Evangelische Religionspädagogik [Reprint 2018 ed.] 9783110881929, 9783110026542


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German Pages 516 [520] Year 1970

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VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
Literaturhinweise und Abkürzungsverzeichnis
1. Kapitel Einleitung
§ 1. Der Begriff der Religionspädagogik
§ 2. Die Situation der wissenschaftlichen Religionspädagogik
§ 3. Die Aufgaben dieses Buches
2. Kapitel Erziehungswissenschaft
§ 4. Zum Herkommen der neueren Erziehungswissenschaft
§ 5. Klassiker der Pädagogik
§ 6. Das Selbstverständnis der heutigen Erziehungswissenschaft
5 7. Die Differenzierung der heutigen Erziehungswissenschaft
§ 8. Ausgewählte Probleme
§ 9. Erziehungswissenschaftliche Disziplinen
§ 10. Der Erziehungswissenschaft zuzuordnende Arbeitsgebiete anderer Wissenschaften
§ 11. Die erziehungswissenschaftliche Terminologie
§ 12. Die Organisation der Erziehungswissenschaft in der Bundesrepublik
3. Kapitel Erziehungswissenschaft und Theologie
5 13. Ihre Autonomie und ihre Beziehungen
§ 14. Erziehungswissenschaft, Theologie und Kirche
§ 15. Die katholische Position
4. Kapitel Kernprobleme der Erziehungswissenschaft in thelogischem Aspekt
5 16. Vorbemerkung
§ 17. Das Kind
§ 18. Erziehung
§ 19. Bildung
5. Kapitel Bereiche der Erziehung und Bildung als Aufgabengebiete von Erziehungs wissenschaft und Theologie
20. Vorbemerkungen
§ 21. Bereiche der öffentlichen Erziehung und Bildung
§ 22. Evangelische Unterweisung
§ 23. Bereiche innerkirchlicher Erziehung und Bildung
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Evangelische Religionspädagogik [Reprint 2018 ed.]
 9783110881929, 9783110026542

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de Gruyter Lehrbuch

Helmuth Kittel

Evangelische Religionspädagogik

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970

Die wissenschaftliche Leitung der theologisdien Lehrbücher im Rahmen der „de Gruyter Lehrbuch"-Reihe liegt in den Händen des ord. Prof. der Theologie D. Kurt A l a n d , D. D. Diese Bände sind aus der ehemaligen „Sammlung Töpelmann" hervorgegangen.

A r d i i v - N r . 39 04 701 © 1970 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 P r i n t e d in G e r m a n y Alle Redite,

insbesondere das der

Obersetzung

in f r e m d e Sprachen, vorbehalten.

Ohne

ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Drude: H . Heenemann K G , Berlin

Der Evangelisch - Theologischen der Westf. Wilhelms-Universität gewidmet

Fakultät Münster

VORWORT Wenn ich dieses Buch in der Einleitung (S. 7 f f ) als den Versudi einer Initiation in die wissenschaftliche Religionspädagogik bezeichne, so ist damit eine Aufgabe gemeint, die z w a r einiges von den Intentionen verwandter Literaturformen aufnimmt, im ganzen aber Eigenes ins Auge faßt. Um den Gebrauch des Buches zu erleichtern, nenne iPositionen< und >Riditungen< in der Religionspädagogik debattiert werden, trägt einen ausgesprochen unwissenschaftlichen Zug an sich. Sehe ich recht, so liegt in dem unentwickelten historischen Verantwortungsbewußtsein und dem aus diesem folgenden Verfall methodischer Präzision heute die relativ größte Gefahr für die Entwicklung der wissenschaftlichen Religionspädagogik. Aber es handelt sich vorerst n u r um eine Gefahr; und wo gäbe es Entwicklungen der hier charakterisierten Art, die nicht in vergleichbarer Weise gefährdet wären? Insgesamt dürfte die Feststellung erlaubt

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Einleitung

sein, daß die evangelische Religionspädagogik sich zu einer wissenschaftlichen Disziplin entwickelt hat, die Zukunft besitzt- In allen von uns umrissenen Problembereichen ist eine Fülle von Aufgaben historischer, systematischer und empirischer Natur teils erschlossen, teils in Angriff genommen, die Mitarbeiter in wachsender Zahl besonders in der jüngeren Generation an sich ziehen. Charakteristisch für alle diese Aufgaben ist es, daß sie nur noch in realer Kooperation mit der profanen Erziehungswissenschaft und ihren Nachbarwissenschaften, vor allem der Psychologie, Soziologie und Politologie bewältigt werden können. Jeder Versuch, an einer autarken christlichen Pädagogik festzuhalten oder gar eine solche neu zu begründen, erweist sich immer mehr als zu wissenschaftlicher Unfruchtbarkeit verurteilt. Ein gewisses Handikap der Entwicklung lag und liegt in der Tatsache, daß die Praktische Theologie der evangelisch-theologischen Fakultäten relativ wenig an der Arbeit der neueren Religionspädagogik beteiligt ist. Diese neuere Religionspädagogik verdankt wesentliche Anregungen der profanen Erziehungswissenschaft und ist im übrigen an den Pädagogischen Hochschulen entwickelt worden. Die Feststellung, daß die Religionspädagogik an die Pädagogischen Hochschulen ausgewandert sei (G. Krause) (7, 12), dürfte zutreffend sein. Aber es besteht Grund zu der Hoffnung, daß sie in absehbarer Zeit auch in unseren Fakultäten größeren Raum erhält. 1. Geyer, Art. „Religionsunterricht", in: RGG 1 IV 2216 ff. Interessanterweise gibt es in dieser 1. Aufl. der RGG (ebenso wie in der 3. Aufl. der berühmten Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche — Bd. 16 von 1905) keinen Art. „Religionspädagogik". 2. R. Hupfeld, Art. „Religionspädagogik", in: R G G 2 IV 1909 ff. 3. W. Uhsadel, Art. „Religionspädagogik", in: R G G 3 V 1001 ff. 4. M. Stallmann, Art. „Religionspädagogik", in: Päd Lex 776 ff. 5. Ders., Art. „Evangelische Pädagogik", in: Päd 82 ff. 6. H. Kittel, Ober den Stand der evangelischen Religionspädagogik und die religionspädagogische Ausbildung künftiger Pfarrer und Gymnasiallehrer, in: Th Pr 1966, 207 ff., bes. 208—214. 7. G. Krause, Zur Standortbestimmung einer Zeitschrift für praktische Theologie, in: Th Pr 1966, 4 ff. 8. K. E. Nipkow, Anmerkungen zu Stand und Aufgabe religionspädagogischer Forschung heute, in: ThPr 1967, 31 ff. 9. H. D. Bastian, Die Stellung der Religionspädagogik im Rahmen einer theologischen Fakultät und die Möglidikeiten ihres Studiums, in: Th Pr 1968, 290 ff. Zur Einordnung dieses Entwurfes in die vorangegangene Diskussion vgl. meine Vorbemerkung ebd. 289.

Die Aufgaben dieses Buches

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§ 3 Die Aufgaben dieses Buches So klar sich in dieser Situationsbestimmung die Umrisse abzeichnen, die die neuere evangelische Religionspädagogik bis heute gewann, so deutlich sich auch bereits gewisse Strukturen dieser Disziplin ankündigten, so unverkennbar dürfte doch auch geworden sein, daß diese neue Phase der Religionspädagogik noch in ihren Anfängen steckt. Die Forschung ist auf den einzelnen Problemfeldern sehr verschieden weit gefördert, und nicht wenige wichtige Probleme sind überhaupt noch nicht in Angriff genommen, sondern nur als solche ins Blickfeld der Beteiligten getreten. In dieser Lage schien es mir mindestens verfrüht, ein konventionelles Lehrbuch zu schreiben. Denn ein solches setzt doch eine leidlich gleichmäßige Förderung der einschlägigen Fragen voraus. Und daß ein einzelner zu ergänzen vermöchte, was in unserem Falle an dieser Förderung noch fehlt, ist ausgeschlossen: Diese Ergänzung dürfte Sache einer ganzen Generation von wissenschaftlichen Religionspädagogen sein. Gewiß ist es denkbar, daß kühne Entwürfe einer modernen evangelischen Religionspädagogik, die einzelne vorlegen, wertvolle Anregungen für die Förderung unserer Disziplin enthalten. Aber es ist schwer denkbar, daß solche Entwürfe in einem Anlauf die heute noch offenstehenden Probleme in solcher Vielzahl und in solchem Kontakt mit dem Stand der Forschung auf allen jeweils berührten Wissenschaftsgebieten bewältigen, daß jene relative Vollständigkeit erreicht wird, die man von einem herkömmlichen Lehrbuch erwartet. Unaufschiebbar ist dagegen eine Aufgabe, die ein solches Lehrbuch immer miterfüllt: die Initiation von Interessierten, besonders Studierenden in Problembestand, Arbeitsweisen und Arbeitsmittel der betr. Disziplin. Das Interesse an Fragen der wissenschaftlichen Religionspädagogik ist, wie angedeutet, schon heute rege und in weiterem Wachsen begriffen. Studierende der Theologie zeigen es ebenso, wenn sie später in das Pfarreramt mit seinen an Zahl und Ansprüchen zunehmenden pädagogischen Aufgaben eintreten wollen, wie wenn sie Religionslehrer unserer öffentlichen Schulen zu werden beabsichtigen. Aber auch die Besucher mannigfacher innerkirchlicher Ausbildungsstätten suchen, soweit sie — und das ist recht häufig der Fall — einmal pädagogische Funktionen erfüllen sollen, Kontakte mit der wissenschaftlichen Religionspädagogik. Die Katechetischen Ämter, die teilweise erhebliche Anforderungen an die Besucher ihrer Tagungen und

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Einleitung

Kurse stellen, braudien eine zugleidi gründliche und handliche Unterrichtung über unser Gebiet. Und schließlich wird auch in den Fortbildungsinstitutionen der Pfarrer, Religionslehrer, Katecheten, Heimerzieher usw. immer wieder der Ruf nach einer solchen Einführung laut, weil sie in der betr. Berufsvorbildung nodi nicht geboten werden konnte und es zu schwierig ist, sie jeweils ad hoc zu entwerfen. Auf die bescheidene Aufgabe, eine solche erste Einführung in die wissenschaftliche Religionspädagogik zu bieten, die in das genauere Studium dieser Disziplin hineinhilft, beschränkt sich also dieses Buch. Sein Verfasser ist überzeugt, damit das z. Z. Vordringliche zu leisten. Er gesteht offen, daß er lieber den höchst subjektiven Entwurf einer eigenen Religionspädagogik vorgelegt hätte. Aber eben: Z. Z. ist es wichtiger, daß das Interesse der an der wissenschaftlichen Religionspädagogik Interessierten ein verständiges Interesse wird. Und zwar gar nicht nur um dieser Interessierten willen. Auch die Religionspädagogik selbst kann den Gewinn, den sie von einem zunehmenden Verständnis für ihre Arbeit hat, nicht länger entbehren. Denn aus diesem Verständnis werden ihr verständige Anregungen und verständige Kritik und schließlich auch neue Mitarbeiter zuwachsen, die sie für große und kleine Aufgaben dringend braucht. Einführen heißt zwar nicht ausschließlich, aber doch in großem Umfang in erster Linie orientieren. In unserem Falle also über die Arbeit der heutigen wissenschaftlichen Religionspädagogik: über die Probleme, die sie beschäftigen und die sie erschlossen hat, über die Erziehungswissenschaft, mit der zusammenzuarbeiten für sie unumgänglich ist, über ihre Weisen zu fragen und zu antworten, über die Hilfsmittel, die sie benutzt, über die Institutionen, in denen ihre und der profanen Erziehungswissenschaft Arbeit geschieht und schließlich über die Literatur, in der sie die Ergebnisse ihrer Arbeit vorlegte. Selbstverständlich kann eine solche Orientierung hier nur in Auswahl geschehen. Nirgends ist auch nur die relative Vollständigkeit erstrebt worden, die einem einzelnen vielleicht noch erschwinglich wäre. Nicht einmal der Grundsatz, alles Wichtige vollständig zu bieten, durfte m. E. uneingeschränkt gelten, wenn ich nicht — durch die dann unvermeidliche stoffliche Überladung — die von der Situation gestellte Aufgabe in ihrem Kern verfehlen wollte. Denn dieser Kern scheint mir in der Sorge dafür zu bestehen, daß die hier gebotene Orientierung für den Leser eine Hilfe zur Selbstorientierung wird. Nicht ein unter irgendeinem Gesichtspunkt abgeschlossenes Pensum zu bieten, schien mir aufgegeben, sondern eben der Versuch, einer wirklichen Initiation,

Die Aufgaben dieses Buches

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die dem, der sich auf sie einläßt, ein selbständiges Weitergehen ermöglicht. Zuverlässig zu orientieren setzt einen entschiedenen Willen voraus, in Auswahl, Darstellung und Interpretation nicht parteiisch zu sein. Mir ist diese Forderung selbstverständlich, und ich habe mich bemüht, ihr so gut gerecht zu werden, wie ich irgend kann. Nicht gefordert zu sein scheint mir mit ihr jedoch die Verleugnung eigener Überzeugungen, wenn diese nur hinreichend kenntlichgemacht werden. Eigene religionspädagogische Ansichten des Verfassers spielen deshalb im Folgenden durchaus ihre Rolle; ich habe midi aber bemüht, sie jeweils möglichst deutlich als solche zu markieren. Einen konkreten Hinweis auf eine Subjektivität dieser Art muß ich gleich vorweg anmerken. Hinter dem Aufriß der Gesamt-Darstellung steckt eine bestimmte Uberzeugung von dem Verhältnis von profaner Erziehungswissenschaft und Religionspädagogik. Über sie wird im Dritten Kapitel noch genauer zu reden sein. Schon hier möchte ich aber wenigstens eine vorläufige Erklärung dafür geben, daß ich mit einer Charakteristik der profanen Erziehungswissenschaft beginne. Die Existenz der modernen Erziehungswissenschaft ist eine Voraussetzung der modernen Religionspädagogik. Würde ich nun mit theologischen Erörterungen einsetzen, so würde dieser Tatbestand verdunkelt. Und es würde obendrein noch der Irrtum genährt, daß diese profane Erziehungswissenschaft einer theologischen Rechtfertigung bedarf, eines Entwurfes theologischer Prämissen, aus denen heraus sie ihre Gültigkeit empfängt. Dies aber ist bei der modernen Erziehungswissenschaft genau so wenig der Fall wie bei irgendeiner anderen profanen Wissenschaft der Gegenwart. Ich weiß, daß es noch vielen christlich Engagierten schwerfällt, dies zuzugeben, und zwar aus dem durchaus respektablen Grund — der freilich mit weniger respektablen Interessen gekoppelt sein kann — , daß es die Pädagogik ja in so besonderer Weise mit dem Menschen zu tun habe. Ein pädagogisches Denken, so meint man, das nicht von vornherein die christlichen Wahrheiten de homine zur Geltung bringe, müsse für den Christen irrelevant bleiben. Das pflegt der Sinn der jetzt so häufig aus christlichem Munde zu hörenden Rede von der grundlegenden Bedeutung der Anthropologie für die Theorie der Erziehung zu sein. Wer geneigt ist, so zu denken, möge sich, ehe wir genauer auf dieses Problem zu sprechen kommen, einmal folgende Tatsache deutlichmachen. Eine christliche Pädagogik, die einer solchen Bedeutung der christlichen Anthropologie huldigt, müßte, wenn sie auf der Höhe der Zeit bleiben will, die ge-

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Einleitung

samte von der profanen Erziehungswissenschaft geleistete Arbeit in eigener Zuständigkeit noch einmal reproduzieren; denn madite sie auch nur Anleihen bei dieser, so hielte sie ihr Prinzip nicht durch. Daß ein solches Verfahren absurd und nicht realisierbar wäre, liegt auf der Hand. Vielleicht hilft dieser simple Hinweis wenigstens dazu, zu verhindern, daß, was nun zunächst folgt, mit dem geheimen Vorbehalt gelesen wird, hier würden .Grundwahrheiten des Christentums' im Erziehungsdenken vergessen oder verleugnet. Rüdegriffe in die Geschichte der Religionspädagogik fehlen nahezu ganz. Nicht, daß sie nicht erforderlich wären. Im Gegenteil. Aber einmal verbot sie der zur Verfügung stehende Raum. Und selbst wenn ich diesen gehabt hätte, hätte midi der Stand der Forschung zur Zurückhaltung gemahnt. Dieser erfordert noch umfangreiche Vorarbeiten in Spezialuntersuchungen, ehe man in der hier erforderlichen Kürze Stichhaltiges sagen kann. Die herkömmlichen historischen Klischees aber einfach zu repetieren, schien mir nicht mehr verantwortbar. Sie haben sich mir an zu vielen und zu wichtigen Stellen als in zu mannigfacher Hinsicht ungenügend erwiesen. Die Spannweite der evangelischen Religionspädagogik der Gegenwart, die die Voraussetzung der hier konzipierten Aufgabe bildet, läßt sich etwa durch folgende Bücher charakterisieren: 1. L. Fendt, Katechetik — Einführung in die Theologie und Technik des kirchlichen Unterrichts, (1934) 1951 2 . 2. O. Hammelsbeck, Der kirchliche Unterricht — Aufgabe/Umfang/Einheit, (1939) 1947». 3. Ders., Evangelische Lehre von der Erziehung, (1950) 1958 2 . 4. G. Bohne, Grundlagen der Erziehung — Die Pädagogik in der Verantwortung vor Gott. Bd. I Die Wahrheit über den Menschen und die Erziehung, (1951) 1958 2 . Bd. II Aufgabe und Weg der Erziehung, (1953) i960 2 . 5. W. Uhsadel, Evangelische Erziehungs- und Unterrichtslehre, (1954) 1961 2 . 6. M. Stallmann, Christentum und Schule, 1958. 7. H . Niederstrasser, Kerygma und Paideia — Zum Problem der erziehenden Gnade, 1967. 8. H . D. Bastian, Zur Religionspädagogik der Frage, in: Theologie der Frage — Ideen zur Grundlegung einer theologischen Didaktik und zur Kommunikation der Kirche in der Gegenwart, 1969, 292 ff.

2. Kapitel Erziehungswissenschaft § 4 Zum Herkommen

der neueren

Erziehungswissenschaft

Erziehungswissenschaft in dem präzisen Sinn, in dem wir dies Wort heute gebrauchen, gibt es noch keine 100 Jahre. Sie hat Vorläufer u. a. in Johann Arnos Comenius (1592—1670), John Locke (1632— 1704), Jean Jacques Rousseau (1712—1778) und Johann Heinrich Pestalozzi (1746—1827). Für ihre weitere Entwicklung war es in Deutschland — vielleicht charakteristisch f ü r dieses Land — von besonderer Bedeutung, daß sie Eingang in die Lehre der Universitäten fand. Schon 1779 erhielt Christian Heinrich Trapp (1745—1818) von dem preußischen Minister von Zedlitz einen besonderen Lehrstuhl für Pädagogik in Halle. Immanuel Kant (1724—1804) leistete in Königsberg, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768—1834) in Berlin wertvolle Einzelbeiträge zur Pädagogik. Johann Friedrich Herbart (1776—1841) hatte zwar keinen nur für Pädagogik bestimmten Lehrstuhl, lehrte aber von 1809—1833 in Königsberg und von 1833—1841 in Göttingen Pädagogik als besondere Disziplin neben der im übrigen von ihm vertretenen Philosophie. Speziale pädagogische Vorlesungen und Übungen hielt dann in Heidelberg und Jena der Herbartschüler Karl Volkmar Stoy (1815—1885), in Leipzig der Herbart-Anhänger Tuiskon Ziller (1817—1882), in Jena der Schüler und Nachfolger Stoys, Wilhelm Rein (1847—1929), wohl der berühmteste ,Herbartianer' und in Prag der relativ selbständige katholische Herbartianer Otto Willmann (1839—1920). So ausgreifend und nachhaltig der Einfluß dieser Herbartianer auf die pädagogische Praxis war — er bestimmt z. B. noch heute weite Gebiete der innerkirchlichen Pädagogik — und so viel sie dadurch indirekt f ü r die Geltung wissenschaftlicher pädagogischer Arbeit auch bedeutet haben mögen, so wenig dürften sie doch f ü r die Konstituierung jener eigenständigen Disziplin geleistet haben, die wir heute Erziehungswissenschaft nennen. In dieser Hinsicht kommt wohl das entscheidende Verdienst dem großen Anwalt der methodischen Selbständigkeit der Geisteswissenschaften, Wilhelm Dilthey (1833—1911), zu.

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Erziehungswissenschaft

In einer nicht nur berühmten, sondern auch wirksamen Untersuchung, die 1888 in der Reihe der Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften erschien, äußerte sich Dilthey auf eine höchst bemerkenswerte Weise „Über die Möglichkeit einer allgemeingültigen pädagogischen Wissenschaft" (1). Er hält die ihm vorliegende pädagogische Wissenschaft für in gefährlicher Weise unzulänglich, weil sie ,in allen ihren bisherigen Gestalten die Genossin der natürlichen Theologie und des Naturrechts sei, der abstrakten Nationalökonomie und Staatslehre'. „Während die historische Schule sonst überall längst das natürliche System verdrängt und eine geschichtliche Auffassung herbeigeführt hat, ist die Pädagogik allein rückständig geblieben. So ist sieeine Anomalie in der gegenwärtigen Wissenschaft. Die Mißachtung, mit der man ihr begegnet, beruht auf dem richtigen Gefühl, daß sie eine Wissenschaft in modernem Verstände noch gar nicht sei. Sie meistert die großen geschichtlichen Gestalten des Erziehungswesens, welche aus dem Ethos der einzelnen Völker hervorgegangen sind: blind gegen den geschichtlichen Tiefsinn und das sinnvolle Gefüge dessen, was ist" (1, 15 f.). Man sieht: Das große Thema der ,Geschichtlichkeit' ist in der Wissenschaftstheorie der Pädagogik angeschlagen. Das hatte die Folge, daß jede allgemeingültige, die Geschichte überhöhende Ethik als Fundament der wissenschaftlichen Pädagogik mit Energie ausgeschlossen wurde — ein tiefer Einschnitt im Werdegang einer selbständigen Erziehungswissenschaft, durch den Dilthey sich von der Konzeption Kants, Schleiermachers und Herbarts entschlossen trennt. Seine eigene Konzeption besitzt folgendes Gefüge: „Der erste Teil einer wissenschaftlichen Pädagogik hat Aufgaben zu lösen, welche bisher größtenteils noch gar nicht wissenschaftlich behandelt worden sind" (1, 27). Dilthey rechnet hierher an erster Stelle ,die Untersuchung des Ursprungs der Erziehung, des Unterrichts, der Schule und die zunehmende Gliederung des Schulwesens in der Gesellschaft*, und zwar von der Stammeserziehung primitiver Völker bis zum modernen Schulwesen der Gegenwart. Als Zweck solcher Untersuchungen wird eine Einwirkung auf das moderne Bildungswesen deutlich: „Heute stehen wir vor der Aufgabe, in unserem vielgestaltigen Schulwesen durch eine planvolle Unterrichtsgesetzgebung solche Beziehungen der Schulen zueinander herzustellen, daß jede individuelle Kraft ihren Weg zu dem Beruf findet, der ihr entspricht" (1,28).

Sodann sind in diesem ersten Teil „die Beziehungen zu untersuchen, in welchen Erziehung und Schule zu den Zentren der äußeren Organi-

Zum Herkommen der neueren Erziehungswissenschaft

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sation der Gesellschaft: Familie, Gemeinde, Staat und Kirche stehen" (1, 28). Jede dieser gesellschaftlichen Kräfte besitzt ein Erziehungsredit. Aber: „Durch den Selbstzweck im Kinde ist dieses Recht begrenzt" (1, 29). Es geht hier also um einen Ausgleich dieser gesellschaftlichen Kräfte: „Bemächtigte sich eine dieser herschenden Kräfte ganz der Kinderseele, so würde die Erziehung in Einseitigkeit erstarren" (1, 29). Das gilt für Dilthey besonders .gegenüber der gegenwärtigen Neigung, die Schule ausschließlich staatlich zu gestalten'. „Endlich wendet sich der erste Teil der Pädagogik gleichsam nach innen. Er betrachtet, beschreibt, analysiert das schaffende Vermögen •des Erziehers und das Verhältnis dieses Vermögens zu den Anlagen des Zöglings" (1, 29). In der Gesamtkonzeption Diltheys ist die zweite dieser Aufgaben zentral, die Erhellung der Bildsamkeit des Zöglings. Denn in ihr kommt der innerste Sinn der Pädagogik zur Auswirkung. Der Begriff der Bildsamkeit besagt nämlich für Dilthey, ,daß es möglich ist, die Entwicklung des Zöglings zu befördern, deren Hemmungen zu beseitigen und das Seelenleben desselben seiner Vollkommenheit entgegenzuführen, wenn der erziehende Künstler [sc. der Erzieher als Künstler] die Gesetze des Seelenlebens kennt und zu benutzen versteht' (1, 30). Im vorangehenden Kapitel hat Dilthey ausführlich über die Eigenschaften des Seelenlebens gehandelt, ,die ein System von Regeln der Erziehung ermöglichen' (1, 16 ff.). Die Aufgabe, das schaffende Vermögen des Erziehers zu beschreiben und zu analysieren, wird für Dilthey am besten durch eine Beschreibung und Analyse des pädagogischen Genius' gelöst, also solcher Gestalten wie es Sokrates, Plato, Comenius, Pestalozzi, Herbart, Fröbel waren, wodurch zugleich der Zweck erreicht wird, ,den werdenden Erzieher mit dem Gefühl seiner Würde und mit der Begeisterung für seinen Beruf zu erfüllen' (1, 30 f.). „Der zweite Teil der Pädagogik umfaßt . . . die analytische Darstellung der einzelnen Vorgänge, welche in der Erziehung ineinandergreifen, sowie die Ableitung allgemeingültiger Normen, welche die Erziehung so gut als die Kunst, die Wissenschaft oder das sittliche Leben regeln" (1, 32). Dilthey beschränkt sich dabei auf die Bildung der Intelligenz, da nur für sie, nicht aber für die Bildung des Gemüts und des Willens, die notwendige psychologische Grundlegung bereits erfolgt ist. Spiel, Anschauung, Interesse und Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Erkenntnis erfahren eine entsprechende Würdigung. „Eine ausgeführte Didaktik hat dann schließlich die Unterrichtsfächer zu gruppieren, ihre Erziehungswerte gegeneinander abzuschät-

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Erziehungswissenschaft

zen, ihre Aufeinanderfolge zu bestimmen und die Methoden zelnen Unterrichtsgegenstände festzustellen" (1, 38 f.).

der ein-

Es wird deutlichgeworden sein, daß hier tatsächlich der Ansatz einer relativ eigenständigen wissenschaftlichen Pädagogik vorliegt. Charakterisiert ist er durch die Wendung zur Geschichtlichkeit der Erziehung und durch die feste Verklammerung der wissenschaftlichen Arbeit mit ihrem Nutzen für das erziehende Handeln. In bezug auf dies letzte sei abschließend ein Satz von Dilthey zitiert, der in der neueren Diskussion über dessen Konzeption eine gewisse Bedeutung erlangt hat: „So findet sich auch auf diesem Gebiete [sc. der Pädagogik], wie auf den verwandten der Ethik, der Poetik, der politischen Ökonomie, die Wissenschaft vor der Frage: an weldiem Punkt entspringt aus der Erkenntnis dessen, was ist, die Regel über das, was sein soll?" (1, 16). — Wenn also auch die Eigentümlichkeit der modernen Erziehungswissenschaft durch Dilthey eine der geistigen Situation seiner Zeit teils angemessene, teils vorausgreifende Begründung fand, wenn diese Eigenständigkeit alsbald auch durch Forscher von Rang repräsentiert wurde, so ist die wissenschaftliche Öffentlichkeit mit der Anerkennung dieser Erziehungswissenschaft als gleichwertigem Glied im Kreise der alten Wissenschaften doch recht zurückhaltend gewesen. Noch 1949 gab es an den Westdeutschen Universitäten insgesamt nur 6 selbständige Ordinariate für Pädagogik und kein einziges an den Technischen Hochschulen. 1957 noch muß W. Flitner klagen: „An den Universitäten sind die Seminare und Institute [sc. der Pädagogik] in ihrem Personalbestand und ihren Hilfsmitteln meistens unzureichend ausgestattet; an einigen Universitäten sind ordentliche Lehrstühle überhaupt nicht vorhanden, und es besteht der alte Zustand fort, wonach die >Gymnasialpädagogik< wie zu Friedrich August Wolfs Zeiten [1759—1824] einem Altphilologen oder Philosophen und die »empirische« Pädagogik dem Psychologen überlassen bleibt" (2, 3). Und wenn dieser Zustand sich inzwischen nicht unerheblich gebessert hat, wenn einige Universitäts-Neugründungen in ihren Programmen eine bis dahin nicht gekannte Berücksichtigung der wissenschaftlichen Pädagogik vorsehen, so spiegelt sich hierin kaum ein in weiteren Kreisen der Wissenschaft rapide gewachsenes Verständnis der modernen Erziehungswissenschaft. W. Flitners erwähnte Klage führt ihn zu der Feststellung: „In den Fakultäten herrscht oft die Meinung, daß es sich um ein eigentlich wissenschaftliches Fach nicht handle; die Pädagogik scheint einen bloß praktischen Charakter zu haben, und diesen

Klassiker der Pädagogik

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glaubt man als eine Ansammlung von Einzelerfahrungen und Regeln für Lehrer, Eltern und Erziehungsberater verstehen zu können. Der akademisch gebildete Gymnasiallehrer benötige ein pädagogisches Studium überhaupt nicht; für den Volksschullehrer genüge eine praktische Anleitung und die Psychologie der Kindheit" (2, 5). Die Fortschritte, die gerade in jüngster Zeit in der realen Anerkennung der Pädagogik als eigenständige Wissenschaft durch entsprechende Förderung an unseren Hochschulen gemacht wurden, dürften also ihren wesentlichen Grund in pragmatischen Bedürfnissen der Gesellschaft haben, die mit entsprechendem Nachdruck kulturpolitisch zur Geltung gebracht wurden. Neuerdings melden sich nun Stimmen zu Wort, die die Ansicht vertreten, daß die Erziehungswissenschaft selbst für den gekennzeichneten sdileppenden Gang des Herkommens verantwortlich, mindestens mitverantwortlich sei. Und gerade der Konzeption Diltheys und seiner Schule wird der Vorwurf gemacht, daß sie die Entwicklung der Pädagogik zu einer wirklichen Wissenschaft gestört habe (4). Hiervon soll der Wichtigkeit der Sache wegen in einem gesonderten Abschnitt gehandelt werden (s. § 6). Jedenfalls: Die Erziehungswissenschaft ist wirklich noch nicht durch ihr Herkommen legitimiert; sie ist — und dies scheint mir nicht einfach ein Mangel zu sein — eine ausgesprochen junge Wissenschaft. 1. W . Dilthey, Über die Möglichkeit einer allgemeingültigen pädagogischen Wissenschaft, 1888 (Kleine Päd. Texte 3) 1963* (1967s). 2. W . Flitner, Das Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft in der Gegenwart, (Päd. Forsch 1) 1957. 3. H . H . Groothoff, Art. „Pädagogik, Erziehungswissenschaft", in: Päd Lex 681 ff. 4. R . Lochner, Deutsche Erziehungswissenschaft — Prinzipiengeschichte und Grundlegung, 1963. 5. H . H . Groothoff, Art. „Pädagogik", in: Päd 204 ff. 6. J . Dolch, Erziehung und Erziehungswissenschaft in Deutschland und Deutsch-Österreich von 1900—1930, 1969.

§ 5 Klassiker

der

Pädagogik

Ehe wir uns der weiteren Diskussion über das rechte Verständnis der Erziehungswissenschaft, ihres Gegenstandes und ihrer Methoden zuwenden, machen wir einen Augenblick halt, um einen Hinweis zu entfalten, der nicht unmittelbar und deshalb nicht unbedingt zum Gang einer Einführung in erziehungswissenschaftliche Probleme ge-

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Erziehungswissenschaft

hört, der mir aber dennoch für erziehungswissenschaftliche und also auch religionspädagogische Studien jeder Art von nicht ganz geringer Bedeutung zu sein scheint. Wenn es richtig ist, daß wissenschaftliche Pädagogik stets die erzieherische Praxis und ihre Lehren zur Voraussetzung hat, wie wir eingangs formulierten, dann entsteht mindestens für den Anfänger, aber auch für den, der sich für einen Fortgeschrittenen im Studium der Erziehungswissenschaft halten darf, eine eigentümliche Verlegenheit. Weder eine Einübung in erzieherische Praxis noch die Vermittlung von Erziehungslehren werden ihm beim wissenschaftlichen Studium in nennenswertem Umfange geboten. Wie soll er dann aber verstehen, worum es in der wissenschaftlichen Pädagogik überhaupt geht? Es gibt in dieser Lage zwei bewährte Hilfen. Einmal jenes eigene laienhafte erzieherische Tun gleich welcher Art, das sidi nicht vom Mangel wissenschaftlicher Vorbildung stören, sondern von der schlichten Freude am verantwortlichen Umgang mit in irgendeiner Weise hilfsbedürftigen Menschen leiten läßt. Die Sorge für Gescheiterte, die Erteilung von Nachhilfeunterricht, die Betreuung von Ferienkindern, die Arbeiten in Jugendkreisen, Aushilfen in Schulstuben und Erziehungsheimen, die Mitarbeit in Volkshochschulen usw. bieten Gelegenheiten zu solchem pädagogischen Tun, die erfahrungsgemäß von dem, der sie sucht, leicht gefunden werden und bemerkenswerten Nutzen für erziehungswissenschaftliche Studien haben können. Die andere Hilfe ist weniger bekannt, wenn auch keineswegs weniger wichtig. Sie besteht in der nicht in wissenschaftlicher Absicht getriebenen Lektüre pädagogischer Klassiker. Unter diesen werden hier pädagogische Schriftsteller verstanden, denen es in so überzeugender Weise gelang, pädagogische Erfahrungen zu beschreiben oder pädagogische Einsichten zu formulieren, daß sie sich in besonders zwingender Weise in dem großen Ausleseprozeß der Uberlieferung behaupteten. Bei ihnen begegnen wir also einem Stück erzieherischen Lebens, das sie gleichsam für viele lebten und mit dem sie unseren Anschauungshorizont so erweitern, wie wir selbst es nicht können. Und wir begegnen bei ihnen jenen erzieherischen Lehren, die, meist zur erzieherischen Weisheit gereift, unseren Schatz an elementaren Einsichten in das Erzieherische so bereichern, wie wir selbst das ebenfalls nicht vermögen. Einer der großen klassischen Philologen unseres Jahrhunderts pflegte seinen Studenten zu raten, die bedeutendsten Autoren der Antike immer wieder aus purer Freude an Form und Inhalt zu lesen, und seine Warnung, dabei keine wissensdiaftlidien Reflexionen anzustellen, grenzte

Das Selbstverständnis der heutigen Erziehungswissenschaft

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an ein Verbot derselben. Er wußte, was er tat, und zwar gerade im Interesse seiner Wissenschaft tat. Das wissenschaftliche Studium der Antike mußte, wie er überzeugt war, verdorren, wenn der, der es trieb, nicht ständig einen unmittelbaren Kontakt mit den Geistern des Altertums pflegte. Das Studium der Theologie bietet ähnliche Beobachtungen an. Wer theologische Klassiker, von den biblischen Schriftstellern angefangen, bis zu den großen Theologen unseres Jahrhunderts nicht immer wieder ohne wissenschaftliche Absicht, nur als Liebhaber liest, dessen wissenschaftliches Theologiestudium pflegt steril zu werdenAber wer sind die pädagogischen Klassiker und wie heißen ihre Werke, die für eine solche das wissenschaftliche Studium der Pädagogik lebendig fundierende Lektüre infrage kommen? Man geht auf der Suche nach ihnen jetzt zweckmäßig von dem Pädagogik-Band des Fischerlexikons aus. In seiner Bibliographie ist nämlich — ein mutiger, dankenswerter Einfall — eine Liste der in erster Linie in Betracht kommenden Werke von ,Klassikern der Pädagogik* abgedruckt. Daß sie erst mit Comenius beginnt, hängt mit Absicht und Anlage des Buches zusammen und sollte nicht zu der Annahme führen, es gäbe vorher keine solchen Klassiker. Es lohnt sich also, diese Liste je nach Interesse und Neigung möglichst bis in die Antike zu vervollständigen. Von Luther beispielsweise und Erasmus, aus der mittelalterlichen höfischen, bürgerlichen und klösterlichen Erziehung, von A.ugustin, von Cicero und Quintilian, von Aristoteles und Piaton liegen relativ leicht zugängliche Texte vor, die sehr geeignet sind, dem Leser den hier gemeinten Dienst zu tun. Noch einmal: Man kann ein solches Eindringen in das Erzieherische durch unbefangenes pädagogisches Tun und durch außerwissenschaftliche Formen des Umganges mit pädagogischen Klassikern gerade um der erziehungswissenschaftlichen Arbeit willen nicht ernst genug nehmen. Die erwähnte — chronologisch geordnete — Liste pädagogischer Klassiker seit Comenius findet sich Päd 346 ff. Im Übrigen vgl. die im einleitenden Literaturverzeichnis aufgeführten „Quellensammlungen".

§ 6 Das Selbstverständnis

der heutigen

Erziehungswissenschaft

Die Bemühungen der Erziehungswissenschaft um eine Bestimmung ihres Gegenstandes und ihrer Methoden, ihrer Struktur und ihres Ver2

K i t t e l , ET. Religionspädagogik

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Erziehungswissenschaft

hältnisses zu anderen Wissenschaften, also um eine Theorie ihrer selbst haben nidit nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Der hieraus folgende Prinzipienstreit wird nicht selten mit Leidenschaft geführt, weil es in ihm nicht immer nur um die Frage geht, was für eine Wissenschaft die Erziehungswissenschaft sei, sondern häufig auch um die Frage, ob sie eine Wissenschaft sei. Vertreter anderer Wissenschaften und der interessierten Öffentlichkeit folgern aus diesen nicht enden wollenden Auseinandersetzungen immer wieder, daß es eben doch wohl nicht möglich sei, die Erziehungswissenschaft eindeutig und überzeugend als eigenständige Wissenschaft zu legitimieren, woraus dann wieder neue Schwierigkeiten für die Selbstbehauptung der Erziehungswissenschaft erwachsen. Mindestens die Theologie hat keinen Grund in ein diesbezügliches Verdikt über die Erziehungswissenschaft einzustimmen. Die Zweifel daran, ob sie eine echte Wissenschaft sei, sind bekanntlich bei anderen Wissenschaften nicht seltener. Und wenn die Theologie von Skrupeln dieser Art relativ wenig berührt wird, so liegt dies doch einfach an der älteren, einen so erstaunlichen Schutz gewährenden Tradition, deren sich die Theologie erfreuen kann. Immerhin gibt es auch innerhalb der Theologie ständige Auseinandersetzungen über die Prinzipien ihrer Arbeit, die immer wieder zu weit auseinanderliegenden Grundpositionen führen — auch und gerade hinsichtlich der .Wissenschaftlichkeit' dieser Arbeit. Und ist dies eigentlich bei den anderen Wissenschaften anders? Gibt es überhaupt eine theoretische Definition von Wissenschaft, die heute gültiges Maß für alle Wissenschaften zu sein vermöchte? Ich frage vorerst nur und versuche zunächst, einiges Inhaltliche zum Selbstverständnis der heutigen Erziehungswissenschaft zu sagen. Sämtliche gegenwärtig in unserem Problembereich vertretenen Theorien hier vorzutragen, könnte — abgesehen davon, daß der Raum hierzu fehlt — nur verwirrend sein. Aufschlußreicher scheint mir der Versuch, eine Debatte zu kennzeichnen, die heute, wenn ich recht sehe, im Kern der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung über die Erziehungswissenschaft steht: die zwischen der sog. geisteswissenschaftlichen Pädagogik, die seit Dilthey einen nachhaltigen Einfluß ausübt, und einer die empirische Forschung mit starker Betonung in den Vordergrund rückenden erziehungswissenschaftlichen Richtung, die auf eine Ablösung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik zielt.

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Wilhelm Flitner (geb. 1889) hat als bedeutender Repräsentant der geisteswissenschaftlichen Pädagogik von besonders weitreichender Wirkung eine Theorie der Erziehungswissenschaft entwickelt, deren Grundgedanken man folgendermaßen umreißen kann. Die uns bereits bekannte (s. § 1) Ausgangsthese dieser Theorie lautet: „Die vorwissenschaftliche Basis der Pädagogik liegt in den Erziehungslehren bestimmter Erfahrungskreise, in denen die Ideale, Normen und Regeln bestimmter historischer Lebensformen gelten, und wo eine erzieherische Praxis — eine Pädagogie — sich ausgebildet hat" (2, 15). Erziehungslehren gibt es sowohl in großen Formen, „in denen die Weisheit ausgereifter Lebensform tradiert wird" (2, 16) (Meisterlehren, Lehren der Adelserziehung, der kirchlichen Erziehung usw.), wie in kleiner Form (Pädagogik von Schulen, Heimen, Lehrgängen usw.). Bei den pädagogischen Praktiken unterscheidet Flitner 3 Gruppen: die uns nur noch historisdi bekannten, die gegenwärtig bestehenden und jene Zwischengruppe ,welche gegenwärtig, aber uns fremd ist', d. h. zu der wir uns entweder noch ein einfühlendes oder nur noch ein quasi historisches Verständnis erschließen können (2, 17). Wichtig, entscheidend wichtig ist, daß die theoretische Pädagogik diese Lehren und Praktiken nicht etwa nur zusammenfassend beschreibt, bestenfalls ordnet, sondern kritisch durchdringt. Damit ist zugleich das Angewiesensein der theoretischen Pädagogik auf diese Lehren und Praktiken und ihre Eigenständigkeit ihnen gegenüber zum Ausdruck gebracht. Die theoretische Pädagogik nimmt also eine eigene Verantwortung wahr. Mit Flitners Worten: „Diese Reflexion am Standort der Verantwortung des Denkenden ist die Mitte dessen, was im strengen Sinne pädagogische Wissenschaft heißen darf. Sie faßt alle Erziehungslehren zusammen, welche in einem Kreis gemeinsamen Lebens von den Praktikern als wahr erkannt werden. Sie vereinigt sie, ordnet sie einem universalen pädagogischen Grundgedankengang ein, prüft sie, verbindet diesen Grundgedanken mit der wissenschaftlichen Reflexion in ihrer Gesamtheit, kritisiert die Erziehungslehren von da aus, reinigt sie von Irrtümern und Beengtheiten und klärt den Standort auf, an dem sie praktiziert werden" (2, 18). Die pädagogische Wissenschaft ist in diesem Sinne für Flitner „durchaus réflexion engagée". Es handelt sich um ein Denken, das „keineswegs voraussetzungslos" ist. „Die Erziehungswissenschaft ist ein Denken vom Standort verantwortlicher Erzieher aus. Ihre Objekte sind nicht eine tote Außen2*

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weit. Sind es Kinder, Jugendliche, nachwachsende junge Leute, so sind sie für den Erziehenden gegeben nur als solche, die der Erziehung, Bildung, Ausbildung, seelsorglichen Beratung, Unterstützung ihrer Selbsterziehungskräfte bedürfen. Sie sind nur da als solche, die geliebt werden in dieser ihrer Entfaltbarkeit, ihrer Bildsamkeit. Sie werden gesehen als Menschen, die auf einem Wege sind, dessen Ziel bekannt ist: als homines educandi" (2, 18). Mit dem Stichwort ,Ziel' ist dann natürlich das eigentlich zentrale Problem gestellt. Flitner formuliert es selbst: „Aber ist das Ziel wirklich bekannt?" (2, 18). In der Geschichte der Erziehung ist dieses Ziel lange von der Theologie und dann von der Philosophie, d. h. von der philosophischen Ethik und Anthropologie bestimmt worden, weshalb auch die jetzige Pädagogik — bis in die jüngste Zeit — mehr oder weniger ein Teilgebiet der Philosophie, mindestens eine von dieser abhänge wissenschaftliche Disziplin blieb. An dieser Stelle möchte nun Flitner einen Schritt weitergehen und die Pädagogik ganz eigenständig, d. h. in der Weise von anderen Wissenschaften unabhängig machen, wie diese anderen Wissenschaften ihrerseits unabhängig sind: zwar nicht gegen andere Wissenschaften isoliert, aber keiner von ihnen mehr untergeordnet, das Verhältnis zu ihnen in eigener Zuständigkeit bestimmend. Anders gesagt: Flitner will die pädagogischen Systeme von normativem Typus' überwinden helfen, in denen die ,Ziele der Erziehung aus der Theologie oder Philosophie oder ihrer Kombination hergeleitet und der eigentlichen Pädagogik nur die Frage der Wege und Mittel zugewiesen wird, wodurch sie zur bloßen Methodik, zur Technologie wird' (2, 22). Den Schritt, den Flitner bei seinem Versuch macht, diese Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Pädagogik zu fördern, kennzeichnet er als den Schritt auf eine ,hermeneutisch-pragmatische Pädagogik' zu. Diese soll den empirischen und spekulativen Ansatz der bisherigen Pädagogik zu einem ,dritten Verfahren' verbinden. Was ist damit gemeint? Eine empirische Tatsachenforschung, die nichts weiter sein möchte als dies, ist für Flitner deshalb fragwürdig, weil nicht ohne weiteres feststeht, was hier eigentlich Gegenstand der Forsdiung ist. „Der empirischen Tatsachenforschung müssen Untersuchungen vorausgehen, in denen sich der Begriff der pädagogischen Tatsache erst ergibt" (2, 23). Andererseits können aber auch ,die normativ gegebenen Entscheidungen nicht ohne weiteres in pädagogische Anweisungen für •die Praxis verwandelt werden: Sie müssen erst im pädagogischen Felde konkretisiert aufgesucht und dort in ihrem Beziehungs- und

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Wirkungsgefüge verstanden werden'. Hieraus folgt für Flitner: „Zwischen den Tatbeständen, auf welche die Empiriker blicken, und jenen, die durch die Wertphilosophie oder durch theologische oder politische Normierung gestützt scheinen, befindet sich eine Zwischenwelt, in der das erzieherische Geschehen mit seiner Verantwortung liegt. An dieser Stelle beginnt die selbständige Besinnung und Forschung der wissenschaftlichen Pädagogik" (2, 23). ,Die Ermittlung des Tatsächlichen wie die Sinnvergewisserung sind also aufeinander bezogen und nur durcheinander gegeben. Beide Aufgaben der wissenschaftlichen Pädagogik sind >dialektisch< zusammengehörig, und deshalb nennt Flitner eine solche Pädagogik jhermeneutisch-pragmatisch', wobei ,hermeneutisch' natürlich nicht einfach Verdolmetschung von Texten meint, sondern ,als Auslegung des gelebten Lebens, als Selbstvergewisserung des konkreten Denkens, das sich über seine Situation und deren Normierung aufklärt', verstanden wird. Die in der wissenschaftlichen Pädagogik vorgenommene Zielbestimmung des pädagogischen Handelns erfindet also deren ethische, politische Substanz nicht, aber sie gibt den je gemeinten Zielen ihre pädagogisch verantwortbare Gestalt, ein geistiger Akt eigenen und nicht geringen Ranges. Obwohl auch Flitner die Erziehungswissenschaft in dem von ihm entworfenen Sinngehalt erst an den Anfängen ihrer Arbeit stehen sieht, ist er doch der Überzeugung, daß sie im Kreise der älteren Wissenschaften kein Fremdkörper ist. Auch die Theologie, Jurisprudenz und Medizin versteht er als hermeneutisch-pragmatisdier Natur in dem von ihm entworfenen Sinn. Als jüngste hermeneutisch-pragmatische Wissenschaft sieht er die Politologie an. Wie schon angedeutet wurde, hat diese Konzeption der Erziehungswissenschaft eine besonders große Wirkung gehabt. In weiten Kreisen galt und gilt sie als die überzeugendste Wissenschaftstheorie der Pädagogik; viele ihrer Formulierungen gingen in das allgemeine pädagogische Bewußtsein über und auch wo andere Theorien entwickelt wurden, zeigen sich doch deutliche Spuren der Flitnerschen Thesen. Wohl auch deswegen, jedenfalls wegen der besonderen Energie, mit der sich Flitner dieser wissenschaftstheoretischen Problematik angenommen hat, widmet ihm Rudolf Locbner (geb. 1895) in seinem großen Werk „Deutsche Erziehungswissenschaft — Prinzipiengeschichte und Grundlegung" (5) eine besondere Würdigung, und zwar eine höchst kritische. Ich skizziere Lochners wichtigste Einwände. 1. Flitner gehe in seinem Eifer, die Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Pädagogik zu erweisen, gewissermaßen zu weit, nämlich

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,über das, was man billigerweise von einer Wissenschaft als Wissenschaft heute zu verlangen pflegt', hinaus. Es entstehe der Eindruck, „daß er für die Erziehungswissenschaft einen Sondercharakter postuliert" (5, 234). 2. Seine Kritik der empirischen Forschung in der Erziehungswissenschaft enthalte zwar manche richtige These, treffe aber die heutigen Empiriker nur in geringem Maße: ,Daß jede empirisch angelegte Erziehungswissenschaft >positivistische< Grundtendenzen habe, müsse energisch abgelehnt werden'. Außerdem lasse sich Flitner durch diese Kritik verführen, der — grundsätzlich bejahten — empirisch-pädagogischen Forschung einen zu bedeutungsarmen Platz zuzuweisen; er .entferne die ganze Hermeneutik vom empirischen Verfahrensumkreis, ohne durchschlagende Gründe dafür anzugeben' (5, 234 f.). 3. Die Bindung der wissenschaftlichen Pädagogik an die Philosophie sei bei Flitner noch immer zu eng. Es sei ,hoch an der Zeit, die Erziehungswissenschaft als positive, autonome Einzelwissenschaft zu konstituieren, die zwar >freundliche< Beziehungen zur Philosophie unterhält, aber dodi durchaus mehr und anderes sein muß als ein >Philosophieren über erzieherische Gegenstände«' (5, 236). 4. Audi die Distanzierung Flitners von der normativen Pädagogik sei nicht entschieden genug (5, 236). 5. Wohl die stärkste Ablehnung erfährt Flitners These, daß ,die Reflexion am Standort der Verantwortung des Denkenden die Mitte dessen sei, was in strengem Sinne pädagogische Wissenschaft heißen darf' und daß diese deshalb .durchaus réflexion engagée sei'. Lochner stellt fest, „Hier eben, so muß man sagen, scheiden sich die Geister: Wissenschaft, sofern sie wirklich Wissenschaft sein und bleiben will, darf niemals réflexion engagée sein oder werden. Man kann das doch nicht einfach dekretieren und damit begründen, daß erziehungswissenschaftliches Denken die Wesengrundzüge erzieherischen Denkens zu übernehmen habe. Wissenschaft ist verantwortliches Handeln, ganz gewiß, aber in unserem Fall besteht die Verantwortung allein darin, daß über erzieherische Phänomene richtig und konsequent gedacht, daß sie erkenntnismäßig aufgehellt werden. Insofern, in der Tat, will der erziehungswissenschaftlich sich Betätigende gar nichts von seinen Objekten, weder vom Erzieher noch vom Zögling (genauer gesagt: er will weder das Handeln des einen noch das Rückhandein des anderen beeinflussen), er will sie nur erkennen. Es scheint ein gefährlicher Grundsatz zu sein, der Erziehungswissenschaft ein Denken vom Standort verantwortlicher Erzieher zuzumuten; von welchem Standort?

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muß man fragen. Der Standort verantwortlicher Erzieher ist stets ein wertmäßig spezifisch festgelegter. Wissenschaft hat aber gerade die Aufgabe, solchen Wertspezifitäten aus dem Wege zu gehen" (5, 227 f.; vgl. auch 5, 236 f.). O b Lochner der Konzeption Flitners immer gerecht wird, d. h. ob er Flitner immer richtig interpretiert, ob man sich deshalb in mancher Hinsicht nicht doch nähersteht, als es Lochner scheint, soll hier dahingestellt bleiben. Ich habe meine diesbezgl. Zweifel. Aber ich möchte mich hier nicht in diese Auseinandersetzung einmischen. Wichtiger dürfte es jedenfalls für unseren Zusammenhang sein, Lochners eigene Position, die sich in seiner Kritik Flitners bereits ankündigt, noch etwas genauer zu bestimmen, wozu der I I I . Teil seines Werkes, in dem er der vorangehenden „Kritischen Prinzipiengeschichte der deutschen Erziehungswissenschaft" einen Beitrag „Zur Grundlegung einer selbständigen Erziehungswissenschaft" folgen läßt, reiche Gelegenheit bietet. „Erziehungswissenschaft" so definiert Lochner, „ist diejenige theoretische, selbständige, >reine< Wissenschaft (Wissenschaft im exakten Sinn, genommen als >Grundlagenforsmore philosophorum< betrieben werden müssen, denn sie ist die Reflexion über eine Aufgabe, die den Kontrollbereich erfahrungswissenschaftlicher Methodik bei weitem übersteigt. Pädagogik bleibt imperativ auf Normen bezogen, sie steht unausweichlich in der Auseinandersetzung um die Legitimität und die Produktivität ihrer Erziehungsnormen und pädagogischen Leitbilder" (4, 483). Damit hängt zusammen, daß Roth eine interessierte Beziehung der Erziehungswissenschaft zur Praxis für durchaus legitim hält. „Die Pädagogik gehört in die Reihe der Geisteswissenschaften, die auf eine Praxis bezogen sind" (4, 484). Eine solche Praxisbezogenheit schränkt nach seiner Überzeugung „die Würde einer Wissenschaft nicht ein . . . " (4, 487). Gerade „die empirische Forschung muß, wie jede pädagogische Forschung, von einer für die Mündigkeit und Freiheit des jungen Menschen sich mitverantwortlich fühlenden Erziehungswissenschaft betrieben werden. Pädagogik studieren impliziert nun einmal »Pädagoge zu werdenc. N u r von hier aus kann die oft kaum wahrnehmbare und doch abgrundtiefe Grenze eingehalten werden zwischen Forschungen, die der Manipulation des Menschen durch Werbung und Propaganda, und denen, die der Erziehung zur Mündigkeit dienen" (4, 489). Dementsprechend statuiert Roth gerade die Verwandtschaft der Erziehungswissenschaft mit der Theologie, Medizin und Jurisprudenz, die Lochner ablehnt. Und hochinteressant ist schließlich, daß Roth die von ihm so genannte .realistische Wendung in der pädagogischen Forschung' gerade auf Anregungen jener Dilthey-Schule zurückführt, der Lochner eine so entscheidende Hemmung der empirischen Forschung und der Erziehungswissenschaft anlastet: „Es gehört zu den großen Verdiensten von Dilthey, Nohl und Weniger, die Erziehungswirklichkeit als das tragende Fundament der Erziehungswissenschaft entdeckt und der erziehungswissenschaftlichen Forschung aufgegeben zu haben" (4, 484). So zeigt dies Beispiel wohl hinreichend deutlich, daß die heute in der Wissenschaftstheorie der Pädagogik vertretenen Ansichten weit mehr ineinander verschränkt sind, als es vielen scheint. Man ist versucht zu sagen: Dies darf auch nicht anders sein, wenn die Auseinandersetzungen über diese Positionen wirklich wissenschaftlichen Charakter behalten und kein Dogmenstreit werden sollen. Wissenschaft-

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liehe Arbeit kennt nur jene eigentümliche Gefügtheit, in der jeder produktive Beitrag seinen Platz findet, auch der des Gegners. Nützlich wäre es dem Ringen um die Prinzipien der wissenschaftlichen Pädagogik sicherlich, wenn es von der Frage, ob die Pädagogik eine Wissenschaft sein könne, entlastet würde. Es mutet etwas gespenstisch an, daß diese Frage immer wieder in die wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen der Pädagogik hineinspielt, sie polemisch verschärft und — ringsum die Arbeit der wissenschaftlichen Pädagogik aller Richtungen blüht. Es scheint mir keinen Wissenschaftsbegriff mehr zu geben — hat es ihn je gegeben? —, an dem eindeutig, d. h. für das allgemeine Bewußtsein überzeugend, gemessen werden könnte, was Wissenschaft ist und was nicht. Schon gar nicht für alle Wissenschaften, aber auch nicht für eine Gruppe von Wissenschaften, ja nicht einmal für eine einzelne Wissenschaft. Wo ein solcher Wissenschaftsbegriff stabilisiert und gehandhabt wird, droht unweigerlich ein Dogmenstreit. Das kann man auch an unserer Debatte deutlich machen. In Lochners ungemein umfassender und gründlicher Analyse aller einschlägigen Erörterungen der modernen wissenschaftlichen Pädagogik werden die einer ganzen Gruppe, nämlich der existenzphilosophisch bestimmten — Bollnow, Ballauf, Drexler, Schaller usw. — bewußt ausgeschaltet. Und Lochner begründet das so: „ O b sich nämlich bei und mit ihnen [sc. den Genannten] nur die alte Tragödie fortsetzt, wodurch die »Pädagogik« ganz einfach wieder einmal — nach einem Worte von Herbart — zum > Spielball einer philosophischen Sekte < gemacht wird, oder ob eine viel ernsthaftere Neubegründung im Hintergrund steht, läßt sich noch nicht mit Sicherheit klären; verdächtig ist mir bei ihnen ihr gespannt-feindliches Verhältnis zur biologischen Anthropologie und überhaupt ihre Geringschätzung der Empirie. Diese Art von Philosophie bewirkt es manchmal, daß die handfesten Tatsachen des Erziehens in der Betrachtung vergehen >wie eine Landschaft im Mondlicht< (P. Petersen)" (5, Vorwort). Ich gestehe, daß mir bei einem solchen Verfahren etwas unheimlich zumute wird. Hier wird doch in aller Form mit einem Ketzerhut gedroht. Und das angesichts der Tatsache, daß die ausgeschaltete Gruppe nicht nur wissenschaftstheoretische sondern auch sonstige Beiträge zur wissenschaftlichen Pädagogik vorgelegt hat, die um ihres Niveaus und ihrer Erträge willen auch Lochner sicherlich nicht missen möchte. Wird hier nicht ein bestimmter Wissenschaftsbegriff dogmatisch gehandhabt? Wissenschaftstheoretische Untersuchungen sind ganz gewiß nötig. Bei alten und jungen Wissenschaften. Ohne sie ist jede Wissenschaft vom

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Verfall ihrer Kategorien und Methoden bedroht. Aber da wir keinen allgemeingültigen Wissenschaftsbegriff mehr besitzen, sollten sie von dem Bemühen entlastet sein, nachzuweisen, daß diese oder jene Disziplin auch eine Wissenschaft sei. Ob eine solche Disziplin eine Wissenschaft ist, erweist sich für uns alle nur noch an ihren wissenschaftlichen Erträgen. Interessant aber ist, was für eine Wissenschaft sie ist. Und dies erweist sich in jenen wissenschaftstheoretisdien Bemühungen, in denen sie ihre Prinzipien und ihre Struktur klärt. Das wird hier nicht um der Kritik willen gesagt, auch nicht um einer Kritik an der bewunderungswürdigen Leistung des Lodiner'schen Werkes willen. Sondern weil jede zu einseitige Handhabung eines bestimmten Wissenschaftsbegriffes in der Pädagogik gerade dem Außenstehenden die Wahrnehmung der Differenzierung dieser modernen Wissenschaft erheblich erschwert. Denn diese sich z. 2 . in ziemlich schnellem Tempo vollziehende Differenzierung der Erziehungswissenschaft in Teildisziplinen hat immer auch eine Differenzierung ihres Wissenschaftsbegriffes zur Voraussetzung. Jene Differenzierung in Teildisziplinen aber möglichst deutlich zu erkennen, ist dem unausweichlich aufgegeben, der sich um ein Verständnis der heutigen wissenschaftlichen Pädagogik in ihrer uneingeschränkten Realität bemüht. 1. Dilthey, Uber die Möglichkeit einer allgemeingültigen pädagogischen Wissenschaft, 1888 (Kleine Päd. Texte 3) 1963 4 . 2. W . Flitner, Das Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft in der Gegenwart, (Päd Forsch 1) (1957) 1963*. 3. H . H . Groothoff, Art. „Pädagogik, Erziehungswissenschaft", in: Päd L e x 681 ff. 4. H . Roth, Die realistische Wendung in der Pädagogischen Forschung, in: N Slg 1962, 481 ff. 5. R. Lochner, Deutsche Erziehungswissenschaft — Prinzipiengeschichte und Grundlegung, 1963. 6. H . H . Groothoff, Art. „Pädagogik", in: Päd 204 ff. Aus der neuesten wissenschaftlichtstheoretischen Diskussion über die E r ziehungswissenschaft vgl.: 7. H . Rombadi, Der Kampf der Riditungen in der Wissenschaft — Eine wissensdiaftstheoretisdie Auseinandersetzung, in: Z f Päd 1967, 37 ff. 8. W . Brezinka, Uber den Wissenschaftsbegriff der Erziehungswissenschaft und die Einwände der weltanschaulichen Pädagogik — Eine Antwort an H . Rombadi, in: Z f Päd, 1967, 135 ff. 9. O. F. Bollnow, Der Erfahrungsbegriff in der Pädagogik, in: Z f P ä d 1968, 221 ff. 10. Rep Päd 3.16. Zum Thema dieses Abschnittes vgl. auch den Exkurs zu § 10 („Erziehungswissenschaft oder Bildungsforschung?").

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Erziehungswissenschaft 5 7 Die Differenzierung

der heutigen

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Noch ist es nicht sehr lange her, daß die wissenschaftliche Pädagogik nur als eine einheitliche Disziplin bekannt war, bei der zwar philosophische Grundfragen, Historie, Psychologie und Soziologie als Teilgebiete unterschieden wurden, aber eben als Teile eines Ganzen, das sich selbst noch als ein solches begriff. Seitdem die institutionellen Voraussetzungen dafür in immer größerem Maße geschaffen werden, entfalten sich diese bisherigen Teilgebiete zu relativ selbständigen Teildisziplinen, und auch neue derartige Teildisziplinen melden sich zu Wort. Es ist, als wäre hier eine Entwicklung gestaut gewesen, die nun immer mehr freie Bahn gewinnt. Sicher nicht eine Entwicklung, die nur aus sich selbst, nämlich aus dem Erkenntnisdrang der Pädagogik gespeist wurde und wird. Bestimmte Bedürfnisse der modernen Gesellschaft haben sie mitgenährt. Aber sie besitzt doch offensichtlich soviel eigenen Fundus, daß sie diesen Bedürfnissen in erstaunlichem Maße gerecht zu werden vermag. Und es sieht keineswegs so aus, als ob diese Produktivität der neueren Erziehungswissenschaft sehr bald erschöpft sein wird. Der Prozeß dieser Differenzierung der wissenschaftlichen Pädagogik steht also noch in seinen Anfängen. Es gibt keine in weiteren Kreisen anerkannte Systematik einer differenzierten Erziehungswissenschaft. Was wirklich Teildisziplin der wissenschaftlichen Pädagogik sei und was nur angegliederte Sonderdisziplinen, was als Grunddisziplin und was als Hilfsdisziplin zu bezeichnen sei — dies und manche andere hierhergehörigen Probleme sind unter den Beteiligten noch strittig; und welche Teildisziplinen schneller entwickelt wurden als andere, das hängt, wie wohl meist bei solchen Entwicklungen, weitgehend von den äußeren Chancen ab, die der einen oder anderen gegeben werden, oft auch vom Zufall. Was zunächst die bestehenden bzw. fest geplanten institutionellen Voraussetzungen dieses Differenzierungsprozesses anlangt, so sind diese an den Universitäten noch immer nicht allzu günstig. Mit einiger Mühe ist durchgesetzt worden, daß heute jede Universität mindestens einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft besitzt. An nicht wenigen ist zwar ein zweiter errichtet worden, aber nur um den Studentenmassen gerecht zu werden, nicht um zu differenzieren. Allerdings sind diese , Parallellehrstühle' in ihrem Lehrauftrag meist wenigstens unterschiedlich akzentuiert. Anders sieht es nur in Hamburg aus, wo

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seit geraumer Zeit eine Mehrzahl von erziehungswissenschaftlichen Lehrstühlen bestehen, die z. T . in ihrem Lehrauftrag differieren. Von den Universitäts-Neuplanungen enthalten besonders die für Bochum und Bremen leicht durchsichtige Ansätze einer neuartigen Differenzierung. In Bochum soll die Pädagogik einmal mit 5 Lehrstühlen vertreten sein, nämlich: Allgemeine Pädagogik, Geschichte der Erziehung, Praktische Pädagogik I (Schule), Praktische Pädagogik I I (Erwachsenenbildung und berufliche Fortbildung), Pädagogische Psychologie und Sozialpädagogik. Am weitesten geht der Bremer Plan, in dem nicht weniger als doppelt soviele pädagogische Lehrstühle vorgesehen sind wie in Bochum. Diese sind folgendermaßen differenziert: Systematische Pädagogik, Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Erziehung und ihrer Lehre, Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der vergleichenden Erziehungswissenschaft, Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Erziehung des Kindes, Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Erziehung auf den mittleren Schulstufen, Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Erziehung auf den oberen Schulstufen, Sozialpädagogik, Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Erwachsenenbildung, Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung der Leibeserziehung, Soziologie unter besonderer Berücksichtigung des Erziehungswesens. Sowohl in Bochum wie in Hamburg und im Bremer Plan wird deutlich, daß höchst reale gesellschaftliche Bedürfnisse hier die treibenden Kräfte der Entwicklung sind. Sie sind in beiden Plänen ausdrücklich genannt. Bei dem besonders auffälligen Bremer Plan sind sie einfach mit der Tatsache gegeben, daß die künftige Bremer Universität auch die Volksschullehrerausbildung übernehmen soll; in Hamburg findet die Volksschullehrerausbildung seit langem an der Universität statt. Auch in den Pädagogischen Hochschulen, an denen die Mehrzahl der Westdeutschen Länder ihre Volksschullehrer ausbilden läßt, ist die E r ziehungswissenschaft relativ weit differenziert. Allgemeine Pädagogik, Geschichte der Pädagogik, Sozialpädagogik, Schulpädagogik, politische Bildung, Musikerziehung, Heilpädagogik, Religionspädagogik haben hier eine besonders intensive Pflege gefunden. Ebenso sind die Didaktiken der einzelnen Schulfächer bzw. -fachgruppen an den Pädagogischen Hochschulen besonders weit entwickelt. An den Universitäten sind sie erst selten anzutreffen. In Münster werden seit längerem Vorlesungen und Übungen für die Didaktik der Mathematik angeboten, in Gießen und Frankfurt/M. sind im Zuge der Verlegung der Volksschullehrerbildung an diese Universitäten Lehrstühle für verschiedene

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Fach-Didaktiken begründet worden, und in Kiel wurde in Verbindung mit der dortigen Universität kürzlich ein größeres Institut für die ,Pädagogik der Naturwissenschaften' ins Leben gerufen. Die ersten Bemühungen um eine Hochschuldidaktik sind vorläufig noch privater Natur. Die Differenzierung der modernen Erziehungswissenschaft geht also wirklich noch in einem gewissen Wildwuchs vor sich. N u r langsam und äußerst vorsichtig regen sich Bestrebungen, diesen vorerst weitgehend von außen entbundenen Spezialisierungsprozeß von innen her mit gewissen Prinzipen zu durchdringen. Einen sehr sorgfältigen, zugleich an die realen Gegebenheiten anknüpfenden wie entschlossen zupackenden Gliederungsentwurf einer spezialisierten Erziehungswissenschaft an Universitäten hat Georg Geißler (geb. 1902) vorgelegt. Als indiskutabel notwendig erscheint ihm ein Lehrstuhl für „Allgemeine Pädagogik" (oder „Allgemeine Erziehungswissenschaft"). „Seine wesentliche Aufgabe ist die systematische Behandlung der Erziehung im ganzen, die Klärung der Grundfragen sowie der durchgehenden Phänomene, das Herausarbeiten der grundlegenden Kategorien und Methoden" (1, 8 f.). Für ebenso notwendig hält er einen Lehrstuhl für „Geschichte der Pädagogik". „Nur so kann die historische pädagogische Forschung neu belebt werden". Ihr Gegenstand sollen .sowohl die praktische Erziehung und ihre Institutionen, wie die pädagogischen Ideen' sein (1, 9). Ergänzt soll diese historische Pädagogik durch die „Vergleichende Pädagogik" werden, eine Disziplin, die die heutige Pädagogik der verschiedenen Nationen beschreibt und kritisch vergleicht; sie ist zwar ein junger aber nicht mehr entbehrlicher Zweig der heutigen Erziehungswissenschaft (1, 1). Nicht nur wegen der Lehrerausbildung, sondern auch ,wegen der allgemeinen kulturpolitischen Bedeutung ihres Problemkreises verdient die „Schulpädagogik" besondere Aufmerksamkeit'. Gemeint sind die Gymnasialpädagogik, die Volksschulpädagogik und die Sonderschulpädagogik, die zwar bei einzelnen Lehraufträgen besonders betont werden können, aber die übergreifende Disziplin ,Schulpädagogik' nicht sprengen sollen. Damit lehnt also Geißler die Altersstufengliederung des Bremer Planes ab (1, 9). Auch die Berufsschulpädagogik möchte Geissler nicht verselbständigt sehen: Sie ,sollte im größeren Zusammenhang der Berufserziehung ge-

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sehen und darum in die „Berufspädagogik" oder „ Wirts chaftspädagogik" hineingenommen werden', die als ,ein Aufgabenfeld für die Erziehungswissenschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen' (1, 9 f.). Ein selbständiges Gegenstandsgebiet mit spezifischer Problematik' ist für Geissler neben der Berufserziehung die „Erwachsenenbildung". Auch ihr sollte deshalb ein eigener Forschungsbereich zugestanden werden (1,10). „Das gleiche gilt für die > Sozialpädagogikvor dem Leben < zugrunde liegt', aber auch die Theorie, die das pädagogische H a n d e l n in geordneter F o r m begleitet: die wissenschaftliche Theorie. Sie ist als solche „ a n sich schon auf dem Erkenntnisbedürfnis der Wissenschaft begründet und hat schon eine Berechtigung in der bloßen Analyse der Struktur der Praxis um der Erkenntnis willen" (1, 19). Aber — und dies ist für das Verständnis der Konzeption Wenigers besonders wichtig — die wissenschaftliche Theorie der P ä d a g o g i k kann sich hiermit nicht begnügen. „Sie übernimmt [sc. auch] die Funktion der Theorie innerhalb der Praxis als stellvertretende Besinnung, als Läuterung der in der Praxis angelegten Theorien, als bewußte Vorbesinnung und bewußte nachträgliche K l ä r u n g " (1, 20), .damit die Praxis vollkommen werde'. In beider Hinsicht kann man also von einem .Primat der Praxis' vor der Theorie sprechen, denn beide Funktionen der wissenschaftlich-pädagogischen Theorie setzen die Praxis voraus. In beider Hinsicht tut also der Berufsgelehrte der P ä d a g o g i k nichts anderes als was der verantwortliche Erzieher fragmentarisch auch tut. „ E s ist also lediglich ein V o r g a n g von Arbeitsteilung, wenn es eine gesonderte Theorie gibt. Sie erweist sich als notwendig durch zunehmende K o m pliziertheit und Unübersichtlichkeit der erzieherischen Probleme, aus dem Mangel an Zeit, Ruhe und Übersicht, woran der Praktiker, der seinem Beruf treu ist, heute leiden muß, schließlich aus der Hinter-

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gründigkeit der Probleme. Aber das Ziel ist eine geläuterte Praxis für jeden Einzelnen" (1, 20 f.). Hieraus folgt für Weniger, daß auch der wissenschaftliche Theoretiker die .Befangenheit in der pädagogischen Aufgabe und an das pädagogische Tun' mit dem sog. Praktiker — der wie er zugleich Theoretiker seiner Arbeit ist — teilen muß. Anders ,bekommt er die Aufgabe überhaupt nicht in den Blick, bleibt die Wirklichkeit für ihn stumm'. „Man sieht hier nur als Befangener" (1, 21). Dadurch können natürlich Spannungen mit der wissenschaftlichen Objektivität auftauchen, aber diese sind, wie auch in anderen Wissenschaften, tragbar. J a — „Man könnte paradox formulieren: Erst die Befangenheit an die Sache ermöglicht die wahre wissenschaftliche Objektivität" (1, 21). Weniger hat diese Auffassung im Prinzip auch später nicht aufgegeben. In ihr kommt besonders deutlich zum Ausdruck, was heute in weiten Kreisen der Erziehungswissenschaft als selbstverständlich gilt:: Die pädagogische Theorie geht nicht in der Weise der pädagogischen Praxis voraus, daß sie Normen entwirft, die dann auf die Praxis angewandt werden und insofern diese erst ermöglichen. Es ist umgekehrt: Die Theorie lebt aus der Praxis. Wie weit sie direkt oder indirekt auch f ü r die Praxis lebt, dies ist dann schon umstrittener. Vielleicht darf man sagen, daß diese oder ähnliche Bestimmungen des Verhältnisses von Theorie und Praxis den vielen Praktikern, die sich ihnen öffneten, wirksam geholfen haben, eine selbständige Beziehung zur Theorie zu gewinnen und zu behalten. Nach meiner Beobachtung gelingt es diesen Praktikern in erstaunlichem Maße, jenes alte Elend zu überwinden, das aus der herkömmlichen Antithetik von Theorie und Praxis stammt: das Elend der theoretisch nicht mehr verantworteten Praxis. Weil sich die Praxis gegenüber den vorweggeschickten normativen Theorien als höchst spröde erweist, weil sie alle diese Theorien zu Träumen stempelt, die in der rauhen Wirklichkeit nicht realisierbar sind, deshalb wirft man eines Tages — und dieser Tag pflegt gar nicht lange auf sich warten zu lassen — die Theorien entschlossen über Bord und ergibt sich der ,reinen' Praxis, d. h. fremden oder eigenen Erfahrungen, von denen man nun nicht mehr weiß, bzw. wissen will, daß sie ganze Bündel zwar frag würdiger, faktisch aber nicht kritisch befragter Rudimente mehr oder weniger heterogener Theorien enthalten. Dieses Elend pflegt aufzuhören, wo das Verhältnis von Theorie und Praxis so — oder ähnlich — verstanden wird, wie Weniger es entwickelt, wo man durch Einsicht zu dem Vermögen geführt wird» 3*

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fremde und eigene Praxis kritisch zu durchdringen, wo man also gelernt hat, zu lernen, solange man überhaupt praktiziert. 1. E. Weniger, Theorie und Praxis der Erziehung 1929, jetzt in: „Die Eigenständigkeit der Erziehung in Theorie und Praxis" (1952) 1964 4 . Zur Kritik Wenigers (auch seiner jüngeren Arbeiten zum Thema) vgl.: 2. R . Lochner, Deutsche Erziehungswissenschaft — Prinzipiengeschichte und Grundlegung, 1963, 205 ff. und jetzt die ausgezeichnete kritische Würdigung der Position Wenigers durch: 3. I. Dahmer, Theorie und Praxis, in: Geisteswissenschaftliche Pädagogik am Ausgang ihrer Epoche — Erich Weniger, hg. von I. Dahmer u. W. K l a f k i , 1968, 3 ff. Gewisse neuartige Aspekte der Theorie-Praxis-Problematik ergeben sich aus der Entwicklung der modernen Kybernetik (vgl. § 10, 4). Jedoch dürften diese noch sehr ungeläufigen Aspekte nur verständlich werden, wenn das in diesem Abschnitt umrissene Problemfeld einigermaßen gründlich durchdacht wurde. Dasselbe gilt für den eigenwilligen Beitrag Bastians zu der Theorie-Praxis-Problematik in seiner Arbeit 4. H . D . Bastian, V o m Wort zu den Wörtern — K a r l Barth und die Aufgaben der Praktischen Theologie, in: Evangelische Theologie 1968, 25. Wenn es hier heißt: „Das theoretische Bewußtsein der Forschung umklammert die Praxis, läuft ihr planend voraus, geht ihr kritisch zur Seite und folgt nachdenklich hinterher, weigert sich aber entschieden, Theorie und Praxis einander gleichzuschalten" (4, 44), so liegt auf der Hand, in welchem Maße etwa Wenigers Konzeption eine notwendige Brücke in die neuesten Weisen, unsere Problematik zu bedenken, darstellt.

2. Das Kind Wir sind gewohnt, die Frage nach dem Kinde als dem Objekt unserer Erziehung der Psychologie als einer ausgesprochen empirischen Wissenschaft zuzuschieben. Dies dürfte eine fragwürdige Gewohnheit sein. Denn man könnte sagen, daß weite Kreise der mit Erziehungsaufgaben Befaßten die Ergebnisse der Kinderpsychologie noch längst nicht so ernst nehmen, wie sie es verdienen, weil die Gewohnheit, die Besinnung über das Kind der Psychologie zuzuschieben, bewußt oder halbbewußt zu einem Abschieben dieser Besinnung wird. Vielleicht gilt dies auch besonders für Theologen und hängt bei ihnen u. a. damit zusammen, daß sie in ihrer Ausbildung nicht die entsprechende Anleitung fanden. Jedenfalls ist der evangelischen Pädagogik der Gegenwart bereits der Vorwurf gemacht worden, daß sie in ihrer Arbeit das Kind regelrecht verleugne (8). In dieser Lage könnte es eine Hilfe sein, sich zu vergegenwärtigen, daß die Kinderpsychologie in der modernen Erziehungswissenschaft einen Akzent erhielt, der es vielen an

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ihr weniger Interessierten, z. B. gerade auch Theologen, gleichsam sdimackhafter macht, sich mit ihren Ergebnissen zu beschäftigen. Ich meine die Bemühungen um eine Anthropologie des Kindes. Diese Bemühungen verdanken ihre Entstehung einem ganz bestimmten Ungenügen an der Art und Weise, wie Kinderpsychologie weitgehend getrieben wird. Und zwar ist jene Art und Weise gemeint, die das Kind allzu ,voraussetzungslos' zum Gegenstand der Forschung macht und damit nicht nur den Respekt, auf den das Kind und gerade das Kind Anspruch hat, verletzt, sondern gerade auch die Wirklichkeit des Kindes verfehlt. In Wahrheit sei, so wendet man ein, diese Art von Kinderpsychologie auch gar nicht ,voraussetzungslos', sondern mache die fragwürdige Voraussetzung, daß das Kind mehr oder weniger ein nur biologisches Wesen, wenn auch höchster Form sei, während es doch in Wahrheit ein Mensch und deshalb in seiner Realität nur mit dieser Voraussetzung aufzuhellen sei. Damit wird der nach dem Kinde Fragende an die philosophische oder theologische Anthropologie gewiesen, die ja ihrerseits nach dem Sinn des Menschen fragen. Aber der niederländische Pädagoge M. I. Langeveld (geb. 1905), dem wir besonders wichtige Beiträge zu diesem Thema verdanken, muß feststellen: „Wie sporadisch findet man bei dem philosophischen Anthropologen — sei er Christ oder Humanist — eine Andeutung davon, daß ihm die Tatsache, daß der Mensch als Kind anfängt, etwas bedeutet! Wie selten hat auch der Philosoph etwas über das Kind als wesentlichen Modus des Mensdiseins zu sagen!" (1, 107). Und wir müssen hinzufügen, daß es um die theologische Anthropologie nicht anders steht. So bemüht sich Langeveld, die Grundlagen für eine Anthropologie des Kindes zu schaffen. Unter ,Kindheit' versteht er ,ein Stadium des ganzen Menschen', „des Menschen als eines sich selbst deutenden und in dem Rahmen auch sich selbst bestimmenden Wesens in seiner aktuellen Beziehung zur Welt. Dabei sind Person, Welt und Weltbild nicht trennbar, sondern ein >trialektisches< Ganzes, das wir jeweils in einem Menschen — also auch in einem Kinde — in actu vorfinden" (3, 15). Eine Psychologie, die diese Voraussetzung nicht macht, müsse ,infrahuman' werden. Mit dieser Wesensbestimmung des Kindes ist zugleich das Angewiesensein des Kindes auf Erziehung gegeben. „Denn o h n e die Erziehungsaufgabe und das Erziehungsbedürfnis im Kinde als konstitutive Wesensmomente mitzudenken, kommen wir nur zum Bilde der natürlichen Entwicklung und der instinktiven Versorgung von Brut und

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jungem Tier. Die Löwenmutter >erzieht< nicht, sie >leonisiertwird< nicht > erzogen ansprechbare ist, >der Rede und Antwort stehtc. Die ,Wortoffenheit' des Menschen ist der Grund seiner Verantwortungsfähigkeit (1, 62). 2. Diese ,Wortoffenheit' ist faktisch Offenheit für das Du. Wir sind .nicht in Selbsteigenheit autonom, sondern in Zugehörigkeit verantwortlich'. 3. Diese Zugehörigkeit wird uns mitgeteilt. „Darum wird unser Verantwortlichsein nur verständlich als In-Verantwortung-Gerufens e i n . . . Gott hat uns vor sich gestellt, indem er uns vor den Mitmenschen stellte." Zusammengefaßt heißt dies: „Der Mensch in der Verantwortung ist der Mensch als Person, als hörendes und daraufhin sprechendes, als angerufenes und zur Antwort gedrungenes Wesen, der Mensch, der zum Ebenbild Gottes geschaffen ist, durch Gottes Anruf vor Gott gestellt mit dem Gegenüber des Mitmenschen in der Wirklichkeit konkreter geschichtlicher Situation" (1, 63). Aufgrund dieser — hier nur auf das knappste wiedergegebenen — Analyse des In-Verantwortung-Seins gelingt Lichtenstein nun tatsächlich eine ungemein lebendige und aufschlußreiche Erhellung ,der inneren Struktur der Erziehung als eines sittlichen Lebensverhältnisses'. Ich umreiße auch sie nur mit ganz wenigen Strichen. 1. Erziehung ist in einzigartiger Weise ein >Für-Seim für den bzw. die, für die wir zur Gehilfenschaft berufen sind; es ist eine .Gehilfenschaft in dreifacher Verantwortlichkeit: für die Gegenwärtigkeit, für die Vergangenheit und für die Zukünftigkeit der Jugend, die Verantwortung für den Lebensraum, für den Geschichtsraum und für den Freiheitsraum des werdenden Menschen' (1, 63 ff.). 5

K i t t e l , E v . Religionspädagogik

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2. Erziehung ist aber auch ein >Mit-Sein< der Partnerschaft, nicht nur väterlich-mütterlich-helfende, sondern immer auch ,brüderlichhelfende Verantwortung des Bei-Stands im gemeinsamen Werk, unter gemeinsamem Gesetz, die qualitativ gleichwertige Begegnung vom reifen und heranreifenden Menschen auf der Ebene der Menschlichkeit* (1, 65 f.). 3. Erziehung ist eine Verantwortung, die ich mir nicht selbst wähle, sondern die im >Gegenüber-Gestelltsein< entsteht; „stets ist ein inhaltlich erfüllter Lebensbezug vorhanden, in dem und an dem die erzieherische Verantwortung aufleuchtet. Sie hat stets einen bestimmten Sitz im Leben, an dem sie erwacht und erfahren wird." „Ich erfahre sie . . . wie einen Ruf, der wie von einem Außerhalb meiner selbst kommt, mich aus mir selbst herausruft und vor sich stellt." Damit hängt es zusammen, daß ich erzieherische Verantwortung nie erfahre ohne zugleich ein Schuldigsein zu erfahren, und zwar in dem doppelten Sinn ,des Rechenschaft Schuldens und des Versagens'. Dieses Schuldigsein spitzt sich dann auf eine charakteristische Weise zu: In der .ernstgenommenen Verantwortung erfahre ich mich >vor< eine richterliche Instanz, vor den Herrn der Ordnung und meines Lebens gestellt, dem ich die Antwort meines Daseins >schuldig< bleibe' (1, 66 f.). 4. Damit ist dann endgültig die Grenze der innerweltlich-ethischen Besinnung überschritten. „Vielleicht ist das, was der Christ in der Erziehung zu sagen und zu tun hat, nur dadurch etwas Besonderes, daß er in besonderer Weise um dieses ¡Wovorc der Verantwortung weiß". Aber das Aufbrechen der Frage nach diesem >Wovor< gehört auch zum Phänomen der erzieherischen Verantwortung (1, 68 f.). 5. Mit alledem ist schließlich deutlich, daß erzieherische Verantwortung wahrnehmen stets ein >In-Situation-Sein< bedeutet. Aus einer bestimmten Situation heraus werde ich gefordert, auf sie habe ich zu antworten. Diese Nötigung ,verlegt uns die Flucht in die Vergangenheit, in das Ersatzhandeln aus Gewohnheit, Schema, Routine, aber auch die Flucht in die Zukunft, das Verhaftetsein, das starre Festhalten an Plänen, Musterbildern, Wunschvorstellungen, und schließlich auch die Flucht in den zeitlosen Raum der >Prinzipien Schulmeisteren ist ein Mangel an Bereitschaft, sich der erzieherischen Situation immer von neuem auszusetzen'. ,Situationserhellung' ist eine Kunst, in die erzieherische Verantwortung notwendig hineintreibt. Damit ist, christlich gesprochen, offenbar, in welchem Maße der Erzieher auf Vergebung angewiesen ist (1, 69 f.).

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Ich breche ab. Es wird deutlidi genug geworden sein, daß erzieherisches Handeln tatsächlich von einer Art ist, die das Durchdenken ethischer Fragen mit Zwangsläufigkeit hervorbringt. Natürlich kann man Erziehung in Abrichtung verwandeln. Nicht nur autoritäre Systeme neigen hierzu, auch ,westliche' Bestrebungen einer Funktionalisierung der Erziehung zielen in die gleiche Richtung. Deshalb ist es gewiß so, daß heute in Ost und West eine Stimmung verbreitet ist, die ethische Probleme aus der pädagogischen Besinnung ausschalten möchte. Die pädagogische Ethik ist eine unterentwickelte Disziplin. Aber die Wirklichkeit des Menschen, also seine Menschlichkeit, wehren sich gegen diese Entwicklung. Wo ,Erziehung' theoretisch und praktisch verdrängt wird zugunsten von Methoden der Einpassung des Menschen in Funktionen irgendwelcher Art, findet eine Dehumanisierung statt und gegen sie bringt sich der Mensch immer neu zur Geltung. Ein Symptom hierfür stellen auch die heutigen Neuansätze einer pädagogischen Ethik dar, für die die einschlägigen Arbeiten Lichtensteins ein Beispiel hohen Ranges sind. 1. E . Liditenstein, Erziehung — A u t o r i t ä t — V e r a n t w o r t u n g . R e f l e x i o n e n zu einer Pädagogischen Ethik, 1966 (Die Titel der hier gesammelten U n t e r suchungen lauten: Bedrohte A u t o r i t ä t u n d erzieherische V e r a n t w o r t u n g ; Macht und E r z i e h u n g ; A u t o r i t ä t u n d Freiheit als pädagogisches P r o b l e m ; W ä d i t e r a m t und V a t e r a m t des Erziehers; Z u r M e t a p h y s i k der p ä d a g o g i schen V e r a n t w o r t u n g ; Zur Phänomenologie der Erziehungsweisen.). D a ß an dem v o n mir gewählten B e g r i f f der . V e r a n t w o r t u n g ' besonders leicht durchsichtig wird, w o r u m es Lichtenstein geht, liegt auch d a r a n , daß er in der pädagogischen Literatur relativ h ä u f i g v o r k o m m t , allerdings ohne zur K a t e g o r i e einer Pädagogischen E t h i k gemacht zu werden, wie das bei Lichtenstein z w a r auch nicht ursprünglich, wohl aber mit der N e u h e r a u s gabe der hier vereinigten Abhandlungen intendiert ist. Als ethisch besonders interessante Richtung der heutigen Erziehungswissenschaft d a r f die existenzphilosophisch bestimmte bezeichnet w e r d e n ; v g l . hierzu die Literatur bei: 2. W. Z i f r e u n d , A r t . „ E x i s t e n z p h i l o s o p h i e " , in: P ä d Lex 267 f.

7. Sozialpädagogik Das Gebiet der theoretischen Sozialpädagogik schließt sich deshalb hier besonders gut an, weil die praktische Sozialpädagogik ihre Entstehung und weitgehend auch ihre Entwicklung einem betont ethischen Impuls verdankt, so daß die ethischen Faktoren dieser Sozialpädagogik eigentlich auch ein bevorzugtes Thema ihrer Theorie sein müßten. Die Existenz einer praktischen Sozialpädagogik ist so etwas wie ein Ehrentitel der Pädagogik in der Moderne. Sie ist nämlich nicht in den 5*

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normalen Vorgängen der Gesellschaft angesiedelt, sondern dort, wo diese Gesellschaft für bestimmte Menschen und Menschengruppen Schwierigkeiten schafft, die besonders anspruchsvolle, entbehrungsreiche und zugleich wenig anerkannte pädagogische Aufgaben stellt. Die Sozialpädagogik macht ernst damit, daß in der industriellen Gesellschaft Konfliktsituationen, die eine besondere Eingliederungshilfe verlangen, also unnormale Situationen, die eine unnormale pädagogische Anstrengung verlangen, normal sind. Ausgegangen von Jugendpflege, Jugendfürsorge und Gefängniserziehung älteren Stils hat sich die Sozialpädagogik inzwischen ,durch Umformungen und Erweiterungen verändert und differenziert, so daß heute die vielen Arten der vor- und nachschulischen Heimerziehung, der vor- und nebenschulischen Kindererziehung, der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, der Erziehungs-, Eltern- und Familienberatung, der organisatorischen Maßnahmen des Kinder- und Jugendschutzes u. ä. ihr umfassendes Aufgabenfeld darstellen'. Ihre Einrichtungen sind neben Familie und Schule zu einem ,dritten pädagogischen Ort' geworden, ,zu eigenständigen, nachholenden oder begleitenden Stätten der Sozialerziehung', die in der modernen Gesellschaft nicht mehr zu entbehren sind (1, 289 f.). Ihre Theorie begann sich im ersten Drittel des 20. Jh.s zu entwickeln. Sie wurde inzwischen energisch gefördert. Für ihren heutigen Stand ist die Klärung etwa folgender Problembereiche charakteristisch: Begriff und Selbstverständnis der Sozialpädagogik, das Verhältnis von Sozialpädagogik, Fürsorge und Sozialpolitik, Verwahrlosung, Gefährdung (z. B. durch Reizüberflutung, Kinderarbeit und Verkehr), die Grundbedürfnisse ,ohne deren Befriedigung keine geordnete Existenz geführt werden kann, z. B. Bedürfnisse der vitalen Existenz, Freiheit von Furcht, erotisch-sexuelle Beziehungen', fundamentale Erfahrungen, z. B. seelische Geborgenheit, >affektive Zufuhrc, Sprache, deren Ausbleiben zu seelischen und körperlichen Schäden führt, Qualitäten, die für die kulturelle Existenz unseres Kulturkreises als Bedingungen angegeben werden können, wie z. B. Vertrauen, Autonomie, Initiative, Intimität, Produktivität, Ich-Integrität, Anpassungsschwierigkeiten, Resozialisierung, Umlernen, Pflege, Fürsorge, Hilfe als Einzelfallhilfe (Casework) und Gruppenhilfe, Beratung usw. (1, 291 ff.). Ein besonders anspruchsvolles Gebiet der praktischen Sozialpädagogik und also ihrer Theorie ist die Heimerziehung. Sie ist derartig "kompliziert im Gefüge ihrer Maßnahmen, daß deren Anforderungen immer wieder als nicht zu bewältigen erscheinen. „Probleme der

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Größe, der Zusammensetzung der Kinder und Jugendlichen, der Gruppierungsformen, der Mitarbeiterschaft, der Koedukation, der Altersspannen, der psychologischen Begutachtung und Auswahl, der Geschlossenheit oder Offenheit" drängen sich hier unumgänglich auf und sind in Wirklichkeit kaum lösbar. Und dennoch gibt es keine Sozialpädagogik ohne Heimerziehung, auch und gerade heute (1,296). Eine erste k n a p p e E i n f ü h r u n g bietet: 1. K . Mollenhauer, A r t . „ S o z i a l p ä d a g o g i k " , in: P ä d 288 f f . , an dem auch unsere S k i z z e orientiert ist. V g l . f e r n e r : 2. Ders., A r t . „Sozialpädagogische Einrichtungen", in: P ä d 296 ff., u n d : 3. Ders., „ E i n f ü h r u n g in die S o z i a l p ä d a g o g i k " , 1964. Eine sachverständige, besonders die ethische P r o b l e m a t i k der S o z i a l p ä d a gogik im Blick behaltende E i n f ü h r u n g mit einer dezidiert eigenen Position bietet ferner: 4. E . Siegel, A r t . „ S o z i a l p ä d a g o g i k " , in: P ä d L e x 890 f f . H i e r ist wohl auch der richtige O r t , auf die heute in manchen Kreisen heftig diskutierte , G r u p p e n p ä d a g o g i k ' hinzuweisen. Ü b e r sie orientierten: 5. H . R ü d i g e r , A r t . „ G r u p p e n p ä d a g o g i k " , in: P ä d L e x 365 f. 6. K . Mollenhauer, J u g e n d h i l f e , ( P ä d Forsch 40, V ) 1968. 7. C . W. Müller, G r u p p e n p ä d a g o g i k , (Kleine P ä d . T e x t e 31) 1969.

8. Didaktik Didaktik scheint vielen noch immer die simpelste Disziplin der Pädagogik zu sein, nämlich die Lehre von der Technik des Unterrichtens, die Lehre von den handwerklich verstandenen Methoden erfolgreichen Lehrens; Didaktik und Methodik werden also identifiziert. Oft wird diese Didaktik-Methodik dann sogar als der eigentliche Inhalt von Pädagogik angesehen, so daß die Gleichung Pädagogik — Didaktik — Methodik entsteht: Pädagogik ist die Lehre von all den Kniffen und Rezepten, die helfen, einen bestimmten Stoff oder ein bestimmtes Können oder ein bestimmtes Verhalten auf die schnellstmögliche Weise so zu vermitteln, daß sie ,sitzen'. Derartige primitive Verständnisse von Pädagogik bzw. Didaktik finden sich heute in allen, auch den sog. ,höchsten' Bildungsschichten. Im schroffen Gegensatz hierzu steht die Tatsache, daß die Didaktik seit Langem zu einem intensiv und gleichsam auf höchstem Niveau verhandelten Problembereich der Erziehungswissenschaft geworden ist. Die seltsame Aversion unserer Gebildetenwelt gegen Pädagogik überhaupt findet deshalb in der Mißachtung dieses erziehungswissenschaftlichen Forschungsfeldes vielleicht ihren zugespitztesten Ausdruck.

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Die neuere Debatte über die Didaktik (und ihr Verhältnis zur Methodik) ist nicht leicht zu überblicken und zu durchschauen. Das liegt z. T. an der Qualität dieser Diskussion, z. T. daran, daß in ihr eine Fülle von Problemen ins Spiel kommt, die ihrem Thema sehr fern zu liegen scheinen, teils aber auch daran, daß die in ihr vertretenen Positionen immer noch recht divergierend sind. Unter diesen Umständen muß die geraffte Ubersicht über diese Diskussion, die W. Klafki (geb. 1927) in seinem Artikel „Didaktik und Methodik" des Fischer-Lexikons gibt, in ihrer Durchsichtigkeit eine erstaunliche Leistung genannt werden. Da Klafki außerdem selber zu unserer Debatte besonders wichtige eigene Beiträge geliefert hat, können wir kaum etwas besseres tun als uns in unserer hier angestrebten Unterrichtung von jener Ubersicht leiten zu lassen (1). ,Der Begriff Didaktik umfaßt die Fragen nach der Sinngebung, den Zielen und Inhalten des Lehrens und Lernens' (1, 50). Schon diese einfache Umschreibung macht deutlich, welche schwerwiegenden, großen Probleme ihren Gegenstand bilden. Didaktisches Denken hat deshalb auch in der abendländischen Kultur eine nicht geringe Geschichte. Es beginnt bei Sokrates, Piaton und Isokrates, besitzt bei den Römern, im Mittelalter und in der Reformation bedeutende Repräsentanten und beginnt dann im 17. Jh. vor allem bei Ratke und Comenius — von ihm stammt der moderne Begriff — seine bemerkenswerte Entwicklung in der Neuzeit (1, 50 ff.). In der gegenwärtigen Diskussion sind bei der Sinngebung des Begriffes im wesentlichen folgende vier Gruppen zu unterscheiden: .Didaktik ist die Wissenschaft und Lehre vom Lehren und Lernen in allen Formen und auf allen Stufen; Didaktik ist Bildungslehre, d. h. Theorie aller auf Bildung bezogenen Probleme (Ziele, Inhalt, Wege, Schulorganisation, freier Bildungserwerb, Büchereiwesen); Didaktik ist Wissenschaft vom Unterricht, bzw. >Allgemeine UnterrichtslehreBildungskategorienEs sei denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen< (Matth. 18, 3)' (2, 3). Grundlegend ist für Diem die Einsicht, daß Kindsein ,keine absolute Größe', sondern ,Bezeichnung einer doppelten Relation ist: der zum

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Vater- und Muttersein und der zum Erwachsenensein'. Die erste dieser beiden Relationen bedeutet biblisch nicht einfach einen biologischen Tatbestand. Vielmehr hat es das Kind in Vater und Mutter zugleich mit Gott zu tun. Und dies wiederum nicht so, daß Gott dabei seine Gottheit an die Eltern abträte, diese also zum Vater- und Muttergott würden. Schon im Alten Testament behauptet Gott seine Gottheit gegenüber der natürlichen Elternschaft. >Denn Vater und Mutter haben midi verlassen, aber der Herr nimmt mich auf< (Ps. 27, 10). Vollends eindeutig ist der Tatbestand dann im Neuen Testament. Hier wird jeder Schluß von der menschlichen Vaterschaft auf die Gottes unmöglich gemacht. Umgekehrt erhält hier ,alle Vaterschaft ihren Namen von dem göttlichen pater, der zudem ausdrücklich als der >Vater Jesu Christi< bezeichnet wird', Eph. 3, 15 (2, 4 f.). Da aber Vaterschaft genau so wie Kindschaft kein ,an sich Seiendes' ist, sondern eine Relation ist, ergibt sich, daß die Analogie zwischen der göttlichen und menschlichen Vaterschaft ,keine analogia entis, sondern eine analogia relationis' ist, d. h. eine Analogie .zwischen der menschlichen Vater-Kind-Relation als analogatum und dem göttlichen analogans, dem Vatersein Gottes, der ebenfalls nur Vater ist als der Vater Jesu Christi, also in Relation zu seinem Sohn' (2, 5). Diese Relation zwischen Gott und seinem Sohn ist kein nur ,inner göttlicher Sachverhalt, sondern diese Wesensart Gottes, sein Vatersein, will sich den Menschen mitteilen, so daß auch sie an ihr teilhaben'. Die Gotteskindschaft des Menschen, durch die der Sohn Gottes .Erstgeborener unter vielen Brüdern' wird (Rom. 8, 29), ist keine Schöpfungsqualität des Menschen, sondern ereignet sich für diesen durch das ,Mit-Verherrlichtwerden mit Jesus, in dem Gott sich als unser Vater erweist'; ein Mit-Verherrlichtwerden, das ,nur durch das Mit-Leiden mit Jesus, das Mit-ihm-Sterben, Mit-ihm-Begrabenwerden, Mit-ihm-Auferwecktwerden, Mit-ihm-Leben' geschieht (2, 6 f.). Daraus folgt: Die .Gottesebenbildlichkeit' des Menschen ist kein ,Zustand, den wir schon einmal besaßen, dann verloren und nun wiederzugewinnen hätten, sondern sie ist das, was Gott in seiner Schöpfergewalt und durch seinen Sohn verwirklicht hat, daß wir nämlich, wie wir Paulus sagen hören, >gleichgestaltet (auiXjJ.OQfpoug) werden dem Bilde seines Sohnes« (Rom. 8, 29)'. „Die Gottebenbildlichkeit liegt als Ziel, Verheißung und damit als Aufgabe nicht hinter uns, sondern vor uns" (2, 8 f.). Und dies bedeutet für das die Pädagogik so oft bewegende Problem der Sündhaftigkeit des Menschen: ,Die Kluft zwischen Gott und den Menschen wird nur dadurch und daran erkennbar, daß Gott selbst sie überwunden hat'. 10»

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„Sie wird uns also in ihrer ganzen Tiefe und in ihrem ganzen Ausmaß erst und allein erkennbar als von Gott faktisch überwundene und nur darum von uns potentiell zu überwindende." D . h . : Die übliche ,quantitierende' Fragestellung in der Erbsündenlehre kann nur als unevangelisch bezeichnet werden. ,Die Frage nach der Ebenbildlichkeit Gottes und dem Ausmaß ihrer Zerstörung und ihres Verlustes oder anders ausgedrückt, die Frage nach der Bedeutung der Erbsünde und ihrer Überwindung kann kein selbständiges Problem mehr sein, sondern diese ganze Problematik ist überboten, aufgehoben und eingeschlossen in jenem Mit-ihm-Sterben, Mit-ihm-Auferstehen, Mit-ihmVerherrlichtwerden' (2, 9 f.). Diem macht nun den Versuch, Hinweise auf die Bedeutung dieser von ihm konzipierten analogia relationis sowohl für die menschliche Kind-Eltern-Relation wie die menschliche Kind-Erwachsenen-Relation, d. h. aber für die Erziehung zu geben (2, 10 ff.). Er tut dies mit großer Vorsicht. Er meint nicht, als Theologe dem Pädagogen gleichsam sein Handwerk stehlen zu sollen. „Es ist vielmehr ihre [sc. der Pädagogen] Sache, nun in freier pädagogischer Forschung zu dem •göttlichen analogans das menschliche analogatum in der Vater-KindRelation aufzufinden." Diem tritt also in Folgendem gewissermaßen nur auf den Standort des wissenschaftlichen Pädagogen, um deutlichmachen zu können, daß es sich für den Pädagogen lohnt, von den Bekundungen des Theologen Notiz zu nehmen — eine Notiznahme, die dieser grundsätzlich in eigener Zuständigkeit zu vollziehen hat (2, 11). Verhältnismäßig einfach sind folgende Tatbestände zu verstehen. Die Teilhabe der Eltern an Gottes Schöpfermacht ist begrenzt: Sie zeugt kein ewiges Leben, sondern Leben, das zwischen Geburt und Tod eingegrenzt ist. Und sie zeugt nicht aus dem Nichts, sondern nur als Fortsetzung des Generationsverhältnisses mit seinen mannigfachen Determinationen. Dem elterlichen ,Willen und seiner Möglichkeit, das von ihm Geschaffene zu erhalten, sind damit unübersteigbare Grenzen gesetzt'. Das Kind kann Fürsorge der Eltern nur innerhalb dieser Grenzen erwarten. Es ist freilich eine allzu reichlich versäumte Aufgabe, diese Grenzen auszufüllen (2, 10 f.). Schwieriger ist es, in folgenden Sachverhalt einzudringen. Theologen wie Pädagogen ist das Problem der Freiheit aufgegeben. Der Theologe hat zu ,zeigen, was Freiheit in der göttlichen Vater-Sohn-Relation bedeutet*. Nämlich: nicht Willkür, sondern Selbstbindung Gottes ,in freier Liebe an die von ihm erwählten Menschen als Partner seines Bundes' und .Behaftung der Menschen bei diesem Bunde, auch wenn

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sie ihm entlaufen wollen'; ferner: Freiheit des Sohnes, ,dem Willen des Vaters zu gehorchen oder nicht zu gehorchen', die dieser Sohn bis zum Tode am Kreuze wahrnimmt; und schließlich: Freiheit der Kinder Gottes, ,die weder mit dem liberum arbitrium des Indeterminismus noch mit dem servum arbitrium des Determinismus zu tun hat', sondern Leben im Geist des Herrn (2. Kor. 3, 17) ist, d. h. Leben in der ,Geborgenheit durch den Vater und unter seinem gerechten und barmherzigen Willen' ( 2 , 1 1 f.). Der Pädagoge ist nun gefragt, ,ob er bei seinem Fragen nach der menschlichen Freiheit nicht etwa auf eine Analogie zu dieser Freiheit gestoßen ist'. Diem findet eine aufschlußreiche Antwort bei dem Kinderarzt Nitschke, der hier also anstelle des Pädagogen steht. Nitschke formuliert für das Kleinkind: „Die Freiheit, die sich in ihm [sc. seinem geborgenen Leben] verwirklicht, ist nicht die Freiheit der Entscheidung, nicht die Freiheit, sich zu einem Mensdien oder einer Situation so oder so zu verhalten — es ist die Freiheit als Möglichkeit, sich in einem Raum frei zu bewegen. Dieser Raum der Freiheit umfaßt jenen Bereich, den die Liebe der Mutter aus der übrigen Welt ausgrenzt, über den sie die schützenden Hände b r e i t e t . . . Nicht alles, was es gibt, wird damit durchsichtig, aber man kann das Unbegreifbare hinnehmen, weil das Eine geschenkt ist, was not tut: die Gewißheit des Geborgenseins. Nur einer Entscheidung bedarf es, damit das Kind in diese heimatliche Welt aufgenommen werde: der völlig vertrauenden Zustimmung zum großen Du der Mutter. In dieser Entscheidung begegnet ihm die paradoxe Erfahrung, daß, wer sich in solchem Einverständnis ganz bindet, ganz frei wird" (3, 473 f.). Diem differenziert diese Beobachtung des Pädagogen dann noch etwas, indem er warnt, ihretwegen voreilig von der Familie als einer ,Schöpfungsordnung' zu sprechen. Nicht die Familie als Institution schenkt diese Freiheit, die ja audi ,in der äußerlich intaktesten Familie fehlen' kann. Die ,Freiheit in der Geborgenheit', um die es hier geht, ist vielmehr ,nur dort vorhanden, wo man sich für sie entscheidet'. Nur als solche Entscheidung macht sie die Eltern-Kind-Relation ,zu einem analogatum der göttlichen Vater-Sohn-Relation'. Deshalb kann umgekehrt diese .Freiheit in der Geborgenheit' auch in der äußerlich nicht mehr intakten Familie, z. B. in der vaterlosen, bestehen und sie kann auch durch jene pädagogischen ,Lückenbüßer realisiert werden, die so oft heute für die versagende Familie einspringen müssen' (2, 14 f.). Wie gesagt, dies alles gilt für das Kleinkind. Auf dieses Kind wartet aber, wenn es heranwächst, unausweichlich die Erfahrung, daß die Geborgenheit, die ihm Freiheit schenkt, brüchig ist. Und zwar weil die

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Zuverlässigkeit der Erwachsenen brüchig ist. Diem zitiert wieder Nitschke: „In dem Augenblick, in dem Niedertracht und Schlechtigkeit offenbar werden, deren die Erwachsenen fähig sind, bricht die alte, gültige Ordnung, die Welt vertrauend-gläubiger Gemeinschaft unwiederbringlich zusammen und läßt den jungen Menschen einsam, auf sich selbst verwiesen, unter unbegreiflich gewordenen Erwachsenen . . . Jetzt hat die alte Gemeinschaft ihre selbstverständliche, unbezweifelbare Gültigkeit verloren — eine neue, andersartige wird zu schaffen sein, in der das Wissen von der Möglichkeit der Entzweiung lebt" (3, 477). Damit stünden wir dann vor der zweiten Relation, die Diem, wie wir sahen, ins Auge faßt, wenn er das Kindsein als Modus des Menschseins begreift: der Relation Kindsein-Erwachsensein. Noch einmal muß Diem an dieser Stelle von der Erbsünde reden, und er nimmt die Gelegenheit wahr, sidi endgültig von jenen Theologumena zu trennen, die den Pädagogen so viel zu schaffen machen. Er knüpft an Matthäus 7, 11 an: „So denn ihr, die ihr doch arg seid (jtovriQoi), könnt dennoch euren Kindern gute Gaben geben, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten". Dieses .dennoch' gilt auch für gute Gaben, die der Erzieher den Kindern zu geben vermag ,. . . das soll uns davor warnen, den Pädagogen mit seinen Bemühungen mit Hilfe der Lehre von der Erbsünde in eine Nacht zu verweisen, in der alle Katzen grau sind, d. h. alle Unterschiede in diesem Gutes-tun-Können für belanglos zu erklären. Diese Unterschiede gibt es durchaus und wir haben allen Grund, sie bei der Frage nach den pädagogischen Möglichkeiten zu beachten.' Aber: Wir können ,weder aus unseren Erziehungserfolgen auf einen Rest von Gottesebenbildlichkeit beim Menschen schließen noch aus unseren Niederlagen jene radikale Erbsündenlehre ableiten, nach welcher der Mensch nur ein truncus et lapis ist.' Vielmehr gilt hier nur die Erinnerung daran, ,daß wir von dem wirklichen Zustand des Menschen und von der ganzen Tiefe des Zwiespaltes, der durch unsere Welt geht, nur von daher wissen, daß Gott ihn durch die Offenbarung seines Vaterseins in der Passion und Auferstehung seines Sohnes aufgedeckt und zugleich in der Ermöglichung unserer Gotteskindschaft überwunden hat. Und darum haben wir jenes >dennoch< positiv zu bewerten und jeden nur möglidien pädagogischen Gebrauch davon zu machen' (2, 16 f.). Das bedeutet konkret: Die Kluft zwischen der Welt des Kindes und der Erwachsenenwelt kann überbrückt werden. Durch jene ,das VaterKind-Verhältnis übergreifende Solidarität' zwischen beiden, die durch

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das .Angebot der Geborgenheit in der Freiheit der Kinder Gottes' gestiftet wird. Diese Solidarität verträgt durchaus eine Vorordnung des Erziehers er hat als Pädagoge die Nöte der Angst und der Friedlosigkeit in ihrer für das Kind spezifischen Art zu kennen und sich um alle Hilfsmittel zu deren Bewältigung zu bemühen, welche seine Wissenschaft ihm bietet." Aber diese Vorordnung wird, wenn sie wirklich Ausdruck jener Solidarität ist, doch immer wieder umschlagen in eine menschlich-persönliche Unterordnung unter das Kind. Dann nämlich, wenn der Erwachsene spürt, daß er für das Kind ,zu erwachsen' ist, d. h. meint, für sich selbst die Geborgenheit in der Freiheit der Kinder Gottes entbehren zu können. In dieser Situation gibt es für ihn nur eine Rettung, d. h. nur eine Möglichkeit, in die Solidarität mit dem Kinde zurückzufinden: ,von dem Kind die Bereitschaft und Offenheit für das Beschenktwerden zu lernen'. Das ist der Sinn des MatthäusTextes 18, 3: „Wahrlich ist sage euch: Es sei denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen." (2, 17 f.) — Gleich dies erste Beispiel einer Kooperation von Theologie und Erziehungswissenschaft (hier besonders vertreten in Gestalt der Kinderheilkunde) scheint mir einige Regeln recht deutlich werden zu lassen, die sich bisher für diese Kooperation ergeben haben. Zunächst: Der Theologe bemüht sich mit einiger Sorgfalt, dem Erziehungswissenschaftler nicht ins Handwerk zu pfuschen. Nicht nur, daß selbst die leisesten Versuche vermieden werden, der Pädagogik Normen zu setzen; auch das besserwissende Hineinreden in die erziehungswissenschaftliche Arbeit ist mit großer Sicherheit ausgeschlossen. Der Theologe ist bemüht, vorurteilslos wahrzunehmen, was der Pädagoge zu sagen hat. Und dennoch werden die Aussagen des einen und des anderen nicht einfach auseinanderdividiert. Vielmehr waltet das klare Bestreben, beide zueinander in Beziehung zu setzen, d. h. zu zeigen, wo und wie bestimmte theologische Einsichten in der Pädagogik, ganz vorsichtig ausgedrückt, Äquivalente finden. Vorsicht ist hier deshalb nötig, weil — wie es bei Diem vorbildlich der Fall ist — auch der Anschein vermieden werden muß, als würde der Pädagogik hier eine Unselbständigkeit suggeriert, die sie auf einem Umweg dann doch in eine neue Abhängigkeit von der Theologie hineinmanövriert. Diem meint weder der Pädagogik ein Licht aufstecken, noch ihr einreden zu müssen, daß ihre Einsichten .eigentlich' christlich seien. Er bemerkt gelegentlich zu einer These des Kinderarztes Nitschke: „Daß er dabei nur seine pädagogischen Erfahrungen zu klären versucht, ohne sie

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christlich oder theologisch deuten zu wollen, ist mir hier besonders •wichtig" (2,13). D. h. doch nichts weniger als dies: Nitschkes Einsichten gewinnen für Diem gerade dadurch an Überzeugungskraft, daß sie nicht theologisch begründet werden. Die Kooperation besteht hier also in einer gegenseitigen Bestätigung. Freilich braucht sie nicht immer so ausgehen. Sie kann auch darin bestehen, daß der Theologe dem Pädagogen zu Einsichten verhilft, auf die dieser nicht selber kam. Sie kann umgekeht darin bestehen, daß der Pädagoge dem Theologen zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses von Erziehung und Glauben verhilft. Sie kann selbstverständlich auch in gegenseitigen Korrekturen bestehen. Es käme bei dieser korrigierenden Kooperation nur darauf an, daß die Gegenseitigkeit auch dadurch wirklich möglich bleibt, daß der Theologe nicht etwa als solcher eine Prärogative beansprucht (weil er allein doch „ewige" Wahrheiten, der Pädagoge nur zeitliche' zu verlieren hat o. ä.). Daß eine solche Kooperation immer auch die Aufgabe einer gegenseitigen Orientierung übereinander erfüllt, bedarf nur deshalb der Erwähnung, weil die Gewichte in dieser Hinsicht z. Z. etwas ungleich verteilt zu sein pflegen. So orientiert, wie Diem sich hier über Grundpositionen der heutigen pädagogischen Anthropologie des Kindes zeigt, erweist sich die Theologie, besonders die Universitätstheologie, nicht immer. Generell darf man vielleicht sagen, daß sich in der gegenwärtigen Erziehungswissenschaft mehr theologische Kenntnisse zur Geltung bringen als pädagogische Kenntnisse in der Theologie. Und sicher ist das, was wir hier Kooperation nannten, die beste Weise, die gegenseitige Orientierung übereinander zu bereichern und zu vertiefen: Bloße Orientierungsabsichten pflegen weniger zu leisten. Im übrigen werden im Folgenden noch alle hier genannten Weisen der Kooperation zwischen Theologie und Erziehungswissenschaft zur Geltung kommen, auch die wechselseitig kritischen. 1. M. J. Langeveld, Kind und Jugendlicher in anthropologischer Sicht. Eine Skizze (Päd Forsch 11), 1959. 2. H. Diem, Was sagt die theologische Anthropologie dem Erzieher über das Kind? in: Diem — Langeveld, Untersuchungen zur Anthropologie des Kindes (Päd Forsch 15), 1960. 3. A. Nitschke, Die Bedeutung der Familie für die frühe Kindheit, in: Slg, 1956, 465 ff. 4. M. J. Langeveld, Das Kind und der Glaube, 1959. 5. J. Fangmeier, Erziehung in Zeugenschaft — Karl Barth und die Pädagogik, 1964, 528 ff. („Theologische Anthropologie des Kindes"). 6. K. Aland, Die Stellung der Kinder in den frühen christlichen Ge meinden — und ihre Taufe (Theologische Existenz heute 138), 1967.

