Der deutsche evangelische Liederpsalter: Ein vergessenes evangelisches Liedergut [Reprint 2019 ed.] 9783111575292, 9783111203201


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German Pages 66 [76] Year 1929

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Table of contents :
Vorwort
Der deutsche evangelische Liederpsalter ein vergebener evangelischer Liedergut
Anmerkungen
Chronologische Übersicht über die berücksichtigten Psalmbücher und Gesangbücher
Melodienproben aus den Hugenotten-Liedern
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Der deutsche evangelische Liederpsalter: Ein vergessenes evangelisches Liedergut [Reprint 2019 ed.]
 9783111575292, 9783111203201

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Vorträge der ■

theologischen Konferenz zu Gießen 45. Folge ------

Der deutsche evangelische Liederpsalter ein vergebener evangelischer Liedergut von

Leopold Cordier D. Dr. o. Professor für praktische Theologie an -er Landesuniversität Gießen

19 2 9 Verlag von Alfred Opelmann in Gießen

„Unter allem, was den Menschen erquicken und ergötzen kann,

ist die Musik das erste oder doch eines der vornehmsten Mittel/ Calvin, Vorrede zu „La forme des prieres et chantz ecclesiastiques“.

Printed in Germany

Vorwort. Die vorliegende Studie will auf ein Gebiet des Kirchengesangs auf­ merksam machen, das uns im 19. Jahrhundert weithin unbekannt ge­ worden ist. Mit dem Verlust des Psalmengesangs in der evangelischen Kirche ist uns zugleich auch die Auffassung vom Kirchengesang fern­ gerückt, die für die Männer des Kirchenliedes des Reformationsjahrhunderts grundlegend war. Konnte man den Verlust der Psalmlieder im Blick auf die erhalten gebliebenen, auf reformierter Seite nun erst recht gepflegten schönen freien Kirchenlieder vergessen, so mußte die damit in den Hintergrund tretende Auffassung vom Kirchenlied, die im Psalmlied ihren besonderen Ausdruck fand, einen nicht geringen Aus­ fall bedeuten. Die neue Lage in Theologie und Kirche mag es rechtfertigen, daß mit dieser Arbeit das Interesse für das evangelische Bibellied und ins­ besondere für das Psalmlied in Anspruch genommen wird. Steht doch für uns heutige das Problem der Verkündigung neu im Mittelpunkt, die bei den Reformatoren auch für den Kirchengesang ihre Geltung besaß, im Gegensatz zur Auffassung der Späteren, für die das evange­ lische Kirchenlied viel mehr ein Ausströmen der persönlichen, erlebten Frömmigkeit bedeutete. Den liturgischen Neubemühungen unserer Zeit wird dar gesungene Gotteswort, vollends getragen von Melodien, die diesen objektiven Tharakter auch musikalisch wiederzugeben vermögen, eine wertvolle Bereicherung bieten können. Daß es mir dabei um das gesamte alte Psalmgut des Reformationsjahrhunderts, nicht nur um den wegen seiner einzigartigen Melodien von mir besonders geschätzten Hugenottenpsalter geht, braucht auf Grund der nachfolgenden Blätter nicht besonders hervorgehoben zu werden. Der Rahmen dieser Arbeit, die einen erweiterten, auf der Gießener Konferenz am 7. Juni 1928 gehaltenen Vortrag darstellt, hat mir möglichste Kürze geboten. Das mag als ein Mangel empfunden werden, zumal es mir darauf ankam, das Gesamtgebiet des verlorengegangenen Gutes in unsre Betrachtung zu ziehen und damit auf den Reichtum dessen hinzuweisen, was unsre Väter, die lutherischen sowohl wie die refor­ mierten, in ihren Psalmliedern besessen haben. Andererseits erlaubte mir die äußere Veranlassung, meiner Arbeit den Charakter der Studie über ein noch weithin unerforschtes Gebiet zu erhalten und damit zur Mitarbeit und zur Ergänzung meiner eigenen Forschungen, deren Grenzen ich mir sehr bewußt bin, anzuregen.

4 Ich darf die Gelegenheit benutzen, dem Manne besonders zu danken, -er die Erforschung des Psalmengesangs in den letzten Jahren ganz ent­ scheidend gefördert hat, Landessuperintendent Lic. Dr. Hollweg in Aurich, mit seiner Arbeit über die Geschichte der rheinischen evangelischen Gesang­ bücher. Seinen Ergebnissen konnte ich auf weiten Strecken folgen. Dank sagen darf ich auch den Bibliotheken, insbesondere der Fürstlich-Stolbergschen Bibliothek in Wernigerode, für die immer entgegenkommende Bereitstellung wertvoller Gesangbuch- und Psalterschätze. Und schließlich ein nicht weniger aufrichtiges Wort des Dankes der Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaft für die der Universitätsbibliothek in Gießen auf meine Veranlassung hin zur Verfügung gestellten schönen hqnmologischen Studienwerke, die meinen Arbeiten zu Gute kamen. Möge diese zunächst einem Kreis von Theologen vorgetragene Arbeit in der singenden und anbetenden Gemeinde ihren Widerhall finden und ein neues ökumenisches Band zwischen den Kirchen der Reformation knüpfen, wie es die Väter einst besessen. Gießen, im Oktober 1928.

Der Verfasser.

Der deutsche evangelische Reim- oder Liederpsalter gilt heute, soweit man ihn überhaupt kennt, als ein Sondergut der reformierten Kirche und zwar als ein im Grunde längst aufgegebenes. Man erinnert sich wohl daran, daß man im reformierten Holland und in England noch heute Psalmen singt, daß sich auch der französische Protestantismus noch des Psalmengesangs bedient. Huf dem Boden des deutschen Protestantis­ mus aber gilt der Psalmengesang im Gottesdienst als ausgestorben. Ls erscheint bereits legendär, daß es im Rheinland und in Westfalen, im Siegerland, in Dstfriesland, in der Grafschaft Bentheim Kreise geben soll, für die der Psalmengesang ein wesentliches Stück des Gottesdienstes bedeutet, und wer weiß davon, daß noch heute drei landeskirchliche deutsche Gesangbücher einen ganzen Liederpsalter als einen besonderen Teil des Gesangbuches bieten, das reformierte ostfriesische Gesangbuchs, das Rhei­ nisch-westfälische Gesangbuch in seiner Ausgabe für reformierte Gemein­ den 2), das Elberfelder reformierte Gesangbuchs). (Es handelt sich wahr­ lich nicht um ein totes Gut, wenn wir vom evangelischen Liederpsalter reden. Diejenigen Gemeinden unter uns, die ihn noch besitzen, leben geradezu in ihrer Zrömmigkeitsgestaltung in vieler Beziehung von ihm und werden sich diesen ihren treugehüteten Schatz nicht rauben lassen wollen. Allein der Umkreis dieser Gemeinden läßt den Psalmen­ gesang gar leicht als ein Sondergut der reformierten Kirche erscheinen, dem man gewiß seine Sympathie nicht versagen wird, das man aber schon um der erstrebten Einheit des evangelischen Kirchengesangs willen am liebsten auf diesen westdeutschen reformierten Kreis beschränkt sehen möchte. wer den Psalmengesang nicht nur von diesem Restbestand deutscher evangelischer Gemeinden her kennt, die ihn heute noch pflegen, wer sich in seine Geschichte*), man darf wohl auch sagen in die Geschichte des evan­ gelischen Kirchenliedes überhaupt ein wenig vertieft hat, wird zu anderen Erkenntnissen kommen. Er weiß, daß es sich beim Psalmengesang um ein Gemeingut der Reformation, nicht um ein Sondergut reformierter Gemeinden handelt. Er weiß, daß wir es bei dem gesungenen Psalm mit einer besonderen Gabe des Reformationsjahrhunderts an die evange­ lische Gemeinde zu tun haben und daß dem Liederpsalm sowohl nach seiner inhaltlich-textlichen wie nach seiner musikalischen Seite die Eigenart dieses Jahrhunderts ausgeprägt ist. Er weiß auch, daß nicht nur die reformierte Kirche, daß auch die lutherische in den folgenden Jahrhunderten ihre Psalmen weiterhin gesungen, daß ein Lutheraner, der Königsberger Jurist Ambrosius Lobwasser, den Reformierten den am meisten und am

6 längsten benutzten Psalter geschenkt hat. Der Psalmengesang war eine Angelegenheit der Reformationskirchen ohne Ausnahme. Mit der Ent­ fernung vom Geist der Reformation, mit dem Eintauchen in eine neue subjektivistische Frömmigkeit war auch das Verständnis für den Psalmen­ gesang als solchen verloren gegangen und der Psalmengesang zur An­ gelegenheit einer Sondergruppe herabgesunken. Die „Auflösung der gottes­ dienstlichen Formen im Zeitalter des Rationalismus" hat vollends dem Psalmengesang in beiden Rirchen den Boden entzogen. 3m 19. Jahr­ hundert hat es dann aber auch außerhalb der reformierten Rirchen nicht an versuchen gefehlt, dem Psalmengesang wieder Eingang zu verschaffen, auch abgesehen von den Bestrebungen, die auf eine lviedereinführung des Psalmodierens in der lutherischen Rirche gerichtet waren — wir können diese Bestrebungen im Rahmen unsres Vortrags leider nicht berücksichtigen. Es fei aber hier bereits auf eine Schrift aus der Mitte des 19. Jahr­ hunderts, auf Emil Naumann „Die Einführung des Psalmengesangs in die evangelische Rirche"5) — sie war dem Könige Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gewidmet — und auf die Psalmen des älteren Blumhardt6) hingewiesen. Schon dieser allgemeine Überblick mag der Einsicht Raum geben, daß wir es beim evangelischen Liederpsalter jedenfalls in Bezug aus die Vergangenheit mit einer Gesamtangelegenheit des Protestantismus, mit einer Gabe der Reformationskirchen zu tun haben. Es verlohnt sich ge­ wiß, diese Gabe in eine neue Beleuchtung zu rücken und die Frage zu stellen, ob ihr Verlust für eine an der Reformation orientierte Rirche nicht einen empfindlichen Ausfall bedeuten muß. werfen wir zunächst einen Blick auf diese Gabe des Reformations­ jahrhunderts, um dann die Frage zu beantworten, wie die protestantischen Rirchen dieses Erbe der Reformation verwaltet haben. 1.

Der Vater des deutschen evangelischen Liederpsalters ist niemand anders als Martin Luther selbst. Er ist es nicht aus Zufall, weil er nun eben neben anderen Liedern auch Reim-Psalmen gedichtet hat. Martin Luther hat uns vielmehr die Liedgattung geschenkt, deren reinste Prägung der Liedpsalm darstellt. Für Martin Luther ist das Lied der Rirche nicht individualistische Lyrik, nicht der Stimmungsniederschlag einer begeisterten religiösen Persönlichkeit, sondern die gesungene Verkündigung der Rirche, das gesungene wort Gottes. Welchen besseren Stoffgehalt könnte darum für Luther das Lied der Rirche finden als das Wort der Schrift selbst und aus dem Wort der Schrift das Liederbuch der alttestamentlichen Gemeinde, die Psalmen!? Luthers eigenes Schaffen hat sich ganz in dieser Richtung bewegt. Unter den 36 Liedern, die man ihm

unangezweifelt zuschreiben darf, befinden sich nicht weniger als 16 Um­ dichtungen biblischer Texte, sog. Bibellieder, 12 Umdichtungen alter lateinischer Sänge und vier Neubearbeitungen alter deutscher Kirchen­ gesänge, die gleichfalls auf den Bibeltext oder die biblische Tatsache ver­ weisen, und nur vier freie Dichtungen! Aber auch diese vier freien Dich­ tungen sind nicht individualistische religiöse Lyrik, es ist epischer Volks­ gesang, bei dem der Dichter nur die Stimme der Gemeinde sein roill7). Daß wir Martin Luther mit dieser Einschätzung seiner Lieder richtig verstehen, geht aus der Geschichte seiner Liederdichtung und der ersten Liederdichtung seiner Kirche zur Genüge hervor. Es muß in diesem Zu­ sammenhang herausgestellt werden, wie Martin Luther zum Schöpfer des evangelischen Kirchenliedes geworden ist. 3n den Frühtagen der Reformation schenkt Martin Luther dem evangelischen Haus und der evangelischen Gemeinde zuerst die deutsche Bibel, alsdann das deutsche evangelische Lied und schließlich den deutschen Katechismus. Es handelt sich hier um eine bewußte evangelische Aufbauarbeit, in die auch die Schaffung neuer Ge­ meindeordnungen und einer neuen Gebetsliteratur einbezogen werden darf. Durch den deutschen Kirchengesang wurde der gemeine Mann am Gottesdienst, durch das evangelische Lied überhaupt wurde er an der Sache der Reformation aufs lebendigste beteiligt. 3m Zusammenhang der Frage nach der Neuordnung des Gottesdienstes sah sich Luther bald nach der Rückkehr von der Wartburg vor die Frage nach dem Gemeindegesang gestellt. Er war von der Notwendigkeit des evangelischen Gemeinde­ gesangs durchdrungen und machte sich darum bewußt ans Werk, der Gemeinde evangelische Lieder zu schenken. (Er benützt dazu vorhandenes Gut, lateinische und deutsche Liedsätze, die in neue Formen gegossen im neuen Geiste gesungen werden konnten. (Er greift aber vor allem aus bas Evangelium selbst, auf alt- und neutestamentliche Texte zurück, die er zu neuen Liedern umdichtet,' so entstehen seine Bibellieder. Was wir nicht bei ihm finden, sind Lieder aus besonderen persönlichen Situationen seines Lebens. Spittas versuch „Lin feste Burg ist unser Gott" aus einer bestimmten persönlichen Lage in Luthers Leben zu deuten8), mußte darum scheitern wie alle versuche dieser Art. Luther wollte eben mit den Liedern „Wort Gottes" in die Gemeinde bringen. (Es sollte im evangelischen Lied nicht einem dichterischen Genius gehuldigt werden. So entsteht die besondere Gattung des reformatorischen Liedes, deren reinster Ausdruck das Bibellied ist. Dieser Gattung ist der Reimpsalter zuzurechnen. 3m gleichen Geist forderte Luther seine Freunde zur Mitarbeit an der Schaffung evangelischer Gemeindelieder auf. Schon die Tatsache dieser Aufforderung ist bezeichnend. Sie widerspricht allen Anschauungen, die wir vom freien Schaffen des Dichters haben. Wir besitzen darüber einen sehr interessanten Brief an Georg Spalatin aus den ersten Tagen des

