen Gauleiter in besonderem Maße ausschlaggebend waren6 Charakteristisch hat dies der Reichsstatthalter von Baden, Robert Wagner, gegenüber Reichsinnenminister Frick zum Ausdruck gebracht: „Ich weiß nun aus den Gauleitertagungen, dass die Partei recht verschiedene Meinungen zum Kirchenstreit vertritt, oder wenigstens bis vor kurzem vertreten hat. Die Verschiedenartigkeit dieser Meinungen hat sich auch in den einzelnen Gauen ebenso verschiedenartig ausgewirkt“7
Für die SBZ/DDR ist die Frage nach der Spezifik der regionalen Ausprägung der Kirchenpolitik bisher nur am Rande gestellt worden8 Um die Besonderheit der Staat-Kirche-Auseinandersetzung in der Stadt Leipzig aufzuzeigen, wurde hier ein Ansatz gewählt, der die handlungsleitenden Personen in den Mittelpunkt stellt. Sie bildeten jene Schnittstellen, an denen sich Anordnungen von oben mit den Reaktionen von unten trafen: Der Superintendent als leitender Geistlicher des Ephoralbezirkes, der das Stadtgebiet umfasste, brachte die Anliegen seines Bezirkes in die landeskirchliche Willensbildung ein und konnte die Umsetzung auf der Ebene der Pfarrer nachhaltig beeinflussen. Alle Superintendenten, die von 1933 bis zum Ende der 50er Jahre in Leipzig tätig waren, prägten mit ihren unterschiedlichen theologischen Konzepten und kirchenpolitischen Einstellungen das Verhältnis der Pfarrer untereinander sowie der Pfarrerschaft insgesamt zu Staat und Partei in spezifischer Weise. Das Bild vor 4 G. HEYDEMANN/D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, S. 11. Zum Begriff der Diktatur vgl. auch K. D. BRACHER, Dikatur; E. NOLTE, Diktatur. 5 Der Begriff „Kirchenkampf“, der sich als „Epochenbezeichnung für die Geschichte beider Kirchen im Dritten Reich“ durchgesetzt hat (K. SCHOLDER, Kirchenkampf, S. 132), ist wegen seiner „wertende[n] Deutung des Geschehens“ (J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus, S. 44) kritisiert worden; dagegen U. V. HEHL, Herrschaft, S. 75; im Folgenden wird der Terminus allerdings im traditionellen Sinne als Epochenbezeichnung benutzt. 6 Die Berichte der Exil-SPD (Sopade) vom August 1937 (A 81) betonen in ihrem 2. Bericht zur kirchenpolitischen Lage in Sachsen im August 1937 die unterschiedliche örtliche Ausprägung des Kirchenkampfes: „Der Kirchenkampf bietet kein einheitliches Bild. Es kommt einmal darauf an, welche Initiative die einzelnen Pfarrer entwickeln, aber auch darauf, welche Haltung die örtlichen Parteistellen an den Tag legen.“ 7 Wagner an Frick, 3. Dezember 1934. Zitiert in: G. BESIER, Kirchen, S. 265. 8 P. BEIER.
Thema und Fragestellung
15
Ort unterschied sich nur graduell von den Verhältnissen in Sachsen, kann aber nicht losgelöst von den reichs- bzw. landesweiten Bedingungen betrachtet werden, weshalb diese in die Darstellung mit einzubeziehen sind. Unterhalb der Ebene des Superintendenten bildeten die Pfarrer das Bindeglied zwischen den Gemeinden und der evangelischen Amtskirche. Den Pfarrern kam, wie Manfred Gailus jüngst in einer Darstellung des protestantischen Sozialmilieus in Berlin betont hat, „eine Schlüsselstellung“ für die Ausprägung des Kirchenkampfes vor Ort zu, denn sie hatten den größten Einfluss darauf, welchen Weg eine Gemeinde (oder wesentliche Teile in ihr) um 1933 einschlagen würde9. Als „Intermediäre“ vermittelten sie in individuell unterschiedlicher Weise die Anordnungen der Kirchenleitung an die kirchliche Basis, informierten aber auch die Kirchenbehörden über Vorkommnisse in ihren Gemeinden. Auch für Staat und Partei übten die „Schnittstellen“ eine das Staat-Kirche-Verhältnis prägende Wirkung aus. Gemäßigte politische Kräfte wie der Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler wirkten in ihrem sicherlich begrenzten Handlungsspielraum anders auf die Beziehungen zur Kirche ein als seine Nachfolger, die alle eine schon weit in die 20er Jahre zurückreichende Verbindung zur NSDAP vorweisen konnten. Auf der Landesebene konnte ein mächtiger Reichsstatthalter wie Martin Mutschmann die Berliner Kirchenpolitik mit seinen eigenen Maßnahmen konterkarieren. Mit der Auflösung der Länder 1952 gewannen der Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung und sein Pendant auf der administrativen Seite, der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, gerade in der Aufbauphase der DDR einen gewissen Spielraum zur Umsetzung der von oben vorgegebenen Weisungen. Mit dieser Fragestellung soll die besonders die bisherige Forschung zum Staat-Kirche-Verhältnis in der DDR dominierende Sicht auf die obersten Entscheidungsebenen durch eine weitere Ebene ergänzt und damit ein Zwischenglied der Darstellung der zentralen Ebene und einer reinen Lokalanalyse beschrieben werden. Es wurde bewusst ein politikgeschichtlicher Ansatz gewählt, zumal die Übernahme sozialgeschichtlicher Modelle wie des Milieubegriffs, wie er sich in der Katholizismusforschung und der Erforschung des Arbeitermilieus durchgesetzt hat, für den Protestantismus in beiden Diktaturen nicht unumstritten ist. Unter „Sozialmilieu“ werden im Anschluss an M. Rainer Lepsius soziale Einheiten verstanden, die sich durch eine Kombination mehrerer Strukturdimensionen (wie etwa Religion, regionale Tradition, schichtspezifische Zusammensetzung, geistige und politische Grundorientierungen) konstituieren und entsprechend von anderen Sozialmilieus abgrenzen10. Wolfram Pyta, der den Milieubegriff bei der Untersuchung von protestantischen Land9 M. GAILUS, Protestantismus, S. 18 f. 10 M. R. LEPSIUS.
16
Einleitung
gebieten Deutschlands in der Weimarer Republik verwandt hat, ohne jedoch statistische Materialien heranzuziehen, sah im „Milieu“ eine „kulturell überformte Lebensweise, welche den ganzen Menschen gefangen nimmt, dessen Denken prägt und seinem Handeln den Stempel aufdrückt“11. Diese Lebensweise machte sich in einem homogenen politischen Verhalten bemerkbar. Gerade dieser Konnex war aber in der Großstadt mit ihrer viel stärkeren sozialen Differenzierung weitgehend aufgehoben12. Die Forschung hat für den Protestantismus den Weg zur „Kerngemeindebildung“ konstatiert13. Wissenschaftler, die den Milieubegriff dennoch für die Untersuchung des Protestantismus in der Großstadt benutzen, sind daher gezwungen, eine sehr weit gefasste Definition zu wählen und angesichts der Mannigfaltigkeit des protestantischen Erscheinungsbildes weitgehende Feindifferenzierungen vorzunehmen14. Zudem konnte lediglich der Katholizismus wegen seiner gegenüber dem Protestantismus höheren Imaginations- und Bindekraft in der SBZ/DDR Milieustrukturen aufrechterhalten15. Aus diesen Gründen fand der Milieubegriff in dieser Arbeit keine Anwendung. Um die Einseitigkeit des politikgeschichtlichen Ansatzes auszugleichen, zielt diese Studie darauf ab, die Interaktion von Staat, Partei und Kirche, die über das einseitige Schema: Actio durch Staat und Partei und Reactio der Kirche, hinausgeht, soweit wie dies die Quellenlage zulässt, gleichgewichtig darzustellen. Ausgangspunkt der vorliegenden Darstellung ist die Annahme, dass die Kirchen als autonome Großorganisationen aufgrund ihrer alternativen „Weltanschauung“ in beiden Diktaturen dem Anspruch auf totalitäre Umgestaltung und Kontrolle der Gesellschaft im Wege standen. Sie sollten nur noch eine Nischenexistenz führen und auf lange Sicht marginalisiert werden. Die Politik gegen die Kirchen verdeutlicht in besonderem Maße die Ausübung von Herrschaft in Diktaturen, denn die großen Kirchen waren gesellschaftlich breit verankert und erhoben den volkskirchlich begründeten Anspruch, gesellschaftliche Interessen zu vertreten. Politik gegen die Kirchen hatte also gesamtgesellschaftliche Auswirkungen und war in beiden Diktaturen in besonderem Maße von Rücksichtnahmen auf den Rückhalt der Kirchen in der Gesellschaft geprägt. In gleichem Maße war auch die Reaktion der Kirchen von ihrer gesellschaftlichen Verankerung und der gesellschaftlichen Zustimmung zum Regime abhängig. Ihre Stärke bzw. 11 W. PYTA, S. 12; vgl. dazu W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 36. 12 Auch M. GAILUS, Protestantismus, S. 6, der die nationalsozialistische Durchdringung protestantischer Sozialmilieus in Berlin untersucht, bleibt bei der Beschreibung des angewandten Milieubegriffs seltsam blass. 13 A. LIEDHEGENER, S. 585. 14 So C. KLESSMANN, Sozialgeschichte; H. OTTE; P. LÖSCHE/F. WALTER, S. 491, sprechen z. B. von „Kleinmilieu“. 15 W. TISCHNER, Katholische Kirche, Formierung; P. LÖSCHE/F. WALTER, S. 490–492.
Thema und Fragestellung
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Schwäche war Ausweis ihres Vermögens, die christliche Bevölkerung hinter sich scharen zu können16. Für eine Untersuchung der Kirchenpolitik in Sachsen bietet sich die evangelische Kirche in besonderer Weise an. Das liegt zum einen daran, dass der Protestantismus dort die dominierende Konfession war. In Sachsen standen 1933 87 % Protestanten 3,7 % Katholiken gegenüber, deren Anteil an der Bevölkerung damit deutlich unter dem der Konfessionslosen (8,7 %) lag17. Die sächsische Landeskirche hatte 1933 noch eine starke Position in der Verwaltung inne, wo zentrale Stellen von Protestanten besetzt waren. Anders als die katholische Kirche verfügte die evangelische Kirche nicht mehr über ein fest gefügtes konfessionelles Milieu und war nach dem Zusammenbruch des landesherrlichen Kirchenregiments ihres Selbstverständnisses als staatstragende Konfession beraubt. In dieser Krisensituation war sie theologisch empfänglicher für neue politische Strömungen als die katholische Kirche. Dazu kam, dass die kirchlichen Strukturen offener waren und damit eine Abschottungsstrategie, wie sie die katholische Kirche betrieb, auf Dauer kaum durchzuhalten war. Deshalb lässt sich am Beispiel der evangelischen Kirche besonders gut die Verbindung von Kirche, Gesellschaft und diktatorialem Machtapparat darstellen. Die Auseinandersetzung mit der NS-Kirchenpolitik führte in der evangelischen Kirche schon Ende 1933 zu einer offenen, sehr konfrontative Formen annehmenden Spaltung der Pfarrerschaft, die in den einzelnen Landeskirchen unterschiedlich ausgeprägt war. Dieser Bruch hatte auf die Formierung der nationalsozialistischen Kirchenpolitik massive Auswirkungen. Es ist daher erforderlich, gerade für die Zeit des Nationalsozialismus den innerkirchlichen Diskussionen und Konflikten größeren Raum zu geben. In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bildeten sich in Leipzigs Pfarrerschaft drei große Gruppen mit unterschiedlichen theologischen und kirchenpolitischen Konzepten – Deutsche Christen, „Mitte“ und Bekennende Kirche – heraus, deren Verhältnis zueinander die Lage in den Kirchgemeinden, aber auch das Verhältnis nach außen in großem Maße, auch über das Jahr 1945 hinaus, bestimmte. Zieht man in Betracht, dass sich nach 1945 die „Herrschaftsseite“ personell völlig veränderte und die SED sowie der kirchenpolitische Apparat in der DDR sich stark an sowjetischen Vorbildern orientierten, so ist die Frage nach personellen Kontinuitäten, nach Lernprozessen, strukturellen und theologischen Veränderungen als Erfahrung aus dem Nationalsozialismus vor allem an die Kirche zu richten. Gleichwohl spielte die Erwägung 16 Es verwundert daher nicht, dass einer der ersten Wege eines systematischen Vergleichs von NS-Regime und SED-Herrschaft am Beispiel der Kirchen eingeschlagen wurde. Vgl. G. HEYDEMANN/L. KETTENACKER. 17 STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR DAS DEUTSCHE REICH 1933, S. 14.
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auf Seiten der SED, einen offenen „Kirchenkampf“ vermeiden zu wollen, die sich implizit auf die NS-Kirchenpolitik bezog, bei bestimmten Zäsuren eine wichtige Rolle. Die Stadt Leipzig bietet sich für eine vergleichende Darstellung in besonderer Weise an. Das liegt unter anderem an den sozialstrukturellen Voraussetzungen. Schon in der Weimarer Republik hatte sich bemerkbar gemacht, dass die Dominanz des Protestantischen und das Fehlen eines größeren katholischen Bevölkerungsteils in der Stadt den politischen und kulturellen Auseinandersetzungen eine besondere Prägung gab18. Einem breiten Funktions- und Elitenprotestantismus mit einer großen Anzahl protestantischer Verbände, Institutionen und der traditionsreichen Theologischen Fakultät standen weithin leere Kirchen und von den Mühen der kirchlichen Arbeit in der Großstadt frustrierte Pfarrer entgegen. Der Entkirchlichungsprozess war schon vor 1933 im Reichsmaßstab relativ weit fortgeschritten19. Von daher zeigte sich die evangelische Kirche in der Stadt von vornherein gegenüber Angriffen von Staat und Partei in einer relativ schwachen Position. In administrativ-politischer Hinsicht war für die Auswahl Leipzigs ausschlaggebend, dass dort weder die Landesregierung noch die Leitung der Landeskirche ihren Sitz hatten. Dies bietet die Möglichkeit, die Brechungen diktatorialer Herrschaft an der Schnittstelle Metropole – Peripherie im Rahmen der Kirchenpolitik zu untersuchen. Es ist darauf hingewiesen worden, dass sich im Nationalsozialismus erhebliche Unterschiede zwischen der politischen Peripherie und den in der NS-Zeit im Mittelpunkt stehenden Gauhauptstätten ergeben hätten20. Die traditionelle Rivalität zwischen Dresden und Leipzig nährte sich zum großen Teil aus dieser strukturellen Gegebenheit. Nach 1945 gab es innerhalb des für kurze Zeit bestehenden „Leipziger Konsistoriums“ sogar Überlegungen, gegenüber dem Landeskirchenamt in Dresden größere Unabhängigkeit zu erlangen21. In der sächsischen Landeskirche blieben diese Spannungen zwischen der Kirchenleitung in Dresden und Leipzig auch über 1952 hinaus erhalten. Die Frage, inwieweit in der DDR durch die Schaffung der Bezirke die Einheitlichkeit des Staatswesens befördert und, komplementär dazu, welchen Freiraum die Bezirke in der Umsetzung der SED-Politik erhielten, ist bisher kaum untersucht worden22. Die Untersuchung umfasst den Zeitraum von Anfang der 30er Jahre bis zum Ende der 50er Jahre. Die Darstellung beginnt mit der Auseinander18 P. BRANDMANN, S. 35 f. 19 So auch C.-C. W. SZEJNMANN, Nazism, S. 243. Zum „sozialdemokratischen Milieu“ vgl. T. ADAM, Arbeitermilieu und Arbeiterbewegung. 20 D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Nationalsozialistische Herrschaft, S. 531. 21 M. HEIN, S. 50. 22 M. KAISER, bes. S. 1806–1808.
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setzung der evangelischen Kirche in Leipzig mit der bei den Wahlen erstarkenden NSDAP Anfang der 30er Jahre. Ein großer Teil der Pfarrerschaft bemühte sich bereits in dieser Zeit, Anschluss an diese politische Bewegung zu finden, und suchte eine einheitliche Haltung der Geistlichen ihr gegenüber zu erreichen. Für den Abschluss des Untersuchungszeitraumes mit dem Ende der 50er Jahre sprechen mehrere Gründe23. Zum einen war bis dahin die Ausbildung der kirchenpolitischen Apparate und Methoden in der DDR im Wesentlichen abgeschlossen. Diese Zäsur markiert zum anderen mit dem durchschlagenden Erfolg der Jugendweihe gerade im Bezirk Leipzig das Ende einer Phase, in der die evangelische Kirche für ihren tendenziell konfrontativen Kurs gegen die Politik der SED in den Kirchgemeinden noch genügend Rückhalt fand. Als die Zahl der Konfirmanden Ende der 50er Jahre massiv zurückging, wurden gerade von den Gemeindepfarrern Forderungen erhoben, den Entweder-oder-Kurs in der Jugendweihe aufzugeben24. Drittens wurde Ende der 50er Jahre – und damit ist eine spezifisch lokale Zäsur markiert – die Konzeption, den Probstheidaer Pfarrer HansGeorg Rausch zu einem Ausgangspunkt einer republikweiten innerkirchlichen Oppositionsbewegung gegen die evangelischen Landeskirchen zu machen, von der SED aufgegeben. Damit ist m. E. auch in zeitlicher Hinsicht eine vergleichbare Ebene zwischen beiden Diktaturen geschaffen. Vorgeschichte, Machtetablierung, Machtausbau und strukturelle Probleme der Kirchenpolitik können auf dieser Basis aufgezeigt werden. Die Darstellung konzentriert sich auf den engeren kirchlichen Bereich. Selbstverständlich haben auch die vielen evangelischen Institutionen, die in Leipzig bestanden, wie etwa die bedeutende Theologische Fakultät, der 1869 gegründete Verein für Innere Mission, der Gustav-Adolf-Verein als Diasporawerk der evangelischen Kirche, die Leipziger Spielgemeinde und die Leipziger Hochschulgemeinde – um nur die zentralen zu benennen – Einfluss auf die innerkirchlichen Auseinandersetzungen in der Stadt gehabt. Diese Institutionen allerdings vollständig in die vorliegende Arbeit zu integrieren, hätte den Rahmen einer solchen Studie gesprengt.
23 Für diese Zäsur sprechen sich auch H. DÄHN, Ziele; M. G. GOERNER, Kirche, S. 2, aus; zu Fragen der Periodisierung vgl. auch D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 79 f. 24 D. POLLACK, Eigenständigkeit, S. 198.
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Einleitung Diktaturenvergleich
Diktaturenvergleich An die Darstellung der Entwicklung im „Dritten Reich“ und der DDR schließt sich der Vergleich an. Dieser untersucht systematisch die Identifikation und Erklärung von Ähnlichkeiten und Unterschieden. Die spezifischen Erkenntnismöglichkeiten des Diktaturenvergleichs liegen darin, dass historische Quellenbefunde systematisch eingeordnet werden können und zugleich politik- und sozialwissenschaftliche Modelle eine unmittelbare empirische Unterfütterung erhalten. Durch den kontrastierenden Blick auf die miteinander verglichenen Fallbeispiele wird die Wahrnehmung der einzelnen in die Untersuchung einbezogenen Phänomene präzisiert und damit die historische Analyse geschärft25. Der Vergleich als Verfahren hat erst durch den Einfluss der Sozialwissenschaften in den 60er Jahren Aufnahme in die deutsche Geschichtswissenschaft gefunden26. Bis dahin hatte der die deutsche Geschichtswissenschaft in starkem Maße beeinflussende Historismus mit seiner Betonung der historischen Individualität und „Entwicklung“ die Beschäftigung mit vergleichenden Ansätzen blockiert27. Mit der zunehmenden Betonung der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte, die längerfristige Strukturen in Augenschein nahm und quantifizierende Methoden aus den Sozialwissenschaften übernahm, kam es in den 60er Jahren zu einer Aufwertung des geschichtswissenschaftlichen Vergleichs. Im 20. Jahrhundert folgte nur in Deutschland eine links- einer rechtstotalitären Diktatur. Deren nahezu unmittelbare Aufeinanderfolge brachte unweigerlich die Frage nach ihrem Beziehungsverhältnis wie auch nach einem Vergleich mit sich. Gerade Hans-Ulrich Wehler betonte den großen heuristischen Gewinn, den die komparative Methode bei der Untersuchung der DDR-Geschichte mit sich bringe28. Bestehen gegen den Vergleich der DDR mit anderen kommunistischen Staaten im sowjetischen Machtbereich wie auch gegen ihren Vergleich mit der Bundesrepublik kaum Einwände, so stellt der Vergleich der DDR mit dem „Dritten Reich“ seiner Meinung nach die „unbequemere“ Variante dar29. Er stellt als diachroner Vergleich insofern einen Sonderfall des Diktaturvergleichs dar30. Zum Teil resultieren 25 Zu den Funktionen des Vergleichs vgl. auch H.-G. HAUPT/J. KOCKA, Historischer Vergleich, S. 12–15; D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Diktaturenvergleich, S. 656. 26 Zum Vergleich in der Geschichtswissenschaft in Deutschland vgl. J. KOCKA, Komparatistik. Vgl. weiter H.-G. HAUPT/J. KOCKA, Geschichte und Vergleich; H. KAELBLE, Vergleich; T. SCHIEDER. 27 Vgl. dazu T. SCHIEDER, S. 204–206; D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Diktaturenvergleich, S. 647. 28 H.-U. WEHLER, Diktaturvergleich, S. 113. Vgl. auch C. KLESSMANN, Diktaturen. 29 H.-U. WEHLER, S. 117. 30 Zum Vergleich von NS- und SED-Regime jüngst D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Dik-
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diese Einwände aus dem Missverständnis, vergleichen bedeute gleichsetzen. Andere Einwände beziehen sich auf das höhere verbrecherische Potenzial des Nationalsozialismus, der Europa mit einem „Weltanschauungs- und Vernichtungsfeldzug“ überzog und den Genozid an den Juden verübte, der für immer mit dem Begriff „Auschwitz“ verbunden ist31. Angesichts des rassistischen Programms der NS-Diktatur, für das es im SED-Regime keinerlei auch nur annähernde Entsprechung gibt, muss freilich der Vergleich zwischen „Drittem Reich“ und DDR unvollständig bleiben32. In der Forschung werden zwei Typen des Diktaturenvergleichs unterschieden, die jeweils andere methodische Anforderungen stellen: 1. Der ganzheitliche, integrale Vergleich und 2. der partielle bzw. sektorale Vergleich33. Der integrale Vergleich als umfassender Gesamtvergleich zielt darauf ab, „beide diktatorialen Herrschaftssysteme in ihrer Gesamtheit mit ihren Hauptmerkmalen, eventuellen Gemeinsamkeiten sowie spezifischen Unterschieden zu erfassen“34. Dieser Vergleich ist notwendigerweise eher abstrakt und muss temporäre und regionale Unterschiede zumeist aussparen. Als mögliche Vergleichskriterien hat Günther Heydemann beispielsweise die zeitliche Dauer, Entstehungs- und Ausgangslage, Ideologie bzw. weltanschauliches Fundament herausgearbeitet35. Seinem Charakter nach dürfte der integrale Vergleich daher eher eine vergleichende Gegenüberstellung sein. Im Gegensatz dazu greift der sektorale Vergleich nur einzelne Sektoren bzw. Subsysteme heraus, die anhand von härteren Operatoren untersucht werden können. Bei dem in dieser Untersuchung angewandten Vergleichstypus handelt es sich also um den des „sektoralen“ Vergleichs. Zum Vergleich von Diktaturen, insbesondere von kommunistischen und faschistischen Diktaturen bzw. dem nationalsozialistischen Regime, hat sich das Totalitarismuskonzept etabliert, das allerdings in der Wissenschaft nicht unumstritten ist36. Charakteristisch für eine totalitäre Herrschaft ist taturenvergleich, der den aktuellen Forschungsstand mit breiten Verweisen auf die Literatur darstellt. Das Heft 11 der GWU 2000 ist dem Vergleich von NS-Regime und SED-Herrschaft gewidmet und enthält Beiträge, die im Rahmen der von Günther Heydemann und Detlef Schmiechen-Ackermann geleiteten Sektion „Nationalsozialismus und SED-Herrschaft im Diktaturenvergleich“ beim 43. Deutschen Historikertag 2000 in Aachen vorgestellt wurden; vgl. auch G. HEYDEMANN/C. BECKMANN und G. HEYDEMANN/E. JESSE; H.-U. THAMER, Staatsmacht. Als wichtige empirische Analysen liegen bereits vor: W. OBERKROME; R. GELLATELY, Denunciations; F. BOLL; F. NIEDERDALHOFF; H. G. HOCKERTS, Wege. 31 Zu den gegen den Vergleich von Nationalsozialismus und DDR vorgebrachten Einwänden vgl. systematisch G. HEYDEMANN/C. BECKMANN. 32 D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Diktaturenvergleich, S. 658. 33 G. HEYDEMANN, Vergleich, S. 230. 34 EBD. 35 EBD., S. 231 f. 36 Einen repräsentativen Überblick über die anschwellende Flut einschlägiger Beiträge zu diesem Thema bietet die Bibliographie bei E. JESSE, Totalitarismus, S. 559–585. Für Einfüh-
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Einleitung
die tendenziell unbegrenzte Reglementierung aller Bereiche des politischen, sozialen und geistigen Lebens mit dem Ziel, durch die Lenkung und Kontrolle von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur den monopolistischen Machtanspruch einer Partei und ihrer Führung zu sichern37. Während das Totalitarismuskonzept Hannah Arendts auf Ideologie und Terror und die permanente Dynamik und Mobilisierung abhebt38, zielt das „klassische Konzept“ von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski anhand eines an Institutionen orientierten Merkmalskatalogs stärker auf die Durchdringung der Gesellschaft39. Die Kritik am Totalitarismuskonzept besteht im Wesentlichen darin, dass es sich vor allem auf die Regimephase konzentriert, gesellschaftliche und politische Entwicklungen nicht einbezieht und gesellschaftsgeschichtliche Aspekte außen vor lässt40. Jürgen Kocka hat deswegen den „schlankeren“ Begriff der „modernen Diktatur“ vorgeschlagen, der sich aus dem kontrastierenden Vergleich mit den Prinzipien des liberal-demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates ergibt. Merkmale der „modernen Diktatur“ seien: Die systematische Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten, die offene oder kaum verschleierte Herrschaft einer Partei mit klarer Tendenz zur monokratischen Spitze sowie der Hegemonialanspruch einer institutionalisierten Ideologie, die fehlende Begrenzung der Staatsmacht, die fehlende Autonomie gesellschaftlicher Teilbereiche, ihre mangelnde Ausdifferenzierung, der Anspruch auf zentrale Steuerung und Gestaltung der verschiedensten Bereiche von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur durch Partei und Staat mit den Mitteln der Bürokratie und Propaganda, der Repression und Mobilisierung41. Allerdings hält Kocka es für angemessen, für die stalinistische Phase der modernen Diktaturen kommunistischen Typs, also bis in die späten 50er und die frühen 60er Jahre, die Kennzeichnung „totalitär“ zu benutzen42. Zu den zentralen Unterschieden zwischen den modernen Diktaturen zählt Hans-Ulrich Thamer „das unterschiedliche Ausmaß der noch vorhandenen bzw. aufgelösten sozialen Autonomie und der davon abhängigen jeweiligen Handlungsspielräume der Individuen“43. Die taktisch motivierte rungen in den aktuellen Stand der Forschung vgl. E. JESSE, 20. Jahrhundert, sowie den allerdings problematischen Abriss bei W. WIPPERMANN, Totalitarismustheorien. Vgl. auch die Verweise bei D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Diktaturenvergleich, S. 644. 37 H.-U. THAMER, Staatsmacht, S. 31. 38 H. ARENDT. 39 C. J. FRIEDRICH/Z. BRZEZINSKI. 40 Zur Kritik am Totalitarismusmodell vgl. u. a. H.-U. THAMER, Staatsmacht, S. 30. 41 J. KOCKA, Diktatur, S. 541. 42 EBD., S. 547. 43 H.-U. THAMER, Staatsmacht, S. 34.
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Tolerierung gesellschaftlicher Freiräume konnte durchaus zur Stabilisierung moderner Diktaturen beitragen44. Weiterhin verweist Thamer auf das unterschiedliche Ausmaß an Zustimmung und Kooperationsbereitschaft innerhalb der Gesellschaft45. Die beim sektoralen Vergleich angewendeten Kriterien müssen jedoch die Spezifika des untersuchten Bereichs einbeziehen. Die Kirche als Sektor ist gekennzeichnet durch ihren Anstaltscharakter, den sie zu dieser Zeit als noch fast die ganze Gesellschaft umfassende Gemeinschaft besaß, den sich daraus ergebenden Anspruch auf gesellschaftliche Mitsprache und durch ihr religiöses Selbstverständnis. Als Anstalt war sie per se um ihre institutionelle Autonomie bemüht, als Gemeinschaft um die Möglichkeit der Reproduktion und die Erhaltung des gesellschaftlichen Mitspracherechts und als Glaubensgemeinschaft um die Weitergabe eines „unverfälschten“ Glaubens. Mit diesen Interessen geriet sie in einen prinzipiellen Konflikt zu den beiden Weltanschauungsdiktaturen „Drittes Reich“ und DDR, die beide nicht nur in einer geräuschlosen Integration der Kirche und ihrer Mitglieder ihr Herrschaftsziel sahen, sondern aus weltanschaulichen Gründen langfristig die Kirchen beseitigen wollten. Als Kriterien werden daher die Frage der kirchlichen Autonomie als eigenständige Ordnung der inneren Angelegenheiten und die Möglichkeit der Wahrnehmung des Öffentlichkeitsanspruchs der Kirchen gewählt. Für die evangelische Kirche ist zu fragen, inwieweit sie selbst diese Werte als zu schützende anerkannt und den Öffentlichkeitsanspruch wahrgenommen hat und welche Kontinuitäten und Lernprozesse es dabei gegeben hat46. Als Darstellung der spezifischen Herrschaftsausübung im „Dritten Reich“ und der DDR gilt es, die Ähnlichkeiten und Unterschiede in Struktur, Methoden, Mitteln und Stellenwert von Kirchenpolitik im Herrschaftsgefüge zu ermitteln. Der Vergleich muss insofern unvollständig bleiben, als es, wie oben erwähnt, für das rassistische Programm des Nationalsozialismus in der DDR keine Entsprechung gibt. So bleibt das Beispiel der Ausgrenzung des Leipziger Pfarrers Ernst Lewek aus der Pfarrerschaft wegen seiner „nichtarischen“ Abstammung ohne Äquivalent in der DDR. Wenn der Fall trotzdem im ersten Teil der Arbeit behandelt wird, so deshalb, weil er integraler
44 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 74 f. 45 H.-U. THAMER, Staatsmacht, S. 35. 46 Die erste systematisch vergleichende Gegenüberstellung der Kirchen in der NS- und SED-Diktatur bei G. HEYDEMANN/L. KETTENACKER; zum Vergleich von NS- und SEDKirchenpolitik in politikwissenschaftlicher Hinsicht vgl. F. RONGE und den wenig überzeugenden Versuch von S. V. GERLACH, anhand des Staat-Kirche-Verhältnisses den totalitären Charakter der DDR zu bestimmen.
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Bestandteil der Geschichte der evangelischen Kirche Leipzigs im „Dritten Reich“ war und in besonderer Weise eine Anfrage an zentrale Inhalte des evangelischen Glaubens stellte. Die vorliegende Untersuchung stellt folgende Thesen in den Mittelpunkt: Die NS-Kirchenpolitik vor Ort war das Ergebnis eines ungeordneten, vielgestaltigen, polykratischen Herrschaftsgefüges, dessen zentraler Faktor in Sachsen der Reichsstatthalter war, der sich seine Kompetenz jedoch ab 1938/39 mit Gestapo und SD teilen musste. In der Kirchenpolitik machten sich immer stärker die Vertreter eines strikten Abgrenzungskurses von der Kirche bemerkbar, was zum Rückzug von Parteimitgliedern aus kirchlichen Gremien führte. Die Kirchenpolitik der SED besaß ihr unumstrittenes Zentrum in Berlin. Nach dem endgültigen Scheitern der Bündnisstrategie 1947/48 im Kalten Krieg betrieb die SED eine sporadische, sehr stark auf Inanspruchnahme der Kirchen im Vorfeld von Abstimmungen und gesamtdeutschen Initiativen abzielende Politik, die mit dem Desinteresse der Parteibasis an Kirchenfragen zu kämpfen hatte. Im Zweifel, das zeigte der Kampf gegen die „Junge Gemeinde“, ließ sich die Parteibasis eher für repressive Maßnahmen gegen die Kirchen gewinnen. Anders als die NSDAP versuchte die SED, „fortschrittliche“ Verbindungsstellen zwischen Partei und Kirche zu etablieren. Erfolge erzielte die SED, weil sie aufgrund der sozioökonomischen Veränderungen in der DDR gegenüber der Bevölkerung viel stärkere Druckmittel besaß als die evangelische Kirche. Für die kirchliche „Reaktion“ ist die Interdependenz mit dem protestantisch geprägten Bevölkerungsteil von größter Relevanz. Während die evangelische Pfarrerschaft im Einklang mit dem protestantischen Bevölkerungsteil die „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus begrüßt und auch zu keiner kritischen Sicht gefunden hatte, vertrat sie nach 1945 die Interessen des protestantischen Bevölkerungsteils, der sich mehrheitlich von der SED-Politik in die Defensive gedrängt sah und dabei von den Erfahrungen in der ersten Diktatur profitierte, bis Ende der 50er Jahre die Abgrenzungspolitik mit dem schwindenden kirchlichen Rückhalt in der Bevölkerung aufgegeben wurde.
Forschungsstand
25 Forschungsstand
Forschungsstand47 Obwohl das Verhältnis der christlichen Kirchen zum Nationalsozialismus zu den intensiv erforschten Themen der Zeitgeschichte gehört, fehlt heute eine auf dem aktuellen Forschungsstand basierende Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Kirchenpolitik48, die wesentlich über den Stand der in den 70er und 80er Jahren entstandenen großen Synthesen von Meier und Scholder hinausgeht49. Der mittlerweile vollzogene Perspektivenwechsel von der Beschreibung des „Kirchenkampfes“ als Teil der Geschichte des Widerstandes gegen Hitler zu einer stärker sozial- und mentalitätsgeschichtlich fundierten Analyse des Verhaltens von Protestanten unter der NS-Diktatur hat die in jüngster Zeit zu beobachtende stärkere Konzentration auf die lokale Ebene bis hinunter zur Kirchgemeinde mit sich gebracht50. Die Geschichte der ostdeutschen Landeskirchen in der Zeit des Nationalsozialismus ist bis jetzt kaum erforscht, was auch für die sächsische Landeskirche gilt51. Weiterhin stellen die drei landeskirchliche Exkurse in Kurt Meiers Gesamtdarstellung den Standard dar52. Die detailreiche, auch staatliche Akten in breitem Maße einbeziehende Arbeit von Joachim Fischer bezieht sich vor allem auf die Arbeit des sächsischen Landeskirchenausschusses und endet 193753. 47 Forschungsliteratur wurde bis zum Frühjahr 2002 eingearbeitet. Später erschienene Veröffentlichungen konnten nur noch an ausgewählten Stellen berücksichtigt werden. 48 Vgl. dazu als aktuelle Gesamteinführung G. BESIER, Kirche, Politik und Gesellschaft. Vgl. auch J. S. CONWAY; H. G. HOCKERTS, Tagebücher; H. KREUTZER; L. SIEGELEWENSCHKEWITZ, Nationalsozialismus; DIES., Versuche; K. SCHOLDER, Politik. Vgl. auch die entsprechenden Abschnitte in den Gesamtdarstellungen von H. HÜRTEN, Katholiken; K. MEIER, Kirchenkampf, I–III; K. SCHOLDER, Kirchen I, II. Vgl. jetzt auch den von DEMS. herausgegebenen Sammelband „Zwischen ‚nationaler Revolution‘ und militärischer Aggression“, der Transformationen in Kirche und Gesellschaft von 1934–1939 untersucht. 49 Als Fortsetzung bis 1937 jetzt G. BESIER, Kirchen. Als eine weitere beide Konfessionen einbeziehende Arbeit vgl. T. FANDEL, der die Geschichte katholischer und evangelischer Pfarrer in der Pfalz untersucht. 50 Beispielsweise A. MEYER-ZOLLITISCH (Bremen); D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Kooperation (Hannover); V. HEINRICH (Siegen). Eine Sozialgeschichte protestantischer Religiösität in der Stadt Berlin hat jüngst M. GAILUS vorgelegt. Weitere regionalgeschichtliche Studien bei G. BESIER, Kirche, Politik und Gesellschaft, S. 69 f. Vgl. dazu auch die Beiträge von M. GAILUS, 1933; T. FANDEL, Protestantische Pfarrer; D. L. BERGEN, Deutsche Christen; G. LINDEMANN, Antijudaismus im Themenheft „Protestantismus und Nationalsozialismus“ von GeGe 2003. 51 Allgemein K. NOWAK, Kirchengeschichte I, S. 202. Die jüngste, äußerst knapp gehaltene Darstellung von G. WARTENBERG, Sachsen, mit weiteren Quellen- und Literaturangaben. 52 K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. I, S. 478–488; Bd. II, S. 348–358; Bd. III, S. 494–537, der allerdings redaktionell stark abfällt. 53 J. FISCHER; der Band enthält einen umfangreichen Dokumentenanhang, allerdings kein Register.
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Daneben liegen ergänzende, Teilaspekte des Kirchenkampfes behandelnde und autobiografische Berichte von am Kirchenkampf Beteiligten aus den Reihen der Bekennenden Kirche besonders für die Anfangsjahre vor54, zu denen auch die kurze Abhandlung des damaligen Vorsitzenden des Leipziger Kreisbruderrats der Bekennenden Kirche, Georg Walther, zu zählen ist55. Die Dissertation des von 1936 bis 1953 in Leipzig als Superintendent tätigen Heinrich Schumann über die Geschichte der Inneren Mission in Leipzig übergeht die starken innerkirchlichen Spannungen zwischen „Mitte“ und Bekennender Kirche und bleibt bezüglich des Verhältnisses zu Staat und Partei einiges schuldig56. Die Erforschung der Geschichte Sachsens im Nationalsozialismus weist noch große Defizite auf. Im Mittelpunkt der DDR-Forschung stand vor allem die Beschäftigung mit dem kommunistischen Widerstand57. Auch in den 80er Jahren erschienene Überblicksdarstellungen konnten die dadurch entstandenen Lücken nicht schließen58. Seit 1990 hat sich zwar der Wissenstand wesentlich verbessert, doch sind trotz intensiver Anstrengungen noch immer erhebliche Lücken zu verzeichnen, was sicherlich auch der insgesamt defizitären Quellenlage zu schulden ist59. Nach dem Wendejahr 1989 waren gerade die evangelischen Landeskirchen in der DDR zur Aufarbeitung ihrer Geschichte aufgerufen: Innerhalb kurzer Zeit hatten sie in der Öffentlichkeit ihren Ruf als Protagonisten des Widerstands gegen die DDR60 verloren und gerieten hauptsächlich durch die Arbeiten von Gerhard Besier in den Verdacht der Kumpanei mit dem SED-Regime. Dieser hatte bei weitgehender Ausblendung der sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen des SED-Regimes das Verhalten der evangelischen Kirche primär als Anpassungskurs beschrieben61. 54 Die Chronik des Kirchenkampfes von D. RÖTHIG ist im Allgemeinen verlässlich, gibt aber häufig zu wenig Aufschluss über die herangezogenen Quellen; des Weiteren K.-P. ADAM; S. V. BECHTHOLSHEIM; S. BRÄUER, Luther-Ehrung; G. FUSS; H. KLEMM; A. V. KIRCHBACH; W. MARSCHNER; G. PRATER. K. JANTZEN bezieht in seine Lokalstudien über Pfarrer aus Württemberg und Berlin-Brandenburg auch den in Pirna tätigen Hermann Klemm mit ein. 55 G. WALTHER. Andere Autobiografien stammen vom Leiter der Inneren Mission, Heinz Wagner, und von dem in Leipzig-Thonberg tätigen Gerhard Göserich. 56 H. SCHUMANN. Zu Schumann vgl. W. VOGEL. 57 Vgl. W. BRAMKE, Widerstandsforschung; I. REICH, Bild. 58 K. CZOK, Geschichte Sachsens; darin W. BRAMKE, Diktatur. 59 Einen Überblick auf aktuellem Forschungsstand bieten die Beiträge in C. VOLLNHALS, Sachsen in der NS-Zeit; vor allem von faktologischem Wert R. GROSS; vgl. auch C.-C. W. SZEJNMANN, Nazism, bes. S. 164 f. 60 So wurde die „Wende“ als „protestantische Revolution“ gedeutet. Vgl. G. REIN/ E. NEUBERT, Protestantische Revolution. 61 G. BESIER, SED-Staat. In der Zwischenzeit hat Besier zwei weitere Bände vorgelegt. G. BESIER, SED-Staat 1969–1990; DERS., SED-Staat 1983–1991; zur Kritik an Besiers These
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Seit 1989 sind wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der Erforschung kommunistischer Kirchen- und Religionspolitik erreicht worden. Martin Georg Goerner hat eine Studie zur SED-Kirchenpolitik vorgelegt, in der er die Kirchenpolitik als Kernbestand diktatorischer Herrschaftsausübung mit ihren verschiedenen Zäsuren, Trägern und Methoden bis 1958 vorstellte62. Mit der vor allem an den innerkirchlichen Auseinandersetzungen interessierten Dissertation von Markus Hein über „die Bildung einer gesamtsächsischen Kirchenleitung und die Selbstreinigung der Pfarrerschaft“ nach Kriegsende konnten Lücken geschlossen werden, die trotz der Forschungen J. Jürgen Seidels zur sächsischen Landeskirche nach 1945 verblieben waren63. Eine der ersten Bemühungen, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Sachsen nach 1945 aufzuhellen, stellt die Dissertation von Volker Stanke dar, der sein Hauptaugenmerk auf die Frage der Trennung von Staat und Kirche gelegt hat. Während er zur Meinungsbildung innerhalb der Landeskirche wenig berichtet, besteht der Nutzen dieser Arbeit darin, die kirchenpolitischen Strukturen in der SMAS und der Landesregierung aufzuzeigen64. Wenig zufrieden stellend ist die Forschungslage zur Leipziger Stadtgeschichte. Die Darstellungen, die vor der „Wende“ veröffentlicht worden sind, sind größtenteils der parteilichen Sicht der SED verpflichtet und nur teilweise von Wert65. Während jedoch zum „sozialdemokratischen Milieu“ schon mehrere Arbeiten vorliegen, fällt auf, dass Untersuchungen zum bürgerlichen Vereinswesen und zu den bürgerlichen Par-
und seinem rein politikgeschichtlichen Ansatz vgl. A. DOERING-MANTEUFFEL, Griff. Zur „Aufarbeitung“ der Belastungen durch die Zusammenarbeit mit dem MfS in den evangelischen Landeskirchen vgl. H. SCHULTZE, Stasi-Belastungen. Zum gegenwärtigen Stand der Erforschung der evangelischen Kirchen in der DDR vgl. H. SCHULTZE, Geschichte; außerdem J. MEHLHAUSEN/L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ; für die sächsische Landeskirche vgl. auch G. BESIER/S. WOLF, S. 717–733. 62 M. G. GOERNER. Vgl. dazu M. GRESCHAT, Politische Macht, S. 75 f. Zur Kirchenpolitik des Stellvertretenden Ministerpräsidenten Otto Nuschke vgl. A. SCHALÜCK, Agentur; kritisch R. ECKERT, Schalück. 63 M. HEIN. Im Archiv des Präsidenten des Landeskirchenamtes erhielt Hein Einblick in eine Studie von OLKR Samuel Kleemann, der Anfang der 70er Jahre den Auftrag erhalten hatte, eine Arbeit über den Neuaufbau der Landeskirche anzufertigen. J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern 1945; DERS., „Neubeginn“, DERS., Leipzig-Dresden. Der Band 20 der in Leipzig erschienenen Herbergen der Christenheit (1996) widmete sich dem Thema: Evangelische Kirche nach 1945 in der SBZ/DDR; der darin enthaltene Beitrag von R. THOMAS ist allerdings sehr biografisch angelegt. 64 V. STANKE. 65 Vgl. NEUES LEIPZIGISCHES GESCHICHT-BUCH, das anlässlich des 825-jährigen Bestehens der Messestadt Leipzig 1990 erschien, und einen Überblick über die Stadtgeschichte bietet. Die vor der „Wende“ entstandenen Texte wurden merklich der neuen Zeit angepasst.
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teien, d. h. auch zu möglichen Verbindungspunkten zwischen Bürgertum und Kirche, in der Stadt fehlen66. Zur unmittelbaren Nachkriegssituation der evangelischen Kirche in Leipzig liegen erste Forschungsergebnisse vor. Auf der Grundlage kirchlicher Quellen aus Leipzig hat Christoph Kaufmann die Geschichte der evangelischen Jugendarbeit von 1945 bis 1953 untersucht und dabei das Verhältnis von Stadt und Kirche mitbehandelt67. Friedhelm Jostmeier hat auf der Basis von Staats- und Parteiakten das Verhältnis von SED und „Junger Gemeinde“ von 1950 bis Anfang der 60er Jahre dargestellt68. Quellenlage und Archivsituation
Quellenlage und Archivsituation Zentrale Bestände kirchlicher Provenienz befinden sich im Archiv der Superintendentur Leipzig (früher Leipzig-West) an der Thomaskirche69. Während für die Zeit des Nationalsozialismus einige Überlieferungslücken vorhanden sind, bietet das Archiv besonders umfangreiches Material zum kirchlichen Neuaufbau nach 1945 und zur Verfolgung der „Jungen Gemeinde“ 1952/53. Wichtige Hinweise zum „Kirchenkampf“ in Leipzig liefern ferner der Nachlass von Pfarrer Johannes Herz im Archiv der Universität Leipzig und das Archiv des Bezirkskirchenamtes, das Materialien über Probleme in einzelnen Kirchgemeinden und zu administrativen Einschränkungen auch über 1945 hinaus enthält. Wegen der eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten zum Archiv des Landeskirchenamtes konnten dort nur wenige Archivalien aus der Nachkriegszeit eingesehen werden. Akten zu den kommunalen Belangen finden sich im Stadtarchiv und im Staatsarchiv Leipzig. Von den NS-Organisationen wie NSDAP, HJ, BDM und NSV sind auf städtischer Ebene allerdings nur noch wenige Dokumente erhalten, und auch vom städtischen Patron, der für die Verbindung zu den Kirchen zuständig war und bei Stellenbesetzungen noch ein formales Mitspracherecht hatte, ist nur Weniges überliefert. Wesentlich günstiger ist die Überlieferungslage im Staatsarchiv Leipzig. Dieses Archiv enthält die Akten der Politischen Abteilung des Leipziger 66 Vgl. T. ADAM, Arbeitermilieu, S. 21. 67 C. KAUFMANN. 68 F. JOSTMEIER, SED; vgl. auch DERS., SED und Junge Gemeinde. 69 Die Akten des für den Kirchenbezirk Leipzig-Land zuständigen Superintendenten befinden sich zum großen Teil bei der Nikolaikirchengemeinde. Der Superintendent dieses Kirchenbezirks, der bis Kriegsende bei der Peterskirche amtierte und dann zur Nikolaikirche wechselte, war gleichzeitig Mitglied des Kirchenbezirkes Leipzig-Stadt. Mitte der 70er Jahre wurde die Aufteilung Leipzig-Stadt und Leipzig-Land in Leipzig-West und -Ost geändert, und seit 2000 sind die beiden Kirchenbezirke vereinigt.
Quellenlage und Archivsituation
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Polizeipräsidiums, die von 1933–1936 als Staatspolizeistelle für Leipzig und Umgebung fungierte70. Dagegen ist die Überlieferung von Parteistellen wie dem SD und der Kreis- und Amtshauptmannschaft Leipzig im Nationalsozialismus dürftig. Für die Zeit nach der Gründung der Bezirke 1952 gewähren die Bestände der SED-Bezirksleitung und Bezirkstag/Rat des Bezirkes im Staatsarchiv einen detaillierten Einblick in die Verstetigung und Koordinierung der Kirchenpolitik in der SED einerseits sowie die Bewachung und Einengung der kirchlichen Handlungsmöglichkeiten durch staatliche Stellen andererseits. Dass die Intensität des „Kirchenkampfs“ sich im Nationalsozialismus sehr nach den Regionen und Ländern unterschied, wird anhand der Akten des Hauptstaatsarchivs Dresden deutlich. Die im Ganzen durchaus problematische Aktenlage infolge der Zerstörung Dresdens im Februar 1945 gibt dennoch einen Einblick in den eigenständigen kirchenpolitischen Kurs des sächsischen Gauleiters Mutschmann. Auch für die Zeit nach 1945 sind auf Landesebene Aktenverluste, wenn nicht gar direkte Eingriffe in die Überlieferung in Kirchenfragen, zu verzeichnen71. Doch für die Zeit bis zur Auflösung der Länder kann über die Akten der Landesverwaltung/-regierung, der Polizeibehörden und der SED-Landesleitung der Neuaufbau nach 1945 und die Verschärfung des Staat-Kirche-Verhältnisses auf Landesebene nachgezeichnet werden. Als besonders ertragreich erwiesen sich die Bestände des Zwischenarchivs Dahlwitz-Hoppegarten. Einzusehen sind dort Materialien, die die MfS-Hauptabteilung IX/11 („Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen“) in ihrem NS-Archiv sammelte, um es für politische Zwecke des SED-Regimes nutzbar zu machen72. Darüber hinaus findet sich dort ein umfangreicher, eigentlich ins Staatsarchiv Leipzig gehörender Teil personenbezogener Akten des Polizeipräsidiums Leipzig73. Aus den Akten der Außenstelle Leipzig der Birthler-Behörde werden die Struktur, der Umfang und die Mechanismen der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit in den 50er Jahren im Kirchenbereich im Bezirk Leipzig deutlich. Neue Erkenntnisse ergeben sich so vor allem zu den Ereignissen um die Verhaftung des Leiters des Amtes für Gemeindedienst, Herbert Dost, im Frühjahr 1953 und anhand des Falles des Leipziger 70 Zu diesem Bestand vgl. C. SCHREIBER, S. 18–24. Von zentraler Bedeutung für die Überwachung der Bekennenden Kirche in Leipzig sind die dort erhaltenen Vereinsakten (STAL LEIPZIG, PP-V), die Einschätzungen von BK-Pfarrern enthalten und die Zusammenarbeit der Polizei mit deutschchristlichen Pfarrern bis 1936 dokumentieren. 71 So M. MERCHEL, der die wichtigsten Quellen im Hauptstaatsarchiv zu Kirchen- und Religionspolitik in Sachsen von 1945–1952 und die mit Kirchenfragen beschäftigten Personen vorstellt. 72 W. DIERKER, S. 26 f.; D. UNVERHAU. 73 C. SCHREIBER, S. 20 f.
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Einleitung
Pfarrers Hans-Georg Rausch zum Einsatz von Pfarrern als Inoffizielle Mitarbeiter des MfS74.
74 R. SCHOLZ hat diesen Fall ausführlich behandelt. Im Mittelpunkt der literarischen Darstellung stehen allerdings die tiefgreifenden Lebenskonflikte des Leipziger Pfarrers, während die Einordnung des Falles in die SED-Kirchenpolitik schon allein deswegen nicht gelingen kann, weil Scholz die SED-Überlieferung in seine Darstellung nicht mit einbezieht.
Voraussetzungen und Ra hmenbedingungen des Kirchenstreites „Drittes Reich“
I. „Drittes Reich“
1. Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des Kirchenstreites 1.1 Die Stadt Leipzig in der Weimarer Republik Die Stadt Leipzig1 war nach dem Ersten Weltkrieg mit knapp über 600 000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Deutschen Reiches2. Sie war größer als die mit ihr in permanenter Rivalität stehende sächsische Metropole Dresden und annähernd doppelt so groß wie die dritte sächsische Großstadt Chemnitz. Der Große Brockhaus, der in Leipzig erschien, bezeichnete die Stadt, sicherlich nicht vollkommen neutral, als „die bedeutendste Stadt des Freistaates Sachsen“3. Leipzig war Sitz einer Kreishauptmannschaft. Mit der Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ 1863 durch Ferdinand Lassalle war Leipzig auch ein Zentrum der deutschen Arbeiterbewegung geworden. Leipzig verfügte über eines der bedeutendsten Zentren des sozialdemokratischen Vereinswesens4. Die Leipziger Industrie war im Wesentlichen durch Klein- und Mittelbetriebe sowie die in besonderem Maße exportabhängige Fertigwarenindustrie geprägt. 78 Prozent aller Erwerbstätigen waren in Handwerk, Handel und Industrie beschäftigt5. Diese Struktur machte die Stadt Leipzig besonders anfällig für außenwirtschaftliche Schwankungen und es verwun1 Zur Literatur über Leipzig vgl. den Überblick bei D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Nationalsozialistische Herrschaft, S. 503 f. Hinsichtlich der Zeit der Weimarer Republik in Leipzig kann mittlerweile das sozialistische Milieu als recht gut erforscht gelten, während das bürgerliche Vereinsnetz der weiteren Erforschung harrt. Zum sozialistischen Milieu vgl. T. ADAM, Arbeitermilieu und M. RUDLOFF/T. ADAM, Wiege, bes. S. 111–156. Die folgenden Überblicksdarstellungen sind vor 1989 erschienen: L. HEYDICK, Leipzig, S. 99–108 (Schwerpunkt: Entwicklung der KPD); H. ARNDT/U. OEHME, Leipzig; V. JÄGER/B. RÜDIGER, Gesichter. Mit dem Schwerpunkt auf der Wohlfahrtspolitik vgl. den hervorragenden Beitrag über die Entwicklung der Stadt Leipzig von P. BRANDMANN, S. 29–72. 2 STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR DAS DEUTSCHE REICH 1921/22, S. 6. Die Stadt wuchs von 1919 bis 1933 im Wesentlichen infolge von Eingemeindungen von 604 397 Einwohnern (1919) auf 713 470 (1933) an. 1922 wurden Großzschocher, Leutzsch, Paunsdorf und Wahren und 1930 die Gemeinden Abtnaundorf, Knautkleeberg, Schönau und Thekla eingemeindet. Die Einwohnerentwicklung der Stadt Leipzig bei P. BRANDMANN, S. 33 f. 3 Der Große Brockhaus, 15. Auflage, 11. Band, Leipzig 1932, S. 281–287, hier S. 282. 4 D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Nationalsozialismus, S. 83 f. 5 J. PAULUS, Wohlfahrtspolitik, S. 23.
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„Drittes Reich“
dert nicht, dass sie von der Weltwirtschaftskrise sehr stark getroffen wurde. Zwischen 1929 und 1933 wies sie in Sachsen die höchste Zahl an Konkursen auf, die Zahl der Arbeitslosen stieg von knapp 75 000 (1930) auf 126 000 im September 1932, womit mehr als jeder Dritte (37 Prozent) arbeitslos gemeldet war6.
1.2 Die sächsische Landeskirche 1918–1933: Verfassung, Struktur, Traditionen Ein besonderes Kennzeichen der Stadt Leipzig, in der 1539 die Reformation eingeführt worden war, war die Prägung durch den Protestantismus. 1910 gehörten 92,8 Prozent der städtischen Bevölkerung der evangelischen Kirche an, 1933 waren es immerhin noch 77,8 Prozent7. Die katholische Kirche konnte von der Schwächung der evangelischen Kirche nicht profitieren. Ihr Anteil verringerte sich von 4,5 Prozent (1910) auf 3,6 Prozent (1933)8. Durch die Auflösung des landesherrlichen Kirchenregiments im Zuge der Revolution von 1918 und die in Artikel 139 der Weimarer Verfassung vorgesehene Trennung von Staat und Kirche waren der lutherischen Landeskirche die Grundlagen ihrer traditionellen Verfassung entzogen worden. Die Verfassung des Freistaates Sachsen nahm zwar die von der neuen Regierung im Aufruf „An das sächsische Volk“9 vom 18. November 1918 verkündete Trennung von Staat und Kirche nicht auf, legte aber das staatliche Aufsichtsrecht über die Religionsgemeinschaften fest und gewährte ihnen den Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften10. Die Landessynode verabschiedete am 29. Mai 1922 eine neue Kirchenverfassung für die „Evangelisch-Lutherische Landeskirche des Freistaates Sachsen“11, die erst vier 6 L. HEYDICK, Leipzig, S. 108. 7 Zur konfessionellen Gliederung vgl. P. BRANDMANN, S. 35 (Tabelle 3). Die Reformierten spielten in Leipzig wie überhaupt in Sachsen zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle. Um die Jahrhundertwende zählte die Leipziger Gemeinde ca. 7 000 Glieder (vgl. H.-J. SIEVERS, S. 118, und allgemein für Sachsen E. GRESCH, Gemeinden). In Sachsen gehörten 1933 87 Prozent der Einwohner der evangelischen Kirche an, 4 Prozent der katholischen Kirche, 9 Prozent waren konfessionslos und 0,4 Prozent gehörten zu den gläubigen Juden (vgl. STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR DAS DEUTSCHE REICH 1933, S. 18). 8 P. BRANDMANN, S. 35. 9 GVBl Republik Sachsen 1918, S. 365. Die religionsspezifischen Aussagen lauten: „Die Trennung der Kirche vom Staat ist durchzuführen. Den Religionsgemeinschaften wird volle Freiheit gewährt. Die Schule ist von politischer und kirchlicher Bevormundung zu befreien. Die Volksschule ist unter fachmännischer Aufsicht zur Einheitsschule auszugestalten“ (auszugsweise abgedruckt in: E. R. HUBER/W. HUBER, Bd. IV, S. 8). 10 K. BLASCHKE, Sachsen, S. 596 f. 11 Sächsisches Gesetzblatt 1922, S. 509–522 (abgedruckt in: E. R. HUBER/W. HUBER, Bd. IV, S. 644–651). Zur Kirchenverfassung vgl. H. HEINRICH, Kirchenrecht, S. 12–15.
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Jahre später nach Klärung des Verhältnisses von Freistaat und Kirche durch das Trennungsgesetz vom 17. Juni 1926 in Kraft treten konnte12. Konsistorialsystem, Bischofsamt und synodal-presbyteriale Elemente wurden verbunden. Die Synode, als Kirchenparlament mit ständischen Elementen konstruiert13, übernahm die legislative Funktion14. Als oberstes Organ der Landeskirche trat an die Stelle des landesherrlichen Kirchenregiments bzw. der in Evangelicis beauftragten Staatsminister der Landeskirchenausschuss, der aus dem Landesbischof, dem Präsidenten des Landeskonsistoriums, dem Präsidenten der Synode und zwei weiteren von der Synode zu wählenden Mitgliedern bestand. Das Landeskonsistorium, das 1933 in Landeskirchenamt umbenannt wurde, wurde von einer Staatsbehörde zu einer Kirchenbehörde, die faktisch die Leitung der Landeskirche übernahm, da der Landeskirchenausschuss ein nicht ständig tagendes Organ war. Die geistliche Führung der Landeskirche übernahm ein Landesbischof. Faktisch blieb trotz der Einführung parlamentarisch-demokratischer Repräsentationsstrukturen aber die Dominanz der Experten in der Kirchenverwaltung bestehen15. Aus heutiger Sicht zählte zu den Besonderheiten der Kirchenverfassung, die den volkskirchlichen Anspruch der Landeskirche unterstrichen, dass Kinder von Angehörigen der Landeskirche auch dann als Mitglieder der Landeskirche galten, wenn sie nicht getauft waren. Man wurde in die Landeskirche „hineingeboren“16. Die Verwaltungsgliederung der Landeskirche sah 31 Kirchenbezirke (Ephorien) vor, die mit den staatlichen Amtshauptmannschaften weitgehend deckungsgleich waren17. Sie sollten die einzelnen Kirchgemeinden unterstützen und kontrollieren. Den Ephorien standen die Superintendenten als führende Geistliche vor, deren Funktion in der geistlichen Aufsicht über die in ihrem Bezirk tätigen Pfarrer, der Visitation der Gemeinden, der Vertretung in synodalen Gremien und der Ordination von Geistlichen lag18. Das Amt des Superintendenten war in der Regel mit der ersten Pfarrstelle des Epho12 Vgl. dazu K. BLASCHKE, Sachsen, S. 596–598. Zur Situation der evangelischen Kirche in Sachsen vgl. auch C.-C. W. SZEJNMANN, Traum, S. 66 f., dessen Ausführungen zur Verfassung der evangelischen Landeskirche allerdings wenig Kenntnis von evangelischem Kirchenrecht erkennen lassen. 13 Von den 74 Mitgliedern wurden 60 gewählt. Ein Mitglied der theologischen Fakultät war per se Mitglied, weitere 13 wurden vom Landeskirchenausschuss berufen. 14 Zum Charakter der nach 1918 entstandenen Kirchenverfassungen vgl. K. DIENST. 15 K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 40. 16 H. HERZOG, Kirchenrecht, S. 27. 17 Kirchengesetz über die Bildung der Kirchenbezirke vom 30. Dezember 1925 (KGVBl 1926, S. 6). Zum Verwaltungsaufbau vgl. auch H. BÜRGER, der den Zustand von 1953 beschreibt, allerdings mit historischen Bezügen. Nach 1945 kamen durch Umgliederung noch zwei Kirchenbezirke hinzu. 18 Zum Amt des Superintendenten und seiner Geschichte vgl. H. JUNGHANS; H. HERZOG, Kirchenrecht, S. 37 f. Zu den Superintendenturen vgl. auch M. HEIN, S. 189–191.
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ralortes verbunden. Der Superintendent der Ephorie Leipzig-Stadt war 1. Geistlicher der Thomasgemeinde. Die Verwaltung der Kirchenbezirke in nicht rein geistlichen Angelegenheiten oblag den Bezirkskirchenämtern, die vom jeweiligen Superintendenten und einem Kirchenamtsrat als rechtskundigem Mitglied geleitet wurden19. In der Landeskirche gab es fünf Kirchenamtsräte, die ihren Sitz in den Kreishauptmannschaften hatten. Der Kirchenamtsrat war daher für mehrere Kirchenbezirke zuständig20. In den größeren Städten in Sachsen bestanden Kirchgemeindeverbände als Zusammenschlüsse der einzelnen Kirchgemeinden, die gemeinsame Anliegen wie Kirchensteuerangelegenheiten, Kirchenbau und -renovierung, Friedhofsangelegenheiten und Katechetik organisierten und auch über eigene Pfarrstellen für besondere Zwecke verfügten21. Ihnen stand der jeweilige Superintendent vor.
1.3 Die Evangelisch-lutherische Kirche in der Stadt Leipzig 1.3.1 Strukturen und Arbeitsfelder Während in den Landgemeinden in der Regel ein Pfarrer allein den Dienst versah, verfügten die städtischen Gemeinden oft über mehrere Pfarrstellen. Der Kirchenbezirk Leipzig-Stadt, der das Leipziger Stadtgebiet umfasste, bestand aus 31 Pfarrgemeinden, die etwa 540 000 Gemeindeglieder zu betreuen hatten22. Mit ca. 100 geistlichen Stellen, die für die Ephorie zwar vorgesehen, aber aus finanziellen oder personellen Gründen während der Weimarer Republik nicht vollständig besetzt waren, war es die größte Ephorie der Landeskirche. Superintendent und 1. Pfarrer an der Thomaskirche war seit 1925 der Professor für Praktische Theologie, Gerhard Hilbert23. Das Amt des Superintendenten war traditionell eng mit der Theologischen Fakultät verbunden. Der zweite Leipziger Superintendent, Andreas Fröhlich, amtierte an der Peterskirche und betreute die Ephorie Leipzig-Land, die einen konzentrischen Kreis um den Leipziger-Stadtkirchenbezirk bildete. Ihre Geschichte wird hier nur am Rande behandelt. Die Lage in den einzelnen Pfarrgemeinden in der Stadt war durchaus unterschiedlich. Die größten Pfarrgemeinden der Ephorie, die mit dem Wachstum der Stadt im 19. Jahrhundert von neun24 auf 22 Gemeinden 19 H. HERZOG, Kirchenrecht, S. 38. 20 In Leipzig war der Kirchenamtsrat für die Kirchenbezirke Leipzig-Stadt und -Land zuständig. 21 Zu den Kirchgemeindeverbänden vgl. H. HERZOG, Kirchenrecht, S. 35. 22 Im Kirchlichen Jahresbericht 1930 wird die Zahl mit 539 832 angegeben (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 23 Zu Hilbert vgl. E. BEYREUTHER und M. HEIN, S. 225, Anm. 201. 24 Diese neun Gemeinden (Thomas, Nicolai, Matthäi, Peters, Luther, Andreas, Johannis,
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angewachsen war, lagen im Süden (Connewitz) mit über 30 000 Gemeindegliedern, gefolgt von der Petersgemeinde in der Südvorstadt und Lindenau im Westen mit je 26 000 Gemeindegliedern. Ihnen standen in den Gemeinden von Paunsdorf, einem erst 1922 eingemeindeten, im Osten gelegenen Stadtteil, mit 5 500 Gemeindegliedern und Lößnig im Süden mit 6 800 Gemeindegliedern die kleinsten gegenüber. In den neu entstandenen Arbeitervierteln vor allem im Westen der Stadt gestaltete sich die Integration der Bevölkerung schwieriger als in den stärker bürgerlich geprägten Vierteln wie etwa Gohlis oder der Südvorstadt. Die Pfarrer der Ephorie trafen sich ca. alle sechs Wochen zu einer Ephoralkonferenz, auf der unter Leitung des Superintendenten die für ganz Leipzig relevanten Fragen diskutiert wurden und die kirchliche Handlungslinie abgesprochen wurde. Diese Konferenzen waren häufig einem bestimmten Thema gewidmet, zu dem meistens ein Pfarrer oder ein eingeladener Referent einen Vortrag hielt25. Zur Amtszeit von Superintendent Hilbert fanden daneben noch in unregelmäßigen Abständen besondere Hauptkonferenzen statt, auf denen herausgehobene Themen ausführlicher behandelt oder spezielle Redner, wie beispielsweise der Landesbischof, erwartet wurden. Die Pfarrer waren darüber hinaus noch in lokalen oder bestimmten Themen gewidmeten Konferenzen organisiert26. Auf der Ebene der Kirchgemeinde waren die Laien nach ihrer Wahl in den Kirchenvorstand und die Kirchgemeindevertretung, einer breiter angelegten Vertretung, an der kirchlichen Arbeit beteiligt – ein Doppelsystem, das sich in der Praxis nicht bewährte27. Die Arbeit an der Basis wurde stärker von den so genannten „Helfereinrichtungen“ geprägt, die soziale und caritative Aufgaben übernahmen und somit als Bindeglied zwischen Gemeinde und Pfarramt fungierten. Der Jahresbericht des Superintendenten zählte für 1925 immerhin 1.885 Helfer28. Michaelis, Bethlehem) werden im kirchlichen Sprachgebrauch nach dem Kirchennamen benannt, während die anderen nach dem Stadtteil benannt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden infolge der Zerstörung von Kirchgebäuden Gemeinden zusammengelegt, so z. B. die Thomas- und die Matthäi-Gemeinde. 25 Die handschriftlichen Protokolle dieser Konferenzen bilden eine der wichtigsten Quellen dieser Arbeit, da sie bis in die 50er Jahre fortlaufend vorliegen und auch einen Blick auf die Diskussion der Pfarrer zulassen (ADSL, Schrank I, Fach 2, Nr. 17 bzw. 18). 26 Genannt seien hier die Leipziger Hauptkonferenz, die Heiterblick-Konferenz, die Vorstadt-Konferenz, die wissenschaftliche Pfarrerkonferenz und die theologische Arbeitsgemeinschaft. Nach 1945 wurden die Konferenzen durch die Konvente abgelöst. 27 H. HERZOG, Kirchenrecht, S. 14. Vgl. auch den Kirchlichen Jahresbericht von 1923: „Eine sehr häufige Quelle von Verstimmungen und besonderen Verzögerungen war das Doppelsystem Kirchenvorstand und Kirchgemeindevertretung“ (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 28 Kirchlicher Jahresbericht auf 1925 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182).
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Eine beständige Quelle kirchlicher Klagen bildete in den 20er Jahren die katastrophale Finanzlage. Aus Geldmangel blieben einzelne Leipziger Pfarrstellen unbesetzt. 1925 waren von 97 ständigen Pfarrstellen lediglich 85 besetzt29. In den finanziellen Notzeiten wie der Inflation oder der Weltwirtschaftskrise waren Pfarrer sogar gezwungen, ihr Einkommen durch zusätzliche Arbeiten zu erhöhen30. Diese Situation führte im Zusammenhang mit den Angriffen gegen die Kirche zu einer permanenten Überforderung der Geistlichen, wie der Jahresbericht 1925 festhält: „Die Ansprüche an das geistliche Amt in den Großstädten sind derart gestiegen, dass die dringend notwendige Arbeit zur Rückgewinnung Entfremdeter und Ausgetretener nicht in wünschenswerter Weise getan werden kann. Die Aufstellung von einigen Volksmissionaren für Leipzig ist daher ein dringendes Bedürfnis“31. Die Volksmission gehörte auch zu den Arbeitsfeldern der Inneren Mission, ohne die sich das kirchliche Leben in Leipzig nicht verstehen lässt. Die Innere Mission und auf katholischer Seite die Caritas entwickelten sich in den 20er Jahren zu weithin anerkannten Wohlfahrtsorganisationen, die in den Bereichen von offener und geschlossener Fürsorge tätig waren. Die Arbeit des 1869 gegründeten Vereins für Innere Mission Leipzig war in der Weimarer Republik gekennzeichnet durch eine engere Anbindung an den in Dresden ansässigen Landesverein wie auch durch die Zusammenfassung der Wohlfahrtsdienste der einzelnen Kirchgemeinden und der Inneren Mission im 1923 gegründeten Evangelischen Wohlfahrtsdienst32. Geprägt wurde die Arbeit vom Vereinsvorsitzenden, Heinrich Schumann, und vom Direktor des Vereins, Georg Faust33. Schumann, der von 1901 bis 1913 Vereinsgeistlicher gewesen war und dem Vorstand des Vereins angehört hatte, hatte 1921 das Amt des Vorsitzenden übernommen34. Er hatte sich für einen Kurs der Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse stark gemacht und galt als Vertreter des „Vernunftrepublikanismus“35. Insbesondere Anfang der 30er Jahre wuchs die Bedeutung der Inneren Mission, als es galt, den Zusammenbruch der staatlichen Fürsorge zu kompensieren. Der Gustav-Adolf-Verein36 und die Evangelisch-lutherische Mission 29 EBD. 30 H. SCHUMANN, S. 95. 31 Kirchlicher Jahresbericht 1925 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 32 H. SCHUMANN, S. 90. 33 Zu Faust vgl. auch WOCHE DER DIAKONIE, S. 30. 34 Zu Schumann vgl. W. VOGEL; M. HEIN, S. 225–227. 35 P. BRANDMANN, S. 313 f. Da diakonische Einrichtungen auf Zuschüsse der öffentlichen Hand angewiesen waren, agierten ihre Vertreter politisch vorsichtiger als Vertreter des Verbandsprotestantismus (G. BESIER, Kirche, Politik und Gesellschaft, S. 5). 36 Zum Gustav-Adolf-Verein (ab 1946 Gustav-Adolf-Werk) vgl. W. MÜLLER-RÖMHELD.
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hatten ihren Sitz in Leipzig. Der Gustav-Adolf-Verein, eine sächsische Gründung aus dem Jahre 1833, wurde 1842 mit einem ähnlichen hessischen Bund zum Diasporawerk der gesamten evangelischen Kirche vereinigt, dessen Hauptvorstand in Leipzig seinen Sitz nahm. Die Evangelisch-lutherische Mission war ein lutherisches Missionswerk mit Schwerpunkt in Indien und Afrika. Geleitet wurde es seit 1923 von Direktor Carl Ihmels37. Auch der 1871 gegründete „Evangelisch-Lutherische Zentralverein für Mission unter Israel“ hatte seinen Sitz in Leipzig. Er bildete einen Zusammenschluss älterer lutherischer Missionsgesellschaften, die in Sachsen, Bayern und Kurhessen existiert hatten und besaß acht Zweigvereine38. Das erklärte Ziel dieser im Rahmen der evangelischen Kirche insgesamt relativ einflusslosen Judenmissionsgesellschaften bestand einerseits in der Evangeliumsverkündigung unter den Juden, andererseits in der seelsorglichen und diakonischen Betreuung taufwilliger oder bereits getaufter Juden39. Geleitet wurde der Leipziger Zentralverein von Alfred Jeremias und nach dessen Tod von Paul Fiebig, als stellvertretender Vorsitzender amtierte Ernst Lewek. Am 11. Juli 1935 löste sich der Zentralverein auf Druck der örtlichen Gestapo selbst auf. Die Theologische Fakultät der Universität Leipzig prägte Generationen sächsischer Pfarrer, die dort in der Mehrheit ihre theologische Ausbildung erfuhren40. Neben der Reformationsgeschichte war dort das am Bekenntnis ausgerichtete Luthertum stark vertreten. Über die Studienerfahrung hinaus bestand ein enges Verhältnis zur städtischen Pfarrerschaft. Einige Pfarrer wie Alfred Jeremias und Paul Fiebig waren gleichzeitig an der Theologischen Fakultät tätig. Außerdem engagierten sich Professoren im kirchlichen Leben der Stadt. Professor Oepke z. B. war Mitglied des Kirchenvorstands der Thomaskirche.
37 N.-P. MORITZEN. 38 Vgl. E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden, Christen, Deutsche, Bd. 1, S. 297–301; STAL, PP-V 725. 39 Die Missionstätigkeit strebte als Ziel unbedingt die Taufe der Juden an. Dies besaß Vorrang gegenüber dem Bekenntnis zu den Juden als gleichberechtigte deutsche Mitbürger (J.-C. KAISER, Judenmission, S. 200 f.). 40 Zur Theologischen Fakultät vgl. G. WARTENBERG, Leipzig, S. 727 f., mit weiteren Verweisen.
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1.3.2 Theologische Strömungen und parteipolitische Tätigkeit der Leipziger Pfarrerschaft Die sächsische Landeskirche vereinte eine Vielfalt theologischer Strömungen. Die wohl stärkste Gruppe bildeten die konfessionellen Lutheraner, die besonders an der Leipziger Universität vertreten waren und in Landesbischof Ludwig Ihmels einen ihrer wichtigsten theologischen Exponenten besaßen41. Deutliches Bekenntnis zur reformatorischen Lehre, Betonung der Predigt, Ablehnung aller Versuche, gemeinsames Handeln aller Evangelischen zu erreichen, prägten ihre Haltung42. Die konfessionellen Lutheraner waren den weiten Weg von ressentimentgeladener Beugung unter die Staatsautorität der Weimarer Republik über Tolerierung bis zu schließlicher Akzeptanz nicht ohne innere Konflikte gegangen43. Zwar wurden im Kreis der konfessionellen Lutheraner auch die nach dem Ersten Weltkrieg virulent auftretenden sozialen Probleme diskutiert, doch blieben die Antworten von einem konservativen Paternalismus geprägt. Diese konservative evangelische Theologie vermochte auf die neuen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen nach 1918 kaum eine angemessene Antwort zu geben44. Nach 1918 wirkten in Sachsen liberale und pietistische Strömungen weiter. Die liberale Theologie, deren Bedeutung schon vor dem Ersten Weltkrieg abgenommen hatte, trat mehr und mehr zurück. Nach dem Weltkrieg gewannen bei jüngeren Theologen sozialethische und gesellschaftspolitische Fragen an Einfluss. Sie sammelten sich im Bund für Gegenwartschristentum, der 1914 von dem Liberalen Carl Mensing begründet worden war45. Sehr stark war in Leipzig der Evangelisch-soziale Kongress (ESK) vertreten, dem der Leipziger Pfarrer Johannes Herz ab 1923 als Generalsekretär und von 1936–1945 als Vorsitzender vorstand. Der ESK hatte sich nach dem Weltkrieg den Kampf gegen „soziale Unkultur“ und „schrankenlosen individualistischen Kapitalismus“, die Stärkung des sozialen Gemeinschaftsgefühls und die Berücksichtigung der religiösen Sehn41 Zu Ludwig Ihmels vgl. C. M. HAUFE, Art.: Ihmels, Ludwig, in: TRE, Bd. 16, S. 55–59 (mit Literaturverweisen) und U. RIESKE-BRAUN, Ludwig Ihmels. Ihmels leitete von 1907 bis zu seinem Tode 1933 die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz (Lutherisches Einigungswerk) und zählte zu den bekanntesten und profiliertesten deutschen Lutheranern. 42 G. WARTENBERG, Sachsen, S. 573. 43 K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 290. 44 U. RIESKE-BRAUN, Soziale Frage, S. 362. 45 Zu Mensing vgl. auch W. FEURICH, S. 68 f. Die Leipziger Ortsgruppe wurde von Dr. Hermann Steiner, Pfarrer an der Versöhnungsgemeinde in Leipzig-Gohlis, geleitet und bildete einen Freundeskreis religiös Interessierter ohne vereinsmäßige Organisation, d. h. ohne Statuten bzw. Satzungen (vgl. dazu STAL, PP-V 3759).
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sucht der Arbeiterschaft zum Ziel gesetzt46. War der ESK in der Weimarer Republik durch keine bestimmte theologische oder kirchenpolitische Richtung gekennzeichnet, so konzentrierte sich die Kongressleitung im politischen Bereich linksbürgerlich auf die DDP, grenzte sich aber deutlich gegenüber der Arbeiterbewegung ab. Nach einer Aufstellung aus dem Jahr 1936 gehörten elf Leipziger Pfarrer und zwei Professoren der Leipziger Theologischen Fakultät dem ESK an. Das Amt des 2. Vorsitzenden bekleidete der Leipziger Hugo Hickmann, der als Vizepräsident der Landessynode einer der wichtigsten Laien in der Landeskirche war47. Er gehörte zu den Mitbegründern der DVP in Sachsen und amtierte von 1926–1933 als Vizepräsident des sächsischen Landtages. Er trat gelegentlich als Referent in der Ephoralversammlung auf und dürfte über einen engen politischen Kontakt zu Schumann verfügt haben48. Aufgrund seiner Erfahrungen als Pfarrer im Arbeiterviertel LeipzigVolkmarsdorf versuchte Georg Liebster, dem christlichen Glauben in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft Geltung zu verschaffen49. 1904 gründete er die „Sächsische Evangelische Vereinigung“ und wurde Vorsitzender der mitgliederstarken Leipziger Ortsgruppe. Die Unvoreingenommenheit Liebsters gegenüber der Sozialdemokratie weist allerdings nicht in die theologische Richtung des Religiösen Sozialismus. Für ihn war die strikte politische Neutralität von Kirche und Geistlichen, die er als unabdingbar für die Freiheit der religiösen Arbeit erachtete, oberstes Gebot50. Die auf den Schweizer Karl Barth51 zurückgehende „Dialektische Theologie“52, besaß in dem Dresdener Pfarrer Karl Fischer in Sachsen ihre theologische Leitfigur53. Karl Barth hielt sich im Februar 1924 in Leipzig zu einem theologischen Vortrag auf54. Seine Schilderungen sowie der Bericht des Biografen Fischers, Hermann Klemm, weisen einerseits auf die in Leipzig vorhandene theologische Vielfalt hin, anderseits machen sie auch die Bedenken der vielen lutherisch geprägten Pfarrer gegen die vom Calvinismus inspirierte Dialektische Theologie deutlich55. In Leipzig galten die 46 Vgl. K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 140. Zum ESK vgl. auch K. POLLMANN, ESK. 47 Die Mitglieder sind einer Aufstellung des Reichssicherheitshauptamtes vom 17. Juli 1936 entnommen (BARCH-DH, ZB I 1401, Bl. 4). 48 Belegt sind Vorträge am 11. Februar 1932 und 10. Februar 1943 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 49 Vgl. S. KRANICH. 50 EBD. 51 Zu Karl Barth vgl. den Forschungsüberblick bei G. BESIER, Kirche, Politik und Gesellschaft, S. 93 f. 52 Zur „Dialektischen Theologie“ vgl. D. KORSCH. 53 Zu Karl Fischer vgl. H. KLEMM. 54 EBD., S. 93–97, und K. BARTH, Briefwechsel, S. 232–234. 55 So berichtet H. KLEMM, S. 96: „Barth lernte nun das bunte Bild des damaligen frommen Leipzig kennen. Liberale, Pietisten aus der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung,
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Pfarrer Leistner und Bemmann und der Theologieprofessor Doerne als Vertreter dieser Richtung56. Kirchenpolitisch trat nach 1918/19 die religiös-sozialistische Bewegung auf, die den Kapitalismus ablehnte und sich zu einer – nur selten klar umrissenen – Idee des Sozialismus bekannte57. Im Jahr 1926 kam es zur Gründung des „Bundes der religiösen Sozialisten Deutschlands“, der 17 Landesverbände und zahlreiche Ortsgruppen umfasste58. Schwerpunkte lagen in Baden, Thüringen, Württemberg und der Pfalz, wo die Bewegung auch bei Kirchenwahlen Erfolge verzeichnen konnte. In Sachsen dagegen war Mitte der 20er Jahre die Mitgliederzahl gering, Ortsgruppen existierten nicht. Sowieso stießen die Religiösen Sozialisten in Großstädten auf geringe Resonanz59. Zieht man in Betracht, dass die Religiösen Sozialisten tendenziell der SPD nahe standen, so verwundert es nicht, dass bei dem militant antikirchlichen Kurs der sächsischen SPD diese kirchenpolitische Bewegung in Sachsen so schwach war. Erst 1930 entstanden in den sächsischen Großstädten erste Ortsgruppen, darunter auch eine in Leipzig, die von dem SPD-Abgeordneten Kurt Dietze angeführt wurde60. Es ist daher mehr als unwahrscheinlich, dass Beziehungen zwischen der Leipziger Pfarrerschaft und der SPD, geschweige denn der KPD, bestanden. Zu den Splittergruppen, die in Leipzig Mitte der 20er Jahre eine Brücke von der Kirche zur „völkischen Bewegung“ schlugen, gehörte die „Deutsch-christliche Arbeitsgemeinschaft Deutschlands“. Die Initiative zu ihrer Gründung ging von dem Stötteritzer Pfarrer Walther Vogel aus, der aus einem vom Leipziger Pfarrverein im Jahr 1924 gegründeten „Völkischen Ausschuss“ heraus den „Deutschen Christenbund“ gebildet hatte. Dieser schloss sich im Oktober 1925 mit zwölf weiteren Verbänden zur „Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft“ zusammen61. Die wohl erst Ende der 20er Jahre entstandenen „Richtlinien für das Zusammenwirken von Kirche und Volkstumsbewegung“62 der Arbeitsgemeinschaft zielten auf eine Synthese von Christentum und „Deutschtum“ ab und richteten sich vor allem gegen die „Deutschgläubigen“, die das Evangelium als Glaubensbasis ablehnten. Um „Volksgenossen“ wiedergewinnen zu können, empfahlen kirchlich Gesinnte verschiedener Herkunft, Johannes-Müller-Anhänger, Leute der Jugendbewegung, Neubekehrte stürzten sich auf den Redner mit einer Fülle von Fragen, die offenbar hauptsächlich die Bedeutung der Bibel für die Gegenwart berührten“. 56 Vgl. H. KLEMM, S. 97. 57 Vgl. dazu K. NOWAK, Religiöser Sozialismus. 58 Vgl. dazu S. HEIMANN. 59 K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 271. 60 S. HEIMANN, S. 188 f. 61 Vgl. K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 250; H. BUCHHEIM, Deutsche Glaubenskrise, S. 47. 62 ADSL, Schrank II, Fach 2, 24/2.
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sie, antisemitischen Grundströmungen folgend, zwar nicht das Alte Testament völlig zu verwerfen, sondern es dem Neuen Testament unterzuordnen und in Gesangbüchern und Liturgie Elemente des Alten Testaments zu beseitigen. Die Ablehnung ökumenischer Bestrebungen gehörte zum Grundkanon solcher Gruppierungen. Ihre Sicht der damaligen kirchlichen Verhältnisse fassten sie in Punkt 14 ihres Programms zusammen: „Wir sehen uns einerseits einer atheistisch-bolschewistischen Front und andrerseits einer geistigen Einheitsfront von Judentum, Freimaurerei und Papsttum als den überstaatlichen und gleichzeitig antilutherischen Mächten gegenüber. [. . .] Es gilt vielmehr in Treue gegen Luthertum und Deutschtum darauf zu vertrauen, dass unserer gerechten Sache mit Gottes Hilfe doch der Endsieg gehört“63.
Die Richtlinien ließen nicht nur ein theologisch durchdachtes Konzept vermissen, auch umgingen sie die Frage, wie das Verhältnis von „Volk“ und „Rasse“ näher zu bestimmen sei64. In Leipzig trat die Arbeitsgemeinschaft besonders im Sommer/Herbst 1927 hervor. Pfarrer Vogel orientierte sich dabei nach zwei Seiten. Er suchte einerseits – wenn auch eher erfolglos – Kontakt zu den rechtsgerichteten Kreisen, hier besonders den Wehrverbänden; andererseits bemühte er sich um kirchliche Unterstützung. Diese fand er bei dem Direktor der Inneren Mission, Faust, und bei Superintendent Hilbert, der beim Landeskonsistorium finanzielle Unterstützung für Vogel erreichen konnte65. Hilbert hatte als Professor an der Universität Rostock während des Ersten Weltkriegs ein Konzept entwickelt, das die volksmissionarische Sendung der Kerngemeinde in der Zeit nach dem Wegfall der staatskirchlichen Bindung betonte66. Er war offensichtlich auch bereit, in die volksmissionarische Sendung solche Kräfte aufzunehmen, die durch einen ausgeprägten Antisemitismus auffielen. Am 1. Dezember 1927 kam es auf Einladung Vogels zu einem Treffen der Arbeitsgemeinschaft und Vertretern der politischen Gruppen67 mit den beiden Leipziger Superintendenten. In einem Bericht Hilberts an Landesbischof Ihmels wird deutlich, dass Hilberts wichtigste Motivation für sein 63 EBD. 64 Vgl. dazu K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 252. 65 Hilbert an das Ev.-luth. Landeskonsistorium am 6. Oktober 1927 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 177). 66 E. BEYREUTHER; G. HILBERT; V. HERRMANN, S. 216. 67 Eingeladen waren: Alldeutscher Verband, Bund der Kämpfer für Glaube und Wahrheit, Deutsch-völkischer Offiziersbund, Jungdeutscher Orden, Königin Luisenbund, Oberland, Stahlhelm, Wehrwolf, Deutsche Turnerschaft, Nationalverband deutscher Offiziere, Verein Vaterländisch-völkischer Verbände. Vgl. DCAG an ev.-luth. Superintendentur u. a., 18. November 1927 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 24/2).
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Engagement – neben gewissen weltanschaulichen Affinitäten – in der Unterstützung der Bindung der Kirche an die „völkische Bewegung“ lag, auch wenn er theologische Differenzen, besonders bezüglich des Alten Testaments, nicht abstritt68. Weitere Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft bestanden in Vorträgen Vogels vor den Pfarrern der beiden Leipziger Ephorien und in der Verbindungsnahme mit dem Centralausschuss der Inneren Mission und dem Kirchenausschuss der DEK69. Mit der Pensionierung Vogels und seinem Wegzug aus Leipzig endet die Überlieferung über die Tätigkeit des DCAG allerdings. Ein Bericht aus dem Oktober 1931 konnte nur mühsam kaschieren, dass die Verbindung mit den „völkischen Kreisen“ in Leipzig nicht gelungen war70. Die Vertretung evangelischer Interessen in der Weimarer Republik lag vor allem bei der DNVP71. In ihr engagierten sich die meisten Leipziger Pfarrer72. Ihr gehörte der an der Thomaskirche tätige Heinrich Schumann an, der dem gemäßigten politischen Flügel zuzurechnen war. Der Theologieprofessor Alfred D. Jeremias, der die Pfarramtsleitung der Luthergemeinde innehatte, war nach Kriegsende in diese Partei eingetreten und stand der Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung vor, der er von 1919–1933 angehörte73. Er war ein führender Theologe der „Kirchlich-Sozialen Konferenz“ (KSK), einer 1897 von Adolf Stoecker gegründeten Vertretung des kirchlichen und politisch konservativen Sozialprotestantismus74. Sein Augenmerk galt besonders Schul- und Erziehungsfragen und Belangen der Inneren Mission. Dabei machte er aus seiner antisozialistischen Einstellung keinen Hehl. Auf dem Stuttgarter Kirchentag 1921 äußerte er: „Ein Christ kann organisierter Sozialist nur infolge mangelnden Verständnisses sein oder in der Absicht, in der Partei zu missionieren. Beides kann verhängnisvoll für ihn werden; denn der Sozialismus des Erfurter Programms verstößt gegen die heiligen Grundsätze des Eigentums und der Familie“75. Der zeitweilige Vorsitzende der Leipziger Inneren Mission und Präsident des Gustav-AdolfVereins, Franz Rendtorff, vertrat die DNVP im sächsischen Landtag. 68 Hilbert an Ew. Magnifizenz, 2. Dezember 1927 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 24/2). 69 Denkschrift über die Tätigkeit der DCAG Ring Leipzig und Umgegend und Gau Sachsen (ADSL, Schrank I, Fach 2, 24/2). 70 Bericht über die Arbeit der DCAG, Großring Leipzig vom 16. Oktober 1931 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 24/2). 71 K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 29. 72 Die Parteizugehörigkeit von Pfarrern kann in den meisten Fällen, besonders wenn es sich ausschließlich um Parteimitglieder und nicht um herausgehobene kirchliche Amtsträger handelt, nur über Akten der Sicherheitsorgane oder über Entnazifizierungsakten erschlossen werden. Hinsichtlich der Pfarrer, die vor Kriegsende verstorben oder an eine Pfarrstelle außerhalb Leipzigs verzogen sind, könnte die Darstellung daher Lücken aufweisen. 73 Vgl. P. BRANDMANN, S. 309–314. 74 W. FEURICH, S. 66. Zur KSK vgl. K. E. POLLMANN, Freie kirchliche-soziale Konferenz. 75 Vgl. K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 89.
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Dem Christlich-sozialen Volksdienst, der Ende der 20er Jahre als Abspaltung des evangelischen Flügels der DNVP entstanden war, aber nach einem kurzen Aufstieg bei den Reichstagswahlen 1930 an Einfluss verlor, gehörte der Studentenpfarrer Gerhard Kunze an76. 1932 erreichte die Christlich-soziale Volksfront bei den Leipziger Stadtverordnetenwahlen einen Sitz77. In Georg Faber, der seit 1917 an der Luthergemeinde tätig war, manifestiert sich eine Tendenz zunehmender politischer Radikalisierung. Von 1919–1927 gehörte er der DVP an, wechselte dann zur DNVP und trat schließlich im April 1931 der NSDAP bei.
1.4 Das kirchenpolitische Umfeld in Leipzig in der Zeit der Weimarer Republik Novemberrevolution und demokratische Neuordnung hatten die traditionelle Rolle der Kirche in der Gesellschaft in Frage gestellt. Die Trennung von Staat und Kirche ließ den Glauben stärker zur Privatangelegenheit werden. Nun wurde deutlich, in welchem Maße die Kirchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Einfluss in der Arbeiterschaft verloren hatten, gerade in einem weithin industrialisierten Land. Denn im Land Sachsen, dem „Roten Königreich“78, war der Prozess der Industrialisierung und Urbanisierung in Deutschland am weitesten fortgeschritten. Über ein Drittel der Bevölkerung lebte in Städten mit über 100 000 Einwohnern79. Weniger noch als die katholische hatte die evangelische Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer starken Bindung an die konservativen Eliten hinreichende Antworten auf die mit dem Anwachsen der Arbeiterschaft verbundene soziale Frage finden können und hatte dadurch unter den Arbeitern weithin an Ansehen verloren. Lebensweltliche Prägungen erhielten die Arbeiter vor allem in den Vorfeldorganisationen des sozialdemokratischen Milieus, den verschiedenen Arbeitervereinen. Die politische Landschaft Sachsens zeichnete sich durch eine starke Polarisierung der Parteien und sonstigen politischen Kräfte aus, wofür 76 Der „Informationsdienst der Deutschen Christen in Sachsen“, Nr. 7, S. 6, vom 4. März 1935 lastete Kunze, der 1933 zur hannoverschen Landeskirche gewechselt war, an, er habe 1932 politische Verbindungen zu Kreisen um Schleicher unterhalten. 77 Die Mandatsverteilung in der Stadtverordnetenversammlung bei P. BRANDMANN, S. 67. 78 Vgl. F. WALTER, Sachsen; zur Kontroverse um die Verdichtung des sozialistischen Milieus in Sachsen und der Stärke des sozialistischen Lagers am Ende der Weimarer Republik vgl. C. HAUSMANN/K. RUDOLPH. 79 C.-C. W. SZEJNMANN, Nazism, S. 6.
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auch das Fehlen eines größere Bevölkerungsteile umfassenden katholischen Milieus als Grund angeführt wird80. In der Weimarer Republik besaßen SPD und KPD die Mehrheit der Sitze im sächsischen Landtag, und die SPD, dominiert vom linken Flügel der Partei, stellte eine von der KPD tolerierte Minderheitsregierung. Sie betrieb, wie es Karsten Rudolph genannt hat, ein „left-wing republican project“81 und versuchte, die Position der evangelischen Kirche besonders im Bildungssektor zu beschneiden. So wurde beispielsweise das Schulgebet verboten. Jedoch musste der Versuch, über das „Übergangsgesetz für das Volksschulwesen“ vom Juli 1919 die Abschaffung jeglichen Religionsunterrichts in den Schulen zu erzwingen, aufgegeben werden, da das Reichsgericht das Gesetz für verfassungswidrig erklärte82. Allerdings gab es im Freistaat Sachsen bis 1931 keine evangelischen Volksschulen mehr83. In politischer Hinsicht setzte sich die für Sachsen typische Polarisierung zwischen den verschiedenen Lagern auch in der Stadt Leipzig fort84. Ein in Industrie und Handel tätiges Bürgertum stand einer in einem weit verzweigten Vereinswesen organisierten Arbeiterschaft „antagonistisch“ gegenüber. Die USPD, später die wieder vereinigte SPD, hatte sich zunächst bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung durchgesetzt, in einer Zwischenphase von 1924–1926 stellte jedoch die aus den bürgerlichen Parteien (ohne DDP und ohne Völkische) gebildete „Vereinigte Bürgerliste“, die mit der Verwaltung personell eng verflochten war, die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung85. Die Wahl des nationalkonservativen Carl Friedrich Goerdeler zum neuen Leipziger Oberbürgermeister im Frühjahr 1930, der einer Mehrheit von SPD und KPD in der Stadtverordnetenversammlung gegenüberstand, symbolisierte das machtpolitische Patt zwischen den beiden Lagern.86 Den Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg als „linkssozialistisches Projekt“ zu gestalten, hatten sich besonders die Leipziger Sozialdemokraten auf ihre Fahnen geschrieben, die mit Hermann Liebmann auch einen Vertreter einer pointiert linkssozialdemokratischen Position an ihrer Spitze 80 Zur Entwicklung in Sachsen in der Weimarer Republik vgl. B. RÜDIGER. Vgl auch: „The antagonism between Left and Right was compounded by the confessional makeup of the state; the largely Protestant Saxony lacked a Center Party which might have otherwise acted as a mediating force, as it did in Prussia“ (B. LAPP, Revolution, S. 1); für Leipzig P. BRANDMANN, S. 35; dagegen J. RETALLACK, Society, S. 439. 81 Vgl. K. RUDOLPH, Sächsische Sozialdemokratie, Kap. 5 und 6. J. RETALLACK, Society, S. 399, spricht in diesem Zusammenhang von „class warfare“. 82 B. RÜDIGER, Freistaat, S. 474. 83 F. HEIDENREICH, S. 184. 84 J. RETALLACK, Society, S. 397. 85 Zur Mandatsverteilung in der Stadtverordnetenversammlung vgl. P. BRANDMANN, S. 67. 86 Vgl. D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Nationalsozialismus, S. 82 f.
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hatten87. Die lokale Parteielite bestand vor allem aus Dissidenten und vielfach aus Redakteuren der Leipziger Volkszeitung, die sich als Motor einer solchen auf Konfrontation ausgerichteten Politik verstand88. Sie bekannte sich zu einer offen freidenkerisch-atheistischen Weltanschauung und suchte gerade nach 1918 die Auseinandersetzung mit der Kirche. Zu den zentralen kommunalpolitischen Schwerpunkten der linkssozialistisch dominierten Leipziger SPD gehörte neben dem Wohnungsbau der Bildungsbereich, insbesondere das Schulwesen und das Volkshochschulwesen89. SPD- und KPD-Stadtverordnete, unterstützt vom Leipziger Lehrerverein, forderten eine weltliche Schule, die Vereinheitlichung des Bildungswesens und die „Brechung des Bildungsprivilegs“90. Hierbei spielten vor allem die Volksschullehrer eine führende Rolle, die in der Leipziger SPD in der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer“ besonders stark vertreten waren91. Die Volksschullehrer rangierten innerhalb der Gesamtlehrerschaft am unteren Ende und stellten ein ausgesprochen sozialkritisches Potenzial dar, das die SPD während der 20er Jahre zur Umsetzung ihrer schulpolitischen Ziele gut aktivieren konnte. Ende November 1920 hatte der Leipziger Lehrerverein als Reaktion auf die Entscheidung des Reichsgerichts, die im Übergangsschulgesetz vorgesehene Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts wieder rückgängig zu machen, dazu aufgerufen, diesen zu boykottieren92. Auch weigerten sich z. B. Lehrer 1930, Religionsstunden abzuhalten, was zu einer empfindlichen Einbuße führte93. Im gleichen Jahr wurde der an einer Stötteritzer Schule abgehaltene Konfirmationsunterricht dermaßen gestört, dass sogar polizeilicher Schutz beantragt werden musste.94 1926 bezeichnete der Leipziger Lehrerverein die Parteien DVP und DNVP, die die kirchlichen Interessen wahrnahmen, als Inkarnation der 87 Der Bezirk Leipzig stellte Mitte 1919 71 Prozent aller sächsischen USPD-Mitglieder. Vgl. F. HEIDENREICH, S. 271, Anm. 425. Zu Hermann Liebmann vgl. D. KLENKE, Hermann Liebmann. 88 Die LVZ entwickelte sich zur zweitwichtigsten Parteizeitung nach dem „Vorwärts“ und zum Organ der innerparteilichen Linken. P. BRANDMANN, S. 56. 89 Vgl. dazu ausführlich D. KLENKE, SPD-Linke. 90 Vgl. H. ARNDT/U. OEHME, Leipzig, S. 238. 91 Vgl. D. KLENKE, SPD-Linke, S. 322: „Das Engagement der Leipziger Lehrer für die SPD nahm innerhalb der sächsischen Volksschullehrerschaft gewiss eine Spitzenposition ein [. . .]“. Die Zahl der konfessionslosen Lehrer in Sachsen war mit 917 um diese Zeit fast doppelt so hoch wie an sämtlichen weltlichen Schulen des übrigen Reiches zusammen. Vgl. F. WALTER, Bund, S. 343. 92 F. HEIDENREICH, S. 189. 93 H. ARNDT/U. OEHME, S. 238. 94 Kirchlicher Jahresbericht 1930 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). Zur kirchlichen Antwort auf diese Bestrebungen, die von der Apologetischen Centrale beim Zentralausschuss der Inneren Mission koordiniert wurde, vgl. M. PÖHLMANN, S. 171–187.
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klerikalen „Schulreaktion“95. Seiner zielstrebigen Arbeit war es zuzuschreiben, dass in den Elternratswahlen von 1931 die so genannte „weltliche Mehrheit“ gegenüber den christlichen Elternvereinen im Gegensatz zur Situation in den meisten sächsischen Städten gehalten werden konnte96. Auch wenn Thomas Adam für den Bereich der Erwachsenenbildung im sozialistischen Milieu eine Entpolitisierung zugunsten einer überparteilichen Ausrichtung konstatiert und auf die Heterogenität des sozialistischen Milieus hinweist, das eher eine Teil- als eine städtische Gegenkultur hervorgebracht habe97, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass mit der 1930 gegründeten Marxistischen Abendschule, der wichtigsten Parteischule der KPD in Sachsen, und der Gemeinschaft proletarischer Freidenker, die 1923 im Arbeiterstadtteil Plagwitz ihr Quartier bezogen, zwei Institutionen ihren Sitz in der Stadt hatten, die explizit den Kampf gegen die Kirchen auf ihre Fahnen geschrieben hatten und die schon vorhandenen antikirchlichen Strömungen in der Stadt zu kanalisieren wussten98. Das zweite Gebiet, auf dem die Sozialdemokratie in Leipzig die evangelische Kirche zu verdrängen suchte, war die Fürsorge, ein Bereich in dem die Innere Mission die mit Abstand größte private Wohlfahrtsorganisation darstellte99. Während weite Teile der Inneren Mission mit ihrer Arbeit eine antisozialdemokratische Zielrichtung verbanden100, drängte die SPD in den städtischen Gremien, die Zusammenarbeit mit der konfessionellen Fürsorge gänzlich abzubrechen und ihr sämtliche Subventionen zu entziehen101. Der Versuch, nach der Wiedererlangung der Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung 1926 die freie Wohlfahrtspflege zu verstaatlichen, scheiterte einerseits aus rechtlichen Gründen, traf aber andererseits auch auf den Widerstand der städtischen Verwaltung, die die ruinösen finanziellen Folgen einer solchen Politik einkalkulierte102. Der von der 95 Leipziger Lehrerzeitung vom 3.11.1926 (zitiert nach D. KLENKE, SPD-Linke, S. 174). Der Leipziger Lehrerverein gab unter der Redaktion von Walther Kluge die Monatszeitschrift „Schule und Elternhaus“ heraus, deren Wirkungsbereich aber auf Sachsen und Thüringen beschränkt blieb. Vgl. F. WALTER, Bund, S. 366. 96 Vgl. D. KLENKE, SPD-Linke, S. 321. 97 T. ADAM, Arbeitermilieu, S. 316, 321. 98 Vgl. L. HEYDICK, Leipzig, S. 100 u. S. 105. Vgl. dazu auch J.-C. KAISER, Arbeiterbewegung. Im Bezirk Leipzig hatte allein der Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung, in dem sowohl Kommunisten wie Sozialdemokraten vertreten waren, im Jahr 1928 über 30 000 Mitglieder, wobei in eben diesem Jahr über 5 000 Neuaufnahmen zu verzeichnen waren (S. 355). Daneben war Leipzig Sitz von Freidenkerverbänden – so ab 1924 der Gemeinschaft proletarischer Freidenker – und deren beliebter Tagungsort. 99 Den „Weltanschauungskampf“ zwischen den Arbeiterparteien und der Kirche um die private Fürsorge schildert P. BRANDMANN, S. 307–328 u. S. 413–433. 100 EBD., S. 312. 101 EBD., S. 318. 102 EBD., S. 419–422.
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Linken ausgetragene „Weltanschauungskampf“ flachte erst Ende der 20er Jahre ab, als die SPD einen gemäßigteren Kurs einschlug und im Rahmen der Arbeiterwohlfahrt bereit war, in der „Leipziger Jugendhilfe“ mit der Inneren Mission zusammenzuarbeiten103. Nachdem mit der Revolution von 1918/1919 die Bedingungen für einen Kirchenaustritt entscheidend erleichtert worden waren104, nahm die Zahl der Kirchenaustritte Ausmaße an, die später nicht mehr erreicht wurden105. Sachsen und Thüringen hatten unter den Flächenstaaten den höchsten Konfessionslosenanteil aufzuweisen, und Leipzig stand unter den Großstädten dieser Gebiete an der Spitze der Konfessionslosenstatistik; dort war der Prozentsatz der Konfessionslosen von 0,2 Prozent im Jahre 1910 auf 14,35 Prozent im Jahre 1933 gestiegen. Allein aus der evangelischen Kirche traten im Zeitraum von 1919 bis 1930 ca. 150 000 Personen aus106. Es ist zu beachten, dass sich in dieser Zahl auch nachgeholte Kirchenaustritte von Personen spiegeln, die bereits vor 1919 der Kirche fern standen. In den Arbeitervorstädten im Süden und Westen der Stadt war jeder Vierte konfessionslos107. Auf die Ablösung der Konfirmation als Initiationsritus richtete sich die Jugendweihe, die in der linkssozialdemokratischen Festkultur den größten Zuspruch fand108. Sie wurde in Leipzig vom Arbeiterbildungsinstitut und von den Freidenkern erstmals 1920 organisiert, die „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer“ übernahm den Jugendweiheunterricht unentgeltlich109. Die flächendeckende Verbreitung der Jugendweihe basierte im Wesentlichen auf dem von den Volksschullehrern angebotenen Lebenskundeunterricht110. Als 1928/29 in Leipzig SPD und KPD gemeinsam die Jugendweihe verantworteten, erreichte der Anteil der Jugendweihlinge an der Gesamtheit der Schulentlassenen ca. ein Drittel111. Es ist jedoch zu
103 EBD., S. 423–428. 104 Die Mitgliedschaft in der Kirche galt vor Ende des Krieges als fast unantastbares Gebot. Durch das Kirchenaustrittsgesetz von 1919 wurde es in Sachsen möglich, dass Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet hatten, schnell und problemlos die Kirche verlassen konnten (vgl. C.-C. W. SZEJNMANN, Traum, S. 66). 105 Auch schon vor 1918 hatte es im deutschen Protestantismus in der traditionellen Kirchlichkeit erhebliche Erosionserscheinungen gegeben. Im Königreich Sachsen etwa lag der Kirchenbesuch in Industriezentren zwischen 2,5 und 8 Prozent, in den neuen Vorstädten bei 1 Prozent und darunter. Die Zahl der Kirchenaustritte nahm von 27 150 im Jahr 1908 auf 29 255 im Jahr 1913 zu (vgl. M. GRESCHAT, Zeitalter, S. 227–231). 106 Vgl. BURKHARDT, S. 191–202. 107 M. RUDLOFF, Entstehung, S. 98. 108 Zu den Anfängen der Jugendweihe in Leipzig vgl. M. RUDLOFF, Entstehung. 109 Vgl. D. KLENKE, SPD-Linke, S. 403 f.; M. RUDLOFF, Entstehung, S. 104. 110 D. KLENKE, SPD-Linke, S. 404. Zu den Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD um die Jugendweihe EBD. 111 Vgl. D. KLENKE, SPD-Linke, S. 586. Die Übersicht über die Beteiligung an den proletarischen Jugendweihen im SPD-Unterbezirk Leipzig bei M. RUDLOFF, Entstehung, S. 121.
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vermuten, dass in dieser Übergangszeit Jugendliche – wenn auch nur ein sehr geringer Anteil – sowohl an der Jugendweihe wie an der Konfirmation teilnahmen112. Das, wie Klenke meint, „einmalige Ausmaß der antikirchlichen Bestrebungen“ in Leipzig, das die Kirche auf fast allen wichtigen Feldern ihrer Tätigkeit traf, und die Einbußen, die die Kirche innerhalb kurzer Zeit hinnehmen musste, führten in der evangelischen Kirche zu einem Krisenbewusstsein113. Leipzig wurde zu einem Zentrum der proletarischen Freidenkerbewegung in Deutschland. Die Zentrale sowie der Verlag der Gemeinschaft proletarischer Freidenker, deren Leipziger Ortsgruppe bis 1929 16 000 Mitglieder umfasste, befanden sich in der Messestadt114. Von der evangelischen Kirche wurde die von den Freidenkern unterstützte Kirchenaustrittsbewegung als „Gottlosenbewegung“ bezeichnet. Die antikirchlichen Maßnahmen der Freidenker reichten von der Störung der Gottesdienste durch Lärm bis zur Beflaggung von Kirchtürmen mit roten Fahnen. Aus evangelischer Sicht wurden diese Entwicklungen als Teil eines weltumspannenden Kampfes des Kommunismus gegen die Kirche gedeutet. In einem in Leipzig erschienenen Rückblick auf die kirchliche Lage Anfang 1933 heißt es dazu: „Durch die bolschewistische Gottlosenbewegung ist in den letzten Jahren eine neue Kampflage entstanden. Das Freidenkertum hat den Charakter einer kämpfenden Massenbewegung erhalten. Deutschland ist Aufmarschgebiet für den Welteroberungskrieg der organisierten Gottlosigkeit, mit dem Moskau das westliche Abendland bedroht“115. Die Kirche konnte unter diesen Bedingungen nur noch das Abbröckeln ihrer Mitgliederschaft konstatieren. Ein Bericht der Superintendentur über die Entwicklungen seit dem Ende des Weltkrieges klang dramatisch genug: „In Leipzig I [i. e. Superintendentur Leipzig-Stadt, G. W.] seit 1919 über 70 000 Kirchenaustritte! Rückgang der jährlichen Konfirmandenziffer um ca. 3 000 im Vergleich zur Ziffer von 1917! Rückgang des Kommunikanten-Prozentsatzes von 23,7 Prozent (1890) auf ca. 11 Prozent (1924)! Ausfall an Trauungen bei rein evangelischen Paaren: 43 Prozent (1924) gegen ein halbes Prozent im Jahre 1891!“116
Was der Leipziger Superintendent in den kirchlichen Jahresberichten in der Rubrik „evangelische Arbeitervereine“ mitteilte, wirkte ernüchternd. 112 A. DÖHNERT, S. 44. 113 Vgl. dazu die Beiträge im Jahr des Herrn. Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Gemeinden Leipzigs 7 (1933). 114 Vgl. L. HEYDICK, Leipzig, S. 100. 115 H. HICKMANN, S. 86. 116 Superintendentur an Landeskirchenamt, 1. April 1925 (ADSL, Schrank I, Fach 3, 32, Bl. 108). Zur religiösen Geographie Sachsens mit den Zahlen für Leipzig vgl. jetzt L. HÖLSCHER, S. 531–658.
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1930 noch berichtete er: „Können im Allgemeinen nicht leben und nicht sterben“, und 1932 einfach nur noch: „Kein Leben in ihnen“117. Doch nicht nur die Arbeiterschaft blieb der Kirche fern, auch Teile des Mittelstandes sparten lieber ihre Kirchensteuer ein, als Anfang der 30er Jahre die Weltwirtschaftskrise diese Bevölkerungsgruppe in die Verarmung trieb. Aus der im bürgerlichen Gohlis liegenden Versöhnungsgemeinde berichtete Pfarramtsleiter Johannes Herz, der Generalsekretär des Evangelisch-sozialen Kongresses, 1930: „Gegenüber den beiden Vorjahren ist die Zahl der ausgetretenen Arbeiter stabil geblieben. Dagegen ist die Zahl der ausgetretenen Handwerker bedeutend gestiegen. Das beweist, dass die Austrittsbewegung nicht mehr wie früher zumeist in politischen oder schulischen Motiven begründet ist, sondern mithin in der Steuerflucht seine Ursache hat“118.
1932 berichtete der Superintendent aus dieser Gemeinde: „Die Altersklasse von 21–35 Jahren ist am stärksten an den Austritten beteiligt. Die Austrittsbewegung greift in steigendem Maße auf den Mittelstand und das Angestelltenverhältnis über. Auffällig ist weiter, dass bei den Angestellten und Beamten meistens die Ehefrau mit austritt“119. Das kirchliche Leben litt unter der Austrittsbewegung. Die Kirchen waren sonntags leer120. 1925 berichtete der Superintendent in der Rubrik „Kirchenbesuch“ der Jahresberichte: „18 Gemeinden berichten, dass er sich gehoben habe, obwohl im Vergleich zur Seelenzahl der Kirchenbesuch doch meist recht gering ist. Der Grund ist wohl auch die Proletarisierung des Mittelstandes, in dem bislang die Kirchlichkeit am stärksten verankert war. In einzelnen Gemeinden fehlt die Jugend fast ganz – eine besonders trübe Tatsache!“121
Diese permanente Überbeanspruchung der Pfarrer, die hohe Zahl der Kirchenaustritte und das feindselige politische Klima, in dem die kirchliche Arbeit geleistet werden musste, führten dazu, dass die Außenwelt hauptsächlich in einem Freund-Feind-Schema wahrgenommen wurde. Vokabeln wie „Gegner“ oder „Feind“ tauchen in den kirchlichen Akten dieser Zeit häufig auf. Zu diesen „Gegnern“ zählten auch das Judentum und die katholische Kirche. 1932 berichtete Superintendent Hilbert: „Die Ausbreitung der Juden macht sich noch immer sehr unangenehm bemerkbar. Das jüdische 117 118 119 120 halb 121
Die Jahresberichte sind zu finden in ADSL, Schrank I, Fach 17, 182. Kirchlicher Jahresbericht 1930 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). EBD. Lt. L. HÖLSCHER, S. 533, S. 549, war der Abendmahlsbesuch in Leipzig 1932 prozentual so hoch wie im landeskirchlichen Durchschnitt. Kirchlicher Jahresbericht 1925 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182).
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Krankenhaus wird wegen seiner neuen Einrichtung auch von Evangelischen aufgesucht“122. Noch argwöhnischer wurde das Verhalten der katholischen Kirche beobachtet. Im März 1932 debattierten die Leipziger Pfarrer über das Thema „Vom Vordringen Roms, besonders in Sachsen“ und stellten im Gegensatz zur evangelischen Kirche einen Aufschwung katholischer Aktivitäten, vor allem beim Bau von Kirchen und Krankenhäusern, fest123. Dabei geben die in der Debatte geäußerten Meinungen stärker Auskunft über die innerevangelische Verfassung als über die katholische Seite. So wurde mitgeteilt, „dass die Offiziere der Garnison und der Verband katholischer Einzelhändler“ in katholischen Händen sei, und das Reichsgericht, die Reichseisenbahn sowie die katholische Seelsorge an der Universität wurden als „Zellen katholischer Propaganda“ bezeichnet124.
1.5 Der Aufstieg der NSDAP in Leipzig Obwohl das „rote Sachsen“ einen Schwerpunkt der Arbeiterbewegung bildete, gelang es der NSDAP schon frühzeitig, dort eine Gau-Organisation aufzubauen, die auf den bestehenden völkischen Verbänden basierte125. Sie profitierte dabei vor allem von der aus Bayern kommenden Unterstützung. Der sich daraus ergebende Unterschied in der Organisationsstruktur zwischen relativ gut organisierten Gruppen in Westsachsen mit den Zentren Zwickau und Plauen und weniger gut organisierten Gruppen in Ostsachsen blieb über 1933 hinaus bestehen126. Auch die in der Führungsspitze der sächsischen NSDAP agierenden Politiker wie der Textilindustrielle Martin Mutschmann und Fritz Tittmann kamen aus Westsachsen. Ein Jahr nach der Gründung der ersten Ortsgruppe in Zwickau war 1922 die Leipziger Ortsgruppe der NSDAP gebildet worden. Kurz vor dem Ende des Parteiverbots wurde sie Ende 1924 wiedergegründet, litt jedoch unter einer zunehmenden Zersplitterung127. Der 122 Kirchlicher Jahresbericht 1932 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 123 Protokoll der Ephoralkonferenz am 10. März 1932 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). Den Vortrag hielt Gerhard Ohlemüller von der wissenschaftlichen Abteilung des Evangelischen Bundes, eines 1886 „zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen“ gegründeten Vereins, der sich vor allem gegen den Katholizismus richtete. Zum Evangelischen Bund vgl. W. FLEISCHMANN-BISTEN. 124 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 10. März 1932 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). Vgl. auch G. WILHELM, Obrigkeit, S. 286. 125 Zur Geschichte der NSDAP in Sachsen vor 1933 vgl. B. LAPP, Revolution; DERS., Aufstieg; C.-C. W. SZEJNMANN, Traum, S. 103–107; DERS., Rise; A. WAGNER, Machtergreifung, S. 34–62. D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Nationalsozialismus, S. 259–267, hat die Eroberung des proletarischen Quartiersmilieus in Leipzig beschrieben. 126 A. WAGNER, Machtergreifung, S. 35. 127 EBD., S. 48.
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politische Durchbruch gelang der NSDAP in Sachsen erst im Gefolge der wirtschaftlichen Krise in der Weimarer Republik am Ende der 20er Jahre. Zwar hatte die NSDAP bei den Landtagswahlen 1929 nur fünf Prozent der Stimmen erhalten, doch angesichts des Patts zwischen linkem und rechtem Lager wurde sie nun zum „Zünglein an der Waage“128. In Leipzig waren die Versuche der Partei, in die Leipziger Arbeiterquartiere einzudringen, wohl nicht von Erfolg gekrönt129. Lediglich an der Universität und beim Nationalsozialistischen Studentenbund konnte sie eine einflussreiche Position erreichen. Bei den Wahlen konnte sie ihr Ergebnis von 9 000 Stimmen (1926) über 17 700 (1929), 62 500 (1930) auf 142 000 (Juli 1932) steigern, blieb jedoch immer hinter der SPD zurück130. Mit dem Anwachsen der nationalsozialistischen Bewegung änderte sich das politische Klima in der Stadt. Besonders die Leipziger Sozialdemokraten gingen mit den „Leipziger Kampfstaffeln“, einer rund 2 000 Mitglieder umfassenden paramilitärischen Organisation, vehement gegen den Terror der SA vor. Trotz umfangreicher Bemühungen konnte die NSDAP den Widerstand der sozialdemokratischen Kräfte nicht brechen. Leipzig blieb nicht zu Unrecht die „Reichs-Nein-Stadt“131. Das Verhältnis der Nationalsozialisten zu den Kirchen war vor 1933 durch „taktisch-neutrale Indifferenz“132 gekennzeichnet. Die NSDAP hatte sich unter dem Einfluss Hitlers nach 1923 von einer völkischen Bewegung133 mehr und mehr zu einer Massenpartei entwickelt. Auch der weltanschaulich-politische Entwurf Hitlers entstammte der völkischen Bewegung und enthielt eine wenig strukturierte Mischung von religiös-heidnischen, christlichen und areligiösen Elementen. Der Pragmatiker Hitler hatte jedoch erkannt, dass der politische Erfolg nicht durch die Propagierung völkischer Ideen, sondern auf dem „legalen“ Weg über Wahlen nur durch die Gewinnung breiterer Bevölkerungsschichten zu erreichen war. So verzichtete er auf dezidiert kirchenfeindliche Aussagen. Das Parteiprogramm der NSDAP bekannte sich in Paragraf 24 zur „Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, sofern sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- oder Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen“. Die Partei selbst vertrete „den Standpunkt eines positiven Christentums“, 128 EBD., S. 54. 129 Die Erforschung der Organisationsgeschichte der Leipziger NSDAP stellt ein Desiderat der Forschung dar (vgl. D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Nationalsozialismus, S. 259). 130 EBD., S. 259 f. Die Ergebnisse der Wahlen im Reichstagswahlkreis Leipzig abgedruckt in: C.-C. W. SZEJNMANN, Traum, S. 143 (allerdings mit Druckfehler!). 131 L. HEYDICK, Leipzig, S. 110 f. 132 K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 48. Zur religionspolitischen Ausrichtung der NSDAP vor 1933 vgl. auch EBD., S. 47–56; K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 110–123; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Nationalsozialismus, S. 35–44; J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus, S. 46 f. 133 Zur völkischen Bewegung vgl. K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 93–109.
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„ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden“134. Der bewusst unpräzise Begriff des „positiven Christentums“ sollte ein gewisses Wohlwollen bei den christlichen Kirchen erreichen. Er war allerdings auch so dehnbar, dass er jederzeit gegen das Christentum verwandt werden konnte, wenn es jenes „Sitte- und Moralgefühl der germanischen Rasse“ verletzen würde135. Um den völkischen Richtungen innerhalb der NSDAP zu begegnen, war Hitler bereit, sich von deren wichtigstem Vertreter, Erich Ludendorff, und dem „alten Kämpfer“, dem Thüringer Gauleiter Arthur Dinter136, der seinerseits ein so genanntes „Geistchristentum“ propagierte, zu trennen137. In Leipzig wurde im Frühjahr 1931 ein Parteimitglied, das auf einer öffentlichen Versammlung Rosenbergs Mythus propagiert und einen Pfarrer angegriffen hatte, ausgeschlossen138. Auf ihrem Weg zur Macht suchten die Nationalsozialisten Kontakt zu anderen Repräsentanten des nationalen Lagers. Auch in Sachsen spielten die Kirchen im Kalkül der NSDAP eine immer größere Rolle. Kirchenfragen wurden bei ihren Wahlkampfveranstaltungen immer häufiger behandelt. In manchen Amtshauptmannschaften stellten sie sogar das wichtigste Thema dar139. 1932 unterstützte die NSDAP einen Antrag der DVP im sächsischen Parlament gegen die Freidenkerbewegung und führte die Rubrik „Kirchennachrichten“ in ihrem sächsischen Parteiorgan „Freiheitskampf“ ein140.
1.6 Die kirchliche Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus Anfang der 30er Jahre Für eine am volkskirchlichen Konzept festhaltende Pfarrerschaft bot sich eine Interpretation der schwierigen Zeitläufte als Abfall vom Christentum, ja sogar als Wirken des Antichristen, in Kombination mit einer nationalen 134 W. MOMMSEN, S. 547–550, hier S. 550. 135 Die zunächst intendierte Stoßrichtung waren wohl „Kulturbolschewismus“, Liberalismus, Materialismus und auch die jüdische Religion, wenn diese auch nicht explizit genannt wird (vgl. Zitat Rudolf Buttmann bei L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Nationalsozialismus, S. 40). 136 Zu Dinter vgl. E.-M. ZEHRER. 137 Vgl. dazu K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 114–122; K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 48–50 und W. DIERKER, S. 119–123. 138 Protokoll des Völkischen Ausschusses vom 18. März 1931 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 22). 139 Für die erzgebirgische Amtshauptmannschaft Schwarzenberg hat dies C.-C. W. SZEJNMANN, Nazism, S. 71, nachgewiesen. 140 EBD., S. 164 f.
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Komponente, wie sie der Leipziger Pfarrer Jeremias 1930 formulierte, förmlich an: „Am deutschen Volk kann die Welt noch einmal genesen, wenn es wieder ein christliches Volk wird, ein Volk Luthers und der Freiheitskriege, ein St. Georg- und Michaelsvolk, das den Teufel bekämpft, ein Christophorusvolk, das den Dienst beim Teufel aufgibt, um den Stärkeren an seiner Gemeinde zu dienen“141. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass die Pfarrer auch versuchten, mit solchen politischen Kräften ins Gespräch zu kommen, die die „nationale Erweckung“ in ihrem Programm führten. Im Gefolge der durch die NSDAP Anfang der 30er Jahre errungenen massiven Wahlerfolge wurde von den Pfarrern der Ephorie Leipzig-Stadt ein „Völkischer Ausschuss“ eingesetzt, der sich wahrscheinlich personell aus einem Pfarrerkreis zusammensetzte, der sich mit dieser Problematik schon früher auseinander gesetzt hatte142. Auf der Hauptkonferenz am 13. November 1930 wurde seine Gründung mit folgender Aufgabenstellung dem Landeskonsistorium angezeigt: „Sodann wurde ein Ausschuss gewählt zum Studium der völkischen Fragen. Derselbst soll für die nächste Ephoralkonferenz (11. Dezember) Sätze ausarbeiten, die die Grundlage bilden zu einer Aussprache der gesamten Ephoralgeistlichkeit. Denn man war sich klar darüber, dass die völkische Bewegung nicht wie einst die Arbeiterbewegung ohne Beeinflussung durch die Vertreter der Kirche gelassen werden darf, sondern dass vielmehr vor allem jüngere Geistliche in die verschiedenen völkischen Körperschaften eintreten müssten, nicht um politisch mitzuarbeiten, wohl aber sie im Sinne des Christentums zu beeinflussen“143.
Dem Ausschuss gehörten 15 Pfarrer an, die, wenn man ihr späteres Verhalten im Nationalsozialismus schon in Betracht zieht, durchaus kontroverse Einstellungen in der behandelten Frage gehabt haben dürften144. Den Vorsitz hatte Lic. Bruno Markgraf von der Markuskirche inne, der als 2. Vorsitzender der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft, Großring Leipzig, ein prononcierter Vertreter einer Hinwendung zur NSDAP war. Er nutzte die Plattform der sich militant nationalso141 A. JEREMIAS, S. 30. 142 Die Einrichtung eines speziellen Ausschusses war keine Besonderheit. Zur gleichen Zeit bestanden schon unter der Leitung von Johannes Herz der „soziale Ausschuss“ und ein Ausschuss für die Wohlfahrtspflege. 143 Protokoll der Hauptkonferenz vom 13. November 1930 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 22). 144 Hilbert (Superintendent), Markgraf (Markus), Israel (Nikolai), Roehling (Matthäi), Köhler, Meder (Thomas), Böhme (Thomas), H. Richter (Presseamt), K. Richter (Peters), Faust (Innere Mission), Römer (Immanuel), Schumann (Thomas), Lenz (Peters), Bruhns (Markus), Faber (Luther). Protokolle dieses Ausschusses liegen nur für die Zeit von Februar 1931 bis Sommer 1932 vor. Sie sind äußerst knapp gefasst und gehen selten über die Angaben der Anwesenden und das Referatsthema hinaus (ADSL, Schrank I, Fach 2, 22).
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zialistisch gerierenden „Parole“, um für den „Bund für Deutsche Kirche“ zu werben145. Diese völkische Gruppierung innerhalb der evangelischen Kirche setzte sich u. a. für die „Ausmerzung der jüdischen Elemente in Lied und Liturgie der Kirche und eine stärkere Einschränkung bei der Heranziehung des alten Testaments“ ein146. Die Tatsache, dass Markgraf sich eines nationalsozialistischen Organes bediente, das noch kurz vorher seinen Amtskollegen Herz verunglimpft hatte, lässt erahnen, wie groß schon damals die Spannungen innerhalb der Leipziger Pfarrerschaft gewesen sein müssen. Am 11. Dezember 1930 stellte Markgraf die Thesen des Ausschusses vor147. Zwei Thesen standen im Mittelpunkt der Argumentation. Zum einen stellte er Luthers Haltung zu den neuen „Volksbewegungen“ dar: „Luther ist führend in der völkischen Bewegung. [. . .] Luther trat trotz seiner unbeschränkten Orientierung an dem Evangelium dafür ein, auf Volksbewegungen zu hören. Diese sind keine Gefahr für die Einheit des Evangeliums. Wir müssen den Sauerteig des Evangeliums in die völkische Bewegung hineinrühren“148. Neben der offensichtlichen Intention, seine bekenntnistreuen Amtsbrüder über den Bezug zu Luther für seine Argumentation empfänglich zu machen, wird hier eine am Ende der 20er Jahre immer stärker hervortretende theologische Orientierung deutlich, die das „Volk“ zum ethischen Bezugspunkt ihrer theologischen Visionen gemacht hat149. Die nahe liegende, wenn auch wohl keineswegs unumstrittene Konsequenz dieser Argumentation war zum anderen die Mitarbeit in der „völkischen Bewegung“, in letzter Konsequenz der Eintritt in die NSDAP. Im Anschluss an Markgraf ergriff Studentenpfarrer Gerhard Kunze, Leiter der „jung-lutherischen Arbeitsgemeinschaft“ und kein Mitglied des „Völkischen Ausschusses“, das Wort, um Gegenthesen zu formulieren150. Seine Kritik am Nationalsozialismus setzte an drei Punkten an: am Volksbegriff, am theologischen Verständnis und an der politischen Bewegung. Zwar sprach auch Kunze von „organische[r] Volksgebundenheit“, doch warf er dem Nationalsozialismus hinsichtlich des „Völkischen“ „Verirrungen [. . .] in Rassenaufzucht“ vor. Der NSDAP warf er außerdem das Fehlen eines schlüssigen Gedankengebäudes und „die Gefahr einer Orientierung [. . .] an Rom“ vor. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hatte Kunze 145 Parole 2 (1932), Juli, S. 7. 146 Zu dem Bund vgl. auch H. BUCHHEIM, S. 45–48. 147 Vgl. Protokoll der Ephoralkonferenz vom 11. Dezember 1930 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Nr. 17). 148 EBD. 149 K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 124–150; M. GAILUS, S. 54. 150 Alle Zitate Protokoll der Ephoralkonferenz am 11. Dezember 1930 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Nr. 17). Zum Jung-Luthertum vgl. G. BESIER, Kirche, Politik und Gesellschaft, S. 18.
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damit wesentliche Kritikpunkte am Nationalsozialismus klar erkannt, war aber, indem er „Volksgebundenheit“ ausdrücklich bejahte und die „Katholikengefahr“ schürte, doch gleichermaßen dem protestantischen Zeitgeist verhaftet geblieben. Seine Kritik bezog sich vor allem auf eine Theologie, die das Bekenntnis mit dem Rassegedanken vermischte. Die Thesen und Leitsätze, auf die sich die Ephoralkonferenz verständigt hatte, sind in den Protokollen nicht überliefert. Die Beschäftigung der Leipziger Pfarrer mit dem neuen Fragenkreis hatte das Landeskonsistorium bewogen, in einer auf politische Neutralität bedachten Generalverordnung die Geistlichkeit aufzurufen, sich Fragen über „Christentum, Volk und Staat“, „Evangelische Kirche und Politik“, „Die Weltanschauung des NationalSozialismus und das Christentum“ zu stellen, dabei jedoch Beeinflussung nach bestimmten Richtungen zu vermeiden151. Am 22. Januar 1931 stand die Frage, wie man sich den neuen politischen Verhältnissen gegenüber verhalten sollte, wieder im Raum, als Pfarrer Walter Wilm, Volksmissionar vom Centralausschuss für die Innere Mission, einen Vortrag über die Aufgaben der Volksmission hielt152. Wilm war gleichzeitig Spiritus rector der „Christlich-Deutschen Bewegung“, die sich zum Ziel gesetzt hatte, in Verbindung mit Wehrverbänden und Deutschnationalen eine Sammlung rechtsgerichteter Kräfte in der evangelischen Kirche zu organisieren, um die Ziele des nationalen Protestantismus durchzusetzen153. In seinem Vortrag, den er selbstverständlich auch zur Förderung seines Vereins einsetzte, forderte er dazu auf, Arbeitsgemeinschaften von Pfarrern zu bilden, die in den rechtsgerichteten Verbänden „missionieren“ sollten154. Dabei sollten sie danach trachten, lutherisches Gedankengut gegenüber „deutsch-kirchlichen“, d. h. nichtchristlichen Vorstellungen, wie sie in Parteikreisen um Rosenberg vertreten wurden, zu propagieren. In einem Schreiben an den geschäftsführenden Direktor des Centralausschusses, Gerhard Füllkrug, fasste Hilbert seinen Eindruck über diesen Vortrag folgendermaßen zusammen: „Den Vortrag hielt er so, dass nach ihm beide Teile erklärten: so können wir mit. Sowohl die ‚Völkischen‘ als die Gegner derselben, die sehr stark waren. Seitdem geht es hier vorwärts. Eine Arbeitsgemeinschaft bespricht die Fragen, Verhandlungen mit völkischen Führern schließen sich an, öffentliche Vorträge w[erden] gehalten. Kurzum: wir alle und ich persönlich [. . .] sind Pf. W[ilm] sehr dankbar und gehen ganz in gleicher Richtung wie er“155.
151 152 153 154 155
Generalverordnung Nr. 586, 12. Januar 1931 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 101). Zu Walter Wilm vgl. C. WEILING, S. 33–38. Vgl. C. WEILING; K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 251–254. Protokoll der Ephoralkonferenz vom 22. Januar 1931 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). Hilbert an Füllkrug vom 11. Februar 1931 (zit. nach C. WEILING, S. 119).
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Gegen die Haltung Hilberts erhoben in der Diskussion gerade so herausgehobene Pfarrer wie Schumann und Herz ihre Bedenken und mahnten zur Überparteilichkeit156. Die Arbeit des „Völkischen Ausschusses“, die die Pfarrer auch nach der grundsätzlichen Aussprache im Dezember 1930 fortzusetzen beschlossen hatten, bewegte sich in verschiedene Richtungen. Zum einen ging es schließlich um die theologische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, zum anderen um den Kontakt mit der NSDAP vor Ort. Die Pfarrer beschäftigten sich mit der „Rassenfrage bei Hitler“ (am 4.2.1931) und mit „Günthers Rassenkunde“157 (am 11.2.1931) und entschieden sich, an Hitler persönlich einen Brief zu schreiben, der am 27. Februar 1931 abgesandt wurde158. In ihm wurde die Zustimmung zum Nationalsozialismus mit der Bitte verbunden, den Kampf gegen die Kirche, wie ihn Rosenberg führe, einzustellen und das „Rassenproblem“ nicht zur Basis des Nationalsozialismus werden zu lassen159. Hilbert gab Hitler folgenden Rat: „Wenn Sie sich etwa auf der Linie halten, die Adolf Stöcker [sic] in seiner Stellung zum Judentum eingenommen hat, so könnten Sie dessen gewiss sein, dass die ganze Gefolgschaft dieses großen evangelischen Kirchenmannes die heutzutage, wenn ich recht sehe, immer stärker wird, zu Ihnen stehen wird“160.
Der Anfang 1931 von den Leipziger Pfarrern eingeschlagene Kurs, bei theologischen Vorbehalten auf die NSDAP zuzugehen, dabei aber in der Öffentlichkeit „Überparteilichkeit“ zu wahren, blieb nicht unangefochten. Dabei musste sich die Kirche Angriffen von rechts und links erwehren. Die Nationalsozialisten versuchten kirchliche Kreise für sich zu gewinnen, indem sie Kirchgang für SA und SS ansetzten und Pfarrer, die sich ihrer politischen Linie widersetzten, in der Presse, besonders der Leipziger Tageszeitung, vehement angriffen. Dort erschien am 1. November 1932 ein Artikel, in dem „der in nationalen Kreisen wenig besuchte Prediger an der Friedenskirche“, Pfarrer Leistner, wegen seiner Reformationspredigt attackiert und bedroht wurde.161 Leistner, der Anhänger der Dialektischen Theologie war162, hatte gegen den Nationalsozialismus die Autorität der 156 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 22. Januar 1931 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 157 Günther, Hans, Rassenkunde des deutsches Volkes, 1922–1943, insgesamt 270.000 Exemplare. Das Buch lieferte eine theoretische Fundierung des nationalsozialistischen Rassismus. Ab 1930 war Günther Professor für Rassenkunde in Jena. 158 Hilbert an Hitler, 26. Februar 1931 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 24/2). 159 EBD. 160 Eine Antwort Hitlers auf den Brief ist nicht überliefert. 161 Politik auf der Kanzel. Die „Reformationspredigt“ in der Friedenskirche (in: Leipziger Tageszeitung vom 1. November 1932). 162 H. KLEMM, S. 97.
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Kirche betont und die quasireligiösen Ansprüche dieser Bewegung zurückgewiesen. Die Nationalsozialisten drohten mit dem Boykott seiner Gottesdienste, „denn, Gott sei Dank, gibt es noch deutsche Prediger [Hervorhebung im Original, G. W.], die das deutsche Volk lieben, und es Juden, Hottentotten und Bolschewiken vorziehen“163. Auch Pfarrer Johannes Herz, Vorsitzender des Evangelisch-sozialen Kongresses, wurde im Oktober 1931 in der „Parole“, dem „Kampfblatt der Leipziger Jugend“, angegriffen, weil er als Vater beim Rektor der Thomasschule wegen des Verhaltens des Nationalsozialistischen Schülerbundes vorstellig geworden war164. Die SPD hatte schon 1930 die Unterbindung der Aktivitäten dieses aggressiv auftretenden Verbandes verlangt, wozu sich die sächsische Regierung unter Wilhelm Bünger nicht entschließen konnte165. Im November 1931 forderte der „Freiheitskampf“, die offizielle Parteizeitung der sächsischen NSDAP, die Landeskirche auf, gegen Herz einzuschreiten166. Die publizistische Auseinandersetzung um Herz setzte sich mit offenen Drohungen noch bis Anfang 1932 fort167. Erst auf die Intervention von Superintendent Hilbert wurde die Kampagne gegen Pfarrer Herz eingestellt168. Die Leipziger Ortsgruppe des Nationalsozialistischen Schülerbundes hingegen verbreitete ein klares Bild von den zukünftigen Aufgaben der evangelischen Kirche: „Was erwarten wir jungen Nationalsozialisten von der Kirche? Sie soll sich auf den Boden des positiven Nationalsozialismus stellen, genauso, wie wir uns zu einem positiven Christentum bekennen. Die Kirche muss völkisch werden, wenn sie eine Volkskirche sein will“169. Auch waren die Pfarrer der Inanspruchnahme durch „völkische“ Kreise ausgesetzt. Die Superintendentur musste sich z. B. einerseits einer Klage des Kampfbundes für deutsche Kultur erwehren, dass „unsere Pfarrer unter Führung des Landesbischofs eine große Scheu vor der Berührung mit dem Volke haben“170 und aus Furcht vor angeblich falsch verstandener Überparteilichkeit deren Veranstaltungen nicht besuchten, andererseits behaupteten Vertreter des „Bundes für deutsche Kirche“, die eine „artgemäße“ 163 Vgl. Anm. 162. 164 „Parole“. Kampfblatt der Leipziger Jugend. Nachrichtendienst der Ortsgruppe Leipzig des Nationalsozialistischen Schülerbundes, 1 (1931), Nr. 10, Oktober, S. 1 f. 165 B. LAPP, Aufstieg, S. 8. 166 Freiheitskampf/Leipzig, 14. November 1931: „Wie lange bleibt Herr Dr. Herz noch evangelischer Pfarrer? Im Dritten Reich ist für solche Herren kein Platz mehr. Wann greift die zuständige Kirchenbehörde nun endlich ein?“. 167 Die „Parole“ 2 (1932), Nr. 1, Januar, äußerte in Bezug auf Pfarrer Herz: „Auch hier wird das Großreinemachen im Dritten Reich einsetzen müssen“. 168 Hilbert an das Landeskonsistorium, 20. Juli 1932 (ADSL, 4.2.7). 169 „Parole“ 2 (1932), Nr. 6 (Juni), S. 3. 170 Hugo Burgel (?) an Hilbert, 3.9.1932 (ADSL, Schrank 2, Fach 2, 24/2).
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Religion postulierten, über 60 Leipziger Pfarrer sympathisierten mit den Anliegen des Bundes, was völlig aus der Luft gegriffen war171. Von der politischen Linken, aber auch von kirchlicher Seite wurde demgegenüber von der evangelischen Kirche eingefordert, sich nicht durch die Nationalsozialisten vereinnahmen zu lassen und gegen Pfarrer, die das Bekenntnis verletzten, vorzugehen. So monierte die LVZ 1930 die Augustnummer des Gemeindeblattes der Friedenskirche in Gohlis, in der eindeutig für den Nationalsozialismus Partei ergriffen worden war: „Da verwandelt man das Christenkreuz auf der Bibel lieber in das Hakenkreuz und füllt den ersten Teil der Bibel, das so genannte Alte Testament, mit einer Programmerklärung des jugendlichen Messias Rosenberg. Es muss einer schon Nationalsozialist und Pfarrer sein, um auf solche Gedanken zu kommen“172.
Fragwürdig wurde die kirchliche Überparteilichkeit, als dem Wunsch der Nationalsozialisten zur Überlassung von Kirchen nachgegeben wurde. Als die Thomaskirche am Neujahrstag 1933 für eine Feier einer NSDAP-Parteiorganisation geöffnet wurde, konnte die Kritik von um ihre Kirche besorgten Christen nicht ausbleiben. Sie wehrten sich sowohl gegen die politische Einvernahme als auch besonders gegen Pfarrer, die meinten, den Nationalsozialismus auf ihre Fahne schreiben zu müssen. Jene Kreise waren nicht gewillt, um des volkskirchlichen Anspruchs willen theologische Bedenken hintanzustellen: „Nur nebenbei will ich an die Rassentheorie mit ihrer Menschenaufzucht nach Art der Tierzucht erinnern, die doch wohl durchaus unchristlich genannt werden muss, die aber von Hitler und seinen Anhängern energisch betrieben wird. Auch die Gedanken Rosenbergs über positives Christentum der Partei zeigen etwas ganz anderes, als sich Christen darunter vorstellen“173.
Somit war im Frühjahr 1931 die Linie gegenüber dem Nationalsozialismus festgelegt. Das Thema spielte von nun an in den Ephoralkonferenzen keine Rolle mehr. Die mit der desaströsen Wirtschaftslage zusammenhängenden sozialen Probleme und der Kampf gegen die „Gottlosenbewegung“ beherrschten die innerkirchlichen Debatten in der Zeit bis Anfang 1933. In Leipzig hatte sich gegenüber dem Nationalsozialismus eine Linie durchgesetzt, die der der Christlich-deutschen Bewegung sehr ähnelte. Glühender Nationalismus, volkskirchliches Denken und antisemitische 171 Kirchliches Amt für Presse und Volksmission an die Superintendentur, o. D. (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 172 Der Nazi auf der Kirchenkanzel. Der Bibelreformator mit dem Hakenkreuz, in: LVZ vom 14. August 1930. 173 Carl Wiegand an Hilbert o. D. (Hervorhebung im Original) und die Antwort Hilberts (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). Auch die „Neue Leipziger Zeitung“, die den kirchlichen Kurs in Leipzig ablehnte, widmete am 8. Januar 1933 ihre Leserbriefseite diesem Thema.
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Ressentiments ließen die Mehrheit der Leipziger Pfarrer in ihrer einseitigen Frontstellung gegen die sich linkssozialistisch gerierenden Arbeiterparteien in das Heer der Befürworter des Nationalsozialismus übergehen. Jedoch gab es gegen die rassistischen Züge im Nationalsozialismus nicht geringe Vorbehalte. Erste Anzeichen einer Spaltung, die die Leipziger Pfarrerschaft nach 1933 charakterisieren sollte, wurden hier schon sichtbar. Die NSDAP, die gegen Ende der 20er Jahre auf eine betont kirchenfreundliche Politik eingeschwenkt war, versuchte diese Spaltungen zu vertiefen, indem sie Pfarrer, die ihre politischen Vorstellungen ablehnten, öffentlich angriff. Bei der Hinwendung zur politischen Rechten spielte Superintendent Hilbert eine besondere Rolle. Er unterstützte die Arbeit des Stötteritzer Pfarrers Vogel, stellte Verbindungen zu nationalen Verbänden her und hatte keine Probleme, wenn sich Pfarrer in der NSDAP engagierten. Dabei bestimmten ihn volksmissionarische Überlegungen, wonach die Kirche nicht wieder den Anschluss an eine neue gesellschaftliche Bewegung versäumen sollte. Von Überparteilichkeit, wie sie nach außen verkündet wurde, konnte unter diesen Bedingungen keine Rede mehr sein.
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„Drittes Reich“ Na tionalsozialistischer Angriff und protestantische Selbstpreisgabe „Drittes Reich“
2. Nationalsozialistischer Angriff und protestantische Selbstpreisgabe 1933 bis 1935 2.1 Das NS-Regime und die Kirchen
„Der Nationalsozialist ist in seinem innersten Wesen Christ und der Christ ist, wenn er wirklicher Christ ist, auch Nationalsozialist“1.
Die NS-Kirchenpolitik war nach der „Machtergreifung“ zunächst von dem Ziel bestimmt, analog zur Gleichschaltung der anderen gesellschaftlichen Großgruppen die Kirchen ihrem politischen Monopolanspruch zu unterwerfen2. Die bei der christlichen Bevölkerung wie bei dem größten Teil der Pfarrer gleichermaßen vorherrschende Euphorie über den Machtwechsel kam diesem Ziel entgegen. Besonders der Ruf nach dem Zusammenschluss der 28 Landeskirchen zu einer vereinigten „Reichskirche“ wurde von Hitler aufgegriffen, der eine einige evangelische der sich geschlossener präsentierenden katholischen Kirche entgegensetzen wollte3. Aus diesem Grund erfuhren die Deutschen Christen, mit deren Hilfe dieses Ziel erreicht werden sollte, in der Anfangszeit besondere Förderung. Schon im Juli 1933 schien dieser Plan mit der Dominanz der Deutschen Christen in den meisten kirchenleitenden Gremien, der Anerkennung der „Deutschen Evangelischen Kirche“ und der Wahl von Hitlers Beauftragtem Ludwig Müller zu ihrem „Reichsbischof“ erreicht zu sein4. Daraufhin suchte Hitler, unterstützt von Kräften um Rosenberg, die Bindung an die evangelische Kirche wieder aufzulösen, und ordnete einen Neutralitätskurs an5, der allerdings an der Basis zunächst kaum durchgesetzt werden konnte, zum einen, weil die Deutschen Christen die nationalsozialistische Revolution in der Kirche gegen den sich formierenden Widerstand voranbringen wollten, zum anderen, weil es in dieser Zeit auf lokaler Ebene z. B. über die Kirchenvorstände noch enge personelle Beziehungen zwischen Kirche und Partei gab6. Auf dieser Ebene machte sich der Grundwiderspruch der NS-Kirchenpolitik, einerseits Neutralität zu 1 H. Jugel, Landesleiter der „Volksmissionarischen Bewegung Sachsens“ (Deutsche Christen), an MdI, 9. Juli 1935 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MdI, 9610, Bl. 103). 2 Zur NS-Kirchenpolitik vgl. J. S. CONWAY, S. 26–135; W. DIERKER, S. 139–145; U. V. HEHL, Kirchen; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Nationalsozialismus. 3 Auf diesen Zusammenhang hat insbesondere K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 391, hingewiesen. 4 EBD., S. 560–626. 5 EBD., S. 571. 6 W. DIERKER, S. 141.
Nationalsozialistischer Angriff und protestantische Selbstpreisgabe
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wahren und andererseits eine mit offenen Interventionen agierende „Gleichschaltungspolitik“ in der evangelischen Kirche zu betreiben, besonders bemerkbar7. Diese Tendenz wurde durch das im Kirchenbereich besonders ausgeprägte Kompetenzwirrwar verstärkt, das ein spezifisches Merkmal der NS-Herrschaft darstellt8. Die gegen die Kirchen ergriffenen Maßnahmen gingen weniger auf ein spezifisches Programm Hitlers zurück, sondern waren Ergebnis von Auseinandersetzungen um Macht und Einfluss von Partei- und Staatsstellen, Repressionsorganen und Verwaltung, zentralen und kommunalen Kräften9. Diese polykratischen Strukturen verstärkten zusätzlich die schon durch die unterschiedlichen theologischen Traditionen und innerkirchlichen Machtverhältnisse in den einzelnen Landeskirchen gegebene Spezifik des „Kirchenkampfes“.
2.2 Nationalsozialistische „Hilfestellung“ bei der Neuordnung der sächsischen Landeskirche 1933 Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch Adolf Hitler am 30. Januar 1933 bedeutete für die lutherische Landeskirche Sachsens kein unmittelbares Aufbruchssignal. Zwar hatte Hitler am 1. Februar im „Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk“ versichert, dass „die nationale Regierung [. . .] das Christentum als Basis unser gesamten Moral [. . .] in ihren festen Schutz nehmen“10 werde, und eine sich an christlichen Grundwerten orientierende Regierungsführung versprochen. Doch noch am 24. Februar 1933 veranstaltete die 15. Synode der Landeskirche eine Kundgebung unter dem Motto: „Evangelische Christen, wacht auf!“, deren Beschlüsse sich in erster Linie auf den Kampf gegen die Gottlosigkeit richteten und keinen Bezug auf die neue Regierung nahmen11. Nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 hatte in Sachsen auf Betreiben des Reichsinnenministers Wilhelm Frick Manfred von Killinger das Amt des Ministerpräsidenten angetreten und die amtierende Regierung unter der Leitung von Walther Schieck zum Rücktritt gezwungen12. Der von ihm eingesetzte Volksbildungsminister Wilhelm Hartnacke versprach, 7 EBD., S. 153. 8 Die Diskussion um den Stellenwert polykratischer Strukturen für die Beurteilung des NS-Herrschaftssystems bei U. V. HEHL, Herrschaft, S. 59–62; die beste Zusammenstellung der im Kirchenbereich tätigen Stellen bei H. BOBERACH, Organe. 9 U. V. HEHL, Herrschaft, S. 37. 10 Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk. Auszugsweise abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. I, S. 1 f., hier S. 1. 11 D. RÖTHIG, 24. Februar 1933 (KGVBl 1933, Beilage zu Nr. 3). 12 C.-C. W. SZEJNMANN, Nazism, S. 21 f.
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die Kirchen wieder in den Schulbereich zu integrieren13. Am 18. März 1933 versicherten sich die Landeskirchenleitung und die Landesregierung des gegenseitigen Vertrauens14, worauf Landesbischof Ludwig Ihmels Ende März in einer Kanzelbotschaft das „völlige Neuwerden vaterländischer Gesinnung“ in der Machtergreifung Hitlers ein Geschenk Gottes an das deutsche Volk nannte und dazu aufforderte, „die Wandlung, die sich vor ihren Augen vollzogen hat, durch die Predigt in Gott selbst zu verankern“15. Hier machte sich exemplarisch die innere Anfälligkeit des Luthertums für eine „starke Obrigkeit“ und für einen Staat bemerkbar, in dem für evangelische Frömmigkeit mehr Platz war als in der Weimarer Republik mit ihrer „Gottlosenpropaganda“ und den Kampagnen sozialistischer Freidenker16. Jetzt meldeten sich auch weitere Stimmen aus dem kirchlichen Leben in Sachsen zu Wort, die den volkskirchlichen Aufbruch propagierten. Die Frage, wie die Nachfolge des erkrankten Landesbischof Ihmels geregelt werden sollte, bestimmte die weitere Entwicklung in der Landeskirche bis zum Sommer. Nachdem Ihmels im April 1933 seinen Antrag, in den Ruhestand zu treten, eingereicht hatte, begann der Kampf um seine Nachfolge. Die Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer evangelischer Pfarrer, deren Führung Anfang Mai von Pfarrer Willibald Hase aus Mochau auf den Dresdner Pfarrer und Gaufachberater für kirchliche Angelegenheiten bei der NSDAP-Gauleitung, Friedrich Coch, überging, bedrängte Ihmels, im Amt zu bleiben, da sie von der amtierenden Synode keine Mehrheit für ihren Kandidaten Coch erwartete. Andere Kräfte in der Synode favorisierten eine sofortige Wahl des Landesbischofs17. In dieser Situation machte sich die Entwicklung auf Reichsebene und in Preußen bemerkbar. Zum einen hatte die auf Zentralisierung der politischen Instanzen abzielende Politik der Nationalsozialisten auch in den evangelischen Landeskirchen einen starken Ruf nach einer evangelischen Reichskirche ausgelöst und zu Verhandlungen um eine neue Verfassung geführt, an denen der von Hitler zum „Bevollmächtigten für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche“ ernannte Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller beteiligt war. Zum anderen hatte der preußische Kultusminister Bernhard Rust im Juni 1933 einen Formfehler bei der Besetzung des Amtes des Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrats der Kirche der Altpreußischen Union dazu genutzt, August Jäger zum Staatskommissar „für den Bereich sämtlicher Landeskirchen Preußens“ zu ernennen. Dieser beurlaubte die leitenden Geistlichen, ließ kirchliche Gebäude von der SA 13 14 15 16 17
J. FISCHER, S. 14. D. RÖTHIG, 18. März 1933. Sächsisches Kirchenblatt 1933, Sp. 170 f. K. NOWAK, Evangelische Kirche, S. 292 f. K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 479.
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besetzen und gewählte Kirchenvertretungen auflösen18. Eine staatliche Intervention in Sachsen wurde unter diesen Bedingungen immer wahrscheinlicher. Mit dem Tod des Landesbischofs am 7. Juni 1933 verstärkte sich der Druck auf die Landeskirche. Friedrich Coch drängte auf baldige Wahlen und auf seine kommissarische Betrauung mit dem Bischofsamt. Er wusste dabei große Teile der protestantischen Basis auf seiner Seite, wie eine am 29. Juni 1933 in Leipzig abgehaltene Kundgebung seiner Anhänger mit ca. 2 000 Besuchern ergab19. NSDAP-Gauleiter Martin Mutschmann hatte, wie Coch auf einer Versammlung nationalsozialistischer Pfarrer am 20. Juni 1933 betonte, den Dresdner Pfarrer der Unterstützung der sächsischen Nationalsozialisten versichert. Ministerpräsident von Killinger persönlich forderte sogar am 28. Juni telefonisch, Coch als Bischof einzusetzen20. Nachdem Coch und sein juristischer Berater Max Schreiter am 29. Juni im Reichsinnenministerium um Unterstützung gebeten hatten, griff der sächsische Innenminister Karl Fritsch mit der „Verordnung zur Behebung des Notstandes im kirchlichen Leben der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens“ ein und stattete Coch mit umfassenden diktatorischen Vollmachten aus – ein den Geschehnissen in Preußen durchaus paralleler Vorgang.21 Coch löste am darauf folgenden Tag alle gewählten kirchlichen Vertretungen auf, besetzte das Landeskonsistorium mit ihm genehmem Personal und beurlaubte ihm missliebige Superintendenten und Pfarrer, darunter die Leipziger Heinrich Schumann, Gerhard Kunze und Ernst Lewek22. Schumann hatte sich auf einer Ephorenkonferenz im Frühjahr gegen Coch ausgesprochen23, Kunze war vor der „Machtergreifung“ als Gegner des Nationalsozialismus aufgetreten und Lewek war Halbjude24. Auf einer feierlichen Versammlung am 6. Juli 1933 in Dresden, zu der alle sächsischen Geistlichen dienstlich geladen waren, gab die kommissarische Kirchenleitung einen Bericht über die kirchliche Entwicklung, die zum Eingreifen des Staates geführt hatte, legte ihre volksmissionarischen Pläne dar – zum Verantwortlichen für die Volksmission war der Superintendent von Leipzig-Land, Andreas Fröhlich, berufen worden – und suchte 18 J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus und Kirchen, S. 51. 19 D. RÖTHIG, 29. Juni 1933. 20 H. HAHN, S. 48, Anm. 125, schildert von Killinger als einen Menschen, der durchaus Verständnis für den christlichen Glauben gehabt und sich deswegen den Anliegen der BK nicht ganz verschlossen habe. 21 K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 480 (vgl. auch KGVBl 1933, S. 40). 22 KGVBl 1933, S. 39, S. 41. 23 Vgl. Protokoll der Ephoralkonferenz am 11. Juli 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 24 Vgl. Petition der Ephoralkonferenz Leipzig-Stadt an Coch, o. D. (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/1).
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die Pfarrer zur Mitarbeit zu gewinnen25. Die innerkirchliche Opposition gegen die deutschchristliche Machtübernahme hatte sich noch nicht etabliert, sodass es zu keiner Misstrauenskundgebung gegen Coch kam26. Am darauf folgenden Tag gingen Hilbert, der Zwickauer Superintendent Paul Müller, der die liberale Gruppe in der alten Synode angeführt hatte, und der Dresdner Superintendent Hugo Hahn27, der von 1927–1930 an der Thomaskirche amtiert hatte, zu Coch, um gegen die Beurlaubung der Amtsbrüder zu protestieren28. Als sich mit der Verabschiedung der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche am 11. Juli 1933 und der damit verbundenen Rücknahme der Notverordnung in der Kirche der Altpreußischen Union (APU) eine Abkühlung der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen abzeichnete, wurde Cochs Stellung geschwächt. Am 14. Juli hob der sächsische Innenminister Fritsch die Notverordnung vom 30. Juni 1933 auf, wodurch Coch gezwungen wurde, die von ihm verhängten Disziplinarmaßnahmen rückgängig zu machen und seine Arbeit mit dem wieder amtierenden Konsistorialpräsidenten Friedrich Seetzen zu koordinieren29. Jedoch gelang es Coch schnell, seine ursprüngliche Machtfülle wiederzuerlangen. Denn bei den Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933, bei denen sich Hitler persönlich über Rundfunk für die Deutschen Christen ausgesprochen hatte30, erreichten diese in Sachsen dank Einheitsliste ca. 75 Prozent der Sitze und konnten somit auch die Landessynode dominieren, in der nun 54 neu gewählte Mitglieder sechs alten Synodalen gegenüberstanden31. Die nicht zu den Deutschen Christen zählenden Pfarrer hatten in Anbetracht der kirchlichen Lage darauf verzichtet, eigene Synodale aufzustellen32. Nachdem Coch am 8. August 1933 die Kirchenverfassung zu seinen Gunsten verändert hatte, trat am 11. August die neu gewählte Landessynode zusammen, die ganz offiziell als „Braune Synode“ bezeichnet wurde, da der Großteil der Synodalen in Uniformen von NSDAP-Gliederungen erschienen war. Synodalpräsident Schreiter stellte heraus, dass es gelingen 25 KGVBl 1933 Beilage zu Nr. 13. Vgl. dazu auch die Schilderungen von H. KLEMM, S. 172; H. HAHN, S. 23 f. Zu den volksmissionarischen Bemühungen der DC in Sachsen vgl. S. HERMLE, S. 330 f. 26 Die Lebenserinnerungen von führenden Pfarrern der späteren Bekennenden Kirche in Sachsen berichten, wie Hilbert, „der alte Löwe“ (H. HAHN, S. 23) zum Kopf einer dissentierenden Pfarrergruppe wurde, ohne jedoch offen Widerspruch anzumelden (EBD.; H. KLEMM, S. 172). 27 Zu Hugo Hahn vgl. C. NICOLAISEN, Hugo Hahn. 28 H. HAHN, S. 25. 29 K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 481. 30 Rundfunkansprache Hitlers am Vorabend der Kirchenwahlen (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. I, Dok. XII, S. 119–121). 31 D. RÖTHIG, 6. August 1933. 32 So H. HAHN, S. 29.
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müsse, „die irdischen Gruppen des Dritten Reiches mit dem soldatischen Christentum dem einen Ziele eines gläubigen nationalsozialistischen Volkstums zuzuführen“33. Coch wurde einstimmig zum Landesbischof gewählt. Ihm wurden durch ein „Ermächtigungsgesetz“ Vollmachten übertragen, die noch über die Notverordnung des sächsischen Innenministers vom 30. Juni hinausgingen34. Dieses „Ermächtigungsgesetz“ sollte nur bis zur Verabschiedung einer neuen Landeskirchenverfassung gelten. Da diese aber nie verabschiedet wurde, blieb das Gesetz bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft. Somit war binnen acht Monaten nach der „Machtergreifung“ auch im Bereich der sächsischen Landeskirche eine Kirchenführung installiert, die nach dem „Führerprinzip“ organisiert war und die enge Verbindung von Christentum und Nationalsozialismus propagierte. Dies war möglich durch die in der Bevölkerung vorhandene Euphorie angesichts der nationalsozialistischen Politik, die auch in Kirchenkreisen weit verbreitete Bereitschaft, das Christentum völkischem Gedankengut zu öffnen35, und nicht zuletzt durch die offene und massive Unterstützung der nationalsozialistischen Pfarrer in Sachsen durch die Landesregierung unter von Killinger und Gauleiter Martin Mutschmann.
2.3 Die evangelische Kirche in Leipzig im Umbruch 2.3.1 Die Leipziger Pfarrerschaft zwischen Selbstumformung und Gegenwehr Die Entwicklungen auf der landeskirchlichen Ebene im ersten Halbjahr 1933 hatten ihren Schwerpunkt naturgemäß in Dresden und standen in enger Verbindung zu den politischen und kirchenpolitischen Ereignissen auf Reichsebene. Ohne Zweifel jedoch wurden die Entwicklungen in kirchlichen Kreisen in Leipzig weithin begrüßt und im Überschwang die selbst auferlegte, aber doch nie gewahrte politische Zurückhaltung gegenüber dem Nationalsozialismus von einigen Pfarrern aufgegeben. Der noch im Neujahrswort 1933 des Leipziger Kirchenkalenders vorherrschende Pessimismus war wie weggeblasen. Dort hatte es geheißen: „Hüter, ist die Nacht schier hin?36 Ist sie dahin mit dem zu Ende gegangenen Jahre? Bringt uns 33 KGVBl 1933 Nr. 26: Verzeichnis der Mitglieder der Synode; vgl. auch D. RÖTHIG, 11. August 1933. 34 Kirchengesetz zur Abänderung der Kirchenverfassung, beschlossen auf der 1. Tagung der Braunen Synode (KGVBl 1933, S. 79). 35 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 9. März 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 36 Jesaja 21, 11.
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das neue Jahr zum mindesten Morgendämmerung nach langer, dunkelschwarzer Nacht?“37 Diese Hoffnung, so schien es, hatte sich mehr als erfüllt. An der Basis machte sich die nationalsozialistische „Machtergreifung“ bei Pfarrern und Gemeindegliedern bemerkbar, die das Gemeindeleben den neuen Umständen anpassen wollten. Pfarrer trugen Parteiabzeichen und ließen ihre Kirchen mit dem Hakenkreuz beflaggen. Um diese Bestrebungen zu kanalisieren, wurden auf der Ephoralkonferenz am 9. März 1933 wichtige Verhaltensmaßregeln festgelegt38. Zugeständnisse gegenüber nationalsozialistischen Gruppierungen wurden mit Maßnahmen verknüpft, die die Pfarrer zur Zurückhaltung aufforderten. So konnten „parteiliche Gruppen“ zu besonderen Gottesdiensten in Uniform und mit Fahnen erscheinen und sich den Pfarrer ihrer Wahl aussuchen, wodurch der „Differenzierungsprozess“ in der Pfarrerschaft sicher verstärkt wurde39. Die Pfarrer dagegen sollten sich politisch zurückhalten. Dementsprechend war auch das Tragen von Abzeichen am Altar zu unterlassen. In den Zeiten des Umbruchs wurde die „neutrale“ Haltung also nicht aufgegeben, sondern „angepasst“. Eine kritische Anfrage an diese Art der Neutralität erhielt Superintendent Hilbert von einem Gemeindemitglied, das die Teilnahme der evangelischen Kirche an einem Fackelzug monierte: „Hat sie [die Kirche, G. W.] nicht vielmehr die Aufgabe, den anderen zu suchen, allen, dem SPDler ebenso wie dem NSDAPler, dem Volk ebenso wie der Regierung das richtende, tröstende und ergreifende Wort Gottes zu sagen?“40 Diese Frage traf den Kern des volksmissionarischen Anliegens, das Hilbert vertrat. In seiner Antwort verteidigte er den Nationalsozialismus, weil er im Gegensatz zum „internationalen Marxismus“ und den „Parteiführern der Sozialdemokratie“ die „Vaterlandsliebe“ als zentralen Punkt vertrete41. Dass auch er mit manchen neuen Erscheinungen an der kirchlichen Basis nicht einverstanden war, machte er gleichwohl deutlich: „Endlich sind wir uns völlig darüber klar, dass uns gerade jetzt eine neue Aufgabe gesetzt ist: Wir müssen die Vergötzung des Nationalsozialismus bekämpfen und alles tun, um auch die sozialistisch gesinnten Glieder unseres Volkes zu erreichen“42. Hatte Hilbert bis 1933 in seinem volksmissionarischen Anliegen gerade die Einbeziehung rechter Kreise befürwortet, so nahm er angesichts der Übergriffe vor Ort und der unsicheren Situation an der Spitze der Landeskirche eine klare
37 Jahr des Herrn. Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Gemeinden Leipzigs 7 (1933), S. 18. 38 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 9. März 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 39 EBD. 40 Helene Schlatterer an Hilbert, o. D. (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 41 Hilbert an Helene Schlatterer, 4. April 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 42 EBD.
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Haltung ein: Er betonte die Freiheit kirchlicher Entscheidung, was unabhängige Bestellung von Pfarrern und Kirchenleitung bedeutete. Unter diesen Bedingungen war er der Bildung einer Reichskirche keineswegs abgeneigt. Diese Position verdeutlichte Superintendent Hilbert in diesen kirchenpolitisch ereignisreichen Tagen, als er am 21. April 1933 an der Spitze eines Aufrufs des „Bundes für Luthers Kirche in Sachsen und im Reich“ auftrat43. Dieser Bund, der im Wesentlichen von Pfarrern und Laien mit lokalem Schwerpunkt in Dresden getragen wurde, verband in recht allgemein gehaltenen Grundsätzen das Bekenntnis zu Luthertum und volksmissionarischen Gedanken mit der Schaffung einer „evangelische[n] Kirche deutscher Nation“ bei Wahrung der Selbstständigkeit der Landeskirchen und entsprach damit auch weitgehend der Politik der Leitung der DEK, zu der Hilbert Kontakt hielt44. In diesem Sinne äußerte sich Hilbert auch auf der Ephoralkonferenz am 27. April 1933 und wurde dabei von Johannes Herz assistiert, der die Pfarrer auf den Kurs der bisherigen Kirchenleitung einschwor45. In einem Schreiben an die Geistlichen, das die Diskussion auf der Ephoralkonferenz zusammenfasste, resümierte Hilbert: „Über die Reichskirche herrschte Einigkeit. Über die zwei Punkte: a) Unbedingt festzuhalten ist die innere Freiheit der Kirche, b) Eine Umgestaltung der äußeren Formen ist notwendig: Zurückdrängung des konsistorialen und des parlamentarischen Moments zu Gunsten der Führerschaft“46. Somit war ein Mittelweg formuliert: Zugeständnisse an die neue Zeit in der Frage der kirchlichen Organisation bei gleichzeitiger Distanz gegenüber Versuchen, von außen auf die Neuordnung Druck auszuüben. Dieser Kurs richtete sich gegen die Versuche nationalsozialistischer Pfarrer, mit äußerer Hilfe die Leitung der Landeskirche in ihre Hände zu bekommen, und wurde daher von Pfarrer Georg Faber, der Pfarrer an der Lutherkirche und Kirchenkreisfachberater der NSDAP47 war, kritisiert48. Er versuchte 43 H. KLEMM, S. 164. Der vollständige Aufruf mit den Unterzeichnern in ADSL, Schrank I, Fach 8, 99. Aus Leipzig hatte nur Hilbert den Aufruf unterschrieben. 44 Vgl. Schreiben von OKR Hilbert an den Dresdner Kirchenrechtsrat Röntsch, 25. April 1933, in dem dieser von seinen Kontakten zu dem westfälischen Generalsuperintendenten Wilhelm Zoellner und dem hannoverschen Landesbischof August Marahrens berichtete. (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 45 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 27. April 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 46 Hilbert an die Herren Geistlichen, 29. April 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 47 Derartige Stellen gab es seit etwa 1931 bei der Reichsorganisationsleitung der NSDAP bis hinunter in die einzelnen Gaue, Bezirke und Kreise. Die Kirchenfachberater waren ständige Berater der Parteistellen und hatten kirchliche Angelegenheiten zu bearbeiten. Diese Stellen wurden im Januar 1934 aufgelöst. Vgl. Anordnung des Stellvertreters des Führers, 12. Januar 1934 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, 4/34, S. 10 f.). 48 SA-Personalfragebogen in: BARCH-DH, ZA II 2530. Lebenslauf vom Juli 1942 in: BARCH BERLIN, RKK 2101 Box 288 File 9.
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hingegen, den von Hilbert gegründeten Bund als späte Geburt der DNVPKirchenpolitik zu diskreditieren, konnte sich jedoch nicht durchsetzen49. Im Mai 1933 gelang es den nationalsozialistischen Pfarrern in Sachsen, politisch und organisatorisch ihren Aktionsrahmen zu vergrößern. An der Basis der Pfarrerschaft führten die kirchenpolitischen Differenzen zu einer organisatorischen Verstetigung der einzelnen Gruppen. Die Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer evangelischer Geistlicher Sachsens gliederte sich in die entsprechende Reichsarbeitsgemeinschaft ein50. Auch in Leipzig dürfte die Arbeitsgemeinschaft im Mai gegründet worden sein. Sie war dort aus einem Zirkel NS-naher Pfarrer hervorgegangen, die Sonn- und Festtagsartikel für die Leipziger Tageszeitungen geschrieben hatten51. Der Zirkel bestand aus 17 Pfarrern, wovon sieben Pfarramtsleiter52 und neun Mitglieder der NSDAP waren53. In demselben Monat meldete sich auch der Kirchen-Kreisfachberater der NSDAP in Leipzig, Pfarrer Georg Faber, beim Superintendenten Hilbert mit der Bitte, ihm alle die NSDAP berührenden Fragen zur Kenntnis zu geben54. In Sachsen kam demgegenüber die Formierung der kirchlichen Opposition mit dem Ziel, kirchliche Verkündung und christliche Lebensgestaltung vor politischer Überfremdung zu bewahren, die sich von Berlin ausgehend als „Jungreformatorischen Bewegung“ konstituiert hatte, nur langsam voran55. Am 9. Mai 1933 hatte diese Bewegung ihre Grundsätze veröffentlicht und sich darin dafür ausgesprochen, „dass bei den kommenden Entscheidungen einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus gehandelt“ werde56. Sie versuchte, die Wahl Ludwig Müllers zum Reichsbischof zu verhindern. Den Aufruf mitunterzeichnet hat der Leipziger Professor für Systematische und Praktische Theologie, Martin Doerne. Der beim Kirchgemeindeverband Leipzig tätige Arthur Richter wurde als Vertrauensmann der Bewegung genannt57. Leipzig bildete in Sachsen einen der Kristallisationspunkte dieser Bewegung. Die dortige Gruppe war noch im Juni mit Reformvorschlägen an die Öffentlichkeit getreten, die die 49 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 27. April 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 50 Rundschreiben der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer evangelischer Geistlicher Gau Sachsen, verfasst von Pfarrer Willibald Hase. Vgl. D. RÖTHIG, Mai 1933. 51 Schreiben von Pfarrer Johannes Römer an Hilbert, 24. Mai 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 52 Von folgenden Gemeinden: Immanuel, Matthäi, Paul-Gerhardt, Markus, Emmaus, Peters, Lukas. Auf der Liste nicht verzeichnet ist Pfarrer Georg Faber. 53 Arbeitsplan vom 24. Mai 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 54 Georg Faber an Hilbert, o. D. (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 55 Zur „Jungreformatorischen Bewegung“ vgl. P. NEUMANN; K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 92–96. 56 Aufruf der Jungreformatorischen Bewegung, Mai 1933 (abgedruckt in: K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse, S. 145 f.). 57 P. NEUMANN, S. 22.
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charakteristische Haltung der Bewegung zwischen unbedingter Staatsloyalität und Festhalten an der kirchlichen Autonomie deutlich werden ließen. Forderungen nach „Verbundenheit mit dem Staat“ und dem „Kampf gegen Vergreisung, Bürokratismus und Parlamentarismus in der Kirche“ standen dem Anspruch nach sofortiger Ernennung eines mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteten Bischofs, der bekenntnismäßig fest gegründet sein sollte, – also wohl keinesfalls Coch – gegenüber58. Superintendent Hilbert selbst hatte kurz nach dem Tod des Landesbischofs Ihmels in einem Schreiben an den Reichsstatthalter Mutschmann seiner Besorgnis um die Unabhängigkeit der Kirche Ausdruck verliehen59. Aus außen- wie innenpolitischen Gründen sei die Entwicklung zu einer Staatskirche und der Einsatz der „Kommandogewalt des Führers“ zu verhindern60. Es kam anders, als Hilbert es gewollt hatte. Denn durch die Verordnung des sächsischen Innenministeriums wurde Coch mit umfassenden Vollmachten als kommissarischer Landesbischof eingesetzt. Zum Vertreter des Landesbischofs für Leipzig wurde Pfarrer Gerhard Ebert von der Johanniskirche bestimmt61. Auf der Ephoralkonferenz am 11. Juli 1933 stand die Beurlaubung der Leipziger Pfarrer Schumann, Kunze und Lewek durch Coch im Juni im Vordergrund62. Hilbert berichtete von seinen erfolglosen Gesprächen mit dem Landeskirchenamt über die Zurücknahme dieser Maßnahme. Eine vorbereitete, allerdings sehr moderat formulierte Petition zugunsten der beurlaubten Pfarrer wurde ohne Widerspruch der nationalsozialistischen Pfarrer angenommen63. Im Vorfeld der Wahl hatten die Superintendenten Johannes Ficker, Hugo Hahn, Gerhard Hilbert und Paul Müller in einem Wahlaufruf empfohlen, nicht auf unbillige Forderungen der Deutschen Christen einzugehen und notfalls eine Gegenliste „Kirche des Evangeliums“ aufzustellen und sich damit das Anliegen der „Jungreformatorischen Bewegung“ zu Eigen gemacht. Es seien nur Nationalsozialisten von bewährter kirchlicher Gesinnung aufzunehmen64. In Leipzig, wo in kirchlichen Kreisen Beunruhi58 Reformvorschläge der Jungreformatorischen Bewegung, Gruppe Leipzig, anlässlich der zu erwartenden Kirchenreform für Sachsen. Junge Kirche 1 (1933), S. 23. 59 Hilbert an Mutschmann, 9. Juni 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 60 EBD. 61 G. WALTHER, S. 3. 62 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 11. Juli 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 63 „Die Ephoralkonferenz Leipzig-Stadt sieht sich durch ihr Gewissen gezwungen, auch ihrerseits für ihre beurlaubten Amtsbrüder einzutreten und richtet darum einmütig in aller Ehrerbietung an ihren gegenwärtigen geistlichen Führer die Bitte, derselbe wolle geneigtest womöglich sofort die Aufhebung der Beurlaubung verfügen“ (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/1). 64 D. RÖTHIG, Juli 1933. Wahlaufruf abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 1, S. 187. Lt.
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gung über die Nominierung von NSDAP-Mitgliedern für die Kirchenwahlen herrschte, versuchte Pfarrer Faber Superintendent Hilbert zu beruhigen, indem er ihm versicherte, dass die Listen nur in Übereinstimmung mit den Pfarramtsleitern und Kirchenvorständen erstellt werden würden65. Der kirchliche Widerstand gegen die nationalsozialistische Machtübernahme in den Gemeinden in Leipzig begann sich unter dem Eindruck der von nationalsozialistischem Gepräge dominierten Wählerversammlungen zu formieren. Am 18. Juli 1933 sprachen Landesbischof und Konsistorialrat Pfarrer Adolf Müller bei einer von dem Leipziger Privatdozenten Heinz Erich Eisenhuth geleiteten Veranstaltung im Saal des Zoologischen Gartens, die im Stile einer politischen Wahlversammlung aufgezogen war: „Hakenkreuzfahnen ringsum, Musik einer SA-Kapelle, Horst-Wessel-Lied, militärischer Einzug der Versammlungsleitung“66. Als der Pfarrer Theodor Kühn von der Nikolaigemeinde gegen eine Resolution Widerspruch erhob, wurde er von einem SA-Mann hinauskomplimentiert67. Im Anschluss an diese Veranstaltung bildete sich eine Gruppe von Pfarrern, zu der Georg Walther (Peters), Johannes Herz (Gohlis-Versöhnung), Reinhold Burkhardt (Thonberg) und Paul Tzschuke (Markus) gehörten. Sie waren sich in der Ablehnung der Methoden der noch provisorischen Kirchenleitung einig68. Nach den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 war auf der Ebene der Kirchgemeinde unmittelbar und mittelbar auch auf Landesebene die Vorherrschaft der Deutschen Christen gesichert69. In Leipzig hatte es nur in zwei Gemeinden mehrere Listen gegeben70. Waren die Leipziger in der 15. Landessynode noch durch Oberkirchenrat Hilbert, Pfarrer Schumann, die in der kirchlichen Frauenarbeit tätige Olga von Stieglitz, den Arbeitersekretär Schwede, den Landtagsabgeordneten Hickmann und Hofrat Löbnier vertreten, so waren in der neuen Landessynode mit den Pfarrern Georg Faber und Johannes Römer und dem Privatdozenten Heinz Eisenhuth drei überzeugte Nationalsozialisten vertreten71. Auch das soziale Spektrum hatte sich wesentlich verändert: Die neuen Laien unter den Synodalen waren Pförtner, Gärtner und ein Zimmermann. In den Leipziger Kirchenvorständen dominierten ab Sommer 1933 die nationalsozialistischen Elemente. Diese übten auf die Auseinandersetzung H. HAHN, S. 26 f. bestellte Coch die vier Superintendenten mit der Forderung nach Widerruf des Wahlaufrufs ein, was diese aber ablehnten. 65 Faber an Hilbert, o. D. (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 66 So die Schilderung von G. WALTHER, S. 3. 67 EBD. 68 EBD. 69 Zu den Wahlen vgl. M. GAILUS, S. 117–122. 70 In Leipzig wurden in 29 Gemeinden Einheitslisten aufgestellt. Vgl. Kirchlicher Jahresbericht 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 178). 71 Vgl. KGVBl 1933.
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in den Gemeinden großen Einfluss aus. Insofern markieren die Kirchenwahlen von 1933 eine „zentrale Weichenstellung“72. Der Einbruch des Nationalsozialismus in die evangelische Kirche war nicht so sehr durch die direkte Einflussnahme von Partei und Kirchenleitung erfolgt, sondern kam vielmehr aus ihrem Innern selbst: durch Pfarrer, die dezidiert eine neue Ordnung herbeisehnten, und solche, die mitmachten, in der Hoffnung, die theologischen Überspanntheiten seien nur von temporärer Natur.
2.3.2 Die Deutschen Christen Die Deutschen Christen (DC) waren eine am Ende der Weimarer Republik in verschiedenen Regionen Deutschlands aus christlichen Parteigängern der NSDAP hervorgegangene Bewegung73. Der eine Hauptzweig, die Kirchenbewegung „Deutsche Christen“, war seit 1927 im östlichen Thüringen ansässig und wurde von den evangelischen Pfarrern Siegfried Leffler und Julius Leutheuser geleitet. Sie blieb lokal begrenzt und eng mit der Thüringer NSDAP-Führung verbunden. Ihre Rednertätigkeit hatte die beiden Pfarrer auch nach Leipzig geführt74. Als 1932 in Berlin auf Initiative des NSDAP-Fraktionsführers im preußischen Landtag, Wilhelm Kube, die Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ gegründet wurde, nahm die Kirchenbewegung „Deutsche Christen“ den Kontakt zu ihr auf und gliederte sich ihr bald organisatorisch an. Die Deutschen Christen waren überzeugt von der religiösen Grundorientierung des Nationalsozialismus und zielten auf eine weitgehende Gleichschaltung der evangelischen Kirche mit dem Nationalsozialismus ab. Das Idealbild einer vollkommenen Synthese sahen sie, wie in einem Aufruf der sächsischen Landesführung der Deutschen Christen aus dem Sommer 1934 deutlich wurde, darin, „dass dem Nationalsozialismus im Bereiche der ev.-luth. Landeskirche Sachsens zum Siege verholfen werde, [. . .] dass alle Nationalsozialisten Christen seien“75. Trotz ihrer antidoktrinären Haltung war die Frage, in welcher Form die evangelische Kirche organisiert werden sollte, zwischen den verschiedenen Gruppen doch umstritten: Während die Thüringer Richtung eine die beiden Konfessionen einbeziehende Nationalkirche favorisierte, waren in der „Glaubensbewegung“ jene Kräfte stärker, die eine Sammlung auf 72 M. GAILUS, S. 122. 73 Vgl. dazu K. MEIER, Deutsche Christen, der stärker die organisationsgeschichtlichen Aspekte der fragmentierten Bewegung beleuchtet, und D. L. BERGEN, die sich im Wesentlichen auf die Darstellung des deutschchristlichen Gedankengutes konzentriert. 74 Vgl. K. MEIER, Deutsche Christen, S. 5, Anm. 15. 75 „Deutsche Christen in Sachsen! Was wir wollen, wisst ihr!“ Herausgegeben von der Landesführung der Volksmissionarischen Bewegung Sachsens (Deutsche Christen) (EZA BERLIN, 1/A4/262, S. 38 f.).
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der Basis der evangelischen Landeskirchen vorzogen76. Zentrales Anliegen der Deutschen Christen war die Volksmission, um auch den Kirchen schon entfremdete Bevölkerungsgruppen wieder zu erreichen. Im Spätsommer 1933 erreichte die Bewegung mit etwa 600 000 Mitgliedern den Höhepunkt ihres kirchenpolitischen Einflusses, als sie auf der Woge der nationalsozialistischen Machtergreifung in vielen Landeskirchen das Kirchenregiment stellte77. In Sachsen wurde erst im August 1933 mit dem Aufbau einer Gaugruppe begonnen78. Erste Ansätze zu einer Sammlung von sächsischen Geistlichen, die dem Nationalsozialismus nahe standen, reichten in das Jahr 1931 zurück, als sich in Chemnitz im Frühjahr eine Arbeitsgemeinschaft NSPfarrer um den Döbelner Pfarrer Willibald Hase konstituierte79. Diese Arbeitsgemeinschaft gehörte der Reichsarbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer evangelischer Geistlicher80 unter der Leitung von Friedrich Klein an, die bis Mai 1933 eine Unterorganisation des von Hans Schemm geleiteten NS-Lehrerbundes bildete81. Wie oben berichtet, entstand die Arbeitsgemeinschaft in Leipzig aus einem Zirkel nationalsozialistischer Pfarrer, die Leipziger Zeitungen betreuten, aller Wahrscheinlichkeit nach im Mai 1933. Diese Arbeitsgemeinschaft bildete personell den Stamm der späteren DC-Organisation in Leipzig82. Dass sich diese im Verhältnis zu anderen Ländern in Sachsen so spät bildete, ging auf die Politik Martin Mutschmanns zurück, den nationalsozialistischen Pfarrern bei der geplanten Machtübernahme in der Landeskirche weitestgehende Unterstützung durch die NSDAP zukommen zu lassen83. So war der kirchliche Umschwung in Sachsen noch mittels der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Pfarrer ins Werk gesetzt wor-
76 K. MEIER, Deutsche Christen, S. 9; Vgl. auch D. L. BERGEN, S. 101–119. 77 Zahlenangabe nach D. L. BERGEN, S. 7. 78 K. MEIER, Deutsche Christen, S. 16. 79 K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 74. 80 Die Reichsarbeitsgemeinschaft benannte sich später in „Bund Evangelischer Pfarrer im Dritten Reich“ um und trat dem „Arbeitskreis für volkskirchlichen Aufbau“ bei, der aus Gruppen der Reichsbewegung Deutscher Christen und der „Mitte“ bestand. Vgl. K. MEIER, Deutsche Christen, S. 233, und D. RÖTHIG, Mai 1933 (Rundschreiben der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer evangelischer Geistlicher Gau Sachsen). 81 K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 243 f. 82 In den mir zugänglichen Akten war kein Mitgliederverzeichnis der Arbeitsgemeinschaft von Leipzig einzusehen. Die Pfarrer, die sich als Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft bereit erklärt hatten, die Leipziger Tageszeitungen zu betreuen, waren später führende Funktionsträger der örtlichen DC-Organisation. 83 Auf einer Versammlung Deutscher Christen hatte Coch berichtet, die DC-Bewegung sei auf Wunsch Mutschmanns in Sachsen nicht besonders organisiert, sondern „jeder Nationalsozialist ist ohne weiteres als ‚Deutscher Christ‘ anzusprechen“ (D. RÖTHIG, 20. Juni 1933).
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den, deren Mitglieder im Kirchenvolk jedoch schon als „Deutsche Christen“ bezeichnet worden waren84. Mitte August 1933 konstituierte sich in Sachsen die Glaubensbewegung „Deutsche Christen“85. Zum obersten Leiter der Deutschen Christen wurde Landesbischof Coch ernannt86. Als Gauobmann agierte bis Mitte Oktober 1933 der Pfarrer Dr. Wilhelm Engel, damals Leiter des landeskirchlichen Presseamtes. Sein Nachfolger wurde Martin Beier. Der Finanzdezernent des Landeskirchenamtes, Willy Kretzschmar, amtierte als Kassenwart der Gauorganisation87. Der organisatorische Mittelpunkt der DC-Gauleitung lag in Dresden bei der Leitung der Landeskirche, mit der sowohl eine enge personelle als auch räumliche Vernetzung bestand. Die Kreisleitung Leipzig der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ konstituierte sich Mitte September 193388. Kreisleiter wurde der Privatdozent Lic. Heinz Erich Eisenhuth. Er wurde 1903 in Frankfurt geboren und war nach seiner dortigen Pfarrertätigkeit ab 1931 als Privatdozent in Leipzig tätig. Er war Mitglied der (16.)89 Landessynode und der NSDAP seit
84 K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 482. 85 Sächsisches Kirchenblatt, 25. August 1933, Sp. 505. Laut H. E. Eisenhuth war der Beschluss zur Gründung der Glaubensbewegung am Tag vor dem Zusammentritt der Landessynode, d. h. am 10. August, gefallen. Die Quellen- und Literaturlage zur Glaubensbewegung in Sachsen ist sehr schlecht. Die Akten der Gauleitung der Glaubensbewegung sind nicht mehr vorhanden, und die sächsischen Pfarrer, die Lebenserinnerungen geschrieben haben, stammen hauptsächlich aus den Reihen des Pfarrernotbundes und behandeln daher die Organisationsgeschichte der Glaubensbewegung nur sehr sporadisch. 86 Seine kirchenpolitische Konzeption wird aus einem Schreiben, das er als Landesbischof gemeinsam mit dem Präsidenten der 16. Synode, Schreiter, am 30. November 1933 an Reichsbischof Müller sandte, deutlich: „Wir sind bei unserem Handeln und bei unserer Gefolgschaft davon ausgegangen, dass die kulturelle Zukunft des Dritten Reiches in der Lösung der Frage liegt, wie die Beziehungen der Katholischen [sic] und der Evangelischen [sic] Konfession einerseits, des Freidenkertums und der des völkisch getarnten Materialismus andererseits, zum Dritten Reiche gestaltet werden. Wir waren uns bewusst, dass der Protestantismus, wie ihn das Luthertum verkörpert, die Religion [Hervorhebung im Original] des Dritten Reiches sein wird. Wir haben bewusst die Konkordatshaltung des Katholizismus für die protestantische Kirche abgelehnt und uns in das Volk und den Staat hineingestellt“ (SÄCHSHSTA DRESDEN, Ministerium für Volksbildung 13058/174, Bl. 97–100, Zitat Bl. 97). 87 D. RÖTHIG, 25. August 1933. 88 Vgl. den Artikel: Die Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ in Leipzig (in: Leipziger Neueste Nachrichten, 20. September 1933, S. 10). Die Akten der Kreisleitung Leipzig der Glaubensbewegung Deutsche Christen sind nicht mehr vorhanden. Einige Hinweise zur Organisationsgeschichte liefert G. WALTHER. Die Zugehörigkeit von Pfarrern zur Glaubensbewegung konnte durch kirchliche Entnazifizierungsakten und durch Querverweise aus anderen Akten eruiert werden. Auf Einzelnachweise wird verzichtet. Lücken bestehen jedoch bezüglich der Pfarrer, die nach 1933 von Leipzig wegzogen oder verstorben sind. Insofern stehen die folgenden Zahlenangaben unter Vorbehalt. 89 In der offiziellen Zählung der Landessynoden durch die Landeskirche wird diese Landessynode nicht mitgezählt.
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Mai 193390. Sein Stellvertreter wurde der in der Johannisgemeinde tätige Pfarrer Gerhard Ebert. Der Kirchenkreisfachberater der NSDAP, Pfarrer Faber, gehörte ebenfalls zur Kreisleitung. Die fünf Stadtbezirke der Kreisorganisation wurden von einem Pfarrer und seinem Stellvertreter – bis auf den Stadtbezirk Zentrum jeweils auch ein Pfarrer – geleitet, die für die in ihrem Bezirk liegenden Kirchgemeinden je einen Gemeindegruppenleiter und einen Kassierer bestimmten. Diejenigen Pfarrer, die auf Dauer strikt an der deutschchristlichen Prägung festhielten, gehörten vor allem zu den Geburtsjahrgängen 1885–1895, zählten also eher zu den Jüngeren in der Leipziger Pfarrerschaft, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Geistlichen in der Stadt über ein höheres Durchschnittsalter als auf dem Land verfügten91. In dieser Gruppe verbanden sich Kriegserleben und Studium besonders stark, die theologische Identitätsbildung war sehr von der protestantischen Kriegspredigt beeinflusst92. Vor diesem Hintergrund wird auch der demonstrativ zur Schau getragene militärische Gestus dieser Gruppe verständlich93. Gerade im Leipziger Westen, in dem sich die Arbeiterschaft konzentrierte, lässt sich eine Häufung von deutschchristlichen Gemeinden konstatieren94. Der Aufruf, mit dem die Kreisorganisation an die Öffentlichkeit trat, spiegelte die wichtigsten Anliegen der Deutschen Christen wider95. Im Vordergrund stand das volksmissionarische Anliegen, der Versuch, Volk und Kirche zusammenzuführen. Trotz des häufigen Bezugs auf das lutherische Bekenntnis verriet die im Aufruf deutlich werdende Vorrangstellung des Nationalsozialismus die wahre Geisteshaltung der Deutschen Christen: „Sie [die Glaubensbewegung, G. W.] will den deutschchristlichen Geist Martin Luthers lebendig machen. Sie will das herrliche Werk unseres Führers und Volkskanzlers Adolf Hitler im Evangelium von Jesus Christus verankern und der deutschen Volksseele die Quellen erschließen, aus denen ihre wahre Kraft strömt“96. Dem militärischen Gestus der Glaubensbewegung entsprechend endete der Aufruf mit der Aufforderung: „Deutsche Christen an die Front!“97
Zum Kern der entschiedenen Deutschen Christen zählten 16 Pfarrer, darunter diejenigen, die schon kurz nach 1930 Mitglied der NSDAP gewesen waren98. 90 Zu Eisenhuths politischer Beurteilung durch die NSDAP-Ortsgruppe vgl. BARCH-DH, ZA V 133, Bl. 301 f. Vgl. auch M. WOLFES; G. BESIER, Kirchen, S. 1045, Anm. 293. 91 H. SCHUMANN, S. 151. 92 M. GAILUS, Protestantismus, S. 477. 93 D. L. BERGEN, S. 63–68. 94 Dazu zählen die Heiland-, die Philippus- und die Taborgemeinde. Ein ähnlicher Befund auch für Berlin bei M. GAILUS, Protestantismus, S. 642. 95 Die Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ in Leipzig (in: Leipziger Neueste Nachrichten, 20. September 1933, S. 10). 96 EBD. 97 EBD.
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In der Anfangszeit müssen m. E. noch jene dazu gerechnet werden, die Funktionsträger in der Glaubensbewegung waren, wenn sie sich auch später passiv verhalten oder die kirchenpolitischen Fronten gewechselt haben99. Es ist also davon auszugehen, dass im Herbst 1933 etwa 20 Pfarrer entschiedene Vertreter der Glaubensbewegung waren. Ihre wichtige Position in der Pfarrerschaft wird schon dadurch deutlich, dass zehn von ihnen Pfarramtsleiter waren, 1934 sogar zwölf100. Insgesamt gehörten 1933/34 in Leipzig fast 40 Pfarrer der Glaubensbewegung an, also gut ein Drittel der Pfarrerschaft des Kirchenbezirkes, manche allerdings nur ein paar Monate lang101. Die NSDAP-Mitglieder unter den Pfarrern waren fast alle Mitglieder der Glaubensbewegung102. 1933/34 gehörten 13 Pfarrer der NSDAP an, davon waren sechs bereits vor 1933 in die Partei eingetreten. Einer trat Ende 1932 bei, von den restlichen sechs wurden vier am 1. Mai 1933 Parteimitglieder. Nur zwei NSDAP-Mitglieder gehörten nicht der Glaubensbewegung an. Schätzungen gehen davon aus, dass 1931 ca. jeder 180. Pfarrer NSDAP-Mitglied war103. Daran gemessen ist der Anteil der frühen Parteimitglieder in Leipzig ca. zehnmal so hoch. 2.3.3 Der Pfarrernotbund Im Sommer 1933 bildeten sich die kirchenpolitischen Fronten aus, die den Fortgang der innerkirchlichen Auseinandersetzung entscheidend beeinflussten104. Hatten die Deutschen Christen mit den Kirchenwahlen und den sich daran anschließenden Synoden die Vorherrschaft in den meisten Landeskirchen105 – zum Teil mit militanten Mitteln und offen nationalsozialisti98 Die Aufstellung orientiert sich an G. WALTHER, S. 5. 99 So z. B. Pfarrer Friedrich Abegg, Bezirksführer Süd, der anfangs als Redner für die Glaubensbewegung auftrat und später zur kirchenpolitischen „Mitte“-Gruppe gerechnet wurde. 100 In den Pfarrgemeinden Paul-Gerhardt, Stephanus, Phillippus, Markus, Lukas, Tabor, Matthäi, Immanuel, Genezareth, Emmaus. 1934 kamen Luther und Heiland hinzu. 101 M. GAILUS, S. 405, unterscheidet bei den Deutschen Christen die gewöhnliche DCMitgliedschaft, eine ab 1936 leicht gemäßigte Abspaltung und eine relativ kurzzeitige und eher schwach ausgeprägte DC-Orientierung. 102 Die NSDAP-Mitgliedschaft von Pfarrern spielte in den Nachforschungen der Sicherheitsdienste im Dritten Reich und in der DDR eine wichtige Rolle, während die Mitgliedschaft in der Glaubensbewegung Deutsche Christen selten wahrgenommen wurde. Auch die kirchlichen Entnazifizierungsakten stellten die NSDAP-Mitgliedschaft, insbesondere das Datum des Beitritts, gegenüber dem innerkirchlichen Verhalten in den Vordergrund. 103 K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 244. Die Zahl dürfte deutlich zu niedrig angesetzt sein. In Berlin gehörte ein Fünftel der Pfarrerschaft der NSDAP an. M. GAILUS, S. 486. 104 Dazu einschlägig K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 560–626. 105 Lediglich die drei lutherischen Landeskirchen Hannover, Württemberg und Bayern wurden nicht von Deutschen Christen geleitet. Sie wurden als „intakte“ Landeskirchen bezeichnet, alle übrigen als „zerstört“.
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schem Gestus – übernommen, so galt es nun, das inhaltliche Programm, das sowohl eine deutschchristlich geführte Reichskirche wie auch die Umgestaltung der einzelnen Landeskirchen nach ihren Grundsätzen vorsah, durchzusetzen. Hatte es anfangs dabei auch lokale Gewaltakte gegeben, Hilfestellung von örtlichen NSDAP-Stellen, so musste die Führung der Glaubensbewegung jedoch im August/September 1933 feststellen, dass Hitler gegenüber den Kirchen immer stärker auf Neutralitätskurs gegangen und nicht länger bereit war, die NSDAP in kirchliche Auseinandersetzungen zu verwickeln106. Er wollte der Partei damit ihre Beweglichkeit und Unabhängigkeit sichern und kam auch den antichristlichen Kräften in der NSDAP um Alfred Rosenberg entgegen, ohne jedoch die Deutschen Christen gleich fallen zu lassen107. Klaus Scholder sieht in Hitlers Rede auf dem Reichsparteitag Ende August/Anfang September 1933, in der dieser Kirchenfragen ignorierte und sich stärker auf „Rassenfragen“ konzentrierte, einen der wichtigsten Anstöße für die Deutschen Christen, den Arierparagrafen in den Kirchen einzuführen und sich damit die Zustimmung Hitlers zu sichern108. In Analogie zu der entsprechenden Regelung im Reichsgesetz vom 7. April 1933109 wurde dieser Paragraf in mehreren Landeskirchen noch im Herbst 1933 eingebracht. Pfarrer und Kirchenbeamte mussten in den Ruhestand versetzt werden, wenn sie jüdische Eltern oder einen jüdischen Großelternteil hatten. Die sächsische Regelung ging insofern sogar noch darüber hinaus, als auch Geistliche und kirchliche Beamte, die mit einer Person „nichtarischer“ Abstammung verheiratet waren, ihre Stelle verlieren sollten110. Der Eifer, mit dem Coch und das neue Kirchenregiment den staatlichen Umschwung innerkirchlich weiterführen wollten, offenbart sich in seiner Begründung zum Gesetz: „Durch dieses Gesetz wird der Staatsregierung deutlich werden, dass die evangelisch-lutherische Landeskirche treu zum Staate Adolf Hitlers steht, und dass in ihr kein Platz für irgendwelche staatsfeindliche oder reaktionäre Tendenzen ist. Dieses Gesetz schafft eine Atmosphäre des Vertrauens zwischen Kirche 106 J. S. CONWAY, S. 71. 107 Am 16. August 1933 kündigte Rosenberg in einem Leitartikel im Völkischen Beobachter mit dem Titel: „Politik und Kirche“ an, dass sich die politische Bewegung aus dem Kampf der kirchlichen Fragen herausziehen werde. Wenn es auch begreiflich sei, dass der nationalsozialistischen Bewegung jene Gruppen näher stünden, die offen für Hitler eingestanden seien, so sei doch das Stadium erreicht, in dem der Nationalsozialismus sich nicht zur Stütze der einen oder anderen politischen Gruppierung hergeben könne (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. I, Dok. 37/33, S. 124 f.). 108 K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 596 f. 109 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, 7. April 1933 (RGBl Teil 1, S. 175–177). 110 Verordnung des Landesbischofs zur Herbeiführung eines kirchlichen und nationalsozialistischen Berufsbeamtentums, 16. September 1933 (KGVBl 1933, S. 99).
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und Staat. [. . .] Zur Rechtsgrundlage des neuen Staatsbeamtenrechts gehört die Zugehörigkeit zur arischen Rasse. Diese Zugehörigkeit zur arischen Rasse musste demzufolge auch in das kirchliche Beamtengesetz aufgenommen werden“111.
An dieser Vorschrift entzündete sich heftiger innerkirchlicher Widerstand, der die Formierung der kirchenpolitischen Opposition gegen die Deutschen Christen beschleunigte. Im Sommer war es zur Bildung von Pfarrerbruderschaften vor allem im Rheinland und in Westfalen gekommen, bei denen die kirchlich-theologische Klärung und die gemeindlich-praktische Sammlung im Vordergrund standen112. Unter dem Eindruck der preußischen Generalsynode, in der der Arierparagraf und eine auf dem Führerprinzip basierende Kirchenverfassung verabschiedet worden waren113, entstand unter der Initiative von Pfarrer Martin Niemöller der Pfarrernotbund, der über die bereits bestehenden bruderschaftlichen Gruppierungen hinaus ein Zusammenschluss aller bekenntnistreuen Pfarrer in der Deutschen Evangelischen Kirche sein sollte114. Die Verpflichtungserklärung legte die Mitglieder auf die Wahrung des Bekenntnisses und die Verwerfung des Arierparagrafen fest115. Der immense Zuspruch zum Pfarrernotbund – binnen zwei Wochen hatten 2 000 Pfarrer den Beitritt vollzogen116 – und die Resonanz auf den Arierparagrafen sowie die innerkirchliche Opposition im Ausland veranlassten Ludwig Müller auf der Nationalsynode am 27. September 1933, auf der er zum Reichsbischof gewählt wurde, wider Erwarten ein den Arierparagrafen enthaltendes Kirchengesetz nicht einzubringen117. Das Zentrum des Pfarrernotbundes in Sachsen bildete Dresden118. Anfang September 1933 fand sich um den Superintendenten der Ephorie Dresden-Land, Hugo Hahn, ein Kreis von Gleichgesinnten, der den Kurs der Deutschen Christen in Sachsen ablehnte119. Hahn selbst war in „naivem 111 Vgl. KGVBl 1933, Beilage zu Nr. 27. 112 K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 610. 113 EBD., S. 597–601. 114 Zur Entstehung des Pfarrernotbundes vgl. K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 116–122. 115 Die Verpflichtungserklärung abgedruckt bei W. NIEMÖLLER, Texte, S. 26 f. Der dritte Punkt der Verpflichtungserklärung sah ursprünglich die Leitung des Pfarrernotbundes durch Friedrich von Bodelschwingh vor; da dieser das Amt ablehnte, fiel dieser Punkt weg. 116 K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 121. 117 EBD., S. 119. Zu Reichsbischof Müller vgl. T. H. SCHNEIDER. 118 Eine fundierte Darstellung der Geschichte des sächsischen Pfarrernotbundes fehlt. Jedoch geben die Autobiografien des Leiters des Landesbruderrats, Hugo Hahn, und die von H. Klemm besorgte Biografie des „theologischen Kopfes“ Karl Fischer wichtige Einblicke in die Geschichte des Pfarrernotbundes (vgl. auch A. V. KIRCHBACH; wenig hilfreich W. MARSCHNER). 119 H. HAHN, S. 32, erwähnt die Pfarrer Arndt von Kirchbach, Karl Fischer, Paul Sturm, Reinhard Oskar Stephan, Richard Schulze, Hans Auenmüller, Ernst Luthardt, Georg Prater und Karl Aé, der dem Kreis allerdings nur kurzzeitig angehörte.
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lutherischen Nationalismus“120 in einer Mischung aus Anti-Bolschewismus und antidemokratischer Gesinnung der Faszination des Nationalsozialismus erlegen121. Sein Widerstand richtete sich gegen das Kirchenregiment der DC, nicht gegen den Nationalsozialismus an sich, den er auch nach der ersten Euphorie als legitime Obrigkeit anerkannte122. Jenseits der theologischen Differenzen zu den DC spielten deren einseitige Personalpolitik in der sächsischen Landeskirche, die dem Landesbischof mit der „Verordnung über die Ernennung und Versetzung hinsichtlich geistlicher Stellen“123 weitgehend freie Hand ließ, aber auch die Haltung der Landeskirche gegenüber den Juden in dem Kreis eine wichtige Rolle. Die Gruppe um Hugo Hahn suchte schließlich den Anschluss an den Pfarrernotbund und gab am 20. September 1933 ihr erstes Rundschreiben heraus124. Der sächsische Pfarrernotbund war durch eine theologische Vielfalt geprägt125. Zwar war der „theologische Kopf“ des sächsischen Pfarrernotbunds, Karl Fischer, ein Anhänger der Dialektischen Theologie Karl Barths126, doch diese prägte nicht den Charakter des Bundes; dies tat – für Sachsen typisch – das konfessionelle Luthertum127. Bis Dezember 1933 vergrößerte sich der Kreis der Notbundpfarrer von anfänglich 100 auf 300 und umfasste Mitte 1935 mit über 430 Pfarrern ein rundes Drittel der sächsischen Pfarrerschaft128. In Chemnitz und Leipzig gestaltete sich die Suche nach Bundesgenossen für die Dresdner Notbundpfarrer besonders schwierig, da in beiden Städten die Mehrheit der Pfarrer kompromissbereiter agierte129. Das „kleinere Häuflein der dortigen Pfarrer“ – so der Dresdner Pfarrer Klemm130 – schloss sich am 25. Oktober 1933 unter der Leitung von Pfarrer Lic. Georg Walther (Petersgemeinde) dem Pfarrernotbund an. Zwar war mit 18 amtierenden und drei emeritierten Pfarrern der Anteil der dem Notbund angehörenden Pfarrer in Leipzig deutlich niedriger als im Landesdurch-
120 So K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 433. 121 Vgl. auch C. NICOLAISEN, Hugo Hahn, S. 261. 122 EBD., S. 262. 123 KGVBl 1933, S. 84. 124 Vgl. dazu H. KLEMM, S. 178. 125 H. HAHN, S. 34; H. KLEMM, S. 179. 126 Dass die Auseinandersetzung mit Karl Barth für das Selbstverständnis des Pfarrernotbundes auch über 1945 hinaus zentral blieb, zeigt die über drei Seiten lange Fußnote 71, S. 251–255, in der Georg Prater Hahns Bedenken gegen die Person Barths, seinen Fanatismus, seine Animosität gegen das Luthertum und seine politischen Motive darstellt. 127 So H. HAHN, S. 34. 128 H. KLEMM, S. 187; W. MARSCHNER, S. 13. 129 H. KLEMM, S. 180. 130 EBD.
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schnitt, doch besaß der Notbund in Superintendent Hilbert und im Pfarramtsleiter der Nikolai-Gemeinde, Theodor Kühn, zwei charismatische Persönlichkeiten, die in der kirchlichen Öffentlichkeit Leipzigs herausgehoben waren. Von den Mitgliedern des Pfarrernotbundes hatten Lewek, der am 1. Juni für zwei Wochen beurlaubt worden war, und Kühn, dessen Verhaftung der Landesbischof im August 1933 beantragt hatte131, schon negative Erfahrungen mit dem neuen Kirchenregiment gemacht. Zu den im Pfarrernotbund vertretenen theologischen Positionen in Leipzig gibt es nur wenige Aussagen. Die Frontstellung gegen die Deutschen Christen ließ die alten kirchlichen Positionen zurücktreten. Die Dialektische Theologie war mit Pfarrer Erich Leistner vertreten, Superintendent Hilbert betonte die Notwendigkeit volkskirchlicher Erneuerung, Pfarrer Kurt Zeuschner war Michaelsbruder132, Kühn und Walther galten als „liberal“, während die Mehrheit den strengen Bekenntnischarakter hervorhob133. Für den Herbst 1933 lassen sich in Leipzig ein überdurchschnittlich starker Anteil von DC-Pfarrern und ein relativ kleiner Anteil von Notbundpfarrern feststellen. Selbstverständlich gab es auch Pfarrer, die das übertriebene nationale Pathos der Deutschen Christen verabscheuten und die massiven theologischen Defizite in der Glaubensbewegung klar erkannten, jedoch den Rigorismus des von unierten Pfarrern dominierten Pfarrernotbundes ablehnten. Mancher Pfarrer mag unpolitisch gewesen sein und sein Heil in der kirchenpolitischen Abstinenz gesucht haben. Tatsache ist, dass die Zeit für eine organisatorische Verdichtung der losen Pfarrergruppen in der „Mitte“ erst in das Jahr 1934 fällt. Die Mehrheit der Leipziger Pfarrer gehörte jedoch dieser Gruppe an, die sowohl von den Deutschen Christen als auch vom Pfarrernotbund angegriffen wurde134. Dies bleibt das charakteristische Merkmal der Leipziger Entwicklung. Festzuhalten bleibt ferner, dass die kirchlichen Gruppen im Herbst 1933 keinesfalls über eine stabile Mitgliederschaft verfügten, sondern dass damals die Bindung an die Gruppen bei vielen Pfarrern stark von den kirchenpolitischen Emotionen abhängig war. Gerade die Anhängerschaft der Glau131 Lt. Bericht Kühns (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6), der allerdings keine weiteren Angaben etwa hinsichtlich Cochs Begründung macht. 132 Die Michaelsbruderschaft wurde 1931 gegründet. Der „Not der Kirche“ sollte nicht mehr durch Proklamationen, sondern durch gemeinsames Einüben in geistliches Leben begegnet werden. Dazu verpflichteten sich die Brüder zur Gemeinschaft im täglichen Gebet und zum Liebeswerk (Diakonia). Mitglieder der Michaelsbruderschaft waren u. a. die Mitglieder des Kreisauer Kreises Otto Heinrich von der Gablentz, Hans-Bernd von Haeften und Theodor Steltzer (vgl. H. HENCHE). 133 Vgl. G. WALTHER, S. 4–6. 134 Die Notwendigkeit, den eigenen kirchenpolitischen Kurs vor allem gegenüber der Bekennenden Kirche zu rechtfertigen, merkt man H. SCHUMANN, S. 131 f., an.
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bensbewegung „Deutsche Christen“ sollte das im Herbst 1933 zu spüren bekommen. Charakteristisch für die relativ späte Formierung der kirchenpolitischen Fronten in Leipzig dürfte trotz der sich formierenden kirchenpolitischen Fronten der moderate Ablauf der Hauptkonferenz der Geistlichen am 19. Oktober 1933 gewesen sein. Anlass dazu war eine zentrale volksmissionarische Veranstaltung am Abend desselben Tages in der Messestadt, die eingebettet war in die seit Anfang Oktober von der Landeskirche initiierten Veranstaltungen dieser Art135. Der Landesbischof hatte sein Kommen zugesagt. Pfarrer Horst Fichtner, Deutscher Christ, hielt das zentrale Referat zum Thema: „Kirchliche Arbeit im Dritten Reich“136. Er betonte die volksmissionarische, jugenderzieherische Aufgabe der Kirche im Nationalsozialismus und sprach sich für eine Synthese von „Rasse, Volk, Blut, Art“ mit lutherischer Theologie aus. Waren diese Ausführungen keineswegs überraschend und zeigten sich viele Teilnehmer in Fragen der praktischen Umsetzung – insbesondere der Integration von Nationalsozialisten – einig, so verwundert es doch, wie unangefochten der DC-Landesbischof Coch dort auftreten konnte. Selbst Superintendent Hilbert sprach von „unser[em] Vertrauen, gefestigt zum Führer unserer Kirche“137. Einzig Pfarrer Schumann verwies auf „Gefahren für die Seelsorge durch die Rassenunterschiede“ und plädierte dafür, jüdische Mitchristen in das Gemeindeleben mit einzubeziehen138. Einen weiteren Einblick in die Formierung der kirchenpolitischen Fronten in Leipzig erlaubt die Ephoralversammlung vom 9. November 1933, in der das Thema: „Die Predigt im Dritten Reich“ auf der Tagesordnung stand139. Eine Debatte über dieses Thema konnte die in der Kirche virulenten Differenzen nicht auslassen. Insofern überrascht es nicht, wenn zwei Referate gehalten wurden, das erste von Pfarrer Heinrich Roehling, Pfarramtsleiter an der Matthäikirche seit 1918 und im Bezirk Zentrum der Leiter der Glaubensbewegung, das zweite von Pfarrer Paul Fiebig, der in der Johannisgemeinde tätig war und 1930 als außerordentlicher Professor an die Theologische Fakultät berufen worden war. Zu Beginn verwies Roehling auf die veränderte Stellung der Kirche im 135 Vgl. Generalverordnung Nr. 12 des mit der Führung des Landesbischofsamtes und der Kirchenregierung Beauftragten vom 5. August 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 102). In Leipzig war ein Ephoralausschuss zur Volksmission gegründet worden, dessen Arbeit besonders von Superintendent Hilbert gefördert wurde. Vgl. Schreiben Hilberts an die Pfarrämter der Ephorie vom 10. August 1933 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 20). 136 Protokoll der Hauptkonferenz am 19. November 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 22). 137 EBD. 138 EBD. 139 Protokoll der Ephoralversammlung vom 9. November1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17).