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7. R. Süssmuth, Zur Anthropologie des Kindes — Untersuchungen und Interpretationen (Schriften des Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik), 1968. Vgl. auch die Literatur zu § 8,2, § 19 und § 22, 2d. §18

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Weit mehr theologisdies Interesse als die Anthropologie des Kindes hat in den letzten Jahrzehnten das Phänomen der Erziehung gefunden. Deshalb — d. h. weil theologische Arbeiten über diesen Gegenstand aus neuerer Zeit relativ leicht zugänglich und auch bekannt sind — dürfte es praktisch sein, gerade bei ihm einmal einen Blick in die Geschichte zu tun, jener Historie also, an der heute verhältnismäßig wenig Interesse besteht und deren Kenntnis und Verständnis doch unerläßlich ist, wenn systematische Entwürfe der Gegenwart wirklich stichhaltig werden sollen. Ein glücklicher Zufall will es, daß wir über Martin Luthers, also der audi für das Erziehungsdenken des Protestantismus zentralen geschichtlichen Figur, Ansichten über die Erziehung und deren Beziehungen zum christlichen Glauben eine neuere Untersuchung von grundlegender Bedeutung besitzen: das Buch des norwegischen Theologen Ivar Asheim (geb. 1927) „Glaube und Erziehung bei Luther" (1). ,Grundlegend' kann man die Bedeutung dieses Werkes deshalb nennen, weil sein Thema zum erstenmal aus der theologischen Gesamtanschauung Luthers heraus entwickelt ist, und zwar von einem Autor, der diese Gesamtanschauung ebenso wie die historisch-kritischen Methoden moderner Lutherforschung hinlänglich beherrscht. Hinzu kommt als für unseren Zusammenhang besonders wichtig, daß der Verf. sich an unserem Generalproblem des Verhältnisses von Theologie und Erziehungswissenschaft besonders interessiert erweist. Er kennt nicht nur die historische Literatur zu seinem Thema, sondern auch die religionspädagogische Problematik der Gegenwart und läßt seinen Blick von dieser mitbestimmt sein. Nicht zu Unrecht trägt sein Buch den Untertitel „Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Pädagogik". Anders gesagt: Es handelt sich um eine historisch-systematische Untersuchung mit der Blickrichtung auf unser Generalproblem. Insofern ist sie zugleich ein moderner Beitrag — des Verfassers nämlich — zu dieser Generalproblematik. Das gilt auch und gerade, obwohl Asheim nicht darauf aus ist, die ,Aktualität' seiner Arbeit möglichst handgreiflich zu machen. E. Wolf hat Recht, wenn er in seinem Geleitwort feststellt: „Man kann dieser an wertvollen Beobachtungen so reichen und methodisch so sorgsamen

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Untersuchung nur -wünschen, daß sie durch ihre bewußte Zurückhaltung gegenüber der Versuchung, Luther praktisch >auszuwerten«, in viel höherem Maße die Aktualität von Luthers theologischen Erziehungsgedanken entbindet. Damit übt die strenge Forschung den helfenden Dienst wegweisender >Lehreverbum crucis«, das ein Gnadenwort ist, aber doch nur als >virga ferreaverkehrte Form< zerstört, um sie in eine neue, G o t t wohlgefällige zu überführen'. Dieser ,seiner Gestalt wegen ist also das Gnadenwort in sich selbst ein pädagogisches Wort, ein W o r t >utilis ad docendum«' (1, 4 9 ) , wobei freilich das Belehrtwerden identisch ist mit einem Verwandeltwerden. D i e Unterscheidung von Pädagogie und Unterweisung Gottes ist also nur begrifflicher N a t u r . D i e Realität der Pädagogie Gottes vollzieht sich durch seine Unterweisung. So bleibt es also dabei, daß die ,Lehre des Glaubens' über die E r ziehung die natürliche pädagogische Vernunft keineswegs zu ersetzen, zu korrigieren oder auch nur zu bereichern trachtet. Die ,zweite Gedankenreihe' Luthers, die zu seiner Oeconomia Christiana führt, in der audi das einbegriffen ist, was w i r Pädagogik nennen, ist nur für den .ganz oberflächlichen Blick eine Konkurrenz der ersten Gedankenreihe, in der die pädagogische Vernunft dem theologisch unbelehrten Pädagogen zugesprochen wird. D e m tiefer dringenden Bilde ergibt sich, daß die zweite Gedankenreihe gleichsam einen anderen Aspekt, fast einen anderen Gegenstand hat als die erste, nämlich den Menschen — in unserem Falle als Erzieher — in seinem Gottesverhältnis. D i e zweite Gedankenreihe, die Lehre des Glaubens von der Erziehung ist keine ,christliche Pädagogik' sondern in strengem Sinn des Wortes Theologie. Luthers christliche Lehre von der Erziehung ,wird in gewissem Sinne zu einer Lehre von Gottes Erziehung' ( 1 , 1 6 0 ) .

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Bedeutet dies, daß Luthers christliche Lehre von der Erziehung, also die zweite Gedankenreihe, für die Erziehung, die aus der ersten Gedankenreihe, also aus der pädagogischen Vernunft heraus geschieht, ohne praktische Bedeutung ist, daß beide Gedankenreihen gleichsam gegeneinander völlig isoliert sind, die eine, wie man dann leicht sagt, das äußere pädagogische Tun regiert, die zweite die Innerlichkeit' der Beteiligten? Keineswegs. Asheim arbeitet drei praktische Berührungspunkte beider Gedankenreihen heraus. Erstens: Die Lehre des Glaubens über die Erziehung verschärft und vertieft die ,Ermahnung' des Pädagogen und die .Bestätigung' — diese bleibt erhalten! — seiner Kunst in einer ganz spezifischen Weise. Sie lehrt den Pädagogen nämlich, seine pädagogische Vernunft als donum Dei, nicht als ,eigene Weisheit' verstehen. Der Erzieher bleibt durch sie aufgerufen, seinen Auftrag wahrzunehmen mit allem Vermögen, das ihm der Schöpfer gab, aber er wird zugleich aufgerufen ,zur Umkehr von seiner >eigenen Weisheit«, zu der ihn die Anfechtung nach Gottes Willen erziehen soll' (1, 161 ff.). Zweitens: Die Lehre des Glaubens über die Erziehung gibt dem Tun des Pädagogen die Qualität einer cooperatio Dei, einer Zusammenarbeit mit Gott. Der Mensch ist nicht MitSchöpfer mit Gott, sondern dessen Geschöpf. Wohl aber will Gott den Menschen zu seinem Instrument haben. „So ist z. B., konkret gesprochen, Gott der eine, wahre Vater. Aber in seiner Güte gibt er Menschen Anteil an seiner Vaterschaft und benutzt sie als seine Werkzeuge, die Kinder zu erziehen" (1, 166). Diese cooperatio Dei befreit den Menschen aus der furchtbaren Alternative, angesichts seines pädagogischen Sdieiterns entweder der Tyrannei (furor) oder der Verzweiflung (desperatio) zu verfallen; sie ist eine >via media«, die er getrost zu Ende gehen kann (1, 168). Drittens: Beides, also das Ergreifen der pädagogischen Vernunft als donum Dei und der Eintritt in die cooperatio Dei sind also angewiesen auf die Güte Gottes, die in die Umkehr führt und das Scheitern überwindet. „Dies bedeutet, daß alles theologische Reden von den Aufgaben der Erziehung eine Rückendeckung in der Evangeliumsverkündigung haben muß. Auch auf die Not des Berufslebens ist im eigentlichsten Verstand das Evangelium die Antwort. Zwar soll man sich, um trotz aller täglichen Beschwerlichkeiten seine Aufgaben mit Treue und mit Freude ausrichten zu können, Gottes Gebot vor Augen halten. Aber dies kann man doch erst, wo man vom Evangelium her der Güte und Gnade Gottes gewiß ist" (1, 199).

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Der so gefundene theologische Aspekt der Erziehung wird dann von Asheim in einem dritten Teil seines Buches „Die Erziehung als ein von Gottes Gegenwart getragenes Geschehen" (1, 202 ff.) entfaltet. Zunächst anthropologisch in grundlegenden Untersuchungen über ,den Menschen als Bild Gottes' und ,das Kind', sodann in einem Abschnitt über,Erziehung in theologischer Deutung'. Wir wenden uns sofort dem dritten Abschnitt zu, möchten aber nachdrücklich darauf hinweisen, daß besonders in den anthropologischen Erörterungen über ,das Kind' eine Reihe von ungemein glücklichen Funden stecken, die sehr genauer Beachtung wert sind. Gottes Gegenwart im Geschehen der Erziehung hat einen doppelten Ort. Sie ist einmal da im ,Kinder regieren' (1, 248 ff.). Damit ist jenes Vermögen der pädagogischen Vernunft gemeint, das ,Kinder durch ein festes, aber kluges Regiment > innerhalb der Grenzen des Standes« hält, bzw. sie >zur Zucht« erzieht. Daß dieses Vermögen für Luther nicht einfach sanktionierte ,Natur' ist, sahen wir bereits darin ausgedrückt, daß es für ihn ein Donum Dei darstellt. Dies kann aber noch vertieft werden. Es wird zum Donum Dei durch das Wort. Es ist — dabei bleibt er — weltlicher Qualität. Aber es erhält diese Qualität erst durch das Wort. Und zwar durch das Schöpfungswort Gottes. Und dieses Schöpfungswort Gottes steht weder nur am Anfang der Menschheit noch nur am Anfang des einzelnen Menschen. Vielmehr ist es ein beständiges Schöpfungswort, das auch im Akt des ,Kinder regierens' am Werk ist. Wenn Luther von den Eltern sagt, sie handelten ,an Gottes statt', dann heißt dies nicht, daß ,die Eltern gleichsam Gott vertreten an einer Stelle, wo er selbst nicht ist, sondern er meint, daß Gott sidi mit ihnen wie mit einer Maske verkleidet, um dem Kinde mit seinem Wirken nahezukommen . . .' (1, 252). Diese Weise der Gegenwart Gottes im Wort ist durchaus vergleichbar mit seiner Gegenwart im Wort des Sakraments; nur daß es sich eben im einen Falle um die .Schöpfergegenwart' im anderen um die ,Erlösergegenwart' handelt (1, 251). Das bedeutet auch, daß die Eltern durch diese Lehre — übrigens wie alle ,Stände', von denen Luther spricht, — nicht glorifiziert werden. Nicht sie werden über die Kinder erhoben, sondern Gott steigt in ihrem Handeln zu den Kindern herab. Und damit wiederum hängt zusammen, daß man Recht und Pflicht der Eltern, ihre Kinder ,zur Zucht zu erziehen', nicht zu simpel patriarchalisch verstehen darf. Luther fügt sidi gewiß in seinem Verständnis der Familie in die patriarchalische Tradition. Aber gerade deshalb ist es bemerkenswert, daß er diesen Patriarchalismus auch relativiert. 11

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Jenes Recht und jene Pflicht werden von ihm nicht aus dem .Eigentum' der Eltern an den von ihnen gezeugten Kindern hergeleitet, auch nicht aus ihren Leistungen für diese Kinder, auch nicht aus der sozialen Bedeutung der Familie, sondern aus dem Elternawi. Und dieses Elternamt wurzelt allein ,in dem Wollen und Ordnen Gottes, so wie es uns im vierten Gebot geoffenbart ist' (1, 249 f.). „Das ist der entscheidende Punkt in Luthers Gedankengang: Der Elternstand hat seine Würde von Gottes Wort in seinem Gebot. Die Würde des Standes ist keine andere als die, die dem Worte Gottes zukommt" (1, 250). Das gebietende und schaffende Wort Gottes sind also unerläßlich ineinander verschlungen. „Die Befehle Gottes — und dann natürlich auch der Befehl an die Kinder, das vierte Gebot — sind m. a. W. als eine Weise verstanden, in der Gott seiner Sdiöpfergüte freien Lauf verschafft" (1, 253). Erziehung ist eine ,Gestalt des weltlichen Regiments': „Das Regiment, dem die Kinder in der Erziehung unterstehen, ist als elterliches Regiment zugleich das Regiment des in diesem Stand gegenwärtigen Schöpfers. Verborgen in die >Maske< der Eltern regiert sie Gott selbst" (1, 254). Damit wird jede nur rationale Sicht der Erziehung wesentlich vertieft. Es taucht ein Sinn von Erziehung auf, der sich nur dem Glauben erschließt: Erziehung sollte sein: ,Erziehung zu Gottes Dienst, d. h. zu einem sich von Gott bestimmen und gestalten lassenden Leben'. „Zu >Gottes Dienste wird das Kind erzogen, indem es in Stände hineingeführt (oder in Ständen bewahrt) wird, an die Gott >sein Wort gehängte hat, d. h. wo er gegenwärtig ist und durch das Kind sein Werk ausrichten will" (1, 254). Die Vertiefung der bloß rationalen Sicht der Erziehung, von der wir sprachen, ist also keine solche allgemein-religiöser' Art, sondern eine durch das Wort, das Wort der Hl. Schrift, bewirkte. Damit wird — parallel zur Relativierung der Elternautorität — auch die Gehorsamspflicht der zu Erziehenden relativiert. Das vierte Gebot steht unter dem Vorrang, also der vorzüglichen Geltung der ersten drei. Im Notfall, d. h. ,wenn es nicht anders möglich ist, an der ersten Tafel festzuhalten, muß die zweite Tafel verletzt werden. Festzuhalten ist nur immer, daß es sich bei diesem ,Kinder regieren', diesem ,>Zur Zucht< erziehen', obwohl auch sie im Wort des Allmächtigen verwurzelt werden, nicht um die eigentliche Pädagogie Gottes handelt, nicht um die >Formung< des Eigentlich-Menschlichen', die es ,mit der Sünden- und Gnadenerkenntnis zu tun hat'. Auch die vom Wort regierte menschliche Erziehung hat es immer ,nur mit dem äußeren Menschen zu tun' (1, 261 f.). „Ihre Anwendung des Gesetzes Gottes hat sich auf den

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>usus externus< zu beschränken, d. h. sie muß da, wo sich die Frage nach dem guten Gewissen im Angesicht des allwissenden Gottes erhebt, halt machen" (1, 263). „Ihre Aufgabe ist es, eine gewisse äußere Ordnung und Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten, den Menschen >äußerlich frommchristlich< erziehen' methodisch möglichst gut macht. Seine diesbezüglichen Anregungen sind von großer Lebendigkeit und verraten viel von den großen pädagogischen Gaben, die er besaß. Aber es handelt sich dabei nie um Weisungen, die mit methodischer Sicherheit, also mit Zwang, zu den gewünschten Ergebnissen führen. Vielmehr liest er nur von seinem Gegenstand die ihm angemessenen Methoden ab, ohne mehr von diesen zu erwarten als eben diese Angemessenheit. „Der N e r v dieser Methodik ist, daß sich die Schrift selbst von ihrem eigenen Zentrum her erschließt, so daß der Pädagoge nichts weiteres zu tun hat, als der Selbstentfaltung der Sache in pädagogischer Weise nachzugehen" (1, 278). Hier gehen also durch das Gesetz der Sache pädagogische Erwägungen in theologische über oder, umgekehrt, theologische in pädagogische. „Das >Wort Gottes« ist nicht eher zu seinem vollen Recht gekommen, als mit ihm erziehend unterrichtet wird, da das Phänomen der Erziehung sozusagen schon im Begriff >Wort Gottes« liegt. . . {1, 283)" insofern dieses Wort eben im Menschen wirkt, ihn als Menschen ändert — freilich eine Erziehung sui generis. Damit ist schließlich auch deutlich, daß Luthers Warnungen vor dem Zwang beim »christlich« erziehen nicht einfach in seinem Respekt vor der Innerlichkeit des Menschen begründet ist. Diesen Respekt besitzt Luther auch; und z w a r gerade gegenüber jungen Menschen. Aber es geht ihm bei diesen Warnungen noch um etwas Größeres, nämlich um die „Ehrfurcht vor dem gegenwärtigen Gott, der jeder Seele allein begegnen und ohne jede Einmischung menschlicher Autorität über sie herrschen will" (1, 289). So liegt der Unterschied zwischen dem ,kinder regieren' und ,christlich erziehen' nun offen zu Tage (1, 292 f). Das eine ist ein weltlich, das andere ein geistlich Ding. Das eine findet Luther vor, eine ,Sache der Vernunft', die er ,vom evangelischen Glauben aus nur vertieft'. Das andere lernt Luther erst ,durch seine Beschäftigung mit dem »Gegenstand« der evangelischen Unterweisung kennen und verstehen.

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„Die Erziehung, um die es hier geht", also das ,christlich erziehen', „kann nur eine Erziehung mach der Art Gottes< im Gegensatz zu der nach >Art der Menschen« sein. Ihre Struktur läßt sich daher nicht allein durch H i l f e der Vernunft oder m. a. W. der Philosophie feststellen. Als eine Erziehung, die ihren Ursprung in Inhalt und Wirkungsart Gottes hat, kann sie erst durch ein Nachdenken über dieses Wort, d. h. durch Theologie, herausgearbeitet werden. Etwas anderes ist es, daß in diese Struktur dann auch allgemein-pädagogische Regeln eingebaut werden können, wie es bei Luther ja auch geschieht" (1, 293). Aber: Gott handelt im ,Kinder regieren' ebenso wie im ,>christlich< erziehen'; das eine Mal als Schöpfer, das andere Mal als Erlöser. U n d zu beidem H a n d e l n nimmt er den Menschen in Dienst. Asheim f a ß t die Ergebnisse seiner Untersuchung folgendermaßen zusammen (1, 309 ff.): 1. So deutlich Luther .weltliches' von .christlichem' erziehen unterscheidet, so scharf er .weltliche' Wahrheit und Evangelium trennt, so sehr er betont, daß Aufklärung über Erziehungsfragen etwas anderes ist als christliche Verkündigung, so wenig tritt er doch ,einen kirchlichen Rückzug aus einem seiner Eigengesetzlichkeit überlassenen Bereich der Erziehung' an. Vielmehr .fordert er im gleichen Atemzug, in dem er die Abgrenzung vollzieht, eine energische, gegenwartsnahe und konkrete kirchliche Ermahnung zu dem guten Werk der Erziehung — wobei seiner Auffassung nach diese Ermahnung freilich nie die Grenze des Appells an die freie, im Naturgesetz verankerte Verantwortung überschreiten darf'. „Damit ist der Erziehung ihr O r t innerhalb der christlichen Verkündigung und Theologie angewiesen, so daß sie im Blickfeld des Glaubens bleibt" (1, 309). 2. Die spezifische Bedeutung des Evangeliums (1, 309 f.) f ü r die Erziehung liegt also gerade nicht darin, daß es dieser Normen vorschreibt und Wege weist, diese zu erfüllen. Die Frage, .Was soll ich tun?' wird f ü r den Erzieher von der pädagogischen Vernunft beantwortet. Erst wenn er die tiefere Frage stellt .Wie kann ich angesichts der täglichen Anfechtungen in meinem Beruf beständig bleiben?' kommt f ü r ihn in den Blick, was das Evangelium f ü r ihn als Erzieher bedeuten kann. „In diesem zentralen Lebensproblem des Erziehers, das in Wirklichkeit das Grundproblem auch der Erziehung darstellt, entdeckt Luther eine Variante des Rechtfertigungsproblems, dessen einzige Lösung in dem Glauben an das Evangelium zu finden ist, und zwar in dem Glauben an das einmalige Evangelium, an die sich von allen anderen Lehren qualitativ unterscheidende christliche Lehre" (1. 309).

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3. Es ist mithin nach Luthers Überzeugung nicht möglich, ein christlich-pädagogisches System zu entwerfen (1, 310). Denn ein solches System ,würde ein Idealbild des Menschseins zur Voraussetzung haben', das in der Begegnung mit Gott, der der Vater Jesu Christi ist, gerade zerbricht. Luther ,führt uns das Ziel des Menschen in der alles idealistische Denken ausschließenden Gestalt des gekreuzigten und auferstandenen Christus vor Augen'. Und auch dies Bild des angefochtenen Christus darf nicht — ,etwa in der Gestalt eines nach existenzphilosophischem Modell verstandenen Sterbens und Auferstehens' — zum pädagogischen Leitbild gemacht werden'. 4. Die christliche Aufgabe gegenüber der Erziehung ist, äußerlich gesehen, sehr viel bescheidener, als der Entwurf eines christlich-pädagogischen Systems es wäre. Sie besteht (1, 310) a) in dem ,Ermahnen' und bestätigen' der Erzieher, b) in der Hilfe bei der Anfechtung im pädagogischen Beruf, c) in der Sorge für die christliche Unterweisung. Die Sorge für die christliche Unterweisung unterscheidet sich insofern von den beiden anderen Hilfen, als sie eine ,direkt kirchliche Erziehungsaufgabe' betrifft, während es sich bei jenen ,um eine kirchliche Hilfe für die Erzieher in ihren Erziehungsaufgaben' handelt. 5. Mit der Bestimmung dieser dreifaltigen christlichen Aufgabe gegenüber der Erziehung hat Luther das Phänomen der Erziehung überhaupt einer theologischen Interpretation erschlossen (1, 310 f.). Das gilt also auch für die ,weltliche Erziehung'. Beachtet muß dabei allerdings werden, daß diese ,weltliche Erziehung' zu Luthers Zeit relativ ideologiefrei ist. Es gibt damals eine verhältnismäßig selbstverständliche, nüchtern-realistische Einschätzung der Reichweite der Erziehung, die eine Offenheit gegenüber einer christlichen Existenzdeutung bedeutet'. „An diese Offenheit anknüpfend erhält bei Luther die theologische Interpretation die Funktion, das Wissen um die Grenzen menschlicher Erziehungsarbeit und -vollmacht zu vertiefen und von dem christlichen Glauben aus zu begründen, so daß die Erziehung als ein >Gottes-Dienst< erscheint; dies wiederum schließt pädagogisch die Befürwortung einer gewissen mit einer realistischen Grundhaltung verbundenen erzieherischen Zurückhaltung ein, die ihre Kraft in dem Glauben an die Mächtigkeit der geschichtlichen Mittel hat, durch die Gott mit uns handeln und unserm Leben die Gestalt geben will, die nur er kennt" (1, 311). 6. Luthers theologische Grundkonzeption führt also gegenüber dem geläufigen »philosophischem Erziehungsbegriff zu einer grundsätzlich rezeptiv-deutenden Haltung'. Anders steht es bei der christlichen

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Unterweisung (1, 311). Hier wird die Theologie »schöpferisch*, ,indem sie die Eigenart des geistlichen Regierens, dem die Unterweisung zu summieren ist, im Unterschied zu dem rational-weltlichen Regieren scharf herausarbeitet'. ,In bezug auf die christliche Unterweisung sind durch sie die adäquaten pädagogischen Kategorien in einer theologischen Reflexion über Inhalt und Funktion des Wortes Gottes nach dessen eigener Selbstdarstellung herauszuarbeiten, wie dies etwa in Luthers Exegese von Eph. 6, 4 geschieht' (1, 311). Diese Zusammenfassung Asheims läßt vielleicht besonders deutlich hervortreten, wie .aktuell' tatsächlich Luthers Gedanken über das Verhältnis von Erziehung und christlichem Glauben sind. Nicht nur, daß Luther eine Reihe von Grundproblemen sieht, die, ihres zeitgeschichtlichen Gewandes entkleidet, zugleich die unseren sind. Auch wie er diese Probleme formuliert und wie er sie löst, ist lehrreich für uns. Das dürfte vor allem daran liegen, daß sich unsere Problematik der Säkularisation der Erziehung als in Luthers Theologie der ,Weltlichkeit' der Erziehung verwurzelt erweist. Es kommt nur alles darauf an, nicht zu vergessen, daß, was heute Säkularisation der Erziehung heißt, in seiner Entwicklung aus dieser Wurzel heraus nidit mehr einfach Luthers ,Weltlichkeit' geblieben ist. Die säkularisierte Pädagogik von heute ist für eine theologische Interpretation im Stile Luthers nicht mehr selbstverständlich offen und deshalb für die Theologie auf eine neue Weise zum Problem geworden. Außerdem nimmt selbstverständlich auch die heutige Theologie der Erziehung an der Problematik teil, die generell durch die Verwobenheit von Luthers Denken in das Denken des 16. Jh.s gegeben ist. Es ist uns also nicht nur aufgegeben, Luthers Thesen in unsere Situation ¿¿»«'«zudenken, sie müssen für diese unsere Situation auch «mgedacht werden. Wer aber dieses Umdenken ernstnimmt, wird immer wieder zweierlei erfahren. Einmal, daß Luthers Erziehungsdenken gerade dann, wenn man es redlich Denken des 16. Jh.s sein läßt, von erstaunlicher Fruchtbarkeit für das heutige Erziehungsdenken ist. Noch hat sich, soweit ich sehe, keine Theologie der Erziehung auch nur angekündigt, die die Gegenwartsproblematik der Pädagogik umfassender und produktiver zu erörtern vermöchte, als das von den Grundeinsichten Luthers her möglich ist, weshalb auch dieses Budi sein Fundament in dieser Grundeinsicht hat. Ja, es gibt dann — zweitens — sogar die Erfahrung zu machen, daß Luthers Erziehungsdenken dem unseren nicht nur in seiner Gegenwartsproblematik zu helfen vermag, sondern sich sogar als dieser noch vorauseilend erweist. Es liegt offenbar ein

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ähnlicher Tatbestand vor, wie auf dem Gebiet der biblischen H e r meneutik. Wer Luthers Exegese ein wenig kennt, dem sind die Grundprobleme der sog. modernen Bibelexegese nicht unvertraut und der dürfte auch mindestens ahnen, daß diese moderne Bibelauslegung einige exegetische Fundamentaleinsichten Luthers — z. B. auf dem Gebiet des Alten Testaments — noch vor sich hat. Vergleichbare Phänomene gibt es auch in Luthers Erziehungsdenken. Audi in diesem trifft man — z. B. auf dem Gebiet einer Anthropologie des Kindes — auf Fragestellungen und Thesen, die unserm heutigen Erziehungsdenken offenbar vorausgreifen. 1. Ivar Asheim, Glaube und Erziehung bei Luther — Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Pädagogik (Päd Forsch 17), 1961. 2. F. Delekat, Theologie und Pädagogik, 1956. 3. O. Hammelsbeck, Evangelische Lehre von der Erziehung, 1958 2 . 4. M. Stallmann, Christentum und Schule, 1958. 5. Ders., Art. Evangelische Pädagogik, in: Päd 82 ff. 6. G. Bohne, Grundlagen der Erziehung — Die Pädagogik in der Verantwortung vor Gott, Bd. 1 : Die Wahrheit über den Menschen und die Erziehung, 1958 2 ; Bd. 2: Aufgabe und Weg der Erziehung, i960 2 . 7. J. Fangmeier, Erziehung in Zeugensdiaft — Karl Barth und die Pädagogik, 1964. 8. H. Niederstrasser, Kerygma und Paideia — Zum Problem der erzieherischen Gnade, 1967. 9. K. Petzold, Die Grundlagen der Erziehungslehre im Spätmittelalter und bei Luther (Päd Forsdi 42), 1969.

§19

Bildung

Obwohl das zunächst nur befremdlich erscheinen kann, wird der Theologe auch bei einer Besinnung über das Bildungsproblem seinen Ausgang beim Neuen Testament nehmen müssen. Befremdlich ist dies sonst Geläufige in unserem Falle deshalb, weil man dies Neue Testament gar nicht erst aufzuschlagen braucht, um sich daran zu erinnern, daß frühchristlicher Glaube zu den großen Bildungstraditionen seiner Umwelt in nicht zu übersehbarer Distanz, ja Spannung steht. Die Christusgestalt der Evangelien ist ohne charakteristische Beziehungen zu den Bildungsphänomenen seiner Umwelt. Und wenn wir auch die Polemik des Paulus gegen die Weisheit und die Weisen dieser Welt und gegen die Gnosis im ersten Korintherbrief nicht unmittelbar auf die menschlichen Bildungsgüter und menschliches Bildungsvermögen beziehen können, so ist doch auch f ü r ihn wie für

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die Evangelisten, das Evangelium ein Evangelium der Armen. Und dies schließt eine Relativierung allen Bildungsreichtums ein. Dennoch ist dieses Evangelium der Armen mit seiner Entmächtigung der Bildungsreichen faktisch auch ein Bildungsereignis von schwer auszulotender Tiefe und noch schwieriger zu übersehender Weite gewesen. Wir haben das erst vor wenigen Jahren durch Ernst Lichtensteins ,Bildungsgeschichtliche Perspektiven' (1) auf eine neue, wie mir scheint, gegenüber der bisherigen Bildungstheorie wesentlich aufschlußreichere Weise sehen und verstehen gelernt. Die Frage, die bedrängende Frage wäre also: Ist in dieser Bildungswirkung christlichen Glaubens jene zentrale Entwertung des Bildungsbesitzes durch das Evangelium einfach verdunkelt worden? Ist das, was man die erwiesene Bildungskraft des Evangeliums nennen könnte, nur eine Entfremdung dieses Evangeliums von sich selbst? D a ß sie mit einer solchen immer auch verwoben war, ist selbstverständlich. Die Antwort auf diese Frage ist schwierig und leicht zugleich. Schwierig dann, wenn man das, was die griechische Paideia ausmacht, oder die israelitisch-jüdische vom Gesetz bestimmte Zucht zum alleinigen Maßstab dessen macht, was Bildung ist, oder wenn man gar eine neuzeitliche Prägung des Begriffs Bildung — er stammt in der uns heute geläufigen Bedeutung erst aus dem Neuhumanismus! — verabsolutiert. Relativ leicht aber wird die Antwort auf jene Frage, wenn man bereit ist, damit zu rechnen, daß durch das Evangelium ein gegenüber seiner Umwelt neuartiger und gegenüber neuzeitlichen Bildungsvorstellungen spezifischer Inhalt dessen, was Bildung ausmacht, in die Geschichte eintrat. Eine solche Bereitschaft aber dürfte deshalb nicht unzumutbar sein, weil wir seit langem gewöhnt sind, mit der Kategorie Bildung einerseits sehr unterschiedliche Inhalte zu erfassen und andererseits dabei in der abendländischen Tradition fast immer, und sei es auch nur polemisch, christliche Elemente mitzubedenken. Es bleibt dabei, daß wir im Neuen Testament nicht nur keinen neuen Bildungsbegriff vorfinden, sondern eine zentrale Antithese gegenüber dem Bildungsherkommen, auch dem religiösen. Das Evangelium war wirklich ,den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit' (1. Kor. 1, 23). Aber indem Paulus fortfährt: ,denen, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes K r a f t und Gottes Weisheit' (1. Kor. 1, 24), kennzeichnet er auch einen neuen Bildungsfaktor und eine neue mit ihm gegebene Bildungssituation. Durch beides wird menschliche Bildung nun etwas anderes, als es bisher war.

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Ich verdeutliche dieses Neue auf einem zwar nicht gängigen, aber, wie mir scheint, in unserem Zusammenhang doch naheliegenden Wege, indem ich nach dem Schicksal des Kindes im Neuen Testament frage. Neutestamentlicher Glaube ist Glaube daran, daß der Christus Gottes Mensch wurde als Kind, und zwar als ein wirkliches Kind, weder als Kindgott noch als Wunderkind. Neutestamentlicher Glaube ist ferner Glaube daran, daß es dieser Christus Gottes auf eine besondere Weise mit den Kindern zu tun hatte. Und zwar insofern, als er gerade in Kindern das erfüllt sah, was seine Jüngerschaft ausmacht: „Wer die Herrschaft Gottes nicht wie ein Kind annimmt, der kommt nicht in sie hinein" (Lk. 18, 27). Neutestamentlicher Glaube ist deshalb Glaube daran, daß sich in der ,Gotteskindschaft' die Bestimmung des Menschen erfüllt. Anthropologisch ausgedrückt heißt dies: Das Neue Testament sagt zwar nicht, was das Kind ,ist', wohl aber, was es durch das Neue Testament wird. Damit war ein Wandel im Schicksal des Kindes ermöglicht, der für das Bildungsschicksal der Menschheit von umfassender Bedeutung wurde. Zwar blieb das Kind zum Wadisen und Reifen bestimmt, behielt es die Signatur, ein Mangelwesen zu sein, der Zucht auf die Gesetzeserfüllung hin oder der Erziehung zum Leben im Geist unterworfen. Aber beides wurde durdikreuzt von einer anderen Signatur: ,Gerade jetzt', indem es als Kind ,noch nicht' eigentlich Mensch war, sondern erst werden sollte, wurde es durch Christus auf eine Weise zum Menschen erklärt, also gemacht, die der Erwachsene immer noch vor sich hatte und also immer noch verfehlen konnte. Gerade ehe der Mensch sich in der Erfüllung des Gesetzes Gottes bewähren, gerade ehe er seiner geistigen Entwicklung dienen konnte, war er, griff Christus nach ihm, bereits am Ziel. Es ist der anthropologische Ausdruck für die Rede vom .Evangelium der Armen', daß nicht der im Bildungsprozeß ethisch und geistig Reichgewordene, sondern das Kind zu sein vermag, wozu der Mensdi bestimmt ist. Wann zu sein vermag? Ich sagte, wenn der Christus Gottes nach ihm griff, also, wenn der Christus Gotses zur Unvollkommenheit des Kindes ja sagte, seinen Glauben gelten ließ. Denn nicht diese oder jene Eigenschaft des Kindes wurde ja von Jesus Christus bestätigt, sondern sein Mangel an bemerkenswerten Eigenschaften, eben sein

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Kindsein, sein Sich-Schicken in sein noch nichts Haben und Gelten, •seine Existenz aus Vertrauen. Der Einschnitt, der damit geschichtlich geschah, war wirklich schneidend. Der Widerspruch zum israelitisch-jüdischen Herkommen liegt auf der Hand. Und was die griechische Welt anlangt, so genügt es vielleicht, darauf hinzuweisen, daß das Kind in der spezifisch griechischen Paideia nicht vorkommt. Von hier aus scheint mir nun, was die Bildungsfolgen des Evangeliums historisch waren und was sie für unser heutiges Bildungsverständnis zu sein vermögen, gleicherweise erschließbar zu werden. Ich beschränke midi hier auf einige Probleme heutiger Bildungstheorie. Zunächst auf solche aus dem Bereich der Bildungsinhalte, womit ich — im Sinn der gegenwärtigen Terminologie relativ unspezifisch — •solche Weltgehalte verstehe, durch die Bildung vermittelt' werden kann. Diese Gehalte der Welt sind unendlich. Sie geben deshalb grundsätzlich die Frage nach ihrer Wahl auf. Bekanntlich ist diese Frage für unser öffentliches Bildungswesen heute deshalb so schwer zu lösen, weil uns die diskussionslose Verbindlichkeit auch nur für Elementarschulen gültiger Selbstverständlichkeiten fehlt. Jeder Versuch, von einem noch so schemenhaften Zielbild her einen noch so bescheidenen Kanon von Bildungsinhalten zu legitimieren, ruft notwendig Gegenentwürfe auf den Plan, führt also Auseinandersetzungen herbei, in denen sich diese Entwürfe gegenseitig blockieren. In dieser Situation scheint mir der Pragmatismus, mit dem die Verwaltungsorgane unserer öffentlichen Bildungsorgane heute eine bewegliche Praxis entwickeln, in der Wahl der Bildungsinhalte Herkommen, Gegenwartsbedürfnisse und voraussichtlichen Notwendigkeiten nächster Zukunft leidlich ausgewogen zur Geltung zu bringen, vorläufig gesagt, vernünftig. Freilich ist damit die weitere Frage gestellt, ob diese Vernünftigkeit nur eine Gestalt der Kapitulation sein darf, wie das weitgehend der Fall ist, oder ob es eine Möglichkeit gibt, sie zum Ausdruck einer tieferen Vernunft zu machen, die es allen am Bildungsprozeß Beteiligten, also auch z. B. Eltern und Lehrern ermöglicht, ihr nicht nur gleichsam zähneknirschend oder lethargisch, sondern überzeugt zuzustimmen. .Überzeugt' müßte dabei heißen: in der Überzeugung, daß auch und gerade durch solche pragmatischen Entscheidungen in der Wahl der Bildungsinhalte wirklich Bildung zu geschehen vermag.

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Der Christ wird auf diese weiterführende Frage zunächst mit einem Hinweis darauf antworten müssen, daß ihm von seinem Glauben bei der Wahl der Weltgehalte, die menschlicher Bildung dienen sollen, keine weltanschaulichen Auflagen gemacht werden. Nicht irgendeine christliche, sondern die wirkliche Welt ist die Welt Gottes, an die er sich verwiesen sieht — sich und also auch die Kinder, f ü r die er Verantwortung trägt. Das gilt auch — vielleicht müßte man sagen: gerade auch — f ü r Weltgehalte, die fremden Göttern geweiht sind. D i e Paulinische Meinung, der Christ könne getrost Götzenopferfleisch genießen (1. Kor. 8 ff.), gilt auch f ü r die Bildungsgüter, die Götzen geopfert wurden. Der Christ sieht sich also auch im Ringen um die1 Bildungsinhalte durch das Evangelium aus der Konkurrenz der Bildungsmächte herausgerufen. Die Auflage, die ihm vom Evangelium in diesem Ringen gemacht wird, ist ganz anderer als weltanschaulicher N a t u r . Sie lautet: D i e Wahl der Bildungsinhalte habe bestimmt zu sein von der Liebe. Bloße ,Erkenntnis macht dünkelhaft', nur die .Liebe baut a u f ' ; ,wenn sich jemand dünken läßt, er wisse etwas, der weiß noch nicht, wie man erkennen soll' (1. Kor. 8, 1 f.). Aber was heißt dies viel strapazierte Wort ,Liebe' in unserem Zusammenhang? N i m m t man, was wir vom Kinde im Neuen Testament sagten, ernst, so kann man auf diese Frage mit großer Deutlichkeit antworten: Die Wahl der Bildungsinhalte h a t so zu geschehen, daß sie dem Kinde nicht nur erlaubt, sondern hilft, Kind zu sein, dem Erwachsenen nidit nur erlaubt, sondern hilft, z u r Gotteskindsdiaft zu gelangen. Dieser Satz läßt sich nun noch weiter konkretisieren. Einmal d a durch, daß wir das Wort ,Welt' noch etwas erhellen, das in unserem Zusammenhang auftauchte. Wir sprachen von den Bildungsinhalten als Gehalten der Welt. Sind sie das von selbst, sind beide Wendungen einfach identisch? Nicht z. B., wenn unter ,Welt' eine bestimmte Bildungswelt verstanden wird. Führen wir die Kinder nur in eine solche ein, werden sie nicht eigentlich gebildet, sondern mehr oder weniger n u r dressiert, womit sie ihr Kindsein verlören. Es muß sich also um die wirkliche Welt handeln, die Welt Gottes, in die sie eingeführt werden, sie oder Erwachsene, die gebildet werden wollen. N u r darin können Kinder zu Kindern und Erwachsene zu Gotteskindern werden, wenn sie in einem spezifischen Sinn ,welthaltig' werden. Dieser spezifische Sinn von Welthaltigkeit liegt in der Gläubigkeit des zu Bildenden. Die wirkliche Welt, nicht diese oder jene zu Bildungszwecken herauspräparierte, gleichsam pädagogisch domestizierte

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"Welt, die Welt Gottes also, erschließt sich dort, wo jede Begegnung mit einer ihrer Erscheinungen zum Hinweis auf andere wird, denen wir nicht begegnen, zum Hinweis auf die Unerschlossenheit und Un«rschließbarkeit der Fülle der Welt und zur Erfahrung der Möglichkeit, angesichts dieses Unbekannten ohne Verdrängung und ohne Furcht leben zu können. Kind wird das Kind, Gotteskind wird der Erwachsene im Biidungsprozeß nur, wenn sie durch die Bildungsinhalte, denen sie ausgesetzt werden, darauf trauen lernen, daß die "Welt auch in ihren unerschlossenen Bereichen ihnen nicht Feind ist. Dieses Trauen aber ist eine Frucht der Liebe. Damit sind wir unversehens — und dieses ,unversehens' ist charakteristisch — in den zweiten Problemkreis geraten, aus dem hier einige Fragen aufgegriffen werden sollen, den des Bildungsverjahrens. Das entspricht freilich auch der erziehungswissenschaftlichen Situation, in der Didaktik in erheblichem Umfange als Bildungslehre getrieben wird, als Theorie der Bildungsinhalte. Ich kann also nicht anders, als diese Situation zu begrüßen. Denn eben dadurch, daß die Besinnung über die Bildungsinhalte nicht von der über das Geschehen von Bildung getrennt wird, d. h. aber von der über den Bezug des Bildenden zu dem zu Bildenden und beider zu ihren Gegenständen, wird die bildungstheoretische Situation in besonderem Maße einer Mitsprache des Theologen geöffnet. Was der Theologe — vielleicht — fördernd zu dieser didaktischen Situation zu sagen vermag, knüpfe ich an den zweiten Teil jenes schon einmal (§ 8, 4) zitierten Satzes an, in dem Erich Weniger, dem die neuere Didaktik so Entscheidendes verdankt, umschreibt, was er unter Bildung verstehen zu sollen vermeint. Bildung sei, so heißt dieser Satz, der Zustand, in dem man Verantwortung übernehmen und zugleich dort, wo man sich nicht sachverständig weiß, Vertrauen schenken kann. Diese Formulierung scheint mir über die Mehrzahl der heutigen didaktischen Konzeptionen hinauszuweisen. J e subtiler diese didaktische Besinnung nämlich wird, desto weniger Raum scheint sie für die Stiftung solchen Vertrauens zu haben, auch da, wo sie sich gegen entsprechende Einwände absichert. Weniger hat aber recht: Nur dieses Element des Vertrauens bewahrt den Bildungsprozeß davor, statt zu Bildung zu bloßem Sachverstand zu führen. Freilich meine ich, noch über Wenigers Formulierung hinausgehen zu sollen. Das Vertrauen, um das es sich in der Bildung des Menschen handelt, ist umfassender, als daß es nur als eine zur Lebenserhaltung notwendige Ergänzung der Sachverständigkeit begriffen werden könnte. Es umgreift die Welt

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Kernprobleme der Erziehungswissenschaft

und damit auch das Sachverständnis, das in seinem Gelingen selbst auf dieses Vertrauen angewiesen ist. Nun scheint es mir aufschlußreich zu sein, daß die relativ klangreichste Rede über das Lebenselixier des Vertrauens, die von pädagogischen Seiten zu hören ist, in der Anthropologie laut wird. Freilich so, daß es dort mehr oder weniger als privatives Element erscheint; der reifende, mündig werdende, also der dem Bildungsprozeß unterworfene Mensch scheint des Vertrauens fortschreitend entbehren zu können. Demgegenüber müßte nun der Theologe darauf hinweisen, daß nach dem Evangelium Gott im Kinde Wohnung nahm und in diesem Tatbestand die Berufung des Menschen zur Gotteskindsdiaft wurzelt. Menschliche Bildung ist seitdem nicht mehr abscheidbar von der Sorge um das Wachstum von Glauben mitten in der Klärung und Anreicherung von Sachverständnis. Was den Menschen, zu dem der Mensch gebildet werden soll, ausmacht, kann nicht mehr flacher angesetzt werden, als es im Evangelium geschieht, und verlangt deshalb eine entsprechende Aufmerksamkeit auch im Bildungsverfahren. Eine solche Aufmerksamkeit ist also nicht schon da gegeben, wo im Bildungsprozeß der Sparte Religion ein in sich eingegrenzter Raum gewährt wird. Der dem Menschen zum Menschsein helfende Glaube trägt z. B. auch — um zwei scheinbar besonders abseits liegende Beispiele zu nennen — etwa seine mathematische und physikalische Erkenntnis. Die immer noch übliche Respektierung des Glaubens im Bildungsprozeß durch seine Gettisierung im religiösen Bereich ist faktisch die Sterilisierung des Glaubens. Damit wäre also zugleich gesagt, daß eine solche Sterilisierung des Glaubens notwendig die Sachlichkeit des Sachverständnisses im Bildungsprozeß bedrohen muß. Spuren einer solchen Bedrohung meine ich nun in der Tat in der modernen Didaktik beobachten zu können. Die Genauigkeit der didaktischen Analyse, zu der wir angeleitet werden — es wird am Beispiel der Evangelischen Unterweisung noch genauer darüber zu reden sein (s. § 22, 3 d) — scheint mir die Gefahr einer pädagogischen Entschärfung der Sachverhalte heraufzubeschwören. Wenn ich die bildenden Gehalte eines Sachverhaltes so exakt herauspräparieren zu können meine, wie das gegenwärtig von vielen Didaktikern behauptet wird, dann muß ich mich fragen lassen, ob mir nicht das eigentlich Bildende dieser Sachverhalte in den Fingern zerrinnt. Jenes Bildende nämlich, das dadurch und nur dadurch bildet, daß es sich nach seiner Bildungswirkung nicht einmal befragen läßt,

Bildung

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geschweige denn, daß es mir erlaubte, diese Bildungswirkung zu manipulieren. Jenes Vertrauen, von dem die Rede war, relativiert die pädagogische Aufbereitung der Wirklichkeit in hohem Grade. Denn es ermöglicht das zuversichtliche Preisgegebensein an die didaktisch unentschärfte Welt, ja sieht in dem Mut zu dieser Preisgabe seine eigentliche didaktische Signatur. Die direkte Intention von Bildung vermag unheimlicherweise zu einem sadifremden Motiv im Bildungsprozeß zu werden, das das Gelingen von Bildung hindert. In jener Preisgabe an die didaktisch unentschärfte Welt wäre einer solchen sachfremden Motivation unserer Bildungsbemühungen entgegengewirkt. Die Sicherung des zu Bildenden gegen die zerstörerischen Chancen, die die Wirklichkeit gegenüber dem Menschen immer hat, geschieht nach dem Evangelium, wie wir sahen, durch die Liebe. Diese hat andere Möglichkeiten zu solcher Bewahrung als das, was wir die didaktische Entschärfung der Wirklichkeit nannten. Sie weiß, was diesem und jenem, hier und da, jetzt und dann ,frommt'. Vor allem aber macht sie die Preisgabe des zu Bildenden an die Welt durch Selbstpreisgabe des zu Bildenden möglich, in der der zu Bildende auch der gefährlichsten Wirklichkeit gegenüber geborgen ist und also zum Vertrauen geschickt gemacht wird. Paulus hat die Mensch- d. h. Kindwerdung Christi im Anschluß an eine schon ältere Tradition als dessen Selbstentäußerung gekennzeichnet, jener Selbstentäußerung, die dann auch ausmacht, was sein Leben und Sterben war (Phil. 2, 7 f.). Und er setzt gerade dieser berühmten christologischen Stelle die Aufforderung an seine Leser voran, ,auf dasselbe bedacht zu sein' (Phil. 2, 5). Der Theologe darf also, wird die Bildungsproblematik bis zu diesem Scheidepunkt vorgetrieben, an dem sich entscheidet, ob und wie der Mensch seine Bildung zum Menschsein durchhält, nicht von dieser Aussage des Neuen Testamentes schweigen: Die Preisgabe des Menschen an die wirkliche Welt, in der diese Bildung geschieht, ist möglich, weil diese Welt durch die Selbstentäußerung Christi in Gott geborgen wurde und also die diesem Gott Gehorsamen zu Bergenden zu werden vermögen. Es ist verständlich, daß in der Theorie des Bildungsverfahrens heute wenig von Liebe gesprochen wird. Allzulange und allzuoft war von ihr nur als von einem mehr oder weniger sentimentalen Additum zu den Sachproblemen der Bildung die Rede. Wo Liebe Selbstentäußerung ist, bleibt sie auf eine sehr wirksame Weise vor jeder Sentimentalisierung bewahrt: Sie ist dann nämlich die Möglichkeit, eine radi-

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Kernprobleme der Erziehungswissenschaft

kale pädagogisch ungeschminkte Sachlichkeit zu behaupten, gegen alle pädagogischen Ängstlichkeiten. — Von hier aus ergibt sich dann schließlich noch ein hilfreicher Aspekt jenes Weltanschauungsproblems, das wir kurz streiften. Er soll wenigstens kurz skizziert werden. Die Kritik, die die Forderung einer weltanschaulichen Fundamentierung unserer Bildung heute erfahren muß, ist uns so geläufig, daß ich mich scheue, die Argumente dieser Kritik hier zu wiederholen. Interessanter und wichtiger dürfte es jedenfalls sein, nach den Wahrheitsmomenten in jener Forderung zu fragen. Ich sehe sie vor allem darin, daß wir von dem gebildeten Menschen — und zwar auch und gerade wenn es sich um jene schlichten Weisen der Bildung handelt, von denen wir heute nur noch sprechen — zweierlei unabdingbar erwarten: daß seine Welt eine gewisse Fülle besitze und daß sie Ordnung kenne. Beides kann heute nicht mehr durch Weltanschauungen vermittelt werden. Aber deshalb braucht der Mensch beides nicht zu entbehren. Ihm fällt beides zu, wenn er in dem Sinne, von dem die Rede war, glaubend wird. In diesem Glauben wird ihm die Welt zwar nicht überschaubar und durchschaubar, aber sie wird ihm eine verläßliche Welt, weil Gott sie schuf und hält. Diese Verläßlichkeit der Welt entbindet den Menschen von der trügerischen Konstruktion eines selbstgezimmerten Universums ebenso wie von den Beschränktheiten in Köhlerglück und Köhlermißmut. Unsere Sprache hat eine sehr schöne Wendung für die Geburt des Menschen, sein Kindwerden. Sie spricht von diesem Vorgang als von dem ,Zur-Welt-Kommen' des Menschen. Im Evangelium ist ein Weg eröffnet, auf dem auch der Erwachsene seinen Weltverlust, der sein Bildungsverlust ist, zu überwinden vermag und erneut ,zur Welt kommen' kann, als Kind Gottes nämlich. Und das ist so, weil Gott ,zur Welt kam', im Christus puer. — Es hat sich gezeigt, daß theologische Erwägungen der hier vorgetragenen Art mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu einer Theologie der Bildung tendieren. In welchem Sinn mir dies legitim erscheint, sei noch kurz angedeutet. Für unsere Erwägungen zentral war die Beobachtung, daß dem christlichen Glauben das Kind zur Sinnbestimmung des Menschseins wird: Der Mensch ist dazu berufen, Kind Gottes zu werden. Dieser spezifische Beitrag zu einer Anthropologie des Kindes — und dem dieser Anthropologie entsprechenden Verständnis des Bildungsvor-

Bildung

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ganges — ist jeder profanen Anthropologie des Kindes entgegengesetzt. Auch wo das Kind, etwa im Sinn Langevelds, als modus des Menschseins erfaßt wird, steht es grundsätzlich im Schatten des ,noch nicht'. Was es als Kind ist, kehrt nicht wieder, sondern wird überwunden. Umgekehrt ist jenes ,gerade jetzt', das im Neuen Testament dem Kinde zugesprochen wird, zugleich die Zukunft des Erwachsenen. Es kommt nun, scheint mir, alles darauf an, diese beiden anthropologischen Aussagen weder gegeneinander auszuspielen noch zu verquicken, noch gar sie auszuwechseln, sondern sie in ihrer Eigenart aufeinander zu beziehen. Wer unter Verachtung jenes ,noch nicht' allein das ,gerade jetzt' gelten läßt, setzt den Menschen schwärmerischen Verkrampfungen seiner Menschlichkeit aus. Wer unter Verachtung jenes ,gerade jetzt' das ,noch nicht' zum einzigen Motiv des menschlichen Bildungsprozesses macht, setzt den Menschen jenem Weltverlust aus, der so verhängnisvolle Folgen für die Bildung des Menschen zum Menschen hat. Nur als der an Alter, Verstand und jeglichem Vermögen Zunehmende, als der Reifende, kann der Mensch zugleich der Gotteskindschaft erschlossen werden. Nimmt er eines für das andere, verdirbt er sich selbst. Der Christ glaubt, daß dies so ist, weil derselbe Gott Urheber von beidem ist, vom Reifen und vom Kindwerden. Das aber bedeutet für Erwägungen von der Art, wie wir sie hier anstellten: Theologie und Theorie der Bildung sind aufeinander angewiesen. Keine kann die andere ersetzen. Eine Theologie der Bildung, die die Theorie der Bildung entbehren zu können meint, würde sich rasch einem Realitätsverlust ausgesetzt sehen, der sie gegenstandslos macht. Eine Theorie der Bildung, die einer Theologie der Bildung entraten zu können überzeugt ist, müßte sagen, wie sie dem Weltverlust und Bildungsprozeß zu steuern gedenkt, der, meine ich, offenkundig ist. In dem Augenblick, in dem Weltanschauungen nicht mehr leisten, was man von ihnen erhofft, ist die Sache der Bildung tatsächlich auch vor die Theologie geraten. Diese wird freilich das ihr damit Aufgegebene nur zu leisten vermögen, wenn sie unablässig von der Erziehungswissenschaft zu lernen bereit ist. Daß damit der Bildungsvorgang einem Doppelaspekt untervorfen wird — noch dazu einem in sich gegenläufigen — macht mir, entgegen heute verbreiteten Abneigungen gegen Konzeptionen dieser Art, keine Sorge. Im Gegenteil: Versuche, einen solchen Doppelaspekt zu vermeiden, scheinen mir, je konsequenter sie entworfen werden, um so verhängnisvoller die Wirklichkeit des Menschen zu verfehlen. 12 Kittel, EY. Religionspädagogik

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Kernprobleme der Erziehungswissenschaft

Der T e x t dieses Abschnittes ist eine Wiedergabe meiner Abhandlung 1. H.Kittel, Theologische Erwägungen zur Theorie der Bildung, in: N Slg 1964, 366 ff. — Vgl. ferner das Referat über meinen Vortrag „Das Kind im Neuen Testament" in dem Diskussionsberidit von: 2. I. Röbbelen, Zur Anthropologie des Kindes, in: H. Diem — M. I. Langen veld, Untersuchungen zur Anthropologie des Kindes (Päd Forsch 15) 1960, 34 ff. Weitere Literatur zur Anthropologie des Kindes s. § 8,2, § 17 und § 22,d. Zum Bildungsproblem vgl. die § 8,4 angeführte Literatur und: 3. K . Barth, Evangelium und Bildung, (1938) 1947 2 ; hierzu I. Fangmeier, Erziehung in Zeugenschaft — Karl Barth und die Pädagogik, 1964, 491 ff. 4. R . Guardini, Grundlegung der Bildungslehre, (1953) 7. Aufl. o. J.

5. Kapitel B e r e i c h e der E r z i e h u n g und B i l d u n g als Aufgabengebiete von Erziehungswissenschaft und T h e o l o g i e 5 20

Vorbemerkungen

Eine Kooperation von Erziehungswissenschaft und Theologie vollzieht sich heute nicht nur in der Erörterung von Grenzproblemen der Erziehung und Bildung. Relativ unabhängig von der Förderung dieser Probleme wird ein Zusammenwirken beider Wissenschaften immer wieder auch durch Bedürfnisse der pädagogischen Praxis hervorgerufen. Drängende pädagogische Aufgaben des öffentlichen oder kirchlichen Lebens erfordern eine tiefer eindringende theoretische Besinnung, die gleichsam auf die Vorklärung jener Grundprobleme nicht warten kann. So gibt es heute eine nicht ganz kleine Zahl von Bereichen öffentlicher und kirchlicher Erziehung und Bildung, die durch die Nötigung der Situation für kürzere oder längerer Zeit zu gemeinsamen Aufgabengebieten von Erziehungswissenschaft und Theologie werden. Eine solche .Nötigung der Situation' wird immer seltener als ein für wissenschaftliche Bemühungen unangemessenes Motiv angesehen. Die Wissenschaftlichkeit solcher Bemühungen wird immer weniger in der Herleitung ihrer Probleme aus der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaften gesehen als in deren unabhängiger, kritischer Behandlung nach möglichst präzisen Methoden. Wir hatten diese wachsende Unbefangenheit der modernen Erziehungswissenschaft gegenüber den Anforderungen der pädagogischen Praxis ja bereits in verschiedenen Zusammenhängen kennengelernt. Hier wäre vielleicht noch folgender Hinweis hinzuzufügen: Wenn davon die Rede war, daß sich diese von pädagogischen Aufgaben des öffentlichen und kirchlichen Lebens angeregten gemeinsamen Bemühungen der Erziehungswissenschaft und Theologie in ,relativer Unabhängigkeit' von der Erörterung der Grundprobleme von Erziehung und Bildung vollziehen, dann heißt dies nicht, daß zwischen beiden Problemfeldern keine Beziehungen bestehen. Im Gegenteil. Wahrscheinlich kann man von einer Wechselwirkung der in beiden Feldern geleisteten Arbeit aufeinander sprechen. 12*

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Bereiche der Erziehung und Bildung

Aber gerade diese Wechselwirkung setzt voraus, daß die Arbeit in dem einen wie dem andern ihre je eigenen Motivationen besitzt. Wenn nun im folgenden einige solcher Bereiche der Erziehung und Bildung vorgestellt werden, deren praktische Nöte der Erziehungswissenschaft und Theologie Aufgaben stellen, so ist selbstverständlich, daß es sich nur um eine kleine Zahl von Beispielen handeln kann. Bei ihrer Auswahl habe ich midi von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen. Es sollten einige Exempel von umfassender und einige von weniger ausgebreiteter Bedeutung dabei sein, einige, denen eine größere, einige, denen eine geringere Dringlichkeit innewohnt, einige, die schon ausgedehnte, einige, die erst bescheidene Erörterungen wachriefen. Nur eine solche Mehrzahl von Auswahlgesichtspunkten konnte helfen, einen Eindruck von der inneren Vielfalt der Gesamtheit dieser Bereiche und von der eigentümlichen Bewegung zu vermitteln, in der diese sich ständig befinden. Es sollte wenigstens eine Ahnung davon bewirkt werden, daß es heute kaum einen Bereich des öffentlichen und kirchlichen Lebens gibt, der nicht unter bestimmten Umständen auch eine pädagogische Problematik aus sich heraussetzen kann und dadurch zu einem Aufgabengebiet von Erziehungswissenschaft und Theologie zu werden vermag. Und es sollte ein Empfinden dafür geweckt werden, daß jene ,Umstände' sich wandeln können. Als einfache Gliederung der ausgewählten Bereiche bot sich folgende Dreiteilung an: Bereiche der öffentlichen Erziehung und Bildung / Evangelisdie Unterweisung / Bereiche der innerkirchlichen Erziehung und Bildung. Dabei kommt die Evangelisdie Unterweisung zwischen die beiden anderen Bereiche zu stehen, weil sie, hier vornehmlich als Aufgabe allgemeinbildender Schulen verstanden, sowohl einen Bereich der öffentlichen wie der kirchlichen Erziehung und Bildung darstellt. Sie bildet heute die faktisch bedeutsamste Brücke zwischen beiden Bereichsgruppen. — Die bewegte Mannigfaltigkeit der erziehungswissenschaftlich und theologisch relevanten Bereiche öffentlicher und kirchlicher Erziehung und Bildung, von der hier ein Eindruck vermittelt werden soll, bietet Anlaß und besonders gute Gelegenheit zu einem literarischen Hinweis. Es gibt heute verhältnismäßig wenig ausgeführte systematische Darstellungen der Pädagogik bzw. Religionspädagogik. Ich meine also nicht kurze systematische Entwürfe, die bestenfalls die Tragweite be: stimmter Grundkonzeptionen eigenwillig abtasten, sondern Werke, die ¡solche Grundkonzeptionen an der Gesamtproblematik der heutigen

Vorbemerkungen

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Erziehungs- und Bildungswelt bewähren. Man sollte gewiß mit der Prophezeihung, daß es solche pädagogischen bzw. religionspädagogischen Systeme nicht mehr geben könne, zurückhaltend sein. Manchen scheinen sie durchaus denkbar, und zwar ohne Rückfälle in eine nun tatsächlich endgültig überwundene Scholastik. Aber heute ist offenbar nicht (noch nicht?) die Zeit f ü r sie. Die Erziehungswissenschaft entfaltet sich gegenwärtig in der Bemühung, einzelne Grundfragen der Erziehung und Bildung zu durchdenken und die bunte Vielfalt der ihr aus den Realitäten der modernen Gesellschaft zuwachsenden Aufgabenbereiche durch Einzeluntersuchungen zu bewältigen. U n d die Religionspädagogik folgt ihr auf diesem Wege. Das hat zur Folge, daß die charakteristische literarische Form, in der wir unser Gesamtwissen um die pädagogische bzw. religionspädagogische Problematik unserer Zeit versammeln, das Lexikon ist. Ein Lexikon erlaubt eine Bestandsaufnahme, die frei ist von der Nötigung voreiliger Systematisierungen und sich dem o f t recht schnellen Wandel der Dinge beweglich anzupassen vermag. Es soll hier dahingestellt bleiben, inwieweit Erziehungswissenschaft und Religionspädagogik damit einer Tendenz folgen, die f ü r die geistige Situation unserer Zeit überhaupt charakteristisch ist — vieles spricht d a f ü r . Für uns hier mag die Feststellung genügen, daß es so ist und daß es nicht geraten sein dürfte, diesen T a t bestand mit vorschnellen Urteilen wie ,atomistischer Verfall' der Pädagogik und Religionspädagogik abzuwerten. Wer einmal — etwa anhand eines solchen Lexikons — einen konkreten Eindruck von der Vielfalt der die heutige Erziehungswissenschaft beschäftigenden Probleme und von der geistigen Energie empfing, mit der sie sich immer neuen Problemen zuwendet, der wird kaum die Neigung verspüren, diese Fülle und Offenheit durch mehr oder weniger rasch zufassende Systematisierungen zu bändigen, bzw. bändigen zu lassen. Weit mehr wird er umgekehrt hoffen lernen, daß die explosive K r a f t dieser Wissenschaft nicht allzubald versiegen bzw. wohlwollend kanalisiert werde. Lexika brauchen nicht immer Symptome alexandrinischer Sterilität zu sein; sie können auch Beweise noch ungebändigter Fruchtbarkeit sein. Deshalb spricht es auch nicht unbedingt f ü r die Religionspädagogik, daß das Material ihrer Problematik zu einem Speziallexikon heute noch keineswegs ausreicht. D a s vielleicht interessanteste Beispiel einer erziehungswissenschaftlichen Systematik, wie sie v o n den Voraussetzungen katholischen D e n k e n s heute noch möglich (nicht notwendig!) ist, stellt folgendes Werk dar: H . H e n z , Lehrbuch der systematischen Pädagogik, [ 1 9 6 4 ] ,

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Bereiche der Erziehung und Bildung

§21 Bereiche der öffentlichen

Erziehung

und

Bildung

1. Der Staat Wo immer es das gab und gibt, was wir heute Staat nennen, waren und sind diese Staaten Großmächte der Erziehung (1—3). Und zwar in doppeltem Sinne. Einmal dadurch, daß sie durch ihre Existenz als organisierte Macht erzieherisch auch da wirken, wo eine erzieherische Absicht nicht gegeben ist. Dann aber auch dadurch, daß sie pädagogische Institutionen schaffen, die eine innere und äußere Prägung der Bürger im Sinne der von den Regierenden für richtig gehaltenen Vorhaben und Prinzipien zum Zweck haben. In der Neuzeit, d. h. seit Reformation und Aufklärung, hat die faktische Macht des Staates im Bereich der Erziehung auch in Deutschland zunächst dadurch eine erhebliche Verstärkung erfahren, daß die Kirchen als Konkurrenten bzw. Teilhaber dieser Macht im Zuge der Säkularisierung allmählich zurücktraten. Seitdem das „Allgemeine Landrecht f ü r die Preußischen Staaten" 1794 bestimmte, daß .Schulen und Universitäten Veranstaltungen des Staates sind' wurde der Staat in allen deutschen Ländern immer mehr die eigentlidie Vormacht im Erziehungs- und Bildungswesen. Seine Legitimation für diese Aufgabe wurde im öffentlichen Bewußtsein einerseits durch die neuzeitliche Philosophie, insbesondere des deutschen Idealismus (Fichte, Hegel), andererseits durch eine z. T. außerordentlich produktive Fürsorge besonders für die Schulen aller Art nadihaltig gefestigt. Deshalb bewirkte auch die Ablösung der absolutistischen durdi konstitutionelle Regierungsformen keine Änderung in dieser Rolle des Staates. Im Gegenteil: Der Liberalismus verschärfte alle Tendenzen, eine Staatsomnipotenz im Erziehungs- und Bildungswesen durchzusetzen. Dies hat zwar in Deutschland nicht zu grundsätzlich laizistischen' Lösungen geführt — eine gewisse Kooperation von Staat und Kirche blieb immer erhalten — aber die eindeutige Vormachtstellung des Staates in der öffentlichen Erziehung und Bildung blieb doch selbst nach ihrem umfassenden Mißbrauch im sog. Dritten Reich erhalten: Nach 1945 haben die evangelischen Kirchen keine, die katholische nur erfolglose Versuche gemacht, eine prinzipielle Entmachtung des Staates im Erziehungs- und Bildungswesen herbeizuführen; mit dem Satz „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates" knüpft das Grundgesetz (Art. 7, 1) ohne grundstürzende Änderung an die Tradition an.

Bereiche der öffentlichen Erziehung und Bildung

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Wie schon angedeutet darf nun aber diese Tradition, also die Vormachtstellung des Staates im Erziehungs- und Bildungswesen — sieht man von den Jahren 1933—1945 ab — keineswegs als dessen Willkürregiment verstanden werden. Ein solches wurde durch das Selbstverständnis des Staates, das z. T . sehr hochgespannte geistige und ethische Elemente enthielt, verhindert. Es sei hier, wo die Möglichkeit fehlt, auf dieses Selbstverständnis näher einzugehen, nur an folgende Konsequenzen desselben hingewiesen: Die staatlichen Universitäten waren in der Neuzeit in Lehre und Forschung frei; die Lehrer der Gelehrtenschulen und Gymnasien ließ der Staat an diesen freien Universitäten ausbilden; und selbst die Bildung der Elementarschullehrer, die man besonders lange mit einer gewissen Ängstlichkeit im staatlichen Reglement festhielt, wurde seit 1918 akademisiert, d . h . der wissenschaftlichen Freiheit anheimgegeben. Diese umfassende Selbstentäußerung des Staates gegenüber dem freien, nach Wahrheit fragenden Geist der Wissenschaft muß der mit im Auge haben, der die Tradition staatlicher Bildungspflege in Deutschland bedenkt. Erst dann wird ihm auch die neue Entwicklungsphase verständlich werden, in die offensichtlich das Verhältnis des Staates zum Erziehungsund Bildungswesen in der Gegenwart eingetreten ist. Wie wir sahen, hat der Staat seine Zuständigkeit für ,das gesamte Schulwesen' — um vor allem diesen entscheidenden Bezirk des öffentlichen Erziehungsund Bildungswesens ins Auge zu fassen — auch nach 1945 behauptet. Aber diese Zuständigkeit — im Rahmen des Grundgesetzes von den Ländern wahrgenommen — erfährt heute eine offenbar sehr tiefgreifende Wandlung. J e inhaltreicher das Selbstverständnis des Staates und das in ihm gründende Staatsbewußtsein seiner Bürger in der Vergangenheit war, um so inhaltreicher war auch seine Zuständigkeit für das Erziehungs- und Bildungswesen und deren Praxis. Dieser Reichtum ist im Schwinden begriffen. Der Staat weiß sich immer weniger dazu legitimiert, von sich aus Bildungsprogramme zu entwerfen, aus denen eine Initiative z. B. zur Gründung bestimmter Bildungsinstitutionen oder zum Entwurf von Richtlinien für den Unterricht der öffentlichen Schulen abgeleitet werden könnte. Woran liegt dies? Es gibt heute nicht ganz wenige Stimmen, insbesondere in der Lehrerschaft, die auf diese Frage antworten: am Verfall der Staatsidee. Bis in die Weimarer Zeit hinein, so sagt man, sei der Staat noch ein ,Kulturstaat' gewesen, der sich zu kulturellen Leistungen mannigfacher Art verpflichtet wußte, entsprechende Vorhaben ins Werk setzte und besonders das Erziehungs- und Bildungswesen mit geistigem

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Bereiche der Erziehung und Bildung

und ethisdiem Gehalt versah, und der von daher auch innere Autorität beanspruchen konnte. Nach 1945 sei dann diese Überlieferung immer mehr versandet. Es bestehe offenbar nicht mehr die geistige und sittliche Kraft, den Staat in diesem Sinn als Kulturstaat zu verstehen. Und deshalb müsse man sich wohl oder übel damit begnügen, im Staat eine Polizei- und Verwaltungsapparatur zu besitzen, die das Leben der Gesellschaft einigermaßen erträglich mache. Die Staatsverdrossenheit weiter Kreise bes. unserer Gebildeten hat hierin vermutlich einen ihrer wichtigsten Gründe. Diese Verfallstheorie ist nicht haltbar. Gewiß hat sich die Geltung des Staates im öffentlichen Bewußtsein nach 1945 nicht langsam, sondern gleichsam schubweise verändert. Aber diese Veränderung war nicht einfach eine Niedergangserscheinung — z. B. eine resignative Reaktion auf das übersteigerte und zugleich depravierte Staatsbewußtsein im sog. Dritten Reich, wie der Vorgang dann gelegentlich erläutert wird — sondern sie war durchaus eine Konsequenz des vor 1933 wirksamen Staatsgedankens. Das läßt sich in unserem Zusammenhang am leichtesten an dem soeben kurz beschriebenen Schicksal der Lehrerbildung deutlichmachen. Wir charakterisierten dieses Schicksal als einen Prozeß der Selbstentäußerung des Staates. Indem der Staat die Lehrerbildung zunehmend akademisierte, gab er eine besonders wichtige Position im Bildungswesen preis. Er tat dies, weil er die geistige Unabhängigkeit der Lehrerschaft stärken wollte; und dieser Wille zur geistigen Selbständigkeit der Erzieherschaft wurzelte tief im Selbstverständnis des Staates. Natürlich wirkten bei der durch diesen Willen bekundeten Entwicklung auch andere Kräfte mit und natürlich wirkte sich dieser Wille nicht gradlinig, d. h. ohne Brüche und Umkehrungen aus — wie sollte das in wirklicher Geschichte anders sein? Aber es wäre ein historischer Irrtum, nicht zu sehen und in Rechnung zu stellen, daß die Akademisierung der Lehrerbildung keineswegs nur einem widerwilligen Staat abgerungen wurde, sondern daß sie in ihren wichtigsten Stationen der Initiative eines Staates verdankt wird, der sich zur Verwirklichung von Freiheit berufen wußte. Das Klischee vom bis in die Weimarer Zeit nachwirkenden ,Obrigkeitsstaat', der seinem Wesen nach auf die Beschneidung der Freiheit seiner ,Untertanen' aus war, ist nicht besser als andere historische Klischees. Ähnliches gilt dann — um noch ein zweites wichtiges Beispiel zu nennen — auch für die neuere Geschichte der Inhalte des öffentlichen Bildungswesens. Auch sie ist nicht einfach die Geschichte einsamer staatlicher Entschlüsse. Audi in ihr gibt es zwar keine gradlinige, aber

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doch eine über Rückschläge hinweg stetige Entwicklung einer vom Staat gewollten und geförderten Beteiligung gesellschaftlicher K r ä f t e an der Wahl und Ordnung solcher Inhalte, eine Entwicklung der Freiheit vom Staat in der Setzung dieser Inhalte, eine Entwicklung staatlicher Selbstentäußerung. Wenn also der Staat seit 1945 seine Zuständigkeit f ü r das Bildungswesen in einer f ü r viele besonders auffälligen Weise auf die äußeren Lebensbedingungen desselben zu beschränken bemüht ist, während er der Gesellschaft immer mehr Verantwortung f ü r dessen Inhalt zuweist, so tut er nur besonders markante Schritte in jener Verwirklichung von Freiheit, die längst von ihm wirksam angestrebt wurde. Weit entfernt davon, eine Verfallserscheinung zu sein, hat dieser Schritt seine höchst positive Bedeutung darin, daß er die ,Selbstentäußerung' des Staates besonders nachhaltig vorantreibt und die Freiheitsfähigkeit seiner Bürger durch ein besonders großes Zutrauen besonders stärkt. Anders gesagt: Der Staatsgedanke ist nicht einfach inhaltslos geworden, sondern die Freiheit seiner Bürger ist zu seinem vornehmsten Inhalt geworden, die Sorge f ü r diese Freiheit sein vornehmster Zweck, auch im Bereich der Erziehung und Bildung. Ein wie reicher Inhalt dies ist und wie vielfältig und anspruchsvoll die damit dem Erziehungs- und Bildungswesen gestellten Aufgaben in Wahrheit sind, wird am leichtesten durchsichtig, wenn man sidi deutlichmacht, daß Freiheit und Recht unlöslich aneinander gebunden sind. Freiheit gibt es nur, wo es Recht gibt. Der Staat ist in der Bundesrepublik also keineswegs nur eine Polizei- und Verwaltungsapparatur, sondern freiheitlicher Rechtsstaat. Das heißt, er verwirklicht, selbst an Recht und Gesetz gebunden, Freiheit durch die Garantie von Recht. Was das praktisch bedeutet, besonders auch f ü r das Erziehungs- und Bildungswesen, macht man sich am besten durch eine Vergegenwärtigung der sog. Grundrechte' des Grundgesetzes klar. Ich gebe einen — wegen ihrer erstaunlichen Unbekanntheit — weitgehend wörtlich zitierenden Uberblick über diese Grundrechte (4): Art. 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Art. 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

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Art. 3 (1) Alle Mensdien sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Art. 4 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Art. 5 (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. Art. 6 (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Art. 7 (1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

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(2) und (3) enthalten Bestimmungen über den Religionsunterricht, mit denen wir uns noch in anderem Zusammenhang zu beschäftigen haben werden. (4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist. (5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungssdiule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht. Art. 8 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Art. 9 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. Art. 10 Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Art. 11 betrifft die Freizügigkeit aller Deutschen, Art. 12 das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen, Art. 13 die Unverletzlichkeit der Wohnung. Art. 14 (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

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(3) Eine Enteignung ist nur z u m Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf G r u n d eines Gesetzes e r folgen, das A r t u n d A u s m a ß der Entschädigung regelt. A r t . 15 b e t r i f f t die Möglichkeit einer Vergesellschaftung von Grund. u n d Boden, v o n Naturschätzen u n d Produktionsmitteln. A r t . 16 (1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen, werden. (2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. A r t . 17 u n d 17a b e t r e f f e n den W e h r - u n d Ersatzdienst. A r t . 18 enthält die wichtige Bestimmung, d a ß , w e r die in den* ,Grundrechten' konstituierten Freiheitsrechte (die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, d i e Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- u n d Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht) ,zum K a m p f gegen die freiheitliche demokratische G r u n d o r d n u n g mißbraucht, diese Grundrechte v e r w i r k t ' . A r t . 19 (1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf G r u n d eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, m u ß das Gesetz allgemein u n d nicht nur f ü r den Einzelfall gelten. A u ß e r d e m m u ß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. (2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. (3) Die Grundrechte gelten auch f ü r inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese a n w e n d b a r sind. (4) W i r d jemand durch die öffentliche G e w a l t in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg o f f e n . Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Eine gewisse Vertiefung u n d Bereicherung erhalten diese ^ r u n d rechte' noch dadurch, d a ß sie sich als Ausdruck der Menschenrechte' verstehen: A r t . 1 (2) „Das deutsche Volk bekennt sich zu unverletzlichen u n d unveräußerlichen Menschenrechten als G r u n d l a g e jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt." Die reale Bedeutung der Grundrechte darf nicht unterschätzt werden. Sie sind nicht etwa so etwas wie eine unverbindliche moralische

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Präambel des Grundgesetzes, juristischem Sinne.

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sondern dessen Fundament auch in

Art. 1 (3) lautet nämlich: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." Bei einer Würdigung dieser Grundrechte im Blick auf das Verhältnis des Staates zu Erziehung und Bildung wird man sich vor allem Folgendes deutlichmachen müssen. Es kann im Ernst keine Rede davon sein, daß die Bundesrepublik ein , bindungsloser' Staat ist. Alle staatliche Gewalt ist in Westdeutschland an die Grundrechte und das auf diesen basierende Grundgesetz gebunden. Sie versteht sich nicht als letzte Instanz, sondern weiß sich den Grundrechten als einer solchen letzten Instanz untergeordnet, an die der Bürger jederzeit auch gegen staatliche Instanzen appellieren kann. Es kann auch nicht gesagt werden, daß diese aller staatlichen Gewalt übergeordnete Instanz nur .formal' also ,inhaltlos' sei. Die Bindung des Staates an die Grundrechte bedeutet zunächst und vor allem seine Bindung an einen Willkür-Verzicht, der die fundamentale Voraussetzung der Freiheit seiner Bürger ist. Dies ist ein Inhalt des Staatsgedankens von größter Tragweite. Ihn als solchen zu erkennen, hindert uns die überlieferte Erwartung ,weltanschaulicher' Bindung des Staates. Aber diese Erwartung kann ein Staat nur auf Kosten der Freiheit seiner Bürger erfüllen. Wo er selbst .weltanschaulich' gebunden ist, muß er eine entsprechende Bindung des Staatsvolkes mit staatlichen Mitteln, also mit Zwang durchsetzen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik setzt eine geistige und sittliche Mündigkeit der Deutschen voraus, die einen solchen Zwang nicht nötig hat und deshalb nicht erträgt. E r proklamiert selbst keine .weltanschaulichen' Bindungen, die für alle gelten, sondern erwartet von seinen Bürgern, daß sie Bindungen dieser Art in freier geistiger Entscheidung selbst eingehen. Indem er allen Deutschen solche Entscheidungen garantiert, also auch sicherstellt, daß die Träger derselben sich gegenseitig respektieren, ermöglicht er zugleich das Funktionieren der staatlichen Gemeinschaft trotz der auf diese Weise in ihr zustandekommenden Pluralität der ,Weltanschauungen'. Dabei verläßt sich das Grundgesetz auf zweierlei: Einmal darauf, daß es auch im deutschen Volk eine ethische Überlieferung gibt, die einen gewissen Consensus darüber schafft, was die

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im ersten Satz der Grundrechte ausgesprochene unantastbare .Würde des Menschen' sei: die Überlieferung nämlich der .unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt'. Sodann darauf, daß im deutschen Volk ein Verständnis des ,Sittengesetzes' lebendig ist, das die unverletzliche Freiheit der Person' und die .freie Entfaltung der Persönlichkeit' vor Entartungen schützt. Im übrigen darf der Tatbestand nicht übersehen werden, daß diese Überlieferung und dieses Verständnis des Sittengesetzes in den Grundrechten in solchem Umfange und in solcher Präzision interpretiert werden, daß niemand sagen kann, er wisse nicht, worum es sich bei beiden handelt, weil beides leere, inhaltlose Größen seien. Im Gegenteil: Die in diesen Grundrechten aus jener ethischen Überlieferung und jenem Verständnis des Sittengesetzes gefolgerten Rechte und Pflichten des Staatsbürgers ergeben eine Füllung der Freiheits-Zumutung von Seiten des Staates, die in ihrem Reichtum und ihrer Genauigkeit de facto immer wieder als Uberforderung empfunden wird. Für jeden, der diese Grundrechte ernst nimmt, d. h. der ihre Realisierung für sich zur Gewissensangelegenheit macht, wird die Rede von der Inhaltlosigkeit des Staatsgedankens der Bundesrepublik zur baren Gedankenlosigkeit. Vollends dann, wenn man sich vergegenwärtigt, daß mit diesen Grundrechten Richtlinien nicht nur für das nach innen, sondern auch für das nach außen gerichtete staatliche Handeln gegeben sind: Eine Bundesrepublik, die an diese Grundrechte gebunden ist, muß ein Verhältnis zu anderen Völkern erstreben, das von analogen Prinzipien bestimmt ist. Mit alledem ist nun auch gesagt, daß der Staat in der Bundesrepublik dem Erziehungs- und Bildungswesen nicht interesselos gegenüberstehen kann. Die durch das Grundgesetz geschaffene Lage dürfte überall dort höchst unzulänglich beurteilt sein, wo man die im Verhältnis zu früheren Zeiten große Zurückhaltung des Staats gegenüber der weltanschaulichen Bestimmung des Erziehungs- und Bildungswesens als sein grundsätzliches Desinteresse an deren Gehalt und seine Selbstbeschränkung auf deren Finanzierung und organisatorische Verwaltung versteht. Das Selbstverständnis dieses Staates begründet zunächst sein elementares Interesse daran, daß Erziehung und Bildung helfen, jene Mündigkeit der Staatsbürger zu verwirklichen, die diese fähig macht, die ihnen mit den Grundrechten zugemutete anspruchsvolle Freiheit zu bestehen und zu sichern. Das bedeutet praktisch: Dieser Staat ist bren-

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nend daran interessiert, daß seine Bürger lernen, von ihm keine einheitliche Weltanschauung mehr zu erwarten, daß sie also lernen, weltanschauliche Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen, und daß sie lernen, die damit gegebene weltanschauliche Pluralität' zu tolerieren. Das Selbstverständnis des Staates in der Bundesrepublik muß ihn sodann erwarten lassen, daß Erziehung und Bildung das ihre dazu tun, die Überlieferung der Menschenrechte lebendig zu erhalten. D a er selbst sich in der geschilderten Weise an diese Menschenrechte gebunden hat, ist es für ihn gleichsam eine Existenzfrage, daß sie von seinen Bürgern verstanden und bejaht werden. Und das Selbstverständnis disees Staates muß ihn schließlich an Erziehung und Bildung den Anspruch stellen lassen, daß diese bei der Erschließung des ,Sittengesetzes' mitwirken. Ohne eine solche Erschließung der sittlichen Urteilsfähigkeit seiner Bürger wäre nämlich eine Aktualisierung der Menschenrechte unmöglich und damit ein Absterben ihrer Gültigkeit unvermeidbar gemacht. Mit diesem dreifachen Interesse durchdringt der Staat in der Bundesrepublik das öffentliche Erziehungs- und Bildungswesen. Und die Aufgaben, die er diesem damit stellt, sind außerordentlich anspruchsvoll — weit schwieriger als es die Aufgaben sein können, die ein ,Weltanschauungsstaat' der Pädagogik gibt. Dies wird besonders an der Tatsache deutlich, daß seit der Gründung der Bundesrepublik alle Fragen der sog. politischen Erziehung und Bildung ein erhöhtes Interesse gefunden haben. Theorie und Praxis von so etwas wie politischer Erziehung und Bildung gibt es, solange es Staaten gibt und über deren Aufgaben und Funktionen nachgedacht wird. Wir können dem Wandel dieser Theorie und Praxis hier nicht nachgehen. Aber dies dürfte eindeutig sein: Seitdem man in Westdeutschland die Irrungen und Wirrungen des nationalsozialistischen Staatswillens und Staatsbewußtseins mit der Annahme des Grundgesetzes, also durch Setzung eines radikalen Neuanfanges zu überwinden suchte, wird die politische Erziehung und Bildung als eine zentrale Aufgabe unseres Erziehungs- und Bildungswesens angesehen. Es ist kein Zufall, daß der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen schon im Januar 1955 als eines seiner ersten Gutachten das ,zur Politischen Bildung und Erziehung' veröffentlichte, und es ist aufschlußreich, daß er es folgendermaßen einleitet: „Politische Erziehung und Bildung wird bestimmt durch die politische Wirklichkeit, von der sie getragen wird, und durch die Ideen,

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denen sie dient. Der institutionelle Rahmen ist in der Bundesrepublik Deutschland durch das Grundgesetz gegeben. Es ist auf den Menschenrechten und den bürgerlichen Freiheiten aufgebaut und sichert deshalb in Westdeutschland eine Rechtsordnung, die es uns ermöglicht, die unserem Volk nach dem Zusammenbruch gestellten Aufgaben in Freiheit und in Gemeinschaft mit den anderen Völkern in Angriff zu nehmen. Die politische Bewährung aber, die heute von uns verlangt wird, ist größer denn je; politische Erziehung ist deshalb nie so dringlich gewesen wie heute. Wer erzieherische Verantwortung trägt, muß daraus die Folgerung ziehen" (5, 827). Und was dann in diesem Gutachten über die politischen Bedingungen, ,die heute in Deutschland die politische Erziehung erschweren' (5, 827 f.), über ,die allgemeinen pädagogischen Schwierigkeiten politischer Erziehung und Bildung' (5, 828 f.) und über Vorzüge und Nachteile bisheriger politischer Bildung (5, 830 ff.) gesagt wird, was an konkreten Empfehlungen für die politische Erziehung und Bildung an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, in der freien Jugendarbeit, an Hochschulen und in der Erwachsenenbildung vorgetragen wird (5, 823 ff.), das ist gerade für die heutige Sicht weitgehend überzeugender als manches inzwischen zum Gegenstand Geäußerte. Offenbar hat die Frische der Problematik den Verfassern einen helleren Blick gegeben, als ihn viele Autoren besitzen, die sich seither zu Wort gemeldet haben. Immerhin haben Theorie und Praxis der politischen Bildung an Universitäten, Hochschulen, öffentlichen Schulen und in der Erwachsenenbildung inzwischen eine erhebliche Förderung erfahren. Thomas Ellwein (geb. 1927), einer ihrer wirksamsten Vertreter, der in seiner Arbeit neben den inhaltlichen politologischen Problemen auch die spezifisch pädagogische Problematik der politischen Bildung und Erziehung mit besonderer Sorgfalt berücksichtigt, formuliert deren Aufgabe folgendermaßen: „1) Zu ihr gehören Kenntnisvermittlung und Ausbildung der Fähigkeit, sich von Fall zu Fall weitere Kenntnisse anzueignen. 2) Neben die Belehrung muß sodann die Erziehung treten, die sich zunächst auf mitbürgerliche Umgangsformen, Übernahme von Verantwortung usw. richtet, insoweit also Sozialerziehung ist, die aber, sofern sie etwa >im rechten Gebrauch der Machtc übt, schon in die eigentliche politische Erziehung übergreift. Politische Erziehung im engeren Sinne ist allerdings in der Schule nur in Ansätzen möglich, das Leitbild von der Schule als >Staat im Kleinem ist überholt. 3) Während sich diese soziale und politische Erziehung auf die Formen des Verhaltens richtet, besteht die dritte und wohl schwierigste Auf-

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gäbe darin, den Weg zum riditigen Handeln zu eröffnen. Die uns umgebende soziale und politische Wirklichkeit muß als Aufgabe verstanden werden. Vor einem falschen Pflichtethos ist aber zu warnen. Bildung im bisher gemeinten Sinne muß auch Gesinnungsbildung sein, weshalb schon im Unterricht >belehrende Erziehung< erfolgen muß, durch >die ethische Akzente an die richtige Stelle gesetzt werden< (Spranger). >Anwendbares< Wissen ist demnach nicht nur Taktik und Beurteilung der Wirklichkeit auf die in ihr liegenden Möglichkeiten hin, sondern auch Einsicht in den Bezug zwischen der Wirklichkeit und den Leitbildern, die von den Ordnungsvorstellungen bis zu den Grundüberzeugungen reichen" (6, 732). Das scheint mir eine gute Kennzeichnung des Selbstverständnisses der politischen Bildung zu sein, wie es sich für eine relativ große Zahl der Sachverständigen bis heute ergeben hat. In ihr dürfte auch besonders deutlich hervortreten, welche charakteristische Verschiebung sich im Verständnis des hier zu Leistenden von der älteren .staatsbürgerlichen* zur heutigen politischen* Bildung und Erziehung ergeben hat: Es geht nicht mehr nur um die Formung eines verantwortungsbewußten und -fähigen Staatsbürgers, sondern um die Formung eines politischen Verantwortungsbewußtseins, das seine Motive und Intentionen aus Ideen empfängt, denen der eigene Staat selbst verpflichtet ist, d. h. deren Geltung weit über ihn hinausreicht, und die also ein den eigenen Staat zwar einschließendes aber ihn übergreifendes und deshalb grundsätzlich kritisches politisches Engagement des Bürgers fordern. Für die Erziehungswissenschaft nun ist die politische Bildung und Erziehung ein pädagogischer Bereich neben anderen. Sie steht deren Selbstverständnis und deren Praxis grundsätzlich kritisch gegenüber, d. h. sie entwickelt eine Theorie der politischen Erziehung und Bildung in eigener Zuständigkeit. Als Grundproblem einer solchen erziehungswissenschaftlichen Theorie der politischen Erziehung und Bildung darf man vielleicht das der inneren Reichweite, man kann auch sagen, das der Grenzen politischer Erziehung und Bildung bezeichnen. Beide tendieren zu einer gewissen Totalität ihres Anspruches, und zwar sowohl in dem Sinn, daß sie alle Menschen, wie in dem, daß sie jeden ganz beanspruchen möchten. Das ist einerseits in dem Selbstverständnis der modernen Demokratie begründet, die sich — gleich wie sie ihre Herrschaftsform verfassungsmäßig ordnet — auf Willen, Zustimmung und Kritik möglichst vieler Bürger stützen möchte, andererseits in der Tatsache, daß das Politische im heute gängigen Verständnis auf einen homo politicus zielt, der sich 13

Kittel, Ev. Religionspädagogik

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und die Welt wesentlich unter politischem Aspekt versteht. Gegen eine solche Totalisierung der politischen Erziehung und Bildung erhebt die Erziehungswissenschaft mannigfache Einwände. Ich exemplifiziere diese kritischen Bedenken an einer Erörterung von H . H . Groothoff (geb. 1915). In ihr heißt es: „Pädagogisch gesehen geht es darum, im Sinne der Anthropogenese und der Bildung auch den politischen Aspekt unseres Lebens und unserer Welt zu erschließen. Dabei ist zu beachten, daß wir diese Anthropogenese als Personagenese auslegen, weswegen alle Hilfen auf die hierfür konstitutive »selbsttätige« Auseinandersetzung zwischen dem werdenden Ich und der sich dabei erschließenden Welt hin entworfen werden müssen. Alles andere kann nicht wirklich assimiliert werden. Hierin ist begründet, daß die Theorie der politischen Bildung in der Erziehungswissenschaft anders aussieht als im Selbstverständnis eines politisch besorgten und politisch tätigen Erwachsenen und daß manche >Pädagogen« sich zwar einerseits der politischen Bildung zuwenden, sich andererseits aber auch zugleich in einer eigentümlichen Weise zurückhalten. Hierin ist aber auch begründet, warum die praktischen Hilfen oft unwirksam bleiben: Sie entspredien eben nicht der Genese der jungen Generation" (7, 250). Dahinter steht die Überzeugung, „daß — ungeachtet der neuen gesellschaftlich-geschichtlichen Entwicklung . . . — das menschliche Dasein nicht im >Bürgersein< aufgeht. Wo sich der Mensch als Person versteht, darf und soll er ein Gewissen haben. Ein Wesen aber, das ein Gewissen bat, ist selber eine höchste irdische Instanz. Die Pädagogik der Personagenese ist in ihrem Zentrum Kultur des Gewissens, auch und gerade in Hinsicht auf die politische Bildung (H. Schneider). Das schließt in sich ein, daß die Person, obschon sie als solus ipse, als ein Wesen für sich gar nicht möglich ist, doch ein Eigenrecht gegenüber Gesellschaft und Gemeinwesen hat. Die Pädagogik hat die >Sozialisierung< der nachfolgenden Generation zu fördern; sie steht aber im Zweifelsfalle auf der Seite des Individuums, seiner Not und seines Gewissens (Pestalozzi). Diese Pflicht unterscheidet unsere Pädagogik von der antiken (vorchristlichen); jene ging in der Politik auf, unsere ist eine eigenständige Disziplin geworden" (7, 250 f.). Von daher ergeben sich Groothoff — um bei diesem Exempel zu bleiben — folgende Aufgaben einer Theorie der politischen Bildung: a) Die Erhellung der Erziehung überhaupt — also schon etwa der des Kleinkindes — hinsichtlich ihres sozialen Aspektes. „Erziehung ist per se Sozialisierung" (7, 252). „Politische Bildung beruht genau so

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auf sozialer Bildung wie politisches Leben auf sozialem Leben (Oetinger)« (7, 252). b) Die Entfaltung eines realistischen Begriffs von Verantwortung. „Die Propädeutik f ü r ein demokratisches Selbstverständnis und Weltverhalten besteht in der verantwortlichen Teilhabe am sozialen Leben der eigenen Umwelt. Hierin steckt auch das Problem der Schülermitverwaltung wie überhaupt der politischen Unterweisung in der Schule; eine Imitation parlamentarischer Formen des politischen Lebens h a t nur Erfolg, wenn Verantwortung delegiert und die Schule im ganzen > demokratisiere wird. Unsere heutige, straff verwaltete, allgemeine öffentliche Schule fördert Verantwortlichkeit weder beim Lehrer noch beim Schüler" (7, 252). c) Die Erschließung eines f ü r die politische Erziehung und Bildung brauchbaren, ,elementaren' Verständnisses des Staates. „Mit Recht haben viele Autoren darauf hingewiesen, daß wir Deutschen endlich verstehen lernen müssen, was ein >Staat< ist (Litt, Weinstock u.a.). D a ß dies so schwierig ist, hat seinen Grund in unserer Geschichte, aber auch in der Sache selbst" (7, 253). d) Die Entwicklung kritischer Maßstäbe f ü r die ,Information über das faktische Gemeinwesen, seine politische, wirtschaftliche und gesellschaftlidie Lage*. „Eine derartige Information bildet ein eigenes Problem . . . Man muß lernen, solche Informationen zu interpretieren" (7, 253). e) „Entscheidend ist die Kultur des politischen Urteils und der politischen Auseinandersetzung. Solche Einübung beginnt im Sozialen, muß dann aber ins Politische transponiert werden, was im allgemeinen nur im Unterricht möglich sein wird. Hier stellt sich das eigentlich didaktisch-methodische Problem der politischen Bildung in der Schule" (7, 253 f.). Vergegenwärtigt man sich nun noch einmal, daß politische Erziehung und Bildung ein Fach aller Lebensalter ist, also nicht nur in der Schule ihren O r t hat, daß jedes der mannigfachen sozialen Gebilde, in denen sie geschieht, seine besondere Problematik besitzt, daß sie in Deutschland keine sehr hilfreiche Tradition hat und daß sie durch die Jahre 1933—1945 mit einer ganz ungewöhnlichen H y p o t h e k belastet ist, dann kann man sich leicht deutlichmachen, ein wie anspruchsvolles Vorhaben in einer Konzeption wie der Groothoffs: steckt. Und, wie gesagt: Diese Konzeption ist eine unter anderen. Die heutige Erziehungswissenschaft nimmt sich der politischen Erziehung und Bildung mit wachsender Intensität an. 13*

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Die evangelische Theologie kann sich an dieser politischen Erziehung und Bildung und ihrer Theorie nicht desinteressiert erklären. Zwar darf sich ihr Interesse auch hier nicht auf so etwas wie eine ,theologische Grundlegung' riditen oder gar beschränken, schon gar nicht, wenn eine solche Grundlegung offen oder heimlich meint, von ihr hänge die legitime Existenz dieses pädagogischen Bereiches ab. So wie Erziehung und Bildung überhaupt, und zwar in Theorie und Praxis, einer theologischen Legitimation nicht bedürfen, sondern ohne eine solche, als mit der menschlichen Existenz in der Welt notwendig gegeben, da sind, so sind auch die politische Erziehung und Bildung und das Nachdenken über sie mit der Existenz von Staaten unausweichlich gegeben und entfalten sidi auch in Staaten mit christlicher Tradition, ohne die Theologie nach ihrem Lebensrecht zu fragen. Aber damit ist diese Theologie nicht aus der Mitverantwortung für diese politische Erziehung und Bildung entlassen. Einmal deshalb, weil die Christenheit, für die die Theologie da ist, von dem Anspruch der politischen Erziehung und Bildung — zunächst äußerlich — genauso getroffen wird wie ihre nichtchristlichen Mitbürger. Ob dieser Anspruch durch die Christen auch innerlich bejaht wird, d. h. ob sie ihn in ihren Glauben aufzunehmen vermögen oder ob sie diesen Anspruch ,aus Glauben' ablehnen, ihn ignorieren oder bekämpfen, dies hängt wesentlich von einer Theologie ab, die auch die Probleme der politischen Erziehung und Bildung durchdenkt, wobei es sich weder um eine grundsätzlich theologische Rechtfertigung des Anspruchs der politischen Erziehung und Bildung handeln sollte, noch um eine grundsätzlich theologische Abweisung dieses Anspruchs. Sub specie dei kann man sich schwer mit solch abstrakten Theoremen begnügen, sondern wird genötigt, konkret zu urteilen. Die Theologie ist ihrer Christenheit ein ständiges kritisches Durchdenken aller an sie realiter gestellten Anforderungen der politischen Erziehung und Bildung schuldig — aller ohne Ausnahme, wobei eine Rang- und Dringlichkeitsordnung selbstverständlich sind. Aber nicht nur die Christen, auch die Nichtchristen motivieren eine Mitverantwortung der Theologen für die politische Erziehung und Bildung. Eine christliche Theologie, die ihre Verantwortung auf die Glaubensgenossen' beschränkt, wird insofern unglaubwürdig, als sie nicht mehr davon zu überzeugen vermag, daß es ihr ernstlich um den ,Nächsten' geht. Die kritische Erörterung der realen Anforderungen politischer Erziehung und Bildung ist von der christlichen Theologie immer auch im Interesse der Nichtchristen vorzunehmen, und zwar

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ohne daß damit missionarische Tendenzen verbunden sein dürfen. Diese Aufgabe ist besonders dringend da, wo die politsche Position der Christen stark und die der Nichtchristen schwach ist. Die jüngste Geschichte kennt durchaus Beispiele, die beweisen, daß eine solche Uneigennützigkeit keine utopische Forderung ist. Und damit wird schließlich auch einsichtig, daß Theorie und Praxis der politischen Erziehung und Bildung von sich aus Wert auf eine tätige Mitverantwortung christlicher Theologie legen müssen. Es muß ihnen selbst daran liegen, daß ihre Anforderungen von der christlichen Theologie kritisch interpretiert werden, da sie nur so für die Christen und — wenn diese Interpretationen wirklich christlich sind — auch für die Nichtchristen unter den Bürgern tragbar werden. Ja, es muß der Erziehungswissenschaft daran liegen, daß ihre Theorien der politischen Erziehung und Bildung die Kritik der Theologie — natürlich wiederum kritisch — in sich aufnimmt, damit sie nicht einer geistigen Autarkie anheimfällt, die notwendig das Ende ihrer Autonomie sein würde. Voraussetzung dabei ist natürlich immer, daß die christliche Theologie nicht bestrebt ist, der Theorie der politischen Erziehung und Bildung eine theologische Grundlegung zu geben, sondern ihrerseits die Autonomie der Erziehungswissenschaft auch in diesem Bereich anerkennt. Wenn nun noch der Versuch unternommen werden soll, eine solche Kooperation von Theologie und Erziehungswissenschaft an Beispielen zu charakterisieren, so muß an erster Stelle das Problem der Säkularität des Staates stehen (9 und 10). Wir hatten gesehen, daß das Selbstverständnis des Staates in der Bundesrepublik grundsätzlich auf eine ,weltanschauliche' also auch auf eine religiöse Fundierung des Staatsgedankens verzichtet. Zwar heißt es in der Präambel des Grundgesetzes noch, daß das deutsche Volk dieses Grundgesetz ,im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott (Sperrung von mir) und den Menschen" beschlossen habe. Aber diese Formel verpflichtet die Staatsbürger weder auf ein bestimmtes religiöses Bekenntnis noch überhaupt zu einem solchen. Der Eid auf dieses Grundgesetz kann ohne Berufung auf Gott geleistet werden (Art. 140), und eins der wichtigsten von ihm konstituierten Grundrechte lautet, wie wir sahen: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich" (Art 4 (1)) — was die Freiheit zum Unglauben einschließt. Für den Protestantismus ist es keineswegs leicht, zu dem in dieser Weise säkularisierten Staat eine Einstellung ohne Vorbehalte zu finden. Zwar hat die .Glaubensfreiheit'

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gerade in den protestantischen Ländern Deutschlands während der letzten 150 Jahre eine nicht unbedeutende Tradition. Aber sie war weitgehend in einer Staatsmetaphysik aufgehoben, die sich leicht in eine den Staat auch für den evangelischen Christen mehr oder weniger sakralisierende Staatstheologie verwandeln ließ. Nachwirkungen dieser Sakralisierung reichen durchaus über das Ende der Monarchien hinaus weit in die Weimarer Zeit hinein. Und eine Nachwirkung dieser Art ist es auch, daß so viele Protestanten nach 1945 zum Staat der Bundesrepublik nur schwer ein Verhältnis fanden und finden: Sie vermissen in ihm ein Element höherer Weihe, das seinen Anspruch im Absoluten begründet, aus dem Absoluten rechtfertigt. Wer eine gründliche Überwindung dieser inneren Distanz zum Staat der Bundesrepublik will, muß sich zunächst deutlichmachen, daß in ihr nicht nur sentimentale Bedürfnisse nach einem gewissen ,überirdischen' Dekor alles Staatlichen wirksam sind. Gewiß spielen auch sie eine Rolle. Aber sie haben ihrerseits einen tieferen Grund. Der Staat ist die .letzte' irdische Instanz der Macht. Noch gibt es keine .überstaatlichen* Instanzen, die ihm diese Qualität zu nehmen vermöchten; es gibt nur mächtigere Staaten, die die Macht des Staates in der Bundesrepublik einschränken. Das ist ein für den Menschen in vieler Hinsicht unheimlicher Tatbestand. Was schützt ihn gegen einen Mißbrauch dieser staatlichen Macht? Er hofft immer wieder: eine religiöse, d. h. in unserem Falle christliche Dignität des Staates, die diesen an überweltliche, also der Kritik entzogene Normen bindet. Wer unter den heutigen Protestanten dem Staat eine überweltliche Würde zuzuschreiben geneigt ist, möchte, bewußt oder unbewußt, eine Berufungsinstanz in Geltung wissen, an die er bei Mißbrauch staatlicher Gewalt appellieren kann und die ein sakralisierter Staat deshalb beachten muß, weil er in ihr sein Fundament hat. Anders gesagt: In jeder solchen Sakralisierungsbemühung steckt — einem weitverbreiteten Mißverständnis entgegen — nicht einfach der Versuch, aus dem Staat als letzter irdischer Instanz eine letzte Instanz überhaupt, sondern gerade auch das Bemühen, ihn aus einer letzten zu einer vorletzten Instanz zu machen. Man wird also die Kritik solcher Sakralisierungsneigungen nicht einfach als Polemik gegen im Grunde .mittelalterliche Romantizismen' durchführen können. Darin läge eine Überschätzung ihrer Intentionen, die eine solche Kritik unfruchtbar macht. Vielmehr wird man zwei dieser Intentionen positiv in eine solche Kritik aufnehmen müssen. Einmal die, überhaupt theologische Aussagen über den Staat zu machen

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und diesen nicht, weil er nun einmal säkularisiert ist, einfach aus dem christlichen Bewußtsein auszuklammern. Und dann die, die Bedeutung des Staates zu relativieren. Beides wird am leichtesten dann geschehen können, wenn man von der Einsicht ausgeht, daß die Säkularisation des Staates, wie überhaupt das Phänomen der Säkularisierung in der Neuzeit, ihre wahrscheinlich entscheidende Wurzel in der Reformation haben. Diese hat die eigenständig-weltliche, d. h. von den Repräsentanten der Christenheit unabhängige Funktion der Obrigkeit begründet. Das bedeutsamste und zugleich sprechendste Symptom dieser Entlassung der Obrigkeit aus der Vormundschaft der christlichen Kirche ist die Tatsache, daß Luther auch eine nichtchristliche, ja sogar eine erkennbar ,böse' Obrigkeit als solche anzuerkennen vermochte. Ihre Zuständigkeit sah er nur dort begrenzt, wo es um Glaubensdinge ging. Freilich bedeutet dies nicht, daß Luther die Obrigkeit zum Nebengott neben dem wirklichen Gott machte oder gar den wirklichen Gott in der Obrigkeit aufgehen ließ. Vielmehr bleibt bei ihm der wirkliche Gott, also der Vater Jesu Christi, der Obrigkeit eindeutig übergeordnet; auch wo diese ihn nicht kennt oder nicht kennnen will, bleibt sie sein Werkzeug. Und dies wiederum bedeutet, daß die Christenheit der Obrigkeit gegenüber nicht einfach zu blinder Unterwerfung verpflichtet ist. Der Gehorsam, zu dem sie dieser gegenüber berufen ist — weil sie nicht ohne Gottes Willen ihr Amt ausübt — ist ein grundsätzlich kritischer Gehorsam. Die Christenheit bringt der Obrigkeit gegenüber sowohl das natürliche* Recht, das die Vernunft erkennt, wie das Gesetz Gottes zur Geltung, wobei zu beachten ist, daß für Luther beide in einem bestimmten Zusammenhang stehen. Damit ist diese Obrigkeit zugleich entsakralisiert, wie einer — nicht mit ihr identischen — .letzten' Bindung unterworfen; es ist zugleich eine Solidarität der Christen und Nichtchristen in ihrem Verhältnis zur Obrigkeit erschlossen, wie eine sinnvolle kritische Funktion der Christenheit gegenüber der Obrigkeit. Ein evangelisdier Christ, der sich dies vergegenwärtigt, kann also die Säkularisation des Staatsgedankens bejahen, ohne in seinem Verhältnis zu diesem säkularisierten Staat seinen Glauben gewissermaßen dispensieren zu müssen. Die Aufhellung dieses Tatbestandes ist vielleicht der wichtigste Beitrag den die evangelische Theologie zur Theorie aller Grade der politischen Erziehung und Bildung zu leisten vermag. Denn bei der Lösung dieser Aufgaben fallen die Gr««i/entscheidungen über Möglichkeit und Art der Beteiligung evangelisdier Christen an der politischen Erziehung und Bildung.