8 Jahres 1524, dem wir wichtige Aufschlüsse über Luthers Auffassung vom evangelischen Kirchenlied verdanken, wir geben ihn darum hier wieder: „Ich bin willens, nach dem Exempel der Propheten und alten Väter der Kirche deutsche Psalmen für das Volk zu machen, das ist geistliche Lieder, daß das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibe, wir suchen also überall Poeten. Da ihr nun der deutschen Sprache so mächtig und so beredt darinnen seid, so bitte ich euch, daß ihr hier­ innen mit uns Hand anleget und einen von den Psalmen zu einem Gesänge zu machen sucht, wie ihr hier ein Illuster habt (Luther legte also einen seiner bis dahin gedichteten Psalmen bei). Ich wollte aber, daß die neuen Wörterlein vom Hofe wegblieben, damit die Worte alle nach dem Begriff des Pöbels ganz schlecht und gemein, doch aber rein und geschickt herauskämen, hernach auch -er verstand fein deutlich unnach des Psalms Meinung gegeben würde"9). Dieser Brief öffnet uns das Verständnis für Luthers Gedanken bei der Schaffung des evangelischen Kirchenliedes mit erfrischender Deut­ lichkeit. Es handelt sich also um „deutsche Psalmen für das Volk", damit „das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibe". Dem entspricht auch der Titel des Achtliederbuchs von 1524: „Etlich Christlich über, Lobgesang und Psalm, dem rainen wort Gottes gemeß, aus der heyligen schrifft, durch mancherlei) Hoch­ gelerter gemacht, in der Kirchen zu singen . . ."10), und der Inhalt der ersten Liedersammlungen der lutherischen Reformationu). Luther un­ feine Freunde wollten eben gesungenes Gotteswort bieten, das am Psalter sein erhabenstes Vorbild findet. Die Persönlichkeit des Dichters tritt darüber so sehr zurück, daß im Wittenberger Gesangbuch von 1529 nur aus Not (nach Luthers Vorrede) die Namen der Dichter genannt sind, um nämlich den eigenmächtigen Textveränderungen und einer willkür­ lichen Zusprechung der Autorschaft zu wehren12). Mit dieser Auffassung vom Gemeindegesang als dem gesungenen Gotteswort ist Luther der Vater des evangelischen Psalmengesangs ge­ worden. Calvin bewegt sich nur in Luthers Bahnen, wenn er in seiner Vorrede zum Kirchenbuch von 1543") ausführt: Frage es sich, was man singen solle, so habe Augustin mit Recht gesagt: niemand könne etwas singen, das Gottes würdig sei, er habe es denn von Gott selbst empfangen. So mögen wir weit und breit suchen, etwas besseres werden wir nicht finden als die Psalmen Davids, die der heilige Geist ihm ein­ gegeben. hier seien wir sicher, daß Gott uns die Worte in den Munlege, wie wenn er selbst in uns sänge, um seinen Ruhm zu erhöhen. Männer, Frauen und Kinder treten dadurch, wie Chrqsostomus sage, in der Engel Gemeinschaftu). Diese Ausführungen Calvins zeigen uns zu­ gleich aber auch den Punkt, an welchem Calvin über Luther hinaus-

schreitet. Martin Luthers konservative Haltung gegenüber dem überkom­ menen hymnologischen Gut, sofern es nur an der Bibel orientiert er­ scheint, bewahrt ihn vor einer einseitigen Bevorzugung der unmittelbaren Bibel- bzw. Psalmübertragung. Auch die Dichtung, die der Form nach nicht unmittelbare Bibelübertragung ist, der kirchliche Hymnus und das Bekenntnislied, kann und soll nach Luther gesungenes Gotteswort sein. Sie ist es, sofern nur in ihr die Gemeinde in biblischer Weise bekennt^ lobt, anbetet. Diese weitere Auffassung des Begriffes „gesungenes Gotteswort" hat sich von Anfang an auch in den reformierten Gemeinden deutscher Zunge eingebürgert. Gkolampad hat im Jahre 1526 in Basel das Singen deutscher Psalmen nach Luthers Vorbild eingeführt 15). Der Konstanzer Johannes Zwick hat in seiner Vorrede der ersten Ausgabe seines Züricher Gesangbüchleins (1536 oder 1537) sich ausdrücklich gegen die­ jenigen gewandt, die da meinen, „daß man nichts singen sollte denn allein Psalmen oder was sonst nach dem Buchstaben in der Bibel geschrieben steht". Zwick vertritt ihnen gegenüber den Standpunkt: „Daß man auf die Schrift dringt um vieler willen, die sie mißbraucht haben und hinfort mißbrauchen möchten, ist recht und wohl getan. Doch daß man daneben die Gaben des heiligen Geistes, die er auf mancherlei Weise wirkt, nicht gar verwerfe, und daß man allerwege viel mehr auf den Inhalt und verstand der Schrift dringe, denn auf die Worte!""). Diesen Standpunkt haben dann auch die deutschen reformierten Gesangbücher eingenommen, so die kurpfälzischen und nassauischen, wie wir noch sehen werden« Psalmen und Lieder stehen als gesungenes Wort neben einander. Jeden­ falls sollten wie alle Stücke des Gottesdienstes so auch die evangelischen Kirchengesänge nicht auf Gemütsbewegungen frommer oder genialer Per­ sönlichkeiten, sondern auf das geschriebene Wort zurückgehen, und nicht zu frommen Seelenstimmungen, sondern zur Anbetung im Geist und in der Wahrheit führen. Darüber war man sich im reformierten wie im lutherischen Lager den Spiritualisten gegenüber einig. Ist so das schriftgemäße Lied das eigentliche Lied der Reformation, so mußte es in der Tat einen schweren Verlust für das evangelische Liedergut bedeuten, wenn der reinste Typus des Schriftliedes, der Psalmen­ gesang, einmal ausfallen sollte. Diese Erkenntnis wird sich uns schon jetzt aufdrängen. Der Auffassung Luthers vom evangelischen Lied als dem gesungenen Wort entspricht das Schaffen seiner Freunde und Anhänger und der Niederschlag in den lutherischen Gesangbüchern der Zeit. Vie Liederdichter der lutherischen Reformation haben uns bis in die Zeit des Pietismus immer wieder auch Psalmübertragungen geschenkt, es sei nur an Paul Gerhardt erinnert17). Und die eigenartige Lieder-Anordnung innerhalb der Luthe-

10 rischen Gesangbücher des Reformationsjahrhunderts wissen wir kaum zu deuten ohne diese Ruffassung vom evangelischen £teö18). Nehmen wir die zwei wichtigsten Gesangbücher heraus, die für die Gestaltung der luthe­ rischen Gesangbücher bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts vielfach maßgebend geblieben sind, das Wittenberger Gesangbuch von 1529, ge­ druckt bei Joseph Klug, und seine Fortsetzung, das Leipziger Gesangbuch von 1545, gedruckt bei Valentin Labst, dessen Neuherausgabe (im Bären« reiterverlag) wir in diesem Jahre erleben sollen. Das Klugsche Ge­ sangbuch von 1529 kennen wir nur aus einer guten Beschreibung aus dem Jahre 1788. Darnach hatte es folgende bezeichnende Rnordnung: Zuerst kamen die älteren, von Luther aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragenen Lieder („Hymnen"). Darnach „etliche Psalmen durch M. Luther zu geistlichen Liedern gemacht". Rlsdann folgten Lieder und Psalmen von Justus Ionas, Erh. Hegenwald, Joh. Rgricola, Laz. Spengler, Rdam von Fulda, den Markgrafen Kasimir und Georg von Brandenburg, Rndreas Knöpften und Elisabeth Ereutziger. Den Schluß bildeten nach jener Beschreibung Prosastücke: „die heiligen Lieder aus der hlg. Schrift, so die Patriarchen und Propheten vorzeiten gemacht haben"19). Das Babstsche Gesangbuch von 1545 lehnt sich in seinem 1. Teile an das letzte Klugsche Gesangbuch von 1543 an. (Es bringt zuerst Luthers Festlieder, Katechismuslieder und Psalmen (zusammen 35), an 2. Stelle 11 Psalmen und Lieder aus Luthers Kreis, an 3. Stelle die neu über­ tragenen Lieder der Riten, 13 an der Zahl, mit der prachtvollen Be­ gründung ihrer Rufnahme aus dem Klugschen Gesangbuch von 153320); es folgen Prosalieder aus der heiligen Schrift, schließlich die 14 Sänge aus Luthers Begräbnisbüchlein von 1542. Der 2. Teil des Babstschen Gesangbuches bietet 40 neue Lieder und Psalmen von Zeitgenossen. (Es ist damit nicht nur das wichtigste Liedergut auf dem Boden der lutherischen Reformation bis 1545 zusammengestellt: auch oberdeutsche Psalmendichter (Koltos, Dachstein, Reußner, (Breiter und Ghler) sind vertreten, die Lieder der Böhmischen Brüder sind stark herangezogen. Den Bibelliedern ist neben den Umdichtungen alter Kirchengesänge der breiteste Raum gewährt. Wir beschränken unsre Beobachtungen auf die eigentlichen Psalmlieder. Wir finden hier Luthers sämtliche Psalmübertragungen vor,unter den 32 neugedichteten Liedern der Zeitgenossen (Lieder der Riten und Böhmische Lieder ausgenommen) sind nicht weniger als 10 Psalmen — sie sind uns heute für den Gemeindegesang verloren gegangen —, ich nenne wenigstens die psalmdichter: Justus Ionas (Pf. 123), Erhard Hegenwald (ps. 51), Johann Kairos (ps. 128), Hans Sachs (Pf. 15), Rndreas Knöpften (ps. 2), Matthäus (Breiter (ps. 51), Wolfgang Dach­ stein (ps. 137), Ludwig Ghler (ps. 7), Rdam Reußner (ps. 31)21).

Luthers Anregungen, der Kirche biblische Lieder zu geben, haben sich -also zunächst in einer Reihe von biblischen Einzeldichtungen verwirklicht. Die 13 Psalmen von Hans Sachs vom Jahre 152622) seien be­ sonders erwähnt. 3u einem ganzen Liederpsalter ist es auf lutherischem Boden zunächst aber noch nicht gekommen, „ver gantz psalter, durch Johan Clausen, obersten Brandenburgischen Secretarium etc. gar ver st endlich auch geschicklich in Deutsche Vers oder Reimen gebracht" 1542, Leipzig bei Nikolaus wolrab, enthält keine Melodien, er ist also nur zur Erbauung bestimmt, und „der gantz Psalter Dauids, in gsangs wepse gestelt durchhansenGamersfelder", Nürnberg, im gleichen Jahre23), hat sich in der lutherischen Kirche nicht durchsetzen können23). 2.

Eine entscheidende Förderung hat der deutsche Psalmengesang auf Straßburger Boden gefunden, hier hat sich der Übergang vom Ge­ brauch einzelner Liederpsalmen zu einem ganzen Liedpsalter in der evan­ gelischen Gemeinde zuerst vollzogen23). Vas Straßburger „Deutsche Kirch en amt mit Lobgesängen und göttlichen Psalmen" hat bereits im Jahre 1525 neben Luthers Liederdichtungen Psalmen von Matthäus (Breiter, Ludwig Ohler, Heinrich Vogtherr gebracht23). Ludwig Ohler ist im 2. Teil des Kirchenamts mit seinen acht ersten Psalmen vertreten, die im gleichen Jahre auch gesondert erschienen23). Im Jahre 1526 bringt der Straßburger Verleger Wolff Köpfel, der an der Hebung des Straßburger Psalmengesangs außerordentlich beteiligt ist, ein Gesang­ büchlein heraus: „Psalmen, gebett und Kirchenübung wie sie zu Straßburg gehalten werden"23). Dem Psalmengesang als solchem wird in Straßburg besondere Bedeutung beigemessen. Vas geht aus der Vorrede zur Ausgabe unsres Gesangbüchleins von 1533 be­ sonders deutlich hervor, hier heißt es: „Wiewohl sonst geistliche Lieder, von Achtbaren und Geistreichen gemacht, hab ich derselben nicht viel mit­ gedruckt, auf daß die Gemein Gottes nicht wieder auf die Menschen geführt und zu Menschengedicht bewegt werde . . . wir sollen vermeiden allen Eingang neuer Abführung von Gott, so gewißlich vorhanden, wo etwas Glauben von Christo Jesu auf einigen Menschen gekehrt wird, sintemal wir als Menschen zu menschlicher Vertröstung bald sind ab­ zuführen, vorab so gemeiner Kirchenbrauch eben dahin fordern sollte, durch Annehmung menschlicher Gedichte, sie seien wie rein sie wollen und sein mögen. Gott helf uns, daß wir in der Schule des hlg. Geistes bleiben"29). Diese Worte lassen uns in das herz der Kreise schauen, die hinter dem Straßburger.Psalmengesang standen.