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„Dritten Reich“, das den Dienst der Kirche im Gegensatz zur Weimarer Republik fördere. Bezüglich der notwendigerweise gegenwartsverbundenen, „volksnahen“ Verkündigung betonte er das volksmissionarische Anliegen der Kirche, das seine besondere Relevanz in der Bildung des deutschen „Volkes“ habe: „Deutschland erwache – vertieft: Kirche erwache!“ Dieses Bild entsprach der DC-Synthesekonzeption eines neuen, nationalsozialistisch-protestantischen Deutschland. Dem entsprach, dass er die Nationalsozialisten als wichtige „Bundesgenosse[n]“ ansah und eine positive Einstellung des Predigers zum Staat voraussetzte140. Die Antwort darauf erfolgte durch den kurz vor der Emeritierung stehenden Pfarramtsleiter der Johannisgemeinde, Paul Fiebig, der zum Umkreis des im Aufbau befindlichen Pfarrernotbundes gehörte. Dass seine Ausführungen programmatischen Charakter hatten und für die Ausrichtung der Leipziger Pfarrernotbundgruppe standen, beweist m. E. die Tatsache, dass Fiebig seinen Vortrag später drucken ließ141. Um dem Vorwurf nicht genügender Vaterlandsliebe zu begegnen, betonte er gleich zu Beginn, dass auch er täglich für den „Volkskanzler Adolf Hitler, den ich mit Ihnen allen grüße als von Gott uns geschenkt“, bete142. Zentrale Aufgabe des Predigers heute sei es, „die gottgegebenen Bindungen wieder groß [zu] machen, in denen wir zu stehen und uns zu bewähren haben: Haus-Familie-Vaterland-Volk!“143 Was sich daran anschließt, war allerdings als eine Kampfansage an all jene Pfarrer zu verstehen, die „parteigebunden, vielleicht in einer besonderen Stellung innerhalb der Partei und nun der Meinung sind, überall – auch in der Kirche und auf der Kanzel! – in erster144 Linie Parteimänner zu sein und als solche sich betätigen zu müssen. Da ergeben sich meines Erachtens notwendig Gefahren, auch und gerade für den Predigtdienst“145. Die Aussagen Fiebigs waren eine schonungslose Kritik der homiletischen Praxis seiner deutschchristlichen Amtsbrüder: „Wir machten uns doch zu Herren der Schrift, wenn wir das Bibelwort zwingen, menschliche Parteiprogramme zu rechtfertigen, und wenn es die allerbesten wären“146. Dagegen betonte er vor allem, dass Predigt immer wesentlich „Ansage des Herrn“ sein müsse. Diese Sicht verband er mit einer offenen Kritik an der Art und Weise der kirchlichen Neuordnung im Reich und vor allem in Sachsen. Er befürchtete,
140 141 142 143 144 145 146
EBD. P. FIEBIG. EBD., S. 3. EBD., S. 5. Hervorhebung im Original. P. FIEBIG, S. 7. EBD., S. 8.
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„Drittes Reich“ „dass die Übertragung staatlicher und politischer Maßnahmen auf das kirchliche Gebiet einen schweren Schaden für Staat und Kirche mit sich bringen wird, ein Vornehmen [sic], welches übrigens anfänglich von dem Führer selbst nicht geplant gewesen ist, soweit ich die Dinge verfolgt habe“147.
Hilbert stellte sich demonstrativ auf die Seite Fiebigs. Er ahnte wohl, dass die von ihm so stark herbeigesehnte volksmissionarische Erneuerung so einfach nicht gelingen werde: „Wir sind nicht entbunden dem Kampf, nur die Fronten haben sich gewandelt. Der kommende Kampf gegen das deutsche Heidentum wird vielleicht noch schwerer als der gegen den Marxismus“148. In dieser Ephoralversammlung waren die Auseinandersetzungen, die ihre Ursache in der Übernahme nationalsozialistischer Methoden durch deutschchristliche Pfarrer und Kirchenvorstände in den Gemeinden hatten, zwischen den Pfarrern offen ausgebrochen. Die Situation eskalierte. Einziger Tagesordnungspunkt der am 25. Januar 1934 stattfindenden Ephoralversammlung war der Aufruf des Superintendenten, zu gemeinsamer Arbeit zurückzukehren und sich gegenseitig nicht öffentlich zu bekämpfen149. Im Frühjahr 1934 wurden die Ephoralkonferenzen ganz eingestellt und Pfarrertreffen in vier Kreisen (Norden, Süden, Osten, Westen) durchgeführt. Erst 1936, unter einem neuen Superintendenten in einer kirchenpolitisch ruhigeren Zeit, wurden die Konferenzen fortgesetzt.
2.4 Die kirchenpolitischen Entwicklungen in Sachsen von Herbst 1933 bis Frühjahr 1935 Im Herbst 1933 war die von Landesbischof Coch angeführte sächsische Glaubensbewegung zunächst bestrebt, sich von negativen Entwicklungen auf Reichsebene abzusetzen. Nach dem für die Deutschen Christen desaströsen „Sportpalastskandal“ – auf einer Tagung der Berliner DC hatte deren Obmann Reinhold Krause Reichsbischof Ludwig Müller scharf kritisiert und u. a. die Beseitigung der „Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus“ gefordert und damit einen reichsweiten Skandal ausgelöst150 – proklamierte Coch den „sächsischen Kurs der Landeskirche“151. Der Gau Sachsen trennte sich von der Reichsleitung DC und nannte sich fortan „Volksmissionarische Bewegung Sachsens (Deutsche 147 148 17). 149 150 151
EBD., S. 7. Protokoll der Ephoralkonferenz vom 9. November 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Protokoll der Ephoralkonferenz vom 25. Januar 1934 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 122–145, und K. SCHOLDER, Kirchen I, S. 702–706. J. FISCHER, S. 22.
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Christen)“152. Die theologische Grundlage dieses „sächsischen“ Weges bildeten die am 10. Dezember 1933 von der Landessynode verabschiedeten „28 Thesen der sächsischen Volkskirche zum inneren Aufbau der Deutschen Evangelischen Kirche“153. In diesen Thesen wurden die Grundgedanken einer gemäßigten DC-Glaubensauffassung zu Grundsätzen der Kirche erhoben154. Anfang Januar 1934 suchte Reichsbischof Müller die kirchliche Opposition gegen sich durch die „Verordnung betreffend die Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche“, den so genannten „Maulkorberlass“, zu schwächen155. Die Verordnung untersagte allen Amtsträgern jede öffentliche Kritik am „Kirchenregiment oder dessen Maßnahmen“ und bedrohte Zuwiderhandlung mit unverzüglicher Amtsenthebung, Gehaltskürzung und einem Disziplinarverfahren. Der Pfarrernotbund reagierte darauf mit einer Kanzelerklärung, die auch in Sachsen verlesen wurde156. Ein Empfang führender kirchlicher Persönlichkeiten durch Hitler am 25. Januar 1934 endete mit einem Eklat: Göring las ein am Vortag abgehörtes Telefongespräch Martin Niemöllers vor, in dem sich dieser recht salopp über den Reichspräsidenten geäußert hatte, was Hitler die Gelegenheit gab, nun über den Leiter des Pfarrernotbundes seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen157. Coch sah damit die Gelegenheit gekommen, gegen jene Pfarrer vorzugehen, die die Kanzelerklärung verlesen hatten158. Er kündigte die Einleitung eines Dienststrafverfahrens gegen die Dresdner Pfarrer Arndt von Kirchbach und Hans Auenmüller an. Kurz danach, am 31. Januar 1934, verhaftete die Gestapo zwölf sächsische Notbundpfarrer und dem Notbund nahe stehende Laien. Mutschmann und der sächsische Innenminister Karl Fritsch hatten das Gestapo-Amt Dresden angewiesen, in „strenger Form“ 152 K. MEIER, Deutsche Christen, S. 49. 153 KGVBl 1933, S. 134–136 (abgedruckt in: K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse, S. 98–102). Die von Walter Grundmann entworfenen Thesen bestanden aus vier Abschnitten: Kirche und Staat; Verkündigung der Kirche; Grundlagen der Kirche und Weg der Kirche. In Art. 3 bekräftigten die Thesen noch einmal den Arierparagrafen. 154 So die Wertung von K. MEIER, Kirchen I, S. 485. Aus der Sicht des Pfarrernotbundes vgl. H. HAHN, S. 41 f. Vgl. auch J. FISCHER, S. 24–26. Die Thesen wurden von den Landeskirchen Schleswig-Holsteins, Braunschweigs, Oldenburgs und Mecklenburgs und der Reichsleitung der Glaubensbewegung übernommen (S. 25). 155 GBlDEK 1934, Nr. 1 vom 8. Januar 1934. 156 Die Kanzelerklärung wurde am 7. bzw. am 14. Januar von den Notbundpfarrern in Sachsen verlesen (D. RÖTHIG, 7. bzw. 14. Januar 1934. Text abgedruckt in: JK 2, 1934, S. 71–73). 157 Vgl. K. SCHOLDER, Kirchen II, S. 59–61. 158 So auch H. HAHN, S. 51: „Während in Preußen sich die DC noch zurückhielten, entschlossen sich Coch und seine brutalen Berater, nun mit dem Notbund ein Ende zu machen.“
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gegen den Pfarrernotbund vorzugehen159. Auf Drängen des Volksbildungsministeriums, das auf Bestimmungen des Reichsinnenministeriums verweisen konnte, Interventionen in die innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu unterlassen, wurden diese umgehend wieder freigelassen160. Versuche der Staatsregierung unter von Killinger, den Kirchenstreit in Sachsen beizulegen, fruchteten nicht161. Vielmehr wurden bis zum 11. April 1934 51 Superintendenten und Pfarrer abgesetzt, beurlaubt oder ihres Amtes enthoben, darunter auch der Leipziger Superintendent Gerhard Hilbert162. Im Mai 1934 wurde gegen den Widerstand des Pfarrernotbundes und der in der Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ organisierten bekenntniskirchlich orientierten Laien die Eingliederung der sächsischen Landeskirche in die Reichskirche vollzogen163. Der Reichskirchenregierung oblag fortan die Leitung der Landeskirche, während der Verwaltungsbereich bis zur Errichtung eines ausreichenden reichskirchlichen Apparates bei der Landeskirche verbleiben sollte. Die kirchliche Opposition sagte sich daraufhin von der Landeskirche los. Anschließende Verhandlungen mit der kirchlichen Opposition mit dem Ziel, die laufenden Geschäfte aufrechtzuerhalten, scheiterten an Cochs Weigerung, disziplinarische Maßnahmen rückgängig zu machen. Cochs Aufruf vom 7. September 1934 „zur praktischen Arbeit in den Gemeinden“ „unter Hintanstellung jeglicher kirchenpolitischer Kämpfe“ musste schon deswegen ins Leere laufen, weil er am selben Tag den Dresdner Superintendenten Hugo Hahn in den einstweiligen Ruhestand versetzte164. Gerade wegen seiner unverkennbar nationalsozialistischen Einstellung musste Coch der Widerspruch zwischen der von den Deutschen Christen angestrebten Verschmelzung von Nationalsozialismus und Christentum und der von der NSDAP immer offener betriebenen Entkonfessionalisierungspolitik im Sinne von Rosenberg und Heß schmerzhaft deutlich werden. „Mit wachsender Sorge“, so der Text seiner Denkschrift an die Reichskanzlei vom 5. Oktober 1934, „beobachten wir seit etwa Februar ds. Js. die unverkennbare Tendenz einer völligen Ausklammerung der religiösen 159 J. FISCHER, S. 27, bes. Anm. 114. Gespräch des Reichsstatthalters Mutschmann und des Innenministers Fritsch mit dem stellv. Präsidenten des Gestapa Dresden, Herbert Mehlhorn, am 29. Januar 1934 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/174, Bl. 114). Bei den Verhafteten handelte es sich um die Dresdner Hugo Hahn und seine Frau, die Pfarrer Auenmüller, Karl Fischer, von Kirchbach, Leidhold, Lieschke, Stephan und Wildfeuer, cand.theol. Rothe, Kaufmann Dr. Theodor Böhme und Sekretär Richter. 160 J. FISCHER, S. 27. 161 Möglicherweise machte sich hier schon die wachsende Rivalität zwischen Reichsstatthalter Mutschmann und Ministerpräsident von Killinger bemerkbar (A. WAGNER, Machtergreifung, S. 110, und DERS., Mutschmann). 162 J. FISCHER, S. 27 f. 163 K. SCHOLDER, Kirchen II, S. 165–167. 164 J. FISCHER, S. 32 f.
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Fragen aus unserem Volksleben“165. Des Weiteren beklagte er die Behinderung kirchlicher Arbeit, wie z. B. Tendenzen völliger Ausschaltung kirchlich-christlichen Einflusses auf Tagespresse und Rundfunk, und sah damit das Projekt der volkskirchlichen Erneuerung grundsätzlich gefährdet: „Der neue deutsche Mensch, den der Führer fordert, kann auf Dauer nicht ohne die Kräfte des Evangeliums bestehen“166. Die rigorose Politik des Landesbischofs erleichterte die Sammlung der kirchlichen Opposition. Die erste Tagung des Pfarrernotbundes in Sachsen hatte am 7. Dezember 1933 stattgefunden. Am Jahresende zählte er 294 Pfarrer, darunter 15 von 31 Superintendenten, zu seinen Mitgliedern. Am 22. April 1934 schlossen sich der Pfarrernotbund und die Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ zusammen zur „Bekenntnisgemeinschaft der evangelisch-lutherischen Kirche in Sachsen“ und protestierten drei Tage später gegen die geplante Gleichschaltung der Landeskirche167. Das war die Entstehungsstunde der Bekennenden Kirche in Sachsen. Die Bekenntnisgemeinschaft sprach der Kirchenleitung und der Synode die Rechtmäßigkeit ab und rief am 6. Mai 1934 auf ihrer ersten großen öffentlichen Veranstaltung zur Sammlung der rechtmäßigen Kirche auf: „In dem heiligen Willen, dass im Mutterland der Reformation die evangelischlutherische Kirche nicht verderbe, ergreifen wir das [. . .] Panier und rufen alle, die mit ihrem Gebet und ihrer Arbeit unsere liebe sächsische Landeskirche bisher getragen haben, auf, sich in unserer Landeskirche mit uns zusammenzuschließen [. . .] als rechtmäßige Fortsetzung der lutherischen Kirche in Sachsen“168.
Auf der ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche, die Ende Mai 1934 in Wuppertal-Barmen169 stattfand, war die Bekenntnisgemeinschaft mit zwölf Teilnehmern vertreten, darunter befanden sich neben
165 Die Denkschrift ist teilweise abgedruckt in: L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Nationalsozialismus, S. 142–145. 166 EBD. 167 J. FISCHER, S. 28. 168 Kundgebung der Bekenntnis-Gemeinschaft der evangelisch-lutherischen Kirche in Sachsen vom 6. Mai 1934 (JK 2, 1934, S. 431–433 [Zitat S. 433]). Vgl. K. SCHOLDER, Kirchen II, S. 165 f. 169 Zur Synode von Barmen sei angesichts der Literaturfülle nur verwiesen auf C. NICOLAISEN, Barmen, mit weiterführender Literatur. Die seltsam ambivalente Gefühlslage der sächsischen Pfarrernotbundmitglieder zwischen der Freude an der theologischen Gemeinsamkeit und den vom lutherischen Bekenntnis her geprägten Skrupeln gegenüber der Barmer Theologischen Erklärung ist gut sichtbar bei H. KLEMM, S. 218–223. Vgl. dazu K. NOWAK, Bekenntnissynode. Die sächsische Kirchenleitung antwortete mit der „Erklärung an das evangelische Sachsenvolk“ am 15. Juni 1934 und bestritt darin „die unerhörte Anmaßung der Barmer Kirchenversammlung, die allein rechtmäßige Deutsche Evangelische Kirche zu sein“ (KGVBl 1934, S. 79 f.).
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dem Vorsitzenden Hugo Hahn der Leipziger Pfarrer Walther, der Rechtsanwalt Rudolf Geißler und Reichsgerichtsrat Wilhelm Flor170. Die erste Etappe zur Praktizierung des kirchlichen Notrechts stellte am 19. Juni 1934 die Bildung des Landesbruderrats dar, dem die Leipziger Pfarrer Walther und Zeuschner (als stellvertretendes Mitglied) und der Kaufmann Hellmut Schwarze, der in Leipzig Leiter der Gemeindebewegung war, angehörten171. Im Herbst schloss sich die Bekenntnisgemeinschaft den Entscheidungen der 2. Bekenntnissynode von Berlin-Dahlem am 19./20. Oktober 1934 an, die aufgrund der versuchten gewaltsamen Eingliederung der bayrischen und württembergischen Landeskirche in die Reichskirche das kirchliche Notrecht proklamierte172. Den DC-Kirchenleitungen sollten – von der Gemeindebasis bis zu den Synoden – an Schrift und Bekenntnis gebundene Leitungsorgane entgegengestellt werden173. Dieser Beschluss wurde wegen der damit verbundenen praktischen Überforderung der Bekenntnisgemeinschaft von ihrer Führung durchaus kritisch gesehen174. Im Kampf gegen den unbeirrt und mit rigorosen Mitteln an seinem Kurs festhaltenden Landesbischof bekam die Bekenntnisgemeinschaft im Herbst 1934 Unterstützung durch die „Mitte“, die sich nunmehr fester zusammenschloss. Am 26. November 1934 richtete diese vor allem von den Leipziger Pfarrern Heinrich Schumann, Oskar Bruhns, Johannes Herz und Fritz Mieth getragene Gruppe ein Schreiben an die rund 1 200 geistlichen Amtsträger der sächsischen Landeskirche, in dem sie den Rücktritt Cochs forderte: „Schließen Sie sich unserer Überzeugung an, dass der Herr Landesbischof Coch und seine Kirchenregierung das Opfer bringen und ihre Ämter niederlegen müssen?“175 Die Mittelgruppe machte sich damit die zentrale Forderung zu Eigen, die die Bekenntnisgemeinschaft auf einer Ephorenkonferenz am selben Tag erhoben hatte176. Das Ergebnis der Umfrage war eindeutig: Bis zum 9. Januar 1935 stimmten 769 Pfarrer dafür, nur 41 sprachen sich für Coch als Landesbischof aus177. Trotzdem verharrte Coch auf seinem Posten, umso stärker abhängig vom Wohlwollen der sächsischen Staats- und Parteistellen. 170 Zu Flor vgl. H. SCHIECKEL; R. RITTNER. 171 H. KLEMM, S. 227 f.; zu Schwarze vgl. G. WALTHER, S. 8. 172 Die Botschaft des Landesbruderrats vom 26. Oktober 1934, in der dieser Beschluss bekannt gegeben wurde, bei J. FISCHER, Dok. 11, S. 193. 173 Vgl. K. MEIER, Kirchen I, S. 221–240. 174 Vgl. dazu H. HAHN, S. 86–88; H. KLEMM, eher relativierend, S. 235 f. 175 Schreiben von 129 Pfarrern der Mittelgruppe an die Geistlichen der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens vom 26. November 1934 (in: J. FISCHER, Dok. 18, S. 197 f. [Zitat S. 198]). Vgl. auch H. SCHUMANN, S. 133 f. 176 J. FISCHER, S. 34. 177 Ergebnis nach H. SCHUMANN, S. 134. Zur Auseinandersetzung zwischen Coch und der Mittelgruppe vgl. J. FISCHER, Dok. 19–25, S. 198–202.
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Die kirchliche Opposition hatte ein feines Gespür für die unterschiedlichen Kräfte innerhalb der Partei- und Staatseliten. Das bis zur Entstehung des Reichskirchenministeriums für Kirchenfragen zuständige Reichsinnenministerium verfügte über durchaus kirchenfreundliches Personal wie den für katholische Fragen zuständigen Ministerialrat Walter Conrad178 und war an einer rechtmäßigen Behandlung der Kirchenangelegenheiten interessiert179. In Sachsen gab es zwei Gruppen in der Landesregierung: Innenminister Karl Fritsch, dem die Polizei und bis 1936 die Gestapo unterstanden, und Gauleiter Martin Mutschmann, der den Kirchen grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, unterstützten beide den Landesbischof in seinem Kampf gegen die Bekenntnisgemeinschaft, während Ministerpräsident Manfred von Killinger, der im Zuge des Röhm-Putsches abgesetzt wurde, um den Kirchenfrieden bemüht und mehrfach in Befriedungsgespräche involviert war180. Die Bekenntnisgemeinschaft hatte ein freundschaftliches Verhältnis zum Volksbildungsminister Wilhelm Hartnacke181 und zum Ministerialdirektor im Ministerium des Innern, Curt von Burgsdorff, den Hahn als „unser[en] eigentliche[n] stille[n] Gönner“ bezeichnete. Über seine Frau, die lange Zeit Vorsitzende des Christlichen Frauendienstes in Sachsen war, verfügte Burgsdorff über gute Kontakte zur Kirche182.
178 G. BESIER, Kirchen, S. 288. Vgl. auch K. SCHOLDER, Kirchen II, S. 44: „Mit Conrad und seinem Abteilungsleiter, Ministerialdirektor Buttmann, die zu jener Zeit [Anfang 1934, G. W.] noch weitgehend die Haltung des Reichsinnenministers bestimmten, durfte die kirchliche Opposition das verantwortliche Ressort zuverlässig auf ihrer Seite wissen“. Vgl. auch W. CONRAD. 179 Vgl. dazu H. HAHN, S. 49: „Damals gab es noch kein Kirchenministerium, und die Kirche stand unter dem Innenministerium, was wesentlich besser war. Denn dort gab es noch eine feste Tradition von früher her, der sich auch der NS-Minister Frick nicht ganz entziehen konnte. Im später neu gebildeten Kirchenministerium war das anders, da gab es nur die Dämonien der Partei und des Karrieremachens.“ 180 Vgl. J. FISCHER, S. 26. 181 Wertung nach H. HAHN, S. 54, Anm. 147, die auch einen kurzen Lebenslauf enthält. Allerdings wurde Hartnacke nicht, wie Hahn schreibt, 1934 entlassen, sondern im März 1935 (vgl. A. WAGNER, Machtergreifung S. 122 f.). 182 H. HAHN, S. 57. Burgsdorff verließ 1937 das Innenministerium, nach eigenen Angaben wegen unhaltbar gewordener Differenzen mit Mutschmann und Fritsch. Ein Lebensbild Burgsdorffs bei H. HAHN, S. 57, Anm. 149. Vgl. auch sehr wohlwollend E. MÄDING. Durch die Vermittlung Hahns wurde Burgsdorff in der Bundesrepublik Verwalter der Evangelischen Akademie Tutzing. Der positiven Bewertung Hahns und Mädings steht jedoch eine Einschätzung durch SS-Stellen aus dem Jahr 1942 gegenüber, die Burgsdorffs Mitarbeit beim Aufbau der Gestapo und sein tiefes Verständnis für die „Bevölkerungs- und rassenpolitische Zielsetzung“ [sic] lobend hervorhebt (BARCH BERLIN, NS 19/2085).
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2.5 Der „Kirchenstreit“ in Leipzig Im Herbst 1933 hatte der Kirchenstreit auch die Stadt Leipzig erreicht. Auf der Ephoralkonferenz vom 9. November 1933 (s. o.) machten sich die mittlerweile unüberbrückbaren Differenzen zwischen Pfarrernotbund und Deutschen Christen bemerkbar. Der im Kirchenstreit angeschlagene Ton hatte sich mittlerweile so verschärft, dass Lic. Walther sich als Geschäftsführer der Ortsgruppe Leipzig des Pfarrernotbundes gezwungen sah, bei Superintendent Hilbert Einspruch einzulegen183. Oberlandeskirchenrat Adolf Müller hatte auf einer Versammlung des Nationalsozialistischen Pfarrerbundes die Mitglieder des Pfarrernotbundes als „Gecken des Märtyrertums“ bezeichnet184. Ein Aufruf zur Beruhigung der kirchlichen Lage ging am 20. Dezember 1933 von zwölf Leipziger Pfarrern aus, deren Kern die spätere kirchliche „Mitte“ (Bruhns, Schumann, Mieth) ausmachte, der aber auch von Vertretern des Pfarrernotbundes (z. B. Leistner, Meder) und der Volksmissionarischen Bewegung (Deutsche Christen) (z. B. Abegg, Roehling) unterschrieben worden war185. Die so genannte „Weihnachtserklärung“ forderte dazu auf, die Kirche als „communio sanctorum“ als höheres Gut zu betrachten und sich „kirchlicher und politischer Verdächtigungen des Gegners zu enthalten“186. Der Aufruf endete mit einem bewussten staatspolitischen Bekenntnis, das die Grundlage gemeinsamer Arbeit markieren sollte: „In diesem gemeinsamen Willen zur Kirche reichen wir uns unbeschadet unserer Zugehörigkeit zu kirchenpolitischen Parteien, Bewegungen, Bünden oder Vereinigungen die Hand zu gemeinsamer Arbeit für die Kirche im nationalsozialistischen Staat, auf dessen Boden wir bewusst stehen“187. Noch war die Zeit für einen gruppenübergreifenden Verhaltenskodex nicht gekommen. Am 12. Januar 1934 bezeichnete der Notbund den Aufruf, der mittlerweile von 70 Pfarrern der Ephorien LeipzigStadt und -Land unterzeichnet worden war, als bedenklich188. Die Bilanz der Ephorie Leipzig für das Jahr 1933 fiel durchaus ambivalent aus. Der negative Trend der vergangenen Jahre bei der Kirchenmitgliedschaft konnte durch eine Wiedereintrittswelle, die über 21 000 Menschen umfasste, gegenüber knapp 1 500 Austritten umgekehrt werden189. 183 Walther an die Ephoralkonferenz der Ephorie Leipzig I zu Händen des Herrn Oberkirchenrat Hilbert, 13. Dezember 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 21). 184 Die Veranstaltung hatte am 30. November 1933 stattgefunden (vgl. D. RÖTHIG, 30. November 1933). 185 Diesen Aspekt übersieht D. RÖTHIG, 20. Dezember 1933, die den Aufruf allein der „Mitte“ zuordnet. 186 EBD. 187 EBD. 188 D. RÖTHIG, 12. Januar 1934. 189 Folgende Angaben aus: Kirchlicher Jahresbericht 1933 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 178).
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Die Zahl der Konfirmanden nahm gleichfalls zu. Auf der anderen Seite erfüllten sich viele Erwartungen, die sich gerade Superintendent Hilbert vom „nationalen Umbruch“ gemacht hatte, nicht. Die Verbindung von Kirche und Nationalsozialismus an der Basis war offensichtlich nicht in hinreichendem Maße geglückt. Ernüchtert stellte Hilbert zum Thema „Kirchenbesuch“ fest: „Im Allgemeinen wird man sagen müssen, dass die Erwartungen sich nicht erfüllt haben. Wenn nicht von Partei wegen Kirchgang angeordnet wird, bleiben gerade auch die Parteigenossen der Kirche fern“190. In den Kirchenvorständen, in denen durch die Wahlen neue, den Deutschen Christen nahe stehende Laien vertreten waren, war die Mitarbeit uneinheitlich, von Zwistigkeiten jedoch war im Jahresbericht noch keine Rede. Während sich im Schulbereich eine „grundlegende Wandlung seit dem nationalen Umbruch“ ereignet hatte, erkannte Hilbert scharf, dass durch die Eingliederung der evangelischen Jugendverbände in die HJ Ende 1933 „ein ungemeiner Rückgang, oft gerade katastrophal“ bei den „Jünglingsvereinen“ und „Jungfrauenvereinen“ eingetreten war191. Im sozialen Bereich hatte die NS-Volkswohlfahrt die vorher von den Kirchgemeinden durchgeführte Winterhilfe für Obdachlose und sozial Bedürftige übernommen. So lässt der nüchterne Duktus des Berichts vermuten, dass Hilbert das Scheitern seiner volksmissionarischen Hoffnungen, die ihn in erster Linie veranlasst hatten, frühzeitig die Verbindung mit der völkischen Bewegung und der NSDAP zu suchen, eingesehen hatte. Die im Jahr 1933 begonnene Frontenbildung zwischen Deutschen Christen und Pfarrernotbund in Leipzig sollte sich 1934 noch verschärfen. Nach der Verlesung der gegen den „Maulkorberlass“ des Reichsbischofs gerichteten Kanzelabkündigung des sächsischen Pfarrernotbundes wurde Pfarrer Walther Mitte Februar 1934 unter Herabsetzung auf das halbe Gehalt suspendiert und gegen ihn und seine Amtsbrüder Hilbert und Kühn wegen desselben Verhaltens ein Dienststrafverfahren eingeleitet192, während Landesbischof Coch entgegen einer vorherigen Absprache eine Rede in der Nikolaikirche am 1. Februar zur innerkirchlichen Abrechnung nutzte193. Am 11. April 1934 wurde Hilbert vom Landeskirchenamt mit sofortiger 190 An anderer Stelle heißt es im Bericht zum Thema Hauptgottesdienst: „Die Nachrichten lauten auch hier sehr verschieden. Einige Gemeinden berichten von Zunahme, andere von Abnahme. Da wie dort wird die Anteilnahme der nat.-soz. Kreise erwähnt, anderwärts wird betont, dass die Kirchgänger im Wesentlichen aus dem alten Stamm bestehen.“ 191 Zur Eingliederung in Leipzig vgl. G. WILHELM, Obrigkeit, S. 289–292. 192 Für Walther vgl. Beschluss des Landeskirchenamtes am 19. Februar: „Die Verlesung der Erklärung stellt somit einen Missbrauch des Gottesdienstes zum Zwecke kirchenpolitischer Auseinandersetzungen und einen öffentlichen Angriff auf das Kirchenregiment und dessen Maßnahmen dar“ (BKA LEIPZIG, II. Pfarrstelle Peters). 193 Die Rede ist abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, S. 29 f.
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Wirkung der Führung der Superintendenturgeschäfte enthoben194, was zur Solidarisierung der zur „Mitte“ zu zählenden Pfarrer mit dem Pfarrernotbund führte, die am darauf folgenden Tag eine gemeinsame Protestveranstaltung ausrichteten195. Die Amtsgeschäfte des Superintendenten übernahm kommissarisch Pfarrer Gerhard Ebert von der Johannisgemeinde, Deutscher Christ und NSDAP-Mitglied. Das wichtigste kirchliche Amt in Leipzig war somit in den Händen der Deutschen Christen, jedoch um den Preis einer großen innerkirchlichen Opposition, was die Anlehnung an Partei und Staat in der Auseinandersetzung mit der innerkirchlichen Opposition nahe legte. Es verwundert daher nicht, dass die Landeskirche die von Reichsbischof Müller Mitte April 1934 eingeleiteten Bemühungen zur Befriedung der kirchlichen Lage, die das Aussetzen kirchlicher Disziplinarmaßnahmen aus kirchenpolitischen Gründen vorschrieb, zu torpedieren versuchte196. So erhielt Hilbert seine Stelle als Superintendent nicht zurück, doch das Disziplinarverfahren gegen Pfarrer Walther wurde am 19. April eingestellt197. Am 21. April 1934 trat der neue Superintendent Ebert mit einem Schreiben zum Geburtstag Hitlers an die Öffentlichkeit, das die „unbedingte Einheit unter den Geistlichen und in den Gemeinden“ und den „bedingungslose[n] Gehorsam“ gegenüber dem Reichsbischof einforderte. Unverhohlen drohte Ebert mit Zwangsmaßnahmen und appellierte an die Notbundpfarrer: „Tretet endlich uns zur Seite!“198 Ebert war also zu Beginn keinesfalls gewillt, auf die ihm überwiegend ablehnend gegenüberstehende Pfarrerschaft kompromissbereit zuzugehen, sondern er übernahm die von der Landeskirchenleitung in Dresden ausgeübte „scharfe“ Linie199. Im Frühjahr 1934 gelang es dem Pfarrernotbund in Leipzig, die interessierte kirchliche Öffentlichkeit maßgeblich für sich einzunehmen. Erste Kreise hatten sich um Notbundpfarrer noch Ende 1933 in den Pfarrgemeinden gebildet200. Im Januar trat die Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ mit einer Veranstaltung im Haus des Christlichen Volksdiens194 Walther an die Kirchgemeindevertretungen Leipzigs am 11. April 1934 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99, Bl. 77). 195 G. WALTHER, S. 11. 196 Kirchengesetz zur Befriedung der kirchlichen Lage (GBlDEK 1934, S. 35). Die Landeskirche erklärte in einer Verordnung vom 16. April 1934 das Gesetz erst für bindend, wenn es im eigenen Verordnungsblatt erschienen sei. Wiedereinstellung bedurfte für jeden Pfarrer eines einzelnen Einstellungsbeschlusses. 197 G. WALTHER, S. 11. 198 Aufruf in ADSL, Schrank I, Fach 8, 99. 199 Der enge Schulterschluss mit Dresden wurde auch in einem Schreiben Eberts vom 19. April 1934 an seine Leipziger Amtsbrüder deutlich, in dem er diesen die Teilnahme an einer Veranstaltung mit dem Landesbischof Anfang Mai in Leipzig zur Pflicht machte. (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 200 G. WALTHER, S. 7.
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tes an die Öffentlichkeit201. Prägend für die Leipziger Gemeindebewegung, die mit ca. 1 000 Mitgliedern einen großen Rückhalt hatte, waren vor allem Juristen wie Wilhelm Flor sowie Eberhard Fiedler202, die beide am Reichsgericht tätig waren und später Mitglieder des Reichsbruderrats wurden, sowie der aus der Paul-Gerhardt-Gemeinde stammende Rudolf Geißler, der die eigentliche juristische Betreuung vor Ort leistete. Die Gemeindebewegung war wohl auch sehr akademisch geprägt203. Die organisatorische Leitung hatte Hellmut Schwarze inne, der gleichzeitig auch der Wahrener Ortsgruppe der Gemeindebewegung vorstand und bis 1939 die Rundbriefe des Kreisbruderrates Leipzig herausgab204. Ihre zahlreichen Veranstaltungen im Frühjahr 1934 setzten sich vor allem mit überregionalen Fragen der kirchlichen Konfrontation auseinander. Als am 20. März 1934 der Leiter des Pfarrernotbundes, Martin Niemöller, und Superintendent Hahn vom sächsischen Pfarrernotbund auf Veranstaltungen sprachen, waren laut Überwachungsbericht der Gestapo ca. 1 300 Zuhörer erschienen205. Entgegen der Weisung des Reichsinnenministers, „dass sich die Staatsgewalt in die geistigen Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche nicht einmengen soll“206, verfügte der sächsische Innenminister Fritsch am 17. April 1934 das Verbot sämtlicher Veranstaltungen von Pfarrernotbund und Gemeindebewegung mit dem Hinweis auf die Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und intervenierte damit offensichtlich zugunsten der Landeskirchenleitung207. Die Motive für den Kurswechsel, den Pfarrer Ebert als kommissarischer Superintendent im Mai vollzog, als er entgegen dem Kurs der Landeskirchenleitung mit einem Friedenswort208 an die Öffentlichkeit trat, sind unklar. Möglicherweise veranlasste ihn seine relativ schwache Position innerhalb der Pfarrerschaft, kompromissbereiter zu agieren. Nach Georg Walthers in dieser Hinsicht sicherlich nicht unvoreingenommener Darstellung war es vor allem auf die Initiative von Pfarrer Kühn zurückzuführen, dass beide gemeinsam eine Pfingstbotschaft veröffentlichten209. Der kommissa201 EBD. Ihre Überwachung durch die Gestapo setzte noch im gleichen Monat ein (s. o.). Die Quellenlage bzgl. der Entwicklung der Gemeindebewegung wie des Pfarrernotbundes ist schwierig. In den Leipziger zentralen kirchlichen Archiven ist die Überlieferung schmal. Die Ausführungen stützen sich deshalb auf die herausgegebenen Rundbriefe und die Überwachungsberichte der Gestapo. 202 Zu Eberhard Fiedler vgl. S. HERMEL. 203 So G. WALTHER, S. 8 f. 204 Schwarze war von Beruf Bürovorstand. Zu seiner Person vgl. STAL, PP-V 3441, Bl. 93 f. 205 Gestapo-Überwachungsberichte in STAL, PP-V 3368, Bl. 19 und 22. 206 Runderlass des Reichsinnenministers zur Lage in der Evangelischen Kirche am 16. April 1934 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, S. 113). 207 K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 486. 208 SKBl Nr. 20 vom 18.5.1934 (Beilage). 209 G. WALTHER, S. 11.
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rische Superintendent forderte die DC-Führer Leipzigs auf, sich gegenüber den Notbundpfarrern zurückzuhalten210. Er nahm damit eine Anfang Juni in gleicher Richtung ergangene Aufforderung der Landesleitung der Deutschen Christen an die Kreis- und Ortsgruppenleute vorweg211. Seine Aktion ordnete sich in Ausgleichsbemühungen von Pfarrern, die der „Mitte“ nahe standen, ein212. Für einen Leipziger Sonderweg war jedoch damals die Basis zu schmal, so dass die Initiative Eberts im Ganzen erfolglos verlief213. Auch Gerhard Hilbert lehnte das „Kompromissangebot“ des Landeskirchenamts, das ihm das weitere Amtieren als 1. Pfarrer an der Thomaskirche anbot, unter den gegebenen Bedingungen ab214. In der zweiten Jahreshälfte 1934 versuchte das deutschchristliche Kirchenregiment, die Auseinandersetzung mit der BK endgültig zu seinen Gunsten zu entscheiden. Eingeleitet wurde diese Offensive in Leipzig mit einer Großveranstaltung am 17. Juni 1934 unter dem Titel: „Bekenntnis zu Christentum und Deutschtum“, bei der am Völkerschlachtdenkmal Reichsbischof Müller, Landesbischof Coch, Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler, NSDAP-Kreisleiter Walter Dönicke und von der Leipziger „offiziellen“ Kirche Andreas Fröhlich auftraten215. Die Politik der Landeskirchenleitung konzentrierte sich danach vor allem auf die Lösung der Personalfragen. Mit der Begründung, „dass sich die Parteigenossen von mir zurückziehen, und zwar lediglich deswegen, weil ich nicht durchgreife“, suchte und fand Coch Unterstützung beim „Rechtswalter“ der Reichskirchenregierung, August Jäger, der ihm erlaubte, gegen die Dresdner Pfarrer Hahn und von Kirchbach ein Dienststrafverfahren einzuleiten216. Die Stellung der Notbundpfarrer wurde durch landeskirchliche Verordnungen geschwächt, die die Entziehung der Pfarramtsleitung durch den Superintendenten ermöglichten und Bewerbungen um frei gewordene Pfarrstellen an bestimmte Bedingungen koppelten217. Mit dem „Kirchengesetz über den Diensteid der Geistlichen und Beamten“, das die Reichskirchenleitung am 9. August 1934 erließ, und der Verordnung über die Vereidigung der kirchlichen Beamten, die die Zustimmung zur gegenwärtigen Kirchenleitung mit der Zustimmung zur Regierung verband, versuchte die Kirchenleitung – keineswegs erfolglos –, die Notbundpfarrer 210 SKBl Nr. 20 vom 18.5.1934 (Beilage). 211 D. RÖTHIG, 2. Juni 1934. 212 So H. KLEMM, S. 212. 213 G. WALTHER, S. 11 f. Ob eine für den 5. Juli intendierte Ausgleichsverhandlung zwischen Pfarrernotbund und Deutschen Christen, bei der die Amtsbrüder Knabe (DC) und Zeuschner (Pfarrernotbund) referieren sollten, zustande kam, konnte nicht festgestellt werden. 214 D. RÖTHIG, 26. Mai 1934. Vgl. dazu auch G. WALTHER, S. 11. 215 D. RÖTHIG, 17. Juni 1934 und G. WALTHER, S. 11. 216 Coch an Jäger am 28. Juni 1934 (EZA BERLIN, 1/A4/254). 217 Vgl. KGVBl 1934, S. 91 und Generalverordnung des Landeskirchenamts vom 21.9.1934.
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in die Enge zu treiben, da nicht alle der Bekenntnisgemeinschaft angehörenden Pfarrer bereit waren, den Eid entsprechend bekenntniskirchlicher Weisung abzulehnen218. Pfarrer Kühn, dem das Landeskirchenamt nach seiner Pensionierung im Frühjahr 1934 eine Weiterbeschäftigung im Amt zugestanden hatte, wurden am 6. August 1934 Amtsbefugnis und Gehalt entzogen, weil er in einem Gottesdienst Kritik an den Vorgängen um den Röhm-Putsch öffentlich geäußert und deshalb von einem Zuhörer beim Landeskirchenamt denunziert worden war219. Die sächsische Kirchenleitung ergänzte so die Arbeit von Polizei und Justiz im Nationalsozialismus, die Kühn wegen seiner Äußerungen mehrmals verhörten und Verfahren gegen ihn anstrengten, und schränkte die Tätigkeit regimekritischer Amtsbrüder so weit wie möglich ein. Ähnlich agierte die Landeskirche im nächsten Fall. Die in der Paul-Gerhardt-Gemeinde als Vikarin angestellte Kandidatin der Theologie, Hiltrud Henker, Mitglied des Pfarrernotbundes, wurde im Sommer 1934 mit sofortiger Wirkung beurlaubt, und ihre Unverwendbarkeit im Kirchendienst erklärt, weil sie in einem Jugendkreise beim Erklingen des Horst-WesselLiedes nicht den Arm erhoben hatte220. In diesen beiden Fällen nutzte die Kirchenleitung weltanschaulichen Dissens für innerkirchliche Zwecke aus, indem sie zwei Mitglieder des Pfarrernotbundes entließ. Das Verbot von Veranstaltungen der kirchlichen Opposition am 17. April 1934 konnte deren organisatorischen Aufbau nicht verhindern. Nachdem auf Reichsebene mit der „Ulmer Einung“ als unmittelbarer Reaktion auf die Interventionen der Reichskirchenregierung in Württemberg die Bekennende Kirche entstanden war, verschmolzen auch in Sachsen der Pfarrernotbund und die Gemeindebewegung Evangelische Volkskirche zur „Bekenntnisgemeinschaft der Evangelisch-lutherischen Kirche in Sachsen“221. Die Organisation der Gemeindegruppen war Ende Juli 1934 soweit ausgebaut, dass Hellmut Schwarze als Kreisobmann der Vertrauensleute Ar218 Kirchengesetz über den Diensteid der Geistlichen und Beamten (GBlDEK 1934, S. 122) und Verordnung über die Vereidigung der kirchlichen Beamten vom 17. September 1934 (KGVBl 1934, S. 118). Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 487. 219 Der Bericht des Denunzianten F. S. an das Landeskirchenamt, 6. August 1934 (BARCHDH, ZB I 1109, Bl. 49); zu den von der Landeskirche gegen Kühn ergriffenen Maßnahmen vgl. das Schreiben Kühns an das Ministerium für Volksbildung am 5. September 1934 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/39, Bl. 217 f.). G. WALTHER, S. 13, datiert dies fälschlich auf den 31. August 1934. 220 So der 2. Rundbrief der Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ Sachsens, Ortsgruppe Leipzig vom 1. September 1934 (STAL, PP-V 3368). Vgl. auch G. WALTHER, S. 13, der die Umstände unwesentlich anders schildert. 221 Zur „Ulmer Einung“ vgl. K. SCHOLDER, Kirchen II, S. 111–118. G. WALTHER, S. 9, datiert die Entstehung der Bekenntnisgemeinschaft entgegen J. FISCHER, S. 28 und K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 486, auf den 1. September 1934.
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beitsrichtlinien herausgab und in Leipzig Rundbriefe die Mitglieder über aktuelle Geschehnisse informierten222. Als im September kirchenpolitische Veranstaltungen wieder zugelassen wurden, ging der Leipziger Kreisbruderrat in die Offensive und protestierte in Rundbriefen und Veranstaltungen insbesondere gegen die Personalpolitik Cochs und die Eingliederungspolitik des Reichsbischofs. Die Bekenntnisgemeinschaft folgte dem dahlemitischen Kurs und rief das kirchliche Notrecht aus, was zur Entstehung von Leitungsorganen der Bekenntnisgemeinschaft auf den verschiedenen Ebenen führte. Am 1. November 1934 erging eine verbindliche Anweisung des Landesbruderrates, den Verkehr mit den Kirchenbehörden einzustellen und Kreisbruderräte in den Ephorien zu bilden223. Zwei Tage später erklärte Hilbert die Wiederaufnahme des Ephorenamtes qua Notrecht224. Da aber der kirchliche Verwaltungsapparat wie der Kirchgemeindeverband und das Bezirkskirchenamt hinter dem kommissarischen Superintendenten Ebert stand und auch die kirchliche „Mitte“ mit dem Verweis auf die ordentlich erfolgte Pensionierung Hilberts der Bekenntnisgemeinschaft die Unterstützung versagte, blieb diese Maßnahme weitgehend erfolglos225. Bis zum Jahresende waren beide Seiten bemüht, sich kirchliche Gefolgschaft zu sichern: die Bekenntnisgemeinschaft, indem sie in Veranstaltungen und Rundbriefen um weitere Gefolgschaft warb, und die amtliche Kirchenleitung, indem sie den Sympathisanten der anderen Seite mit administrativen Maßnahmen drohte226. Nach dem Tod Eberts Anfang Dezember übernahm Pfarrer Gerhard Römer von der Immanuelgemeinde das Superintendentenamt kommissarisch227. Die Schärfe der von der Kirchenleitung ergriffenen Maßnahmen führte in Leipzig dazu, dass sich die kirchliche Mittelpartei, die schon einmal Ende 1933/1934 an die Öffentlichkeit getreten war, stärker formierte und die Rücknahme der Disziplinarmaßnahmen der Kirchenleitung forderte. Die Bekenntnisgemeinschaft stand der Entstehung einer weiteren kirchenpolitischen Bewegung skeptisch gegenüber, weil sie darin eine Schwächung
222 G. WALTHER, S. 12. 223 D. RÖTHIG, 1. November 1934. 224 D. RÖTHIG, 3. November 1934. 225 Vgl. G. WALTHER, S. 13. Am 17. Dezember 1934 ermahnten der nunmehrige kommissarische Superintendent Römer und der Leiter des Bezirkskirchenamts die Mitglieder der Kirchgemeindevertretungen, „treu hinter der verfassungsmäßig anerkannten Landeskirche [. . .] [zu] stehen und von einem Besuch einer Veranstaltung der Bekenntnisgemeinschaft abzusehen“ (BKA LEIPZIG, A 97). 226 So rief der Landesbischof am 7. November alle „Gehorsamsverweigerer“ auf, ihre Verweigerung zurückzunehmen (D. RÖTHIG, 7. November 1934), und am 5. Dezember drohte er allen „unbotmäßige[n] Hilfsgeistliche[n], Pfarrvikare[n] und Pastoren“, sie aus dem Dienst zu entlassen (D. RÖTHIG, 5. Dezember 1934). 227 G. WALTHER, S. 15.
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der bekenntnisorientierten Kräfte sah. So war die am 29. September 1934 in Leipzig gemeinsam veranstaltete Aktion zugunsten des in den Ruhestand versetzten Dresdner Superintendenten Hahn nicht als Zeichen der grundsätzlichen Änderung der Politik der Bekenntnisgemeinschaft, sondern vielmehr als Ausdruck der besonderen Verbundenheit mit Hugo Hahn, der von 1927 bis 1930 in Leipzig in der Thomasgemeinde tätig gewesen war, zu werten228. Die Leipziger „Mitte“ forderte Mitte November 1934 gleich zweimal als Voraussetzung für eine weitere Zusammenarbeit mit der Kirchenleitung einschneidende personelle Maßnahmen im Landeskirchenamt und die Rücknahme der Eingliederung der sächsischen Kirche in die Reichskirche229. Auf einer Konferenz der Superintendenten der Landeskirche am 26. November 1934 unterstützte die „Mitte“ die von Hahn an Coch gerichtete Rücktrittsforderung und initiierte mit der Bekenntnisgemeinschaft zusammen eine Umfrage über die Person des Landesbischofs und die Kirchenregierung230. Die hauptsächlich von Leipziger Pfarrern dominierte „Mitte“ positionierte sich als eigenständige kirchenpolitische Kraft, wuchs jedoch nie so eng zusammen wie der Pfarrernotbund und beschränkte sich auf die Geistlichen231. In Abgrenzung von den DC und der BK verzichtete sie auf eine feste Formierung als kirchenpolitische Gruppe und konnte so nach beiden Seiten integrativ wirken. Die organisatorische Basis bildete zum einen der Leipziger Kern, zum anderen fünf sich zu ihr bekennende Superintendenten und in jeder Ephorie ein Vertrauensmann232. Die Zusammenarbeit von „Mitte“ und Bekenntnisgemeinschaft gegen Coch, der keineswegs an einen Rücktritt dachte, ging so weit, dass Anfang 1935 in gemeinsamen Gesprächen sogar die Bildung einer „Vorläufigen Kirchenleitung“ in Sachsen in Betracht gezogen wurde233. Als dies nicht gelang, wechselten einige Pfarrer von der „Mitte“ zur Bekenntnisgemeinschaft234. 228 So J. FISCHER, S. 33, Anm. 221. Zu den Beziehungen zwischen der Führung der Bekenntnisgemeinschaft und der Leipziger Pfarrerschaft vgl. H. KLEMM, S. 287. 229 Vgl. J. FISCHER, S. 33 f., insbesondere Anm. 222, und das Schreiben von 47 Leipziger Pfarrern der Mittelgruppe an Landesbischof Coch am 17. November 1934 (abgedruckt als Dok. 13, EBD., S. 194 f.). Auch die Vertreter der „Mitte“ in Dresden und Chemnitz schlossen sich diesen Forderungen an. 230 Vgl. EBD., Dok. 18, S. 197 f. 231 H. KLEMM, S. 287 f. 232 Herz an Pfarrer Stahn am 27. Januar 1936 (UAL LEIPZIG, NL Herz, Kirchenkampf 1936). 233 G. WALTHER, S. 14 f. 234 EBD., S. 15. Walther nennt die Pfarrer Alexander Beyer (Bethanien), Friedrich Wallmann (Trinitatis) und Johannes Erich Voigt (Markus), daneben den als Gemeinschaftsprediger tätigen Pfarrer Grünert. Der Eintritt von Wallmann und Beyer wird am 15. März 1935 bei einer Veranstaltung der Bekenntnisgemeinde Leipzig-Ost bekannt gegeben (STAL, PP-V 3440, Bl. 207).
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2.6 Stadt und Partei als neutrale „Beobachter“ des Kirchenstreits? Die vom sächsischen Innenministerium erlassenen Verordnungen wie das am 17. April 1934 verfügte Versammlungsverbot, das durch Verordnung des Reichsinnenministers wieder aufgehoben wurde, die Erlasse vom 6. und 7. November 1934, die „alle Veröffentlichungen, die sich mit der evangelischen Kirche befassen“, untersagten235, stellten eine einseitige Stellungnahme für das DC-Kirchenregiment dar. Als die Bekenntnisgemeinschaft im Herbst das kirchliche Notrecht auch in Sachsen ausrief, kam der sächsische Innenminister Fritsch Landesbischof Coch entgegen, als er am 16. November die Behörden aufrief, „dem Ersuchen der offiziellen Kirchenbehörden um Schutz und Beistand doch insoweit zu entsprechen, als solche Maßnahmen nach den allgemeinen polizeilichen Grundsätzen [. . .] geboten erscheinen“236. Selbst Erlasse, die eine Einmischung in den Kirchenstreit untersagten, wirkten sich häufig zugunsten der Kirchenleitung aus, da diese über die stärkeren Machtmittel verfügte. Das Innenministerium konnte sich mit dem Hinweis auf die negativen Außenwirkungen der kirchlichen Auseinandersetzungen gegenüber dem grundsätzlich für die Kirchenfragen zuständigen und der Bekennenden Kirche eher wohlwollend gegenüberstehenden Volksbildungsministerium durchsetzen, wobei es die Staatskanzlei im Allgemeinen hinter sich wusste. Waren die Verbindungen zwischen Kirchenleitung und Landesregierung auch sehr eng, so schloss dies Interessengegensätze nicht aus. Als die Landesregierung im Frühjahr 1934 besonders durch den Ministerpräsidenten von Killinger Versuche zur Beruhigung der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen unternahm, verschärfte die Kirchenleitung gleichwohl die disziplinarischen Maßnahmen gegen Notbundpfarrer237. Dass die Exekutivorgane vor Ort zum Teil über das Ziel hinausschossen, zeigt die Auflösung eines „Friedensgesprächs“ zwischen Pfarrernotbund und Deutschen Christen am 18. Juli 1934 in Leipzig durch die Gestapo238. Der „Bevorzugung“ durch die Staats- und Parteiorgane kamen die Landeskirchenleitung und die DC-Landesleitung entgegen, indem sie die Übernahme nationalsozialistischer Gepflogenheiten auf das Kirchengebiet dekretierten. Nach einer Verordnung vom 5. April 1934 war so der „deutsche Gruß“ bei den Konfirmandenstunden „in Anwendung zu bringen“239. Weiter trug eine Anordnung des Landeskirchenamts den Kirchenamtsratsstel235 SÄCHSHSTA DRESDEN, MdI 9610, Bl. 56 f. 236 Erlass des Sächsischen Ministers des Innern, Fritsch. 16. November 1934 (abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 12, S. 193). 237 Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 486. 238 Vgl. J. FISCHER, S. 31, Anm. 175. 239 KGVBl 1934, S. 47. D. RÖTHIG, 5. April 1934.
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len, den Superintendenturen und den Pfarrämtern auf, den „Völkischen Beobachter“ zu beziehen240. Der Landesorganisationsleiter der Deutschen Christen, Martin Beier, ging sogar so weit, dass er am 30. April 1934 in einem Rundschreiben dazu aufrief, „über jede BK-Veranstaltung an die DC-Leitung und mit entsprechenden Anmerkungen an die zuständige Polizeibehörde zu berichten“241. War mit dem Aufruf zur Denunziation der innerkirchliche Friede endgültig zerstört, so erregte auch die „Anbiederungspolitik“ der Deutschen Christen bei der NSDAP keineswegs nur Wohlgefallen. Die Stadt Leipzig besaß als Patron Mitwirkungsrechte bei der Bestellung von Geistlichen der meisten auf Stadtgebiet liegenden evangelischen Kirchen242. Da nach 1918 die Stadt dieses Recht nicht mehr aktiv wahrnahm, stellte der Patron gewöhnlich auf Vorschlag der Kirche eine Kandidatenliste auf. Der Chef des städtischen Gesundheitsamtes, Hans Beusch, nahm als Leiter der Abteilung für Kirchensachen diese Aufgabe bis zu seinem Ausscheiden im September 1938 wahr243. Als ehemaliger Stadtarzt von Königsberg war er gemeinsam mit dem befreundeten Carl Goerdeler 1930 in die Stadtverwaltung Leipzig gewechselt244. Er hatte 1924 die Tochter des ostpreußischen Generalsuperintendenten Paul Gennrich geheiratet, der noch im Juni 1933 amtsenthoben worden war245. Nachdem einige Kirchgemeinden Beusch gebeten hatten, auf seine Rechte zu verzichten und einen bereits ausgewählten bestimmten Geistlichen allein vorzuschlagen, wandte er sich am 25. Januar 1934 an Superintendent Hilbert und pochte auf Einhaltung der kirchengesetzlichen Bestimmungen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies dahingehend zu verstehen, dass er den deutschchristlich dominierten Kirchenvorständen die Möglichkeit, ihren Kandidaten durchzusetzen, nehmen wollte und zumindest in einem ordentlichen Verfahren die Chancengleichheit der Parteien gewahrt sehen wollte246. Geben die kirchlichen Quellen über Beuschs Tätigkeit auch wenig 240 KGVBl 1934, S. 73. 241 D. RÖTHIG, 30. April 1934. In den Kreisen der Bekennenden Kirche erregte besonders Aufsehen, dass selbst Landesbischof Coch vor Denunziationen nicht zurückschreckte und den Frauensteiner Pfarrer Walter Adam bei der sächsischen Regierung des „glatten Hochverrats“ bezichtigt hatte (vgl. H. HAHN, S. 80). 242 Das Patronat ist ein aus dem kanonischen Recht überkommenes Rechtsinstitut, das dem weltlichen Stifter einer Kirche gewisse Rechte, insbesondere bei der Bestellung eines Geistlichen, zubilligte. Vgl. dazu P. LANDAU mit weiterführender Literatur. 243 Zu Beusch vgl. J. PAULUS, Wohlfahrtspolitik; S. 116 f.; STA L LEIPZIG, Kap. 10, 1072 (Beuschs Personalakte). In den Akten der Abteilung für Kirchensachen im Stadtarchiv Leipzig (STA L LEIPZIG, Kap. 41 f.) finden sich hauptsächlich Zeitungsausschnitte. 244 Vgl. dazu I. REICH, Goerdeler, S. 204. Zu Goerdelers Tätigkeit als Leipziger Oberbürgermeister vgl. auch M. KRÜGER-CHARLE; M. MATTHIESEN und H.-U. THAMER, Goerdeler. 245 STA L LEIPZIG, Kap. 10, 1072; zur Entlassung Gennrichs vgl. H. LINCK, S. 31 f. 246 Beusch an Hilbert am 25. Januar 1934 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/1). Hilbert
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Auskunft, so weist doch eine Bemerkung des Rektors des Diakonissenhauses, Georg Hammitzsch, aus dem Jahr 1946 darauf hin, dass er keinesfalls zu den kirchenfeindlichen Kräfte zu zählen war. In seinem – leider zu kurz ausgefallenen – Bericht über gegen ihn ergriffene Maßnahmen im Nationalsozialismus schilderte er, dass er „nur [durch] das Eingreifen des ehemaligen Stadtrates Dr. med. Beusch [. . .] vor dem KZ gerettet“ worden sei, als ihn die Gestapo schon als „verkappten Kommunisten“ und „schwarzen Theologen“ angegriffen habe247. Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler mischte sich nur selten in kirchliche Auseinandersetzungen ein, war er von Amts wegen doch grundsätzlich auf Überparteilichkeit festgelegt. Seine Frau wurde von der Bekenntnisgemeinschaft mit Literatur versorgt. Er selbst nahm am 20. März 1934 an einer Veranstaltung der Gemeindebewegung teil, auf der Niemöller und Hahn sprachen248. Angesichts der polarisierenden Position des Pfarrernotbundvorsitzenden konnte dieses Auftreten sicherlich als Unterstützung des Pfarrernotbundes gewertet werden. Als der kommissarische Superintendent Ebert im April 1934 auf den Pfarrernotbund zuging, ermunterte Goerdeler ihn zu diesem Schritt249. Andere nach 1933 als prononcierte Nationalsozialisten neu in der Stadtverwaltung aufgestiegene Kräfte wie der Leipziger Bürgermeister Rudolf Haake250 und der Stadtschulrat Bennewitz waren stärker an einer polizeilichen Lösung des Kirchenstreites interessiert und setzten sich bei der Gestapo im November 1934 dafür ein, die Verteilung von Schriften der Bekenntnisgemeinschaft zu unterbinden251. Zu ihrem Bedauern mussten sie hören, dass der Gestapo dazu die rechtliche Handhabe fehlte252. Wenn auch die Quellenlage zu Stadtverwaltung und Parteistellen sehr schmal ist253, so ist doch aus den wenigen Dokumenten
ermahnte die Kirchenvorstände mit Schreiben vom 29. Januar 1934, „im Sinne der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung“ dem Wunsch Beuschs zu entsprechen (EBD.). 247 Möglicherweise ging die Verfolgung durch die Leipziger Gestapo auf Hammitzschs Tätigkeit in Mecklenburg zurück, wo ihn, nach seinen eigenen Angaben, die Landesregierung in einem Steckbrief zum Staatsfeind erklärt haben soll (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6). 248 Vgl. Gestapo-Überwachungsbericht vom 21. März 1934 (STAL, PP-V 3368, Bl. 22) und H. HAHN, S. 66. 249 Ebert an Goerdeler am 24. April 1934 (ADSL, Schrank I, Fach 10, 113). H. SCHUMANN, S. 94, bezeichnete ihn in der Rückschau als „prachtvolle[n], unvergessene[n] und unvergessliche[n] Dr. Goerdeler“. 250 Vgl. J. PAULUS, S. 51 f. 251 Bericht des Polizeipräsidiums Abt. IV am 9. November 1934 (STAL, PP-V 3440, Bl. 53). 252 EBD. 253 Zur Politik der örtlichen NSDAP-Führung lassen sich nur wenige Aussagen machen, da bis auf einzelne Akten im Stadtarchiv und in der Außenstelle des Bundesarchivs in Dahlwitz-Hoppegarten keine örtliche NSDAP-Überlieferung vorhanden ist. Wie aus Berichten des städtischen Nachrichtenamtes und Polizeistellen in der Nachkriegszeit deutlich wird, waren Akten von NSDAP-Ortsgruppen damals noch vorhanden.
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ersichtlich, dass die zur „alten“ Elite zählende Verwaltungsspitze teilweise der Bekennenden Kirche positiv gegenüberstand und gewillt war, die Auswüchse des Kirchenkampfes auf der lokalen Ebene einzudämmen, während neue Kräfte in der Regel wenig Interesse an den innerkirchlichen Auseinandersetzungen zeigten und stärker polizeiliche Maßnahmen favorisierten. Der Einfluss der NSDAP auf die Besetzung von Pfarrstellen in Leipzig lässt sich nur an wenigen Stellen deutlich machen. Innerhalb der NSDAP wurde nach 1933 das völkische, achristliche Religionsverständnis Alfred Rosenbergs verbindlich, der im Januar 1934 mit der „Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung“ beauftragt worden war254. Im Januar 1934 untersagte die Reichsleitung den politischen Leitern und Gliederungen den Kontakt zur Kirche, um das Eindringen des evangelischen Kirchenstreits in die Partei zu verhindern255. Evangelische Pfarrer, so die in Parteikreisen sich immer stärker durchsetzende Auffassung, hatten sich vor und während der Machtübernahme als nützliche Wegbereiter erwiesen, doch wollte man spätestens seit dem Aufkommen des Richtungsstreites in der evangelischen Kirche nichts mehr mit ihnen zu tun haben256. Es gab also keine parteioffizielle Verbindung zu den nationalsozialistischen Pfarrern257. Trotzdem waren Eingriffe von Ortsgruppen, auch in Leipzig, keine Seltenheit. Um diese zu unterbinden, schärfte die Gaugeschäftsführung der NSDAP im April 1934 den Kreisund Ortsgruppen das Verbot vom Januar noch einmal ein258. Aber selbst die NSDAP-Kreisleitung Leipzig hielt sich nicht an diese Vorgabe. So setzte sich der Kreisorganisationsleiter der NSDAP, Höhne, im August 1934 bei der Berliner Kirchenkanzlei dafür ein, Pfarrer Ebert mit der Stelle des Superintendenten zu betrauen259. Es scheint jedoch, dass eine zentrale Koordination dieser Maßnahmen auf Gauebene nicht stattgefunden hat, sondern dass lokale Dienststellen eigenständige Initiativen entwickelt haben. Eine große Zahl von Leipziger Pfarrern berichtete nach Kriegsende von Vorladungen oder Verwarnungen 254 W. DIERKER, S. 143. 255 Anordnung des Stellvertreters des Führers, 12. Januar 1934 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, Dok. 4/34, S. 10 f.). 256 M. GAILUS, Protestantismus, S. 489. 257 Auf zentraler Ebene wurde im Februar 1934 die wenig einflussreiche „Abteilung für den kulturellen Frieden“ zur Koordinierung der kirchenpolitischen Fragen eingerichtet, die nach der Bildung des Reichskirchenministeriums 1935 wieder aufgelöst wurde (vgl. W. DIERKER, S. 166). 258 Mitgeteilt in der Generalverordnung Nr. 70 des Landeskirchenamts am 20. April 1934 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 102). 259 Höhnes Originalschreiben vom 20. August 1934 ist nicht mehr vorhanden, lediglich das Anschreiben der Kirchenkanzlei an das Landeskirchenamt vom 31. August 1934 mit dem Betreff: „Bitte um Besetzung der Propstei zu Leipzig mit Herrn Pfarrer Ebert, Leipzig, St. Johannis“ (EZA BERLIN, 1/C 2/37). Ebert verstarb noch im Herbst 1934.
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durch NSDAP-Ortsgruppen, die der lokalen Initiative entsprungen waren und die Pfarrer einschüchtern sollten260. Selbstverständlich gab es auf der unteren Ebene auch zwischen DC-Pfarrern und NSDAP-Ortsgruppen Verbindungen, die zum gegenseitigen Vorteil genutzt wurden261. Die nach den Wahlen vom Juli 1933 in die Kirchenvorstände gelangten Nationalsozialisten halfen entscheidend mit, die kirchlichen Karrieren von Deutschen Christen und Parteimitgliedern zu befördern. Die hohe Zahl von Parteimitgliedern unter den Pfarramtsleitern in Leipzig ist dafür ein beredtes Beispiel. Die Unruhe in der Bevölkerung, die im Frühjahr 1934 durch die Veranstaltungsreihe der Gemeindebewegung hervorgerufen worden war, veranlasste den Leipziger NSDAP-Kreisleiter Walter Dönicke z. B., sich bei der Gestapo für ein Verbot dieser Veranstaltungen einzusetzen262. In Leipzig-Mockau protestierte 1934 der stellvertretende NSDAP-Ortsgruppenleiter gegen die Übertragung der Pfarramtsleitung an Pfarrer Reinhard Reinecker, obwohl dieser selbst seit Mai 1933 Parteimitglied war, ein halbes Jahr den Deutschen Christen angehört hatte und seit 1927 an der dortigen Stephanusgemeinde die 2. Pfarrstelle innehatte. Die Pfarramtsleitung erhielt schließlich der aus Dresden kommende Pfarrer Christian Klee, der daraufhin auch das Amt des Bezirksobmanns Nord der Deutschen Christen in Leipzig übernahm263. Laut einem Bericht von Pfarrer Kurt Reichhardt, der in der Erlösergemeinde in Thonberg tätig war, soll eine von Leipziger Deutschen Christen initiierte Debatte um Renovierungsarbeiten im Pfarrhaus so hohe Wellen geschlagen haben, dass selbst Gauleiter Mutschmann beim Landeskirchenamt intervenierte264. Insgesamt fällt auf, dass es den deutschchristlichen Pfarrern 1934 bei zurückgehendem Einfluss innerhalb der Pfarrerschaft gelungen ist, mehrere wichtige Pfarramtsstellen zu erhalten. Der im April eingesetzte kommissarische Superintendent Gerhard Ebert war Deutscher Christ und Parteimitglied. Georg Faber, ebenfalls Parteimitglied und Deutscher Christ, erhielt die 1. Pfarrstelle in der Luthergemeinde, Pfarrer Christian Klee (DC) wurde Pfarramtsleiter in der Stephanusgemeinde und Georg Neefe (Pg./DC) wurde, nachdem er erst zum 3. Pfarrer gewählt worden war, im selben Jahr noch die 1. Stelle in der Heilandgemeinde übertragen. An Heilig-Geist erhielt Pfarrer Trenkler mit dem Hinweis auf seine Parteimitgliedschaft eine Pfarrstelle, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon aus der Partei 260 261 262 263 vom 264
Berichte in ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6. M. GAILUS, Protestantismus, S. 490. Dönicke an Polizeipräsidium am 8. März 1934 (STAL, PP-V 3368, Bl. 8). Ersichtlich aus dem Urteil der Disziplinarkammer der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens 23. Juli 1941, Bl. 10 (BARCH BERLIN, R 5101/24231). ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6.
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ausgeschlossen worden war265. Diese Berufungspraxis macht deutlich, welche Auswirkungen die Kirchenwahlen vom Juli 1933, die eine deutschchristliche Mehrheit festschrieben, auch dann noch entfalteten, als die Deutschen Christen insgesamt an Einfluss verloren hatten. Zusammenfassend lässt sich Folgendes feststellen: Nach dem Tod von Landesbischof Ihmels gelangte das deutschchristliche Landeskirchenregiment an die Macht, weil es die Intervention der sächsischen Landesregierung zu seinen Gunsten herbeiführen konnte. Dieses Verhalten sächsischer Stellen entsprach dem von Hitler intendierten Gleichschaltungsprogramm. Cochs Usurpation der Macht wurde durch die Kirchenwahlen vom Juli 1933 nachträglich bestätigt, als die Deutschen Christen aufgrund der Wahl in Einheitslisten sowohl die Landessynode als auch die Kirchenvorstände dominieren konnten. Coch kam dabei zugute, dass sich die innerkirchliche Opposition noch nicht formiert hatte und die evangelische Bevölkerung in ihrer Mehrheit das nationalsozialistische Gleichschaltungsprogramm bereitwillig auf die Kirche übertrug. Mit rigorosen Mitteln setzte Coch dieses Programm fort und konnte dabei auf die Unterstützung durch Gauleiter Mutschmann und das sächsische Innenministerium bauen, die trotz des von Hitler eingeschlagenen Neutralitätskurses polizeiliche und administrative Mittel einsetzten, um die innerkirchliche Opposition der Bekennenden Kirche zu behindern. Gleichzeitig ahndete die Kirchenleitung regimekritisches Verhalten von Pfarrern und Angestellten mit den ihr möglichen Mitteln. In Leipzig blieben die von Superintendent Hilbert im Frühjahr 1933 geäußerten Appelle zur Beruhigung der kirchlichen Lage ohne großen Erfolg. Ab Ende 1933 hatten sich die schon vor der „Machtergreifung“ spürbaren Spannungen in der Pfarrerschaft so verschärft, dass die Zusammenarbeit der Pfarrer in der Ephoralkonferenz eingestellt werden musste. In der nationalen Euphorie, die eine kurzzeitige Intensivierung des kirchlichen Lebens zur Folge hatte, ließen sich einige Pfarrer dazu hinreißen, die Kanzel zum politischen Schlagabtausch zu benutzen. 1933/34 konnten Pfarrer aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP und/oder bei den Deutschen Christen Pfarramtsleiterstellen erlangen, die ihnen trotz massiver Mitgliedereinbrüche im Jahr 1934 auf Dauer eine mächtige, wenn auch keineswegs dominierende Stellung in der Leipziger Pfarrerschaft verliehen. Im Gegensatz dazu war die Position des Pfarrernotbunds in Leipzig relativ schwach. So verfügte er über keine Pfarramtsleiterstelle. Als dominierende Kraft sollte sich ab 1934 die „Mitte“ erweisen. Die Rolle der städtischen Verwaltung im Kirchenstreit der Jahre 1933/34 lässt sich archivalisch schwer fassen. Die vorhandenen Quellen lassen da265 Ortskirchenausschuss von Heilig-Kreuz an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 7. September 1942 (BARCH BERLIN, R 5101/24000).
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rauf schließen, dass die Verwaltung unter Oberbürgermeister Goerdeler um die Einhaltung der rechtlichen Ordnung bemüht war und dabei strukturell die Position des Pfarrernotbundes stärkte. Demgegenüber lässt sich zeigen, dass der der Partei verordnete Neutralitätskurs nicht durchgehalten wurde. Vielmehr konnten sogar Interventionen der NSDAP-Kreisleitung bei der Besetzung des Superintendentenamtes in Leipzig nachgewiesen werden.
Die Bekennende Kirche im Zangengriff 1933–1935
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3. Die Bekennende Kirche im Zangengriff von DC-Kirchenregiment, Polizei und Staat 1933–1935 Zur Kirchenpolitik gehörte im NS-Staat neben dem offiziellen und öffentlichen Verhandlungsstrang, neben den offenen Interventionen von Regierung und Parteistellen, auch der „inoffizielle“ Strang, die „Bearbeitung“ der Kirchen auf dem „geheimdienstlichen“ Weg1. Die evangelische Kirche geriet ins Blickfeld, weil der „Kirchenstreit“ mit der Gründung des Pfarrernotbundes eine breitere Öffentlichkeit erreicht hatte. Im Folgenden wird die Überwachung und Behinderung der Bekennenden Kirche in Leipzig im Jahr 1934 dargestellt und am Beispiel der Inhaftierung von vier Leipziger Geistlichen im Frühjahr 1935 das Zusammenspiel von sächsischer Regierung, Gestapo und DC-Kirchenregiment gegen die BK aufgezeigt.
3.1 Das Polizeipräsidium Leipzig und die evangelische Kirche 1934 In Sachsen gab es mit dem am 5. Juli 1933 errichteten Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) in Dresden2, das dem Innenministerium unterstand, und dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) zwei – schlecht miteinander, zuweilen gegeneinander agierende – Einrichtungen, die sich mit dem „Kirchenstreit“ befassten. Die Gestapoforschung hat in den letzten Jahren einen massiven Aufschwung erlebt, nicht zuletzt aufgrund von Akten, die erst nach der Wende zugänglich wurden. Der Mythos von der „allwissenden und allgegenwärtigen“ Gestapo ist mittlerweile in Frage gestellt worden. Dabei ist zum einen auf die gerade im Vergleich zum Ministerium für Staatssicherheit in der DDR auffallend geringe personelle und materielle Ausstattung der Staatspolizeistellen und die mangelnde Kompetenz ihrer Mitarbeiter hingewiesen worden3. Zum anderen wurde die Bedeutung der massenhaften Denunziation hervorgehoben, die den Gestapo-Terror erst ermöglicht und zu einer „sich selbst überwachenden Gesellschaft geführt habe“4. Die „Demokratisierung des Terrors“ sei so weit gegangen, dass die Gestapo nicht so sehr als die bestimmende repressive, sondern vielmehr nur als exekutive Instanz angesehen werden sollte5. Dabei dürfe das Ausmaß der Spitzeltätigkeit nicht nur als Zustimmung zum Nationalsozialismus interpretiert 1 K.-M. MALLMANN, Konfrontation; W. DIERKER, der die Politik des SD am Beispiel der Kirchen untersucht. 2 Zur Gründung vgl. C. SCHREIBER, S. 81. Vgl. dazu auch J.-U. LAHRTZ. 3 Zur Größe der Gestapo vgl. G. C. BROWDER, Hitler’s Enforcers, S. 34–38. 4 R. GELLATELY, Gestapo-Mythos, S. 67. 5 Einen hervorragenden Überblick über den Diskussionsstand bietet W. DIERKER, S. 250.
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werden, sondern müsse auch als spezifische Form der Austragung sozialer Konflikte, vor allem von Angehörigen der unteren Gesellschaftsschichten, angesehen werden6. In Leipzig wurde die Politische Abteilung, die Abteilung IV des Polizeipräsidiums, im August 1933 zu einer Behörde der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), blieb jedoch, im Gegensatz etwa zur Situation in Preußen, Teil der regulären Polizei7. Diese Abteilung, die aus bescheidenen Anfängen 1933 mit ca. 15 Mitarbeitern auf über 110 (1937)8 anwuchs, war auch für die Überwachung der Kirchen zuständig, dabei aber operativ von der Zuarbeit der Schutzpolizei stark abhängig9. Das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) in Dresden gab die Arbeitsschwerpunkte vor und erhielt durch rege Berichtstätigkeit über die relevanten Ereignisse in Leipzig Bescheid. Die Überwachung der Kirchen durch die Abteilung IV zielte im Wesentlichen auf zwei Bereiche. Zum Ersten handelte es sich um die Frage, ob die kirchliche Opposition innerhalb der Pfarrerschaft nicht auch eine weltanschauliche, d. h. gegen den Nationalsozialismus gerichtete war, und zum Zweiten, ob nicht auch andere dem Nationalsozialismus distanziert gegenüberstehende Kräfte in Kirchenkreisen nach Unterstützung suchten. Die vom Pfarrernotbund mit großer Intensität betriebenen Bemühungen, nationalsozialistische Elemente aus der Verkündung der Kirche herauszuhalten, musste den Verdacht politischer Opposition erregen, besonders, da es das zentrale Argument deutschchristlicher Agitation gegen die BK darstellte10. Indem das Polizeipräsidium überwachte, weiter meldete und intervenierte, wurde es aber auch unweigerlich Akteur im Kirchenstreit. Mit Fritsch stand an der Spitze des verantwortlichen Innenministeriums ein 6 K.-M. MALLMANN/G. PAUL, Herrschaft und Alltag, S. 214–245. 7 C. SCHREIBER, S. 82 f. Zur Gestapo in Leipzig vgl. auch H. D. SCHMID, Gestapo Leipzig; wenig hilfreich allerdings A. DIAMANT. 8 Zahl der Mitarbeiter 1933 nach H. D. SCHMID, S. 17 f. 9 Aus der Arbeit dieser Abteilung stammen die in diesem Kapitel verwendeten Überwachungsakten, die sich im Bestand Polizeipräsidium-Vereine (PP-V) des Staatsarchivs Leipzig befinden und bis 1936 reichen. Zur Quellenlage über die Gestapo Leipzig vgl. C. SCHREIBER, S. 18–23. 10 Diese Ansicht war die in der Gestapo dominierende. Vgl. das Schreiben des Leiters des Geheimen Staatspolizeiamtes, Rudolf Diels, an den Reichsinnenminister vom 3. März 1934: „Diese Elemente [Mitglieder des Pfarrernotbundes, G. W.] haben sich nunmehr in ihrer Abneigung gegen die Übertragung nationalsozialistischer Ideen auf den Bereich der Kirche [. . .] namentlich in der Bekämpfung des nationalsozialistischen Führerprinzips, der Rassenlehre und anderer Programmpunkte der NSDAP zusammengefunden. Sie betonen geflissentlich, dass sie die eifrigsten Anhänger des Führers seien, geben jedoch leider allzu deutlich zu erkennen, dass sie unter dem Vorwand, die dogmatische Grundlage der evangelischen Kirche gegen vermeintliche Übergriffe der evangelischen Reichskirchenregierung und der Deutschen Christen verteidigen zu müssen, in Wirklichkeit gleichzeitig auch den nationalsozialistischen Staat und die Bewegung als solche innerlich ablehnen und bekämpfen“ (zitiert nach: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, Dok. 20/34, S. 71).
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Mann, der der Position des deutschchristlichen Kirchenregiments nahe stand. Mitte Januar 1934 ordnete er an, „Ermittlungen über politische (nicht kirchenpolitische) Gesinnung und Betätigung des Pfarrernotbundes durchzuführen“11. Die Abteilung IV wandte sich darauf in einem ersten Schritt an den Kirchenfachberater der NSDAP-Kreisleitung, Pfarrer Faber, der als wichtigste Exponenten des Pfarrernotbundes neben dem Superintendenten Hilbert die Pfarrer Kühn, Lewek, Walther und Johannes Gensichen benannte12. Er charakterisierte diese „als Seelsorger, die angeblich glaubten, das Bekenntnis vor Übergriffen schützen zu müssen, die weiter die heutige Staatsform offiziell bejahen, inoffiziell aber als hemmend ansehen“13. Bis zum 9. Februar 1934 hatte die Abteilung IV eine recht detaillierte Aufstellung der Leipziger Notbundpfarrer erstellt, die zu 17 Pfarrern Informationen über kirchenpolitische Haltung, Parteizugehörigkeit vor 1933 und die Einstellung zum Nationalsozialismus enthielt14, jedoch vier Notbundpfarrer übersah15. In der Gesamtheit der Berichte fallen diejenigen über Superintendent Hilbert und Pfarrer Kühn aufgrund ihrer politischen Charakterisierung besonders auf. Superintendent Hilbert wird als „in politischer Beziehung“ „wenig charakterfest“ bezeichnet. So solle er der Deutschvölkischen Partei16 angehört haben und noch im Frühsommer 1933 in der DNVP kirchenpolitisch tätig gewesen sein. Nach kurzzeitiger Mitgliedschaft bei den Deutschen Christen habe er sich dem Pfarrernotbund angeschlossen. Pfarrer Kühn wurde „als besonders scharfer Verfechter des Pfarrer-Notbundes“ verdächtigt, „die Gedanken des Notbundes in weitere Kreise zu tragen“17. Schenkt man den Worten des Berichts Glauben, so sollen die Amtskollegen, bei denen die Informationen „vertraulich“ erhoben worden waren, die politische Unzuverlässigkeit ihrer Amtsbrüder herausgestellt haben: 11 Fritsch an die Polizeibehörden, 19. Januar 1934 (STAL, PP-V 4870, Bl. 1). 12 Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV, 27. Januar 1934 (STAL, PP-V 4870, Bl. 2). 13 EBD. 14 Heinitz, Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV, 9. Februar 1934 (STAL, PP-V 4870, Bl. 3–5). 15 G. Walther nennt außerdem die Amtsbrüder Birmele, Böhme, Meder und den emeritierten Pfarrer Fiebig. Unter den Mitgliedern des Pfarrernotbundes wird in der Aufstellung der Abteilung IV auch Pfarrer H. Schumann von der Thomaskirche erwähnt. Es handelt sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Fehler, denn die – auch nur zeitweilige – Zugehörigkeit dieses späteren Exponenten der kirchlichen „Mitte“ wäre von Walther sicher erwähnt worden. 16 Zur Deutschvölkischen Partei, die 1914 aus dem Zusammenschluss der Deutschsozialen Partei mit der Deutschen Reformpartei entstanden ist und bis 1918 bestanden hat, vgl. (allerdings aus marxistischer Sicht) D. FRICKE. 17 Heinitz, Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV, 9. Februar 1934 (STAL, PP-V 4870, Bl. 3 f.). Im Sommer 1933 waren Ermittlungen gegen Kühn u. a. wegen der Beleidigung der Reichsregierung und des Verfassens eines Flugblattes mit hetzerischem Inhalt eingeleitet, aber dann doch eingestellt worden.
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„Insonderheit wurde erwähnt, dass die Angehörigen des Notbundes sich in der Hauptsache aus ehemaligen Mitgliedern der Deutschnationalen-, der Volkspartei und des Christlichsozialen Volksdienstes, also alles Leute, die bis zur nationalen Erhebung gegen die Hitler-Bewegung eingestellt gewesen wären, zusammengefunden hätten“18.
Das Gestapa Dresden forderte seine Dienststelle in Leipzig auf, gegen Kühn und die Pfarrer Walther, Steiner, Leistner und Gensichen zu ermitteln, „die jedoch nur ein Teil sein sollen von denjenigen, die die Kirche dazu benutzen, um gegen die NSDAP und die Regierung Angriffe führen zu können“19. Daraufhin bestellte das Polizeipräsidium die Pfarrer Friedrich Israel20 und Faber ein. Israel, der sich in gewisser Weise geschmeichelt fühlte21, nahm alle Pfarrer, nach deren Verhalten er gefragt worden war, vor dem Vorwurf staatsfeindlicher Arbeit in Schutz. Hinsichtlich Leweks und insbesondere Kühns – Amtskollegen an der Nikolaikirche – waren seine Aussagen aber widersprüchlich. Einerseits betonte er das rein kirchliche Anliegen beider Pfarrer – den Kampf gegen den Landesbischof und das Landeskirchenregiment –, andererseits stellte er die politische Unzuverlässigkeit Kühns besonders heraus. Charakteristisch ist folgende Passage des Protokolls: „Dass Dr. Kühn in seiner Totenfestpredigt den Satz: Wir fürchten nichts in der Welt, auch nicht die Konzentrationslager, gebraucht hat, ist mir nicht bekannt [. . .]. Ähnliche Redensarten gebraucht er aber öfters. Z. B. habe ich selbst gehört, dass er sich dahin geäußert hat: ‚Ich kann nicht gegen die Wahrheit, ich kann nur für die Wahrheit, und wenn ich ins Konzentrationslager gehen müßte‘“22.
Pfarrer Faber ergänzte die Aussagen Israels durch Material, das er als Kreisfachberater der NSDAP gesammelt hatte, insbesondere Beschwerden nationalsozialistischer Kirchgemeindeglieder sowie von NSDAP-Ortsgruppen23. Er formulierte seine politische Einschätzung Kühns diplomatischer, dahingehend, „dass Herr Pfarrer Dr. Kühn in politischer Hinsicht den Anschluss an das neue Deutschland noch nicht gefunden hat“, ein Befund,
18 EBD., Bl. 5. 19 Gestapa Dresden Z.U. B. an Polizeipräsidium Leipzig, 24. Februar 1934 (STAL, PP-V 4870, Bl. 8 f.). 20 Israel nannte sich im April 1935 in Ostarhild um. 21 Im Protokoll ist Folgendes zu lesen: „Ich möchte mich dahin äußern, dass andere Personen als ich kaum eingehendere Angaben über die mit dem Pfarrernotbund und dem Kirchenstreit zusammenhängenden Fragen, soweit sie insbesondere die oben genannten Pfarrer betreffen, geben können.“ Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV, 3. März 1934 (STAL, PP-V 4870, Bl. 9 f., hier Bl. 10). 22 EBD., Bl. 9. 23 Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV, 27. März 1934 (STAL, PP-V 4870, Bl. 12).
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der seiner Meinung nach allerdings auch auf die Pfarrer Herz und Leistner zutraf24. Beide Pfarrer machten also deutlich, dass auch sie unterschiedliche politische Positionen als eine Grundlage des Kirchenstreits betrachteten, und zeigten keine geringe Bereitschaft, der Polizei belastendes Material zu liefern. Stärker noch als der Pfarrernotbund suchte die Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ in Leipzig die kirchliche Öffentlichkeit. Der Beginn der systematischen Überwachung ihrer Veranstaltungen durch die Polizei fiel in die gleiche Zeit wie die Beobachtung des Pfarrernotbundes und setzte unmittelbar mit ihrem Ausgreifen auf eine breitere kirchliche Öffentlichkeit ein. Ein besonderer Befehl des Gestapa Dresden liegt aber nicht vor. Da öffentliche Versammlungen mit Themen zu kirchenpolitischen Entwicklungen verboten waren25, organisierte die Gemeindebewegung diese als Mitgliederversammlungen und verteilte an ihre Mitglieder Eintrittskarten, die diese auch an kirchlich Interessierte weitergeben konnten. Das hatte zumindest den Vorteil, die Besucher der Veranstaltung kontrollieren zu können. Gleichwohl rechnete man damit, dass sich auch ungebetene Gäste einfinden würden. Zur unauffälligen Überwachung besorgte sich die Polizei Eintrittskarten von den Deutschen Christen, die diese wiederum „konspirativ“ erlangt hatten26. Die Veranstaltungen der Gemeindebewegung, sei es auf der Ebene der Stadt oder der einzelnen Gemeinde27, behandelten vor allem allgemeine Fragen der kirchenpolitischen Entwicklung und waren auf ein breiteres Publikum angelegt. Trotzdem verstanden die überwachenden Polizisten, die nur geringe Kenntnisse der kirchlichen Verhältnisse in Sachsen mitbrachten, bisweilen nicht, was sich in den Veranstaltungen abspielte28. Ihr Augenmerk richtete sich vor allem darauf, politische Tendenzen herauszuarbeiten, die eine Handhabe zum Eingreifen lieferten. Sie suchten nach Abzeichen von NSDAP-Organisationen und achteten darauf, ob der Arm zum Gruß erhoben wurde oder nicht. Besonders in der Anfangszeit der Überwachung fallen solche Beurtei24 EBD. 25 G. WALTHER, S. 7. 26 So übersandte der kommissarische Superintendent Ebert am 19. Oktober 1934 an den stellv. Leiter der Abt. IV, Hartmann, eine Eintrittskarte zu einer Veranstaltung der Bekenntnisgemeinschaft (STAL, PP-V 3440, Bl. 12). 27 In den Akten des Polizeipräsidiums lassen sich Gruppen der Gemeindebewegung in den Pfarrgemeinden Peters, Versöhnung, Frieden, Christus (Wahren) und Auferstehung (Möckern) feststellen. 28 Der Hauptwachtmeister Abicht, der am 11. November 1934 einen Gottesdienst von Gerhard Hilbert überwachte, verstand nicht, dass Hilbert bei dieser Gelegenheit die Gemeinde um Unterstützung bat, weil er kraft kirchlichen Notrechts das Leipziger Superintendentenamt übernommen hatte (STAL, PP-V 3440, Bl. 38–41).
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lungen auf. Der Bericht über eine Veranstaltung in Leipzig Ende Februar 1934, in der Superintendent Hahn über seine Beurlaubung berichtete, meldete: „Die ganzen Reden waren von Anfang bis Ende mit politischer Tendenz durchzogen, hieraus ging hervor, dass die Charakterisierung der Reden keinesfalls mit den Interessen der nationalsozialistischen Ziele in Einklang zu bringen sind [sic]. Eine ausreichende Handhabe zum polizeilichen Einschreiten wäre voll und ganz gegeben. [. . .] Es wäre angebracht, künftighin derartige Veranstaltungen zum Schutze des Staates nicht mehr stattfinden zu lassen, da die Redner die Anwesenden indirekt zum Ungehorsam auffordern“29.
Besorgniserregend war aus Sicht der Polizei vor allem, dass mit den Veranstaltungen Unruhe in die Öffentlichkeit getragen werden konnte. Die rigide Kirchenpolitik Cochs im Frühjahr 1934 einerseits und das aktive Agieren der Leipziger Gemeindebewegung andererseits bewirkten, dass die Besucherzahlen von 100 im Januar 1934 auf über 1.500 im März anstiegen. Zu Veranstaltungen mit dem prominenten Pfarrer Martin Niemöller erschienen im Herbst 1934 über 3.000 Personen. Ende März 1934 ordnete das Geheime Staatspolizeiamt angesichts sich häufender Veranstaltungen der Gemeindebewegung an, „solche Veranstaltungen [. . .] rechtzeitig, gegebenenfalls fernmündlich, zu melden und ausnahmslos zu überwachen“30. Mitte April 1934 griff das sächsische Innenministerium einseitig in den „Kirchenstreit“ ein, indem es zuerst Versammlungen des Pfarrernotbundes und schließlich auch der Gemeindebewegung, seien es öffentliche oder nichtöffentliche, verbot31. Erst durch das Verbot „ausnahmslos alle[r] den evangelischen Kirchenstreit betreffenden Auseinandersetzungen“ durch den Reichsinnenminister, das auch ausdrücklich Deutsche Christen in Sachsen betraf, war die Parität zwischen Deutschen Christen und kirchlicher Opposition wiederhergestellt32. Ein Runderlass des Reichsinnenministers vom 17. August 1934 lockerte das Verbot dahingehend, dass „nur alle unsachlichen, polemischen, den evangelischen Kirchenstreit betreffenden Auseinandersetzungen“ untersagt wurden33. Mit diesem Runderlass war auch der „sächsische Sonderweg“ beendet, denn die Verordnung vom 17. April wur-
29 Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV, 26. Februar 1934 (STAL, PP-V 3368, Bl. 4). 30 Gestapa Sachsen an die Polizeipräsidien, 21. März 1934 (STAL, PP-V 3368, Bl. 29). 31 Vgl. Gestapa Dresden an Polizeipräsidium Leipzig vom 13. April 1934 (STAL, PP-V 3368, Bl. 43) und Polizeipräsidium Leipzig an die Gemeindebewegung Evangelische Volkskirche am 25. April 1934 (STAL, PP-V 3368, Bl. 58). 32 Abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, Dok. 46/34, S. 149 f. Vgl. dazu K. SCHOLDER, Kirchen II, S. 277 f., der betont, dass das Verbot entgegen den ursprünglichen Intentionen des Reichsinnenministeriums einseitig gegen die Bekennende Kirche angewendet worden sei. 33 Abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, Dok. 46/34 II, S. 150 f.
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de zurückgenommen, sodass Ende August wieder Veranstaltungen der Gemeindebewegung stattfinden konnten34. Erst mit der Verschmelzung von Pfarrernotbund und der Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ zur Bekenntnisgemeinschaft der evangelisch-lutherischen Kirche in Sachsen im April 1934 und der Zuspitzung der kirchlichen Lage durch die versuchte Eingliederung der bayerischen Landeskirche in die Reichskirche im Oktober 1934 gewann das kirchliche Leben in Leipzig an Dynamik. Das Polizeipräsidium überwachte nun die Bildung von Gemeindegruppen der Bekenntnisgemeinschaft. Diese versuchte daher, den polizeilichen Stellen jegliche Handhabe zum Eingreifen zu nehmen. Die Veranstaltungen wurden nun beim Polizeipräsidium angemeldet, und man verzichtete auf Diskussionen. Besonders auffällig ist die fast gebetsmühlenartig wiederholte Betonung der staatsloyalen Haltung der Bekenntnisgemeinschaft. So versicherte der Leiter der Gemeindegruppe Wahren der Bekenntnisgemeinschaft, Hellmut Schwarze, der gleichzeitig auch Organisationsleiter der Gemeindebewegung in Leipzig war, seinen Zuhörern auf einer Versammlung: „Wer vielleicht denkt, dass wir eine Sammlung von Reaktionären sind und vielleicht aus diesem Grunde zu uns kommt, weil er mit dem gegenwärtigen Regime nicht zufrieden ist, der wird bald enttäuscht von uns wieder weggehen“35. Wie die Deutschen Christen und die Gestapo zum gegenseitigen Vorteil gegen die Vertreter der BK zusammenarbeiteten, zeigt ein Beispiel aus dem Herbst 1934. Der sächsische Landesbischof hatte am 17. Oktober 1934 vergeblich versucht, durch Intervention beim sächsischen Innenminister Fritsch eine Versammlung der Dresdner Bekenntnisgemeinschaft am 18. Oktober verbieten zu lassen36. Dieser hatte mit Hinweis darauf, dass ihm von Berlin aus solche Verbote untersagt seien, das Ansinnen der Kirchenleitung abgelehnt37. Das Leipziger Polizeipräsidium, dem eine ähnlich gelagerte Veranstaltung am 19. Oktober von Hellmut Schwarze schon am 13. Oktober angezeigt worden war38, erlangte von „vertraulicher Seite“ am 18. Oktober Kenntnis, dass dort Karl Koch, Präses der westfälischen Bekenntnissynode und eine der führenden Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche, als
34 Vgl. Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV an Hartmann am 31. August 1934 (STAL, PP-V 3368): „Die Verordnung des MdI vom 17.4.1934 – 21.6.1934 ist vom MdI auf Anordnung des Reichsinnenministers aufgehoben worden“. 35 Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV vom 11. Oktober 1934 (STAL, PP-V 3440, Bl. 8). 36 Vgl. D. RÖTHIG, 17. Oktober 1934, die diese Veranstaltung in Dresden aber fälschlich auf den 19. Oktober terminiert. Das richtige Datum bei H. HAHN, S. 81. 37 D. RÖTHIG, 17. Oktober 1934. 38 Vgl. Kreisbruderrat Leipzig, Schwarze an Polizeipräsidium, Politische Abteilung (STAL, PP-V 3440, Bl. 15).
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Redner auftreten sollte. Durch die Vertrauensperson erfuhr die Gestapo auch, dass der kommissarische Superintendent Ebert an einer Überwachung der Veranstaltung durch die Polizei interessiert war39. „In Kampfgemeinschaft“ übersandte er eine Eintrittskarte an das Polizeipräsidium40. Ebert hatte dazu vom Landeskirchenamt erfahren, dass Partei- und SAStellen die Veranstaltung zu stören beabsichtigten. Er bat das Polizeipräsidium, dies zu unterbinden41. Dass dies nicht ganz gelang, offenbart ein Überwachungsbericht der Veranstaltung. Die Polizei war gezwungen, ihre Konspiration aufzugeben, da SA-Leute am Eingang besonders aufgefallen waren42. Der Bericht über die überwachte Veranstaltung verdeutlicht wichtige Zusammenhänge im Verhältnis der von Deutschen Christen bestimmten Kirchenleitung, der Landesregierung und der Polizei. Das Innenministerium mit Fritsch an der Spitze war mit seinen Aktionen den Interessen der Deutschen Christen entgegengekommen. Im Frühjahr hatte es öffentliche Versammlungen der kirchlichen Opposition verboten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Fritschs Freiraum in kirchlichen Angelegenheiten im Folgenden stark beschnitten wurde, denn im Oktober lehnte er das Ansinnen des Landesbischofs, eine Veranstaltung der BK in Dresden zu verbieten, mit dem Hinweis auf die inzwischen erfolgte Beschneidung seiner Kompetenzen ab. Neben einem direkten Draht zum Innenministerium verfügte das Landeskirchenamt offensichtlich auch über gute Verbindungen zu Parteistellen, sodass es dem Polizeipräsidium von geplanten Störungen der Veranstaltung berichten konnte. In der Überwachung der Bekennenden Kirche arbeiteten Deutsche Christen und Polizeipräsidium – mit jeweils unterschiedlichen Intentionen – zum beiderseitigen Vorteil zusammen. Die Zusammenarbeit ging z. T. so weit, dass die Deutschen Christen dort, wo das Polizeipräsidium aufgrund der beschränkten Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen der BK kein eigenes Personal einsetzen konnte, Informationen selbst beschafften und weitergaben. Der Kreisobmann der Deutschen Christen, der Volkmarsdorfer Pfarrer Gerhard Richter, meldete sich eigens beim Polizeipräsidium, um seine Bereitschaft zur Überwachung von kirchlichen Aktionen der Gegenseite bekannt zu geben. Das Protokoll des Polizeipräsidiums vermerkte:
39 Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV, 18. Oktober 1934 (STAL, PP-V 3440, Bl. 14). 40 Ebert an Polizeipräsidium Leipzig, Regierungsassessor Hartmann am 19. Oktober 1934 (STAL, PP-V 3440, Bl. 12). 41 Polizeipräsidium Leipzig am 19. Oktober 1934 (STAL, PP-V 3440–13). 42 Da die Versammlung im Zentraltheater überfüllt war, fand eine Parallelversammlung im Raum des Christlichen Volksdienstes statt. Während der „offizielle“ Beobachtungsbericht (STAL, PP-V 3440, Bl. 16–19) die Begebenheit mit den SA-Leuten nicht erwähnt, konzentriert sich der zweite Bericht (STAL, PP-V 3440, Bl. 26 f.) besonders darauf.
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„Als Kreisobmann der DC befürchte ich [Pfarrer Richter, G. W.], dass die Bibelstunden der einzelnen Pfarrer zu verbotener Erörterung der kirchenpolitischen Fragen benutzt werden können. Ich beabsichtige deshalb, Vertrauensleute in die Bibelstunden zu entsenden und einen Bericht an das Polizeipräsidium zu geben, wenn mir ein Einschreiten notwendig erscheint“43.
Die Absicht Richters wurde vom Polizeipräsidium selbstverständlich sehr begrüßt. Da das Polizeipräsidium von einer Versammlung am 23. November 1934 in Leipzig zu spät erfahren hatte, griff es gern auf die Informationen, die Pfarrer Richter „durch einen Beauftragten vertraulich“ hatte feststellen können, zurück44.
3.2 Die sächsische Landeskirche aus der Sicht des Sicherheitsdienstes der SS Für die nachrichtendienstliche Überwachung der Kirchen war im Dritten Reich der Sicherheitsdienst der SS (SD) zuständig. Er war geprägt von einem weltanschaulich bestimmten Gegnerbild, das eine Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum kategorisch ausschloss45. Aufgrund der größeren Geschlossenheit des Katholizismus betrachtete der SD diesen von Anfang an als den wichtigeren und gefährlicheren Gegner, während der Protestantismus zurückhaltender beurteilt wurde46. Eine im Bundesarchiv überlieferte Kartei der drei SD-Abschnitte im Gebiet des Gaues Sachsen, die die Lage am Ende des Krieges mit 2 500 Vertrauensleuten (V-Leuten) widerspiegelt, enthält zu Leipzig 17 hauptamtliche und 145 ehrenamtliche V-Leute47. Nur für zwei Studentinnen ist explizit als Sachgebiet „Kirche“ angegeben48, bei vielen fehlt das Sachgebiet überhaupt. Insofern ist eine Aussage über die Intensität der nachrichtendienstlichen Überwachung in Leipzig durch den SD nicht möglich. In der V-Leute-Kartei werden allerdings aus dem Landeskirchenamt die Oberlandeskirchenräte Ernst Klemich und Johannes Liebsch als V-Leute geführt. Klemich, von Beruf Rechtsanwalt, war als juristischer Fachmann von 1933 bis zum Kriegsausbruch 1939 im Landeskirchenamt tätig und wohl für die Kontakte des Landeskirchenamtes zu Staats-, Partei- und Polizeistellen 43 Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV am 18. April 1934 (STAL, PP-V 3440, Bl. 274). 44 Zu der Tagung vgl. H. J. REESE, S. 440. 45 W. DIERKER, S. 170. 46 EBD., S. 153. 47 BARCH-DH, V-Mann-Kartei. Vgl. auch W. DIERKER, S. 256 f., der darüber hinaus auch eine 166 Personen umfassende V-Leute-Aufstellung der SD-Außenstelle Leipzig aufführt. 48 Es handelt sich um Liane Bergander und Luise Flemming.
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zuständig49. Liebsch, gleichfalls Jurist, war seit Oktober 1933 im Landeskirchenamt beschäftigt. Er wird von Hahn als „unverbesserliche[r] DC, völlig dem NS hörig“ geschildert50. Mitglieder des Pfarrernotbundes vermuteten eine enge und konspirative Zusammenarbeit Liebschs mit Polizeistellen51. Für das Jahr 1934 sind zwei Berichte des SD über die kirchliche Lage in Sachsen vorhanden, die ihr Hauptaugenmerk deutlich auf die politischen Implikationen des Kirchenkampfes legen. Ein „Stimmungs- und Lagebericht für den Sommer 1934“52 stellte zwar das Desinteresse der Bevölkerung am „Theologengezänk“ heraus, bemerkte jedoch, dass im Falle der Versetzung eines Pfarrers oder eines Streites zwischen ihm und der Parteiorganisation die Bevölkerung häufig in verschiedene Lager gespalten werde, „die sich nicht nur ‚theologisch‘, sondern eben mit allen Mitteln bekämpfen, mit denen innerhalb einer Ortschaft zwischen zwei Parteien gekämpft wird“53. Damit sei die Gefahr der Solidarisierung von dem Regime Fernstehenden gegeben. So stellte der Bericht fest: „In den meisten Fällen kommt es dann noch hinzu, dass der Kirchenstreit insofern in politisches Gebiet übergreift, als in vielen Fällen die Ortsgruppenleitungen gegen die zu versetzenden oder ihres Amtes zu enthebenden Pfarrer stehen. In solchen Fällen zeigt es sich sehr deutlich, dass die der Partei Fernstehenden mit dem Pfarrer gegen den Ortsgruppenleiter gehen, um auf diese Weise ihre persönlichen Gehässigkeiten und sonstigen Bestrebungen gegen den Willen des Ortsgruppenleiters mit auszutragen“54.
Die Lage der Deutschen Christen, denen der SD aus politischen Gründen eher neutral bis wohlwollend gegenüberstand, während er seinem theologischen Programm nicht viel abgewinnen konnte55, wurde als „sehr gefestigt“ bezeichnet, während beim Pfarrernotbund auf den aktiven 49 Vgl. seine Berichte vom Mai 1934 (BARCH-DH, ZB I/1730, Bl. 214–216 und Bl. 223–228); vgl. W. DIERKER, S. 361; H. KLEMM, S. 200. Klemm stellt einen Zusammenhang zwischen Gesprächen Klemichs mit der Geheimen Staatspolizei und der unmittelbar darauf folgenden Verhaftung führender Mitglieder des Pfarrernotbundes in Dresden Ende Januar 1934 her. 50 H. HAHN, S. 117. 51 EBD., S. 212. 52 Stimmungs- und Lagebericht für das Referat III/2 im Gebiet des SD-Oberabschnittes Mitte vom 15.6.1934–15.8.1934 erstattet von 5405 (BARCH-DH, ZB I 1594, Bl. 244–248). Die SD-Oberabschnitte wurden im Dritten Reich mehrfach umstrukturiert. Zum Stand von 1934 vgl. R. L. KOEHL, S. 260 f. 53 BARCH-DH, ZB I 1594, Bl.. 246. 54 EBD. 55 Der Bericht schildert den Inhalt eines Gespräches von Coch mit dem Gestapa Sachsen, in dem dieser die Gewinnung von Katholiken in eine Deutsche-Evangelische Reichskirche als zentrales kirchenpolitisches Fernziel ansah. Solche Überlegungen wurden als „romantisch“ (Bl. 250) abgetan.
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Kern aus Adelskreisen und der „sog. ‚Besseren Gesellschaft‘“ hingewiesen wurde56. Der Mitte November 1934 erstattete „Sonderbericht über staatsschädliche Auswirkungen“ der Abteilung III/2 im SD-Oberabschnitt Mitte war auf Anfrage der Berliner Zentrale erstellt worden57. Innerhalb der 1 300 Geistliche umfassenden Pfarrerschaft in Sachsen waren nach seinen Angaben Pfarrernotbund und Deutsche Christen mit jeweils ca. 300 Mitgliedern gleich stark. Aussagen zur kirchlichen Mittelgruppe fehlen. Bezeichnenderweise ist das Misstrauen gegen die Deutschen Christen in diesem Bericht noch stärker fassbar als im genannten Stimmungs- und Lagebericht. Dieses Misstrauen erwuchs einerseits aus der von den Deutschen Christen zur Schau getragenen Loyalität gegenüber dem Nationalsozialismus und dem Glauben an eine notwendigerweise enge Verknüpfung von nationalsozialistischer Ideologie und Christentum. Andererseits entstand es aus dem Kampf der Deutschen Christen gegen die Deutsche Glaubensbewegung (DG), einem vom Chef des SD, Reinhard Heydrich, als Hilfsmittel im Kampf gegen die christlichen Kirchen zeitweise protegierten Zusammenschluss verschiedener nicht- oder antichristlicher Bewegungen unter Leitung des Tübinger Religionswissenschaftlers Jakob Wilhelm Hauer58. Der Bericht verwies allerdings auch auf die hohe Zahl von Parteigenossen unter den Deutschen Christen. Das Bild, das der SD von der Bekenntnisgemeinschaft entwarf, war das einer staatsfeindlichen, in erster Linie politisch agierenden Gruppe, eine Sicht, die sich in den Berichten der SD-Zentrale erst im Frühjahr 1935 durchsetzte59. In den Reihen der Bekenntnisgemeinschaft befänden sich neben zehn Prozent überzeugter Christen 40 Prozent reaktionäre Kreise, fünf Prozent Marxisten und 45 Prozent Mitläufer. Der SD beanstandete nicht nur, dass die Mitglieder der Bekenntnisgemeinschaft „in ihren Veranstaltungen mit keinem Wort den Führer oder die Bewegung“ erwähnten, sondern kritisierte vor allem, dass sie in der Auseinandersetzung mit der Deutschen Glaubensbewegung „zu Unrecht auch Führer der Bewegung angegriffen [hätten], vornehmlich Baldur von Schirach, Darré, Dr. Goebbels und den Alfred Rosenberg, den man den ‚geistigen Vater der DG‘ 56 Exponent dieser Gruppe war vor allem Arndt von Kirchbach, der über exzellente Beziehungen zu Adelskreisen und zum Militär verfügte. In der Bekennenden Kirche war er besonders mit Fragen der Jugendarbeit befasst. 57 Sonderbericht über staatsschädliche Auswirkungen vom 16. November 1934 (BARCHDH, ZB I 1594, Bl. 257–261). 58 EBD., Bl. 258; zum Verhältnis SD-DG vgl. W. DIERKER, S. 157–159; zu deutschgläubigen Bewegungen mit Verweisen auf weitere Literatur vgl. K. NOWAK, Deutschgläubige Bewegungen. Der Leipziger Philosophieprofessor Ernst Bergmann gehörte auch dem Führerrat der Glaubensbewegung an (vgl. K. MEIER, Kreuz, S. 102). 59 W. DIERKER, S. 155.
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schon genannt hat“60. Dass bei dieser Sichtweise das weltanschauliche Gegnerbild dominierte, zeigten die von der Gestapo in Leipzig erstellten Berichte über die im Herbst 1934 von der Bekenntnisgemeinschaft veranstalteten Versammlungen, in denen die Loyalitätsbezeugungen zum Nationalsozialismus zum festen Bestandteil wurden61.
3.3 Leipziger Notbundpfarrer in Schutzhaft Im Frühjahr 1935 wurden die innerkirchlichen Auseinandersetzungen in Sachsen von der Auseinandersetzung mit der „Deutschen Glaubensbewegung“ überlagert62. Diese setzte auf ihren zahlreichen Versammlungen in sehr abschätziger Weise der deutschchristlichen Synthese von Nationalsozialismus und Christentum die Alternative „Deutsch oder christlich?“ entgegen63. Mit der Einführung deutschgläubigen Unterrichts in Dresden im Februar 1935 erreichte die Auseinandersetzung insofern neue Dimensionen, als die Deutsche Glaubensbewegung damit für ihre Arbeit die offizielle Rückendeckung staatlicher Stellen erhielt64. In Sachsen fühlten sich beide Seiten, die Deutschen Christen wahrscheinlich noch mehr als die Bekenntnisgemeinschaft, durch die Veranstaltungsreihen der Deutschen Glaubensbewegung herausgefordert und organisierten in Dresden zentrale Gegenveranstaltungen65. Der Kreisbruderrat in Leipzig entwickelte im Februar und März eigene Initiativen gegen die Glaubensbewegung, deren Leiter, Jakob Wilhelm Hauer, als Redner auf einer großen Veranstaltung am 31. März 1935 mit dem Titel: „Kann ein Deutscher Christ sein?“ in Leipzig auftrat66. Der Landesbruderrat folgte der Vorläufigen Kirchenleitung, einem im Anschluss an die Synode von Berlin-Dahlem gebildeten bekenntniskirchlichen Notkirchenregiment unter der Leitung des hannoverschen Landesbischofs August Marahrens. Diese hatte sich öffentlich zur Frage des Neuheiden60 BARCH-DH, ZB I 1594, Bl.. 259. 61 Insofern ist C. SCHREIBER zuzustimmen, der den Wahrheitsgehalt der SD-Berichte bezweifelt und sie als „fehlerhaft, übertreiben und polemisch“ (S. 92) bezeichnet. 62 Von den zahlreichen deutschgläubigen Bewegungen war in Sachsen nur die Deutsche Glaubensbewegung (Hauer-Bewegung) stärker vertreten (vgl. J. FISCHER, S. 37, Anm. 281). 63 K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 21 f. Der von der Deutschen Glaubensbewegung in ihren Veranstaltungen angeschlagene scharfe Ton veranlasste den Reichsinnenminister am 26. Januar 1935, ihre Veranstaltungen überwachen zu lassen und gegebenenfalls einzuschreiten. Der Staatsminister des Innern am 2. Februar 1935 an sämtliche Polizeibehörden (STA L, Kap. 42 D, Bl. 3). 64 D. RÖTHIG, Anfang Februar 1935. 65 J. FISCHER, S. 37. 66 Zu den Aktivitäten der Bekenntnisgemeinschaft im März vgl. den [Monatsbericht März des Polizeipräsidiums Leipzig] (STAL, PP-V 3440, Bl. 244 f.).
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tums geäußert und für den 31. März 1935 eine entsprechende Kanzelbotschaft herausgegeben, die mit einer Fürbitte für im KZ Dachau inhaftierte Pfarrer aus Hessen-Nassau verbunden war67. Eine ähnliche Kanzelabkündigung der Bekenntnissynode der Altpreußischen Union Anfang März 1935 hatte zur kurzzeitigen Inhaftierung von etwa 700 Pfarrern geführt, da der Text auch als Kritik am NS-Regime verstanden werden konnte68. Der sächsische Innenminister hatte daraufhin am 16. März 1935 die evangelischen Geistlichen zu einer schriftlichen Erklärung aufgefordert, diesen Text weder im Gottesdienst noch sonst wie weiter zu verbreiten. Ende März wurde schließlich die Abkündigung der sächsischen Kanzelbotschaft verboten, auch in einer verkürzten Form69. Sich widersetzenden Pfarrern wurde mit Hausarrest gedroht. Über den weiteren Fortgang der Ereignisse in Leipzig liegen widersprüchliche Quellen vor70. Nach Walthers Schilderung beauftragte ihn ein Gestapo-Mitarbeiter einen Tag vor der geplanten Kanzelabkündigung, deren Verbot allen Leipziger Notbundpfarrern mitzuteilen, was Walther auch erledigte. In vielen Gemeinden fiel der Gottesdienst wegen des Verbots aus. Trotzdem verlasen in Sachsen am 31. März 1935 und am Sonntag darauf ca. 200 Pfarrer den Text71. In Leipzig widersetzten sich die Pfarrer Lewek, Meder und Gensichen dem Verbot72. Nach den Erinnerungen Walthers, der am 31. März keinen Gottesdienst gehalten hatte, erschien der Leipziger Polizeipräsident Knofe bei ihm am selben Tag persönlich. Ihm gegenüber erklärte sich Walther mit seinen Amtsbrüdern solidarisch und begründete sein Verhalten folgendermaßen: „Die Abkündigung sei von unserer obersten Kirchenleitung angeordnet73. Es liege hier der Fall vor, dass man sich nach dem Worte zu halten hätte: ‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen‘. Dieser Grundsatz 67 K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 350 f. Die Kanzelbotschaft des Landesbruderrates ist abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 29, S. 204 f. 68 K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 24. 69 J. FISCHER, S. 37. 70 Auf die Ungenauigkeiten und Widersprüche in den Schilderungen über diese Zeit weist explizit auch H. KLEMM, S. 249 hin: „Die Darstellungen der Geschichte dieser Männer in Sachsenburg, die hier nicht erzählt werden kann, bedürften alle gewisser Korrekturen.“ 71 Zahl EBD., S. 248. 72 G. WALTHER, S. 15, erwähnt Johannes Gensichen nicht. Möglicherweise hat er ihn vergessen, weil Gensichen später als die anderen verhaftet und aus gesundheitlichen Gründen nicht ins KZ Sachsenburg verbracht wurde. Noch im selben Jahr beendete Gensichen seine Tätigkeit in Leipzig und wechselte nach Wersabe. Dass Gensichen den Text verlesen hat, geht hervor aus einem Protokoll des ihn vertretenden Rechtsanwalts Johannes Weygand (BARCH BERLIN, R 3001/alt R 22/1467, Bl. 86). 73 Damit machte Walther deutlich, dass er nicht das Kirchenregiment Coch, sondern den Landesbruderrat als rechtmäßige Kirchenleitung ansah.
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gelte auch einer geliebten Obrigkeit gegenüber“74. In seinen Erinnerungen schildert Walther weiter, wie er kurze Zeit später verhaftet wurde und wie ihm Knofe im Polizeipräsidium von einem Zettel seine flapsige Antwort ablas: „Dafür werden Sie nach Sachsenburg wandern“75. In einem für den Reichsjustizminister angefertigten Protokoll, das auf einer eidesstattlichen Vernehmung von Walthers Frau und einer schriftlichen Auskunft des sächsischen Innenministers beruhte, berichtet der Leipziger Rechtsanwalt Johannes Weygand, der die Pfarrer Lewek und Gensichen vertrat, nur von einem Telefongespräch zwischen Knofe und Walther, das einen Tag vor der Verlesung stattgefunden habe, und in dem die Worte von „unserer geliebten Obrigkeit“ gefallen sein sollen76. Diese Bemerkungen dienten dem sächsischen Innenministerium als Grund für die Inschutzhaftnahme Walthers. Unabhängig davon, wie der tatsächliche Verlauf gewesen sein mag, bleibt bemerkenswert, dass gerade hinsichtlich des Verhaltens von Walther jegliche juristische Begründung für die Schutzhaft die Willkür einer solchen Maßnahme kaum hätte verbergen können. Dass selbst dem Polizeipräsidium Leipzig jene elementaren juristischen Kenntnisse fehlten, zeigt ein interner Bericht: „Wenn auch Walther nicht wie die beiden Notbundpfarrer Lewek und Meder dem Verbot zuwider im Gottesdienst die Abkündigung verlesen und die Fürbitte für die angeblich verhafteten evangelischen Pfarrer vorgenommen hat, so hat er sich doch bei seiner Vernehmung mit diesen beiden Geistlichen völlig solidarisch erklärt. [. . .] Die Erklärungen Walthers sind hiernach den Handlungen Leweks und Meders vollständig gleichzustellen. Alle drei Geistlichen haben durch ihr Verhalten einwandfrei die Missachtung einer Anordnung der Staatsregierung kundgetan“77.
Nach Walther wurden auch Lewek und Meder verhaftet und ins KZ Sachsenburg bei Chemnitz verbracht. Darüber hinaus widerrief die Kreishauptmannschaft im Mai 1935 die 1931 erfolgte Einbürgerung der deutschbaltischen Familie Meders78. Pfarrer Gensichen wurde erst am 10. April 1935 festgenommen und auf Grund seines schlechten körperlichen Zustandes nicht in das KZ gebracht, sondern für eine gewisse Zeit in Leipzig inhaftiert. Bis zum 13. Mai gerieten insgesamt 18 sächsische Pfarrer, zwei Pfarrvikare und ein Studienrat in Schutzhaft79. 74 G. WALTHER, S. 15. 75 EBD., S. 15 f. 76 Es handelt sich um das Protokoll einer Besprechung Weygands mit Regierungsrat Gisevius am 9. Mai 1935 im Reichsinnenministerium, das einem Schreiben des Rechtsanwalts an den Reichsjustizminister vom 10. Mai 1935 beigefügt war (BARCH BERLIN, R 3001/alt R 22/1467, Bl. 82–88). 77 [Monatsbericht März des Polizeipräsidiums Leipzig] (STAL, PP-V 3440, Bl. 244 f.). 78 Protokoll Weygands (BARCH BERLIN, R 3001/alt R 22/1467, Bl. 85). 79 Laut H. KLEMM, S. 248, stand hinter der Zahl der Verhafteten die Überlegung Mutsch-
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Aufgrund der offenkundigen Willkür der Maßnahmen war der auf die sächsische Staatsregierung ausgeübte Druck groß. Das Ausland berichtete über die Schutzhaft der Pfarrer80, die Vorläufige Kirchenleitung sowie der sächsische Landesbruderrat und die Pfarrer der „Mitte“ intervenierten bei den Reichsministerien. Zunächst versuchte Reichsstatthalter Mutschmann über ein Verbot kirchenpolitischer Versammlungen, das bezeichnenderweise Veranstaltungen des Landeskirchenamtes ausnahm, der Lage Herr zu werden81. Am 11. April 1935 wies Innenminister Fritsch die Polizeipräsidien an, zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen und „gegen Pfarrer, die sich staatlichen Anweisungen nicht fügen, eventuell mit Verhängung von Hausarrest vorzugehen“82. Dies traf Gerhard Hilbert, der den Wortlaut der Kanzelabkündigung bekannt gegeben hatte und deshalb für Pfingsten Hausarrest erhielt83. In Leipzig-Mockau kam es zu kurzzeitigen Verhaftungen von Gemeindegliedern84. Schließlich sah sich die Staatskanzlei unter Zugzwang und begründete die Inschutzhaftmaßnahme öffentlich. Sie beschuldigte die Notbundpfarrer, „darunter solche nichtarischer Abstammung, [. . .] unter dem Deckmantel religiöser Glaubensäußerungen“ Unruhe in der Bevölkerung hervorgerufen und gegen staatliche Vorschriften verstoßen zu haben. Abschließend heißt es: „Gegenüber diesen politischen Verfehlungen bleibt kein anderer Weg als sie zur Vermeidung stärkerer Beunruhigung weiter Volkskreise in Schutzhaft zu nehmen. Die Diener der Kirche genießen den ihnen zugesagten Schutz in Dingen der Religion, wo sie aber den Staat und die Bewegung politisch antasten, trifft sie die Schärfe des Gesetzes in der gleichen Weise wie jeden anderen Staatsbürger“85.
Der innenpolitische Druck auf Mutschmann vergrößerte sich, als der Reichsinnenminister am 29. April 1935 per Schnellbrief verordnete, vor manns, zehn Prozent derjenigen Pfarrer, die die Kanzelabkündigung verlesen hatten, zu bestrafen. Die Liste der verhafteten Pfarrer bei K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 50, Anm. 162. 80 So z. B. die Basler Nachrichten am 24. April 1935: „Die Not der Bekenntniskirche -Vierzehn Pastoren allein in Sachsen in Haft.“ 81 Der Staatsminister des Innern am 4. April 1935 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MdI 9610, Bl. 86). Unter dieses Verbot fielen auch zwei für Ende April angekündigte Veranstaltungen des Kreisbruderrats Leipzig. Kreisbruderrat Leipzig an das Polizeipräsidium Leipzig, Politische Abteilung am 17. April 1935 (STAL, PP-V 3440, Bl. 20). 82 Der Staatsminister des Innern an die Kreishauptleute am 11. April 1935 (STAL, PP-V 3440, Bl. 263). 83 G. WALTHER, S. 20. 84 Kreisbruderrat Leipzig an das Polizeipräsidium Leipzig, Politische Abteilung am 17. April 1935 (STAL, PP-V 3440, Bl. 20). 85 Die staatlichen Maßnahmen gegen evangelische Pfarrer und ihre Begründung (EZA BERLIN, 1/A4/261, Bl. 21); nach G. WALTHER, S. 21 am 20. April 1935).
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Inschutzhaftnahmen von Geistlichen seine Zustimmung einzuholen, und damit seine Zuständigkeit für diese Maßnahme explizit reklamierte86. Der Brief konnte nur als kaum verhohlene Kritik an dem eigenmächtigen Handeln des Reichsstatthalters verstanden werden. Dass Mutschmann am 6. Mai 1935 persönlich im KZ Sachsenburg erschien und von den Pfarrern einzeln eine Erklärung verlangte, in der sie das Geschehene bereuen und der nationalsozialistischen Kirchenleitung Gehorsam versichern sollten, ist daher vor allem als politische Absicherung gegenüber dem Reichsinnenminister zu sehen87. Da die Pfarrer nicht unterzeichneten, bestellte Mutschmann Hahn und Fischer zu sich. Während Hahns Schilderung dieses Gesprächs sehr kurz und inhaltlich blass bleibt88, stellte Klemm Mutschmanns Antisemitismus als zentrale Antriebsfeder dar. Demzufolge betrachtete der Reichsstatthalter den inhaftierten Leipziger Pfarrer Lewek, der einen „nichtarischen“ Vater hatte, als den eigentlichen Drahtzieher im sächsischen Kirchenstreit89. Am 4. Juni 1935 wurden die inhaftierten Geistlichen freigelassen, nachdem Reichsinnenminister Frick am Vortag Mutschmann gegenüber die bedingungslose Entlassung angeordnet hatte90. Außenpolitische Gründe, vor allem das Verhältnis zu Großbritannien, wo die Verhaftungen aufmerksam registriert und öffentlich kritisiert worden waren, hatten die Reichsregierung bewogen, den kirchenpolitischen Kurs zu ändern91. Die DC-Kirchenleitung begrüßte die Maßnahmen Mutschmanns. Auf einer landeskirchlichen Kundgebung Ende April betonte Oberlandeskirchenrat Liebsch: „Mit demselben Recht, mit dem der Staat vor zwei Jahren die Kommunisten ins KZ gebracht hat, sind auch die Pfarrer ins Schutzhaftlager gekommen, die in der Kanzelabkündigung vom 31. März gegen den Staat Stellung genommen haben“92. Coch verhängte – wohl auf Wunsch Mutschmanns – ein Amtierungsverbot über die freigelassenen Geistlichen und entließ Hugo Hahn am 16. Mai 1935 aus dem landeskirchlichen Dienst. Aus einem Bericht Cochs an das Volksbildungsministerium von Mitte Juni 1935 wurde darüber hinaus deutlich, dass er selbst bei Gerichten und Staatsanwaltschaft gegen Notbundpfarrer ini86 Frick an die Landesregierungen u. a. am 29. April 1935 (BARCH BERLIN, R 3001/alt R 22/1467, Bl. 66 f.). 87 Vgl. H. KLEMM, S. 249. Bei H. HAHN, S. 101, fälschlich auf 7. Mai datiert. 88 EBD., S. 102. 89 H. KLEMM, S. 249 f. und M. HABICHT, Verfolgung, S. 117. 90 J. FISCHER, S. 38, Anm. 296. Zwei Pfarrer waren schon im Mai entlassen worden. Studienrat Küntzelmann aus Chemnitz wurde – da man ihn offensichtlich vergessen hatte – erst Mitte Juni freigelassen. 91 K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 34 f. 92 Liebsch auf einer Kundgebung in Falkenstein am 28. April 1935 (Text nach H. KLEMM, S. 249, Anm. 82).
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tiativ geworden war93. Ferner zeigte sich, dass er sich durchaus eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Staat und DC-Kirchenleitung gegen den Pfarrernotbund wünschte: „Die breite Öffentlichkeit versteht es nicht, wenn Anordnungen, die eine nationalsozialistische Kirchenführung gibt, mangels vorhandener Exekutivmöglichkeit von einigen renitenten Pfarrern und Kirchgemeindevertretern nicht durchgeführt werden und staatliche Stellen in diesen Fragen der äußeren Ordnung der DEK einer nationalsozialistischen Kirchenführung nicht die Hilfsmittel in die Hand geben, ihre Anordnungen durchzuführen“94.
Auch in Leipzig waren die aus Sachsenburg zurückgekehrten Pfarrer vom völligen Amtierungsverbot betroffen, Pfarrer Lewek wurde sogar vorläufig aus dem Dienst entlassen95. Gerhard Hilbert wurde am 1. Juli 1935 abermals zwangspensioniert96. Bezeichnend für das Handeln mancher deutschchristlicher Pfarrer in Leipzig ist die Tatsache, dass die Zusammenarbeit mit der Gestapo auch in dieser Zeit gesucht wurde97. Als Mitte Juni eine evangelische Vereinigung in Leipzig tagte, wurde die beste Überwachungsstrategie mit deutschchristlichen Pfarrern abgesprochen98. Das Leipziger Bezirkskirchenamt teilte Mitgliedern kirchlicher Körperschaften, die der Bekenntnisgemeinschaft angehörten, mit, dass ihr dortiges Verbleiben untragbar sei99. Infolge der Verhaftungen kam es zu einer Annäherung zwischen Bekenntnisgemeinschaft und „Mitte“. Diese setzte sich im April 1935 beim 93 Es handelt sich um die Fälle der Pfarrer Taut (Oederan), Balze (Reichenau), Ebert (Radeberg) und Karl Fischer (Dresden). Vgl. J. FISCHER, S. 38, Anm. 307. 94 Coch an das Volksbildungsministerium am 18. Juni 1935 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/40, Bl. 91 f.). 95 G. WALTHER, S. 21. Die Kirchgemeindevertretung der Thomasgemeinde, an der neben den BK-Pfarrern Meder und Walter Böhme noch der der „Mitte“ zugehörige Schumann amtierte, ermächtigte in dessen urlaubsbedingter Abwesenheit Pfarrer Meder am 25. August 1935 zu predigen. Sie stützte sich dabei auf das Prinzip der Selbstverwaltung der Kirchgemeinde und sprach dem landeskirchlichen Verbot jeglichen Rechtsgrund ab. Da Meder das Amtierungsverbot missachtete, lösten Kirchenamtsrat Wäntig und der kommissarische Superintendent Johannes Römer am 30. August 1935 die Kirchgemeindevertretung auf (vgl. EBD.; Schriftwechsel dazu in BKA LEIPZIG, 103/18). Zur Situation an der Thomasgemeinde vgl. auch H. STIEHL. 96 G. WALTHER, S. 20. 97 Am 18. April gab Pfarrer Richter der Gestapo das Kennzeichen eines neuen Wagens der Bekenntnisgemeinschaft bekannt, mit der Bitte, auf ihn ein besonderes Augenmerk zu richten. (STAL, PP-V 3441, Bl. 34). Auch Pfarrer Ostarhild wurde im Zusammenhang mit der Kanzelabkündigung „vor eine hohe Stelle geladen zu einer Besprechung (Gestapo)“. Ostarhild an Klotsche am 18. Februar 1938 (BARCH BERLIN, R 5101/23697, Bl. 93). 98 Paukert am 6. Juni 1935 (STAL, PP-V 3441, Bl. 73). 99 11. Rundbrief der Bekenntnisgemeinschaft, undatiert (ADSL, 6.3.2).
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Reichsinnenministerium für die inhaftierten Geistlichen ein und verlangte von Coch Anfang Juli deren Wiedereinsetzung. Die Inhaftierung der sächsischen Geistlichen führte zu einer breiten Welle der Anteilnahme bei der Leitung des Pfarrernotbundes und der VKL. Marahrens, Präses Koch, Pfarrer Niemöller u. a. kamen nach Leipzig. Eine reichsweite Bekenntnissynode, wie sie von Hahn gefordert wurde, um den öffentlichen Druck zu erhöhen, kam jedoch wegen innerer Differenzen über die ihr zugedachten Kompetenzen nicht zustande100. Leipziger Gemeindeglieder sprachen in der sächsischen Staatskanzlei und im Reichsinnenministerium vor. Nach der Freilassung der Geistlichen sah sich die Bekenntnisgemeinschaft vor die Aufgabe gestellt, ihre geistlichen Aufgaben trotz staatlichem Veranstaltungsverbot und landeskirchlichem Amtierungsverbot für die inhaftierten Pfarrer weiter zu erfüllen. Sie verlegte ihre Aktivitäten jetzt verstärkt in Bibelstunden und in Hausgemeinschaften, die – soweit die darüber vorhandenen spärlichen Angaben Aufschlüsse zulassen – vom gehobenen protestantischen Bildungsbürgertum getragen wurden. Das Amtierungsverbot, das – außer für Lewek – bis in den Herbst galt, wurde dadurch umgangen, dass man für Gottesdienste und Amtshandlungen den Saal des Christlichen Volksdienstes herrichtete. Unter den deutschchristlichen Pfarrern in Leipzig gab es große Bereitschaft, mit der Gestapo zusammenzuarbeiten. Dabei waren es keineswegs die innerkirchlichen Außenseiter, die die Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei suchten, sondern gerade die leitenden Stellen. Damit wurde in Leipzig nur der Schulterschluss vollzogen, der auf der Leitungsebene mit der großen Abhängigkeit des DC-Kirchenregiments von der sächsischen Gau- und Staatsführung schon vorhanden war. Das Landeskirchenamt initiierte ja selbst politische Sanktionen gegen missliebige Pfarrer. Diese Haltung schloss auch eine Sanktionierung der Mitarbeit mit der Gestapo durch die Kirchenleitung aus. Außerdem waren viele dieser Pfarrer als Parteimitglieder und Mitglieder weiterer NS-Organisationen in andere Loyalitätsverhältnisse eingebunden. Die Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit verdankte sich jenseits der bei manchen Geistlichen durchaus vorhandenen politischen Naivität und der Intensität des Kirchenstreits der Überzeugung dieser Pfarrer, der Nationalsozialismus erfahre seine wahre Gestalt nur in Verbindung mit dem Christentum. Um diese Synthese herstellen zu können, mussten sie den innerkirchlichen Widerstand von Mitgliedern des Pfarrernotbundes überwinden, deren theologischer Haltung politische Motive, wenn auch nicht ausschließlich, unterstellt wurden. In dieser Beurteilung trafen sie sich mit
100 Vgl. das Schreiben Hahns an Immer, Koch, Marahrens, Meiser, Niemöller und Wurm am 2. Mai 1935 (abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 30, S. 205 f.).
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der Gestapo, sodass schließlich bei diesen DC-Pfarrern die Loyalität gegenüber den Amtsbrüdern weniger galt als das zu erreichende Ziel einer DC-beherrschten Kirche. Daher ist die Kooperationsbereitschaft der kirchlichen Stellen als „Kumpanei“ zu bezeichnen. Die Politik der Landeskirche erhielt über die Zusammenarbeit mit der Gestapo und dem SD hinaus ihre besondere Qualität dadurch, dass sie abweichendes Verhalten kirchlich streng sanktionierte und kritische Pfarrer so weit wie möglich in ihrer Amtsführung behinderte. Sie trug damit massiv zu der „sich selbst überwachenden Gesellschaft“ bei, ohne das Verhalten der Repressivorgane bestimmen zu können. Gestapo und SD wurden auf die Kirchen als Feindobjekt aufmerksam, als der Kirchenkampf Ende 1933 in die Öffentlichkeit getragen wurde. Dabei entwarf vor allem der SD ein weltanschaulich begründetes Feindbild, das in der Bekennenden Kirche in erster Linie eine Ansammlung regimefeindlicher Kräfte sah. Ein weltanschaulich begründeter Totalitätsanspruch, der letztlich die Beseitigung der christlichen Religion impliziert hätte, ist jedoch in den Berichten des SD über die Lage in Sachsen aus dem Jahr 1934 nicht erkennbar. Die Überwachungstätigkeit der Gestapo Ende 1933/Anfang 1934 ging auf die Initiative des Innenministers Fritsch zurück, dessen Politik die deutschchristliche Kirchenleitung zunächst stark unterstützte. Sein politischer Freiraum wurde jedoch zusehends durch das Reichsinnenministerium beschnitten, und die Kompetenz über den geheimdienstlichen Apparat konnte schließlich in immer stärkerem Maße der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, an sich reißen, der ein striktes Entkonfessionalisierungsprogramm vertrat und Staat und Partei so weit wie möglich aus den innerkirchlichen Streitereien heraushalten wollte. Analysiert man die Vorgänge im Frühjahr 1935, die zur Inhaftierung von insgesamt 20 Pfarrern in Sachsen geführt haben, so fällt vor allem die Initiative Mutschmanns auf. Es konnte zwar kein direkter Befehl des Reichsstatthalters aufgefunden werden, jedoch weisen die verfügbaren Quellen in aller Deutlichkeit darauf hin. Selbst nach dem Schnellbrief des Reichsinnenministers Ende April 1935 hielt er die Geistlichen noch in Haft, und nur durch das energische Eingreifen Fricks Anfang Juni 1935 wurden die Geistlichen schließlich entlassen. Die Freilassung geschah aus übergeordneten außenpolitischen Motiven. Die Motivation Mutschmanns zu eruieren ist insofern schwierig, als darüber fast ausschließlich Quellen aus bekenntniskirchlicher Provenienz vorliegen. Zieht man jedoch in Betracht, dass er die Entstehung des deutschchristlichen Kirchenregiments Coch förderte und es im Kirchenstreit gegen die Bekenntnisgemeinschaft massiv unterstützte, so liegt es nahe, dass die Inschutzhaftnahme die Bekenntnisgemeinschaft, die ihrerseits die Öffentlichkeit immer mehr für ihre Anliegen gewinnen konnte, in
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ihrem Bestand treffen und damit in Mutschmanns Sinn das „öffentliche“ Ärgernis des Kirchenstreits beenden sollte. Bei dieser Polizeiaktion blieb das eigentlich für Kirchenfragen zuständige Volksbildungsministerium außen vor. Des Weiteren fällt der hohe Grad an Willkür auf, der bei den Verhaftungsmaßnahmen mitspielte. Von den ca. 200 Pfarrern musste ungefähr ein Zehntel ins Konzentrationslager. Schwerpunkt der Maßnahme sollte Leipzig sein, wo die Bekenntnisgemeinschaft eine vergleichsweise sehr hohe Mitgliederzahl von Laien und außerordentliche Aktivität aufwies. Dass dabei das Übertreten des Verkündigungsverbots mehr Anlass als Ursache war, zeigt der Fall Walther, der schon vorher in den Gestapo-Berichten als besonders „renitenter“ Pfarrer geschildert worden war. Bezüglich der Leitung der Landeskirche und der Deutschen Christen ist bemerkenswert, in welchem Maße sie das Vorgehen Mutschmanns unterstützt und die schwierige Lage der Bekenntnisgemeinschaft ausgenützt haben. Coch entließ den Vorsitzenden des Landesbruderrats Hahn und zeigte Pfarrer bei der Gestapo an101. Auch erließ er das von Mutschmann gewünschte Amtierungsverbot. Wahrscheinlich ging auch die Dienstentlassung des „nichtarischen“ Pfarrers Lewek letztendlich auf die Initiative des Reichsstatthalters zurück. In Leipzig setzten die deutschchristlichen Pfarrer die Zusammenarbeit mit der Gestapo fort und lösten die Kirchgemeindevertretung der Thomasgemeinde auf102. Pfarrer Ostarhild empfahl der Gestapo, das Auftreten des hannoverschen Landesbischofs Marahrens Mitte Juni in der Nikolaikirche zu unterbinden und verwies dabei auf ein Beispiel in Hessen, wo „Marahrens [. . .] dadurch am Sprechen verhindert worden ist, indem er [. . .] auf Veranlassung des Reichsstatthalters von Hessen im Kraftwagen über die Landesgrenze gebracht worden ist“103. Für die Handlungsweise von drei der vier inhaftierten Notbundpfarrer ist bezeichnend, dass sie die staatliche Anordnung wissentlich übertraten und ihr Anliegen in die kirchliche Öffentlichkeit trugen. Ohne Zweifel ist ihr Verhalten daher als widerständig zu werten. Da der Bekenntnisgemeinschaft mit dem staatlichen Versammlungsverbot die zentrale Aktionsform genommen war – eine Maßnahme allerdings, die von ihrem Charakter her wegen der langfristigen innenpolitischen Rückwirkungen nur von kurzfristiger Dauer sein konnte –, reaktivierte sie andere Organisationsformen wie Bibelstunden und entwickelte neue wie die Hausgemeinschaften. In der Thomasgemeinde, an der kein deutschchristlicher Pfarrer amtierte, widersetzten sich die kirchlichen Körperschaften dem Amtierungsverbot des Pfarrers Meder und schließlich auch der Auflösungsanordnung der Lan101 Coch an MfV, 18. Juni 1935 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/40, Bl. 91). 102 STAL, PP-V 3441, Bl. 115. 103 Polizeipräsidium Leipzig Abt. IV am 5. Juni 1935 (STAL, PP-V 3441, Bl. 70).
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deskirche, was auf die Begrenzung der deutschchristlichen Macht durch die kirchliche Öffentlichkeit verweist104. Die Verhaftungsmaßnahmen führten zur Solidarisierung der „Mitte“ mit der Bekenntnisgemeinschaft und schwächten daher die Stellung Cochs. In innerkirchlicher Hinsicht kann das Verhalten der Kirchenleitung im Rahmen der staatlichen Verhaftungsmaßnahmen als durchaus kontraproduktiv bezeichnet werden.
104 12. Rundbrief der Bekenntnisgemeinschaft, 18. September 1935 (ADSL, 6.3.2).
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4. Verstärkte Entkonfessionalisierung in Zeiten kirchenpolitischer Beruhigung 1935–1937 Die Tätigkeit des Landeskirchenausschusses in der sächsischen Landeskirche von November 1935 bis August 1937 wird als Zeit des innerkirchlichen Wiederaufbaus nach deutschchristlicher Zerstörung bezeichnet1. In Leipzig fiel in diese Zeit die Wahl Heinrich Schumanns zum Superintendenten, ein Amt, das er bis zum Frühjahr 1953 innehatte. Im Folgenden soll ausgehend von der Neuordnung der NS-Kirchenpolitik mit der Bildung des Reichskirchenministeriums im Jahr 1935 die kirchenpolitische Entwicklung in Sachsen mit Schwerpunkt Leipzig bis zur Auflösung des Landeskirchenausschusses dargestellt werden. Dabei werden vor allem die Neuaustarierung der kirchenpolitischen Kräfte und die Auswirkungen der sich nun stärker bemerkbar machenden Entkonfessionalisierungsbestrebungen behandelt.
4.1 Der kirchenpolitische Kurs des NS-Regimes Spätestens mit der Bekenntnissynode von Berlin-Dahlem im Oktober 1934, die das kirchliche Notrecht ausrief, war das Scheitern der nationalsozialistischen Kirchenpolitik offenbar geworden. Zwar waren die Reichskirchenleitung unter Reichsbischof Müller und die deutschchristlich dominierten Landeskirchen von Partei und Staat anerkannt und unterstützt, in evangelischen Kirchenkreisen jedoch waren sie infolge ihrer plumpen deutschchristlichen Programmatik und ihrer rigorosen Eingliederungspolitik weitgehend diskreditiert und verloren an Anhängerschaft2. Der Vorläufigen Kirchenleitung und den in den so genannten „zerstörten“ Landeskirchen bestehenden bekenntniskirchlichen Notkirchenregimenten gelang es hingegen, öffentlichkeitswirksam die deutschchristliche Theologie in Frage zu stellen und die kirchenpolitische Praxis der Deutschen Christen anzuprangern. Die Kirchenfrage entwickelte sich zu einem innen- wie außenpolitischen Ärgernis, was Hitler zu einer Änderung seiner Kirchenpolitik bewog. Die nationalsozialistische Führung schwankte zwischen zwei grundverschiedenen Lösungswegen3. Das eine Modell sah die strikte Trennung von Staat und Kirche vor. Dies hätte für die Kirchen den Verlust des Status 1 H. HAHN, S. 116. 2 Sonderbericht des SD zur Lage in der protestantischen Kirche und in den verschiedenen Sekten und deren staatsfeindliche Auswirkungen, Februar/März 1935 (abgedruckt in: BERICHTE DES SD UND DER GESTAPO, S. 63–78, hier S. 65). 3 Zum Folgenden vgl. J. S. CONWAY, S. 136–141; J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus, S. 59 f.; W. DIERKER, S. 160.
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als öffentlich-rechtliche Körperschaft und des Rechts auf Staatsleistungen und Kirchensteuererhebung bedeutet. Gegen diese radikale Veränderung der Staat-Kirche-Beziehungen sprachen jedoch die vorhandenen rechtlichen Bindungen und Hitlers Scheu vor grundlegenden Veränderungen in diesem Bereich. Das andere Modell war – für die evangelische Kirche – staatskirchlich orientiert, bis hin zur uneingeschränkten Kirchenleitung durch das Staatsoberhaupt. Hitler entschied sich für eine Kompromisslösung. Ausgehend von einer „scharfe[n] Abgrenzung des staatlich-weltlichen Bereiches von dem kirchlich-religiösen Bereich“ sah das von dem früheren Staatssekretär im preußischen Kultusministerium, Wilhelm Stuckart, entwickelte Modell „eine Verschärfung der staatlichen Oberaufsicht über die Kirche“ vor4. Diese Lösung entsprang dabei der bewussten Doppelstrategie Hitlers, auf lange Sicht den kirchlichen Einfluss auf die Öffentlichkeit zu unterbinden bei gleichzeitigem „friedlich-schiedliche[m] Arrangement mit den Kirchen“5. Mit der Durchführung dieser Politik betraute Hitler den ehemaligen preußischen Justizminister Hanns Kerrl und übertrug ihm die bisher im Reichsinnenministerium und im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung angesiedelten Zuständigkeiten für Kirchenangelegenheiten6. Auf Kerrls Initiative entstand das Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten7. Kerrls eigene, laienhafte kirchenpolitische Konzeption ging von einer Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum aus: „Positives Christentum und Nationalsozialismus sind identisch, denn lebendig gemacht hat die christliche Lehre nicht die katholische und nicht die evangelische Kirche, sondern ganz allein Adolf Hitler – während jene wieder als Pharisäer daneben standen und mit dem Buchstaben töten wollten, was wir mit Leben erfüllt hatten“8. 4 Denkschrift und Gesetzentwürfe Staatssekretär Stuckarts über die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Evangelischer Kirche, 20./21. Januar 1935 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, Dok. 4/35, S. 249–261). 5 Vgl. H. G. HOCKERTS und DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Einleitung, S. XVI; H. KREUTZER, S. 111, bezeichnet Kerrl als von Hitler absichtlich eingesetztes „Korrekturpendel“ in der Auseinandersetzung zwischen kirchenfeindlichen und kirchenfreundlichen Kräften in Staat und Partei. 6 Zur Geschichte des Reichskirchenministeriums vgl. G. BESIER, Kirchen, S. 287–336; H. KREUTZER. Zu H. Kerrl vgl. C. NICOLAISEN, Kerrl. 7 Mit dem Führer-Erlass vom 16. Juni 1935 (RGBl 1935, Teil I, S. 1029) sollte ursprünglich lediglich eine dem Reichsinnenministerium unterstellte Reichsoberbehörde geschaffen werden (vgl. H. KREUTZER, S. 75). 8 So Kerrl in einer Rede in der Reichsschule des deutschen Arbeitsdienstes am 13. Januar 1936 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Dok. 64, S. 153–160, Zitat S. 158). Zu seiner Konzeption vgl. K. MEIER, Kreuz, S. 135, und DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. XIX.
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War diese Synthese für weite Kreise der evangelischen Kirche aufgrund der religiösen Verklärung Hitlers vollkommen untragbar, so störten sich überzeugte Kirchengegner wie Bormann, Heß oder Rosenberg an Kerrls unbedingtem Festhalten am „positiven Christentum“. Diese weltanschaulichen Rigoristen waren keineswegs bereit, sich Kerrl unterzuordnen und ihre restriktive Politik gegenüber den Kirchen aufzugeben9. So blieb, wie Heike Kreutzer hervorgehoben hat, auch nach der Entstehung des Reichskirchenministeriums „das Gegen- und Aneinandervorbeiarbeiten von Staats- und Parteistellen [. . .] weiterhin prägend für die Kompetenzverteilung in kirchlichen Angelegenheiten“10. Das „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“11 vom 24. September 1935 ermächtigte den Reichskirchenminister, „zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den evangelischen Landeskirchen [. . .] Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen“. Kerrl versuchte einen kirchlichen Neuanfang, indem er, auf zwei Jahre befristet, Kirchenausschüsse auf der Ebene der Reichs- und Landeskirchen einsetzte, denen die „innerkirchliche“ Leitung übertragen wurde. Die personelle Basis dieser Ausschüsse bildeten die kompromissbereiten Kräfte aus den kirchenpolitischen Gruppen, vor allem von den Deutschen Christen und der „Mitte“12. Manch einer sah in dem Ausschussprojekt die Gefahr einer Wiederkehr des landesherrlichen Kirchenregiments13. Doch schon der Aufruf des Reichskirchenausschusses vom Oktober 1935 an die evangelischen Gemeinden, „in Fürbitte, Treue und Gehorsam zu Volk, Reich und Führer zu stehen“, und das Bekenntnis: „Wir bejahen die nationalsozialistische Volkwerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden“14 verschärften die Auseinandersetzungen innerhalb der BK zwischen einem grundsätzlich zur Mitarbeit in den Ausschüssen bereiten „gemäßigten“ Flügel und einem „entschiedenen“, der eine Beteiligung an den Ausschüssen ablehnte15. Auch bei den Deutschen Christen, die durch Kerrls Politik ihre dominierende Stellung gefährdet sahen, stieß die Einsetzung der Kirchenausschüsse auf Widerstand16. Der Erfolg der Ausschusspolitik Kerrls hing angesichts der schlechten Ausgangsvoraussetzungen stark da9 W. DIERKER, S. 166. 10 H. KREUTZER, S. 86. 11 Abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Nr. 24/I, S. 78 f. 12 J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus, S. 60. 13 So z. B. der württembergische Landesbischof Theophil Wurm (G. BESIER, Kirchen, S. 343). 14 Abgedruckt in: K. D. SCHMIDT, Bekenntnisse 1935, S. 273 f. 15 G. BESIER, Kirchen, S. 348–354. 16 In Thüringen, Mecklenburg, Lübeck und Anhalt kam es nicht zu einer Ausschussbildung, sodass die deutschchristlichen Kirchenleitungen im Amt blieben.
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von ab, inwieweit andere Staats- und Parteistellen sich die Durchsetzung seiner Vorstellungen zum Ziel machten.
4.2 Die Bildung des sächsischen Landeskirchenausschusses In Sachsen trafen im Sommer/Herbst 1935 in kirchenpolitischer Hinsicht zwei gegenläufige Entwicklungen aufeinander. Reichsstatthalter Mutschmann gelang es, seine Machtposition auszubauen. In der sächsischen Landesregierung hatten sich im Frühjahr 1935 personelle Veränderungen zuungunsten der tendenziell eher kirchenfreundlichen Kräfte ergeben. Ministerpräsident von Killinger, der im Zusammenhang mit der Röhm-Krise kurzzeitig verhaftet, schließlich freigelassen wurde, aber beurlaubt blieb, wurde Ende Februar 1935 endgültig entlassen17. Auf diese Weise gelang es Mutschmann, der von Killingers Amt übernahm, seine Machtposition in Sachsen als Ministerpräsident, Gauleiter und Reichsstatthalter weiter auszubauen18. Nach dem Ausscheiden von Killingers war auch die Position des parteilosen Volksbildungsministers Wilhelm Hartnacke unhaltbar geworden, dessen Entlassung Mutschmann mit großem Eifer betrieb19. Die Stelle des Volksbildungsministers wurde kommissarisch mit dem Gauobmann des NS-Lehrerbundes, Arthur Göpfert, besetzt, dessen unbedingte Loyalität zum Reichsstatthalter zu erwarten war. Mutschmann war, wie sich in einer Besprechung Kerrls mit den Vertretern der Länder im August 1935 zeigte, an Kirchenfragen durchaus interessiert, zumal er diese in sein antisemitisches Weltbild einbaute: „Der Vertreter Sachsens, Gauleiter Mutschmann, wies darauf hin, dass Judentum und Kirche nicht zu trennen seien. Die Juden ständen in Sachsen hinter dem Kampf der Kirche“20. Den Kirchenstreit wollte er lösen, indem er Pfarrer zu Staatsangestellten machte und ansonsten Staat und Kirche, gerade hinsichtlich der Steuern, trennte21. Mit dieser Konzeption hätte Mutschmann die Möglichkeit gehabt, die Kirche personell und finanziell zu gängeln. Ab September 1935 kürzte Mutschmann die Staatsleistungen an die sächsische Landeskirche drastisch22. Innerhalb von fünf Jahren betrugen 17 Zu den Umständen seiner Entlassung und dem nach A. Wagner dabei eher gering einzuschätzenden Einfluss Mutschmanns vgl. A. WAGNER, Machtergreifung, S. 110–122. 18 EBD., S. 122. 19 Zu Wilhelm Hartnacke vgl. H. SCHÖNEBAUM. 20 Protokoll einer Besprechung des Reichskirchenministers mit den Oberpräsidenten und Vertretern der Länder, 8. August 1935 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Dok, 15, S. 39–50, hier S. 41). 21 EBD. 22 Mutschmann an Kerrl am 27. November 1935 (BARCH BERLIN, R 5101/24770, Bl. 22 f.).
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die der Landeskirche vorenthaltenen Staatsleistungen fast 15 Millionen Reichsmark23. Durch dieses Verhalten geriet Mutschmann nicht nur mit der Leitung der Landeskirche in Konflikt, sondern auch mit dem Reichskirchenminister und dem Reichsfinanzminister, die wiederholt reguläre Zahlungen anmahnten24. Bezeichnend für diesen „finanziellen Ansatz“ und die Unverfrorenheit Mutschmanns, dessen Kirchenaustritt im Spätsommer 1936 amtlich mitgeteilt worden war25, ist auch das Bemühen der Landesregierung, von den in Sachsenburg inhaftierten Geistlichen die „Schutzhaftkosten“ einzutreiben, was sonst in keinem anderen Land versucht wurde26. Allerdings setzten sich Kerrl und Frick erfolgreich für die Niederschlagung dieser Kosten ein27. Mutschmanns Hass auf die Kirchen wird mehr als deutlich in einem Telefongespräch, das er mit einem Mitglied des Landeskirchenausschusses wegen der Staatsleistungen am 31. August 1936 führte: „Aus dem ganzen Lande kommen mir Klagen, dass Sie die Kirchen nicht vorrichten [renovieren, G. W.] lassen, sondern sperren lassen, weil Sie die Mittel dazu nicht hätten. So soll der Eindruck entstehen, als ob der Staat die Kirche bedränge. Ich lasse mir dieses Spiel nicht gefallen, denn ich habe festgestellt, dass Sie drei Millionen mehr als vor der Machtergreifung haben. [. . .] Das sind jüdische Methoden, wenn Sie die nicht sofort aufgeben, werden Sie Gehöriges auf den Kopp [sic] kriegen. [. . .] Sonst lasse ich die Vorrichtungsarbeiten von mir aus machen und ziehe es der Kirche nachher ab und treibe das Geld bei“28.
Dem regionalen Machtanspruch Mutschmanns stand die Politik Kerrls gegenüber, der zunächst versuchte, eine Reihe von Befugnissen polizeilicher Natur an sich zu ziehen. Er „ersuchte“ die Vertreter von Ländern und Polizei, in Fällen von Inschutzhaftnahmen, Redeverboten und Beschlagnahmen gegenüber Geistlichen vorher seine „Entscheidung“ einzuholen29.
23 Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 352, Anm. 996, und J. FISCHER, S. 45. 24 Vermerk von Staatssekretär Lammers über die kirchliche Lage in Sachsen und Thüringen, 29. August 1936 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Dok. 111, S. 234 f.). 25 Vgl. Gerber an das Reichskirchenministerium am 3. September 1936 (BARCH BERLIN, R 5101/23770, Bl. 233). 26 G. WALTHER, S. 20, der eine Rechnung über 99 RM für 66 Tage Lageraufenthalt erhalten hatte. 27 Ermert an Kerrl am 25. November 1935 (BARCH BERLIN, R 5101/23768, Bl. 10). 28 Gerber hat die Sätze wenige Minuten nach dem Anruf niedergeschrieben. Gerber an den Reichskirchenminister am 3. September 1936 (BARCH BERLIN, R 5101/23770, Bl. 234). 29 Entscheidungsbefugnis für den Reichskirchenminister bei Maßnahmen politischer Natur gegen Geistliche, 5. September/4. Dezember 1935 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Dok. 25, S. 82 f.). W. DIERKER, S. 212, weist darauf hin, dass es um diese Weisungsbefugnis zwischen RKM und Gestapo Meinungsverschiedenheiten gab.
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Noch im Juni 1935 hatte der sächsische Innenminister Frisch gegenüber Frick die Kompetenz für Schutzhaftmaßnahmen gegen Geistliche für sich reklamiert30. Mitte November 1935 widerrief das sächsische Innenministerium alle bestehenden Rede- und Aufenthaltsverbote31, und Mutschmann sah sich nach direkter Intervention des Reichskirchenministeriums gezwungen, die Haftstrafe gegen einen Geistlichen wieder zurückzunehmen32. Das Amtierungsverbot für die in Sachsenburg inhaftierten Geistlichen, das auch auf den Reichsstatthalter zurückging, wurde ebenfalls wieder aufgehoben33. Doch die zeitnahe Umsetzung der Politik Kerrls in Sachsen beschränkte sich wohl nur auf den Sommer/Herbst 1935. So gab der sächsische Innenminister den Erlass des Reichskirchenministers vom 4. Dezember 1935, in dem dieser die Kompetenz für Maßnahmen staatspolizeilicher Art für sich reklamierte, erst im August 1936 an die Polizeipräsidenten und -direktoren weiter, obwohl er ihn schon am 5. Dezember von der Staatskanzlei erhalten hatte34. Dem Reichskirchenminister gelang es in Sachsen nicht, seine Kompetenzen gegenüber dem Polizeiapparat durchzusetzen. So bestätigt sich auch hier die jüngst vertretene These, wonach die politischen Polizeien Kerrls „Anspruch, die letzte Entscheidungsgewalt bei Zwangsmaßnahmen gegen Geistliche und kirchliche Einrichtungen auszuüben [. . .] von vornherein nur nach eigenem Gutdünken“ respektierten35. Die damals entstandene Rivalität zwischen dem Reichskirchenminister und dem sächsischen Reichsstatthalter blieb in der Folge eine wichtige kirchenpolitische Konstante36. Kerrl begann Mitte November 1935 die Verhandlungen um die Einsetzung des sächsischen Landeskirchenausschusses37. Dabei konnten sich der sächsische Bruderrat und die „Mitte“, die einen gemeinsamen Personalvorschlag erarbeitet hatten, gegen die diskreditierten Deutschen Christen durchsetzen38. Der schließlich gefundene Kompromiss beließ Coch zwar 30 Sächsisches Ministerium des Innern an den Reichsinnenminister am 13. Juni 1935 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MdI 9610, Bl. 98 f.). 31 Burgsdorff an die Kreis- und Amtshauptleute u. a. am 14. September 1935 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MdI 9610, Bl. 117). 32 Es handelte sich um den Vikar Hermann Ackermann aus Ramsdorf, der 1936 kurzzeitig Vikar an der Christus-Kirche in Wahren war und ab 1949 in der Heilig-Kreuz-Gemeinde amtierte. Staatskanzlei an das Ministerium des Innern am 30. September 1935 (BARCH-DH, ZB II 4590, Bl. 56). 33 J. FISCHER, S. 43. 34 Vgl. STAL, MdI 9610, Bl. 124 f. und 167. 35 W. DIERKER, S. 166 f. Für Bayern vgl. dazu den Bericht des Reichsstatthalters Franz Ritter von Epp an den Reichskirchenminister vom 11. Oktober 1935 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Dok. 25 II, S. 83 f.). 36 Zum Verhältnis der Reichsstatthalter zu Kerrl vgl. K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 71. 37 Zur Bildung des Landeskirchenausschusses vgl. G. BESIER, Kirchen, S. 380–382. 38 Die Zusammensetzung ging wesentlich auf einen Vorschlag des Leipziger Theologie-
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das Amt des Landesbischofs, seine Kompetenzen waren jedoch weitgehend beschnitten worden39. Der Landesbruderrat war unter diesen Umständen bereit, auf seine kirchenregimentlichen Befugnisse zu verzichten, verweigerte jedoch die geistliche Unterordnung unter Landesbischof Coch. Als der sächsische Bruderrat dieser Lösung zustimmte, setzte er sich definitiv vom Reichsbruderrat ab, der eine Zusammenarbeit mit den Ausschüssen ablehnte40. Dem Landeskirchenausschuss gehörten der Dresdner Superintendent Johannes Ficker (BK), der dem Gremium vorstand, der Chemnitzer Superintendent Willy Gerber („Mitte“) als dessen Stellvertreter, die gemäßigten Deutschen Christen, Pfarrer Horst Fichtner und Erich Knabe, und der der „Mitte“ zuzurechnende Vorsitzende des Landesvereins Sachsen der Inneren Mission, Oberkirchenrat Adolf Wendelin, an41. Knabe, der das Pfarramt der staatlichen Heilanstalt Dösen bei Leipzig innehatte und daher zur Ephorie Leipzig-Stadt gehörte, wurde besonderer Sachbearbeiter für die Leipziger Angelegenheiten. Er galt als gemäßigter DC und ausgleichende Persönlichkeit42. Erich Kotte (BK) übernahm am 17. März 1936 die Leitung des Landeskirchenamtes43. Die staatliche Finanzabteilung unterstand Oberlandeskirchenrat Willy Kretzschmar (DC). Die Neuregelung der Kirchenleitung war in hohem Maße von gegenseitigen Kompromissen geprägt: Die Bekennende Kirche stellte im Landeskirchenausschuss nur ein Mitglied. Sie musste hinnehmen, dass Coch weiter Landesbischof blieb, wenn auch mit stark beschnittenen Kompetenzen. Auf der anderen Seite galten die im Landeskirchenausschuss vertretenen Deutschen Christen als gemäßigt und ließen für die Dauer ihrer Tätigkeit im Ausschuss ihre DC-Funktion ruhen. Sie verfügten mit der Finanzabteilung über eine wichtige Stelle, mussten aber die „Demontage“ des Landesbischofs hinnehmen. Wenn auch nur mit zwei Personen am Landeskirchenausschuss beteiligt, konnte sich die Mittelgruppe als die eiprofessors Heinrich Bornkamm zurück, der einen Ausschuss von neun Mitgliedern vorgesehen hatte (vgl. J. FISCHER, S. 46, Anm. 19). EBD., S. 135, Anm. 28, auch eine Charakterisierung der Mitglieder des Landeskirchenausschusses. 39 Auch die VKL machte ihre nur unter schweren Bedenken gegebene Zustimmung zur Beibehaltung Cochs in einem Schreiben an den Reichskirchenausschuss am 5. Dezember 1935 geltend (abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. Nr. 50, S. 214). Nach § 3 Abs. I der 3. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 21. November 1935 hatte der Landesbischof einen eigenen Sprengel, konnte geistliche Amtsübungen vollziehen und bei der Einführung der Superintendenten, bei Ordinationen, kirchlichen Prüfungen und bei der Arbeit des Landeskirchenamtes im Einvernehmen mit dem Landeskirchenausschuss mitwirken. 40 G. BESIER, Kirchen, S. 382. 41 EBD., S. 381. 42 Vgl. G. WALTHER, S. 23. 43 K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 353.
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gentliche Gewinnerin ansehen. Mittlerweile als „Arbeitausschuss der kirchlichen Mitte“ fester zusammengeschlossen, hatte sie sich von Anfang an zur Fürsprecherin des Reichskirchenausschusses und einer Ausschusslösung in Sachsen gemacht44. Sie besaß im Landeskirchenausschuss eine Sperrminorität, da kaum zu erwarten war, dass Deutsche Christen und Bekennende Kirche sich über die Mittelgruppe hinweg einigen würden. Bis auf Ficker gehörten alle Mitglieder des Landeskirchenausschusses der NSDAP an45. Es erwies sich als vorteilhaft, dass Mutschmann sich mit dem deutschchristlichen Landeskirchenamt wegen der Staatszuschüsse überworfen hatte und sich im Herbst 1935 an den kirchlichen Fragen uninteressiert zeigte46. Bei einem Empfang des Ausschusses am 5. Dezember erklärte sich der Reichsstatthalter bereit, den Ausschuss als neue Kirchenleitung anzuerkennen47. Am 28. November 1935 trat der Landeskirchenausschuss mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, der zurückhaltender formuliert war als der des Reichskirchenausschusses: „Wir sehen im nationalsozialistischen Staat die uns von Gott geordnete Wirklichkeit, in der die Kirche ihren Dienst tut. Unsere heiße Liebe gehört unserem deutschen Volke [. . .]. Wir ermahnen alle Glieder unserer Kirche, mit uns in Fürbitte und Treue zum Führer zu stehen“48. Die Bekennende Kirche und die „Mitte“ verstärkten nun ihre Zusammenarbeit in Abwehr deutschchristlicher Anfeindungen. Nachdem eine von beiden Gruppen initiierte Abstimmung unter den sächsischen Geistlichen eine überwältigende Zustimmung für den Kurs des Landeskirchenausschusses ergeben hatte, bildeten der Pfarrernotbund und die Mittelgruppe am 28. November 1936 zur Unterstützung des Landeskirchenausschusses einen Vertrauensrat der sächsischen Pfarrerschaft unter dem Vorsitz des Leipziger Pfarrers Oskar Bruhns49. Während alle Vertrauensratsmitglieder, die dem Landesbruderrat angehörten, aus Dresden stammten – Hugo Hahn, Karl Fischer, Georg Prater, Hermann Klemm –, wurde die „Mitte“ im Vertrauensrat nur von Leipzigern – Heinrich Schumann, Oskar Bruhns, Johannes Herz und Fritz Mieth – vertreten50. In einigen Kirchenbezirken 44 Zum Aufruf des am 15. Oktober 1935 gebildeten Arbeitsausschusses vgl. H. KLEMM, S. 289. 45 So H. SCHUMANN, S. 136. Vgl. auch K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 352. 46 K. MEIER, Kreuz, S. 134. 47 J. FISCHER, S. 47, Anm. 4. 48 KGVBl 1935, Nr. 19, Beilage; Neues Sächsisches Kirchenblatt, 1935, Sp. 780 f. 49 Die Erklärung wurde bis November von 971 Pfarrern, d. h. rund drei Vierteln der sächsischen Pfarrerschaft unterschrieben. Zum Vertrauensrat vgl. J. FISCHER, S. 74 f. und H. KLEMM, S. 287–297. 50 EBD., S. 294 f. Am 11. Januar 1937 trat der einer Vermittlungsgruppe der Deutschen Christen nahe stehende Superintendent Karl Semm als „Unabhängiger“ in den Vertrauensrat mit ein. EBD.
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gelang es bis zum Frühjahr 1937, weitere Vertrauensausschüsse einzusetzen51. Trotz der durchaus zu verzeichnenden Erfolge der Ausschussarbeit gelang es jedoch nicht, gegenseitige Vorbehalte restlos abzubauen, sodass sowohl von Seiten der BK wie auch – zuletzt wohl häufiger – der „Mitte“ der Vorwurf erhoben wurde, der Vertrauensrat sei ins Schlepptau der jeweils anderen Gruppe geraten52. Angesichts der kirchenpolitischen Entwicklung des sächsischen Landeskirchenausschusses verwundert es keineswegs, dass die Deutschen Christen bald in energische Opposition zu ihm gerieten. Auf Reichsebene hatte sich die Bewegung über das Verhalten zu den Landeskirchenausschüssen in zwei Gruppen gespalten: in die Reichsbewegung DC, die zur Zusammenarbeit bereit war, aber in dieser Haltung schließlich nahezu bedeutungslos wurde, und in die „Kirchenbewegung Deutsche Christen – Nationalkirchliche Bewegung“, die in Thüringen ihren organisatorischen Schwerpunkt hatte und eine ausschussfeindliche Politik betrieb. Mit der Übernahme der Leitung der organisatorisch weitgehend unabhängigen „Volksmissionarischen Bewegung Sachsens (DC)“ durch Walter Grundmann verstärkte sich die seit Mai 1935 zumindest theologisch spürbare Annäherung an die Kirchenbewegung entscheidend53. Ende Juni 1936 schlossen sich die sächsischen Deutschen Christen mit ihren etwa 30 000 Mitgliedern der Kirchenbewegung direkt an und verloren damit jegliche organisatorische Selbstständigkeit54. Die vierzehn deutschchristlichen Superintendenten zogen sich darauf demonstrativ aus allen deutschchristlichen Organisationen zurück55.
51 EBD., S. 295. 52 EBD., S. 296. 53 So K. MEIER, Deutsche Christen, S. 155. Ein Ende Februar 1936 in Dresden zwischen führenden Vertretern der Thüringer Deutschen Christen und der anderen beiden Gruppen geführtes Religionsgespräch, in dem die theologische Basis für eine gemeinsame Arbeit ausgelotet werden sollte, endete ergebnislos (vgl. J. FISCHER, S. 66). Zu Grundmann, den seine DC-Tätigkeit in der DDR wieder einholte, vgl. G. BESIER, Religionspolitik, S. 138. 54 Eine kleine Restgruppe unter Walter Schulze in Dresden schloss sich dagegen der gemäßigten Reichsbewegung DC an. K. MEIER, Deutsche Christen, S. 154. 55 Vgl. deren Aufruf: „Der Weg der Deutschen Christen Sachsens!“, in dem Grundmann Untreue und Irreführung der DC in Sachsen vorgeworfen wurde (in: Positives Christentum 2, 1936, vom 17. März 1936).
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4.3 Das evangelische Leipzig zwischen kirchenpolitischer Beruhigung und religionspolitischem Zugriff 4.3.1 Ein Mann der „Mitte“: der neue Superintendent Heinrich Schumann Die informelle Koalition zwischen Bekennender Kirche und „Mitte“ auf Landesebene bei der Bestellung des Landeskirchenausschusses und die damit einhergehenden Bemühungen, die durch das Landeskirchenregiment Coch entstandenen Verwerfungen wieder zu glätten, stellten den äußeren Rahmen dar, um eine dauerhafte, auf den realen Machtverhältnissen basierende Regelung der Superintendentenfrage in Leipzig zu schaffen. Die ohnehin zum Scheitern verurteilte „dahlemitische“ Haltung der BK, Hilbert als Notsuperintendenten zu installieren, war mit dem Ruhestand des Thomaspfarrers aufgegeben worden. Johannes Römer von der Immanuelgemeinde, der im Dezember 1934 die Nachfolge des kommissarischen Superintendenten Ebert angetreten hatte, verfügte als DC-Pfarrer innerhalb der Pfarrerschaft über zu wenig Rückhalt. Darüber hinaus waren die Leipziger Pfarrer Schumann, Bruhns, Herz und Mieth als „Mittepfarrer“ exponiert und entscheidend an der Sammlung dieser Gruppe in Sachsen beteiligt. Es ist zu vermuten, dass angesichts der Entmachtung Cochs und der relativ geschlossenen Opposition in Leipzig Pfarrer Römer im Dezember 1935 vom Amt des Superintendenten zurücktrat56. Als 2. Pfarrer der Thomasgemeinde übernahm Pfarrer Schumann gemäß den kirchlichen Vorschriften die Stellvertretung. Trotz dieser Voraussetzungen war seine Wahl zum Superintendenten keine Selbstverständlichkeit, denn sowohl der von der Stadt bestellte Patron, Stadtrat Beusch, als auch der stark bekenntniskirchlich geprägte Kirchenvorstand der Thomasgemeinde – das Amt des Superintendenten war mit der dortigen Pfarramtsleitung verbunden – stellten Gegenkandidaten auf. Vom Kirchenvorstand waren als Kandidaten Generalsuperintendent Johannes Eger (Provinz Sachsen), Pfarrer Eduard Putz aus München und Professor Oepke von der Theologischen Fakultät vorgeschlagen worden57. Die Wahl fiel schließlich doch auf Schumann, der über gute Kontakte zur Theologischen Fakultät verfügte58. Er wurde im April 1936 in sein Amt eingewiesen59. Die Position Schumanns wurde noch gestärkt, als auf der Ephoralkonferenz am 11. Juni 1936 der 1. Pfarrer an der Nikolaikirche, der Deutschbalte Oskar Bruhns, auf seinen Vorschlag zu seinem Stellvertreter gewählt 56 Römer trat am 27. Dezember 1935 zurück (vgl. D. RÖTHIG, 27. Dezember 1935). 57 H. STIEHL, S. 122. 58 1925 wurde Schumann um seiner Verdienste in der Arbeit der Leipziger Inneren Mission willen von der Theologischen Fakultät mit der Würde eines Ehrendoktors ausgezeichnet. 59 H. STIEHL, S. 122.
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wurde60. Die Kandidaten der BK und der Deutschen Christen, Kurt Zeuschner und Georg Faber, waren ihm gegenüber mit 43 gegen 15 (BK) bzw. sieben (DC) Stimmen deutlich unterlegen. Bruhns hatte das Amt des stellvertretenden Superintendenten bis kurz vor seinem Tod im Winter 1945 inne. Ihm folgte der ebenfalls zur „Mitte“ gehörende Johannes Herz. Mit dieser Wahl konnte an der Spitze der Leipziger Pfarrerschaft bis in die 50er Jahre die Vorherrschaft der „Mitte“ etabliert werden. Mit Schumann (geb. 1875) und Bruhns (geb. 1881) waren zwei Geistliche mit langjähriger beruflicher Erfahrung von den zwei zentralen Innenstadtgemeinden Thomas und Nikolai auf die wichtigsten Posten der evangelischen Kirche in Leipzig berufen worden. Schumann besaß als langjähriger Vorsitzender der Inneren Mission in Leipzig große Verwaltungserfahrung und eine profunde Kenntnis der kirchlichen Personalia, während Bruhns als Parteimitglied die politische Absicherung gegenüber Stadtverwaltung und Partei zu gewährleisten schien. Ohnehin verfochten beide gegenüber Landeskirche und Stadt einen eher konservativen Kurs der Bestandswahrung und politischen Zurückhaltung. Schumann insbesondere war daran interessiert, den Kirchenkampf aus den Gemeinden herauszuhalten und das kirchliche Leben aufrechtzuerhalten. Er tendierte dazu, der staatlich anerkannten Kirchenleitung zu folgen und Auseinandersetzungen mit staatlichen Stellen aus dem Weg zu gehen. Dieses „konservative“ Management stieß vor allem bei BK-Pfarrern auf Kritik, die gegenüber den Deutschen Christen einen stärkeren Abgrenzungskurs befürworteten61. Die Leipziger Pfarrerschaft verfügte jetzt über eine Leitung, die die große Mehrheit der Pfarrer hinter sich wusste und von dieser Basis aus mit viel größerer kirchlicher Autorität agieren konnte als Ebert und Römer, die zur Durchsetzung ihrer Ziele vielfach auf den Rückhalt von Partei, Polizei und staatlichen Stellen angewiesen waren. Insofern war die Berufung von Schumann und Bruhns angesichts der Leipziger Verhältnisse die adäquate Antwort auf die neuen kirchlichen und politischen Verhältnisse und Voraussetzung für eine weitgehende Ausschaltung genuin politischer Aspekte aus dem kirchlichen Leben. Zu den vorrangigen Aufgaben vor Ort zählten die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der kirchlichen Körperschaften und der Ausgleich zwischen den kirchlichen Gruppen. Schwierigkeiten traten besonders dort auf, wo Exponenten von Bekennender Kirche und Deutschen Christen in einer Gemeinde zusammentrafen. Gegenüber 1933/1934 war 1936 allerdings eine Tendenz zur Entspannung zu verspüren, da mindestens acht Pfarrer von den Deutschen Christen zur „Mitte“ übergegangen 60 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 11. Juni 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 61 G. WALTHER, S. 23, betont die positiven Auswirkungen, die mit der Einsetzung Schumanns verbunden waren, „wenn er auch für die Ziele der BK nicht zu haben war“.
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waren62. Von der Bekennenden Kirche waren drei Pfarrer zur „Mitte“ gewechselt63, zwei andersherum64. Am auffälligsten waren die Spannungen in der Petersgemeinde, wo der den Deutschen Christen nahe stehende Superintendent des Kirchenbezirkes Leipzig-Land auf den Vorsitzenden des Kreisbruderrates Georg Walther traf65. Ähnlich gelagert war die Situation im Jahr 1936 in weiteren fünf Gemeinden66. Zum Teil war das Klima durch persönliche Animositäten der Pfarrer untereinander vergiftet67. Ein weiteres Konfliktfeld, besonders hinsichtlich der Nutzung kirchlicher Räumlichkeiten, ergab sich, wenn ein DC- oder BK-Pfarrer auf eine aktive Gemeindegruppe der anderen Richtung traf. In der Nathanaelgemeinde zogen sich diese Auseinandersetzungen über Jahre hin und zerstörten das Klima innerhalb der Gemeinde68. Der Wechsel der Pfarrstellen im Jahr 1936 deutet auf ein vorsichtig zurückhaltendes Verhalten von Landeskirchenausschuss und Superintendentur hin. In die 1. Pfarrstelle an Philippus – bisher von einem DC-Pfarrer gehalten – rückte der ebenfalls zu den DC gehörende Stellvertreter nach. Die 2. Pfarrstelle wurde von Pfarrer Otto Winkler besetzt, der sich kirchenpolitisch nicht engagiert hat. In der Emmausgemeinde folgte in der Pfarramtsleitung auf den DC-Pfarrer Alfred Weber Karl Küttler, der bis dahin Deutscher Christ war, nach seinem Umzug nach Leipzig jedoch zur „Mitte“ tendierte. Die Pfarramtsleitung an Heilig-Kreuz übernahm nach langer Vakanz der zur „Mitte“ gehörende Pfarrer Albert Krause. Hatten sich 1936 die Gewichte zur „Mitte“ verschoben, so profitierte 1937 eher die Bekennende Kirche von den Pfarrerwechseln. Mit Rüdiger Alberti (vorher an der Markusgemeinde in Chemnitz tätig) und Friedrich Kruspe (vorher Geilsdorf/Vogtland) kamen zwei exponierte BK-Pfarrer nach Leipzig, die in Sachsenhausen inhaftiert gewesen waren69. An der 62 Friedrich Abegg, Gerhard Ebert (Nathanael), Max Junge, Karl Küttler, Kurt Reichhardt, Reinhard Reinecker, Heinrich Roehling, Hans Leonhardt. Ein Wechsel von einer anderen Gruppe zu den Deutschen Christen lässt sich nicht nachweisen. 63 Hans-Wilhelm Günther, Kurt Herberger, Hans Siegfried Schnieber. 64 Johannes Erich Voigt, Friedrich Wallmann. 65 Zu den Streitigkeiten mit Fröhlich vgl. G. WALTHER. Es ist zu vermuten, dass sich Walther aus diesem Grund – allerdings erfolglos – nach Dresden bewarb. Vgl. Kirchlicher Jahresbericht auf 1936 (Konzept) (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 66 Und zwar in den Gemeinden Heiland, Immanuel, Nathanael, Nikolai und Paul-Gerhardt. 67 So z. B. in Heilig-Kreuz und Philippus. 68 Angesichts der vergifteten Atmosphäre gelang es auch hier dem Superintendenten nicht, die kirchliche Lage zu beruhigen. Vgl. den Schriftwechsel in ADSL, Schrank I, Fach 8, 99. 69 Zu Alberti vgl. auch das Gutachten des Gestapa Berlin für die Reichskulturkammer, 22. August 1937 (BARCH BERLIN, RKK 2101, Box 8, File 13); vgl. auch „Die Lage in der protestantischen Kirche und in den verschiedenen Sekten und deren staatsfeindliche Auswirkung“ (abgedruckt in: BERICHTE DES SD UND DER GESTAPO, Nr. 2, S. 63–78, hier S. 77).
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Thomaskirche waren so mit Alberti, Böhme und Meder drei von vier Pfarrstellen mit BK-Pfarrern besetzt. Die Deutschen Christen verloren die Pfarramtsleitung an der Lutherkirche, wo auf den aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Georg Faber Friedrich Lehmann von der kirchlichen Mittelpartei folgte. Die vom Landeskirchenausschuss eingeleiteten Maßnahmen zur Befriedung der kirchlichen Lage wurden auch in Leipzig durchgeführt. Die Ephoralversammlungen fanden ab Frühjahr 1936 wieder regelmäßig statt und verliefen, wenn man den Protokollen vertrauen kann, zwar nicht konfliktfrei, doch auf der Basis gegenseitiger Verständigung70. Um die Arbeitsfähigkeit der Gemeindevertretungen wieder herzustellen, verbot der Landeskirchenausschuss separate „Fraktionssitzungen“ und drohte bei Zuwiderhandlung mit deren Auflösung71. In der Gemeinde zum Heiligen Kreuz wurde wegen der innerkirchlichen Spannungen ein Ortskirchenausschuss eingesetzt, der laut eigenem Bekunden „durch seine kirchliche Haltung allenthalben das beste Vorbild“ gab72. Für den Leipziger Kreisbruderrat waren mit der Wiedereinsetzung Leweks, der am 22. März 1936 sein Amt wieder antrat, und der Aufhebung des Predigtverbots für Theodor Kühn zwei wesentliche Ziele erreicht73. Dennoch stieß – besonders unter den Laien – der gemäßigte Kurs des Landesbruderrats auf Kritik. Mitglieder des Landesbruderrats, die die Politik in Leipzig vermitteln wollten, sprachen vor leeren Bänken74. „In Leipzig herrsche Unzufriedenheit, weil man der eigentlichen Orientierung aus dem Wege gehe, man wolle unzufrieden sein“, lautete ein Dresdner Resümee75. Es ist zu vermuten, dass dieses Verhalten auch auf Hellmut Schwarze zurückgeht, der als Kreisobmann der BK dem „dahlemitischen“ Flügel zuzurechnen war76. 70 Die Pfarrer konnten sich auf eine Verteilung der Donnerstage im Monat auf die verschiedenen Pfarrerorganisationen (Pfarrerverein, Ephoralkonferenz, Pfarrer-Bibelstunde, „NS-Pfarrer“) einigen. Protokoll der Ephoralkonferenz vom 13. Februar 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 71 Generalverordnung Nr. 133 B vom 17. Februar 1936. Begründet wurde das Verbot damit, „dass derartige Fraktionssitzungen als ein aus dem verflossenen Parlamentarismus übernommener Brauch unmöglich sind“. 72 Vgl. Kirchlicher Jahresbericht auf 1936, S. 9 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). Die Generalverordnung Nr. 177 vom 7. März 1936 regelte die Einrichtung von Ortskirchenausschüssen (ADSL, Schrank I, Fach 9, 102). 73 G. WALTHER, S. 23. 74 So Karl Fischer am 5. Juni 1936 im Gemeindehaus Leipzig-Connewitz. H. KLEMM, S. 280, Anm. 272. 75 EBD., S. 280, Anm. 274. Die Bedenken führten zu einer gemeinsamen Eingabe von Leipziger und Chemnitzer Laien an den Landesbruderrat (vgl. G. WALTHER, S. 24). 76 Schwarze und der Chemnitzer Studienrat Küntzelmann lehnten den Anschluss an den Lutherrat ab und verschärften durch dieses Verhalten die innerhalb der sächsischen BK vorhandenen Spannungen zwischen Geistlichen und Laien (vgl. J. FISCHER, S. 65).
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Im Sommer 1936 intensivierte sich in Leipzig die Zusammenarbeit zwischen Bekennender Kirche und „Mitte“. Auf einer Versammlung von ca. 60 Pfarrern der Mittelgruppe in beiden Leipziger Kirchenbezirken wurde dem Landeskirchenausschuss die volle Unterstützung signalisiert77, und in der von Pfarrernotbund und „Mitte“ gemeinsam initiierten Vertrauenserklärung für den Landeskirchenausschuss hatten schon bis Mitte August 1936 52 Pfarrer durch Vermittlung der „Mitte“ und 23 durch die des Notbundes ihre Zustimmung erklärt78. Die Deutschen Christen in Leipzig, die durch die starke Integrationsfähigkeit der „Mitte“ schon bald einige Pfarrer verloren, gerieten in die Defensive79. Zu den Verlusten von Pfarramtsleitungen kam 1936 der Weggang des Universitätsdozenten Eisenhuth, des ehemaligen DC-Kreisleiters, der auf eine ordentliche Professur für Systematische Theologie an die Universität Jena berufen wurde. Dass sich bei der Wahl des stellvertretenden Superintendenten nur sieben Pfarrer für ein Mitglied der DC ausgesprochen hatten, zeigte ihre schwache Position. Sie reagierten daher empfindlich auf vermeintliche oder tatsächliche Benachteiligungen durch den Landeskirchenausschuss. So wandte sich der Obmann der Gaugemeinde Sachsen der Kirchenbewegung Deutsche Christen, Wolfgang Dennhardt, im Dezember 1936 sogar an das Reichskirchenministerium, um die Besetzung der 2. Pfarrstelle an der Johannisgemeinde mit einem thüringischen Deutschen Christen gegen den Willen des Landeskirchenausschusses durchzusetzen – allerdings erfolglos80. Trotz alledem erreichten deutschchristliche Gemeindegruppen zum Teil eine beachtliche Größe. Die größte in Möckern um Pfarrer Johannes Ludwig hatte über 280 Mitglieder, diejenige in Stötteritz ca. 8081. Auf dieser Ebene war auch eine sehr enge Verzahnung von Gemeindegruppe und NS-Organisationen unverkennbar. So wusste Schumann von der DC-Gemeindegruppe in Möckern zu berichten: „Sie stellt eine Verbindung zu den Gliederungen der NSDAP dar und betätigt sich rege am kirchl. Leben durch Gottesdienstbesuch“82.
77 Bruhns und Mieth an den Landeskirchenausschuss am 4. November 1936 (EZA BERLIN, A4/254). 78 Schreiben an Herz zur Kenntnisnahme vom 14. August 1936 (UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1936). 79 Herz berichtet an den Vorsitzenden des Landeskirchenausschusses am 30. Januar 1936: „Die DC sind hier ganz still geworden“ (UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1936). 80 Dennhardt an das Reichskirchenministerium am 12. Dezember 1936 (BARCH BERLIN, R 5101/23765, Bl. 41). 81 Vgl. Kirchlicher Jahresbericht auf 1936, S. 3 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 82 Schumann im Kirchlichen Jahresbericht auf 1936, S. 3 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182).
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4.3.2 Die Verdrängung der Kirche aus der Öffentlichkeit Mit der Einsetzung des Landeskirchenausschusses und der Übernahme der Superintendentur durch Schumann war in Leipzig eine merkliche kirchenpolitische Beruhigung eingetreten. Der Monatsbericht der Leipziger Schutzpolizei für März 1936 vermeldete: „Der Kirchenstreit ist scheinbar völlig abgeflaut. Verbotene Flugblätter oder Schriften kamen öffentlich nicht zur Verbreitung“83. Unter diesen Umständen trat ein wesentliches Merkmal des Nationalsozialismus, die Ausschaltung der Kirchen aus dem öffentlichen Leben, offener hervor, konnten Maßnahmen dieser Art doch nicht mehr als notwendige Einmischung in den „Kirchenstreit“ kaschiert werden. Weiterhin wurde das kirchliche Leben in Sachsen durch eine rigide Beschränkung der kirchlichen Veranstaltungen enorm eingeengt. Die rechtliche Grundlage dazu bot eine Verordnung Görings vom 7. Dezember 1934, die öffentliche Veranstaltungen und Kundgebungen kirchlich-konfessionellen Charakters in Preußen verbot84. Sie wurde auch in anderen Ländern übernommen. In Sachsen wurde diese Verordnung am 22. Dezember 1934 umgesetzt85. Sie folgte weitgehend dem Text der preußischen Vorlage, nur die speziell die Katholiken betreffenden Teile wurden weggelassen und das Verbot explizit nur auf „Gottesdienste oder gottesdienstähnliche Veranstaltungen außerhalb der Kirchen“ beschränkt. So zielte die Verordnung vor allem auf das Verbot von Gottesdiensten der Bekennenden Kirche außerhalb der Kirchengebäude, auch wenn der sächsische Innenminister die Gültigkeit der Weisung für die Deutschen Christen und andere „kirchlich-konfessionelle Vereinigungen“ betonte86. Hinsichtlich öffentlicher Versammlungen kirchenpolitischer Gruppen er-
83 STAL, PP-V 4965, Bl. 69. Dass dies nicht ganz der Realität entsprach, zeigt eine von dem deutschchristlichen Pfarrer Ostarhild öffentlich gemachte Kontroverse zwischen DC und BK in Leipzig um eine angebliche Denunziation des Landesbischofs durch den Vikar an der Gemeinde zum Heiligen Kreuz, Hans Köhler, deren zeitlicher Beginn im Februar 1936 lag. Ostarhild zeigte Köhler darauf bei der Partei, kirchlichen und staatlichen Stellen an. Vgl. Bund für Entschiedenes Luthertum. 2. Flugschrift: Vikar Hans Köhler und Anonymus. Privatbrief an sämtliche Pfarrer der sächsischen Landeskirche (Juni 1936) (EZA BERLIN, A 4/255). 84 Verordnung des Preußischen Ministerpräsidenten und Chefs der Geheimen Staatspolizei: Verbot kirchlich-konfessioneller Veranstaltungen, 7. Dezember 1934 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, Dok. 80/34, S. 233 f.). 85 Verordnung des sächsischen Ministers des Innern, 22. Dezember 1934 (abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 27, S. 203). Die Verordnung sollte nicht veröffentlicht werden. 86 Verordnung des sächsischen Ministeriums des Innern (STAL, MdI 9610, Bl. 81). Vgl. auch J. FISCHER, S. 36. Auch gegen die Einwände des Reichsinnenministeriums, dass die Verordnung vom 22. Dezember 1934 gegen Art. 135 der Reichsverfassung verstoße, hielt das sächsische Innenministerium an seinem Verbot fest (vgl. J. FISCHER, S. 36).
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gab sich 1935 folgende Praxis: Die kirchenpolitischen Veranstaltungen mussten geraume Zeit vor dem Termin angemeldet werden. Zutritt hatten nur Mitglieder der kirchenpolitischen Gruppen, die sich durch Mitgliedskarten ausweisen mussten. Die Mitglieder konnten einzelne Gäste mitnehmen, sodass in einzelnen Veranstaltungen bis weit über 1 000 Gäste anwesend waren87. In besonderen Krisensituationen, wie z. B. in der Zeit nach April 1935, ging Mutschmann dazu über, sämtliche Veranstaltungen der Bekennenden Kirche zu verbieten88. Auch vor der Reichstagswahl am 29. März 1936 erging vom sächsischen Innenministerium ein Verbot selbst geschlossener Veranstaltungen89. Gerade bei den Polizeibehörden herrschte vielerorts gegenüber der Bekennenden Kirche ein großes Misstrauen. So wurde im April 1936 ein Volksmissionsabend des Kreisbruderrats Leipzig von der Polizei verboten, wogegen selbst Reichs- und Landeskirchenausschuss nichts ausrichten konnten90. Eine neue Dimension wurde erreicht, als die Veranstaltungsverordnungen nicht länger nur die Kirche selbst betrafen, sondern sich auch auf kirchliche Vereine und Verbände und deren Aktivitäten erstreckten. Eine Verordnung des sächsischen Innenministeriums vom 1. Oktober 1935 untersagte konfessionellen Vereinen und Verbänden rein weltliche Veranstaltungen wie Wanderungen, Gesangs- und Theatervorführungen91. Da die Verordnung erst im Frühsommer 1936 dem Landeskirchenamt übermittelt worden war, ist anzunehmen, dass die Polizei bis dahin ihren Vollzug nicht durchgesetzt hatte. Am 27. Mai 1936 dehnte der Innenminister dieses Verbot auch auf Kinderfeste aus92. Tatsächlich beschwerte sich der Landeskirchenausschuss beim Reichskirchenministerium Anfang Juni 1936 über das mit besonderer Schärfe in Sachsen durchgeführte Verbot von kirchlichen Lichtbildvorträgen, Kindergottesdiensten, Sommerfesten und Kirchgemeindefahrten93. 87 Laut den Ausführungsbestimmungen von Görings Erlass wären solche Versammlungen unter das Verbot gefallen, da bei ihnen „der Begriff der Nicht-Öffentlichkeit nicht gewahrt“ war (Nr. 2). 88 Vgl. oben S. 117; Verbot des Staatsministers des Innern vom 4. April 1935 (STAL, MdI 9610, Bl. 86). 89 Der Minister des Innern an die Herren Kreis- und Amtshauptleute am 16. März 1936 (STAL, MdI 9610, Bl. 141). Ebenfalls zur Beruhigung der innenpolitischen Lage vor den Wahlen diente der Erlass Himmlers, „von Maßnahmen irgendwelcher Art gegen Geistliche, konfessionelle Verbände [. . .] abzusehen“. Er wurde am 18. April wieder aufgehoben (vgl. STAL, MdI 9610, Bl. 143 und 160). 90 J. FISCHER, S. 71, Anm. 72 f. 91 Verordnung erschlossen aus Generalverordnung Nr. 150 des Landeskirchenamtes vom 25. Juni 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 105). Diese Verordnung soll auf einem – nicht ermittelten – Erlass des Reichsinnenministers basieren. 92 EBD. 93 Vgl. Gerber an den Reichskirchenausschuss am 16. Juni 1936 (EZA BERLIN, C2/41).
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Auf Anfrage Superintendent Schumanns konkretisierte der Leiter der Politischen Polizei in Leipzig, Ebbeke, diesem gegenüber Mitte August den Umfang des Verbots94. Danach waren nur „rein weltliche Feiern sämtlicher konfessioneller Vereine oder Verbände verboten“, wobei der Begriff „weltlich“ streng auszulegen war, sodass gesellige Veranstaltungen nur noch im Rahmen der Pfarrgemeinde zulässig waren95. Auf der nächsten Ephoralversammlung gab Schumann diese Information mit der Bemerkung an die Leipziger Pfarrer weiter, dass „laufende Veranstaltungen [. . .] nicht von der neuen Polizeiverordnung über ‚Feiern weltlicher Art‘ betroffen seien“96. Die sich verstärkende weltanschauliche Distanzierung machte sich auch in den Kirchgemeindevertretungen bemerkbar. Viele der 1933 in die kirchlichen Gremien gewählten Parteimitglieder, die sich mehr aus kirchenpolitischen Gründen denn aus persönlicher Affinität zur evangelischen Kirche zur Wahl gestellt hatten, hatten mittlerweile ihre Mitarbeit eingestellt. Der Kirchliche Jahresbericht für 1937 berichtete, dass „fast in allen Kirchgemeinden [. . .] die KgV [Kirchgemeindevertretung, G. W.] durch Tod, Wegzug und Amtsniederlegung kleiner geworden“ sei97. Superintendent Schumann hatte aus der Konzeptfassung des Jahresberichts jene Sätze gestrichen, die die Gründe dafür aufführten: „Wenn es auch allerorts bekannt ist, dass Mitglieder der NSDAP ihre KGV-Ämter zur Verfügung stellten ohne Angabe des Grundes“, so berichten doch zwei Gemeinden, dass ein Druck von „gewissen vorgeordneten Amtsträgern der Partei vorliegt“98. Dies stellte keineswegs eine lokale Besonderheit dar, berichteten doch auch andere Pfarrer aus der Umgebung Leipzigs von denselben Vorfällen99. Derartige Verhaltensweisen entsprachen dem Ziel der NSDAP, eine möglichst weitgehende Trennung von der Kirche zu erreichen und sich vollständig aus den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen heraus94 Ebbeke an Schumann (ADSL, Schrank I, Fach 11, 114). 95 Diesen Ausweg deutete Ebbeke an, als er Schumann darauf hinwies, dass Ausflüge von Pfarrern mit ihren Helferschaften erlaubt seien, da es sich bei den Veranstaltern nicht um einen kirchlichen Verband handele. Ebbeke an Schumann (EBD). 96 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 10. September 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 97 Kirchlicher Jahresbericht auf 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). Da 1936 die fällige Neuwahl je der Hälfte der durch Kirchwahlen zu benennenden Kirchengemeindevertreter mit Hinweis auf einheitliche Regelung durch den Reichskirchenausschuss ausgesetzt wurde (J. FISCHER, S. 63), bat das Landeskirchenamt die Kirchenamtsräte im Oktober 1936, diese Frage vor Ort zu klären. Vgl. Protokoll über die Besprechung mit den Herren Kirchenamtsräten am 13. Oktober 1936 (BKA LEIPZIG, A 26). 98 Kirchlicher Jahresbericht auf 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 99 So der Wurzener Pfarrer Johannes Mehlhose in einem Brief vom 22. November 1944 an den Leipziger Kirchenamtsrat Wäntig: „Sie werden sich entsinnen können, dass im Jahre 1937 die meisten der gewählten Kirchgemeindevertreter, die der Partei angehörten oder nahe standen, aus der KGV austreten mussten und nur ein Rumpfparlament zurückblieb“ (BKA LEIPZIG, A 59).
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zuhalten100. Der Leipziger Superintendent berichtete aus dem gleichen Jahr, dass auffällig viele „Altnationalsozialisten“, die im kirchlichen Dienst tätig gewesen waren, diesen quittiert hätten101. Auch für das Selbstverständnis überzeugter deutschchristlicher Pfarrer musste es einen schweren Einschnitt bedeuten, wenn sie, wie es 1936 dem Pfarramtsleiter der Taborgemeinde passiert war, ihr Braunhemd wegen ihrer kirchlichen Tätigkeit abgeben mussten102. Anders lag der Fall bei Oskar Bruhns. Der Pfarramtsleiter der Nikolaigemeinde wurde Anfang November 1937 von der NSDAP-Kreisleitung mit der Begründung aus der Partei ausgeschlossen, dass er „mit dem Mischling Lewek Beziehungen, die über das zwischen Kollegen notwendige Maß hinausgehen, die unbedingt parteischädigend sind“, unterhalte103. Dieser Vorwurf legt eine Denunziation aus Kirchenkreisen mehr als nahe. Das NSDAP-Kreisgericht Leipzig hob diesen Beschluss allerdings wieder auf, da Bruhns sich kurz vor dem Parteiausschluss gegenüber dem Landeskirchenausschuss für die Einführung des Arierparagraphen ausgesprochen und der stellvertretende Ortsgruppenleiter Bruhns ein gutes Verhältnis zur Partei attestiert hatte104. Vier Pfarrer gerieten in das Visier der Gestapo. Ausschlaggebend waren Kritik an der stärker werdenden antichristlichen Propaganda und angebliche Verstöße gegen das Sammlungsgesetz. Nach eigenen Angaben wurde der Vorsitzende des Leipziger Zweigvereins des Gustav-Adolf-Vereins, Pfarrer Karl Fleischer, im Jahr 1937 allein viermal verhört. Er hatte die in der Auseinandersetzung mit Rosenbergs antichristlichem „Mythus des 20. Jahrhunderts“ entstandene Schrift von Walther Künneth „Evangelische Wahrheit“105 verteilt106. Walther Künneth, der Leiter der Apologetischen Centrale, hatte mit der „Antwort auf den Mythus“ 1935 das Standardwerk lutherischer Rosenberg-Kritik geschaffen und zwei Jahre später als Reaktion auf Rosenbergs „Protestantische Rompilger“ das Buch „Wider die 100 Vgl. DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. XXIX mit weiteren Beispielen, vor allem Dok. 61, S. 150. Auch die SA war dem gleichen kirchenpolitischen Neutralitätsprinzip verpflichtet. So teilte z. B. die Gruppe Sachsen der SA dem Landeskirchenamt am 29. Oktober 1936 mit, dass SA-Angehörigen die Mitwirkung als Musiker bei kirchlichen Veranstaltungen untersagt sei (BARCH BERLIN, R 5101/23765). 101 Kirchlicher Jahresbericht auf 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 17, 182). 102 In dem nach Kriegsende von Pfarrer Konrad Richter angefertigten Bericht klang die Empörung über diesen Eingriff noch deutlich nach (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6). 103 Einstweilige Verfügung der NSDAP-Kreisleitung am 1. November 1937 (BARCH-DH, ZA 8140 Obj. 13). 104 Beschluss des NSDAP-Kreisgerichts am 10. Dezember 1937 (BARCH-DH, ZA 8140 Obj. 13). 105 W. KÜNNETH, Evangelische Wahrheit. 106 Zu dieser Auseinandersetzung vgl. R. BAUMGÄRTNER, bes. S. 206–227, und K. MEIER, Kreuz, S. 117–124.
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Verfälschung des Protestantismus“ veröffentlicht, das von der Gestapo beschlagnahmt worden war107. Dessen Grundgedanken fanden sich auch in „Evangelische Wahrheit“ wieder. Gegen Pfarrer Meder wurde nach einer Predigt im August 1937 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Verstoß gegen § 130a StGB, den so genannten „Kanzelparagraphen“, eingeleitet108. Seiner Predigt am 22. August 1937 lag das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter zugrunde109. Laut Ermittlungsbericht des Oberstaatsanwalts am Landgericht Leipzig hatte der 1885 im Uralgebiet geborene Oskar Meder, der bis 1930 in Estland als Pfarrer tätig gewesen war, die Verhältnisse in seiner Heimat mit denen im Nationalsozialismus gleichgesetzt: „In meiner Heimat zu russischer Zeit war es so. Man bespitzelte uns, ob wir eine Kollekte sammelten, die nicht genehmigt war; dass wir keine Versammlungen abhielten, die nicht der Behörde zur Kenntnis gelangten und von dieser erlaubt wurden. Der Herr Christus ist nicht schlechter geworden wie [sic] er früher war. Es wird auch jetzt wieder alle Feinde niederringen, die gegen ihn aufstehen, ihn bespitzeln und zu fangen versuchen“110.
Mit seinen Ausführungen habe Meder, so der Oberstaatsanwalt, zu Vergleichen zwischen der angeblichen Gewaltherrschaft der Zarenregierung und den Maßnahmen des Dritten Reiches zur Abwehr von Übergriffen der so genannten Bekennenden Kirche geradezu herausgefordert und damit den öffentlichen Rechtsfrieden bedroht111. Nach Meders eigenen Angaben bewahrte ihn die wegen der Angliederung Österreichs gewährte Amnestie vor Gefängnishaft112. Stärker noch als Meder kritisierte Pfarrer Walther, wenn man dem Überwachungsbericht eines von ihm am 18. Juli 1937 gehaltenen Gottesdienstes Glauben schenkt, die repressiven Maßnahmen des Nationalsozialismus. Er hatte zur Fürbitte für inhaftierte Pfarrer aufgerufen: „Herr, nimm die Schande von deinen Dienern. Befreie sie aus den Gefängnissen, 107 W. KÜNNETH, Antwort. 108 Der § 130a StGB wurde durch Gesetz vom 10. Dezember 1871 eingeführt und am 26. Februar 1876 ergänzt. Er bedrohte Geistliche, die in Ausübung ihres Amtes „in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise“ Angelegenheiten des Staates behandelten, mit bis zu zwei Jahren Gefängnis oder Festungshaft. Während des Kulturkampfes und in der NS-Zeit diente der Vorwurf des „Kanzelmissbrauchs“ der Reglementierung missliebiger bzw. regimekritischer Pfarrer (vgl. K. J. VOLKMANN, S. 51–55). Meder selbst glaubte 1945 irrtümlich wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz angeklagt worden zu sein (sein Bericht in: ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6). 109 Lukas 10, 29–37. 110 Der Ermittlungsbericht in BARCH-DH, ZC I 1955, Bl. 10. 111 EBD. 112 Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit aus Anlass der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich (RGBl 1938, Teil I, S. 433 f.).
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denn nur Du allein weißt, dass sie nie Staatsfeinde waren, zu denen man sie gestempelt hat“113. Nachdem kirchliche Stellen die Frage der Staatsanwaltschaft, „ob Anweisungen bestehen, im Kirchengebet der etwa in Haft befindlichen Geistlichen in der Art wie es von Walther zum Ausdruck gebracht worden ist, zu gedenken“, verneint hatten114, erhob diese wegen dieser Äußerung ebenfalls Anklage wegen des „Kanzelparagraphen“115. Auch Walthers Vergehen fiel jedoch unter die genannte Amnestie116. Handelte es sich in den geschilderten Fällen um Maßnahmen des NSRegimes, regimekritische Äußerungen zu unterbinden, so gehörten das Verhör Pfarrer Fleischers und die Verhaftung des Superintendenten Schumann wegen Übertretung des Sammlungsgesetzes eher zu der Kategorie von Maßnahmen, die stärker den Charakter von administrativen Schikanen trugen. Auf dem Gebiet der kirchlichen Publizistik häuften sich ab dem Jahr 1936 die Einschränkungen. Zum einen betrafen sie die Berichterstattung über die Kirchen, zum anderen die kirchliche Pressearbeit selbst. Das Propagandaministerium war ausschließlich für die Kirchenberichterstattung zuständig und konnte diese Stellung auch gegenüber dem neu eingerichteten Kirchenministerium behaupten117. Vordringliches Ziel der staatlich kontrollierten Nachrichtengebung war es, die Berichterstattung über den Kirchenkampf auf das unumgängliche Minimum zu beschränken118. Mehr als die Hälfte der Pressevorschriften zum protestantischen Kirchenkampf betrafen Nachrichtensperren, dazu kamen Kommentarverbote119. In Leipzig zeigten sich die Einschränkungen in der privaten Presse auf zweierlei Weise: Die kirchlichen Nachrichten, ansonsten traditioneller Bestandteil der Zeitungen, wurden manchmal weggelassen120 oder an weniger prominenter Stelle abgedruckt. So wurde auf der Ephoralversammlung am 9. September 1937 beanstandet, „dass die LNN [Leipziger Neueste Nachrichten, G. W.] die Kirchennachrichten immer erst am Ende bringen. Es ist für die Kirche beschämend, dass die Religion so seitenan [sic] gedrängt wird“121. Auch die Berichterstattung über die Kirchen nahm ab. So ver113 Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht an das BKA am 26. Oktober 1937 (BKA LEIPZIG, II. Pfarrstelle Peters). 114 Das BKA an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht am 10. November 1937 (EBD.). 115 Staatsanwaltschaft Leipzig an BKA am 15. Februar 1938 (EBD.). 116 Staatsanwaltschaft Leipzig an BKA am 15. Juni 1938 (EBD.). 117 Vgl. dazu M. HUTTNER, S. 54–84. 118 EBD., S. 67. 119 EBD., S. 59. Die deutsche Presse erhielt u. a. Kommentarverbote für das „Gesetz zur Sicherung der deutschen evangelischen Kirche“ vom 24. Oktober 1935, das Kerrl seine zentralen kirchenpolitischen Kompetenzen gab (EBD., S. 63, Anm. 87). 120 Vgl. die Beschwerde Schumanns über das Fehlen der Kirchennachrichten an die Redaktion der Leipziger Tageszeitung vom 6. Juni 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 11, 114). 121 Protokoll der Ephoralversammlung vom 9. September 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 14).
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meldete der Jahresbericht des kirchlichen Amtes für Presse und Volksmission für 1936: „Als allgemeine Erscheinung auf dem Gebiet kirchlicher Presse- und Volksmissionsarbeit im Jahre 1936 lässt sich feststellen, dass die Pressearbeit mehr und mehr eingeschränkt wird, die Zeitungen Berichte über kirchliche Arbeit weithin gar nicht mehr wünschen beziehungsweise sie nur mit größter Vorsicht und unter erheblichen Streichungen bringen“122.
In dieser Hinsicht war Leipzig ein besonderer Fall, wurde doch auf einer Besprechung zur landeskirchlichen Pressearbeit im April 1937 in Dresden übereinstimmend festgehalten, dass „an allen Orten, in denen zwischen Schriftleitung und Vertrauensmann ein persönliches Verhältnis besteht, der Abdruck kirchlicher Nachrichten und Artikel durchaus möglich ist“123. Wahrscheinlich war das auf den Wechsel der kirchlichen Vertrauensmänner zurückzuführen, der auf Initiative des Landeskirchenausschusses betrieben wurde124. Das Amt für Presse und Volksmission rechnete es sich als Erfolg an, dass die Zeitungen nach seinen Beanstandungen auf einseitige Rezensionen von NS-Literatur sowie auf bestimmte Begriffe wie „n. d. Zw.“ [nach der Zeitwende, G. W.] verzichtet hätten125. Für die kirchliche Berichterstattung gewann die kircheneigene Presse immer stärkeres Gewicht. Von Vorteil erwies sich dabei, dass mit der Einsetzung des Kirchenausschusses auch auf diesem Gebiet eine Beruhigung eingetreten war126. 1933 war auch die Kontrolle des Pressewesens auf die deutschchristlichen Pfarrer übergegangen. Die Schriftleitung des „Evan122 ADSL, Schrank I, Fach 18, 186. 123 Besprechung am 14. April 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 18, 186). 124 Vgl. das Schreiben der Kirchlichen Nachrichten- und Pressestelle an die Superintendenturen am 5. Februar 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 7, 88a), in dem auf den Neuaufbau der kirchlichen Berichterstattung hingewiesen wurde. Der frühere Presseleiter Behrend hatte noch im November 1935 gegenüber Seck das gute Verhältnis zu den Leipziger Tageszeitungen hervorgehoben, allerdings nicht ohne Hintersinn, da er bei Seck mit der Bitte um Unterstützung gegen seine bevorstehende Amtsenthebung vorstellig wurde. Behrend an Seck am 22. November 1935 (ADSL, Schrank I, Fach 7, 88a). 125 Jahresbericht des kirchlichen Amtes für Presse- und Volksmission 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 18, 186). 126 1933 wurde mit der Einrichtung des landeskirchlichen Presseamtes das kirchliche Pressewesen vereinheitlicht. Das deutschchristliche Presseamt gab die Sächsische Evangelische Korrespondenz und das Kirchliche Gemeindeblatt heraus. Mit der Verordnung zur Umgestaltung der landeskirchlichen Gemeindeblattarbeit vom 20. Juni 1934 (KGVBl 1934, S. 83) wurden alle bisher in Sachsen bestehenden Gemeindeblätter in dem amtlichen und einheitlichen „Kirchlichen Gemeindeblatt für Sachsen“ zusammengefasst. Ab März 1935 wurde den Kirchgemeinden dessen Bezug zur Pflicht gemacht (KGVBl 1935, S. 31). Einige Gemeindeblätter konnten sich jedoch erhalten, und der Chemnitzer Verlag Max Müller brachte ein privates Gemeindeblatt, das der BK nahe stand, heraus. Das landeskirchliche Gemeindeblatt blieb in der Ausschusszeit erhalten, der deutschchristliche Schriftleiter wurde aber entlassen (vgl. H. HAHN, S. 170 f.).