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Aber ist diese Aufgabe eine ,religionspädagogische'? Oder ist sie nicht eine solche der theologischen Ethik? Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach. Man wird zunächst sagen müssen, daß die Religionspädagogik hier unabdingbar auf eine Kooperation mit der Ethik angewiesen ist. Ein Problem wie das des Verhältnisses von evangelischem Glauben zum modernen Staat und dem politischen Leben, das dieser entbindet, ist nicht ,rein' pädagogisch zu lösen. Versuchte die Religionspädagogik dies, so wäre es unvermeidlich, daß sie zum bloßen Werkzeug staatlichen Willens bzw. des politischen Willens gesellschaftlicher Mächte — z. B. der institutionalisierten Kirche — würde. Sie würde diesem politischen Willen nur eine religiöse Weihe geben und ihn damit, je pädagogischer' sie ist, lediglich besonders eingängig machen. So sehr Politikern eine soldie Funktion der Religionspädagogik immer wieder willkommen sein mag, so sehr widerspräche sie doch dem Selbstverständnis des modernen Staates und auch dem einer sich wirklich reformatorisch verstehenden Kirche. Beide müssen, halten sie an diesem Selbstverständnis mit einiger Strenge fest, von der Religionspädagogik fordern, daß sie wirklich theologisch verfahre, d. h. daß sie den politischen Willen, sei es des Staates, sei es der gesellschaftlichen Mächte — also z. B. der Kirche — der theologischen Kritik unterwirft. Dies aber kann sie nur in engstem Kontakt mit der Gesamttheologie, insbesondere der theologischen Ethik (11—13). Eine solche Abhängigkeit der Religionspädagogik von der theologischen Ethik entmündigt also die Religionspädagogik nicht. Im Gegenteil: Sie ist die einzige Möglichkeit, der Religionspädagogik in ihrem Verhältnis zur Welt, hier also zur politischen Erziehung und Bildung, ihre Unabhängigkeit, also ihre Kritikfähigkeit zu erhalten. Denn die Selbstbindung der Religionspädagogik an die Gesamttheologie — vermittelt durch die theologische Ethik — ist ihre Selbstbindung an ein Verfahren der Wahrheitsfindung, das nicht durch weltliche, z. B. politische Zwecke normiert ist. Dies heißt freilich nicht, daß die Religionspädagogik der Gesamttheologie, insbesondere der Ethik nur rezeptiv gegenüberstände. Sie belebt zunächst grundsätzlich das ethische Interesse der Theologie, indem sie ihr gegenüber unabweisbarer Anwalt des zum Handeln genötigten Menschen ist. Das ist in der Gegenwart mindestens im protestantischen Bereich eine Aufgabe von besonderem Gewicht und besonderer Dringlichkeit. Denn noch immer ist der Protestantismus ethisch nicht sonderlich interessiert. Aus Gründen, denen hier nicht näher nachgegangen werden kann, sind die ethischen Probleme in

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ihm lange Zeit in den Hintergrund getreten, ja es gibt in ihm so etwas wie eine Verachtung des Ethischen als des .bloß Moralischen', die sich zwar gern auf die reformatorische Rechtfertigungslehre beruft, aber doch deren wirkliche Intention verhängnisvoll verfehlt. Die Religionspädagogik kann sich eine solche ethische Enthaltsamkeit gleichsam nicht leisten und muß aus ihrer jeweiligen Situation heraus die theologische Ethik ständig bedrängen, jene Probleme zu durchdenken, denen der Mensch einfach nicht ausweichen kann. Eine solche grundsätzliche Belebung des ethischen Interesses der Theologie durch die Religionspädagogik würde freilich weder gelingen noch anhalten, wenn sie nur in allgemeinen Appellen bestände. Deshalb formuliert die Religionspädagogik für die Theologen anderer Disziplinen, insbesondere für die theologische Ethik konkrete Probleme, die diese entweder überhaupt nicht oder nicht in der genügenden Schärfe sehen. In diesem Buch finden sich genügend Beispiele hierfür, die deutlichmachen, daß die Religionspädagogik schon heute tatsächlich ihr Nehmen von der Gesamttheologie mit einem nicht geringwertigen Geben vergilt. Die weitere Entwicklung der Religionspädagogik wird das immer sdiärfer hervortreten lassen. — Auch das zweite Beispiel einer notwendigen Kooperation zwischen Religionspädagogik und Erziehungswissenschaft auf dem Gebiet der politischen Erziehung und Bildung, das hier genannt werden soll, ist zugleich ein Beispiel für diese Funktion der Religionspädagogik im Rahmen der Gesamttheologie, insbesondere der theologischen Ethik: das Problem des Gewissens (12. 14. 15. 16). Wir hatten uns vergegenwärtigt, daß die Erziehungswissenschaft aus ihrer kritischen Distanz zu Theorie und Praxis der politischen Erziehung heraus auch jenen tiefen Konflikt zu formulieren vermag, der zwischen Pädagogik und Politik entstehen kann, wenn die Politik ihren Anspruch auf den Menschen totalisiert. Ich wiederhole das Zitat aus einer einschlägigen Erörterung Groothoffs (vgl. S. 194): „In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß — ungeachtet der neuen gesellschaftlich-geschichtlichen Entwicklung . . . — das menschliche Dasein nicht im >Bürgersein< aufgeht. Wo sich der Mensch als Person versteht, darf und soll er ein Gewissen haben. Ein Wesen aber, das Gewissen hat, ist selber eine höchste irdische Instanz. Die Pädagogik der Personagenese ist in ihrem Zentrum Kultur des Gewissens, auch und gerade in Hinsicht auf die politische Bildung (H. Schneider)." Hier wird also von erziehungswissenschaftlicher Seite eine Gewissenskultur gefordert, damit die Ansprüche der Politik an

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den Menschen nicht übersteigert und dadurch schließlich diskreditiert werden. Natürlich hängt das mit Groothoffs Grundverständnis von Pädagogik und seiner Anthropologie zusammen (Personagenese!). Aber man wird sich die Problematik der Rolle des Gewissens in der politischen Erziehung und Bildung nicht dadurch erleichtern dürfen, daß man sie zum mehr oder weniger privaten Interesse einzelner Erziehungswissenschaftler erklärt. Denn erstens ist die Zahl der Erziehungswissenschaftler, die in der Pädagogik grundsätzlich mit dem menschlichen Gewissen rechnen und es deshalb direkt oder indirekt auch bei der politischen Erziehung und Bildung ins Spiel bringen, nicht gering. Wenn die von Groothoff erwähnte Arbeit H . Schneider's „Politische Bildung als Gewissensbildung" (15) heißt, so ist das für die gegenwärtige Theorie der politischen Erziehung und Bildung durchaus symptomatisch. Im übrigen aber muß darauf hingewiesen werden, daß unser öffentliches Bewußtsein allenthalben von der Voraussetzung ausgeht, daß die Menschlichkeit des Mensdien mit der Existenz des menschlichen Gewissens zusammenhängt. Die Freiheit des Gewissens gehört zu den Grundrechten des Grundgesetzes (Art. 4 (1)) und begrenzt dort sogar die Pflicht zum Dienst mit der Waffe (Art. 4, 3). Gewiß gehört zu dieser .Freiheit des Gewissens' auch die Freiheit, dessen Realität zu bezweifeln. Aber diese Zweifel sind doch allen w i s senschaftlichen' Begründungen zum Trotz nicht nennenswert wirksam geworden. Daß das Gewissen eine ,Chimäre' sei, ist eine These aus der Weltanschauung des Unmenschen, die zu erneuern keine sehr verbreitete Neigung besteht — vestigia terrent. Was sagt die evangelische Theologie zum Problem des Gewissens? Nicht sehr viel, nicht sehr Eindringliches, jedenfalls nicht sehr Wirksames. Wenn davon die Rede sein mußte, daß es in der evangelischen Welt der Gegenwart so etwas wie eine Verachtung des Ethischen als des ,bloß Moralischen' gibt, so gilt ähnliches für das Phänomen des Gewissens. Natürlich gehört es zu dem herkömmlichen Problem-Katalog der theologischen Ethik und kommt deshalb in den ethischen Systemen der evangelischen Theologie und in den theologischen Lexika vor. Aber was hier gesagt wird, pflegt doch — von verheißungsvollen Ausnahmen abgesehen — eine letzte Uninteressiertheit zu atmen, ein mehr oder weniger nur gelehrtes Engagement. Das hat zur Folge, daß der evangelische Christ im allgemeinen von seiner Theologie nur lernt, das Gewissen ,nicht zu überschätzen'. Im wesentlichen weiß er über das Gewissen nur zu sagen, daß man es auf keinen Fall als ,Gottes Stimme' verstehen dürfe. Und um das zu begründen, werden dann alle

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psychologischen, soziologischen und historischen Beobachtungen zusammengetragen, die das .beweisen'. Alle Bestrebungen, die das Gewissen zu relativieren trachten, pflegen heute in evangelischen Christen besonders dankbare Anwälte zu finden. Und man weiß sich dabei theologisch besonders auf der Höhe: Die Preisgabe des Gewissens erfolgt gewissermaßen im Namen Gottes, dessen ,Gesetz' aller ,bloß menschlichen' Gewissenssprache grundsätzlich überlegen sei und diese eigentlich überflüssig mache. Die Religionspädagogik kann sich mit dieser Situation nicht abfinden. Sie sieht, daß die theologische Destruktion des Gewissens eine zerstörerische Wirkung auf die Menschlichkeit des Menschen hat. Man kann das Gewissen nicht bagatellisieren, ohne das ethische Leben des einzelnen und damit das der Sozietäten zu paralysieren, ohne nämlich den einzelnen zu entmündigen und damit ihn und seine Sozietäten der ethischen Willkür derer zu unterwerfen, die behaupten, ,von Gott her' zu wissen, was Gut und Böse ist. Die Religionspädagogik sieht deshalb auch schärfer, als das offenbar andere theologische Disziplinen zu sehen vermögen, daß sich im Untergrund der theologischen Bagatellisierung des Gewissens jene Klerikalisierung des Ethischen regt, die dadurch nicht besser wird, daß sie nicht mehr nur vom eigentlichen Klerus, sondern von allen ,bewußten Christen' getragen wird. Das allgemeine Priestertum der Gläubigen' bekommt hier die verhängnisvolle Fehldeutung, daß nur der Christ ethische Unterscheidungen zu treffen vermag, weil nur er um ,Gottes Willen' weiß, und daß deshalb die Menschheit in ihrem ethischen Schicksal von der Christenheit schlechthin abhängig sei. Es gibt kaum einen tieferen Bruch der Solidarität der Christenheit mit der Menschheit als die bewußt oder unbewußt aus diesem Motiv vollzogene christliche Bagatellisierung des Gewissens. Das gilt nun auch und vielleicht besonders für die politische Erziehung und Bildung. Wenn die Erziehungswissenschaft der Gewissenskultur eine solche Bedeutung für diesen pädagogischen Bereich zumißt, wie wir das kennenlernten, die Theologie aber zu einer solchen Bemühung nichts weiter zu sagen hat, als daß sie ein ebenso fragwürdiges Unternehmen sei, wie alles Menschenwerk, dann gibt diese Theologie damit die politische Erziehung und Bildung entweder als sub specie dei irrelevant überhaupt preis, oder sie zielt bewußt oder unbewußt auf ihre Unterwerfung unter den .besser', nämlich an Gott orientierten Willen der Christenheit. Man darf nicht sagen, daß solche Intentionen christlicher Theologie heute keine Chance hätten. Die mannigfaltigen

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Bestrebungen, die zu einer Verdiristlichung von Staat und Politik erziehen und bilden möchten, sprechen eine deutliche Sprache. Aber auch die sich immer wieder zu Wort meldenden Versuche — wir werden noch Genaueres von ihnen hören (vgl. § 21, 2) — den weltanschaulichen Pluralismus zu politisieren, d. h. als Motiv der Installierung einer christlichen Gruppenpolitik und einer zu ihr gehörigen christlich-politischen Bildung zu benutzen, gehört hierher. Und schließlich muß man auch eine bestimmte christliche Abstinenz gegenüber der politischen Erziehung und Bildung in diesem Zusammenhang sehen: Alan will sich auch in dieser Hinsicht ,von der Welt unbefleckt' halten. Die Religionspädagogik kann eine fruchtbare Theologie des Gewissens nicht in eigener Zuständigkeit entwickeln, auch nicht für die so brennenden Aufgaben der politischen Erziehung und Bildung. Aber sie muß die hier zu leistenden Aufgaben der theologischen Ethik mit großem Nadidruck ,aufs Gewissen legen', damit sie der Erziehungswissenschaft auch in dieser Sache kritisch-hilfreich begegnen kann. Einstweilen wird sie sich in ihrem Umgang mit der Erziehungswissenschaft auf einen dreifachen Hinweis beschränken müssen, der freilich audi in der Unbeholfenheit, mit der er von ihr in der Diskussion des Gewissens nur zur Geltung gebracht werden kann, nicht ohne Bedeutung ist. Sie wird feststellen können, daß der Christ kein anderes Gewissen hat als jeder Mensch; es gibt für den Christen kein anderes Gut und Böse als für den Nichtchristen und immer wieder wird der Christ beschämt feststellen müssen, daß das Gewissen des Nichtchristen differenzierter, präziser und in größerer Fülle redet als das des Christen. Sodann wird der Religionspädagoge den erziehungswissenschaftlichen Theoretiker des Gewissens darauf aufmerksam machen können, daß das menschliche Gewissen immer die große Verführung zu jener Selbstgerechtigkeit ist, die die Mitmenschlichkeit, an der dem Pädagogen so viel gelegen sein muß — auch und gerade im politischen Bereich — in der Tiefe zerstört; gerade wer sich einer Kultur des Gewissens mit besonderer Leidensdiaft hingibt, wird immer auch gerade von dieser Gefahr bedroht sein. Und schließlich wird der Religionspädagoge zu der erziehungswissenschaftlichen Diskussion des Gewissens den Hinweis beisteuern können, daß das menschliche Scheitern am Gewissensspruch, in dem allein seine Selbstgerechtigkeit zerbrochen wird, in der Vergebung Gottes die einzige Chance seiner Überwindung hat, da der Mensch sich dieses Scheitern weder selbst vergeben noch von andern Menschen vergeben lassen kann. Gewiß reflektieren diese Hinweise auf den Glauben an das Evangelium. Aber

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deshalb sind sie für den Erziehungswissenschaftler keineswegs nur dann relevant, wenn dieser selbst Christ ist. Sie nötigen auch den nichtchristlichen Erziehungstheoretiker, seine Theorie des Gewissens für die Geltung dieser Hinweise offenzuhalten und nicht mit kryptoreligiösen Theorien für diese Geltung zu verschließen. Das aber ist für die reale Gewissenserziehung von denkbar größter Bedeutung. Nicht nur deshalb, weil diese dann den christlichen Glauben einbeziehen kann, was freilich angesichts der relativ großen Zahl von Christen im Bereich des hier zur Debatte stehenden Erziehungsdenkens wichtig genug ist. Auch für die Nichtchristen ergibt sich eine weittragende Konsequenz: Ihm wird die Erkenntnis der vom Gewissen gewirkten Selbstgerechtigkeit nicht verstellt. Was das insbesondere für die politische Erziehung und Bildung bedeutet, liegt auf der H a n d . — So bliebe nur noch übrig, auf einen Tatbestand aufmerksam zu madien, der zwar in vielen Bereichen, in denen eine Kooperation von Erziehungswissensdiaft und Theologie erforderlich ist, begegnet, der aber nach meiner Einsicht im Bereich der politischen Erziehung und Bildung eine besondere Bedeutung besitzt: den Tatbestand, daß indirekte christliche Beiträge zur politischen Erziehung besonders fruchtbar sind. Nach meiner Beobachtung führt die direkte Beteiligung der Christenheit an der politischen Erziehung und Bildung, also die direkte Mobilisierung des christlichen Glaubens für politische Erziehungs- und Bildungszwecke allzu häufig zu nicht geringen Schädigungen sowohl dieses Glaubens wie dieser pädagogischen Zwecke. Der christliche Glaube gerät dabei in den Verdacht der politischen Gefügigkeit, sei es gegenüber dem Staat, sei es gegenüber politischen Gruppen, und die politischen Tugenden, die geweckt werden sollen, geraten in das Zwielicht, Spiegelungen klerikaler Sehnsüchte zu sein. Wo eine produktive Einwirkung des christlichen Glaubens auf die politische Erziehung und Bildung stattfindet, geschieht sie eigentlich immer indirekt. Die Sorge für das, was man heute mündige Christenheit zu nennen pflegt, erweist sich in erstaunlich vielen Fällen als eine ungewöhnlich nachhaltige Hilfe zur Fähigkeit, politische Verantwortung wahrzunehmen, auch wenn diese Sorge von politischen Problemen und Aufgaben überhaupt nicht spricht. Die auf diese Weise entstehende politische Verantwortungsfähigkeit sucht sich ihre Information auf eigenen Wegen, trifft ihre Entscheidungen in eigener Zuständigkeit und erreicht so auch besonders leicht jene politische Mündigkeit, die

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schließlich das wichtigste Ziel aller politischen Erziehung und Bildung ist. Um dies seiner Wichtigkeit wegen noch etwas an Beispiel und Gegenbeispiel zu erläutern, sei an Folgendes erinnert. Auch die evangelischen Kirchen — Landeskirchen wie Evangelische Kirche in Deutschland — fühlen sich seit 1945 verpflichtet, ihren Gliedern und darüber hinaus der Öffentlichkeit durch Weisungen bei der politischen Meinungsbildung zu helfen, d. h. direkte Beiträge zur politischen Erziehung und Bildung zu leisten. Es sind gleichsam Muster einer politisch-pädagogischen Direkt-Hilfe auf jeweils höchster christlicher, kirchlicher Ebene, die, was wohl auch beabsichtigt ist, dann stilbildend für eine politische Beratungstätigkeit vieler unserer Pfarrer wirken. Das Grundmotiv dieser Weisungen — meist ,Wort zu . . . ' genannt — ist wohl die Überzeugung, daß die evangelischen Kirchen vor und nach 1933 zu wenig auf eine solche politische Erziehungs- und Bildungsarbeit bedacht waren und dadurch schuldhaft Versäumnisse auf sich geladen haben, aus denen man lernen müsse, es in Gegenwart und Zukunft besser zu machen. Als Sekundär-Motiv dürfte auch mitgewirkt haben und mitwirken, daß man nicht länger hinter der katholischen Kirche zurückstehen wollte und will, die ja eine sehr viel ältere und — in ihrem Sinn — wirksamere Praxis solcher Weisungen, d. h. solcher Direktaktion politischer Erziehung und Bildung besitzt. Daß die katholischen Weisungen dieser Art ,autoritärer', die evangelischen demokratischer' seien, erweist sich bei näherem Zusehen als ein verhältnismäßig oberflächliches Urteil. Denn einerseits beruhen selbstverständlich auch die katholischen auf einer ihrem Erlaß durdi kirchliche Autoritäten vorausgehenden Urteilsbildung von relativ breiter Basis aus; und andererseits sind auch die Gremien, die bei der Entstehung evangelischer Weisungen dieser Art mitwirken, nicht gerade sehr umfangreich, und auch hinter solche evangelische Weisungen tritt bei ihrer Publikation immer eine hohe kirchliche Autorität. Die Unterschiede des Anspruches und der Wirkungsabsicht sind also praktisch — wenigstens in Deutschland — nicht sehr groß. Schon diese Tatsache muß zu einer gewissen Skepsis gegenüber der grundsätzlichen Richtigkeit solcher evangelischen Weisungen mahnen. Es soll nicht bestritten werden, daß ihnen im Einzelfall eine positive Bedeutung zukommen kann, wie das etwa bei dem ,Wort der Generalsynode der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Schulfrage' von 1958 m. E. der Fall war und ist (vgl. § 14). Soldie ,Worte' können gesegnet sein. Aber als kirchliche Institution dürften sie doch fragwürdig sein. Das geht außer aus ihrer

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bedrückenden Verwandtschaft mit ihren katholischen Vorbildern, die doch in einem vom evangelischen recht tief unterschiedenen Kirchenverständnis wurzeln, auch aus ihrer durchschnittlichen Wirkung hervor. Es scheint mir offenkundig zu sein, daß sie nicht zu einer besonders sachlichen und durch ihre Sachlichkeit unabhängigen politischen Urteilsbildung führen, sondern daß sie im allgemeinen die Zahl der politischen Gruppenmeinungen außerhalb und innerhalb der Kirche und also die der politischen Abhängigkeiten nur vermehren. D a ß evangelische Christen durch sie in besonders großer Zahl politisch mündig gemacht würden, kann man wirklich nicht behaupten. In gewisser Hinsicht muß man sogar sagen: im Gegenteil. Die Anhänger solcher kirchlichen ,Worte* zu politischen Themen pflegen doch nicht nur von den jeweils vorgetragenen sachlichen Argumenten — selbst wenn man sich mit dieser Sachlichkeit sehr viel Mühe gibt — bestimmt zu sein, sondern auch von der höheren Weihe, die diese Argumente durch die sie deckenden kirchlichen Instanzen erhalten und, man mag eine solche Weihe formulieren, wie man will, doch auch erhalten sollen. Keine politische Abhängigkeit aber wurzelt so tief und fest im Menschen wie die religiös motivierte. Als Gegenbeispiel zu dieser politischen Direkthilfe in Gestalt kirchlich autorisierter Weisungen möchte ich eine bestimmte Art von politischen Diskussionen bezeichnen, die seit 1945 auf kirchlichem Boden stattfinden und deren Fruchtbarkeit offensichtlich noch nicht erschöpft ist. Am markantesten ist ihre Eigenart in den Evangelischen Akademien entwickelt worden, weshalb sie dort auch am leichtesten in dieser Eigenart zu studieren sind. Sie entstehen aus der Beobachtung, daß ein bestimmtes politisches Thema einerseits einer gründlichen Debatte bedarf, andererseits für die öffentliche Diskussion durch irgendwelche Tatbestände — z. B. sich gegenseitig blockierender Gruppeninteressen — tabu geworden ist. Manche Leiter Evangelischer Akademien haben im Aufspüren solcher Themen ein erstaunliches Geschick entwickelt und greifen sie, was mir nicht nur legitim, sondern besonders verdienstlich zu sein scheint, schon dann auf, wenn jenes Tabu noch gar nicht besonders wirksam, jedenfalls für die Öffentlichkeit noch nicht erkennbar geworden ist. Indem sie dann kirchlichen Boden* für solche politischen Diskussionen zur Verfügung stellen, wollen sie also den beteiligten Kontrahenten nicht kirchliche Lösungen ,vom höheren Standpunkt' mitteilen oder gar suggerieren, sondern sie wollen ihnen nur die Chance bieten, die Resignation der erschöpften Debatte zu überwinden, erneut miteinander ins Gespräch zu kommen, dabei mög-

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liehst freimütig im Hören und Reden zu sein, und zu erfahren, daß man auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen ist, daß man also vernünftige, verträgliche Lösungen finden muß und in aller Regel auch finden kann. Dabei pflegt sich dann zu ergeben, daß der ,kirdiliche Boden', auf dem man diskutiert, gerade wenn er ein Boden kirchlichen Verzichts auf kirchliche Lösungen politischer Probleme ist, eine erstaunlich reale Bedeutung für die Überwindung politischer Friktionen besitzt. Gerade dadurch, daß die Kirche nicht mit eigenen Entwürfen in die Konkurrenz der politischen Positionen eintritt, weckt sie zweierlei, was die Fronten mit gemeinsamer Verantwortung zu begaben pflegt: selbstkritische Wahrhaftigkeit und selbstlose Hörfähigkeit. Und nicht einmal die Bereitung des in dieser Weise fruchtbaren Bodens ist Resultat einer politischen Anstrengung der beteiligten Kirchenleute. Vielmehr wird er allein durch das Wort des Evangeliums bereitet. Der Gottesdienst, der am Ort dieser Diskussion gehalten wird, bereitet ihn, kein Appell an den guten Willen der Beteiligten und erst recht keine politisch versierte Tagungsleitung. So werden diese politischen Diskussionen auf kirchlichem Boden zu einem indirekten Beitrag der Christenheit zur politischen Erziehung und Bildung von hohem Rang. Man braucht sich nur einen Augenblick zu vergegenwärtigen, welche verhängnisvollen politischen Folgen es haben muß, wenn Tabus der angesprochenen Art nicht gebrochen werden und also die entsprechenden Verhärtungen der politischen Gegner abseits der Öffentlichkeit unkontrolliert und ungestört ihre Wirkung ausüben können, um einzusehen, daß die Christenheit dem politischen Leben durch die Ermöglichung jener Diskussionen einen Dienst von schwer abschätzbarer Bedeutung leistet. Denn wer sollte diesen Dienst sonst leisten? Kann aber politisches Leben fruchtbar bleiben, ohne daß es die Möglichkeit solcher Diskussion gibt? Aber noch einmal: Diese Möglichkeit ist nur dann gegeben, wenn die sie bereitenden Kirchen nicht selbst in die Arena steigen, wenn der beabsichtigte Beitrag zur politischen Erziehung und Bildung indirekt in sehr strengem Sinn des Wortes bleibt. Weil also an diesem Gegenbeispiel Charakter und Bedeutung der Jndirektheit' kirchlicher Beiträge zur politischen Erziehung und Bildung besonders deutlich in Erscheinung treten, sei schließlich an dieser Stelle die Frage erlaubt, ob solche indirekten Beiträge nicht mindestens die vornehmsten, vielleicht sogar die einzigen werden und bleiben sollten, die kirchlicherseits zur politischen Erziehung und Bildung zu leisten sind. Jede politische Direkthilfe der Kirche etwa in

Bereiche der öffentlichen E r z i e h u n g und B i l d u n g

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Gestalt der erwähnten Weisungen, macht die Kirchen in der betreffenden Frage zur Partei, und zwar sowohl gegenüber ihren Gliedern, wie gegenüber der Öffentlichkeit. Das bedeutet, daß sie in einer solchen Frage nicht mehr jenen Boden zu bieten vermag, auf dem jene selbstkritische Wahrhaftigkeit und jene selbstlose Hörfähigkeit entstehen, die eine gemeinsame Verantwortung hoffnungslos zerstrittener politischer Kontrahenten ermöglichen. Wenn es sich nun aber um eine fundamental wichtige Frage des politischen Lebens handelt? Und wenn durch die Häufung solcher kirchlichen Parteinahmen schließlich auch das Vertrauen schwindet, mit der Diskussion von Fragen auf den Boden der Kirdie zu treten, bei denen diese noch nicht Partei ergriff? Steht hier nicht grundsätzlich die Möglichkeit der Kirdie in Gefahr, Heilsames für das politische Leben zu leisten? Und noch einmal: Wenn die Kirche diese Chance verliert — wer tritt an ihre Stelle? Ich verstehe den brennenden Wunsch der Kirche, um des Menschen willen audi politisdie Verantwortung wahrzunehmen. Aber ich meine zu sehen, daß die realen Möglichkeiten hierzu in dem Maße schrumpfen, in dem diese Verantwortung direkt statt indirekt wahrgenommen wird. Dem bei vielen kirchlichen Stellen wachsenden Willen zur politischen Direkthilfe entspricht nach meiner Beobachtung ein wachsender Unwille der Öffentlichkeit, eine solche Direkthilfe entgegenzunehmen, ja eine wachsende Abscheu vor ihr und ein sdinell zunehmendes Mißtrauen gegen kirchliches Interesse am politischen Leben überhaupt. Die gute Unbefangenheit der Öffentlichkeit gegenüber der evangelischen Kirdie, die einmal, zum Beispiel im Zusammenhang mit den politischen Diskussionen an Evangelischen Akademien, zu wadisen begann, und von deren Ausbreitung und Kräftigung so unendlich viel für die Gesamtwirksamkeit dieser Kirche abhängt, ist fortschreitend im Schwinden begriffen. Sicher hat das mannigfache Gründe; sicher aber audi, und vielleicht sogar in erster Linie den des allzu direkten Eingreifens kirchlicher Stellen in die politische Meinungsbildung. Man kann auch nicht mehr ohne Einschränkungen behaupten, daß der Verdacht, bei diesem kirchlich-politischen Direktengagement spiele politischer Wille gelegentlich eine größere Rolle als kirchlicher, ganz ohne Grund ist. Die immer wieder offen geäußerte Genugtuung über politische ,Erfolge', die man errungen zu haben meint, spricht eine recht unmißverständliche Sprache. Und das Schlagwort der politischen Diakonie', die auch die Evangelische Kirche auszuüben habe, erregt in nicht wenigen Kreisen der politischen Öffentlichkeit bereits eine 14

Kittel, Ev.

Religionspädagoßik

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charakteristische Nervosität, die kirchlidierseits zu unbedacht ,Wirksamkeit' der politischen Direkthilfe positiv gebucht wird.

als

Aus alledem ergibt sich für Erziehungswissenschaft und Theologie (als Ethik und Religionspädagogik) die Aufgabe, über die Rolle der indirekten Hilfen in der politischen Erziehung und Bildung noch genauer nachzudenken, als das bisher schon geschah. Die erziehungswissenschaftliche Theorie ist der Theologie in dieser Hinsicht ohne Zweifel voraus. Für die Theologie ist es um so dringender, diesen Vorsprung einzuholen, als bei der Erörterung dieser Probleme notwendig Entscheidungen berührt werden, die das Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit überhaupt betreffen. Das wird im Folgenden auch noch bei der Behandlung anderer Gegenstände deutlich werden. Zum Thema „Staat" vgl.: 1. Evangelisches Staatslexikon, hg. von S. Grundmann und H. Kunst, 1966. 2. W.Schweitzer, Art. „Staat III (Staat in der christlichen Lehre), in: RGG 3 VI, 297 ff. 3. Th. Ellwein, Art. „Demokratie", in: Päd Lex 151 ff. 4. H. v. Mangoldt und F. Klein, Das Bonner Grundgesetz, 19572 ff. Zum Thema „Politische Erziehung und Bildung" vgl.: 5. „Gutachten zur Politischen Bildung und Erziehung" in: DAEB 827 ff. 6. Th. Ellwein, Art. „Politische Bildung und Erziehung", in: Päd Lex 730 ff. 7. H . H . Groothoff, Art. „Politische Bildung", in: Päd 246 ff. 8. G. Schroers, Art. „Politische Bildung und Erziehung", in: Lex Päd 4 III, 914 ff. Zum Thema „Säkularität" vgl.: 9. C. H. Ratschow, Art. „Säkularismus I (Grundsätzlich und geschichtlich)", in: RGG 3 V, 1288 ff. 10. Register des Päd Lex unter „Säkularisierung". Vgl. auch das unter § 1 8 über die „Weltlichkeit" der Erziehung im Denken Luthers Gesagte. Zum Thema „Ethik" vgl. außer den gängigen Ethiken: H . H . van Oyen, Art. „Ethik", in: RGG 3 II, 708 ff. 12. E. Hirsch, Ethos und Evangelium, 1966. 13. E. Lichtenstein, Erziehung — Autorität — Verantwortung, 1967. Zum Thema „Gewissen" vgl.: 14. E. Wolf, Art. „Gewissen", in: RGG 3 II, 1550 ff. 15. H . Schneider, Politische Bildung als Gewissensbildung, 1961. 16. Ev Erz 1964, 257 ff. (Vorträge auf einer Tagung des Comenius-Instituts über Probleme einer Gewissenserziehung). 2. Gesellschaft Die ,Selbstentäußerung' des Staates auf dem Gebiet der Erziehung und Bildung, von der die Rede war, zielt zwar auf die Freiheit und Mündigkeit des einzelnen, kommt diesem einzelnen aber nicht urt-

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mittelbar zugute. Zwischen dem einzelnen und dem Staat steht die Gesellschaft, die nicht nur faktisch, sondern auch im Bewußtsein des einzelnen wachsende Bedeutung gewinnt. Diese Bedeutung ist schon heute so groß, daß die Frage immer brennender wird, ob nicht alle Rede von der Mündigkeit des Menschen, seiner Personalität, oder wie man es nennen mag, nur Ausdruck eines illusionären Wunschdenkens ist, und ob nicht die dem Menschen vom Staat bereitete Unfreiheit nur von einer weit härteren Unfreiheit abgelöst wird, der ihn die gesellschaftlichen Mächte unterwerfen. Es liegt auf der Hand, daß sich aus diesem Tatbestand für alles Erziehungsdenken eine umfangreiche und in sich vielfältige Problematik ergibt. Wird nicht z. B. durch ihn nachträglich alles über die politische Erziehung und Bildung Gesagte in seinem Sinn und seiner Möglichkeit in Frage gestellt? Kann es angesichts der Abhängigkeit des Menschen von den gesellschaftlichen Realitäten, die uns heute so präzise vor Augen geführt wird, überhaupt eine wirksame politische Erziehung und Bildung geben? J a , muß man diese Frage nicht ausweiten zu der anderen, weit umfassenderen: Kann es angesichts dieser Realitäten überhaupt noch so etwas geben wie das, was bisher Erziehung genannt wurde? Oder tritt heute nicht notwendig an deren Stelle ein System und eine Methodik der Anpassung an gesellschaftliche Gegebenheiten? Macht nicht schon heute und erst recht in Zukunft jeder Versuch, so etwas wie Erziehung aufrechtzuerhalten, den Menschen nur unglücklich, nämlich unfähig zu jener Einpassung in die gesellschaftlichen Zwänge, die doch stärker sind als der einzelne und die deshalb nur dadurch ihren Zwangscharakter wenigstens subjektiv verlieren, daß der einzelne ,will, was er muß'? Verkennt also, wer noch im herkömmlichen Sinn von Erziehung spricht und diese Erziehung will, nicht einfach das Faktum, daß der Mensch gar kein einzelner sein kann, weil er ganz und gar ein soziales Wesen ist? Wir greifen aus dieser umfassenden Problematik hier zwei Fragen heraus, deren Erörterung mir besonders geeignet erscheint, schon in anderen Zusammenhängen Gesagtes teils zu vertiefen, teils zu ergänzen: die Frage nach der Personalität des Menschen in der modernen Gesellschaft und die nach der relativ besten Organisation des Erziehungs- und Bildungswesens angesichts des weltanschaulichen Pluralismus' dieser Gesellschaft. Ehe wir in diese Erörterung eintreten, sei aber noch etwas genauer, als das bisher geschehen konnte, skizziert, was hier unter der modernen' Gesellschaft verstanden werden soll. Ich schließe mich dabei an 14*

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eine Skizze W. Strzelewicz's (geb. 1905) an, weil dieser mit seinei Grundkonzeption gerade in pädagogischen Kreisen ein besonderes Echo fand. Strzelewicz sieht das gesellschaftliche Leben, bes. in dem europäischen und nordamerikanischen Bereich seit etwa 150 Jahren vor allem durch zwei große Prozesse geprägt: die Industrialisierung auf der einen, die Demokratisierung auf der anderen Seite'. „Beide Prozesse zeigten in vieler Hinsicht eine strukturierende oder strukturändernde Bedeutung für das menschliche Zusammenleben" (1, 340). „Unter Industrialisierung versteht man im allgemeinen Aufkommen und Ausbreitung der modernen Technik, wie sie in der Fabrikindustrie zuerst entwickelt wurde, dann aber fast alle gesellschaftlichen Bereiche ergriffen hat" (1, 340). „Durch die Energieproduktion [von der Dampfkraft bis zur Atomenergie] in Verbindung mit vielen anderen Erfindungen wurde die Entwicklung des großen Apparaturengeflechts ermöglicht, das heute unser ganzes Leben umspannt. Für dessen Ausbildung war aber auch die Verwissenschaftlichung der Technik, d. h. die systematische Verbindung von Technik und wissenschaftlicher Forschung von Bedeutung. Schließlich darf als Kennzeichen der modernen Technik die Übertragung der an den material-technischen Erfindungen orientierten Methoden auf die der Menschenbehandlung und des Menschenarrangements nicht vergessen werden. Sozialhistorisch wurde die Entwicklung der modernen Technik zum Ausgangspunkt und Strahlungsherd einer gesellschaftlichen Struktur, die man heute immer häufiger als industrielle Gesellschaft bezeichnet" (1,340). Diese industrielle Gesellschaft hat sich am schnellsten im kapitalistischen Westen entwickelt. Aber auch in nichtkapitalistischen Ländern des Ostens und Asiens bringt die Industrialisierung verwandte soziale Erscheinungen hervor. Strzelewicz glaubt deshalb, einen Katalog solcher Merkmale aufstellen zu können, die die industrielle Gesellschaft, wo immer sie sich herausbildet, vornehmlich charakterisieren. Solche Merkmale sind: „die Tendenz auf Verstädterung und auf Umwandlung der Bevölkerungsmehrheit in unselbständige Arbeitnehmer; Auseinanderreißen von Hausgemeinschaft und Arbeitsstätte; Aufgabenschwund der Familie in bezug auf Erziehung, Produktion und Fürsorge; zunehmende Berufstätigkeit der Frau außerhalb des Hauses; Aufkommen des apparaturenzentrierten, hoch arbeitsteiligen Betriebes; Entwicklung von großen Verwaltungsapparaten und Bürokratisierung des gesellschaftlichen Lebens; beschleunigtes Anwachsen der Angestelltenschaft; erhöhte soziale und geographische Mobilität und Fluktuation

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unter den Gruppen und Schichten; erhöhte Beschleunigung der gesellschaftlichen Veränderlichkeit; Trennung von Eigentum und Leistung bei gleichzeitiger Ausbildung von Machtpositionen, die nicht mehr auf Eigentum, sondern auf organisationsstrategischen Vorteilen ruhen, und allgemeine Zentralisierung des gesellschaftlichen Lebens" (1, 340 f.). Die Demokratisierung — der andere große die moderne Gesellschaft prägende Prozeß — „zeigte sich zunächst auf politischem Felde in der schrittweisen Beseitigung des Absolutismus und der autokratischen Form durch Erweiterung der Wahlrechte, der Koalitionsrechte und der Freiheitsrechte. Aber dieser politische Vorgang wurde durch soziale Veränderungen ergänzt, die die Vorrechte der Geburt und des Besitzes oder auch des Mannes gegenüber der Frau schrittweise abbauten und zum Ausgleich ökonomischer Unterschiede beitrugen" (1, 341). Beide Prozesse förderten sich zunächst gegenseitig. „Die neueste Entwicklung der industriellen Technik jedoch hat auch im westlichen Bereich Gefahren für den Fortbestand der Demokratie herausgebildet, vor allem in der Form der Bürokratisierung und des durch die Steuerungstechnik der modernen Massenmedien ermöglichten Konformismus. Es wäre aber voreilig, die totalitäre Einparteidiktatur und die bürokratische Herrschaftsform als eine notwendige Folge der Industrialisierung anzusehen. Die industrielle Technik ist flexibel und schließt die Verantwortung des Menschen für die Entwicklung nicht aus. So können z. B. die Massenmedien für öffentliche Diskussion und verbesserte Information ebenso wie für konformistische Steuerung Verwendung werden" (1, 341). Für die Abwehr dieser Gefährdung der Demokratisierung meint Strzelewicz deshalb, der Pädagogik eine verhältnismäßig große Bedeutung beimessen zu können. „Aus der empirischen Erforschung der Gesellschaft wird die Pädagogik zwar niemals Ideale und Wertungen gewinnen, aber sie kann aus der Gesellschaft einen Teil der Voraussetzungen für das Aufkommen der Ideale und Wertungen und vor allem die Chancen ihrer Verwirklichung begreifen. Das ist um so wichtiger, je klarer man die Rolle des Bildungs- und Erziehungswesens für die Entwicklung der industriellen Gesellschaft in der Alternative erkennt, vor die sich die Menschen der Gegenwart gestellt sehen" (1,341). Welche Probleme sich die Erziehungswissenschaft von einer so gearteten modernen Gesellschaft gestellt sieht und wie sie diese Probleme zu fördern sucht, war bereits in anderem Zusammenhang skizziert worden (vgl. § 10, 1). Wie steht es mit der evangelischen Theologie?

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Weit besser a b auf anderen Gebieten der von ihr entwickelten Ethik. Die evangelische Sozialethik hat sich der von der modernen Gesellschaft aufgeworfenen Probleme mit großer Aufgeschlossenheit und Intensität angenommen. J a es ist aus dieser Problematik eine neue theologische Disziplin entstanden, die stetig an Bedeutung gewinnt: die .Christliche Gesellschaftswissenschaft' (auch im Plural „Christliche Gesellschaftswissenschaften" gebraucht!). Noch ist diese Disziplin zwar nicht an jeder unserer Fakultäten vertreten, aber sie bestimmt die Entwicklung der herkömmlichen Sozialethik doch bereits in solchem Maße, daß sie mit ihrer Thematik heute jedem evangelischen Theologiestudierenden zugänglich ist. Es sieht ganz so aus, als sollte es dieser neuen Christlichen Gesellschaftswissenschaft gelingen, die evangelische Theologie im Gleichschritt mit der sich rasdi entwickelnden neuen Soziologie einerseits und den einschlägigen Untersuchungen der Erziehungswissenschaft andererseits zu halten. Zur Kennzeichnung des Beitrages dieser Christlichen Gesellschaftswissenschaft zu dem uns hier beschäftigenden Problem der Personalität greife ich eine Arbeit von H . D . Wendland, Person und Gesellschaft in evangelischer Sicht (3) heraus. Wendland (geb. 1901), ein führender Vertreter dieser neuen theologischen Disziplin, legt in dieser Arbeit einen leicht zugänglichen und auch f ü r den Nichtfachmann übersichtlichen Entwurf zur Bewältigung unseres Problems vor. Selbstverständlich geschieht das in eigener Verantwortung des Verfassers. Die Christliche Gesellschaftswissenschaft kennt ebensowenig wie irgendeine andere Wissenschaft eine Kollektiv-Meinung. Aber ebenso selbstverständlich ist es, daß sich dieser Entwurf im engen Kontakt mit der neueren soziologischen und sozialethischen Literatur befindet. Wendland geht von der These aus, daß ,die evangelische Sozialanschauung ihren Ursprung und ihre Voraussetzung in der Kirche hat'; „ . . . dieser Tatbestand ermöglicht ihr allererst den fruchtbaren Dialog mit den verschiedenen Theorien über das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, sowie die Auseinandersetzung mit den faktischen Spannungen in der jeweils gegebenen, geschichtlich gewordenen Gesellschaft" (3, 7). Dabei ist die Gliedschaft in dieser Kirche betont p e r s o nal', nicht .organisch' verstanden. Denn die Kirche ,lebt eschatologischgeschichtlich, d. h. von Christus her auf das Endziel hin' (3, 8 f.). N u r unter dieser Voraussetzung wird verständlich, daß Freiheit und Liebe ,Grundelemente der christlichen Sozialanschauung' (3, 9) sind. Diese Freiheit ,ist zunächst die eschatologische Freiheit >von der Welte', „d. h. die aus der Gnade geborene Freiheit, die den Menschen von der

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Macht der Sünde in allen ihren Formen des Verfallens an die Welt und des Widerstreites gegen Gottes Willen losmacht", die unzerstörbare >Freiheit der Kinder Gottes äußere < Ordnung in Gesellschaft und Staat sichert und erhält, nämlich die Einung der Person und ihres Handelns mit dem Gebot und dem in diesem in verschiedener Weise sich bezeugenden Willen Gottes, ebenso aber auch die Einung der Person mit den anderen, mit welchen sie zusammen leben und arbeiten muß" (3, 57 f.). Dies aber bedeutet keine Idealisierung von Recht und Liebe. „Daß die Nächstenliebe über die Grenzen allen Rechtes hinausgeht, ob geschrieben oder ungeschrieben, auch über alle Wandlungen der Rechtsüberlieferung, auch über Menschenrechte und rechtlich festgelegte Bürgerpflichten, dies zeigt sich am Schuld vergebenden und Menschen miteinander versöhnenden Handeln der Liebe" (3, 60). ,Recht kann die Liebe nicht ersetzen, wie auch die Liebe nicht an die Stelle des Rechtes treten will und soll.' „In dieser Art gibt das Recht der Liebe und die Liebe dem Recht Freiheit, und so dienen sie gemeinsam und doch unterschieden der Person und dem sozialen Ganzen" (3, 60). 5. „Die Herrschaft Christi über Person und Gesellschaft" (3, 61 ff.). Christliche Humanität entsteht in allen ihren Erscheinungsformen durch die Herrschaft Christi. Diese wird „proklamiert und verkündigt von der Kirche und ihren Gliedern (also nicht etwa nur von den Amtsträgern der Kirche)" (3, 61). Sie erscheint ,als Wortverkündigung und in den diakonischen Taten der Christenheit in der Gesellschaft, in der Gestalt der den Menschen sich zuwendenden, helfenden, aufrichtenden und bauenden Liebe, in der Gestalt des Dienstes: So drückt sich die göttliche Art der Herrschaftsgewalt Christi aus' (3, 61 f.). ,Der >Raum< dieser Herrschaft Christi ist die Welt'; „das bedeutet in unserem Zusammenhang: Die menschliche Gesellschaft universal verstanden, also in allen ihren Einrichtungen und Personen" (3, 61). Sie ist also eine Herrschaft über alle Menschen, nicht nur über die in der christlichen Gemeinde Versammelten, sie ist eine Herrschaft über den ganzen Menschen, nicht nur über sein , Inneres' und sie ist eine Herrschaft, die auch in den weltlichen Einrichtungen, die dem Menschen dienen, geschieht, nicht nur in der sichtbaren Kirche. „. . . Wirtschaft und Kultur, Staat und Gesellschaft hat der Mensch — als Träger des göttlichen Auftrages — zu besorgen, schaffend zu mehren, zu verwalten und nicht zuletzt vor Gott zu verantworten. Er hat dazu große, die Geschichte vorwärtstreibende Freiheit und Macht empfan-

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gen, wie man leicht an den Werken und Leistungen der technischwissenschaftlichen Zivilisation erkennen kann. Diese sollen und dürfen weder verkleinert noch diffamiert werden. Zum Weltschöpfer oder zum Gegen-Schöpfer wider Gott wird der Mensch allerdings auch durch seine größten Taten nicht" (3, 63). Von daher ist es möglich, von einer ,relativen Autonomie' des menschlichen Handelns zu sprechen; relativ bedeutet hierbei, daß auch sie ,von Gott herstammt und unter Gottes Herrschaft bleibt'. Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers und die Erkennnis der universalen Herrschaft Christi (Christokratie) über die Welt dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. In dieser WeltZeit kann die ,vorübergehende Dualität von Kirche und Staat, Kirche und Gesellschaft anerkannt werden, wenn sie von der Klammer der Herrschaft Christi umgriffen wird' (3, 63 f.). Damit ist auch gesagt, daß wir in dieser Welt-Zeit keine > christliche Gesellschaft erwarten können. „Diese ist eine Utopie, vollends angesichts der säkularisierten Gesellschaft der Gegenwart und der riesenhaft anwachsenden Weltbevölkerung, mit der die zahlenmäßige Zunahme der Christenheit nicht im entferntesten gleichen Schritt halten kann. Die Herrschaft Christi ist also eine kämpfende und eine für Millionen von Menschen verborgene Herrschaft, in der unscheinbaren Gestalt des Dienens und Leidens, ohne sensationelle Triumphe einhergehend . . . So bleibt das Reich Christi in Raum und Zeit dieser Welt fragmentarisch und unvollendet. Dennoch ist es unausdenkbar, wie Mensch und Gesellschaft verunstaltet und von Dämonien durchherrscht wären, hätte es Christus und sein Reich, christliche Humanität und Diakonie am Menschen nie gegeben" (3, 65). Christliche Hoffnung ist völlig un-utopisch. Sie besteht in der Überzeugung, daß ,die Herrschaft Christi die Geschichte offenhält, die Geschichte der Gesellschaft wie die Geschichte der Kirche, offen für unabsehbare Entwicklungen in der geschichtlichen Zukunft'. „Auf Person und Gesellschaft fällt das Licht der christlichen Erwartung, daß ihr Ziel und Ende nicht der Untergang, sondern — durch alle geschichtlichen Katastrophen hindurch — die Vollendung und Verwandlung der Schöpfung Gottes sein werden, ihre Befreiung von aller Entstellung und Entfremdung zur Vereinigung der Menschen mit Gott und den Mitmenschen" (3, 65). — Ich meine, dies sei ein für den Religionspädagogen lehrreicher und also hilfreicher Entwurf. Die Problematik ,Person und Gesellschaft', die, wie wir sahen, der Erziehungswissenschaft schwierige Aufgaben stellt, ist hier von einer theologischen Bemühung aufgenommen worden, die sich durch zweierlei auszeichnet: durch den Realismus, mit

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dem sie ihre Überlegungen auf die wirkliche Gesellschaft der Gegenwart bezieht, und durch die Konsequenz, mit der sie ihren eigenen Ansatz durchhält. Hier wird der Leser nicht in ein Traumland geführt, in dem sich ,christliche' Sozialordnungen und Verhaltensweisen anbieten, die, sieht man genauer zu, keineswegs christlich, sondern nur überholt zu sein pflegen. Vielmehr ist der Blick Wendlands ständig auf die gesellschaftlichen Realitäten von heute und — soweit sie sich voraussehen lassen — von morgen gerichtet. Die Skizze der modernen Gesellschaft von Strzelewicz, einem Soziologen, die wir dem Entwurf Wendlands vorausschickten, erlaubt es dem Leser, diese Feststellung mit Leichtigkeit zu treffen. U n d was die theologische Konsequenz des Entwurfes von Wendland angeht, so wäre nur anzumerken, daß sie in unserem Referat nicht etwa künstlich herausgearbeitet wurde. Im Text selber tritt sie vielleicht noch deutlicher in Erscheinung. Das aber bedeutet, daß die evangelische Theologie sich offenbar nicht mehr damit begnügen muß, Einzelaspekte der Problematik ,Person und Gemeinschaft' gleichsam atomistisch nebeneinander zu behandeln, sondern bereits in der Lage ist, die Vielfalt dieser Aspekte mit einer theologischen Grundanschauung zu durchdringen. Damit ist dem Religionspädagogen tatsächlich eine Hilfe geleistet, die ihm so nicht auf allen Gebieten der Ethik angeboten wird. Die außerordentlich schwierige Aufgabe, der Personagenese in der modernen Gesellschaft auf christliche Weise nützlich zu sein, erhält hier eine Fülle von konkreten Anregungen. Wendlands Entwurf ließe sich ohne nennenswerte Schwierigkeiten in ein Programm sozialethischer Erziehung und Bildung umsetzen, mit dem unseren evangelischen Gemeinden ein nicht geringer Dienst erwiesen wäre. Freilich besteht die Aufgabe der Religionspädagogik niemals allein darin, pädagogische Konsequenzen aus theologischer Ethik zu ziehen. Sie tritt vielmehr selbst in die Diskussion der ethischen Probleme und ihrer theologischen Grundlagen mit ein. Dabei ist sie auf eine besondere Weise Anwalt des Menschen. Auf eine besondere Weise. Das heißt, daß sie nicht beansprucht, diese Anwaltschaft allein auszuüben. Jede christlich-theologische Disziplin übt sie auf ihre Weise aus. Welches ist die besondere Weise der Religionspädagogik? Die Religionspädagogik achtet mit besonderer Schärfe darauf, daß theologische Thesen nicht — ungewollt, unbewußt oder auch bejaht — eine Diskreditierung des Menschen bewirken. U n d sie tut dies nicht nur so, daß sie die Art und Weise, in der theologische Thesen vertreten werden, kritisch bedenkt, sondern auch so, daß sie die Wahr-

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heit theologischer Thesen infrage stellt, die eine solche Diskreditierung zur Folge haben. Sie bringt also bei ihrer Teilnahme an der theologischen Debatte nicht einfach methodische Neigungen zu einem möglichst freundlichen Umgang mit dem Menschen ins Spiel, sondern die Grundiiberzeugung, daß in christlicher Theologie nichts wahr sein kann, was den Menschen verletzt. Die sozialethische Problematik bietet, jedenfalls wenn in ihr die reale moderne Gesellschaft gemeint ist, besonders gute Gelegenheit, dies noch etwas zu konkretisieren und dadurch verständlicher zu machen. Der Christ sieht sich in dieser modernen Gesellschaft grundsätzlich der Notwendigkeit ausgesetzt, mit Andersgläubigen — Anhängern fremder Religionen, religiös Gestimmten ohne bestimmtes Bekenntnis, Atheisten — zusammenleben zu müssen, und zwar in einem Umfange und einer Intensität, die nicht nur neu, sondern audi in rapidem Wachstum begriffen sind. Damit wird es für den Christen zu einer Grundfrage, wie er diese Nichtchristen einzuschätzen, zu bewerten habe. In der Tradition des ,christlichen Abendlandes' finden sich für die Lösung dieser Frage wenig Hilfen. Denn es macht diese Tradition aus, daß in ihr von den Nichtchristen nicht oder nur als Missionsobjekten Kenntnis genommen wird. Beides ist heute nicht mehr möglich. Es ist aber auch nicht möglich, daß die Christen sich als ,christliche Gesellschaft' nach eigenen Gesetzen neben einer nichtchristlichen formieren. Die Christenheit ist der Entwicklung der modernen Gesellschaft schlechterdings verhaftet, kann aus dieser Entwicklung nicht willkürlich ausscheren. Das aber bedeutet, daß der Christ in einer für ihn unübersehbaren Weise von Nichtchristen abhängig ist, nicht ohne sie zu existieren vermag, d. h. ihnen seine Existenz in einer von ihm gar nicht kontrollierbaren Weise und Tiefe schuldet. Wie kann der Christ diesen Tatbestand in sein Glaubensbewußtsein einordnen? Wendland gibt die Antwort: Jeder Mensch, gleich was er glaubt oder nicht glaubt, ist der ,Nächste' des Christen. Und da er diesen Begriff in einem vom Neuen Testament qualifizierten Sinne gebraucht, wird man sagen müssen, daß dies eine theologisch verantwortbare Antwort ist. Außerdem ist es eine Antwort, die der Nichtchrist nicht einfach als Diffamierung seiner selbst empfinden kann; denn auch der Nichtchrist weiß, daß der Christ mit der Vokabel ,Nächster' sehr hoch greift. Und dennoch bleibt ein eigentümlicher Rest des Unbehagens bei dieser Lösung, auf den der Religionspädagoge aufmerksam machen muß. Der Christ bezieht den Nichtchristen, gerade wenn er ihn im

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qualifizierten neutestamentlichen Sinne seinen Nächsten nennt, in ein Gefüge von Überzeugungen und Wertungen ein, das f ü r den Nichtchristen ohne Gültigkeit ist. Der Christ beweist damit gewiß insofern eine befreiende Weite, als er nicht nur den Mitchristen als seinen Nächsten ansieht. Aber der Nichtchrist sieht sich gleichsam nicht als der, der er ist, gewertet, sondern nur in Relation zu einer von ihm nicht geteilten Glaubenswelt. Anders gesagt, er sieht sich geliebt nicht als er selbst, sondern als ein Wesen, das seinen Wert von einem Christus erhält, den er nicht bekennt, evtl. sogar f ü r irreal hält. Das bedeutet, daß er sich in der Tiefe seines Seins doch vom Christen nicht ernstgenommen, sich in seiner personalen Individualität vom Christen verfehlt weiß. U n d es bedeutet deshalb, daß der Nichtchrist die Mitmenschlichkeit durch den Christen zerbrochen sieht. Dies braucht nicht immer in der Helle des Bewußtseins so sein. Vielleicht erlebt der Nichtchrist diese Entfremdung vom Christen als ein ungeklärtes Gefühl, über das er weder sich selbst noch gar anderen Rechenschaft zu geben vermag. Aber gerade dann kann diese Entfremdung besonders verhängnisvoll wuchern. Auf jeden Fall ist der Christ auch dann f ü r sie verantwortlich, wenn sie sich nicht zu äußern und also zu wehren vermag. U n d es ist eine außerordentlich schwere Verantwortung, die er hier zu tragen hat. Denn diese Entfremdung zwischen Nichtchrist und Christ kann zu einem sozialen Phänomen werden. Sie kann Interpreten finden, die die christliche Inanspruchnahme des Nichtchristen durch das Wort vom ,Nächsten' als unerlaubten Übergriff in das Selbst-Sein des Nichtdiristen ins öffentliche Bewußtsein heben und damit tiefgehende Risse im gesellschaftlichen Bewußtsein erzeugen, die schließlich sogar organisatorische Konsequenzen haben. Spuren kommender Realisierung solcher Möglichkeiten zeichnen sich f ü r den sorgfältigen Beobachter bereits heute in unserem gesellschaftlichen Leben recht deutlich ab. U n d sie sind um so beängstigender, als sie ein Element der Entfremdung zwischen Christen und Nichtchristen in Erscheinung treten lassen, das hier noch nicht erwähnt wurde, nun aber doch bei N a m e n genannt werden muß. Jede christliche Qualifizierung des Nichtchristen f ü h r t offenbar mit Zwangsläufigkeit dazu, d a ß dieser sich nicht nur verfehlt, sondern auch angegriffen fühlt. Die Erfahrung, daß er in den Augen des Christen einer besonderen Qualifizierung bedarf, läßt ihn diese als Disqualifizierung dessen erleben, was er von sich aus ist. U n d dem entspricht auf Seiten des Christen ein Überlegenheitbewußtsein, das auch — oder gerade? — wenn es in sehr subtilen Formen auftritt, wirklich Wunden schlägt.

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Nimmt man dann hinzu, daß die gesellschaftliche Position der Christen, weil sie in den Kirchen institutionalisiert ist, der der Nichtchristen, die in eine unübersehbare Zahl meist unorganisierter Gruppen zersplittert sind, weit überlegen ist, dann dürfte leicht verständlich werden, daß hier gesellschaftliche Friktionen drohen, die insofern ein Verhängnis für die moderne Gesellschaft wären, als sie nach menschlichem Ermessen entweder zu deren Zerfall in sich mehr oder weniger befehdende Weltanschauungsgruppen oder, was wahrscheinlicher wäre, zu ihrer religiösen Sterilisierung führen müßten. Ehe ich versuche zu sagen, wie eine theologisdie Überwindung dieses Dilemmas vielleicht aussehen könnte, behandle ich zunächst noch die andere Frage, die hier zur Sprache kommen sollte: die nach der relativ besten Organisation des Erziehungs- und Bildungswesens angesichts des weltanschaulichen Pluralismus der modernen Gesellschaft. Ihre Erörterung gerade an dieser Stelle besitzt einerseits besonders günstige Voraussetzungen in dem unmittelbar vorher Gesagten und schafft andererseits weitere Verständnishilfen für die noch ausstehende theologisdie Erörterung des Verhältnisses von Christ und Nichtdirist in der modernen Gesellschaft. Wir hatten uns klargemacht (s. § 21, 1), daß und aus welchen Gründen der moderne Staat seinen Bürgern keine für alle verbindliche Weltanschauung bzw. Religion mehr auferlegt oder auch nur anbietet; er erwartet von seinen Bürgern, daß sie ihre weltanschaulichen Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen. In diesem Verzicht auf eine offizielle oder offiziöse Weltanschauung oder Religion ist der weltanschauliche Pluralismus der modernen Gesellschaft begründet, d. h. die Freiheit, in dieser Gesellschaft beliebig viele weltanschauliche Gruppen zu formieren, die alle, unabhängig von ihrer Größe, grundsätzlich das gleiche Recht besitzen, zu existieren und sich auszubreiten. Damit ist dieser Gesellschaft eine ungemein schwierige Aufgabe gestellt. Weltanschauung und Religion fragen nach der Wahrheit. Ihre Anhänger sind von der Wahrheit ihrer weltanschaulichen und religiösen Überzeugung durchdrungen und treten für die Gültigkeit dieser Wahrheit ausdrücklich oder stillschweigend auch gegeneinander ein. Diese Auseinandersetzungen werden immer auch durch institutionelle und organisatorische, also politische Mittel geführt. Die weltanschaulichen und religiösen Gruppen kämpfen mit diesen Mitteln im Interesse ihrer Überzeugungen um einen größtmöglichen Einfluß auf die öffentliche Meinung, aber auch auf die gesetzgeberischen Gremien und die staatliche Exekutive. Die Frage ist, wie eine Gesellschaft angesichts

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dieser Realitäten überhaupt funktionieren kann, besonders in Deutschland, wo weltanschauliche und religiöse Auseinandersetzungen von jeher mit besonderer Leidenschaft geführt wurden. Es ist hier nicht der Ort, diese Frage in ihrem ganzen Umfange aufzunehmen. Wir beschränken uns auf ihren pädagogischen Aspekt. Das Ringen der Weltanschauungen und Religionen um die Geltung ihrer Wahrheit ist aus einem doppelten Grund immer ein Ringen um die pädagogischen Institutionen, um das Erziehungs- und Bildungswesen der Gesellschaft. Einmal will jeder Anhänger einer Weltanschauung und Religion seine Kinder im Sinne seiner Überzeugungen und seines Glaubens erzogen und gebildet wissen; er meint, nichts Besseres und Wichtigeres für sie tun zu können als eben dies. Außerdem will er aber auch, daß seine weltanschauliche oder religiöse Gruppe ihre Dauer dadurch sichere und stärke, daß sie einen möglichst intensiv in ihrem Sinne erzogenen und gebildeten Nachwuchs gewinnt. Es liegt auf der Hand, daß beides höchst ernsthafte Motive sind, die man nicht mit billigen Argumenten beiseiteschieben kann: Auch hinter ihnen steht der Wille, der jeweils erkannten Wahrheit gehorsam zu sein. Aber gerade wenn man leichtfertige Argumente gegen sie scheut, wird die Frage um so brennender: Wie kann es in einer von pädagogischen Antagonismen dieser Art durchdrungenen Gesellschaft überhaupt noch ein funktionierendes öffentliches — also allgemeines — Erziehungs- und Bildungssystem geben? Tatsächlich gibt es denn auch nicht einflußlose Strömungen in Deutschland, deren Repräsentanten raten, die Versuche, das westdeutsche Erziehungs- und Bildungswesen als einheitliches System aufrechtzuerhalten, bewußt abzubrechen und auch dies System weltanschaulich ,plural* zu gestalten, d. h. in seiner pädagogischen Gestaltung den wichtigsten Weltanschauungsgruppen zu überlassen. Im kulturpolitischen Tageskampf kommen Grundtendenzen dieser Art nur mit Einzelkonsequenzen zur Geltung. Sie sind deshalb noch wenig ins öffentliche Bewußtsein getreten. Immerhin besitzen sie seit einiger Zeit ein kulturpolitisches Instrument in dem „Deutschen Institut für Bildung und Wissen", das die öffentliche Meinung und politische Instanzen durch „Empfehlungen und Vorschläge zur Reform des Bildungswesens" im Sinne einer weltanschaulichen Aufgliederung des westdeutschen Erziehungs- und Bildungswesens zu beeinflussen sucht. Und es ist nicht unwichtig, daß namhafte Vertreter beider christlichen Konfessionen zu seinen Leitungsgremien gehören. Das Institut ist also ,überkonfessionell' in dem Sinn, daß Glieder beider großen christlichen

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Konfessionen ihre je eigenen Interessen durch dieses Institut gemeinsam vertreten möchten. Man zielt gerade nicht auf inhaltlich überkonfessionelle Lösungen bildungspolitischer Probleme, sondern umgekehrt auf konfessionell disparate Entscheidungen; der Wille zu dieser Disparatheit ist das ,Verbindende'. 1961 hat dieses Institut 12 Empfehlungen zur Kulturpolitik verabschiedet, die damals auch im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht und 1966 auszugsweise in einem .Gemeinsamen Vorwort' wiederholt wurden, das einem Gutachten über „Die evangelische Schule" und „Die katholische Schule" vorangeht (4). Dieser für unseren Zusammenhang besonders interessante Auszug lautet: „Bei der Gestaltung des Schulwesens darf nicht übersehen werden, daß unsere Gesellschaft pluralistisch ist. N u r eine Schulgesetzgebung, die diesen Pluralismus konstruktiv einbezieht, kann als der Gesellschaft angemessen betrachtet werden. Die Aufgabe der Schule in einer pluralistischen Gesellschaft besteht nicht darin, den spannungsreichen und lebendigen Pluralismus durdi eine unprofilierte Einheitsbildung zu .überwinden', sondern vielmehr darin, den Nachwuchs für einen Pluralität von klar geprägten staatstragenden Gruppen heranzubilden. Außerdem ist eine Schule ohne klare Bildungskonzeption auch nicht in der Lage, ihren pädagogischen Auftrag zu erfüllen. Daher muß ein Programm der sogenannten ,mittleren Tiefe' abgelehnt werden. Die Schulgesetzgebung sollte die Möglichkeit schaffen, daß jede Schule eine eindeutige und profilierte Bildungskonzeption gewinnen kann. Diese Konzeption wird naturgemäß nicht für alle Schulen dieselbe sein. Statistische Erhebungen zeigen, daß der weitaus größte Teil der Eltern in der Bundesrepublik für ihre Kinder christlich geprägte Schulen wünscht, wobei die einen die Bekenntnisschule, die anderen eine christlich geprägte Gemeinschaftsschule bevorzugen. Abgesehen davon gibt es jedoch auch eine nicht unerhebliche Minderheit, die eine religiös nicht gebundene Schule wünscht. Die Schulgesetzgebung aller Bundesländer sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich dieser Elternwille frei auswirken kann; d. h. die Eltern sollten — innerhalb der Grenzen des organisatorisch Möglichen — überall die freie Wahl zwischen diesen drei Schularten (Bekenntnisschule, christlich geprägte Gemeinsdiaftsschule und religiös nicht gebundene Schule) haben. Außerdem müßte auch geistig klar geprägten Minderheiten — man denke an Juden, Anthroposophen u. a. — in allen Bundesländern die Errichtung eigener Schulen ermöglicht werden" (4,4). 15 Kittel, ET. Religionspädagogik

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Die Eindruckskraft solcher und ähnlicher Konzeptionen beruht zunächst auf der entschiedenen, fast freudigen Bejahung des weltanschaulichen Pluralismus der modernen Gesellschaft. Man weiß sich hier gewissermaßen an der Spitze der kulturpolitischen Entwicklung. „Es gibt leider", so heißt es an einer anderen Stelle dieses Vorwortes, „in der Bundesrepublik immer noch Kulturpolitiker, die offensichtlich die pluralistische Struktur unserer Gesellschaft für ein Unglück halten, das sie durch eine — ihren Vorschlägen entsprechende — staatlich verordnete Einheitserziehung überwinden möchten" (4,5). Das heißt, man meint, Kulturpolitiker dieser Art als rückständig ansehen zu müssen. Rückständig auch — und das ist der andere Grund, aus dem solche Entwürfe Eindruck machen — hinsichtlich der Freiheitlichkeit des modernen Staates und seiner Gesellschaft. Widerspricht nicht jeder Versudi, in der pluralistischen Gesellschaft ein auch inhaltlich einheitliches Schulsystem mit staatlicher Gewalt aufrechtzuerhalten, jener weltanschaulichen Selbstentäußerung des modernen Staates, die wir als dessen Fundamentalprinzip kennenlernten? Ist also nicht jeder, der sich solchen Versuchen widersetzt, Wortführer der Freiheit, Vorkämpfer jener Liberalität, die ein Grundgesetz der modernen Gesellschaft wurde? Es gibt nicht wenige schwerwiegende Argumente gegen eine solche weltanschauliche Aufsplitterung unseres Erziehungs- und Bildungswesens. Ich beschränke midi hier auf eine kritische Erörterung der beiden eben genannten, von den Anwälten einer solchen Aufsplitterung besonders häufig und besonders wirksam vertretenen Gründe ihrer bildungspolitischen Absichten. Zunächst: Ist es wirklich so, daß, wer für eine weltanschauliche Gliederung unseres Erziehungs- und Bildungswesens eintritt, damit zugleich dafür eintritt, die pädagogischen Folgerungen aus der pluralistischen Struktur unserer Gesellschaft zu ziehen? Die Folge einer solchen Aufgliederung ist doch, daß die weltanschaulichen Gruppen im pädagogischen Bereich auseinanderrücken und die von ihrer Pluralität gestellten Probleme von den zu Erziehenden und zu Bildenden nicht real, sondern bestenfalls theoretisch erlebt werden. Die weltanschauliche Pluralität der modernen Gesellschaft wird bei einer solchen Aufgliederung für den pädagogischen Bereich in ihrer Wirkung gerade ausgeschaltet bzw. immunisiert. Nun gibt es gewiß pädagogische Gründe für eine solche Ausschaltung bzw. Immunisierung, die durchaus diskutabel sind. Es ist ein ernstzunehmendes Problem, ob die Konfrontation mit dem weltanschaulichen Pluralismus mindestens für

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jüngere Kinder nicht eine Überforderung ist. Aber man kann auf keinen Fall sagen, daß dieser Pluralismus in einem weltanschaulich aufgegliederten Bildungssystem in besonders fortschrittlicher Weise zur Geltung käme, dieses System besonders fortschrittlich bestimme. Fruchtbar können berechtigte erzieherische Gesichtspunkte, d. h. Gesichtspunkte, die eine geistig-seelische Überforderung jüngerer Kinder verhindern, heute nur in einem Bildungssystem zur Geltung gebracht werden, in dem die weltanschauliche Pluralität der Gesellschaft nicht suspendiert und keine konfessionellen pädagogischen Provinzen geschaffen werden, die genauso utopisch und also unpädagogisch sind wie alle pädagogischen Enklaven. Sodann: Kann man wirklich davon sprechen, daß eine weltanschauliche Aufgliederung unseres Erziehungs- und Bildungswesens ein besonders freiheitliches Bildungssystem ergäbe? Die Folge einer solchen Aufgliederung wäre doch, daß die entstehenden pädagogischen Provinzen besonders leicht regierbar wären. Ungestört von Rücksichten auf Andersgläubige könnten die für diese Provinzen Verantwortlichen bestimmen, was in ihnen geschieht. Sicher wären sie bereit, ein allgemeingültiges Leistungsniveau etwa der von ihnen betreuten Schulen zu garantieren. Aber das wäre für sie keine Einengung, da es in ihrem eigenen Interesse läge. Die Auswahl der Bildungsinhalte im Rahmen weitmaschiger Richtlinien, vor allem aber Wahl, Form und Ordnung der erzieherischen Maßnahmen könnten ganz von den jeweiligen weltanschaulichen Voraussetzungen her geprägt werden. Und diese Prägung geschähe nicht nur programmatisch, sondern immer auch durch ein System der Leitung der zugehörigen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen. Weltanschauliche Prägungen dieser Art aber pflegen immer besonders anspruchsvoll zu sein. Vollends dann, wenn sie wie das in der pluralistischen Gesellschaft der Fall ist, ihre Selbstverständlichkeit, d. h. ihre Allgemeingültigkeit verloren haben und sich in einer Konkurrenz mit Rivalen behaupten müssen, die sie zwingt, ihr Profil besonders scharf herauszuarbeiten. Die weltanschauliche Geschlossenheit solcher Bildungsräume pflegt ihnen die Struktur von pädagogischen Herrschaftssystemen zu verleihen, die, auch und gerade wenn sie von pädagogischer Milde durchwaltet sind, eine harte innere Konsequenz besitzen. Daß sie Ausdruck einer besonderen Liberalität im Erziehungsdenken wären, davon kann m. E. im Ernst keine Rede sein. Insgesamt: Eine weltanschauliche Gliederung unseres Erziehungs- und Bildungssystems würde den weltanschaulichen Pluralismus der moder15»

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nen Gesellschaft im Bereich der Erziehung und Bildung durch künstliche weltanschauliche Monismen zu ersetzen und die Freiheitlichkeit unseres Bildungswesens durch die Gründung pädagogischer TeilTotalitarismen aufzuheben versuchen. Anders gesagt: Durch eine solche Aufgliederung käme die Freiheitlichkeit der pluralistischen Gesellschaft nur den Regenten der weltanschaulich normierten pädagogischen Provinzen zugute, die sie dazu benutzen würden, sie den Bewohnern dieser Provinzen vorzuenthalten. Dies alles aber bedeutet, daß eine im Namen der Freiheitlichkeit und des weltanschaulichen Pluralismus der modernen Gesellschaft versuchte weltanschauliche Gliederung unseres Erziehungs- und Bildungswesens an ihrer inneren Widersprüchlichkeit scheitern müßte — ganz abgesehen von vielen anderen mehr äußeren Tatbeständen, die m. E. ihre Durchführung aussichtslos machen. Heißt dies nun, daß die Skeptiker recht behalten, die bezweifeln, oder gar verneinen, daß es in der pluralistischen Gesellschaft noch ein öffentliches Erziehungs- und Bildungswesen im herkömmlichen Sinn geben kann, und meinen, daß an seine Stelle ein öffentliches Instruktionswesen treten muß, das grundsätzlich auf Erziehungs- und Bildungsansprüche verzichtet und diese einer zusätzlichen Privatinitiative überläßt? Stimmungen und Meinungen dieser Art sind tatsächlich heute bereits weitverbreitet, schätzungsweise in nicht geringerem Umfange als die auf eine weltanschauliche Gliederung unseres Erziehungs- und Bildungswesens zielenden. Und es ist durchaus ernsthafter Überlegungen wert, ob eine solche Lösung nicht für die moderne Gesellschaft und in ihr gerade auch für die weltanschaulichen Gruppen fruchtbarer wäre als eine weltanschauliche Aufgliederung unseres Erziehungs- und Bildungswesens. Indes muß doch sehr ernst gefragt werden, ob wir wirklich vor eine solche Alternative gestellt sind. Ich hatte bei der Erörterung des Selbstverständnisses des modernen Staates (s. § 21,1) darauf hingewiesen, daß dieser zwar kein ,Weltanschauungsstaat' mehr sein kann und will, daß er deshalb aber kein bindungsloser Staat sei. Er selbst ist, so fanden wir, an die Menschenrechte gebunden, was ein dreifaches pädagogisches Interesse bei ihm begründet: das Interesse an einer Erziehung und Bildung, die hilft, jene Mündigkeit des Staatsbürgers zu schaffen, durch die dieser die ihm in den Grundrechten zugemutete anspruchsvolle Freiheit zu bestehen vermag; das Interesse an einer Erziehung und Bildung, die das ihre dazu tun, die Überlieferung der Menschenrechte lebendig zu erhalten; schließlich das

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Interesse an einer Erziehung u n d Bildung, die bei der Erschließung des ,Sittengesetzes' mitwirken. In diesem dreifachen Interesse f a n d e n wir zunächst die nachdrückliche Förderung der politischen Erziehung u n d Bildung motiviert, die wir nach 1945 beobachten können. Aber nicht umsonst hatten wir von einem staatlichen Interesse an Erziehung u n d Bildung ü b e r h a u p t gesprochen. Die politische Erziehung allein vermag jenem dreifachen pädagogischen Interesse des Staates nicht Genüge zu tun. Dies Interesse ist derartig anspruchsvoll u n d inhaltsreich, d a ß es dem öffentlichen Bildungswesen in allen seinen Bereichen Themen gibt u n d A u f g a b e n stellt, die nicht mit bloßen Instruktionen zu bewältigen sind, sondern spezifische erzieherische M a ß n a h m e n erfordern. U n d das ist v o r allem deshalb so, weil jene Themen u n d Aufgaben tief in das Gebiet der E t h i k hinreichen; schon bei der E r ö r t e r u n g der Probleme politischer Erziehung u n d Bildung w a r dies auf das deutlichste zu Tage getreten. Aber wird nicht, wenn nun das Ethische in solchem U m f a n g e als I n h a l t des öffentlichen Erziehungs- u n d Bildungswesen auftaucht, erneut deutlich, d a ß dieses als Erziehungs- u n d Bildungswesen einer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft — an sie richtet sich die staatliche E r w a r t u n g — damit weit ü b e r f o r d e r t ist? M a g man noch bereit sein, eine — möglichst eng begrenzte — politische Erziehung u n d Bildung zu tolerieren oder sogar mitzutragen, auch wenn sie ethische A n f o r d e r u n g e n stellt (man h a t ja gelernt, sich mit solchen Staatsnotwendigkeiten abzufinden, indem m a n weltanschaulich gleichsam ein Auge zudrückt) — mit der Erziehung u n d Bildung insgesamt ist das doch anders. Sie k a n n doch — so argumentiert m a n — unmöglich f ü r die Glieder verschiedener Weltanschauungen u n d Religionen einheitliche A n f o r d e r u n g e n stellen, die in die Tiefe des Ethischen reichen. Weltanschaulicher Pluralismus bedeute doch gerade, d a ß m a n von den verschiedenen weltanschaulichen Voraussetzungen her verschieden über G u t u n d Böse denke, und also vergehe sich die moderne Gesellschaft an ihren Gliedern, wenn sie, noch dazu mit H i l f e des Staates, eine öffentliche Erziehung und Bildung durchsetze, f ü r die einheitliche ethische Maßstäbe in Anspruch genommen werden. U n d besonders getroffen seien die religiös Glaubenden, f ü r die G u t u n d Böse im Willen Gottes ruhen u n d die also gezwungen würden, b e w u ß t von diesem Willen abzusehen oder sogar gegen ihn zu verstoßen, w e n n man sie nötige, sich an eine unreligiöse M o r a l zu binden. H ä t t e n Argumentationen dieser oder ähnlicher A r t einfach recht, d a n n w ä r e die Selbstbindung des modernen Staates in der Bundes-

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republik an die Grundrechte und mit ihnen an die Menschenrechte eine Fiktion, ein gutgemeinter feierlicher Vorsprudi des Grundgesetzes, dem keine Realität in den Menschen entspräche, für die dieses Grundgesetz geschaffen ist, und der deshalb aus Gründen der Redlichkeit besser so schnell wie möglich beseitigt würde. Indes ist die Wirklichkeit doch etwas komplizierter. Ich erleichtere ihre Wahrnehmung durch die Erinnerung an eine Erörterung, die sich in dem Gutachten „Zur religiösen Erziehung und Bildung in den Schulen" des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus dem Jahre 1962 (5) findet. Diese Erörterung ist einerseits besonders präzise, andererseits besonders behutsam im Widerspruch gegen die von uns skizzierte Argumentation. Außerdem ist sie durch einen Autorenkreis legitimiert, in dem die wichtigsten heute in unserer Gesellschaft um das öffentliche Bildungswesen ringenden weltanschaulichen Gruppen vertreten waren: Katholiken, Protestanten und Nichtchristen. Hier heißt es: „Daß Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen sich an Wahrheit gebunden wissen und die widerstreitenden Gegenpositionen für irrig halten, liegt unaufhebbar in ihrem Wesen. Aber in ihnen entwickelt sich überdies mehr oder weniger eine menschliche — allzu menschliche Tendenz, alle für das Leben relevante Wahrheit nur auf ihrem Boden für möglich zu halten, und in der Meinung, die sich daraus bildet, liegt ein Irrtum und eine Gefahr für die Wahrheit selbst, für das die weltanschaulichen Grenzen übergreifende Zusammenwirken und für dessen redliche Anerkennung. In Wirklichkeit gibt es ein Feld des von den Weltanschauungen übereinstimmend für wahr Gehaltenen und verbindlich Geltenden. Es wird ermöglicht durch die gemeinschaftlichen Fähigkeiten, wahrzunehmen, einzusehen und Erfahrungen zu machen; es ist um so breiter, je länger und enger das schicksalhafte und kulturell-geschichtliche Zusammenleben ist, in dem die Menschen die Welt und ihren Lauf erfahren, miteinander forschen, in Austausch und Streit nachdenken, Werke der Technik und der Kunst schaffen und vor allem mit- und gegeneinander politisch handeln. So haben sich für uns, namentlich in der Geschichte Europas und unsrer Nation, aber auch schon der Welt, Einsichten, Wissen und Werturteile ergeben, sind Haltungen und Normen entstanden, die faktisch über die Grenzen der weltanschaulichen Positionen hinaus gelten. Für jedes Volk beginnt dieser gemeinsame Bestand bei der Sprache; in ihr ist eine große Fülle von Bildern und Begriffen, Denkfügungen und Beziehungen Wort geworden, die sich selbstverständliche über die Weltanschauungen hinweg auf alle überträgt,

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welche die Sprache l e r n e n . . . Überall, wo wir uns handelnd und denkend miteinander einlassen [auch im Streit!], geschieht das unter der — meist stillschweigenden, aber notwendigen — Voraussetzung gemeinsamen geistigen Besitzes" (5, 227). „Das gilt auch für unsere Werthaltungen und für unsere sittlichen Normen. An konkreten Aufgaben, die Menschen verschiedener Bekenntnisse und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenführen, besonders augenfällig in Notlagen, denen sie gemeinsam begegnen müssen, zeigt sich immer wieder, wie sehr und wie selbstverständlich sie einig sind in dem, was hier und jetzt zu geschehen hat. Das wäre nicht möglich ohne Übereinstimmung in moralischen Grundhaltungen. Diese Übereinstimmung ist auch in größeren Zusammenhängen wirksam, liegt vielen Ordnungen unseres Lebens zugrunde, an die wir uns freiwillig halten, läßt uns in gemeinsamer Verantwortung handeln, trägt die Bejahung unseres Rechts und unser Zusammenstehen in einem Staat freier Menschen, dessen Verfassung ohne sie nicht denkbar wäre. Sie beruht darauf, daß sittliche Vernunft in unserer Geschichte durch gemeinsame Erfahrungen herausgefordert worden ist und uns zum Handeln in gleicher Richtung hat zusammenfinden lassen. Das Verständnis der Sinngehalte des Lebens und der ethischen Forderungen ist dabei freilich nicht zu voller Einheit zusammengewachsen; sowohl die Frage nach den letzten Gründen als auch die nadi der Ordnung der Werte und sittlichen Forderung werden unter uns verschieden beantwortet, so daß wir oft Gleiches meinen, es aber verschieden begründen. J e nachdem, wie diese Gründe und Ordnungen geglaubt oder aus materialen oder formalen Prinzipien verstanden werden, je nachdem auch, ob eine allgemeine Rangordnung der Werte als verbindlich angesehen oder etwa im Gegenteil für eine irrige Absicherung gegen die Entscheidungsfülle der konkreten Situation gehalten wird, fällt auf die Gehalte der ethischen Forderung und auf die menschliche Offenheit für sie ein anderes Licht. Daß diese Gehalte dadurch mehrseitig erhellt werden, ist eine Ursache des geistigen Reichtums in unserer pluralistischen Gesellschaft. Anderseits macht es der Pluralismus heute sehr schwer, wenn nicht unmöglich, dem, worin wir einig sind, einen geschlossenen und verbindlichen Ausdruck zu geben. Jeder Versuch dazu muß Begriffe benutzen, die aus dem Systemzusammenhang einer Position stammen und damit die gegenwärtig unüberwindbare Gefahr hervorrufen, daß sie von einer Position als bejahende Bestätigung, von der anderen als verneinender Einspruch verstanden werden, also die erstrebte Einigkeit gerade verhindern. Am deut-

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liebsten ist das im Bereich der Aussagen über das Unverfügbare, dem wir vertrauen, obwohl auch die Bejahung dieser Bindung gemeinsame Züge hat. Aber es gilt auch im Umkreis der zwischenmenschlichen >weltlichen< Moral, und die Möglichkeit, deren Gehalte aus dem Glaubenszusammenhang, in dem sie ans Licht gekommen sind, herauszulösen und aus einer ihnen eigenen Einsehbarkeit zu begründen, — die »Säkularisierung« also — ist umstritten. D a ß wir nicht bündig sagen können, worin das übereinstimmend Verbindliche der Sinngehalte und Normen liegt, ist die heute lebhaft empfundene Not der freien Welt. Es heißt oft, ihr fehle es an verbindenden Ideen. In Wirklichkeit fehlen sie keineswegs; sie sind nur nicht unter gleicher und voller Zustimmung aller aussagbar und gehören insofern zu den >verborgenen< Gemeinsamkeiten, von denen der Ausschuß früher schon gesprochen hat. Und ihre Wirksamkeit macht uns fähig, gemeinsam Verantwortung zu sehen und zu tragen, soweit wir füreinander offen bleiben. Auch wo wir uns des Gemeinsamen nicht mit allgemeinen Begriffen zu versichern vermögen, können wir sein Vorhandensein konkret erfahren, wenn wir uns aufeinander einlassen, uns im Tun und Denken nicht voreinander verschließen und uns nicht voneinander abschließen lassen. Die immer erneute offene Begegnung ist also die uns auch in der pluralistischen Gesellschaft gewährte Möglichkeit, gemeinsame geistige Bestände wirksam zu machen, in gemeinsamer Verantwortung zu handeln und uns darin einander verbunden zu wissen" (5, 227 ff). Hier werden also zwei fundamentale Thesen entwickelt: a) Es gibt ,ein Feld des von den Weltanschauungen übereinstimmend für wahr Gehaltenen und verbindlich Geltenden*. „Das gilt auch für unsere Werthaltungen und für unsere sittlichen Normen." b) Die verschiedenen Weltanschauungen motivieren das von ihnen für wahr Gehaltene, die sittlichen Normen, in denen sie mit anderen Weltanschauungen faktisch übereinstimmen, aus je anderen, differierenden Überzeugungs- und Glaubenszusammenhängen heraus. Deshalb ist es in unserer pluralistischen Gesellschaft unmöglich, ,dem, worin wir einig sind, einen geschlossenen und verbindlichen Ausdruck zu geben'. Dem überzeugten Christen geht natürlich die erste dieser beiden Thesen besonders schwer ein. Sie ist deshalb von ihm besonders intensiv und redlich zu bedenken. Die, die sie aufstellten, haben dies dadurch erleichtert, daß sie mit großer Sorgfalt und Nüchternheit nur

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formulierten, was jeder wahrheitswilligen Erfahrung leicht zugänglich ist. Von der Realität des hier Behaupteten kann sich jedermann schnell und gründlich überzeugen, wenn er nur bereit ist, auf das Prinzip zu verzichten, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Seltsamerweise sind freilich Christen besonders geneigt, dieses Prinzip zäh festzuhalten. Der Nicht-Christ darf mit seinen Entscheidungen nicht recht haben, weil sie nicht christlich motiviert sind. Rasch ist man vor allem bei ethischen Entscheidungen mit der Behauptung bei der Hand, daß der Nicht-Christ sich nur ,äußerlich' gut zu verhalten vermag, .innerlich' aber doch nur sich selber also Böses meine. Daß die Tugenden der Heiden im Grunde glänzende Laster seien, wird zwar nur noch selten deutlich ausgesprochen, um so häufiger aber gedacht und intern doch auch in dieser oder jener Form zum Ausdruck gebracht. Das hat dann selbstverständlich zur Folge, daß man jene Übereinstimmungen', um die es hier geht, als solche nicht anerkennt; man hält und erklärt sie für Täuschungen, die sich ,genauem Hinsehen' schnell als solche enthüllen. Sie .dürfen' nicht real sein, weil sie die ,Absolutheit' des christlichen Urteils gefährden. Es gibt tatsächlich eine unter Christen weitverbreitete Wirklichkeitsblindheit .aus Glauben'. Wir können uns hier nicht auf einen ausführlichen Versuch einlassen, diese aufzulösen. Vielleicht genügt dem Leser als Anlaß, ihr kritisch nachzugehen, die Formulierung eines Theologen, der seit langem in dem Ruf steht, ein besonders sicheres theologisches Urteil zu besitzen. Adolf Schlatter (1852—1938) sagte einmal: „Für mich ist es Kernsatz der Religiosität und darum auch der Theologie, daß die Bejahung Gottes auch die Bejahung jeder Wirklichkeit in sich schließt, da mit jener der eine Wirker alles Wirklichen bejaht ist. Der Versuch, irgendeine mir sichtbar gemachte Tatsächlichkeit auszulöschen, hat für mich das Merkmal des unfrommen Verhaltens". In der Tat führt jede solche Bestreitung der Wirklichkeit notwendig in einen Konflikt mit dem Gott, der der Gott der Wahrheit ist und ist also unchristlich. Damit ist der Christ also aufgefordert, sich zu fragen, ob er sich mit den herkömmlichen Motivationen seines Verhaltens und den aus ihnen stammenden Urteilen über das Verhalten von Nichtchristen zufrieden geben kann. Unsere zweite These stellt die Differenz zwischen diesen christlichen Motivationen und den anderer weltanschaulicher Gruppen einfach fest, ohne den Versuch zu machen, diese Differenz zu korrigieren oder gar aufzuhellen. Das ist für ein Gremium, wie es der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen war, ein denkbar glückliches Verfahren. Denn ihm war keine Legitimation für

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einen solchen Eingriff in die weltanschauliche Situation der Gegenwart gegeben. Und hätte er eine solche etwa im Pädagogischen gesucht, so hätte er dies Pädagogische nur diskreditiert. Gerade diese Zurückhaltung aber macht es für die betroffene Weltanschauungsgruppe, also z. B. für die Christen, besonders dringlich, selbst darüber nachzudenken, ob die ,Übereinstimmungen', von denen in These 1 die Rede ist, nicht eine Korrektur von Motivationen erfordern, die sie nötigen, jene Übereinstimmungen zu leugnen oder nicht ernst zu nehmen. Ich wähle zunächst zwei Beispiele, die unser Problem noch etwas verdeutlichen mögen. Sie sind absichtlich alltäglicher Natur und erscheinen deshalb manchem vielleicht etwas simpel. Aber gerade diese Alltäglichkeit dürfte sie besonders leicht zugänglich machen und ihre Simplizität bedeutet nicht, daß sie unsere Problematik nicht unverkürzt enthielten. In einer Schulklasse arbeiten mehrere Lehrer verschiedener weltanschaulicher Überzeugungen. Diese Lehrer haben sich nicht auf ihre Instruktionspflicht zurückgezogen, sondern wissen sich auch den erzieherischen Aufgaben verpflichtet, die Christen und Nichtchristen als Hilfe zur Person-Werdung ihrer Schüler gemeinsam bejahen. Diese Aufgaben umschließen auch, was wir Gewissensbildung nennen. Nun erfährt ein Christ unter den Lehrern dieser Klasse, daß ein dezidiert nichtdiristlicher Kollege jene erzieherischen Aufgaben weit besser zu lösen vermag als er selbst. Die Schüler machen unter der Hand dieses Nichtchristen deutlich sichtbar jene spezifischen Schritte auf dem Wege zur Person-Werdung, die ihnen in ihrem Alter möglich sind. Vor allem reifen sie ethisch, ihr Gewissen entfaltet sich und ihre moralische Einfallskraft wächst ebenso wie ihr moralischer Wille. In allen Glaubensfragen hält sich ihr nichtchristlicher Lehrer — dies gehört zu seiner ,Weltanschauung' — völlig zurück; eine antichristliche Beeinflussung der Schüler findet nicht statt. Demgegenüber tritt die Wirkung des christlichen Lehrers auf dieselben Schüler völlig zurück. Er vermag sich gerade im erzieherisch-ethischen Bereich nicht zu Gehör zu bringen und schon gar nicht verständlich zu machen, was es um den christlichen Glauben ist. Situationen wie diese sind heute in unseren öffentlichen Schulen dutzendweise anzutreffen und unsere Pfarrer wissen von ihnen nur deshalb wenig, weil sie in ihrem Konfirmandenunterricht keine nicht-christliche Konkurrenz haben. Ist nun der christliche Lehrer, dem solches widerfährt, verpflichtet, vor sich selbst und anderen zu erklären, die von dem nichtchristlichen Erzieher gewirkte PersonWerdung sei eigentlich gar keine, oder sie sei nur die Nachwirkung

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christlidien Erbes? Muß der christliche Lehrer die ethische Bildung, die dem Nichtchristen gelingt, für einen Trug halten, der sich später als solcher schon offenbaren werde? Muß also der Christ eifersüchtig zu stören und zerstören suchen, was dem Nichtchristen zu wirken gegeben wurde? Oder liegt es nicht auf der Hand, daß jede tiefere Wirkungsmöglichkeit des Christen in dieser Eifersucht zugrunde ginge? Und das andere Beispiel. Ein dezidiert nicht-christliches Paar lebt eine — soweit das von Menschen zu sagen erlaubt ist, vorbildliche Ehe. Ihr Miteinander und Füreinander ist in jenem eigentümlichen, zunehmenden Maße erfüllt, das die gemeinsamen Jahre nicht ärmer sondern reicher werden läßt. Jeder weiß um seine Fehler und seine Schuld und läßt beides von der Liebe des anderen tragen. Den Kindern wird nicht nur die notwendige Fürsorge, sondern jene opferwillige Hingabe zugewandt, die sie weit in ihr selbständiges Leben hinein trägt. Mann und Frau nehmen dies alles weder als Selbstverständlichkeit noch als ihre Leistung, sondern als ein ihnen geschenktes Glück, das ihr Tun und Sein mit Dankbarkeit durchdringt. Sie wohnen in der Gemeinde eines Pfarrers, der sich nicht in diesem Sinne glücklich preisen kann. Seine Ehe ist sehr bald leer geworden. Man hat sich je länger je mehr .nichts zu sagen', und das heißt ja: das Miteinander und das Füreinander sind gestorben. Der eine gibt dem andern die Schuld an diesem Sterben und diesem Tod, erst laut und dann, weil Auseinandersetzungen sinnlos wurden, in jener bösen Stummheit, in der der Haß brütet. Den Kindern teilt sich dieses Elend sehr bald mit: frühe Melancholie verdüstert ihre Jugend und wirft tiefe Schatten voraus auf ihre Zukunft. Das alles führt nicht zur Lösung der Ehe. Denn diese Ehe ist ja ,christlich'. Mehr noch: Sie wird von einem christlichen Amtsträger geführt, der verpflichtet ist, zu zeigen, was eine wirkliche Ehe, eine Ehe im eigentlichen Sinne des Wortes ist. Und so entsteht jene für Beteiligte und eingeweihte Beobachter grausame Schauspielerei, die Jahr um Jahr Ehe als Lüge lebt. Auch dieses Beispiel ist nicht willkürlich konstruiert. Situationen wie die hier umrissene, mögen nicht allzu häufig sein. Für unseren Zusammenhang genügt die unbezweifelbare Tatsache, daß es sie gibt und daß sie ins öffentliche Bewußtsein getreten sind. Die resignierte Feststellung, daß Pfarrer ,auch Menschen' sind, die man heute gleichsam von jedermann hören kann und die auch schon aus Kindermund vernehmbar ist, hat ihre Wurzel in erheblich vielen Fällen gerade in der Wahrnehmung von durch unser Beispiel charakterisierten Verhältnissen. Im übrigen würde es auch genügen, sich weniger krasse

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Fälle als den hier — um der Deutlichkeit willen — skizzierten vor Augen zu halten. Umstände, die diese oder jene Einzelzüge unseres Beispiels tragen, liegen heute im Erfahrungsbereich eines jeden. Ihre Vergegenwärtigung würde genügen, um folgende Fragen durchsichtig zu madien: Ist nun der gekennzeichnete christliche Pfarrer verpflichtet, sich zu sagen, die gekennzeichnete Ehe des nichtchristlichen Paares sei ,eigentlich' gar keine Ehe, oder sie sei nur die Nachwirkung christlichen Erbes? Muß er also diese nichtchristliche Ehe für einen Trug halten, der sich als solcher schon einmal — und sei es im Jüngsten Gericht — als solcher offenbaren werde? Muß er diese Uberzeugung .seelsorgerlich' dem nichtchristlichen Paar mitteilen, dessen Ehe also stören, unsicher machen? Und das alles angesichts und im Bewußtsein seiner eigenen fragwürdigen aber ,christlichen' Ehe? Vielleicht scheint es manchem absurd, Fragen dieser Art zu stellen. Unnötig ist es dennoch nicht, sie aufzuwerfen. Es gibt auch in evangelischen Kreisen Neigungen, nicht-christliche Ehen unabhängig von der Art, in der sie gelebt werden für Konkubinate zu halten. Und mögen diese Neigungen auch nicht allzu verbreitet sein: Um so verbreiteter ist gerade unter evangelischen Christen die Weigerung, aus der offensichtlichen Absurdität solcher Fragen prinzipielle ethische Konsequenzen zu ziehen. Man kapituliert wohl vor jener Absurdität, aber versteht sie nicht und ist deshalb nicht in der Lage, weniger ,offensichtliche' Absurditäten mit der gleichen Zurückhaltung zu beantworten. Die Hemmung, die hier bei vielen evangelischen Christen vorliegt, hat, so grotesk sie im Einzelfall wirken mag, immer wieder ehrenwerte Gründe. Gewiß wird sie — das soll nicht geleugnet werden — in vielen Fällen aus jener fragwürdigen Eifersucht genährt, die es nicht zugeben kann, daß Nichtchristen Vorbildliches leisten. Aber sehr oft stammt sie doch aus einer tieferen, besseren Unruhe. Man ist überzeugt, in Christus den Zugang zu jenem Reich Gottes zu besitzen, in dem der Mensch und seine Welt vom Bösen erlöst werden. Diese Erlösung müsse aber, solle sie real sein, sichtbar und greifbar sein. Sicher nicht in Vollendung; Gottes Reich ist mit der Erscheinung Christi erst angebrochen, vollendet wird es erst bei dessen Wiederkehr. Aber auch dieser Anbruch müsse sich dokumentieren. Wie aber soll er das anders als in der Realisation des Guten? Worin anders aber kann das Gute bestehen als im Willen Christi? Auf die mannigfaltigste Weise ist deshalb heute das christliche Bewußtsein von dem mehr oder weniger geklärten Willen affiziert, die Erlösung der Welt durch Christus sichtbar zu machen, indem der Wille Christi vollstreckt wird. Dabei tritt das Leben des ein-

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zelnen relativ zurück. Im Gegenteil: Man fürchtet, daß die Aufmerksamkeit auf den einzelnen die Verwirklichung des Willens Christi allzu bequem in die bloße Innerlichkeit verlegen könnte, während doch der Welt die Spuren ihrer Erlösung eingegraben werden sollen. Die Institutionen, die Politik, die Gesellschaft sollen diese Spuren zeigen. Die Herrschaft Christi soll nicht einfach nur eine Herrschaft über Herzen, sondern Herrschaft eben über die Welt sein. Seine Inkarnation soll in einer Verwandlung der Welt in Erscheinung treten. Dabei ist man keineswegs schwärmerisch im Sinne großer christlicher Utopien der Vergangenheit. Nüchterne und fachkundige Planungen werden ins Auge gefaßt, diskutable, nämlich realisierbare Teilziele werden in Angriff genommen und durch ihre Bewältigung werden Initiativen für ferngesteckte Ziele beflügelt. Sehr oft werden pädagogische Programme mit diesen Initiativen verbunden — wer die Jugend hat, hat die Zukunft — und audi sie scheuen die Anstrengung fachmännischer Überlegungen nicht sehr oft. Mit alledem ist schon angedeutet, daß Tendenzen dieser Art im heutigen christlichen Bewußtsein nicht einfach traditioneller Natur sind. Natürlich haben sie mancherlei Wurzeln in der Vergangenheit. Aber ihre wirksamsten Impulse stammen aus der Gegenwart und gewissen sorgenreichen Aspekten, die die Zukunft bietet. Deshalb haben sie auch in der Theologie der Gegenwart mannigfachen Ausdruck gefunden. Nicht immer so, daß umfassende Reidi-Gottes-Theorien im Zusammenhang mit der modernen Soziologie entworfen werden, aber doch so, daß, wie wir sahen, die Problematik der Sozialethik zunehmend theologische Beaditung findet und die christliche Gesellschaftswissenschaft eine bedeutsame neue Disziplin der Theologie wird. Es geschieht also in redlichem Respekt vor der Gegenwarts- und Zukunfts-Bezogenheit dieser theologischen Bemühungen, wenn ich nun jene Problematik wiederaufnehme, die sich mir oben (s. S. 221 ff.) bei der Charakteristik eines ihrer Modelle ergab und die sich auch an andere einschlägige Entwürfe anknüpfen ließe. Die inzwischen durchdachten Exempel aus dem Leben der Gegenwart helfen hoffentlich, den Gedankengang leichter durchsichtig zu machen. Im Kern unserer Problematik fand sich die Frage, ob das wirklich Gute nur dort realisiert wird, wo es, wie die Formel meist lautet, ,im Namen Christi' geschieht. Ist die Christenheit durch ihren Glauben genötigt, Handlungsweisen, Institutionen und also Menschen nichtchristlicher Gruppen für ungut oder doch mindestens für ,vorläufig' zu halten, weil sie nicht — um wieder eine in diesem Zusammenhang

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gern gebrauchte Wendung zu benutzen — ,aus Glauben' stammen und leben? Müssen die Christen den faktischen ethischen Konsensus mit anderen Gesellschaftsgruppen für trügerisch halten, weil die ethischen Urteile hier und da, hüben und drüben anders ,motiviert' sind? Diese Frage greift also hinter die Frage nach der Richtigkeit bestimmter Handlungsmittel, Handlungsweisen, Handlungspläne zurück. Heute ist die Freiheitlichkeit in der Wahl solcher Mittel, Weisen und Pläne unter Christen gewachsen. Man drängt bei dieser Wahl immer mehr auf .Sachlichkeit', ist weitgehend willig, von Fachleuten zu lernen und ist auch in neuartigem Maße zur Kooperation mit Nichtchristen bereit, wo es der betr. Sache dienlich erscheint. Und damit ist für die Gesellschaft, in der Christen und Nichtchristen gemeinsam leben müssen, durchaus nicht wenig gewonnen: Man schafft Möglichkeiten zu gemeinsamen Erfahrungen in neuartiger Fülle, lernt sich in neuartigem Umfange gegenseitig schätzen und begreift vor allem in neuartiger Klarheit, wie sehr man aufeinander angewiesen ist. Wenn heute z. B. in beiden christlichen Konfessionen die Zahl derer auffällig im Wadisen begriffen ist, die sich von konfessionalistischen Konzeptionen des öffentlichen Schulwesens zu trennen bereit sind, so ist das wesentlich im Wachsen jener Sachlichkeit' begründet, von der die Rede war: Man hat eingesehen, daß die herkömmlichen konfessionalistischen Weisen, das öffentliche Schulwesen zu ordnen, den modernen, nicht-konfessionalistischen sachlich unterlegen, d. h. weniger effektiv als diese sind. Nun werden also Christen aller Konfessionen und Nichtchristen in steigendem Maße gemeinsam pädagogische Erfahrungen machen, sich besser kennen und achten lernen und einsehen, wie sehr sie im Bemühen um ihre Kinder aufeinander angewiesen sind. Freilich werden diese konfessionellen Zugeständnisse bei der Ordnung unseres öffentlichen Schulwesens — um zunächst bei diesem Exempel zu bleiben — von einem spürbaren, für unseren Zusammenhang bemerkenswerten Vorbehalt begleitet: Man möchte die pädagogische Kooperation von Christen verschiedener Konfession und von Christen mit Nichtchristen möglichst auf das Pädagogisch-Technische beschränkt wissen und sucht nach Möglichkeiten, diese Beschränkung zu institutionalisieren, d. h. institutionell zu sichern. Und hinter diesen Bemühungen steckt nidit einfach der Wunsch nach Garantien für die .weltanschauliche', also auch religiöse Erziehung im engeren Sinn des Wortes. Dieser Wunsch wäre relativ leicht zu erfüllen. Aber man meint mehr. Man mißtraut den ethischen Entscheidungen, die in der von den öffentlichen Schulen geleisteten Erziehung und Bildung mit Notwendigkeit

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ständig getroffen werden. Sie können in einer öffentlichen Sdiule, in der die weltanschauliche Pluralität unserer Gesellschaft zum Ausdruck kommt, nicht grundsätzlich ,christlich' sein und deshalb können sie, so argwöhnt man, auch nicht wirklich sittlich sein. Daß die Vokabel von jener ,reY\g\ös-sittlichen' Erziehung, die den Weltanschauungsgemeinschaften — sprich: .Kirchen' — vorbehalten bleiben müsse, trotz der an ihr geübten mannigfachen theologischen Kritik nicht ausgestorben ist, sondern sich in ernstlichem Maße behauptet hat, dürfte ihren tiefsten Grund in dieser Furdit haben, auch die sittliche Erziehung müsse zwangsläufig zugrunde gehen, wenn sie nicht christlich legitimiert ist oder, schärfer formuliert, in dem Argwohn, sie sei in Wahrheit gar keine sittliche Erziehung, wenn sie nicht als christlich ausgeübt werde. Generell gesprochen: Die neue Freiheitlichkeit oder Sachlichkeit der Christen gegenüber weltlichen Handlungsmitteln, Handlungsweisen und Handlungsplänen ist instrumentalistisch verengt. Man will sich dieser Mittel, Weisen und Pläne nur als der in dieser Welt nun einmal notwendigen Instrumente des Handelns bedienen, behält sich dessen ethische Qualifikation aber vor, da diese von den Voraussetzungen des christlichen Glaubens abhängig sei. Jene neue Freiheitlichkeit ist also in Wahrheit noch keine neue Lösung unseres Problems. Nodi einmal sei betont, daß sie nicht ohne Bedeutung ist. Die praktische Milderung des Konfessionalismus, die schon durch sie bewirkt wird, ist für die heutige Gesellschaft — nicht nur im Bereich des öffentlichen Schulwesens — ein Gewinn, den man nicht gering sdiätzen darf. Aber dieser Konfessionalismus ist nicht wirklich entschärft. Seine Sprengkraft ist gleichsam nur in tiefere Schichten verlagert. Man lernt die Kooperation im Leben des Alltags, aber man behält sich christlicherseits ein Urteil darüber vor, ob diese Kooperation nicht nur .äußerlicher' Natur sei, weil man .innerlich' doch etwas anderes meine, weil das gemeinsam als gut Bejahte doch nur insofern und insoweit gut sei, als es das Werk von Christen ist. Es ist also eine Kooperation auf Kündigung, bei der das moralische Kündigungsrecht allein bei dem christlichen Partner liegt. Und dieser Tatbestand nimmt der Kooperation mit ihrer Verläßlichkeit — genau genommen — zugleich ihre Wahrhaftigkeit, also ihre Echtheit. Nun kann jeder Christ bei sich selbst folgende Beobachtung machen. Es meldet sich in ihm, solange er sich dogmatisch noch nicht ganz vergewaltigt hat, ein völlig eindeutiger Protest gegen jene Unzuverlässigkeit und Unwahrhaftigkeit zu Wort, zu denen ihn sein christlicher Vorbehalt in der Kooperation mit dem Anders-Gläubigen verführt.

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Es entsteht in ihm eine Scham darüber, daß er diesen Anders-Gläubigen in schweigender Tiefe anders, schlechter beurteilt als im Gespräch der Kooperation. E r weiß um die Lüge dieses Verhältnisses, an der er schuld ist. O f t durchbricht dieser Protest sogar lange festgehaltene und hart verkrustete dogmatische Selbstvergewaltigungen: Es ist eben schwer, auf lange Dauer ,im Namen Christi' mit der Lüge zu leben. Vielleicht ist es doch nur der Machtgenuß, der diesem Leben in UnWahrhaftigkeit überhaupt Dauer verleiht. Denn natürlich: Jener christliche Vorbehalt in der Kooperation unterwirft den Partner des Christen in unangreifbarer Tiefe; er wird im geheimen durch den Christen ethisch entmündigt. In vielen, vielleicht den meisten Fällen entziehen wir uns dem damit gegebenen Konflikt, indem wir — wie in so manchen anderen schwierigen Lagen — zweigleisig leben. Wir geben praktisch dem inneren Protest gegen jene UnZuverlässigkeit und Unwahrhaftigkeit recht und billigen dem Anders- oder Nicht-Gläubigen zu, daß, was er tut, nicht nur sachlich richtig, sondern sittlich gut sein kann. Und im übrigen bewahren wir in irgendeiner Kammer unseres Bewußtseins den dogmatischen Satz auf, daß gut nur sein kann, was ,im Namen Christi' geschieht. Unsere christliche ,Lebenskunst' besteht dann darin, beide Bereiche möglichst sauber gerennt zu halten, damit keiner den anderen stört und wir unsern Frieden haben. Damit dürfte nun aber wirklich zwingend geworden sein, daß man die Frage, ob das wirklich Gute nur dort realisiert wird, wo es ,im Namen Christi' geschieht, ob also die Christenheit durch das Evangelium genötigt wird, nichtchristliche Handlungsweisen, Institutionen und also Menschen für ungut oder doch mindestens für ,vorläufig' zu halten, mit einiger Entschiedenheit verneinen muß. Denn es kann nicht Sinn christlichen Glaubens sein, die sittliche Person des Christen dadurch zu zerstören, daß er ihn in einen unauflöslichen Konflikt mit der Wahrheit bringt. Und es kann vollends nicht Sinn christlichen Glaubens sein, daß er den Christen zur Unaufrichtigkeit im Umgang mit dem Mitmenschen nötigt und ihm eine Chance eröffnet, diesen Mitmenschen in einer Weise zu unterwerfen, gegen die dieser sich nicht wehren kann. Positiv ausgedrückt heißt dies für den Christen: Auch sittliches Urteilsvermögen und sittliche K r a f t des Nichtchristen sind, insofern sie wirklich sittlich sind, von Gott. Die Begabung der Menschheit ohne Rücksicht auf ihren Glauben mit diesem Urteil und diesem Ver-

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mögen gehören zwar nidit zu Gottes Erlösungs-, wohl aber zu seinem Sdiöpfungswerk. Es liegt auf der Hand, daß es nicht ganz einfach ist, diese These in den Zusammenhang einer christlichen bes. einer evangelischen Theologie einzufügen. Und in der T a t sind die diesbezüglichen Verlegenheiten in der ethischen Literatur des Protestantismus groß. Sie aufzulösen kann hier nicht unsere Aufgabe sein. Nur zwei Bemerkungen seien noch angeführt, die helfen mögen, den hier zu bewältigenden Schwierigkeiten nicht einfach auszuweichen. Es ist nicht möglich, die theoretische und praktische Ethik des heutigen Nichtchristentums einfach mit jenem Amoralismus zu identifizieren, wie er in neuerer Zeit etwa im Werk Nietzsches in Erscheinung trat. Die grundsätzliche Trennung von dem, was in der abendländischen Überlieferung mit ,Moralität' gemeint wird, die in diesem Amoralismus vorliegt, ist gewiß eine Möglichkeit des autonom gewordenen Menschen, die nicht mehr zurückgenommen werden kann. Aber die Versuche, diese Trennung zu vollziehen, wurden und werden nicht einfach nur im Namen des Christentums abgelehnt, sondern von einer christlich-nichtchristlichen Position, die gemeinsame ethische Normen kennt, eben die, die das allgemeine Bewußtsein bis zur Gegenwart .sittlich' nennt. Der Kampf gegen den Amoralismus in der Politik beispielsweise wurde und wird von Christen und Nichtchristen gemeinsam geführt und die sittliche Überzeugungskraft der Nichtchristen ist dabei immer wieder größer als die der Christen. Wer also die Sittlichkeit des heutigen Nichtchristen mit dem modernen Amoralismus offen oder verkappt identifiziert, verfehlt die Wirklichkeit und damit unser Problem. Es ist ferner nicht möglich, eine Gründung unseres sittlichen Urteils und unserer sittlichen K r a f t in Gottes Wirksamkeit einfach mit einem Hinweis auf die ,Geschichtlichkeit' mensdilicher Sittlichkeit abzulehnen, also in irgendeiner Form zu erklären, daß diese Sittlichkeit, weil sie geschichtlich ist, Menschen- und nicht Gotteswerk ist. Wer so argumentiert, muß sich darüber klar sein, daß er, will er konsequent bleiben, die Realität von Beziehungen zwischen Mensch und Gott überhaupt leugnen muß. Denn der Mensch ist ganz und gar, nicht nur in seiner Sittlichkeit, ein geschichtliches' Wesen. Jene Argumentation enthält faktisch die Leugnung des Sinnes von theologischen Aussagen überhaupt. Es ist also wirklich eine schwierige Aufgabe, die These von der Gründung des sittlichen Urteilsvermögens und der sittlichen K r a f t des 16

K i t t e l , E v . Religionspädagogik

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Menschen — nicht des Christen! — die sich uns aus der Analyse unserer ethischen Wirklichkeit ergab, als eine These christlicher, bes. evangelischer Theologie zu entfalten. Für das Schicksal der modernen Gesellschaft und der Christenheit in ihr dürfte es von schwerwiegender Bedeutung sein, ob bzw. wie diese Aufgabe gelöst wird. Trennt sich die Christenheit nämlich nicht in der Tiefe ihres Glaubens von dem Vorurteil, daß nur der christliche Glaube sittliches Bewußtsein und sittliche K r a f t schafft, dann wird sie notwendig ein Element der Destruktion in der modernen Gesellschaft. Wenn die Christenheit sich als das Gewissen der modernen Gesellschaft versteht und gibt, so bedeutet dies, daß sie laut oder leise, direkt oder indirekt, ausdrücklich oder in penetrantem Schweigen den Anspruch auf die ethische Führerrolle in der Gesellschaft erhebt, insbesondere, daß sie die sittliche Vormundschaft über die Nichtchristen beansprucht. Es liegt auf der H a n d , wie tief die K l u f t werden muß, die durch diesen Anspruch in unserer Gesellschaft aufgerissen wird. Sie ist schon heute nicht gerade flach, wird aber noch von gewissen ethischen Konventionen und politischen Positionen verschleiert. Die Bitterkeit, die bereits angesammelt ist, d ü r f t e groß sein und sehr stetig wachsen. Es wird vermutlich zu keinen oder doch nur zu geringfügigen feindseligen Reaktionen auf diesen Anspruch kommen — aus mannigfachen Gründen. Aber es wird eine andersartige Abwehr einsetzen: die weltanschaulich-sittliche Ghettisierung der Christenheit. Die christliche Aggression auf das Nichtchristentum wird stillschweigend und ohne daß es großer Verabredungen bedürfte, eingedämmt werden. U n d diese Ghettisierung der Christenheit wird um so wirksamer vor sich gehen, als sie am entscheidenden Punkt dem Selbstverständnis dieser Christenheit entspricht: Sich selbst aufgrund spezieller O f f e n barung als allein um Gut und Böse wissend verstehen, heißt nämlich, sich als Sekte verstehen. Eine Sekte aber lebt aus eigenem Willen im Ghetto. Damit wäre dann die Christenheit dem Schicksal ausgesetzt, jenen ,schiefen Blick' zu gewinnen, der psychologisch und moralisch das notwendige Ergebnis jeder Ghettisierung ist und der sich verheerend auf die Gesamt-Gesellschaft auswirken müßte. D a ß mindestens die beiden wichtigsten christlichen Konfessionen, die katholische und evangelische, zu groß seien, um Sekten werden zu können, darf man nicht einwenden. Der Sektencharakter einer religiösen Gemeinschaft ist nicht eine Frage ihrer Mitgliederzahl, sondern eine solche ihrer geisti-

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gen Welt, ihrer in dieser bedingten Struktur und der von der einen wie andern geprägten Haltung ihrer Anhänger. U n d die ethische Introversion der Christenheit ist eine Kraft, die auch sehr große Kirchen in Sekten zu verwandeln vermag. Es gibt Anzeichen dafür, daß dieser Verwandlungsprozeß christlicher Kirchen in Sekten nicht mehr in seinen Anfängen steht. Wir werden noch genauer hiervon zu sprechen haben (vgl. § 23, 1). 1. W . Strzelewicz, Art. „Gesellschaft", in: Päd Lex 338 ff. 2. K. Mollenhauer, Art. „Gesellschaft in pädagogischer Sicht", in: Päd 102 ff. 3. H. D. Wendland: Person und Gesellschaft in evangelischer Sicht, 1963. 4. Deutsches Institut für Bildung und Wissen — Empfehlungen und Vorschläge zur Reform des Bildungswesens, H e f t 5 : Gutachten zur Bekenntnisschule, 1966. 5. Gutachten „Zur religiösen Erziehung und Bildung in den Schulen", in: D A E B 221 ff. 6. Ch. Walther, Theologie und Gesellschaft, Ortsbestimmung der evangelischen Sozialethik, 1967. Vgl. außerdem die in §§ 10,1 und 21,1 angegebene Literatur und die Erörterungen über das Verhältnis der evangelischen Kirchen zur Moral in § 23,1. 7. Evangelisches Soziallexikon, hg. von F. Karrenberg, 1965 5 .