12 Was bringt dieses, wenn man will, biblizistischste aller Gesangbücher der Seit? (Es enthält 42 Lieder, davon 32 Liedpsalmen. (Es sind vertreten IRartin Luther mit 6 Psalmen (Pf. 12, 14, 67, 124, 128, 130), (Breiter mit 7 Psalmen (12, 51, 114, 115, 119 in 2 Versionen, 125), Ghler mit seinen ersten 8 Psalmen, Dachstein mit Ps. 9, 15, 137, Vogtherr mit ps. 71, 73, 139, Justus Jonas mit ps. 123, Michael Stiefel mit ps. 10, Ludwig Hetzer mit ps. 37, Joh. Frosch mit Ps. 46, ein Unbekannter mit ps. 119. Diese 32 Psalmen sind von 10 Liedern umrahmt: in der Haupt­ sache Schristlieder: Luthers 10 Gebote, „Gott sei gelobt und benedeit", „Nun bitten wir den hlg. Geist", Speratus mit „(Es ist das heil uns kommen her", pollio mit einem Vaterunserlied und dem Lobgesang der Maria, Joh. Englisch mit Beneöictus und Nunc dimittis, endlich Ambrosianischer und Augustinischer Lobgesang in der Brenzschen Übersetzung. Unter den Psalmen befinden sich die perlen des ältesten deutschen evangelischen Psalmengesangs. 3n seinen späteren Gesangbüchern hat der Buchdrucker Köpfe! seinen extremen Standpunkt dem Liede gegenüber nicht mehr aufrecht erhalten. Wir spüren die vermittelnden Butzerschen Einflüsse. In der Vorrede zum Psalter von 1539 spricht es Köpfei ausdrücklich aus: „Weil der hl. Paulus nicht allein zu den Psalmen, sondern auch zu andern geistlichen Liedern ermahnet, welchen Brauch der Kirchen auch der h. Märtyrer Tertullianus meldet, habe ich solcher geistlicher Lieder auch etliche, alte und neue, in dies Gesangbuch drucken wollen, doch nur die bewährten, und die nicht allein den reinen schriftlichen Sinn in sich halten, sondern auch die Hrt und Kraft des h. Geistes etwas gewaltiger beweisen"30). Das letzte Urteil ist beachtenswert. (Es steht in Zusammenhang mit neuen Straßburger Anregungen, auf die wir nun zu sprechen kommen. Im Jahre 1537 erschien ein erster vollständiger Liederpsalter „Der gantz Psalter, das ist alle Psalmen Dauids, an der zal 150 mit sein gebundenn silben ond reimen, aigentlich zu Teutsch Gsangpsalmen . . . mit verzaichnus, in was von oder Melodey ein yeder soll vnd mög gesungen werden"31). Herausgeber dieses Psalmbuches waren der Schwabe Joachim Aberlin, der selbst mit 69 Psalmen am stärksten beteiligt ist, und Sigmund Salminger, Musiklehrer in Augsburg. Auch der Augsburger Pfarrer Jakob Vachser kommt für die Herausgabe dieses Psalters mit in Frage33). Er hat selbst ein Jahr später einen eigenen Psalter herausgegeben33). Salminger und vachser gehörten bis zu ihrem Widerruf der Augsburger Wiedertäufergemeinde an, sie stehen diesen Kreisen auch später geistig noch nahe. Davon legt auch der Psalter von 1537, gewöhnlich als Salmingerscher zitiert, in seinem neuen Psalmengut Zeugnis ab. Die Herausgeber des Salmingerfchen Psalters haben so gearbeitet, daß sie zunächst einmal die bereits vorhandene

Psalmendichtung heranziehen. Sie fügen dann ihre eigenen, auf gründ­ lichen exegetischen Studien, wie sie hervorheben, beruhenden Psalmübertragungen hinzu, die freilich dichterisch wertlos sind. Infolge Parallel­ notierungen kommt dann die Gesamtzahl von 174 Psalmen heraus. Neben ben von uns bereits genannten Psalmendichtern der Wittenberger und Straßburger Reformation begegnen uns hier folgende Dichter neu34): Ambrosius Blautet, Clauß Keller, Fritz Jacob v. Anweil, Johann End­ lich, Johann Schweinitzer, huldreich Zwingli, Johannes Botzheim, Jo­ hannes Xilotektus, Johann Zwick, Wolfgang Capito, Leo Jud, Thomas Blaurer, dazu die schon genannten Herausgeber. vielleicht wäre der Salmingersche Psalter zu keiner weiteren Be­ deutung gelangt, wenn nicht der uns schon bekannte Straßburger Drucker und Verleger Wolfgang Köpfe! in seiner besonderen Liebe für den Psalmengesang diesen Psalter vorgenommen und kurzer Hand sämt­ liche Psalmen dieser Sammlung im Jahre 1538 als 2. Teil des Straß­ burger Gesangbuchs abgedruckt hätte, ausgenommen die bereits im Straß­ burger Gesangbuch aufgenommenen Psalmen33). So wurde dieser Psalter täuferischer Herkunft in das Straßburger Liedergut einverleibt und machte die Geschichte der Straßburger Lieder mit. 3m Jahre 1539 tat Köpfe! den zu erwartenden nächsten Schritt, er verarbeitete den Salmingerschen Psalter mit den bisherigen Straßburger Psalmen zu einem Straßburger Gesamtpsalter, dem ersten Teil seines neuen Straß­ burger Gesangbuchs, dem dann als Zweiter Teil die geistlichen Lieder folgten33). Dieses Gesangbuch ist nun dadurch wieder zu einer besonderen Bedeutung gelangt, daß es — nach Hollwegs höchst verdienstlichen Nach­ weisen — die Vorlage für das berühmte Bonner Gesangbuch von 1544 wurde, hier begegnen wir denn auch den Psalmendichtern des Straßburger, des Wittenberger und des täuferischen Liederkreises: Aberlin mit 69 Psalmen, Bachser mit 41, Hans Sachs mit 11, Salminger mit 10, Luther und Ghler mit 8, (Breiter mit 7, waldis mit 5, Dachstein, Meuslin, Reußner und Vogtherr mit 3, Agricola und Leo Jud mit 2, Knöpken, Thomas Blaurer, Hetzer, Frosch, Hegenwald, Dietrich, heyd, Gramann, Schweinitzer, Jonas, Kairos, Huber mit je einem Psalm und 17 Ungenannte, zusammen 204 Psalmen 3H. Das Bonner Gesangbuch von 1544 beweist damit auch für den Psalmenteil seinen bekannten Reich­ tum, eine Zusammenfassung der gesamten bisherigen Tradition zu sein. Nicht umsonst galten der Tradition Melanchthon und Butzer als beteiligt am Zustandekommen dieses Gesangbuchs, obwohl von einer unmittelbaren Mitarbeit nicht wohl geredet werden darf33), wir haben ein Recht, das Bonner Gesangbuch seiner Bedeutung nach unmittelbar neben das Babstsche Gesangbuch aus dem gleichen Jahrzehnt zu stellen. Das Marburger

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Gesangbuch von 1549, das durch die alphabetische Ordnung der Lieder und Psalmen auffällt, steht an Bedeutung weit hinter ihm zurück Mit dem Bonner Gesangbuch hat der Straßburger Psalter von 1539 eine weitere Wanderschaft angetreten. Das alte kurpfäl­ zische Gesangbuch, 1567 und später in Heidelberg und dann in Neustadt a. d. h. gedruckt, folgt dem Bonner Gesangbuch. So werden diese Psalmen Eigentum der pfälzischen Kirche. Auf die Einwirkung des Bonner Gesangbuchs auf die Niederländische Gesangbuchs­ entwicklung konnte gleichfalls Hollweg Hinweisen"). In Straß­ burg selbst war inzwischen zeitweise eine rückläufige Bewegung in Bezug, aus die Aufnahme der Psalmen in die Straßburger Gesangbücher ein­ getreten. Das berühmte Straßburger Gesangbuch von 1545 hat nur noch 29 Psalmen, das von 1560 35. Es war eine starke Sichtung erfolgt. Die Salmingerschen Psalmen fehlen ganz. Die 35 Psalmen aus dem Gesangbuch von 1560 verteilen sich wie folgt: 9 Psalmen von Luther, 6 von Gleiter, 3 von Dachstein und Dogtherr, 2 von GHIer, je einer von Justus Ionas, Agricola, Knöpften, Veit Dietrich, K. Humbert, Waldis, Reußner, Hegenwald und vier namenlose Psalmen. Dagegen liegt der Bonner Psalter dem 1568 bei Larolus Acker in Straßburg er­ schienenen Gesangbuch wieder vor»). Einen nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung des Psalmengesangs hat Straßburg durch den von dort ausgegangenen Psalmengesang der Kirche Lalvins gewonnen. Ehe wir auf ihn zu sprechen kommen, müssen wir aber noch eines höchstbedeutsämen Zweiges der deutschen Psalmendichtung gedenken, -er gleichfalls in mannigfacher Wechselbeziehung zu Straßburg stand, des Psalmliedes des Konstanzer-Züricher Lieder­ kreises. In Zürich erschien 1540 ein „Nüw gsangbüchle von vil schönen Psalmen vnd geistlichen liebern, durch ettliche diener der Kirchen zu Lostentz vnd anderstwo mercklichen gemeert, gebessert und in gschickte Ordnung zesamen gestellt" gedruckt bei Lhristoffel Zroschouer"). Es muß angenommen werden, daß bereits eine ältere Ausgabe von 1536 oder 1557 vorausging"). Herausgeber sind die Konstanzer Pfarrer Johan­ nes Zwick und Ambrosius Blaurer. Wir finden bei ihnen das Liedergut des Wittenberger und Straßburger Liederkreises, denen eigene, in ihrer Schönheit neuerdings wieder erkannte») Lieder, biblische und freie, beigefügt sind. Unter den Psalmen (67) befinden sich sämt­ liche Luthers, eine große Zahl von Hans Sachs und die bekanntesten des oberdeutschen Kreises. Zu den uns schon vom Straßburger Gesang­ buch her bekannten Psalmdichtern treten Ambrosius und Thomas Blaurer hier neu hinzu. Die (Dränung dieses Züricher Gesangbuchs hat eine ge­ wisse Berühmtheit erlangt und stellt die Schätzung des Bibelliedes in ein besonderes Licht. Der erste Abschnitt enthält Lieder, die allein un-

bedingt in der Kirche benutzt werden können, es sind die Psalmen. Der 2. Abschnitt bringt Lieder, deren etliche im Gottesdienst, etliche außerhalb an Stelle der schändlichen Weltlieder gesungen werden sollen; der 3. Teil enthält solche Lieder, die zwar ganz christlich und schrift­ gemäß sind, aber sich nicht zum Gebrauch im Gotteshaus eignen. Die im Zwickschen Gesangbuch zu einem vollständigen Psalter noch fehlenden Psalmen hat im Jahre 1 559 der Basler Pfarrer Conrad Wolffhart im 1. Teil eines im gleichen Züricher Verlage erscheinenden Ge­ sangbuchs ergänzt"). Die von Wolffhart hinzugefügten Psalmen entstammen großenteils dem wertvollen vollständigen Psalter von Bur­ kard Waldis, der im Jahre 1 553 bei Egenolff in Frankfurt a. Hl. herausgekommen war: „Der Psalter, 3n Rewe Gesangs weise vnd künst­ liche Reimen gebracht, durch Burcardum Waldis. Mit jeder Psalmen be­ sonderen Melodien ..." 3n Burkard Waldis begegnen wir einem be­ gnadeten Psalmendichter, der es wert ist, in unsrer Zeit wieder zu Ehren zu kommen. Um 1490 zu Ullendorf an der Werra in Hessen geboren, finden wir ihn um 1523 als Franziskanermönch in Riga, hier trat er zur Reformation über. Anfang der vierziger Jahre studierte er noch einmal Theologie in Wittenberg und wurde im Jahre 1544 als Pfarrer und Propst zu Abterode eingeführt. Als Dichter hat er sich durch ein Mysterienspiel vom verlorenen Sohn und seine 400 Fabeln des Asop hervorgetan. Seine Psalmendichtungen erfreuen sich großer Anerkennung von Seiten berufener Literarhistoriker. So urteilt Vilmar in seiner „Geschichte der Deutschen Nationalliteratur""): „Er dichtete den ganzen Psalter in Lieder des kunstreichen, frei nach alter Minnesängerart, aber streng durchgeführten dreiteiligen Strophenbaues um, durchgängig in gebildeter, würdiger, oft edler Sprache, ohne an die gleichzeitige unge­ schickte Steifheit, die bald der Worte zuviel, bald zu wenig besitzende Unbehilflichkeit und Mattigkeit, an die ängstliche Peinlichkeit und Silben­ stecherei der Meistersänger auch nur durch die leiseste Anlehnung zu er­ innern". Burkard Waldis war nicht nur Dichter, sondern auch Sänger. Er erfand selbst die Melodien zu seinen Psalmen, jedenfalls kennen wir bis heute keine fremde (Quelle für sie. wir bewundern auch jetzt noch den Melodienreichtum dieses Mannes, dessen Psalmen int 16. und 17. Jahrhundert in vielen lutherischen und reformierten Kreisen gesungen wurden und die noch heute vereinzelt in der schwedischen und finnischen Kirche in Gebrauch sind. 3n Deutschland sind sie so gut wie vergessen, vielleicht ist hier der (Ort, ehe wir zum Psalmengesang Calvins über­ gehen, ein Wort über die psalmenbereimung der Zeit zu sagen. Die hymnologische Forschung hat sich in ihrem breiten Strom dazu noch wenig geäußert. Umso wertvoller sind die Ansätze zu einer Beurteilung, wie wir sie sowohl in dem ausgezeichneten Buche von Hollweg wie in der

16 Untersuchung von h. Weber finden"), tj. Weber macht darauf auf­ merksam^), daß das Vorhandensein einer Liedersammlung in der hlg. Schrift den Gedanken wecken mußte, besonders beim Erklingen eines neuen Kirchengesangs, sie in neue passende Formen zu gießen. „Der edle dichterische Gehalt lockte, was in diesen frommen Gesängen als einst Erlebtes auftrat, das wiederholte sich immer wieder, und diese Worte und Klänge der Lobpreisung, der Klage, des Flehens bewährten ihre Unzerstörbarkeit und ihre Kraft stets aufs neue. Man durfte in zahlreichen Fällen gerade die schon vorhandenen Worte beibehalten und in treuem Anschlüsse in die deutsche Versform umgießen. (Ober man tat einen Schritt weiter, man verglich mit den damaligen Zuständen die jetzigen,' der Fromme hatte Leiden zu erdulden, Verfolgungen zu er­ tragen wie einst, Feinde Gottes und der göttlichen Wahrheit gab es nicht nur für den frommen Israeliten, sondern auch für den Bekenner des lauteren Evangeliums. Anderen eröffneten sich von dem Buchstaben der Psalmen aus weite Ausblicke, an sie angelehnt wagten sie auf den Fittichen ihres Glaubens und ihrer Dichtergabe den Flug zu neuen Psalmen und Lobgesängen, die erwachsen waren aus dem Alten und doch neu waren." „Dieses dreifache Verhalten zum (Original ist nicht immer -er wirklich geschichtliche Gang gewesen, und nicht überall hat sich die letzterwähnte Selbständigkeit erst aus den Vorstufen größeren oder ge­ ringeren Festhaltens am Buchstaben ergeben,' wohl aber lassen sich diese drei Grundformen in der betr. Psalmbearbeitung deutlich erkennen." h. Weber hat hier Gesichtspunkte zur Beurteilung der Psalmendichtung gefunden, die sich recht wohl zur Würdigung der Dichtung dieser Art benutzen lassen, wir unterscheiden mit ihm zunächst eine erste Gruppe die bestrebt ist, den Psalmtext mög­ lichst getreu wiederzugeben, Zu dieser Gruppe sind zu zählen Hans Sachs, der Übersetzer von 13 Psalmen ^) — seine Psalmübertragungen gehören zum schwerfälligsten seiner Dichtung —, Erhard Hegen­ wald, der Schweizer, der den Wittenbergern nahe stehtso), und dessen 51. Psalm uns in den Erfurter Enchiridien, im Lhorgesangbüchlein von 1524, im Klugschen Gesangbuch von 1529 und im vabstschen von 1545 be­ gegnet, Andreas Knöpken aus der Neumark"), ferner aus dem Straßburger Kreis Ludwig Ohler"), Wolfgang Dachstein") und Wolfgang Muskulus"). Man wird dieser Gruppe auch Hans Gamersfelder") und die Dichter des Salmingerschen Psalter­ kreises an die Seite stellen müssen, sofern sie bei ihrer Psalmübertragung auf treue Exegese Wert legen, also Sigmund Salm in g er"), Joachim Aberlin") und Jakob Dachser58). Eine zweite Gruppe psalmendichter ist zwar auch am bib­ lischen Text orientiert, sie will aber nicht nur Übersetzer sein, sie