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gelischen Leipzig“, einer 1932 als umfassendes Organ des Kirchenbezirkes begründeten Zeitschrift, wurde dem der Bekennenden Kirche nahestehenden Schleußiger Pfarrer entzogen127. Vertrauensmänner für die vier Leipziger Tageszeitungen und Presseleiter waren entweder Deutsche Christen oder Parteimitglieder, Presseleiter wurde der Pressewart der Deutschen Christen in Leipzig, Pfarrer Walter Behrend128. Sie unterstützten die Zentralisierungspolitik des Landeskirchlichen Presseamtes unter der Leitung von Heinrich Seck, der das „Kirchliche Gemeindeblatt für Sachsen“ als zentrales Gemeindeblatt der Landeskirche durchzusetzen versuchte129. Widerstand gegen die deutschchristliche Überflutung der kirchlichen Presse äußerte sich in Leipzig besonders in der Nikolai- und der Petersgemeinde. Die an der Nikolaigemeinde beschäftigen BK-Pfarrer verboten den Kanzleibeamten die Verteilung des von Pfarrer Israel redigierten „Nikolaiboten“130, und Pfarrer Walther an der Petersgemeinde verteilte in seinem Bezirk ein anderes Gemeindeblatt131. Im Kampf gegen die seit Oktober 1934 neu herausgebrachten Gemeindeblätter der Bekennenden Kirche drohte das Landeskirchenamt an, diese bei der Reichspressekammer anzuzeigen132. Da sich das Problem der Kontrolle der „oppositionellen“ Presse so jedenfalls nicht beheben ließ und das Gemeindeblatt sich wohl auch finanziell zu einer Belastung der Landeskirche entwickelte – in Leipzig lehnten drei Gemeinden das Gemeindeblatt völlig ab, drei weitere übernahmen es nur teilweise133 –, sah sich die Landeskirchenleitung gezwungen, die lokale Ebene in ihre Bemühungen verstärkt aufzunehmen, darunter besonders die deutschchristlichen Kräfte. Im Frühjahr 1935 wurde die Zensur über die Ortsteile aufgegeben und den Superintendenten und gegebenenfalls den Bezirkskirchenämtern die Aufsicht über Einführung, Vertrieb und wirtschaftliche Sicherstellung des „Kirchlichen Gemeindeblattes für Sachsen“ übertragen134. Am 29. Novem127 Vgl. den Bericht Beyers aus dem Jahre 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6). 128 Vertrauensmänner waren: Liboron (Leipziger Abendpost), Gerhard Richter/Lukasgemeinde (Leipziger Neueste Nachrichten), Paul (Leipziger Tageszeitung). Undatierte Aufstellung für den Kirchenkreis Leipzig-Stadt und -Land (ADSL, Schrank I, Fach 7, 88a). 129 Vgl. die Verordnung des Landesbischofs über das Landeskirchliche Presseamt vom 24. August 1933 (KGVBl 1933, S. 88). Mit dieser Verordnung wurden die Kompetenzen des Landeskirchlichen Presseamtes festgelegt und die ephoralen Pressestellen von Seck neu besetzt. Dieser wurde von dem sonst zu moderaten Tönen neigenden H. SCHUMANN, S. 139, als „fanatischer Parteigenosse und Anhänger der radikalen Richtung der DC“ bezeichnet. 130 Israel an die Superintendentur am 3. März 1934 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 24). 131 Superintendent Fröhlich an das Landeskirchenamt am 7. Februar 1935 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 24). 132 Generalverordnung vom 11. Februar 1935 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 102). 133 Übersicht über die Verbreitung des Gemeindeblattes am 14. Mai 1935 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 24). 134 Zur Aufgabe der Zensur vgl. Generalverordnung vom 11. Februar 1935 (ADSL, Schrank I,
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ber 1935 ordnete der Reichskirchenminister die Vorzensur über sämtliche Rundschreiben der Bekennenden Kirche an135. Nach dem bereits 1933 erlassenen Schriftleitergesetz136 mussten auch die Schriftleiter kirchlicher Blätter Mitglieder der Reichspressekammer sein und sich auf die nationalsozialistische Weltanschauung verpflichten; wichen sie davon ab, so hatten sie mit dem Ausschluss aus der Kammer und dem Verbot ihrer Blätter zu rechnen137. Ein Erlass des Geheimen Staatspolizeiamtes, der auf eine gemeinsame Initiative mit der Reichspressekammer zurückging, bestimmte, dass die nach dem 14. Dezember 1933138 erschienenen Rundbriefe, Mitteilungs- und Informationsblätter der kirchlichen Gruppen als Zeitschriften zu behandeln und deswegen hinsichtlich der Voraussetzungen des Schriftleitergesetzes zu prüfen seien139. In der dazugehörigen Anlage wurden alle Rundbriefe und Mitteilungsblätter sowohl der Bekennenden Kirche als auch der Deutschen Christen verboten. Die Landeskirchliche Nachrichten- und Pressestelle informierte die Superintendenturen über die neue Lage140. In der Ephoralkonferenz am 12. März 1936 wurde dieser Runderlass seinem Inhalt entsprechend als „Verbot aller nicht vor dem 14. Dezember 1933 bestehenden ‚Zeitschriften‘“ behandelt141. Im Frühjahr 1936 erfolgten weitere Beschränkungen der kirchlichen Publizistik. Laut Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 waren im amtlichen kirchlichen Auftrag herausgegebene Blätter, die zur Veröffentlichung der kirchenamtlichen Anordnungen dienten, von der Anwendung des Gesetzes ausgenommen142. Reichspropagandaminister Goebbels erhob in einem Erlass vom 14. Februar 1936 gegenüber den oben genannten Zeitschriften den Vorwurf, „gleichwohl in weitgehendem Maße über politische Dinge zu berichten, Maßnahmen der Regierung zu glossieren oder zu kritisieren und durch die Art der Veröffentlichung verächtlich zu machen“143, und drohte an, sie unter die Vorschriften des Schriftleitergesetzes
Fach 9, 102). Zur Übertragung der Aufsicht an die Superintendenturen vgl. Generalverordnung vom 11. April 1935 (EBD.). 135 Runderlass des Gestapa Berlin, 29. November 1935 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Dok. 49, S. 132 f.). 136 Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 (RGBl 1933, Teil I, S. 713–717). 137 DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. XXVIII. 138 Stichtag in der Anordnung des Präsidenten der Reichspressekammer vom 13. Dezember 1933 betreffend Neugründungen auf dem Gebiet der Presse. 139 Runderlass des Geheimen Staatspolizeiamtes Berlin vom 31. Dezember 1935 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. 133 f.). 140 Schreiben der Landeskirchlichen Nachrichten- und Pressestelle an alle Superintendenturen vom 27. Februar 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99). 141 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 12. März 1936 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 14). 142 Paragraf 3, Abs. 2 (RGBl 1933 Teil I, S. 713). 143 Erlass des Reichspropagandaministers an den Präsidenten der Reichspressekammer,
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zu stellen. Dieser Erlass gab der Reichspressekammer die Möglichkeit, mit dem Hinweis auf mangelnde fachliche Qualifikation die Eintragung von Schriftleitern in die Berufsliste zu verhindern und damit die Existenz der kirchlichen Presse zu gefährden144. Wenige Tage nach Verfügung der „Schriftleiteranordnung“ veröffentlichte der Präsident der Reichspressekammer, Max Amann, einen umfangreichen Katalog neuer Bestimmungen hinsichtlich der Inhaltsgestaltung kirchlich-konfessioneller Zeitschriften (die so genannte „Verlegeranordnung“)145. Diese Verordnung legte die kirchliche Presse auf rein religiöse Inhalte fest und verbot ihr, „allgemein unterhaltenden oder allgemein belehrenden Stoff zu bieten“146. Durch eine weitgehende Festlegung einzelner Zeitschriftengattungen auf klar definierte Inhalte erzwang die „Verlegeranordnung“ eine redaktionelle Neuorientierung der gesamten kirchlichen Publizistik147. Dass die Anordnung über administrative Schikanen hinaus auch auf die Vernichtung unliebsamer verlegerischer Konkurrenz abzielte, zeigte die Forderung, „sich von nun an bei Vermeidung meines Eingreifens im Einzelfall in der Aufnahme von Anzeigen die erforderliche Beschränkung aufzuerlegen“148. Diese empfindlichen Einschränkungen führten an der Basis zu Frustrationen. Mitte Juli 1937 beklagte sich der Schriftleiter des Leipziger Bezirksteils des sächsischen Gemeindeblattes, der Schleussiger Pfarrer Alexander Beyer, über die Restriktionen und reichte frustriert seinen Rücktritt ein: „Ferner hatte ich auf eine Anfrage aus dem Leserkreis einige Zeilen über Röm. 13 geschrieben, des Inhaltes, dass die Christen auf Grund des Wortes Gottes zur unbedingten Treue gegen den Staat verpflichtet seien. Das darf jedoch – wie mir heute Herr Oberkirchenrat Wendelin mitteilt, nicht gedruckt werden, da damit ‚politische Fragen‘ angeschnitten würden. [. . .] Angesichts dieses Zustandes erübrigt sich ein Schriftleiterposten für den Bezirksteil überhaupt. Wenn bloß noch Abreißkalendergeschichten gebracht werden dürfen, dann kann man jeden Schreiber mit der Auswahl betrauen“149. Berlin 14. Februar 1936 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. 171 f., Zitat S. 171). 144 Zur so genannten „Schriftleiteranordnung“ und ihren Folgen, allerdings aus katholischer Sicht, vgl. G. BECK, S. 299–302. 145 Erlass des Präsidenten der Reichspressekammer an den Reichsverband der evangelischen Presse vom 17. Februar 1936 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. 172–174). 146 EBD., S. 172. 147 G. BECK, S. 300. 148 DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. 173. Vgl. auch G. BECK, S. 300. Anzeigen sollten sich auf das religiöse Leben beziehen. 149 Beyer an Schumann am 16. Juli 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 7, 88b). Schumann konnte Beyer allerdings in einem am 25. Juli geführten Gespräch davon überzeugen, sein Amt als Schriftleiter weiter zu bekleiden.
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Das von der Reichsregierung im Dezember 1934 zur Einschränkung des überbordenden Sammlungswesens von NS-Organisationen verabschiedete Reichssammlungsgesetz machte öffentliche Sammlungen genehmigungspflichtig150. Genehmigungsfrei blieben lediglich Gottesdienstkollekten und Sammlungen des Winterhilfswerks. Im kirchlichen Bereich waren davon vor allem die Caritas und die Innere Mission betroffen. Da das NS-Regime aber zunächst an der Aufrechterhaltung des freien Wohlfahrtswesens festhielt, erhielten beide Ausgleichszahlungen aus den Sammelerträgen des Winterhilfswerkes151. Diese Regelung war ein Dorn im Auge radikaler Parteikräfte, die auf Dauer die Verbände der freien Wohlfahrtspflege der NSV einverleiben wollten. Sie unterstützten die Bemühungen der Leitung des Winterhilfswerks, die Parteileitung zur Streichung dieser Zuschusszahlungen zu bewegen, scheiterten jedoch am Widerstand der Reichskanzlei und des Reichskirchenministers152. Auf der lokalen Ebene schritt der SD ein und veranlasste Strafanzeigen, wenn Sammlungen nicht dem Gesetz entsprachen153. Da aufgrund der zu regelnden Materie Auslegungsprobleme vorprogrammiert waren, entwickelte sich das Sammlungsgesetz zu einem zentralen Element, mit dem die Polizei Härte zeigen und Milde walten lassen konnte und die Kirche versucht war, die durchaus unterschiedlichen Spielräume auszunutzen. Insofern kann ein Gestapo-Verhör, wie es Pfarrer Fleischer wegen einer Sammlung für den Gustav-Adolf-Verein 1937 über sich ergehen lassen musste, sicherlich als in gewisser Weise normaler Teil des ungleichen Kräftespiels zwischen Gestapo und Kirche angesehen werden, während die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, wie im Herbst 1937 gegen Superintendent Schumann, wegen eines solchen Deliktes nur halb so oft vorkam154. Die Besonderheit dieses Falles lag gerade darin, dass mit dem Superintendenten die herausgehobene kirchliche Persönlichkeit Leipzigs betroffen war. Nach einem Vortrag des württembergischen Landesbischofs Wurm in der Thomaskirche am 29. September 1937 waren die Kollektenbüchsen am Ausgang der Kirche stehen geblieben – Kollekten waren jedoch nur während des Gottesdienstes erlaubt. Pfarramtsleiter Schumann wurde deswegen nach Schluss der Kundgebung auf die Polizeiwache gebeten und blieb bis 150 Gesetz zur Regelung der öffentlichen Sammlungen und sammungsähnlichen Veranstaltungen, 5. November 1934 (RGBl 1934, Teil I, S. 1086–1088). 151 P. HAMMERSCHMIDT, S. 257. 152 W. DIERKER, S. 478. 153 EBD. 154 Diese Aussage basiert auf der Auswertung von Verfolgungsmaßnahmen gegen katholische Geistliche (vgl. die Übersicht in: PRIESTER UNTER HITLERS TERROR, S. 131). Verstöße gegen das Sammlungsgesetz wurden in dieser Tabelle zu den Vergehen im Bereich der Seelsorge gerechnet (EBD., S. 76).
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zum 2. Oktober in Polizeigewahrsam155. Über die weiteren Hintergründe dieser Maßnahme kann jedoch nur spekuliert werden.
4.4 Die „Kirchenwahlen“ von 1937 Ende 1936 wurde das Scheitern der Kerrlschen Ausschusspolitik deutlich156. Im Februar 1937 trat der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses, Wilhelm Zoellner, aus Protest gegen mangelnde Unterstützung vorzeitig zurück. Der Reichskirchenminister drohte den evangelischen Kirchen schließlich Mitte Februar 1937, mit einem Verordnungswerk zu einer uneingeschränkten Kirchenaufsicht überzugehen, konnte sich damit aber in der NS-Führungsspitze nicht durchsetzen. Stattdessen wurde auf einer Besprechung über kirchenpolitische Themen am 15. Februar 1937 auf dem Obersalzberg entschieden, den Reichskirchenminister mit den Vorbereitungen zur Wahl einer Generalsynode zu betrauen157. Die Gründe für Hitlers Initiative sind in der Forschung umstritten, womöglich zielte sie darauf ab, Staat und Partei aus dem Kirchenstreit herauszuhalten und die Neuordnung der evangelischen Kirche zu überlassen158. Nachdem sich aber abzeichnete, dass die Kirchenwahl nicht das erhoffte politische Ziel einer einigen evangelischen Kirche bringen, sondern die kirchenpolitischen Fronten nur noch verhärten würde, wurden die Wahlvorbereitungen eingestellt159. Dass Kerrl kurz darauf sein Weisungsrecht in polizeilichen Angelegenheiten gegenüber Gestapo und SD aufgeben und damit eine empfindliche Machteinbuße hinnehmen musste, wird in der Forschung als „Überreaktion“ auf diesen kirchenpolitischen Misserfolg und eine gezielte Provokation Himmlers während des Gesprächs am 15. Februar interpretiert160. In Leipzig wie in Sachsen überhaupt löste der Wahlaufruf zur Generalsynode, der von der sächsischen Bekennenden Kirche im Gegensatz etwa zu den dahlemitisch orientierten Gruppierungen in anderen Landeskirchen 155 Vgl. dazu D. RÖTHIG, 29. September 1937; H. SCHUMANN, S. 157 f., und seine Schilderung auf der Ephoralkonferenz am 14. Oktober 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). Am 16. Dezember war Schumann von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt worden, dass das gegen ihn eingeleitete Verfahren durch Beschluss vom 13. Dezember 1937 eingestellt worden sei. 156 Vgl. dazu K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 142 f. 157 Der Erlass in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, S. 321. 158 Die Kontroverse bei H. KREUTZER, S. 289 f. 159 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 15. 160 Vgl. SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/174, Bl. 242: „Nachdem die Voraussetzungen für meinen Erlass vom 5. September 1935 – G I a 3733 – weggefallen sind, hebe ich ihn hiermit wieder auf. Die alten Zuständigkeiten sind damit wieder hergestellt“ (vgl. dazu überzeugend W. DIERKER, S. 409; H. KREUTZER, S. 292 f., dagegen J. FISCHER, S. 81).
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– wenn auch mit gewissen Reserven bezüglich der Freiheit der Wahl – begrüßt wurde, hektische Betriebsamkeit aus161. Im Wesentlichen standen sich zwei Gruppen gegenüber: zum einen die Bekennende Kirche und die „Mitte“, die im Sächsischen Vertrauensrat seit November 1936 ein Koordinierungsgremium besaßen, zum anderen die DC Thüringer Richtung, die sich am 6. Juni 1937 mit anderen radikal deutschchristlichen Gruppen zu der eindeutig nationalkirchlich ausgerichteten Organisation „Deutsche Christen (Nationalkirchliche Bewegung)“ zusammenschlossen162. Während der Wahlvorbereitungen erwies sich, dass die Gemeinsamkeiten von „Mitte“ und BK doch schwach ausgeprägt waren. Ein Bericht der Leipziger Gestapo vom 9. März 1937 weist darauf hin, dass man besonders an Bruhns Kritik übe, „der von der Bekennenden Kirche bezahlt werde und im gegenwärtigen Wahlkampfe umkippe. Er hat erklärt, lieber mit den Deutschen Christen zu gehen als mit Niemöller“163. Die BK war mit dem weiten Integrationskonzept von Bruhns, das auch noch gemäßigte Deutsche Christen einschloss, nicht einverstanden. Ein Bericht der Leipziger Gestapo von Anfang Mai 1937 deutete dieses Dilemma an: „Zwischen den Kreisen der landeskirchlichen Richtung [d. h. die ‚Mitte‘, G. W.] und den Kreisen der Bekenntnisfront sind Spannungen entstanden, die sich zusehends verstärken. [. . .] Besonders die Extremen der Bekenntnisfront erstreben die völlige Lossagung von der Landeskirche“164. Die Leipziger Ephoralkonferenz blieb während der Wahlvorbereitungen außen vor. Im März 1937 trat sie noch einmal zusammen, und Schumann rief dabei die Amtsbrüder zur Mäßigung auf165. Bis Juni tagte sie nicht mehr. Es scheint, dass diese Konferenz nur arbeitsfähig war, wenn die von außen hineingetragenen Konflikte ein gewisses Maß nicht überstiegen. Ein weiterer Hinweis für die Spannungen in Leipzig ist die Tatsache, dass die Gründung des ephoralen Vertrauensausschusses in Leipzig, sozusagen eine regionale Einrichtung des Sächsischen Vertrauensrates, erst am 22. Juni 1937 erfolgt war166.
161 Ein Fernschreiben der Leipziger Gestapo an das Gestapa Berlin vom 10. März 1937 berichtete dazu Folgendes: „Die Ankündigung der Wahlen ist von den Deutschen Christen sehr begrüßt worden. Sie hoffen, durch die Wahl einen Sieg erringen zu können. Die Bekenntnisgemeinschaft stellt sich noch immer abwartend. Sie beruft sich beständig auf die Freiheit der Wahl. Die Mitte hat teils den Beschluss des Führers begrüßt, teils steht sie abwartend“ (BARCH-DH, ZB I 1525). 162 K. MEIER, Deutsche Christen, S. 220. 163 Tagesrapport Nr. 8 der Staatspolizeistelle Leipzig an das Gestapa (BARCH-DH, ZB I 1502, Bl. 49). 164 Staatspolizeistelle Leipzig an Gestapa Berlin am 3. Mai 1937 (BARCH-DH, ZB I 1525, Bl. 279–280). 165 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 11. März 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 166 D. RÖTHIG, 22. Juni 1937.
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Staat und Partei hielten sich zwar offiziell aus den Kirchenwahlen heraus, doch nachdem Hitler am 22. Februar 1937 intern die Unterstützung der Deutschen Christen beschlossen hatte, zogen auch die „weltanschaulichen Distanzierungskräfte“ um Himmler und Goebbels, die ursprünglich Kerrls Politik zugunsten der Deutschen Christen vehement abgelehnt hatten, nach167. Kerrl und vor allem sein Staatssekretär Muhs trugen wesentlich dazu bei, dass die DC-Einigungsbestrebungen auf Reichsebene vorankamen168. In Sachsen arbeiteten Staatskanzlei, Innenministerium und Polizei konzertiert zusammen. Im Rahmen der Vorbereitungen empfing Reichsstatthalter Mutschmann Siegfried Leffler von den Thüringer DC und besprach mit ihm den Einsatz des Schulleiters Ernst Berthold als Agitator für die DC. Um nach außen hin die Trennung von Kirche und Partei zu markieren, musste Berthold allerdings sein Mitgliedsbuch und seinen Parteirednerausweis hinterlegen169. Zu den vereinbarten Maßnahmen könnte die Weisung Mutschmanns an Innenminister Fritsch vom 27. Februar 1937 gehört haben, sämtliche Veranstaltungen der DC zu erlauben und von der Bestimmung, nur Mitglieder der DC einzuladen, abzusehen170. Diese Anordnung ergänzend, verbot Innenminister Fritsch am 16. März 1937 sämtliche Veranstaltungen der Bekennenden Kirche171. Wahlveranstaltungen von BK und Landeskirchenausschuss wurden nur noch erlaubt, wenn sie in Kirchen stattfanden und vorher angemeldet worden waren172. Für die Leipziger BK war das organisatorisch insofern kein Problem, als sie zusammen mit der Mittelgruppe mit der Thomas- und Nikolaikirche über zwei große und zentral gelegene Versammlungsräume verfügte, während die Deutschen Christen u. a. den Palmengarten und den Zoo-Saal für ihre Veranstaltungen benutzen konnten173. Ende März 1937 sperrte die Gestapo die Konten, auf denen sich 167 Vgl. H. KREUTZER, S. 298. Am 12. Mai schrieb Goebbels in sein Tagebuch: „Wir wollen nun doch die kommende Wahl aktiv führen und uns auf die Seite der Deutschen Christen stellen. Nur so haben wir eine Gewähr, dass die Bekenntnisfront nicht siegt“ (J. GOEBBELS, III, S. 142). 168 H. KREUTZER, S. 295–297. 169 Ernst Berthold war als Schulleiter in Borna tätig und einer der Wegbereiter der Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen. Vgl. sein Schreiben als Leiter der Landesgemeinde Sachsen der Nationalkirchlichen Einung Deutsche Christen e. V. vom 14. März 1943 (BARCH BERLIN, R 5101/23691). 170 STAL, PP-V 3640. Die Verordnung wurde am 2. März 1937 an die Kreishauptleute u. a. und zur Kenntnisnahme an den Landeskirchenausschuss weitergegeben (vgl. J. FISCHER, Dok. 93, S. 242). 171 Verordnung des sächsischen Ministers des Innern vom 16. März 1937 (abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 94, S. 242). 172 EBD. 173 Außer den Leipziger Pfarrern nahmen an den Wahlveranstaltungen von „Mitte“ und BK u. a. der Nürnberger Kreisdekan Schieder (15.3.), Dr. Lilje (22.3.), Marahrens (24.4.), Tilemann (24.5.) und Dibelius (24.5.) teil; bei den DC-Veranstaltungen traten u. a. Leutheuser
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die für Wahlkampfzwecke angesammelten Gelder der BK befanden, hob diese Maßnahme aber am 3. April wieder auf174. Angesichts der offensichtlichen Schlechterstellung der Bekennenden Kirche ließ Mutschmann öffentlich die Begründung verbreiten, die Landesregierung habe so gehandelt, um das Übergewicht der BK auszugleichen175. Dem Landeskirchenausschuss drohte er, „jeden, der diese bestehenden Bestimmungen überschreitet, als Staatsfeind zu behandeln“176. Tatsächlich entbrannte in den darauf folgenden Wochen ein heftiger Streit um die Nutzung der Kirchen, in den auch das Reichskirchenministerium, das der Finanzabteilung der Landeskirche Ausgaben für die Wahl Mitte Februar untersagt hatte177, zugunsten der DC eingriff178. Am 20. April 1937 entschloss sich der Landeskirchenausschuss dazu, keine Kirchen für Versammlungen der DC zur Verfügung zu stellen179. Unmittelbar nach Hitlers Wahlerlass begann die Überwachung der Wahlinitiativen durch die Gestapo. Diese zielte einerseits darauf ab, das Geschehen so weit wie möglich zu kontrollieren, andererseits aber Polizei und Staat weitgehend aus den kirchlichen Streitigkeiten herauszuhalten. Das Gestapa forderte deshalb in einem Schreiben an die Staatspolizeileitstellen zu äußerster Zurückhaltung auf180. Am 16. Februar 1937 ordnete der Dresdner Polizeipräsident an, die Bekennende Kirche Sachsens müsse sämtliche (auch geschlossene) Veranstaltungen der zuständigen Polizeibehörde melden181. Am 11. März forderte die Staatspolizeistelle Leipzig die Leiter der kirchlichen Gruppen auf, dasselbe zu tun182. (11.3.), Oberheid (22.3.) und Coch (22.5.) auf. Nach G. WALTHER, S. 26 f., konnte der Einsatz des als besonders radikal geltenden Wolf Meyer-Erlach noch verhindert werden. Vgl. auch D. RÖTHIG. 174 D. RÖTHIG, 25. März und 3. April 1937. 175 Mutschmann an Fritsch am 14. April 1937 (STAL, Amtshauptmannschaft Leipzig 1147/1, Bl. 37). 176 Mutschmann an den Landeskirchenausschuss am 20. März 1937 (abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 96, S. 243). 177 J. FISCHER, S. 81, Anm. 53. Vgl. dazu auch das Protestschreiben des Landeskirchenausschusses an Kerrl vom 2. März 1937 (abgedruckt in: EBD., Dok. 102, S. 244 f.). 178 Der Kirchenminister argumentierte, dass bei behördlich aufgezogenen Wahlhandlungen die Kirchgemeindevertretung über die Vergabe des Kirchengebäudes entscheide und nicht der Landeskirchenausschuss. Der Landeskirchenausschuss erkannte diese Erklärung nicht an. Vgl. Runderlass Nr. 18 des Landeskirchenamtes vom 8. Mai 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 106). 179 Entschließung des Landeskirchenausschusses für die evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens am 20. April 1937 (abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 101, S. 244). 180 STAL, PP-V 3741. Von der Durchführung von Einzelerlassen sollte deshalb abgesehen werden. 181 J. FISCHER, S. 81, Anm. 47. Am 10. März 1937 erging eine ähnliche Verfügung von der Staatspolizeistelle Dresden (abgedruckt in: EBD., Dok. 92, S. 241 f.). 182 Staatspolizeistelle Leipzig an die Superintendentur (ADSL, Schrank I, Fach 11, 114).
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Am 19. Februar 1937 war der Leiter der Leipziger Gestapo Ebbeke angewiesen worden, sämtliche Gottesdienste zu überwachen183. Angesichts der personellen Überforderung, die diese Maßnahmen bei ca. 100 Gottesdiensten an einem Sonntag bedeutet hätte, bat er sich in Berlin die Freiheit aus, pragmatisch zu verfahren: „Mir sind in Leipzig diejenigen Geistlichen bekannt, bei denen man damit zu rechnen hat, dass sie gelegentlich auch in ihren Predigten zu den Wahlen Stellung nehmen werden. Außerdem habe ich mir seit längerem durch besondere Überwachungen ein ziemlich genaues Bild der kirchenpolitischen Lage in Leipzig verschaffen können“184.
So erbat er beim Gestapa die Erlaubnis, seine Arbeit auf die Überprüfung einzelner Geistlicher beschränken zu dürfen185. Der Tagesrapport Nr. 7 der Staatspolizeistelle Leipzig vom 8. März 1937, der die Ergebnisse der Überwachung der Gottesdienste am Vortag zusammenfasste, berichtete von Predigten der BK-Pfarrer Lewek, Meder und Walther, die im Wesentlichen die antichristlichen Strömungen der Gegenwart angriffen186. Oskar Meder hatte die Kirchenbesucher aufgefordert, ihr Christsein offensiv zu bekennen: „Wenn man uns Christen nachsagt, wir seien rückständig oder gar reaktionär, so ist das Ähnliches wie die Schmach Jesu, die er für uns auf sich nahm und geduldig trug. Wenn man uns Christen zum Tragen dieses Kreuzes peinigt, so wollen wir nicht murren und verzagen, sondern die schwere Last willig auf uns nehmen und tragen, wie es uns von Jesus gezeigt worden ist“187.
Darüber hinaus war es der Gestapo gelungen, Informationen über die geplanten Veranstaltungen und die politische Taktik der BK zu erlangen188. Um möglichst viele Besucher zu einer „Mitgliederversammlung“ in einem öffentlichen Raum zu gewinnen – die Veranstaltung sollte am 10. März 1937, also noch vor dem Veranstaltungsverbot, stattfinden –, intendierte die Leipziger BK, mit Decknamen zu arbeiten189. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Veranstaltung nicht durchgeführt190. 183 Ebbeke an Gestapa Berlin am 22. Februar 1937 (BARCH-DH, ZB I 1502, Bl. 398). 184 EBD. 185 EBD. Eine Antwort war im Bestand 1502 nicht zu finden. Angesichts der weiteren Berichterstattung der Gestapo Leipzig ist davon auszugehen, dass Ebbekes Bitte entsprochen wurde. 186 BARCH-DH, ZB I 1502, Bl. 9–13. 187 EBD., Bl. 10 f. 188 Nach dem Rapport beabsichtigte die BK, Werbung unter NSDAP-Parteimitgliedern zu machen (Bl. 13). 189 Tagesrapport Nr. 8 vom 9. März 1937, Punkt 4 (BARCH-DH, ZB I 1502, Bl. 48–49). 190 Bei G. WALTHER, S. 26 f., und D. RÖTHIG ist für den 10. März keine Veranstaltung in Leipzig verzeichnet.
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Als Antwort auf ein Fernschreiben der Berliner Zentrale über die kirchliche Situation übermittelte Ebbeke am 10. März 1937 seine Einschätzung der Lage191. Er konstatierte, dass das Interesse an den innerkirchlichen Auseinandersetzungen sich doch auf einen relativ kleinen Kreis beschränke, der jedoch überwiegend – „mindestens 60–70 Prozent“ – zur „Bekenntnisfront“ tendiere. Die Wahlaussichten der Deutschen Christen schätzte er deswegen sehr skeptisch ein: „In Übereinstimmung mit den Kreisen der Partei glaube ich sagen zu können, dass nur bei stärkster Stützung die Deutschen Christen einen Sieg erringen können“192. Die im März gewährte Unterstützung ging mit intensivierten Überwachungsmaßnahmen einher. Für den Landkreis Leipzig lassen sich im April dafür wiederholte Aufforderungen der Gestapo nachweisen193. Mitte Juni wurden die Wahlvorbereitungen zur Generalsynode durch Kerrl unterbunden194.
4.5 Die Auflösung des Landeskirchenausschusses Die Auflösung des Landeskirchenausschusses war eine längerfristig geplante Aktion, die im Kern auf den Stellvertreter Kerrls, Hermann Muhs, zurückging195. Muhs’ erster bedeutsamer Schritt, seine staatskirchlichen Vorstellungen mit einer einseitigen Bevorzugung der Deutschen Christen zu verbinden196, die 13. Durchführungsverordnung vom 20. März 1937, schränkte die kirchliche Handlungsfreiheit so stark ein, dass praktisch nur noch von einer administrativen Verwaltung gesprochen werden konnte197. Muhs stützte sich in Sachsen auf den Vorsitzenden der Finanzabteilung, Willy Kretzschmar, der seit Februar mit dem Landeskirchenausschuss im 191 Ebbeke an Gestapa Berlin am 10. März 1937 (BARCH-DH, ZB I 1525). 192 EBD. 193 Geheime Staatspolizeileitstelle Dresden an Staatspolizeistellen Dresden, Leipzig, Chemnitz, Plauen und Zwickau am 7. April 1937; Amtshauptmann Thierbach an die Herren Bürgermeister usw. am 21. April (STAL, Amtshauptmannschaft Leipzig 1147/1). 194 Die 6. Durchführungsverordnung zum Sicherungsgesetz von 1935 (RGBl 1937, Teil I, S. 698) untersagte, die Kirchen für Wahlzwecke sowie für öffentliche Versammlungen zu nutzen bis zur Bekanntgabe des Wahltermins. 195 Ein erster Entwurf zur Abberufung des sächsischen Landeskirchenausschusses wurde bereits Ende Mai 1937 erarbeitet (vgl. K. MEIER, Kirchenkampf II, S. 356). 196 Vgl. dazu H. KREUTZER, S. 300, Anm. 159. Muhs hatte wahrscheinlich im Winter 1937/38 eine Denkschrift „Zur Befriedung der Evangelischen Kirche“ erarbeitet, in der er seine Absicht, durch Verwaltungskonzentration und mit Hilfe der Finanzabteilungen die Landeskirchen gefügig zu machen, darstellte (vgl. dazu R. HEINONEN, S. 121–124). 197 13. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der DEK vom 24. September 1935 (RGBl 1937, Teil I, S. 333 f.; Sächsisches Kirchenblatt 1937, S. 102).
Verstärkte Entkonfessionalisierung 1935–1937
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Streit lag und ab Juni planmäßig dessen Arbeit sabotierte198. Die Leitung des Landeskirchenamtes wurde Oberlandeskirchenrat Kotte entzogen und mit Unterstützung der NSDAP-Gauleitung Oberlandeskirchenrat Ernst Klemich übertragen. Vom Landeskirchenausschuss wurde diese Maßnahme allerdings nicht anerkannt199. Da Klemich die „Gleichschaltung“ des Landeskirchenamtes nicht energisch genug betrieb, wurde er, während er wegen seines Dienstes in der Wehrmacht abwesend war, durch den Adjutanten des Landesbischofs, Johannes Klotsche, ersetzt200. Diesem gelang es am 9. August 1937, den Landeskirchenausschuss in einem Coup, bei dem er auch zu seiner Pistole griff – daher die Bezeichnung „Pistolenklotsche“ – aus dem Gebäude des Landeskirchenamtes zu vertreiben. Die administrative Leitung der Landeskirche lag nun in den Händen von Johannes Klotsche und dem Leiter der Finanzabteilung, Willy Kretzschmar, der maßgebliche Theologe war der radikale Oberlandeskirchenrat Heinrich Seck. Mit der 17. Durchführungsverordnung wurden die in den Landeskirchen im Amt befindlichen Kirchenleitungen staatlicherseits anerkannt, ihnen jedoch auch die Kompetenz für geistliche Angelegenheiten abgesprochen201. Um seine Position gegen den Widerstand von BK und „Mitte“, die nicht gewillt waren, die neue Kirchenleitung anzuerkennen, zu sichern, ging Klotsche mit einer Fülle disziplinarischer Verfügungen gegen seine innerkirchlichen Gegner vor202. Er konnte dabei auf die sehr weitgehende Unterstützung durch die Landesregierung bauen, denn der sächsische Innenminister ordnete am 2. Oktober 1937 an, dem Kirchenregiment Klotsche jegliche polizeiliche Hilfe zu gewähren „für den Fall, dass deren [Regiment Klotsche, G. W.] Maßnahmen Widerstand entgegengesetzt und von ihr Unterstützung der Polizei beantragt wird“203. Angesichts der schwachen Position Klotsches innerhalb der Pfarrerschaft bildete weniger die Unter198 Kretzschmar war wegen seiner früheren Logenmitgliedschaft in nationalsozialistischen Kreisen nicht unumstritten. Ruppel, dezidiert kirchenfreundlicher Referent in der evangelischen Abteilung des Reichskirchenministeriums (H. KREUTZER, S. 154 f.), empfahl am 6. März 1937, anstatt Kretzschmar Oberkirchenrat Klemich die Leitung der Finanzabteilung zu übertragen: „Er wird nach einem neulich eingegangenen Schreiben von der Gauleitung politisch recht günstig beurteilt“ (BARCH BERLIN, R 5101/23765). 199 Landeskirchenausschuss an den Reichskirchenminister am 29. Juni 1937 (BARCH BERLIN, R 5101/23765, Bl. 214). 200 Auch dieser Schritt erfolgte gegen die eindeutige Empfehlung Ruppels, der „befürchtete, dass seine [d. h. Klotsches, G. W.] Betrauung zu endlosen kirchenpolitischen Erörterungen Anlass geben“ würde (BARCH BERLIN, R 5101/23765, Bl. 216). 201 RGBl 1937, Teil I, S. 1346 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, S. 149 f.). 202 Zum innerkirchlichen Widerstand vgl. J. FISCHER, S. 87. 203 Abgedruckt bei J. FISCHER, Dok. 140, S. 264. Der Erlass wurde von Klotsche als Runderlass Nr. 21 den Bezirkskirchenämtern bekannt gegeben (BARCH BERLIN, R 5101/ 23697, Bl. 161).
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stützung durch das immer stärker in seinen Kompetenzen eingeengte Reichskirchenministerium als vielmehr seine enge Bindung an den Reichsstatthalter die eigentliche Machtgrundlage der neuen Kirchenleitung. Mit der Einrichtung des Reichskirchenministeriums 1935 setzten sich die Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der Kirchenpolitik in Sachsen fort. Reichsstatthalter Mutschmann musste im Sommer 1935 den mit Hitlers Unterstützung agierenden Reichskirchenminister gewähren lassen und die Einsetzung des Landeskirchenausschusses hinnehmen. Längerfristig gelang es ihm aber, im Zusammenspiel mit der Gestapo die Politik des Kirchenministers in Sachsen ins Leere laufen zu lassen. Als Kerrl das Scheitern seiner Ausschusspolitik einsehen musste, gab er 1937 resigniert seine polizeilichen Kompetenzen bei Maßnahmen gegen Geistliche wieder ab. Lediglich während der Zeit der Wahlvorbereitungen im Frühjahr 1937 ergab sich zwischen Kerrl und Mutschmann eine Interessenkongruenz, als beide in eigener Initiative massiv die Deutschen Christen unterstützten. Diese Politik setzte sich fort bei der Auflösung des Landeskirchenausschusses. Durch massive Interventionen unterstützte Mutschmann das Kirchenregiment Klotsche, das angesichts seiner innerkirchlichen Isolation immer mehr zu einer Kirchenleitung von Mutschmanns Gnaden wurde. Da die personelle Zusammensetzung des Landeskirchenausschusses ihren Erwartungen entsprach, akzeptierten BK und „Mitte“ das staatlich eingesetzte Gremium als Kirchenleitung. Das keineswegs konfliktfreie Zusammengehen beider Gruppen ermöglichte auch in Leipzig eine personelle Neuordnung, die das dortige Übergewicht mit Schumann als Superintendent und Bruhns als dessen Stellvertreter festschrieb. Personalpolitische Interventionen Deutscher Christen beim Reichskirchenministerium blieben jetzt erfolglos. Zwar gerieten bestimmte Pfarrer der BK immer wieder wegen ihrer öffentlichen Kritik an der antichristlichen Ausrichtung des Nationalsozialismus mit Polizei und Justiz in Berührung, doch es blieb bei der staatlichen Drohgebärde. Verurteilungen gab es wegen der negativen Rückwirkungen in der Öffentlichkeit nur in Ausnahmefällen. Unter der Bedingung kirchenpolitischer Befriedung machten sich die religionspolitischen Maßnahmen im NS-Regime um so deutlicher bemerkbar. Bemühungen seitens der NSDAP, die auf lokaler Ebene bestehende Eigendynamik einzudämmen, gewannen jetzt an Gewicht. Immer mehr Parteimitglieder zogen sich aus den kirchlichen Vertretungen zurück.
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5. Kirchenpolitik im Abseits: 1937 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 5.1 Kirchenpolitische Entwicklungen auf Landesebene Die Machtübertragung auf Klotsche in der sächsischen Landeskirche stellte während des Dritten Reiches den extremsten Eingriff durch staatliche Stellen in die kirchliche Leitungsebene dar: Cochs Beauftragung war durch die Kirchenwahlen von 1933 sozusagen nachträglich „demokratisch“ legitimiert worden. Der sächsische Landeskirchenausschuss war zwar staatlich eingesetzt, doch stellte seine Zusammensetzung einen weithin vertretbaren Kompromiss dar, der das Gewicht der kirchlichen Gruppen abbildete und deshalb die Zustimmung der großen Mehrheit der Pfarrerschaft fand. Klotsches Position dagegen basierte auf der Unterstützung von Staat und Partei und der Spaltung der kirchlichen Opposition. Sie fand ihren sichtbaren Ausdruck in dem Rückzug Klotsches von den Deutschen Christen. Das vorliegende Kapitel untersucht, welche kirchenpolitischen Akteure sich nach 1937 in Sachsen durchgesetzt haben und wie sich deren Politik auf die Situation in Leipzig ausgewirkt hat. Hitlers Kirchenpolitik blieb auch nach 1937 von einer ambivalenten Zielstellung geprägt1. Zur Absicherung seines außen- und innenpolitischen Kurses war er einerseits daran interessiert, die große Konfrontation mit den Kirchen zu vermeiden, andererseits ließ er in zunehmendem Maße denjenigen Instanzen im Staat und besonders in der Partei freien Lauf, deren Politik auf die „völlige Entkonfessionalisierung des gesamten öffentlichen Lebens“ hinauslief. Diese Kräfte um Heß, Bormann, Himmler und Rosenberg konnten sich immer stärker gegenüber jenen durchsetzen, die wie etwa der Reichskirchenminister der Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum das Wort redeten. Hitlers Scheu vor radikalen Eingriffen in traditionell gewachsene kirchliche Lebensbereiche hatte allerdings zur Folge, dass die von Seiten der Partei erwünschte strikte Trennung von Staat und Kirche nicht vollständig realisiert wurde. Entkonfessionalisierungsbestrebungen gingen vor allem von der NSDAP aus, die eine von jeglicher christlichen Tradition freie nationalsozialistische Weltanschauung propagierte und damit in Konflikt mit dem Reichskirchenminister geriet. Die Bemühungen der Partei zielten darauf, personelle Verbindungen zur Kirche zu kappen, was durch das Verbot von Doppelmitgliedschaften, z. B. in konfessionellen Jugendverbänden und der HJ, erreicht werden sollte2. 1 Vgl. H. BRUNOTTE, Kurs; DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, S. XII–XXV; K. MEIER, Kreuz, S. 138–151. 2 Rundverfügung des Reichsjugendführers betr. Doppelmitgliedschaft in der Hitler-
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Die Politik des Reichskirchenministers war von der Absicht geprägt, eine Konzeption zu entwickeln, die sowohl gegenüber der Kirche als auch gegenüber Staat und NSDAP durchsetzbar war. Dabei wurden die Bemühungen um eine Einigung im Protestantismus gerade vom SD torpediert, der in der Aufrechterhaltung von dessen fortwährender Zerrissenheit ein wichtiges kirchenpolitisches Ziel sah3. Die Disziplinarmaßnahmen, die vom Kirchenregiment Klotsche gegen jene Pfarrer verhängt worden waren, die sich ihm widersetzten, ließen BK und „Mitte“ zusammenstehen, wenn auch Versuche, den Vertrauensrat von BK und „Mitte“ zu einem Notkirchenregiment auszurufen, am Widerstand der Mittelgruppe scheiterten4. In einem Schreiben an den Reichskirchenminister und das Reichsinnenministerium beklagten sie sich im November 1937 über die „schwere Bedrückung und die ungeheure Rechtsverwirrung“ in der Landeskirche und die massive Inanspruchnahme der Polizei: „Damit ist der Kirchenleitung Klotsche-Kretzschmar eine unbeschränkte Vollmacht zur Beanspruchung der Polizei gegeben, die sie, wie die Tatsachen lehren, zu schärfsten Eingriffen in das christliche Gemeinschaftsleben gebraucht“5. Besonders die BK war von Klotsches Maßnahmen betroffen. In der Kanzelerklärung vom 13. Februar 1938, der so genannten SeptuagesimaErklärung, griff sie Klotsche massiv an und benannte das Ausmaß der von seinem Kirchenregiment verhängten Disziplinarmaßnahmen: Danach hatte man elf Superintendenten – nahezu einem Drittel – ihr Amt genommen und 29 Vikare, die sich der Kirchenleitung nicht unterstellen wollten, entlassen und darüber hinaus noch etliche Geldstrafen verhängt6. Superintendent Hahn, der Vorsitzende des Landesbruderrats, war nach der Verlesung der Erklärung von der Gestapo verhaftet und kurzzeitig inhaftiert worden. Danach wurde er durch das Landeskirchenamt suspendiert, und am 12. Mai 1938 auf Initiative Kerrls und Mutschmanns mit der Begründung, den Widerstand gegen die vom Staat eingesetzte Kirchenleitung geleitet zu haben, des Landes verwiesen7. Innerhalb der Bekennenden Kirche, die zu dieser Zeit knapp 400 Pfarrer und damit ein Drittel der Pfarrerschaft vertrat, gab es unterschiedliche Auffassungen, wie die Distanz zwischen „dahlemitischer Haltung“ und praktischen Bedürfnissen überwunden werden könne. Grundsätzlich ging man von einer engen Beziehung von Bekenntnis- und KirchenordnungsJugend und in konfessionellen Jugendverbänden, 18. Juni 1937 (abgedruckt in: DOKUMENTE KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, Dok. 31, S. 82 f.). 3 W. DIERKER, S. 393. 4 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 357. 5 O. Bruhns/H. Hahn/A. Meyer an RKM (BARCH BERLIN, 5101/23766, Bl. 60–63). 6 Die Kanzelabkündigung ist abgedruckt bei H. HAHN, S. 301–303, Anm. 32. 7 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 500, und H. HAHN, S. 182–188; vgl. auch C. NICOLAISEN, Hugo Hahn, S. 266, der stärker die Rolle Kerrls betont.
ZUR
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fragen aus, doch in der Umsetzung dieses Kurses gab es Differenzen. Die „dahlemitische Richtung“, die innerhalb der Pfarrerschaft zwar zahlenmäßig eher unbedeutend, doch recht aktiv war, traf sich im so genannten VKL-Kreis8, während die Leitung des Landesbruderrats um Hahn auch den Kontakt zur VKL hielt, jedoch stärker zum kompromissbereiten Lutherrat tendierte9. So äußerte Hahn in einem Schreiben aus dem württembergischen Exil im Januar 1939 an das Bruderratsmitglied Karl Hammerschmidt scharfe Kritik an den beiden Laienmitgliedern des Bruderrats, Reimer Mager und Martin Richter: „Sie verstehen uns als ihre Schachfiguren zu schieben, ohne dass wir es merken, im Sinne ihrer Kanzleipolitik, die in Sachsen und Deutschland als eigene Gruppe bekannt ist“10. Problematisch waren vor allem die Abgabe der Kollekten an die Kirchenleitung und die Frage der Vikare, die sich der Landeskirche nicht unterstellten und folglich nicht übernommen wurden. In der Ablehnung Klotsches stimmte die BK auch mit der „Mitte“ überein, die sich als „Sächsische Pfarrbruderschaft zum Neubau der Volkskirche“ konstituiert hatte. In einem Schriftsatz aus dem April 1938 mit dem Titel „Unsere Haltung“ artikulierte diese das Unbehagen breiter Kreise der Pfarrerschaft über die Arbeit des Landeskirchenamtes und lehnte es ab, Anordnungen, die das innerkirchliche Leben betrafen, durchzuführen; gleichzeitig jedoch und mit Blick auf das Leben in den Gemeinden war sie bereit, die Kollekten abzuführen und unter bestimmten Bedingungen den theologischen Nachwuchs in die Landeskirche einzugliedern11. Die Zusammenarbeit von „Mitte“ und BK war zwar einerseits bestimmt von einem breiten Konsens hinsichtlich der Ablehnung Klotsches, doch andererseits konnte ein gewisses Misstrauen gegenüber der jeweils anderen Seite nie vollständig abgebaut werden. Die BK z. B. verübelte es der „Mitte“, dass diese die Kanzelabkündigung vom Februar 1938 nicht ganz mitgetragen hatte und deshalb insgesamt weniger als die Hälfte aller Pfarrer abgekündigt hatten, was Klotsche vor dem Reichskirchenminister für sich ausnutzen konnte12. Im Februar 1938 wurde die Weiterführung der Zusammenarbeit im „Vertrauensrat der sächsischen Pfarrerschaft“ vereinbart, der zur Zeit des Landeskirchenausschusses gegründet worden war, dessen Wirkung jedoch angesichts der bestehenden Meinungsverschiedenheiten begrenzt blieb13.
8 Vgl. dazu K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 502. 9 EBD. 10 Zitiert nach EBD., S. 501. K. Meier weist das Schreiben nicht nach. 11 D. RÖTHIG, April 1938 (S. 187). Vgl. auch UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1938. 12 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 495. 13 Vgl. EBD. Den Vorsitz im Vertrauensrat hatte der Leipziger Pfarrer Oskar Bruhns inne, stellv. Vorsitzender war Karl Fischer.
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Auch 1939 setzte Klotsche alles daran, bekenntniskirchliche Aktivitäten einzuschränken. Per Verordnung vom 16. März 1939 wurden dienstenthobenen Geistlichen Hausbesuche und die Beteiligung an Bibelstunden oder Veranstaltungen kirchlicher Werke untersagt14. Verordnungen über die Besetzung von Pfarrstellen15, die Errichtung von Kreiskirchenämtern16 anstelle der Bezirkskirchenämter, über die Versetzung der Geistlichen aus dienstlichen Gründen17 und zur Sicherung der kirchlichen Versorgung von Gemeindegliedern18 dienten dem Ausbau des landeskirchlichen Machtanspruches. Kurz vor Kriegsbeginn nahmen die vom Reichskirchenminister Kerrl schon im Jahr 1938 lancierten Pläne Gestalt an, die nach wie vor offene Frage der geistlichen Leitung in den Kirchenverwaltungen durch Hinzuziehung von Vertretern der kirchenpolitischen Hauptrichtungen mit Ausnahme der Bruderräte zu lösen. Für die Deutsche Evangelische Kirche wurde Ende August 1939 der „Geistliche Vertrauensrat“ unter Leitung des hannoverschen Landesbischofs Marahrens einberufen19. Angesichts der großen Spannungen in der sächsischen Landeskirche vor Kriegsbeginn wurden Schritte zu ihrer Befriedung von den BK-Pfarrern und den Pfarrern der Mittelpartei begrüßt, wenn auch von Seiten der BK eine gewisse Skepsis gegenüber den Aktionen von Reichskirchenministerium und Kirchenkanzlei verblieb. Voraussetzung jeglicher Verhandlungen sollte die Aufhebung der genannten Maßregelungen sein20. Anfangs be14 Verordnung über Disziplinarmaßnahmen und Amtshandlungen vom 16. März 1939 (KGVBl 1939, S. 49). 15 Verordnung über Besetzung von Pfarrstellen durch die Kirchenbehörden vom 6. April 1939 (KGVBl 1939, S. 60). Durch diese Verordnung konnte das Landeskirchenamt die Besetzung einer Pfarrstelle in Anspruch nehmen, wenn dies im Interesse der Kirche erforderlich war. 16 Verordnung über die Errichtung von Kreiskirchenämtern vom 29. April 1939 (KGVBl 1939, S. 57). Durch diese Verordnung wurde die Rolle des juristischen Leiters des Kreiskirchenamtes gegenüber dem Superintendenten gestärkt, jedoch wurde durch Verordnung vom 27. Dezember 1939 (KGVBl 1939, S. 211) diese Änderung teilweise zurückgenommen. 17 Verordnung über die Besetzung von Pfarrstellen aus dienstlichen Gründen vom 6. April 1939 (KGVBl 1939, S. 59 f.). Hiernach erhielt das Landeskirchenamt die Befugnis, auch fest angestellte Geistliche unter bestimmen Bedingungen zu versetzen (u. a. wenn „die gedeihliche Führung des Pfarramtes dem Geistlichen nicht mehr möglich ist“); Superintendenten konnten unter Belassung der bisherigen Pfarrstelle ihres Amtes enthoben werden. 18 Verordnung zur Sicherung der kirchlichen Versorgung der Gemeindeglieder vom 3. Mai 1939 (KGVBl 1939, S. 88). Diese gab zwar jedem Gemeindeglied das Recht, für seine kirchlichen Betreuung einen Geistlichen seiner Wahl zu nehmen, schloss jedoch Geistliche, gegen die ein Dienststrafverfahren lief oder die BK-Leitungsorganen angehörten, aus. Die Verordnung gab dem Landeskirchenamt eine Handhabe, die Benutzung kirchlicher Gebäude durch BK-Angehörige untersagen zu können. 19 Zur Gründung des Geistlichen Vertrauensrates vgl. K.-H. MELZER, S. 39–54. 20 H. KLEMM, S. 362 f.
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grüßten auch die DC den Befriedungsversuch, von Klotsche jedoch wurde er abgelehnt21. Nachdem sich nach einem Treffen der wesentlichen nicht deutschchristlichen Organisationen am 10. September 1939 eine Einigung abzeichnete, die eine deutliche Schwächung des deutschchristlichen Elementes befürchten ließ, verstärkten die DC erfolgreich ihren Widerstand gegen die Neuordnung22. Als am 20. September 1939 Vertreter des Geistlichen Vertrauensrates zu konkreten Verhandlungen nach Dresden kamen, eröffnete ihnen Oberlandeskirchenrat Kretzschmar, der Reichsstatthalter wünsche die Bildung eines Vertrauensrates nicht und gestatte keine weiteren Gespräche mit den Gruppenvertretern23. Melzer vermutet – wohl nicht zu Unrecht –, dass sich das Landeskirchenamt Unterstützung bei Mutschmann verschafft hatte24. Wieder einmal war es dem Reichskirchenminister nicht gelungen, seinen Willen gegenüber Mutschmann durchzusetzen. Dass es im Dezember 1939 mit der Hinzuziehung des Leipziger Superintendenten zu einer personellen Veränderung im Landeskirchenamt kam, kann wohl auf das Wirken verschiedener Kräfte zurückgeführt werden: zum einen auf den Einfluss Kerrls25, zum anderen auf die Kirchenkanzlei und den Geistlichen Vertrauensrat26, die Oberlandeskirchenrat Kretzschmar, der die Landeskirche in Abwesenheit des zur Wehrmacht eingezogenen Klotsche leitete, unter Druck setzten. Auf seinen Vorschlag hin wurde Schumann unter Beibehaltung seiner bisherigen Ämter mit der Bearbeitung der Personalangelegenheiten betraut27. Schumann nahm diese Tätigkeit nicht ohne Bedenken auf28. Während er die gute Zusammenarbeit mit Kretzschmar betonte29, musste Schumann eingestehen, dass sich das Zusammenwirken mit Seck und Klotsche, der wohl auf direktes Eingreifen des Reichsstatthalters aus der Wehrmacht
21 Zu den Verhandlungen über die Einrichtung eines Geistlichen Vertrauensrates für Sachsen vgl. K.-H. MELZER, S. 122–131, der anders als K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 507 f., die Befürwortung durch die DC betont. 22 Vgl. dazu K.-H. MELZER, S. 124 f., und H. KLEMM, S. 363, der das Treffen fälschlich auf den 8. September datiert. 23 Die Vertrauensmänner der „Mitte“ hatten in einem Schreiben vom 25. August 1939 Schumann, den Dresdner Pfarrer Martin und Diakon Mieth von der Leipziger Inneren Mission als mögliche Kandidaten für einen Vertrauensrat in Sachsen vorgeschlagen (EZA BERLIN, 1/A4/256). 24 K.-H. MELZER, S. 126. 25 EBD., S. 127. 26 In dieser Richtung argumentiert K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 508. 27 KGVBl 1939, S. 203. H. SCHUMANN, S. 144, erwähnt bezeichnenderweise den auf Kretzschmar ausgeübten Druck überhaupt nicht. 28 EBD. 29 EBD., S. 145: „Beim Rückblick muss er [Schumann, G. W.] erklären, dass die Monate, in denen er in engster, vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Oberlandeskirchenrat Kretzschmar gestanden hat, zu den schönsten seines langen Lebens gehören“.
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entlassen wurde, erheblich schlechter gestaltete und er sich nur noch selten durchsetzen konnte30. Seitens der BK löste die Einbeziehung Schumanns Bestürzung aus, denn man war über die Verhandlungen nicht informiert worden und musste sich entgegen voriger Absprachen mit der „Mitte“ nun auf eine Lösung der Leitungsfrage ohne eigene Beteiligung einstellen31. Auf einer gemeinsamen Tagung von „Mitte“ und BK am 21. Dezember 1939 wurde sogar die Forderung nach seinem Rücktritt erhoben, weil Schumann „den Weg des allmählichen Nachgebens gegenüber der deutschchristlichen Führung“ gegangen sei32. Selbst im Rückblick war die Kritik äußerst hart: „Schumann war ein Mann ausgesprochen pietistischer Innerlichkeit, [. . .] aber er schied innere und äußere Dinge so stark, dass er für öffentliche Fragen zwischen Kirche und Staat trotz seiner großen Verwaltungserfahrung keinen Sinn hatte. Mindestens führte das innere Weh [. . .] nur selten zu einem sichtbaren Handeln gegen die Verderbnis in Staat und Kirche“33.
Mochte diese Bilanz auch stark einseitig gefärbt sein und durch entgegenstehende Äußerungen relativiert werden34, so drängte die BK doch darauf, angesichts des Fehlens einer geistlichen Leitung Veränderungen im Landeskirchenamt herbeizuführen35. Im Herbst 1940 begannen Gespräche zwischen Landeskirchenamt und BK, die in der Aufnahme des BK-Pfarrers Georg Prater in das Landeskirchenamt zur kommissarischen Dienstleistung mündeten. Der BK wurde in geistlichen Dingen wie z. B. Ordinationen und Einweisungen, eine Art Eigenrecht zugebilligt. Zusammen mit einem ebenfalls berufenen Vertreter der Deutschen Christen36 waren jetzt neben Schumann auch Repräsentanten der beiden anderen kirchenpolitischen Richtungen im Landeskirchenamt vertreten. Die BK war dafür bereit, entgegen ihrer vorherigen Generallinie, Fragen der Kirchenordnung und des Bekenntnisses nicht zu trennen, das Landeskirchenamt als Verwaltungsbehörde anzuerkennen, jedoch nicht als geistliche Leitung37. 30 EBD. 31 Hier sehr deutlich H. KLEMM, S. 365–368, während H. SCHUMANN, S. 145, – für ihn charakteristisch – im Kontext seiner Ernennung mit keinem Wort auf die Bedenken der BK eingeht. 32 H. KLEMM, S. 368. 33 EBD., S. 374. 34 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 509. 35 Zu den erfolglosen Bemühungen, über die Einschaltung des Geistlichen Vertrauensrates Änderungen zu erreichen, vgl. K.-H. MELZER, S. 129. 36 Ursprünglich war Superintendent Heinrich Leichte (Pirna) für diese Aufgabe vorgesehen. Auf Vorschlag des DC-Reichsgemeindeleiters wurde jedoch am 24. Januar 1941 Superintendent Ernst Schneider (Bautzen) berufen, der allerdings Ende Februar wieder ausschied. Ihm folgte Superintendent Max Krebs (Dresden) nach. 37 Zu den Diskussionen um diese Frage innerhalb der BK vgl. H. KLEMM, S. 399–404.
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Die Zugeständnisse Klotsches bestanden in der Rücknahme von Disziplinarmaßnahmen gegen BK-Geistliche38. Auch konnte die Frage der bis dato illegal tätigen Vikare befriedigend gelöst werden. Die Zusammenarbeit der so genannten „Theologischen Arbeitsgemeinschaft“ dauerte aber nicht lange, da Prater wegen angeblicher staatsfeindlicher Tätigkeit am 30. November 1941 festgenommen und bis zum 23. April 1942 in Haft gehalten wurde39. Nach seiner Entlassung lehnte Klotsche aufgrund politischer Rücksichtnahme Praters Wiederverwendung im Landeskirchenamt ab. Im Sommer 1942 schließlich unterband Klotsche Kontakte der BK zum Landeskirchenamt und entfernte BK-Mitglieder aus einer landeskirchlichen Prüfungskommission40. Schumann, der unter diesen Umständen daran gedacht hatte, seine Arbeit einzustellen, wurde jedoch von der BK zum Weitermachen gedrängt41. Auch das Verhältnis des Landeskirchenamtes zu den DC hatte sich merklich abgekühlt, hatten diese doch manche Winkelzüge Klotsches als Verrat am Auftrag der DC angesehen42. Auf den Druck des Reichsstatthalters hin waren Seck und Klotsche im Februar 1941 aus der Nationalkirchlichen Bewegung DC ausgetreten und hatten damit die vom Gauleiter gewünschte Trennung der Kirchenleitung von den kirchenpolitischen Gruppierungen vollzogen. Ungehalten über den Tonfall mancher Deutscher Christen hatte Mutschmann dem ehemaligen Leiter der nationalkirchlichen DC-Gauorganisation, Ernst Berthold, im Herbst 1941 Redeverbot erteilt. Aus Protest gegen den unversöhnlichen Kurs der DC-Landesleitung waren darüber hinaus einflussreiche Persönlichkeiten der Landeskirche aus dieser Organisation ausgetreten. Damit war der Einfluss der DC auf die Leitung der Landeskirche stark geschwunden. Rückhalt bekamen sie, wenn überhaupt, nach dem Tode Kerrls im Dezember 1941 durch dessen Staatssekretär Hermann Muhs. Das Landeskirchenamt hatte somit keinen Rückhalt mehr bei einer kirchenpolitischen Gruppe und entwickelte sich so immer mehr zu einem Amt von Mutschmanns Gnaden. Die „Dahlemiten“ innerhalb der sächsischen BK waren nicht bereit, den „Kompromisskurs“ der BK mitzugehen, während VKL und Lutherrat die Entscheidung der sächsischen BK unterstützten. 38 Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 514. 39 Ein junger Geistlicher hatte Prater schriftlich gebeten, ihm zu helfen, beim Militär unterzukommen. Prater wurde deshalb von der Gestapo der Vorwurf gemacht, er bringe staatsfeindliche Elemente bei der Wehrmacht unter. In der Literatur vermutet lediglich Hahn – ohne weitere Hinweise allerdings –, dass der Verhaftung eine Intrige zugrunde gelegen habe, um das gute Zusammenspiel von Klotsche und Prater zu zerstören (H. HAHN, S. 212). Bezeichnenderweise waren Schumann diese Zusammenhänge, als er seine Darstellung Ende der 50er Jahre abschloss, überhaupt nicht mehr präsent. Er verlegte Praters Ausscheiden aus dem Kirchenamt in das Frühjahr 1942 (H. SCHUMANN, S. 145 f.). 40 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 523. 41 H. SCHUMANN, S. 146. 42 Zum Folgenden vgl. K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 520 f., insbesondere Anm. 1456.
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5.2 Gestapo und SD als kirchenpolitische Akteure In der Haltung der Polizeibehörden gegenüber der evangelischen Kirche in Sachsen lassen sich ab 1937 zwei Prozesse beobachten: Zum einen distanzierten sich Gestapo und SD immer weiter vom deutschchristlichen Landeskirchenregiment, zum anderen gelang es Himmler und Heydrich als den für den Sicherheitsapparat Verantwortlichen, immer mehr Kompetenzen in Kirchenfragen an sich zu ziehen. Entgegen früheren Annahmen ist jedoch das Verhältnis von Gestapo und SD bis dahin keineswegs als kräftezehrendes Nebeneinander, sondern als „konfliktreiche, gegenseitige Ergänzung“ zu beschreiben43. Gegensätze zwischen den Dienststellen hatten sich vor allem in der Provinz ergeben44. 1937 hatte Reinhard Heydrich, der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, im so genannten „Funktionserlass“ die Kompetenzen von Gestapo und SD in der Kirchenpolitik präzisiert. Das exekutive Monopol in Kirchenfragen verblieb bei der Gestapo, während dem SD die Aufgabe des geistig-weltanschaulichen Nachrichtendienstes zukam45. Auch die Gau- und Kreisleitungen der NSDAP sowie nachgeordnete Stellen wurden in ihrem kirchenfeindlichen Vorgehen von den SD-Ober- und Unterabschnitten nach Kräften unterstützt46. Der Sturz des Landeskirchenausschusses im Herbst 1937 wurde zunächst durch eine einseitige Indienstnahme der Polizei begleitet. Innenminister Fritsch ordnete am 2. Oktober 1937 an, der neu eingesetzten Leitung „polizeiliche Hilfe [zu gewähren] für den Fall, dass deren Maßnahmen Widerstand entgegengesetzt wird und von ihr Unterstützung der Polizei beantragt wird“47. Am 29. November 1937 ergänzte Fritsch den Erlass dahin gehend, dass gegebenenfalls auch die Gestapo einzuschalten sei48. Der Präsident des Landeskirchenamtes Klotsche teilte den Bezirkskirchenämtern streng vertraulich am 18. Oktober den Erlass des Innenministers mit49. Ihm missliebigen Pfarrern drohte er, dass die Nichtbeachtung seiner Vorschriften als „unmittelbar gegen den Staat gerichtet anzusehen“ sei50. Die Entscheidung der sächsischen Landesregierung wurde allerdings dadurch relativiert, dass 43 W. DIERKER, S. 290. 44 EBD., S. 294. 45 Teilabdruck in: BERICHTE DES SD UND DER GESTAPO, Dok. 3*, S. 905 f. Vgl. auch W. DIERKER, S. 297–301, und K.-M. MALLMANN, Konfrontation, S. 123, der im Gegensatz zu Dierker dem SD „eine Art Federführung“ gegenüber der Gestapo zuweist. 46 W. DIERKER, S. 307. 47 Abgedruckt in: J. FISCHER, Dok. 140, S. 264. 48 SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/40, Bl. 229. 49 BARCH BERLIN, R 5101/23697, Bl. 161. 50 KGVBl 1937, Vo Nr. 7. Die Leipziger Mittepfarrer protestierten in einem Schreiben an den Reichskirchenminister vom 11. November 1938 gegen die Invektiven Klotsches (BARCH BERLIN, R 5101/23766, Bl. 22 f.).
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der Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, am 24. Dezember 1937 die Kompetenz für „alle grundsätzlichen Entscheidungen über polizeiliches Vorgehen in Angelegenheiten des Kirchenstreites“ in Sachsen an sich zog51. Noch im Februar 1938 setzte Klotsche jedoch eine Mitarbeit der Staatspolizeileitstelle Dresden voraus, um gegen diejenigen Pfarrer vorzugehen, die die Septuagesima-Erklärung verlesen hatten52. Der Einsatz der Polizei war eine zwischen Himmler und Mutschmann als dem politisch Verantwortlichen in Sachsen auszuhandelnde Sache53. In politisch problematischen Fällen erfolgte der Einsatz der Machtmittel der Gestapo in Absprache mit der jeweiligen politischen Spitze54. Mutschmann zeigte sich zwar in Ausnahmesituationen tendenziell bereit, zugunsten des deutschchristlichen Kirchenregiments zu intervenieren, nun zog er jedoch – nolens volens – die offene Unterstützung der sächsischen Kirchenleitung zurück. Am 25. Juli 1938 teilte der sächsische Innenminister die Aufhebung der genannten Verordnungen mit55. Die neue Handlungsmaxime folgte der Politik der Gestapo und lautete, dass „künftig davon auszugehen [sei], dass der Kirchenstreit grundsätzlich als innerkirchliche Angelegenheit anzusehen ist, durch welche polizeiliche Belange nicht berührt werden“56. Außerdem musste der Innenminister eingestehen, dass nunmehr alle Grundsatzentscheidungen über polizeiliches Vorgehen in Kirchenfragen bei den Dienststellen der Gestapo lagen57. Eine handschriftliche Notiz auf einem Schreiben des Reichskirchenministers an den sächsischen Reichsstatthalter aus dem Herbst 1940, wonach die Stapoleitstelle Dresden im Innenministerium die Kirchensachen bearbeitete, lässt darauf schließen, dass Himmler in diesem Spiel um die Macht schließlich die Oberhand behielt58. In Leipzig beispielsweise war der Pfarramtsleiter der Markusgemeinde, Paul Tzschucke, im September 1941 verhaftet worden, weil er angeblich einem Parteimitglied unterstellt hatte, durch die Partei zum Austritt gedrängt worden zu sein59. Als die 51 Fritsch an Muhs am 2. März 1938. Fritsch berichtete in diesem Schreiben dem RKM über den Kompetenzenkonflikt (BARCH BERLIN, R 5101/23697, Bl. 162). 52 Klotsche an Kerrl am 17. Februar 1938. Klotsche bat Kerrl, bei der Staatspolizeileitstelle Dresden die Namen der betreffenden Pfarrer in Erfahrung zu bringen (BARCH BERLIN, R 5101/23697, Bl. 69). 53 Fritsch hatte sich wegen einer letztgültigen Entscheidung an Mutschmann gewandt. Eine Antwort des Reichsstatthalters ist jedoch nicht überliefert. 54 Beispiele bei K.-M. MALLMANN, Konfrontation, S. 129. 55 Fritsch an die Herren Kreis- und Amtshauptleute u. a. am 25. Juli 1938 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/41, Bl. 107). 56 EBD. 57 EBD. 58 Schreiben vom 3. Oktober 1940. Die Notiz stammt von einem Mitarbeiter des Volksbildungsministeriums (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/41, Bl. 206). 59 Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Berlin, an den RKM, 11. Februar 1942 (BARCH BERLIN, R 5101/24000).
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Staatsanwaltschaft sich weigerte, ein Verfahren einzuleiten, inhaftierte ihn die Gestapo selbstständig und hielt ihn im Herbst 1941 zwei Monate in Schutzhaft60. Als einer der wichtigsten Gegner des Reichskirchenministers torpedierte der Sicherheitsdienst so gründlich wie möglich dessen Maßnahmen61. Als zu Kriegsbeginn auch in Sachsen Bemühungen zu Installierung eines Vertrauensrates als Beratungsgremium in geistlichen Angelegenheiten unternommen wurden, berichtete der Sicherheitsdienst darüber nach Berlin und erteilte Klotsche die Auflage, „in Kriegszeiten grundlegende Veränderungen innerhalb der Leitung der Landeskirche zu unterlassen“62. In einem Gespräch beim SD-Leitabschnitt Dresden bemerkte Klotsche im Januar 1940, „die SS in Sachsen mische sich stark in kirchliche Dinge. Er habe bisher nicht feststellen können, dass die SS anderswo an der kirchlichen Entwicklung so interessiert sei wie gerade in Sachsen“63. Klotsches Willfährigkeit ging sogar so weit, dass er sich in seiner schwierigen Position noch der Unterstützung des SD zu versichern suchte. Er brachte ihm gegenüber sein Dilemma zum Ausdruck, „die Landeskirche so zu leiten, dass er sowohl dem Reichskirchenminister als auch dem Gauleiter und Statthalter Mutschmann gerecht werden könne“64. Zur Erfüllung seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeit war der Sicherheitsdienst auf Unterstützung angewiesen. So arbeitete die Schutzpolizei dem geheimdienstlichen Apparat zu. Ab Ende 1937 sollte die Leipziger Schutzpolizei in ihrem monatlichen Tätigkeits- und Erfahrungsbericht sich ausführlicher mit Kirchenfragen beschäftigen65. In den Jahren 1937 bis Anfang 1939 galt das Augenmerk der Schutzpolizei u. a. größeren kirchlichen Feiern, vor allem aber den Kirchenaustritten66. Nachdem diese 1937 sprunghaft angestiegen waren, interessierte sich die Gestapo für die kirchlichen Gegenmaßnahmen67. Für Leipzig konstatierte die Schutzpolizei – ohne konkrete Zahlen zu nennen – ein nur im Frühjahr 1938 unterbrochenes Ansteigen der Kirchenaustritte68. Das Ansteigen der Austrittszahlen
60 EBD. Der Bericht Tzschuckes über gegen ihn ergriffene Maßnahmen im Nationalsozialismus in: ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6. 61 W. DIERKER, S. 307. 62 SD-Leitabschnitt Dresden an Mutschmann am 11. Januar 1940 (Abschrift an das RSHA) (BARCH-DH, ZB I 1617). 63 SD-Leitabschnitt Dresden an RSHA am 15. Januar 1940 (BARCH-DH, ZB I 1617, Bl. 71). 64 EBD., Bl. 71 f. 65 Der Kommandeur der Schutzpolizei am 19. November 1937 (STAL, PP-V 4965, Bl. 101). 66 Vgl. dazu die Überwachungsberichte in: STAL, PP-V 4965 und 5004. 67 Vgl. DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, S. 7, Anm. 2. 68 Vgl. dazu die Überwachungsberichte in: STAL, PP-V 4965 und 5004.
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von Beamten und Polizisten wurde mit besonderer Aufmerksamkeit registriert69. Die Überwachung der Kirchen durch den mittlerweile im Reichssicherheitshauptamt konzentrierten Apparat wurde zu Beginn des Krieges sogar noch intensiviert70. Später wurde das Personal in den Dienststellen jedoch abgebaut und in den eroberten Ostgebieten zu Polizeiaufgaben herangezogen und im Rahmen der Judenvernichtung eingesetzt. Es kam dadurch im Altreich zu Deprofessionalisierungstendenzen71. Sowieso klaffte zwischen dem totalitären Anspruch der Gestapo, dem in der Bevölkerung absichtlich verbreiteten Mythos von der Allgegenwart der Staatspolizei und ihren realen Möglichkeiten eine große Lücke72. In Sachsen kamen 1936/37 auf einen Gestapo-Mitarbeiter 10 500 Personen, in Preußen sogar 25 00073. Der selbst nach einigen Jahren innerkirchlicher Auseinandersetzungen durchaus noch begrenzte Kenntnisstand der Polizeiorgane zeigte sich in der Beurteilung Schumanns im Rahmen seiner Tätigkeit im Landeskirchenamt nach Kriegsbeginn. Die Beteiligung des Leipziger Superintendenten an der Kirchenleitung war vom SD heftig kritisiert worden, da sie den Instruktionen an Klotsche, keine Personalveränderungen vorzunehmen, widersprach74. Die Kritik hatte augenscheinlich nichts mit der Person Schumanns zu tun, der vom Dresdner SD-Oberabschnitt als eine Person, die „sich stets den Anordnungen des Landeskirchenamtes gefügt hat“, charakterisiert wurde75. Der SD-Abschnitt Leipzig schätzte ihn anders ein76: Er schilderte den Leipziger Superintendenten als zwielichtige Person, die „sich wiederholt eifrig für die Belange der Bekennenden Kirche eingesetzt [hat], obwohl er nach seinen eigenen Angaben der sog. Kirchlichen Mitte angehört“77. Angesichts des im Allgemeinen nicht ungetrübten Verhältnisses von Schumann zur BK lässt diese Aussage auf einen Informanten aus dem extremen deutschchristlichen Umfeld in Leipzig schließen. 69 Für die Beamtenschaft durch den Abschnitt Süd durch Bericht vom 31. Dezember 1937; für die Polizisten durch Bericht vom 30. März 1938 durch den Abschnitt Nord (STAL, PP-V 4965, Bl. 106 bzw. 153). 70 K.-M. MALLMANN, Konfrontation, S. 135; W. DIERKER, S. 492; zur Quellenlage des für die Kirchenpolitik des RSHA ab 1941 verantwortlichen Amtes IV vgl. EBD., S. 493. 71 K.-M. MALLMANN/G. PAUL, Gestapo, S. 620. 72 Zum Mythos vgl. R. GELLATELY, Gestapo-Mythos. 73 K.-M. MALLMANN/G. PAUL, Gestapo, S. 620. 74 Vgl. den Bericht des SD-Leitabschnitts Dresden an das RSHA am 15. Januar 1940 (BARCH-DH, ZB I 1617, Bl. 71 f.). 75 Der SD-Führer des SS-Oberabschnitts Elbe an das SD-Hauptamt II 113. Funkspruch vom 26. August 1939 (BARCH-DH, ZB I 1611, Bl. 127). 76 STAL, SD-Abschnitt Leipzig 1, Bl. 395 [März 1940]. 77 EBD. Die Berufung Schumanns war laut der kirchlichen Quelle Ausfluss von Hitlers Dank für die Haltung der evangelischen Geistlichen in Polen – eine völlig falsche, ja in diesem Fall abstruse Interpretation der Ereignisse.
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Dass sich die Interessen von Gestapo und Landeskirchenleitung gegen einen gemeinsamen Gegner auch noch in einer Zeit verbinden ließen, in der die Gestapo eindeutig auf eine Trennung von Staat und Kirche hinarbeitete, wird aus einer Begebenheit erkennbar, die sich um die Jahreswende 1938/39 abspielte: Der Leipziger Pfarrer Johannes Herz bemühte sich um die Wiederherstellung der Auslandsgültigkeit seines Passes, um seinen in Schweden lebenden Sohn besuchen zu können. Herz gehörte in Leipzig zu den exponierten Persönlichkeiten der „Mitte“. Eine auf Anfrage des Volksbildungsministeriums erstellte Stellungnahme der Staatspolizeistelle Leipzig aus dem Jahr 1939 führte die Beschränkung von Herz’ Pass auf das Inland auf eine Weisung des sächsischen Innenministers aus dem April 1937 zurück, die im Zusammenhang mit dem Verbot der Teilnahme einer offiziellen Delegation der Deutschen Evangelischen Kirche an der Ökumenischen Weltkonferenz in Oxford im Juli 1937 ergangen sein soll78. Dieses Verbot erfolgte aber erst am 14. Mai 1937, also erst einen Monat nach der durch den sächsischen Innenminister ergangenen Anordnung79. Obwohl Herz selber angegeben hatte, der „Mitte“ anzugehören, stilisierte ihn die Leipziger Gestapo analog zu der bereits genannten Charakteristik Schumanns durch den SD zu einer „führende[n] Persönlichkeit innerhalb der Bekennenden Ev.-luth. Kirche“80. Herz wurde darüber hinaus als „einer von denjenigen Geistlichen, die sich nach außen hin als mit dem nationalsozialistischen Staat sympathisierend ausgeben, innerlich denselben aber ablehnen“, dargestellt – eine Information, die sich auf die Beurteilung der NSDAP-Kreisleitung stützte („politisch unzuverlässig“)81. Es scheint, dass weder Leipziger SD noch Gestapo-Stellen fähig waren, die innerkirchliche Positionierung selbst herausgehobener kirchlicher Persönlichkeiten vor Ort richtig vornehmen zu können. Auf dieser Ebene sollte man den kirchenpolitischen Sachverstand also nicht allzu hoch ansetzen. Dadurch ergab sich ähnlich wie für das MfS Mitte der 50er Jahre die Gefahr, den Interessen der Informanten aufzusitzen. Im Anschluss an diese Stellungnahme konnte das Volksbildungsministerium „in Übereinstimmung mit der [. . .] Auffassung des Ev.-luth. Landeskirchenamtes Sachsens“ Herz’ Anliegen nicht befürworten. Hier zeigte sich wieder jene für die Verhältnisse in Sachsen im Nationalsozialismus 78 Das Verbot ging auf Bischof Theodor Heckel, den Leiter des Kirchlichen Außenamtes der DEK, und den Reichskirchenminister zurück (vgl. dazu W. DIERKER, S. 394–397, und DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, Dok. 23, S. 64–68). Zu den ökumenischen Beziehungen der DEK vgl. A. BOYENS, der allerdings Himmler für das Verbot verantwortlich macht (S. 153). 79 W. DIERKER, S. 395. 80 Staatspolizeistelle Leipzig an den Leiter des Volksbildungsministeriums am 21. März 1939 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/41, Bl. 167). 81 EBD.
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typische Überlagerung von staatspolizeilichen Sicherheitserwägungen mit den Interessen einer innerkirchlich minoritären, aufgrund staatlicher Intervention aber dominierenden Gruppe, die die Neigung zu staatlichen Repressionen gegen Pfarrer verstärkte. Die weitere Berichterstattung des Sicherheitsdienstes über Kirchenfragen in Sachsen, die sich, wenn auch nur sehr lückenhaft, bis ins Jahr 1942 verfolgen lässt, deckte hauptsächlich zwei Gebiete ab. Zum einen ging es um Personalveränderungen im Landeskirchenamt, die, egal ob sie sich zugunsten der BK oder der DC auswirkten, misstrauisch beurteilt wurden, verstießen sie doch gegen die vom Sicherheitsdienst vorgegebene Linie82. Auch die Einschätzung, die der Reichsbischof bezüglich der Mitarbeit des BK-Pfarrers Prater im Landeskirchenamt gegenüber dem SD äußerte, „dass die Bekenntnisfront nicht etwa um des Friedens willen oder aus Idealismus zur Landeskirche gekommen sei“, fand großes Interesse83. Der zweite Aspekt, der die Aufmerksamkeit des SD auf sich zog, war die Haltung der Kirche zu Partei und Staat, insbesondere in der Öffentlichkeit. In den Berichten der V-Leute konnten sich Interessen des Sicherheitsdienstes an der Verfolgung oppositioneller oder scheinbar oppositioneller Strömungen mit Absichten der Berichterstatter, über diese Schiene innerkirchliche Gegner belasten zu können, vermischen. Musterbeispiel eines solchen Berichts ist das Schreiben des SD-Leitabschnitts Dresden an das Reichssicherheitshauptamt vom 20. Dezember 1940, dessen Thema die „Stimmung unter den Superintendenten des Landeskirchenamtes Sachsen“ [sic] war. Hierbei wurde vom SD eine „in steigendem Maße [. . .] gegen die Maßnahmen von Partei und Staat gerichtete Stimmung“ konstatiert84. Der V-Mann benutzte seine Darstellung über eine Ephorensitzung im Herbst 1940, um diejenigen Pfarrer und „Parteigenossen“ anzugreifen, die 1933 Deutsche Christen geworden seien, dadurch Superintendentenstellen erhalten hätten und nach 1935 „aus Liebedienerei gegenüber dem damaligen Landeskirchenausschuss“ die nationalsozialistische Pfarrerorganisation wieder verlassen hätten. Diesen regimekritischen Äußerungen stellte der Verfasser die Bemühungen von Klotsche, Seck und den deutschchristlichen Superintendenten gegenüber, „die eindeutig erklärten, die Ephorenkonfe-
82 So berichtete der SD-Leitabschnitt Dresden am 24. Januar 1940 über Versuche der DC, über ihren Superintendenten Max Krebs, einen Bekannten des Reichsstatthalters, dem kaltgestellten Landesbischof Coch im Landeskirchenamt wieder Einfluss zu verschaffen (BARCHDH, ZB I 1617, Bl. 72); am selben Tag sandte der Leitabschnitt auch eine Liste über intendierte Versetzungen von Superintendenten nach Berlin (BARCH-DH, ZB I 1617, Bl. 73 f.). 83 Der Reichsbischof unterhielt Beziehungen zum SD-Leitabschnitt Dresden (BARCH-DH, ZB I 1617, Bl. 87 f.). 84 BARCH-DH, ZB I 1617, Bl. 89 f.
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renz nicht mehr besuchen zu wollen, wenn diese Stimmung gegen die Maßnahmen von Staat und Partei verstärkt würden“ [sic]85. Genauso problematisch erschien es dem SD, wenn Pfarrer die Synthese von Nationalsozialismus und Christentum propagierten und den Krieg in eine religiöse Perspektive stellten. In seinem Inlandlagebericht vom 21. Oktober 1939 zitierte der SD-Abschnitt Leipzig unter der Rubrik „Gegnerarbeit aller Art“ zu den Aktivitäten „kirchliche[r] Propagandisten“86 einen nicht genannten BK-Pfarrer: „An der Front draußen, wie an der Heimatfront kommen jetzt die Stunden der Bewährung. Es zeigt sich dabei, ob unser Glaube echt ist. Wir lassen uns die Gewissheit nicht rauben: Christus siegt unter allen Umständen“87. Über die genuin kirchenpolitischen Fragen hinaus interessierte sich die Staatspolizeistelle Leipzig auch für protestantische Zirkel in der Stadt. Erste Nachforschungen über den von BK-Pfarrer Erich Kröning seit Ende 1936 geleiteten Eckart-Kreis in Leipzig unternahm sie im April 193788. Aus den Akten wird allerdings nicht deutlich, auf wessen Initiative das geschah. Die Eckart-Kreise, die im ganzen Reich bestanden, setzten sich aus evangelischer Sicht mit kulturellen Fragen auseinander89. Wie sich aus der Vorladung Krönings am 5. Mai 1938 und den sich daran anschließenden intensiven Ermittlungen der Leipziger Gestapo ergab90, bestand die Gruppe, deren Größe nicht erwähnt wurde, in Leipzig hauptsächlich aus Akademikern und bürgerlich geprägten Schichten. Sie war nicht vereinsmäßig organisiert, es handelte sich vielmehr um einen Interessentenkreis. Hatte die Stapostelle Leipzig 1937 noch nüchtern-objektiv die Anfrage zum Ekkart-Kreis beantwortet, so änderte sich ihre Stellungnahme, nachdem sich der SD-Unterabschnitt Leipzig wegen des Antrags Krönings, den Leipziger Eckart-Kreis in die Gruppe literarischer Vereine und Vortragsveranstalter in der Reichsschriftumskammer aufzunehmen91, eingeschaltet hatte92. Die Stapostelle Leipzig übernahm nun die Bewertung des SD, der die Kirchen nicht nur als Staatsfeinde, sondern vor allem als geistig-weltanschauliche 85 SD-Leitabschnitt Dresden an Reichssicherheitshauptamt am 20. Dezember 1940 (BARCH-DH, ZB I 1617, Bl. 89–91). 86 STAL, SD-Abschnitt Leipzig 1, Bl. 239 f. 87 EBD. 88 STAL, PP-V 3761, Bl. 3. Der Eckart-Kreis in Leipzig war 1933 von Pfr. Leistner gegründet worden (Bl. 14). 89 Der Eckart-Kreis als geistiges Widerstandszentrum junger christlich-konservativer Autoren wie Rudolf Alexander Schröder, Ricarda Huch und Werner Bergengruen wurde von dem christlichen Romancier Kurt Ihlenfeld gegründet. Er gab auch die gleichnamige Literaturzeitung heraus, die 1943 eingestellt werden musste. 90 STAL, PP-V 3761, Bl. 16 f. 91 Der Präsident der Reichsschrifttumskammer an die Staatspolizeistelle Leipzig am 5. Juli 1938 (STAL, PP-V 3761, Bl. 19). 92 STAL, PP-V 3761, Bl. 20.
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Gegner ansah: „Sinn und Aufgabe des Kreises scheint es zu sein, Geschichte und Kultur des deutschen Volkes vom Standpunkt kirchlicher Bindung aus der Anhängerschaft nahe zu bringen. Dieses Beginnen ist, da diese Gebiete nach der nationalsozialistischen Weltanschauung nur aus dem Gesichtspunkt von Rasse und Volk verstanden werden können, abzulehnen“93. Durch seine aktive Tätigkeit im Frühjahr 1939 gelangte der Leipziger Eckart-Kreis sogar in den Vierteljahreslagebericht des SD94.
5.3 Die Pfarrer und die NSDAP In der NSDAP vollzog sich unter Reichsleiter Martin Bormann ab 1937 verstärkt die Trennung der Partei und des Staates von der Kirche. Als im Februar 1937 die Aufnahmesperre für die Partei aufgehoben wurde, ordnete der Reichsleiter an, „zur Verhinderung des Hineintragens kirchenpolitischer Gegensätze in die Bewegung und zur Vermeidung des Verdachtes einer einseitigen Stellungnahme für oder gegen eine bestehende Kirchengemeinschaft von der Aufnahme von Angehörigen des Geistlichen-Standes in die Partei abzusehen“95. Die Anordnung Nr. 140/39 vom 14. Juli 1939 dehnte das Aufnahmeverbot auch auf konfessionell stark gebundene Personen aus96. Im Juli 1938 sollten Pfarrer gemäß einer Anordnung Bormanns aus Parteiämtern ausscheiden97. Noch im Jahr 1938 stellten sechs Leipziger Pfarrer in Unkenntnis des Verbotes Aufnahmeanträge. Es handelte sich dabei zum einen um sehr junge Pfarrer, zum anderen um ältere auf relativ schlechten Pfarrstellen, die sich wahrscheinlich durch den Parteieintritt einen Karrieresprung erhofften98. Die Gauleitung Sachsen lehnte solche Anträge, wie sie dem Landeskirchenamt im Juli auf Nachfrage mitteilte, entsprechend Bormanns 93 Staatspolizeistelle Leipzig an den Herrn Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, 5. September 1938 (STAL, PP-V 3761). 94 Vierteljahreslagebericht 1939 des Sicherheitshauptamtes des Reichsführers SS (abgedruckt in: BERICHTE DES SD UND DER GESTAPO, S. 349). 95 Anordnung 24/37 vom 9. Februar 1937. Zitiert aus: Anordnung Nr. 140/39 vom 14. Juli 1939 (DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, Dok. 151, S. 369). 96 EBD. Weiterhin mussten jene Parteigenossen, die in den „Geistlichen-Stand“ traten, ausgeschlossen werden. 97 Anordnung Nr. 104/38 vom 27. Juli 1938 (EBD., Dok. 96, S. 223 f.). Durch das Rundschreiben Nr. 151/37 vom 11. November 1937 war es den Mitgliedern der Partei und den Angehörigen ihrer Gliederungen verboten, in Parteiuniform an konfessionellen Veranstaltungen teilzunehmen (EBD., Dok. 58, S. 124). 98 Schumann an das Landeskirchenamt am 15. Oktober 1938. Der Superintendent antwortete damit auf den Runderlass Nr. 45 vom 6. September 1938 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/1).
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Weisung ab99. Anders erging es dem leitenden Kirchenamtsrat und seinem Stellvertreter im Leipziger Bezirkskirchenamt, deren Aufnahmeanträge durch politische Beurteilungen abgestützt wurden, die die juristische Seite ihrer Arbeit gegenüber den konfessionellen Aspekten besonders hervorhoben100. Auch aus den kirchlichen Körperschaften mussten Parteigenossen ausscheiden. Diese Maßnahme ging auf die Initiative Alfred Rosenbergs zurück, der damit auf eine vom sächsischen Landeskirchenamt eingereichte Vorschlagsliste für die Landessynode reagierte, die zum Teil prominente Nationalsozialisten nannte101. Im Runderlass Nr. 1 vom 16. März 1939 informierte Klotsche die Kirchenvorstände, dass gemäß dem Rundschreiben Nr. 23/39 des Stellvertreters des Führers Unterführer der Partei102 ihre kirchlichen Ämter niederlegen mussten103. Teilweise ging im Krieg die Trennungspraxis so weit, dass Kreisleiter einfachen Parteimitgliedern die Übernahme solcher kirchlicher Ämter untersagten und selbst Kommunalbeamte, die nicht Parteimitglied waren, zur Aufgabe kirchlicher Ehrenämter gezwungen wurden, wodurch die Handlungsfähigkeit mancher Kirchgemeinde deutlich eingeschränkt wurde104. In dieses Trennungskonzept reihte sich auch das Verhalten der NSDAPKreisleitung in dem innerkirchlichen Konflikt in der Leipziger Gemeinde Neustadt/Neuschönefeld ein. Ein recht distanziertes Bild zeichnete der Bericht der NSDAP-Kreisleitung von den dortigen Verhältnissen im Februar 1943105. Aufgrund der bis in die Gemeinde hineinreichenden Differenzen zwischen den Pfarrern Albert Krause und Friedrich-Wilhelm Kuhlmeyer auf der einen und dem DC-Pfarrer Georg Trenkler auf der anderen 99 Gauleitung Sachsen an das Landeskirchenamt am 6. Juli 1938 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13058/14, Bl. 86). 100 Der Amtsleiter der NSDAP Leipzig-Osten K an die NSDAP-Kreisleitung am 22. November 1938 und Anonymus [unleserlich] an das Kreisgericht der NSDAP in Leipzig am 20. September 1938 (BKA LEIPZIG, Akte Wäntig). 101 Rosenberg an Bormann, 29. November 1938 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, Dok. 123/I, S. 297). 102 Laut Ziffer 1 des Rundschreibens waren Unterführer Politische Leiter, Führer und Unterführer der Gliederungen, Walter und Warte der angeschlossenen Verbände. 103 Der Runderlass Nr. 1 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 99) ist sachlich zwar nicht in jeder Hinsicht korrekt, trifft jedoch den Kern des Rundschreibens (dieses ist abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, Dok. 123/III, S. 298 f.). Eine Ausnahme bestand lediglich für das Personal der landeskirchlichen Finanzabteilungen (Ziffer 7). Die Landeskirche reagierte darauf, indem sie per Runderlass 24 vom 17. April 1939 (BKA LEIPZIG, A 56) die Pfarrämter anwies, genaue Übersichten über bei ihnen beschäftigte Parteimitglieder zu erstellen. 104 Kretzschmar an den Reichskirchenminister am 27. Oktober 1941 (BARCH BERLIN, R 5101/23768, Bl. 100). 105 NSDAP-Kreisleitung Leipzig an Landeskirchenamt, 20. Februar 1943 (BARCH BERLIN, R 5101/24000).
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Seite war 1935 sogar für den Kirchenvorstand ein Ortskirchenausschuss eingesetzt worden. 1940 jedoch war die Situation dermaßen eskaliert, dass Trenkler sogar zeitweise beurlaubt werden musste106. Recht aufschlussreich beschreibt der Bericht der NSDAP-Kreisleitung die Situation in der Gemeinde Anfang 1943: „Beide Parteien gehen fanatisch und undiszipliniert vor. Sie belauern sich gegenseitig, machen aus jeder Blöße, die sich die Gegenpartei gibt, Staatsverbrechen und wühlen offen und geheim in der Gemeinde gegeneinander. Jede Gruppe hat ihre Anhängerschaft, die wühlen hilft und mit Zeugnissen für und wider zur Verfügung steht“107.
Dabei wurde recht offen die Taktik Trenklers benannt, die Beschuldigungen der Gegenseite „im Vertrauen auf die Ablehnung der Bekenntnisfront durch die Führungsstellen und auf die Unterstützung, die er bei den NSStellen finden würde, [. . .] in Eingaben beziehungsweise Anzeigen zu Staatsaffären aufzubauschen“108. Die Kreisleitung war angesichts dieser Lage nicht zu einer Intervention bereit. Trotz der von oben verfügten Trennungskonzeption gab es auf der lokalen Ebene durchaus noch offene Versuche von Parteigruppen, im Kirchenkampf mitzumischen. Es findet sich die typische Gemengelage aus DC-Protektion und Abwehr angeblicher staatsfeindlicher Angriffe. In Leipzig führte der Einsatz der NSDAP-Ortsgruppe „Osten K“ dazu, dass der Pfarramtsleiter der Marienkirche, Heinrich Jahn, die Pfarramtsleitung an den deutschchristlichen Pfarrer Hans Walde abgeben musste. Pfarrer Jahn hatte seinen Sohn im Oktober 1938 aus einer Veranstaltung des Jungvolkes herausgenommen, als dieses in angetretener Formation sein Flaggenlied sang. Aufgrund der Beschwerden der NSDAP-Ortsgruppe wurden Ermittlungen gegen Jahn eingeleitet. Das Landeskirchenamt bewog ihn im Sommer 1939, sich auf eine andere Pfarrstelle zu bewerben, da die „gedeihliche Führung des Pfarramtes, zu der auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Parteistellen notwendig ist“, nicht mehr möglich sei109. Als das strafrechtliche Verfahren gegen ihn aufgrund der Amnestie vom 9. September 1939110 eingestellt worden war, versuchte Jahn, die Versetzung zu verhindern, wobei er den Kirchenvorstand einstimmig – auch mit den Stimmen der Parteigenossen – hinter sich wusste. Es gelang ihm 106 Aus der Sicht Trenklers vgl. dessen Rechtsanwalt Johannes Berthold an die Reichskanzlei[!], 3. Mai 1941 (BARCH BERLIN, R 5101/24000). 107 NSDAP-Kreisleitung Leipzig an Landeskirchenamt, 20. Februar 1943 (BARCH BERLIN, R 5101/24000). 108 EBD. 109 Landeskirchenamt an DEKK am 25. Januar 1940 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 136 f.). 110 „Gnadenerlass des Führers und Reichskanzlers für die Zivilbevölkerung“ vom 9. September 1939 (RGBl 1939, Teil 1, S. 1753).
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jedoch nicht, sein Verhältnis zum Ortsgruppenleiter zu verbessern, vielmehr forderte dieser wiederholt das Landeskirchenamt, das die Angelegenheit eher dilatorisch behandelte, auf, die Versetzung in die Wege zu leiten111. Schließlich verfügte das Landeskirchenamt am 22. Februar 1940 die Versetzung Jahns an die 4. Pfarrstelle an Chemnitz St. Pauli112. Jahn erhielt auch von der Kirchenkanzlei, die er eingeschaltet hatte113, um eine Strafversetzung zu verhindern, keine Unterstützung114. Schließlich konnte er doch in der Mariengemeinde bleiben, musste allerdings die Pfarramtsleitung an den 2. Pfarrer, Hans Walde, abgeben. Somit hatte der deutschchristliche Pfarrer mit Hilfe des Ortsgruppenleiters die Pfarramtsleitung erlangen können. Ein klares Handlungsmuster für die NSDAP auf der unteren Ebene lässt sich also nicht benennen. Langfristig machte sich die Distanzierung der Partei von der Kirche immer stärker bemerkbar, und die Neigung zu Interventionen in innerkirchliche Konflikte ist sicherlich gesunken, besonders dann, wenn diese die innerkirchlichen Spannungen eher verschärften. Dennoch gab es in Einzelfällen durchaus über persönliche Beziehungen die Möglichkeit für manchen DC-Pfarrer, mit Hilfe von Parteistellen Amtskollegen ein Bein zu stellen.
5.4 Kirchenpolitische Konflikte in Leipzig 5.4.1 Die Auseinandersetzung um die Treueidkampagne im Frühjahr 1938 Auch in Leipzig war die Haltung gegenüber dem neuen Kirchenregiment mehr als reserviert. Klotsche erreichte durch ihm ergebene Pfarrer die Nachricht, dass Schumann auf einer Ephoralversammlung Anweisungen erteilt habe, die auf eine weitgehende Blockade der Dresdner Kirchenleitung hinausliefen115. Der Präsident des Landeskirchenamtes versuchte diese Opposition zu unterlaufen, indem er seine Stellung zur Staatsregierung instrumentalisierte, um BK und „Mitte“ voneinander zu trennen. 111 Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Osten K an das Landeskirchenamt am 13. September 1939 und am 27. November 1939 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 139 f.). „Pfarrer Jahn hat sich aufs Schwerste gegen Führer und Partei vergangen. [. . .] Sein Maß ist voll. Ich erwarte nunmehr ihre nationalsozialistische Entscheidung“ (Bl. 140). 112 Landeskirchenamt an Jahn am 22. Februar 1940 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 147 f.). 113 Jahn an die DEKK am 25. November 1939 und 26. Februar 1940 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 124–132 bzw. Bl. 145). 114 Entwurf der Schreiben der Kirchenkanzlei an Pfr. Jahn und das Landeskirchenamt, versandt am 12. März 1940 (EZA BERLIN, 1/A4, 266, Bl. 149). 115 Klotsche an Schumann am 25. November 1937. So sollten die Pfarrer keine Amtswechsel vornehmen, bei Überschreitung der Altersgrenze im Amt bleiben und die Dienstgeschäfte dilatorisch behandeln (BARCH BERLIN, R 5101/23766, Bl. 19).
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Die angestrebte Inanspruchnahme von Staats- und Parteistellen durch das Landeskirchenregiment Klotsche wird in der von ihm ausgelösten Treueidkampagne sichtbar. Im Frühjahr 1938 hatte sich Klotsches Lage deutlich verschlechtert, hatte doch die BK in der Septuagesima-Erklärung offen den Gehorsam aufgekündigt. In Leipzig hatten auch die meisten BK-Pfarrer diese Erklärung von den Kanzeln verlesen und dies am 16. Februar 1938 dem Reichskirchenminister mitgeteilt. Sie baten ihn, ihr Verhalten nicht einfach als „Widerstand gegen das vom Staate eingerichtete Kirchenregiment“ verstehen zu wollen116. Innerhalb der Leipziger Pfarrerschaft hatte die Kanzelabkündigung insofern Widerspruch erregt, als sie die Bemühungen der „Mitte“, eine Koalition aus gemäßigten DC, „Mitte“ und BK gegen Klotsche zusammenzubringen, torpedierte117. Darüber hinaus lehnte man das Vorgehen, „durch demonstrative Bekenntnisakte den kirchlichen Anliegen dieser Kreise öffentliches Gehör zu verschaffen, grundsätzlich“ ab118. Es gelang der „Mitte“ jedoch nicht, ihre Reihen geschlossen zu halten. Infolge der eingetretenen Radikalisierung hatten einige Pfarrer der „Mitte“ auch am 13. Februar 1938 gegen den ausdrücklichen Rat der „Mitte“-Führung die Septuagesima-Erklärung abgekündigt119. Bruhns informierte daraufhin den Leiter der Kirchenkanzlei Friedrich Werner über die Lage in Sachsen: „Ich bin zwar nicht Sachse, kenne aber das Volk aus fast 20-jähriger Arbeit in der sächsischen Landeskirche. Aus dieser meiner Kenntnis heraus muss ich warnen, die Loyalität und Gemütlichkeit zu überschätzen. Gewiss sind sie beides, aber sie können es nicht vergessen, wenn jemand glaubt, es nicht nötig zu haben, auf sie Rücksicht zu nehmen. Und ich glaube, dass dieser sehr empfindliche Punkt [. . .] aufs Schmerzlichste getroffen ist und dass die Folge weder dem Staat noch der Partei, hinter der sich die Herren Klotsche und Gefährten gerne verstecken, günstig sein werden“120.
116 Landeskirchenamt an Bezirkskirchenamt/Superintendentur am 12. März 1938 mit einer Liste der Pfarrer, die abgekündigt hatten. Gegen sie wurde ein Verfahren wegen Amtspflichtverletzung eingeleitet (BKA LEIPZIG, Sachnr. 27, Ortsnr. 1). 117 Ostarhild an Klotsche am 18. Februar 1938. Ostarhild schilderte Klotsche die kirchenpolitischen Aktionen Schumanns und rief ihn implizit auf, gegen die Urheber der Kanzelabkündigung scharf vorzugehen (BARCH BERLIN, R 5101/23697, Bl. 93). 118 So Herz an den Döbelner Pfarrer Pokojewski am 10. Februar 1938 (UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1938). 119 Bruhns an Werner am 29. März 1938 (EZA BERLIN, 1/A4/256). 120 EBD. Der Brief endete in einem resignativen Ton: „Es ist mir persönlich nicht gleichgültig, wenn ich nach bald fünfjähriger blutiger Mühe die Gegensätze kirchenpolitischer Art zu mildern, nicht nur das Vergebliche meiner Bemühungen einsehen muss, sondern schließlich mir sogar Zweifel entstehen, ob nicht ein stures ‚Nein‘ gegenüber Experimenten in der Kirche von Anfang an richtiger gewesen wäre“.
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In dieser Situation übernahm Klotsche ein von der Thüringischen Landeskirche initiiertes Projekt und erließ an Hitlers Geburtstag 1938 eine „Verordnung über den Treueid der Geistlichen und Kirchenbeamten der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche“121. Die Leistung des Eides auf Adolf Hitler sollte auch als Anerkennung der DC-Kirchenleitung angesehen werden. Bei Verweigerungshaltung wurde mit Dienstentlassung gedroht. Mit der Treueidverordnung konnte Klotsche gleich mehrere Ziele verwirklichen: Er konnte die besondere Staatsverbundenheit der Deutschen Christen nach außen demonstrieren, die kirchliche Opposition gegen sich selbst schwächen, und er hatte eine Handhabe gegen ihm missliebige BK-Pfarrer. Letztlich jedoch war er darauf angewiesen, dass die staatlichen Stellen den Treueid auch für sich selbst als relevant betrachteten. Ähnlich wie ihre Mitbrüder im Land kamen die Leipziger BK-Pfarrer der Aufforderung des Bezirkskirchenamts, die Leistung des Treueides vor amtlichen Stellen durchzuführen, nicht nach und vereidigten sich gegenseitig am 25. April 1938 in der Thomaskirche, wobei auch einige Pfarrer der „Mitte“ teilnahmen122. Insgesamt kamen zehn Pfarrer und zwei Vikare der landeskirchlichen Verordnung nicht nach. Die „Mitte“ jedoch lehnte dieses Verhalten ab und rief am 23. April 1938 demonstrativ zur Eidesleitung auf: „Wir halten es für selbstverständlich, dass unsere Amtsbrüder diesen Eid gern und freudig ablegen, wie sie früher ihren Eid dem König abgelegt haben. Gegenüber der Wichtigkeit dieser Tatsache spielt die Frage, von wem der uns vorgeschriebene Eid abgenommen wird, unseres Erachtens eine nebensächliche Rolle“123.
Die bis dahin abgehaltenen gemeinsamen Zusammenkünfte von BK und „Mitte“ in Leipzig wurden daraufhin eingestellt. Klotsche, der die Form der gegenseitigen Eidesleistung nicht akzeptierte, entließ aus der Reihe der 257 „Eidgenossen“ daraufhin Mitte Mai drei BK-Pfarrer124, andere, darunter auch der Leipziger Pfarrer Böhme, wurden in einem nichtförmlichen Dienststrafverfahren zu einer Geldstrafe verurteilt125. Die „Mitte“ hielt an 121 KGVBl 1938, S. 53. Zur Auseinandersetzung um den Treueid vgl. A. GERLACH-PRAETORIUS.
122 G. WALTHER, S. 29. Die Listen der Leipziger Pfarrer, die den Eid vor dem Bezirkskirchenamt geleistet oder verweigert haben, in: ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/1. Die beiden Superintendenten Fröhlich und Schumann haben sich auf den bereits als Superintendent geleisteten Eid berufen. 123 Der Aufruf war von den Leipzigern Bruhns, Herz, Mieth und Schumann unterschrieben (UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1938). 124 Karl Fischer in Dresden, Walther Schleinitz in Berbisdorf und Walther Helm in Zwickau (K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 499). Zu Fischers Haltung in der Treueidfrage vgl. H. KLEMM, S. 314–332. 125 Böhme wurde durch Beschluss vom 29. Juni 1938 zu einer Geldstrafe in Höhe von 200 RM verurteilt. (BKA LEIPZIG, Leipzig-Stadt, Ortsnr. 3, III. Pfarrstelle Thomas).
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ihrem Kurs fest und forderte am 20. Mai 1938 in einem Schreiben an ihre Vertrauensmänner die „Eidgenossen“ in ihrer Gruppe zur Eidesleistung auf und warnte davor, sich an ephoralen Bittgottesdiensten der BK zu beteiligen126. Mittlerweile hatte sich die gemäßigte Bekennende Kirche mit einer Denkschrift an Hitler direkt gewandt127. Diese Bemühungen trafen sich mit den Absichten der „weltanschaulichen Distanzierungskräfte“ innerhalb der Partei, die Instrumentalisierung von Staat und Partei unter allen Umständen zu verhindern. In einem Schreiben an Heß regte Rosenberg an, die kirchlichen Verordnungen außer Kraft zu setzen, da sie geeignet seien, „dann von staatswegen die Etablierung der Deutschen Evangelischen Kirche als politische Kirche zu sanktionieren, wenn diese Vereidigung vom Staat zugestanden wird“128. Ein Rundschreiben Bormanns an die Gauleiter vom 13. Juli 1938 bestritt dem geleisteten Eid jede Relevanz außerhalb des kirchlichen Bereichs und ermahnte die Parteistellen, sich aus der innerkirchlichen Auseinandersetzung völlig zurückzuziehen: „Die Haltung der Partei diesen kirchlichen Dingen gegenüber ist nach wie vor dieselbe. Die Partei kann nicht Stellung nehmen zu dieser oder jener Richtung innerhalb der einzelnen evangelischen Kirchen, auch nicht wenn sich diese Richtungen dadurch voneinander unterscheiden, dass die eine den Eid auf den Führer für zulässig hält, die andere nicht“129.
Der Reichskirchenminister wurde angehalten, für die Einstellung von Disziplinarverfahren in den Landeskirchen zu sorgen130. Dieses Schreiben bedeutete das Ende der Treueidkampagne. Der Landesbruderrat erreichte in seinen Verhandlungen mit dem Landeskirchenamt, dass die Verbindung mit der Anerkennung des DC-Kirchenregiments gestrichen wurde, und am 22. September 1938 holten die BK-Pfarrer die Eidesleistung nach131. Bedenken gegen die von kirchlicher Seite erhobene Eidesforderung haben innerhalb der Bekennenden Kirche in Sachsen nur am Rande eine Rolle gespielt. Von der kleinen dahlemitischen Gruppe erhobene Einwände wurden von der Mehrheit abgelehnt132. Die Unvereinbarkeit des Treueides 126 „An unsere Vertrauensmänner!“ Der Aufruf war u. a. von den Leipziger Pfarrern Bruhns, Herz, Mieth und Schumann unterzeichnet (UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1938). 127 Zur Denkschrift des Lutherrates vgl. A. GERLACH-PRAETORIUS, S. 95 f. 128 Rosenberg an Heß am 5. Mai 1938 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, Dok. 81/II, S. 199 f.). 129 Rundschreiben Nr. 87/38 an alle Gauleiter vom 13. Juli 1938 (abgedruckt EBD., S. 201 f.). 130 Heß an Kerrl, 2. Juni 1938 (abgedruckt EBD., S. 200). 131 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 499 f., und G. WALTHER, S. 29. Vgl. dazu den Bericht des stellvertretenden Kirchenamtsrats Wäntig mit der Eideserklärung (BKA LEIPZIG, A 40). 132 H. KLEMM, S. 329 f.
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mit der Barmener Erklärung, wie sie von Karl Barth und anderen schon damals und später nach dem Krieg immer wieder reklamiert wurde, blieb unbemerkt, möglicherweise weil die Kampagne vor allem innerkirchlich motiviert war133. Man war froh, „die wünschenswerte Einmütigkeit der gesamten deutschen Pfarrerschaft in der Eidesfrage herzustellen“134, und sah den Eid als billige Forderung an. Der BK-Pfarrer Kurt Zeuschner von der Paul-Gerhardt-Gemeinde brachte das in seiner Erklärung an das Landeskirchenamt deutlich zum Ausdruck: „Es ist mir nie fraglich gewesen, dass ich den geforderten Eid zu leisten habe. [. . .] Ich weiß, dass mich die Bluts- und Schicksalsgemeinschaft mit meinem Volk zur Treue verpflichtet. Als Deutscher, der umgeben von fremdem Volkstum in der alten Ostmark aufgewachsen ist und dort auch längere Jahre im Amt gestanden hat, ist mir das eine Selbstverständlichkeit“135.
Durch den demonstrativen Rückzug der Partei, die anders als 1933 oder 1937 nicht bereit war, sich in kirchlichen Gruppenkämpfen zu engagieren, war Klotsche zwar gezwungen, die Treueidkampagne zu beenden und die dienstentlassenen Pfarrer wieder einzustellen, jedoch hatte er zumindest erreicht, dass die Opposition aus „Mitte“ und BK gegen ihn, vor allem in Leipzig, zerstritten blieb.
5.4.1 Das Verbot der „Waldgottesdienste“ Das Kompetenzgerangel in Kirchenfragen verdeutlicht sich in der Entscheidung um die Abhaltung von Waldgottesdiensten in Leipzig. Seit der Jahrhundertwende pflegten einige Leipziger Kirchengemeinden in den Sommermonaten Gottesdienste und Andachten im Freien abzuhalten136. Ab 1935 waren die Friedensgemeinde, die Kirchgemeinden von Möckern und Wahren dazu übergegangen, im zentral gelegenen Stadtpark Rosenthal ebenfalls Gottesdienste zu feiern. Diese waren nach einer Verordnung Görings vom 7. Dezember 1934, die „kirchlich-konfessionelle Veranstaltungen“ in der Öffentlichkeit, soweit nicht althergebracht, untersagte, eigentlich verboten137. Wenn sich trotz dieses Verbotes neue Veranstaltungen etablieren konnten, spricht dies für eine eher kirchenfreundliche Linie der Stadt, die für die Gottesdienste das Gelände zur Verfügung stellte. Für 133 So auch A. GERLACH-PRAETORIUS, S. 220. Zu den Bedenken von Karl Barth und anderen vgl. EBD., S. 68–82. Sie sieht in dem Verhalten der BK ein „Versagen“ gegenüber der in Barmen proklamierten Mündigkeit und Freiheit der Kirche (EBD., S. 215). 134 Hammerschmidt/Prater an Landeskirchenamt, o. D. (zitiert nach H. KLEMM, S. 329). 135 Zeuschner an das Landeskirchenamt am 8. Juni 1938 (EZA BERLIN, 1/A4/211). 136 Eine Übersicht in SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 99. 137 DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. II, Dok. 80/34, S. 233 f.
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1937 wurden die Waldandachten wieder erlaubt, wenn auch mit der Bedingung versehen, dass sie außer Hörweite der Häuser stattzufinden hätten138. Da sich die Verhandlungen der Kirche mit der Polizei im darauf folgenden Jahr angesichts der undurchsichtigen Rechtslage hinzogen, wandte sich der Leipziger Kreishauptmann Ende Juni an den sächsischen Innenminister, der die Sache an die Gestapo abgab139. Diese hielt sich in ihrer Antwort an die Verordnung vom 7. Dezember 1934 und meldete gegen die Waldandachten insofern keine Bedenken an, als „es sich um althergebrachte oder ortsübliche Veranstaltungen“ handle140. Der Reichskirchenminister bestätigte der Kirchenkanzlei, die wahrscheinlich vom Landeskirchenamt eingeschaltet worden war, dieses Ergebnis141. Aufgrund dieser Bescheide beantragte Superintendent Schumann am 21. April 1939 für den Sommer 1939 die Erlaubnis beim Leipziger Polizeipräsidenten und beim Oberbürgermeister142. Die beiden versagten die Genehmigung mit der Begründung, „stadteigenes“ Land für Veranstaltungen religiöser Vereinigungen nicht zur Verfügung stellen zu können143. So erreichten sie die Einstellung der Waldgottesdienste, ohne die Veranstaltungsverordnung heranziehen zu müssen. Inwieweit diese Ablehnung auf eine übergeordnete Weisung zurückging oder eigenständig getroffen worden war, kann allerdings anhand der heute verfügbaren Akten nicht mehr geklärt werden. Auch eine Intervention des Reichskirchenministeriums, das die Angelegenheit „auf gütlichem Wege“ geregelt sehen wollte, beim sächsischen Volksbildungsministerium brachte für die evangelische Kirche in Leipzig keine Wendung144. Am 26. August 1939 meldete die Staatskanzlei dem Volksbildungsministerium das generelle Verbot der Waldgottesdienste durch Mutschmann persönlich145. Dieses Vorgehen ging noch über die Verordnung vom 7. Dezember 1934 hinaus, 138 Protokoll der Ephoralkonferenz am 10. Juni 1937 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 139 Staatspolizeileitstelle Dresden an den Kreishauptmann vom 1. Oktober 1938 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 100) bezieht sich auf dieses Schreiben. 140 EBD. Waldgottesdienste waren auch im Rahmen des Runderlasses des Gestapa vom 29. August 1935 betr. „Gottesdienste kirchlicher Minderheiten“ erlaubt, soweit einer kirchlicher Minderheit keine Kirche zur Verfügung stand (vgl. DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Nr. 23, S. 75 f.). 141 Der Reichskirchenminister an die DEKK am 27. September 1938 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 101). 142 SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 97 f. 143 Information aus einem Schreiben des Landeskirchenamts an den Reichskirchenminister vom 17. Juni 1939 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 96). 144 Der Reichskirchenminister an das sächsische Ministerium für Volksbildung am 19. August 1939 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 103); vgl. das Schreiben des sächsischen Innenministers an den Leiter des Ministeriums für Volksbildung am 26. Juli und dessen Entwurf für ein Schreiben an den Reichskirchenminister vom 1. August 1939 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 102 f.). 145 SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 104.
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die althergebrachte Gottesdienste in der Öffentlichkeit zuließ. Schließlich meldete die Staatskanzlei das Ergebnis der Verhandlungen am 6. September 1939 an den Reichskirchenminister: „Von Verhandlungen mit der Stadt Leipzig habe ich abgesehen, da keine Veranlassung vorliegt, die Abhaltung von Waldgottesdiensten zu unterstützen“146. Diese fanden auch tatsächlich bis Kriegsende nicht mehr statt147. Die Auseinandersetzung um die Waldgottesdienste zeigt mehreres. Das Verbot kirchlich-konfessioneller Veranstaltungen in der Öffentlichkeit wurde in Leipzig nicht konsequent durchgesetzt, sodass sogar drei Kirchgemeinden 1935 neue Waldgottesdienste einführen konnten. Möglicherweise waren damals die Widerstände in der Öffentlichkeit gegen ein solches Verbot noch zu groß, sodass es der Polizei nicht opportun erschien, scharf vorzugehen. Als mit der Entlassung Goerdelers 1937 jedoch auch in der Verwaltung die nationalsozialistischen Kräfte zunahmen, änderte sich dort die bis dahin vorherrschende wohlwollende Neutralität gegenüber den Kirchen. Das Verbot wurde schließlich in zwei dicht aufeinander folgenden Etappen durchgesetzt. Zuerst hielten sich Stadt und Polizei noch an den Wortlaut der Veranstaltungsverordnung und genehmigten althergebrachte Waldgottesdienste, behinderten diese aber, indem man kein stadteigenes Land zur Verfügung stellte. Schließlich setzte sich Mutschmann demonstrativ darüber hinweg und missachtete auch souverän die Einwände des Reichskirchenministers. Außerdem entsprach das Verbot dem von der Polizei befürworteten Trennungskonzept. Weitere administrative Hürden derselben Art bauten Stadt und Polizei 1939 auch bei den Feierlichkeiten zur 400. Wiederkehr der Einführung der Reformation in Leipzig auf. In der Festfolge war für den 21. Mai 1939 eine große Kundgebung auf dem Marktplatz mit über 1 200 Sängern vorgesehen. Recht kurzfristig erging der Bescheid, dass „der Herr Bürgermeister der Reichsmessestadt Leipzig als Wegeherr aus grundsätzlichen Erwägungen seine Zustimmung versagt“148. Selbst das Vorsprechen von Schumann und Fröhlich beim Reichskirchenminister und der Gestapo in Berlin am 19. Mai in dieser Angelegenheit war erfolglos149. Die Trennung der Staat-Kirche-Beziehungen vollzog Mutschmann auch bei den Patronaten. Er engagierte sich im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen dem Landeskirchenamt und der Stadt Dresden, in der das Landeskirchenamt dem städtischen Patron vorgeworfen hatte, sich für die 146 SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV 13008/9, Bl. 106. 147 Gollert an Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, 22. Juli 1953 (STAL, RdB 21104). 148 Schumann an den Reichskirchenminister am 17. Mai 1939 (ADSL, Schrank I, Fach 4, 55, Bl. 18). 149 Handschriftliche Notiz auf dem Schreiben Schumanns an den Reichskirchenminister am 17. Mai 1939 (ADSL, Schrank I, Fach 4, 55, Bl. 18).
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Besetzung einer Pfarrstelle mit einem BK-Pfarrer einzusetzen. Mutschmann teilte dem Reichskirchenminister dabei beiläufig mit, dass die Landeshauptstadt auf ihre Patronatsrechte bis auf weiteres verzichte150. Dagegen protestierte Kerrl, der darauf Wert legte, dass diese Rechte „in nationalsozialistischem Sinne“ – also wohl im Allgemeinen zugunsten der DC – ausgeübt werden sollten151. In Leipzig besaß die Patronatsfrage keine hohe Priorität. Die Nachfolge des am 1. Oktober 1938 ausgeschiedenen Patrons Hans Beusch übernahm erst drei Monate später der ehrenamtliche Stadtrat, Justizrat Gangolf Schnauß, Leiter des städtischen Versicherungsamtes152. Schnauß war sicher im Gegensatz zu seinem hauptamtlich tätigen Vorgänger eine Verlegenheitslösung, denn außer einer Tätigkeit im Stiftungsausschuss war er im Wesentlichen in Wirtschafts- und Finanzfragen engagiert153. Über sein Wirken als Patron ist nichts überliefert. Er wurde im Herbst 1939 einberufen, und das Patronatsamt übernahm daraufhin stellvertretend der ehrenamtliche Stadtrat, Buchdrucker Bruno Henke, der wenigstens durch seine Mitgliedschaft in der Stiftung Waisenhaus Leutzsch mit sozialen und kirchlichen Fragen in Verbindung gekommen war154. Dass sich Oberbürgermeister Alfred Freyberg im Herbst 1939 gegenüber dem Superintendenten das Recht vorbehielt, gemäß dem Führerprinzip in die Angelegenheiten des Patrons einzugreifen, war wohl eher als Ausdruck seines Amtsverständnisses und nicht als tatsächliche Interventionsabsicht zu verstehen155. In ihrer Absicht, die Verbindung zur Kirche zu trennen, musste die Stadt allerdings bisweilen auch zurückstecken. Es erwies sich für sie als schwierig, vertraglich geregelte Rechte der Kirche abzulösen. Die Stadt hatte z. B. gemäß einer Regelung aus dem Jahr 1914 die Verpflichtung, die zwei Anstaltsgeistlichen an den städtischen Krankenhäusern St. Georg und St. Jakob zu besolden156. Der Vertrag sah keine Kündigungsmöglichkeit vor. Der recht dilettantische Versuch der Stadtverwaltung, in einem 150 Mutschmann an den Reichskirchenminister am 9. April 1938 (BARCH BERLIN, R 5101/ 23766, Bl. 260). 151 Kerrl an Mutschmann am 26. April 1938 (BARCH BERLIN, R 5101/23766, Bl. 261). 152 STA L, Kap. 6 Nr. 105, Bl. 7. 153 Eine Übersicht über seine Ausschusstätigkeit aus dem Jahr 1934 bzw. 1935 in: STA L, Jugendamt 80, Bd. 4, Bl. 220–229. 154 Freyberg an die Superintendentur am 23. November 1939 (ADSL, Schrank I, Fach 4, 47). In der Stiftung war auch der jeweilige Pfarramtsleiter der Leutzscher Pfarrgemeinde vertreten. 155 Schumann an das Landeskirchenamt am 24. Oktober 1939 (ADSL, Schrank I, Fach 4, 47). 156 Die Stellen wurden von den Pfarrern Gerhard Häusler (St. Jakob; seit 1936) und Richard Petermann (St. Georg) besetzt. Beide waren überzeugte Deutsche Christen. Die Stadt war also nicht gewillt, zugunsten der DC ihre Entkonfessionalisierungsstrategie partiell aufzugeben.
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juristisch gesehen wirren Brief die Kündigung der Besoldungsaufwendungen mit den Sparbedürfnissen der Stadt zu begründen, wurde vom Landeskirchenamt mit dem Verweis auf die fehlende Kündigungsmöglichkeit beantwortet157. Das Personalamt nahm die Kündigung schließlich mit dem Hinweis auf eine bald zu schaffende gesetzliche Regelung zurück158.
5.4.3 Kirchliches Selbstverständnis auf dem Prüfstand: Der Umgang der Leipziger Pfarrer mit ihrem „nichtarischen“ Amtsbruder Ernst Lewek Unter den Leipziger Pfarrern, die repressiven Maßnahmen im Nationalsozialismus in besonderer Weise unterlagen, nahm der seit 1926 auf der 3. Pfarrstelle der Nikolaigemeinde wirkende Pfarrer Ernst Lewek eine Sonderrolle ein159. Er stand in zweierlei Hinsicht unter Beobachtung von Staat und Partei: zum einen war er seit Beginn der innerkirchlichen Auseinandersetzungen ein offener Vertreter der Bekennenden Kirche, andererseits besaß er einen „nichtarischen“ Vater und galt als „Halbjude“. Reichsweit zählten nach bisherigem Kenntnisstand etwa 115 Pfarrer160 zu den ca. 400 000 evangelischen Judenchristen161. In Sachsen fielen vier Pfarrer in diese Kategorie162. Diese Personen stellten für die Kirchen eine große moralische Herausforderung dar. Denn hier konnten die Kirchen der Frage, inwieweit sie sich auf die nationalsozialistische, rassistische Ideologie einließen und dementsprechende Maßnahmen gegen einen Amtsbruder ergriffen bzw. duldeten oder ob sie vielmehr christliche Solidarität übten, für die zu streiten sie prinzipiell angetreten waren, praktisch nicht 157 Der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig an das Landeskirchenamt am 19. Mai 1937 und die Antwort des Landeskirchenausschusses am 22. Juni 1937 (beide in: BKA LEIPZIG, 19/1). 158 Das Personalamt an das Bezirkskirchenamt am 13. Oktober 1937 (BKA LEIPZIG, 19/1). 159 Zur Verfolgung der Leipziger Juden vgl. M. UNGER, Juden. 160 Die in der Literatur üblicherweise genannte Zahl von 30 Pfarrern ist viel zu niedrig angesetzt (K. MEIER, Kirchenkampf I, S. 117; K. NOWAK, Stigma, S. 76). Die judenchristlichen Pfarrer sind bisher kaum erforscht. Im Rahmen einer ihnen gewidmeten Sonderausstellung des Evangelischen Pfarrhausarchives in Eisenach im Jahr 1988, zu deren Vorbereitung 115 judenchristliche Pfarrer ermittelt worden waren, wurde auch der Fall Leweks dokumentiert (vgl. dazu WIDER DAS VERGESSEN und den Kurzbericht von J.-F. ENKE. Vgl. vor allem U. BÜTTNER, Verlassen; K. NOWAK, Stigma; E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden, Christen, Deutsche; DIES., „Zwischen den Stühlen“; W. GERLACH, S. 205–217). Auch der seit 1947 an der Lukasgemeinde tätige Pfarrer Hugo Wach, ein Urgroßenkel Felix Mendelssohn-Bartholdys, gehörte zu ihnen (vgl. dazu H.-J. KANDLER, S. 99). Zu ihrer Stellung nach 1945 vgl. auch S. HERMLE, Judentum. 161 Hierbei sind die Ehepartner der Betroffenen allerdings eingerechnet (Schätzung nach U. BÜTTNER, Verlassen, S. 20, Anm. 9; ausführliche Erörterung der Größe des betroffenen Personenkreises bei A.-S. VULETIC, S. 36–43). 162 H.-J. KANDLER, S. 98 f.
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ausweichen163. Für die nationalsozialistischen Verfolgungsorgane zählte allein die Rassezugehörigkeit. Ein Hamburger Gestapo-Beamter brachte dies mit Blick auf die Taufe auf die Formel: „Wenn man einen Hund mit Wasser übergießt, so bleibt er doch ein Hund“164. In der ersten Phase der Judenverfolgung, die von 1933 bis 1935 dauerte, stellte sich für die Kirche die Frage, wie sie das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“165 in innerkirchliche Gesetzgebung umsetzen sollte. An dem Streit um die Anwendung des „Arierparagraphen“ auf die kirchlichen Angestellten entzündete sich bekanntlich der Kirchenkampf, der die „Judenfrage“ in der evangelischen Kirche zu einem politisch-ekklesiologischen Problem machte166. Zwar setzte die sächsische Landeskirche unter dem deutschchristlichen Landesbischof Coch diese Norm besonders scharf durch – die von ihm initiierte Regelung167 in Sachsen ging insofern über die staatliche Bestimmung hinaus, als auch „arische“ Ehegatten von „Nichtariern“, entlassen werden sollten, doch musste dieser Punkt zurückgenommen werden. Schon im November 1933 hatte Landesbischof Coch für die Bildung so genannter judenchristlicher Gemeinden für „getaufte Juden“ plädiert168. Ernst Lewek war als „Halbjude“ und Frontkämpfer von der landeskirchlichen Regelung nicht betroffen169. Schon im Juni/Juli 1933 war Landesbischof Coch jedoch mit der Zwangsbeurlaubung disziplinarisch gegen ihn vorgegangen170. Im Frühjahr 1935 war er wegen der Verlesung der Kanzelabkündigung zum Neuheidentum auf Geheiß des Reichsstatthalters mit zwei Leipziger Amtsbrüdern in Schutzhaft genommen worden171. Mutschmann kannte Lewek aus dessen Zeit als Pfarrer in Plauen und betrachtete ihn als Drahtzieher des Kirchenkampfes in Sachsen172. In einer Unterredung mit den beiden BK-Pfarrern Fischer und Hahn soll Mutschmann im 163 Zur Haltung der evangelischen Kirche gegenüber den Juden vgl. u. a. M. GRESCHAT, Haltung; DERS., Antisemitismus; W. JOCHMANN; K. MEIER, Judentum; J.-C. KAISER/ M. GRESCHAT. 164 Zitiert nach U. BÜTTNER, Verlassen, S. 21. 165 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, 7. April 1933 (RGBl, Teil 1, S. 175–177). 166 A.-S. VULETIC, S. 3. 167 KGVBl 1933, Nr. 27. vom 22. September 1933. 168 A.-S. VULETIC, S. 29. 169 Zum Umgang mit den Juden in der sächsischen Landeskirche vgl. H.-J. KANDLER, Juden. Die Kirchenleitung Coch signalisierte ihre Unterstützung für den Nationalsozialismus, indem sie einen Schaukasten zum Aushängen des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ am Gebäude des Landeskirchenamts anbringen ließ (EBD., S. 100). 170 Bericht Leweks über gegen ihn ergriffene Maßnahmen im Nationalsozialismus vom 22. Juli 1946 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6). 171 Vgl. oben S. 116. 172 Lewek war von 1920 bis 1926 in der Luthergemeinde in Plauen tätig, bevor er nach Leipzig an die Nikolaigemeinde wechselte.
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Mai 1935 den Vorwurf erhoben haben, die BK lasse sich von Lewek bestimmen und werde von ihm am Gängelband geführt173. Nach der Entlassung Leweks aus der Haft eröffnete Coch ein Dienststrafverfahren gegen ihn und verhängte die vorläufige Dienstenthebung. Während aber diejenigen Leipziger Amtsbrüder, die wie er im KZ Sachsenburg inhaftiert worden waren, bald wieder amtieren durften, blieb Lewek erst einmal die Pfarrstelle verschlossen. Coch hatte „in dem Bestreben, die vom Herrn Minister [dem Reichskirchenminister, G. W.] gewünschte radikale Befriedung für Sachsen mit größter Beschleunigung durchzuführen“, Lewek die Predigterlaubnis verweigert, zumal seiner Meinung nach „bei einem Amtieren in Leipzig [. . .] ernstliche Sorge um Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe“ bestünde174. Auch als der von BK und „Mitte“ dominierte Landeskirchenausschuss im Herbst 1935 mit Hilfe des Reichskirchenministers Coch förmlich entmachtete, wurde das Predigtverbot nicht sofort aufgehoben – wohl auf einen Einspruch der sächsischen Gauleitung hin175. Lewek wandte sich daher kurz nacheinander Hilfe suchend an den Leiter des Reichskirchenausschusses, Generalsuperintendent Zoellner, die Vorläufige Kirchenleitung und an den sächsischen Innenminister, den er um ein Gutachten bezüglich seiner Rechtssituation bat176. Fritsch sollte darüber hinaus Mutschmann über Leweks gute Absichten informieren: „Wenn der Herr Reichsstatthalter bisher eine ablehnende Haltung gegen mich eingenommen hat, so kann ich mir das nur so erklären, dass der Herr Reichsstatthalter über mich nicht richtig oder ungenügend informiert ist, oder dass sonst irgendwelche Mißverständnisse in Bezug auf meine Person vorliegen. [. . .] Ich bezeuge vor Gott, dass ich keinen anderen Wunsch habe, als auch fernerhin meine ganze und beste Kraft einzusetzen in den Dienst meiner evangelischen Kirche und des deutschen Volkes, für das ich mich mit Leib und Leben eingesetzt habe und immer einsetzen werde“177.
173 H. KLEMM, S. 249 f.; M. HABICHT, Verfolgung, S. 117; vgl. auch Mutschmanns Äußerungen auf einer Besprechung des Reichskirchenministers mit den Oberpräsidenten und Vertretern der Ländern, 8. August 1935 (abgedruckt in: DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. III, Dok. 15, S. 39–50, hier S. 41). 174 So Lewek in seiner Begründung gegenüber dem Reichskirchenminister am 23. Oktober 1935 (EZA BERLIN, 1/A4/442). 175 Lewek an Zoellner am 30. Januar 1936 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 73–75). 176 EBD. Am 6. Februar 1936 schickte Lewek Zoellner eine Abschrift seines Schreibens an den Innenminister (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 79); Lewek an den sächsischen Innenminister am 1. Februar 1936 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 80–83). Die Vorläufige Kirchenleitung setzte den Reichskirchenausschuss am 27. November 1935 unter Druck, „in der Behandlung der Angelegenheit an dem Grundsatz festzuhalten, dass die Abordnung zum geistlichen Amt wegen der Abstammung eines Pfarrers aus Gründen des dritten Glaubensartikels nicht zurückgenommen werden kann“ (EZA BERLIN, 1/A4/442). 177 Lewek an den sächsischen Innenminister am 1. Februar 1936 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 80–83).
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Gleichzeitig wandten sich auch die Mitglieder des Pfarrernotbundes in Leipzig an ihre Kollegen von der „Mitte“ und solidarisierten sich mit Lewek178. Im Allgemeinen argumentierten diejenigen Kreise der BK, die sich der Judenchristen stärker annahmen, weniger mit politischen oder sozialen Aspekten, als vielmehr theologisch. So bekämpfte man nicht die nationalsozialistische Judengesetzgebung an sich, sondern vor allem ihre Übertragung auf die innerkirchlichen Verhältnisse179. Auch sächsische Bekenntnispfarrer lehnten gegenüber den kirchlichen Behörden den Abstammungsnachweis aufs Entschiedenste ab, waren aber dem Staat gegenüber zur Auskunft bereit180. Auch wurde auf die judenchristlichen Pfarrer Druck ausgeübt, in den Gemeinden durch Zurückhaltung „Ärgernis“ zu vermeiden181. Der Landeskirchenausschuss nahm die von Coch verhängte vorläufige Dienstenthebung zurück, Lewek blieb jedoch bis zur Klärung des Sachverhalts durch die Staatskanzlei auf eigenen Wunsch beurlaubt182. Als der auf die Beruhigung der kirchlichen Lage hinarbeitende Reichskirchenminister die Angelegenheit übernahm – Mutschmann verlor ja während der Zeit des Landeskirchenausschusses das Interesse an kirchlichen Fragen weitgehend –, wurde Lewek am 22. März 1936 wieder in sein Amt eingesetzt183. Während der Landeskirchenausschuss amtierte, blieb die Angelegenheit ruhig. Lewek als von den Nationalsozialisten so genannter „Mischling“ war von den Bestimmungen der 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze nicht berührt, da er weniger als drei jüdische Großeltern hatte184. Daher gab es seitens der Landeskirche keinen Handlungsbedarf. Aus dieser Zeit existiert ein Schreiben Bruhns’ an den Landeskirchenausschuss, in dem er im Namen der Sächsischen Pfarrbruderschaft seine Stellung zum „Arierparagraphen“ formulierte. Dabei lehnte er die von der BK ins Feld geführten theologischen Argumente ab: „Denn bei der Frage der Anwendung des Arierparagraphen auf die Pfarrerschaft handelt es sich nicht allein um ein Werturteil oder um eine Zerspaltung des einen Leibes Christi, sondern einzig allein um die Frage, ob ein anders178 Pfarrernotbund an die Brüder der „Mitte“ in Leipzig, 11. Februar 1936 (UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1936). 179 K. NOWAK, Stigma, S. 80. 180 U. BÜTTNER, Verlassen, S. 49, Anm. 78. 181 EBD., S. 48 f. 182 Knabe an die DEKK am 18. Februar 1936 (EZA BERLIN, 1/A4/266). 183 Am 16. März 1936 hatte sich Superintendent Schumann an den Reichskirchenminister gewandt und in seiner typischen Art keineswegs theologische oder kirchenpolitische Argumente erwähnt, sondern vor allem pragmatische Erwägungen („ein ganzes Jahr liegt die Arbeit von drei Pfarrern auf zwei Schultern“) vorgebracht (ADSL, Schrank VIII, 3. Pfarrstelle KGV). 184 Vgl. dazu J. NOAKES, Entstehung.
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völkischer Pastor unter allen Umständen genau ebenso gut einer Gemeinde dienen kann wie ein Geistlicher gleichen Blutes und Stammes. Das ist aber keine dogmatische Frage, sondern kann nur aus der Erfahrung heraus beurteilt werden. [. . .] Wie bei jedem völkischen Gegensatz spielt auch bei der Ablehnung der Nichtarier durch deutsche Gemeindeglieder die Frage nach der tatsächlichen Berechtigung dieser Ablehnung keine Rolle, da es sich um elementare Gefühlsurteile handelt, die aber doch zum Hindernis werden können, das Evangelium aufzunehmen“185.
Bruhns verlagerte damit die zentrale Frage des Kirchenkampfes nach der Anwendung des Arierparagraphen auf die Pfarrerschaft aus dem theologischen Bereich in den Bereich der Seelsorge vor Ort. Er machte „elementare Gefühlsurteile“ zum Kriterium der Entscheidung und grenzte sich damit klar von den theologischen Argumentationen von BK und DC ab, ohne sich für den Einzelfall festlegen zu müssen. Im Endeffekt enthob ihn diese Argumentation der Notwendigkeit, gegen eine Maßnahme des deutschchristlichen Kirchenregiments bei einem nichtarischen Pfarrer als Geistlicher Widerstand leisten zu müssen. Es kann daher nicht verwundern, wenn angesichts dieser Haltung die Beziehungen zwischen BK und „Mitte“ nie ungetrübt waren. Zugunsten Bruhns’ muss aber eingeräumt werden, dass gegen diesen im November 1937 ein Parteiausschlussverfahren mit der Begründung eingeleitet wurde, er unterhalte „mit dem Mischling Lewek Beziehungen, die über das zwischen Kollegen notwendige Maß hinausgehen, die unbedingt parteischädigend sind“186. Der Präsident des Landeskirchenamtes Klotsche ließ sich ein halbes Jahr Zeit, bis er Lewek am 2. Februar 1938 mitteilte: „Auf Grund der Feststellung der Reichsstelle für Sippenforschung187 vom 20. Februar 1936 [!] sehe ich mich veranlasst, auf alle Dienstleistungen Ihrerseits für den Bereich der Landeskirche in vollem Umfange zu verzichten“188. Die ihm zustehenden Bezüge sollten weiter bezahlt werden. Es war vorgesehen, Lewek eine nicht exponierte Pfarrstelle zuzuweisen, auf der er sich der Seelsorge für Judenchristen widmen sollte. Lewek beharrte jedoch auf seinem Rechtsstandpunkt, als „deutscher Reichsbürger“ und „Frontkämpfer“ zu einem 185 Bruhns an den Landeskirchenausschuss am 16. Juli 1937 (zitiert nach: H.-J. KANDLER, S. 97). 186 Einstweilige Verfügung der NSDAP-Kreisleitung Leipzig vom 1. November 1937 (BARCH-DH, ZA 8140). Der Parteiausschluss wurde, wie oben S. 141 berichtet, zurückgenommen. 187 Die Reichsstelle für Sippenforschung war als einzige Behörde zur Ausstellung des Abstammungsnachweises berechtigt. Sie wurde als „Sachverständiger für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern“ im Zuge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gebildet und benannte sich 1940 in Reichssippenamt um. 188 Klotsche an Lewek am 2. Februar 1938 (ADSL, Schrank VIII, 3. Pfarrstelle KGV).
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öffentlichen Dienst berechtigt zu sein189. Er hatte 1938 auch den Treueid auf Hitler geleistet. Gegen den Willen des Landeskirchenamtes zog sich die Angelegenheit in die Länge. Erst mit der Verordnung vom 6. April 1939, die die Versetzung von Geistlichen aus dienstlichen Gründen regelte, glaubte das Landeskirchenamt ein Instrument zu besitzen, um Lewek endgültig abschieben zu können. Aufgrund der Verordnung konnte das Landeskirchenamt fest angestellte Geistliche versetzen, „wenn die gedeihliche Führung des Pfarramtes dem Geistlichen nicht mehr möglich ist oder wenn es die Ordnung in der Gemeinde verlangt“190. Das Landeskirchenamt rekurrierte also auf die gleiche Begründung wie Bruhns. Am 26. Juni 1939 erhielt der Leipziger Superintendent einen Brief des Landeskirchenamtes, in dem der Einspruch Leweks gegen seine Versetzung in den Wartestand zum 31. Juli 1939 zurückgewiesen wurde. Sie wurde damit begründet, „dass es nationalsozialistischem Rechtsempfinden widerspricht, dass ein nichtarischer geistlicher Amtsträger arische deutsche Volksgenossen seelsorgerlich betreut“191. Das Landeskirchenamt wies eigens darauf hin, dass das Vorgehen mit dem Reichskirchenminister abgestimmt sei, und bot Lewek nochmals eine seelsorgliche Betreuungstätigkeit für Judenchristen an. Durch seinen Widerstand erreichte Lewek, dass die Versetzung in den Wartestand erst drei Monate später, am 1. Oktober 1939, in Kraft trat. Er argumentierte, dass – infolge des Fehlens reichskirchlicher Regelungen – er als „Halbjude“ und „Frontkämpfer“ nicht schlechter gestellt werden dürfe als ein normaler Reichsbeamter: „Denn konnte es auch schon bisher nationalsozialistischem Rechtsempfinden unmöglich widersprechen, dass ein nationalsozialistisches Grundgesetz wie das DBG [Deutsches Beamtengesetz, G. W.] auf mich Anwendung findet, so ist es in gegenwärtigen Kriegszeiten völlig ausgeschlossen, dass es im Widerspruch zu nationalsozialistischem Rechtsempfinden steht, wenn ein deutscher Reichsbürger und Frontkämpfer von 1915 und Vater eines Frontkämpfers von 1939 Dienst tut und somit an seinem Teil seine Pflicht gegenüber Volk und Vaterland erfüllt“192.
Tatsächlich hatte das Landeskirchenamt am 15. Dezember 1938 eine Verordnung erlassen, die die sinngemäße Anwendung des DBG auf die Kirchenbeamten vorsah193. 189 Klotsche am 24. Juni 1938 an die Superintendentur Leipzig (ADSL, Schrank VIII, 3. Pfarrstelle KGV). 190 Verordnung über die Versetzung von Geistlichen aus dienstlichen Gründen (KGVBl 1939, S. 59 f.). 191 Landeskirchenamt an Lewek am 27. Juni 1939 (EZA BERLIN, 1/A4/256). 192 Lewek an das Landeskirchenamt am 4. September 1939 (EZA BERLIN, 1/A4/266). 193 Verordnung des Landeskirchenamtes über die Anwendung des DBG auf die Kirchenbeamten (KGVBl 1938, S. 127; D. RÖTHIG, 15. Dezember 1938).
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Die innerkirchliche Auseinandersetzung wurde im Herbst 1939 unterbrochen, als Lewek am 9. November 1939 durch die Gestapo inhaftiert wurde194. Frau Lewek, die sich deswegen an das Landeskirchenamt und den Geistlichen Vertrauensrat wandte und mit der Kirchenabteilung der Leipziger Gestapo verhandelte, erhielt keine Nachricht, weshalb ihr Mann im Gefängnis saß195. Nach dem Attentat auf Hitler im Bürgerbräukeller am 8. November 1939 waren in Leipzig über 100 Personen verhaftet worden. Mit der Aktion sollten vor allem Juden und politisch „Unzuverlässige“ als Geiseln für das Attentat genommen werden196. Nach seiner Haftentlassung im Dezember 1939 gelang es Lewek schließlich, seine Versetzung in den Wartestand zu beenden. Vor allem der Leiter der Kirchenkanzlei, Friedrich Werner, hatte sich dafür eingesetzt, dass Lewek mit Staatsbeamten gleichgesetzt wurde. Am 18. Dezember 1939 wies er das Landeskirchenamt an, nicht „über die einschlägigen Vorschriften des Deutschen Beamtengesetzes“ hinauszugehen und Lewek deshalb wegen seiner Abstammung weder aus dem Dienst zu entlassen noch in den Wartestand zu versetzen197. Bei Beibehaltung seiner Dienstbezüge sollte Lewek allerdings möglichst im Innendienst tätig sein. Er wurde deshalb zum 1. April 1940 auf eine Pfarrstelle des Kirchgemeindeverbandes versetzt. In seinem Schreiben an Lewek unterließ es Klotsche, auf die Weisung aus Berlin hinzuweisen, und begründete seinen Rückzug mit finanziellen Aspekten198. Die Abschiebung auf die Stelle im Kirchgemeindeverband bedeutete das Aus für Leweks kirchliche Arbeit, wie Schumann in einem Schreiben lapidar ausführte: „Pfarrer Lewek ist also Geistlicher beim KGV Leipzig mit vollem Gehalt einschließlich Wohnungsgeld, ohne irgendwelche Tätigkeit auszuüben. Er hat sich aber verpflichtet, Arbeiten, die ihm übertragen werden, zu übernehmen. Nur haben sich solche Arbeiten bis jetzt nicht gefunden“199. Vom 8. November 1944 bis zum 15. Februar 1945 musste Lewek in Osterode im Harz Zwangsarbeit verrichten.
194 Das Namensregister des Polizeipräsidiums Leipzig verzeichnet als Haftgrund: Sonderaktion (politisch) (STAL, PP-V 8514). 195 Dorothea Lewek an den Vorsitzenden des Geistlichen Vertrauensrates, Marahrens, am 11. Dezember 1939 (EZA BERLIN, 1/A4/266, Bl. 99). 196 Hinweis von Helmut Warmbier. Unter den Gefangenen befanden sich auch noch der evangelische Pfarrer Karl Magirius (Wurzen), der Oratorianerpater Theodor Gunkel und zwei katholische Kapläne. In der Literatur werden größere Verhaftungsaktionen im Zusammenhang mit dem Attentat nicht erwähnt (vgl. P. STEINBACH, Widerstand im Widerstreit, S. 206). 197 Werner an das Landeskirchenamt am 18. Dezember 1939 (EZA BERLIN, 1/A4/266). 198 Klotsche an Lewek am 26. März 1940 (ADSL, Schrank VIII (3. Verbandspfarrstelle)). 199 Schumann an Pfr. Goetze, Braunschweig am 5. April 1941 (ADSL, Schrank VIII (3. Verbandspfarrstelle)). Goetze war wie Lewek judenchristlicher Pfarrer und wurde zum 31. März 1941 in den einstweiligen Ruhestand versetzt (vgl. W. GERLACH, S. 318).
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Für die Beurteilung des Falles Lewek im Blick auf das Staat-Kirche-Verhältnis ist die Haltung der Gauleitung und hier vor allem Mutschmanns zu analysieren. Es spricht alles dafür, dass gerade die 1935 im Anschluss an die Kanzelabkündigung ergangene KZ-Einweisung Leweks und das sich daran anschließende Predigtverbot – von dem seine „arischen“ Amtsbrüder nicht betroffen waren – auf eine ideologische Fixierung des Reichsstatthalters zurückzuführen waren. Nach einer der allgemeinen kirchenpolitischen Situation in Sachsen folgenden Beruhigung in den Jahren 1936/37 ging Anfang 1938 von Klotsche die Initiative aus, Lewek kirchlich kaltzustellen. Diese Aktion passt sich zeitlich ähnlichen Vorgängen in anderen Landeskirchen an, sodass 1939 alle judenchristlichen Pfarrer aus dem Amt verdrängt waren200. Die Auseinandersetzungen zwischen der Kirchenkanzlei und dem Landeskirchenamt um die Stellung Leweks zeigen jedoch, dass es sich dabei um keinen koordinierten, ja zentral gesteuerten Ablauf handelte, sondern dass die Initiative hier vor allem bei Klotsche zu suchen ist. Dabei ordnet sich das Vorgehen gegen Lewek in dessen antisemitische Politik ein. Nach der Pogromnacht 1938 gehörte die sächsische zu den fünf Landeskirchen, die die Aufnahme von „Juden“ verboten und Pfarrer von der Verpflichtung entbanden, Amtshandlungen an getauften Juden vorzunehmen201. Nachdem im September 1941 das Tragen des Judensternes zur Pflicht gemacht worden war202, nahm Klotsche eine Mitteilung der NSDAP-Gauleitung Sachsens, wonach „eine Trägerin des Judensternes an einer Frauendienst-Zusammenkunft in der Lukaskirche zu Dresden am 29. Oktober 1941 teilgenommen hat“203, zum Anlass, innerkirchlich die Initiative zu ergreifen: „Nach gesetzlicher Einführung des Judensternes im Reichsgebiet wird das Erfordernis immer dringender, an den Kirchen und kirchlichen Versammlungsräumen folgende Verbotstafel anzubringen: ‚Juden haben keinen Zutritt!‘“204 Nachdem der Reichskirchenminister seine Zustimmung zu Klotsches Anstoß signalisiert hatte, veröffentlichte die DEKK am 22. Dezember 1941 ein Schreiben, das die getauften „Nichtarier“ aus der Kirche ausschloss: „Der Durchbruch des rassischen Bewusstseins in unserem Volk, verstärkt durch die Erfahrungen des Krieges und entsprechende Maßnahmen der politischen Führung, haben die Ausscheidung der Juden aus der Gemeinschaft mit uns 200 U. BÜTTNER, Verlassen, S. 49. 201 KGVBl 1939, S. 23; H.-J. KANDLER, S. 100. 202 RGBl 1941, Teil 1, S. 547. 203 Landeskirchenamt an die DEKK am 21. November 1941 (BSTU, ZA, HA XX AP 21714/92, Bl. 90). 204 Zitiert nach K.-H. MELZER, S. 263; vgl. auch H. BRUNOTTE, Kirchenmitgliedschaft, S. 164.
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Deutschen bewirkt. [. . .] Wir bitten daher im Einvernehmen mit dem Geistlichen Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche die obersten Behörden, geeignete Vorkehrungen zu treffen, dass die getauften Nichtarier dem kirchlichen Leben der deutschen Gemeinde fernbleiben“205.
Schon am 28. Dezember 1941 wurde der Ausschluss der „Nichtarier“ in der sächsischen Landeskirche festgeschrieben206. Dass trotz dieser Politik die vier „nichtarischen“ Pfarrer der sächsischen Landeskirche das „Dritte Reich“ überlebt haben, rechnet Kandler „einflussreiche[n] Männern“ in der Kirchenleitung an, die sich für diese Pfarrer eingesetzt hätten207. Verglichen mit seinen drei sächsischen Amtsbrüdern war die Lage Leweks, der, wenn er auch zum Nichtstun verdammt war, immerhin eine Pfarrstelle behielt, „gut“. Superintendent Karl Victor Kühn (Auerbach) ging 1933 krankheitshalber in den Ruhestand, Pfarrer Heinrich Gottlieb, „Volljude“, war 1938 bei vollem Gehalt beurlaubt worden und Pfarrer Wach verließ 1935 die sächsische Landeskirche, weil er zwar 1934 versetzt, aber nie in sein Amt eingeführt worden war208. Der Umgang mit Lewek in Leipzig entsprach durchaus der „pragmatischen Vorgehensweise“ der „Mitte“, die, indem sie ihrem Amtsbruder keine Arbeit gab, jeden Zusammenstoß mit NS-Stellen vermied, sich aber – was Schumann und wohl auch Bruhns anbetrifft – persönlich beim Landeskirchenamt für ihn einsetzte. Zwar missbilligte die BK die Ausgrenzung der Judenchristen aus der Kirche, konnte sich jedoch nicht zu einer formellen Abkündigung entscheiden209. Um die „Judenchristen“ in Leipzig bemühte sich der zur BK gehörende Pfarrer Walter Böhme, der an der Thomaskirche amtierte. Der Fall einer evangelischen Frau, die in Leipzig mit einem Juden verheiratet war, und aufgrund des Verbots des Landeskirchenamtes keine Möglichkeit zur Taufe210 ihres Kindes gefunden hatte, hatte wohl zu seinem Engagement 205 KJ 1933–1944, S. 461. Eine in ihrem Duktus noch schärfere Bekanntmachung der nationalkirchlichen Kirchenführer vom 17. Dezember 1941 (EBD., S. 460) war von Klotsche als Erstem unterzeichnet worden. Vgl. auch W. GERLACH, S. 327 f., der das Schreiben vom 22. Dezember als „scriptum atrum der DEK-Kanzlei“ bezeichnet. 206 Kirchengesetz des Landeskirchenamtes über den Ausschluss rassejüdischer Christen aus der Kirche. Danach waren „jüdische“ Christen samt ihren Abkömmlingen im Bereich der sächsischen Landeskirche von jeder kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen (KGVBl 1941, S. 118). 207 H.-J. KANDLER, S. 100. 208 EBD., S. 98 f. 209 H. KLEMM, S. 347 f. 210 Von Juli 1933 bis September 1935 haben in Leipzig 45 Juden oder „Mischlinge“ die Taufe begehrt und erhalten, wenn auch das Landeskirchenamt Anträge mit dem Hinweis auf eine reichsrechtliche Lösung dilatorisch behandelte. In der ersten Hälfte des Jahres 1935 war die Zahl auf drei geschrumpft (ADSL, Schrank I, Fach 15, 162). Der Landeskirchenausschuss knüpfte nach Generalverordnung Nr. 192 vom 19. Mai 1936 die Vornahme der
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geführt211. Er war seit September 1938 „Vertrauensmann“ des Bezirks Leipzig für das „Büro Grüber“, der zentralen Hilfseinrichtung der Bekennenden Kirche, die 1940 aufgelöst werden musste212.
5.5 Die evangelische Kirche im Krieg Die expansive, wenn auch in den ersten Schritten durchaus mit den revisionistischen Ansichten weiter Kreise der deutschen Bevölkerung übereinstimmende nationalsozialistische Außenpolitik wurde auch von der evangelischen Kirche in Sachsen begrüßt. So waren die beiden Superintendenten Fröhlich und Schumann in konservativ-nationalprotestantischer Tradition schon zur Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs im April 1938 gemeinsam an die Öffentlichkeit getreten: „An alle Evangelischen Leipzigs! [. . .] Großdeutschland ist erstanden! Freudig bewegten Herzens bekennt sich das ganze evangelische Leipzig in unverbrüchlicher Treue zu Führer und Volk. Die Kirche will mitten im Volk stehen, Freud und Leid mit ihm teilen. Wir danken Gott für dieses wunderbare Geschehen. Er segne so weiterhin Deutschland und seinen Führer!“213
Auch mit dem Ausbruch des Krieges änderte sich die Haltung der sächsischen Landeskirche nicht.214. Kundgebungen zu Kriegsbeginn215 und zu verschiedenen Feldzügen216 sowie Dankgottesdienste zu Hitlers Geburtstag217 stellten eine klare Fürsprache für den Nationalsozialismus dar. In dieser Richtung reihte sich das Kirchenregiment Klotsche in die nationalvölkischen Akklamationen der anderen deutschchristlich beherrschten Landeskirchen ein, die sich bis Kriegsende ohne größere Vorbehalte mit dem Taufe an die Bedingung, dass die christliche Erziehung gesichert sein müsse, betonte aber vor allem „die seelsorgerliche Verantwortung des Parochialgeistlichen“ (ADSL, Schrank I, Fach 9, 102). 211 H. KLEMM, S. 347. 212 Vgl. H. LUDWIG, S. 94. Zum „Büro Grüber“ vgl. u. a. C.-R. MÜLLER; J.-C. KAISER, „Judenfrage“; H. LUDWIG. 213 Leipziger Tageszeitung am 6. April 1938, S. 7. Ein Schreiben Schumanns vom 5. April 1938 legte die von den Kirchgemeinden zu ergreifenden Maßnahmen fest. Pfarrhäuser und Kirche sollten mit Spruchbändern wie „Gott segne Großdeutschland und unseren Führer!“ geschmückt werden (ADSL, 4.3.1). 214 Zur Rolle des deutschen Protestantismus im Zweiten Weltkrieg vgl. F. W. GRAF, Zweiter Weltkrieg, und die Beiträge in G. V. NORDEN/V. WITTMÜTZ. 215 Verordnung betr. Kanzelverlesung und Kirchengebet betr. Kriegsbeginn (KGVBl 1939, S. 156 f.). 216 U. a. der Dankgottesdienst anlässlich des Abschlusses der Kämpfe in Flandern auf Anordnung des Landeskirchenamtes (KGVBl 1940, S. 59). 217 So am 21. April 1940 (KGVBl, 1940, S. 43).
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NS-Regime identifizierten218. Präsident Klotsche legte z. B. den Geistlichen ans Herz, sich einen Ausschnitt aus Hitlers Rede vor dem Reichstag am 11. Dezember 1941, in der er die Kriegserklärung an die USA verkündete, anzueignen219. Hitler hatte darin unverhohlen denjenigen mit tödlichen Konsequenzen gedroht, die versuchen würden, nach innen Sabotage zu treiben. Dazu Klotsche: „Es ist immer wieder Grund vorhanden, besonders auf die oben stehenden Ausführungen des Führers hinzuweisen. Ich bitte, diese Zeilen öfters zu lesen, genau zu durchdenken und immer wieder belehrend, aufklärend und warnend zu wirken“220. Da die Landeskirche mit 400 000 RM an den von den Kirchen aufzubringenden 60 Millionen RM Kriegsbeitrag beteiligt war221, mussten die Kirchgemeinden nach einem Runderlass der Landeskirche eine Rücklage in Höhe von 20 Prozent der Gemeindekirchensteuer bilden222. Sparsamste Haushaltsführung bedeutete nicht nur, dass Orgelinstandsetzungen aufgeschoben und Bauvorhaben erheblich reduziert wurden, es wurden auch Beihilfegewährungen für die kirchlichen Vereine weitestgehend eingestellt. Allerdings blieb diese Maßnahme wohl auf das Jahr 1940 beschränkt. In Sachsen signalisierte der Landesbruderrat am 1. September 1939 die Bereitschaft, angesichts der „gegenwärtigen ernsten Stunde“ mit dem Landeskirchenamt in Verbindung zu treten223. Der Reichsstatthalter Mutschmann wiederum gab Klotsche die Weisung, sich in Personalangelegenheiten Zurückhaltung aufzuerlegen und „dadurch jede Beunruhigung des kirchlichen Lebens auszuschließen“224. Ohnehin hatte der Leiter der Kirchenkanzlei, Friedrich Werner, den Leiter der Finanzabteilung der Landeskir218 K. MEIER, Kreuz, S. 194. 219 Die Rede ist abgedruckt mit kleinen Abweichungen in: M. DOMARUS, Hitler, Bd. II, S. 1793–1811, die relevante Passage auf S. 1810 f. („So wie wir mitleidlos hart gewesen sind [. . .] der dieses Ehrenopfer entwertet, in Schande stirbt“). Der Runderlass Nr. 78 vom 17. November 1941 verpflichtete die Kirchenvorstände, das Heft „Das Kriegsziel der Weltplutokratie“ zu lesen (D. RÖTHIG, 17. November 1941). 220 Hervorhebung im Original. Klotsche ohne Datum. Eingangsstempel der Superintendentur am 22. Dezember 1941 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 96). 221 Zahlenangaben aus einem Brief der Finanzabteilung an die Kreiskirchenämter vom 10. Oktober 1939, abgedruckt im Runderlass der Finanzabteilung Nr. 78 an alle Superintendenturen vom 11. Oktober 1939. Verordnung betr. Kriegsbeitrag und Sparmaßnahmen vom 24. Oktober 1939 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 106). Der Kriegsbeitrag der Kirchen geht auf § 17 der Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939 (RGBl 1939, S. 1609–1613) zurück. 222 Verordnung über Kriegsbeitrag und Sparmaßnahmen vom 24. Oktober 1939 (KGVBl 1939, S. 190). Diese Weisung betraf schließlich nur die Zeit von April bis Dezember 1940 (Runderlass Nr. 32 der Finanzabteilung vom 20. Dezember 1940) und wurde mit Runderlass Nr. 41 vom 11. Juni 1941 rückwirkend zum 1. Januar 1941 aufgehoben (ADSL, 2.1.4). 223 Landesbruderrat an Klotsche am 1. September 1939 (EZA BERLIN, 1/A4/256). 224 Deutsche Christen, Nationalkirchliche Einung, Landesgemeinde Sachsen am 14. Dezember 1940 (Empfänger unleserlich) (BARCH BERLIN, R 5101/23767, Bl. 372).
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che, Kretzschmar, am 22. September 1939 angewiesen, Personalveränderungen bei höheren Beamten und Superintendenten nicht ohne seine Zustimmung vorzunehmen225. Diese Anweisungen zielten zum einen darauf ab, die Vorherrschaft der DC abzusichern, zum anderen sollte jede unnötige Unruhe vermieden werden. Es gelang Mutschmann 1941, Klotsche als seinen Vertrauensmann im Landeskirchenamt vor dem Wehrdienst zu bewahren226. Durch die Aufnahme des Leipziger Superintendenten Schumann und des BK-Pfarrers Prater in das Landeskirchenamt Ende 1939 bzw. 1941 – allerdings nur bis zu Praters Verhaftung im Frühjahr 1942 – signalisierte Klotsche die Bereitschaft, seinem Kirchenregiment eine breitere Basis zu geben227. Hinsichtlich der NS-Kirchenpolitik überlagerten sich ab September 1939 kriegsbedingte Einschränkungen kirchlicher Tätigkeit mit den forcierten religionspolitischen Maßnahmen des NS-Regimes228. Ein Vernichtungsschlag gegen die Kirchen blieb aus, weil Hitler aus Gründen der nationalen Geschlossenheit offene Angriffe gegen sie untersagt hatte229. Es überraschte die Kirchenführungen jedoch, dass das nationalsozialistische Regime keinen generellen „Burgfrieden“ anbot, vielmehr wechselten sich entsprechend dem Charakter der NS-Diktatur repressive Maßnahmen und tendenzielle Zurückhaltung ab, sodass der kirchenpolitische Schwebezustand als „unsicherer“ bzw. „falscher Burgfrieden“ angemessen bezeichnet werden kann230. Innerkirchlich wurde an die „Burgfriedensbemühungen“ auf Reichsebene angeknüpft231. Sowohl auf protestantischer wie auf katholischer Seite war die Bereitschaft groß, Vorbehalte zurückzunehmen und sich, wenngleich von einer Kriegsbegeisterung wie im August 1914 nichts zu spüren war, demonstrativ hinter die Staatsführung zu stellen232. Für Leipzig lässt sich nachweisen, dass mit Kriegsbeginn die Zahl der Pfarrerversetzungen sehr stark abnahm und nur noch sehr wenige Pfarrer von außerhalb in die Messestadt kamen. Angesichts der angespannten Personalsituation wurden von der Landeskirche nunmehr auch BK-Pfarrer, 225 Werner an das Landeskirchenamt am 22. September 1939. Vgl. auch die Bestätigung von Kretzschmar am 25. September: „Es hat unter den gegebenen Verhältnissen (Krieg) alles so zu bleiben wie es war. Das ist auch der Wille unseres Statthalters“ (beide Schreiben in EZA BERLIN, 1/A4/256). 226 Wehrkreisverwaltung IV an Klotsche am 10. Juni 1941 (BARCH BERLIN, R 5101/23767, Bl. 296). 227 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 511 f. 228 Zur NS-Kirchenpolitik im Krieg und zur Haltung der Kirchen vgl. J. S. CONWAY, S. 247–342; U. V. HEHL, Kirchen, S. 175–179; J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus, S. 63–69. 229 K. MEIER, Kreuz, S. 175. 230 W. DIERKER, S. 492; P. LONGERICH, S. 239; J. S. CONWAY, S. 247. 231 K. MEIER, Kreuz, S. 176. 232 W. DIERKER, S. 491.
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die in den Wartestand versetzt worden waren, wieder eingesetzt. So trat Hans Rißmann 1940 die 3. Stelle an der Erlöserkirche in Thonberg an und übernahm im darauf folgenden Jahr praktisch die Leitung des Kreisbruderrats Leipzig233. 1941 gab es in den Kirchgemeinden keine Personalveränderungen, 1942 zwei, 1943 drei und 1944 stieg die Zahl auf fünf234. Der Altersdurchschnitt der in Leipzig amtierenden Pfarrer – großstädtische Pfarrer waren im Allgemeinen deutlich älter als ihre Kollegen auf dem Land – wuchs von 1940 bis 1944 von fast 50 auf knapp 55 Jahre, die Zahl der eingezogenen Pfarrer stieg von 11 auf 29, also etwa ein Drittel der Pfarrerschaft, an, ein Pfarrer und zwei Vikare waren gefallen235. Damit blieb der Anteil der eingezogenen Pfarrer in Leipzig deutlich unter dem Reichsdurchschnitt, wo 1940 ein Viertel eingezogen waren236 und 1944 mit fast 45 Prozent ein Höhepunkt erreicht wurde237. Von der sächsischen Landeskirche waren allein 1942 552 Geistliche von ca. 1 200 im Krieg238. Der Kirchenbezirk Leipzig-Stadt übernahm daher die Versorgung weiterer Landgemeinden239. Superintendent Schumann sah sich aus diesem Grunde gezwungen, Anfang 1942 das Landeskirchenamt um Erlaubnis zum Einsatz von Emeriti gegen Vergütung zu bitten240. 233 Zu Rißmann vgl. K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 689, Anm. 1446. In dem Wartestandsbeschluss des Landeskirchenamtes vom 31. Mai 1939 hatte es noch geheißen: „Auch die Einstellung von Pfarrer Rißmann zum Nationalsozialismus ist keineswegs als positiv zu bezeichnen. Er hat es fertig gebracht, noch im Jahre 1935 mit Juden zu verkehren und Geldgeschäfte abzuschließen. Bei seinem die Volksgemeinschaft schädigenden Verhalten, über das sich die staatlichen und parteiamtlichen Stellen mehrfach beschwert haben, konnte es auch nicht verantwortet werden, ihn einer anderen Gemeinde zuzuweisen“. RKM an den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer am 15. November 1941 (BARCH BERLIN, R 5101/ 24232). 234 1942: Martin Haase (1. Frieden); Klaus Quandt (1. Genezareth); 1943: Erich Kliegel (3. Lukas); Johannes Lohse (2. Paul-Gerhardt); Paul Wagner (3. Heiland); 1944: Alfred Günther (1. Gedächtnis); Manfred Köhler (2. Stephanus); Karl Heinrich Mann (4. Versöhnung); Rudolf Schubert (3. Gedächtnis); Kurt Zeuschner (1. Paul-Gerhardt). 235 Es handelt sich um den Pfarrer an der Markusgemeinde, Martin Frenkel, der am 31. August 1943 gefallen war, und die Vikare Drewitz (Erlösergemeinde) und Zirpel (Stephanusgemeinde). Zahlenangaben für 1940 aus dem Bericht des Kirchenbezirks LeipzigStadt. Stand am 31. Dezember 1940 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 96); für 1944 nach einem sehr plastischen Bericht des Superintendenten über die kirchliche Lage in Leipzig aus dem Herbst 1944 (abgedruckt in: H. SCHUMANN, S. 150–153). Der Bericht basiert auf einem Brief Schumanns an die bei der Wehrmacht befindlichen Pfarrer des Kirchenbezirkes vom 18. Mai 1944 (ADSL, Schrank I, Fach 9, 106). 236 Angabe nach K.-H. MELZER, S. 307. 237 Angabe EBD., S. 312, Anm. 61. 238 Zahlenangabe von Superintendent Schumann auf der Ephoralkonferenz am 9. September 1942 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 239 Nach H. SCHUMANN, S. 152, in den Kirchenbezirken Leipzig-Land, Borna, Grimma, Oschatz und Rochlitz. 240 Schumann an das Landeskirchenamt am 23. Januar 1942 (ADSL, Schrank I, Fach 8,
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Auch zahlreiche kirchliche Angestellte waren zur Wehrmacht eingezogen worden. 1944 befanden sich von 144 Mitarbeitern 48 im Krieg, zehn waren gefallen241. Eine Übersicht aus dem Jahr 1947 nennt 19 Kriegsopfer im Kirchenbezirk Leipzig242. Das Gemeindeleben litt ebenfalls unter den vielen Einberufungen. Schwer beeinträchtigt wurde das kirchliche Leben durch den Bombenkrieg243. Im Herbst 1944 waren von 31 Kirchen nur noch zwei unbeschädigt, vier völlig zerstört. Von 34 Gemeindehäusern waren nur zwei, von 24 Pfarrhäusern nur vier völlig unbeschädigt. 42 Pfarrer, Beamte, Angestellte und Schwestern waren ausgebombt worden244. Darüber hinaus stellte die Kirche ihre Räumlichkeiten – mehr oder weniger – öffentlichen Trägern zur Verfügung. Die Polizei hatte Räume in der Nikolai-, der Nathanael- und der Genezareth-Gemeinde, vier Gemeinden stellten Schulen Räumlichkeiten zur Verfügung245. Im kirchlichen Leben war vor allem die Betreuung der Kinder und Konfirmanden erschwert, ja es bestand die Gefahr, die Kindergottesdienste völlig einstellen zu müssen. Der Runderlass Nr. 167, der den totalen Kriegseinsatz in der Landeskirche regelte, forderte die „Beschränkung auf das Wesentliche“246. So wurden Vortragsveranstaltungen verboten und das kirchliche Vereinswesen auf das Äußerste eingeschränkt. „Kriegsnotwendige“ Einschränkungen beeinträchtigten in immer stärkerem Maße das kirchliche Leben. Eine Verordnung des Landeskirchenamtes vom 4. November 1940 legte fest, dass nach nächtlichem Fliegeralarm kirchliche Veranstaltungen nicht vor 10 Uhr stattfinden dürften247. Der Reichskirchenminister machte die Landesregierungen auf die Bedeutung dieses Verbots aufmerksam, indem er betonte, dass die Außenstellen der Gestapo zur Überwachung der Beachtung dieser Anordnung aufgerufen seien248. Am 5. März 1941 verlangte der sächsische Innenminister Fritsch, Evangelisationen und Aufbauwochen bis auf weiteres zu unter96). 1944 waren der 75 Jahre alte Pfarrer Kühn (Nikolaigemeinde) und der 77 Jahre alte Pfarrer Lohse (Taborgemeinde) als Vikare tätig. 241 Zahlenangaben nach H. SCHUMANN, S. 151. 242 Außerdem noch drei Leipziger Theologiestudenten (ADSL, Schrank I, Fach 8, 96). 243 Zum Bombenkrieg in Leipzig vgl. O. GROEHLER, Bombenkrieg; B. HORN. 244 Angaben nach H. SCHUMANN, S. 152. Zu den Folgen des Bombenangriffs auf Leipzig am 4. Dezember 1943 vgl. das vielsagende Protokoll der Ephoralversammlung am 9. Dezember 1943 (ADSL, Schrank I, Fach 11, 117). 245 Schumann an das Kreiskirchenamt Leipzig am 14. November 1944 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 96). 246 Runderlass Nr. 167 an alle Kreiskirchenämter und Superintendenturen vom 13. September 1944 (ADSL, 2.1.4). 247 KGVBl 1940, S. 109. Am 24. Januar 1941 meldete das Landeskirchenamt, dass die Bevölkerung nach nächtlichem Fliegeralarm bei Nichtteilnahme am Gottesdienst als entschuldigt gelte (KGVBl 1941, S. 8). 248 SÄCHSHSTA DRESDEN, MfV, 13058/14, Bl. 52.
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lassen249. Begründet wurde diese Weisung damit, dass alle Veranstaltungen unterbleiben sollten, die „mit der auf das Äußerste angespannten Beanspruchung der Bevölkerung, die sich aus den Kriegsnotwendigkeiten ergibt“, nicht in Einklang zu bringen seien. Eine Verordnung über die Anmeldung kirchlicher Veranstaltungen zwei Wochen später erlegte dem Pfarramtsleiter die Pflicht auf, alle kirchlichen Veranstaltungen bis auf Konfirmandenstunden, Bibelstunden und ortsübliche Gottesdienste bis zum 20. jeden Monats anzumelden, um Überschneidungen mit Parteiveranstaltungen zu vermeiden250. Da diese Anordnung in Leipzig nur ungenügend beachtet wurde, ermahnte Superintendent Schumann die Pfarrer nach einer Beschwerde der NSDAP-Kreisleitung auf der Ephoralkonferenz am 8. Oktober 1942251. Auch im Bereich des kirchlichen Schrifttums und der Pressearbeit waren mit Kriegsbeginn Restriktionen erfolgt252. Zum einen wurde die evangelische Presse durch ein Rundschreiben des Reichsverbandes der evangelischen Presse, der als Fachschaft Teil der Reichspressekammer war, aufgerufen, „die Widerstandskraft und die Siegeszuversicht des deutschen Volkes“ durch ihre Berichterstattung zu stärken253. Wenn ihr auch die Beschäftigung mit dem unmittelbar politischen Bereich verboten war, sollte sie sich inhaltlich mit dem aktuellen Zeitgeschehen auseinander setzen und nicht, wie vom Reichsverband moniert, „durch unverantwortliches Geschreibe über eine dunkle und ungewisse Zukunft“ Kräfte lähmen254. Auf der administrativen Ebene waren vor allem die kirchlichen Verbände und die einzelnen Gemeinden durch die „Verordnung über den Nachweis der Zugehörigkeit zur Reichsschrifttumskammer“255 vom 17. Juli 1940 benachteiligt, die vom Autor oder Verleger einer Schrift den Nachweis der Mitgliedschaft in der Reichspressekammer verlangte. Bei strikter Anwendung hätten die Verbände und Gemeinden nicht einmal belanglose Kleindrucksachen ohne Einschaltung eines Verlegers in Auftrag geben können. Dazu kam, dass ab 1941 mit dem Hinweis auf akuten Papiermangel kirchliche Druckaufträge verweigert wurden, während antichristliche Lite249 D. RÖTHIG, 5. März 1941. Zitat aus Runderlass Nr. 65 des Landeskirchenamtes an alle Pfarrämter vom 5. Juni 1941 (BKA LEIPZIG, A 40). Fritsch drohte, dass bei Nichtbeachtung aus der Weisung ein Verbot aus staatspolitischen Gründen werden könne. 250 Runderlass Nr. 60 des Landeskirchenamtes an alle Pfarrämter. D. RÖTHIG, 17. März 1941. 251 Protokoll der Ephoralkonferenz am 8. Oktober 1942 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 252 Vgl. dazu H. BRUNOTTE, Auswirkungen; K.-H. MELZER, S. 218–232, und G. MEHNERT. 253 Rundschreiben vom 11. März 1940 veröffentlicht im Runderlass Nr. 42 des Landeskirchenamtes an alle Pfarrämter vom 19. März 1940 (ADSL, 2.1.4). 254 EBD. 255 RGBl 1940, Teil 1, S. 1035 f.
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ratur weiter in hohen Auflagen erscheinen konnte256. Die Anordnung „Nr. 145“ der Reichsschrifttumskammer „über den Vertrieb von Schrifttum“ vom 26. Oktober 1940 bestimmte, dass Schrifttum ohne Unterschied der Wertgrenze außerhalb von gewerblichen Räumen nur noch mit Genehmigung der Schrifttumskammer „ausgestellt, feilgeboten oder vertrieben werden“ durfte257. Diese speziell auf die Kirchen abzielende Anordnung bedeutete das Ende für die kirchlichen Schriftenkästen, selbst bei volksmissionarischen Veranstaltungen oder am Kirchenausgang durften keine Schriften mehr verteilt werden258. Als im Jahr 1944 von den 2 000 deutschen Verlagen nur noch 285 übrig geblieben waren, darunter zwei evangelische259, bedeutete dies mehr oder weniger das Aus für das evangelische Schrifttum. Auch für die kirchlichen Presse verschlechterten sich die Bedingungen sukzessive. Max Müller, dessen Verlag das landeskirchliche Gemeindeblatt herausgab, informierte die Pfarrer am 24. Januar 1941 darüber, dass – ähnlich wie es die Anordnung Nr. 145 für das Schrifttum vorschrieb – die Mitwirkung der Kirche bei der Verteilung der Gemeindeblätter nach einer Verordnung der Reichspressekammer ab März 1941 zu unterbleiben habe. Danach durfte der Vertrieb nicht mehr durch Personen erfolgen, die ein kirchliches Amt bekleideten, gleichgültig ob haupt- oder ehrenamtlich260. In die Hände der zu bestimmenden Ortsvertreter sollte auch die Verrechnung erfolgen, die nicht mehr durch das Pfarramt vorgenommen werden durfte. Die Einstellung der kirchlichen Presse schließlich, auf die nur etwa 0,5 Prozent des Gesamtpapierverbrauchs entfielen261, betrieb vor allem Martin Bormann262. Auf seine Initiative wurden der kirchlichen Presse im April 1941 die Papierkontingente gesperrt, sodass nahezu alle kirchlichen Zeitungen und Zeitschriften, auch die deutschchristlichen, ihr Erscheinen fast vollständig einstellen mussten. Dem Erscheinen der kirchlichen Gemeindepresse wurde ein Ende bereitet. Eine Kompensation durch die inhaltliche Ausweitung der Kirchenzettel, d. h. der Gottesdienstanzeiger, war 256 Hierzu einige Beispiele bei H. BRUNOTTE, Auswirkungen, S. 87. Das schroff antichristliche Buch von Friedrich Schmidt über „das Reich als Aufgabe“ erschien noch 1942 in einer Auflage von 800 000 Exemplaren. 257 Bezeichnenderweise erschien die Anordnung zuerst am 3. November 1940 im „Völkischen Beobachter“. Sie wurde am 23. Dezember 1940 im GBlDEK 1940, S. 67 und am 18. Februar im KGVBl 1941, S. 10 bekannt gegeben. 258 K.-H. MELZER, S. 221. 259 Die Württembergische Bibelanstalt und die Agentur des Rauhen Hauses (vgl. H. BRUNOTTE, Auswirkungen, S. 89). 260 Max Müller an [nicht genannten] Pfarrer am 24. Januar 1941 (ADSL, Schrank I, Fach 7, 88c). Vgl. dazu auch H. BRUNOTTE, Auswirkungen, S. 95. 261 K.-H. MELZER, S. 226, Anm. 109. 262 Zu Bormanns Rolle und seinem Kirchenhass vgl. P. LONGERICH, S. 239 f., der auch zahlreiche von der Parteikanzlei ausgehende antikirchliche Maßnahmen aufzählt.
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nicht möglich. Zwar waren die kirchlichen Behörden vom Nachweis der Zugehörigkeit zur Reichsschrifttumskammer befreit, doch durften die Anzeiger nur die Termine nennen, Zusätze, selbst Bibelzitate, waren nicht erlaubt263.
263 Stahn an Klotsche am 3. September 1941 (BARCH BERLIN, R 5101/23768, Bl. 174).
Zusammenfassung
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6. Zusammenfassung In der NS-Kirchenpolitik in Sachsen konnten sich ab 1937 Mutschmann, Gestapo und SD immer stärker gegenüber den gemäßigten Kräften durchsetzen. Sie waren sich darin einig, die Kirche so weit wie möglich aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Unterschiede bestanden zwischen ihnen hauptsächlich in der Haltung gegenüber dem Landeskirchenamt: Während Mutschmann darauf bedacht war, ein ihm willfährig ergebenes Kirchenregiment zu erhalten, und für diesen Zweck auch bereit war, Deutschen Christen in besonderen Fällen seine Unterstützung zukommen zu lassen, drängten Gestapo und SD auf die völlige Trennung von Staat und Kirche1. Sie waren auch an der Aufrechterhaltung der innerkirchlichen Spannungen interessiert und blockierten Bemühungen zu einem innerkirchlichen „Burgfrieden“. Außerdem verfügten sie im Landeskirchenamt über V-Leute und waren so bestens über die Absichten Klotsches informiert. Gleichwohl kam es in den Kriegsjahren durch die Mitarbeit von Schumann und, wenn auch erheblich kürzer, von Prater zu einer Beruhigung der innerkirchlichen Auseinandersetzungen. Klotsche versuchte durch eine Politik der Gewalt, die BK zur Anerkennung seiner Position zu zwingen. Nachdem die Gestapo aber Mutschmann die Kompetenz über den Einsatz polizeilicher Gewalt in Kirchenfragen entwunden hatte, versuchte Klotsche mit der Treueidkampagne besonders „renitente“ Pfarrer loszuwerden und seine Stellung gegenüber Partei- und Staatsstellen zu verbessern. Diesem Ansinnen schoben aber die „weltanschaulichen Distanzierungskräfte“ einen Riegel vor, indem sie Klotsche Disziplinarmaßnahmen untersagten. Im Krieg gelang es, mit Hinweis auf notwendige Einschränkungen die „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ voranzutreiben. Davon waren vor allem die Presse und die kirchlichen Veranstaltungen betroffen. Ohnehin stellte angesichts der zahlreichen Einberufungen von Pfarrern und kirchlichen Angestellten allein die Aufrechterhaltung des kirchlichen Lebens ein großes Problem dar. Auf städtischer Ebene verschlechterte sich ab 1937 das Verhältnis zur Kirche zusehends. Hatte sich die Stadt bis dahin unter Goerdeler und dem Patron Beusch weitgehend aus den innerkirchlichen Streitigkeiten herausgehalten und auf die Einhaltung der vorgegebenen Verfahren gedrängt, so ließ sich die Verwaltung ab 1937 immer stärker auf die Politik der Landesregierung ein. Mit fadenscheinigen Begründungen verweigerte sie der 1 Eine genaue Beurteilung des Verhältnisses von Mutschmann zu Heydrich und Himmler kann allein anhand der Kirchenfragen nicht vorgenommen werden. Die Gestapo konnte sich durch eine Überdehnung des traditionellen Polizeibegriffs in anderen Ländern eine weitgehende Machtposition sichern. In der Pfalz avancierte sie zur „pfälzischen Nebenregierung“ (H. FENSKE, S. 162).
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evangelischen Kirche nun die Abhaltung von Gottesdiensten auf städtischem Grund. In der Verwaltung selber spielten Kirchenfragen eine untergeordnete Rolle. Die Aufgabe des Patrons als Verbindungsmann zur Kirche blieb monatelang vakant oder wurde an Personen übertragen, die von ihren Dienstaufgaben her nicht für Kirchenfragen prädestiniert waren. Trotz der zunehmenden Einengung des kirchlichen Lebens kam es innerhalb der Pfarrerschaft nicht zu einer Befriedung der innerkirchlichen Gegensätze. Gerade die Treueidkampagne machte deutlich, dass ein Konsens zwischen „Mitte“ und BK über „die klare nüchterne Scheidung zwischen Kirchlichem und Politischem, zwischen Kirchlichem und Staatlichem“ in weiter Ferne lag2. Die „Mitte“ hatte keine Probleme, Klotsche und Kretzschmar als staatlich eingesetzte Kirchenleitung anzuerkennen, und musste sich dafür die Kritik der BK gefallen lassen: „Gegen nichts hat Luther so geeifert wie gegen die Vermischung der beiden Regimente. Alle kirchlichen Nöte seit fünf Jahren haben beinahe allein darin ihren Grund, dass die Linie des Luthertums nicht eingehalten worden ist, aber der Vorwurf trifft wahrhaftig nicht uns von der Bekennenden Kirche“3.
Die kirchliche Entwicklung in Leipzig erhielt im „Dritten Reich“ ihren besonderen Charakter durch die lang währende weitgehende Interessenidentität von deutschchristlichem Kirchenregiment und sächsischer Landesregierung in dem Kampf gegen die innerkirchliche Opposition. NS-Kirchenpolitik und innerkirchliche Auseinandersetzungen lassen sich im evangelischen Bereich im Nationalsozialismus nicht trennen. In dem Moment, in dem sich die enge Bindung von DC-Kirchenregiment an Staat und Partei löste, in der Zeit von 1935 bis 1937 und ab Mitte 1939, kam es innerhalb der sächsischen Landeskirche zu einer Beruhigung der innerkirchlichen Lage. Der innerkirchliche Machtkampf war ein Kampf mit ungleichen Gegnern: Solange Deutsche Christen ausschließlich an der Macht waren, konnten sie häufig staatliche Machtmittel gegen ihre Gegner mobilisieren. In gleichem Maße waren sie bereit, kirchliche Disziplinarmaßnahmen gegen Pfarrer zu verhängen, die durch staatliche Stellen sanktioniert worden waren. Es greift daher zu kurz, die Problematik des „Kirchenkampfes“ vor allem im Zerfall der Pfarrerschaft zu sehen4. Die Machtmittel zum Austragen dieses ungleichen Konflikts verliehen Staat und Partei. Die Besonderheit Leipzigs bestand in der starken Position der „Mitte“. Als diese mit ihrem weiten Integrationskonzept die Deutschen Christen in Leipzig auch zahlenmäßig an den Rand drängte und sich 1935 mit Schu2 Der Dresdner Pfarrer der „Mitte“ Karl Aé an den Superintendenten von Dresden-Stadt, Johannes Ficker, 25. Mai 1938 (zitiert nach H. KLEMM, S. 323). 3 Ficker an Aé, 31. Mai 1938 (zitiert EBD.). 4 M. GAILUS, Protestantismus, S. 650.
Zusammenfassung
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mann und Bruhns auch personell durchsetzte, verlief der „Kirchenkampf“ deutlich ruhiger als z. B. in Dresden. Gleichwohl trug die „Mitte“ mit ihrem Kurs zur Schwächung der kirchlichen Opposition gegen Coch und Klotsche bei, weil sie in wichtigen Punkten nicht zu einer grundsätzlichen Infragestellung von deren Kirchenregiment bereit war. Daraus resultierten tief greifende, bis ins Persönliche gehende Spannungen, die über 1945 hinaus die innerkirchliche Entwicklung in Leipzig bestimmten. Als zentrale Zäsur ist das Jahr 1933 anzusehen. Die Initiative zur Selbstumformung der Kirche ging von den Pfarrern aus, die eine Anpassung an den Nationalsozialismus forcierten5. Diese Selbstumformung geschah im Umfeld einer weithin euphorisierten Gesellschaft, einer Begeisterung unter der evangelischen Bevölkerung, die diese bis weit in den Krieg hinein bewahrte. Bevor sich eine innerkirchliche Opposition formieren konnte, waren mit den Kirchenwahlen die Machtverhältnisse in den kirchlichen Vertretungen für die Zeit des Nationalsozialismus festgeschrieben. Diese deutschchristlich dominierten Vertretungen blieben, soweit sie nicht infolge rechtlicher Umwälzungen aufgelöst wurden, bis 1945 im Amt. Gerade in den ersten Jahren verschafften sie deutschchristlichen Pfarrern in Leipzig eine Machtbasis, die über ihre zahlenmäßige Stärke hinausging. Die innerkirchliche Opposition erwuchs aus der Gegenwehr gegen deutschchristliche Synthesekonzeptionen, die das Zentrum des lutherischen Bekenntnisses trafen. Die Kritik der BK-Pfarrer richtete sich hauptsächlich auf die gegen die Kirchen gerichtete Politik des Nationalsozialismus und die auftretenden Entkonfessionalisierungstendenzen. Nur wenige Pfarrer äußerten grundsätzliche Kritik am NS-Regime und widersetzten sich staatlichen Anordnungen wie bei der Kanzelabkündigung im Frühjahr 1935. Das „oppositionelle“ Potenzial wurde in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen durch das deutschchristliche Kirchenregiment so weit wie möglich kaltgestellt oder rieb sich stark in Diskussionen mit der „Mitte“ auf. Die nationalsozialistische Religions- und Kirchenpolitik in Sachsen wurde in starkem Maße von Gauleiter Mutschmann dominiert, der gegen das Innenministerium an der einseitigen Stützung von Landesbischof Coch festhielt, sich so schnell wie möglich von Kerrls Ausschusspolitik distanzierte und Klotsches Machterhaltungspolitik stärkte. Erst ab 1939 musste er Gestapo und SD mehr und mehr das Feld überlassen, die zwar ein weltanschaulich bestimmtes Gegnerbild entwickelten, ihre Konzeptionen aber gegen Hitler nicht durchsetzen konnten, da dieser im Krieg keine innenpolitischen Unruheherde wünschte. Dieser Befund bestätigt die vorherrschende Forschungsmeinung, wonach auch auf dem sensiblen Feld der 5 EBD., S. 642.
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Kirchenpolitik regionale NS-Repräsentanten aufgrund der polykratischen Konkurrenz zentraler Institutionen an Einfluss verloren, ihnen jedoch gleichzeitig ein vergleichsweise großer Ermessensspielraum blieb6. Die polykratische Struktur dieser Politik, die in Hitler ihren zentralen Bezugspunkt hatte7, war trotz ihrer Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit stark von pragmatischen Gesichtspunkten charakterisiert. Im RSHA setzte sich das vom SD entwickelte weltanschauliche Gegnerbild im Krieg immer stärker durch, und weltanschauliche Rigoristen arbeiteten auf die endgültige Vernichtung von Kirche und Christentum hin, um dies nach dem Krieg endgültig durchzusetzen. Aus Sicht der Partei war die Kirchenpolitik in Sachsen erfolgreich. Die Kirchenleitung war bis zur Selbstverleugnung staatsloyal, von der „Mitte“ war keine Opposition zu erwarten und die BK personell durch den Tod Fischers 1941 und die Ausweisung Hahns geschwächt. Der „dahlemitische“ Flügel, der vom SD als entschiedener Widersacher des NS-Staates wahrgenommen wurde, spielte in der sächsischen Landeskirche nur eine untergeordnete Rolle. Auch von Seiten der christlichen Bevölkerung war keine Auflehnung gegen das NS-Regime zu erwarten, das bis 1940 seine Popularität steigern konnte8. Im Krieg gewann das kirchliche Leben wieder an Gewicht. Angesichts der Todesangst und des Verlustes von Angehörigen beschäftigten sich weite Kreise der Bevölkerung mit religiösen Fragen, während die Formen nationalsozialistischer Feiergestaltung auf kirchentreue Christen keine größere Wirkung ausübten9. Trotz der besonders ab 1937 einsetzenden religionspolitischen Maßnahmen des NS-Regimes zur Entkonfessionalisierung der Gesellschaft war der Einbruch in die volkskirchlichen Strukturen der evangelischen Kirche nicht gelungen. 1933 hatten der evangelischen Kirche 87 Prozent der Sachsen angehört. Nach Kriegsende konnte sie einen Teil der Ausgetretenen wieder zurückgewinnen, sodass ihr Anteil in Sachsen 1946 über 83 Prozent betrug10.
6 M. RUCK, S. 112. 7 Vgl. H.-U. THAMER, Verführung, S. 340: „Das Dritte Reich besaß eine starke monokratische Spitze und gleichzeitig polykratische Machtstrukturen. Das eine bedingte das andere“. 8 Vgl. M. G. STEINERT. 9 W. DIERKER, S. 483; K. NOWAK, Geschichte, S. 280 f. 10 Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Bevölkerungsverschiebungen durch die Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten ergeben hatten.
Kirchenpolitik in Leipzig nach dem Untergan SBZ/DD Rg
II. SBZ/DDR
1. Kirchenpolitik in Leipzig nach dem Untergang des Nationalsozialismus In Leipzig war der Zweite Weltkrieg mit dem Einmarsch der Amerikaner am 18./19. April 1945 faktisch beendet. Die Stadt war seit 1943 in zunehmendem Maße Ziel alliierter Luftangriffe geworden. 4.000 Menschen verloren ihr Leben, von 225.000 Wohnungen wurden ca. 100.000 beschädigt, 37.522 völlig zerstört. 64 Prozent der Universitätsgebäude, 80 Prozent der Messeanlagen und Schulen sowie etwa 50 Prozent der Betriebe existierten nicht mehr1. Zwar gab es beim Einmarsch der Amerikaner verschiedentlich hartnäckigen Widerstand einzelner Gruppen, doch herrschte unter der Leipziger Bevölkerung eine große Bereitschaft zur Kapitulation. Auch überwog zunächst eine gewisse Erleichterung, dass nicht „der Russe“, sondern „der Amerikaner“ den Krieg in Leipzig beendet hatte2. Aufgrund alliierter Vereinbarungen wechselte am 1. Juli 1945 die Besatzungsmacht, indem die Sowjets in Leipzig einmarschierten und eine neue Verwaltung einrichteten. Schon vor dem Einmarsch der Amerikaner hatte sich in Gestalt des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ eine kommunalpolitische Kraft bemerkbar gemacht, die auf Mitsprache beim Neuaufbau drängte. Wurde sie noch von den Amerikanern aufgrund Besatzungsrechtes verboten, so genehmigten die Sowjets rasch wieder die Gründung von Parteien. Unter diesen wurde die KPD mit Hilfe der Besatzungsmacht schnell zur dominierenden Kraft. In diesem Kapitel sollen die kirchenpolitischen Vorstellungen der in der Umbruchszeit in Leipzig tätigen politischen Kräfte vorgestellt und es soll untersucht werden, ob und in welchem Maße sie umgesetzt wurden.
1 D. HUTH (u. a.), S. 270. Zu diesem Kapitel vgl. auch G. WILHELM, Kirche. 2 So die überwiegende Einschätzung der von Ahbe und Hofmann befragten Leipziger: „Nach Stalingrad verbreitete sich Angst vor den Russen [. . .]. Bis in den März 1945 haben wir in Leipzig noch gedacht, die Russen kommen als Erste hierher und werden uns heimzahlen, was wir denen angetan haben“ (T. AHBE/M. HOFMANN, S. 43).
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1.1 Das Verhalten der amerikanischen Besatzungsmacht gegenüber der evangelischen Kirche in Leipzig Die aus 40 Mann bestehende Provisorische Militärregierungseinheit A unter Leitung von Major Richard Eaton, die in Leipzig tätig wurde, hatte keinerlei Schulung für ihre Tätigkeit als Militärregierung erhalten, auch Eaton galt als wenig kompetent3. Es ist deshalb eher unwahrscheinlich, dass die vor Kriegsende ausgearbeiteten kirchenpolitischen Direktiven der amerikanischen Regierung der Leipziger Besatzung überhaupt bekannt waren. Die von den westlichen Alliierten zur Ausarbeitung kirchenpolitischer Richtlinien im Frühjahr 1944 gebildete „Religious Affairs Section“ betonte in höchstem Maße das Recht der Religionsfreiheit und wollte an dem traditionellen Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland nichts ändern4. Dieselbe Zielrichtung hatten auch die kirchenpolitischen Richtlinien der „European Advisory Commission“, in der amerikanische, britische und sowjetische Delegierte die Grundzüge der alliierten Besatzungspolitik konzipierten5. Das grundlegende Dokument, die EAC-Direktive Nr. 12, die von den Amerikanern im November 1944 direkt übernommen wurde6, sah die Beseitigung nationalsozialistischen Einflusses bei weitgehender innerer Entscheidungsfreiheit der Kirchen vor. Die amerikanische Besatzungspolitik war vom Prinzip der Nichteinmischung in innerkirchliche Angelegenheiten bestimmt. Tatsächlich orientierten sich die Amerikaner in Leipzig an diesen Grundsätzen. Schon am 20. April 1945 fanden die ersten offiziellen Kontakte zwischen der evangelisch-lutherischen Kirche in Leipzig und den amerikanischen Besatzungsbehörden statt7. Nach dem Bericht des Superintendenten Heinrich Schumann betrat dieser an jenem Tag die amerikanische Kommandantur und gelangte an einen Offizier, der ihm Rede und Antwort stand. 3 So W. L. DORN, S. 39. Das in Sachsen und Thüringen von den Amerikanern eingesetzte Personal war zum großen Teil im Frühjahr 1945 kurzfristig ausgehoben worden (vgl. K.-D. HENKE, Besetzung, S. 696). 4 Zur Kirchenpolitik der amerikanischen Besatzungsbehörden vgl. J. THIERFELDER, Kirchenpolitik, S. 8–11; A. BOYENS, Kirchenpolitik; DIE EVANGELISCHE KIRCHE NACH DEM ZUSAMMENBRUCH, S. XIII–XVIII; G. BESIER, Neuanfang, S. 722–724 sowie aus marxistischer Sicht R. SCHEERER, Kirchen für den kalten Krieg. 5 Vgl. A. BOYENS, Kirchenpolitik, S. 18. 6 Abgedruckt EBD., S. 68 f. 7 H. SCHUMANN, S.189 ff. Der Niederschlag der amerikanischen Besatzungszeit in den Akten der Superintendentur ist mager. Neben einem auf englisch abgefassten Lebenslauf des Superintendenten – bemerkenswerterweise vom 5. Juli, als die Amerikaner schon abgezogen waren – findet sich noch ein handgeschriebener Zettel „To the Am. Gov“ vom 21. Mai 1945, in dem ein kurzer Bericht über die Kriegsschäden an den Kirchen gegeben wird (vgl. ADSL, Schrank I, Fach 8, 97a).
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„Er [Schumann, G. W.] stellte diesem diejenigen Fragen, die in diesem Falle zu stellen waren: Dürfen die üblichen Gottesdienste stattfinden? Darf geläutet werden? Dürfen Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht gehalten werden? Dürfen die regelmäßigen Zusammenkünfte der Jugend, der Frauen, der Männer stattfinden? Dürfen Dienstbesprechungen der Geistlichen und Kirchenvorstandssitzungen stattfinden? Der Captain beantwortete jede dieser Fragen mit Kopfnicken und Jes [sic] und setzte dann hinzu: Aber alle Veranstaltungen innerhalb der von der Besatzungsmacht für die Bevölkerung festgesetzten Ausgehzeit, und außerdem möchte auf die Wünsche der amerikanischen Wehrmachtgeistlichen hinsichtlich der von ihnen zu haltenden Gottesdienste Rücksicht genommen werden“8.
Für die Folgezeit berichtete Schumann von „wohlwollende[r] Behandlung der kirchlichen Angelegenheiten“, von „großer Zuvorkommenheit und Rücksichtnahme“9. Die von der NS-Volkswohlfahrt 1941 beschlagnahmten konfessionellen Kindergärten wurden den Kirchen wieder zurückgegeben10. Die Kommandantur lehnte es ab, sich zugunsten einer der kirchlichen Gruppierungen in die Personalangelegenheiten einzumischen. Beide Kirchen waren in dem Ende April gebildeten „Beirat der Stadtverwaltung“ vertreten, der offenbar auf Initiative der Amerikaner eingesetzt wurde, um bis zur fälligen Neubildung des Gemeinderats die städtische Verwaltung zu unterstützen11. Diesem Gremium gehörte neben Schumann anfangs auch noch der Superintendent von Leipzig-Land an, der aber wegen seiner politischen Belastung als NSDAP-Mitglied schon bald ausscheiden musste12. Der Theologieprofessor Dedo Müller vertrat die Theologische Fakultät. Dass von den insgesamt 17 Beiratsmitgliedern im Juni drei dem kirchlichen Bereich zuzuordnen waren, zeigt den großen Einfluss, den man der Kirche zubilligte. Erwartungsgemäß spielten genuin kirchliche Anliegen in der Arbeit des Beirats keine große Rolle13. Schumann und sein katholisches Pendant, Propst Spülbeck14, engagierten sich auf sozialem Gebiet und wurden in Kommissionen gewählt, die sich beispielsweise um das große Problem der Betreuung der durch sowjetische Soldaten verge8 H. SCHUMANN, S. 190. 9 EBD. 10 EBD., S. 236. 11 In der DDR firmierte der Beirat „als Interessensvertretung reaktionärer und reformistischer Kreise“ (BEFREIUNG, NEUBEGINN, ARBEITERMACHT, S. 10). Der Amerikaner W. L. DORN, S. 35, hatte auf seiner Inspektionsreise durch Deutschland den Eindruck gewonnen, dass in dem Beirat „die Vertreter der großen Leipziger Handelshäuser dominierten“ (vgl. dazu auch H. ROTH, Neuanfang). 12 Niederschrift der Beiratssitzung vom 8. Mai 1945 (STA L, StVuR [I] 1, Bl. 4). 13 Am 15. Mai wurde berichtet, dass Morgengottesdienste im Freien gestattet seien (STA L, StVuR (I) 1, Bl. 8). 14 Zu Spülbeck vgl. J. PILVOUSEK, Otto Spülbeck.
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waltigten Frauen kümmern sollten15. Nach der Auflösung des Beirates Ende Juni 1945 waren Schumann und Spülbeck als Gemeinderäte vorgesehen, allerdings ist es wahrscheinlich infolge des Wechsels der Besatzungsmacht zu ihrer Einsetzung nicht mehr gekommen16.
1.2 Das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ in Leipzig Schon bevor die Amerikaner die Stadt betraten, hatte sich auf lokaler Ebene eine politische Initiative gebildet, auf die die Kirchen reagieren mussten. Die Bewegung nannte sich in Anlehnung an die in der Sowjetunion bestehende Organisation „Nationalkomitee ‚Freies Deutschland‘ (NKFD)“17, war aber tatsächlich unabhängig von ihm. Der amerikanische Geheimdienst nahm das in Leipzig bestehende Nationalkomitee als „Untergrundbewegung von Größe und Gewicht“ wahr18. Innerhalb des Leipziger Widerstands, der sich um das im September 1943 in Leipzig gegründete „Nationalkomitee Freies Deutschland“ formiert hatte, waren die Vorstellungen zur politischen Neugestaltung allerdings heterogen, die programmatische Debatte keineswegs abgeschlossen19. Die dort vertretenen kommunistischen Widerstandskämpfer um Georg Schumann und Otto Engert hatten entgegen und unabhängig von den Vorstellungen der Exil-KPD in den im Februar 1944 veröffentlichen Leitsätzen in Punkt 7 „die Wiederherstellung der Freiheit aller unterdrückten Völker im Zuge der sozialistischen Neuordnung“ gefordert und somit an politische Anschauungen der Arbeiterparteien aus der Weimarer Republik angeknüpft, die in ihrer Tendenz keineswegs als kirchenfreundlich zu charakterisieren waren20. Trotz der Verbindungen zu dem in Leipzig-Wahren tätigen Dominikanerpater Aurelius Arkenau21 und dem in der Auferste15 Vgl. die Sitzungen vom 29. Mai und 12. Juni 1945 (STA L, StVuR [I] 1, Bl. 21, 29). Welch große Bedeutung die Mitglieder des Beirates der Kirche beimaßen, wird aus einem Hilferuf in der Frage der Vergewaltigungen deutlich: „Da bisher wiederholte Vorstellungen bei der Militärregierung nichts genützt haben, sei der Pabst [sic] die einzige Stelle, die noch wirksam helfen kann. Herr Probst [sic] Dr. Spülbeck will schnellstens versuchen, mit dem päpstlichen Nuntius in Verbindung zu kommen“ (Bl. 29). 16 Die Übersicht der vorgesehenen Gemeinderäte in STA L, StVuR (I) 2, Bl. 5. In diesem Bestand der Entnazifizierungsfragebogen Schumanns (Bl. 182). 17 Zum Forschungsstand bezüglich des NKFD vgl. J. MORRE, S. 10 f.; vgl. außerdem B. SCHEURIG und G. R. UEBERSCHÄR. 18 K.-D. HENKE, Besetzung, S. 701. 19 EBD., S. 707. 20 H. WEBER, Kommunismus, S. 420. Vgl. auch C. KLESSMANN, Staatsgründung, S. 122. Zu den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen kommunistischen Widerstandsgruppen in Leipzig vgl. E. KÖHN. 21 Zu Aurelius Arkenaus Aktivitäten im Widerstand vgl. S. LESCHINSKI; M. HABICHT,
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hungsgemeinde tätigen Pfarrer Siegbert Hummel forderte das NKFD selbst in den letzten Tagen vor der Übergabe der Stadt an die Amerikaner noch den Weg „vorwärts in eine demokratische, sozialistische Republik“22. Mit der amerikanischen Besetzung änderte sich das politische Umfeld für das NKFD fundamental. Es wuchs zu einer Massenbewegung heran, die unter dem Etikett des Antifaschismus örtliche Hilfsgruppen organisierte und sich auf soziale und ökonomische Aufgaben konzentrierte23. Nach amerikanischen Schätzungen verfügte das NKFD über 38 Ortsausschüsse und 4 500 Mitglieder24. Schon kurz nach der Einnahme Leipzigs durch die Amerikaner änderte sich dessen programmatische Ausrichtung. In dem 12-Punkte-Programm des NKFD Leipzig, das noch aus dem April stammte, wurde auf sozialistische Zielsetzungen verzichtet und die Schaffung eines wahrhaft demokratischen Deutschlands propagiert25. In die Leitung des NKFD wurden am 23. April 1945 auf einer Sitzung aller Orts- und Betriebskomitees auch der katholische Pater Aurelius Arkenau und der evangelische Pfarrer Siegbert Hummel gewählt. Programmatik und Zusammensetzung entsprachen jetzt der in Moskau formulierten Bündnisstrategie. Ende April wurde das NKFD von den Amerikanern verboten, weil seine Arbeit den restriktiven Bestimmungen zur politischen Tätigkeit der Deutschen, wie sie in der Direktive JCS 1067 zugrunde gelegt waren, widersprach26. Die Arbeit des NKFD wurde in dem im Juni gegründeten „Antifaschistischen Block“ weitergeführt, geriet dabei aber immer stärker unter den Einfluss der Bezirksleitung der KPD unter Fritz Selbmann. Die Programmatik des Antifaschistischen Blocks, in dessen Provisorischem Zentralausschuss wiederum Pfarrer Hummel und Pater Arkenau, später aber auch prominente bürgerliche Politiker wie Dr. Karl Buchheim vertreten waren, näherte sich immer mehr kommunistischen Volksfront-Vorbildern an. So forderte der Antifaschistische Block „die völlig freie Betätigung aller religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften, die den Nazismus und Militarismus ablehnen“27. Trotz dieser kirchenfreundlichen Position blieb die Leipziger Pfarrerschaft dem Block gegenüber skeptisch, war doch das politische Übergewicht von jenen Kräften, die den Weimarer Linksparteien zuzurechnen Verfolgung und Widerstand, S. 229, 245; PATER AURELIUS ARKENAU O. P.; W. BRAMKE, Diktatur, S. 163. 22 Zitiert nach J. TUBBESING, NKFD, S. 51. 23 EBD., S. 60. 24 K.-D. HENKE, Besetzung, S. 711. 25 Vgl. J. TUBBESING, NKFD, S. 62. 26 Die Direktive ist abgedruckt bei C. KLESSMANN, Staatsgründung, S. 352 f. Vgl. auch M. UNGER, Befreiung, S. 6. 27 J. TUBBESING, NKFD, S. 67.
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waren, kaum zu übersehen. Es verwundert daher nicht, wenn das Engagement Hummels, der in der Pfarrerschaft eher eine Außenseiterrolle einnahm und gleichermaßen Distanz zu Schumann wie zur BK hielt, von seinen Kollegen sehr kritisch betrachtet wurde28. Im Zuge der von der KPD intendierten „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“, die die Bildung eines Parteienblocks vorsah, in dem das Stimmenverhältnis genau festgelegt war, und des Versuches der KPD, die politische Willensbildung von oben nach unten verlaufen zu lassen, wurde aber im September die Schließung der Ortsausschüsse des Antifaschistischen Blocks verfügt29. So waren Geistliche beider großen Kirchen schon in der unmittelbaren Umbruchszeit in politische Initiativen in Leipzig involviert. Sie waren wohl weniger an der Formulierung der Programmatik des NKFD beteiligt. Vielmehr signalisierte ihre Zugehörigkeit zum NKFD bzw. dem Antifaschistischen Ausschuss, dass auch die Kirchen bei einer Neuordnung der politischen Verhältnisse durch die politische Linke an der neuen Ordnung teilhaben sollten. Aus dieser Sicht sollten sie die Breite der politischen Basis von NKFD und Antifaschistischem Block anzeigen. Sie als kirchliche Interessenvertreter anzusehen, wäre wohl falsch; dazu fehlte zumindest dem evangelischen Vertreter Hummel das Mandat.
1.3 Die Kirchenpolitik der KPD Als zentrale politische Kraft in der SBZ hatte die KPD bzw. SED die Aufgabe, die von der SMAD vorgegebenen politischen Ziele umzusetzen. Auch im kirchenpolitischen Bereich folgten die deutschen Kommunisten den sowjetischen Vorgaben30. Das Verhalten gegenüber den Kirchen war in starkem Maße den taktischen Veränderungen kommunistischer Gesellschaftspolitik unterworfen. Hierbei lassen sich zwei Konstanten verfolgen: Zum einen waren die Kirchen Teil der „bürgerlichen Gesellschaftsordnung“, die es schlussendlich zu überwinden galt. Bis zum Ende der Wei28 Hummel an Zeigner am 21. August 1945 (STA L, StVuR [I] 7872, Bl. 19). Danach hatte seine Mitarbeit im Zentralausschuss des Antifaschistischen Blocks „Händeringen, Entsetzen, Angst, Hohn und Bedauern“ ausgelöst. 29 Protokoll des Gesprächs zwischen Zeigner und Trufanow am 21. September 1945. „In diesem Zusammenhang bringt der Herr Generalleutnant Trufanow das Gespräch auf den Antifaschistischen Block. Er erklärt, der Antifaschistische Block existiere nicht mehr. Es existieren nur noch die 4 antifaschistischen Parteien. Der Unterzeichnete [d. h. Zeigner, G. W.] solle das dem Block mitteilen.“ (STA L, SPD II/2/16, Bl. 90). Vgl. dazu allgemein D. M. SCHNEIDER. 30 Zur KPD-Kirchenpolitik vor 1945 vgl. vor allem M. G. GOERNER, Kirche, S. 17–23; W. TISCHNER, Religionspolitik, S. 18–38.
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marer Republik war die Einstellung der KPD offen kirchenfeindlich. Die privilegierte Stellung der Kirchen in Deutschland als Körperschaften des öffentlichen Rechts und vor allem ihre starke Position im Erziehungsbereich sollten beseitigt werden. Dieser grundsätzliche Standpunkt konnte zum anderen zeitweise von Erwägungen überlagert werden, wenn es darum ging, in einer bestimmten historischen Konstellation die Kirchen als Bündnispartner zu gewinnen. Ein solcher Prozess der Umorientierung der KPD von einer traditionell kirchenfeindlichen Partei zu einer, die sich nach Kriegsende auf Integrationskurs begab, begann nach der Machtergreifung Hitlers. Auf dem 1935 in Moskau tagenden VII. Kongress der Kommunistischen Internationale wurde die Zusammenarbeit mit nichtkommunistischen Gruppen in einer „Volksfront“ propagiert31. Unter kommunistischer Führung sollten Kommunisten und Sozialdemokraten sowie alle „bürgerlichen“ und „antifaschistischen“ Kräfte zusammen den Kampf gegen den Nationalsozialismus aufnehmen. Diese Vorgaben wurden auf der so genannten „Brüsseler Konferenz“ der KPD 1935 – sie fand tatsächlich in der Nähe von Moskau statt – umgesetzt. Die KPD verpflichtete sich, für „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ zu kämpfen32. Auf der „Berner Konferenz“ von 1939, die südlich von Paris stattfand, ging die KPD sogar noch weiter. Die persönliche und politische Freiheit aller Bürger ohne Unterschied der Herkunft, des Standes, der Rasse und der Religion wurde gefordert, und es wurde erklärt, dass „die neue demokratische Republik die Gewissens- und Glaubensfreiheit und den Schutz des Eigentums der Kirche garantieren“ werde33. An diese Konzeptionen knüpfte 1943 die Arbeit des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ (NKFD) an. Dort wurde sogar ein „Arbeitskreis für kirchliche Fragen“ eingerichtet, dem vor allem kriegsgefangene Wehrmachtsgeistliche angehörten34. Dieser erarbeitete zwei Denkschriften über den Status der beiden Kirchen. Die Denkschrift für die evangelische Kirche legte den Schwerpunkt weniger auf gesellschaftspolitische Forderungen als auf die Erhaltung des kirchlichen Apparates35. Sie wurde von der KPD intensiv studiert und beeinflusste deren weitere kirchenpolitische Linie. Die konzeptionellen Überlegungen der Volksfrontpolitik flossen in das 31 EBD., S. 23. 32 EBD., S. 19 f. 33 K. MAMMACH, S. 136 f. 34 Zum Arbeitskreis vgl. K. DROBISCH; B. IHME-TUCHEL; W. TISCHNER, Religionspolitik, S. 34–38. Einige Dokumente zur Arbeit des NKFD sind abgedruckt in: K. DROBISCH/ G. FISCHER. 35 Die Denkschrift vom 29. September 1944 ist abgedruckt in: K. DROBISCH, S. 253–262, allerdings mit Kürzungen gegenüber dem im Nachlass Pieck vorhandenen Exemplar. Vgl. dazu W. TISCHNER, Religionspolitik, S. 35 f.; DERS., Katholische Kirche, S. 59; M. G. GOERNER, Kirche, S. 21 f.
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„Aktionsprogramm des Blocks der kämpferischen Demokratie“ vom Oktober 1944 ein, mit dem die KPD den von der Sowjetunion angestrebten „Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ vorbereitete36. Nach Kriegsende wurde diese Konzeption beibehalten. Dass es sich hierbei um ein taktisch motiviertes „Minimalprogramm“ handelte, daran ließ die KPD-Führung im inneren Kreis keinen Zweifel aufkommen. So ermahnte Wilhelm Pieck die Genossen, „die demokratische Umwälzung für die Zwecke des weiteren erfolgreichen Kampfes des Proletariats für den Sozialismus in denkbar bester Weise auszunutzen“37. Der Gründungsaufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 194538 entsprach der im Exil entwickelten Taktik, die in erster Linie auf die Bedürfnisse der sowjetischen Außen- und Deutschlandpolitik abgestimmt war. Der Aufruf distanzierte sich vom sowjetischen Vorbild und betonte ausdrücklich, „dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volks in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“39.
Die KPD hatte also traditionelle kirchenfeindliche Positionen wie z. B. die Enteignung kirchlichen Grundbesitzes aufgegeben und in ihren offiziellen Aussagen Grundrechte wie die Glaubensfreiheit garantiert. Diese neue kirchenpolitische Linie musste nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erst einmal an die Basis vermittelt werden, wo, wie Pfarrer Helm aus Zwickau berichtete, Kommunisten in der ersten Zeit zum Teil eine härtere Gangart gegenüber den Kirchen bevorzugten: „So können auch radikale Elemente unter den Kommunisten nicht ins kirchliche Leben eingreifen, wie sie gern möchten. Aufs Ganze aber zeigen auch diese Leute Achtung vor der Kirche, und wünschen die führenden Männer Duldung und friedliches Nebeneinander“40. Um die Mitglieder der KPD auf die im Exil ausgearbeitete Linie festzulegen, veranstaltete die kommunistische Partei am 17. Juli 1945 im Leipziger Kino „Capitol“ eine öffentliche Parteiversammlung. Kurt Roßberg, mittlerweile Erster Bürgermeister der Stadt, schärfte den Genossen ein, dass die Sowjetisierung abzulehnen sei und dass zum Aufbau „alle bereiten antifaschistischen Kräfte der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokra36 37 38 39 40
Das Aktionsprogramm ist abgedruckt in: H. LASCHITZA, S. 193–196. A. FISCHER, S. 104. Abgedruckt in: C. KLESSMANN, Staatsgründung, Dok. 52, S. 411–414. EBD., S. 413. Vgl. J. J. SEIDEL, Leipzig-Dresden, S. 43.