3. Schule Was Schule sei oder sein solle, pflegt auch unter Gebildeten noch immer mit einem einfachen Hinweis auf ein angebliches Gesetz der Entstehung schulischer Einrichtungen beantwortet zu werden: In dem Augenblick, in dem die Familie den jeweils zeitgemäßen Erziehungsund Bildungsanforderungen nicht mehr völlig gerecht werden kann, schafft sie sich schulische Einrichtungen, die ihrer pädagogischen Ohnmacht aufhelfen; Schule sei also ein subsidium der Familie, von dieser geschaffen, auf diese bezogen und also — von dieser zu leiten. Man hielt und hält diesen Ursprung der Schule und ihr durch ihn gestiftetes Verhältnis zur Familie für ,natürlich' oder auch ,organisch'. Die Suggestivkraft dieser oder ähnlicher Attribute — es wird eine Naturgesetzlichkeit suggeriert — wurde und wird nachhaltig von Theorie und Praxis des Verhaltens beider christlicher Kirchen zu Schulfragen unterstützt; insbesondere die katholische Schullehre hat das pädagogische ,Subsidiaritätsprinzip' mit Präzision entfaltet. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob diese Anschauung von Entstehung und Wesen der Schule jemals eine uneingeschränkte Entspre16*

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chung in der Wirklichkeit besaß. Persönlich bin ich der Meinung, d a ß dies nicht der Fall ist. Aber hier sollen keine Probleme der Schulgeschichte zur D e b a t t e gestellt werden. Eindeutig d ü r f t e es jedenfalls sein, d a ß jene Anschauung heute nicht mehr zureichend ist. Gewiß w i r k t auch heute die Familie am Z u s t a n d e k o m m e n u n d a m Bestehen der öffentlichen Schulen mit; ja vielleicht w i r d diese M i t w i r k u n g noch wesentlich intensiviert werden. Aber neben der Familie stehen andere K r ä f t e , ohne deren stetige Initiative weder die G r ü n d u n g noch die E r h a l t u n g öffentlicher Schulen denkbar ist. Es ist nicht möglich, sie hier aufzuzählen. Ich nenne nur ihre wichtigsten G r u p p e n : staatliche Stellen, K o m m u n e n , Parteien, gesellschaftliche Mächte, Kirchen. U n d de facto sind sie alle wichtiger, nämlich wirksamer als die Familie u n d werden das bleiben, auch w e n n die M i t w i r k u n g der Familie am ö f f e n t lichen Schulwesen — was m. E. zu wünschen ist — noch wesentlich umfangreicher, engagierter u n d sachverständiger w ü r d e , als das heute der Fall ist. D a m i t wird dann freilich die Aufgabe, bündig zu sagen, was Schule heute sei oder sein solle, außerordentlich erschwert. D e n n die vielen K r ä f t e , die an Entstehung u n d E r h a l t u n g öffentlicher Schulen in der Gegenwart und nächsten Z u k u n f t beteiligt sind, deren Mitspracherecht z. T. verbrieft, z. T . de f a c t o irreversibel ist, sind politisch, weltanschaulich, ethisch in unübersehbar viele u n d vielgestaltige Richtungen aufgesplittert. Aber nicht nur das. Diese K r ä f t e sind jede f ü r sich — auch die Kirchen! — einem raschen W a n d e l ihrer Meinungen unterworfen, u n d z w a r gerade auch solcher Meinungen, die f ü r die äußere und innere O r d n u n g des Schulwesens relevant sind. Mit anderen W o r t e n : Die Gegenwartslage unseres öffentlichen E r ziehungs- u n d Bildungswesens stellt der Erziehungswissenschaft mit besonderer Dringlichkeit die besonders schwierige Aufgabe, eine zeitgemäße Theorie der Schule zu entwickeln. M a n k a n n nicht sagen, d a ß das H e r k o m m e n sie f ü r diese A u f g a b e besonders gut gerüstet habe. D e n n abgesehen v o n einigen rühmlichen Ausnahmen — hinzuweisen ist besonders auf Comenius u n d Schleiermacher — h a t sie sich der A u f gabe, eine Theorie der Schule zu entwickeln, in der Vergangenheit weitgehend entzogen. ,Schulpädagogik' machte u n d macht weitgehend nicht die Schule selbst z u m Gegenstand der Reflexion, sondern das, was in dieser Schule pädagogisch geschieht, wobei m a n die Sinngebung der Schule mehr oder weniger als selbstverständlich — also unproblematisch — voraussetzt. U m so bemerkenswerter d ü r f t e es sein, d a ß sich die Erziehungswissenschaft des 20. Jh.s mit wachsender Energie

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der Probleme einer Theorie der Schule angenommen und bis heute eine quantitativ ebenso wie qualitativ beachtliche Reihe von Beiträgen zu diesem Problemfeld vorgelegt hat. Ich erinnere nur an die einschlägigen Arbeiten von H . Nohl, I. Gebhard, W. Flitner, E. Weniger, Fr. Blättner, E. Lichtenstein, H . Heise, M. Stallmann, G. Reichwein, M. I. Langeveld, H . Röhrs und L. Froese. Seit 1967 liegt sogar aus der Feder von Th. Wilhelm ein erster Versuch vor, eine umfassende ,Theorie der Schule' (1) monographisch zu entwerfen. Worum es in diesen Arbeiten im einzelnen geht, kann hier nicht aufgezählt werden. Vollends könen die in ihnen vorgetragenen Thesen hier nicht kritisch referiert werden. Das Feld dieser Problematik ist von solcher Fruchtbarkeit und zugleich für den Nichtpädagogen, also z. B. den Theologen, von solcher Fremdheit, d. h. Interpretationsbedürftigkeit, daß jede derartige Aufzählung bzw. Berichterstattung unseren Zusammenhang hoffnungslos sprengen würde. Ich begnüge mich deshalb damit, einen Problemkreis herauszugreifen, dessen Betonung und Behandlung für die gegenwärtigen Bemühungen um eine zeitgemäße Theorie der Schule besonders charakteristisch sein dürften: den der Schulform und Schulorganisation. In das Bewußtsein weiter Kreise der deutschen Öffentlichkeit ist dieser Problembereich 1959 getreten, als der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen seinen „Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinen öffentlichen Schulwesens" vorlegte (2). Dieser Rahmenplan beruht auf folgenden 3 ,Hauptthesen', die sich seinen Autoren aus gründlichen historischen, gesellschaftskritischen und prinzipiellen Überlegungen ergaben: „1. Die unterschiedlichen Bildungsanforderungen, die unsere arbeitsteilig entfaltete Gesellschaft an ihren Nachwuchs stellt, und die Unterschiede in der Bildungsfähigkeit dieses Nachwuchses zwingen dazu, an drei Bildungszielen unseres Schulsystems festzuhalten, die nach verschieden langer Schulzeit erreicht werden: an einem verhältnismäßig früh an Arbeit und Beruf anschließenden, einem mittleren und einem höheren. Der Schulaufbau muß gestatten, die Bildungsziele so zu heben und den geistigen Wandlungen unserer Zeit so entsprechen zu lassen, daß in jedem Kinde menschliche Grundkräfte geweckt, dann aber für die Übernahme verschiedenartiger Aufgaben und Verantwortungen in der modernen Welt gebildet werden. Er muß deshalb drei Wege der Bildung öffnen, ihr Verhältnis zueinander so ordnen und jedem soviel Zeit zubilligen, daß sich die ihm zugehörigen Bildungsgehalte und -methoden in ihrer Eigenart entfalten können.

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2. Die Pflicht zu sozialer Gerechtigkeit und der vermehrte Bedarf der modernen Gesellschaft an höhergebildetem Nachwuchs machen es nötig, jedem Kind den Weg zu öffnen, der seiner Bildungsfähigkeit entspricht. Der Schulaufbau muß gestatten, alle kindlichen Begabungen zu wecken und sie nach Art und Grad auch an anspruchsvolleren Aufgaben zu erproben. Die Entscheidung darüber, auf welchem Wege und bis zu welchem Ziel das Kind gebildet werden soll, muß von deutlich erkennbaren Bewährungen in dieser Erprobung abhängig gemacht v/erden. 3. Der Schulaufbau muß das Seinige dazu beitragen, die geistige Einheit des Volkes in den elementaren Grunderfahrungen, Übungen und Einsichten kräftig zu erhalten und f ü r das Bewußtsein dieser Einheit einen breiten gemeinsamen Grund zu legen. Zugleich muß er Raum und Zeit d a f ü r geben, daß die unterschiedliche Bildungsfähigkeit der Kinder sich unter gleichen Bedingungen wiederholt bewähren und danach beurteilt werden kann. Beides ist nur möglich, wenn alle Kinder so lange ein gemeinsames Schulleben führen, bis der besondere Charakter der Bildungswege auch eine Trennung in besondere Schulen unabweisbar macht" (2, 75). Der Vorschlag des Deutschen Ausschusses erstrebt dementsprechend „eine konstruktive Synthese von Tendenzen, die sich nur auf eine oder zwei dieser Grundthesen stützen, deren Berechtigung aber in Wahrheit dadurch begrenzt ist, daß alle drei Thesen gelten. Er erstrebt zugleich das höchste M a ß an Vereinheitlichung, das dem Erfordernis unterschiedlicher Bildungstypen und -zweige gerecht w i r d " (2, 75 f.). Das bedeutet praktisch, der Deutsche Ausschuß empfiehlt folgende Struktur des öffentlichen Schulwesens: Vierjährige Grundschule bisheriger Art; Förderstufe (5. und 6. Schuljahr) f ü r die ,weitaus überwiegende Zahl der Kinder' auf der sich ,der f ü r das einzelne Kind geeignete weitere Bildungsweg ergibt'; Oberschulen: a) Hauptschule (7.—9. bzw. 10. Schuljahr), die ,unter Mitwirkung der berufsbildenden Schulen in diese überleitet', b) Realschule (7.—11. Schuljahr), die zur ,Mittleren Reife" f ü h r t ; c) Gymnasium (7.—13. Schuljahr) mit einem naturwissenschaftlichen und einem sprachlichen Zweig, das nach dem 11. Schuljahr zur ,Mittleren Reife' und nach dem 13. zur Hochschulreife führt. Eine Ausnahmestellung soll die sog. Studienschule (5. bis 13. Schuljahr) haben, auf die geeignete Kinder also unmittelbar nach der Grundschule überwechseln können. „Sie gabelt sich in einen > griechischen < und einen >fianzösischen< Zweig, der jeweils nach der dritten, auf das Lateinische und Englische folgenden Fremdsprache

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benannt ist, und führt wie das Gymnasium zur allgemeinen Hochschulreife" (2, 76 f.). Die Auseinandersetzungen über diesen Rahmenplan, die das Interesse überraschend weiter Kreise an einer Neuordnung unseres öffentlichen Schulwesens wachriefen, waren und sind natürlich in erster Linie kulturpolitischer Natur. Aber dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß in diesem kulturpolitischen Ringen immer auch bestimmte theoretische Grundanschauungen gegeneinander ins Feld geführt wurden und werden. Die drei ,Hauptthesen' des Deutschen Ausschusses machen deutlich, mit welchen theoretischen Fragen sich auseinanderzusetzen er selbst für nötig gehalten hatte, z . B . : die Bildungsanforderungen der arbeitsteilig entfalteten Gesellschaft, die Bildungsziele eines zeitgemäßen öffentlichen Bildungswesens, die Gemeinsamkeit menschlicher Grundkräfte in der jungen Generation und die Differenzierung ihrer Begabungen, die Rolle von Bildungsgehalten und -methoden, die soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen, die Bildungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen unter bestimmten Voraussetzungen usw. Alle diese und manche andern theoretischen Fragen spielten dann auch bei Gegnern und Freunden des Rahmenplanes eine wichtige Rolle. Selbstverständlich nicht, ohne daß bestimmte kulturpolitische Interessen unterschwellig immer wieder die theoretische Argumentation präjudizierten. Selbstverständlich auch nicht, ohne daß zynischer Machtwille immer wieder einmal höchst bewußt einer z. B. aus standespolitischen Gründen feststehenden Entscheidung nachträglich eine theoretische Argumentation anhängte. Wie dem aber im einzelnen sein mag: Der Rahmenplan und die Auseinandersetzungen über ihn haben nachhaltig geholfen, das öffentliche Bewußtsein mit dem Faktum vertraut zu machen, daß Schulform und Schulorganisation legitime Aufgaben einer Theorie der Schule sind. Anders gesagt: Sie haben geholfen, deutlich zu machen, daß Form und Inhalt, Außen und Innen bei der Entwicklung des öffentlichen Schulwesens nicht länger so auseinandergerissen werden können, wie wir das herkömmlich tun. Wir sind gewohnt, ,äußere' und ,innere' Schulreform sorgfältig zu unterscheiden, d. h. mit einer gewissen Verachtung die Probleme der nur äußeren Schulreform hinter bzw. unter die der inneren zu rücken. Aber was heißt in Sadien Schulreform schon innen und außen? Es wäre ein leichtes, zu zeigen, wie bemerkenswerte ,äußere' Konsequenzen bestimmte Bestrebungen der sog. ,inneren' Schulreformen von jeher gehabt haben. Vielleicht müßte man umgekehrt sagen: Es ist Anlaß zum Mißtrauen gegen die Stichhaltigkeit bestimmter Thesen der

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.inneren' Schulreform gegeben, wenn sie keine greifbaren äußeren Konsequenzen hat. U n d wenn man heute gelegentlich beobachten kann, daß Pädagogen, die sich früher energisch gegen alle Bestrebungen innerer Schulreform wandten, lebhaft dafür eintreten, dodi endlich zu diesen zurückzukehren und die äußere — sie pflegen dann gern .äußerliche' zu sagen — Schulreform endlich in das gebührende Abseits zu verweisen, so machen sie auf ihre Weise deutlich, wie wichtig die Preisgabe der Alternative äußere oder innere Schulreform ist; denn sie wollen, indem sie jetzt ,innere' Schulreform sagen, daß überhaupt keine Schulreform geschieht. Schule ist eine Institution. Eine Theorie der Schule muß es deshalb audi mit spezifisch institutionellen Problemen, also auch Problemen der Form und Organisation zu tun haben. Wir werden die Fremdheit gegenüber dieser Problematik sehr bewußt in uns überwinden müssen. Wer sich weiterhin einer von der äußeren prinzipiell unterschiedenen inneren Schulreform verschreibt, läßt zu, daß die realen Veränderungen unseres Schulwesens von anderen bewirkt werden, auf die er keinen Einfluß hat, vielleicht nicht einmal haben will. O b das dann noch eine wirklich verantwortliche Einstellung ist, wird man wenigstens fragen müssen (3). Aber wer soll nun eigentlich so auf die Schule einwirken, daß sie wirklich verändert wird? U n d verändert werden muß sie immer, da sie eine geschichtliche Institution ist; vollends die mobile Gesellschaft macht den S a t z gültig: et schola Semper reformanda. Auch auf diese Frage — legitimes Problem einer Theorie der Schule — hat der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen eine wichtige Antwort gegeben, die hier zu bedenken ist. Sie lag in erster Linie in der Existenz des Ausschusses. Der Staat wußte sich für unsere Problematik nur noch in sehr eingeschränktem Maße zuständig. Er erkannte aber auch, daß die durch das Grundgesetz geschaffenen bzw. auf ihm fußenden politischen und gesellschaftlichen Organe aus mancherlei Gründen nicht in der L a g e waren, die hier geforderte Instruktion des öffentlichen Bewußtseins und Entbindung des öffentlichen Interesses zu leisten. Also mußte ein neuartiges Organ geschaffen werden, das diese Leistung aufgrund seines Sachverstandes und seiner menschlichen Autorität vollbringen könnte, weder zur Legislative noch zur Exekutive gehörend, weder formale Repräsentanz der Gesellschaft noch an Weisungen derselben gebunden. Es ist eine noch viel zu wenig ins öffentliche Bewußtsein getretene Tatsache, daß der Deutsche Ausschuß, indem er die ihm gestellten Aufgaben produktiv löste, zugleich — ältere Traditionen fortbildend — die Spur einer

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neuen Institution in das Feld unseres öffentlichen Bildungswesens grub. Er hat durch seine Arbeit die prekär gewordene Frage nach der Zuständigkeit für die stetige Reform dieses Bildungswesens gelöst: Die Zuständigkeit für diesen Wandel kann nicht mehr uneingeschränkt in den Händen des Staates, aber sie kann auch nicht uneingeschränkt in den Händen interessierter Gruppen der Gesellschaft liegen; vielmehr kann sie künftig nur noch einem Gefüge übertragen sein, in dem Staat, gesellschaftliche Gruppen und unabhängige Sachverständigengremien sinnvoll zueinandergeordnet sind. Alles andere führt entweder zu reaktionären oder zu unpraktischen Lösungen oder — zum Abtreten der bildungspolitischen Hoheit an die Bildungsbürokratie, weshalb es sehr zu begrüßen ist, daß, als der Deutsche Ausschuß sein Programm erfüllt hatte und sich auflöste, sofort der Deutsche Bildungsrat an seine Stelle trat. Zu untersuchen, wie die Rolle eines solchen Gremiums und also seine Zusammensetzung, sein Verhältnis zum Staat einerseits und zu den gesellschaftlichen Kräften andererseits im einzelnen zu bestimmen sind, dürfte eine der wichtigsten Aufgaben einer zeitgemäßen Theorie der Schule sein. — Der evangelischen Theologie ist die Problematik der Schulreform und des Verhältnisses von innerer und äußerer Schulreform als Problematik der Konfessionalität geläufig: Sollen unsere allgemeinbildenden Sdiulen konfessionell, simultan oder weltlich sein? Welche Konsequenzen für Lehrinhalte und Erziehungsprinzipien müssen solche institutionellen Entscheidungen über den religiösen Charakter unserer Schulen haben? Solche und ähnliche Fragen haben in der evangelischen Religionspädagogik lange zur oft heftigen Debatte gestanden. Wir können den Verlauf dieser Debatte hier nicht nachzeichnen und fragen sofort nach der Gegenwartssituation. Festgestellt hatten wir bereits (s. § 14), daß sich in dem Wort der Generalsynode von 1958 die produktive Linie der theologischen Entwicklung durch einen Verzicht auf die alte Vokabulatur der religiösen Schulkämpfe zur Geltung brachte: Man forderte keine evangelische Schule noch christliche Gemeinschaftsschule mehr, sondern trat in die Sorge um die Schule aller ein, d. h. um eine öffentliche Schule, die eine solche Schule aller, also eine ,freie' Schule werden oder bleiben sollte. Und wir hatten auch bereits erwähnt, daß hierin ein Vorgriff lag, der nicht von allen kirchlichen Instanzen gebilligt wurde: Es gab mancherlei kirchlichen Widerspruch gegen das kühne Synodalwort.

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Inzwischen ist nun eine eigentümliche Entwicklung des westdeutschen Schulwesens — nur dies kann hier ins Auge gefaßt werden — in Gang gekommen. Immer eindeutiger setzt sich in der Öffentlichkeit der auch im Rahmenplan des Deutschen Ausschusses enthaltene Gedanke einer Weiterentwicklung der Oberstufe der bisherigen Volksschule zur Hauptschule durch, auf verschiedene Weise mit neuen Konzeptionen der Mittelstufe verbunden. Die Aufgaben einer solchen Hauptschule können aber nur von in sich reich gegliederten Schulen mit entsprechender Ausstattung erfüllt werden, auf dem Lande also nur von Zentralschulen, die die dort noch zahlreichen, wenig gegliederten Dorfschulen abzulösen haben. Das bedeutet praktisch die Einleitung einer Entkonfessionalisierung des Volksschulwesens, da es unmöglich ist, hinreichend ausgestattete Hauptschulen überall doppelt oder gar dreifach — nämlich katholische, evangelische und achristlich-humanistische — zu errichten. Erleichtert wird dieser Prozeß natürlich durch jene Neigung zur Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens, die heute überhaupt das allgemeine Bewußtsein immer mehr durchdringt, und zwar durchaus auch in christlichen, katholischen wie evangelischen Kreisen. Wie verhalten sich die kirchlichen Instanzen zu dieser Entwicklung? Die katholische Kirche hat ihre grundsätzliche Position im Gehorsam gegen die Declaratio de educatione christiana des II. Vaticanums festgehalten. Aber sie zeigt sich doch zu praktischem E n t gegenkommen in neuartigem Umfange bereit, vornehmlich aus folgenden Gründen. Man hat eingesehen, daß der sog. katholische Bildungsrückstand auch etwas mit der mangelhaften Gliederung des konfessionellen Schulwesens zu tun hat, und tritt schon aus diesem Grunde gern für eine Verbesserung des Volksschulwesens ein. Ein gewisser Einfluß auf den Episkopat besitzen sodann auch jene katholischen Theologen, die, wie wir sahen, aus bestimmten modernen Überzeugungen heraus für eine möglichst weitherzige Interpretation der römischen Direktiven eintreten. Und schließlich ist erkennbar, daß auch die antikonfessionalistische Zeitstimmung, die immer wieder selbst aus Priestermund laut wurde, ihren Eindruck auf kirchliche Obrigkeiten nicht verfehlt hat. Festzuhalten ist nur, daß es sich jeweils um ein bewußt pragmatisches Entgegenkommen handelt. Wo immer Gelegenheit gegeben scheint, die alten konfessionellen Ideale

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durchzusetzen, bemüht man sich weiterhin hierum mit einiger Leidenschaft und audi nicht ohne Erfolg. Die Haltung der evangelischen kirchlichen Instanzen zu der eingeleiteten Entkonfessionalisierung unseres Schulwesens ist natürlich erheblich differenzierter. Landeskirchen, die in Ländern mit älterer simultaner Tradition existieren und die dieser Simultanität seit längerer oder kürzerer Zeit zugestimmt hatten, fühlen sich durch die gegenwärtigen Entkonfessionalisierungstendenzen einfach in ihrer Einstellung bestätigt. In denjenigen Landeskirchen, die bisher für konfessionalistische Lösungen in der Ordnung des öffentlichen Schulwesens eingetreten sind, zeichnen sich im wesentlichen zwei verschieden urteilende und handelnde Gruppen ab. Die eine führt gleidisam Rückzugsgefechte, d. h. sie sucht, wie die katholische Kirche — mit der man auch gemeinsam agiert — an konfessionellen Einrichtungen im öffentlichen Schulwesen zu retten, was noch zu retten ist. Die andere Gruppe hat dagegen vor der Macht der Tatsachen, d. h. vor dem immer stärker werdenden Einfluß der Entkonfessionalisierungstendenz im öffentlichen Leben kapituliert; ohne auch nur den Versuch zu machen, eine geistige Brücke von der alten zur neuen Haltung zu schlagen, also die neue Einstellung theologisch zu rechtfertigen — nachdem man doch die alte immer theologisch zu begründen suchte —, stimmt man einem Gang der Dinge zu, der offensichtlich zu einer völligen Aufhebung des konfessionellen Charakters öffentlicher Schulen führt. Man könnte, wie angedeutet, diese verschiedenen evangelischen Lager noch weiter differenzieren. Ich halte dies jedoch f ü r wenig ergiebig. Wenigstens f ü r unseren Zusammenhang. Wichtiger dürfte f ü r diesen jedenfalls sein, ein theoretisches Problem herauszuarbeiten, das weder auf katholischer noch auf evangelischer Seite schon in nennenswertem Umfang erkannt wird, nach meiner Uberzeugung aber unumgänglich auf uns zukommt. Soweit christliche Instanzen heute einer Simultanisierung des öffentlichen Schulwesens zustimmen, geschieht dies nahezu immer mit der betonten Erwartung: Selbstverständlich müssen die Schulen, für die man die konfessionellen, also die katholischen und evangelischen Schulen aufgibt, christliche Schulen, genauer christliche Gemeinschaftsschulen sein. Gelegentlich hat man die Zustimmung zur Entkonfessionalisierung des öffentlichen Schulwesens sogar mit der Aufforderung an den Staat begleitet, den christlichen

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Charakter der Gemeinschaftsschulen künftig zu verstärken'. Der kirchliche Verzicht auf konfessionelle Schulen sollte also gewissermaßen durch eine intensivere staatliche Fürsorge für die Christlichkeit der öffentlichen Schule honoriert werden. Damit wird nun auch für breitere Kreise und für die schulpolitisch Handelnden eine Frage akut, die etwas vorausschauende Theoretiker schon längere Zeit beschäftigt: Was ist eigentlich eine christliche Gemeinschaftsschule, also eine Schule, die einerseits betonten Wert auf ihre Christlichkeit legt, andererseits ebenso betont nicht evangelisch oder katholisch sein will? Beim Versuch einer Beantwortung dieser Frage hilft die Beobachtung bestimmter simultaner Traditionen im öffentlichen Schulwesen verhältnismäßig wenig. Diese Traditionen sind von Fragestellungen und Tatbeständen geprägt, die nicht mehr die unseren sind, und geben deshalb auf die spezifische Problematik der Gegenwart und absehbaren Zukunft keine wirklich überzeugenden Antworten. In der Reihe der neuen Bemühungen, zu bestimmen, was unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft die ,christliche Gemeinschaftsschule' sein könne und solle, scheint mir der Abschnitt „Die christliche Gemeinschaftsschule" in dem Gutachten „Zur religiösen Erziehung und Bildung in den Schulen" des Deutschen Ausschusses (4) besonders bemerkenswert, weil besonders realistisch und produktiv zu sein. „Eine >Christliche Gemeinschaftsschule«", so heißt es hier, „die ihren Namen zu Recht trägt, wird . . . die Tatsachen ernst nehmen, daß der Prozeß der Säkularisierung einen Teil des Volkes zu einer mehr oder weniger entschiedenen kämpferischen oder gleichgültigen Ablehnung des Christentums geführt hat. Sie muß sich dann im Unterschied von älteren Auffassungen der SimultanSchule als eine Schule aus dem christlichen Glauben verstehen. Das >KulturdiristentumEnge< der Konfessionalität ablehnt oder vermeiden will, sondern ihre Sonderart positiv auffassen und produktiv machen wollen. Darin berührt sie sich dann mit entsprechenden Strömungen in beiden christ-

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liehen Konfessionen" (4, 237). Diese „Christliche Gemeinschaftsschule kann einen sehr verschiedenen Charakter annehmen, je nachdem in ihr mehr der gemeinsame Geist und Gehalt der christlichen Bekenntnisse die Struktur und die Praxis des Schullebens bestimmen soll oder mehr die Nähe, die Begegnung und das produktive Gespräch klar geschiedener Bekenntnisse" (4, 237f.). Entscheidend an dieser Konzeption ist wohl, daß sie die christliche Gemeinschaftsschule nicht mehr, wie das für die Theorie der älteren christlichen Simultanschule charakteristisch ist, von einer Ausschaltung oder doch Zurückdrängung des christlichen Glaubens zugunsten eines gemeinchristlichen Schulgeistes her versteht, sondern umgekehrt von der Substanz des christlichen Bekenntnisses bzw. der christlichen Bekenntnisse her. Eine christliche Gemeinschaftsschule dieser neuen Art ist — in Konsequenz der am Kulturprotestantismus geübten Kritik — eine genuin christliche Bekenntnisschule. Das aber hat die wichtige Folge, daß sie sich nicht mehr wie die alte Simultanschule, die Rolle einer Schule für alle zuschreiben kann. Ausdrücklich fährt das Gutachten fort: „Aus dem Wesen und dem Selbstverständnis . . . [sc. dieser] Christlichen Gemeinschaftsschule ergibt sich, daß sie sich unter den gegebenen Verhältnissen nicht als allgemeingültige oder auch nur als Regel-Schule verstehen kann. Gerade wenn sie die Konfessionsschulen ersetzen wollte und könnte, so daß diese in ihr aufgingen, blieben unter den gegebenen Umständen die Kinder nichtchristlicher Eltern isoliert, ohne daß dieser Isolierung eine gemeinsame wirksame Bildungsidee entspräche... Unter den gegebenen Umständen kann die Christiche Gemeinschaftsschule also nur als ein Sonderfall verantwortet werden, die zwischen den Schulen der Bekenntnisse und der für alle offenen Gemeinschaftsschule ihren Weg sucht" (4, 238). Faktisch gibt es für eine christliche Gemeinschaftsschule dieser Art erst .Ansätze', „in strenger Form und ausdrücklich allerdings wohl nur in Höheren Schulen privaten Charakters" (4, 238). Sie wird sich „in Deutschland wohl nur als Vorstoß in schulisches Neuland vorstellen und realisieren lassen" (4, 238). Ich halte die ausdrückliche und die indirekte Kritik, die mit dieser Konzeption an der Tradition dessen geübt wird, was bisher christliche Gemeinschafts- oder Simultanschule hieß, für richtig und habe sie seit langem mit verwandten Argumenten vorgetragen. Nimmt man heute einerseits den weltanschaulichen Pluralismus unserer Gesellschaft, andererseits das, was die Christlichkeit einer Schule sein müßte, wenn das Wort nicht lügen soll, ernst, dann wird man aus

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der älteren Tradition der christlichen Gemeinschaftsschule herausgesprengt. Gewiß darf man nicht erwarten, daß diese Tradition in absehbarer Zeit aufhört. Auch der Deutsche Ausschuß rechnet mit ihrem Fortbestehen. Und die ängstliche Ratlosigkeit, mit der sich kirchliche Instanzen heute an sie klammern, wird sie kaum sehr rasch sterben lassen. Aber sie dürfte zu diesem Sterben doch verurteilt sein und es wird m. E. schon in nächster Zukunft immer durchsichtiger werden, daß diese Tradition gerade das nicht leistet, was man sich von ihr erwartet: die weltanschauliche Befriedung unseres öffentlichen Bildungswesens durch seine überkonfessionelle Christlichkeit. Unsere Problematik spitzt sich also auf die Frage zu: Wie soll das Verhältnis der öffentlichen Regel-Schule zu religiöser Erziehung und Bildung sein, wenn weder die herkömmlichen Bekenntnisschulen noch die herkömmliche christliche Gemeinschafts- oder Simultanschule mehr überzeugende Formen einer Schule für alle zu sein vermögen? Ich weise zunächst auf zwei interessante und wichtige Lösungsversuche hin, die sich ebenfalls in dem erwähnten Gutachten des Deutschen Ausschusses finden. Zunächst auf die bereits erwähnte ,Gemeinschaftsschule als Schule für Alle'. Bei ihr handelt es sich also, wie diese Uberschrift des einschlägigen Abschnittes (4, 239 f.) deutlich macht, bewußt und betont nicht mehr um eine christliche Gemeinschaftsschule. Vielmehr ist eine Schule gemeint, „die Lehrer aller Glaubensrichtungen und Weltanschauungen zu gemeinsamem Dienst an Kindern von Eltern aller Glaubensrichtungen und Weltanschauungen vereinigt . . ( 4 , 239). Diese Schule will also den weltanschaulichen Pluralismus der modernen Gesellschaft in sich hineinnehmen, ihn weder verdrängen noch verharmlosen, sondern zu einer ihrer zentralen pädagogischen Aufgaben machen. Innerster Sinn dieser Aufgabe ist Stiftung und Pflege des die verschiedenen weltanschaulichen Positionen Verbindenden. „Verbindend ist, daß d i e . . . [sc. zum Pluralismus führende] geistige Entwicklung als sinnvoll verstanden wird. Verbindend sind einfache menschliche Kräfte, die uns helfen, miteinander unsere wirtschaftlichen, sozialen, politischen, kulturellen Aufgaben zu lösen. Verbindend ist die Toleranz: Sie ergänzt den Glauben an die Wahrheit durch die Einsicht, daß keiner von uns die ganze Wahrheit hat, weil der Weg zu ihr durch Irrtum führt und nie am Ende ist, und durch das produktive, kräftigende Vertrauen darauf, daß Wahrheit noch

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auf anderen Wegen gefunden werden und sich in einer anderen Haltung darstellen kann als in der eigenen. Glaube an die Wahrheit, Annehmen der menschlichen Grenzen und Liebe zum unvollkommenen Menschenwesen sind in ihrer Verknüpfung das Fundament, das eine allen offene Gemeinschaftsschule trägt" (4, 240). Damit ist zugleich gesagt, daß diese Konzeption sich gegen den religiösen Indifferentismus wendet, der in Vergangenheit und Gegenwart so oft heimlich, aber auch offenes Ziel oder ungewolltes Ergebnis der Gemeinschaftsschul-Ideen war und ist. „Der Lehrer in . . . [sc. dieser ,Gemeinschaftsschule für alle'] soll nicht in eine tote Neutralität absinken; er soll wirken als lebendiger Mensch mit lebendigen Uberzeugungen, die ihren vollen Ausdruck in seinem Tun finden" (4, 240). Und dasselbe gilt selbstverständlich für die Kinder. Diese Art Gemeinschaftsschule wäre also als Institution wirklich nicht ,christlich' zu nennen. Aber der christliche Glaube hätte in ihr eine Heimstatt. Es würde in ihr nicht aufgefordert, ihn zu verleugnen, sondern ihn zu bekennen und im liebenden Umgang mit anderen gleichberechtigten Überzeugungswelten zu bewähren. Ihm würde jedes institutionelle Vorrecht fehlen, aber seine geistliche Kraft würde jede Freiheit besitzen. „Wo eine Schule dieses Geistes allgemein eingeführt ist, hat das Christentum die Wirksamkeit, die seinem Platz im geistigen und sittlichen Leben des Volkes entspricht. Denn es wird dann in ihr in dem Maße lebendig sein, in dem es die lebendige Uberzeugung heutiger Lehrer ist" (4, 240). Und wir dürfen im Sinne dieses Entwurfes hinzufügen: lebendige Uberzeugung heutiger Kinder und Jugendlicher. Diese Gemeinschaftsschule für alle ist also, obwohl sie sich sehr bewußt nicht als christlich bezeichnet und obwohl sie tatsächlich auch von dritter Seite nicht christlich genannt werden könnte, nicht christentumsfeindlich. Im Gegenteil soll sich in ihr christlicher Glaube entfalten, soweit seine Kräfte reichen. Damit wäre hier jene Art von Toleranz überwunden, die — gerade auch in der christlichen Gemeinschaftsschule alten Stils — die religiöse Indifferenz, also das Absterben religiösen Lebens so verhängnisvoll gefördert hat. Vollends ist diese .Gemeinschaftsschule für alle' etwas grundsätzlich anderes als die frühere .weltliche Schule', die ihre Weltlichkeit, mehr oder weniger getarnt, als Un- und Antichristlichkeit verstand. Der andere hier noch zu erwähnende, in dem Gutachten des Deutschen Ausschusses enthaltene Entwurf empfiehlt „Schulen, in denen

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ein Bekenntnis vorwiegt" (4, 241). Schon diese Formulierung zeigt, daß auch dieser Entwurf nicht als der einer bestimmten religiösen Schulform mit den Konzeptionen anderer Schulformen in Konkurrenz treten möchte. Vielmehr handelt es sich bei ihm mehr um eine produktive Interpretation hier und da bestehender SdiulVerhältnisse und darüber hinaus höchstens um die Anregung, entsprechende Verhältnisse, wo die Gelegenheit günstig ist, zu schaffen. Die gemeinte Schulsituation ist die, daß die anerkannte Mehrheit der Lehrer und Schüler einem Bekenntnis angehört. „Ein solches Verhältnis von Mehrheit und Minderheit sollte . . . nicht nur hingenommen und geduldet, sondern begrüßt werden, weil es in einer bestimmten, anders nicht zu erreichenden Weise die Möglichkeit bietet, den beiden im ersten Hauptteil dieses Gutachtens entwickelten Aufgaben zu dienen" (4, 241). „Die vorwiegende, den >Schwerpunkt< bildende Konfession kann in der ihr eigentümlichen Weise der Schule das Gepräge geben und damit die Gefahr der religiösen Indifferenz überwinden; das Zusammenleben mit einer Minderheit anderen Glaubens, die freilich in ihrer Zugehörigkeit voll bejaht und in ihrer Andersartigkeit ritterlich geachtet werden muß, kann die Gefahren der Abschließung vermeiden" (4, 241). Mit vier Merkmalen wird die Vorstellung einer solchen Schule konkretisiert: „Wenn der Schwerpunkt der Schule in einem der christlichen Bekenntnisse liegt, werden 1. ihre eigenen gottesdienstlichen Veranstaltungen durch diese Konfession bestimmt werden und ein Bestandteil des Schullebens sein; die Schule wird aber auch dafür Sorge tragen, daß die Schüler anderer Konfession Gelegenheit haben, an entsprechenden Veranstaltungen ihres Bekenntnisses innerhalb oder außerhalb der Schule teilzunehmen. Das gleiche gilt selbstverständlich erst recht für den konfessionellen Religionsunterricht. 2. Die »weltlichem Unterrichtsinhalte werden in der Art ihrer Begründung und in den Methoden ihrer Behandlung von der Sachlichkeit getragen sein, die der Suche nach der Wahrheit angemessen ist, und sich in ihrer Auswahl vor allem nach unserer gemeinsamen Lage in der Welt richten. 3. Bei Unterriditsinhalten, in denen sich die Interpretationen und Wertungen trotz der wachsenden Annäherung von Konfession zu Konfession unterscheiden, wird die Schule mit konfessionellem Schwerpunkt die ihrer Prägung entsprechende Deutung zur Geltung

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bringen, aber die Schüler in dem Maße, in dem sie dazu reif werden, auf die Differenzen hinweisen und Achtung vor den verschiedenen Traditionen bezeigen. 4. In der sittlichen Erziehung werden Werte und Normen, auch wenn sie zunächst im Sinne der vorwiegenden Konfession zur Sprache kommen, nach aller Möglichkeit als übergreifendes Gut gewürdigt werden" (4, 241 f.). Wie gesagt, das gilt, wenn der Schwerpunkt der Schule in einem christlichen Bekenntnis liegt. Es wird nicht gesagt, daß er immer dort liegen müsse. „Daß auch nichtchristliche Grundüberzeugungen Schulen im Sinne des Schwerpunkts prägen, darf nicht ausgeschlossen werden. Für solche Schulen wird das Gesagte in entsprechender Abwandlung gelten" ( 4 , 2 4 2 ) . Auch diese Konzeption ist also vornehmlich von der Sorge darum getragen, daß überhaupt religiöse Erziehung und Bildung geschieht und beides nicht der Indifferenz anheimfällt. Vielleicht darf man sagen, daß es eine der bedeutendsten Eigentümlichkeiten dieses Gutachtens des Deutschen Ausschusses ist, mit großer Deutlichkeit den religiösen Indifferentismus als die entscheidende Schwäche der Gemeinschaftsoder Simultanschultradition in Deutschland erkannt und ihm mit besonderem Mut und Einfallsreichtum entgegengewirkt zu haben. Der besondere Beitrag, den Schulen mit konfessionellem Schwerpunkt zu einer wirklich fruchtbaren religiösen Erziehung und Bildung leisten könnten, liegt in Folgendem: In ihnen ist jener Bann gesprengt, der sich so leicht über der religiösen Welt in Gemeinschaftsschulen ausbreitet: U m den Andersgläubigen nicht zu verletzen, macht niemand von seinem Glauben außerhalb der Religionsstunde Gebrauch, die dadurch zu einem geistig-seelischen Getto wird. In einer Schule mit konfessionellem Schwerpunkt ist gleichsam die gegenseitige Blockierung der verschiedenen Konfessionen aufgehoben. Aber diese Konfessionen sind nicht, wie im System der Konfessionsschulen auseinandergerissen; die jeweils andere Konfession ist leibhaft anwesend und fordert reale Berücksichtigung. Damit ist auch das, was man die ,Auseinandersetzung der Konfessionen' in der Gemeinschaftsschule nennt, entschieden erleichtert. Im allgemeinen überfordert dieses Vorhaben die Schüler und sehr häufig auch ihre Lehrer. Aber man kann diese ,Auseinandersetzung' in ein besinnliches Einleben in die F o r m interkonfessionellen Umganges verwandeln, das die Kräfte der eigenen Konfession für den konfessionellen Frieden mobilisiert. U n d eben dies ist in Schulen mit

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konfessionellem Schwerpunkt besonders gut möglich. Auch deshalb, •weil hier diese ,Auseinandersetzung' kein religionspolitischer Machtkampf zu sein braucht. Beide Entwürfe, der der ,Gemeinschaftsschule f ü r alle' und der von ,Schulen, in denen ein Bekenntnis vorwiegt', enthalten einen Hinweis, der uns im Blick auf die Regelschule weiterbringen, d. h. aus dem unfruchtbar gewordenen Streit um deren institutionellen ,religiösen Charakter' herausführen kann. Beide Schulformen, die hier ihre Anwälte fanden, sind nämlich nicht mehr von vornherein, also als Institution, religiös reguliert gedacht. Beide erwarten nicht mehr, daß der Staat ihnen einen bestimmten religiösen Status garantiere. Vielmehr gehen beide davon aus, daß die Gesellschaft, um deren Regelschule es sich handelt, pluralistisch ist, also eine exklusive religiöse Regulierung ihrer für alle bestimmten Schule nicht gestattet. Die Weckung, Pflege und Ordnung des religiösen Lebens dieser Regelschule — an dem unsere Entwürfe ein überzeugendes Interesse zeigen — soll der sich wandelnden religiösen Kraft vor allem der Lehrer, aber auch der Eltern und Schüler überlassen bleiben. Die damit bejahte Beweglichkeit dieses religiösen Lebens soll im wesentlichen durch den Respekt vor der Uberlieferung in tragbaren Grenzen gehalten werden. Dementsprechend ist in beiden Entwürfen auf die herkömmliche Vokabulatur — Katholische Schule, Evangelische Schule, Christliche Gemeinschaftsoder Simultanschule — bei der Bestimmung der öffentlichen Regelschule verzichtet worden. Und ich meine, daß dieser Verzicht ein Fortschritt sei; diese Vokabulatur sagt heute im Bereich der Regelschule nichts Spezifisches mehr aus. Die Regelschule der Gegenwart entwickelt sich hinsichtlich dieser Vokabulatur auf der von unseren beiden Entwürfen eingeschlagenen Linie; auch da, wo ihre Deklarierung mit den alten Vokabeln stillschweigend festgehalten, ausdrücklich bestätigt oder sogar neu eingeführt wird. Und das Wort der Generalsynode zur Schulfrage von 1958 befindet sich im Einklang mit dieser Entwicklung, wenn es seinerseits von diesen Vokabeln keinen Gebrauch mehr macht. Man sollte in die Restauration derselben und der mit ihr gegebenen Auseinandersetzungen keine Kräfte mehr investieren. Sind in diese Entwicklung aber auch die positiven Anregungen eingegangen, die unsere beiden Entwürfe für die religiöse Erziehung und Bildung in der öffentlichen Regelschule enthalten? Ich meine,

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d a ß hier Z w e i f e l a n z u m e l d e n sind. W o h e u t e auch n u r die T e n d e n z w a h r g e n o m m e n w i r d , die alte religiöse G r u n d o r d n u n g des ö f f e n t lichen Schulwesens a u f z u g e b e n , da pflegt m a n sehr häufig aus dieser B e o b a c h t u n g F o l g e r u n g e n z u ziehen, die sich g e g e n die

religiöse

E r z i e h u n g u n d B i l d u n g in d e n Schulen ü b e r h a u p t w e n d e n .

Man

sollte sich h i e r ü b e r nicht durch die h e u t e g ä n g i g e B e j a h u n g

der

christlichen Gemeinschaftsschule täuschen lassen. G e w i ß m e i n e n es viele m i t dieser B e j a h u n g ernst. F ü r sehr viele a n d e r e aber ist diese B e j a h u n g n u r eine F o r m des K a m p f e s g e g e n die R e l i g i o n in d e r Schule: Weil m a n die k o n f e s s i o n e l l e Schule noch nicht

zugunsten

einer Schule o h n e R e l i g i o n a b s c h a f f e n k a n n , t r i t t m a n f ü r die christliche Gemeinschaftsschule als nächste S t u f e z u m e r s t r e b t e n E n d z i e l ein, das h e u t e durchaus auch f ü r ü b e r z e u g t e C h r i s t e n ein erstrebensw e r t « E n d z i e l z u sein v e r m a g . Faktisch ist der T r e n d , die öffentliche Regelschule i m m e r m e h r z u einer Schule o h n e religiöse E r z i e h u n g u n d B i l d u n g w e r d e n z u lassen, in d e r G e g e n w a r t s t a r k u n d

im

Wachsen b e g r i f f e n . D i e G r ü n d e h i e r f ü r sind außerordentlich m a n n i g f a l t i g u n d k ö n n e n hier nicht analysiert w e r d e n . F e s t g e h a l t e n sei n u r , — u m u n b e d a c h t e kirchliche K l a g e n m ö g l i c h s t h i n t e n a n z u h a l t e n — , d a ß einer dieser G r ü n d e auch in der kirchlichen Schulpolitik

der

j ü n g s t e n V e r g a n g e n h e i t liegt, u n d z w a r auch in d e r evangelischen. G e w i ß h a b e n die evangelischen K i r c h e n seit 1918 ü b e r z e u g e n d auf die s o g . geistliche Schulaufsicht verzichtet. A b e r —

auch sie

v o n r ü h m l i c h e n A u s n a h m e n , z. B . d e n evangelischen

haben Kirchen

Niedersachsens, abgesehen — nach 1945 eine in d e r Sache außerordentlich h a r t e Schulpolitik getrieben, d. h. einen E i n f l u ß auf die F o r m u n g des ö f f e n t l i c h e n Schulwesens g e l t e n d g e m a c h t , d e r w e d e r b e s t i m m t e n , in ihrer T h e o l o g i e g e w o n n e n e n theoretischen Einsichten noch der geistigen u n d geistlichen R e a l i t ä t ihrer G e m e i n d e n sprach. Auch

ent-

hierin sind die starken T e n d e n z e n der G e g e n w a r t be-

g r ü n d e t , die Schule v o n jeder religiösen E r z i e h u n g u n d B i l d u n g f r e i z u h a l t e n : D i e christlichen Kirchen sollen keinerlei G r u n d u n d A n l a ß m e h r h a b e n , bei der F ü r s o r g e f ü r L e b e n u n d A r b e i t u n s e r e r ö f f e n t lichen R e g e l - S c h u l e m i t z u r e d e n . U n d m ö g e n diese T e n d e n z e n sich i m einzelnen auch o f t als sehr ungerecht g e g e n ü b e r g u t e m , ja b e s t e m Willen auf kirchlicher Seite äußern, so q u i t t i e r e n sie doch kirchliche Fehler, die es nicht h ä t t e z u geben brauchen, weil die v e r a n t w o r t lichen G r e m i e n rechtzeitig u n d deutlich genug v o r einem restaurat i v e n V e r h a l t e n dieser A r t g e w a r n t w a r e n . 17'

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Bereiche der Erziehung und Bildung

Um so erstaunlicher ist es, daß das Gutachten des Deutschen Ausschusses sich nicht einfach dem skizzierten Trend anschloß und für eine Eliminierung des Religiösen aus der öffentlichen Schule eintrat, sondern seine bemerkenswerten Anregungen f ü r die religiöse Erziehung und Bildung entfaltete. Das geschah freilich nicht, um den kirchlichen Instanzen, die sich in diesem Bereich auf eine so verhängnisvolle Weise diskreditiert hatten, nun doch noch einen Platz im Gefüge des öffentlichen Schulwesens zu sichern. Der Deutsche Ausschuß hat die Kinder und die jungen Menschen im Auge. Die anthropologisch-pädagogische Grundeinsicht, von der er ausgeht, lautet: „Die einzigartige Bedeutung der vertrauenden Bindung an ein nicht Verfügbares fordert die religiöse Erziehung jedes Kindes und Heranwachsenden" (4, 226). Aus ihr zieht er die Konsequenzen für die öffentliche Schule und findet Lösungen, die angesichts der in der überwiegenden Mehrheit von Christen und Nichtchristen heute verbreiteten Ansichten nur vernünftig genannt werden können: Sowohl das in dem Entwurf der ,Gemeinschaftsschule für alle' wie in dem der ,Schulen, in denen ein Bekenntnis vorwiegt' als religiöse Erziehung und Bildung Empfohlene ist realisierbar, ohne daß konfessioneller Unfrieden oder konfessionelle Unzufriedenheit entstehen. Man wird nur lernen müssen, die Schwelle der konfessionalistisdien Befangenheit zu überschreiten, die uns heute noch von einer produktiven religiösen Erziehung und Bildung unter pluralistischen Umständen trennt. Daß das Gutachten des Deutschen Ausschusses direkt an diese Schwelle heranführt und sie dem aufmerksamen Leser sichtbar macht, ist vielleicht der wichtigste Dienst, den es dem öffentlichen Bewußtsein leistet. Die Klärung dessen, was es mit dieser Schwelle auf sich hat, und der Möglichkeit, sie zu überschreiten, ist vielleicht die wichtigste Aufgabe, die das Gutachten und die von ihm gemeinte Schulwirklichkeit uns stellen. Die theoretische oder praktische Behandlung religiöser Probleme pflegt uns Glieder der pluralistischen Gesellschaft in einer doppelten Befangenheit zu sehen. Die eine dieser beiden Befangenheiten entsteht im Zentrum unseres Glaubens. Als Christ könnte ich sagen: Sie entsteht durch Gott. Durch ihn wissen wir uns in der Offenbarung gefangen, die er uns erschließt. Aber auch der Nichtchrist kennt Bindungen vergleichbarer Art, in denen sein Herz und sein Geist wurzeln, in denen seine Weise des Glaubens lebt. Diese Befangenheit läßt sich nur um den Preis des Glaubens selbst auflösen. Wer

Bereiche der öffentlichen E r z i e h u n g und B i l d u n g

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sich ihr entzieht, entzieht sich dem, was Inhalt seines Glaubens ist, d. h. macht diesen Glauben gegenstandslos. Grundlage alles gemeinsamen Denkens und Handelns in Sachen der Religion ist also, daß die Glieder der pluralistischen Gesellschaft sich diese primäre Befangenheit gegenseitig zugestehen. Voneinander ihre Uberwindung zu fordern, ist sinnlos, weil diese Überwindung zugleich die Ausmerzung des Glaubens wäre, für den ja gerade Lebensbedingungen geschaffen werden sollen. Ganz anders ist es mit der zweiten Art Befangenheit, von der hier zu reden ist. Sie entsteht nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie unseres Glaubens, wenn sie auch von da sehr nachhaltig in zentrale Bereiche desselben zurückwirken kann. Die sie bewirkende Kraft ist nicht Gott, sondern unsere Konfession, also jenes eigentümliche, weltliche, geistig-institutionelle Wesen, ohne das kein Mensch auf Erden seinen Glauben hat, und das doch zugleich immer diesen Glauben gefährdet, indem es — abgekürzt gesagt — die Neigung hat, an die Stelle Gottes zu treten. Wie ein ,Affe Gottes' macht auch unsere Konfession uns befangen. Befangen nämlich in ihrer Behauptung, daß nur in ihr die ganze oder doch entscheidende Wahrheit lebe, daß deshalb nur die Glaubensgenossen' berufen seien, unser wirklich offenes Wort zu vernehmen, daß wir vor den Andersgläubigen' stets irgendwie auf der H u t und stets beflissen zu sein hätten, sie auf unsere Seite zu ziehen. Diese konfessionelle Befangenheit ist deshalb ein Ferment der Zersetzung mannigfaltiger gesellschaftlicher Bezüge, in denen wir leben. In besonderem Maße zersetzt sie unser Zusammenwirken in allen Bereichen der Erziehung und des Unterrichtes, also auch des Schulwesens und der einzelnen Schule, was einfach daran liegt, daß das Ringen um die Bestimmung des Menschen besonders tief in dessen Existenz hineinreicht, d. h. besonders hohen Gewinn oder besonders schmerzlichen Verlust verspricht. Wenn man sich heute dieser zersetzenden Wirkung weitgehend dadurch entziehen zu können glaubt, daß man die religiöse Frage aus dem erzieherischen Bereich auszuklammern versucht — „Der Zank der Konfessionen darf bei uns nicht zu Wort kommen" —, dann irrt man sich sehr über die Stärke der Macht, mit der man es hier zu tun hat. In Wahrheit feiert der Konfessionalismus hier seinen größten Triumph: Er steigert die Befangenheit, die er bewirkt, zum Stummwerden der Mensdien voreinander, wo es um ihre letzten Dinge geht, zu einem Stummwerden also, in das

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Bereiche der Erziehung und Bildung

seine verhängnisvollen Tendenzen verdrängt, in dem diese vollends vergiftet werden. So scheint mir die doppelte Befangenheit, in der die Glieder der modernen Gesellschaft sich in ihrer theoretischen und praktischen Verantwortung für die öffentliche Regelschule vorfinden, eine doppelte Bemühung zu verlangen. Die eine besteht darin, daß man sich gegenseitig die Befangenheit in seinen Grundüberzeugungen zubilligt, mögen diese nun religiöser, areligiöser oder sogar antireligiöser Art sein. Wen wir nicht in jener Tiefe seines Wesens respektieren, in der er verwundbar ist, den drängen wir aus der Zusammenarbeit. Es gibt zweifellos heute Sdiulverwaltungsgremien und Lehrkörper, in denen dieser Respekt nicht realisiert ist. Diese scheinen mir aber auch zu beweisen, daß eine Respektlosigkeit dieser Art auf die Dauer jede Schule, auch die bestausgestattete und bestorganisierte, ruiniert. Daß die in unseren öffentlichen Schulen und für sie Tätigen ,Befangene' in diesem primären Sinn werden, sein und bleiben dürfen, ist eine Aufgabe, von deren Bewältigung mir die erzieherische Fruchtbarkeit unseres öffentlichen Bildungswesens weitgehend abzuhängen scheint. Natürlich werden mit dieser Bejahung der divergierenden primären Befangenheiten der für unser öffentliches Bildungswesen Verantwortlichen eine Fülle von spezifischen Gefahren und Schwierigkeiten heraufbeschworen. Die Anwälte des konfessionellen Schulwesens pflegen sie eindringlich zu beschreiben: bei den Schülern die Schockierung der Herzen, die Verwirrung der Geister und die Irritierung der Gewissen; bei den Lehrern die Skepsis gegenüber eigenem und fremdem Glauben, die bis zur religiösen Verzweiflung führen kann, die damit verbundene Unsicherheit in der Vertretung persönlicher Uberzeugungen, aber auch der Wahrnehmung kirchlicher Pflichten, die Verführung zum ethischen Relativismus in Theorie und Praxis. Es hat wirklich keinen Sinn, das Bestehen und immer neue Entstehen dieser und ähnlicher Gefahren durch eine prinzipielle Bejahung der verschiedenartigen primären Befangenheiten zu leugnen. Es ist auch nicht wahr, daß diese Gefahren leicht auszuschalten sind. Noch immer haben Versuche dieser Art dazu geführt, diese Befangenheiten selbst auszuschalten, also deren Bejahung aufzuheben und damit das Verfahren ad absurdum zu führen. Die tatsächlich vorhandenen und in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzenden Gefahren, um die es hier geht, soll man nicht ausschalten wollen,

Bereiche der öffentlichen Erziehung und Bildung

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sondern als Aufgabe annehmen. U n d diese Aufgabe kann gelöst werden, wenn jene sekundäre Befangenheit überwunden wird, die wir die konfessionalistische nannten. Indem wir gegenüber der eigenen und der fremden Konfession — als Institution — unbefangen werden, gewinnen wir die Möglichkeit, alle jene Gefahren, die von einer primären Befangenheit heraufbeschworen werden, offen, nüchtern und redlich zu bedenken, zu besprechen und zu behandeln. Es geht also gerade nicht darum, sich von seinen tieferen Uberzeugungen zu lösen. Im Gegenteil: Gerade ihrer freien Entfaltung soll gedient werden, indem ich mich von den Zwängen des Funktionärseins löse, die meine Konfession mir stets aufzuerlegen geneigt ist — eine Befreiung übrigens, in der ich auch die relative Bedeutung der Konfession anzuerkennen vermag. Es kann nicht behauptet werden, daß wir die Kunst einer solchen Unbefangenheit aus Befangenheit schon einigermaßen gut beherrschten. Für die meisten ist sie eine terra incognita, weil sie, was das Paradox zusammenhält, alternativ auseinanderreißen. Aber wir werden diese Kunst lernen müssen. Die konfessionalistische Tradition unseres Bildungswesens geht unwiederbringlich zugrunde. Die öffentliche Regelschule kann nur eine .freie* Schule sein, d. h. eine Schule, die grundsätzlich nicht an eine bestimmte Weltanschauung gebunden ist. Soll diese Freiheit aber nicht zugleich die Freiheit von tieferen Überzeugungen überhaupt sein, dann muß in ihr jene Kunst der Unbefangenheit aus Befangenheit geübt und gelernt werden. Von freier Regelschule sprechen, heißt auch, mit gebundenen Ausnahmeschulen rechnen, also etwa mit Christlichen Konfessionsschulen oder Christlichen Gemeinschaftsschulen im Sinne des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen (s. S. 252 ff.). Als Ausnahme von der Regel dürften sie tatsächlich unentbehrlich sein. Denn das Bedürfnis nach ihnen ist da und wird sich vermutlich ständig erneuern. Die Regelschule wird sie aber auch um ihrer selbst willen brauchen. Ausnahmeschulen der hier gemeinten Art werden im allgemeinen größere Chancen für das pädagogische Experiment besitzen und dadurch für die Regelschule unentbehrlich sein. Und schließlich gibt es keine andere Möglichkeit, die Freiheitlichkeit des Gesamt-Systems unseres Schulwesens zu wahren als die Anerkennung von Schulen, die eine Ausnahme von der Regel darstellen. Die Freiheit der Regelschule kann ohne die Konkurrenz der Ausnahmeschule zu hartem Zwang und bedenklicher Willkür entarten. Eine

264

Bereiche der Erziehung und Bildung

Spur v o n Polemik gegen solchen Zwang und solche Willkür steckt heute bereits nicht selten in der Betonung, mit der gerade kirchliche Schulen ,freie' Schulen genannt werden. Das Attribut meint an dieser Stelle zunächst nichts anderes als ,nicht staatlich' und ist in diesem Sinn heute bereits unentbehrlich. Aber es sollte nicht überhört werden, daß man gegenwärtig in dasselbe erstaunlich o f t zusätzlich eine Kritik der Unfreiheit staatlicher Schulen einträgt. Die Erfahrungen, die dieser heimlichen Polemik gegen die Regelschule zugrunde liegen, sind offenbar beunruhigend. U m so souveräner wirkt es freilich, w e n n ein kirchliches Wort zur Schulfrage wie das der evangelischen Generalsynode v o n 1958 gerade die öffentliche Regelschule als .freie' Schule apostrophiert (vgl. auch § 23, 7). 1. Th. Wilhelm, Theorie der Schule — Hauptschule und Gymnasium im Zeitalter der Wissenschaft 1967; dazu die wichtige Kritik von K. E. Nipkow, Umriß und Problematik einer modernen Schultheorie, in: ZfPäd 196S, 189 ff. 2. Aufl. 1969. 2. Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens (4. 2.1959), in: DAEB 59 ff. 3. C. L. Furck, Innere oder äußere Schulreform? — Kritische Betrachtungen, in: ZfPäd 1967, 99 ff. 4. Zur religiösen Erziehung und Bildung in den Schulen (16. 11. 1962) in: DAEB 221 ff. Zum neuesten Stand der Debatte über die .Christlichkeit' der öffentlichen Schule vgl.: 5. M. Stallmann, Die Christlichkeit der Christlichen Schule (Bensheimer Hefte 36), 1968. 6. H . Stock, Religionsunterricht in der kritischen Schule, 1968. Zum Verständnis dieser Diskussion über das Thema unseres Abschnitts — bei dessen Behandlung ich hier und anderswo (vgl. z. B. „Schule unter dem Evangelium", 1949; „Der Erzieher als Christ", (1951) 19613, 100 ff.; „Evangelische Schulpolitik", Slg 1954, 428 ff.) meine eigenen Wege ging — ist heranzuziehen: 7. M. Stallmann, Christentum und Schule, 1958. 8. G. Otto, Schule — Religionsunterricht — Kirche, (1961) 19683. 9. O. Hammelsbeck, Volksschule in evangelischer Verantwortung (Kamps pädagogische Taschenbücher 7) o. J. 10. M. Stallmann, Evangelischer Religionsunterricht, 1968 (bes. S. 7—26). 11. Th. Ballauf, Schule der Zukunft, 3. Aufl. (o. J.). Über den institutionellen Status unseres Schulwesens u. s. Probleme orientieren : 12. W. Schultze und Ch. Führer, Das Schulwesen in der Bundesrepublik Deutschland, 19672. 13. H . Scheuerl, Die Gliederung des deutschen Schulwesens — Analytische Darstellung und Gesichtspunkte zu seiner weiteren Entwicklung (Deutscher Bildungsrat — Gutachten und Studien der Bildungskommission Bd. 2), 1968.

Bereiche der öffentlichen Erziehung und Bildung

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14. Schulversudie in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland, mit Beiträgen von Stein-Führ-Schultze und Ruppert, 1967. 15. H . v. Hentig, Systemzwang und Selbstbestimmung — Über die Bedingungen der Gesamtschule in der Industriegesellschaft, 1969 2 .

4. Familie Auch aus dem Kreis der pädagogischen Fragen, die die Situation der modernen d. h. der pluralistischen Gesellschaft angehörigen Familie aufgibt, sei eine relativ ,äußerliche' gewählt, nämlich die des sog. Elternrechtes. Das legt sich einmal aus dem Gang unserer Untersuchung nahe, der seinerseits Spiegel einer erziehungswissenschaftlichen Situation ist, in der allzulange zurückgedrängte Probleme dieser Art heute mit Recht eine intensive Berücksichtigung erfahren. Aber auch das pädagogische Handeln dieser heutigen Familie selbst empfiehlt oder fordert, wenn schon — wie hier — gewählt werden muß, kaum die Wahl eines der mehr ,innerlichen' Probleme. Diese Art Probleme werden, wie ich entgegen einer communis opinio feststellen zu müssen meine, in der pädagogischen Praxis unserer Familien relativ sicher, beweglich und also fruchtbar bewältigt. Daß aus der nicht kleinen Reihe der mehr äußerlichen Erziehungs-Probleme der Familie gerade das des Elternrechtes gewählt wurde, hat einen vierfachen Grund. Einmal wird in der Elternrechtsproblematik jenes allgemeine Interesse an der Familie unübersehbar deutlich, das die Familienerziehung heute auch zu einem Bereich öffentlicher Erziehung und Bildung macht. Sodann hat diese Problematik Beziehungen zu besonders vielen schon behandelten Fragenkreisen, die dadurch eine weitere Beleuchtung erfahren. Ferner: Die Elternrechtsproblematik reflektiert die wichtigste Tatsache im heutigen Gestaltwandel der Familie: den Verlust an erzieherischer Zuständigkeit und deren Weitergabe an andere Institutionen. Und schließlich ist vor kurzem gerade ein großer Bericht über neuere auf evangelischer Seite geführte Diskussionen zum Thema erschienen, der es erlaubt, dessen bisher entfaltete Teilfragen mit raschem Blick nahezu vollständig zu übersehen und den erreichten Consensus bzw. die fortbestehenden Differenzen leicht zu erkennen. Es handelt sich bei diesem Bericht um das Buch von Ingeborg R ö b belen „Zum Problem des Elternrechts — Ein Beitrag aus evangelischer Sicht" (1), in dem der Ertrag einer Reihe von vornehmlich auf dem Boden des Comenius-Instituts geführten wissenschaftlichen

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Bereiche der Erziehung und Bildung

Debatten ,ordnend und systematisierend zusammengestellt' wird und in dem außer einem umfassenden Literaturverzeichnis eine umfangreiche Dokumentation wichtiger evangelischer Äußerungen zum Gegenstand vorgelegt wird. Ich kann hier also kaum etwas Besseres tun, als diesen ausgezeichneten, kritisch-eigenständigen Bericht soweit wie möglich zur Geltung zu bringen. Daß es sich bei ihm um die Auswertung evangelischer Beiträge handelt, bedeutet faktisch keine unerlaubte Einengung der Problematik. Die Evangelizität dieser Beiträge besteht u. a. gerade darin, daß die profane wissenschaftliche Situation überall die Grundlage der Erörterung bildet, wie noch im einzelnen deutlich werden wird. Damit hängt zusammen, daß diese Beiträge überall breiten Kontakt mit der einschlägigen Literatur jedweder Herkunft besitzen und der Bericht I. Röbbelens diese einschlägige Literatur noch über ihre Berücksichtigung in diesen Beiträgen hinaus fruchtbar macht. Weitgehend ausgeklammert sind an wichtigen Fragenkreisen bei Röbbelen vor allem: die katholische Position, die Problematik des Naturrechts und die des Subsidiaritätsprinzips. Das in Westdeutschland gültige »Elternrecht im Sinne des allgemeinen Familienerziehungsrechtesc also das Elternrecht, mit dem wir es realiter gemeinsam zu tun haben, ist in Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes verankert: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." Als Beispiel für den Widerhall, den dieser Artikel in den Länderverfassungen gefunden hat, kann etwa Art. 55 der Hessischen Verfassung gelten: „Die Erziehung der Jugend zu Gemeinsinn und zu leiblicher, geistiger und seelischer Tüchtigkeit ist Recht und Pflicht der Eltern. Dieses Recht kann nur durch Richterspruch nach Maßgabe der Gesetze entzogen werden" (2, 2). Was wir heute Elternrecht nennen, hat im Laufe des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh.s eine doppelte Ausprägung erhalten, nämlich die des ,konfessionellen Elternrechts' und die des p ä d a gogischen Elternrechts'. Diese Differenzierung wurde in der neueren Debatte folgendermaßen interpretiert: „Erschöpft sich das konfessionelle Elternrecht darin, über den Charakter der Schulen als Simultan-, Konfessions- oder Weltanschauungsschulen zu bestimmen, so

Bereiche der öffentlichen E r z i e h u n g und Bildung

267

gewährt das pädagogische Elternrecht den Erziehungsberechtigten eine ständige Funktion in der Schule oder in der Stadtverwaltung" (2, 4). Das Verhältnis des Grundgesetzes (Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2, 4, 5) zu diesen beiden Ausprägungen des Elternrechtes ist juristisch kontrovers; einigermaßen fest steht nur, daß eine unmittelbare Ableitung des konfessionellen Elternrechtes aus Art. 6 Abs. 2 nicht möglich ist. In den Ländern ,bildet das pädagogische Elternrecht — zumindest theoretisch und grundsätzlich — einen festen Bestandteil des Schulrechts' (2, 5 f.). Die Ergebnisse des — m. E. nicht abgeschlossenen — Elternrechtsdisputes, über die nach Ansicht Röbbelens ,im Raum der evgl. Kirche ein Konsens angenommen werden kann', faßt sie in einer Reihe von Thesen zusammen (2, 6 ff.), die in unserem Zusammenhang nur weniger interpretierender Bemerkungen bedürfen. „1. Nach evangelischem Verständnis gibt es keine biblisch-theologische >Begründung< oder >Rechtfertigung< des Elternrechts. Einer evangelisch-theologischen Stellungnahme zu Fragen des Elternrechts ist es verwehrt, in biblizistischer Weise auf Aussagen der alt- und neutestamentlichen Schriften zurückzugreifen oder — im Unterschied zur römisch-katholischen Konzeption — bestimmte theologisch-kirchliche Lehren oder sozialethische Anschauungen — wie z. B. die Naturrechtslehre oder das Subsidiaritätsprinzip — zur Begründung heranzuziehen. Das Elternrecht muß als außertheologischer Tatbestand angesehen werden, der erst sekundär im Horizont der christlichen Verkündigung zu betrachten und zu beurteilen ist" (2, 67). 2. Elternrecht im modernen Sinne des Wortes ist ein historisches Phänomen. Eine adäquate Beschäftigung mit Elternrechtsfragen setzt eine ständig neue Besinnung über die gegenwärtige Situation von Familie, Staat und Schule, einschließlich der vorgegebenen Rechtswirklichkeit voraus. Das bedeutet zugleich: Die Stellung der Eltern im Erziehungswesen, ihre Rechte und Pflichten nicht nur gegenüber den Kindern, sondern auch gegenüber der Gesellschaft und dem Staat können nicht naturrechtlich in zeitloser Allgemeingültigkeit bestimmt werden (2, 7). 3. Das Elternrecht ist in allen seinen Ausprägungen kein absolutes Recht. Durch seine Wahrnehmung und Ausübung dürfen nicht die Rechte anderer verletzt oder eingeschränkt werden. Es ist be-

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Bereiche der Erziehung und Bildung

grenzt durch das Eigenrecht des Kindes und durch die Erziehungsaufträge anderer Institutionen wie Staat, Schule, Kirche, Verbände, Wirtschaft usw. (2, 10). 4. Das Elternrecht ist kein isoliertes Recht. Es ist in angemessener Weise nur wahrzunehmen als ein partnerschaftliches Recht. Es setzt Koordination und Kooperation voraus (2, 11). 5. Das Elternrecht ist ein unteilbares Recht. Seine Wahrnehmung kann sich nicht beschränken auf den häuslichen Bereich unter Vernachlässigung des schulischen Bereichs und umgekehrt. Es kann sich nicht eingrenzen oder eingrenzen lassen auf die Wahrnehmung der pädagogischen Verantwortung unter Ausklammerung der religiöskonfessionellen oder umgekehrt (2,12). 6. Das Elternrecht ist ein unübertragbares Recht. Es betrifft die Elternschaft insgesamt. Prinzipiell kann es nicht abgetreten werden, weder an andere Instanzen (z. B. die Kirche) noch an elterliche Interessenvertretungen, an >ElternrechtsspezialistenRecht« nur solange und soweit, als es Elternpflicht, Elternverantwortung und Elternopfer zur Grundlage hat. Elternrecht kann nicht um des Prinzips willen vertreten werden, sondern nur zum Besten des Kindes, der Schule und des Lehrers, der Gesellschaft und des Staates (2, 13). 9. Die Kirche kann f ü r das Elternrecht nur eintreten um des Menschen, um seiner Freiheit und Verantwortung willen, nicht aber eigener konfessions- und schulpolitischer Ziele wegen (2, 13). 10. Die Aufgabe der Kirche gegenüber dem Elternrecht besteht darin, daß sie im Rahmen ihres Verkündigungs- und ihres Öffentlichkeitsauftrages die Eltern auf den ganzen Umfang ihrer Erziehungsverantwortung hin anzusprechen und ihnen beim rechten Verständnis und bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit den ge-

Bereiche der öffentlichen Erziehung und Bildung

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eigneten Mitteln zu helfen hat ohne dabei ihre Gewissensfreiheit und Eigen Verantwortung einzuschränken" (2, 13). Diese Thesen Röbbelens, deren Mehrzahl von eingehenden Erläuterungen der Autorin begleitet sind, zeigen also, daß die evangelische Debatte über das Elternrecht wirklich vorwärts, wenn auch nicht zu einer abgeschlossenen evangelischen Elternrechtslehre geführt hat. Schon gewisse Abgrenzungen sind fruchtbar: Das Elternrecht ist nicht biblizistisch-theologisch oder kirchlich begründbar; es ist kein unhistorisches Phänomen, kein absolutes, isoliertes, teilbares, übertragbares Recht. Diese und ähnliche Negationen entlasten, konsequent festgehalten, die Diskussion von einer Fülle von Fehlkonstruktionen, die in der Vergangenheit an vielen theoretischen und praktischen Verwirrungen — vor allem einer undurchschaubaren Verstrickung mit katholischen Positionen — schuld waren. Darüber hinaus werden aber auch komplementäre Positiva entfaltet, die zeigen, daß man bei den Negationen nicht stehen blieb, sondern von ihnen aus Konzeptionen entwarf, die zeitgemäße Beiträge für Theorie und Praxis des Elternrechts erschließen: so den Gedanken des Elternrechts als eines profanen Tatbestandes, ,der erst sekundär im Horizont der christlichen Verkündigung zu betrachten und zu beurteilen ist', die Charakteristik des Elternrechts als ,historisches Phänomen', als ,partnerschaftliches Recht', als ein auch die religiöse Erziehung mit umgreifendes Recht, als ,aktuelle Gestaltungsaufgabe', als auf das Wohl des Kindes, der Schule, des Lehrers, der Gesellschaft und des Staates bezogenes Recht usw. Mit am weitesten in die Bewältigung konkreter Probleme ist unsere Debatte wohl bei ihrem Versuch vorgedrungen, das Verhältnis von Kirche und Elternrecht zu klären (2, 13 f.). Was hier negativ zu sagen ist, nämlich, daß die Kirche das Elternrecht nicht für ihre eigenen Zwecke, also ,als taktisches Mittel zur Sicherung ihres eigenen institutionellen Bestandes, zur Durchsetzung eigener kirchenpolitischer Ziele und Anschauungen' mißbrauchen darf, ist in dieser Debatte selbstverständlich geworden und wird von Röbbelen entsprechend kurz, wenn auch in gebührender Eindeutigkeit gestreift. Weit wichtiger ist heute, nicht bei dieser Negation stehenzubleiben. Denn man wird der Kirche nicht gut die Legitimation bestreiten können, für die Geltung eines recht verstandenen Elternrechtes einzutreten. Aber wie wird dieses Eintreten richtig? Wie bekommt es eine Gestalt, in der es vor jenem Mißbrauch zu kirchlich-egoistischen Zwecken bewahrt bleibt und

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Bereiche der Erziehung und Bildung

wirklich den Eltern dient? Die Debatte ist hier zu folgenden entscheidenden Einsichten durchgedrungen: „Wo . . . die Kirche sich für das Elternrecht einsetzt, da muß ihr leitendes und ausschließliches Interesse darin liegen, daß die Verantwortung der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder zur Geltung gebracht wird und daß die Freiheit der Eltern wie der Kinder geschützt wird gegenüber Angriffen und Übergriffen anderer Erziehungsmächte. Die Kirche dürfte sich dabei allerdings nicht beschränken auf die Anliegen einer christlichen Erziehung ihrer getauften Glieder, sondern sie müßte sich einsetzen für das Erziehungsrecht aller Eltern und für die Erziehungsverantwortung gegenüber allen Kindern" (2, 14; Sperrung von mir). Mit der Forderung dieser .Selbstlosigkeit' der Kirche ist ein Feld wirklich produktiven Weiterdenkens in unserem Problembereich erschlossen. Denn es ist hier genau so wie auf allen Gebieten kirchlichen H a n delns in der Gegenwart: N u r wo dieses Handeln die vornehmliche Bezogenheit auf die Kirche und ihre vermeintlichen Interessen verliert und dem Mensch schlechthin gilt, nicht nur den Angehörigen der Kirche, wird es fruchtbar. Also: Wie sieht ein solches selbstloses' Eintreten der Kirche f ü r das Elternrecht aus? Röbbelen antwortet: Es geschieht primär durch die Verkündigung der Kirche. Freilich setzt sie, das Ungenügende dieser Antwort empfindend, sofort hinzu: Es geschieht auch durch die Wahrnehmung ihrer .Öffentlichkeitsverantwortung'. „Dazu gehören das Eintreten für eine familiengerechte Erziehungs- und Kulturpolitik, f ü r eine gesunde und wirksame Familienpolitik sowie für eine Förderung von Elternseminaren, Ehe- und Erziehungsberatungsstellen" (2, 14). Aber natürlich: Sowie man solche Perspektiven auch nur andeutet, meldet sich ein ganzes Bündel neuer Fragen zu Wort. Sie brauchen hier nicht aufgezählt zu werden. Jedenfalls ist deutlich, daß nun das Phänomen der .Öffentlichkeitsverantwortung' geklärt werden müßte mit all seinen dornigen Einzelproblemen — wirklich ein weites Feld, das aber hier einem ergiebigen Denken dadurch erschlossen ist, daß diesem Denken eine produktive Aufgabenstellung mitgegeben wird. So gilt tatsächlich das doppelte: Die Elternrechtsdebatte, über die Röbbelen berichtet, hat sowohl zu stichhaltigen Ergebnissen geführt wie neue fruchtbare Fragestellungen erschlossen. In gewissem Sinn ist sie damit ein Beispiel für jene Art kooperativen Denkens von Theologie und anderen Wissenschaften, in denen die Theologie ihre grundlegende' Funktion aufgibt und die Debatte nicht zu einer

Bereiche der öffentlichen Erziehung und Bildung

271

neuen statischen theologisch-kirchlichen Lehraussage treibt, sondern sich mit der Rolle des Gesprächspartners in einem unabschließbaren Denkprozeß begnügt. Die Übersichtlichkeit und

Durchsichtigkeit,

die dies Beispiel in Röbbelens Bericht gewinnt, machen es besonders lehrreich. 1. I. Röbbelen, Zum Problem des Elternrechts — Ein Beitrag aus evangelischer Sicht (Päd Forsch 30), 1966. — Röbbelen hat den Inhalt dieses umfassenden Berichtes noch einmal in einem Aufsatz zusammengefaßt, den der berücksichtigen muß, der sich an das nach Meinung der Autorin besonders Wichtige halten möchte: 2. I. Röbbelen, Elternrecht in evangelischer Sicht, in: Pädagogische Rundschau, 20. Jg. 1966. Hier zitiert nach einem für sich paginierten, verbreiteten Sonderdruck. — Übersichten über die wichtigsten Probleme, die heute die Familie und ihre erzieherischen Aufgaben der Erziehungswissenschaft und Theologie stellen, bieten — samt Literaturverzeichnissen — : 3. E. Hoffmann und M. Stallmann, Art. „Familie", in: Päd Lex 279 ff. 4. H. H. Groothoff, Art. „Familie in pädagogischer Sicht", in: Päd 96 ff. 5. G.Baumert, Art. „Familie, III Soziologisch", in: RGG 3 , II 866 ff. 6. G. Niemeier, Art. „Familie, I V Pädagogisch", in: R G G 3 , II 869 ff. Es ist nicht uninteressant, daß schon in diesem von einem Theologen 1958 publizierten Art. das Problem des Elternrechts — ausgesprochen oder zwischen den Zeilen — eine besonders wichtige Rolle spielt. — Vgl. ferner: 7. K. Thimm, Art. „Elternrecht", in: Lex Päd I 892 f. 8. W. Eilbracht, Art. „Familienpädagogik" in Lex Päd I 1160 ff. 9. M. J . Langeveld, Die Schule als Weg des Kindes, 1968 3 . 10. H. Kittel, Zur Elternrechtsproblematik, in: Der Glaube der Gemeinde und die mündige Welt (Festsdir. f. O. Hammelsbeck), 1969. Vgl. audi § 22, 2 c. 5. Erwachsenenbildung Nach diesen vier fundamentalen Bereichen öffentlicher Erziehung und Bildung sollen nun noch vier speziellere Bereiche dieser A r t zur Geltung kommen. Sie können nur äußerst knapp behandelt werden, dürften aber auch in dieser F o r m geeignet sein, eine einigermaßen deutliche Vorstellung von der Mannigfaltigkeit dieser Bereiche und ihrer Theorie zu vermitteln. Zunächst die heute so genannte Erwachsenenbildung,

also das,

was früher einmal, unter anderen Voraussetzungen und bestimmt v o n anderen Ideen, ,Volksbildung' hieß. Als Bedürfnisse, die die Veranstaltungen dieser Erwachsenenbildung nach 1945 mit einer gewissen Stetigkeit anwachsen ließen, werden genannt (3, 72 f.): der Wunsch nach vertieftem Wissenserwerb, das Streben nach beruf-

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Bereidie der Erziehung und Bildung

licher Weiterbildung, die Suche nach Sicherheit und Resonanz im außerberuflichen Leben und — damit zusammenhängend — nach neuen Möglichkeiten von nachhaltiger Entspannung und besserer Freizeitbewältigung (Selbsttätigkeit contra Rezeptivität). In diesen subjektiven Bedürfnissen spiegeln sich zwei objektive Notwendigkeiten: die durch den raschen Wandel der mobilen Gesellschaft bedingte Nötigung zur permanenten beruflichen Bildung (der Erwachsene steht in steigendem Umfange vor Aufgaben, f ü r die ihn die Schule noch nicht zurüsten konnte); u n d der durch die Entwicklung der modernen Wissenschaften, bes. der Naturwissenschaften, Tiefenpsychologie, Soziologie, und Technik bedingte Sorgezwang f ü r die Menschlichkeit des Menschen, der Zwang also zur Selbstbehauptung der sittlichen Person (der Erwachsene ist zunehmend von der Entmenschlichung durch Entpersönlichung bedroht). Die moderne Gesellschaft hat faktisch keine Möglichkeit, keine Erwachsenenbildung zu treiben, wenn sie sich nicht als menschliche Gesellschaft aufgeben will. Die Unterscheidung von gebundener Erwachsenenbildung, die von Kirche, Parteien, Gewerkschaften usw. getragen wird und deren Bekenntnissen und Programmen verpflichtet ist, einerseits u n d freier Erwachsenenbildung, die solche Bindung nicht kennt, andererseits — die Attribute gebunden und frei werden hier also genau umgekehrt gebraucht wie beim Schulwesen, wo sie von der staatlichen Bindung determiniert sind —, verliert interessanterweise an Bedeutung. Die freie Erwachsenenbildung zielt heute nicht auf eine Lösung der Menschen aus ihren religiösen, politischen und anderen Bindungen, sondern setzt diese voraus und weist sie auf partnerschaftliches Verhältnis in konstruktiver Toleranz. U n d die gebundene Erwachsenenbildung zielt heute nicht auf eine Verketzerung oder Missionierung .Andersgläubiger', sondern sucht ihrerseits Möglichkeiten des offenen Gespräches u n d der Kooperation mit diesen. Auf evangelischer Seite sind wahrscheinlich die nach 1945 entstandenen Evangelischen Akademien diejenigen Institutionen der Erwachsenenbildung, die die produktivsten Beiträge zur Gewinnung jener Unbefangenheit leisteten, in der Freiheit und Gebundenheit, Toleranz und Bekenntnis zugleich aufgehoben sind, in der also unbegrenzte menschliche Solidarität und Glaubensgenossenschaft zugleich verwirklicht werden (vgl. § 21,1). Leider ist der in dieser Entwicklung der Evangelischen Akademien liegende Beitrag zum Selbstverständnis und zur Selbst-

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formung der evangelischen Kirche wenig wirksam geworden. Die evangelischen Kirchenleitungen haben ihn wohl weitgehend restaurativ mißverstanden. 1. Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung (29.1. i960), in: DAEB 857 ff. 2. W. Schulenberg — I. Hasselkorn — M. Stallmann, Art. „Erwachsenenbildung", in: Päd Lex 227 ff. 3. W. Schulenberg, Art. „Erwachsenenbildung", in: Päd 65 ff. Neuere Perspektiven bieten: 4. H. Becker, Weltweite Erwachsenenbildung, in: N Slg 1967, 91 ff. 5. G. Picht, Erwachsenenbildung — die große Bildungsaufgabe der Zukunft, in: Merkur — Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 1968, 193 ff. —. 6. J . H. Knoll — H. Siebert, Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik — Dokumente 1945—1966, 1967. 7. Bibliographie zur Erwachsenenbildung im deutschen Sprachgebiet — Im Auftrage der deutschen UNESCO-Kommission zusammengestellt von W. Karbe und E. Richter, 1966. Das Thema .Erwachsenenbildung* ist hier besonders kurz behandelt, weil die Abschnitte .Militärpädagogik' (§ 21,6), .Hochschulreform' (§ 2 1 , 7 ) , .Kirchenverwaltung' (§ 23. 2). .Pfarrerbildung' (§ 23. 3) Einzelbeispiele der Erwachsenenbildung bieten.

6. Militärpädagogik In der Reihe von Spezialgebieten der Erwachsenenbildung, die bisher die besondere Aufmerksamkeit der Erziehungswissenschaft gefunden haben, fehlt die Militärpädagogik. Schon vor 1945 gab es nur relativ wenig Ansätze einer wissenschaftlichen Durchdringung militärpädagogisdier Probleme, die dem Stand der Erziehungswissenschaft gerecht wurden. Hervorzuheben sind vor allem die Bemühungen Erich Wenigers, die zwar auch nach dem letzten Kriege bis zu Wenigers Tod i. J. 1961 eine gewisse Fortsetzung fanden, aber doch kein umfangreicheres wissenschaftliches Interesse an militärpädagogischen Fragen entbinden konnten. Das ist um so bemerkenswerter, als die Bundeswehr de facto eine der größten und anspruchsvollsten pädagogischen Institutionen der Bundesrepublik darstellt, die pädagogische Einrichtungen vom Elementarschulunterricht bis zu militärwissenschaftlichen Hochschulen unter besonders komplizierten geistigen und ethischen Bedingungen unterhält. Offenbar wirkt sich hier auch in den Erziehungswissenschaften jene menschlich so verständliche Tabuierung alles Militärischen aus, die seit dem zweiten Weltkrieg so weite Teile unseres Volkes bestimmt. Jeden18

K i t t e l , E v . Religionspädagogik

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falls: Eine erziehungswissenschaftliche Literatur irgendwie nennenswerten Umfanges über militärpädagogische Fragen ist nicht entstanden und selbst unsere so kenntnisgesättigten erziehungswissenschaftlichen Lexika schweigen von diesem Thema nahezu ganz. Um so nachdrücklicher muß darauf hingewiesen werden, daß sich der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen auch dieser Problematik gegenüber als besonders hellsichtig erwiesen hat. Seine beiden Gutachten zum Aufbau der Bundeswehr ersetzen Wichtiges von dem, was die amtliche Pädagogik versäumte (9). Umgekehrt nimmt die moderne Militärpädagogik von der Entwicklung der modernen Erziehungswissenschaft mit einiger Sorgfalt Notiz. Mindestens an den Stellen, an denen die Weichen der Militärpädagogik gestellt werden, wird die erziehungswissenschaftliche Literatur verfolgt und werden ihre Einsichten für den militärpädagogischen Alltag auf allen Ebenen fruchtbar gemacht. Selbstverständlich bestehen auch persönliche Kontakte zwischen der Bundeswehr und einzelnen Erziehungswissenschaftlern und einige davon finden auch in wichtigen Lehrschriften der Bundeswehr ihren Niederschlag: Ich erinnere nur an die Mitgliedschaft Hans Bohnenkamps (Professor der Philosophie und Erziehungswissenschaft) im ,Beirat Innere Führung' der Bundeswehr und seine wichtigen Beiträge zu militärpädagogischen Dienstschriften. Vergessen sei auch nicht, daß Graf v. Baudissin, der Urheber der militärpädagogischen Konzeption des .Staatsbürgers in Uniform', die aller an ihr geübten Kritik zum T r o t z eine so große positive Bedeutung gewann, jahrelang in enger Verbindung mit Erich Weniger stand. Man könnte nun fragen: Ist diese Nährung der Militärpädagogik durch die allgemeine Erziehungswissenschaft nicht gerade das Richtige, das Zeitgemäße? Entspricht sie nicht genau dem Gedanken vom Staatsbürger in Uniform, nämlich dem Gedanken, daß für den Soldaten keine anderen Gesetze mehr gelten sollen als für jeden Staatsbürger, also auch keine anderen pädagogischen? Wozu noch eine erziehungswissenschaftliche Sonderdisziplin für die Soldaten? Die Antwort müßte m. E. lauten: Selbstverständlich gelten in der Militärpädagogik keine anderen Gesetze als in anderen Bereichen. Aber diese gelten dort unter besonderen geistigen Voraussetzungen, unter besonderen Lebensbedingungen und angesichts besonderer Aufgaben und erfordern deshalb eine gesonderte wissenschaftliche Bemühung.

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Man könnte diese eigentümliche Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Militärpädagogik durch die Erziehungswissenschaft an bestimmten Parallelen der sog. Berufspädagogik deutlichmachen. Es liegt hier jedoch näher, einen Vergleich mit der Theologie und ihrem Verhältnis zur Militärpädagogik zu ziehen: Das Ergebnis ist genauso lehrreich. Zunächst ist festzustellen, daß die akademische Theologie sich gegenüber der Militärpädagogik insofern ähnlich zurückgehalten hat wie die Erziehungswissenschaft, als sie diese Militärpädagogik nicht zu einem Lehrbuchthema machte. Aber: Die evangelische Kirche ist dadurch in eine Teilhabe an der Militärpädagogik eingetreten, daß sie die Institution der Militärseelsorge schuf. U n d diese Teilhabe ist von einer eminent nachhaltigen theologischen Besinnung begleitet, die der schlichten Stunde lebenskundlichen Unterrichts ebenso gilt wie der Diskussion schwieriger Probleme der Menschenführung auf höchster Ebene. Die Intensität dieser religionspädagogischen Bemühungen dürfte weit größer sein als die der auf den meisten anderen Feldern kirchlicher Erwachsenenbildung angestellten. Und dies hat einen einfachen Grund. Die Militärseelsorge sieht sich ständig auf denkbar unausweichliche Weise, nämlich durch Gewissensnöte lebendiger Menschen mit der Frage nach dem Sinn der Bundeswehr in der heutigen Weltsituation und damit nach dem Sinn ihrer, der Militärseelsorge, eigenen Existenz konfrontiert. U n d sie muß die Antwort auf diese Fragen in eigener geistiger Verantwortung finden, da sie sich selbst nicht mehr als Instrument der Bundeswehr versteht, also deren Argumente nicht einfach übernehmen, deren Maßnahmen nicht grundsätzlich rechtfertigen kann. Indem die evangelische Militärseelsorge sich diesen Fragen theologisch stellt, erhebt sie auch ihr pädagogisches Handwerk in seine Eigentlichkeit: Sie läßt dies Handeln nicht mehr bloße methodische Hinführung zu der Bundeswehr auferlegten Zwecken sein, sondern den Versuch, die evangelischen Soldaten aller Dienstgrade in sinnvollem Maße und in sinnvoller Weise an der Rechtfertigung, Verwandlung oder Verwerfung dieser Zwecke zu beteiligen. Wenn die akademische Theologie sich direkt wenig mit den damit gestellten Aufgaben befaßt, so liegt dies vielleicht auch daran, daß das Herkommen unserer Fakultäten noch immer einer Kooperation gerade mit den anderen Wissenschaften, wenig förderlich ist, die heute bei der Behandlung solcher Problembereiche unentbehrlich 18*

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sind. Die evangelische Militärseelsorge hat sich in dieser Situation zunächst mit eigenen Anstrengungen geholfen. Ihre Theologen haben sich in spürbarem Kontakt mit mancherlei fremden Wissenschaften Hilfen für die Arbeit der Militärseelsorge geschaffen, die höchst respektabel sind, auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Darüber hinaus hat der evangelische Militärbischof Kunst zweimal eine höchst interessante Initiative neuer Art ergriffen. Aus der spezifischen Situation der Militärseelsorge heraus hat er spezifische wissenschaftliche Aufträge an wissenschaftliche Experten erteilt, und zwar nicht nur an Theologen. Das erstemal, als er 1958 eine Kommission aus Theologen, Naturwissenschaftlern und Militärs zu der Untersuchung .Atomzeitalter — Krieg und Frieden' anregte. Die 11 aus der Arbeit dieser Kommission herausgewachsenen Thesen — seitdem auf Anordnung des Militärbischofs ,der wesentliche Inhalt der Gewissensberatung der Soldaten durch ihren Militärpfarrer' (4, 102 f.) — sind in ihrer Unabhängigkeit von militärischen Interessen und in der Konkretheit ihrer Bezogenheit auf die Kernproblematik der heutigen Soldaten, in ihrem Mut zur eindeutigen Lösung und zur Aporie so charakteristisch f ü r den von der evangelischen Militärfürsorge gefundenen Stil des Denkens, daß ich sie hier doch zitieren möchte: „ 1. Der Weltfriede wird zur Lebensbedingung des technischen Zeitalters. 2. Der Christ muß von sich einen besonderen Beitrag zur Herstellung des Friedens verlangen. 3. Der Krieg muß in einer andauernden und fortschreitenden Anstrengung abgeschafft werden. 4. Die tätige Teilnahme an dieser Arbeit für den Frieden ist unsere einfachste und selbstverständlichste Pflicht. 5. Der Weg zum Weltfrieden f ü h r t durch eine Zone der Gefährdung des Rechtes und der Freiheit, denn die klassische Rechtfertigung des Krieges versagt. 6. Wir müssen versuchen, die verschiedenen, im Dilemma der Atomwaffen getroffenen Gewissensentscheidungen als komplementäres Handeln zu verstehen. 7. Die Kirche muß den Waffenverzicht als eine christliche Handlungsweise anerkennen.

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8. Die Kirche muß die Beteiligung an dem Versudi, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen. 9. Für den Soldaten einer atomar bewaffneten Armee gilt: Wer A gesagt hat, muß damit rechnen, B sagen zu müssen; aber wehe den Leichtfertigen! 10. Wenn die Kirche überhaupt zur großen Politik das Wort nimmt, sollte sie den atomar gerüsteten Staaten die Notwendigkeit einer Friedensordnung nahebringen und den nicht atomar gerüsteten raten, diese Rüstung nicht anzustreben. 11. Nicht jeder muß dasselbe tun, aber jeder muß wissen, was er tut" (4, 103 f.). Hier hat die Militärseelsorge den Status einer Waffe der psychologischen Kriegführung wirklich hinter sich gelassen. Hier ist sie zu einer Lehrmeisterin soldatischer Gewissen geworden, die aufgrund sehr sorgfältiger wissenschaftlicher Untersuchungen, in denen die Autarkie theologischen Denkens überwunden wurde, in die zentrale Problematik heutiger soldatischer Existenz hineinzusprechen vermag. Die andere hier zu nennende Anregung des Militärbischofs galt einem bemerkenswert untheologischen Anliegen: Es sollten wissenschaftliche Grundlagen zur Beurteilung der politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr gelegt werden. Die Ergebnisse der diesbzgl. Kommissionsarbeit liegen bereits in 3 stattlichen Bänden mit Einzeluntersuchungen vor. Ihr Inhalt kann hier selbstverständlich nicht referiert werden. N u r zwei Bemerkungen zum Ganzen sind nötig. Einmal: Diese Ergebnisse haben sich als so wertvoll erwiesen, daß sie als tragfähige Grundlage für alle weiteren Untersuchungen auf diesem Gebiet gelten dürfen. Und: Es wird überzeugend deutlich, daß diese untheologischen, streng sachgerechten Studien von einem übergreifenden theologischen Interesse bestimmt werden. Dieses theologische Interesse an einer sauberen Erhellung der politischen und gesellschaftlichen (wirtschaftlichen) Situation der Bundeswehr wird in einer außerordentlich bedenkenswerten Einleitung des Herausgebers Georg Picht (6, 7 ff.) formuliert und soll in einer noch ausstehenden Arbeit, die man mit entsprechender Spannung erwarten darf, entfaltet werden. Gelingt auch sie, dann darf das Gesamtwerk als ein indirekter wissenschaftlicher Beitrag der evangelischen Kirche zur Militärpädagogik gewertet werden, dem die

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E r z i e h u n g s w i s s e n s c h a f t n o d i nichts V e r g l e i c h b a r e s

a n die Seite z u

s e t z e n h a t . U n d d a r ü b e r h i n a u s k ö n n t e dieses G e s a m t w e r k d a n n als V o r b i l d f ü r die A r t u n d W e i s e gelten, in d e r sich die M i t a r b e i t e v a n gelischer F o r s c h e r a n d e r T h e o r i e auch a n d e r e r p ä d a g o g i s c h e r Spezialbereiche l e g i t i m v o l l z i e h e n k a n n . D a s b e d e u t e t

nicht,

daß

ich

alle E i n z e l e r g e b n i s s e u n d alle G r u n d s ä t z e dieses W e r k e s z u b e j a h e n v e r m ö c h t e . A b e r eine solche t o t a l e B e j a h u n g nicht

z u e r w a r t e n , ge-

h ö r t g e r a d e z u seinen W e s e n s m e r k m a l e n . Dies W e r k will kein V o t u m ,der K i r c h e ' sein. D i e Einzeluntersuchungen w o l l e n z w a r evangelischem Denken

u n d kirchlichem H a n d e l n

dienen, w e r d e n aber allein

von

ihren A u t o r e n v e r a n t w o r t e t . Die hierher gehörigen Schriften sowohl der Bundeswehr als der Militärseelsorge sind zum großen Teil schwer zugänglich. Ich wähle hier nur solche aus, die praktisch für jeden — wenn auch z. T . mit einiger Mühe — erreichbar sind. Für an Weiterem Interessierte sei an das Bundesministerium für Verteidigung, Bonn, Hardthöhe, und an das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr, Bad Godesberg, Kölner Str. 107 a, bzw. an das nächsterreichbare Militärpfarramt verwiesen. Nicht übersehen werden darf dabei, weil als Kontrolle des Verständnisses und der Geltung der Prinzipien wichtig, die Kleinliteratur (Zeitschriften, Dienstvorschriften, Arbeitshilfen für alle Dienstgrade u. dgl.), die sowohl die Bundeswehr wie die Militärseelsorge in Fülle herausgeben. 1. Leitsätze für die Erziehung des Soldaten, in: Handbuch Innere Führung, hg. v. BuMi f. Verteidig, i 9 6 0 2 , 91 ff.; diese Leitsätze sind nach der Beobachtung Sachverständiger das in Fragen der Inneren Führung meist zitierte Dokument der Bundeswehr. 2. „Soldatische Pflicht", (Schriftenreihe Innere Führung, Reihe Erziehung, H e f t 3). Uberarbeitete Neuauflage 1966. 3. W . G r a f von Baudissin, Innere Führung — Versuch einer R e f o r m , in: Z f P ä d 1965, 105 ff. Von den Kernproblemen der Militärseelsorge und dem aus dem Umgang mit ihm stammenden Selbstverständnis dieses Wirkungsbereiches der evangelischen Kirche vermittelt einen besonders lebhaften Eindruck: 4. Der Dienst der Kirche unter den Soldaten — Teilbericht über die Arbeitstagung der 3. Synode der Evangelischen Kirdie in Deutschland für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland in Frankfurt/Main vom 8. bis 1 1 . 1 1 . 1965. Die im T e x t angesprochenen, vom Militärbischof angeregten Ausschußarbeiten sind: 5. Atomzeitalter / Krieg und Frieden — mit Beiträgen von C . - F . v. Weizsäcker, R . Nürnberger, U . Scheuner, E . Wilkens, G . H o w e , E . Schlink, K . J a n s sen, H . Gollwitzer (Forsdiungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft N r . 17), 1959. 6. Studien zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr, 1. Folge — mit Beiträgen von G . Picht, H . Herzfeld, K r a f f t Frhr. Sehende zu Schweinsberg, G . H o w e ; hg. v. G . Picht, (Ebd. N r . 21/1), 1965.

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7. 2. Folge — mit Beiträgen von L. v. Friedeburg, I. H . v. Heiseler, F. A. Klausenitzer; hg. v. G. Picht (ebd. Nr. 21 II), 1966. 8. — — 3. Folge — von G. Brandt „Rüstung und Wirtschaft in der Bundesrepublik"; hg. von G. Picht (ebd. Nr. 21/111), 1966. Die beiden im Text erwähnten Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen sind: 9. Empfehlungen aus Anlaß des Aufbaues der Bundeswehr (5. 7.1956), in: DAEB 929 ff. 10. Empfehlungen für eine Wehrakademie der Bundeswehr (2. 7. 1960), in: DAEB 934 ff. Nach Abschluß des Manuskriptes dieses Buches kamen dem Verf. die Druckfahnen des Buches von: 11. H . D . B a s t i a n , Theologie der Frage — Ideen zur Grundlegung einer theologischen Didaktik und zur Kommunikation der Kirche in der Gegenwart, 1969 — vor Augen. In diesem Buch wird — endlich — auch militärpädagogischen Problemen ein Platz in größerem theologischen Zusammenhang gegönnt (S. 165 ff.). Überhaupt ist die Arbeit durch die Berücksichtigung sehr unkonventioneller Themen ausgezeichnet.

7. Hochschulreform Wenn davon die Rede war, daß die vom Militärbischof Kunst angeregten wissenschaftlichen Arbeiten ,evtl.' ,als Vorbild f ü r die Art und Weise gelten könnten, in der sich die Mitarbeit evangelischer Forscher an der Theorie auch anderer pädagogischer Spezialbereiche legitim vollziehen' könnte, so ist damit u. a. auch die Perspektive der Hochschulreform in unsere Überlegungen einbezogen. Denn de facto bedeuten Arbeiten dieser Art auch die kritische Anfrage an unsere Hochschulen, weshalb solche Arbeiten nicht — und zwar in noch viel größerem Umfange — das normale Ergebnis eines Hochschulwesens sind, in dem es noch immer evangelisch-theologische Fakultäten gibt und die evangelische Theologie auch außerhalb dieser reichlich vertreten ist. Warum muß erst der Militärbischof um solche Arbeiten bitten, und warum muß er sich schließlich noch mit dieser Bitte an die Evangelische Studiengemeinschaft wenden, also eine kirchliche Institution außerhalb dieses Hochschulwesens? Ist nicht auch die Tatsache, daß es solche Institutionen wie diese Studiengemeinschaft — seien sie kirchlicher, seien sie nicht kirchlicher Art — überhaupt gibt und daß sie sich mehren, Ausdruck einer immer noch wachsenden Hochschulkrise, die nach gründlichen Reformen ruft? Nach Reformen also, die nicht nur die Schnelligkeit vergrößern, mit der Probleme, die sich aus dem rasdien Wandel unserer Welt ergeben, von unseren Hochschulen aufgegriffen werden, sondern die auch jene

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unkonventionelle Teamarbeit realisieren und hinsichtlich ihrer Methoden durchklären, ohne die heute stichhaltige wissenschaftliche Arbeit an vielen Problemen nicht mehr zu leisten ist? Es steht nicht gut um diese Hochschulreform. Die Lethargie, mit der sie von den herkömmlichen Hochschulen behandelt wurde und auf Grund ihres scheinbar unzerstörbaren Sozialprestiges fast ungestört behandelt werden konnte, ist beängstigend. Gewiß gibt es eine umfangreiche Literatur über sie. Aber sieht man sich einmal etwas genauer an, was etwa von unseren wissenschaftlichen Hochschulen nach Ausweis der amtlichen Dokumentation der Westdeutschen Rektorenkonferenz — die Register ermöglicht einen leichten Überblick — de facto für eine wirksame Hochschulreform getan wurde (2; vgl. auch 3), so muß die Sorge um diese Hochschulen sehr groß werden. Einer ihrer bedeutendsten Repräsentanten, der zu dem kleinen Kreis derer gehört, die sich ernsthaft um eine Hochschulreform bemühen, hat unlängst mit großem Ernst von dem unsere Universitäten bedrohenden Provinzialismus gesprochen. In unseren Zusammenhang gehört diese Hochschulreform deshalb, weil die überwiegende Mehrzahl ihrer Probleme, also nicht nur die Probleme des akademischen Unterrichts, die neuerdings — endlich! — als Probleme einer werdenden .Hochsdiuldidaktik' größere Beachtung finden, als das bisher üblich war, zugleich pädagogische Probleme sind. Auch etwa die Strukturprobleme der Hochschule, Fragen moderner Organisation wissenschaftlicher Arbeit, des Verhältnisses von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, der Beteiligung der Studentenschaft an bestimmten Funktionen der Hochschulen, der Studienordnungen usw. — sie alle haben einen pädagogischen Aspekt, wobei freilich vorausgesetzt wird, daß ,Pädagogik' nicht so kleinbürgerlich mißverstanden wird, wie das gerade in unserer akademischen Tradition abseits der Erziehungswissenschaft üblich ist. Die Beteiligung der evangelisch-theologischen Fakultäten an der Reform unserer Hochschulen ist im Durchschnitt nicht reger als die anderer Fakultäten. Daß eine relativ schnelle und gründliche Reaktion auf die Forderung des Wissenschaftsrates erfolgte, das Studium innerhalb der alten Fakultäten neu zu ordnen, liegt an energischen Initiativen der evangelischen Kirchen, die um ihren Nachwuchs besorgt sind, an einem sehr überlegten Drängen der theologischen Studentenschaft (7) und an dem Glücksfall, daß sich ein kleiner Kreis von Interessierten fand, der die Mühsal einer Arbeit auf sich nahm,

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die, soll sie dem Stand der Reformdiskussion wirklich angemessen sein, ein ungewöhnliches Maß an Zeit, Geduld und geistiger Energie erfordert. Tatsächlich darf man heute erwarten, daß der gesamte Bildungsgang der künftigen Pfarrer — vielleicht auch der der künftigen Religionslehrer an Realschulen und Gymnasien — vom Universitätsstudium an bis zur Fortbildung im A m t neu geplant wird, und zwar aufgrund sorgfältiger Untersuchungen und mit hinreichender Entschlossenheit gegenüber den Forderungen, die Gegenwart und absehbare Zukunft stellen. Und man darf damit rechnen, daß diese Planung auch künftig in gutem Kontakt zwischen evangelisch-theologischen Fakultäten, evangelischen Kirchen und der beteiligten Studentenschaft geschieht (8). Aber diese ganze — man kann es nicht genug betonen — sorgfältige und kluge Planung wird auf der Voraussetzung beruhen, daß unsere evangelisch-theologischen Fakultäten bleiben, was sie sind und wie sie sind, anders gesagt, daß die Struktur unserer Universitäten dieselbe bleibt wie heute. Eben dies aber ist — auf lange Sicht — außerordentlich unsicher. Was heute Hochschulreform im engeren Sinne des Wortes — also bewußt unterschieden von Studienreform — heißt, zielt u. a. auf einen Strukturwandel der Universität, in dem die Fakultäten ihre alte Form und Funktion kaum behalten dürften (9 und 10). Die Neuformation der Lehrstühle unter modernen Gesichtspunkten der Forschung und Lehre wird bei den meisten herkömmlichen Fakultäten keine übergroßen Schwierigkeiten machen, da die reale Situation bestimmter wissenschaftlicher Vorhaben die Entwicklungsrichtung vorschreiben wird. Anders aber steht es mit den theologischen Fakultäten. Gewiß werden auch ihnen moderne Formen der Kooperation mit anderen Wissenschaften nicht schwerer fallen als anderen Fakultäten. Aber ihre aufgrund solcher Kooperation etwa geforderte Auflösung in wissenschaftlicher Korporationen neuer Art muß spezifische Schwierigkeiten machen. Denn diese theologischen Fakultäten sind als solche nicht nur durch einen speziellen Arbeitsbereich konstituiert, sondern zugleich durch ein Bekenntnis. Das bedeutet, daß dieses Bekenntnis nicht einfach nur ein persönliches Bekenntnis ihrer Glieder ist, das diese auch in andere neuartige Formationen mit hineinnehmen könnten, sondern eine Determination ihrer Arbeit darstellt, die sie in eine nicht bekenntnisgebundene Arbeitsgemeinschaft nicht einbringen könnten. Bleibt in dieser Situation wirklich noch etwas anderes

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übrig, als die theologischen Fakultäten in kirchliche Hochschulen zu überführen? Wird der alte, heute nur latent vorhandene Streit darum, ob die theologischen Fakultäten nicht an einem Wissenschaftsbegriff festhalten, der sie von der modernen Universität ausschließt, nun nicht ohne große Diskussion, fast stillschweigend, nämlich auf dem Weg einer ,organischen' Hochschulreform gegen die theologischen Fakultäten entschieden werden? Gibt es Arbeitsformen, in denen wirkliche Theologen an der Arbeit der künftigen Universität beteiligt werden können und die nicht die einer Fakultät sind? Kann man sagen, daß der Universität auch der Gegenwart und nächsten Zukunft etwas für sie Wichtiges fehlen wird, wenn es an ihr nicht nur keine theologischen Fakultäten, sondern auch keine Theologie — in welcher Form auch immer — mehr geben wird? Und wenn man diese Frage zu bejahen geneigt ist, welches sind die Gründe? Solche und ähnliche Fragen stehen heute, wie man sagt, ,im Raum'. D. h. sie sind so gut wie überhaupt noch nicht ausgesprochen und fast gar nicht diskutiert und drängen sich doch jedem auf, der sich mit dieser Materie beschäftigt. Unsere evangelisch-theologischen Fakultäten schweigen und viele ihrer Glieder wollen Fragen dieser Art, offenbar verwöhnt durch die Situation der letzten 2 Jahrzehnte, nicht wahrhaben. Aber sie werden sich ihnen stellen müssen. Gar nicht in erster Linie um ihrer selbst willen. Wohl aber um der Konsequenzen willen, die richtige und falsche, produktive und sterile Antworten auf sie für die nächsten Generationen der studierenden Jugend — und zwar aller Fakultäten — unausweichlich haben werden. Die Literatur zur Hochschulreform ist nur noch schwer zu übersehen. Hinzu kommt, daß wichtige hierher gehörige Äußerungen gar nicht „Literatur"werden, sondern nur als interne Entwürfe, Denkschriften, Entschließungen u. dgl. existieren. Als Beispiele der wichtigsten Genera dieses Schrifttums seien hier genannt: 1. H . Schelsky: Einsamkeit und Freiheit — Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reform (Rowohlts Enzyklopädie 1 7 1 / 1 7 2 ) (1960) 1963. 2. Westdeutsche Rektorenkonferenz — Empfehlungen, Entschließungen und Nachrichten, vom Präsidenten mitgeteilt. Diese Dokumentation (gen. ,Die schwarzen Hefte') stellen eine zwar nicht im vollen Sinne des Wortes publizierte', aber doch jedem Interessierten zugängliche Sammlung von Entschließungen usw. auch zum Thema .Hochschulreform' (vgl. die Register unter einschl. Stichworten) dar, die als Edition der Westdeutschen Rektorenkonferenz, besondere Bedeutung besitzt. Vgl. außerdem als gedruckte Dokumentation:

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3. R. Neuhaus, Dokumente zur Hochschulreform 1945—1959 (Veröffentlichungen der Westdeutschen Rektorenkonferenz), 1961. Wichtige Äußerungen des Wissenschaftsrates (nicht publiziert, aber in gedruckter Form relativ leicht zugänglich) sind: 4. Empfehlungen (sc. des Wissenschaftsrates) zur Neuordnung des Studiums an den wissenschaftlichen Hochschulen (verabschiedet am 14. 5. 1966). 5. Empfehlungen des Wissensdiaftsrates zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970 (vorgelegt im Juli 1967). Speziell der Reform des Studiums evangelischer Theologie gelten: 6. H . H . Schrey, Art. „Theologiestudium, Reform des," in: R G G 3 VI, 838 f. 7. Theologiestudium — Entwurf einer Reform. Gutachten angefertigt im Auftrag des Fachverbandes Evangelische Theologie im Verband Deutscher Studentenschaften von W. Herrmann und Gerd Lautner, 1965. 8. Reform der theologischen Ausbildung — Untersuchungen, Berichte, Empfehlungen; hg. von H . E. Hess und H . E. Tödt, Bd. 1, 1967, Material und Beiträge zur Reform des 1. und 2. theologischen Examens Bd. 2, 1958, vgl. ferner § 23,3. Von den konkreten Planungen einzelner neuer Universitäten und Hodischulsysteme nenne ich die beiden jüngsten und zugleich interessantesten: 9. P. Mikat und H . Schelsky, Grundzüge einer neuen Universität (Entwurf f ü r die neue Universität Bielefeld), (Reihe „Wissensdiaftstheorie, Wissenschaftspolitik, Wissenschaftsgeschichte" Bd. 1), 1966. 10. Hochschulgesamtplan Baden-Württemberg — Empfehlungen zur Reform von Struktur und Organisation der Wissenschaftlichen Hochschulen, Pädagogischen Hochschulen, Studienseminare, Kunsthochschulen, Ingenieurschulen und Höheren Fachschulen (nach dem Herausgeber R. Dahrendorf auch Dahrendorfplan genannt) (Reihe „Bildung in neuer Sicht" A 5), 1967. Ein Stück Hochschulreform darf auch das in Entwicklung begriffene Hochschul-Fernstudium genannt werden. Es interessiert hier deshalb besonders, weil in Zusammenarbeit des Deutschen Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen mit dem Comenius-Institut auch ein Studium für Evangelische Religionslehrer entwickelt werden soll. Über die Grundlagen eines solchen Hochschul-Fernstudiums orientiert: 11. G. Dohmen, Der Aufbau des Hochschul-Fernstudiums in der Bundesrepublik — Tübinger Plan (Tübinger Beiträge zu Fernstudien. Schriftenreihe des Deutschen Instituts für Fernstudium an der Universität Tübingen, Bd. 1), 1968. Über den Plan eines Religionslehrer-Fernstudiums vgl.: 12. I. Röbbelen, Fernstudium für evangelische Religionslehrer — Notwendigkeit, Aufgaben und Chancen, in: Th Pr 1969, 29 ff.

8. Die UNESCO Erziehung und Wissenschaft gibt es auch in der Neuzeit längst nicht mehr nur in nationalem Rahmen, wenn freilich die Nationen bisher die wichtigsten Träger von Erziehung, Bildung und Wissen-

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schaft blieben. Nach dem 2. Weltkrieg fanden die übernationalen Bestrebungen auf diesem Gebiet ihren bedeutendsten Ausdruck in der am 4. November 1946 auf Anregung Großbritanniens und Frankreichs in London gegründeten UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation). Sie gilt heute als Sonderorganisation der Vereinten Nationen, in deren Verfassung es heißt: „ . . . beschließen die Signatarstaaten . . . im Glauben an das Recht aller auf ungeschmälerte und gleiche Bildungsmöglichkeiten sowie das uneingeschränkte Bemühen um objektive Wahrheit und einen freien Austausch von Gedanken und Erkenntnissen, die Beziehungen zwischen ihren Völkern auszubauen und zu entwickeln, damit diese einander besser verstehen und eine vollkommenere und wahrheitsgetreuere Kenntnis von der Lebensweise des anderen Volkes erhalten. Sie schaffen hiermit die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, um durch die Zusammenarbeit aller Völker der Erde auf diesen Gebieten die Ziele des internationalen Friedens und des allgemeinen Wohlergehens der Menschheit schrittweise zu erreichen, Ziele, um derentwillen die Organisation der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde und die ihre Charta verkündet" (1,11). Die UNESCO gilt als ,Sonderorganisation' der U N O , besitzt aber soviel Selbständigkeit, daß Nationen zu ihr gehören können, die — wie etwa die Bundesrepublik Deutschland (seit 1951) — nicht Mitgliedstaaten der U N O sind. Die reale Bedeutsamkeit der UNESCO f ü r die ihr zugehörigen Nationen (Ende 1968: 125) aber auch f ü r die noch außenstehenden, praktisch also für Erziehung, Bildung und Wissenschaft der gegenwärtigen Menschheit dürfte in einem doppelten liegen. Einmal ist die praktische Arbeit, die die UNESCO in ihren vier Hauptabteilungen (Erziehung, Naturwissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften und Informationswesen) geleistet hat und in wachsendem Maße leistet, an Quantität und Qualität höchst beachtenswert. In den Haushaltsjahren 1969/70 sollen der UNESCO 548,7 Millionen DM zur Verfügung stehen; und es sind Spitzenkräfte aller Nationen für ihre Aufgaben gewonnen worden. Das heißt, daß hier viele Nationen eine Tradition gemeinsamer Unternehmungen gewinnen, die besonders schwerwiegt, da sie bewußt im Dienst einzelner, also je anderer Länder — Entwicklungsländer — (6—8) — oder im Dienst humaner, der Menschheit als solcher nützlicher Unternehmen steht. Und damit hängt dann das andere hier zu Bemerkende zusammen.