versucht vielmehr gleichzeitig ein Eigenes an Auslegung und -ichterischer Gestaltung, hinzuzufügen, wenn auch be­ scheiden und unsicher, hier sind wieder in erster Linie Straßburger psalmendichter zu nennen, der Maler, Formschneider und Buchdrucker Heinrich Vogtherr, dessen Übertragungen des 71., 73., 139. Psal­ mes sich in den alten Gesangbüchern großer Beliebtheit erfreute59), der Basler Johann Ko Itos60), besonders bekannt durch seinen 127. Psalm „Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst", und der Straßburger Matthäus (Breiter61). Auch Lazarus Spengler mag man dieser Gruppe zurechnen59) und Martin Triller von (Bora, der uns in dem „schlesischen Singebüchlein aus göttlicher Schrift", Breslau 1555, eine Reihe Psalmen schenkt59). Einen gewichtigen Schritt weiter geht eine 3. Gruppe. Auch sie nimmt den Psalmtext zum Ausgangspunkt, allein sie begnügt sich nicht mit der Übersetzung, sondern bildet den Text zugleich religiös um entsprechend den Erkenntnissen der Zeit oder wendet das Psalmwort alsbald auf die Gegenwart an. 3n dieser Gruppe finden sich einige große vichternaturen. hier ist Burkard Waldis noch einmal zu nennen, dessen Psalmen den Geist echter reformatorischer Frömmigkeit tragen, wie denn sein 19. Psalm also jubelt: „Gott Lob, daß uns jetzt wird verkundt / Die evangelisch Lehre!"64). hierher gehört auch Adam Reußner, der Geheimschreiber Georg von Frundsbergs, mit seinen eindrucksvollen Psalmen55), Leo Jud aus Zürich55), Justus Ionas, der Freund Luthers, mit seiner oft scharfen Polemik gegen das Papsttum in der Psalmauslegung („Da Trientisch Konzilium / schweigt und lobet die Sünd zu Rom" aus Pf. 20) 57), Michael Stiefel, der den 10. Psalm zu einem Reformationslied umgedichtet hat55). Auch Ludwig Hetzer, der Wiedertäufer, hat uns in seinem 37. Psalm ein echt reformatorisches Kampflied geschenkt59). Höhepunkte reformatorischer Dichtung haben wir vollends bei Ambrosius und Thomas Blau« rer70). Die Krönung dieser Dichtung sind ohne Zweifel Martin Luthers Psalmübertragungen. Geben wir abschließend noch einmal h. Weber das Wort: „So hatte sich denn auf Grund der alttestamentlichen Psalmen in diesen Psalm­ liedern der Reformationszeit eine ganze, in der Tat treffliche Literatur gebildet. Allerdings ist sie bald einem mächtigeren Gegner unterlegen, aber nicht darum, weil dieser Gegner, die Psalmbearbeitungen Lobwassers, ihr und ihren einzelnen Erzeugnissen überlegen gewesen wäre, sondern weil sie als Kirchenlieder der tragenden Tonweise entbehrten, welche Lobwassers Psalmen in so ausgezeichneter Weise besaßen"71). — Damit haben wir den Boden bereitet zum Verständnis der weiteren Entwick­ lung des Psalmengesangs.

18 3.

Eine ruhmreiche Geschichte brach für den Psalmengesang an, als Calvin sich für ihn einsetzte und ihn zum gottesdienstlichen Gesang seiner Kirche machte. Man wird nicht sagen dürfen, daß Calvin die erste Anregung zum Psalmengesang von Straßburg, etwa während seines dortigen Aufenthaltes 1538—1541, empfing. Bereits am 16. Januar 1537 hat Calvin ein Memoire über die Organisation der Kirche in Genf an den Rat gerichtet und dabei den Psalmengesang gefordert. Der Papst, heißt es hier, habe die Kirche eines großen Trostes beraubt durch die Einrichtung, daß nur die Priester Psalmen und zwar unverstandene murmeln. Damit die Gemeinde wieder mit Mund und herz singe, müsse man die Kinder Psalmen lehren, bis allmählich auch die Erwachsenen einstimmten ’*). Ging also dem Straßburger Aufenthalt Calvins die Absicht der Einführung des Psalmengesangs schon voraus, so hat doch Calvin in Straßburg in dieser Hinsicht entscheidende Eindrücke gewonnen, hier in Straßburg lernt Calvin den deutschen psalmengesang der Straßburger Gemeinde kennen und nimmt hier seine Be­ mühungen zur Einführung des Psalmengesangs in der französischen Kirche tatkräftig auf. 3m Herbst 1539 (27. Oktober) äußert Calvin sich unwillig an Farel in Ueuchätel, ein gewisser Michel sei saumselig ge­ wesen, 100 Psalmexemplare nach Genf zu schicken. Am 19. Dezember 1539 schreibt er an die gleiche Adresse, er habe Psalmen geschickt, damit sie zuerst in Ueuchätel gesungen und von da nach Genf geschickt würden73). Um welchen Psalter handelt es sich hier? Die Frage kompliziert sich durch die gleichzeitige Bemerkung Calvins, „wir haben vor, dieselben nächstens herauszugeben" („Statuimus enim brevi publicare“). War man früher der Meinung, daß es sich um eine Verbreitung öon hand­ schriftlichen Psalmen gehandelt habe, so wissen wir heute durch die aus­ gezeichneten Untersuchungen Douens in seinem zweibändigen Werke über Clement Marot und den hugenottischen Psalter, daß sich Calvins Be­ merkungen auf einen im Jahre 1 539 in Straßburg anonym erschienenenpsalter beziehen müssen: „Aulcuns Pseaulmes et Cantiques mys en chant“, an dessen Zustandekommen Calvin irgend­ wie beteiligt ist. Jene auffällige Bemerkung einer späteren Herausgabe bezieht sich ohne Zweifel auf besondere kirchliche Absichten Calvins. Dieser französische Psalter von 1539 enthält nun 12 Psalmen von (Element Marot, dem französischen hofdichter, der bereits seit 1533 sich mit der Übertragung von Psalmen beschäftigte, unbeeinflußt von Calvin, wie überhaupt der französische Psalmengesang zunächst noch nicht unbedingt als Sache des neuen Glaubens galt. Man sang am Hofe mit Lust Psalmen. Marot veröffentlichte seine 30 ersten Psalmen erstmalig

im Jahre 1541. Bereits zwei Jahre zuvor erschienen, wie wir sahen, in Straßburg jene 12 Marotschen Psalmen,- sie trugen nicht seinen Namen. Die eigenartige Tatsache, daß hier unter Mitwirkung Lalvins Psalmen Marots herausgegeben werden, ehe Marot selber zur Publikation über­ gegangen war, bedarf einer Erklärung. Wir dürfen dabei den lichtvollen Untersuchungen PH. Bug. Beckers in seiner Abhandlung „Element Marots Psalmübersetzung" 7‘) und seinem umfassenden werk „Element Marot, sein Leben und seine Dichtung"7$) folgen. Becker kann aus ein Zeugnis des Genfer Buchdruckers Jean Girard vom Jahre 1539 Hinweisen 7°), daß er unter anderen werken, die in den drei letzten Jahren bei ihm ge­ druckt wurden, auch die „Saulmes de Marot“ vervielfältigt habe. Außer jener Straßburger Ausgabe Marotscher Psalmen sind noch eine Ant­ werpener Ausgabe von 1541 in zwei Auflagen und eine Lyoner von 1542 bekannt, die nicht auf die offizielle Pariser von 1541 zurückgehen. Das Rätsel dieser Ausgaben löst die Annahme einer früheren Urausgabe, von der die Genfer, Straßburger, Antwerpener und Lyoner dieser Jahre Nachdrucke sind, die auch in Texteinzelheiten gegenüber der offiziellen Ausgabe von 1541 übereinstimmen, wir fragen nur nach dem verbleib dieser Erstausgabe Marotscher Psalmen, von der wir nirgends Spuren entdecken können. Mit Becker dürfen wir zur Erklärung eine Notiz heranziehen, nach welcher im Jahre 1538 bei Jean Morin in Paris ein werk Marots beschlagnahmt wurde77). Sollte dieses beschlagnahmte werk nicht die verschwundene Erstausgabe der Marotschen Psalmen sein, von der Einzelstücke sich nach Genf, Straßburg, Antwerpen, Lyon retten konnten und dort zum Nachdruck kamen? So erklärte sich auch die gewahrte Anonymität der Straßburger Ausgabe. Marot selber hat dann in den Jahren 1538—1541 allerlei Korrekturen an seinem Manu­ skript vorgenommen, die uns dann in der offiziellen, von der Zensur gebilligten Ausgabe bei Rosset in Paris vom Jahre 1541 begegnen, die aber bei den früheren Nachdrucken fehlen. Becker ist in der Lage, noch eine zweite sehr interessante Merk­ würdigkeit aufzuklären. Es mußte immer auffallen, daß der sittenstrenge Talvin eine besondere Vorliebe für die Psalmen des Höflings Marot hegte, dessen Liebeslieder gewiß nicht im Stile der Genfer waren. Abgesehen davon, daß Marot mit seiner Psalmdichtung auch innerlich eine neue Liedgattung in den Mittelpunkt stellen wollte, war Marots Psalm­ übersetzung auch exegetisch eine Tat, die den Reformator aufs lebhafteste bewegen mußte. PH. Aug. Becker hat den Nachweis erbracht7'), daß Marot in seiner Psalmübertragung sich aufs treuste an den im Jahre 1529 herausgekommenen Psalmenkommentar von Nutzer, dem Freunde Lalvins, angeschlossen hat, und bereitet uns damit eine kleine theologische Überraschung. Er schreibt in seiner Marotbiographie79): „Nutzer wurde

20 Marots Führer und ständiger Wegweiser. Das Abhängigkeitsverhältnis steht außer Frage . . . von Marot können wir sagen, daß er von -er ersten bis zur letzten Stunde ununterbrochen mit Butzer in der Hand gearbeitet hat . . (Es ist sehr instruktiv, sich von PH. Hug. Lecker auch die Frage beantworten zu lassen, was diese Abhängigkeit von Butzer bedeutete. Becker schreibt80): „wenn wir uns nun aber fragen, was Butzer dem Dichter bieten konnte und ob er der rechte Wegweiser für ihn war, so müssen wir uns sein Verfahren als Psalmenausleger darauf­ hin etwas näher ansehen. Und da ist wohl zunächst Butzers Bestreben hervorzuheben, den Psalm an sich, nach seinem eigenen Sinn und mit seinem besonderen Stimmungsgehalt zu erfassen . . . Der allegorischen und mystischen Auslegung geht der nüchterne Straßburger Reformator geflissentlich aus dem Wege- selbst die typologische Deutung auf Christus, die z. B. der Lutherschen Psalmübersetzung ihr Sondergepräge gibt, ist meistens nur angedeutet,- dogmatische Nebengedanken liegen Butzer durch­ aus fern. Die Psalmen sucht er so zu verstehen, wie sie der Sänger in der Stunde empfand, wo er die Psalmworte niederschrieb. Darum achtet er vor allem auf die geschichtliche Voraussetzung und richtet sein Augen­ merk mit besonderem Fleiß auf den Zusammenhang der Gedanken und die Eigenart der Affekte. Die Einzelerklärung ordnet er dem Gesamt­ verständnis unter . . . Unter allen Auslegern der Zeit konnte Marot tatsächlich keinen besseren Führer finden." wir werden uns daran zu erinnern haben, wenn wir von der weltweiten Wirkung des französischen Psalters zu reden haben. Marot hat ihn in der Tat auf eine beispiellose höhe geführt. Doch kehren wir zu unsern Ausgangspunkten zurück! was den Straßburger Psalter von 1539 neben Marots Psalmen noch besonders interessant macht, sind die 5 weiteren Psalmen, Benedictus und Dekalog, die gleichfalls keinen Verfassernamen tragen. Sie stammen aller Wahrscheinlichkeit nach alle von Lalvin selbst8l). Es sind die Psalmen 25, 36, 46, 91, 138. Ium Beweis darf auf jenen schon er­ wähnten Brief Calvins an Farel vom 15. Dezember 1539 hingewiesen werden: „weil mich die deutsche Sangsweise mehr ansprach, wurde ich genötigt, zu versuchen, was ich im Dichten vermöchte. So sind 2 Psalmen, Pf. 46 u. 25, meine Erstlingsversuche. Andere fügte ich nachher bei"82). hier ist zunächst die Tatsache interessant, daß sich Lalvin als psalmen­ dichter bekennt, und dann die Begründung, die Bevorzugung der deutschen Melodien! 3n der Tat übernimmt dieser Psalter folgende Straßburger Melodien: Ps. 36: die berühmteste aller Psalmmelodien: „® Mensch bewein dein Sünde groß", die Hugenottenmelodie Kat' exochen, die durch Bachs Passion Unsterblichkeit erlangt hat- ps. 25: „Nun welche hier ihr Hoffnung gar",- ps. 90: „® herre Gott, begnade mich"; ps. 113:

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„Aus tiefer Not schrei ich zu dir": PL 138: „Da Israel aus Egypten zog". Auch die Melodie zu den 10 Geboten und dem Lredo wurde aus der deutschen Straßburger Liturgie übernommen, vergessen wir nicht, daß der deutsche Psalmengesang dem französischen hier Pate gestanden! Nennen wir kurz die wichtigsten Etappen bis zur Schaffung des offiziellen Genfer Psalters. 1542 erschien in Genf die erste Ausgabe der „Forme des prieres et chantz ecclesiastiques“. Utarot, der inzwischen nach Genf übergesiedelt war83), lieferte dazu 30 Psalmen, Credo und Unser Vater, Lalvin, 5 Psalmen, Benedictus und vekalog. Vie Genfer Ausgabe von 1543 hat diese Psalmen Calvins nicht mehr. Calvin hat sich wohl hier der größeren Kunst Nlarots gebeugt. Nachdem Nlarot Genf verlassen und bald darauf das Zeitliche gesegnet hatte, setzte Beza dessen llbersetzungswerk fort. 34 von ihm bearbeitete Psalmen er­ schienen 1551; bis 1562 hatte er sein Werk vollendet. Sein Schaffen blieb freilich weit hinter der Dichtung des feinsinnigen Nlarot zurück. Der Lyoner Drucker Antoine Vincent erhielt ein königliches Privileg für die Herausgabe des fertiggestellten Psalters. Als tüchtiger Geschäfts­ mann ließ er den vollendeten ganzen Psalter 1 562 gleich­ zeitig in Genf, Paris und Lyon erscheinen. Nlarot und Beza werden nebeneinander als Verfasser genannt. — Der Erfolg dieses Psalters über­ traf alle Erwartungen. Bis zum Jahre 1565, also für 3 Jahre, können bereits 62 verschiedene Ausgaben nachgewiesen werden^). Keinem Lieder­ buch der Welt dürfte ein solcher Erfolg bislang beschicken gewesen sein. Vie Ausbreitung des Psalters machte an den Sprachgrenzen nicht halt. Schon 1565 kam die holländische Übersetzung von Petrus vathenus heraus. Englische, dänische, polnische, ungarische, italienische, lateinische folgten. 3n die Kolonialländer drang der Psalter. In ins­ gesamt 22 Sprachen ist nach Hollweg dieser Psalter ausgegangen88). Der Psalter Calvins wurde zu einem wahrhaft ökumenischen Band aller Völker und bewährt seine ökumenische Bedeutung noch heute für die protestantischen Kirchen, die sich seiner bedienen. Vie evangelische Welt hatte im Genfer Psalmbuch ein einzigartiges Einheitsgesangbuch emp­ fangen, dessen Bedeutung auch in unsern Tagen noch nicht ausgeschöpft ist.

4.

Auch für Deutschland begann mit dem Eindringen des Genfer Psalters eine neue Epoche im Psalmengesang. Auf deutschem Boden brachte als erster Mellissus (Paul Schede) 1572 in Heidelberg 50 Psalmen nach den Genfer Melodien deutsch heraus88). Ein Jahr darauf erschien in Leipzig bei Hans Steinmann „Der Psalter deß Königlichen Propheten vauids, in deutsche reymen verstendiglich und deutlich gebracht . . . durch den Ehrnuesten Hochgelarten Herrn Ambrosium

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Lobwasser ..."«’). Mit diesem Psalter, der dem Herzog Albrecht von Preußen gewidmet war, eroberte sich der Genfer Psalmengesang in Deutschland die Herzen. Vie Melodien des Genfer Psalters von 1562 sind getreu wiedergegeben. Der ersten Leipziger Ausgabe folgten als­ bald neue beim gleichen Verleger"). Der Heidelberger Verleger Matthäusharnisch erkennt die große Bedeutung dieses Buches und liefert bereits ein Jahr nach Erscheinen des ersten Lobwassertextes eine kleine handliche Neu-Ausgabe. Mit ihr faßt der Lobwasserpsalter in der refor­ mierten Pfalz Boden. 1576, 1582, 1585 werden neue Auflagen nötig, von denen Harnisch die beiden letzteren in Neustadt an der Haardt herausbringt. Vie 4. Ausgabe (1585) ist dem Nurfürsten Friedrich von der Pfalz gewidmet in Anbetracht dessen, daß er in seiner Hofkapelle und in den Rirchen hin und her die Lobwasserpsalmen gebrauchen lasse. Wir schauen hier in einen Prozeß hinein, der sich nun allenthalben vollzieht: die Verdrängung der bisher gebrauchten deutschen Psalmen durch den Lobwasserpsalter. Ein wichtiger vurchgangspunkt für diesen Prozeß ist das pfälzische Gesangbuch aus Harnischs Druckerei in Neustadt aus den Jahren 1583/158689). An den Lobwasser­ psalter ist hier ein besonderer Liederteil angefügt, nämlich ein Auszug aus dem bisherigen pfälzischen Gesangbuch, dessen Abhängigkeit von dem Bonner Gesangbuch uns noch erinnerlich ist. Harnisch führte dieses Ver­ lagswerk im Auftrag des Grafen Johann des älteren von Nassau-Villenburg aus. Es ist dies der erste Fürst, der den Lobwasserpsalter offiziell in seinen Landen einführte, und zwar im Jahre 1582. AIs Graf Johann im Jahre 1586 aus seiner neubegründeten Druckerei in Herborn ein neues eigenes Gesangbuch ausgehen ließ, druckte er (nach den Untersuchungen von Hollweg) das Neustädter Gesangbuch von 1583/86 mit nur kleinen Änderungen ab. Das so entstandene Gesang­ buch ist das berühmte bei Christoph Raben in Herborn erschienene sog. Herborner Gesangbuch. Mit diesem Gesangbuch, das in un­ zähligen Auflagen und Nachdrucken über 100 Jahre lang den deutschen reformierten Rirchengesang beherrschte, ja, wie Hollweg99) mit Recht sagt, die Bedeutung eines deutschen reformierten Einheitsgesangbuchs gewann, errang der Lobwasserpsalter seine beherrschende Stellung in Deutschland, hier war er zudem eine Verbindung mit einem Liederteil eingegangen, der seiner Geschichte nach (Bonner Tradition!) die gesamte Liederdichtung der Reformationsepoche in guter Auswahl brachte. Diese Verbindung hat die reformierten Gemeinden Deutschlands vor der Ein­ seitigkeit bewahrt, nur dem Psalmengesang zu huldigen. Das reformierte und das lutherische Liedererbe verbanden sich miteinander 9H. Die Vorherrschaft des Lobwasserpsalters sollte die bisher gesungenen deutschen Psalmen nicht zum verschwinden bringen. Man fügte sie ent-

weder dem Liederteil ein — durch solche (Einfügung ging freilich die Bewußtheit des Psalmensingens verloren, sobald man nicht mehr daneben einen besonderen Psalterteil benutzte —, oder aber man gab den Lob­ wasserpsalmen einen Anhang sog. alter Psalmen bei, in dem dann ins­ besondere Psalmen Luthers vertreten waren. So nahm das Neustädter Gesangbuch von 1583 die alten Psalmen neben den neuen auf92). Lob­ wasser selbst fügte in seiner ersten Ausgabe die bekanntesten alten Psal­ men und Lieder. (81 Nummern) in einem Anhang bei. Der großen Be­ deutung Lobwassers entsprach es, daß seine Psalmen auch gelegentlich in Lutherische Gesangbücher ausgenommen wurden, insbesondere Psalm 20 „Der Herr erhör dich in Gefahr", Ps. 91 „Wer in des höchsten Hut", Pf. 42 „wie nach einer Wasserquelle". Lobwasser hat sich viel Kritik gefallen lassen müssen. Für uns heutige ist seine Sprache ohne Zweifel ungenießbar geworden. Sie trägt nicht das überzeitliche Gewand der Luthersprache. Auch für die damalige Zeit war sie in manchem schwer und mit dem Makel der Übersetzung behaftet, aber sie hatte ihre besondere Bedeutung. Der viel­ fach ungerechten Kritik des Lobwasserpsalters gegenüber mag das Urteil eines modernen Literarhistorikers hier Platz finden. 3h feinem Buche „Don der Mystik bis zum Barock" redet Wolfgang Stammler") von dem Widerstreit der Alten und der Neuen in der Literatur der damaligen Zeit und führt folgendes aus: „Die einen bleiben beim Alten Die Sprache wird oft gemißhandelt, um die rechte Silbenzahl heraus­ zubekommen, und auf Übereinstimmung von Wort- und Dersbetonung wird selten geachtet. Demgegenüber setzt sich eine junge Richtung mehr und mehr durch, die von den Psalmenmelodien des Calvinismus beeindruckt ist. 3yr Führer ist Paul Schede (Melissus, 1539—1602). wie mit seiner lateinischen Lyrik schlägt er auch mit seiner Psalmendichtung eine Brücke nach vorwärts. (Er lernt von den Franzosen die scharfe Unterscheidung zwischen männlichem und weiblichem Reim, die Behandlung der Zäsur und — als erster Dichter der neuen Zeit — die Beachtung des Hiatus­ verbots. Festen jambischen Rhythmus erstrebt er und will Silbenzählung mit akzentuierendem Prinzip vereinigen. Seine „Psalmübersetzung" (1572) führt diese Grundsätze zum ersten Male durch. Derstärkt wurde dieser neue Formgedanke, als Ambrosius Lobwasser (1515—1585) mit seiner Psalmübersetzung an die Seite sprang und ihn schließlich verdrängte . . . Zunächst im reformierten Lager haben solche metrischen Neuerungen auch bei der lutherischen Konfession sich teilweise eingeführt,' kamen sie doch einer Stilwandlung entgegen, die gerade damals in der weltlichen Lyrik unter allgemeinem Leifall sich vollzog." Don der Bedeutung des Lobwasserschen Psalters für seine Zeit und das folgende Jahrhundert wird man sich vielleicht am ersten eine Dor-

24 stellung machen können, wenn man sich die große Zahl anderweitiger Psalmübertragungen vergegenwärtigt, mit denen er in Wettbewerb stand. Nicht einmal als Übersetzung auf die französischen Psalmmelodien ist Lobwasser ohne ernste Konkurrenz geblieben, die seine Geltung freilich nicht beeinträchtigt hat. Bereits im Jahre 1588 hat philipp d. Jüngere, Freiherr zu Winnenbergh und Beyelstain „Psalmen der Königlichen Propheten Davids aufs die Französische Reimen

vnd art gefielt" herausgegeben94), und 1617 erschien „Der Luthe­ risch Lobwasser. Vas ist Der gantz Psalter Davids, auff Christum den rechten Scopum oder Zweck der heiligen Göttlichen Schlifft, sonder­ lich auff das New Testament vnnd diese letzte Zeit gerichtet . . . Durch M. Johann Wuestholtzen, Pfarrern zu Grenberg am Rochen . . . gedruckt zu Rotenburg uff der Tauber"95). hier sollte Lobwasser vom Boden -es Neuen Testaments aus gebessert werden. Eine nicht zu unter­ schätzende Beeinträchtigung hätte man von dem Werke des Dichters Gpitz erwarten können, das literarisch Lobwasser wohl übertrifft, dem aber die letzte Einfühlung in den Geist der Psalmen fehlt: „Die Psalmen Davids, nach den Frantzösischen Weisen gesetzt", Danzig 163796). Ruf Gpitzens Spuren geht Landgraf Ludwig zu Hessen mit dem Psalter: „Der Psalter Davids in teutsche Reime der Gpitianischen Rrt gemäß verfasset Gießen, 1657"97). Ruch auf die „Neun Psalmen Davids" „auff Frantzösische Rlelodeqen gerichtet" von Hans von Bonneck, Glückstadt 1639, sei hingewiesen, handelt es sich bei den Genannten um versuche, den Genfer Psalm­ melodien Eingang zu verschaffen und geeignete neue Texte zu bieten, sa besteht daneben die starke Tradition der alten Psalmlieder noch weiter, die der Lobwasserpsalter freilich neben den neuen Psalm­ liedern nicht außer Kurs setzen wollte, wie wir sahen. Aber ihnen gegen­ über mußte sich der neue Psalmgesang jedenfalls Geltung verschaffen und behaupten. Es sei wenigstens auf einige Sammlungen dieser Rrt verwiesen. 3n Augsburg war im Jahre 1557 ein „Gsang büchlin, Darinn der gantze Psalter Davids sampt andern Gaistlichen gefangen . . ." bei Philipp vlhart erschienen, das eine Reihe von Nach­ drucken und Neudrucken erfuhr99). Eine wichtige Nachbildung dieses die alte Psalmentradition wiedergebenden Gesangbuchs ist ein Nürn­ berger Gesangbuch vom Jahre 1560 (und später): „Gesangbüchlein, darinn der gantze Psalter Davids nach Ordnung der Psalmen sampt andern Geistlichen Gesängen ... mit Fleiß übersehen" bei Valentin Geyßler99). Die Bonner Psalmentradition legt das Werk des „Fürstlich Württenbergischen Kapellmeisters“ Sigmund hemmeln zugrunde: „Der gantz Psalter Dauids, ... mit vier Stimmen künstlich und lieb-

lich von newem gesetzt" Tübingen 156910°). vielleicht darf schon hier auf das Essener Gesangbuch von 1614 hingewiesen werden, das gerade die entgegengesetzte Haltung einnimmt und mit den dort gebotenen Psalmen lutherischer Art den Bonner Psalter verdrängen will: „Lin Lhristliches vnd recht reines Luangelisches Gesangbuch, darinnen Ordent­ lich verfasset der gantze Psalter Davids, auff die in Lutherischen Kirchen gewöhnliche Melodeyen zugerichtet . . ." gedruckt durch Johann Zeißen. Dieses Gesangbuch fügt dem alten lutherischen Psalmengut die neuen Psalmen von Cornelius Becker und Joh. Magdeburg in großer Zahl hinzu, auf die wir gleich zu sprechen kommen. Wir stehen hier vor einem neuen Strom von Psalmliedern, der sich über die lutherische Kirche ergo|$101). 3n diesem Zusammenhang ist auch das erstmalig 1569 bei Joh. Wolff in Frankfurt a. M. erschienene Büchlein zu nennen, das 88 Psalmlieder von Joh. Magdeburg enthält. „Kirchengesäng, aus dem Wittenbergischen vnd allen andern den besten Gesang­ büchern . . ."102). Daneben verdient ein anderer Frankfurter Druck Beachtung, der eine reiche Sammlung Psalmen der bisherigen deutschen Tradition bietet, vermehrt um die neuen Psalmen von Joh. Magdeburg. Es ist das Gesangbuch des Pfarrers zu Langen Eucharius Zinckeisen „Kirchengesäng, so bey der predigt deß Göttlichen Worts vnd außspendung der h. Sacrament in den Kirchen Augspurgischer Lonfession gebraucht werden . . 1584 bei Sigmund Feqrabend in Frank­ furt oerlegt103). Nicht unerwähnt soll daneben auch ein Basler Psalter vom Jahre 1581 bleiben, der durchaus noch die alte Psalmentradition vertritt, es ist das in Basel bei Samuel Npiarius gedruckte Büch­ lein: „Psalmen vauids, Geistliche gesang, Wie die inn der Gemein Gottes fürnemlich geübt und gesungen werden" 10‘). 5. Wenden wir uns nun der neuen Psalmdichtung der Seit auf deutschem Boden zu, die der Einführung des Genfer Psalters zur Seite ging. Allgemein darf man von ihr sagen, daß sie zunächst noch in erster Linie Schriftwiedergabe sein wollte, aber schon bald gelegentlich den Text neutestamentlich und mit direkter Anwendung auf Thristus auslegte. Beginnen wir mit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts, dann dürfen wir zunächst Nikolaus Hermann nennen, der uns in seiner biblischen Dichtung „Die Historien von der Sindsludt, Joseph, Mose . . . sampt etlichen Historien aus dem Luangelisten", Wittenberg 1562105), „auch etliche Psalmen vnd geistliche Lieder, zu lesen vnd zu singen in Reyme gefasset" geschenkt hat. Seine Psalmen lehnen sich stark an die biblische Vorlage an. Etwas freier gestaltet Johann es Magde­ burg in seinem Werke „Der Psalter Davids, Gesangsweise in deutsche