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tischen Partei, der Demokraten und des Zentrums“ gebraucht würden41. Sein Angebot an die christlichen Kräfte in den bürgerlichen Parteien war deutlich formuliert, wenn auch mit unverhohlenen Drohungen verbunden: „So ähnlich ist es mit jenen Freunden der Demokratischen Partei und des Zentrums. [. . .] Darin werden die evangelischen sowie die katholischen Kreise vereint sein. In dieser Öffentlichkeit muss aber auch gesagt werden, ohne dass wir etwa diese demokratische Volkspartei angreifen wollen, wir müssen besonders aufpassen, dass sich hier keine nazistischen Elemente einschleichen. In Zusammenarbeit mit der Leitung der Partei werden wir verhindern, dass sie zum Unterschlupf von Nazis wird“42.
1.4 Die Kirchenpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht Mit dem Einmarsch der Roten Armee am 1. Juli 1945 in Leipzig wurde auch hier die Politik durch die SMAD43 kontrolliert, die eine Kommandantur unter der Leitung des Generalleutnants Nikolai I. Trufanow aufbaute44. Die herausragende Rolle der SMAD für die politische Entwicklung in der SBZ ist hinreichend bekannt. In den Nachkriegsjahren war die KPD/SED nicht nur als kommunistische Partei von den Weisungen der Moskauer Führung abhängig, sondern auch dem Besatzungsrecht der Alliierten unterworfen und an die offiziellen und inoffiziellen Anordnungen der SMAD gebunden. Der Einfluss der SMAD ist auch für die Kirchenpolitik der KPD/SED nicht zu unterschätzen45. Die Kirchenpolitik der SMAD musste sich der generellen politischen Linie, vor allem der deutschlandpolitischen, unterordnen. Die Sowjets trugen die interalliiert vereinbarten Grundlagen in der „European Advisory Commission“ zurückhaltend, aber nicht ablehnend mit. Diese basierten auf der Direktive JCS 1143. Sie strebte keine grundsätzliche Reform des traditionellen Verhältnisses von Staat und Kirche an, sondern zielte auf die Wiederherstellung des kirchlichen Zustandes ab, der vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland bestanden hatte. Vor allem sollten die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst regeln können. Der Religionsun41 Protokoll der Rede von Kurt Roßberg (STAL, KPD I/3/06, Bl. 27). 42 EBD., Bl. 28. 43 Zur SMAD vgl. J. FOITZIK, SMAD; S. CREUZBERGER, Besatzungsmacht. 44 Zu Trufanows Stellung in der SMAD vgl. S. DONTH, Vertriebene, S. 34 f. Über die Tätigkeit in Leipzig vgl. seinen Bericht: N. I. TRUFANOW. 45 Eine Untersuchung der SMAD-Kirchenpolitik auf der Basis ihrer eigenen Aktenüberlieferung war bis jetzt nicht möglich. Zur SMAD-Kirchenpolitik vgl. C. VOLLNHALS, Kooperation; J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, S. 68–92; M. G. GOERNER, Kirche; W. TISCHNER, Religionspolitik, S. 107–117.
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terricht und das Betreiben von Konfessionsschulen sollten Angelegenheit der Kirchen selbst sein. Dem Ermessen der Zonenbefehlshaber anheim gestellt blieben die Zulassung kirchlicher Jugend-, Sport- und Wohlfahrtsverbände sowie die Fortzahlung der Staatsleistungen an die Kirchen und die staatliche Erhebung der Kirchensteuern, da in diesen Bereichen keine Einigung zwischen den Alliierten zu erreichen gewesen war46. Innerhalb der SMAD war die Kirchenpolitik der „Verwaltung für Propaganda und Zensur“, ab 1947 umbenannt in „Verwaltung für Information“, unter Oberst Sergej Tulpanow zugeordnet. Die Abteilung für Kirchenfragen in der Informationsverwaltung wurde von ihrer Bildung im Jahre 1945 bis zur Umwandlung der SMAD in die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) nach Gründung der DDR im Jahre 1949 von Leutnant Wsewolod Jermolaew geleitet47. In seine Zuständigkeit fielen neben rein kirchenpolitischen Fragen auch die Papierzuteilung, die Überwachung und Lizenzierung der Kirchenzeitungen und auch die kirchliche Jugendarbeit. Er galt als recht kirchenfreundlich. So beklagte sich die Informationsverwaltung im Herbst 1946 beim ZK der KPdSU, Jermolaew stimme faktisch nur dem zu, was die Kirche beschlossen habe48. Entsprechende Kirchenabteilungen gab es auch in den SMA der Länder. In der Sowjetischen Militäradministration Sachsens (SMAS) war innerhalb der Informationsabteilung von 1945 bis 1947 Oberleutnant und später Hauptmann Alexej Kotschetow der zuständige Sachbearbeiter für Kirchenfragen49. Er amtierte bis zu seiner Abkommandierung nach Berlin im Januar 194850. Seine Stelle wurde zeitweise durch Hauptmann Jerochin vertreten und ab Mitte 1948 von Hauptmann Pessikow eingenommen51. Dieser hatte die Stelle nur kurz inne. Im Oktober wird Oberleutnant Aphenjen als der zuständige Sachbearbeiter genannt52. Auch er wurde nach kurzer Zeit abgelöst; sein Nachfolger wurde Leutnant Kuchar53. Schon unmittelbar nach dem Einmarsch in Sachsen erließen die sowjetischen Stellen Befehle, in denen die Erlaubnis erteilt wurde, das kirchliche 46 M. G. GOERNER, Kirche, S. 30. 47 T. MÖHLENBROCK, S. 71. 48 J. FOITZIK, SMAD, S. 285. 49 V. STANKE, S. 14 f. Eine Charakteristik Kotschetows findet sich bei K. DOMSCH, S. B 38 f. Zur SMAS vgl. auch S. DONTH, Vertriebene, S. 33–41. Eine Übersicht über das Personal der SMAS bei J. FOITZIK, SMAD, S. 454. 50 Hahn und Kotte an Kotschetow am 17. Januar 1948 (LKA DRESDEN, Bestand 2, 63, Bl. 26). 51 Aktennotiz Heidlers vom 10. Juni 1948 (LKA DRESDEN, Bestand 2, 63, Bl. 71). Hauptmann Samochwaloff war nicht (wie bei V. STANKE, S. 15, zu lesen ist) Kotschetows Nachfolger, sondern der Vertreter Pessikows im Sommer 1948. 52 Aktennotiz Heidlers vom 18. Oktober 1948 (LKA DRESDEN, Bestand 2, 64, Bl. 79/1 [sic]). 53 Heidler an Kotte am 28. März 1949 (LKA DRESDEN, Bestand 2, 65, Bl. 14).
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Leben wieder aufzunehmen. So berichtete Landessuperintendent Lau in seinem 3. Rundbrief vom 29. Juni 1945 an die Pfarrer der evangelischen Landeskirche: „Die kirchliche Arbeit läuft überall gut an. Es ist vielfach erhebend, was wir da lesen von vollen Gotteshäusern, neuen Gottesdienstformen wie täglichen Abendandachten usw. Überall im Lande haben die Besatzungskommandanten oder die Spitzen der gemeindlichen Selbstverwaltung der Kirche freies Arbeiten zugesagt. Noch mehr: Man spürte, dass Soldaten der Roten Armee mit Ehrfurcht den Gotteshäusern und Kruzifixen begegneten. Ausnahmen sind anscheinend ganz selten“54.
Demgegenüber beanstandete ein Rundschreiben aus dem Ordinariat des Bistums Meißen vom 19. Oktober 1945, dass „zivile Verwaltungsorgane unter Berufung auf den Wunsch der Besatzungsbehörde Eingriffe in das religiöse Leben der Gemeinde, in die Freiheit der Kanzelverkündigung und in den Bestand sonstiger kirchlicher Einrichtungen sich gestatten, deren Rechtmäßigkeit anfechtbar ist“55. Das Schreiben gab den Pfarrern Hinweise, wie sie sich gegenüber diesen Übergriffen zu verhalten hätten, räumte aber auch ein, dass es in den meisten Fällen „nur einer ruhigen Aufklärung [. . .] [bedürfe], um bereits gegebene Anordnungen hinfällig zu machen und die Freiheit der Kirche im Gesamtbereich der religiösen Verkündigung, des religiösen Lebens und der kirchlichen Organisation auf Grund des gewährten Schutzes durch die alliierten Mächte sicher zu stellen“56. Mag es in den ersten Wochen der Besatzung noch lokale Unterschiede gegeben haben, so wurde den Kirchen bald bewusst, dass sich die Sowjets, wenn sie „Amtshandlungen in den Kirchen“ erlaubten, sehr stark an dem Modell der „Kultkirche“ orientierten, wie es die Russisch-Orthodoxe Kirche darstellte57. Die Sowjets akzeptierten schließlich, dass sich die evangelische und katholische Kirche nach ihrem Selbstverständnis nicht nur auf den Gottesdienst beschränken ließen, sondern auch im sozialen Bereich tätig wurden und ihr „Wächteramt“ wahrnahmen58. Im Vergleich mit den Militäradministrationen der anderen Länder der SBZ tendierte die SMAS zu einer relativ starken Kontrolle59. Es kam jedoch sehr häufig vor, dass 54 3. Rundbrief von Franz Lau vom 29. Juni 1945 (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, Dok. 60/3, S. 487–491). 55 Ordinariat des Bistums Meißen in Bautzen – Rundbrief VI/1945 vom 19.10.1945 (ADSL, Handakte Gerber). Aus katholischer Sicht vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 64 f. 56 Ordinariat des Bistums Meißen in Bautzen – Rundbrief VI/1945 vom 19. Oktober 1945 (ADSL, Handakte Gerber). 57 H. DÄHN, Grundzüge, S. 150. Zur sowjetischen Politik gegenüber Religion und Kirche in der UdSSR vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 23–28. 58 H. DÄHN, Grundzüge, S. 151. Zum Neuaufbau der Caritas in der SBZ vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche.
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SMA-Offiziere in Streitigkeiten mit der Landesverwaltung und kommunalen Stellen vermittelnd eingriffen, sodass sie in kirchlichen Kreisen ein relativ hohes Ansehen genossen60. In Leipzig hatten die ersten Kontakte zwischen der sowjetischen Militäradministration und Superintendent Schumann noch zur Amtszeit des von den Amerikanern eingesetzten Oberbürgermeisters Dr. Johannes Vierling stattgefunden61. Laut Schumanns Bericht wurde dieser schon einen Tag nach der Besetzung Leipzigs durch die Rote Armee ins Rathaus gerufen, wo ihn ein höherer sowjetischer Offizier erwartete. Auf die Fragen des Superintendenten antwortete dieser ihm, dass „alles bleibt, wie es beim Amerikaner gewesen ist“62. In der ersten „offiziellen“ Besprechung zwischen Schumann, dem Vertreter der Besatzungsmacht, Oberst Morozow, Bürgermeister Vierling und dem Leiter des Kulturamtes Oswald Bauer (SPD) am 9. Juli 1945 gestattete die Militärregierung die Abhaltung von Gottesdiensten, das Läuten der Kirchenglocken und die Durchführung von Veranstaltungen und „was sonst alles mit dem kirchlichen Dienst zusammenhängt, z. B. Bibelstunde usw.“63. Diese Aktivitäten, die sich offensichtlich am Bild der Kultkirche orientierten, wurden unter dem Vorbehalt erlaubt, dass „dem Faschismus in den Gottesdiensten und von den Vertretern der Kirche kein Vorschub geleistet werden [darf].“ Dieses bedingte Ja der Militärregierung zur kirchlichen Arbeit wurde von der am 13. Juli 1945 tagenden Ephoralkonferenz so aufgefasst, als „sollte das kirchliche Leben in der bisherigen Weise fortgesetzt werden“64. Sein Verhältnis zur sowjetischen Militärkommandantur bezeichnete Schumann als positiv, während er sich einer Stellungnahme bezüglich seiner Beziehungen zu den städtischen Behörden in auffälliger Weise enthielt65. 59 H. DÄHN, Grundzüge, S. 151. 60 So schrieben Hahn und Kotte am 17. Januar 1948 zu Kotschetows Abschied von Dresden: „Wir dürfen Ihnen bei dieser Gelegenheit nicht nur unsere herzlichsten Wünsche für Ihre weitere Tätigkeit auch in Berlin aussprechen, sondern zugleich unseren aufrichtigen Dank sagen für das große Verständnis, dass die sächsische Landeskirche in allen Fragen bei Ihnen gefunden hat“ (LKA DRESDEN, Bestand 2, 63, Bl. 26). Vgl. auch V. STANKE, S. 26. 61 Auf einer Tagung von KPD- und SPD-Vertretern am 4. Juli hatte man sich auf die Vergabe der wichtigsten Ämter der Stadtverwaltung unter den beiden Parteien geeignet und Erich Zeigner zum Oberbürgermeister bestimmt (STA L, Antifaschistischer Block, Bl. 24). Dieser wurde am 16. Juli förmlich durch den sowjetischen Stadtkommandanten eingesetzt. Vgl. dazu auch D. HUTH, S. 273. 62 H. SCHUMANN, S. 220. 63 Schreiben des Kulturamts vom 9. Juli 1945 (STA L, StVuR [I] 7870, Bl. 2). 64 Protokoll der Ephoralversammlung vom 13. Juli 1945 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Nr. 18). 65 So berichtete Schumann: „Der Superintendent hat in der Folgezeit mit zahlreichen sowjetischen Offizieren vom General bis zum Leutnant zu verhandeln gehabt. Sie haben
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1.5 Das Verhältnis von Kirche und Stadtverwaltung Die ersten nachweisbaren Kontakte zwischen der neuen, unter der sowjetischen Besatzung noch im Juli 1945 gebildeten Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Erich Zeigner und der Leitung der Leipziger evangelischen Kirche fanden im August 1945 statt66. Zeigner bemühte sich darum, einen Einblick in die Verhältnisse der evangelischen Kirche vor Ort zu bekommen. Daher bat er Superintendent Schumann am 7. August 1945 um eine Schilderung der kirchlichen Lage in Leipzig67. In diesem Schreiben teilte er Schumann weiterhin mit, dass er am 26. Juli 1945 „eine mehrstündige Besprechung mit Minister Solotuchin aus Moskau hatte und dass bei dieser Besprechung auch die Frage des Religionsunterrichts behandelt wurde. Der Herr Minister für Volksbildung und Universitäten erklärte hierbei, dass die Russische Militär-Kommandantur nichts dagegen einwenden werde, wenn der Religionsunterricht, welcher ausschließlich Angelegenheit der Kirche sei, in der Schule oder außerhalb der Schule erteilt werde. Es sei ihm auch gleichgültig, ob dieser Religionsunterricht durch Geistliche oder durch Lehrer erteilt werde. Im Allgemeinen hatte ich den Eindruck, dass Herr Solotuchin an dem ganzen religiösen Problem völlig uninteressiert sei und dass er jede Maßnahme verurteile, durch welche religiöse Kreise vor den Kopf gestoßen werden könnten. Die Besprechung hatte den Charakter einer durchaus verbindlichen Instruktion für das Leipziger Stadtregiment“68.
Schumann berichtete Zeigner, dass es keinerlei Probleme mit der Besatzungsmacht gegeben habe. Auch aus anderen Kirchenbezirken im Regierungsbezirk Leipzig habe er nichts von Schwierigkeiten gehört69. Sehr wahrscheinlich hing Zeigners Interesse an den Entwicklungen in der Leipziger evangelischen Kirche auch eng mit den innerkirchlichen Auseinandersetzungen zusammen. Der von den Nationalsozialisten als „Halbjude“ eingestufte Pfarrer Ernst Lewek, der wie oben berichtet, bis 15. Februar 1945 zur Zwangsarbeit in Osterode eingesetzt worden war und danach zwar weiterhin seine Pfarrstelle beim Kirchgemeindeverband innehatte, jedoch zum Nichtstun verdammt war, hatte sich nämlich bei Zeigner über den schleppenden Fortgang der Säuberungsmaßnahmen beschwert. seine Berichte und Anliegen mit wohlwollendem Interesse für das ihnen fremde Leben einer evangelisch-lutherischen Kirche entgegengenommen, und einigen von ihnen ist er für die Förderung, die sie ihm haben zuteil werden lassen, besonders dankbar“ (H. SCHUMANN, S. 220). 66 Zu Zeigner vgl. C. LANG; A. UND L. MATTHES; M. SCHMEITZNER, Erich Zeigner. 67 Schreiben von Zeigner an Schumann vom 7. August 1945 (STA L, StVuR [I] 7872, Bl. 5). 68 EBD. 69 Schreiben von Schumann an Zeigner vom 18. August 1945 (STA L, StVuR [I] 7872, Bl. 12).
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Das ihn betreffende Verbot des Landeskirchenamtes, Amtshandlungen gegenüber „nichtjüdischen“ Christen vorzunehmen, war jedoch schon Anfang Mai 1945 von Schumann und Wäntig aufgehoben worden70. Lewek wandte sich am 17. August 1945 an Oberbürgermeister Zeigner, um ihn in einer Denkschrift über die Lage der evangelischen Kirche in Leipzig zu informieren71. Darin kritisierte er die sehr schleppende Behandlung der „Entnazisierung“ in der evangelischen Kirche: „Besonders bedenklich ist, dass die besonders wichtige Stelle des Superintendenten von Leipzig-Stadt bei einem Manne liegt, der zwar nicht selbst Nazi war, aber doch sehr mit ihnen sympathisierte, aktiver und eifriger Mitarbeiter in dem Nazi-Landeskirchenamt des Präsidenten Klotsche in Dresden war und bis heute seine schützende Hand über die Nazis hält“.
Nachdem er seinen Amtsbruder so kritisiert hatte, kam er zu seinem Hauptanliegen: „Demgemäß bitte ich Sie [Zeigner, G. W.], mir das Amt des Superintendenten von Leipzig-Land übertragen zu wollen. Als solcher hätte ich die Entnazisierung [sic] der Ephorie L[eipzig]-Land ex officio durchzuführen. Daneben müsste ich mir mangels einer anderen geeigneten Persönlichkeit von Ihnen auch noch den Auftrag erbitten, dem Stadtsup. bei der Entnazisierung [sic] von L.-Stadt als überwachendes Organ zur Seite zu stehen“72.
Bedenklich war die Tatsache, dass Lewek nicht den Weg durch die kirchlichen Instanzen ging, sondern den Oberbürgermeister bat, „in seiner Eigenschaft als Kirchenpatron und als Vertreter der Besatzungsbehörde auf Grund eines Notkirchenrechts, das unter ähnlichen Verhältnissen auch schon früher zur Anwendung gekommen ist, die oben genannten Maßnahmen zu ergreifen“73. Zeigner, der selbst schon vor langer Zeit aus der Kirche ausgeschieden war und ihr distanziert gegenüberstand74, war bemüht, sich weitere Informationen über die innerkirchliche Lage zu beschaffen. Zu diesem Zweck wandte er sich an den Theologieprofessor Dedo Müller und an Pfarrer Siegbert Hummel, den er aus der Arbeit im Antifaschistischen Block kannte, und bat beide um eine Lageeinschätzung, ließ jedoch erkennen, dass 70 Schumann an Wäntig am 7. Mai 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I). 71 Anschreiben und Denkschrift (STA L, StVuR [I] 7872, Bl. 9–11). Bei J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, S. 393, fälschlich Werner Schilling zugeschrieben, richtig auf S. 419. 72 STA L, StVuR (I), 7872, Bl. 9. 73 EBD. 74 Schreiben Zeigners an die Kulturabteilung des Zentralausschusses des Antifaschistischen Blocks vom 20. August 1945 (STA L, StVuR [I] 7872, Bl. 18). Während der 1940er Jahre hatte Zeigner Kontakt zu Arkenau, dessen Hilfsaktionen für rassische Verfolgte er unterstützte (vgl. K. BUCHHEIM, S. 210).
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er einer Intervention durch die Stadt ablehnend gegenüberstand und ein eigenständiges Handeln kirchlicher Gremien präferierte75. Hummel schlug in seiner Antwort an Zeigner die Absetzung des Leipziger Stadtsuperintendenten vor und brachte sich dabei – wenig verklausuliert – selber ins Spiel. Denn er forderte, dass der Nachfolger Schumanns kein „Bekenntnispfarrer“, sondern, „ein mutiger Antifaschist, [. . .] der über den kirchenpolitischen Parteien steht und das Steuer fest in der Hand hält und mit den weltlichen Behörden Hand in Hand zu gehen gewillt ist“, sein sollte76. Für ein vorsichtiges Vorgehen gegenüber den Kirchen plädierte auch Rechtsrat Jonathan in einem Gutachten, das Zeigner über die Kompetenzen des Oberbürgermeisters in Kirchenfragen angefordert hatte: „Es erscheint auch nicht zweckmäßig, von der Stadt aus auf Grund eines zu konstruierenden Notkirchenrechtes im Widerspruch zu den bestehenden Gesetzen und Verordnungen in die kirchlichen Belange einzugreifen“77. Er kam deshalb zu dem Schluss, dass „die Säuberung der Kirchen von nationalsozialistischen Elementen eine Angelegenheit der Landeskirchenbehörden ist“. Auch eine Unterredung mit den Bezirksvorsitzenden von KPD und SPD, Ernst Lohagen und Stanislaw Trabalski, bestätigte Zeigner in seiner Meinung, es sei ratsam, sich aus innerkirchlichen Personalangelegenheiten herauszuhalten, habe er doch den Eindruck, dass „gewisse religiöse Kreise (insbesondere die ‚Bekenntniskirche‘) nur darauf warten, dass ihnen durch einen solchen Eingriff die Parole des ‚Kulturkampfes‘ oder der ‚Unterdrückung der religiösen Freiheit‘ in die Hände gespielt wird“78. Zu einem Eingreifen der Stadt in die kircheninterne Auseinandersetzung um die Person des Superintendenten Schumann in Leipzig ist es schließlich nicht gekommen. Zeigner akzeptierte die aus der Weimarer Republik überkommenen rechtlichen Regelungen im Staat-Kirche-Verhältnis und lehnte die ihm von kirchlicher Seite angetragene politische Intervention ab. Auch in den Protokollen der Ephoralkonferenzen war im Zeitraum 1945/46 kein Hinweis auf eine über das „normale Maß“ einer Besatzungsherrschaft hinausgehende Beeinträchtigung des religiösen Lebens zu finden. Über ihre eigenen Vertreter waren die beiden Kirchen z. B. im städtischen Jugendausschuss repräsentiert, der das Monopol auf die Jugendarbeit besaß. 75 STA L, StVuR (I) 7872, Bl. 13 f. und 15 f. Sein Verhältnis zu Schumann charakterisierte er in dem Brief an Müller folgendermaßen: „Ich höre Herrn Oberkirchenrat Schumann sehr oft in der Thomaskirche und darf Ihnen nicht verhehlen, dass ich mitunter doch recht sehr enttäuscht gewesen bin. Außerdem ist Herr Oberkirchenrat Schumann schon in einem Alter, angesichts dessen es vielleicht angebracht wäre, zurückzutreten“ (EBD., Bl. 13 f.). 76 STA L, StVuR (I) 7872, Bl. 19. 77 EBD., Bl. 21a-c. 78 Zeigner an Trabalski am 26. September 1945 (STAL, SED II/2/12, Bl. 196).
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Es gab keine Eingriffe seitens der Besatzungsmacht in die zentralen kirchlichen Arbeitsfelder. Der Gottesdienst konnte ungestört fortlaufen, Religionsunterricht in den Schulen war möglich, und die Innere Mission konnte ihre caritative Arbeit wieder aufnehmen. Allerdings gelang der Aufbau der volkskirchlichen Strukturen nicht mehr in dem Maße, wie es vor 1933 der Fall gewesen war. Anders als die amerikanische Besatzungsmacht, die für ein den Kirchen vorgelagertes, breites Vereinswesen großes Verständnis aufbrachte, zeigte sich die sowjetische Besatzungsmacht wenig geneigt, das unter den Nationalsozialisten schon weitgehend lahm gelegte Vereinswesen wieder auferstehen zu lassen79. Eine Initiative der Caritas, der Arbeiterwohlfahrt und der Inneren Mission im Sommer 1945 zur Gründung eines eigenen Leipziger Hilfswerkes zur Linderung der Not in der Nachkriegszeit wurde von der Stadtverwaltung nicht genehmigt. Diese Aufgabe übernahm schließlich die Volkssolidarität, die von der KPD bzw. SED dominiert wurde und die kirchlichen Vertreter bis 1948 aus ihren Gremien vertrieb80.
1.6 Die CDU als Vertreterin evangelischer Interessen Wie oben gezeigt, spielten parteipolitische Bindungen innerhalb der Leipziger Pfarrerschaft vor 1933 eine untergeordnete Rolle. Lediglich für vier Pfarrer lässt sich eine Parteimitgliedschaft nachweisen. Dabei mag neben der weit verbreiteten Ablehnung der Weimarer Republik eine Hauptrolle gespielt haben, dass Pfarrer vom Amt her eher auf eine überparteiliche Stellung verpflichtet waren. Dieses Argument verlor an Gewicht, als der Nationalsozialismus an die Macht kam und nicht wenige Pfarrer mit ihrem Beitritt zur NSDAP auch den Anschluss der Kirche an die neue Bewegung bezeugen wollten. Lag es angesichts dieser Entwicklung nicht nahe, nach 1945 parteipolitische Abstinenz zu üben? Das genaue Gegenteil war der Fall. Von den 1945 in Leipzig amtierenden Pfarrern waren 13 CDU-Mitglieder. Fünf
79 So verlangte die amerikanische Besatzungsmacht vom Direktor der Inneren Mission Mieth einen Bericht über ihre Aufgabenbereiche und die Repressalien im Dritten Reich. Vgl. Mieths „Report about the welfare work of the Inner Mission in Leipzig presented to the Allied Military Government in Leipzig (1945)“ vom 11. Mai 1945 (ARCHIV DER INNEREN MISSION LEIPZIG, A 1). 80 STAL, SED, II/2/12, Bl. 247–252. Im Anschluss an das Hilfswerk der EKD wurden in Sachsen Ende 1947 erste Ortsausschüsse gebildet (H. SCHUMANN, S. 270). Eine Schilderung der sozialpolitischen Neuordnung aus der Sicht des Leipziger Sozialdemokraten Böhlert an Zentralausschuss der SPD am 28. Januar 1946 (STAL, SED-BV II/2/09, Bl. 334–337). Allgemein zu den Beziehungen Kirche – Volkssolidarität vgl. P. SPRINGER, S. 153–186.
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bekannten sich zur BK, sechs zur „Mitte“, bei zweien ist eine kirchenpolitische Zuordnung nicht möglich. Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Verbindungen zwischen der evangelischen Kirche in Leipzig und der CDU als „der“ Kirchenpartei von Beginn an vorhanden waren und inwieweit die Partei spezifisch kirchliche Angelegenheiten vertrat. In Sachsen vollzog sich die Gründung der CDU von drei Zentren aus: Chemnitz, Dresden und Leipzig81. Für alle drei Gründungen ist die Initiative durch katholische Amtsträger bezeichnend. In Chemnitz gründete der ehemalige Vorsitzende des sächsischen Zentrums, Ludwig Kirsch, zusammen mit dem evangelischen Pfarrer Christian Otto Schulze, der einer der wenigen Vertreter der Dialektischen Theologie in Sachsen war, die „Christliche Volkspartei“82. Schon Ende Juni glich die Partei sich dem Berliner Vorbild an und benannte sich in „Union“ um. In ihrer Programmatik nahm sie alte Forderungen des Zentrums, wie etwa die nach der Bekenntnisschule, auf83. In Dresden ging die Initiative zur Gründung der Union von ehemaligen Zentrumsmitgliedern aus84. Da eine Wiederbegründung des Zentrums nicht intendiert war, sondern vielmehr eine interkonfessionelle Partei konstituiert werden sollte, lud man Anfang Juli 1945 evangelische Christen zu einer Versammlung und beschloss die Gründung einer ChristlichSozialen Volkspartei. Die Leitung der Dresdner Gruppe übernahm Hugo Hickmann. Dieser hatte von 1922–1933 für die DVP im sächsischen Landtag gesessen und hatte als stellvertretender Präses der Landessynode amtiert. Er verstand sich als Exponent des protestantischen Sachsens und behauptete das evangelische Gewicht: „In Dresden haben wir den Zusammenschluss mit den katholischen Mitchristen nur unter der Bedingung verantwortet, dass uns Evangelischen die Führung zugestanden wird. Anders wäre der Zusammenschluss für das evangelische Sachsen nicht tragbar“85. Vor 1945 war Hickmann mehrfach als Referent in der Leipziger Ephoralkonferenz aufgetreten86. Durch die SMAS wurde die Dresdner Gruppe begünstigt, die als zentraler Ansprechpartner für Sachsen angesehen wurde. So gelang es den protestantischen Kräften, die 81 Vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 207–210, und vor allem R. BAUS, CDU, der gerade die für diesen CDU-Landesverband spezifischen interkonfessionellen Spannungen aufgezeigt hat. M. WILDE, S. 49, behandelt die Geschehnisse in Sachsen nur kursorisch und ist auch sonst wenig hilfreich. 82 Zu Schulze vgl. H. KLEMM, S. 97. 83 W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 207. 84 Zur CDU-Gründung in Dresden ausführlich R. BAUS, Gründung, S. 84–87. 85 Hickmann an Schulze am 4. August 1945 (ACDP ST. AUGUSTIN, III-035–019). 86 Vgl. die Protokolle der Ephoralkonferenz vom 22. Januar 1931, 11. Februar 1932 und 10. Februar 1943 (ADSL, Schrank II, Fach 2, 17).
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mehrheitlich von früheren Zentrumsanhängern getragene Partei zu dominieren87. Der Zusammenschluss bürgerlicher Kräfte zu einer neuen, die Konfessionen übergreifenden Partei erfolgte in Leipzig nach dem Einmarsch der Sowjets, hatten doch die Amerikaner jede politische Betätigung untersagt. Am 8. Juli 1945 wurde die Gründung einer „Demokratischen Partei Deutschlands“ beschlossen88. Zu den führenden Persönlichkeiten dieser Partei gehörten der Liberale Richard Pudor sowie der Dominikanerpater Aurelius Arkenau89. War die Leipziger Gruppe auch stark liberal geprägt, so setzten christliche Kräfte in den Verhandlungen um die künftige Programmatik der Partei doch besonders in Erziehungsfragen Schwerpunkte. Der entsprechende Ausschuss für Erziehungs- und Schulfragen, dem vom Konsistorium Carl Ruland und Dedo Müller angehörten, forderte die Einführung des Religionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach und dessen inhaltliche Abstimmung mit den Kirchen90. Der Verlagsleiter Dr. Karl Buchheim wurde mit der Abfassung eines Aufrufs betraut, der am 21. Juli nach lebhaften Debatten angenommen wurde. Zu den Unterzeichnern gehörte auch Carl Ruland91. Die Veröffentlichung dieses stärker liberal geprägten Aufrufs92 – die Forderung nach „religiösem Geist“ stand bezeichnenderweise an letzter Stelle – wurde aber von der sowjetischen Kommandantur nicht zugelassen, die forderte, dass die Gruppe sich gemäß der Entwicklung in Berlin entweder der CDU oder der LDP anschließen sollte93. Durch ihre Lizenzierungspraxis übte die SMA, wie dieses Beispiel verdeutlicht, somit einen starken Einfluss hinsichtlich der Vereinheitlichung des Parteiensystems aus94. Die Entscheidung ließ die unterschwellig sehr starken Divergenzen zwischen dem liberalen und christlichen Flügel aufbrechen und bewirkte, dass der christlich orientierte Kreis um Rechtsanwalt Carl Ruland, Karl Buchheim und den christlichen Gewerkschaftler Georg Schneider die Initiative zu einer Sezession von der Demokratischen Partei ergriff95. Am 4. August 87 W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 209. 88 Zur Gründung der CDU in Leipzig vgl. vor allem K. BUCHHEIM, Lebensgeschichte (das ausführlichere Manuskript in ACDP ST. AUGUSTIN, I-188–0034, Bl. 34–45). Buchheim gehörte vor 1933 dem Zentrum an und stand als Konvertit einer Zusammenarbeit mit den Protestanten aufgeschlossen gegenüber (vgl. auch G. WIRTH, Beteiligung, S. 125). 89 K. Buchheim (ACDP ST. AUGUSTIN, I-188–0034, Bl. 35). 90 R. BAUS, Gründung, S. 93. 91 „Männer und Frauen in Stadt und Land! Deutsche Jugend!“ (abgedruckt in: E. KRIPPENDORFF, Dok. 5, S. 308 f.). 92 Vgl. dazu R. BAUS, Gründung, S. 94. 93 E. KRIPPENDORFF, S. 299. 94 H. WENTKER, Anfänge, S. 200; vgl. auch S. DONTH, Spaltung, S. 637, der im Weiteren die erfolgreichen Bemühungen der Besatzungsmacht aufzeigt, eine gemeinsame Front von CDU und LDP gerade bei den Landtagswahlen 1946 zu verhindern. 95 Darstellung nach J. B. GRADL, S. 29 f.
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1945 bildete sich der christlich-demokratische Flügel als eigene Gruppe96. Nachdem der Kontakt mit der Berliner Gruppe um Kaiser und Hermes hergestellt war, veröffentlichten die Leipziger Ende des Monats den Berliner Gründungsaufruf97. Zu den Unterzeichnern gehörten neben den Berliner Gründern Carl Ruland, Ernst Eichelbaum, der im Amt für Gemeindedienst tätige Diakon Herbert Dost, Pfarrer Ernst Lewek und der Theologieprofessor Dedo Müller. Mit dem Mitglied des Konsistoriums Ruland98 an der Spitze, Ernst Eichelbaum als Mitglied der BK99, später noch den Pfarrern Lewek, Büttner und Johannes Müller100 herrschte eher ein protestantisches Übergewicht. Der aus der Gewerkschaftsbewegung kommende Katholik Paul Nowak amtierte als stellvertretender Vorsitzender, der konvertierte Katholik Buchheim und der Dominikanerpater Aurelius Arkenau bekleideten im vorläufigen Vorstand nur die Posten des 1. und 2. Beisitzers. Auffällig ist innerhalb des Vorstands der vorherrschende Einfluss des kaufmännischen Elements: einem Priester (Arkenau) und einem Studienrat (Eichelbaum) standen drei Kaufleute (Rambo, Nowak, Matthes) und ein Rechtsanwalt (Ruland) gegenüber101. Dieses Übergewicht machte sich auch in der Programmatik der Partei bemerkbar. Die „Leitsätze der CDUD-Unterbezirk Leipzig“102 aus dem August 1945, die sich an den Leitsätzen der Chemnitzer Gruppe orientierten, traten darüber hinaus besonders für das Privateigentum und die Beschränkungen staatlicher Eingriffe ein und reflektierten somit die Interessen der liberalen Kräfte103. Nach dem Anschluss an die Berliner CDU verzichtete die Leipziger Par96 Datierung nach H. ZILLIG, S. 17. 97 Der Gründungsaufruf ist abgedruckt im Faksimile bei J. B. GRADL, Abb. 2. 98 Eine Beurteilung Rulands durch die SED vom 11. März 1948: „Ruland ist in beruflichen und politischen Kreisen allgemein geachtet. Er gilt als klarer Charakter von religiös-sozialer Einstellung, der abweichende Standpunkte in der Politik vorsichtig, aber klar zum Ausdruck bringt. Er steht der Besatzungsmacht loyal gegenüber und leidet persönlich unter den gegenwärtig in einer Partei auftretenden Zwiespälten. In der CDU galt Ruland bisher als unbedingter Vertreter der Blockpolitik und eines unbeirrten Linkskurses“ (STAL, SED IV 5/01/543). 99 In einer politischen Bewertung durch die SED aus dem Jahre 1948 heißt es dazu: „Religion: ev.-luth. (Bekennende Kirche). Eichelbaum nimmt dieses Bekenntnis relativ ernst und insbesondere ist er religionsphilosophisch und -theoretisch stärker interessiert, auch als Redner und Schriftsteller dieser Art, dabei charakterisiert durch eine ausgesprochene Rabulistik, aber auch nicht o.w. demagogischer Prägung“ (STAL, SED IV 5/01/495). 100 Johannes Müller hatte sich von seiner Gemeinde in Leipzig-Thekla in der Ephorie Leipzig-Land im Dritten Reich eifrig publizistisch betätigt und war 1936 demonstrativ den Deutschen Christen Thüringer Richtung beigetreten. Vgl. Busch an Bruhns, Karl Fischer und die anderen [sic] am 19. Dezember 1936 (UAL LEIPZIG, NL Lau, Nr. 32). 101 ACDP ST. AUGUSTIN, I-188–002/3, Bl. 25. 102 Abgedruckt in: G. RÜTHER, Quelle 175, S. 701 f. 103 Die Chemnitzer „Richtlinien für die Christlich-Soziale Volkspartei“ (ACDP ST. AUGUSTIN, I-188–002/1, Bl. 32). Vgl. dazu auch R. BAUS, Gründung, S. 96.
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teigruppe auf eigene programmatische Aussagen. Die Registrierung durch die Besatzungsmacht erfolgt erst am 22. August 1945, nachdem die Leipziger bekräftigt hatten, dass sie sich der Dresdner und mittelbar auch der Berliner CDU-Leitung unterstellen würden104. Die auffällige liberale Prägung führte zu Irritationen bei den christlich orientierten Kreisen in Leipzig. So beschwerte sich ein aktives Glied der BK über die aus seiner Sicht missglückte Gründungsveranstaltung am 15. September: „Der Inhalt des für Leipzig bestimmten Aufrufes der Christl. Demok. Union [. . .] und die Tatsache, dass in Berlin und Dresden führende Mitarbeiter unserer Bekennenden Kirche dem Aktionsausschuss dieser Partei beigetreten waren, hatten mich veranlasst, meinen Namen für den Leipziger Aufruf zur Verfügung zu stellen. [. . .] An den Ausführungen des Herrn Hauptredners habe ich das gänzliche Weglassen des ideellen Anliegens unserer Partei zu beanstanden. Vor allem die Anwesenden aus den bewusst kirchlichen Kreisen wird dies abhalten, den Aufnahmeantrag auszufüllen“105.
Die Tatsache, dass Mitglieder der BK an der Gründung der CDU verstärkt beteiligt waren, traf nicht nur für Leipzig zu. Auch in Dresden spielten BK-Vertreter eine herausragende Rolle. Der Geschäftsführer des Landesbruderrates, Reimer Mager, und der Reisesekretär der BK, Martin Richter, hatten schon im Dritten Reich einen Kreis ehemaliger Mitglieder des aufgelösten Christlich-Sozialen Volksdienstes um sich versammelt106. Die beiden Laien vertraten konsequent „dahlemitische“ Ansichten107. Auch der Chemnitzer Studienrat Adalbert Küntzelmann, Mitglied des Landesbruderrates, lässt sich dieser Richtung zuordnen. Alle drei waren an der Gründung der CDU beteiligt und übernahmen führende Positionen, während Pfarrer weniger an exponierten Stellen mitarbeiteten108. Der Aufschwung der sächsischen CDU zum stärksten Landesverband in der SBZ hing sicherlich auch mit dem ausgeprägten Konkurrenzdenken zwischen den Konfessionen zusammen, das diesen Landesverband charakterisierte und in der Polarität zwischen dem engagierten Protestanten Hickmann und dem katholischen Pfarrer Ludwig Kirsch, der ab 1948 zweiter Vor-
104 EBD., S. 97. 105 A. Kannengießer an Ruland am 16. September 1945 (abgedruckt in: G. RÜTHER, Quelle 170, S. 687 f.). Auf dieser Veranstaltung hatte der Mitarbeiter der Reichsgeschäftsstelle, Hermann Remelé, der für den verhinderten Walther Schreiber eingesprungen war, durch ungeschickte Äußerungen einen Eklat provoziert. Vgl. R. BAUS, Gründung, S. 96 f. 106 EBD., S. 97. 107 Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 500 f., S. 686 f. 108 Mager wurde 1947/1948 4. Vorsitzender des CDU-Landesverbandes; Richter wurde 1945 Landesgeschäftsführer der CDU und Beisitzer im Landesvorstand der Partei; Küntzelmann war Mitbegründer der Chemnitzer CDU. Er verstarb schon am 12. Dezember 1946.
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sitzender des Landesverbandes wurde, ihren Ausdruck fand109. Im Landesvorstand standen acht Protestanten sechs Katholiken gegenüber110. Die Stellung der evangelischen Kirche in Sachsen zu der neuen Partei war durchweg positiv. Vielerorts waren die Parteigründungen erst unter Nutzung der kirchlichen Infrastruktur möglich geworden111. Schon Ende Juli 1945 äußerte sich Landessuperintendent Franz Lau zu der neuen bürgerlichen Partei: „Auch in Sachsen ist nun neben den drei Parteien der Kommunisten, Sozialdemokraten und Demokraten eine vierte, eine christlich-soziale Volkspartei entstanden bzw. im Entstehen112. Wenn diese Partei das Wort ‚christlich‘ in ihren Namen aufgenommen hat, wenn sie für den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in der Schule eintritt, wie es eben der Fall ist, durch ernste und namhafte (katholische und) evangelische Persönlichkeiten ins Leben gerufen worden ist, so können wir nicht einfach an ihr vorbeigehen. Es ist schon selbstverständlich, wenn Evangelische zu ihr hinneigen. Aber die Kirche als solche ist viel mehr als eine Partei. [. . .] Wenn bewusste Christen in ihnen mitarbeiten, ist es gut so. Die Kirche selbst hält sich fern von aller Politik“113.
Damit gab der Landessuperintendent den Pfarrern die Haltung der Kirche gegenüber der CDU bekannt: einerseits Unterstützung der Partei und des Engagements von Christen in dieser Partei, andererseits Zurückhaltung im eigenen politischen Engagement. Eine solche offene Stellungnahme für die CDU lässt sich in den kirchlichen Akten in Leipzig nicht nachweisen. Dies lag sicherlich auch in der Person Schumanns begründet, der – wohl durch die Erfahrungen mit der letzten Diktatur misstrauisch geworden – den Pfarrern seiner Ephorie im November besondere Achtsamkeit ans Herz legte: „Vorsicht bei Gesprächen, besonders auch bei Telefongesprächen, Vorsicht beim Briefschreiben und Predigen“114. Es kann allerdings vermutet werden, dass das CDU-Mitglied Ernst Lewek, der im September 1945 vor der Pfarrerschaft der Ephorie zur Frage der Parteienbildung sprach, sich für das Engagement 109 R. BAUS, Gründung, S. 99, bes. Anm. 99. 110 Vgl. EBD., S. 113, Anm. 180. 111 Beispiele EBD., S. 98. 112 Der Parteiname differierte anfangs. In Dresden und Chemnitz nannten sich die Gruppen erst „Christlich-Soziale Volkspartei“. 113 4. Rundbrief Franz Laus vom 25. Juli 1945 (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, Dok. 60/7, S. 496–502, hier S. 501). In ähnlicher Weise legte der Bischof des Bistums Meißen, Petrus Legge, den katholischen Pfarrern nahe, ihre „politische Meinung zu sagen [. . .] mit dem Ziele der Erreichung des Rechtsstaates, der auf christlichen Grundsätzen sich aufbaut“. (vgl. G. LANGE, Dok. 3, S. 11). 114 Protokoll der Ephoralversammlung vom 2. November 1945 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17).
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zugunsten dieser Partei eingesetzt hat115. Auf eine enge Zusammenarbeit Schumanns mit der CDU lässt die politische Initiative Rulands schließen, der sich im September gegenüber Hickmann für die kircheninterne Durchführung der Entnazifizierung einsetzte116. Außerdem trat die CDU mit einem Aufruf gegen das Verbot des Religionsunterrichts an den Leipziger Schulen an die Öffentlichkeit117. Über informelle Kanäle versuchte die KPD, sich einen Eindruck über die neue politische Gruppierung in Leipzig zu verschaffen. Doch wie ein Bericht beweist, waren die Einschätzungen zum Teil wohl stärker von eigenen ideologischen Vorprägungen bestimmt als von den objektiven Gegebenheiten: „Mein Eindruck [. . .] ist, dass diese Partei infolge ihrer eigenartigen Mentalität zwar antifaschistisch und antimilitaristisch ist, dass aber unter der Oberfläche ein geheimer Widerstand gegen die Politik des neuen Deutschland vorhanden ist. [. . .] Denn der Vorwurf, dass die Kommunistische Partei bolschewistischer als die Bolschewisten sei, dass sie ‚zu scharf‘ vorgehe, ist als Versuch anzusehen, die kommunistische Bewegung in Gegensatz zu bringen zur russischen Besatzungsbehörde. [. . .] Vorsicht ist geboten“118.
115 Protokoll der Ephoralversammlung vom 21. September 1945 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 116 Ruland an Hickmann, 27. September 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 117 ACDP ST. AUGUSTIN, I-188–002/1, Bl. 20. 118 Bruno Apitz, Bericht über die Christlich-Demokratische Union (STAL, SED IV 5/01/543).
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2. Neuaufbau und „Selbstreinigung“ der evangelischen Kirche in Leipzig nach 1945 2.1 Die Bildung und Tätigkeit des „Evangelisch-lutherischen Konsistoriums in Leipzig“ Infolge des Kriegsverlaufs war der westliche Teil Sachsens bis zur Mulde ab April 1945 durch amerikanische Truppen besetzt worden, während die Rote Armee den östlichen Teil mit der Landeshauptstadt Dresden erobert hatte. Für die evangelische Kirche in der Stadt Leipzig bedeutete die vorläufige Teilung Sachsens in ein amerikanisch und ein sowjetisch besetztes Gebiet die Trennung von der Leitung der Landeskirche in Dresden. Der Kontakt zwischen Dresden und Leipzig war nur mit starken Einschränkungen aufrechtzuerhalten, waren doch die Verkehrs- und Telefonverbindungen zwischen beiden Städten zusammengebrochen und der Übergang zwischen dem amerikanisch und dem sowjetisch besetzten Teil Sachsens nur unter größten Schwierigkeiten möglich. So entstand die Notwendigkeit, für den nordwestsächsischen Raum eine Kirchenleitung zu bilden, die sich in Anlehnung an die Vorgängerbehörden aus dem 19. Jahrhundert „Evangelisch-lutherisches Konsistorium in Leipzig“ nannte. Am Sitz der sächsischen Landeskirche in Dresden war es nach dem Kriegsende zu einem Kompromiss zwischen BK und „Mitte“ gekommen1. Der zur BK gehörende Oberlandeskirchenrat Erich Kotte, der während der Zeit des Kirchenausschusses in der Finanzabteilung des Landeskirchenamtes gearbeitet hatte und im Februar 1938 aus dem Dienst entlassen worden war, hatte Anfang Mai 1945 kurzerhand die provisorische Leitung des Landeskirchenamtes übernommen. Kotte war schon vor 1933 im Konsistorium tätig gewesen. Bis zur Rückkehr Superintendent Hahns aus dem württembergischen Exil im Oktober 1947 übernahm Lic. Franz Lau die geistliche Leitung der Landeskirche mit dem Titel eines „Landessuperintendenten“. Er war von 1936–1939 Studiendirektor des Predigerseminars Lückendorf gewesen, hatte sich dann aber mit der BK wegen ihres Umgangs mit dem deutschchristlichen Kirchenregiment im Zusammenhang mit der Übernahme der Vikare in den landeskirchlichen Dienst überworfen. So ließ er sich 1945 keiner kirchlichen Gruppe zuordnen2. Im Rahmen der Aufgabenverteilung im Landeskirchenamt war er bis Januar 1946, als Lic. Gottfried Noth ins Landeskirchenamt kam, für den Leipziger Bezirk zuständig3. 1 Zum Neuaufbau in Dresden vgl. M. HEIN, S. 74–87. 2 Die Person Laus steht im Mittelpunkt der Arbeit von M. HEIN, bes. S. 88–101. 3 Zur Entstehung der Dresdner Kirchenleitung vgl. J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, S. 298–303.
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Als Interimsgremium bis zur Wahl einer ordentlichen Synode wurde wie in anderen Landeskirchen auch im Herbst 1945 ein Beirat gewählt, dem auch Superintendent Schumann angehörte4. Der Neuaufbau der Landeskirche war also ohne Intervention von außen vor sich gegangen – im Gegensatz etwa zu der Situation in Thüringen, wo der extrem belastete deutschchristliche Landesbischof Hugo Rönck erst durch die Amerikaner abgesetzt wurde und sich daraufhin eine Kirchenleitung unter dem Landesoberpfarrer und späteren Bischof Moritz Mitzenheim, dem vormaligen Leiter der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, bildete5. In Leipzig setzten sich nach Kriegsende die Auseinandersetzungen zwischen „Mitte“ und BK fort, vermischte sich die Frage nach der Bewertung des kirchenpolitischen Verhaltens im Nationalsozialismus mit handfesten machtpolitischen Interessen. Heftiger Streit entzündete sich vor allem am Vorgehen Superintendent Schumanns, der auf der Ephoralkonferenz am 26. April 1945 vorgeschlagen hatte, mit dem Leiter des Kreiskirchenamtes Wäntig, einem Parteimitglied und Parteigänger des Dresdner Kirchenregiments, die Geschäfte fortzuführen6. Dieser Vorschlag war charakteristisch für Schumanns Haltung. Die Position in der Frage der kirchlichen Neuordnung in Leipzig bedeutete ja in starkem Maße auch eine Beurteilung von Schumanns langjährigem Handeln als Leipziger Superintendent, als entscheidender Mitarbeiter im Landeskirchenamt und als exponierter Kirchenpolitiker der „Mitte“ während des Nationalsozialismus. Er hatte das staatlich eingesetzte Kirchenregiment Klotsche anerkannt und – nolens volens – zu dessen Bestehen beigetragen. Diese Vergangenheit ließ ein anderes Verhalten als das Beharren auf dem Status quo wenig wahrscheinlich werden. Schumann konnte außerdem davon ausgehen, dass große Teile der Leipziger Pfarrerschaft, die sein Verhalten bisher mitgetragen und damit extremen deutschchristlichen Kräften wenig Entfaltungsraum gegeben hatten, weiter hinter ihm stehen würden. Als Pfarrer Georg Walther am 26. April 1945 Schumann dessen kirchenpolitische Vergangenheit auf der Ephoralkonferenz vorhielt, rückte die „Mitte“ zusammen7. Eine völlig andere Auffassung vertrat der Pfarrernotbund. Wenn auch die sächsische BK im Kirchenkampf einen gemäßigten Kurs eingeschlagen 4 Zu den Veränderungen in Dresden vgl. H. HERZOG, Die Neuordnung, S. 200–203; K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 532–534. Zur Arbeit des Beirats vgl. M. HEIN, S. 102–111. 5 Vgl. T. A. SEIDEL, S. 87 f. 6 G. WALTHER, S. 34. Das Protokoll der entsprechenden Sitzung, von Schumann selbst geführt, bemerkt lapidar: „Der Einmarsch der Amerikaner und sein Einfluss auf die kirchlichen Verhältnisse“ (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). Ebenso wenig auskunftsfreudig – und damit bezeichnend für Schumanns Haltung gegenüber diesen Vorgängen – auch seine Schilderung in: H. SCHUMANN, S. 219, wo er mit keinem Wort auf die innerkirchlichen Auseinandersetzungen eingeht. 7 G. WALTHER, S. 34.
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hatte, so hatte sie doch die deutschchristliche Kirchenleitung als geistliche Leitung immer abgelehnt und dafür etliche Disziplinarmaßnahmen über sich ergehen lassen müssen. Da man sich auf Seiten des Leipziger Pfarrernotbundes darüber im Klaren sein musste, dass die Stellung Schumanns in Leipzig wohl nicht zu erschüttern war, richtete sich der Widerstand vor allem gegen Wäntig, der als Exponent des staatlich eingesetzten Dresdner Kirchenregiments galt. Die BK hatte doch im Kirchenkampf die Relevanz der kirchlichen Autonomie immer stärker betont. Die Empfehlung Schumanns zu Wäntigs Weiterbeschäftigung musste als offener Affront der „Mitte“ gegen die BK angesehen werden. Die handelnden Akteure wussten, dass die rechtlichen und praktischen Voraussetzungen für die Bestellung eines ordentlichen Kirchenregiments – nämlich Wahlen zur Bildung einer Synode – aus verschiedenen Gründen in absehbarer Zeit nicht zu schaffen waren. Daher agierte der Pfarrernotbund zweigleisig: Zum einen versuchte er, mit Schumann direkt zu einer einvernehmlichen Leitungslösung zu kommen, zum anderen suchte er Bundesgenossen. Als Vermittler diente der Rechtsanwalt Johannes Weygand, der Schumann am 9. Mai Vorschläge des Bruderratsvorsitzenden Oskar Meder unterbreitete8. Um „die Leitung der Kirchen deren wahrem Wesen gemäß zu gestalten“, so Meder, müsse man sich gegen die Beteiligung des Kreiskirchenamts und insbesondere gegen dessen Leiter Wäntig wenden9. Vorgeschlagen wurde die Leitung durch ein dreistimmiges Kollegium aus dem Stadtsuperintendenten Schumann und je einem vom Bruderrat zu bestimmenden Pfarrer und Laien, also einem Gremium, in dem die Bekennende Kirche eine Zweidrittelmehrheit gehabt hätte. Dass Schumann keineswegs gewillt war, auf diese Lösung einzugehen, machte der Aufruf deutlich, den er und Wäntig nur zwei Tage später an die Pfarrämter, Kirchenvorstände und Kirchgemeinden verschickten. Ohne auch nur ein Wort über die Legitimität der alten Kirchenleitung zu verlieren, verkündeten sie: „Die Superintendentur Leipzig-Stadt und das Evangelisch-lutherische Kreiskirchenamt werden ihre Aufgaben innerhalb der Zuständigkeiten wie bisher erfüllen. Angelegenheiten, die der Zuständigkeit des Landeskirchenamtes unterliegen, werden sie in Vertretung des Landeskirchenamtes gemeinsam bearbeiten und, soweit nötig, entscheiden“10.
8 Nach eigenen Angaben war Weygand im Nationalsozialismus als juristischer Berater des Leipziger Pfarrernotbundes tätig gewesen. Vgl. Weygand an Schumann am 9. Mai 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I). 9 EBD. 10 Schreiben der Superintendentur Leipzig-Stadt und des Kreiskirchenamtes Leipzig an die Pfarrämter, Kirchenvorstände und Kirchgemeinden am 11. Mai 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I).
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Der mittlerweile 76jährige BK-Amtsbruder Kühn appellierte daraufhin an Schumann, „ganz vertraulich und ganz herzlich [. . .], dass Sie Ihren Erlass über Bildung des neuen Kirchenregiments sofort zurückziehen, ne quid detrimenti capiat ecclesia“11. Kühn drohte Schumann an, dass angesichts der NS-Belastung von Wäntig und Bruhns – Schumanns Stellvertreter, der Parteimitglied gewesen war12 – die amerikanische Besatzungsmacht zur Intervention veranlasst werden könnte, und ermahnte Schumann: „Bleibt Ihr Erlass, dann ist Kirchenkampf unvermeidlich. Ich habe zum Frieden reden wollen, aber ich fürchte, dass so das Schwert Jesus13 gezückt wird“14. Daraufhin wandten sich Schumann und Wäntig an die Pfarrgemeinden und teilten ihnen mit, dass die Erklärung nicht von der Kanzel zu verlesen sei15. Angesichts dieser hartnäckigen Haltung und der offenkundigen Unmöglichkeit, mit Schumann zu einer für sie tragbaren Lösung zu kommen, forcierten die bekenntniskirchlichen Kräfte einen anderen Weg, den der Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig, Albrecht Oepke, kurze Zeit später folgendermaßen beschrieb: „In Halle und Zwickau hat man Kirchenleitungen ohne Verbindungen mit den bisherigen Rechtsträgern, einfach durch eine gewisse Diktatur der BK oder irgendwelcher anderer Kreise ins Leben gerufen. Das mag möglich sein, wo die Stimmung einheitlicher ist als bei uns. Für Leipzig hätte solch ein diktatorisches Vorgehen sicher zu Schwierigkeiten geführt“16.
Deshalb habe man in Leipzig alle erreichbaren Rechtsträger beteiligt. Heinrich Bornkamm17, Dedo Müller und Albrecht Oepke als Vertreter der Theologischen Fakultät, Pfarrer Max Junge vom Pfarrerverein, Pfarrer Johannes Herz und der stellvertretende Ephorus Oskar Bruhns von der „Mitte“ und als Vertreter des Bruderrats die Pfarrer Theodor Kühn, Hermann Rietschel und Hans Rißmann trafen sich am 18. Mai und vereinbarten, eine Kirchenleitung „zunächst für die unter amerikanischer Verwaltung stehenden Teile Sachsens“ zu installieren, die die Befugnisse des bisherigen Landeskirchenamtes innehaben sollte18. In der zu bildenden Kirchenleitung sollten neben dem Stadtsuperintendenten als geistlichem Leiter je ein Ver11 Kühn an Schumann am 16. Mai 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I). 12 Zu dem Parteiausschlussverfahren im Jahr 1937 wegen seines Verhaltens gegenüber Lewek vgl. oben S. 141. 13 Hervorhebung im Original. 14 Kühn an Schumann am 16. Mai 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I). 15 M. HEIN, S. 40. 16 Oepke an Niedner am 14. Juli 1945 (ADSL, Schrank VIIII, Konsistorium, Bd. I). 17 Vgl. K. NOWAK, Zeiterfahrung. 18 Eine weitere Unterschrift ist nicht zu entziffern. Handschriftliche Niederschrift vom 18. Mai 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I).
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treter der Theologischen Fakultät und der Pfarrerschaft, ein Jurist, ein „Schulmann“ und ein Finanzsachverständiger vertreten sein19. Es gab deutliche Bestrebungen, das Gebiet über Leipzig hinaus auszudehnen, und ebenso offenbar die Absicht, von der Messestadt aus ein neues sächsisches Kirchenregiment zu etablieren20. Auf der Sitzung am 22. Mai wurden die Institutionen festgelegt, die Wahlmänner für die Wahl des Konsistoriums entsenden durften. Schon in der Zusammensetzung dieses Gremiums wurde der Kompromiss zwischen Tradition und Erneuerung offenkundig: Schumann hatte Fröhlich und Wäntig als Vertreter von Superintendentur und Kreiskirchenamt durchsetzen können, während der Pfarrernotbund zwei Vertreter des Kreisbruderrats entsenden durfte. Dabei waren weiterhin Repräsentanten der Theologischen Fakultät, des Pfarrervereins und als Laien neben Wäntig zwei Mitarbeiter des Kirchgemeindeverbands. Die Wahl wurde schon am darauf folgenden Tag einstimmig vorgenommen, wollte man doch Interventionen durch die amerikanische Besatzungsmacht zuvorkommen – sicherlich eine Lehre aus den vorangegangen zwölf Jahren21. Zum Leiter des „Evangelisch-lutherischen Konsistoriums“ wurde der zur BK gehörende Albrecht Oepke bestimmt und damit, anders als noch am 18. Mai vorgesehen, das Leitungsamt von dem des Stadtsuperintendenten getrennt. Den Vorsitz hatte die BK als Preis für die Lasten des Kirchenkampfes gefordert22. Weiter waren im Konsistorium vertreten Martin Doerne von der Theologischen Fakultät, Superintendent Schumann und als theologisches Mitglied Richard Otto, der nach seinem Ausscheiden aus dem Thüringischen Landeskirchenrat 1933 als Dozent am Missionsseminar Leipzig tätig gewesen war23. Die Laien repräsentierten der Rechtsanwalt beim Reichsgericht Carl G. Ruland24, der Buchhändler Walter Fiedler als Finanzfachmann und Friedrich Haufe, Lehrer an der Thomasschule und Gründungsmitglied der Bekennenden Kirche in Sachsen25. Schumann musste die Beaufsichtigung seiner Arbeit durch die BK hinnehmen, denn Oepke übernahm noch auf der 1. Sitzung des Konsistoriums 19 EBD. 20 Vgl. M. HEIN, S. 47. 21 Niederschrift vom 23. Mai 1945 von Pfr. Lehmann (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I). Hinsichtlich des als Schulfachmann vorgesehenen Friedrich Haufe, Lehrer an der Thomasschule, befürchtete man Probleme bei den Amerikanern wegen seiner Parteimitgliedschaft und wählte vorsorglich als Ersatzmann Dr. Eichelbaum von der Thomasschule nach. 22 G. WALTHER, S. 34 f. 23 Von 1937/38 bis 1950 war Otto Geschäftsführer des Lutherischen Einigungswerkes (vgl. M. HEIN, S. 47). 24 Eine Beurteilung Rulands durch die Abt. Personalpolitik der SED-Kreisleitung in: STAL, SED-BL 1952–1962, IV/2/15/671; eigenhändige Lebensläufe in: STAL, Landgericht Leipzig 7731 und SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL 869, Bl. 1. 25 M. HEIN, S. 47 f.
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am 6. Juni das Dezernat „Leipzig-Stadt“ und damit die Kontrolle über Schumanns Tätigkeit in Personalfragen. Der Schulfachmann Haufe wurde wegen seiner NS-Belastung als ständiges Mitglied zurückgezogen und sollte nur noch in Spezialfragen konsultiert werden26. Auf der anderen Seite konnte es Schumann als Erfolg verbuchen, dass Wäntig Leiter des Kreiskirchenamtes blieb. Das Konsistorium bemühte sich nach drei Richtungen um Akzeptanz: bei der amerikanischen Besatzungsmacht, die die Existenz des Konsistoriums zur Kenntnis nahm27, bei der Leitung der Landeskirche in Dresden und bei den zu betreuenden Gemeinden. Am 14. Juni bestätigte das Landeskirchenamt in Dresden die Kompetenzen des Konsistoriums28. Dabei betonte es die Vorläufigkeit der Regelung und die räumliche Begrenzung auf die Ephorien Leipzig-Stadt, LeipzigLand, Borna und Grimma. Die Leipziger wurden aufgefordert, mit dem unter Leitung von Pfarrer Friedrich Helm in Zwickau gebildeten „Vorläufige[n] Kirchenausschuss für Südwestsachsen“ zusammenzuarbeiten. Helm, der als stark bekenntniskirchlich ausgerichteter Pfarrer galt, musste zwar hinnehmen, dass auch im Vorläufigen Kirchenausschuss Vertreter der „Mitte“ saßen, doch gedachte er, wie er dem württembergischen Landesbischof Wurm versicherte, einen strikten Kurs in der Frage der personellen Säuberung der Pfarrerschaft vorzunehmen: „Dass die Superintendenten und Pfarrer der ‚Mitte‘ zum Teil eine große Betriebsamkeit entfalten und ganz eigenbrödlerisch vorgehen, vor allem, was nach BK aussieht, ablehnen, ist zwar verständig [sic] bei ihrem stets gezeigten großen Geltungsdrang, aber doch eben der Sache echter Kirche sehr schädlich“29. So gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Leipzig und Zwickau gerade in Fragen der personellen Neuordnung nicht unproblematisch30. Mit Schreiben vom 20. Juni 1945 wandte sich das Konsistorium an die Pfarrer31. Es gab die Ergebnisse der Verhandlungen bekannt. Zu den beiden 26 Protokoll über die Sitzung vom 6. Juni 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I). J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, S. 306, datiert diese Sitzung fälschlicherweise auf den 1. Juni (möglicherweise falsch übernommen von G. WALTHER, S. 35). 27 Der Antrag an die Militärregierung vom 29. Mai 1945 in deutscher und englischer Fassung in: ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I. Auf der deutschen Fassung vermerkte Schumann, der am 1. Juni das Anliegen des Konsistoriums mündlich bei der Militärbehörde vorgetragen hatte, handschriftlich: „Am 2. Juni 1945 teilte mir das Mil. Gov. fernmündlich mit, dass es von dem obigen Schreiben Kenntnis genommen habe, ein schriftlicher Bescheid werde nicht erteilt, das Kons. könne aber seine Tätigkeit im Einvernehmen mit dem Mil. Gov. aufnehmen. Sollten sich Schwierigkeiten ergeben, sollte sich das Kons. melden“. 28 Kotte an Oepke am 14. Juni 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. I). 29 Helm an Wurm am 20. Juli 1945 (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, Dok. 43b, S. 338 f.). 30 Zu den Differenzen zwischen Leipzig und Zwickau vgl. M. HEIN, S. 65–71. 31 Das vorläufige Ev.-luth. Konsistorium in Leipzig: „Verehrte und liebe Brüder im Amt!“
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zentralen Aufgaben des Konsistoriums zählte die Wiederherstellung des kirchlichen Friedens in den Gemeinden durch gegenseitige Aussprache. Vor allem aber bot es den Pfarrern gegenüber der Besatzungsmacht Unterstützung an. „Wir glauben, dass für die gegenwärtige Situation, besonders für die Verhältnisbestimmung von Kirche und Politik, von Luther Entscheidendes zu lernen ist, und sind bereit, Sie dabei gegebenenfalls mit Rat und Tat zu unterstützen“32. Es musste das Ziel des Konsistoriums sein, Interventionen der Besatzungsmacht zu verhindern und die Kontrolle über die Entnazifizierungsmaßnahmen im kirchlichen Bereich zu bekommen. Ansonsten informierte das Schreiben über die anstehenden Probleme und Aufgaben: Finanzen, Predigt, Männerwerk und Frauendienst, die religiöse Erziehung und Unterweisung der Jugend, Konfirmandenunterricht und Bestattungsfragen. Bis zur Einstellung seiner Arbeit am 18. September 1945 hielt das Konsistorium 15 Sitzungen ab. In allererster Linie waren es Personalfragen, die das Leipziger Kirchenregiment beschäftigten. Die Mitglieder des Konsistoriums reisten in die verschiedenen Ephorien, um sich dort über die kirchliche Lage zu informieren und offenkundig notwendige Personalveränderungen vorzunehmen. Darüber wurde ausführlich in den Sitzungen berichtet. In Leipzig trat der stellvertretende Superintendent Oskar Bruhns zurück33. Ferner wurden Abmachungen getroffen, wie die nicht mehr beschlussfähigen kirchlichen Vertretungen personell aufgestockt oder durch Ortskirchenausschüsse ersetzt werden sollten34. Schumann suspendierte den stark belasteten Pfarramtsleiter der Immanuelgemeinde in Probstheida, Johannes Römer, und übernahm dort selbst kommissarisch die Pfarramtsleitung. Zur Anbindung an die ökumenischen Hilfsbemühungen berichteten am 19. Juni Hans Schönfeld, Direktor der Studienabteilung des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum, und sein Kollege Eduard Wätjen vor dem Konsistorium über die internationalen Hilfsbemühungen35. Zur Information der Pfarrer erschienen Verordnungsblätter36, die die vom Kon(abgedruckt in: M. HEIN, S. 266–270). Laut M. HEIN, S. 39, wurde das Schreiben erst am 27. Juni 1945 verlesen. 32 EBD. 33 Der Rücktrittswunsch Bruhns’ wurde auf der 11. Sitzung am 14. August akzeptiert (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). Vgl. M. HEIN, S. 227. 34 So wurde an der Auferstehungsgemeinde in Leipzig-Möckern ein Ortskirchenausschuss eingesetzt. Vgl. Protokoll der Sitzung vom 11. August 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). 35 Protokoll der 3. Sitzung am 19. Juni 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium Bd. 2). Der Bericht des Leiters der ÖRK-Delegation, Adolf Freudenberg, über die Reise abgedruckt in: C. VOLLNHALS, Zusammenbruch, Dok. 2, S. 9–14. Freudenberg wurde in dem Protokoll der Konsistoriumssitzung allerdings nicht erwähnt. Zu dieser Reise des ÖRK durch Deutschland vgl. auch J. M. WISCHNATH, Kirche in Aktion, S. 43 f. 36 Am 11. Juli 1945 und im August erschienen zwei Verordnungsblätter. Das Erste wurde
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sistorium beschlossenen Runderlasse enthielten, und weiterhin unterrichtete der Vorsitzende Oepke in den so genannten Monatsbriefen seine Amtsbrüder37.
2.2 Die Auseinandersetzung um Superintendent Schumann Die Auseinandersetzungen zwischen Bekennender Kirche und „Mitte“ um die personelle Erneuerung in Leipzig erreichten im Spätsommer/Herbst 1945 ihren Höhepunkt. Am 21. Juli 1945 hatte Oskar Meder im Auftrag des Pfarrernotbundes einen Brief an Oberkirchenrat Schumann gerichtet und dabei schwere Vorwürfe gegen die kirchliche „Mitte“ erhoben38. Er beklagte, dass „auch die Mitte grundsätzlich mit dem nationalsozialistischen Kirchenregime gearbeitet und es toleriert, sich ihm unterstellt, seine Verordnungen durchgeführt, den Widerstand der B. K. abgelehnt und oft verdächtigt“ habe. Weiterhin glaubte er feststellen zu müssen, „dass in Leipzig die B. K. auch weiterhin möglichst ausgeschaltet bleiben soll durch Beibehaltung der bisherigen Personalpolitik“, und folgerte, dass „echter Neubau der Kirche [. . .] nur dort möglich sein [wird], wo Mitte und B. K. aus einer wirklichen Buße her zu einer wahren Gemeinschaft kommen, deren Aufgabe und Sinn nichts ist als ein lauterer Dienst in und an der Kirche des dritten Artikels“.
Die Konflikte kulminierten in der Ephoralversammlung am 10. August 1945, als Vertreter der BK Schumanns Position in Frage stellten, worauf die „Mitte“ konzertiert antwortete39. Herz gab als Senior der Pfarrerschaft die Ehrenerklärung für Schumann ab, Bruhns forderte diese auf, dem Superintendenten das Vertrauen zu bezeugen, und Direktor Mieth schloss mit breiten Ausführungen zur Rolle der „Mitte“ im Dritten Reich. In der Abstimmung sprach sich laut Protokoll die große Mehrheit der Pfarrer für Schumann aus. Der Konflikt schwelte jedoch weiter. Auf der nächsten Ephoralkonferenz am 21. September 1945 las Pfarrer Rißmann eine Erklärung des Pfarrernotbundes vor, die im Archiv der Superintendentur nicht aufgefunden werden konnte, wahrscheinlich jedoch eine Antwort auf Mieths Ausführungen enthielt. Dass damit die Streitigkeiten nicht behoben waren, zeigte sogar an die politischen Stellen verschickt. Für das Zweite war dies nicht mehr vorgesehen (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 1). 37 Im Archiv der Superintendentur sind die Monatsbriefe für August und September 1945 überliefert (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 1). 38 Schreiben in: ADSL, 4.3.2. 39 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 10. August 1945 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18).
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sich bei der Besetzung der Stelle des stellvertretenden Superintendenten, die durch den Rücktritt von Bruhns frei geworden war. Es war zwischen BK und „Mitte“ verabredet worden, einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten40. Offensichtlich kam es zu keiner Einigung, denn auf der nächsten Ephoralversammlung am 2. November 1945 kam es zu einer Kampfabstimmung zwischen dem Vertreter der „Mitte“, Johannes Herz, und Pfarrer Hans Rißmann, in der sich Herz mit 56 zu 18 Stimmen eindeutig durchsetzen konnte41. Die Situation der „Mitte“ und damit auch die Schumanns wurde hierdurch gefestigt und die Hoffnung der Vertreter der BK, die Umbruchsituation für personalpolitisches Revirement zu ihren Gunsten zu nutzen, war endgültig gescheitert. Danach wurde die Position Schumanns von der Leipziger Pfarrerschaft nicht mehr in Frage gestellt42. Doch die Tatsache, dass die „Mitte“ nicht bereit war, den Stellvertreterposten der BK zu überlassen, zeigt, wie konfrontativ sich beide kirchenpolitischen Gruppen gegenüberstanden.
2.3 Die „Selbstreinigung“ der Leipziger Pfarrerschaft 2.3.1 Das Leipziger Konsistorium Nachdem mit dem Konsistorium eine vorläufige Kirchenleitung für das nordwestsächsische Gebiet geschaffen war, musste die Frage des künftigen Umgangs mit jenen Pfarrern, Mitgliedern von Kirchenvorständen und kirchlichen Verwaltungsbeamten, die der NSDAP oder der DC-Bewegung oder beiden angehört hatten, geregelt werden. Im Prinzip waren die Kirchenführer mit dem bereits im Februar 1945 in Jalta gefassten Beschluss einverstanden, „alle Kriegsverbrecher einer gerechten und schnellen Bestrafung zuzuführen [. . .], die Nazi-Partei, die nazistischen Gesetze, Organisationen und Einrichtungen vom Erdboden zu tilgen, alle nazistischen und militärischen Einflüsse aus öffentlichen Einrichtungen, dem Kultur- und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes zu entfernen“43. Die eigentlichen Probleme stellten sich bei der Umsetzung. Neben den zu ergreifenden Sofortmaßnahmen wie der Auflösung der NSDAP umfasste die „denazification“ weit reichende personelle Überprüfungen, für die 40 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 21. September 1945 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 41 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 2. November 1945 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 42 Weitere Machtproben gegen Schumann sind in den Protokollen der Ephoralversammlung nicht mehr dokumentiert. 43 Kommuniqué über die Konferenz von Jalta, 11. Februar 1945 (abgedruckt in: K. J. RUHL, S. 49–51, hier S. 50).
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die Kriterien genau festgelegt werden mussten. Außerdem war gerade in der Übergangszeit nicht klar, wie sich die Besatzungsmächte und die unter ihrer Kontrolle stehenden neu eingerichteten Verwaltungen verhalten würden. In der Stadt Leipzig betraf diese Frage 25 von 117 tätigen Pfarrern, die als „Parteigenossen“ und/oder „Deutsche Christen“ belastet waren. Dass die Mitglieder des Konsistoriums auf ihrer 1. Sitzung am 6. Juni übereinkamen, die „Bereinigung aller Personalfragen alsbald in die Hand zu nehmen und nicht auf ein Eingreifen der Militärregierung zu warten“44, lag sicherlich an dem rigiden Eingreifen der Amerikaner und der Stadtverwaltung, die bis Ende Mai schon über 800 Personen entlassen hatten45. Ende Mai waren die „Grundsätze der Militärregierung über die Säuberung des öffentlichen Dienstes von Nationalsozialisten“ veröffentlicht worden, die für sehr früh der NSDAP beigetretene und exponierte Nationalsozialisten die Entlassung vorsahen46. Der am städtischen Krankenhaus St. Georg angestellte Geistliche Richard Petermann, der Parteimitglied gewesen war, war noch im Juni 1945 fristlos entlassen worden47. Dabei spielte allerdings der Vorwurf der Denunziation eine gewichtige Rolle48. Dass er als städtischer Angestellter unter die Richtlinien der Besatzung fiel, musste das Konsistorium hinnehmen, wenn es auch versucht war, die finanziellen Auswirkungen der Entlassung zu lindern49. Petermann bemühte sich im Folgenden um eine anderweitige Einstellung in der Landeskirche und durchlief deshalb das kirchliche Säuberungsverfahren50. Dass die Initiativen der Stadtverwaltung nicht ohne Auswirkungen auf die evangelische Kirche geblieben sind, zeigt ein Schreiben Schumanns an die Pfarrämter von Ende Mai 1945, in dem er „diejenigen Herren Geistlichen, die Parteigenossen gewesen sind“, bittet, ihm umgehend mitzutei44 1. Sitzung des Konsistoriums am 6. Juni 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). 45 K.-D. HENKE, Besetzung, S. 700; vgl. auch H. A. WELSH, Wandel, S.32 f. Von der Behinderung einer gründlichen Säuberung durch die amerikanische Besatzungsmacht kann also keine Rede sein. Zu den amerikanischen Bemühungen vgl. auch die Beschwerden im „Beirat der Stadtverwaltung“ in der Sitzung vom 5. Juni 1945: „Die Personalpolitik der Militärregierung macht der Stadtverwaltung außerordentliche Schwierigkeiten. Selbstverständlich ist gegen eine Säuberungsaktion gegen bestimmte Nationalsozialisten nichts einzuwenden. Jetzt gehen aber die Kündigungen schon so weit, dass ganze Zweige der Stadtverwaltung totgelegt werden“ (STA L, StVuR [I] 1, Bl. 25). 46 ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7. 47 Zum Fall Petermann vgl. M. HEIN, S. 177–182. 48 Ein Ermittlungsvorgang gegen Petermann wegen Denunziation im Dritten Reich wurde 1948 eingestellt (BARCH-DH, ZD 4038, 14). 49 Petermanns Entlassung wurde auf der 10. Sitzung des Konsistoriums behandelt. Es wurde beschlossen, „ihm im Notfalle ein monatliches Darlehen zu gewähren bei späterer Verrechnung“ (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 1). 50 Der Leipziger „Vertrauenskreis“ empfahl im März 1946 die Einstellung nach einem weiteren Wartejahr (M. HEIN, S. 178).
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len, „unter welchem Datum sie der Partei beigetreten sind und ob sie ein Amt bekleidet haben“51. Unter dem Druck der Öffentlichkeit – das Konsistorium hatte Bedenken, dass sich Gegner der Deutschen-Christen-Pfarrer an die Militärregierung wenden könnten – wurden Superintendent Schumann und Prof. Doerne, ein Mitglied der BK, in besagter Sitzung des Konsistoriums aufgefordert, geeignete Richtlinien zu entwerfen52. Hierbei kam die Idee auf, von jedem Belasteten eine schriftliche Erklärung mit einer deutlichen Absage an die Partei oder die Politisierung der Kirche zu fordern. Schon in der nächsten Sitzung am 13. Juni wurden diese Richtlinien: „‚Deutsche Christen‘ und Mitglieder der NSDAP als Amtsträger der Kirche“ verabschiedet53. Eingeleitet wurden sie mit der Forderung, dass die Kirche diese Frage eigenständig lösen sollte. Die Richtlinien gingen von zwei Prämissen aus: Sie sollten öffentliche Vertrauenswürdigkeit mit seelsorgerlicher Sorgfalt gegenüber dem Einzelfall verbinden. Dabei setzten sie die Bedingungen für die Eröffnung eines Verfahrens hoch an: Nur diejenigen Personen, die bis zuletzt zu der Glaubensbewegung gehalten hatten, mussten sich dem Verfahren unterziehen, während die Mitgliedschaft in der NSDAP, ohne Rücksicht auf das Eintrittsdatum, als solche kein Hindernis für den Verbleib in einem kirchlichen Amt bot. Lediglich bei nachweisbarem Schaden in der Kirchgemeinde war ein klärendes Gespräch mit der Kirchenleitung vorgesehen. Die Deutschen Christen sollten ihre Loslösung von der Glaubensbewegung durch eine schriftliche Erklärung zur Kenntnis geben54. Deutschchristliche Superintendenten konnten aus ihren Ämtern entfernt werden. In besonders schwerwiegenden Fällen war nach einer seelsorgerlichen Prüfung durch die Kirchenleitung die Versetzung oder die zeitweilige Beurlaubung als äußerstes Mittel möglich. In der Praxis bewirkten die Richtlinien des Konsistoriums, dass auch stark belastete Geistliche und Beamte weiter amtieren konnten. Selbst der Superintendent von Leipzig-Land, Andreas Fröhlich, verblieb in seinem Amt. Er war Parteimitglied gewesen und hatte besonders in den ersten Jahren des Nationalsozialismus eifrig an der deutschchristlichen „Erneuerung“ 51 Schumann an die Pfarrämter am 30. Mai 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 52 1. Sitzung des Konsistoriums am 6. Juni 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). 53 ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7 (abgedruckt in: M. HEIN, S. 271 f. Hier wird fälschlich Oepke als Autor ausgewiesen). 54 Die Formel lautet folgendermaßen: „Ich habe mich überzeugt, dass die deutsch-christliche Bewegung der Kirche durch die Vermischung geistlicher und politischer Ziele ernsten Schaden zugefügt hat und bin gewillt, mein Amt in klarer Loslösung von diesen deutschchristlichen Ideen und Bestrebungen gemäß meinem Ordinationsgelübde und den Ordnungen der Landeskirche zu führen“. In: „Deutsche Christen“ und Mitglieder der NSDAP als Amtsträger der Kirche (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7).
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teilgenommen. Als Superintendent bestätigt, hatte er gemeinsam mit einem weiteren Dezernenten des Konsistoriums nun die Richtlinien auf Pfarrer seiner Ephorie anzuwenden. Auch der Leiter des Kreiskirchenamtes, Ernst Wäntig, blieb vorerst im Amt. Da das Konsistorium damit rechnete, seine Richtlinien gegenüber staatlichen Stellen rechtfertigen zu müssen, sollte versucht werden, „die besonderen Gründe, aus denen die Kirche gemäß ihrem Wesen einer schematischen Regelung dieser Fragen widerstrebt, in Verhandlungen zu vertreten“. Die für die Geistlichen erstellten Richtlinien sollten im Ganzen auch für die kirchlichen Beamten gelten. Im Vergleich zu dem Vorgehen in Dresden und in Zwickau handelte es sich in Leipzig um ein „innerkirchlich enger gehaltenes Verfahren“55. In Zwickau z. B. wurde eine öffentliche Absage vor der Gemeinde als notwendig angesehen56. In der Forschung ist die Frage gestellt worden, „ob hier in aller Konsequenz nach den ‚geistlichen und bekenntnismäßigen Verirrungen‘ gefragt wurde oder ob es lediglich um den inneren kirchlichen Frieden ging“57. Die Zeit bis zum Ende der amerikanischen Besatzungsherrschaft war für das Konsistorium von großer Unsicherheit geprägt, da sich die Kirchenleitung über die Reichweite der Säuberungsmaßnahmen der Militärregierung im Unklaren war. Tatsächlich war es in einzelnen Orten zu Entlassungen von belasteten Pfarrern auf Initiative der Besatzungsmacht gekommen. Auch die amerikanische Militärregierung hatte Ende Juni an die Leitung der Leipziger Evangelischen Kirche das Ersuchen gerichtet, Pfarrer und Kirchenbeamte zu entlassen, die durch ihre Zugehörigkeit zur NSDAP belastet waren. Am 27. Juni berichtete Schumann, dass er deswegen bei der Militärregierung interveniert habe, eine endgültige Regelung aber noch nicht getroffen sei58. Bis Ende Juni war, soweit aus den Protokollen des Konsistoriums erkennbar, durch die Leipziger Kirchenleitung lediglich der deutschchristliche Pfarramtsleiter der Paul-Gerhardt-Gemeinde pensioniert worden59.
2.3.2 Die Übergangsphase Juli bis Oktober 1945 Am 1. Juli übernahm die sowjetische Besatzungsmacht Leipzig. Für das Konsistorium änderte sich durch den Besatzungswechsel zweierlei: Es traf nun auf eine Besatzungsmacht, gegenüber der es deutlichere Reserven hatte 55 56 57 58 59
So M. HEIN, S. 140. EBD., S. 143. EBD., S. 142. 5. Sitzung des Konsistoriums (ADSL, Schrank VIIII, Konsistorium, Bd. 2). EBD.
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als gegenüber den Amerikanern. Zweitens wurde durch den Wegfall der Muldegrenze der Kontakt zur Leitung der Landeskirche erleichtert, ein Arrangement mit der Dresdner Kirchenleitung für eine Übergangszeit bis zur Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit der Landeskirche also notwendig. Die dort mittlerweile erarbeiteten Richtlinien für Geistliche, die sich nur unwesentlich von denen des Konsistoriums unterschieden, wurden Anfang August vom Konsistorium übernommen, das Verfahren aber allein in Leipzig abgewickelt60. Probleme ergaben sich hinsichtlich der kirchlichen Beamten, für die der Anfang Juli herausgegebene Runderlass Nr. 5 der Landeskirche die Übernahme der Grundsätze der Stadtverwaltung Dresden vorsah61. Danach sollten in den Behörden vordringlich alle in Leitungsfunktionen befindlichen Personen überprüft und entlassen werden, die vor dem 30. Januar 1933 der NSDAP beigetreten, Angehörige der SA oder der SS bzw. Spitzel oder Denunzianten gewesen waren. Nominelle Parteimitglieder durften in ihren Ämtern bleiben. Besondere kirchliche Entlassungs- oder Privilegierungsgründe sah der Runderlass allerdings nicht vor. Zur Übernahme dieser Richtlinien für die kirchlichen Beamten hieß es zweideutig: „Nach diesen Grundsätzen wird auch hinsichtlich der Beamten, Angestellten und sonstigen Arbeitskräfte der Verwaltung der Landeskirche und ihrer Unterverbände zu verfahren sein“, eine Klausel, die nach kirchlicher Interpretation eigenen Ermessensspielraum belassen sollte62. Der Runderlass stiftete in Leipzig Unsicherheit und Unruhe. In der 8. Sitzung des Konsistoriums einigte man sich darauf, ihn „dilatorisch zu behandeln“, d. h. ihn nicht anzuwenden63. Bis Ende des Monats konnte zwischen dem Landeskirchenamt und dem Konsistorium Klarheit hergestellt werden: Für die kirchlichen Beamten wurde ein „kirchlicher Gesichtspunkt“ eingeführt. Am 30. Juli 1945 erließ das Präsidium der Landesverwaltung die „Verordnung über den personellen Neuaufbau der Landesverwaltung Sachsen“64. Die Initiative und Kontrolle der Säuberungsmaßnahmen ging jetzt von den Kommunen und Gemeinden auf das Land über, und das vorher vorhandene Richtlinienwirrwar wurde durch eine neue zentrale Anweisung ersetzt. Die Verordnung setzte sich „die Bildung eines neuen demokratischen Verwaltungsapparates, gestützt auf alle freiheitlichen und fortschrittlichen Kräfte des Landes“, zum Ziel. Gegenüber den bis dahin in Leipzig 60 11. Sitzung des Konsistoriums vom 14. August 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). 61 Runderlass Nr. 5 vom 2. Juli 1945 (ADSL, 2.1.3). Zu den Grundsätzen der Dresdner Stadtverwaltung vgl. auch A. THÜSING, S. 124 f. 62 So Kotte an Schumann am 30. Juli 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 63 Die Sitzung fand am 18. Juli 1945 statt (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). 64 Abgedruckt in: Nachrichtenblatt Leipzig Nr. 15 vom 28. Juli 1945. Vgl. auch A. THÜSING, S. 126–128.
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bestehenden Grundsätzen bedeutete sie eine massive Verschärfung, konnten doch nur bei Nachweis einer „gegen den Nazismus oder gegen den Krieg gerichteten antifaschistische[n] Tätigkeit“ ehemalige Parteimitglieder eingestellt, übernommen und weiter beschäftigt werden. Ausnahmen galten nur für Fachkräfte, die nicht ohne weiteres ersetzt werden konnten. Obwohl die Verordnung heftig kritisiert wurde, legte die Landesverwaltung ihre Gültigkeit für die gesamte Verwaltung fest65. In Leipzig mahnte der Oberbürgermeister nun beim Kreiskirchenamt an, drei wegen ihrer Parteimitgliedschaft belastete Mitarbeiter zu entlassen, zu denen der Leiter des Amtes Wäntig gehörte66. Das Leipziger Konsistorium fasste daraufhin am 2. August 1945 den Entschluss, Wäntig mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zu entbinden67. Er blieb jedoch weiterhin beim Kreiskirchenamt angestellt68. Die endgültige Entscheidung sollte dem Landeskirchenamt in Dresden überlassen bleiben. In einer Besprechung des Personalamtes der Stadt Leipzig Ende August wurde die Einbeziehung der kirchlichen Beamten und Angestellten nochmals betont69. Da die Verordnung jene Personen ausnahm, „die eine gegen den Nazismus oder den Krieg gerichtete antifaschistische Tätigkeit nachweisen können“70, argumentierte das Konsistorium, dass die Kirche durch ihr bloßes Dasein antifaschistisch gewirkt habe, und versuchte dadurch, ihre Mitarbeiter zu schützen71. Auf lokaler Ebene gab es also durchaus Bestrebungen, die Kirchen, vor allem deren nichtgeistliche Mitarbeiter, in die kommunalen Entnazifizierungsprozesse einzubeziehen. Schließlich wurde aber sowohl auf kommunaler wie auch auf Landesebene verabredet, auf offene Eingriffe in kirchliche Personalia zu verzichten. Die politischen Spitzen in der Stadt, der SPD-Bezirksvorsitzende Stanislaw Trabalski, der Vorsitzende der KPD-Kreisleitung, Ernst Lohagen, und Oberbürgermeister Erich Zeigner, besprachen Anfang Oktober die 65 Verordnung über den personellen Neuaufbau der öffentlichen Verwaltung vom 17. August 1945 (abgedruckt in: H. A. WELSH, Wandel, S. 177 f.). 66 Schreiben des Oberbürgermeisters an den Kreiskirchenrat vom 30. Juli 1945 (BKA LEIPZIG, A 31b). 67 10. Sitzung des Konsistoriums am 1. August 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). 68 Schumann an den Bürgermeister von Markkleeberg am 2. August 1945 (ADSL, Schrank VIII, Konsistorium, Bd. 2). 69 Zu dieser Sitzung vom 30. August 1945 vgl. Oepke an Landeskirchenamt vom 30. August 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 70 Verordnung über den personellen Neuaufbau der öffentlichen Verwaltung vom 17. August 1945 (abgedruckt in: H. A. WELSH, Wandel, S. 178). 71 So Oepke in seinem Schreiben an das Landeskirchenamt vom 30. August 1945: „Man lasse der Kirche, die durch ihr bloßes Dasein antifaschistisch wirkt, Möglichkeit und Zeit, die Dinge aus ihrem Gewissen heraus nach ihren eigenen inneren Grundsätzen zu ordnen“. (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7).
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Frage, „ob der Staat oder die Gemeinde (Kirchenamt) sich in diese innerkirchliche Angelegenheit, die aber außerkirchlich größte Bedeutung haben wird, einmischen soll“, und einigten sich darauf, auf solche Eingriffe zu verzichten72. Ähnlich zurückhaltend hatte auch die Landesverwaltung reagiert. Ein an ihren Präsidenten gerichteter Vermerk aus dem Sommer 1945 empfahl, „es möchte den kirchlichen Gemeinschaften überlassen bleiben, ihre Organisations- und Personenfragen im Sinne der Befreiung von nationalsozialistischem und militaristischem Ungeist selbst zu lösen. [. . .] Jedenfalls möchten Eingriffe der Landesverwaltung unterbleiben, solange die Beseitigung von Missständen auf dem Wege über kirchliche Selbstverwaltung sich noch nicht als unmöglich erwiesen hat“73.
Zu offenen Interventionen ist es auch im weiteren Verfahren nicht gekommen. Anders als im Nationalsozialismus, wo Staat und Partei offen gerade in die Führungsstruktur und Personalia der sächsischen Landeskirche eingriffen – etwa beim Sturz des Landeskirchenausschusses 1937 – und sich massiv in die Besetzung von Pfarrstellen einmischten, wurde auf diese Mittel nicht zurückgegriffen, da ihre Anwendung das Bündniskonzept in Frage gestellt und negative Auswirkungen auf das Ansehen der staatlichen und kommunalen Stellen gehabt hätte. Die vom Konsistorium vertretene „weiche“ Linie gegenüber ehemaligen Parteigenossen und Deutschen Christen rief den Widerspruch von Vertretern der Bekennenden Kirche hervor. Professor Walter Baetke vom Kreisbruderrat fragte nach der Glaubwürdigkeit der Kirche, wenn deutschchristliche Pfarrer sich durch eine Erklärung von ihrer Vergangenheit freisprechen könnten und weiter in ihrer Gemeinde Dienst täten74: „Wofür hat man, wofür hat vor allem die Bekennende Kirche eigentlich gekämpft, wenn nun alles so bleiben soll, wie bisher, abgesehen davon, dass man ein paar der übelsten Nazis aus den Pfarramtsleitungen entfernt?“ Auch das Ansehen der Kirche in der Öffentlichkeit sah er gefährdet, wenn Parteigenossen aus führenden Stellungen in Verwaltung, Wirtschaft und Schule entlassen würden, aber in der Kirche gehobene Positionen einnehmen würden. Deshalb forderte er die Konsistoriumsleitung zur Säuberung von den deutschchristlichen Pfarrern auf: „Die Männer aber, deren Händen – menschlich gesprochen – das Schicksal der Kirche anvertraut ist, haben doch wohl in erster Linie dafür zu sorgen, dass sie von innen heraus erneuert wird und nicht durch falsche Rücksichten 72 Zeigner an Trabalski am 26. Oktober 1945 (STAL, SED II/2/12, Bl. 196). 73 SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1509, Bl. 6. 74 Baetke wahrscheinlich an Oepke am 3. September 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7).
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auf die Verderber in ihrem eigenen Schoß sich ein schleichendes Leiden zuzieht, das schlimmer wäre als der vergangene Zustand, in dem sie äußere Gewalt erlitt“75.
Oepke wies diese Vorwürfe zurück76. Für ihn gab es prinzipiell zwei Möglichkeiten des Umgangs mit Parteimitgliedern unter den Amtskollegen: Entweder die genaue Umsetzung der Verordnung vom 17. August 1945, „was praktisch weithin auf die Erfüllung des Gebotes der KPD hinauskommen würde“, oder die Anwendung von eigenen Kriterien77. Auch hier wurde das kirchliche Bemühen spürbar, sich von den staatlichen Vorgaben abzusetzen. Dem Vorwurf, das Konsistorium würde mit ehemaligen DCPfarrern zu zaghaft umgehen, widersprach Oepke, indem er der BK entgegengesetzte Absichten vorwarf: „Es lässt sich nicht ganz von der Hand weisen, dass manche Kreise innerhalb der Bekennenden Kirche dazu neigen, zur Beseitigung der Pgs und Dcs die Bundesgenossenschaft der KPD in Anspruch zu nehmen [. . .]. Diese Kreise scheinen zum Teil radikaler zu sein als die heute maßgebenden Regierungskreise“78. Mit diesem Briefwechsel endete die in Leipzig ausgetragene Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit der NS-Vergangenheit, da sich das Konsistorium auflöste und die Kompetenzen allein auf das Landeskirchenamt übergingen.
2.3.3 Der Runderlass Nr. 20 des Landeskirchenamtes Mit dem Übergang der Kompetenzen des Konsistoriums auf das Landeskirchenamt trat in Leipzig eine Phase der Unsicherheit ein. Auf einem Treffen der landeskirchlichen Superintendenten Mitte September 1945 waren zwar die verschiedenen Standpunkte in der Frage der Selbstreinigung aufeinander getroffen, zu einer definitiven Regelung der anzuwendenden Richtlinien durch das Landeskirchenamt kam es aber nicht. Superintendent Schumann hatte auch dort zu denjenigen Kräften gehört, die eine pauschale Behandlung der Deutschen Christen ablehnten und der Frage der Parteimitgliedschaft keine Priorität einräumten79. Am 1. Oktober 1945 erließ die Landeskirche den Runderlass Nr. 20 „zur Beseitigung von Resten nationalsozialistischer Weltanschauung aus der Pfarrerschaft“80. Zeichnete sich schon der Runderlass Nr. 5 durch „elasti75 EBD. 76 Oepke an Baetke am 14. September 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 77 EBD. 78 EBD. 79 Zu der Ephorenzusammenkunft vgl. ausführlich M. HEIN, S. 150–165; zu Schumann S. 154, 157 f. 80 Runderlass Nr. 20 des Landeskirchenamts (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7).
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sche“ Formulierungen aus, so übertraf ihn diese Anordnung noch. Die Einleitung betonte, dass die Landeskirche eine der Verordnung vom 17. August 1945 entsprechende „Durchkämmung“ der kirchlichen Beamten und Angestellten „unter Berücksichtigung der besonderen Gesichtspunkte, die in der vom Nationalsozialismus bekämpften evangelischen Kirche zu beachten sind“, vornehme. Die Pfarrer wurden verpflichtet, eine ausführliche Erklärung abzugeben, die sich an die einzelnen Punkte der Verordnung der Landesverwaltung „anzulehnen“ habe. Die Erklärungen sollten durch bei den Superintendenturen zu bildende „geistliche Vertrauenskreise“ behandelt werden, die aus vier bis fünf Pfarrern bestehen sollten, wobei der jeweilige Vorsitzende des Vertrauenskreises selbst nicht Parteimitglied gewesen sein durfte81. Die Maßnahmen waren bis zum Jahresende abzuschließen. In kirchlichen Kreisen wurde der Terminus „Entnazifizierung“ nicht benutzt, vielmehr sprach man hier von „Selbstreinigung“ oder „Säuberung“. Diese Wortwahl basierte auf der Überlegung, dass man eine Bestrafung für die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP ablehnte und auf kirchlichtheologischen Kriterien bestand82. Die Hoffnung, mit den eingeleiteten Maßnahmen dem Druck von außen standhalten zu können, trog. Die Landesverwaltung war gezwungen, ihre Entnazifizierungspraxis zu verschärfen, als Vertreter der SMAD bei einer Überprüfung im Oktober 1945 die bei vielen Behörden anzutreffende Praxis kritisierten, ehemalige Mitglieder der NSDAP weiter zu beschäftigen. Sie forderten strikt die Entlassung dieser Personen bis zum 15. November 194583. Dass dieser verschärfte Kurs auch auf die Kirche zurückwirkte, machte der Leiter der Abteilung Volksbildung bei der Landesverwaltung, Staatssekretär Emil Menke-Glückert, im Auftrag des Präsidenten der Landesverwaltung, Rudolf Friedrichs, dem Leiter des Landeskirchenamtes, Erich Kotte, bei einem Gespräch am 12. November deutlich, indem „sofort Sorge zu tragen [sei], dass nun auch in der Kirche alle PG umfassend und umgehend entlassen werden“84. Das Landeskirchenamt sah sich deshalb veranlasst, die juristischen Grundlagen für eine schnellere Säuberung der Pfarrerschaft herzustellen. Mit Runderlass Nr. 36 schuf sich die Landeskirche die Möglichkeit, einen Pfarrer, der „wegen seiner deutschchristlichen oder nationalsozialistischen Betätigung in seiner Gemeinde nicht mehr tragbar ist“, direkt aus seinem
81 Zu den Mitgliedern des Vertrauenskreises für den Bezirk Leipzig-Stadt gehörten neben Schumann die Pfarrer Fleischer, Herz, Rißmann, Tzschuke. Vgl. Landeskirchenamt an Schumann, 27. Oktober 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 82 G. BESIER, „Selbstreinigung“, S. 105. 83 A. THÜSING, S. 129 f. 84 Zitiert nach M. HEIN, S. 166. Zu Friedrichs Tätigkeit als Chef der Landesverwaltung vgl. auch M. RICHTER/M. SCHMEITZNER, S. 35–62.
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Dienst zu entheben (§1)85. Infolge der Forderungen der Landesverwaltung ordnete das Landeskirchenamt an, 14 Superintendenten und 50 Pfarramtsleiter ihrer Ämter zu entheben. So musste nun der bisherige Superintendent der Ephorie Leipzig-Land, Fröhlich, sein Amt aufgeben86. Auch die Leipziger Pfarrer Friedrich Ostarhild (Nikolai), Gerhard Richter (Lukas), und Hans Walde (Marien) wurden nun ihrer Ämter enthoben87. Den Ernst der Lage gab Kotte Schumann deutlich zu verstehen: „Für heute genügt die kurze Mitteilung, dass mir inzwischen mündlich mitgeteilt worden ist, unsere Antwort in der Pg.-Abbaufrage genüge nicht, es müsse vielmehr Durchführung des ‚Befehls‘ gefordert werden. Wir haben daraufhin in einem ganz kurzen Schreiben noch nachträglich mitgeteilt, dass bis jetzt etwa 54 Pfarrer aus dem Dienste entlassen und 21 Superintendenten von ihrem Leitungs- und Aufsichtsamte entbunden worden seien. Wie es weiter geht, müssen wir abwarten“88. Schließlich wurden kirchliche Feststellungsausschüsse eingerichtet, die die nach Runderlass 20 zu treffenden Maßnahmen zu überprüfen hatten89. Allerdings sind diese Ausschüsse erst bei massiven Vorkommnissen tätig geworden90. Es ist wohl äußerem Druck zuzuschreiben, wenn im Wesentlichen alle Parteimitglieder unter den Pfarrern behandelt worden sind. Sanktionen jedoch hat es hauptsächlich gegenüber deutschchristlichen Pfarrern gegeben91. Die Ausschüsse tagten von Dezember 1945 bis Anfang 1947. Tatsächlich bemühte sich die Dresdener Kirchenleitung über ihre eigene Klientel hinaus, „nominelle Nazis“ aus den Sanktionen des Entnazifizie85 Runderlass Nr. 36 vom 19. November 1945 (ADSL, 2.1.3). 86 Vgl. dazu auch die Äußerungen Laus im 8. Rundbrief vom 8. Dezember 1945: „Die Verordnung, die am einschneidendsten ist, ist die Enthebung von Pfarrern vom Dienst vom 16. November 1945. [. . .] In den letzten Wochen wurde immer klarer, dass in den Fällen ein gedeihliches Weiterarbeiten oder fruchtbarer Neuanfang in der Gemeinde völlig unmöglich war, dass aber auch eine Versetzung sich nicht durchführen ließ. Es blieb, wenn die Gemeinden wegen der dauernden Ungeklärtheit der Lage hinsichtlich ihres Pfarramtes nicht gänzlich unwillig werden sollten, gar nichts anderes übrig, als die betreffenden Pfarrer aus der Stelle zu nehmen“ (ADSL, 6.1.1). 87 Die Liste der Pfarrer, die infolge Runderlasses 36 ihres Amtes enthoben wurden, bei M. HEIN, S. 168. Ostarhild und Richter gingen am 1. März 1947 in den Ruhestand, während Walde 1948 zuerst eine kommissarische und 1950 schließlich eine ständige Anstellung in der provinzsächsischen Landeskirche fand. Vgl. dazu auch BSTU, Halle, AIM 1640/63. 88 Kotte an Schumann, 6. Dezember 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 89 Feststellungsausschuss (A) wurde am 15. November gebildet, Feststellungsausschuss (B) im Dezember 1945 und Feststellungsausschuss (C) im November 1946 (vgl. M. HEIN, S. 168 f.). Der Leipziger Theologe Oepke gehörte Feststellungsausschuss (A) an, Superintendent Schumann dem Ausschuss (B). 90 Zu diesem Ergebnis kommt M. HEIN, S. 169. Vgl. hierzu die Liste 2 (S. 298), die die in den Feststellungsausschüssen behandelten Fälle aufweist, darunter die Leipziger Pfarrer Ostarhild, Petermann, Gerhard Richter, Konrad Richter und Walde. 91 EBD., S. 171 f.
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rungsverfahrens herauszunehmen. Dieses Verhalten reihte sich in gleichartige Bemühungen anderer Landeskirchen ein, als Sprachrohr gesamtgesellschaftlicher Anliegen gegenüber den Besatzungsmächten aufzutreten92. Zu diesem Zweck übergaben Lau und Kotte Ende 1945 dem Präsidenten der Landesverwaltung Friedrichs eine Eingabe zur Weitergabe an den Stellvertretenden Chef der Sowjetischen Militärverwaltung in Sachsen, Generalmajor Dmitri G. Dubrowski93. Friedrichs versuchte – wohl erfolglos – den beiden klarzumachen, „dass es mit Rücksicht auf die dem deutschen Volke gestellte Aufgabe, den Nazismus zu beseitigen, keinen guten Eindruck mache, wenn immer und immer wieder für Nationalsozialisten eingetreten werde“94. In dieser Situation sah sich das Landeskirchenamt gezwungen, auch die Meinung des „antifaschistischen politischen Prüfungsausschusses“ in Leipzig einzuholen und zu akzeptieren95. Die Entlassung von Mitarbeitern des Bezirkskirchenamts begann Anfang 194696. Am 6. März 1946 fand in Dresden eine Dienstbesprechung statt, bei der Oberkirchenrat Müller die Stellung des Landeskirchenamtes zu den Entlassungsgrundsätzen darstellte97. Die Landeskirche hatte sich wohl im Frühjahr 1946 etwas von dem Druck durch die Landesverwaltung befreien können, zumal bis dahin die Entlassungsgrundsätze rigide gehandhabt worden waren. Während die staatlichen Stellen in ihrer Praxis streng nach dem Merkmal der Parteizugehörigkeit vorgingen, lockerte die Kirche die Richtlinien gegenüber den Erlassen vom Dezember 1945 und berücksichtigte nun wieder die kirchliche Einstellung stärker: „Wenn ein solch kirchlich Beschäftigter ungeachtet etwaiger Anfeindungen oder Schmähungen auch als Parteigenosse seiner Kirche die Treue gehalten habe, so sei darin im gewissen Umfange eine antifaschistische Tätigkeit zu erblicken, und es könne daher von einer Entlassung unbesorgt Abstand genommen werden“98. Die genannte Dienstbesprechung diente der Vorbereitung auf ein Gespräch mit der Landesverwaltung, das am darauf folgenden Tag stattfand. 92 Zur Kritik der Kirchen an der Entnazifizierung vgl. C. VOLLNHALS, Selbstreinigung, S. 25–51. 93 Zu Dubrowski vgl. S. DONTH, S. 34 und N. NAIMARK, S. 38, der betont, dass der Generalmajor dazu neigte, übereifrige kommunistische Maßnahmen zurückzunehmen und demokratischen Politikern Rückhalt zu geben. 94 Auf den 27. Dezember 1945 datierte Anlage eines Schreibens von Friedrichs an Dubrowski (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1509, Bl. 34 f., hier Bl. 34). Vgl. auch V. STANKE, S. 24. 95 Kotte an Brügmann, 10. Januar 1946 (BKA LEIPZIG, A 31a). 96 EBD. Es wurden sechs Angestellte mit sofortiger Wirkung entlassen. Am 19. Februar 1946 wurden weitere elf Personen aus politischen Gründen entlassen. Brügmann an Landeskirchenamt, 19. Februar 1946 (mit Anlage) (BKA LEIPZIG, A 31a). 97 Protokoll der Besprechung von Brügmann, 6. März 1946 (BKA LEIPZIG, A 31a). 98 EBD.
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Von Seiten der Landesverwaltung nahmen daran der Präsident der Landesverwaltung, Friedrichs, Vizepräsident Kurt Fischer, der Leiter der Abteilung Allgemeine Volkserziehung im Ressort Volksbildung, Richard Gladewitz, und Oberregierungsrat Heerklotz teil99. Heerklotz stand im Innenministerium der Abteilung für Kirchenfragen vor. Zwei Mitglieder der Sowjetischen Militäradministration nahmen gleichfalls teil. Die kirchlichen Teilnehmer waren Lau und Kotte, der Generalsuperintendent von Berlin II, Friedrich-Wilhelm Krummacher100, eine wichtige Kontaktperson zur SMAD, der Pfarrer der Reformierten Gemeinde Dresdens, August de Haas101, und der liberale Theologe Karl August Busch, der auch in Dresden amtierte102. Die Kirche wurde ermahnt, belastetes Personal erst weiter zu beschäftigen, wenn es vorher durch den kirchlichen Feststellungsausschuss, in dem ja auch die Parteien vertreten waren, bestätigt worden war. In Dresden gelang es der Kirche weniger als in Leipzig, sich von dem Druck der Landesverwaltung zu befreien. In der Elbmetropole war fast die Hälfte der kirchlichen Angestellten entlassen worden, während in Leipzig die Entlassungsquote bei 10 Prozent lag103. Die Entlassungsmaßnahmen verstärkten den durch Krieg und Gefangenschaft eingetretenen Pfarrermangel, sodass sich das Landeskirchenamt im August 1946 gezwungen sah, das Besetzungsverfahren für Pfarrstellen zu beschleunigen und die eigenen Eingriffskompetenzen zuungunsten der Kirchengemeinden zu erweitern. Im Frühjahr und Sommer 1946 wurden die Entnazifizierungsbemühungen von der SMAD und SED etwas gedrosselt, um bei den anstehenden Wahlen im Herbst die ehemaligen NSDAP-Mitglieder nicht in das Lager der anderen Parteien zu treiben. So lässt sich wahrscheinlich die Tatsache
99 Vermerk Friedrichs vom 7. März 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 305 f.). 100 Krummacher hatte sich an der Arbeit des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ beteiligt und war Mitglied in dessen Arbeitskreis für kirchliche Fragen gewesen, wo er in Zusammenarbeit mit anderen ein Grundsatzpapier zum Verhältnis Staat-Kirche erarbeitete (vgl. dazu G. BESIER, SED-Staat, S. 25 f.; S. BRÄUER, Krummacher; S. CREUZBERGER, Besatzungsmacht, S. 77 f.). 101 August de Haas, Mitglied der LDPD, zeigte schon früh seine Aufgeschlossenheit gegenüber der neuen politischen Ordnung, eine Aufgeschlossenheit, die Friedrichs, der Glied seiner reformierten Gemeinde war, gerne bereit war, materiell zu unterfüttern (etliche Beispiele in SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1345). 1952 übernahm de Haas die Redaktionsleitung der christlichen Wochenzeitschrift „Die Verantwortung“, die in christlichen Kreisen für die „Friedenspolitik“ der DDR werben sollte (vgl. H. WENTKER, Abteilung, S. 169). Zu seiner Tätigkeit im „Dritten Reich“ und als Pfarrer in der DDR, allerdings sehr kursorisch, E. GRESCH, Weg, S. 102 und 104; vgl. auch M. MERCHEL, S. 315 f. 102 Zu Busch, dem Vorsitzenden der Freien Volkskirchlichen Vereinigung für Sachsen, vgl. M. HEIN, S. 111–119. 103 Protokoll der Besprechung durch Brügmann, 6. März 1946 (BKA LEIPZIG, A 31a).
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erklären, dass die von den Alliierten am 12. Januar 1946 verabschiedete Direktive Nr. 24 erst im Mai 1946 den Regierungen der Länder und Provinzen übermittelt und erst im Dezember 1946 den Landräten und Bürgermeistern zugestellt worden ist104. Mit der Anwendung dieser Direktive begann die dritte Phase der Entnazifizierung durch die Landesverwaltung105. Die Direktive unterschied nunmehr zwischen „aktiven“ und „nominellen“ Parteimitgliedern und ordnete die Entlassung aller Personen an, die vor 1937 der Partei beigetreten waren. Im Ermessen der nun eingerichteten Entnazifizierungskommissionen stand „die große Zahl von Deutschen, deren Verbindung und Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten Umfang und Art nach ebenso wie ihre früheren und gegenwärtigen Beweggründe Zweifeln unterliegen und daher sorgfältiger Untersuchung bedürfen“ (Nr. 6). Zu ihnen zählten auch die „Mitglieder der Deutschen Christenbewegung“ (Nr. 12m)106. Dabei sollten die Entnazifizierungskommissionen diejenigen Personen entlassen, „die mehr als nur nominell der NSDAP angehört“ hatten. Innenminister Fischer wies in seiner Auslegung der Direktive die Entnazifizierungskommissionen an, „politisch an ihre Aufgabe heran[zu]gehen“107. Auch die Landeskirchen und Kirchenbehörden mussten laut einer Rundverfügung der Landesregierung vom 21. Januar 1947 Sonderkommissionen bilden, die direkt der Entnazifizierungskommission der Landesregierung unterstellt waren108. In der Sonderkommission sollten neben dem Leiter der 104 W. MEINICKE, Die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone, S. 975 (die Direktive ist abgedruckt in: R.-K. RÖSSLER, Dok. 3, S. 64–81). Zur Direktive 24 vgl. H. A. WELSH, Wandel, S. 67–74. 105 C. VOLLNHALS, Entnazifizierung, S. 49. 106 Nr. 12m: „Mitglieder Deutsche Christenbewegung. Diese Organisation bestand vorwiegend aus Nationalsozialisten, die behaupten, protestantische Christen zu sein, und die es mit Hilfe der NSDAP erreichten, eine Mehrheitskontrolle des Verwaltungsapparates der Deutschen Evangelischen Kirche zu gewinnen. Mitgliedschaft in dieser Organisation deutet auf nationalsozialistische Einstellung hin.“ 107 Zur Stellungnahme des Innenministers und Vorsitzenden der Landesentnazifizierungskommission vgl. Kurt Fischer, Zeitungsartikel „Entnazifizierung“ in der LVZ vom 31. Januar 1947: „Die Direktive 24 enthält eine sehr umfassende Nomenklatur all derjenigen, die aus den öffentlichen Ämtern zu entfernen sind. Dennoch kann und darf sie nicht als Exerzierreglement für die Entnazifizierungskommissionen angesehen werden. Sonst würden ihnen die am geschicktesten getarnten Träger der Nazi-Ideologie und vor allem des preußischdeutschen Militarismus entgehen. Die am besten Getarnten aber sind die gefährlichsten Feinde der Demokratie. Deshalb sind die Entnazifizierungskommissionen als politische Kommissionen gebildet. Sie sollen und dürfen nicht bürokratisch arbeiten, sondern müssen politisch an ihre Aufgabe herangehen, wie es dem Geist der Direktive entspricht“. 108 Fischer an die Vorsitzenden der Entnazifizierungskommission der Stadt- und Landkreise, 21. Januar 1947 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 2939, Bl. 7–9). Die neue Direktive führte innerhalb des Landeskirchenamts dazu, dass die Entlassungskriterien für leitende Amtsträger verschärft wurden. Das Landeskirchenamt wurde generell ermächtigt, ehemalige
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obersten Kirchenbehörde und dem Leiter des Personalamtes je ein Vertreter der drei Parteien, des FDGB und des Betriebsrates vertreten sein. Den Vorsitz der beiden Kommissionen für geistliche und nichtgeistliche Amtsträger hatte Landessuperintendent Lau inne109, für die SED amtierte Landeskirchenrat Werner Meinecke. Er gehörte der im Juni 1946 gegründeten „Kommission Kirche und Religion“ der SED an, in der Religiöse Sozialisten wie Bernhard Göring, Otto Meier und Anton Ackermann dominierten und zeitweilig einen starken Einfluss auf die Formulierung der SEDKirchenpolitik nehmen konnten110. Dass Meinecke in der Frage der kirchlichen Autonomie ein durchaus von BK und „Mitte“ unterschiedliches kirchenpolitisches Konzept vertrat, verdeutlichte er auf einer Tagung der oben genannten SED-Kommission im Januar 1947: „Es ist unbedingt notwendig, dass der Staat ein wachsames Auge auf die Kirche hat, und zwar so lange, wie nicht alle, zumindest alle offiziellen Vertreter der Kirche aufrechte Demokraten sind“111. Vom 11. März bis zum 18. Juni 1947 fanden insgesamt 13 Sitzungen der landeskirchlichen Kommissionen statt. Da alle Beschäftigungsverhältnisse – außer denen in untergeordneter Stellung – einer erneuten Prüfung unterzogen wurden, die problematischen Fälle aber schon im Laufe des Jahres 1946 erledigt worden waren, waren die Ergebnisse in der Mehrzahl Freisprüche112. Im landeskirchlichen Maßstab gesehen musste lediglich eine geringe Zahl Pfarrer, die Parteimitglieder gewesen waren, ihre Stelle wechseln, da sie fortan nur kommissarisch amtieren konnten113. In Leipzig jedoch kam es bei der Pfarrerschaft zu zwei Entlassungen und zwei Versetzungen, bei den Angestellten und Beamten waren keine Maßnahmen NSDAP-Mitglieder oder DC-Pfarrer aus geistlichen Führungsämtern zu entlassen, insbesondere Superintendenturen konnten auf Intervention des Landeskirchenamts unbelasteten Pfarrern übertragen werden. Vgl. Landeskirchenamt an Brügmann, 14. Februar 1947 (BKA LEIPZIG, A 31a). 109 KA an das MdI, 13. Februar 1947 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, Nr. 2937, Bl. 1). Mitglieder der Kommission bei geistlichen Amtsträgern waren: Franz Lau (Vorsitz), Lic. Samuel Kleemann (stellv. Vorsitz), Gottfried Noth, Gottfried Knospe, der Dresdener Rechtsanwalt Karl Hennig (LDP), Pfarrer Johannes Köhler, Geschäftsführer Reimer Mager (CDU), OKR Alfred Meyer, LKR Werner Meinecke (SED) und Rudolf Poser als Sachbearbeiter und Schriftführer. Der Kommission bei den nichtgeistlichen Amtsträgern gehörten an: Franz Lau (Vorsitz), OKR Konrad Müller (stellv. Vorsitzender), Kircheninspektor Wilhelm Koob, Kircheninspektor Heinz Bürger, Rechtsanwalt Karl Hennig, Reimer Mager, Kantor Harry Kaiser und Hans Poser (SÄCHSHSTA DRESDEN, MdI 2939, Bl. 117). 110 Vgl. dazu W. TISCHNER, Religionspolitik, S. 99–104; M. RUDLOFF, Verhältnis. 111 O. MEIER, S. 38. Meinecke wurde später Mitbegründer des Bundes Evangelischer Pfarrer in der DDR. Zu Meinecke vgl. F. STENGEL, S. 471. 112 Der Beschluss über Oberkirchenrat Schumann wurde in der Sitzung vom 11. März 1947 gefasst (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, Nr. 2935, Bl. 48). Zur Anwendung der Direktive 24 vgl. M. HEIN, S. 172. 113 So die Ergebnisse von M. HEIN, S. 172.
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mehr notwendig114. Die Protokolle der Sitzungen wurden an das Referat Religionsgemeinschaften des Innenministeriums geschickt, das allmonatlich einen Bericht an die Landesentnazifizierungskommission sandte. Diese mahnte immer wieder die beschleunigte Bearbeitung an und drohte sogar damit, der Landeskirche die Kompetenz für die Entnazifizierung zu entziehen, hatten staatliche Stellen doch den Eindruck gewonnen, dass „die Aktion nur zögernd und mit Vorbehalten eingeleitet wird“115. Auf der Leipziger Ebene vollzog sich die Kontrolle des kirchlichen Personals nicht nur durch die Landesentnazifizierungskommission, sondern auch durch die Stadt bzw. die Sowjetische Militärkommandantur. Diese verlangte eine Zusammenstellung aller in der Ephorie angestellten Pfarrer mit der Angabe der Parteizugehörigkeit. Diesen Bericht sandte Schumann am 17. Oktober 1947 an den Rat der Stadt ab116. Von 110 Pfarrstellen waren zu diesem Zeitpunkt 27 Stellen unbesetzt, 9 Stellen hatten „nominelle Pgs“ inne. Mit dem Befehl Nr. 201 der SMAD vom 16. August 1947 wurde die letzte Phase der Entnazifizierung in der SBZ eingeleitet, als die sowjetische Besatzungsmacht den Zeitpunkt für gekommen hielt, einen Schlussstrich unter die politische Säuberung zu ziehen117. Mit diesem Befehl wurde die Säuberung in die Hände der Regierungsstellen gelegt, Entscheidungsbefugnisse zentralisiert und gleichzeitig auch politische und rechtliche Sanktionen aufgehoben, die bisher gegen nominelle Mitglieder verhängt worden waren. Die Direktive war getragen von dem Grundgedanken, stärker zu unterscheiden zwischen „Naziaktivisten“ und „ehemaligen nominellen Mitgliedern“ der NSDAP. Diese bekamen nun das aktive und passive Wahlrecht zugesprochen. Ursprünglich hatte die SMAD den deutschen Verwaltungsorganen drei Monate zugestanden, um die Überprüfung der verbliebenen Fälle abzuschließen. Die Frist wurde zwar verlängert, doch mit Befehl Nr. 35 vom 26. Februar 1948 leitete die SMAD den endgültigen Abschluss der Entnazifizierung ein118. Für die evangelisch-lutherische Landeskirche änderte sich durch die neue Direktive nicht viel. Mitte November 1947 fand eine Besprechung der Kirchenamtsräte statt, auf der das Thema eine untergeordnete Rolle spielte. Im Wesentlichen sollte das Verfahren zu einem geordneten Ende gebracht 114 Vgl. die Bestände SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, 2936 und 2939. 115 Auerswald an Fischer, 6. Februar 1947 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, Nr. 2934, Bl. 77). Nachdem die Landesentnazifizierungskommission die Landeskirche unter massiven zeitlichen Druck gesetzt hatte, behandelte diese an einem einzigen Tag 639 Fälle! (vgl. M. HEIN, S. 172). 116 Schumann an Rat der Stadt Leipzig, 17. Oktober 1947 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/3). 117 Abgedruckt in: R.-K. RÖSSLER, S. 147–149. 118 Abgedruckt in: C. VOLLNHALS, Entnazifizierung, S. 212–214.
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werden119. Die sächsische Landesregierung sah keinen großen Handlungsbedarf, während in Brandenburg und Mecklenburg von staatlichen Stellen in die Säuberung derart eingegriffen wurde, dass sich Generalsuperintendent Krummacher gezwungen sah, sich an die Informationsabteilung der SMAD zu wenden, um die politische Anerkennung der auf kirchlichem Wege durchgeführten Entnazifizierungsmaßnahmen zu erreichen120. Die Entnazifizierungskommission der Landeskirche beendete ihre Arbeit im Januar 1948121. Die letzten Entscheidungen hinsichtlich des Kirchenbezirks Leipzig-Stadt vom 30. Januar und 3. Februar 1948 brachten keine Entlassung und nur eine Versetzung mit sich122.
2.3.4 Kritik an der „Selbstreinigung“ aus den eigenen Reihen Eine Darstellung des „Säuberungsprozesses“ wäre unvollständig, würden Bemühungen einzelner Pfarrer ausgeblendet, staatliche Stellen zur Intervention in die kirchliche Selbstreinigung zu bewegen. Die Schilderungen dieser Pfarrer prägten nicht unerheblich die Einstellung der Landesverwaltung gegenüber der Kirche. Beim Personal der Landesverwaltung konnte gerade nicht von einer per se kirchenfreundlichen Einstellung ausgegangen werden, hatte doch die KPD/SED einen großen Einfluss auf dessen Zusammensetzung123. Diese Pfarrer lassen sich grob in vier Gruppen einteilen124: „Erstens Pfarrer, die aufgrund persönlicher Erfahrungen, erlittener Nachteile oder des Gefühls, in der Karriere zu kurz gekommen zu sein, den Kontakt mit Staat und Partei suchten, um mit deren Hilfe Gerechtigkeit“ zu erfahren, d. h. eine entsprechende Stellung in der Kirche zu bekommen. Dieser Gruppe ist der Leipziger Pfarrer Ernst Lewek zuzuordnen. Die zweite Gruppe bildeten die Religiösen Sozialisten, die dritte die Vertreter einer liberalen Theologie und die vierte ehemalige Deutsche Christen. 119 Besprechung mit den Kirchenamtsräten am 13. und 14. November 1947. Tagungsordnungspunkt Nr. 3. Befehl 201: „Die kirchliche Entnazifizierungskommission gilt als Kommission im Sinne des Befehls 201. Die 3-Monatsfrist muss unbedingt abgewartet werden; Zeitpunkt ihres Ablaufs steht aber nicht fest. Nicht nur das Interesse des Betroffenen, sondern auch das der Kirche muss berücksichtigt werden“ (BKA LEIPZIG, A 31a). 120 Kanzlei der EKD – Berliner Stelle – an den Oberkirchenrat in Schwerin, 29. November 1947 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, Nr. 2934, Bl. 22). 121 KA an BKA/Superintendentur, 30. Januar 1948 (BKA LEIPZIG, A 31a). 122 Landeskirchenamt an BKA/Superintendentur, 30. Januar 1948 und Landeskirchenamt an Superintendentur, 3. Februar 1948 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/7). 123 Vgl. dazu A. THÜSING. 124 Einteilung in Anlehnung an E. DUSDAL.
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Nach 1945 machte sich bemerkbar, dass theologische Frontbildungen der Weimarer Republik durch die Auseinandersetzung zwischen BK und Deutschen Christen im Dritten Reich überlagert und gleichsam kaltgestellt worden waren, mit der notwendigen Neubildung kirchlicher Leitungsstrukturen aber wieder aufbrachen125. Gerade bei Vertretern derjenigen kleinen Gruppen, deren Vorstellungen bei der Neuordnung der sächsischen Landeskirche wenig Berücksichtigung fanden und die in deren Übergangsgremien kaum repräsentiert waren, zeigte sich eine stärkere Neigung, mit Staat und Partei zusammenzuarbeiten. Zu diesen gehörten die Religiösen Sozialisten, die in der Weimarer Republik ihre politische Heimat in der SPD gefunden hatten. Ihre gesellschafts- und kirchenpolitischen Zielvorstellungen stimmten weitgehend mit denen der SED überein, zumindest bis 1948. Sie traten in der SBZ offen für die SED ein und warben bei den Wahlen 1946 für die marxistische Partei, während sie sich gegenüber den einsetzenden totalitären Bestrebungen 1948 unterschiedlich verhielten und sich teilweise auch von der SED abwandten126. Relevant wurde diese Gruppe vor allem dadurch, dass einzelne ihrer Vertreter der SED kirchliche Interna preisgaben, die somit innerkirchliche Meinungsverschiedenheiten zu ihren Gunsten beeinflussen konnte. In Sachsen gewann Landeskirchenrat Werner Meinecke deshalb kirchenpolitische Bedeutung127. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Gruppe in Leipzig gehörte Professor Emil Fuchs, der 1949 nach Leipzig übersiedelte und 1950 Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie wurde. Er trat in den 50er Jahren im Friedensrat der DDR und als Mitbegründer der Christlichen Friedenskonferenz auf. In der Nachkriegszeit trat Werner Schilling aus Leipzig-Großzschocher offen für die SED ein. Sächsische Vertreter des liberalen Protestantismus stießen sich 1945 am Wiederaufbau der Behördenkirche. Vielmehr erstrebten sie die Durchsetzung von Kirchenstrukturen analog zum demokratischen Repräsentativsystem. Zur Erreichung dieser Ziele gegen die alten Kirchenhierarchien war man durchaus bereit, dem Staat umfassende Aufsichtsrechte zuzugestehen128. Vertreter liberaler Theologie sammelten sich in Sachsen in der Freien Volkskirchlichen Vereinigung für Sachsen, die aus der Bewegung des Evangelisch-sozialen Kongresses hervorgegangen war129. Zu ihren Forderungen zählten u. a. die Wahl der obersten Kirchenbehörde durch die Landeskir125 126 127 128 129
M. HEIN, S. 112. E. DUSDAL, S. 32. Vgl. seine Haltung beim Volksentscheid (unten S. 273 f.). E. DUSDAL, S. 30; vgl. ferner H. M. KIRN, S. 540 und M. JACOBS. M. HEIN, S. 112.
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chenversammlung. Der Dresdner Pfarrer Karl August Busch, ihr Vorsitzender, konnte sich mit diesen Forderungen aber in der Landeskirche nicht durchsetzen130. Im Gegenzug bemühte er sich bei der Landesregierung, die Rückkehr des Leiters der Bekennenden Kirche Sachsens Hahn zu verhindern und forderte die Einsetzung eines Staatskommissars, „der solange amtiert, bis die Gewähr geboten ist, dass die oberste Kirchenverwaltung auf eine völlig und allseitig mit dem Staatsleben konform gehende Grundlage gestellt ist“131. In Leipzig gehörte Johannes Herz, der seit 1915 an der Versöhnungsgemeinde tätig war, 1923 Generalsekretär des Evangelisch-sozialen Kongresses wurde und nach 1945 an der Theologischen Fakultät einen Lehrauftrag für Sozialethik und Religionssoziologie übernahm, zu dieser theologischen Richtung132. Er trat der LDPD bei und engagierte sich nach 1945 besonders in der Friedensdiskussion, wobei er sogar Mitglied des Weltfriedensrates wurde. Zur letzten Gruppe der Kritiker zählen die Pfarrer, die im Nationalsozialismus den Deutschen Christen angehört hatten und als überzeugte Nationalsozialisten hervorgetreten waren. Manche von ihnen waren zur Zusammenarbeit mit der SED bereit, weil sie um ihre berufliche Stellung fürchteten und die BK-dominierten Kirchenleitungen ablehnten133. Politisch suchten Mitglieder dieser Gruppe nach 1945 häufig Anschluss an die CDU. Besonders in den 50er Jahren begann die Staatssicherheit aufgrund neuer Erkenntnisse Pfarrer dieser Gruppe zur Zusammenarbeit zu erpressen134. Bei anderen Vertretern dieser Gruppe war die Zusammenarbeit stärker in der persönlichen Fähigkeit begründet, „auf die großen Zäsuren und die politischen Umbrüche der deutschen Geschichte höchst flexibel und anpassungsbereit“ zu reagieren135. Als Beispiel dieser Gruppe ist der Leipziger Neutestamentler Johannes Leipoldt herausgestellt worden136. Der ehemalige Leipziger Pfarrer Johannes Römer, der in seiner Gemeinde als exponierter Vertreter der Deutschen Christen aufgetreten war, fiel 1947 auf seiner neuen Stelle im Dresdner Landkreis durch seine „fortschrittliche Haltung“ auf137. Nur die genaue Analyse des einzelnen Falles kann hier die sich häufig überlappenden Motivationsstrukturen genauer erfassen. 130 Zu Busch vgl. EBD., bes. S. 111–119. 131 Zitiert nach: E. DUSDAL, S. 31. 132 EBD., S. 32. Zu Herz vgl. auch H. BARDTKE. 133 Zu dieser Gruppe vgl. G. BESIER, Religionspolitik, S. 135–138. 134 Vgl. das Beispiel des Leipziger Pfarrers Hans Walde, der nach seiner Amtsenthebung in die provinzsächsische Landeskirche wechselte und dort vom MfS angeworben wurde, wenn auch mit minimalem Erfolg (vgl. BSTU, Halle AIM 1640/63). 135 L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Ablösung, S. 131. 136 EBD. 137 SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1361, Bl. 122 f.
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Bei Pfarrer Werner Schilling aus Leipzig-Großzschocher war eine Kombination aus weltanschaulicher Gebundenheit und Ärger über die Verhältnisse in seiner Gemeinde ausschlaggebend für seinen kirchenpolitischen Weg nach 1945. Schilling, der sich im Nationalsozialismus in der BK engagiert hatte, war erbost darüber, dass der deutschchristliche Pfarramtsleiter Paul Post zwar von seinen Leitungsämtern entbunden worden war, jedoch weiter amtieren durfte138. Als SPD-Mitglied wandte er sich im Februar 1946 mit einer „Erklärung über die derzeitige Leitung der Ev.-luth. Kirche in Sachsen“ an die Landesleitung seiner Partei139. Mit seinem offenen Bekenntnis zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung dürfte er innerhalb der sächsischen Pfarrerschaft eine Ausnahme gebildet haben140. Er beschuldigte die Landeskirche, das Entnazifizierungsverfahren blockiert zu haben und stellte dies breit an seinem eigenen Beispiel dar, um zu folgendem Schluss zu gelangen: „Wie ist ein solches Verhalten zu erklären? Es gibt kein[e] kirchlichen Gründe zur Erklärung dieses Verhaltens. [. . .] Es können folglich nur politische Gründe, und zwar reaktionäre Gesinnung die Triebkräfte solcher Handlungsweise sein“. Diese machte er beim leitenden Personal ausfindig: „Es sind beim Umsturz reaktionäre Geister in Sachsen in die kirchliche Leitung gespült worden ohne jede Befähigung für ein leitendes Amt überhaupt, insbesondere aber ohne jede Qualifikation, im demokratischen Deutschland des Neuaufbaus an entscheidender Stelle zu wirken“. Aus diesem Grunde hielt er ein Eingreifen der Landesverwaltung durchaus für angebracht. Wenn auch die Landesverwaltung darauf nicht einging, so reichte Präsident Friedrichs sie „zur eventuellen Verwendung“ an den 1. Vizepräsidenten der Landesverwaltung, Kurt Fischer, weiter141. Hartnäckiger als Schilling setzte sich Pfarrer Ernst Lewek für eine Intervention der Landesverwaltung ein, nachdem seine Bemühungen im Sommer/Herbst 1945, mit Hilfe des Leipziger Oberbürgermeisters Superintendent zu werden, ohne Erfolg geblieben waren142. Seine Schritte erschienen von vornherein erfolgreicher, da er über einen persönlichen Draht zu Friedrichs verfügte143. Er wandte sich an den Leiter des Personalamtes 138 Vgl. dazu M. HEIN, S. 144 f. 139 Erklärung vom 8. Februar 1946 (Abschrift in SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, 236, Bl. 469–476). 140 „Ich bin als Pfarrer zur sozialistischen Bewegung gekommen, weil ich die Stunde in der wir stehen, als große welthistorische Stunde erkannt habe: Die sozialistische Gesellschaftsordnung ist das neue Fundament, das es zusammenzufügen und auf dem es aufzubauen gilt“ (EBD.). 141 Friedrichs an Fischer am 27. Februar 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1509, Bl. 66). 142 Vgl. oben S. 216. 143 Beide duzen sich in ihrem Briefwechsel. Auch der Kirchenleitung war diese Verbindung nicht verborgen geblieben, wurde doch Lewek vom Politischen Verbindungsmann der evan-
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im Innenressort der Landesverwaltung, Ministerialrat Egon Dreger144. Als Mitglied des Säuberungsausschusses beim Bezirkskirchenamt Leipzig beklagte er sich über die Praxis der Landeskirche, gering belastete Beamte und Angestellte zu entlassen, Geistliche aber im landeskirchlichen Dienst zu belassen145. Eine Änderung vermochte er sich nur durch „eine erste Mithilfe der Staatsverwaltung“ vorzustellen. Im Mai 1946 verdeutlichte Lewek in einem Gespräch mit Heerklotz noch einmal seine Position, wobei er bereitwillig kirchliche Interna weitergab146. Sein Zorn erregte sich damals an der Behandlung des sehr stark belasteten Pfarrers Ostarhild, der zwar seines Amtes enthoben worden war, nun aber von Schumann die Aufgabe erhalten hatte, die kirchlichen Bibliotheken von nationalsozialistischer Literatur zu säubern. Lewek regte die Bildung einer Kommission aus einem Vertreter der Landesverwaltung, einem Vertreter der SED und ihm selber an, die die Fragebögen der Pfarrer noch einmal überprüfen sollte. In der Folge brachte Lewek dann noch wiederholt sein Anliegen vor und zeigte sich weiterhin auskunftsbereit über Leipziger kirchliche Interna, wurde aber von der Landesverwaltung, die mit dem Volksentscheid und den Wahlvorbereitungen beschäftigt war, hingehalten. Dass er bei seinen Bemühungen auch den Boden der Sachlichkeit verließ – möglicherweise getrieben von der bisherigen Erfolglosigkeit seiner Anstrengungen –, beweist ein Brief aus dem Juli 1946: „Ein sächsischer Pfarrer hat das hübsche Wort geprägt, der einzige Unterschied zwischen jetzt und früher in der Kirche bestünde darin, dass die Kirchenleitung ihre Briefe usw. früher mit ‚Heil Hitler‘ unterschrieben habe und jetzt mit ‚Gott befohlen‘ unterschreibe“147. Heerklotz wandte sich im Juni schließlich an die SED mit der Bitte um eine Beurteilung148. Deren Antwort fiel für Lewek negativ aus: Weder sah die SED irgendeine Handhabe, gegen Schumann und den kommissarischen Superintendenten von Leipzig-Land vorzugehen, noch sah sie Lewek selber als für ein Leitungsamt geeignet an149. gelischen Kirche, Martin Richter, in einem Brief an Friedrichs als „Ihr Freund Leweck“ [sic] bezeichnet (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 482). 144 Lewek an Dreger am 7. Februar 1946. Abschrift (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, 234, Bl. 1255–1257). 145 EBD. 146 Heerklotz, Bericht über die Aussprache mit Pfarrer Leweck [sic], Leipzig, am 22. Mai 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, 234, Bl. 1268–1270, hier Bl. 1268). Friedrichs nahm diesen Bericht zur Kenntnis (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1509, Bl. 93b). 147 Lewek an Heerklotz am 5. Juli 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, 234, Bl. 1238 f., hier Bl. 1239). 148 Heerklotz an SED-KL Leipzig am 24. Juni 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, 234, Bl. 432). 149 SED, LV Sachsen, Personalpolitische Abteilung an Heerklotz am 5. August 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI, 236, Bl. 713).
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In einem weiteren Fall aus dem Jahr 1948, in dem die Landesverwaltung wiederum auf eine Intervention in innerkirchliche Angelegenheiten verzichtete, kritisierte Rüdiger Alberti, der Leiter des Kirchlichen Erziehungsamtes in Leipzig, die Personalpolitik der Landeskirche. Alberti, seit 1937 an der Thomaskirche tätig, hatte als BK-Pfarrer in Chemnitz im März 1935 die Kanzelverkündigung gegen das Neuheidentum verlesen und war deswegen vom 20. April bis 4. Juni 1935 in Sachsenburg inhaftiert worden. Ein von der Gestapo angestrengtes staatsanwaltliches Verfahren wurde allerdings im Juli 1935 eingestellt150. Ende 1946 übernahm Alberti in Leipzig die Leitung des neu gegründeten Kirchlichen Erziehungsamtes, wo er die Arbeit der Katecheten zu koordinieren hatte151. Im März 1948 setzte er den Leipziger Stadtschulrat Eichler davon in Kenntnis, dass er aus Protest gegen das Landeskirchenamt sein Amt niedergelegt habe, weil dieses ein ehemaliges Parteimitglied als Landeskatecheten eingesetzt habe152. Indirekt forderte er die staatlichen Stellen zur Intervention auf, konnte er doch kaum glauben, „dass die maßgebenden Stellen der Landesregierung dulden, dass ehemalige Parteigenossen in leitenden Posten der Landeskirche verwendet oder für solche vorgesehen werden“153. Eichler schaltete das für die Kirchen zuständige Volksbildungsministerium ein. Der zuständige Bearbeiter Auerswald wandte sich Anfang Juni 1948 an das Landeskirchenamt154. Er kritisierte die Personalpolitik der Landeskirche, gab sich aber schließlich mit dem Hinweis des Landeskirchenamtes, dass durch die Aufnahme des Landeskatecheten in die SED „seine politische Unbedenklichkeit unter Beweis gestellt ist“155, zufrieden156. Aus Sicht der Landesverwaltung konnte die Mitgliedschaft von kirchlichen Amtsträgern in der SED manche Belastung aus dem Dritten Reich ausgleichen. Zwar wurde bei der Aufnahme von Mitgliedern in die Partei auch das Verhalten im Nationalsozialismus überprüft, doch war man bei 150 Vgl. Vermerk des Gestapa vom 22. August 1937 für die Reichskulturkammer (BARCH BERLIN, 2101, Box 8, File 13) und die Auskunft des „Vikars der DEK“, Engelke, an Rauer am 6. Mai 1935 über Alberti (EZA BERLIN, 1/A 4/261, Bl. 18). 151 Vgl. Protokoll der Ephoralversammlung vom 22. November 1946 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18). Zu seinen Aufgaben vgl. das undatierte Schreiben „Organisation des Kirchlichen Erziehungsamtes im Kirchenbezirk Leipzig-Stadt“ (KAL, A 40). Der Leiter des Erziehungsamtes bildete mit den für die einzelnen Stadtbezirke verantwortlichen Bezirksobmännern einen Schulausschuss, der einmal im Monat Fragen des Religionsunterrichts beraten sollte. 152 Alberti an Eichler am 6. März 1948 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1344, Bl. 241). 153 EBD. 154 Auerswald an das Landeskirchenamt am 3. Juni 1948 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS; MP 1344, Bl. 233). 155 Noth an das Ministerium für Volksbildung am 11. Juni 1948 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1344, Bl. 232). 156 Vgl. seine Aktenbemerkung vom 28. Juni 1948 und seinen Brief an Alberti vom selben Tag (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1344, Bl. 231 bzw. 229).
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Pfarrern weniger kritisch. Schließlich ließ sich die Mitgliedschaft von Geistlichen in der Partei politisch gut ausnutzen. Solche Geistliche wurden besonders von der Landesverwaltung gefördert, wie eine Beschwerde von Martin Richter, dem Politischen Verbindungsmann der Landeskirche, beweist. Dieser hielt den von Seiten der Landesverwaltung erhobenen Vorwürfen, die Entnazifizierung nur unwillig durchzuführen, entgegen: „Aber darüber muss ich einige Verwunderung äußern, dass solche Herren, die das Landeskirchenamt aus ihren bisherigen Ämtern entfernen will, sich dann an die SED wenden und ganz offenbar von ihr auch Hilfe erhalten. Es ist nun so, dass die Bekennende Kirche (B. K.) aus ihren kirchlich bestimmten Erfahrungen heraus das Landeskirchenamt ebenfalls auf schnelle Bereinigung drängt und erfolglos bleibt. Es wird immer rätselhafter, dass die Pfarrer der SED ohne Ausnahme – soweit ich übersehen kann – zur Hitlerzeit alle das D. C. Kirchenregiment, eine ganz offene Hilfstruppe der NSDAP und des Herrn Mutschmann, geduldet, ja getragen haben, jetzt aber gerade die B. K. die im Kampf gegen die D. C. stand und dafür Opfer brachte, in Misskredit als Reaktionäre bringen“157.
2.4 Zusammenfassende Analyse In der folgenden Analyse der „Selbstreinigung“ sollen die Leipziger Pfarrer nach drei Gruppen getrennt behandelt werden. Die Untersuchung orientiert sich an einer Aufstellung des Superintendenten Schumann über den Stand der Entnazifizierung in Leipzig für das Landeskirchenamt von Mitte September 1945158. Unterschieden wird nach folgenden Kriterien: zum einen nach Pfarrern, die sowohl der NSDAP wie den Deutschen Christen angehört hatten, zum anderen nach jenen, die einzig Parteimitglieder waren, und letztlich nach denjenigen, die nur der Glaubensbewegung Deutsche Christen angehört hatten. Dabei werden nur jene Pfarrer in die Analyse einbezogen, die schon vor Kriegsende in Leipzig amtierten. Die Aufstellung stellt insofern eine Wertung dar, als Schumann nicht alle Pfarrer, die einmal Mitglied der Deutschen Christen waren, einbezieht, sondern wohl nur solche, die seiner Meinung nach deutschchristlich aufgetreten waren159. 157 Richter an Fischer am 11. November 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 235, Bl. 101). Vgl. dazu auch G. BESIER, Religionspolitik, S. 121 f. Laut I. FENZEL, S. 51, gehörten zu dieser Zeit ca. 20 Amtsträger der evangelischen Kirche der SED an. 158 Schumann an das Landeskirchenamt am 11. September 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/8). 159 Mir ist die Problematik der Aufstellung Schumanns durchaus bewusst. Trotzdem erscheint es legitim, sich an seinen Einschätzungen zu orientieren, da Schumanns Kompetenzen als kirchenpolitisch Beteiligter und seine große Personalkenntnis durch die langjährigen Erfahrungen als Leipziger Pfarrer und Superintendent außer Frage stehen.
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Da Schumann tendenziell stark dazu neigte, Belastungen als eher gering einzuschätzen, ist davon auszugehen, dass mancher BK-Pfarrer eine andere Einteilung vorgenommen hätte. Bei denjenigen Geistlichen, die später als so genannte „Flüchtlingspfarrer“ oder von auswärts hinzukamen, ließ sich die Zugehörigkeit zu einer kirchenpolitischen Gruppe nur im Ausnahmefall herausfinden. Auch bei den NSDAP-Mitgliedern dürfte es unter diesen Pfarrern eine Dunkelziffer gegeben haben160. Um über die unmittelbare Nachkriegszeit hinaus einen Bezugspunkt für die personellen Veränderungen in Leipzig festzulegen, dient zur Einordnung die personelle Situation im Herbst 1947, also praktisch am Ende der Säuberungsmaßnahmen161. Strukturell am stärksten waren jene Pfarrer belastet, die sowohl der NSDAP als auch den Deutschen Christen angehört hatten. Hier war die Notwendigkeit zur Selbstreinigung am stärksten, stand die Kirche doch sowohl von außen als auch innerkirchlich unter Druck. Schumann war erkennbar bestrebt, die Vergangenheit der beurteilten Pfarrer nicht zu „braun“ zu malen. Zu dieser Gruppe zählte der Leipziger Superintendent am Kriegsende sechs Pfarrer, von denen vier als Pfarramtsleiter eine herausgehobene Position innehatten162. Die meisten hatten diese Stelle in den Jahren 1933/1934 erhalten. Drei Pfarrer wurden sofort im Sommer 1945 beurlaubt, zwei weitere verloren ihre Stellung als Pfarramtsleiter, konnten aber weiter in ihrer Gemeinde amtieren. Der von der Stadt bezahlte Anstaltsgeistliche im St. Georg-Krankenhaus, Pfarrer Richard Petermann, war schon von der amerikanischen Besatzungsmacht suspendiert worden. Schumann hat wohl in dieser Aufstellung Pfarrer Buchwald, den Pfarramtsleiter der Philippusgemeinde, vergessen163. Er war noch im September 1945 von der Pfarramtsleitung beurlaubt worden. Betrachtet man die Situation innerhalb dieser Gruppe im Jahr 1947, also praktisch am Ende der kirchlichen Säuberung, so fällt eine weitere Schwächung ins Gewicht. Diejenigen Pfarrer, die 1945 nur ihre Pfarramtsleitung verloren hatten, wurden jetzt dienstenthoben. Sie verloren also ihre Stellen in Leipzig und amtierten in der Folgezeit als Pfarrer in 160 M. HEIN, S. 299–304, listet jene „Flüchtlingspfarrer“ auf, die das landeskirchliche Entnazifizierungsverfahren durchliefen. Das Ministerium für Staatssicherheit interessierte sich in den 50er Jahren für Pfarrer dieser Gruppe, die noch Kontakt zu „Umsiedlern“ pflegte. Vgl. dazu den Operativen Vorgang „Lukas“, in dem der an der Lukas-Gemeinde tätige Pfarrer Otto Lipski in den Jahren 1957–1961 observiert wurde (BSTU, Lpz AOP 352/61). 161 Die Besetzung der Pfarrstellen nach Schumann an den Rat der Stadt Leipzig am 17. Oktober 1947 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/3). 162 Folgende Pfarrer werden in dieser Gruppe behandelt: Friedrich Ostarhild, Richard Petermann, Gerhard Richter, Konrad Richter, Johannes Römer, Hans Walde. 163 Ihn erwähnt er erst als Parteimitglied in einem Schreiben vom 2. Oktober 1945 an das Landeskirchenamt, das den neuen Stand der „Selbstreinigung“ angab. Buchwald war Bezirksführer West der Leipziger DC.
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ländlichen Gebieten. Von den drei 1945 sofort beurlaubten Pfarrern wurden zwei in den Ruhestand versetzt, der dritte erhielt 1948 eine kommissarische Stelle in der provinzsächsischen Landeskirche, die 1950 in eine ständige umgewandelt wurde. Als Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass von der Gruppe der Pfarrer, die sowohl der NSDAP als auch den Deutschen Christen angehört hatten, 1947/48 keiner mehr in Leipzig ein Pfarramt bekleidete. In die Gruppe der Pfarrer, die nicht zu den Deutschen Christen zu zählen waren, aber der Partei angehört hatten, bezog Schumann elf Geistliche ein. Auch hier zeigte sich wieder seine Solidarität mit den Amtskollegen: „Vom kirchlichen Standpunkt aus ist meines Erachtens gegen keinen der Genannten etwas einzuwenden. [. . .] Einige von ihnen sind ganz besonders tüchtige Pfarramtsleiter, die schwer zu ersetzen sein würden“164. Schumann meinte wohl damit vor allem den stellvertretenden Superintendenten und Pfarramtsleiter der Nikolaigemeinde, Oskar Bruhns. Dieser hatte sich im Nationalsozialismus kirchenpolitisch stark exponiert und war in der Zeit, als der Reichskirchenminister zur Befriedung der Situation sich auf die Mittel-Gruppen gestützt hatte, öffentlich für dieses Projekt eingetreten. Noch im August hatte er seinen Stellvertreterposten zur Verfügung gestellt. Außerdem war ihm die Pfarramtsleitung entzogen worden. Er starb Ende Dezember 1945. Schumann rechnete auch den Superintendenten von Leipzig-Land und Pfarramtsleiter der Petersgemeinde, Andreas Fröhlich, zu dieser Gruppe, obwohl dieser 1933/1934 an der deutschchristlichen Kirchenleitung partizipiert hatte. Vom Konsistorium im Sommer 1945 noch übernommen – wenn auch nicht ohne Bedenken auf Seiten der BK – bat ihn Schumann im Herbst 1945 um Entpflichtung als Superintendent und Pfarramtsleiter. Ergebnis des Säuberungsverfahrens war die Belassung im Pfarramt. 1947 wechselte Fröhlich nach Riesa. Bemerkenswert an dieser Gruppe ist, dass acht von diesen elf Geistlichen Pfarramtsleiter waren, wodurch erkennbar wird, welche karrierefördernde Funktion die Parteimitgliedschaft auch innerhalb der sächsischen Pfarrerschaft gehabt hatte. Sie verloren alle noch im Herbst 1945 dieses Amt, was vor allem auf den von außen kommenden Druck zurückzuführen ist. 1947 amtierten nur noch vier von ihnen in Leipzig. Einer war in die thüringische Landeskirche gewechselt. Schumann benannte zehn Pfarrer, die in Leipzig als Deutsche Christen hervorgetreten sein sollen, ohne der Partei anzugehören165. Einer davon 164 Schumann an das Landeskirchenamt am 11. September 1945 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/8). 165 Nicht gezählt werden hier jene Pfarrer, die in der Euphorie der Anfangszeit den Deutschen Christen angehört hatten, sich aber später zur „Mitte“ wandten oder sich kir-
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war schon emeritiert und wird hier nicht weiter behandelt166. Auch bei diesen hatte Schumann keine Bedenken, dem Landeskirchenamt zu empfehlen, sie weiter amtieren zu lassen. Da unter diesen Geistlichen keine Pfarramtsleiter waren, hielten sich die „disziplinarischen“ Maßnahmen in Grenzen. Zwei wurden innerhalb Leipzigs auf andere Pfarrstellen versetzt, der eine wegen dortiger Unterversorgung (Lukas), der andere, weil er starke Probleme mit seinen Amtskollegen in der Pfarrgemeinde hatte (Heilig-Kreuz). 1947 amtierten von dieser Gruppe lediglich noch zwei Pfarrer in Leipzig, die meisten anderen außerhalb Leipzigs. Es lässt sich also feststellen, dass bis 1947/1948 bei den belasteten Pfarrern ein überraschend großes Personalrevirement vor sich gegangen war. Von den 25 belasteten Pfarrern waren nur noch sechs in Leipzig tätig. Kein Leipziger Pfarrer, der in der Zeit des Nationalsozialismus als Deutscher Christ oder/und Parteimitglied belastet gewesen war, hatte zu diesem Zeitpunkt noch eine Pfarramtsleitung inne. Je nach Gewicht des Falles wurden Pfarrer auf eine andere Pfarrstelle in Leipzig oder anderen Orten innerhalb der Landeskirche versetzt oder wechselten in andere Landeskirchen. Durch Pensionierungen und Dienstenthebungen wurden stark belastete Pfarrer entfernt. Strukturell waren besonders die Parteimitglieder von Maßnahmen betroffen, da sich besonders viele Pfarramtsleiter unter ihnen befanden, während die Gruppe der Deutschen Christen ohne Parteimitgliedschaft ohne disziplinarische Maßnahmen davon kam. Es zeigt sich, dass die Landeskirche in Leipzig doch stark auf den Druck von außen reagieren musste, galt doch die Parteimitgliedschaft innerkirchlich keineswegs als zentrales Kriterium. Gerade in den ersten Monaten, im Sommer 1945, als für das Konsistorium noch nicht klar war, ob sich auch außerkirchliche Kräfte aktiv in die „Reinigung“ einmischen würden, versuchte sich die Landeskirche dem Druck zu entziehen, indem sie belastete Pfarrer sozusagen in die „zweite“ Reihe verschob. Wieviele Pfarrer nach 1945 in Leipzig ihren Pfarrdienst begannen, die woanders wegen Belastung ihre Stelle aufgeben mussten, lässt sich schwer nachweisen. Hinweise auf diese Tätigkeit ergeben sich sporadisch über Polizeiakten und solche des Ministeriums für Staatssicherheit. Zuzüge von zwei DC-Pfarrern lassen sich für 1947 und 1949 nachweisen, im Jahr 1956 übernahm an der Emmausgemeinde ein ehemaliges Parteimitglied die Pfarramtsleitung. Am bekanntesten dürfte aber der Fall von Rudolf Grabs sein, der 1951 an die Mariengemeinde gewechselt war. Er war ab 1936 chenpolitisch zurückzogen. Folgende Pfarrer zählen in diese Kategorie: Walter Behrend, Gerhard Häusler, Christian Klee, Georg Neefe, Heinrich Paul, Curt Rosenthal, Hans Schobert, Georg Trenkler, Friedrich Zöller und Max Senff. 166 Es handelt sich um Pfarrer Schneider, der laut Schumann mit der Verwaltung des Anstaltspfarramts in der Heilanstalt Leipzig-Dösen beschäftigt war.
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Parteimitglied gewesen und hatte sich in der thüringischen Landeskirche als Oberpfarrer deutschchristlich betätigt167. Inwieweit in Leipzig die „Selbstreinigung“ das Kräfteverhältnis der kirchlichen Gruppen zueinander verschob, ist aufgrund der Aktenlage schwer zu sagen, zumal sich ein sehr großer Teil der Pfarrer kirchenpolitisch zurückgehalten hat. Die „Mitte“ war auch als Sammelbecken dieser neutralen Pfarrer viel weniger strukturiert als der Pfarrernotbund oder die Deutschen Christen. Es ist oben erwähnt worden, dass das Gewicht der Deutschen Christen im „Dritten Reich“ vor allem von denjenigen Pfarrern abhing, die als Pfarramtsleiter eine herausgehobene Position innehatten. Da der Pfarrernotbund immer wieder solche Pfarramtsleiterstellen für sich reklamierte, kann – mit Vorbehalten – die Verteilung dieser neu aufzuteilenden Stellen auf die einzelnen Gruppen als Gradmesser ihrer Stärke in Leipzig angesehen werden. Grundlage dieser Untersuchung ist die Verteilung der Pfarrstellen im Oktober 1947168. Vorbehalte müssen auch deswegen vorgebracht werden, weil in sechs Gemeinden diese Stellen noch nicht besetzt waren und in weiteren sieben eine Zuordnung der Pfarrer zu einer der Gruppen nicht möglich ist. Dabei werden zu den „Mitte“- Pfarrer in der folgenden Auflistung nur diejenigen gezählt, die im Nationalsozialismus eine von deren Aktionen offen unterstützt haben. Die BK, die im „Dritten Reich“ keine Pfarramtsleitung innehatte169, konnte 1947 fünf Pfarramtsleiterstellen für sich verbuchen: Johannis (Lewek), Trinitatis (Rau), Auferstehung (Vieweg), Heiland (Kühn) und Volkmarsdorf (Wach); dem standen elf „Mitte“-Pfarrer und zwei weitere, die kurzzeitig den Deutschen Christen angehört hatten, gegenüber. Jüngst wurden die Veränderungen in der Landeskirche auf der Ebene der Superintendenten untersucht170. Ähnlich wie bei den Pfarramtsleitern wird auch bei den Ephoren deutlich, dass in den Leitungspositionen der sächsischen Landeskirche im Nationalsozialismus Deutsche Christen deutlich überproportional vertreten waren. Nimmt man in die Analyse auch solche Superintendenten auf, die zwar 1936 aus Protest gegen den Anschluss der Landesleitung der DC Sachsens an die nationalkirchlichen Deutschen Christen der Thüringer Richtung aus allen deutschchristlichen Organisationen ausgetreten waren171, denen aber im kirchlichen Säube167 Zu Grabs’ Belastung vgl. F. STENGEL, S. 170–173. 168 Das o. g. Schreiben Schumanns an den Rat der Stadt Leipzig vom 17. Oktober 1947 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/3). 169 Allerdings übernahm der BK-Pfarrer Kurt Zeuschner 1944/1945 die Pfarramtsleitung in Connewitz. 170 Es wird bei M. HEIN nicht deutlich, inwieweit er die Zugehörigkeit der Superintendenten zu den kirchlichen Gruppen als wichtiges Kriterium der Neuordnung ansieht. Er verzichtet deshalb auf eine dahin gehende Analyse der eingetretenen Veränderungen. 171 J. FISCHER, S. 67.
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rungsverfahren deutschchristliche Haltung vorgeworfen wurde, so kommt man zu dem Ergebnis, dass über die Hälfte der Superintendenten zu dieser Gruppe zu zählen waren. Bis auf einen Superintendenten, der zwar der Partei angehört, aber als Vertreter der „Mitte“ im Landeskirchenausschuss gewirkt hatte, mussten alle belasteten Geistlichen ihr Amt aufgeben. Von den 31 Superintendenturen hatte die BK mit mindestens 13 Stellen in den Jahren 1946/47 fast die Hälfte inne. Vergleicht man diese Zahl mit der Anzahl der Pfaramtsleitungen in Leipzig, so wird die verhältnismäßig schwache Position der BK in Leipzig überdeutlich. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus erwiesen sich die Landeskirchen als zentraler Handlungsrahmen kirchlicher Erneuerung172. Die auf den Wiederaufbau volkskirchlicher Strukturen abzielende Erneuerung ging auf das Konzept des „Kirchlichen Einigungswerkes“ des württembergischen Landesbischofs Wurm zurück, das bei weitgehender Ausschaltung des deutschchristlichen Elements die Einbeziehung der volkskirchlichen Mitte vorsah173. In den so genannten „zerstörten“ Landeskirchen, in denen die Deutschen Christen das Kirchenregiment innehatten, zu denen auch die sächsische gehörte, war die personelle Erneuerung insofern einfacher, als die Notwendigkeit der Neustrukturierung auf der Hand lag. Auch hier vollzog sich die Neubildung ähnlich wie in anderen „zerstörten“ Landeskirchen: Nämlich erstens verhältnismäßig schnell, um ein Eingreifen von außen zu verhindern; zweitens ohne das Abwarten auf gesamtkirchliche Anweisungen und drittens unter Bildung einer „Koalition“ zwischen BK und „Mitte“174. Verglichen mit den „intakten“ lutherischen Landeskirchen, wo sich die im Amt befindlichen Bischöfe oft weigerten, personelle Änderungen vorzunehmen, gelang hier schnell eine personelle Umstrukturierung, die zur fast vollständigen Ausschaltung ehemaliger Deutscher Christen aus zentralen kirchenleitenden Funktionen führte175. Die als Kompromiss zwischen BK und „Mitte“ anzusehende neue Kirchenleitung entsprach dem integrativen Konzept der sächsischen BK während des Kirchenkampfes, in der das radikalere „dahlemitische“ Element nur eine untergeordnete Rolle spielte176. So übte Hugo Hahn, der trotz seines Exils in Württemberg als 172 C. VOLLNHALS, Kirche und Entnazifizierung, S. 32; K. MEIER, Neuaufbau, S. 214; G. KRETZSCHMAR, S. 136; M. ONNASCH, Situation, S. 215. 173 Zum Einigungswerk vgl. J. THIERFELDER. 174 Die Charakteristika nach KIRCHE NACH DER KAPITULATION, S. 21. 175 Die bedeutendste Ausnahme in der sächsischen Landeskirche bildete der deutschchristliche OLKR Willy Kretzschmar, der wegen seiner Kompetenz in Finanzfragen weiter beschäftigt wurde, obwohl er wegen seiner Tätigkeit als Leiter der Finanzabteilung in der Zeit des Nationalsozialismus massiv belastet war. 176 Die Zahl der „Dahlemiten“ war 1940 auf drei Theologen und eine Gemeinde geschrumpft (C. VOLLNHALS, Kirche und Entnazifizierung, S. 26).
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sächsischer Vertreter an den Bruderratssitzungen teilnahm, auf einer Sitzung im März 1946 Kritik an dem alleinigen Führungsanspruch der BK177. Landessuperintendent Lau als geistlicher Leiter der Landeskirche zeigte sich zudem stark an der Aussöhnung der verschiedenen kirchlichen Gruppen interessiert. Den Bestrebungen der anderen Landeskirchen, die gesamtgesellschaftlichen Rückwirkungen der Entnazifizierung zu minimieren, schloss sich auch die sächsische Landeskirche an. Dieser Prozess ging ohne Intervention sowjetischer Stellen vor sich. Jedoch bedeutete das Einreiseverbot in die SBZ für Superintendent Hahn, das die Landesverwaltung aufgrund denunziatorischer Hinweise aus der Pfarrerschaft wegen seiner baltischen Herkunft und seines Eintretens für den Nationalsozialismus verhängt hatte, eine derartige Benachteiligung für die BK, dass sie erst mit Hahns Rückkehr nach Dresden ihre personellen Vorstellungen stärker durchsetzen konnte178. In Leipzig konnte die BK ihren Führungsanspruch nicht durchsetzen. Sie scheiterte am Widerstand Schumanns, der wenig Neigung zeigte, eine Neuorientierung nach Kriegsende vorzunehmen. Schließlich musste er der Bildung des Konsistoriums zustimmen, das formell von dem BK-Mitglied Oepke geleitet wurde. Dieser erwies sich zum einen als sehr gemäßigter BK-Vertreter, zum anderen verfügte Schumann aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in Leipzig sowohl über einen größeren Rückhalt in der Pfarrerschaft als auch über eine bessere Übersicht über die Personalia, sodass faktisch Schumann seinen Kurs fortsetzen konnte. Die Auflösung des Konsistoriums änderte an diesem Sachverhalt nichts. Schumann konnte erreichen, dass die kirchlichen Angestellten und Beamten besser geschützt waren, und zeigte sich bereit, auch schwer belasteten Pfarrern die Hand zu reichen. Strukturelle Faktoren kamen seiner Politik zugute. So waren im Oktober 1945 über 400 Pfarrer und Vikare noch nicht aus dem Krieg auf ihre Pfarrstellen in der SBZ zurückgekehrt, bis 1949 erhöhte sich die Zahl der dort fehlenden Pfarrer auf ca. 900179. Betrachtet man den Ausgang der kirchlichen „Selbstreinigung“, so muss die Behauptung der kirchlichen Autonomie mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Zwar war die SMAS bereit, die sächsischen Geistlichen, anders als in anderen Landeskirchen, völlig aus dem staatlichen Entnazifizierungsverfahren herauszunehmen180, doch musste die Landeskirche die staatlicherseits vorgegebenen Richtlinien umsetzen und regelmäßige Berich177 J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, S. 42. 178 Vgl. dazu EBD., S. 320–325. Neben dem Dresdner Pfarrer August Busch nennt Seidel auch Lewek als Hauptverantwortlichen. 179 EBD., S. 55. 180 In Bayern z. B. mussten die Pfarrer am Spruchkammerverfahren teilnehmen (vgl. die Beispiele bei C. VOLLNHALS, Kirche und Entnazifizierung, S. 253–278).
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te an die Landesverwaltung bzw. -regierung abgeben. Die städtische Entnazifizierungskommission in Leipzig drängte Schumann zur Einhaltung der Richtlinien. In den kirchlichen Kommissionen waren Vertreter aller Parteien, somit auch der SED, vertreten. Nur durch diesen Druck lässt sich erklären, dass z. B. in Leipzig zahlenmäßig mehr Parteimitglieder unter den Pfarrern Sanktionen hinnehmen mussten als Deutsche Christen, die ja aus der innerkirchlichen Perspektive größeren Schaden angerichtet hatten. Die Landesverwaltung agierte aber auch hier nicht „objektiv“: Belastete Pfarrer, die bereit waren, sich politisch der SED zu nähern, wurden von ihr geschont181. Wie in anderen Landeskirchen, versuchte man auch in Sachsen, durch Verzögerung die Entnazifizierung zu blockieren. Im Ergebnis wurde in Leipzig das Problem der „Selbstreinigung“ dadurch gelöst, dass man belastete Pfarrer zuerst in die zweite Reihe verschob und sie innerhalb der Landeskirche versetzte. Ein Bericht des Landeskirchenamtes aus dem Jahr 1947 nennt folgende Zahlen: Von 1161 Pfarrern wurden 27 dienstenthoben und 139 nur noch vikarisch weiterverwendet182. Hatte im landeskirchlichen Maßstab die BK stark von dem Personalrevirement profitiert, so gelang es in Leipzig nach 1945 der „Mitte“, ihre Stellung noch auszubauen. Die kirchliche Zeitgeschichtsschreibung betrachtet die unmittelbare Nachkriegszeit in erster Linie unter der Fragestellung: Restauration oder Neubeginn?183 Im innerkirchlichen Diskurs geht der in dieser Fragestellung liegende Vorwurf zurück auf die bruderrätliche Kritik am Wiederaufbau der kirchlich-konsistorialen Strukturen184. Dieser Ansatz mag in seiner Überspitzung zu kritisieren sein. Man wird jedoch hinsichtlich Superintendent Schumanns kaum um die Feststellung umhinkommen, angesichts der Beschädigungen in der sächsischen Landeskirche durch die Deutschen Christen die notwendigen Konsequenzen nicht gezogen zu haben. Durch seinen integrativen Kurs schonte er die deutschchristlichen Kräfte in Leipzig und verstärkte die Spannungen zwischen BK und „Mitte“.
181 Vgl. dazu J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, S. 378. 182 EBD., S. 424. M. HEIN verzichtet auf jede Zahlenangabe. Im Vergleich dazu wurden in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers von ca. 1 400 Pfarrern nur sechs aus dem Dienst entfernt (G. BESIER, „Selbstreinigung“, S. 105). Dies mag zum einen durch die geringere Belastung der Pfarrerschaft, zum anderen mit dem minderen Druck von außen zu erklären sein. 183 So z. B. G. BESIER, Neuanfang; C. VOLLNHALS, Traditionswahrung; kritisch dazu M. GRESCHAT, Neuanfang. 184 Vor allem bekannt durch H. DIEM.
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3. Staatliche Vereinnahmungsversuche und kirchliche Abschottung 1945–1950 3.1 Strukturen der Kirchenpolitik in Sachsen Die Landesverwaltung Sachsen nahm am 4. Juli 1945 ihre Tätigkeit auf. Da von der sowjetischen Besatzungsmacht keine einheitliche Struktur gefordert wurde, unterschied sich die sächsische Landesverwaltung von den anderen zur gleichen Zeit eingerichteten Länderverwaltungen1. Die Unterabteilung „Kirchen und Religionsangelegenheiten“ gehörte zur Abteilung Volksbildung2. Diese wurde nicht von einem KPD-Mitglied, sondern von Emil Menke-Glückert, dem Ersten Stellvertretenden Landesvorsitzenden der LDPD, geleitet3. Die Abteilung unterstand dem Ressort „Inneres und Volksbildung“ mit dem Vizepräsidenten der Landesverwaltung, Kurt Fischer, an der Spitze4. In der dem Präsidenten der Landesverwaltung zugeordneten Zentralverwaltung für Bildung und Schule wurden gleichfalls Kirchenfragen bearbeitet5. Im September 1945 erfolgte eine Umbildung des Präsidiums der Landesverwaltung. Nunmehr wurden die Kompetenzen für die „Kirchen und sonstige Religionsgesellschaften“ in der Abteilung VI der Zentralverwaltung für Wissenschaft, Kunst und Erziehung zusammengefasst6. Menke-Glückert, der Leiter dieser Zentralverwaltung, und sein Mitarbeiter, Ministerialrat von Schuch, waren nun die wichtigsten Ansprechpartner für die Kirchen7. Ende Januar 1946 wurde die Zentralverwaltung für Wissenschaft, Kunst und Erziehung aufgelöst. Danach bestanden in der Landesverwaltung sogar Überlegungen, die Zuständigkeit für Kirchen der Polizei zu übertragen8. Auch danach engagierte sich der Präsident der Landesverwaltung Friedrichs noch persönlich in den Beziehungen zur Landeskirche, was mit ihrer großen Bedeutung in der Nachkriegszeit, aber auch mit Friedrichs engen Bindungen zur reformierten Kirche zusammenhängen dürfte9. 1 K. SCHROEDER, S. 55. 2 So A. THÜSING, S. 64 f.; V. STANKE, S. 15. Die Organisationsstruktur der Landesverwaltung Sachsen von Juli bis September 1945 ist abgedruckt in: M. UNGER, Landesverwaltung Sachsen, S. 277–279. 3 Vgl. dazu auch V. KLEMPERER, S. 55. 4 Zu Kurt Fischer vgl. auch M. RICHTER/M. SCHMEITZNER, S. 35–62. 5 Vgl. M. MERCHEL, S. 297. 6 Vgl. den Geschäftsverteilungsplan der Landesverwaltung Sachsen vom Oktober 1945 (LKA DRESDEN, Bestand 2, 130, Bl. 46). 7 M. MERCHEL, S. 301. 8 Aktenvermerk Kottes über eine Besprechung mit Menke-Glückert am 28. Februar 1946 (LKA DRESDEN, Bestand 2, 130, Bl. 74). 9 Friedrichs gehörte bis 1927 der lutherischen Landeskirche an. 1933 trat er der refor-
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Im April 1946 wechselte die „Abteilung für Kirchenfragen“ in das nun eigenständige Ressort Volksbildung. Zum zentralen Ansprechpartner der Kirchen wurde jetzt Oberregierungsrat Herbert Heerklotz, ein Fischer-Intimus10. Im September schied er allerdings aus. Seit März 1946 arbeitete in dieser Abteilung ferner Oberregierungsrat Rudolf Auerswald, der zuvor in der Sächsischen Landespolizei in der für Kirchenfragen zuständigen Abteilung Pass- und Meldewesen tätig gewesen war. Er gehörte der CDU an und behielt die Zuständigkeit für das Referat über alle weiteren Ressortwechsel bis zu dessen Auflösung 194911. Im Juni 1946 wurde das Innenressort in drei eigenständige Geschäftsbereiche aufgeteilt und das Referat für Kirchenfragen dem neuen Ressort Allgemeine Verwaltung und Kommunalfragen unter der Leitung von Ministerialdirektor Paul Hegner angegliedert12. Im Juli 1946 erfolgte die Aufwertung des Ressorts zur Abteilung13. Mit Wirkung vom 17. Dezember 1946 ging die Zuständigkeit für sämtliche Kirchenfragen aus dem Bereich Inneres auf das neu gegründete Volksbildungsministerium unter der Leitung von Erwin Hartsch über14. Das Referat Religionsgemeinschaften wurde der Hauptabteilung Allgemeine Volkserziehung unter Ministerialdirektor Richard Gladewitz zugeordnet. Dieser war bis Oktober 1948 auch mit der Leitung des zum Innenministerium gehörenden Landesnachrichtenamtes beauftragt. Hierdurch war ein guter Informationsfluss zwischen dem zuständigen Referat, Polizei und Landesnachrichtenamt gegeben15. In diese Zeit fällt – sicherlich nicht zufällig – die verstärkte Überwachung der Kirchen. Am 25. Januar 1949 gab das Volksbildungsministerium die Auflösung des Referats „Religionsgemeinschaften“ zum Ende des Monates bekannt16. Die Kirchen sollten ihren Schriftverkehr in Zukunft mit dem Innenminis-
mierten Kirche bei (vgl. M. RICHTER/M. SCHMEITZNER, S. 246; vgl. auch M. MERCHEL, S. 301). 10 I. FENZEL, S. 54, führt irrtümlicherweise den „Lizentiaten“ Heerklotz als Beispiel für einen Geistlichen an, der nach 1945 in Gremien der Länderregierungen gearbeitet habe. Heerklotz wurde später stellvertretender Chef der sächsischen Polizei (vgl. M. RICHTER/ M. SCHMEITZNER, S. 118). 11 V. STANKE, S. 16. 12 A. THÜSING, S. 249 und V. STANKE, S. 16. 13 A. THÜSING, S. 250. 14 M. MERCHEL, S. 308. Vgl. auch das Schreiben Auerswalds an das Landeskirchenamt vom 15. Januar 1947, in dem er die Umstrukturierung bekannt gab (LKA DRESDEN, Bestand 2, 130, Bl. zu 34 [sic]). 15 M. MERCHEL, S. 306. Als Beispiel vgl. auch das Schreiben des Landesnachrichtenamtes an Gladewitz vom 27. August 1948, in dem Rundschreiben des Landeskirchenamtes bekannt gegeben wurden (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1344, Bl. 190). 16 Auerswald an alle Religionsgemeinschaften am 25. Januar 1949 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 861, Bl. 1). Auerswald schied mit der Auflösung des Referates aus dem Dienst der Landesregierung aus.
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terium abwickeln. Dieser Entscheidung lag eine Verabredung der Volksbildungsminister in der SBZ zugrunde, die sich dieser ungeliebten Abteilung gemäß der Konzeption der Trennung von Staat und Kirche gern entledigen wollten17. Aber auch das Innenministerium zeigte nur wenig Neigung, das Referat zu übernehmen18. In dieser Situation intervenierte das Landeskirchenamt bei der SMAS und beklagte sich über die „dilatorische Behandlung der Kirchenangelegenheiten in Sachsen“19. Es scheint, dass Kirchenfragen, sofern sie nicht einem Ministerium direkt zugeordnet werden konnten, im Büro des Ministerpräsidenten bearbeitet wurden. Dort war vor allem die persönliche Referentin von Ministerpräsident Seydewitz, Frau Pape, zuständig, zuweilen auch ihr Kollege Johannes Volgmann20. Am 1. September 1951 wurde Rudolf Senf, vormals in der Abteilung Kultur und Erziehung des SED-Landesvorstandes tätig und Mitglied des Parteivorstandes, zum Leiter der Dienststelle „Verbindung zu den Kirchen“ im Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten berufen21. Die Dienststelle war der „Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen“ unter der Leitung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Otto Nuschke nachgeordnet, die die zentrale Verwaltungsbehörde für Kirchenfragen bildete22. Auch in den Ländern machte sich das Konkurrenzverhältnis zwischen der Hauptabteilung und dem Innenministerium in Kirchenfragen bemerkbar. In Sachsen versuchte das DDR-Innenministerium, die Arbeit der Dienststelle praktisch in ihren Behördenstrang zu integrieren23. Mit der Auflösung der Länder endete auch die Arbeit dieser Dienststelle Ende August 1952. Auf der Kreisebene gab es keine feste Zuordnung der Zuständigkeiten für Kirchenfragen. Sie wurden von unterschiedlichen Stellen wie dem Landrat, dem Nachrichtenamt, der Polizei u. a. wahrgenommen24. In Leipzig
17 V. STANKE, S. 17. Bezeichnend dafür ist die Stellungnahme des sächsischen Volksbildungsministers Helmut Holtzhauer dazu: „Durch die Unterstellung beim Ministerium für Volksbildung muss der Eindruck erweckt werden, als wenn Kirchen und Religionsgemeinschaften Einrichtungen zur allgemeinen Volkserziehung des neuen demokratischen Staates sind. Demgegenüber muss aber gesagt werden, dass [. . .] die Kirche vom Staat getrennt ist und [. . .] dass die kirchlichen Einrichtungen und Handlungen nicht zu politischen Zwecken missbraucht werden dürfen. Diese Aufsicht müsste vom Ministerium des Innern ausgeübt werden“. Holtzhauer an die DVfV am 30. Juni 1948 (zitiert EBD.). 18 EBD., S. 18. 19 Heidler an Kotte am 28. März 1949 (LKA DRESDEN, Bestand 2, 65, Bl. 14). 20 V. STANKE, S. 18. Zu Volgmann vgl. M. RICHTER/M. SCHMEITZNER, S. 137 f. 21 Seydewitz an das Landeskirchenamt am 1. September 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1365, Bl. 9). 22 M. G. GOERNER, Kirche, S. 179. 23 Aktenvermerk Senfs über eine Besprechung im Ministerium des Innern der Deutschen Demokratischen Republik am 19. Februar 1952 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 2929, Bl. 113). 24 M. MERCHEL, S. 297.
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interessierte sich besonders Oberbürgermeister Erich Zeigner 1945/46 sehr stark für Kirchenfragen25. Daneben brachte Oswald Bauer, der schon unter Oberbürgermeister Vierling Dezernent des Schul- und Bildungsamtes gewesen war, später Chef des Ernährungsamtes wurde und das Amt des Patrons übernahm, kirchliche Interessen in die Verwaltung ein26. Er schied jedoch im Sommer 1946 aus der Stadtverwaltung aus. Die Entscheidungsfreiheit der Landesverwaltung bzw. -regierung war sehr begrenzt27. Der SMAS oblag die letzte Kontrolle, und auf Landesebene gelang es der SED immer stärker, vor allem im Personalbereich und im Innenministerium, ihre Dominanz zu sichern. Außerdem setzte schon frühzeitig ein Prozess der Zentralisierung der Macht von der Kommune auf das Land und vom Land auf die Zentralverwaltungen in Berlin ein. Innerhalb der sächsischen SED lassen sich die Kompetenzen für Kirchenfragen schwer fassen. Im Vorfeld der Wahlen war der SED-Landesvorsitzende Otto Buchwitz mit einer eigenen kirchenpolitischen Aktion hervorgetreten28. Auf Zonenebene besaßen die Religiösen Sozialisten, die im Vorfeld der Landtagswahlen eine herausragende Rolle spielten, in der von der Partei eingesetzten „Kommission Kirche und Religion“ unter Leitung von Arthur Rackwitz ein starkes Gewicht29. Spätestens im Herbst 1947 verloren sie im Zuge der Stalinisierung der SED allerdings ihren Einfluss auf die Formulierung der Kirchenpolitik. Evangelische Geistliche, die der SED angehörten, wurden aus der Partei verdrängt30. Auf Landesebene lag die Entscheidungskompetenz für Kirchenfragen im Büro des Ersten Sekretärs oder in der Abteilung „Kultur und Erziehung“, in der Rudolf Senf tätig war, bevor er 1951 die Abteilung „Verbindung zu den Kirchen“ beim Ministerpräsidenten übernahm. Weiterhin fällt auf, dass in Sachsen eine enge Verschränkung von Polizeiaufgaben und Kirchenfragen bestanden hat. Auerswald, von 1946 bis 1949 für Kirchenfragen zuständig, gehörte vorher der Landespolizei an, des Weiteren bestand über Richard Gladewitz eine enge Verbindung zum Landesnachrichtenamt. 25 Die Information des Leipziger Polizeipräsidenten Heinrich Fleißner aus dem Sommer, der Dritte Bürgermeister Sachse sei für die „Abteilung für Kirchensachen“ zuständig gewesen, findet in den Quellen keinen Niederschlag (SÄCHSHSTA DRESDEN, LBdVP Sachsen 402, Bl. 13). 26 Vgl. das Schreiben Bauers an Schumann am 5. Juli 1946 (ADSL, Schrank I, Fach 4, 47). Zu Oswald Bauer, der im Ministerium für Handel und Versorgung als Ministerialdirektor tätig war und zur „SPD-Fraktion“ um den Ministerpräsidenten Friedrichs zählte, vgl. M. RICHTER/M. SCHMEITZNER, S. 141. 27 A. THÜSING, S. 379–397. 28 Vgl. unten S. 279. 29 Zu ihnen gehörten u. a. Bernhard Göring, Anton Ackermann und Otto Meier (vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 229; F. HARTWEG, S. 16). 30 W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 233.
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3.2 Die kirchliche Handlungslinie Schon zu Beginn der SBZ wurden politische Maßnahmen eingeleitet, die erhebliche dauerhafte Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft in ganz Deutschland haben sollten. SMAD und KPD/SED suchten angesichts ihres geringen Rückhalts in der Bevölkerung, das Ansehen der Kirchen für ihre Politik zu vereinnahmen. Egal, ob sie es wollten oder nicht, stellte sich für die Kirchen in zunehmendem Maße die Frage, inwieweit sie den Auftrag hätten, sich öffentlich zu den politischen Geschehnissen zu äußern. Hierbei spielten Erfahrungen aus dem Dritten Reich eine große Rolle. Gerade der Bekennenden Kirche kam dabei eine normative Kraft zu, weil sie am entschiedensten den deutschchristlichen Übergriffen Paroli geboten hatte und eigene theologische Neuansätze wie etwa das kirchliche Notrecht formuliert hatte. Auch in Sachsen wurde ihr nach Kriegsende eine Wächterfunktion zuerkannt, wie Landessuperintendent Lau schon auf einer Ephorendienstbesprechung im September 1945 bemerkte: „Die BK ist heute gerufen, die ungeheuer schwere Aufgabe zu übernehmen und zu erfüllen, die Kirche freizuhalten von fremdem Einfluss“31. Die Schlüsse, die man aus dem Kirchenkampf zog, waren in den einzelnen evangelischen Landeskirchen mit ihren unterschiedlichen theologischen Traditionen und personellen Konstellationen verschieden. In den unierten Landeskirchen spielten z. B. in Strukturfragen bruderrätlich-synodale Elemente eine größere Rolle als in lutherischen, wo das Schwergewicht insbesondere auf die volkskirchliche Erneuerung im Gegensatz zur Einbeziehung freikirchlicher Strukturen gelegt wurde32. Eine zentrale Erkenntnis aus dem Kirchenkampf war der kirchliche Anspruch, sich nicht mehr wie im Nationalsozialismus aus der Öffentlichkeit verdrängen zu lassen, sondern gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, wie es auf der „Kirchenführerkonferenz“ in Treysa im August 1945 in einem „Wort an die Gemeinden“ explizit formuliert wurde: „Wo die Kirche ihre Verantwortung wahrnahm, rief sie zu den Geboten Gottes, nannte bei Namen Rechtsbruch und Frevel, die Schuld in den Konzentrationslagern, die Misshandlung und Ermordung von Juden und Kranken und suchte der Verführung der Jugend zu wehren. Aber man drängte sie in die Kirchenräume zurück wie in ein Gefängnis“33. Dem Verständnis der Kirchenführer nach kam der Kirche die Aufgabe einer moralischen Auto31 Zitiert nach K. DOMSCH, S. B 35. 32 Für Neuansätze mit dezidiert uniertem Blickwinkel vgl. A. NOACK, Weg; zum Neubeginn in der sächsischen Landeskirche unter theologischem Blickwinkel vgl. K. Domsch, S. B 36. 33 „Wort an die Gemeinden“ vom 30. August 1945 (abgedruckt in: PROTOKOLLE DES RATES DER EKD, S. 5 f.).
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rität zu, die das Volk vom Kurs der Säkularisierung abbringen sollte34. Als zweite Erfahrung des Dritten Reiches suchte die Kirche, ihre institutionelle Autonomie zu behaupten: „Kirche muss Kirche bleiben“. Das Leitbild der „staatsunabhängigen, aber gesellschaftsoffenen Volkskirche“35 implizierte die Freiheit von Bevormundung und Unterwanderung. Ihren Auftrag sah sie darin, vom Evangelium her zu den Lebensfragen des Volkes Stellung zu nehmen36.
3.3 Die Bodenreform Die ab September 1945 durchgeführte Bodenreform bildete eine einschneidende Maßnahme zur Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft in der SBZ. Für die KPD waren dabei zwei Gesichtspunkte entscheidend: Durch die entschädigungslose Enteignung von Flächen über 100 ha sollten jene großbäuerlichen Machtgruppen auf dem Land beseitigt werden, von denen starker Widerstand gegen eine gesellschaftliche Transformation mit sozialistischer Zielsetzung zu erwarten war. Außerdem hoffte die KPD, jene Personen, die von der Bodenreform profitierten, für sich zu gewinnen, darunter auch im ländlichen Raum lebende Christen37. Um die politische Basis für diese Maßnahme zu verbreitern, suchte die KPD die Unterstützung von CDU und LDP38 zu gewinnen. Die CDU stimmte der Bodenreform zwar grundsätzlich zu, vertrat jedoch die Auffassung, Enteignungen seien nur gegen Entschädigungen durchzuführen; ausgenommen sollten nur Kriegsverbrecher und besonders aktive Nationalsozialisten bleiben39. In der LDP sah man zwar auch die Entschädigungsfrage als Hauptproblem, ging jedoch in den Landesblockausschüssen nicht auf Oppositionskurs zur KPD, sondern „einigte“ sich unter Aussparung der Entschädigungsfrage. Der Umverteilung auf dem Land wurde weniger Relevanz eingeräumt als der Enteignung der Industrie, wo die traditionelle Klientel der Liberalen vertreten war40. Die sowjetische Militärmacht und die KPD verstärkten den Druck gegen die beiden bürgerlichen Parteien. In der CDU war der Widerstand gegen die Bodenreform vor allem von Andreas Hermes, dem Ersten Vorsitzenden der CDU, aus34 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 86. 35 K. MEIER, Neuaufbau, S. 227. 36 K. DOMSCH, S. B 38. 37 J. LAUFER, Bodenreform; V. STANKE, S. 41. 38 Bis 1951 verwendeten die Liberaldemokraten die Abkürzung „LDP“. Zur Betonung der gesamtdeutschen Ausrichtung der Partei wurde danach die Kurzform „LDPD“ benutzt. 39 H. WENTKER, Anfänge, S. 204; zum Thema CDU und Bodenreform vgl. R. BAUS, CDU, S. 222–231. 40 H. WENTKER, Anfänge, S. 204 f.
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gegangen, der zusammen mit seinem Stellvertreter Walther Schreiber im Dezember 1945 von der SMAD abgesetzt wurde – wobei auch sein gesamtdeutsches Engagement und seine Weigerung, die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen, eine wichtige Rolle spielten41. In der LDP wurde Waldemar Koch von der Parteispitze abgelöst. Auch in Sachsen gelang es der KPD Anfang September 1945, die in dieser Frage gespaltene CDU im Landesblock umzustimmen. Damit wurden die Bestimmungen der „Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Sachsen“, die für die gesamte SBZ übernommen wurden, maßgebend für die Enteignung in Sachsen mit den zwei zentralen Punkten der Enteignung aller Güter über 100 ha und nicht erfolgender Kompensation42. Die beiden Kirchen waren insofern privilegiert, als ihr Grundbesitz aufgrund sowjetischer Intervention nicht in die Bodenreform einbezogen wurde43. SMAD wie KPD war daran gelegen, die fehlende demokratische Legitimation der Bodenreform zumindest partiell durch zustimmende Äußerungen kirchlicher Stellen ersetzen zu können. Für die katholische Kirche lässt sich jedoch keine öffentliche Verlautbarung zur Bodenreform nachweisen44. Die evangelische sächsische Landeskirche befand sich bezüglich ihrer Haltung zur Bodenreform in einer Zwickmühle: Zum einen konnte sie kaum die Hoffnungen der großen Zahl von Landarbeitern und Vertriebenen, die von der Bodenreform profitieren sollten, enttäuschen, zum anderen war sie traditionell stark mit den Grundbesitzern verbunden, die die meisten Kirchensteuern entrichteten und als Patrone Kirchenbaulasten trugen45. Allerdings besaß die Frage der Bodenreform in Sachsen geringere Relevanz als in den anderen Ländern der SBZ, weil dort der Anteil der großen Güter an der Gesamtfläche am geringsten war46. Eine öffentliche 41 Zur Absetzung von Hermes vgl. H. WEBER, DDR, S. 111; W. LOTH, S. 55. Zu Hermes vgl. auch G. BUCHSTAB. – S. DONTH, Vertriebene, S. 82–94, hat auf der Basis sowjetischer Quellen besonders die vertriebenenpolitischen Gesichtspunkte herausgearbeitet. 42 Vgl. dazu für die Provinz Sachsen die „Verordnung über die landwirtschaftliche Bodenreform“ vom 3. September 1945, die Vorbild für die Verordnungen der anderen Länder der SBZ wurde (abgedruckt in: M. HÖLLEN, S. 70). In Sachsen wurde die entsprechende Verordnung am 10. September erlassen (vgl. Amtliche Nachrichten der Landesverwaltung Sachsen, Nr. 5, 24. September 1945, Bl. 214). Zur Bodenreform in Sachsen vgl. M. UNGER, Bodenreform; U. KLUGE. 43 Vgl. ausführlich mit Quellennachweisen V. STANKE, S. 65 f. Vgl. dazu auch den Kommentar des Leiters der Abt. Agitation/Propaganda im ZK der KPD, Fred Oelßner, auf einer KPD-Tagung am 28. September 1945: „Es ist eine Konzession, die wir machen, eine taktische Frage“ (zitiert nach EBD., S. 66). 44 W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 76. 45 V. STANKE, S. 68. 46 T. MÖHLENBROCK, S. 272.
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Stellungnahme der Landeskirche blieb daher aus47. Die Landeskirche hielt sich an eine Ende September getroffene Vereinbarung der Finanzreferenten der in der SBZ liegenden Landeskirchen, Erklärungen zur Bodenreform zu vermeiden48. Erst Ende Oktober nahm Landessuperintendent Lau zu der Frage der Bodenreform Stellung: „Also: Wir wollen den gesunden Sinn der Bodenreformordnung nicht verkennen; aber wir wollen unerschrocken sein und Recht Recht und Unrecht Unrecht nennen“49. Geringer konnte die Zustimmung zur Bodenreform wohl kaum ausfallen. Die Kirche ließ sich auch nicht zu einem Votum zur Beteiligung von Pfarrern an Landübergabefeiern bewegen, wies den teilnehmenden Pfarrer aber an, „wenn er redet, sich nicht politisch zu einer an sich politischen oder wirtschaftlichen Frage zu äußern, sondern Gottes Gnade denen zu verkünden, die neu anfangen, und auch denen, die abschließen müssen“50. Diese Art der Unterstützung wurde von der KPD sehr gern gesehen, die im September/Oktober 1945 fast täglich über Ansprachen von Pastoren bei der Übergabe von Land an Umsiedler berichtete, ohne dass freilich kritische kirchliche Äußerungen zu den Verfahrensweisen mit genannt wurden51. Den Höhepunkt dieser Politik stellte die so genannte Meißener „Bodenreformkonferenz“ dar, die am 20. Oktober 1945 stattfand. An ihr nahm ein Pfarrer aus dem Kirchenkreis Meißen teil, dessen entschiedenes Eintreten für die Bodenreform von der Sächsischen Volkszeitung in breiter Form dargestellt wurde52. Auch das „Wort zur Bodenreform“ der sächsischen BK, das diese Mitte November 1945 auf einer Arbeitstagung an die Landesverwaltung richtete, wurde unter Auslassung der kritischen Passagen veröffentlicht und so der Eindruck großer Zustimmung zur Bodenreform durch die BK erweckt53. Kirchliche Kritik entzündete sich im Wesentlichen an den Begleiterscheinungen der Bodenreform. So setzte sich die evangelisch-lutherische Landeskirche im Dezember 1945 für Familien ein, die sich in der NS-Zeit kirchlich engagiert hatten und nun entschädigungslos enteignet worden 47 Zur Haltung der anderen Landeskirchen, vgl. T. MÖHLENBROCK und T. FRIEBEL, S. 505–509. 48 T. MÖHLENBROCK, S. 288. 49 7. Rundbrief von Franz Lau vom 31. Oktober 1945 (abgedruckt bei J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern 1945, Dok. 60/10, S. 521–531, hier S. 529). 50 EBD. 51 T. FRIEBEL, S. 508. 52 T. MÖHLENBROCK, S. 282. Seiner Behauptung, der betreffende Pfarrer Werner Böttger sei wegen dieses Verhaltens von der Landeskirche aus dem kirchlichen Dienst entlassen worden, widerspricht M. HEIN, S. 21, der auf Böttgers Belastung im Dritten Reich verweist. 53 T. MÖHLENBROCK, S. 289 f. Es handelt sich um einen von Martin Richter gezeichneten Artikel in der Dresdner „Volksstimme“ vom 11. November 1945 (vgl. auch V. STANKE, S. 67).
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waren. Auch über die rechtlichen Grundlagen hinausgehende Übergriffe der Kommunisten wurden angeprangert, so z. B. die Tatsache, dass man Grundbesitzer verhaftet und nach Rügen deportiert hatte54. Zwar waren die Kirchen durch die Herausnahme ihres Besitzes privilegiert worden und hatten auch kaum unmittelbare Einbußen zu beklagen, doch die Zerschlagung der großen Güter und die damit einhergehende Vertreibung der Grundbesitzer brachte für die evangelisch-lutherische Landeskirche beträchtliche Steuerausfälle mit sich, sodass es durchaus gerechtfertigt erscheint, die mittelbaren Auswirkungen der Bodenreform auf die Kirche als schwerwiegend zu bezeichnen55. In der Großstadt Leipzig waren die Auswirkungen der Bodenreform naturgemäß gering56. Dies erklärt das Fehlen einer Aussprache darüber in den monatlichen Pfarrerkonferenzen. Das Leipziger Konsistorium hatte schon im September 1945 grundsätzliche Kritik an der Bodenreform geäußert. Dessen Vorsitzender, Albrecht Oepke, bezeichnete sie in einem Schreiben an das Landeskirchenamt als „tief einschneidende Maßregel, die den Großgrundbesitz schwer trifft“57. Weiter forderte das Konsistorium das Landeskirchenamt als zuständige Stelle auf, zu den Vorgängen nicht zu schweigen und Verhandlungen mit der Landesverwaltung aufzunehmen58. In die gleiche Richtung zielte eine Intervention der beiden BK-Pfarrer Georg Walther und Oskar Meder zusammen mit einem Rochlitzer Pfarrer beim Landeskirchenamt, hinter der wahrscheinlich weitere BKKreise standen59. Als SMAD und KPD auch danach Pfarrer unter Druck setzten, an Landübergabefeiern teilzunehmen, wandte sich Prof. Oepke im November
54 Am 14. Dezember 1945 richteten Kotte und Lau ein Schreiben an die Landesverwaltung, in dem sie gegen die Verhaftung enteigneter Gutsbesitzer reagierten (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, Dok. 60, S. 395 f.). Daraufhin kam es eine Woche später sogar zu einer Unterredung mit dem Präsidenten der Landesverwaltung Friedrichs, deren Inhalt aber nicht mehr rekonstruiert werden kann (vgl. T. MÖHLENBROCK, S. 293 f.). 55 So V. STANKE, S. 75. Vgl. auch Landeskirchenamt an sämtliche Bezirkskirchenämter, 13. Juni 1946, betr. wirtschaftliche Auswirkungen der Bodenreform (BKA LEIPZIG, Kirchlicher Grundbesitz, Nr. 12). 56 Auf die diesbezügliche Anfrage des Landeskirchenamtes vom 13. Juni 1946 antwortete der Leiter des Bezirkskirchenamtes mit Fehlanzeige. Vgl. Brügmann an Landeskirchenamt vom 13. August 1946 (BKA LEIPZIG, A 73). Die Gedächtnisgemeinde in Leipzig-Schönefeld erhielt aus einem Stiftungsvermögen zwei Gebäude übereignet. Der Streit, ob auch der dazugehörige Grund in das Eigentum der Kirche übergehen sollte, zog sich bis ins Jahr 1953 hin. Vgl. Gollert an Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten am 22. Dezember 1953 (STAL, RdB 10715). 57 Oepke an das Landeskirchenamt am 20. September 1945 (zitiert nach T. MÖHLENBROCK, S. 278). 58 EBD. 59 EBD., S. 278 f.
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erneut nach Dresden und warnte davor, „die Kirche in eine zweifellos ebenso einseitige politische Propaganda einzuspannen“60. Mit Bezug auf die Situation im Jahre 1933 verwies Oepke auf die Gefahr einer „erneute[n] einseitige[n] Bindung der Kirche“ und forderte das Landeskirchenamt auf, mit einem Teilnahmeverbot den Pfarrern den Rücken zu stärken61. Ähnlich dezidiert übte die Leipziger CDU mit Carl Ruland an der Spitze Kritik an der Bodenreform. Der wirtschaftspolitische Ausschuss der Leipziger CDU nahm dabei kein Blatt vor den Mund: „Diese entschädigungslose Enteignung von Wirtschaftsgütern stellt keine Sicherungsmaßnahme zur Verhütung illegaler Einflüsse dar, sondern ist in Form und Auswirkung die rohe Vergewaltigung des Rechtes“62. Insgesamt spielte die Bodenreform im Verhältnis zwischen SMAD, KPD und sächsischer Landeskirche eine untergeordnete Rolle63. Aber das Verhalten der Akteure zeigte schon Grundkonstellationen auf, die sich besonders in den nächsten Jahren wiederholen sollten. SMAD und KPD offenbarten, was sie unter der Gewinnung der Kirchen als Bündnispartner verstanden. Hier ging es keineswegs um ein gleichberechtigtes Nebeneinander mit den Kirchen, sondern um ihre weitgehende Instrumentalisierung für die Zwecke der Gesellschaftstransformation. Mit Hilfe der Presse wurde die – insgesamt eher geringe – Beteiligung von Pfarrern an Landübergabefeiern propagandistisch ausgenutzt, während die Kirche keine Möglichkeit besaß, dort ihre Position darzulegen. Es gelang ihr wegen interner Differenzen auch nicht, eine klare Haltung zur Bodenreform zu formulieren64. Ihre Ja-aber-Position konnte sie in der Öffentlichkeit schwer vermitteln und erweckte dadurch einen hilflosen Eindruck65. Entschiedenere Opposition gegen die Umstände der Bodenreform, wie sie von Leipziger kirchlichen Stellen mit Hinweis auf den Kirchenkampf erhoben wurde, und Maßnahmen wie das Teilnahmeverbot für Pfarrer an Landübergabefeiern, die auf eine Stärkung der Zentrale hinausgelaufen wären, lehnte sie ab.
60 Oepke an das Landeskirchenamt am 1. November 1945 (zitiert nach EBD., S. 286). Wenn T. MÖHLENBROCK als Urheber dieses Schreibens das Konsistorium angibt, so ist dies ein Zeichen dafür, dass das Konsistorium zwar seine Verwaltungsaufgaben Ende September weitgehend einstellte, aber danach doch noch als Vertretung Leipziger Interessen auftrat. 61 EBD. 62 Entschließung des wirtschaftspolitischen Ausschusses der CDU Leipzig (zitiert nach: R. BAUS, CDU, S. 230). 63 Vgl. auch M. HEIN, S. 21, allerdings ohne weitere Verweise. 64 Vgl. zur Haltung der Landeskirche T. MÖHLENBROCK, S. 287–289. 65 C. VOLLNHALS, Traditionswahrung, S. 157.
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3.4 Der Volksentscheid zur „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“ In der Geschichte der SBZ hat der Volksentscheid zur entschädigungslosen „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“, der am 30. Juni 1946 in Sachsen durchgeführt wurde, einen besonderen Rang, da mit ihm die Grundlagen für die „volkseigene Industrie“ geschaffen wurden66. Die Initiative dazu ging von Stalin aus, der im Februar 1946 bei einem Gespräch mit Walter Ulbricht festlegte, dass Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone nach einem Volksentscheid vorgenommen werden sollten67. Dabei sollte Sachsen als stark industrialisiertes Land eine Schrittmacherrolle für die gesamte Zone übernehmen. Der vom Volksentscheid erhoffte Erfolg sollte der SED bei den im Herbst anstehenden Wahlen Rückenwind geben68. Zur Verabschiedung der Verordnung über den Volksentscheid bedurfte es der Zustimmung der Blockparteien. Auf Seiten der Zonenleitung der CDU war es vor allem der Nachfolger von Andreas Hermes, Jakob Kaiser, der seine Zustimmung versagte, weil er die Durchführung einer solchen Maßnahme in nur einer Zone ablehnte69. Unter massivem Druck der SMAD stimmte er schließlich zu. In Sachsen galt es für die SED vor allem, den Widerstand des LDP-Vorsitzenden Hermann Kastner zu überwinden, der die unklaren Ausführungsrichtlinien kritisierte70. Schließlich verständigten sich die im Block vertretenen Parteien und das Präsidium der Landesverwaltung in einer gemeinsamen Sitzung am 30. April über den Inhalt der Verordnung, und die SED reichte über den sächsischen Landesblock den mit der SMAS abgestimmten Enteignungsentwurf bei der Landesverwaltung ein71. Nun setzte eine breite Kampagne für den Volksentscheid ein, in die neben den Blockparteien auch die beiden Kirchen eingespannt werden sollten. Von Oberst Sergej Tulpanow, dem Leiter der Informationsverwaltung der SMAD, persönlich wurde die SMAS instruiert, die Kirchen zu einer positiven Stellungnahme zu bewegen, wobei das Hauptaugenmerk auf jene Geistlichen zu richten sei, die der neuen Ordnung positiv gegenüberstanden72. Wie stark der Einfluss der Kirche auf die Bevölkerung damals eingeschätzt wurde, wird aus einer Äußerung von Fritz Große, damals im Sekretariat des Landesvorstands Sachsen der SED tätig, deutlich:
66 67 68 69 70 71 72
Zum Volksentscheid in Sachsen vgl. S. CREUZBERGER, Klassenkampf; W. HALDER. Vgl. R. BADSTÜBNER/W. LOTH, S. 68 f. S. CREUZBERGER, Klassenkampf, S. 122. A. THÜSING, S. 184. W. HALDER, S. 594–598. S. CREUZBERGER, Klassenkampf, S. 122 f. EBD., S. 127.
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„Es gibt eine Reihe von Pfarrern, die sehr populär sind, die in einer Art und Weise zum Volksentscheid Stellung nehmen und in einer Art sprechen, die die Menschen verstehen, viel besser, als es unsere Genossen tun. [V]iele Pfarrer verstehen, mit kirchlichen Argumenten die Dinge darzustellen. Deshalb sollen wir nicht die Pfarrer den bürgerlichen Parteien überlassen“73.
Anfang Juni wurden die Vertreter beider Kirchen in einer Besprechung mit Vertretern der Landesverwaltung und der Blockparteien „bearbeitet“, wobei, wenn man den darüber angefertigten Protokollen folgt, durchaus von einer konzertierten Aktion gesprochen werden kann74. Der Vertreter der CDU, Franz Jensch, versuchte die Kirchen unter Druck zu setzen, indem er ihnen mangelndes Engagement bei der Bodenreform vorwarf75. Ähnlich argumentierten die beiden LDP-Vertreter Hermann Kastner und Johannes Dieckmann. Anders als bei Stanke dargestellt76, dürfte jedoch der entscheidende Druck vom Präsidenten der Landesverwaltung, Friedrichs, ausgegangen sein, der dahin gehend argumentierte, dass die Bedeutung des Volksentscheids weniger im Politischen als im Moralischen zu sehen sei: „Es bedeutet weder Sozialisierung noch Angriff gegen das Privateigentum. Es ist ein Bekenntnis des sächsischen Volkes gegenüber der ganzen Welt“77. Damit konterkarierte er gekonnt das Argument der kirchlichen Vertreter, sie wollten sich zu genuin politischen Sachverhalten nicht äußern. Von beträchtlicher Bedeutung dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Werner Meinecke, SED-Mitglied und Vertreter des Landeskirchenamtes, volles Verständnis für den Volksentscheid signalisierte. Der Leiter des Landeskirchenamtes Erich Kotte und Landessuperintendent Franz Lau wie auch der katholische Vertreter, Ordinariatsrat Gustav Palm, zeigten zwar Verständnis für die vorgebrachten Anliegen, wollten sich jedoch von Friedrichs nicht festlegen lassen. So argumentierte beispielsweise Kotte: „Ich bitte jedoch um Verständnis, wenn die Kirche aus den Erfahrungen der letzten zwölf Jahre sehr scheu an die politischen Fragen herangeht. [. . .] Ich bitte der Kirche zu überlassen, in welchem Sinne sie Stellung zu nehmen beabsichtigt“78. Im Anschluss an diese Sitzung trafen sich alle kirchlichen Vertreter, um die weitere Linie abzustimmen. Meinecke fertigte darüber einen Bericht an, den er wenige Tage später an Präsident Friedrichs weiter 73 Große auf einer Sitzung des SED-Landesvorstandes am 20. Juni 1946 (zitiert in: V. STANKE, S. 44). 74 Die beiden nahezu inhaltsgleichen Protokolle in: SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 282–284; LRS, MdI 236, Bl. 286–289. 75 SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 287. 76 Vgl. V. STANKE, S. 43. 77 SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 282. 78 EBD., Bl. 283.
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sandte79. Somit waren Landesverwaltung und SED immer bestens über die innerkirchlichen Überlegungen informiert. Kotte sträubte sich zwar auf der Besprechung, der „Anregung der Landesverwaltung“ zu folgen, wurde aber von Meinecke und Lau überstimmt. Man einigte sich darauf, sowohl ein Wort an die Pfarrer wie auch an die Öffentlichkeit zu richten. Während der Vertreter der reformierten Kirche, August de Haas, dieses Vorgehen unterstützte, hielten sich die katholischen Vertreter demonstrativ zurück. Kotte konnte schließlich bei den Diskussionen im Landeskirchenamt erreichen, dass das Wort an die Gemeinden keinen politischen, sondern einen geistlich-seelsorglichen Charakter erhalten sollte80. Über diese Ausrichtung wurde die Landesverwaltung informiert und Sorgfalt bei der Umsetzung des Volksentscheids angemahnt81. Lau gab den Geistlichen der Landeskirche in einem Schreiben vom 11. Juni 1946 die Ergebnisse des Gesprächs mit Vertretern der Landesverwaltung und der Blockparteien bekannt, wonach die Landeskirche voll hinter den Intentionen des Gesetzeswerkes stehe: „Wir wollen weder beim allgemeinen Fürbittgebet noch bei unserem eigenen Beten den Volksentscheid vergessen, und wir wollen bitten, dass Gott unser aller Reden und Handeln gnädig leite“82. Die Landeskirche ordnete ausdrücklich an, zwei Wochen vor dem Volksentscheid ein Wort an die Gemeinden zu richten. Für die Gemeindepfarrer stellte das Wort insofern eine Brüskierung dar, als sie erst am 13. bzw. 14. Juni über die Kanzelabkündigung, die am 16. Juni im Gottesdienst verlesen werden sollte, informiert wurden. Noch am 13. Juni hatte sich ein Pfarrer aus dem Leipziger Landkreis geweigert, als Redner bei einer Werbeveranstaltung für den Volksentscheid zu sprechen, mit der Begründung, dass die Pfarrer übereingekommen seien, im Rahmen dieser Kampagne nicht öffentlich aufzutreten83. Das „Wort der evangelisch-lutherischen Landeskirche zum Volksentscheid“84 machte deutlich, dass auch die evangelische Kirche ihren Anteil an den Aufbauanstrengungen nach dem Zweiten Weltkrieg einbringen wollte und sie den allgemeinen, kapitalismuskritischen Zeitgeist teilte, der die 79 Meinecke am 8. Juni 1946: Besprechung im Anschluss an die Sitzung bei der Landesverwaltung Sachsen am 2. Juni 1946 [sic] (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 290–292). Vgl. auch V. STANKE, S. 43 f. 80 Sitzung am 6. Juni 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 290 f., hier Bl. 291). 81 Kotte und Lau an das Präsidium der Landesverwaltung (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 234, Bl. 1194). 82 Rundbrief von Franz Lau abgedruckt in: J. J. SEIDEL, Aus den Trümmern, Dok. 60/15, S. 573–576, hier S. 575. 83 Bericht über die öffentliche Versammlung am 13. Juni in der Zentralhalle Gaschwitz am 13. Juni 1946 (STAL, SED IV/BV 13, Bl. 76). 84 Abgedruckt in: Der Sonntag vom 23. Juni 1946.
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Großindustrie für den Nationalsozialismus mitverantwortlich machte. Das Wort folgte der von Friedrichs auf der Besprechung Anfang Juni ausgegebenen Argumentation, das Anliegen des Volksentscheides mehr im Moralischen zu sehen: „Wenn in diesen Wochen das sächsische Volk aufgerufen wird, durch einen Volksentscheid dazu beizutragen, dass unser Vaterland nicht noch einmal in einen Krieg gestürzt wird, und dass Arbeit und Wirtschaft wieder in den Dienst am Nächsten und in der Gemeinschaft zurückgeführt werden, so kann die Kirche nicht schweigend vorübergehen“85. Von dem katholischen Bischof von Meißen, Petrus Legge, stammt eine Kanzelverkündigung, die zwar kein offenes Eintreten für den Volksentscheid darstellte, aber durchaus als dessen Befürwortung interpretiert werden konnte86. Die groß aufgezogene Kampagne für den Volksentscheid durch die SED wie auch die ausdrückliche und kurzfristig anberaumte Anordnung, das Wort an die Gemeinden zu verlesen, hatten innerhalb der Leipziger Pfarrerschaft zu erheblichen Irritationen geführt. Auf der Ephoralversammlung am 14. Juni 1946 votierten einige Pfarrer, allen voran Siegbert Hummel und Oskar Meder, dafür, das Wort innerhalb des Kirchenbezirks nicht zu verlesen, wobei Hummel mit der nicht erfolgten Konsultation der Pfarrerschaft und Meder mit den Erfahrungen des Dritten Reiches argumentierte. Die Pfarrer Johannes Herz87 und Ernst Lewek, die auf die Erhaltung des Friedens und die Vermeidung eines Konflikts zwischen Staat und Kirche hinwiesen, konnten die Pfarrerschaft schließlich umstimmen. Das Protokoll zu diesem Punkt machte die schwierige Position eines Kirchenbezirks deutlich, in dem die Vorgaben der Landeskirchen zwar abgelehnt wurden, ein offener Dissens mit der Kirchenleitung aber vermieden werden sollte: „Die Prediger sind in der Mehrheit bereit, das Wort des Landeskirchenamts zu verlesen. Es erscheint besser, es zu verlesen, als mit einem kritischen Wort des Predigers. Die Versammlung hat mit sehr schwerem Herzen die Schreiben
85 EBD. 86 Kanzelverkündigung vom 8. Juni 1946 (abgedruckt in: J. PILVOUSEK, Kirchliches Leben, Dok. 3, S. 69). Zur Bewertung vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 86 f. Auch die reformierten Gemeinden Dresdens und Leipzigs verhielten sich befürwortend. Vgl. das „Wort an unsere Gemeindeglieder“ der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Dresden (in: Sächsische Zeitung vom 23. Juni 1946). 87 Herz selber hatte am 1. Juli 1946 „Evangelisch-soziale Gedanken zum Volksentscheid“ erarbeitet, die in gewisser Weise seinem Verhalten in der Ephoralversammlung widersprachen, hatte er doch dort festgestellt: „Es wäre deshalb auch falsch und unevangelisch, wenn eine Kirchengemeinschaft ihren Gliedern die Entscheidung abnehmen und für ihre Anhänger irgendwelche Parolen ausgeben wollte; das würde die Freiheit der Entscheidung beeinträchtigen und in das Schöpferrecht Gottes eingreifen, der dem Einzelnen die Wahl in die Hand gegeben hat“ (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 234, Bl. 1229 f.).