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Diese Tradition ist de facto eine Tradition der Realisation von Menschenrechten jener „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte", die die U N O am 10. 12. 1948 verkündete und die seither eine Art Grundgesetz für die U N E S C O - A r b e i t darstellen (2, 51 ff.). Es ist bekannt, wieviel Anlaß dazu besteht, skeptisch über diese Menschenrechte zu denken. Weniger bekannt ist, wieviel fruchtbare Energie ihre Proklamation z. B. in der U N E S C O und durch diese entbunden hat. Was in der U N E S C O und durch sie in tätiger Respektierung der Menschenrechte geschah und geschieht, ist eine moralische Legitimation derselben, die nicht ohne Wirkung auf ihre Geltung in anderen Bereichen menschlichen Denkens und Handelns bleiben kann. Auf diese Weise wird also die U N E S C O selbst zu einem Faktor in der Entwicklung der modernen Menschheit in Gegenwart und nächster Zukunft. Im Bewußtsein der Tatsache, daß sie der ihr damit auferlegten Verantwortung nicht ausweichen kann, hat sie eine Unterabteilung „Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Philosophie" der Hauptabteilung „Geistes- und Sozialwissenschaften" konstituiert, die sich um eine stetige ,Klärung des eigenen geistigen Standortes' der U N E S C O bemüht und um eine Aufhellung der .Wechselwirkungen zwischen dem Wandel der menschlichen Gesellschaft und ihren Institutionen und dem Wandel des Menschen selbst' (1, 33). So hat die U N E S C O eine gewisse Aussicht, nicht nur den Erziehungsbemühungen anderer behilflich zu sein, sondern selbst eine mit höchst wirksamen Mitteln ausgestattete Erziehungsmacht zu werden, und zwar in globalen Maßen, also eine Erziehungsgroßmacht. Mindestens diese Perspektive müßte die Arbeit der U N E S C O für die christliche Theologie interessant machen. Denn sie enthüllt ja die Möglichkeit, daß die bisherige Welt-Großmacht der Erziehung, das Christentum, in der U N E S C O ihre säkulare Ablösung vor sich hat. Noch ist eine solche ausdrückliche theologische Auseinandersetzung mit der Arbeit der U N E S C O , soweit ich sehe, nirgends in nennenswertem Umfange aufgenommen worden. Beide großen christlichen Konfessionen unterstützen diese Arbeit praktisch (5), aber sie haben bisher offensichtlich noch nicht die Nötigung empfunden, diese Unterstützung vor sich selbst zu rechtfertigen. Die im Entstehen begriffene ,Philosophie' der U N E S C O stellt, scheint mir, eine solche Nötigung dar, und zwar eine, der man auf die Dauer nicht wird

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Bereiche der Erziehung und Bildung

ausweichen können. Und zwar sowohl um seiner selbst willen — eine nicht theologisch gerechtfertigte Mitarbeit der Christenheit in der UNESCO wird schließlich eine nicht verantwortete — als auch um der UNESCO willen, die eine guten Gewissens geleistete Mitarbeit der Christenheit nicht entbehren kann. Wir können eine solche theologische Auseinandersetzung mit der Arbeit der UNESCO hier nicht selbst entwerfen. Aber es seien doch wenigstens die beiden großen Problemkreise umrissen, die hier zu bewältigen wären. Es handelt sich einmal um die Rezeption der ethischen Grundlagen der UNESCO-Arbeit. Ist es möglich, so etwas wie eine Theologie der Menschenrechte zu konzipieren? Jener Menschenrechte also, die so eindeutig in der Aufklärung wurzeln? Einer Aufklärung, die entweder dezidiert unchristlich war oder ein Verständnis des christlichen Glaubens kultivierte, das dem der heutigen Konfessionen weitgehend widerspricht? Und es handelt sich zweitens um eine Neu-Bestimmung des Sendungsbewußtseins der Christenheit. Läßt sich die Missionspflicht der Christenheit in einer Situation behaupten, in der offensichtlich alles darauf ankommt, daß Nation, Rasse und Religion einigermaßen unbefangen miteinander umgehen lernen? Würde nicht aber die Preisgabe der Missionspflicht zugleich die Preisgabe von etwas dem christlichen Glauben elementar Zugehörigem bedeuten? So zugehörig, daß seine Preisgabe zugleich die Preisgabe dieses Glaubens selber wäre? Es gibt gar nicht ganz wenige theologische Erörterungen, die diese doppelte Problematik in anderen Zusammenhängen aufnehmen. Sie wären eine wesentliche Hilfe für deren Bewältigung als Problematik der UNESCO. Aber diese Spezialisierung auf die Arbeit der UNESCO scheint mir unerläßlich zu sein. Und eine solche Spezialisierung kann sich sachgemäß nicht in einem Monolog der christlichen Theologie, sondern nur in einem Dialog mit den Repräsentanten der UNESCO-Philosophie vollziehen. Die Voraussetzung für einen solchen Dialog — eine produktive Toleranz — dürfte auf Seiten der UNESCO gegeben sein. Und für protestantisches Denken müßte m. E. diese Problematik mindestens die gleiche Dignität bekommen wie die der ökumenischen Bewegung. Audi die Bundesrepublik Deutschland ist, wie erwähnt, obwohl nicht zur U N O gehörig, doch Mitglied der UNESCO. Wie alle Mitgliederstaaten besitzt sie eine Nationalkommission, ,die die Bundesregierung in allen UNESCO-Fragen berät, an der Ausführung des UNESCO-Programms mit-

Evangelische Unterweisung

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wirkt, nationale Körperschaften auf den Gebieten der Erziehung, Wissenschaft und Kultur zur Mitarbeit im Sinne der UNESCO anregt und dem Sekretariat der UNESCO in Paris Empfehlungen (etwa bei der Berufung von Experten) und Berichte (etwa über die Ausführung bestimmter UNESCO-Projekte) zukommen läßt': Die Geschäftsstelle der .Deutschen UNESCO-Kommission* befindet sich in 5 Köln, Komödienstr. 40. Durch diese Geschäftsstelle wird Interessenten Informationsmaterial über die Arbeit der UNESCO und ihrer Deutschen Kommission nachgewiesen, von denen hier nur folgende Drucksachen genannt werden: 1. UNESCO — Aufbau und Programm. 2. Texte (Vereinte Nationen — UNESCO — Menschenrechte), hg. von der Deutschen UNESCO-Kommission 1968. 3. Deutsche UNESCO-Kommission — Satzung (samt Mitgliederliste). 4. UNESCO-Perspektiven der Bildungsplanung, Deutsch, hg. u. eingeleitet v. H. von Recum 1967. 5. Die Katholiken und die UNESCO, hg. vom Internationalen Katholischen Koordinationszentrum bei der UNESCO, Paris, 1962. 6. H. von Recum, Bildungsplanung in Entwicklungsländern — Die Regionalpläne der UNESCO (Einführung und Dokumentation) (Das Pädagogische Forum), 1966. 7. W. Wienert, Art. „Das Bildungswesen der Entwicklungsländer", in: Päd Lex 1222 ff. 8. H. Röhrs, Die Pädagogik im Rahmen der Entwicklungshilfe, in: Z f Päd 5. Beiheft 258 ff. Einen zuverlässigen literarischen Wegweiser bietet: 9. Bibliographie der deutschsprachigen UNESCO-Literatur 1946—1966, hg. von der Deutschen UNESCO-Kommission, 1968. — Man könnte diese Reihe der Bereiche öffentlicher Erziehung noch lange sorge,

fortsetzen.

Heimerziehung,

Industriepädagogik,

Jugendschutz

Landpädagogik,

und

Jugendfür-

Massenmedien,

Heil-

pädagogik, Ostpädagogik und manche anderen Bereiche böten weitere Beispiele für eine gegebene oder aufgegebene Kooperation von E r ziehungswissenschaft und Theologie. W i r müssen hier abbrechen, und tun dies in der Hoffnung, daß die untersuchten Modelle mögliche Prinzipien einer solchen Kooperation (samt ihren Problemen) in verschiedenen Stadien hinreichend deutlichgemacht haben.

§ 22 Evangelische Unterweisung 1. Der Begriff Die Wendung .Evangelische' bzw. ,Christliche Unterweisung' hat zwar eine sehr alte Tradition — sie ist schon in der Reformation da ( 1 , 2 ) — wird aber, wenn man Anachronismen vermeiden will, am

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Bereiche der Erziehung und Bildung

besten von der Antithese her interpretiert, die ihr im modernen Sprachgebraudi zu neuem Leben verholfen hat. Es ist die Antithese gegen einen .Religionsunterricht', der das in bestimmten Zusammenhängen durchaus sinnvolle Abstraktum .Religion* derart zu einem Ersatzkonkretum machte, daß der spezifisch christliche Gehalt dieses Unterrichts mehr oder weniger verloren ging, jedenfalls seine gesetzgebende Gewalt verlor. Ein solcher Religionsunterricht im allgemeinen', der eine Religion der Religionen, ein absolutes religiöses Gefühl wecken wollte, hatte sich als Frucht bestimmter religionsphilosophischer, religionsgeschichtlicher und religionspsychologischer Strömungen des 19. Jh.s entwickelt und schon vor dem ersten Weltkrieg sowohl an Volksschulen wie Höheren Schulen Eingang und eine pädagogisch z. T. hochstehende Pflege gefunden. Die mangelhafte Standhaftigkeit des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen während des sog. Dritten Reiches ist von daher leicht zu erklären: Dieser Religionsunterricht besaß nur noch so wenig christliche Substanz, daß ihm die Unterscheidungsfähigkeit abhanden gekommen war. Voraussetzung für einen wirksamen Widerspruch gegen ihn war der Wandel, der in der evangelischen Theologie durch das Denken Karl Barths und Friedrich Gogartens und die neuere Lutherforschung vor sich gegangen war. Dieser Wandel bestand in einer Überwindung des .kulturprotestantischen Denkens' durch eine neue Konzentration auf den Kern der biblisdien Botschaft. Ebenso strebte die Religionspädagogik, die die Wendung Evangelische bzw. Christliche Unterweisung erneuerte, die Uberwindung eines Religionsunterrichtes an, in dem der christliche Glaube in ein religiöses Kulturgut aufgelöst war. Sagt sie ;Christliche Unterweisung', so begnügt sie sidi damit, den christlichen Charakter dieser Unterweisung eindeutig auszusprechen, sagt sie ,Evangelische Unterweisung', so betont sie darüber hinaus das evangelische Verständnis des Christlichen. Der Kategorie .Unterweisung' kommt keine spezifische Bedeutung zu. Es ist häufig vermutet worden, daß sie eine besondere LehrMethode zum Ausdruck bringen solle, etwa ein besonders feierliches, predigtartiges Dozieren o. dgl. Davon kann aber keine Rede sein. ,Unterweisung' ist für midi entspr. dem heutigen Sprachgebrauch durchaus identisch mit,Unterricht'. Der Gebrauch unserer Wendung hat wohl das Seine dazu beigetragen, daß, soweit ich sehe, der Begriff des Religionsunterrichts im

Evangelische Unterweisung

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alten, d. h. auf eine Religion der Religionen zielenden Sinn nur noch ein sehr abseitiges Leben fristet. Wenn es dennoch heute eine Neigung gibt, an dem Begriff Religionsunterricht festzuhalten, so bedeutet dies keine Rückkehr zu der alten .kulturprotestantischen' Auffassung, sondern hat andere Gründe. Daß Staat und Kulturpolitiker der pluralistischen Gesellschaft den Begriff Religionsunterricht nicht aufgaben, war richtig: Sie haben es immer mit mehreren konkreten Religionen und deren Unterricht zu tun, können also das Abstraktum gar nicht entbehren (5). Wir halten hier an dem Begriff .Evangelische Unterweisung' fest, weil er besonders präzise zum Ausdruck bringt, was wir meinen: den sach-gegründeten evangelischen Unterricht. Es wird ihn und seine Probleme immer geben. Vielleicht nicht immer in den öffentlichen Schulen. Aber gerade wenn sich an diesen öffentlichen Schulen ein Religionsunterricht neuer Art entwickeln sollte, der die Aufgabe der Evangelischen Unterweisung nicht übernehmen zu können meint, so wird die Evangelische Unterweisung neben ihm eine um so größere Bedeutung gewinnen. Die Christenheit wird ihre jungen Glieder gerade dann mit um so größerer Sorgfalt im Evangelium unterweisen, wie sie es immer getan hat und wie sie es tun muß, wenn sie nicht preisgeben will, woran sie durch ihren Glauben in erster Linie gebunden ist: Gott und den Menschen. Und nicht nur ihre jungen Glieder. Je eingeschränkter die Evangelische Unterweisung in der Schule werden sollte, um so intensiver wird die außerschulische für alle Altersstufen werden, auch für die Erwachsenen. Wir haben deshalb hier stets die Evangelische Unterweisung jeder Art, an jedem Ort und f ü r jedes Lebensalter vor Auge, wenn auch die schulische im Vordergrund steht, weil sie in der Bundesrepublik die umfangreichste und problemreichste ist. Im übrigen definiere ich Evangelische Unterweisung hier nur mit dem knappen Satz: Evangelische Unterweisung ist Unterweisung im rechten Umgang mit dem Evangelium. Die nähere Erläuterung dieses Satzes ergibt sich am besten, nämlich am konkretesten durch die folgenden Erörterungen. Zur einschlägigen Begriffsbildung in der Reformation vgl.: 1. F . H a h n , Die Evangelische Unterweisung in den Schulen des 16. Jh.s (Päd Forsch 3), 1957. 2. I. Asheim, Glaube und Erziehung bei Luther — Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Pädagogik (Päd Forsch 17), 1961; bes. Sachregister unter dem Stichwort „Unterweisung" S. 329. — 19

Kittel, E v . Religionspädagogik

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Ober die Diskussion, die der Begriff .Evangelische Unterweisung' nach 1945 hervorgerufen hat, orientiert umfassend, genau und eigenständig kritisch 3. K. E. Nipkow, Evangelische Unterweisung oder Evangelischer Religionsunterricht? (Neue pädagogische Bemühungen 4), 1964 2 . Vgl. außerdem die wichtigen Studien von: 4. E. Hübner, Von der Evangelischen Unterweisung zum Religionsunterricht? in: Wort und Gemeinde — Thurneysen-Festschrift, 1968 und 5. H . D. Bastian, Zwischen Kirche und Schule — Versuch über den evangelischen Religionsunterricht, in: Konzepte für eine neue Schule (Reihe Aktuelle >Pädagogik der Kindergottesdiensthelfer in ihrem Unterricht das Formalstufenmodell praktizieren.

b) Die Sache Es wird sich zeigen, daß es nicht unproblematisch ist, von der .Sache' der Evangelischen Unterweisung zu sprechen, daß man also mit dieser Kategorie Mißverständnisse heraufbeschwören kann. Dennoch scheint sie mir unvermeidlich zu sein. Man muß sich eben nur geduldig über das jeweils Gemeinte verständigen — wie so oft heute, wo uns auch innerhalb von Spezialdisziplinen kein für größere Kreise gültiges Vokabular zur Verfügung zu stehen pflegt —, eine Situation, die mir nicht nur beklagenswert zu sein scheint. Der wichtigste Grund, der m. E. für einen Gebrauch der Kategorie ,Sache' der Evangelischen Unterweisung spricht, ist der, daß sie uns hindert, uns allzuschnell mit der Rede von den ,Stoffen' der Evangelischen Unterweisung zufriedenzugeben. Von Unterrichtsstoffen zu reden, sind wir gewohnt. Aber es zeigt sich auch in anderen Gebieten, daß es nötig ist, auf irgendeine Weise, mit irgendwelchen Kategorien hinter diese Stoffe zurückzufragen. Einfach deshalb, weil diese Stoffe von den hinter ihnen liegenden ,Sachen' ihren Sinn erhalten, Sachen, mit denen sie also nicht identisch sind, wenn auch diese Sachen nicht ohne die betreffenden Stoffe erkennbar oder erfahrbar sein mögen. Wer diese Hinterfragung der Stoffe ablehnt, darf nicht erwarten, wirklich einer Sinngebung seiner Stoffe zu entgehen. Er verliert lediglich die Möglichkeit, diese Sinngebung zu verantworten, und fällt einer unverantwortbaren, meist wirren, weil nicht durchdachten Sinngebung seiner Unterrichtsstoffe anheim. Es sind in dieser Hinsicht heute gelegentlich beängstigende Beobachtungen zu machen. Man hält sich, um, wie dann meist gesagt wird,

Evangelisdie Unterweisung

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so nüchtern wie möglich zu sein, an die .gegebenen Stoffe' und durchschaut nicht, daß schon die Auswahl dieser Stoffe Rudimente von Sinngebungen enthalten. Vollends verwandeln dann die Tradition oder die Gegenwartstrends, denen man sich in der Stoffb e h a n d l u n g mehr oder weniger bewußt — meist recht unbewußt — anpaßt, die angestrebte Nüchternheit in einen bloßen Verlust an Orientierung über die geistige Situation, in der man sich befindet. Natürlich kann man statt von der Sache eines Unterrichts auch etwa von seinem .Gegenstand' reden oder noch andere Kategorien gebrauchen. Unproblematisch scheint mir von den heute gebrauchten keine zu sein. Jede erfordert, daß man den in ihre liegenden Möglichkeiten zu Mißverständnissen sorgsam vorbeugt. Man tut dies wohl am besten, indem man so genau, wie man es vermag, sagt, was die jeweils gemeinte Sache, der jeweils ins Auge zu fassende Gegenstand sind. Wie steht es also mit der ,Sache' der Evangelischen Unterweisung? Ich formuliere gern: Sie ist das Evangelium. Damit ist immerhin zweierlei sofort deutlich gemacht: Alle die auf den ersten Blick so disparaten Stoffe der Evangelischen Unterweisung — Altes und Neues Testament, kirchengeschichtliche Quellen und Darstellungen, dogmatische und ethische Lehren, die Lieder der Kirche, aber auch Dokumente und Erläuterungen nichtchristlicher Religionen usw. — haben einen einzigen Beziehungspunkt, von dem her und auf den hin sie ausgelegt werden; sie sind nicht mehr verschiedenen unter bestimmten andersartigen Voraussetzungen durchaus sinnvollen Deutungsmöglichkeiten ausgesetzt, sondern reden in der Evangelischen Unterweisung alle, so unterschieden sie nach Form und Inhalt, zeitlichem und personellem Herkommen und nach ihren ursprünglichen Absichten sein mögen, von ein und derselben Sache. Und das andere, was durch unsere Formulierung sofort klargestellt ist: Diese Sache ist das Zentrum der christlichen Botschaft; es ist also nicht mehr unentschieden, ob die einheitliche Sinngebung der Stoffe dieses Unterrichts allgemein-religiöser N a t u r ist, sondern diese Sinngebung wird in aller Entschiedenheit christlich bestimmt. Natürlich kann man nun aber diese ,christliche' Bestimmung der Sache der Evangelischen Unterweisung noch mannigfach mißverstehen. Ich arbeite deshalb das mit der Vokabel Evangelium Ge-

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Bereiche der Erziehung und Bildung

meinte zunächst in Auseinandersetzung mit den wichtigsten dieser Mißverständnisse noch etwas genauer heraus. Voran muß stehen: Das hier gemeinte Evangelium ist nicht identisch mit einem bloßen Ereignis der Vergangenheit. Es ist mit einem solchen Ereignis unlöslich verbunden, ruht ganz und gar auf dem Ereignis Jesus, das sich im 1. Jh. in Palästina ereignete. Aber es ist in diese Vergangenheit nicht eingefangen, sondern eine jetzt und hier an Lehrer und Schüler ergehende Anrede Gottes geworden. Damit ist zugleich gesagt, daß das hier gemeinte Evangelium nicht identisch ist mit einer bestimmten theologischen Lehrformel, also z. B. der sog. Rechtfertigungslehre. Dies Evangelium bringt solche theologischen Formeln hervor, indem es seine Gläubigen nötigt, Ursprung, Herkommen und gegenwärtige Verantwortlichkeit ihres Glaubens zu klären. Aber es geht nie in diese Formeln ein, so daß es mit ihnen — sie haben immer nur ein begrenztes Leben — sterben könnte, sondern ist ihr Seinsgrund von unerschöpflicher Fruchtbarkeit. Und mit diesem beiden ist schließlich auch gesagt, daß das hier gemeinte Evangelium kein moralisches Prinzip ist. Es ist kein Zweifel, daß dieses Evangelium das Verhalten seiner Gläubigen immer tief beeinflußt hat und auch heute beeinflußt. Aber es ist selbst gerade kein Gesetz, sondern eben Evangelium, nämlich eine Hilfe, die dem Menschen in seinem — als unvermeidlich angesehenen — Sdieitern am Gesetz zurechthilft. Versucht man nun über dies alles hinaus und dies alles ausweitend die ,Sache' Evangelium auch rein positiv noch etwas präziser zu fassen, so kommt man zunächst auf die Gleichung: Die ,Sadie' Evangelium ist identisch mit der ,Person' Jesus Christus. Er, der nicht nur war, sondern auch ist, der nicht nur über das Heil spricht, sondern das Heil bringt, der nicht neue Forderungen Gottes äußert, sondern schrankenlose Vergebung realisiert, ist der zentrale Gegenstand, um den es in der Evangelischen Unterweisung geht. Aber was heißt dies nun konkret? Soll die Evangelische Unterweisung ein Lebensbild Jesu entwerfen, in dem sie dann die ,Person' Jesus Christus hat. Dann müßte sie mit den Evangelien als Stoff auskommen; wozu dann überhaupt die anderen Stoffe? Oder soll die Evangelische Unterweisung aus den verschiedenen Zeugnissen von Jesus Christus in den biblischen, kirchengeschichtlichen, frömmigkeitsgeschichtlichen und dogmatisch-ethischen Stoffen ein ,inne-

Evangelische U n t e r w e i s u n g

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res' oder .visionäres' Bild Jesu Christi .erwecken', das dann dessen Person repräsentiert? Die Reihe der Versuche, das eine oder andere zu tun, reidit bis ins neutestamentlidie Zeitalter zurück und ist bis heute keineswegs abgebrochen. Und doch mißverstehen sie alle, was eine lebende Person — und um eine solche soll es sich ja handeln — ausmacht. Eine lebende Person läßt sich nicht als ,Bild' entwerfen. Sie ist überhaupt nicht willkürlich zu beschwören, sondern erschließt sich nur selbst, in dem Maße, in dem sie will, und zwar im Wort. So auch Jesus Christus. Freilich hat es mit ihm, seiner Person, seinem Wort, dann noch etwas Besonderes auf sich. Er beansprucht nicht einfach, er selber zu sein, sondern in seiner Person, mit seinem Wort, Gott zu erschließen. Nur wer ihn, sein Wort auf diesen Anspruch hin hört, hört ihn also sadi- d. h. person-gemäß. Ob er ihn dann wirklich vernimmt, ist eine zweite, andere Frage. Sie kann negativ beantwortet werden. So bliebe nur noch zu bedenken, wie und wo dieser Jesus Christus redet. Die Christenheit antwortet, solange sie besteht: durch die Hl. Schrift alten und neuen Bundes, in ihr. Damit wird endgültig deutlich, daß die Sache, um die es hier geht, dies Evangelium, nie unmittelbar zu haben ist, weder im Bilde des historischen Jesus, noch im inneren oder visionären Bild des Heilandes oder wie immer er dann heißen mag. Dies Evangelium ist zwar der Christus, aber ein Christus, der von dem geschichtlichen Jesus nicht abzulösen ist und also immer nur mittelbar zum Menschen spricht. ,Das Wort ward Fleisch' ist die entscheidende Charakteristik dieses Evangeliums und wer sie, weil sie ihm ärgerlich ist, umgehen möchte, umgeht die Sache selbst. Damit steht dann die schwere Aufgabe vor uns, wenigstens für die großen Textgruppen der Evangelischen Unterweisung zu konkretisieren, was es heißt, sie als Mittler-Texte des Evangeliums zu unterrichten. Wir können auch diese Aufgabe hier nicht wirklich ausführen, sondern nur die Problemstellungen etwas genauer umreißen. Freilich ist auch dieses begrenzte Vorhaben noch so anspruchsvoll, daß wir es hier ausgliedern und einem besonderen Kapitel vorbehalten müssen. Nur dies eine soll jetzt schon gesagt werden: Wir können uns diesen Texten nur zuwenden mit einem Bewußtsein, das einerseits von kirchlicher und theologischer Problematik — die wiederum von einer langen Tradition abhängig ist — geprägt und bewegt wird,

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andererseits mehr oder weniger von der tiefgreifenden Fremdheit bestimmt ist, die die biblische Sprache für uns als Kinder der säkularisierten Welt gewann. Das aber bedeutet — und deshalb durfte dieser Hinweis nicht fehlen —, daß auch die von uns hier vorgenommene Bestimmung der Sache der Evangelischen Unterweisung, unserer Zeit verhaftet ist. Vor 100 Jahren hätte sie anders gelautet, und unter gründlich verwandelten Bedingungen der Zukunft wird sie wiederum anders formuliert werden. Für die Problematik dieses Abschnittes ist die umfangreiche neuere Literatur zum Thema Hermeneutik wichtig. Ich nenne hier nur: 1. G. Ebeling, Art. „Hermeneutik", in: R G G 3 III 2 4 2 ff. Vgl. außerdem: 2. M. Wagenschein, Verstehen lehren, 1968 und die § 22,3 b angegebene Literatur. Zur Problematik der „Sache" in der Evangelischen Unterweisung vgl. auch den Abschnitt „Die Wissenschaftlichkeit Evangelischer Unterweisung" § 22,7 b.

c) Die Unterrichtenden Verantwortlich dafür, daß diese Sache im Unterricht zur Sprache und durch diese zur Geltung komme, ist vor allem der Unterrichtende. Er ist es nicht allein, aber er ist es doch auf eine besonders anspruchsvolle Weise. Darin kommt gewiß eine Regel zum Ausdruck, die für diesen Unterricht zu allen Zeiten galt. Aber heute ist diese Verantwortlichkeit besonders hoch gespannt. Die Gründe werden hoffentlich verständlich werden. Wer heute Evangelische Unterweisung erteilt, sieht sich von einer Fülle von Selbstverständlichkeiten verlassen, die diesen Unterricht einmal sehr viel leichter machten. Dabei ist es gleich, ob wir die biblische Geschichten erzählende Mutter oder Kindergärtnerin als Unterrichtende vor Augen haben oder den Religionslehrer aller Schularten oder den Pfarrer im Konfirmandenunterricht und in der Bibelstunde oder den Theologen auf dem Hochschulkatheder. Die wichtigste dieser verlorenen Selbstverständlichkeiten, die wir hier nicht aufzählen können, war, daß es überhaupt ein solches umfassendes System .christlichen Unterrichts' als nicht fortzudenkendes Element des staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens gab. Heute ist keine Christliche Unterweisung mehr selbstverständlich. Da, wo ihre Fundamentalform ihr Leben hat, in der Familie

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nämlich, ist sie weitgehend ausgestorben. Im übrigen existiert sie fast nur noch in offiziellen, d. h. von Institutionen organisierten Formen, denen samt und sonders, laut oder leise, seit langem die Frage nach ihrer Existenzberechtigung gestellt ist. Das gilt für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen genauso wie für den Konfirmandenunterricht, die Bibelstunde und andere kirchliche Unterrichtsveranstaltungen. Und das gilt auch für den Unterricht der Theologischen Fakultäten, wenngleich sich hier jene Frage erst selten und dann meist versteckt anmeldet (vgl. § 21, 7). Und dies ist so, weil es nicht mehr selbstverständlich ist, daß die christliche Kirche ein integrierender Bestandteil der Gesellschaft oder wenigstens die christliche Überlieferung unproblematischer Bestandteil des modernen Bewußtseins ist. Wer also heute Christliche Unterweisung erteilt, tritt in ein geistiges Spannungsfeld ein, in dem sich zu behaupten ihm schon deshalb schwerfallen muß, weil er hier nicht mehr von der allgemeinen Überzeugung getragen ist, daß er, ganz abgesehen davon, wie er seine Sache vertritt, überhaupt etwas Sinnvolles tut, wenn er sidi für diese Sache starkmacht. Man kann die Bedeutung dieser Tatsache schwerlich hoch genug einschätzen. Der in der christlichen Unterweisung Unterrichtende entbehrt heute einer ihn tragenden Kraft der Zustimmung seiner Umwelt in einem solchen Maße, daß die von ihm geforderte eigene Kraft-Anstrengung um ein Vielfaches größer ist, als sie es unter entgegengesetzten Voraussetzungen einmal zu sein brauchte und in anderen Gebieten noch heute zu sein braucht. Und zu dieser ihm auferlegten Entbehrung kommen dann noch die spezifischen Anforderungen seiner unterriditlichen Aufgabe, die ihrerseits wieder durch die geistige Situation der Zeit höchst kompliziert wurde. Die christlichen Religionslehrer aller Arten sind also heute wirklich einer ungemein anspruchsvollen Situation ausgesetzt. In der härtesten Weise wohl die Religionslehrer der öffentlichen Schulen. Daß es Väter und Mütter, die ihren kleinen Kindern biblische Geschichten erzählen und mit den Heranwachsenden ein Glaubensgespräch aufnehmen, leichter haben, liegt auf der Hand. Aber auch die Träger des innerkirchlichen Unterrichts sind geschützter, d. h. aber weniger hart beansprucht, wobei hier dahingestellt bleiben muß, ob bzw. wieweit der Schutz, den sie genießen, nicht aus Illusionen besteht, also eines Tages aufhören kann. Wirklich schutzlos

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aber sind heute der ganzen Rauheit des Klimas, in das die Christliche Unterweisung geraten ist, die Männer und Frauen preisgegeben, die diesen Unterricht an unseren Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Berufsschulen usw. erteilen. Ihre Lage soll deshalb noch etwas genauer analysiert werden. Und zwar so, daß sie als didaktisches Exempel auch für die anderen Kategorien der Evangelische Unterweisung Erteilenden gelten können. Die erste Großmacht, mit deren Anspruch sie sich konfrontiert sehen, ist die Wissenschaft, und zwar gleich in doppelter Gestalt. Der theologischen Wissenschaft können sie bei der Erschließung der ihnen aufgegebenen Lehrtexte nicht entraten. Und die Erziehungswissenschaft entläßt sie nicht aus der Erwartung, daß auch ihre Evangelische Unterweisung den pädagogischen Maßstäben entspricht, die für alle ,Fächer' dieser Schule von der wissenschaftlichen Pädagogik gesetzt werden. Beide Wissenschaften aber sind heute in einem Zustand, in dem sie für den Unterrichtenden nicht einfach nur Hilfe sind. Beide bieten sie dem Religionslehrer nicht nur ,Handreichungen', die ihm über die vielen Schmerzlichkeiten seines Unterrichtes hinweghelfen, sondern beide beladen ihn mit Problemen, die er ohne sie nicht hätte und denen er doch nur um den Preis der Wahrhaftigkeit ausweichen kann; ein Preis, der, wird er gezahlt, den ganzen Unterricht des Zahlenden unglaubwürdig und dadurch fruchtlos, also sinnlos macht. Inwiefern dies von der Theologie gilt, ist heute weitgehend durchsichtig geworden und wird in großem Umfange anerkannt. Aber es gilt eben auch f ü r die Erziehungswissenschaft, was weniger gesehen und bejaht wird. Noch immer genießt die Evangelische Unterweisung weitgehend den Ruf — der mehr oder weniger ins Bewußtsein zu treten pflegt —, daß, wer ein so heiliges Geschäft betreibe, sich von der Pädagogik unbefleckt halten könne, dürfe, müsse. So, wie gewisse fromme Heilkundige meinen, um ihres Glaubens willen der medizinischen Wissenschaft entbehren zu können und doch nur Quacksalber werden. Es gibt auch eine pädagogische Quacksalberei. Sie ist in unseren öffentlichen Schulen besonders bei den Evangelische Unterweisung erteilenden Theologen reichlich vertreten und beweist auf ihre Weise, daß man auch den Anforderungen der Erziehungswissenschaft nicht ungestraft ausweicht. Vollends kompliziert wird das Bild der geistigen Situation des Religionslehrers an öffentlichen Schulen, wenn man sich deutlich

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macht, daß er sein Verhalten zu diesen Wissenschaften nicht ungestört bzw. unbeeinflußt von anderen Mächten ordnen kann, die ihrerseits Anspruch auf ihn und also auch auf die Art erheben, in der er seinen Umgang mit seiner Wissenschaft regelt. D a ist z. B. der Staat. Der Religionslehrer an öffentlichen Schulen ist Staatsbeamter oder, wo das nicht der Fall ist, doch an Richtlinien gebunden, die der Staat in K r a f t setzt und deren Beachtung der Staat überwacht. Gewiß entwirft der Staat diese Richtlinien nicht. Aber er wird bestimmt dafür Sorge tragen — auf welche Weise auch immer —, daß der von ihm legalisierte Religionsunterricht als .ordentliches Lehrfach' der öffentlichen Schule den ,Anforderungen der modernen Wissenschaft' unterworfen wird, da dies ein Gesetz der öffentlichen Schule ist. Also muß der Religionslehrer seine Auseinandersetzungen mit der modernen Wissenschaft seines Faches immer auch vor dem Staat verantworten, und dieses Faktum ist wirksam, auch wenn von staatlicher Seite kein direktes Wort der Weisung fällt. Man macht es sich zu einfach, wenn man meint, sich ,einfach' an das Grundgesetz halten und dessen Bestimmung, daß ,der Religionsunterricht unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes in Ubereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird' (Art. 7 Abs. 3), so auslegen zu können: Die Kirche bestimmt den Inhalt und der Staat die Form. Was heißt hier schon Form? Indem der Staat seine öffentlichen Schulen aller Grade auf die Grundlagen der fach- und erziehungswissenschaftlichen Entwicklung stellte und den Religionsunterricht ausdrücklich (.ordentliches Lehrfach') diesem Prinzip einordnete, hat er eine Entscheidung getroffen, die selbstverständlich auch den Inhalt dieses Unterrichts nicht wenig berührt. Vielleicht noch nachhaltiger als staatliche, wirken gesellschaftliche Kräfte komplizierend auf die geistige Situation des Religionsunterrichtes ein. Und zwar nicht obwohl, sondern gerade, weil sie weniger greifbar zu sein pflegen. Was bedeutet nicht allein das Selbstbewußtsein dieser Gesellschaft, eine wissenschaftliche Zivilisation zu repräsentieren, in der entweder überhaupt keine Religion mehr oder doch nur eine wissenschaftlich verantwortete Platz hat, für die innere Lage des Religionslehrers! Und hierzu kommen die vielen gesellschaftlichen Traditionen und Willenstendenzen, die ihn als Glied seines Berufsstandes, als Adept bestimmter akademischer Uberlieferungen, als — in irgendeinem Sinne — Beauftragten der Eltern

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seiner Kinder, als von regionalen und anderen Gewalten auch speziell Abhängigen zu bestimmen bemüht sind und unausweichlich bestimmen. Aber nicht nur das. Zu diesen Kräften bzw. Mächten, die f ü r jedweden Unterricht von Bedeutung sind, kommt für den Evangelische Unterweisung Erteilenden noch eine geistige und institutionelle Kraft hinzu, die ihrer Eigenart aber auch ihrer Mächtigkeit wegen hier eine gesonderte Nennung erfordert: die Kirche. Ihr ausdrücklicher Anspruch, aber auch ihr unausdrücklicher Einfluß komplizieren Anspruch und Einfluß der anderen genannten Mächte dadurch, daß sie diese alle zu überlagern und zu durchdringen vermögen, ohne selbst eindeutig zu sein. Kirchlicher Anspruch und Einfluß bringen sich laut oder leise, stark und sichtbar, oder still und unscheinbar auf allen Ebenen und an allen Orten der Existenz des Religionslehrers zur Geltung, und zwar — mindestens auf evangelischer Seite — mit einer äußerst gedehnten Skala von Meinungen und Direktiven, die von einer jede Unterschiede verwischenden Anpassung an die Gegenwartsgesellschaft bis zu einer bewußten Separation von dieser reichen. Und zwar nicht nur in dem Sinn, daß sie den Religionslehrer als Kind unserer Zeit und Welt erreichen und bestimmen, sondern auch im Sinne eines unmittelbaren Einflusses auf seinen Unterricht. Beim Entwurf von Richtlinien f ü r den Religionsunterricht sind Vertreter der Kirche mit besonderem Schwergewicht vertreten; Lehrbücher dieses Faches bedürfen eines kirchlichen Plazets; auch bei der Ausbildung der Religionslehrer ist eine kirchliche Mitwirkung vorgesehen; und selbst Anstellung und Amtsführung des Religionslehrers kennen — im einzelnen sehr verschiedene — Formen einer Beteiligung kirchlicher Dienststellen. Und man kann nicht sagen, daß dies alles Relikte der geistlichen Schulaufsicht seien. Vielmehr handelt es sich meist um redliche Versuche, der Realität gerecht zu werden, daß es keine christliche Unterweisung ohne Kirche gibt, daß diese Unterweisung eine Lebensäußerung der Kirche darstellt. Aber gewiß: Etliche dieser Versuche waren und sind von kräftig entwickelter klerikaler Natur. Doch ob das eine oder das andere gilt: Für den Religionslehrer sind Anspruch und Einfluß der Kirche auf den von ihm erteilten Unterricht eine erhebliche Komplizierung der ihm hier gestellten Aufgabe. Abwägen, ob in diesem oder jenem Falle der theologischen Wissenschaft der Vorrang vor bestimmten ihr entgegenstehenden kirchlichen Traditionen zu geben ist, ob gewissen staatlichen Intentionen (vertreten

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etwa durch die Schulverwaltung) mehr als gewissen kirchlichen (vertreten etwa durch Elternschaften) nachzugeben ist, ob es verantwortet werden kann oder muß, in den Kindern aus kirchlicher Uberlieferung stammende Vorstellungen überlegt aufzulösen (in wessen Namen?) und durch neue (wer garantiert für ihre Überlegenheit?) zu ersetzen — diese und ähnliche Fragen können Belastungen ungewöhnlicher Art ergeben. Man könnte diese Belastungen auch als ein Sondermaß an Entscheidungen definieren, die dem Religionslehrer abgefordert werden. Das betont einerseits die Schwere gerade dieses Amtes, über die mit billigen Argumenten hinwegzureden zwecklos ist. Das gibt aber auch einen Hinweis auf Parallelen, die zeigen, daß und wie solche Belastungen produktiv getragen werden können. Der Lehrer jedes Unterrichtsgebietes trägt vergleichbare Lasten, insofern auf jedem dieser Gebiete vergleichbare Entscheidungen zu treffen sind. Das gilt für die sog. geisteswissenschaftlichen Fächer ebenso, wie für die naturwissenschaftlichen und selbstverständlich auch für die — genau genommen — so anspruchsvollen Gebiete des wenig gefächerten Elementarunterrichts der Schulanfänger. Und es zeigt sich, daß die auf all diesen Gebieten geforderten Entscheidungen der Lehrerexistenz zwar einen ganz spezifischen Ernst geben, aber diese doch nicht zerstören. Wie werden sie bewältigt? Dadurch, daß der Unterrichtende seinen Bezug zu den Sachen oder Gegenständen der jeweiligen Fachgebiete in Anspruch nimmt und von dieser Sach-Nähe, samt den mit ihr gegebenen Einsiditen, aus Urteile und Verhaltensweisen riskiert. Absichtlich wähle ich diese Vokabel, um so deutlich wie möglich zu machen, daß es sich hier insofern um edite Entscheidungen handelt, als sie nie die Garantie ihrer Richtigkeit bei sich tragen, sondern gewagt werden müssen. Das Sondermaß an Entscheidungen, die dem Religionslehrer abgefordert werden, macht seine Existenz also sicher besonders ernst, ist aber doch tragbar. So kompliziert die ihm abgeforderten Entscheidungen sein mögen: Immer hat er die Chance, seine unmittelbare Relation zur Sache zu mobilisieren und aus dieser heraus getrost sein Urteil zu formulieren und sein Verhalten zu bestimmen. Diese .unmittelbare Relation' besitzt jeder Christ. Sie ist gewiß nie unvermittelt. Aber das Ergebnis ihrer Vermittlung ist eben ihre dann mögliche, sich jeweils neu ereignende Unmittelbarkeit. Da es sich bei der hier zur Rede stehenden Sache, wie wir 20

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bereits sahen, um eine Person handelt, ist es vielleicht hilfreich, sich diese Realität der vermittelten Unmittelbarkeit einen Augenblick am Verhältnis zwischen menschlichen Personen zu verdeutlichen. Keines dieser Verhältnisse ist unvermittelt. Nur wo Mittler (Aussagen jeder Art) mir ein Gegenüber vermitteln, kann durch sie eine Beziehung zwischen mir und diesem Gegenüber gestiftet werden. Aber diese Beziehung lebt dann, ist sie einmal da, aus sich selbst. Es ist kein Trug, daß ich mit meinem Gegenüber selbst verbunden bin, nicht nur mit seinen Hervorbringungen, durch die ich ihn erkannte und durch die ich zu ihm fand. Er selber ist mir verbunden und an ihn selbst kann ich mich, solange unser Verhältnis besteht, wenden. In diesem Sinne schenkt auch die vermittelte Unmittelbarkeit des Religionslehrers zu Jesus Christus, das vermittelt-unmittelbare Hören-Können des Wortes, in dem dieser Jesus Christus sich selbst ihm gibt, diesem Religionslehrer die Freiheit, die in seiner Arbeit notwendigen Entscheidungen zu wagen. Dabei meint also Freiheit sowohl das Befreitsein von der Wirrsal der vielen, sich allzuoft kreuzenden an ihn gerichteten Anforderungen, wie das Freigeworden-Sein zu dem Mut, einen vom Evangelium inspirierten Weg zu versuchen. Exkurs: Der evangelische evangelischen Kirchen.

Religionslehrer

und die Ordnungen

der

Damit sind schließlich auch die Voraussetzungen gewonnen, ein Problem sachgemäß aufzunehmen, das zwar ,nur' organisatorischer Art ist, aber dennoch besondere Aufmerksamkeit verdient, weil es die Religionslehrerschaft seit langem gerade nicht nur äußerlich erheb lieh beunruhigt: das Problem der richtigen institutionellen Regelung von kirchlicher Beauftragung mit der Evangelischen Unterweisung und kirchlicher Überwachung derselben. In gewissem Umfange ist dies Problem übrigens paradigmatisch auch für andere Abhängigkeiten des Lehrers an öffentlichen Schulen. Daß der Unterrichtende, wenn er Evangelische Unterweisung in dem hier entwickelten Sinn erteilt, in jener kirchlichen Uberlieferung steht, die bis ins Neue Testament zurückgeht, liegt auf der Hand. Daß seine eigene Beziehung zum Evangelium, die ihn diesen Unterricht erteilen läßt, nicht ohne lebendige Gegenwartszeugen zustande kam, ebenfalls. Und schließlich ist auch ohne weiteres einsichtig, daß er das Leben der Kirche Christi fortsetzen hilft, wenn er Evangelische Unterweisung erteilt. Mit anderen Worten: Der evangelische

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Religionslehrer ist mannigfach in zwingender Weise mit der Existenz der Kirche Christi verknüpft. Muß diese Tatsache auch einen Ausdruck in bestimmten institutionellen Bindungen an die jeweils zuständige evangelische Landeskirche finden? Insbesondere: Muß eine förmliche kirchliche institutionelle Beauftragung mit der Evangelischen Unterweisung stattfinden, und muß eine kirchlich-institutionelle Beaufsichtigung derselben eingerichtet werden? Bekanntlich sind diese Fragen in den evangelischen Landeskirchen der Bundesrepublik außerordentlich verschieden beantwortet worden. Die Arten dieser Antworten reichen von dem bewußten Verzicht auf individuelle Beauftragung bis zur feierlichen Vokation nach besonderem liturgischen Formular samt anspruchsvoller Bekenntnis-Verpflichtung und von der Verwandlung der kirchlichen Aufsicht in ein von Schulmännern getragenes System der Hilfen bis zu einem anvisierten, wenn auch — nach meiner Übersicht — nicht praktizierten, kirchlichen Kontrollsystem. Rechtlich hat man sich dabei meist an Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes orientiert, d. h. dessen Bestimmung zu realisieren gemeint, daß ,der Religionsunterricht in Ubereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird'. Uberblickt man die praktische Entwicklung dieser Versuche nach 1945, so darf Folgendes festgestellt werden: Fruchtbare, d. h. die Evangelische Unterweisung fördernde Formen der Beziehung zwischen Reliigionslehrer und landeskirchlichen Verwaltungen haben sich nur dort entwickelt, wo man den Religionslehrer als mündigen Christen ernst nahm, der nach evangelischem Verständnis seine Evangelische Unterweisung in eigener, d. h. auch selbstregulierter Verantwortung vor der evangelischen Gemeinde erteilt, und der, weil er eine für die Gemeinde so wichtige Funktion ausübt, auch einen Anspruch auf Beteiligung seiner Vertreter an der Kirchenleitung und an der kirchlichen Verwaltung besitzt. Verpflichtungen auf tradierte kirchliche Bekenntnisse haben nur mit äußerster Mühe so interpretiert werden können, daß sie nicht als kaudinisches Joch empfunden wurden. Vokations-Liturgien nach besonderem Formular sind im großen und ganzen nur als feierliche Demonstrationen der auferlegten bzw. eingegangenen Verpflichtungen empfunden worden. Und die Versuche, landeskirchliche Kontrollen der Evangelischen Unterweisung zu errichten, sind, wie ich schon andeutete, im allgemeinen einfach gescheitert. Ob die progressiven oder die restaurativen Lösungsversuche in der Gesamtheit der westdeutschen Landeskirchen überwiegen, wage ich nicht zu entscheiden. Eindeutig scheint 20»

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mir heute nur zu sein, daß nicht ganz wenige landeskirchliche Amtsstellen gerade auf diesem Gebiet keine wirklich reformatorischen Maxime ihres Handelns entwickelt haben, obwohl man nicht sagen kann, daß sie nicht deutlich und rechtzeitig darüber unterrichtet worden seien, wie man der Versuchung der durch das Jahr 1945 eingeleiteten Ära auf wirklich evangelische Weise entgeht — wovon in anderem Zusammenhang noch genauer zu sprechen sein wird (§ 23,1). Ebenso eindeutig aber dürfte Folgendes sein: Den von der Sache gegebenen, d. h. durch die Sache, also das Evangelium, realisierten Beziehungen zwischen dem Evangelische Unterweisung Erteilenden und der Kirche können offensichtlich befriedigende, d. h. nach Einsicht aller Beteiligten fruchtbare Lebensformen gegeben werden. U n d zwar lassen sich an den positiven Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit drei besonders wichtige Merkmale solcher Lebensformen ablesen, die zugleich Bedingungen ihres Werdens sind: Die kirchlichen Instanzen haben sich selbst als Bringer von Freiheit zu begreifen. Denn sie stehen ja nicht f ü r die Interessen ihrer Behörde, sondern f ü r das Evangelium. Das Evangelium aber ist das Gegenteil des Gesetzes. Durchaus ähnlich wie 1945, wenn auch in ganz anderen Formen, ist jeder Lehrer heute von mannigfachen Unfreiheiten bedrängt. Kirchliche Instanzen können, wie bestimmte Erfahrungen von 1945 zeigen, durchaus wirksame Anwälte der Freiheit der Lehrerschaft sein. Absichtlich sage ich der Lehrerschaft und nicht der Religionslehrerschaft. Kirchliche Stellen, die nicht f ü r die Freiheit jedes Lehrers tätig sind, auch dessen, der nicht Religionslehrer oder gar Atheist ist, werden unglaubwürdig. Ebenso unglaubwürdig werden sie natürlich, wenn sie dem Lehrer zwar ,weltliche' Freiheit zu verschaffen, ihm aber zugleich ,kirchliche' Unfreiheit aufzuerlegen bemüht sind. Ferner: Innerkirchliche Freiheit des Religionslehrers hat seine Eigenverantwortlichkeit — wohlgemerkt: Eigenverantwortlichkeit vor der Kirche Christi — f ü r seinen Unterricht zu bedeuten. Kirchenbehördlichen Instanzen k o m m e n solange keine Rechte in Sachen Evangelischer Unterweisung zu, solange diese Rechte nicht von Vertretern der Religionslehrerschaft wahrgenommen werden, die vollgültige Mitglieder der kirchlichen Leitungs- und Verwaltungsorgane sind. Der gegenwärtige Zustand, daß Religionslehrer aller Sparten — die Theologieprofessoren sind einzubeziehen — bestenfalls in den kirchlichen Parlamenten, nicht aber in der kirchenamtlichen Exeku-

Evangelische U n t e r w e i s u n g

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tive vertreten zu sein pflegen, ist unheilvoll. Und zwar nicht nur für den Religionslehrer, sondern auch für die kirchlichen Leitungsund Verwaltungsorgane, die planmäßig in die Rolle der Wächter über die Lehre der Kirche gedrängt werden — eine Rolle, die ihnen theoretisch nicht zusteht und praktisch ihre Kräfte weit zu übersteigen pflegt. U n d schließlich: Die jeweils zu sdiaffenden Ordnungen sollten vom Mut zur Uneinheitlichkeit und zur Beweglichkeit bestimmt sein. Gewiß hat auch auf diesem Felde der simple Grundsatz ,Ordnung muß sein* seine Bedeutung. Aber es liegt kein Anlaß vor, Ordnungen dieser Art zu uniformieren. Die jeweils herrschenden Traditionen und sonstigen Voraussetzungen sind zu mannigfaltig, als daß strenge Einheitlichkeit auch nur in einem größeren kirchlichen Verwaltungsbezirk, geschweige denn in einer Landeskirche förderlich erscheinen könnte. Außerdem ändern diese Voraussetzungen sich in schnellerem oder langsamerem Tempo, so daß die zu schaffenden Ordnungen zweckmäßig so locker gefaßt und gehandhabt werden, daß es nicht allzu schwierig ist, sie einer veränderten Lage gerecht werden zu lassen. Im übrigen dürfte es auch hier ein guter Grundsatz sein, das Leben immer seiner Ordnung vorangehen zu lassen. Stets und überall wird es im evangelischen Bereich sinnvoll sein, die Ordnung des geistlichen Lebens diesem nachhinken zu lassen. Zum Schluß sei das Ganze noch einmal mit folgender Frage auf seine Kernproblematik zurückgeführt: Bedarf es in dieser Sache überhaupt organisatorischer Regelungen? Man könnte darauf einfach antworten, daß es kein Leben ohne Lebensform gibt und also auch kein Leben Evangelischer Unterweisung ohne Lebensform der in ihr immer neu realisierten Beziehungen des Unterrichtenden zur Kirche Christi. Vielleicht aber kann man diese Wahrheit noch ein wenig dadurch präzisieren, daß man nach der spezifischen Art dieser Beziehungen fragt. Da diese Beziehungen vom Evangelium bestimmt sind — bzw. solange sie von diesem Evangelium bestimmt sind — vollzieht sich in ihnen immer auch jenes Offenbar-Werden des Scheiterns in der Evangelischen Unterweisung, das von keiner Kunst der Verschleierung mehr zu beherrschen ist. In dieser Situation erbarmungsloser Enthüllung der Ankunft am Ende der eigenen Kunst gibt es nur eine Möglichkeit der Fortsetzung Evangelischer Unterweisung: das Trauen auf den Sinn des Auftrages, der den Unterrich-

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tenden aus der Sache, also aus dem Evangelium heraus, also von Jesus Christus her erreicht — Erbarmen mitten in der Erbarmungslosigkeit. U n d dieses Erbarmen üben andere Christen an dem Gescheiterten, Christen, die ihm diesen Auftrag zusprechen und ständig erneuern. Ein solcher Zuspruch ist selbstverständlich ohne institutionelle Form möglich und geschieht auch ständig ohne sie. N u r die Öffentlichkeit', die ,Amtlichkeit' der Evangelischen Unterweisung, ihr Charakter als ,ordentliches Lehrfach der Schule* drängt gelegentlich über die persönliche Weise jenes Zuspruches hinaus zur ,öffentlichen', amtlichen', ,ordentlichen* Form desselben. Und ich kann nur sagen: mit Recht. Denn geängstigte Gewissen brauchen gelegentlich — und für wen kämen solche Gelegenheiten nicht immer wieder — diese Form anerkannter Gültigkeit, in denen andere Christen ex officio für sie eintreten. Natürlich müssen diese Formen die Merkmale ihrer Evangelizität tragen, von denen die Rede war. Daß Landeskirchenleitungen oder -behörden ein immerwährendes unabdingbares Recht auf solche institutionelle Form hätten, könnte ich dagegen nicht zugeben. Das übliche Argument: Sie müßten doch dafür sorgen, daß ,kein anderes Evangelium' durch die Evangelische Unterweisung verbreitet wird, scheint mir nicht stichhaltig zu sein. Es gibt keine kirchenamtlich handhabbaren Formeln für das wahre Evangelium, mit deren Hilfe man die Evangelische Unterweisung davor bewahren könnte, Irrlehre zu verbreiten. Genau so wie es solche Formeln offensichtlich für die Predigt nicht gibt. In kritischen Situationen und in für das wahre Evangelium gefährlichen Entwicklungen gibt es als Hilfe nur den Erweis des Geistes und der Kraft durch einzelne Christen und christliche Gemeinden. Kirchenbehörden sind in und von diesen Situationen und Entwicklungen nicht gefragt. Im übrigen kann nur noch einmal mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß das herkömmliche Fehlen von Repräsentanten des Lehramtes in den Leitungen und Behörden von Kirchen, die sich aus der Reformation herleiten, eine seltsame Anomalie darstellt. Es dürfte nur als Nachwirkung der episkopalen Lehrgewalt in der katholischen Kirche zu verstehen sein. Die sich immer wieder neu erweisende Ohnmacht dieser Kirchenleitungen und -behörden, Konflikte, die die Lehre betreffen, zu bewältigen, hat hierin wohl einen ihrer wichtigsten Gründe.

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1. R. v. Drygalski, Die Einwirkungen der Kirchen auf den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen (Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien 67), 1967. 2. A. von Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft — Die rechtliche Verantwortung für die Schule, 1968. 3. R. P. Calliess, Kirche und Schule in der Demokratie, in: Zeitschr. f. ev. Kirchenrecht, 14. Bd. 1968, 58 ff.

d) Die Unterrichteten Daß auch die in der Evangelischen Unterweisung Unterrichteten Faktoren des Unterrichtsgeschehens zu sein haben und zu sein vermögen, ist in der christlichen Tradition eine nicht gerade geläufige Wahrheit. Natürlich gibt es in der Geschichte des christlichen Unterrichtes markante Ausnahmen von dieser Regel — auch Luther gehört entgegen einer verbreiteten Ansicht zu ihnen —, die auch auf das profane Unterrichtswesen eingewirkt haben. Vorgeherrscht aber hat in dieser Geschichte bis heute doch wohl die Meinung, daß gerade in der christlichen Unterweisung die Unterrichteten ,still' zu sein haben in jeder nur denkbaren Bedeutung des Wortes, also gerade nicht agierend, sondern allein nehmend. Es schien und scheint so einfach: In diesem Unterricht geht es um Gottes Wort; das aber kann man nur hören, wenn man sich selbst zum Schweigen gebracht, sich ,stillgelegt' hat. Indes müßte man zunächst dagegen fragen, ob, was an diesem Gedanken wahr ist, nicht auch in anderem Unterricht Platz hat. Gibt es irgendeinen Unterricht, in dem es nicht auch darauf ankäme, daß die Unterrichteten ,still', nämlich hörend werden? Wie dem aber auch sei: Der methodische Kurzschluß, der um dieser Wahrheit willen die Unterrichteten dazu zwingt, oder auch nur nötigt, sich selbst auszuschalten, der ihnen verbietet zu fragen, Einwände zu machen, Zustimmung und weiterführende Gedanken zu äußern, ist in jedem Unterricht falsch. Wie jeder andere Unterricht hat die Evangelische Unterweisung die Unterrichteten als solche ernst zu nehmen, die von dem Gegenstand, um den es geht, beansprucht werden und die sich deshalb in ein Verhältnis zu ihm zu setzen trachten. Und insofern es in diesem Gegenstand um das Evangelium geht, gilt das auf keinen Fall weniger, sondern vielleicht mehr als bei anderen Unterrichtsgegenständen. Denn dieses Evangelium ist ja die Person Jesus Christus, d. h. Gott in seinem Wort Jesus Christus. Er, Gott, meint den im Evangelium Unterrichteten als das einmalige Menschenkind, als das er ihn

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schuf, als den geschichtlichen Menschen, als den er ihn führt, und als sein Kind, das er durch den Tod hindurch in sein ewiges Leben beruft. Der Unterrichtende kann deshalb den von ihm im Evangelium Unterrichteten nicht zum geistigen und seelischen Leichnam stillstellen, ohne ihn schlechterdings unfähig zu machen, sich dem Sinn dessen, was in diesem Unterricht vor sich geht, zu öffnen. Ein solches Stillstellen des Unterrichteten ist also faktisch das SinnlosMadien des ganzen Unterrichtes. Noch anders gesagt: Wer in der Evangelischen Unterweisung die Unterrichteten geringer einschätzt, als es durch das Evangelium geschieht, nämlich geringer denn als wirkliche Menschen, die es mit dem wirklichen Gott zu tun bekommen sollen, der widerstreitet mit seinem Unterricht dem Gegenstand desselben. Man kann diesen grundlegenden Tatbestand noch dadurch etwas konkretisieren, daß man sich Folgendes deutlichmacht. Die Evangelische Unterweisung hat es in besonderem äußeren und inneren Maße mit der Auslegung der Bibel zu tun. Und nun ist es für die heutige Interpretation biblischer Texte wieder das entscheidende Problem geworden, wie der Ausleger und die, für die ausgelegt wird, in der Auslegung richtig zur Geltung kommen; richtig, d. h. einmal, ohne daß das ursprünglich Gemeinte nicht nur nicht angetastet, sondern besonders scharf erfaßt wird, und d. h. außerdem, so, daß der wirklich gegenwärtige Mensch, der also, für den interpretiert wird, von jenem ursprünglich Gemeinten erreicht wird. Es ist jenes Kernproblem des Ubersetzens biblischer Texte, nämlich ihres UberSetzens vom Ufer einer alten Welt über den Strom der Zeit an das Land der Gegenwartswelt, ein Problem, das mindestens so alt ist wie das Evangelium selbst, über das gerade in der Geschichte der evangelischen Theologie besonders gründlich nachgedacht wurde und das in den letzten Jahrzehnten als zentrale Aufgabe einer modernen Hermeneutik wieder in sämtlichen Disziplinen der evangelischen Theologie mit Vorrang behandelt wurde. Wir können nicht daran denken, die neueren Untersuchungen zu dieser Problematik hier auch nur skizzenhaft zu umreißen. Als für uns hier besonders wichtiges Ergebnis derselben, über das ein gewisser Consensus erreicht wurde, darf man vielleicht formulieren: Eine praktische Beziehung zu biblischen Texten ist nicht ohne eine gewisse Dreingabe der Person dessen möglich, der diese Beziehungen sucht. Und zwar liegt das daran, daß es dem Anspruch und also Sinn dieser Texte

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entsprechend in der Beziehung zu ihnen um eine Beziehung zur Person Gottes in der Person Jesu Christi geht. Zu einer Person aber kann ich nie eine Beziehung gewinnen, ohne mich selbst dabei ins Spiel zu bringen. Das gilt vollends im Blick auf die Tatsache, daß das Wort durch das midi die Person Gottes in der Person Christi erreicht, im Unterricht durch die Person des Unterrichtenden vermittelt wird, also die Dreingabe der Person des Unterrichteten besonders unausweichlich macht. In religionspädagogischen Erörterungen der Gegenwart hat folgende Äußerung eines unserer bedeutendsten lebenden Hermeneutiker, Gerhard Ebelings, eine gewisse Wichtigkeit erlangt: „Reformatorisch ist die Erkenntnis, daß der Glaube aus dem mündlichen Wort kommt, daß also, gewiß von der Bibel her und immer wieder aus ihrem Text geschöpft und an ihrem Text geprüft, diese Botschaft von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk, mündlich, man möchte geradezu sagen: persönlich weitergegeben wird, nicht anonym, sondern in der ganzen Exponiertheit des Zeugen, in der Bereitschaft zu äußerster Hingabe. Nicht wie ein Postbote, der bloß Briefe abgibt, deren Inhalt er nicht kennt; auch nicht wie ein Herold, der feierlich eine Proklamation verliest, sondern wie ein verantwortlicher Stellvertreter, der selbst zu reden bevollmächtigt ist" (1, 25). Hier scheint zunächst nur etwas über die Unterrichtenden der Evangelischen Unterweisung gesagt zu werden, nämlich das, was hier von uns im vorangehenden Abschnitt zu entfalten versucht wurde. Aber dies Zitat ist doch auch zugleich eine Brücke zu dem, was jetzt über die Unterrichteten erschlossen werden möchte. Wenn der Unterrichtende die hier von Ebeling umschriebene Rolle übernimmt, dann fordert er die Person des Unterrichteten heraus. Er kann sich mit der Aktion, die er da unternimmt, nur behaupten, wenn er die Re-Aktion des Unterrichteten nicht nur freigibt, sondern will. Bleibt diese Reaktion aus, so stößt seine Aktion ins Leere und endet in dieser. Selbstverständlich ist dabei, daß diese Reaktion nicht immer in Zustimmung bestehen muß. Im Gegenteil: Das wirkliche Evangelium weckt immer mehr Abwehr als Bejahung. Aber diese Abwehr muß sich äußern; Zweifel und Widerspruch, auch Spott und Ironie, vor allem aber Fragen müssen zur Geltung kommen können. Evangelium ist Anspruch, keine ,Ansprache'. Wo auf diesen Anspruch nicht geantwortet wird, kann er weder gehört, d. h. verstanden, noch angenommen werden. Mit anderen Worten: Wo die Unterrichteten nicht Akteure der Evangelischen Unterweisung werden,

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kommt eine solche gar nicht zustande. Die aktive Beteiligung' der Unterrichteten am Unterricht ist in der Evangelischen Unterweisung keine Frage des methodischen Geschmackes, sondern ein Problem der Konstituierung dieses Unterrichtes: Sind die Unterrichteten nicht Faktoren desselben im Vollsinn des Wortes — wie die Sache und die Unterrichtenden — dann kommt er de facto nicht zustande, ist nur der Schein seiner selbst. Noch einmal sei im Blick auf diese Tatsache zweierlei betont: Es wird nicht behauptet, daß es nicht Vergleichbares in anderen Unterrichtsgebieten gibt. Es wurde nur der sachliche, d. h. in der Sache der Evangelischen Unterweisung liegende Grund dafür gesucht, daß es in ihr unausweichlich so ist. Hier exklusive Ansprüche zu erheben würde von der schlichten Realität unmöglich gemacht, daß andere Unterrichtsgebiete es seit langem sehr viel besser als die Evangelische Unterweisung verstehen, Unterrichtete zu Faktoren des Unterrichts zu machen. Sodann: Die Rolle der Unterrichteten als Akteuren des Unterrichts kann weder in der Evangelischen Unterweisung noch auf anderen Unterrichtsgebieten methodisch uniform bestimmt werden. Sie besteht z. B. nicht darin, daß die Unterrichteten ständig reden. Ihre Aktivität kann sich durchaus auch in Schweigen äußern. Gerade die von kirchlicher Seite oft erhobenen Vorwürfe, die Unterrichteten würden zur Geschwätzigkeit angehalten, sind einfach unsachlich. Die solche Vorwürfe Erhebenden vermögen deshalb auch meist nicht mehr zu durchschauen, daß umgekehrt das Stummbleiben der Unterrichteten (das etwas anderes ist als das eben erwähnte Schweigen) den Unterrichtenden zur Geschwätzigkeit zu verführen pflegt, was selbst noch von der Predigt gilt, wenn diese sich nicht dialogisch versteht. Mit alledem ist nun natürlich zugleich die Forderung begründet, daß die Unterrichtenden der Evangelischen Unterweisung die U n terrichteten wirklich kennen müssen. Denn wie sollte es gelingen, die Unterrichteten zu Faktoren dieses Unterrichtes werden zu lassen, wenn der Unterrichtende sie nicht, so gut er kann, kennenlernt. ,So gut er kann' — damit will betont werden, daß hier keine utopischen Forderungen erhoben werden sollen. Verlangt werden soll nur das wirklich Mögliche. U n d die Misere, in der wir uns befinden, ist, daß dieses Mögliche nicht getan zu werden pflegt. Jedenfalls nicht von denen, die es am nötigsten hätten, den Religionslehrern

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unserer öffentlichen Schulen und den Pfarrern mit ihren wachsenden Unterrichtsverpflichtungen. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. Gewisse theologische Irrtümer über den Sinn von Evangelischer Unterweisung als Weise einer Verkündigung, die die Unterrichteten stillstellt, anstatt sie als Faktoren des Unterrichts ernst zu nehmen, hatten wir bereits gekennzeichnet. Hinter diesen Irrtümern stehen dann nicht nur bestimmte theoretische Fehlentwicklungen, sondern auch das gesellschaftliche Faktum der mindestens seit der Mitte des 19. Jh.s fortschreitenden Trennung von Schule und Kirche, die die unterrichtliche Praxis der evangelischen Kirchen und damit dann auch den Schatz ihrer pädagogischen Erfahrungen verarmen ließen. Noch mehr kompliziert sich das Geflecht dieser Gründe, wenn man sich deutlichmacht, daß diese Trennung auch zu praktischen und theoretischen Bestrebungen einer religiösen Erziehung in eigener Regie der Pädagogik führte, die zwar die pädagogischen Probleme des Religionsunterrichtes und unter ihnen z. B. das der religiösen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen besonders sorgfältig berücksichtigt, aber durch ihre Distanzierung von Kirche und Theologie in eine solche Distanz von der Sache, um die es hier geht, gerieten, daß ein nachhaltiger theologischer Ruf ,zur Sache' unvermeidbar wurde. Dieser Ruf war zwar keineswegs einfach rückwärts gewandt, rief nicht in einen unpädagogischen Dogmatismus hinein, aber er wurde, wie das in solchen Entwicklungen offenbar unvermeidlich ist, von den sog. Praktikern weitgehend so verstanden. Das aber hieß und heißt u. a., daß man sich von genauen Bemühungen um Kenntnis und Verständnis der in der Evangelischen Unterweisung Unterrichteten dispensiert fühlte und fühlt, wenn nur die ,theologische Aussage' richtig oder auch nur korrekt war oder ist. U n d dadurch fühlten und fühlen sich dann kirchliche Traditionen und Institutionen der Pfarrerbildung von neuem legitimiert, deren verhängnisvolle Konsequenzen für Kenntnis und Verständnis der Unterrichteten von Sachverständigen längst durchschaut wurden. Von einem drastischen Beispiel dieser Art wird in anderem Zusammenhang noch zu reden sein (s. § 23, 3 Exkurs). Alle diese Gründe für den fatalen Tatbestand, daß heute von den Unterrichtenden der Evangelischen Unterweisung weitgehend nicht das Mögliche getan wird, die von ihnen Unterrichteten kennenzulernen, sind also zwar fortwirkende Motive für eine Aufrechterhai-

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tung dieses Zustandes, aber keine Rechtfertigung desselben. D a s M ö g l i d i e muß getan werden. In der Skizzierung dieses Möglichen konzentriere ich m i d i wieder auf das Aufgabengebiet des Religionslehrers an öffentlichen Schulen und der Pfarrer als Jugenderzieher, weil die diesbezüglichen N ö t e hier am dringlichsten nach A b h i l f e rufen. A u f diesem Aufgabengebiet hat das Mögliche, wenn ich recht sehe, eine dreifache Gestalt. Erstens kann die unter Schul- und Gemeindetheologen leider so verbreitete grundsätzliche Unterschätzung des Kindes u n d J u g e n d lichen theoretisch aufgelöst werden. D a s ist also eine A u f g a b e der Besinnung. Einer Besinnung auf die i m m e r o f f e n k u n d i g e r werdende Tatsache, daß die theologische Uberlieferung in dieser Hinsicht m e h r akademisch im gräzisierenden Sinne des Wortes als evangelisch gep r ä g t ist. D a s K i n d wird im wesentlichen privativ verstanden, d. h. als Mangelwesen gesehen, weil es noch u n v e r n ü n f t i g ist, u n d der Jugendliche wird höchstens als immerhin schon auf dem Wege zur vernünftigen Existenz befindlich begriffen. Historisch ausgedrückt: U n s e r e akademische Theologie hat, v o n A u s n a h m e n abgesehen, die die Regel bestätigen, weder Luthers (durch Melanchton verdunkelte) A n t h r o p o l o g i e des Kindes noch Pestalozzis W e r k rezipiert. D i e hier notwendige Besinnung wäre also vorwiegend historischer N a t u r . Hilfsmittel f ü r ein S t u d i u m dieser A r t stehen f ü r L u t h e r in genügendem, f ü r Pestalozzi u n d seine Nachfolger in reichem Maße zur Verfügung. Zweitens kann diese Besinnung durch eine E i n ü b u n g in den U m gang m i t Kindern und Jugendlichen unterfangen werden. D i e reale Ferne des jungen Akademikers, also auch des Theologen v o n der Existenz des Kindes u n d des Jugendlichen ist bekanntlich ungemein groß. U n d zwar u m so größer, je leidenschaftlicher sein geistiges, z. B. theologisches E n g a g e m e n t ist. Eine gewisse M i n d e r u n g dieser Ferne p f l e g t erst einzutreten, wenn eigene K i n d e r da sind. A b e r es ist doch zu beachten, daß diese gleichsam erzwungene größere N ä h e zur Welt der Kinder u n d Jugendlichen eine höchst charakteristische pädagogische Engigkeit u n d Folgelosigkeit besitzt, wenn sie nicht v o n einer umfassenderen Beziehung zu K i n d e r n u n d Jugendlichen getragen u n d einer v o n dieser mitbestimmten Besinnung begleitet wird. Ein solcher umfassender — nämlich nicht nur etwaige eigene Kinder meinender- u n d intensiver — nämlich nicht nur im U n t e r richt sich erschöpfender — U m g a n g v o n Studierenden, aber auch

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jungen Lehrern und Pfarrern, mit Kindern und Jugendlichen bedarf keiner großen Organisation. Worauf es ankommt, ist mehr die immer und überall realisierbare Stiftung von entsprechenden Sitten und deren Tradierung. Der Respekt vor dem menschlichen EigenRang des Kindes und des Jugendlichen und die Liebe zu diesen wahrlich liebenswürdigen Weisen des Menschseins können unter uns Lebensformen finden, ohne daß umfangreiche Veranstaltungen unternommen werden müßten. Umgekehrt sollten freilich institutionelle Konsequenzen dieses Respektes und dieser Liebe nicht gehindert, sondern gefördert werden; sie helfen rückwirkend dem Leben der auf diesem Gebiet gewonnenen guten Sitten. Schließlich verdienen selbstverständlich die Forschungen der neueren Anthropologie und Psychologie des Kindes und des Jugendlichen wirklich fleißige und genaue Beachtung. U n d zwar gerade nicht sofort oder gar nur die speziell mit religiösen Themen beschäftigten Arbeiten. Grundlegend muß das Studium der Anthropologie und Psychologie des Kindes und Jugendlichen in ihrem ganzen Umfang sein, weil, wenn nicht der ,profane' Mensch verstanden wird, auch sein .religiöses' Leben nicht begriffen werden kann. Das gilt auf jeden Fall für den evangelischen Glauben, höchst wahrscheinlich aber auch für andere Glaubensweisen. Es handelt sich also zunächst um die Wissenschaftsgebiete, die wir schon in anderem Zusammenhang vorgestellt hatten. (Vgl. die Verweise im Literaturverzeichnis dieses Abschnitts.) U n d es kommt darauf an, daß auf diesen Gebieten wirkliche Studien getrieben werden. Natürlich nicht mit dem Ehrgeiz der Vollständigkeit. Aber doch so, daß im Durcharbeiten charakteristischer Werke ein Verständnis der hier heute praktizierten Denk- und Verfahrensweisen gewonnen wird. Unfruchtbar ist es auf jeden Fall, nur an Hand eines Lehrbuches ,neueste wissenschaftliche Ergebnisse' zur Kenntnis zu nehmen, um sie in verhängnisvollem Kurzschluß ,auf den Unterricht anzuwenden'. Etwas gründlicher sollte dann natürlich das Studium solcher Arbeiten der modernen wissenschaftlichen Anthropologie und Psychologie ausfallen, die sich speziell mit den religiösen Phänomenen des Kindes- und Jugendalters befassen und einen wichtigen Bereich der Religionspädagogik darstellen sollten. Man muß diesen Satz mit dieser vielleicht manchen überraschenden Wendung enden lassen, weil die hier vorliegende Literatur verhältnismäßig gering ist und das ihrem Gegenstand geltende Interesse noch immer nicht sehr ent-

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wickelt genannt werden kann. Ein jüngerer Erziehungswissenschaftler, Werner Loch (geb. 1928), der, obwohl Nidittheologe, doch die Entwicklung der neueren Religionspädagogik ausgezeichnet kennt, hat 1964 diesem Tatbestand eine besondere Studie mit dem Titel „Die Verleugnung des Kindes in der Evangelischen Pädagogik" gewidmet (2). Aber auch sie hat bisher leider nicht die ihr m. E. gebührende Beachtung gefunden und also die Situation nicht wesentlich verändert. Das mag auch in dem provokativen Titel liegen, der immer wieder als ungerecht empfunden wird. Man kann den wirklich repräsentativen Vertretern der neueren evangelischen Pädagogik in der Tat nicht vorwerfen, daß sie das Kind ,verleugneten'. Im Gegenteil könnte man sagen, daß sie einiges Wirksame dafür getan haben, das Kind theologisch hoffähig, nämlich zum Thema sehr weittragender theologischer Erörterungen zu machen. Aber das sieht und würdigt auch Loch, obwohl das in der gängigen Debatte von fragwürdigen Klischees verdunkelt zu werden pflegt. Sein Interesse zielt auf etwas anderes, das man auch eine notwendige Konsequenz jener neuen theologischen Würdigung des Kindes nennen könnte, nämlich auf eine .empirische Anthropologie des kindlichen Glaubens', wie es der Untertitel der Lochschen Studie formuliert. Und im Blick auf solche empirischen Arbeiten hat Lochs Warnruf durchaus gute Gründe. Das rezeptive wie produktive Interesse an ihnen ist noch immer relativ gering, wenn auch im Wachsen begriffen. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe dafür genauer zu untersuchen. Loch selbst zählt eine Reihe von ihnen auf, durch die schon deutlich wird, daß sie keineswegs nur theologischer N a t u r sind. Und auch wir selbst haben bereits einige, nun speziell theologischer Art umrissen. Das mag in unserem Zusammenhang genügen. N u r für die Beurteilung dieser Gründe sei im Interesse der Sache noch ein Hinweis angefügt. Es könnte sein, daß diesem oder jenem die Mehrheit dieser Gründe nicht nur eine plausible Erklärung und Entschuldigung des gegenwärtigen Zustandes, sondern auch eine Rechtfertigung desselben zu ergeben scheinen. Dem müßte scharf widersprochen werden. Soviel einmal mit gutem Recht gegen bestimmte ,Psychologismen' in der religionspädagogischen Forschung einzuwenden war und so fragwürdig audi heute noch immer wieder gewisse religionspsychologische Verfahrensweisen sein mögen: Nicht nur bestimmte theologische Bedenken haben ihre produktive Wirkung gehabt; auch von der Theologie unabhängige Entwicklungen innerhalb der wissen-

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schaftlichen Anthropologie und Psychologie haben uns Ergebnisse eingetragen, die der Religionspädagoge nicht nur bejahen kann, ohne seine Sache zu verleugnen, sondern die ihm für seine Arbeit schon heute unentbehrlich sein müßten, jedenfalls ungemein nützlich sein könnten. Selbstverständlich ist dies Gebiet nun nicht ein für allemal gegen Irrtümer und Irrwege geschützt. Aber welche andere Disziplin — auch theologische! — wäre das? U n d endlich: Wenn nun, rechnet man alles Für und Wider sorgfältig gegeneinander auf, wirklich etwas Ungerechtes an dem Vorwurf gegen die evangelische Pädagogik, sie verleugne das Kind, haften bliebe — kann man diese Ungerechtigkeit nicht mit einigem H u m o r tragen? Lochs provokatorische Mahnung kommt von einem Autor, der nicht einfach verärgern, sondern helfen will. Und er vermag wirklich zu helfen. Nicht zuletzt gerade wegen seines großen Sachverständnisses. Es lohnt sich sehr, sich von ihm in die heute möglichen und um der von uns Unterrichteten willen notwendigen empirischen Studien hineinhelfen zu lassen. 1. G. Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens, (Siebenstern-Taschenbudi Bd. 8) (1959) 1967 3 . Vgl. außerdem die in § 22,3 b genannte Literatur zur neueren Hermeneutik. Zur Anthropologie und Psychologie des Kindes und Jugendlichen vgl. die Abschnitte ,Das Kind' (§ 8 , 2 ) , .Pädagogische Psychologie' (§ 9 , 3 ) , .Pädagogische Anthropologie' (§ 9 , 4 ) , ,Das Kind* (§ 17), .Erziehung' (§ 18), ,Bildung' (§ 19) und die dort angegebene Literatur. Die erwähnte Begründung eines Programmes empirischer Jugendforschung findet sich bei: 2. W. Loch, Die Verleugnung des Kindes in der evangelischen Pädagogik — Zur Aufgabe einer empirischen Anthropologie des kindlichen und jugendlichen Glaubens (Neue pädagogische Bemühungen, hg. von W. Loch und I . M u t h , Bd. 11) 1964. Beispiele empirischer Erforschung religiösen Lebens von Kindern und Jugendlichen bieten: 3. H . O. Wölber, Religion ohne Entscheidung — Volkskirche am Beispiel der jungen Generation, 1965 3 . 4. Th. Thun, Die Religion des Kindes, 1964 2 . 5. H . Hunger, Evangelische Jugend und evangelische Kirche, 1960. 6. Th. Thun, Die religiöse Entscheidung der Jugend — Eine religionspsychologische Untersuchung nach Niederschriften von Schülern beider Bekenntnisse in der Volksschule, der Höheren Schule und der Berufsschule, 1963. Ein weiteres, mehr auf Unterrichtsvorgänge gerichtetes Programm empirischer Forschung findet sich bei: 7. K . Wegenast, Die empirische Wendung in der Religionspädagogik, in: Ev Erz 1968, 111 f f .

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Vgl. ferner den Exkurs zu § 22,3. Angesichts der heute zunehmenden Neigung zu .empirischer Forschung* darf wohl daran erinnert werden, daß die Methoden empirischer Forschung nicht leicht und Pädagogen wie Theologen heute meist fremd sind. Wer sie nicht mit der erforderlichen Mühe lernt, kann nicht mit sinnvollen E r gebnissen empirischer Untersuchungen redinen.

Exkurs:

Religionsmündigkeit

Auch der Status der am Religionsunterricht unserer öffentlichen Schulen teilnehmenden Schüler ist in gewissem Umfange ein Rechtsstatus, d. h. es gibt rechtliche Bestimmungen, die diese Teilnahme betreffen, und es gibt eine Problematik dieser Bestimmungen. Auszugehen ist in der Bundesrepublik auch heute noch von dem Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 25. 7. 1921 (1). Dies sowohl im Blick auf das Verständnis des Kindes als werdender Person, wie auch der Eltern als Partner recht weitsichtige Gesetze trifft auch Bestimmungen über die Religionsmündigkeit der Kinder. Es konstituiert drei Stufen dieser Religionsmündigkeit: Wenn das Kind das 10. Lebensjahr vollendet hat, muß es bei einschlägigen Entscheidungen des Vormundschaftsgerichtes gehört werden (§ 3 Abs. 2). Hat es das 12. Lebensjahr vollendet, so darf es nicht gegen seinen Willen einem Bekenntniswechsel unterworfen werden (§ 5). Mit Vollendung des 14. Lebensjahres wird es uneingeschränkt religionsmündig ($ 5) (1,956). Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind, wie gesagt, in den westdeutschen Ländern bis heute gültiges Recht. Die einzige Ausnahme ist die Hinaufsetzung der uneingeschränkten Religionsmündigkeit hinsichtlich der Teilnahme am Religionsunterricht vom 14. auf das 18. Lebensjahr durch die Verfassungen der Länder Bayern, Rheinland-Pfalz und Saarland. Diese Ausnahme markiert freilich eine Problematik, die auch in anderen Ländern der Bundesrepublik immer wieder diskutiert wird (2—4). Es geht dabei um die Frage, ob die volle Religionsmündigkeit der 15jährigen auch das Recht einschließt, allein, d.h. ohne die Beteiligung der Erziehungsberechtigten, über ihre Teilnahme am Religionsunterricht zu entscheiden. Einem solchen Recht scheinen mindestens zwei Bestimmungen des Grundgesetzes zu widersprechen. Erstens Artikel 6, Abs. 2, wo es heißt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Uber ihre Betätigung wacht die staatliche Gemein-

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schaft." Und zweitens Artikel 7, Abs. 2, der lautet: „Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen." Vollends schwierig wird das Problem, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der § 5 des Reichsgesetzes über die religiöse Kindererziehung von 1921 gar nicht speziell von der Teilnahme am Religionsunterricht spricht, sondern nur recht allgemein formuliert: „Nach der Vollendung des 14. Lebensjahres steht dem Kinde die Entscheidung darüber zu, zu welchem Bekenntnis es sich halten will." Die Rechtsprechung ist dementsprechend vage. Zwar gibt es seit 1956 eine Entscheidung des Bundesgerichts in Zivilsachen, die besagt: Das Recht des Kinder, von dem in jenem § 5 des Reichsgesetzes von 1921 die Rede ist, „enthält als das mindere Recht auch die Befugnis, darüber frei zu entscheiden, ob es an dem Gottesdienst oder anderen Kulthandlungen seines Bekenntnisses teilnehmen oder den Religionsunterricht dieses Bekenntnisses besuchen w i l l . . . " . Aber diese Entscheidung stützt sich ausdrücklich auf eine communis opinio über die Vereinbarkeit des Reichsgesetzes von 1921 mit den zitierten Artikeln des Grundgesetzes, eine communis opinio, die inzwischen nicht mehr als gegeben angesehen werden kann. Symptom dieser veränderten Situation ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 1962, in der es heißt: „Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob diese Vorschrift (sc. des § 5 des Reichsgesetzes von 1921) unter der Geltung des Grundgesetzes überhaupt noch Bestand haben kann und ob sie bejahendenfalls als Bundes- oder Landesrecht f o r t g i l t . . . Jedenfalls kann diese Vorschrift seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes nur noch in einer Weise angewandt werden, die mit den Grundsätzen des Grundgesetzes in Einklang s t e h t . . . Die Eltern haben auch das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen (Art. 7 Abs. 2 GG)." Es könnte also sein, daß die Rechtsprechung künftig das Grundgesetz wieder mehr gegenüber dem Gesetz von 1921 in den Vordergrund rückt. Damit wäre ohne Zweifel der heutige Wortlaut des Grundgesetzes besser zur Geltung gebracht als in der heute noch gängigen Rechtspraxis. Freilich wäre dadurch keineswegs ein Rechtsfrieden in dieser Sache gesichert. Wahrscheinlich werden auch die Stimmen zahlreicher werden, die zwar geneigt sind, den jetzigen Wortlaut des Grundgesetzes vor dem des Reichsgesetzes von 1921 rangieren zu lassen, zugleich aber für den sachlichen Gehalt des 21

Kittel, Ev. Religionspädagogik

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Bereiche der Erziehung und Bildung

älteren Gesetzes eintreten. Das würde dann Tendenzen wachrufen müssen, das Grundgesetz an dieser Stelle ändern zu lassen. Wie dem aber auch sei: Es wäre zu wünschen, daß diese Rechtsfrage weder aus kirchlichen Interessen noch aus antikirchlichen Neigungen, sondern aus pädagogischer Vernunft entschieden würde. 1. W.Weber, Art. „Religiöse Kindererziehung, rechtlich", in: R G G 3 V, 956 f. 2. R. Schmoeckel, Der Religionsunterricht — Die rechtliche Regelung nach Grundgesetz und Landesgesetzgebung, 1964. Eine zusammenfassende Erörterung der in der neuen Diskussion behandelten Probleme der Religionsmündigkeit bieten: 3. Ch. Hartlich, Religionsmündigkeit mit 14 — ein öffentlicher Unfug, in: E v Erz 1965, 1 f f . 4. Ders., Zur Rechtsstellung des Religionsunterrichtes, in: E v Erz 1965, 273 f f . 5. H . Stock, Religionsunterricht in der kritischen Schule, 1968. Alle von uns zitierten juristischen Texte sind in dieser Literatur nachgewiesen.

e) Die Aufgabe Zu den Faktoren, die eine Unterrichtssituation schaffen, gehört schließlich die den Unterricht durchdringende Absicht. Diese Absicht wird in der Theorie des schulischen Unterrichts herkömmlich als ,Ziel'-Bestimmung des Unterrichtes charakterisiert, und dabei pflegt dann vorwiegend an das ,Ziel' einer Unterrichtsstunde gedacht zu werden: Es sei anzustreben, daß jede Stunde ein bestimmtes Ziel besitze und erreiche. J e knapper und klarer dieses Ziel formuliert werde, desto leichter könne es von dem Unterrichtenden im Auge behalten und von allen Schülern erreicht werden. Der zum Schluß der Stunde an die Tafel geschriebene und von da in die Schülerhefte abgeschriebene Merksatz ist das Symbol eines solchen ,zielbewußten' Unterrichtens. Und zugleich das wichtigste Kriterium für die Beurteilung seiner Qualität. Ist es zu einem solchen Merksatz nicht gekommen, dann hat die Stunde ihr Ziel nicht erreicht oder hat es verfehlt. Es ist leicht zu durchschauen, daß hier der Formalstufenschematismus der Herbartianer nachwirkt: Jede Stunde zielt auf die Formel, in der das Durchgenommene auf die Gegenwart ,angewandt' wird. In der Religionsstunde handelt es sich vorwiegend um moralische, aber auch um dogmatische Formeln, über deren konventionalistische Leere auch die mehr oder weniger schönen Zeichnungen nicht hinweghelfen, die diesen Formeln heute so oft zur ,Illustra-

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tion', ,Veranschaulichung' oder , Verlebendigung' mitgegeben werden. Die an den Formalstufen der Herbartianer geübte Kritik trifft also auch die Theorie und Praxis der herkömmlichen und besonders in kirchlichen Kreisen noch üblichen Ziel-Bestimmung der Religionsstunde. U n d zwar in besonders stichhaltiger Weise. Denn man könnte sagen, daß die durch die Ziel-Bestimmung auf den Unterrichtenden ausgeübte Nötigung, zu vorweisbaren Ergebnissen in Gestalt von ethischen oder dogmatischen Formeln zu kommen, besonders scharf dem Gegenstand dieses Unterrichtes widerspricht, besonders un-sachlich, nämlich der Sache, um die es hier geht, fremd, richtiger gesagt, feind ist. N u n wird aus dieser Kritik des Gebrauches des Ziel-Begriffs im Zusammenhang mit evangelischen Religionsstunden immer wieder einmal die Folgerung gezogen, daß man in diesem Unterricht überhaupt auf jede bewußte Absicht verzichten müsse. N u r so komme die Selbst-Wirksamkeit des Evangeliums wirklich angemessen zur Geltung. Indessen pflegt schon diese Begründung deutlichzumachen, daß hier von einer Absiditslosigkeit des Unterrichtens keine Rede sein kann: Es herrscht dann eben die Absicht, das Evangelium aller menschlichen Aktivität zu entziehen und es selbst tätig werden zu lassen. Und diese Absicht kann durchaus rational geklärt und hinsichtlich der Mittel, mit denen sie jeweils realisiert werden soll, analysiert werden. Es pflegt sich dann zu zeigen, daß auch die sich besonders irrational, ja mystisch gebenden Enthaltsamkeiten von bewußt menschlicher Einwirkung auf den Unterrichtsverlauf in Wahrheit nur besonders ausgeklügelte Verfahrensweisen einer solchen Einwirkung sind. Daß der Unterrichtende sich durch eine deklarierte Absiditslosigkeit seines Unterrichtens der Verantwortung für seinen Unterricht entziehen könnte, ist einfach ein Irrtum. Man dürfte, um die Unterrichtsabsicht der Evangelischen Unterweisung als Unterrichtsfaktor möglichst sachgerecht zur Geltung zu bringen, am besten von der ,Aufgabe' der Evangelischen Unterweisung sprechen. Das zwingt einerseits zur bewußten, verantwortlichen Klärung dieses Faktors und befreit andererseits von der Zwangsvorstellung, daß an bestimmten Stellen des Unterrichtsverlaufes womöglich am Ende jeder Unterrichtsstunde formulierte und dadurch kontrollierbare Ergebnisse vorgezeigt werden müssen — jene Zwangsvorstellung, die so unendlich vielen Unterricht sterilisiert und Unterrichtende wie Unterrichtete obendrein mit intellek21»

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tualistischen Selbsttäuschungen belädt, die, aufgedeckt, nachhaltige Aversionen gegen die Sadie dieses Unterrichts zu wecken pflegen. Der Begriff ,Aufgabe' bringt besser als der Begriff ,Ziel' zum Ausdruck, daß das hier zu Leistende nicht die Vermittlung eines abgrenzbar zu lernenden Pensums ist, sondern die Initiation in ein Verhältnis zur Sache, das seiner Eigenart nach nicht abschließbar ist und deshalb auch nicht abgeschlossen werden will. Daß zu dieser Initiation auch Lernprozesse gehören, die so genau, wie wir das heute können, geplant werden wollen, ist eine andere Sache, von der noch zu reden sein wird (vgl. § 22,7a). Aber es ist von größter Bedeutung, daß diese Lernvorhaben nicht einfach mit der Aufgabe der Evangelisdien Unterweisung identifiziert werden: Sie dienen dieser Aufgabe an, wie ich zu sagen wagen möchte, unter- bzw. eingeordneter Stelle. Der Inhalt der in der Evangelisdien Unterweisung zu leistenden Aufgabe, die Richtung der sie durchwaltenden Absicht können nach dem Vorangegangenen nun verhältnismäßig einfach bestimmt werden: Es kommt darauf an, die drei Faktoren Sache — Unterrichtender — Unterrichteter so ins Spiel zu bringen, daß sie realiter wirksam werden. Und zwar nicht jeder f ü r sich, sondern gemeinsam. In dieser Gemeinsamkeit besitzt die Sache einen gewissen Vorrang. Denn diese Sache ist vornehmlich sinngebender Faktor. Um ihretwillen findet die Veranstaltung, die hier Evangelische Unterweisung genannt wird, statt. Wer etwa stattdessen die Unterrichteten in den Vordergrund stellen wollte, nimmt diese — entgegen seinem guten Willen — de facto nicht ganz ernst; das volle Ernst-Nehmen des Unterrichteten durch den Unterrichtenden geschieht erst dann, wenn beide gemeinsam die Sache ganz ernst nehmen. Und eine Überordnung des Unterrichteten über die Sache ist vollends absurd; diese würde dadurch in ihrem Kern unverständlich gemacht. Im übrigen will die Wendung vom ,ins Spiel bringen' der drei genannten Faktoren darauf hinweisen, daß es um einen in sich sehr beweglichen Vorgang handelt. Es war ja deutlich gemacht worden, daß diese Faktoren geschichtlich zu verstehen seien, d. h. aber in ihrem Mitbestimmt-Sein durch jene geistigen aber auch institutionalisierten Mächte gewollt sein müssen, die sich auf diesem Felde zur Geltung bringen. Diese Mit-Bestimmung schafft einen gewissen Wandel der genannten Faktoren. Man kann auch sagen: Sie schafft wirkliche Situationen. Diesen situativen Charakter des Unterrichtes zu gewinnen ist die Aufgabe, die gelöst werden will. Damit wird dann

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vollends spürbar, ein wie großer Anspruch hier an den Unterrichtenden gestellt wird. Ein geistiger Umgang ist zu wollen — nicht nur zu bejahen —, dessen Anforderungen gerade aus dem Wege zu gehen der Mensch nur allzu geneigt ist. Hinter dem zähen Beharren auf gewissen statischen Unterrichtsweisen, die Sache und Unterrichtete in bestimmten entgeschichtlichten Schemata erstarren lassen und den Unterrichtsvorgang durch ein für allemal gültige Regulative gegen jeden Einbruch von Unvorhergesehenem abzusichern bemüht sind, steckt nicht einfach Trägheit. Diese allein würde das Phänomen jenes Beharrens kaum erklären. Sehe ich recht, so verbirgt sich hinter ihm immer wieder auch die Angst vor dem Schritt auf das Feld freier Wirksamkeit des Geistes im mannigfaltigen Wechselspiel der sich im Unterricht zur Geltung bringenden Kräfte. Schließlich muß auch hier betont werden, daß all dies kein Reservat der Evangelischen Unterweisung ist. Die Aufgabenbestimmung jedweden Unterrichts kann im Prinzip nicht anders lauten. Die Unterschiede der Unterrichtsfächer liegen in ihren Inhalten und deren Bedeutung für das Unterrichtsgeschehen. Der Inhalt, der Gegenstand oder die Sache der Evangelischen Unterweisung war, so präzise es unser Zusammenhang erlaubt, charakterisiert worden. Es wird hoffentlich auch deutlich geworden sein, in welcher Weise dieser Generalfaktor der Evangelischen Unterweisung ihre anderen Faktoren bestimmt. Ganz verständlich kann aber der spezifische Charakter der Evangelischen Unterweisung doch erst werden, wenn eine Besinnung nachgeholt wurde, die sich am Ende des Abschnittes über ,Die Sache' (§ 22,2b) als notwendig erwies, die wir dort aber zunächst zurückstellten, weil sie ihren eigenen Raum erfordert: die Entfaltung der Frage, was es heißt, die großen Textgruppen der Evangelischen Unterweisung als Mittler-Text der gemeinten Sache, also des Evangeliums zu unterrichten. Zum Verständnis des hier Entwickelten vgl. den Abschnitt ,Die Sache' § 22,2 b; außerdem die § 9,8 zur erziehungswissenschaftlichen Didaktik angegebene Literatur.

f) Daß auch die Unterrichtsmethoden Faktoren der Unterrichtssituation sind, liegt auf der Hand. Freilich enthält diese anscheinend so einfache Einsicht eine solche Fülle schwieriger Einzelprobleme, daß es besser sein dürfte, ihre Behandlung — so wie die der Unterrichtsinhalte (§ 22,3) — hier auszugliedern und in einem besonderen Abschnitt von relativer Selbständigkeit vorzunehmen (vgl. § 22,4).

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Bereiche der Erziehung und Bildung

Exkurs: Evangelische Unterweisung an öffentlichen

Schulen?

Es war bereits darauf hingewiesen worden (§ 22,1), daß es Evangelische Unterweisung an öffentlichen Schulen auch in der Bundesrepublik vielleicht nicht immer geben wird. Die stärkste auf ihre Eliminierung aus öffentlichen pädagogischen Institutionen drängende Kraft dürfte das gängige Verständnis von der religiösen Neutralität staatlicher Einrichtungen in der pluralistischen Gesellschaft sein. So wie diese ,öffentliche Meinung' schließlich die Entkonfessionalisierung der anderen Fächer und der Erziehungsaufgaben öffentlicher Schulen bewirkte, zielt sie in zunehmendem Maße auf eine Entkonfessionalisierung auch des Religionsunterrichtes, falls es einen solchen an öffentlichen Schulen überhaupt noch geben soll. Diese .öffentliche Meinung' artikuliert sich, gemessen an ihrer Wirksamkeit, relativ selten und, wo sie es tut, im einzelnen differierend, ja widersprüchlich. Ihr hier genauer nachzugehen, ist deshalb nicht möglich. Aber diese ,öffentliche Meinung' ist selbstverständlich von pädagogischen bzw. religionspädagogischen Gedanken beeinflußt. Diese sind greifbarer und genauer als jene öffentliche Meinung', die sie beeinflussen, weshalb hier doch wenigstens die Wege gezeigt werden sollen, sie näher kennenzulernen. Sehe ich recht, so sind es im wesentlichen zwei Gedankenreihen, die hier wirksam wurden. Die eine argumentiert von der Schule her und sucht deutlichzumachen, daß ein konfessioneller, also bekenntnisgebundener Religionsunterricht dem Wesen der öffentlichen Schule — das dann im einzelnen natürlich unterschiedlich bestimmt wird — widerspricht. Die andere argumentiert von den Kindern und Jugendlichen aus: Diese opponieren grundsätzlich dagegen, in einer öffentlichen Institution auf ihr Bekenntnis hin angesprochen zu werden. Beide Gedankenreihen können sich natürlich verschlingen und tun das auch meistens: In dieser Schüleropposition bringe sich das Wesen öffentlicher Schule zur Geltung. Zu einem Verständnis dieser Gedanken helfen: 1. M. Stallmann, Christentum und Schule, 1958. Wichtige Thesen dieses Buches nahmen auf: 2. G. Otto, Schule — Religionsunterricht — Kirche (1961) 19683 u n d 3. Th. Wilhelm, Theorie der Schule — Hauptschule und Gymnasium im Zeitalter der Wissenschaften, 1967. Zu einer besonnenen Kritik der Gedanken Stallmanns und Ottos, aber audi anderer, die sich an dieser Diskussion beteiligten, leitet an: 4. K. E. Nipkow, Grundfragen des Religionsunterrichtes in der Gegenwart (Päd Forsch 35) 1969 2 ; vgl. auch:

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5. K. Wegenast, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen? in: Th Pr, Sonderheft „Schule und Kirdie vor den Aufgaben der Erziehung", hg. von Otto und Stock, 1968, 66 ff. Die bisher radikalste Stellung von religionspädagogischer Seite hat jetzt bezogen: 6. H . Stock, Religionsunterricht in der kritischen Schule 1968. — Aufschlußreiche Einsichten über die Situation in England vermittelt 7. F. W. Bargheer, Religionsunterricht, säkulare Gesellschaft und empirische Forschung — Das Modell der religiösen Erziehung an englischen Hauptschulen, Th P r 1968, 331 ff. Zur Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland vgl. 8. C . Ch. Helmreich, Religionsunterricht in Deutschland — Von den Klosterschulen bis heute. (Aus dem Amerikanischen übers, v. Ch. Reich), 1966.

Für eine direkte Auseinandersetzung mit den in diesen Arbeiten vorgetragenen Gedanken ist hier nicht der Ort. Jedoch wird der hieran interessierte Leser indirekte Antworten auf zu dieser Problematik gehörende Fragen aus vielen Erörterungen dieses Buches folgern können. Im übrigen mache ich darauf aufmerksam, daß das Kernproblem dieser Thematik schon 1948 in einem öffentlichen Briefwechsel zwischen R. Lennert und mir (Slg 1948, 695 ff.) verhandelt wurde. Ich habe damals den Vorschlag gemacht, einer nicht bekenntnisgebundenen Interpretation der Bibel im Deutschunterricht Raum zu geben. Sollte sich heute ein entsprechendes Bedürfnis verstärkt zur Geltung bringen und thematisch erweitern, so hätte ich nichts dagegen einzuwenden, ihm einen besonderen Unterricht zu widmen, sähe aber — u. a. — gerade hierin das Recht zu einer daneben existierenden Evangelischen Unterweisung. Einen solchen, neben der Evangelischen Unterweisung bestehenden Unterricht Religionsunterricht' zu nennen, schiene mir allerdings angesichts der Geschichte dieses Wortes kaum möglich. Selbst H. Stock meldet höchst wichtige Bedenken dagegen an (6,39 f.), wenn er auch schließlich in Ermangelung eines besseren bei dem alten Begriff bleibt. 3. Didaktik II — Probleme einer Theorie der Unterrichtsinhalte a) Vorbemerkungen Zwei Vorbemerkungen sollen zunächst den Zusammenhang des hier zu Erörternden einerseits mit dem Kernproblem dieses Kapitels, nämlich der Frage nach dem Generalfaktor der Evangelischen Unterweisung, andererseits mit der zentralen Problematik der modernen

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Didaktik, nämlich der der Bildungsinhalte des Unterrichts, noch etwas genauer als schon geschehen bestimmen. Es war formuliert worden (§ 22,2 b), daß die .Sache' der Evangelischen Unterweisung, nämlich das Evangelium, in Wahrheit eine ,Person* sei und ein Verhältnis zu dieser Person nicht durch den Entwurf eines historischen oder innerlich-visionären Jesusbildes, sondern nur durch das Hören auf sein Wort zu gewinnen sei, ein Wort, das den Anspruch enthält, Gott in der Person des Redenden zu erschließen. Von daher wäre es also die Aufgabe dieses Abschnittes, die Problematik zu präzisieren, die sich aus dem Bemühen ergibt, mit Hilfe der heute gebräuchlichen bzw. als besonders wichtig angesehenen Stoffe oder Texte der Evangelischen Unterweisung einen sinnvollen Umgang mit dem Evangelium, also der Person jenes Jesus Christus zu eröffnen, in dem Gott für den Menschen dasein soll. Was sodann die zentrale Problematik der modernen Didaktik anlangt, so hatten wir diese als Problematik der Bildungsinhalte gekennzeichnet. Die moderne erziehungswissenschaftliche Didaktik versteht sich weitgehend als Bildungslehre. Das gilt namentlich für eine Reihe von Erziehungswissenschaftlern, denen dieses Buch besonders viel verdankt. Und dennoch haben wir diesen Abschnitt nicht ,Theorie der Bildungsinhalte' Evangelischer Unterweisung, sondern nur Theorie ihrer Unterrichtsinhalte überschrieben. Darin soll zum Ausdruck kommen, daß es durchaus fraglich ist, ob es so etwas wie einen Bildungsinhalt der einschlägigen Stoffe überhaupt gibt, d. h. ob mit dem Terminus Bildungsinhalt — oder Bildungsgehalt oder Bildungswert — nicht eine unsachgemäße Präjudizierung dieser Stoffe vorgenommen wird. Es muß nach Lage der Diskussion auch Aufgabe dieses Abschnittes sein, einen Beitrag zu dieser Problematik zu liefern; und zwar einen Beitrag, der sich zwar zunächst auf die Evangelische Unterweisung bezieht, von hier ausgehend aber die Didaktik auch anderer Gegenstandsgebiete betrifft. Schließlich muß noch einmal mit Nachdruck betont werden, daß die hier zu behandelnde Problematik, auch wenn ihr hier ein eigener Abschnitt zur Verfügung gestellt wird, nicht auch nur mit annähernder Vollständigkeit behandelt werden kann. Mehr, als daß einige Fragen dieses Problemfeldes ausgewählt und skizziert werden, kann nicht geschehen. Es wäre aber auch schon viel gewonnen, wenn an Hand dieser wenigen Problemskizzen die spezifisch didaktische Denkweise, um die es geht, einigermaßen deutlich herausträte.

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Vgl. zu diesen Vorbemerkungen die Abschnitte ,Die Sache' § 22,2 b, ,Die Aufgabe' § 22,2e und .Bildungssinn?' § 22,3 d, außerdem die Literatur zur erziehungswissenschaftlichen ,Didaktik' § 9,8.

b) Der Sinn der Haupt-Stoffgebiete Fragt man nach dem ,Sinn' eines Unterrichtsgebietes oder -textes, so fragt man anders als der Exeget, jedenfalls soweit sich dieser als reiner Historiker versteht. Die Tendenz der historischen Fragestellung zielt auf das, was war, die der Sinn-Frage auf das, was ist. Zu dem, was war, kann natürlich auch der Sinn eines Stoffes für seinen ursprünglichen Leser oder Hörer gehören; aber dieser ist nicht ohne weiteres identisch mit dem für den heutigen Leser und Hörer. Umgekehrt kann der Sinn für den gegenwärtigen Leser oder Hörer die historische Aufklärung sein; aber diese ist nicht ohne weiteres identisdi mit der historischen Forschung. Kurz: Man muß die Unterscheidung zwischen Sinn-Frage und historischer Frage festhalten, auch wenn die erste nicht ohne die zweite zu beantworten ist. Als Sinn aller Stoffgebiete der Evangelischen Unterweisung hatten wir formuliert, daß sie Mittler-Texte des Evangeliums seien, Texte also, die in ein Verhältnis zu jenem Jesus Christus hineinhelfen, in dem sich Gott den Menschen erschließt. Dieser General-Sinn muß also nun in einen Spezial-Sinn der einzelnen Stoffgebiete verwandelt werden, wenn er konkret und dadurch wirksam werden soll. Das aber ist außerordentlich schwer, und für ein nüchternes Urteil sind bis heute in dieser Hinsicht mehr Probleme als Lösungen deutlich geworden. Das gilt schon für das Stoffgebiet, bei dem sich General-Sinn und Spezial-Sinn so eng zu berühren scheinen, daß sie weithin als identisch empfunden werden, das Neue Testament. Was ist eigentlich in diesem Neuen Testament ,das Evangelium'? Ist es in den Evangelien formuliert oder steht es etwa deutlicher bei Paulus? Was ist das ,Wort* Jesu und wo steht es? Durch welche neutestamentlichen Schriftsteller gewinnen wir Zugang zu dem historischen Jesus? Oder ist hier nur der mühselige Weg durch viele dieser Schriftsteller gangbar? Oder gibt es einen solchen Zugang überhaupt nicht? Ist vielleicht die Suche nach einem solchen Zugang schon verfehlt? Muß man sich nicht an das Jesusbild halten, das nun einmal im N T entworfen ist? Aber es zeigt sich ja sofort, daß es dort nicht nur ein

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Jesusbild gibt — welches soll f ü r uns gelten, nachdem alle Harmonisierungen gescheitert sind? Und ist es mit dem ,Auferstandenen' eigentlich besser? Jedenfalls mit dem Auferstandenen des Neuen Testamentes? Die uns hier vorgelegten Berichte sind doch so divergierend und enthalten soviel nicht nachvollziehbare Vorstellungen, daß sie uns keine tragbare Brücke zu dem bauen, zu dem wir in ein Verhältnis kommen wollen. Oder gibt es doch Interpretationsmöglichkeiten dieser Berichte, die uns zu jener Sinnerfüllung verhelfen, die wir im Auge haben? Die Reihe solcher Fragen kann noch lange fortgesetzt werden. Alle mündliche und gedruckte Auslegung des Neuen Testamentes in der Gegenwart ist offen oder versteckt voll von ihnen. Um so weniger wird es verwundern, wenn wir auf dem Gebiet des Alten Testamentes keine einfachere Lage vorfinden. Hier ist gewissermaßen schon unser Thema problematisch bis zur Anstößigkeit: Zugang zum Evangelium? Das Alte Testament kennt doch kein Evangelium, kann doch keines kennen, da es in einem jahrhundertelangen Prozeß vor der Geburt Jesu entstand! Oder doch? War nicht derselbe Gott, der der Vater Jesu Christi war, auch der des Volkes Israel? Muß er deshalb nicht auch im Alten Testament schon nicht nur der Gott des Gesetzes, sondern auch der des Evangeliums sein? Und ist dies Evangelium nicht tatsächlich auch im Alten Testament zu finden, das doch Erhebliches von Gnade und Barmherzigkeit und auch von Sündenvergebung zu sagen weiß? H a t nicht die weit verbreitete traditionsgeschichtliche Betrachtungsweise des Alten Testaments auch eine glückliche Methode gefunden, den Übergang vom Alten und Neuen Testament fließend zu machen und den Bezeichnungen .Altes' und ,Neues' Testament jede antithetische Bedeutung zu nehmen? Aber warum kommt dies Problem dennoch nicht zur Ruhe? Sollten die Forscher, die schwerwiegende inhaltliche Differenzen zwischen Altem und Neuem Testament feststellen zu müssen meinen, recht haben? Und zwar nicht nur, wenn sie die Person Jesus im Alten Testament — einschließlich der sog. Messianischen Weissagungen — vermissen, sondern auch, wenn sie dessen Evangelium als Gedanken im Alten Testament nicht zu finden vermögen? Wenn das Alte Testament aber kein Evangelium enthält oder womöglich dessen Gegenteil, welchen Sinn hat es dann als ein Teil der christlichen Bibel? Man kann nicht sagen, daß solche und ähnliche Fragen heute im Vordergrund der theologischen Diskussion stünden.

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Aber sie sind unüberhörbar gestellt, und gerade, wer es im Unterricht vorwiegend mit jungen Menschen zu tun hat, wird ihnen schon heute nicht ausweichen können; morgen werden sie wahrscheinlich sehr brennend sein. Etwas unproblematischer scheint die Rolle der Kirchengeschichte in der Evangelischen Unterweisung zu sein: Da es sich hier um die Geschichte der christlichen Kirche handelt, muß man doch in ihr auf das Evangelium stoßen, und eben hierauf kommt doch alles an. Aber ist diese Geschichte nun wirklich einfach identisch mit der des Evangeliums? Oder ist dieses Evangelium eine Idee geworden, die Geschichte macht? Dann wäre das Evangelium jedenfalls nicht mehr das, als das wir es bisher angesprochen haben: die Person Jesus Christus, in der Gott dem Menschen nahe, für den Menschen da ist. Ist überhaupt alles, was wir zur Kirchengeschichte rechnen und rechnen müssen, insofern jeweils ,im Namen Christi' gehandelt wurde, aus dem Evangelium geboren? Oder ist die Kirchengeschichte nicht unlöslich mit der Weltgeschichte verknüpft? Lebt sie nicht großenteils aus Motiven, die durchaus weltlicher Natur sind? Gehört nicht eigentlich die Kirche als Geschichtsmacht immer zur Welt? Kann man, muß man deshalb vielleicht eine Geschichte des Reiches Christi oder der Christenheit von der Kirchengeschichte unterscheiden? Sind dann vielleicht die großen Heiligen, die großen Verkünder des Evangeliums in Wort und Tat die Träger dieses regnum Christi? Oder vielleicht auch sie nicht einmal, sondern jene Armen in jeder Bedeutung des Wortes (auch in der: arm im Glauben), die als Christen gar nicht mehr kenntlich sind, ja vielleicht sogar Gegner des jeweils offiziellen und darum sichtbaren Christentums? Oder gibt es etwa ein Verständnis von Kirchengeschichte, das alle diese verschiedenen Verständnismöglichkeiten umfaßt? Wo beginnt dann diese Kirchengeschichte? Im Neuen Testament oder aufgrund des Neuen Testamentes? Gibt es so etwas wie ein Kontinuum derselben oder blitzt sie gleichsam nur in bestimmten Ereignissen oder Personen vorübergehend auf? Zusammengefaßt: Kann Kirchengeschichte in irgendeinem Verstand des Wortes überhaupt jemals dazu helfen, eine Beziehung zum Evangelium zu gewinnen und zu bewahren oder zu vertiefen und zu klären? Oder sind nicht ihre Kenntnis und ihr Verständnis für den Christen ohne sachliche Notwendigkeit, ein geistiger Luxus, der deshalb auch nicht konstitutiv für die Evangelische Unterweisung sein kann? Und wie steht es mit der Dogmatik? Ist sie in der Evangelischen Unterweisung nicht vollends überflüssig? Denn daß dogmatische Sätze

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keine sachgemäße Beziehung zum Evangelium stiften, liegt doch auf der Hand. Ist also auch die Dogmatik oder vielleicht sie besonders nur ein intellektuelles Ornament der Evangelischen Unterweisung, auf das gut und gern verzichtet werden kann? Oder ist das Dogmatisieren etwa, wenn auch nicht notwendiger Grund des Verhältnisses zwischen Mensch und Evangelium, so doch notwendige Folge oder notwendiger Ausdruck dieses Verhältnisses. Und wenn das so wäre: Welche Norm gibt es für dieses Dogmatisieren? Sind die Bekenntnisschriften der evangelischen Kirche diese Normen? Wenn ja, in welcher Interpretation ihrer überwiegend jahrhundertealten Inhalte? Und die Ethik? Sie hat gewiß auch in der Evangelischen Unterweisung eine Tradition. Aber ist diese Tradition nicht im Absterben? Und wäre ein solches Absterben nicht legitimer Ausdruck der Tatsache, daß es keine spezifisch christliche Ethik gibt? Ist der Inhalt des Gesetzes nicht der menschlichen Vernunft zugänglich, so daß er keinen Platz in der christlichen Unterweisung beanspruchen kann? Nährt eine christliche Ethik nicht sogar immer den Irrtum, daß nur der Christ zuverlässig über Gut und Böse Bescheid weiß? Und züchtet dieser Irrtum dann nicht mit einer gewissen Notwendigkeit jenen christlichen Pharisäismus, der die Zersetzung nicht nur der christlichen, sondern der Ethik überhaupt bedeutet? Aber vielleicht ist es gerade deshalb nötig, eine evangelische Ethik zu pflegen, die diese Irrwege vermeidet und sie vermeiden lehrt? Jedenfalls wird man fragen müssen, ob nicht die ethische Besinnung genauso notwendig Ausdruck eines Verhältnisses zum Evangelium ist wie das Dogmatisieren, ob also nicht jenes Verhältnis ohne dieses Dogmatisieren und Ethisieren zugrunde gehen muß. Und in der Gegenwart will außerdem auch folgende Frage bedacht sein: H a t die allgemeine Ächtung des Ethischen — an der mindestens das evangelische Christentum nicht schuldlos ist — nicht zu einer gewissen Erstarrung der ethischen Vernunft geführt, die das christliche Ethisieren in besonderem Maße herausfordert? In dem lebhaften ethischen Interesse unserer Schüler scheint sich mir diese Herausforderung deutlich zu Wort zu melden. Sollte es etwa so sein, daß die Evangelische Unterweisung auf dem Gebiet des Ethischen z. Z. über die ihr hier zukommende spezifische Aufgabe hinaus — die irgendwie die Art des Umganges mit dem vorausgesetzten Gesetz betrifft — noch so etwas wie eine Nothilfe zu leisten hat, die darin besteht, diese heute weitgehend fehlende Voraussetzung erst zu schaffen, ihr opus proprium durch ein opus alienum erst zu ermöglichen?