26 Reimen verfaßt", Frankfurt a. IH. 1565lö6). Vieser Psalter bringt manche typologische Deutung. Enger an den Tert schließen sich an die Psalmen von Benedikt Thaurer"') und von Ludwig Helm­ bold 108). In Straßburg erscheinen im Jahre 1573 „Psalmen, geistliche Lieder vnd Kirchengesänge" und im Jahre 1576 ein „Gesangbüchlin", die beide eine neue Psalmdichtung bieten, es sind die Psalmen von Johann Fischart, dessen Dichtung im Jahre 1849 eine Neuausgabe erfahren hat"8). Fischart stellt die Textvorlage in den Mittelpunkt, bringt ge­ legentlich aber auch neutestamentliche Beziehungen. Einen persönlichen Ton wissen ihren Psalmliedern zu geben die beiden Liederdichter Bar­ tholomäus Ringwald und Nikolaus Selneccer. Ringwald gab im Jahre 1577 zu Frankfurt a. ®. den 91. Psalm heraus, weitere Psalmen folgtenn0). von Selneccer besitzen wir einen „Psalter mit kurtzen Summarien", Leipzig 1578, und „Christliche Psalmen, Lieder . . .", Leipzig 1587. Der Stil ist teilweise flüssig, teilweise schwerfällig, Zeit­ anwendungen kehren immer roieöerin). Diese letzte Haltung unter­ scheidet den lutherischen Psalter grundsätzlich von Lobwassers Psalmen. Rn die alte Psalmentradition schloß sich enger an, auch für sein eigenes Schaffen112), Tyriacus Spangenberg, der mit seinen Psalmen da und dort Rufnahme in den lutherischen Gesangbüchern fand. Er gab selbst im Jahre 1568 ein Gesangbuch mit Psalmen heraus2") und im Jahre 1582 zu Frankfurt a. IN. einen „gantzen Psalter Davids". Dagegen haben die Psalmlieder des Gregorius Sunderreitter aus seinem Psalter von 1581m) nicht den weg in die Gesangbücher ge­ funden. Beachtung verdient noch Eqriacus Schneegaß insbesondere mit seinen 15 Stufenpsalmen2"). Seine Psalmlieder bringen die Zeit­ anwendung und Lhristusbezogenheit immer wieder zur Geltung. Rls ein Erfinder neuer Melodien und Neubearbeiter alter Sätze auf die Psalmen der bisherigen Tradition soll David Wolkenstein vom Pädagogium in Straßburg genannt werden. Er brachte 1577 Psalmen mit vierstimmigem Satz heraus, in vermehrter Ruflage 1583116). Psalmen­ dichter und Melodienerfinder arbeiten nebeneinander und gestalten das reiche Bild des Psalmengesangs, von dem auch die nachreformatorische Zeit Zeugnis zu geben vermag. Ruch das nächste Jahrhundert, das Jahrhundert des großen Krieges, beschert uns eine Fülle neuer Psalmdichtungen auf deutschem Boden. Überschaut man die große Anzahl neuer Psalmübertragungen aus den unmittelbaren Kriegs- und Nachkriegsjahren, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß in der Not der Zeit der biblische Psalter als Rusdruck der Frömmigkeit besonders gewertet wurde und daß damit das deutsche Psalmlied dem Hugenottenlied unmittelbar an die

Seite rückte. Doch bleiben wir zunächst noch bei den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts. 3m Jahre 1602 erschien ein Psalter, der bestimmt -war, ein lutherisches Gegenstück zum Lobwasserpsalter zu bilden, „Der Psalter vauids Gesangweis, Huff die in Lutherischen Kirchen ge­ wöhnliche Melodepen zugerichtet, durch Cornelium Becker", gedruckt zu LeipzigU7). 3n der Vorrede wendet sich der Psalter ausdrücklich gegen die Psalmen, „so Theodorus Beza der Sakramentarier Redlingsführer, neben (Element Htarotto . . . auff sonderliche Melodeyen in $ran= höfischer Sprache gesetzet", und von etlichen, „sonderlich derer, denen der athem nach dem Taluinismo reucht", Luthers Gesängen vorgezogen würden. Ist schon die Dichtung sprachlich und religiös wertvoll, auch für uns Heutige durchaus noch beachtenswert und der Hufnahme in unsre Ge­ sangbücher roürbig118), so gewinnt diese Psalmausgabe noch erhöhte Be­ deutung durch die wertvollen (90!) neuen Melodien von Heinrich Schütz, die erstmalig im Jahre 1628 beigefügt wurden119). Der Harne Heinrich Schütz hat in der musikalischen Welt einen so guten Klang, daß auf seine Tonschöpfung nicht besonders aufmerksam gemacht zu werden braucht, vielleicht mutz aber das eine hervorgehoben werden, datz mit feiner Musik bereits das ariose Lied Einkehr hält, datz Schützsche Sätze also als Ersatz des alten, im Volksliedton gehaltenen Psalmengesangs nicht in Frage kommen. Heinrich Schütz führt bereits über das hinaus, was uns am ursprünglichen Psalmengesang so besonders wertvoll ist. Wir werden darüber noch zu sprechen haben. Neben Becker und H. Schütz kommen die übrigen psalmdichter und Melodienerfinder der Zeit erst in zweiter Linie in Betracht. Wir nennen einige aus der Zeit vor dem 30 jährigen Kriege. 3m Jahre 1604 er­ schien in Hamburg das Werk: „Himlische Tantoreq, das ist Der Psalter Vauids, gesangsweise auff gemeine bekandte Melodeyen . . . übersetzt durch Franciscum Rlgerrnan" 12°). Die Reime wollen „eine feine poetische arth haben und vorn Text nicht abgehen"121). 3m gleichen Jahre schenkt uns (Erasmus Wideman, gräflich Hohenloischer Musicus zu Weickersheirn, ein Liederbuch „G e i st l i ch e Psal­ men und Lieder", das sich dadurch auszeichnet, daß es 24 Psalm­ lieder der lutherischen Tradition einmütiglich neben 19 Lobwasserpsalmen bringt122). Ruf die „in den wahren Euangelischen Kirchen gebreuchlichen und bekandten Melodien" verfaßt Wolfgang Striccius, Stadt­ schreiber zu Pattensen, 1606 seinen Psalter122), während wir dem Landgrafen Moritz von Hessen 26 neue. Psalmmelodien als ^Ergänzung zu dem Lobwasserpsalter zu danken haben: „Psalmen Davids, Nach Frantzösischer Melodey vnd Reymen art in Teutsche reqmen artig gebracht durch Rmbrosium Lobwasser . . . Ruff Befehl des vurchleuchtigen . . . Herrn Moritzen, Landgrafen zu Hessen etc itzo

28 auffs newe gedruckt: vnd haben ihre $. Gn. die übrige Psalmen so nicht eigene Melodias gehabt mit andern lieblichen Melodiis per otium se­ zieret vnd mit vier stimmen componiret . . ." Cassel, 160712‘). Neue Texte und z. T. neue Melodien bringt der Amtsschreiber Friedrich Gundelwein zu Dambeck in der Altmark heraus — man beachte die starke Beteiligung der Laien an der Psalmenbearbeitung! — in seinem im Jahre 1615 in Magdeburg erschienenen Psalter125). 3m Jahre 1620, also zu Beginn des großen Krieges, erschien in Erfurt ein Werk „Cymbalum Davidicum, das ist: Geistliche Melodeqen vnnd Gesänge auß den Psalmen mehrentheils genommen zu Beförderung Göttlichen Nahmens Ehre . . . durch Bartholomaeum heIderum, Pfarrer zu Rembstadt"126). Helder gibt uns hier neue Texte, die in der Psalmwiedergabe teilweise die persönliche Empfindung hervortreten lassen an Stelle der bloßen Textumdichtung. Er ist zu­ gleich auch Erfinder neuer Melodien. Enger an den Text- und zwar an Luthers Übersetzung, schließt sich Pfarrer Johannes Thönniker in seinem Psalter vom Jahre 1621 an127). Recht schwerfällig sind die textmäßig sich gebenden Verse des Notars Sebastian Leopold in seinem 1625 in Güstrow erschienenen Psalter,,Musica Davidica“128). Treue Textwiedergabe erstrebt auch Johann Hermann Schein in seinen Psalmen, die das Tantional vom Jahre 1627 bringt129). Schwer­ fällig in den Reimen, aber durchaus beachtsam in seinen 100 neuen Psalmmelodien ist der „Psalter vavid" von Ambrosius Metz­ ger, 1630 in Nürnberg herausgekommen 13°). Eine charakteristische Zeitnöte tragen Georg Werner und Jo­ hann Trautschel in die Psalmübertragung ein, man möchte es eine Auflockerung der Textwiedergabe durch gläubige Betrachtungen über Tod, Sünde und Gnade nennen, gewonnen aus den schweren Erschütte­ rungen der Zeit. Georg Werner, Diakonus in Königsberg, ließ 1638 und 1643 daselbst je 50 Psalmen erscheinen131), er gehörte zur Königsberger vichterschule. Der gleiche Ton ist angeschlagen in des Pfarrers Johannes Trautschels „Cythara poenitentiae et mortis Davidicae“. Vas ist: Davids Buß- vnd Todtenharpffen, aus eines jeden Psalm Krafftsprüchlein gezogen aus Andacht zu Gott wider Noth und Tod mit 3. Gesetzen zu singen verfertiget", Toburg 1643132). 3n der Psalmendichtung des Pfarrers von Kirchwärder, Jo­ hann Neukrantz, erschienen Hamburg 1650, spüren wir gleichfalls ein Weiterklingen der Zeitnöte: „König Davids Psalterspiel, ... das ist Außerlesene Thrift-, Lehr-, Bete-, Klage-, Trohst- und Vanckpsalmen Davids"133). Einige Melodien hat Neukrantz selber verfertigt. Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß uns Friedrich Greiff,

Apotheker in Tübingen, im Zusammenhang seiner biblischen Dichtungen im Jahre 1657 auch 50 Liederpsalmen geschenkt I;at134). hier ist der (Drt, zweier Liederdichter zu gedenken, deren psalmdichtung für uns heutige durch ihre sonstige religiöse Liederdichtung in Schatten gestellt ist. (Es sind Paul Gerhardt und Martin Rin ckart. Schon die Praxis pietatis melica von 3- Trüger vom Jahre 1647 bringt Psalmen von Paul Gerhardt, die Ausgabe von 1653 ver­ mehrt sie noch "h. (Es sind insgesamt ein Viertelhundert Psalmen. Man wird wohl sagen dürfen, daß man aus diesen Psalmen die Eigenart der Paul Gerhardtschen Dichtung ganz besonders deutlich erkennen kann: die unmittelbare Ausrichtung an der biblischen Frömmigkeit, die in einer unvergleichlichen Wärme und Frische wiedergegeben ist und alle die Farben der Herzlichkeit und des Gemütes strahlen läßt, deren Paul Gerhardt fähig ist. In diesen Psalmen spüren wir deutlich den dunklen Hintergrund der Zeit. Sie erheben aber immer wieder durch das un­ mittelbare Getragensein vom Geist des Neuen Testaments. Es fehlt unsern Gesangbüchern viel, indem sie für diese Lieder keinen Raum haben. Sollte nicht im Gesangbuch der Zukunft dem „Libellied" als besonderer Liedkategorie auch dann ein Platz eingeräumt werden können, wenn man keinen besonderen Gesangbuchsteil für den Psalter schaffen will? In den schweren Zeiten, die hinter uns liegen, hätten Paul Gerhardts und anderer Sänger Bibellieder uns manchen guten Dienst leisten können und einen festeren Grund der Frömmigkeitshaltung abgegeben, als es manches immer wieder gesungene Kreuz- und Trostliedlein des 19. Jahrhunderts vermochte, das so sehr unsre Sentimentalität anspricht. Der Liederpsalter kann uns zu der männlichen Artung unsrer Frömmigkeit verhelfen, die uns so bitter nötig ist. Heben Paul Gerhardt sei Martin Rinckart genannt, insbe­ sondere sein „Deutscher David" vom Jahre 1637 (Leipzig). Auch seine Psalmen sind Spiegelbilder von Rreuz und Hot der Zeit, aber auch der Tröstung in Christus136). Eine große Anzahl beachtenswerter Psalmen im erbaulich-persönlichen Stile danken wir Johann Franck, von denen die ersten in der Sammlung „Sorgenlägerin, das ist Etliche Theile Geistlicher und weltlicher Lieder", 1648 (Königsberg) erschienen 33h. Vie Psalmdichtung im letzten Drittel des Jahrhunderts steht unter zwei verschiedenen Auswirkungen. Auf der einen Seite haben sich die Sprachgesellschaften jetzt stärker an den Psalmübertragungen be­ teiligt. In diesem Zusammenhang ist der „Lust- und Artzneigarten des Königlichen Propheten Davids, d. i. der gantze Psalter in teutsche Verse übersetzt . . . jedem Psalter eine besondere neue Melodey . . . beygefügt worden ... in Druck gegeben durch ein Mitglied der hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft". Regensburg 1675. Verfasser