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des Landeskirchenamts entgegengenommen und bittet, in Zukunft derart entscheidende Fragen nicht ohne Befragung der Pfarrerschaft zu lösen“88.
Auch über diese Differenzen war die Landesverwaltung informiert. Um seine Position dort zu verbessern, teilte Pfarrer Lewek der Abteilung Kirchenfragen Leipziger Interna mit, wobei er offensichtlich auch bestrebt war, seine Bemühungen gegen die „reaktionäre Mehrheit“ der Geistlichen ins rechte Licht zu rücken: „Wir hatten vor einigen Tagen hier in Leipzig eine Versammlung der Leipziger Stadtgeistlichkeit wegen des Volksentscheids [. . .]. Mit Mühe gelang es uns wenigen besonnenen und antifaschistisch eingestellten Pfarrern, die Versammlung vor übereilten und folgenschweren Entschließungen, die in einen offenen Konflikt zum Staate eingemündet wären, zu bewahren. [. . .] Eine gewisse Zweideutigkeit, milde ausgedrückt, in diesen Kreisen (der BK) ist unverkennbar, wenn man bedenkt, dass heute der Herr Superintendent von Kirchbach in der Leipziger Volkszeitung sich für den Volksentscheid ausspricht89, dagegen in Leipzig eine führende Persönlichkeit der B. K., Pfarrer Meder, in besagter Versammlung sich aufs Schärfste gegen irgendwelche Mitwirkung der Kirche in Sachen des Volksentscheides aussprach“90.
Das Wort an die Gemeinden wurde am 16. Juni 1946 verlesen. Die SED bedankte sich öffentlich bei den Kirchen für die Unterstützung91. Angesichts einer für die SED weithin enttäuschend verlaufenden Werbekampagne nahm die Unterstützung durch die Kirchen einen hohen Stellenwert ein92. In Leipzig wurde vom Sekretariat des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen ein detaillierter Zeit- und Arbeitsplan für den Volksentscheid ausgearbeitet, da ihm eine Signalwirkung für die Wahlen im Herbst 1946 zukommen sollte93. Es wurde beschlossen, die landeskirchliche Kanzelabkündigung besonders hervorzuheben und die Pfarrer in die Kampagne zum Volksentscheid einzubeziehen94. Ferner regte der Vorsitzende des Bezirksvorstandes Ernst Lohagen an, „eine Arbeitsgemeinschaft antifaschistisch88 Protokoll der Ephoralversammlung vom 14. Juni 1946 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18). 89 LVZ vom 18. Juni 1946. 90 Lewek an Heerklotz am 18. Juni 1946 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 234, Bl. 1234 f.). Wahrscheinlich auf der Grundlage dieser Quelle kommt I. FENZEL, S. 55, zu der Aussage, es habe innerhalb der „niederen evangelisch-lutherischen Geistlichkeit“ in Leipzig Widerstand gegen den Volksentscheid gegeben. 91 Vgl. die Stellungnahme des Landesvorstandes der SED vom 26. Juni 1946: „Wir danken der Kirche“ (abgedruckt in: O. SCHRÖDER, S. 150. Vgl. ebenso LVZ vom 26. Juni 1946, S. 3). 92 Zur Beurteilung des Erfolgs der Kampagne vgl. W. HALDER, S. 602, der sich auf Stimmungsberichte des Landesnachrichtenamtes stützt. 93 STA L, StVuR (I) 3243, Bl. 32 f. 94 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 6. Juni 1946 (STAL, SED Bezirksvorstand Westsachsen IV/BV/12, Bl. 74).
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demokratischer Pfarrer zu gründen, um dort, ohne von der SED zu sprechen, doch ihre Ideen hineinzutragen“95. Die Euphorie über die positive Haltung der Landeskirche zum Volksentscheid trübte im Sekretariat des SED-Kreisvorstandes wohl den Blick für die kirchenpolitischen Realitäten, denn so leicht ließen sich die evangelischen Pfarrer nicht von der SED vereinnahmen. Die Haltung der Landeskirche wurde in einem ausführlichen Artikel am 26. Juni 1946 in der Leipziger Volkszeitung dokumentiert96. Im Verlauf der Aktionen für den Volksentscheid hatten sich in Leipzig schließlich auch einige Pfarrer auf Veranstaltungen befürwortend ausgesprochen97. Untersucht man die Vorgänge um den Volksentscheid im Verhältnis von Partei, Landesverwaltung und kirchlichen Stellen, so wird man das Verhalten der Kirche als Erfolg für die SED bezeichnen müssen. Der massive Druck, den SMAS und SED ausübten, ließ im Landeskirchenamt jene Kräfte überhand nehmen, die offen wie Meinecke oder aus taktischen Gründen (wie z. B. Lau) ein öffentliches Ja zum Volksentscheid befürworteten. Es bleibt jedoch zu fragen, inwieweit hier noch von einer freien Meinungsbildung gesprochen werden kann. Es erwies sich dabei als geschickter Schachzug Friedrichs’ gegenüber der Landeskirche, den Volksentscheid nicht als gesellschaftspolitische Aufgabe, sondern als Aufarbeitung der NS-Vergangenheit darzustellen, weil damit ein zentrales Argument der BK ausgehebelt werden konnte. Kritische Stimmen aus der Landeskirche konnte die SED über die Lenkung der Presse weitgehend unterdrücken. Sowohl in Dresden als auch in Leipzig setzten sich mit Meinecke und Lewek jene Kräfte durch, die zu einer konspirativen Zusammenarbeit mit SED bzw. Landesverwaltung bereit waren. In Leipzig gab es nicht nur wegen der kurzfristigen Information Verstimmungen in der Pfarrerschaft; dass sich schließlich die Dresdner Linie durchsetzen konnte, lag letztendlich daran, dass der von Meder vorgebrachte Hinweis auf entsprechende Erfahrungen im Kirchenkampf durch andere Argumente wie das der kirch95 EBD. Auch an anderer Stelle der Berichterstattung über den Volksentscheid ist die Rede von „einer Arbeitsgemeinschaft demokratischer Pfarrer“ in Leipzig (STAL, SED Bezirksvorstand Westsachsen IV/BV/12, Bl. 159). In den Akten der Superintendentur konnten allerdings keine Hinweise auf die Tätigkeit einer solchen Gruppe gefunden werden. 96 „Das Friedenswerk in der Welt und in unserem Volk“ (in: LVZ vom 26. Juni 1946, S. 3). 97 Als Beispiel sei nur ein typischer Ausschnitt aus einem „kurzen Stimmungsbericht über die Durchführung der Volksentscheidskampagne in der Zeit vom 21.–24. Juni 1946“ angeführt: „Es sprach u. a. als Referent der Ortspfarrer Seidel (Pfarre Baalsdorf), der sich in sehr guten Ausführungen für das ‚JA‘ zum Volksentscheid aussprach. Besonderen Eindruck machten seine Ausführungen über ein Gespräch mit einem höheren russischen Offizier und sein Eindruck über das von ihm vor ein paar Stunden besichtigte Massengrab von russischen Kriegsgefangenen in Zeithain“ (STAL, SED, Bezirksvorstand Westsachsen IV/BV/13, Bl. 21).
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lichen Einheit mehr als aufgewogen wurde. Dass es auch andere Arten des Umgangs mit der Anweisung des Landeskirchenamts gab, zeigt das Beispiel Borna, wo dieser Hirtenbrief nicht verlesen wurde98.
3.5 Die Wahlen im Jahr 1946 Im September und Oktober 1946 fanden in der SBZ Wahlen zu den Landtagen, Kreistagen und Gemeinderäten statt. Sie dienten primär dazu, den Führungsanspruch der SED zu legitimieren. Außerdem sah die SED die Wahlen wegen ihrer gesamtdeutschen Auswirkungen als besonders wichtig an. Vor allem die Kommunalwahlen genügten demokratischen Ansprüchen nicht oder nur sehr bedingt, da die bürgerlichen Parteien durch die SMAD in zahlreichen Gemeinden an einer Kandidatur gehindert wurden, während sie bei den Landtagswahlen überall antreten konnten99. Neben der SED kandidierten die LDP und die CDU. Erstmalig wurde als Massenorganisation die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) zugelassen. In Sachsen kandidierten zudem der Kulturbund und die Frauenausschüsse, denen die Aufgabe zukam, Wähler aus dem bürgerlichen Lager zu gewinnen. Die SMAD bestimmte die Führung des Wahlkampfes durch die SED maßgeblich100. Sie hatte die Kirchen als einen „der wichtigsten Faktoren, die den Ausgang [der Wahl, G. W.] bestimmten“, ausgemacht101. So galt das Augenmerk vor allem der CDU, die die Wahlen mit der Losung „christlicher Sozialismus“ führte102 und somit – so die SMAD – wahrscheinlich die meisten Stimmen der konfessionell gebundenen Bevölkerung erhalten würde. Die LDP hatte sich nicht einmal rhetorisch auf sozialistische Experimente eingelassen. Mit der Aufnahme des Begriffs „christlicher Sozialismus“ reagierte die CDU auf die positive Resonanz, die sozialistische Ideen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bevölkerung fanden. Inhaltlich blieb das Programm jedoch vage und ging kaum über die wirtschaftspolitischen Aussagen des Gründungsaufrufs hinaus. Es sah eine begrenzte Wirtschaftsplanung vor. Allerdings sollten nur Betriebe der Schwerindustrie verstaatlicht werden. In Leipzig jedenfalls nahm die für die Überwachung des politischen Lebens zuständige Abteilung ID des Hauptverwaltungsamtes schon anläss98 STAL, SED Bezirk Westsachsen, IV/BV/12, Bl. 63. 99 Zu den Wahlbehinderungen bei den Landtagswahlen vgl. K.-H. HAJNA. Eine Wahlanalyse bei J. FALTER/C. WEINS. 100 S. CREUZBERGER, Besatzungsmacht, S. 76–84. 101 So Tulpanow (zitiert nach EBD., S. 76). 102 M. G. GOERNER, Kirche, S. 41; zum Begriff des „christlichen Sozialismus“ vgl. R. BAUS, CDU, S. 257–266.
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lich einer CDU-Veranstaltung im März 1946 kritisch die neue CDU-Parole zur Kenntnis: „Dem christlichen Gehalt der Begriffe Demokratie und Sozialismus wurde ein Nachdruck gegeben, den sie in der Wirklichkeit nicht haben und nie gehabt haben. Die Ablehnung marxistischer und klassenkämpferischer Auffassungen war eindeutig. Im Herbst vorigen Jahres wäre das noch nicht so deutlich gesagt worden“103.
Die enge Verbindung zum Christentum sollte auch ein Flugblatt verdeutlichen, das ein Kreuz zeigte, in dessen vier Winkeln die Buchstaben „CDUD“ standen104. Die Taktik der Besatzungsmacht sah vor, innerhalb der CDU die Katholiken und Protestanten zu entzweien – gerade im sächsischen Landesverband waren Spannungen zwischen den beiden Konfessionen besonders ausgeprägt105 – und die einzelnen Landeskirchen gegeneinander auszuspielen106. Da die SED nach Meinung der SMAD in der Vorbereitung der Wahlen die Relevanz der Kirchen unterschätzt hatte, ordnete die Besatzungsmacht die Veröffentlichung eines kirchenpolitischen Positionspapiers an und gab gleichzeitig dessen wesentliche Inhalte vor107. Das von der Abteilung Kultur und Erziehung des Zentralsekretariats der SED im Juli 1946 an alle Landes-, Provinzial- und Bezirksorganisationen abgesandte Schreiben, in dem „unsere Stellung zur Kirche“ behandelt wurde, war ein Spiegelbild der sowjetischen Vorgaben108. Die SEDStellen betonten darin, dass die religiöse Bekenntnisfreiheit gewährleistet und das religiöse Bekenntnis kein Hindernis für den Beitritt zur SED sei. Mitte August 1946 meldete sich Otto Buchwitz, Mitglied des sächsischen SED-Landesvorstandes, mit einem offenen Brief an die christlichen Bürger Sachsens, in dem er die CDU angriff und die enge Verbindung von Christentum und Marxismus betonte109. Ende August schließlich veröffentlichte das Zentralsekretariat eine offizielle Stellungnahme zu „SED und Chris103 Wochenbericht Nr. 11 des Verwaltungsamtes Abt. ID vom 14. März 1946 (STA L, StVuR [I] 1704, Bl. 92). 104 R. BAUS, CDU, S. 316. 105 R. BAUS, CDU. 106 S. CREUZBERGER, Besatzungsmacht, S. 79. 107 Semjonow an Sokolowski am 6. Juni 1946. Die kirchenpolitisch relevanten Passagen sind abgedruckt in: S. CREUZBERGER, S. 80. 108 Abgedruckt in: F. HARTWEG, Dok. 1, S. 42 f. 109 „Offener Brief an alle Christen“ (in: LVZ vom 17. August 1946). Die entscheidende Passage lautete: „Kann oder muss nicht ein wahrhafter Christ ein überzeugter Anhänger des konsequenten Marxismus sein? Ich meine ja, denn der wissenschaftliche Sozialismus, einen anderen kann es ernstlich nicht geben, erkämpft eine Gesellschaftsordnung, in der jede Ausbeutung aufgehoben, die Not beseitigt, der Krieg unmöglich ist und die Menschen in Glück und Freude die von ihnen geschaffenen Reichtümer genießen können“.
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tentum“, die die bekannten kirchenpolitischen Punkte zusammenfasste und besonders darauf hinwies, dass „viele aufrechte Christen und selbst Pfarrer“ Mitglied der Partei seien110. Die häufig wiederholten Aufrufe der SED zu Religionsfragen machen deutlich, in welche Defensive sie sich durch den von der CDU eingeführten Begriff des „christlichen Sozialismus“ gedrängt sah. Die beiden Kirchen in der SBZ wahrten in der Zeit vor den Wahlen weitgehend parteipolitische Abstinenz111. Die evangelischen Landeskirchen riefen die Christen zur Übernahme von politischen Ämtern auf und gaben ihrem Wunsch Ausdruck, „dass in allen Parteien geeignete christliche Persönlichkeiten mitarbeiten, damit beim Neubau unseres öffentlichen Lebens die Kräfte christlichen Dienens und Glaubens zum Segen für unser Volk eingesetzt werden können“112. Das sächsische Landeskirchenamt veröffentlichte am 29. Juli 1946 den Runderlass 89, in dem es sich zur „Stellung der Pfarrer zu den politischen Parteien“ äußerte113. Darin forderte die Landeskirche die Pfarrer zum Gebrauch des aktiven Wahlrechts auf, mahnte sie aber zur parteipolitischen Zurückhaltung in der Öffentlichkeit und riet dringend davon ab, für eine Partei zu kandidieren. Dass die sächsische Landeskirche ihre Geistlichen zu parteipolitischer Abstinenz aufrief und damit dem engen Konnex zur CDU den Boden entzog, rechnete sich die SMAD als Erfolg ihrer Bemühungen an114. Die Leipziger Volkszeitung berichtete am 17. August sogar auf der ersten Seite über die parteipolitische Neutralität der Landeskirche. Die offizielle Haltung der Landeskirche wurde in Leipzig weitgehend 110 Abgedruckt in: DOKUMENTE DER SED, Bd. 1, S. 86–88. Zur Entstehung des Dokuments vgl. die Äußerung des Oberstleutnants Prokofi F. Nazarow, Chef der Abteilung Parteien und Informationsverwaltung der SMAD, auf einer Beratung mit einer Kommission des ZK am 19. September 1946 (abgedruckt in: B. BONWETSCH/G. BORDJUGOV/N. M. NAIMARK, Dok. 55, S. 235–242, hier S. 240). 111 Zur Haltung der katholischen Kirche vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 221. Während der Berliner Bischof Kardinal von Preysing den Pfarrern die Ausübung politischer Mandate verbot – eine sowjetische Intervention ist hier allerdings nicht nachweisbar (EBD., S. 228), – gestattete der Bischof von Meißen, Petrus Legge, die parteipolitische Tätigkeit. So war der Chemnitzer Pfarrer Ludwig Kirsch bis zu seinem Tod 1950 neben Hugo Hickmann der bedeutendste CDU-Politiker in Sachsen. 112 Wort der Evangelischen Kirchen in der Ostzone zu den Landtagswahlen in den Ländern der sowjetisch besetzten Zone (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, Dok. 27, S. 294 f.). 113 Runderlass Nr. 89 (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, Dok. 26, S. 293 f.) 114 S. CREUZBERGER, Besatzungsmacht, S. 81. Ähnliche Rundschreiben waren noch in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ergangen. Auch vor einer Konferenz Ende Juli, auf der die Leiter der in der SBZ liegenden Landeskirchen über ihre Haltung zu den Landtagswahlen berieten und ein Wort verabschiedeten, in dem sie zur parteipolitischen Neutralität aufriefen, wurde auf den Vorsitzenden der Kirchlichen Ostkonferenz, Bischof Dibelius, massiver Druck ausgeübt (vgl. EBD., S. 82; vgl. auch PROTOKOLLE DER KIRCHLICHEN OSTKONFERENZ).
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ignoriert. Wahrscheinlich hatte man sie dort nur als Zugeständnis des unter der Aufsicht der SMAS und der Landesverwaltung stehenden Landeskirchenamts betrachtet. Am 1. Juli 1946 schrieb der Leiter des Kirchlichen Amtes für Gemeindedienst, Herbert Dost, „nicht in seiner Eigenschaft als kirchlicher Amtsträger, sondern als verantwortlicher, die Zeitverhältnisse bedenkender Christ und als Aktionsmitglied der CDU“ einen Brief an die Pfarrer und Kirchenvorstände der zum Wahlbezirk Leipzig gehörenden Gemeinden und bat sie um Wahlhilfe für die CDU für einen Neuaufbau „aus dem Geiste des Christentums“, insbesondere beim Aufbau von Ortsgruppen, bei der die CDU auch infolge der Politik der SMAD massiv behindert worden war115. Auf einer Wahlkundgebung Mitte August 1946 lehnte er die neutrale Haltung der Landeskirche offen ab: „Wir erheben öffentlich die Forderung nach religiöser Erziehung des Volkes, nicht nur im stillen Winkel! Auch der Pastor kann ein guter Demokrat sein. Und wenn er zur CDU oder zur SED geht, so ist das sein gutes Recht“116. Für die Gemeindevertretung kandidierten neben Dost noch Ernst Lewek und von der Theologischen Fakultät Dedo Müller, während kirchliche Vertreter weder in der SED noch in der LDP vertreten waren. Werner Schilling, Pfarrer in Großzschocher und SED-Mitglied, kandidierte für den Kulturbund. Die kirchlichen Kreise in Leipzig waren irritiert, dass selbst herausgehobene kirchliche Persönlichkeiten wie der Dresdner Landeskirchenrat Meinecke und der Pfarrer Georg Thomas, der das Amt des Superintendenten von Plauen für sich reklamierte, auf der Liste der SED kandidierten117, was die SED selbstverständlich in ihrem Wahlkampf aufgriff118. Vor der Wahl waren sowohl Superintendent Schumann als auch sein Stellvertreter Johannes Herz in die sowjetische Kommandantur bestellt worden119. Leutnant Schirow teilte Herz mit, dass die Kirche schärfstens 115 Das Schreiben findet sich bezeichnenderweise in den Akten der SED-Kreisleitung, an die Dost sein Schreiben sicherlich nicht versandt hat (STAL, SED IV 5/701/543). Vgl. auch Dosts Schreiben an den CDU-Funktionär Voigt vom 1. Juli, in dem er die kirchliche Unterstützung darstellt (ACDP ST. AUGUSTIN, III-035–040). 116 Dost auf einer CDU-Versammlung am 16. August 1946 (STAL, SED IV/5/01/543). 117 Vgl. das Schreiben Hickmanns an den Leipziger E. Stoian am 5. September 1946 (ACDP ST. AUGUSTIN, III-035–040). 118 Vgl. den Artikel „Evangelischer Geistlicher kandidiert“ (in: LVZ vom 21. August 1946), in dem die Kandidatur des Plauener „Superintendenten“ Georg Thomas auf der Liste der SED bekannt gegeben wurde. Tatsächlich war die Plauener Superintendentur nach der Absetzung eines Deutschen Christen im Herbst 1946 noch nicht wieder besetzt. Walther Mitscherling wurde erst im November 1946 eingewiesen (vgl. M. HEIN, S. 239 f.). Die Landesverwaltung hatte sich für Thomas eingesetzt, konnte ihren Wunsch aber gegenüber landeskirchlichen Stellen nicht durchsetzen, die auf nachrichtendienstliche Verstrickungen von Pfarrer Thomas im „Dritten Reich“ hinwiesen. Vgl. Heerklotz, Besprechung am 14. Mai 1946 mit Herrn Richter, CDU, Dresden (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236, Bl. 296).
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beobachtet werde und man genau aufgepasst habe, wie sich die Pfarrer beim Volksentscheid verhalten hätten120. Er hielt Herz kritische Äußerungen von Leipziger Geistlichen entgegen121. Der sowjetische Offizier wies Herz darauf hin, dass er Kandidaturen von Pfarrern bei den anstehenden Wahlen ablehne, und gab ihm auf, die Leipziger Pfarrer zu politischer Zurückhaltung zu ermahnen122. Schumann berichtete auf einer Pfarrerversammlung von einem Brief des CDU-Landesvorsitzenden Hickmann, in dem dieser die „Lauheit kirchlicher Kreise“ beklagte und zur Mithilfe bei der Gründung von Ortsgruppen aufrief123. Er gab seine klare Präferenz für die CDU zu erkennen und kritisierte die Landeskirche: „Der Runderlass des Landeskirchenamts von Lic. Lau und Geheimrat Kotte zur politischen Zurückhaltung der Geistlichen ist sachlich klar. Andererseits in der sowjetischen Zone kann man nicht behaupten, dass SED und LDP Neubau Deutschlands aus christlichem Geiste wollen. In dieser Situation heißt es einfach: Christen an die Front! Dann aber wird in unserer Kirche sofort zurückgerufen: Wo bleibt der Pfarrer?“124
Für eine eigenständige Politik der Leipziger Pfarrerschaft sah der Leipziger Superintendent wenig Spielraum, da die SED schon ausführlich über die konziliante Haltung der Landeskirche berichtet hatte. Eine von Schumann entworfene Kanzelabkündigung wurde dann auch nach einer Besprechung im kleineren Kreis zurückgenommen, weil man sie als zu CDU-nah empfand125. In Leipzig konnte die SED trotz der unternommenen Anstrengungen nicht die gewünschten Ergebnisse erringen. Beim Volksentscheid erzielte sie mit 70,6 Prozent der Stimmen eines der schlechtesten Resultate in Sachsen, und bei den Gemeindewahlen gelang es ihr nicht, die Mehrheit im Stadtrat zu bekommen. Sie musste sich stattdessen der CDU und der eigentlichen Wahlsiegerin LDP, die mit ihrer klaren Absage an den So119 Vgl. S. CREUZBERGER, Besatzungsmacht, S. 83. 120 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 16. August 1946 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18). 121 Zum Beispiel: „Am 11.8., in Lindenau, wohl bei Friedhofsandacht, wurde im Anschluss an Matth. 7 von falschen Propheten gesprochen. Sie gäbe es auch heute und seien daran kenntlich, dass sie viel versprächen und nichts hielten. Das sei Übergriff ins Politische“. Dazu Schumann: „Die Apostel gebrauchten, wenn sie auf die römische Staatsmacht trafen, so Wendungen, dass sie außerhalb der Gemeinde nicht verstanden wurden“ (EBD.). 122 EBD. 123 EBD. Der SMAS waren die Versuche Hickmanns, das protestantische Potenzial für die CDU zu gewinnen, nicht entgangen. Sie forderte die SED auf, gegen diese Bestrebungen vorzugehen (vgl. S. DONTH, Vertriebene, S. 202). 124 Protokoll der Ephoralversammlung vom 16. August 1946 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18). 125 Protokoll der Ephoralversammlung vom 13. September 1946 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18).
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zialismus auch die CDU überflügelte, geschlagen geben126. Die CDU hatte zwar bei den Landtagswahlen die katholischen Kreise stark an sich ziehen können. Die LDP profitierte aber davon, dass die CDU weithin als katholische Partei galt, und nahm in der SBZ – anders als im Westen – eine prononciert kirchenfreundliche Stellung ein, sodass sie in besonderem Maße protestantische Wähler gewinnen konnte127. Von den kirchlichen Kandidaten war keinem auf Anhieb der Einzug in die Leipziger Stadtversammlung gelungen. Herbert Dost konnte später nachrücken128. Im Vorfeld der Wahlen war es vor allem die SMAD, die die Relevanz der Kirche herausstrich. Sie konnte für sich als Erfolg verbuchen, dass die sächsische Landeskirche vor den Wahlen ihre parteipolitische Neutralität erklärt und damit der CDU geschadet hatte. Die Leipziger Pfarrerschaft musste ähnlich wie bei der Bodenreform und beim Volksentscheid eine Dresdner Verfügung hinnehmen, die sie ablehnte, ohne sie öffentlich in Frage stellen zu können. In Leipzig scheint die Verbindung zwischen CDU und Kirche besonders eng gewesen zu sein, zum einen durch die Aktivitäten Dosts, zum anderen durch die Bekanntschaft Schumanns mit Hickmann129. Folgerichtig nahmen auch Leipziger Pfarrer als CDU-Kandidaten an der Wahl teil.
3.6 Die Volkskongressbewegung Ein weiteres Feld, auf dem sich die Vereinnahmungsversuche der SED bemerkbar machten, war die Volkskongressbewegung. Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Kalten Krieges arbeitete die SED-Führung auf die Bildung eines eigenen Staates hin und versuchte, mittels der Friedensproblematik auch die Kirchen in diesen Prozess einzuspannen. Im Vorfeld der Londoner Außenministerkonferenz rief sie im November 1947 die „Volkskongressbewegung“ ins Leben, in der neben den Parteien die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte vertreten sein sollten. Die Kirchen wurden aufgerufen, Vertreter in dieses scheindemokratische Delegiertenparlament zu entsenden, das zum Nukleus der Volkskammer werden sollte130. Während die beiden lutherischen Landesbischöfe Moritz Mitzenheim 126 Die Wahlergebnisse in G. BRAUN, S. 395 f., 404. Eine Einordnung der sächsischen Wahlergebnisse bei J. FALTER/C. WEINS. 127 W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 227 f. 128 STA L, StVuR (I) 3321, Bl. 3. 129 Zu deren Beziehung vgl. auch das Schreiben Hickmanns an Schumann am 17. August 1948, in dem sich Hickmann in freundschaftlichem Ton für einen Oberlehrer einsetzt (ACDP ST. AUGUSTIN, III-035–72). 130 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 53–61.
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(Thüringen) und Niklot Beste (Mecklenburg) am 1. Volkskongress am 6. und 7. Dezember 1947 teilnahmen, schickte der erkrankte Landesbischof Hahn lediglich eine Grußadresse, die so abgefasst war, dass sie die SED als Unterstützung ihrer Bewegung propagandistisch ausnutzen konnte131. Die Führer der lutherischen Landeskirchen hielten gleichsam an der nationalen Option fest, anders als die unierten Landeskirchen, die die Teilnahme wegen der Gefahr der politischen Instrumentalisierung ablehnten132. Auf dem eine Woche später stattfindenden „Sachsenkongress“, der eine landesspezifische Fortführung des Volkskongresses bildete, waren Hahn und der Leipziger Pfarrer Johannes Herz für das Präsidium vorgesehen133. Hahn war zwar demonstrativ später erschienen und hatte eine larmoyante Rede gehalten, doch schließlich konnte die SED sein Auftreten als Erfolg gegen die sächsische CDU ausnützen, die an diesem Kongress nicht teilgenommen hatte134. Als immer deutlicher wurde, dass die Volkskongressbewegung nicht auf die Erreichung der deutschen Einheit abzielte, sondern auf die Gründung eines deutschen (Teil-)Staates, sagte Landesbischof Hahn am 14. Februar 1948 seine Teilnahme am II. Volkskongress ab135. Parallel zur Absage von Bischof Hahn an den Volkskongressausschuss ging bei den Superintendenturen die Anweisung ein, die kirchlichen Delegierten aus der Bewegung zurückzuziehen136. Schumann unterband in den Ephoralversammlungen im März und April eine Diskussion über den Volkskongress mit dem Hinweis auf gesamtkirchliche Stellungnahmen der EKD zur deutschen Einheit137. Dazu schärfte er den Pfarrern die Zurückhaltung in politischen Angelegenheiten ein. Ein nachträglich von ihm dem Protokoll beigefügter Zusatz verweist auf eine Aussprache des Landesbischofs mit dem Ministerpräsidenten und den Führern der Parteien im Frühjahr, in der die Geistlichen auf eine zurückhaltende Linie, auch und gerade in der Predigt, festgelegt wurden138. Die Haltung Schumanns lag auf der Linie eines Schreibens, das die Ostkirchenkonferenz am 11. Mai 1948 an den Chef der SMAD, Marschall Wassili D. Sokolowski, gerichtet hatte, da
131 V. STANKE, S. 53 f. – M. G. GOERNER, Kirche, S. 54, behauptet fälschlich, es hätten keine Kirchenvertreter am Volkskongress teilgenommen. 132 K. NOWAK, Christentum, S. 57. 133 V. STANKE, S. 54. 134 Vgl. J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, S. 53 f.; V. STANKE, S. 54. 135 Schreiben von Hahn an den ständigen Ausschuss des Volkskongresses Sachsen (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, Dok. 32, S. 303 f.). Zur Diskussion um den Stimmungswandel der sächsischen Kirche zwischen Nowak, Seidel und Stanke vgl. V. STANKE, Gestaltung, S. 55, mit den entsprechenden Verweisen. 136 EBD., S. 55. 137 „Wort christlicher Kirchen in Deutschland für einen rechten Frieden und gegen die Zerreißung des deutschen Volkes“ vom 10. März 1948 (abgedruckt in: F. MERZYN, S. 54 f.). 138 Protokoll der Ephoralversammlung vom 21. Mai 1948 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18).
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kirchliche Vertreter immer massiver von staatlichen Stellen zu politischen Stellungnahmen gedrängt worden waren139. Das Schreiben war jedoch auch als Richtschnur und Mahnung an die einzelnen Landeskirchen und Pfarrer gedacht, sich nicht für parteipolitische Interessen einspannen zu lassen. Es wurde auch in der Ephoralkonferenz am 23. Juli 1948 besprochen und den Pfarrämtern zugeleitet140. Die Strategie der SED wurde durch das demonstrative Bemühen der SMAD und der Kommunisten ergänzt, die Kirchen als einzige alle Zonen überspannende Großorganisation politisch für die gesamtdeutsche Option einzuspannen. Superintendent Schumann sah sich deshalb am Jahresende 1948 gezwungen, der sowjetischen Kommandantur auf deren Drängen zu berichten, welche Beiträge die Kirche für den Frieden und die deutsche Einheit brächte, wobei er, ohne einen eigenen Standpunkt zu beziehen, sich auf Stellungnahmen der EKD und der Landeskirche berief141. Der zunehmende Druck auf die Kirchen führte im Vorfeld der schon mit Einheitslisten durchgeführten Wahlen zum III. Volkskongress zu einer politischen „Instruktion“ der Pfarrer durch Superintendent Schumann. Das Landeskirchenamt hatte bereits Anfang Mai 1949 deutlich gemacht, dass Pfarrer sich an den restriktiven Runderlass 89 zu halten hätten, der insbesondere die Wahrnehmung des passiven Wahlrechtes untersagt hatte. Laut der Information eines Landpfarrers war es nur jenen Geistlichen, die schon im Jahre 1946 politische Ämter innegehabt hatten, erlaubt, diese weiter auszuüben142. Die SED war indessen nach wie vor bemüht, den Eindruck zu erwecken, die Kirche stütze ihre Politik. Eine Übersicht der SED-Landesleitung, die „fortschrittliche Pfarrer“ auflistete, nannte u. a. auch den Leipziger Pfarrer Johannes Herz143. Schumann beschwerte sich schon am 19. August 1948, dass die SED in einem Wahlplakat die Kirche propagandistisch missbraucht habe144.
139 Abgedruckt in: J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, Dok. 17, S. 272–274. 140 Eine Abschrift des Schreibens in ADSL, Schrank I, Fach 8, 97a. 141 Schumann an die SMA-Zentralkommandantur Leipzig, 29. Dezember 1948 (ADSL, Schrank I, Fach 8, 97a). Vgl. auch Protokoll der Ephoralversammlung vom 14. Januar 1949, Punkt 18 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18). 142 Hoffmann an den Volksausschuss in Kitscher am 28. Mai 1949 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 371, Bl. 7). 143 Handschriftliche Notiz: Fortschrittliche Pfarrer und Persönlichkeiten (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL A 371, Bl. 15). 144 Protokoll der Ephoralversammlung vom 19. August 1948 (ADSL, Schrank I, Fach 1, 18).
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3.7 Die Kanzelabkündigung der sächsischen Landeskirche am 23. April 1950 Mit der Gründung der DDR nahmen die Spannungen zwischen Staat und Kirche zu. Die evangelische Kirche erhob Widerspruch gegen den zunehmend totalitären Impetus der DDR-Regierung und kritisierte in Gesprächen und schriftlichen Beschwerden die Wahlfälschungen bei den Wahlen zum III. Deutschen Volkskongress im Mai 1949145. Ein weiterer Schwerpunkt der Kritik war der steigende Druck, den Massenorganisationen beizutreten, besonders der FDJ. Als sich die sächsische Landeskirche dem Drängen von SED und SKK widersetzte und den Geistlichen gegenüber politische Zurückhaltung anmahnte, erhob die sächsische SED sogar öffentlich die Forderung nach personellen Veränderungen in der Kirchenleitung146. Die Landeskirche wiederholte am 28. März 1950 in einer Stellungnahme das Verbot für die Geistlichen, an Aktionen der Nationalen Front teilzunehmen. Sie argumentierte explizit mit den Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus, indem sie sich auf den 5. Satz der Barmer Theologischen Erklärung bezog: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würden aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden“147. Tatsächlich diente dieser Artikel hier als Schutz der Pfarrer vor staatlicher Vereinnahmung. Außerordentlich harsch war auch das eigentliche Verbot formuliert: „Wir können es deshalb nicht billigen, wenn Pfarrer oder Gemeindeglieder in ihrer Eigenschaft als Angehörige einer kirchlichen Körperschaft sich in den Orts-, Kreis- oder Landesausschüssen der Nationalen Front betätigen oder öffentlich für sie auftreten, da eine solche Mitwirkung nicht anders als eine amtliche Vertretung der Kirche verstanden werden kann. Kirche muss Kirche bleiben“148.
145 Vgl. dazu K. SCHROEDER, S. 78 f. 146 EBD., S. 68 f. 147 Landeskirchenamt am 28. März 1950 an alle Superintendenturen (abgedruckt in: J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, Dok. 39, S. 314 f.). Die Haltung der lutherischen Kirchen gegenüber der Barmer Theologischen Erklärung war von distanzierter Zurückhaltung geprägt. Zumeist wurden, wie auch in der Verfassung der sächsischen Landeskirche von 1950, nur die Verwerfungen in der Theologischen Erklärung aufgenommen. Die Kritik entzündete sich vor allem am Charakter der Erklärung als überkonfessionelles Bekenntnis (vgl. dazu H. ZEDDIES). Dass es auch Streit darüber gibt, wozu die Barmer Theologische Erklärung in einer bestimmten Konfliktlage anleitet, ist nicht Folge einer besonderen Unschärfe des Textes, sondern liegt an der Ambivalenz der Situationen (EBD., S. 454). Die klar formulierte Unterscheidung der kirchlichen Sendung von staatlicher Autorität bleibt für die lutherische Kirche maßgebend (EBD., S. 457). 148 EBD., S. 315.
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Die „Nationale Front“ war aus den die Volkskongressbewegung tragenden Organisationen und Parteien hervorgegangen. Außer dem deutschlandpolitischen Anliegen hatte sie die Funktion, als Legitimationsbeschafferin für die nach Einheitslistenprinzip vor sich gehenden Wahlen zu dienen. Der Konflikt eskalierte, als der provinzsächsische Landesbischof Ludolf Müller in einem Gespräch mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Werner Eggerath die Abkündigung eines Hirtenbriefs an Ostern 1950 ankündigte, in dem er offen die Missstände, vor allem im Bildungsbereich, ansprechen wollte149. In einer Besprechung des DDR-Innenministers Karl Steinhoff mit einigen Landesbischöfen konnte am Abend des 6. April gegen die Zusage eines Grundsatzgespräches die Kanzelabkündigung zu Ostern abgewendet werden150. Wie ernst die SED die Möglichkeit kirchlichen Widerspruchs gegen ihre Politik nahm, wird schon allein daraus deutlich, dass Präsident Wilhelm Pieck am Morgen des 7. April die Ministerpräsidenten und SED-Landessekretäre über den weiteren Kurs von Partei und Regierung instruierte: einerseits keine öffentlichen Entgegnungen und Angriffe gegen die Kirche, andererseits Fortsetzung der Kampagne zugunsten der Nationalen Front und der Friedenskomitees151. Noch am selben Abend fand eine außerordentliche Sitzung aller Bürgermeister im Kreis Leipzig statt, in der der Leipziger Oberbürgermeister Max Opitz und Landrat Böhme dazu aufriefen, die Pfarrer über die Absage der Kanzelverkündung zu informieren. Weniger seine Defizite im Staatskirchenrecht als vielmehr seine politische Herangehensweise offenbarte der Leipziger Oberbürgermeister: „Auch die staatlichen Organe sind verpflichtet, der Kirche mit zu helfen. Die Kirche ist eine wichtige staatliche Einrichtung und wir müssen das Leben der Kirche beobachten“152. Dazu gehörte allerdings auch, nicht „in alter Freidenkerart Auseinandersetzungen mit der Kirche zu führen“153.Womöglich mit Blick auf die im Herbst stattfindenden Wahlen wollte die SED jede öffentliche Auseinandersetzung mit der Kirche vermeiden. Genau dies übermittelte Seydewitz auf einer Sitzung der SED-Landesleitung am 12. April. Darüber hinaus sollte durch Druck von unten erreicht werden, dass die Landeskirche ihren Erlass über das Verbot der Teilnahme von Pfarrern in der Nationalen Front zurücknahm. In der SED-Landesleitung sollte die Kirchenpolitik dadurch verstetigt werden, dass ein Mitarbeiter der Abteilung Kultur und Erziehung für die Bearbeitung der Kirchenfragen 149 M. G. GOERNER, Kirche, S. 62 f. 150 G. BESIER, SED-Staat, S. 71. 151 EBD. 152 Protokoll über die außerordentliche Bürgermeister-Sitzung am 7. April 1950 (STA L, StVuR [I] 7886, Bl. 33–38, hier Bl. 35). 153 EBD., Bl. 38.
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verantwortlich gemacht werden sollte154. Am Tag darauf waren alle Oberbürgermeister und Landräte zur Übermittlung dieses kirchenpolitischen Kurses nach Dresden geladen155. Nachdem staatliche Stellen eine gegebene Gesprächszusage nicht eingehalten hatten, entschieden sich mehrere Landeskirchen, darunter auch die sächsische, am Tag der Eröffnung der EKD-Synode in Berlin-Weißensee am 23. April 1950 eine Kanzelerklärung zu veröffentlichen, die das weltanschauliche und politische Fundament der DDR grundsätzlich kritisierte156. Am selben Tag wurde in einem mit der evangelischen Kirche koordinierten Vorgehen in den katholischen Kirchen der MaterialismusHirtenbrief des Berliner Kardinals Preysing verlesen157. Die sächsische Landesregierung hatte tags zuvor von der beabsichtigten Verlesung erfahren und Polizei, Landräte und Oberbürgermeister aktiviert, um möglichst jedem Geistlichen eine Erklärung der DDR-Regierung zukommen zu lassen, in der zwar das Wort „Verbot“ nicht explizit vorkam, aber dennoch ein massiver Druck auf die Pfarrer ausgeübt wurde, handelte es sich doch ihrer Meinung nach um „einen Missbrauch religiöser Handlungen, der sich zugleich als verfassungswidriger Angriff auf die Deutsche Demokratische Republik und die Regierung darstellt“158. Insbesondere auf die „fortschrittlichen“ Geistlichen sollte dahin gehend eingewirkt werden, dass sie die Verlesung unterließen159. Diese Gespräche verliefen, wie das sächsische Innenministerium eingestehen musste, weitgehend erfolglos160. Ein Bericht des Ministeriums vom 25. April 1950 konstatierte, dass die Kanzelabkündigung von 70 Prozent der Pfarrer verlesen worden war. Hierbei zeigte sich, dass das Verhalten der Pfarrer sehr stark von dem jeweiligen Superintendenten abhing: Im Kirchenbezirk Zwickau z. B. hatte Superintendent Karl Heinze die Pfarrer angewiesen, die Abkündigung nicht zu verlesen, eine Anweisung, die – laut Innenministerium – durchgehend befolgt wurde161. Akribisch vermerkte die Leipziger Stadtverwaltung, in welchen Kirchgemeinden abgekündigt worden war und in
154 Protokoll der Sitzung der SED-Sekretariats vom 12. April 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 789, Bl. 4–7). 155 SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 1981. 156 C. STAPPENBECK, Öffentlichkeitsanspruch, S. 360. Die Kanzelerklärung ist abgedruckt in: KJ 77, 1950, S. 117–119. 157 W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 160 (abgedruckt in: G. LANGE, Dok. 11, S. 35–41). Der Materialismus-Hirtenbrief enthielt ähnlich wie die Kanzelverkündigung eine grundsätzliche Kritik der weltanschaulichen und politischen Grundlagen der DDR. 158 Text der Erklärung in: SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 1982. 159 Wolf an die Polizeiämter am 22. April 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, MdI 1982). 160 MdI, Bericht über die Verlesung und die dagegen vorgenommenen Schritte durch Verwaltung und VP, 25. April 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 236/1, Bl. 745–747). 161 EBD., Bl. 747.
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welchen nicht162. Tatsächlich war die Kanzelabkündigung in vier Gemeinden nicht verlesen worden. Während auf staatlicher Seite keine weitere unmittelbare Reaktion auf das unterschiedliche Verhalten der Pfarrer zu erkennen ist, gab es innerhalb der Leipziger Pfarrerschaft doch deutlichen Ärger über die „Abweichler“. So sah sich Pfarrer Feodor Kriewald verpflichtet, gegenüber seinen Amtskollegen auf der nächsten Pfarrerkonferenz eine Erklärung abzugeben, wonach die Unterlassung nicht auf Widerstand gegen das Landeskirchenamt oder anderen kirchenpolitischen Erwägungen beruht habe, sondern eine Folge von Missverständnissen gewesen sei163. Pfarrer Herz schloss sich dem an. Die Auseinandersetzung um die Kanzelabkündigung verdeutlicht, dass die Regierung angesichts des Rückhaltes der Kirchen in der Bevölkerung alles versuchte, um öffentliche Kritik an ihrer Politik zu vermeiden. Sie aktivierte den Regierungsapparat und die Polizei und schüchterte die Pfarrer am Vorabend des 23. April, dem Eröffnungstag der EKD-Synode in Berlin-Weißensee, massiv ein. Wie immer wiederkehrende Ermahnungen und auch Äußerungen des Leipziger Oberbürgermeisters zeigen, war es Partei und Regierung auf der unteren Ebene noch nicht gelungen, so genannte „sektiererische“ Handlungen gegenüber den Kirchen abzustellen. Auch waren die Voraussetzungen für eine aktive Kirchenpolitik in Sachsen von Parteiseite keineswegs gut: In der Partei war nicht einmal eine klare personelle Zuordnung für Kirchenfragen gegeben.
3.8 Der „fortschrittliche“ Pfarrer Wolfgang Caffier zwischen SED und Kirche Versuchte die SED auf Landesebene, die Kirchenleitung zu positiven Stellungnahmen zu bewegen, so war sie auf lokaler Ebene interessiert, einzelne Pfarrer für ihre Politik zu gewinnen. Deren Verhalten wurde in der Presse als „fortschrittlich“ herausgehoben und dem „reaktionären“ Verhalten der Landeskirche entgegengesetzt. Trat ein solcher Pfarrer häufiger im Sinne der SED auf, so sah sich die Landeskirche gezwungen, ihn auf den „rechten Weg“ zurückzubringen, während die SED ihn selbstverständlich weiter halten wollte. Welche Mechanismen dabei griffen, soll am Fall Wolfgang Caffier dargestellt werden. Caffier, der 1919 geboren wurde, hatte sein Theologiestudium in Leipzig 1940 beenden müssen, da seine Mutter Jüdin war. Er schloss sich dem 162 Opitz am 24. April 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI 1982). Pfarrer Gottfried Schmidt erlitt beim Verlesen einen seelischen Zusammenbruch. Bericht vom Besuch des Ostergottesdienstes (STA L, StVuR 7886, Bl. 3). 163 Protokoll der Ephoralkonferenz am 17. Juni 1950 (ADSL, Schrank II, Fach 18).
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dahlemitischen Flügel der BK an und war ab 1944 als Hilfsgeistlicher in Lobetal tätig164. 1946, im Jahr seiner Ordination, hatte er eine Pfarrstelle in der Erlösergemeinde in Leipzig-Thonberg inne. Der SED trat Caffier Mitte 1948 bei165. Dort war er schließlich so aktiv, dass er zwölf Funktionen in der Partei innehatte. In besonders enger Verbindung stand er allerdings mit der Leipziger Gruppe des Kulturbundes. Da er sich auch noch publizistisch für die Partei engagierte, war er in der Pfarrerschaft relativ isoliert und hatte Probleme in seiner Gemeinde166. Ein Artikel Caffiers zur „Hilfe für Griechenland“ in der LVZ bewirkte, dass sich sogar der Landesbischof einschaltete und dem Pfarrer in einem Gespräch nahe legte, aufgrund seiner Schwierigkeiten in der Gemeinde die Pfarrstelle zu wechseln167. Caffier kam dieser Aufforderung nicht nach. Er wurde gleichzeitig auch vom Kulturbund unter Druck gesetzt und setzte seine kirchenpolitischen Aktivitäten fort. So stellte er auf einer Landeskonferenz des Kulturbundes in Leipzig im Mai 1949 den Antrag, eine theologische Arbeitsgemeinschaft zu gründen168. Daraufhin kam es im Juni zu einem zweiten Gespräch mit der Kirchenleitung, in dem Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe Caffier mit Nachdruck riet, „sich aus dem Kulturbund zurückzuziehen. Da dieser ganz einseitig im Dienste des Totalitarismus stünde. Dort hätten Christen nichts zu suchen“169. Auf die Frage, warum Caffier daraufhin nachgegeben habe, berichtete der Leipziger Sekretär des Kulturbunds Gelbe-Haussen: „Der größere Teil der Leipziger Pfarrer bezeichnet ihn als Spitzel der SED und Russenknecht. Wenn Caffier in der Pfarrerkonferenz das Wort ergreift, gibt es beleidigende Zurufe. In seiner eigenen Gemeinde in Leipzig-Thonberg ist er völlig isoliert. Er steht vor leeren Sälen, während die Kollegen den dreifachen Zulauf haben. C. führt diese Tatsache auf eine intensive Hetze zurück, die gegen ihn getrieben wird“170.
164 K. MEIER, Kirchenkampf III, S. 515. 165 Eine Übersicht über die „Genossen Pfarrer im Lande Sachsen“. Vermerk o. D. (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL 396, Bl. 23). 166 Vgl. den Bericht des Kriminalamtes Leipzig, Kommissariat K 5 an Landeskriminalamt Sachsen, am 13. November 1948 betr. Jugendwerk der ev.-luth. Kirche (BARCH-DH, ZB II 1493, Bl. 25). 167 Gelbe-Haussen (Leiter der Wirkungsgruppe Leipzig des KB) an den Landessekretär des KB, Karl Kneschke am 15. Juni 1949 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 396, Bl. 30–33). 168 Kneschke an den SED-Landesvorstand am 13. Oktober 1949 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 396, Bl. 72 f.). 169 Gelbe-Haussen an Kneschke am 15. Juni 1949 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 396, Bl. 30–33, hier Bl. 32). 170 EBD., Bl. 32.
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Nach seinem Umzug nach Liebenau trat Caffier schließlich aus dem Kulturbund aus. Doch bedeutete dies nicht das Ende seiner kirchenpolitischen Aktivitäten. Caffier wurde 1958 Vorsitzender des regimenahen Bundes Evangelischer Pfarrer in der DDR. Das Beispiel verdeutlicht, vor welche Probleme die Landeskirche gestellt wurde, wenn ein Pfarrer sich nicht an die vorgegebene politische Linie hielt. In diesem Falle intervenierte sogar der Landesbischof – wahrscheinlich nach einigen Gesprächen auf der unteren Ebene – und erreichte durch den Wegzug Caffiers aus Leipzig eine Beruhigung der dortigen Lage. Die evangelische Landeskirche mit ihrer deutlich geringer ausgeprägten hierarchischen Gliederung konnte sich nicht dazu verstehen, die politische Tätigkeit der einzelnen Geistlichen in einem solchen Maße einzuengen, wie dies die katholische Kirche mit dem so genannten „Preysing-Erlass“ tat. Als Reaktion auf die zunehmenden Versuche in der SBZ, einzelne Pfarrer zu positiven Äußerungen über die politischen Verhältnisse zu bewegen, erging am 20. Dezember 1947 ein Rundschreiben des Berliner Kardinals Konrad von Preysing an seinen Klerus, der diesem politische Äußerungen untersagte: „Sollten seitens weltlicher Stellen von den meiner Jurisdiktion unterstehenden kirchlichen Dienststellen Erklärungen zu Zeitfragen eingefordert oder erbeten werden, die als Stellungnahme der katholischen Kirche gewertet werden können, so ersuche ich, mit dem Hinweis auf diesen Erlass und ihm zugrunde liegende Rechtslage, eine solche Erklärung nicht abzugeben“171.
Preysings Erlass galt de facto für die SBZ und wurde zu dem „für die Geschichte der katholischen Kirche in der DDR wichtigsten Grundsatz“172. Er war die Grundlage für die Nischenexistenz, die die katholische Kirche in der DDR führte. Zwar gab es in der sächsischen Landeskirche ähnliche Absprachen über die Führung von Gesprächen mit weltlichen Stellen, doch war die Landeskirche viel mehr auf die Einsicht des einzelnen Pfarrers verwiesen als die katholische Kirche, deren disziplinarischen Maßnahmen schneller griffen.
3.9 Die Pfarrerkonferenzen in Dresden und Leipzig und die Wahlen vom Oktober 1950 Die Idee, das Ansehen der Kirche in Form von so genannten „Pfarrerkonferenzen“ auch für die SED instrumentalisieren zu können, kann in Sachsen 171 Abgedruckt in: G. LANGE/U. PRUSS, Dok. 23, S. 48. Zum Preysing-Erlass vgl. auch W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 109–111. 172 EBD., S. 109.
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bis in den Juli 1949 zurückverfolgt werden. Damals ließ der im Streit mit der Landeskirche liegende Dresdner liberale Pfarrer Karl Busch über verschiedene Kanäle der SED immer wieder innerkirchliche Einschätzungen zukommen, in denen er vor allem auf Differenzen zwischen den kirchlichen Gruppen hinwies173. Das weckte in der SED falsche Vorstellungen über die Zahl der „dissentierenden“ Pfarrer und die Möglichkeit, diese in einer „Gegensynode“ zusammenzufassen. Das Sekretariat des SED-Landesvorstandes beauftragte im Juli 1949 Volksbildungsminister Holtzhauer, eine Aussprache mit „fortschrittlichen Menschen der Kirche“ durchzuführen174. Um den Eindruck der Steuerung durch die Partei zu vermeiden, sollte der Vorschlag des Landessekretärs des Kulturbundes, Karl Kneschke, umgesetzt werden, ein „Initiativ-Komitee der Pfarrer“ zu bilden, dessen Aufgabe es sein sollte, eine Pfarrerkonferenz einzuberufen. Vorgesehen waren neben Busch der Dresdner Pfarrer Walter Kaiser, Oberkirchenrat Werner Meinecke sowie Wolfgang Caffier175. Vermutlich wurde dieser Plan nicht weiterverfolgt, weil sich im Regierungsapparat keine Ansprechstelle fand. Die Genossen vom Landesvorstand der SED hatten offensichtlich im Oktober 1949 noch nicht realisiert, dass die entsprechende Stelle im Volksbildungsministerium schon im Januar aufgelöst worden war176. Der Plan wurde erst wieder aufgegriffen, als mit der „Nationalen Front“ eine scheindemokratische Institution entstanden war, die ihren Einladungen zu den Pfarrerkonferenzen als „breiteste Massenbewegung“ einen vermeintlich überparteilichen Charakter gab177. Im Vorfeld der Wahlen im Oktober 1950 kam ihr die Aufgabe zu, Pfarrerkonferenzen zu organisieren, auf denen Bedenken christlicher Kreise gegen die Form der Wahl ausgeräumt werden sollten. Außer in Sachsen fanden solche Tagungen noch in Brandenburg, Mecklenburg und der Provinz Sachsen statt178. Der einladende sächsische Landesausschuss der „Nationalen Front“ wurde von acht Geistlichen unterstützt, die die Einladung zu der am 27. Juni 1950 in 173 Vgl. das Schreiben des Büros des Sekretariats der sächsischen SED an Volksbildungsminister Helmuth Holtzhauer vom 11. Juli 1949, in dem über einen entsprechenden Kontakt zwischen Busch und dem sächsischen Landessekretär des Kulturbundes, Karl Kneschke, berichtet wird (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 396, Bl. 50). 174 EBD. 175 SED-LV Sachsen an das Büro des Sekretariats am 19. Oktober 1949 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 396, Bl. 75 f.). Zu Kaiser vgl. M. HEIN, S. 31. 176 Die Abt. Massenorganisation jedenfalls schlug am 19. Oktober vor, die Verantwortung auf den Sachbearbeiter in der Regierung zu übertragen, „der im Volksbildungsministerium das Ressort Kirchenfragen bearbeitet“. SED-LV Sachsen an das Büro des Sekretariats am 19. Oktober 1949 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 396, Bl. 75 f.). 177 Zur NF vgl. S. SUCKUT, Nationale Front; hinsichtlich ihrer Aufgabe im kirchenpolitischen Bereich vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 187–193; die Arbeitsgruppen „Christliche Kreise“ in der NF wurde erst 1955 geschaffen (S. 191). 178 KJ 77, 1950, S. 125; G. BESIER, SED-Staat, S. 743 f., Anm. 291.
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Dresden stattfindenden Tagung unterzeichneten, darunter auch der Leipziger Pfarrer Lewek179. Das Büro des sächsischen Ministerpräsidenten war in die Vorbereitung der Tagung voll integriert180. Um die Beteiligung einer möglichst großen Zahl von Geistlichen zu sichern, wurde am 16. Juni eine Erklärung Grotewohls veröffentlicht, in der denjenigen Pfarrern eine finanzielle Unterstützung zugesichert wurde, die wegen der Teilnahme an den Pfarrertagungen Sanktionen von kirchlichen Behörden zu befürchten hätten181. Trotzdem war die Tagung in Dresden, zumindest was die Teilnehmerzahl anbetrifft, ein Misserfolg: Lediglich 50 Pfarrer ließen sich für die Propagandaveranstaltung einspannen. Aus Leipziger Sicht war allerdings besonders ärgerlich, dass Pfarrer Herz das Hauptreferat über „die Frage des Friedens und der Einheit unseres Vaterlandes vom theologischen Standpunkt aus gesehen“ hielt. Diese Tatsache rechtfertigte Herz vor den Teilnehmern mit der Überparteilichkeit der Veranstaltung und seinem rein theologischen Ansatz182. Die Aufgabe der Kirche sah er vor allem im gesamtdeutschen Einsatz für den Frieden, wobei er pazifistisch argumentierte. Die SED freute sich besonders darüber, dass er bezüglich der Form der anstehenden Wahlen eindeutig Stellung bezog: „Die Vermeidung von unnötiger Zerrissenheit und die Schaffung von Einheit scheint mir heute so wichtig zu sein, dass auch ich gegenwärtig bei politischen Wahlen den Verzicht auf einen Wahlkampf und das Bemühen um eine Einheitsliste unter der Voraussetzung, dass dabei allen politischen und weltanschaulichen Einstellungen das Recht der freien Meinungsäußerung und paritätischen Behandlung zugesichert wird, für das Gegebene halte“183.
Die Pfarrerkonferenz verabschiedete einen Aufruf zur Ächtung der Atomwaffen, in dem das Eintreten für die „neue Ordnung“ der DDR implizit enthalten war184. Die derart exponierte Teilnahme von Herz an der Pfarrerkonferenz 179 Undatierte Einladungsschreiben in: SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1360, Bl. 2. In dieser Quelle, wie in manch anderen Publikationen auch, wurde der Name „Leweck“ geschrieben. 180 Vgl. dazu die Materialien in: SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1359. 181 Neue Zeit vom 17. Juni 1950: „Regierung schützt Geistliche“. Vgl. auch W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 172. 182 Die Referate der Tagung wurden in der Broschüre: „Friede sei mit Euch. Eine historische Tagung sächsischer Pfarrer im Landtagsgebäude zu Dresden am 27. Juni 1950“ veröffentlicht. Das Referat von Pfarrer Herz auf S. 5–12. Das fehlende Engagement der katholischen Kirche wollte man dadurch kaschieren, dass man in der Broschüre Bildmaterial aus dem katholischen Gemeindeleben benutzte. 183 EBD., S. 11. Diese Passage gehört zu den wenigen kursiv hervorgehobenen Stellen in der Broschüre. 184 EBD., S. 39.
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führte zu einer intensiven Aussprache bei der nächsten Leipziger Ephoralkonferenz am 7. Juli 1950. Schumann wies in diesem Zusammenhang nochmals eindrücklich auf den Grundsatz der politischen Zurückhaltung von Geistlichen hin185. Fragen von Einheit und Frieden sollten entlang den Verlautbarungen der EKD beantwortet werden, die ausgehend von der Klammerfunktion der evangelischen Kirche die nationale Einheit Deutschlands und den Einsatz für den Weltfrieden forderten, ohne sich eindeutig auf ein bestimmtes politisches System festzulegen186. Herz sah sich genötigt, sein Verhalten zu rechtfertigen: Er verwies auf die Rolle der Kirche als überzonale Organisation, auf seine überparteilichen und theologisch geprägten Ausführungen und auf die moderaten Aussagen der Tagung. Schließlich bat er „um Verständnis seiner aus christlichem Gewissen heraus gebotenen Haltung“187. Herz musste sich jedoch starke Kritik gefallen lassen, da die „Veranstaltung nun doch eine politische geworden sei und so nicht Grund zur Freude sein könnte“188. Eine offene Resolution, die die SED-Propaganda entkräften sollte, wurde nach kontroverser Diskussion abgelehnt, jedoch der Einklang der Pfarrerschaft mit dem Superintendenten als „Sprecher der Verbundenheit“ betont189. Innerhalb der SED wurde die geringe Teilnahme an der Pfarrerkonferenz keineswegs nur als Misserfolg gedeutet, hatten doch von landeskirchlicher Seite am selben Tag „Gegenveranstaltungen“ stattgefunden190. Rudolf Senf, tätig in der Abteilung Kultur und Erziehung des SED-Landesvorstandes, betrachtete die Tagung vielmehr als einen ersten Schritt auf das längerfristig zu erreichende Ziel hin, die Pfarrerschaft von der Kirchenleitung zu trennen. In Landesbischof Hahn und seinen Mitarbeitern im Landeskirchenamt sah er das „reaktionäre“ Haupt der Landeskirche191. Ihm ging es vor allem darum aufzuzeigen, „dass wir es bei der Kirche und ihren Gliederungen nicht mit einem einheitlichen, reaktionär denkenden und handelnden Gebilde zu tun haben, sondern, dass außer den bestehenden konfessionellen Gegensätzen innerhalb der Kirche wesentliche Gegensätze in der theologischen Auffassung und ihrer Anwendung in der Praxis bestehen“192. Die Pfarrertagung habe gezeigt, dass „es durchaus möglich 185 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 7. Juli 1950 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 186 Vgl. dazu C. LEPP; C. HANKE; T. FRIEBEL. 187 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 7. Juli 1950 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 188 So Pfr. Joachim Schulze von der Gethsemane-Gemeinde. Protokoll der Ephoralkonferenz vom 7. Juli 1950 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 189 EBD. 190 Senf an die Landesleitung der SED, 22. Juli 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1356, Bl. 199–206, hier Bl. 201). 191 Senf an die SKK am 18. Juli 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MdI A 396, Bl. 111–117, hier Bl. 117). 192 EBD., Bl. 115.
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ist, die Differenzierung innerhalb der Kirche ausnutzend, weitere Kreise für die Stärkung der Friedensfront zu gewinnen“193. Senf bewegte sich mit dieser Argumentation auf der Linie, die Otto Grotewohl auf dem III. Parteitag der SED Ende Juli vorgegeben hatte, als er scharfe Angriffe gegen Otto Dibelius richtete und „fortschrittliche Pfarrer“ gegen „reaktionäre Kirchenleitungen“ auszuspielen gedachte194. Er hatte bemerkt, dass nach dem Sturz des sächsischen Landesvorsitzenden Hugo Hickmann im Januar 1950 auf Anweisung der SKK und mit dem Ende der politischen Selbstständigkeit der CDU die Landeskirche einen starken politischen Rückhalt verloren hatte195. Zwar war der Kemnitzer [sic] Pfarrer Helmut Mehnert auf dem Parteitag der Landes-CDU noch vor der Pfarrertagung im Juni 1950 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt worden, doch Mehnert war innerhalb der Landeskirche isoliert196. Vor allem ging es aber jetzt um die Wahlen, die am 15. Oktober 1950 stattfinden sollten. Die SED-Landesleitung organisierte die Verteilung eines Briefes, in dem DDR-weit 36 Pfarrer, darunter auch der Leipziger Theologe Emil Fuchs, ihre Amtsbrüder aufforderten, sich in der „Nationalen Front“ zu engagieren und demonstrativ an den Wahlen teilzunehmen. Der Brief drehte den gegen das SED-Regime geäußerten Vorwurf totalitärer Machtausübung ins Gegenteil um: „Wer hier vom ‚Totalitarismus‘ spricht und damit sein Beiseitestehen in den Lebensfragen des deutschen Volkes begründet, beweist damit, dass er aus der Geschichte seit dem Ende des Ersten Weltkrieges bis zum bitteren Ende des Zweiten Weltkrieges nichts gelernt hat. Es liegt nahe, dass aus seinem ‚Antitotalitarismus‘ auf reaktionäre, antidemokratische Intentionen geschlossen wird“197.
Ähnlich wie in anderen Ländern auch plante die sächsische Landesregierung, kurz vor den Wahlen eine zweite Pfarrerkonferenz abzuhalten198, 193 EBD. 194 F. HARTWEG, S. 30; M. G. GOERNER, Kirche, S. 66. Die kirchenpolitisch relevanten Ausschnitte der Rede Grotewohls und der Entschließung des Parteitags abgedruckt in: M. HÖLLEN, S. 224–226. 195 Zur Absetzung Hickmanns, dem die Flucht des Leipziger Bezirksvorsitzenden Ruland in die Bundesrepublik folgte, vgl. M. RICHTER, Ost-CDU, S. 222–229. 196 EBD., S. 251 f.; zu Mehnerts Stellung in der Landeskirche vgl. die Beurteilung durch den sächsischen Landesjugendwart in einem Schreiben der Verwaltung Sachsen an das MfS (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 5, S. 124–129, hier S. 128). 197 „Liebe Brüder im Amt!“ (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 854, Bl. 31 f.). 198 Zu den Auseinandersetzungen um die Pfarrerversammlungen im Bereich der Berlinbrandenburgischen Landeskirche vgl. KJ 77, 1950, S. 125–128. Auch die CDU hatte am 14. September 1950 im Haus der Provisorischen Volkskammer eine Pfarrerkonferenz abgehalten, auf der sogar die „Umbildung der Kirchenleitung und Synoden“ gefordert worden war (vgl. M. RICHTER, Ost-CDU, S. 290).
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wogegen das Landeskirchenamt gegenüber Ministerpräsident Seydewitz ernste Bedenken erhob199. War die Zustimmung nicht direkt zu erlangen, so erhoffte sich Seydewitz, durch einen Gottesdienst für die Tagungsteilnehmer in der Leipziger Thomaskirche wenigstens nach außen hin den „landeskirchlichen Segen“ zu erhalten200. Dieses Ansinnen wurde vom Kirchenvorstand der Thomasgemeinde abgelehnt201. Nachdem Pfarrer Herz noch am 30. September Seydewitz seine Absage mit anderweitigen Verpflichtungen erklärt hatte202, nahmen nur drei Leipziger Pfarrer teil, insgesamt lediglich 20 Geistliche der Landeskirche203. Diese noch hinter die Pfarrerkonferenz in Dresden zurückfallende Teilnehmerzahl lag wohl vor allem darin begründet, dass die Landeskirche aus Sorge vor der Bildung einer „Gegensynode“ die Pfarrer eindringlich ermahnt hatte204. Die auf der Tagung verabschiedete Resolution stellte ein klares Ja zu den Landtagswahlen dar. Schon am nächsten Tag berichtete die Leipziger Volkszeitung ausführlich über die Pfarrertagung205. Großzügig rechneten staatliche Stellen die 47 Vertreter von Verwaltung, Polizei und Presse dazu, um auf die Teilnehmerzahl von 165 zu kommen206. Die Verteilung der Rede von Seydewitz an alle Pfarrer bis zum 14. Oktober wurde mit großem Eifer – zumindest in Leipzig – betrieben207. Das Amt für Information musste in einem Bericht über die Tagung einräumen, dass die Taktik der Kirche, „einen festen Block gegen die Regierung der DDR zu bilden, um zu verhindern, dass einzelne Pfarrer aus diesem Block ausbrechen, um sich im politischen Sinne [zu] betätigen“, aufgegangen war208.
199 Vgl. dazu den Briefwechsel zwischen Kotte und Seydewitz am 23. und 27. September 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1356, Bl. 112 f.). 200 Seydewitz an Kotte am 27. September 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1356, Bl. 113). 201 Aktennotiz vom 30. September 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1356, Bl. 88). 202 Herz an Seydewitz am 30. September 1950: „Nachdem ich bei der Dresdener Tagung den Hauptvortrag habe halten dürfen, wäre mir die Teilnahme auch an der Leipziger Tagung eine selbstverständliche Verpflichtung gewesen“ (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1361, Bl. 34). 203 Vgl. die Anwesenheitsliste aller in Sachsen tätigen Geistlichen am 2. Oktober 1950 in Leipzig (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1356, Bl. 62–67). 204 Vgl. die Ansprache Seydewitz’ auf der Tagung der sächsischen Pfarrer in Leipzig am 2. Oktober 1950, der betonte, dass die Tagung gerade eben nicht diesen Zweck verfolge (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1356, Bl. 24–30, hier Bl. 25). 205 „Kampf für den Frieden – Aufgabe aller Christen. 165 Pfarrer und Kirchenvertreter in Leipzig“ (in: LVZ vom 3. Oktober 1950). 206 Vorläufige Zusammenstellung der Teilnehmer der Pfarrer-Tagung am 2. Oktober 1950 in Leipzig (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1356, Bl. 78). 207 Zentralamt der Stadt Leipzig an die Kanzlei des MP am 14. November 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1360, Bl. 236). 208 EBD.
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Von Seiten der Leipziger Geistlichen setzte man sich erst Anfang November 1950 mit der Pfarrerkonferenz und den Wahlen auseinander. Unmut hatte unter den Geistlichen eine Zeitungsmeldung am Wahltag verursacht, wonach sich Superintendent Schumann und zehn weitere Geistliche für die öffentliche Stimmabgabe ausgesprochen hätten. Auch über andere Pfarrer waren Presseerklärungen sinnentstellt wiedergegeben worden209. Mit Pfarrer Schmidt von der Friedensgemeinde kam es zu einer „Auseinandersetzung, die sehr heftig“ wurde210. Dieser hatte an der Pfarrerkonferenz gegen die Weisung der Landeskirche teilgenommen und sich für eine öffentliche Stimmabgabe ausgesprochen211. Als zukünftige Handlungsrichtlinie wurde ein Schreiben Hahns vorgelesen212. Hier spielten seiner Meinung nach zwei Gesichtspunkte eine zentrale Rolle. Die Kirche hatte die Pflicht, gesamtgesellschaftliche Anliegen anzusprechen, ausgehend davon, „dass die Kirche bei aller schuldigen Achtung und Zurückhaltung gegenüber dem Staat und seiner Führung doch von ihrer von den Alttestamentlichen Propheten bestehenden Pflicht, die Gewissenstimme des Volkes zu sein, nicht abgehen könne“213. Dieser Öffentlichkeitsanspruch kollidierte in gewisser Hinsicht mit dem Bemühen um kirchliche Autonomie, das Hahn als zweites wichtiges Anliegen formulierte: „Wenn die Kirche mit ganzem Ernst Kirche bleibt, sich auf ihr eigentliches Wesen und ihre Aufgaben immer neu konzentriert, und wenn der Staat Staat bleibt und nicht seinerseits Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft wird, dann glauben und hoffen auch wir, dass wir in Frieden miteinander leben und über Meinungsverschiedenheiten uns immer neu werden verständigen können“214. 209 Darüber beklagten sich jedenfalls die Pfarrer Hans Köhler, Gottfried Schmidt, Johannes Herz (Protokoll der Ephoralkonferenz vom 3. November 1950 in: ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). Köhler verließ 1951 die DDR und bekämpfte als Mitglied des Volksbundes für Frieden und Freiheit und der KgU den Sozialismus in den Farben der DDR. Gerade mit seiner Broschüre „Christentum. Kommunismus. Neutralismus“ griff er die „fortschrittlichen Pfarrer“ massiv an, namentlich vor allem seine ehemaligen Leipziger Kollegen Emil Fuchs und Johannes Herz. Die Staatssicherheit ließ ihn in Westberlin beschatten (vgl. BSTU, MfS MA XX AP 20697/92). 210 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 3. November 1950 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 211 Vgl. das Schreiben Schmidts an Seydewitz am 14. Oktober 1950: „Verehrter Herr Ministerpräsident, soeben erhalte ich mit großem Dank den schönen Druck Ihrer wertvollen Ausführungen auf dem Leipziger-Pfarrer-Tag, zu denen die ‚Bravo‘- und ‚sehr richtig‘-stellen [sic] auch aus meinem Mund erschallt sind. Ich werden morgen offen für den Frieden und damit für die Kandidaten der NF stimmen, allen Werktätigen zuliebe“ (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1361, Bl. 136). 212 Hahn an die Vorsitzenden der Konvente am 20. Oktober 1950 (ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/5). 213 EBD. 214 EBD.
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In der Spannung, die der Wahrnehmung öffentlicher Anliegen und dem Standpunkt „Kirche bleibt Kirche“ inhärent war, zeigt sich das Spektrum möglicher kirchlicher Antworten auf die neuen Herausforderungen durch die moderne Diktatur in besonderer Weise. Auch die Tatsache, dass die evangelische Kirche als gesamtdeutsche Organisation in die deutsch-deutschen Auseinandersetzungen unausweichlich involviert war, schränkte ihre Kritikfähigkeit gegenüber der DDR tendenziell ein, achtete die evangelische Kirche doch darauf, sich von keiner Seite vereinnahmen zu lassen215. Hier ist den lutherischen Kirchen in der DDR verschiedentlich vorgeworfen worden, aufgrund ihrer theologischen Traditionen – ihrem Festhalten an der Zweireichelehre – im Gegensatz zu den unierten Kirchen zu zurückhaltend agiert zu haben216. Landesbischof Hahn tendierte wohl eher dazu, den „unpolitischen“ Charakter der Kirche zu betonen217. Da sich aus dem Evangelium keine eindeutigen Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart ergaben, sah sich die Landeskirche vor die Frage gestellt, wie sie mit Pfarrern umgehen sollte, die von der landeskirchlichen Linie abwichen. Der Berliner Bischof Dibelius empfahl, die Kirchenstrukturen hierarchischer auszugestalten218. Tatsächlich waren hier die Möglichkeiten durch das evangelische Selbstverständnis begrenzt. In den Pfarrerversammlungen kam es deswegen gelegentlich zu heftigen Auseinandersetzungen, „fortschrittliche“ Geistliche waren in der Pfarrerschaft isoliert. Betrachtet man die Situation in Leipzig, so scheint es, dass die meisten Pfarrer die kirchlichen Verlautbarungen als Schutz vor Inanspruchnahme betrachteten und ihre „dissentierenden“ Amtsbrüder auch gerne auf Zurückhaltung in politischen Fragen festlegen wollten. Hierdurch wurde die Stellung Schumanns strukturell verstärkt, der schon am 7. Juli 1950 eine „saubere politische Haltung“ angemahnt hatte219.
3.10 Der Übergang zur Konfrontationspolitik Nach der Oktoberwahl verschärfte sich das innenpolitische Klima infolge von Parteisäuberungen in der SED, der fortschreitenden Zentralisierung des politischen und wirtschaftlichen Systems und der Disziplinierung der Blockparteien und Massenorganisationen220. Nun machten sich die systematischen Bemühungen der SED, den kirchlichen Einfluss in Erziehung, 215 216 217 218 219 220
D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 111 f. So vor allem T. FRIEBEL, S. 172–179. C. NICOLAISEN, Hugo Hahn, S. 271. D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 103. Protokoll der Ephoralversammlung vom 7. Juli 1950 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). Vgl. K. SCHROEDER, S. 99–104.
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Ausbildung und Schule zurückzudrängen, immer stärker bemerkbar. Schon auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 hatte Grotewohl gefordert, den dialektischen Materialismus im gesamten Bereich von Schule und Hochschule zu propagieren221. Vor diesem Hintergrund waren die Mitglieder der sächsischen Kirchenleitung sehr überrascht über den atmosphärisch positiven Verlauf eines von der Landesregierung initiierten Gesprächs Mitte Dezember 1950, in dem Fragen des Staat-Kirche-Verhältnisses besprochen wurden222. Angesichts der äußeren Umstände erkannte die Landeskirche, dass das von Landesbischof Hahn im November 1950 genannte Prinzip „Kirche muss Kirche bleiben“ einer Neuinterpretation bedurfte: „Man müsse sich vergegenwärtigen, dass es sich um einen Staat handele, der unter der Führung einer marxistisch-leninistischen Partei weltanschaulich gebunden sei, und um eine Kirche, der Erkenntnisse im Sinne der 5. These von Barmen geschenkt worden sind. Es müssten sich infolgedessen [. . .] notwendigerweise immer wieder Schwierigkeiten zwischen Staat und Kirche ergeben“223.
Die Landeskirche machte also deutlich, dass sie den „Totalitätsanspruch weltanschaulicher Art“ nicht zu akzeptieren bereit war. Hierbei zeigte sich wieder, dass der Landeskirche sehr am Kontakt zur Landesregierung gelegen war und man in gewissem Sinne „Opposition wider Willen“ leistete. Die Entwicklung wurde im Jahr 1951 durch das gesamtdeutsche Geschehen überschattet. Die Sowjetunion versuchte, die Westintegration der Bundesrepublik zu verhindern. Kirchenpolitisch spielte vor allem der Kirchentag im Juli eine Rolle, bei dem die SED-Führung aus deutschlandpolitischen Gründen weitgehende Unterstützung leistete. In reichlicher Überschätzung ihrer Fähigkeiten vor Ort wies Bruno Wolff, der im Zentralkomitee der SED für Kirchenfragen zuständige Bearbeiter, die entsprechende sächsische Parteistelle an, SED-nahe Laien in die kirchlichen Vorbereitungskomitees zu entsenden224. Die Nachbereitung des Kirchentages ergab kein klares Bild, ob die zukünftige Kirchenpolitik stärker auf Konfrontation oder Differenzierung bzw. Unterwanderung gerichtet sein würde225. Wolff war sehr an einer systematischen anstatt der bisher meist sporadischen Kirchenpolitik interessiert. Er versammelte Anfang August 1951 Vertreter der SED-Landesleitungen und gab Anweisungen, innerhalb der Lan-
221 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 106. 222 Knospe an die Berliner Kanzlei der EKD am 20. Dezember 1950 (EZA, 4/449). 223 EBD. 224 Wolff an die Landesleitung der SED Sachsen, Abt. Staatliche Verwaltung am 11. Juni 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL, A 939, Bl. 87 f.). 225 Vgl. M. G. GOERNER, Arbeitsgruppe, S. 77 f.
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desleitungen und der Kreisleitungen Kirchenkommissionen zu bilden, zu deren vordringlichen Aufgaben die Erstellung einer Kartei über „fortschrittliche“ und „negative“ Pfarrer gehören sollte226. Am 1. September 1951 kam es schließlich auf Landesebene zu einem Personalrevirement: Rudolf Senf wechselte von der Abteilung Kultur und Erziehung in die neu gebildete Abteilung „Verbindung zu den Kirchen“, und Walter Breitmann von der Abteilung Staatliche Verwaltung übernahm nun in der SED-Landesleitung die Zuständigkeit für Kirchenfragen. Damit wurde eine Entwicklung nachvollzogen, die sich auf der Ebene der SEDZentrale schon nach der Gründung der DDR ereignet hatte227. Mit den neuen Strukturen jedoch war das Problem der fehlenden kirchenpolitischen Linie nicht gelöst. Breitmann beklagte sich über die „Uneinheitlichkeit“ und forderte „eine erneute Sitzung im ZK [. . .], in der der Genosse Plenikowski228 allen Kirchensachbearbeitern der Republik konkrete Aufgaben stellt und eine klare Linie festlegt“229. Auch im Bereich der staatlichen Administration, so wurde Senf auf einer Besprechung im Innenministerium mitgeteilt, gab es Abstimmungsprobleme zwischen der Abteilung „Verbindung zu den Kirchen“ beim Ministerpräsidenten und dem Innenressort. Wohl schon mit Blick auf die Bildung der Bezirke wurde den Sachbearbeitern aufgetragen, weiteres Personal für Kirchenfragen zu ermitteln230. Wahrscheinlich blieben diese Anweisungen auf der mittleren Ebene hängen. Denn für Leipzig lässt sich auf kommunaler Ebene keine Struktureinheit erkennen, die sich ausweislich mit Kirchenfragen beschäftigt hätte. Kirchenfragen spielten, wenn überhaupt, nur unter sicherheitsrelevanten Gesichtspunkten eine Rolle. So begann die Abteilung Pass- und Meldewesen des Volkspolizeipräsidiums ab dem Frühjahr 1951, Adressenänderungen von Pfarrern und dazugehörige kurze Charakteristiken an ihre vorgesetzte Behörde zu melden231. Das Amt für Informationskontrolle sah vor, „freie Mitarbeiter“ für das Erforschen der öffentlichen Meinung auch „in Kirchenbehörden und religiösen Einrichtungen“ zu suchen. Auch der systematische Besuch von Gottesdiensten gehörte wohl schon zu den Aufgaben der Kreisbeauftragten 226 Bruno Wolff, Bericht über die Sitzung zu den Fragen der Kirche beim ZK vom 2. August 1951 (STAL, SED-BL, IV/2/14/637, Bl. 127–130). 227 M. G. GOERNER, Arbeitsgruppe, S. 64. 228 Anton Plenikowski war als Leiter der Abteilung Staatliche Verwaltung des ZK der SED Vorgesetzter des Referenten für Kirchenfragen, Bruno Wolff (M. G. GOERNER, Kirche, S. 167). 229 Breitmann, betr. Einladung von Geistlichen aus den Volksdemokratien, 1. September 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, SED-LL A 939, Bl. 199). 230 Senf, Besprechung im Ministerium des Innern der DDR am 19. Februar 1952 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS 2929, Bl. 113). 231 Vgl. den Bestand SÄCHSHSTA DRESDEN, LBdVP 293.
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des Amtes232. Ein weiteres probates Mittel zur Überwachung der Kirchen – wie selbstverständlich auch zur Behinderung kirchlicher Arbeit – stellten Verordnungen zur Anmeldung von Veranstaltungen dar, wie die vom 29. März 1951, die den Religionsgemeinschaften, und nicht dem Inhaber der Räumlichkeiten233 die Pflicht zur Anmeldung auferlegte, wodurch eine bessere Übersicht über kirchliche Aktivitäten zu erhalten war234. Angesichts des Misserfolgs der bisherigen kirchenpolitischen Strategie der SED ergriff der sächsische Landesausschuss der „Nationalen Front“ die Initiative. Auf der Basis eines Beschlusses vom Dezember 1950 hatte er versucht, mit Hilfe fortschrittlicher Pfarrer so genannte „Kirchenkommissionen“ in den Kreisen zu bilden, musste aber mit drei Kommissionen in ganz Sachsen auch die Unmöglichkeit dieses Versuches eingestehen235. Da der Landesausschuss das Scheitern dieses Planes in der Blockadehaltung des Landeskirchenamtes begründet sah, schlug er vor, über die Mitglieder der Kirchenvorstände seinen Einfluss zu vergrößern236. Zuerst ging man daran, die in der „Nationalen Front“ tätigen Kirchenvorstandsmitglieder zu erfassen237. Ein Pfarrerkreis um den reformierten Dresdner Pfarrer August de Haas gab von März 1952 bis Januar 1953 die Wochenschrift „Verantwortung“ heraus, die zum innerkirchlichen Sprachrohr der deutschlandpolitischen Aktivitäten der SED werden sollte238. In diese Aktivitäten war Ministerpräsident Seydewitz eingeweiht.239 Für die kirchlichen Stellen in Leipzig waren in dieser Zeit vier Problemkreise von besonderer Relevanz: Es stellte sich für die Geistlichen die Frage, wie sie auf die administrativen Beschränkungen kirchlicher Arbeit reagieren sollten. Weiterhin waren die Pfarrer über die kirchenpolitische Linie der Landeskirche zu informieren und die Verlautbarungen abzukündigen. Außerdem wurden Verhaltensmaßregeln bezüglich der politischen Inanspruchnahme der Kirche abgesprochen und das Gespräch mit „dissentierenden Pfarrern“ gesucht. 232 Eckert, Vorlage für die Abteilungsleiterbesprechung – Richtlinien für die Schaffung von freien Mitarbeitern durch die Kreisbeauftragten (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 4037, Bl. 54). 233 So war es noch in der Vorgängerverordnung vom 1. September 1949 vorgesehen (abgedruckt in: M. HÖLLEN, S. 186 f.). 234 GBl DDR, Nr. 40 vom 7. April 1951, S. 231 (abgedruckt in: EBD., S. 245 f.). 235 Solche „Kirchenkommissionen“ waren in Bautzen, Freiberg und Hoyerswerda gebildet worden. Vgl. LA Sachsen der NF an das Präsidium des Nationalrates am 27. April 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 4045). 236 EBD. 237 [LA Sachsen der NF] am 1. November 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 4050). 238 M. G. GOERNER, Kirche, S. 260. 239 Senf an Seydewitz am 6. März 1952. Senf sandte Seydewitz noch vor dem offiziellen Erscheinen der Wochenschrift die erste Nummer zu (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1262, Bl. 96).
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In diesem Zusammenhang stellte das Verhalten von Johannes Herz für die Leipziger Pfarrerschaft ein regelrechtes Ärgernis dar. Nachdem er schon im Zusammenhang mit der Pfarrerkonferenz gedrängt worden war, sich politisch zurückzuhalten, wurde er auf der Ephoralversammlung am 12. Januar 1951 „im Namen der Ephoralversammlung gebeten, mit politischen Äußerungen für die Leipziger Presse zurückhaltender zu sein“. Seine Wahl in den „Weltfriedensrat“, einem nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenem Gremium zur Förderung des Friedens unter kommunistischer Ägide, wurde lediglich „zur Kenntnis genommen“240. Herz ließ sich jedoch von der Kritik seiner Kollegen wenig beeindrucken. Zu einer weiteren grundsätzlichen Aussprache mit ihm kam es am 19. November im Zusammenhang mit der Kanzelabkündung der sächsischen Landeskirche am Bußtag 1951, in der der zunehmende ideologische Druck an den Schulen beklagt wurde. Herz wurde von Superintendent Schumann „gebeten“, sich von einem Artikel in der Leipziger Volkszeitung zu distanzieren241. Auch die Mitgliedschaft im „Weltfriedensrat“ wurde in der Besprechung thematisiert. Herz verteidigte seine Tätigkeit in einem „rein idealistische[n] Organ“, in dem „völlig unpolitische Menschen, weder SPD noch SED angehörig“, tätig seien242. Als Gegner dieser sicherlich als naiv zu kennzeichnenden Haltung exponierten sich Mitglieder der BK, die die in Herz’ Darstellung fehlende „Trennung von Kulisse und Kern“ bemängelten und die Forderung erhoben, er solle sich auf das Pfarramt konzentrieren, ja sogar die Forderung nach Suspendierung von „politischen Pfarrern“ wurde geäußert243. Mehr als diese verbalen Ermahnungen lag aber nicht in der Kompetenz der Leipziger Pfarrerschaft. Des Weiteren wurden auf den Ephoralversammlungen den politischen Verhältnissen adäquate Verhaltensweisen abgesprochen. Pfarrer wurden angehalten, Besuche bei staatlichen Stellen dem Superintendenten anzuzeigen und dort nicht allein aufzutreten244. Auch diese Maßnahme verstärkte tendenziell die Position des Superintendenten. Anlass zu kirchlicher Kritik an staatlichem Handeln boten 1951 vor allem die Umstände der Volksbefragung „gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für einen Friedensvertrag mit Deutschland im Jahre 1951“, die vor allem die in der westdeutschen Bevölkerung weit verbreitete Ablehnung der mit der Westintegration verbundenen Wiederaufrüstung in
240 Protokoll der Ephoralversammlung am 12. Januar 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). Zum „Weltfriedensrat“ vgl. auch R. HENKEL, S. 387–393. 241 Der Artikel konnte in der LVZ nicht nachgewiesen werden. 242 Protokoll der Ephoralversammlung vom 19. November 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 243 EBD. 244 Protokoll der Ephoralversammlung vom 5. Oktober 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18).
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prosowjetischem Sinne ausnutzen sollte245. Während die Leitungen der unierten Kirchen öffentliche Stellungnahmen abgaben, die Kritik an den Diffamierungskampagnen im Vorfeld der Befragung und deren Umstände mit dem Nein zur Wiederaufrüstung verbanden, wandte sich der sächsische Landesbischof Hahn an Ministerpräsident Seydewitz persönlich, um gegen die „bei dieser Volksbefragung deutlich werdende Propaganda des Hasses“ zu protestieren246. Außergewöhnlich scharf hingegen meldete sich im Herbst die Landessynode zu Wort und richtete einen unterstützenden Appell an die Eltern und Erzieher und eine Aufforderung an die Regierung, die sich dezidiert gegen den Allgemeinverbindlichkeitsanspruch des dialektischen Materialismus an den Schulen richtete247. Vertreter der Landeskirche und -synode überbrachten Seydewitz persönlich diese Texte, ließen ihn aber über das geplante Datum der Verlesung – den Bußtag – im Unklaren. Trotzdem waren gerade die Vertreter der Kirchenleitung bemüht, im persönlichen Gespräch das Verhältnis zur Landesregierung nicht über die Maßen zu strapazieren248. Auf der Ephoralversammlung am 19. November wurde den Leipziger Pfarrern der abzukündigende Text verlesen und die Geheimhaltungspflicht eingeschärft249. Die Strategie der Landeskirche war offenbar aufgegangen – jedenfalls lassen sich auf der Leipziger Ebene keine staatlichen Bemühungen nachweisen, die Verlesung zu verhindern, auch war keine der sonst üblichen Aufstellungen über beobachtete Gottesdienste nach Dresden geschickt worden. Eines der zentralen administrativen Probleme für das Funktionieren der Kirche auch auf der unteren Ebene stellte in dieser Zeit das kirchliche Meldewesen dar. Die staatlichen Meldestellen verweigerten die Zusammenarbeit, Adressenänderungen wurden nicht mehr an die Kirche weitergegeben. Angesichts von geschätzten 800 bis 1 000 Veränderungen wöchentlich – die Zahl dürfte wohl etwas zu hoch gegriffen sein – wurde das Meldewesen als „eine unserer Lebensfragen“ bezeichnet250. Erste Schwierigkeiten tauchten im Januar 1951 auf, als der Kirche das Recht auf schriftliche 245 M. G. GOERNER, Arbeitsgruppe S. 73–75. 246 Hahn an Seydewitz am 23. Mai 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS 4037, Bl. 97). Die Verlautbarungen der unierten Kirchen abgedruckt in: KJ 78, 1951, S. 126–134. Vgl. auch T. FRIEBEL, S. 399–402. 247 Beide Worte abgedruckt in: KJ 78, 1951, S. 148–150. 248 So der Eindruck, den Seydewitz an DDR-Innenminister Steinhoff von dem Gespräch am 20. Oktober übermittelte (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1362, Bl. 69 f.). Vgl. auch die „Denkschrift des Evangelisch-lutherischen Landeskirchenamtes Sachsens zur Schulfrage“, in der die von der Landessynode gemachten Vorwürfe substanziiert wurden (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1362, Bl. 73–84). 249 Protokoll der Ephoralversammlung vom 19. November 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). 250 Protokoll der Ephoralversammlung vom 29. Februar 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18).
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Befragung der Gemeindeglieder abgesprochen wurde251. Die bei den Pfarrgemeinden vorhandenen so genannten „Helferschaften“ waren gezwungen, durch Besuche von Haus zu Haus die Kartei auf dem Laufenden zu halten252. Angesichts dieser Probleme wurde im Herbst 1951 sogar die Einrichtung von so genannten „kirchlichen Hausbeauftragten“ sondiert, die monatliche Berichte weitergeben sollten253. Hinsichtlich der Austritte bekamen die Kirchen in diesem Jahr noch die Amtshilfe der Standesämter, die diese an die Superintendentur weiter meldeten254. Tatsächlich waren die Pfarrer über die Zahl von 7.251 Ausgetretenen im Jahr 1951 ernüchtert255, doch sahen sie, dass bestimmte Berufsgruppen, vor allem die in der kommunalen Verwaltung Tätigen, besonders häufig austraten256. Da die bürgerlichen Schichten, die den großen Teil der Kirchensteuer einbrachten, von der Politik der SED sehr stark betroffen waren, war der Einnahmeverlust in Leipzig besonders hoch: „Leipzig als Großstadt ist für die Landeskirche ein starkes finanzielles Zuschussgebiet“257. Auch nach der Gründung der DDR wurde die Relevanz des kirchlichen Potenzials für die Innen- wie Deutschlandpolitik hoch eingeschätzt. Die Kirchenpolitik von Partei und Staat konzentrierte sich darauf, kirchliche Stimmen für ihre Propaganda zu gewinnen. Die Kritik richtete sich daher vor allem gegen den Runderlass 89, der Pfarrer zu politischer Zurückhaltung anhielt. Dazu kam das intensive – wenngleich auch weitgehend glücklose – Bemühen, die verschiedenen Strömungen in der sächsischen Landeskirche auf den Pfarrerkonferenzen auseinander zu dividieren. Die von einigen „dissentierenden“ Pfarrern genährte Hoffnung, eine „Gegensynode“ in der Landeskirche bilden zu können, erwies sich als illusionär. Die Politik ging in dieser Zeit sehr stark vom sächsischen Ministerpräsidenten Seydewitz aus. Jedoch war der kirchenpolitische Apparat so schwach ausgebildet, dass die zum Teil sehr ambitionierten Ziele nicht erreicht werden konnten. Erst mit der Errichtung der Verbindungsstelle zu den Kirchen im Herbst 1951 scheint eine Verstetigung der Politik eingetreten 251 18). 252 18). 253 18). 254 18). 255 256 257 18).
Protokoll der Ephoralversammlung vom 12. Januar 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Protokoll der Ephoralversammlung vom 16. Februar 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Protokoll der Ephoralversammlung vom 5. Oktober 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Protokoll der Ephoralversammlung vom 14. Oktober 1949 (ADSL, Schrank I, Fach 2, Protokoll der Ephoralversammlung vom 9. Mai 1952 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). Protokoll der Ephoralversammlung vom 25. Mai 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 18). Protokoll der Ephoralversammlung vom 12. Januar 1951 (ADSL, Schrank I, Fach 2,
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zu sein. Doch hing der Apparat wohl ziemlich in der Luft, weil auf der lokalen Ebene weder Partei- noch Staatsstellen besonderes Engagement zeigten, lediglich die Polizei nahm die Kirchen unter sicherheitspolitischem Gesichtspunkt wahr. In der Landeskirche hatte seit 1945 ein Lernprozess stattgefunden. Während bei der Bodenreform und besonders beim Volksentscheid die Politik der gesellschaftlichen Umgestaltung auf Verständnis und Unterstützung traf, hielt sie sich im Folgenden mit politischen Äußerungen zurück und wies auch die Pfarrer zu politischer Zurückhaltung an. Nur anfänglich unterstützte sie die Volkskongressbewegung. Als nach der Gründung der Republik besonders im Bildungsbereich der Dialektische Materialismus forciert wurde, bezog sie ihre öffentliche Kritik explizit auf die Barmer Theologische Erklärung und beschuldigte den Staat, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft zu werden. Die versuchte Instrumentalisierung der Pfarrer für die Ziele der SED sowie die weitere Verschärfung des innenpolitischen Kurses verstärkten die Tendenzen zur Hierarchisierung in der Landeskirche. Damit wurde partiell die Stellung des Superintendenten gestärkt. In Leipzig gelang es Schumann, mit einer zwar geschlossen ablehnenden, die direkte Konfrontation jedoch vermeidenden Strategie die Mehrheit der Pfarrer hinter sich zu scharen. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten mit der konzilianten Politik der Kirchenleitung scheint es ab 1947 keine fundamentalen Differenzen über die richtige kirchenpolitische Linie mit der Landeskirche gegeben zu haben. Das Problem auf dieser Ebene bildeten in diesem Zeitraum nicht die Vorgaben aus Dresden, die grundsätzlich in die gleiche Richtung zielten, sondern die Frage, wie mit „dissentierenden Pfarrern“ umzugehen sei. Ließ sich der wankelmütige Caffier durch ein Gespräch mit dem Landesbischof – wenigstens zeitweise – einschüchtern, so hielt Pfarrer Herz, der aufgrund seiner langen Amtszeit und seiner Reputation als Leiter des ESK ein großes Renommee hatte, trotz mehrfacher Ermahnungen an seinem Kurs fest.
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4. Der Konflikt um die „Junge Gemeinde“ in Leipzig bis zum 17. Juni 1953 Die Auseinandersetzungen zwischen den Kirchen und der SED, die im „Kirchenkampf“ gegen die „Junge Gemeinde“ im Frühjahr 1953 kulminierten, waren Bestandteil der auf den „beschleunigten Aufbau des Sozialismus“ abzielenden Politik der SED, die in ihren desaströsen Folgen zum Volksaufstand des 17. Juni führte. Die Ereignisse des Sommers 1953 gehören zu den am besten erforschten Feldern der DDR-Geschichte1. Die politikgeschichtlich orientierten Gesamtdarstellungen klammern dabei im Allgemeinen die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen aus. Auch in der neuesten Gesamtdarstellung über die Geschehnisse in Sachsen, die den Ereignissen im Bezirk Leipzig ein umfangreiches Kapitel widmet, sich allerdings auf die unmittelbaren Ereignisse um den 17. Juni konzentriert und dessen Vorgeschichte nicht darstellt, werden die kirchlichen Ereignisse nur am Rande behandelt2. In kirchenpolitisch ausgerichteten Abhandlungen spielt der Kampf gegen die „Junge Gemeinde“ eine zentrale Rolle und ist daher schon oft aus verschiedenen Perspektiven dargestellt worden3. Auch in Arbeiten zur Geschichte der FDJ werden die Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ geschildert4. Peter Skyba sah die Attraktivität der kirchlichen Jugendarbeit vor allem in deren Funktion als Refugium für Jugendliche, die sich dem ideologischen Druck in der FDJ entziehen wollten5. Aus seinem auf die Organisation der FDJ bezogenen Blickwinkel kommt er zu dem Ergebnis, dass die mit höchster Priorität verfolgte Aufrüstung in der DDR durch die pazifistischen Tendenzen in der „Jungen Gemeinde“ gefährdet gewesen sei, wobei er allerdings übersieht, dass die nach der II. Parteikonferenz beschlossenen antikirchlichen Maßnahmen über die „Junge Gemeinde“ hinaus auf die Ausschaltung der Kirche als gesellschaftlichem Faktor abzielten6. Ellen Ueberschär, die staat1 Zum 17. Juni vgl. als Darstellung vor der Wende A. BARING; nach der Wende sind erschienen T. DIEDRICH; A. MITTER/S. WOLLE, S. 27–162; I.-S. KOWALCZUK, Der Tag X. Zur Diskussion um die Charakterisierung der Geschehnisse des 17. Juni als „Arbeiteraufstand“ bzw. „Volksaufstand“ vgl. H. WENTKER, Arbeiteraufstand, S. 397 mit weiteren Hinweisen, der – m. E. zu Recht – von einem „im Kern von Arbeitern getragene[n] Volksaufstand mit revolutionären Zügen“ spricht. 2 H. ROTH, 17. Juni 1953, S. 610. 3 G. BESIER, SED-Staat, S. 106–139; S. RINK, S. 156–201; M. G. GOERNER, Kirche, S. 80–131; A. SCHALÜCK, Agentur, S. 169–191; H. WENTKER, „Kirchenkampf“; für die katholische Kirche vgl. T. RAABE, S. 115–148; sehr knapp B. SCHÄFER, S. 46–49. 4 P. SKYBA; sehr kurz allerdings bei U. MÄHLERT, Jugendpolitik, S. 1456 f. 5 P. SKYBA, S. 419 f. 6 EBD., S. 221.
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liche und kirchliche Sichtweisen zusammenführt, betont dagegen zu Recht, dass die SED-Jugendpolitik in den politischen Gesamtzusammenhang der brachialen Sowjetisierung der DDR nach der II. Parteikonferenz einzubinden sei und sie sich vor allem auf die Behinderung jener Aktivitäten konzentriert habe, die in der Vereinstradition evangelischer Jugendarbeit beheimatet waren7. Ihre Studie über „die Junge Gemeinde im Konflikt“ im Zeitraum von 1945–1961 stellt einen bedeutsamen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Forschungsstand dar. Sie bettet die Entwicklung kirchlicher Jugendarbeit nicht nur in bis in den Nationalsozialismus zurückreichende Entwicklungslinien ein, sondern schildert auch die konfliktreiche innerkirchliche Auseinandersetzung zwischen den Werken und den einzelnen Landeskirchen nach 1945, die letztlich zu einer Verkirchlichung der kirchlichen Jugendarbeit führte. Dabei spielten die Entwicklungen in Sachsen und Leipzig eine wichtige Rolle. Für den Bezirk bzw. die Stadt Leipzig gibt es bis jetzt zwei größere Darstellungen der Auseinandersetzungen im Sommer 1953. Christoph Kaufmanns Arbeit ist vor allem deskriptiv ausgelegt, während Friedhelm Jostmeier die Auseinandersetzung zwischen SED und „Junger Gemeinde“ unter dem Blickwinkel kirchlicher Resistenz dargestellt hat8. Die Auseinandersetzung zwischen SED-Staat und „Junger Gemeinde“ ist auf der zentralen Entscheidungsebene ausführlich beschrieben worden. Diese lokale Analyse konzentriert sich daher vor allem auf die Besonderheiten vor Ort. Der Kampf gegen die „Junge Gemeinde“ wird auch unter dem Gesichtspunkt der totalitären Machtausübung betrachtet. Dabei ist zum einen zu fragen, wie es der FDJ als jugendspezifischer Massenorganisation gelungen ist, die ihr zugedachte Aufgabe der Integration und Ideologisierung der Jugendlichen zu erfüllen oder inwieweit die Existenz der „Jungen Gemeinde“ diesen Auftrag in Frage gestellt hat. Zum anderen ist zu untersuchen, wie die Vorgaben von Partei- und Staatsführung von dem neu aufgebauten Apparat in den erst kurz zuvor eingerichteten Bezirken umgesetzt worden sind. Wolfgang Tischner hat hier für Leipzig auf Unstimmigkeiten im SED-Parteiapparat hingewiesen. In einer Mitteilung an den FDJ-Funktionär Heinz Lippmann vom Mai 1953 teilte die Bezirksleitung Leipzig mit, „dass die Initiative unserer Freunde gegen die ‚Junge Gemeinde‘ oft durch verantwortliche Genossen der Partei gehemmt wird“9. Die SED-Bezirksleitung Leipzig war insofern in besonderem Maße an der 7 E. UEBERSCHÄR, Junge Gemeinde, S. 170–173. 8 C. KAUFMANN; F. JOSTMEIER, SED; eine Kurzzusammenfassung der Thesen in: F. JOSTMEIER, SED und Junge Gemeinde; vgl. auch C. KOCH, die in ihrer Darstellung der „Jungen Gemeinde“ in Sachsen und Thüringen auch die Entwicklung in Leipzig mit einbezieht. 9 Zitiert nach W. TISCHNER, Kirchen, S. 156, Anm. 29.
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Auseinandersetzung beteiligt, als der Sekretär für Kultur und Volksbildung in der SED-Bezirksleitung, Siegfried Wagner, im Herbst 1952 Mitglied einer hochrangig besetzten Kommission war, die eine Vorlage „über die Tätigkeit der so genannten ‚Jungen Gemeinde‘ mit entsprechenden Maßnahmen“ ausarbeiten sollte10. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob die „Junge Gemeinde“ tatsächlich eine Gefährdung für die FDJ darstellte oder ob vielmehr deren „illegale Existenz“ nur Vorwand für einen politischen Kampf gegen die Kirche in einer Krisensituation der DDR darstellte. In der jüngsten Forschung wurde darauf hingewiesen, dass entgegen der bisherigen Meinung die „Junge Gemeinde“ doch am 17. Juni beteiligt war11. Außerdem wurde einigen evangelischen Amtsträgern vorgehalten, „nahe an der Kollaboration mit dem Regime“ agiert zu haben12. Durch dieses Verhalten habe es, auch in Sachsen, starke Differenzen im Verhältnis zwischen Gläubigen und Kirchenleitung gegeben. Diese pointierte Haltung ist auf die Situation in Leipzig hin zu spezifizieren, wo der BK-Pfarrer und dezidierte Gegner des DDR-Sozialismus Herbert Stiehl im Frühjahr 1953 die Nachfolge Schumanns als Superintendent angetreten hatte. In die Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ war auch die CDU involviert. Die CDU, die einerseits die christlichen Bevölkerungsteile für die Politik des Staates gewinnen musste, anderseits aber bestrebt war, sich gegenüber den Christen als Vertreterin ihrer Interessen darzustellen13, änderte im Untersuchungszeitraum ihre Haltung gegenüber der „Jungen Gemeinde“. Noch 1950 herrschte zwischen beiden ein kooperatives Verhältnis. Der CDU-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Otto Nuschke, der als Leiter der Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“ staatlicherseits in erster Linie für die Staat-Kirchen-Beziehungen zuständig war, setzte sich beispielsweise noch 1950 gegenüber Grotewohl dafür ein, das Bachfest der „Jungen Gemeinde“ in Leipzig stattfinden zu lassen14. Mit seiner zunehmenden Entmachtung folgte die Kirchenpolitik der CDU ab 1952 immer stärker dem Kurs des Generalsekretärs Gerald Götting und seines engen Mitarbeiters Günther Wirth, der versuchte, die „Junge Gemeinde“ durch den Einsatz von CDU-Mitgliedern zu disziplinieren15. Die 10 H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 110. Zu der Kommission gehörten außerdem der stellv. Leiter der für Kirchenfragen zuständigen ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung, Willi Barth, der Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen beim ZK, Gustav Röbelen, und der Stellvertreter Honeckers im Zentralrat der FDJ, Heinz Lippmann. 11 W. TISCHNER, Kirchen. 12 EBD., S. 176. 13 H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus. 14 A. SCHALÜCK, Agentur, S. 171–173. 15 Zum Verhältnis von Ost-CDU und „Junger Gemeinde“ vgl. H. WENTKER, Kooperation; zur Auseinandersetzung um das Bachfest, das aufgrund einer Intervention Grotewohls
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Politik der Zentrale fand allerdings in den Bezirks- und Kreisverbänden nicht überall Unterstützung und wurde bisweilen gar nicht umgesetzt. Es ist also von Interesse, wie sich die Situation in Leipzig darstellte und inwieweit die Beziehungen zwischen CDU und „Junger Gemeinde“ durch den Politikwechsel verändert wurden. Die Kirchenpolitik des Ministeriums für Staatssicherheit spielte in der Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ insofern eine Rolle, als der „Spiritus Rector“ der kirchlichen Jugendarbeit in Leipzig, Herbert Dost, spätestens im November 1952 ins Visier der Staatssicherheit geraten war und auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ inhaftiert wurde16. Die nach der II. Parteikonferenz von Erich Mielke angeordneten strukturellen Veränderungen im Kirchenbereich waren, wie eine Dienstanweisung des stellvertretenden Leiters der Leipziger Bezirksverwaltung des MfS, Herbert Weidauer, vom 3. Oktober 1952 an die Kreisdienststelle Leipzig zeigt, nicht entschieden genug durchgeführt worden17. Neben dem Aspekt, inwieweit die Staatssicherheit überhaupt kirchenpolitisch handlungsfähig war, ist zu prüfen, ob sie sich strikt als „Schild und Schwert der Partei“ verhalten hat.
4.1 Die Ausgangslage In der ersten Hälfte des Jahres 1952 traten in der DDR aus außenpolitischen Gründen kirchenpolitische Aktivitäten zurück. Die Sowjetunion versuchte vehement, die sich abzeichnende Westintegration der Bundesrepublik zu verhindern und lancierte die Stalinnote vom März 1952, die den Vorschlag enthielt, eine Vier-Mächte-Konferenz abzuhalten und einen Friedensvertrag abzuschließen18. Antikirchliche Maßnahmen wurden wegen ihrer möglichen negativen Auswirkungen zurückgestellt19. Innerhalb des Staatsapparates und der Partei war man vornehmlich verhindert wurde, vgl. A. SCHALÜCK, Agentur, S. 171–173; C. KOCH, S. 158–160; H. WENTKER, Ost-CDU, S. 94; Nuschke war über die Absage des Festes sehr erschüttert. Vgl. den Spitzelbericht der Verwaltung Sachsens an das MfS vom 12. Oktober 1950 (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 5, S. 128). 16 Die Akten des Untersuchungsvorganges in: BSTU, Lzg AU 115/53. Der Arbeitsplan der Abt. V für den November 1952 vom 4. November sah vor, Ermittlungen gegen Dost einzuleiten und unter seinen Bekannten einen IM zu installieren (BSTU, BVfS Leipzig Leitung 179, Bl. 18). 17 Die Dienstanweisung ist abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 19, S. 154–158. Zum Verhältnis des MfS zu den Kirchen in den 50er Jahren vgl. S. WOLF, „Bearbeitung“, und C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, der deutlich über Wolfs Kenntnisstand hinausgeht. 18 K. SCHROEDER, S. 96–99. 19 Vgl. P. SKYBA, S. 222.
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damit beschäftigt, den Wissensstand über die Kirchen zu erweitern und auf noch bestehende Schwächen hinzuweisen. Das Amt für Informationskontrolle beim sächsischen Ministerpräsidenten hatte zu diesem Zweck schon ab August 1951 eine Intensivierung der Überwachung der Predigten angeregt20. Aus dem Frühjahr 1952 liegen zwei Berichte über die kirchliche Situation in Sachsen vor. Der eine stammt von der Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“. Diese sah sich in einer doppelten Rolle: Einerseits sollte sie dafür sorgen, „dass die Kirchen unsere demokratischen Gesetze achten und befolgen, dass sie in der Verfassung nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Pflichten erkennen, [. . .] andererseits als staatliche und kommunale Dienststelle die Gesetze unserer Deutschen Demokratischen Republik, speziell soweit sie die kirchlichen Belange berühren, frei von Versöhnlerei und Sektierertum durchführen“21. Der Bericht gelangte zu dem ernüchternden Ergebnis, dass „wir noch sehr wenig von der evangelischen Kirche, noch weniger von der katholischen Kirche und noch gar nichts von den einzelnen Sekten wissen“22. Dennoch konstatierte die Analyse für die evangelische Kirche zwei Entwicklungen: Zum einen sei sie unter „zunehmende[n] amerikanischen Einfluss“ geraten, zum anderen versuche sie, auf die Arbeiterschaft zuzugehen, indem sie Pfarrer in die Fabriken schicke, um den Kontakt zur Arbeiterschaft zu gewinnen und der DDR zu schaden. Der Bericht differenzierte zwischen den „religiös gebundenen Menschen“, die „im Kampf um die Einheit Deutschlands und für die Erhaltung des Friedens [. . .] eine wesentliche Rolle“ spielen, und den Kirchenleitungen, die, wie das sächsische Landeskirchenamt, „eine misstrauische, ja zum Teil sogar feindliche Haltung gegenüber dem Staat“ einnähmen. Als staatliche Handlungslinie empfahl die Darstellung, „durch unsere strenge Durchführung der demokratischen Gesetzlichkeit ihre der demokratischen Ordnung feindlichen Argumente zu zerschlagen“23. Dies war vor allem als Kritik an denjenigen Staatsstellen zu verstehen, die aus antikirchlichem Übereifer gesetzliche Regelungen verletzten. Laut der Analyse handelte es sich um Staatsleistungen und die Zulassung kirchlicher Kindergärten, die nach SMAD-Befehl
20 Beschlussvorlage der Abteilung Informationskontrolle vom 20. August 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 4037). Von den fünf abzuliefernden Exemplaren verblieben zwei beim Amt, je eines erhielt der Landrat, der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung und der Leiter der Kreisdienststelle des MfS. Vgl. Arbeitsrichtlinien für die Kreisbeauftragten des Amtes für Information im Lande Sachsen zur Erstellung von Informationsberichten vom 31. Juli 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 4037). 21 Bericht über die kirchliche Lage im Lande Sachsen, o. D. (STAL, RdB 21106). 22 EBD. 23 EBD.
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225 zu gewähren waren24. Durch diese „legalistische“ Politik versuchte die Abteilung, den mühsam aufgenommenen Gesprächsfaden mit der sächsischen Landeskirche aufrecht zu erhalten. Auch sollten die Landräte und Bürgermeister angesprochen werden, „damit diese einen engeren Kontakt mit den Geistlichen ihres Kreises herstellen und durch kleine Gefälligkeiten die Geistlichen für unsere Entwicklung aufgeschlossen machen“25. Zu den problematischen Arbeitsfeldern, die der Bericht besonders häufig mit Beispielen aus Leipzig unterfütterte, gehörten das Verhalten einzelner Pfarrer sowie der Bereich Schule und „Junge Gemeinde“. Im Problemfeld „Kirche und Schule“ hob der Bericht zwar hervor, dass die Kirchen bemüht seien, den außerhalb der Schule abgehaltenen Religionsunterricht mit dem Schulbetrieb eng zu verknüpfen. Doch kritisierte er vor allem den hohen Anteil von bis zu 70 Prozent ehemaligen NSDAP-Mitgliedern unter den Religionslehrern, bei denen, wie der Leipziger Stadtschulrat berichtet habe, „keinerlei Aufgeschlossenheit für unsere demokratische Schulreform festzustellen“ sei. Die aus derselben Zeit stammende „Analyse über die Kirchenarbeit“, die augenscheinlich auf die sächsische SED-Landesleitung zurückging, basierte in ihrem Datenmaterial auf dem Bericht der Hauptabteilung26. Ihrer Anlage nach dürfte sie als Instruktionsmaterial der Landesleitung für die in den zu bildenden Bezirken tätigen Genossen gedient haben. Der analytische Teil, an den sich Empfehlungen zur politischen Taktik anschlossen, war sehr stark von machtpolitischen Erwägungen geprägt und setzte im Wesentlichen die Gleichartigkeit von Partei- und Kirchenstrukturen voraus. So werden der Aufbau, die entscheidenden Personen und der „politische Willensbildungsprozess“ der von der Bekennenden Kirche dominierten Landeskirche ausführlich dargestellt. Nach dem Dafürhalten der Verfasser lief dabei der „Willensbildungsprozeß“ so ähnlich ab wie in der SED: „Politische Richtlinien werden, wenn es erforderlich ist, bei Botschaften, Hirtenbriefen, Abkündigungen usw. über die Pfarrerkonvente oder Ephoral-Konferenzen in der kircheneigenen versteckten Art gegeben“27. Die Superintendenten wurden als „ausnahmslos gesiebte Männer der Bekennenden Kirche“ in völliger Abhängigkeit von der Kirchenleitung charakterisiert28. Der Bericht gelangte zu der Erkenntnis, „dass in den Gemeinden und auch teilweise in den Kreisen in Kirchenfragen den Genossen die richtige Klarheit fehlt, um richtig an die Lösung der Probleme heranzugehen. Zur Zeit ist in sehr wenigen Fällen ein Genosse für die Kirchenarbeit 24 25 26 27 28
Zu Befehl 225 vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 312. Bericht über die kirchliche Lage im Lande Sachsen, o. D. (STAL, RdB 21106). Die Analyse ist gezeichnet von Leu/Oe (STAL, SED-BL, IV/2/14/616, Bl. 25–41). EBD., Bl. 34. EBD., Bl. 36.
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verantwortlich gemacht worden“29. Damit wird ein Topos benannt, der sich häufig in Quellen aus den Anfangsjahren der DDR findet. In der Beurteilung der „Jungen Gemeinde“ fehlte dieser Analyse jegliche politische Schärfe, auch ihre Existenz als solche wurde keineswegs in Frage gestellt30. Vielmehr wurde ihr Erfolg bei den Jugendlichen als Ergebnis der Schwäche der FDJ erklärt. Es wurde vermerkt, dass DDR-kritische Jugendliche in der „Jungen Gemeinde“ verstärkt unterkämen. „Es gibt Einzelne, die aus an sich nicht schlechten Verhältnissen stammen, aber auf Grund ihrer heutigen Lage ihren Halt gerade in der Jungen Gemeinde suchen, die sie als Opposition gegen die heutigen Verhältnisse ansehen“31. In der kirchenpolitischen Taktik setzte die Analyse auf einen langen Atem, keineswegs auf brachiale Durchsetzung von Machtpositionen: „[. . .] und dabei müssen wir von dem Grundsatz ausgehen, dass die Stärke unserer antifaschistischdemokratischen Ordnung eine weitestgehende Toleranz der Kirche gegenüber zulässt“32. Auch wenn diese Analyse selbstverständlich eine sozialistische Betrachtung der Gegenwart voraussetzt, so fallen doch ihr Bemühen um eine sachliche Darstellung und der verhaltene Ton auf. Die oben genannten Berichte und Analysen unterscheiden sich in ihrer Wertung deutlich von den Berichten, die das Dezernat Volksbildung beim Rat des Stadtkreises Leipzig Anfang Januar 1952 an die SKK Leipzig schickte. Die Ausarbeitung zum Thema: „Der Religionsunterricht und die Tätigkeit der Jungen Gemeinde“ konzentrierte sich vor allem auf die Religionslehrer: „In den Grundschulen [haben] wir noch keinerlei Aufgeschlossenheit für unsere demokratische Schulreform gefunden, vielmehr versuchen diese Kräfte immer wieder, einen versteckten und raffinierten Kampf gegen die Schule zu führen“33. Das Volksbildungsdezernat beklagte, dass diese Kräfte durch die Landeskirche unterstützt würden, die in dem „Wort der Synode an Eltern und Erzieher“ offen die materialistische Erziehung an den Schulen kritisiert hatte34. Ein später von demselben Referat erstellter Bericht stellte die Beziehungen zwischen dem Volksbildungsreferat und der „Jungen Gemeinde“ dar. Bemerkenswert war daran der definitorische Zugriff. Der Verfasser subsumierte protestantische und katholische Jugendliche unter dem Begriff 29 EBD., Bl. 36. 30 EBD., Bl. 38 f. 31 EBD., Bl. 39. 32 EBD., Bl. 40. 33 STA L, StVuR (I) 2328, Bl. 166. 34 „Es tritt jetzt auch in amtlichen Verfügungen der Deutschen Demokratischen Republik immer deutlicher zutage, dass in der Schule der dialektische Materialismus nicht nur gelehrt, sondern als Bekenntnis gefordert wird und die Erziehung zum demokratischen Patriotismus auch die Erziehung zum Haß umschließt“. Wort der Evangelisch-lutherischen Landessynode Sachsens vom 19. Oktober 1951 (zitiert nach: G. HEIDTMANN, S. 186 f.).
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„Junge Gemeinde“, während SED-Quellen sich im Allgemeinen ausschließlich auf die evangelischen Jugendgruppen bezogen35. Der Text ging fälschlich davon aus, dass Jugendpfarrer Heinrich Wallmann für die gesamte kirchliche Jugendarbeit zuständig sei, tatsächlich war er es nur für die evangelischen Jugendgruppen. Das Hauptaugenmerk des Berichts lag auf den sozialen Schichten, aus denen sich die „Junge Gemeinde“ rekrutierte. In der im Gegensatz zur FDJ sehr lebendigen „Jungen Gemeinde“ waren vor allem Jugendliche aus „kleineren Privatbetrieben, wie Buchhändlerlehrlinge, Bibliothekarlehrlinge“ erfasst36. Auch wenn es von Seiten der evangelischen Jugendgruppen Beschwerden über eine einseitige ideologische Schulung innerhalb der FDJ gegeben hatte, waren FDJ und „Junge Gemeinde“ personell noch stark verknüpft: „Ein großer Teil der aktiven Mitglieder der Jungen Gemeinde sind Mitglieder und Funktionäre der FDJ“37. Ausführlich ging der Bericht schließlich auf die Situation an der Thomasschule ein, der das Internat des Thomanerchores angeschlossen war, wobei er vor allem die soziale Zusammensetzung kritisierte. Unter 80 Schülern waren nur vier Arbeiterkinder, während der Großteil sich aus dem gehobenen Bürgertum rekrutierte. Diese Darstellung musste bei den entscheidenden Stellen Warnsignale auslösen, denn auch das Amt für Information hatte in einem Bericht vom November 1951 an das Volksbildungsministerium die Zustände an den Leipziger Schulen moniert. Danach hatte die „Junge Gemeinde dort“ eine derartig mächtige Stellung, dass „alle Pioniere, auch die, die nicht konfessionell gebunden sind, [. . .] am Religionsunterricht“ teilnähmen38.
4.2 Die Verbotswelle im Sommer 1952 In der Forschung wird der Sommer 1952 einmütig als eine neue Phase der Auseinandersetzung zwischen SED und „Junger Gemeinde“ definiert. Ursache dafür war der auf der II. Parteikonferenz beschlossene „planmäßige 35 „Die evangelischen und katholischen Kirchen fassen die Jugendlichen nach der Schulentlassung in Jungen Gemeinden zusammen“ (STA L, StVuR [I] 2328, Bl. 169–171). Auf die auch in der Forschung erkennbare Schieflage macht W. TISCHNER, Kirchen, S. 155 aufmerksam. 36 STA L, StVuR (I) 2328, Bl. 169. 37 EBD. 38 Amt für Information an das Ministerium für Volksbildung am 13. November 1951 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 4045). Als Pioniere wurden die Mitglieder der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ im Alter von 6 bis 13 Jahren bezeichnet. Diese Organisation wurde 1947 in Meißen auf dem II. Parlament der FDJ als Kindervereinigung der FDJ gegründet und erhielt 1952 die Bezeichnung „Pionierorganisation Ernst Thälmann“. Vgl. dazu L. ANSORG.
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Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR“. Die Maßnahmen gegen die „Junge Gemeinde“ setzten allerdings schon im Vorfeld der Konferenz ein. Die im Wesentlichen auf Wentker zurückgehende Literatur lässt diese Phase mit Ulbrichts Rede auf dem IV. Parlament der FDJ am 29. Mai 1952 in Leipzig beginnen39, während andere Autoren mit den Auseinandersetzungen um einen Kirchentag der „Jungen Gemeinde“ in dem im Spreewald gelegenen Lübbenau am 14./15. Juni 1952 den Beginn dieser neuen Phase sehen40. Für Mitte Mai hatte die Landeskirche die so genannten „Himmelfahrtstreffen“ der „Jungen Gemeinde“ in Dresden/Moritzburg, Chemnitz und Leipzig angekündigt41. Da diese auf kircheneigenem Gelände stattfanden, benötigten sie keine staatliche Erlaubnis. Wegen der zeitlichen Nähe zum IV. Parlament der FDJ, das Ende Mai 1952 in Leipzig stattfinden sollte, hatte Ministerpräsident Seydewitz die Landeskirche zur Verschiebung der Veranstaltungen gedrängt. Da eine rechtliche Handhabe gegen die kirchlichen Veranstaltungen nicht gegeben war, entschied sich die Polizei dazu, sie zu behindern. Tatsächlich zeigte sich Senf von dieser Blockadehaltung der Polizei keineswegs angetan, da sie die Absprache zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Landeskirchenamt in Frage stellte42. Schließlich wurde die Veranstaltung kurzfristig vom Staatssekretär für Inneres verboten, was auf die fehlende Koordination zwischen Berlin und Dresden verweist. Die bestellten Straßenbahnsonderwagen für den Transport der Teilnehmer von Leipzig zum Veranstaltungsort wurden dementsprechend zurückgezogen43. Darauf stellte es der eingeschaltete Leipziger Oberbürgermeister Uhlich44 Oberlandeskirchenrat Kleemann anheim, sich deswegen an den sächsischen Ministerpräsidenten zu wenden45. Trotz der Behinderungen wurde das Treffen durchgeführt46.
39 H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 104; M. G. GOERNER, Kirche, S. 94. 40 S. RINK, S. 173; G. KÖHLER, S. 83. A. SCHALÜCK, Agentur, S. 178: „Diese Veranstaltung in Lübbenau bildete den Auftakt für die öffentliche Bekämpfung der kirchlichen Jugend zur Durchsetzung des Monopolanspruches der FDJ“. 41 Zum Folgenden vgl. auch C. KOCH, S. 160–163, allerdings nur auf der Basis kirchlicher Akten. Vgl. auch M. GRESCHAT, Reaktionen. 42 EBD. 43 EBD. Vgl. auch E. UEBERSCHÄR, Junge Gemeinde, S. 188. 44 Erich Uhlich war von 1951 bis 1959 Oberbürgermeister von Leipzig. 45 Telegramm Kleemanns an den MP vom 17. Mai 1952 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1266, Bl. 88). Der Wochenbericht der Abteilung „Verbindung zu den Kirchen“ vom 12. bis 17. Mai bestätigte die Intensität der Bemühungen: „Der größte Teil der Woche wurde ausgefüllt mit Besprechungen über die zu treffenden Maßnahmen bei der Durchführung des Treffens der Jungen Gemeinde“ (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1154, Bl. 6). 46 Vgl. den Bericht von Greulich an Senf am 23. Mai 1952 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP, 4050, Bl. 27).
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Ein Bericht des Amtes für Information, das für die Beobachtung kirchlicher Aktivitäten zuständig war, zählte minutiös auf, dass die von 500 FDJ-Mitgliedern in Leipzig als Sternfahrt geplante Gegenveranstaltung zum „Himmelfahrtstreffen“ der „Jungen Gemeinde“ wegen grober organisatorischer Mängel ein völliger Misserfolg gewesen sei. Auch die Veranstaltungen der „Jungen Gemeinde“ in Dresden und Chemnitz waren trotz ähnlicher Behinderungen wie in Leipzig durchgeführt worden. Insgesamt zählte die Landeskirche über 10 000 Teilnehmer47. Schon am Tag danach verlangte Walter Ulbricht vom Landessekretariat Sachsen einen Bericht „über die großen Veranstaltungen, die in den letzten Wochen von der christlichen Organisation ‚Junge Gemeinde‘ in Sachsen durchgeführt wurden, obwohl diese Organisation nicht erlaubt ist und die betreffenden Veranstaltungen auch nicht polizeilich angemeldet waren“48. Als Reaktion auf den Misserfolg in Sachsen wurde die bisherige Linie, einerseits der FDJ mit Hilfe von Staats- und Parteistellen zur Dominanz im Jugendbereich zu verhelfen, andererseits die Arbeit der „Jungen Gemeinde“ mit administrativen Schikanen zu behindern, geändert. Auf dem IV. Parlament der FDJ vom 27. bis 30. Mai 1952, das eine Vorreiterrolle für die II. Parteikonferenz einnahm49, behauptete Ulbricht, dass es „Agenten und Spionen gelungen [sei], in einige Leitungen der FDJ-Gruppen in einigen Fakultäten an Universitäten einzudringen [und] von innen heraus die feindliche Tätigkeit im Auftrage der Westberliner Zentralen durchzuführen“. Dabei stellte er eine Verbindung zwischen diesen Agenten und der „Jungen Gemeinde“ her50. Angesichts der auch von unteren Stellen wiederholt monierten Entscheidungsunsicherheit diente die Zeit bis zur II. Parteikonferenz der Informationsgewinnung51. Auf der II. Parteikonferenz vom 9.–12. Juli 1952 verkündete Ulbricht den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“. Nach der Ablehnung der Stalinnote durch die Westmächte sollten innenpolitisch der Prozess der Sow47 Kleemann an Seydewitz am 28. Mai 1952 (STAL, RdB 20726). 48 Walter Ulbricht an Anton Plenikowski am 19. Mai 1952 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/169); Bericht Wolffs an Ulbricht vom 31. Mai 1952 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/169, Bl. 48–51). 49 H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 104. 50 PROTOKOLL DES IV. PARLAMENTS DER FDJ, S. 238. 51 Am 24. Juni meldete die Landesbehörde der VP an die Hauptverwaltung der VP als Antwort auf eine Anfrage vom 9. des Monats die Namen der Kreisjugendpfarrer (SÄCHSHSTA DRESDEN, Landesbehörde der VP Sachsen 291, Bl. 32 f.) und gab weitere Angaben zu der Größe der „Jungen Gemeinde“ in den einzelnen sächsischen Kreisen. Dieses Schreiben wurde durchschriftlich an die Abt. für Kirchenfragen im ZK weitergegeben (BARCH BERLIN, DY 30 IV 72/14/169, Bl. 163 f.). Die Kreisvertreter des Amtes für Information berichteten über Veranstaltungen der Kirchgemeinden, wobei sie in typisch geheimdienstlicher Manier dort „gegnerische Machenschaften gegen unsere antifaschistisch-demokratische Grundordnung“ feststellten (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 4050).
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jetisierung der Gesellschaft zu einem vorläufigen Abschluss gelangen und die noch vorhandenen wirtschaftlichen und sozialen Überreste einer nichtsozialistischen Gesellschaft beseitigt werden52. Die Kirchen forderte Ulbricht auf, „sich entschieden los[zu]sagen von allen amerikanischen und englischen Agenturen, gleichgültig, ob deren Verbindungsmann Herr Kaiser oder Herr Adenauer ist“53. Auf der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED am 17. Juli wurden kirchliche Ferienlager verboten54. Dieses Verbot wurde von der sächsischen SED-Landesleitung zwei Tage später umgesetzt55. Erst nachdem die SED die Angelegenheit in die Hand genommen hatte, wurden die Behörden vor Ort tätig. Anweisungen des Innenministers vom Juni56 hatten – zumindest was die Durchführung von kirchlichen Ferienlagern im Rüstzeitheim Sehlis betrifft – keine Wirkung gezeigt. Da aber die von der SED zur Begründung des Verbots herangezogene 3. Anordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der DDR vom 12. April 195157 keine eindeutige juristische Handhabe bot, zögerte die Polizei in Leipzig, dieses in Sehlis umzusetzen. Denn die kirchlichen Verantwortlichen hatten wiederholt auf die fehlenden gesetzlichen Grundlagen verwiesen und sich geweigert, die Lager aufzulösen58. Die Polizei setzte sich zugleich gegen den Rat des Landkreises Leipzig durch, der die Entfernung nicht grundschulpflichtiger Kinder aus dem Ferienlager ablehnte59. Die Arbeit mit Jugendlichen bis zu 25 Jahren war von nun an nur noch in Räumlichkeiten der Kirchgemeinde möglich60. Das Leipziger Bezirkskirchenamt wandte sich daraufhin an die Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“61. Die Hauptabteilung, die durch 52 K. SCHROEDER, S. 119. 53 Walter Ulbricht: Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der SED (in: PROTOKOLL DER VERHANDLUNGEN DER II. PARTEIKONFERENZ, S. 44). 54 M. G. GOERNER, Kirche, S. 95, Anm. 398. Vgl. dazu E. UEBERSCHÄR, Atem, S. 174. 55 STAL, SED-BL IV/2/3/339, Bl. 21. 56 Am 4. Juni war eine derartige Weisung des Staatssekretärs im Innenministerium, Hans Warnke, an den Chef der HVDVP ergangen (H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 106). 57 Gesetzblatt der DDR 1951, Nr. 44, S. 281. Bei H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 106, Anm. 65, fälschlicherweise 1952. 58 Vgl. den Aktenvermerk vom 23. Juli 1952 (BKA LEIPZIG, 102). 59 VPKA Abtl. PM an den Chef der BDVP Leipzig am 15. April 1953 (STAL, BDVP 24/158, Bl. 30). Die Volkspolizei argumentierte, dass es sich bei den Veranstaltungen in Sehlis nicht um Rüstzeiten, sondern um Freizeitgestaltung handele. 60 Der Ev.-luth. Kirchgemeindeverband an die Leipziger Pfarrämter und die Verantwortlichen der kirchlichen Werke am 25. Juli 1952 (BKA LEIPZIG, 102). 61 Lt. Kirchenamtsrat Dr. Hauffe am 15. August 1952: Ev. Tagesheim in Sehlis (BKA LEIPZIG, 102), müssen die Kontakte Anfang August 1952 stattgefunden haben. Ein Gespräch zwischen Hauffe und dem Hauptreferenten Dieter Bernhard – bei Hauffe fälschlich Bernhardt – fand am 13. August statt (zu Bernhard vgl. A. SCHALÜCK, Agentur, S. 78–83). Bernhard flüchtete am 19. Januar 1953 nach Westberlin.
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Unbedenklichkeitserklärungen einzelne kirchliche Veranstaltungen gegen den Widerstand der Volkspolizei ermöglichen konnte62, musste ihre schwache kirchenpolitische Stellung gegenüber den Leipziger Stellen eingestehen: „Die Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen wisse selbst nicht, auf Grund welcher Rechtsvorschriften die Polizei die Rüstzeiten verbiete. Sie halte das Verbot so lange nicht für berechtigt, als nicht die Polizei die gesetzliche Grundlage für das Verbot angeben könnte“63. Selbst die Polizei musste im Nachhinein dieses Manko einräumen: „Rechtlich begründete Einwendungen konnten der Kirche damals nach Rücksprache mit Berlin nicht zugeleitet werden“64. Das Problem war hingegen mit dem Ende der Sommerferien faktisch zugunsten der Polizei gelöst.
4.3 Kirchenpolitik in Zeiten der administrativen Umstrukturierung Für die SED stellte sich das strukturelle Problem, auf einer ungenügenden Informationsgrundlage in einer Zeit staatlichen Umbruchs die Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ losgetreten zu haben. Mit der Auflösung der Länder Ende Juli 1952 wurde sowohl eine Umstrukturierung der SEDGremien als auch die Einrichtung der Räte der Bezirke notwendig65. Hierzu musste neues Personal rekrutiert und geschult werden. Die den SED-Kadern zu verdeutlichende politische Linie orientierte sich an der von Willi Barth erstellten „Analyse über die Politik der Kirchen in der Deutschen Demokratischen Politik“ vom 22. Juli 195266. In den Blickwinkel der SED waren vor allem die Kirchenleitungen geraten: „Den Kräften des Imperialismus ist in der Deutschen Demokratischen Republik keine legale Organisation verblieben. Sie versuchen daher in zunehmendem Maße, die reaktionären Leitungen der Kirchen als Werkzeuge zur Durchsetzung ihrer Politik zu benutzen“67. Hinsichtlich der „Jungen Gemeinde“ gelangte die Analyse zu dem Ergebnis, dass sie „mehr und mehr den Charakter einer konfessionellen Jugendorganisation annimmt“68. Eine Vor62 EBD., S. 180. Das Bezirkskirchenamt hatte Kenntnis von einer Genehmigung für die Landeskirchliche Gemeinschaft bekommen und ihre Eingabe an die Hauptabteilung darauf gestützt. 63 Kirchenamtsrat Dr. Hauffe am 15. August 1952: Ev. Tagesheim in Sehlis (BKA LEIPZIG, 102). 64 VPKA Abtl. PM an den Chef der BDVP Leipzig am 15. April 1953 (STAL, BDVP 24/158, Bl. 30). 65 Zur Auflösung der Länder mit Schwerpunkt Sachsen vgl. A. THÜSING, S. 353–376. 66 Abgedruckt in: F. HARTWEG, SED und Kirche, Dok. 18, S. 65–72. Vgl. dazu M. G. GOERNER, Kirche, S. 85 f. 67 F. HARTWEG, SED und Kirche, S. 66. 68 EBD., S. 68.
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lage, die das Verbot der „Jungen Gemeinde“ noch für das Jahr 1952 vorsah, wurde allerdings Ende September 1952 zurückgestellt69. Ein undatierter Entwurf der Abteilung Staatliche Organe der SED-Bezirksleitung Leipzig aus dem Oktober/November 1952 zeigt, dass die SED im Kirchenbereich ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt hatte. Die Bezirksleitung monierte, dass „die Partei sich nicht, zumindest nur ungenügend, mit dieser Frage insbesondere aber der Arbeit der Kirche und der Jungen Gemeinde beschäftigt“70. Sie rief dazu auf, „auch in den Kreisleitungen einen Genossen der Abt. Staatliche Organe mit der Kirchenarbeit zu beauftragen“71. Dieser erhielt ein umfangreiches Arbeitsprogramm: Er sollte sich einen Überblick über die im Kreis tätigen evangelischen und katholischen Pfarrer, Katecheten und Kirchgemeinderäte verschaffen und Kenntnis sämtlicher von den Kirchen durchgeführter Veranstaltungen haben. Der Schwerpunkt der Arbeit lag aber vor allem auf der „Jungen Gemeinde“. Für die entsprechende Stelle im Rat des Bezirkes Leipzig war der Leiter der Abteilung „Verbindung zu den Kirchen“ in der Kanzlei des Ministerpräsidenten, Rudolf Senf, vorgesehen. Mitte August verabschiedete er sich vom Landeskirchenamt mit der Nachricht, er selbst „werde ab 16. August 1952 das Referat für Kirchenfragen in [seiner] Heimatstadt Leipzig übernehmen, sodass wir auch weiterhin im Bezirksmaßstab in Verbindung bleiben“72. Die Planstelle für „Kirchenfragen und Druckgenehmigung“ im Referat Kultfragen nahm jedoch das SED-Mitglied Gollert ein73. Kirchliche Stellen gelangten schon im September 1952 zu der Einschätzung, dass „die jetzt durchgeführte Dezentralisation im Gebiete der DDR [. . .] praktisch eine viel größere Zentralisation als bisher“ mit sich bringe74. Sie gingen davon aus, dass mit der Zentralisation Nuschkes Hauptabteilung 69 M. G. GOERNER, Kirche, S. 95 f. 70 Ullmann und Jacob an die SED-Kreisleitung, Abt. Staatliche Organe, undatierter Entwurf (STAL, SED-BL IV/2/14/637, Bl. 18 f.). 71 EBD. 72 Senf an das Landeskirchenamt (LKA DRESDEN, 2, 131, Bl. 87). Die – wohlwollende – Antwort Kottes vom 21. August 1952 EBD., Bl. 88. 73 Stellenplan vom 3. Oktober 1952 (STAL, RdB 3475, Bl. 6). Laut der Überleitungsvorschrift des DDR-Innenministeriums sollten die bei den Ministerien der Länder vorhandenen Unterlagen nicht aufgeteilt, sondern von der Bezirksverwaltung übernommen werden, welche sich am Sitz der ehemaligen Landesregierung befand. Es ist anzunehmen, dass Senf die Akten der von ihm geleiteten Abteilung nach Leipzig mitgenommen hat, die Entscheidung, Gollert mit der Aufgabe zu betreuen, also erst im September/Oktober 1952 gefallen ist (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1369, Bl. 1). 74 „Die Verbindungsstellen zur Kirche bei den Bezirksräten sind selbständig und haben doch weniger zu bestimmen und zu sagen, als die bisherigen Verbindungsstellen bei den Landesregierungen. Aussteller [unleserlich] an Kotte, Kandler und Knospe“ (LKA DRESDEN, 2, 1018 Bd. 1/2, Bl. 4).
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an Einfluss gewinnen werde. Auch die Kirche musste ihre Administration auf die neuen Verhältnisse umstellen. Das Landeskirchenamt legte im Oktober 1952 seine grundsätzliche Kompetenz für den Verkehr mit den Bezirksräten fest. Nachgeordnete Dienststellen sollten Kontakt zu staatlichen Stellen nur auf Grund besonderen Auftrages aufnehmen75. Am 18. November 1952 trafen sich die Referenten für Kirchenfragen bei den Bezirksräten zum ersten Mal und erhielten von Bruno Wolff, dem Leiter des Referats für Kirchenfragen im ZK der SED, ihre Arbeitsinstruktionen. Vom Bezirk Leipzig nahmen von der SED-Bezirksleitung Fritz Jacob und der Referent für Kirchenfragen Gollert teil76. Der größte Teil der Veranstaltung diente dazu, den Referenten die Sicht der Partei auf das Phänomen Kirche zu vermitteln. Die Angriffe gegen die Kirchen, weniger gegen die katholische als die evangelische, kulminierten in dem Satz: „In der DDR ist die Ev. Kirche als Agentur des amerikanischen Imperialismus zu betrachten“77. Die Referenten wurden nun aufgerufen, sich Informationen zu beschaffen. Der hohe Anteil der kirchengebundenen Parteimitglieder – der Bericht nannte einen Anteil von 70 – 80 Prozent – sowie der am Religionsunterricht teilnehmenden Kinder sollte auf die Dauer gesenkt werden. Im Zentrum der Bemühungen standen aber die Geistlichen, vor allem die Kirchenleitungen, denen künftig durch entgegenkommendes Verhalten „in allen Fragen des täglichen Lebens“ zu begegnen sei. Da Pfarrer finanziell relativ schwach gestellt waren, waren die „positiven Kräfte“ unter ihnen „diskret“ zu unterstützen. Als ein Weg, Pfarrer und kirchlich gebundene Bevölkerung für die Politik der DDR zu gewinnen, wurde die Friedensthematik vorgeschlagen. Organisatorisch war die Arbeit der Referenten durch monatliche Arbeitsbesprechungen und die Bildung einer Kommission auf Bezirksebene, an der die SED, der Rat des Bezirkes und die meisten Massenorganisationen beteiligt sein sollten, zu verstetigen. Angesichts der schmalen Personalbasis stellte dieses – insgesamt doch recht allgemein und vage gehaltene – Arbeitsprogramm eine Überforderung der zumeist wenig erfahrenen Referenten dar. Auch vermisst man eine klare Arbeitsteilung zwischen der Partei und dem Rat des Bezirkes. Während die Instruktionen für die Referenten des Rates des Bezirkes eine längerfristige Perspektive voraussetzten, zielte die oben behandelte Weisung an die SED-Kreisleitungen in erster Linie auf die aktuelle politische Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ ab. Die bis Jahresende angefertigten Berichte über die Arbeit der SED und des Staatsapparates in Kirchenfragen zeigten, dass mit der Bildung der Länder starke Reibungsverluste eingetreten waren. Besonders innerhalb des 75 Verkehr mit den Bezirksräten, 2. Oktober 1952 (BKA LEIPZIG, A 97). 76 Der Bericht von Gollert und Jacob in: STAL, RdB 21105. 77 EBD.
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SED-Apparates konnte das vorgesehene Arbeitspensum nicht eingehalten werden. Der von der Abteilung Staatliche Verwaltung geforderte Bericht über die „Junge Gemeinde“ wurde nicht erstellt. Am 3. Dezember 1952 schrieb Wolff an vier SED-Bezirksleitungen, darunter die Leipziger, und monierte, „dass in den Bezirken z. T. der Arbeit des Sektors Kirchen nicht die Aufmerksamkeit zugewandt wird, die gerade unsere Arbeit braucht“78. Die Arbeit des Referenten beim Rat des Bezirkes war dadurch erheblich behindert. Auch in der FDJ und der Polizei war die Lage in der zweiten Hälfte des Jahres 1952 keineswegs entspannt. Die Jugendorganisation, deren Zentralrat am 25. Juli mit der Bestätigung der Vorlage „Schlussfolgerungen aus dem Bericht über die Tätigkeit der ‚Jungen Gemeinde‘“ den Kurs der II. Parteikonferenz umgesetzt hatte, musste ihre Überforderung eingestehen. Ein Informationsbericht der sächsischen FDJ-Landesleitung vom Juli 1952 konstatierte starke Zugewinne der „Jungen Gemeinde“, besonders an Oberschulen, „wo der Pazifismus von ihnen am stärksten verbreitet wird. Neben einem großen Teil pazifistischer Diskussionen treten ebenfalls Diskussionen auf, die sich offen gegen die Entwicklung unserer Deutschen Demokratischen Republik richten“79. Besorgt wurde auf das Bemühen der „Jungen Gemeinde“ verwiesen, „sich zu festigen und in unsere Organisation einzudringen“80. In einer Besprechung Ulbrichts mit den Ersten Sekretären der SED-Bezirksleitungen am 5. November wurde angeordnet, für die Volkspolizei keine FDJ-Funktionäre abzuziehen, „denn wir können es uns nicht mehr leisten, dass ganze FDJ-Gruppen zerfallen und die christliche Jugend die Führung der Jugend übernimmt“81. Auch die Leipziger Bezirksdirektion der Volkspolizei musste eingestehen, die von ihr geforderten Informationen über die Kirchen nicht liefern zu können82. Allerdings gelang es der Volkspolizei, dieses Manko relativ schnell auszugleichen. Schon ein Vierteljahr später meldete sie an die Hauptverwaltung, „dass die Arbeit der VPKAE auf diesem Gebiet gegenüber dem vergangenen Quartal eine Verbesserung erfahren hat“83. Die politische Bewertung der evangelischen Kirche ent78 BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/41. 79 FDJ-Landesleitung, Abt. Verbandsorgane: Informationsbericht über die Arbeit der Kirche, insbesondere der Jungen Gemeinde vom 15. Juli 1952 (STAL, SED-BL IV/2/14/637, Bl. 10). 80 EBD. 81 „Bericht über die Beratung der Chefredakteure und 1. Sekretäre mit dem Gen. Walter Ulbricht am 5. November 1952“ (STAL, SED-BL IV/2/3/336, Bl. 31). 82 Vgl. den Quartalsbericht zum III. Quartal 1952 am 8. Oktober 1952 (STAL, BDVP 155, Bl. 3). 83 BDVP, Quartalsbericht zum IV. Quartal 1952 am 30. Dezember 1952 (STAL, BDVP 155, Bl. 12).
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sprach dabei der Sicht von Sicherheitsorganen. Die evangelischen Pfarrer wurden beschuldigt, unter Ausnutzung der ihnen verfassungsmäßig zustehenden Rechte „eine mehr oder weniger versteckte Hetze gegen die fortschrittlichen Maßnahmen unserer Regierung“ zu betreiben84. Während die Volkspolizei jedoch die Zusammenarbeit mit dem Referenten für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes als „besonders fruchtbringend“ hervorhob, war sie gegenüber Partei und FDJ schonungslos kritisch: „Die Unterstützung von Seiten der Partei und im besonderen Maße der FDJ sind, wenn auch schon etwas besser, so aber doch in den Volkspolizeikreisämtern noch immer mangelhaft. Sie sehen wohl die Wichtigkeit ein, doch fehlt es an Bereitwilligkeit, eine Aufgabe zu übernehmen. Nur eine beharrliche Überzeugungsarbeit kann hier eine Besserung herbeiführen“85.
4.4 Die CDU und die „Junge Gemeinde“ Auch der CDU gelang es nicht, die angestrebte Effektivität in Kirchenfragen zu erreichen. Auf dem VI. Parteitag im Oktober 1952 erhob sie den Anspruch, „die führende, anleitende und helfende Kraft der christlichen Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik“86 zu sein. Um ihre Aufgabe der Integration der christlichen Bevölkerung in den Staatsaufbau erfüllen zu können, musste die CDU auf diesem Gebiet Erfolge vorweisen, ohne den Führungsanspruch der SED in Frage zu stellen, wenngleich dieses Ziel in einer Zeit zunehmender Spannungen im Staat-Kirche-Verhältnis kaum zu erreichen war87. Hinzu kam, dass das in der CDU herrschende Organisationschaos infolge der Umstrukturierung auf die neu eingerichteten Bezirke sich auch im kirchenpolitischen Apparat deutlich bemerkbar machte. Zuerst war die Abteilung für Kirchenfragen, die als Koordinierungsinstanz für die Kirchenpolitik der Partei fungierte, der Hauptabteilung für ideologische Arbeit unterstellt, bevor sie, 1952 aufgewertet zum Hauptreferat, dem SED-nahen Generalsekretär Gerald Götting direkt zugeordnet wurde. Ihre Leitung wechselte allein von Oktober 1952 bis Frühjahr 1953 drei Mal88. Zu ihren Aufgaben zählten die Erstellung einer Pfarrerkartei 84 EBD. 85 EBD. 86 Entschließung des VI. Parteitages (abgedruckt in: S. SUCKUT, Wandel, Dok. 80, S. 170–173, Zitat S. 173). Zum VI. Parteitag vgl. M. RICHTER, Ost-CDU, S. 332–334. 87 H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus, S. 350 f. 88 Von Oktober bis August 1952 hatte Willi Leisner die Position inne. Er stellte sein Amt wegen Differenzen um den kirchenpolitischen Kurs Ende August 1952 zur Verfügung. Seine Nachfolge trat Kurt Alisch im November 1952 an, der aber schon im Februar 1953 durch
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und Vorarbeiten für einen Vertrag zwischen Staat und Kirche. Außerdem koordinierte sie die Arbeit auf Bezirks- und Kreisebene. Unterstützt wurde die Hauptabteilung durch die „Arbeitsgemeinschaft für Kirchenfragen“, die sich wahrscheinlich im Sommer 1952 konstituiert hatte. Dieses Beratungsgremium, bestehend aus CDU-Funktionären, Pfarrern und Synodalen, sollte grundsätzliche Probleme im Verhältnis Staat – Kirche beraten89. Am 25. September 1952 regte die Parteileitung die Bezirksverbände an, auf ihrer Ebene ebenfalls Arbeitsgemeinschaften einzurichten, ein Vorschlag, der allerdings nur auf geringe innerparteiliche Resonanz stieß. Diese Gremien sollten laut einem Beschluss der Parteileitung vom Februar 1953 jeweils dem Ersten Bezirksvorsitzenden zugeordnet sein, der für die CDUKirchenpolitik im Bezirk verantwortlich zeichnete90. Auch auf Kreisebene war der Vorsitzende zusammen mit einem Angehörigen des Kreisvorstandes für Kirchenfragen verantwortlich91. Die – allerdings bescheidene – Quellenlage lässt für Leipzig darauf schließen, dass die Bearbeitung von Kirchenfragen dort keine Priorität besaß92. So berichtete der Landesverband Sachsen im Mai 1952, dass die Pfarrergespräche, das zentrale kirchenpolitische Arbeitsfeld der CDU-Politiker vor Ort, in den Hintergrund getreten seien93. Auch in den Kreisverbänden, so ein Planbericht vom September 1952, waren Gespräche nur in „Einzelfällen“ geführt worden, wohl weil die Pfarrer ihre Instrumentalisierung befürch-
den 23-jährigen Günther Wirth, „einen treuen Gefolgsmann“ [Göttings, G. W.], der sich in der Konfrontation mit der evangelischen Kirche 1952/53 glänzend bewährte (H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus, S. 353), ersetzt wurde. 89 Die Arbeitsgemeinschaft stellte allerdings schon nach drei Sitzungen Ende 1952 ihre Arbeit ein. Sie trat vor allem durch eine Entschließung auf dem VI. Parteitag an die Öffentlichkeit, in der sie für die Unterstützung der staatlichen Politik durch die großen Religionsgemeinschaften warb, gleichzeitig jedoch auch das Wächteramt der Kirche anerkannte (vgl. A. SCHALÜCK, Strukturen, S. 76–80). 90 EBD., S. 83. Noch Ende Juli 1952 hatte das Erweiterte Sekretariat beschlossen, die Stelle eines Referenten für Kirchenfragen bei den CDU-Bezirkssekretariaten einzurichten (EBD., Anm. 80). 91 EBD., S. 71. Einige Kreisverbände hatten von sich aus Arbeitsgemeinschaften für Kirchenfragen eingerichtet, die auf Initiative Alischs aber aufgelöst werden sollten. Alisch an Götting am 14. Januar 1953 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–3041). 92 Die Akten des CDU-Kreisverbandes Leipzig sind nicht mehr vorhanden. Es gibt auch keine Überlieferung für kirchenrelevante Themen auf Bezirksebene. Die Arbeit stützt sich deshalb vor allem auf Materialien aus der CDU-Zentrale in Berlin. 93 Planbericht des Landesverbandes Sachsen für den Monat Mai 1952 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1747). Da die Funktionäre auf Bezirks- und Kreisebene nicht geschult waren, stellte sich der erhoffte Erfolg nicht ein. So konstatierte Götting auf der Sitzung des Hauptvorstandes am 4. Dezember 1952: „Wir haben in der Vergangenheit bereits oft auf die Notwendigkeit der Gespräche mit Pfarrern hingewiesen, ohne dass wir dann in der Praxis wirklich die Methoden gefunden hätten, wie das zu tun ist“ (zitiert nach A. SCHALÜCK, Strukturen, S. 78).
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teten: „Man kann feststellen, dass es grundsätzlich alle Pfarrer ablehnen, persönliche Stellungnahmen für die Veröffentlichung in der Presse abzugeben, obwohl sie unserer Arbeit durchaus interessiert und bejahend gegenüberstehen“94. Die letzte Behauptung dürfte wohl eher dem Wunschdenken des Verfassers als der Realität entsprungen sein. Dazu kam, dass die CDU-Mitglieder den Theologen häufig intellektuell unterlegen waren. Anfang 1953 stellte Kurt Alisch, der Leiter des Hauptreferats Kirchenfragen, Pfarrergespräche deswegen generell zur Disposition: „Es ist überhaupt die Frage, ob es tunlich ist, dass Unionsfreunde, die der Dialektik der Theologen nicht gewachsen sind, Gespräche führen“95. Ähnlich ernüchternd klang der Bericht des Leipziger Bezirksverbandes über die Verbindung zur „Jungen Gemeinde“: „Die Mitglieder der Jungen Gemeinde werden durch den Einfluss der verantwortlichen Jugendpfarrer vornehmlich auf Einwirkung der Landeskirchenleitung sehr stark von der Verbindung zu uns zurückgehalten“96. Nur in zwei von zehn Kreisverbänden im Bezirk bestehe überhaupt eine Verbindung der CDU zur kirchlichen Jugend. Die Ablehnung wurde unter anderem auf die Linie des Leipziger Jugendpfarrers Wallmann zurückgeführt, sich jeder Zusammenarbeit mit der CDU zu verweigern97. Der Bericht bestätigt ferner das Bild von einer wenig attraktiven FDJ in Leipzig: „Man kann auch im Hinblick auf die Junge Gemeinde feststellen, dass der größte Teil der Jugendlichen in den religiösen Gemeinschaften gleichzeitig Mitglied der FDJ ist. Die FDJ versteht es aber nicht, diese Jugendlichen zur Mitarbeit und zum Mitgehen im politischen Raum zu gewinnen, da sie in der Menschenführung immer wieder erhebliche Schwächen zeigt“98.
Bemerkenswert an dem Bericht des Leipziger Bezirksverbands war außerdem, dass der Bezirksverband mit keinem Wort die Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ aufnahm, sondern sachlich blieb. Die antikirchliche Linie, wie sie die Parteileitung vertrat, war noch nicht bis auf die untere Ebene durchgesetzt worden99. Für die strikte Ablehnung der Blockpartei innerhalb der kirchlich gebundenen Jugend dürfte einerseits grundsätzlich die Bewertung der CDU 94 Bezirksverband Leipzig. Auszug aus dem Planbericht 1952. Teil B (ACDP ST. AUGUVII-013–1747). 95 Aktenvermerks Alischs für Götting am 14. Januar 1953 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII013–3041). 96 Bezirksverband Leipzig an die Parteileitung am 19. Dezember 1952 (ADCP ST. AUGUSTIN, VII-013–3041). 97 EBD. 98 EBD. 99 H. WENTKER, Ost-CDU und Junge Gemeinde, S. 99 f.; A. SCHALÜCK, Strukturen, S. 84 f. STIN,
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als „Informationsbeschaffungs- und Beeinflussungsinstrument der SED“100, andererseits deren Anpassung an den SED-Kurs gegen die „Junge Gemeinde“ nach der II. Parteikonferenz verantwortlich sein. Unter dem Einfluss Günter Wirths, der seit 1950 Mitarbeiter im Jugendreferat war, war die CDU weitgehend auf die SED-Linie eingeschwenkt101. Durch diesen Kurs brachte sie sich – wie im Bezirk Leipzig deutlich zu sehen war – um jeden Einfluss auf die evangelische Jugend. Für das Jahresende 1952 dürfte die Einschätzung des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Georg Dertinger die kirchenpolitische Lage passend zusammenfassen: „Ich glaube, unsere Arbeit auf diesem Gebiet war sehr mangelhaft, und zwar sowohl auf der Kreis- und Ortsgruppenebene, aber auch höheren Orts, in den Kirchenleitungen, die für die Gestaltung der kirchlichen Lebens in letzter Instanz ausschlaggebend sind“102.
4.5 Neue Initiativen der SED im Herbst 1952 Die nächste Phase der Verfolgung setzte im November 1952 mit einer Rede des FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker vor dem Zentralkomitee der SED ein, in der er den weiterhin großen Einfluss der „Jungen Gemeinde“ kritisierte und dazu aufrief, dass „Schüler, die nachweisbar die Jugendlichen über den wahren Charakter der von ihnen geschaffenen feindlichen Verbindungen täuschen, die Verbindungen zu faschistischen Gruppen in Westdeutschland und Westberlin haben, sowie solche, die andere Jugendliche zu kriegshetzerischer Tätigkeit verleiten, nicht nur aus der FDJ, sondern auch von den Oberschulen entfernt werden“103.
Auf Beschluss des Sekretariats des ZK der SED wurde eine Kommission eingesetzt, die eine Vorlage „über die Tätigkeit der so genannten ‚Jungen Gemeinde‘ mit entsprechenden Maßnahmen“ erstellten sollte. Ihr gehörte auch Siegfried Wagner, Sekretär für Kultur der Leipziger SED-Bezirksleitung, an104. Eine Analyse der Abteilung „Leitende Organe der Partei“ 100 M. RICHTER, Ost-CDU, S. 329. Auch M. G. GOERNER, Kirche, S. 196, rechnet den kirchenpolitischen Apparat der CDU – wenn auch erst ab Mitte der 50er Jahre – „zum kirchenpolitischen Instrumentarium der SED“. 101 H. WENTKER, Kooperation, S. 97. Wirth hatte im August 1952 ein Papier vorgelegt, in dem er die gängigen Vorwürfe gegen die „Junge Gemeinde“ erhob und ihr sogar Verbindungen zu westlichen Agentenzentralen unterstellte (EBD.). 102 Dertinger am 16. Dezember vor dem Politischen Ausschuss der CDU (abgedruckt in: D. HOFFMANN, S. 125). 103 Rede Honeckers auf der 10. Tagung des ZK der SED, 20.–22. November 1952 (in: ND vom 5. Dezember 1952; zitiert nach H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 109 f.). 104 EBD., S. 110.
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vom 16. Dezember kam zu dem für die SED alarmierenden Ergebnis, dass trotz der eingeleiteten Schritte der Anteil der Mitglieder der „Jungen Gemeinde“ an Oberschulen bis zu 70 Prozent betrage105. Am 13. Januar 1953 legte Willi Barth als Mitglied der im November eingesetzten Kommission einen Maßnahmeplan gegen die Tätigkeit der „Jungen Gemeinde“ vor, der die „Einstellung jeglicher Tätigkeit“ und „völlige Liquidierung dieser illegalen Organisation“ vorsah106. Das Ministerium des Innern sollte öffentlich die Gesetzwidrigkeit und Illegalität der „Jungen Gemeinde“ feststellen. Hatte dieses „jede Tätigkeit von Jugendgruppen der Religionsgemeinschaften, die über den Rahmen der in der Verfassung garantierten Religionsausübung hinausgeht [. . .], verboten“107, so war nach Punkt III. c) des endgültigen Entwurfs „jede Tätigkeit der so genannten ‚Jungen Gemeinde‘ [. . .] aufzulösen und zu verbieten, da diese illegal durchgeführt wird“. Dieses Verbot sollte explizit auch auf kircheneigenem Gelände gelten108. Die im Sommer 1952 von den unteren Ebenen angemahnten gesetzlichen Verbesserungen für ein schärferes Vorgehen gegen die evangelische Jugend – siehe z. B. die Auseinandersetzung um das „Himmelfahrtstreffen“ in Leipzig – wurden in die Vorlage aufgenommen. In einem etwas moderateren Ton und inhaltlich gestrafft wurde diese Vorlage ohne Beratung auf der Sitzung des Politbüros am 27. Januar 1953 angenommen109. So wurde das Tragen des Kugelkreuzes, des Bekenntniszeichens der „Jungen Gemeinde“, verboten, und die kirchliche Jugendzeitschrift „Stafette“ musste eingestellt werden. Um die Durchführung dieses Beschlusses zu gewährleisten, sollte auf zentraler Ebene eine Kommission unter dem Vorsitz Erich Honeckers eingerichtet werden. Auf Bezirks- und Kreisebene waren ebenfalls Kommissionen zu bilden, die „nach dem Be105 Analyse der Abteilung Leitende Organe der Partei und der Massenorganisationen des ZK der SED vom 16. Dezember 1952 (abgedruckt in: F. HARTWEG, SED und Kirche, Dok. 21, S. 80–82, hier S. 80). Ulbricht vermerkte auf der Mitteilung: „Im Sekretariat behandeln“. 106 Vorlage für einen Sekretariatsbeschluss von der Abteilung Staatliche Verwaltung des ZK vom 13. Januar 1953: Maßnahmen gegen die Tätigkeit der „Jungen Gemeinde“ (abgedruckt in: EBD., Dok. 22, S. 82–88, hier S. 86 [Punkt III]). Er basierte größtenteils auf einem „Vorlage-Entwurf über Jugendgruppen von Religionsgemeinschaften“ vom 29. Dezember 1952, den Wolff am 31. Dezember Siegfried Wagner zugesandt hatte (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/169, Bl. 175). Im Vorlage-Entwurf war die Formulierung „Liquidierung dieser illegalen Organisation“ noch nicht aufgetaucht. 107 Vorlage-Entwurf über Jugendgruppen von Religionsgemeinschaften, Punkt III, S. 6. 108 Punkt III. f) der Vorlage. Als weitere Maßnahmen waren die Auflösung der Jugendkammer-Ost beim Rat der EKD sowie der Landesjugendkammern und Landesarbeitskreise für Jungen, Jungmänner- und Jungmädchenarbeit vorgesehen. 109 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung (abgedruckt in: F. HARTWEG, SED und Kirche, Dok. 23, S. 88–91).
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schluss des Politbüros und dem Plan der zentralen Kommission“ arbeiten sollten110. Die Umsetzung der entsprechenden Anordnungen im Bezirk Leipzig soll im Folgenden aus der Perspektive der SED-Bezirksleitung dargestellt werden. Neben der Informationsgewinnung war sie vor allem damit beschäftigt, die FDJ-Arbeit und die Aktionen an den Oberschulen zu koordinieren. In seinem Bericht vom 2. Februar 1953 gab der Instrukteur für Kirchenfragen bei der SED-Bezirksleitung, Jacob, zum ersten Mal umfassend Auskunft über die Lage der Kirchen im Bezirk Leipzig111. Zu den wenigen Neuigkeiten, die der Bericht bieten konnte, gehörte eine Aufstellung über die Gruppen der „Jungen Gemeinde“ im Bezirk. 256 evangelischen Gruppen mit 9.320 Mitgliedern standen 38 katholische mit 1.314 Mitgliedern gegenüber. In Leipzig waren die 70 Gruppen mit über 63 Mitgliedern durchschnittlich fast doppelt so groß wie in den Landkreisen (36 Mitglieder). Insgesamt fast 4 500 evangelische Mitglieder der Jungen Gemeinde zählte der Bericht, dagegen nur 225 katholische112. Der Bericht, der – wie gesagt – weniger durch Neuigkeiten als vielmehr durch die umfassende Zusammenstellung hervorstach, wurde vom ZK als Vorlage für Berichte anderer Bezirke genommen113. Während Jacob in dem Bericht kaum etwas über seine Tätigkeit ausgesagt hatte, war die Arbeit des Referenten beim Bezirk weniger von politischen Floskeln als von präzisen Arbeitsanweisungen dominiert. Am 3. Februar 1953 erhielt er auf der Arbeitstagung der Referenten für Religionsgemeinschaften im Innenministerium genaue Anordnungen, die Arbeit der Kirchen möglichst umfassend zu behindern. So war u. a. bei Druckgenehmigungen für kirchliche Drucksachen „ein strenger Maßstab anzulegen“114. Kaufverträge, die die Kirchen abschließen wollten – es ging vor allem um Grundstücke für Kirchenbauten –, sollten nur in besonders begründeten Fällen genehmigt werden. Bei den Benzinkontingenten sollten „fortschrittliche“ Pfarrer bevorzugt werden. Auch die Bildung einer wöchentlich tagenden Arbeitsgemeinschaft aus Mitgliedern der Partei, der Volkspolizei, der Nationalen Front, des Friedenskomitees, der FDJ und des Rates des Bezirkes – bezeichnenderweise wurde das MfS nicht erwähnt – sollte vorangetrieben werden. 110 Jacob an das ZK, Abt. Staatliche Organe, Sektor Kirchenfragen, 2. Februar 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 36–409). 111 EBD. 112 EBD. 113 So der handschriftliche Vermerk, der wahrscheinlich von Willi Barth stammte: „Ein ausgezeichneter Bericht. [. . .] Wir geben ihn den Genossen am Freitag mit, damit alle Bezirke so einen Bericht machen“. Außerdem sollte der Bericht an Ulbricht, Grotewohl und Axen weitergereicht werden (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/51, Bl. 187). 114 EBD.
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Einen Monat später konnte Gollert schon einige Fortschritte vermelden. Eine Pfarrerkartei war erstellt und die Zusammenarbeit mit Partei, Volkspolizei und Verwaltung deutlich verbessert worden115. Diesen Verbesserungen standen aber nach Gollerts Meinung noch etliche Problempunkte gegenüber. Die personelle Ausstattung in den Kreisen war unbefriedigend. Von den 13 Kreisen des Bezirkes hatten nur neun einen nebenamtlichen Mitarbeiter für kirchliche Angelegenheiten, wobei diese Mitarbeiter darüber hinaus auch kaum geschult waren. Gollert beklagte, dass er aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes seine eigentliche Aufgabe, die Gespräche mit Geistlichen, nicht erfüllen könne, und plädierte auf Bezirksebene für eine zweite und auf Kreisebene für eine feste Planstelle. 4.6 Die Ausweitung der Maßnahmen gegen die „Junge Gemeinde“ Mit dem Beschluss des Politbüros vom 27. Januar 1953 und dem Beginn der Arbeit der von Honecker geleiteten zentralen Kommission am 24. Februar, die einen detaillierten Arbeitsplan festlegte, gelangte die Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ in eine neue Phase. An dieser neuen Kampagne waren die SED-Bezirksleitung, die FDJ und der Instrukteur für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes in unterschiedlicher Weise beteiligt. Die SED-Bezirksleitung erhielt ihre Anweisungen von Berlin und koordinierte die Maßnahmen auf Bezirksebene. Am 6. März 1953 erhielt Jacob den Auftrag, „den Nachweis über die Organisation der ‚Jungen Gemeinde‘ zu führen (Mitgliedskarten, Beitritts- und Austrittserklärungen usw.)“116. In der FDJ begann Anfang März eine „Säuberungsaktion“ an den Schulen. Durch den Umtausch der Mitgliedsausweise sollten die aktiven Glieder der „Jungen Gemeinde“ ausgeschlossen werden117. Eine Woche später erhielt Jacob auf einer Arbeitstagung neue Weisungen aus Berlin. Die Voraussetzungen für die geplante Kampagne schienen nun gegeben, was sich darin zeigte, dass auch Vertreter der Volkspolizei, des „Neuen Deutschland“ und der FDJ an der Tagung teilnahmen118. Das Mi115 Gollert am 4. März 1953: Bericht über die Arbeit des Referates Religionsgemeinschaften und die Situation in kirchlichen Angelegenheiten im Bezirk Leipzig (STAL, RdB 1582, Bl. 83–90). 116 Bericht über die Arbeitstagung der Abteilungsleiter Staatliche Organe und der Instrukteure für Kirchenfragen der Bezirksleitungen beim ZK, Staatliche Verwaltung am 6. März 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/616). 117 FDJ-BL Leipzig, Sekretariat: Bericht über die Arbeit der „Jungen Gemeinde“ an der Thomasschule vom 5. März 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 49–51). Vgl. dazu ausführlich P. SKYBA, S. 233–241. 118 Bericht über die Arbeitstagung der Abt. Staatliche Verwaltung des ZK mit den Instrukteuren für Kirchenfragen der Bezirksleitungen am 13. März 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 69–71).
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nisterium für Staatssicherheit spielte zumindest öffentlich keine entscheidende Rolle. Die „ideologische“ Komponente wurde auf der Arbeitstagung weiter konkretisiert. Nunmehr war die evangelische Kirche in der DDR als „eine organisierte Kraft mit Dibelius an der Spitze, die sich auf die Seite Adenauers stellt“, zu bezeichnen119. Das deutschlandpolitische Element der Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ wurde damit offenbar. Die „Organisation Junge Gemeinde“ avancierte nun in den Augen der SED zur „Hauptwaffe innerhalb der Kirche“. Die Strategie der SED sah jedoch kein offizielles Verbot der „Jungen Gemeinde“ vor. Der Plan zielte darauf ab, Treffen junger Christen, in erster Linie die überregionalen, zu verhindern. Die Arbeit der SED sollte sich in der nächsten Zeit auf die Unterstützung der FDJ, vor allem an den Schulen konzentrieren. Barth exemplifizierte die neue, schärfere Gangart: „Lehrer rausschmeißen bei Opportunismus“120. Auch aus der staatlichen Jugendorganisation sollten Glieder der „Jungen Gemeinde“ ausgeschlossen werden. Schließlich wurden die Instrukteure aufgerufen, die Kampagne auf Bezirksebene mit dem Ersten Sekretär der Bezirksleitung und Vertretern von Volkspolizei, MfS, FDJ und Presse zu koordinieren121. Allerdings musste Jacob in einem Bericht, den er einige Tage später wegen der – durchweg freudigen – kirchlichen Reaktionen auf Stalins Tod erstellte, zugeben, dass „der Nachweis über den Charakter der ‚JG‘ als Organisation“ noch nicht konkret geführt werden könne122. Das Politbüro verstärkte nach dem Tod des sowjetischen Diktators seinen antikirchlichen Kurs und forderte das Staatssekretariat des Innern auf, juristische Schritte gegen Mitglieder der Jungen Gemeinde einzuleiten123. Für die Arbeitstagung der Instrukteure für Kirchenfragen am 20. März übersandte Ulbricht Material mit der Anordnung, dieses „entsprechend dem Beschluss des Politbüros vom 17.3.53“ auszuwerten124. Jacob nahm von dieser Tagung eine klare Anordnung mit nach Hause: „Es gilt, die ‚Junge Gemeinde‘ zu zerschlagen. Administrative Maßnahmen nützen nichts“125. Doch die von der Zentrale vorgegebenen Anordnungen wurden in Leipzig nicht vollständig umgesetzt. In einer Vorlage an das Sekretariat 119 EBD., Bl. 69. 120 EBD. 121 EBD., Bl. 72. 122 SED-BL, Staatliche Organe an das ZK, Staatliche Organe, Abt. Kirchen (STAL, SEDBL IV/2/14/616, Bl. 54–68, hier Bl. 59). Als Beispiele für die „freudige[n] Stimmen über Stalins Tod“ führte Jacob Pf. Bewek (richtig: Lewek) an. „Nikolai-Kirche-Pfarrer Bewek. Gleichnis vom Weinberg, das wie Bewek ausführte, auch heute noch Gültigkeit habe. In diesen Tagen habe der Herr wieder einen bösen Weingärtner bestraft“ (Bl. 57). 123 Protokoll der Politbürositzung vom 17. März 1953 (abgedruckt in: F. HARTWEG, SED und Kirche, Dok. 24, S. 91). 124 H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 113. 125 Bericht über die Arbeitstagung der Abt. Staatliche Verwaltung des ZK mit den Instrukteuren der Bezirksleitungen am 20. März 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 73 f.).
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der Leipziger SED-Bezirksleitung konnte Jacob zwar „mindestens seit dem 6. März 1953 Ansätze einer verbesserten Arbeit auf diesem Gebiet verzeichnen“, aber über die Beobachtung von Gottesdiensten ging die Arbeit in den Kreisleitungen wohl nicht hinaus126. Die Aufforderung, in jeder Kreisleitung ein für Kirchenfragen verantwortliches Parteimitglied zu ernennen, war noch nicht umgesetzt worden. Um eine ähnliche Panne wie im Vorjahr zu verhindern, kündigte Jacob auf Nachfrage des ZK der SED am 30. März umfängliche Schritte an, die dazu dienen sollten, das Ostertreffen der „Jungen Gemeinde“ in Sehlis zu verhindern127. Diese Maßnahmen entsprachen dem Plan der FDJ-Bezirksleitung „zur Entfaltung eines frohen Jugendlebens“, der mit der SED-Bezirksleitung abgesprochen war128. Im Vergleich zur FDJ ging die Volkspolizei mit größerer Professionalität und eigener Initiative an die Auseinandersetzung mit der „Jungen Gemeinde“ heran. Sie leitete umfassende Maßnahmen ein, um Veranstaltungen der „Jungen Gemeinde“ zu verhindern. Eine Weisung vom 11. April sah beispielsweise die Abnahme der Plakattafeln und Schaukästen der „Jungen Gemeinde“ bis 15. April vor129. Zugleich übermittelte die Polizei relevante Erkenntnisse an das Ministerium für Staatssicherheit. Eine Analyse des Operationsstabes der BDVP von Anfang Mai 1953 erhielt sogar die völlig abwegige Behauptung, dass die „Junge Gemeinde“ illegale Ausbildungslager unterhalte, wo Jugendliche von ehemaligen HJ-Mitgliedern möglicherweise an Waffen ausgebildet würden130. Die Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ erreichten mit der Auflösung einer Veranstaltung in Sehlis am 12. April 1953 eine neue Eskalationsstufe. Um 0.45 Uhr umstellte VP-Kommandeur Schmidt mit 35 Polizisten das Gelände, auf dem sich 62 Personen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren aufhielten131. Es wurden eine Personenkontrolle vorgenommen und – wie in solchen Fälle üblich – Verstöße gegen Hygienevorschriften und die Meldeordnung festgestellt. Dass in einem Baum eine Puppe, die mit einem Schlafanzug bekleidet war, hing, spielte nur am Rande eine 126 Undatierte Vorlage (STAL, SED-BL IV/2/14/637, Bl. 61–63, hier Bl. 61). 127 Jacob an das ZK, Abt. Staatliche Organe, Sektor Kirchenfragen (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 78). 128 Vgl. den Bericht Jacobs an das Sekretariat vom 31. März 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 82). 129 VPKA Leipzig, Abt. PM an Winkelmann am 15. April 1953 (STAL, BDVP 24/158, Bl. 30). Die Maßnahme war in Absprache mit der SED-Bezirksleitung erfolgt. 130 Analyse des Operativstabes der BDVP Leipzig – Monat April 1953 vom 2. Mai 1953 (BSTU, Lpz Leitung 00004/5, Bl. 20, 31). 131 Lagebericht über eine in der Gemeinde Sehlis durchgeführte Aktion vom 11. April zum 12. April 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/637, Bl. 215–219). Eine Darstellung aus kirchlicher Hand: Stiehl an das Landeskirchenamt am 22. April 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 3, 34a). Zu den Vorgängen vgl. auch C. KAUFMANN, S. 52–56.
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Rolle. Schmidt ordnete die Entlassung des Heimleiters an und ließ das Heim für Übernachtungszwecke schließen. Der „Jungen Gemeinde“ wurde die Benutzung des Heimes generell verboten132. Acht „Rädelsführer“ wurden zur Vernehmung auf das Volkspolizeirevier gebracht, wo sie von Mitarbeitern des MfS verhört wurden133. Diese fragten gezielt nach Struktur und Personal der „Jungen Gemeinde“ und der sozialen Herkunft der verhafteten Gruppenleiter. Anhaltspunkte für eine systematische Organisationsstruktur ließen sich aber nicht aufzeigen. Am 17. April fand auf kirchlichen Wunsch ein Gespräch mit Hans Hugo Winkelmann, dem Leiter der Leipziger Bezirksbehörde der Polizei, statt134. Von kirchlicher Seite nahmen an dem Treffen Superintendent Stiehl, sein Stellvertreter Herz, Jugendpfarrer Wallmann, Oberkirchenrat Dr. Hauffe vom Bezirkskirchenamt und Kirchenrat Held vom Landeskirchenamt teil. Von der Teilnahme des Pfarrers Herz, den die SED als „fortschrittlich“ einstufte, erhoffte sich die Kirche Zugeständnisse der Polizei135. Diese war durch den Polizeichef und eine weitere Person, die sich aber erst nach mehrmaliger Nachfrage als „Polizeiinspekteur Schweizer“ ausgab, also wahrscheinlich dem MfS angehörte, vertreten. Winkelmann eröffnete das Gespräch mit der grundsätzlichen Feststellung, „dass die ‚Junge Gemeinde‘ grundsätzlich eine illegale Organisation ist – sie ist nicht registriert – und somit gegen die Gesetze der DDR verstößt“136. Die Befürchtung der kirchlichen Stellen, das Heim in Sehlis sei beschlagnahmt worden und damit der kirchlichen Verfügung entzogen, konnte Winkelmann entkräften. Hatte das Rüstzeitheim vor allem der „Jungen Gemeinde“ gedient, so war nun mit der Anordnung, dass lediglich noch Personen über 25 Jahre das Haus benutzen dürften, eine zweckmäßige Verwendung nicht mehr gegeben. Veranstaltungen waren nur noch bis 18 Uhr erlaubt. Die kirchlichen Vertreter ließen sich von Winkelmanns Vorgehen nicht einschüchtern und erklärten ihm gegenüber den Erfolg der „Jungen Gemeinde“ mit dem Druck, der von der „materialistischen Weltanschauungsschule“ ausgehe137. 132 EBD. 133 [MfS] BV Leipzig, Abt. V: Bericht über die Veranstaltung der Jungen Gemeinde in Sehlis vom 13. April 1953 (STAL, BDVP 24/158, Bl. 87–90). 134 Zu dem Gespräch existieren drei Protokolle: eines von der BDVP (STAL, BDVP 24/158, Bl. 35–38), vom Landeskirchenamt und vom Bezirkskirchenamt (beide BKA LEIPZIG, 102). 135 In seinem Protokoll kam Kirchenrat Held zu dem Ergebnis, dass sich dieser Schachzug gelohnt habe: „Ich hatte den Eindruck, dass sich die Anwesenheit von Pfarrer D. Herz, über dessen Arbeiten und Wirken sich W.[inkelmann, G. W.] unterrichtet zeigte, auf die Atmosphäre günstig auswirkte“ (BKA LEIPZIG, 102). 136 Nach dem Protokoll der BDVP (STAL, BDVP 24/158, Bl. 35). 137 EBD.
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Bei der internen Auswertung des Gesprächs verabredeten die kirchlichen Vertreter, die laufenden Veranstaltungen der „Jungen Gemeinde“ fortzusetzen, wenn auch vorerst im kirchlichen Raum. Positiv nahmen sie die Zusage Winkelmanns zur Kenntnis, „dass ein Kirchenkampf von höchsten Stellen nicht gewollt sei und auch nicht eröffnet werde“ und somit die Kirche als Organisation grundsätzlich anerkannt werde138. Das Gespräch mit Winkelmann brachte nicht die erhoffte Ruhe. Vielmehr drangen am nächsten Tag einige Jugendliche in den der Thomaskirche gegenüberliegenden Gebäudekomplex Burgstraße 1–5 ein, untersuchten Räume der „Jungen Gemeinde“ und nahmen Unterlagen mit. Die alarmierte Polizei erschien erst 45 Minuten später. Wie der völlig unsachliche und einseitige Bericht des Schutzpolizisten Schmidt, der schon die Aktion in Sehlis geleitet hatte, aufzeigt, war dieser weniger daran interessiert, gegen die Jugendlichen zu ermitteln, als bei der „Jungen Gemeinde“ belastende Unterlagen zu finden139. Die Polizisten untersuchten die zum Jugendamt gehörige Bibliothek gezielt auf Druckerzeugnisse aus dem Nationalsozialismus und stießen dabei auch auf kirchliche Kalender und Filmstreifen, die sie einige Tage später beschlagnahmten. Am Ende seines weniger auf objektive Berichterstattung als auf den Nachweis feindlicher Tätigkeit abzielenden Reports kam Schmidt zu einem Ergebnis, das auch schon vor der Überprüfung des Gebäudes festgestanden hatte: „Anschließend stelle ich fest, dass die Junge Gemeinde [. . .] in den Räumen der Kirchengemeinde eigene Dienstzimmer [besitzt] und [. . .] Personal [beschäftigt], welches unter der Leitung des Herrn Pfarrer Wallmann vorsätzlich nazistisches Gedankengut sowie Bildbandmaterial an Jugendliche, unter dem Deckmantel des christlichen Jugendamtes verbreitet. Es ist somit erwiesen, dass die Junge Gemeinde offene Kriegs- und Rassenhetze betreibt“140.
Bei weiteren Ermittlungen in der Kirchenamtsratsstelle am 20. April 1953 wurden Gesetz- und Verordnungsblätter aus der NS-Zeit beschlagnahmt141. Am 19. April erschien in der Leipziger Volkszeitung ein gleichermaßen unsachlicher wie einfältiger Schmähartikel unter dem Titel: „,Junge Gemeinde‘ – Tarnorganisation im USA-Auftrag“, der auf die Initiative der SED-Bezirksleitung zurückging142. Die „Junge Gemeinde“ wurde darin als 138 EBD. 139 Lagebericht des VPKA Leipzig, Abt. Schutzpolizei vom 20. April 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/637, Bl. 224–229). Zu den Vorgängen vgl. auch C. KAUFMANN, S. 56–62. 140 STAL, SED-BL IV/2/14/637, Bl. 229. 141 Niederschrift über die in der Kirchenamtsratsstelle am 20. April 1953 von der Volkspolizei beschlagnahmten Gesetzbücher (ADSL, Akte 1953/I, Bl. 245). 142 LVZ vom 19. April 1953, S. 3. Bericht über die Tätigkeit der „Jungen Gemeinde“ und der Kirche, erstattet von Jacob am 3. Mai 1953 (BARCH BERLIN, DY 30/IV/2/14/51, Bl. 202).
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„illegale Terrororganisation“ bezeichnet. Es sollte den Lesern u. a. suggeriert werden, dass die Jugendlichen dort in ihrer Freizeit SS-Totenköpfe auf die Baracken malten und symbolisch SED-Mitglieder hinrichteten: „Diese ungeheure Provokation ist eng verwandt mit den sattsam bekannten Methoden der amerikanischen Mord- und Femeorganisation Ku-KluxKlan und dem brutalen Terror der Ami-Soldateska in Korea“143. Mitglieder der „Jungen Gemeinde“ wurden namentlich und mit Adresse genannt und die Eltern zur Empörung darüber aufgerufen, „dass ihren Kindern bei der ‚Jungen Gemeinde‘ am Modell gezeigt wird, wie man Menschen erhängt“. Auch die „Rädelsführer“ wurden einzeln und mit Anschrift genannt und mit unerhörten Beschuldigungen konfrontiert: „Sie, die Wallmann, Voigt und Schaaf, die die blutigen Geschäfte derer besorgen, die die Dresdner Frauenkirche, die Leipziger Johanniskirche und Hunderte anderer Kirchen in Schutt und Asche legen ließen, sind die Zerstörer des kirchlichen Lebens“. Am 28. April untersuchte die Kriminalpolizei die Räume des Kirchlichen Jugendamtes und vernahm am darauf folgenden Tag die dort angestellten Mitarbeiterinnen. Die ihnen gestellten Fragen beschäftigten sich vor allem mit den beschlagnahmten Büchern und Filmen, zielten aber darauf ab, wie die Mitarbeiterinnen durchaus feststellten, belastendes Material gegen Wallmann zu sammeln, der mittlerweile, ebenso wie Oberkirchenrat Hauffe, Leipzig verlassen hatte144. Damit verlor die evangelische Jugendarbeit in Leipzig ihre wichtigste Führungspersönlichkeit. Die Tätigkeit Hauffes übernahm Kirchenrat Held schon am 27. April kommissarisch145. Die SED versuchte daraufhin über den „neutralen“ Staatsapparat, die Pfarrerschaft zu spalten. Vom 24. April 1953 datiert ein Schreiben „an die Geistlichen der evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“, in dem die angebliche Unterwanderung der Kirche durch „die imperialistischen anglo-amerikanischen Kriegstreiber“ beklagt wurde146. Die Pfarrer wurden aufgerufen, sich „für eine klare Unterstützung aller Bestrebungen und Kräfte, die sich für die Erhaltung des Friedens und der demokratischen Wiedervereinung Deutschlands bekennen“, einzusetzen147. Am 27. Mai lud Ministerpräsident Grotewohl 15 „fortschrittliche“ evangelische Pfarrer ein, denen er die Absetzung der Kirchenleitungen nahe legte148. Diese Differenzierungsbemühungen mussten in einer Situation, in
143 LVZ vom 19. April 1953, S. 3. 144 Bericht über die polizeiliche Durchsuchung der Kanzlei des Kirchlichen Jugendamtes, erstellt von Kirchenrat Held (ADSL, Akte 1953/I, Bl. 225). Vgl. auch C. KAUFMANN, S. 58 f. 145 Held an Stiehl am 28. April 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 227). 146 BKA LEIPZIG, A 97. 147 EBD. 148 W. TISCHNER, Kirchen, S. 157 f.
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der aufgrund des Terrors der SED die Auseinandersetzungen innerhalb der Geistlichkeit eher zurückgestellt wurden, misslingen149. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Arbeitsberatung der Referenten für Religionsgemeinschaften Anfang Mai in Berlin, auf der diese Aktion beraten wurde150. Zur Verbreiterung der politischen Grundlage der Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ wurden auch die Blockparteien des Bezirks eingesetzt. Alle Parteien ließen sich, ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 28. April, ohne Gegenwehr einspannen151. Zwar verlief die Sitzung nicht ganz so, wie es sich die SED vorgestellt hatte, weil der LDPD-Vertreter Manfred Gerlach, zugleich Stellvertretender Oberbürgermeister der Stadt, heftige Kritik an der Unfähigkeit der FDJ übte und ihr das Monopol auf den Kampf gegen die „Junge Gemeinde“ bestritt. Der Vertreter des FDGB, Berger, der in Verkennung der SED-Sicht auch unter den Jungarbeitern viele Glieder der kirchlichen Jugend ausgemacht hatte, handelte sich eine Rüge von Paul Fröhlich, dem Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, ein152. Die vom FDJ-Bezirksvorsitzenden Horst Schumann überarbeitete Entschließung schloss sich nahtlos an die Diffamierungskampagne der letzten Wochen an: „Der Block begrüßt die Initiative der Freien Deutschen Jugend, diese illegale Organisation zu zerschlagen, ihre Drahtzieher zu entlarven und unschädlich zu machen“153. Am selben Tag erschien ein Artikel unter dem Titel „Agent Wallmann saß in der Zentrale der illegalen ‚Jungen Gemeinde‘“, in dem die Ergebnisse der vorhergegangenen Polizeiaktionen in Leipzig ausgewertet wurden und Wallmann und die „Junge Gemeinde“ mit NS-Organisationen gleichgesetzt wurden: „Natürlich sind wir weit davon entfernt, alle Mitglieder der ‚Jungen Gemeinde‘ mit dem Agenten Wallmann auf eine Stufe zu stellen. Auch in der Nazipartei gab es tausende so genannter nomineller Mitglieder. Ändert das aber etwas an der Tatsache, dass die Nazipartei eine Verbrecherorganisation war und dass die so genannten Nominellen durch ihre Mitgliedschaft mitschuldig wurden“154. 149 M. G. GOERNER, Kirche, S. 104. 150 Bericht über die Arbeitstagung der Referenten für Religionsgemeinschaften am 2. Mai 1953 beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten in Berlin, erstellt von Gollert am 4. Mai 1953 (STAL, RdB 1582, Bl. 69–71). Die Argumentation des Schreibens an die Geistlichen beruhte auf einem Bericht über eine nichtkirchliche Veranstaltung im März 1953 in der Bundesrepublik, die fälschlicherweise als evangelischer Kirchentag bezeichnet worden war. Dieser Fehler beraubte den Brief jeglicher intendierter Wirkung. 151 Protokoll über die Sitzung des Blocks am 28. April 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/658, Bl. 77–80). 152 EBD. 153 LVZ vom 7. Mai 1953, S. 3. Vgl. dazu die Erwiderung des Landeskirchenamtes an den antifaschistisch-demokratischen Block des Bezirkes Leipzig am 15. Mai 1953 (ADSL, Akte 1953/I, Bl. 173 f.). 154 LVZ vom 7. Mai 1953, S. 3. Vgl. auch C. KAUFMANN, S. 59.
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An den Schulen erreichte die Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ im April/Mai 1953 ihren Höhepunkt. Noch vor den gezielten Aktionen war die an der Herderschule tätige Religionslehrerin Charlotte Schilling am 11. Februar wegen „Antisowjethetze“ festgenommen und im Frühjahr schließlich zu fünf Jahren Haft verurteilt worden155. Da die Leipziger FDJ noch immer keine Übersicht über den Einfluss der „Jungen Gemeinde“ an den Schulen hatte, richtete die FDJ-Stadtleitung Anfang März eine Kommission ein156. An den im Januar beschlossenen Umtausch der Mitgliedsausweise, der dazu dienen sollte, die aktiven Mitglieder der „Jungen Gemeinde“ aus der Jugendorganisation auszuschließen, war auf dieser Datenbasis gar nicht zu denken. Gerade an den Oberschulen stieß die FDJ auf vielfältige Widerstände. Zwar war ein Großteil der Schüler dort organisiert, doch hatte die FDJ, wenn man ihren Berichten Glauben schenkt, nicht die „kulturelle Hegemonie“. Vielerorts prägten aktive Christen das Leben in den FDJ-Gruppen. Unterstützt wurden sie von Lehrern und zum Teil von der Schulleitung. Gemeinsam bildeten sie so Residuen von Bürgerlichkeit. Die SED reagierte darauf, indem sie SED-nahe Lehrer an die entsprechenden Schulen versetzte und so weit wie möglich auf die Zusammensetzung der Schüler Einfluss nahm. Ein besonderes Beispiel in Leipzig war die Thomasschule, an die auch das Alumnat der Thomaner angeschlossen war. Diese Schule verfügte außerdem über einen altsprachlichen Zug. Nach einem Bericht der FDJ-Bezirksleitung waren dort unter den Schülern mit 70 Prozent mehr aktive Glieder der „Jungen Gemeinde“ als Mitglieder der FDJ. Beiden Gruppierungen anzugehören war aber keineswegs unvereinbar157. Unterstützung erhielt die „Junge Gemeinde“ von der Landeskirche, die in Erziehungsfragen erstaunlich offen Kritik an den herrschenden Verhältnissen übte, vor allem aber den Marxismus-Leninismus als verbindliche Ideologie ablehnte. Der Bericht des Landesbischofs an die Synode war überdeutlich: „Das Welt- und Geschichtsbild des gegenwärtigen Unter155 Laut Bericht einer an der Herderschule tätigen Lehrerin soll Schilling sich gegenüber den Schülern sinngemäß geäußert haben: „So, alte Götter kennt ihr nicht. Aber Stalin, der wie ein Gott verehrt und als allwissend hingestellt wird, den kennt ihr. Stalin ist nicht allwissend und allmächtig. Das ist nur Gott. Auch Lenin wird wie ein Gott verehrt“. SED-BL Leipzig an das ZK, Abt. Staatliche Organe, Sektor Kirchen am 12. Februar 1953 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/51, Bl. 186). Schilling war schon 1948 im Rahmen von Ermittlungen der K 5 über die evangelische Jugendarbeit in Leipzig aufgefallen (vgl. BARCH-DH, ZB II 1493, Bl. 7 f.). 156 FDJ-KL Leipzig-Stadt, Informationsbericht vom 3. März 1953 (STAL, SED-BL IV/2/ 14/636, Bl. 46). 157 FDJ-BL Sekretariat: Bericht über die Arbeit der „Jungen Gemeinde“ an der Thomasschule am 5. März 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 49–51).
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richts trägt deutlich die Züge einer säkularen Eschatologie“158. Die 16. Landessynode verabschiedete eine Erklärung, in der sie die Verletzung der Grundrechte gegenüber jungen Christen beklagte159. Die Schule in der DDR sei nunmehr unverhüllt zur materialistischen Bekenntnisschule geworden. Auch wenn Jacob als Mitglied der SED-Bezirksleitung sicher dazu neigte, in seinen Berichten den Einfluss der „Jungen Gemeinde“ sehr hoch zu bewerten, so spricht doch einiges für seine Behauptung, dass erst durch das Eingreifen der SED-Bezirksleitung, die der FDJ – wohl Mitte April – einen konkreten Plan zur Durchführung von Vollversammlungen an Oberschulen und Betrieben vorgegeben hatte, eine Änderung eingetreten ist160. Immerhin waren bis Mitte Mai 50 Mitglieder der „Jungen Gemeinde“ von den Oberschulen verwiesen worden161. Eine weitere Verschärfung der Situation an den Schulen sollte der Mitte Mai von der Kommission „Junge Gemeinde“ bei der SED-Bezirksleitung vorgelegte „Plan zur Organisierung der Aufklärungsarbeit und zur Unterbindung der staatsfeindlichen Betätigung der ‚Jungen Gemeinde‘“ erbringen162. Dieser sah eine breit angelegte Kampagne in der Öffentlichkeit gegen die kirchliche Jugendarbeit vor. Die Abteilung Agitation/Propaganda der Bezirksleitung der SED wurde beauftragt, an den Hochschulen und Oberschulen die Zahl der Veranstaltungen nochmals zu erhöhen, und die Abteilung Kultur erhielt die Aufgabe, in Versammlungen der Elternbeiräte „die Entlarvung der ‚Jungen Gemeinde‘“ zu forcieren. Zur gleichen Zeit legte ein Plan der Abteilung Volksbildung im Rat des Bezirkes ein detailliertes Vorgehen an den Oberschulen fest163. Bis Ende Mai sollten die von so genannten Prüfungskommissaren als unzuverlässig eingestuften Lehrer nach Überprüfung durch die jeweilige SED-Kreisleitung und die FDJ entlassen werden. Unter den zu berücksichtigenden Entlassungskriterien standen bezeichnenderweise die soziale Herkunft an erster und die fachliche Qualität an letzter Stelle! Ins Visier der Abteilung Volksbildung gerieten jene Lehrer, die sich in der „Jungen Gemeinde“ engagiert hatten und nun 158 Bericht des Landesbischofs an die Synode im Frühjahr 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, S. 285–289). 159 Erklärung und Grußwort an die „Junge Gemeinde“ in: Knospe an die Superintendenturen am 21. März 1953 (ADSL, 2.1.4). 160 Jacob, Bericht über die Tätigkeit der „Jungen Gemeinde“ und die Kirche vom 3. Mai 1953 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/51, Bl. 202–205). 161 SED-KL an SED-BL am 15. Mai 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 317 f.). 162 SED-BL, Abt. Staatliche Organe vom 12. Mai 1953 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/170, Bl. 419–422). Der Bericht wurde aber frühestens am 18. Mai nach Berlin geschickt. Der Entwurf Jacobs in: STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 267–271. 163 Rat des Bezirkes, Abt. Volksbildung am 11. Mai 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/637, Bl. 122 f.).
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gezwungen wurden, dazu Stellung zu nehmen, was zum Teil ihre Entlassung zur Folge hatte164. Ende Juni sollte das entsprechende Verfahren für die Oberschüler beendet sein. Die Schärfe dieses Vorgehens, das bis zur Diffamierung einzelner Schüler ging, zeigt eine Resolution von zwei Oberschülern gegen eine Mitschülerin, die der „Jungen Gemeinde“ angehörte: „Hinter diesem Kugelkreuz tarnten sich bezahlte Agenten, Spione, Faschisten im Priesterrock [sic]! [. . .] Heuchlerisch nutzten sie die Großzügigkeit unserer Regierung aus und verseuchten junge Menschen mit ihrem Gift! Das ist uns sehr gut bekannt. Auch E. K. weiß das! [. . .] Glaubt E. K. etwa, dass unsere Geduld solche Provokationen zulässt?“165 Aber auch angesichts dieses Drucks gab die Landeskirche nicht nach. In einem Schreiben vom 15. Mai solidarisierte sie sich mit den Schülern, die von der Schule verwiesen wurden. „Wer euch angreift, greift uns an, werdet ihr leiden, leiden wir mit euch mit!“, lautete die zentrale Botschaft eines Schreibens von Hahn und Kotte166. Bis zu diesem Zeitpunkt waren zehn Lehrer und 48 Schüler aus Leipziger Schulen verwiesen worden. Als „Musterauseinandersetzung“ wurde die Situation an der Max-Klinger-Oberschule in Leipzig behandelt, für die die SED-Bezirksleitung selbst eine Entschließung erarbeitete167. In deren Mittelpunkt stand wegen der „Konzentration fortschrittsfeindlicher Lehrkräfte“ der Direktor, „der als Staatsfunktionär für die Durchführung der Beschlüsse und Direktiven der Partei sowie Gesetze und Verordnungen der Regierung verantwortlich ist“168. Neben den üblichen ideologischen Verfehlungen wurden Direktor Franz zusätzlich finanzielle Ungereimtheiten vorgeworfen. Diese Entschließung bedeutete das Ende für dessen Tätigkeit als Direktor, doch auch die Parteiorganisation und die FDJ-Grundeinheit an der Schule mussten sich herbe Kritik gefallen lassen. Parteiausschlüsse wurden angekündigt. Ein weiteres Indiz für die Intensität der Verfolgung der „Jungen Gemeinde“ ist die Tatsache, dass die Leipziger Bezirksbehörde der Volkspolizei zur Erfüllung ihrer Schwerpunktaufgabe „Beschränkung bzw. Unterbindung kirchlicher Veranstaltungen, insbesondere der ‚Jungen Gemeinde‘ in öffentlichen Räumen“ im 2. Quartal 1953 annähernd 900 kirchliche
164 Eine undatierte Übersicht solcher Lehrer von Ende Mai/Anfang Juni 1953 findet sich in: STAL, SED-BL IV/5/01/509. 165 Resolution von M. S. und I. G., o. D. (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 33). 166 Hahn und Kotte an Schüler/innen, die von der Schule verwiesen wurden (ADSL, 2.1.4). 167 Entschließung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Leipzig über die Max-KlingerOberschule in Leipzig vom 4. Juni 1936 (STAL, SED-BL IV/2/9.02/519, Bl. 205–213). Zu den Vorgängen vgl. auch C. KAUFMANN, S. 66. 168 STAL, SED-BL IV/2/9.02/519, Bl. 205.
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Veranstaltungen überwacht hat, was über die Hälfte der insgesamt überwachten Veranstaltungen ausmachte169. Ein Fall, bei dem die Steuerung der Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ misslang, war die Enteignung des Rüstzeitheimes in Sehlis. Enteignungen kirchlichen Eigentums waren von der SED nicht vorgesehen. Doch sowohl der Rat des Bezirkes als auch die FDJ versuchten, das Gelände in ihren Besitz zu bringen. Der Rat des Bezirkes argumentierte, dass bis zum Erwerb des Geländes durch den Leipziger Kirchgemeindeverband Anfang 1937 die dort eingerichteten Kleinkaliberstände durch die SA benutzt worden seien. Der Bezirkstag fasste am 16. April 1953 den Beschluss, „dieses Objekt anderen Zwecken zuzuführen“170, dessen Umsetzung der Vorsitzende des Rates des Bezirkes in die Wege leitete171. Von der SED-Kreisleitung Leipzig-Land ging die Initiative aus, Sehlis der FDJ zu übergeben. Auf ihre Anweisung übergab der Rat des Kreises Leipzig-Land am 20. Mai das Gelände der FDJ172, ohne vorher einen Ausgleich mit dem Rat des Bezirkes herbeizuführen. Aus diesem Grund durfte die FDJ bis zur Klärung des Sachverhalts das Objekt nicht in Anspruch nehmen. Dem Kirchgemeindeverband Leipzig gegenüber, der das Rüstzeitheim nach dem 10. Juni 1953 wiedererlangte, wurden diese Vorgänge verheimlicht173.
4.7 Die kirchliche Handlungslinie Die Machtmittel der Kirche gegen den SED-Staat waren gering. Seine Herrschaft basierte nicht auf der Zustimmung der Regierten, sondern auf der Zustimmung der Sowjetunion. Ähnlich wie im Nationalsozialismus blieb der Kirche deshalb nichts anderes übrig, als immer wieder auf die Einhaltung der in der Verfassung verbürgten Rechte zu pochen. Der „Fürsprecher“ der Kirchen in der Regierung, Otto Nuschke, fiel in der entscheidenden Phase der Verfolgung der „Jungen Gemeinde“ 1952/1953 169 BDVP Leipzig PM an die HVDVP, Abt. PM 2 am 11. Juli 1953 (STAL, BDVP 155, Bl. 38). 170 So der Vorsitzende des RdB, Adolphs, in seinem Schreiben an Grötschel vom 25. April 1953 (STAL, RdB 21105). 171 EBD. 172 Fernschreiben Gollerts an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten am 23. Mai 1953 (BARCH BERLIN, DO 4, 2072). 173 EBD. Vgl. auch das Schreiben Gollerts an das Staatssekretariat am 26. Mai, wo er die Angelegenheit ausführlich schilderte und die Aufhebung des Beschlusses des Kreisrates Leipzig-Land in Aussicht stellte (STAL, RdB 1582). Geschlossen wurden Rüstzeitheime in Leisnig und Kohren-Sahlis. Fernschreiben Gollerts an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten am 23. Mai 1953 (STAL, RdB 20726).
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durch Krankheit aus. Die Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“ war nach der Entlassung ihres Leiters, Kurt Grünbaum, kaum mehr handlungsfähig174. Gegenüber staatlichen Stellen betonte die sächsische Landeskirche wiederholt, dass sich ihre Arbeit im Rahmen der Verfassung bewege und dass die SMAD bzw. die SKK und die Regierung durch ihr Verhalten zumindest konkludent diesen Sachverhalt mehrfach anerkannt hätten175. Wiederholt wandte sich die Landeskirche an die Räte der Bezirke, wobei sie keineswegs nur kleinlaut um eine Rücknahme der einschränkenden Maßnahmen bat, sondern sehr deutlich die Missstände ansprach176. Auch zeigte sich die Landeskirche keineswegs bereit, Anordnungen des Staatsapparates oder polizeiliche Verfügungen umzusetzen, wenn sie dafür die juristische Begründung nicht gegeben sah. Das Verbot der Leipziger Spielgemeinde177, das den kirchlichen Behörden am 15. April 1953 nur telefonisch angezeigt worden war, wiesen sie mit der Begründung zurück, „dass das Bezirkskirchenamt [. . .] polizeiliche Anordnungen, die in dieser Form telefonisch ausgesprochen werden, nicht annehmen“ könne178. In ähnlicher Weise weigerten sich die kirchlichen Stellen in Leipzig, Hinweise auf die „Junge Gemeinde“ aus ihren Schaukästen zu entfernen179. Es handelte sich hierbei um Fälle zivilen Ungehorsams180. Vor allem stritten sie ab, dass die „Junge Gemeinde“ eine Organisation sei: „Eine besondere Mitgliedschaft mit ‚Mitgliedsbüchern, Organisationsabzeichen‘ usw. gibt es in unserer Landeskirche nicht“181. Als sich die Kirche auf dem Höhepunkt der Verfolgungen nicht mehr anders zu helfen wusste, wandte sie sich an die Staatsanwaltschaft. So zeigten Superintendent Stiehl und Kirchenamtsrat Fridtjof Held Mitte Mai den stellvertretenden Schulleiter der Humboldtschule – allerdings erfolglos – an, weil dieser einer Schülerin das Kugelkreuz entrissen hatte182. Dass der Rekurs auf das Recht als institutionelles Regelungssystem ins Leere lief, weil die Gegenseite souverän darüber hinwegsah, wurde beson174 M. G. GOERNER, Kirche, S. 180. Zu Grünbaum vgl. A. SCHALÜCK, Agentur, S. 70–78. 175 Landeskirchenamt an die Superintendenturen am 13. Mai 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 315). 176 Vgl. auch das Schreiben Kottes an Adolphs am 6. Mai 1953, in dem Kotte die Geschehnisse in Leipzig aus kirchlicher Sicht richtig stellte und Adolphs um den zugesicherten verfassungsrechtlichen Schutz bat (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 213–217). 177 Zur Geschichte der Leipziger Spielgemeinde vgl. R. LANGHAMMER. 178 Stiehl und Held an das Kreispolizeiamt Leipzig am 15. April 1953 (BKA LEIPZIG, Amt für Gemeindedienst). 179 Vermerk vom 15. April 1953 (BKA LEIPZIG, 102). 180 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 121. 181 EBD. 182 Stiehl und Held an die Staatsanwaltschaft Leipzig am 19. Mai 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 117); vgl. auch S. WOLF, „Bearbeitung“, S. 194.
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ders deutlich bei einer Besprechung zwischen dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden, Rudi Jahn, mit Vertretern des Landeskirchenamtes Mitte März 1953 über die Verordnung zur Anmeldepflicht aus dem Jahr 1951. Nach der kirchlichen Besprechungsniederschrift argumentierte Jahn, dass „Gesetze und Verordnungen [. . .] in der DDR heute nicht schematisch gehandhabt [würden], sondern nach Maßgabe der örtlichen politischen Verhältnisse“183. Dass es sich bei dieser Art der Rechtsanwendung keinesfalls um einen krassen Ausnahmefall handelt, macht der Hinweis auf einer Pfarrerkonferenz über das Verhalten der Volkspolizei deutlich, „dass alle Verordnungen dynamisch angewandt werden müssen“184.
Die Kirche war wegen der fehlenden Rechtssicherheit auf eine komplizierte Gesprächsdiplomatie angewiesen, die der staatlichen Seite die Möglichkeit bot, die verschiedenen Stellen in der Kirche gegeneinander auszuspielen185. In bestimmten Fällen wandte sich die Kirche als ultima ratio auch an die Öffentlichkeit. Diese Fälle waren gegeben, sobald die Tradierung des christlichen Glaubens selbst in Frage stand, also vor allem im Erziehungsbereich. Das Landeskirchenamt wies die Konventsvorsitzenden Anfang Juni an, ein deutliches Wort den Kirchgemeinden bekannt zu geben: „Im Osten unseres Vaterlandes wird seit langem auf allen Lebensgebieten, namentlich in der neuen materialistischen Bekenntnisschule, die materialistische Weltanschauung mit Mitteln des Zwanges vorangetrieben [. . .]. Jetzt ist die Feindseligkeit gegen den christlichen Glauben offen ausgebrochen. Sie hat mit der Verfolgung der Jungen Gemeinde begonnen“186.
Die nationale Komponente als Argumentation wurde auch häufiger benutzt. Die Landeskirche verteidigte ihr Verhalten damit, „dass wir für den Frieden und die Einheit unseres Vaterlandes einen wichtigen Dienst tun, wenn wir gegen diese Verletzung der religiösen Überzeugung, gegen diese Erzeugung einer Kluft zwischen Deutschen und Deutschen [. . .] das Wort ergreifen“187. Vor allem Bischof Dibelius stellte in historischer Perspektive den Konflikt um die „Junge Gemeinde“ in Zusammenhang mit der Verfolgung der Kirchen im Nationalsozialismus: „Ein neuer Kampf gegen die Kirche ist da. Die Kirche wird diesen zweiten Kampf mit Gottes gnädiger Hilfe bestehen, wie sie den ersten bestanden hat. Ihr Herr ist stärker als 183 Vermerk vom 18. März 1953 (BKA LEIPZIG, 102). 184 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 5. Mai 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 185 Vgl. D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 118. 186 Landeskirchenamt an Konventsvorsitzende am 5. Juni 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 132 f.). 187 Hahn und Kotte an die Vorsitzenden der Räte der Bezirke Chemnitz, Dresden, Leipzig am 16. April 1953 (STAL, RdB 21105).
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seine Feinde!“188 Religiöse Argumentationen der Art, „dass Gottes Gericht über diejenigen ergehen wird, die das von Gott gesetzte Amt der Obrigkeit missbrauchen, und dass sein Gericht insbesondere die treffen wird, die jungen Menschen am Glauben Schaden tun oder die Hand dazu bieten“189, verfingen bei den Genossen nicht. Angesichts der politischen Machtlosigkeit und des Pressemonopols von Partei und Staat blieb den Kirchen als effektives Mittel nur der Appell an die Gläubigen. Das immer wiederkehrende Motto lautete: „Wer die Junge Gemeinde angreift, greift die Kirche an“. Der Runderlass 155 vom 15. April 1953 legte fest, dass in das Hauptgebet eine Fürbitte für die „Junge Gemeinde“ einzulegen sei190. In Anbetracht der Angriffe in der Presse zogen die Pfarrer auf ihrer Ephoralkonferenz am 17. April in Erwägung, die Bezeichnung „Junge Gemeinde“ zumindest für eine gewisse Zeit fallen zu lassen. Dieser Vorschlag wurde jedoch – wohl mit großer Übereinstimmung – abgelehnt, vielmehr wurde dazu aufgerufen, die Bezeichnung auch in den kirchlichen Nachrichten, die ja von einer städtischen Stelle erst genehmigt werden mussten, zu verwenden. Stiehl rief demonstrativ zu einem Fürbittgottesdienst auf, der am 29. April 1953 in der Nikolaikirche stattfand191. Schließlich bekundete Landesbischof Hahn persönlich seine Solidarität „als Landesbischof unserer sächsischen Landeskirche hier in Leipzig, weil die Bedrängnis hier am schlimmsten ist“192. Er forderte die Gemeinde auf, „dass wir umso treuer zu Gottes Wort und Sakrament halten und dass wir noch öfter und fester als bisher in der Gemeinschaft der Kirche zu allen ihren Lebensäußerungen zusammenfinden“193. Insbesondere brachte er dabei zum Ausdruck, dass die im Zentrum der staatlichen Angriffe stehenden Mitarbeiter Dost, Wallmann und Fehlberg das „volle Vertrauen ihrer Kirchenleitung und ihres Landesbischofs“ besäßen194. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen an den Oberschulen wandte sich die Landeskirche an die betroffenen Jugendlichen und bot 188 Offener Brief Dibelius’ an die Glieder der Jungen Gemeinde und deren Eltern im Gebiet der DDR (abgedruckt in: G. HEIDTMANN, S. 337–339, hier S. 338). 189 Kundgebung der lutherischen Bischöfe anlässlich der Tagung der Generalsynode der VELKD am 20. April 1953 (abgedruckt EBD., S. 336). 190 Runderlass des Landeskirchenamtes Nr. 155 vom 15. April 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 3, 34a). Nach Informationen der SED-Bezirksleitung ging diese Fürbitte auf eine Ephorenkonferenz am 2. Mai beim Landesbischof zurück. Jacob ließ daraufhin die Gottesdienste überwachen (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 99). 191 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 17. April 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17); Gottesdienstordnung für den Fürbittgottesdienst am 29. April 1953 um 17.30 Uhr in St. Nikolai für die Ephorien Leipzig-Stadt und Leipzig-Land (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 221). 192 Predigt Hahns in Leipzig am 10. Mai 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 3, 34a). 193 EBD. 194 EBD.
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ihnen Hilfe an195. Pfarrer stellten sich auf den inszenierten Elternversammlungen den Anschuldigungen der Schulleitung und mussten sich dort mit so genannten anonymen „Drohbriefen“ auseinander setzen, die Lehrern und Schülern angeblich von Gliedern der „Jungen Gemeinde“ zugeschickt worden waren196. Soweit möglich eröffnete die Landeskirche den relegierten Schülern den Weg in den kirchlichen Dienst, den meisten jedoch konnte sie nicht mehr als Fürsprache, auch durch den Superintendenten persönlich, leisten197. An der Basis wurden die Daten gesammelt, die schließlich in die von der Landeskirche ausgegebenen Stellungnahmen mündeten, die den kirchlichen Mitarbeitern Argumentationshilfen gegenüber staatlichen Stellen liefern sollten198. In Anbetracht der bedrohlichen Situation gab es unter den Gemeindegliedern auch Stimmen, die die Landeskirche aufforderten, die Zusammenkünfte der „Jungen Gemeinde“ vorläufig auszusetzen199. Hiergegen wandte sich das Landeskirchenamt wiederholt und forderte die Gemeinden stattdessen auf, die „Junge Gemeinde“ demonstrativ um sich zu sammeln200. Der Superintendent des Kirchenbezirks Leipzig-Land, Friedrich Pfeiffer, der sich schon in der Zeit des Nationalsozialismus mit dem DC-Landeskirchenregiment und Parteistellen heftig angelegt hatte, wies vor den versammelten Pfarrern auf die Notwendigkeit hin, dem „offizielle[n] Geschichtsbild“ das alternative kirchliche entgegenzusetzen und den Schülern auch etwas zuzumuten201. Wenn man den SED-Quellen Glauben schenkt, 195 Hahn und Kotte am 15. Mai 1953 (ADSL 2.1.4). Als Beispiel für die Solidarisierung einer Kirchgemeinde mit der „Jungen Gemeinde“ vgl. die Stellungnahme zur „Jungen Gemeinde“ des Kirchenvorstandes der Leipziger St. Andreasgemeinde vom 22. April 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 232 f.). 196 So z. B. der an der Thomas-Matthäi-Gemeinde tätige Pfarrer August Kimme am 13. Mai auf einer Elternversammlung in der Thomasoberschule. SED-KL an SED-BL am 15. Mai 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 318). Zu Kimme, der auch Generalsekretär des lutherischen Einigungswerkes war, vgl. auch F. STENGEL, S. 187 f. 197 Auf einer Ephorenkonferenz am 11. Mai 1953 war beschlossen worden, dass die Superintendenten sich persönlich um benachteiligte Schüler zu kümmern hätten. Kotte an die Superintendenturen am 16. Mai 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 298). 198 Vgl. vor allem die undatierte „Stellungnahme des Landeskirchenamts zu den Presseangriffen gegen die Junge Gemeinde“, die am 27. Mai von Stiehl an die Konventsvorsitzenden weitergegeben wurde. Sie enthielt en détail die rechtlichen Grundlagen der „Jungen Gemeinde“ und die kirchlichen Stellungnahmen gegenüber den in der Presse gegen sie gerichteten Angriffen. Die Leipziger Pfarrer wurden auf der Ephoralkonferenz am 5. Mai 1953 von Kirchenrat Held ausführlich über die rechtlichen Grundlagen informiert (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 199 Die Leipzigerin D. K. an Hahn am 8. Mai 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 83). 200 Landeskirchenamt an Superintendenten zur Weitergabe an die Konventsvorsitzenden (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 315). 201 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 5. Mai 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). Zu Pfeiffer vgl. BARCH BERLIN, R 5101/24230.