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Schließlich muß hier noch nach der Religionsgeschichte oder Religionskunde gefragt werden, also nach jener Orientierung über fremde nichtchristliche Religionen, die seit langem einen festen Platz an unseren Höheren Schulen besitzt, immer mehr aber auch Eingang in die Evangelische Unterweisung der Real-, Haupt- und Berufsschulen findet. Die Berücksichtigung dieses Stoffgebietes scheint mir heute in jeder Evangelischen Unterweisung unumgänglich, selbst z. B. in der innerfamiliären. Gewiß auch aus Gründen der sog. .Bildung': Die Tradierung unseres Wissens um diese Fremdreligionen ist seit der Aufklärung gleichsam eine Notwendigkeit unserer Menschlichkeit geworden. Gewiß ferner auch aus sog. praktischen Gründen: Schon Kinder kommen heute nicht nur mit dem Leben fremder Religionen, sondern auch mit deren Anspruch auf sie in alltägliche Berührung. Wichtiger als dies beides scheint mir freilich zu sein, daß der Horizont der Bibel auch in ,religiöser' Hinsicht universal ist und die Aussagen dieser Bibel nicht wirklich verstanden werden können, ohne daß auch dieser religiöse Horizont ausdrücklich geöffnet wird. Ob diese religionskundliche Orientierung stofflich für sich genommen oder besser im Rahmen evangelischer Stoffgebiete erfolgen soll, ist eine Frage untergeordneter Natur, die wahrscheinlich am besten variierend beantwortet wird. Dringlicher und bedeutsamer ist jedenfalls die Frage, wie man diese Orientierung richtig macht. Soll sie nur berichtend oder auch urteilend erfolgen? Oder ist dies eine falsche Alternative? Ist es etwa unmöglich ,nur berichtend' zu verfahren? Spricht sich in dem Willen hierzu nicht auch schon ein Urteil aus? Umgekehrt: Ist es etwa unmöglich, theologisch urteilend zu verfahren ohne einigermaßen umfassende und gründliche Informationen über wenigstens eine Fremdreligion zu besitzen und zu bieten? Ferner: Gibt es Information oder Urteil über Fremdreligionen, ohne daß man die Texte wenigstens einer von ihnen in der Originalsprache studieren kann? Selbst aber, wenn diese Bedingung erfüllt wäre: Kann man eine Fremdreligion wirklich verstehen ohne in ihr Glaubensleben als ein diesen fremden Glauben Glaubender einzutreten? Kann man aber — man hat es ja als Religionslehrer immer mit mehreren Fremdreligionen zu tun! — Virtuose im Glauben mehrerer Glaubenswelten werden? Und wenn man überzeugt wäre, es zu können: Würde einem nicht gerade dies jede Glaubenswürdigkeit, besonders bei jungen Menschen kosten? Alles in allem: Der General-Sinn der Evangelischen Unterweisung entfaltet sich realiter nur im Spezial-Sinn ihrer Hauptstoffgebiete. Es ist also unumgänglich, diesen Spezial-Sinn zu klären, wenn man nicht

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jenen General-Sinn verfehlen will. Das ergibt die Aufgabe, eine lange Reihe von Einzelproblemen zu bewältigen, aus der wir hier nur eine Auswahl vorstellen konnten. Manchen mag diese Aufgabe reizen, da es sich um hochinteressante Probleme handelt. Manchen mag sie auch verzagt stimmen, weil diese Probleme nicht gerade simpel zu nennen sind. Aber gerade weil sie so inhaltreich sind, führen sie auch zu zentralen Bereichen der Gegenwartstheologie, die mannigfaltige Hilfen für den bereitstellt, der sie ernsthaft studiert. Vor allem muß an die moderne theologische Hermeneutik erinnert werden, die sich mit der hier skizzierten didaktischen Problematik sehr eng berührt. Jedenfalls muß diese Aufgabe von dem Unterrichtenden angenommen werden. Weicht er ihr aus, so muß ihm die Auslegung des Einzeltextes, in der sich ja jener Spezial-Sinn der Hauptstoffgehalte konkretisiert, notwendig mißlingen. Viele Bemühungen, die heute in Unterrichtsvorbereitungen für die Evangelische Unterweisung vorgelegt werden, sind Dokumente solchen Mißlingens. Aber das bedeutet dann immer auch das Mißlingen des betr. Unterrichtes. Denn ein von einer unzulänglichen Auslegung bestimmter Unterricht ist auch dann unzureichend, wenn er sich als ,lebendig', ,mitreißend', faszinierend', eindrucksvoll' oder wie sonst die einschlägigen Urteile heißen mögen, repräsentiert. Die didaktische Analyse des Unterrichtstextes ist ein besonders wichtiger und heute wahrscheinlich der dringlichste Teil der Unterrichtsvorbereitung; es wird hiervon noch etwas genauer zu reden sein (s. § 22, 7 c). Ehe ich die beiden wichtigsten Konsequenzen aus diesen didaktischen Überlegungen ziehe, muß noch etwas über einen Inhalt der Evangelischen Unterweisung gesagt werden, der nicht einfach ein Hauptstoffgehalt derselben ist, wie die bisher Genannten, und doch gerade in ihrem Zusammenhang bedacht sein will, weil er praktisch in ihrem Zusammenhang vorkommt, aber in seinem Verhältnis zu ihnen ungeklärt zu bleiben pflegt: die gottesdienstlichen Elemente der Evangelischen Unterweisung: Gebet, Andacht, Schulgottesdienst; und zwar gemeint nicht als Themen frömmigkeitsgeschichtlichen oder dogmatischen Unterrichts, sondern als vom Unterrichtenden und Unterrichteten zu vollziehende liturgische Akte. Die Tradition ist eindeutig: Diese Akte werden mehr oder weniger als selbstverständliche Bestandteile oder Anhänge der Religionsstunde angesehen. Ebenso traditionell dürfte freilich ein gewisses Unbehagen gegenüber diesen Akten bei Unterrichtenden und Unterrichteten sein, das sich hier und dort, dann und wann, mehr oder weniger deutlich zur Geltung bringt. Man sollte

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dieses Unbehagen aufhellen, d. h., die Legitimation dieser gottesdienstlichen Akte als Elemente der Evangelischen Unterweisung so klar wie möglich durchdenken. Für diese Klärung kann hier nur folgender Hinweis gegeben werden: Es hat seit der Zeit des Neuen Testamentes keinen christlichen Unterricht gegeben, der nicht auf reales Gebet und realen Lobgesang im Namen Jesu Christi bezogen gewesen wäre. Und zwar so bezogen, daß dieser Bezug für Unterrichtende und Unterrichtete erfahrbar gewesen wäre. Offenbar braucht christlicher Unterricht diesen christlichen Gottesdienst in dem Sinn, daß er in diesem seinen Nährboden hat, aus diesem heraus existiert. So etwa, wie — wieder muß ein irriges didaktisches Privileg der Evangelischen Unterweisung aufgelöst werden — politischer Unterricht nur fruchtbar wird aus einem von Unterrichtenden und Unterrichteten erfahrbaren Bezug zu realem politischen Leben. Die Form, die die Beziehung zwischen Evangelischer Unterweisung und christlichem Gottesdienst annimmt, kann mannigfaltig sein und muß sich, wenn sie nicht gesetzlich erstarren soll, in erheblichem Umfange von der jeweils gegebenen Situation bestimmen lassen. Sie kann sogar als liturgische Besonderheit verschwinden und in der ,Andächtigkeit' des Denkens oder des Handelns für den Nächsten bestehen. Normalerweise wird freilich die Trennung von redlicher intellektueller Arbeit, tätiger Nächstenliebe und gottesdienstlichem Handeln das Gebotene sein. Dabei kann die gottesdienstliche Handlung innerhalb des Unterrichtes, unmittelbar neben der Schule (Schulgottesdienst) oder im Gemeindegottesdienst stattfinden, der dann freilich für Unterrichtende und Unterrichtete ein gemeinsamer Erfahrungsbereich sein können muß. Zur biblisdien Thematik dieses Abschnittes sind besonders die Erörterungen der Lehre von der Hl. Schrift in den theologischen Lexica und in den Dogmatiken zu vergleichen. Außerdem empfiehlt sich das Studium folgender Arbeiten: 1. G. Ebeling, Art. „Hermeneutik", in: R G G 3 III, 2 4 2 ff. 2. K. Fror, Biblische Hermeneutik — Zur Schriftauslegung in Predigt und Unterricht, 19673. Für die einzelnen Hauptstoffgebiete vgl.: 3. W. Marxsen, Das Neue Testament als Buch der Kirche, (1966) 19683. 4. F. Hesse, Das Alte Testament als Buch der Kirche, 1966. 5. M. Schmidt, Art. „Kirchengeschichte I. Kirchengeschichtschreibung", in: R G G 3 III, 1421 ff. 6. E. Schering, Kirchengeschichte im Unterricht, 1963. 7. P. Biehl, Kirchengeschichte im Religionsunterricht — Kritische Anmerkungen zu einem >didaktischen Modelh, in: Wege zum Verstehen — Beiträge zur Praxis der Unterweisung in Schule und Kirche (Hamburger

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Arbeitshilfen für Religionsunterricht, Evangelische Unterweisung und Gruppenarbeit, hg. v. H. Schultze, Heft 8) 1965, 129 ff. Zum Thema Ethik in der Evangelischen Unterweisung sind besonders die Erörterungen der Prinzipienfragen in den profanen und theologischen Ethiken zu beachten. Als Orientierungshilfe vgl.: 8. C. H. Ratschow, Das theologische Problem der Ethik in der Gegenwart, in: Ev Erz 1966, 129 £f. und 9. H. Schultze, Ethische Fragen im Unterricht — Religionspädagogisdie Erwägungen und Beispiele (Hamburger Arbeitshilfen für Religionsunterricht, Evangelische Unterweisung und Gruppenarbeit Nr. 10), 1966. Zum Thema Religionsgeschichte: 10. K.Holl, Urchristentum und Religionsgeschichte 1924; danach in: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte II, Der Osten 1928, 1 ff. 11. C.H.Ratschow (Hg.), Der christliche Glaube und die Religionen (Hauptvorträge des Evangelischen Theologenkongresses Wien 26. bis 30.9. 1966), 1967. Einen vielversprechenden Weg, die Theologiegeschichte für Gegenwartsfragen der Sinndeutung der Hauptstoffgebiete Evangelischer Unterweisung fruchtbar zu madien, erschließen zwei Arbeiten von: 12. K. Bornkamm, Wunder und Zeugnis (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgesdiidite 251—252), 1968. 13. Dies., Das Verständnis christlicher Unterweisung in den Katediismen von Erasmus und Luther, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, hg. v. G. Ebeling, 1968, 204 ff. Zur Theorie des Gottesdienstes sind die einschlägigen Kapitel oder Lehrbücher der Praktischen Theologie zu vergleichen, ebenda aber auch die Kapitel der Homiletik. Für unseren Zusammenhang sind ferner wichtig die Wesensbestimmungen der Theologie in der neueren Dogmatik. Aus der Spezialliteratur über das Verhältnis Theologie und Glaube vgl.: 14. G. Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens (Siebenstern-Taschenbuch Bd. 8) (1959) 19673 U nd 15. Ders., Wort und Glaube, 19673. 16. K. Haendler: Schriftprinzip und theologisdier Pluralismus, in: Evangelische Theologie, (28. Jg.) 1968, 404 ff. c) Der Lehrplan Damit ist es schließlich möglich geworden, zwei wichtige Konsequenzen unserer Entfaltung der von den Hauptstoffgebieten

der

Evangelischen Unterweisung gestellten Sinn-Probleme in besonderer Kürze zu ziehen. Die erste dieser beiden Folgerungen lautet: Der Entwurf des Lehrplanes Evangelischer Unterweisung ist eine Aufgabe von ungewöhnlicher Tragweite und deshalb ungewöhnlicher

Verantwortungsfülle.

Denn sie bedeutet nach unseren Überlegungen nichts Geringeres als

Evangelische Unterweisung

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den General-Sinn und den Spezial-Sinn der Stoffe der Evangelischen Unterweisung für bestimmte Jahrgänge der nachwachsenden Generation durch die Stoff-Auswahl und die Stoff-Ordnung so gut wie irgend möglich zur Geltung zu bringen. Weit entfernt davon, eine bloß pädagogisch-methodische oder unterrichtsorganisatorische Aufgabe zu sein, zielt sie darauf, gerade die Sachlichkeit dieses Unterrichtes zu sichern, was sie freilich zu einer erzieherischen Aufgabe - im nicht gängigen Sinn des Wortes — ersten Ranges macht. Bei ihrer Lösung steht das Selbstverständnis der Christenheit vor allem hinsichtlich ihrer Sendung zur Debatte. Deshalb ist diese Lösung auch keine Angelegenheit allein der Lehrerschaft, aber auch nicht allein der theologischen Wissenschaft und schon gar nicht allein staatlicher oder kirchlicher Behörden. Alle diese Gruppen müssen bei ihr mitwirken. Aber sie können das verantwortlich eigentlich nur, indem sie sich mit äußerster Behutsamkeit um die Aktualisierung der Tradition bemühen. Subjektivismen, seien es solche von Theologen, Pädagogen, schulischen oder kirchlichen Verwaltungsbeamten, können vom einzelnen gar nicht zu übersehenden Schaden stiften. Die heutige, meist recht unbeholfen gehandhabte Praxis, Richtlinien und Stoff-Verteilungspläne für die Evangelische Unterweisung von Kommissionen erarbeiten zu lassen, in denen, falls es sich um das öffentliche Schulwesen handelt, alle genannten Gruppen vertreten sind, scheint mir auch bei sehr unausgeglichenen Ergebnissen immer noch besser zu sein als die Freigabe von Subjektivismen, deren Urheber einfach nicht ahnen, in welchem bedeutenden Entscheidungsfeld sie sich bewegen. Natürlich könnten die üblichen Konimissionsentscheidungen etwas produktiver ausfallen, als sie dies zu tun pflegen. Aber ehe hier eine Änderung zum Besseren eintritt, müßte wohl die Forschung die Lehrplan-Tradition der Evangelischen Unterweisung noch erheblich mehr aufgehellt und in ihren Prinzipien verständlicher gemacht haben, als das bis heute der Fall ist. Daß mit diesem Hinweis auf die Tradition nicht einer einfachen Rückwärtsgewandtheit der zu entwerfenden Lehrpläne das Wort geredet werden soll, war schon angedeutet. Es geht selbstverständlich darum, außer dem Blick in die Vergangenheit immer auch den in Gegenwart und Zukunft der Unterrichteten zur Geltung zu bringen. Aber gerade auch dies ist aus unserer Lehrplantradition zu lernen. Die überindividuellen Mächte, die sich in ihr aussprachen, haben immer mindestens soviel an das, was ist und werden soll, gedacht wie an das, 22

Kittel, Ev. Rcligionspädagogik

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was war. Niemand, der dieser Tradition verhaftet ist, sollte sich deshalb scheuen, die moderne Curriculum-Forschung auch für die Evangelische Unterweisung nutzbar zu machen. 1. E. Weniger, Didaktik als Bildungslehre — Teil 1, Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplanes 1952, 19658. — Eine höchst beachtenswerte Geschichte des Lehrplanes unserer Kultur, die zugleich wichtige Grundeinsichten in Wesen und Bedeutung des Lehrplanes vermittelt, bietet: 2. I. Dolch: Der Lehrplan des Abendlandes, (1959) 19652. Vgl. ferner: 3. G. Wehle: Art. „Lehrplan", in: Päd Lex 570 ff. 4. W. Klafki: Art. „Didaktik und Methodik", in: Päd 50 ff., bes. 55 ff. — Lehrpläne für größere regionale Bereiche pflegen heute vernünftigerweise in der Form von Richtlinien zu erscheinen, nach denen genauere Pläne erst entworfen werden müssen. Die Vielzahl der auf diese Weise mitarbeitenden Unterrichtenden bringt die .Tradition' in besonders lebendiger Weise zur Geltung. Als gelungenes Beispiel eines solchen nadi Richtlinien entworfenen Planes für Grundschulen und Hauptsdiulen sei genannt: 5. Arbeitsplan für den Evangelischen Religionsunterricht an Volksschulen, hg. in Zusammenarbeit mit Baldermann, Biehl, Heinz Kittel, Schmidt, Witt von D. Steinwede, 1967. Dieser Arbeitsplan scheint mir durch dreierlei vorbildlich: durch die Sorgfalt, mit der wirkliche Teamarbeit zur Geltung gebracht wird, durch den Einfallsreichtum, mit dem dem Unterrichtenden mannigfache Arbeitshilfen geboten werden, und durch die Selbstbescheidung, mit der jede Dogmatisierung der Autorenmeinung vermieden und anderen Vorschlägen Raum gelassen wird. Zur Curriculumforsdiung vgl.: 6. S. B. Robinson, Bildungsreform als Revision des Curriculum, 1967. 7. T. Husen,Lehrplanforschung in Schweden — Über die allgemeinen Möglichkeiten einer erfahrungswissenschaftlich begründeten Curriculumentwicklung, in: b e 1968, 13 ff. d) Bildungs-Sinn? D i e zweite Folgerung, die wir aus unseren didaktischen Erörterungen über die Hauptstoffgebiete der Evangelischen Unterweisung ziehen können, heißt: Es ist im höchsten Sinne problematisch, vom BildungsSinn dieser Stoffgebiete und, damit zusammenhängend, von ihrem Bildungs-Wert und ihrem Bildungs-Gehalt und von ihnen selbst als Bildungs-Inhalten zu sprechen. General- und Spezial-Sinn dieser Stoffgebiete und damit selbstverständlich auch der Sinn der ihnen entnommenen Unterrichts-Einzeltexte können, insoweit diese Stoffe und Texte solche einer Evangelischen Unterweisung sein sollen, nur aus ihrem Inhalt erhoben und entfaltet werden. Dieser Inhalt aber zielt nicht auf die Bildung, sondern auf das ewige Heil des Menschen.

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Natürlich ist, wenn man dies so formuliert, an den Gebrauch des Wortes Bildung gedacht, wie er heute — in Fortentwicklung neuhumanistischer Prägungen — in pädagogischen, vor allem den didaktischen Debatten gängig ist und wie er deshalb auch den Gebrauch der Begriffe Bildungs-Sinn, Bildungs-Wert usw. beherrscht, einen Gebrauch also, der, wie immer man Bildung im einzelnen definieren mag, den Bildungsbemühungen eine Norm setzt. Diese Norm ist dann das Maß, an dem jeweils Bildungs-Gehalt, bzw. Bildungs-Wert usw. des Stoffes gemessen werden. Und eben dies scheitert an den Stoffen der Evangelischen Unterweisung. Ihr Gegenstand behauptet sich gegen den Gebrauch als Mittel zu ihm fremden Zwecken. Selbstverständlich ändert sich die Problemlage, sowie man das Wort Bildung nicht in diesem gängigen, sondern in einem schon vom Gegenstand der Evangelischen Unterweisung bestimmten Sinn zu verstehen sucht. Man stößt dabei übrigens auf einen durchaus beachtlichen, bis ins Mittelalter zurückreichenden theologischen Gebrauch der Vokabel; aber dieser steht hier eben nicht zur Debatte (2). Könnte man also sagen, daß sich hier endlich einmal eine wirklich bedeutende Differenz zwischen der Didaktik profaner Fächer und der Evangelischer Unterweisung zeigt, an der man die Besonderheit der Evangelischen Unterweisung wirklich drastisch zu demonstrieren vermag? Wohl kaum. Denn es ist durchaus fraglich, ob das, was hier als ,gängiger' Gebrauch der Begriffe ,Bildungs-Sinn', .Bildungs-Wert' usw. beschrieben wird, für die profanein Fächer kritiklos hingenommen werden muß. Wie, wenn dieser .gängige Gebrauch' auch für diese Fädier problematisch wäre? Weiß der Unterrichtende im voraus, kann er im vornherein wissen, welcher Stoff bei welchem Schüler unter welchen Umständen Bildung in einem von ihm vorweg festgestellten Sinn bewirkt? Oder ist die hier gewollte Wirkung auf die Unterrichteten nicht bei allen Stoffgebieten, also auch den profanen, jeder Regulative entzogen? Ist nicht vielleicht sogar eine solche ,pädagogische' Entschärfung der Sachverhalte im Unterricht um eines vorgenommenen Bildungszweckes willen der sicherste Weg, jedweden Unterricht um die gewünschte Wirkung zu bringen? Ist nidit Bildung in allen Fächern grundsätzlich direkter Intention entzogen? Bleibt deshalb nicht in allen Fächern den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als nüchtern die Stoffe zu bestimmen, die nach einem verantwortlichen Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit geeignet sein könnten, den Unterrichteten in die jeweiligen Gegenstände zu helfen? Der Christ wird es kaum 22*

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anders sehen können. Er wird gegen eine pädagogische Manipulierung der Sachverhalte im Dienst irgendwelcher Bildungsvorhaben diese Sachverhalte selber zur Geltung zu bringen trachten. Er wird die weltanschaulichen Überbildungen der weltlichen Sachverhalte aufzulösen und diese wirklich weltlich sein oder werden zu lassen bemüht sein. Er wird dabei gewiß nicht das Risiko übersehen, das ein in diesem Sinn weltlich werdender Unterricht darstellt: Wird die von weltanschaulichen Schleiern entschleierte Welt für die Unterrichteten tragbar sein? Aber er handelt ja bei dieser Entschleierung im Namen eines Gottes, dem er als Schöpfer und Erhalter der Welt vertraut. Und er handelt im Namen eines Christus, der den Willen dieses Gottes als pure Liebe enthüllt. Darum kann er diese Verweltlichung der Unterrichtsgegenstände bewirken und verantworten. Hierüber aber war in anderem Zusammenhang bereits ausführlich gesprochen worden (§ 19). So bliebe nur noch anzumerken, daß es einen sehr bescheidenen Sprachgebrauch von Bildung gibt, der auch im Zusammenhang mit Evangelischer Unterweisung ein gutes Recht hat. Es ist jener Gebrauch, der auf jeden Entwurf einer Bildungskonzeption verzichtet und sich bescheidet, Bildung als Information über Fakten und Problem zu verstehen. Also etwa der, der uns von historischer, politischer usw. Bildung sprechen und damit nur meinen läßt, daß ein gewisses Maß von historischem, politischem usw. Kennen und Verstehen vorhanden ist, ohne daß wir zugleich auf tiefere humane Realitäten reflektieren. In diesem Sinn kann man natürlich auch von christlicher oder theologischer Bildung sprechen und feststellen, daß Evangelische Unterweisung immer auch sie bewirkt und bewirken soll. Ich sehe keine Notwendigkeit, einen so reduzierten Begriff von Bildung nidit auch im Zusammenhang mit den Aufgaben der Evangelischen Unterweisung zu gebrauchen. In seiner Reduktion liegt eine Ernüchterung, die ihn brauchbar macht. Vgl. zu diesem Abschnitt die Abschnitte >BiIdung< (§ 8,4 und § 19) und die dort notierte Literatur. Eine gute Orientierung über den Stand der Diskussion der Kernfragen dieses Abschnittes (bis 1967) vermittelt: 1. K. Wegenast, Überlegungen zum Verhältnis der Allgemeinen Didaktik zu einer Fachdidaktik des Religionsunterrichtes, in: E v E r z 1967, 245 ff. Wichtige Hinweise auf einen theologischen Gebrauch des Begriffs Bildung finden sich jetzt bei: 2. E . Lichtenstein, Zur Entwicklung des Bildungsbegriffes von Meister Eckhardt bis Hegel (Päd Forsch 34), 1966. Ertragreich wäre vermutlich auch eine entsprechende Untersuchung über Luther.

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Exkurs:

„Muß die Bibel im Mittelpunkt stehen?

des

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Diese Frage, die gegenwärtig in der Religionslehrerschaft umgeht, bedarf noch weiterer Überlegungen und Versuche, ehe wirklich genau verstanden werden kann, was mit ihr gemeint und was mit ihr nicht gemeint ist. H. B. Kaufmann, der sie besonders nachdrücklich und wirksam gestellt hat, formuliert, worum es ihm geht, so: „Die traditionelle Mittelpunktstellung der Bibel als Gegenstand und Stoff des Religionsunterrichts ist ein Selbstmißverständnis und weder theologisch noch didaktisch gerechtfertigt. Die reformatorische Bedeutung der Bibel für die Kirche und den Glauben soll damit keineswegs in Frage gestellt, sondern im Gegenteil neu hervorgehoben werden" (These 1; 1,79). Schon hieraus geht hervor, daß auch für Kaufmann biblischer Unterricht unumgänglich ist, wenn christlicher Religionsunterricht seinen Sinn erfüllen soll. Kaufmann betont in seiner letzten (6.) These deshalb auch noch einmal ausdrücklich: „Wenn es als eine Aufgabe des Religionsunterrichtes angesehen werden kann, die Bedeutung und Relevanz des Glaubens in unserer Welt erkennen und erfahren zu lassen, dann sind die Einführung in die christliche Überlieferung und die Auslegung der Bibel notwendige Teilziele dieser Aufgabenstellung" (1,83). Auch ein Religionsunterricht also im Sinne Kaufmanns macht didaktische Überlegungen der hier vorgetragenen Art nötig. Und im sachlichen Sinne bleibt auch für Kaufmann, wenn ich ihn nicht sehr falsch verstehe, die Bibel der Mittelpunkt des christlichen Religionsunterrichtes. „Etwas ganz anderes ist es freilich", müßte ich mit K. E. Nipkow dann fortfahren, „ob die Mittelpunktstellung der Bibel, die grundsätzlich theologisch und pädagogisch richtig ist, zur Rechtfertigung des immer gleichen unterrichtlichen Schemas dienen darf (Erzählen, Auslegen, Besprechen, Zusammenfassen, Befestigen). Der Religionsunterricht braucht Mut zum Denken im Blick auf die theologischen Grundfragen und zugleich viel pädagogische Phantasie, um didaktisch und methodisch beweglicher zu werden" (2,36). Auch wenn Kaufmanns Thesen m. E. falsche Antithesen nahelegen und deshalb gegenwärtig manch unnötigen Streit entfesseln — jede wirkliche moderne Hermeneutik biblischer Texte bestätigt, woran Kaufmann liegt —, sollte man sorgfältig auf die Einzelerträge achten, die ein von diesen Thesen geleiteter Religionsunterricht einbringt — man kann immer lernen. 1. H . B . K a u f m a n n , Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen? — Thesen zur Diskussion um eine zeitgemäße Didaktik des

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Religionsunterrichts, in: Th Pr, Sonderheft „Schule und Kirche vor den Aufgaben der Erziehung", hg. v. Otto und Stock, 1968, 79 ff. 2. K. E . Nipkow, Grundfragen des Religionsunterrichts in der Gegenwart (Päd Forsch 35), 1969 2 ; dazu die m. E . sehr produktiven Vorschläge desselben Autors 3. Ders., Christlicher Glaubensunterricht in der Säkularität — Die zwei didaktischen Grundtypen des evangelischen Religionsunterrichts, in: E v E r z 1968, 169 ff. 4. J. Baldermann, Der biblische Unterricht, 1969.

4. Didaktik I I I — Probleme einer Theorie der Unterrichtsmethoden a) Vorbemerkungen Der Stand der Diskussion über Methodenprobleme macht es nicht nur zweckmäßig, sondern nötig, einige Bemerkungen über die hier gebrauchten Begriffe voranzuschicken. Diese Bemerkungen können kurz sein, da schon in anderem Zusammenhang Erörterungen angestellt wurden, die direkte oder indirekte Beiträge zu einer solchen Begriffserklärung darstellen (1). Unter Unterrichtsmethoden werden wie üblich jene Formen, d. h. Verfahrensweisen des Unterrichts verstanden, ohne die nicht nur kein planvoller, sondern überhaupt kein Unterricht zustande kommt. Sinn dieser Formen und Verfahrensweisen ist es, die Aufgabe des Unterrichts, so wie sie in unseren didaktischen Erörterungen entfaltet war, möglichst sachgerecht, möglichst schnell und möglichst gründlich erfüllen zu helfen. Faktisch bedient sich, wie gesagt, jeder Unterrichtende solcher Methoden. Grundsätzliche Methodenfeindschaft pflegt de facto entweder nur bestimmte Methoden zu meinen oder einen Mißbrauch von Methoden oder — sich über sich selbst zu täuschen. Daß Methoden u. U. in bestimmten von ihnen erhobenen Ansprüchen zu reduzieren oder auch grundsätzlich zu relativieren sind, kann natürlich notwendig werden. Diese Notwendigkeit wird besonders oft dann akut, wenn neben die Handhabung bestimmter Methoden deren Lehre tritt. Solche Methodenlehren pflegen aus dem Bedürfnis zu entstehen, praktisch erprobte Methoden zu beschreiben und dadurch zu verbreiten. Man will Anhänger der Methoden gewinnen, die sich einem bewährt zu haben scheinen. Und zwar geschieht dies einmal um des jeweiligen Unterrichts willen — man will ihn verbessern, d. h. ihm zur schnelleren Erreichung seiner Ziele verhelfen.

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Es geschieht aber auch um der eigenen Position willen — man möchte bestätigt werden und Bundesgenossen haben. Beide Motivationen machen es verständlich, daß Methoden-Diskussionen oft mit erheblicher Leidenschaft geführt werden, und daß in ihnen Neigungen zu Verabsolutierungen einzelner Methoden oder Methodengruppen besonders häufig begegnen. Dogmenstreitigkeiten pflegen unter Lehrern nicht so leicht an den Gegenständen — auch nicht den religiösen — zu entstehen, wie an den Methoden, nach denen diese Gegenstände unterrichtet werden bzw. unterrichtet werden sollen. Wo die Methodenlehre mehr oder weniger systematisch geplant wird, pflegt sie Methodik genannt zu werden. Die Nötigung zu einer solchen Systematisierung wird vor allem da empfunden, wo Methoden ex officio dem Nachwuchs vermittelt werden sollen. Die Subjektivismen dieser Methodiken pflegen weniger groß, die Leidenschaft ihrer Vertreter gezügelter zu sein, als das bei den gelegentlichen' Methodenlehren und ihren Anwälten meist der Fall ist. Ob die Methodiken deshalb auch interessanter sind, ist eine andere Frage. Ihre größere Ausgeglichenheit pflegt doch zugleich auch ihre größere geistige Anspruchslosigkeit zu bedeuten. Gewiß finden sich unter den Methoden-Werbern — um sie einmal so von den mehr oder weniger systematisierenden Methodikern zu unterscheiden — immer wieder skurrile Gestalten, mehr Stifter methodischer Sekten als wirkliche Pädagogen. Aber in ihre Reihe gehören doch auch jene großen methodischen Anreger, deren produktiven Einseitigkeiten der Unterricht, der innerhalb und außerhalb unserer öffentlichen Schulen gegeben wird, seine stichhaltigen methodischen Fortschritte verdankt. Damit ist dann vollends deutlich geworden, daß die vorherrschenden Methoden und Methodenlehren einer ihre Handhabung und Entwicklung begleitenden kritischen Besinnung bedürfen. Also einer Besinnung, die z. B. Eigenart und Tragweite der einzelnen Methoden klärt und ihr Verhältnis zu den übrigen Faktoren des Unterrichtsgeschehens aufhellt, eine Besinnung aber auch, die die Methodenlehren auf die Aussagefähigkeit ihrer Begriffe, ihre Engführungen und Hypostasierungen usw. hin untersucht. Eine Besinnung dieser Art kann nur von der Wissenschaft geleistet werden. Sie allein verfügt über die notwendige Distanz zu den Unterrichtsmethoden und ihre Lehren, über die notwendigen Verfahrensweisen der Kritik, über die für eine solche Kritik notwendigen Kategorien und schließlich über die bei der Lösung einer solchen Aufgabe unabdingbare Unabhängigkeit von unmittelbaren Unterrichtsinteressen. Wenn ich den Inhalt einer solchen

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Besinnung „Theorie der Methoden" nenne (möglich wäre durchaus auch „Methodologie"), so kommt mit diesem Begriff vielleicht besonders gut zum Ausdruck, daß sich die hier zu leistende wissenschaftliche Aufgabe auf die Realität ihr vorgegebener Methoden und Methodenlehren bezieht. Es ist nicht Sache der Wissenschaft, Unterrichtsmethoden zu erfinden und lehrend zu verbreiten. Auch also, wenn sich eine solche wissenschaftliche Theorie der Methoden in Forschung und Lehre wesentlich kritisch verhält und dem Unterrichtenden zu einer entsprechenden Kritikwilligkeit und -fähigkeit verhelfen mächte, kann sie sich nur um den Preis eines tiefgreifenden Selbstmißverständnisses über die .Praxis' erhaben fühlen. Sie ist von dieser Praxis schlechterdings abhängig. Produziert diese Praxis keine Methoden und Methodenlehren, dann wird die Theorie der Methoden gegenstandslos. 1. Siehe besonders den Absdinitt ,Didaktik' § 9,8. Außer der dort genannten Literatur vgl. zu diesen .Vorbemerkungen': 2. W . Flitner, Theorie des pädagogischen Weges (1950) 1968 8 . 3. W . Klafki, Art. „Methode, Methodik (I Die Begriffe)" in: P ä d Lex 617 f. 4. E . Bodiinger: Anschaulicher Religionsunterricht (Arbeiten zur Pädagogik 3), 1967®.

b) Zum Herkommen der Unterrichtsmethoden Methoden und Methodik des Unterrichts haben im Abendland eine lange Geschichte, die bis auf die Sophisten des 5. vorchristlichen Jh.s zurückgeht und einigermaßen deutlich durchschaubar vor uns liegt. Obwohl das Christentum aufgrund der in seinem Bereich vor und nach der Reformation entwickelten umfangreichen Unterrichtspraxis zu dieser Geschichte der Unterrichtsmethoden wesentliche Beiträge geliefert hat, muß hier doch davon abgesehen werden, auch nur eine Skizze derselben zu umreißen. Für die Beschäftigung mit dieser Geschichte seien aber zwei Hinweise gegeben. Wenn sie, wie gesagt, in erheblichem Umfang eine Geschichte der Methode und Methodik christlichen Unterrichts ist, so heißt das nicht, daß die Methoden dieses Unterrichts und ihre Lehre selbstverständlich christliche Ursprünge haben, d. h. in spezifisch christlichen Motiven und Überlegungen wurzeln. Aus der Antike stammende Überlieferungen spielen im christlichen Unterricht von Anfang an eine erhebliche Rolle und später gesellen sich Anregungen der Aufklärung und der langsam autonom werdenden Pädagogik zu ihnen, für die das Christentum oft auch dort keine Urheberrechte in Anspruch nehmen kann, wo sie in betont christ-

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lichem Gewände auftreten. Sodann: Gerade bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Unterrichtsmethoden und ihrer Methodik ist es besonders nötig, vor unhistorischen Urteilen auf der Hut zu sein. Es gibt hier so etwas wie eine Tradition des Anachronismus. Das hängt damit zusammen, daß methodisch Engagierte besonders dazu neigen, nidit nur ihre Methode zu verabsolutieren, sondern sie dann audi zum absoluten Maßstab ihrer historischen Urteile zu machen. D e facto treten selbstverständlich auch Unterrichtsmethoden und ihre Theorien nur in geschichtlicher Form auf, und bei jedem historischen Urteil über sie sind ihr Herkommen und die Umstände, auf die sie antworten, sorgfältig zu beachten und zu würdigen. Man kann nun aber der Frage nach dem Herkommen der Unterrichtsmethoden noch einen anderen Aspekt abgewinnen, der in Zusammenhängen wie dem unseren weniger zur Geltung zu kommen pflegt und deshalb hier eine wenigstens relativ größere Berücksichtigung erfordert. Es ist der Aspekt, innerhalb dessen weniger nach der historisch erschließbaren Tradition bestimmter Unterrichtsmethoden und ihrer Theorie als nach den wesentlichen, sich in der Geschichte gleichsam immer neu gebärenden Ur-Sachen der Unterrichtsmethoden gefragt wird. Ohne Berücksichtigung gerade dieser Fragestellung dürfte weder die Geschichte der Unterrichtsmethoden und -methodik wirklich verstehbar, noch die Gegenwartssituation auf dem Felde der Methodenpraxis und -lehre exakt durchschaubar sein. Ich eröffne diesen Aspekt durch kritische Anknüpfung an bestimmte gängige Ansichten, die einen weiten Bereich der Vor-Urteile über diesen Gegenstand umschreiben. Wer heute fragt, woher das Angebot der Unterrichtsmethoden, das er vorfindet, stammt, beantwortet sich diese Frage gewöhnlich etwa folgendermaßen. Unterrichten ist ein uraltes Handwerk bzw. Kunsthandwerk. Dieses Handwerk hat, wie jedes andere auch, Arbeitstechniken und Kunstgriffe entwickelt. Insbesondere, seitdem es bzw. wo es so etwas wie Schule gibt, werden diese Techniken und Kunstgriffe mit bewußter Sorgfalt fixiert und tradiert. Eng verbunden mit dieser Vorstellung ist dann die andere, daß es sich bei der Entstehung von Unterrichtsmethoden grundsätzlich um einen Vorgang handelt, der aus dem mangelhaften Erkenntnisvermögen der Kinder geboren wird: Methodisch unterrichten heißt für sehr viele von denen, die über dieses Problem nachdenken, einfach ,kindgemäß' unterrichten, wobei das ,Kind' nur privativ verstanden wird. So ergibt sich die verbreitete, mehr oder weniger durchdachte Meinung: Das Angebot der Methoden entsteht dort, wo man es

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vorwiegend mit Kindern zu tun hat, besonders in der Schule. Und zwar in einer gegenüber den Unterrichtsgegenständen mehr oder weniger autarken Entwicklung. Für einen methodisch guten Lehrer hält man den, der besonders gut darüber Bescheid weiß, ,wie man es seinem Kinde sagt', und der hierüber auf eine Weise Bescheid weiß, die kaum noch nach den jeweiligen Gegenständen fragt, weil er überzeugt ist, daß seine bewährten und gekonnten methodischen Griffe jedweden Gegenstandes Herr werden. Hier sind nun einige Einwände zu machen, die schließlich die Frage nach dem Ursprung des Methodenangebots doch erheblich anders beantworten lassen. Zunächst muß es eine ungerechtfertigte Verengung genannt werden, wenn unser Problem von vornherein auf den Kinderunterricht eingeschränkt wird. Auch der Erwachsene lernt ja, wird beständig belehrt, bzw. belehrt sich immer von neuem. Und auch diese Belehrung bzw. Selbstbelehrung erfolgt immer aufgrund mehr oder weniger entwickelter Methoden. Ich wähle eine Reihe von Beispielen, die das verdeutlichen mögen. Und zwar setze ich sofort dort ein, wo gewisse spezifische Belehrungsmittel einen spezifischen Unterrichtsbedarf unserer Zeit beantworten. Bekanntlich wird die Welt, in der wir leben, einerseits immer umfassender zugänglich — wir sagen: Die Menschheit der Erde wächst zusammen — andererseits wird dieselbe Welt immer komplizierter, also in ihren Einzelheiten und deren Zusammenhängen unverständlicher. Das hat nun einen Informationsbedarf geweckt, dessen Umfang noch gar nicht zu übersehen, ja der offenbar nicht mehr zu decken ist. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen der Erwachsene seine Welt hinlänglich übersah, d. h. als Erwachsener nichts mehr zuzulernen hatte, sondern sein in der Schule erworbenes Wissen und die dort gewonnenen Erkenntnisse nur noch anzuwenden brauchte. Ich wage nicht zu sagen, daß sich diese Situation niemals wieder ändern wird, daß also die Mobilität auch endgültiges Sdiicksal unserer Bildung sein wird. Vielleicht konsolidiert sich diese Bildung auf einer neuen Stufe wieder. Hier ist schlecht prophezeien. Aber kein Zweifel kann sein, daß wir jetzt und in absehbarer Zeit in solcher Mobilität zu leben haben. Und deshalb treten in der Befriedigung des wachsenden Informationsbedarfes gerade jene Elemente des Methodischen besonders deutlich hervor, um die es uns hier geht. Denn dieses Informationsbedürfnis wird ,methodisch' befriedigt. Und zwar weitgehend durch

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die sog. Massen-Kommunikationsmittel (-Medien). Ich beschränke mich auf ein paar Worte über die Zeitung. Jedermann weiß heute, daß er, um in Kontakt mit der Welt, in der und für die er lebt, zu bleiben, dieses Informationsmittel nicht entbehren kann. Er muß sich täglich durch die Zeitung belehren lassen. Nicht immer geschieht das in einem geklärten Bewußtsein darüber, daß wir durch die Zeitung ,methodisch' belehrt werden. Leicht wird dieser Tatbestand durch das Wort .Informationsmittel' verdedkt. Denn es ist ja keineswegs so, daß wir gewissermaßen vollständig und nur ,informiert' würden. Immer wird uns eine Auswahl von Nachrichten geboten; und außerdem werden diese Nachrichten interpretiert, weil sie sonst für uns weitgehend unverständlich wären. Auswahl und Interpretation aber sind die alten Mittel, die auch die Schule bei der Belehrung und Erziehung der Kinder methodisch nutzt. Der Zeitungsleser — und noch einmal: Man kann heute nicht Nicht-Zeitungsleser sein — befindet sich faktisch ,in der Schule'. Und der Journalist, der eine Zeitung .macht' (Fachausdruck!), ist — quantitativ gesprochen — ein Lehrer im Großformat. Er kann das auch qualitativ sein. Wir haben ja auch im deutschen Sprachbereich durchaus Journalisten von hoher Qualität, Künstler ihres Faches, bei denen die Grenzen zum Schriftsteller fließend werden. Und ähnlich ist es mit den anderen Massen-Kommunikationsmitteln, also mit Rundfunk und Fernsehen. Wenn heute oft mit einer gewissen Betonung gesagt wird, der moderne Mensch verlange nach Information anstelle von Belehrung und Erziehung, weil er sich mündig wisse, so pflegt dies mit einer verblüffenden Selbsttäuschung gekoppelt zu sein. Man kann selbstverständlich — und sollte es — gegenüber Informationen kritisch sein. Man kann z. B. — und sollte es — mehrere Zeitungen lesen und ihren Informationsgehalt kritisch durchdringen. Aber wer vermag das schon? Wer hat Zeit und Geld dazu? Und selbst, wo es einmal wenigstens vorübergehend gelingt, ist doch in der Regel nur die Einsicht das Ergebnis, daß ich als Zeitungsleser nicht nur informiert, sondern immer zugleich belehrt und erzogen werde und daß ich auf beides angewiesen bleibe: Im ,Zeitungsmachen',steckt Methode', und zwar Unterrichtsmethode. Das gilt selbst für jene politischen oder wirtschaftlichen Funktionäre, die sich einen Pressereferenten halten können, der ihnen täglich Ausschnitte aus einem umfangreichen Blätterwald vorlegt. Ja, hier verdoppelt sich eigentlich das Belehrt- und Erzogenwerden; nicht nur die Presse belehrt, sondern auch der Pressereferent wird zum Mentor dessen, den er ,unterrichtet' in der Doppelbedeutung des Wortes .informieren' und .belehren'.

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Ein anderes Beispiel. Zu der Welt, über die wir Informationen verlangen, gehört auch der Mensch. Es ist wirklich nicht erst heute unmöglich, sich diese Informationen selbst zu beschaffen. Auch über den Menschen mußte und muß sich der Mensch belehren lassen. Er tut dies in vorwissenschaftlichen, wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen ,Studien', mehr freilich im Umgang mit Dichtung. Homers Gesänge, Dantes Göttliche Kommödie, Eschenbachs Parzival, Grimmelshausens Simplizius Simplizissimus, Goethes Faust und de Costers Eulenspiegel spielen seit langem für unsere sog. Bildungsschicht die Rolle von Lehr-Diditungen de homine und besitzen in Roman und Theater (insbesondere in der Tragödie) der Gegenwart, und zwar nicht nur der .moralistischen', eine ebenso zeitgemäße wie wirksame Konkurrenz. Wiederum also stehen wir vor dem Phänomen einer Belehrung und Erziehung von Erwachsenen. Ein drittes Beispiel bilden jene Lehrmittel, die direkt oder indirekt einer beruflichen Fortbildung dienen, wie sie von der Mobilität unserer Gesellschaft und Wissenschaft immer dringender gefordert wird, also z. B. das sog.,Sachbuch'. Die lebhafte Nachfrage nach diesem Sachbuch ist ein Ausdruck eines entschiedenen Willens Erwachsener, sidi methodisch belehren zu lassen. Ein Wunsch, dem diese Sachbücher z. T . auf sehr hohem Niveau, d. h. aber auch mit großer methodischer Könnerschaft genügen: Diese methodische Kunstfertigkeit ist oft wesentlich größer als die in schulischen Lehrbüchern angewandte. Und schließlich: Der Erwachsene suchte und sucht auch die Unterrichtung, die Belehrung durdi das gehörte Wort von Vortragenden (im Vortragssaal, heute auch im Radio und Fernsehen), von Schauspielern (in dem, was diese zu dem Text als ihre eigene Leistung hinzufügen) und von Predigern. Keine dieser Unterrichtungen und Belehrungen erfolgt prinzipiell unmethodisch. Sie können methodisch schlecht sein, aber nicht unmethodisch; bei gelungener Eliminierung methodischer Elemente kämen sie gar nicht zustande. Aus alledem folgt: Das Angebot der Methoden stammt weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart aus der Schule, sondern aus dem Leben; aus dem Leben der Völker, der Gesellschaft, der religiösen Gemeinde. Diese Einsicht läßt sich nun an Hand der genannten Beispiele noch etwas vertiefen. Was geschieht eigentlich in jener Belehrung über Welt und Mensch, die wir z. B. durch Diditung, durch die lebendige Stimme von Mit-

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menschen, durch Sachbücher und durch moderne Massenkommunikationsmittel erhalten? Doch nichts Geringeres als die Grundlegung unseres Teilhaftigwerdens der Welt und ihrer Menschen. In dieser Belehrung spielt sich der erste Akt unseres Teilhabe-Gewinnens an Welt und Mensch ab, eines Gewinnens also, das offensichtlich nur m e t h o disch' zu erlangen ist. Damit wäre dann das Angebot der Methoden, ihre sachliche .Herkunft' noch weiter aus der Schulstube hinausgerückt: Dieses Angebot stammt aus der Weite und Tiefe jenes geistigen Lebens, in dem Teilhabe des Menschen an Welt und Mitmensch gewonnen wird. Hieraus ergibt sich nun ein zweiter kritischer Gesichtspunkt gegenüber der gängigen Meinung, daß Unterrichtsmethoden nichts seien als das Ergebnis einer Bemühung um die Unzulänglichkeit, die Torheit, die Unreife, die Unmündigkeit von Schulkindern. Gilt der Satz, daß das Angebot der Methoden aus dem Leben der Völker, der Gesellschaft, der Gemeinde stammt und in alledem aus der Weite und Tiefe welterschlossenen und mitmenschlichen geistigen Lebens, dann heißt dies auch, daß jene gängige Methoden-Deutung unter einer verhängnisvollen Mißachtung oder Unterschätzung des Kindes leidet. Das Kind gewinnt in dieser Theorie nicht die Rolle dessen, dem die wirkliche Welt und der wirkliche Mensch erschlossen werden, sondern es wird in die Rolle dessen geschoben und in der Rolle dessen festgehalten, der nur die Welt des Lehrers erfährt. Schul-Methoden, die ihre Herkunft aus jenem geistigen Leben verleugnen, in dem wir ihren wahren Geburtsort fanden, versetzen das Kind in das Surrogat einer Schulwelt, die nicht Gott, sondern der Lehrer schafft und also in eine Kindhaftigkeit, die sich selbst von diesem Schöpfer-Lehrer abhängig weiß, nicht mehr angelegt ist auf Teilhabe an der wirklichen Welt Gottes. Und damit ist dann auch der letzte kritische Gesichtspunkt in unser Blickfeld geraten, den wir jenem gängigen Methoden-Verständnis gegenüber zur Geltung zu bringen haben. Wenn der wahre Geburtsort der Methoden da Hegt, wo wir ihn sehen zu müssen meinten — also nicht in der Schule! — dann heißt dies auch, daß die Geburt dieser Methoden primär von jenen Sachverhalten bestimmt ist, um deren Teilhabe der Mensch bei seiner Bemühung um Welt und Mitmensch ringt. Die Gegenstände selbst, an denen teilzuhaben der Mensch bestrebt ist, bestimmen in erster Linie wie diese Teilhabe zustande kommt. Es leuchtet, um ein grobes Beispiel zu nennen, ohne weiteres ein, daß ein philosophischer Text an-

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ders zu behandeln ist als eine Kette historischer Ereignisse. Beschäftigt sich eine Prima mit Pascals .Gedanken über die Religion', so wird es darauf ankommen, daß die gewählten Stücke im Dialog der Klasse auf ihren Sinn und ihre Konsequenzen hin durchdacht werden. Und hierbei wird der Tatbestand zu beachten sein, daß es sich in diesen Pensées nicht um eine abgerundete systematische Darstellung handelt, sondern um Fragmente, bei denen nicht einmal die originale Anordnung unproblematisch ist. Beschäftigt sich dieselbe Prima mit der Geschichte der Gegenreformation, so wird die Lehrererzählung die Grundform des Unterrichts sein müssen, die vielleicht durch das häusliche oder gemeinsame Studieren ausgewählter Quellenstücke ergänzt ( = illustriert) werden kann. In dem einen wie dem andern Falle liegt also in dem Gegenstand selbst eine Aufforderung, sich den Zugang zu ihm auf einem besonderen, d. h. gegenstandsspezifischen Wege zu erschließen. Wer hier danebengreift, muß gewärtig sein, den Gegenstand nicht zu erhellen, sondern zu verdunkeln. Ein zusammenhängender Lehrervortrag über Pascals ,Gedanken' muß notwendig deren Wesen entstellen, d. h. aber ihren Inhalt unzugänglich machen. Umgekehrt würde jeder Versuch, ein Stüde Geschichte, also etwa die Gegenreformation, von den Schülern ,aus den Quellen erarbeiten' zu lassen, notwendig den Zugang zu dem Phänomen der Gegenreformation verschließen — und so weiter. Die methodische Spezifizierung wird um so feiner werden, je tiefer der Unterrichtende in den Gegenstand seines Unterrichts eingedrungen ist. Auch in bezug auf die Methode erweist sich also der Satz gültig, daß die Güte des Unterrichts primär vom Verhältnis der Unterrichtenden zum Unterrichtsgegenstand bestimmt wird. Der Respekt vor diesem Gegenstand ist auch maßgebend für die Wahl der ,angemessenen' Methode. Der Versuch, beliebig verschiedenartige Gegenstände mit ein und derselben Methode zu traktieren, ist auch eine Respektlosigkeit. Unsere Einsicht, daß der Entstehungsort der Methoden nicht in der Schule, sondern im Leben liegt, könnte jetzt also folgendermaßen formuliert werden: Er liegt dort, wo sich die Gegenstände, Sachverhalte oder auch Menschen entsprechend ihrer Eigen-Art gegenüber den ihre Kenntnis und ihr Verständnis Suchenden zur Geltung bringen. c) Methoden-Einzahl und Methoden-Mehrzahl Damit sind auch die wichtigsten Voraussetzungen gegeben, eine Problematik aufzuhellen, die noch immer merkwürdig vielen schwer oder gar nicht durchdringbar erscheint und die deshalb seltsam viel

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methodisches Denken und Tun überschattet: Die Problematik der Methodenzahl. Aus der Tradition ragt der Methoden-Monismus der Herbartianer besonders in den innerkirchlichen Unterricht hinein, wenn auch nicht nur in ihn. Natürlidi ist er nicht mehr unangefochten. Aber weitgehend stellt sich besonders den kirchlichen Unterrichtenden, die die Kritik an der Methodik der Herbartianer ernst nehmen, die Frage nur so, welche andere Methode anstelle der der Herbartianer denn nun zu wählen sei. Und gegen diese allzu simple Fragestellung, die faktisch auf einen neuen, nur eben nicht den Herbartianisdien Methoden-Monismus zielt, steht höchstens die nicht weniger simple Meinung, daß es offenbar zweckmäßig oder doch wenigstens angenehm sei, sich im Unterricht mehrerer Methoden zu bedienen. Aber unter welchen Gesichtspunkten hätte dann die Wahl der Methoden im konkreten Fall zu erfolgen? Gilt, was den Schülern entgegenkommt? Oder was der Unterrichtende besonders gern unternimmt, weil er es besonders gut beherrscht? Oder was jeweils als besonders modern gilt? Solche Fragen können dann deshalb recht bedrängend werden, weil es kaum noch Schul- oder Kirchenbehörden gibt, die dem Unterrichtenden die methodische Verantwortung durch methodische Regulative abnehmen. Aus dem, was wir über den Ursprung der Methoden fanden, ergibt sich die Folgerung, daß es Unterrichtsmethoden grundsätzlich nur in der Mehrzahl gibt, denn Unterricht hat es immer mit einer Mehrzahl verschiedengearteter Unterrichtsgegenstände bzw. Aspekte derselben zu tun, und zwar nicht einfach nur im Blick auf die verschiedenen sog. Fächer, sondern gerade auch innerhalb derselben. Wer meint, auch nur innerhalb eines Faches mit einer einzigen Methode auskommen zu können, handhabt in Wahrheit gar keine Methode, sondern ein Schema. Gewiß hat auch das Schema in wohl jedem Unterrichtsbereich eine berechtigte Funktion; aber eben nicht die einer Methode. Das was wir heute allein noch Unterridit nennen können, ist methodisch nidit mono-, sondern polyform, weil es nur so gegenstandsgerecht bleibt. In welcher Weise bei der Methodenwahl trotz bzw. innerhalb der Prävalenz des Unterrichtsgegenstandes auf bei den Unterrichtenden und den Unterrichteten gegebene Voraussetzungen Rücksicht genommen werden muß und kann, wird am besten beim Durchdenken einzelner Methoden gezeigt (vgl. § 22, 4 d). Hier sei nur zusammenfassend festgestellt: Unterrichtsmethoden sind prinzipiell der unabhängig von ihnen festgestellten Unterrichtsaufgabe unterworfen. Sache, Unterrichtender und Unterrichtete sind an der Aufgaben-Setzung beteiligt;

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die Methoden dienen der entworfenen Aufgabe. Anders formuliert: Methoden sind grundsätzlich sekundär. Das heißt also, sie sind nicht überflüssig oder gleichgültig; aber sie folgen (sequi) aus der durch jene Faktoren des Unterrichtsgeschehens bestimmten Absicht. Von den § 22,4 a nachgewiesenen Arbeiten vgl. besonders: 1. E . Weniger, Didaktik als Bildungslehre — Teil 2, Didaktische Voraussetzungen der Methode in der Schule, (1960) 1965 4 " 8 . 2. W . Klafki, Art. „Didaktik und Methodik', in: Päd 50 ff., bes. 62 ff.

d) Hauptformen heutiger Evangelischer Unterweisung Die Fülle der von den Aufgaben Evangelischer Unterweisung ermöglichten bzw. geforderten Methoden hier aufzuzählen und zu durchdenken, ist nicht nur aus Raumgründen unmöglich. Nimmt man das, was über die Geschichtlichkeit der die Unterrichtssituation ausmachenden Faktoren gesagt war, ernst — vgl. bes. die Abschnitte Didaktik I und II (§ 22, 2 und § 22, 3) — dann ist die Zahl dieser Methoden groß und ihre Varianten sind prinzipiell unüberschaubar. Es gibt aber einige Unterrichtsformen der Evangelischen Unterweisung, deren genaue gedankliche Durchdringung eine Orientierungsfähigkeit im Meer der methodischen Möglichkeiten vermittelt. Natürlich gilt auch dies nur in geschichtlichem Sinn. Das heißt, es muß sich um Unterrichtsformen handeln, die uns diesen Dienst in der heutigen Lage der Evangelischen Unterweisung tun. Ich wähle als solche das Erzählen, das Gespräch und die Arbeit. — Das Thema Erzählen erfordert zunächst einige Bemerkungen über den Sinn von menschlichem Sprechen. Es ist seltsam, zu beobachten, wie wenige Unterrichtende — zu denen hier natürlich auch Pfarrer gezählt werden — sich Gedanken über die Sprache machen. Seltsam deshalb, weil die Sprache doch ihr völlig im Vordergrund stehendes Unterrichtsmittel ist. Neben ihr sind andere Unterrichtsmittel, die sich ihnen anbieten, überwiegend nur Hilfsmittel in einem strengen Sinn des Wortes, Sprachhilfen nämlich. Unsere Verwunderung über das relativ geringe Interesse der Unterrichtenden an der Sprache muß sich steigern, wenn wir daran denken, daß die Sprache heute ein bevorzugtes, um nicht zu sagen zentrales Thema in Philosophie und Theologie ist. Kein leichtes Thema übrigens und vielleicht liegt es mit hieran, daß die Scheu vor ihm verhältnismäßig verbreitet ist. Natürlich kann keine Rede davon sein, diese Problematik hier in extenso aufzunehmen. Aber wir können sie auch nicht einfach

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umgehen. Sdion deshalb nicht, weil sie in der neueren Didaktik der Evangelischen Unterweisung eine gewisse Rolle spielt, einer Didaktik mithin, die sich damit als hellhöriger erweist als die in ihrem Bereich Unterrichtenden. Ich beschränke midi also auf wenige Hinweise, die mir für den Fortgang unserer Überlegungen unentbehrlich scheinen und vielleicht auch geeignet sind, auf die umfassendere Problematik wenigstens aufmerksam zu machen. Dabei werde ich mich bemühen, so schlicht wie möglich zu formulieren. Sprache dient, so könnte man, müßte man zunächst sagen, der rationalen Verständigung der Menschen untereinander über ihre Lebensbedingungen. J e komplizierter diese Lebensbedingungen werden, um so größer ist der Bedarf an soldier rationalen Verständigung. Niemand von uns kommt heute, um leben zu können, ohne ein Maß an Informationen aus, das entscheidend größer ist als das, mit dem man sich noch vor rund 50 Jahren begnügen konnte. Und diese Informationen erfragt man und läßt sie sich sagen. Wir sind also erheblich gesprächiger geworden als frühere Generationen. Freilich auf eine Weise, die spezifisch menschliche Gefährdungen mit sich gebracht hat. Wir kennen sie alle. Ich kennzeichne sie hier nur mit Luthers Ubersetzung von Psalm 90, 9: „Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz". Vielleicht hängt es auch mit dieser spezifischen Gefährdung des Menschen unserer Tage zusammen, daß die neuere Philosophie und Theologie sich mit solcher Intensität des Sprachproblems angenommen und damit ein verhältnismäßig großes Edio — wenn audi leider noch nicht in Lehrerkreisen — gefunden hat. Philosophie und Theologie haben dabei einen völlig anderen Aspekt der Sprache zur Geltung gebracht, als es der ist, den diese als Informationsmittel bietet. Offenbar hat Sprache noch eine andere Gewalt als die, ,etwas' mitzuteilen. In ihr vermag der Mensch sich selbst mitzuteilen. Diese Selbstmitteilung des anderen aber braucht der Mensch ganz elementar. Er ist Mensch nur in der Kommunikation mit dem anderen. Selbstverständlich ist dabei an einen weiten Sinn von Sprache gedacht: Menschen teilen sich einander nicht nur durch das gesprochene Wort, sondern auch durch Verhaltensweisen und sogar durch Schweigen mit. In dieser anderen Gewalt der Sprache, durch die der Mensch vom Sich-Schenken des anderen, also von der Liebe, erreicht wird und durch die er lieben kann, beruht das tiefere Geheimnis der Sprache, um das Philosophen und Theologen sich mühen. Die Größe dieser Mühe wird dabei nicht zuletzt aus ihrem Realismus geboren, mit dem sie auch das Faktum ins Auge fassen, daß menschliche Sprache diese ihre andere 23

Kittel, Ev. Religionspädagogik

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Bereiche der E r z i e h u n g und Bildung

Gewalt verliert oder in ihr Gegenteil — also Liebe in Haß — verwandelt durdi die Schuld. Nur wer von diesen tieferen Aspekten menschlicher Sprache etwas weiß, versteht wohl, was es eigentlich mit dem Erzählen auf sich hat. Er begreift es dann allerdings auch rasch, weshalb ich nach dem Gesagten nun besonders knapp formulieren darf. In der Erzählung (zunächst eigener Erlebnisse) wird mehr verlangt als in dem was wir als bloßen Bericht von ihr zu unterscheiden pflegen. Nämlich: Erstens, daß der Erzählende eine sinnvolle Auswahl unter den Fakten trifft. Das bedeutet also, daß diese Fakten für ihn bereits einen Sinn bekommen haben müssen, wenn dieser Sinn vielleicht auch in einem Geheimnis besteht. Tatbestände, die für mich keinen Sinn gewinnen, auch nicht den des Geheimnisses, die also für mich nur absurd sind, lassen sich von mir im strengen Sinn des Wortes nicht erzählen. Sodann wird von der Erzählung verlangt, daß der Erzählende selbst auf eine spezifische Weise in der Erzählung enthalten ist. Denn der Sinn, den die erzählten Fakten haben, muß ,Sinn für den Erzähler' sein. Und drittens wird von der Erzählung verlangt, daß sie den oder die Hörenden so mitbedenkt, daß die Hörenden an der Erzählung mitwirken. Indem die Hörenden bestimmte Reaktionen des Erzählers bewirken, agieren sie selbst in der Erzählung. Sind diese Voraussetzungen gegeben, geschieht durch die Erzählung etwas höchst Bemerkenswertes: Die erzählten Fakten bleiben keine ,bloßen' Fakten, sondern gewinnen eine höhere Form von Wirklichkeit, als sie ihr bloßes Vorgekommensein darstellt. Eine Wirklichkeit nämlich, die darin besteht, daß sie auf die, die so reden und hören, als Person in einer ganz bestimmten Weise einwirken. Wir sagen dann auch: Die Fakten werden lebendig. Ohne die Erzählung der charakterisierten Art bleiben sie stumm. Durch die Erzählung gewinnen sie jene Präsenz, durch die sie uns bewegen und bestimmen. Am großen Beispiel illustriert: In bezug auf die Erlebnisse unseres Volkes nach 1933 ist dieses Volk noch immer stumm — was etwas anderes ist als schweigend. Es hat ihren Sinn noch nicht entdeckt. Und deshalb ist dieses Volk — es waren ja höchst bedeutungsvolle Vorgänge — menschlich in vieler Hinsicht so ungemein armselig geworden. Aber nicht nur das. Auch die Geschichtlichkeit dieses Volkes, d. h. seine Zukunft ist bedroht. Denn Geschichtlichkeit und Zukunftsfähigkeit eines

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Volkes sind unabdingbar damit verbunden, daß es seinem Erleben einen Sinn abgewann, daß es diese Erlebnisse in Erfahrungen verwandelte, also: daß es sie zu erzählen lernte. Der menschliche Mangel, von dem die Rede war, ist also kein bedauerliches Manko in mehr oder weniger privatem Bereich von einzelnen oder Familien. Die Sache ist ernster. Ein Volk, das sich zum beharrlidien Stummbleiben über seine Vergangenheit entschlösse, träte einen Rückzug aus der Geschichte an. Damit ist dann unversehens audi schon der Übergang vom Erzählen eigener zu dem fremder Erlebnisse gemacht. Es dürfte nun ohne schwierige Erläuterungen verständlich sein, wenn ich in bezug auf die Geschiditserzählung im allgemeinen Sinn des Wortes formuliere: Sie versetzt den Hörer in die Lage, seinen Standort in der Geschichte zu durchschauen, seine Abhängigkeit von den diese Geschichte bestimmenden Ereignissen zu erkennen und also die Verantwortung auf sich zu nehmen, die diese Geschichte ihm auferlegt, wenn er an ihr teilzunehmen gedenkt, kurz: wenn er eine Zukunft zu haben wünscht. Daß es Menschen gibt, die Geschichte zu erzählen vermögen, ist also von eminenter Tragweite für die Zukunft der Völker. Audi die Frage, wie denn solche Art von Geschiditserzählung zustande kommt, ist nun leicht zu beantworten. Nicht durch die Befolgung jener gutgemeinten Rezepte (,Nur kurze Sätze gebraudien!' — .Keine Flickworte verwenden!' — ,Direkte Rede bevorzugen!' usw.), die meine Rede ,anschaulich' und .fesselnd' machen sollen. Der hier zu zahlende Preis ist höher. Echte Erzählung entsteht da, wo ich bestimmten Ereignissen einen sagbaren Sinn abgerungen habe und wo ich meine Hörer für wert halte, an diesem Sinn teilzunehmen. Es setzt also ein dreifaches Ernst-Nehmen voraus: das Ernst-Nehmen des Ereignisses, insofern ich es nach seinen Sinn befrage; das Ernst-Nehmen meiner selbst, insofern ich nach dem Sinn des Ereignisses für mich frage; und das Ernst-Nehmen der Hörer, mögen sie auch noch so klein sein, insofern ich sie für fähig erachte, den Sinn des erzählten Ereignisses zu einem Sinn für sich zu machen. Ein eigentümlicher Reflex der realen Bedeutsamkeit der Geschiditserzählung, der geeignet ist, alles über sie Gesagte noch etwas schärfer zu konturieren, liegt übrigens in der Geschichtsschreibung autoritärer Sozietäten vor. Immer wieder erregt es Verwunderung, daß diese so ungewöhnliche Aufmerksamkeit auf ihre Geschichtsschreibung verwenden. Es läge eigentlich näher, so meint man, daß sie die Geschichtsschreibung mißachteten, weil es gerade ihnen doch allein auf das Han23*

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dein ankäme. Stattdessen produzieren diese autoritären

Sozietäten

ständig Geschichtsschreibung, d. h. ändern diese laufend entsprechend diesem oder jenem politischen Willen und sind unermüdlich dabei, die jeweils gültigen Geschichts-Erzählungen

auch ihrem letzten Gliede

durch hartnäckige Schulungen einzuhämmern. Warum eigentlich? Weil man weiß, besonders genau weiß, welche Macht die Geschichtserzählung besitzt. Hier lebt ein dämonisches Zerrbild der Wahrheit, daß Geschichts-Erzählung geschichtsfähig macht. Die Menschen werden hier nicht wirklich geschichtsfähig, sondern gesdiiditswillfährig gemacht. Aber auch diese Perversion zeugt noch auf ihre Weise davon, daß, wer Geschichte erzählt, handelt. Aus dem Vorangehenden folgt, daß es nicht geraten ist, sich in die Problematik der Sprache und des Erzählens von vornherein mit dem Blick auf Unterrichtsfragen hineinzudenken. In diesem Sinne weise ich besonders auf folgende Werke hin: 1. M.Heidegger, Das Wesen der Sprache, in: „Unterwegs zur Sprache", 1963 3 . 2. E. Auerbach, Mimesis — Dargestellte Wirklichkeit in der abendländisdien Literatur, 1959 2 . 3. H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode — Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 1965 2 . 4. G. Ebeling, Art. „Hermeneutik", in: R G G 3 III, 242 ff. 5. Ders., Wort Gottes und Hermeneutik, in: Wort und Glaube (Ges. Aufs.), (1960) 19673. 6. E. Fuchs, Marburger Hermeneutik, 1968. Außerdem: das gesamte Werk F. Gogartens. 7. E. Rosenstock — Huessy, Die Sprache des Menschengeschlechts — Eine leibhaftige Grammatik in vier Teilen: 1. Bd. (1. + 2. Teil) 1963; 2. Bd. (3. + 4. Teil), 1964. Hochinteressant sind übrigens auch die Debatten über die politische Funktion der Sprache in der sowjetischen Sprachwissenschaft. An einer solchen besonders lebhaften Debatte Anfang der 30er Jahre hat sich auch Stalin beteiligt und sich interessanterweise dabei höchst engagiert gezeigt. Dabei trat er gegen die .Talmudisten' und .Dogmatisten' auf, die die Geschichtlichkeit der Sprache verleugnen — Geschichtlichkeit natürlich im Sinne politischer Manipulierbarkeit der Sprache verstanden. Das Phänomen politischer .Sprachregelungen' gibt es übrigens auch in den westlichen Demokratien und Kirchen. Von der — übersetzten — sowjetischen einschlägigen Literatur sind relativ leicht zu beschaffen: 7. „Beiträge aus der Sowjetischen Spradiwissenschaft", Folge 1, ed. W. Steinitz, Berlin (Ost), 1952. 8. I. Stalin, Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft, Berlin (Ost), 1954; vgl. jetzt auch: 9. I. Stalin, Marxismus und Fragen der Spradiwissenschaft, hg. v. H. P. Gente. Aus dem Russischen v. H. D. Becker, München, 1968.

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So gilt also auch für das Erzählen: Nicht die Schule oder die Notwendigkeit der Bildung bzw. Unterhaltung von Kindern hat es geboren, sondern das Leben, das Leben der Geschichte nämlich, anders gesagt: die Geschichtlichkeit des Menschen. Indem in der Schule erzählt wird, sprengt diese gerade ihre pädagogische Autarkie und nimmt an einer der ernstesten Tätigkeiten teil, die es im Leben der Sozietäten gibt. Diese Wahrheit bekommt nun ein besonders scharfes Profil durch das Exempel des Volkes Israel und — im Anschluß daran — der christlichen Kirche. Biblischer Glaube ist in einem betonten und spezifischen Sinn geschichtlicher Glaube. Das meint zunächst: Die diesen Glauben begründende Offenbarung geschieht nicht neben der Geschichte oder über ihr oder jenseits ihrer, auch nicht durch einen die Geschichte sprengenden Einbruch in sie, sondern mitten in dieser Geschichte, nämlich durch wirkliche Menschen, die das auch bleiben. Dementsprechend wird der Mensdi, der diesen Glauben empfängt, nicht aus der Geschichte herausgeführt, sondern umgekehrt mit dem stärksten denkbaren Motiv in diese Geschichte hineingebunden. Und dies hat zur selbstverständlichen Folge, daß sidi biblischer Glaube in einem religionsgeschichtlich ungewöhnlichem Sinne primär nicht auf Visionen, Auditionen, bloße Gesetz-gebungen oder mystische Erleuchtungen, sondern auf die Erzählung verwiesen sieht. Denn geschichtliche Ereignisse, auch die Offenbarung Gottes in der Geschidite, kann man nur erzählend in Wirksamkeit setzen. So ist das Fundament alttestamentlichen Glaubens eindeutig ein Handeln Gottes in der Geschichte, nämlidi an und mit den von ihm auserwählten Volk. Und also gebiert dieser Glaube Erzählung und Erzähler. Eine Gestalt wie der Jahwist dürfte kaum zu Unrecht zu den größten Erzählern gerechnet werden, die in der Menschheitsgeschichte überhaupt auftauchen. Und wenn sein Grund-Credo geschichtlicher Natur war, nämlidi Heilsgeschichte bekannte, so heißt dies, daß gewissermaßen jeder gläubige Israelit zum Erzähler wurde: „Wenn dich künftig dein Sohn fragt: Was hat es mit den Zeugnissen und Satzungen und Rechten, die Jahwe, unser Gott, euch geboten hat, für eine Bewandtnis?, so mußt du deinem Sohn sagen: Knechte des Pharao sind wir in Ägypten gewesen, aber Jahwe führte uns mit starker Hand aus Ägypten heraus . . ( f o l g e n weitere Geschichtsstationen bis zur Landnahme). (5. Mos. 6, 20—24). Diese Erzählungen der Väter haben dies Volk auf seinem Weg gehalten, haben seine Geschichte mit Gott gewirkt. Und bei aller Eigenart der Propheten gilt auch für sie: Die

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Geschichte Gottes mit seinem Volke von der das Credo dieses Volkes erzählt, ist das Lebenselement ihrer Prophetie; man kann den J a h wisten durchaus auch zu den großen prophetischen Gestalten Israels rechnen. Auch in die Poesie Israels ist jenes Grund-Credo eingegangen, das Israel durch Erzählung an seine eigene Geschichte als Gottesvolk band. So ist es kaum übertrieben, wenn man sagt, daß alttestamentlicher Glaube ein Glaube auf Grund von Erzählung ist und das Alte Testament das Buch der Erzähler, xar' é|oxr)v. Audi neutestamentlicher Glaube ist wesentlich Glaube aufgrund von Erzählung. Das ist einfach mit der Tatsache gegeben, daß auch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus nicht neben der Geschichte oder sie überhöhend oder sie sprengend geschah, sondern mitten in der Geschichte. D a ß der Christus Gottes wahrer, also geschichtlicher Mensch war, gehört zu den Fundamenten dieses neutestamentlichen Glaubens in allen seinen Spielarten. Damit ist zugleich auch der Glaube der christlichen Kirche als auf Erzählung beruhender Glaube bestimmt. Denn das Neue Testament ist ja schon Frucht der Geschichte dieser Kirche. Und wer dieses Neue Testament kennt, den kann der an sich seltsame Tatbestand nicht mehr überraschen, daß der zentrale 2. Artikel des für die weitere Kirchengesdiichte so wichtig gewordenen Apostolisdien Glaubensbekenntnisses geschichtlich orientiert ist, d. h. erzählt. Es ist also wirklich so: Biblischer Glaube gründet auf Erzählung; Vergewisserung, Fortpflanzung und Ausbreitung dieses Glaubens, also der Fortgang der Geschichte der Kirche Christi sind elementar auf Erzählung angewiesen und bringen deshalb diese Erzählung immer wieder mit Notwendigkeit hervor. So bleibt nur die Frage: Kann man so einfach von Erzählung in der Bibel sprechen, ohne ausdrücklich zu berücksichtigen, daß es sich hier doch um eine ganz besondere Art von Erzählung handelt? Jene besondere Art nämlich, die dadurch entsteht, daß sie den Glauben, dem sie dient, schon voraussetzt. Ist es nicht richtiger, diese Erzählung Verkündigung zu nennen? Wenn man den Jahwisten schon eine prophetische Gestalt nennt, muß man dann nicht auch die Konsequenz ziehen, sein Werk als Prophetie zu bezeichnen? Und ist es nicht doch richtiger, angemessener, sachlicher, von den Evangelien als einer Predigtsammlung zu sprechen? Mit einer heute viel gebrauchten Vokabel zu sprechen: Ruht biblischer Glaube nicht statt auf Erzählung auf Kerygma? Ich würde mit einem doppelten Hinweis antworten.

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Einmal scheinen mir Erzählung und Kerygma nicht in dieser Weise auseinanderzureißen zu sein. Gewiß gibt es biblisches Kerygma auch in anderer Gestalt als in der der Erzählung, z. B. in der Form der Poesie, der Epistel, des echten Briefes, der Predigt usw. Aber eben auch in der Form der Erzählung. Erzählung oder Kerygma ist eine unsachliche Alternative. Sodann ist es doch wohl so, daß die Erzählung stets ein notwendiges Element im Gesamtgefüge des Kerygmas ist. Christliche Verkündigung ist entweder Erzählung oder bezieht sich auf Erzählung. Das liegt einfach daran, daß die Offenbarung Gottes in Jesus Christus mitten in der Geschichte geschah. Dieser kerygmatisdie Charakter biblischer Erzählung braucht uns übrigens nicht so fremd zu sein, wie das oft der Fall ist. H a t nicht jede wirkliche Erzählung ,kerygmatischen' Charakter, wenn wir diesen Begriff einmal von seinem biblisdien Gehalt lösen, also formalisieren? Auch die profane Erzählung ist doch, wie wir sahen, etwas anderes als ein Bericht, mehr als ein Bericht. Denn auch sie setzt Glauben voraus, Glauben nämlich an den gefundenen Sinn des betr. Ereignisses. Und auch sie will diesen Glauben im Hörer wecken, will ihn so des Ereignisses teilhaftig machen, was ihr auch gelingt. Zur Rolle der Erzählung in der Bibel kann nur summarisch auf die exegetische und biblisch-theologische Literatur hingewiesen werden. Eine knappe Orientierung über das Problemfeld Kerygma findet sidi bei: H . Otto, Art. „Kerygma", in: R G G 3 III, 1250 ff.

Wer unserem Gedankengang bis hierher gefolgt ist, besitzt wichtige Voraussetzungen, um auch das Erzählen in der Evangelischen Unterweisung sinnvoll zu durchdenken. Ich mache dies an einigen Problemen deutlich, die heute eine hervorgehobene Bedeutung besitzen. D a ist zunächst die Frage: Welchen Jahrgängen unserer Schüler — gleich welcher Institution — kann man, soll man vernünftigerweise erzählen? Mit anderen Worten: Ist das Erzählen einer oder mehrerer Altersstufen so zugeordnet, daß es außerhalb derselben deplaziert wäre? Ist z. B. die ziemlich verbreitete Meinung richtig, Erzählen sei eine Methode des Grundschulunterrichtes, vielleicht noch des 5. und 6. Schuljahres, dann aber in dem Maße beiseitezurücken, in dem die Schüler zu Verstand kommen? Noch konkreter formuliert: Soll man den 6—10jährigen biblische Geschichte erzählen, die 10—13jährigen langsam hiervon entwöhnen und in die Lektüre von Religionsbuch und Bibel einführen, um dann mit den 13—18jährigen zu exegesieren oder

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zu diskutieren? Auf die Schule als praktisch wichtigste hier zu bedenkende Institution zugespitzt, müssen wir nach dem Vorangegangenen antworten: Die Schule hat sich in der Erzählung nicht ein besonders kindertümliches Arbeitsfeld geschaffen, sondern sie nimmt, indem in ihr erzählt wird, an einem Stück höheren geistigen Lebens der Sozietät teil, die sie trägt. Der Lehrer, der in der Schule erzählt, ist, indem er dies tut, kein studierter Märchenonkel, sondern Repräsentant der sich in der Erzählung vermittelnden geistigen Tradition der Welt, für die die Schule da ist. Die Teilhabe auch des reifsten Schülers an dieser Überlieferung ist schlechterdings daran gebunden, daß ihm erzählt wird. Wie sollte auch der Oberprimaner entbehren können, was nodi dem Studenten unentbehrlich ist? Geschichtserzählungen sind z. B. — aber keineswegs nur! — ein unentbehrliches Element dessen, was wir heute politische Bildung nennen. Ja, selbst der im Beruf Stehende, der das Studium hinter sich hat, ist, will er seine gesdiiditsfähige Existenz bewahren, darauf angewiesen, daß ihm erzählt wird, in Vorträgen etwa, vor allem aber in Büchern. Entsprechend ist auch in der Evangelischen Unterweisung das Erzählen keine Veranstaltung ,für Herz und Gemüt der Kleinen', sondern der Ernstfall der Realisation von Teilhabe an dem Handeln Gottes in der Geschichte seines alten und neuen Volkes, Israels und der Kirche. Selbstverständlich heißt dies nicht, daß in der Evangelischen Unterweisung nur erzählt werden sollte. Wir werden noch von sehr anderen ,Methoden' zu spredien haben. Aber es sollte auf jeder Altersstufe erzählt werden, d. h. es sollte keine Altersstufe von der Erzählung ausgeschlossen werden, wenn und insoweit die Unterrichtssituation es erfordert. — Als zweites Problem wähle ich das des Kerygmas in der Erzählung der Evangelischen Unterweisung. Erzählen z. B. biblischer Stoffe bedeutet, wenn wir das Gefundene ernst nehmen, nicht über das Kerygma des betr. Textes belehren, sondern in den Vollzug dieses Kerygmas eintreten. Der ernsteste Einwand gegen das Erzählen in der Evangelischen Unterweisung, den man heute hören kann— und man hört ihn nicht selten — lautet deshalb nicht ,Ich kann nicht erzählen' (in pädagogischem oder sprachlichem Sinn), sondern: ,Ich vermag das Erzählte nicht so zu glauben, wie es der biblische Autor glaubt'. Hierauf ist, wenn wir uns des von der Herrschaft der Sache über unser Erzählen Gesagten erinnern, zu antworten: So zu glauben vermag überhaupt niemand. Einfach deshalb, weil biblisch glauben immer heißt, mit eigenem Glauben glauben. Nichts ist unbiblischer als Uniformität des Glaubens, auch und gerade dann, wenn diese Uniformität

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durch die Übernahme biblischer Wendungen und Vorstellungen erzielt werden soll. Der an den in der Evangelischen Unterweisung Erzählenden durch das biblische Kerygma gestellte Anspruch ist also gerade nicht der, das jeweils Gesagte sdiematisch zu repetieren. Vielmehr: Das biblische Kerygma will, daß ich, der Erzählende, es mir gesagt sein lasse und darauf — mit meiner Erzählung! — antworte. Das biblische Kerygma macht mich nicht zum religiösen Lautsprecher, sondern stiftet in mir eine eigene Glaubensgeschichte. Geschichte aber enthält immer Höhen und Tiefen, reiche und magere Zeiten, gerade Wege und Umwege, Verläßlichkeit und Untreue, Fortschritt und Rückschritt und in alledem jenen geheimnisvollen Vorgang der Reifung, den niemand zu beobachten vermag, am wenigsten wir selbst. Dies, nichts anderes, ist die Wirkung, die Macht biblischen Wortes: lebendigen, menschlichen, also geschichtlichen Glauben zu stiften. Uniformer Glaube aber ist toter Glaube, auch und gerade dann, wenn er eine .biblische' oder kirchliche' Gedankenuniform angezogen hat. Wenn wir sagten, daß in der echten Erzählung der Erzählende seinen Platz hat, so heißt das also für die Erzählung biblischer Stoffe: Ich habe in meiner Erzählung einen legitimen Platz gerade mit dem Glauben, den Gott mir bereitet hat, auch wenn er recht unkonventionell sein sollte. Und Entsprechendes gilt für meine Hörer. Audi sie haben in meiner Erzählung einen legitimen Platz gerade mit dem Glauben, der derzeit in ihnen ist, stecke er auch voller zweifelnder Fragen. Mit der kirchengeschichtlichen Erzählung ist es prinzipiell nicht anders. Kurzum: Unser Problem ist dann lösbar, wenn man in seinem Durchdenken das Glauben sach-gemäß, d. h. biblisch versteht. — Auch der dritte Problemkreis, der hier noch zur Sprache kommen soll, ist nun relativ leicht zu durchdringen: der der Selbstmächtigkeit des Wortes. Unsere neueren sprachphilosophischen und sprachtheologischen Einsichten haben hier und da zu einem Vertrauen zum Wortlaut biblischer Texte geführt, das ausgesprochen problematisch ist. Man glaubt, der Vermittlung dieser Texte zutrauen zu dürfen, daß sie zugleich die Vermittlung der Sache derselben besorgen. Und zwar um so besser, je weniger sie von Fragen nach dieser Sache gestört, je mehr also der Erzählende und seine Hörer aus der Erzählung ausgeschaltet sind. Die .Form' der biblischen Sprache bekommt das Gewicht einer mehr oder weniger weitgehenden Identifizierung mit der Sache, um die es jeweils geht. Das Maß dieses .mehr oder weniger' pflegt an dem

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Grade ablesbar zu sein, in dem — an sich konsequent — die Exegese in den Hintergrund gedrängt wird. Diese anti-exegetische Tendenz aber — die Strömungen solcher Art bei Unterrichtenden natürlich häufig beliebt machen — verrät nun deutlich, daß wir es hier mit mehr oder weniger magizistischen Mißverständnissen modernen Sprachdenkens zu tun haben. Die Einsicht in die tiefere Gewalt der Sprache, die auch wir hier zu entfalten versuchten, wird in diesem Mißverständnis zur Theorie von einer Zauberkraft der Sprache, die gleichsam vergißt, daß wir nicht mehr im Mittelalter leben, sondern Reformation und Aufklärung hinter uns haben. Der heutige Mensch muß, will er sich nicht selbst verleugnen, höchst rationale Fragen an die biblischen Texte stellen, Fragen, die aus der geschichtlichen Distanz zu den biblischen Texten stammen und ohne deren Beantwortung er die biblische Erzählung einfach nicht zu hören vermag, Fragen also, an denen jedes bloße Sich-Verlassen auf die Eigengewalt der biblischen Sprache scheitert. Freilich steckt in diesem sich zunächst nur geisteswissenschaftlich gebenden Einwand noch Wichtigeres. Die Subjektivität des modernen Menschen, d. h. sein Wille, das, was er glaubt, zu verantworten, hat auch Wurzeln in der Reformation und also im Evangelium. Das Evangelium hat jedes irgendwie magische Verhältnis des Menschen zum Wort zerbrochen. Die Gewalt des biblischen Wortes, verstanden nach dem Evangelium, wirkt sich gerade nicht an der Person des Hörenden vorbei aus, sondern so, daß es diese Person in Geltung setzt. Deshalb sind auch die höchsten Formen bloß rezitativer Ausbreitung des Wortes unterchristlich. Bloß liturgisches Wort ohne Predigt ist immer auf dem Wege zu vorchristlichen Glaubensweisen. Ähnliches gilt für den Unterricht. Eine Wiedergabe biblischer Erzählungen, die nichts will, als die Sprach-Form des Textes zur Geltung bringen, kann sich keineswegs darauf verlassen, daß sie das im Evangelium Gemeinte wirkt. Eine solche Wiedergabe kann höchstens in eine Suggestion hineinreißen, die bei jedem nüchternen Hörer rasch verfliegt. Eine Erzählung biblischer Texte wirkt nur dann Evangelisches, wenn sie durch die Person des Erzählenden ging und die Person des Hörenden meint. Das aber heißt, wenn sie Verständnis, Unverständnis, Frage und Antwort des jetzt lebenden Erzählers und jetzt lebenden Hörers in sich aufgenommen hat. Noch anders gesagt: Die Erzählung biblischer Texte ist nur dann für den Gegenwartsmenschen und im Sinn des Evangeliums wirksames Wort, wenn sie glaubend und liebend geschieht. Glaube und Liebe sind aber immer mein Glaube und meine Liebe, oder sie sind weder das eine noch das andere.

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Evangelische Unterweisung

Eine vertiefte Besinnung über alle Spradiprobleme Evangelischer Unterweisung hat eingeleitet: 1. I. Baldermann, Biblische Didaktik — Die sprachliche Form als Leitfaden unterrichtlicher Texterschließung am Beispiel synoptischer Erzählungen, 1966 3 . — Zur Thematik dieses Abschnittes vgl. außerdem: 2. Otto, Handbuch, Exkurs V : Das Erzählen biblischer Geschichten, S. 218 ff. 3. E . Bochinger, Distanz und Nähe — Beiträge zur Didaktik des Religionsunterrichts (Arbeiten zur Pädagogik hg. v. Dürr und Schlatter N r . 10) 1 9 6 8 ; bes. S. 13 f. Zum Stand der Diskussion vgl. die 4. „Thesen zum Problem des Erzählens im Religionsunterricht", von Dörger-Hauptmann-Lott, Th Pr 1968, 169 ff. und die anschließende Debatte mit Beiträgen von H . Stock, I. Baldermann u. J. Schreiber.

Anhang:

Anregungen

für die Praxis des

Erzählens

Nachdem im Vorangegangenen die Praxis ihre Fruchtbarkeit für die Theorie erwies, folgere ich nun aus dem Durchdachten einige Anregungen für die erzählerische Praxis. Diese Anregungen stellen also eine Brücke zu dem dar, was in unserer Nomenklatur (s. § 22, 4 a) ,Methodik' heißt. 1. Den Anfang sollen einige Hinweise darauf machen, wie man folgender spezifischen Schwierigkeit des Erzählens vor Kleinkindern bis etwa 10jährigen begegnet. Den biblischen Text und sich selbst ernst nehmen, heißt heute, wie wir sahen, für den erzählenden Erwachsenen unausweichlich, die historische Distanz zum Text und alle sich aus ihr ergebenden Probleme ernst nehmen. Diese Distanz aber gibt es nun für die Hörer dieser Altersstufe noch nicht. Soll ich mich ihnen anpassen und die biblischen Stoffe ,ganz einfach' erzählen? Aber auch wenn ich diese Anpassung noch mit einer Theorie vom ,magischen Bewußtsein' des Kindes, das so gut zur ,magischen Welt' der Bibel stimme, vor mir rechtfertige, werde ich dabei kaum zur Ruhe kommen. Die Kinder werden dann eben doch als Kinder ihrer Zeit, d. h. als in eine rationalisierte "Welt Hineinwachsende nicht ernstgenommen und — fühlen das ebenso lebhaft wie genau, was meine Erzählung für sie wirkungslos macht. Ernstgenommen fühlt auch das Kleinkind, auch das Kind der Unterstufe sich nur dann, wenn ich mit ihm gemeinsam eine Sache ernst nehme, d. h. diese Sache für das Kind und für mich eine ernste Sache sein lasse, also im Umgang mit ihr gerade die Fragen, die sie mir stellt, nicht ausschalte, sie nicht zu einer Sache für Kinder, zu einer bloßen Kindersache mache. Aber es bleibt doch dabei, daß die Kinder

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Bereiche der Erziehung und Bildung

diese Fragen nicht verstehen, also einer explizierten Bemühung um sie nicht folgen können! Wie finde ich aus diesem Dilemma heraus? Häufig wird heute der Rat gegeben, Texte die solche Schwierigkeiten machen, Kleinkindern einfach nicht zu erzählen. Indes dürfte dies doch nur eine Kapitulation sein. Außerdem eine unzureichende. Denn welche Jesus-Geschichten z. B. sind für den Erwachsenen heute so problemlos, daß er sie .einfach erzählen' kann? Die moderne Problematik der Synoptiker-Exegese betrifft doch alle EvangelienPerikopen, nicht nur etwa diese oder jene ,Wunder-Geschichte'. Eine wirkliche Auflösung dieses Dilemmas dürfte durch die Befolgung folgender Regeln möglich sein. Audi die Erzählung für Kleinkinder bedarf einer Vergewisserung der Sache. Das bedeutet für akademisch gebildete Lehrer: Sie müssen den zu erzählenden Text sorgfältig exegesieren. Das geringe Ausdrucks-, d. h. Frage- und Äußerungsvermögen der jungen Kinder vermindert meine Sachverantwortung nicht, sondern erhöht sie. Gerade weil sie mich so wenig fragend kontrollieren können, muß meine Selbstkontrolle um so schärfer sein. Es ist weiniger schlimm, wenn idi in einer Oberprima einmal exegetisch schlecht präpariert bin, weil mich dort die Schüler gewissermaßen durch ihre aktive Beteiligung meiner Unzulänglichkeit überführen können. Ich erleide dann zwar eine Niederlage, aber diese ist offenkundig. Über die entsprechende Niederlage in der Grundschule kann ich hinwegschwätzen und die Leidtragenden sind die Kinder. Sodann: Klarheit und Reife meines Sachverständnisses setzen midi dann in die Lage, meine Erzählung richtig zu akzentuieren. Mit dieser richtigen Akzentuierung ist gemeint, daß ich mich bemühe, auch in der Gestalt meiner Erzählung den Sinn der betr. Perikope zum Ausdruck zu bringen, jenen Sinn, den ich als ihren Sinn für mich vor jedermann zu verantworten bereit bin. Vor jedermann. Also auch vor den Schülern der Oberstufe. Also auch vor den Schülern der Unterstufe, wenn sie einmal älter und reifer sind. Also auch vor meinen Kollegen. Zu einer solchen Akzentuierung kann beispielsweise schon gehören, daß ich so oft wie möglich den Charakter der Hl. Schrift als Gottes Wort durch Menschenmund dadurch deutlichwerden lasse, daß ich die Autorenverhältnisse klarstelle; oder, daß ich Haupt- und Nebenzüge der Periskope — in meinem Verständnis! — richtig plaziere; oder, daß ich willkürliche Harmonisierungen — bes. von Evangelientexten — vermeide; oder, daß ich die ,Überschrift' der Erzählung besonders sorgfältig formuliere, da durdi die traditionellen Formeln viel

Evangelische Unterweisung

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Fehlleitung des Verständnisses bewirkt wird; oder daß ich von mir für nötig gehaltene erzählerische Erweiterungen des biblischen Textes textgemäß vornehme. Und schließlich setzt mich eine gute Exegese auch in die Lage, meine Erzählung sachgemäß in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und von dieser Einordnung her zu formen. Auch die Reihenfolge meiner Erzählungen kann das Verständnis der Einzelerzählung riditig oder falsch bestimmen und bedarf entsprechender Aufmerksamkeit. Berücksichtigen wir diese Regeln — Exegesieren, Akzentuieren, Einordnen — dann haben wir Wesentliches getan, um dem Dilemma, von dem wir ausgingen, produktiv zu begegnen. Wir haben nämlich einerseits die Geschichtlichkeit unserer biblischen Texte audi in unserer Erzählung zur Geltung gebracht und es andererseits doch vermieden, die Kinder mit einer Problematik zu beladen, die ihnen noch unzugänglich ist. Anders gesagt: Wir haben auf eine Weise erzählt, die wir später, wenn es um die explizierte Diskussion der historischen Probleme des Textes mit den älteren Schülern geht, nicht zurückzunehmen brauchen; wir haben redlich, mit gutem Gewissen erzählt, so nämlich, wie wir es exegetisch verantworten können. Haben wir damit so erzählt, daß die Kinder der Unterstufe mit Sicherheit bruchlos in ein auch rational gereiftes Verständnis der biblisdien Geschichte hineinwachsen, wenn sie älter werden? Keineswegs. Das Erschrecken der reifenden Kinder vor der Einsicht in die Geschichtlichkeit, also Menschlichkeit der biblisdien Schriftsteller, der Verdacht, mit Ammenmärchen betrogen worden zu sein, der grundsätzliche Zweifel am Sinn der Bibel, die in solchen Zweifeln begründete Wesenstraurigkeit der Heranwachsenden oder ihr Spott über die Bibel — dies alles kann sich ereignen und wird vielfältig eintreten, obwohl wir sachgemäß und verantwortlich — exegetisch verantwortlich! — erzählen. Vorschläge, die darauf hinauslaufen, den Heranwachsenden solche Konflikte dadurch zu ersparen, daß man ihnen biblische Stoffe solange vorenthält, bis sie erwachsen sind, pflegen auf einem psychologisch-pädagogischen Irrtum zu beruhen. Auf dem Irrtum nämlich, daß es überhaupt so etwas gäbe wie eine .organische' Entwicklung geistiger Existenz, eine stetige geistige Entwicklung des Menschen, und daß Pädagogik — auch Religionspädagogik — darin bestehe, die Hemmungen solcher organischer Entwicklungen aus dem Wege zu räumen. Der Mensch entwickelt sich nicht durch organisches Wachstum seines inneren Lebens, sondern durch Krisen. Es kann also kein pädagogisches Ideal sein, Heranwachsenden solche Krisen zu er-

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Bereiche der Erziehung und Bildung

sparen. Man erspart ihnen nämlich dabei faktisch ihre Reifung. Ideal kann für den Pädagogen nur sein, daß er sich als sachlidi und wahrhaftig genug erweist, um von den Heranwachsenden, wenn die Krisen eintreten, als verläßlicher Berater in Anspruch genommen zu werden. Auch in der Evangelischen Unterweisung müssen die Kinder gewagt werden. Denn Kindern diese Wagnisse vorenthalten, heißt, sie um Krisen zu bringen, deren Resultate der Größe der Sache entsprechen. Die unsägliche seelische und geistige Armseligkeit, die der Verzicht auf diese Gegenstände — nicht die Feindschaft gegen sie! — zur Folge zu haben pflegt, spricht eine eindringliche Sprache. 2. Das Erzählen in der Evangelischen Unterweisung bleibt im allgemeinen nur dann seinem Herkommen und Wesen nach verständlich, nur dann vor methodistischen Entstellungen bewahrt, wenn es in eine breite Gewöhnung des Erzählens eingebettet ist. Lehrer und Pfarrer können also gegen solche methodistischen Entartungen nichts Besseres tun, als in Schule und Gemeinde möglichst häufig Profanes und Geistliches vor Kindern und Erwachsenen zu erzählen. 3. Wenn es sich beim Erzählen um die Wahrnehmung einer hochgespannten Sprachverantwortung handelt, dürfte es unumgänglich sein, daß, wer erzählen soll und will, bei Sprachmeistern in die Schule geht. Also nicht bei Schulmeistern, die den Ruf haben, pädagogisch gut erzählen zu können. Wer selbst gut erzählen lernen will, muß gute Erzähler lesen. Und zwar solche, die gerade nicht für die Schule erzählen. 4. Diese Sprachschulung durch gute Erzähler will erprobt sein an der eigenen schriftlichen Erzählung. Natürlich ist das mündliche Erzählen die eigentliche Hochform des Erzählens, in der unsere Sprache erst vollständig wird, weil sie Klang erhält. Aber wie soll man das verantwortliche Sprechen des Erzählens lernen, ohne sich immer wieder jenem Zwang der genauen Formulierung zu unterwerfen, der in der Niederschrift liegt? 5. Eine schriftliche Sprachübung, die für unser Erzählen eine besonders große Bedeutung bekommen kann, ist die Übersetzung. 6. Für die Sprachfähigkeit des Erzählenden, d. h. für seine Fähigkeit, der Situation, in der er erzählen muß, sprachlich gerecht zu werden, dieser Situation sofort sprachlich zu entsprechen, kann es erhebliches ausmachen, wenn der Erzählende viele gute Sprachmuster auswendig beherrscht. 7. Wenn fruchtbares Erzählen charakterisiert werden kann als ein 3faches Ernst-Nehmen — des Gegenstandes, seiner selbst und des

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Hörers — dann macht es also auch ethische Voraussetzungen. Ähnlich wie die antike Rhetorik feststellen konnte, daß nicht die oratorische Technik einen guten Redner mache, sondern daß nur ein bonus vir einen guten Redner abgebe, müssen wir aus dem Gefundenen die Folgerung ziehen, daß gutes Erzählen eine bestimmte Übung in der Wahrhaftigkeit voraussetzt: nur ein verax vir gibt einen guten Erzähler ab. 8. Damit hängt zusammen, daß zur Kunst des Erzählens die Kunst des Schweigens gehört. Das Bewußtsein der Verantwortung für das, was durch unser Erzählen passieren und versäumt werden kann, macht zurückhaltend. Die immense Beanspruchung unserer Verantwortlichkeit durch das Sprechen erzieht zum Schweigen. Auch noch mitten in der Rede. Ins Stocken geraten, wenn man erzählt, kann die Wirksamkeit der Erzählung durchaus stärken, statt sie zu schädigen. Dann nämlich, wenn dieses Stocken Symptom einer Wahrhaftigkeit ist, die nicht mehr sagen möchte, als sie verantworten kann. N u r der Schwätzer stockt nie. 9. Aus allem Gesagten folgt, daß die Sprachform bei von uns erzählten biblischen Perikopen mitzubeachten ist. Idi kann — die moderne Exegese zeigt es sehr genau — den Inhalt biblischer Texte nicht exakt verstehen und verständlich machen, ohne immer zugleich die Form zu berücksichtigen, in der sich ausspricht, was der Text sagen will. Im Blick auf diese biblische Sprachform sorglos verfahren, heißt also immer auch, das Sachverständnis erschweren bzw. stören. 10. Endlich dürfte es mindestens für den beruflich Erzählenden unumgänglich sein, sich auch mit der Sprechtechnik zu befassen. Allerdings ist es nicht empfehlenswert, sich mit dem Erlernen mehr oder weniger, vielleicht isolierter Sprechregeln zu begnügen, wie sie uns mehr oder weniger zufällig erreichen. Sorgfältige Untersuchungen auf dem Gebiet der Sprachphysiologie, Sprachpsychologie, der Phonetik und Psychotechnik haben zu dem geführt, was wir heute .Sprecherziehung* nennen, eine wirklich bedeutsame Sonderdisziplin der Pädagogik. Mit ihrer Theorie sollte sich befassen, ihrer Praxis sollte sich unterwerfen, wer etwas Gründliches und heute Verantwortliches auch für seine Sprechtechnik als Erzieher tun will. Lehrreich für das Erlernen des Erzählens in der Evangelischen Unterweisung sind: 1. Werkbuch Biblische Geschichte für Kindergottesdienst und Schule, hg. v. Bartels—Stemwede—Ziegler, Bd. I, 1968. 2. Die Bibel der Kinder — Eine Bibelauswahl mit Illustrationen von Kindern, hg. von G. und G. Otto, 1965; auszuwerten sind dabei aber nicht nur

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Bereiche der Erziehung und Bildung

die Bibeltexte und das Nachwort (107 ff.), sondern gerade auch die Bilder selbst, die so sehr viel von der Aufnahmemöglichkeit der Kinder verraten. Wahre Erzählerschulen sind ferner, wenn man sie kritisch gebraucht, die Bücher: 3. D. Steinwede, Zu erzählen Deine Herrlichkeit — Biblische Geschichten für Schule, Haus und Kindergottesdienst, 1965. 4. K . Würzburger, Kinder hören Biblische Geschichten — Ein Bericht aus der Werkstatt eines Erzählers, 1966 2 . Zur Kritik beider Bücher vgl.: 5. E.Linnemann, Neue Ansätze im Erzählen biblischer Geschichten, in: Schule und Kirche vor den Aufgaben der Erziehung, hg. von Otto und Stock (Theologia Practica — Sonderheft, f. Martin Stallmann) 1968, 137 f f . Notwendig scheint mir schließlich — gerade auch für Theologen — die Kenntnis des unter Germanisten berühmten Buches von 6. R. Hildebrand, Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Bildung und Erziehung überhaupt, 1867 (seitdem in vielen A u f lagen herausgegeben). Einen bedeutenden Erzähler aus dem Lehrerstand der Gegenwart lernt der Leser in folgendem Buch kennen: 7. H . W. Jannasch, Pädagogische Existenz — Ein Lebensbericht, 1967. Für den, der sich mit der neueren Sprecherziehung etwas näher befassen will, sei empfohlen: 8. E. Drach, Sprecherziehung, 1 9 6 9 " . —

Besteht die Aktualität des Themas ,Erzählen in der Evangelischen Unterweisung' darin, daß wir diese notwendige Kunst besonders schlecht beherrschen, so die des Themas ,Gespräch in der Evangelischen Unterweisung' darin, daß dies Gespräch gegenwärtig — vor allem bei jüngeren Unterrichtenden — eine besonders ,beliebte Unterrichtsmethode' darstellt. Audi diese Beliebtheit ist freilich kaum eine Hilfe zum Verständnis des Gesprächs als Weise des Unterrichtens. Übertreibend könnte man formulieren: In dem Grade, in dem man das Gespräch zur Schul-Methode degradierte, ist es in seiner spezifischen Art unverständlich gemacht und um seine spezifische Wirksamkeit gebracht worden. Heute gibt es unter Evangelische Unterweisung Erteilenden mit einer gewissen Geläufigkeit Überlegungen über folgende Fragen: Wie man Kinder am besten zu solchen Unterrichtsgesprächen bringt; zu welchen Ergebnissen diese führen können oder sollen; wie solche Ergebnisse am besten festgehalten werden (im Referat, in Merksätzen o. dgl.); wie sie für Hausaufgaben ausgewertet werden können; was für eine Sorte Disziplin zum Unterrichtsgespräch gehört (lockere oder strenge); ob es eine fortschreitende Schulung in der Führung solcher Unterrichtsgespräche gibt oder ob diese Schulung besser unterlassen

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wird; welche äußeren Bedingungen zu ihnen besser oder schlechter passen, und zwar bei Unterrichtenden wie bei Unterrichteten; wie man die Schüler zum guten Fragen erzieht; wie man sie zu kleinen oder großen Protokollen anleitet; wie Niederschriften der Gespräche aussehen müssen (Gliederung etc.); wie und wann Hilfsmittel (Bücher, Bilder, Karten) bereitgestellt werden sollten; wie das Stundenbild bei Unterrichtsgesprächen aussehen soll (Anlauf, Höhepunkt, Nachklang) und vieles andere dieser Art. Bei der Diskussion dieser Fragen werden dann nicht ohne handwerklichen Stolz Unterscheidungen zwischen ,belehrender Unterhaltung' und ,Unterrichtsgespräch', zwischen ,freiem' und .gelenktem' Unterrichtsgespräch usw. gehandhabt. Und in dem Maße, in dem man sich in solche Handwerkerei verfängt, vergißt man, daß auch dieses Unterrichtsverfahren seine Wurzeln nicht in der Schulstube, sondern im höheren menschlichen Geistesleben hat, schneidet diese Wurzel praktisch ab und bringt dadurch das Unterrichtsgespräch zum inneren Verdorren, was mit einer methodischen Perfektion durchaus Hand in Hand gehen kann. Das Wichtigste, was hier im Interesse des Gespräches in der Evangelischen Unterweisung geschehen kann, ist also wieder, nach ihm gerade ohne jede Rücksicht auf unterrichtliche Absichten zu fragen. In Erinnerung an das, was wir bereits über die Macht des Wortes, Wirklichkeit mitzuteilen, Teilhabe an Wirklichkeit zu geben, durchdacht hatten, können wir sofort auf das zentrale Phänomen zugehen. Es ist eine uns heute ziemlich geläufige Einsicht, daß die Menschlichkeit des Menschen, also die Erfüllung seiner Existenz als Mensch, auf eine sehr elementare Weise abhängig ist von seiner Bezogenheit auf den Mitmenschen. Diese Bezogenheit aber lebt in der Sprache, vornehmlich im Gespräch. Kinder, mit denen nicht wirklich sie meinend, also liebend, geredet wird, gedeihen nicht. Ehe lebt und stirbt mit der Gesprächsmäglidikeit zwischen Mann und Frau; wo beide sich ,nichts mehr zu sagen haben', geht ihre Gemeinschaft zugrunde und nehmen sie je selbst entsprechenden Schaden. Dabei ist wichtig: Das wirkliche Gespräch hat nicht den anderen, sondern ein Drittes zum Gegenstand. Nichts zerstört menschliche Gesprächsmöglichkeit rascher als das ständige in sich selber und im anderen Herumwühlen. ,Sich nichts mehr zu sagen haben' heißt faktisch, keinen gemeinsamen Gegenstand des Gespräches mehr besitzen. Menschliche Existenz ist nur in diesem Sinne ,dialogisch'. Das muß nun noch durch einen bestimmten Hinweis auf die geistige Situation unserer Zeit konkretisiert werden. 24

Kittel, Ev. Religionspädagogik

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Bereidie der Erziehung und Bildung

Seit dem Ende des 2. Weltkrieges ist ein Ereignis ins allgemeine Bewußtsein getreten, das faktisch schon mit dem Ende des 1. Weltkrieges gegeben war: der Verlust der letzten — bürgerlich-idealistischen — Weltanschauung, die noch einen größeren Teil der Gesellschaft umschloß. Man weiß heute allgemein, daß man keine gemeinsame Weltanschauung mehr besitzt und jeder Versuch einer Restauration auf diesem Gebiet zum Scheitern verurteilt ist. Das bedeutet: Uns ist die Bemühung um ein geistiges Leben und ein sittliches Verhalten nicht mehr durch ein Begriffs- und Wertsystem von allgemein anerkannter Verbindlichkeit abgenommen. Wir müssen diese Bemühung heute auf uns selbst nehmen. Und das geschieht im Gespräch. In jenem wirklich mühseligen Gespräch, in dem wir uns, hörend und sprechend, gleichsam hinter die von den Mitmenschen gebrauchte, aber unverbindlich gewordene Vokabulatur zurücktasten zu dem, was der andere mit diesem oder jenem Wort, mit dieser oder jener Wendung, diesem oder jenem Appell eigentlich meint. Wir können der Mühsal eines soldien Gespräches nur noch entgehen, indem wir uns willkürlich einer g e schlossenen' Weltanschauung unterwerfen. Das ist dann freilich der Versuch, einen Babylonischen Turm zu bauen, den Gott stets mit noch tieferer Sprachverwirrung bestraft. Die gefallene Menschheit, zu der wir gehören, hat eben keine gemeinsame Sprache mehr. In diese Lage muß sie sich schicken. Und sie tut das nie ohne Lohn. Unsere heutige relativ große Bereitschaft, unser Zurückverwiesensein auf das geduldige Gespräch der keine gemeinsame Sprache mehr Sprechenden anzunehmen, läßt uns von diesem Lohn etwas ahnen. Denn dies Gespräch kann ja nicht geführt werden ohne ein Höchstmaß von Selbstentäußerung, von Hingabe an den anderen — ist also eine Chance der Liebe. Übrigens gilt dies alles auch für das theologische Gespräch. Es ist heute schlechterdings nicht mehr damit getan, daß wir eine gewisse theologische Vokabulatur, ein System theologischer Begriffe und christlich-ethischer Sollensbestimmungen beherrschen. Immer sehen wir uns, wenn wir den anderen nicht einfach überfahren wollen und wenn wir nicht ausnahmsweise auf jemanden treffen, der sich das gefallen läßt, darauf angewiesen, zu sagen, was wir mit dieser oder jener theologischen Vokabel und Wendung meinen. Ohne daß seinen Ausdruck findet, was wir ,meinen', klappern unsere theologischen Vokabeln sofort, und Kinder wie Jugendliche haben für dieses Klappern noch feinere Ohren als Erwachsene. Was wir .meinen', können wir aber jeweils nur sagen, wenn wir den Inhalt der jeweils von uns gebrauchten

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theologischen Vokabeln oder Wendungen auf das reduzieren, was wir verantwortlich zu sagen vermögen, also ohne dabei unser theologisches Konto zu überziehen. Diese Transposition des theologisch nur Gelernten in das von uns theologisch Verantwortbare ist also etwas völlig anderes als etwa die bloße Popularisierung theologischen Wissens, in der nach der Deckung unseres theologischen Kontos nicht gefragt, sondern nur ,Wissenschaft' mundgerecht gemacht wird. Eher könnte ich diese Transposition die Vermenschlichung theologischen Wissens nennen. Insofern nämlich als bei diesem Vorgang zur Aussage kommt, was von mir als Mensch vor meinem Nächsten verantwortet wird. Ich halte persönlich die Bemühung um diese Vermenschlichung der theologischen Aussage für die wichtigste heute den Theologen gestellte Aufgabe — eine wirklich sehr anspruchsvolle Aufgabe. Es verrät also m. E. eine tiefe Ahnungslosigkeit in bezug auf den hier gestellten Anspruch, wenn man meint, die überlieferte Sprache christlichen Glaubens nur in modernistische Vokabulaturen übertragen zu brauchen, um sie ,dem modernen Menschen' hörbar zu machen. Insgesamt dürfte hinreichend deutlich geworden sein, daß das Gespräch wirklich, genau wie die Erzählung, ein Phänomen geistigen Lebens überhaupt darstellt. Und es dürfte auch erkennbar gemacht worden sein, daß wir gerade in unserer gegenwärtigen geistigen Situation besonders elementar darauf angewiesen sind, miteinander zu sprechen. Z u m Verständnis sollte weit mehr als 1. F. Ebner, D a s Werke B d . 1, 1963. Bekannter ist 2. M. Buber, D a s 1962.

der Theorie von der dialogischen E x i s t e n z des Menschen heute üblich gelesen w e r d e n : Wort und die geistigen Realitäten (1921), jetzt in: Ges.

dialogische Prinzip (1954), jetzt in: Ges. Werke B d . 1,

Der Sage vom Turmbau zu Babel, auf die wir anspielten, also von der Sprachverwirrung, die die Menschheit traf, wird nach alter christlicher Konvention gern die Pfingstgesdiichte entgegengesetzt. Mit dieser Kontrastierung soll ausgedrückt werden: Die Erlösung der Menschheit in Jesus Christus besteht darin, daß ihr die Hoffnung auf eine gemeinsame Sprache wiedergeschenkt wird; wobei Hoffnung in jenem neutestamentlichen Sinn verstanden wird, nach dem wir die erhoffte besitzen, weil wir schon ihr Angeld haben. Das Gericht der pl/uralen Sprachwelten ist nicht aufgehoben, aber man kann in dieser 24*

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Bereiche der Erziehung und Bildung

Pluralität Gemeinschaft miteinander realisieren, d. h. miteinander reden. An beiden biblischen Texten wären noch eine Fülle anderer Beobachtungen zu machen, die zu unserem Thema gehören. Wir können hier nicht einmal alle diesbezüglichen B e o b a c h t u n g s g a b e « aufzählen. Charakterisieren könnte man den Befund aus allen diesen Beobachtungen etwa in dem Satz: Die Beziehung zwischen dem Gott, der hier bezeugt wird, und den Menschen verwirklicht sich zentral im Gespräch; und diese Relation findet ihren Höhepunkt in der Verkündigung Jesu, die durch und durch dialogischer Natur ist. Auch die Verkündigung der Kirche ist dann in ihrem Grund-Wesen dialogisch. Das heißt auch, daß sie es nicht immer und überall ist. Schon bei der biblischen Verkündigung ist das nicht der Fall. Schon sie liegt ständig im Ringen mit dem, was ich ihre monologischen Versuchungen nennen könnte. Diese kamen im Alten Testament vornehmlich aus der Gesetzlichkeit des Gesetzesverständnisses und im Neuen Testament vornehmlich aus der monologischen Art griechischen Denkens. So liegt auch die spätere kirchliche Verkündigung ständig im Ringen mit den monologischen Verführungen, denen sie vor allem durch den Aristotelismus ausgeliefert ist. Die Reformation ist dann auch in dieser Hinsicht der große Bruch mit der mittelalterlichen Tradition. Luthers Theologie und Verkündigung sind wieder durch und durch dialogischer Natur. Und zwar in solcher Breite und in solcher Vollmacht, daß sich der Protestantismus, als wäre er von der Gewalt dieses Neu-Ansatzes geängstigt, in der Orthodoxie sofort wieder so etwas wie einen Schutzwall gegen die Herausforderung zur Antwort schafft, die im dialogischen Charakter des Werkes Luthers liegt. Im Einfluß des Idealismus auf die evangelische Theologie und Verkündigung gewinnen solche monologischen Tendenzen noch einmal eine langdauernde Kräftigung, bis die Erneuerung der reformatorischen Theologie nach dem 1. Weltkrieg dann — durch Rückgriffe auf Luther und Kierkegaard — mit selbstverständlicher Konsequenz auch zu einer Erneuerung des dialogischen Charakters evangelischer Theologie und evangelischer Verkündigung führt. Diese hat natürlich auch Konsequenzen für die evangelische Religionspädagogik gehabt. Luthers Feststellung in den Schmalkaldischen Artikeln ( I I I , 4), daß das Evangelium unter anderem auch verkündigt wird, also Sündenvergebung unter anderem auch geschieht: per mutuum colloquium et consolationem fratrum (unter Hinweis M t 18, 20), fand in der evangelischen Religionslehrerschaft einen sehr intensiven Widerhall.