30 dieses Psalters ist aller Wahrscheinlichkeit nach Wolff helmhardFrei Herr von Hohenberg, mit dem Ehrennamen „der Sinnreiche" in der Fruchtbringenden Gesellschaft138). stus dem Pegnitzer Blumenorden ist hervorgegangen: „Vie alte Zionsharpfe des Höchstseeligen Königs, Propheten und Poeten Davids Ehre, nach denen hundert und fünfzig Psalmen, in eben so vielen Liedern . . . verneuet angestimmt von dem Pegnesischen Blumgenossen Leladon", Nürnberg 1693 und 1694139). Ver­ fasser ist der Kaufmann Lhristoph Adam Negelein aus Nürn­ berg (konvertierte zur katholischen Religion). Nus den Kreisen des Schwanenordens stammt das Werk „Davids Des Sohns 3fai CLL Psalmen, nach denen in Lutherischen Kirchen üblichen Gesangsweisen gesetzet von Riftifanbern, einem Kayseri, gekröhnten und int hochl. Schwanenorden also benahmten Poeten." Lüneburg 1680. Verfasser ist der Prediger Michael Stechow. Vas Interesse dieser Psalmübertragungen liegt stark auf der sprachlichen Seite. Vie andere, jetzt allmählich stärker hervortretende Richtung in der Psalmenübertragung zeichnet sich durch den versuch aus, den Psalter zugleich im Sinne der aufkommenden pietistischen Frömmigkeit zu inter­ pretieren. hierher gehört jedenfalls „M. Rarzitz Rauners wolgestimmter und mit doppelten Saiten neubezogener Vavidischer Jesus-Psalter . . ., also inn Lateinisch und teutsche Reimen Gesangsweiß eingerichtet, datz eine Jesus-liebende Seel ieden Psalmen in einer besonderen neu darzugemachten Melody anstimmen oder ihre Andacht durch die bekandte Kirch-Weisen bei den meisten außüben Kan, Samt einer Vorrede hn v. Philipp Jakob Speners." Augsburg 1670 "o). Vie Psalmen sind im Sinne der pietistischen Jesusfrömmigkeit verstanden. Die Linie der schlichten Bibelauslegung setzen f.ort Lan­ st antin Ehristian Dedekinds „Vavidischer Harfen-Schall, das ist Vie Psalmen Davids in gantz neue Lieder nach Evangelischen Kirchen-Melodeien richtig geschränket und mit eigenen Weisen gezieret", Frankfurt a. M. 1670141) und Gustav von Mengden's „Der verfolgete Errettete und Lob singende David, das ist; alle Psalmen Davids in Reimen verfatzet und auff denen bey der Evan­ gelischen Kirchen gebräuchlichen Melodeyen eingerichtet Durch einen Ehristen, der sich in seinem pathmo an Gott vermiehtet", Riga 1686142). Da­ gegen legt Justu§ Sieber in seinem 1685 erschienenen Büchlein „Davids des Israelitischen Königs und teuren PropH et ens harffenpsalme", Pirn 1685, die Psalmen im Sinne der Jesusfrömmigkeit aus ns). Wahrlich, eine reiche Psalmentradition, die sich neben den Lobwasser-Psalmen entfaltet hat! Ls müssen diesen gewisse besondere (Qualitäten innegewohnt haben — jedenfalls können es nicht nur kon-

fessionelle Momente gewesen sein — wenn sich der Lobwasserpsalter dem reichen Strome -er sonstigen deutschen Psalmendichtung gegenüber behauptet und durchgesetzt hat. Den neuen Psalmdichtungen neben Lob­ wasser hat meist nur eine temporäre Bedeutung innegewohnt, die wenigsten haben sich über einen kleinen Kreis hinaus in den Gemeinden eingebürgert, sie sind vielfach mit der Person des Dichters oder Komponisten erschienen und wieder verschwunden. Selbst den Beckerschen Psalmen ist kein viel besseres Los beschieden gewesen, und die Psalmlieder Paul Gerhardts haben sich nicht eingebürgert. Einzig dem Lobwasserpsalter ist eine allgemeine Bedeutung beschieden gewesen, und zwar über den Kreis der reformierten Konfession hinaus, hat der Lobwasserpsalter die Geltung verdient, die er sich tatsächlich errungen hat? Will man die große Bedeutung, die Lobwasser auf deutschem Sprach­ gebiet gewann, umfassend würdigen, dann wird man das Augenmerk auf die Melodien richten müssen, denen er Eingang verschaffen wollte144). Ergriffen von den Genfer Psalmmelodien ist Lobwasser zum Psalmdichter geworden. Die einzigartigen Melodien des Lobwasserpsalters haben ihm die Herzen der Gemeinden erobert; über der Kraft dieser Melodien nahm man, wie in Holland dem Psalmtext von Petrus Dathenus gegenüber, manche Schwerfälligkeit und Breite des Lobwasser­ textes in Kauf. Es ist darum am Platze, nunmehr ein zusammen­ hängendes Wort über die Psalmmelodien zu sagen. Wir dürfen dabei die Betrachtung der Melodien des Genfer Psalters mit -er Besinnung auf die älteren Psalmmelodien der deutschen Reformation zusammennehmen, weil sie, wie wir gleich sehen werden, ihrem Charakter nach durchaus zu­ sammengehören. 6.

Das Kirchenlied des 16. Jahrhunderts muß im Unter­ schied vom Kunstgesang der mittelalterlichen Kirche und von der im 17. Jahrhundert einsetzenden Kunstmusik durchaus als Volksgesang verstanden werden. Sehr schön hat das Philipp Wolf rum in seinem Buche „Die Entstehung und erste Entwicklung des deutschen evangelischen Kirchenliedes in musikalischer Beziehung"145) ausgeführt. Er nennt das deutsche evangelische Kirchenlied „die letzte schöne Blüte unsres Volks­ liedes". Die eigentlich schöpferische Seit des deutschen Volksliedes und damit seine eigentliche Glanzheit ist zwar schon vorüber, aber im evangelischen Lied flammt der Volksgesang noch einmal auf. Der Schritt vom weltlichen Volksliede zum geistlichen Liede im Volksliedton wird hier vollzogen. Die Tatsache, daß die evangelische Gemeinde der Resormationszeit mit einem Male die neuen geistlichen Lieder sang, erklärt sich vielfach daraus, daß es für sie keine neue Liedgattung, in vielen Fällen nicht einmal neues INelodiengut war, was ihr jetzt mit einem

32 geistlichen Text begegnete. (Es war die Art zu fingen, wie sie sich im Volke eingebürgert hatte. Freilich bedurfte es einer sorgfältigen Bearbei­ tung, dieses Liedergut für den Gesang der Kirche zu übernehmen. „(Es war das Werk derjenigen, die eine neue Kultusform schufen, den ge­ waltigen Strom des Volksliedes so zu lenken und zu leiten, daß er ihren Zwecken diente, viele „wilde" Wasser mutzten abgedämmt und unschädlich gemacht werden", sagt treffend Philipp Wolfrum146). Ist auch nicht das gesamte neue Melodiengut des Reformationsjahrhundertsvolks ­ lied im engeren Sinne, so ist es doch im Volksliedton gehalten. Vas Volk fand im Gottesdienst seine Art zu singen, vielfach seine Melodien wieder, zum geistlichen Lied gewandelt. Bei einer ganzen Reihe von Melodien ist uns der Übergang vom weltlichen Volkslied zum geistlichen Lied noch heute deutlich. Die Melodie zu dem schönen Gsterlied „Thrift ist erstanden von dem Tod" gehörte ursprünglich dem weltlichen Lied: „(Es fuhr ein Maidlein übern See" und die Melodie „von Gott will ich nicht lassen" einem Jägerlied „Sch ging einmal spazieren"147). vielfach wurden welt­ lichen Melodien geistliche Texte untergelegt. Melodie und Text bekamen einen überindividuellen Tharakter. Ruch bei eigener freier Dichtung und Melodieerfindung tritt der Urheber nicht aus dem Volke heraus, man schafft nichts Individuelles, man bewegt sich im Lewutztsein des Volkes, im Volksliedton. Man wird darum auch alsbald vom Volke verstanden und ausgenommen. Luthers eigene Melodien sind das beste Beispiel dafür. Ist also zwar die schöpferische Kraft zum Volkslied int 16. Jahrhundert am (Erlöschen, entstehen nicht mehr viele eigene neue Volkslieder, so ist doch im Volke noch durchaus die Fähigkeit erhalten, das vorhandene Gut aufzunehmen und alles freudig zu werten, was aus -em Schatze des Volksliedes der schöpferischen Periode gesammelt und als geistliches Gut dargeboten wird. Mit dem 17. Jahrhundert erlischt dann immer mehr die Kraft des unmittelbaren Volksgesangs148). Vas Singen geht allmählich vom Volke zu den im Singen Geschulten über. Vie Musik wird nicht mehr von einer geschlossenen Gemeinschaft, sondern von dem einzelnen Ergriffenen erlebt. Vas musikalisch-künstlerische Er­ lebnis des Einzelnen mutz den Gbjektivgehalt in Wort und Weise er­ setzen, der für die Menschen des Reformationsjahrhunderts noch im Mittelpunkt stand448). Damit haben wir den Melodiencharakter der Bibel- und Psalm­ lieder Luthers wie auch des Psalmengesangs der Stratzburger, Kon­ stanzer, Genfer gekennzeichnet. Wir treffen bei den Melodien des Genfer Psalters genau den gleichen Vorgang der Melodienbildung an wie bei den Psalmliedern der deutschen Reforlnation. Es ist in der Hauptsache das Volkslied, auf das man zurückgeht, das

man verarbeitet, oder aus dessen Geist man Lieder im Volksliedton selber setzt. 3n Holland vollzieht sich der gleiche Vorgang in den Souter-Liedekens, den Psalmliedern von 1540150). Auch der französische Psalter hat die Volkslieder nicht ohne vorausgegangene Be­ arbeitung ausgenommen, und die im Volksliedton geschaffenen Melodien dürften die eigentlichen Volkslieder an Zahl übertreffen. Man darf also nicht ohne Einschränkung sagen, daß es „Jagd-, Tanz- und Liebeslieder" waren, die wir als Melodien der Genfer Psalmen wiederfinden. Überall hat eine Umformung irgendwelcher Art stattgefunden, um den Volksmelodien den Eingang in den Gottesdienst zu verschaffen. Wir bewundern heute die Großzügigkeit Luthers und Calvins, dem Volke auf diesem Wege sein Liedergut zu erhalten und zu weihen. Wie Luther, so hatte auch Lalvin einen hervorragenden musikalischen Mitarbeiter gefunden. 3n den Jahren 1541 (?)—1557 weilte in Genf der geniale Musiker Louis Bourgeois. Er darf wohl als der musi­ kalische Bearbeiter der bis zum Jahre 1554 in Genf erschienenen Psalm­ melodien gelten (85 an der Zahl). Es sind durchaus die wertvolleren Melodien des Genfer Psalters. Vie in der Gesamtausgabe von 1562 neu hinzugekommenen 40 Melodien von anderer Hand besitzen längst nicht den gleichen musikalischen Wert. 3n Llaude Goudimel151) endlich war dem Genfer Psalter ein begnadeter Tonsetzer geschenkt worden, der sich besonders um den mehrstimmigen Satz der Psalmen verdient ge­ macht hat. Als Erfinder der Psalmmelodien kommt er nicht in Frage. Wenn sein Name noch heute in erster Linie mit den Melodien des Genfer Psalters in Verbindung gebracht wird, so ehrt die Kirche damit zugleich das Gedächtnis des Mannes, der — auch nach neueren Untersuchungen darf das wohl angenommen werden — ein Gpfer der Ereignisse der Bartholomäusnacht geworden ist. Die Melodien des Genfer Psalters waren es, denen er feine weite Verbreitung in der gesamten protestantischen Welt verdankte. 3hrer Gewalt kann man sich auch heute noch schwer entziehen, viele dieser Melodien sind in den dauernden Besitz der deutschen evangelischen Kirche übergegangen: nach einer Übersicht von Smenb152) sind es ins­ gesamt 84: aus dem Psalter von 1539 6, von 1542 12, von 1547 8, von 1548 2, von 1551 35, von 1554 1, von 1562 20. (Diese Melodien sind sämtlich in Zahns Melodien der evang. Kirchenlieder nachgewiesen.) Vie allerbekanntesten Melodien seien hier herausgehoben: Ps. 36, cer schon erwähnte Psalm aus dem „Deutschen Kirchenamt", Ps. 84 „Mein Leben ist ein Pilgrimsstand", ps. 8 „Der Tag ist hin", ps. 32 „G selig Haus", ps. 42 „Freu dich sehr, o liebe Seele", ps. 140 „Wenn wir in höchsten Nöten sein". Diese Melodien können einen Begriff geben von der (Qualität der Psalmmelodien, in erster Linie der Sätze von Bourgeois.