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waren die Appelle keineswegs erfolglos. Zum Erstaunen der SED-Kreisleitung stieg Anfang Mai die Zahl der Jugendlichen, die demonstrativ das Abzeichen der Weltkugel trugen, vorübergehend wieder an202. Auf einer Mitarbeiterbesprechung am 8. Juni mussten die kirchlichen Jugendarbeiter jedoch einräumen, dass die Kampagne mittlerweile ganz massive Auswirkungen zeigte203. Der Rückgang der Jugendkreise betrug zwischen 25 und 50 Prozent, in den Gemeinden Frieden, Wahren und Möckern war die Arbeit ganz eingestellt worden. Oberschüler nahmen fast gar nicht mehr an der kirchlichen Arbeit teil. Lediglich bei den über 18-Jährigen war keine Einbuße zu verzeichnen. Nach der Veröffentlichung des Kommuniqués am 11. Juni 1953, das den „Neuen Kurs“ der SED gegenüber der evangelischen Kirche und insbesondere der „Jungen Gemeinde“ einläutete204, waren die Pfarrer verunsichert. Auf der Ephoralkonferenz am 11. Juni kannten sie selbstverständlich die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen Staat und Kirche, doch auch von Seiten der Landeskirchenleitung bekamen sie nur wenige Zusatzinformationen205. Für die Änderung der SED-Kirchenpolitik machte man in grober Fehleinschätzung der wahren Gegebenheiten die Haltung des Weltfriedensrates verantwortlich206. Angesichts des Informationsdefizits und der damit verbundenen Unsicherheit traf der Vorschlag des Superintendenten, das Kommuniqué am darauf folgenden Sonntag zu verlesen, auf wenig Resonanz. Gerade jene Pfarrer, die die Gegenseite als besonders „reaktionär“ bezeichnet hatte, wie Fehlberg, Quandt und Kühn, setzten sich dafür ein, jetzt die Lage offensiv auszunutzen. Dass diese Einschätzung auch Tage danach nicht geteilt wurde, zeigt der Bericht Gollerts über die am 14. Juni gehaltenen Gottesdienste, der keine besonderen Verkündigungen erwähnt. Das Fazit des Berichts dürfte die kirchliche Gefühlslage darin richtig zusammenfassen, „dass man von Seiten der Kirche freundlich, höflich und bereitwillig den staatlichen Stellen entgegenkommt, dabei aber zeigt, dass man seinerseits nichts oder wenig nachzugeben habe und im Übrigen erst abwarte wie sich die Anordnung des Staates praktisch auswirken“ würde207. Auch der Hirtenbrief Hahns vom 15. Juni vermied jede triumphale Geste208. Lediglich im Hinweis auf die Bibelstelle Apostelgeschichte Kapitel 7, 202 SED-KL an SED-BL am 15. Mai 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/636, Bl. 318). 203 Protokoll der Mitarbeiterbesprechung am 8. Juni 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 185 f.). 204 Zum „Neuen Kurs“ vgl. unten S. 344–347. 205 Protokoll der Ephoralkonferenz vom 11. Juni 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 2, 17). 206 EBD. 207 Gollert, Bericht über die Äußerungen der Pfarrer und der Bevölkerung im Bezirk Leipzig im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Kommuniqués vom 10. Juni 1953 (STAL, RdB 1582). 208 Hirtenbrief an alle Pfarrer der ev.-luth. Landeskirche Sachsens vom 15. Juni 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, S. 76 f.).
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Vers 34, die den Ruf Gottes an Moses, das jüdische Volk aus der babylonischen Gefangenschaft zu befreien, schildert, wurde ein Vergleich mit der Situation der Protestanten in der DDR gezogen. Vor allem aber diente der Hirtenbrief dem Dank für diese Wendung und dem Aufruf zur Buße. Dass Hahn nicht an einen völligen Umschwung glaubte, kam in seiner Mahnung zum Ausdruck, „dass wir uns nicht gefangen nehmen lassen von der Meinung, es wäre alles gar nicht so schlimm gewesen und wir könnten nun in aller Harmlosigkeit ungefährdet unsere Straße weiterziehen“209. Die Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ hielten der Kirche ihre begrenzten Handlungsmöglichkeiten vor Augen. Rechtliche und politische Mittel waren in einem Staat versperrt, in dem die Partei das Monopol über beide Bereiche innehatte. Die Proteste der Leipziger kirchlichen Stellen bei der Staatsanwaltschaft, der Volkspolizei und dem Referenten für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes liefen ins Leere. Sie waren daher in erster Linie auf die Standfestigkeit der Gläubigen verwiesen, ohne allerdings mit Sanktionsmitteln drohen zu können. Ihr Selbstbewusstsein speiste sich sicherlich aus der offensichtlichen Stärke der „Jungen Gemeinde“ und damit korrespondierend der eklatanten Schwäche der FDJ. Außerdem verfügten sie mit Dost und Wallmann über zwei charismatische Führungspersönlichkeiten. Die kirchlicherseits Verantwortlichen wie Dost, Stiehl und Wallmann gehörten sämtlich der BK an. Sie verfochten ein offensives Konzept, der „Jungen Gemeinde“ ihren Platz in der Öffentlichkeit nicht nehmen zu lassen. Insofern lässt sich die Schärfe der Auseinandersetzung auch durch die starke kirchliche Position in Leipzig erklären. Dost wurde vom MfS verhaftet, und Wallmann sah sich gezwungen, Leipzig zu verlassen. Je länger sich die Auseinandersetzung hinzog, umso mehr begann die „Junge Gemeinde“ gerade von Seiten derjenigen, die nicht so stark in ein kirchliches Umfeld eingebettet waren, abzubröckeln. Trotz des Kommuniqués blieb die Einsicht, Einbrüche erlebt zu haben. In der Krisensituation wurde außerdem die Position der Landeskirchenleitung gestärkt, da ihr die Kompetenz für die Verhandlungen mit den staatlichen Stellen zukam und die unteren kirchlichen Stellen sich von ihr am meisten Schutz versprachen. Zwischen Stiehl und Held und dem Landeskirchenamt scheint es in Fragen der Taktik gegenüber staatlichen Stellen keinen Dissens gegeben zu haben. Die sächsische Landeskirche stellte sich voll hinter die „Junge Gemeinde“.
209 EBD.
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4.8 Der „Neue Kurs“ Die Beendigung der Verfolgungsmaßnahmen gegen die „Junge Gemeinde“ erfolgte auf Intervention Moskaus, das die SED schon am 16. April 1953 aufgefordert hatte, die Kampagne zurückzufahren. Allerdings glaubte die SED, diese Anweisung angesichts des Machtvakuums in der Sowjetunion nach Stalins Tod ignorieren zu können210. Angesichts der sich zunehmend verschlechternden Wirtschaftslage und der damit verbundenen innenpolitischen Rückwirkungen in der DDR beendete die neue sowjetische Führung mit ihrem Beschluss vom 2. Juni 1953 „Über die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik“ den seit der II. Parteikonferenz eingeschlagenen Kurs211. Das SED-Politbüro, das vom 2. bis 4. Juni 1953 nach Moskau zitiert worden war, musste sich massive Kritik anhören: „Die politische und ideologische Arbeit, geführt unter der Lenkung der SED, entspricht nicht den Aufgaben der Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik. Insbesondere wurden ersten [ernste, G. W.] Fehler in Bezug auf die Geistlichen begangen, die in einer Unterschätzung des Einflusses der Kirche unter den breiten Massen der Bevölkerung in groben Administrierungsmaßnahmen und Repressalien ihren Ausdruck fanden“212.
Der SED wurde aufgegeben, die Verfolgung der „Jungen Gemeinde“ einzustellen und die Beschlagnahme kirchlicher Heime, die Kürzung von Staatsleistungen und die Einziehung von Kirchenbesitz rückgängig zu machen. Auf der Politbürositzung am 6. Juni wurden die von Moskau geforderten Maßnahmen in Anwesenheit des sowjetischen Hohen Kommissars Wladimir Semjonow nach heftigen Diskussionen umgesetzt213. Am 11. Juni wurden diese Entscheidungen als „Neuer Kurs“ veröffentlicht. Bereits am 10. Juni 1953 kam es zu Verhandlungen zwischen einer Delegation unter Leitung Grotewohls und kirchlichen Vertretern, an deren Spitze der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Dibelius, stand214. Demonstrativ erklärte Grotewohl zu Beginn des Gesprächs: „An meine Absichten hatte man in der Presse die Schlussfolgerung geknüpft, die DDR bereite die Bildung einer Staatskirche vor. Das ist Unsinn. Eine solche Absicht bestand bei uns nicht und besteht bei uns nicht [. . .]. In dieser Hinsicht 210 W. TISCHNER, Kirchen, S. 159. 211 R. STÖCKIGT. 212 EBD., S. 652. 213 E. SCHERSTJANOI. 214 Propst Grüber hatte noch am Vortag des Gespräches dem persönlichen Referenten Grotewohls angeboten, „Bischof Dibelius von der Teilnahme an der Konferenz abzuhalten, damit die morgige Besprechung nicht durch irgendeine hartnäckige Haltung gestört werde“ (vgl. U. BARON, S. 323).
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bitte ich Sie, meine Erklärung als eine ernste Erklärung der Regierung entgegen zu nehmen“215. Anschließend erfolgte die Bekanntgabe der von Moskau dekretierten Beschlüsse. Das Entgegenkommen gegenüber kirchlichen Forderungen wurde mit gesamtdeutschen Erwägungen begründet. Die Vereinbarungen sahen das Ende der Verfolgung von Mitgliedern der „Jungen Gemeinde“ und der evangelischen Studentengemeinde, die Wiederzulassung des Religionsunterrichts in schulischen Räumen, die Rückgabe beschlagnahmter kirchlicher Einrichtungen und die Wiederaufnahme der Staatsleistungen vor. Am Tag darauf wurde das Kommuniqué der „Verhandlungsergebnisse“ im Neuen Deutschland bekanntgegeben216. Durch die Formulierung von der „Wiederherstellung eines normalen Zustandes“ in dem Kommuniqué gab der Staat implizit zu, die Verfassung gebrochen zu haben. Um das Gesicht zu wahren, hatten die staatlichen Vertreter der Kirche das Eingeständnis abgerungen, bisher die Verfassung verletzt zu haben: „Die Vertreter der Kirchen erklären ihrerseits, auf verfassungswidrige Eingriffe und Einwirkungen in das wirtschaftliche und politische Leben des Volkes zu verzichten“. Schon am Tag danach ordnete das ZK der SED an, die Kommissionen zur Koordinierung des Kampfes gegen die „Junge Gemeinde“ aufzulösen217. In einer Besprechung am 11. Juli zwischen Kirchenvertretern auf der einen und der FDJ und dem Amt für Jugendfragen auf der anderen Seite wurde der Rahmen der zukünftigen Arbeit der „Jungen Gemeinde“ festgelegt und das Ergebnis dieser Verhandlungen als Kommuniqué veröffentlicht218. Dabei wurde die Existenz der „Jungen Gemeinde“ und der Studentengemeinden als legitime Lebensäußerungen der Kirche anerkannt, sodass beide nicht unter das Verbot selbstständiger Jugendorganisationen fielen. Die Landeskirchenleitungen erhielten für sie die letzte Verantwortung, sodass eine übergemeindliche Koordination ermöglicht wurde. Es unterblieb jedoch eine präzise Regelung der übergemeindlichen Zusammenkünfte, an denen sich – gerade in Leipzig – die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche festgemacht hatte219. Die staatliche Seite sah dafür eine Genehmigungspflicht vor220. Die Reaktionen auf diese unerwarteten Wendungen waren in der Stadt Leipzig recht unterschiedlich. In einem hinsichtlich der Auswahl der befragten Personen sehr einseitigen Bericht der SED aus dem Stadtbezirk 8 wurden vor allem die Enttäuschung und Unsicherheit an der Basis heraus215 216 217 218 219 220
Zitiert nach: W. TISCHNER, Kirchen, S. 165. Text bei G. KÖHLER, S. 115 f. Ebenso ND vom 11. Juni 1953, S. 1. M. G. GOERNER, Kirche, S. 123. Vgl. dazu EBD., S. 124; E. UEBERSCHÄR, Junge Gemeinde, S. 201 f. M. G. GOERNER, Kirche, S. 124. E. UEBERSCHÄR, Junge Gemeinde, S. 200 f.
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gestellt221. Mitglieder der FDJ, denen man wochenlang die „Junge Gemeinde“ als von Westdeutschland und den USA gesteuerte „Terrororganisation“ vermittelt hatte, waren ratlos. In typischer Parteimanier sah die SED das Problem als Vermittlungsproblem darin, „dass unsere BPOs [Betriebsparteiorganisationen, G. W.] selbst nicht ernst genug an die Popularisierung dieser wichtigen Beschlüsse herangegangen sind“222. Auf kirchlicher Seite waren die Reaktionen in Leipzig von großer Freude geprägt. Am 14. Juni wurde die Botschaft vom Ende des Konflikts auf einem Ephoraljugendsonntag mit Jubel aufgenommen223. Auch Gollert musste dies in einem Bericht über die an diesem Tag gehaltenen Gottesdienste eingestehen: „Die Predigten waren in ihrem Inhalt allgemein positiv, d. h. man freute sich über die zu Gunsten der Kirche veränderte Situation und sang Freudenund Dankeslieder anstelle der bisherigen Klagelieder der bisherigen ‚Notzeit‘ entsprechend“224. Ein Hirtenbrief des Landesbischofs Hahn vom 15. Juni verband den Dank an Gott für das „Wunder“ mit dem Ruf zur Buße angesichts von einigen „lapsi“, die sich von der Kirche abgewandt hätten225. Schon am 11. Juni hatte sich in der Ephoralversammlung ein Ausschuss gebildet, um gegenüber den politischen Stellen die Beschwerdepunkte zusammenzutragen226. Zu den vordringlichen Gravamina zählten die kirchliche Öffentlichkeits- und Pressearbeit, Versammlungsrecht, Sehlis, die Schulen, Gefängnis- und Krankenseelsorge sowie die Kritik an der Justiz. Im Staatsapparat herrschte laut Gollert „Unverständnis“ vor. Angesichts der unsicheren Situation wurden die Referenten für Religionsgemeinschaften am 16. Juni vom Staatssekretariat des Innern nach Berlin beordert. An der Sitzung nahmen auch die innerhalb der Volkspolizei für die Überwachung der Kirchen zuständigen Mitarbeiter des Referates Pass- und Meldewesen teil227. Der Politikwechsel wurde gegenüber den Referenten mit deutschlandpolitischen Erwägungen begründet. Sie wurden verpflichtet, sich strikt an die Verfassung zu halten. Die weiteren Maßnahmen sahen 221 SED-Stadtbezirk 8, Parteiinformation an die SED-KL Leipzig-Stadt Parteiinformation, 12. Juni 1953 (STAL, SED-BL IV/5/07/80). 222 EBD. 223 C. KOCH, S. 221. 224 Bericht über die Äußerungen der Pfarrer und der Bevölkerung im Bezirk Leipzig im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Kommuniqués am 10. Juni 1953, 15. Juni 1953 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/64, Bl. 174). 225 Hirtenbrief vom 15. Juni 1953 (ADSL, 2.1.4). 226 Schumann an die Superintendentur am 12. Juni 1953 (ADSL, Akte 1953/II, S. 68). Ihm gehörten außer dem ehemaligen Superintendenten Schumann Studentenpfarrer Fehlberg, Jugendpfarrer Wallmann und die Amtsbrüder Kühn jun., Meigen und Quandt an. 227 RdB Leipzig, Referat Religionsgemeinschaften: Bericht über die Arbeitstagung beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten am 16. Juni 1953, erstellt am 17. Juni 1953 (!) (STAL, RdB 22106).
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eine sehr weitgehende Restitution des Zustandes vor der II. Parteikonferenz vor. So sollten in den Schulen sogar Gottesdienste vorgenommen werden dürfen, wenn geeignete kirchliche Räumlichkeiten nicht vorhanden waren. Die Rückgabe von kirchlichen Einrichtungen, die während des Kampfes gegen die „Junge Gemeinde“ enteignet worden waren, sollte unverzüglich geschehen, wenn auch künftig nur Personal beschäftigt werden durfte, das die Gewähr für „ordnungsgemäße“ Arbeit bot. Die Belegung kirchlicher Heime durch die Kirche selbst wurde wieder gewährleistet228. Die ausdrücklich als vorläufig bezeichnete Regelung der Veranstaltungsverordnung sah vor, dass melde- und genehmigungspflichtige Veranstaltungen wieder durchgeführt werden konnten mit der salomonischen Klausel: „Überwachungen und Kontrollen haben zu unterbleiben. Was nicht ausschließt, dass sie von uns besucht werden“229. Die Aufforderung, keine Tagungen mit Geistlichen mehr durchzuführen, deutete einen Kurswechsel in dem Verhalten gegenüber der Pfarrerschaft an: Hatte vieles darauf hingedeutet, dass spätestens ab Mitte Mai 1953 von Seiten des Staates der Aufbau einer Staatskirche mit Hilfe von „fortschrittlichen Geistlichen“ forciert werden sollte, so stand jetzt – wie es Grotewohl auch an exponierter Stelle beim Gespräch am 10. Juni betont hatte – die „individuelle Verbindung zur Geistlichkeit“ – nicht nur der „fortschrittlichen“ – im Mittelpunkt230.
4.9 Der 17. Juni in Leipzig 4.9.1 Das Verhalten der evangelischen Kirche Zwar hatte sich mit dem Kommuniqué eine Beruhigung der kirchenpolitischen Lage in der DDR ergeben, doch das Eingeständnis der Schwäche und das taktisch unkluge Verhalten der SED, an der kurz zuvor festgelegten Normerhöhung für die Arbeiter festzuhalten, führte – nach relativ einhelliger Meinung der Forschung – zu der Erhebung der Bauarbeiter in der Berliner Stalinallee. Unter dem Eindruck der Schwäche von Partei und Staat und angesichts des lange angestauten Unmuts in der Bevölkerung 228 Für kirchliche Heime an der Ostsee und im Sperrgebiet bestand jedoch eine Genehmigungspflicht. Nur „Personen, die sich nicht offen staatsfeindlich betätigen“, durften dort aufgenommen werden. 229 Punkt 7. Tatsächlich entwickelte sich die Veranstaltungsverordnung zu einem flächendeckenden Überwachungsinstrument für die Volkspolizei (vgl. G. HERBSTRITT, S. 970). 230 Diesen Punkt betont vor allem W. TISCHNER, Kirchen, S. 157. Am 27. Mai 1953 hatte Grotewohl 15 „fortschrittliche Pfarrer“ zu einer Besprechung eingeladen und dabei den EKD-Vorsitzenden Dibelius und die evangelischen Kirchenleitungen scharf angegriffen. Ein „Beirat für Kulturfragen“ sollte in Zukunft die Arbeit mit den neuen Kirchenleitungen koordinieren. Die nächste Pfarrerkonferenz wurde auf den 10. Juni festgesetzt (EBD., S. 158).
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schloss sich eine große Menge den Bauarbeitern an, die ursprünglich auf soziale Anliegen gerichteten Forderungen weiteten sich ins Politische aus. Über den RIAS wurden die Aufrufe und Forderungen verbreitet und führten am 17. Juni zu republikweiten Arbeitsniederlegungen und Massendemonstrationen, die schließlich auf den Umsturz der politischen Verhältnisse in der DDR abzielten. Erst durch die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Intervention der Sowjetunion, die mit ihren Panzern an den neuralgischen Punkten aufzog, konnte die Volkserhebung gestoppt werden. Auf beiden Seiten war eine Reihe von Toten zu beklagen231. Das Verhalten der christlichen Bevölkerung beim Volksaufstand ist in der Forschung lange vernachlässigt worden232. Doch wie u. a. eine Einwohnerversammlung im thüringischen Eckolstädt am 13. Juni 1953 beweist, auf der unter der Leitung eines Bruders des thüringischen Landesbischofs Mitzenheim eine Resolution mit politischen Zielen verabschiedet worden war, waren kirchliche Kräfte durchaus am 17. Juni beteiligt233. Dieses Verhalten stand im Gegensatz zu den Vorgaben der evangelischen Kirche. Dibelius hatte die Gemeinden aufgefordert, aktiv bei der Lösung der anstehenden Probleme in Staat und Gesellschaft mitzuarbeiten, und sie eindringlich ermahnt, „jetzt keine eigenmächtigen Schritte zu unternehmen“234. In der sächsischen Landeskirche ergab sich insofern eine Sondersituation, als am 16. und 17. Juni die Wahl des neuen Landesbischofs vorgenommen wurde. Dabei konnte sich Gottfried Noth erst nach drei Wahlgängen gegen die beiden Mitkandidaten Hans Rißmann und Franz-Reinhold Hildebrandt, den Präsidenten der EKU, durchsetzen. Dazu hatte es einer Änderung der Wahlordnung bedurft235. Noth ging also keinesfalls gestärkt aus der Wahl hervor. Auch in Dresden fanden am 17. Juni Demonstrationen statt. Nach einem Bericht des dortigen Instrukteurs für Kirchenfragen, Walter Breitmann236, befanden sich „auffallend viele Kugelkreuzler“ unter den Demonstranten. Diese sollen sich an den Oberschulen bemerkbar gemacht 231 Vgl. auch die Darstellung von T. DIEDRICH. 232 Auch die neueste Arbeit von C. KOCH spart diesen Aspekt aus, obwohl der Zugang zu den Akten des Landeskirchenamtes gegeben war. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von U. BARON. 233 W. TISCHNER, Kirchen, S. 168. 234 Briefe von Dibelius an alle evangelischen Gemeinden vom 11. und 12. Juni 1953 (zitiert nach U. BARON, S. 325). 235 Nach einer Schilderung von Johannes Herz gegenüber dem Bezirksfriedensrat war vor dem dritten Wahlgang gegen den Widerstand einiger Pfarrer beschlossen worden, statt 2/3 nur noch eine Mehrheit von 51 % der Stimmen zu verlangen, um die Wahl Noths gegen einen unierten Kandidaten durchzusetzen. Ullmann/Jacob an das ZK der SED am 31. Oktober 1953 (STAL, SED-BL IV/2/5/409, S. 93). Zu Noth vgl. J. J. SEIDEL, Noth. 236 Breitmann war persönlicher Referent des sächsischen Landtagspräsidenten Otto Buchwitz gewesen.
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haben237. Am 18. Juni ergriff Noth die Initiative und forderte am Vormittag über die nachgeordneten kirchlichen Stellen die Glieder der Landeskirche auf, sich von den Demonstrationen fern zu halten und das Kugelkreuz nicht als Provokation zu tragen238. Dieser Entschluss ging auf einen Anruf Breitmanns beim Landeskirchenamt am Morgen des 18. Juni zurück, der zu erwägen bat, „ob wir nicht eine Anweisung hinausgehen lassen könnten, damit klargestellt werde, dass es sich bei den Demonstranten, die das ‚Kugelkreuz‘ tragen, um unlautere Elemente handelt“239. Nach einer Beratung im Landeskirchenamt wurde zuerst den Ephorien Dresden-Stadt und Dresden-Land die Anweisung gegeben, „dass die Gemeindeglieder unter allen Umständen vermeiden, im Bereiche politischer Demonstrationen das Bekenntniszeichen zu tragen“240. Diese Vorschrift wurde dann augenscheinlich an die nachgeordneten Stellen weitergegeben. Die Pfarrer sollten in den Gottesdiensten am darauf folgenden Sonntag „im Geiste des Kommuniqués auf die Christen“ einwirken241. Der Präsident der Landessynode Reimer Mager bezeichnete das Verhalten der Arbeiter als „unverständlich“, da „die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik [. . .] einem wirklich neuen Zusammenleben der Menschen entgegen [gehe]“242. Zufrieden stellte Breitmann in seinem Bericht über die Ereignisse am 17. Juni fest: „Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Evangelische Kirche auf Grund des Kommuniqués eine loyale Haltung zu den Ereignissen dieser Woche einnimmt“243. Dieses Verhalten ist heftig kritisiert worden: „Sie [die Kirche, G. W.] muss sich daher die Frage gefallen lassen, ob sie nicht voreilig durch die Inaussichtstellung von Verbesserungen im Verhältnis zum SED-Staat freiwillig als einzig verbliebener unabhängiger Machtfaktor in einer historischen Umbruchsituation aus dem aktiven politischen Geschehen ausgeschieden ist und sich der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung entzogen hat“244.
237 Verhalten der Kirchenleitungen, Pfarrer und Christen zu den Ereignissen vom 17. Juni 1953 (BARCH BERLIN, DY 30/IV/14/31, Bl. 101–104, hier Bl. 101). 238 EBD. Vgl. auch W. TISCHNER, Kirchen, S. 174 f. 239 Winkler am 18. Juni 1953 (LKA DRESDEN, 2/1018, Bl. 30). 240 EBD. Breitmann, der von dieser Weisung unterrichtet worden war, erklärte sich bereit, sie nicht an die Presse weiterzugeben. 241 EBD. 242 MdI, HVDVP an das ZK der SED am 25. Juni 1953 (BARCH BERLIN, DY 30/2/14/31, Bl. 85). 243 Verhalten der Kirchenleitungen, Pfarrer und Christen zu den Ereignissen vom 17. Juni 1953 (BARCH BERLIN, DY 30/IV/2/14/31, Bl. 101–104, hier Bl. 104). Vgl. zum Verhalten der Landeskirche in Dresden auch U. BARON, S. 329. 244 EBD., S. 333.
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Ein Bericht der Leipziger SED-Bezirksleitung verweist darauf, dass sich im Bezirk Leipzig Geistliche nicht an dem Volksaufstand beteiligt hätten245. Hingewiesen wurde lediglich auf Jugendliche mit dem Abzeichen der „Jungen Gemeinde“, die am Überfall auf das Gebäude der FDJ-Bezirksleitung teilgenommen haben sollen246. Auch unter den Demonstranten wollen die Berichterstatter „insbesondere [. . .] Oberschüler, die zur Jungen Gemeinde gehörten bzw. ihr nahe standen“ bzw. „sehr stark mit ihr sympathisierten“, gesehen haben247. In einem Bericht an das Landeskirchenamt zehn Tage nach dem Volksaufstand fühlte sich Studentenpfarrer Fehlberg angesichts der Vorwürfe der Volkspolizei wegen der angeblichen Teilnahme von Christen verpflichtet, explizit darauf hinzuweisen, dass in Leipzig nirgends Jugendliche mit dem Kugelkreuz gesehen worden seien, die „sich aktiv an Gewalttaten gegen Personen oder an Sachbeschädigungen beteiligt haben“248. Die kirchlichen Stellen waren in ihrer Mehrheit also bemüht, um der Vereinbarungen vom 10. Juni willen auf das Kirchenvolk beschwichtigend und betont neutral einzuwirken. Der Volksaufstand kam für sie zu einem sehr ungünstigen Moment249. Superintendent Stiehl und Kirchenamtsrat Held bemühten sich vor allem darum, angesichts des am Abend des 17. Juni über die Stadt verhängten Ausnahmerechts das kirchliche Leben aufrechtzuerhalten. Nachdem Gollert sich für nicht zuständig erklärt hatte, wandten sie sich am 18. Juni an den sowjetischen Stadtkommandanten, der alle kirchlichen Veranstaltungen bis auf Dienstbesprechungen verbot250. Diese Regelung wurde aber schon nach zwei Tagen aufgehoben und alle üblichen Veranstaltungen erlaubt251. Die stark von dem Bemühen um Beruhigung der Lage geprägte Haltung der sächsischen Landeskirche zeigte sich auch in den Gottesdiensten am 21. Juni, als im Gegensatz zu den Gebieten, die zur thüringischen oder 245 Fernschreiben von Ullmann an das Zentralkomitee, Abt. Staatl. Verwaltung (BARCH BERLIN, DY 30/IV/2/14/31, Bl. 55 f.). Zu den Ereignissen in Leipzig vgl. H. ROTH, Sachsen, 101–182; H. ROTH, Leipzig; U. WENGST, S. 296–298, basierend auf Stimmungsberichten der Ost-CDU. Im Kreis Eilenburg wurde ein Pfarrer wegen des Läutens der Kirchenglocken zu Zeiten, zu denen normalerweise keine Gottesdienste stattfanden, verhaftet (H. ROTH, Leipzig, S. 582). 246 BARCH BERLIN, DY 30/IV/2/14/31, Bl. 56. Zur Beteiligung von FDJ-Mitgliedern am 17. Juni vgl. P. SKYBA, S. 250–257. 247 SED-KL Leipzig-Stadt an die SKK-Leipzig, Übersicht über die Entwicklung des Putsches am 17. Juni 1953 (STAL, SED IV/5/01/479, Bl. 2). 248 Fehlberg an das Landeskirchenamt am 27. Juni 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 53). 249 U. BARON, S. 327. 250 Held an das Landeskirchenamt am 18. Juni 1953: Folgen des im Bezirk Leipzig ausgesprochenen Standrechts für das kirchliche Leben (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 64). Vgl. auch das Schreiben Stiehls an die Pfarrämter des Kirchenbezirkes Leipzig-Stadt vom 19. Juni 1953 (ADSL, Schrank I, Fach 3, 34a). 251 Held an den Stadtfunk am 20. Juni 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 60).
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zur provinzsächsischen Landeskirche gehörten, in einer Vielzahl von Kirchen ein Schreiben der EKD vom 12. Juni verlesen wurde, das – wenn es auch kritische Töne bezüglich der in der DDR im Rahmen der Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ inhaftierten kirchlichen Mitarbeiter anschlug – der Regierung für ihr Entgegenkommen dankte und von den staatlichen Stellen als Gefälligkeit gegenüber der Regierung angesehen wurde252. Allerdings mussten die staatlichen Stellen zur Kenntnis nehmen, dass nur wenige Pfarrer in Leipzig das Schreiben von Dibelius verlesen hatten und „ein Teil der Geistlichen [. . .] nach wie vor blindlings dem alten reaktionären Kurs“ folgte253. Zu denjenigen, die ganz offensichtlich das Schreiben der EKD nicht verlesen wollten, gehörte – wie Gollert ausdrücklich in seinem Bericht an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten vermerkte – der aktive BK-Pfarrer Kühn, der schon zu Zeiten des Nationalsozialismus kein kritisches Wort gescheut hatte254. Dieses uneinheitliche Verhalten der Pfarrerschaft wurde von Partei und Staat durchaus erkannt und als möglicher Hebel für eine zukünftige Differenzierungspolitik gesehen. So berichtete Jacob am 24. Juni an das Zentralkomitee: „Es ist festzustellen, dass es noch immer eine Reihe Pfarrer gibt, die in versteckter Form, in Zweideutigkeiten gegen das, was von der Regierung kommt, sprechen und die vor allem in der Predigt ‚von den Gefangenen usw.‘ reden und diese in ihr Gebet einbeziehen. Gerade die letzte Zeit hat aber auch gezeigt, dass es unter den Geistlichen einen Teil gibt, der bereit ist, für das Neue einzutreten, und dass sich daraus die Aufgabe ergibt, diesen Kreis für die Mitarbeit zu gewinnen, diesen Kreis immer mehr zu erweitern“255.
4.9.2 Die CDU und der 17. Juni Die CDU hatte an der Basis die Verbindung zur „Jungen Gemeinde“ auch in Leipzig weithin verloren. Die Parteileitung schwenkte im Frühjahr 1953 auf die Linie der SED ein und folgte der Politik ihres Generalsekretärs Gerald Götting, die dieser vor dem Hauptvorstand der Partei am 25. März 1953 bekannt gab: „Reaktionäre Kirchenführer, insbesondere evangelische, verhetzen die Jugendlichen, bilden die ‚Jungen Gemeinden‘ zu Widerstandszentren gegen die neue 252 Die Botschaft an die evangelischen Gemeinden in Deutschland ist abgedruckt in: O. DIBELIUS, S. 58–62. Dibelius hatte sich am 10. Juni selbst bei Grotewohl für dessen Entgegenkommen bedankt. 253 BL Leipzig an das ZK der SED am 22. Juni 1953 (zitiert nach U. BARON, S. 328). 254 „Pfarrer Dr. Kühn aus Leipzig-Plagwitz erklärte zu Beginn der Predigt: Er könne infolge Zeitmangel die Mitteilung des Bischofs Dibelius nicht verlesen“. Gollert am 17. Juli 1953 (STAL, RdB 1582, Bl. 53–57, hier Bl. 54). 255 Bericht Jacobs vom 24. Juni 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 105).
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demokratische Ordnung, diskreditieren den Friedenskampf unseres Volkes und verhindern, dass die jungen christlichen Menschen wie die übrige Jugend, in das Lager des Friedens und des Fortschritts finden“256.
Durch diese eindeutige Stellungnahme vertiefte sich die Kluft zwischen Parteiapparat und Parteimitgliedern. Da die Bezirksleitungen die Politik des Hauptvorstandes nicht nachvollzogen und die SED dieses Verhalten monierte, instruierten Götting und der Hauptreferent für Kirchenfragen Wirth Mitte April die zweiten Bezirksvorsitzenden257. Wenig später beteiligten sie sich an einer vom FDJ-Zentralrat beschlossenen Aktion, wonach in allen Bezirken Kreissekretärstagungen abzuhalten waren, um die „Junge Gemeinde“ betreffende Anweisungen durchzugeben. Ein Aktenvermerk Wirths vom 23. April legte den „Übergang von der Propaganda auf die operative Arbeit“ fest258. Die christlichen Jugendlichen sollten zum Verlassen der „Jungen Gemeinde“ aufgefordert werden und die kirchliche Haltung durch eine gezielte Differenzierungsstrategie mit Hinweis auf die Entwicklungen in der thüringischen Landeskirche, die der staatlichen Seite Entgegenkommen signalisiert hatte, aufgeweicht werden259. Dazu dienten auch Gespräche mit „fortschrittlichen“ Pfarrern und Theologen. Diese ermöglichten der CDU einen Einblick in kirchliche Interna, sollten aber gleichzeitig die Sicht der Partei vermitteln. Die Leipziger Theologen Johannes Leipoldt260 und Emil Fuchs waren besonders eifrige Mitarbeiter der CDU. Wirth berichtete Götting von einer Äußerung des Religiösen Sozialisten Fuchs, wonach „ein prinzipieller Kampf [gegen die ‚Junge Gemeinde‘, G. W.] sehr richtig sei“, wenn er auch aus taktischen Gründen die Schärfe der Auseinandersetzung gemindert sehen wollte261. Wie die Vorgaben des Hauptvorstandes in Leipzig umgesetzt wurden, kann aufgrund der schlechten Quellenlage nicht geschildert werden. In den 256 Zitiert nach: H. WENTKER, Kooperation, S. 100. 257 A. SCHALÜCK, Agentur, S. 187. 258 Aktenvermerk Wirths am 23. April 1953 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1829). 259 Zur Haltung der thüringischen Landeskirche vgl. den Bericht Barths an Grotewohl vom 18. August 1952, in dem die Ergebnisse eines Gesprächs zwischen dem thüringischen Oberkirchenrat Gerhard Lotz und Gerald Götting dargestellt wurden (abgedruckt in: F. HARTWEG, Dok. 20, S. 78–80). 260 Zu Leipoldt vgl. auch L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Ablösung. – Leipoldt, ein Lehrer Grundmanns, hatte sich intensiv an der Forschung des in Eisenach ansässigen „Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ beteiligt, dabei jedoch – höchst flexibel und anpassungsbereit wie er war – auch nach 1945 seine Stellung an der Theologischen Fakultät halten können. 261 Wirth an Götting am 2. April 1953 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1745). Aus der Rückschau von 1989 räumte Wirth ein, „im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen der Jungen Gemeinde und der Studentengemeinde im ersten Halbjahr 1953 gravierende Fehler begangen“ zu haben, spielte dabei jedoch seine entscheidende Rolle herunter (G. WIRTH, Beteiligung, S. 135).
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anderen Bezirksverbänden wurden sie in der Regel verwirklicht262. Auch Einwände sächsischer BK-Mitglieder konnten Götting nicht zu einer Änderung seiner Politik bewegen263. Auf das Verbot der „Jungen Gemeinde“ durch das Innenministerium am 28. April 1953 reagierte die CDU, dieses Mal stärker unter dem Einfluss Nuschkes, ambivalent. Zwar äußerte Nuschke intern heftigen Widerstand gegen ein CDU-Papier, das die „Junge Gemeinde“ als illegale Organisation behandelte, nach außen jedoch vermied er jeden öffentlichen Protest gegen die staatliche Maßnahme264. Schließlich bat Nuschke die Parteiorganisationen in den Bezirken doch, den Staat in seiner Politik gegen die „Junge Gemeinde“ zu unterstützen. Während es in einigen Bezirksverbänden Probleme gab, die Parteilinie gegenüber den Kirchen durchzusetzen, vermerkte Wirth eine „prinzipiell klare Diskussion“ in Leipzig265. Wie aus einem Bericht über die Gespräche mit Pfarrern, die im Mai 1953 im Bezirk Leipzig stattfanden, hervorgeht, war allerdings kein Pfarrer aus der Stadtephorie bereit, sich auf ein Gespräch mit CDU-Funktionären einzulassen266. Angesichts dieses Einschwenkens auf die SED-Linie traf die CDU der Politikwechsel durch den „Neuen Kurs“ voll. Sie stand deswegen auch im Zusammenhang mit dem Volksaufstand vom 17. Juni, an dem sie sich nicht nennenswert beteiligt hatte267, stark in der Kritik. Sie wurde als „Anhängsel der SED“ kritisiert, und Rücktrittsforderungen an die Adresse von Nuschke und Götting wurden laut268. Von Seiten der kirchlich gebundenen Bevölkerung wurde der CDU der Vorwurf gemacht, sie habe in der Frage der „Jungen Gemeinde“ „politisch sehr kurzsichtig“ gehandelt269. Auch unter den CDU-Mitgliedern spielte die Haltung zur „Jungen Gemeinde“ eine äußerst wichtige Rolle, wie ein CDU-interner Bericht nach dem Aufstand festhielt: „Man diskutiert die bisherige Politik der Parteileitung meistens im Zusammenhang mit den Fragen um die Junge Gemeinde und fordert teilweise auch die Zurückziehung von Funktionären, die hierbei besonders hervorgetreten sind“270. Ein vom Leipziger CDU-Bezirksverband erstellter 262 H. WENTKER, Kooperation, S. 102. 263 So wandte sich Martin Richter, der Mitglied der Dresdner CDU-Bezirksleitung war, am 31. März an Götting (vgl. EBD., S. 103). 264 EBD., S. 106. 265 Aktenvermerk Wirths vom 4. Juni 1953 (vgl. EBD., S. 107, Anm. 72). 266 Pfarrergespräche im Mai 1953 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1747). 267 L. HAUPTS, S. 396. 268 Zur Stimmung innerhalb der CDU nach dem 17. Juni vgl. U. WENGST, hier S. 280 f. 269 Analyse aus den der [CDU-] Parteileitung vorliegenden Stimmungsberichten aus der Bevölkerung seit der Veröffentlichung der Beschlüsse des Ministerrates vom 11. bis 22. Juni 1953 (abgedruckt in: EBD., S. 281–302, hier S. 282). 270 Zusammenfassung der Diskussionsbeiträge, Wünsche und Anregungen der Bevölkerung aus den Stimmungsberichten der Kreis- und Bezirksverbände vom 20. Juni bis 15. Juli 1953 (abgedruckt in: EBD., S. 303–321, hier S. 309).
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Stimmungsbericht berichtete von „Kritik an den führenden Funktionären der CDU [. . .], da sie die nunmehr rückgängig gemachten Maßnahmen nicht nur gebilligt hätten, sondern sie gegenüber den Mitgliedern der Bevölkerung auch als richtig propagiert hätten“271. Um der Gefahr zu entgehen, mit der CDU in Verbindung gebracht zu werden, schlug der an der Markus-Gemeinde tätige Pfarrer Georg Schumann deshalb vor, keine Kirchennachrichten mehr an das CDU-Organ „Union“ weiterzugeben: „Die Haltung der ‚Union‘ besonders im Fragenkreis der ‚Jungen Gemeinde‘, die Art des Auftretens des jugendlichen Generalsekretärs Götting in den vergangenen Wochen der Kirche gegenüber dürften hinreichend genügen, um meine Bitte verständlich zu machen“272. Innerhalb der Parteileitung wurde Günther Wirth wegen des Prestigeverlustes im August aus der Kirchenpolitik abgezogen273. Die Kluft, die sich zwischen den Mitgliedern und der Parteiführung aufgetan hatte, war nach dem 17. Juni unübersehbar. Walter Bredendiek, Wirths Nachfolger, empfahl seiner Partei daher im September, zumindest in ihrer Außenwirkung die Kirchenpolitik zu ändern274. Vor allem das Vertrauensverhältnis zu den Geistlichen sollte verbessert werden. Die CDU sollte sich als Verbindungsstelle zwischen Kirche und Politik etablieren. Hierzu schlug Bredendiek eine Stärkung der „Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen“ vor. Auf Bezirksebene sollte die CDU vor allem die Arbeit der Referenten für Kirchenfragen daraufhin untersuchen, „ob sie immer das Bestreben an den Tag gelegt haben, ein harmonisches Verhältnis zwischen Staat und Kirche herzustellen und zu erhalten“, und auf ihre fachliche Qualifikation achten275. Allerdings musste zu diesem Zweck auf Bezirksebene erst eine entsprechende Struktur geschaffen werden. Bredendieks Vorschläge offenbarten ein weiteres Mal, dass man sich innerhalb der CDU noch Illusionen darüber hingab, wie weit die SED der CDU das Feld der Kirchenpolitik überlassen würde. Ohnehin hatte die CDU für den überwiegenden Teil der christlich eingestellten Bevölkerung spätestens in dem Moment jede Glaubwürdigkeit verspielt, in dem sie sich völlig dem SED-Kurs gegen die „Junge Gemeinde“ untergeordnet hatte. Spätestens jetzt war klar geworden, dass es sich auch bei der CDU nur um ein Organ der SED-Kirchenpolitik handelte276. Ein kirchlicher Vertreter brachte den Inhalt eines Gesprächs zwischen Vertretern der Ost-CDU und 271 EBD., S. 295. 272 Schumann an Stiehl am 22. Juni 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 59). 273 H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus, S. 354. 274 Walter Bredendiek, Zu einigen Fragen der Kirchenpolitik im Anschluss an die bisher durchgeführten Pfarrergespräche (30. September 1953) (ACDP ST. AUGUSTIN, VII013–1829). 275 EBD. 276 So auch M. G. GOERNER, Kirche S. 187, S. 196.
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den Landeskirchen Ende November 1953 auf den Punkt: „Der Versuch der CDU, unter Umgehung der Wahrheitsfrage kirchliche Amtsträger für die politische Linie des fortschrittlichen Christentums (Weltfriedensbewegung, Nationale Front u. a.) zu gewinnen, dürfte als gescheitert anzusehen sein“277.
4.9.3 Die Umsetzung des Kommuniqués in Leipzig Nach dem 17. Juni bestand Klärungsbedarf darüber, wie das Kommuniqué auf lokaler Ebene umzusetzen war278. In Leipzig kam es erst am 17. Juli zu dem entscheidenden Gespräch zwischen kommunalen und kirchlichen Vertretern279. Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, Adolphs, und der Referent Gollert saßen den beiden Leipziger Superintendenten Stiehl und Pfeiffer und dem kommissarischen Kirchenamtsrat Held gegenüber. Bei diesem Gespräch konnten selbstverständlich nur diejenigen Punkte abschließend geklärt werden, für die der Rat des Bezirkes zuständig war. Gollert konnte als erledigt nur die Kohlenversorgung für kirchliche Einrichtungen, einen Fall der Behinderung des Christenlehreunterrichts außerhalb Leipzigs, das Aushängen kirchlicher Plakate in Geschäften, die Erhebung von Mieten für die Benutzung von Schulräumen und den Oberschulbesuch einer Pastorentochter vermerken. Wichtige Punkte wie die Gefängnisseelsorge und die Gewährung eines veranstaltungsfreien Nachmittags zur Abhaltung kirchlicher Veranstaltungen für Schulkinder blieben so erst einmal ungeklärt280. Diese hinhaltende Politik beruhte jedoch nicht auf der Initiative Gollerts, der sich gegenüber dem Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten für die kirchlichen Anliegen, besonders die Waldandachten und die Einrichtung eines schulfreien Nachmittages, einsetzte281. Auch der selbstbewusst vorgetragene Öffentlichkeitsanspruch Stiehls vermochte an dieser Situation nichts zu ändern: „Es wurde von Stiehl darauf hingewiesen, dass 277 Protokoll des provinzsächsischen Oberkonsistorialrats Johannes Anz (zitiert nach G. BESIER, SED-Staat, S. 137). 278 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 123, kommt zu dem Ergebnis, dass die Abmachungen weitgehend umgesetzt worden seien. 279 Über dieses Gespräch gibt es drei Protokolle: Held, „Zusammenfassung über das Gespräch am 17. Juli 1953“ (LKA DRESDEN, 2/1018, Bl. 33 f.); ein Protokoll Stiehls vom 20. Juli (BKA LEIPZIG, A 97) und Gollerts „Aktennotiz über die heutige Aussprache mit Vertretern der evang. Kirche“ (STAL, RdB 21104). 280 Vgl. dazu auch Stiehl an das Landeskirchenamt am 30. Juli 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 36). 281 Gollert an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten am 22. Juli 1953 (STAL, RdB 21104).
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die Kirchen nicht in einen engen Raum rein geistlicher Art eingeschränkt werden können, sondern christlicher Glaube in alle Gebiete auszustrahlen habe, so auch in das Gebiet der Politik. Die Kirche habe immer ein Wächteramt und gegebenenfalls die Aufgabe, Unrecht aufzuzeigen“282. In einem weiteren Gespräch mit dem Inspekteur der Volkspolizei Winkelmann wurde der Leipziger Kirche die uneingeschränkte Nutzung des Rüstzeitheimes Sehlis zugesagt, während Winkelmann das Weiterbestehen des seit dem Frühjahr geltenden Verbots der Waldandachten mit Hinweis auf eine Verordnung des Innenministeriums erklärte283. Auch hier zeigte sich wieder deutlich, dass die Regierung am längeren Hebel saß. Mit der Anordnung über die „Erteilung des Religionsunterrichts in den Räumen der allgemeinbildenden Schulen“ vom August 1953 erhielten die Kirchen eine schriftlich fixierte Handhabe, gegen Behinderungen, wie sie insbesondere ab Jahresbeginn 1953 verstärkt aufgetreten waren, vorzugehen284. Danach mussten die Schulleiter an allgemeinbildenden Schulen den Kirchen Räume für den Religionsunterricht zur Verfügung stellen. Administrative Behinderungen, wie das Verbot der Unterweisung vor Schulbeginn oder der Nutzung von „Springstunden“ wie auch die Klausel, dass Schüler durch den Religionsunterricht nicht über Gebühr belastet werden dürften, boten Schulleitern dennoch auch künftig eine Handhabe gegen die christliche Erziehung an den Schulen. Der Abschlussbericht des Leipziger Instrukteurs für Kirchenfragen, Jacob, zur Umsetzung des Kommuniqués vom September 1953 machte wiederum das gesamte Ausmaß der Verfolgungsmaßnahmen, besonders auf dem Bildungssektor, deutlich. 57 Oberschüler und 42 Oberschullehrer waren entlassen worden285. Zwölf dieser Schüler sowie vier der entlassenen Lehrer hatten die DDR mittlerweile verlassen. Soweit möglich wurden die eingeleiteten Maßnahmen rückgängig gemacht. Auch auf dem Gebiet des Religionsunterrichts meldete Jacob keine größeren Schwierigkeiten286. Der Instrukteur für Kirchenfragen musste jedoch einräumen, dass die Frage der Anmeldepflicht von Veranstaltungen noch nicht geregelt war. Gerade auf diesem Gebiet war vieles in das Ermessen der jeweiligen Mitarbeiter auf Bezirksebene gestellt. 282 Held, „Zusammenfassung über das Gespräch am 17. Juli 1953“ (LKA DRESDEN, 2/1018, Bl. 34). 283 Aktennotiz Stiehls vom 20. Juli 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 38). 284 Vgl. die Verordnung vom 3. August 1953 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/187, Bl. 20 f.). Vgl. auch W. TISCHNER, Kirchen, S. 177. 285 Jacob an das ZK der SED am 12. September 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 128–131, hier Bl. 128). Grotewohl selber bezifferte die Zahl der entlassenen Oberschüler am 10. Juni auf 712 (H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 117). 286 Jacob an das ZK der SED am 12. September 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 128–131, hier Bl. 128).
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Hinsichtlich der Erfüllung des Kommuniqués fallen zwei Sachverhalte auf: 1. Mit der Aufhebung der Beschränkungen konnte die Kirche wieder frei über das Freizeitheim Sehlis verfügen. Damit war ein zentraler Aspekt der Verhandlungen erledigt. 2. Soweit es sich um Einzelfallentscheidungen handelte, wie etwa bei der Relegation von Schülern, wurden die Bestimmungen des Kommuniqués erfüllt. Schwierigkeiten ergaben sich vielmehr bei dauerhaften Konfliktfeldern wie den für Religionsunterricht freizuhaltenden Nachmittagsstunden und der Anmeldepflicht für Veranstaltungen. Hier zeigte sich die staatliche Seite nicht bereit, auf die kirchlichen Forderungen einzugehen. Fazit Resümiert man die Ereignisse seit dem Sommer 1952, so kommt man zu folgenden Ergebnissen: Der Konflikt um die „Junge Gemeinde“ stellt einen der zentralen Aspekte der nach der II. Parteikonferenz eingeleiteten Bemühungen der SED dar, den gesellschaftlichen Status der Kirchen zu beschneiden. Darüber hinaus wird die These Wentkers bestätigt, wonach die Schärfe der gegen die „Junge Gemeinde“ ergriffenen Maßnahmen in der Schwäche der FDJ begründet war287. Es bestand die Gefahr, dass die FDJ ihrer Funktion als Kaderreserve für den sozialistischen Aufbau nicht gerecht werden könnte. Gegenüber den charismatischen Führungspersönlichkeiten der Leipziger „Jungen Gemeinde“, Wallmann und Dost, aber auch dem Studentenseelsorger Fehlberg, geriet die notorisch unterbesetzte FDJ auch in Leipzig ins Hintertreffen. An den Oberschulen gelang es der „Jungen Gemeinde“ angesichts der personellen Auszehrung wie der ideologischen Beschränktheit der Einheitsjugendorganisation, die Meinungsführerschaft zu erringen. Die der FDJ während der Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ aufgetragenen Aufgaben konnte sie, wenn überhaupt, nur mit außerordentlicher Hilfe der SED erfüllen. An diesem Befund änderte sich auch nach dem Juni 1953 wenig. Ein Bericht des MfS aus dem Frühjahr 1954 konstatierte das völlige Versagen der FDJ-Bezirksleitung während des 17. Juni und gelangte zu der Feststellung, dass die „Junge Gemeinde“ erfolgreich versuche, „die FDJ-Arbeit zu untergraben. Entgegen dem Abkommen mit der Kirche versuchen sie [sic] in das Verbandsleben der FDJ einzugreifen mit dem Ziel, die Jugend dem Einfluss dem Verband [sic] der Freien Deutschen Jugend zu entziehen“288. Der Bericht führte ein Beispiel aus 287 H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 125. 288 Bericht über die operative Arbeit der FDJ des Bezirkes Leipzig. BV Leipzig am 10. Februar 1954 (BSTU, Lpz Leitung 180, Bl. 147).
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einem Leipziger Vorort an, wo es einem neu eingesetzten Pfarrer innerhalb kurzer Zeit gelungen sein soll, eine Gruppe der „Jungen Gemeinde“ zu gründen und das FDJ-Leben lahm zu legen289. Eine der Konsequenzen, die sich für die Glieder der „Jungen Gemeinde“ aus dem „Kirchenkampf“ 1953 ergaben, war die Trennung von der FDJ. Während bis zum Frühjahr 1953 ein großer Teil der christlichen Jugend der Einheitsjugendorganisation angehörte – ein Informationsbericht der FDJ-Landesleitung aus dem Dezember 1952 sprach von fast der Hälfte – war danach eine „Doppelmitgliedschaft“ die Ausnahme290. Die Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ drehte den Trend um: Bis 1952 konnte die kirchliche Jugend zahlenmäßig zulegen, während sie in Leipzig von 1953 bis 1958 einen Rückgang um 31 Prozent zu verzeichnen hatte291. Die Attraktivität der „Jungen Gemeinde“ speiste sich zum einen sicherlich aus der Schwäche der FDJ und zum andern aus dem „alternativen Angebot“ der Kirche. Offene Diskussionskultur und ein weites Spektrum an Aktivitäten zogen sicherlich auch viele Jugendliche, die zum weiteren Umfeld der Kirche zählten, an. Die „Junge Gemeinde“ als „Terrororganisation“ zu bezeichnen war Teil der politischen Kampagne, um nach innen die Schwerfälligkeit des Apparats zu überwinden und nach außen den selbst ausgeübten Terror zu legitimieren. Man beschuldigte die Gegenseite, um sich selber die Handhabe zum Eingreifen zu geben. Nichtsdestotrotz spiegelte der Erfolg der „Jungen Gemeinde“ den Misserfolg der totalitären Gleichschaltungsbemühungen der SED wider. Die Tradierung des Glaubens, der Widerstand gegen die Militarisierung der Gesellschaft, das Eintreten für die bürgerlichen Werte – all das hemmte die von der SED intendierten Gleichschaltungsbemühungen. Die „Junge Gemeinde“ war somit zu einem Faktor der Resistenz in der DDR geworden292. Die Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ zeigte auch die Schwerfälligkeit der durch den administrativen Umbau geschwächten Partei- und Staatsstellen. Die besonders auf die Initiative Ulbrichts zurückgehende Kampagne brach sich auf Bezirksebene, weil dort in beiden Bereichen die Relevanz von Kirchenfragen als gering eingeschätzt wurde und auf der Ebene der Kreise entsprechende Sachbearbeiter häufig fehlten. Dies erklärt die immer wiederkehrenden Ermahnungen aus Berlin, endlich stärker zuzugreifen. Schließlich war durch die Einrichtung der Bezirke und
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EBD., Bl. 148. R. HENKYS, Opposition, S. 154. F. JOSTMEIER, SED, S. 44. Vgl. auch P. SKYBA, S. 221; F. JOSTMEIER, SED, S. 99; R. HENKYS, Opposition, S. 156.
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das damit verbundene Personalrevirement auch etliches Wissen über die Kirche und ihre Struktur verloren gegangen. Das Wirken des Ersten Sekretärs der SED-Bezirksleitung, Paul Fröhlich, in dieser Kampagne lässt sich archivalisch schwer fassen, doch fällt auf, dass erst in dem Moment, als die SED-Bezirksleitung im März/April 1953 die Fäden in die Hand nahm und auf Bezirks- und Kreisebene Kommissionen zur Koordinierung der Kampagne gebildet wurden, die Auseinandersetzung an Dynamik gewann. Das Zusammenwirken der einzelnen Partei- und Staatsstellen ist nur vor dem Hintergrund der Intervention des Ersten Sekretärs der SED-Bezirksleitung, Paul Fröhlich, denkbar. Auf der Seite des Rates des Bezirkes gab es ähnliche strukturelle Umsetzungsprobleme. Gerade zu Beginn der Auseinandersetzung zeigte sich der Referent für Kirchenfragen angesichts der ihm aufgebürdeten Arbeit überfordert, lag doch die Last der administrativen Koordinierung bei ihm. Um die Jahreswende 1952/1953 gab es in 13 Kreisen nur einen nebenamtlichen Mitarbeiter für Kirchenfragen. Die Pfarrerkartei, die als Informationsbasis der Kampagne dienen sollte, war erst im März 1953 auf Bezirksebene erstellt, wobei nicht einmal klar ist, wie vollständig sie war. Schließlich war das Phänomen „Kirche“ den häufig aus Kreisen der Arbeiterschaft kommenden Sachbearbeitern nahezu unbekannt. Auch nahm der für Kirchenfragen zuständige Referent Gollert – immerhin SED-Mitglied – keineswegs von vornherein eine kirchenfeindliche Haltung ein, sondern setzte sich sogar noch nach dem 17. Juni gegenüber den Berliner Stellen für die kirchlichen Belange ein. Dagegen funktionierte der politische Apparat schon ganz im Sinne der SED. Gemäß dem in Berlin ausgearbeiteten Plan verabschiedete der Parteienblock im Bezirk Leipzig im April 1953 eine Resolution, die ganz im Sinne der SED den Charakter der „Jungen Gemeinde“ als „Terrororganisation“ festschrieb. An der Spitze der CDU wurde dieser Kurs nicht nur mitgetragen, sondern die neuen Kräfte um den Generalsekretär Götting wie Günter Wirth forcierten ihn sogar, möglicherweise in der illusorischen Hoffnung, dadurch die Kompetenz in Kirchenfragen gegenüber der SED an sich ziehen zu können. Diesem Kurs gab schließlich auch der Parteivorsitzende Otto Nuschke nach, der sich als Leiter der Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“ als Fürsprecher der kirchlichen Interessen gezeigt hatte. Die Umsetzung dieser Linie auf Bezirksebene lässt sich für Leipzig nicht genau nachvollziehen, doch hatte die CDU dort schon bei den kirchlichen Stellen massiv an Ansehen verloren. Die meisten kirchlich orientierten CDU-Mitglieder waren mittlerweile aus der Partei ausgetreten. Die Parteibasis war aber weitgehend verstört über den kirchenfeindlichen Kurs der Parteispitze. Zu den wenigen, die sich noch bereit fanden, den Kurs auf Bezirksebene zu tragen, gehörten die Universitätstheologen Emil Fuchs
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und Johannes Leipoldt293. Ansonsten wandten sich die Pfarrer – wie die Berichte über die im Bezirk Leipzig erfolgten Pfarrergespräche zeigen – weitgehend geschlossen von der CDU ab. Auch innerhalb der „Jungen Gemeinde“ dürfte die CDU wenige Anhänger gehabt haben, lehnte doch Jugendpfarrer Wallmann jede Zusammenarbeit mit dieser Partei strikt ab. Diese Einstellung gegenüber der CDU änderte sich auch nach dem Erscheinen des Kommuniqués und dem Volksaufstand vom 17. Juni nicht. An der Parteibasis wurde die CDU als das kritisiert, was sie mit dem Einschwenken auf den Kurs der SED geworden war: als deren Anhängsel. Eine außerordentliche Rolle in den Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ spielte die Leipziger Volkspolizei, die in die Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“ voll eingespannt war, jedoch – darüber hinaus – in Leipzig eigene Initiativen ergriff. Schon im Sommer 1952 setzte sie gegen die Meinung des Rates des Bezirkes das Verbot von Rüstzeiten für nicht grundschulpflichtige Jugendliche in Sehlis durch. Dieses Vorgehen macht deutlich, dass sich die Leipziger Volkspolizei nicht primär als rechtsstaatlich gebundener Hüter von Recht und Ordnung verstand, sondern in „dynamischem Rechtsverständnis“ die Vorgaben der SED umzusetzen versuchte. Die vorhandenen Quellen legen auch die Federführung der Polizei bei den Maßnahmen in Sehlis im Frühjahr 1953 nahe, die faktisch die Beschlagnahme des Heimes bedeuteten. Im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Vernehmung von Herbert Dost durch das MfS wurden durch die Volkspolizei kirchliche Diensträume durchsucht. Die Untersuchung unterstreicht damit Herbstritts Meinung, wonach die „Volkspolizei [. . .] für die Politik des Staates gegenüber den Kirchen eine entscheidende Rolle“ spielte294. Das ehrgeizige Programm der SED zum „beschleunigten Aufbau des Sozialismus“ war mit dem 17. Juni 1953 auf der ganzen Linie gescheitert. Die offene Auseinandersetzung mit den Kirchen hatte sich als kontraproduktiv erwiesen, die meisten antikirchlichen Maßnahmen wurden rückgängig gemacht. Diese Niederlage bedeutete jedoch nicht das Ende der Ära Ulbricht, da dieser nicht von der Zustimmung der Bevölkerung, sondern von dem Rückhalt der Sowjets abhängig war. Ulbricht konnte im innerparteilichen Machtkampf im Nachspiel des Volksaufstandes seinen Einfluss noch weiter ausbauen295. Insofern ist der 10. Juni 1953 nicht in erster Linie als Niederlage, sondern als Wendepunkt der SED-Kirchenpolitik zu sehen, die nunmehr von einer repressiven Politik zu einer weit effektiveren Differenzierungspolitik überging. Die Leipziger Protestanten nahmen die Bot293 Zu Fuchs und Leipoldt vgl. G. WIRTH, Friedenspfarrer. 294 G. HERBSTRITT, S. 963, der die besondere Rolle der Volkspolizei in der Verfolgung der Kirchen im Vergleich zum MfS untersucht. 295 Vgl. dazu K. SCHROEDER, S. 126–131.
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schaft vom 10. Juni wohlwollend, aber mit Skepsis auf. Die Auseinandersetzung im Frühjahr 1953 hatte sie in einem denkbar ungünstigen Moment getroffen, waren doch mit Stiehl in Leipzig und Noth in Dresden zwei Vertreter der Bekennenden Kirche in leitende Kirchenämter gekommen, die an ihren jeweiligen Stellen über relativ wenig Rückhalt verfügten. Das Maß, in dem sie ihre Position ausbauen konnten, entschied auch darüber, wie sich die Situation in Leipzig gegenüber Partei und Staat in den 50er Jahren entwickeln sollte.
4.10 Exkurs: Die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit in den Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ Zu denjenigen Ereignissen, die bisher bei der Darstellung des Konflikts um die „Junge Gemeinde“ in Leipzig nicht richtig eingeordnet werden konnten, gehört die Verhaftung des Diakons Herbert Dost am 14. Februar 1953296. Als Leiter des Amtes für Gemeindedienst im Kirchgemeindeverband Leipzig organisierte er vielfältige kulturelle Angebote und bildete mit seinen Verbindungen zu bekannten christlichen Künstlern auch den Mittelpunkt eines protestantisch-bildungsbürgerlichen Netzwerkes über die Stadt hinaus. Außerdem leitete er die Leipziger Spielgemeinde, eine professionelle christliche Schauspielgruppe in Leipzig. Darüber hinaus engagierte sich Dost im Ausschuss für Gemeindefragen der EKD, im Diakonischen Werk und als Synodaler in verschiedenen anderen Gremien297. Tatsächlich verwundert es im Nachhinein nicht, dass eine so aktive und das Gesellschaftssystem der DDR strikt ablehnende kirchliche Persönlichkeit wie Dost verhaftet wurde. Aber die Frage ist berechtigt, warum nicht Jugendpfarrer Heinrich Wallmann festgenommen wurde, der als die zentrale Führungsperson der „Jungen Gemeinde“ in Leipzig gerade in den SED-Akten auftauchte und auch im Zentrum der SED-Propaganda stand. Hierüber geben die Akten des MfS Aufschluss. Sie verdeutlichen, dass die Verhaftung Dosts nicht von der Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ getrennt werden kann, und gestatten es, die Überwachung der evangelischen Kirche in Leipzig seit 1945 in einem zunehmend totalitäre Züge annehmenden System darzustellen.
296 C. KAUFMANN und auch die Monographie von C. KOCH übergehen diesen Punkt. Eine ausführliche Schilderung des Vorgangs bei R. LANGHAMMER, S. 30–40, einer langjährigen Mitarbeiterin Dosts in der Leipziger Spielgemeinde. 297 EBD., S. 31.
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4.10.1 Die evangelische Kirche in Leipzig unter Beobachtung Die Überwachung der Gesellschaft durch die Geheimdienste der SMAD, die Landesverwaltung und die KPD/SED, die über einen eigenen nachrichtendienstlichen Apparat verfügte, setzte sofort nach Kriegsende ein298. Sie gehörte selbstverständlich auch zu den Aufgaben der nach 1945 mit neuem Personal wieder aufgebauten Polizei. Nachdem deutsche Sicherheitskräfte noch im Juni 1945 auf Geheiß des sowjetischen Stadtkommandanten von Dresden aufgestellt worden waren, konstituierte sich die deutsche Polizei im September 1945299. Die Polizei war der Abteilung Inneres und Volksbildung der Landesverwaltung unterstellt. Unter ihrem Leiter Arthur Hoffmann wurde sie schnell in einen von Kommunisten dominierten Sicherheitsapparat umgestaltet und entwickelte sich zum Vorbild für die SBZ. Sie hatte dabei in den ersten Jahren mit geringem und schlecht ausgebildetem Personal und einer hohen Fluktuation zu kämpfen, wodurch eine effektive polizeiliche Kontrolle der Gesellschaft kaum zu leisten war300. Innerhalb der sächsischen Polizei war die fünfte Abteilung, Pass- und Meldewesen, für die Überwachung der Kirchen zuständig301. Zu ihren Aufgaben gehörte anfangs vor allem die Registrierung der Kirchenein- und -austritte302, die behördliche Genehmigung kirchlicher Veranstaltungen und die Auswertung von Überwachungsberichten über Gottesdienste303. Am 11. März 1946 wies der Chef der sächsischen Polizei die Polizeidienststellen an, Wochenberichte über die Tätigkeit der kirchlichen Vereine zu erstellen304. Der Einfluss von Polizeibehörden auf kirchliche Fragen nahm in der gesamten SBZ schließlich einen derart großen Umfang ein, dass sich die Volksbildungsminister der Länder veranlasst sahen, auf ihrer Konferenz im Juli 1947 die grundsätzliche Frage zu erörtern, „welches Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten zuständig ist“305. Ein hervorragendes Instrument zur Überwachung der kirchlichen Aktivitäten schuf sich die Polizei durch die im September 1948 erlassene Anordnung über die Genehmigungs- und Anzeigepflicht von Veranstaltungen, die die Kirchen
298 Zum parteiinternen Informationsdienst der KPD/SED vgl. A. MALYCHA, SED, S. 358– 364 mit weiteren Verweisen. 299 Darstellung nach A. THÜSING, S. 283–292. 300 Vgl. zu den Grenzen des Polizeistaates R. BESSEL. 301 Vgl. auch M. MERCHEL, S. 307. 302 Jahresbericht 1946 der LBdVP Sachsen (SÄCHSHSTA DRESDEN, LBdVP Sachsen 2, Bl. 119). 303 V. STANKE, S. 16. 304 Das Schreiben ist zitiert in: H. SCHUMANN, S. 238. 305 Zit. nach V. STANKE, S. 16.
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zur Aufstellung von Monatsplänen über alle in nichtkirchlichen Räumen geplanten Veranstaltungen zwang306. Die „nachrichtendienstliche“ Erfassung wurde jedoch auch von der Landesregierung betrieben. Schon Ende 1946 erstellte das dafür zuständige Landesnachrichtenamt Einzelberichte zu den Kirchen, die auf Zuarbeiten des Landrates oder Kulturamtes beruhten307. Anfang 1947 verlangte das im Volksbildungsministerium befindliche Referat Kirchenangelegenheiten von den Kommunen einen Bericht über „die Tätigkeit, Ausbreitung und Wirksamkeit aller Religionsgemeinschaften bis zum Jahresende 1946“308. Das Referat interessierte sich für die Namen der Leiter der jeweiligen Religionsgemeinschaft und ordnete ihre politische Überprüfung an309. In Leipzig war die Abteilung ID des Leipziger Nachrichtenamtes, die auf Anweisung der Landesverwaltung als Hilfsinstanz des Landesnachrichtenamtes entstanden war, unter ihrem Chef Kirmsse für die Beantwortung derartiger Anfragen zuständig310. Sie war schon ab Juli 1945 mit der Sammlung von Stimmungsberichten betraut. Die Antwort dieser Abteilung auf die Anfrage über die evangelische Kirche in Leipzig erhielt jedoch keine neuen Erkenntnisse311. Schwierigkeiten, so die Kernaussage des Berichts, hatten sich zwischen der Kommune und der evangelischen Kirche nicht ergeben. Zu den Aufgaben der Abteilung ID zählte auch die Erstellung von Beurteilungen von Mitgliedern der Leipziger Stadtverordnetenversammlung. Im Rahmen dieser Tätigkeit fertigte die für gewöhnlich sehr gut unterrichtete Abteilung Anfang 1948 eine Charakteristik Dosts an, die die Ausstrahlung, die von dem Diakon ausging, gut einfing: „Er ist ein glänzender Redner und verfügt zweifellos über ein bestimmtes Geltungsbedürfnis. [. . .] Zweifellos gehört Dost zu den besten geistigen und moralischen Kräften der ev.-luth. Kirche und der CDU: Wenn solche Naturen 306 Anordnung über die Genehmigungs- und Anzeigepflicht kirchlicher Veranstaltungen vom 21. September 1948 (GVBl des Landes Sachsen vom 30. September 1948, Nr. 24, S. 514). Die Landeskirche informierte mit Runderlass 140 vom 29. Oktober 1948 die nachgeordneten Stellen (ADSL, 2.1.4). 307 Zu der Tätigkeit der Landesnachrichtenämter vgl. N. M. NAIMARK, S. 458. 308 Ministerialdirektor Herbert Gute am 27. Januar 1947 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1348, Bl. 8). 309 Seitens der katholischen Kirche gab es dagegen massive Proteste, weil einzelne Pfarreien zu Angaben aufgefordert worden waren. Das Bistum war jedoch nur bereit, zentral Auskunft zu erteilen (vgl. W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 99). 310 Vgl. C. LANG, S. 98–103. Kirmsse war schon in der Weimarer Republik im polizeilichen Nachrichtendienst tätig gewesen (S. 99, Anm. 52). Zu der Entstehung des Nachrichtenamtes vgl. auch W. HALTER, S. 599; zur Verbindung zum MfS vgl. C. VOLLNHALS, Organ, S. 54. 311 Die Abteilung ID konnte zur Überprüfung der politischen Vergangenheit Schumanns auf NSDAP-Unterlagen, die die Kriminalpolizei gesammelt hatte, zurückgreifen (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1346, Bl. 11).
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in Vielzahl vorkommen würden, könnten sie der Kirche noch einmal eine geistig-ethische Basis schaffen“312.
Der Überwachungsapparat war im Jugendbereich besonders sensibel. Nach sowjetischer Einschätzung zeigten sich gerade in dieser Altersgruppe die stärksten Abwehrreaktionen gegen die sowjetische Besatzung313. Auch FDJStellen war die erfolgreiche kirchliche Jugendarbeit ein Dorn im Auge. Robert Bialek, Landesleiter der sächsischen FDJ, benannte im April 1946 dem sowjetischen Geheimdienst eine Reihe von CDU-Aktivisten mit Verbindungen zur Kirche, die prompt festgenommen wurden314. Die Verhaftung des Leiters der landeskirchlichen Verbindungsstelle zur FDJ, des Leipzigers Werner Ihmels, im September 1947 war eine eigenständige Aktion des NKWD315. Ihmels war eine der herausragenden Persönlichkeiten in der Leipziger kirchlichen Jugendarbeit. Er wurde im Dezember 1947 zusammen mit dem 16-jährigen Horst Krüger zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt, ein weiterer Jugendlicher erhielt 15 Jahre. Ihmels wurde im Frühjahr 1948 in das Sonderlager IV nach Bautzen gebracht, wo er an Tuberkulose erkrankte und am 25. Juni 1949 an einer Lungenembolie starb316. Für den Jugendbereich lässt sich auch schon sehr früh die Überwachung durch die K 5 beobachten, eine Vorläufereinrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit. Das Fünfte Kommissariat der Kriminalpolizei war die erste Truppe der Polizei, die nach dem Krieg in der SBZ ihre Tätigkeit aufnahm317. Die Ursprünge dieser Organisation liegen in Sachsen, wo sie aus der Überwachungsabteilung der Personalverwaltung der Stadt Dresden hervorging318. Im März 1947 war es der Deutschen Verwaltung des Innern gelungen, die Arbeit der K 5 zu zentralisieren. Eine Ausweitung ihrer Tätigkeit, die sich streng an dem sowjetischen Vorbild orientierte, erfuhr die K 5 durch den SMAD-Befehl 201319, der die Entnazifizierungsverfahren abschloss und umfangreiche Nachforschungen erforderlich machte. Die Observierung der Kirchen, für die die Abteilung „C 3“ zuständig war, spielte in ihrer Arbeit allerdings eine untergeordnete Rolle320. Der Berliner 312 K[irmsse] am 1. Januar 1948 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 34). 313 N. M. NAIMARK, S. 480. 314 EBD., S. 693, Anm. 141. Zu Bialek vgl. M. HERMS/G. NOACK. 315 Zu Werner Ihmels vgl. C. M. RADDATZ und F. IHMELS. Zur Überwachung der Kirchen durch die sowjetischen Geheimdienste vgl. N. M. NAIMARK, S. 490. 316 Vgl. auch LVZ vom 20. September 2001: „Engagierter Christ starb als 23-Jähriger in Bautzen. Werner Ihmels – Opfer kirchenfeindlicher Politik der DDR“. 317 Zur K 5 vgl. N. M. NAIMARK, S. 453–458 und J. GIESEKE, S. 55–81; am ausführlichsten hat M. SCHMEITZNER, Formierung, die Entstehung der Polizei in Sachsen untersucht. 318 Eine Übersicht über den Personalbestand der K 5 in Sachsen in den Jahren 1946–1948 bietet J. GIESEKE, S. 57. 319 SMAD-Befehl Nr. 201 (abgedruckt in: R.-K. RÖSSLER, Dok. 14, S. 147–149). 320 C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, S. 82.
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Bischof Dibelius kritisierte die Tätigkeit der K 5 in seinem Pfingsthirtenbrief „Recht und Frieden“ von 1949, in dem er sie mit der Gestapo verglich: „In der Abteilung K 5 der so genannten Volkspolizei ist die Gestapo unseligen Angedenkens wieder erstanden. Es wird mit denselben Mitteln gearbeitet wie damals. [. . .] Das Sammeln von Material durch Spitzel und Denunzianten, die nächtlichen Verhaftungen, die Zermürbung der Menschen in Gefängnisräumen, die oft der Beschreibung spotten, die Verhöre, bei denen der Angeschuldigte keine Möglichkeit hat, sich wirksam zu verteidigen, die unbestimmte Dauer der Haft, die Ungewissheit über das, was aus seinen Angehörigen wird – wir kennen das aus zwölfjähriger bitterer Erfahrung“321.
Zweierlei ist bezeichnend an dieser Äußerung: Zum einen, dass der Vergleich beider Diktaturen sich auf den Repressionsapparat bezog, zum anderen, dass sie überhaupt ausgesprochen wurde: im Nationalsozialismus wäre eine solch offene Kritik einer so herausgehobenen protestantischen Persönlichkeit undenkbar gewesen. Im Herbst 1947 erstellte das Kommissariat 5 in Leipzig auf Anfrage des sächsischen Landeskriminalamtes zwei umfangreiche Berichte über den Aufbau des „Jugendwerkes der evangelisch-lutherischen Kirche“, die sich ausführlich mit der Struktur der Jugendarbeit der evangelischen Kirchen in den einzelnen Kirchgemeinden, ihrem Verhältnis zur FDJ einerseits und andererseits mit den leitenden Persönlichkeiten auf diesem Gebiet auseinander setzten322. Im Gegensatz zu Berichten aus den 50er Jahren fallen sie durch ihre Sachlichkeit und hohen Informationsgehalt auf. Sie dürften zum einen auf den Informationen von Spitzeln beruhen, zum anderen auf direkten Anfragen bei den Kirchgemeinden323. Zum Teil konnte die K 5 noch auf Material von NSDAP-Ortsgruppen zurückgreifen. Ihre Ermittlungen bestätigten die kirchlichen Aussagen, wonach die Jugendarbeit der evangelischen Kirche sich im Anschluss an die einzelne Kirchgemeinde vollzog, ohne Mitgliederlisten und -beiträge. Auch bezüglich einer versteckten politischen Tätigkeit meldete der erste Bericht Fehlanzeige: „Bis jetzt konnte lediglich festgestellt werden, dass die Jugendorganisation der evang.-luth. Kirche in Leipzig sich mit der religiösen Jugenderziehung beschäftigt. Trotz eingehender Überwachung war bisher nicht die geringste politische Tätigkeit in diesen Jugendgruppen festzustellen“324. 321 Zitiert nach S. WOLF, „Bearbeitung“, S. 169. Vgl. auch G. BESIER, SED-Staat, S. 66. 322 Die beiden Berichte vom Kriminalamt Leipzig, Kommissariat 5 an Landeskriminalamt Sachsen am 18. September und 13. November 1947 (BARCH-DH, ZB II 1493, Bl. 7–11; 23–26). 323 In den Berichten wird auch der o. g. Werner Ihmels erwähnt, der zu dem Zeitpunkt der Erhebung schon in Bautzen einsaß. Der K 5 selbst war über seinen Verbleib nichts bekannt – ein klares Anzeichen, dass seine Verhaftung einzig eine Sache sowjetischer Sicherheitsorgane war. 324 BARCH-DH, ZB II 1493, Bl. 7.
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1948 hatte sich dieses Bild schon gewandelt. Der Bericht über Jugendpfarrer Heinrich Wallmann, den das Kommissariat 5 des Leipziger Kriminalamtes erstellte, registrierte schon 1948 sehr aufmerksam das „oppositionelle“ Potenzial der kirchlich eingestellten Jugendlichen: „Einer sehr scharfen Kritik wird der Nachfolger des bereits schon genannten früheren Jugendpfarrers Wagner unterzogen. Es ist der jetzige Jugendpfarrer Wallmann, er gilt in den Kreisen der FDJ und SED als ausgesprochener Reaktionär, der nur die religiöse Gesinnung als Maske trägt, in Wirklichkeit der politische Träger der Reaktion ist. [. . .] In gewissen Abständen werden dort die Pfarrer, die in den einzelnen Kirchengemeinden [sic] die Jugendlichen betreuen, von Wallmann zusammengenommen und bekommen von ihm weitere Instruktionen“325.
4.10.2 Die Kirchen in der Struktur des Ministeriums für Staatssicherheit Bei der Gründung des MfS326 im Februar 1950 spielte die Überwachung der Kirchen nur eine untergeordnete Rolle. Für sie zeichnete das „Sachgebiet Kirche“ innerhalb der für die Überwachung des Staatsapparates, der Verwaltung sowie der Blockparteien und Massenorganisationen zuständigen Abteilung VI verantwortlich327. Im September 1952 wurde das zwischenzeitlich erweiterte „Sachgebiet Kirche und Sekten“ aufgrund der ersten bislang bekannten Dienstanweisung Mielkes zur kirchenpolitischen Struktur des MfS aus der Abteilung VI aus- und als „Referat E“ der Abteilung V eingegliedert328. Die Verschärfung der kirchenpolitischen Lage nach der II. Parteikonferenz im Sommer 1952 wurde im Gefüge des MfS dadurch augenfällig, dass die Kirche nun zu den „Untergrundbewegungen“ zählte, die in der Abteilung V bearbeitet wurden. Nach Mielkes Dienstanweisung hatte das neu eingerichtete „Referat E“ die Aufgabe, „die Bemühungen der amerikanischen Imperialisten und ihrer Bonner Vasallen, durch die Tätigkeit von Spionen, Agenten und Terroristen unseren sozialistischen Aufbau zu schädigen, durch intensive Arbeit und Erkennen der Schwerpunkte zu durchkreuzen und zunichte zu machen“329. Mittelpunkt der operativen Arbeit sollten die Inoffiziellen Mitarbeiter, damals „Geheime Mitarbeiter“ (GM) genannt, sein. 325 Kriminalamt Leipzig, Kommissariat K 5 an Landeskriminalamt Sachsen am 18. September 1948 (BARCH-DH, ZB II 1493, Bl. 7 f.). 326 Vgl. dazu M. TANTZSCHER. 327 Zum kirchenpolitischen Apparat vgl. C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, S. 81–98. 328 Dienstanweisung Mielkes Nr. 6/52/V/E vom 17. September 1952 (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 18, S. 156–163). 329 EBD., S. 159.
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Auf Bezirksebene wie in den Kreisdienststellen sollte eine analoge Struktur aufgebaut werden. Auf Bezirksebene wurde das „Referat E“ mit sieben Untereinheiten gebildet330. Da die Neustrukturierung nicht energisch genug angegangen wurde, beschwerte sich der Stellvertreter Operativ des Leiters der Bezirksverwaltung Leipzig, Herbert Weidauer331, bei den Kreisdienststellen Ende September, bevor er am 3. Oktober 1952 eine definitive Dienstanweisung erließ332. Die Kreisdienststelle wurde angewiesen, zur Überwachung der Kirche mit der SED-Kreisleitung, dem Friedenskomitee, der Nationalen Front, der FDJ und der Abteilung Pass- und Meldewesen der Volkspolizei engen Kontakt zu halten333. Für die Anwerbung von Geistlichen galt die Besonderheit, dass die jeweilige Maßnahme erst von der Zentrale in Berlin genehmigt werden musste. Ende 1953 wurden die Abteilungen V und VI zur Hauptabteilung V zusammengelegt334. Das Studium der einschlägigen Leipziger MfS-Akten macht deutlich, was für die Personalpolitik des MfS insgesamt galt: Hier waren nicht in erster Linie Kompetenz und Qualifikation, sondern proletarische Herkunft und politische Zuverlässigkeit gefragt335. Im Gegensatz zu den Mitarbeitern der Gestapo oder des SD brachte das Personal des MfS keine bzw. nur sehr geringe Kenntnisse auf theologischem und kirchenrechtlichem Gebiet mit. Gerade in den 50er Jahren besaßen die MfS-Mitarbeiter auf Bezirksebene – auf der Zentralebene mag der Professionalisierungsprozess früher eingesetzt haben – daher auch nicht die Fähigkeit, Aussagen von „Geheimen Mitarbeitern“ aus dem Kirchenbereich zu verifizieren oder systematisch einzuordnen, und so bestand die Gefahr, dass sie den Interessen ihrer Informanten erlagen.
4.10.4 Die Verhaftung von Herbert Dost Mitglieder der „Jungen Gemeinde“ und Diakon Dost gerieten auch schon vor der II. Parteikonferenz im Sommer 1952 ins Visier der Staatssicherheit. Ein Informant machte diese im Mai 1950 auf einen „jugendliche[n] Per330 E/I: Evangelische Kirche und dazugehörige Organisationen. Evangelische Kirche, „Junge Gemeinde“, Evangelische Studentengemeinde, Innere und Äußere Mission, Ev.-Vereinigte Kirchverbände, sog. Pfarrvereine und Evangelisches Frauenwerk (EBD., S. 164). 331 Bei G. BESIER/S. WOLF, S. 954, fälschlich Walter Weidauer. Dieser war von 1946 bis 1958 Oberbürgermeister von Dresden. 332 Dienstanweisung Nr. 2/52/V (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 19, S. 163–167). 333 EBD., S. 165. 334 C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, S. 82. 335 EBD., S. 83 f. Zur Personalstruktur der Mitarbeiter des MfS für den Zeitraum bis 1953 vgl. vor allem J. GIESEKE, S. 94–126. „Politische Zuverlässigkeit rangierte vor allen Ansprüchen an Allgemeinbildung, administrative Erfahrung und fachliche Kompetenz“ (S. 125).
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sonenkreis [. . .], der sich gegnerisch verhalte“, aufmerksam: „Diese Jugendlichen ergehen sich an der Thomas-Schule in antisowjetischer HetzPropaganda und sonstiger gegnerischer Weise“336. Im Oktober des gleichen Jahres wurde auf Intervention der SKK ein Vorgehen gegen Dost wegen der Einfuhr westlicher Zeitschriften eingestellt337. Seit Beginn 1952 wurde seine Post überwacht, da er im Verdacht stand, Studenten und Oberschüler nach Westberlin zu bringen338. Als unmittelbare Reaktion auf die 10. Tagung des Zentralkomitees der SED vom 20.–22. November 1952 begann das MfS die organisierte Verfolgung der „Jungen Gemeinde“, die mit zwei Dienstanweisungen Mielkes eingeleitet wurde. Damit schaltete sich der Staatssekretär persönlich in die Koordinierung der Maßnahmen ein. Alle „Vorkommnisse“ sollten unter dem zentralen Vorgang „Kappe“ zusammengefasst und die Mitarbeiter laufend über die Aktionen der „Jungen Gemeinde“ informiert werden339. In der zweiten Dienstanweisung „informierte“ Mielke die Bezirksverwaltungen über das Wesen der „Jungen Gemeinde“, wobei er besonders auf ihre Struktur und ihre „staatsfeindliche“ Tätigkeit einging340. Den Großteil seiner Ausführungen widmete er dabei der Werbung geeigneter Informanten, die das Ziel hatte, „in die Leitungen der ‚Jungen Gemeinde‘ und reaktionärer Personenkreise der Kirche einzudringen“341. Aufgrund dieses zeitlichen Zusammenhangs ist davon auszugehen, dass der „Vorgang Dost“, der Anfang November 1952 im Arbeitsplan der Abteilung V auftauchte, noch nicht Teil eines ausgefeilten Aktionsplanes des MfS gegen die „Junge Gemeinde“ gewesen ist342. Schon Mitte November lieferte das Referat E einen GM-Vorschlag für den Diakon und den Studentenpfarrer Gothart Fehlberg343. Die Anwerbung des GM schlug aber fehl. Nachdem das Politbüro am 27. Januar 1953 einen detaillierten Maßnahmenplan gegen die „Junge Gemeinde“ beschlossen hatte, war innerhalb des 336 BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 1, Bl. 15. 337 BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 41. 338 Die Dienststelle Leipzig übersandte der Abteilung VI der Verwaltung Sachsen des MfS im Januar 1952 Abschriften von Briefen, die an Dost gerichtet waren, worauf diese am 6. Februar die Dienststelle Leipzig aufforderte, Ermittlungen gegen den Diakon anzustellen (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 210). 339 Dienstanweisung Nr. 22/52 V/E vom 23. November 1952 (abgedruckt in: G. BESIER/ S. WOLF, Dok. 20, S. 167 f.). 340 Dienstanweisung Nr. 23/52/5/E an das Ministerium für Staatssicherheit, BV GroßBerlin (abgedruckt in: EBD., S. 168–182). 341 EBD., S. 178. 342 BV Leipzig, Abteilung V, Arbeitsplan für den Monat November 1952 vom 4. November 1952 (S. WOLF, „Bearbeitung“, S. 183). 343 Lohse an den Leiter der Abteilung V am 18. November 1952 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 238).
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MfS eine Aktion beschlossen worden mit dem Ziel, „die feindliche Tätigkeit [der ‚Jungen Gemeinde‘, G. W.] zu unterbinden und falls sie sich in die Illegalität zurückziehen, auf[zu]spüren und der verbrecherischen Handlungen [zu] überführen“344. Wenige Tage darauf begann die gegen Dost gerichtete Aktion, die von der Berliner Zentrale des MfS ausging. Ausgangspunkt war ein Bericht des GM „Hartmut“, eines Theologiestudenten, der von Leipzig nach Berlin umgezogen war. Er schilderte darin „Leipzig [als] eine Zentrale der Jungen Gemeinde“ in der DDR mit Diakon Dost, dem an der Erlöser-Gemeinde tätigen Pfarrer Gerhard Göserich345 und dem in Dresden lebenden Landesjugendwart Fritz Riebold346 als Mittelpunkt347. Der Informant behauptete, dass westdeutsche Zeitschriften über Leipzig in der DDR verteilt würden. Dies sei die Aufgabe des Kirchlichen Jugendamtes und des Amtes für Gemeindedienst: „In beiden Kirchenbüros sind eine Reihe hauptamtlicher Kräfte beschäftigt, die als Kader herangezogen werden und durch die Tätigkeit in einer ‚Zentrale‘ für ihre künftige Arbeit dort die ‚Methodik‘, die jahrelang ausprobiert wurde, kennenlernen sollen“348. Jugendpfarrer Wallmann wurde in dem Bericht mit keinem Wort erwähnt. Am 4. Februar 1953 wurde die Verhaftung der drei kirchlichen Mitarbeiter von der Berliner Zentrale vorgeschlagen349. Der „am stärksten belastete“ Dost sollte als Erster festgenommen werden, die beiden anderen, sobald das MfS über diese weitere Informationen durch Verhöre des Diakons erlangt hatte. Am 10. Februar erhielt der Leiter des Referats E, Heinz Meiler, die Instruktion, im Rahmen der Aktion „Komplott“ Dost mit dem Ziel der Anwerbung festzunehmen350. Sollte diese misslingen, war ein Strafverfahren gegen den Diakon einzuleiten. Nach einer Personenkontrolle auf der Zugfahrt von Berlin nach Leipzig am 12. Februar 1953, bei der eine westdeutsche Zeitschrift von ihm konfisziert wurde, wurde Dost zwei Tage 344 „Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit zur Bekämpfung der Verbrecherzentralen in West-Berlin und ihrer Untergrundgruppen im Gebiet der DDR“ vom 1. Februar 1953 (zitiert nach S. WOLF, „Bearbeitung“, S. 193). 345 Göserich wurde mit Unterbrechungen von 1948 bis 1959 wegen seiner erfolgreichen Jugendarbeit überwacht (vgl. BSTU, Lpz ZMA KD Lpz-Stadt 50912). Vgl. dazu auch G. GÖSERICH. 346 Zu Riebold vgl. auch das Schreiben der Verwaltung Sachsen des MfS an die Zentrale vom 12. Oktober 1950, wo dessen Vortragstätigkeit in Sebnitz ausführlicher geschildert wurde (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 5, S. 127–129). 347 GM-Bericht „Hartmut“ vom 3. Februar 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 174– 178, hier Bl. 175). 348 EBD. 349 Schreiben ohne Briefkopf. Vorschlag zur Festnahme des Diakons Herbert Dost, Pfarrer Gerhard Göserich, Landesjugendwart Fritz Riebold (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 171–173). 350 Meiler am 10. Februar 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 157).
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später wegen der Einfuhr und Verteilung von „Hetzschriften“ und der „Hilfestellung bei Absetzungen nach Westdeutschland“ festgenommen351. Schon zwei Tage später wurde eine Durchsuchung von Dosts Wohnung angeordnet und kurz danach durchgeführt352. Am 26. Februar wies Mielke die Leiter der Bezirksverwaltungen an, die Aktion „Komplott“ mit der Führung der jeweiligen SED-Bezirksleitung abzustimmen353. In Leipzig geschah dies Anfang März354. In dieser Zeit wurde durch die Bezirksverwaltung zumindest ein Vorschlag für die Verhaftung eines weiteren kirchlichen Mitarbeiters eingereicht355. Die Vernehmungen Dosts durch die für Ermittlungsverfahren zuständige Abteilung IX356, die am 7. März begannen, zogen sich über zwei Monate hin. Vorherige Besprechungen mit ihm, etwa bzgl. einer möglichen Anwerbung, sind in den Akten nicht vorhanden357. Die Protokolle über die z. T. mehrmals Tag und Nacht stattfindenden Vernehmungen sind sehr kurz gefasst. Sie beinhalten vor allem Aussagen zu Dosts Lebenslauf, seiner Tätigkeit als Leiter des Amtes für Gemeindedienst und die damit verbundenen Kontakte in die Bundesrepublik sowie das Verhältnis von „Junger Gemeinde“ und FDJ. Weitere Punkte waren die Evangelische Studentengemeinde (ESG), die Innere Mission in Leipzig und allgemeine kirchenpolitische Themen. Dabei lag das Augenmerk des MfS vor allem auf organisatorischen Zusammenhängen und Aussagen zu bestimmten Personen. Dabei zeigte sich, dass sie über innerkirchliche Zusammenhänge und die Geschichte der evangelischen Kirche im Dritten Reich überhaupt nicht Bescheid wussten. Da Dost sich gekonnt verstellte, war der Erkenntniszugewinn der Staatssicherheit gering. Dabei machte er aus seiner Ablehnung des Marxismus-Leninismus keinen Hehl und bezeichnete ihn offen als „Irrlehre“358. Die Versuche des MfS, Dost mit seinen Kontakten zur Gestapo zu belasten, erwiesen sich als so wenig ertragreich, dass diese in der Anklageschrift nicht einmal erwähnt wurden359. Gleichwohl spielten diese Vor351 Haftbeschluss vom 14. Februar 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 1, Bl. 5). 352 Lerche – Leiter der Abt. V – am 16. Februar 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 2, Bl. 204). 353 S. WOLF, „Bearbeitung“, S. 193 f. 354 EBD., S. 194. 355 EBD., S. 195. 356 Die Hauptabteilung IX hatte die Aufgaben und Befugnisse eines staatlichen Untersuchungsorganes bei den so genannten politischen Straftaten übertragen bekommen. 357 BSTU, Lpz AU 115/53. 358 Protokoll der Vernehmung vom 19. März 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 1, Bl. 44). 359 Nach eigenen Aussagen wurde Dost mehrmals von der Gestapo vernommen, um über kirchliche Veranstaltungen Angaben zu machen. Außerdem kontrollierte die Gestapo regelmäßig die im Amt für Presse und Volksmission zugänglichen Zeitschriften. Dost bestritt jedoch, eine offizielle Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben, „gebe aber zu, dass
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würfe in der Pressekampagne der LVZ eine wichtige Rolle360. In ihrem Schlussbericht bezichtigte die Bezirksverwaltung Leipzig Dost der Boykotthetze und des Völkerhasses361. Sie lastete ihm die Mitverantwortung für die Zustände im Jugendlager Sehlis an, wo „religiös eingestellte Jugendliche und Studenten von als Kirchenführern getarnten Agenten in verbrecherischer Weise missbraucht werden mit dem Ziel, junge Christen von der gesellschaftlichen Arbeit in der Freien Deutschen Jugend abzuhalten und somit den sozialistischen Aufbau in der Deutschen Demokratischen Republik zu stören“362. Folgerichtig beantragte sie, das Hauptverfahren gegen Dost vor dem Bezirksgericht zu eröffnen. Da die Parteileitung zwischenzeitlich den „Neuen Kurs“ ausgerufen hatte, kam es dazu jedoch nicht mehr. Schon am 6. Juni hatte Mielke die Bezirksverwaltung angewiesen, „alle Aktionen gegen die ‚Junge Gemeinde‘ [. . .] bis auf weiteres einzustellen. [. . .] Die nachweisbar feindliche Tätigkeit einzelner Personen ist weiter zu bearbeiten“363. Per Fernschreiben wies die Generalstaatsanwaltschaft die Staatsanwaltschaft Leipzig am 17. Juni 1953 an, Dost zu entlassen364, was noch am gleichen Tag geschah365. Das Verfahren gegen ihn wurde aber erst am 19. August 1953 eingestellt366. Initiativ wurde die Abteilung V der Bezirksverwaltung Leipzig auch bei einem zweiten Pfarrer, dessen Verhaftung sie zweimal, am 4. Februar und am 5. März 1953, bei der vorgesetzten Dienststelle in Berlin vorschlug367. Neben belastendem Material aus Predigten war es vor allem die äußerst erfolgreiche Jugendarbeit des in der Lukasgemeinde tätigen Pfarrers Erich Kliegel, die das MfS beunruhigte368. An der 16. Grundschule, die zum Kirchenbezirk der Lukasgemeinde gehörte, waren laut einem Bericht einer SED-Jugendreferentin 70 Prozent der Schüler in der „Jungen Gemeinde“369. Der Bericht der Leipziger Bezirksverwaltung kam zu dem Ergebnis, dass „die Pionierarbeit in der 16. und 18. Grundschule vollkommen zerschlagen ich am gleichen Abend meine Unterschrift dem [Alfred] Dietze [Gestapobeamter, G. W.] unter ein anderes Schreiben gab, welches harmloser formuliert war“. Dost auf der Vorladung am 8. Mai 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 3, Bl. 27 f.). 360 R. LANGHAMMER, S. 34. 361 Schlussbericht vom 15. Mai 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 3, Bl. 108–115). 362 EBD., Bl. 111. 363 Fernschreiben 211 vom 6. Juni 1953 (zitiert nach S. WOLF, „Bearbeitung“, S. 196, der das Fernschreiben im Text fälschlich auf den 6. Mai datiert). 364 BSTU, Lpz AU 115/53, Bd. 3, Bl. 119. 365 R. LANGHAMMER, S. 37. 366 Handschriftliche Notiz vom 19. August 1953 (BSTU, Lpz AU 115/53, Bl. 37). 367 BSTU, Lpz AP 439/63 II, Bl. 66. 368 BV Leipzig, Abt. V/E am 4. Februar 1953. Zusammenfassende Belastung des Pfarrers Kliegel an der Lukaskirche in Leipzig sowie Leiter der Jungen Gemeinde in Leipzig O 5 (BSTU, Lpz AP 439/63 II, Bl. 128). Zu Kliegel vgl. auch unten S. 428–460. 369 BSTU, Lpz AP 439/63 II, Bl. 51 f.
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ist. Auch ist der Schulunterricht stark gefährdet, da die Kinder nicht mehr ihren Lehrern Glauben schenken, sondern mehr den Worten des Pfarrers Kliegels [sic]“370. Eine Antwort auf den Vorschlag der Leipziger Bezirksverwaltung ging nicht ein, sodass eine Verhaftung Kliegels unterblieb. Diese zwar Aufsehen erregende, aber insgesamt doch als Fehlschlag des MfS zu charakterisierende Verhaftung Dosts ging mit anderen Misserfolgen der Bezirksverwaltung Leipzig einher. Auf eine nachdrückliche Weisung des Leiters der Bezirksverwaltung Kurt Rümmler an die Kreisdienststellen, die „Junge Gemeinde“ zu bearbeiten, antworteten lediglich vier, davon nur eine termingerecht371. 1953 war also nicht nur der Apparat des MfS wenig schlagkräftig, sondern auch die evangelische Kirche selbst verfügte über Informanten im Staatsapparat und in der Partei. Von der Absicht der SED, durch die Unterstützung „fortschrittlicher“ Christen die Zusammensetzung der neu zu wählenden Kirchenvorstände zu ihren Gunsten zu verändern, erfuhren die Pfarrer durch ein als „streng vertraulich“ eingestuftes Schreiben der SED-Kreisleitung an die Ortsparteiorganisationen, das Superintendent Stiehl zugespielt wurde372. Für das Ministerium für Staatssicherheit bildete die Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ eine Nagelprobe für seine Funktionsfähigkeit. Dem Ministerium war die Aufgabe zugeteilt, die repressive Kirchenpolitik operativ zu unterstützen. Dabei hatte die Bezirksverwaltung Leipzig strukturell unter denselben Nachteilen zu leiden wie Partei- und Staatsstellen: Durch die Umstrukturierung der Bezirke war ein massiver Informationsverlust gegeben. Ein Vergleich der Erkenntnisse der bei der Stadtverwaltung angesiedelten Abteilung I D des Hauptverwaltungsamtes und des MfS im Jahr 1952 verdeutlicht dies. Um die Aktionen gegen die „Junge Gemeinde“ besser zu koordinieren, wurde auf Mielkes Befehl die Staatssicherheit umstrukturiert. Operative Erfolge konnte das MfS, obwohl es die Gangart gegen die Kirchen verschärfte, in Leipzig dennoch nicht erringen. Das in Kirchenfragen unerfahrene Personal, der geringe Informationsstand sowie das Fehlen eines IM-Netzes verhinderten dies. Paradigmatisch dürfte hier der gescheiterte Versuch der Anwerbung gerade einer Person wie Herbert Dost gewesen sein.
370 BV Leipzig, Abt. V/E am 4. Februar 1953 (vgl. Anm. 369), Bl. 131. 371 S. WOLF, „Bearbeitung“, S. 195. 372 SED-KL, Abt. Staatliche Organe an die Ortsparteiorganisationen am 29. Mai 1953 (ADSL, Ordner Stiehl, Bl. 29).
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5. Die planvolle Beschneidung der gesellschaftlichen Wirkmöglichkeiten der Kirche „Bereits seit einigen Tagen ist unter den größeren Kreisen der Bevölkerung in Leipzig die Parole verbreitet, wonach Leipzig als die heiligste Stadt bezeichnet wird, da sie von einer Messe bis zur nächsten fasten müsste. Bemerkenswert ist, dass diese Parole zuerst von aktiven Anhängern der Kirche verbreitet wurde und heute allgemein als Witz bei größeren Kreisen Anklang findet“1 (September 1955).
Die Geschehnisse des 17. Juni 1953 hatten in der SED-Führung in einem „langfristig wirkenden Lernschock“2 zu einem Umdenken geführt. Die SED hielt am Ziel des sozialistischen Aufbaus fest, sah sich aber gezwungen, ihre Herrschaftsmethoden zu verändern. Ulbricht, dessen Politik ja gerade für die innenpolitische Zuspitzung in der DDR verantwortlich gewesen war, hatte von dem Sturz des sowjetischen Geheimdienstchefs Lawrenti Berija profitiert, der nach dem Tode Stalins auf eine Veränderung der sowjetischen Deutschlandpolitik gedrängt hatte und somit zum Hoffnungsträger für die innerparteiliche Opposition gegen den SED-Chef geworden war3. So wurde Ulbrichts Stellung paradoxerweise nach dem 17. Juni gestärkt, was er dazu ausnutzte, die Partei von seinen ärgsten Widersachern zu säubern. Die Politik der Staatspartei war nun von einer Doppelstrategie geprägt, die Konsequenz und Härte in der Sache mit Entgegenkommen in der Form verband4. Die damit verbundene Umstrukturierung des Herrschaftsapparates ging mit rigiden Parteisäuberungen einher: So wurden zwischen 1952 und 1954 62 % der Mitglieder der SED-Bezirksleitungen ausgewechselt5.
5.1 „Die Politik der Partei in Kirchenfragen“ Die parteiinternen Umstrukturierungsmaßnahmen umfassten auch den Bereich Kirchenfragen6. Zuerst jedoch wurde im Vorfeld des Leipziger Kirchentages 1954 die neue kirchenpolitische Linie festgelegt. Erfahrungsberichte aus den Bezirken hatten ein düsteres Bild der Kirchenpolitik vor Ort ergeben7. Eine Arbeitsgruppe, der die Politbüromitglieder Fred Oelß1 „Informationsdienst zur Beurteilung der Lage in der DDR“ des SfS vom 6. September 1955 (BSTU, BV Leipzig, Leitung 1/60, Bl. 1 f.). 2 So A. MALYCHA, Gründung, S. 55. 3 K. SCHROEDER, S. 126 f.; M. G. GOERNER, Kirche, S. 126 f., mit weiteren Verweisen. 4 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 126. 5 A. MALYCHA, Gründung, S. 46. 6 Zu den Veränderungen im Parteiapparat vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 161–165. 7 F. HARTWEG, S. 98.
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ner, Paul Wandel, Staatssekretär Josef Hegen, Staatssekretär Erich Mielke sowie Willi Barth von der Abteilung „Staatliche Verwaltung“ im Zentralkomitee der SED angehörten, erarbeiteten daraufhin die Vorlage „Die Politik der Partei in Kirchenfragen“, die am 14. März 1954 vom Politbüro beschlossen wurde8. Grundsätzlich galt die Kirche „als die stärkste legale Position der imperialistischen Kräfte“ in der DDR9. Vordringlich sollte „unter den Anhängern aller Religionsgemeinschaften [. . .] eine feste Massenbasis [. . .] geschaffen werden“, um Kirchenleitungen und Kirchenvolk zu trennen. Als „Einbruchstellen“ waren die „Gemeindekirchenräte“ und die niedere und mittlere Geistlichkeit gedacht. Als Differenzierungsinstrumente wurden von den Massenorganisationen explizit die Friedensräte, die Ortsausschüsse der Nationalen Front und die FDJ genannt. Um der kirchenpolitischen Arbeit ihren Kampagnecharakter zu nehmen, sah der Beschluss auch eine Änderung der Strukturen mit der Bildung einer Abteilung für Kirchenfragen beim ZK vor. Offene Stellen im Parteiapparat auf Bezirks- und Kreisebene sollten „umgehend mit qualifizierten Kadern“ besetzt werden. Diese Anordnung wirft ein Schlaglicht auf die bis dahin wohl übliche Auswahl der jeweiligen Bearbeiter. Ein planmäßiges Berichtswesen auf diesen Ebenen sollte den Parteiapparat zur regelmäßigen Auseinandersetzung mit kirchlichen Fragen zwingen. Wenn ausdrücklich festgehalten wurde, dass Mitarbeiter für Kirchenfragen auch an den Sitzungen der Parteisekretariate teilnehmen sollten, auf denen Kirchenfragen behandelt wurden, so macht das deutlich, dass bisher auf der mittleren und unteren Ebene diese Mitarbeiter häufig ein Schattendasein geführt hatten. Das grundsätzlich Neue des Politbürobeschlusses bestand darin, dass man die Spannungen zwischen den „reaktionären“ Kirchenführern und dem Kirchenvolk, das „aktiv und begeistert am friedlichen Aufbau“ der DDR teilnahm, als zentralen Hebel betrachtete, an dem die Kirchenpolitik der SED ansetzen sollte10. Der in der SED-Kirchenpolitik angelegte Zielkonflikt zwischen der Ausgrenzung und Marginalisierung der Kirchen einerseits und der Integration der Christen andererseits blieb in dieser Konzeption freilich erhalten, wie der ZK-Sekretär für Kultur und Erziehung, Paul Wandel, in einem Referat „über die Politik der SED gegenüber der Kirche“ deutlich machte: „Es ist oft schwer, bei diesem scheinbaren Gegensatz von wissenschaftlichatheistischem und taktvollem Verhalten gegenüber religiösen Gefühlen eine richtige Politik durchzuführen [. . .]. In diesem aus dem Leben kommenden 8 EBD., S. 97. „Die Politik der Partei in Kirchenfragen“ ist abgedruckt EBD., Dok. 26, S. 150–155. 9 EBD., S. 151. 10 P. BEIER, S. 21.
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Widerspruch liegt auch die objektive Ursache dafür, dass es in dieser Frage schon immer bei uns in den letzten ganzen Jahren ein Schwanken vom krassesten Sektierertum bis zum Opportunismus oft bei den gleichen Genossen gegeben hat und gibt“11.
Auch bei diesem Beschluss des Politbüros zeigte sich, dass Realität und gewünschtes Ergebnis sehr weit voneinander entfernt waren. Gerade in Kirchenfragen machte sich die Schwerfälligkeit des Apparates deutlich bemerkbar. Selbst im ZK wurde erst im November – sechs Monate nach dem Politbürobeschluss – eine „Abteilung Kirchenfragen“ unter der Leitung von Willi Barth gebildet und der bisherige Strukturteil „Sektor Kirchen und religiöse Sekten“ aus der ZK-Abteilung „Staatliche Verwaltung“ herausgelöst12. Die Abteilung – bald auch als „Arbeitsgruppe Kirchenfragen“ bezeichnet13 – war Paul Wandel zugeordnet. Etwas später wurde auch der Staatsapparat umstrukturiert. Hier bestand für die SED das Problem, dass sich die Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“ unter Leitung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Otto Nuschke nach parteiinterner Beurteilung gegenüber den Kirchen zu konziliant verhielt, ja, so eine Einschätzung der Abteilung Kirchenfragen vom Januar 1955, sich „zur Agentur der Kirchenhierarchie innerhalb des Staatsapparates entwickelt“ habe14. Aus gesamtdeutschen Rücksichten umging die SED die Auflösung dieser Stelle, setzte aber alles daran, ihre Kompetenzen und Personalausstattung zugunsten des Innenministeriums zu verkleinern. Aufgrund eines Politbürobeschlusses vom Januar 1955 wurden die Kirchenfragen aus einem Arbeitsgebiet der Abteilung „Bevölkerungspolitik“ im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten herausgelöst und der neu gebildeten Abteilung „Kultfragen“ unter der Leitung von Josef Schwarzer übertragen15. Die erste „Anleitung“ in den Bezirken Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden durch den zuständigen Oberreferenten Hans Handschack fand allerdings erst Mitte Oktober 1955 statt16. Auf 11 Paul Wandel, Über die Politik der SED gegenüber der Kirche. Vortrag auf einer seminaristischen Beratung am 15. Februar 1955 mit den Bezirks- und Kreissekretären der SED (abgedruckt in: F. HARTWEG, Dok. 29, S. 161–177, hier S. 165 f.). 12 Zur Bildung der ZK-Abteilung Kirchenfragen vgl. vor allem M. G. GOERNER, Kirche, S. 168–176. 13 Mit dieser Bezeichnung wollte man wohl die Nachrangigkeit von Kirchenfragen gegenüber den Parteien und Massenorganisationen zum Ausdruck bringen (vgl. B. SCHÄFER, S. 89). 14 „Betr. Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit der Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen, des Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten, des Staatssekretariats für Hochschulwesen und der Räte der Bezirke und Kreise“. Vorlage der Abteilung Kirchenfragen für das Politbüro, 28. Dezember 1954 (zitiert nach: M. G. GOERNER, Kirche, S. 182). Das o. a. Zitat ist die Vorlage für den Titel von A. SCHALÜCK, Agentur. 15 M. G. GOERNER, Kirche, S. 185 f. 16 Bericht über die Dienstreise des Koll. Handschack in der Zeit vom 11.–13. Oktober 1955 in den Bezirken Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden (BARCH BERLIN, DO 4–361).
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Bezirks- und Kreisebene sollte die jeweilige „Abteilung für Innere Angelegenheiten“ die kirchlichen Angelegenheiten übernehmen. Stellenplanerhöhungen waren für diesen Bereich jedoch nicht vorgesehen17. Die erste Nagelprobe für die neue Kirchenpolitik bildete der Leipziger Evangelische Kirchentag 1954, der einzige gesamtdeutschen Kirchentag in der DDR18. Der SED bot dieser die willkommene Gelegenheit, auf jene Kräfte im Protestantismus einzuwirken, die mit Adenauers Politik der Westbindung nicht einverstanden waren. Um dieses Ziel zu erreichen, setzte sie ihren gesamten Apparat von der Partei, den Staatsorganen bis zu den Massenorganisationen in Bewegung. Über 4 000 Genossen waren aufgeboten, um die Kirchentagsteilnehmer von den guten Seiten des DDR-Sozialismus zu überzeugen. Trotz des riesigen Aufwandes schätzte die SED das Ergebnis insgesamt als Misserfolg ein, hatte sie doch nicht verhindern können, dass auch DDR-kritische Stimmen zu Wort gekommen waren19. Vor allem aber musste sich die SED eingestehen, dass die von oben gesetzten Vorgaben auf der unteren Ebene nicht umgesetzt werden konnten. Ein Bericht der SED-Bezirksleitung machte auf Defizite in drei Bereichen aufmerksam: An der Parteibasis wie auch in der SED-Stadtleitung sei die Unterordnung ideologischer Grundprinzipien unter strategische Überlegungen hinsichtlich der Deutschlandpolitik nicht sofort nachvollzogen worden20. Die stärkste Kritik gab es für den Rat des Bezirkes, der „sich in der Vorbereitung des Kirchentages nicht einmal mit dieser Frage in einer Ratssitzung beschäftigt“ hat21. Ebenso wenig zufrieden war die SED-Bezirksleitung mit den Ergebnissen im Jugendbereich, musste sie doch konstatieren, dass die „Junge Gemeinde“ in Leipzig und Umgebung durch die Veranstaltung eine große Stärkung erhalten hatte22. Die strukturellen Probleme der neuen Kirchenpolitik wurden schon damals offenbar: Es galt, auf Bezirksebene arbeitsfähige Strukturen aufzubauen, die Koordination zwischen den verschiedenen Organisationen herzustellen und aufrechtzuerhalten und die Mitarbeiter an der Basis von der Notwendigkeit eines kirchenpolitischen Umdenkens zu überzeugen.
17 B. SCHÄFER, S. 89. 18 Zum Kirchentag vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 152–159; C. KLESSMANN, Kirchentag; G. BESIER, SED-Staat, S. 171–174; D. PALM, S. 190–215. Auf eine breitere Darstellung des Kirchentages wird verzichtet, da die Veranstaltung einen gesamtdeutschen Charakter trug. 19 M. G. GOERNER, Kirche, S. 158. 20 „Bericht über die Auswertung der Erfahrungen der politischen Arbeit beim 6. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Leipzig vom 7.–11. Juli 1954“ (abgedruckt in: C. KLESSMANN, Kirchentag, S. 541–550, hier S. 547 f.). 21 EBD., S. 545. 22 EBD., S. 544.
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Wie wirkten sich nun die Umstrukturierungen auf der Bezirks- und Kreisebene aus?23 In der SED-Bezirksleitung wurde der Instrukteur für Kirchenfragen Fritz Jacob abgelöst und Anfang 1954 durch Willy Baum ersetzt. Dessen Vorgesetzter als Leiter der Abteilung Staatliche Organe blieb Setzefand. Zu dieser Zeit gab es schon auf Bezirksebene wöchentliche Besprechungen mit den Vertretern des Rates des Bezirkes, der Volkspolizei und der Staatssicherheit über Kirchenfragen24. Auf der Ebene des Rates des Bezirkes Leipzig war das Referat Religionsgemeinschaften, das von Gollert geleitet wurde, dem Arbeitsbereich des Vorsitzenden, Karl Adolphs, zugeordnet25. Da der Referent auf die Zuarbeit anderer Fachabteilungen angewiesen war, hing sein Erfolg besonders von der Unterstützung des Ratsvorsitzenden ab. Die personelle Ausstattung war sowieso minimal, wie Gollert Ende 1953 bemängelte: „Es wird für dringend notwendig gehalten, den derzeitigen Zustand der Einmannreferate in den Bezirken zu beseitigen, denn ein Mitarbeiter ohne Schreibkraft, ohne Mitarbeiter in den Kreisen und Städten und ohne entsprechende Unterstützung durch die zentralen und örtlichen staatl. Organe kann nicht in der Lage sein, die Aufgabe zu meistern“26.
Anders als in anderen Bezirken musste Gollert nämlich zusätzlich das Referat Druckgenehmigungen übernehmen27. Gollerts Stelle übernahm Fritz Jacob Anfang 195428. Dieser blieb allerdings nur ein Jahr auf dieser Position und wechselte im Februar 1955 zur neu gebildeten Abteilung „Kultfragen“ beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, wo er Oberreferent wurde29. Seine Nachfolgerin wurde Frau Pögelt, die vorher eine Stelle im Rat der Stadt inne gehabt hatte, wohl aber über keine Erfahrungen in Kirchenfragen verfügte30. Sie blieb nur ein paar Wochen 23 Da die Personalakten der SED-Bezirksleitung und des Rates des Bezirkes Leipzig noch nicht vollständig erschlossen sind, war es dem Bearbeiter nicht möglich, weitere Informationen über die im Folgenden genannten Personen einzuholen. 24 Jacob und Setzefand an das ZK, Abt. Staatl. Organe, Sektor Kirche am 8. Januar 1954 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/51, Bl. 251–255, hier Bl. 255). 25 Geschäftsverteilung beim Rat des Bezirkes Leipzig vom 23. Juni 1953 (STAL, RdB 4190, Bl. 3). 26 Gollert, Bericht über die Einstellung der Religionsgemeinschaften nach dem 10. Juni 1953 (STAL, RdB 1582, Bl. 47). 27 EBD. 28 Der Leipziger Kirchenamtsrat Held an das Landeskirchenamt am 18. Februar 1954 (LKA DRESDEN, 2/1018, Bd. 1/2, Bl. 39). Die zugrunde liegenden Ursachen konnten wegen des nicht möglichen Zugangs zu den Personalakten nicht eruiert werden. 29 M. G. GOERNER, Kirche, S. 186. 30 Held an das Landeskirchenamt am 16. Februar 1955 (LKA DRESDEN, 2/1018, Bd. 1/2, Bl. 45).
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im Amt. Ihr folgte Heinz Haufe nach, der im Herbst 1956 die DDR verließ31. Der häufige Wechsel auf dieser Stelle brachte erhebliche Reibungsverluste mit sich, sodass selbst der Leipziger Kirchenamtsrat mit dem Gedanken spielte, „ob dies an zuständiger Stelle in Berlin oder beim Ratsvorsitzenden Adolphs nicht einmal zur Sprache gebracht werden sollte“32. Auch Gollerts Nachfolger, Fritz Jacob, beschwerte sich, „dass die Stellenplankommissionen [. . .] auch bei den Referenten für Religionsgemeinschaften bei den Räten der Bezirke eine sehr engherzige Haltung zeigen, was auf eine außerordentliche Unterschätzung der politischen Bedeutung dieses Referates schließen lässt“33. Es kam hinzu, dass die Arbeit dieser Referate auch von kirchlicher Seite behindert wurde. Ein interner Vermerk im Landeskirchenamt warnte vor dem Irrtum, diese Referate als untergeordnete Einheiten der kirchenfreundlichen Nuschke-Hauptabteilung anzusehen: „Es handelt sich bei ihnen nicht um Verbindungsstellen zwischen Staat und Kirche“34. Die Pfarrer sollten folglich Einladungen dieser Referate nicht folgen. Gleichwohl erhielten die Vertreter der Landeskirchen ein Jahr später auf einer Besprechung mit dem Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Regierung der DDR, Propst Heinrich Grüber, den Hinweis, dass sich die Zuständigkeiten stärker auf die Bezirke verlagert. Er empfahl daher, dort „besonders geeignete Verhandler“ einzusetzen35. Dass das Gebiet der Landeskirche nun auf drei Bezirke aufgeteilt war, war ein struktureller Vorteil für die Landeskirche, die die sich ergebenden Unterschiede vor Ort zu ihren Gunsten auszunutzen suchte. Ende September 1954 brach der Streit zwischen Jacob und Adolphs über die Relevanz von Kirchenfragen im Rat des Bezirkes offen aus. Jacob beschwerte sich über die zu geringe personelle Ausstattung seines Referates und die nachlässige Behandlung von Kirchenfragen auf Bezirksebene durch den Ratsvorsitzenden. Er konnte sich dabei auf das Votum des Staatssekretärs Hegen und die Unterstützung höherer Parteistellen beziehen, was Adolphs jedoch nicht besonders beeindruckte36. Auch die Bezirksbehörde der DVP bemängelte das unentschlossene Eingreifen des Rates des Bezir31 Zu Haufe vgl. unten S. 430–432. Zur Republikflucht Haufes vgl. MfS, BV Dresden, Abt. V/4, Treffbericht mit GM „Konrad“, 12. Dezember 1956 (BSTU, MfS AIM 1822/64 A 2, Bl. 12). 32 Held an das Landeskirchenamt am 4. April 1955 (LKA DRESDEN, 2/1018, Bd. 1/2, Bl. 46). 33 Jacob, Niederschrift über die Arbeitstagung der Genossen des Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten mit den Genossen Referenten für Religionsgemeinschaften und der BDVP (PM 2) aller Bezirke am 15. Juni 1954 in Berlin (STAL, RdB 1610, Bl. 1–3, hier Bl. 3). Vor allem P. BEIER, S. 23, weist auf die Umsetzungsprobleme an der Basis hin. 34 Interner Vermerk von OLKR Gottfried Knospe vom 21. Juni 1954 (LKA DRESDEN, 2/1018, Bd. 1/2, Bl. 41). 35 Oberkirchenrat Müller, Referentenbesprechung in der Kirchenkanzlei Berlin am 28. Juli 1955 (LKA DRESDEN, 2/1018, Bd. 1/2, Bl. 59). 36 Jacob, Aktenvermerk am 23. September 1954 (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 303).
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kes37.Wahrscheinlich unterschied sich Adolphs in dieser Frage wenig von anderen Bezirksvorsitzenden. Jedenfalls wurden auf einer Arbeitstagung der Referenten für Religionsgemeinschaften beim Staatssekretariat des Inneren derartige Vorwürfe erhoben38. Jacobs Beschwerde bei der SED-Bezirksleitung brachte Adolphs einen Tadel ein. Der Instrukteur für Kirchenfragen bei der SED-Bezirksleitung Baum meldete dies dem ZK mit folgendem Kommentar weiter: „Auf Grund der ernsten Hinweise und Empfehlungen des Büros der Bezirksleitung, einen Plan mit konkreter Aufgabenstellung zu erarbeiten, wird in Zukunft eine bessere Arbeit in Kirchenfragen vom Gen. Adolphs zu erwarten sein“39. Die direkte Unterstellung des Referenten für Religionsgemeinschaften unter den Ratsvorsitzenden, die darauf abzielte, die Relevanz von Kirchenfragen im Verwaltungsapparat zu steigern, hatte sich zumindest bis zu diesem Zeitpunkt kontraproduktiv ausgewirkt40. Im Bezirk Leipzig wurde der Referent regelrecht ausgebremst. Adolphs stand mit seinem Verhalten wohl für die Mehrheit der Vorsitzenden der Räte der Bezirke: „Ratsvorsitzende, die – wie etwa in Cottbus oder Frankfurt (Oder) – persönlich an kirchenpolitischen Fragestellungen besonders interessiert waren, bildeten die Ausnahme“41. Schwierigkeiten bereiteten vor allem die Kreise. Es ist bezeichnend für die Situation Jacobs, dass im Herbst 1954 auf seine Vorgabe an die Vorsitzenden der Räte der Kreise, eine Übersicht über die kirchliche Situation in ihrem jeweiligen Kreis zu erstellen, zumindest fristgerecht keine Reaktion erfolgte und Jacob erst bei Adolphs um den nötigen Druck bitten musste42. Im März 1953 hatte es in vier Kreisen des Bezirkes Leipzig noch gar keinen entsprechenden – nebenamtlichen – Sachbearbeiter gegeben43. Gegenüber Adolphs forderte Jacob – fast gebetsmühlenartig –, regelmäßige Besprechungen auf Kreisebene abzuhalten44. Im Vergleich zu den Bezirken 37 BDVP, Abt. PM an die HVDVP am 22. Oktober 1954, Quartalsbericht 3. Quartal 1954 (STAL, BDVP 155, Bl. 80–91, hier Bl. 80). 38 Jacob, Aktenvermerk über die Arbeitsbesprechung am 28. September 1954 beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten mit den Referenten für Religionsgemeinschaften aller Bezirke (STAL, SED-BL IV/2/14/620, Bl. 241–243, Bl. 242). 39 Setzefand/Baum an das ZK, Abt. Staatliche Verwaltung am 26. Oktober 1954 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2714/51). 40 Die direkte Unterstellung besonders betont im Aktenvermerk betr. Arbeitsbesprechung am 28. September 1954 beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten mit den Referenten für Religionsgemeinschaften (STAL, SED-BL 620, Bl. 241–243, Bl. 242). 41 P. BEIER, S. 52. 42 Jacob, Notiz für Gen. Adolphs am 26. November 1954 (STAL, RdB 21105). 43 Gollert, Bericht über die Arbeit des Referates Religionsgemeinschaften und die Situation in kirchlichen Angelegenheiten im Bezirk Leipzig vom 4. März 1953 (STAL, RdB 1582, Bl. 83–90, hier Bl. 85). 44 Vgl. z. B. Jacobs Aktenvermerk über die Besprechung beim Rat des Bezirks Dresden vom 5. Mai 1954 (STAL, RdB 1582, Bl. 92).
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Dresden und Karl-Marx-Stadt konstatierte der Referent schon im Mai 1954 einen Rückstand. Dort waren in den Kreisen die Gebiete Druckgenehmigungen und Religionsgemeinschaften mit je einer halben Stelle zusammengelegt worden waren, sodass der entsprechende Sachbearbeiter automatisch einen Überblick über die kirchlichen Veranstaltungen bekam45. Untersucht man, für welche Sachgebiete entsprechende Mitarbeiter im Kreis Leipzig in erster Linie zuständig waren, so wird klar, dass bei der Betreuung mit Kirchenfragen weniger mögliche Synergieeffekte eine Rolle spielten als die schiere Verlegenheit: Lediglich in vier Kreisen bearbeitete der für Druckgenehmigungen zuständige Mitarbeiter gleichzeitig auch Kirchenfragen; in der Stadt Leipzig war der betreffende Sachbearbeiter zuerst für die „Betriebsverwaltung“ zuständig46. Dem negativen Befund für den Verwaltungsapparat auf Kreisebene entsprach die Analyse der Bezirksbehörde der Volkspolizei, die auch die Partei nicht von der Kritik ausnahm: „Es gibt jedoch auch Erscheinungen, wo Kreisräte bezw. die Kreisleitungen der Partei nicht mit Nachdruck die Pfarrer von der Unrechtmäßigkeit ihrer Handlung überzeugen. In diesen Kreisämtern ist darüber hinaus festzustellen, dass die Überwachungstätigkeit der kirchlichen Veranstaltungen bei Verlesung von Hirtenbriefen usw. schlecht ist“47. Die erste zentrale Arbeitsbesprechung der für Kirchenfragen zuständigen Kreismitarbeiter im Bezirk Leipzig fand wohl erst Anfang September 1954 statt48. Ein kurz danach erstellter Bericht Jacobs zeigte Licht und Schatten in der Entwicklung in den Kreisen auf: Von den 13 Kreisen im Bezirk hatten erst acht Übersichten über die Kirchenvorstände und die dort – erwartungsgemäß nur schwach – vertretenen SED-Mitglieder angefertigt49. Gleichwohl hatten die verbesserte „Anleitung“ durch Partei und Staat sowie die verstärkten Kontrollen in fünf Kreisen ergeben, dass „dort differenzierte Aussprachen stattgefunden haben“50. Jacobs Darstellung verzeichnete auch die gewachsene Bereitschaft der Vorsitzenden der Räte der Kreise und ihrer Stellvertreter, mit Pfarrern Gespräche zu führen51. Im Vergleich zu der Situation in den Kreisen überrascht es, dass es schon Anfang 1954 in allen Stadtbezirken von Leipzig einen Mitarbeiter für Kirchenfragen gegeben haben soll52. 45 EBD. 46 Jacob, Aktenvermerk vom 2. September 1954 (STAL, SED-BL IV/2/14/620, Bl. 213). 47 BDVP, Abt. PM an die HVDVP am 22. Oktober 1954, Quartalsbericht 3. Quartal 1954 (STAL, BDVP 155, Bl. 80–91, hier Bl. 88). 48 EBD. 49 Jacob, Bericht vom 15. Dezember 1954 (STAL, RdB 1582, Bl. 2–4, hier Bl. 3). 50 EBD., Bl. 2. 51 EBD., Bl. 4. 52 Gollert am 24. Februar 1954 (STAL, RdB 21106). Hinweise auf ihre Tätigkeit konnten
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Die erste systematische – wenn auch keineswegs lückenlose – Übersicht über die kirchlichen Verhältnisse in der Messestadt nach dem 17. Juni 1953 stammt vom Januar 195553. Sie basiert auf den Berichten der einzelnen Stadtbezirke und enthält Angaben über die einzelnen Pfarrer, den Besuch des Gottesdienstes, Kirchenvorstandsmitglieder, die Zahl der Kirchenaustritte, das kirchliche Verhalten der so genannten „Neubürger“ und die „Junge Gemeinde“54. Der stellvertretende Vorsitzende des Rates der Stadt, Wende, musste eingestehen, dass „noch nicht alle Punkte so erfüllt wurden, dass sich ein geschlossenes Bild ergibt“55.
5.2 Die „Sonderkonten Kirchenfragen“ – ein neues kirchenpolitisches Instrument Die Entstehung einer weiteren „Differenzierungsmethode“ ist ebenfalls im Zusammenhang mit dem Politbürobeschluss vom März 1954 zu sehen: Die Einrichtung des „Sonderkontos Kirchenfragen“. Sie basierte auf der sich bei Partei und Staat immer stärker verfestigenden Vorstellung, dass „fortschrittliche Pfarrer“ finanzielle Nachteile durch die Kirchenleitungen erführen und viele Geistliche aus Angst vor Repressionen nicht ihren eigentlichen politischen Willen im Sinne der SED äußerten56. Die Hinweise auf ein solches Verhalten der Kirchenleitungen sind mehr als dürftig. Möglich ist, dass einige Pfarrer gegenüber staatlichen Vertretern diese Argumentation als Vorwand für eine Gesprächsabsage benutzt haben. Tatsächlich dürften Kirchenleitungen eher geneigt gewesen sein, gegen andere Verfehlungen eines Pfarrers vorzugehen, wenn die entsprechende politische Einstellung hinzukam57. Auch war der finanzielle Köder keineswegs ein neues kirchenpolitisches Mittel. Schon vor 1955 hatten regionale Staats- und Parteiorgane besonders in den Südbezirken der DDR in eigener Verantwortung aus weder im Stadtarchiv noch im Staatsarchiv Leipzig aufgefunden werden. Daher spricht vieles dafür, dass die Stellen zwar pro forma belegt waren, die entsprechenden Bearbeiter sich aber kaum darum gekümmert haben dürften. 53 Rat der Stadt Leipzig an Jacob am 12. Januar 1955 (STAL, RdB 20767). 54 EBD. 55 EBD. 56 P. BEIER, S. 31. Als typisches Beispiel aus dem Bezirk Leipzig vgl. Setzefand/Baum an das ZK der SED, Staatliche Verwaltung-Kirchenfragen, betr. Einbeziehung von christlichen Menschen, Pfarrern und Kirchenvorstandsmitgliedern in der Vorbereitung der Volkswahlen vom 1. Oktober 1954: „Interessant dabei ist, dass ein Teil der angesprochenen Pfarrer zum Ausdruck brachte, sie würden gerne zur Konferenz [sc. im Vorfeld der Volkskammerwahlen 1954] gehen, trauen sich aber nicht, da sie durch die vorgesetzte Dienststelle in solchen Fällen mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen hätten“ (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 309 f., hier Bl. 310). 57 P. BEIER, S. 28.
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Verfügungsfonds des Vorsitzenden des Rates, die in ihrer Höhe selbstverständlich begrenzt waren, einzelnen Pfarrern in besonderen Situationen unter die Arme gegriffen58. Auch für den Bezirk Leipzig sind Zahlungen an einen Pfarrer im Ruhestand belegt, der seine Unterstützungsforderung mit seiner großen Beanspruchung durch den Friedensrat begründete59. Die – in ihrem Ausmaß durchaus übersteigerte – Hoffnung, mit finanziellen Mitteln „differenzierend“ wirken zu können, die uneinheitliche Praxis an der Basis sowie der neue kirchenpolitische Kurs führten dazu, dass Anfang 1955 die Frage der Zuwendungen an Pfarrer auf oberster Ebene geregelt wurde. Auf der Politbürositzung am 4. Januar 1955 wurde beschlossen, einen Fonds „zur Unterstützung bedürftiger oder gemaßregelter Geistlicher, zwangspensionierter Geistlicher, schlecht entlohnter Vikare und für Unkosten bei Durchführung von Aussprachen mit Geistlichen“ einzurichten60. Die zu verwendenden Gelder stammten aus den Staatsleistungen, die die Regierung der DDR an die Kirchen abführte, sodass damit keine staatlichen Mehrausgaben verbunden waren61. Am 3. März 1955 wurden die Vorsitzenden der Räte der Bezirke vom Staatsekretär für Innere Angelegenheiten, Josef Hegen, über den neu eingerichteten Fonds und die Vergaberichtlinien informiert62. Zuwendungsempfänger sollten „insbesondere solche Geistliche [. . .] sein, deren progressive Tätigkeit ihren Niederschlag in ihrem Wirken innerhalb ihrer Kirchgemeinden findet“63. Die Richtlinie unterschied zwischen „laufende[n] Zuwendungen“ für finanziell benachteiligte Pfarrer – diese waren allerdings vorerst auf ein Jahr beschränkt – und „einmaligen Zuwendungen“ in Form von Heizmaterial, Zuschüssen für Urlaube und Kuraufenthalte, Geschenke u. a. Im Vergabeverfahren kam dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes insofern eine besondere Rolle zu, als er über einmalige Zuwendungen zu entscheiden hatte und die Beantragung für laufende Zahlungen bei ihm lag. Die Umsetzung der neuen Richtlinie in den Bezirken war jedoch sehr unterschiedlich. Ein Besuch des Oberreferenten Handschack vom Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten im Oktober 1955 in Leipzig ergab, dass der neue Referent für Kirchenfragen, Heinz Haufe, über den Einsatz des neuen Sonderfonds nicht informiert war64. Es kann unter diesen Um58 EBD., S. 32–34. 59 EBD., S. 33, S. 65. 60 Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 4. Januar 1955, Beschlusspunkt 13, 2b (abgedruckt in: F. HARTWEG, Dok. 27, S. 155–157, hier S. 156). 61 Da die Regierung die DDR nicht als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches ansah, verneinte sie eine Rechtsverpflichtung zur Zahlung der Staatsleistungen, die sie – konsequenterweise – als „Staatszuschüsse“ bezeichnete (vgl. P. BEIER, S. 40, Anm. 7). 62 EBD., S. 48. 63 EBD., Dok. 1, S. 271–273, hier S. 272. 64 Bericht über die Dienstreise des Koll. Handschack in der Zeit vom 11.–13. Oktober
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ständen nicht verwundern, wenn auch die nachgeordneten Behörden, die Räte der Kreise, über die Existenz des Sonderkontos nur ungenügend im Bilde waren65. Im Bezirk Leipzig gerieten Mitte der 50er Jahre zwei Pfarrer im Ruhestand, die nicht in der Stadt Leipzig wohnten, in den Genuss von monatlichen Zuwendungen, die sich im Jahr auf 3 600 M summierten. Der intendierte Differenzierungseffekt war bei Pfarrern, die nicht aktiv im Dienst waren, selbstverständlich eher als gering einzuschätzen. Dazu kamen kleinere „materielle Zuwendungen“ an Assistenten der Theologischen Fakultät und einen kleineren Kreis von Pfarrern, die besonders 1955/56 in den Genuss zweckgebundener Vergünstigungen kamen66. Der geringe Einsatz der finanziellen Mittel ist sicherlich zu einem großen Teil auf die spezifische Situation im Bezirk Leipzig mit einem wenig an Kirchenfragen interessierten Ratsvorsitzenden und einem überforderten Referenten zurückzuführen. Im Vergleich mit den anderen Bezirken wird aber deutlich, dass die geringe Inanspruchnahme des Fonds keineswegs die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel war: Lediglich in den Bezirken Erfurt, Halle und – wenngleich auch in eher bescheidenem Maße – auch im Bezirk Suhl wurden in den ersten Jahren Mittel des Sonderfonds abgerufen67. Es bleibt also festzuhalten, dass der neu eingerichtete Fonds in den 50er Jahren in Leipzig keine erfolgreiche Differenzierungsmethode darstellte.
5.3 „Eine feste Basis unter den christlichen Menschen schaffen“: Kirchenpolitik der Massenorganisationen „Es ist wichtig, eine feste Basis unter den christlichen Menschen, bis hinunter in die kleinste Zelle der Kirchgemeinde zu schaffen“68. Diese neue Dimension der SED-Kirchenpolitik wurde den Referenten für Religionsgemeinschaften auf einer Arbeitstagung im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten am 15. Juni 1954 noch einmal deutlich gemacht69. 1955 in den Bezirken Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden (BARCH BERLIN, DO 4–361). Es spricht einiges dafür, dass die unsachgemäße Verwendung der Sondermittel ein Grund für die Republikflucht Haufes gewesen sein könnte (P. BEIER, S. 200 f.). 65 EBD., S. 61. 66 EBD., S. 201. 67 Vgl. die Übersicht über die jährlichen Durchschnittsausgaben in den Bezirken EBD., S. 244–252. 68 Zu diesem Kapitel vgl. G. DIEDERICH, S. 79–103, der die Tätigkeit der Nationalen Front in den Nordbezirken der DDR untersucht und zu ähnlichen Ergebnissen gelangt wie die vorliegende Arbeit. 69 Niederschrift über die Arbeitstagung der Genossen des Staatssekretariats für Innere
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Im Rahmen der SED-Kirchenpolitik kam diese Aufgabe der Nationalen Front und dem Friedensrat zu, die sich besonders um die Kirchenvorstände in den Gemeinden kümmern sollten70. Auf der Politbürositzung am 4. Januar 1955 wurde diese Aufgabe spezifiziert: „Die Ausschüsse der Nationalen Front, die Friedensräte und der demokratische Block haben deshalb mit allen Gemeindekirchenräten und den Pfarrern ständige Verbindung zu halten und die im demokratischen Block vertretenen Parteien und Massenorganisationen zu einer einheitlichen und ständigen Einflussnahme anzuregen“71. Nationale Front und Friedensrat sollten als „unerkanntes Sprachrohr“ der SED agieren, die deren Arbeit direkt anleitete72. Angesichts der bisherigen Erfolge der SED-Kirchenpolitik, die sich vor allem auf die Pfarrer konzentriert hatte, war dies ein ehrgeiziges Vorhaben. Noch Ende Oktober 1953 hatte Gollert „die Gewinnung vor allem fortschrittlicher Pfarrer für die Mitarbeit durch die Sekretäre der Kreisfriedensräte und die Kreisausschüsse der Nationalen Front“ als „ungenügend“ bezeichnet73. Die kirchenpolitischen Aktivitäten der Massenorganisationen in der Stadt Leipzig machten sich im Herbst/Winter 1954 stärker bemerkbar. Dies dürfte vor allem mit der Situation in der Bundesrepublik zusammenhängen, wo um den Beitritt zur NATO und die damit verbundene Wiederbewaffnung ein heftiger innenpolitischer Streit ausgebrochen war74. Die SED suchte, das in den evangelischen Kirchen vorhandene gesamtdeutsche Protestpotenzial gegen diese Entscheidung politisch zu aktivieren. Tatsächlich gelang es, in dieser Situation Pfarrer zur Teilnahme an Veranstaltungen von Massenorganisationen zu bewegen. Das geeignete kirchenpolitische Instrument dazu bildeten die örtlichen Friedensräte. Diese unterstanden dem „Deutschen Friedensrat“, der 1953 aus dem „Deutschen Komitee der Kämpfer für den Frieden“ hervorgegangen war75. Zum Präsidium des Friedensrates gehörte der Leipziger Emil Fuchs. Der „Deutsche Friedensrat“ stellte eine Sympathisantenorganisation der SED dar, die den Protest gegen die Wiederbewaffnung und die Integration der
Angelegenheiten mit den Genossen Referenten für Religionsgemeinschaften und der BDVP (PM 2) aller Bezirke am 15. Juni 1954 in Berlin (STAL, RdB 1610, Bl. 1–3, hier Bl. 1). 70 Zu Tätigkeit und Erfolg von Nationaler Front auf regionaler Ebene, hier aus dem Norden der DDR, vgl. G. DIEDERICH. 71 Anlage Nr. 12 zum Protokoll der Politbürositzung am 4. Januar 1955 (abgedruckt in: F. HARTWEG, Dok. 28, S. 158–161, hier S. 159). 72 G. DIEDERICH, S. 81. 73 Jacob an ZK, Abt. Staatliche Verwaltung, Sektor Kirchen am 31. Oktober 1953 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/51). 74 Vgl. dazu P. KIELMANNSEGG, S. 144–155. 75 Die Darstellung über den Friedensrat folgt M. G. GOERNER, Kirche, S. 194–196; vgl. auch G. DIEDERICH, S. 13 f.
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Bundesrepublik in das westliche Bündnis mobilisieren sollte. Zwischen der Abteilung Kirchenfragen des ZK der SED und dem Sekretariat des „Deutschen Friedensrates“ bestand eine enge Verbindung. Da Christen eine wichtige Zielgruppe dieser Politik bildeten, wurde im August 1951 ein „Christlicher Arbeitskreis im Deutschen Friedensrat“ gegründet76. Von Seiten des Leipziger Instrukteurs für Kirchenfragen wurden den Friedensräten „gegenüber den anderen Organisationen die größten Möglichkeiten, mit den Teilen der christlichen Bevölkerung, die dem politischen Geschehen noch fern stehen, in Verbindung zu treten“, eingeräumt77. Die Richtlinien des Leipziger Bezirksfriedensrates zielten darauf ab, „die Friedensbemühungen der Volkskammer und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu unterstützen“78. Der „Christliche Arbeitskreis“ im Bezirk Leipzig konstituierte sich im Sommer 1954 unter der Leitung von Magdalena Hager, daneben waren besonders die beiden Pfarrer Adolf Rappe aus Mutzschen und Heinz Blum79 aus Waldheim aktiv80. Als Referenten arbeiteten hauptsächlich Vertreter der Theologischen Fakultät wie Emil Fuchs, Johannes Leipoldt und Christoph Haufe81. In enger Zusammenarbeit mit der Nationalen Front fanden von Herbst 1954 bis Frühjahr 1955 mehrere „Christliche Begegnungen“ in Leipzig und Umgebung statt. Auf einer derartigen Veranstaltung Ende November 1954 nahmen laut Jacob immerhin 69 Pfarrer teil82. Am 8. Dezember 1954 wurde eine Kommission im Bezirksfriedensrat gewählt, der neben Professor Johannes Leipoldt, den Pfarrern Heinz Blum (Waldheim) und Karl Frankendorfer (i. R.), dem Kirchenvorstandsmitglied der Leipziger Versöhnungsgemeinde Hans Rudelt auch Magdalena Hager und Fritz Jacob an-
76 M. G. GOERNER, Kirche, S. 195. 77 Bericht Baums vom 10. Oktober 1955 (STAL, SED-BL IV/2/14/645). 78 Richtlinien für die Arbeit der Friedensräte im Bezirk Leipzig nach dem Weltfriedenstreffen in Helsinki und der Genfer Konferenz [Ende Juli 1955] (STAL, SED-BL IV/2/14/645). 79 Blum war Anstaltspfarrer im Gefängnis von Waldheim. Er arbeitete als IM „Ulrich“ mit dem MfS zusammen (vgl. BSTU, Lpz AIM 1081/67). 80 Bezirksfriedensrat Leipzig, „Aufgaben, die am 26. Mai [1954] vom Arbeitsausschuss des Christlichen Arbeitskreises für den Frieden – Bezirk Leipzig festgelegt wurden“ (STAL, SED-BL IV/2/14/645). Rappes „fortschrittliche“ Aktivitäten waren bekannt. Das Landeskirchenamt achtete schon 1953 darauf, ihm wichtige Kanzelabkündigungen erst kurz vor dem Verlesungstermin zukommen zu lassen, um ihren Verrat an staatliche Stellen zu verhindern (vgl. Rappe an Gollert am 20. Mai 1953. STAL, RdB 20726). Rappe wurde schon 1950 als GI „Roland“ geworben und von der Kreisdienststelle Grimma geführt, bis er 1954 nach Leipzig zog, wo er von der Bezirksverwaltung übernommen wurde. Das Ministerium für Staatssicherheit stellte 1955 die Zusammenarbeit mit ihm wegen Dekonspiration ein (vgl. BSTU, Lpz AIM 681/55). 81 BFR Leipzig am 9. September 1954 (STAL, SED-BL IV/2/14/645). 82 Jacob, Bericht am 15. Dezember 1954 (STAL, RdB 1582, Bl. 2–4, hier Bl. 2).
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gehörten83. Diese sollte sich vor allem auf die Vorbereitung von Aussprachen konzentrieren. Zum ersten Mal war jetzt auch von einer Kommission auf Bezirksebene die Rede, die die Arbeit von Partei, Staatsorganen und Massenorganisationen koordinieren und die Anleitung der Kreise in Angriff nehmen sollte84. In den Nordbezirken der DDR setzte diese Zusammenarbeit wohl erst ein Jahr später ein85. Ähnliche Kommissionen wurden in der Stadt Leipzig und einzelnen Stadtbezirken gebildet86. Von einem „Durchbruch“ in der Stadt Leipzig zu reden, wie es Jacob schon Mitte Januar 1955 tat, dürfte wohl übertrieben sein. Einer Einladung von drei Stadtbezirksräten zu einer Aussprache im August 1955 waren lediglich 17 Personen gefolgt87. Die Bemühungen des Leipziger Bezirksfriedensrates und dessen Christlichen Arbeitskreises bestanden zum einen in der Aussprachetätigkeit mit Pfarrern, zum anderen in Fahrten nach Weimar und in das KZ Buchenwald, die nach dem Vorbild des Bezirks Karl-Marx-Stadt ab Herbst 1955 aufgenommen wurden88. Nach einer längeren Pause gelang es dem Arbeitskreis erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1955 wieder, der „Friedensarbeit“ Impulse zu verleihen89. Im ersten Halbjahr 1956 wurde es schon als Fortschritt gegenüber dem Vorjahr gewertet, dass 15 Pfarrer und 31 Mitglieder von Kirchenvorständen aus dem Bezirk an den Fahrten nach Buchenwald teilgenommen hatten, gleichwohl musste der Bezirksfriedensrat eingestehen, „dass wir bei weitem nicht auf der Höhe unserer Aufgaben stehen“90. Dabei bildete die Situation in der Stadt Leipzig aus Sicht des Bezirksfriedensrates insofern eine positive Ausnahme, als sich zwei amtierende Pfarrer zur Mitarbeit im Christlichen Arbeitskreis bereit erklärten91. Basis dieses „Erfolgs“ war das funktionierende Zusammenspiel zwischen Partei, Staatsapparat, Friedensrat, Nationaler Front und DFD. Hinzu kam, dass der im Ruhestand befindliche Pfarrer Herz als Vorsitzender des 83 BFR an Deutschen Friedensrat am 14. Dezember 1954 (STAL, SED-BL IV/2/14/620, Bl. 320–322, hier Bl. 321). 84 EBD., Bl. 322. 85 G. DIEDERICH, S. 95, erwähnt jedenfalls nur Aktionen dieser Kommission aus dem Jahr 1956. 86 Jacob an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten – Gesellschaftsfragen am 14. Januar 1955 (STAL, RdB 1582, Bl. 5–7, hier Bl. 5). 87 Baum am 10. Oktober 1955 (STAL, SED-BL IV/2/14/645). 88 EBD. 89 EBD. 90 BFR Leipzig, betr. Arbeit zur Gewinnung christlicher Menschen [September 1956] (STAL, SED-BL IV/2/14/645). 91 BFR Leipzig, betr. Arbeit zur Gewinnung christlicher Menschen [September 1956] (STAL, SED-BL IV/2/14/645). Der Bericht nannte die Pfarrer Kraneis und Seyfert (im Bericht fälschlich Seifert). Seyfert hatte von 1933 bis 1936 den Deutschen Christen angehört. Eine Nachfrage beim Landeskirchenamt zur Person Kraneis blieb unbeantwortet.
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Kreisfriedensrates der Stadt Leipzig amtierte92. Auf dem Land hatte die inhaltliche Kongruenz zwischen Nationaler Front und Ortsfriedensrat in einzelnen Fällen zu einer gegenseitigen Blockade geführt93. Mitte 1955 dürfte das Ziel des Bezirksfriedensrates, in allen Kreisen einen Christlichen Arbeitskreis zu bilden, mehr als ehrgeizig gewesen sein94. Der Leipziger Bezirksfriedensrat konnte jedoch größere kirchenpolitische Erfolge vorweisen als die Nationale Front, obwohl sich beide personell stark überschnitten. Die Nationale Front hatte die Aufgabe, eine scheindemokratische Fassade zur politischen Legitimation der SED-Herrschaft herzustellen. So trat sie 1950 als Veranstalterin von Pfarrerkonferenzen auf, hinter denen die SED-Spitze stand95. Diese waren einberufen worden, um im Vorfeld der Volkskammerwahlen von 1950 die Unterstützung der SED-Politik durch die Pfarrerschaft herauszustellen. Im Zuge der neuen Kirchenpolitik entdeckte die SED dieses Instrument wieder96. Da innerhalb der Nationalen Front Kirchenfragen nach 1950 eine untergeordnete Rolle gespielt hatten, waren die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wiederaufnahme einer aktiven Rolle schlecht. Die Abteilung Kirchenfragen des ZK stellte Anfang 1955 fest, die Nationale Front verfüge noch über „keine genaue Übersicht über Namen und Anzahl der in den Ausschüssen der Nationalen Front mitarbeitenden Geistlichen und Kirchenräte. Trotz aller Bemühungen um eine einwandfreie Berichterstattung durch die Bezirke und Kreise ist es bisher noch nicht gelungen, eine wesentliche Verbesserung zu erreichen“97. Eine Einschätzung der auf kirchenpolitischem Gebiet tätigen Organisationen aus dem Frühjahr 1956 aus dem Bezirk Leipzig wies in die gleiche Richtung: „Völlig ungenügende Übersicht besteht über die Arbeit der Nationalen Front. [. . .] Es sind noch keine neuen Wege gefunden worden, um an weite Kreise der christlichen Menschen heranzukommen“98. So beschränkte sich ihre Tätigkeit auf die Zuarbeit vor den Wahlen. Zur 92 Vgl. Kreisfriedensrat Leipzig-Stadt, Arbeitsplan des Kreisfriedensrates Leipzig-Stadt – III. Quartal 1954 (STA L LEIPZIG, StVuR [I] 3696, Bl. 7 f.). Der Arbeitsplan sah vor, „den Kampf für die Ablehnung der Kriegsverträge von Bonn und Paris zu verstärken“. 93 So der Bericht des Leipziger Bezirksfriedensrates: „Manchmal haben auch die Ortsausschüsse der Nationalen Front eine falsche Einstellung gegenüber der Friedensbewegung. Die Genossen meinen, dass man keinen Ortsfriedensrat braucht, wenn der Ausschuss der Nationalen Front existiert“ (STAL, RdB 1602). 94 Baum, Bericht über die Durchführung der Beschlüsse und Politik der Partei gegenüber der Kirche vom 30. Juni 1955 (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 246 f. hier, Bl. 246). 95 Vgl. hierzu oben S. 292. 96 Zur Rolle der Nationalen Front in Kirchenfragen vgl. auch G. DIEDERICH, S. 11–13. 97 Jahresbericht des Sektors Kirchenfragen für 1954, Abt. III/Kirchenfragen vom 24. Februar 1955 (zitiert nach: M. G. GOERNER, Kirche, S. 190 f., Anm. 147). 98 Bericht über die Durchführung der Beschlüsse und Politik der Partei gegenüber der Kirche, undatiert [Frühjahr 1956] (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 246 f., hier Bl. 247).
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Einrichtung von „Arbeitsgruppen ‚Christliche Kreise‘“ kam es in der Nationalen Front erst Anfang 195699. Unter den wenigen verzeichneten Aktivitäten der Nationalen Front überhaupt wurde eine Wählerkonferenz vor den Wahlen im Oktober 1954 auf Bezirksebene in Leipzig erwähnt. „Als guter Erfolg“ wurde von der SED-Bezirksleitung das Erscheinen von 23 Pfarrern und Kirchenvorstandsmitgliedern hervorgehoben, obwohl dieser Kreis mit Sicherheit nicht über die sowieso bekannten „fortschrittlichen Kräfte“ hinausgegangen sein dürfte100. Bei der Durchsicht der Materialien erkennt man, dass Nationale Front und der Friedensrat besonders häufig die Teilnahme von Pfarrern an ihren Veranstaltungen in den Mittelpunkt ihrer Berichte stellten, während sie über die ihnen eigentlich zugedachten Aufgaben, die Gewinnung der christlich gebundenen Bevölkerung, eher in Kürze hinweggingen. Denn auf diesem Gebiet konnten sie kaum Zählbares vorweisen. Im ganzen Bezirk Leipzig nahmen im Jahr 1955 ca. 2 250 Personen an Veranstaltungen der Friedensräte teil101. Karl Aschenbach, der Erste Sekretär des Bezirksfriedensrates, musste selbst Ende 1956 eingestehen, dass es aufgrund der „mangelhaften“ Informationen nicht gelungen war, mit den Parteimitgliedern unter den Kirchenvorstandsmitgliedern ins Gespräch zu kommen, „da auch unseren Mitarbeitern größtenteils nicht das nötige Material zur Verfügung stand bezw. konnten sie nicht in Erfahrung bringen, wer von den Kirchenvorstandsmitgliedern in Parteien organisiert ist bezw. umgekehrt“102. Als Grund für die Zurückhaltung der christlichen Bevölkerung wurde unter anderem die „Angst vor der Nacht der langen Messer“ angegeben103. Insgesamt wird aus den Akten erkennbar, dass im Bezirk Leipzig stärker die administrativ behindernden, kontrollierenden Elemente als die auf Integration abzielenden Seiten der neuen Kirchenpolitik betont wurden. Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen stellte Ende des Jahres 1956 fest, dass Leipzig damit gegenüber Dresden und Karl-Marx-Stadt zurückgefallen war: „Der Bezirk Leipzig hat in der Gewinnung der religiös gebundenen Bevölkerung keine wesentlichen Fortschritte erzielt. Der größte Wert wurde auf die Durchführung der atheistischen Propaganda und auf die Kirchenaustritts99 M. G. GOERNER, Kirche, S. 191. 100 Setzefand/Baum, betr. Einbeziehung von christlichen Menschen, Pfarrern und Kirchenvorstandsmitgliedern in die Vorbereitung der Volkswahlen am 1. Oktober 1954 (STAL, SED-BL IV/2/14/616, Bl. 309 f., hier Bl. 310). 101 Bericht Karl Aschenbachs, des 1. Sekretärs des Bezirksfriedensrates, am 20. Dezember 1956 (STAL, SED-BL IV/2/14/622, Bl. 270–277, hier Bl. 270). 102 EBD., Bl. 271. Ein ähnliches Bild der kirchenpolitischen Misserfolge von NF und Friedensrat bietet G. DIEDERICH, S. 82–85, anhand von Beispielen aus den Nordbezirken der DDR. 103 Bericht Karl Aschenbachs, des Ersten Sekretärs des Bezirksfriedensrates, am 20. Dezember 1956 (STAL, SED-BL IV/2/14/622, Bl. 270–277, hier Bl. 277).
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bewegung gelegt. Christliche Begegnungen wurden in Leipzig nur ganz wenige organisiert“104. Als Ursache dafür erkannte man – möglicherweise in einer gewissen Betriebsblindheit befangen – nur das geringe Interesse der Partei an Kirchenfragen105.
5.4 Die CDU als kirchenpolitische Kraft nach dem 17. Juni 1953 Die kirchenpolitischen Defizite von SED, Staatsapparat und Massenorganisationen konnten auch nicht durch die CDU ausgeglichen werden. Diese war vor allem mit ihrer Neustrukturierung beschäftigt. Gerade die Zuordnung von Kirchenfragen im Parteiapparat wurde Mitte der 50er Jahre mehrfach geändert106. Dazu kamen ständige Personalwechsel. Von Februar bis April 1953 besetzten nacheinander Günter Wirth, Walter Bredendiek und Herbert Trebs die Stelle des Hauptreferenten für Kirchenfragen, wenn auch Wirth als zentrale Persönlichkeit gesehen werden muss107. Der häufige Struktur- und Personalwechsel in der Blockpartei dürfte sich mit dem Einstellen auf die Aufgabe als Transmissionsriemen der SED-Politik und der Neustrukturierung der Kirchenpolitik in SED und Staatsapparat erklären lassen108. Nach dem 17. Juni 1953 verzichtete die CDU darauf, der SED ihren führenden Anspruch in Kirchenfragen streitig machen zu wollen. Sie ließ sich auf ein Konzept ein, das den Spagat zwischen der Transformationsfunktion der Partei und der Interessenvertretung christlicher Anliegen versuchte109. Trebs selber schätzte die Relevanz des Referats nicht allzu hoch ein: „Mir sind keine kirchenpolitischen Maßnahmen von solcher Bedeutung, dass sie in einem Jahresbericht erwähnt werden müssten, bekannt, welche durch das Kirchenreferat wahrgenommen wurden“110.
104 Bericht über die Besprechung mit den Instrukteuren der Bezirksleitungen Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden am 28. Dezember 1956 in Leipzig (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/42, Bl. 61 f., hier Bl. 62). 105 Der Bericht erläuterte: „Gen. Baum erkannte die Ursache ganz richtig, indem er feststellte, dass dort, wo die Partei den Kirchenfragen Bedeutung beimisst, und die Genossen im Staatsapparat sowie Massenorganisationen gut anleitet, auch Erfolge zu verzeichnen sind“ (EBD., Bl. 61). 106 H. WENTKER, Abteilung, S. 162 f. 1953 bearbeitete ein im Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten tätiger Hauptreferent die Kirchenfragen. 1954 wurde das Hauptreferat der Abteilung Politik unterstellt, am Jahresende für kurze Zeit in die „Abteilung Kultur- und Kulturpolitik“ übernommen, bis es schließlich Mitte 1955 als „Referat Kirchenfragen“ der Abteilung Propaganda eingegliedert wurde. 107 EBD., S. 173–176. 108 EBD., S. 163 f. 109 EBD., S. 188. 110 Trebs an Gerd Pfau, 29. Juli 1954 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1829).
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Auch auf Bezirksebene blieb die Partei hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. Zumindest die SED schätzte im Mai 1954 das „innerparteiliche Leben“ des Leipziger CDU-Bezirksverbandes als „außerordentlich schwach“ ein111. Es gelang der CDU wesentlich schlechter als der SED, ihre Untätigkeit und Erfolglosigkeit in Kirchenfragen im Kreis und Bezirk in ihren an die Zentrale gerichteten Berichten zu verhüllen. Wenn die CDU auf der unteren Ebene für die „Friedensbewegung“ und die „Volkswahl“ zu werben hatte, war es schwer, ein eigenes Profil zu gewinnen und den mit dem 17. Juni 1953 verbundenen Einbruch wettzumachen. Die Einschätzung aus dem Oktober 1953 vom Leipziger Bezirksverband dürfte sich für die folgenden Jahre kaum geändert haben: „Die Haltung der Pfarrer hat sich im neuen Kurs mit der Klarstellung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche etwas gebessert, befriedigt jedoch in der Gesamtheit keineswegs, da der überwiegende Teil unserer politischen Entwicklung abwartend – teils sogar ablehnend – gegenübersteht“112. Die Arbeitsberichte aus dem Jahre 1954 für den Bezirksverband Leipzig meldeten durchschnittlich 20 Pfarrergespräche pro Monat. Die fehlende positive Resonanz und die geringe Anzahl der in den Berichten namentlich erwähnten Pfarrer lassen die hinter diesen Zahlen versteckte Erfolglosigkeit dieser Arbeit leicht erahnen. Die CDU selbst machte dafür die mangelnde Qualifikation ihrer Mitarbeiter und die sporadische Arbeitsweise vor Ort verantwortlich113. Die Schlussfolgerungen aus einem im Frühjahr 1955 im Bezirksverband durchgeführten Brigadeeinsatzes sind vom gleichen Dilemma geprägt wie die der SED: Da die Politik der Partei nicht falsch sein konnte, konnte das Ausbleiben des Erfolges nur ein Resultat von Vermittlungsproblemen sein: „Der Bezirksverband gibt den Kreisverbänden künftig eine stärkere Anleitung bezüglich der Führung von Pfarrergesprächen. Es ist darauf zu achten, dass in den Kreisvorständen geeignete Personen diese Gespräche führen und dass eine Vorbereitung und Auswertung solcher Pfarrergespräche in den Kreisvorstandssitzungen erfolgt“114.
111 SED-BL, Abt. Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen, Sekretariatsvorlage, 18. Mai 1953 (STAL, SED-BL IV/2/14/654, Bl. 120–123, hier Bl. 123). 112 Arbeitsberichte Oktober 1953 – Pfarrergespräche Leipzig (ACDP ST. AUGUSTIN, VII013–1477). 113 Vgl. Arbeitsbericht Juli 1954 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1477). 114 Ulrich Fahl an Günter Wirth, 3. Juni 1955 (ACDP ST. AUGUSTIN, III-013–1745).
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5.5 Kirchlicher Widerspruch gegen die innenpolitische Entwicklung in der DDR Evangelische und katholische Kirche wurden vom Partei- und Staatsapparat als Störfaktor der innenpolitischen Entwicklung in der DDR angesehen. Mit dieser Einschätzung stimmten auch die in Leipzig Verantwortlichen überein, wie sie in zunehmend langatmigeren Einleitungsfloskeln, die zum elementaren Bestandteil des kontinuierliche Züge annehmenden Berichtswesens gehörten, immer wieder klarmachten. Der Vorwurf, die Kirche zwinge dem Staat den Kirchenkampf auf, gehörte zum selbstverständlichen Repertoire der Berichterstattung der Referenten für Kirchenfragen115. Tatsächlich lassen sich in dieser Zeit noch einige Stellungnahmen von Pfarrern finden, die als öffentlicher Protest gegen die Innenpolitik angesehen werden können. Zu den häufiger genannten „Negativ“-Beispielen in den Berichten von Leipziger Partei- und Staatsstellen Mitte der 50er Jahre gehörte der in LeipzigMarienbrunn tätige Pfarrer Erich Kröning, der beispielsweise im Vorfeld der Volkskammerwahlen von 1954 kein Blatt vor den Mund nahm: „Pfarrer Kröning, Leipzig S 3, erklärte: ‚Die Kirche wählt nicht‘. Sie sei zwar zur Mitarbeit bereit, vorher müsse in der NF und der SED einiges geändert werden, vor allem gegenüber der Kirche“116. Aufgrund seiner deutlichen Worte wurde vom SfS im Dezember 1954 der Operative Vorgang „Tempel“ eingeleitet, der sich ohne greifbares Ergebnis bis in das Frühjahr 1957 hinzog117. Die Isolation der einzelnen „fortschrittlichen“ Pfarrer und die Ermahnungen der Kirchenleitungen und der Superintendenten, sich nicht an Veranstaltungen von Nationaler Front und Deutschem Friedensrat zu beteiligen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es selbstverständlich innerhalb der Leipziger Pfarrerschaft unterschiedliche politische Vorstellungen gab. Der Referent für Religionsgemeinschaften beim Rat des Bezirkes Gollert konstatierte in den kirchlichen Kreisen in Leipzig nach einem Vortrag Martin Niemöllers in der Thomaskirche am 10. Dezember 1953 – „das übliche Wettern gegen das Christentum der CDU und Adenauer“ – „heftige Diskussionen“118. Es gab durchaus Stimmen, die den Weg der Westintegration 115 [Undatierter, wohl aus dem Jahre 1956 stammender] Bericht über die Durchführung der Beschlüsse und Politik der Partei gegenüber der Kirche (STAL, RdB 3919). 116 Negative Erscheinungen Januar 1954 – April 1955 (BARCH BERLIN, DO-4, 1953). 117 BSTU, Lpz AOP 31/57. Auf der Ebene der Landeskirchen hatte man sich nicht auf ein einheitliches Vorgehen bei den Volkskammerwahlen 1954 verständigen können – die thüringische Kirchenleitung hatten zu erkennen gegeben, dass sie einen Protest nicht mittragen werde –, sodass lediglich die provinzsächsische Landeskirche im Herbst „eine Stellungnahme zur Unterrichtung der Gewissen erhob“ (abgedruckt in: KJ 81, 1954, S. 130). 118 Gollert, Bericht über den Vortrag des Kirchenpräsidenten Dr. Martin Niemöller aus Wiesbaden in der Thomaskirche zu Leipzig am 10. Dezember (STAL, RdB 21106).
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und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ablehnten oder grundsätzlich Kritik am politischen System der Bundesrepublik äußerten. So wurde in einer Predigt Anfang 1954 von einem sonst als „reaktionär“ bekannten Pfarrer kritisiert, „dass drüben in Westdeutschland wieder die Nazis einen Krieg vorbereiten und Atomkanonen aufgestellt haben“119. Professor Oepke rief, wenn man dem Bericht Fritz Jacobs Glauben schenken darf, in einem Gottesdienst dazu auf, „sich nicht gegen die neue Gesellschaftsordnung zu stellen. Der Kapitalismus habe nicht das Gute über die Menschen gebracht“120. Die Distanz zur DDR ging also nicht automatisch mit einer Bejahung der Demokratie in den Farben der Bundesrepublik einher. Es bleibt aber festzustellen, dass sich in den einzelnen Landeskirchen schon Mitte der 50er Jahre grundsätzliche Unterschiede im Verhalten gegenüber dem Staat herausgebildet hatten. Paul Wandel hatte in einem Vortrag über kirchenpolitische Fragen bereits im Januar 1955 auf die bestehenden Differenzen hingewiesen: „Die evangelische Kirche ist keine Einheit. [. . .] Die am meisten mit dem preußischen Junkertum verbundene Kirche ist die unierte Kirche. [. . .] Die Lutheraner benehmen sich traditionell dem Staat gegenüber etwas mehr nach dem Prinzip: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!“121
Im Bezirk Leipzig, dem Gebiete der thüringischen, der provinzsächsischen und der sächsischen Landeskirche angehörten, wurden diese Unterschiede gerade beim Wahlverhalten registriert: „Wenn auch zwei Superintendenten der thüringischen Landeskirche und ein Superintendent der Landeskirche Sachsen-Anhalt zur Wahl gewesen sind, so ist doch zu beachten, dass die Superintendenten der Landeskirche Sachsen [. . .] nicht zur Wahl gewesen sind“122.
Auf der Ebene der Pfarrer zeigte sich ein ähnliches Bild: Während im ebenfalls zum Bezirk Leipzig gehörenden thüringischen Kirchenbezirk Altenburg von 17 Pfarrern nur einer nicht an der Wahl teilgenommen hatte, war die Zahl der Nichtwähler und Wähler in der Ephorie Leipzig-Stadt praktisch gleich groß123. 119 Jacob an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten – Hauptreferat Gesellschaftsfragen, 14. Januar 1955 (STAL, RdB 1582, Bl. 5–7, hier Bl. 6). 120 Jacob an Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten – Hauptreferat Gesellschaftsfragen, 31. März 1954 (STAL, RdB 1582). 121 Vortrag Wandels am 15. Februar 1955 auf einer Beratung mit den Bezirks- und Kreissekretären der SED: „Über die Politik der SED gegenüber der Kirche“ (abgedruckt in: F. HARTWEG, Dok. 29, S. 161–177, hier S. 167). 122 Jacob an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten – Hauptabteilung Gesellschaftsfragen [undatiert] (STAL, RdB 1982). 123 Jacob an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten – Hauptabteilung Gesellschaftsfragen (STAL, SED-BL IV/2/14/620, Bl. 264).
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Einen Punkt, in dem die Landeskirche ihre vitalen Interessen tangiert sah, bildete das Familienrecht. Im Juni 1954 hatte Justizministerin Hilde Benjamin den Entwurf eines Familiengesetzbuches vorgelegt, der einen stark erzieherischen Charakter aufwies und darauf abzielte, gesellschaftlich verankerte Anschauungen über Ehe, Familie und Moral im Sinne der SED zu transformieren124. Der Entwurf wurde allerdings nie Gesetz. Beide Kirchen kritisierten ganz grundsätzlich die staatliche Absicht, „dem Ehe- und Familienleben seiner Bürger bestimmte politische Ziele zu setzen und die Gesetzgebung dementsprechend zu gestalten“125. Einen wichtigen Kritikpunkt bildete die „Gleichsetzung“ von Mann und Frau, da der Entwurf „Gleichberechtigung“ und „Gleichartigkeit“ verwechsle. In der sächsischen Landeskirche wurden große Anstrengungen unternommen, um in den Gemeinden einen Diskussionsprozess über den Gesetzesentwurf in Gang zu setzen126. Die sächsische Landessynode befasste sich damit Ende Oktober und beschloss einstimmig eine Kanzelabkündigung, in der sie die Ängste der christlichen Bevölkerung und die „vom christlichen Glauben her zu erhebenden Bedenken“, wie sie etwa durch die Politisierung von Ehe und Familie und die volle Berufstätigkeit der Frau gegeben seien, hervorhob127. Die Kundgebung war am 7. November abzukündigen. Als Staatsorgane und Polizei am 5. November davon erfuhren, setzte das in diesen Fällen übliche Verfahren ein, in Gesprächen Superintendenten und Pfarrer von der Verlesung abzubringen, enthielt doch der Text „Formulierungen, die Angriffe gegen den Staat darstellen“128. Die organisierten Gottesdienstüberwachungen ergaben, dass der Text praktisch überall verlesen worden war129. Ihrem Widerwillen gegen die versuchte Einflussnahme ließen einige Pfarrer in Gesprächen mit den staatlichen Vertretern freien Lauf. Über den schon mehrfach negativ aufgefallenen Pfarrer Kröning vermerkte Jacob, „er betrachtete die Vorsprechenden als Befehlsüberbringer und sagte, die Aussprache käme ihm vor wie in der faschistischen Zeit“130. Der General124 Vgl. J. FRERICH/M. FREY, S. 402; G. HELWIG, Frauen, S. 1229. 125 Stellungnahme der Kirchlichen Ostkonferenz zu dem Entwurf eines Familiengesetzbuches der DDR, 1. September 1955 (ADSL, Schrank I, Fach 3, 34a); zur Haltung der katholischen Kirche vgl. M. HÖLLEN, S. 369–371. 126 Das Landeskirchenamt, betr. Entwurf eines neuen Familiengesetzes, forderte am 25. September 1954 Superintendenten und Pfarrer auf, das Thema in Diskussionen aufzugreifen (BKA LEIPZIG, A 97). 127 Landeskirchenamt an alle Pfarrämter, Abkündigung einer Stellungnahme der Landessynode zu dem Entwurf eines Familiengesetzbuches, 2. November 1954 (ADSL, Schrank I, Fach 3, 34a). 128 Jacob, Zwischenbericht, 10. November 1954 (STAL, RdB 1582, Bl. 14). 129 BDVP Leipzig an HVDVP, betr. Kanzelabkündigung der ev. Kirche, 15. November 1954 (STAL, SED-BL IV/2/14/620, Bl. 293). 130 Jacob, Zwischenbericht, 10. November 1954 (STAL, RdB 1582, Bl. 14 f., hier Bl. 15).
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sekretär des in Leipzig ansässigen Gustav-Adolf-Werks, des Diasporawerkes der evangelischen Kirche, Paul Wilhelm Gennrich, bezeichnete den Entwurf „als großes Unheil, das die Welt bedrohe. In den weiteren Ausführungen sprach er von Millionen Glaubensanhängern, die ohne Kirchenbetreuung leben müssten“131. Der Bericht Jacobs an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten fasste die wesentlichen Gesichtspunkte prägnant zusammen: „Die Mehrzahl der Pfarrer ist der Meinung, dass sie die Anweisung der Landeskirche zu befolgen haben und ihre persönliche Einstellung ist, dass sie die Abkündigung auch vom Standpunkt ihres eigenen Gewissens aus vornehmen, um die mit der Annahme eines Familiengesetzbuches verbundenen Gefahren abzuwenden. Es geht um die christliche Familie und um die Erhaltung der Sitte und Moral“132.
Das Landeskirchenamt rief sogar dazu auf, das polizeiliche Verbot von Kirchgemeindeversammlungen zur Diskussion des Entwurfes nicht zu befolgen133. Die Pfarrer sollten sich auf das der Kirche in der Verfassung zugestandene Recht berufen, „zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen. [. . .] Die Probleme Ehe und Familie, die durch das Familiengesetzbuch geordnet werden sollen, sind in hervorragendem Maße solche Lebensfragen“134. In den als Kernbereiche betrachteten Feldern – Ehe und Familie gehörten dazu, der Modus der Volkskammerwahlen nicht – griff die Landeskirche zu ihrem schärfsten Mittel, indem sie den Weg in die Öffentlichkeit ging. Hier konnte sie auf eine weitestgehende Geschlossenheit der Pfarrerschaft und der christlichen Bevölkerung vertrauen. Diese unnachgiebige Haltung wurde auch als eine Erfahrung aus dem Kirchenkampf gedeutet, nämlich dass der Staat zum Einlenken gezwungen werden kann, wenn man sich seinen Forderungen nicht beugt135. Dass der Entwurf schließlich zurückgenommen wurde, konnte die Kirche für sich durchaus als Erfolg verbuchen.
131 Jacob, Zwischenbericht, 10. November 1954 (STAL, RdB 1582, Bl. 14 f., hier Bl. 14). Bezeichnenderweise hatte Gennrich, der nicht Pfarrer der sächsischen Landeskirche war und nur vertretungsweise Dienst tat, erst durch einen Beauftragten des Rates der Stadt von der Abkündigung erfahren. 132 Jacob, betr. Stellungnahme der Ev.-luth. Landessynode Sachsens zu dem Entwurf eines neuen Familiengesetzbuches, 16. November 1954 (STAL, RdB 21105). 133 Landeskirchenamt an Superintendenten, betr. Kirchgemeindeabende zur Behandlung des Entwurfes eines Familiengesetzbuches, 26. November 1954 (BKA LEIPZIG, A 43). 134 EBD. 135 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 129.
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5.7 Die Einführung der Jugendweihe im Bezirk Leipzig Im Dezember 1954 wurde in der DDR die Einführung der Jugendweihe proklamiert136. Die Jugendweihe ging auf Feiern zurück, die Mitte des 19. Jahrhunderts von „freireligiösen“ Gemeinden begründet worden waren, die in Absetzung von evangelischer Konfirmation und katholischer Firmung einen eigenen Initiationsritus begründen wollten. Dieser Brauch wurde um die Jahrhundertwende von der Arbeiterbewegung übernommen. Der Nationalsozialismus verdrängte die Jugendweihe in die Illegalität. Versuche einzelner Gruppen, Jugendfeiern mit nationalsozialistischem Gedankengut einzuführen, blieben erfolglos137. Bemühungen freireligiöser Gemeinden und der Parteibasis der SED nach 1945, die Jugendweihe wieder einzuführen, erteilte die SED eine Absage, da sie an einer offenen Konfrontation mit den Kirchen zunächst nicht interessiert war138. Mit der neuen Kirchenpolitik änderte sich auch dieser Standpunkt. Um die erfolgreiche Arbeit der beiden Kirchen im Jugendbereich zu unterbinden, erhielt die FDJ nun die Aufgabe, „den ideologische[n] Kampf unter der Jugend zu verstärken“ und die „kulturelle Massenarbeit“ unter den christlichen Jugendlichen zu verbessern139. Daran anschließend wurde die Einführung der Jugendweihe begründet: „Gegenwärtig werden von vielen Eltern, die keine innere Bindung zur Kirche haben, Kinder in die Kurse zur Vorbereitung der Konfirmation und der Kommunion geschickt, da keine andere Einrichtung zur feierlichen Einführung der Kinder in den neuen Abschnitt ihres Lebens nach dem Verlassen der Grundschule vorhanden ist. Um diesen Zustand zu beenden, wird im Interesse der Verstärkung der staatsbürgerlichen Erziehung schon in diesem Jahr mit der Vorbereitung und Durchführung von Jugendweihen ab 1955 begonnen“140.
136 Die Jugendweihe wurde in der Bundesrepublik vor der Wende vor allem von D. URWEINZEN und U. JEREMIAS behandelt; auf der Basis der einschlägigen Akten hat H. WENTKER, Einführung, 1995 die Entschlussbildung in der SED und ihre Umsetzung untersucht; mit Blick auf den Fortbestand der Jugendweihe nach 1989 vgl. auch A. DÖHNERT und A. MEIER. 137 Vgl. A. DÖHNERT, S. 65–112. 138 Vgl. den Artikel vom stellv. Leiter der Abteilung Kultur und Erziehung im ZK der SED, Stefan Heymann: „Es gibt Genossen, die glauben, man müsse eine Diskussion über Christentum und Marxismus führen. Wenn reaktionäre Kräfte in den Kirchen solche Diskussionen anregen, dann verstehen wir das sehr gut. [. . .] Unsere Genossen, die eine ideologische Auseinandersetzung auch mit dem Mittel der Jugendweihe wünschen, unterstützen unbewusst diesen Standpunkt der Reaktion, nur von der Gegenseite her. Auch darum sind Jugendweihen heute abzulehnen“ (ND vom 31. März 1950). 139 „Die Politik der Partei in Kirchenfragen“ (abgedruckt in: F. HARTWEG, Dok. 26, S. 150–155, hier S. 153). 140 EBD. BAN/H.
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Damit war offensichtlich, dass sich die Jugendweihe in ihrer Zielsetzung gegen die Konfirmation richtete. Zur Jugendweihe gehörten Vorbereitungsstunden, ein Jugendweihebuch sowie ein Gelöbnis, das in seinen unterschiedlichen Fassungen ein Bekenntnis zur DDR und zum Sozialismus darstellte und sich in der Form eng an religiöse Weihehandlungen anschloss141. Die Einrichtung eines „Zentralen Ausschusses für Jugendweihe“, dem bekannte Persönlichkeiten wie Johannes R. Becher und Anna Seghers angehörten, sollte die Lenkung durch die SED verhüllen. Auch auf Bezirks- und Kreisebene sollten entsprechende Ausschüsse eingerichtet werden. Die Unterweisung dieser Ausschüsse unterstand der von Paul Wandel geleiteten ZK-Abteilung Allgemeine Schulen. Die Planungen der SED gingen davon aus, dass ca. ein Drittel der zur Entlassung gelangenden Schüler an der Jugendweihe teilnehmen würden142. Am 2. November 1954 wurden die Ersten Sekretäre der SED-Bezirksund Kreisleitungen über die neue Initiative informiert143. Der Partei kam auf der unteren Ebene die Aufgabe zu, die Einrichtung von Ausschüssen mit geeigneten Personen zu initiieren und ihre Arbeit zu kontrollieren. Auf Bezirksebene war dafür die Kulturabteilung, auf Kreisebene die Abteilung für Agitation, Kultur und Propaganda verantwortlich. Die Ausschüsse waren für die Abhaltung der so genannten „Jugendweihestunden“ zuständig, in denen die Jugendlichen auf die Feier vorbereitet wurden. Die Gegenreaktion der ostdeutschen evangelischen Landeskirchen war für die SED unerwartet stark144. Schon am 30. November 1954 veröffentlichte die berlin-brandenburgische Kirchenleitung ein Rundschreiben, in dem darauf hingewiesen wurde, dass Jugendliche, die an Weiheakten teilnähmen, nicht konfirmiert werden dürften145. Am 17. Dezember fand in Dresden eine gesamtsächsische Pfarrertagung statt, die in ihrem Motto „Kirche in Not“ direkt auf die Anfänge des Kirchenkampfes im Dritten Reich Bezug nahm146. Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe sah mit der Einführung der Jugendweihe den Beginn des Kulturkampfes gegeben147.
141 Die entsprechenden Fassungen abgedruckt bei: D. URBAN/H. W. WEINZEN, S. 58 f. 142 H. WENTKER, Einführung, S. 148. 143 Ulbricht an die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen der SED, 2. November 1954 (abgedruckt in: M. WILKE, SED-Kirchenpolitik, S. 52–54). 144 H. WENTKER, Einführung, S. 151 f. 145 EBD., S. 150. 146 Die Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ – die sächsische bekenntniskirchliche Laienbewegung – war Anfang 1934 mit dem Aufruf „Kirche in Not“ gegen die deutschchristliche Kirchenleitung aufgetreten (H. KLEMM, S. 195). Ausschnitte der Rede von Landesbischof Noth zitiert in: Landeskirchenamt an die Konventsvorsitzenden, 18. Oktober 1958 (ADSL, 5.5). 147 Breitmann, Bericht über die gesamtsächsische Pfarrertagung am 17. Dezember 1954 in Dresden – Annenkirche, 18. Dezember 1954 (STAL, RdB 21104).
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Die Landeskirche lehnte die Jugendweihe aus mehreren Gründen ab: Trotz aller gegenteiligen Bekundungen über den Charakter der Jugendweihe war aus ihrer Sicht offensichtlich, dass es sich um eine Gegenveranstaltung zur Konfirmation handelte. Dies mache sich auch dadurch bemerkbar, dass die Jugendweihe als Weihehandlung mit Gelöbnis abgeschlossen werde. Laut internen Informationen, die die Landeskirche erlangt hatte, gingen die Verantwortlichen davon aus, „dass die Konfirmation [im nächsten Jahr, G. W.] praktisch überwunden ist“148. Eine Stellungnahme des Landeskirchenamtes bemerkte dazu: „Wir können in der Jugendweihe in dieser Form nur das staatspolitische Gegenüber zur kirchlichen Konfirmation sehen, zunächst vielleicht ohne Gegenkonfirmation, aber mindestens den Versuch, der Konfirmation etwas ihr Gleichwertiges an die Seite zu stellen“149. Dazu passte, dass mit dem Begriff „Jugendweihe“ eine Bezeichnung gewählt worden war, mit der die Kirche die antikirchliche Propaganda der Freidenkerverbände in den 20er Jahren verbinden musste. In erster Linie entsprang die Opposition aber dem atheistischen Charakter der Jugendweihe: „Wenn wir in einem Konfirmandenunterricht unsere Kinder darauf hinweisen und hinweisen müssen [. . .], dass sie ihren Weg mit Gott gehen sollen und dass die Kraftquelle ihres Lebens [. . .] unser Herr ist, berührt uns das nicht, wenn sie in derselben Zeit nun auch zum Ausdruck bringen sollen, die Kraftquelle des Lebens ist woanders? Hier entspringt unser Nein“150.
Damit begründete die Landeskirche die Unvereinbarkeit von Jugendweihe und Konfirmation: Kinder, die an der Jugendweihe teilgenommen hatten, konnten nicht konfirmiert werden. Ein entsprechender Hirtenbrief der Landeskirche wurde Anfang Januar 1955 – aufmerksam registriert von Partei und Staat – in den Gemeinden verlesen151. Bemühungen der Landeskirche, über die Abteilung „Verbindung zu den Kirchen“ eine Änderung der Jugendweihe bewirken zu können, erwiesen sich als aussichtslos152. Um die Jugendlichen von der Jugendweihe abzuhalten, rief die sächsische Landeskirche die Gemeinden zu Standhaftigkeit auf und belegte jene mit Mitteln der Kirchenzucht, die die Jugendweihe erhielten, auch wenn dies nach der Konfirmation geschah. Auch auf Eltern, die ihre Kinder an 148 Landeskirchenamt, [Materialsammlung zur Jugendweihe], 21. Dezember 1954 (ADSL, 5.5). 149 EBD. 150 EBD. 151 Kirchliches Gemeindeblatt für Sachsen; Der Sonntag Nr. 6 vom 2.1.1955; KJ 81, 1954, 146 f. Vgl. auch den Bericht des Sekretärs für Kultur und Erziehung der SED-Stadtleitung, Möckel, über die kirchlichen Vorgänge um die Jahreswende 1954/55 (STAL, SED-SL Leipzig, IV/5/01/404). 152 Kotte, Vermerk, 9. Februar 1955 (LKA DRESDEN, Bestand 2/2271, Bd. 1/2).
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der Jugendweihe teilnehmen ließen, wurden diese Maßnahmen ausgedehnt. Diese gingen des Rechts zur Teilnahme am heiligen Abendmahl und zum Patenamt verlustig und büßten ihr aktives und passives Wahlrecht sowie die Möglichkeit einer späteren kirchlichen Trauung ein153. Es wurde allerdings betont, „dass kirchenzuchtliche Maßnahmen in einer evangelisch-lutherischen Kirche immer als ein Stück Seelsorge verstanden werden müssen“154. Diese Mittel waren in ihrer Wirkung von vornherein begrenzt, beschränkten sie sich doch auf den kirchlichen Bereich und waren somit langfristig nur für jene von Relevanz, die in enger Bindung an die Kirche lebten. Die Standhaftigkeit, die die „Junge Gemeinde“ 1953 gezeigt hatte, wurde von kirchlicher Seite möglicherweise überschätzt155. Tatsächlich war die Konfirmation für breite Schichten der Bevölkerung zur inhaltsleeren Geschenk- und Familienfeier geworden. Die staatliche Seite befand sich demgegenüber in einer besseren Position. Sie dementierte den atheistischen Charakter der Jugendweihe und damit die Unvereinbarkeit von Jugendweihe und Konfirmation. Den Vorwurf des Gewissenszwanges, den die Kirche gegenüber dem Staat erhob, konnte sie somit gut kontern. Außerdem verfügten Partei und Staat über die bei weitem stärkeren Druckmittel. Der Zugang zu weiterführenden Schulen und der Berufseinstieg wurden fast ausschließlich von ihnen kontrolliert. Die Drohung, ein Kind, das nicht an der Jugendweihe teilgenommen hatte, auch nicht zur Oberschule zuzulassen, entwickelte sich zum wichtigsten Zwangsmittel156. Der Fortgang der Auseinandersetzung hing also davon ab, inwieweit beide Seiten ihren Druck aufrechterhalten konnten. Das Jahr 1955 bildete in dieser Hinsicht nur den Auftakt. Organisatorische Mängel im Apparat und die geschlossene Abwehrreaktion der Kirchen bewirkten, dass die Jugendweihe in diesem Jahr ein Misserfolg wurde. Der Anteil derjenigen, die 1955 an der Jugendweihe teilnahmen, dürfte 10 % nicht überschritten haben157. In Leipzig waren nach kirchlichen An153 Landeskirchenamt, betr. Maßnahmen der Kirchenzucht wegen Beteiligung an der Jugendweihe, Anlage (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 154 Landeskirchenamt, betr. Maßnahmen der Kirchenzucht wegen Beteiligung an der Jugendweihe (BKA LEIPZIG, A 97). 155 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 131 f. 156 H. WENTKER, Einführung, S. 152. 157 Nach Angaben der sächsischen Landeskirche wurden 1955 1,5 % des Altersjahrganges wegen der Jugendweihe nicht konfirmiert. Dazu kommen noch diejenigen, die zum Konfirmationsunterricht überhaupt nicht angemeldet waren. Ihr Anteil dürfte 7 % nicht überschritten haben (Zahlen nach D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 135 f.). Laut einer Auskunft des Zentralen Ausschusses für Jugendweihe hatten 1955 knapp 18 % der in Frage kommenden Jugendlichen an der Jugendweihe teilgenommen (vgl. T. RAABE, S. 192). Die Übersicht über die Jugendweiheteilnahme im Bezirk Leipzig 1955–1961 bei F. JOSTMEIER, SED, S. 108.
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gaben lediglich 65 von 5245 Jugendlichen – das entsprach 1,2 % – „zur Jugendgeweihe abgegangen“158. Die Zeit nach der ersten Jugendweihe 1955 wurde von Partei und Kirche genutzt, um einerseits die Werbung für das nächste Jahre planmäßig anlaufen zu lassen, andererseits um die kirchlichen Reihen zu schließen. Der Leipziger Stadtausschuss für Jugendweihe konstituierte sich am 20. September. Bis Mitte November gelang es, in allen Stadtbezirken – mit einer Ausnahme – entsprechende Ausschüsse zu bilden159. Glaubt man dem Bericht des Stadtausschusses, so konnte ein Jugendlicher im entsprechenden Alter der Werbung für die Jugendweihe kaum entgehen: Die Abteilung Volksbildung des Rates der Stadt und die Gewerkschaft Erziehung und Unterricht kümmerten sich um die Lehrer und Eltern, FDJ und DFD machten bei ihrer Klientel Werbung. Auch in den Betrieben wurde für die Jugendweihe geworben. Erwartungsgemäß war der Erfolg in Arbeitervierteln größer als in bürgerlichen Wohngegenden160. Schwierigkeiten gab es mit Lehrern, die aus Gewissensgründen die Werbung für die Jugendweihe ablehnten161. Ende Mai 1955 rief die Superintendentur Leipzig-Stadt dazu auf, in den Gemeinden einen „Beirat für kirchliche Erziehungsfragen“ zu installieren, der sein Augenmerk auf die Werbung für die Jugendweihe und die Verbesserung des unterrichtlichen Auftrages der Kirche richten sollte162. Im September 1955 wurde auf einer Ephoralkonferenz beschlossen, einen Ausschuss für Fragen der Jugendweihe zu wählen163. Der Sommer wurde dazu genutzt, in Elternabenden die Gemeindeglieder über die Jugendweihe zu informieren164. Am 2. Oktober 1955 wurde ein Wort an die Gemeinden in den Kirchen verlesen, das Eltern, Paten und Konfirmanden aufrief, das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit wahrzunehmen165. Im November bat der sächsische Landesbischof Noth die Pfarrer, sich besonders um 158 Stiehl an das Landeskirchenamt, betr. Jugendweihe, 10. Mai 1955 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 159 Stadtausschuss für Jugendweihe, Bericht über den Stand der ideologischen Arbeit in der Vorbereitung der Jugendweihe und der Gewinnung der Jugend und Eltern, 11. Oktober 1955 (STAL, SED IV/5/01/404, Bl. 17–22). 160 Mitte November 1955 schwankte der Anteil derjenigen, die sich für die Jugendweihe angemeldet hatten, an den Schulen zwischen 14 und fast 50 % (EBD., Bl. 17). 161 EBD., Bl. 21. 162 Stiehl an die Pfarrämter des Kirchenbezirkes Leipzig-Stadt, 27. Mai 1955 (ADSL, 4.3.1). 163 Stiehl an den stellv. Vorsitzenden des Nord-Ost-Konventes, 21. Januar 1956 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 164 Landeskirchenamt, Verordnung über Anmeldung zum Konfirmandenunterricht und Beginn des Konfirmandenunterrichts mit Gottesdienst für den Jahrgang 1956 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 165 „Liebe Gemeinden in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens“. Landeskirchenamt an alle Pfarrer, 29. September 1955 (ADSL, 5.5).
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christliche Lehrer zu kümmern, die an ihren Schulen Probleme bekamen, weil sie sich der Werbung für die Jugendweihe verschlossen166. Versuche einzelner Pfarrer, in Gesprächen mit den Schulleitungen zu einer Verringerung des Drucks auf die Schüler beizutragen, bewirkten nicht viel167. Ende 1955 schaltete sich Paul Fröhlich, der Erste Sekretär der Leipziger SED-Bezirksleitung, in die Auseinandersetzung um die Jugendweihe ein. Seine atheistischen und kirchenfeindlichen Ausfälle sollten dem Konflikt in Leipzig seine besondere Prägung geben168. Er trat in den Betrieben auf, sprach dort über „Arbeiterklasse und Religion“, was die Leipziger Volkszeitung prägnant in der Formel „Religion vertritt die Belange der Ausbeuter“ zusammenfasste169. Laut Leipziger Volkszeitung zeigten sich die Arbeiter in einem größeren Kombinat besonders erfreut, „als Genosse Fröhlich ihrer Bitte, demnächst über die marxistische Philosophie zu sprechen, zustimmte“170. Wenn Fröhlich keine Rücksicht auf die Öffentlichkeit nehmen musste, formulierte er seine Haltung zu den Kirchen folgendermaßen: „Angefangen von den bürgerlichen Pseudowissenschaftlern, von der Religion, von den Wirtschaftsverbänden bis über den Vatikan, bis zu den evangelischen Bischöfen geht das, ja man kann sagen, das Monopolkapital spürt und empfindet, dass historisch die Epoche des Monopolkapitals zu Ende geht und weil diese Klasse nicht freiwillig von der Bühne abtreten wird, mobilisiert sie entsprechend den Bedingungen alle ihre Machtmittel gegen das Neue, sie mobilisiert Flöhe und Läuse gegen uns“171.
In die Kampagne für die Jugendweihe wurden auch der Bezirksblock, die Blockparteien der Stadt Leipzig und die einzelnen Stadtbezirksausschüsse einbezogen. Die Sitzung des Bezirksblocks am 23. Dezember unter dem Titel „Alle fortschrittlichen demokratischen Kräfte unterstützen die Jugendweihe“ kann als der Beginn einer konzertierten atheistischen Aktion im Bezirk Leipzig angesehen werden. Der Block der Messestadt rief in seinem Kommuniqué vom 4. Januar 1956 Parteien und Massenorganisationen dazu auf, „um in der gesamten Bevölkerung Klarheit über die Machenschaften reaktionärer Pfarrer und Kirchenführer zu schaffen, [. . .] in ihren Versammlungen des Monats Januar über das Verhältnis von Staat 166 Noth an alle Pfarrer, 1. November 1955 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 167 Vgl. exemplarisch den Bericht über den Besuch Pfarrer Quandts in der 24. Grundschule. Karl-Heinz Klaffenbach, Bericht über eine Aussprache mit dem Pfarrer der Kirchgemeinde Paunsdorf, 11. November 1955 (STAL, SED-BL IV/2/14/638, Bl. 111 f.). 168 Vgl. Harzer an Stiehl, 14. Januar 1956: „Presseartikel atheistischen Inhalts: Eine gleiche Häufung solcher Artikel wie in Leipzig ist in Dresden nicht beobachtet worden wie mir Herr Oberlandeskirchenrat Kandler sagte“ (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 169 LVZ vom 30. Dezember 1955. 170 EBD. 171 Redebeitrag Fröhlichs auf der Konferenz zur Vorbereitung der Bezirks-Delegiertenkonferenz, 15. Februar 1956 (STAL, SED-BL IV/2/9.02/516, Bl. 297).
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und Kirche ausführlich zu beraten“172. Gegen diesen Frontalangriff, der in der Leipziger Volkszeitung massenhaft verbreitet wurde, musste die differenziert argumentierende Antwort der Leipziger Bezirkssynode, die zudem nur innerkirchlich Verbreitung fand, verblassen173. Die Landeskirche reagierte mit einer landesweiten Veranstaltungsreihe: „Warum sagt die Kirche: Entweder Konfirmation oder Jugendweihe?“, wo in grundsätzlicher Weise auf die atheistischen Tendenzen in der Gesellschaft und insbesondere in der Schule eingegangen wurde. Staatliche Einschüchterungsversuche im Vorfeld und während der Gottesdienste konnten an dem Erfolg der Reihe mit über 5 000 Besuchern nichts ändern174. Indem die Veranstaltungen als Gottesdienste abgehalten wurden, umging die Kirche die lästige Meldepflicht. Die Abteilung Parteiinformation der SED-Stadtleitung registrierte besorgt die kirchliche Argumentationslinie, „dass bereits in der Zeit des Faschismus die Kirche dem Druck von staatlicher Seite Stand gehalten hätte und dass die Kirche heute das Gleiche tun würde“175. Ergänzt wurden diese Veranstaltungen in Leipzig durch so genannte Rüststunden, in denen Hetzschriften sowjetischer Provenienz behandelt wurden, die die Agitation um die Jugendweihe begleiteten176. Die Leipziger Initiativen waren nicht mit der Abteilung Kirchenfragen des ZK der SED abgestimmt worden. Es kann daher nicht verwundern, wenn Willi Barth in einem Referat über Kirchenfragen die Politik in der Messestadt heftig kritisierte. Als Folge der undifferenzierten Angriffe in der Presse erkannte er, dass „fortschrittliche“ Pfarrer sich nunmehr gezwungen sähen, ihre SED-freundliche Politik einzustellen. Zum Neujahrs172 Kommuniqué der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen der Stadt Leipzig. LVZ vom 8. Januar 1956 (Abgedruckt in: U. JEREMIAS, S. 75). 173 Bezirkssynode Leipzig-Stadt an den Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen der Stadt Leipzig. Stiehl rief dazu auf, diesen Text am 22. Januar am Ende des Gottesdienstes zu verlesen (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). Dieser Text war vorher intensiv mit dem Landeskirchenamt abgestimmt worden. Vgl. Harzer an Stiehl, 14. Januar 1956 (ADSL, 4.1.1). Die Staatssicherheit hatte über eine Kontaktperson der Abteilung XV, die für die Auslandsspionage tätig war, Informationen über die Verhandlungen der Bezirkssynode und den Abkündigungstermin in Erfahrung gebracht. Vgl. BV Leipzig, Abt. XV, 19. Januar 1956 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 16). 174 Vikarin Annemarie Henschel an das Landeskirchenamt (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 175 SED-Stadtleitung, Parteiinformation, Einschätzung der durchgeführten Kontrolle in den Kirchen am 29. Januar 1956, 2. Februar 1956 (STAL, SED-SL Leipzig, IV/5/01/404, Bl. 39 f., hier Bl. 39). 176 Stiehl an die Pfarrämter des Kirchenbezirkes Leipzig-Stadt, 26. Januar 1956 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). Explizit genannt wurden F. N. Oleschtschuk und A. P. Gagarin. Zur Exemplifizierung vgl. EBD., Bl. 6: „Der Marxismus hat erstmalig nachgewiesen, dass das Christentum eine phantastische, verzerrte Widerspiegelung bestimmter historischer Verhältnisse in den Köpfen der Menschen darstellt und eine Folgeerscheinung der scheinbaren Ohnmacht der Werktätigen im Kampf gegen die Ausbeuter ist“.
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empfang des Leipziger Bürgermeisters Fleschhut seien gerade einmal vier Pfarrer erschienen, zwei davon im Ruhestand177. Auch an der Veröffentlichung kirchenpolitischer Reden in der Presse erregte sich Barths Kritik. Er versuchte dagegen, seine Politik durchzusetzen: „Keine Auseinandersetzung mit Pfarrern in ideologischen Fragen; die Gläubigen gewinnen“178. Die atheistische Propaganda erreichte nun ihren Höhepunkt. Am 12. Februar 1956 erschien ein Artikel von Paul Fröhlich in der Leipziger Volkszeitung179. In den Parteiorganisationen wurde die Lektion „Marxismus-Leninismus über die Entstehung und das Wesen der Religion“ gelesen und die Reaktion an der Basis registriert. Manch einer der aufgehetzten Genossen schoss über das von der Partei angestrebte Ziel hinaus, wenn er äußerte, „er würde die Pfaffen alle auf dem Karl-Marx-Platz aufhängen“. Bei anderen war die Fähigkeit zu Kritik an der Partei noch nicht verkümmert: „Es müsste doch etwas faul sein in Partei und Staat, wenn man jetzt wieder gegen die Kirche losgeht, das war schon 1953, dann kam ein Rückzug und jetzt geht es wieder los, es klappt wohl nicht so recht mit der Gewinnung der Arbeiterklasse, deshalb soll es jetzt gegen die Kirche gehen“180.
5.7 Die CDU und die Jugendweihe Die nunmehr verstärkte Propaganda brachte jene Partei in Bedrängnis, die sich als Vertreterin der Interessen der christlichen Bevölkerung sah: Die CDU. Die Ereignisse des Jahres 1953 hatten der Partei verdeutlicht, dass sie an Rückhalt in der Bevölkerung verlor, wenn sie sich einem konfrontativ angelegten kirchenpolitischen Kurs der SED völlig unterordnete181. Immerhin hatte die CDU im Bezirk Leipzig seit 1952 ein Viertel ihrer Mitglieder verloren182. Sie nahm deshalb eine neutrale Haltung gegenüber der Jugendweihe ein und beteiligte sich nicht an den Jugendweiheausschüssen183. Je mehr der 177 SED-BL, Abt. Propaganda/Agitation, Sinngemäße Wiedergabe einiger Auszüge aus dem Referat des Genossen Barth, 16. Januar 1956 (STAL, SED-BL IV/2/14/617, Bl. 173 f., hier Bl. 173). 178 EBD., Bl. 174. 179 LVZ vom 12. Februar 1956. 180 SED-SL Leipzig, Atheistische Propaganda, 16. Januar 1956 (STAL, SED-BL IV/2/14/617, Bl. 167–172, hier Bl. 170 und Bl. 171). 181 Zur Ost-CDU und Jugendweihe vgl. H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus, S. 370–378. 182 Heyl gab im Gespräch mit der SED-Bezirksleitung am 22. Februar 1956 an, die Mitgliederzahl sei von 12 000 (1952) auf 9 000 (Ende 1955) gesunken (STAL, SED-BL IV/2/15/674). 183 H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus, S. 370 f.
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Druck der SED auf die Jugendlichen zunahm, desto lauter wurden jedoch die Rufe an der Basis der Partei – besonders unter den Lehrern, die sich weigerten, die Jugendweihe zu unterstützen –, sich von der Jugendweihepropaganda zu distanzieren. Als Nuschkes Versuche, zwischen SED und Kirche zu vermitteln, fehlgeschlagen waren, trat er im Oktober 1955 mit einem Artikel an die Öffentlichkeit, der darauf abzielte, die Lehrer aus der Auseinandersetzung herauszuhalten184. In Leipzig geriet die Partei unter Druck, weil es ihr nicht gelang, diese Distanz zur SED zu demonstrieren. Ohne Not mischte sich der Kreisverband Leipzig-Stadt in innerkirchliche Angelegenheiten ein, indem er einem Mitglied mitteilte: „Die von der evangelischen Kirche teilweise vertretene Meinung [. . .], dass an der Jugendweihe teilnehmende Jugendliche nicht konfirmiert werden könnten, ist ebenfalls falsch“185. Auch auf der Sitzung des Parteienblocks am 23. Dezember 1955 folgte der stellvertretende Vorsitzende des Leipziger-Bezirksverbandes, Wolfgang Heyl, unverdrossen dem von Fröhlich vorgegebenen Kurs186. Dabei hatte die CDU-Zentrale darauf gedrängt, die Jugendweihe nicht im Parteienblock zu behandeln, wo sie keine eigene Stellung beziehen konnte. Als Reaktion auf die Veröffentlichung in der Leipziger Volkszeitung187 traten einige Pfarrer demonstrativ aus der CDU aus, andere kritisierten ihr Verhalten im Gottesdienst188. Auch die Empfehlung des Kreisverbandes Leipzig-Land, die dieser Mitte Januar abgab, konnte nur als direkte Kritik an Heyls Kurs im Block angesehen werden189. Der Kreisverband stellte explizit eine Verbindung zwischen der atheistischen Propaganda und der Werbung für die Jugend184 Neue Zeit vom 16. Oktober 1955. Vgl. auch H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus, S. 372. 185 CDU, KV Leipzig-Stadt an Geppert, o. D., betr. Durchführung der Jugendweihe (STAL, SED-BL IV/2/14/638, Bl. 28). Der energische Widerspruchs Stiehls an die CDU EBD., Bl. 30 f. 186 Angesichts der Hetze an den Schulen klang Heyls Redebeitrag auf der Blocksitzung höhnisch: „Es gibt bei uns in der jetzigen Entwicklung keine Gefahr für unsere gläubigen Menschen, sondern alle müssen gerade erkennen, dass unser Staat und auch die marxistisch-leninistische Partei in der Deutschen Demokratischen Republik sogar alle Garantien geben, damit die christlichen Menschen ihren Glauben leben können und in völliger Freiheit ihre religiösen Handlungen durchführen können und dürfen“. Protokoll der Blocksitzung vom 23. Dezember 1955 (STAL, SED-BL IV/2/15/658, Bl. 345). 187 Kommuniqué der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen der Stadt Leipzig. LVZ vom 8. Januar 1956 (abgedruckt in: U. JEREMIAS, S. 75). 188 Vgl. den Bericht Nr. 5 der BDVP Leipzig, Operativstab vom 5. Januar 1956, der Beispiele für Parteiaustritte im Bereich des Volkspolizeikreisamtes Torgau und Leipzig aufführt. „In der Predigt in der Kirche von Klein-Zschocher am 1. Januar 1956 erklärte der Pfarrer [Name geschwärzt], die CDU sei nicht mehr wert, Christ zu sein“ (BSTU, Lpz Leitung 00007/01, Bl. 17). 189 CDU, Kreisverband Leipzig-Land an den Bezirksverband Leipzig, 1. Februar 1956 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–156).
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weihe her und zeigte Verständnis für die Sorge in der christlichen Bevölkerung, „die sich aus der Art der Propaganda und Werbung zur Teilnahme zur Jugendweihe ergeben“190. Die Zentrale der CDU in Berlin kritisierte ebenfalls den Leipziger Bezirksverband, hatte man doch den Eindruck gewonnen, dass bei den „Leipziger Blockdiskussionen [. . .] in ihrer publizistischen Auswertung auch jedes Gefühl für Proportionen verloren wurde“191. Die CDU-Zentrale warnte davor, den Kirchen Vorschriften über Fragen der Kirchenzucht zu machen, und sah – genauso wie Barth – in der „Überdimensionierung der Propaganda gegen die Kirchen“ die Gefahr, die bisher erfolgten Differenzierungsprozesse zunichte zu machen192. Götting, der den politischen Schaden, den Heyl angerichtet hatte, durchaus erkannte, schlug in dieser Situation Barth vor, die Jugendweihe umzubenennen „(vielleicht in ‚Jugendfeier‘)“ und ihr den atheistischen Charakter zu nehmen193. Dies war für den Generalsekretär eine Frage der Parteiräson: „Die Diskussionen über die Jugendweihe dürfen auf keinen Fall zu einer Einschränkung der Möglichkeiten der CDU werden“194. Insbesondere die Auseinandersetzungen innerhalb der CDU, aber auch die als äußerst kritisch aufgefassten Ausführungen Lothar Kreyssigs, des Präses der provinzialsächsischen Synode, in der Nikolaikirche am 29. Januar 1956 hatten dazu geführt, dass der Beschluss des Blocks vom 23. Dezember 1955 noch einmal in demselben Gremium am 11. Februar thematisiert wurde195. Heyl war gezwungen, die Politik des Bezirksvorstandes vor der SED zu begründen und die Maßnahmen, die „die Spaltung zwischen dem Bezirksvorstand und den Mitgliedern“ überwinden sollten, zu erläutern. Wie kontrovers in den erweiterten Kreisvorstandssitzungen diskutiert worden war, machte Heyl klar, indem er einem Versammlungsvorsitzenden erläuterte, dass „eine Versammlung [. . .] erst dann beendet wird, wenn sich die fortschrittlichen Kräfte durchgesetzt haben“196. Nicht ohne Grund wurde daher auch in Kreisen der CDU die Haltung Fröhlichs in Kirchenfragen als „engstirnig“ bezeichnet197. Selbst die Ereignisse in der UdSSR auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956, als Chruschtschow in einer Geheimrede mit Stalin abrechnete und eine begrenzte Ent190 EBD. 191 [Götting?] an Wandel, Entwurf o. D. (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–156). 192 EBD. 193 [Götting] an Barth, 16. Januar 1956 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–3041). Zu diesem Brief vgl. ausführlich H. WENTKER, Ost-CDU und Protestantismus, S. 373. 194 [Götting] an Barth, 16. Januar 1956 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–3041). 195 Stenografisches Protokoll der Blockausschusssitzung der demokratischen Parteien und Massenorganisationen am 11. Februar 1956 in Leipzig (STAL, SED-BL IV/2/15/659, Bl. 1–28). 196 EBD., Bl. 9. 197 [Kreisverband Schmölln], 18. April 1956 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1829).
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stalinisierung verkündete, ließen Fröhlich nicht von seinem atheistischen Kreuzzug Abstand nehmen, vielmehr griff er auf der 3. Parteikonferenz Ende März die Religion wiederum als Aberglauben an und enttäuschte damit die Hoffnungen an der CDU-Basis auf eine kirchenpolitische Entspannung im Bezirk Leipzig198. Am 4. April eskalierte der Konflikt, als Nuschke Fröhlich in der CDUParteizeitung öffentlich angriff: „Wenn aber der Leipziger Bezirkssekretär Fröhlich das Kirchenvolk gegen reaktionäre Kirchenleitungen gewinnen will und dabei den christlichen Glauben mit dem Aberglauben gleichstellt, so ist das mehr als ein taktischer Missgriff. Alle christlichen Kreise empfinden eine solche Bezeichnung als Kränkung, nur wer sie in den Mund nimmt, schwächt die Kräfte des Friedens gegen die dunklen Mächte, die wir ja alle gemeinsam bekämpfen wollen“199.
Der Propagandafeldzug der Leipziger SED und der ausgeübte soziale Druck wirkten sich stark auf die Teilnehmerzahlen an der Jugendweihe aus. Die SED-Stadtleitung gab den Anteil der Jugendweiheteilnehmer an den Schulabgängern mit 47,7 % an200. Die Aufstellung der Superintendentur Leipzig-Stadt, die nur auf die Zahl der getauften Kinder zurückgreifen konnte, ergab einen Anteil von mindestens 11 %201. Erstaunlich war, dass in einzelnen Gemeinden (z. B. Lindenau-Philippus) schon fast 70 % des Jahrgangs nicht mehr an der Konfirmation teilnahmen. Hier dürfte der Analyse des Stadtausschusses Recht zu geben sein, „dass die gefühlsmäßige Bindung vom religiösen Glauben her zur Kirche bei den meisten Eltern gar nicht oder nur sehr schwach gegeben ist“202. Frappierend waren auch die Unterschiede zwischen Stadt und Land. Der Leipziger Landkreis verzeichnete einen um ein Drittel geringeren Prozentsatz von Jugendweiheteilnehmern203.