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Zum christlichen Verständnis der dialogischen Existenz des Menschen ist außer dem eben erwähnten Werk von Ebner das Gesamtwerk Luthers, Kierkegaards und unter den Neueren besonders Gogartens heranzuziehen. —

Angesichts von allem, was hier über das Gespräch im Leben der Menschen, in der Bibel und in der Geschichte der Kirche gesagt werden konnte, bzw. mußte, mutet es nun etwas seltsam an, daß das Gespräch gegenwärtig einen Platz in der Evangelischen Unterweisung als ,moderne Unterrichtsmethode' findet. Denn wo es durch diese Tür in diesen Unterricht kommt, ist es eigentlich falsch legitimiert. Wenn es die Evangelische Unterweisung mit dem wirklichen Menschen und dem wirklichen Evangelium zu tun hat, dann dürfte das Gespräch aufgrund dieser Fakten — wirklicher Mensch und wirkliches Evangelium — in ihr nicht fehlen. Daß der wirkliche Mensch eine dialogische Existenz hat, und daß fruchtbare Unterrichtsgespräche nur dort entstehen können, wo Lehrer und Schüler, Pfarrer und Konfirmand abseits des Unterrichts, vor ihm, neben ihm und nach ihm, vertrauensvoll miteinander zu sprechen lernten — dies sind keine ,methodische' Weisheiten, sondern au fond anthropologische Einsichten. Heute gibt es in vielen jüngeren Schulklassen die Sitte, daß die Kinder — etwa am Wochenbeginn — erzählen dürfen, was sie erlebten. Ohne theoretische Planung, ganz so, wie es die mannigfaltigen Erlebnisse der Kinder ergeben. Diese Erzählungen schlagen fast immer in Gespräche um. Die Kinder äußern sich zu dem Erzählten ebenso wie der Lehrer und unversehens redet man höchst unbefangen und ernsthaft miteinander. Aus solchen Gelegenheiten erwachsen dann auch andere und es ist ein Zeichen für einen guten Lehrer, daß er diese anderen Gelegenheiten erkennt, wahrnimmt und ausbaut. Schulspaziergänge, Aufenthalte in Schullandheimen, Klassenfahrten, Geburtstagsfeiern, freiwillige Arbeitsgemeinschaften, Sprechstunden für Schüler und Konfirmanden, Diskussionsabende für die Älteren usw. sind solche Gelegenheiten, die sich manchen Pfarrern und Lehrern weit häufiger anzubieten pflegen, als sie von ihnen bewältigt werden können. Wem sie sich hartnäckig verschließen, der muß daraus sehr ernste Folgerungen gegen seine Eignung zum Lehrer bzw. Konfirmator ziehen. Freilich ist eine solche außer-unterrichtliche Gesprächsführung nicht zu bewältigen, wenn nicht zwei Wahrheiten zur Geltung kommen, die leider recht häufig übersehen werden. Die eine lautet: Auch hier verdirbt Perfektionismus das Mögliche. Lehrer und Pfarrer haben noch eine Fülle anderer Pflichten. Wer sich

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in die Pflege jenes außerhalb des Unterrichtes ereignenden Gesprächs verliert, versäumt diese Pflichten und bringt sich damit um jene Autorität, die auch der Boden seiner Gesprächsführung ist. Auch hier straft sich der Perfektionismus an sich selbst. Aber es ist — zweitens — auch gar nicht nötig, daß der Unterrichtende allen Unterrichteten ständig in gleichem Umfange zur Verfügung steht. Die Vielfalt der Gesprächsmöglichkeiten ist groß und nicht alle verlangen denselben äußeren und inneren Aufwand. Vor allem gibt es eine eigentümliche innere Multiplikation gut erfüllter Gesprächsmöglichkeiten mit einzelnen Schülern, mit Klassen, Gruppen aus Klassen, Konfirmandengruppen usw., die die hier zu leistende Aufgabe wesentlich erleichtert. Es gibt Schüler, mit denen man ein monatelanges Gespräch führen kann, das nur aus einer Kette von Andeutungen besteht, aus knappen Antworten auf Fragen, deren Zusammenhang der gefragte Lehrer oft gar nicht begreift. Es gibt Gespräche mit einer ganzen Klasse oder einem Schülerkreis, die eine Vielzahl von Einzelgesprächen ersetzen. Und es gibt vor allem Gesprädie mit einzelnen, die dem Unterrichtenden unendlich viele und wichtige Einsichten in eine Vielzahl anderer Schüler eröffnen — selbstverständlich ohne daß über diese anderen Schüler gesprochen würde —, so daß er künftig wie von selbst auch deren Anliegen und Fragen mitbedenkt, indirekt also auch mit ihnen im Gespräch ist, wie überhaupt das indirekte Gespräch eine noch weitgehend unentdeckte, aber oft besonders fruchtbare Form des Gespräches ist. Sowie man diese äußere und innere Vielfalt des außer-unterrichtlichen Gesprächs zur berechtigten Geltung kommen läßt, ist es, wie die Fülle der Beispiele, die man heute in allen Schularten antrifft, beweist, eine auch bei nüchterner Kräftekalkulation durchaus zu erfüllende Aufgabe. Und das Ergebnis ist immer, daß so auch das Unterrichtsgespräch einen Boden gewinnt, der seine Echtheit nährt und es vor methodistischer Verkümmerung bewahrt. Freilich ist dies nicht die einzige Frucht jenes Gespräches außerhalb des Unterrichts. Die Macht der Sprache und also des Gespräches ist größer. Ich könnte sagen: Davon, daß dieses Gespräch eines Lehrers mit seinen Schülern, eines Pfarrers mit seinen Konfirmanden in Gang kommt, hängt überhaupt ab, ob dieses Verhältnis eine menschliche Erfüllung findet. E i n e k n a p p e aber sehr inhaltreidie E i n f ü h r u n g in die neuere D i s k u s s i o n über das Unterrichtsgespräch findet sich b e i :

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1. H. M. Stimpel, Art. „Gespräch", in: Päd Lex 344 ff. Vgl. auch: 2. H. Reiring, Art. „Gesprädi im Unterricht", in: Lex Päd II, 421 ff.

Anhang:

Anregungen

für die Praxis des

Unterrichtsgespräches

Was nun noch in unserem Zusammenhang über das Unterrichtsgespräch im engeren Sinn des Wortes zu sagen ist, spiele ich wieder in die Methodik der Evangelischen Unterweisung hinüber. Auch bei diesem Thema dürfte die Verständigung mit dem Leser so am einfachsten und sein Vertrauen zur Fruchtbarkeit einer redlichen Theorie am leichtesten zu gewinnen sein. Ich gliedere diese Anregungen nach den Altersstufen. 1. Bei den 6- bis 10jährigen wird das sog. Unterrichtsgespräch erst angebahnt. Wenn die Kinder z. B. eine Erzählung des Lehrers gehört haben, reagieren sie auf das Gehörte durch einzelne Äußerungen der Zustimmung, Verwunderung, der Empörung, der Neugier, des Erschrockenseins, des Mitleids usw. Die Kunst des Unterrichtenden ist es nun, diese Reaktionen richtig aufzufangen. Richtig auffangen aber bedeutet auch hier zuerst und vor allem: die Kinder richtig ernst nehmen. Man nimmt sie z. B. nicht wirklich ernst, wenn man sich von ihnen gestört zeigt. Konzentriertes Hören äußert sich notwendig. Diese Äußerungen unterdrücken heißt also, die Konzentration der Aufnahme unterdrücken. Natürlich käme keine Erzählung zu ihrem Ziel, wenn man jenen Reaktionen beliebig freien Lauf ließe. Das aber soll auch nicht befürwortet werden. Es kommt im wesentlichen auf zweierlei an. Erstens darauf, die ihre Äußerungen nicht Antwort erhalten. In gewisse Verläßlichkeit

Kinder mit Stetigkeit erfahren zu lassen, daß ungehörig sind und daß sie, soweit nötig, eine dieser Hinsicht muß der Unterrichtende eine f ü r die Kinder gewinnen.

Zweitens aber müssen die kindlichen Reaktionen natürlich in eine gewisse Ordnung überführt werden. Das kann einfach ,darin bestehen, daß man die Kinder anleitet, mit ihren Reaktionen bis zum Ende etwa einer Erzählung zu warten. Das kann auch darin bestehen, daß man gewisse Regeln vermittelt, knappe Äußerungen und einfache Fragen während der Erzählung freigibt und kurz beantwortet, umfangreiche Äußerungen und Fragen bis zum Schluß aufsparen läßt. Die hödistm ö g l i ^ e Formgebung einer solchen Ordnung ist wohl darin zu sehen, daß man diese von der Situation bestimmen läßt. Es gibt z. B. Situationen, in denen eine bestimmte Frage oder Äußerung verrät, d a ß hier etwas gerade f ü r diese Klasse oder Gruppe besonders Wichtiges an-

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gerührt wird. Dann ist es u. U. gut, den geplanten Ablauf der Erzählung preiszugeben und dort Halt zu machen, wo es für die Kinder gewissermaßen brennt. Es ist immer verhältnismäßig leicht, den dann versäumten Stoff nachzuholen. Nicht nachgeholt werden kann aber in der Regel jener Augenblick, in dem sich für die Kinder besonders Wichtiges in den Vordergrund drängt und Berücksichtigung verlangt. Im ganzen wird man an solche Ordnung in dieser Altersstufe keine zu großen Ansprüchen stellen dürfen, weil die Fähigkeit zu einer längeren innerlich und äußerlich disziplinierten Gesprächsführung einfach nodi nicht gegeben ist. Weit wichtiger ist auf dieser Altersstufe jedenfalls, daß die Unbefangenheit der kindlichen Äußerung zum Gegenstand entbunden wird und ihr Recht erfährt. Und dies ihr Recht erfährt sie in der Willigkeit und Fähigkeit des Unterrichtenden zum Hören und Antworten. 2. Bei den 10- bis 13jährigen ist die Lage dann schon wesentlich anders. Und zwar aus einem sehr einfachen Grund. Das Äußerungsund Fragebedürfnis der Kinder hat seine .Zufälligkeit', seinen bloßen Reaktionsdiarakter verloren. Der ,Realismus' dieser Altersstufe tritt in einer gewissen Stetigkeit der Äußerung von Zweifeln und diesbezüglichen Fragen zutage. Diese Stetigkeit der Kindesäußerung, die von dem Wissenwollen, was .wirklich' war und ist, genährt wird, verlangt natürlich audi eine Stetigkeit des Eingehens auf diese Äußerungen. Audi die Antworten des Unterrichtenden müssen ihre ,Punktualität' verlieren und sich auf kleine zusammenhängende Rede- und Antwortgänge einrichten. Da von dieser Altersstufe an bei biblischem Unterricht schon der biblische Text gelesen wird, knüpft sich dieses Gespräch am besten an solche gemeinsam gelesenen Texte. Die Gesprächsanordnung macht dann keine besonderen Schwierigkeiten: Sie wird vom Text regiert. Verhältnismäßig große Schwierigkeiten pflegt es dagegen gerade auf dieser Altersstufe zu machen, im Unterrichtsgespräch die richtige Sprache zu finden. Sich sprachlich auf die Kinder der 1. Altersstufen einzustellen, pflegt deshalb weniger schwierig zu sein, weil sich hier der Zwang, die Sprache der Kinder zu reden, direkt und elementar auswirkt. Auch mit den Jugendlichen der 3. Altersstufe läßt sich relativ leicht reden, weil man hier immer mehr die Sprache der Erwachsenen sprechen kann. Anspruchsvoll aber wird es mit den dazwischen liegenden Jahrgängen. Sie wollen nicht mehr ,kindlich' angesprochen werden und verstehen doch die Sprache der Erwachsenen nicht. Wie lernt man die Sprache, die ein Gespräch auf dieser Stufe

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sinnvoll macht? Natürlich gibt es auch hierfür technische Anweisungen. Wie man die ,Altersmundart' — so der terminus technicus — lernt, läßt sich aus einer Reihe von Regeln ablesen, die meist in der Vermittlung einer gewissen Alters-Vokabulatur bestehen. Auch diesen Regeln gegenüber betone ich: Man soll sie nicht mißachten. Aber auch ihnen gegenüber muß ich davor warnen, zuviel von ihnen zu erwarten. Es ist keineswegs so, daß, wer sie gut beherrscht, auch ein gutes Unterrichtsgespräch zustande bringt. Wir brauchen uns nur an das zum Wesen des Gesprächs im allgemein-menschlichen und biblischen Sinne Gesagte zu erinnern, um einzusehen, daß in der Beherrschung dieser Regeln nicht die Entscheidung fällt, ja daß eine solche Beherrschung u. U. das Werden eines wirklichen Gespräches stört. Die Sprache, die ich mit dieser Altersstufe zu sprechen habe, lerne ich in dem, worauf es wirklich ankommt, nicht anders als die Sprache mit jedermann, mit dem ich ein Gespräch suche: nämlich in der ernsthaften gemeinsamen Bemühung um die jeweilige Sache. Dann kann es gelegentlich — genau so wie bei der Erzählung — so sein, daß ich ins Stottern gerate oder sogar aus dem Stottern nicht herauskomme und doch gerade in diesem Stottern besonders eindringlich mit den Schülern spreche. Das Stottern verzeihen einem die Schüler gern, wenn sie nur erfahren, daß der Unterrichtende die Sache und ihre dieser Sache geltenden Fragen ernst nimmt. 3. Bei den 13- bis 18- oder 19jährigen wird das Gespräch natürlich einen besonders breiten Raum einnehmen. Einfach, weil das Gespräch die Weise geistigen Umgangs mündiger Menschen miteinander ist. Das zentrale Problem des Gespräches auf dieser Altersstufe liegt darin, wie man das Gespräch, bei seiner eigenen Echtheit festhält. Diese Echtheit ist hier fortschreitend vor der Freude an der bloßen Rationalität der Gedankenführung bedroht. Jugendliche dieser Altersstufen verhandeln besonders gern Probleme wie etwa das der Herkunft des Bösen, der Theodizee, der Wahrheit in der Religionsgeschichte u. dgl., also Probleme, deren Diskussion notwendig in einer Aporie endet. Die Unfähigkeit des Menschen, also jedes Unterrichtenden, solche Aporien aufzulösen, macht Diskussionen dieser Art oft quälend unfruchtbar, gelegentlich zum Exercitium fataler Scheingefechte. Die Aufgabe, die hier zu leisten ist, besteht darin, den Wirklichkeitsbegriff der Jugendlichen geduldig zu erweitern. Ist die Wirklichkeitsvorstellung der 2. Altersstufe positivistisch, so die der 3. Altersstufe logizistisch verengt: Man ist geneigt, nichts für real zu halten, was sich

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nicht logisch so durchdringen läßt, daß kein Rest mehr bleibt. Oft gelingt die Überwindung dieser Einengungen durch genaue Lektüre biblischer Texte besonders gut. Und zwar aus zwei Gründen: Weil hier in besonderer Selbstverständlichkeit von ethischen Forderungen und von der menschlichen Liebe die Rede ist. Gutes und das Böse lassen sich nicht vernünftig rechtfertigen— und doch muß jeder sie schließlich als Realität anerkennen, weil er weiß, er verlöre sich selbst, wenn er es nicht täte. Und auch die Liebe ist nicht vernünftig zu rechtfertigen — und doch erkennt jeder ihre Realität an, weil er weiß, daß er, um Mensch zu werden und zu bleiben darauf angewiesen ist, geliebt zu werden. Dabei muß in dem Gespräch, das Realitäten dieser Art aufhellt, die Kunst besonders gut beherrscht werden, auf die zukünftige Einsicht in das Erhellte zu vertrauen. Irgendwie lebt jedes wirkliche Gespräch von seiner eigenen Zukunft, d. h. vom Vertrauen darauf, daß es heimlich, unausdrücklich fortgeführt wird und dabei auch Antworten, die heute noch unverständlich sind, morgen verstanden werden. Ganz besonders aber gilt dies für jene Gespräche, in denen heranwachsenden Menschen vorgreifend die tieferen Wirklichkeiten menschlichen Lebens erschlossen werden. Hier entsteht die notwendige Einsicht nicht Zug um Zug in Rede und Gegenrede. Vielmehr wird hier immer wieder das Beste und Wichtigste nur ,angelegt', bis es durch spätere Lebenserfahrung in Einsicht verwandelt wird. In diesem Sinne sind Gespräche dieser Art notwendig fragmentarisch. Als eine brauchbare Einführung in die Methodik des Gesprächs in der Evangelischen Unterweisung darf bezeichnet werden: 1. H . Angermeyer, Die Evangelische Unterweisung an höheren Schulen 1957, 160 ff. (§ 6 Das Gespräch unter dem Wort). — Vgl. auch: 2. I. Baldermann, Zur Frage des Unterrichtsgespräches über den Biblischen Text, in: Wege zum Verstehen (Hamburger Arbeitshilfen für Religionsunterricht, evangelische Unterweisung und Gruppenarbeit, hg. v. H . Schultze) 1965, 22 ff. Nur mit erheblichem Unbehagen füge ich midi hier und bei den Anregungen für die Praxis des Arbeitsprinzips in das gängige Altersstufenschema. Mir ist dieser entwicklungspsychologische Schematismus längst höchst problematisch geworden. Die Gründe stehen o. S. 365 f. Aber mir schien diese Art entwicklungspsychologischen Denkens noch zu verbreitet, als daß man sich ohne eine gewisse Akkomodation an dasselbe schon verständlich machen könnte. Ich mache aber auf die Problematik dieses Verfahrens mit Nachdruck aufmerksam und empfehle dringend eine Orientierung über sie. Eine solche ist jetzt leichtgemacht durch das Kapitel „Zur Frage nach den Fähigkeiten des Kindes in den verschiedenen Altersstufen" bei:

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3. E. Bochinger, Distanz und Nähe — Beiträge zur Didaktik des Religionsunterrichts (Arbeiten zur Pädagogik 10) 1968, 162 ff. Sehr wichtig scheint mir ferner — auch zu Korrektur gewisser Einseitigkeiten bei Bochinger: 4. M. Stallmann, Evangelischer Religionsunterricht, 1968, 95 ff. Zur neueren psychologischen Forschung vgl.: 5. W. Hansen, Art. „Altersstufen", in: Päd 11 ff. —

Es mag manchem sonderbar vorkommen, daß in der Methodik der neueren Schule mit besonderer Betonung vom ,Arbeitsprinzip' und in Zusammenhang damit von der .Arbeitsschule' gesprochen wird. Ist nicht immer in der Schule gearbeitet worden? Und zwar von Lehrern und Schülern? Das neuere Programm der Arbeitsschule — das natürlich Vorgänger hat — ist gegen die sog. ,Lernschule' entwickelt worden. Gewiß ist auch Lernen eine Arbeit, und zwar eine höchst notwendige, schlechterdings unentbehrliche. Aber diese kann einseitig rezeptiv verstanden werden. Es gibt aktive Formen des Lernens. Und diese meinen die Vertreter des Arbeitsschulgedankens, die mit der Entwicklung schulger.echter Arbeitsformen der Schule und also den Schülern tatsächlich einen nicht unerheblichen Dienst getan haben. Dabei sind inzwischen gewisse alte Antithesen natürlich überholt. Die Weisen des Lernens und Arbeitens verschränken sich. Es geht beim Arbeiten immer auch um Formen des Lernens, und das primär rezeptive Lernen ist eine legitime Form der Arbeit, die die Schule nicht entbehren kann. Wir sind, mit anderen Worten, auch hier nüchtern geworden und haben gelernt, das ,Arbeitsprinzip' aus seiner Überbetonung zu befreien und vernünftig einzuordnen. Hier hinken eigentlich nur gewisse, sich betont modern gebende, kirchliche und katechetische Strömungen nach, die das nun über 60jährige ,Arbeitsprinzip' im Unterricht für so etwas wie die neueste Errungenschaft der Pädagogik halten und mit immer wieder verwunderlicher Einseitigkeit hervorheben. Zu betonen, daß Arbeit ein allgemeines Phänomen menschlichen Lebens ist, mag manchem überflüssig, mindestens banal erscheinen. Aber es gibt auch heute noch Anwälte der Arbeitsschule, die mindestens den Anschein erwecken, oft auch regelrecht überzeugt sind, daß die Schule die Geburtsstätte der Arbeit sei. Sie hätten ihren Irrtum mindestens durch die schöpferische Initiatoren des Arbeitsschulgedankens korrigieren lassen müssen, denen ja gerade daran lag, aus dem Leben für die Schule zu lernen. Diesen Irrtum hier des langen und breiten zu widerlegen, dürfte allerdings überflüssig sein. Notwendig ist vielleicht nur noch der Hinweis, daß die moderne Wohlstandsge-

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sellschaft zwar auch durch einen Wandel des menschlichen Arbeitsschicksals charakterisiert ist, aber keine Symptome dafür enthält, daß die Arbeit einmal aufhören wird, ein unentbehrliches Element menschlichen Lebens zu sein, und zwar auch abgesehen von den großen Krisen, die in dieser Wohlstandsgesellschaft angelegt sind. Zu den Grundlagenproblemen des neueren Arbeitsschulgedankens sind vor allem zu studieren: 1. G. Kerschensteiner, Der Begriff der Arbeitsschule (1912), 1964 1 5 . 2. H . Gaudig, Freie geistige Schularbeit in Theorie und Praxis (1922), 1928«. 3. O. Sdieibner, Zwanzig Jahre Arbeitsschule in Idee und Gestaltung (1928), 1962 5 .

Auch die Bibel verspricht der Menschheit keine ,paradiesische' Arbeitslosigkeit. Nach der sog. Schöpfungsgeschichte, die in diesem Zusammenhang meist herangezogen und etwas leichtsinnig interpretiert zu werden pflegt, arbeitet Gott selbst (1. Mose 2, 3 P), und er setzt den Menschen in den Garten Eden, ,ihn zu bebauen' (1. Mose 2, 15 J ) . Die Vertreibung aus dem Paradies begründet nicht das Arbeiten überhaupt, sondern das Arbeiten ,im Schweiße des Angesichts' des Menschen. Dementsprechend wird die Arbeit in der ganzen Bibel als ein selbstverständlicher, gleichsam anthropologischer Tatbestand hingenommen: Mensch sein im Sinn der Bibel heißt arbeiten. Soweit es sich um den geschichtlichen Menschen handelt, selbstverständlich .arbeiten in Mühsal'. Aber die Arbeitskraft des Menschen behält den Rang einer Schöpfungsqualität. Ihr wird nicht die Muße entgegengesetzt, sondern die Ruhe. Die Erlösung des Menschen durch den Christus ist nicht Erlösung von der Arbeit überhaupt. Luthers >falschec Übersetzung von Ps. 90, 10 (,und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen') ist faktisch eine Christianisierung des alttestamentlichen Textes. Sie atmet etwas von der durch Christus geschehenen Erlösung der Arbeit von dem um der menschlichen Sünde willen auf ihr liegendem Fluch. Die Christenheit der nach-biblischen Jahrhunderte hält dann diese positive Wertung der Arbeit durch, und zwar in mannigfachem Widerspruch zur Tradition der Antike. D e r Katholizismus fügt sie in seine Tugendlehre ein und verknüpft sie mit asketischen Gedanken, d. h. mit Gedanken über die Verdienstlichkeit. Die Reformation befreit die Arbeit wieder von diesen Verknüpfungen und macht sie zum freien Gottesdienst, der ohne Rücksicht auf Lohn zu tun ist und von Christen auch getan werden kann. „Sollte nun nicht ein Herz springen und in Freude zerfließen, wenn es zur Arbeit ginge

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und täte, was ihm befohlen wäre, daß es könnte sagen: >Siehe, das ist besser denn aller Karthäuser Heiligkeit, ob sie sich gleich zu Tode fasten und ohne Unterlaß auf den Knien betenan sich< üben. Die besten Voraussetzungen, um das Behalten zu sichern, sind die Lehrmethoden, die echtes Verstehen ermöglichen. Aber auch das Behalten des Verstandenen muß noch gesichert werden. Dieser Sicherung dient das rechte Üben. Der harte Weg des Lernens muß sich f ü r Lehrer und Schüler lohnen. Behalten, das ein Bereitstellen f ü r künftige Situationen einschließt, ist die beste Art des Behaltens" (1, 281 f.). Die Beweiskraft dieses Zitats f ü r unsere kurz vor ihm formulierte Doppelthese liegt so auf der H a n d , daß sie nicht noch ausdrücklich entfaltet zu werden braucht. Aber noch etwas anderes soll abschließend gerade im Zusammenhang mit diesem Text erörtert werden. Die wissenschaftliche Psychologie versteht solche Feststellungen weiterhin als ,Gesetze' des Lernens. Das hat insbesondere Repräsentanten Evangelischer Unterweisung gegen sie mißtrauisch gemacht. Gottes Wort geht, so wendet man ein, seine eigenen Wege und ist solchen psychologischen Gesetzen ebensowenig unterworfen wie anderen irdisch-menschlichen Gesetzmäßigkeiten. Hierzu wäre Folgendes zu sagen: Einmal: Solange die in der Evangelischen Unterweisung Redenden und Hörenden Menschen sind und bleiben, sind sie auch den Gesetzen dieser Menschlichkeit unterworfen. Das gilt, zweitens, insbesondere dann, wenn die Evangelische Unterweisung die Aufgabe redlichen Unterrichts übernimmt und sich nicht in prophetische' Verhaltensweisen hineinsteigert. Jedermann kann leicht feststellen, daß, bzw. inwieweit, die zitierte Zusammenfassung' Roths über das ,Behalten und Einüben' nicht nur in anderen Gegenstandsgebieten, sondern auch in der Evangelischen Unterweisung ,gilt'. Solche kritischen Überprüfungen psychologischer Thesen sind, drittens, nicht nur ausnahmsweise erlaubt, sondern von den Autoren dieser Thesen ständig herausgefordert, wobei diese Herausforderung sich so-

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wohl an sie selbst wie an andere richtet — bei wissenschaftlichen Thesen eine Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich ist, viertens, also auch, daß solche Thesen Wandlungen unterworfen sind; die wissenschaftliche Erkenntnis solcher lernpsychologischer Gesetze hat wie alles Menschenwerk eine Geschichte. Zu dem Material, das Aufstellung, Diskussion und Korrektur solcher lernpsychologischer Thesen ermöglicht bzw. erzwingt, gehört natürlich auch die Praxis Evangelischer Unterweisung in Vergangenheit und Gegenwart. Forschern wie Roth liegt es, fünftens, fern, alles lernbar machen zu wollen. Audi der zitierte Text atmet keine Verabsolutierungen. Und am Schluß seiner ganzen Untersuchung warnt Roth ausdrücklich davor, vom Lernen etwas zu erwarten, was es nicht leisten kann. „Denn manches können wir nicht lernen wollen, sondern müssen abwarten, bis wir es erfahren dürfen" (1, 294). Theologen müssen freilich daran erinnert werden, daß dies nicht nur von geistlichen Realitäten gilt; auch dieser Satz begründet keine theologische Prärogative. Der Theologe sollte es, sechstens, überhaupt aufgeben, ständig auf der Jagd nach ,Grenzen' menschlichen Tuns zu sein. Als ob sich Gott nur an diesen Grenzen offenbarte, gleichsam als Lückenbüßer einer leider nicht recht gelungenen Welt. Insofern der Theologe schöpfungsgläubig ist — und als Christ sollte er es sein! — ist nicht nur die Grenze menschlichen Vermögens, sondern dieses selbst für ihn theologisch relevant. Dies gilt auch für das menschliche Lernen. Der Theologe hat keinen Grund, dieses menschliche Vermögen zu diffamieren; d. h. auch: Er hat keinen Grund, die wissenschaftliche Kunst zu mißachten, die uns dies Vermögen durchschaubarer macht, so daß wir es besser gebrauchen können. 1. H . R o t h , Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens, 1957 7 (1967W). Vgl. außerdem: 2. W . Klafki (mit H.Sprenger und E. Ohliger), Art. „Lernen, Lehren", in: Päd Lex 582 ff.; bes. II D „Einprägen, Üben, Wiederholen" 588 ff. 3. W . H a n s e n , Art. „Pädagogische Psychologie", in: Päd 230 ff.; bes. „Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens" 233 ff. Neuartige Aufgaben sind der Pädagogischen Psychologie des Lernens durch die modernen Lehr- und Lernmaschinen gestellt; vgl.: 4. F. v. Cube, Art. „Kybernetik und Pädagogik", in: Päd 175 ff.; bes. 179 und die ebd. 357 zitierte Literatur. 5. Der programmierte Unterricht, hg. v. H . Roth u. A. Blumenthal (Auswahl, Reihe A, N r . 5), 1963. 6. W . Neidhart, Psychologie des Religionsunterrichts, 1967 2 . 26»

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b) Die Wissenschaftlichkeit Evangelischer Unterweisung Solange es eine wissenschaftliche Theologie im modernen Sinn des Wortes gibt, gibt es auch eine Problematik des Verhältnisses dieser Wissenschaft zur Evangelischen Unterweisung aller Arten. Diese Problematik war einmal in der Tatsache begründet, daß Pfarrer und Religionslehrer an höheren Schulen während ihres Studiums mit der wissenschaftlichen Theologie bekannt gemacht und dadurch zwangsläufig vor die Frage gestellt wurden, in welchem Umfange und auf welche Weise sie von ihrer wissenschaftlichen Bildung auch in der Konfirmanden- und Religionsstunde Gebrauch machen sollten. Sie war aber auch mit den unheilvollen Bestrebungen gegeben, den Volksschullehrern eine wissenschaftliche Vorbildung solange wie möglich vorzuenthalten. Dieser größte Teil der deutschen Lehrerschaft, der in seinen Vereinen ein vorzügliches berufliches Bildungswesen entfaltete, begleitete die Arbeit der wissenschaftlichen Theologie, gerade weil er von ihr so betont ferngehalten wurde, mit besonders wachem, wenn auch ungeschultem Interesse. Und die dort verhandelten Probleme beschäftigten diese Volksschullehrerschaft immer auch im Blick auf ihren Religionsunterricht: Fast jeder Volksschullehrer war ja Religionslehrer. Nach der Akademisierung der Volksschullehrerbildung, also seit den 20er Jahren glich sich dann die Situation der Religionslehrer an Höheren Schulen und Volksschulen hinsichtlich unseres Themas einigermaßen aneinander an. Im Vordergrund des Interesses standen für Pfarrer und Religionslehrer, die ihre Evangelische Unterweisung wissenschaftlich zu verantworten strebten, natürlich immer die Probleme, die aus der historisch-kritischen Bibelexegese stammen und die sich aus dieser wie aus dem philosophisch-naturwissenschaftlichen Denken der Neuzeit ergebenden dogmatischen Fragen. Die heutige Anteilnahme an unserer Problematik hat also eine lange Vorgeschichte. Neu ist an ihr eigentlich nur die Intensivierung, die sie durch den ,Neo-Rationalismus' erfährt, und die Ausweitung des Interessentenkreises, die die bisher noch einigermaßen festgehaltenen Schranken zwischen herkömmlichen ,Bildungsschichten' überspringt. Als allgemein zugestanden darf heute gelten: Alle Religionslehrer, die öffentlich' Unterricht erteilen, sollen eine wissenschaftliche theologische Ausbildung erhalten; ebenso sollen sie ein wissenschaftliches pädagogisches Studium absolviert haben. Bei den Religionslehrern sind diese Forderungen weitgehend erfüllt. Für die Pfarrer ist zwar die wissenschaftliche theologische Ausbildung seit langem selbstver-

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ständlich, das wissenschaftliche pädagogische Studium aber noch ein weitgehend unerfülltes Desiderat keineswegs aller Zuständigen. Damit ist gegeben, daß die Evangelische Unterweisung, soweit sie durch Pfarrer und Lehrer geschieht, einen gründlichen Kontakt zur wissenschaftlichen Theologie besitzen soll und kann. Es gibt keine staatlichen oder kirchlichen Regulative mehr, die diesen Kontakt einschränken sollten und könnten. Alle Auseinandersetzungen über die Inhalte der Evangelischen Unterweisung erfolgen im Kern als wissenschaftlich-theologische Diskussionen. Anders gesagt: Alle Zuständigen sind sich darüber einig, daß eine Evangelische Unterweisung, die heute von Pfarrern und Lehrern erteilt wird, von diesen wissenschaftlichtheologisch zu verantworten ist. Kontrovers ist dagegen eine andere Forderung an die Evangelische Unterweisung. Soll diese auch in dem Sinn wissenschaftlich' sein, daß sie zur Handhabung wissenschaftlicher Methoden in der Erschließung z. B. der Bibel, kirchengeschichtlicher Quellen, dogmatischer Texte usw. und zur Übernahme ,neuester Erkenntnisse der Wissenschaft' anleitet? Vielleicht überrascht es manchen, solche Forderungen hier überhaupt diskutiert zu finden. Indes kommen sie heute durchaus in amtlichen Richtlinien für die Evangelische Unterweisung vor. Und spricht nicht die Notwendigkeit, die Nachwachsenden auf die sie als Erwachsene erwartenden religiösen Auseinandersetzungen vorzubereiten, aber auch das frühe Interesse bei Kindern und Jugendlichen an Problemen der wissenschaftlichen Theologie für Forderungen dieser Art? J a , werden sie nicht in der Behauptung besonders der evangelischen Kirche, christlicher Glaube wolle die Mündigkeit des Menschen, geradezu provoziert? Denn ist menschliche Mündigkeit nicht jene Freiheitlichkeit und Kritikfähigkeit, die allein in der Wissenschaftlichkeit erzeugt werden? Wie gesagt: Viele Pfarrer und Religionslehrer, aber auch für diese Fragen zuständige staatliche und kirchliche Dienststellen bejahen diese und ähnliche Fragen. Indes haben praktische E r fahrungen mit einer so motivierten und entsprechend regulierten Evangelischen Unterweisung doch höchst fragwürdig werden lassen, ob man die erstrebten Ziele auf diesen Wegen nicht gerade verfehlt, statt ihnen näherzukommen. ,Wer sich heute als Religionslehrer z. B. anschickt, seine Schüler >in die wissenschaftlichen Arbeitsmethoden der Theologie* einzuführen, wie es in einer entsprechenden amtlichen Anweisung heißt, sieht sich sofort einem Arbeitsfeld gegenüber, das, bleibt er redlich, seine Möglichkeiten weit übersteigt. Kein Theologieprofessor beherrscht heute

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>die< Methoden >der< wissenschaftlichen Theologie. Und die Formel, daß diese Einführung nur propädeutisch« erfolgen solle, erleichtert, genau genommen, die gestellten Aufgaben nicht, sondern erschwert sie, weil sie sie nicht mindert, sondern vergrößert. Was ist die Folge? Man kann sich willentlich oder unbewußt in der Selbsttäuschung festhalten, das Unmögliche dennoch zu leisten. Man kann sich aber auch der Resignation ergeben. Und man kann schließlich der Rechenschaft überhaupt ausweichen und sich jener Routine überliefern, der es nur nodi darum geht, einigermaßen durchzukommen ohne aufzufallen. Es gibt heute wohl Beispiele genug für alle drei Möglichkeiten in allen Schularten und auch in den Konfirmandenstunden. Deshalb bedarf es hier wohl keiner Illustration der Feststellung: Auf jedem dieser drei Wege geht die geistige Freiheit verloren, die man sich von der ,Wissenschaftlichkeit' seines Unterrichts versprach. Dieser Verlust der Freiheit des Unterrichtenden wird dann aber alsbald auch zum Verlust der Freiheit der Unterrichteten. Mit immer wieder erstaunlichem Spürsinn entdecken sie die Ohnmacht des Unterrichtenden gegenüber den Ansprüchen der unheimlichen Großmacht Wissenschaft. Jeder wissenschaftliche Brocken, den wir ihnen hinwerfen, wird für sie zum Beweis, daß ihr geistiger Hunger ja durch solche Art von Wissenschaftlichkeit doch nicht gedeckt werden kann. Gleichgültigkeit der Mehrzahl, Skepsis der Begabten und bedrückende Melancholie besonders wertvoller junger Menschen sind die Formen der Gefangenschaft, in die sie durch eine allzu kurzschlüssige Einführung in sog. wissenschaftliche Methoden gebracht werden. Oder: Kein Religionslehrer vermag heute die Fülle der historisch-kritisdien Urteile, die abzugeben er sich durch die geforderte Wissenschaftlichkeit seines Unterrichts genötigt glaubt, als sein eigenes Urteil auszusprechen. Er vermittelt nur, wie die verräterische, bereits zitierte, Formulierung zu lauten pflegt meueste Erkenntnisse der Wissenschaftwissenschaftliche« Anforderungen an den Unterricht gestellt werden, um so mehr schwindet das kritische Vermögen bei dem Unterrichtenden, weil er sich gerade durch diese Anforderungen

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in besonderem Maße auf Autoritäten angewiesen sieht. Und bei den Schülern ist es entsprechend. Die Intelligenten verzweifeln an dem Sinn kritischer Bemühung. Die große Menge aber übernimmt unkritisch die Fragmente z. B. der Bibelkritik, die ihr verabreicht werden, und spricht sie mit dem dazugehörigen Stolz der Ahnungslosigkeit nach. Vielleicht darf man sagen, daß heute in der Religionsstunde besonders viel verba magistrorum rezitiert werden, die den ungebrochenen Ehrgeiz haben >wissenschaftlich< zu sein — verba ihrer Universitätslehrer durch die Unterrichtenden und verba dieser Unterrichtenden durch ihre Schüler. An die Stelle wirklich wissenschaftlichen Denkens droht der Glaube an die Wissenschaft als eine letzte Instanz zu treten. Wir stehen also vor der einigermaßen aufschreckenden Tatsache, daß namens der Wissenschaft ein neuer Aberglaube in unsere Religionsstunden Einzug hält. Und wo man vor erklärtem Aberglauben noch zurückschreckt, gewinnt wenigstens das Phänomen der Halbbildung eine beängstigende Realität. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das »Zeitalter der Wissenschaft innerhalb und außerhalb des religiösen Bereiches in ein Zeitalter der Halbbildung umschlägt (2, 155 ff.). Soviel zur Charakteristik der Lage. Das Gesagte dürfte genügen, um deutlichwerden zu lassen, daß die gegenwärtig so besonders laut erhobene Forderung, die Evangelische Unterweisung solle wissenschaftlich' sein, noch sehr viel genauer durchdacht werden muß, wenn sie die Evangelische Unterweisung nicht einer Entwicklung ausliefern soll, die der Intention jener Forderung genau entgegengesetzt ist. Es kam hier nur darauf an, diese Aufgaben zu stellen und zu zeigen, wie dringend es ist, sie aufzunehmen: Die Genugtuung darüber, daß der Religionsunterricht der Gegenwart nun endlich ,auf der Höhe der Wissenschaft' sei, die soviel religionspädagogische Literatur heute atmet, ist jedenfalls verfrüht. Jene Aufgaben selbst in Angriff zu nehmen, ist hier nicht möglich. Doch sei noch ein Hinweis auf die vermutlich produktivste Art angeführt, ihr nachzugehen. Sehe ich recht, so ist das Dilemma, in das die Evangelische Unterweisung hinsichtlich ihrer ,Wissenschaftlichkeit' geraten ist, darin begründet, daß ihre Theorie, also das, was bisher ,Katechetik' hieß, weitgehend vernachlässigte, was wir heute Didaktik nennen. Herkömmlich kennt man nur die theologische Fachwissenschaft einerseits und die Methodik der Evangelischen Unterweisung andererseits. Und meist beruhen die Fehlformen der Wissenschaftlichkeit Evangelischer Unterweisung einfach darauf, daß man die Resultate der Theologie methodisch möglichst geschickt an Kinder und Jugendliche vermitteln

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möchte, also die Aufgaben der theologischen Hörsäle und der Schulstuben, in denen Evangelische Unterweisung erteilt wird, einfach kurzschaltet. Die wissenschaftliche Didaktik der Gegenwart erschließt ein Verständnis jener Primärrelation des Unterrichtenden und der Unterrichteten zur Sache der Evangelischen Unterweisung, aus der heraus allein ein Unterricht entwickelt werden kann, der sich die wissenschaftlich-theologische Arbeit sinnvoll, also so einordnet, daß sie der Mündigkeit der Beteiligten aufhilft, anstatt sie zu unterdrücken. Für eine wissenschaftliche, also kritische Einschätzung der Rolle der theologischen Wissenschaft in der Evangelischen Unterweisung ist besonders das Problem des Verhältnisses von Theologie und Glauben wichtig; vgl. hierzu: 1. H. Kittel, Das Recht des Glaubens auf theologischen Irrtum — Religionspädagogische Erwägungen, in: Die Spur, 1963, 49 ff. 2. Ders., Wissenschaft in der Schule? in: Ein anderes Evangelium? Wissenschaftliche Theologie und christliche Gemeinde, hg. v. K. Aland, 1967, 148 ff. 3. K. Haendler, Schriftprinzip und theologischer Pluralismus, in: Evangelische Theologie, 1968, 404 ff. Wer gelernt hat, gelegentlich über die Zäune der eigenen Wissenschaft hinauszusehen, wird für die Besinnung über die Problematik unseres Abschnittes reichen Gewinn von folgenden Arbeiten eines Naturwissenschaftlers haben: 4. M. Wagenstein, Ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken, 1965. 5. Ders., Verstehen lehren (Beltz Bibliothek Bd. 1), 1968. Aus den nicht ganz wenigen erziehungswissenschaftlichen Äußerungen zum Thema nenne ich hier nur; 6. W. Flitner, Sprache und Erziehung heute ( Z f P ä d 7. Beiheft), 1968, 9 ff. 7. H. Bokelmann, Probleme einer theologischen Grundbildung, Z f Päd 1966, 407 ff.

c) Unterrichtsvorbereitung Auf dem Gebiet der Evangelischen Unterweisung steht alle Unterrichts Vorbereitung unter einem schwerwiegenden Handicap: der traditionellen Forderung des Entwurfes eines isolierten ,Stundenbildes'. Besonders der innerkirchlidie Unterricht ist in weitem Umfange noch von ihr beherrscht. Aber auch in öffentlichen Schulen, deren Lehrer in anderen Fächern ganz andere Wege gehen, trifft man sie in der Evangelischen Unterweisung immer wieder nodi einmal an: Als ob sie ein Fachspezifikum sei, das man respektieren müsse. Aber von einer soldien fachspezifischen Qualität dieser Forderung kann keine Rede sein. Die wichtigsten Gründe für ihr zähes Leben im Bereich der Evangelischen Unterweisung dürften vielmehr sein: das hohe Alter dieser

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Forderung, das ihr — zumal es sich um eine religiöse Materie handelt — einen gewissen Tabu-Charakter verliehen hat; die Nachwirkung des Formalstufenschemas der Herbartianer, das im ,Raum der Kirche' eine besonders liebevolle Pflege fand; schließlich die Tatsache, daß ein solches isoliertes Stundenbild die Kontrolle der Einzelstunde besonders bequem macht. Es bedarf nun weder mehr einer Kritik dieser noch anderer Gründe der Gewohnheit, Unterrichtsvorbereitung als Entwurf isolierter .Stundenbilder' zu treiben: Alles in diesem Kapitel über die Evangelische Unterweisung Gesagte führt diese Forderung ad absurdum. Freilich darf der, der in ihrer Tradition steht, oder in sie eintritt, nicht meinen, daß es leicht sei, sich lediglich mit guten oder auch sehr guten Argumenten gegen sie zu behaupten. Traditionen dieser Art stützen sich meist, offen oder versteckt, auf etablierte Machtverhältnisse, gegen die der einzelne, besonders der Anfänger, nur außerordentlich schwer anzugehen vermag. Dennoch: Die Grundlage einer Unterriditsvorbereitung, in der die Resultate der hier vorangehenden Untersuchungen zur Geltung kommen sollen, muß eine Besinnung sein, in der die größeren Zusammenhänge der zu behandelnden Texte und ihre Interpretationsprobleme ebenso ins Auge gefaßt werden, wie der langfristige Ablauf anvisierter Unterrichtssituationen. Selbstverständlich muß dann auch die Einzelstunde vorbereitet werden. Aber eben als Glied einer ganzen Kette von Stunden —ein Gliedcharakter, der eine Fülle von unterrichtlichen Entscheidungen nachdrücklich mitbestimmt. Auf der Grundlage einer solchen weiträumigen Unterriditsplanung sind dann folgende drei Vorbereitungsgänge zu bewältigen: jene Sachanalyse, die bei den Texten der Evangelischen Unterweisung Exegese zu heißen pflegt, die didaktische und die methodische Besinnung. Exegese, insbesondere biblischer Texte, pflegt die Kunst zu sein, die die Theologen unter den Unterrichtenden heute relativ am besten beherrschen. Den Lehrern, die nur eine weniger intensive theologische Ausbildung besitzen können, fällt diese Kunst zwar zunächst etwas schwerer, aber ihnen stehen heute so viele Hilfsmittel zur Verfügung, daß sie in der Regel schließlich doch zu vollgültigen exegetischen Gesprächspartnern der Theologen heranreifen, zumal sie in vielen Fällen aus anderen Gegenstandsgebieten Einsichten und Fähigkeiten — z. B. hermeneutischer Art — mitbringen, die vieles von dem ersetzen, was ihnen das theologische Studium schuldigbleiben mußte. Nun wurde aber in der didaktischen Diskussion für Theologen und Lehrer problematisch gemacht, ob die Exegese überhaupt eine sinnvolle Forde-

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rung an die Unterriditsvorbereitung ist. Erziehungswissensdiaftler haben zu bedenken gegeben, ob diese Forderung nicht eine Utopie ist, weil sie den Unterrichtenden überfordere, der in der Regel weder die Zeit noch das wissenschaftliche Vermögen besitze, in seiner Unterrichtsvorbereitung immer auch eine verantwortliche Sachanalyse — in unserem Falle also Exegese — vorzunehmen (vgl. z. B. 3, 5 ff.). Muß der Lehrer sich nicht exegetisch mit dem begnügen, was er während seines Studiums lernte und später gelegentlich in Fortbildungsveranstaltungen ergänzt? Von anderen wissenschaftlichen Pädagogen ist vor einer solchen prinzipiellen Preisgabe der Sachanalyse in der Unterrichtsvorbereitung gewarnt worden (2, 119 f.). Für die Evangelische Unterweisung sehe ich keine Möglichkeit, auf die Forderung exegetischer Vorbereitung zu verzichten, ohne die dann noch verbleibende Vorbereitungsaufgabe im eigentlichen Sinn gegenstandslos' zu machen. Ich wüßte vor allem nicht, wie eine fruchtbare didaktische Besinnung zustande kommen sollte, wenn ihr Text nicht zuvor sorgfältig exegesiert worden ist. Natürlich müssen von dieser exegetischen Vorarbeit des Lehrers alle verstiegenen Ansprüche an ihre ,Wissenschaftlichkeit' ferngehalten werden. Was im vergangenen Abschnitt über die ,Wissenschaftlichkeit' der Evangelischen Unterweisung gesagt wurde (s. § 22, 7 b), will nun auch in dieser Hinsicht ernst genommen werden: Kein Lehrer oder Pfarrer ist heute imstande, selbständig wissenschaftliche Exegesen aller in seiner Evangelischen Unterweisung oder in seiner Predigt vorkommenden Texte zu liefern. Wohl aber kann er ein Sach-Verständiger der Sache, nämlich seines Unterrichtsgebietes, von hohen Graden werden und dies Sach-Verständnis ständig vertiefen. De facto dürfte es keinen wirklich guten Unterricht geben, der nicht aus solchem theologischen Sach-Verständnis lebt. Natürlich wird dieses Sach-Verständnis auf Wegen erworben, die keineswegs alle durch die Unterrichtsvorbereitung laufen. Im Gegenteil: Die ertragsreichsten dieser Wege führen wohl durch Vorhaben und Situationen, die mit dem Unterricht nichts zu tun haben. Aber sie sind für den Unterrichtenden tatsächlich gangbar — wenn er wirklich auf die betr. Sache zielt und nicht auf Surrogate derselben, die er sich aus irgendwelchen wissenschaftlichen' Sehnsüchten oder Strebungen selbst zurechtbastelt. Wer als Unterrichtender sein Sachverständnis nicht in der Unterriditsvorbereitung immer wieder aktualisiert, verfällt zwangsläufig dem Schicksal der Un-Sachlichkeit, das durch verstärkte pädagogische' Bemühungen nicht tragbarer, sondern nur verhängnisträchtiger wird. —

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Wird das Exegesieren heute von Pfarrern und Religionslehrern relativ besonders gut verstanden, so die didaktische Besinnung relativ besonders schlecht. Die verhängnisvolle traditionelle Kurzschaltung von Exegese und methodischen Überlegungen, von der bereits die Rede war (s. § 22, 7 b), ist ungewöhnlich schwer auszurotten. Das ist insofern schwer verständlich, als die theologische Homiletik die verwandte Aufgabe der ,Meditation' immer mit besonderer Sorgfalt bedacht hat. Vielleicht wirkt sich hier einfach die kirchliche Praxis aus, gerade von Anfängern im Unterrichten ,Stundenbilder' für Klassen bzw. Konfirmandengruppen zu verlangen, die es gar nicht gibt. Wie soll eine didaktische Besinnung erlernt werden, wenn der, von dem man sie erwartet, die Kinder oder Jugendlichen, für die er denkt, erst erfinden muß, und wenn er das in der Regel besonders schlecht kann, weil er besonders wenig Erfahrung im Umgang mit Kindern besitzt? Hinzu kommt natürlich, daß uns erst die neueste Erziehungswissenschaft ein begriffliches Instrumentarium für die didaktische Besinnung zur Verfügung stellte. Auch wo in der Religionspädagogik die didaktische Besinnung de facto bereits da war, konnte sie sich in Ermangelung dieser spezifischen Begrifflichkeit doch schwer in weiteren Kreisen zur Geltung bringen. Oft war sie in dem, was man ,Methodik' oder in vager Identifikation ,didaktisch-methodische Überlegung' nannte, verborgen und wurde dort von den eilfertigen sog. ,Praktikern' natürlich leicht übersehen. Aber wie immer dem sei: Auch von den Religionslehrern und Pfarrern ist die Forderung, daß die didaktische Analyse der Kern der Unterrichtsvorbereitung sei, zwar nicht einfach zu wiederholen, aber dodi auf das ernsteste zu bedenken. Vielleicht macht eine kleine zeitliche Begrenzung sie sogar wiederholbar: Heute, d. h. in der Lage, in der die Evangelische Unterweisung gegenwärtig ist, muß auch für Pfarrer und Religionslehrer die didaktische Analyse der Kern der Unterrichtsvorbereitung sein; sie ist zweifellos gegenwärtig deren dringlichste Aufgabe. Dabei würde es die Möglichkeit gegenseitiger Hilfe aller Beteiligten verstärken, aber auch den objektiven Fortschritt der Didaktik Evangelischer Unterweisung vermutlich fördern, wenn die einzuübende didaktische Analytik einigermaßen unter verwandten Fragestellungen erfolgte. Ich zitiere deshalb hier die Muster solcher Fragestellungen, die sich in Ottos Handbuch finden. Sie sind nach meiner Beobachtung besonders geeignet, gerade Anfängern in diese Arbeit so hineinzuhelfen, daß sie verhältnismäßig schnell deren Sinn verstehen. Außer-

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dem haben sie vorbildliche Kontakte mit dem heutigen erziehungswissenschaftlichen Denken, helfen also auch, den Religionslehrer im Umgang mit Kollegen anderer Fächer didaktisch gesprächsfähig zu machen, was heute ebenfalls von besonderer Wichtigkeit ist. Otto formuliert: „1. Der Unterrichtsgegenstand und die Klasse a) > Welche Bedeutung kann die an diesem Gegenstand zu gewinnende Erfahrung (Erkenntnis, Einsicht, Fähigkeit, Fertigkeit) für die Zukunft dieser meiner Schüler haben?< (Kramp) b) > Welche Bedeutung hat dieser Gegenstand im gegenwärtigen Leben der Erwachsenen?« (Kramp) c) Welche altersspezifischen Möglichkeiten und Schwierigkeiten sind für meine Klasse typisch? Welche Antworten auf diese Fragen ergeben sich aus Beobachtungen in vergleichbarem Unterricht — aus Beobachtungen des Lebens außerhalb der Schule? d) Wie lassen sich die Antworten unter c) auf diesen Unterrichtsgegenstand und die Intention seiner Aussage beziehen? Welche unterrichtlichen Ansatzpunkte empfehlen sich? 2. Die Eigenart des Unterrichtsgegenstandes a) Welche Zugangsmöglichkeiten bieten sich an? Welche Schwierigkeiten des Zugangs sind zu beachten? b) Welche Kenntnisse und Fähigkeiten setzt dieser Gegenstand beim Schüler voraus und welche können im Umgang mit ihm neu erworben oder befestigt werden? c) Welche Folgerungen aus der sprachlichen Gestalt ergeben sich für den Umgang mit diesem Text im Unterricht? Wie muß der Unterrichtsgegenstand der Klasse bekannt gemacht werden? 3. Der Unterrichtsgegenstand im Fachzusammenhang a) Was ist zuvor behandelt worden und was soll folgen? Gibt es Anknüpfungsmöglichkeiten an Bekanntes oder Verwandtes? b) Welche Querverbindungen ergeben sich von diesem Gegenstand aus zu weiteren biblischen Texten und Zusammenhängen, zur Kirchengeschichte, zum Liedgut, zur Religionsgeschichte, zum Katechismus und zur Lehre der Kirche, zur Kunst usw.? 4. Der Unterrichtsgegenstand im Blick auf andere Fächer a) Welche Beziehungen ergeben sich zu anderen Fächern (Geschichte, Deutsch, Philosophie, Naturwissenschaften)? Sind es Beziehungen hinsichtlich des Inhaltes oder der angewandten Methode? Will ich diese

Evangelische Unterweisung

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Beziehungen stillschweigend voraussetzen oder bewußtmachen oder ignorieren? b) Kann oder muß ich in anderen Fächern Gelerntes voraussetzen? Kann ich Beispiele von dort einsetzen? c) Ergeben sich Spannungen zur Betrachtungsweise anderer Fächer? Will ich auf diese Spannungen eingehen?" (5, 345 f.). Otto faßt dann zusammen. „Didaktisch fragen heißt also vom Unterrichtsgegenstand her zum Schüler hin und vom Schüler her zum Unterriditsgegenstand hin fragen. Am Schnittpunkt beider Fragerichtungen zeichnen sich die konkreten Möglichkeiten des Unterrichts ab. Diesen Schnittpunkt zu ermitteln, ist die Aufgabe der didaktischen Besinnung. So müssen an ihrem Ende folgende Fragen präzise beantwortet werden können. 1. Kann der geplante Inhalt in dieser Klasse unterrichtet werden? 2. Welche unterrichtlidien Schritte sind im Blick auf den Unterrichtsgegenstand angemessen und im Blick auf die Schüler notwendig? Die zweite Frage, die Bejahung der ersten vorausgesetzt, leitet zur methodischen Vorbereitung hinüber" (5, 346 f.). Es liegt auf der Hand, daß ich entsprechend dem oben zur Didaktik im allgemeinen (§ 9,8) und besonderen (§ 22, 2) Gesagten noch anders formulieren würde. Aber ich halte diese Formulierungen Ottos nicht für falsch. Und da sie bereits eine gewisse Verbreitung fanden, haben sie hier den Vorrang. Natürlich möchten auch sie nicht schematisch gebraucht werden. „Sondern sie wollen anleiten, auf die »didaktische Spure zu kommen. Was kennzeichnet diese Spur? Ein Doppeltes, das die mannigfachsten Überschneidungen mit sich bringt: Der Gegenstand — der Bibeltext, die kirchengeschichtliche Quelle, die Problemstellung usw. — wird konsequent auf seine Möglichkeiten hin betrachtet, unterrichtet zu werden, und der Schüler wird konsequent auf seine Möglichkeiten hin betrachtet, sich diesem Gegenstand zu öffnen" (5, 346). Es wäre gut, wenn uns in Zeitschriften und dgl. bald ein größerer Bestand solcher didaktischer Analysen zugänglich gemacht würde. Kritische Vergleiche dieser Muster würden vermutlich die Fähigkeit zum Entwurf solcher Analysen erheblich fördern. Auch was hier noch zur methodischen Vorbereitung zu sagen ist, möchte ich mit Anregungen in Ottos Handbuch zum Ausdruck bringen. Und zwar aus den gleichen Gründen, aus denen dies bei dem zur didaktischen Vorbereitung Gesagten geschah.

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Bereiche der Erziehung und Bildung

Otto formuliert, daß die ,methodische Planung für die Einzelstunde aus der Beantwortung folgender Fragen bestehe': „1. Wie lernt die Klasse den neuen Unterrichtsgegenstand kennen? Durch Erzählung? Durch Vorlesung, durch wen? Durch eigenes Lesen? Durch Hausaufgabe? 2. Wo und wie setzen Erarbeitung und Gespräch an? Formulierung der Eingangsfragestellung und zwei bis drei weiterer Frage- und Problemstellungen, die die Arbeitsstruktur und den Gang der Stunde bezeichnen. Zu jeder Frage- und Problemstellung wird die Denkrichtung notiert. Hier haben Überlegungen zur Variation der Abfolge ihren Ort. 3. An welchen Stellen des Arbeitsganges kann die Stunde sinnvoll schließen? Wie kann ein vorläufiger oder endgültiger Ertrag gebündelt werden? Hausaufgabe? 4. Welche organisatorischen Hilfsmittel sind bereitzustellen? Karten? Vorheriger Tafelanschrieb? Textvervielfältigungen?" (5, 348). Darauf, daß es sich hierbei um die methodische Planung der Einzelstunde handelt, liegt bei Otto ein gewisses Gewicht. Mir wird nicht völlig klar, ob größere Zusammenhänge seiner Meinung nach methodischer Besinnung nicht bedürfen bzw. einer solchen nicht zugänglich sind (vgl. 5, 341). Ich würde einer solchen Meinung widersprechen müssen. Aber auch für unseren Zusammenhang steht die methodische Bewältigung der Einzelstunde im Vordergrund des Interesses und behalten deshalb die Fragestellungen Ottos ihre hilfreiche Bedeutung. Ausdrücklich muß ich schließlich darauf hinweisen, daß Otto in seinen Unterrichtsmodellen dann auch wirklich keine ,Stundenbilder' entwirft, sondern an ihre Stelle die glückliche Form der ,Unterrichtsansätze' entfaltet. Diese scheinen mir dem, was wir als .Handeln in der Unterrichtssituation' entwickelt hatten, besonders gut zu entsprechen. — Selbstverständlich müssen diese didaktischen und methodischen Frage-Muster zu unterrichtlichem Leerlauf, vielleicht sogar zu unterrichtlichen Katastrophen führen, wenn ihr Sinn nicht verstanden wird, d. h. wenn sie von den theoretischen Erörterungen über die Didaktik und die Theorie der Methoden Evangelischer Unterweisung, wie wir sie oben (§ 22, 2; § 22, 4) vorlegten, gelöst werden. Ich kann deshalb nur dringend davor warnen, sie als Ersatz jener theoretischen Besinnung zu mißbrauchen. Und ich tue dies hier mit besonderem Nachdruck, weil gerade bei der Vorbereitung Evangelischer Unter-

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Weisung die Gewohnheit, nach solchen Formulierungen als verabsolutierten Schemata zu greifen, besonders schwer zu überwinden ist. Für

einen besonders wichtigen Teil der Vorbereitung

auf

kom-

mende Unterrichtsstunden halte ich die kritische Rückbesinnung auf schon absolvierte, insbesondere die Nachbesinnung auf soeben gehaltene. E i n jüngerer Erziehungswissenschaftler, der sich der Probleme der Unterrichtsvorbereitung mit besonderer Präzision a n n a h m , f o r m u lierte die Aufgabe einer solchen Nachbesinnung folgendermaßen: „Sie sollte zumindest stets die Abweichungen des Unterrichtsverlaufes v o m Unterrichtsplan

feststellen,

begründen

und

beurteilen,

gelegentlich

aber auch zu systematischer Betrachtung vordringen. Ihre Gegensätze sind der Lehrer ( H a l t u n g , Sprache, Erziehungsmittel, Verhältnis zu Schülern und Sache), die Schüler (Verhältnis zueinander, zur Sache, z u m L e h r e r ) und die Unterrichtsgestaltung ( K i n d - und Sachgemäßheit des Unterrichtsaufbaues und -stils, der Unterrichtsverfahren und - m i t t e l ; Zeiteinteilung, E r t r a g ) (8, 9 8 8 ; vgl. auch 1, 4 2 f.). Als Ausgangslektüre auch für die Problematik der Unterrichtsvorbereitung seien empfohlen: 1. H . W. Jannasch, Unterrichtspraxis in der Volksschule, 1947 (seit der 3. Aufl. mitherausgegeben von Joppich; 7. Aufl. in Vorher.). 2. H . R o t h , Ober die Kunst der Vorbereitung, in: Slg 1950, 173 ff. Wichtige z. T . schon ins Einzelne gehende neuere Beiträge zum Thema sind in folgenden beiden Taschenbüchern gesammelt: 3. W. Klafki — W. Kramp — E . Kley — I. Lichtenstein-Rother, in: „Auswahl" Reihe A, 1, 1962. 4. P. Heimann — G. Otto — W. Schulz, Unterricht — Analyse und Planung (mit .Beispielen' anderer Autoren), in: „Auswahl" Reihe B , 1/2, 19694. Zur Vorbereitung der Evangelischen Unterweisung sei auf folgende beiden, sich in gutem Kontakt mit der erziehungswissenschaftlichen Didaktik befindlichen Handreichungen hingewiesen. 5. Otto, Handbuch 339 ff. 6. H . W. Surkau, Vom Text zum Unterrichtsentwurf ( = Handbücherei für Gemeindearbeit, H e f t 31/32), 1965. Ich empfehle diese Spezialarbeit zum Thema, obwohl sie einige gar nicht ganz leichtwiegende Mißverständnisse von Gedanken enthält, die ich selbst zum Thema geäußert habe. Knapp gefaßt bringt sie viele Probleme ins Spiel, die heute von einer sich auf der Höhe der Debatte befindlichen Unterrichts Vorbereitung bedacht werden müssen. Zu einer neuartigen, höchst wirksamen Hilfe vermag zu werden: 7. H . D . B a s t i a n , Didaktische Anatomie im Religionsunterricht, in: Th Pr 1966, 170 ff. Eine ganz kurze, aber über die wichtigsten einschlägigen Begriffe zuverlässig orientierende Obersicht bietet:

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8. W. Kramp, Art. „Unterrichtsvorbereitung und Nachbesinnung", in: Päd Lex 986 ff. Noch einmal sei auch an dieser Stelle aufmerksam gemacht auf die; 9. „Vorschläge für eine Handbibliothek des Religionslehrers' — Zusammengestellt durch das Comenius-Institut, 1969 2 . Gewarnt werden muß ausdrücklich vor allen Unterrichtshilfen, die im Stil der alten ,Präparationen' .Stundenbilder' entwerfen, also dem Benutzer die Unterrichtsvorbereitung abzunehmen versprechen. Sehr brauchbar sind dagegen Arbeiten, die Einzelthemen aus dem Bereich der Evangelischen Unterweisung behandeln und einschlägiges Material bereitstellen, die Auswertung aber dem Benutzer überlassen, diesen also nicht entmündigen. Das gilt besonders von folgenden beiden Reihen: 10. Handbücherei für den Religionsunterricht, hg. v. Becker — Stock — Wegenast — Wibbing. 11. Hamburger Arbeitshilfen für Religionsunterricht. Evangelische Unterweisung und Gruppenarbeit, hg. v. H . Schultze.

§ 23 Bereiche innerkirchlicher Erziehung und Bildung 1. Kirche Es stimmt nachdenklich, zu beobachten, wie wenig man in unseren evangelischen Kirchen wahrnimmt, daß diese Kirchen im ganzen — also nicht nur durch diese oder jene einzelne ihrer Maßnahmen und Einrichtungen — gewisse negative pädagogische Wirkungen ausüben. Das könnte einfach in der Entfremdung der evangelischen Tradition vom Pädagogischen begründet sein, die ihrerseits wohl im wesentlichen in der immer noch fortschreitenden Trennung von Kirche und Schule wurzelt. Es könnte freilich auch aus einer tiefsitzenden Unsicherheit dieser Kirchen im Verständnis ihrer selbst stammen, die sie veranlaßt, bestimmte pädagogische Wirkungen zu verdrängen, weil sie in diesen einen ziemlich klaren Spiegel jener Unsicherheit besitzen. Ich mache den gemeinten Tatbestand an drei Beispielen etwas greifbarer. Diese Beispiele zielen, dem Thema unseres Abschnittes entsprechend, zunächst auf innerkirchliche Sachverhalte. Von vornherein muß freilich deutlich sein, daß diese ihrerseits natürlich auch Wirkungen in außerkirchlichen Bereichen haben. Da ist z. B. die Tatsache, daß evangelische Kirchen nur außerordentlich mühsam zu erkennen vermögen, in welchem Umfange sie eine Entfremdung ihrer Glieder und damit auch deren weltlicher Umgebung vom Moralischen bewirken; stellenweise und zeitweise ist man für solche Beobachtungen sogar ausgesprochen blind. Enthusiasmiert vor

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allem von der Tendenz, einerseits endlich die .Freiheit vom Gesetz' zu realisieren, wobei man vornehmlich an das moralische Herkommen denkt, andererseits die ,Heiligung' der Welt zu betreiben, wobei man gern so modern-sachlich wie irgend möglich sein möchte, hat man das Verständnis für so etwas wie ,Moral' weitgehend verloren und findet sich im Chor bzw. als Dirigent derer ein, die das Moralische ächten und zersetzen. Das geschieht weder aus Oberflächlichkeit noch gar aus Libertinismus. Das Wort von der ,Enthusiasmierung' ist ernstgemeint. Man ist fasziniert von der Möglichkeit, die ethische Tradition des Protestantismus, die man — wenigstens in Deutschland — seit der Reformation auf autoritäre und patriarchalische Strukturen angelegt verstehen und obendrein als traditionalistisch verhärtet beurteilen zu müssen meint, endlich zu überwinden. Und diese Uberwindung soll nicht einfach zu andernorts schon mehr oder weniger lange Realisiertem führen. Es soll gleichsam reiner Tisch und mit dem Grundsatz ernst gemacht werden, omnia instaurare in Christo, wobei dieses instaurare in möglichst sachlichen, d. h. achristlichen Weisen geschehen soll. Aber eben: Das Ergebnis dieser Bestrebungen ist bis heute vorwiegend negativ. Die instauratio mundi im Namen Christi läßt auf sich warten. Der evangelische Beitrag zur Auflösung der Moral dagegen ist wirksam. O f t gerade durch gewisse Erneuerungs-Konzeptionen, die als christliche Erneuerungs-Ideologien ethische Vernunft und ethische Phantasie der Menschen entmündigen und sterilisieren. Jedenfalls erwartet die Öffentlichkeit heute bereits mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, daß überall, wo moralische Überlieferungen und ihre Ordnungen aufgelöst werden, alsbald protestantische Pfarrer mit lebhaften Befürwortungen dieser Auflösung auf den Plan treten. Sie erwartet aber von diesen Pfarrern längst nicht mehr, daß sie neue Tafeln anstelle der zerbrochenen alten setzen. Das protestantische Zerstören von Tabus wird keineswegs als die Ankündigung einer neuen, besseren Sittlichkeit, sondern nur als die Anpassung an die Zersetzung der alten erlebt. Und einzelne evangelische Pfarrer, die sich in diesem Anpassungsprozeß offensichtlich als besonders avantguardistisch empfinden, werden vom öffentlichen Bewußtsein einfach als besonders kleinbürgerlich registriert. Aber wer sieht dies oder nennt es gar bei Namen? Natürlich weiß ich und habe in anderem Zusammenhang (§ 21, 2) auch davon gesprochen, daß hinter dieser Erscheinung außerordentlich schwierige theologische Probleme stehen und höchst achtenswerte Versuche, ihrer theologisch Herr zu werden. Ich weiß auch, wie ich eben27

K i t t e l , E v . Religionspädagogik

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falls — und zwar besonders nachdrücklich — wiederholen möchte, daß sidi hier nicht einfach sittliche Kraftlosigkeit, sondern ein bestimmtes Sendungsbewußtsein auswirkt, und, wie ich nun hinzufüge, ein bestimmter Wille zur Solidarität mit dem geistigen und ethischen Schicksal des sog. modernen Menschen. Aber die faktische Wirkung ist die skizzierte und der Schwund der geistig-sittlichen Autorität der evangelischen Kirchen rapide. Als vor einiger Zeit jene Studenten-Demonstrationen aktuell wurden, die nicht ganz simple moralische Probleme aufwarfen, interpretierte eine Tageszeitung die Lage mit folgender Karikatur: Ein Demonstrationszug Jugendlicher mit Plakaten „Es lebe die Gleichheit" und „Es lebe die Toleranz" wurde von einem bärtigen Pullover-Träger, einem evangelischen Pfarrer im Talar (mit der Bibel in der Hand) und einem Herrn, der wohl einen Intellektuellen darstellen sollte, angeführt. Der Pullover-Träger aber hat den Pfarrer und den Intellektuellen so umarmt, daß er ihnen — den Mund zuhalten kann. Als Pädagoge kann man die Lage der evangelischen Kirche innerhalb des Gesamtbereiches der heutigen Sittlichkeit kaum anders sehen. Und man wird dann natürlich von der Frage bedrängt: Was wird — wenn christliche Kirchen sich moralisch in der Weise mundtot machen lassen oder selber machen, wie das heute in so weitem und wachsendem Umfange der Fall ist? Moralisch ent-mächtigte Kirchen sind besonders tiefgreifend und nachhaltig wirkende Faktoren der Entmoralisierung, und das heißt doch einer Zerstörung des Menschen. Und der Pädagoge muß auch fragen: Wie steht es eigentlich um eine christliche Theologie, die solche inhumane Konsequenzen hat? Und dies in einer Zeit, in der sie um ihren Beitrag zur Humanität des Menschen so besonders besorgt ist? Das andere Beispiel, das ich hier nennen möchte, ist die stille aber zähe Entpolitisierung weiter Kreise evangelischer Christen im Sinne einer Minderung bzw. Auflösung ihres Engagements an weltlichpolitischen Ereignissen, Institutionen, Positionen, Personen usw. durch ihre Kirchen. Natürlich kann man sagen: Diese Entpolitisierung ist kein innerkirchlicher Vorgang, insofern sie sich ja auf jene außerkirchlichen Phänomene bezieht und ganz gewiß von diesen mitbestimmt wurde. Aber sie ist doch auch innerkirchlidier Natur, insofern sie eben von evangelischen Kirchen veranlaßt, bewirkt, gesteuert und gerechtfertigt wird. Aber geschieht das denn wirklich? Oder zählen nicht die evangelischen Kirchen gerade zu den eifrigsten Befürwortern politischer Bildung und politischer Betätigung? Gewiß. Und ich könnte mir

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sogar denken, daß verantwortliche Kirchenmänner in der Lage wären, aus dem Stegreif eine Fülle kleiner, aber auch größerer und großer kirchlicher Anregungen, Hilfen und Maßnahmen aufzuzählen, die bestimmt waren und sind, das Engagement des evangelischen Christen an der Politik zu fördern. Aber sie würden damit nur beweisen, daß sie gegenüber dem für unser Phänomen grundlegenden Tatbestand blind sind. Dieser grundlegende Tatbestand ist die Selbst-Politisierung der deutschen evangelischen Kirche seit 1918, die seit 1945 wesentlich verstärkt wurde. Unter dieser Selbst-Politisierung verstehe ich den Prozeß, in dem die an ihm beteiligten Kirchen sich selbst als politische Größe verstehen und als solche handeln lernten und noch immer ,besser' lernen. Er ist also ein Prozeß der Kirchenstaats-Werdung, in dem die deutschen Kirchenstaaten, obwohl sie in der Mehrzahl den Status von Kirchenkleinstaaten nicht überwinden konnten, doch Außen-, Innen-, Kultur-, Finanz-, Presse-politik usw. zu treiben nicht ohne Erfolg bemüht waren und sind. Das entscheidende Stichwort, das den Leitgedanken des diesbezüglichen Selbstverständnisses der Kirche wie ihres Handelns ausdrückt, war und ist das einer Partnerschaft' des Staates. Man wollte nicht mehr dem Staat und seinen Organen unterworfen sein wie im kirchenfeindlichen ,Dritten Reich' oder auch in der kircbenfreundlichen Monarchie. Kirche sollte Kirche werden, sein und bleiben. Selbstverständlich aber auch nicht so, daß sie dem Staat übergeordnet wurde, was man als unevangelisch empfand. Auf gleicher Ebene wollte man dem Staat begegnen. Und man hat sich, wie gesagt, die Kunst, dies zu tun, in beachtlichem Maße angeeignet. In solchem Maße sogar, daß Gegenwirkungen gegen die so aufgebauten kirchlichen Machtpositionen seit geraumer Zeit deutlich spürbar sind und offenbar wachsen. Diese .Staatlichkeit' der evangelischen Kirchen, die noch durch ihre bis in das Staatskirchentum zurückreichende Verwaltungstradition gefördert wurde, hat nun eine eigentümliche Wirkung auf das politische Bewußtsein vieler ihrer Glieder gehabt. J e bewußter sie sich als solche Kirchen-Glieder empfanden, desto weniger gewann ihr Bewußtsein als Staats-Glieder Gelegenheit der Entfaltung. Ihr politisches Bewußtsein wurde mehr oder weniger von ihrem kirchlichen Bewußtsein absorbiert bzw. gewann nur eine Kümmerexistenz. Man kann auch sagen: Politische Neigungen oder Pflichtgefühl erfüllen sich bei nicht ganz wenigen evangelischen Bürgern in ihrer Kirchlichkeit; ihr kirchliches Bewußtsein ist ein Politikersatz-Bewußtsein. Auch hier liegt es mir fern, Vorwürfe zu erheben. Es geht um Ernsteres. Nämlich um das Sichtbarmachen eines Tatbestandes, der sich für die 27»

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Menschlichkeit evangelischer Christen unheilvoll auswirken muß. Man lebt nicht ungestraft von Ersatzbefriedigungen — besonders nidit solchen religiöser Qualität — seiner politischen Impulse. Der Klerikalismus als Empfindungs-, Denk- und Handlungsweise auch und gerade von sog. Laien ist seltsamerweise eine bedrohliche Krankheit ausgerechnet weiter protestantischer Kreise geworden; bedrohlich gerade deshalb, weil er so gut wie unerkannt ist, ja immer wieder durch Euphorien verdeckt wird. Der Pädagoge kann nicht anders als auf die Inhumanität dieses Klerikalismus aufmerksam machen. U n d er muß darauf hinweisen, daß diese Inhumanität auch die politische Existenz der Nicht-Protestanten und Nicht-Christen berührt. Vom Kirchenstaatsbewußtsein evangelischer Christen geht eine ständige Paralyse des politischen Engagements im öffentlichen Bewußtsein aus: Was die evangelischen Christen mit ihrem — so meint man — geschärften Gewissen nicht mehr ganz ernst nehmen, glaubt man als Nicht-Evangelischer erst redit nicht mehr besonders respektieren zu müssen. Gewiß ist das keine erschöpfende Erklärung gewisser politischer Apathien in der Gegenwart. Aber man sollte den Beitrag des evangelischen Klerikalismus zu ihrer Entstehung nicht unterschätzen: Dieser evangelische Klerikalismus hat auch sozialpädagogische Konsequenzen. Schließlich das dritte Beispiel: Die Verengung der geistigen H o r i zonte und das Ausdörren seelisdien Lebens ihrer Glieder, deren sich die evangelischen Kirchen durch ihre eilfertige, o f t sich richtig überschlagende Anpassung an die heutige Ächtung alles Übervernünftigen schuldig machen. Kirchliche Verkündigung besteht gegenwärtig allzuo f t in der ängstlichen Versicherung, daß christlicher Glaube dem Menschen ,überhaupt nichts Besonderes zumute', vor allem seinem Verstände keinerlei Auflagen mache und ihn selbstverständlich nicht etwa nötige, ,fromm' zu werden. Natürlich sind solche und ähnliche Beteuerungen nicht ohne Wurzeln in sachgemäßem evangelischem Denken. Aber die Geläufigkeit und die sich anbiedernde Einseitigkeit, mit der sie vorgetragen werden, haben doch ausgesprochen bedenkliche Wirkungen, die freilich von den evangelischen Kirchen nur merkwürdig selten gesehen werden. Dabei interessiert diejenige Wirkung, die noch am ehesten in das Blickfeld kirchlicher Amtsträger zu treten pflegt, hier relativ am wenigsten: der abstoßende Eindruck, den solche ,Zeitgemäßheit' der Kirche weithin gerade auf die macht, die durch sie geworben werden sollen. Weit wichtiger müssen dem Pädagogen die Konsequenzen sein, die diese kirchliche Anpassung an rationalistische

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Zeitströmungen für das Schicksal der Humanität haben muß und faktisch längst hat. Die so erschreckend wachsende geistige Kleinbürgerlichkeit und die ähnlich rapide zunehmende seelische Auszehrung des ,modernen' Menschen sind auch das Ergebnis der Legitimierung gewisser Zeitströmungen durch die ,Zeitgemäßheit' insbesondere der evangelischen Kirchen. Die diesbezügliche Blindheit dieser Kirchen ist so groß, daß sie offenbar nicht einmal das charakteristische Umschlagen gewisser neo-rationalistischer Tendenzen in einen gänzlich unkontrollierten und vielleicht weithin auch nicht mehr kontrollierbaren Irrationalismus wahrzunehmen, geschweige denn zu durchschauen vermögen. Die Ächtung des Übervernünftigen f ü h r t vor unseren Augen nahezu gesetzmäßig zu einer Ächtung der Vernunft, die bereits öffentliche Vorgänge verhängnisvoll prägt — und weite, nicht einflußlose Kreise der evangelischen Kirche spenden laut Beifall. Weiß man noch, was man damit tut? Die Ächtung der Vernunft als Folge der Mißachtung des Übervernünftigen muß nicht nur Schädigungen, sondern Verheerungen des Humanen zur Folge haben. Ich denke diese drei Beispiele genügen, um deutlich zu machen, worum es mir geht: Die evangelischen Kirchen üben als Institutionen etliche fragwürdige pädagogische Wirkungen aus, ohne sie wahrzunehmen. Entscheidungen einzelner, Verlautbarungen und Aktionen von kirchlichen Ämtern und Prominenten, Predigten, Erziehungseinrichtungen, Bücher, Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehdarbietungen, Gemeindeveranstaltungen mannigfacher Art schufen und schaffen eine ,Kirchlichkeit', die in durchaus negativem Sinne prägend auf evangelische Christen aber auch auf Christen anderer Konfessionen und Nichtchristen wirkt. Noch hat sich in diesen Kirchen kein umfassender kritischer Blick für diese Wirkungen entwickelt, also auch kein nur annähernd hinreichender Wille, hier Wandel zu schaffen. Und das ist so, obwohl die genannten Beispiele zwar von weittragender Bedeutung aber doch wirklich nur Beispiele sind, also eine Gesamtsituation kennzeichnen, die noch durch manche andere Exempel charakterisiert werden könnte. Was stimmt hier nicht? Es ist unmöglich, die Problematik dieser Un-Stimmigkeit jetzt in ihrem ganzen Umfang aufzunehmen. Aber es soll doch eine Hypothese zu ihr geäußert werden, die vielleicht die Debatte befruchten kann. Seit 1918 ist speziell im deutschen Protestantismus sehr viel über Sinn und Bedeutung der Kirche nachgedacht worden. Dabei sind mannigfaltige Konzeptionen diskutiert worden. Frage ich mich, wel-

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eher dieser Entwürfe praktisch wohl den nachhaltigsten Eindruck gemacht hat, so komme ich immer wieder auf einen, der die relativ größte theoretische Kritik erfahren hat, das Buch „Das Jahrhundert der Kirche", das der damalige Generalsuperintendent der Kurmark, Otto Dibelius 1926 erscheinen ließ (1). Die — radikale — Kritik an diesem Buch setzte sofort nach seinem Erscheinen ein (2) und hat sich bis zur Gegenwart durchgehalten, wenn sie heute auch vorwiegend dadurch geübt wird, daß man von diesem Buch nicht mehr viel spricht. Dennoch glaube ich, es zu den kirchengeschichtlich erfolgreichsten Büchern unserer Zeit rechnen zu müssen. Nicht nur deshalb, weil es bei seinem Erscheinen in weitesten Kreisen der deutschen Protestanten lebhaften Widerhall fand, ihnen also aus einer offenbar vorhandenen Verlegenheit im Denken über ihre Kirche heraushalf. Auch die spätere Entwicklung der evangelischen Kirchen dürfte in erheblichem Maße von dem durch dieses Buch geweckten kirchlichen Selbstbewußtsein getragen worden sein, obwohl sich auch die theologische Kritik an Dibelius* Gedanken ausbreitete. Vor allem aber dürfte man die kirchliche Restauration nach 1945 am leichtesten als den durch das sog. Dritte Reich verzögerten Versuch verstehen können, das Jahrhundert der Kirche nun doch noch zu etablieren, wobei Nöte und Leiden der Christen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus und dessen furchtbaren Irrungen wahrscheinlich eine diesen Versuch besonders legitimierende Rolle spielten. Der Vorgang ist also offenbar der, daß Dibelius' Buch den 1918 heimatlos gewordenen christlich-politischen Patriotismus weiter Kreise des deutschen Protestantismus in einen Kirchen-Patriotismus hatte umschlagen lassen, der bis zur Gegenwart kirchliches Selbstbewußtsein und kirchliche Aktivität weckt und bestimmt. Ein Mißbrauch des, wie man gern sagte und sagt, ,neuen Verständnisses von Kirche' in der zeitgenössischen Theologie glich dabei, sehe ich recht, die theologische Anspruchslosigkeit des Buches von Dibelius einigermaßen aus: Man empfand die theologische Kritik an dieser Anspruchslosigkeit nicht mehr als gegen die eigene Kirchlichkeit gerichtet, sondern wähnte diese inzwischen gerade durch diejenigen Theologen gerechtfertigt, die jene Kritik an Dibelius durchgeführt hatten. Das würde also bedeuten, daß sich hier ein starker kirchenpolitischer Wille — nämlich der sich in dem Buch vom ,Jahrhundert der Kirche' zur Geltung bringende — gegen in hohem Ansehen stehende Theologen und Theologien durchgesetzt hätte. Das aber wäre ein für viele vermutlich schwer verständlicher Vorgang. Wir sind im allgemeinen ge-

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neigt, als selbstverständlich anzunehmen, daß in der Kirche der Geist die Geschichte macht und politischer Wille sich wenigstens auf lange Dauer nicht gegen überlegene Einsicht durchzusetzen vermag. Die Kirchengeschichte lehrt zwar an einer Fülle von Exempeln, daß sie in Wahrheit recht anders verläuft, aber ihr idealistisches Mißverständnis ist offenbar unausrottbar. Deshalb dürfte es angebracht sein, unsere Hypothese noch dadurch etwas zu konkretisieren, daß die genannten drei Beispiele verhängnisvoller pädagogischer Wirkungen unserer heutigen evangelischen Kirchen ein wenig mit der Grundkonzeption des .Jahrhunderts der Kirche' konfrontiert werden. Ich gehe dabei von einigen Erörterungen aus, die Otto Dibelius in dem Buch „Nachspiel — Eine Aussprache mit den Freunden und Kritikern ides >Jahrhunderts der Kirche«" 1927, also ein Jahr nach dem Hauptwerk publizierte. Das hat den Vorteil, daß man sich an Gedanken halten kann, die Dibelius auch gegenüber seinen Kritikern behauptet hat. Dort heißt es: „Wir haben den 9. November 1918 gehabt. Dieser Tag hat das deutsche Volk vor ein neues Schicksal gestellt. Er hat uns den alten, christlichen Staat genommen. Er hat die überlieferten Grundlagen des sittlichen Gemeinschaftslebens erschüttert. Er hat eine selbständige evangelische Kirche, an der dies sittliche Gemeinschaftsleben einen Halt haben kann, zur Lebensnotwendigkeit für das deutsche Volk gemacht. Und diese selbständige evangelische Kirche, die es vordem in Deutschland nicht gab, hat er geschaffen und fest auf die Füße gestellt" (3, 13). Dieser für Dibelius fundamentale Tatbestand — das Zitat ist im Original gesperrt — wird dann von ihm u. a. folgendermaßen interpretiert: „Der Staat ist jetzt grundsätzlich neutral. Man kann ebenso gut sagen: er ist religionslos. Er ist rein weltlich o r i e n t i e r t . . . Wie eigentlich ein Staat ohne Weltanschauung auskommen soll, da doch alles sittliche Leben in der Religion wurzelt und ein Gemeinschaftsleben von 60 oder 70 Millionen ohne sittliche Bindungen und ohne sittliche Grundsätze nicht denkbar ist — das kümmert den Staat von heute nicht" (3, 15). Wenn aber der Staat keine sittlichen Grundsätze mehr haben kann, „dann kann er sie auch nicht mehr anderen einprägen. Erziehen im eigentlichen Sinne des Wortes kann der Staat hinfort nicht mehr. Denn erzieherische Arbeit muß Ziele haben und sittliche Leitgedanken... Der Staat kann auch nicht mehr sittliche Kräfte wecken und sittliches Urteil bilden, obwohl er, wie gesagt, diese sittlichen Kräfte und dies sichere sittliche Urteil für seine eigene Existenz bitter nötig hat" (3, 16). Deshalb fragt Dibelius nun ,nach einer Macht, die in dieser unserer Gegenwart die

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sittliche Verantwortung auf sich nehmen kann, die der Staat freigegeben hat' (3, 17). Und seine Antwort ist eindeutig. Da sittliches Leben ,im Gewissen, d. h. in der Bindung des Menschen an Gott' wurzelt, wie ,immer wieder gesagt werden muß', kommen nur religiöse Gemeinschaften in Frage, praktisch nur die großen Kirchen. „Die kleinen Gemeinschaften haben ihr Recht und ihre besonderen Aufgaben. Gewiß! Aber die Aufgabe gegenüber der Volksgemeinschaft, um die es sich jetzt handelt, können nur die großen, geschichtlich mit Staat und Volk verbundenen Kirchen lösen. Sie müssen, seit der Staat sich dieser Aufgaben entschlagen hat, die Erzieher des deutschen Volkes zu sittlichem Ernst, zu sittlicher Kraft, zu sittlicher Verantwortung sein. Sie können es. Sie müssen es." (3, 20; Sperrung von mir). Und Dibelius fügt hinzu: „Die Kirchen stehen damit vor einer Aufgabe, wie sie so gewaltig auf deutschem Boden noch nicht dagewesen ist. Sie stehen vor einer Aufgabe, die sich mit Schicksalsnotwendigkeit immer reicher entfalten muß von Jahrzehnt zu Jahrzehnt" (3, 20). Hinter dem deutschen aber taucht der weltpolitische Horizont auf. Im Blick vor allem auf den Kommunismus stellt Dibelius fest: „Daß ein Bollwerk da sei für die Güter unseres christlichen Glaubens, daß unsere Kinder ihres christlichen Glaubens froh und ruhig leben können, wie es unsere Väter gekonnt haben, daß eine Mauer stehe, die die christliche Kultur des Abendlandes schirme, nachdem kein Staat sie mehr schirmen will — dafür brauchen wir eine Kirche!" (3, 25; ähnlich öfter). Mit anderen Worten: Dibelius konzipiert die evangelische Kirche in der nach 1918 gegebenen Situation als moralischpädagogische Anstalt, berufen, jene sittlich-erzieherische Funktion auszuüben, die der Staat in der Revolution preisgegeben hat; legitimiert ist sie hierzu, da sie organisierte Macht, genauer Großmacht ist. Von daher lassen sich nun m. E. die in unseren drei Beispielen entfalteten Tatbestände relativ leicht durchschauen: Sie dürften notwendig Resultate einer kirchlichen Tradition sein, die primär durch Otto Dibelius' Jahrhundert der Kirche' und durch seine Wirksamkeit als .Kirchenführer' gestiftet oder doch entbunden wurde. Das gilt zunächst von der verhängnisvollen Wirkung der heutigen evangelischen Kirche im Bereich der Moral. Wir fanden diese in dem enthusiasmierten Bestreben begründet, endlich die .Freiheit vom Gesetz' ( = herkömmliche Moral) und die .Heiligung der Welt' ( = omnia instaurare in Christo) zu realisieren. Beides bedeutet, zusammengefaßt: Es geht um das Bestreben, die Regulierung der Sittlichkeit und die

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sittliche Erziehung in die Regie der Kirche zu nehmen. Die Welt und ihre vornehmste Macht, der Staat, sind zu dieser Funktion angeblich nicht mehr fähig: Die Kirche muß einspringen. Das aber ist de facto das Programm des Jahrhunderts der Kirche'. Natürlich hat es inzwischen bessere theologische Begründungen gefunden, als sie bei Dibelius zu finden sind. Aber nicht diese subtilen Argumentationen, sondern der von Dibelius begründete eigentümliche Kirdien-Patriotismus weiter protestantischer Kreise dürfte die seltsame Ausbreitung jener Bestrebungen erklären, wobei ihren Trägern selbstverständlich der Name Otto Dibelius völlig unbekannt sein kann. Wenn nun aus dieser moralischen Entmündigung ihrer Umgebung durch in dieser Art geprägte protestantische Kreise — gegen deren guten Willen — längst ein Beitrag zur faktischen Entmoralisierung ihrer Umgebung geworden ist, weil die Welt sich gern von moralischer Verantwortung befreien läßt, aber gar nicht daran denkt, sich von der Kirche neue Gesetze geben zu lassen, so ist es nur allzu menschlich, daß die Glieder der protestantischen Kirchen hiervor weitgehend die Augen verschließen: Man sähe sich um den Sinn seiner Gliedschaft in dieser Kirche, ja um den Sinn dieser Kirche gebracht, wenn man diese ihre Wirkung zugeben müßte: Dies darf nicht wahr sein. Und noch machen gewisse gesellschaftliche und politische Zustände diese Selbsttäuschung möglich. Ähnlich steht es mit dem, was wir ,die stille aber zähe Entpolitisierung weiter Kreise evangelischer Christen im Sinne einer Minderung bzw. Auflösung ihres Engagements an weltlich-politischen Ereignissen, Institutionen, Personen usw. durch ihre Kirchen' nannten. Wir hatten den Prozeß, in dem diese Entpolitisierung sich entwickelte, bereits als den der Umbildung kirchlichen Bewußtseins in ein Politikersatz-Bewußtsein oder als die Entstehung eines protestantischen Klerikalismus seit der Zeit nach dem 1. Weltkrieg beschrieben. Wir braudien jetzt also nur darauf aufmerksam zu machen, daß dieser Prozeß faktisch der Prozeß der Entfaltung des Dibelius'schen Kirchengedankens ist. Daß die Kirche als öffentliche Macht Partner des Staates werde, darauf war diese Konzeption evangelischer Kirchen von Anfang an gerichtet. Und die Jahre der Restauration nach 1945 haben sie auf die Höhe ihrer Wirkung geführt, einer Wirkung, die von vielen Protestanten als so etwas wie ein ,Beweis des Geistes und der Kraft' für diese Konzeption angesehen wird. Geblendet von ihr kann man einfach nicht sehen, und will das wohl auch nicht, daß dieser Klerikalismus höchst bedenkliche inhumane Konsequenzen hat. Man kann den Staat und die von ihm und für ihn getriebene Politik nicht derart

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ihrer ethischen Substanz berauben, wie das bei Dibelius und in seinem Gefolge geschieht, ohne daß die politische Verantwortung auf das wirksamste zersetzt und das kirdiliche Gefüge — als politisches Ersatzgefüge — von lauter unverantwortlichen Einrichtungen, Maßnahmen und Verhaltensweisen durchsetzt wird. Kirche als Staatsersatz verliert die Möglichkeit, Zuflucht für den von der Welt und sich selbst verwundeten Menschen sein zu können. Und das dritte Beispiel: ,Die Verengung der geistigen Horizonte und das Ausdörren seelischen Lebens ihrer Glieder, deren sich die evangelischen Kirchen durdi ihre eilfertige Anpassung an die heutige Ächtung alles Übervernünftigen schuldig machen'. Audi diesen Vorgang kann ich nur von der Eigenart der Dibelius-Kirdie her verstehen. Indem den evangelischen Kirchen mit solchem Nachdrudk und solcher faktischen Mißachtung ihres spezifischen Berufes — der verbaliter natürlich aufrecht erhalten wird — die Sendung zugesprochen wird, ,Erzieher ides deutschen Volkes zu sittlichem Ernst, zu sittlicher Kraft, zu sittlicher Verantwortung zu sein', weil nämlich der Staat sich dieser Aufgabe entschlagen hat, und ,die christliche Kultur des Abendlandes zu schirmen, nachdem kein Staat sie mehr schirmen will', wird für sie die Möglichkeit verschüttet, sidi als Gemeinde des Auferstandenen, als Ort der Präsenz Gottes zu begreifen und zu verhalten. In dem Maße aber, in dem die evangelisdien Kirchen aus Stätten der Transzendenz zu moralisch-pädagogisch-politischen Anstalten werden, müssen sie Brutstätten der Eng-Geistigkeit und der Eng-Herzigkeit werden. Selbstverständlich redet heute niemand mehr von ,sittlichem Ernst' und .sittlicher Kraft', schon gar nicht mehr von der .christlichen Kultur des Abendlandes'. Aber was sich etwa heute als .öffentlichkeits-Wille' und ,öffentlichkeits-Arbeit' (sit venia verbis — man sagt so!) der Kirchen auf immer neuen Gebieten entfaltet, ist weithin genau das Programm des Jahrhunderts der Kirche*. Und daß die damit unausweichliche Kleinbürgerlichkeit gegenwärtig meist hypermoderne Namen hat, macht sie nicht erträglicher, sondern peinlicher: Die evangelisdien Kirdien nehmen immer mehr Züge von Sekten an. Aber nun sei doch im Blick auf alle drei genannten Beispiele und auf dies oder jenes andere, das man erwägen kann, noch einmal gefragt: Kann man wirklich eine solche Nachwirkung der Konzeption Otto Dibelius* annehmen? Diese Konzeption ist immerhin über 40 Jahre alt und spezifisch auf die geistige und politische Situation der Zeit nach dem 1. Weltkrieg bezogen. Zwischen ihr und heute liegen also die Jahre des sog. Dritten Reiches und des Wiederaufbaues nach

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dem 2. Weltkrieg. In dieser Zwischenzeit liegen auch Jahrzehnte theologischer Arbeit, die diese Konzeption einer außerordentlich harten Kritik unterzog, und uns über Sinn und Aufgaben evangelischer Kirchen sehr anders denken lehrte. Dennoch meine ich jene Frage entschieden bejahen zu müssen. Ich könnte als Begründung dieser Überzeugung auf die Tatsache hinweisen, daß die Zeit des Wiederaufbaues nach 1945 ja in weitesten Bereichen eine Zeit war, die auf Vorstellungen der zwanziger Jahre zurückgriff. Ich meine aber, diese Begründung — auch in der hier gebotenen Kürze — noch etwas konkretisieren zu können. Die Konzeption des .Jahrhunderts der Kirche' ist eine heute leicht durchschaubare, handfeste, moralisch-politische Ideologie. Solche Ideologien aber pflegen im ,Streit der Geister' mindestens solange überlegen zu sein, wie die sie konstituierenden Interessen Aussicht haben, sich zur Geltung zu bringen. Und dies eben war bisher der Fall. Ob es diese Interessen auch künftig noch in nennenswertem Umfange geben wird und ob sie in den nächsten Jahrzehnten noch eine Chance haben, ist eine offene Frage. Vieles spricht dagegen; nicht zuletzt die großen Verlegenheiten, in die man sich auf Seiten unserer evangelischen Kirchen in gewissen ,Stunden der Wahrheit' heute gestürzt sieht. Nodi einmal: Ich stelle diese Deutung der jüngsten Geschichte unserer evangelischen Kirchen nur zur Debatte. Wer sie nicht teilen kann, muß freilich eine andere Erklärung für den nicht gut fortzuleugnenden Tatbestand finden, daß unsere evangelischen Kirchen als solche heute verhängnisvolle pädagogische Auswirkungen haben und offenbar nicht vermögen, diese zu durchschauen. Einstweilen lerne ich selbst aus der geschaffenen Lage: Eine christliche Kirche, die sich offen oder verkappt — man kann das theologisch sehr verbrämen — als moralisch-politische Anstalt versteht, wirkt entmoralisierend und politisch zersetzend; eine christliche Kirche, die sich selbst einen ,erzieherischen' Beruf zuschreibt, wirkt inhuman, nämlich die Menschlichkeit des Menschen erst verarmend, dann auszehrend. — Muß ich betonen, daß dieser negative Aspekt nicht der einzige ist, den die evangelischen Kirchen mir gegenwärtig bieten? Ich hätte die mit diesem Aspekt gegebene Problematik hier nicht angesprochen, wenn ich am Schicksal dieser Kirche nicht brennend interessiert wäre. Und ich bin an ihm interessiert, weil ich in dieser Kirche Gründe für eine nicht zu bewältigende Dankbarkeitspflicht zu besitzen meine — Gründe, die freilich großenteils weit abseits dessen liegen, was sich

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gegenwärtig als kirchliche A k t i v i t ä t in der Öffentlichkeit bemerkbar macht. Eine pädagogisch orientierte kritische Darstellung unseres evangelischen Kirchenwesens gibt es m. W. nicht. Vielleicht liegt es mit hieran, daß die Nachwirkung der Konzeption Otto Dibelius' trotz der an ihr geübten theologischen Kritik so ungebrochen ist. Nachträglich sehe ich, daß nach der bekannten Emnid-Umfrage „Was glauben die Deutschen?" O. Dibelius noch 1967 der unter Evangelischen bekannteste .prominente Protestant' w a r ! Die Umfrageergebnisse sind auch in mancher anderen Hinsicht für das Thema dieses Abschnittes interessant: „Was glauben die Deutschen?" — Die Emnid-Umfrage, Ergebnisse und Kommentare, hg. v. W. Harenberg, 1968. 1. O. Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche — Geschichte, Betrachtung, Umschau, Ziele, 1926. Als relativ leicht greifbares Beispiel der an diesem Buch alsbald geübten theologischen Kritik vgl.: 2. E. Hirsch, Bespr. von O. Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche, in: Theologische Literaturzeitung 1927, 25 ff. 3. O. Dibelius, Nachspiel — Eine Aussprache mit den Freunden und Kritikern des „Jahrhundert der Kirche", 1928. Ober die Entwicklung der ,öffentlichen' Geltung auch der evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik gibt hochinteressante Aufschlüsse das Sammelwerk: 4. H. Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946, hg. v. Hering und Lentz, 1. Bd. (1946—1952) 1963; 2. Bd. (1953—1954) 1964; 3. Bd. (1955 bis 1956) 1965; 4. Bd. (1957—1958) 1966; 5. Bd. (1959—1961) 1967. Die für viele immer drängender werdende Problematik, die sich aus dieser Judikatur ergibt, wird deutlich in dem Berichtsheft: 5. „Die Kirchen unter dem Grundgesetz . . . Berichte . . . und Aussprachen . . . in den Verhandlungen der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer" zu Frankfurt am Main vom 4. bis 7. 10. 1967, (Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Strafrechtslehrer, Heft 26), 1968. 2. Kirchenverwaltung Im Blick auf das Instrumentarium, durch das die Kirche ihre S o u v e ränität' gegenüber dem Staat wahren soll, bemerkt Dibelius im J a h r hundert der Kirche' einmal: Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Staat und Kirche „wird um so eher möglich sein, je mehr die Kirche wirklich Kirche ist. Daß sie den alten Charakter eines Staatsinstitutes, den sie so lange getragen hat, nicht von heute auf morgen abstreifen kann, versteht sich v o n selbst. Allmählich aber muß die Kirche in einen eigenen Lebensstil hineinwachsen. Die vom Staat übernommene bureaukratische Verwaltungsform, alle diese Ratstitel, diese Scheidung der Beamtenklassen, dies System von >Erlassen< und >Verord-

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nungenc in dem unpersönlichen und unlebendigen Stil der staatlichen Kanzleien — das alles muß und wird einmal einem wirklich kirchlichen Gepräge weichen. Denn starkes selbständiges Leben hat die K r a f t , sich wurzelechte und darum innerlich wahrhaftige Lebensformen zu schaffen" (1, 238). D a ß und wie Dibelius in diesem Zitat auf die kirchliche Verwaltung zu sprechen kommt, ist für unseren Zusammenhang höchst interessant. Nicht, weil sich durch diese Verwaltung ein gewisser Teil jener pädagogischen Gesamtwirkung der Kirche vollzieht, von der im vorangegangenen Abschnitt die Rede war. D a s ist hier weniger belangvoll, zumal der Anteil der Kirchenleitung und Pfarrerschaft (bes. der sog. Spezialpfarrer) an dieser Gesamtwirkung m. E. bedeutsamer ist. Relativ interessanter sind, jedenfalls für unseren Zusammenhang, gewisse spezifische Auswirkungen der kirchlichen Verwaltungen, die pädagogisch relevant sind. D a ß es solche Wirkungen überhaupt gibt, wird ähnlich selten gesehen, wie bei staatlichen Verwaltungen. Wenn Dibelius sie sieht und will, so liegt dies wahrscheinlich daran, daß sein eigenes kirchliches Engagement so nachhaltig pädagogisch geprägt ist. „ . . . im Interesse des Staates liegt nichts mehr als eine blühende, evangelische Kirche, die sich kraftvoll auswirken und durch die Weckung sittlicher K r ä f t e die Fundamente staatlichen Lebens sichern k a n n " — so heißt es unmittelbar vor dem Zitat über den erstrebten neuen Lebensstil der Kirche. Was ist aus diesem Streben nach einem neuen kirchlichen Verwaltunigsstil — er ist hier mit,Lebensstil' gemeint — geworden? Dibelius hatte ganz recht gesehen, daß der alte einfach deshalb nicht ,kirchlich' war, weil er staatlich war. Die Konsistorien waren die alten ,königlichen' Konsistorien ,und auch der Berliner Evangelische Oberkirchenrat stammte, obwohl einmal als früher Ansatz kirchlicher Selbstverwaltung gegründet, aus staatlicher Verwaltungstradition, die er auch getreu bewahrt hatte. U m nun aus dieser staatlichen Tradition herauszufinden, hätte man ein kräftiges anderes Muster besitzen und bejahen können müssen. Als solche Muster kamen aber nur zwei in Frage: das römisch-katholische und ein aus der presbyterial-synodalen Überlieferung erst zu entwickelndes. D a s erste fiel aus Gründen des Bekenntnisses aus, obwohl Otto Dibelius gewisse Neigungen in dieser Richtung besaß. U n d das zweite zu entwickeln fehlte offenbar die geistig-geistliche K r a f t , ganz abgesehen davon, daß ein solcher Versuch wohl kaum den Intentionen Dibelius* entsprochen hätte. So blieb die staatliche Tradition der kirchlichen Verwaltung ungebrochen. U n d sie war ja auch f ü r eine Kirche, die so betont auf eine ,souveräne'

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Konfrontation mit dem Staat bedacht w a r wie die von Dibelius konzipierte, im Grund durchaus geeignet: Seine kirchenstaatliche Konzeption forderte eine kirchenstaatliche Verwaltung, die gegenüber der staatlichen wirklich konkurrenzfähig war. Wenn man dann obendrein eine solche kirchenstaatliche Verwaltung so einfach haben konnte, daß man bloß an die Stelle des Landesherren, dem die kirchliche Verwaltung einmal unterstellt war, einige Generalsuperintendenten oder evangelische Bischöfe zu setzen brauchte, dann war das Festhalten an der Tradition eigentlich zwangsläufig. Diese ist dann auch durch die für sie durchaus bedrohlichen Jahre des sog.,Dritten Reiches' hindurchgerettet und nach 1945 nicht nur einfach restauriert, sondern mit Hilfe einer teils eingeschüchterten, teils überzeugt wohlwollenden Öffentlichkeit zu einer Perfektion gebracht worden, die ihren Status in den zwanziger Jahren noch weit übertreffen dürfte. Und dennoch blieb diese traditionelle Verwaltung nicht einfach die, die sie vor 1918 war. Dibelius' Forderung ihrer ,Kirchlichkeit' hob zwar das Postulat ihrer Konkurrenzfähigkeit mit dem staatlichen Apparat nicht auf, färbte sie aber auf eine sehr eigentümliche Weise ein: Sie wurde verchristlicht. Das bedeutete in praxi, daß die Träger dieser Verwaltung ihrem herkömmlichen Verhalten und der herkömmlichen Art -ihrer Verwaltungsakte noch ein Stück ausdrücklicher Christlichkeit hinzufügten. Meist bestand und besteht diese Christlichkeit in einem zusätzlichen moralischen Raisonnement — gewöhnlich als .Nächstenliebe' zusammengefaßt — und dem zusätzlichem Gebrauch einer erbaulichen Vokabulatur, hier und da auch in der zusätzlichen Veranstaltung gottesdienstlicher Zwischenakte im Tageslauf der Verwaltungsarbeit. Was man tut, soll nicht nur richtig, sondern außerdem ,im Namen Jesu Christi' geschehen; und zwar so, daß dies auch hörbar und sichtbar wird. Es bedürfte nun sehr umfangreicher Erörterungen, um zu zeigen, welche verhängnisvollen Konsequenzen diese Art Verdiristlichung der kirchlichen Verwaltung gehabt hat: Der Umgang mit Kirchenbehörden ist höchst schwierig geworden. Einfach war er natürlich nie, und auch der mit staatlichen, wirtschaftlichen oder anderen weltlichen Behörden war und ist es nicht. Aber zu den üblichen Beschwernissen im Verkehr mit Behörden kommen bei kirchlichen Behörden nun die von ihrer Christlichkeit herrührenden hinzu. Ich kann ihre Art hier nur durch ein Beispiel charakterisieren. Der Grad der ,Verdiristlichung' einer kirchlichen Verwaltung läßt sich gewöhnlich an dem Gebrauch der Anrede ,Bruder' ablesen. Er hat besonders nach 1945 erheblich zugenommen. Ursprünglich für Geist-

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liehe reserviert — übrigens keineswegs ohne Widerspruch zu erregen, wie aus einem lebhaften Protest des damaligen nicht gerade liberalen' Rostocker Theologen Alfred Seeberg (gest. 1916!) gegen dieses ,Zeugnis unevangelischer Geistesart' hervorgeht — wurde diese Anrede neuerdings verallgemeinert, id. h. auch auf sog. Laien und von ihnen angewandt. Natürlich nicht beliebig: Es sollen jeweils besondere geistliche Beziehungen zum Ausdruck gebradit werden, die freilich dann in gewissen Bereichen kirchlicher Verwaltung als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Auf diese Weise ist es gekommen, daß kirchliche Verwaltung heute gelegentlich ganz von der Ausdrücklichkeit solcher Bruderschaft durchtränkt sein kann. Offensichtlich nicht zu ihrem Besten. Denn erstens tritt durch diese Brüderlichkeit ungemein häufig eine Vernebelung der Sachverhalte ein. Die schöne nüchterne Klarheit, die die kirchliche Verwaltung einmal aus der staatlichen erbte, wird verdorben. Zweitens: Die vielen taktischen Finessen, zu denen sich Verwaltungsbeamte immer genötigt sehen — nur sehr seltene Ausnahmen sind über sie erhaben — erhalten den Schein einer frommen Rechtfertigung. Drittens: Der Partner einer so finassierenden Kirdienverwaltung wird durch die ihm gegenüber kundgetane Brüderlichkeit entwaffnet. Es ist oft schlechterdings ausgeschlossen, einen Gegensatz zu kirchlichen Verwaltungsstellen redlich auszutragen: Man wird durch Brüderlichkeit außer Gefecht gesetzt. Schließlich: Alle diese Tatbestände schaffen, wie leicht zu durchschauen ist, mit einer gewissen Notwendigkeit eine Atmosphäre ethischer Fragwürdigkeiten. Der Brudername überfordert die ihn Gebrauchenden und die mit ihm Angeredeten. Und durch diese Überforderung wird, besonders wo man sich an ihn gewöhnt, die sittliche Urteilskraft geschwächt, mit allen Konsequenzen, die das für Zusammenarbeit und Zusammenleben der Menschen zu haben pflegt. Unser Beispiel hat symptomatische Bedeutung. Und so kommt es, daß dem Prestige-Gewinn kirchlicher Verwaltungen besonders in den Jahren nach 1945 heute ein immer deutlicher werdender Autoritätsverlust entspricht. Weit entfernt davon einen wirklich eigenen, kirchlichen Stil zu entwickeln, haben sie es im allgemeinen nur zu einem Plagiat staatlicher Verwaltungen gebracht, das ständig dazu herausfordert, seine sachliche Unangemessenheit festzustellen. Die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Geltung der evangelischen Kirche und ihrer geistlichen Realität, die heute nicht nur das christliche, sondern das öffentliche Bewußtsein belastet, ist vornehmlich in unseren kirchlichen Verwaltungen repräsentiert.