34 Auf die große Bedeutung, die der Psalter Calvins für Johannes (Träger, den berühmten Tonsetzer aus der Seit Paul Gerhardts, hatte, kann hier nur hingewiesen werden. Durch die Vermittlung (Trägers haben sich die Melodien des Genfer Psalters noch weiterhin im evangelischen ttirchenlied ausgewirkt. Will man zu einem abschließenden Urteil über den Genfer Psalter gelangen, dann wird man mit vouen sagen 6ür» fen1M): „Ungeachtet der Unvollkommenheit der Mehrzahl derjenigen Psalmmelodien, welche nicht -em Bourgeois angehören, ist der Lalvinistische Psalter ein Meisterwerk, dem keine der Nationen, die evangelischen Gemeindegesang pflegten, ihre Anerkennung versagte." Blicken wir auf das gesamte Melodiengut des Reformationsjahr­ hunderts und auf die Entwicklung -es Kirchenlieds der kommenden Epochen, so wird man wohl sagen dürfen: der Genfer Psalter ist das letzte Glied des Prozesses, der uns im Lied des Reformationsjahrhunderts begegnet, -er Aufnahme und Verarbeitung des Volksliedes im Rirchengesang. Daß es sich beim Genfer Psalter in erster Linie um französische Volks­ lieder handelt, ist dabei von keiner ausschlaggebenden Bedeutung. Vas Volkslied jener Tage tauschte sich noch weithin unter den Nationen aus; das Liedergut der einzelnen Völker Mitteleuropas darf für die damalige Seit noch dem verschiedenen Astwerk eines und desselben Baumes verglichen werden. 3m gleichen Antwerpen, das 1540 die holländischen Souter-Liedekens auf Volksliedmelodien herausgab, erschien ein Jahr später ein Marotpsalter ohne Noten, aber über einigen Psalmen war eine Volksliedweise angegeben, nach welcher der betr. Psalm ge­ sungen werden sollte. Berührte sich hier das holländische und das französische volksliedergut, so führten zur gleichen Seit ähnliche Linien nach Deutschland. Die deutsche Melodie „im Berghäuerton" „Christ, der du bist der Helle Tag" findet sich auch im Antwerpener französischen Psalter von 1541 154), und die Melodie „was mein Gott will, gescheh allzeit" in einer 1529 in Paris gedruckt vorliegenden Sammlung „chansons musicales“ und in den Antwerpener Souter-Liedekens vom Jahre 1540155). Ja bis in unsre Tage hat sich der Austausch des musikalischen Gutes der europäischen Völker unabhängig von nationalen Bedingtheiten vollzogen, und die Grenze des deutschen Volkstums bildet keine Grenze für den deutschen Choral. Gerade wenn wir heute die Be­ deutung des reformatorischen Liedes gegenüber dem späteren Runstgesang, wie er uns schon in den neuen Psalmmelodien des 17. Jahrhunderts be­ gegnete, neu zu werten begonnen haben, haben wir allen Grund, das End­ glied dieses Prozesses reformatorischer Melodienbildung im Genfer Psalmen­ gesang neu zu würdigen, vielleicht darf auch in diesem Susammenhang von einer Befruchtung „im besten Sinne" „durch den Melodien- und sanges-

reichen Silben" mit Wolfram156) geredet werden, wie sie sich dann ganz besonders bei Johannes Lrüger ausgewirkt hat. Diese Befruchtung darf den Anregungen gegenübergestellt werden, die der Lalvinsche Psalter vom deutschen Psalter in Straßburg empfangen hat.

7.

verfolgen wir noch kurz die weitere Geschichte des Genfer Psalters. Während die Melodien ihren überzeitlichen Charakter sich zu wahren wußten, machten die Psalmtexte schon verhältnismäßig bald eine Revision nötig. Für den französischen Text wurde eine solche bereits vor Ausgang des 17. Jahrhunderts von M. v. Lonrart, Sekretär der französischen Akademie, vollzogen. De la Bastide hat sein Werk vollendet151), die Synode von Charenton hat es 1679 gut geheißen. Die Genfer Kirche hat dann diese Revision durchgeführt, da die Auf­ hebung des Edikts von Nantes der reformierten Kirche in Frankreich die Aktionsfähigkeit raubte155). Auf deutschem Sprachgebiet ist es im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu verschiedenen Verbesserungen des Psalmtextes, bzw. zu neuen Übertragungen gekommen,' freilich wurden sie zum Schaden für den Psalmengesang ohne gegenseitige Fühlungnahme vorgenommen. Mit dem Abrücken vom Lobwassertext und der Über­ nahme verschiedener neuer Bearbeitungen ging die große Einheitlichkeit im Text des Hugenottenpsalters verloren. 3n Zürich kam im Jahre 1704 ein „verbesserter Lobwasser" heraus159). Verfasser war David holz­ halb166), und in Biel erschien 1747 „D. Ambrosii Lobwassers Alt-Teutsche Übersetzung der Psalmen Davids, nach den heutigen Sprach- und ReimReguln so viel möglich gebessert" von I. T. F. Wildermett161). Unter den deutschen reformierten Gesangbüchern hatte das Gesang­ buch der Reformierten in Jülich, Tleve und Mark, erschienen 1738 in Lippstadt, nicht unerhebliche Verbesserungen des Lobwassertextes vorgenommen162). hat man sich hier vor einer Preisgabe des Lob­ wassertextes noch gescheut, so ist man anderenorts zu einem Ersatz des Lobwassertextes geschritten. So versuchte sich in Zürich der Pfarrer Johann Kaspar hardmeyer im Jahre 1701 mit einer neuen Psalmübersetzung165), und im Jahre 1763 gab in Zürich der „Chorherr des Stifts zum großen Münster" Johann Rudolf Ziegler „die Psalmen Davids . . . aufs neue in teutsche Verse übersetzt . . ." her­ aus 1M). In Basel schuf der Pfarrer und Professor Johann Jakob Spreng 1741 eine neue Psalmenübersetzung165) und in Halberstadt der preußische Hofprediger Daniel Wolleb aus Basel im Jahre 1751 166). Ihre Übertragungen sind über den Kreis ihrer eigenen Wirk­ samkeit wenig hinaus gedrungen. Ein größerer Erfolg war dem Berner Professor der Theologie Johann Stapf er beschieden ge-

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wesen167). Er gab im Jahre 1775 einen neuen Psalter als Ersatz des Lobwassertextes heraus, z. T. waren es eigene Übertragungen, z. T. Bearbeitungen anderer Autoren. Dieser Psalter fand auch außerhalb Berns Eingang. Noch heute singt man einzelne Stapfersche Psalmen int ostfriesischen Gesangbuch. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es auch am Niederrhein zu einer neuen Psalmübertragung, die wohl als die erfolgreichste unter den genannten neueren bezeichnet werden darf. Es war der deutsche Pfarrer im Haag Matthias Iorissen168), der 1798 eine „Neue Bereimung der Psalmen" ausgehen ließ- sie erschien gleichzeitig in Wesel, im Haag und in Amsterdam169). Die Iorissenschen Psalmen fanden in den reformierten Gemeinden des Westens Eingang und liegen noch heute der Psalmenausgabe des rheinisch-westfälischen Gesangbuchs und dem Elber­ felder Gesangbuch in der Hauptsache zu Grunde. Man hat gegen Iorissens Übersetzung viele Einwände erhoben, und ohne Zweifel trägt sie in manchem den Stempel der barocken Zeit, der sie entstammt. Manche Weitschweifigkeit und manche allzu naturalistische Schilderung wird man heute nur schwer ertragen können. Aufs ganze gesehen ver­ dient aber Iorissen nicht die Verurteilung, die ihm Nelle176) hat zuteil werden lassen. (Eine Kürzung und sprachliche Besserung kann in den meisten Fällen die vorhandenen Anstöße beseitigen171) und wird die dichterische Schönheit und religiöse Innigkeit der Arbeit dieses Mannes, der ein Freund Laoaters und ein Neffe Tersteegens war und in geistiger Verbindung mit Männern wie Dr. Lollenbusch und Bischof Sailer stand, auch unserm Geschlecht wieder zur Geltung bringen Können. Die Wärme persönlicher Frömmigkeit ist mit einer kräftigen gemeindemäßigen Hal­ tung in der Dichtung verbunden. Jedenfalls enthält Iorissens Psalter Kernlieber, auf die keine Gemeinde wird verzichten wollen, die Iorissens Texte einmal im Gottesdienst und in der häuslichen Feier gesungen hat. An Iorissens Psalter knüpft ein Prozeß an, der sich im 19. Jahr­ hundert für die Geschichte des Psalmengesangs verhängnisvoll auswirken sollte, nämlich die Revision -er Psalmmelodien beim verlassen des Lobwassertextes und die Einführung neuer Melodien für die Psalmen. 3m Jahre 1806 erschien in Elberfeld eine zweite Bearbeitung des Iorissenschen Psalters mit 70 neuen Melodien, der Überlieferung nach von Johann Georg Bäßler, Grganist in Elberfeld172). Wollten diese Melodien dem herben, kraftvollen Eharakter der alten Psalmweisen noch einigermaßen gerecht werden, so hat dann um die Mitte des Jahr­ hunderts eine bedauernswerte Erweichung des Psalmengesangs im leichten Liederton des 19. Jahrhunderts stattgefunden durch die Aufnahme neuer Melodien einiger den Kreisen der Erweckungsbewegung nahestehender

Organisten des Wuppertaler,- auch die Jorissenschen Texte wurden diesen Melodien zuliebe verändert173). Andere Psalmen dichtete man auf be­ kannte Kirchenlieder um. Zwar ist später wieder eine verschämte rück­ läufige Bewegung zu Gunsten der alten Melodien eingetreten, aber noch heute singt man im Westen die bekanntesten Psalmen gerade auf diese neueren Melodien, die sich mit den alten nicht entfernt messen 6önnen m). Dieser neupietistischen Erweichung des Psalmengesangs in Gemeinden mit reformierter Psalmentradition war anderweitig die völlige Preis­ gabe des Psalmengesangs durch die Einführung der rationalistischen Gesangbücher vorausgegangen. So machten in der Pfalz die ratio­ nalistischen Gesangbücher der achtziger Jahre des l8.Jahr­ hunderts, in Basel das rationalistische Gesangbuch von 1 809175) dem reformierten Psalmengesang ein unrühmliches Ende.

8. Ganz ähnlich verläuft die Geschichte des Psalmengesangs im 18. Jahrhundert außerhalb der reformierten Kreise. Es fehlt auch hier nicht an versuchen, zunächst einmal eine sprachliche Verbesserung der Psalmübertragungen im Geiste der neuen Zeit zu schaffen, neue „poe­ tische" Übersetzungen der Psalmen zu liefern. Ich nenne hier nur die „(Böen Davids oder poetische Übersetzung der Psalmen" von Samuel Gotthold Lange, Halle 1746. Sie sind Johann Jakob Breitinger in Zürich gewidmet und sprechen es ausdrücklich aus, daß keine „prosaische" Übersetzung in der Art Luthers, sondern eine „poetische" erstrebt sei, die zugleich der „Richtung des guten Geschmacks" dienen will. Inhaltlich deutet man den Geist des Reuen Testaments in die Psalmen hinein. Line „poetische Übersetzung der Psalmen" mit gleicher literarischer Abzweckung liefert Johann Andreas Cramer, be­ kannt aus den „Bremer Beiträgen"176), und Wilhelm Lau, Pfarrer in Veutsch-Thierau (Königsberg 1782), gekennzeichnet durch ein etwas breites, modernes Deutsch, vielleicht darf in diesem Zusammenhang auch der Name Klop stock und Herder genannt und der Psalmendichtung Lavaters („Auserlesene Psalmen Davids, zum allgemeinen Gebrauche in Reime gebracht". 2 Teile. Zürich 1765 und 1768), die freilich in vielem zugleich die Kennzeichen der pietistischen Dichtung trägt, gedacht werden. Läuft hier der Psalter Gefahr, vom Erbauungsbuch der Gemeinde zu einem Literarprodukt zu werden, so verdrängt ihn die p i e t i st i s ch e Psalmendichtung aus dem kultischen Gemeindegebrauch in die pri­ vate Andacht. Das gilt ohne allen Zweifel für die „Psalmen Davids, nach den mehrenteils bekannten Gesangmelodien reimweis übersetzt" von Michael Müller aus dem Hallenser Sängerkreis (Stuttgart 1700), sie tragen bereits im Titel die Zweckbestimmung „Gottliebenden Seelen

38 zur Erbauung und Ermunterung vorgelegt". Ebenso übergibt Johann Paul Schönburg sein „Davidisches Gesangbuch" „zu besonderer An­ dacht" der Öffentlichkeit „auf öfteres Ersuchen einiger in ihrem Gott sich erfreuender Seelen" (1712, ohne Verlagsort). Joh. Gerup will nach dem Widmungswort in seinen „Psalmen Davids" (delle 1719) im Psalter „das andächtige und zuverlässige herz Davids zu Tage gelegt und von unserm allerliebsten Heiland geweissagt" sehen, und Anna Elisabeth Behaim, Freifrau von Schwartzbach vermerkt in ihren „nach den gewöhnlichsten Rirchengesängen eingerichteten Psalmen Davids" (Nürnberg 1723) ausdrücklich, daß sie „ehemals zu eigener Erbauung aufgesetzet" waren. Noch ausführlicher äußert sich in diesem Sinne Georg Heinrich Lang, Pfarrer in Trenheim, in seinem „Teutsch-singenden David", Straßburg 1726, der „zur Übung Gott ge­ heiligter Singandacht" herausgegeben ist. „Man wollte damit frommen Christen Gelegenheit an die Hand geben, die von Gott in ihre Seele gelegte Liebe und Lust an geistlichen Gesängen immer mehr zu erwecken, zu unterhalten, zu üben und auf den rechten Zweck, die Erbauung in Gott, zu führen". Der Psalter verliert damit immer mehr den Charakter des Gemeindebuchs. Noch von einer anderen Seite her gefährdet man im Pietismus den Psalmengesang der Gemeinde: man löst den Charakter des ge­ schlossenen Psalmbuchs auf, das auch in der äußeren Anordnung, in der Reihenfolge der Psalmen, dem biblischen Psalter folgt, und führt eine den Psalmen untergelegte systematische Grdnung ein. Damit ist der Grundcharakter des Psalmgesangs als gesungenes Bibelwort und damit die besondere Liedkategorie des Bibellieds in Frage gestellt: die Psalmen treten in eine Linie mit den frei gedichteten, nach systematischen Gesichts­ punkten zu ordnenden Gesangbuchliedern. (Es ist von hier nur ein Schritt zur Preisgabe der besonderen Herausstellung des Bibellieds oder Psalters und zur Verteilung der einzelnen Psalmen unter die einzelnen Rubriken des Gesangbuchs, was dann jeweils das Ende des Psalmen­ gesangs herbeigeführt hat. Nur als besondere Liedkategorie kann der Psalmengespng sich halten. Diese Auflösung des Charakters als Psalmbuch ist bereits in dem als Erbauungsbuch und als Liedpsalter sich gebenden Werk von Conrad FriedrichStresow „Biblisches Vergnügen in Gott" (5 Teile, Hamburg 1746—1752) durchgeführt. Die doppelte Gefährdung des Psalmengesangs der Gemeinde im Pietismus zeigt besonders deutlich das Psalmbuch von Johann Adam Lehmus (Rothenburg o. d. Tauber 1762). Schon der Titel ist bezeichnend: „Davids Psalter vor das Israel nach dem Geiste. Gder Neues vollständiges Christlich-Evangelisches Gesangbuch Aus dem alleinigen Göttlichen Lieder-Schatze der ehemals blühenden rechtgläubig-

Jüdischen Kirche . . . Für Seelen, die ihre Privat-Erbauung suchen". Der Psalter wird in erster Linie für die Gemeinschaft der Erweckten bestimmt. In seiner Anordnung wird er dem Bedürfnis dieser Gemeinschaft angepaßt,