198 „Ideologie des Aberglaubens hemmt den Fortschritt“. Die Rede Fröhlichs ist abgedruckt in: U. JEREMIAS, S. 75–78. Vgl. das Gespräch Heyls mit der SED-Bezirksleitung am 28. März 1956: „Über die Probleme der 3. Parteikonferenz gibt es noch keine Übersicht. Der Diskussionsbeitrag von dem Gen. Paul Fröhlich stellt ihrer Meinung nach [d. h. der CDU, G. W] die Frage Religion und Aberglaube zu stark heraus, und findet nicht die Zustimmung ihrer Mitglieder, da sie nicht einverstanden sind, dass ihre Religion Aberglaube ist“ (STAL, SED-BL IV/2/5/674). Vgl. auch CDU, BV Leipzig, Meinungen und Diskussionen zur III. Parteikonferenz der SED, 28. März 1956 (STAL, SED-BL IV/2/5/674). 199 Die Union (Bezirk Leipzig) vom 4. April 1956. 200 STAL, SED-SL, IV/5/01/404. 201 Stiehl an das Landeskirchenamt, 14. April 1956 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 202 Bericht des Stadtausschusses für Jugendweihe vor dem Büro der Stadtleitung über die vorläufige Einschätzung der Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe, 10. April 1956 (STAL, SED-SL, IV/5/01/404, Bl. 49). 203 Die Vorlage der Abt. Staatliche Organe für das Büro der Bezirksleitung vom 27. März 1956 – also kurz vor den Feierlichkeiten – verzeichnete Leipzig-Stadt mit 44,5 %, Leipzig-
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Die Auseinandersetzungen um die Jugendweihe 1956 hatten verdeutlicht, dass trotz eines enormen Aufwandes keinesfalls ein Durchbruch erzielt worden war – die Zahlen in der Stadt Leipzig bildeten in dieser Hinsicht eher eine Ausnahme. Auch 1957 konnte die SED-Parteileitung mit einem Anteil von 26,4 % Jugendweiheteilnehmern unter den Schulabgängern in der DDR nicht zufrieden sein204. Überhaupt verstärkte die DDR angesichts ausbleibender wirtschaftlicher Erfolge die Anstrengungen im Erziehungsbereich, da die Erhöhung des sozialistischen Bewusstseins als entscheidender Motor für die Lösung der politischen und ökonomischen Aufgaben angesehen wurde205. Die verstärkte atheistische Propaganda und der auf Eltern, Lehrer und Pfarrer ausgeübte Druck bewirkten, dass sich „fortschrittliche“ Pfarrer und Laien wieder den Kirchenleitungen annäherten. Daher wurden in der Partei Forderungen nach einer Reform der Jugendweihe laut, die dahin tendierten, die atheistischen Propaganda zugunsten einer stärker patriotischen Komponente zurückzunehmen206. Als Repräsentant dieser Initiative kann Paul Wandel angesehen werden207. Grundsätzlichen Veränderungsvorstellungen erteilte das Politbüro auf seiner Sitzung am 27. November 1956 aber eine Absage: „An dem Charakter der Jugendweihe wird nichts geändert“208. Jedoch sollte die „atheistische Propaganda [. . .] abgemildert“ werden209. Als Walter Ulbricht am 29. September 1957 das Jugendweihejahr in Sonneberg mit einer viel beachteten Rede eröffnete, machte er deutlich, dass diese Phase nur eine Episode in der Geschichte der Jugendweihe bleiben sollte. Ulbricht proklamierte das Ziel, alle Jugendlichen für die Jugendweihe zu gewinnen210. Nunmehr sollten sich die Volksbildungsabteilungen der Räte der Bezirke der Werbearbeit der Partei und der Gewerkschaft anschließen. Damit wurde die Mitarbeit staatlicher Stellen offiziell. Welche Art von Indoktrination die Jugendlichen erwartete, formulierte Ulbricht bereits in dieser Rede: „Ihr sollt wissen, auf welche natürliche Weise zum Beispiel das Planetensystem, die Erde, der Mensch und alle anderen Lebewesen ent-
Land mit 30 % und den noch weiter entfernt gelegenen Kreis Torgau mit 15 % (STAL, SED-BL IV/2/14/617, Bl. 182–184, hier Bl. 183). 204 G. BESIER, SED-Staat, S. 786, Anm. 314. Die Landeskirche Sachsens errechnete dagegen einen Anteil von nur 10 % (D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 135). 205 EBD., S. 144 f. 206 H. WENTKER, Einführung, S. 158. 207 EBD. 208 Protokoll der Sitzung des Politbüros am 27. November 1956 (abgedruckt in: M. WILKE, Kirchenpolitik, S. 278–281, hier S. 280). 209 EBD. 210 „Lernen für das Leben – Lernen für den Sozialismus“. Rede des Genossen Walter Ulbricht zur Eröffnung des Jugendweihejahres in Sonneberg (ND vom 1. Oktober 1957, S. 4; teilweise abgedruckt in: G. DIEDERICH, Dok. 6, S. 98–101).
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standen sind. Nicht überirdische Kräfte wirkten da, sondern alles im Weltall hat seine natürlichen Ursachen“211. Im weiteren Verlauf wurde die Gelöbnisformel geändert, sodass die Jugendlichen ab 1958 erklären mussten, ihre „ganze Kraft für die große und edle Sache des Sozialismus einzusetzen“212. In Leipzig wurde dieser Kurs besonders von Fröhlich unterstützt. Er trat am 17. November 1957 mit einem Artikel über „Arbeiterklasse und Jugendweihe“ an die Öffentlichkeit, der eine große Kampagne gegen die Kirchen auslöste213. Daraufhin wurden an den Schulen Pädagogische Räte abgehalten und Resolutionen an Superintendent Stiehl und das Landeskirchenamt214 verfasst und die Lehrer zur Unterschrift gedrängt215. In diesen Entschließungen wurden jene kirchlichen Stimmen, die der staatlichen Jugendweihepropaganda trotzten, kurzweg als „Parteigänger jener Kirchenführer [. . .], die in der Bundesrepublik die Kirchen in den Dienst der volksfeindlichen Nato-Politik gestellt haben und die Partei des Monopolkapitals mit allen Mitteln des Gewissenszwanges unterstützen“, bezeichnet216. Ende November 1957 waren schon acht Lehrer, die nicht bereit waren, sich an der atheistischen Hetze zu beteiligen und als „Feinde unserer Arbeiter- und Bauernmacht“ entlarvt wurden, beurlaubt worden, zwei verließen unter dem Druck die DDR217. Es entstand ein regelrechter Wettlauf um die besten Teilnehmerziffern. Benachteiligungen für Schüler bei Nichtteilnahme an der Jugendweihe wurden zur Regel, wie umfangreiche kirchliche Materialsammlungen belegen218. Für manche Genossen war dabei die Jugendweihe nur ein erster Schritt, um volkskirchlich verankerte Traditionen durch sozialistische Formen zu ersetzen, wie ein Mitglied der Jugendkommission der SED-Stadtleitung erklärte:
211 EBD. 212 H. WENTKER, Einführung, S. 163. Die Gelöbnisformel ist abgedruckt in: G. DIEDERICH, S. 91 f. 213 LVZ vom 17. November 1957. 214 MfS, BV Dresden, Abt. V/4, Treffbericht mit GM „Konrad“, 29. November 1957 (Treff vom 27. November 1957) (BSTU, MfS, AIM 1822/64, A 2, Bl. 103). 215 SED-Stadtleitung, Abt. Volksbildung und Kultur, Information, 19. November 1957 (STAL, SED-BL IV/2/14/638, Bl. 318). 216 Resolution des Pädagogischen Rates der Petri-Oberschule Leipzig zu den Ausführungen des 1. Sekretärs der BL der SED über „Arbeiterklasse und Jugendweihe“ vom 17. November 1957 (STAL, SED-SL, IV/5/01/404). 217 Rat der Stadt Leipzig, Abt. Innere Angelegenheiten, Kirchenfragen an den Rat der Stadt Leipzig, Bericht über die kirchenpolitische Lage in Leipzig, 28. November 1957 (STAL, RdB 1555, Bl. 80); und SED-SL, Abt. Volksbildung und Kultur, 5. Dezember 1957, Bericht über den Stand der ideologisch-politischen Arbeit an den allgemein bildenden Schulen (EBD., Bl. 103–111, hier Bl. 106 f.). 218 Vikarin Henschel, Material betr. bedrängende Maßnahmen gegen Lehrer und Schüler im Zusammenhang mit der Jugendweihe, Zusammenstellung Februar 1958 (ADSL, 5.5).
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„Zur Jugendweihe – dass die Eltern sich oft noch nicht klar sind, dass ihre Kinder im Sozialismus leben – in der letzten Bürositzung haben wir uns bereits darüber unterhalten – dass man anknüpfend eben an alte Traditionen, die eben zur Gewohnheit geworden sind, die Kinder taufen lässt – daran sind eben unsere Menschen gewohnt – wir müssen auch hier etwas Neues finden – aber wir haben an Stelle der Kindtaufe noch nichts Neues gesetzt. Wir müssen für diese Feier eine ‚Namensgebung‘ organisieren“219.
Die Kirchen wehrten sich gegen die Angriffe von Seiten der SED mit öffentlich verlesenen Hirtenbriefen und Memoranden an die DDR-Regierung. Am 20. Oktober 1957 wurde in den evangelischen Kirchen in Leipzig ein Wort der Bischöfe der ostdeutschen Landeskirchen verlesen, das sich kritisch mit der Sonneberger Rede Ulbrichts auseinander setzte und dazu aufrief, die Anstrengungen um den Konfirmationsunterricht zu verstärken220. Abermals wurde auf die Erfahrungen des Dritten Reiches hingewiesen: „Drohungen sollen uns nicht schrecken. Wir haben es in den Jahren des großen Kirchenkampfes immer wieder erfahren, dass Gott den Seinen durch alle Anfechtungen hindurch hilft. Er wird uns auch nicht ohne seine Hilfe lassen“221. Die SED setzte ihren Apparat in Bewegung und ließ Betriebsresolutionen verfassen und öffentliche Versammlungen abhalten, auf denen sogar die sofortige Abberufung von Pfarrern gefordert wurde222. Superintendent Stiehl musste sich wegen der Gegnerschaft kirchlicher Stellen nunmehr monatlich vor den staatlichen Stellen verantworten223. Auf einer Tagung der Landessynode Anfang Dezember 1957 ging Landesbischof Noth in grundsätzlicher Absicht auf die Jugendweihe und damit verbundene Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche ein. Er erneuerte dabei den auch explizit in der Verfassung der DDR verankerten Öffentlichkeitsauftrag der Kirche: „Die Verkündigung der Kirche kann sich jedoch nicht auf einen sog. frommen Bezirk einengen lassen. Sie will dem Menschen in allen Bereichen seines Lebens in der heutigen Welt dienen und ist ihm auch ein klares Wort in den Fragen des öffentlichen Lebens
219 Protokoll der Sitzung der Jugendkommission der Stadtleitung am 28. November 1957 (STAL, SED-SL, IV/5/01/548, Bl. 11). 220 „Wort der Bischöfe der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland“. Landeskirchenamt an alle Pfarrer, 25. Oktober 1957 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1783). Zur Rezeption in Leipzig vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Innere Angelegenheiten an RdB Leipzig, Bericht über die kirchenpolitische Lage in Leipzig, 28. November 1957 (STAL, RdB 1555, Bl. 71–80, hier Bl. 76). 221 Vgl. ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013-1783. 222 Bericht des Landesbischofs Noth auf der Tagung der Landessynode am 4. Dezember 1957 (ADSL, 2.1.5). 223 Rat der Stadt Leipzig, Abt. Innere Angelegenheiten an RdB Leipzig, Bericht über die kirchenpolitische Lage in Leipzig, 28. November 1957 (STAL, RdB 1555, Bl. 71–80, hier Bl. 71).
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schuldig“224. Staatliche Stellen konstatierten, dass angesichts der Spannungen zwischen Staat und Kirche bei kleiner werdenden Gemeinden eine Vertiefung des binnenkirchlichen Lebens eingetreten war225. Im Februar 1958 sondierte das Landeskirchenamt, ob angesichts des auf die Jugendlichen ausgeübten Druckes und der rapide fallenden Konfirmationszahlen, die langfristig den Erhalt der Volkskirche in Frage stellten, die strikte Entweder-Oder-Haltung aufgegeben werden sollte. Die Oberlandeskirchenräte Willy Gerber und Samuel Kleemann trugen dazu in der Leipziger Ephoralversammlung Überlegungen aus dem Landeskirchenamt vor226. Angesichts des ausgeübten Druckes könne von einer freien Entscheidung der Jugendlichen ja keine Rede mehr sein. Möglicherweise müsse unter diesen Umständen „der Weg in Wahrheit und Liebe“, das Verhältnis zwischen normativen und seelsorgerlichen Aspekten, neu definiert werden. In der CDU setzte sich der „Schlingerkurs“ 1957/58 fort227. Günter Wirth informierte am 1. November 1957 die Bezirksverbände über eine Ausarbeitung der Parteileitung zur Jugendweihe, die auf einer Dienstbesprechung der Bezirksvorsitzenden am 30. Oktober erarbeitet worden war228. Sie vereinte Unvereinbares: Zum einen verzichtete die CDU auf eine klare Stellungnahme und überließ dem Einzelnen die Entscheidung. Zum anderen forderte sie CDU-Funktionäre auf, „bei der Bearbeitung von Fragen, die mit der organisatorischen Durchführung der Jugendweihe zusammenhängen, vorbildlich zu sein“229. Ablehnende Gewissensentscheidungen sollten durch klare Haltung gegenüber den „reaktionären Machenschaften der Kirchenleitungen“ kompensiert werden230. Der Leipziger Bezirksverband hatte sich schon im Vorfeld dieser Tagung auf eine andere Position, die der SED, verständigt. Auf einer Sitzung des Bezirksvorstandes am 22. Oktober 1957 war Wolfgang Heyl dezidiert hervorgetreten und war möglichen Bedenken gegen die Politik der SED mit dem Einwand entgegengetreten, „dass die Jugendweihe nicht die Gefühle christlicher Menschen verletzt und dass kein Gelöbnis zu irgendeiner Weltanschauung abgelegt wird“231. Der „Meinungsbildung“ im Bezirksvorstand war Überzeugungsarbeit an der Basis mit Lehrern und einzelnen Kreisver224 Vgl. ADSL, 2.5.1. 225 Rat der Stadt Leipzig, 28. November 1957 (STAL, RdB 1555, Bl. 71). 226 Ephoralversammlung am Mittwoch, 5. Februar 1958 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII013–172). Das Protokoll war von Hans Rauch, einem „fortschrittlichen“ Pfarrer aus Störmthal (Kirchenbezirk Leipzig-Land) angefertigt worden. Vgl. Rauch am 9. Februar 1958 (EBD.). 227 T. RAABE, S. 198. 228 Wirth an alle Bezirksverbände der CDU, 1. November 1957 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–156). 229 EBD. 230 EBD. 231 Konieczny an Wirth, 7. November 1957 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–156).
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bänden vorausgegangen. Die bei einer Aussprache mit dem Kreisvorstand Leipzig-Stadt erschienenen Lehrer zeigten sich aber nicht geneigt, auf die rhetorischen Übungen des Kreisvorsitzenden Gerhard Lange einzugehen, sondern nannten die Verhältnisse an den Schulen beim Namen: „Einige andere Unionsfreunde [. . .] führten aus, dass der christliche Lehrer seine christliche Einstellung verbergen müsse und schließlich gar lügen müsse, um bestehen zu können“232. Die SED-Bezirksleitung, die vom Ministerium für Staatssicherheit über den Diskussionsstand im CDU-Bezirksvorstand informiert worden war, lud Mitglieder der Blockpartei vor und sorgte damit für entsprechende Mehrheiten233. Während einer Aussprache beim Sektor befreundete Organisationen des ZK – dem höchsten SED-Gremium für die „Anleitung“ der CDU – erhielt der Leipziger CDU-Bezirksverband Bestnoten: „Der Beschluss des CDU-BV von Leipzig (Union v. 1.12.1957)234 sei eine anerkennenswerte Initiative und zeuge von einer tatkräftigen Unterstützung durch die [SED-] Bezirksleitung. Außer in Magdeburg gebe es in der DDR keinen weiteren Parteivorstand dieser Partei, die [sic] eine solche politische Aktivität entwickelten [sic]“235. Dass die SED keineswegs gewillt war, zimperlich mit der CDU umzugehen, zeigte die Anweisung des Sektors, „zu berichten, welche Kreissekretäre der CDU ausgewechselt werden müssten“236. Der harte Kurs Fröhlichs machte sich 1958 bei den Teilnehmerzahlen an der Jugendweihe in der Stadt Leipzig deutlich bemerkbar: Von 1956 auf 1958 war er von 54,7 auf 80,8 % gestiegen und damit annähernd doppelt so hoch wie der Durchschnitt in der DDR (44,1 %)237. Das Ende jeglicher Illusionen auf kirchlicher Seite in der Frage der Jugendweihe war zumindest in der Stadt Leipzig im Herbst 1958 erreicht. Pfarrer Heinrich Rosenthal von der Taborgemeinde im Leipziger Westen suchte bei der Landeskirche etwa bestehende Vorstellungen über den Fortbestand der Volkskirche durch den Hinweis auf die Konfirmandenzahlen im II. Bezirk seiner Gemeinde zu berichtigen: Hatten im Jahr 1955 noch 80 Jugendliche an der Konfirmation teilgenommen, so war für das Jahr 1959 noch mit höchstens drei Konfirmanden zu rechnen, da fast alle Jugendlichen auch die Jugendweihestunden besuchten238. Die Situation auf 232 Gerhard Lange, Interne Einschätzung der Aussprache mit Lehrern im Kreisvorstand Leipzig-Stadt am 30. September 1957 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–503). 233 SED-BL, Held, Aktennotiz, 6. November 1957 (STAL, SED-BL IV/2/15/655, Bl. 299). 234 Die Union (Bezirk Leipzig) vom 1. Dezember 1957. 235 Held, Bericht über die Anleitung beim Sektor befreundete Organisationen des ZK am 12. Dezember 1957 (STAL, SED-BL, IV/2/14/617, Bl. 295). 236 EBD. 237 F. JOSTMEIER, SED, S. 108. 238 Rosenthal an das Landeskirchenamt, betr. Konfirmationsfrage, 8. Oktober 1958 (ADSL, 5.5).
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dem Land hatte sich mittlerweile der in der Stadt angeglichen. Der Superintendent des Kirchenbezirks von Borna – einer vom Braunkohlenabbau geprägten Stadt mit ca. 17 000 Einwohnern südlich von Leipzig – meldete für das Jahr 1959 ganze fünf Konfirmanden239. Angesichts dieser Situation gab es sogar Stimmen in der Landeskirche, die den kirchlichen Notstand in der Konfirmationsfrage feststellen und die Konfirmation unter den obwaltenden Bedingungen sistieren wollten240. Der Ruf nach einer theologischen Neuausrichtung im Übergang von der Volks- zur Freiwilligkeitskirche wurde erhoben241. Jene Stimmen, die für eine liberalere kirchliche Linie in der Frage der Jugendweihe plädierten, kamen aufgrund der großen kirchenpolitischen Spannungen in Sachsen wegen des Prozesses gegen den Leipziger Studentenpfarrer Siegfried Schmutzler nicht zum Zuge242. Der Sachbearbeiter für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes, Walter Pientka, jedenfalls legte den Räten der Kreise nahe, die Vorgehensweise der thüringischen Landeskirche „zur Argumentation gegenüber Geistlichen, Synodalen, Kirchenvorständen usw. mit zu verwenden, insbesondere den Vertretern der Landeskirche Sachsen und des Konsistoriums Magdeburg gegenüber die Gegensätze auszunutzen“243. Abweichend von den Regelungen der Kirchlichen Ostkonferenz hatten die provinzsächsische und die thüringische Landeskirche Richtlinien erlassen, die bei der Zulassung zum Abendmahl keinen Unterschied zwischen Jugendgeweihten und Nichtjugendgeweihten machten – ein Beispiel für mittlerweile erzielte Erfolge im Differenzierungsprozess zwischen den Landeskirchen, die gerade die Lage der lutherischen Kirche im Bezirk Leipzig mit drei dort vertretenen Landeskirchen verschlechterten244. Erschwerend kam hinzu, dass der 1958 gegründete, regimenahe Bund Evangelischer Pfarrer in der DDR im September 1958 mit einem „Wort zur Konfirmationsfrage“ aufgetreten war, 239 Rudolf Heinze an Landeskirchenamt, betr. Konfirmation und Jugendweihe, 8. Oktober 1958 (ADSL, 5.5). 240 Pfarrer Kriewald, Markkleeberg, auf dem Pfarrertag am 1. Oktober 1958. Vgl. Niederschrift über die Aussprache zum Entwurf der Ordnung über die Konfirmationsfragen, 2. Oktober 1958 (ADSL, 2.1.1). Vgl. auch das Referat Kleemanns auf der Sondersitzung der Landessynode im September 1958, das die unterschiedlichen Standpunkte ausführlich darstellt. Abgedruckt in: Landeskirchenamt an die Konventsvorsitzenden, 18. Oktober 1958, hier Bl. 10 (ADSL, 5.5). 241 EBD., Bl. 7. Zur kirchenpolitischen und theologischen Neuausrichtung in den evangelischen Landeskirchen der DDR vgl. D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 159–175. 242 G. BESIER, S. 799, Anm. 519. Zum Fall Schmutzler vgl. G.-S. SCHMUTZLER; S. LIPSKI. 243 Pientka an den Rat des Kreises, Innere Angelegenheiten, betr. Beschluss der Landeskirche Thüringen über die Durchführung der Konfirmation 1959, 26. Januar 1959 (STAL, SED-BL IV/2/14, 625, Bl. 18). 244 Evangelisch-lutherische Kirche in Thüringen. Beschluß der Synode vom 12. November 1958 (KJ 85, 1958, S. 195–197). Der „Thüringer Weg“ hatte zu einer Verstimmung mit der sächsischen Landeskirche geführt (vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 356–362).
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in dem er die Vereinbarkeit von Jugendweihe und Konfirmation feststellte und damit die landeskirchliche Argumentationslinie aufzuweichen suchte245. In Leipzig wichen einige Pfarrer von der landeskirchlichen Linie ab und konfirmierten auch die Jugendweiheteilnehmer, ohne damit allerdings auf große Resonanz zu stoßen246. Eltern, die die Konfirmation ihrer Kinder trotz Jugendweihe wünschten, blieb in Leipzig auch die Alternative, sich bei der Reformierten Gemeinde anzumelden247. Der in der Landeskirche schließlich gefundene Kompromiss sah vor, dass Jugendliche, die an der Jugendweihe teilnehmen wollten, nicht aus der zweijährigen kirchlichen Unterweisung im 7. und 8. Schuljahr ausgeschlossen werden sollten. An der Konfirmation teilnehmen durften sie aber erst, „wenn sie durch regelmäßige Beteiligung am kirchlichen Leben gezeigt haben, dass sie nicht an den Atheismus gebunden sind, sondern sich zum Worte Gottes halten, nach Ablauf einer Frist von mindestens einem Jahr“ und dann an einer speziellen Zurüstung teilnahmen248. Durch diesen Beschluss fühlten sich viele Gemeindemitglieder vor den Kopf gestoßen, weil ihnen nur schwer vermittelt werden konnte, dass die kirchliche Unterweisung nicht automatisch zur Konfirmation führte und durch die vor dem Jugendweihetermin liegende Konfirmation die Gefahr des „Betrugs“ durch so genannte „Doppelgänger“ nicht auszuschließen war. Ein durchaus repräsentativer Bericht eines Leipziger Gemeindepfarrers beklagte: „Die Durchführung der diesjährigen Konfirmation und ihre Vorbereitung war außerordentlich schwer. [. . .]. Die Absage der Konfirmation war besonders in den Fällen sehr bitter, in denen Witwen händeringend und unter Tränen darauf hinwiesen, dass sie mit ihren Kindern ganz allein dastünden. Es muss eine Regelung der Konfirmationsfrage gefunden werden, die die seelische Folter sowohl für die Eltern als auch für den Pfarrer ausschließt“249.
Diese äußerst kritische Sicht des Dresdener Synodalbeschlusses war sicherlich auch Ausweis der besonders schwierigen Lage der evangelischen Kirche in Leipzig. Aus Sicht des Bezirksausschusses für Jugendweihe jedenfalls 245 F. HARTWEG, S. 148. Das Wort ist abgedruckt in: KJ 85, 1958, S. 187 f. 246 Stiehl an das Landeskirchenamt, betr. Konfirmation 1959, 3. April 1959 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1). 247 EBD. 248 Verordnung über die Konfirmation 1959 vom 21. Oktober 1958 (ADSL, 5.5). Aus taktischen Gründen plädierten die Leipziger Konvente dafür, den Abschluss der Unterweisung über den vorgesehenen Termin Epiphanias (18.1.1959) hinaus zu verlängern und die Konfirmation nach dem Termin der Jugendweihe (Palmsonntag) vorzunehmen, um in der letzten Vorbereitungsphase auf die Jugendweihe nicht nur den Ausschüssen das Feld zu überlassen. Vgl. Niederschrift über die Aussprache zum Entwurf der Ordnung über die Konfirmationsfragen, 2. Oktober 1958 (ADSL, 2.1.1). 249 Stiehl an das Landeskirchenamt, betr. Konfirmation 1959, 3. April 1959 (ADSL, Schrank I, Fach 16, 176/1).
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war die Lösung der Landeskirche ärgerlich. Er musste feststellen, dass in Leipzig-Connewitz, einem Stadtteil im Süden, wo 1958 nur sieben Jugendliche an der Konfirmation teilgenommen hatten, ein Jahr später 32 Personen, die 1958 an der Jugendweihe teilgenommen hatten, sich konfirmieren ließen250. Der Bezirksausschuss für Jugendweihe zeigte sich mit den für 1959 erwarteten Teilnehmerzahlen zufrieden. In ihnen spiegelte sich, so der Bericht des Bezirksausschusses von Mitte Dezember 1958, „auch die offensive Linie der Partei wider, die die weltanschauliche und politische Bedeutung der Jugendweihe bei der Erziehung der Jugendlichen in den Mittelpunkt stellte“251. Der Anteil der Jugendweiheteilnehmer war im Bezirk von 59 % (1957/58) auf 87 % (1958/59) gestiegen. In Leipzig-Stadt betrug er 94 %252. In den vorausgegangen vier Jahren hatte der Bezirk immer den höchsten Anteil an Jugendweiheteilnehmern zu verzeichnen gehabt253.
5.8 Ergebnisse 1. Die im März 1954 beschlossene SED-Kirchenpolitik mit ihren zwei Elementen – der Gewinnung „fortschrittlicher“ und der Ausgrenzung und Behinderung „reaktionärer Kräfte“ – wurde in Leipzig mit Schwerpunkt auf dem Element der Ausgrenzung durchgeführt. In dem Maße, in dem repressive Elemente zunahmen, sanken die Chancen, bei der Integration der christlichen Bevölkerung Fortschritte zu erzielen. Die Einführung der Jugendweihe wurde vom Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, Paul Fröhlich, zu einem persönlichen Kreuzzug gegen das Christentum benutzt, womit er sich sogar zeitweise den Missmut der Berliner SED-Zentrale zuzog. Diese Maßnahme verstärkte das besonders kirchenfeindliche Klima im Bezirk Leipzig, das durch die Auseinandersetzung um den Schmutzler-Prozess und den Lange-Erlass254, der 250 Jahresanalyse des Bezirksausschusses für Jugendweihe Leipzig für das Jahr 1958/59 (STAL, SED-BL IV/2/9/530, Bl. 138). 251 Bezirksausschuss für Jugendweihe, Bezirk Leipzig, 12. Februar 1958 (STAL, SED-BL, IV/2/9.02/530, Bl. 4). 252 Zahlen aus dem Bericht des Bezirksausschusses für Jugendweihe Leipzig für die Abt. Volksbildung der SED-BL, o. D. (STAL, SED-BL IV/2/9.02/530, Bl. 67). 253 EBD. 254 Anordnung zur Sicherung von Ordnung und Stetigkeit im Erziehungs- und Bildungsprozess der allgemein bildenden Schulen (GBl der DDR, Teil I, Nr. 18 vom 19. März 1958, S. 236). Schulräume wurden den Kirchen nur für den Unterricht von Kindern unter 14 Jahren zur Verfügung gestellt. Der Religionsunterricht durfte erst zwei Stunden nach Beendigung des Schulunterrichts erteilt werden (vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 253).
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die evangelische Christenlehre und den katholischen Religionsunterricht in hohem Maße einschränkte, belastet war. Zeigte sich der Apparat in Partei und Staat an Kirchenfragen im Allgemeinen wenig interessiert, so gelang hier mit großem Aufwand eine ungeahnte Mobilisierung. Die Gewinnung der Basis für eine aktive Kirchenpolitik im Sinne der Führung von Pfarrergesprächen war mühselig, die Orientierung auf das negative Feindbild „Kirche“ als Gegner des sozialistischen Aufbaus einfacher. So konnte die SED-Bezirksleitung mit ihren Jugendweiheteilnehmerzahlen in der DDR einen großen Erfolg verbuchen, während sie bei den Differenzierungsbemühungen auf der Stelle trat. Das eine bedingte das andere. 2. Die evangelische Kirche musste lernen, dass sie dem staatlichen Apparat, der über fast alle Ressourcen verfügte, unterlegen war. Obwohl sie in der Auseinandersetzung um die Jugendweihe die Kirchenzucht forcierte, konnte sie das massive Abbröckeln in den Gemeinden nicht verhindern. In der längerfristigen Perspektive hat die Jugendweihe, indem die Kirche immer weniger zur Gestaltung sozialer Abläufe im Leben der Familien in Erscheinung trat, sehr stark zum Einbruch in die volkskirchlichen Strukturen beigetragen255. Gerade in der Stadt Leipzig war dieser Effekt besonders stark, sodass hier bald Forderungen nach einer Änderung der landeskirchlichen Politik erhoben wurden. Schließlich führte dies dazu, dass an der Basis viele Jugendliche angesichts des staatlichen Drucks gezwungen waren, die landeskirchlichen Bestimmungen zu umgehen. Wenn auch der äußere Druck zu einer Intensivierung des kirchlichen Lebens in den Kerngemeinden geführt haben mag, so musste den Pfarrern immer deutlicher werden, dass die Basis ihre Abwehrhaltung gegenüber der DDR in immer geringerem Maße mitzutragen bereit war. 3. Durch die von der SED forcierte Jugendweihe wurde der CDU ihre prekäre Lage als Transmissionsriemen der SED-Kirchenpolitik vor Augen geführt: Je stärker sie sich auf die Linie der SED einließ, um so mehr verlor sie in der christlichen Bevölkerung an Rückhalt. Deshalb versuchte die CDU-Spitze, sich weitgehend aus den Jugendweiheausschüssen herauszuhalten und sich neutral zu verhalten. Anders die Situation im Bezirk Leipzig: Hier konnte Wolfgang Heyl schon bald seine SED-nahe Politik gegen starke Widerstände in der Partei durchsetzen.
255 E. NEUBERT, Opposition, S. 120.
Der Fall „Rausch“
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6. Der Fall „Rausch“ – ein „Schulbeispiel“ der Kirchenpolitik des Ministeriums für Staatssicherheit? Spätestens mit Siegfried Stadlers Artikel: „‚Mut in Gänsefüßchen‘. Leipzigs letzter Held hieß ‚Eduard‘“ wurde öffentlich bekannt, dass der Leipziger Pfarrer Hans-Georg Rausch von 1955 bis 1976 als Inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hatte1. Der Schriftsteller Erich Loest hatte ihn in seinem Roman „Völkerschlachtdenkmal“ noch als „Held“ gewürdigt, weil er sich 1968 als einziger Abgeordneter des Leipziger Stadtparlaments gegen die Sprengung der 700 Jahre alten Universitätskirche ausgesprochen hatte2. Stadler stellt in der entsprechenden Kürze Rauschs Weg von einer „negativen Kraft“ zu einem „spalterischen Präzedenzfall“ der MfS-Kirchenpolitik dar. Sein Artikel geht zurück auf Forschungen Friedemann Stengels, der in seiner Dissertation über die Theologischen Fakultäten in der DDR die Vermutung aufstellte, Rauschs Abstimmungsverhalten sei mit dem MfS abgesprochen worden3. Mittlerweile hat der Dresdner Schriftsteller Rudolf Scholz die „Leben des Pfarrers Hans-Georg Rausch“ in den Mittelpunkt eines Romans gerückt, der von der schwierigen Persönlichkeit Rauschs im Konflikt mit der sächsischen Landeskirche handelt. Die Einordnung der Geschehnisse in die SED-Kirchenpolitik ist von Scholz gar nicht beabsichtigt4. Hier soll der Fall „Rausch“ als ein – wenn auch eklatantes – Beispiel für die SED-Kirchenpolitik ab Mitte der 50er Jahre dargestellt werden. Es wird im Folgenden untersucht, unter welchen Umständen die Anwerbung des IM „Eduard“ stattgefunden hat und welche Strategien die 1 FAZ vom 17. Juli 1997, S. 29. Die Bezeichnung „Inoffizielle Mitarbeiter“, die hier wegen ihres hohen Bekanntheitsgrades benutzt wird, tauchte erst in der Richtlinie 1/68 des MfS von 1968 auf. Vorher wurden die IM in die Kategorien „Geheimer Informator“ (GI) als Grundstufe und „Geheimer Mitarbeiter“ (GM) als höhere Stufe unterteilt. Rausch wurde als GI geführt (vgl. dazu H. MÜLLER-ENBERGS, S. 13 f.). 2 E. LOEST, S. 240: „Pfarrer Rausch war unser letzter Held“; zur Sprengung der Leipziger Universitätskirche und der Haltung Rauschs vgl. auch C. WINTER, bes. S. 198–201. 3 F. STENGEL, S. 601, Anm. 128. Auch P. BEIER, S. 69, Anm. 23; S. 136, behandelt den Fall des IM „Eduard“, allerdings in anonymisierter Form, da Rausch vom MfS zeitweise eine monatliche Zuwendung von 700 M erhalten hatte. F. PIEREL hat die Vorgeschichte des Schismas in der Immanuel-Gemeinde untersucht, gelangt aber, da er ausschließlich kirchliche Akten auswertet, zu unzulänglichen Ergebnissen. 4 Vgl. R. SCHOLZ. Da die Akten des MfS nur wenig Aufschluss über die kirchenpolitischen Absichten geben und Scholz die betreffenden Akten von Partei- und Staatsstellen nicht eingesehen hat, kann dies auch gar nicht gelingen. So taucht z. B. Franz Sgraja (geb. 1922) als Hauptmann der Leipziger Bezirksverwaltung des MfS auf (S. 115), während er tatsächlich das Referat „Evangelische Kirche“ in der Berliner Hauptverwaltung leitete. Von 1969–1979 war er Leiter der Abteilung XX/4, vormals V/4. Zu Sgraja vgl. C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, S. 83–85.
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Staatssicherheit, Partei und kommunale Stellen mit dem „Schisma“ in der Immanuel-Kirchgemeinde in Leipzig-Probstheida verbanden. Hier ist auch die Frage nach der Eigenständigkeit der Kirchenpolitik des MfS zu stellen, das nach dem Volksaufstand unter heftige Kritik geriet und bis November 1955 als Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) ins Innenministerium eingegliedert wurde5. Auf der anderen Seite sollen die kirchlichen Bemühungen zur Beruhigung der Lage in Probstheida dargestellt werden, um abschließend beantworten zu können, welche Rolle der „Fall Rausch“ im Rahmen der SED-Kirchenpolitik überhaupt gespielt hat.
6.1 Die Anwerbung des Probstheidaer Pfarrers Hans-Georg Rausch durch das SfS Parallel zu der Aufwertung der Kirchenfragen im Partei- und Staatsapparat im Rahmen der neuen Kirchenpolitik wurden im SfS Ende 1954 strukturelle Änderungen vorgenommen. In der Berliner Hauptverwaltung wurde durch einen Befehl von Ernst Wollweber, der nach der Entlassung Wilhelm Zaissers die Leitung der Staatssicherheit übernommen hatte, eine eigene Kirchenabteilung V/6 in der Hauptabteilung V gebildet6. In der Bezirksverwaltung Leipzig wurde das Referat 4 der Abteilung V im Zeitraum September 1954 bis Januar 1955 von einem auf fünf Mitarbeiter aufgestockt7. Begründet wurde die Ausdehnung des Referats mit der Verstärkung der operativen Arbeit des MfS innerhalb der Kirchen und Sekten8. Referatsleiter Michalk war für die katholische Kirche zuständig, während sich die Sachbearbeiter Unterleutnant Erich Blümel, Fichtner und Seifert um die evangelische Kirche zu kümmern hatten. Der Forderung Wollwebers, die Referate mit qualifizierten und erfahrenen Mitarbeitern zu besetzen9, wurde das neue Personal nicht gerecht, wie ein Bericht der Instrukteurbrigade der Bezirksverwaltung vom Juni 1955 ergab10. Referatsleiter Michalk war erst seit Juni 1954 mit Kirchenfragen beschäftigt, Blümel erst Anfang 1955 in das SfS eingetreten, und Seifert war noch im Mai 5 K. SCHROEDER, S. 435. 6 Befehl Wollwebers am 21. Dezember 1954 (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 25, S. 189–192). 7 Struktur der BV Abteilung V, 21. September 1954 (BSTU, Lpz Leitung 183/2, Bl. 1 f.); Schwerpunktmaßnahmeplan der BV Leipzig am 12. Januar 1955 (BSTU, Lpz Leitung 183/2, Bl. 64). 8 Arbeitsplan für den Monat Januar 1955 (BSTU, Lpz 183/2, Bl. 4). 9 Befehl Wollwebers am 21. Dezember 1954 (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 25, S. 190). 10 BV Leipzig, Instrukteurbrigade am 14. Juni 1955 (BSTU, Lpz 184/2, Bl. 1–34).
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1955 ersetzt worden11. Dennoch bescheinigte der Bericht dem Referat wesentliche Fortschritte bei der Erweiterung der „Agentur“, die im Juni 1955 für beide Kirchen und die Sekten neun Inoffizielle Mitarbeiter umfasste12. Der „Schwerpunktmaßnahmeplan“ der Bezirksverwaltung Leipzig vom Januar 1955 sah vor, die kirchliche Opposition gegen den mit dem Namen Dibelius verbundenen Abgrenzungskurs gegenüber der SED zu erfassen und Anwerbungen aus diesem Kreis vorzunehmen13. Das Staatssekretariat für Staatssicherheit war auf eine Interessengemeinschaft oppositioneller Pfarrer in der berlin-brandenburgischen Landeskirche aufmerksam geworden, die sich 1950 im „Freien Konvent“ zusammengeschlossen hatte14. Ähnliche Kreise wollte sie in anderen Landeskirchen unterstützen. Die Leipziger Bezirksverwaltung schätzte die Zahl der Pfarrer, die mit der Kirchenleitung im Streit lagen und daher möglicherweise für die Politik des SfS zu gewinnen waren, im Bezirk auf zehn15. Ihr operatives Ziel bestand darin, die Namen dieser Pfarrer ausfindig zu machen und aus ihrem Kreis Anwerbungen vorzunehmen. Man hoffte, die „oppositionelle“ Bewegung auf „weite Kreise evangelischer Kirchengläubiger“ ausdehnen zu können16. Der ehrgeizige Arbeitsplan des Kirchenreferats sah für den Monat Januar die Anwerbung von drei Personen, darunter einem evangelischen Geistlichen aus dem „Kreis der loyal gesinnten Pfarrer“ vor. Als das SfS im Frühjahr 1955 auf Pfarrer Rausch wegen der Probleme in dessen Gemeinde aufmerksam wurde, war keineswegs von vornherein klar, dass er zu der gesuchten Gruppe der „loyal gesinnten“ Pfarrer gehören würde17. Denn die Ergebnisse der eingeleiteten Ermittlungen waren widersprüchlich und lückenhaft. 1947 war Rausch im Alter von 32 Jahren als Vikar in die Immanuelgemeinde nach Leipzig-Probstheida abgeordnet worden. In SED-Kreisen genoss er dort den Ruf eines „reaktionären“ Pfarrers, der vor allem durch seine Aktivität in der „Jungen Gemeinde“ aufgefallen war. Horst Sindermann hatte als Erster Sekretär der SEDKreisleitung Leipzig Rausch auf einer Parteiversammlung öffentlich ange11 EBD., Bl. 8 und 23. 12 EBD., Bl. 33. 13 Schwerpunktmaßnahmeplan der BV Leipzig am 12. Januar 1955 (BSTU, Lpz Leitung 183/2, Bl. 66). 14 Zum „Freien Konvent“ vgl. den Bericht Mielkes vom 12. August 1960 (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 38, S. 228–250, hier S. 245 f.). Der „Freie Konvent“ publizierte die „Umkehr“, die von Oktober 1953 bis 1960 erschien. 15 Schwerpunktmaßnahmeplan der BV Leipzig am 12. Januar 1955 (BSTU, Lpz Leitung 183/2, Bl. 66). 16 EBD. 17 Vgl. den Ermittlungsbericht Blümels vom 9. April 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76, II/I, Bl. 15–17).
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griffen18. Die SED-Bezirksleitung vermerkte in einem Bericht über das Verhalten der Kirche nach dem 17. Juni, dass Rausch in seiner Predigt „gehetzt“ habe19. Die Auseinandersetzungen zwischen Pfarrer Rausch und dem Kirchenvorstand der Immanuelgemeinde hatten sich nicht an dem politischen Verhalten des Pfarrers entzündet. Dass er sich – wie das SfS herausgefunden hatte – 1953 engagiert hatte, um die Wahl der BK-Pfarrer Stiehl und Noth zum Leipziger Superintendenten bzw. zum Landesbischof zu verhindern, spielte – jedenfalls in der öffentlichen Diskussion – keine Rolle20. Die Beschuldigungen, die der Kirchenvorstand im Sommer 1954 gegen den Pfarrer vorgebracht hatte, betrafen seine ungenügende Berufsauffassung, eigenmächtigen Umgang mit kirchlichem Eigentum und schlechtes Betragen gegenüber den kirchlichen Angestellten21. Dazu kam, dass große Teile des Kirchenvorstandes als Gemeinschaftschristen der Landeskirchlichen Gemeinde angehörten und einen eigenen Prediger hatten, der zu Rausch auf Konfrontation ging22. Darüber hinaus sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass es schon während des „Dritten Reichs“ in der Gemeinde heftige Auseinandersetzungen gegeben hatte. Dem Lager um den Pfarramtsleiter Johannes Römer, einem überzeugten Deutschen Christen, der Ende 1934 kommissarisch das Amt des Leipziger Superintendenten übernommen hatte, standen die Sympathisanten des Hilfsgeistlichen Kurt Herberger gegenüber, der die Gemeinde 1939 verließ. Römer wurde 1945 seines Amtes enthoben, worauf Superintendent Schumann kommissarisch bis 1947 die Pfarramtsleitung übernahm. Anfang August 1954 scheiterten Vermittlungsversuche des Superintendenten Stiehl zwischen dem Kirchenvorstand und Rausch. Nachdem weitere Verhandlungen um einen Kompromiss, in die sich auch der Landesbischof eingeschaltet hatte23, erfolglos verlaufen waren, wurde gegen Rausch im März 1955 das Versetzungsverfahren in ein anderes geistliches Amt eingeleitet24. Rausch beantragte darauf beim Landeskirchenamt die Auflösung des Kirchenvorstandes der Immanuelgemeinde25. Der von der 18 EBD., Bl. 15. 19 SED-BL Leipzig, Abt. Leitende Organe, Parteiinformation am 22. Juni 1953 (STAL, SED-BL, IV/2/12/588, Bl. 80). 20 Ermittlungsbericht Blümels am 9. April (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 16). Der Bericht verlegt die Aktionen Rauschs fälschlich ins Jahr 1954. 21 KV Immanuel-Probstheida an Rausch am 28. Juni 1954 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida I). 22 R. SCHOLZ, S. 51. 23 Am 8. November 1954 hatte ein Gespräch zwischen Noth und Rausch stattgefunden. Stiehl an Gerber am 15. Juni 1955 (ADSL, Schrank VIII; Immanuel-Probstheida II). 24 Kandler an Rausch am 11. März 1955 (EBD.). 25 Den ersten Antrag vom 25. März zog Rausch zwischenzeitlich zurück, um ihn am
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Landeskirche eingesetzte Feststellungsausschuss ging einer klaren Entscheidung aus dem Weg und forderte Rausch auf, sich um eine andere Stelle zu bewerben, wozu sich dieser auch tatsächlich bereit erklärte26. Auf der anderen Seite rügte das Landeskirchenamt den Kirchenvorstand wegen Amtsanmaßung – er hatte am Pfarrer vorbei Personalia regeln wollen – und forderte ihn auf, die kirchliche Mitarbeit in der Gemeinde nicht einzustellen27. Da diese Maßnahmen keine Beruhigung brachten, sah sich das Landeskirchenamt am 13. Juni gezwungen, dem Bezirkskirchenamt die Kompetenzen des Kirchenvorstandes zu übertragen28. Eine für den darauf folgenden Tag einberufene Kirchgemeindeversammlung, die Rausch gegen den Widerstand des anwesenden landeskirchlichen Gebietsdezernenten Willy Gerber zur Selbstdarstellung auszunutzen versuchte, endete mit einem Eklat und führte zu einem Zerwürfnis zwischen Rausch und Stiehl29. Nicht ungeschickt unternahm die Bezirksverwaltung Leipzig des SfS in einem Augenblick die Initiative, als sich Rausch durch sein wenig selbstkritisches und kompromissloses Verhalten gegenüber dem Landeskirchenamt und seinen Leipziger Amtsbrüdern isoliert hatte. Der Anwerbungsvorschlag vom 5. Juli 1955 sah vor, diese „unversöhnliche Feindschaft“ auszunützen30. Dabei sollte Rausch „klar gemacht werden, dass wir nicht nur ein gutes Verhältnis Kirche/Staat anstreben, sondern auch innerhalb der Kirche geordnete Verhältnisse wünschen [!] und ihm, falls erforderlich, im Rahmen unserer Gesetze Unterstützung gewähren“31. Die in der Abteilung V/4 tätigen Michalk und Blümel waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie ihre Identität beim ersten Besuch bei Rausch am selben Tag nicht – wie sonst üblich – verleugneten, sondern sich offen als Mitarbeiter des SfS zu erkennen gaben. Der Probstheidaer Pfarrer hatte offenbar geringe Skrupel, mit der Staatssicherheit zusammenzuarbeiten. So übergab er den beiden Mitarbeitern eine Rededisposition, die er für ein am 8. Juli terminiertes Gespräch beim Landeskirchenamt ausgearbeitet hatte32. Mitarbeiter des Landeskirchenamtes wie Oberlandeskirchenrat Gerber und Mitglieder des gegen ihn eingestellten Kirchenvorstandes griff er wegen ihrer vorgeblichen Vergangenheit im Nationalsozialismus an33. 26. April zu wiederholen. Rausch an die Kirchenleitung der ev.-luth. Landeskirche Sachsens (EBD.). 26 Kandler an Stiehl am 11. Mai 1955 (EBD.). Rausch bewarb sich um eine Pfarrstelle an der Bethaniengemeinde in Leipzig-Schleußig. 27 EBD. 28 Kandler an das Bezirkskirchenamt/Superintendentur am 13. Juni 1955 (EBD.). 29 Eine ausführliche Schilderung bei R. SCHOLZ, S. 90–94. 30 BV Leipzig Abt. V/4, Anwerbungsvorschlag (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/I, Bl. 18). 31 EBD. 32 BSTU, Lpz AIM 2020/76 I, Bl. 27 33 Gerber war seit 1929 Mitglied der NSDAP gewesen (vgl. M. HEIN, S. 204–206).
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Für die Mitarbeiter des SfS war vor allem interessant, dass Rausch auf drei weitere Kirchgemeinden in Leipzig hinwies, in denen es große Konflikte zwischen Stiehl und der Kirchenleitung gab. So eröffnete sich die Aussicht, eine breitere Oppositionsbewegung gegen die Landeskirche in der Messestadt aufbauen zu können. Genau dieses wurde zwei Tage später in dem Arbeitsplan für den Monat Juni der Abt. V schriftlich festgelegt: „Hauptaufgabe der operativen Arbeit“ sei es, „im Bezirk Leipzig eine Leitung des ‚Freien Konvent‘ zu bilden“34. Im Fall „Probstheida“ waren vordringlich die Unterstützung des Pfarrers durch den Einsatz eines „maßgeblichen IM der CDU“ und die genaue Instruktion Rauschs für die am nächsten Tag stattfindende Sitzung des Feststellungsausschusses. Der am gleichen Tag erstellte „Operativplan“ sah vor, dass Rausch durch Maximalforderungen jedwede Einigungsmöglichkeiten torpedieren und sich keinesfalls festlegen sollte35. Außerdem sollten zwei „dissentierende“ Pfarrer und ein Mitglied des mit Rausch verfeindeten Kirchenvorstands als IM angeworben werden. Laut Bericht der Bezirksverwaltung verlief die Instruktion Rauschs problemlos: „Die im Operativplan festgelegten Punkte wurden vom Kandidaten zum größten Teil selbst vorgebracht, wie er sich in Dresden verhalten will, sodass es nur noch einige Verbesserungen unsererseits gab, womit der Kandidat völlig einverstanden war“36. Insgesamt „positiv“ für das SfS verlief die Sitzung beim Landeskirchenamt: Der Feststellungsausschuss beschloss, dass Rausch aus kirchlichem Interesse in ein anderes geistliches Amt versetzt werden sollte – eine Entscheidung, die Rausch aber keineswegs zu akzeptieren gewillt war37. Am Tag darauf erfolgte die Anwerbung Rauschs als IM, wobei von einer schriftlichen Schweigeverpflichtung abgesehen wurde. Rausch wählte sich seinen vierten Vornamen Eduard als Decknamen: Den auf ihrem Gebiet noch unerfahrenen Mitarbeitern der Bezirksverwaltung Leipzig war scheinbar ein großer Coup gelungen, hatten sie doch einen fast vollständig isolierten Pfarrer gewinnen können, der weitgehend von ihnen abhängig war, wie er, wahrscheinlich unbewusst, selbst feststellte: „Gleichzeitig brachte er [Rausch, G. W.] zum Ausdruck, dass er nun auch von uns erwartet, ihn entsprechend zu unterstützen. Er wird alles tun, was wir ihm vorschlagen werden, um in Probstheida diesen Zustand zu verändern“38. 34 BV Leipzig, Abt. V, Arbeitsplan für den Monat Juli 1955 (BSTU, Lpz Leitung 184/2, Bl. 43–53, hier Bl. 50). 35 BV Leipzig, Abt. V, Operativplan, 7. Juli 1955 (BSTU, Lpz Leitung 184/2, Bl. 58–60). 36 Bericht von Meffert und Michalk vom 7. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 26). 37 GI „Eduard“ am 9. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 35–40 bzw. als handschriftliches Original Bl. 62–71). 38 Treffbericht am 9. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 20–22, hier Bl. 20). Lt. Blümels Bericht soll er dabei „sein christliches Versprechen“ abgegeben haben, „sich so zu
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Unter den von der Bezirksverwaltung Leipzig zu ergreifenden Maßnahmen, zu denen selbstverständlich auch die Rücksprache mit der Hauptverwaltung gehörte, tauchte ein Punkt auf, der sich in der weiteren Entwicklung als nicht unproblematisch erweisen sollte: Es sollte ein neuer Operativplan erarbeitet werden, „um eine selbständige von der Kirchenleitung unabhängige Gemeinde zu schaffen“39. Die Initiative dazu ging wahrscheinlich von den Leipziger Mitarbeitern selber aus, da sie sich diesbezüglich erst die Genehmigung aus Berlin holen mussten. Möglicherweise hatten sie auch schon von ähnlich gelagerten Fällen in anderen Landeskirchen gehört40. Am 13. Juli 1955 wurde Rausch dieser Plan anhand eines Beispiels aus dem Bezirk Cottbus erklärt. Der Probstheidaer Pfarrer erklärte sich bereit, diesen Weg einzuschlagen41. Der Plan, der jegliche Kenntnis des Kirchenrechts vermissen ließ, sah vor, die Gemeinde nicht als Freikirche zu organisieren, sondern ihr als „Mitglied der Vereinigten ev. Landeskirche“ – eine Institution, die es gar nicht gab – die Eigenschaft der öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu erhalten42. Die beiden Mitarbeiter gaben Rausch genau vor, welche Maßnahmen er dazu ergreifen sollte. Zur Verselbstständigung der Gemeinde musste im ersten Schritt die Handlungsfähigkeit der kirchlichen Gremien hergestellt werden, da das Bezirkskirchenamt die Kompetenzen des Probstheidaer Kirchenvorstandes zur Zeit innehatte. Also musste ein Verfahren zur Bestellung eines neuen Kirchenvorstandes ersonnen werden. Dieser sollte aus einer Einwohnerversammlung in Probstheida spontan gebildet werden und sich dann durch eine darauf folgende Wahl bestätigen lassen. Dazu brachten Michalk und Blümel die Leipziger CDU ins Spiel, die – um den Eindruck der Neutralität zu erwecken – diese Veranstaltung organisieren sollte. Rausch erhielt daher den Auftrag, sich mit der CDU auf Bezirksebene in Verbindung zu setzen, während Michalk und Blümel ihrerseits – ohne Rauschs Kenntnis – die konspirativen Möglichkeiten des verhalten, wie wir es ihm vorschlagen“. Blümel am 13. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 14). 39 EBD., Bl. 21. 40 P. BEIER, S. 69, spricht von maximal vier weiteren Fällen in den 50er Jahren, in denen Pfarrer „freie Gemeinden“ gegründet hätten. Blümel und Michalk erwähnten jedenfalls am 14. Juli 1955 einen ähnlich gelagerten Fall im Bezirk Cottbus. Treffbericht am 14. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 30–34, hier Bl. 34.) Dieser war laut P. BEIER, S. 36, schon im Dezember 1954 als GI „Althaus“ geworben worden. 41 Treffbericht am 14. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 30–34, hier Bl. 33). 42 Dies wurde Rausch am 30. Juli 1955 noch einmal besonders eingeschärft. Treffbericht am 30. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 63). Ein solches Verhalten war rechtlich nicht möglich. § 9 der Verfassung der Landeskirche legt fest, dass das gesamte Gebiet der Landeskirche in Kirchgemeinden „aufgeteilt“ ist. Daraus folgt (so H. HERZOG, Kirchenrecht, S. 34), dass ein Kirchenvorstand nicht erklären kann, die von ihm vertretene Kirchgemeinde bleibe zwar Teil der Landeskirche, erkenne aber Teile ihres Rechtes nicht mehr an.
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SfS in der Leipziger CDU zu aktivieren intendierten43. Gleichzeitig sollte Rausch auch Personen ausfindig machen, die bereit waren, in dem neuen Kirchenvorstand zu amtieren. Die CDU sagte ihre Unterstützung zu und erhielt schon am 15. Juli von der SED-Bezirksleitung „Hinweise zur Mobilisierung der Bevölkerung für die Unterstützung der Position fortschrittlicher Pfarrer“44. Am 21. Juli 1955 wurde der endgültige Zeitplan festgelegt, und Rausch konnte Michalk und Blümel mitteilen, dass der Volkmarsdorfer Pfarrer Erich Kliegel, dem nach der Beendigung eines Disziplinarverfahrens die Versetzung ins Erzgebirge bevorstand, seine Bereitschaft erklärt hatte, die 2. Pfarrstelle in Probstheida einzunehmen, wenn der damalige Stelleninhaber – was unter den gegebenen Umständen zu erwarten war – die Gemeinde verlassen würde45. Angesichts dieser Aussichten geriet Rausch, der dazu neigte, allzu leicht den Sinn für die Realität zu verlieren, gegenüber Michalk und Blümel geradezu ins Schwärmen: „Meine Herren, ich bin jetzt entschlossen, diesen Weg zu gehen und bitte um Ihren Schutz. Ich werde diese Aufgabe mit allen meinen Kräften durchführen, worauf Sie sich verlassen können und wie Sie vielleicht selbst festgestellt haben. Ich entsinne mich dabei immer des Ausspruches meines hochverehrten Lehrers, Herrn Prof. Deto [sic] Müller, der einmal sagte: [. . .] aus [Rausch, G. W.] wird noch einmal etwas Großes!“46
Da Rausch keine präzisen Aussagen zu den Eigentumsverhältnissen in seiner Gemeinde machen konnte, schlug er vor, einen Mitarbeiter des Rates des Bezirkes zu beauftragen, der unter dem Vorwand der Bargeldprüfung die Akten der Kirchgemeinde vor Ort einsehen sollte – was auch tatsächlich so geschah47. Schwierigkeiten bereitete schließlich noch die Formulierung der „Unabhängigkeitserklärung“, die Rausch eigenhändig erstellte48. Ein Entwurf, der am 26. Juli „an die Leitung der christlich-demokratischen Union Berlin“ gesandt wurde, offenbarte eklatante juristische Mängel49. So berief er sich auf die Verfassung der Weimarer Republik und schreckte auch vor offensichtlich geschichtsverdrehenden Behauptungen nicht zurück: 43 So jedenfalls sah es der Maßnahmeplan vor: „Mit dem Sachbearbeiter [der BV Leipzig, G. W.], der den GI der CDU steuert, sind sämtliche Maßnahmen, die von Seiten der CDU durchgeführt werden sollen, abzusprechen, damit dieser dem GI entsprechende Aufträge erteilen kann“ (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 34). 44 Aktenvermerk Helds über eine Besprechung am 15. Juli 1955 mit Heyl und Eckart (STAL, SED-BL, IV/2/15/674). 45 Treff mit dem GI „Eduard“ am 22. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 47–49). 46 EBD., Bl. 48. 47 Treffbericht vom 23. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 50–52, hier Bl. 51). 48 EBD. 49 Anlage zu Schreiben des BV Leipzig an Götting am 26. Juli 1955 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–194).
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„Da die ev. luth. Kirchgemeinde zu Probstheida-Meusdorf dieses zu himmelschreiende Unrecht der usurpatorisch nach 1945 zur Regierung gelangten Landeskirchenleitung und die Intriguen [sic] der Erzgebirg.radikal-BK [sic] nicht länger zu gedulden [sic] beabsichtigt, bittet sie, die oben erwähnte Verselbständigung der evang.-luth. Kirchgemeinde zu Probstheida-Meusdorf anzuerkennen und durch die Regierung zu bestätigen“50.
Am folgenden Tag, dem 28. Juli 1955, ließ Rausch auf einer „Gemeindeversammlung“ einen neuen Kirchenvorstand wählen. Die vom stellvertretenden Superintendenten Reinhold Burkhardt ersonnene Gegenmaßnahme, den an der Mariengemeinde tätigen Pfarrer Rudolf Grabs zur Beobachtung der Ereignisse in Probstheida abzuordnen, war fehlgeschlagen, da dieser mit Rausch sympathisierte und schon vor Beginn des Gemeindeabends wieder nach Hause gegangen war51. Von den 176 wahlberechtigten Anwesenden stimmten 173 für Rauschs neuen Kirchenvorstand, drei enthielten sich der Stimme52. Sogleich beschloss der Vorstand einen Antrag an das Innenministerium, der die Loslösung von der Landeskirche beinhaltete53. Diesen übergab Rausch noch am selben Abend den Mitarbeitern des SfS „mit der Bitte um schnellste Erledigung bei der Regierung“54. Das Landeskirchenamt erkannte diese Handlungen selbstverständlich nicht an und beurlaubte Rausch mit sofortiger Wirkung55. Da Rausch sich der Unsicherheit der Lage voll bewusst war, drängte er auf eine schnelle Bestätigung durch die Regierung und fuhr am 1. August 1955 mit einem seiner treuesten Parteigänger, einem Baumeister, nach Berlin zum Innenministerium56. Sie wurden dabei nicht, wie sie selbst erwartet hatten, von Ministerpräsident Grotewohl, sondern von Fritz Jacob empfangen, der vom Rat des Bezirkes Leipzig in die Abteilung „Kultfragen“ des Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten als Oberreferent gewechselt war57. Dieser bestätigte Rausch in seinem Vorhaben, übersah jedoch keineswegs die damit verbundenen Probleme. In seinem „Triumphgefühl“ wurde Rausch am Abend des 1. August weiter bestärkt, als er sich mit Pfarrern traf, die vor allem die gemeinsame Opposition gegen Superintendent Stiehl verband58. Leitende Figur dieser Gruppe war der an der Marienkirche tätige Pfarrer Rudolf Grabs. Da Rausch das oppositionelle Potenzial in der Leipziger Pfarrerschaft in seinen 50 51 52 53 54 55 56 57 58
EBD. Treffbericht vom 29. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 65). Treffbericht vom 28. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 59 f.). Treffbericht vom 29. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 65). Treffbericht vom 28. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 59 f.). Treffbericht vom 29. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 61 f.). Treffbericht vom 2. August 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 71 f.). M. G. GOERNER, Kirche, S.186. Treffbericht am 29. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 61 f.).
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Gesprächen mit der Staatssicherheit tendenziell zu hoch ansetzte, aber auch in Verkennung der juristischen Probleme, die mit seinen Aktionen verbunden waren, sahen sich die Mitarbeiter der Bezirksverwaltung schon vor einem nahen Erfolg. Ihr Arbeitsplan für August sah vor, die Verselbständigung von Leipzig-Probstheida als „Schulbeispiel zu erarbeiten“59. Schon am 2. August 1955 erhielt Rausch von Ernst Kusch, dem Leiter der Abteilung Kultfragen, die gewünschte Erklärung: „Auf Ihren Antrag vom 28.7.1955 teilen wir Ihnen Folgendes mit: Nach Artikel 43 Abs. 3 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik bleiben Religionsgemeinschaften weiterhin Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie es bisher waren. [. . .] Aus dieser Darstellung geht einwandfrei hervor, dass auch eine Kirchgemeinde, wenn sie sich von einem kirchlichen Zusammenschluß (Kirchenkreis oder Landeskirche) lossagt, weiterhin Körperschaft öffentlichen Rechts bleibt. Es ist natürlich erforderlich, dass derartige Kirchgemeinden zum Ausdruck bringen, dass sie keiner Landeskirche angehören“60.
Zur Einschätzung der Lage war Fritz Jacob von Berlin nach Leipzig beordert worden. Er musste feststellen, dass die dortigen staatlichen Stellen von den Vorkommnissen weithin überrascht und schlecht informiert waren, galt doch Rausch immer noch als „reaktionär“ – selbst Sympathien für den alten Kirchenvorstand bestanden noch innerhalb der Verwaltung61. Am 4. August 1955 unterrichtete Rauschs Rechtsanwalt, Artur Müller, Superintendent Stiehl offiziell von der Verselbstständigung der Gemeinde. Etwas vorschnell kündigte er an, dass mit der Übertragung der kirchlichen Immobilien auf die unabhängige Gemeinde in den nächsten Tagen zu rechnen sein werde. Auch bat er Stiehl und diesem nahe stehende Pfarrer, von dem Besuch der für denselben Tag in Probstheida angesetzten Kirchgemeindeversammlung Abstand zu nehmen62. Von den Geschehnissen auf der Versammlung am Abend des 4. August 1955 gibt es verschiedene Darstellungen63. Superintendent Stiehl konnte sich gegen den Widerstand von Rausch und dessen Helfern Zugang zur 59 Arbeitsplan vom 2. August 1955 (BSTU, Lpz Leitung 184/2, Bl. 10). 60 Kusch an den Kirchenvorstand der evangelischen Immanuel-Kirchgemeinde am 2. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida III). Da dieser Bescheid im Folgenden keine Rolle mehr spielt, wird auf die juristische Fragwürdigkeit der Argumentation nicht weiter eingegangen. 61 Aktenvermerk Jacobs vom 5. August 1955 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 62 A. Müller an Stiehl am 4. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida III). 63 Berichte über den Verlauf dieser Veranstaltung gibt es in zwei unterschiedlichen Versionen: Der „kirchenamtliche“ Bericht basiert auf einem Protokoll, das Kirchenrat Hammer noch nach der Veranstaltung mit Sup. Stiehl, einem Synodalen und vier weiteren Pfarrern erstellte (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida III). Rauschs Darstellung in: Treffbericht vom 5. August 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 77–79).
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überfüllten Kirche verschaffen. Er stellte sich im Kircheninnenraum auf einen Stuhl und versuchte, die Gemeinde in seinem Sinne zu beeinflussen, wurde jedoch von Pfarrer Rausch heruntergezerrt. Dabei kamen Stiehl zwei Pfarrer zu Hilfe, von denen Rausch später behauptete, sie hätten ihn tätlich angegriffen und verletzt64. Welche Dimensionen die Angelegenheit zwischenzeitlich angenommen hatte, wurde an der Zusammensetzung einer Sitzung am späten Nachmittag des 5. August in der SED-Bezirksleitung deutlich: Hans Weise, mittlerweile Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, Ernst Kusch, Leiter der Abteilung Kultfragen im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, von der SED-Bezirksleitung Ziegler und Baum, der Leiter der Abteilung Pass- und Meldewesen der Bezirksbehörde der VP, Hachenberger, Buske vom Rat des Bezirkes und ein namentlich nicht genannter Vertreter des SfS nahmen daran teil65. Dabei wurde das weitere Verfahren abgesprochen und beschlossen, die beiden Pfarrer, denen man die Verletzung Rauschs zur Last legte, zu inhaftieren und die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einleiten zu lassen. Tatsächlich wurden die beiden Pfarrer am 6. August verhaftet66. Darüber hinaus wurden, wie Kusch festhielt, „umfassend Hinweise und Anregungen gegeben, inwieweit die staatlichen Organe tätig werden sollen, insbesondere inwieweit Unterstützung zu gewähren ist“67. Am selben Tag fand auch eine Versammlung der Bezirkssynode statt. Auf dieser berichtete ein Mitglied des ehemaligen Kirchenvorstands der Immanuelgemeinde, dass er fünf Stunden von der Polizei verhört worden sei, jedoch über den Inhalt des Gespräches Stillschweigen bewahren müsse68. Das SfS erhielt davon durch die Kontaktperson (KP) „Hofmann“ Kenntnis69. Dieser streng religiös eingestellte Mann arbeitete bis 1961 als Kirchensteuer-Einholer und stand in Opposition zu Stiehl. Er informierte das SfS über die kirchlichen Gremien und Interna der kirchlichen Verwaltung, aber auch über Bibelkreise und die Aktivitäten des Männerwerks70. 64 R. SCHOLZ, S. 109–112, geht davon aus, dass Rausch nicht von den zwei später verurteilten, sondern von einem dritten Amtsbruder geschlagen worden sei. 65 Kusch, Bericht über die Dienstreise am 5. August 1955 nach Leipzig (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 66 Landeskirchenamt an die Konventsvorsitzenden am 25. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida V). 67 EBD. 68 KP „Volkmann“, Bericht über die Bezirkssynodenversammlung am 5. August 1955 im Gemeindesaal Thomas-Matthäi, 6. August 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 33 f.). 69 „Kontaktpersonen“ bildeten laut Richtlinien 1/58 keine offizielle Kategorie des MfS. Sie wurden zur Lösung zeitlich begrenzter Aufgaben angesprochen, aber nicht geworben. Oft handelte es sich auch um eine Vorstufe zum IM (vgl. H. MÜLLER-ENBERGS, S. 84–89). 70 Es handelt sich um Herbert Hofmann (vgl. BSTU, Lpz AIM 2020/65, vor allem PA, Bl. 27, 30–32). Die Zusammenarbeit mit dem MfS als KP dauerte von 1955 bis 1958. 1959
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Wertvoll wurde er für das SfS vor allem durch seine Mitgliedschaft bei der Bezirkssynode. Nachdem er anfangs im Glauben gelassen wurde, mit der Volkspolizei zusammenzuarbeiten, wurde er 1957 durch Blümel als IM „Volkmann“ angeworben. Durch ihn erfuhr das SfS die innerkirchlichen Rückwirkungen im Fall Probstheida. Die zentrale Wendung nahm die Angelegenheit Immanuel-Probstheida, als der ehemalige Pfarrer der berlin-brandenburgischen Kirche, Paul Beckmann, eingeschaltet wurde. Sein fanatischer Hass gegen die bekenntniskirchlich dominierten Kirchenleitungen führte ihn schon im März 1951 zu einer sehr intensiven Zusammenarbeit mit dem MfS als IM „Roland“71. Er gilt als derjenige IM, der den auf der „Kirchenlinie“ tätigen Mitarbeitern in der Hauptverwaltung des MfS die Grundlagen beibrachte, „um in das komplizierte, für Kommunisten schwer durchschaubare Phänomen – Kirche und Religion – einzudringen und exakte Feindbilder erarbeiten zu können“72. Gleichzeitig arbeitete er auch der staatlichen Seite zu. Beckmann wurde wohl erst nach den Vorkommnissen vom 5. August 1955 mit der Angelegenheit in Probstheida befasst. Aufgrund seiner fundierten kirchenrechtlichen und theologischen Kenntnisse, mit denen er – nicht uneitel – gern kokettierte, fand er die Schwachstellen der von den Leipziger SfSMitarbeitern und Rausch betriebenen Aktion schnell heraus. Er sah die Risiken vor allem in Rauschs Wesen, aber auch in dem Fehlen essenzieller kirchenrechtlicher und theologischer Kenntnisse: „Es ist ein großer Fehler von Rausch, dass er in vielen, entscheidungsvollen [sic] Dingen impulsiv handelt, ohne den Dingen auf den Grund zu sehen oder zu Ende zu denken“73. Mehrmals in seiner Analyse der Situation in Probstheida bezeichnete er Pfarrer Rausch als „Phantast“. Besonders an dem Antrag, in dem Rausch die Verselbstständigung der Kirchgemeinde mit Berufung auf die Artikel der Weimarer Verfassung begründet hatte, ließ Beckmann kein gutes Haar: „Nicht minder unüberwurde er als IM mit Decknamen „Volkmann“ geworben. Da er nicht immer zuverlässig arbeitete und seine Berichte zum Teil zu oberflächlich waren, war das MfS mit ihm unzufrieden und stellte die Zusammenarbeit Anfang der 1960er Jahre nach einem Berufswechsel des IM ein. 71 BSTU, MfS, AIM 4841/59. Der Berichtsteil der Akte umfasst 13 Bände und reicht bis Ende der 1960er Jahre. 72 Aufzeichnungen Franz Sgrajas für das Traditionskabinett der HA XX (zitiert nach: C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, S. 84). Beckmann war auch der Leiter des Referates „Familienforschung“ im Zentralen Staatsarchiv der DDR, das de facto eine Außenstelle des MfS darstellte. Dort untersuchte er überlieferte NS-Bestände, vor allem die des Reichskirchenministeriums, nach Belastungsmaterial (EBD., S. 90. Vgl. auch H. KREUTZER, S. 5, und G. BESIER/S. WOLF, S. 655). 73 „Zur kirchenpolitischen Lage“, erstellt von Beckmann am 25. August 1955. Die Ergebnisse dieser Analyse lagen aber – wie das Vorgehen des SfS deutlich macht – schon Anfang August vor (BARCH BERLIN, DO-4, 2990).
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legt, um nicht zu sagen herausfordernd dumm die Mitteilung, dass man beabsichtige, sich einer anderen größeren Kirchengemeinschaft unter Führung von – man höre und staune, was der Lutheraner da überhaupt erwägt! – ausgerechnet Bischof Dibelius (uniert!!) zu unterstellen oder anzuschließen!“74 Ähnlich harsch kritisierte Beckmann die Erwartung Rauschs, das staatliche Ja zu seiner Aktion würde implizit auch die Übertragung des kirchlichen Eigentums auf seine Gemeinde bedeuten. Am Ende der Analyse formulierte er die neue Strategie, die es einzuschlagen galt: „Die Kirchengemeinde ist nicht ausgetreten. Sie ist darum nach wie vor im Besitz ihrer Körperschaftsrechte und macht gestützt auf diese Gebrauch von den ihr allein und ausschließlich zustehenden Vermögenswerten. [. . .] Sie erklärt gestützt auf diese kirchenrechtliche Position den kirchlichen Notstand und führt ihren Kampf gegen die Hierarchie und ihre Übergriffe auf rein kirchlichem Boden“75.
Das Argument des kirchlichen Notstands wurde vom ZK übernommen76. Diese Änderung der Strategie erläuterte Beckmann Rausch und dessen Rechtsanwalt persönlich, die daraufhin dem Landeskirchenamt gegenüber ihre dorthin gesandten Schreiben als „Übermittlungsfehler“ zu deklarieren hatten77. Dass die Angelegenheit „Probstheida“ auch innerhalb der Kirchenlinie des SfS eine herausgehobene Stellung einnahm, wird aus der Tatsache deutlich, dass der Leiter des Referats „Evangelische Kirche“ der Abteilung V/4 in der Berliner Zentrale, Franz Sgraja, persönlich in der Angelegenheit intervenierte und mit Beckmann zusammen „Verhandlungen“ mit Rausch führte78. Mit dieser Änderung der Strategie setzte offenkundig auch eine Änderung in der Behandlung des Falles durch das SfS ein: Konnten bis Anfang August 1955 Blümel und Michalk die Angelegenheit koordinieren und eigene Zielvorgaben ausarbeiten, die von Berlin wohl nur routinemäßig „abgesegnet“ wurden, so wurden diese nun zu Befehlsempfängern der Berliner Zentrale, die vor allem auf Beckmanns Kenntnisse angewiesen war. Wesentliche Schriftstücke von Rausch an das Landeskirchenamt stammten ganz oder zu wesentlichen Teilen aus Beckmanns Feder, der 74 EBD. 75 EBD. In einer beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten befindlichen Ausarbeitung Beckmanns vom 3. Oktober 1955 zur Situation in Probstheida kommentierte der IM diese Wendung so: „Im entscheidenden Augenblick kam jedoch die Erleuchtung und die Erkenntnis, dass das, was man wollte, nicht durch den formellen Austritt aus der Landeskirche, sondern durch die Verkündigung des kirchlichen Notstandes innerhalb der ev.-luth. Landeskirche zu erreichen war“ (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 76 [Adolphs] an Paul Fröhlich, 12. August 1955 (STAL, SED-BL, IV/2/14/617, Bl. 32). 77 Treffbericht vom 9. August 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 81). 78 Nach den Unterlagen des SfS nahm Sgraja am 9., 11. und 19. August und am 26. September 1955 persönlich an Besprechungen mit IMs oder staatlichen Vertretern teil.
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gerade in der intensiven Pressearbeit ein zentrales Kernstück der Arbeit gegen die „Hierarchie“ sah. Die Leipziger SED-Bezirksleitung wurde zwar über die neuen Schritte informiert, spielte aber offenbar bei dem Vorgehen keine aktive Rolle79. Mittlerweile hatte auch das Landeskirchenamt auf die Geschehnisse in Probstheida reagiert. Die juristische Prüfung der eingegangenen Schreiben gestaltete sich schwierig. Am 6. August 1955 teilte das Landeskirchenamt Rausch mit, „dass er sich von der Landeskirche geschieden hat“, und folglich seines Amtes und seiner Rechte als Geistlicher der Landeskirche sowie der Ansprüche auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung verlustig gegangen war80.
6.2 Die Ausweitung des Konfliktes auf die Lukaskirchgemeinde in Leipzig-Volkmarsdorf Von Anfang an sah das SfS Probstheida als Kern und Testfall für das Herauslösen von Kirchgemeinden aus der Landeskirche. Aus ihrer Sicht war die Tatsache positiv, dass es im Leipziger Osten mit Volkmarsdorf eine zweite Gemeinde gab, in der der Inhaber der ersten Pfarrstelle sehr ernste Probleme mit der Landeskirche hatte. Pfarrer Erich Kliegel, 1912 in Leipzig geboren, war in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte nach dem Studium der Philosophie und Theologie 1940 eine Stelle an der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Leipzig-Connewitz angetreten81. In einem Bericht aus dem Sommer 1945 an das Landeskirchenamt über seine Erfahrungen mit dem NS-Regime schilderte er vor allem seine Auseinandersetzungen mit Partei und HJ im Bereich der Jugendarbeit82. Diese seien erst durch seine Einberufung zur Wehrmacht beigelegt worden. Aber auch dort sei er auf Antrag einer NSDAP-Ortsgruppe strafversetzt worden, weil er als Verwalter einer Pfarrstelle im Nebenamt Jugendarbeit nicht im nationalsozialistischen Sinne geleistet habe83. 79 Paul Fröhlich wurde vom Rat des Bezirkes – wahrscheinlich von Adolphs selbst – per Notizzettel am 12. August informiert: „Lieber Paul [Fröhlich]! [. . .] Zu Deiner Information noch, dass in Probstheida auf Anweisung des ZK eine andere Linie eingeschlagen wird und zwar, nicht Austritt, sondern in der Landesorganisation bleiben und den Notstand erklären. Diesbezüglich ist alles eingeleitet“ (STAL, SED-BL, IV/2/14/617, Bl. 32). 80 Landeskirchenamt an Rausch am 6. August 1955. Abschriftlich in: Landeskirchenamt an die Konventsvorsitzenden am 25. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida V). Bei R. SCHOLZ, S. 113 f., wird ein Schreiben des Landeskirchenamtes mit gleichem Inhalt vom 5. August abgedruckt. 81 Zu den Angaben vgl. Fragebogen Kliegel (in: BSTU, Lpz AP 439/63 II, Bl. 4 f.). 82 Bericht in: LKA DRESDEN, Bestand 2, 228. 83 EBD.
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Im Gegensatz dazu beschuldigten ihn seine innerkirchlichen Gegner, als Kindergottesdiensthelfer in SA-Uniform aufgetreten zu sein und sich vor allem um deutsch-christliche Kreise gekümmert zu haben84. So lässt sich ein deutliches Bild seiner „NS-Vergangenheit“ nicht zeichnen. Außergewöhnliche Erfolge konnte er auf jeden Fall auf dem Gebiet der Jugendarbeit vorweisen. Ermittlungen, die 1949 vom Ermittlungs- und Vollzugsamt der Stadt im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung der evangelischen Pfarrer in der Stadt angestellt worden waren, zeichneten das Bild eines hilfsbereiten, gut angesehenen Pfarrers, der privat wie politisch eher zurückgezogen lebte85. Im Frühjahr 1953, auf dem Höhepunkt der Verfolgung der „Jungen Gemeinde“, geriet er wegen seiner erfolgreichen Jugendarbeit ins Visier der Leipziger Bezirksverwaltung der Staatssicherheit, die am 5. März 1953 seine Verhaftung bei der Hauptverwaltung beantragte86. Probleme erwuchsen ihm danach vor allem in der Gemeinde, da seine Arbeit im Jugendbereich nicht unangefochten blieb. Argwohn löste auch die Tatsache aus, dass er 1954 – also immerhin schon im Alter von 42 Jahren – eine 19-jährige Frau heiratete. Die hier nicht weiter zu verfolgenden Entwicklungen führten im Herbst 1954 zu seiner Dispensierung wegen eines kirchlichen Disziplinarverfahrens und sogar zu polizeilichen Ermittlungen, wobei die gegen ihn erhobenen Vorwürfe allerdings nicht eindeutig bestätigt werden konnten87. Das eingeleitete Disziplinarverfahren endete Mitte März mit dem Wechsel in eine andere Stelle – eine Entscheidung, die Ende Juni 1955 bestätigt wurde88. Sein Anhang in der Gemeinde war allerdings nicht so groß wie der Rauschs in Probstheida. Der Volkmarsdorfer Kirchenvorstand war in seiner Haltung zum Pfarrstellenleiter gespalten89. Durch Rausch wurden die SfS-Mitarbeiter Michalk und Blümel Anfang Juli auf die Situation Kliegels aufmerksam. Sie sahen in der Spaltung der Gemeinde Analogien zu Rauschs Situation und hofften, Kliegel als IM gewinnen zu können90. Beim ersten Besuch, der in Kliegels Wohnung 84 Mitglieder der Lukasgemeinde an Rißmann am 26. Juni 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 84–86). 85 Ermittlungs- und Vollzugsamt am 5. November 1949 (abschriftlich) (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 8 f.). 86 BV Leipzig Abt. V an MfS Berlin (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 66). Vgl. oben S. 371. 87 R. SCHOLZ, S. 194, nennt die gegen Kriegel vorgebrachten Vorwürfe fingiert. Allerdings hat Scholz die MfS-Akte Kliegels nicht eingesehen und geht daher auch nicht weiter auf die Geschehnisse in Volkmarsdorf ein. 88 Gerber am 14. Januar 1956 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida VI). 89 Im Juni 1955 wandten sich Mitglieder der BK aus seiner Gemeinde an den Vorsitzenden des Landesbruderrats mit der Bitte, sich beim Landeskirchenamt gegen Kliegel zu verwenden. Mitglieder der Lukasgemeinde an Rißmann am 26. Juni 1955 (BSTU, Lpz AP 463/63 I, Bl. 84–86). 90 Bei den ersten Treffen mit Kliegel wurde dieser als „Kandidat“ bezeichnet, was auf eine geplante Anwerbung hinweist.
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stattfand, täuschten die SfS-Mitarbeiter diesen über ihre wahre Identität und gaben sich als Polizisten aus91. Es gab jedoch insofern eine Panne, als Rausch zufällig beim Volkmarsdorfer Pfarrer zu Besuch war. Rausch musste damit klar sein, dass das SfS auch eine Anwerbung seines Kollegen plante. Die Befürchtung der gegenseitigen Dekonspiration stellte im weiteren Verlauf der Ereignisse ein zentrales Problem für die Staatssicherheit dar, zumal Rausch in dieser Beziehung einen unzuverlässigen Eindruck machte. Innerhalb einer Woche wurden von Seiten des SfS drei Gespräche mit Kliegel geführt, in die auch die Berliner Hauptabteilung V involviert war92. Zwar bot Kliegel nicht so bereitwillig seine Mitarbeit an wie sein Probstheidaer Kollege, doch konnten sich die Mitarbeiter des SfS schon bald ein gutes Bild von seiner Lage machen. Kliegel stand demnach dem Leipziger Superintendenten und der „Diktatur der Kirchenleitung“93 unversöhnlich gegenüber. Wie Rausch wies er auf weitere Kollegen hin, die Probleme mit der Kirchenleitung hatten. Die SfS-Mitarbeiter bemerkten, dass Kliegel nicht bereit war, sich auf einen kompromisslosen Kurs gegen die Landeskirche festzulegen. Vielmehr zeigte er in den Gesprächen immer wieder die Bereitschaft, mit der Landeskirche zu einer gütlichen Einigung zu kommen. In jenen Tagen schwankte er zwischen der Annahme der zweiten Pfarrstelle in Probstheida – eine Alternative, die besonders von Rausch präferiert wurde – und einer Stelle in der benachbarten provinzsächsischen Landeskirche. Beide Alternativen boten keine guten Aussichten für das SfS, das ihn in jedem Fall Kliegel in Volkmarsdorf als Unruheherd halten wollte. Nachdem sich die Verantwortlichen in der Hauptabteilung V von den Gegebenheiten in Volkmarsdorf ein Bild gemacht hatten, wurde mit Beckmanns Unterstützung eine Strategie abgesprochen94. Um ihre Absichten vor Rausch zu verbergen, sollte die „Anleitung“ Kliegels über den Bearbeiter für Kultfragen beim Rat des Bezirkes, Heinz Haufe, erfolgen95. Nachdem sich Kliegels Versetzung in die provinzsächsische Landeskirche zerschlagen hatte, konnte er am 13. September davon abgebracht werden, in Probstheida zu predigen. Diesen Rat hatte Beckmann Berliner Stellen nach seinem Besuch in Leipzig erteilt96. Kliegel erklärte sich stattdessen bereit, „auch Rauschs Weg zu gehen“, bat aber um Unterstützung durch 91 Blümel, „Erste Aussprache mit dem ev. Pfarrer Kliegel am 15. August 1955“ (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 31 f.). 92 An der zweiten Aussprache nahm außer Blümel auch Sgraja teil (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 33–36). 93 Zweite Aussprache mit Kliegel. EBD., Bl. 34. 94 Treff mit IM „Roland“ am 15. August 1955 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 45). 95 Vgl. hierzu BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 31–40. 96 Treffbericht mit IM „Roland“ am 17. September 1955 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 54–56, hier Bl. 55).
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den Kirchenjuristen, „der auch Pfarrer Rausch zur Verfügung steht“97. Rausch hatte also entgegen den Vorgaben Kliegel von Beckmann erzählt. Zu einem kurzzeitigen Zerwürfnis zwischen Rausch und Kliegel kam es am 16. September 1955. Kliegel war beim Rat des Bezirkes gewesen und hatte dort aufgrund eines zufällig mitgehörten Telefongespräches den Eindruck gewonnen, Rausch arbeite mit der Staatssicherheit zusammen, ein Verdacht, den Rausch allerdings ausräumen konnte98. Auch die Staatssicherheit musste feststellen, dass bei den staatlichen Stellen die Konspiration nicht in dem von ihr gewollten Maße eingehalten wurde, worauf der Vorgesetzte Haufes aus den Gesprächen herausgehalten wurde99. Haufe wurde vom SfS instruiert, den Kontakt mit Kliegel aufzunehmen. Er sollte Kliegel vor einem weiteren Besuch des Oberlandeskirchenrates Gerber am 21. September in seiner Haltung bestätigen. Dieser machte Kliegel ein sehr weitgehendes Angebot, indem er ihm die Rehabilitierung in seiner Gemeinde versprach, wenn Kliegel später die Pfarrstelle wechseln würde. Als der Volkmarsdorfer Pfarrer am selben Tag bei Haufe die Ergebnisse des Gespräches referierte, sah der Sachbearbeiter keine Veranlassung, Kliegel von dem Vorschlag abzubringen, vielmehr legte er ihm diese Entscheidung sogar nahe, wie der Bericht der Bezirksverwaltung feststellte: „Gen. Haufe ist der Meinung, dass Kliegel eine ehrliche Haut ist, der bewiesen hat, dass er geradesteht und dass man von ihm nichts verlangen soll, was er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Er hat dazu auch nicht die Kraft“100. Um die Annahme des landeskirchlichen Angebots zu verhindern, wurde Rausch instruiert, Kliegel bei einem baldigen Gespräch auf ein kompromissloses Verhalten gegenüber dem Landeskirchenamt festzulegen101. Haufe dagegen erhielt am 26. September 1955 Besuch vom SfS. Sgraja persönlich erläuterte dem Mitarbeiter des Rates des Bezirkes die einzuschlagende Vorgehensweise, Kliegel dahin zu „beeinflussen, dass er das Angebot des Gerber nicht annimmt. Dies aber als persönliche Meinung vorbringen, als Köder!“102 Wie das Protokoll festhielt, war Haufe gezwungen, sein falsches 97 Beide Zitate aus der vierten Aussprache am 13. September 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 112–115, hier Bl. 113). 98 Treff mit GI „Eduard“ am 19. September 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 110–115, hier Bl. 111). 99 Buske, der auch in Gespräche mit Kliegel involviert war, wurde aus diesem Grund aus den Verhandlungen zurückgezogen. Treff mit GI „Eduard“ am 30. September 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 126 f., hier Bl. 127). 100 Aussprache mit dem Gen. Haufe am 22. September 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 41). 101 Treff mit dem GI „Eduard“ am 23. September 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 122). 102 Besprechung beim Gen. Haufe am 26. September 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 45).
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Verhalten gegenüber Kliegel einzugestehen: „Der Gen. Haufe brachte abschließend zum Ausdruck, dass er jetzt völlig informiert ist wie er sich dem Kliegel gegenüber verhalten soll und auch bei den neu auftauchenden Gesichtspunkten nicht selbständig handelt, sondern sich in jedem Fall mit den Vertretern des SfS in Verbindung setzt“103. Haufe fühlte sich in der ihm aufgetragenen Rolle unwohl. Beim Oberreferenten der Abteilung Kultfragen im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, Hans Handschack, beklagte er sich über die Menge der ihm aufgeladenen Aufgaben und drohte mit Kündigung104. Am 21. September 1955 wurde das SfS auch von anderer Seite auf die Probleme in der Lukasgemeinde aufmerksam. Zwei Gemeindeglieder wandten sich an das „Sekretariat für Staatssicherheit“ und denunzierten Kliegel, dem sie politisches Fehlverhalten vorwarfen. Die Mitarbeiter des SfS wurden aufgefordert, „im Interesse der Sauberkeit und Wahrhaftigkeit im öffentlichen Leben [. . .] diesen Dingen“ nachzugehen105. Es gelang Rausch, Kliegel bei einem Gespräch am 28. September 1955 von der Richtigkeit der vorgesehenen Marschrichtung zu überzeugen. Beckmann legte bei einem Treffen mit dem Baumeister, der Rausch zur Seite stand und koordinierende Funktionen wahrnahm, die Taktik fest: „Kliegel wird Unabhängigkeit Volkmarsdorf [sic] beginnen, sobald er von Dresden ablehnenden Bescheid erhält“106. Kliegel selbst war mit dem einzuschlagenden Weg einverstanden, suchte aber bei Haufe Rückversicherung, vor allem wegen der Finanzen. Haufes Antwort konnte ihn nicht zufrieden stellen, da dieser auf die Neutralität des Staates hinwies und sich auch in Finanzen erst einmal bedeckt hielt107. Ein zu offenes Eintreten staatlicher Stellen hätte die Intention von SED und MfS, die Fälle „Rausch“ und „Kliegel“ als innerkirchliche Opposition darzustellen, konterkariert. Der erste – wenn auch so nicht vorgesehene – persönliche Kontakt zwischen Kliegel und Beckmann kam anlässlich eines Besuchs des Berliner IMs in Leipzig am 30. September 1955 zustande, bei dem er Kliegel dezidiert von einem Wechsel nach Probstheida abriet – eine Idee, die Rausch favorisierte, um „von dort aus [. . .] Volkmarsdorf“ aufzurollen108. 103 EBD. 104 Handschack am 13. Oktober 1955 (BARCH BERLIN, DO-4, 361, Bl. 61). 105 STAL, SED-BL IV/2/14/629, Bl. 113. Die beiden Personen nahmen später ihre Beschuldigungen gegen Kliegel wieder zurück, ohne dass jedoch zugrunde liegende Motivationen aufgedeckt werden konnten. Vgl. Bericht über die Lage in den Kirchgemeinden Probstheida-Meusdorf und Volkmarsdorf im Bezirk Leipzig (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/ 14/51, Bl. 272–293, hier Bl. 291). 106 Blümel, Treff am 30. September 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 126 f.). 107 Aussprache [Haufes] mit Kliegel am 29. September 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 46 f.). 108 Treff mit GI „Eduard“ am 1. Oktober 1955 (BSTU, Lpz 2020/76 II/1, Bl. 128–132,
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Nachdem Kliegel Gerber unter Druck gesetzt hatte, sein Verbleiben in Volksmarsdorf zu versprechen, ging er am 6. Oktober 1955 in die Offensive und ließ durch ihm nahe stehende Glieder der „Jungen Gemeinde“ Flugblätter verteilen, die sein Verbleiben in der Gemeinde und die Einsetzung eines neuen Kirchenvorstandes forderten. Über 2 300 Glieder der Gemeinde erklärten sich bereit, dieses Vorgehen schriftlich zu unterstützen. Der neue Kirchenvorstand „konstituierte“ sich am darauf folgenden Tag und setzte per Beschluss Kliegel wieder in die Rechte des Pfarrstelleninhabers ein und rief in einem Beschluss, an dessen Formulierung Beckmann beteiligt war, genauso wie in Probstheida den kirchlichen Notstand aus109. Dieser Beschluss wurde in 1 500 Exemplaren versandt. Nicht ungeschickt wurde das Vorgehen als Notwehr gegen die „Diktatur der Kirchenleitung“110 gerechtfertigt, die den rechtmäßigen Pfarrer versetzen wolle. Die Übernahme der Kirche und der dazugehörigen Kanzlei durch den neuen Kirchenvorstand konnte am selben Abend durch Superintendent Stiehl und dessen Anhänger verhindert werden. Da die landeskirchlichen Stellen inzwischen leidvoll erfahren hatten, welche große Bedeutung die Sicherung der kirchlichen Gebäude hatte, organisierten sie dort eine permanente Wache111. Die Bezirkssynode, die am Tag darauf zusammenkam, beschloss die Einsetzung eines kirchlichen Juristen für Volkmarsdorf und Probstheida112. Die Landeskirche bewies demonstrativ ihre Solidarität mit Superintendent Stiehl, als Landesbischof Noth am 9. Oktober persönlich in der Lukasgemeinde predigte und das Verhalten der Landeskirche erläuterte113. Der Überwachungsbericht des SfS kam hinsichtlich der Erfolgsaussichten in Volkmarsdorf zu einem sehr verhaltenen Urteil: „Meine persönliche Meinung ist, dass die Worte des Bischofs einigen Eindruck hinterlassen haben [. . .]. Allgemein wird der Pfarrer Kliegel hier einen schwereren Stand haben als der Pfarrer Rausch, der sich fest auf einen guten, auch durch die Landeskirche bestätigten Leumund stützen kann“114.
hier Bl. 132). Der Bericht von GI „Roland“ über seinen Besuch in Leipzig in: BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 69–74. 109 Punkt 2 des Beschlusses: „Die Kirchgemeinde ruft den Notstand aus und verwaltet sich selbständig. Bleiben jedoch nach wie vor Mitglied der evangelischen Kirche“. Zitiert nach Bericht vom 14. November 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 102–107, hier Bl. 104). Zur Mitwirkung von IM „Roland“ vgl. Treffbericht vom 5. Oktober 1955 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 68). 110 Beschluss des Kirchenvorstands der Lukasgemeinde, 7. Oktober 1955 (STAL, SED-BL, IV/2/14/620). 111 Harzer an Stiehl, 14. Januar 1956 (ADSL, 4.1.1). 112 Bericht – Kirchengemeinde Volkmarsdorf-Leipzig (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 75–80, hier Bl. 77). 113 Kirchenüberwachung am 9. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 66). 114 EBD.
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Die weitere Marschroute legte die Berliner Zentrale des SfS am 11. Oktober 1955 fest115. Die zu treffenden Maßnahmen bezogen sich zum einen auf die Situation in Volkmarsdorf selbst, zum anderen auf die „kirchliche Öffentlichkeit“. An erster Stelle stand jetzt die Steuerung Kliegels durch Rausch. Im Kampf um die Unterstützung durch die Gemeinde sollten Kliegels Anhänger die „individuelle Aufklärung der christlichen Menschen von Volkmarsdorf“ in die Hand nehmen. Diese Aktivitäten sollten in einer groß angelegten Kirchgemeindeversammlung zur Bestätigung des neuen Kirchenvorstands münden. Nicht fehlen durften in den Anweisungen des SfS die „Aufklärung“ der dort aufgestellten Wachen und Versuche, in den Besitz des Kirchenschlüssels zu gelangen. Nach außen sollte das Vorhaben durch die Intervention der CDU und eine breit gestreute Propaganda abgesichert werden116. Für die Staatssicherheit erwies sich die Raumfrage als zentrales Handicap im Fall „Kliegel“. Solange diese nicht gelöst und damit die „Machtfrage“ in Volkmarsdorf offen war, war Kliegels Position prekär. In dieser Situation brachten weder er noch der Kirchenvorstand die gleiche kompromisslose Entschlossenheit mit wie in Probstheida. Diese Tatsache war auch dem Landeskirchenamt nicht entgangen, das in der Folgezeit wiederholt versuchte, den Kirchenvorstand zu entzweien und Kliegel durch Entgegenkommen doch noch auf seine Seite zu ziehen. Die Landeskirche musste daran interessiert sein, Rausch in Probstheida möglichst schnell zu isolieren und eine Ausweitung derartiger Unruheherde zu vermeiden. In den folgenden Wochen ergab sich somit ein Tauziehen um Kliegel, dem nach jeder Verhandlung mit kirchlichen Stellen Rausch und Haufe neu zu stellende Bedingungen diktierten, um einen Verhandlungserfolg zu torpedieren117. Auch versuchten sie, Probstheida und Volkmarsdorf zu „vernetzen“, indem sie gemeinsame Sitzungen der beiden Kirchenvorstände vorschlugen, um Volkmarsdorfer Absetzungsbewegungen zu verhindern118. Andererseits forderte Kliegel selbst wiederholt staatliche Interventionen oder Hilfeleistungen, gerade in der Raumfrage, wurde dabei aber zumeist vertröstet. Als eine der ersten Maßnahmen hatte das Landeskirchenamt in Probstheida und Volkmarsdorf versucht, über die Einziehung der in den beiden Kirchgemeinden anfallenden Kirchensteuern die beiden renitenten Pfarrer finanziell auszutrocknen119. Die Konzeptionen 115 Sgraja, Bericht – Kirchengemeinde Volkmarsdorf-Leipzig, 11. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 75–80). 116 EBD., Bl. 79. 117 Bericht Kliegels vom 17. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 52). 118 Ein solches Treffen fand z. B. am 23. Oktober 1955 statt (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 173–176, hier Bl. 173). 119 Treff mit IM „Eduard“, 15. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 145–151, hier Bl. 151).
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Beckmanns gingen jedoch davon aus, dass beide Gemeinden sich finanziell selbst tragen sollten. Während Rausch prompt vom SfS Unterstützung erhielt, wovon Beckmann allerdings keine Kenntnis hatte, zog sich die Lösung dieser Frage bei Kliegel in die Länge, möglicherweise, weil sich Staatssicherheit und staatliche Stellen uneins waren120. Bei den Verhandlungen ging die Landeskirche differenziert vor. So lud Stiehl am 14. Oktober 1955 einige Mitglieder des Volksmarsdorfer Kirchenvorstands vor121. Während der Superintendent am darauf folgenden Vormittag Kliegel freundlich empfing und ihm Hilfe bei der Suche nach einer neuen Pfarrstelle versprach, bearbeiteten ihn am selben Nachmittag Mitarbeiter des Landeskirchenamtes und setzten ihn unter Druck, boten ihm aber gleichzeitig Geld und eine Pfarrstelle außerhalb Leipzigs an122. Die Landeskirche kam Kliegel sehr weit entgegen. Wenn man Rauschs Bericht Glauben schenkt, war sie sogar bereit, Kliegel in Volkmarsdorf rechtmäßig wieder einzusetzen. Allerdings sollte Kliegel danach nach Wurzen wechseln. Zwischen Rausch und Kliegel kam es wegen dieses Angebots zu einem Streit123. Nachdem die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit dies erfahren hatte, alarmierte sie Beckmann, der Kliegel einen zeitlichen Aufschub abringen konnte124. Offenkundig gelang es Rausch und Beckmann, in einem weiteren Gespräch den zaudernden Pfarrer von der Annahme des Angebotes abzubringen125. Am 11. November veranstalteten Kliegel und „sein“ Kirchenvorstand eine groß angelegte Veranstaltung, auf der sie das Nutzungsrecht an der Kirche forderten126. Auf einer im Anschluss an diese Versammlung an alle Pfarrer Leipzigs versandten Erklärung, die ihrem ganzen Duktus nach ein Werk Beckmanns war, wurde die Landeskirche scharf angegriffen und „bekenntnis- und verfassungswidrige[r] Eingriffe“ beschuldigt, während Kliegel nur an der „Wiederherstellung unserer Gemeinderechte“ gelegen sei127. Es verwundert unter diesen Umständen nicht, dass Kliegel kurz danach eine Vorladung Noths zum „Zuchtgespräch“ brüsk ablehn120 Haufe hatte schon am 12. Oktober 1955 darauf hingewiesen, dass er einen diesbezüglichen Antrag an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten gerichtet hatte (BARCH BERLIN, DO-4, 361, Bl. 61); Beckmann mahnte gegenüber seinem Führungsoffizier am 21. Oktober eine baldige Erledigung an (BSTU, MfS AIM 4841/59, A 6, Bl. 91). 121 Treff mit IM „Eduard“ am 15. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 152–154, hier Bl. 152). 122 Kliegel am 17. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 52). Vgl. auch den Bericht Michalks vom 14. November 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 105). 123 Treff mit IM „Eduard“ am 27. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 180). 124 Treff mit IM „Eduard“ am 28. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AP 439/63 I, Bl. 120). 125 Vgl. Arbeitsplan für den Monat November (BSTU, Lpz Leitung 184/3, Bl. 52). 126 Zu dieser Veranstaltung vgl. den Bericht Michalks vom 14. November 1955 (BSTU; Lpz AP 439/63 I, Bl. 102–107, hier Bl. 106). 127 Erklärung in: STAL, SED-BL IV/2/14/51, Bl. 361–363.
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te128. Am 5. Januar 1956 wurde Kliegel fristlos entlassen129. Darauf verstärkte sich im „neuen“ Kirchenvorstand die „wankelmütige Stimmung“, da wegen der ständigen Bewachung der Kirche mit ihrer baldigen Übernahme durch Kliegel und den ihn unterstützenden Kirchenvorstand nicht zu rechnen war. Außerdem war Kliegel verstimmt über die staatlichen Stellen, von denen er sich deutlich mehr Unterstützung, gerade in der Gebäudefrage, erhofft hatte130.
6.3 Rauschs Bemühungen zur Ausweitung des Konflikts und die kirchlichen Abwehrstrategien Die Entscheidung des Probstheidaer „Kirchenvorstandes“, den kirchlichen Notstand auszurufen, brachte die landeskirchlichen Gremien in Bewegung. Noth besprach sich mit den Leipziger Stellen, um auch in den Leipziger Kirchgemeinden eine einheitliche Vorgehensweise sicherzustellen. Am 24. August 1955 erhielt Rausch vom Landeskirchenamt die Antwort auf seine Notstandserklärung. Diese bezog sich auf die ersten Darlegungen von Rausch und dessen Rechtsanwalt und kam zu dem Ergebnis, dass Rausch sich aus eigenem Entschluss „von der Landeskirche geschieden habe“131. Juristisch bot diese von der Landeskirche durchgängig benutzte Argumentation den Vorteil, dass die der ersten Erklärung folgenden Handlungen Rauschs von einer Person ausgingen, die nicht mehr Glied der Landeskirche war, und für diese daher keine rechtliche Relevanz mehr hatten. Folgerichtig ging dieses landeskirchliche Schreiben auch nicht weiter auf den proklamierten Notstand ein. Noth persönlich intervenierte bei staatlichen Stellen in Leipzig und Berlin. Er versuchte diese von der Unhaltbarkeit von Rauschs Vorgehen zu überzeugen, um so einer Unterstützung des Probstheidaer Pfarrers durch diese Stellen den Boden zu entziehen. Den kirchlichen Stellen war nicht verborgen geblieben, dass Rausch für seine publizistische Kampagne staatliche Druckgenehmigungen erhalten hatte, während diese den landeskirchlichen Stellen versagt worden waren132. Am 30. August 1955 sprachen Landesbischof Noth und Oberlandeskirchenrat Konrad Müller im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten 128 Kliegel an Noth am 24. November 1955. Die Mitwirkung Beckmanns an diesem Schreiben ist sehr wahrscheinlich (STAL, SED-BL IV/2/14/620, Bl. 368). 129 Treff mit KP „Hofmann“ am 24. Januar 1956 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 55–57, hier Bl. 55). 130 Treff mit KP „Hofmann“ am 19. Januar 1956 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 55–57, hier Bl. 56). 131 Noth an Rausch am 24. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida V). 132 Buske am 25. August 1955 (STAL, SED-BL IV/2/14/629, Bl. 21).
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vor. Müller stellte gegenüber dessen Leiter Josef Hegen noch einmal die landeskirchliche Position dar, wonach der kirchliche Notstand im Falle Rauschs nicht gegeben sei, da dieser in Glaubensfragen begründet sei. Die Wahl des neuen Kirchenvorstandes in Volkmarsdorf sei ebenfalls ungültig, da der alte nur beurlaubt gewesen sei. Hegen legte demgegenüber die staatliche Argumentation dar: „Fest steht, dass wir uns nur dann für innerkirchliche Dinge interessieren, wenn Gesetze verletzt werden oder wenn Prügeleien stattfinden. Mit der Erklärung des kirchlichen Notstandes gibt es für den Staat kein Eingreifen, zumal die Kirchengemeinde in der Landeskirche bleibt“133. Angesichts dieser Lage war die Landeskirche vordringlich daran interessiert, die kirchlichen Reihen zu schließen. Schon am 21. August 1955 hatte Superintendent Stiehl die kirchlichen Mitarbeiter in Leipzig instruiert und vor einer Zusammenarbeit mit Rausch gewarnt134. Ein Schreiben an die Konventsvorsitzenden sollte den Pfarrern im Land, die bisher nur Rauschs Version der Geschehnisse kannten, die Sicht des Landeskirchenamtes vermitteln135. Zum einen stellte es die Vorgeschichte des Falles aus der Perspektive des Landeskirchenamtes dar, zum anderen äußerte sich das Landeskirchenamt zu den juristischen Winkelzügen Rauschs, womöglich auch, um Sympathisanten vor ähnlichen Handlungen zu warnen. Am 26. August tagte die Bezirkssynode. Der „alte“ Kirchenvorstand der Volkmarsdorfer Gemeinde, der landeskirchliche Gebietsdezernent Gerber und Landesbischof Noth nahmen daran teil. Folgt man dem Bericht des Synodenmitglieds Hofmann, den dieser für die Staatssicherheit erstellte, gelang die als Solidaritätskundgebung für Stiehl geplante Veranstaltung nicht ganz136. Ein Pfarrer von der Petersgemeinde äußerte Vorbehalte gegen Stiehl, die ihre Grundlage in den Gegensätzen zwischen der Bekennenden Kirche und der Pfarrbruderschaft137, also der „Mitte“, hatten. Möglicherweise wurde die Politik der Landeskirche in Leipzig, die sehr stark von der „Mitte“ dominiert war, als verspätete „Gleichschaltungspolitik“ emp133 Aktenvermerk über die Besprechung mit Bischof Noth am 30. August 1955 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 134 Treff mit KP „Hofmann“ am 23. August 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA). 135 Landeskirchenamt an Konventsvorsitzende am 25. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida IV). Die Argumentation des Landeskirchenamtes lief darauf hinaus, dass die Kirchgemeinde nur als Glied der Landeskirche verstanden werden könne. Von daher sei ein Austritt aus der Landeskirche auch logisch gar nicht möglich. 136 BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 41–44. Hierbei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass Hofmanns Bericht im Zweifel die Widerstände gegen Stiehl in der Pfarrerschaft überbetont. Vgl. hierzu auch die Schilderung bei R. SCHOLZ, S. 136–138, der die Bezirkssynode auf den 16. August verlegt. 137 Die Leipziger MfS-Mitarbeiter hatten mittlerweile dazu gelernt. In einem Bericht vom 13. August 1955 über ein Treffen mit Hofmann bezeichnete Blümel die Pfarrbruderschaft noch fälschlich als „Fachbruderschaft“ (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 31).
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funden. Auch die Absicht Noths, ein Strafverfahren gegen Rausch einzuleiten, fand keine Unterstützung. Es wurde eine Kommission gebildet, die eine zentrale Argumentation gegenüber dem Rat des Bezirkes, der Staatsanwaltschaft und der Volkspolizei erarbeiten sollte138. Dass die Wiedereinsetzung des „alten“ Kirchenvorstandes am darauf folgenden Tag auf eine Entscheidung der Bezirkssynode zurückging, wurde in Hofmanns Protokoll nicht vermerkt, ist aber doch sehr wahrscheinlich139. Stiehl selber versuchte Ende August 1955 Rausch in einem seelsorgerlichen Schreiben noch einmal von seinem Weg abzubringen, wobei er besonders um Verständnis für seine Position in Leipzig warb: „Es ist ebenso versucht worden, die Rechtmäßigkeit meines Amtes zu bestreiten. Sie werden nicht sagen können, dass Sie nicht wüssten, wie sauer mir der Weg nach Leipzig geworden ist“140. Anfang September war mit dem Urteil des Kreisgerichtes 6 in Leipzig in der Strafverhandlung gegen diejenigen Pfarrer, die Rausch der Körperverletzung bezichtigt hatte, der Gesprächsfaden zwischen Rausch und der Landeskirche erst einmal zerrissen. Das Gericht erkannte auf gefährliche Körperverletzung und verurteilte die beiden Pfarrer zu drei bzw. vier Monaten Haft, während in der kirchlichen Öffentlichkeit die Einseitigkeit des Verfahrens gerügt wurde141. Es seien nur Belastungszeugen vernommen worden. Auch stellte sich später heraus, dass nicht, wie vor Gericht behauptet, der zuständige Amtsarzt das ärztliche Gutachten über Rauschs Verletzungen erstellt hatte, sondern wohl ein mit diesem befreundeter Arzt142. In den nächsten Wochen hatte Rausch ein umfangreiches Arbeitsprogramm zu bewältigen. Da er von der Leipziger Bezirksverwaltung des SfS dazu bestimmt war, Kliegel in der „heißen Phase“ anzuleiten, kam es allein in den Monaten September und Oktober zu 24 Treffen mit den Vertretern der Staatssicherheit. Es stellte sich heraus, dass sich die Erwartung, die Gemeinde Rauschs könne sich finanziell selber tragen, nicht erfüllte. Immer wieder wurde in den Gesprächen der nur schleppende Eingang der Kirchensteuer moniert143. In dieser Angelegenheit war der landeskirchliche Apparat strukturell überlegen. Ferner gab es in Probstheida Befürchtungen, die landeskirchlichen Stellen würden die an Rausch gezahlte Steuer nicht 138 BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 43. 139 BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 41. 140 Stiehl an Rausch am 30. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida IV). 141 Strafverhandlung gegen Pfarrer P. und K. am 2. September 1955 vor der Strafkammer des Kreisgerichtes 6 in Leipzig (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida IV). 142 Stadtbezirksarzt Bendorf am 11. Oktober 1955 (ADSL, Schrank VIII, ImmanuelProbstheida V). 143 So z. B. beim Treff mit Rausch am 28. September 1955: „Kirchensteuern gehen langsam ein“ (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 123–125, hier Bl. 124).
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anerkennen und sie später noch einmal erheben. Die Lösung dieser Frage entwickelte sich zum entscheidenden Punkt, wie auf dem Treffen am 19. September 1955 festgehalten wurde: „Die Hauptfrage ist gegenwärtig die finanzielle Seite, die nicht gesichert ist“144. Zur finanziellen Unterstützung wurden am 7. September 1955 zwischen dem SfS und Rausch monatliche Zahlungen in Höhe von 300 Mark vereinbart145. Von beiden Seiten, sowohl von Rausch, der ein gewisses materielles Interesse kaum verbergen konnte, wie auch seitens der Staatssicherheit, die kein Interesse haben konnte, auf Dauer eine Kirchgemeinde unterhalten zu müssen, war die Suche nach einer längerfristigen Regelung vonnöten. Je länger die Frage des Kirchensteueraufkommens nicht gelöst werden konnte, desto weniger war die Staatssicherheit im Fall Kliegels gewillt, sich noch ein weiteres finanzielles Risiko aufzubürden. Die Bemühungen der Staatssicherheit gingen im Fall Rausch erst einmal dahin, die finanzielle Last auf den Staat zu verschieben. Das Politbüro hatte am 4. Januar 1955 beschlossen, „Sonderkonten“ beim Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten und den Räten der Bezirke einzurichten, um mit „finanziellen Anreizen“ über ein weiteres Mittel der Differenzierung in der Kirchenpolitik zu verfügen146. Der beim Rat des Bezirkes Leipzig zuständige Bearbeiter Haufe zeigte sich bei einem Besuch seines Berliner Vorgesetzten über die neuen Möglichkeiten uninformiert und musste erst auf die entsprechende Geheime Verschlusssache aufmerksam gemacht werden147. Am 19. Oktober teilte er dem Staatssekretariat mit, dass beide „Kirchenvorstände“ einen Antrag für ein monatliches Gehalt in Höhe von 700 Mark für beide Pfarrer gestellt hätten148. Rausch setzte alles daran, die Arbeit der „landeskirchlichen Gemeinde“ zu erschweren. Persönlich wandte er sich an die Leitung der Grundschule in Probstheida, um die Durchführung des Religionsunterrichts des landeskirchlichen Pfarrers zu verhindern149. Schon ein paar Tage später beschwerte sich der Bezirkskatechet bei der Abteilung Volksbildung im Rat der Stadt, dass in Probstheida keine Schulräume mehr für den Religionsunterricht zur Verfügung gestellt würden150. Fortan beschieden die Schulbe144 BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 110–115, hier Bl. 113. 145 Aktennotiz vom 7. September 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 I, Bl. 76). 146 Vgl. dazu oben S. 381–383. 147 P. BEIER, S. 200 f. vermutet, dass die Ablösung Haufes Ende 1956 auch mit Unregelmäßigkeiten bei der Führung des Sonderkontos zusammenhängen könnte. 148 Haufe an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 149 Treff mit Rausch am 9. September 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 102–104, hier Bl. 102). 150 Stein an die Abt. Volksbildung am 15. September 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida IV).
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hörde wie auch die kommunalen Spitzen jedes derartige Ansinnen der Landeskirche mit dem Verweis auf die in Probstheida vorhandenen kirchlichen Räumlichkeiten – die ja in Rauschs Hand waren – abschlägig. Der zweite Pfarrer an der Immanuelgemeinde, Robert Brückner, der für die Betreuung der Mitte der 30er Jahre entstandenen Siedlung Meusdorf zuständig war, hatte sich Rauschs Politik von Anfang an widersetzt. Rausch charakterisierte ihn nicht nur gegenüber seinen Führungsoffizieren als „maßlos feige, schärfster Antimarxist und Mann der alten Schule“151, sondern griff ihn auch im Rahmen seiner publizistischen Kampagne mehrfach massiv an, weil er vor seinem Übertritt zur Landeskirche als Priester in einer neuapostolischen Gemeinde tätig gewesen war und seine theologische Ausbildung nicht den landeskirchlichen Vorgaben entsprach152. Das Wohnungsamt seines Stadtbezirkes teilte Brückner schon Mitte September 1955 mit, dass das Arbeitszimmer in seiner 3-Zimmer-Wohnung bald von einem Studenten belegt werde, und bot ihm eine Wohnung in einem am anderen Ende der Stadt gelegenen Bezirk an153. Begründet wurde dies mit einer angeblichen Unterbelegung des Wohnraumes154. Mit der Einquartierung in sein Arbeitszimmer wurde Brückner in seinen Möglichkeiten, seelsorgliche Gespräche zu führen und seinen Amtsgeschäften nachzukommen, erheblich eingeschränkt. Die Gemeindeschwester, die im Pfarrhaus wohnte und von dort Rauschs Aktivitäten gut beobachten konnte, war diesem selbstverständlich ein Dorn im Auge. Schon Anfang August hatte Rausch daher gegenüber kirchlichen Stellen ihren Auszug gefordert155. Als die Gemeindeschwester auf die Kündigung der Wohnung durch Rausch nicht reagierte, wurde die Wohnung Mitte Dezember von Angestellten des Wohnungsamtes in ihrer Abwesenheit ausgeräumt und das Mobiliar auf zwei verschiedene Wohnungen in derselben Straße verteilt156. Selbst der Einsatz des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Regierung der DDR, Heinrich Grüber, konnte daran nichts ändern157.
151 Treff am 13. Juli 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 30–34, hier Bl. 32). 152 So in dem Anfang Oktober 1955 versandten Pamphlet „Die Wahrheit wird euch frei machen“, das von Prof. Wendorf in Zusammenarbeit mit Beckmann geschrieben worden war. 1948 wurde Brückner, der bis dahin als Pfarrhelfer tätig gewesen war, die Ordination erteilt, nachdem Gutachten und eine Prüfung vor dem Landeskirchenamt positiv ausgefallen waren. Zu Brückner vgl. auch F. PIEREL, S. 7 f. 153 Stiehl an den Vorsitzenden des 6. Stadtbezirkes am 20. September 1955 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida IV). 154 Rat des Stadtbezirkes 6 an das Bezirkskirchenamt am 26. September 1955 (EBD.). 155 Stiehl an das Landeskirchenamt am 5. August 1955 (ADSL, Schrank VIII, ImmanuelProbstheida III). 156 Gerber am 14. Januar 1956 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida VI). 157 Grüber an Nuschke am 13. Dezember 1955 (BARCH BERLIN, DO-4, 2693, Bl. 26).
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Der Aktion in Probstheida lag die Konzeption der Leipziger Bezirksverwaltung zugrunde, eine breitere Oppositionsbewegung in der Landeskirche zu schaffen. Rausch wurde daher von seinen Führungsoffizieren angehalten, Kontakte zu solchen Pfarrern zu suchen, von denen aufgrund vorhandener Probleme mit der Landeskirche anzunehmen war, dass sie Rausch unterstützen bzw. im besten Falle selber den kirchlichen Notstand für ihre Gemeinde erklären würden. Die publizistische Kampagne Rauschs war in hohem Maße auf „oppositionelle Gruppen“ innerhalb der Kirche ausgerichtet. Besondere Hoffnungen setzte man in einen an der Leipziger Lutherkirche tätigen Pfarrer, der sich wegen eines laufenden kirchlichen Disziplinarverfahrens in den Westen abgesetzt hatte. Die Staatssicherheit versuchte, ihn zur Rückkehr nach Leipzig zu bewegen158. Als weiterer Kandidat kam der am Krankenhaus St. Georg tätige Krankenhausseelsorger in Frage, auf den Rausch die Staatssicherheit schon bei einem seiner ersten Gespräche aufmerksam gemacht hatte159. Er war 1954 gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt worden und strengte mit juristischen Mitteln in einem sich länger hinziehenden Verfahren seine Wiedereinstellung an. Eine ursprünglich intendierte Anwerbung fand aber nicht statt. Auch ein Amtskollege des Seelsorgers am Krankenhaus St. Jakob, ein nicht gering belasteter DC-Pfarrer160, der 1950 nach Leipzig zwangsversetzt worden war, zeigte Sympathie für Rausch und lud ihn trotz der Mahnungen Stiehls zu sich ein. Zu einer aktiven Mitarbeit konnte er sich jedoch nicht durchringen, sondern bot sich laut Rausch als „anonymer Mitarbeiter“ an161. Zu einer intensiveren Zusammenarbeit kam es aber nicht, da der Krankenhauspfarrer im Juli 1956 auf eine andere Pfarrstelle im Kirchenbezirk Oschatz wechselte162. Ende Oktober wurde Rausch aufgefordert, einen im Norden Leipzigs amtierenden Pfarrer aufzusuchen, „weil dieser dasselbe machen würde wie Rausch, wenn er das Geld hätte“163. Der Kandidat, ein ebenfalls stark belasteter DC-Pfarrer aus dem Erzgebirge, der von 1945 bis 1948 suspendiert gewesen war, entpuppte sich aber als „angeschlagener, kranker Mann“, sodass auch von dieser Seite eine Ausweitung kirchenpolitischer Konfliktfälle nicht möglich war164. 158 Handschack am 13. Oktober 1955 (BARCH BERLIN, DO-4, 361, Bl. 61). 159 Operativplan vom 7. Juli 1955 (BSTU, Lpz Leitung 184/2, Bl. 58–60). 160 Pfarrer P. wurde im November 1945 von der Landeskirche zeitweise seines Amtes enthoben. Vgl. M. HEIN, S. 168, Anm. 254. 161 Treff am 18. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 155–159, hier Bl. 157). 162 Ohnehin galt dieser Pfarrer der Staatssicherheit als „raffinierte[r], aalglatte[r] Gegner der Deutschen Demokratischen Republik“ (vgl. BSTU, MfS, HA XX AP 20518/92, Sachstandsbericht, Bl. 4). 163 Treff am 21. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 163–166, hier Bl. 165). 164 Treff am 28. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 182–185, hier Bl. 182).
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Die beiden SfS-Mitarbeiter Michalk und Blümel, so musste es Ende 1955 erscheinen, hatten wohl das „oppositionelle Potenzial“ deutlich überschätzt, als sie mit großer Euphorie Rausch zu seinem kirchenpolitischen „Husarenritt“ animierten. Der von ihnen als Nukleus der Oppositionsbewegung avisierte „Freie Konvent“ war keinesfalls in der Lage, Rausch die nötige Unterstützung zu liefern165. Das Urteil Rauschs über den Konvent dürfte trotz seiner für ihn typischen Überzeichnung durchaus zutreffen: „Das wären ja alles alte, ergraute Pfarrer, ohne Mumm und Initiative, mit denen man eine derartige Aktion nicht durchführen kann“166. Gleichwohl ist der Fall „Rausch“ nicht ohne das Umfeld mit ihm sympathisierender Pfarrer zu erklären, die ihn immer wieder ideell unterstützten und wichtige interne Informationen lieferten. Diese Sympathie speiste sich sicherlich zum Teil aus naivem Faible für den durchaus charismatischen Außenseiter, zum überwiegenden Teil jedoch aus der Antipathie gegen die Bekennende Kirche. An die Stelle des ausgleichenden „elder statesman“ Heinrich Schumann, der auch durch seine herausgehobene Position in der in Leipzig dominierenden „Mitte“ nach beiden Seiten integrativ wirkte, war 1953 der prononcierte Vertreter der BK, der aus Dresden kommende Herbert Stiehl, getreten, der sicherlich aufgrund seines strikten Abgrenzungskurses gegen die DDR polarisierend wirkte. Nicht zufällig fanden sich daher im Umfeld Rauschs Pfarrer der „Mitte“ und vor allem ehemalige „Deutsche Christen“, die sich als benachteiligt empfanden. Ein im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten überlieferter Arbeitsplan vom Januar 1956 rekurrierte genau auf dieses Ressentiment. Punkt 1 der Anweisungen für die nachgeordneten Dienststellen lautete: „Es sollen die ehemaligen DC Pfarrer systematisch angesprochen werden unter Hinweis auf die demokratische Rechtsordnung, weil sie von der Kirchenleitung nach wie vor als Pfarrer 2. Grades behandelt werden“167. Staatliche Unterstützung erhielt Rausch auch, als der zur Landeskirche stehende Kirchenvorstand versuchte, sich per Gerichtsbeschluss den Zugang zu Kirche und Pfarrhaus in Probstheida zu erstreiten. Wie nicht anders zu erwarten, wies das Kreisgericht Leipzig die Klage auf Herausgabe der kirchlichen Gebäude am 22. Dezember 1955 als unzulässig zurück, da es sich um eine innerkirchliche Angelegenheit handle168. In gleicher 165 Der Vorsitzende des „Freien Konvents“, Hans-Joachim Kögel, hatte Rausch schon anlässlich seines Besuchs am 9. September 1955 seiner Unterstützung versichert. Vgl. Treff am 9. September 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 102–104, hier Bl. 102). 166 Treff am 21. Oktober 1955 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 II/1, Bl. 163–166, hier Bl. 164). Dieses Urteil stimmt auch mit dem Urteil Mielkes aus dem Jahr 1960 überein. Vgl. den Bericht Mielkes vom 12. August 1960 (abgedruckt in: G. BESIER/S. WOLF, Dok. 38, S. 228–250, hier S. 246). 167 Arbeitsplan vom 14. Januar 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 168 Gerber am 14. Januar 1956 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida VI).
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Weise liefen die politischen Initiativen der Kirchgemeinde, die mit der Einsetzung des Pfarrers Werner Seezen als Generalvikar der landeskirchlichen Gemeinde Ende August 1955 eine neue Dynamik erhielten, ins Leere. Zwar wurden die staatlichen Stellen, Grotewohl und Innenminister Karl Maron, angeschrieben, Nuschke und Grüber kontaktiert, doch entweder reagierten diese Stellen gar nicht oder verwiesen auf fehlende Kompetenz169. Dazu kam, dass in diese Zeit gerade die in Leipzig mit großem propagandistischem Aufwand betriebene Werbung für die Jugendweihe fiel, sodass die kirchlichen Stellen sich gleichzeitig an mehreren Fronten verteidigen mussten170. Eine der prägnantesten Darstellungen des Falles „Rausch“ bot der Abschlussbericht Seezens, der Ende Januar 1956 seine Tätigkeit als Generalvikar in Probstheida aufgab und auf eine andere Stelle wechselte. In diesem Bericht analysierte er die Person Rauschs und seine „Anhängerschaft“ sowie die Kräfteverhältnisse in der Gemeinde. Wenn auch im Duktus sicherlich nicht von Sympathie für Rausch getragen, so ließ der Bericht auch in den „scharfen“ Passagen jene Voreingenommenheit vermissen, die den Schreiben derjenigen anhaftete, die die Auseinandersetzungen mit Rausch von Anfang an direkt miterlebt hatten. In Rauschs Persönlichkeit entdeckte Seezen Grundzüge, die in ähnlicher Weise, wenn auch nicht so dichotomisch, in Beckmanns Beurteilungen anzutreffen waren: „Im Zusammentreffen mit den gleichfalls unbestreitbar vorhandenen Geistesgaben und der nicht zu unterschätzenden Erbmasse formt sich eine zu Maßlosigkeiten neigende Persönlichkeit“171. Hohe Intelligenz paare sich mit „zweifellos krankhaften Zügen“. Im Umfeld Rauschs unterschied Seezen „blind ergebene, kritiklose Mitläufer“ und „intellektuell hoch gestellte Persönlichkeiten“, deren Motive dem Generalvikar allerdings nicht völlig klar waren: „Alte verdrängte Komplexe einer verklungenen liberalen Zeit mögen dabei mitspielen und sich mit politischen Ambitionen verbinden“. Dabei teilte Seezen die Kritik an Rauschs Art zu predigen, wie sie vom alten Kirchenvorstand immer wieder vorgebracht wurde, keineswegs: „Ein Blick etwa in den amerikanischen Raum hilft verstehen, dass hier nicht nur Oberflächlichkeit ihr Unwesen treibt, sondern vielleicht moderne Wege der Verkündigung gesucht und beschritten worden sind“. Insgesamt jedoch beurteilte Seezen die Aussichten von Rauschs Gemeinde eher kritisch, da sie weniger durch spezifische theologische Vorstellungen gebunden als von der Person Rauschs abhängig sei: „Trotz mancher Bemühungen konnte 169 Vgl. das Schreiben des (landeskirchlichen) Kirchenvorstands Immanuel-Probstheida an Maron, 5. Dezember 1955 (EBD.). 170 Vgl. dazu oben S. 395–413. 171 Seezen an Gerber am 8. Februar 1956 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida VI).
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eine bekenntnismäßig fundierte Basis der Renitenz Rauschs nicht konstatiert werden“. Andererseits zollte er den Bemühungen des landeskirchlichen Kirchenvorstandes trotz aller Rückschläge großen Respekt. Die Ursache des Streites sah Seezen in der „mangelhaften Kybernese Rauschs“. Seezen verkannte keineswegs die kirchenpolitische Dimension der Vorgänge in Probstheida. Seine Analyse der Vorgänge machte klar, dass diese in größere Zusammenhänge und weitergehende Intentionen eingebettet werden mussten: „Wenn auf der einen Seite die Entwicklung zur Personalgemeinde hin auf der Hand liegt und auf der anderen Seite das Festhalten an der Landeskirche dem zu widersprechen scheint, so kann es nur einen Grund haben, dass es Rausch und – wenn es solche geben sollte – seinen Auftraggebern um die ganze Landeskirche geht“. Sorgen bereitete ihm auch die Lage in der Gemeinde, wo infolge der Auseinandersetzungen die große Zahl der damals schon Indifferenten völlig verloren gehen könnte172.
6.4 Kirchliche versus staatliche Differenzierungsstrategie – die Auseinandersetzung im ersten Halbjahr 1956 Anfang 1956 waren mit der fristlosen Entlassung Kliegels durch die Landeskirche Tatsachen geschaffen worden, die den Fortgang des Konflikts in diesem Jahr bestimmen sollten. Rausch und sein „Kirchenvorstand“ hatten den Notstand erklärt und durch großzügige Hilfe von Partei, MfS und staatlichen Stellen mit ihren Anhängern das Gemeindeleben in den landeskirchlichen Gebäuden aufrechterhalten können. Außerdem verfügten sie quasi über das Pressemonopol, da die Möglichkeiten der Landeskirche, publizistisch gegen Rausch aufzutreten, sehr gering waren. Mit Hilfe des Rates der Stadt gelang es, die landeskirchliche Unterweisung für Kinder und Jugendliche in Probstheida zu unterbinden. Erheblich schwieriger gestaltete sich die Situation in Volkmarsdorf, da Kliegel erst verhältnismäßig spät nach der Beendigung des Disziplinarverfahrens mit seinen Anhängern den Notstand erklärt hatte. Er verfügte in der Gemeinde über keinen so starken Rückhalt wie Rausch, vor allem aber hatte er keinen Zugriff auf die kirchlichen Gebäude, die Tag und Nacht von Wachen umstellt waren. Außerdem hatte die Landeskirche reagiert und schon im Oktober 1955 den erfahrenen und auf seiner Dresdner Stelle sehr erfolgreichen Pfarrer Rudolf Häusler in der Lukasgemeinde eingesetzt173. Zudem besaßen Kliegel und seine Anhänger bei weitem nicht den 172 EBD. 173 Zu Rudolf Häusler vgl. die Beurteilung des VPKA Leipzig vom 16. Februar 1957: „Stark in der Jugendarbeit – gutes Organisationstalent – hatte in Dresden den stärksten Christlichen
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Willen und die Durchsetzungskraft wie Rausch, die Auseinandersetzung mit der Landeskirche auf längere Zeit durchzuhalten. Die landeskirchlichen Stellen glaubten – und wie sich herausstellen sollte nicht zu Unrecht –, dass der Zeitablauf ihnen entgegenkommen werde, da sich die Probleme in den zwei Gemeinden verstärken würden. Sie sahen aber durchaus die Gefahr, dass der Konflikt noch weiter eskalieren könnte. Das MfS konnte es als Erfolg verbuchen, kurz nacheinander zwei Gemeinden aus dem Verbund der Landeskirche herausgelöst zu haben. In diesem Prozess hatten die beiden Leipziger MfS-Mitarbeiter Blümel und Michalk zwar einiges dazu gelernt, tatsächlich aber war die Kompetenz in beiden Fällen an die Hauptabteilung in Berlin gewechselt. Für das MfS bestand vor allem das Problem der zeitlichen Dimension: Sollte die ursprüngliche Konzeption, aus dem Nukleus „Probstheida“ eine größere Oppositionsbewegung gegen die Landeskirche zu organisieren, aufgehen, so kam es darauf an, möglichst schnell Erfolge aufzuweisen. Je länger sich allerdings die Auseinandersetzung hinzog, desto deutlicher wurde dem MfS, dass man die finanziellen Folgen anfangs völlig aus den Augen gelassen hatte: Solange die Landeskirche nicht für die Pfarrer aufkam, bestand für die Staatssicherheit ein zeitlich unbefristetes finanzielles Risiko. Schließlich existierte in der Vorgehensweise des MfS ein Zielkonflikt: Waren die Pfarrer erst einmal aus den landeskirchlichen Strukturen herausgelöst, wurden sie als Inoffizielle Mitarbeiter weithin nutzlos, da sie im Verdacht standen, mit staatlichen Stellen zu kooperieren. Zwar konnte Rausch von staatlichen Stellen als Exponent einer „fortschrittlichen“ Politik dargestellt werden; dem standen allerdings seine schwierige Persönlichkeit und seine geringe Resonanz in kirchlichen Kreisen gegenüber. Die Kirchenpolitik des SED-Regimes nutzte daher ab den 60er Jahren verstärkt Kräfte innerhalb der Kirchen, die nicht mehr offen als „fortschrittlich“ in Erscheinung traten174. Die Abteilung V der Leipziger Bezirksverwaltung hielt Anfang 1956 an ihrer Strategie fest, auf eine Ausbreitung der Konflikte in den Gemeinden hinzuarbeiten, „sodass in der Perspektive die reaktionäre Kirchenleitung systematisch zerschlagen wird“175. Dieses Vorgehen entsprach auch völlig den Absichten Beckmanns in seinem unerbittlichen Kampf gegen die Kirchenleitungen. Ihren Antrag, den beiden Pfarrern monatlich 2 800 Mark
Frauendienst. [. . .] Nachdem in der Lukaskirche der kirchliche Notstand ausgerufen wurde, versetzte man H. nach Leipzig, um die Linie der reaktionären Kirchenleitung zu vertreten. Er setzt hier – in gleicher Weise wie in Dresden – seine Tätigkeit fort“ (STAL, SED-BL 2/14/623, Bl. 190). 174 M. G. GOERNER, Kirche, S. 240. 175 „Gegenwärtige Situation in den Kirchgemeinden Probstheida/Meusdorf und Volkmarsdorf“, 25. Januar 1956 (BSTU, Lpz 439/63 I, Bl. 96–99, hier Bl. 99).
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Hilfe zu gewähren, stützte die Abteilung V der Leipziger Bezirksverwaltung auf die Einschätzung, dass sich zwar schon oppositionelle Kerne in Leipzig gebildet hätten, die beteiligten Pfarrer jedoch abwarten würden, „um zu sehen, wie sich die Kirchgemeinde des Pfarrer Rausch halten wird“176. Vor allem Beckmann verband mit dem „Musterbeispiel“177 Leipzig die Hoffnung, auch über die sächsische Landeskirche hinaus Pfarrer zur Opposition gegen die Kirchenleitungen mobilisieren zu können. Deswegen traten Rausch und Kliegel Anfang Februar 1956 auf einer Sitzung des „Freien Konvents“ auf, dessen Erfolgsaussichten jedoch innerkirchlich durchaus skeptisch beurteilt wurden. Ein CDU-internes Gutachten über den Konvent konstatierte das Fehlen „saubere[r], theologische[r] Denkarbeit“ und fragte skeptisch, „ob diese Männer, wären sie in der Kirchenleitung vertreten, nun um so vieles besser und geistlicher handeln würden als das beschuldigte Regime“178. In Leipzig wurde der „Freie Konvent“ am 2. Mai 1956 gegründet. Aus der Stadt Leipzig waren Rausch und Kliegel mit ihren jeweiligen stellvertretenden Kirchenvorstandsmitgliedern vertreten, des Weiteren der an der Mariengemeinde tätige Pfarrer Grabs und der Wahrener Pfarrer Mehlhose, aus der Umgebung die bekannten „progressiven“ Pfarrer179. Der beim Staatssekretär für Kirchenfragen archivierte Bericht bemerkte, dass der Leiter des Konvents, der brandenburgische Pfarrer Hans-Joachim Kögel, auf der Versammlung zuerst einen streng innerkirchlichen Kurs favorisiert und deswegen auch davon abgeraten habe, mit den staatlichen Stellen engeren Kontakt zu halten, wovon er allerdings abgebracht worden sei180. Was die „informelle“ Seite angeht, musste die Staatssicherheit 1956 auch Misserfolge einstecken. So wurde die Kontaktperson Hofmann noch im Januar 1956 aus dem landeskirchlichen Kirchenvorstand der Lukasgemeinde entlassen, weil sie – wie Stiehl ihr gegenüber klar machte – zu Kliegel Kontakt gehalten habe181. Dadurch entfiel für das MfS eine
176 EBD., Bl. 98. 177 IM „Roland“ am 16. Februar 1956 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 202–204, hier Bl. 203). 178 Praktisch-theologisches Gutachten über den Freien Konvent, 16. Februar 1956 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1745). 179 Zur Gründung des Konvents vgl. die Protokolle in: BARCH BERLIN, DO-4, 360, Bl. 462– 464; STAL, SED-BL IV/2/14/622, Bl. 148 (BDVP); ACDP ST. AUGUSTIN, II-013–1745. Ein landeskirchlicher „Spitzel“ musste die Veranstaltung verlassen. 180 BARCH BERLIN, DO-4, 360, Bl. 463. 181 Treff mit KP „Hofmann“ am 19. Januar 1956 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 55–57, hier Bl. 55). Hofmann hatte gegenüber Stiehl betont, „dass er bis jetzt noch nicht gegen die bestehenden Bestimmungen der Schweigepflicht verstoßen hat“. Treff mit KP „Hofmann“ am 14. Februar 1956 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 59–61, hier Bl. 59).
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wichtige Informationsquelle zu den Verhältnissen in Volkmarsdorf. Die Staatssicherheit hielt die Kontaktperson an, ihre Kontakte zu Kliegel zu verringern. Unter allerdings ganz anderen Bedingungen gelang schließlich anderthalb Jahre später wieder die Reintegration in die landeskirchlichen Gremien182. Im weiteren Verlauf des Jahres 1956 machten sich konzeptionelle Unterschiede hinsichtlich der weiteren Behandlung der Fälle Rausch und Kliegel zwischen dem MfS und der Abteilung Kultfragen im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten immer stärker bemerkbar. Das Staatssekretariat stand der Konzeption des MfS wohl grundsätzlich kritisch gegenüber, weil es seiner Handlungslinie gegenüber den Kirchen widersprach. Im Jahr 1956 stand an der Spitze der kirchenpolitischen Ziele der SED die Abgabe einer Loyalitätserklärung der Kirchenleitungen183. Ein offener Konflikt, der ein Einlenken der sächsischen Landeskirche verhinderte, passte augenscheinlich nicht in das Konzept184. Auch scheint die Person Rauschs bei staatlichen Stellen doch Bedenken erregt zu haben. Zumindest zu Anfang konnte Beckmann als Verbindungsmann zwischen MfS und Staatssekretariat seine Linie auch dort durchsetzen185. Internes Informationsmaterial über Probstheida trug unverkennbar seine Handschrift186. Ende März 1956 wurden diese Differenzen in der Pressepolitik sichtbar. Kirchliche Stellen hatten mehrfach auf die Bevorzugung des Gemeindeblattes „Immanuel-Bote“, das von Rausch herausgegeben wurde und sich als kirchenpolitisches Kampfblatt profilierte, hingewiesen. Da der „Immanuel-Bote“ auch redaktionelle Stücke enthielt, die in den üblichen Gemeindeblättern nicht genehmigt wurden, konnten sich staatliche gegenüber kirchlichen Stellen, die dies monierten187, nicht auf das Argument zurückziehen, sie wollten sich nicht in innerkirchliche Angelegenheiten einmischen. Nun entschied der Leiter der Abteilung Kultfragen, Kusch, „dass Pfarrer Rausch nicht anders behandelt werden [soll] als andere, also keine Genehmigung für besondere Drucksachen“ erhalte, und beauftragte einen Mitarbeiter, in Leipzig diese Linie bekannt zugeben188. Beckmann, der viele 182 Treff mit KP „Hofmann“ am 2. April 1957 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 82–84). 183 F. HARTWEG, S. 110. 184 So auch [Beckmann] an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, 2. August 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 185 Die Besuche von Beckmann im Staatssekretariat wurden mit dem MfS abgesprochen. Vgl. Treff mit IM „Roland“ am 25. Januar 1956 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 155). 186 So z. B. die „Untersuchung über die kirchenrechtliche Lage in der Angelegenheit der ev.-luth. Kirchengemeinde Leipzig-Probstheida-Meusdorf“ von Ende Februar (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 187 Landesbischof Noth hatte dies vor der Landessynode im März 1956 kritisiert. Vgl. Tätigkeitsbericht des Landeskirchenamts am 5. März 1956 (BSTU, MfS AIM 1822/64 A 1, Bl. 33–37, hier Bl. 35). 188 Notiz vom 28. März 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990).
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Artikel für den „Immanuel-Boten“ schrieb und großen Einfluss auf die Linie des Blattes nahm, intervenierte persönlich gegen die Entscheidung Kuschs und konnte zumindest erreichen, dass die April-Nummer des „Immanuel-Boten“ noch im angestrebten Umfang erscheinen konnte189. Hierbei mag durchaus eine Rolle gespielt haben, dass Beckmann selbst die angemahnten „kleinen redaktionellen Artikel“ als Spielart seiner kirchenfeindlichen Tätigkeit ansah. Durch diese Animositäten geriet der zuständige Sachbearbeiter beim Rat des Bezirkes, Haufe, in die Kritik von Rausch und Kliegel. Der Volkmarsdorfer Pfarrer hatte schon im Februar eine Genehmigung für ein eigenes Gemeindeblatt beantragt und war von Haufe hingehalten worden190. Bei der Gründung des „Freien Konvents“ Anfang Mai beklagte sich Kliegel bitter darüber, „dass der Kirchenreferent vom Bezirk Leipzig ein völlig unfähiger Mann sei, der überhaupt nicht die zwei freien Gemeinden und andere fortschrittliche Pfarrer unterstütze“191. Für die Tatsache, dass Kliegel einen Kircheninspektor entlassen musste und selber nur ein geringes Gehalt erhielt, machte er in gleicher Weise Haufe verantwortlich192. Auch dessen Vorgesetzte wurden auf dieser Veranstaltung nicht von Kritik verschont: „Kusch und Jacob, die die Vertreter des Staatsekretariats für Innere Angelegenheiten seien, aber die Materie nicht begriffen“193. Je länger sich die Angelegenheit hinzog, desto stärker machten sich jene Kräfte in Partei und Staat bemerkbar, die eine Eingliederung Rauschs in die Landeskirche befürworteten. Immerhin stieß auch für die SED-Oberen die Dialektik an ihre Grenzen, wenn man in der Absicht, die Kirche langfristig zu marginalisieren, erst einmal einen Pfarrer über nahezu ein Jahr alimentierte. Bei Beckmann erweckte die Politik des Staatssekretariats den Eindruck, als wolle man die konfrontative Linie gegenüber Landesbischof Noth erst einmal ad acta legen194. Ende Juli 1956 sahen sich das MfS und Beckmann genötigt, ihre Strategie aufzugeben und auf eine Einigung hinzuarbeiten. Rausch sollte sich nunmehr zu Verhandlungen bereit erklären, dabei die Hürden für eine Einigung aber angemessen hoch setzen. Beckmann musste nunmehr, wie sein Führungsoffizier festhielt, eingestehen, dass seine Ziele in weite Ferne gerückt waren: „Andererseits ist ‚Roland‘ [i.e. Beckmann, G. W.] der Meinung, dass sich dieser Schritt nicht 189 Beckmann betr. Probstheida-„Immanuel-Bote“, 28. März 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 190 „Bericht Leipzig“ von Beckmann am 13. März 1956 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 207). 191 Bericht über die Gründung des „Freien Konvents“, 2. Mai 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 360, Bl. 462–464, hier Bl. 463). 192 EBD. 193 EBD., Bl. 464. 194 [Beckmann] an das Staatssekretariat, 2. August 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990).
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günstig auf die anderen Pfarrer auswirken wird, die ebenfalls contra Kirchenleitung stehen“195. Verstärkt wurde der Druck zur Reintegration von Rauschs Gemeinde in die Landeskirche durch die Vorgänge in Probstheida selbst. Die landeskirchliche „Kontaktsperre“ begann immer mehr zu greifen. Rausch selber verstärkte die Abschottung durch seine ehemaligen Kollegen, indem er die Konfirmation an Jugendlichen vornahm, die an der Jugendweihe teilgenommen hatten, und durchbrach damit die landeskirchliche Opposition gegen den atheistischen Passageritus196. So schrieb Rausch im Mai 1956 resigniert an Beckmann: „Sie sehen, lieber Freund, wie ich voll und ganz in meiner Tätigkeit allein gelassen werde. [. . .] So wird es von Seiten der Pfarrer immer ruhiger um mich“197. Er trug sich sogar mit dem Gedanken, die DDR zu verlassen198. Hinzu kam, dass der stellvertretende Vorsitzende seines Kirchenvorstandes, der als großer Rückhalt bisher die Arbeit in der Gemeinde koordiniert hatte, sich im Sommer mit Rausch überworfen hatte und aus dem Kirchenvorstand ausschied199. Baumeister V., der auch mit Beckmann Kontakt hielt und für die Finanzen der Gemeinde zuständig war, fiel wegen Krankheit aus200. Hoffnung auf eine baldige Verbesserung seiner finanziellen Verhältnisse schöpfte Rausch aus dem Berufungsverfahren, das der landeskirchliche Kirchenvorstand gegen ihn angestrengt hatte. Er erwartete, dass das Gericht ihm die Kirchensteuereinnahmen aus seiner Gemeinde zusprechen würde. Der 2. Zivilsenat des Bezirksgerichts Leipzig, der die Angelegenheit am 28. September 1956 verhandelte, wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, ohne die Landeskirche zur Zahlung der Kirchensteuern zu verurteilen; sonst hätte er seine Argumentation der Nichtintervention in innerkirchliche Angelegenheiten aufgeben müssen201. Keineswegs günstiger gestaltete sich die Lage in Volkmarsdorf. Schon am 20. Januar 1956 wurden bei einer „Kirchenvorstandssitzung“ Stimmen laut, die die Aufhebung des Notstands forderten202. Kliegel zeigte sich
195 Treff am 31. Juli 1956 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 6, Bl. 240). 196 Dass der CDU-Bezirksvorsitzende Heyl ihm dafür dankte, verwundert nicht. Heyl an Rausch am 8. April 1956 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 PA, Bl. 60). 197 Rausch an Beckmann („lieber Freund“) am 25. Mai 1956. Der Brief wurde an die Abteilung Kirchenfragen im ZK der SED weitergegeben (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/51, Bl. 240 f.). 198 Aussprache mit Oberlandeskirchenrat Müller am 25. April 1956 (BSTU, MfS AIM 1822/64 A 1, Bl. 41). 199 So W. an Kröning am 16. Oktober 1956 (ADSL, 4.2.7). 200 [Beckmann] an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten am 2. August 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 201 Urteil des Bezirksgerichts Leipzig – 2. Zivilsenat (ADSL, 4.2.7). 202 BV Leipzig, Abt. V am 25. Januar 1956 (BSTU, Lpz 439/63 I, Bl. 97).
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entnervt über die lange Verzögerung der Druckgenehmigung des „Lukasboten“, der erst im April 1956 erschien. Im März erkrankte er203. In dieser krisenartigen Situation verstärkte sich dazu die zwischen Rausch und Kliegel latent vorhandene Rivalität, die sich in der Weigerung Kliegels bemerkbar machte, Rausch während dessen Urlaub in Probstheida zu vertreten, solange er selbst nicht über eigene Räumlichkeiten verfügte204. Die Lage spitzte sich im August zu, als der „Kirchenvorstand“ der Lukasgemeinde seine definitive Absicht erklärte, in die Landeskirche zurückkehren zu wollen. Angesichts dessen zeigte sich Kliegel nun bereit, in Probstheida zu arbeiten: „Er [Kliegel, G. W.] hätte es bisher nicht getan, weil er sich nicht auf ein sinkendes Schiff habe begeben wollen. Nun sinke sein Schiff wider Erwarten früher“205. In dem Maße, in dem sich die Lage in Probstheida und Volkmarsdorf verschlechterte, verbesserte sich die Position der Landeskirche. Indem sie mit besonderem Einsatz die Kirchensteuern in beiden Gemeinden einzog, nahm sie beiden die finanzielle Grundlage und machte sie von externen Zuschüssen abhängig. Durch die Entfernung Herbert Hofmanns aus der Bezirkssynode war es ihr gelungen, eine Informationsquelle der Staatssicherheit weitgehend auszuschließen. Auch konnte sie eine Ausweitung des Konflikts mit Hilfe der „Kontaktsperre“ verhindern. Die Einstellung der redaktionellen Artikel im „Immanuel-Boten“ konnte sie als ihren Erfolg verbuchen, musste aber das Erscheinen des „Lukasboten“ hinnehmen. Die Frühjahrstagung der 17. Landessynode verabschiedete eine spezielle Erklärung an den Kirchenvorstand der Immanuelgemeinde, dem sie Solidarität und Unterstützung zusagte206. Um für die Zukunft ähnliche Entwicklungen wie in Probstheida zu verhindern, sollte ein „Ehrenrat der Leipziger Pfarrerschaft“ gebildet werden207. Die Nachfolge Seezens als Generalvikar übernahm spätestens im März 1956 Erich Kröning, der die benachbarte Gemeinde in Leipzig-Marienbrunn führte. Der BK-Pfarrer, der ein offener Gegner des DDR-Sozialismus war208, leitete die Verhandlungen mit den staatlichen Stellen, während der junge Pfarrer Claus-Jürgen Wizisla in Probstheida die seelsorgerliche Betreuung übernahm209.
203 Treff mit KP „Hofmann“ am 20. März 1956 (BSTU, Lpz AIM 2020/65 PA, Bl. 64). 204 Rausch an Beckmann am 25. Mai 1956 (BARCH BERLIN, DY 30 IV/2/14/51, Bl. 240 f.). 205 [Beckmann] an das Staatssekretariat am 2. August 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 206 Landeskirchenamt an BKA am 7. April 1956 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida VI). 207 Landeskirchenamt an Pfarrkonvent Leipzig-Nord am 11. April 1956 (ADSL, 4.2.6). 208 Zu Kröning vgl. oben S. 391. 209 Wizisla führte Ende der 60er Jahre mit der „Offenen Arbeit“ eine neue Form der kirchlichen Jugendarbeit ein und sprach damit besonders Jugendliche aus subkulturellen Milieus an (vgl. E. NEUBERT, Opposition, S. 184–187).
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6.5 Sondierungsgespräche Ende Juli/Anfang August 1956 traten Kliegel und Rausch in Sondierungsgespräche mit dem Landesbischof ein, der für die Landeskirche die Verhandlungsführung übernahm. Ihre Handlungslinie stimmten beide eng mit dem Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten ab, das von Beckmann beraten wurde. Dabei gingen wohl beide Seiten davon aus, durch die Bereinigung des „leichteren“ Falles Kliegel die Voraussetzungen für eine Lösung in Probstheida finden zu können. Da der Kliegelsche „Kirchenvorstand“ seinen Rückzug schon bekannt gegeben hatte, war dessen Verhandlungsposition geschwächt. Kliegel konnte nun kaum mehr davon ausgehen, noch in Volkmarsdorf oder in dessen Nähe zu verbleiben. Noth bestand schon beim ersten Gespräch mit Kliegel, das vom ehemaligen Superintendenten Schumann in die Wege geleitet worden war, auf der Anerkennung der gegen Kliegel ergangenen Maßnahmen210. Dessen darauf folgender Antrag – der völlig auf Beckmann zurückging – zielte darauf ab, mit der Anerkennung des Disziplinarurteils das landeskirchliche Wohlwollen zu erlangen, gleichzeitig aber eine Änderung der Folgen des Urteils herbeizuführen. Kliegel bat, „ein anderes Pfarramt zu übernehmen und im ernsten Aufblick und Gehorsam zu unserem Herrn Jesus Christus getreu meinem Ordinationsgelübde unter Beachtung der Ordnung unserer evangelisch-lutherischen Landeskirche gewissenhaft zu verwalten wie es einem evangelisch-lutherischen Geistlichen zukommt“211. Dies war wohl eine tragfähige Basis für eine Einigung mit der Landeskirche, die Kliegel in den vollen landeskirchlichen Dienst aufnahm212. Auch auf seiner neuen Pfarrstelle hielt Kliegel Kontakt mit Beckmann und scherte auch dort bisweilen aus der landeskirchlichen Politik aus213. Die Verhandlungen mit Rausch gestalteten sich bedeutend schwieriger, was zum großen Teil an dessen geringer Kompromissbereitschaft lag. Auf210 Beckmann, Rücksprache am 5. September 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). 211 So der Entwurf des Antrages von Beckmann, Rücksprache mit Kl. am 19. September 1956 (BARCH BERLIN, DO-4, 2990). Vgl. hierzu den Kommentar Beckmanns: „Geht die Kirchenbehörde auf den Antrag nicht ein oder überspannt sie den Bogen, so riskiert sie, dass Kliegel weiter im Notstand bleibt. Sie riskiert weiter einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auf rechtlichem Wege und damit die weitere Hinausschiebung der von ihr so heiß erstrebten Beendigung des Notstandes, ganz abgesehen von einer erneuten Verschärfung der Lage“ (EBD.). 212 Im Sommer 1960 verließ Kliegel die DDR. 213 Die Tätigkeit Kliegels lässt sich anhand der MfS-Akten für das Jahr 1957 nur schwer nachzeichnen. Er war wohl in der Ephorie Großenhain tätig, bevor er 1958 nach RegisBreitingen/Ephorie Borna wechselte. So wurde er von seinem vorgesetzten Superintendenten Wilhelm Anacker ermahnt, weil er die Kanzelabkündigung über den Militärseelsorgevertrag nicht verlesen hatte. Roland [!] [i.e. Beckmann] am 31. Mai 1957 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 7, Bl. 85).
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grund der Gangart der vorausgegangen Auseinandersetzungen, die immerhin zu Haftstrafen gegen zwei Pfarrer geführt hatten, konnte die Landeskirche hier nicht einfach einen Schlussstrich ziehen. Wie die Staatssicherheit aus internen Quellen erfuhr, herrschte im Landeskirchenamt die Meinung vor, es sei am besten, Rausch seines Amtes als Pfarrer zu entheben, ihm im Gegenzug dazu eine Stelle im kirchlichen Innendienst anzubieten214. Allerdings waren die äußeren Umstände einer Einigung nicht gerade förderlich. Im Berufungsverfahren, das der landeskirchliche Kirchenvorstand der Immanuel-Kirchgemeinde angestrengt hatte, wies das Bezirksgericht Leipzig die Forderung auf Herausgabe der kirchlichen Gebäude nochmals zurück215. Außerdem bereitete die Stadtverwaltung der landeskirchlichen Gemeinde in Probstheida Schwierigkeiten, indem sie die kirchliche Unterweisung in dem angemieteten Raum einer Gaststätte unterband216. Die ohnehin schmale Vertrauensbasis war zerstört, als die Landeskirche im Dezember 1956 den Eindruck gewann, Rausch habe das vereinbarte Stillschweigen über den Fortgang der Gespräche gebrochen217. Tatsächlich tauschte sich Rausch regelmäßig mit Beckmann über den Gang der Gespräche aus. Die Verhandlungen wurden nun eingestellt. Rausch bekam eine andere Aufgabe und neue Mitstreiter. Pfarrer Rudolf Grabs, seit 1951 an der Mariengemeinde in Stötteritz tätig, entwickelte sich im Jahr 1957 zur wichtigsten Stütze Rauschs in Leipzig. Der „fortschrittliche“ Pfarrer, der wegen seiner liberalen theologischen Positionen ein Außenseiter in der Leipziger Pfarrerschaft war218, war Mitglied des Deutschen Friedensrates und der CDU. Im Sommer 1957 hatten Kollegen seines Pfarrkonvents ihn eindringlich ermahnt, sich aus der „Friedensarbeit“ zurückzuzie-
214 Treff mit Oberlandeskirchenrat Konrad Müller am 1. November 1956 (BSTU, MfS AIM 1822/64 A 1, Bl. 117). Müller wurde 1956 von der Staatssicherheit angeworben. In erster Linie berichtete Müller dem MfS über Interna des Landeskirchenamtes und Belange der EKD, aber auch über das Verhältnis der innerkirchlichen Gruppen zueinander, so z. B. über den relativ geringen Rückhalt der BK und des Landesbischofs in Leipzig. Im Fall Rausch spielte Müller keine besondere Rolle als Informant, da das MfS ihm gegenüber ihre Rolle in der Angelegenheit zu verbergen suchte. Ende 1959 schied er aus dem Dienst der sächsischen Landeskirche aus und wurde Präsident des Schweriner Oberkirchenrats. Seine Dienste für die Staatssicherheit, die 1973 aus Alters- und Gesundheitsgründen eingestellt wurden, belohnte diese mit der Treuemedaille in Gold (vgl. auch C. STIER, S. 423). 215 Das Urteil wurde am 16. November verkündet (ADSL, 4.2.7). 216 Aktennotiz vom 26. November 1956 (ADSL, 4.2.7). 217 Treff am 11. Dezember 1956 (BSTU, MfS AIM 1822/64 A 2, Bl. 9–14, hier Bl. 12). Die Kirchenleitung war jetzt so weit, dass sie begann, an der Zurechnungsfähigkeit Rauschs zu zweifeln. 218 Die Auseinandersetzung um Grabs eskalierte im Frühjahr/Sommer 1958, als Grabs Gespräche mit dem Landesbischof und Vertretern der Leipziger Pfarrerkonvente um theologische und politische Fragen führte (vgl. dazu ADSL, Schrank VIII, Marien, Akte Grabs).
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hen219. Die CDU empfahl im Frühjahr 1957 die Berufung von Grabs an die Leipziger Universität, die aber am Widerstand der SED und des MfS wegen Grabs’ NS-Vergangenheit scheiterte. Dieser war NSDAP-Mitglied und DC-Superintendent in Eisenach gewesen220. Grabs teilte mit Rausch und Kliegel seine Aversion gegen die sächsische Kirchenleitung, wie Rausch – im Ton möglicherweise etwas stark – an Beckmann schrieb: „Pf. Grabs betonte, [. . .] dass von der materiellen Seite eine gewisse Hoffnung für einen Angriff [gegen die Landeskirche, G. W.] (Gehaltskürzungen) nicht zu erwarten sei, man müsse also theologisch, schriftmäßig, literarisch angreifen und die Verfassungsbrüche dieses Systems vor der kirchlichen Öffentlichkeit an den Pranger stellen. Ich sollte aber wissen, dass er sich als engster Verbündeter unseres Kampfes fühlte“221.
Rausch und Grabs erklärten sich bereit, unter ihrem Namen Beckmanns Artikel gegen die Politik der evangelischen Kirche, wie etwa hinsichtlich des Militärseelsorgevertrages, zu veröffentlichen222. Rausch, der seine Gemeinde nun als „Gliedgemeinde der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens“ bezeichnete, wurde politisch als „Vorzeigepfarrer“ eingesetzt und kandidierte für den Kulturbund „erfolgreich“ bei den Kommunalwahlen im Juni 1957. Der Kreisausschuss der Nationalen Front versuchte mit ihm, christliche Kräfte für die SED-Friedenspropaganda zu gewinnen, wie er in seinem Aufruf verdeutlichte: „Er [Rausch, G. W.] nimmt als fortschrittlicher Mensch eine staatsbejahende Haltung ein und bemüht sich, mit seiner ganzen Kraft für die Erhaltung des Friedens zu kämpfen und alle christlich denkenden Menschen für diesen Kampf zu gewinnen“223. Mit seiner Haltung mag Rausch manchen Christen Gewissensbisse wegen der Teilnahme an der Wahl genommen haben, bei vielen Pfarrern stieß sein Vorgehen jedoch auf Ablehnung, hatte doch Superintendent Stiehl seine
219 Grabs an Wirth am 4. Juni 1957 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–1783). Die Fronten waren aber unversöhnlich, wie Grabs anmerkte: „Wortführer des Konvents sind die Scharfmacher des klerikalen Systems, die ganz offensichtlich auf Weisung ihrer Hintermänner vorgehen“. 220 Zu Grabs vgl. F. STENGEL, S. 169–177. Grabs hatte sich auch schon in Brasilien, wo er bis 1937 tätig war, extrem deutschchristlich betätigt (vgl. H.-J. PRIEN, S. 449; R. SCHOLZ, S. 147 f.). 221 Berichts Rauschs über die Landessynode Ende Februar 1957 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 7, Bl. 71). 222 Treff mit IM „Roland“ am 22. Mai 1957 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 7, Bl. 78 f.). Die EKD hatte mit der Bundesregierung im Februar 1957 einen Militärseelsorge-Vertrag abgeschlossen, der von der gesamtdeutschen EKD-Synode verabschiedet wurde. Die SED nutzte diese Tatsache, um die evangelische Kirche wegen deren Bekenntnisses zum „Militarismus“ anzugreifen (vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 333–340). 223 NF, Kreisausschuss Leipzig-Stadt am 1. Mai 1957 (ADSL, Schrank VIII, ImmanuelProbstheida VII).
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Pfarrer sogar – wenn auch implizit – zum Wahlboykott aufgefordert224. Neben seinen neuen Aufgaben versuchte Rausch selbstverständlich, seine Position in Probstheida zu halten. Besonderen Kummer bereitete ihm ein so genannter „Kirchenwagen“, den die landeskirchliche Gemeinde in Ermangelung anderer Räumlichkeiten Anfang des Jahres 1957 auf privatem Grund angemietet hatte, um dort Religions- und Konfirmandenunterricht zu halten225. Die Stadt hatte in den Gesprächen mit den kirchlichen Stellen auf eine Beseitigung des – so ihre Argumentation – „unwürdigen“226 Wagens gedrängt, doch offensichtlich keine juristische Handhabe gefunden, die den Charakter der Willkür hätte verdecken können. Um sich in dieser Angelegenheit über die ungenügende Unterstützung durch den Nachfolger Haufes im Rat des Bezirkes, Walter Pientka, zu beschweren, wandte sich Rausch sogar an die SED-Bezirksleitung227. Im September 1957 wurde die Regelung der Frage, welche Institution in Partei oder Staat die finanziellen Folgen im Fall „Rausch“ zu tragen hatte, zum Anlass für eine grundsätzliche Aussprache der an der Behandlung von Kirchenfragen beteiligten Akteure im Bezirk Leipzig. Da das MfS die enormen Kosten – eine interne Aufstellung der Bezirksverwaltung für den Zeitraum vom Februar 1956 bis November 1957 ergab Ausgaben von über 25 000 Mark228 – auf den Rat des Bezirkes abwälzen wollte, hatte sich die Abteilung V der Leipziger Bezirksverwaltung an die SED-Bezirksleitung gewandt. Diese hatte Blümels Initiative von vornherein keine große Chancen eingeräumt, da „die Abt. Kirchenfragen beim ZK [. . .] die Beibehaltung des jetzigen Zustandes empfohlen und betreffs der besonderen Lage von Pfr. Rausch erklärt [habe], dass es günstiger wäre, wenn es gelänge, die Angelegenheit wieder zu normalisieren“229. Bei dem Gespräch ließen die Vertreter des Rates des Bezirkes ihrem Unmut über die Politik des MfS gegenüber dem Vertreter der SED-Bezirksleitung freien Lauf: „Nach den Erklärungen zum Sachverhalt bezeich224 Bericht über die kirchenpolitische Lage in der Stadt Leipzig (STAL, RdB 1555, Bl. 88–97, hier Bl. 89). Laut Bericht des MfS soll Wizisla auf einem Gemeindeabend das Verhalten Rauschs folgendermaßen kommentiert haben: „Wer sich als Christ, was R[ausch] sein will, mit Antichristen verbindet – das kennzeichnet ihn wohl genügend“. IM „Roland“ am 31. Mai 1957 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 7, Bl. 82–84, hier Bl. 82). 225 Kröning, Bericht über die kirchliche Lage in Probstheida, 1. Mai 1957 (ADSL, Schrank VIIII, Immanuel-Probstheida VII). 226 Vgl. Bericht über die kirchliche Lage in Probstheida vom 1. Mai 1957 (ADSL, Schrank VIII, Immanuel-Probstheida VI). 227 Undatierte Aktennotiz (STAL, SED-BL IV/2/14/623, Bl. 204). Pientka arbeitete als GI für die Staatssicherheit (vgl. BSTU, Lpz AIM 1117/87). 228 Abt. V/4, Aufstellung GI „Eduard“ vom 28. November 1957 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 PA, Bl. 17–19). 229 Aktennotiz zur Aussprache über Kirchenfragen am 6. September 1957 (STAL, SED-BL IV/2/14/623, Bl. 206).
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net Gen. Luft den Rausch als reaktionäres Schwein, der nicht Abg[eordneter] hätte werden dürfen. Eggerath [Staatssekretär für Kirchenfragen, G. W.] hätte empfohlen, sich wegen Rausch in keine Diskussionen einzulassen“230. Blümel verteidigte die Strategie des MfS und wies darauf hin, „dass vom Berater [Beckmann, G. W.] darauf orientiert wurde, dass Rausch noch mal eine Rolle spielen würde“231. Nach dem Austausch der Argumente wurde die zukünftige Strategie im Fall „Rausch“ beschlossen: „Abschließend wird festgestellt, dass die Sache Rausch in der Kirchenpolitik im DDR-Maßstab ein Hemmnis bedeutet, in der Arbeit auf bezirklicher Ebene ist aber Rausch nicht zu umgehen, da er stark mit den fortschrittlichen Kräften konspiriert. Daher ist es zweckmäßig, Rausch zur Zeit nicht scheitern zu lassen, aber auch ihn nicht zum Ausgangspunkt unserer Kirchenpolitik zu machen“232. Damit war ein Kompromiss erreicht: Der Fall „Rausch“ wurde nicht eingestellt, wie dies die Vertreter des Rates des Bezirkes gern gesehen hätten, doch wurde die Relevanz dieses Falles von der nationalen auf die kommunale Ebene heruntergestuft. Dies bedeutete das Ende des Falles „Rausch“ als Muster für die Kirchenpolitik in der DDR. Wie der Vertreter der SEDBezirksleitung, Held, in einer Aktennotiz festgehalten hatte, entsprach dies auch der Meinung, die der Leiter der Abteilung Kirchenfragen im ZK, Willi Barth, anlässlich eines Besuches Mitte September 1957 in Leipzig geäußert hatte: „Die ganze Sache werde, gemessen am Nutzeffekt, zu kostspielig. Anzustreben sei eine Verständigung Stiehl-Rausch mit Kompromissen auf beiden Seiten bzw. Beibehaltung Rauschs in seiner Kirchengemeinde“233. Angesichts dieses von den einst euphorisch gestarteten Mitarbeitern des MfS sicherlich als Niederlage bewerteten Ergebnisses verwundert es nicht, dass der Rat des Bezirkes die Zahlung der Personalkosten für Rausch erst einmal nicht übernehmen musste234. Dies war erst ab 1961 der Fall235. Bewegung in die festgefahrene Angelegenheit kam erst wieder im Jahr 1958, als sich der Studiendirektor des Predigerseminars Lückendorf, Gottfried Voigt, einschaltete236. Auf seine Vermittlung kamen im selben Jahr 230 Undatierte Aktennotiz zur Besprechung mit Gen. Blümel, Luft, Pientka (EBD., Bl. 207). 231 EBD. 232 EBD. 233 Held an Wagner am 19. September 1957 (STAL, SED-BL IV/2/14/623, Bl. 216). Zu Willi Barth vgl. M. G. GOERNER, Arbeitsgruppe, S. 69–71. 234 Da Blümels Abteilung nach diesem Gespräch die Chancen auf eine Umverteilung der Kosten schon als niedrig einschätzen musste, bat Blümel den Leiter der BV, Oberst Kurt Rümmler, selbst bei Adolphs vorzusprechen (BSTU, Lpz AIM 2020/76 I, Bl. 98 f.). Vgl. hierzu die abschlägige Weisung Helds vom 4. Oktober 1957. Held, Information über Kirchenangelegenheiten im Bezirk (STAL, SED-BL IV/2/14/617, Bl. 286). 235 Auskunftsbericht vom 9. Juli 1962 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 I, Bl. 43–46). 236 Zu Voigt vgl. F. STENGEL, S. 162 f. Zum Folgenden vgl. R. SCHOLZ, S. 175–190.
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mehrere Gespräche mit Noth und Gerber zustande. Auch in Leipzig stellte Voigt den Kontakt zwischen Superintendent Stiehl und dem Probstheidaer „Kirchenvorstand“ her, der sein Schuldbekenntnis mit der Forderung nach Neuwahlen in der Gemeinde verband237. Über den Verlauf der Verhandlungen war die Staatssicherheit immer bestens informiert, da Rausch Beckmann regelmäßig konsultierte238. Die ohnehin geringen Chancen auf eine Beilegung des Konflikts schwanden, als der „Immanuel-Bote“ während der Befriedungsgespräche den Strafprozess wegen Devisenvergehen gegen den Magdeburger Konsistorialpräsidenten Kurt Grünbaum und den Magdeburger Finanzdezernenten Siegfried Klewitz behandelte und dabei einseitig der Kriminalisierungspolitik der SED das Wort redete239. Außerdem drohte Rausch der Landeskirche, bei Nichterfolg der Verhandlungen dem SEDgesteuerten Pfarrerbund beizutreten240. Im Jahr 1961 waren die ebenso langwierigen wie erfolglosen Verhandlungen „auf einem notvollen toten Punkt stehen geblieben“241. Auch die Bezirksverwaltung Leipzig wurde Rauschs langsam überdrüssig. Seine „oberflächliche“ Arbeitsweise ließ einen ins Auge gefassten Einsatz Rauschs in der Bundesrepublik als nicht erfolgversprechend erscheinen und wurde demgemäß von Blümel abgelehnt242. Rausch wiederum versuchte, sich durch intensive Zuarbeit für die Staatssicherheit wieder ins rechte Licht zu rücken, musste aber resigniert feststellen, dass seine Informationen nicht verwertet wurden243. Er litt an extremer Selbstüberschätzung, meinte er doch noch Anfang 1961, „er traue sich zu, die ganze sächsische Landeskirche aus den Angeln zu heben, wenn er dazu die nötige Freiheit habe“244. Letztlich bestand sein Wert für die Staatssicherheit nur noch in der Abschöpfung solcher Pfarrer und Theologen, die sowieso wegen ihrer kirchenpolitischen Haltung isoliert waren. Abgeschlossen wurde der IMSVorgang „Eduard“ aber erst im Dezember 1976.
237 Kirchenvorstand Probstheida an Noth am 29. September 1958 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 PA, Bl. 101). 238 Im Gegensatz dazu hatte er Voigt gegenüber versprochen, dass „über unsere gegenseitigen Gespräche nichts nach außen dringt“. Rausch an Voigt am 3. Februar 1958 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 I, Bl. 105). 239 Vgl. Voigt an Rausch am 16. Juli 1958 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 PA, Bl. 85–89, hier Bl. 88). Zu den Hintergründen des Strafverfahrens vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 237–240. 240 Rausch am 15. September 1958 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 PA, Bl. 191–200, hier Bl. 196). 241 Rausch an Beckmann am 28. September 1961 (BSTU, MfS AIM 4841/59 A 8, Bl. 159 f., hier Bl. 159). 242 Blümel am 16. Juli 1959 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 PA, Bl. 190). 243 Treff am 6. Juli 1960 mit Beckmann (BSTU, MfS 4841/59 A 8, Bl. 111 f., hier Bl. 112). 244 Treffbericht vom 6. Januar 1961 (EBD., Bl. 127–132, hier Bl. 128).
Der Fall „Rausch“
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Auch über Beckmann war die Zeit inzwischen hinweggegangen. Als „Lehrmeister in Kirchenfragen“ gestartet, erstarrte er in seiner Aversion gegen die Landeskirchenleitungen und konnte der taktisch durchaus flexiblen SED-Kirchenpolitik spätestens Anfang der 60er Jahre keine Impulse mehr geben, wie eine Einschätzung aus dem Januar 1961 offenbarte: „Im Gespräch mit dem IM konnte festgestellt werden, dass er die Politik der Partei und Regierung in Kirchenfragen in einigen Punkten nicht versteht. Er glaubt, dass wir uns von den Kirchenleitungen beeinflussen lassen, ohne die wahren Ursachen ihrer teilweise loyalen Haltung uns gegenüber zu durchschauen. Seine gesamte Haltung ist von ungeheurem Hass gegen alle Kirchenleitung geprägt. Seiner Meinung nach müssten auf schnellstem Wege alle Verbindungen mit den Kirchenleitungen abgebrochen werden“245.
6.6 Bilanz Die Bezirksverwaltung der Leipziger Staatssicherheit wollte aus dem Fall „Rausch“ ein Musterbeispiel kirchenpolitischen Agierens machen. Das ist ihr, wenn auch nicht in der von ihr intendierten Weise, gelungen. Auf der einen Seite der Auseinandersetzung standen Partei, Staat und Geheimpolizei. Angefangen hat der Fall als „Gesellenstück“ zweier unerfahrener, in Kirchenfragen äußerst ungebildeter Mitarbeiter, die ihrer bis dahin völlig unbedeutenden Abteilung einen Achtungserfolg verschaffen wollten. Weder kamen ihnen kirchenrechtliche Probleme der „Selbständigkeit“ der Gemeinde Probstheida in den Sinn, noch hatten sie die Kompetenz, weitere – insbesondere finanzielle – Folgen abzuschätzen. Von ihrer ursprünglichen Konzeption blieb schließlich nur die Absicht, Probstheida als Nukleus einer kirchlichen Oppositionsbewegung zu benutzen. Als ihnen die Angelegenheit aus dem Ruder zu gleiten drohte, schaltete sich die Berliner Zentrale ein und degradierte die Leipziger Mitarbeiter zu Befehlsempfängern. Zwar personell besser ausgestattet, verfügte auch sie jedoch noch nicht über das Instrumentarium, um einen solchen Fall erfolgreich zu führen. Sie war auf die Hilfe des fanatischen Kirchenhassers Beckmann angewiesen, der im weiteren Verlauf neben Rausch zur zentralen Gestalt aufstieg. Er wurde, wie Blümel es formuliert hat, zum „Lehrmeister“246. Die Erklärung des „kirchlichen Notstandes“ in Probstheida und Volkmarsdorf ging allein auf ihn zurück. Mit diesem juristischen Trick konnte Rausch „legal“ im Besitz der Kirche bleiben, und die staatlichen Stellen konnten sich auf die Nichtintervention in inner245 EBD., Bl. 129–131. 246 Einschätzung des GI „Eduard“ vom 26. Januar 1960 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 PA, Bl. 244 f., hier Bl. 245).
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kirchliche Angelegenheiten zurückziehen. Beckmann überzeugte die Berliner Stellen, mit Rausch als Ausgangspunkt eine kirchliche Oppositionsbewegung in der DDR zu organisieren. Über seine Beziehungen zum Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten und zu Rausch, dessen Beratern und Kliegel verfügte er über ein Netzwerk, um seine Konzeption durchzusetzen. Mit dem „Notstand“ in Kliegels Gemeinde schien sich die Richtigkeit des Beckmann’schen Ansatzes zu bewahrheiten. Doch als dort die Inbesitznahme der kirchlichen Gebäude nicht gelang und sich keine weiteren Pfarrer fanden, die den offenen Bruch mit der Landeskirche in Kauf nahmen, wendete sich das Blatt. Nun wurde die finanzielle Frage zum Dreh- und Angelpunkt der Politik Beckmanns, der noch optimistisch davon ausgegangen war, diese Gemeinden könnten sich finanziell selber tragen. Der SED konnte nicht daran gelegen sein, oppositionelle Pfarrer auf Dauer zu alimentieren. Die Konzeption, Pfarrer aus den landeskirchlichen Strukturen herauszulösen, hatte sich als Fehlschlag erwiesen. Der Fall Rausch entwickelte sich folglich zum „Störfall“. Gerade die staatlichen Stellen in Leipzig, die vor Ort die Berliner Anweisungen durchzuführen hatten, drängten auf einen baldigen Politikwechsel. Auch operativ verlor Rausch für die Staatssicherheit an Bedeutung, da er in immer stärker werdender Isolation kaum mehr relevante kirchliche Interna weitergeben konnte. Damit setzte auch eine Veränderung seiner kirchenpolitischen Funktion ein. Rausch wurde zum „Vorzeigepfarrer“, der in der Stadtverordnetenversammlung die Interessen der christlichen Bevölkerung „vertrat“. Im September 1957 wurde der Politikwechsel mit den Instruktionen des ZK eingeleitet, die eine möglichst baldige Reintegration Rauschs in die Landeskirche vorsahen. Die SED stellte auch in diesem Fall die entscheidenden Weichen. Der operative Freiraum, den die Staatssicherheit für ihre Arbeit brauchte, fand seine Grenzen in der Vorherrschaft der SED. Der „Fall Rausch“ wurde nun zur kommunalen Angelegenheit heruntergestuft. Dies bedeutete einen operativen Fehlschlag für die Bezirksverwaltung Leipzig. Doch es wäre verfehlt, diese Angelegenheit nur unter dem Aspekt des Misserfolgs der ursprünglichen Konzeption der Bezirksverwaltung zu sehen. Die Erfahrungen, die die Leipziger MfS-Mitarbeiter in der Führung von Rausch gemacht hatten, konnten sie operativ weiter nutzen. Sie bekamen einen Überblick über innerkirchliche Friktionen in der Leipziger Pfarrerschaft, und außerdem vermittelte ihnen Beckmann kirchenrechtliche Grundkenntnisse. Erst jetzt wurden die Brüche, die der „Kirchenkampf“ in der Pfarrerschaft hinterlassen hatte, operativ auswertbar. Für die Staatssicherheit, sowohl in Berlin als auch in Leipzig, setzte mit dem „Fall Rausch“ ein großer Lernprozess ein, in dessen Folge sie sich auch ihre Unabhängigkeit von Beckmann erarbeiten konnte.
Der Fall „Rausch“
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Opfer des Lernprozesses wurde der Sachbearbeiter für Kirchenfragen im Rat des Bezirkes, Haufe. Er geriet in die Auseinandersetzung zwischen MfS und Staatssekretariat, die im „Fall Rausch“ unterschiedliche Interessen verfolgten. Die von kirchlicher Seite geäußerte Kritik weist einerseits auf persönliche Überforderung hin, dürfte aber im Wesentlichen in den unterschiedlichen Funktionen, die Haufe zu erfüllen hatte, begründet sein. Aus Gründen der Konspiration sollte er als verlängerter Arm der Staatssicherheit dienen, andererseits die staatlichen Anforderungen durchführen. Er entzog sich dieser Aufgabe und flüchtete im Herbst 1956. Die Kirche stand einem Gegner gegenüber, der über die Kontrolle der Justiz und der Verwaltung ihre durchaus berechtigten Anliegen ignorieren konnte. So liefen die Beschwerdeschreiben der Kirche weitgehend ins Leere. Eine Grenze bildete die offene Willkür. So wurden die im „Immanuelboten“ veröffentlichten Redaktionsartikel auf Intervention der Kirche eingestellt. In dieser Situation musste die Kirche versuchen, ihre „Reihen zu schließen“. Dies war deswegen nicht so leicht, weil es gerade auch in Leipzig durchaus Widerstände gegen die Personalpolitik der Landeskirche gab, besonders gegen den Superintendenten Stiehl, der sich in kirchenpolitischer Ausrichtung und Führungsstil deutlich von seinem Vorgänger Schumann unterschied. Die Kirche versuchte nun, den „abtrünnigen“ Pfarrern ihre Ressourcen zu entziehen. Dies gelang ihr bei den Finanzen, und wie sich zeigen sollte, war dies die entscheidende Stelle. Die Kirche war darum bemüht, den Konflikt nicht ausufern zu lassen. Dazu diente die Kontaktsperre, die im Endeffekt dazu führte, dass ein als „Kontaktperson“ für die Staatssicherheit arbeitendes Mitglied eines Kirchenvorstandes und der Bezirkssynode zeitweise aus diesen Gremien entfernt wurde. Außerdem wandte die Kirche die Differenzierungsstrategie an: Sie versuchte erfolgreich, Kliegel und Rausch zu entzweien, indem sie Kliegel sehr weit entgegenkam. Der „Fall Rausch“ zeigt auch die Grenzen der Steuerung von Inoffiziellen Mitarbeitern auf. Die Staatssicherheit konnte Rausch schnell für sich gewinnen, da er sich, im Wesentlichen selbstverschuldet, in seiner Gemeinde isoliert hatte. Die Hoffnung, „etwas Großes zu werden“, ließ Rausch in seiner Abgehobenheit auf das Angebot der Staatssicherheit eingehen. Der „Notstand“ hatte seine Gründe überwiegend in der Persönlichkeit Rauschs, nicht in theologischen Differenzen mit dem Kirchenvorstand. So wurde Rausch zeitweise zum Werkzeug der Staatssicherheit. Als sich die Strategie der Staatssicherheit als Fehlschlag erwiesen hatte und er immer wieder aufgefordert wurde, kompromissbereit auf die Landeskirche zuzugehen, scheiterte dies am Eigensinn des Probstheidaer Pfarrers. Den Geist, den die Staatssicherheit gerufen, wurde sie so schnell nicht los. Rausch arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Geistlicher in seiner Probstheidaer Gemeinde. Aufgrund seines geringen Einkommens, das aus
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Kirchensteuereinnahmen und staatlichen Zuschüssen bestand, war Rausch gezwungen, nebenberuflich als Kraftfahrer Lohnfuhren für Betriebe zu übernehmen. Wegen Perspektivlosigkeit stellte das MfS die Zusammenarbeit mit ihm Ende 1976 ein. Versuche der Landeskirche, die Gemeinde Probstheida wieder in ihre Strukturen zu integrieren, scheiterten an Rauschs Widerstand. 1984 siedelte er in die Bundesrepublik über und verstarb dort 1993247.
247 BV Leipzig, Abt. XX/4, Abschlussbericht zum IMS-Vorgang „Eduard“, 17. Dezember 1976 (BSTU, Lpz AIM 2020/76 I, Bl. 184 f.); BV Leipzig, Abt. XX/4, Vorschlag zur Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und Übersiedlung nach der BRD, 23. März 1984 (BSTU, ZKG 8578, Bl. 25 f.).
Vergleich Zäsuren
III. Vergleich
Im folgenden Kapitel sollen die Ergebnisse des ersten und zwei Teiles der Darstellung miteinander verglichen werden. An die Darstellung der jeweiligen kirchenpolitischen Zäsuren schließt sich ein Abschnitt über Strukturen und Methoden der Kirchenpolitik an. Da das Vorgehen des Repressionsapparates den Charakter des Staat-Kirche-Verhältnisses in beiden Diktaturen besonders gut verdeutlicht, wird dieses gesondert behandelt. Der Frage nach der Autonomie kirchlichen Handelns und dem Grad widerständigen Handelns in beiden Diktaturen schließt sich die Untersuchung an, welche Faktoren die Besonderheit der Entwicklung in Leipzig ausmachten.
1. Zäsuren Die auch für die Verhältnisse in Leipzig entscheidende Zäsur liegt im Sommer 1933. Auf der Welle der Euphorie, die die Gesellschaft und gerade auch den protestantischen Bevölkerungsteil nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten erfasst hatte, wurde das durch staatliche Intervention an die Macht gelangte deutschchristliche Kirchenregiment von Friedrich Coch durch Wahlen bestätigt und die sächsische Landessynode gleichgeschaltet. In den Leipziger Kirchgemeinden war es im Juli 1933 nur in zwei Gemeinden zu wirklichen Wahlen gekommen, während in anderen durch das Aufstellen von Einheitslisten das Übergewicht der Deutschen Christen von vornherein feststand. Aufgrund der Dynamik der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik konnte die neue Führung binnen eines halben Jahres mit ihren Sympathisanten in der sächsischen Landeskirche einen dominierenden Einfluss ausüben. Im Sommer und Herbst 1933 erreichten die Deutschen Christen in der Landeskirche ihren höchsten Einfluss. Aber nicht nur innerhalb der Kirchenleitung, sondern auch in der Pfarrerschaft und in den Gemeinden war von Anfang an ein großes nationalsozialistisches Potenzial vorhanden. Im Gegensatz dazu konnte die SED bis Ende der 50er Jahre auf keiner kirchlichen Ebene in Sachsen entscheidend Fuß fassen. Die nächste entscheidende Zäsur liegt im April 1934, als Superintendent Hilbert seines Amtes enthoben wurde. Mit der Entfernung Hilberts, der als zentrale Person des Leipziger Widerstandes gegen das deutschchristli-
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che Kirchenregiment galt, wurde auch die Spitze der Leipziger Pfarrerschaft auf den neuen landeskirchlichen Kurs gebracht: Bis Ende 1935 amtierten in Leipzig als kommissarische Superintendenten zwei Deutsche Christen. Im April 1934 vollzogen sich parallel zwei Entwicklungen: die von der deutschchristlichen Kirchenleitung betriebene „Gleichschaltung“ der kirchlichen Mittelinstanzen einerseits, sowie die Ausbildung einer innerkirchlichen Opposition aus Pfarrern und Laien andererseits, die sich im Mai 1934 zur „Bekenntnisgemeinschaft der evangelisch-lutherischen Kirche in Sachsen“ zusammenschlossen und gegen die Eingliederung der Landeskirche in die Reichskirche protestierten. Hitler verfolgte ab 1935 eine Doppelstrategie, indem er versuchte, eine weitgehende Verdrängung des kirchlichen Einflusses auf die Gesellschaft mit einem „schiedlich friedlichem Arrangement mit den Kirchen“ zu verbinden1. Der Konflikt sollte mit staatlich administrativen Maßnahmen bereinigt werden. Die Einsetzung des Landeskirchenausschusses im Herbst 1935, die eine wichtige kirchenpolitische Maßnahme des neuen Reichskirchenministers Kerrl darstellte, führte in Sachsen zu einer Beruhigung der innerkirchlichen Spannungen. Die Deutschen Christen wurden faktisch entmachtet und Vertreter der „Mitte“ und der Bekennenden Kirche an der Kirchenleitung beteiligt. Dadurch gelang es der Landeskirche bis 1937, die innerkirchlichen Angelegenheiten weitgehend autonom zu regeln. In Leipzig wurde die Zurückdrängung des deutschchristlichen Elements im Frühjahr 1936 mit der Wahl Heinrich Schumanns, des führenden Vertreters der „Mitte“, zum Superintendenten augenfällig. Parallel zu dieser kirchenpolitischen Entspannung nahmen die Maßnahmen des NS-Regimes zur Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens zu, und durch administrative Anordnungen vor allem im Bereich der Pressearbeit, Sammlungen und Veranstaltungen wurde das kirchliche Leben zurückgedrängt. Mit der Auflösung der Landeskirchenausschüsse 1937 büßte die NS Kirchenpolitik weiter an klar erkennbaren Konturen ein. Hitler selbst suchte die Konfrontation mit den Kirchen zu vermeiden und schob der kompromisslosen Linie einiger radikaler Kräfte innerhalb der NSDAP einen Riegel vor, um so die innere Ruhe für seine innen und außenpolitischen Ziele zu gewährleisten2. Dem Reichskirchenminister gelang es nach dem Rücktritt der Kirchenausschüsse trotz unterschiedlichster Ansätze nicht, eine tragfähige Konzeption zu entwickeln, die sowohl gegenüber der Kirche als auch dem Staat und der NSDAP gegenüber durchsetzbar war. In Sachsen unterstützte Gauleiter Mutschmann das durch einen Handstreich an die Macht gekommene „Kirchenregiment Klotsche“. Mutsch1 H. G. HOCKERTS, Tagebücher, S. 367. 2 DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK, Bd. IV, S. XIII.
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mann musste aber akzeptieren, dass der Sicherheitsapparat (SD und Gestapo) die Inanspruchnahme polizeilicher Mittel im Kirchenkampf selbst kontrollieren wollte. In Leipzig endete die relativ BK freundliche Politik mit dem Rücktritt des Oberbürgermeisters Goerdeler und dem fast gleichzeitigen Weggang des als Patron für die evangelische Kirche bestellten Stadtrats Beusch. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges setzte eine innerkirchliche „Burgfriedenspolitik“ ein. Kirchenpolitische Initiativen unterblieben, während die weltanschaulichen Rigoristen des NS-Regimes unter dem Vorwand kriegsbedingter Einschränkungen eine Politik der harten Hand gegenüber den Kirchen betrieben. Insgesamt zeigte sich die nationalsozialistische Kirchen- und Religionspolitik phasenbestimmt, uneinheitlich und widersprüchlich. Sie folgte keiner geschlossenen kirchenpolitischen Grundkonzeption, sondern war das Ergebnis der Politik unterschiedlicher widerstreitender Kräfte in Partei und Staat und blieb anderen Politikfeldern untergeordnet3. Auch in der SBZ/DDR folgen die Zäsuren in Leipzig keinem klaren Schema zunehmender kirchenpolitischer Systematisierung oder Repression. Auf eine besondere Übergangsphase im Sommer 1945, die innerkirchlich von der Auseinandersetzung von BK und „Mitte“ um die Bewertung des rechten Weges im Dritten Reich und von Seiten der KPD von der Durchsetzung des Bündniskonzeptes geprägt war, folgte eine Phase, in der die Landesverwaltung/regierung versuchte, die beiden Kirchen für ihre sozioökonomischen Maßnahmen politisch in Anspruch zu nehmen. Sie endete spätestens mit dem Rückzug der Landeskirche aus der Volkskongressbewegung 1948 und ging in eine Periode administrativer Schikanen und polizeilicher Überwachung über. Ansätze zu einer strukturellen Verstetigung und zu einer Politik der Differenzierung lassen sich für diese Zeitspanne bereits nachweisen. Die Etappe des „offenen Kirchenkampfes“, die ihren Höhepunkt in der Auseinandersetzung mit der „Jungen Gemeinde“ fand, erstreckte sich vom Sommer 1952 bis zum Juni 1953. In dieser Phase waren die Defizite auf kirchenpolitischem Gebiet und die Reibungsverluste, die der Apparat durch die Bildung der Bezirke erfahren hatte, nicht zu übersehen. Das Ende des „Kirchenkampfes“ bedeutete für Leipzig in zweierlei Hinsicht eine Zäsur. Zum einen wurden die gerade im Bezirk Leipzig besonders aggressiven antikirchlichen Maßnahmen eingestellt, zum anderen folgte nach 17 Jahren auf Heinrich Schumann Herbert Stiehl als Leipziger Superintendent, der als Parteigänger des neuen Landesbischofs Noth und als exponierter Vertreter der BK einen schweren Stand in der Leipziger Pfarrerschaft hatte. 3 Vgl. auch M. GAILUS, Protestantismus, S. 664 f.
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Nach dem 17. Juni 1953 setzte in DDR eine Periode ein, die durch die systematische Zurückdrängung der Kirchen charakterisiert werden kann. Die Intention von führenden Personen in SED und Staatsapparat lag in einer Neuordnung des kirchenpolitischen Apparates, die mit einer geschmeidigeren Kirchenpolitik einhergehen sollte. In Leipzig müssen die Entwicklungen auf kirchenpolitischem Gebiet bis zum Ende der 50er Jahre als sehr konfrontativ gekennzeichnet werden: Die Jugendweihekampagne, die Auseinandersetzung um den Pfarrer Rausch und die Verhaftung des Leipziger Studentenpfarrers Siegfried Schmutzler zeigten an, dass besonders der Erste Sekretär der SED Bezirksleitung, Paul Fröhlich, eine aggressive Vorgehensweise forderte. Insgesamt kann bisher festgestellt werden, dass sich die Grundvoraussetzungen für die Kirchenpolitik in beiden Diktaturen erheblich unterschieden. Im Nationalsozialismus war innerhalb kürzester Zeit nach offenen Eingriffen bzw. klarer Propaganda auf der Leitungsebene und der Gemeindeebene die „Gleichschaltung“ bzw. Selbstumformung fast vollständig gelungen. Die KPD bzw. SED war dagegen aufgrund ihrer ungefestigten Machtposition in der SBZ und entgegen ihren ideologischen Grundeinstellungen gezwungen, mit Hilfe des Bündniskonzeptes einen vorsichtig taktierenden Kurs mit weitgehenden Zugeständnissen an die Kirchen einzuschlagen. Eine Position wie sie das nationalsozialistische Regime bereits im Sommer/Herbst 1933 in den Kirchen innehatte, konnte sie selbst nach 40 Jahren Herrschaft in der DDR nicht vorweisen. Die politischen Rahmenbedingungen der DDR stellten gerade im Bereich der Kirchenpolitik eine Beschränkung des politischen Freiraums für die SED dar. Die Sowjetunion als Besatzungsmacht griff mehrmals in die kirchenpolitischen Aktivitäten der SED ein. Vor Ort konnte sie manche antikirchliche Maßnahme von SED-Funktionären verhindern4. Sie bewirkte an mehreren Punkten deutliche Änderungen in der SED-Kirchenpolitik. Vor den Gemeinderatswahlen 1946 verabschiedete die SED auf Vorgaben der SMAD ein kirchenpolitisches Papier, das die Vereinbarkeit von Christentum und SED propagierte, auch die Beendigung der Verfolgungsmaßnahmen gegen die „Junge Gemeinde“ 1953 erfolgte auf sowjetischen Druck. Auffällig ist, dass die kirchenpolitischen Zäsuren in starkem Zusammenhang mit den deutschlandpolitischen Zäsuren stehen. Dabei wäre es falsch, den Einfluss der SMAD nur als Korrektiv überzogener SED-Kirchenpolitik zu sehen. Da die Sowjets von einem eng begrenzten Kirchenbegriff ausgingen, verhinderten sie den kirchlichen Wiederaufbau in seiner alten volkskirchlichen Breite, indem sie beispielsweise das Vereinswesen stark einschränkten. Vor den Gemeindewahlen 1946 wurden der Leipziger Super4 H. SCHUMANN, S. 220.
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intendent und sein Stellvertreter von der örtlichen Kommandantur vorgeladen, um durch sie eine Unterstützung der CDU durch die Leipziger Pfarrerschaft unterbinden zu lassen. Nationalsozialismus und SED suchten den gesellschaftlichen Einfluss der Kirchen langfristig zu minimieren. Die dabei verwandten Lösungsansätze hingen eng mit der Struktur der jeweiligen Herrschaft zusammen: Die Gleichschaltung im „Dritten Reich“ betraf die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen zunächst sehr unterschiedlich. Taktisch flexibel zog sich der Nationalsozialismus auf der unteren Ebene immer stärker aus den kirchlichen Auseinandersetzungen zurück und begnügte sich damit, jene Kräfte, die dem Regime gefährlich werden konnten, zu observieren und, wenn nötig, zu sanktionieren. Die sozialrevolutionären Umbrüche, die von der SED in der SBZ/DDR vollzogen wurden, gingen dagegen sehr viel tiefer. Hinzu kam, dass die marxistische Ideologie gerade das Bürgertum, in dem der Protestantismus am stärksten verankert war, als Schicht zu zerstören suchte. So geschah der Zugriff auf die Kirchen im Nationalsozialismus durch die frühzeitige Gleichschaltung der Leitungen und der Gemeinden, während Versuche, die Zahl der Kirchenmitglieder zu verringern und die kirchlichen Feiern durch nationalsozialistische Äquivalente zu ersetzen, zwar unternommen wurden und zeitweise auch sehr erfolgreich waren, aber schließlich in der Zeit des Krieges massiv an Wirkung einbüßten. Angesichts einer fast jede Familie betreffenden Gefahr suchten die Menschen nun verstärkt Zuspruch bei den Kirchen, deren gesellschaftliche Rolle dadurch gestärkt wurde. In der DDR verlief dieser Prozess anders. Die gesellschaftliche Akzeptanz des Regimes war gering und die evangelische Kirche lehnte ein Zusammengehen mit den neuen Machthabern weitgehend ab. So änderte die SED Mitte der 50er Jahre ihre Vorgehensweise, indem sie die Kirchenpolitik systematisierte und nunmehr eine schleichende Unterwanderung in längerfristiger Perspektive vorsah. In den 50er Jahren waren die Erfolge dieser kirchenpolitischen Strategie noch mäßig. Der entscheidende Schlag gegen die evangelische Kirche wurde aber nicht über die Kirchenpolitik geführt, sondern – wie es dem Regime entsprach – gesellschaftlich. Für die SED lag das in der Logik ihres Anspruches auf die gesamte Gesellschaft. Der sozialistische Staat verfügte aufgrund der sozioökonomischen Maßnahmen über weitgehende Machtmittel. Nur wer sich an die Vorgaben des Systems anpasste, hatte die Chance, mit den systemverwalteten Leistungen, seien es berufliche Aufstiegschancen, Einkommensverbesserungen, Entscheidungskompetenzen oder Einflussmöglichkeiten versorgt zu werden5. Am deutlichsten sichtbar am Beispiel der Jugendweihe setzte die SED 5 D. POLLACK, Organisationsgesellschaft, S. 65.
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bei den Eltern den Hebel an, die in der Sorge um die beruflichen Aufstiegschancen ihrer Kinder diesen die Teilnahme an der Jugendweihe nahe legten. Gerade im Bildungsbereich, beim beruflichen Aufstieg und dem Eintritt in die Partei genügte geringer Druck, um die betreffenden Personen zum Kirchenaustritt zu bewegen. Angesichts einer beim überwiegenden Teil der evangelischen Bevölkerung nur losen Bindung an die Kirche blieben die kirchlichen Gegenmaßnahmen ohne Wirkung. Jetzt wurde in den Gemeinden mehr und mehr der Ruf laut, sich stärker an die gesellschaftlichen Bedingungen in der DDR anzupassen. Dazu kam, dass die SED an gesellschaftliche Homogenisierungsbestrebungen im Nationalsozialismus anknüpfen konnte. Durch die Ende 1933 erfolgte Eingliederung der evangelischen Jugendverbände in die HJ, waren die Möglichkeiten religiöser Betreuung evangelischer Jugendlicher stark eingeengt worden. Evangelische Jugendverbände wie der „Christliche Verein Junger Männer“ (CVJM) bestanden nur noch für die über Achtzehnjährigen und hatten sich auf rein religiöse Aktivitäten zu beschränken. Das Verbot von Doppelmitgliedschaften in konfessionellen Vereinen und HJ und die administrativen Schikanen gegenüber evangelischen Jugendlagern bildeten das Vorspiel für die die vom SD angestrebte „allmähliche Vernichtung“ der evangelischen Jugendarbeit6. Anfang 1939 wurden im Rahmen einer gemeinsamen Aktion von Gestapo und SD die CVJM in Sachsen aufgelöst7. Die kirchliche Jugendarbeit war gezwungen, sich immer stärker in die Gemeinden zurückzuziehen. Weitere Beeinträchtigungen des kirchlichen Lebens betrafen die Behinderung des Religions- und Konfirmandenunterrichts. Auf diesen Gebieten setzte sich die Erschwernis des kirchlichen Neuaufbaus nach 1945 ununterbrochen fort. Durch die Bildung der Jugendausschüsse und später der FDJ sollte der Wiederaufbau übergemeindlicher konfessioneller Jugendorganisationen beeinträchtigt und die Reproduktion christlicher Einstellungen weiterhin durch die Erschwerung des Religions- und Konfirmandenunterrichts verhindert werden. Strukturen und Methoden der Kirchenpo Vergleich litik
2. Strukturen und Methoden der Kirchenpolitik Die kirchenpolitischen Strukturen in beiden Regimen spiegeln die Charakteristika ihrer jeweiligen Herrschaftsstrukturen wider. Im Nationalsozialismus mit seiner charismatischen Führerherrschaft wurde bürokratische 6 W. DIERKER, S. 405 f. 7 Sächsisches Verwaltungsblatt 1939, Nr. 4. Zur Auflösung des Leipziger Vereins vgl. STAL, PP-V 2515.
Strukturen und Methoden der Kirchenpolitik
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Rationalität durch das Prinzip der Menschenführung ersetzt, das auf die Durchsetzungskraft des jeweiligen „Führers“ zielte8. Der kirchenpolitische Apparat im Nationalsozialismus war immer im Fluss, nie systematisch abgegrenzt, wenn sich auch das Reichssicherheitshauptamt besonders in der Ausnahmesituation des Krieges immer mehr regionale Kompetenzen aneignen konnte. Innerhalb der Partei konnten sich weder auf Gau- noch auf Kreis- oder Ortsebene systematische kirchenpolitische Strukturen ausbilden, vielmehr entzog sich auf der unteren Ebene trotz gegenteiliger Bemühungen vieles einer zentralen Steuerung9. Entscheidend war wohl, dem Führerprinzip entsprechend, die Haltung des Gau- bzw. Kreisleiters. So verfocht Mutschmann in Sachsen mit seiner Unterstützung für das sächsische DC-Kirchenregiment ein anderes kirchenpolitisches Konzept als Heß oder Bormann. Trotz frühzeitiger Hinweise der Parteileitung, die Distanzierung von der Kirche zu forcieren, lassen sich für Leipzig seitens der NSDAP-Kreisleitung Interventionen zugunsten von DC-Pfarrern nachweisen. Eine der Hauptfunktionen der NSDAP-Ortsgruppen bestand darin, Gottesdienste zu überwachen und Pfarrer vor Ort einzuschüchtern. Ein Großteil der Leipziger Pfarrer berichtete von unangenehmen Vorladungen vor NSDAP-Ortsgruppen. Auch in der SBZ/DDR lässt sich kein systematischer, kontinuierlicher Ausbau der kirchenpolitischen Strukturen nachweisen. Hier ist die Sondersituation durch die Kontrolle der SMAD in Betracht zu ziehen. Die Tatsache, dass die SED im Rahmen des Bündniskonzeptes die Kirchen primär als Instrumente ansah, die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer sozioökonomischen Maßnahmen zu erhöhen, machte sich auch in der Parteistruktur bemerkbar. In den ersten Jahren bestand die von übertriebenem Optimismus getragene Politik vor allem darin, im Vorfeld größerer politischer Entscheidungen die Kirchen zu wohlwollenden Äußerungen zu bewegen. Systematische kirchenpolitische Arbeit unterblieb. Auf Landesebene kümmerten sich der Erste Sekretär des SED-Landesvorstandes sowie die Abteilung Kultur und Erziehung im Allgemeinen nur am Rande um Kirchenfragen. Auf den untergeordneten Ebenen des Bezirksvorstandes Westsachsen bzw. der Stadtleitung hat die kirchenpolitische Arbeit fast keinen Niederschlag gefunden. Hier geriet sie verstärkt in die Kompetenz von Nachrichtenamt und Volkspolizei. Anfang 1949 wurde auf Landesebene der kirchenpoliti8 D. REBENTISCH, S. 552; H.-U. THAMER, Nationalsozialismus, S. 466 f. 9 NSDAP-Kreisleitungen, die als Mittelinstanz zwischen Gau- und Ortsgruppenleitungen fungierten, bestanden aus dem Kreisleiter, dem Kreisgeschäftsführer, Kreisorganisationsleiter, dem Kreispersonalamtsleiter, dem Kreisschulungsleiter, dem Kreispropagandaleiter, dem Kreiskassenleiter, dem NSBO-Leiter, dem Leiter des Amtes für Volkswohlfahrt und der Kreisfrauenschaftsleiterin. Vgl. C. ARBOGAST, deren Darstellung zum Verhältnis von Kreisleitung und Kirche (S. 66–69) die Funktion des Kreisleiters in den Mittelpunkt stellt.
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sche Apparat aufgelöst. Ebenso wie schon Ministerpräsident Friedrichs übernahm Seydewitz eine initiative Rolle in kirchenpolitischen Fragen, wenngleich auch seine Stellung bei weitem nicht an die zentrale Position Mutschmanns heranreichte, sondern sich klar im Rahmen der vom Politbüro ausgehenden Vorgaben hielt. Anders als die NS-Kirchenpolitik, die sich nach ihrem grundsätzlichen Scheitern ab 1937 wesentlich auf taktische Maßnahmen beschränkte, wurde die SED-Kirchenpolitik besonders ab 1954 systematischer ausgestaltet. Der kirchenpolitische Apparat wurde ausgebaut und eine ausgefeilte Differenzierungs- und Unterwanderungsstrategie entwickelt, die allerdings auf Bezirksebene hinter den Erwartungen zurückblieb. Der Nationalsozialismus hatte auf solche Strategien verzichten können, da er nicht nur durch die Deutschen Christen in den Kirchen über eine viel stärkere Machtposition verfügte. Zu den diktatorialen Lernprozessen in diesem Bereich gehört, dass die SED in den ersten Jahren – mit Ausnahme der Jahre 1952/53 – einen offenen „Kirchenkampf“ vermeiden wollte. Spätestens nach dem Fall „Rausch“ war den Verantwortlichen klar geworden, dass eine offizielle Spaltung der Kirche sich kirchenpolitisch nachteilig auswirken würde. Insbesondere nach der Gründung der Bezirke 1952 kann nachgezeichnet werden, dass die zentralen Vorgaben auf der Bezirks- und Kreisebene nicht eingehalten wurden. Angesichts eines großen Kadermangels war die Priorität der Kirchenfragen sowohl auf Partei- wie auch auf administrativer Ebene zu gering. Viele Stellen blieben unbesetzt oder wurden Personen anvertraut, die mit Kirchenfragen nichts anzufangen wussten. Sehr häufige Personalwechsel mit den entsprechenden Reibungsverlusten kennzeichneten die Situation bis zum Ende der 50er Jahre. Im Unterschied allerdings zu 1933 besaß die evangelische Kirche in Leipzig im Verwaltungsapparat wenig Rückhalt, da die SED hier einen rigorosen Wechsel des Personals vorgenommen hatte. Hervorzuheben ist jedoch, dass gerade, wenn es um die Umsetzung repressiver Maßnahmen gegen die Kirchen ging, der Bezirk eine herausragende Stellung einnahm, wie etwa 1953 oder in der Auseinandersetzung um die Jugendweihe, wo die treibende Rolle des Leipziger Bezirkssekretärs Paul Fröhlich besonders gut aufgezeigt werden kann. Demgegenüber fällt ins Gewicht, dass die mit der 1954 beschlossenen Kirchenpolitik ins Auge gefassten integrativen Aufgaben kaum wahrgenommen wurden. Dies mag zum einen direkt auf Paul Fröhlich zurückzuführen sein, zum anderen wahrscheinlich darauf, dass der kirchenpolitische Apparat stärker auf die repressiven Maßnahmen konzentriert werden konnte10. Hier bestätigt sich
10 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche S. 402.
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der Befund, wonach die Wirkungen der SED-Kirchenpolitik vielmehr destruktiv als konstruktiv war: „Sie konnte neutralisieren, ‚zersetzen‘ und verhindern, weniger aufbauen und bewirken“11. Ein bedeutender Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und der DDR ist die Existenz von so genannten „Sympathisantenorganisationen“ im Bereich der Kirchenpolitik. Die SED versuchte die Inanspruchnahme der kirchlichen Amtsträger und der christlichen Bevölkerung durch spezielle Abteilungen in nach außen neutral erscheinenden Massenorganisationen. Zur Gewinnung von Ansprechpartnern in der christlichen Bevölkerung griff die SED Themen auf, in denen sie eine gewisse Übereinstimmung von Partei und Bevölkerung festzustellen glaubte: deutsche Einheit und Frieden contra die von der Bundesrepublik betriebene Politik der Westintegration. Christliche Kreise in der Nationalen Front, der „Deutsche Friedensrat“ und nach erfolgter „Gleichschaltung“ auch die CDU sollten die christlich eingestellte Bevölkerung und „fortschrittliche“ Pfarrer gewinnen. Tatsächlich blieb der Erfolg auf der lokalen Ebene sehr begrenzt. Dort ließen sich immer die gleichen Pfarrer für die Ziele der SED einspannen. Auch schien das Interesse der SED-Bezirksleitung und des Rates des Bezirkes an der Arbeit dieser Institutionen nicht besonders groß. Außerdem war die Bereitschaft zur Zusammenarbeit von Pfarrern im Bezirk Leipzig, in dem die repressiven Maßnahmen gegen Pfarrer wie im Fall Schmutzler, die einseitige Stellungnahme für Rausch und die aggressive Werbung für die Jugendweihe das Staat-Kirche-Verhältnis massiv belasteten, stark eingeschränkt. In der Pfarrerschaft blieben die „fortschrittlichen“ Kräfte isoliert. Trotzdem war diese Politik nicht folgenlos. Auf Vorwürfe aus der Pfarrerschaft konnten „fortschrittliche Kräfte“ auf die Neutralität der Institutionen verweisen, in denen sie tätig waren12. Die evangelische Kirche und der Repressionsapparat Vergleich
3. Die evangelische Kirche und der Repressionsapparat Für die Herrschaft im „Dritten Reich“ und in der DDR gleichermaßen kennzeichnend ist die starke Position der Geheimpolizeien im Herrschaftsgefüge. Sie operierten außerhalb rechtsstaatlicher Normen. Nicht zu übersehen waren Tendenzen der Geheimdienste, sich gegenüber der politischen Führung zu verselbstständigen, doch blieb in der DDR das MfS stets 11 EBD., S. 402. 12 So verteidigte Pfarrer Johannes Herz seine Teilnahme an der Pfarrertagung im Herbst 1950 in Dresden mit der Überparteilichkeit der Nationalen Front, die die Tagung veranstaltete.
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„Schild und Schwert der Partei“. Im Nationalsozialismus hingegen erlangte die SS und mit ihr das Reichssicherheitshauptamt ein größeres Eigengewicht gegenüber der NSDAP13. Gestapo und SD betrieben eine zunehmend an Eigenständigkeit gewinnende Kirchenpolitik, die die Politik des Reichskirchenministers konterkarierte und auch die von den Deutschen Christen favorisierte Synthesekonzeption von Nationalsozialismus und Christentum ablehnte14. Die Gestapo betrieb den Pfarrern gegenüber eine Politik der Nadelstiche, während sie sich bei den Sanktionen eher zurückhielt. In Leipzig blieb die Verhängung von Schutzhaft eine Ausnahme15. Größere Verhaftungsaktionen wie im Frühjahr 1935 geschahen in Absprache mit der politischen Spitze16. Die Untersuchung der Kirchenpolitik der geheim- und nachrichtendienstlichen Apparate in Sachsen und Leipzig ergab folgenden Befund: Beide gingen in ihren Analysen und auch ihren handlungsleitenden Vorstellungen von einem weltanschaulich bestimmten Feindbild aus, das eine Vereinbarkeit der jeweils herrschenden Ideologie mit dem Christentum kategorisch ausschloss und die Kirche zu einem Residuum oppositioneller Regungen stilisierte. Dabei blieb die lückenlose Überwachung und Kontrolle der Kirche ein totalitärer Wunschtraum. Der Apparat war in beiden Diktaturen viel zu klein. In der Zentrale des SD zum Beispiel verfügten die beiden für Protestantismus zuständigen Referenten nie mehr als über zwei Hilfskräfte, die regionalen Dienststellen hatten nur im Ausnahmefall eigene Protestantismus-Referenten17. Mitte der 50er Jahre blieb auch das MfS im Kirchenbereich weit hinter seinen Vorstellungen zurück. In der Hauptverwaltung waren Anfang 1955 von zehn Stellen im Referat „Evangelische Kirche“ gerade einmal sechs besetzt18. Im Vergleich dazu war die Leipziger Bezirksverwaltung mit drei Personen zu dieser Zeit recht gut ausgestattet. Allerdings war dieses Personal zwar in ideologischer Hinsicht zuverlässig, jedoch verfügte es nur über sehr geringe Kenntnisse der kirchlichen Strukturen. Die Wahrnehmung der Komplexität der kirchenpolitischen Entwicklungen wurde durch die weltanschauliche Voreingenommenheit des Personals erheblich reduziert. In beiden Diktaturen waren die Mitarbeiter des 13 R. ECKERT, Geheimdienstakten, S. 289. 14 Auch in der Formulierung der SED-Kirchenpolitik spielten Religiöse Sozialisten zu Beginn eine Rolle, wurden aber später aus den entscheidenden Gremien verdrängt. 15 Vgl. den Fall des Pfarrers Paul Tzschucke, der von der Gestapo in Schutzhaft genommen wurde, nachdem ein Gericht die Einleitung eines Verfahrens gegen ihn nach der Untersuchungshaft abgelehnt hatte. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD an den RKM, 11. Februar 1942 (BARCH BERLIN, R 5101/24000). 16 K.-M. MALLMANN, Konfrontation, S. 129. 17 W. DIERKER, S. 394. 18 C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, S. 82.