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Das hat natürlich Konsequenzen vor allem für Menschen gehabt, die aus beruflichen Gründen viel mit unseren Kirchenverwaltungen zu tun hatten und haben. Z. B. für die evangelische Lehrerschaft. In ihr war besonders nach 1945 ein starker und redlicher Wille wach, ein neues, fruchtbares Verhältnis zu ihrer Kirche zu finden. Und es wurden auch bemerkenswerte Ansätze hierzu gewonnen. Aber diese sind weitgehend zerronnen. Natürlich aus vielerlei Gründen. Einer der wichtigsten jedoch war sicherlich, daß die evangelischen Kirchenbehörden sich der Lehrerschaft gegenüber nicht zu der Selbstentmächtigung entschließen konnten, die nadi Lage der Dinge der entscheidende Beweis für die Ernsthaftigkeit ihrer so oft so feierlich verkündeten Meinung war, der evangelische Lehrer sei membrun praecipuum seiner Kirche. Daß das Herkommen, in die kirchliche Verwaltung nur Theologen und Juristen aufzunehmen, nicht wenigstens zugunsten der Lehrer durchbrochen wurde — verschwindende Ausnahmen zählen nicht — ist angesichts des breiten praktisch-pädagogischen Engagements der evangelischen Kirchen, angesichts der Tatsache, daß sowohl dieses Engagement wie die rasche Entwicklung der pädagogischen Theorie durchaus in ihr Bewußtsein traten, angesichts schließlich des Faktums, daß sie zu einer solchen Änderung ausdrücklich und mit Energie aufgefordert wurden, ungemein aufschlußreich. Man hielt, gestärkt durch das neue Prestige, das man gewann, an der alten kirchlichen Herrschaftsstruktur fest und brachte dadurch die evangelischen Lehrer, die aufrichtig ein neues, unbefangenes Verhältnis zu ihrer Kirche suchten, in eine fatale Lage. Das Ja, das die Lehrer zu ihrer Kirche sprachen, wurde von den Kirchenverwaltungen in ein Ja zu ihnen, also in eine Unterwerfung unter sie verwandelt. Und daß diese Unterwerfung in sehr subtilen geistlichen' Formen geschah, machte sie natürlich besonders peinlich. Die betroffenen Lehrer gerieten vor sich selbst, aber auch vor ihren Kollegen in den Verdacht, sich preisgegeben zu haben. Dem glücklich beendeten Kapitel der geistlichen Schulaufsicht wurde in der Geschichte der Beziehungen der evangelischen Lehrerschaft zu ihren Kirchen das neue, nicht minder unselige Kapitel des Versuches der evangelischen Kirchenleitungen hinzugefügt, die evangelischen Lehrer zu einer Selbstentmündigung zu inspirieren. Dabei sind schmerzliche Erfahrungen einzelner sowohl wie ganzer Lehrerkreise zustande gekommen und sehr schiefe Gruppierungen in der evangelischen Lehrerschaft nach größerer oder geringerer Nähe zu den Kirchenbehörden. Auch die merkwürdige Blindheit evangelischer Kirchenbehörden gegenüber der Notwendigkeit, überholte Konzeptionen einer

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Konfessionalität des öffentlichen Schulwesens aufzugeben, hängen hiermit zusammen. Die Kirchenbehörden vermochten nicht wirklich zu hören, was die Lehrerschaft in dieser Angelegenheit zu sagen hatte; man hörte nur auf die einem ,nahestehenden' Lehrer, die kirchlich approbierte Meinungen vertraten. Und daß dieselben Kirchenbehörden dann, als die Ereignisse über ihre Retardation hinweggingen, sich mit z. T. verblüffender Eilfertigkeit auf den Boden der Tatsachen stellten, hat sie weithin den Rest ihrer Autorität in der Lehrerschaft gekostet. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist heute eine neue Distanz zwischen Lehrerschaft und Kirchenbehörden, die zum großen Teil eine neue Distanz zwischen ihr und der evangelischen Kirche ist. Vielleicht ist es das bestmögliche Ergebnis. Denn so bedauernswert seine Folgen im Einzelnen und im Ganzen — die Diastase zwischen Kirche und Pädagogik wurde vergrößert! — sein mögen, so klar ist doch, daß eine Unterwerfung der Lehrerschaft weit verhängnisvoller gewesen wäre. Und zwar nicht nur für die Lehrerschaft selbst, sondern gerade auch für die evangelischen Kirchen, die an dieser Schuld vielleicht unheilbar gelitten hätten. In der jetzt geschaffenen Distanz behalten auch allerlei gute, von der Lehrerschaft aller Sparten getragene religionspädagogische Ansätze eine Chance, die ihnen durch eine Einverleibung' der Lehrerschaft durch die Kirchenbehörden wohl genommen worden wäre. Im übrigen gibt es natürlich Parallelen zu dieser Entwicklung des Verhältnisses zwischen Lehrerschaft und evangelischen Kirchenbehörden. Vielleicht muß man sagen, daß die gesamte evangelische Gebildetenwelt in einem ähnlichen Sinn wie die evangelische Lehrerschaft wieder auf Distanz zu ihrer Kirche gegangen ist. Das gilt vor allem auch für die akademische Theologie. Wieviel redlicher Wille, ja wieviel Passion war in dieser Theologie nach Ablösung des alten Liberalismus wach, produktive Verbindungen zu den evangelischen Kirchen zu knüpfen und zu pflegen. Inzwischen haben die älteren Theologen fast alle ihre leidvollen Erfahrungen mit Kirchenbehörden gemacht, und die jüngeren scheuen wieder grundsätzlich eine zu nahe Berührung mit ihnen — die neue mißtrauische Distanz zwischen Kirche und akademischer Theologie ist da, und es wäre ein gefährlicher Irrtum, diese nur in .wissenschaftlichen' Tatbeständen begründet zu sehen. Mit einiger Betonung muß ich schließlich der Meinung widersprechen, die in diesem Zusammenhang oft als Beruhigungsmittel empfohlen wird, daß es sich hier um die üblichen Friktionen handelt, die ,äußere Organisationen* wie die Kirchenbehörden immer bereiten. Es gibt Gegenbeispiele. Ich habe einzelne Beamte, die die Entwicklung und 28

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ihre Erfordernisse genauso beurteilten wie ich, noch in jeder Kirchenverwaltung getroffen, mit der ich zu tun hatte, und ich beobachtete und beobachte, wieviel Gutes sie wirkten und wirken. Ich kenne sogar evangelische Landeskirchenbehörden — es sind die im Niedersächsischen Raum — denen es gegeben war, nach 1945 die Tradition eines Verhältnisses zwischen evangelischer Lehrerschaft und ihrer Kirche zu begründen die wohl alles realisiert, was man billigerweise von menschlichen Bemühungen auf diesem Gebiet erhoffen darf. Es geht also auch anders als bei der Mehrheit der kirchlichen Behördenvertreter. Die verhängnisvolle General-Wirkung der evangelischen Kirdienbehörden ist nicht zwangsläufig. Eine gewandelte Erziehung und Bildung unserer Kirchenbeamten könnte ihre pädagogischen Fehlwirkungen aufheben. Das aber bedeutet: Die evangelischen Kirdienbehörden stellen u. a. höchst aktuelle erziehungswissenschaftliche Probleme. Die evangelischen Kirdienleitungen täten dies, sähe man sie sich genauer an, natürlich auch. Wir müssen es uns versagen, sie ebenfalls noch in unsere Erörterungen einzubeziehen. 1. O. Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche — Geschichte, Betrachtung, Umschau, Ziele, 1926. Ein gutes und tatsächlich auch sehr fruchtbar gewordenes Beispiel kirchlicher Handlungen im Bereich öffentlicher Interessen wurde von mir in folgender Abhandlung analysiert: 2. H . Kittel, Evangelische Schulpolitik — Zum Verständnis eines Synodalbeschlusses, in: Slg 1954, 428 ff. Für weltliche Behörden habe ich diese pädagogische Problematik in folgender Untersuchung etwas genauer entfaltet: 3. Ders., Politische Erziehung durch Behörden, in: Slg 1968, 481 ff. Die Parallelen aus dem Bereich kirchlicher Behörden kann sich der Leser leicht bilden.

3. Pfarrerbildung Aus allem hier über Bereiche innerkirchlicher Erziehung und Bildung Gesagten ergibt sich, daß die pädagogischen Aspekte der Pfarrerbildung von jedem für sie direkt oder indirekt Verantwortlichen besonders sorgfältig durchdacht werden müssen. Die Pfarrerschaft aller Amtsarten ist nun einmal — zu Recht oder Unrecht kann hier dahingestellt bleiben — der praktisch wichtigste Beruf in unseren evangelischen Kirchen. Damit ist zugleich gesagt, daß die pädagogische Problematik der Pfarrerbildung ungemein vielfältig ist. Denn daß es sich bei ihr nicht, wie es noch immer vielen Betroffenen und für sie Verantwortlichen erscheint, lediglich um eine ,methodische Aufbesserung'

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des Konfirmandenunterrichts handelt, die dessen Effektivität steigert, dürfte schon nach dem bisher Durchdachten deutlich sein. Eine grobe, aber als Orientierungshilfe durchaus brauchbare Gliederung der pädagogischen Pfarrerbildungsprobleme ergibt sich, wenn man die Fragen, die der Bildungsgang des Pfarrers als pädagogisches Konzept stellt, von den Fragen unterscheidet, die die Zurüstung künftiger oder schon berufstätiger Pfarrer zu spezifisch pädagogischen Tätigkeiten (also z. B. der Erteilung von Konfirmandenunterricht) aufwirft. Die pädagogische Problematik des Pfarrerbildungsganges ist neuerdings durch die Bemühungen um eine Reform des theologischen Studiums weiteren Kreisen von Interessierten und Verantwortlichen ins Bewußtsein gehoben worden. Für das Studium an der Universität: (vgl. auch § 21, 7) liegen bereits von allen theologischen Fakultäten gebilligte und im WS 1967/68 in Kraft gesetzte Empfehlungen vor (1, 16ff.), die hier nur einer kurzen hochschulpädagogischen Interpretation bedürfen. Das Theologiestudium ist dort für die Mehrheit der Studierenden auf 8 Semester (ausschließlich der für das Erlernen des; Hebräischen, Griechischen und Lateinischen notwendigen Zeit) veranschlagt, kann aber in Ausnahmefällen auch schon nach 6 Semestern zur 1. Prüfung führen. Dieses theologische Normalstudium ist in ein Grundstudium und ein Hauptstudium unterteilt. Für das Grundstudium ist eine begleitende Kontrolle (obligatorische Studienberatung im 1. Semester, Proseminare, Prüfungen über die Mitarbeit in einführenden Hauptvorlesungen) vorgesehen, die in der Regel nach dem 3. (,sprachfreien') Semester ein Kolloquium (Ersatz für eine in anderen Fakultäten vorgesehenen Zwischenprüfung) abschließt. Wissenschaftlich begabten Studenten soll nach diesen Empfehlungen ,ein tieferes Eindringen in die Probleme und den Forschungsstand einer Disziplin oder eines Spezialfaches durch ein mindestens dreisemestriges und höchstens viersemestriges Aufbaustudium ermöglicht werden', das nach dem 1. Examen absolviert wird. Der pädagogische Sinn dieser Empfehlungen darf wohl in einem dreifachen gesehen werden. Einmal soll das Studium des Durchschnitts von der Fiktion entlastet werden, als wolle es lauter Privatdozenten heranbilden; die Erudition zu produktiver wissenschaftlicher Arbeit ist dem Aufbaustudium vorbehalten. Sodann soll das Studium des Durchschnitts zwar durch eine intensive Studienberatung und Studienkontrolle betreut, aber nicht verschult werden; es ist nicht von dem der künftigen Wissenschaftler getrennt, sondern hat wie dieses Anhalt 28*

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an der theologischen Forschung. Drittens: Dadurch, daß die Maschen des Netzes der neuen Bestimmungen in allen, auch den hier nicht genannten Einzelheiten sehr weit sind, soll nicht nur die Möglichkeit zu individueller Studiengestaltung, sondern ein Anreiz zu ihr gegeben werden. Man wird diesem Entwurf zugestehen müssen, daß er geeignet ist, stichhaltige Erfahrungen sammeln zu lassen. Genau dies aber — nicht das Durchsetzen einseitiger Konzeptionen — ist in der gegenwärtigen Situation notwendig. Die Kommission, die diese Empfehlungen entwarf — es ist die sog. „Gemischte Kommission", die aus Vertretern der Kirchen, der Evangelisch-Theologischen Fakultäten, der Kirchlichen Hochschulen und der evangelischen Theologiestudenten besteht — , hat im übrigen den gesamten Bildungsgang des Pfarrers bis hin zur Fortbildung des amtierenden Pfarrers im Auge. Weitere Empfehlungen für das 1. theologische Examen liegen bereits vor, solche über Vikariat, Predigerseminar, Kontaktstudium usw. werden folgen. Damit dürfte die Zeit des Herumflickens an Einzelheiten des Bildungsganges endlich überholt sein. Die Einsicht in die Interdependenz der verschiedenen Phasen dieses Bildungsganges ist wohl irreversibel und das ist ein nicht geringer Fortschritt. Die Weiterarbeit dieser Kommission wird ferner von der Überzeugung getragen sein, daß die Fortbildung des amtierenden Pfarrers durch das Kontaktstudium und ähnliche Einrichtungen nicht mehr eine mehr oder weniger begrüßenswerte erholsame Zugabe darstellt, sondern eine durch die rasche Wandlung unserer Gesellschaft gegebene Notwendigkeit. Auch in dieser Hinsicht gewinnt die Kommission also den Anschluß an fundamentale Einsichten der modernen Erziehungswissenschaft. Schließlich zeigten die bisherigen Arbeiten dieser Kommission ebenso wie die von ihr in Angriff genommenen Vorhaben in großer Deutlichkeit, daß Vorschläge, die weiterführen sollen, wissenschaftlicher Grundlagen bedürfen. Die Zeit, in der es genügte, zu theologischkirchlichen Bildungsfragen subjektive Impressionen zu äußern und unkontrollierte Experimente zu machen, sind vorbei. Hochschul- und Berufspädagogik sind Gebiete moderner Erziehungswissenschaft geworden. Wer hier noch dilettiert, schaltet sich selbst aus der Debatte und aus der produktiven Entwicklung aus. Die gemischte Kommission hat die Arbeit an einer theologisch-kirchlichen Bildungsreform auf ein zeitgemäßes wissenschaftliches Niveau gebracht.

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Werden die Theologiestudenten und die Pfarrer verstehen, was mit ihnen und für sie durdi solche Reformen ihres Bildungsganges geschieht? Nidit, wenn sie nicht selbst pädagogisch sehen, denken und urteilen lernen. Und damit wären wir bei der anderen Gruppe der Pfarrerbildungsprobleme, um die es hier geht, bei den Problemen also, die durch die pädagogische bzw. religionspädagogische Bildung der künftigen und der amtierenden Pfarrer gegeben sind. Am wichtigsten ist natürlich die Grundlegung einer solchen pädagogischen bzw. religionspädagogischen Bildung während des Studiums. Ich wiederhole zunächst einige Prinzipien, die sich mir für diese Grundlegung ergaben und die ich schon an anderer Stelle (2) vortrug. ,1. Das religionspädagogische Studium künftiger Pfarrer sollte den ganzen Horizont der gegenwärtig auf diesem Gebiet verhandelten Probleme ins Auge fassen. 2. Sinn und Aufgabe des religionspädagogischen Studiums, der religionspädagogischen Ausbildung bis zur Berufsreife (2. Theologisches Examen) und der religionspädagogischen Fortbildung im Amt sind aufeinander abzustimmen. 3. Das religionspädagogische Studium an der Universität hat entschieden theoretischer Natur zu sein; es enthält keine Aufgaben berufspraktischer Ausbildung, dient insbesondere nicht dem Erwerb unterrichtlicher Fertigkeiten. 4. Diese theoretische Natur des religionspädagogischen Studiums ist dreifältig; sie besteht: im Kennen- und Verstehenlernen einer Auswahl von Grundproblemen der Religionspädagogik; in der Durchdringung der Sachverhalte, um die es in den anderen theologischen Disziplinen geht, mit der Frage nach ihrem Sinn für den Menschen; endlich in einem vorgreifenden Erschließen der Erziehungswirklichkeit, innerhalb derer die Probleme einer Theologie der Erziehung erwachsen und der Sinn der theologisdien Sachverhalte für den Menschen zur Geltung gebracht werden soll. Unter diesen Voraussetzungen kann das religionspädagogische Studium nicht als >Übergang zur Praxis* an das theologische Studium angehängt werden. Es kann nach Umfang und Sinn nur dann dem Stand der Wissenschaft entsprechend zur Geltung kommen, wenn es das Studium der Theologie mindestens vom 3. Semester an begleitet' (2, 214 ff.).

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,Als Studienprogramm ergäbe sich etwa, daß die künftigen Pfarrer auf der Universität folgende Vorlesungen und Seminare zu belegen hätten: Grundfragen der Religionspädagogik; Didaktik der Evangelischen Unterweisung I—III. Etwa angebotene Hospitationen in Schulen, Erziehungsheimen etc. dürften nicht den Ehrgeiz haben, Unterrichtsfertigkeiten zu vermitteln, sondern sollten der Gewinnung von Grundeinsichten in das Verhältnis von Theorie und Praxis in Erziehung und Unterricht, von pädagogischen Problemstellungen und von entsprechenden Kategorien dienen; sie müßten also im religionspädagogischen Seminar gründlich vor- und nachbereitet werden' (2, 216 f.). ,Im ersten theologischen Examen wäre schriftlich und mündlich nur theoretische Religionspädagogik im Umfang der für die Vorlesungen und Seminare genannten Problembereiche zu prüfen. Als schriftliche Leistung kämen nur wissenschaftliche Hausarbeiten, evtl. Klausuren, dagegen keine Katechesen in Frage' (2, 217). Auf dieser Grundlage könnte dann vernünftig weitergearbeitet werden. Eine kurze Vorausschau ergäbe etwa Folgendes: ,Zwischen dem 1. und 2. theologischen Examen sollte auch die religionspädagogische Ausbildung vorwiegend praktischer Natur sein, also ihren Schwerpunkt in Lehrvikariat und Schulpraktikum haben. Im 2. theologischen Examen wäre Religionspädagogik schriftlich und mündlich in der Form der Auswertung einer mehrmonatigen unterrichtlichen oder erzieherischen Tätigkeit in ein und derselben Katechumenen-, Konfirmanden-, Schüler- oder Zöglingsgruppe zu prüfen. Die religionspädagogische Fortbildung der Pfarrer im Amt würde planmäßig durch die Religionspädagogischen Institute der Landeskirchen in Zusammenwirken mit dem Religionspädagogischen Seminar der zuständigen Theologischen Fakultät geschehen' (2, 217). Es wird nun vollends deutlich sein, daß es nicht darum geht, den künftigen Pfarrern und den Pfarrern im Amt ein paar angeblich neue methodische Griffe für ihren Konfirmandenunterricht zu vermitteln, sondern daß im Gegenteil ein solcher Aufputz ihres Unterrichts sie nur tiefer in ihre pädagogische Ahnungslosigkeit verstricken würde. Es geht vielmehr — nur dies ist sinnvoll — darum, daß die Träger dieses pädagogisch so vielfältig beanspruchten Amtes, wie ich es ausdrückte, .pädagogisch sehen, denken und urteilen lernen'. Das aber scheint für

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Theologen besonders schwer zu sein, weil sich ihnen gewisse Grundmißverständnisse des Pädagogischen offenbar durch die geistige Tradition, in der sie stehen, besonders nahelegen. Die Erfahrung lehrt, daß auch junge Theologen einen jahrelangen Umgang mit pädagogischen Problemen brauchen, ehe sie pädagogisch denkfähig werden. Darum sprengt der skizzierte Entwurf gewiß die herkömmliche .kirchliche Unterrichtslehre', genannt Katechetik, umreißt aber nur ein Mindestprogramm des gegenwärtig Notwendigen. Dabei wird als Notwendigkeit angesehen, daß die pädagogische Bildung unserer evangelischen Pfarrerschaft den Anschluß an den Stand der heutigen wissenschaftlichen Religionspädagogik gewinnt. Ob durch einen dieser Notwendigkeit entsprechenden Ausbau der religionspädagogischen Forschung und Lehre unsere theologischen Fakultäten die ,Einheit* der Praktischen Theologie aufgelöst wird, scheint mir ein sekundäres Problem zu sein. Jedenfalls ist es nicht gut möglich, sich um dieser Einheit willen jener Notwendigkeit zu versagen. Aber darüber bahnt sich eine wenigstens praktische Verständigung unter den Diskussionsteilnehmern schon an (2 und 3). 1. „Empfehlungen des Fakultätentages an die Evangelisch-Theologischen F a k u l t ä t e n und Kirchlichen Hochschulen zur Studienreform entsprechend den Beschlüssen des Fakultätentages und der R e k t o r e n der Kirchlichen H o c h schulen und D i r e k t o r e n der Institute für Evangelische Theologie an den Universitäten der Bundesrepublik v o m 18. 1 . 1 9 6 7 in M a r b u r g " , i n : R e f o r m der theologischen Ausbildung, B d . 1 — Untersuchungen, Berichte, E m p f e h lungen — , hg. v. H . E . Hess und H . E . T ö d t , 1967. Dieser B a n d enthält auch andere wichtige Materialien zum T h e m a und ist vorzüglich geeignet, in die neuere P r o b l e m a t i k einer R e f o r m des theologischen Studiums einzuführen. 2. H . K i t t e l , D e r S t a n d der evangelischen Religionspädagogik und die religionspädagogische Ausbildung künftiger P f a r r e r und Gymnasiallehrer, i n : T h P r 1966, 2 0 7 f f . Vgl. auch die in dieser Zeitschrift im Anschluß an meine Untersuchung geführte Diskussion mit Beiträgen von G . Krause, W . N e i d h a r t und H . D . Bastian ( T h P r 1967, 5 9 f f . ) und die wichtige A b handlung v o n : 3. G . Krause, P r o b l e m e der Praktischen Theologie im R a h m e n der Studienreform, i n : Zeitschr. f. Theologie und Kirche, 1967, 4 7 4 f f . ; dazu meinen „ H i n w e i s " in T h P r 1968, 2 1 5 f. D a s von mir unter N r . 2 behandelte T h e m a ist noch einmal aufgenommen in: 4. H . D . Bastian, D i e Stellung der Religionspädagogik im R a h m e n einer theologischen F a k u l t ä t und die Möglichkeiten ihres Studiums, i n : T h P r 1968, 2 8 9 ff. V g l . auch die zu dem folgenden E x k u r s . D i e Examenskatechese' angegebene Literatur.

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Exkurs: Die

Examenskatechese

Einer besonderen Würdigung bedarf die Tatsache, daß einer zeitgerechten religionspädagogischen Ausbildung künftiger Pfarrer in vielen Landeskirchen noch immer ein sperriges Hindernis im Wege steht: die Forderung der berühmt-berüchtigten ,Examenskatechese' in der ersten theologischen Prüfung. Die Bestimmungen für diese E x a menskatechese sind im einzelnen natürlich verschieden. Als Regel darf wohl angesehen werden, daß die schriftliche Vorbereitung einer Unterrichtsstunde über einen dem Kandidaten gestellten Bibel- oder Katechismustext für eine ihm nicht bekannte oder überhaupt nicht existierende Schüler- bzw. Konfirmandengruppe gefordert wird. Gelegentlich werden für den Inhalt dieser Arbeit noch genaue Anweisungen gegeben, z. B. daß sie Exegese und Meditation, didaktisch-methodische, psychologische, soziologische Überlegungen, ein Stundenbild, die Fixierung des geplanten Unterrichtsgespräches u. ä. enthalten sollen. Vorausgesetzt wird, stillschweigend oder ausdrücklich, daß der Kandidat als Zurüstung für diese Examensleistung während seines Studiums an einem katechetischen Seminar teilgenommen und in diesem eine Übungskatechese angefertigt hat. Diese Ubungskatechese wird ebenfalls schriftlich entworfen, oft auch vor einer dem Seminar zur Verfügung stehenden Schulklasse gehalten. Ich weiß nicht genau, wie alt dieser Brauch ist. Immerhin ist er schon von Schleiermacher kritisiert worden und seitdem ist pädagogisch viel passiert, was nicht nur die sog. ,Inhalte', sondern die Forderung der Examenskatechese als solche immer fragwürdiger gemacht hat. Verschiedene Landeskirchen haben hieraus auch bereits die wohl unumgängliche Konsequenz gezogen, diese Forderung zu streichen. Andere aber halten sie bewußt und mit bemerkenswerter Energie aufrecht. Es widerstrebt mir, die Kritik, der diese Examenskatechese von pädagogischer und theologischer Seite unterworfen wurde, hier zu wiederholen: Ihre Argumente sind inzwischen banal geworden. Stattdessen möchte ich auf die letzte knappe Zusammenfassung der wichtigsten dieser Argumente hinweisen, die W. Trillhaas 1952 (!) unter dem bezeichnenden Titel „Die Examenskatechese — Offenes Wort zu einem Trauerspiel" vorlegte (1). Natürlich ist die pädagogische Situation inzwischen weiter fortgeschritten. Die hier gegen die Examenskatechese vorgetragenen Argumente gelten also nur mutatis mutandis.

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Aber diese Mutation kann stets nur eine Verschärfung dieser Argumente ergeben. Auf jeden Fall dürfte es wichtiger sein, unseren spärlichen Raum für eine Besinnung auf die wichtigsten Folgen zu nutzen, die das hartnäckige Festhalten an der Examenskatechese gegen jene Argumente notwendig haben muß. Und wem es durchaus um Argumente zu tun ist: Auch diese Folgen sind solche Argumente. Ich nenne nur drei, die nach meiner Betrachtung von besonderer Bedeutung sind. 1. Ein Student, der weiß, daß er einmal eine Examenskatechese abliefern muß, richtet sein katechetisches Studium so ein, daß es eine Vorbereitung auf diese Examensleistung ist. Man wird ihm das kaum verargen können. Vollends dann nicht, wenn das katechetische Seminar ganz auf die Herstellung jener Übungskatechesen ausgerichtet ist, die die entscheidende Vorübung der Examenskatechesen sind. Das aber bedeutet eine zwangsläufige Abbiendung des Studierenden gegen die Breite der religonspädagogischen Problematik. So in das Getto einer kirchlichen Unterrichtslehre geführt und in ihr festgehalten, kann der Student nicht pädagogisch sehen, denken, urteilen lernen. 2. Das hat dann zur Folge, daß die grundlegenden religionspädagogischen Erfahrungen des jungen Theologen von einer verhängnisvollen theologisch-kirchlichen Introvertiertheit geprägt werden. Der junge Pfarrer vermag dann genuin pädagogische Einsichten, auch wenn sie ihm überzeugend nahegelegt werden, nicht mehr nachzuvollziehen. Genuin pädagogische Erfahrungen werden von ihm, wenn überhaupt, dann nur noch mit schlechtem Gewissen gemacht und entsprechend verdrängt. Und weil auf diese Weise seine pädagogische Urteilsfähigkeit auch in späteren Jahren unentwickelt bleibt, pflegt er mehr als die Träger anderer pädagogischer Berufe fragwürdigen pädagogischen Traditionen und Parolen aufzusitzen. Kurzum: Die direkte und indirekte Auswirkung der Examenskatechese hilft entscheidend, junge Pfarrer pädagogisch für lange Zeit, wenn nicht für immer zu korrumpieren. Wer das für übertrieben hält, weiß wenig von der Tragweite grundlegender Erlebnisse im beruflichen Werdegang des Menschen. 3. Indem Kirchenbehörden an der Forderung festhalten, daß die Kandidaten bei der Meldung zur ersten Prüfung den Nachweis der Teilnahme an einem herkömmlichen katechetischen Seminar über die Anfertigung einer Übungskatechese vorlegen, greifen sie auf eine ungewöhnliche Weise in die Lehrfreiheit der Fakultäten ein. Denn sie zwingen die Fakultäten, entsprechende Lehrveranstaltungen auch dann durchzuführen, wenn die verantwortlichen Ordinarien überzeugt sind,

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sie wissenschaftlich nicht verantworten zu können. Der gelegentlich zu hörende Einwand, die Katechetik stehe in dieser Hinsicht doch nicht schlechter da als die anderen theologischen Disziplinen, ist höchst fragwürdig. Denn wenn es so wäre, wäre das wirklich keine Rechtfertigung des unguten Brauches, sondern machte das Ganze nur noch schlimmer. In Wahrheit ist es aber gar nicht so. Man fordert zwar, daß die Kandidaten neutestamentliche Seminararbeiten etc. nachweisen, schreibt aber nirgends vor, welcher Art diese sein müssen. Eine solche Vorschrift mutet man nur Praktischen Theologen zu; und zwar auch dann, wenn das Geforderte seit Jahrzehnten problematisch ist. Die Gleichstellung der Katechetik mit den anderen Disziplinen wäre erst dann hergestellt, wenn man verlangte, daß der Kandidat die Anfertigung einer religionspädagogischen Arbeit nachweist, deren Thematik aber dem allein zuständigen Dozenten überläßt. Noch sind wir von einer solchen Gleichstellung weit entfernt. Noch gibt es Kirchenbehörden, die fest davon überzeugt sind, daß sie nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sind, die wissenschaftliche Religionspädagogik in der erwähnten Weise kirchlicher Regulation zu unterwerfen. Vielleicht liegt es auch hieran, daß sich diese wissenschaftliche Religionspädagogik in den letzten Jahrzehnten mehr außerhalb unserer Fakultäten entwickelte. Die vielen, die heute überlegen, ob man nicht doch das erste theologische Examen besser ganz in die Obhut der Fakultäten nähme, tun das wirklich nicht ohne sehr respektable Gründe. 4. Eingriffe der hier geschilderten Art durch kirchliche Behörden in die wissenschaftlich-theologische Entwicklung haben, selbst wenn man sich durch Jahrzehnte an sie gewöhnte, schließlich doch auch Konsequenzen für das Verhältnis insbesondere der jungen Theologen zu diesen Behörden. Gewiß: Sie können nicht durchschauen, was das zähe Festhalten an einer Institution wie der Examenskatechese samt Vorund Nachspiel für ihre Kirche und für sie selbst bedeutet. Aber sie empfinden doch recht häufig, daß die Sachen, die sie lieben, aber auch sie selbst hier Schaden leiden. Und gerade weil dieses Empfinden sich nur selten vernünftige Rechenschaft geben kann, sind sie oft so beunruhigt: Sie wittern, daß es sich um ein Symptom der Tendenz ,Kirche contra Wissenschaft' handelt, die sie heute so tief mißtrauisch macht. Stößt dann einer von ihnen zufällig etwa bei Trillhaas auf — schon 1952 gemachte — Bemerkungen wie die, daß ihm die Problematik der Examenskatechese ,viel weniger zu einer Frage an die Studenten und den akademischen Unterricht zu führen, als vielmehr zu einer Frage an die Kirche Anlaß zu geben scheint, ob sie nicht end-

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lieh ihre katechetischen Anforderungen so oder so der veränderten Lage auf dem Gebiet der Erziehung anpassen will' (1, 414), oder daß man ,endlich von den Examinatoren, die für die katechetische Prüfung verantwortlich sind, verlangen müßte, daß sie sich mit dieser Lage gründlicher auseinandersetzten, als das bislang zu beobachten ist' (1, 415) oder, daß es in der katechetischen Prüfung nicht mehr unmöglich ist, ,eine schlechte Note zu bekommen, weil man etwas weiß, was der Examinator nicht weiß' (1, 415), oder erhält dieser oder jener von den jungen Theologen ähnliche Aufklärung von anderer Seite und mischen sich diese dann mit verwandten Eindrücken auf anderen Gebieten, dann schlägt jene mißtrauische Unruhe freilich leicht in Unbotmäßigkeit um. Was man diesbezgl. heute bereits nicht selten berichtet erhält, ist gewiß für Ohren, die nur auf Herkömmliches eingestellt sind, oft erschreckend. Ist es auch unverständlich, unberechtigt? 1. W. Trillhaas, Die Examenskatediese — Offenes Wort zu einem Trauerspiel, in: Monatsschrift für Pastoraltheologie, 1952, 413 ff. 2. G. Mühle, Gutachten über Prüfung und Prüfungsvorbereitung und ein Nachtrag zum Problem der Examenskatechese, in: Reform der theologischen Ausbildung, Bd. 2 — Material und Beiträge zur Reform des 1. und 2. theologischen Examens — , hg. v. H . E. Hess und H . E. Tödt, 1968, 34 ff.

4. Konfirmandenunterricht Sind die bisher behandelten Bereiche innerkirchlidier Erziehung und Bildung als solche nur selten im Bewußtsein evangelischer Christen (einschließlich der Träger kirchlicher Ämter) lebendig, so gilt von Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht das Gegenteil: An sie pflegen protestantische Christen primär, sehr häufig sogar ausschließlich zu denken, wenn von pädagogischen Aufgaben evangelischer Kirchen die Rede ist. Das liegt wohl daran, daß einerseits die Entfremdung zwischen Kirche und Pädagogik, die wir als Folge der Trennung von Staat (Schule) und Kirche kennenlernten (s. § 2), den evangelischen Christen den Blick für die Mannigfaltigkeit pädagogischer Phänomene kirchlichen Lebens verstellte, andererseits Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht noch relativ häufig in ihren Erfahrungskreis treten. Die Schrumpfung unserer herkömmlichen Katechetik zur kirchlichen Unterrichtslehre hat das Ihre dazugetan, daß die Situation auch durch die evangelischen Gemeindepfarrer gewöhnlich nicht nennenswert geändert wird. Zwar pflegen diese noch einige mehr oder weniger deutliche Vorstellungen etwa von kirchlichen Erziehungsheimen oder anderen Anstalten zu besitzen, in denen außer

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dem Unterricht noch andere pädagogische Vorgänge stattfinden. A b e r faktisch erwarten doch auch sie, wenn irgendwo Pädagogisches vorgetragen wird, vor allem anderen und oft ausschließlich Anregungen z u r methodischen Auffrischung ihres Kindergottesdienstes und ihres K o n firmandenunterrichtes. D a ß schon ihre eigene Gemeinde, dann aber auch ihre Kirche voller pädagogischer Bezüge mannigfaltiger A r t steckt, vermögen sie nur in sehr seltenen Fällen zu sehen. Müssen deshalb nun Kindergottesdienst, Konfirmandenunterricht und andere innerkirchliche Unterrichtsveranstaltungen hier besonders ausführlich behandelt werden? Wir würden nachträglich der den Abschnitt über die Evangelische Unterweisung (§ 22) beherrschenden These von der Gültigkeit der dort entwickelten didaktischen und methodologischen Einsichten für alle Formen kirchlichen Unterrichts, widersprechen, wenn wir es täten. Sinnvoll dürfte allein sein, an einem herausgegriffenen Muster innerkirchlichen Unterrichts jene .Gültigkeit' zu exemplifizieren, damit sie keine Behauptung bleibt, mit der der Leser keine Anschauung verbinden kann, und damit etwas deutlicher wird, daß sie kein Prinzip der Egalisierung Evangelischer Unterweisung darstellt. Ich wähle als ein solches Beispiel den Konfirmandenunterricht, weil für ihn neuerdings ein Konzept vorliegt, das aus Gründen, die hoffentlich deutlich werden, für unser Vorhaben besonders geeignet ist. Dieses Konzept stammt von K a r l Witt (geb. 1900), einem der wenigen Pädagogen, die unsere Landeskirchen nach 1945 in ihren Dienst riefen, und wurde von ihm 1959 publiziert (1). Wichtig gerade für unseren Zusammenhang sind zunächst einige Vorbemerkungen Witts über Entstehung und Absicht seines Büchleins. Es sei, so betont er, nicht nur aus dem Studium der Literatur zu K o n firmation und Konfirmandenunterricht entstanden, sondern auch aus .Gesprächen in pädagogischen Lehrgängen [sc. des Katechetischen Amtes in Loccum] mit Kandidaten der Theologie, mit Pastoren der Pastoralkollegs und Pfarrkonvente' (1, 3). Die Arbeit besitzt mithin sowohl Anhalt an der neueren theologischen und erziehungswissensdiaftlichen Diskussion wie an einer relativ breiten pfarramtlichen Praxis. D a s in ihnen realisierte Verhältnis von Theorie und Praxis entspricht also der heute weit verbreiteten, auch in unserer Arbeit grundsätzlich bejahten (s. § 8, 1) Weise erziehungswissenschaftlichen Denkens. Bewußt wendet sich Witt ,an alle Lehrenden und Unterrichtenden in den verschiedenen Katechumenatsstufen unserer Kirche, im besonderen an die Lehrer der Evangelischen Unterweisung in allen

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öffentlichen Schulen und an die Unterrichtenden der Christenlehre in der D D R ' (1, 3). Die Untersuchung sprengt also von vornherein jedes theologische und pädagogische Getto des Konfirmandenunterrichtes. Schließlich widerstrebt Witt mit voller Absicht der auf diesem Gebiet so besonders verbreiteten Tendenz, komplette ,neue Entwürfe' des Konfirmandenunterrichts vorzulegen; er möchte nur ,das Gespräch über den Konfirmandenunterricht von bestimmten pädagogischen und theologischen Überlegungen her profilieren und fruchtbare Ansätze eines neuen Konfirmandenunterrichts aufzeigen' (1, 3). Auch hiermit entspricht Witt einem Prinzip neueren erziehungswissenschaftlichen Denkens: Er will kein System zur normativen ,Anwendung' in der Praxis entwerfen, sondern die Praxis mit kritischer und fördernder Reflexion begleiten, wodurch sich der Leser vom ersten Satz an dem herkömmlichen, so unfruchtbaren theologisch-pädagogischen Dogmenstreit um den Konfirmandenunterricht entrückt sieht. Der 1. Hauptteil der Überlegungen Witts versucht dann eine didaktische Ortsbestimmung des Konfirmandenunterridits in drei Gedankengängen. a) Der Konfirmandenunterricht steht nach lutherischem Verständnis — dies ist dem Verfasser gegeben und von ihm anerkannt — zwischen Taufe und Abendmahl. „Die Konfirmanden sollen durch den Konfirmandenunterricht — soweit es nach menschlichen Bemühungen möglich ist — zu einem verantwortlichen Ja zu der in der Taufe empfangenen Gnade geführt werden. Nach lutherischem Verständnis wird nur der zum heiligen Abendmahl zugelassen, der sich selbst als getaufter Christ vor der Gemeinde bekennt" (1, 7). Im Hinblick auf die Christentumsfremdheit der modernen Gesellschaft schlägt Witt vor, die Konfirmanden schon im letzten Konfirmandenjahr als Jugendgruppe am Abendmahl teilnehmen zu lassen und der Konfirmation nur die Erlaubnis zum selbständigen Gang zum Abendmahl zu überlassen. Die Teilnahme im letzten Konfirmandenjahr geschähe dann im Geleit der Mitkonfirmanden und des Konfirmators, während die Konfirmation die Entlassung in die selbständige Bewährung als Christ in meist wenig wohlwollender Umgebung wäre. Selbstverständlich dürfte die Teilnahme am Abendmahl im letzten Konfirmandenjahr nicht ,pädagogisiert' werden. Es handelt sich um ein vollgültiges Gastsein am Tische des Herrn. Ist sie das aber, dann wird auch ,die helfende Abendmahlslehre bewahrt werden vor einer Intellektualisierung, da der Jugendliche die Lehre erst durch das eigentliche Mysterium dieses Sakramentes erfährt' (1, 9). Witt setzt bei alledem voraus,

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,daß wie bisher Dreizehn- und Vierzehnjährige am KonfirmandenUnterricht teilnehmen*. D a ß dieses Alter schwierig' ist, ist für ihn ein Grund nicht gegen, sondern für den Konfirmandenunterricht in diesen Jahren. Im Gegensatz zu so vielen Theologen, die aus diesen Schwierigkeiten' vermeintlich psychologische' oder .pädagogische' Folgerungen ziehen, formuliert der Pädagoge Witt in bemerkenswerter Entschiedenheit: „Es wäre sehr eigenartig, wenn die Kirche auf dieses Alter verzichtete und für ihren eigentlichen Unterricht eine bequemere Zeit wählte. Nicht der Schwierigkeitsgrad kann entscheidend für das Handeln der Kirche sein, sondern die Notwendigkeit zur Verkündigung" (1, 10 f.). b) Der Konfirmandenunterricht steht ferner zwischen Evangelischer Unterweisung in der Schule und Unterweisung der Gemeinde (1, 12 ff.). Angesichts des Alters der Konfirmanden ist es Witt besonders wichtig, herauszuarbeiten, worin sich der Konfirmandenunterricht von der schulischen Evangelischen Unterweisung unterscheidet. E r weist auf Folgendes hin: Der Konfirmandenunterricht habe speziell die Aufgabe ,die Lehre unserer Kirche als die Verpflichtung der einzelnen Glieder zur Erkenntnis zu führen', er habe besonders das ,Hin und Her, das Fragen und Antworten zwischen Bibel und Katechismus und Katechismus und Bibel' zu pflegen, und er habe als besonderen ,Stil des Gemeinschaftslebens' die ,Bruderschaft' in der Konfirmandengruppe zu wecken (1, 13 f.). Freilich mahnt Witt selbst sofort, diese Unterschiede nicht zu prinzipiell aufzufassen; sie seien ,nur Nuancen' (1, 12). Vielleicht ist selbst dies zuviel gesagt, jedenfalls wenn es sich um stetige, weil wesensbedingte Nuancen handeln soll. O b es sich nicht nur um Nuancen handelt, die bestimmten Konventionen entstammen und sidi mit diesen wandeln können? Wie dem auch sei: Daß es eine innere Einheit des evangelischen Unterrichts in Schule und Konfirmandenstunde gibt, ist zweifellos Witts Überzeugung. Und zwar eine Einheit nicht nur der eben erwähnten sachlichen, sondern auch pädagogischer Natur — wie es bei Witts Grundverständnis vom Verhältnis zwischen Sache und pädagogischem Verfahren gar nicht anders sein kann. Alles was Witt hier an pädagogischen Einzelanregungen für den Konfirmandenunterricht entwickelt — z. B. im Blick auf den Unterrichtsraum, die Sitzordnung, den Wandschmuck, die Wandtafel, die relativ beste Zahl der zu Unterrichtenden, den Stil des Umganges des Konfirmators mit den Konfirmanden und der Konfirmanden untereinander, die verpflichtende Ordnung des Zusammenlebens, die innere Lehrhaltung des Konfirmators, Übereinstimmung und Übung in den

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äußeren Dingen des Benehmens, über Konfirmandenrüstzeiten und die Pflege christlicher Lebensführung — dies alles läßt sich genauso über die schulische Evangelische Unterweisung für Gleichaltrige sagen, und Witt tut das auch hier und da. Natürlich gibt es zwischen konkreter Konfirmandenstunde und konkreter schulischer Religionsstunde Unterschiede, die sorgfältig bedacht sein wollen. Aber es sind keine andersartigen Unterschiede als sie zwischen verschiedenen schulischen Religionsstunden unter sich und verschiedenen Konfirmandenstunden unter sich bestehen. Ich könnte auch sagen, es sind keine Unterschiede theologischer Dignität und pädagogischer Prinzipien, sondern eben solche des didaktischen Ortes. c) Der Konfirmandenunterricht steht schließlich zwischen Katechismus und Bibel (1, 24 ff.). Hier kommen diejenigen Einsichten und Anregungen Witts zur Sprache, die — mit Recht — den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen haben. Es geht im wesentlichen darum die Vorzugsstellung, die der Katechismus im Konfirmandenunterricht herkömmlich besitzt, und die zu dieser Ausnahmeposition gehörigen Verfahrensweisen durch eine kritische Besinnung auf den Sinn des Lutherschen Kleinen Katechismus zu überwinden. Der Katechismus Luthers ist keine Laiendogmatik, die man in größere oder kleinere Lehrstücke aufzuteilen und dann entsprechend zu traktieren hätte. Vielmehr korrespondiert er als ,Summa und Auszug der Heiligen Schrift' biblischen Texten, ohne deren Gegenüber er seinen Sinn verliert. Eigentliche Aufgabe des Katechismusunterrichts ist es also, diese K o r respondenzen zu realisieren. „ D e r Katechismustext kann nie unabhängiger Unterrichtsgegenstand sein" formuliert G. Otto (2, 149), der sich besonders wirksam um die Verbreitung der Thesen Witts bemüht hat. „Vielmehr muß der >hermeneutische Orte, der sich uns für den Katechismus ergab, auch für den Unterricht gewonnen werden. D a s aber heißt, daß Katechismustexte stets im Gefolge biblischer Auslegung in den Horizont des Unterrichts geraten, und dann weisen sie von sich aus erneut und wiederum in die Bibel hinein" (2, 149 f.). D a s aber hat dann folgende, für unseren Zusammenhang hochinteressante Konsequenzen: „Wird der Katechismus so immer wieder in biblische Auslegungszusammenhänge einbezogen, dann erhellen sich Bibel und Katechismus gegenseitig, und der Katechismustext bedarf keiner abgelösten Erklärung, die seiner Sprachstruktur unangemessen wäre. Zudem erfährt das Kind von Anfang an die rechte Weise der Zusammengehörigkeit von Bibel und Katechismus. Bei solcher unsystematischen Heranziehung und Berücksichtigung des Katechismus kann der Schüler

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successive in ihn hineinwachsen. Das beginnt in einem Alter, in dem das Kind Aufbau und Problematik des Katechismus weder begreifen kann noch zu erfahren braucht. Wird der Katechismustext in solchen Zuordnungen memoriert — was immer geschehen kann, aber die Einführung von Katechismussätzen ist auch sinnvoll, wenn nicht stets memoriert wird — dann erfolgt es im konkreten Zusammenhang und in der unmittelbaren Bindung an Verstandenes. Es wird so auf gefülltem, sinnhaftem Hintergrund gelernt. Von der Altersstufe der Zwölf- bis Dreizehnjährigen ab — zu einem Zeitpunkt, der keiner besonderen Bindung unterliegt — kann der nächste Schritt getan werden. Das schon bekannte >Einzelmaterial< des Katechismus wird gesammelt, das heißt: Es wird im vorliegenden Katechismus an seinem Ort aufgesucht und so Aufbau und Gliederung des ganzen Katechismus erfahren. Das ist dann das Ergebnis eines langen Weges. Aber so will der Katechismus >erfahren< werden, weil er sich nur so erschließt" (2, 151 f.). Ich sehe den Zusammenhang biblischer Texte mit dem Katechismus genauso, nur in zweitrangigen Fragen, deren Diskussion sich hier nicht lohnt, würden sich Differenzen ergeben (3, 13 ff.). Allerdings bin ich geneigt, stärker als Witt es tut, ähnlich wie Otto, das Korrespondenzverhältnis zwischen biblischen Texten und Katediismus konstitutiv für jede Evangelische Unterweisung sein zu lassen. Aber auch Witts Katechismusschrift legt an vielen Stellen doch wenigstens den Schluß nahe: Nicht nur der Konfirmandenunterricht, sondern jede Evangelische Unterweisung steht zwischen Katechismus und Bibel. Der andere Hauptteil der Überlegungen Witts gilt dann der V o r bereitung der einzelnen Unterrichtseinheit', dem .Unterrichtsverfahren', dem .Memorieren im Konfirmandenunterricht (>zwischen Verstehen und Einprägen«)' und schließlich der ,Einübung in den Gottesdienst (>zwischen Lehre und Vollzüge), also vorwiegend methodisch orientierten Problemen, die in dem didaktischen Hauptteil teils vorbereitend, teils in Einzelhinweisen auch schon vorweggenommen wurde. Die Bedeutung der Untersuchung Witts, die wohl auch ihren begrüßenswerten Erfolg erklärt, scheint mir in Folgendem zu liegen. Einmal macht sie deutlich, daß die Quälerei mit der ,richtigen' theologischen Konzeption des Konfirmandenunterrichtes wahrscheinlich auf einer fragwürdigen Aufgabenstellung beruht, jedenfalls nicht geeignet ist, den spezifischen Nöten des heutigen Konfirmandenunterrichts abzuhelfen; es wäre wohl gut, eine Weile mit neuen theologi-

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sehen Entwürfen auf diesem Gebiet zurückzuhalten und sich etwas nüchterner und redlicher diesen heutigen Nöten zu stellen, die uns primär pädagogische Probleme aufgeben. Dies heißt allerdings nicht, gerade nicht, daß die heute unter pädagogisch interessierten Theologen, Diakonen, Katecheten usw. verbreitete Meinung recht hätte, man müsse der profanen Unterrichtsmethodik möglichst viele Rezepte absehen, um den ,veralteten' Konfirmandenunterricht ,modern' zu frisieren; Witt zeigt, daß dies meist nur zu methodischen Verfahren führt, die im Gegensatz zu den theologischen Grundüberzeugungen derer stehen, die sie handhaben, von diesen also theologisch gar nicht verantwortet werden können — ganz abgesehen davon, daß sich ein so aufgeputzter Unterricht nach kürzerer oder längerer Zeit als unwirksam erweist. Vielmehr geht es nach Witts Erörterungen darum, die Didaktik des Konfirmandenunterriciits neu zu durchdenken und die methodischen Entscheidungen wieder von den didaktischen binden zu lassen; gerade hierdurch kommt dann die gesetzgebende Gewalt der Sache wieder zur Geltung, allerdings nicht auf eine die Unterrichtssituation überspielende, sondern in diese eindringende Weise. Zusammenfassend darf man m. E. urteilen: Es ist Witt gelungen, die steril gewordene Diskussion über den Konfirmandenunterricht dadurch neuer Fruchtbarkeit zuzuführen, daß er sie aus ihrer künstlichen Isolierung herausführt und mit der didaktischen Debatte über die Evangelische Unterweisung jeder Art verknüpft; gerade dadurch aber hat er zugleich geholfen, die Specimina des Konfirmandenunterrichts — anstelle seiner .Einzigartigkeit' oder ,Unvergleichlichkeit' — ins Licht zu rücken. Der vielen etwas ungenau klingende Titel der Schrift Witts — „Konfirmandenunterricht — Neue Wege der Katechetik in Kirche und Schule" (Sperrung von mir) — ist in Wahrheit durchaus exakt. 1. K. Witt, Konfirmandenunterricht — Neue Wege der Katedietik in Kirche und Schule, 1959 (19643). 2. Ders., Art. „Konfirmandenunterricht", in: Päd Lex 504 ff. 3. Otto, Handbuch. 4. H . Kittel, Vom Religionsunterricht zur Evangelischen Unterweisung, 1957 3 . 5. Ders., Der Erzieher als Christ, 1961 3 . Eine sorgfältige und umfassende Einführung in den Stand der Diskussion über den Katechismusunterridit, in der Witts Überlegungen ausgewertet sind, bietet: 29

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6. H . Jetter, Erneuerung des Katechismusunterrichts — Theologische und pädagogische Grundfragen zu Luthers Kleinem Katediismus in der Gegenwart, 1965. In die letzte Diskussion über den Konfirmandenunterricht, angesichts derer m. E. Witts Gedanken ihr volles Gewicht behalten — führt gut ein: 7. H . Schultze, Konfirmation heute und morgen — Alte Wege - Neue Ziele, 1969.

5. Jugendseelsorge Ein Hinweis auf die evangelische Jugendseelsorge ist hier einfach deshalb unumgänglich, weil diese den heute wissenschaftlich am gründlidisten erschlossenen Bereidi innerkirchlicher Erziehung und Bildung darstellt. Und zwar ist diese Erschließung erstaunlicherweise durch das Werk eines einzelnen, das bisher zweibändige Handbuch der Jugendseelsorge von W. Jentsch (geb. 13) geschehen. Ja, die Entfaltung der Geschichte (Bd. I) und der Theologie (Bd. II) der Jugendseelsorge, die in diesem opus vorgelegt wird, darf in gewissem Sinn als der respektable Versuch verstanden werden, die in den evangelisdien Kirchen — ihren Familien, Gemeinden, Heimen und Verbänden — getriebene Jugendseelsorge als relativ eigenständigen Zweig kirchlicher Arbeit und als spezielle theologische Aufgabe erst zu konstituieren. Selbstverständlich kann auf dieses umfangreiche Werk hier wirklich nur hingewiesen werden. Eine kritische Würdigung ist schon aus Raummangel unmöglich — leider, denn sie würde fast alle Grundfragen des Verhältnisses von Theologie und Erziehungswissenschaft höchst lehrreich exemplifizieren. Aber auch ein solcher Hinweis muß sich noch besdiränken. Und zwar konzentriere ich ihn, unserem Zusammenhang entsprechend, auf das von Jentsch zum Verhältnis von Jugend-Erziehung und Jugend-Seelsorge Gesagte. Aus der Erörterung ,theologischer Vorfragen' (2, 254 f f : Gesetz und Evangelium, Geistliches und Weltliches Regiment), aus der Analyse repräsentativer Äußerungen der Gegenwartspädagogik zum Verständnis von Erziehung (2, 265 ff.) und aus einer kritischen Musterung neuer theologischer Beiträge zur Wesensproblematik der Erziehung (2, 297 ff.) folgert Jentsch zunächst folgende beide Thesen: „Erziehung muß Erziehung, Seelsorge muß Seelsorge bleiben" (2, 329 ff.) und „Erziehung und Seelsorge korrespondieren" (2, 332 ff.). Zur ersten heißt es: „Erziehung muß . . . Erziehung bleiben. Das wird der Pädagoge fordern, wenn er nicht unweise die Grenzen der

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Erziehung verrücken will. Eine ungute Vermischung von sog. weltlicher und christlicher Erziehung kann der eigentlichen Paideia nur schaden. Nicht zuletzt muß es das Anliegen der Theologie sein, daß die Erziehung nicht in ein >fremd Amte eingreift. N u r zu leicht wird durch eine Poimenisierung der Paideia die Erziehung ideologisch aufgeladen. Bei aller guten Absicht entstünde dann aber wieder eine Bildungsmetaphysik, die das Evangelium verdunkeln würde. Erziehung wird und muß freilich, zumal wenn sie von Christen ausgeübt wird, zur Seelsorge hin >transzendieren organisch« in eine religiöse Pädagogie übergehen. Sie ist also nicht in der Lage, die Seelsorge gleichsam zu ersetzen" (2, 329). Aber diese Unterscheidung der Funktion von Erziehung und Seelsorge soll die Realität beider nicht auseinanderreißen. Das will dann die zweite These von der Korrespondenz beider Funktionen ausdrücken. „Erziehung und Seelsorge korrespondieren insofern, als es sich bei ihrem gegenseitigen Verhältnis nicht nur um ein AufeinanderBezogensein und ein gegenseitiges Sich-Bedingen, sondern um ein Gegenseitig-sich-etwas-Sagen und die Frucht eines Gespräches handelt" (2, 332). Konkret gesprochen heißt dies zunächst, daß sich Erziehung ,im voraus der Seelsorge' (im sachlichen Sinne von Voraus-Setzung) ereignet. Z. B. kann es falsch sein, ,den werdenden Menschen verfrüht mit einer Kunde zu überfallen, für die er nach Menschenermessen noch gar nicht aufgeschlossen sein kann. In solchen Fällen wird der Seelsorger versuchen, nicht nur den erzieherischen Kontakt mit dem jungen Menschen zu wahren, sondern ihm auch erzieherisch solange unterstützend und entgegenwirkend zu helfen, ihn vielleicht gerade bewußt unter einen harten Anspruch einer Ordnung stellend, bis die Stunde zu dem seelsorgerlichen Gespräch im eigentlichen Sinn des Wortes reif ist'. „Selbst, wenn der junge Mensch den Seelsorger um Beratung angeht und der Casus früher oder später auch ein geistliches Wort erfordert, kann es gerade seelsorgerlich notwendig werden, daß zunächst einmal mit erzieherischen Ratschlägen, psychotherapeutischen Hinweisen, sachlichen Informationen geantwortet wird" (2, 333 f.). ,Das Korrespondenzverhältnis zwischen dem Pädagogischen und Poimenischen erscheint aber auch im ständigen Gegenüber von Erziehung und Seelsorge' (2, 335). „Bestimmte Verfehlungen eines Primaners etwa — man denke an sexualethische Vergehen in einer gestörten Familie oder an einen größeren Schulbetrug aus Examensangst — 29»

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werden, jugenderzieherisch gesehen, eine gehörige Strafe, vielleicht auch sogar die Relegierung von der Schule nach sich ziehen. Jugendseelsorgerlich macht derselbe Vorgang gerade den persönlichen Zuspruch der Vergebung nötig. Die Situation des jungen Menschen erfordert beides: Härte und >Gnadedringt< ihn, seine Sorge in Erziehungshandlungen umzusetzen, auch wenn dabei infolge der Gesetzesgestalt der Paideia Belange des Gesetzes gelegentlich im Vordergrund zu stehen scheinen. Die Agape ist die Erfüllung des Nomos, nicht dessen Zerstörung. Gottes Wort sucht den Menschen je und je, indem es an ihn als Gesetz und Evangelium ergeht. Beschreitet Gott in seiner Sorge um den Menschen Umwege der Liebe, durch das Gesetz, durch Zorn, durch Zucht, durch Erziehung, so kann sich der Seelsorger dem Jugendlichen gegenüber nicht christlicher gebärden wollen als Christus selber". Zusammengefaßt:

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„Die Umsetzung bedeutet also beides: eine Retention und eine Integrierung — Beibehaltung der eigentlichen Elemente des Erzieherischen und des eigentlich Seelsorgerlichen und gleichzeitig Indienststellung des Erzieherischen, wie Ineinanderwirken der Elemente" (2, 359). Damit breche ich ab. Es wird zweierlei deutlich geworden sein: einmal, daß das Verständnis von Jugend-Erziehung und Jugend-Seelsorge hier höchst gründlich analysiert wird, wobei dem Verfasser bemerkenswerte Unterscheidungen gelingen; und sodann, daß die hier gefundene analytische Methode auch für die Probleme, die der Theologie und Erziehungswissenschaft von anderen Bereichen innerkirchlicher Erziehung und Bildung aufgegeben sind, fruchtbar sein können. Nimmt man hinzu, daß der Autor sich als nicht nur theologisch, sondern auch erziehungswissenschaftlich außerordentlich belesen erweist, so ist wohl die Meinung gerechtfertigt, daß sich dies Werk vorzüglich dafür eignet, etwas ,Fortgeschrittenen* zu einem tieferen Eindringen in die Problematik der Religionspädagogik zu helfen. Wer diese Bände sorgfältig und kritisch durchgearbeitet hat, kann religionspädagogisch mitreden. Jedenfalls über die Problematik, wie sie sich bis zum Erscheinen des Bandes über die „Theologie der Jugendseelsorge" (1963) entfaltete. Die neuesten Fragestellungen, die sich aus der z. Zt. rasch entwickelnden sog. ,Bildungsforschung' (empirische Pädagogik, Kybernetik etc. (§ 10)) ergeben, konnte Jentsch noch nicht berücksichtigen. Für ein Fortspinnen der hier entfalteten Problematik sei noch folgende Anregung gegeben. Jentsch formuliert gelegentlich, daß man die Jugendseelsorge ,als einen geistlichen Vorgang auslegen muß, weil in ihr die geistliche Sorge um den geistlichen Menschen bestimmende Mitte ist'. „Sie zielt primär nicht auf berufliche Ausbildung und charakterliche Ausformung, auch nicht nur auf die erzieherische Inanspruchnahme des jungen Menschen durch Sache und Mitmensch, vielmehr ist die Jugendseelsorge besorgt um die obzwar ganzheitlich nach Leib, Seele und Geist sich vollziehende, so doch eindeutige Begegnung des Heranwachsenden mit dem Christus des Evangeliums" (2, 360). Hier kommt zu einem guten Ausdruck, was das ganze Werk bestimmt: ,Jugendseelsorge* ist für Jentsch als Gesamtphänomen geistlich-kirchlicher Natur. Aber gibt es nicht auch eine weltliche Jugendseelsorge? Vermutlich würde Jentsch dies bejahen, aber er rechnet nicht wirklich mit diesem weltlichen Gegenspieler der geistlich-kirchlichen Seelsorge. Damit aber scheint mir jene Konkretion des Erzieherischen in Jentschs Überlegungen zu fehlen, die die Verhältnisbestimmung von erzieheri-

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schem und geistlichem Handeln in der Jugendseelsorge erst realistisch macht. Ließe man sich auf dieses Rechnen mit einer weltlichen Jugendseelsorge ein, dann würde vermutlich auch ein eigentümlicher Schatten zerstreut werden, der jetzt über dem Ethos von Jentschs Sprechen von der Jugendseelsorge liegt. Obwohl es der Verfasser nicht so meint, obwohl er sogar eine Fülle ausdrücklicher Verwahrungen gegen einen solchen Verdacht einlegt, kann sich der Leser nicht des Gefühls erwehren, daß hier eine menschliche Kommunikationsweise konstituiert werden soll, die zwar fruchtbare und tiefe Erfahrungen der Mitmenschlichkeit ermöglicht, aber exklusiv nur Christen, vielleicht sogar nur bestimmten kirchlichen Amtsträgern zugänglich ist. In dem Moment, in dem man Faktum und Art weltlicher Jugendseelsorge ernst nähme, wäre jede Sorge dieser Art aufgelöst. Und dies läge nicht zuletzt im Interesse der geistlich-kirchlichen Jugendseelsorge, der mit einer Exklusivität der angedeuteten Art nur scheinbar gedient würde. Dieser geistlich-kirchlidien Seelsorge muß nämlich um ihrer Sache willen alles daran liegen, sich nicht nur ,in Kreisen der Gläubigen' zu bewegen, sondern Kontakt zu denen zu gewinnen und zu pflegen, die sich außerhalb dieser Kreise befinden. Unabdingbare Voraussetzung solcher Kontakte ist aber die Solidarität der Christen mit jedermann, also das Zerbrechen aller Reservierungen menschlicher Vorrechte und Vorzüge für kirchlich approbierte Christen (vgl. hierzu auch § 21, 2). Mit dem umschriebenen Zerbrechen des ,Reservats Jugendseelsorge' für die Christenheit wäre es schließlich wohl auch leichter, die geistlichkirchliche Jugendseelsorge etwas schlichter in das Handeln der Kirche einzuordnen, als es in der Tendenz der Überlegungen Jentschs liegt. Selbst wenn man einmal von dem Problem absieht, ob einer ausgesonderten cura animarum überhaupt ein evangelischer Sinn abzugewinnen ist, d. h. ob die sie konstituierenden Kommunikationsweisen nicht fruchtbarer in der Homiletik und Religionspädagogik untergebracht würden, bleibt nämlich zu fragen, ob die Jugendseelsorge nicht doch besser als ein Kapitel der allgemeinen Seelsorgelehre entwickelt würde. Nimmt man der christlich-kirchlichen Jugendseelsorge den Nimbus, daß es ihr Vergleichbares in der weltlichen Pädagogik nicht gibt, dann spricht eigentlich alles für ihre Subsumption unter die generelle Poimenik. Abschließend sei aber noch einmal betont, daß es sich bei Jentschs Handbuch um ein Werk von beachtenswertem wissenschaftlichem Rang

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handelt. Daß die neuere Religonspädagogik es so wenig beachtet, spricht nicht für sie. 1. W. Jentsch, Handbuch der Jugendseelsorge — Geschichte, Theologie, Praxis, Teil I, Geschichte der Jugendseelsorge, 1965. 2. Dasselbe, Teil II, Theologie der Jugendseelsorge, 1963. 3. Dasselbe, Teil III, Praxis der Jugendseelsorge, in Vorbereitung.

6. Predigt Ist es für das gängige theologische Denken schon sehr ungewohnt, wenn nicht anstößig, im Zusammenhang mit Seelsorge von Pädagogik zu sprechen, so dürfte der Versuch, auch der Predigt pädagogische Aspekte abzugewinnen, für viele gute Christen vollends befremdend wirken. Heute liegen eigentlich jedem auch nur flüchtig theologisch Gebildetem Argumente gegen ein solches Unterfangen bequem zur Hand. Und wenn es nur die scheinbar so gut protestantische Entrüstung wäre: Predigt breitet das Wort Gottes aus; dies aber wirkt ohne menschliches Zutun — insbesondere ohne pädagogische Nachhilfe, die doch in aller Regel eine schlimme menschliche Hybris darstellt. Vielleicht wird man noch zugestehen, daß die Kinderpredigt den Predigern eine zusätzliche pädagogische Aufgabe stellt — ähnlich wie die Jugendseelsorge den Seelsorgern — aber die Predigt selbst ist doch, so scheint es der communis opinio ,reine' Verkündigung, die von allem Pädagogischen möglichst unbefleckt zu halten ist, was sich dann auch in einer ausdrücklichen Antithetik von Predigt und Unterricht äußern kann. Indes dürfte ein solches Auseinanderreißen von Predigt und Pädagogik und also Homiletik und Erziehungswissenschaft doch recht fragwürdig sein. Es ist eigentlich nicht gut zu bestreiten, daß Predigt immer auch pädagogische Wirkungen hat. Wenn das aber so ist, dann müssen diese Wirkungen auch zu analysieren sein und ihre Bedingungen sidi untersuchen lassen. Z. B. mit Hilfe der von Jentsch entwickelten Kriterien und Methoden; denn er behandelt das Verhältnis von E r ziehung und Seelsorgec ausdrücklich als „Unterfall und Sonderfall des Grundverhältnisses von >Verkündigung und Erziehungc" (1, 332). Es gibt aber natürlich auch andere Möglichkeiten. Im Blick auf das oben (§ 22) zur Evangelischen Unterweisung Gesagte läge es hier z. B. nahe, einmal davon auszugehen, daß Predigt immer auch ein Element des Unterrichts enthält, also didaktischen Überlegungen der von uns entfalteten Art zugänglich sein müßte. Nämlich: Audi die Situation des

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Unterrichtens im Predigen ist von den Grundfaktoren ,Sache', ,Redner', ,Hörende', ,Methode* und ,Aufgabe' bestimmt. Damit fände alles von uns unter dem Thema .Theorie der Unterrichtssituation' (Didaktik I, § 22, 2) Gesagte eine Geltungsmöglichkeit auch im Bereich der Predigt. Ebenso stellt das unterrichtende Predigen Fragen, die eine ,Theorie der Unterrichtsinhalte' (Didaktik II — § 22, 3) notwendig machen. Am deutlichsten wird dies vielleicht, wenn man sich bemüht, die ,Lehrplan'-Problematik in der Perikopen-Problematik wiederzufinden. Selbst die ,Theorie der Methoden', die wir umrissen (Didaktik I I I § 22, 4), dürfte Gesichtspunkte hergeben, die für das Predigen nicht ganz belanglos sind. Was dort etwa grundlegend über Herkommen und Pluralität der Methoden Evangelischer Unterweisung gesagt ist, läßt sich durchaus auch auf die Methoden des PredLgens beziehen. Ja, auch das über ,Unterrichtstechnik und Unterrichtsmittel" (§ 22, 6) Entwickelte kann man für das Predigen fruchtbar machen. Und ist es wirklich schwierig, das zur pädagogischen Psychologie des Lehrens und Lernens' (§ 22, 7a), über die ,Wissenschaftlkhkeit Evangelischer Unterweisung' (§ 22, 7b) und schließlich die ,Unterrichtsvorbereitung' (§ 22, 7c) Gesagte in einschlägige Probleme des Predigens zu transportieren? Zusammenfassend könnte man durchaus sagen, daß ein nach Umfang und Wichtigkeit nicht geringer Teil der Probleme, die heute unsere Homiletik ausmachen, zugleich Probleme der Didaktik sind. Das würde wahrscheinlich noch deutlicher werden, wenn die Homiletik nicht in dem Maße, in dem das heute der Fall ist, den Rückhalt an einer weltlichen Rhetorik verloren hätte. Es wäre auch aus diesem Grunde gut, wenn sich die Homiletik etwas unbefangener der profanen Didaktik öffnete, die einiges von dem ersetzen könnte, was ihr die Rhetorik gegenwärtig schuldigbleibt. Und sie brauchte sich wirklich nicht zu scheuen, bei der Didaktik in die Schule zu gehen. Eine Erinnerung an die Zusammenhänge zwischen Dilthey und Schleiermacher mag zur Legitimierung dieses Ratschlages genügen. Aber bleiben nicht schließlich doch zwei Eigentümlichkeiten des Predigens, die alle .didaktischen' Überlegungen über dasselbe zur Oberflächlichkeit oder zur Äußerlichkeit oder zum Formalismus oder, wie man es sonst nennen mag, verurteilen: Die Irrationalität der von der Predigt erhofften Wirkung und, damit zusammenhängend, ihr Charakter als Monolog? Didaktische Überlegungen zielen auf rationale Funktionen im Bereiche des Dialogischen — müssen sie also nicht das Predigen im Kern verfehlen?

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Man könnte auf Fragen dieser Art natürlich antworten: Mögen didaktische Überlegungen über das Predigen ruhig an deren Kern vorbeigehen — wir sind schon zufrieden, wenn sie bei der Lösung peripherer Probleme helfen, da diese allzuoft allzu gering geachtet werden. Indes dürfte doch kein zwingender Grund bestehen, sich in eine solche didaktische Selbstbescheidung zurückzuziehen. Wie steht es z. B. mit der Irrationalität der von der Predigt erhofften Wirkung? Unterscheidet sie das Predigen wirklich so grundsätzlich vom profanen Unterricht, daß Überlegungen profaner Didaktik für das Predigen grundsätzlich zweitrangig sind? Ist es vielleicht so, daß bestenfalls die Evangelische Unterweisung eine innere Verwandtschaft mit dem Predigen aufweist, aber gerade deshalb besser homiletischen als didaktischen Überlegungen unterworfen würde? Man kann hierauf natürlich nur antworten, indem man seine konkreten didaktischen Grundansichten ins Spiel bringt. Ich habe dies hier leicht, weil die meinen in aller Deutlichkeit und leidlicher Ausführlichkeit vorgetragen wurden und ich nur kurz an Folgendes zu erinnern brauche. Jeder Unterricht ist, so hatte ich formuliert, grundsätzlich auf ein wirkliches Geschehen angelegt'. „Dabei verstehe ich unter »wirklichem Gesdiehem einen Ablauf, bei dem die beteiligten Menschen wirklich als solche, also als Personen beteiligt sind, weshalb dieser Ablauf nie restlos planbar, sondern den unberechenbaren Einfällen dieser Personen in der Weise ausgesetzt ist, daß gerade das Unvorhergesehene die eigentliche Fruchtbarkeit der Kommunikation zwischen ihnen bewirkt . . . Dieses Moment der Unberechenbarkeit i s t . . . ein Moment jedes anspruchsvollen Unterrichtes, d. h. jedes Unterrichtes, in dem mit den Unterrichteten als Personen gerechnet wird . . . Es handelt sich bei dieser Unberechenbarkeit nicht etwa um ein spezifisches Moment des Religionsunterrichtes. Es handelt sich bei ihm aber auch nicht um ein religiöses Moment jedes Unterrichtes, das als solches von jedermann anerkannt werden könnte; es ist höchstens religiös deutbar, wenn auch in keinem anderen Sinn, als es die rationalen Momente des Unterrichts auch sind (§ 22, 2a)." Erinnert man außerdem noch, um es nicht bei dem einen Beispiel zu belassen an das, was (§ 22, 2b, § 22, 3d) über die ,Sache' jedes Unterrichtes und der Evangelischen Unterweisung im besonderen gesagt war, nämlich daran, daß diese Sache nicht identisch ist mit dem Unterrichts-Stoff und daß sie audi für die beste Bildungsabsicht unverfügbar ist, so wird vollends deutlich, daß von einer Sonderstellung der Predigt hinsichtlich der Irrationalität der von ihr erhofften Wirkung keine Rede sein kann. Diese

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Irrationalität begegnet auch in der Evangelischen Unterweisung, vor allem aber auch in anderen Gegenstandsbereichen. Und die profane erziehungswissenschaftliche Didaktik erkennt diesen Tatbestand sehr deutlich, arbeitet ihn höchst genau heraus und respektiert ihn überzeugend. Es besteht also wirklich kein Grund, die Predigt um der Irrationalität ihrer Wirkung willen der didaktischen Durchdringung zu entziehen. Im Gegenteil: Didaktische Überlegungen können dem Theologen helfen, jene Irrationalität präziser zu erfassen, als es gemeinhin der Fall zu sein pflegt. Und das heißt auch: Sie können dem Prediger Mut machen, sich unbefangener pädagogischer Hilfen zu bedienen, die jene Irrationalität nicht antasten und doch das Predigen bessern. Ähnlich steht es mit der anderen Besonderheit der Predigt, die sie angeblich so tief vom Unterricht unterscheidet, daß didaktische Überlegungen über sie mehr oder weniger belanglos sind: ihren monologischen Charakter. Hier darf ich midi kurz fassen. Es ist heute eine weit verbreitete homiletische Grundeinsicht, daß eine christliche Predigt nur in einem sehr äußerlichen Sinne, ich möchte sagen phonetisch Monolog sein darf. Der Sache nach muß eine christliche Predigt immer ein Dialog sein, oder sie ist eben nicht christlich. Was damit gemeint ist, kann man sich leicht an einem der Paulus-Briefe verdeutlichen, die ja auch diktierte Monologe und zugleich durch und durch dialogisch sind. Wenn das aber so ist, dann fällt die Sonderstellung der Predigt gegenüber dem auch äußerlich in seiner dialogischen Qualität erkennbaren Unterricht fort und mit ihr der letzte grundsätzliche Einwand gegen didaktische Überlegungen über die Predigt. Anstatt diesen relativ einfachen Tatbestand noch genauer zu beschreiben und zu erläutern, benutze ich die m. E. besonders aufschlußreiche Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie anfällig das Predigen für höchst bedenkliche pädagogische Neigungen wird — wenn es didaktischer Rechenschaft entbehrt. Gegenwärtig werden aus den erwähnten wie anderen Gründen didaktische Überlegungen über das Predigen weitgehend abgelehnt oder sie sind schon gar nicht mehr im Bewußtsein der Beteiligten. Das hat nun u. a. zur Folge, daß den Predigenden die strenge Verweisung in die Sache ihrer Texte fehlt, die die Didaktik, insbesondere in ihrer heutigen Gestalt, vornimmt. Und die Folge auch hiervon wiederum ist, daß aus dem Predigen des Evangeliums in großem Umfange Moralpredigten entstehen, weil Moralpredigen die ,natürliche' Pädagogik des Menschen ist. Selbstverständlich wirken bei dieser Entwicklung viele Faktoren — z. B. auch theologische — zu-

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sammen. Aber der Mangel an didaktischer Bildung unserer Prediger ist sicher keiner der geringsten. Es ist oft, als fielen diese einer etwas abgründigen List zum Opfer: Weil sie sich nicht didaktisch engagieren wollen, müssen sie auf denkbar fragwürdige Weise pädagogisch werden. Und das hat dann natürlich auch Konsequenzen für unsere Gottesdienstes überhaupt. Was heute gelegentlich christlichen Gemeinden aus pädagogischen Gründen — Selbstbetätigung der Jugend! — an .neuer Gottesdienstgestaltung' zugemutet wird, würde auch eine bescheidene didaktische Besinnung als sachlich unzumutbar durchschauen. Ich schließe, damit das Ganze noch durch ein Exempel erhellt werde, mit der Skizze eines konkreten einschlägigen Problems. Eine didaktische Besinnung über die Predigt fragt auch nach dem Predigenden. Und zwar in vielfältiger Hinsicht. Sie fragt nach seinem Verhältnis zur Sache, zur geistigen Situation der Zeit, zur Wissenschaft im allgemeinen und der Theologie im besonderen, zu seinen Hörern, zu seiner Kirchenbehörde und den ihm von dieser auferlegten Verpflichtungen, zur Gesellschaft, zum Staat etc. Und sie fragt dies alles im Blick auf sein Predigen, wobei wichtig ist, daß sich Fragestellung und Antwort nicht in immer gültigen Allgemeinheiten verlieren, sondern daß ein Fragen und Antworten eingeübt wird, das die jeweilige Realität dieser Verhältnisse trifft. Unter diesen Fragen müßten auch die nach den natürlich-menschlichen Voraussetzungen sein, die der zum Predigen Berufene für diese Aufgabe mitbringt. Das Herkommen hilft nicht sehr, diese Frage deutlich zu stellen. Und zwar deshalb, weil es gleichsam keinen Raum gewährt, sie zu artikulieren. Wer die erste theologische Prüfung abgelegt hat, gewinnt damit die licentia concionandi. Und zwar gilt diese Lizenz offenbar gemeinhin als Zulassung zu einer relativ weniger schwierigen Aufgabe. Jedenfalls setzt die Erlaubnis, zu taufen und das Abendmahl auszuteilen in der Regel außer der ersten noch die zweite theologische Prüfung des werdenden Pfarrers voraus und seine Ordination und eine dieser voraufgehende Überprüfung seiner Stellung zu Schrift und Bekenntnis und eine entsprechende Verpflichtung. Worin die Maßstäbe bestehen, nach denen die Sprossen dieser climax unterschieden werden, auf deren Spitze man dann schließlich die vollen .Rechte des geistlichen Standes' erlangt, ist schwer zu durchschauen. Natürlich gibt es theologische Theorien über sie. Aber sie pflegen wenig überzeugend zu sein. Jedenfalls dann, wenn man spezifisch aus der Reformation hergeleitete Ansprüche an sie stellt. Es ist, als wenn über Orientierungen dieser Art ein Schleier nie ganz aufgelöster Priester-Weihe-Vorstellungen liegt, der verhin-

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dert, daß die Ordnungen gedanklich ganz durchdrungen werden. So mag es auch zu erklären sein, daß die Frage nach den natürlichmenschlichen Voraussetzungen für die Zulassung zur öffentlichen Rede unter evangelischen Christen so wenig geläufig ist. ,Irgendwie' scheint diese Frage durch die Vokation zum Predigen erledigt zu sein, so als wenn diese Vocatio jene natürlich-menschlichen Voraussetzungen auf mehr oder weniger magische Weise ersetzt. Die übliche Bestimmung, daß eine Ordination nur nach Vollendung des 25. Lebensjahres erfolgen kann, pflegt die einzige, meist nur sehr unzureichend verstandene Erinnerung daran zu sein, daß für das Amt, in dessen Interesse die öffentliche Rede stehen soll, bestimmte natürlich-menschliche Voraussetzungen unabdingbar sind. Man könnte diese Voraussetzungen mit dem Begriff der Reife zusammenfassen, aber nun eben jener natürlich-menschlichen Reife, die auch von Theologen nicht anders erworben werden kann als durch Erfahrungen, in die man durch übernommene Verantwortung geführt wird, eine Reife also, die erwiesene Verantwortungsfähigkeit ist. öffentliche Rede ohne diese Reife ist mithin unverantwortliche Rede. Wie kann aber ein junger Theologe nach der ersten Prüfung diese Reife besitzen? Was er hinter sich hat, das Studium nämlich, kann ihm in der Regel diese Reife nicht nur nicht verschaffen, sondern verhindert ihr Wachsen. Denn dies Studium bedeutet doch in unserer Tradition, von Verantwortung in einem Umfange freigestellt werden, wie es das in keiner vergleichbaren Berufsbildung für so viele Jahre gibt. Und die Verantwortungsart, die in diesem verantwortungsarmen Studium am seltensten vorkommt, ist die für andere Menschen, also die für das Predigen wichtigste. Insofern ist das theologische Studium geradezu eine organisierte Verhinderung der Reifung zur Fälligkeit, öffentlich zu reden. Und in der Regel muten denn auch Kandidatenpredigten — selbst bei bester homiletischer Zurüstung — der Gemeinde Unzumutbares zu. Aber man darf hieraus m. E. nicht die Folgerung ziehen, dieses Studium grundsätzlich zu ändern, d. h. ihm seinen akademischen Charakter zu nehmen, mit dem jener Mangel notwendig verbunden ist. Es würde dem künftigen Pfarrer damit sehr viel genommen und wenig gegeben. Denn die öffentliche Rede, um die es für ihn geht, nämlich die Predigt fordert mehr als die gelenkten Verantwortungsübungen, die in einer Berufsausbildung allein möglich sind. Predigen setzt eine natürlich-menschliche Reifung voraus, die nur durch das Tragen von durch das Leben selbst — ganz unpädagogisch — auferlegten Verantwortungen gewonnen wird. Konkret gesprochen: Wer nicht schon längere Zeit selb-

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ständig beruflich tätig und außerdem in Familie oder anderen menschlichen Beziehungen anspruchsvollen Bewährungsproben unterworfen war, kann in der Regel nicht mit wirklicher Predigtreife rechnen. Auch nicht aufgrund rein geistlicher Reifungen? Evangelisch verstanden: nein! Aber es war doch immer so, daß man seine Predigttätigkeit gleich nach dem Studium begann. Gewiß. Doch war das immer gut so? Es wäre ein Selbstbetrug, diese Frage einfach zu bejahen. Man kann bestenfalls sagen, daß die Misere nicht so offenkundig wurde, weil Gemeinden da waren, die die Fragwürdigkeiten unreifer Predigten mit einer Geduld trugen, zu der sie u. a. durch noch fragwürdigere Vorstellungen vom character indelebilis des Ordinierten fähig gemacht wurden. Heute gibt es diese Gemeinden nur noch in seltenen Fällen. Und also wird die Wahrheit über die Predigten Unreifer unbarmherzig öffentlich. Die Scheu unseres Nachwuchses vor der Predigt ist keineswegs nur, wie wir Alten es uns und anderen allzugern einreden, Symptom einer inneren Bequemlichkeit, die gern in organisatorische Tätigkeiten ausweichen möchte: Sie ist weitgehend Scheu vor dem Offenkundigwerden des Unausgereiftseins für die öffentliche Rede, eine Scheu, die verschärft wird durch die Häufigkeit des Redenmüssens, wie sie durch unsere zahlenmäßig wachsenden Gemeinden gegeben ist und keinen Vergleich mit früheren Umständen erlaubt, in denen das Predigen junger Anfänger ,dodi auch ging'. Und wir sollten uns freuen, daß es diese Scheu noch gibt. Denn was dabei herauskommt, wenn sie unterdrückt oder überspielt wird, ist beängstigend. Diese jungen Pfarrer sind nämlich auch insofern den Gesetzen menschlichen Werdens nicht entrückt, als die Verwundungen und Mißbildungen ihrer geistig-seelischen Existenz, die ihnen das zu frühe Predigen einbringt, lange, oft ein ganzes Leben lang nicht ausheilen. Man könnte Überlegungen dieser Art durchaus auch auf ältere Pfarrer ausdehnen. Angenommen einmal, daß die ersten Amtsjahre eines Pfarrers durch eine seltene Gunst der Umstände einigermaßen erträglich verliefen: Auch dann bleibt z. B. die erwähnte Häufigkeit des Reden-Müssens eine menschliche Überforderung. Bestimmte psychische Erkrankungen, die man heute in Pfarrerkreisen antrifft, sprechen eine deutliche Sprache über die Folgen, die solche Uberforderungen für die Betroffenen haben; Folgen für die Betroffenen sind aber immer auch Folgen für unsere Gemeinden. Es werden heute sehr scharf- und tiefsinnige Überlegungen über die .Predigtnot' unserer Pfarrer angestellt, die z. T. in sehr entfernte

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Bezirke der Theologie, Soziologie, Psychologie usw. vordringen. Mir scheint, als ob didaktisdie Erwägungen der skizzierten Art zur Vereinfachung dieser Problematik beitragen könnten. Sie lehren, gewisse natürlich-menschliche Voraussetzungen des Predigens erneut ernst zu nehmen, deren Mißachtung die Predigtnot der Gegenwart zu einem erheblichen Teil erst geschaffen hat. 1. W. Jentsdi, Handbuch der Jugendseelsorge — Teil II, Theologie der Jugendseelsorge, 1963. — Natürlich kommt für die Problematik dieses Abschnittes nahezu die gesamte homiletische Literatur in Frage. Daß sie hier nicht aufgezählt werden kann, ist insofern von geringer Bedeutung, als sie für unsere spezifische Fragestellung wenig hergibt. Ich verweise deshalb nur auf den knappen Bericht von: 2. M. Doerne, Art. »Predigt", in: Päd Lex 742 ff. Hier findet sich die interessante Bemerkung, daß ,auch der christliche Unterricht in die Reihe der Sonderformen christlichen Wortdienstes gehöre, deren beharrender Kern Predigt ( = Kerygma) sei'; denn »der > Umwege, den er geht, ist Nadivollzug der Menschwerdung des ewigen Wortes". Audi die hier gesehenen Beziehungen zwischen Predigt und Evangelischer Unterweisung legitimieren unsere didaktischen Überlegungen zum Predigen auf ihre Weise. In Ergänzung des Literaturverzeichnisses dieses Artikels sei noch auf folgende Neuerscheinungen hingewiesen: 3. W. Uhsadel, Die gottesdienstliche Predigt — Evangelische Predigtlehre, 1963. 4. W. Trillhaas, Ev. Predigtlehre, 1964*. 5. E. Hirsch, Predigerfibel, 1964. 6. W. Schütz, Vom Text zur Predigt — Analyse und Modelle, 1968. 7. K. Stoevesandt, Die pädagogische Bedeutung der evangelischen Gemeindepredigt. Diss. Mainz 1952. 7. Kirchliche Schulen Zu den in unserem Zusammenhang interessantesten, weil für das Verhältnis v o n Pädagogik und evangelischer Kirche ganz besonders aufsdilußreichen Erscheinungen gehören die kirchlichen Schulen. Damit sollen alle Schulen gemeint sein, die ihrem Herkommen bzw. Programm nach bewußt evangelisch sind. Also keineswegs nur solche Schulen, die — meist erst nach 1945 begründet — von Landeskirchen getragen werden, sondern auch jene — meist älteren — Schulen, die der Initiative privater Kreise entsprungen, nur in einem mehr oder weniger lockeren Verhältnis zu der jeweiligen Landeskirche stehen. Es handelt sich vorwiegend um Höhere Sdiulen. Ihr zahlenmäßiges Anwachsen nach dem letzten Weltkrieg, das wachsende Interesse der Landeskirchen an ihnen, die Notwendigkeit, sich neben religiös und

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weltanschaulich anders geprägten Konkurrenten (z. B. katholischen Schulen und Waldorfschulen) zu behaupten, vor allem aber die in der Situation liegenden Nötigung, ihre Existenz der öffentlichen Schule gegenüber zu rechtfertigen, haben in diesen kirchlichen Schulen eine lebhafte Bemühung um ihr Selbstverständnis entbunden. Diese zu beobachten ist insofern ungemein spannend, als es in ihr ja immer um das Spezifische einer betont christlichen Pädagogik gehen muß. Wenn irgendwo, dann muß gerade in diesen Beispielen zutage kommen, was eigentlich-,christliche' oder .evangelische' Erziehung grundsätzlich ist. Ein guter Kenner, G. Böhm, formulierte 1967 das Ergebnis dieser Selbstinterpretation der kirchlichen Schulen folgendermaßen (1): „Die Frage nach dem besonderen Charakter der kirchlichen Schule als freier Schule wird in den Äußerungen der ev. Schulen und Heime einmütig damit beantwortet, daß sie Schule unter dem Evangelium sein will. In Wahrnehmung eines Auftrages Gottes will sie beispielhaft die kirchliche Verantwortung für die Erziehung in ihrer unterrichtlichen und erzieherischen Arbeit zum Ausdruck bringen. (1) Gottesdienst und Andacht sind daher die Mitte des Schul- und Heimlebens . . . Lehrer und Schüler bemühen sich um lebendige Gottesdienstgestaltung und situationsbezogene Verkündigung. (2) Nachdrücklich wird die Verbindung zur Kirchengemeinde betont. . . . Es wird deutlich, daß der Grad der Verknüpfung zwischen Gemeinde und Schule sehr verschieden ist. Im Verhältnis zur Landeskirche meldet sich vereinzelt die Sorge an, daß durch ihren Einfluß die freie evangelische Schule >verwaltete Sdiulec werden könnte. Als entscheidendes Merkmal einer Schule unter dem Evangelium wird übereinstimmend die Gesamtgestaltung des Schullebens im Geist evangelischer Brüderlichkeit genannt. Die Atmosphäre einer evangelischen Schule ist davon geprägt, daß hier Menschen zusammen leben und zusammen arbeiten, die einander als Christen begegnen wollen. Das Heimleben ist durch Ordnung und Sitte bestimmt, damit jeder in Freiheit und Verantwortung für seine Gemeinschaft leben kann . . . Weil das Evangelium Freudenbotschaft ist, haben Vertrauen und Vergebungsbereitschaft in der ev. Schule großen Raum. (3) In einem dreifachen Sinn wird von der diakonischen Aufgabe der kirchlichen Schule gesprochen: Zunächst im Sinne des Dienstes, den die ev. Schule und vor allem das ev. Heim an den verschiedenen Kindern mit entwicklungsbedingten oder umweltbestimmten Nöten leistet; sodann heißt Diakonie in der Schule Mithilfe der Schüler bei

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der Linderung der N o t anderer Menschen; schließlich weiß sich, die kirchliche Schule verpflichtet, die Heranwachsenden zu menschenführenden Berufen zu ermutigen, und leistet damit einen wichtigen gesellschaftsdiakonischen Dienst. Eng verbunden mit den diakonischen Zielsetzungen werden missionarische Aufgaben angegeben. Zahlreiche Kinder aus kirchlich entfremdeten Familien werden wieder an die Gemeinde herangeführt, und o f t gewinnen über die Kinder auch die Eltern einen neuen Zugang zur Kirche. (4) Voraussetzung evangelischer Schularbeit in diesem Sinn ist ein Kollegium von Lehrern und Erziehern, das in gemeinsamer Verantwortung vor Gott seine Arbeit leistet. Die Schulen weisen alle Idealvorstellungen ab: Ihre Kollegien enthielten nicht >besonders gute Christen«; jeder, der f ü r Gottes Anspruch offen sei, sei ihnen willkommen . . . (5) Keine Einheitlichkeit besteht im Blick auf die Frage, wie das >Besondere< der kirchlichen Schule im Unterricht zur Auswirkung komme. Folgende Auffassungen zeichnen sich ab: a) Betonung der Eigenständigkeit des Fachunterrichts, Abwehr jeder religiösen Durchdringung« der Fächer, Ideologiekritik; der Lehrer ist zum Zeugnis >jec nach der Situation aufgefordert. b) Betonung der zentralen Stellung des Religionsunterrichts als >Gewissen des ganzen Unterrichts«, von dem ständig Fragen an die anderen Fächer ausgehen. c) Beachtung der Eigenständigkeit der Fächer, dabei aber betonte Berücksichtigung kirchlicher Themen und Stoffgebiete. d) Versuch einer Stofforientierung, etwa vom Zeit- und Sprachdenken Rosenstock-Huessys her (>Gespräch der Generationen« als pädagogischer Leitgedanke). e) Deutung der doppelten Bindung des Lehrers an sein Fach und an das Evangelium als Grundspannung erzieherischer Arbeit in der kirchlichen Schule; Verkündigung des Evangeliums und sachgerechtes Erschließen der Fachgebiete als >unvermischte, unverfälschte« Faktoren des >Bildungswesens< der kirchlichen Schule, auf dem Lehrer und Schüler gemeinsam unterwegs sind. Wenn abschließend noch einmal die Frage nach dem Leitbild der kirchlichen Schule aufgegriffen werden soll, so muß im Blick auf die Nachkriegsphase festgestellt werden, daß die Aussagen hierüber heute noch zurückhaltender geworden sind. Übereinstimmung besteht darin, 30

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daß die kirchliche Schule zu einer vorurteilsfreien, sachgemäßen Begegnung mit der Welt führen muß. Sie will im jungen Menschen Bereitschaft wecken, in Verantwortung vor Gott an der Gestaltung des Lebens mitzuwirken; sie will ihn zu wacher politischer Mitverantwortung erziehen und darin in der Schulgemeinschaft bereits einüben; sie will ihn auf ein Leben vorbereiten, das die in der Schule erfahrene evangelische Freiheit in eigener Form zu bewähren sucht (1, 92ff.). Diese Analyse dürfte richtig sein. Jedenfalls sind mir keine Dokumente oder mündlichen Erwägungen bekannt, die ihr widersprechen. Was bedeutet sie? Zunächst dies, d a ß die kirchlichen Schulen keine ,christliche' oder ,evangelische' Pädagogik zu entwickeln streben, sondern sich auf die ,weltliche' Pädagogik angewiesen sehen, ja diese mit einer gewissen Betonung zur Geltung bringen möchten. Sodann, daß man, was speziell die Bildungsinhalte anlangt, zwar hier und da darauf achtet, christliche Themen und Stoffe besonders zu berücksichtigen, aber doch entschieden die Sachlichkeit des Unterrichts zu wahren bestrebt ist; man möchte keine christliche Weltanschauung entwerfen und pflegen. Drittens, daß man dementsprechend das .Besondere' der kirchlichen Schule offenbar mehr und mehr im geistlich-gottesdienstlichen Leben der Schulgemeinde sieht. Viertens, daß man folgerichtig geneigt ist, auf die Rolle dessen zu verzichten, der den öffentlichen Schulen pädagogisch etwas zu sagen hätte; man möchte nur H i l f e n f ü r Notstände leisten, die das öffentliche Schulwesen notwendig aufweist, dreht also das Subsidiaritätsprinzip — im häufig gebrauchten Sinn — gleichsam um: Nicht die öffentliche Schule soll mehr der christlichen Erziehung ein subsidium leisten, sondern die kirchliche Schule soll dies subsidium der öffentlichen Schule anbieten. Interessant dürfte die Entwicklung sein, die nach 1945 zu diesen m. E. vorwiegend erfreulichen Ergebnissen führte. Wahrscheinlich hat der Verfasser unserer Analyse recht, wenn er annimmt, daß es zunächst eine ,Nachkriegsphase' gegeben hat, die wesentlich idealistischer' gestimmt, d. h. weit mehr darauf aus war, evangelische Weltanschauungsschulen mit einer entsprechenden ,Zucht' zu errichten. Ob man aber mit Böhm auch sagen kann, daß erst seit 1958/60 ein Wandel im Selbstverständnis der kirchlichen Schulen, mitbedingt durch die seit diesen Jahren entschiedener werdende theologische Kritik an

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jenem idealistischen Programm, angebahnt wurde (1, 89), scheint mir fraglich, also noch genauerer Untersuchungen zu bedürfen. Fest steht jedenfalls, daß eine solche theologische Kritik in höchst entschiedener Form sofort nach 1945 auf dem Plan war. Das Stichwort,Schule unter •dem Evangelium* mit dem die kirchlichen Schulen heute ihre Entideologisierung kennzeichnen — es vermeidet die Wendung ,christliche Schule' —, ist schon damals gegeben worden (2.3). Wahrscheinlich handelt es sich um eine recht stetige Entwicklung, die durch ein Parallelogramm restaurativer und antirestaurativer gedanklicher Kräfte bewirkt wurde, selbstverständlich nicht ohne Einwirkung jener wirtschaftlich-gesellschaftlich-politischen Faktoren, die in der hier von uns ausgewerteten Untersuchung in vielem überzeugend umrissen werden. Die oft besonders aus den Reihen der Lehrer an kirchlichen Schulen erhobene Klage, daß die evangelische Theologie bzw. Religionspädagogik die Bemühungen um das Selbstverständnis dieser Anstalten zu wenig unterstützt habe, besteht also kaum zu Recht. Sie hat allerdings die konfessionalistischen Theorien, die aus den kirchlichen Schulen evangelische Weltanschauungsschulen zu machen strebten, nicht nur nicht gefördert, sondern bekämpft. Aber hat sie nicht den kirchlichen Schulen gerade dadurch auf einen Weg geholfen, den diese heute überwiegend gern gehen und der sie offenbar auch in eine sinnvolle Zukunft führt? Es bliebe also zu fragen, was der Sinn kirchlicher Schulen in der absehbaren Zukunft sein kann. Mir scheinen folgende Gedanken erwägenswert: In die Mitte einer Antwort dürfte am besten die Überlegung zu stellen sein, daß sich kirchliche Schulen wohl auch morgen und übermorgen am besten als ein Subsidium verstehen, das die evangelische Christenheit dem öffentlichen Schulwesen anbietet. Alle Versuche, kirchliche Schulen als eine Konkurrenz der öffentlichen Schule zu interpretieren, dürfte in unevangelisch-konfessionalistische Vorstellungen zurücklenken. Natürlich ist auch der Subsidium-Gedanke nicht vor konfessionalistischen Entstellungen sicher. Mit einigem Mißtrauen glaube ich z. B. die Versuche beobachten zu müssen, aus dem schlichten Hilfsgedanken, um den es geht, eine theologische Theorie von der ,diakonischen' Aufgabe kirchlicher Schulen zu machen. Steuern solche Theorien die hier zu leistende Aufgabe nicht in neue ideologische Verzerrungen und dementsprechend in gouvernementale Regulative der Kirchenbehörden? Es kommt also darauf an, jenem Hilfsgedanken mit einer gewissen Energie seine Nüchternheit zu erhalten. 30»

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N u r dann bleibt er auch dafür offen, daß aus ihm jene vielfältigen konkreten Aufgaben abgeleitet werden können, die in den wechselnden Situationen des öffentlichen Schulwesens beschlossen liegen. Ich gebe für solche Konkretionen einige Beispiele, die etwas greifbarer machen mögen, worum es hier geht. Wenn die kirchlichen Schulen sich heute gern mit einer gewissen Betonung zu den ,freien' Schulen rechnen, so liegt darin, wie wir schon in anderem Zusammenhang sahen (§21, 3), nicht nur die Feststellung, daß sie außerhalb der Organisation des öffentlichen Schulwesens existieren, sondern auch eine mehr oder weniger betonte Polemik gegen die vielfältigen Zwänge staatlicher Schulhoheit und weltanschaulicher Pluralität. Insoweit nun die kirchlichen Schulen ihre Freiheit nicht einfach genießen und als Ausnahmeschulen die Regelschulen ihrer Unfreiheit überlassen — was sehr unchristlich wäre —, sondern ihre Freiheit um der Freiheit der Regelschulen willen, also damit auch diese so frei wie möglich werde und bleibe, behaupten — was allein christlich sein kann —, leisten die kirchlichen Schulen den öffentlichen Schulen einen Dienst, der vermutlich immer wichtiger werden wird. Eine besondere Weise dieses Dienstes kann es sein, daß sich kirchliche Schulen ,die Freiheit nehmen', zu erziehen, die der öffentlichen Schule immer wieder einmal durch bestimmte Leistungsforderungen der Gesellschaft verloren geht. Das würde dann u. U. bedeuten, daß kirchliche Schulen bestimmte wertvolle pädagogische Verfahrensweisen für das öffentliche Schulwesen retten, die in diesem unter der Nötigung bestimmter organisatorischer, aber auch staats- oder gesellschaftspolitischer Umstände vorübergehend preisgegeben sind. Die kirchlichen Schulen könnten hierbei an eine schon längst von ihnen entwickelte Tradition anschließen (1, 92). Unser öffentliches Bildungswesen ist einem unumgänglichen Prozeß der Egalisierung mit all seinen inhumanen Konsequenzen ausgesetzt. Ihm könnte von den kirchlichen Schulen deshalb ein nicht zu unterschätzender Dienst dadurch geleistet werden, daß bestimmte schulische Sondertraditionen — z. B. die der Herrnhuter oder der in der Landesschule zur Pforte in Meinerzhagen vertretenen Überlieferungen — mit geduldiger und produktiver Energie aufrechterhalten würden. Natürlich wird auch die Zahl der entwicklungs- und milieugeschädigten Kinder in der modernen Zivilisation nicht abnehmen, sondern wachsen. Sie kommen in öffentlichen Schulen immer weniger zu ihrem

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Redit. Die kirchlichen Schulen haben in ihnen eine ihrer vornehmsten Aufgaben, von der sie niemand dispensieren kann, deren Erfüllung aber ganz besondere Anforderungen stellt. Die Möglichkeiten der religiösen Erziehung in den öffentlichen Schulen werden zunehmend eingeengt werden. Nicht aus bösem Willen, sondern aus einer Fülle von Gründen, die man insgesamt als ,Zwang der Umstände' bezeichnen könnte. Wo anders können dann im Bereich des Christentums noch entsprechende Erfahrungen gesammelt werden als in kirchlichen Schulen? Wie anders als durch eine Verständigung über diese Erfahrungen kann die in den öffentlichen Schulen noch mögliche religiöse Erziehung inspiriert werden? Und selbst für den Fall, daß dort überhaupt keine religiöse Erziehung mehr Raum haben sollte, sind jene Erfahrungen noch wichtig: Man kann auch diesen Ausfall noch sinnlos oder sinnvoll regeln, wofür eben von ihnen Entscheidendes zu lernen sein dürfte. Wie immer das Verhältnis der evangelischen Christenheit zur öffentlichen Schule in Zukunft aber aussehen mag, ob sie in dieser Schule religiöser Unbefangenheit, so wie sie oben (§ 21, 3 bes. S. 260 ff.) beschrieben wurde, begegnet oder konfessionellem Streit oder verhängnisvoller Indifferenz, ob sie in ihr eine Evangelische Unterweisung vorfindet, die wirklich ein sachgegründeter diristlidier Unterricht für ihre Kinder ist, oder einer kulturkundlichen Initiation in das Christentum oder einen das Religiöse ausklammernden Moralunterricht — immer wird die evangelische Christenheit lebhaft am Schicksal der öffentlichen Schule beteiligt sein. Und zwar nicht nur um ihrer eigenen, sondern um aller Kinder willen. Diese Teilnahme macht sie im Ganzen und in einer Fülle von Einzelfällen durch ihre Kirchen wirksam, genauer gesagt durch deren Behörden. Das aber fügt der der evangelischen Christenheit aus der Situation zukommenden Aufgabe, für die Freiheit der öffentlichen Schule tätig zu sein, noch einen besonderen Zug hinzu: Ihr ist auch aufgegeben, für die Freiheit der öffentlichen Schule von jenen kirchlichen Zwängen und Nötigungen tätig zu sein, in die, wie die Erfahrung lehrt, kirchliche Fürsorge so besonders leicht umschlägt. Auch dieser Aufgabe können die kirchlichen Schulen auf eine besonders nachdrückliche Weise dienstbar werden. Und zwar einfach dadurch, daß sie auch in ihrem Verhältnis zu ihrer Kirche ,freie' Schulen sind. Das ist vermutlich gar nicht ganz leicht. Finanzielle und alle anderen sich aus der kirchlichen .Trägerschaft' ergebende Abhängigkeiten könnten leicht bewirken, daß die Freiheit dieser Schulen von den Kirchenbehörden schlimmer bedrängt

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wird als die Freiheit der durchschnittlichen öffentlichen Schulen v o n der staatlichen Schulverwaltung. Es stimmt traurig und beängstigend, daß immerhin erste Klagen über die Einengung der Freiheit kirchlicher Schulen durch kirchliche Behörden bereits laut werden (1, 93). Mehren sie sich zu Recht, s o könnte dies für die kirchlichen Schulen tödlich werden, denn diese sind auf qualifizierte Lehrkräfte angewiesen, die immer auch anderswo ihr Brot finden. Umgekehrt: Sind kirchliche Schulen in jeder, also auch in dieser Hinsicht Stätten größerer Freiheit als es die öffentlichen Schulen sein können, dann werden sie nicht nur stets genügend gute Lehrer haben, sondern der Freiheit auch an den staatlichen Schulen aufhelfen. Vielleicht wird diese Freiheitlichkeit nicht erreichbar sein,, ohne daß kirchliche Schulen auch institutionell eine größere Autonomie erhalten. Was hindert es, eine solche Autonomie zu realisieren?' Ich sehe keine vernünftigen Gründe. Wohl aber ist leicht einzusehen, daß auch diese Realisation eine Hilfe für das öffentliche Schulwesen wäre, das ja längst vor der Notwendigkeit steht, eine ähnliche Autonomie gegenüber der staatlichen Schulverwaltung zu erreichen. Indirekt könnten die kirchlichen Schulen auf diese Weise auch einen wahrscheinlich erheblichen Beitrag zur Entklerikalisierung der evangelischen Kirchentümer leisten. Das klingt sicher für manchen paradox, der zu sehen glaubt, daß gerade die sich vergrößernden kirchlichen Schulbereiche die kirchenstaatlichen Tendenzen evangelischer Landeskirchen stärken. Aber nicht schon das bloße Bestehen kirchlicher Schulet» schafft diese Stärkung, sondern erst der Wille derer, die sie regieren. Und diesem Willen kann ein andersgearteter entgegengesetzt werden. Schließlich sei auf eine Aufgabe kirchlicher Schulen hingewiesen, die alle schon genannten Aufgaben in ihrer Art, viele davon auch in ihrem Inhalt noch etwas schärfer konturieren kann und die allen Beteiligten vermutlich in nächster Zukunft vor eine immer dringlichere Problematik stellen wird: die sittliche Erziehung. In dieser wird von vielen Vertretern kirchlicher Schulen und ihrer Trägerinstitutionen immer wieder die eigentliche Domäne dieser Schulen gesehen. Die Begründung dieser Auffassung pflegt im Kern einfach zu sein: Die öffentliche Schule ist zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet; also kann sie im Grunde nicht sittlich erziehen, da dies von weltanschaulichen Voraussetzungen abhängig ist; sie will es auch immer weniger und es wird immer mehr auch dazu kommen, daß sie es gar nicht soll, bzw. darf; weltanschauliche Gruppen müssen diese Aufgabe übernehmen, die sie durch die Pflege ihres Gruppen-Ethos lösen, z. B. die evangelischen

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Kirchen mit H i l f e ihrer kirchlichen Schulen. Man wird denen, die so argumentieren, zugestehen müssen, daß sie sich einer Veranrwortung stellen, die von vielen Lehrern öffentlicher Schulen heute umgangen wird. Man wird vielen von ihnen auch zubilligen müssen, d a ß sie sich die Erfüllung der so gesehenen Aufgabe große Anstrengungen kosten lassen. Man wird schließlich nicht leugnen können, daß diese Bemühungen in vielen Fällen nicht fruchtlos sind und einmal mehr zeigen, daß weltanschaulich geschlossene Schulen, besonders wenn sie mit Internaten verbunden sind, besondere pädagogische Chancen enthalten (5). U n d dennoch ist die Aufgabe, wo sie so gesehen wird, falsch gestellt und also ihre Erfüllung, zurückhaltend geurteilt, höchst problematisch. Auch in der Begründung dieser Meinung fasse ich mich kurz und kann dies um so eher, als diese Problematik in anderen Zusammenhängen (vgl. bes. § 21, 2) schon verhältnismäßig ausführlich behandelt wurde. Es ist nicht wahr, daß das Sittliche nur als Ethos von Gruppen existiert. Es ist nicht christlich, zu leugnen, daß jeder Mensch um G u t und Böse wissen kann, durchaus unabhängig von seiner Weltanschauung, und daß Nichtchristen es auch tatsächlich immer wieder besser wissen als überzeugte Christen. Kirchliche Schulen dürfen also eine sittliche Erziehung nicht als Ersatz f ü r etwas durchführen, was die öffentlichen Schulen angeblich nicht können und deshalb besser unterließen. Eine so geartete sittliche Erziehung kann zwar ein betontes moralisches Selbstbewußtsein, auch einen moralischen Korpsgeist schaffen, also pädagogisch sehr wirksam' sein, ist aber zugleich nicht mehr wirklich sittlich in dem irreversiblen Sinn, den dieses Wort seit der Aufklärung gewann (5). Die Situation der sittlichen Erziehung im öffentlichen Bildungswesen stellt den kirchlichen Schulen m. E. eine andere Aufgabe. Selbstverständlich soll der Scharfblick nicht getrübt werden, der die sittliche Lage der Gesellschaft, in der wir leben, unverschleiert sehen will. Es soll erst recht die Tapferkeit des sittlichen Urteils und des sittlichen Verhaltens nicht gedämpft werden. Aber es soll dabei die sittliche Solidarität mit den Nichtchristen nicht gebrochen werden, die genauso recht und schlecht um G u t und Böse wissen wie die Christen. In dieser Solidarität dürfen kirchliche Schulen ihre sittliche Erziehung nur auf ein Ethos beziehen, das auch das der öffentlichen Schulen sein kann. Sie sollen den öffentlichen Schulen durchaus auch hier helfen wollen. Aber zu sich selbst, zur mutigen Entfaltung ihrer eigenen sittlichen Vernunft und sittlichen Phantasie, nicht zur Willigkeit, sich von den Christen moralisch aufrüsten zu lassen. Sie sollen in jener Solidarität aber auch umgekehrt von der öffent-

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liehen Schule lernen wollen, wie diese aller gegenwärtigen Unsicherheit auf diesem Gebiet zum Trotz, in Theorie und Praxis eine Überlieferung sittlicher Erziehung repräsentiert, die der diesbezüglichen kirchlichen überlegen ist; ich nenne nur den einen Namen: Pestalozzi, dessen Werk zwar von der öffentlichen Schule, besonders der Volksschule, kaum aber von der Kirche rezipiert wurde. Gelänge es den kirchlichen Schulen, gerade in der sittlichen Erziehung, die so leicht zur Separation der Christen von der massa perditionis verführt, die Solidarität mit der öffentlichen Schule zu gewinnen und zu behaupten, so wäre — im Rahmen dessen, was Schulen überhaupt bewirken können — für die Zukunft der modernen Gesellschaft und die Gewinnung einer fruchtbaren Position der Kirche in ihr sicherlich besonders viel getan. Denn eine der tiefsten Gefährdungen dieser Gesellschaft ist der in ihr angelegte moralische Klassenkampf und dessen Zuspitzung durch die moralische Aspirationen der christlichen Kirchen. Damit breche ich die Reihe der Exempel ab. Ich denke, das, worum es mir ging, wird nun etwas deutlicher sein: Kirchliche Schulen bedürfen keiner theologischen Theorie. Ihr Sinn ist nämlich nicht, mit der öffentlichen Schule nach einem eigenen diristlichen Gesetz zu konkurrieren, sondern der öffentlichen Schule eine pädagogische Hilfe zu leisten, und Helfen bedarf für den Christen keiner theologischen Rechtfertigung. Damit sich dieses Subsidium möglichst fruchtbar entfalten kann, ist nur ein wacher Blick für die Erfordernisse der Lage nötig und viel Freiheit — auch von Kirchenbehörden. 1. G . B ö h m , Z u m Selbstverständnis der kirchlichen Schule, in: E v E r z 1967, 85 f f . F a s t das ganze H e f t dieser Zeitschrift, in dem Böhms U n t e r suchung publiziert w u r d e (19. J g . H e f t 3, M ä r z 1967), ist dem T h e m a „Kirchliche Schulen?" gewidmet. 2. H . Kittel, Schule unter dem E v a n g e l i u m — Z u m Problem der K o n fessionalität im Schulwesen, 1948/1949. 3. Ders., Zur V e r a n t w o r t u n g der Kirche f ü r Erziehung und Unterricht in der G e g e n w a r t , 1963. Vgl. ferner: 4. O . Hammelsbeck, Evangelische Lehre v o n der Erziehung, 1950. 5. Als Beispiel einer so gestimmten S d i u l k o n z e p t i o n sei der o f f e n e Brief genannt, in dem sich C h . Hartlich, der Leiter der Landesschule zur P f o r t e , über den Sinn dieser W i e d e r - G r ü n d u n g ausspricht, u n d der in E v E r z 1967, 124 f f . , unter dem charakteristischen — wohl v o n der R e d a k t i o n f o r m u lierten — Titel „ K o n f e s s i o n a l i t ä t als pädagogische C h a n c e " veröffentlicht wurde. Wie ich im T e x t notierte, halte ich diese G r ü n d u n g f ü r eine gute Sache. Auch die G e d a n k e n , mit denen sie Hartlich begleitet, sind m. E . in vielem durchaus fruchtbar, die O f f e n h e i t und T a p f e r k e i t , mit denen er viele T a t b e s t ä n d e angeht, die heute gern verschwiegen werden, respektabel.

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Aber seine Auffassung vom Sinn der neuen Schule im Blick auf die von ihr zu leistende sittliche Erziehung scheint mir nidit haltbar. Auch nidit, wenn ich seiner Unterscheidung von Konfessionalismus und Konfessionalität mehr entnehme, als sie in Wirklichkeit heute noch hergibt. Wir werden lernen müssen, mit solchen schwerwiegenden Differenzen zusammen zuarbeiten.

8. Bethel An letzter Stelle sei ein relativ kleiner Bereich innerkirchlicher Erziehung und Bildung genannt. Er ist so klein und vor allem so konkret-individuell, daß er sicher vielen überhaupt nicht in die Reihe der vorangehenden Exempel mit ihrer eindrucksvollen Größe und grundsätzlichen Bedeutung zu passen scheint: Ich meine die ,Anstalt Bethel' bei Bielefeld. Man kann sich in der Tat schwer vorstellen, daß Kirchenbehörden, Pfarrerbildung, Konfirmandenunterricht, Jugendseelsorge, Predigt oder selbst kirchliche Schulen einmal verschwänden, ohne daß unsere evangelischen Landeskirchen sehr spürbare Strukturveränderungen erführen, vielleicht sogar so schrumpften, daß man sie nicht wiedererkennt. Aber eine Schließung der Anstalt Bethel würde nichts an diesen Kirchen ändern. So unbedeutend ist Bethel wirklich. Und dennoch scheint mir diese Anstalt für unseren Gesamtzusammenhang so wichtig, daß ich nidit nur nicht von ihr schweigen kann, sondern sie — so ist ihre Erwähnung an letzter Stelle hier gemeint — mit einem besonderen Akzent versehen muß. Diese Wichtigkeit für unseren Gedankengang sehe ich freilich nidit in der Tatsache, daß Bethel auch so etwas wie eine pädagogische Provinz ist. Hier gibt es Schulen von Kindergärten bis zu einer Theologischen Fakultät, Jugend-, Erwachsenen- und Berufsbildung, Heimerziehung und Rehabilitationspädagogik usw., und von allen diesen Einrichtungen, vor allem aber ihrem Verhältnis zueinander und zum Anstaltssinn wäre viel zu lernen. Und dcunoch ist für uns hier etwas anderes noch wichtiger: der Zweck der Anstalt als solcher und die Gesamtarbeit, die ihm dient. Aber wie soll man diesen Zweck in Kürze erläutern, ohne daß dabei nur die Umrisse einer ,Idee' in Erscheinung treten, die sofort dem Verdacht unterliegt, Deckmantel einer ganz anders gearteten ,Wirklichkeit' zu sein? Vielleicht ist es angesichts dieser Schwierigkeit gut, an ein Stück Eigeninterpretation der Anstalt anzuknüpfen, das nicht um seiner selbst willen entworfen wurde, sondern aus großen Bedrängnissen der gegenwärtigen Arbeit Bethels heraus mit höchst praktischen Absichten geschrieben wurde. In der gediegenen, aber ganz unzeitgemäß bescheidenen Festschrift „Ein Jahrhundert Diakonie in

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Bethel" von 1967 schreibt der damalige Leiter der Anstalt Pastor Friedrich v. Bodelschwingh: „Unsere Anstalten gehen in die vierte Generation ihrer Geschichte. Wir versäumen in schimpflicher Weise unsere Pflicht, wenn wir es unterlassen, die Frage >Wie soll es weitergehen?< f ü r uns und unsere Kinder in aller H ä r t e und Klarheit zu stellen. Das, was in den hier [sc. in dieser Festschrift] vorgelegten Beiträgen gegeben wurde, waren die Antworten der drei ersten Generationen, die je zu ihrer Zeit neu gegeben wurden. Es wäre unser Untergang, wenn wir — in törichtem Vertrauen auf eine segensreiche Geschichte< uns damit begnügten, die alten Antworten einfach zu wiederholen. Außerdem ist ja sehr zu fragen: Sind nicht wir, in der nun abtretenden dritten Generation, bereits viel zu konservativ geworden? H a b e n wir uns nicht allzusehr damit begnügt, das Überkommene zu •erhalten und so gut es ging zu flicken? Haben wir es nicht an der bohrenden Unruhe der Frage fehlen lassen: Wie soll es nun christlich weitergehen? Die Gefahr ist heute groß, daß es, wenn wir hier nicht beunruhigend weiterfragen, allerdings >weitergehtUrsprünglich weltliche Weise