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geheimdienstlichen Apparates im Bearbeitungszeitraum der vorliegenden Untersuchung kaum in der Lage, die innerkirchlichen Verwerfungen mit einer eigenständigen Strategie ausnutzen zu können. Vielmehr dokumentieren viele Berichte der Geheimdienste die Gefahr, den Interessen der Informanten aus der Pfarrerschaft aufzusitzen. Das Vorgehen im Fall des Probstheidaer Pfarrers Rausch offenbarte, dass die Staatssicherheit in den 50er Jahren nicht ohne fremde Hilfe durch einen Inoffiziellen Mitarbeiter eine kirchenrechtlich anspruchsvollere Angelegenheit handhaben konnte. Für diesen Zeitraum lässt sich daher feststellen, dass die kirchenpolitische Handlungsfähigkeit des MfS stark eingeschränkt und weniger auf aktive Kirchenpolitik, sondern vor allem auf Informationsgewinnung beschränkt blieb. Gestapo und SD sind daher als wesentlich bedeutendere Akteure im kirchenpolitischen Bereich anzusehen als das Ministerium für Staatssicherheit in den 50er Jahren. In beiden Systemen gelang die Unterwanderung der Spitzen des staatlichen kirchenpolitischen Apparates sehr gut: Über die Vorgänge im Reichskirchenministerium und der 1957 gegründeten Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen waren SD und MfS über hochrangige Spitzel bestens informiert19. War Mitte der 50er Jahre mit der Gewinnung des Oberlandeskirchenrats Konrad Müller der Zugang zum sächsischen Landeskirchenamt gelungen, so verfügte der SD im Dritten Reich dort gleich über mehrere herausragende V-Leute. In Leipzig dagegen wird aus den Berichten erkennbar, dass in erster Linie deutschchristliche Pfarrer Zuarbeit für Gestapo und SD leisteten. Als Schumann das Amt des Superintendenten übernahm und die Stellung der deutschchristlichen Pfarrer in Leipzig geschwächt war, wurde, soweit aus den verfügbaren Akten ersichtlich, die Qualität der Zuarbeit schlechter. In der Anfangszeit bildeten die von der Bezirksverwaltung des MfS angeworbenen Inoffiziellen Mitarbeiter unter den Pfarrern „überzeugte“ kirchliche Außenseiter, die aber nur über begrenzten Zugang zur kirchlichen Arcana verfügten. Bis Ende der 50er Jahre gelang es dem MfS nicht, einzelne Geistliche aus der Mitte der Pfarrerschaft oder aus dem Umfeld des Superintendenten zu gewinnen. Aktives kirchenpolitisches Handeln wie im Fall Rausch musste deshalb die Ausnahme bleiben. Mit der Gestapo hatte fast die Hälfte aller Leipziger Geistlichen im Dritten Reich persönlichen Kontakt in Form von Verhören und Hausdurchsuchungen. Mehrmalige Verhöre waren keine Besonderheit. Die Gestapo 19 Zur Unterwanderung des RKM vgl. H. KREUTZER, S. 197–206. Zur Situation im Staatssekretariat für Kirchenfragen vgl. die pointierte Stellungnahme von A. BOYENS, Staatssekretariat, S. 127 f.: „Die Frage, wer von den politischen Mitarbeitern des Staatssekretariats nicht für das MfS arbeitete, scheint einfacher zu beantworten zu sein, weil es offenbar kaum jemanden im Staatssekretariat ohne MfS-Kontakte gegeben hat. Es fällt darum schwer, diese Dienststelle als eigenständige Behörde zu begreifen. Zutreffender wäre seine Bezeichnung als Dependance des MfS“.
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versuchte dadurch, die Pfarrer einzuschüchtern und sie zu systemkonformem Verhalten zu veranlassen. In ähnlicher Weise agierten auch die NSDAPOrtsgruppen, die etliche Leipziger Pfarrer immer wieder schikanierten. Das Ministerium für Staatssicherheit handelte immer konspirativ und vermied jeden persönlichen Kontakt mit den Geistlichen, wie auch die SED eher im Hintergrund agierte. Die „soziale“ Kontrolle ging hier eher von Verwaltungsstellen aus. Inszenierte Einwohnerversammlungen beispielsweise, auf denen einzelne Pfarrer wegen ihrer Haltung etwa zur Friedensfrage an den Pranger gestellt wurden, stellten ein bewährtes Instrument dar. Die Überformung der Staat-Kirche-Auseinandersetzung durch den „Kirchenkampf“ bedingte die außerordentliche Qualität der Auskunftsbereitschaft von Pfarrern gegenüber der Gestapo. Loyalitätskonflikte, wie sie Informanten gewöhnlich gegenüber der Gruppe, der sie entstammen, haben, spielten dabei offensichtlich bei den deutschchristlichen Pfarrern aus Leipzig keine Rolle. Vielmehr versuchten die Pfarrer, die Gestapo für ihre Zwecke zu nutzen. Denn sie sahen in der Gestapo einen Partner, der das gleiche Ziel wie sie selbst verfolgte. Spätestens ab Mitte der 30er Jahre, als die Gestapo sich immer stärker aus den innerkirchlichen Auseinandersetzungen zurückzog, allerdings im Hintergrund agierend, die Aufrechterhaltung der Spaltung des Protestantismus beförderte, wich die anfängliche Euphorie der Enttäuschung und Ernüchterung, sodass sich auch viele deutschchristliche Pfarrer aus der Kirchenpolitik zurückzogen. In den untersuchten Fällen lagen die Motive für eine Zusammenarbeit der Inoffiziellen Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit seltener in der Vorstellung, mit Hilfe des Geheimdienstes die „Gleichschaltung“ der evangelischen Kirche in den sozialistischen Staat betreiben zu wollen, sondern häufiger in der persönlichen Situation des Betreffenden, zumeist als vermeintlich Benachteiligtem im Apparat der Landeskirche. Oft diente die „reaktionäre Haltung der Landeskirche“ als Schutzbehauptung vor sich selbst oder vor den Mitarbeitern des MfS, die die Motive ihrer Inoffiziellen Mitarbeiter aber zumeist gut abschätzen konnten. Neben der Erpressung von Pfarrern mit ihrer kirchenpolitischen Vergangenheit, die eine systematische Durchforstung der NS-Vergangenheit voraussetzte, waren es in erster Linie genau eruierte Schwachstellen, an denen das MfS ansetzte. Die Zuarbeit von NSDAP-Ortsgruppen, einzelnen Gemeindemitgliedern und Pfarrern für die Sicherheitsdienste im Nationalsozialismus bestätigt den in der Forschung gängigen Befund von einer sich selbst überwachenden Gesellschaft, wenn auch der Begriff von der „gesellschaftlichen Selbstpolizierung“20 die Initiative von Gestapo und SD zu gering 20 K.-M. MALLMANN/G. PAUL, Gestapo, S. 629.
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ansetzen dürfte21. Die Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung erweist sich als genuiner Bestandteil nationalsozialistischer Repression. Die Dynamik und der totalitäre Zugriff des NS-Staates waren nicht allein Ausfluss einer allmächtigen Gestapo, sondern auch das Ergebnis einer weit reichenden Zuarbeit aus der Gesellschaft. Die Reaktion der Kirchen – Die Bewahrung der kirchlichen Autonomie Ein zentrales Vergleichskriterium dieser Studie ist die Autonomie kirchlichen Handelns. Dabei wird Autonomie als „Selbstgesetzgebung“ über die innere Ordnung der Kirche, d. h. die kirchliche Verfassung und die Bestellung des Personals, die kirchlichen Handlungsfelder und das theologische Bekenntnis verstanden. Für die Erhaltung der kirchlichen Autonomie können von zwei Seiten Gefahren bestehen: Erstens durch Staat und Partei, die über offene und verdeckte Eingriffe die Selbstgesetzgebung auszuhebeln trachten, und zweitens durch Kirchenmitglieder selber, die in ihren Entscheidungen außerkirchlichen Gesichtspunkten den Vorrang einräumen. Die Autonomie als zentrales Kriterium kirchlichen Verhaltens in beiden Diktaturen heranzuziehen, ist in gewisser Weise ahistorisch, denn erst in den Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus wurde der Wert kirchlicher Autonomie an sich geschärft. Aus ihrer langen Tradition der engen Verbindung zum Staat durch das landesherrliche Kirchenregiment erkannten die sächsischen Lutheraner nicht, welche Gefahr aus einer zu engen Bindung an den Staat erwachsen konnte. In der Zeit der Weimarer Republik hatten die Angriffe von KPD und SPD bestimmten Feldern kirchlicher Arbeit wie dem Religionsunterricht und der Diakonie gegolten, die innere Ordnung und das Bekenntnis aber nicht angetastet. Viele Pfarrer, gerade die Deutschen Christen, sahen im Nationalsozialismus nun die „gute Obrigkeit“, die ein enges Zusammenwirken von Staat und evangelischer Kirche wiederherstellen könnte. Die nun folgende innerkirchliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus kann als Diskussion um die Autonomie der Kirche angesehen werden. Es bildeten sich drei Gruppen heraus, die das Verhältnis von Staat und Kirche ganz unterschiedlich definierten. 1. Die Deutschen Christen Der von den DC behauptete Verlust der Volksnähe der evangelischen Kirche sollte durch eine enge Bindung an die populäre NSDAP zurückgewonnen werden. Die deutschchristliche Theologie, die die Einheit von „Deutschtum“ und Christentum in den Mittelpunkt stellt, warb für das 21 Vgl. U. V. HEHL, Herrschaft, S. 84.
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Zusammengehen von „nationaler Erhebung“ und Protestantismus. Der 1933 errungene DC-Einfluss auf das sächsische Kirchenregiment flachte zwar im Verlauf des Jahres 1934 nach dem Scheitern der gewaltsamen Gleichschaltung aller Landeskirchenregimente ab, blieb aber trotz der zunehmenden Distanzierung von Partei und Staat so einflussreich, dass sich faktisch ein am Führerprinzip orientiertes Verordnungs-Staatskirchenrecht entwickeln konnte, mit dessen Hilfe man die kirchliche Opposition von der Macht fern hielt22. Synodale Elemente in der Kirchenverfassung waren durch das Führerprinzip ersetzt worden, „artgemäßes Christentum“ zielte letztendlich auf den Ausschluss der „Judenchristen“ aus der evangelischen Kirche. 2. Als Reaktion auf die innerkirchliche Machtübernahme bildete sich der Pfarrernotbund, der in Leipzig zwar personell nicht stark vertreten war, dem es aber trotzdem gelang, die kirchliche Öffentlichkeit zeitweise für sich einzunehmen. Zur Begründung der Ausbildung eigener Leitungsorgane als Antwort auf die Außerkraftsetzung der nach 1918 eingeführten Kirchenverfassungen wurde die vor allem im Kirchenrecht verankerte Betonung einer bekenntnismäßigen Organisationsform verstärkt. Wenn auch in ihren kirchenpolitischen Konsequenzen umstritten, so bildete die Theologische Erklärung der Barmer Synode 1934 einen wichtigen Kristallisationspunkt kirchlicher Autonomiebestrebungen. Der Zusammenhang zwischen dem Evangelium und einer dementsprechenden Ordnung des Kirchenregiments wurde von der Bekennenden Kirche in immer stärkerem Maße betont. Die sächsischen Mitglieder nahmen innerhalb der BK eine gemäßigte Stellung ein und beteiligten sich an dem vom Reichskirchenminister eingerichteten Landeskirchenausschuss. Auch wenn sie sich durchaus als staatsloyal betrachteten, wurden sie von den NS-Verfolgungsbehörden als oppositionell angesehen und waren auch Repressionen aufgrund ihres innerkirchlichen Verhaltens ausgesetzt. 3. Auf der Leipziger Ebene setzte sich, sichtbar in der Wahl Schumanns zum Superintendenten, die „Mitte“ durch, die den innerkirchlichen Kämpfen die Schärfe nehmen wollte und sich gegenüber dem deutschchristlichen Kirchenregiment konzilianter zeigte. Diese Politik basierte auf einer klaren Scheidung zwischen kirchlicher und staatlicher Sphäre wie sie im Luthertum angelegt war. In einem Vortrag Schumanns vor Amtskollegen über „Volk und Kirche in der gegenwärtigen Lage“ aus dem Juni 1935 wird diese theologisch begründete kirchliche Einstellung deutlich: „Grundlegend für Volkswerdung ist eine gemeinsame Rasse, der gemeinsame Raum, gemeinsames Erleben, gemeinsame Sprache – Völker in ihrer Eigenart.
22 H. FAULENBACH, Sp. 700.
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Zum Schluss: Nie hat das Volk ein so warmes Verhältnis zum Staate gehabt wie jetzt. Aufgabe für die Kirche: die das ganze Volk umspannende Organisation zu erhalten bei größtmöglicher Wirkungsmöglichkeit. Von hier aus ist keine bestimmte Form des Verhältnisses zu fordern, auch Staatskirche ist möglich. Es kommt immer darauf an, dass nur die Verkündigung des Evangeliums unverboten ist“23.
Hier wird ein im Luthertum häufiger anzutreffendes Verständnis von „Obrigkeit“ deutlich, das tendenziell eine weitgehende Entpolitisierung der Kirche, deren Zuständigkeit auf das gläubige Verhältnis des Einzelnen zu Gott beschränkt wurde, billigte. Diese Sicht basierte auf der in den lutherischen Landeskirchen traditionell rezipierten „Zwei-Reiche-Lehre“, die in einer zuspitzenden Auslegung unter Berufung auf die von Luther unterschiedenen Bereiche des „Imperium“ und „Sacerdotium“ auf eine weitgehende Leugnung des Auftrages der Kirche zu öffentlicher Kritik führen konnte24. Das Missverständnis der „guten Obrigkeit“, Überschneidungen mit nationalsozialistischer Weltanschauung und eine ausgesprochene Vernachlässigung der kirchlichen Verfassung prägten diese Sicht. Es muss den Mitgliedern der „Mitte“ in Leipzig aber zugute gehalten werden, dass ihnen Versuche, durch Inanspruchnahme des Staates kirchenpolitischen Boden gut zu machen, nicht nachgewiesen werden konnten. Auf der Gemeindebasis herrschte das Bemühen um Ausgleich und breite volkskirchliche Wirkung vor. Die Zurückhaltung im Kampf gegen die deutschchristliche Kirchenleitung war in dieser Sicht der Preis für die im Vergleich etwa zu Dresden ab 1936 in Leipzig moderatere Form des Kirchenkampfes. Nach 1945 war die Erfahrung mit einem totalitären Regime ein wichtiger handlungsleitender Strang in der evangelischen Kirche. Das nun in die Kirchenleitung eintretende Personal leitete seinen Leitungsanspruch aus dem rechten Weg des Widerstehens im Nationalsozialismus her. Auch hier lassen sich für Leipzig wie Dresden Versuche nachweisen, staatliche Stellen in die kirchliche Neuordnung einzuspannen und die Bemühungen um einen autonomen kirchlichen Neuaufbau zu unterlaufen. Doch anders als im Nationalsozialismus kamen diese Kräfte nicht aus dem Zentrum der Kirche, sondern es handelte sich um einzelne Pfarrer, die als Religiöse Sozialisten, ausgesprochene Liberale oder aus anderen Gründen an der Form
23 Bericht über die Sitzung der Leipziger Pfarrerkonferenz von 1887, 3. Juni 1935. 24 Es greift jedoch zu kurz, wollte man allein die Rezeption der „Zwei-Reiche-Lehre“ als Erklärung für den Weg der lutherischen Kirchen im „Dritten Reich“ und in der DDR nehmen, wie dies im Sinne einer konfessionell geprägten Sichtweise von unierten Vertretern, die das auf Karl Barth zurückgehende Modell der „Königsherrschaft Christi“ anwenden, bisweilen getan wird (besonders bei T. FRIEBEL); zu Recht hat D. POLLACK, Eigenständigkeit, S. 188 f., auf die Uneindeutigkeit der aus den jeweiligen Modellen zu ziehenden kirchenpraktischen Schlussfolgerungen hingewiesen.
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des kirchlichen Neuaufbaus Enttäuschte theologische Alternativen meist mit eigener Profilierung zu verbinden suchten. Zu diesem Zweck waren sie auch bereit, der staatlichen Seite Informationen über kirchliche Interna zukommen zu lassen. Die autonome Entscheidung über die Weitergabe innerkirchlicher Informationen war in beiden Diktaturen eine Illusion. Der Bekennenden Kirche kam beim Neuaufbau eine normative Kraft zu, weil sie am entschiedensten den deutschchristlichen Übergriffen Paroli geboten und eigene theologische Neuansätze wie etwa das kirchliche Notrecht formuliert hatte. Auch in Sachsen wurde ihr nach Kriegsende eine Wächterfunktion zuerkannt, wie Landessuperintendent Lau schon auf einer Ephorendienstbesprechung im September 1945 bemerkte: „Die BK ist heute gerufen, die ungeheuer schwere Aufgabe zu übernehmen und zu erfüllen, die Kirche freizuhalten von fremdem Einfluss“25. In Leipzig begründeten BK wie „Mitte“ ihren Kurs des Neuanfangs mit dem Faktor der Autonomie kirchlichen Handelns: Die BK wollte einen Neuanfang durch die Beseitigung deutschchristlicher Momente aus Theologie und Kirche, während Schumann seinen restaurativen Kurs damit begründete, Kräften von außen die Möglichkeit zu verwehren, in innerkirchliche Belange einzugreifen. Die Bemühungen um kirchliche Autonomie waren strukturell günstiger als 1933. Die Kirchen verfügten nach 1945 als eine der wenigen Organisationen im zerstörten Deutschland über einen funktionsfähigen Apparat, sie galten als Institutionen, die dem Nationalsozialismus widerstanden hatten und konnten somit mit moralischem Anspruch die Funktion eines Sprachrohres gesamtdeutscher Interessen gegenüber den Alliierten wahrnehmen. Nicht nur eine im Jahr 1945 – allerdings nicht lang anhaltende – Kircheneintrittswelle signalisierte, dass die evangelische Kirche über großen Rückhalt in der Bevölkerung verfügte. Bei der Gründung der Leipziger CDU waren Pfarrer und protestantische Laien wie Carl Ruland federführend vertreten, und auch bei der Gründung der FDJ waren kirchliche Vertreter beteiligt. Doch gab es im Vergleich zu 1933 auch klare Einbußen. Der volkskirchliche Neuaufbau erreichte nach 1945 nicht mehr die Breite, die er noch 1933 hatte. Die Tendenz zur näheren Anbindung von evangelischen Vereinen an die kirchlichen Strukturen, die im Nationalsozialismus schon gegeben war, wurde unter den neuen Umständen verstärkt26. Der Protestantismus, der sich traditionell nicht streng auf den Bereich innerhalb der Kirchenmauern eingrenzen ließ und damit die konfessionelle Identität gro25 Zitiert nach K. DOMSCH, S. B 35. 26 So H. SCHUMANN, S. 438: „Aber darüber hinaus wird erinnert, [. . .] dass bereits die Deutsche Evangelische Kirche der nationalsozialistischen Zeit die freie kirchliche Arbeit, insbesondere auf dem Gebiete der Inneren Mission, unter ihre ‚fördernde‘ Obhut genommen hat“.
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ßer Teile der Bevölkerung prägte, war durch die nationalsozialistische Kirchenpolitik stärker auf den engeren Kirchenbereich zurückgedrängt worden. Diese Entwicklung ist nach 1945 nicht rückgängig gemacht worden27. Dies resultierte vor allem aus dem Verbot des Vereinswesens. In Leipzig bestanden in den 50er Jahren lediglich noch zwei kirchliche Einrichtungen auf caritativem Gebiet außerhalb der Inneren Mission28. Gerade auf diesem Sektor gelang es der Inneren Mission ihre relativ starke Stellung zu behaupten, zumal sich die Volkssolidarität angesichts der vorhandenen sozialen Nöte zur pragmatischen Zusammenarbeit bereit zeigte, die erst Ende der 40er Jahre einer stärkeren Politisierung wich29. „Die Verkirchlichung war mittel- und längerfristig keine Stärkung des Protestantismus durch Konzentration auf den Mittelpunkt, vielmehr der Rückzug auf eine Scholle mit schnell abbrechenden Rändern“30. Eine zentrale Erkenntnis aus dem Kirchenkampf war der kirchliche Anspruch, sich nicht mehr wie im Nationalsozialismus aus der Öffentlichkeit verdrängen zu lassen, sondern gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, wie es auf der „Kirchenführerkonferenz“ in Treysa im August 1945 in einem „Wort an die Gemeinden“ explizit formuliert wurde: „Wo die Kirche ihre Verantwortung wahrnahm, rief sie zu den Geboten Gottes, nannte bei Namen Rechtsbruch und Frevel, die Schuld in den Konzentrationslagern, die Misshandlung und Ermordung von Juden und Kranken und suchte der Verführung der Jugend zu wehren. Aber man drängte sie in die Kirchenräume zurück wie in ein Gefängnis“31. Als eine zweite Lehre aus dem Dritten Reich zog die Kirche die Erkenntnis, ihre institutionelle Autonomie zu behaupten: „Kirche muss Kirche bleiben“. Das Leitbild der „staatsunabhängigen, aber gesellschaftsoffenen Volkskirche“32 implizierte die Freiheit von Bevormundung und Unterwanderung. Ihren Auftrag sah sie darin, vom Evangelium her zu den Lebensfragen des Volkes Stellung zu nehmen33. Innerhalb der Pfarrerschaft war angesichts eines weit verbreiteten Antikommunismus die Bereitschaft gering ausgeprägt, sich von den neuen Machthabern vereinnahmen zu lassen. Anders als im „Dritten Reich“ trug 27 K. NOWAK, Christentum, S. 43 f. 28 Es handelte sich um das zur Heilandgemeinde gehörende Heim für allein stehende Frauen und Mädchen und das Evangelisch-lutherische Diakonissenhaus in Leipzig-Lindenau (vgl. H. SCHUMANN, S. 439). 29 EBD., S. 248. Für die katholische Kirche hat W. TISCHNER, Katholische Kirche, S. 385–448, den Erfolg der Aufbaubemühungen der Caritas dargestellt. 30 K. NOWAK, Geschichte, S. 310. 31 Wort an die Gemeinden vom 30. August 1945 (abgedruckt in: PROTOKOLLE DES RATES DER EKD, S. 5 f.). 32 K. MEIER, Neuaufbau, S. 227. 33 K. DOMSCH, S. B 38.
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die vorherrschende marxistisch-leninistische Ideologie, so wenig sie auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit direkt postuliert wurde, dazu bei, vorhandene Spaltungen innerhalb der Pfarrerschaft in den Hintergrund treten zu lassen. Die Politik der Landeskirche, sich zu den Umgestaltungsmaßnahmen wie der Bodenreform und der Enteignung positiv zu äußern, traf bei den Leipziger Pfarrern auf Widerspruch, besonders bei exponierten Mitgliedern der Bekennenden Kirche, doch wurde der Kurs mitgetragen. Zur CDU bestanden enge persönliche Beziehungen. Sie konnte durchaus in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg als politischer Arm der beiden großen Kirchen angesehen werden. Außerdem versuchte die evangelische Landeskirche, die Inanspruchnahme von Pfarrern durch KPD und Administration dadurch zu unterbinden, dass sie, ähnlich wie die katholische Kirche mit dem Preysing-Erlass, die Pfarrer zu politischer Zurückhaltung aufrief und klare Regeln für Gespräche mit staatlichen Vertretern aufstellte. So veröffentlichte das sächsische Landeskirchenamt am 29. Juli 1946 den Runderlass 89, in dem es sich zur „Stellung der Pfarrer zu den politischen Parteien“ äußerte34. Die Landeskirche forderte die Pfarrer zum Gebrauch des aktiven Wahlrechts auf, mahnte sie aber zur parteipolitischen Zurückhaltung in der Öffentlichkeit und riet dringend davon ab, für eine Partei zu kandidieren. Der Entscheidungsfreiraum auf der Leipziger Ebene blieb aber gering; hier wurde die in Dresden formulierte Politik umgesetzt, die auch die obwaltenden Verhältnisse in der SBZ/DDR recht offen kritisierte. Schumann als Superintendent scheint dabei seinen Kurs aus der NS-Zeit fortgesetzt zu haben: Förderung des innerkirchlichen Zusammenhalts bei weitgehender Zurückhaltung gegenüber den staatlichen Stellen. Sein Nachfolger Herbert Stiehl verfocht einen anderen kirchenpolitischen Kurs. In den staatlichen Akten tauchte er immer als einer der entschiedendsten Gegner des DDR-Sozialismus auf. Er verfügte in der Pfarrerschaft jedoch nicht über den Rückhalt wie Schumann mit seinem integrativen Kurs. Exponent eines anderen Kurses gegenüber den staatlichen Stellen in Leipzig war Johannes Herz, ein Pfarrer, der im „Dritten Reich“ der „Mitte“ angehört hatte und als Generalsekretär des Evangelisch-sozialen Kongresses aufgetreten war. Seine Affinität gegenüber den staatlichen Stellen war nicht in der Bejahung des Sozialismus begründet, sondern in einer liberal-pazifistischen Haltung, gepaart mit einer großen Portion politischer Naivität. Ähnlich wie manche dem linken Spektrum angehörende Vertreter der westdeutschen Landeskirchen ließ er sich von der SED für einen Neutralitätskurs gewinnen. Die innerkirchlichen Maßnahmen gegen ihn konnten nicht greifen, da er über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügte und auch schon sehr alt war. 34 Runderlass Nr. 89. Abgedruckt in: J. J. SEIDEL, „Neubeginn“, Dok. 26, S. 293 f.
Pfarrer zwischen Anpassung und Widerstand
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4. Pfarrer zwischen Anpassung und Widerstand Selbst heute, über fünfzig Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, sind bei der Bewertung der Geschichte der evangelischen Kirche im Dritten Reich noch die Spaltungen des Kirchenkampfes erkennbar. Vertreter einer stärker „bruderrätlich“ orientierten Geschichtsschreibung reklamieren den entschiedensten Widerstand gegen den Nationalsozialismus für den dahlemitschen Flügel der BK und sprechen anderen kirchlichen Gruppen eine das NS-System destabilisierende Rolle weitgehend ab35. Insbesondere die These Kurt Meiers, wonach auch das volkskirchliche Bewusstsein ein Resistenzpotenzial, einen „Störfaktor“ im Nationalsozialismus gebildet habe36, ist dort auf Widerspruch gestoßen. Vielmehr sei die Amtskirche aus der Sicht des Staates eine „Quantité negligéable [gewesen], eine Belanglosigkeit, die man nicht störte, weil sie nicht stört“37. Jenseits dieser binnenkirchlichen Streitigkeiten hat auch die kirchliche Zeitgeschichte von den Ergebnissen der Erforschung des Widerstands durch die Geschichtswissenschaft profitiert38. Von Martin Broszat wurde der Begriff der „Resistenz“ eingeführt, der strukturell und wertneutral jedwede Verhaltensweisen mit „tatsächlich die NS-Herrschaft und Ideologie einschränkende[r] Wirkung“ umfassen sollte: „Wirksame Abwehr, Begrenzung, Eindämmung der NS-Herrschaft oder ihres Anspruches, gleichgültig von welchen Motiven, Gründen und Kräften her“39. Der Blick wurde nun verstärkt auf jene gesellschaftlichen Kräfte gelenkt, die gegenüber dem NS-Regime bei grundsätzlich nicht verweigerter Loyalität „ein Widerlager in noch zeitweilig oder teilweise stabilen vor- und außernationalsozialistischen Normen, Traditionen oder Organisationen“ darstellen konnten40. Diesbezüglich wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass ein nur auf politische Fundamentalopposition bezogener Widerstandsbegriff nicht geeignet sei, die Breite kirchlicher Verhaltensformen angemessen zu kennzeichnen41. Mit dem auf die Wirkung gesellschaftlichen Verhaltens abzielenden Begriff „Resistenz“ konnten nun auch die mit sozial-moralischen Milieus verbundenen Kirchen stärker in das Blickfeld genommen werden. Allerdings blieb der Resistenzbegriff nicht unumstritten. Kritik entzündete sich an der Wahl des Terminus „Resistenz“ im Hinblick auf eher mit Widerstand assoziierte 35 Zum Widerstand der evangelischen Kirche vgl. G. BESIER, Kirche, Politik und Gesellschaft, S. 65 f.; DERS., Ansätze; A. DOERING-MANTEUFFEL/J. MEHLHAUSEN; K. MEIER, Kreuz, S. 225–236; DERS., Kirchenkampf III, S. 587–616; G. V. NORDEN, Kooperation. 36 K. MEIER, Kreuz, S. 235. 37 G. V. NORDEN, Evangelische Kirche, S. 106. 38 Zuletzt G. RINGSHAUSEN, Deutung. 39 M. BROSZAT, Resistenz, S. 144. 40 EBD., S. 141. 41 U. V. HEHL, Herrschaft, S. 98.
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Begriffe wie résistance, resistance, resistenza als auch an der Überbewertung nicht systemkonformer Verhaltensweisen und dem Ausblenden der Handlungsmotivation42. Um den Widerstandsbegriff wieder auf seinen politischen Kern zu reduzieren, haben Mallmann und Paul den Begriff der „loyalen Widerwilligkeit“ eingeführt, „der [. . .] jene durchaus typischen Mischformen von Loyalität und Widerständigkeit auf ihren ambivalenten Nenner bringt“43. Es dürfte jedoch geraten sein, Widerstand bzw. Opposition für bewusste, mit Risiko behaftete Handlungen von Resistenz/Dissens als gesellschaftlicher Verweigerung abzugrenzen44. Dagegen waren die Ergebnisse der DDR-Widerstandsforschung, die erst in den 80er Jahren die einseitig an der antifaschistischen Selbstlegitimation orientierte Überbewertung des kommunistischen Widerstandes und die entsprechende Kritik des bürgerlichen und militärischen Widerstandes beendete und auch den Widerstand der Kirchen untersuchte45, insgesamt kaum brauchbar46. Mittlerweile hat auch die Forschung über die Opposition in der DDR einige wichtige Ergebnisse erbracht47. Neubert hat 1997 eine breit angelegte Studie über die „Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989“ vorgelegt, die auch die soziale Dimension des Widerstands stark mit einbezog48. Sein Widerstandsbegriff zielte auf die „politische Funktion in der Gegnerschaft mit der SED“ ab und war tendenziell eng ausgelegt: „Als Gegnerschaft kann nur der gesuchte und gestaltete Konflikt mit den Herrschenden gelten“49. Neubert unterscheidet zwischen Opposition, Widerstand und Widerspruch, ausgehend von der Differenz in der Wahl der Mittel. Opposition definiert er als Gegnerschaft auf der Grundlage verbindlicher Normen und verbindlichen Rechts, Widerstand als Gegnerschaft außerhalb legaler Rechtsräume und politischen Widerspruch als verbreitetste Form politischer Abweichung50. Dagegen ist eingewendet worden, dass die Bestimmung über die Legalität der Mittel nicht bei den Akteuren, sondern beim Staat DDR lag51. 42 K.-M. MALLMANN/G. PAUL, Herrschaft und Alltag, S. 327. Vgl. auch R. ECKERT, Vergleichbarkeit, S. 77: „Hier wird deutlich, dass die Öffnung des Widerstandsbegriffs diesen ins Nebulöse aufzulösen droht. Dieser Gefahr erlag Martin Broszat“. 43 K.-M. MALLMANN/G. PAUL, Resistenz, S. 116. 44 R. ECKERT, Vergleichbarkeit, S. 79. 45 M. HABICHT, Verfolgung. 46 G. RINGSHAUSEN, Deutung, S. 19. Zur Widerstandsforschung in der DDR vgl. u. a. I. REICH, Bild; J. DANYEL; O. GROEHLER, Genesis. 47 Vgl. dazu vor allem die Sammelbände von U. POPPE/R. ECKERT/I.-S. KOWALCZUK und K.-D. HENKE/P. STEINBACH; zur Verwendung der Begriffe „Widerstand“ und „Opposition“ in der Erforschung der Geschichte der DDR vgl. R. ECKERT, Begriffe. 48 E. NEUBERT, Opposition. 49 EBD., S. 27. 50 EBD., S. 25–33. 51 I.-S. KOWALCZUK, Fakten, S. 135.
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Die Kirchen zählte Neubert zu den „kulturelle[n] und soziale[n] Milieus, in denen der SED entgegenstehende Interessen wirkten“52. Ihre Funktion als Opposition habe bis in die 60er Jahre gereicht, als sie als einziger „legaler Stützpunkt des Imperialismus in den sozialistischen Ländern“53 Rechtsstaatlichkeit eingeklagt und soziale und politische Interessen von Gruppen und einzelnen Menschen vertreten hätten. Die Haltung der evangelischen Kirche unterschied Neubert grob nach drei Zeitabschnitten: In der unmittelbaren Nachkriegszeit habe der politische Widerspruch gegen die Stalinisierung dominiert, während die Kirche nach der Ausschaltung oppositioneller Parteien, der Politisierung des Rechtswesens und der Gleichschaltung der Massenorganisationen zur letzten legalen Institution geworden sei, die sich auf geltendes Recht berief und somit zur letzten Instanz oppositioneller Politik wurde. Indem sich die Kirchen zur Sicherung ihres eigenen Bereichs rechtsstaatliche Normen einklagten, hätten sie Fundamentalkritik an der DDR geübt und eine stellvertretende Oppositionsrolle übernommen54. 1952/1953 seien die Kirchen schließlich durch den Terror der SED in den offenen Widerstand gedrängt worden. Infolge der politischen Schwächung der evangelischen Kirche durch die Jugendweihe und erste Erfolge der SED-Differenzierungspolitik sei mit dem Ende der Ära Dibelius auch die „Ära der Oppositionsrolle der Kirchen zu Ende“ gewesen55. Für eine Darstellung der Verhältnisse auf der lokalen Ebene ist das Modell Neuberts zu statisch56. Auch ist der Bezug auf die Legalität der Mittel ein Kriterium, das zwar für die Entwicklung in der DDR und besonders für die oppositionellen Gruppen in den 70er und 80er Jahren eine handlungsbestimmende Rolle spielte, jedoch für die Entwicklung der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus wenig hilfreich ist. Es empfiehlt sich eher, zur differenzierten Betrachtung des Verhaltens der evangelischen Kirche ein Stufenmodell heranzuziehen, wie es u. a. von Mehlhausen entwickelt worden ist57. Dieser hat für die Untersuchung widerständigen Verhaltens der Kirchen im „Dritten Reich“ ein Modell vorgeschlagen, das mit den Begriffen Kooperation, Anpassung, Selbstbehauptung, Abwehr, Protest und Fundamentalopposition/Widerstand die ganze Spannbreite kirchlichen Verhaltens umfasst58. 52 E. NEUBERT, Opposition, S. 28. 53 So der Minister des MfS, Ernst Wollweber 1957 (vgl. C. VOLLNHALS, Kirchenpolitische Abteilung, S. 79). 54 E. NEUBERT, Opposition, S. 71. 55 EBD., S. 122. 56 R. ECKERT, Begriffe, S. 35. 57 Für die evangelische Kirche in Hannover vgl. D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Kooperation, S. 318–322. 58 J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus und Kirchen, S. 67 f. Zu anderen, ähnlich gelagerten Stufenmodellen vgl. U. V. HEHL, Herrschaft, S. 95.
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1. Die deutschchristlichen Pfarrer in Sachsen erlebten im Sommer 1933 den Höhepunkt ihres kirchenpolitischen Einflusses. Zeitweilig gehörten der Glaubensbewegung in Leipzig über ein Drittel der Pfarrerschaft an. Viele unter ihnen verpflichteten sich darüber hinaus als Parteimitglieder, an der nationalsozialistischen Durchdringung der Gesellschaft mitzuarbeiten. Die deutschchristlichen Pfarrer verloren aber mit dem Sportpalastskandal im November 1933 und der rigorosen Politik des sächsischen Landesbischofs Coch schnell wieder an Zustimmung in der Pfarrerschaft und wohl auch bei der christlich geprägten Bevölkerung. Die meisten Pfarrer dieser Gruppe beendeten ihr kirchenpolitisches Engagement noch im Jahr 1934 oder wechselten zur „Mitte“, während nur eine Minderheit an ihrem Kurs festhielt. Diese verfügten zumeist über enge Verbindungen zur NSDAP und arbeiteten bedenkenlos mit der Polizei zusammen, zum einen aus politischer Überzeugung, zum anderen, um – zumindest bis 1934 – ihr innerkirchliches Fortkommen zu forcieren. Sie trugen damit erheblich dazu bei, den totalitären Anspruch der Repressionsorgane durchzusetzen, die insofern „lachende Dritte“ im Machtkampf zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche waren. In den einzelnen Kirchgemeinden gelang es den DC-Pfarrern, die Arbeit ihrer zur Bekennenden Kirche gehörenden Kollegen zu behindern. Ihr Handeln ist nach Mehlhausens Stufenmodell als Kooperation zu bezeichnen. 2. Die stärkste, wenn auch organisatorisch am schwersten zu fassende Gruppe bildeten die Pfarrer der „Mitte“ um Superintendent Schumann. Festhalten am überlieferten lutherischen Bekenntnis und unbedingte Loyalität zur staatlichen Obrigkeit kennzeichnen ihren Weg gleichermaßen. Widerstand gegen das deutschchristliche Kirchenregiment wurde von dieser Gruppe nur in Ausnahmesituationen geleistet. So rief Schumann nach der Auflösung des Landeskirchenausschusses dazu auf, die Arbeit Klotsches zu behindern. Die vom deutschchristlichen Kirchenregiment ausgehenden politischen Loyalitätskundgebungen gegenüber dem Nationalsozialismus wurden von der „Mitte“ allerdings ohne Wenn und Aber mitgetragen. Deutlich sichtbar wird das im Verhalten der Leipziger „Mitte“ bei der 1938 von Klotsche initiierten Treueidkampagne, als dieser die BK über den Umweg des Treueides zur Anerkennung seines Kirchenregiments zwingen wollte. Damals votierte die „Mitte“ folgendermaßen: „Wir halten es für selbstverständlich, dass unsere Amtsbrüder diesen Eid gern und freudig ablegen, wie sie früher ihren Eid dem König abgelegt haben“59. Eine öffentliche Distanzierung vom Nationalsozialismus ist von dieser Seite nicht erfolgt. Das Verdienst dieser Gruppe liegt darin, die Arbeitsfähigkeit des kirchlichen Apparats so weit wie möglich wiederhergestellt 59 Der Aufruf war von den Leipzigern Bruhns, Herz, Mieth und Schumann unterschrieben (UAL, NL Herz, Kirchenkampf 1938).
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und zu einer Beruhigung des kirchlichen Lebens gerade gegenüber einem sich besonders radikal gerierenden Kirchenregiment beigetragen zu haben. Im Vergleich zu anderen sächsischen Städten blieb die kirchliche Lage in Leipzig relativ ruhig. Dies wurde mit der Bekundung staatsbürgerlicher Loyalität erkauft. Der Befund Schmiechen-Ackermanns für die hannoversche Landeskirche trifft auch für die Stadt Leipzig zu: „Geringe Verfolgungsintensität und politischer Loyalitätsdruck bedingten einander gegenseitig“60. Vor dem Hintergrund der doch sehr weitgehenden Loyalität zum Nationalsozialismus sollte das volkskirchliche Resistenzpotenzial, das in der Bewahrung christlicher Traditionen durchaus lag, jedoch nicht zu hoch veranschlagt werden61. In zentralen Fragen wie etwa der Ausgrenzung der Juden ist von dieser Gruppe keine Distanzierung erfolgt. Oskar Bruhns, einer der exponiertesten Kräfte der „Mitte“, gegen den wegen seines Verhaltens gegenüber dem „halbjüdischen“ Pfarrer Lewek ein Parteiausschlussverfahren – wenn auch erfolglos – eröffnet wurde, plädierte in dieser Frage rein pragmatisch und ließ etwaige theologische Bedenken gegen den Ausschluss von Judenchristen aus der christlichen Gemeinschaft außen vor62. Innerhalb dieser Gruppe gab es jedoch auch eine große Spannweite: Während der Großteil der Pfarrer im „Dritten Reich“ keinerlei Schwierigkeiten im kirchlichen Umfeld mit Staat und Partei verzeichnete, gab es für einige Probleme vor allem wegen der Verbreitung religiösen Schrifttums oder beim Abhalten des Religionsunterrichts. Der zur „Mitte“ zu zählende Pfarrer Reinhard Reinecker wurde wegen des Verstoßes gegen das Heimtückegesetz („Beleidigung des Führers“) im Juli 1940 durch das Sondergericht Leipzig zu acht Monaten Gefängnis verurteilt63. Er hatte sich in einem Gespräch mit einem Gemeindeglied kritisch über Hitlers Rede zum 7. Jahrestag der „Machtergreifung“ geäußert. Strafmildernd wirkte sich die Tatsache aus, dass Reinecker Parteimitglied und schon 1932 förderndes Mitglied der SS war. Von der Parteiarbeit hatte er sich allerdings schon 1934 zurückgezogen, weil aufgrund der Intervention des stellvertretenden Ortsgruppenleiters ein anderer Pfarrer die Pfarramtsleitung an der Stephanusgemeinde übernommen hatte. Der Jugendpfarrer und spätere Pfarramtsleiter an der Luthergemeinde Friedrich Lehmann, ebenfalls zur „Mitte“ zu zählen, wurde von der Gestapo zwölfmal vorgeladen und aus der Reichspressekammer ausgeschlossen64. Paul Tzschucke, Pfarramtsleiter der Markusgemeinde, wurde 60 61 62 63
D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Kooperation, S. 319. Dagegen K. MEIER, Hakenkreuz, S. 235. Vgl. oben S. 185 f. Vgl. das Urteil des Sondergerichts beim Landgericht Leipzig vom 9. Juli 1940 (BARCH BERLIN, R 5101/24231). 64 ADSL, Schrank II, Fach 5, 46/6.
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im Herbst 1941 für sechs Wochen von der Gestapo inhaftiert, da er einem Parteimitglied im Rahmen seiner seelsorgerlichen Tätigkeit vorgehalten hatte, von der Partei zum Kirchenaustritt gedrängt worden zu sein, und dabei den Nationalsozialismus als „gottlos“ bezeichnet hatte65. Das volkskirchliche Resistenzpotenzial, das erst die Voraussetzung für möglichen Widerspruch darstellt, konnte also bei einzelnen Pfarrern durchaus zu größerer Kritik am Nationalsozialismus führen. Insgesamt aber ist das Verhalten der Pfarrer dieser Gruppe als Anpassung zu charakterisieren. Es blieb die dominante Verhaltensform in der evangelischen Pfarrerschaft. Damit entwickelte sie sich eben nicht zum „objektiven Störfaktor“ im Nationalsozialismus, da sie keine Kräfte des Herrschaftssystems band. 3. Die dritte Gruppe bilden die zur Bekennenden Kirche zählenden Pfarrer. Während sich auch unter den in Leipzig vertretenen Laien einige finden, die zur dahlemitischen Richtung gehörten, spielte dieser Zweig in der sächsischen Landeskirche und besonders in Leipzig nur eine untergeordnete Rolle. Aufgrund einer stark lutherischen Prägung dominierte auch hier eine restriktive Auslegung der Barmer Theologischen Erklärung als theologische Reflexion der damaligen kirchlichen Situation. Von diesem Verständnis her war kein Zugang zu einer grundsätzlichen Infragestellung der „Obrigkeit“ gegeben. Der Widerspruch entzündete sich an der Einschränkung des kirchlichen Handlungsspielraums. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen im Jahr 1934 erreichte die Bekennende Kirche mit ihren Veranstaltungen eine breite Öffentlichkeit. Für die staatlichen Repressionsorgane war die Mitgliedschaft in der Bekennende Kirche ein Anzeichen eingeschränkter politischer Zuverlässigkeit. Von Pfarrern dieser Gruppe sind auch die kritischsten Äußerungen überliefert. Im August 1934 wurde der an der Nikolaikirche tätige Pfarrer Theodor Kühn wegen einer Predigt denunziert, in der er Kritik an den Vorgängen um den Röhm-Putsch geäußert haben soll: „Es sei eine Überheblichkeit, wenn sich einer als oberster Richter seines Volkes aufspielt und über Sein oder Nichtsein menschlicher Leben urteilt; aber das Gottesgericht wird nicht ausbleiben. Selbst einen Napoleon hat Gott gestürzt, und das würde er auch mit anderen machen. [. . .] Es sei eine Überheblichkeit, wenn ein Mensch sagt, er habe Großes geschaffen, aber Gott wird darüber noch richten. Gott fragt nicht nach Parteigenossen. [. . .] Die Ereignisse der letzten Tage werden in kürzester Zeit den Fluch Gottes bringen“66.
65 Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, 11. Februar 1942 (BARCH BERLIN, R 5101/24000). 66 BERICHTE DES SD UND DER GESTAPO, S. 76. Vgl. dazu K. NOWAK, Besinnung, der allerdings den Einfluss der BK auf das kirchliche Leben in Leipzig überbewertet.
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Dieses Verhalten Kühns wurde zwar nicht staatlich sanktioniert, doch die Landeskirche entzog ihm daraufhin Amtsbefugnis und Gehalt67. Es handelt sich um eines der wenigen Zeugnisse originär politischen Widerstandes gegen das NS-Regime von Leipziger Pfarrern. Außer von staatlichen Stellen konnte weltanschaulicher Dissens auch von landeskirchlichen Stellen mit Sanktionen belegt werden. So wurde Hiltrud Henker, an der Paul-Gerhardt-Gemeinde als Vikarin angestellt, im Sommer 1934 sofort beurlaubt und ihre Unverwendbarkeit im Kirchendienst erklärt, weil sie in einem Jugendkreis gelegentlich der Übertragung einer Rede Adolf Hitlers beim Erklingen des Horst-Wessel-Liedes nicht den Arm erhoben hatte68. Der offenste Akt von Abwehr stellte die Kanzelabkündigung der Leipziger Pfarrer Gensichen, Lewek und Meder, die zusammen mit dem sich mit ihnen solidarisierenden Pfarrer Walther, in Schutzhaft genommen wurden. Diese Pfarrer hatten sich über ein vom Leipziger Polizeipräsidium ergangenes Verbot einer Kanzelabkündigung gegen das Neuheidentum hinweggesetzt. Die Aktion richtete sich also gegen einen staatlichen Eingriff in die kirchliche Verkündigung, nicht gegen die staatliche Obrigkeit selbst. Ihr Verhalten ist als Selbstbehauptung zu charakterisieren. Gerade 1934 entwickelte diese Gruppe sich zum „objektiven Störfaktor“ des NS-Regimes, das mit seinem Polizeiapparat die vielfältigen Aktivitäten dieser Gruppe zu überwachen hatte und 1935 sogar dazu überging, zur Einschüchterung einige Geistliche zu verhaften69. Die Bedingungen für widerständiges Verhalten in der SBZ/DDR waren deutlich besser als im Nationalsozialismus70. Hier wirkte sich vor allem die Teilung Deutschlands aus, die es der DDR unmöglich machte, die Integration der Bevölkerung auf nationaler Grundlage zu bewerkstelligen. Die bis Mitte der 50er Jahre bestehende Perspektive einer sich in überschaubaren Zeiträumen vollziehenden Wiedervereinigung, permanente Systemkonkurrenz, die westlichen Medien, die das Informationsmonopol der SED unterminierten, und bis zum Mauerbau die Möglichkeit der „Republikflucht“ verhinderten eine vollständige Abschottung des SED-Staates71. Gerade die beiden Kirchen stellten mit ihren gesamtdeutschen Gremien eine
67 Vgl. oben S. 89. 68 Vgl. oben S. 93. 69 K. MEIER, Hakenkreuz, S. 235; K. NOWAK, Widerstand, S. 356; DERS., Erwägungen, S. 264, sprach gerade auch dem Luthertum als „problematischste[r] Konfessionsgruppe“ im deutschen Protestantismus die Eigenschaft des „objektiven Störfaktors“ zu. 70 Zu den Bedingungen widerständigen Verhaltens in der DDR vgl. D. POLLACK, Bedingungen. 71 Zur Interdependenz politischen Widerspruchs in beiden deutschen Staaten vgl. H. KNABE, Opposition; R. ENGELMANN.
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Klammer dar72. Die Debatten um die Westintegration der Bundesrepublik und die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren wurden von starken Auseinandersetzungen im gesamtdeutschen Zusammenhang innerhalb der evangelischen Kirche begleitet. Die Zustimmung ostdeutscher Synodaler zum Militärseelsorgevertrag zwischen der EKD und der Bundesregierung im Jahr 1957 bot der DDR-Regierung Anlass, die Beziehungen zum Rat der EKD abzubrechen73. Besonders Pollack hat auf den Zusammenhang zwischen den Abwanderungsbarrieren und der Protestbereitschaft hingewiesen, wonach die Protestbereitschaft in dem Maße steigt, in dem die Abwanderungsbarrieren sinken, weil dem Einzelnen exponiertes politisches Engagement leichter falle, wenn die Möglichkeit, das Land zu verlassen, gegeben sei74. Tatsächlich hat in der DDR bis zum Bau der Mauer eine auf fundamentalen Umbruch des SED-Staates abzielende Opposition existiert. Allerdings setzte mit der Niederschlagung des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 ein erster Desillusionierungsprozess ein75. Die Ausgangspunkte widerständigen Verhaltens in der evangelischen Kirche lagen in der weit verbreiteten antikommunistischen Grundhaltung in der Pfarrerschaft und der christlichen Bevölkerung, den Erfahrungen totalitärer Herrschaft im „Dritten Reich“ und einem damit verbundenen theologischen Lernprozess, der den Ausschluss der Kirchen aus der Öffentlichkeit zu verhindern suchte76. Vor allem aber formulierte die Kirche mit ihrer Kritik an der zunehmenden Stalinisierung der SBZ/DDR ein in der Bevölkerung weit verbreitetes Unbehagen gegenüber dem SED-Regime und der von ihm vertretenen Ideologie in einer Zeit, als alle anderen Institutionen schon gleichgeschaltet waren. Mit dem Machtausbau in der SBZ/DDR veränderten sich auch Bedingungen und Formen widerständigen Verhaltens in der evangelischen Kirche in Leipzig77. Eine Sondersituation ergab sich in den ersten Jahren in der SBZ vor der endgültigen Gleichschaltung der CDU. Wie gezeigt, bestanden über Carl Ruland und Hugo Hickmann enge Verbindungen der CDULandesleitung zur evangelischen Kirche in Leipzig. Herbert Dost und Heinrich Schumann riefen im Vorfeld der Wahlen von 1946 in der Pfar72 Die EKD hat 1996 den Forschungsschwerpunkt „Die Rolle der evangelischen Kirche im geteilten Deutschland“ eingerichtet; erste Ergebnisse in den Sammelbänden von J. MEHLHAUSEN/L. SIEGELE WENSCHKEWITZ und C. LEPP/K. NOWAK. Zur gesamtdeutschen Klammerfunktion der katholischen Kirche vgl. U. V. HEHL/H. G. HOCKERTS. 73 Zur Auseinandersetzung um den Militärseelsorgevertrag vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 333–340. 74 D. POLLACK, Bedingungen, S. 350–352. 75 R. ENGELMANN, S. 173. 76 E. UEBERSCHÄR, Junge Gemeinde, S. 327. 77 Einen Überblick über widerständige Aktivitäten in Leipzig von 1945 bis 1989 bietet T. HOLLITZER.
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rerschaft zur Hilfe beim Aufbau von CDU-Ortsgruppen auf und umgingen so die von der Landeskirche vorgegebene Linie politischer Mäßigung, was Schumann eine Vorladung bei dem örtlichen sowjetischen Kommandanten einbrachte. CDU-Vertreter wie Dost vertraten in der Leipziger Stadtverordnetenversammlung kirchliche Interessen. Dieses Verhalten zielte auf die Stärkung der parlamentarischen Opposition der SED, die allerdings wegen des Blocksystems nur bedingt zur politischen Geltung kommen konnte. Insofern ergibt sich hier ein Unterschied zum Nationalsozialismus, wo es die Möglichkeit parlamentarischer Opposition nicht gab. Eine weitere Form widerständigen Verhaltens, die von der SED besonders argwöhnisch betrachtet wurde, betraf die kirchliche Jugendarbeit78. Die SED versuchte, die Gründung konfessioneller Jugendorganisationen zu unterbinden, und zwängte die Jugendlichen in die Einheitsorganisation der FDJ, worauf die Kirche nicht ohne Integrationsprobleme mit der Verkirchlichung der Jugendarbeit reagierte79. Tatsächlich versuchten einzelne kirchliche Vertreter wie Herbert Dost und Jugendpfarrer Heinrich Wallmann, die das Programm der Erneuerung der Gesellschaft auf der Basis christlichen Gedankengutes offensiv vertraten, dieses Verbot zu umgehen, indem sie kirchliche Gruppen als FDJ-Gruppen tarnten, was 1948 zur Auflösung einiger FDJ-Gruppen führte80. Dadurch gerieten sie bereits 1948 in das Visier der Repressionsorgane. Der Leiter der landeskirchlichen Verbindungsstelle zur FDJ, der Leipziger Werner Ihmels, wurde im September 1947 vom NKWD verhaftet und verstarb im Juni 1949 an einer Lungenembolie in Bautzen. Mit zunehmendem ideologischem Druck im politischen und besonders im Schulbereich änderten sich im Zeitraum bis 1952 die Formen des Widerstandes. Widerständige Initiativen, die der Wahrung ihrer Identität dienten, jedoch nicht auf die Beseitigung des Regimes abzielten, gingen in dieser Zeit zunehmend von der Spitze der Landeskirche aus81. Das Landeskirchenamt verbot den Pfarrern die Teilnahme an den Ausschüssen der Nationalen Front und nahm das in der DDR-Verfassung verbürgte Recht, „zu den Lebensfragen des Volkes Stellung zu nehmen“ in Anspruch, indem es öffentlich oder in Schreiben an die Landesregierung zu den Geschehnissen in der DDR Stellung nahm. In einer Kanzelerklärung vom 23. April 1950 kritisierte es zusammen mit den anderen Landeskirchen in der DDR die gesellschaftliche Gleichschaltung und die antikirchliche Propaganda82. 78 Detailliert dazu E. UEBERSCHÄR, Junge Gemeinde, S. 326–328. 79 Zu diesem Zusammenhang vgl. besonders EBD., S. 328. 80 Vgl. EBD., S. 86–90. 81 EBD., S. 327, weist in diesem Zusammenhang auf die Parallelen zum Verhalten der katholischen Kirche im Nationalsozialismus hin. 82 Die Kanzelerklärung ist abgedruckt in: KJ 77, 1950, S. 117–119.
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Durch die Kriminalisierung der „Jungen Gemeinde“ 1952/1953 wurde dieses Potenzial resistenten Verhaltens in den offenen Widerstand gedrängt. Das Landeskirchenamt rief im Herbst 1954 sogar dazu auf, das polizeiliche Verbot von Kirchgemeindeversammlungen zur Diskussion des Entwurfes des Familiengesetzbuches nicht zu befolgen83. Auch durch die Einführung der Jugendweihe wurde die sächsische Landeskirche in eine Oppositionsrolle gedrängt. Es fand eine regelrechte Hetze gegen diejenigen Pfarrer statt, die den strikten Entweder-Oder-Standpunkt der Landeskirche offensiv vertraten. Am 17. Dezember 1954 fand in Dresden eine gesamtsächsische Pfarrertagung statt, die in ihrem Motto „Kirche in Not“ sogar direkt auf die Anfänge des Kirchenkampfes im „Dritten Reich“ Bezug nahm84. Auf der lokalen Ebene gab es noch weitere Formen widerständigen Verhaltens. Aufgrund ihres umfassenden Gesellschaftsanspruchs sah die SED schon Versuche von Vergemeinschaftung als potenziell gefährlich an. So wurde Pfarrer Otto Lipski (Versöhnungsgemeinde) vom MfS observiert, da er Kontakte zu Vertriebenen aufrecht erhielt85. Genau registriert wurden Verweigerungshaltungen wie der Verzicht auf die Teilnahme an den Wahlen. Über den Pfarrer Gerhard Küttler wurde Ende 1954 vom MfS der Operative Vorgang „Tempel“ angelegt, weil er sich demonstrativ der Wahl enthalten und Kritik an ihrer Form geäußert hatte86. In eine besondere Kategorie fallen solche Pfarrer, die über intensive Kontakte zur Bundesrepublik verfügten. Viele unter diesen wie Herbert Dost, Gerhard Göserich, Klaus Quandt und Heinrich Wallmann waren dazu noch im Jugendbereich erfolgreich tätig und wurden daher polizeilich überwacht. Genauso wie das NS-Regime schenkte die SED der Verkündungstätigkeit der Kirche höchste Aufmerksamkeit. Die Überwachung von Gottesdiensten wurde spätestens ab Mitte der 50er Jahre systematisch organisiert, da der SED-Staat jede Regimekritik zu unterdrücken suchte. Dabei wurden in den Predigten vorkommende Vergleiche zwischen NS- und SED-Regime aufmerksam registriert, da sie den antifaschistischen Gründungsmythos der DDR grundsätzlich verneinten. Über eine Predigt Werner Hartungs, der an der Trinitatisgemeinde tätig war, wurde im April 1950 berichtet: „Das 83 Landeskirchenamt an Superintendenten, betr. Kirchgemeindeabende zur Behandlung des Entwurfes eines Familiengesetzbuches, 26. November 1954 (BKA LEIPZIG, A 43). 84 Die Gemeindebewegung „Evangelische Volkskirche“ – die sächsische bekenntniskirchliche Laienbewegung – war Anfang 1934 mit dem Aufruf „Kirche in Not“ gegen die deutschchristliche Kirchenleitung aufgetreten (H. KLEMM, S. 195). Ausschnitte der Rede von Landesbischof Noth zitiert in: Landeskirchenamt an die Konventsvorsitzenden, 18. Oktober 1958 (ADSL, 5.5). 85 BSTU, Lpz AOP 352/61. 86 BSTU, Lpz AOP 31/57.
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Tausendjährige Reich ist in 12 Jahren vergangen, und bei dem anderen dauert es nicht so lange“87. Scharfe Kritik wurde, das wird hier besonders deutlich, auch in dem Bewusstsein geäußert, dass der DDR als Staat keine lange Lebensdauer zugebilligt wurde. 1957 predigte Pfarrer Albrecht Burkhardt, „es sei bald wieder so weit, dass sie in Uniform auf der Kanzel stehen und Rundfunk- sowie Zeitungsnachrichten wiedergeben müssten“88. Herbert Stiehl, der von der SED als einer der „reaktionärsten“ Superintendenten der Landeskirche eingeschätzt wurde89, verzichtete im Allgemeinen in Gesprächen mit Staatsvertretern auf eine diplomatische Umschreibung der politischen Zustände in der DDR. Gegenüber einem Vertreter des Rates der Stadt sagte er: „Leider muss ich feststellen, dass alle Feierlichkeiten um den Geburtstag der Republik nicht eine DDR- oder Regierungsangelegenheit, sondern einen Ausdruck der Machtpolitik der SED darstellen. Sie sprechen nur von der SED, vom ZK, von Walter Ulbricht, von Erfolgen, mit denen wir als Kirche nichts gemein haben. Die Menschen klatschen ihnen Beifall, wo wir und auch ich das nicht können. Sie haben ein offenes Parteisystem wie im Dritten Reich. Keine Spur ist vorhanden von den so genannten Blockparteien. Es springt einem förmlich ins Auge: Alles hat die SED gemacht. Das nennen Sie Freiheit, das nennen Sie Demokratie“90.
Die Folie des „Dritten Reiches“ und die dort gemachten Erfahrungen dienten Stiehl zur Identifikation totalitärer Herrschaft. Diese Kritik Stiehls an den politischen Verhältnissen in der DDR, die durch den Vergleich mit dem Nationalsozialismus an Schärfe kaum zu überbieten war, verdeutlicht gerade wichtige Unterschiede im Verhalten von Geistlichen und im polizeilichen Zugriff in der DDR: Es ist kaum vorstellbar, dass ein sächsischer Superintendent im „Dritten Reich“ gegenüber einem Staatsvertreter eine solche, bemerkenswert regimefeindliche Bemerkung gemacht hätte, noch wäre er in diesem Fall ohne Sanktion geblieben91. Die oben genannten Beispiele machen deutlich, dass das widerständige Verhalten der Leipziger Pfarrer in der SBZ/DDR anders charakterisiert werden muss als im „Dritten Reich“. Kanzelabkündigungen der Landeskirche kritisierten vor allem Bedrängnisse, die sich auf kirchliche Arbeits87 Landesleitung Sachsen der SED, Abt. Kultur und Erziehung an Seydewitz, 17. Oktober 1950 (SÄCHSHSTA DRESDEN, LRS, MP 1359, Bl. 92 f., hier Bl. 93). 88 VPKA Leipzig, Erlaubniswesen, 16. Februar 1957 (STAL, SED-BL IV 2/14/623, Bl. 190). 89 Vgl. z. B. die Aktennotiz eines SED-Mitglieds zur Aussprache mit Kollegen Bartnig, CDU am 11. November 1958 (STAL, SED-BL IV/2/15/674). 90 BDVP, Erlaubniswesen, Jahresbericht des Dienstzweiges, 20. Januar 1960 (STAL, BDVP 155, Bl. 283). 91 Für das MfS lassen sich jedenfalls keine Aktionen gegen Stiehl nachweisen (vgl. BSTU, MfS HA XX AP 22541/92).
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felder bezogen, nahmen aber mit ihrer Kritik an der Form der Wahlen und an dem ideologischen Druck an den Schulen betont gesamtgesellschaftliche Anliegen auf. Gerade der BK-Superintendent Stiehl betonte in seiner Amtsführung das „Wächteramt“ der Kirche und suchte, die Pfarrerschaft auf seine konfrontative Linie gegen die SED festzulegen, so beispielsweise in einem Gespräch mit staatlichen Vertretern am 17. Juli 1953: „Es wurde von Stiehl darauf hingewiesen, dass die Kirchen nicht in einen engen Raum rein geistlicher Art eingeschränkt werden können, sondern christlicher Glaube in alle Gebiete auszustrahlen habe, so auch in das Gebiet der Politik. Die Kirche habe immer ein Wächteramt und gegebenenfalls die Aufgabe, Unrecht aufzuzeigen“92. Die recht starre Scheidung zwischen geistlichem und weltlichem Bereich, wie sie das Handeln Schumanns doch gerade im Nationalsozialismus geprägt hatte, war hier zugunsten einer aktiveren Rolle der Kirche aufgehoben. Das Verhalten der Geistlichen in Leipzig war von Selbstbehauptung bestimmt, ging jedoch gelegentlich in Abwehr und Protest über. Es gab auch in Leipzig Pfarrer, die keine Berührungsängste gegenüber der SED hatten oder sogar die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen suchten. Auch hier können unterschiedliche historische Erscheinungsformen aufgezeigt werden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit suchten einzelne Geistliche mit Hilfe der Kommune bzw. der SED, ihre Position innerhalb der Kirche zu verbessern, und hofften auf Intervention von außen zu ihren Gunsten. Dabei waren sie bereit, Informationen über kirchliche Interna zu liefern. Das Verhalten des Pfarrers Ernst Lewek, der staatliche Stellen mit Informationen über Ephoralversammlungen versorgte und eine Intervention von Oberbürgermeister Zeigner zu seinen Gunsten erwirken wollte, ist in der Landeskirche kein Einzelfall. Dieses Verhalten wird eher verständlich, wenn man die Enttäuschungen in Betracht zieht, die der „nichtarische“ Pfarrer im „Dritten Reich“ durch seine Amtsbrüder erlebt hatte. Ein zweiter Typ der Kooperation trat in der Zeit des Kalten Krieges stärker hervor. Es handelt sich um jene Pfarrer, die sich in den SED-Sympathisantenorganisationen engagierten und dort gegen den Willen der Landeskirche für eine Einheits- und Friedenspolitik im Sinne der SED auftraten. So gering die Zahl dieser Pfarrer in den 50er Jahren auch gewesen sein mag, so spielten sie in der DDR keine unwichtige Rolle, konnte die SED doch in der Öffentlichkeit auf die Existenz solcher „fortschrittlichen“ Kräfte in der Kirche verweisen und damit die Position der Landeskirche schwächen. Zu diesem Typ ist Pfarrer Johannes Herz zu zählen.
92 Held, Zusammenfassung über das Gespräch am 17. Juli 1953 (LKA DRESDEN, 2/1018, Bl. 34).
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Den dritten Typ bildet der zu konspirativen Zusammenarbeit mit dem MfS bereite Pfarrer. Innerhalb dieser Kategorie gab es selbstverständlich ein weites Spektrum von Verhaltensweisen, von wenig ergiebiger Kooperation aufgrund von Erpressung, von der Hoffnung, durch den Gesprächsfaden mit der Staatssicherheit Verbesserungen für die Kirche zu erreichen bis zur intensiven Zuarbeit. In Leipzig bildete in den 50er Jahren die Zusammenarbeit mit dem MfS die Ausnahme. Nicht zufällig zeigte sich gerade ein Pfarrer wie Hans-Georg Rausch, der sich durch sein unwirsches Verhalten selber zum Außenseiter in der Pfarrerschaft gemacht hatte, dazu bereit. Tatsächlich verlor er aufgrund seiner zunehmenden Isolierung als Informant an Wert. Die Besonderheit der lokalen Entwicklung Vergleich
5. Die Besonderheit der lokalen Entwicklung Zur Beurteilung der kirchenpolitischen Situation in Leipzig hinsichtlich ihrer regionalen Besonderheit im Nationalsozialismus und der SBZ/DDR sind verschiedene Faktoren heranzuziehen: Hier überlagerten sich innerkirchliche Spannungen mit Entwicklungen im NS-Herrschaftsgefüge bzw. der SED-Herrschaft. In der Zeit des Nationalsozialismus ist das Verhältnis zwischen Dresden und Leipzig sowohl in der sächsischen Landeskirche wie auch in den staatlichen Strukturen als ein Verhältnis von Zentrale (Landeskirchenamt, Landeshauptstadt) zur Peripherie zu kennzeichnen. Die „Gleichschaltung“ der Landeskirche setzte oben bei der Kirchenleitung und unten bei den Gemeinden an, während in Leipzig die mittlere Superintendentenebene vom deutschchristlichen Kirchenregiment Coch erst mit der Entlassung Hilberts wegen seiner exponierten Stellung im sächsischen Pfarrernotbund 1934 „gleichgeschaltet“ wurde. Auf die Entspannung an der Spitze der Landeskirche durch die Einsetzung des Landeskirchenausschusses im Herbst 1935 folgte die Übernahme des Superintendentenamtes durch Heinrich Schumann im April 1936, wodurch die Dominanz der „Mitte“ ihren sichtbaren Ausdruck fand. Der „Kirchenstreit“ verlief aufgrund der starken Stellung der „Mitte“ deutlich ruhiger als in Dresden, wo sich exponierte Deutsche Christen und entschiedene BK-Leute wie Hahn und Fischer gegenüberstanden. Im Krieg flauten die Spannungen zwischen den kirchlichen Gruppen keineswegs ab, sondern wurden von den kriegsbedingten Entwicklungen überlagert, um sofort nach Kriegsende erneut auszubrechen. Auch im Bereich der Landesregierung gab es keine einheitliche Entwicklung. Mutschmanns zunehmende Machtentfaltung, die sich in der Entlassung potenziell kirchenfreundlicher Kräfte im Ministerialbereich bis 1935
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bemerkbar machte, und sein eigenständiger kirchenpolitischer Kurs zugunsten der Deutschen Christen bei gleichzeitiger massiver Drosselung der Staatsleistungen an die Landeskirche ergaben eine gauspezifische Ausprägung der Kirchenpolitik. Unter dem Einfluss der Partei und des Sicherheitsapparates war sie ab 1938/39 Homogenisierungstendenzen ausgesetzt93. Auf der lokalen Ebene kann mit dem Rücktritt des Oberbürgermeisters Goerdeler und dem Weggang des mit ihm befreundeten Patrons Beusch 1937 das Ende einer relativ kirchenfreundlichen Zeit in Leipzig gesehen werden. Hier waren sogar die auf städtischem Gebiet stattfindenden so genannten „Waldgottesdienste“ einzelner Kirchgemeinden noch ausgeweitet worden. Fortan spielte die evangelische Kirche bei den lokalen Stellen wohl eine geringe Rolle. Nachweisbar sind lediglich Versuche, die Kirche aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Mit Kriegsbeginn ergaben sich zusehends andere Prioritäten. Bis zur Bildung der Bezirke im Jahr 1952 gab es im Verhältnis von der Metropole (Dresden) zur Peripherie (Leipzig) gewisse strukturelle Übereinstimmungen mit der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgehend von ihrem eigenen Organisationsverständnis setzten die Bemühungen der SED zur Inanspruchnahme der Kirche für ihre Politik beim Dresdner Landeskirchenamt an. SMAS und Landesverwaltung/-regierung übten einen steten Druck auf das Landeskirchenamt aus, um kirchliche Stellungnahmen in ihrem Sinne zu erhalten. Gerade in den ersten beiden Nachkriegsjahren, als das Landeskirchenamt sich noch vorsichtig positiv zu den staatlichen Umstrukturierungsmaßnahmen äußerte und noch nicht auf einen konfrontativen Kurs eingeschwenkt war, gab es an der Basis der Leipziger Pfarrerschaft Verstimmungen über die Dresdner Vorgaben, doch wurden diese nach kontroverser Diskussion schließlich doch umgesetzt, weil man gegenüber SED und Besatzungsmacht kirchliche Einigkeit demonstrieren wollte. Die äußeren Bedingungen des Besatzungsregiments und zunehmender innenpolitischer Repression bewirkten eine Stärkung des Landeskirchenamtes. Es machte sich dabei bemerkbar, dass die Landeskirche anders als im Nationalsozialismus jetzt „intakt“ war. Mit der Auflösung der Länder in der DDR im Sommer 1952 war die Bildung eines sozialistischen, zentralistischen Einheitsstaates nach sowjetischem Muster abgeschlossen94. Die Bezirke standen nun dem Machtanspruch der Berliner Zentrale direkt gegenüber. Tatsächlich jedoch blieb der Freiraum in der Ausgestaltung des kirchenpolitischen Apparates auf Bezirksebene verhältnismäßig groß, da aufgrund des Mangels an geeignetem Leitungspersonal auf Bezirks- und Kreisebene die Entscheidung über 93 Zum Homogenisierungsdruck durch die Partei und SS im Krieg vgl. K. DÜWELL, S. 173 f. 94 K. SCHROEDER, S. 104.
Die Besonderheit der lokalen Entwicklung
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die Besetzung von Planstellen in der Hand des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes lag95. Die nachlässige Politik des Leipziger Bezirksvorsitzenden Karl Adolphs entsprach aber dem allgemeinen Desinteresse an Kirchenfragen auf der administrativen Ebene und stellte auf Bezirksebene wohl keinen Ausnahmefall dar. Dass die Auseinandersetzung um die „Junge Gemeinde“ und die Propagierung der Jugendweihe in Leipzig eine so außergewöhnliche Dimension annahmen, ist vor allem auf die SED-Bezirksleitung und ihren Ersten Sekretär Paul Fröhlich zurückzuführen. In repressiver Hinsicht nahm der Bezirk Leipzig bis Ende der 50er Jahre eine herausragende Stellung ein. Mit Herbert Stiehl übernahm im Frühjahr 1953 ein exponierter Vertreter der Bekennenden Kirche, der als enger Vertrauter des Landesbischofs galt, das Superintendentenamt in Leipzig. Die „Machtübernahme“ der BK in Leipzig traf in der Pfarrerschaft auf Widerstand, der sich je nach Grad in heimlicher oder offener Solidarität mit Pfarrer Rausch offenbarte, der seine Auseinandersetzung als Kampf gegen die „reaktionäre BK-Hierarchie“ und ihren Leipziger Vertreter Stiehl stilisierte. Insgesamt dürften die Staat-Kirche-Auseinandersetzungen im Nationalsozialismus als vergleichsweise gemäßigt gelten, während die Lage in der Messestadt gerade für die 50er Jahre in der DDR als besonders gespannt gelten kann. Insgesamt war es das Ziel der Arbeit, den Zugriff von „Drittem Reich“ und DDR auf die evangelische Kirche mit ihren Strukturen und Methoden und die Reaktion der Kirche darauf darzustellen. Es konnte gezeigt werden, dass die nationalsozialistische Kirchenpolitik keiner einheitlichen Grundkonzeption unterlag, sondern sich aus dem Widerstreit verschiedener Kräfte in Staat und Partei ergab. Nachdem aufgrund der großen Euphorie in der evangelischen Bevölkerung und der Pfarrerschaft die „Gleichschaltung“ der sächsischen Landeskirche von der Spitze und den Gemeinden im Sommer 1933 hatte schnell erreicht werden können, lässt sich ein Prozess zunehmender Distanzierung von Partei und Staat gegenüber der Kirche beobachten, der jedoch letztlich aus innenpolitischen Gründen nicht in eine „Endlösung“ der Kirchenfrage umschlug, die für die Zeit nach dem Ende des Krieges vorgesehen war. Hervorzuheben bleibt für Sachsen das eigenständige kirchenpolitische Vorgehen des Reichsstatthalters und Gauleiters Martin Mutschmann, der den Handlungsspielraum der Dresdner Kirchenleitung weitgehend bestimmen konnte. Die Situation der evangelischen Kirche in Leipzig im Nationalsozialis95 Insofern ist E. UEBERSCHÄR, Junge Gemeinde, S. 193, zu relativieren, die behauptet, auf der mittleren und unteren Ebene sei der Spielraum für die Staatsfunktionäre „gleich null“ gewesen. Dies trifft nur für bestimmte von oben angeordnete politische Maßnahmen gegenüber der evangelischen Kirche zu.
494
Vergleich
mus war vergleichsweise günstig, nachdem dort die führenden Deutschen Christen, die zu einer sehr weit reichenden Zusammenarbeit mit der Gestapo bereit waren, ihre zeitweilig dominante Stellung an die „Mitte“ verloren hatten. Entgegen dem Trend nahmen in Leipzig in der Amtszeit Goerdelers sogar noch bestimmte kirchliche Veranstaltungsformen zu, während die Stadt nach dessen Rücktritt verstärkt die obwaltenden Entkonfessionalisierungsmaßnahmen unterstützte. Anders als die NSDAP versuchte die KPD/SED aufgrund ihrer ungefestigten Machtposition, die Kirchen im Rahmen ihres Bündniskonzeptes für sich zu gewinnen. Letztlich jedoch blieben die Resultate der SED-Kirchenpolitik, die sogar zeitweise zum offenen Kampf gegen die Kirche überging und im Bezirk Leipzig einen besonders repressiven Charakter trug, im lokalen Bereich bis Ende der 50er Jahre weit hinter den gesteckten Zielen zurück. Dies lag einerseits an dem Desinteresse an Kirchenfragen im Parteiapparat, andererseits an der weithin geschlossenen Ablehnung des SED-Regimes durch die Kirchen, die die Bevölkerung hinter ihrem Kurs wussten. Sowohl die außerordentliche Schärfe der Auseinandersetzung mit der „Jungen Gemeinde“ als auch um die Einführung der Jugendweihe im Bezirk Leipzig gehen wohl auf den Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung Paul Fröhlich zurück. Entschieden wurde die „Machtfrage“ zwischen Kirche und Staat schließlich, als dieser in der Frage der Jugendweihe seine durch die sozioökonomischen Umwälzungen erlangten Machtmittel demonstrierte und Bevölkerung und Kirche zu trennen begann, wobei er an die Entwicklungen im Nationalsozialismus anknüpfen konnte. Aus den Erfahrungen im „Dritten Reich“ hatte die evangelische Kirche Konsequenzen gezogen. Sie legte besonderen Wert auf ihre Autonomie und ihren Öffentlichkeitsauftrag und konnte somit zum Fürsprecher gesamtgesellschaftlicher Anliegen werden. Dieser Aspekt wird besonders in der Tätigkeit des Superintendenten Herbert Stiehl sichtbar, der mit Vehemenz das Wächteramt der Kirche reklamierte und die Pfarrerschaft auf einen konfrontativen Kurs gegen die SED festlegen wollte. Die wenigen Pfarrer, die zur Zusammenarbeit mit Partei und Staat bereit waren, blieben unter ihren Amtsbrüdern isoliert. Als sich Ende der 50er Jahre die Rahmenbedingungen ihres Handelns dramatisch veränderten, musste sich die evangelische Kirche auf die Erwartungen des Staates stärker einlassen. Dass sie nach manchen Umwegen und Rückschlägen jedoch an ihren beiden Zielsetzungen festhielt, ließ sie in den 80er Jahren zu einem wesentlichen Faktor in der „Wende“ 1989 werden.
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverze ichnis
Abkürzungen
Abb. Abt. ACDP AdSL AGK AKZG AOP AP APrTh APU ArTe ASozG AU BArch BBKL Bearb. BDC BDVP BFR BK BKA BL BStU BTE BV BWFKG CG CDU (D) ChH CVJM DC DDP DDR DG DH DNVP DVP DEK DEKK DFD
Abbildung Abteilung Archiv für Christlich-Demokratische Politik Archiv der Superintendentur Leipzig Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte Operativ-Akten Allgemeine Personenablage Arbeiten zur praktischen Theologie Altpreußische Union Arnoldshainer Texte Archiv für Sozialgeschichte Archivierter Untersuchungsvorgang Bundesarchiv Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon Bearbeiter Berlin Document Center Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Bezirksfriedensrat Bekennende Kirche Bezirkskirchenamt Bezirksleitung Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Barmer Theologische Erklärung Bezirksverwaltung Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte Christentum und Gesellschaft Christlich-Demokratische Union (Deutschlands) Church History Christlicher Verein Junger Männer (bis 1956) Deutsche Christen Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutsche Glaubensbewegung Dahlwitz-Hoppegarten Deutschnationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Deutsche Evangelische Kirche Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei Demokratischer Frauenbund Deutschlands
496 Dok. DVfV EAC ebd. EKD EKU ESG ESK EvTh EZA FAZ FDGB FDJ FQKGO GBl GBlDEK GeGe Gen. Gestapa Gestapo GGB GI GVBl GWU HBGDJ HerChr HJ HMRG HPB HPM HVDVP IM IMS i.V. JBBKG JK JWKG KA Kap. KB KD KGV KGVBl KiSo KJ KJVD
Abkürzungsverzeichnis Dokument Deutsche Verwaltung für Volksbildung European Advisory Commission ebenda Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche der Union Evangelische Studentengemeinde Evangelisch-sozialer Kongress Evangelische Theologie Evangelisches Zentralarchiv in Berlin Frankfurter Allgemeine Zeitung Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands Gesetzblatt Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche Geschichte und Gesellschaft Genosse Geheimes Staatspolizeiamt Geheime Staatspolizei Geschichtliche Grundbegriffe Geheimer Informator Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden Herbergen der Christenheit Hitler-Jugend Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft Historisch-politisches Buch Historisch-politische Mitteilungen Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei Inoffizieller Mitarbeiter Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung des Verantwortungsbereiches in Vertretung Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte Junge Kirche Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte Entnazifizierungskommission A der sächsischen Landeskirche Kapitel Kulturbund Kreisdienststelle Kirchgemeindeverband Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt Kirche im Sozialismus Kirchliches Jahrbuch Kommunistischer Jugendverband Deutschlands
Abkürzungsverzeichnis KlT KoGe KP KPD KPdSU KV KZ KZG LA LBdVP LDP (D) Lic. LKA LKGG LL LRS Lpz LVZ MdI MdL MdR MfS MfV MP NASG ND NF NKFD NKWD NL NS NSBO NSLB NSV NZ o. D. o. g. o. J. OKR OLKR ÖRK OV Pfr. PM PP PVS RdB
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Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen Konfession und Gesellschaft Kontaktperson Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kirchenvorstand Konzentrationslager Kirchliche Zeitgeschichte Landesausschuss Landesbehörde der Volkspolizei Liberal-Demokratische Partei (Deutschlands) Licentiat der Theologie Landeskirchliches Archiv Die Lutherische Kirche, Geschichte und Gestalten Landesleitung Landesregierung Sachsen Leipzig Leipziger Volkszeitung Ministerium des Innern Mitglied des Landtags Mitglied des Reichstages Ministerium für Staatssicherheit Ministerium für Volksbildung Ministerpräsident Neues Archiv für sächsische Geschichte Neues Deutschland Nationale Front Nationalkomitee „Freies Deutschland“ Narodny Kommissariat Wnutrennich Del (Volkskommissariat des Innern) Nachlass Nationalsozialismus; nationalsozialistisch Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Neue Zeit ohne Datum oben genannt ohne Jahr Oberkirchenrat Oberlandeskirchenrat Ökumenischer Rat der Kirchen Operativer Vorgang Pfarrer Pass- und Meldewesen Polizeipräsidium Politische Vierteljahresschrift Rat des Bezirkes
498 RGBl RKK RKM RM RSHA SA SächsHStA SAPMO SBZ SD SED SEK SfS SKBl SKGNS SKK SMAD SMAS SS StA L STAL stellv. StGB StVuR Sup. SVRKG ThLZ ThV TRE u. a. UAL VdgB VELKD VHK VHKNS VKL VKZG VP VPKA VVN VZG ZA ZEvKR ZfG ZKG z. T.
Abkürzungsverzeichnis Reichsgesetzblatt Reichskulturkammer Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten Reichsmark Reichssicherheitshauptamt Sturmabteilung Sächsisches Hauptstaatsarchiv Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Sowjetische Besatzungszone Deutschlands Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sächsische Evangelische Korrespondenz Staatssekretariat für Staatssicherheit (23.7.1953–24.11.1955) Sächsisches Kirchenblatt Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens Sowjetische Kontrollkommission Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sowjetische Militäradministration in Sachsen Schutzstaffel Stadtarchiv Leipzig Staatsarchiv Leipzig stellvertretende/r/s Strafgesetzbuch Stadtverordnetenversammlung und Rat Superintendent Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte Theologische Literaturzeitung Theologische Versuche Theologische Realenzyklopädie unter anderem Universitätsarchiv Leipzig Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen Vorläufige Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte Volkspolizei Volkspolizeikreisamt Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Zentralarchiv Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Kirchengeschichte zum Teil
QuellenQuellenund undLiteraturverzeichnis Literaturverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Ungedruckte Quellen BUNDESARCHIV BERLIN (BARCH BERLIN) R 3001 R 5101 DO-4
Reichsjustizministerium Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten Staatssekretär für Kirchenfragen
BUNDESARCHIV BERLIN,
BERLIN DOCUMENT CENTER (BARCH/BDC)
EHEMALIGES
Mitgliederkartei der NSDAP Personalunterlagen der Reichskulturkammer
BUNDESARCHIV BERLIN, ZWISCHENARCHIV DAHLWITZ-HOPPEGARTEN (BARCH-DH) Bestand ZA II Bestand ZA V Bestand ZB I Bestand ZB II Bestand ZC I Bestand ZD V-Mann-Kartei STIFTUNG ARCHIV DER PARTEIEN UND MASSENORGANISATIONEN DER DDR BUNDESARCHIV BERLIN (SAPMO) DY 30 IV/2/14 DY 30/IV/2/15
Sektor Kirchenfragen Befreundete Parteien
EVANGELISCHES ZENTRALARCHIV IN BERLIN (EZA) Bestand 1 1/A4 1/C2
Vorgängereinrichtungen der EKD Deutsche Evangelische Kirche 1932/33–1945 Die Landeskirchen
IM
500
Quellen- und Literaturverzeichnis
Bestand 4 Bestand 50
Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle Archiv für die Geschichte des Kirchenkampfs in der Kirchlichen Hochschule Berlin
SÄCHSISCHES HAUPTSTAATSARCHIV DRESDEN (SÄCHSHSTA DRESDEN) Königreich und Freistaat Sachsen 1831–1945: Ministerium des Innern Ministerium für Volksbildung Land Sachsen 1945–1952: Bestand Landesregierung Sachsen 1945–1952 (LRS) MP Ministerpräsident MdI Ministerium des Innern MfV Ministerium für Volksbildung Bestand Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen (LBdVP) Bestand SED-BPA Dresden 1945–1952: A/ SED-Landesleitung Sachsen (SED-LL) ARCHIV DES EVANGELISCH-LUTHERISCHEN LANDESKIRCHENAMTES IN DRESDEN (LKA DRESDEN) Bestand 2: Ev.-luth. Landeskirchenamt Sachsens ARCHIV DER INNEREN MISSION LEIPZIG A1
Wichtige Schriftstücke zur Geschichte der Inneren Mission STAATSARCHIV LEIPZIG (STAL)
Landgericht Leipzig Polizeipräsidium Leipzig – Vereinsakten (PP-V) Polizeipräsidium Leipzig – Strafsachen (PP-St) SD-Abschnitt Leipzig Bezirkstag/Rat des Bezirkes (RdB) Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Leipzig 1951–1975 (BDVP Leipzig) Volkspolizeikreisamt Leipzig (VPKA Leipzig) Bestand SED-Bezirksparteiarchiv: SED-Bezirksleitung IV/2/14 Kirchenfragen Bestand SED-Stadtleitung Leipzig
Quellen- und Literaturverzeichnis
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STADTARCHIV LEIPZIG (STA L) Kapitelakten: Kapitel 6 Der Rat und die Beiräte Kapitel 10 Personalangelegenheiten Kapitel 41 Kirchensachen Kapitel 42 Sonstige Religions-Genossenschaften Jugendamt Antifaschistischer Block Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Leipzig: Teil 1: 1945–1970 StVuR (I) ARCHIV DER SUPERINTENDENTUR LEIPZIG (FRÜHER LEIPZIG-WEST) (ADSL) Schrank I Schrank II Schrank VII Ordner Stiehl Neues Archiv ARCHIV DES BEZIRKSKIRCHENAMTES LEIPZIG DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN LANDESKIRCHE SACHSENS (BKA LEIPZIG) A 19/1, A 26, A 31a, A 31b, A 40, A 43, A 56, A 59, A 73, A 97, A 103/18 II. Pfarrstelle Peters III. Pfarrstelle Thomas Amt für Gemeindedienst Kirchlicher Grundbesitz 12 UNIVERSITÄTSARCHIV LEIPZIG (UAL) Nachlass Herz ARCHIV FÜR CHRISTLICH-DEMOKRATISCHE POLITIK, ST. AUGUSTIN (ACDP ST. AUGUSTIN ) I-188 I-201 III-035 VII-013
Nachlass Karl Buchheim Nachlass Ernst Eichelbaum Landesverband Sachsen Sachthemen
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Quellen- und Literaturverzeichnis BEHÖRDE DER BUNDESBEAUFTRAGTEN FÜR DIE UNTERLAGEN DES STAATSSICHERHEITSDIENSTES DER EHEMALIGEN DDR (BSTU)
1. Zentralarchiv: 1.1. Allgemeine Personenablage Stiehl, Herbert
BStU, HA XX 22541/92
1.2. IM-Akten (AIM) „Konrad“ „Roland“
BStU, MfS 1822/64 BStU, MfS 4841/59
2. Außenstelle Halle (BStU, Halle): IM-Akten (AIM) „Hans“
BStU, Halle, AIM 1640/63
3. Außenstelle Leipzig (BStU, Lpz) 3.1. Sachbezogene Akten BVfS Leipzig, Leitung: 7/01; 4/5; 180; 183/2; 184/2; 184/3 3.2. Operativ-Akten (AOP) OV „Denkmal“ OV „Grieche“ OV „Tempel“
BStU, Lpz AOP 351/61 BStU, Lpz AOP 3808/64 BStU, Lpz AOP 31/57
3.3. Allgemeine Personalablage (AP) Kliegel, Ernst
BStU, Lpz AP 439/63
3.4. IM-Akten (AIM) „Eduard“ „Volkmann“
Lpz AIM 2020/76 Lpz AIM 2020/65
3.5. Archivierte Untersuchungsvorgänge (AU) Dost, Herbert
Lpz, AU 115/53
Quellen- und Literaturverzeichnis
503
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Personenregister/Biografi Personenregister/BiografischeA sche Angaben ngaben
Personenregister/Biografische Angaben
ABEGG, Friedrich 75, 88, 135 ABICHT 107 geb. 1893, Pfarrer, 1929 Leipzig (Andreas) Hauptwachtmeister ACKERMANN, Anton 246, 265 geb. 1905, gest. 1973, 1926 Eintritt in die KPD, ab 1943 im NKFD tätig, 1945 Leiter der KPD-Gruppe für Sachsen, 1946 Mitglied von Parteivorstand u. Zentralsekretariat der SED, verantwortlich für Parteischulung, Volksbildung, Hochschulen, 1950–54 Mitglied der Volkskammer, 1954 aller Funktionen enthoben u. Ausschluss aus dem ZK der SED ACKERMANN, Hermann 129 geb. 1903, gest. 1969, Pfarrer, 1936 Leipzig (Christuskirche), 1936 Ramsdorf, 1949 Leipzig (Heilig-Kreuz) ADAM, Walter 97 geb. 1900, gest. 1951, Pfarrer, 1924 Hilfsgeistlicher Dresden (Stadtmission), 1926 Frauenstein, 1937 Dresden-Leuben ADENAUER, Konrad 316, 376, 391 geb. 1876, gest. 1967, 1917–33 Oberbürgermeister Köln, von den Nationalsozialisten entlassen, 1945 Mitbegründer der CDU, 1948 Präsident des Parlamentarischen Rates, 1949–63 Bundeskanzler ADOLPHS, Karl 337 f., 355, 377–379, 383, 427 f., 455, 493 geb. 1904, gest. 1989, 1952–59 Vorsitzender des Rates des Bezirkes Leipzig, 1961–65 stellv. Oberbürgermeister Leipzig, 1965–71 Vorsitzender der Stadtplankommission AÉ, Karl 79, 200 geb. 1891, gest. 1951, Pfarrer, 1932 Dresden-Plauen, 1948 Superintendent Dresden-Land ALBERTI, Rüdiger 135 f., 253 geb. 1898, gest. 1953, Pfarrer, 1925 Ellefeld, 1928 Chemnitz, 1937 Leipzig (Thomas), 1947 Leiter des Kirchlichen Erziehungsamtes Leipzig ALISCH, Kurt 321, 323 geb. 1906, Nov. 1952–Febr. 1953 Leiter der Abteilung Kirchenfragen der CDU AMANN, Max 147 geb. 1891, gest. 1957, 1933 Präsident der Reichspressekammer, 1948 zu 10 Jahren Haft verurteilt ANACKER, Wilhelm 451 geb. 1902, gest. 1980, Pfarrer, 1928 Lößnitz, 1933 Niederschlema, 1948 Superintendent Großenhain
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Personenregister/Biografische Angaben
ANZ, Johannes 355 geb. 1906, gest. 2003, 1945–49 Konsistorialrat, 1949–57 Oberkonsistorialrat Magdeburg APHENJEN 212 Oberleutnant, 1948 Sachbearbeiter für Kirchenfragen in der SMAS APITZ, Bruno 224 geb. 1900, gest. 1979, Schriftsteller, Künstler ARKENAU, Aurelius 206 f., 216, 220 f. geb. 1900, gest. 1991, Dominikanerpater, 1940–46 Superior des DominikanerKonvents in Leipzig-Wahren ASCHENBACH, Karl 388 1956 Erster Sekretär des Bezirksfriedensrates Leipzig AUENMÜLLER, Hans 77, 83 f. geb. 1894, gest. 1966, Pfarrer, 1922 Scheibenberg, 1926 Dresden (Dreikönig), 1947 Superintendent Annaberg AUERSWALD, Rudolf 274, 253, 263 geb. 1897, Oberregierungsrat, 1945 Landesverwaltung Sachsen, Abt. Chef der sächsischen Polizei, 1946–1949 sächsisches Ministerium für Volksbildung, Abt. Volksbildung, Referat Religionsgemeinschaften AXEN, Hermann 326 geb. 1916, gest. 1992, 1934–45 mehrfach inhaftiert, 1946–49 Sekretär des Zentralrates der FDJ, 1949 Leiter der Abt. Agitation im Parteivorstand bzw. ZK der SED, 1950–53 Sekretär des ZK der SED, 1953–56 Zweiter Sekretär der SED-BL Berlin, 1956–66 Chefredakteur des ND, 1966–89 Sekretär des ZK der SED verantwortlich für die internationalen Beziehungen BAETKE, Walter 239 f. geb. 1884, gest. 1978, 1935–45/46 Prof. für Religionswissenschaft in Leipzig BALZE, Friedrich 119 geb. 1900, gest. 1950, Pfarrer, 1932 Reichenau, 1945 Vikar Balderschwang, 1948 Furth im Wald BARTH, Karl 39, 78, 178, 475 geb. 1886, gest. 1968, 1921 Prof. für Reformierte Theologie Göttingen, 1925 Prof. für Dogmatik und neutestamentliche Exegese Münster, 1930 Prof. für Systematische Theologie Bonn, 1934 Entlassung, 1935–62 Prof. für Systematische Theologie Basel BARTH, Willi 308, 317, 325 f., 328, 352, 375, 401 f., 404, 455 geb. 1899, gest. 1988, 1954–77 Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED BAUER, Oswald 214, 265 geb. 1882, gest. 1972, 1927 SPD-Stadtverordneter Leipzig, 1945–46 Stadtrat Leipzig, 1946–48 Abteilungsleiter im sächsischen Ministerium für Handel und Versorgung BAUM, Willy 377, 379, 381, 383, 385–389, 425 1954 Instrukteur für Kirchenfragen der SED-BL Leipzig BECHER, Johannes R. 396 geb. 1891, gest. 1958, Schriftsteller u. Politiker, 1954 Minister für Kultur der DDR
Personenregister/Biografische Angaben
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BECKMANN, Paul 426 f., 430–433, 435 f., 440, 443, 445–453, 455–458 geb. 1900, ehemaliger Pfarrer der Berlin-Brandenburgischen Kirche, Leiter des Referats „Familienforschung“ im Zentralen Staatsarchiv der DDR, seit 1951 als IM „Roland“ Zusammenarbeit mit dem MfS BEHREND, Walter 144 f., 257 geb. 1890, gest. 1946/47, Pfarrer, 1918 Leipzig (Heiland), 1933–45 Leipzig (Paul-Gerhardt) BEIER, Martin 73, 97 Sächsischer Gauobmann der DC BEMMANN, Martin 40 geb. 1888, gest. 1965, Pfarrer, 1928–35 Leipzig (Auferstehung), Wehrmachtspfarrer BENJAMIN, Hilde 393 geb. 1902, gest. 1989, 1949–53Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR, 1953–67 Justizministerin der DDR, 1954–89 Mitglied des ZK der SED BENNEWITZ 98 1933 Stadtschulrat in Leipzig BERGANDER, Liane 111 V-Frau des SD in Leipzig BERGENGRUEN, Werner 170 geb. 1892, gest. 1964, Erzähler und Lyriker BERGER 333 Vertreter des FDGB in Leipzig BERGMANN, Ernst 113 geb. 1881, gest. 1945, Prof. für Philosophie Leipzig, Führer der Deutschen Glaubensbewegung BERIJA, Lawrenti 373 geb. 1899, gest. 1953, seit 1938 Volkskommissar des NKWD u. damit Chef des gesamten sowjetischen Polizei-, Nachrichten- und Sicherheitsdienstes, 1946 stellv. Ministerpräsident u. Mitglied des Politbüros, nach Stalins Tod 1953 gestürzt BERNHARD, Dieter 316 BERTHOLD, Ernst 151, 163 Schulleiter in Borna im „Dritten Reich“ BERTHOLD, Johannes 173 Rechtsanwalt BESTE, Niklot 284 geb. 1901, gest. 1987, 1933–45 Pfarrer in Neubukow, 1946–71 Landesbischof von Mecklenburg, 1968–69 Vorsitzender der Konferenz der ev. Kirchenleitungen in der DDR, 1968–71 Leitender Bischof der VELKD/DDR BEUSCH, Hans 97 f., 133, 181, 199, 463, 492 geb. 1889, gest. 1960, 1920 Stadtarzt Königsberg, 1930–38 Stadtrat im Gesundheitsamt Leipzig, 1938–55 Direktor der Firma Friedrich Krupp BEYER, Alexander 95, 145, 147 geb. 1887, Pfarrer, 1929 Leipzig (Bethanien) BIALEK, Robert 364 geb. 1915, gest. 1956, 1946 Mitbegründer u. Vorsitzender der FDJ Sachsen, 1945–47 Jugendsekretär der KPD-BL Sachsen u. des SED-Landesvorstands,
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Personenregister/Biografische Angaben
1946–48 MdL Sachsen, 1948/49 Besuch der SED-Parteihochschule, Generalinspekteur der Volkspolizei und Leiter der Hauptabteilung Politikkultur der Deutschen Verwaltung des Innern, 1950 Kulturdirektor eines Betriebs in Bautzen, 1952 Ausschluss aus der SED, 1953 Flucht nach Westberlin, 1956 Entführung durch das MfS, Tod im Zuchthaus Bautzen BIRMELE, Johannes 105 geb. 1876, gest. 1952, Pfarrer, 1931–48 Leipzig (Andreaskirche) BLUM, Heinz 385 geb. 1910, gest. 1967, Anstaltspfarrer im Gefängnis Waldheim BLÜMEL, Erich, 416–422, 426 f., 429 f., 432, 437, 442, 454, 454–457 geb. 1910, gest. 1978, Sachbearbeiter im Referat 4, Abt. V der BV Leipzig des MfS BODELSCHWINGH, Friedrich von 77 geb. 1877, gest. 1946, 1910–46 Leiter der Betheler Anstalten, Mai/Juni 1933 Reichsbischof BÖHLERT, Richard geb. 1881, gest. 1848, 1933 Vorsitzender des Orts- und Bezirksausschusses für Arbeiterwohlfahrt Leipzig BÖHME 287 1945 Landrat Leipzig BÖHME, Theodor 84 geb. 1898, Fabrikant Radebeul, MdL Sachsen, Mitglied des Landesbruderrates, nach 1945 Fabrikant Icking/Bayern, Mitglied der bayerischen Landessynode BÖHME, Walter 53, 105, 119, 136, 176, 190 f. geb. 1889, gest. 1957, Pfarrer, 1925 Leipzig (Thomas) BÖTTGER, Werner 269 geb. 1913, Pfarrer, bis 1945 Dresden (Hoffnungskirche), 1945 Lommatzsch BORMANN, Martin 126, 157, 171 f., 177, 197, 467 geb. 1900, gest. 1945, Stabsleiter beim „Stellvertreter des Führers“, 1941 Chef der Parteikanzlei, 1943 „Sekretär des Führers“ BORNKAMM, Heinrich 130, 228 geb. 1901, gest. 1977, 1935–47 Prof. für Kirchengeschichte Leipzig, 1948–67 Heidelberg BREDENDIEK, Walter 354, 389 geb. 1926, gest. 1984, 1952 Referent der CDU-Parteileitung, 1955 Mitglied des Christlichen Arbeitskreises im Deutschen Friedensrat, 1956 Sekretär des Deutschen Friedensrates, 1980–83 Prof. für Evangelische Theologie Halle, 1983 Humboldt-Universität Berlin BREITMANN, Walter 300, 348 f., 396 geb. 1902, gest. 1983, 1945 persönlicher Referent von Otto Buchwitz, 1952–69 Referatsleiter für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Dresden BRÜCKNER, Robert 440 geb. 1889, gest. 1958, Pfarrer, 1948 Leipzig (Immanuel) BRÜGMANN, Albert 243, 246, 270 geb. 1878, gest. 1952, Stadtdirektor, 1940–49 im Kreis- bzw. Bezirkskirchenamt Leipzig
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BRUHNS, Oskar 53, 86, 88, 131, 133 f., 137, 141, 150, 156, 158 f., 175–177, 185–187, 190, 201, 221, 228, 231–233, 256, 464, 482 f. geb. 1881, gest. 1945, Pfarrer, 1918–19 Wanderprediger bei den ev.-luth. Kolonisten in Westsibirien, 1919–20 Pfarrer u. Inspektor am Knabengymnasium Ekaterinenburg, 1921 Redner des Gustav-Adolf-Vereins Deutschland in Leipzig, 1922 Pfarrer Leipzig (Markus), 1934 Leipzig (Nikolai), 1936 stellv. Superintendent Leipzig-Stadt BUCHHEIM, Karl 207, 220 f. geb. 1889, gest. 1982, 1916–34 Studienrat Freiberg, 1934–45 freier Schriftsteller u. Verlagsleiter, 1945 Mitbegründer der CDU in Leipzig, 1946–50 MdL Sachsen, 1950–57 Prof. für Neuere u. Neueste Geschichte München BUCHWALD, Gottfried 255 geb. 1889, Pfarrer, 1927–1956 Leipzig (Philippus), 1945 von der Pfarramtsleitung beurlaubt BUCHWITZ, Otto 265, 279, 348 geb. 1879, gest. 1964, 1919–33 Parteisekretär der SPD Niederschlesien, 1924–33 MdR, 1933 Emigration, 1940–45 Zuchthaus, 1946–48 paritätischer Vorsitzender des SED-Landesverbands Sachsen, 1946–48 MdL Sachsen u. Landtagspräsident, 1949–64 Abgeordneter der Volkskammer BÜNGER, Wilhelm 57 geb. 1870, gest. 1937, DVP, 1929–30 sächsischer Ministerpräsident BÜRGER, Heinz 246 Kircheninspektor BURGSDORFF, Curt von 87, 129 geb. 1886, gest. 1962, 1927 Oberregierungsrat MdI Sachsen, 1928 Amtshauptmann Löbau, 1933 kommissarischer Kreishauptmann Leipzig, 1933–37 Ministerialdirektor im MdI Sachsen, 1937–38 Kreishauptmann Leipzig, 1938 Verwaltungsauftrag Wien, 1939 Unterstaatssekretär Prag, 1943 Verwaltungsleiter Krakau, 1945 Haft, 1951 Ev. Akademie Tutzing BURKHARDT, Albrecht 489 geb. 1913, Pfarrer, 1955 Leipzig (Bethanien) BURKHARDT, Reinhold 70, 423 geb. 1885, gest. 1964, Pfarrer, 1911 Leipzig (Erlöser), 1946 Leipzig (Marien) BUSCH, Karl August 221, 224, 250, 260, 292 geb. 1886, gest. 1952, Pfarrer, 1914 Dresden (Luther) BUSKE 425, 431, 436 Mitglied des Rats des Bezirkes Leipzig BÜTTNER, Walter 221 geb. 1888, Pfarrer, 1929 Leipzig (Bethanien) BUTTMANN, Rudolf 87 geb. 1885, gest. 1947, 1925 Fraktionschef der NSDAP im bayerischen Landtag, 1933–35 Ministerialdirektor und Leiter der kulturpolitischen Abt. im Reichsinnenministerium, 1935–45 Generaldirektor der bayerischen staatlichen Bibliotheken CAFFIER, Wolfgang 289–292, 305 geb. 1919, Pfarrer, 1946 Leipzig (Erlöser), 1949 Liebenau, 1954 Weixdorf, 1958–61 Leiter des Bundes evangelischer Pfarrer in der DDR
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CHRUSCHTSCHOW, Nikita Sergejewitsch 404 geb. 1894, gest. 1971, 1939–64 Mitglied des Politbüros der KPdSU, 1953–64 Erster Sekretär des ZK der KPdSU, 1958–64 Ministerpräsident der Sowjetunion, 1964 beider Ämter enthoben COCH, Friedrich 62–65, 69 f., 72 f., 76, 79 f., 82–87, 89 f., 92, 94–97, 101, 106, 108–110, 112, 115, 118–123, 129 f., 133, 152, 157, 169, 183–185, 201, 461, 482, 491 geb. 1887, gest. 1945, Pfarrer, 1921 Freiberg (Nikolai), 1927 Landesverein für Innere Mission, 1933–45 sächsischer Landesbischof CONRAD, Walter 87 geb. 1892, gest. 1970, 1932 Reichsrundfunkkommissar, 1933–34 Ministerialrat und Kirchenreferent in der kulturpolitischen Abteilung des Reichsinnenministeriums, 1947/48 Senatspräsident Oberlandesgericht Potsdam, 1949–54 Stadtrat, 1953/54 Bürgermeister Berlin DARRÉ, Richard Walter 113 geb. 1895, gest. 1953, 1931–38 Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes, 1933–42 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1934–45 Reichsbauernführer DENNHARDT, Wolfgang 137 Obmann der Gaugemeinde Sachsen der Kirchenbewegung DC DERTINGER, Georg 324 geb. 1902, gest. 1968, Redakteur des „Stahlhelm“, 1945 Mitbegründer der CDU, 1946–49 Generalsekretär u. Hauptgeschäftsführer des CDU-Hauptvorstands, 1952 stellv. Vorsitzender der CDU, 1949–53 Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, 1953 verhaftet u. zu 15 Jahren Haft verurteilt, 1964 begnadigt, dann Lektor beim St. Benno-Verlag Leipzig DIBELIUS, Otto 151, 280, 295, 298, 328, 339 f., 344, 347 f., 351, 365, 427, 481 geb. 1880, gest. 1967, 1925 Generalsuperintendent der Kurmark, 1933 abgesetzt, 1945–61 Bischof der Ev. Kirche von Berlin-Brandenburg, 1949–61 Ratsvorsitzender der EKD DIECKMANN, Johannes 273 geb. 1893, gest. 1969, 1945 Mitbegründer der späteren LDPD u. Mitglied des Landesvorstands Sachsen, 1946–52 MdL Sachsen, 1948–50 Minister für Justiz u. stellv. Ministerpräsident des Landes Sachsen, ab 1949 Präsident der Volkskammer DIELS, Rudolf 104 geb. 1900, gest. 1957, seit 1931 in der Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums, 1933/34 Chef des Gestapa, 1934 Regierungspräsident Köln, 1936 Regierungspräsident Hannover, 1944 selbst in Gestapo-Haft DIETZE, Alfred 371 Mitarbeiter der Gestapo Leipzig DIETZE, Kurt 40 SPD-Abgeordneter, Religiöser Sozialist DINTER, Arthur 52 geb. 1876, gest. 1948, 1924–27 NSDAP-Gauleiter Thüringen, 1927 Begründer der „Geistchristlichen Religionsgemeinschaft“, 1928 aus der NSDAP ausgeschlossen, 1934 Begründer der „Deutschen Volkskirche“
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DÖNICKE, Walter 92, 100 geb. 1899, gest. 1945, Tischler, 1927 NSDAP–Kreisleiter Leipzig, 1930–33 MdL Sachsen, Landtagspräsident, 1933 Kreishauptmann Leipzig, 1937–38 Oberbürgermeister Leipzig DOERNE, Martin 40, 68, 229, 235 geb. 1900, gest. 1970, 1925 Pfarrer Löbau, 1927 Studiendirektor des Predigerseminars Lückendorf, 1934 Prof. für Praktische Theologie Leipzig, 1947 Universität Rostock, 1952 Prof. für Praktische Theologie Halle, 1954 Göttingen DOST, Herbert 221, 281, 283, 309, 340, 343, 357, 360 f., 363, 367–372, 486–488 geb. 1908, gest. 1990, 1938 Geschäftsführer des kirchlichen Amtes für Presse und Volksmission, Leiter des Amtes für Gemeindedienst Leipzig, 1951 Gründer der Leipziger Spielgemeinde DREGER, Egon 252 geb. 1899, gest. 1970, 1945–50 Leiter des Personalamtes im Innenressort der Landesverwaltung Sachsen bzw. MdI Sachsen, 1950–52 Chef der Kanzlei des sächsischen Ministerpräsidenten DREWITZ 194 Vikar Leipzig (Erlöserkirche), im Krieg gefallen DUBROWSKI, Dmitri Georgewitsch 243 1945–49 stellv. Chef für Zivilangelegenheiten der SMAS, danach Vorsitzender der SKK Sachsen EATON, Richard 204 1945 Chef des Provisional Military Detachment A der amerikanischen Armee EBBEKE 140, 153 f. Oberregierungsrat, 1933 Leiter der Politischen Abteilung im Polizeipräsidium Leipzig EBERT, Edgar 119 geb. 1899, Pfarrer, 1926 Bülow, 1929 Groitzsch, 1934 Radeberg, 1953 Leipzig (Bethlehem), 1965 i. R. EBERT, Gerhard 69, 74, 90–92, 94, 98–100, 107, 110, 133–135 geb. 1894, gest. 1936, Pfarrer, 1926 Leipzig (Johannis), 1934 Dresden-Strehlen ECKART 422 Mitarbeiter des CDU-Bezirksverband Leipzig ECKERT 301 1951 Mitarbeiter im Amt für Information, Abt. Informationskontrolle der Landesregierung Sachsen EGER, Johannes 133 geb. 1873, gest. 1954, 1929 Generalsuperintendent in der Kirchenprovinz Sachsen (Südwestsprengel), Vorsitzender des Ev. Konsistoriums Magdeburg, Vorsitzender des sächsischen Provinzialkirchenrates, 1934 Versetzung in den Ruhestand, 1935–37 Mitglied des Reichskirchenausschusses und Vorsitzender des preußischen Landeskirchenausschusses EGGERATH, Werner 287, 455 geb. 1900, gest. 1977, 1924 Mitglied der KPD, 1934–45 Inhaftierung, 1945–47 Vorsitzender der KPD bzw. SED Thüringens, 1947–52 Ministerpräsident Thüringen, 1952 Staatssekretär beim Ministerpräsidenten der DDR, 1954 Botschaf-
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ter der DDR in Rumänien, 1957–60 Staatssekretär für Kirchenfragen bei der Regierung der DDR EICHELBAUM, Ernst 221, 229 geb. 1893, gest. 1991, 1945–46 Lehrer an der Thomasschule Leipzig, 1945–48 Zweiter Bürgermeister Leipzig, 1949–59 Oberstudiendirektor Wuppertal, 1952 Mitbegründer des Gesamtverbandes der Sowjetzonenflüchtlinge, Bundesvorsitzender bis 1963, 1957–65 Mitglied des Bundestages EICHLER 253 Stadtschulrat EISENHUTH, Heinz Erich 70, 73 f., 137 geb. 1903, gest. 1983, 1931 Privatdozent Leipzig, 1935 Lehrbeauftragter für Religionsphilosophie u. Sozialethik Leipzig, 1937–45 Prof. für Systematische Theologie Jena, Mitarbeiter am „Institut zur Erforschung u. Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ Eisenach, 1945 Entlassung, 1948 Pfarrer Jena, 1952–67 Superintendent Eisenach ENGEL, Wilhelm 73 geb. 1903, gest. 1954, Pfarrer, 1928 Werdau, 1933 Landeskirchenamt Dresden, 1938 Domprediger Dresden, 1942 Superintendent Stollberg, 1947 Pfarrer Gundorf ENGELKE, Friedrich 253 geb. 1878, gest. 1956, 1925 Leiter des „Rauhen Hauses“ Hamburg, 1934 „Vikar der DEK“ ENGERT, Otto 206 geb. 1895, gest. 1945, Zimmermann, KPD, 1924–28 MdL Thüringen, 1928 Ausschluss aus der KPD, 1933/34 Haft, 1944 erneute Verhaftung, 1945 hingerichtet EPP, Franz Ritter von 129 geb. 1868, gest. 1946, Berufssoldat, 1928–45 MdR (NSDAP), 1933 Reichsstatthalter in Bayern, 1945 interniert ERMERT 128 1935 Mitarbeiter im Reichsinnenministerium FABER, Georg 43, 53, 67 f., 70, 74, 100, 105 f., 134, 136 geb. 1889, Pfarrer, 1917 Leipzig (Luther), Kirchenkreisfachberater der NSDAP, 1937–38 Sachbearbeiter bei der Kirchenamtsratsstelle Leipzig, 1938 NSDAPParteirichter FAHL, Ulrich 390 1955 Mitglied CDU-Bezirksverband Leipzig FAUST, Georg 36, 53 geb. 1877, gest. 1967, 1916–31 Direktor der Inneren Mission Leipzig, 1931 Pfarrer Bad Segeberg FEHLBERG, Gothart 340, 342, 346, 350, 357, 368 geb. 1906, gest. 1974, Pfarrer, 1947 Leipzig (Peterskirche), abgeordnet als Studentenpfarrer in Leipzig, 1973 als Superintendent Karl-Marx-Stadt I emeritiert FICHTNER 416 Sachbearbeiter im Referat 4 der Abt. V der BV Leipzig des MfS
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FICHTNER, Horst 80, 130 geb. 1893, gest. 1961, Pfarrer, 1920 Leipzig (Laurentius), 1924–34 Leipzig (Stephanus), 1934–36 Dresden (Trinitatis), 1936–38 Dresden (Sophien), 1938–40 Innere Mission Berlin, 1940 Superintendent Lübben, 1942 Oberkonsistorialrat Berlin FICKER, Johannes 69, 130 f., 200 geb. 1878, gest. 1945, Pfarrer, 1924 Superintendent Oelsnitz, 1928 Dresden (Kreuzkirche), Superintendent Dresden-Stadt FIEBIG, Paul 37, 80 ff., 105 geb. 1876, gest. 1949, 1902 stellv. Direktor am Institut Judaicum Delitzschianum Leipzig, 1903 Studieninspektor am Predigerseminar/Wittenberg, 1919 Pfarrer Leipzig (Peterskirche) FIEDLER, Eberhard 91, 229 geb. 1898, gest. 1947, Rechtsanwalt am Reichsgericht, 1934 Mitglied des Reichsbruderrates, Leiter der Kirchenkanzlei der VKL I, 1936 Amtsniederlegung wegen Krankheit, nach 1945 Oberlandesgerichtsrat Gera FIEDLER, Walter 229 Buchhändler FISCHER, Karl 39, 77 f., 84, 118, 131, 136, 159, 176, 183, 221, 491 geb. 1896, gest. 1941, Pfarrer, 1922 Lauenstein, 1929 Dresden (Trinitatis), Mitglied des Landesbruderrats FISCHER, Kurt 244 f., 247, 251, 254, 262 f. geb. 1900, gest. 1950, Lehrer, 1945 Erster Bürgermeister Dresden, Juli 1945 bis Oktober 1946 Erster Vizepräsident der Landesverwaltung Sachsen, 1946–48 Innenminister und stellv. Ministerpräsident Sachsens, 1948–49 Präsident der Deutschen Verwaltung des Innern, 1949/1950 Generalinspekteur der Volkspolizei FLEISCHER, Karl 141, 143, 148, 241 geb. 1885, Pfarrer, 1929 Leipzig (Michaelis), Vertrauensmann der Sächsischen Pfarrbruderschaft FLEISSNER, Heinrich 265 geb. 1888, gest. 1959,1923–1933 Leipziger Polizeipräsident, 1944 KZ Sachsenhausen, 1945 kurzzeitig Leipziger Polizeipräsident FLEMMING, Luise 111 V-Frau des SD in Leipzig FLESCHHUT 402 Bürgermeister Leipzig FLOR, Wilhelm 86, 91 geb. 1882, gest. 1938, 1933 Reichsgerichtsrat Leipzig, 1934 Mitglied des sächsischen Bruderrats u. des Reichsbruderrats, 1937 Leiter der sächsischen Bekenntnissynode, Mitglied des Kreisbruderrates Leipzig FRANKENDORFER, Karl Pfarrer, 1954 i. R., Mitglied des Bezirksfriedensrates Leipzig FRANZ 336 1953 Direktor der Max-Klinger-Schule Leipzig FRENKEL, Martin gest. 1943 (gefallen), Pfarrer, Leipzig (Markus)
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Personenregister/Biografische Angaben
FREUDENBERG, Adolf 231 geb. 1894, gest. 1977, Jurist, später Theologe, 1924–35 im Auswärtigen Dienst, 1938 Mitarbeiter im „Büro Grüber“, 1939–47 Sekretär des Ökumenischen Flüchtlingsdienstes, 1948–60 Pfarrer Bad Vilbel FREYBERG, Alfred 179, 181 geb. 1893, gest. 1945, Jurist, 1932–39 Ministerpräsident des Freistaats Anhalt, 1939–45 Oberbürgermeister Leipzig FRICK, Wilhelm 14, 61, 87, 91, 108, 117 f., 128 f. geb. 1877, gest. 1946, Jurist, 1933–43 Reichsinnenminister, 1943 Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, 1946 zum Tode verurteilt FRIEDRICHS, Rudolf 239, 241, 243 f., 251 f., 262, 265, 270, 273, 275, 277, 284, 468 geb. 1892, gest. 1947, Jurist, 1945 Oberbürgermeister Dresden, 1945/46 Präsident der Landesverwaltung Sachsen, 1946 sächsischer Ministerpräsident FRITSCH, Karl 63 f., 83 f., 87, 91, 96, 104 f., 109 f., 115, 117, 121, 129, 151 f., 155, 164 f., 168, 179, 184, 195 geb. 1901, gest. 1944, 1933–44 sächsischer Innenminister FRÖHLICH, Andreas 34, 63, 92, 135, 145, 176, 180, 191, 205, 229, 235 f., 242, 252, 256 geb. 1886, gest. 1971, Pfarrer, 1926–32 Superintendent Bautzen, 1932–45 Superintendent Leipzig-Land, 1933–34 Tätigkeit im Landeskirchenamt Dresden, 1947–57 Riesa FRÖHLICH, Paul 333, 359, 400, 402–405, 407, 410, 413, 427 f., 464, 468, 493 f. geb. 1913, gest. 1970, Koch, 1950–52 Erster Sekretär der SED-Kreisleitung Leipzig, 1952 Erster Sekretär der BL Leipzig, 1954 Kandidat des ZK der SED, Abgeordneter der Volkskammer, 1958 Mitglied des ZK, 1963 Mitglied des Politbüros des ZK FUCHS, Emil 249, 295, 297, 352, 359, 384 f. geb. 1874, gest. 1971, 1949–58 Prof. für Systematische Theologie u. Religionsphilosophie in Leipzig, 1954 Ehrenmitglied der CDU, 1958 Mitbegründer der Christlichen Friedenskonferenz FÜLLKRUG, Gerhard 55 geb. 1870, gest. 1948, 1916–32 Geschäftsführender Direktor des Centralausschusses für die Innere Mission GABLENTZ, Otto Heinrich von der 79 geb. 1898, gest. 1972, Politikwissenschaftler, 1945 CDU-Mitbegründer Berlin, bis 1948 Wirtschaftssachverständiger im Stab Jakob Kaisers, 1948–59 Lehrbeauftragter, ab 1953 Professor sowie Abteilungsleiter, 1955–59 amtierender Direktor an der Deutschen Hochschule für Politik Berlin, 1959–66 Professor für politische Wissenschaften am Otto-Suhr-Institut Berlin GAGARIN, Alexej Petrowitsch 401 GEISSLER, Rudolf 86, 91 Rechtsanwalt Leipzig GELBE-HAUSEN 290 Kulturbund, Kreissekretär Leipzig
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GENNRICH, Paul 97 geb. 1865, gest. 1946, 1917–33 Generalsuperintent der Kirchenprovinz Ostpreußen, 1933 Amsenthebung u. Versetzung in den Ruhestand GENNRICH, Paul-Wilhelm 394 geb. 1902, gest. 1981, Pfarrer, 1949–67 Generalsekretär des Gustav-Adolf-Werkes Leipzig GENSICHEN, Johannes 105 f., 115 f., 485 geb. 1885, gest. 1968, Pfarrer, 1930 Leipzig (Emmaus), 1935 Ruhestand, 1935–46 Verwalter des Pfarramts Wersabe GERBER, Willy 130, 409, 418 f., 429, 431, 433, 437, 440, 442 f., 456 geb. 1895, gest. 1980, Pfarrer, 1931–53 Superintendent Chemnitz-Stadt, vom Amt des Superintendenten in der NS-Zeit zeitweise beurlaubt, ebenso Nov. 1945–Juli 1946 u. 1947–48, 1953–64 OLKR Dresden GERLACH, Manfred, 333 geb. 1928, 1946–50 Jugendreferent der LDPD für Nordwestsachsen, 1949 Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer, 1952–54 stellv. Oberbürgermeister Leipzig, 1954–67 Generalsekretär. der LDPD, 1967–90 Vorsitzender der LDPD, 1960–90 stellv. Vorsitzender der Staatsrates, Dez. 1989–März 1990 Vorsitzender des Staatsrates GISEVIUS, Hans Bernd 116 geb. 1904, gest. 1974, Jurist, 1934 vorübergehend Leiter der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium, 1940–44 Abwehrbeauftragter beim deutschen Generalkonsulat Zürich, 1943 Kontakte zum US-Geheimdienst und zum deutschen Widerstand GLADEWITZ, Richard 244, 263, 265 geb. 1898, gest. 1969, 1946 Leiter der Abt. Allgemeine Volkserziehung im Ressort Volksbildung der Landesverwaltung Sachsen, 1946–50 Leiter der Abt. Allgemeine Volksbildung im sächsischen Ministerium für Volksbildung GOEBBELS, Joseph 113, 146, 151 geb. 1897, gest. 1945, 1933 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, 1944 Generalbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz GÖPFERT, Arthur 127 geb. 1902, Lehrer, 1935 kommissarischer Leiter des sächsischen Volksbildungsministeriums GOERDELER, Anneliese 98 geb. 1903, Ehefrau Carl Friedrich Goerdelers GOERDELER, Carl Friedrich 15, 44, 92, 97 f., 102, 180, 199, 463, 492, 494 geb. 1884, gest. 1945, 1930–37 (Amtsniederlegung) Oberbürgermeister Leipzig, von der Widerstandsbewegung gegen Hitler als zukünftiger Reichskanzler vorgesehen, 1944 verhaftet, 1945 in Plötzensee hingerichtet GÖRING, Bernhard 246, 265 geb. 1897, gest. 1949, 1920 Vorsitzender des Bundes religiöser Sozialisten in Preußen, später Vorsitzender des Hauptvorstandes, 1946–49 Mitglied des Parteivorstandes der SED u. stellv. Vorsitzender des FDGB GÖRING, Hermann 83, 138 f., 178 geb. 1883, gest. 1946, 1933 Reichsminister der Luftfahrt, 1933–34 preußischer Innenminister u. Chef der preußischen Geheimen Staatspolizei, 1933–45 preu-
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Personenregister/Biografische Angaben
ßischer Ministerpräsident, 1936–45 Generalbevollmächtigter für den Vierjahresplan GÖSERICH, Gerhard 26, 368, 488 geb. 1915, Pfarrer, 1943 Leipzig (Superintendentur), 1947–81 Leipzig (Erlöser) GÖTTING, Gerald, 308, 321–323, 351–354, 359, 404, 422 geb. 1923, 1949–66 Generalsekretär der CDU, 1966–89 Vorsitzender der CDU GOETZE, Alfred Gustav 188 geb. 1880, gest. 1960, Pfarrer, 1909 Küstrin, 1915–42 Braunschweig, 1938 Zwangsbeurlaubung (als „Nicht-Arier“), 1941 einstweiliger Ruhestand, 1942 i. R., 1942–53 Pfarrverweser Allmersbach GOLLERT 180, 270, 319, 321, 326 f., 333, 337, 342 f., 346, 350 f., 355, 359, 377–380, 385, 391 Mitarbeiter im Referat Kultfragen des RdB Leipzig GOTTLIEB, Heinrich 190 geb. 1888, gest. 1950, Pfarrer, 1929 Dresden (Trinitatis), 1938 im Wartestand, 1945 Löbau, 1948 Bad Elster GRABS, Rudolf 257 f., 423, 446, 452 f. geb. 1900, gest. 1993, Pfarrer, 1951–65 Leipzig-Stötteritz GREULICH 314 GRÖTSCHEL, Artos 337 1953 Hauptabteilungsleiter im MdI der DDR GROSSE, Fritz 272 geb. 1904, gest. 1957, 1946 Mitglied des SED-Landesvorstandes Sachsen, 1946 MdL Sachsen, 1948/49 Leiter der Staatlichen Kontrollkommission Sachsen, 1949–52 Botschafter der DDR in der CSR GROTEWOHL, Otto 293, 295, 299, 308, 326, 332, 344, 347, 351 f., 356, 423, 443 geb. 1894, gest. 1964, 1946–54 zusammen mit W. Pieck Vorsitzender der SED, 1949 Ministerpräsident der DDR GRÜBER, Heinrich, 191, 344, 378, 400, 443 geb. 1891, gest. 1975, Propst, 1938–40 Gründer und Leiter der Hilfsstelle für nichtarische Christen („Büro Grüber“), 1940–43 KZ Sachsenhausen u. Dachau, 1949–58 Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Regierung der DDR GRÜNBAUM, Kurt 338, 456 geb. 1892, gest. 1982, 1935 Ministerialrat im Reichskirchenministerium, 1947 Bearbeiter der kirchlichen Angelegenheiten im Volksbildungsministerium Brandenburg, kurzfristig inhaftiert, 1950–52 Leiter der Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen, 1954–58 Konsistorialpräsident Magdeburg, 1957 Untersuchungshaft, 1958 Verurteilung zu 2½ Jahren Gefängnis und einer hohen Geldstrafe, Strafaussetzung GRÜNERT, Willy 95 geb. 1900, gest. 1963, kaufmännischer Angestellter, später Gemeinschaftsprediger und Pfarrer, Aufbau der sächsischen Volksmission,1951 Leiter der Landeskirchlichen Vereinigung, 1956 Kirchgemeindeverband Leipzig, 1960 i. R. GRUNDMANN, Walter 83, 132, 352 geb. 1906, gest. 1976, 1933 Oberkirchenrat Dresden, seit 1935 Leiter der Volksmissionarischen Bewegung in Sachsen, 1936 Lehrbeauftragter für Völkische
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Theologie und Neues Testament Jena, 1938 Prof. für Neues Testament Jena, 1939 Leiter des Instituts zur Erforschung u. Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben Eisenach, 1945 Entlassung aus Universitätsdienst, 1946 Hilfsarbeiter, 1949 Hilfsprediger, 1950 Pfarrer Waltershausen, 1954–75 Dozent für Neues Testament/Rektor des Katechetenseminars der Thüringischen Landeskirche, 1970 Dozent am Theologischen Seminar Leipzig GÜNTHER, Alfred 194 geb. 1892, Pfarrer, 1944 Leipzig (Gedächtniskirche), 1945 von der Pfarramtsleitung beurlaubt, 1958 i. R. GÜNTHER, Hans 56 geb. 1891, gest. 1968, 1930 Prof. für Rassenkunde Jena, 1935 Berlin, Direktor der Anstalt für Rassenkunde, Völkerbiologie und ländliche Soziologie, 1939 Prof. Freiburg GÜNTHER, Hans-Wilhelm 135 geb. 1895, Pfarrer, 1926 Leipzig (Matthäi), 1931/32 ehrenamtlicher Jugendpfarrer, nach 1945 Thomas–Matthäi, 1963 i. R. GUNKEL, Theodor 188 geb. 1898, gest. 1976, Oratorianerpater, 1932 Leipzig (Liebfrauen) GUTE, Herbert 363 geb. 1905, gest. 1975, Zimmermann u. Schriftsteller, 1946–48 Leiter der Abt. Kunst u. Literatur im sächsischen Ministerium für Volksbildung HAAKE, Rudolf 98 1935 Bürgermeister, April–Okt. 1937 u. Oktober 1938–Aug. 1939 Oberbürgermeister Leipzig HAAS, August de 244, 274, 301 geb. 1901, gest. 1956, reformierter Pfarrer Dresden, 1950 Mitglied des Deutschen Friedenskomitees, 1952 Herausgeber der Zeitschrift „Die Verantwortung“ HAASE, Martin 194 geb. 1895, Pfarrer, 1942 Leipzig (Friedenskirche), 1964 i. R. HACHENBERGER 425 1955 Leiter der Abteilung Pass- und Meldewesen der Bezirksbehörde der VP Leipzig HAEFTEN, Hans-Bernd von 79 geb. 1905, gest. 1944, 1933 Legationsrat, 1934 Kulturattaché in Wien, 1937 Tätigkeit an der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest, 1939 Auswärtiges Amt Berlin, Mitglied des Kreisauer Kreises, 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet HÄUSLER, Gerhard 181, 257 geb. 1887, Pfarrer, 1927 Leipzig (Philippus), 1936 Leipzig (St. Jakob-Krankenhaus), 1946 Dresden (Trinitatis) HÄUSLER, Rudolf 444 Pfarrer, 1955 Leipzig (Lukas) HAGER, Magdalena 385 Leiterin des „Christlichen Friedenskreises“ in Leipzig HAHN, Erika 84 geb. 1886, gest. 1942, Frau von Hugo H.
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HAHN, Hugo 64, 69, 77 f., 84, 86 f., 91 f., 95, 98, 108, 112, 118, 120, 122, 131, 158 f., 183, 202, 212, 214, 225, 250, 259 f., 284, 294, 297 f., 303, 305, 334, 336, 339–342, 346, 491 geb. 1886, gest. 1957, Pfarrer, 1927–30 Leipzig (Thomas), 1930–38 Dresden (Frauenkirche), Superintendent von Dresden-Land, 1938 Ausweisung aus Sachsen, 1945 Mitglied des Rates der EKD, 1947–53 sächsischer Landesbischof HAMMERSCHMIDT, Karl 159, 178 geb. 1900, Pfarrer, 1924 Kirschau, 1936 Superintendent Werdau, Mitglied des sächsischen Bruderrats HAMMITZSCH, Georg 98 gest. 1947, Rektor des Leipziger Diakonissenhauses HANDSCHACK, Hans 375, 382, 432, 441 1955 Oberreferent der Abt. Kultfragen im Staatssekretariat für innere Angelegenheiten HARTMANN, Horst 107, 109 f. geb. 1901, 1931–32 Rechtsanwalt Dresden, 1933 Regierungsassessor, stellv. Leiter der Politischen Abt. des Polizeipräsidiums Leipzig, 1937 Regierungsrat, 1937 Sachbearbeiter Amtshauptmannschaft Borna, 1939 stellv. Landrat Annaberg HARTNACKE, Wilhelm 61, 87, 127 geb. 1878, gest. 1952, Lehrer, 1919 Stadtschulrat Dresden, 1933–35 sächsischer Volksbildungsminister HARTSCH, Erwin 263 geb. 1890, gest. 1948, 1946–48 sächsischer Volksbildungsminister HARTUNG, Werner 488 geb. 1919, Pfarrer, 1947 Leipzig (Thomas-Matthäi), 1947 zur Dienstleistung nach Trinitatis abgeordnet, 1952 dienstentlassen HARZER, Martin Rudolf 400, 433 geb. 1899, gest. 1959, 1930 Konsistorialrat Dresden, Oberkonsistorialrat ebd., 1945 Kirchenamtsrat Chemnitz, 1957 Präsident des Landeskirchenamtes Dresden HASE, Willibald 62, 68, 72 Pfarrer, Mochau, bis 1933 Leiter der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer evangelischer Pfarrer HAUER, Jakob Wilhelm 113 f. geb. 1881, gest. 1962, Religionswissenschaftler, Universitätslehrer, Indologe, Begründer der Deutschen Glaubensbewegung HAUFE, Christoph 385 geb. 1925, gest. 1992, 1958–84 Prof. für Neues Testament Universität Leipzig HAUFE, Friedrich 229 f. geb. 1899, gest. 1970, Praktischer Theologe Universität Leipzig HAUFE, Heinz 377, 382 f., 430–432, 434 f., 439, 448, 454, 459 Referent Religionsgemeinschaften RdB Leipzig HAUFFE, Fritz 316 f., 330, 332 Kirchenamtsrat Leipzig HECKEL, Theodor 168 geb. 1894, gest. 1967, 1928 Oberkonsistorialrat im Deutschen Ev. Kirchenbundesamt Berlin, 1934–45 Leiter des Kirchlichen Außenamts und Bischof der
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deutschen Auslandsgemeinden, 1939–45 Leiter des Ev. Hilfswerkes für Internierte und Kriegsgefangene Erlangen, 1950–64 Dekan München HEERKLOTZ, Herbert 244, 252, 263, 276, 281 Oberregierungsrat, 1946 im MdI und im sächsischen Ministerium für Volksbildung Leiter der Abteilung für Kirchenfragen HEGEN, Josef 374, 378, 382, 437 geb. 1907, gest. 1969, 1948–50 Leiter der Landesbehörde der VP in SachsenAnhalt, 1950–52 Innenminister von Sachsen-Anhalt, 1952/53 Vorsitzender des RdB Magdeburg, 1953–56 Leiter des Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten im MdI, 1957 Botschafter in VR Polen, 1961 in VR China, 1964 Zweiter stellv. Minister, 1966 Staatssekretär und Erster stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten HEGNER, Paul 263 geb. 1897, 1945 Abteilungsleiter im Ressort Inneres und Volksbildung der Landesverwaltung Sachsen, Dezember 1945–52 Leiter der Hauptabteilung Allgemeine und Gemeindeverwaltung im Ressort Inneres und Volksbildung der Landesverwaltung Sachsen bzw. des sächsischen MdI HEIDLER, Fritz 212, 264 geb. 1908, gest. 1997, Pfarrer, 1936 Kitzscher, 1947 Landeskirchenamt Dresden, 1949 Berlin, Männerarbeit der EKD HEINITZ 105 Mitarbeiter der Abt. IV des Polizeipräsidiums Leipzig HEINZE, Karl 288 geb. 1882, Pfarrer, 1914 Werda/Vogtland, 1932 Superintendent Stollberg, 1942 Superintendent Zwickau HEINZE, Rudolf 411 Superintendent Borna HELD, Fridtjof 330, 332, 338, 350, 355 f., 377 f., 410, 422, 490 geb. 1904, Kirchenrat, 1954–60 Leipzig, danach Landeskirchenamt Dresden HELM, Friedrich Walter 176, 210, 230 geb. 1896, gest. 1975, Pfarrer, 1925 Hammerbrücke, 1930 Zwickau, 1947 Superintendent Stollberg, Mitglied des Landesbruderrates HENKE, Bruno 181 Patron der Stadt Leipzig, Buchdrucker, ehrenamtl. Stadtrat HENKER, Hiltrud 93, 485 Kandidatin der Theologie, 1934 Vikarin Leipzig (Paul-Gerhardt) HENNIG, Karl 246 HERBERGER, Kurt 135, 418 geb. 1904, gest. 1951, Pfarrer, 1934 Leipzig (Immanuel), 1940 Leipzig (Gethsemane) HERMES, Andreas 221, 267 f., 272 geb. 1878, gest. 1964, 1945 Mitbegründer u. erster Vorsitzender der CDU in der SBZ, im Dezember 1945 von SMAD zum Rücktritt gezwungen wegen Widerstands gegen die Bodenreform, 1947–49 Mitglied des Bizonen-Wirtschaftsrates in Frankfurt/Main, 1948–55 Präsident des Bauernverbandes
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HERZ, Johannes 38, 49, 53 f., 56 f., 67, 70, 86, 95, 107, 131, 133 f., 137, 168, 176 f., 228, 232 f., 241, 250, 275, 281 f., 284 f., 289, 293 f., 296 f., 302, 305, 330, 348, 386, 469, 478, 482, 490 geb. 1877, gest. 1960, 1915–54 Pfarrer Leipzig (Versöhnung), 1923 Generalsekretär des Evangelisch-sozialen Kongresses, 1947 Lehrauftrag für Sozialethik und Religionssoziologie Leipzig, 1952 Prof. Leipzig HESS, Rudolf 84, 126, 157, 172, 177, 467 geb. 1894, gest. 1987, 1933–41 „Stellvertreter des Führers“ u. Reichsminister ohne Geschäftsbereich HEYDRICH, Reinhard 113, 164, 199, 484 geb. 1904, gest. 1942, 1932 Leiter des Sicherheitsdienstes der SS, 1933 Chef der gesamten politischen Polizei in Bayern, 1934 Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes, 1939 Chef des RSHA HEYL, Wolfgang 402–405, 409, 414, 422, 449 geb. 1921, 1952–54 stellv. Vorsitzender, 1954–58 Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Leipzig, 1958–66 stellv. CDU-Generalsekretär, 1963–89 Vorsitzender der CDU-Volkskammerfraktion HEYMANN, Stefan 395 geb. 1896, gest. 1967, 1919 Mitglied der KPD, 1934–1945 KZ-Haft, 1948–1950 stellv. Leiter der Abt. Parteischulung, Kultur u. Erziehung des ZK der SED, später Diplomat HICKMANN, Hugo 39, 70, 219, 222, 224, 280–283, 295, 486 geb. 1877, gest. 1955, 1908 Prof. für Religionswissenschaften Leipzig, 1919–33 Vizepräsident der sächsischen Landessynode, 1922–33 MdL Sachsen, 1945–50 Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Sachsen HILBERT, Gerhard 34 f., 41 f., 49, 53, 55–59, 64, 66–70, 79 f., 82, 84, 88–90, 92, 94, 97, 101, 105, 107, 117, 119, 133, 461, 491 geb. 1868, gest. 1936, Pfarrer, 1901 Leipzig (Luther), 1910 Dresden (Annenkirche), 1913 Prof. Theologie Rostock, 1925 Superintendent Leipzig HILDEBRANDT, Franz-Reinhold 348 geb. 1906, gest. 1991, 1946 Pfarrer und Propst in Halberstadt und Quedlinburg/Kirchenprovinz Sachsen, 1952–72/73 Präsident der Kirchenkanzlei der EKU HIMMLER, Heinrich 121, 139, 149, 151, 157, 164 f., 168, 199 geb. 1900, gest. 1945, seit 1929 Reichsführer SS, 1936 Chef der gesamten deutschen Polizei, 1939 Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, 1943 Reichsinnenminister HITLER, Adolf 51 f., 56, 58, 60–62, 64, 69, 76, 81, 83, 90, 101, 104, 124–126, 149–152, 156 f., 167, 174, 176 f., 187 f., 191–193, 201–202, 209, 462, 483, 485 geb. 1889, gest. 1945, seit 1920 Führer der NSDAP, 1933–45 Reichskanzler HÖHNE, Kurt 99 Kreisorganisationsleiter der NSDAP Leipzig, 1937 Gau-Stellenleiter beim Gau Sachsen HOFFMANN, Arthur 362 geb. 1907, gest. 1987, 1945–50 Chef der sächsischen Polizei, 1950–52 sächsischer Innenminister, 1952 Mitglied des ZK der SED, ab 1956 Leiter einer Hauptabteilung im ZK der SED
Personenregister/Biografische Angaben
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HOFMANN, Herbert 425 f., 436–438, 446 f., 450 (KP „Hofmann“, IM „Volkmann“) Einholer für Kirchensteuern beim Kirchensteueramt Leipzig HOLTZHAUER, Helmut 264, 292 geb. 1912, gest. 1973, 1933 Mitglied der KPD, 1945 Stadtrat für Volksbildung u. 1946–48 Dritter Bürgermeister Leipzig, 1948–51 sächsischer Volksbildungsminister, 1951–53 Mitglied des Ministerrats der DDR, 1954–71 Direktor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar HONECKER, Erich 308, 324 f., 327 geb. 1912, gest. 1994, 1945–46 Jugendsekretär des ZK der KPD, 1946–55 Mitbegründer u. Vorsitzender der FDJ, 1958 Mitglied des Politbüros u. Sekretär des ZK der SED, 1971 Erster Sekretär des ZK der SED, seit 1976 Generalsekretär, 1976–89 Vorsitzender des Staatsrates der DDR HUCH, Ricarda 170 geb. 1864, gest. 1947, deutsche Erzählerin und Lyrikerin HUMMEL, Siegbert 207 f., 216 f., 275 Pfarrer, Leipzig (Auferstehung) IHLENFELD, Kurt 170 geb. 1901, gest. 1972, Schriftsteller, Gründer des Eckart-Kreises, nach dem Krieg Pfarrer in Dresden IHMELS, Carl 37 geb. 1888, gest. 1967, 1923–61 Direktor der Leipziger Mission IHMELS, Ludwig 38, 62 f., 69, 101 geb. 1858, gest. 1933, 1922–33 sächsischer Landesbischof IHMELS, Werner 364 f., 387 geb. 1926, gest. 1949, Theologiestudent, Leiter der landeskirchlichen Verbindungsstelle zur FDJ, 1947 verhaftet, zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, 1949 im Sonderlager IV Bautzen verstorben IMMER, Karl 120 geb. 1888, gest. 1944, Pfarrer, 1927–44 Barmen-Gemarke ISRAEL siehe Ostarhild JACOB, Fritz, 318 f., 326–329, 331, 335, 348, 351, 356, 377–381, 384–386, 392–394, 423 f., 448 1952–54 Instrukteur für Kirchenfragen der SED-BL Leipzig JÄGER, August 62, 92 geb. 1887, gest. 1949, Jurist, 1933 Staatskommissar für die preußischen Landeskirchen, 1934 „Rechtswalter“ der DEK, 1939 stellv. Chef der Zivilverwaltung im Warthegau JAHN, Heinrich 173 f. geb. 1887, Pfarrer, 1932 Leipzig (Marien) JAHN, Rudolf 339 geb. 1906, gest. 1990, 1949–52 brandenburgischer Ministerpräsident, 1952–58 Vorsitzender des RdB Dresden, 1959–63 Botschafter in Bulgarien JENSCH, Franz 273 Sächsischer CDU-Abgeordneter, stellv. CDU-Landesvorsitzender
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Personenregister/Biografische Angaben
JEREMIAS, Alfred 37, 42, 53 geb. 1864, gest. 1935, Pfarrer, 1901 Leipzig (Luther), 1922 zugleich Prof. für semitische Religionsgeschichte Leipzig, Mitglied der DNVP JERMOLAEW, Wsewolod Alexandrowitsch 212 geb. 1909, 1945–49 in der SMAD-Informationsverwaltung verantwortlich für Kontakte mit den Kirchen, Vertreter für Kirchenfragen im Alliierten Kontrollrat, später Geschichtsdozent JEROCHIN 212 Hauptmann, 1948 Sachbearbeiter für Kirchenfragen in der SMAS JONATHAN 217 Rechtsrat in Leipzig nach 1945 JUGEL H. 60 Landesleiter der „Volksmissionarischen Bewegung Sachsens“ JUNGE, Max 135, 228 geb. 1879, Pfarrer, 1915 Leipzig (Tabor) KAISER, Harry 246 Kantor KAISER, Jakob 221, 272, 316 geb. 1888, gest. 1961, 1946–47 Vorsitzender der CDU in Berlin und in der SBZ, 1949–57 Minister für gesamtdeutsche Fragen, 1950–58 stellv. CDU-Vorsitzender in der Bundesrepublik KAISER, Walter 292 geb. 1884, gest. 1967, Pfarrer, Dresden-Leuben, nach Kriegsende Sachbearbeiter für kirchliche Angelegenheiten des Rates der Stadt Dresden KANDLER, Gottfried 318, 400, 418 f. geb. 1899, gest. 1977, Jurist, seit 1926 im Dienst der sächsischen Landeskirche, 1948 Mitglied der Kirchenleitung KANNENGIESSER, Amanda 222 KASTNER, Hermann 272 f. geb. 1886, gest. 1957, Jurist, 1945–49 Vorsitzender und stellv. Vorsitzender des LDPD-Landesverbandes Sachsen, 1949/50 Vorsitzender der LDPD, 1946–48 sächsischer Justizminister, 1949–50 stellv. Ministerpräsident der DDR, 1956 Flucht in die Bundesrepublik KERRL, Hanns 125–129, 146, 148 f., 151 f., 154, 156, 158–161, 163–166, 168, 172, 175, 177, 179–181, 184 f., 187, 189, 195, 201, 256, 462, 484 geb. 1887, gest. 1941, 1935–41 Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten KILLINGER, Manfred von 61, 63, 65, 84, 87, 96, 127 geb. 1886, gest. 1944, SA-Obergruppenführer, 1933–35 Reichskommissar u. sächsischer Ministerpräsident, 1937 Generalkonsul San Francisco, 1940–41 Gesandter Preßburg (Bratislava), 1941–44 Gesandter Bukarest KIMME, August 341 geb. 1912, 1961–82 Leiter der Leipziger Mission KIRCHBACH, Arndt von 77, 83 f., 92, 113, 276 geb. 1885, gest. 1963, Pfarrer, 1924 Landesverein Innere Mission Dresden, 1927 Domprediger Dresden, 1936–53 Superintendent Freiberg KIRMSSE 363 f. Chef der Abt. ID des Leipziger Nachrichtenamtes
Personenregister/Biografische Angaben
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KIRSCH, Ludwig 219, 222, 280 geb. 1891, gest. 1950, Priester, 1945 Mitbegründer der CDU in Sachsen, Vorsitzender der CDU Chemnitz, ab 1946 MdL Sachsen, 1948 Vorsitzender des CDU-Landesverbands Sachsen, 1949 Mitglied der Provisorischen Volkskammer KLAFFENBACH, Karl-Heinz 400 KLEE, Christian 100, 257 geb. 1888, Pfarrer, 1934 Leipzig (Stephanus), 1946 Baritz/Riesa KLEEMANN, Samuel 27, 246, 314 f., 409, 411 geb. 1899, gest. 1991, Pfarrer, 1936 Werda, 1936 Meißen, 1947–58 Radebeul, seit 1945 gleichzeitig OLKR Dresden, seit 1950 ständig im Landeskirchenamt KLEIN, Friedrich 72 geb. 1894, gest. 1946, Pfarrer, 1931 Leiter der Reichsarbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer evangelischer Geistlicher, 1933 Reichsführer des Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbundes KLEMICH, Ernst 111 f., 155 Jurist, 1933–39 Landeskirchenamt Dresden, 1935 OLKR Dresden KLEMM, Hermann 26, 78, 131 geb. 1904, gest. 1983, Pfarrer, 1929 Burkhardtswalde, 1951 Superintendent Meißen KLEWITZ, Siegfried 456 geb. 1888, gest. 1970, 1946 Oberkonsistorialrat Magdeburg, Finanzdezernent, 1957 Verhaftung, 1958 Ruhestand KLIEGEL, Erich 194, 371 f., 422, 428–439, 444, 446–451, 453, 458 f. geb. 1912, Pfarrer, 1940 Leipzig (Paul-Gerhardt), 1943 Leipzig (Lukas), 1958 Regis-Breitingen, 1960 Bundesrepublik KLOTSCHE, Johannes 119, 155–161, 163–167, 169, 172, 174 ff., 178, 186–193, 199 ff., 201, 216, 226, 462, 482 geb. 1895, gest. 1965, 1933 Adjutant Cochs, OKR, 1937 Leiter des Landeskirchenamtes Dresden, 1945 Hilfsarbeiter, dann Gemeinschaftsprediger in Mecklenburg KNABE, Erich 92, 130, 185 geb. 1882, gest. 1940, Pfarrer, 1928 Landesanstalt Leipzig-Dösen, 1936 Rektor Moritzburg, Mitglied des Landeskirchenausschusses KNESCHKE, Karl 290, 292 geb. 1898, gest. 1959, 1946–51 sächsischer Landessekretär des Kulturbundes, 1950–57 Bundessekretär des Kulturbundes, 1949–58 Mitglied der Volkskammer KNOFE, Oskar 115 f., 179 geb. 1888, 1924 Polizei Sachsen, 1933 Polizeipräsident Leipzig, 1939–42 Befehlshaber der Ordnungspolizei Posen, 1941 SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei KNOSPE, Gottfried 246, 290, 299, 318, 335, 378, 396 geb. 1901, gest. 1965, Pfarrer, 1945 OLKR Dresden KOCH, Karl 109, 120 geb. 1876, gest. 1951, 1927 Superintendent Vlotho u. Präses der westfälischen Provinzialsynode, 1934–36 Vorsitzender des Bruderrates der Ev. Kirche der Altpreußischen Union, Mai 1934 Vorsitzender des Reichsbruderrates, 1945–49 Präses der westfälischen Kirche
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Personenregister/Biografische Angaben
KOCH, Waldemar 268 geb. 1880, gest. 1963, 1945 Mitbegründer und erster Vorsitzender der LDPD, 1948 Parteiausschluss, 1948/49 Westberlin, 1949–53 Prof. für Betriebswirtschaftslehre Berlin KÖGEL, Hans-Joachim 442, 446 Pfarrer in Berlin-Brandenburg, Vorsitzender des „Freien Konvents“ KÖHLER, Hans 138, 246, 297 geb. 1911, Pfarrer, 1935 Leipzig (Heilig-Kreuz), 1937–51 Leipzig (Versöhnungskirche), 1951 West-Berlin, 1952 Professor FU Berlin, Mitglied der KgU KÖHLER, Manfred 194 geb. 1908, Pfarrer, 1944 Leipzig (Stephanus), 1948–50 Leipzig (Marien), später Elstra und Dresden-Gorbitz, 1972 Ausreise nach Westdeutschland KONIEZCNY 409 CDU-Mitglied KOOB, Wilhelm 246 Kircheninspektor KOTSCHETOW, Alexej 212, 214 Hauptmann, 1945–1947 Sachbearbeiter für Kirchenfragen in der SMAS KOTTE, Erich 130, 155, 212, 214, 225, 230, 237, 241–244, 262, 270, 273 f. 282, 296, 318, 336, 338 f., 341, 397 geb. 1886, gest. 1961, 1920 Regierungsrat und juristischer Hilfsarbeiter Landeskonsistorium Dresden, 1925 Geheimer Konsistorialrat, 1945–57 Leiter des Landeskirchenamtes Dresden KRANEIS, Gottfried 386 geb. 1916, Pfarrer, 1950 Bad Lausick, 1955/56 Leipzig KRAUSE, Albert 135, 172 geb. 1894, Pfarrer, 1936 Leipzig (Heilig-Kreuz), 1949 Leipzig (Andreas) KRAUSE, Reinhold 82 geb. 1893, gest. 1980, Studienrat, 1932/33 Gauobmann der Glaubensbewegung DC Berlin, nach Sportpalastkundgebung 1933 Enthebung von allen kirchlichen Ämtern KREBS, Max 162, 169 geb. 1885, Pfarrer, 1911 Rittersgrün, 1914 Plauen (Christuskirche), 1934 Superintendent Zwickau, 1942 Superintendent Dresden-Stadt, Dresden (Kreuzkirche) KRETZSCHMAR, Willy 73, 130, 154 f., 158, 161, 172, 193, 200, 259 geb. 1890, gest. 1962, 1933 OLKR Dresden, 1959 Ruhestand KREYSSIG, Lothar 404 geb. 1898, gest. 1986, 1934 Mitglied des provinzsächsischen Bruderrates, 1935 Präses der ersten provinzsächsischen Bekenntnissynode, 1946 Konsistorialpräsident Magdeburg Sachsen, 1947–64 Präses der provinzsächsischen Synode KRIEWALD, Feodor 289, 411 geb. 1881, gest. 1965, Pfarrer, 1927 Leipzig (Versöhnung) KRÖNING, Erich 170, 391, 393, 449 f., 454 geb. 1897, gest. 1973, Pfarrer, 1925 Leipzig (Paul-Gerhardt), 1950 Leipzig-Marienbrunn, 1966 Ruhestand
Personenregister/Biografische Angaben
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KRÜGER, Horst 364 geb. 1931, Oberschüler, 1947 Verhaftung und Verurteilung zu 25 Jahren Arbeitslager, 1950 Entlassung KRUMMACHER, Friedrich-Wilhelm 244, 248 geb. 1901, gest. 1974, 1939 Wehrmachtspfarrer, 1943–45 russische Kriegsgefangenschaft, Anschluss an das NKFD und dort Mitbegründer eines Arbeitskreises für christliche Fragen, 1945 Superintendent Berlin-Land, 1955–72 Bischof der Pommerschen Landeskirche KRUSPE, Friedrich 135 geb. 1905. gest. 1980, Pfarrer, 1937 Leipzig (Bethanien), 1948 Leipzig (PaulGerhardt) KUBE, Wilhelm 71 geb. 1887, gest. 1943, 1928 Gauleiter Ostmark, 1928 Führer der NSDAP-Fraktion im Preußischen Landtag, 1933–36 Oberpräsident der Provinzen Brandenburg-Berlin u. Posen-Westpreußen, 1936 abgesetzt, 1941 Generalkommissar für Weißruthenien, 1943 ermordet KUCHAR 212 Leutnant, 1948 Sachbearbeiter für Kirchenfragen in der SMAS KÜHN, Victor 190 geb. 1870, gest. 1945, Pfarrer, 1921 Superintendent Auerbach KÜHN, Theodor 70, 79, 89, 91, 93, 105 f., 136, 195, 228, 258, 342, 351, 484 f. geb. 1869, gest. 1957, Pfarrer, 1927 Leipzig (Nikolai), 1934 in den Ruhestand versetzt, 1946 Leipzig (Heiland) KÜNNETH, Walter 141 geb. 1901, gest. 1997, 1932–37 Leiter der Apologetischen Centrale, danach abgesetzt, 1933 Gründungsmitglied der Jungreformatorischen Bewegung, 1938 Pfarrer Starnberg, 1946 Honorarprof. Erlangen, 1953–69 Prof. für Systematische Theologie ebd. KÜNTZELMANN, Adalbert 118, 136, 222 geb. 1882, gest. 1946, Studienrat, Leiter der BK Chemnitz, Mitglied des Landesbruderrates KÜTTLER, Gerhard 488 geb. 1906, gest. 1990, Pfarrer, 1952–60 Leipzig (Tabor) KÜTTLER, Karl 135 geb. 1895, Pfarrer, 1936 Leipzig (Emmaus), 1945 von der Pfarramtsleitung beurlaubt KUHLMEIER, Friedrich-Wilhelm 172 Pfarrer, Leipzig (Heilig-Kreuz) KUNZE, Gerhard 43, 54 f., 63, 69 geb. 1892, gest. 1954, 1925 Studentenpfarrer Leipzig, 1933 Hannover-Bothfeld KUSCH, Ernst 424 f., 447 f. 1955 Leiter der Abt. Kultfragen im Staatssekretariat für innere Angelegenheiten, 1957–67 juristischer Abteilungsleiter beim Staatssekretär für Kirchenfragen LAMMERS, Hans Heinrich 128 Jurist, 1920 Referent für Staatsrecht Reichsinnenministerium, 1933–45 Staatssekretär Reichskanzlei
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Personenregister/Biografische Angaben
LANGE, Gerhard 410 Kreisvorsitzender der CDU, Leipzig LASSALLE, Ferdinand 31 geb. 1825, gest. 1864, Philosoph u. Politiker, 1863 Mitbegründer u. Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) LAU, Franz 213, 223, 225, 242 ff., 246, 260, 266, 269 f., 273 f., 277, 282, 476 geb. 1907, gest. 1973, Pfarrer, 1936–38 Studienleiter am Predigerseminar Lückendorf, 1939 Pfarrer in Dresden, 1945 Superintendent ebd., 1945–47 als Landessuperintendent Leiter der sächsischen Landeskirche, 1947 Prof. für Kirchengeschichte Leipzig, 1952 Präsident des Gustav-Adolf-Werkes LEFFLER, Siegfried 71, 151 geb. 1900, gest. 1983, Pfarrer, 1928 Niederwiera (Thüringen), Mitbegründer der Thüringer Deutschen Christen, 1933–45 Regierungsrat im thüringischen Volksbildungsministerium (Beurlaubung aus dem kirchl. Dienst), 1939 Leiter des Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben Eisenach, 1947–48 Internierungslager Ludwigsburg, 1949 Amtsaushilfe in der bayerischen Landeskirche, 1951 dorthin übernommen, 1959–70 Pfarrer in Hengersberg LEGGE, Petrus 223, 275, 280 geb. 1882, gest. 1951, 1932–51 Bischof von Meißen LEHMANN, Friedrich 136, 229, 483 geb. 1902, gest. 1983, Pfarrer, 1934 Kirchliches Jugendamt Leipzig-Stadt, 1937 Leipzig (Luther), 1947 Superindentent Grimma, 1956 OKR Landeskirchenamt Dresden LEICHTE, Heinrich 162 geb. 1893, gest. 1956, Pfarrer, 1927 Königstein, 1938 Superintendent Pirna 1945 abberufen, danach Pfarrer Friedrichswalde LEIDHOLD, Paul Arthur 84 geb. 1895, gest. 1974, Pfarrer, 1920 Limbach, 1925 Bloßwitz, 1930 Dresden (Frauenkirche), 1939 Grimma, 1945 Vikar Stuttgart, 1953–67 Pfarrer Neckargröningen LEIPOLDT, Johannes 250, 352, 360, 385 geb. 1880, gest. 1965, 1906–16 Prof. für Neues Testament Halle, Kiel und Münster, 1916–59 Leipzig LEISNER, Willi 321 1952 Referent in der Abt. für Kirchenfragen der CDU, Mitarbeiter im CDUHauptvorstand LEISTNER, Erich 40, 56, 79, 88, 106, 107 geb. 1893, gest. 1975, Pfarrer, 1926 Leipzig (Friedenskirche), 1938 zur Dienstleistung in Südafrika beurlaubt LENIN (Wladimir Iljitsch Uljanow) 334 geb. 1870, gest. 1924, führender Kopf der Oktoberrevolution 1917 in Russland, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare LENZ, Walther 53 geb. 1892, Pfarrer, 1929–48 Leipzig (Peterskirche) LEONHARDT, Hans Rudolf 135 geb. 1892, Pfarrer, 1926 Leipzig (Trinitatis)
Personenregister/Biografische Angaben
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LERCHE 1952/53 Leiter der Abt. V der BV-Leipzig des MfS LEUTHEUSER, Julius 71, 152 geb. 1900, gest. 1942, Pfarrer, 1928 Flemmingen (Thüringen), Mitbegründer der Thüringer Deutschen Christen, 1933 Kirchenrat u. hauptamtliches Mitglied des Landeskirchenrates Eisenach, 1939 Kriegsdienst LEWEK, Dorothea 188 Frau von Ernst Lewek LEWEK, Ernst 23, 37, 63, 69, 79, 105 f., 115 f., 118 ff., 122, 136, 141, 153, 182–190, 215 f., 221, 223, 228, 248, 251 f., 258, 260, 275 f., 281, 293, 328, 483, 485, 490 geb. 1893, gest. 1953, Pfarrer, 1920 Plauen, 1926 Leipzig (Nikolai), 1938 dienstentlassen, 1939 im Wartestand, 1952 Leipzig (Johannis) LIBORON, Herbert 145 geb. 1900, gest. 1968, Pfarrer, 1926 Leipzig (Philippus), 1937 Leipzig (Matthäi), 1948 zur Dienstleistung nach Bethlehem abgeordnet, 1952–61 Leipzig (Nikolai) LIEBMANN, Hermann 44 geb. 1882, gest. 1935, 1923–24 sächsischer Innenminister (SPD), 1933 Schutzhaft LIEBSCH, Johannes 111 f., 118 geb. 1897, Jurist, 1933–45 OLKR Dresden LIEBSTER, Georg 39 geb. 1863, gest. 1926, Pfarrer, 1895 Leipzig (Lukas), 1904 Gründer u. Vorsitzender der Sächsischen Evangelisch-Sozialen Vereinigung, 1914 Leipzig-Thekla LIESCHKE, Robert Theodor 84 geb. 1873, gest. 1957, Pfarrer, 1902 Plauen (Lutherkirche), 1911 Freiberg (Nikolai), 1921 Dresden (Jacobi), 1939 i. R., 1947 Vikar Dresden (Trinitatis), 1954 Vikar Ephorie Dresden LILJE, Hanns 151 geb. 1899, gest. 1977, 1927–35 Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung, 1936–45 Generalsekretär des Lutherischen Weltkonvents, 1947–71 hannoverscher Landesbischof LIPPMANN, Heinz 307 f. geb. 1921, gest. 1974, 1949–52 Sekretär des FDJ-Zentralrates, 1952/53 Stellvertreter von Erich Honecker im Zentralrat der FDJ, 1953 Flucht in die Bundesrepublik LIPSKI, Otto 255, 488 geb. 1901, Pfarrer, 1953 Leipzig (Lukas), 1956 Leipzig (Versöhnung) LÖBNIER 70 Hofrat, Mitglied der sächsischen Landessynode LOEST, Erich 415 geb. 1926, 1950 freischaffender Schriftsteller, 1957 Zuchthaus, 1964 Entlassung, 1981 Bundesrepublik LOHAGEN, Ernst 217, 238, 276 geb. 1897, gest. 1971, 1945–48 Vorsitzender der KPD/SED im Kreis Leipzig, 1948–52 Erster Sekretär des SED-Landesverbandes, Mai 1952 Rüge, 1956–58 Vorsitzender des RdB Pritzwalk
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Personenregister/Biografische Angaben
LOHSE, Franz 368 geb. 1866, Pfarrer, 1906 Leipzig (Tabor) LOHSE, Johannes 194 f. LOTZ, Gerhard 352 geb. 1911, gest. 1981, 1938 Assessor Thüringische Landeskirche, 1940 Kirchenrat und Leiter der Rechtsabt. des Landeskirchenamtes Eisenach, Wehrmacht und Gefangenschaft, 1946 OKR, 1948 stellv. Vorsitzender des Landeskirchenrates, 1956 Mitglied des Hauptvorstandes der CDU, 1967–76 Mitglied der Volkskammer, 1976 Ruhestand LUDENDORFF, Erich 52 geb. 1865, gest. 1937, 1923 Teilnahme am Hitlerputsch, wichtigster Führer der völkischen Bewegung in den ersten Jahren der Weimarer Republik, 1925–33 Gründer und Führer des neuheidnischen Tannenbergbundes LUDWIG, Johannes 137 geb. 1900, gest. 1976, Pfarrer, 1928 Dresden (Trinitatis), 1929 Lengefeld, 1935 Leipzig-Möckern, 1938–46 Superintendent Oschatz LUFT, Hermann 455 Leiter der Abt. Innere Angelegenheiten beim RdB Leipzig LUTHARDT, Christoph Ernst 77 geb. 1823, gest. 1902, 1853 Privatdozent Erlangen, 1854 Professor Marburg, 1856–95 Professor für Systematische Theologie und Neues Testament Leipzig MAGER, Reimer 159, 222, 246, 349 geb. 1906, gest. 1966, 1933 Mitglied der BK, mehrfach inhaftiert, 1934 Landesgeschäftsführer des sächsischen Bruderrates, 1945 Mitbegründer der CDU in Dresden, 1948–66 Präsident der sächsischen Landessynode, 1949–1966 Mitglied des Rates der EKD MAGIRIUS, Karl Friedrich Moritz 188 geb. 1886, gest. 1967, Pfarrer, 1912 Brunndöbra, 1916 Püchau, 1926 Wurzen MANN, Karl Heinrich 194 geb. 1912, Pfarrer, 1944 Leipzig (Versöhnungskirche) MARAHRENS, August 67, 114, 120, 122, 151, 160, 188 geb. 1875, gest. 1950, 1925–47 hannoverscher Landesbischof MARKGRAF, Bruno 53 f. geb. 1869, Pfarrer, 1919–34 Leipzig (Markus) MARON, Karl 443 geb. 1903, gest. 1975, 1950–55 Chef der Deutschen Volkspolizei, 1955–63 Innenminister der DDR MARTIN, Kurt 161 geb. 1892, gest. 1959, Pfarrer, 1917 Markneukirchen,1922 Pausa, 1929 Dresden-Pieschen, 1951 Superintendent Dresden-Land MATTHES 221 Mitbegründer der CDU in Leipzig MEDER, Oskar 53, 88, 105, 115 f., 119, 122, 136, 142, 153, 227, 270, 275–277, 485 geb. 1885, gest. 1947, 1930 Rektor des Diakonissenhauses Leipzig, 1931 Pfarrer Leipzig (Thomas)
Personenregister/Biografische Angaben
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MEFFERT 420 Mitarbeiter der BV-Leipzig des MfS MEHLHORN, Herbert 84 geb. 1903, Jurist, 1934 stellv. Präsident Gestapa Dresden, SS-Oberführer MEHLHOSE, Johannes 140, 446 geb. 1889, Pfarrer, 1948–58 Leipzig-Wahren MEHNERT, Helmut 295 Pfarrer Kemnitz MEIER, Otto 246, 265 geb. 1889, gest. 1962, 1946–50 Mitglied des Parteivorstandes und des Zentralsekretariats der SED, verantwortlich für Kultur, Schulung, Presse, 1949–52 Präsident des brandenburgischen Landtages, 1953–58 Leiter der Hauptabteilung Staatl. Archivwesen im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten MEIGEN, Christfried geb. 1889, gest. 1957, Pfarrer, 1924 Innere Mission Leipzig, 1934 Leipzig (Peterskirche), nach 1945 Gefängnispfarrer MEILER, Heinz 369 geb. 1921, Leiter des Referats E der BV Leipzig des MfS MEINECKE, Werner 246, 249, 273 f., 277, 281, 292 geb. 1910, gest. 1971, Pfarrer, Landeskirchenrat, 1946 Dresden (Zion), 1948 Dresden (Heiland), 1957 i. R. MEISER, Hans 120 geb. 1881, gest. 1956, 1933–56 bayerischer Landesbischof MENKE-GLÜCKERT, Emil 241, 262 geb. 1878, gest. 1948, Hochschullehrer, 1945 Mitbegründer der LDPD Sachsen, 1946 Leiter der Abt. Volksbildung im Ressort Inneres und Volksbildung der Landesverwaltung Sachsen MENSING, Carl Richard 38 geb. 1863, gest. 1953, Pfarrer, 1890 Dresden (Johannes), 1914–44 Gründer und Vorsitzender des Bundes für Gegenwartschristentum MEYER, Alfred 246 geb. 1886, gest. 1965, Pfarrer, 1912 Dobra, 1919 Rodewisch, 1925–60 Superintendent Rochlitz MEYER-ERLACH, Wolfgang 152 geb. 1891, gest. 1982, 1929–33 Pfarrer Heidingsfeld, 1933 Führer der Glaubensbewegung Deutsche Christen in Mittel- und Unterfranken, Übertritt zu den Thüringer Deutschen Christen, 1933–1945 Professor für Praktische Theologie Jena, 1945 Amtsenthebung, danach Lagerarbeiter, Hausmeister, 1950 theologischer Sachbearbeiter beim Martin-Luther-Bund, 1951–60 Pfarrer mit Vorbehalt Wörsdorf (Hessen-Nassau) MICHALK 416, 419, 421 f., 427, 429, 435, 442, 445 Leiter des Referats 4 in der Abt. V der BV Leipzig des MfS MIELKE, Erich 309, 366, 368, 370–372, 374, 417, 442 geb. 1907, gest. 2000, 1950–89 Mitglied des ZK der SED, 1950–53 Staatssekretär im MfS, 1953–55 stellv. Staatsekretär, 1955–57 stellv. Minister für Staatssicherheit, 1957–89 Minister für Staatssicherheit, 1976–89 Mitglied des Politbüros des ZK der SED
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Personenregister/Biografische Angaben
MIETH, Fritz 88, 96, 131, 133, 137, 161, 176 f., 218, 232, 482 geb. 1897, gest. 1963, 1927 Jugendpfarrer Leipzig, 1931 Direktor der Inneren Mission Leipzig, 1946 Direktor des Diakonievereins Berlin MITSCHERLING, Walter 281 geb. 1901, gest. 1969, Pfarrer, 1926 Drehbach, 1931 Freiberg, 1946 Superintendent Plauen, 1956 Landeskirchenamt Dresden MITZENHEIM, Edgar 348 geb. 1896, Pfarrer, 1923 Eckolstädt (Thüringen), Bruder von Moritz M. MITZENHEIM, Moritz 226, 283 geb. 1891, gest. 1977, 1945–70 thüringischer Landesbischof MOROZOW 214 Oberst, 1945 SMA Leipzig MUHS, Hermann 151, 154, 163, 165 geb. 1894, gest. 1962, 1936 Mitarbeiter und ab 1937 Staatssekretär im Reichskirchenministerium MÜLLER, Adolf 70, 88 geb. 1876, gest. 1957, Pfarrer, 1933–35 OLKR Dresden MÜLLER, Alfred Dedo 205, 216 f., 220 f., 228, 281, 422 geb. 1890, gest. 1972, Theologe, 1930 Prof. für Praktische Theologie Leipzig MÜLLER, Arthur 424, 427, 436 Rechtsanwalt MÜLLER, Johannes 221 geb. 1864, gest. 1956, Pfarrer, 1927 Leipzig-Thekla, 1950 Ruhestand MÜLLER, Konrad 243, 246, 378, 436 f., 449, 452, 471 geb. 1900, gest. 1977, 1950 OLKR in der sächsischen Landeskirche, 1959 Präsident des Oberkirchenrates der mecklenburgischen Landeskirche MÜLLER, Ludolf 287 geb. 1882, gest. 1959, 1947–55 Bischof der Landeskirche der Kirchenprovinz Sachsen MÜLLER, Ludwig 60, 62, 68, 73, 77, 82 f., 89 f., 92, 94, 124, 169 geb. 1883, gest. 1945, ab April 1933 Bevollmächtigter Hitlers für Fragen der ev. Kirche, August 1933 Landesbischof von Preußen, Sept. 1933 Reichsbischof, 1935 Entzug der Befugnisse MÜLLER, Max 144, 197 geb. 1891, gest. 1975, Verlagsleiter Chemnitz MÜLLER, Paul 64, 69 geb. 1866, gest. 1936, OKR, 1912–33 Superintendent Zwickau MUTSCHMANN, Martin 15, 50, 63, 65, 69, 72, 83 f., 87, 100 f., 116–118, 121 f., 127–129, 131, 139, 151 f., 156, 158, 161, 163, 165 f., 180 f., 183 ff., 189, 192 f., 199, 201, 254, 462, 467 f., 491, 493 geb. 1879, gest. 1948, 1924 Gauleiter der NSDAP Sachsen, 1933–45 Reichsstatthalter in Sachsen, 1935 Leiter der sächsischen Landesregierung NAZAROW, Prokofi F. 280 Oberstleutnant, Chef der Abt. Parteien der Informationsverwaltung der SMAD NEEFE, Georg 100, 257 geb. 1886, Pfarrer, 1934 Leipzig (Heiland), 1946 Oelsnitz
Personenregister/Biografische Angaben
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NIEDNER, Carl 228 geb. 1875, gest. 1960, Pfarrer, 1906 Glauchau, 1916–48 Leipzig (Friedenskirche) NIEMÖLLER, Martin 77, 83, 91, 98, 108, 120, 150, 391 geb. 1892, gest. 1984, 1931–37 Pfarrer Berlin-Dahlem, 1933 Gründer und Leiter des Pfarrernotbundes, 1938–45 Häftling in Sachsenhausen u. Dachau, 1945–55 Leiter des Kirchlichen Außenamtes u. Mitglied des Rates der EKD, 1947–64 Kirchenpräsident Ev. Landeskirche von Hessen-Nassau NOTH, Gottfried 225, 246, 253, 348 f., 361, 396, 399 f., 408, 418, 433, 435–438, 447 f., 451 f., 456, 463, 488 geb. 1905, gest. 1971, Pfarrer, 1945 Landeskirchenamt Dresden, 1953–71 sächsischer Landesbischof NOWAK, Paul 221 geb. 1892, Mitbegründer der CDU in Leipzig, Mitglied ihres Landes- und Zonenvorstands, 1950 Parteiausschluss wegen „illegaler Abwanderung“ in die Bundesrepublik NUSCHKE, Otto 27, 264, 308 f., 318, 337, 353, 359, 375, 378, 403, 405, 440, 443 geb. 1883, gest. 1957, 1918 Mitbegründer der DDP, 1921–33 MdL Preußen, 1931–33 Reichsgeschäftsführer der DDP, 1945 Mitbegründer der CDU, 1946–52 MdL Brandenburg, 1948–57 Vorsitzender der CDU, 1949–57 stellv. Ministerpräsident der DDR, stellv. Vorsitzender des Ministerrates, Leiter der Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen OBERHEID, Heinrich 152 geb. 1895, gest. 1977, 1933 Pfarrer Asbach, 1933 Bischof des Bistums Köln-Aachen, 1934 „Chef des Stabes“ bei Reichsbischof Müller, 1937–45 Pfarrer für gesamtkirchliche Aufgaben der thüringischen Kirche, 1939–45 Kriegsdienst, 1946 aus dem kirchlichen Dienst entlassen OELSSNER, Fred 268, 373 geb. 1903, gest. 1977, 1945 Leiter der Abt. Agitation u. Propaganda bzw. Parteischulung des ZK der KPD/SED, 1946–58 Mitglied des Parteivorstands der SED, 1950–58 Mitglied des Politbüros, 1949–58 Mitglied der Volkskammer, 1955–58 stellv. Vorsitzender des Ministerrats, 1958 von allen Parteifunktionen entbunden OEPKE, Albrecht 37, 133, 228–230, 232, 235, 238–240, 242, 260, 270 f., 392 geb. 1881, gest. 1955, 1914 Dozent Missionsseminar Leipzig, 1922 Prof. für Neues Testament in Leipzig OHLEMÜLLER, Gerhard 50 geb. 1877, gest. 1941, 1903 kath. Priester, Konversion, seit 1915 Mitarbeiter der wissenschaftlichen Abteilung des Evangelischen Bundes, 1923 dessen Generalsekretär OLESCHTSCHUK, Fedor Nestorowitsch 401 OPITZ, Max 287, 289 geb. 1890, gest. 1982, 1945–49 Polizeipräsident Dresden, 1949–51 Oberbürgermeister Leipzig, 1951–60 Leiter der Präsidialkanzlei beim Präsidenten der DDR OSTARHILD, Friedrich 53, 106, 119, 122, 138, 145, 175, 242, 252, 255 geb. 1878, gest. 1972, Pfarrer, 1930 Leipzig (Nikolai), 1947 emeritiert
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Personenregister/Biografische Angaben
OTTO, Richard 229 geb. 1876, gest. 1967, 1937 Dozent für Neues Testament u. Praktische Theologie in Leipzig, 1937/1938–50 Geschäftsführer des Lutherischen Einigungswerkes PALM, Gustav 273 geb. 1896, gest. 1965, 1942–56 Domkapitular und Ordinariatsrat des Bistums Meißen in Bautzen PAPE, Dora 264 Referentin Friedrichs PAUKERT 119 Polizist PAUL, Heinrich 145, 257 geb. 1901, Pfarrer, 1930 Leipzig (Paul Gerhardt) PESSIKOW 212 Hauptmann, 1948 Sachbearbeiter für Kirchenfragen SMAS PETERMANN, Richard 181, 234, 242, 255 geb. 1888, Pfarrer, 1924 Leipzig (Stadtkrankenhaus St. Georg), 1945 suspendiert, 1948 Freital-Döhlen PFAU, Gerhard 389 PFEIFFER, Friedrich 341, 355 geb. 1886, gest. 1956, Pfarrer, 1918 Geithain, in der NS-Zeit amtsenthoben, 1945 wieder eingesetzt, 1948 Leipzig (Nikolai), 1948 Superintendent LeipzigLand PIECK, Wilhelm 210, 287 geb. 1876, gest. 1960, 1945/46 Vorsitzender der KPD, 1946 Mitbegründer der SED, 1949 Mitglied des Politbüros u. des ZK der SED, 1949–60 Präsident der DDR PIENTKA, Walter 411, 454 f. geb. 1907, gest. 1987, Sachbearbeiter für Kirchenfragen beim RdB Leipzig PLENIKOWSKI, Anton 300, 315 geb. 1899, gest. 1971, 1946–54 Leiter der Abteilung Staatliche Verwaltung des ZK der SED, 1950–67 Abgeordneter der Volkskammer PÖGELT 377 1955 Sachbearbeiterin im Referat für Religionsgemeinschaften des RdB Leipzig POSER, Rudolf 246 geb. 1911, Pfarrer, 1937 Regis-Breitingen, 1956 Dresden-Cotta (Heilandskirche) POST, Paul 251 geb. 1884, gest. 1967, Pfarrer, 1931 Leipzig-Großzschocher, 1949 DresdenFriedrichstadt PRATER, Georg 77 f., 131, 162 f., 169, 178, 193 geb. 1895, gest. 1970, Pfarrer, 1929 Dresden (Stadtmission), 1947 OKR Luth. Kirchenamt Berlin, 1951 Stadtpfarramt Kiel PREYSING, Konrad Graf von 280, 288, 291, 478 geb. 1880, gest. 1950, 1935–50 Bischof von Berlin, 1946 Kardinal PROKOJEWSKI 175 1938 Pfarrer Döbeln PUDOR, Richard 220 Mitbegründer der DDP in Leipzig
Personenregister/Biografische Angaben
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PUTZ, Eduard 133 geb. 1907, gest. 1990, 1933–35 theol. Hilfsreferent Landeskirchenrat München, 1934 zur vorübergehenden Dienstleistung bei der Vorläufigen Kirchenleitung I nach Berlin abgestellt, 1935–53 Pfarrer Fürth QUANDT, Klaus 194, 342, 346, 400, 488 geb. 1916, Pfarrer, 1942 Leipzig-Paunsdorf RACKWITZ, Arthur 265 geb. 1895, gest. 1980, Pfarrer, 1933 Vorsitzender der Bruderschaft sozialistischer Theologen, 1935 Mitglied der BK, 1937–44 mehrmals inhaftiert, 1946–49 Leiter der Arbeitsgemeinschaft Religiöser Sozialisten in Berlin RAMBO, Josef 221 geb. 1898, 1945 Mitbegründer der CDU Leipzig, 1946 MdL Sachsen, 1949 Zweiter Bürgermeister Leipzig, 1950 Präsident des Verwaltungsgerichts Sachsen, 1950 kurzzeitig CDU-Landesvorsitzender Sachsen, danach Flucht RAPPE, Adolf 385 Pfarrer, bis 1954 Mutschen, Mitglied der SED RAU, Arno 258 geb. 1884, gest. 1954, Pfarrer, 1930 Leipzig (Trinitatis) RAUCH, Hans 409 geb. 1908, Pfarrer Störmthal RAUER, Paul 253 RAUSCH, Hans Georg 19, 30, 415–460, 464, 468 f. 471 f., 491, 493 geb. 1915, gest. 1993, Pfarrer, 1948 Leipzig (Immanuel), 1955 Trennung von der Landeskirche, als IM „Eduard“ Zusammenarbeit mit dem MfS REICHHARDT, Kurt 100, 135 geb. 1884, Pfarrer, 1931 Leipzig (Erlöser), 1956 Ruhestand REINECKER, Reinhard 100, 135, 483 geb. 1899, gest. 1985, Pfarrer, 1927 Leipzig-Mockau REMELE, Hermann 222 RENDTORFF, Franz 42 geb. 1860, gest. 1937, 1910 Prof. für Praktische Theologie u. Neues Testament Leipzig, 1916 Präsident des Gustav-Adolf-Vereins RICHTER, Arthur Gerhard 53, 68 geb. 1901, Pfarrer, 1925 Diakonissenhaus Moritzburg, 1926 Kirchgemeindeverband Leipzig, 1927 Leiter des Presseamtes, 1933 Vertrauensmann der Jungreformatorischen Bewegung Leipzig, 1933 Chemnitz (Markus), 1937 Radebeul (Friedenskirche), 1969 Ruhestand RICHTER, Gerhard 110 f., 119, 145, 242, 255 geb. 1881, Pfarrer, 1931 Leipzig (Lukas), 1947 Ruhestand RICHTER, Konrad 53, 141, 242, 255 geb. 1886, Pfarrer, 1926 Leipzig (Peterskirche), 1933 Leipzig (Tabor), 1945 beurlaubt, 1948 Beucha RICHTER, Martin 84, 159, 252, 254, 269, 353 geb. 1886, gest. 1954, 1934–45 Geschäftsführer des sächsischen Pfarrernotbundes und der sächsischen BK, 1946–50 Zweiter Bürgermeister Dresden, Mitbegründer der CDU in Dresden
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Personenregister/Biografische Angaben
RIEBOLD, Fritz 369 geb. 1888, gest. 1968, 1913 Landesjugendwart Dresden, 1941 Tätigkeit in der Stadtmission Dresden, 1945 Jugendwart für Jungmännerarbeit, 1947–52 Pfarrhelfer „Junge Gemeinde“ Sachsen, 1952 Pfarrer Dresden (Jakobi) RIETSCHEL, Hermann 228 geb. 1872, Pfarrer, 1916 Leipzig (Heiland) RISSMANN, Hans 194, 228, 232 f., 241, 348, 429 geb. 1901, gest. 1984, Pfarrer, 1940 Leipzig (Erlöser), 1947 Superintendent Oschatz, 1953 Superintendent Zwickau RÖBELEN, Gustav 308 geb. 1905, gest. 1967, 1956 Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen beim ZK der SED ROEHLING, Heinrich 53, 80, 88, 135 geb. 1870, gest. 1950, Pfarrer, 1918–37 Leipzig (Matthäi) RÖMER, Johannes 53, 68, 70, 94, 119, 133, 134 231, 250, 255, 418 geb. 1882, Pfarrer, 1930 Leipzig (Immanuel), Dezember1934 kommissarischer Superintendent, 1945 beurlaubt, 1947 Fischbach RÖNCK, Hugo 226 geb. 1908, gest. 1990, Pfarrer, 1936 thüringischer Landesjugendpfarrer, 1939–43 Soldat, 1943 Präsident des thüringischen Landeskirchenrates, 1945 Verhaftung, Entlassung, Pfarrer Eutin/Holstein RÖNTSCH, Wolfgang 67 1931 Kirchenrechtsrat Dresden, 1934 Staatsanwalt ROSENBERG, Alfred 52, 55 f., 58, 76, 84, 99, 113, 126, 141, 157, 172, 177 geb. 1893, gest. 1946, einer der führenden Ideologen der NSDAP, 1933 Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, 1934 Beauftragter für die Überwachung der gesamten geistigen u. weltanschaulichen Schulung u. Erziehung der NSDAP, 1941–45 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ROSENTHAL, Curt 257 geb. 1878, Pfarrer, 1915 Leipzig (Friedenskirche) ROSENTHAL, Heinrich 410 geb. 1909, Pfarrer, 1934–36 Leipzig (Gedächtniskirche), 1952 Leipzig (Tabor) ROSSBERG, Kurt 210 geb. 1908, 1945 stellv. Oberbürgermeister Leipzig ROTHE, Karl Friedrich 84 geb. 1909, Pfarrer, Vikar Chemnitz-Siegmar, 1933 Dresden-Land, 1934 Ruppertsgrün, 1936 Pfr. ebd., 1951 Crimmitschau (Johannis), 1960 Falkenstein, 1974 i. R. RUDELT, Hans 385 Kirchenvorstandsmitglied der Leipziger Versöhnungsgemeinde RULAND, Carl 220–222, 224, 229, 271, 295, 476, 486 geb. 1874, gest. 1962, 1927 Rechtsanwalt beim Reichsgericht Leipzig, 1945 Mitbegründer der CDU Leipzig, 1946–50 MdL Sachsen, 1948 Präsident des Oberlandesgerichts Sachsen, 1950 Rücktritt u. Flucht RÜMMLER, Kurt 372, 455 geb. 1911, gest. 1958, 1950 MfS, 1952 Leiter der KD Leipzig, dann Leiter der BV Leipzig des MfS
Personenregister/Biografische Angaben
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RUPPEL, Erich 155 geb. 1903, gest. 1975, Jurist, 1934 Kirchenkanzlei der DEK, 1935 Ministerialrat Reichskirchenministerium, 1939 Kriegsdienst, 1947 Referent in der Kanzlei des hannoverschen Landesbischofs, 1949 OLKR, 1958 juristischer Dirigent und 1965–68 Vizepräsident des Landeskirchenamts Hannover RUST, Bernhard 62 geb. 1883, gest. 1945, 1925–40 NSDAP-Gauleiter Hannover, 1933 Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung SACHSE 265 1945/46 Dritter Bürgermeister Leipzig SAMOCHWALOFF 212 1948 Vertreter von Hauptmann Pessikow als Sachbearbeiter für Kirchenfragen der SMAS SCHAAF, Werner 332 geb. 1910, Pfarrer, 1938 Limbach, 1953 Leipzig-Anger-Crottendorf, 1959 ausgeschieden aus der Landeskirche; Religionslehrer Oberursel, 1965 Pfarrer Doringheim, 1968 Krankenhauspfarrer Frankfurt/Main SCHEMM, Hans 72 geb. 1891, gest. 1935, 1928 Gauleiter Oberfranken, 1933 Gauleiter Bayerische Ostmark, 1933 bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus SCHIECK, Walter 61 geb. 1874, gest. 1946, DVP-nahe, 1930–33 sächsischer Ministerpräsident u. Volksbildungsminister SCHIEDER, Julius 151 geb. 1888, gest. 1964, 1928 Leiter des Predigerseminars Nürnberg, 1935–58 Kreisdekan ebd. SCHILLING, Charlotte 334 geb. 1905, Pfarrgehilfin Leipzig (Paul-Gerhardt), Religionslehrerin an HerderSchule Leipzig SCHILLING, Werner 216, 249, 251, 281 geb. 1910, Pfarrer, 1940 Leipzig-Großzschocher, 1948 Markkleeberg (Martin Luther-Kirche), 1951 aus der Landeskirche ausgeschieden SCHIRACH, Baldur von 113 geb. 1907, gest. 1974, 1931–40 Reichsjugendführer der NSDAP, 1933–40 Jugendführer des Deutschen Reiches, 1940–45 Reichsstatthalter u. Gauleiter von Wien, 1946 Verurteilung zu 20 Jahren Haft SCHIROW 281 f. Leutnant, SMA Leipzig SCHLATTERER, Helene 66 SCHLEINITZ, Walther 176 geb. 1879, gest. 1952, Pfarrer, 1907 Berbisdorf SCHMIDT 329 ff. Kommandeur der VP Leipzig SCHMIDT, Gottfried 289, 297 geb. 1899, Pfarrer, 1948 Leipzig (Friedenskirche)
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Personenregister/Biografische Angaben
SCHMUTZLER, Siegfried 411, 413, 464, 469 geb. 1915, 1954–57 Studentenpfarrer Leipzig, 1957–61 Strafvollzugsanstalt Torgau SCHNAUSS, Gangolf 181 Patron, Leipziger Justizrat, Leiter des städtischen Versicherungsamtes SCHNEIDER 257 Pfarrer, Verwalter des Anstaltspfarramts in der Heilanstalt Leipzig-Dösen SCHNEIDER, Ernst 162 geb. 1888, gest. 1967, Pfarrer, 1914 Rumburg (Böhmen), 1916 Bretnig, 1924 Crostau, 1926 Bautzen, 1939 Superindentent ebd., 1949 Vikar Zittau, 1951–53 Pfr. ebd. SCHNEIDER, Georg 220 geb. 1892, gest. 1977, christl. Gewerkschafter, 1933 als Provinzialverwaltungsrat in Ratibor entlassen, danach Leiter einer Versicherungsfiliale in Leipzig, 1945 Mitbegründer der CDU Leipzig, Inhaftierung durch die Sowjets, 1947 wegen Ablehnung des Volkskongresses des Landes verwiesen, danach in Hamburg, 1953–61 und 1962–65 MdB, 1959–60 Vorsitzender der Deutschen Angestellten Gewerkschaft SCHNIEBER, Hans Siegfried 135 geb. 1880, gest. 1956, Pfarrer, 1912 Borsdorf, 1917 Dresden (Versöhnungskirche), 1927 Chemnitz (Michaelis), 1932 Leipzig (Johannis), 1936 i. R., 1943 Übertritt zur röm.-kath. Kirche, 1946 Hauspriester Bürgerspital Bamberg SCHOBERT, Hans 257 geb. 1883, Pfarrer, 1932 Leipzig (Lukas) SCHÖNFELD, Hans 231 geb. 1900, gest. 1954, 1931–46 Direktor der Studienabteilung des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum, 1948–50 Oberkonsistorialrat im Kirchlichen Außenamt der EKD SCHREIBER, Walther 222, 268 geb. 1884, gest. 1958, Jurist, 1945 Gründungsmitglied der CDU in der SBZ, 1945 als Zweiter Vorsitzender von der SMAD zum Rücktritt gezwungen, 1953–55 Regierender Bürgermeister Berlin (West) SCHREITER, Max 63, 73 geb. 1902, Jurist, 1933 zunächst ehrenamtl. juristischer Bevollmächtigter des kommissarischen Landesbischofs Coch, sächsischer Synodalpräsident, bis Januar 1934 Präsident des Landeskirchenamtes Dresden SCHRÖDER, Rudolf-Alexander 170 geb. 1878, gest. 1962, Dichter, Mitglied der BK, 1946 Mitglied der bayerischen Landessynode SCHUBERT, Rudolf 194 geb. 1915, Pfarrer, 1939 Leipzig (Auferstehungskirche), 1944–52 Leipzig (Gedächtniskirche) SCHUCH, Friedrich von 262 1946 Ministerialrat in der Abteilung VI: „Kirchen und sonstige Religionsgemeinschaften“ der Zentralverwaltung für Wissenschaft, Kunst und Erziehung der Landesverwaltung Sachsens
Personenregister/Biografische Angaben
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SCHULZE, Christian Otto 219 geb. 1886, gest. 1965, Pfarrer, 1913 Plauen, 1919 Großdalzig, 1925 Chemnitz (Schloßkirche), 1945–52 kommissarischer und bis 1958 Superintendent von Chemnitz- (Karl-Marx-Stadt-) Land SCHULZE, Joachim geb. 1914, Pfarrer, 1950 Leipzig (Gethsemanekirche) SCHULZE, Richard 77 geb. 1878, gest. 1952, Pfarrer, 1905 Dresden (Friedenskirche), 1941 i. R. SCHULZE, Walter 132 Volkswirt, Dresden SCHUMANN, Georg 206 geb. 1886, gest. 1945, 1928–33 MdR (KPD), 1933–39 Haft u. KZ, 1944 erneut verhaftet, 1945 hingerichtet SCHUMANN, Georg 354 geb. 1902, Pfarrer, 1930–32 Leipzig (Lukas), 1938 Glösa, 1939–45 Divisionspfarrer, 1945–49 sowjetische Gefangenschaft, 1950 Leipzig (Markus), 1971 Umzug nach Göttingen/Geismar SCHUMANN, Heinrich 26, 36, 39, 42, 53, 56, 63, 69 f., 80, 86, 88, 105, 119, 124, 131, 133, 134, 137 f., 140 f., 143, 147–150, 156, 161–163, 167 f., 171, 174, 176 f., 179–181, 185, 187 f., 190, 193 f., 200, 204–206, 208, 214–217, 223 f., 226–238, 240–242, 246 f., 252, 254–256, 258, 260 f., 265, 281–285, 294, 297 f., 302, 305, 308, 346, 354, 363, 418, 442, 451, 459, 462–464, 471, 474, 478, 482, 486 f., 490 f. geb. 1875, gest. 1964, Pfarrer, 1913 Leipzig (Thomas), 1921–59 Vorsitzender der Inneren Mission Leipzig, 1936–53 Superintendent Leipzig-Stadt SCHUMANN, Horst 333 geb. 1924, gest. 1993, Sohn von Georg S., 1950–52 Erster Sekretär der FDJ-LL Sachsen, 1952/53 FDJ-Bezirksvorsitzender Leipzig, 1959–89 Mitglied des ZK der SED, 1959–67 Erster Sekretär des Zentralrates der FDJ, 1960–71 Mitglied des Staatsrats, 1970–89 Erster Sekretär der SED-BL Leipzig SCHWARZE, Hellmut 86, 91, 93 geb. 1905, gest. 1966, Organisationsleiter der sächsischen Bekenntnisgemeinschaft Leipzig SCHWARZER, Josef 375 1955 Leiter der Abt. „Kultfragen“ im Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten SCHWEDE 70 Arbeitersekretär, Mitglied der 15. Sächsischen Landessynode SECK, Heinrich 144 f., 155, 161, 163, 169 geb. 1895, gest. 1945, Theologe, 1925 Kaplan der röm.-kath. Kirche in Köln, 1931 Pfarrer Königsbrück, 1933 Pressepfarrer Landeskirchenamt Dresden, 1938 OLKR als theologischer Dezernent, 1945 entlassen SEETZEN, Friedrich 64 geb. 1868, gest. 1943, 1899 Bürgermeister Wurzen, 1917 Präsident der sächsischen Landessynode, 1927–33 Konsistorialpräsident Dresden SEEZEN, Werner 443 f., 450 Pfarrer, 1955–1956 Generalvikar Leipzig-Probstheida
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Personenregister/Biografische Angaben
SEGHERS, Anna 396 geb. 1900, gest. 1983, Schriftstellerin, 1952–78 Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR SEIDEL, Johannes Martin Friedrich 277 geb. 1887, gest. 1954, Pfarrer, 1915 Gröba, 1917 Großpötzschau Espenhain, 1921 Religionslehrer und Lehrer an der Polizeischule Zwickau, 1925 Pfarrer Limbach, 1926 Unkersdorf und Kesselsdorf, 1931 Baalsdorf, 1948 Schönberg SEIFFERT 416 1954 Sachbearbeiter im Referat 4 der Abt. V der BV-Leipzig des MfS SELBMANN, Fritz 207 geb. 1899, gest. 1975, 1945 Vorsitzender des Antifaschistischen Blocks Leipzig, August 1945 Präsident des Landesarbeitsamtes, 1946–48 Minister für Wirtschaftsplanung in Sachsen, 1949–55 in mehreren DDR-Ministerien tätig, 1954–58 Mitglied des ZK der SED, 1958 Ausschluss aus dem ZK SEMJONOW, Wladimir Semjonowitsch 279, 344 geb. 1910, gest. 1992, 1940–41 Berater der UdSSR-Botschaft in Berlin, 1942–44 Berater der UdSSR-Botschaft in Schweden, 1945–46 Erster Stellvertreter des Politischen Beraters der SMAD für allgemeine außenpolitische Fragen sowie Chef der Abt. Politik der SMAD, 1946–49 Politischer Berater der SMAD, 1946–48 sowj. Direktor der Abteilung Politik im Alliierten Kontrollrat, 1953–55 Hoher Kommissar der UdSSR in Deutschland, 1955–78 stellv. Außenminister der UdSSR SEMM, Karl Reinhold 131 geb. 1890, gest. 1961, Pfarrer, 1916 Bischofswerda, 1917 Pulsnitz, 1924 Bischofswerda, 1935 Superintendent Plauen, 1940 Superintendentur Leisnig, 1947 Collmen, 1958 i. R. SENF, Rudolf 264 f., 294, 300 f., 314, 318 geb. 1898, 1945–50 Amtsleiter Leipzig, 1950 Referent für Kirchenfragen der SED-LL, 1950–51 Leiter der Abt. Kultur und Erziehung der SED-LL, 1951–52 Leiter der Abt. Verbindung zu den Kirchen in Kanzlei des sächsischen Ministerpräsidenten, 1952 RdB Leipzig SENFF, Max 257 geb. 1889, Pfarrer, 1930 Leipzig-Paunsdorf, 1945 nach Rötha versetzt SETZEFAND 377, 379, 381, 388 Leiter der Abt. Staatliche Organe der SED-BL Leipzig SEYDEWITZ, Max 264, 287, 296, 301, 303 f., 314 f., 468 geb. 1892, gest. 1987, 1924–32 MdR (SPD), 1934 Mitglied der KPD, 1946 Chefredakteur des SED-Organs „Einheit“, 1947–52 sächsischer Ministerpräsident, 1949–87 Abgeordneter der Volkskammer, 1955–67 Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden SEYFERT, Christian 386 geb. 1886, Pfarrer, 1923 Leipzig (Bethlehem), 1964 i. R. SGRAJA, Franz 415, 426 f., 430 f., 434 geb. 1922, Leiter des Referats Evangelische Kirche der Abt. V/4 des MfS SINDERMANN, Horst 417 geb. 1915, gest. 1990, 1947–49 Erster SED-Kreissekretär Chemnitz u. Leipzig, 1950–53 Chefredakteur, 1954–63 Leiter der Abt. Agitation und Propaganda im
Personenregister/Biografische Angaben
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ZK der SED, 1963–72 Erster Sekretär der SED-BL Halle, 1971–76 Ministerrat, 1976–89 Volkskammerpräsident SOKOLOWSKI, Wassili Dawidowitsch 279, 284 geb. 1897, gest. 1968, 1946–49 Oberster Chef der SMAD, 1946–48 Mitglied im Alliierten Kontrollrat, 1948–49 Mitglied im Wirtschaftsrat der SMAD, 1950 Kriegsminister der UdSSR SOLOTUCHIN, Pjotr Wassilewitsch 215 geb. 1897, gest. 1968, 1945–48 Chef der Abteilung Volksbildung der SMAD, danach Rektor des Pädagogischen Instituts in Moskau SPRENGER, Jakob 122 geb. 1884, gest. 1945, 1933–45 Reichsstatthalter in Hessen, 1935 mit Führung der hessischen Landesregierung beauftragt SPÜLBECK, Otto 205 f. geb. 1904, gest. 1970, 1945–55 Propst Leipzig, 1955–58 Apostolischer Administrator des Bistums Meißen, 1958–70 Bischof von Meißen STADLER, Siegfried 415 geb. 1953, Mitte der 1980er Jahre in der Kulturredaktion des „Sächsischen Tageblatts“, seit 1990 Mitarbeiter und Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen“ mit Sitz in Leipzig STAHN, Karl Hermann geb. 1879, gest. 1963, Pfarrer, 1908 Merschwitz/Schlesien, 1911 Liegnitz, 1913 Berlin-Charlottenburg, 1952 i. R. STALIN, Josef 272, 328, 334, 344, 373 geb. 1879, gest. 1953 (ursprünglich Dschugaschwili), 1922 Generalsekretär des ZK der KPdSU, 1941 Ministerpräsident STEIN 423, 439 Bezirkskatechet STEINER, Hermann 38, 106 geb. 1881, gest. 1943, Pfarrer, 1917 Leipzig (Versöhnung) STEINHOFF, Karl 287, 303 geb. 1892, gest. 1981, Jurist, 1933 aus dem Staatsdienst entlassen u. Berufsverbot, 1946–49 Ministerpräsident von Brandenburg, 1949–52 Innenminister der DDR STELTZER, Theodor 79 geb. 1885, gest. 1967, 1920–23 Landrat Rendsburg, 1944 verhaftet, 1945 Gründungsmitglied der Berliner CDU, 1946/47 Ministerpräsident Schleswig- Holstein STEPHAN, Reinhard Oskar 77, 84 geb. 1887, gest. 1947, Pfarrer, 1921 Bad Schandau, 1927 Dresden (Johannes), 1946–47 Satzung STIEHL, Herbert 308, 329 f., 332, 338, 343, 350, 354 ff., 361, 372, 399 ff., 403, 405, 407 f., 412, 418 ff., 423 ff., 430, 433, 435, 437 f., 440 ff., 446, 453, 455 f., 459, 463, 478, 489 f., 493 f. geb. 1909, gest. 1992, Pfarrer, 1937 Dresden-Lockwitz, 1942 Zethau, 1947 Dresden (Apostelkirche), 1953 Superintendent Leipzig-Stadt STIEGLITZ, Olga von 70 Mitglied der 15. sächsischen Landessynode
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Personenregister/Biografische Angaben
STOECKER, Adolf 42, 56 geb. 1835, gest. 1909, Pfarrer, Publizist u. Politiker, Begründer des modernen christlichen Antisemitismus STUCKART, Wilhelm 125 geb. 1902, gest. 1953, 1933 Staatssekretär im Preußischen Kultusministerium, 1933 preußischer Staatsrat, 1935 Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, zuständig für Verfassung u. Gesetzgebung, 1949 zu vier Jahren Haft verurteilt STURM, Paul 77 geb. 1883, gest. 1955, Pfarrer, 1911 Auerbach, 1914 Rabenau, 1933 Dresden (Trinitatis), 1945 Kühnheide, Mittweida, 1954 i. R. TAUT, Walter 119 geb. 1894, gest. 1962, Pfarrer, 1926 Linz/Donau, 1932 Oederan, 1946 Rodewisch, Superintendent Auerbach THOMAS, Georg 281 geb. 1883, gest. 1954, Pfarrer, 1914 Oelsnitz, später Plauen (beanspruchte 1945 dort das Superintendentenamt) TILEMANN, Heinrich 151 geb. 1877, gest. 1956, 1920 bis zur zwangsweisen Ruhestandsversetzung 1934 oldenburgischer Kirchenpräsident TITTMANN, Fritz 50 geb. 1898, 1921–23 NSDAP-Gauleiter Thüringen, 1923 Bezirksleiter für Sachsen, Thüringen, Oberfranken, 1926–29 MdL Sachsen, 1930–32 MdL Preußen, 1933 MdR, 1941–44 Höherer SS- und Polizeiführer von Nikolajew im Reichskommissariat Ukraine TRABALSKI, Stanislaw 217, 238 f. geb. 1896, gest. 1985, 1912 Mitglied der SPD, 1933 Vertrauensmann der illegalen SPD für den Leipziger Süden, ab 1936 Leiter der illegalen westsächsischen SPD, mehrfach inhaftiert, 1945/46 Vorsitzender des SPD-Bezirksverbands Westsachsen, 1946/47 Mitglied des Parteivorstands der SED, 1948–61mit zeitlichen Unterbrechungen Haft, danach Mitarbeiter am Bibliographischen Institut Leipzig TREBS, Herbert 389 geb. 1925, Theologe, 1954–55 Hauptreferent für Kirchenfragen CDU, 1955–64 Kirchenredaktion der „Neuen Zeit“, 1967 Prof. für Ökumenik Humboldt-Universität Berlin TRENKLER, Georg 100, 172 f., 257 geb. 1892, Pfarrer, 1933 Leipzig (Heilig-Kreuz), 1945 nach Leipzig-Stötteritz abgeordnet TRUFANOW, Nikolai Iwanowitsch 208, 211 geb. 1900, gest. 1982, 1945–46 Stadtkommandant in Leipzig, Ende 1946 bis 1949 Chef der SMA Mecklenburg, 1957–60 führender sowjetischer Militärberater in China TULPANOW, Sergej Iwanowitsch 212, 272, 287 geb. 1901, gest. 1984, 1945–49 Chef der Verwaltung für Propaganda/Information der SMAD, 1950–56 Dozent für Politische Ökonomie an der Marine-Akademie Leningrad
Personenregister/Biografische Angaben
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TZSCHUCKE, Paul 70, 165 f., 241, 470, 483 geb. 1887, gest. 1966, Pfarrer, 1921 Leipzig (Markus), 1941/42 inhaftiert UHLICH, Erich 314 geb. 1915, Buchdrucker, 1945 Erster SED-Kreissekretär, 1951–59 Oberbürgermeister Leipzig ULBRICHT, Walter 272, 314 ff., 320, 325 f., 328, 358, 360, 373, 396, 406, 408, 489 geb. 1893, gest. 1973, 1919 Mitbegründer der KPD in Leipzig, 1943–45 Mitglied des NKFD, 1946–50 stellv. Vorsitzender der SED, 1946–73 Mitglied des Parteivorstands u. des ZK der SED, 1950–53 Generalsekretär der SED, 1953–71 Erster Sekretär des ZK der SED, 1960–73 Vorsitzender des Staatsrats der DDR ULLMANN, Leopold 318, 348, 350 geb. 1908, gest. 1986, Mitglied der SED-BL Leipzig VIERLING, Johannes 214, 265 geb. 1898, gest. 1956, Rechtsanwalt, 1945 Oberbürgermeister Leipzig VIEWEG, Rudolf 258 geb. 1909, Pfarrer, 1940 Leipzig (Lukas), 1947 Leipzig (Auferstehungskirche) VOGEL, Walter 40 ff., 59 geb. 1864, gest. 1934, Pfarrer, 1896 Sachsenburg, 1907 Tharandt, 1918 Leipzig (Bethanien) VOIGT, Gottfried 455 f. geb. 1914, seit 1950 Studiendirektor Predigerseminar Lückendorf, 1958 Studiendirektor des Predigerseminars St. Pauli, Leipzig, 1966–79 Dozent am Theologischen Seminar Leipzig VOIGT, Johannes Erich 95, 135 geb. 1873, Pfarrer, 1919–38 Leipzig (Markus) VOLGMANN, Johannes 264 geb. 1897, Volksschullehrer, 1945–51 persönlicher Referent im Büro des sächsischen Ministerpräsidenten WACH, Hugo 182, 190, 258 geb. 1899, gest. 1970, Pfarrer, 1933 als Halbjude suspendiert, 1934 nach Großenhain zwangsversetzt, aber nicht in sein Amt eingeführt, 1935–38 CŠR, 1938–42 Prerow/Darß, 1942–45 im Elsaß, 1945–47 französische Internierung, 1947–51 Leipzig (Lukas) WÄNTIG, Ernst 119, 140, 216, 226–230, 236, 238 geb. 1898, gest. 1990, Jurist, 1934 Eintritt in den kirchlichen Dienst, 1939 OKR, Leiter des Kreiskirchenamtes Leipzig, 1945 abberufen, Inhaftierung, 1958 OKR Zwickau WÄTJEN, Eduard 231 geb. 1908, 1944 Vizekonsul in Zürich, Kontaktmann des deutschen Widerstands zum amerikanischen Geheimdienst WAGNER, Heinz 26, 366 geb. 1912, gest. 1994, Pfarrer, 1941 Leipzig Kirchliches Jugendamt, 1946 Innere Mission Leipzig, 1959 Dresden–Jacobi, beurlaubt zum Prof. für Praktische Theologie Uni Leipzig
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Personenregister/Biografische Angaben
WAGNER, Paul 194 WAGNER, Robert 14 geb. 1895, gest. 1946, 1933–44 Reichsstatthalter von Baden, 1940–44 auch Chef der Zivilverwaltung im Elsaß WAGNER, Siegfried 308, 324 f. geb. 1925, 1952–57 Sekretär für Kultur und Volksbildung der SED-BL Leipzig, 1957–66 Leiter der Abteilung Kultur im ZK der SED WALDE, Hans 173 f., 242, 250, 255 geb. 1886, gest. 1971, Pfarrer, 1929 Leipzig (Bethanien), 1945 beurlaubt, 1948 kommissarisch Schwaneberg und Hohendodeleben (Kirchenprovinz Sachsen), 1949 Hohendodeleben, 1955 Großkugel WALLMANN, Friedrich 95 geb. 1887, Pfarrer, 1926 Leipzig (Trinitatis) WALLMANN, Heinrich 313, 323, 330–333, 340, 343, 346, 357, 360 f., 366, 369, 487 f. geb. 1916, Pfarrer, 1948 Kreisjugendpfarrer Leipzig WALTHER, Georg 26, 70, 78 f., 86, 88–91, 95, 105 f., 115 f., 122, 135, 142 f., 145, 153, 226, 270, 485 geb. 1884, gest. 1984, Pfarrer, 1927 Leipzig (Peterskirche), 1947 Ruhestand WANDEL, Paul 374 f., 392, 396, 404, 406 geb. 1905, gest. 1995, Maschinentechniker, 1945–49 Präsident der Zentralverwaltung Volksbildung, 1946–50 Mitglied des Parteivorstands der SED, 1949–52 Minister für Volksbildung, 1950–58 Mitglied des ZK der SED WEBER, Alfred 135 geb. 1884, Pfarrer, 1930 Leipzig (Emmaus) WEIDAUER, Herbert 309, 367 geb. 1909, gest. 1975, Maurer, 1951 MfS, 1952/53 Stellvertreter Operativ des Leiters der BV-Leipzig, 1957 Leiter der Hauptabteilung III, 1963 Leiter der Abteilung Funk WEIDAUER, Walter 367 geb. 1899, 1932 MdR (KPD), 1933–35 KZ-Haft, Emigration nach Dänemark, dort nach der deutschen Okkupation zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1946–58 Oberbürgermeister Dresden WEISE, Hans 425 geb. 1917, 1954–57 Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, 1957–1982 Hauptabteilungsleiter beim Staatssekretär für Kirchenfragen WENDE 1955 stellv. Vorsitzender des Rates der Stadt Leipzig WENDELIN, Adolf 130, 147 geb. 1877, gest. 1952, Pfarrer, 1911 Landesverein für Innere Mission Dresden, 1921 Direktor ebd. WENDORF, Hermann 440 geb. 1891, Prof. für Mittlere u. Neuere Geschichte Leipzig WERNER, Friedrich 175, 192 f. geb. 1897, gest. 1955, 1933 Präsident des Ev. Oberkirchenrats Berlin u. zugleich Präsident der altpreußischen Generalsynode u. des altpreußischen Kirchensenats, 1937–45 Leiter der Kirchenkanzlei der DEK
Personenregister/Biografische Angaben
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WEYGAND, Johannes 115 f., 227 Rechtsanwalt, Leipzig WIEGAND, Carl 58 WILDFEUER, Karl Paul Gerhard 84 geb. 1894, gest. 1975, Pfarrer, 1929 Dresden (Matthäus), 1957 Dresden (St. Pauli) WILM, Walter 55 geb. 1893, gest. 1957, 1930 Volksmissionar des Centralausschusses für die Innere Mission, Mitbegründer der Christlich-Deutschen Bewegung, 1932–40 Pfarrer Dolgelin, 1935–37 Mitglied des Reichskirchenausschusses, Kriegsdienst, 1950 Pfarrer Greifswald WINKELMANN, Hans Hugo 329 ff., 356 geb. 1907, gest. 1995, Schlosser, 1950–52 Polizeipräsident Leipzig, 1952 Leiter der BDVP Leipzig WINKLER, Otto 135 geb. 1893, Pfarrer, 1933–36 Schneeberg, 1936–49 Leipzig (Philippus) WIRTH, Günther 308, 322, 324, 352, 354, 359, 389 f., 409, 453 geb. 1929, 1952/53 Hauptreferent bei der CDU-Leitung Berlin, 1954–58 Sekretär des CDU-Hauptvorstandes, 1960–89 Mitglied des CDU-Hauptvorstandes, 1961–89 Chefredakteur, Vizepräsident des Kulturbundes WIZISLA, Claus-Jürgen 450, 454 geb. 1913, Pfarrer, 1955–66 Leipzig (Immanuel) WOLF 288 WOLFF, Bruno 299 f., 315, 319 f., 325 geb. 1907, 1950–53 Referent für Kirchenfragen im ZK der SED WOLLWEBER, Ernst 416, 481 geb. 1898, gest. 1967, 1919 Eintritt in KPD, 1944 sowjetischer Staatsbürger, 1946 Rückkehr in die SBZ, 1950–53 Staatssekretär im Ministerium für Verkehrswesen, 1953–57 Staatssekretär bzw. Minister für Staatssicherheit, 1954–58 Mitglied des ZK der SED WURM, Theophil 126, 148, 230, 259 geb. 1868, gest. 1953, 1929–49 württembergischer Kirchenpräsident (seit 1933 mit dem Titel Landesbischof), 1945–49 Vorsitzender des Rates der EKD ZAISSER, Wilhelm 416 geb. 1893, gest. 1958, 1919 Eintritt in die KPD, 1936–38 Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg, 1947/48 Chef der Landesbehörde der Polizei Sachsen-Anhalt, 1948–50 sächsischer Innenminister, 1950–53 Minister für Staatssicherheit, 1954 Ausschluss aus der SED ZEIGNER, Erich 208, 214–217, 238 f., 251, 265, 490 geb. 1886, gest. 1949, 1919 Eintritt in die SPD, 1923 sächsischer Ministerpräsident, von der Reichsregierung wieder abgesetzt, 1944 KZ Buchenwald, 1945–49 Oberbürgermeister Leipzig ZEUSCHNER, Kurt 79, 86, 134, 178, 194, 258 geb. 1879, gest. 1949, Pfarrer, 1916–47 Leipzig (Paul-Gerhardt) ZIEGLER 425 SED-Bezirksleitung Leipzig
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Personenregister/Biografische Angaben
ZIRPEL 194 Vikar, Leipzig (Stephanus), im Krieg gefallen ZÖLLER, Friedrich 257 geb. 1886, gest. 1957, Pfarrer, 1931 Leipzig (Heilig-Kreuz), 1938 Leipzig (Heilandskirche) ZOELLNER, Wilhelm 67, 149, 184 geb. 1860, gest. 1937, 1897 Leiter der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, 1905–30 Generalsuperintendent Westfalen, 1935–37 Vorsitzender des Reichskirchenausschusses